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German Pages 749 [764] Year 2007
Kunst für die Republik
Kristina Kratz-Kessemeier
Kunst für die Republik Die Kunstpolitik des preußischen Kultusministeriums 1918 bis 1932
Akademie Verlag
Cover-Abbildung: Ausschnitt aus Charlotte Berend-Corinth, Bildnis Adolf Grimme, 1931,118 χ 88 cm, Ölgemälde, im Auftrag des Kultusministeriums entstanden. Privatbesitz.
Bibliografische
Information
der Deutschen
Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-05-004371-5
© Akademie Verlag G m b H , Berlin 2008 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach D I N / I S O 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner F o r m - durch Fotokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: breutypo. Christopher Breu, Berlin Satz: Werksatz Schmidt & Schulz G m b H , Gräfenhainichen Druck: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Bindung: N o r b e r t Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Dank
VII
I. Einleitung
1
II. Weichenstellung: Neuorientierung der ministeriellen Kunstpolitik 1918-21 1. Rahmenbedingungen 1.1. Das neue Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung . . . . 1.2. Die Kunstabteilung
5 14
2. Neudefinition des kunstpolitischen Anspruchs in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Diskussion um Kunst und revolutionäre Gegenwart 1918/19
21
3. Zwischen Öffnung und Kontinuität: Einleitung längerfristiger Reformen an den staatlichen Kunstinstitutionen 3.1. Veränderungen im Bereich der Museen 3.2. Veränderungen im Bereich der Kunstakademien
41 78
4. Öffentlichkeitswirksame Neuerungen 4.1. Die moderne Abteilung der Nationalgalerie im Kronprinzenpalais . . . 4.2. Öffnung der Großen Berliner Kunstausstellung für alle Kunstrichtungen
126 146
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung 5.1. Der theoretische Anspruch des Ministeriums 5.2. Erste praktische Ansätze einer nationalintegrativen Kunstpolitik
164 193
. . . .
6. Bemühen um eine Neuorganisation der Kunstverwaltung
241
III. Die Umsetzung des Neuen: Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32 1. Rahmenbedingungen: Die weitere Entwicklung des Ministeriums und der Kunstabteilung
261
2. Kunstfreiheit als konstante Maxime
284
Inhaltsverzeichnis
VI
3. Akademiepolitik 3.1. Reform der Künstlerausbildung 3.2. Die verzögerte Modernisierung der Berliner Akademie der Künste
. . .
4. Museumspolitik 4.1. Konflikt zwischen Alt und Neu: Der schwierige Umgang mit dem Bauprojekt auf der Museumsinsel 4.2. Bemühen um eine Neugestaltung der Museen 5. „Kunst und Volk": Bildungskonzepte und Popularisierungsaktivitäten
302 340
364 401 ....
434
6. Die Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst 6.1. Engagement für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen: Formen der Künstlerhilfe 6.2. Ankaufs- und Auftragspolitik
464 493
7. Tradition und Moderne: Ausstellungen als Präsentationsorte deutscher Kunst
524
8. Zwischen Konfrontation und Annäherung: Internationale Aspekte der Kunstpolitik
550
9. Ende, Rezeption und Nachwirken der demokratischen Kunstpolitik in Preußen
586
IV. Fazit
601
Anhang Abkürzungsverzeichnis I. Allgemeine Abkürzungen
609
II. Abkürzungen für Zeitungen und Zeitschriften
610
Quellen- und Literaturverzeichnis I. Quellen I.A. Archivalien I. B. Gedruckte Quellen I. B. 1. Einzelveröffentlichungen I. B. 2. Veröffentlichungen der Landesversammlung und des Landtags I. B. 3. Zeitungen und Zeitschriften
611
....
II. Sekundärliteratur / Veröffentlichungen nach 1940 Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
I: II: III: IV:
615 623 625 627 661 664 671
Tabelle V:
Individuelle Beihilfen des Kultusministeriums an Künstler 1918-32 Aufträge des Kultusministeriums 1918-32 Ankäufe des Kultusministeriums 1918-32 Auszeichnungen des Kultusministeriums bzw. Auszeichnungen, an deren Vergabe das Ministerium beteiligt war, 1918-32 Künstlerförderung des Kultusministeriums insgesamt 1918-32 . . .
Graphik:
Kunstetat Kultusministerium 1919-32
731
706 717
Personenregister
733
Bildnachweise
741
Dank
Beim vorliegenden Buch handelt es sich um eine leicht gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im Sommer 2005 am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin angenommen wurde. Für die stets zugewandte und fördernde Begleitung meines Promotionsprojekts möchte ich zunächst meinem Doktorvater Prof. Dr. Thomas W. Gaehtgens vom Kunsthistorischen Institut der FU danken. Prof. Dr. Jürgen Kocka vom Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichtswissenschaft der FU danke ich für die Bereitschaft, als Zweitgutachter zu fungieren und so den interdisziplinären Anspruch meiner Dissertation zu stärken. Dem Land Berlin schulde ich Dank für die Gewährung eines zweijährigen Graduiertenstipendiums (NaFöG). Während der Entstehung der Dissertation habe ich oft unbürokratisches Entgegenkommen in Archiven und Bibliotheken erfahren. Spezieller Dank sei hier den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, des Archivs der Akademie der Künste und des Zentralarchivs auf der Museumsinsel gesagt. Familie Becker gab mir freundlicherweise die Erlaubnis zur Einsichtnahme in den Nachlaß Carl Heinrich Becker. Wertvolle inhaltliche Anregungen habe ich in der gesamten Promotionszeit durch den Austausch in der Richard-Schöne-Gesellschaft für Museumsgeschichte e.V. gewonnen. Dank gebührt in diesem Zusammenhang insbesondere Nikolaus Bernau und Dr. Kurt Winkler, die mich in eigene Quellenauswertungen haben Einsicht nehmen lassen. Für die bereitwillige Aufnahme meiner Dissertation ins Programm des Akademie Verlags bin ich Dr. Gerd Giesler zu Dank verpflichtet, für die Begleitung bis zur Publikation meiner Lektorin Katja Richter. Bei der Klärung der Abbildungsfragen bin ich noch einmal von verschiedenen Seiten unterstützt worden. In besonderer Erinnerung wird mir dabei die Aufgeschlossenheit von Lieselotte Zylmann und des Hamburger Fotografen Arvid Mentz bleiben. Als kritische Korrekturleserinnen und -leser zur Seite gestanden haben mir Dr. Astrid M. Eckert, Dr. Benedikt Goebel, Mechthild Kratz, Claudia B. Reschke, Tiziane Schön und in erster Linie meine Eltern Dr. Carin Kessemeier und Dr. Siegfried Kessemeier. Ihnen allen sei dafür noch einmal herzlich gedankt. Ohne familiäre Unterstützung bei der Betreuung meiner kleinen Tochter Hannah wäre ein Abschluß der Dissertation in der jetzigen Form kaum möglich gewesen. Dank dafür gebührt meinem Schwager Benedikt Goebel und meiner Mutter, vor allem aber meinen Schwiegereltern Mechthild und Peter Kratz, die mir in ihrem Pfarrhaus im Taunus wiederholt Gelegenheit zum Arbeiten gegeben haben. Schließlich gilt mein größter Dank meinem
Vili
Dank
Mann Andreas Kratz, der mich in jeder Hinsicht und mit nie nachlassender Selbstverständlichkeit durch alle Höhen und Tiefen der Promotionsjahre getragen hat. Ihm möchte ich meine Arbeit widmen.
I. Einleitung
Zur Kunstpolitik des nationalsozialistischen Staates gibt es eine Reihe von Untersuchungen. Seit der ersten grundlegenden Studie von Brenner aus dem Jahr 1963 1 sind die offiziellen Aktivitäten auf diesem Gebiet während des Dritten Reiches aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet worden. 2 Auch die staatliche Kunstpolitik der wilhelminischen Zeit kann als gut erforscht gelten. Dem von Mai und Waetzoldt 1981 herausgegebenen Sammelband 3 , der wie das gleichzeitig erschienene Buch von Paret 4 den Blick für die kaiserliche Kunstpolitik und die Kontroversen und Schattierungen in deren Umfeld geöffnet hat, sind bis heute zahlreiche Publikationen gefolgt. 5 Für die Zeiträume bis 1918 und nach 1933 läßt sich also inzwischen ein differenziertes Bild der staatlichen Kunstpolitik zeichnen. Anders sieht dies für die Weimarer Republik aus. Zwar stößt die Kultur der „Goldenen Zwanziger" seit den 70er Jahren auf ein stetig wachsendes Interesse. 6 Die staatliche Kunstpolitik in dieser Zeit ist aber bisher nur in Ansätzen erforscht worden. Aufmerksamkeit erfuhr hier lange allein das Wirken von Reichskunstwart Edwin Redslob. 7 Da das Amt rein repräsentativ und finanziell schlecht ausgestattet war, konnten die Veröffentlichungen jedoch jenseits allgemeiner Verortungen kaum einen Einblick in die kunstpolitischen Aktivitäten in den 20er Jahren geben. In jüngerer Zeit sind verschiedene Studien erschienen, die dieses Manko auf regionaler Ebene auszugleichen suchen: Katenhusen hat 1998 einen ersten Vorstoß für Hannover unternommen, 8 Schmidt beschäftigt sich in ihrer Untersuchung zum bayerischen Kultusminister Matt von 2000 auch mit der Kunstpolitik des 1 Brenner 1963. 2 Erwähnt seien z . B . Steinweis 1993, Mathieu 1997, Volkert 2 0 0 0 und Schwarz 2004. 3 Kunstverwaltung im Kaiserreich 1981. 4 Paret 1981. 5 Genannt seien etwa Kunstpolitik und Kunstförderung im Kaiserreich 1982, Heerde 1993 und Lenman 1994. 6 Wegweisend in diesem Zusammenhang etwa Tendenzen der Zwanziger Jahre 1977; Hermand / Trommler 1978. 7 Dazu liegen mit Heffen 1986, Speitkamp 1994 und Laube 1997 drei grundlegende Untersuchungen vor. 8 Katenhusen 1998.
2
I.
Einleitung
Ressorts,9 und Christmann und Fellbach-Stein haben 1999 und 2001 den Blick auf die Kunstpolitik in der Pfalz gelenkt.10 Die vorliegende Arbeit will nun erstmals auf überregional relevanter Ebene die kunstpolitischen Ansprüche des Weimarer Staates und besonders deren praktische Umsetzung mit Hilfe etablierter Etats und der großen staatlichen Kunstinstitutionen darstellen, indem sie den Fokus auf den angesichts der Länderkulturhoheit wie der territorialen, bevölkerungs- und machtpolitischen Struktur des Deutschen Reiches zentralen kunstpolitischen Protagonisten der Zeit nach 1918 richtet: das preußische Kultusministerium. Bisher ist die Politik des preußischen Kultusressorts im Bereich bildende Kunst11 in den Weimarer Jahren ein nahezu unbearbeitetes Thema. Nur die Verfasserin hat sich auf einer begrenzteren Quellenbasis mit Teilbereichen des Themas beschäftigt.12 Daneben liegt eine erste Bestandsaufnahme zum Wirken des langjährigen preußischen Kunstreferenten Wilhelm Waetzoldt vor, die punktuelle Einblicke auch in die Kunstpolitik des Ministeriums gibt.13 Als hilfreich für eine Annäherung an die engere Thematik erwies sich zudem die 1991 von Müller vorgelegte Studie zu Carl Heinrich Beckers Wissenschafts- und Hochschulpolitik.14 Darüber hinaus konnte die Literatur indes allenfalls Hinweise zu Einzelaspekten geben. Für eine Auseinandersetzung mit der Kunstpolitik des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung15 waren daher intensive Archivrecherchen und die Auswertung zahlreicher von der Forschung bis dahin oft gänzlich unberücksichtigter Quellenbestände nötig. Da die kunstpolitisch relevanten Unterlagen des Kultusministeriums aus der Weimarer Zeit bis auf wenige, kaum ergiebige Akten nicht erhalten sind, mußte zunächst der Bestand der Kunstabteilung des Ressorts mit Hilfe von Parallelüberlieferungen rekonstruiert werden. Dazu wurden die im Geheimen Staatsarchiv in Berlin lagernden Akten des preußischen Finanzministeriums, Staatsministeriums und Landtags sowie die im Bundesarchiv Berlin befindlichen Konvolute des Reichsinnenministeriums und Reichskunstwarts ausgewertet. Herangezogen wurden zudem die Nachlässe des ersten Kultusministers der Republik Preußen, Konrad Haenisch, und des 1930-32 amtierenden letzten demokratischen Kultusministers in Preußen, Adolf Grimme, sowie der äußerst umfangreiche Nachlaß von Carl Heinrich Becker, der die Ressortpolitik 1918-30 als Staatssekretär und Minister prägte.16 9 L. Schmidt 2000. Zur bayerischen Kulturpolitik gibt es zudem mit Haaß 1967 eine ältere, wenig differenzierte Dissertation. 10 Christmann 1999; E s kommt eine neue Zeit 1999; Fellbach-Stein 2001. 11 D e r Begriff Kunstpolitik
wird in der vorliegenden Arbeit in diesem engeren Sinne verstanden. D e r
Theaterbereich, der zeitgenössisch ebenfalls unter dem Oberbegriff Kunstpolitik
gefaßt wurde,
bleibt hingegen ausgeklammert. 12 Kessemeier 1995; Kessemeier 1998. 13 Schunk 1993. 14 Müller 1991. Erwähnt sei zudem Wende 1959, der Beckers Kulturpolitik aus persönlicher Perspektive schildert. 15 So der offizielle N a m e des preußischen Kultusressorts in den Weimarer Jahren. 16 Der Nachlaß Haenisch liegt im Bundesarchiv Berlin, die anderen Nachlässe befinden sich im Geheimen Staatsarchiv (zur Einsichtnahme des Nachlasses Becker erhielt die Verfasserin die Erlaubnis
I.
Einleitung
3
Daneben wurden die Akten der beiden exponiertesten staatlichen Kunstinstitutionen, der Akademie der Künste und der Nationalgalerie, die in der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin bzw. im Zentralarchiv der Staatlichen Museen auf der Museumsinsel verwahrt werden, auf Briefwechsel mit dem Ministerium hin gesichtet. In die Recherchen wurden schließlich auch die Nachlässe der für die Museumspolitik zentralen Figur Wilhelm von Bode und des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun einbezogen.17 Ergänzt wurden die Archivalien durch drei große Gruppen gedruckter Quellen: Erstens spielten zeitgenössische Veröffentlichungen des Ministeriums oder einzelner Ressortmitarbeiter sowie solche aus dem Umfeld der ministeriellen Politik eine Rolle. Zweitens wurden die hunderte von Bänden umfassenden Publikationen der preußischen Landesversammlung und des preußischen Landtags, die unter anderem Einblick in die jährlichen Kunstdebatten und den Etat geben, systematisch ausgewertet. Spezielle Bedeutung kam hier den Plenums- und Ausschußprotokollen, aber auch den Drucksachen und Staatshaushaltsplänen zu. Drittens wurden dreizehn für unterschiedliche Richtungen stehende Kunst-, Kultur- und Museumszeitschriften für die Weimarer Jahre komplett gesichtet.18 Dadurch ließen sich kunstpolitisch relevante Ereignisse und Diskussionen sowie die Außenwahrnehmung der Ressortpolitik nachzeichnen. Wichtige Informationen und Einschätzungen lieferten überdies die Memoiren der Berliner Museumsmänner Ludwig Justi und Wilhelm von Bode. 19 Auf dieser Quellenbasis soll in der vorliegenden Arbeit die Kunstpolitik des Kultusressorts für den gesamten Zeitraum des demokratischen Preußen - zwischen der Abdankung Wilhelms II. Anfang November 1918 und der Absetzung der preußischen Regierung durch den „Preußenschlag" im Juli 1932 - untersucht werden. Grob werden dabei zwei zeitliche Blöcke unterschieden: In einem ersten Block, der die Amtszeit des sozialdemokratischen Ministers Haenisch 1918-21 umfaßt, geht es um die Neuorientierung der staatlichen Kunstpolitik in Abgrenzung zur kaiserlichen Kunstdoktrin in der ersten Zeit nach der Novemberrevolution. In einem zweiten Block wird nach der Differenzierung und langfristigen Umsetzung dieser neuen Vorstellungen im Laufe der 20er und frühen 30er Jahre gefragt. Innerhalb der beiden Blöcke wird jeweils zunächst ein institutionsgeschichtlicher und biographischer Zugang gewählt, das heißt es werden wichtige Rahmenbedingungen in der
von Margrit Brandel vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin). Mit den N a c h lässen Haenisch, Becker und Grimme konnten die Nachlässe von drei der vier relevanten preußischen Kultusminister der Weimarer Zeit berücksichtigt werden. D e r in Privatbesitz befindliche Nachlaß des 1 9 2 1 - 2 5 amtierenden Ministers O t t o Boelitz ist im Krieg zerstört worden, vgl. dazu Nachlässe in deutschen Archiven 1971. 17 Der Nachlaß Bode liegt im Zentralarchiv auf der Museumsinsel, der Nachlaß Braun im Geheimen Staatsarchiv. 18 In die Recherche wurden einbezogen: Berliner wart, Künstlerselbsthilfe und Künstler, Deutschen
Museen,
Der Cicerone,
/ Kunst der Zeit, Das Kunstblatt,
Der Kunstwart
Kunstchronik
und
Kultur-
und Kunstmarkt,
Kunst
Kunst und Wirtschaft / Werkstatt der Kunst, Der Kunstwanderer,
Werkbundes,
Museumskunde,
Die Weltbühne
19 Bode-Memoiren 1997; Justi-Memoiren 1999.
Mitteilungen
und Zeitschrift für bildende
Kunst.
des
4
I. Einleitung
Ressortentwicklung und die Träger der Kunstpolitik auf der Führungsebene wie in der Kunstabteilung des Ministeriums vorgestellt. In einem weiteren Schritt werden die theoretischen Ansprüche im Hintergrund der ministeriellen Kunstpolitik, deren Entwicklung und ideengeschichtliche Prägung beschrieben. Davon ausgehend stehen in beiden Blöcken die praktischen Aktivitäten des Ressorts im Mittelpunkt. In thematischen Kapiteln werden traditionelle wie neu hinzugetretene Kernbereiche der staatlichen Kunstpolitik durch die Phasen der Weimarer Republik hindurch beleuchtet: die Akademie- und Museumspolitik, die Künstlerförderung durch Ankäufe, Aufträge und soziale Unterstützungen, die „Popularisierungs-" und Ausstellungspolitik, das Eintreten für die Kunstfreiheit und das internationale kunstpolitische Engagement. Im interdisziplinären Ansatz 20 soll so eine Forschungslücke geschlossen, ein Beitrag zur politischen wie kulturellen Geschichte der ersten deutschen Demokratie und darüber hinaus zur Genese der demokratischen Kunstpolitik geleistet werden.
20 Speziell die Verbindung von historischen und kunsthistorischen Methoden und Perspektiven ist ein Anliegen der Arbeit; vgl. dazu z.B. auch die Überlegungen in Groppe 1997, S. 10-14 zu einer integrierten Politik-, Sozial- und Kulturgeschichte.
II. Weichenstellung: Neuorientierung der ministeriellen Kunstpolitik 1918-21
1. Rahmenbedingungen 1.1. Das neue Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Am 10. November 1918, einen Tag nach der Abdankung Kaiser Wilhelms II. und der Ausrufung der Republik, übernahm der aus drei SPD- und drei USPD-Vertretern zusammengesetzte Rat der Volksbeauftragten auf Reichsebene die Regierungsgeschäfte. Auf Beschluß des Vollzugsrates der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte wurde am 11. November 1918 auch die preußische Regierung umgebildet. Sie setzte sich nun bis zum Zusammentritt der Verfassunggebenden Landesversammlung als vorläufige Regierung aus einem sechsköpfigen Politischen Kabinett anstelle eines Ministerpräsidenten und aus Einzelressorts zusammen, die - eine Besonderheit der Revolutionsregierung in Preußen - jeweils von einem MSPD- und einem USPD-Politiker gemeinsam geführt wurden.1 Dem entsprechend wurde das preußische Kultusministerium am 12. November 1918 Adolph Hoffmann als Unabhängigem und Konrad Haenisch als Mehrheitssozialdemokraten zu gleichen Teilen übertragen. Damit hatten die in den vergangenen Jahren wichtigsten kulturpolitischen Sprecher der sozialdemokratischen Partei im Preußischen Abgeordnetenhaus das Ministeramt inne.2 Mit Haenisch trat ein Mann an die Spitze der preußischen Kulturverwaltung, dessen Biographie von starken Brüchen gekennzeichnet war. 1876 als Sohn eines Mediziners in Greifswald geboren, wandte sich Haenisch schon als Gymnasiast von seinem konservativen Elternhaus ab. Er ging nach Leipzig, schrieb dort für Partei- und Gewerkschaftszeitungen, vor allem für die Leipziger Volkszeitung, und besuchte Geschichts- und Nationalökonomievorlesungen.3 Seit 1892 aktiver Sozialdemokrat, knüpfte Haenisch in Leipzig für ihn 1 Vgl. Orlow 1986, S. 5 3 - 5 5 ; Miller 1978, S . 8 9 f ; Huber 1978, S. 915 u. 1 0 0 2 - 1 0 0 6 ; H ö m i g 1979, S . 2 3 f ; Bernstein 1921, S. 51; Hoffmann 1920, S. 179 f. 2 Vgl. Möller 1985, S. 34; Huber 1978, S. 1004 f; Müller 1991, S. 227; Preußen und die Sozialdemokratie 1981, S. 73; Schulze 1977, S. 227; Hömig 1979, S. 23; Bernstein 1921, S. 51. 3 Zur Biographie Haenischs vgl. Sigel 1976, S. 2 9 - 4 3 , hier S. 2 9 f; Franz 1929, hier S. 4 4 4 - 4 4 6 ; Scharlau / Zeman 1964, S. 110 f; Handbuch Landtag 1921, S. 253; Hofmann 1966; Johannes Fischart: Konrad Haenisch.
Politiker und Publizisten,
LX, in: Weltb., Jg. 15/1, Nr. 19, 1.5.1919, S. 5 0 3 - 5 1 0 ; Bei-
träge zu Kulturgeschichte 1981, S. 7 0 - 7 2 ; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 235.
6
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
entscheidende Kontakte: Franz Mehring und Rosa Luxemburg wurden seine publizistischen Lehrmeister und beeinflußten ihn auch politisch. Den Bruch mit der bürgerlichen Herkunft ins Extrem treibend, Schloß sich Haenisch in der Folgezeit der marxistischen Linken in der SPD an.4 Deren Ideen vertrat er als Mitarbeiter verschiedener Zeitungen. 1900 wurde er Chefredakteur der Dortmunder Arbeiterzeitung, die er zu einem der führenden Organe des linken Parteiflügels machte.5 1911-16 leitete Haenisch im SPD-Auftrag die Literarische Centraistelle für Flugblatt- und Agitationsbroschürenliteratur in Berlin. Nachdem er sich zuvor bereits im rheinisch-westfälischen Bildungsausschuß engagiert hatte, hielt er zudem Vorträge an der Berliner Arbeiterbildungsschule.61913 wurde er unerwartet ins Preußische Abgeordnetenhaus gewählt.7 Der Beginn des Ersten Weltkrieges markierte den zweiten Einschnitt in Haenischs Biographie. Stark bewegt durch das Augusterlebnis 1914, schwenkte er auf den äußersten rechten Flügel seiner Partei um.8 Zusammen mit Paul Lensch und Heinrich Cunow vertrat Haenisch fortan die Auffassung vom Krieg als Revolution anderer Art.9 Im Mittelpunkt stand dabei die These, die Zukunftsinteressen des Proletariats seien untrennbar mit der Existenz eines durch den Krieg revolutionierten nationalen Staates verbunden. Mit ihr verband sich die Forderung, auch der sozialdemokratische Arbeiter habe für ein starkes Deutschland, das durch Reformen neu zu gestalten sei, im Sinne des Burgfriedens einzustehen. Ihre Uberzeugungen verbreitete die Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe seit 1915 in der von Haenisch 10 redigierten Glocke. Als Propagandist der Gruppe fungierte der Nationalökonom Johann Plenge, der das Schlagwort der „Ideen von 1914" geprägt hatte.11 Am überparteilichen Austausch beteiligte man sich in der Deutschen Gesellschaft 1914.12 Haenisch selbst, der 1916 auch den Sozialwissenschaftlichen Verein als Vertretung der SPD-Rechten mitbegründete,13 legte seine neue Position während des Krieges in mehreren Publikationen dar. Vertrat er 1914 noch die Ansicht vom Klassenstaat, betonte er seit 1915 die alle umfassende „deutsche
4 Vgl. Sigel 1976, S. 30; Franz 1929, S. 457 f u. 467 f; Beiträge zur Kulturgeschichte 1981, S. 71; Scharlau / Zeraan 1964, S. 9, 91 f, 110 f, 131 u. 173. 5 Vgl. Sigel 1976, S. 30 f; Franz 1929, S. 446 f. 6 Vgl. Franz 1929, S. 452, 464 u. 469; Sigel 1976, S. 31 f. In den 1890er Jahren hatte Haenisch durch den Besuch des Arbeiterbildungsvereins selbst wichtige Anregung erfahren, vgl. Haenisch 1920 a, S. 8. 7 Vgl. Franz 1929, S. 478; siehe dazu auch Abb. 9 in Schulze 1977. 8 Vgl. dazu auch Buchner 2001, S. 150. 9 Vgl. Sigel 1976, S. 41, 46-56, 74 u. 98; Scharlau/Zeman 1964, S. 173; Franz 1929, S. 447 u. 483 f; Haenisch 1919 a, S. 110 u. 126; Haenisch 1916, S. 12 f; Haenisch 1915 a, S. 17; Schildt 1987, S. 540; Schulze 1977, S. 187; zur Biographie Lenschs und Cunows vgl. Sigel 1976, S. 21-29 u. 158-160. 10 Vgl. Sigel 1976, S. 4 4 f u. 119f; Die Unverschämten,
in·. Die Zukunft, Bd. 107, 6.12.1919, S. 283-317,
S. 311; Haenisch 1919 a, S. 58 f; zur Theorie der Gruppe vgl. ausführlich Sigel 1976; siehe dazu auch Scharlau / Zeman 1964, S. 332. 11 Vgl. Sigel 1976, S. 119 f; Müller 1991, S. 234; zu Plenge vgl. Schildt 1987; zur Freundschaft Plenges mit Haenisch siehe auch Plenge 1918, S. 6 f. 12 Haenisch und Lensch waren Mitglieder der Gesellschaft, vgl. Sigel 1976, S. 124. 13 Vgl. Sigel 1976, S. 101.
1. Rahmenbedingungen:
Ministerium
7
Gefühls- und Gedankengemeinschaft".14 Dabei bemühte er sich nachzuweisen, daß der nationale Gedanke für führende Linke seit Mitte des 19. Jahrhunderts wichtig war und die Sozialdemokratie inzwischen rückhaltlos zum Vaterland stehe.15 Auch kulturpolitisch setzte Haenisch nun andere Schwerpunkte: 1915 ging es ihm nicht mehr um eine primär auf den Proletarier ausgerichtete Politik, sondern um die Vermittlung von Bildung und Kultur für das „Volksganze". Die Idee vom starken nationalen Staat fand dabei ihre Entsprechung in der Darstellung Deutschlands als Kulturnation ersten Ranges - wobei Haenisch die Idee der starken Kulturnation keineswegs chauvinistisch verstand, sondern sie eng mit dem Ziel eines internationalen Austausches verband.161917 propagierte Haenisch die Einheitsschule.17 Und im Juni 1918 schließlich entwickelte er ein Bildungsprogramm, das auf die Vermittlung volkswirtschaftlicher und staatsbürgerlicher Inhalte sowie auf soziales und demokratisches Empfinden ausgerichtet war. Mit ihm postulierte er für die Zeit nach dem Krieg einen neuen deutschen Menschentyp, der als „Synthese von Alt-Potsdam, Alt-Weimar und Neu-Berlin" nationale Traditionen wie modernes wirtschaftliches Denken in sich vereinen sollte und durch dessen Förderung dem Staat neue Führer aus allen Schichten erwachsen sollten.18 Haenischs Haltung in den Kriegsjahren war von der Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel als Folge des Krieges getragen.19 Konsequenterweise stand für Haenisch, den die deutsche Niederlage sehr berührte,20 in den Tagen der Novemberrevolution die Bereitschaft im Vordergrund, aus reformerischen und damit verknüpften nationalen Motiven am Wiederaufstieg des deutschen Volkes mitzuarbeiten.21 Nachdem sich die Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe im Krieg von der SPD-Mehrheit entfernt und für Verschiebungen innerhalb der Gesamtpartei gesorgt hatte, gelang Haenisch im Zuge der Auflösung der Gruppe seit dem Frühjahr 1918 der Schritt von der Rechten zur Parteimehrheit.22 Die im Krieg gewonnenen Uberzeugungen blieben aber auch nach 1918 grundlegend für ihn.23 Haenisch stand im November 1918 mit Adolph Hoffmann ein USPD-Mann als zweiter Kultusminister zur Seite, der sich weit weniger in innerparteilichen Diskussionen profiliert hatte als sein fast zwanzig Jahre jüngerer Amtskollege. 1858 in Berlin geboren, wuchs Hoffmann in ärmlichen Verhältnissen auf, besuchte nur kurz die Volksschule, lernte Graveur und Vergolder und verdiente sein Geld als Metall- und Textilarbeiter. Seit 1876 Sozialdemokrat, arbeitete er seit 1890 als leitender Redakteur des Zeitzer Volksboten. 1893 kehrte 14 Vgl. Sigel 1976, S. 110-114; siehe dazu z.B. Haenisch 1915 b, S. 24; Haenisch 1916, S. 16. 15 Vgl. Haenisch 1915 b, bes. S. 6 u. 2 0 - 2 3 ; Haenisch 1919 a, S. 73-108. 16 Vgl. Haenisch, 3.3.1915, in: Stenographische Berichte 1914/15, Bd. 7, Sp. 8627-8641. 17 Vgl. Haenisch, 27.2. u. 1.3.1917, in: Stenographische Berichte 1916/17, Bd. 4, Sp. 4314-4327 u. Sp. 4399-4416; siehe dazu auch schon Haenisch 1919 a, S. 74. 18 Haenisch 1918 a, S. 23; vgl. auch Schildt 1987, S. 550 f. 19 Vgl. Haenisch 1918 b; Orlow 1986, S. 51. 20 Vgl. Sigel 1976, S. 160 f. 21 Vgl. Der Weg zum Frieden und zur Freiheit, in: Deister- und Weserzeitung, Jg. 71, Nr. 247, 20.10. 1918, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 482, Bl. 5; Schildt 1987, S. 552. 22 Vgl. Sigel 1976, S. 129-139 u. 155-169; Schildt 1987, S. 548 u. 553 f; zur linken Kritik daran vgl. Franz 1929, S. 447; Miller 1978, S. 219; Diere 1964, S. 17; Schildt 1987, S. 553 f. 23 Vgl. Müller 1991, S. 237; Konrad Haenisch: Dennoch!, S. 388-393.
in: Glocke, Jg. 5/1, Nr. 13, Juni 1919,
II. Neuorientierung
8
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
er nach Berlin zurück und gründete dort einen literarischen Verlag. Als einer der ersten Sozialdemokraten wurde er 1900 ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt, wo er bis 1921 vertreten blieb. 1904-06 war er zudem Mitglied des Reichstages und seit 1908 des Preußischen Abgeordnetenhauses. Aufmerksamkeit erregte Hoffmann, der 1917 zur USPD wechselte, hier durch seine in breitem Berlinisch vorgetragenen Reden. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden war er durch eine kirchengegnerische Rede von 1891, die ihm den Spitznamen Zehn-Gebote-Hoffmann eingebracht hatte.24 Noch am 12. November 1918 wurde das Kultusressort vom bisherigen Minister Friedrich Schmidt-Ott an die neuen, so unterschiedlichen Amtsinhaber übergeben.25 Kurz danach stellten sich Hoffmann und Haenisch in einer Versammlung im Ministeriumsgebäude Unter den Linden 4 in Berlin den rund zweihundert Beamten ihrer Verwaltung vor und riefen dem preußischen Regierungsprogramm und einem Appell des Arbeiter- und Soldatenrats entsprechend26 - zur Mitarbeit im Sinne der Revolution bzw. der Republik auf.27 Wenn auch vermutlich viele Anwesende diesen Vorgang mit zwiespältigen Gefühlen verfolgten,28 nahm daraufhin mit Unterstaatssekretär Hermann von Chappius nur ein einziger Ministerialbeamter seinen Abschied. Gleichzeitig holten Haenisch und Hoffmann fünf neue Beiräte ins Ministerium, die bis auf einen der MSPD oder USPD angehörten.29 Auf Initiative Hoffmanns wurde noch im November 1918 die Bezeichnung Ministerium der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten abgeändert in Ministerium für "Wissenschaft, Kunst und Volksbildung - eine Umbenennung, die die Absicht veränderter Schwerpunktsetzungen in Richtung eines Kulturministeriums unterstrich.30 Das Kulturprogramm der preußischen Regierung vom 30. November 31 und Publikationen der Kultusminister aus der Umbruchzeit, aber auch Details wie Ermahnungen, sich allzu unterwürfiger Brieffloskeln zu enthalten, stehen darüber hinaus für den Reformanspruch des Ressorts.32
24 Zur Biographie Hoffmanns vgl. Hofmann 1972; Osterroth 1960, S. 136 f; Zentralrat 1968, S. 138; H. A. Winkler 1993, S. 49; Bode-Memoiren 1997, Bd. 2, S. 368; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 235; Wende 1959, S. 67; Diere 1964, S. 18-20; Schulze 1977, S. 234; Miller 1978, S. 215; Bernstein, 1921, S. 51 f; Plenge 1918, S. 5. 25 Vgl. Diere 1964, S. 16; Orlow 1986, S. 55. 26 Vgl. Huber 1978, S. 1007; Möller 1985, S. 33 f. 27 Vgl. Hoffmann 1920, S. 182 f; Rundbrief Haenisch u. Hoffmann, 27.11.1918, hs. / gedr., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 340. 28 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 390. 29 Vgl. Hoffmann 1920, S. 180-183; Diere 1964, S. 21; Müller 1991, S. 227 fu. 230; Lange 1987, S. 65; Zentr.bl. Unterr.verw.,]g.
1918, Nr. 1, 21.1.1918, S. 13-16 u. Jg. 1919, Nr. 1, 20.1.1919, S. 13-16;
BT, Jg. 47, Nr. 640,15.12.1918, S. 4; Konrad Haenisch: Brief an den Herausgeber,
in: Weltb., Jg. 15/1,
Nr. 1, 2.1.1919, S. 4 f; Briefwechsel Haenisch - Frida Winckelmann, 1919-20, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 424. 30 Vgl. Diere 1964, S. 20; Müller 1991, S. 226 u. 247 f; Huber 1978, S. 880; Bernstein 1921, S. 52; Haenisch 1919 b, S. 21; Haenisch 1921, S. 151; Lauscher (Ζ), 11.1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1805. 31 Das sozialistische Kulturprogramm.
Allerhand Unklarheit, in: BT, Jg. 47, Nr. 613, 30.11.1918, S. 3.
32 Vgl. dazu ζ. B. KM an Walter Sandmann, 4.1.1919, Ds., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 454, Bl. 30 r;
1. Rahmenbedingungen:
Ministerium
9
Trotz dieses Anspruchs waren es zunächst weiterhin die Beamten des Kaiserzeit, die das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung prägten.33 Damit entsprach das Ministerium der generellen Tendenz einer nach 1918 allenfalls in Ansätzen eingeleiteten Demokratisierung der Beamtenschaft.34 Während der politisch neutrale Beamte propagiert wurde,35 führten die neuen Machtverhältnisse wie in anderen Behörden so auch im Kultusressort zwar kaum zu offenen Arbeitsverweigerungen. Dennoch verstanden es die alten Beamten, ihr Mißbehagen der neuen Führung gegenüber auszuspielen und so Entscheidungen indirekt zu behindern.36 Trotzdem betonte Haenisch auch im Nachhinein, wie wichtig es gewesen sei, die Beamten zu halten, um eine Weiterarbeit der Behörde zu ermöglichen. 37 Damit teilte er eine in der SPD verbreitete Auffassung, fand aber keineswegs die Zustimmung Hoffmanns, der Haenisch später vorwarf, er habe durch seine Unterwürfigkeit notwendige Neuerungen im Ressort verhindert.38 Die sich hier andeutenden Differenzen führten bald zu Konflikten zwischen den beiden Ministern vor allem im Kirchen- und Schulbereich.39 Während Haenisch an einen langsamen Wandel auf dem Boden der bestehenden Ordnung dachte, wollte Hoffmann radikale revolutionäre Veränderungen.40 Nach ersten kirchenpolitischen Erlassen Hoffmanns, die in der katholischen Bevölkerung für Unruhe sorgten und Separationsbestrebungen nährten, nahm Haenisch schließlich Mitte Dezember 1918 eine Abwesenheit seines Kollegen zum Anlaß, sich von Hoffmann zu distanzieren.41 Nachdem führende Ressortmitarbeiter er-
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Pädagogischer Beirat im KM an Alfred Vogel, Ds., ms., Jan. 1919, in: BArchB, 90 H a 4, Nr. 454, Bl. 49; Haenisch 1921, S. 162; siehe dazu auch Kunstreformpläne des preußischen Kultusministeriums, in: W. d. Ku„ Jg. 8, Nr. 11, 9.12.1918, S. 71. Auch mit den Vorgängern im Ministeramt kam es zu keinem wirklichen Bruch, vgl. Hoffmann 1920, S. 182 f; Diere 1964, S. 23; Trott zu Solz an Haenisch, 7.12.1919, hs., in: BArchB, 90 H a 4, Nr. 457, Bl. 242; Haenisch 1919 b, S. 17 f; Haenisch 1918 a, S. 7-9; Haenisch 1919 c, S. 12; siehe auch Orlow 1986, S. 45-47. Vgl. Pikart 1958, S. 120-123 u. 135-137; Runge 1965; Wende 1959, S. 67 f; Diere 1964, S. 21; O r l o w 1986, S. 55 u. 114-119; Hermand / Trommler 1978, S. 19; Knütter 1988, S. 400; Haaß 1967, S. 175; L. Schmidt 2000, S. 91-93. Vgl. Rockwell 1972, S. 15 f; Pikart 1958, S. 135; O r l o w 1986, S. 122 f u. 132; Knütter 1988, S. 398 f. Vgl. Pikart 1958, S. 121 u. 135; Orlow 1986, S. 122 f; Knütter 1988, S.398 f; Hoffmann 1920, S. 183 f; Preußen und die Sozialdemokratie 1981, S. 75 u. 77. Vgl. Haenisch 1919 b, S. 17 u. 19-22. Vgl. Hoffmann 1920, S. 179 f; H o f f m a n n 1924, S. 77-80; R. Pauli: Sozialdemokratie und Kulturpolitik. Zwei Schriften ehemaliger sozialistischer Kultusminister, in: Glocke, Jg. 7/2, Nr. 42, Jan. 1922, S. 1161-1164; Miller 1978, S. 173 f; Huber 1978, S. 1008-1012; Lehnert 1990, S. 96-98; Kolb 1993, S. 166; Preußen und die Sozialdemokratie 1981, S. 73; Hein / Hein 1983, S. 69. Vgl. Schulze 1977, S. 235; H . A. Winkler 1993, S. 49; Huber 1978, S. 871-891 u. 1007 f; Eimers 1969, S. 204; Miller 1978, S. 90 f u. 215 f; Orlow 1986, S. 38 u. 276; Müller 1991, S. 229 f; siehe dazu auch Miller 1978, S. 90. Vgl. Speitkamp 1994, S. 545; siehe dazu auch allgemein Huber 1978, S. 989-992. Zur Politik Hoffmanns vgl. Schulze 1977, S. 235; H . A. Winkler, S. 49; Huber 1978, S. 872-874 u. 1007 f; Eimers 1969, S. 203f; Miller 1978, S. 215f; Orlow 1986, S. 38 u. 276; zu Hoffmanns Abwesenheit vgl. Orlow 1986, S. 56; Müller 1991, S. 230; Miller 1978, S. 215-217; Hömig 1979, S. 29-31; Schulze 1977, S. 234 f; zu den Separatismusbestrebungen von 1918/19 vgl. Huber 1978, S. 1128-1146.
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II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
klärt hatten, sie seien nicht bereit, Hoffmanns Politik weiter hinzunehmen, 42 sprach er sich Weihnachten 1918 bei Ministerpräsident Hirsch für eine Absetzung Hoffmanns aus. 43 Zum offenen Bruch kam es jedoch nicht mehr, da die USPD-Mitglieder der preußischen Ubergangsregierung aus Solidarität mit ihren Kollegen im Reich am 3. Januar 1919 ohnehin geschlossen ihren Rücktritt erklärten. Wie die anderen SPD-Minister Preußens führte Haenisch daraufhin die Amtsgeschäfte allein fort. 44 Hoffmann, der 1920 zur KPD wechselte und später zur SPD zurückkehrte, betätigte sich bis zu seinem Tod 1930 auf Landes- und zeitweilig auch auf Reichsebene als Parlamentarier weiterhin aktiv in der Politik. 45 Nach den Wahlen zur Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung am 26. Januar 1919 blieb Haenisch zunächst vorläufig und nach der preußischen Regierungsbildung am 25. März 1919 als Mitglied der Koalitionsregierung aus SPD, Zentrum und D D P unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Hirsch auch längerfristig Kultusminister. 46 Er bemühte sich in dieser Zeit um eine Relativierung der Hoffmannschen Kirchenpolitik. Daneben standen die Schulpolitik und Reformen im Hochschul- und im Theaterbereich im Mittelpunkt. 47 Sein Ministerium wollte Haenisch als offenen Ort regen Austausches mit
42 Vgl. Mitarbeiter KM (u. a. Becker) an Staatsministerium, 11.12.1918, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 8655; Becker: Die Zustände im Kultusministerium, [Nov. / Dez.] 1918, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1370; Aufzeichnung über eine Unterredung von 4 Mitgliedern des Kultusministeriums mit dem Vorsitzenden des Zentralrats, Herrn Oberbürgermeister Leinert, 30.12.1918, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1361. 43 Vgl. Miller 1978, S. 217; zu den Differenzen Haenisch - Hoffmann vgl. auch Zentralrat 1968, S. 139-141; Weinstein 1990, S. 38; Müller 1991, S. 230; Bernstein 1921, S. 52; Hoffmann 1920, S. 184 f; Orlow 1986, S. 56; Johannes Fischart: Konrad Haenisch. Politiker und Publizisten, LX, in: Weltb., Jg. 15/1, Nr. 19, 1.5.1919, S. 503-510, S. 504 f; zur allgemeinen Kritik an der Politik Hoffmanns vgl. Orlow 1986, S. 59; H. A. Winkler 1993, S. 49; Hömig 1979, S. 29; Huber 1978, S. 884 f; Helming 1918; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 389 f. 44 Vgl. Orlow 1986, S. 58; Müller 1991, S. 230; Möller 1985, S. 53-59, 84 u. 324; Huber 1978, S. 915 f u. 1012; Zentralrat 1968, S. 187-189; Hammel 1990, S. 113; Weinstein 1990, S. 39; Wende 1959, S. 68 f; Lehnert 1990, S. 221; Bernstein 1921, S. 130; zu den Reaktionen auf Hoffmanns Rücktritt vgl. ζ. B. KM an Pfarrer Stanislaus Swierczewski, 3.1.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 454, Bl. 32 r; Haenisch gegen Hoffmann. Eine Zuschrift des Kultusministers. Epilog zum ,tollen Quartal', in: BT, Jg. 48, Nr. 8, 5.1.1919. 45 Vgl. Osterroth 1960, S. 136 f; Hofmann 1972; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 235. 46 Vgl. Orlow 1986, S. 18 f, 60-63 u. 75; Möller 1985, S. 80-94, 324-329 u. 335; Schlenke 1987, S. 122; Müller 1991, S. 230 u. 249 f; Hömig 1979, S. 39-43; Schulze 1977, S. 241; Schmitz 1931, S. 29; Huber 1978, S. 915 fu. 1012. 47 Vgl. Huber 1978, S. 874-880 u. 886-890; Lange 1987, S.326; Pfoser/Pfoser-Schewig/Renner 1993, S. 38; Wille« 1978, S. 49; Briefwechsel Haenisch - Reinhardt, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 313; BT, Jg. 47, Nr. 613, 30.11.1918; Jg. 48, Nr. 26, 22.1.1919; Nr. 152, 6.4.1919; Nr.181, 23.4.1919; Nr. 281, 24.6.1919; Nr. 410,1.9.1919; Nr. 490,17.10.1919, S. 3; Hermand / Trommler 1978, S. 196; Koehrer, Erich: Das Theater im Volksstaat, in: Glocke, Jg. 4/2, Nr. 48, 1.3.1919, S. 1513-1520; Müller 1991, S. 224-394; Giesecke 1965, S. 162-177; Wittwer 1980; Führ 1970; Hömig 1979, S. 54-62; Lange 1987, S. 326; Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807; Rede Becker, 15.11.[1919], ms., in:
1. Rahmenbedingungen:
Ministerium
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Fachleuten aus allen Kulturbereichen verstanden wissen.48 Im Ministerium veranstaltete Kunstabende und kleinere Ausstellungen wie die Rudolf Hellwags im Juni 1920, aber auch Pressekonferenzen, die 1920 zur regelmäßigen Einrichtung im Ressort wurden, unterstrichen den Anspruch von Offenheit. 49 Für die personelle Struktur des Ministeriums brachten die Monate der Regierung Hirsch, die bis zum Kapp-Putsch im März 1920 bestand, substantielle Veränderungen mit sich. Ernst Troeltsch und Rudolf Wildermann wurden als Parlamentarische Staatssekretäre ins Ministerium berufen. 50 Vor allem aber stellte die Neubesetzung des Unterstaatssekretariats einen Einschnitt dar, der sich für die Entwicklung des Ministeriums in den 20er Jahren als grundlegend erweisen sollte: Nachdem der USPD-Vertreter Max Hermann Baege entlassen worden war,51 rückte der habilitierte Orientalist Carl Heinrich Becker im März 1919 auf den Posten des Unterstaatssekretärs vor. 1876 in weltoffener Atmosphäre als Sohn eines deutschen Bankiers und Großkaufmanns in Amsterdam geboren und in begütertem wirtschafts- wie bildungsbürgerlichem Umfeld in Frankfurt am Main aufgewachsen, hatte Becker wissenschaftlich Karriere gemacht. Seit 1902 war er als Privatdozent und seit 1906 als außerordentlicher Professor in Heidelberg, seit 1908 am Hamburger Kolonialinstitut und seit 1913 als Ordinarius an der Universität Bonn tätig gewesen. Dabei hatte er sich um die Etablierung der Islamwissenschaft in Deutschland verdient gemacht und sich hochschulund kulturpolitisch, speziell in der auswärtigen Kulturpolitik, engagiert. 1916 war er als Referent in die Hochschulabteilung des preußischen Kultusministeriums eingetreten. 52 Parteilos, als liberaler Vernunftrepublikaner aber der D D P nahestehend,53 hatte Becker Anfang 1919 bei den Weimarer Verfassungsberatungen durch Äußerungen zur Kulturhoheitsfrage auf sich aufmerksam gemacht (siehe Kap. II. 6.). Die Führungsrolle in der Opposition gegen
GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6782; Haenisch an Vollzugsrat des Arbeiter- u. Soldatenrats Berlin, 21.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 101; KM: Kunstabteilung,
[Juni
1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 242-243. 48 Vgl. Haenisch 1919 b, S. 22; Haenisch 1919 c, S. 12 f; Haenisch an Storck, 21.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 104; Müller 1991, S. 248; Hammel 1990, S. 84. 49 Vgl. dazu Kunstabend Schmidt: Konferenz
im Kultusministerium,
im Kultusministerium,
in: BT, Jg. 48, Nr. 588, 9.12.1919, S. 3; Leopold
in: BT, Jg. 49, Nr. 159, 7.4.1920; Minister Haenisch u.
die deutsche Kunst, in: DAZ, Jg. 25, Nr. 145, 7.4.1920, S. 2; ST, Jg. 49, Nr. 280, 17.6.1920; Haenisch 1921, S. 162; siehe dazu auch die Planungen für die Einrichtung einer eigenen Presseabteilung im Ressort, vgl. Schutz der Kunstsammlungen,
in: ST, Jg. 47, Nr. 591, 18.11.1918, S. 3; zum Kontakt
Haenisch - Hellwag siehe auch Rudolf Hellwag an Haenisch, 8.6.1920, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 319; Rudolf Hellwag an [Haenisch], 19.2.[1921], hs. / gedr. u. Haenisch an Hellwag, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 462, Bl. 288 u. 289. 50 Vgl. Wende 1959, S. 75; Möller 1985, S. 327; Müller 1991, S. 257 f; siehe dazu auch Orlow 1986, S. 63 u. 124-126; Briefwechsel Haenisch - Troeltsch 1919-21, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 401; Briefwechsel Haenisch-Wildermann 1919-20, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 422; BT, Jg. 49, Nr. 232,19.5.1920. 51 Vgl. Müller 1991, S. 230 u. 249 f; BT, Jg. 48, Nr. 118,19.3.1919; Wende 1959, S. 67 f. 52 Zu Becker vgl. ausführlich Müller 1991; Wende 1959; siehe auch Groppe 1997, S. 535-539; zum Eintritt ins Ministerium vgl. auch ZAs, 24./25.10.1916, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6716. 53 Vgl. Müller 1991, S. 18, 263 u. 395 f; Speitkamp 1994, S. 548; Preußen in Weimar 1982, S. 82.
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II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Hoffmann hatte seine Position innerhalb des Ressorts zusätzlich untermauert. 54 Als engster Berater Haenischs wurde Unterstaatssekretär Becker bald zum wichtigsten Mann neben dem Minister. Durch ihn erfuhr die Ministeriumspolitik in immer stärkerem Maße ihre inhaltlichen Prägungen. 55 Auf Becker, der bereits vor der Revolution für eine Neustrukturierung des Ministeriums plädiert hatte, 56 gingen dann auch Maßnahmen zur Vereinfachung des Geschäftsganges und zur stärkeren fachlichen Gliederung der Ministeriumsabteilungen im Frühjahr 1919 sowie umfangreiche personelle Veränderungen 1919 und 1920 zurück. 57 Im Zuge der Umstrukturierungen, die 1919 zur Entlassung von vier Abteilungsdirektoren führten, wurden im Sommer 1919 achtzehn neue Sachbearbeiterstellen geschaffen. 58 Wenn sich auch manche der Ernennungen faktisch darin erschöpften, Leiter staatlicher Kultureinrichtungen nominell enger ans Ministerium zu binden, ist auf mittlerer Ebene seit 1919/20 also durchaus eine Berücksichtigung neuer Mitarbeiter, die Fachkompetenzen einbrachten, erkennbar, während auf der Ebene unterhalb von Minister und Staatssekretär die Personalkontinuität weitgehend gewahrt blieb.59 Gleichzeitig sah sich das Ressort heftigen Angriffen von rechts wie links ausgesetzt, die sich, teilweise antisemitisch gefärbt, gegen die Schul- und Universitätspolitik sowie die Person Haenisch richteten und die Stellung des Ministeriums nachhaltig schwächten. 60
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Vgl. Müller 1991, S. 249. Vgl. ebd., S. 249 u. 286; Wende 1959, S. 69. Vgl. Müller 1991, S. 224; Schunk 1993, S. 425. Vgl. Müller 1991, S. 277 f u. 286; Verfügung Haenisch, 31.5.1919, hs. / gedr., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1770. 58 Vgl. Müller 1991, S.226, 277-280, 283 u. 286; Zbl. Unterr.verw., Jg. 61, Nr. 1, 20.1.1919, S. 13 f; Jg. 62, Nr. 1,22.1.1920, S. 2 f. 59 So hatten von den 28 Vortragenden Räten, die im Januar 1920 im Ministerium beschäftigt waren, neunzehn bereits vor der Revolution ihre Stellen inne, fünf waren aus eigenen Reihen nachgerückt, vgl. Müller 1991, S. 280,283 u. 285; siehe dazu auch Knütter 1988, S. 399; Schulze, 1977, S. 244; Der stille Kampf in den Ministerien, in: Die neue Zeitung, 16.6.1919, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 7679; BT, Jg. 49, Nr. 324, 13.7.1920. 60 Vgl. dazu Centraiverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens u. Redaktion Im deutschen Reich an Haenisch, 9.3.1920, Schröder an Haenisch, 13.3.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 458, Bl. 290-293 u. 316; Haenisch, 27.4.1920, in: LV, Prot., Sp. 11078; Haenisch an Becker, 28.5.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 37; Haenischs Kopfsprung oder Die unsterbliche Badehose in: 8-Uhr-Abendblatt, 21.6.1920, Abschr. in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 415-418; Abschr. aus Dt. Tagesztg., 14.7.1920 in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 460, Bl. 57; Cläre Meyer-Lugau: Kultusministerium, in: Weltb., Jg. 16/2, Nr. 35, 26.8.1920, S. 228-232; Konrad Haenisch: Brief an Frau Cläre Meyer-Lugau, in: Weltb., Jg. 16/2, Nr. 38, 16.9.1920, S. 305-308; Cläre Meyer-Lugau: Antwort an Haenisch, in: Weltb., Jg. 16/2, Nr. 39, 23.9.1920, S. 330 f; Konrad Haenisch: Nachlese, in: Weltb., Jg. 16/2, Nr. 42, 14.10.1920, S. 423-425; Haenisch, 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15759-15762; D.: Nach der Kultusdebatte. Haenischs „Staat und Hochschule", in: BT, Jg. 49, Nr. 528, 18.11.1920; König an Haenisch, 2.6.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 202-203; BT, Jg. 48, Nr. 479, 10.10.1919, S. 3; Jg. 49, Nr. 446, 22.9.1920; Nr. 449, 23.9.1920; vgl. auch Orlow 1986, S. 39; Diere 1964, S. 209; Kolb 1993, S. 158 f; Lehnen 1990, S. 75 f; Lehnert 1983, S. 9 f.
1. Rahmenbedingungen:
Ministerium
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Im Nachgang des Kapp-Putsches bildete sich Ende März 1920 unter dem Sozialdemokraten Otto Braun 61 eine neue preußische Regierung, in der weiterhin SPD, Zentrum und D D P koalierten. Auch in diesem Kabinett blieb Haenisch Kultusminister. 62 In der Folgezeit, in der sich, auch angesichts des Mehrheitsverlustes der Weimarer Koalition im Reich, 63 die Presseangriffe gegen das Ministerium noch intensivierten, stand die Schulpolitik im Mittelpunkt der Ressortaktivitäten. 64 Die nach dem Kapp-Putsch verstärkt geäußerte Forderung nach einer Demokratisierung der Beamtenschaft zog noch einmal personelle Veränderungen auch im Kultusministerium nach sich. 65 Prinzipiell hatten jedoch die für 1919 aufgezeigten Strukturen Bestand. In der Öffentlichkeit präsentierte sich das Ministerium nun als Institution, die neue, aber keineswegs radikale Wege in der Kulturpolitik gehen und konstruktive Reformarbeit leisten wollte. 66 Koalitionskonflikte, die sich auch an Haenischs Schulpolitik entzündeten, 67 ließen das erste Kabinett Braun im Frühjahr 1921 scheitern. Nach den preußischen Landtagswahlen Ende Februar 1921 wurde am 21. April ein bürgerliches Minderheitenkabinett aus Zentrum und D D P unter Adam Stegerwald gebildet. Zuvor hatte sich die SPD wegen einer möglichen DVP-Einbeziehung gegen eine Beteiligung an der Regierung entschieden. Vor diesem Hintergrund mußte Haenisch im April 1921 zurücktreten. 68 Er blieb preußischer Landtagsabgeordneter, wurde 1923 Regierungspräsident in Wiesbaden und übte dieses Amt bis zu seinem Tod 1925 aus. 69 Für das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung 61 Zu Braun vgl. ausführlich Schulze 1977. 62 Vgl. BT, Jg. 49, Nr. 141,27.3.1920; Nr. 142,27.3.1920; Orlow 1986, S. 68 fu. 75; Hömig 1979, S. 88; Möller 1985, S. 331-336; Huber 1984, S. 124. Schulze 1977, S. 297 f weist darauf hin, daß Haenisch zunächst sogar als möglicher Kandidat für das Ministerpräsidentenamt gehandelt wurde; siehe dazu auch Schulze 1977, S. 301. 63 Vgl. Möller 1985, S. 128 f. 64 Vgl. Schulze 1977, S. 297-299 u. 315; Orlow 1986, S. 73; Huber 1984, S. 123 f; Hömig 1979, S. 54, 58 u. 88; Wittwer 1980; Führ 1970; Huber 1978, S. 1201; Schlenke 1987, S. 123; Eimers 1969, S. 204-207. 65 Vgl. Müller 1991, S. 280; Knütter 1988, S. 401; Orlow 1986, S. 114 f, 129-135 u. 151; Möller 1985, S. 338; Schlenke 1987, S. 121; Pikart 1958, S. 136; Preußen und die Sozialdemokratie 1981, S. 84-87; siehe dazu auch Becker an Haenisch, 7.8.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 49-53; LV, Dr. 3530, S. 6314, 6317-6321, 6327-6329 u. 6335-6337; Hömig 1979, S. 164. 66 Vgl. Haenisch 1921; siehe dazu auch R. Pauli: Sozialdemokratie und Kulturpolitik. Zwei Schriften ehemaliger sozialistischer Kultusminister, in: Glocke, Jg. 7/2, Nr. 42, Jan. 1922, S. 1161-1164; Eine Bilanz. Zwei Jahre preußische Regierung, in: BT, Jg. 50, Nr. 63, 8.2.1921; Georg Wendel: Der preußische Kultusminister Haenisch als Sozialpolitiker, in: Glocke, Jg. 6, Nr. 49, 8.3.1921, S. 1376-1378; zur kritischen Haltung der USPD dazu vgl. Kleinspehn (USPD) u. Hoffmann (KPD), 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15708 u. 15717-15719. 67 Vgl. Schulze 1977, S. 324 f. 68 Vgl. Möller 1985, S. 339-350; Schulze 1977, S. 336 f; Orlow 1986, S. 77-81, Wende 1959, S. 77; BT, Jg. 50, Nr. 160, 6.4.1921; Nr. 171,13.4.11921. 69 Vgl. Sigel 1976, S. 161; Becker an Braun, 28.8.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Otto Braun, Β I Nr. 3; Becker an Braun, 28.8.1922, Ds., ms. u. Braun an Becker, 5.9.1922, Ds., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 92-97; GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7997; BArchB, 90 Ha 4, Nr. 466; siehe dazu auch Schulze 1977, S. 567 f.
II. Neuorientierung der ministeriellen Kunstpolitik 1918-21
14
bedeutete der Ministerwechsel den Abschluß einer ersten Phase, in der entscheidende Akzente für eine republikanische Neuorientierung der preußischen Kulturpolitik gesetzt wurden.
1.2. Die Kunstabteilung Die Grundlinien der Kunstpolitik des Kultusministeriums wurden unter Haenisch wie in den folgenden Jahren nach Abstimmung mit den Fachreferenten in der Leitungsebene des Ressorts festgelegt und von dort nach außen vertreten. Das hieß für die erste Nachkriegszeit, daß der generelle kunstpolitische Anspruch von Haenisch, kaum hingegen von Hoffmann,70 und von Unterstaatssekretär Becker formuliert wurde, daß aber bereits hier die Mitarbeiter der Kunstabteilung als Fachleute Einfluß nahmen. Bei der praktischen Kunstpolitik war es umgekehrt in erster Linie die Kunstabteilung, der der aktive Part zukam, während Minister und Staatssekretär oft nur bei solchen Themen in Erscheinung traten, die öffentliche Aufmerksamkeit erregten oder besonders prekär waren. Die Kunstpolitik des Ministeriums war also - vermutlich übrigens in stärkerem Maße als die exponiertere Kirchen- und Schulpolitik71 - geprägt von einer engen Kooperation zwischen der leitenden Ministerialebene und der Fachabteilung des Ministeriums, die über die nötige Sachkenntnis verfügte und in Orientierung an den kunstpolitischen Leitlinien für die Politikgestaltung im Einzelfall zuständig war. Träger der staatlichen Kunstpolitik in der Republik Preußen waren mithin neben der ministeriellen Führungsriege die Mitarbeiter der Kunstabteilung und hier speziell die für die bildende Kunst zuständigen Referenten. Für das 1817 im Kontext der Bildungsreform Humboldts gegründete preußische Kultusministerium72 war die bildende Kunst von Beginn an ein wichtiges Sujet.73 Nachdem die Kunstpolitik in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Persönlichkeiten aus Humboldts Umfeld wie Schinkel oder Schadow gestaltet worden war,74 verfügte das Ministerium mit Franz Kugler (1808-58) seit 1843 über einen eigenen Kunstreferenten.75 Der Kunsthistoriker Kugler, der das Thema staatliche Kunstpolitik in einer 1847 erschienenen Schrift Uber die Kunst als Gegenstand der Staatsverwaltung mit besonderem Bezüge auf die Verbältnisse des preußischen Staates als einer der ersten gerade auch unter nationalen Aspekten reflektierte, gab der preußischen Kunstpolitik wichtige Impulse.76 Nach Kuglers
70 Vgl. dazu auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 415: „Hoffmann hatte bei der Teilung der Arbeit im Ministerium die Kunst völlig Haenisch überlassen." 71 Vgl. Rockwell 1972, S. 85. 72 Siehe dazu auch Düwell 1976, S. 3 - 6 . 73 Vgl. Waetzoldt 1921, S. 64. 74 Vgl. Waetzoldt 1933, S. 81 f. 75 Vgl. ebd., S. 82 f; Palla: 1959, S. 45. 76 Vgl. Mai 1981, S. 4 4 1 - 4 4 3 ; Wilhelm Waetzoldt:
Ein „Lebenslauf Franz Kuglers, in: Ku.wan., Jg.
2. Aug.-Nr. 1922, S. 5 4 3 - 5 4 5 ; Waetzoldt 1933, S. 83; Rave 1968, S. 10; siehe dazu auch Justi 1911.
4,
1. Rahmenbedingungen:
Kunstabteilunmg
15
Tod agierten die folgenden Kunstbeamten, gehemmt durch eine konservativere Grundtendenz, im Schatten der Museumspolitik Friedrich Wilhelms IV. und später der Bismarckschen Kulturpolitik. 77 Nur der spätere Generaldirektor der Museen Richard Schöne (1840— 1922) vermochte in seiner Referentenzeit 1872-80 noch einmal Akzente zu setzen.78 Bis 1882 wurde die Kunst dabei in der Unterrichtsabteilung des Ministeriums verwaltet. Nachdem für das niedere Schulwesen eine eigene Abteilung eingerichtet worden war, blieb die Kunst der Ersten Unterrichtsabteilung zugeordnet und erhielt innerhalb dieser 1896 erstmals eine eigene Leitung. 79 1904-17 war der entscheidende Kunstpolitiker des Ministeriums Friedrich Schmidt(-Ott). Ihm gelang 1907 auch die Durchsetzung einer eigenständigen Kunstabteilung im Ressort, der allerdings zunächst noch die außeruniversitären wissenschaftlichen Institute mit unterstellt waren.80 Unter Schmidts Führung war die Kunstpolitik des Ressorts bestimmt von einem Lavieren zwischen den autokratischen, antimodernen Eingriffen Kaiser Wilhelms II. und Ansätzen einer fortschrittlicheren Politik, die bisweilen durch Taktieren innerhalb des vom Monarchen gesetzten Rahmens möglich waren.81 Im Laufe des Ersten Weltkrieges schwand der Einfluß des Kaisers auf die Kunstpolitik zusehends, der Spielraum des Ministeriums wurde größer.82 Als Schmidt-Ott im August 1917 als Nachfolger des altpreußisch-konservativen August von Trott zu Solz Kultusminister wurde, rückte Wilhelm Nentwig in die Position des Leiters der Kunstabteilung auf. Nach Übernahme des Ministeriums durch Haenisch und Hoffmann blieb der 1864 in Breslau geborene parteilose Jurist Nentwig Leiter der Abteilung U IV für Kunst und Wissenschaft. Nentwig, der nach mehrjähriger Tätigkeit im schlesischen Justizdienst 1904 als Referent ins Ministerium eingetreten, 1905 zum Vortragenden Rat der geistlichen und Kunstabteilung und 1917 zum Abteilungsdirigenten befördert worden war, stand damit einer von damals fünf Abteilungen vor.83 In der Kunstabteilung arbeiteten im November 1918 darüber hinaus der 1912 ins Ressort berufene, 1915 zum Regierungsrat aufgestiegene ehemalige Amtsrichter Friedrich Trendelenburg (1878-1962), der, zuvor Musikreferent, seit 77 Vgl. Waetzoldt 1933, S. 83 f; H a m m e r 1980, S. 268 f. Nachfolger Kuglers als Kunstreferenten waren 1 8 5 8 - 7 1 Moritz Pinder, 1 8 7 2 - 8 0 Richard Schöne und 1 8 8 0 - 9 5 Max Jordan, vgl. Pallat 1959, S. 45, 161 u. 254. 78 Zu Schönes Aktivitäten vgl. ausführlich Pallat 1959, S. 4 5 - 1 5 9 ; Poggendorf 1996 a, S. 296; Mai 1981, S. 448 u. 452. 79 Vgl. Manegold 1967, S. 5 1 3 - 5 1 5 ; Weiser 1996, S. 9; Waetzoldt 1933, S. 84; Pallat 1959, S. 224. 1 8 9 5 1904 fungierte Geheimrat Müller als Kunstreferent, vgl. Pallat 1959, S. 254 u. 332. 80 Vgl. Waetzoldt 1933, S. 84; Müller 1991, S. 135; Pallat 1959, S. 333. 81 Vgl. Waetzoldt 1933, S. 84; Pallat 1959, S. 102 u. 3 3 2 - 3 3 4 ; siehe dazu auch Sievers 1966, S. 2 3 2 - 2 6 8 ; Gedenktext Grimme zum Tod von Friedrich Schmidt-Ott, Mai/Juni 1956, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 462; Mai 1981, S. 4 6 4 u. 4 6 6 f. 82 Vgl. Sievers 1966, S. 2 6 6 f; Hentzen 1972, S. 13; Rave 1968, S. 81 f. 83 Zu Nentwig vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 416 u. Bd. 2, S. 369; Wille« 1978, S. 48 f; Müller 1991, S. 278; Willen 1981, S. 49; Sievers 1966, S. 248; Kestenberg 1961, S. 40; Schmitz 1931, S. 49 f; Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft 1931, S. 1310 f; Wer ist's? 1928, S. 1108; zum Aufbau des Ministeriums in dieser Zeit vgl. Manegold 1967, S. 515; 2 0 . 1 . 1 9 1 9 , S. 13; Jg. 1920, Nr. 1 , 2 2 . 1 . 1 9 2 0 , S. 1.
Zentr.bl. Unterr.verw.,]g. 1919, Nr. 1,
II. Neuorientierung
16
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
1918 als Justitiar für die bildende Kunst zuständig war,84 sowie der Physiker Hugo Krüss (1879-1945), der, 1907 ins Ressort gekommen, 1918 zum Vortragenden Rat ernannt worden war.85 Zudem gehörte der Archäologe Ludwig Pallat (1867-1946), der 1898 auf Vermittlung Schönes ins Ministerium berufen worden war, seit 1911 der Abteilung als Referent für den Kunstunterricht an.86 Als einzigem Mitarbeiter mit kunstwissenschaftlichem Hintergrund und einem seit der Jahrhundertwende ausgeprägten Reforminteresse sollte Pallat, der 1915-33 zusätzlich das dem Ressort beigeordnete Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht leitete, nach 1918 eine zentrale Rolle für die Neuakzentuierung der ministeriellen Politik zukommen.87 Daneben wurde der Baubeamte Hans Lutsch (1854-1922) als Konservator der Kunstdenkmäler unter den Abteilungsmitarbeitern geführt.88 Dieser Mitarbeiterstamm wurde Ende 1918 durch Hoffmann um den sozialdemokratischen, damals der USPD angehörenden Pianisten Leo Kestenberg (1882-1962) als Musikreferenten ergänzt. Kestenberg, der den Ministern durch sein Engagement in der Arbeiterbildung bekannt war, konnte als Garant einer innovativen Musikpolitik gelten.89 Zudem brachte er durch seine Mitwirkung an der pazifistischen Kunstzeitschrift Der Bildermann Kontakte zu Künstlern wie Ernst Barlach, Oskar Kokoschka oder Max Slevogt mit, die kunstpolitisch von Interesse waren.90 Während Kestenberg dauerhaft im Ministerium blieb, hatten zwei weitere revolutionäre Neuerungen in der Abteilung weniger Bestand: Zum einen wurde Ende 1918 der VorwärtsRedakteur Karsten-Heinrich Döscher als Künstlerischer Beirat ins Ministerium berufen, um den Parteieinfluß in der Kunstabteilung zu sichern. Im Januar 1919 noch unter den Ressortmitarbeitern geführt und später im Kontext der Nationalgalerie und der Opernpolitik erwähnt, trat Döscher aber kaum in Erscheinung und wurde offenbar schon 1919 entlassen.91 Zum anderen gab es Bestrebungen, einen künstlerischen Rat zu etablieren, dem 84 Zu Trendelenburg vgl. Zentr.bl. Unterr.verw. J g . 1919, Nr. 1, 20.1.1919, S. 14; Jg. 1920, Nr. 1, 22.1. 1920, S. 2; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 416 fu. Bd. 2, S. 369; Kestenberg 1961, S. 41; Sievers 1966, S. 249-251. 85 Zu Krüss vgl. Müller 1991, S. 279; Wende 1959, S. 76; Sievers 1966, S. 249 u. 251; BT, Jg. 49, Nr. 324, 13.7.1920; Briefwechsel Haenisch - Krüss 1920-22, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 202; LV, Dr. 3947, S. 7283; KM (Krüss), 9.11.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 1, Bl. 13-14. 86 Vgl. Pallat 1959, S. 258 u. 263. 87 Zu Pallats Aktivitäten vgl. Kestenberg 1961, S. 59 f; Pallat 1959, S. III, 102 u. 395-397; Reiss 1981, S. 120; Sievers 1966, S. 247 f u. 351; Watzinger 1944, S. 477; Rickert 1977, S. 207; LV, Dr. 3947, S. 7283; Campbell 1981, S. 58. 88 Zu Lutsch vgl. Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 1919, Nr. 1, 20.1.1919, S. 13; Jg. 1920, Nr. 1, 22.1.1920, S. 2; Speitkamp 1996, S. 273; Rückblick auf die Denkmalpflege
in Preußen, in: Ku.chr., Nr. 2, 8.10.
1920, S. 3 6 - 3 8 . 89 Zu Kestenberg vgl. ausführlich Batel 1989; siehe auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 237; Rockwell 1972, S. 8 6 - 9 4 ; Kestenberg 1961; Kestenberg an Haenisch, 18.6.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 173, Bl. 2; von Brehmer (Dt.völk. F - P ) , 14.12.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 7392-7400. 90 Vgl. Kestenberg 1961, S. 3 5 - 4 1 , 57 u. 73-76; Batel 1989, S. 7, 23 f u. 92 f; siehe dazu auch BodeMemoiren 1997, Bd. 1, S. 414; Hammel 1990, S. 84; Willett 1978, S. 48 f; Willen 1981, S. 49; Weimarer Republik 1977, S. 518. 91 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 136,447 u. 449 u. Bd. 2, S. 106 u. 262; Kestenberg: Probleme der preußischen Kunst- und Theaterverwaltung,
4.3.1926, ms., S. 21, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl.
1. Rahmenbedingungen:
Kunstabteilunmg
17
Max Liebermann, Richard Strauss und Gerhart Hauptmann angehören sollten. Nach einer ersten Sitzung wurde diese Idee jedoch wieder aufgegeben.92 Ähnlich wie im Gesamtressort gab es Ende 1918 also zwar Veränderungen auch in der Kunstabteilung, die Revolution hatte aber zunächst keineswegs radikale Konsequenzen für die bestehenden Personalstrukturen. Die Reorganisation und stärkere Gliederung des Ministeriums seit dem Frühjahr 1919 brachte dann allerdings wichtige Veränderungen auch für die Kunstabteilung mit sich. Durch die Ausgliederung des außeruniversitären Wissenschaftsbereiches an die Hochschulabteilung wurde die Abteilung U IV 1919 in eine reine Kunstabteilung umgewandelt. Entsprechend seinem neuen Namen, der die Bedeutung der Kunst betonte, verfügte das Ministerium damit erstmals über eine Abteilung, die sich allein mit Kunst beschäftigte. Die Kunstabteilung U IV war nun eine von neun Ministeriumsabteilungen.93 Ihre personelle Ausstattung aber entsprach noch nicht der anderer Abteilungen. Zwar war die Kunstabteilung, nachdem die ehemals königlichen Theater zusätzlich in ihre Zuständigkeit gefallen waren, durch den in der Theaterreformbewegung aktiven, linken Rechtsanwalt Ludwig Seelig als Theaterreferenten ergänzt worden.94 Zumal nach dem Wechsel von Krüss in die Wissenschaftsabteilung95 verfügte sie jedoch ansonsten über eine schlechte Personaldecke, die angesichts einer wachsenden Geschäftslast immer problematischer wurde. Mit der nationalen Relevanz von Kunst gerade nach dem verlorenen Krieg argumentierend, setzte man sich daraufhin im Sommer 1919 innerhalb des Ministeriums für eine Besserstellung der Abteilung ein. 96 Nachdem 1911 und 1918 ähnliche Anträge abgelehnt worden waren, forderte man eine Aufstockung der Stellenzahl für Vortragende Räte sowie eine Aufwertung der Leitungsposition durch die Beförderung vom Abteilungsdirigenten zum Abteilungsdirektor.97 An diese Vorstöße schlossen sich Überlegungen an, den Leiter der Kunstabteilung auszutauschen - allerdings keineswegs, weil Nentwig nicht mehr haltbar erschien, sondern im Gegenteil, weil er als erfahrener Mann an anderer Stelle dringender gebraucht wurde. So schlug Becker Nentwig im Herbst 1919 vor, die Leitung der geistlichen Abteilung zu übernehmen. 98 Mit dem Hinweis auf sein Interesse an der Kunst, das Vertrauen, das er bei den
C.H.Becker, Nr. 1471; Zentr.bl. Unterr.verw.,Jg.
1919, Nr. 1, 20.1.1919, S. 14; zum Kontext der
Einsetzung vgl. Orlow 1986, S. 124-126. 92 Vgl. Kestenberg 1961, S. 40 f. Grund dafür, daß der Rat nur einmal tagte, war wahrscheinlich nicht zuletzt die ablehnende Haltung der Berliner Akademie, vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Senat, 3.12.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 1. 93 Vgl. Müller 1991, S. 286. 94 Zu Seelig vgl. Rockwell 1972; Stadler 1996; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 237; von Brehmer (Dt.völk. F - P ) , 14.12.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 7392-7400; Willett 1978, S. 48 f; Willen 1981, S. 49. 95 Vgl. Becker an Haenisch, 19.8.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 8 - 1 1 ; Müller 1991, S. 279 u. 282. 96 KM: Kunstabteilung,
[Juni 1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 242-243.
97 Ebd. 98 Becker an Nentwig, [16.9.1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 3085.
II. Neuorientierung
18
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Künstlern genösse, seine Bindung an die Kunstverwaltung und die Schwierigkeiten des Einarbeitens in ein neues Gebiet lehnte Nentwig dies indes a b . " Er blieb daraufhin bis zu seiner Pensionierung 1929/30 Leiter der Kunstabteilung und wurde noch 1919, wie im Interesse der Stärkung der Abteilung postuliert, zum Abteilungsdirektor befördert.100 Gleichzeitig wurde Friedrich Trendelenburg im Sinne der Bestrebungen vom Sommer 1919 zum Vortragenden Rat ernannt,101 und der seit 1918 im Ressort als Denkmalpfleger beschäftigte Architekt Robert Hiecke (1876-1952) rückte 1920, nachdem Lutsch aus dem Staatsdienst ausgeschieden war, zum Konservator der Kunstdenkmäler auf. 102 Im Zuge der personellen Aufstockung der Kunstabteilung traten 1919/20 zudem zwei neue Mitarbeiter in die Abteilung ein, die die Kunstpolitik in den kommenden Jahren maßgeblich mitgestalten sollten: Wilhelm Waetzoldt und Ernst Gall. Aus bildungsbürgerlicher Familie stammend - Vater und Großvater waren als Unterrichtsreferenten ebenfalls im preußischen Kultusministerium beschäftigt gewesen - hatte Wilhelm Waetzoldt (1880— 1945) bei Heinrich Wölfflin und Adolph Goldschmidt Kunstgeschichte studiert und später am Kunsthistorischen Institut in Florenz, in Aby Warburgs Bibliothek in Hamburg und an der Bibliothek der Königlichen Museen in Berlin gearbeitet, bevor er 1912 eine Professur für neuere Kunstgeschichte in Halle übernommen hatte. 103 Nachdem Waetzoldt, der für einen fächerübergreifenden kulturhistorischen Ansatz in der Kunstgeschichte eintrat, 1911/ 12 aushilfsweise in der Kunstabteilung beschäftigt gewesen war,104 wurde er im Oktober 1919 zunächst parallel zu seiner Professorentätigkeit als Kunstreferent ins Ressort berufen. Zum 1. April 1920 gab er sein Lehramt in Halle auf und arbeitete hauptamtlich als Referent. 105 Für die Kunstakademien, den Landeskunstfonds, das Ausstellungswesen und zeitgenössische Kunst zuständig, wurde er im Mai 1920 zum Vortragenden Rat befördert. 106 Ernst Gall (1888-1958) hatte in Grenoble, Paris und Berlin Jura und Kunstgeschichte studiert. Nachdem er 1914 mit einer Arbeit zur niederrheinischen Apsidengliederung bei Adolph Goldschmidt promoviert hatte und anschließend zum Kriegsdienst eingezogen
99 Nentwig an Becker, 19.9.1919, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3085. 100 Vgl. Zentr.bl. Unterr.verw.,]%.
1919, Nr. 1,20.1.1919, S. 13; Jg. 1920, Nr. 1,22.1.1920, S. 1; ZA aus
Kölnischer Volkszeitung, 24.10.1919, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3085. 101 Vgl. Zentr.bl. Unterr.verw.,]g.
1919, Nr. 1, 20.1.1919, S. 14; Jg. 1920, Nr. 1, 22.1.1920, S. 2.
102 Zu Hiecke vgl. Speitkamp 1996, S. 273-275; Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 1919, Nr. 1, 20.1.1919, S. 14; Jg. 1920, Nr. 1, 22.1.1920, S. 2; Rückblick auf die Denkmalpflege
in Preußen, in: Ku.chr.,
Nr. 2, 8.10.1920, S. 36-38; zum Ausscheiden Lutschs vgl. Haenisch an Plenge, 21.5.1920, Ds., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 293, Bl. 72-73. 103 Zu Waetzoldt vgl. ausführlich Schunk 1993, hier S. 407-425. 104 Vgl. ebd., S. 408 u. 4 1 5 - 4 1 8 . 105 Vgl. ebd., S. 425 f; Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 4,24.10.1919, S. 67; Prof. Wilhelm Waetzoldt, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 25, 29.3.1920, S. 173; siehe dazu auch Wille« 1978, S. 48 f; Willett 1981, S. 49; [Becker?] an Adolph Goldschmidt, 25.5.1920, ms. u. Goldschmidt an Becker, 9.6.1920, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 443. 106 Vgl. Schunk 1993, S. 426 f; Ein Gutachten Liebermanns
über die Reform der Kunsthochschule, in:
W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 37, 21.6.1920, S. 260; zu Waetzoldts Kontakten zu modernen Künstlern vgl. schon Emil Nolde an Waetzoldt, 26.12.1910, hs., in: KuBi SMB, N1 Waetzoldt, Β 13.
1. Rahmenbedingungen:
Kunstabteilunmg
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worden war, trat er im Mai 1920 offenbar auf Vermittlung Bodes in die Kunstabteilung ein. 107 Erst einmal damit betraut, sich um die Reform der Meßbildanstalt zu kümmern, übernahm Gall bald das Museumsreferat der Abteilung U IV und war für die Denkmalpflege zuständig. 108 Waetzoldts und Galls Berufungen standen ähnlich wie Kestenbergs Ernennung für die Tendenz, in der Kunstabteilung den Verwaltungsjuristen verstärkt Fachleute zur Seite zu stellen. 109 Hintergrund dafür war Haenischs Auffassung, daß der Künstler nicht mehr dem Staat, sondern umgekehrt der Staat dem Künstler zu dienen habe. Daran anknüpfend wollte Haenisch als neue Männer vor allem solche in die Kunstverwaltung einbeziehen, „die zwar natürlich auch Beamtenqualitäten besitzen, die aber selbst innerlich ganz anders zu diesen Dingen stehen mußten als der Durchschnittsbeamte, Männer, die nicht von außen her mehr oder minder kühl an die Kunst als das ihnen zufällig [...] zugewiesene ,Ressort' herantreten [...], sondern Männer, denen die Kunst Offenbarung, denen sie eigenes inneres Erlebnis geworden war." 110 Als idealer Exponent dieser Bestrebungen galt Haenisch „der ausgezeichnete junge Kunsthistoriker" Waetzoldt. 111 Damit deutet sich zugleich ein weiteres Kriterium für die Auswahl der neuen Referenten an: Offensichtlich war man, der Reformambition entsprechend, interessiert daran, möglichst junge, zukunftsweisende Persönlichkeiten ins Ressort zu holen. 112 Seit 1920 war das Ministerium zudem bemüht, Fachleute aus der Kulturverwaltung in größere Nähe zur Zentralstelle zu rücken. So wurden nun Wilhelm von Bode als Generaldirektor der Museen, sein Nachfolger Otto Ritter von Falke und Nationalgaleriedirektor Ludwig Justi in der Rubrik „außerdem beschäftigt" als Ressortmitarbeiter geführt. 113 Für Justi, Bode und von Falke bedeutete dies, daß sie an Ausschußsitzungen der Landesversammlung bzw. des Landtags teilnahmen. 114 Darüber hinaus blieb die Anbindung an das Ministerium jedoch eher formeller Natur. 115 Dem Anspruch des Ministeriums, offener
107 Zu Gall vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 242; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 426 u. Bd. 2, S. 377; Watzinger 1944, S. 469; D B E 1996, S. 561; Gedenkschrift Gall 1965, S. 7 - 9 ; vgl. auch Ernst Gall: Adolph Goldschmidt. Einige Worte zu seinem sechzigsten Geburtstage, in: Ku.chr., Jg. 58/1, Nr. 15, 12.1.1923, S. 265-267; zur Berufung Galls vgl. Abschr. Verfügung KM, 4.5.1920, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 134 r; siehe dazu auch schon Gall an Bode, 22.8.1919, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Ernst Gall; Schmitz 1931, S. 216. 108 Vgl. Abschr. Verfügung KM, 4.5.1920, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 134 r. 109 Siehe dazu auch Manegold 1967, S. 520. 110 Haenisch 1921, S. 152. 111 Ebd., S. 152. 112 Vgl. dazu Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 426. Vermutlich spielte auch die Auslandserfahrung, die Waetzoldt und Gall mitbrachten, eine gewisse Rolle. 113 Vgl. Zentr.bl. Unterr.verw.,]%.
1920, Nr. 1, 22.1.1920, S. 3.
114 Vgl. ζ. B. Bode, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1822 f; Dr. 3947, S. 7283; LT, W P 1, HA, Szg. 200,
Sp. 2. 115 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 397 u. Bd. 2, S. 117; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19211 f; siehe dazu auch K. Winkler 1999, S. 6; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 157f; Hentzen 1972, S. 11 f.
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Kunstpolitik
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Ort regen geistigen Austausches zu sein, bemühten sich die neuen Mitarbeiter der Kunstabteilung durch Publikationen zu Reformprojekten Rechnung zu tragen. 116 Innerhalb der Kunstabteilung sowie zwischen der Führungsebene des Ministeriums und der Kunstabteilung war eine regelmäßige Kommunikation durch jeden Freitag stattfindende Treffen gewährleistet. 117
116 Vgl. ζ. B. Waetzoldt 1921; Haenisch 1921. 117 Vgl. Kestenberg 1961, S. 52 f.
2. Neudefinition des kunstpolitischen Anspruchs in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Diskussion um Kunst und revolutionäre Gegenwart 1918/19 Unmittelbar nach Übernahme der Amtsgeschäfte veröffentlichte die vorläufige preußische Regierung am 13. November 1918 ihr politisches Programm, in dem sie es grundsätzlich als ihre Aufgabe ansah, „das alte, von Grund auf reaktionäre Preußen so rasch wie möglich zu einem völlig demokratischen Bestandteil der einheitlichen Volksrepublik zu verwandeln." Auf kulturellem Gebiet führte die auch von Haenisch und Hoffmann unterzeichnete Regierungserklärung den Ausbau aller Bildungsinstitute, die Schaffung der Einheitsschule sowie die Trennung von Kirche und Staat als Hauptforderungen an.1 Zur Kunst bezog die allgemeine Erklärung hingegen noch keine Stellung. Erst das ressortspezifische Programm des Kultusministeriums, das Ende November 1918 in der Presse veröffentlicht wurde, ging auch auf die bildende Kunst ein. 2 Zum einen hieß es in Punkt 30: „Für die aus dem Felde zurückkehrenden beschäftigungslosen Künstler und Schriftsteller wird Arbeitsgelegenheit und nötigenfalls Unterstützung bereitgestellt." 3 Und in Punkt 31: „Das Ausstellungswesen wird im Verein mit den Organisationen der Künstler aller Richtungen neu geregelt." Zum anderen erhob das Ressort in Punkt 14 „zum Zwecke der Volksbildung" Anspruch auf einen Teil der königlichen Schlösser, um sie als Volkshochschulen, pädagogische Seminare oder Museen zu nutzen. 4 Damit stellte sich das Kultusministerium, der Tradition des deutschen Kulturstaatsverständnisses verpflichtet, 5 seiner kunstpolitischen Verantwortung und bemühte sich zunächst pragmatisch, Lösungen für aktuelle Fragen und Probleme anzubieten, die durch Kriegsende und Umsturz entstanden waren. Nachdem Hoffmann am 28. November 1918 die Befreiung der Kunst „von jedem Gängelbande", soziale Künstlerhilfen und eine Zugänglichmachung der Museen für alle Schichten als Rahmengrößen künftiger Kunstpolitik benannt hatte, 6 deutete das Programm darüber hinaus Aufgaben im Bereich der Künstlerförderung und Kunstvermittlung an. Wie die angestrebte Schlössernutzung, das Ziel der Volksbildung durch Museen und die Forderung nach einer Öffnung des Ausstellungswesens belegen, ging es dabei letztlich um eine Demokratisierung des Kunstsektors und eine dem Programm
1 Vgl. Vorwärts, Jg. 35, Nr. 314, 14.11.1918; BT, Jg. 47, Nr. 583, 14.11.1918; siehe dazu auch Möller 1985, S. 35; Huber 1978, S.1006 f; Müller 1991, S. 228; Hornig 1979, S. 28; Schlenke 1987, S. 120; Abelein 1968, S. 69; zur Nähe zum Erfurter Parteiprogramm der SPD vgl. Deutsche Parteiprogramme 1960, S. 349 u. 352; H. A. Winkler 1982, S. 10. 2 Vgl. BT, Jg. 47, Nr. 613, 30.11.1918. 3 Zur Relevanz der Künstlerunterstützung in der Nachkriegszeit vgl. Weinstein 1990, S. 21 f; Haaß 1967, S. 126. 4 Zur Beschlagnahme der Königsschlösser am 13.11.1918 vgl. Eggeling 1991, S. 9-12; Schmitz 1931, S. 74-77; BT, Jg. 47, Nr. 659, 27.12.1918; Das Schicksal der Kunstsammlungen der Schlösser, in: W. d. Ku„ Jg. 8, Nr. 9,25.11.1918, S. 58. 5 Vgl. Nipperdey 1998 b, S. 692. 6 Hoffmann 1918.
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vom 13. November entsprechende Abkehr von der eng an das persönliche Regiment Wilhelms II. geknüpften bisherigen staatlichen Kunstpolitik in Preußen. Die wilhelminische Kunstpolitik hatte, wenn sie auch während des Krieges schon weniger konsequent betrieben worden war, 7 bis 1918 Bestand. Ihre Grundlage bildete die Auffassung Wilhelms II., die Einmischung in die Kunst sei monarchisches Recht. Die um 1800 aufgekommene Idee des subjektiven Künstlers ignorierend, hatte der Kaiser seit den 1890er Jahren eine überholt geglaubte absolutistische Kunstvereinnahmung reaktiviert und anhand persönlicher Vorlieben festgelegt, welche Kunst die vom Staat geförderte war - und das war vor allem jene historisierend überladene, am genauen Abbild orientierte, von einem idealisierten Schönheitsbegriff geleitete Monumental- und Genrekunst, die sich für dynastische Legitimation und konservativ-patriotische Identitätsstiftung nutzen ließ.8 Gleichzeitig hatte Wilhelm II. die Moderne formal wie inhaltlich als „Rinnsteinkunst" abqualifiziert. 9 Besonders der Impressionismus war, zumal als in Frankreich entstandene Richtung, verpönt. Zur königlichen Kunstakademie Berlin und zur ihr angeschlossenen Kunsthochschule, die 18751915 vom Hofmaler Anton von Werner geleitet wurde, fanden impressionistische Künstler ebenso schwer Zugang wie zur jährlich unter dem Protektorat Wilhelms II. veranstalteten Großen Berliner Kunstausstellung.^ Auch die königlichen Museen, besonders auf der Berliner Museumsinsel, die unter Wilhelm II. im Interesse des preußisch-deutschen Machtstaates zu einem Kulturzentrum von internationalem Rang ausgebaut worden waren, 11 standen bei der zeitgenössischen Kunst weit hinter anderen Museen zurück - hatte sich der Monarch doch auch hier seinen Einfluß etwa durch eine 1898 erlassene Ordre zu sichern verstanden, der zufolge alle Erwerbungen der Nationalgalerie höchster Genehmigung bedurften. Als in Reaktion auf die antimoderne Kunstpolitik 1898 die Berliner Sezession als Interessenvertretung fortschrittlicher Künstler um Max Liebermann gegründet worden war, hatte sich der Kaiser nur darin bestärkt gesehen, seinen Kurs weiterzufahren. 12 Mit Auftragswerken wie der neobarocken Siegesallee hatte er demonstrativ die von ihm bevorzugte Kunst zu fördern gesucht. 13 Ähnliche Intentionen verbanden sich mit dem 1904 eröffneten Kaiser-Friedrich-Museum, das von Ernst von Ihne im historistischen Palast-
7 Vgl. Hentzen 1972, S. 13; siehe dazu auch Hardtwig 1994, S. 538-540. 8 Vgl. Kunstverwaltung im Kaiserreich 1981; Rave 1968, S. 61 f u. 81 f; Ott 1968, S. 61-66 u. 84 f; Weinstein 1990, S. 7; Hardtwig 1994, S. 507 u. 526-528; Nipperdey 1998 b, S. 709 f; Mai 1981, S. 455-462; Kampe 1996 a, S. 389; Heffen 1986, S. 84; zur Kompetenzfrage vor 1918 vgl. Heffen 1986, S. 18 f. 9 Vgl. Mai 1981, S. 462-464; Reden des Kaisers 1966, S. 102; Malkowsky 1912; zur wilhelminischen Kunstpolitik allgemein vgl. Kunstverwaltung im Kaiserreich 1981. 10 Zur dominanten kunstpolitischen Rolle Werners im Kaiserreich vgl. Heller 1993; Kaiser-Schuster 1993; zur Kunstakademie unter Werner vgl. Poggendorf 1996 a; Mai 1977, S. 31 f; Mai 1981, S. 451469; zur Großen Berliner Kunstausstellung vgl. Poggendorf 1996 b. 11 Vgl. dazu ausführlich Gaehtgens 1992 a; siehe auch Kuhrau 1995, S. 157. 12 Vgl. Paret 1981, S. 11-13; Rave 1968, S. 61-63; Heller 1991, S. 17 f; Teeuwisse 1986; siehe auch Poggendorf 1996 c; Scheffler 1946, S. 70-82. 13 Vgl. Mai 1981, S. 456 f u . 461.
2. Neudefinition des kunstpolitischen Anspruchs 1918/19
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architekturstil realisiert worden war.14 Wilhelm II. hatte damit eine unter dynastisch-nationalen Vorzeichen einseitig konservative staatliche Kunstpolitik in Preußen etabliert, in deren Kontext das Eintreten für moderne und insbesondere französische Kunst - wie die Affäre um Nationalgaleriedirektor Hugo von Tschudi 1909 zeigt - schnell zum Politikum avancieren konnte. 15 Mit der Abdankung Kaiser Wilhelms II., die das preußische Kultusministerium von der ausführenden Behörde zur Entscheidungsinstanz in Kunstdingen aufsteigen ließ, wurde ein grundlegender Wandel dieser Politik möglich und notwendig. Die von der Person Wilhelms II. geprägte Kunstpolitik hatte durch das Ende der Monarchie ihren Hauptträger sowie Funktionen und Inhalte verloren. Ohnehin war die kaiserliche Politik, die sich so vehement neuen Kunstströmungen verschloß, seit den 1890er Jahren heftiger öffentlicher Kritik ausgesetzt gewesen und in der Folge für weite Kreise, speziell im liberalen Bürgertum, zunehmend unglaubwürdiger geworden. Offizielle Kaiserkunst und moderne Tendenzen waren nach 1900 immer offener aufeinandergeprallt. Im Umfeld der Frage, wie die Weltausstellung von St. Louis 1904 zu beschicken sei, war der Konflikt eskaliert.16 Spätestens seit der Tschudi-Krise für die Eindimensionalität und Rückständigkeit der wilhelminischen Kunstpolitik sensibilisiert, hatte sich auch die Kunstabteilung des Kultusministeriums der Kritik am monarchischen Kunstregiment seit etwa 1910 nicht mehr verschließen können. Entsprechend hatten sich die Mitarbeiter der Abteilung in der letzten Phase des Kaiserreiches bemüht, erste Ansätze einer Öffnung des staatlichen Kunstbetriebs für den auf dem Kunstmarkt längst etablierten Impressionismus durchzusetzen. 17 Für die Zeit des Novemberumsturzes ist daher nicht nur für die beiden neuen Minister, sondern auch für die personell vorerst nicht veränderte Kunstabteilung von einer Aufgeschlossenheit gegenüber einer Neuorientierung der staatlichen Kunstpolitik auszugehen. Die Abkehr vom wilhelminischen System bildete quasi den Minimalkonsens, auf den sich Führungsebene und Kunstabteilung einigen konnten. Wie weit und in welche Richtung diese Abkehr allerdings gehen sollte, ob die kaiserliche durch eine neue Staatskunst ersetzt werden sollte oder ob andere differenziertere Wege zu beschreiten waren, war zunächst völlig offen. Nachdem die kaiserliche Kunstpolitik als Negativfolie und Reibungspunkt, an dem sich die eigene Position schärfen, möglicherweise aber auch erst definieren konnte, weggefallen war, stellte sich die Frage, wie der kunstpolitische Anspruch jenseits der Abgrenzung vom Alten nun im positiven Sinne und der neuen Staatsform gemäß zu formulieren war. Ein erster Anknüpfungspunkt für die Neudefinition des kunstpolitischen Anspruchs Ende 1918 waren die parteipolitischen Prägungen, die Haenisch und Hoffmann mitbrachten. Für die Sozialdemokratie, der beide angehörten, war Kunst als Vermittlungsinhalt im
14 Vgl. Gaehtgens 1992 b, S. 53 u. 70; siehe auch Schuster 1995, S. 10. 15 Vgl. Hentzen 1972, S. 9 - 1 3 ; Kunst in Deutschland 1992, S. 9; Gaehtgens 1992 a, S. 121; Rave 1968, S. 2 2 - 7 7 ; Justi 1936, S. I X ; H a m m e r 1980; Paul 1994 a; Paul 1993; Schuster 1995, S. 18; O t t 1968; Nationalgalerie
und moderne
Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 18, 2 7 . 1 . 1 9 1 9 , S. 119 f.
16 Vgl. Mai 1981, S. 4 6 5 - 4 6 9 ; zur Perspektive des Kultusministeriums vgl. Pallat 1959, S. 332 f. 17 Vgl. Sievers 1966, S. 2 3 2 - 2 4 7 .
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Rahmen von Arbeiterbildungsbestrebungen stets wichtig gewesen. Bei der bildenden Kunst, die in den Kulturdiskussionen der Arbeiterbewegung anders als Musik oder Literatur eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatte, war es dabei vor allem um Vermittlungswege wie Museumsführungen oder Diavorträge sowie um das Ziel einer Hebung des Kunstgeschmacks gegangen.18 Welche Kunstinhalte und -formen den Arbeitern nahe gebracht werden sollten und die eng damit verknüpfte Frage, welche Kunst aus proletarischer Sicht als die adäquateste anzusehen war, war in der Partei allerdings umstritten geblieben. Im Umfeld der Naturalismusdebatte, die auf dem Gothaer Parteitag der SPD 1896 ihren Höhepunkt gefunden hatte, hatten sich Befürworter einer Orientierung an der Moderne und Fürsprecher einer Klassikerrezeption, die dafür eintraten, dem Proletariat das bürgerliche Erbe zu erschließen, gegenübergestanden.19 Als dritte Variante war die von Sperber propagierte, von ihren Gegnern als „Ästhetik der schwieligen Faust" kritisierte Idee einer eigenen proletarischen Kunst hinzugekommen.20 Nachdem auf dem Parteitag in Mannheim 1906 die Abgrenzung zur das Kaiserreich prägenden bürgerlichen Kultur noch einmal kontrovers diskutiert worden war, hatte sich jedoch letztlich keine der drei Varianten durchsetzen können.21 Eher indifferent war so für die Arbeiterbildung eine Adaption des bildungsbürgerlichen Kulturkanons maßgeblich geblieben,22 der trotz Fragmentierungserscheinungen seit Ende des 19. Jahrhunderts weiter eine relativ fest gefügte Größe darstellte.23 Die Funktion der Beschäftigung mit Kunst war dabei in erster Linie darin gesehen worden, emotionale Erlebnisse zu transportieren, die die Arbeiterschaft für Alltag und Klassenkampf stärken sollten.24 Im Gegensatz zu Hoffmann hatte sich Haenisch aktiv an den innerparteilichen Theoriediskussionen zur Kunst beteiligt und vor 1914 in Abgrenzung zu Sperber auf der Seite Franz Mehrings, des Hauptfürsprechers einer Klassikerrezeption im proletarischen Sinne, positioniert.25 Unterstrichen hatte er dies mit seiner Publikation Schiller und die Arbeiter von 1912, in der er die größere Nähe Schillers zur aufsteigenden Proletarierklasse als zum Bürgertum mit seiner starren Klassikerrezeption betont hatte.26 Zumal angesichts der 18 Vgl. Guttsman 1982, S. 331-337; Borgmann 1995, S. 104 f; Rülcker 1974; siehe dazu auch Beiträge zur Kulturgeschichte 1981, S. 72; Haenisch 1915 b, S. 21. 19 Vgl. Guttsman 1982, S. 331-337; Rülcker 1974, S. 115-120; Hein / Hein 1983; Koszyk 1981; Rüden 1981. 20 Vgl. Guttsman 1982, S. 331-337. 21 Siehe dazu auch Revolution und Realismus 1978, S. 81. 22 Vgl. Beiträge zur Kulturgeschichte 1981, S. 72; Rüden 1981; Rülcker 1974; Borgmann 1995, S. 1 0 3 107; Emig 1980; Grau 1984; Howoldt 1982, S. 66 u. 172 f; siehe dazu allgemein Arbeiter und Bürger 1986. 23 Vgl. dazu Mommsen 1998, S. 15-29; zur bürgerlichen Kultur im 19. Jahrhundert liegt eine umfangreiche Literatur vor, für die stellvertretend verwiesen sei auf Bürger und Bürgerlichkeit 1987 u. Bürgertum 1995; siehe auch Groppe 1997, S. 2 4 - 1 1 8 ; zur bildenden Kunst des Bürgertums siehe z. B. Nipperdey 1998 a, S. 533-547 u. 558-569; Nipperdey 1998 b, S. 692-715. 24 Vgl. Guttsman 1982, S. 331-337. 25 Vgl. Beiträge zur Kulturgeschichte 1981, S. 37-42, 72 f u. 198 f; Dokumente zur Kulturgeschichte 1981, S. 179-185; Franz 1929, S. 463; Borgmann 1995, S. 106 f. 26 Haenisch 1912.
2. Neudefinition
des kunstpolitischen Anspruchs 1918/19
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eigenen bildungsbürgerlichen Prägung27 und der nationalen Wendung nach Kriegsbeginn ist also für Haenisch im November 1918 - und damit schon vor der später von links kritisierten Anpassung der MSPD an konservative Strukturen seit Anfang 1919 - von einer Akzeptanz bürgerlicher Kultur sowie einer Offenheit gegenüber verschiedenen stilistischen Ausprägungen innerhalb des bürgerlichen Kunstkanons auszugehen. Bilderstürmerei lag dieser Haltung ebenso fern wie die einseitige Förderung der Moderne oder einer explizit proletarischen Kunst.28 Haenischs wie Hoffmanns enge Verbundenheit mit der Arbeiterbildungsbewegung rückte daneben vor allem ein Anliegen ins Zentrum der unter sozialdemokratischer Ägide betriebenen Kunstpolitik: den mit dem Schlagwort der „Popularisierung der Kunst" zu fassenden Anspruch, bildende Kunst allen Schichten zugänglich zu machen. Neben der parteipolitischen Prägung der Minister war die seit November 1918 intensiv und polarisiert geführte, vor allem von expressionistischen Künstlern getragene Diskussion um die Verbindung von Kunst, Revolution und neuer Gesellschaftsordnung ein weiterer entscheidender Orientierungspunkt für die Kunstpolitik des Ministeriums. Besonders für die Künstler der zweiten Expressionistengeneration, die seit 1912/13 den älteren Expressionisten im Umfeld der 1905 gegründeten Künstlergruppe Die Brücke gefolgt waren,29 war der Bruch mit der wilhelminischen Kunstpolitik ähnlich wie für das Ressort eine selbstverständliche Forderung. Die expressionistische Diskussion um die Verbindung von Kunst und revolutionärer Gegenwart, mit der sich das Ministerium konfrontiert sah, ging jedoch weit über eine Auseinandersetzung mit dem alten System hinaus. Sie brachte modernste Tendenzen in der Kunst mit idealistischen Vorstellungen von einer revolutionierten Gesellschaft in Zusammenhang und zielte auf eine grundsätzliche Neubewertung der politischgesellschaftlichen Rolle bildender Kunst und speziell des vom Staat bisher weitgehend ignorierten Expressionismus. Zwei Aspekte standen dabei im Vordergrund, die bald zu Schlagworten avancierten: die Gleichsetzung des Expressionismus mit revolutionärer sozialistischer Kunst und die Forderung nach einer Verbindung von Kunst und Leben.30 Hintergrund der Politisierung und der euphorischen Stilisierung des Expressionismus zum Träger des gesellschaftlichen Neubeginns war zum einen die repressive wilhelminische Kunstpolitik, die moderne Kunstrichtungen schon vor 1914 in die Nähe der Sozialdemokratie gerückt hatte und die gemeinsam mit der bürgerlichen Kunstwelt gerade dem Expressionismus als der progressivsten Kunst der Zeit nach der Jahrhundertwende mit Mißtrauen begegnet war.31 Zum anderen spielte eine politisch-gesellschaftliche Bewußtseinsbildung gerade bei den jüngeren Expressionisten eine Rolle, die sich im Laufe des Weltkrieges vollzog. Hatten 1914 viele der Künstler die verbreitete Kriegsbegeisterung noch geteilt, setzte bei den meisten seit den Materialschlachten von 1916 eine Desillusionierung ein. Uber eine Phase der Friedenssehnsucht führte diese Haltung schließlich bei einem großen Teil der modernen
2 7 Vgl. Müller 1991, S. 237. 28 Siehe dazu auch Lange 1987, S. 153; Rülcker 1974, S. 3 3 1 - 3 3 7 ; Guttsman 1982. 2 9 Vgl. Roters 1988, S. 39 u. 4 2 - 4 5 . 30 Vgl. dazu ausführlich Weinstein 1990; siehe auch Hermand / Trommler 1978, S. 1 0 8 - 1 2 7 . 31 Vgl. Weinstein 1990, S. 1 f u. 8; Heller 1991, S. 1 7 - 2 4 .
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Künstler zu eng mit dem Expressionismus verknüpften Visionen vom neuen Menschen, deren Verwirklichung man sich durch einen Volk und Kunst vereinenden Sozialismus erhoffte. 32 Entsprechend verbanden viele Vertreter des Expressionismus - die Bezeichnung wurde zeitgenössisch als Sammelbegriff für verschiedene auch futuristisch oder kubistisch beeinflußte moderne Richtungen verwandt 3 3 - seit dem Umbruch ihre optimistischen Zukunftsvorstellungen mit den linken Parteien. Hauptansprechpartner innerhalb der neuen Regierung war für sie das preußische Kultusministerium. Hier ging es zunächst darum, im Ministerium die für die Moderne bisher verwehrte Berücksichtigung einzufordern und sie als wesentlichen Bestandteil der neuen Republik darzustellen. In diesem Sinne betonte etwa der Maler Rudolf Bauer schon am 12. November 1918 gegenüber Haenisch: „Der durch höhere Gesetze vollzogene umwälzende Fortschritt hat [...] seit einiger Zeit auch in der Kunst eingesetzt. N u r diesen Fortschritt der künstlerischen Dinge einem größeren Kreis zugute kommen zu lassen, wäre es an der Zeit, in den Kunstakademien mit Hilfe von qualifizierten Leuten einige neue Lehrstühle und Meisterateliers in rein künstlerischem Sinne [...] zu errichten. Auch wäre ein Ausbau der Museen und Ausstellungsangelegenheiten von diesem Gesichtspunkt aus in Erwägung zu ziehen." 34 Ahnlich appellierte Herwarth Waiden, der wohl bekannteste Promotor expressionistischer Malerei, 35 zur selben Zeit an Haenisch, „die Interessen und Rechte der Kunst zu wahren und zu fördern. Das neue Deutschland braucht eine neue Kunst. [...] Wir wollen nicht etwa eine Diktatur des Expressionismus aufstellen, wir wollen aber für unsere Bestrebungen die gleichen Rechte, auch der staatlichen Unterstützung und Hilfe erhalten wie alle übrigen Richtungen in der Kunst." Diese Gleichberechtigung sei besonders wichtig angesichts der Gefahr, daß der monarchische Kunstkitsch als Kitsch der Republik weiterhin floriere. 36 Waiden deutete so an, daß es bei der Neuorientierung der staatlichen Kunstpolitik nicht allein um auszutauschende Inhalte, sondern auch um ein bewußteres Verhältnis zur ästhetischen Form zu gehen habe. Für sich selbst strebte er in diesem Zusammenhang eine Beraterfunktion beim Ministerium an. 37 Haenisch ließ sich jedoch auf solche Überlegungen nicht ein und antwortete Waiden zurückhaltend, er werde „selbstverständlich dafür eintreten, daß auch der von Ihnen vertretenen Kunstrichtung freiester Spielraum geschaffen wird. Daß ich als Laie und ich auch in meiner amtlichen Stellung mich nicht einseitig auf den Expressionismus festlegen kann, werden Sie verstehen." 38 Damit sprach sich Haenisch bereits zu diesem Zeitpunkt für die später im Kulturprogramm vom 30. November 1918 bekräftigte Absicht einer für alle Richtungen offenen
32 Vgl. Weinstein 1990, S. 12, 18 f; Roters 1988, S. 43-45; Heller 1991, S. 18-21; Lange 1987, S. 153 f; Knütter 1988, S. 394 f; Mayer 1981, S. 98 f; Eberle 1989; Sheppard 1979, S. 56. 33 Vgl. Weinstein 1990, S. 4. 34 Rudolf Bauer an Haenisch, 12.11.1918, ms., in: BArchB, 90 H a 4, Nr. 452, Bl. 9-10. 35 Zur Rolle Waldens vgl. Herwarth Waiden 1991; Heller 1991, S. 17-19; N o b i s 1992; Sammlung Berlinische Galerie 1986, S. 68 f; Berlin, Berlin 1987, S. 431 f. 36 Waiden an Haenisch, 12.11.1918, ms., in: BArchB, 90 H a 4, Nr. 452, Bl. 8. 37 Waiden an Haenisch, 14.11.1918, ms., in: BArchB, 90 H a 4, Nr. 452, Bl. 43. 38 Haenisch an Waiden, 13.11.1918, Ds., ms. in: BArchB, 90 H a 4, Nr. 452, Bl. 15.
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Kunstpolitik aus, die jegliche Bevorzugung - auch die der Sozialdemokratie vermeintlich, aus Parteiperspektive aber keineswegs zwingend nahe stehenden expressionistischen Kunst ausschloß. Zu vermuten ist dabei, daß Appelle wie die Bauers und Waldens, insbesondere, wenn sie wie ein weiterer Brief des Si«rw-Herausgebers mit dem Hinweis versehen waren, die alte Regierung habe einer im Ausland geschätzten Kunst ihre Anerkennung versagt,39 dazu beitrugen, im Ressort ein geschärfteres Bewußtsein für die Problematik der bisher selektiven staatlichen Kunstförderung entstehen zu lassen. Zudem führte der Briefwechsel mit Waiden dazu, daß Nentwig und Trendelenburg für die Kunstabteilung im Januar 1919 tatsächlich an einem Vortrag des damals mit dem Sturm eng zusammenarbeitenden Künstlers William Wauer teilnahmen und sich im Anschluß daran von Waiden durch dessen Expressionisten-Sammlung führen ließen 40 - daß es also zu weiteren Kontakten kam, die der Absicht des Ministeriums einer Öffnung auch der Moderne gegenüber Nachdruck verliehen.41 Allerdings ließ in den ersten Wochen nach dem Umsturz die im Vordergrund stehende Schul- und Kirchenpolitik offenbar kaum ein weitergehendes kunstpolitisches Engagement des Ministeriums zu. Bürokratisch höflich stellte Haenisch zwar eine künftige Kooperation mit Vertretern der Kunstwelt, die sich nach dem 9. November an ihn wandten, 42 in Aussicht. Eine intensivere Beschäftigung mit Belangen der Kunst verschob er aber auf eine Zeit, in der mehr Ruhe ins tagespolitische Geschäft gekommen sei.43 Als Hintergrund der Zurückhaltung mag dabei - neben der Tatsache, daß die sozialdemokratische Politik eben keineswegs derart prononciert auf die Moderne ausgerichtet war - auch das nicht besonders ausgeprägte Interesse Haenischs für bildende Kunst eine Rolle gespielt haben. 44 Aber nicht nur die staatliche Berücksichtigung moderner Kunst wurde mit der Novemberrevolution möglich. Auch die expressionistischen Hoffnungen auf eine humanere Gesellschaft schienen durch den Umbruch eine neue Basis zu erhalten. Euphorisch schlossen sich daher 1918/19 progressive Künstler und deren Förderer mit dem Ziel, ihre Ideen von einer ästhetischen Durchdringung des Staates so besser vertreten zu können, zu Gruppen zusammen.45 Um ihre Affinität zum Sozialismus zu unterstreichen, bezeichneten sich 39 Waiden an Haenisch, 1 4 . 1 1 . 1 9 1 8 , ms., in: B A r c h B , 90 H a 4, Nr. 452, Bl. 43. 40 Vgl. Waiden an Haenisch, 1 7 . 1 . 1 9 1 9 , ms., in: B A r c h B , 90 H a 4, Nr. 454, Bl. 117; zu Waldens Sammlung vgl. Sammlung Berlinische Galerie 1986, S. 85; zur zunehmend isolierten Position Waldens vgl. Waiden 1991, S. 77 u. 80 f; Windhöfel 1995, S. 68 u. 8 8 - 9 3 ; Sammlung Berlinische Galerie 1986, S. 72. 41 Zur ähnlichen Tendenz in Hessen vgl. Parlament Hessen 1991, S. 19. 42 Vgl. dazu auch Lothar Brieger an Haenisch, 1 2 . 1 1 . 1 9 1 8 , ms., in: B A r c h B , 90 H a 4, Nr. 452, Bl. 2 2 - 2 3 . 43 Vgl. Haenisch an Rudolf Bauer, 1 3 . 1 1 . 1 9 1 8 , Ds., ms. u. Haenisch an Waiden, 1 3 . 1 1 . 1 9 1 8 , Ds., ms. in: B A r c h B , 90 H a 4, Nr. 452, Bl. 15 ν u. 29; siehe dazu Weinstein 1990, S. 39; Miller 1978, S. 197. 44 Vgl. dazu Haenisch an Justi, 2 . 1 . 1 9 2 0 , ms., in: B A r c h B , 90 H a 4, Nr. 458, Bl. 4 r; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 390; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 415; Willen 1978, S. 44 f. 45 Vgl. Weinstein 1990, S. 23; Lange 1987, S. 153 f, 159; Willett 1978, S. 44; Eine Kundgebung Künstler und Dichterem:
BT, Jg. 47, Nr. 5 8 7 , 1 6 . 1 1 . 1 9 1 8 ; Eine Kundgebung
der Künstler und
der Dich-
ter, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 9 , 2 5 . 1 1 . 1 9 1 8 , S. 57 f; Heckmanns 1988; Rigby 1983, S. 93 f; Guttsman 1982, S. 3 3 7 - 3 4 1 ; Heller 1991.
II. Neuorientierung
28
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
viele der Gruppen mit Bezug zur Rätebewegung als Kunsträte oder verstanden sich zumindest als solche. Überzeugt von der Mission expressionistischer Kunst, die Bindung des Expressionismus an ein bürgerliches Publikum während des Krieges aber ausklammernd, forderten sie mit großem Pathos künstlerische Freiheit, ein Ende des kapitalistischen Kunstmarktes und den proletarischen Kunstbetrachter.46 Überdies fanden Auffassungen der Kunsträte wie jene, der Expressionismus habe die politische Revolution mit vorbereitet, Niederschlag in Zeitschriften wie dem Kunstblatt oder der Aktion.*7 In Berlin als zentralem Ort des politischen Umsturzes und führender deutscher Kunstmetropole48 entstanden mit der Novembergruppe und dem Arbeitsrat für Kunst zwei der ersten und wichtigsten revolutionären Künstlergruppen. Beide strebten eine Einflußnahme auf die Kunstpolitik des preußischen Staates an,49 ihre reale politische Bedeutung differierte jedoch. Die am 3. Dezember 1918 gegründete Novembergruppe machte zwar durch ihre personelle Zusammensetzung - Organisatoren und Mitglieder waren prominente expressionistische Künstler aus dem Umfeld der Neuen Sezession - auf sich aufmerksam. Sie entwickelte aber erst spät und allenfalls ansatzweise ein politisches Programm.50 Der Arbeitsrat für Kunst hingegen, der ein breiteres Mitgliederspektrum aufwies, veröffentlichte bereits kurz nach seiner Gründung im Dezember 1918 einen Sechs-Punkte-Katalog, der, in verschiedenen Zeitungen abgedruckt, die Diskussion um die Neuorganisation von Kunstsystem und Gesellschaft faßbarer machte.51 Das Programm, das die in fortschrittlichen Kreisen verbreiteten Vorstellungen von einer modernen Kunstpolitik spiegelte, umfaßte unter dem Leitsatz „Kunst und Volk müssen eine Einheit bilden" folgende Forderungen: 1. alles Bauen ist als öffentlich anzusehen, neue Aufgabe: Bau von Volkshäusern als Vermittlungsstätten aller Künste für das Volk; 2. Auflösung der königlichen Kunstakademie sowie der preußischen Landeskunstkommission und deren Ersetzen durch Künstlerkörperschaften, Umwandlung der privilegierten Kunstausstellungen in freie; 3. Reform des Kunstschulwesens und Befreiung der Kunstschulen von staatlicher Bevormundung; 4. Belebung der Museen als Bildungsstätten für das Volk; 5. Beseitigung künstlerisch wertloser Denkmäler, Verhinderung von 46 Vgl. Weinstein 1990, S. 2 0 - 2 2 , 1 0 5 u. 219 f; Hein / Hein 1983, S. 67; Gay 1970, S. 117 u. 142; Roters 1988, S. 51; siehe auch Hermand / Trommler 1978, S. 353-357. 47 Vgl. Weinstein 1990, S. 4 u. 30; zum Kunstblatt vgl. ausführlich Windhöfel 1995; Windhöfel 1992. 48 Zur Rolle Berlins in dieser Zeit vgl. Weinstein 1990, S. 13 f. 49 Vgl. Heller 1991, S. 21;Arbeitsrat für Kunst' in Berlin, in: Mitt. DWB, 1918, Nr. 4, S. 14-19; Fritz Hellwag: Die Revolutionsprogramme
der Künstler, in: Mitt. DWB, 1919, Nr. 2, S. 33-41, S. 34;
Willett 1981, S. 44 f; zur grundsätzlich anderen Ausrichtung der Dada-Bewegung vgl. Hermand / Trommler 1978, S. 363 f; Lange 1987, S. 155-157. 50 Vgl. Weinstein 1990, S. 26-38; Hermand / Trommler 1978, S. 360-362; Willett 1978, S. 44; Lange 1987, S. 56-58; Roters 1988, S. 46-51; Guttsman 1982, S. 337-341; Sammlung Berlinische Galerie 1986, S. 7 0 - 7 2 u. 85; Erich Mendelsohn 1998, S. 65 f; Windhöfel 1995, S. 147-152; Neue Sachlichkeit 1994, S. 53-56. 51 Vgl. Steneberg 1987; Erich Mendelsohn 1998, S. 66-69; Droste 1991, S. 16 f; Windhöfel 1995, S. 142148; Weinstein, 1990, S. 23-26 u. 30-32; Willett 1978, S. 45; Heckmanns 1988, S. 81 f; Hermand / Trommler 1978, S. 362; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 235; Arbeitsrat für Kunst, in: BT, Jg. 47, Nr. 633, 11.12.1918, S. 2; BT, Jg. 48, Nr. 192, 29.4.1919; Aus der neuen Künstlerbewegung, W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 15, 7.1.1919, S. 100 f.
in:
2. Neudefinition des kunstpolitischen Anspruchs 1918/19
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Kriegsdenkmalen und Reichskriegsmuseum; 6. Schaffung einer Reichsstelle für Kunstpflege.52 Dem Anspruch auf engen Kontakt zur Regierung gemäß wandte sich der Arbeitsrat für Kunst mit seinen Forderungen auch an das preußische Kultusministerium. 53 Wenige Tage nach dem 9. November 1918 kamen die Architekten Walter Gropius und Bruno Taut 54 sowie der Museumsmann Wilhelm Valentiner (siehe Kap. II. 3.1.) als Mitglieder des Arbeitsrates zu einem Gespräch mit Hoffmann ins Ministerium. Auf ihren Termin wartend, wurden sie dort Zeugen, wie Hoffmann den Generaldirektor der staatlichen Museen, Wilhelm von Bode, der den progressiven Künstlern wegen der Äußerung, die Moderne habe im Krieg mit den Feinden kooperiert, als reaktionär galt, in dessen Position bestätigte (siehe Kap. II. 3.I.). 5 5 Für ihre eigenen Vorstellungen hingegen, die Taut beispielweise eine Woche zuvor im Vorwärts erläutert hatte, 56 erhielten sie nur die Zusage wohlwollender Berücksichtigung. 57 Besuchsablauf und Ministeriumsreaktion unterstreichen zum einen, daß sich das Ministerium entgegen den Hoffnungen moderner Künstler - und gegenläufig auch zur sich in der Folge schnell etablierenden öffentlichen Erwartungshaltung - kunstpolitisch zunächst sehr abwartend verhielt, sich der Moderne gegenüber zwar öffnete, sie aber keineswegs einseitig in den Dienst des neuen Staates stellte. Die von Schmitz erwähnte Rolle Nentwigs deutet dabei ein mögliches abschwächendes Gegensteuern der alten Ministerialbürokratie gegen innovative Impulse an.58 Daneben wird erneut offensichtlich, daß in den Tagen nach dem Umsturz die nötige Ruhe für eine Beschäftigung mit grundlegend neuen Gedanken im Kunstbereich fehlte - was bei einer täglich von 50-60 Besuchern wahrgenommenen einstündigen Sprechstunde im Ministerium 59 kaum zu erstaunen vermag. Zum ande52 Vgl. Arbeitsrat für Kunst, in: BT, Jg. 47, Nr. 633,11.12.1918, S. 2; Arbeitsrat für Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 13, 23.12.1918, S. 85; Steneberg 1987, S. 4 f. 53 Bei Lange 1987, S. 158 findet sich gar die Formulierung, der Arbeitsrat sei zur Beratung des Kultusministeriums gegründet worden; zu ähnlichen Tendenzen in Bayern und Baden vgl. A.L.Mayer: Die Kunstreformen
im Volksstaat Bayern, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 7, 29.11.1918, S. 136-139; W. d.
Ku., Jg. 18, Nr. 10, 2.12.1918, S. 63 f; Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 15, 24.1.1919, S. 312-314. 54 Zu Bruno Tauts Engagement in der Revolutionszeit vgl. ausführlich Whyte 2001; Junghanns 1998, S. 34-50. 55 Vgl. Schmitz 1931, S. 50 f; Weinstein 1990, S. 38 f; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 413 u. 415 u. Bd. 2, S. 366; zu Bodes Haltung vgl. auch Wilhelm von Bode: Die „Not der geistigen
Arbeiter"
im Gebiet der Kunstforschung, in: Ku. u. Kü., Jg. 18, Nr. 7, April 1920, S. 297-300; Schuster 1995, S. 22-29. 56 BrunoTaut: Was bringt die Revolution der Baukunst?, in: Vorwärts, Jg. 35, Nr. 318, 18.11.1918. 57 Vgl. Weinstein 1990, S. 38 f; Schmitz 1931, S. 50 f. 58 Bei Schmitz 1931, S. 51 heißt es: „Nachdem sodann die aus Taut, Gropius und Valentiner bestehende Deputation zu dem von seinen Geheimräten umgebenen Zehngebote-Hoffmann vorgelassen und ihr umfassendes Erneuerungsprogramm für den staatlichen Kunstbetrieb vorgetragen ohne daß der Minister darauf etwas zu erwidern wußte - , richtete der Ministerialdirektor Nentwig an die Herren Revolutionäre das Ersuchen, ihre Vorschläge zu spezifizieren. Als sie dazu nicht in der Lage waren, verabschiedete er die Herren mit dem Versprechen, ,ihr Programm zu den Akten zu nehmen, um es zu gegebener Zeit in wohlwollende Erwägung zu ziehen'." 59 Vgl. Haenisch an Schrumpf, 21.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 103; siehe dazu auch Haenisch an Storck, 21.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 104.
II. Neuorientierung der ministeriellen Kunstpolitik 1918-21
30
ren kann die Episode als Hinweis darauf gelten, daß die kunstpolitische Zurückhaltung des Ressorts Ende 1918 keineswegs allein auf Haenisch oder die Kunstabteilung zurückging, sondern durchaus auch vom sonst so radikal auftretenden USPD-Minister Hoffmann mitgetragen wurde.60 Trotz der ministeriellen Zurückhaltung wandte sich etwa Bruno Taut auch weiterhin an Haenisch,61 und wie die spätere Entwicklung zeigt, blieb die Mehrzahl der Reformforderungen des Arbeitsrates für Kunst auf Dauer im Ressort keineswegs unbeachtet (siehe Kap. II. 3., II. 4. und II. 6.). Zunächst aber enthielt man sich einer ausführlichen Stellungnahme zu den Absichten des Arbeitsrates, ließ sich nicht auf die gesellschaftspolitischen Ideen der Künstler ein und wies jede Bevorzugung der Moderne von sich. Entsprechend heißt es zum Beispiel in einem Brief des Ministeriums vom 12. Dezember 1918 an den als Fürsprecher des Impressionismus bekannten Kunstkritiker Julius Elias62: „Herr Haenisch als Kultusminister hat leider nicht die geringste Veranlassung oder Neigung, den Regierungspräsidenten in der Provinz der Kunst' zu spielen. Sezessionen zu privilegieren, davor wird ihn ebenfalls sein Menschenverstand behüten."63 Daneben fanden auch oberflächlich auf die parteipolitische Aussage reduzierte Kunstwerke - zum Beispiel Büsten von Lassalle und Bebel, die Haenisch Ende 1918 als „Symbole der jetzigen großen Zeit" vom neobarocken Bildhauer Gustav Eberlein angeboten wurden64 - vor dem Hintergrund der erklärten Absicht einer Vermeidung jeder mit inhaltlichen oder stilistischen Vorgaben agierenden Kunstpolitik offenbar wenig Interesse im Ministerium. Ende 1918 sah sich das Kultusministerium jedoch nicht nur durch die Forderungen fortschrittlicher Künstler, sondern auch in der Presse mit einer intensiven Diskussion um die Stellung bildender Kunst in der neuen Republik und die Aufgaben staatlicher Kunstpolitik konfrontiert.65 Hier spielten zunächst Vorstellungen von einer dem Volksstaat adäquaten, durch Staatsaufträge zu fördernden neuen Kunst jenseits von bürgerlichem Ästhetizismus eine Rolle.66 Als Fachorgan für berufsständische Interessen bildender Künstler, das die kunstpolitischen Absichten des Ministeriumsprogramms vom 30. November ausdrücklich begrüßt hatte,67 etablierte sich besonders die Zeitschrift Werkstatt der Kunst als Plattform für unterschiedliche Ideen, die bis zur Forderung nach einer Kunstmonopolisierung oder
60 Vgl. dazu auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 415. 61 Vgl. Bruno Taut an Haenisch, 3.12.1918, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 453, Bl. 17. 62 Zu Elias vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 447 u. Bd. 2, S. 388. 63 Fachbeirat KM an Julius Elias, 12.12.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 453, Bl. 148. 64 Gustav Eberlein an Haenisch, 23.12.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 453, Bl. 324-325. 65 Vgl. dazu bereits Paul Westheim: Staat und Kunst. Zur Berliner Tagung des „Deutschen
Ausschuß
für Kunst", in: FZ, Jg. 62, Nr. 82, 23.3.1918; Gustav Beyer: Kunst, Volk und Staat, in: Die Zeit, Jg. 36/1, Nr. 21, 22.2.1918, S. 492-496; A. Knoll: Kunst, Volk und Staat. Eine Entgegnung,
Neue in:
Die Neue Zeit, Jg. 36/1, Nr. 25, 22.3.1918, S. 589-592. 66 Vgl. z.B. Arthur Degner: Über die Kunst im neuen Staat, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 8, 6.12.1918, S. 148-150; Abdruck auch in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 13,23.12.1918, S. 87; Edgar Steiger: Die Kunst im freien Volksstaat, in: Die Neue Zeit, Jg. 37/1, Nr. 10, 6.12.1918, S. 223-229. 67 Vgl. Kunstreformpläne S. 71.
des preußischen Kultusministeriums,
in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 11, 9.12.1918,
2. Neudefinition
des kunstpolitischen
Anspruchs
1918/19
31
einer Verstaatlichung des Kunsthandels reichten.68 Daneben waren in der Tagespresse zur Mäßigung mahnende Stimmen wie die des Berliner Tageblatt-Yeuilletonisten Fritz Stahl präsent, der mit Skepsis gegenüber den revolutionären Forderungen Anfang Dezember 1918 konstatierte, daß an plötzliche Veränderungen im Kunstbereich allein durch eine neue Staatsform nicht zu denken sei, sondern durch eine Erneuerung der Kunstverwaltung, Schaffung eines starken Kunstamtes und eine Kooperation mit den Künstlern nur nach und nach die Basis für ein freies künstlerisches Schaffen entstehen könne. 69 Nachdem das Berliner Tageblatt schon bei Erscheinen des Kulturprogramms vom 30. November die Korrektur offenkundiger Mißstände zwar begrüßt, angesichts des „weitgehenden Reformdrangs" im Ministerium unter Hoffmann aber vor überstürzten Eingriffen ins Kulturleben gewarnt hatte,70 vertrat Stahl damit eine mehr an realen Gegebenheiten orientierte Position, die durch die Betonung des Evolutionären Nähen zu Haenischs Überzeugungen aufwies.71 Ahnlich aufgeschlossen, aber vorsichtig verband Curt Glaser Ende 1918 in der Kunstchronik ein Plädoyer für eine Abkehr von der alten staatlichen Kunstbevormundung mit der Warnung an die aktuelle Kunstverwaltung, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, indem man nun, statt auf Qualität zu achten, Gleichmacherei zum Kriterium staatlicher Kunstpolitik erhebe.72 Noch einen Schritt weiter ging die dem Impressionismus verbundene Fachpresse, die in der Tradition französischer Avantgardevorstellungen des 19. Jahrhunderts im Sinne des l'art pour l'art jede staatlich-politische Zweckbindung von Kunst ablehnte.73 Hier lassen sich von einem staatsfernen Kunstverständnis geprägte Haltungen nachweisen, die als Gegenentwurf zu den politisierten expressionistischen Ansprüchen zu verstehen sind. So vertrat Karl Scheffler Anfang 1919 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Kunst und Künstler die Ansicht, daß jede Kunstpolitik von Übel sei und sich die Künstler hüten sollten, zu große Hoffnungen auf die Republik zu setzen. Statt dessen plädierte er mit dem Argument „Ob eine Dynastie Siegesalleen errichtet oder eine Republik Volkshäuser bauen lässt, das kommt im Endergebnis ungefähr auf dasselbe hinaus" für eine vollständige Trennung von Staat und Kunst, denn erst in dieser wirklichen Freiheit werde
68 Vgl. z. B. J. v. Bülow: Kunst und Revolution, Teil 1-3, in: W. d. Ku„ Jg. 18, Nr. 14, 30.12.1918, S. 9 1 94, Nr. 15, 7.1.1919, S. 99 f u. Nr. 16, 14.1.1919, S. 105-108; Johannes Plenge: Expressionismus, Sozialismus, Gottesglaube, in: Glocke, Jg. 4/2, Nr. 52, März 1919, S. 1642-1649. 69 Vgl. Fritz Stahl: Staatliche Kunstpflege,
in: BT, Jg. 47, Nr. 622, 5.12.1918, S. 2; Fritz Stahl: Die
Zukunft der Kunst und der Künstler, in: BT, Jg. 48, Nr. 5, 3.1.1919. 70 Vgl. Das sozialistische Kulturprogramm.
Allerhand Unklarheit, in: BT, Jg. 47, Nr. 613, 30.11.1918,
S. 3. 71 Vgl. dazu auch Kunst und Revolution, in: BT, Jg. 48, Nr. 26, 22.1.1919, S. 2; Fritz Stahl: Die Zukunft der Kunst und der Künstler, in: BT, Jg. 48, Nr. 5, 3.1.1919; zu Haenischs Haltung vgl. Haenisch 1919 c, S. 3 f. 72 Curt Glaser: Demokratie und Kunst, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 8, 6.12.1918, S. 145-147; Curt Glaser: Sozialismus und Kunst, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 11, 27.12.1918, S. 205-207; ähnlich auch Erich Wentscher: Künstler und Politik. Ein offener Brief an Eduard von Bendemann, Nr. 13, 10.1.1919, S. 249-251. 73 Vgl. dazu Joachimides 1995 a, S. 200-203.
in: Ku.chr., Jg. 54/1,
II. Neuorientierung
32
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
sich der gute Künstler dem aristokratischen Prinzip in der Kunst entsprechend durchsetzen können. 74 Dazu konträre Ideen von einem neuen Bund zwischen Kunst und proletarischem Volk auf Basis der veränderten Staatsform fanden in der linken Presse Verbreitung. Während die USPD-Organe vor allem auf wirtschaftliche Fragen eingingen und Vergesellschaftungsideen diskutierten, stand in der Presse der Sozialdemokraten mit Blick auf die eigene Regierungsverantwortung die auf konkrete Vorschläge zielende Grundsatzfrage nach der Zukunft der Kunst im „freien Volksstaat" im Mittelpunkt. 75 Erwähnenswert ist in diesem Kontext speziell eine Umfrage unter fortschrittlichen Autoren, Künstlern und Architekten zu diesem Thema, deren Ergebnisse Weihnachten 1918 im Vorwärts abgedruckt wurden.76 In einer Art Meinungsbild wurden hier verschiedene Haltungen wiedergegeben, die in ihrer Gesamtheit einen klaren Forderungskatalog für die Träger staatlicher Kunstpolitik darstellten. Max Liebermanns Warnung vor einer Anbiederung der alten Kunstverwaltung an die neue Regierung und Waldens Forderung nach einem staatlichen Kunstbeauftragten gingen in den Katalog ebenso ein wie Vorstellungen von einer Vermittlerrolle der staatlichen Kunstbehörde zwischen den Kunstschaffenden oder Plädoyers zugunsten einer staatlichen Garantie guter Bedingungen für Künstler. Der gerade zum Leiter der Kunstakademie Breslau ernannte Jugendstilarchitekt August Endell trat für Kunstfreiheit, Talentförderung und mehr Kunst im öffentlichen Raum ein, der dem Arbeitsrat angehörende, kubistisch beeinflußte Maler Fritz Stuckenberg forderte Ausstellungshallen und Theaterarenen, Bruno Taut glaubte an die einfache Kunst und den Bau als Bindeglied zwischen Kunst und Volk, und der zu den Mitbegründern des Deutschen Werkbundes gehörende Architekt Peter Behrens hoffte auf große Aufgaben für eine Kunst im Kontakt zum Arbeitsleben und die Entwicklung eines einheitlichen Stils. Als einender Gedanke ließ sich, in Anknüpfung an im Kaiserreich erprobte Positionen, 77 das Ideal einer neuen Freiheit in der Kunst durch den konsequenten Bruch mit dem alten System ausmachen. Darüber hinaus wurde ein Akzent auf die Kunstpopularisierung und Künstlerunterstützung gelegt. Im Kultusministerium werden solche und ähnliche Äußerungen in der Presse, zumal wenn sie an für die Regierung so zentraler Stelle wie dem Vorwärts veröffentlicht wurden, zumindest als Denkanstöße wahrgenommen worden sein. Zwar sind keine Stellungnahmen von Ressortmitarbeitern zu einzelnen der Pressepositionen überliefert. Wie inhaltliche
74 Scheffler: Kunst und Revolution, in: Ku. u. Kü. J g . 18, Nr. 5, Febr. 1919, S. 165-167; vgl. dazu z.B. auch Karl Scheffler: Die Zukunft der deutschen Kunst, in: Ku. u. Kü., Jg. 17, Nr. 8, Mai 1919, S. 309-328; Scheffler 1946, S. 4, 59, 256, 302 f u. 330; Joachimides 2001, S. 195; Joachimides, 1995 a, S. 200-202; ähnlich später z.B. auch Curt Glaser: Kunst und Politik, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 19, 6.2.1920, S. 381-383; Glaser in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 24, 12.3.1920, S. 487; siehe dazu Walravens 1989. 75 Vgl. z.B. Edgar Steiger: Die Kunst im freien Volksstaat, in: Die Neue Zeit, Jg. 37/1, Nr. 10, 6.12. 1918, S. 223-229; siehe dazu auch Dora Hitz: Uber die Kunst im neuen Staat, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 8, 6.12.1918, S. 150; Weinstein 1990, S. 30-32. 76 Der freie Volksstaat und die Kunst., in: Vorwärts, Jg. 35, Nr. 334, 25.12.1918; vgl. auch Weinstein 1990, S. 31. 77 Vgl. Mai 1981, S. 466 f.
2. Neudefinition des kunstpolitischen Anspruchs 1918/19
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Übereinstimmungen vermuten lassen, bestand aber Ende 1918 und verstärkt nach Hoffmanns Ausscheiden, als sich Haenisch von dessen radikaler Politik abwandte, innerhalb des breiten publizistischen Spektrums offenbar eine besondere ministerielle Affinität zur aufgeschlossenen, aber gemäßigten Haltung der liberalen Presse. Was die kunstpolitische Themensetzung angeht, sah man sich einig mit mehrheitsfähigen, fortschrittlichen, aber keineswegs revolutionären, auf Freiheit setzenden und den Staat doch in die Pflicht nehmenden Forderungen, wie sie etwa in der Vorwärts-Umfrage eine Rolle spielten.78 Im Kontext der intensiven Debatte um Kunst, Revolution und neue Politik wurde der kunstpolitische Anspruch des Kultusministeriums, den Haenisch selbst nicht als striktes Programm verstanden wissen wollte, 79 einer breiteren Öffentlichkeit erstmals ausführlicher nach Hoffmanns Rücktritt im Januar 1919 vorgestellt - und zwar in einem offenen Brief, den Haenisch bereits am 30. November 1918 verfaßt hatte, der aber erst jetzt in der Neuen Rundschau gedruckt wurde. 80 In einer Zeit, die durch die Anpassung der MSPD an die bürgerlichen Parteien und die Niederschlagung linker Aufstände durch die Regierung gekennzeichnet war und in der kunstpolitisch hervorragend an die zuvor bereits in Ansätzen formulierte gemäßigte Position angeknüpft werden konnte, 81 stellte der offene Brief, wie durch das Ressort verbreitete Abdrucke 82 und Äußerungen Haenischs belegen, offensichtlich eine Art Grunddefinition der kultur- und kunstpolitischen Haltung des Ministeriums dar. Geleitet vom Anspruch, sich jeder parteipolitischen Engstirnigkeit zu enthalten, 83 in Anknüpfung an das Kulturprogramm vom 30. November und Hoffmanns Ausführungen vom 28. November 1918 schrieb Haenisch hier: „Auf dem Gebiet der bildenden Künste wird auf eine Vereinigung aller Gruppen zunächst der Berliner Künstlerschaft zur Veranstaltung gemeinsamer Ausstellungen hingearbeitet. Daneben sollen Sonderausstellungen in den verschiedenen Stadtgegenden veranstaltet werden, teils um die Verkaufsmöglichkeiten für die Künstler zu vergrößern, teils um die künstlerische Erbauung und Erziehung des Volkes wirksamer als bisher zu fördern. Eine großzügige Unterstützungsaktion für die aus dem Felde zurückkehrenden Angehörigen der künstlerischen und sonstigen freien Berufe ist in die Wege geleitet. Sie wird sich sowohl auf Vermittlung von Arbeit, wie auch auf direkte Unterstützung erstrecken. Daß das Ministerium sich bei seinen Beziehungen zu den bildenden Künstlern nicht von irgendwelcher persönlichen Vorliebe für die eine oder andere ,Richtung' leiten lassen wird, versteht sich von selbst. Wir wollen da wirklich nicht - wenn
78 Zur fortgesetzten Orientierung des Vorwärts an der bürgerlichen Kultur nach 1918 vgl. Rülcker 1974. 79 Vgl. Haenisch 1919 b, S. 17; Haenisch 1919 c, S. 3 f. 80 Haenisch 1919 b. Ohne die kunstpolitischen Passagen später auch veröffentlicht in: Deutsches
Philo-
logen- Blatt, Jg. 27, Nr. 7/8, 1 9 . 2 . 1 9 1 9 , S. 8 5 - 8 7 . 81 Vgl. Hermand / Trommler 1978, S. 1 5 - 1 9 ; Lehnert 1990, S. 8 4 - 8 6 u. 9 1 - 9 7 ; Lehnert 1983, S. 2 5 1 262, 293 u. 297; Miller 1978, S. 4 4 5 - 4 5 1 ; O r l o w 1986, S. 34, 3 9 u. 59 f; Möller 1985, S. 26, 53 f, 59, 2 5 7 u. 324; Willett 1978, S. 4 4 - 4 6 ; Bernstein 1921, S. 1 0 0 - 1 2 1 u. 1 2 8 - 1 3 1 ; N o s k e 1920, S. 103; Müller 1991, S. 2 2 9 f u. 2 4 9 f. 82 Vgl. Weinstein 1990, S. 62. 83 Zur ähnlichen Tendenz in Hessen vgl. Parlament Hessen 1991, S. 19.
II. Neuorientierung
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der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
auch nach der anderen Seite hin - in die banausischen Fehler des alten Regimes verfallen. Aber freie Bahn allen .Richtungen' und - was wichtiger ist - allen Persönlichkeiten schaffen, auch denen, die bisher im Schatten stehen mußten: das wollen wir allerdings!" 84 Seiner bildungspolitischen Forderung nach Chancengleichheit und Talentförderung entsprechend trat Haenisch damit in Abkehr vom wilhelminischen System für eine allen Richtungen offen stehende Förderpolitik ein, als deren ersten und wichtigsten Grundsatz er die später in der Weimarer Verfassung als Maxime republikanischer Kunstpolitik verankerte staatliche Garantie der Kunstfreiheit ansah.85 Mit der Betonung der Kunstfreiheit knüpfte das Ministerium an Forderungen der bürgerlichen Revolution von 1848 an, die durch Kants Wertschätzung des ästhetischen Urteils theoretisch fundiert waren und in Französischer Revolution und Romantik wurzelten.86 Konkret machte es die von nationalliberalen Ideen beeinflußte Kunstpolitik Kuglers zur Bezugsgröße für den eigenen Anspruch.87 Als zweiten Grundsatz führte Haenisch durch den Hinweis auf verschiedene Hilfsmaßnahmen die Ausrichtung auf eine von sozialen Aspekten geleitete Kunstpflege an, die den Staat im Bereich der Fürsorge für den einzelnen Künstler weit mehr als bisher in die Pflicht nahm.88 Zudem deutete er in Orientierung an sozialdemokratischen Bildungsbestrebungen, die sich mit den expressionistischen Forderungen nach einer Verbindung von Kunst und Leben trafen, als dritten Grundsatz das Ziel einer intensivierten Kunstpopularisierung und -Vermittlung an.89 Die Aufgabe des Ministeriums sah Haenisch vor allem darin, die organisatorischen und materiellen Voraussetzungen für eine Gewährleistung der genannten Grundsätze zu schaffen. Elementar war für ihn dabei das Ideal des Kulturministeriums als offener Institution, die sich in enger Zusammenarbeit mit Künstlern und Fachleuten um Lösungen bemühte.90
84 Haenisch 1919 b,S. 22 f. 85 Artikel 142 der Reichsverfassung lautete: „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil." Vgl. dazu auch Düwell 1987, S. 78; Huber 1978, S. 1200; Heuer 1983, S. 51-53; Neue Sachlichkeit 1994, S. 39 f; Schulze 1982, S. 129; Daweke / Schneider 1986, S. 97 u. 101; M. Frey 1999, S. 126 f. Zum Einfluß des preußischen Kultusministeriums auf die entsprechende Ausrichtung der Reichsverfassung vgl. Heuer 1983, S. 51. 86 In Artikel IV, § 13 der Grundrechte des deutschen Volkes von 1848 (zitiert nach Aufbruch zur Freiheit 1998, S. 237 f) hieß es: „Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern." Zur Orientierung der Weimarer Verfassung an 1848 vgl. Aufbruch zur Freiheit 1998, S. 242; siehe dazu auch die Affinitäten zwischen der Arbeiterbewegung und den liberalen Forderungen von 1848/49, auf die Nipperdey 1998 a, S. 6 2 0 - 6 2 2 hinweist; zur Entwicklung der Idee der Kunstfreiheit vgl. Joachimides 1995 a, S. 200 f; Ott 1968; Becker 1991; Warnke 1991; zum Bezug Haenischs auf 1848 vgl. Haenisch 1920 b. 87 Vgl. z.B. Waetzoldt 1933, S. 83f; Mai 1981, S. 441-443. 88 Vgl. dazu später auch Waetzoldt 1933, S. 84; zum Kontext vgl. Rülcker 1974, S. 145 f; Speitkamp 1996, S. 171; Aufbruch zur Freiheit 1998, S. 242; Heuer 1983, S. 51-53. 89 Vgl. dazu auch Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7350-7356; Haenisch 1921, S. 29 f; zum Kontext vgl. Mayer 1981, S. 268-274; Heller 1991, S. 19 f; Hein / Hein 1983, S. 12-18 u. 67-72. 90 Vgl. dazu auch Haenisch 1919 b, S. 22; Haenisch 1919 c, S. 11-13; Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7327 u. 7330; Haenisch an Storck, 21.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 104; Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7261-7263 u. 7267-7269; Willen 1981, S. 48 f.
2. Neudefinition
des kunstpolitischen Anspruchs 1918/19
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Eine staatliche Parteinahme in ästhetischen Fragen, wie sie die revolutionären Künstlergruppen durch die Stilisierung des Expressionismus zur sozialistischen Kunst nahelegten, lehnte er in Bestätigung seiner früheren Aussagen grundsätzlich ab.91 Besondere Beachtung fanden die Ausführungen Haenischs in der Neuen Rundschau wohl vor allem durch ihren erneuten Abdruck in der im Frühjahr 1919 von der Novembergruppe herausgegebenen, staatlich geförderten Publikation An alle Künstler!,92 Die auf die Kunst bezogene Passage aus Haenischs offenem Brief stand hier als eine Stimme neben weit progressiveren Beiträgen der Künstler Max Pechstein und Ludwig Meidner, der Schriftsteller Kurt Erich Meurer, Walter Hasenclever und Bernhard Kellermann und des bayerischen USPD-Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Ihren Rahmen bildeten expressionistische Holzschnitte von den Novembergruppe-Mitgliedern Pechstein, César Klein, Hans Richter, Lyonel Feininger, Milly Steger und Georg Tappert sowie Gedichte von Johannes R. Becher und Paul Zech. Schon im Januar 1919 war Haenisch vom Werbedienst (früher Militärische Stelle des auswärtigen Amtes) um Mitarbeit an einer Broschüre gebeten worden, „die die deutschen Künstler über ihre Stellung innerhalb des neuen sozialistischen Staates aufklären soll." 93 Vermutlich verwies Haenisch daraufhin auf seinen Beitrag in der Neuen Rundschau, und so erschienen schließlich die Auszüge aus dem offenen Brief, in denen es um bildende Kunst und Theater ging, unter dem von Haenisch sicher so nicht gewollten Titel Das Kunstprogramm der preußischen Regierung in der Schrift An alle Künstler!. Die Tendenz der anderen Beiträge und die Graphiken, die im Buch eine eigene Suggestivkraft entwickelten, stellten Haenisch dabei in einen expressionistischen Kontext,94 für den er sich zwar aufgeschlossen zeigte, auf den er sich aber keinesfalls festlegen wollte.
91 Vgl. später auch Haenisch 1919 c, S. 11: „unser Kulturleben in Preußen-Deutschland fließt aus so tausenderlei Quellen, sein Strom ist so breit, daß es in der Tat unendlich beschränkt und kleinbürgerlich sein würde, dieses vielgestaltige Kulturleben meistern zu wollen nach der Schablone eines engen Fraktionsprogramms. Es gibt im parteipolitischen Sinne keine konservative Baukunde, es gibt keine national-liberale Theaterreform, [...] es gibt keine mehrheitssozialistische oder unabhängige Auffassung von der besten Art und Weise, wie man ein Museum leitet, und ich glaube, es gibt nicht einmal eine spartakistische Liebeslyrik [...]. Nein, davon ist gar keine Rede, das ganze vielgestaltige Kulturleben nun irgendwie parteipolitisch einpressen und abgrenzen zu wollen. Ich halte es vielmehr für meine wesentlichste und schönste Aufgabe anregend, organisierend, fördernd alle lebendigen Kulturkräfte in unserem deutschen Leben zu freier Mitarbeit heranzuziehen." 92 Vgl. Haenisch 1919 d; siehe auch Weinstein 1990, S. 50-62; Willett 1978, S. 46; Expressionismus I960, S. 246; Rigby 1983. 93 Paul Landau (i.A. Werbedienst) an Haenisch, 18.1.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 454, Bl. 127 r; vgl. Weinstein 1990, S. 50. 94 Vgl. Fritz Hellwag: Die Revolutionsprogramme
der Künstler, in: Mitt. DWB, Nr. 2,1919, S. 3 3 - 4 1 ;
Julius Rosenbaum: Der Ruf nach Organisation, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 31, 10.5.1920, S. 211 f; Erich Mendelsohn 1998, S. 65; Weinstein 1990, S. 5 0 - 6 2 u. 105; zu Hellwag vgl. Steneberg 1987, S. 30.
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II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
Durch diese Kontextualisierung erhielten positive wie negative Erwartungshaltungen Dritter, die von einer Bevorzugung des Expressionismus durch das Kultusministerium ausgingen (siehe Kap. III. 4.1.), neue Nahrung. Faktisch aber bewegte sich das Ministerium mit dem kunstpolitischen Anspruch, wie er in der Neuen Rundschau und in An alle Künstler! verbreitet wurde, in konsequenter Fortsetzung der Ende 1918 erklärten Absichten auf einer weitgehend konsensfähigen Mittellinie, die sich gut mit der gleichzeitigen Orientierung der Sozialdemokraten an den bürgerlichen Parteien vereinbaren ließ.95 Entsprechend stieß der Anspruch des Ministeriums, sich jeder Einmischung in ästhetische Fragen zu enthalten und alle Richtungen gleichermaßen zu fördern, in der ersten Kunstdebatte nach der Novemberrevolution, die Ende 1919 in der Landesversammlung geführt wurde, parteienübergreifend auf Zustimmung. Wohl nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Angst vor einer linken Politisierung der Kunstverwaltung, auf die bürgerliche und rechte Parteien mit der Forderung nach einer Trennung von Kunst und Politik reagierten, begrüßten hier neben USPD und MSPD auch DVP, DNVP und Zentrum ausdrücklich die neue Kunstfreiheit.96 Vor allem aber erfüllte das Ressort mit der Maxime der Kunstfreiheit bürgerlich-liberale Hoffnungen, wie sie in Auseinandersetzung mit der Kunstpolitik Wilhelms II. seit der Jahrhundertwende artikuliert worden waren.97 Die Vorstellung einer freiheitlich-demokratischen Kunstpolitik jenseits politischer Vereinnahmung, die an 1848/49 formulierte Forderungen anknüpfte, fand daher Akzeptanz speziell in der liberalen Presse. Nachdem schon Stahls Artikel vom Dezember 1918 klare Berührungspunkte mit Haenischs Auffassungen aufgewiesen hatten, befürwortete nun zum Beispiel Max Osborn in der Vossischen Zeitung die inzwischen eingeleitete Abkehr von der wilhelminischen Kunstbevormundung und plädierte dafür, von dieser Basis aus bald konkrete Reformpläne für eine engere Verbindung von Künstlern, Kunst und Museen auf der einen und breiten Bevölkerungsschichten auf der anderen Seite zu entwickeln.98 Und auch Theodor Heuss, der damals als DDP-Mitglied journalistisch tätig war, äußerte sich, obwohl er das Ministerium Haenisch nicht direkt beim Namen nannte, in der Deutschen Allgemeinen Zeitung implizit ähnlich positiv zur 99 preußischen Kunstpolitik. Vom Verhältnis zwischen Kunst und Revolution in der Vergangenheit und davon ausgehend, daß die Qualität von Kunst von der Staatsform unabhängig ist, brachte er die Antwort auf die Frage nach der Neudefinition staatlicher Kunstpolitik in der Demokratie, Haenischs Vorstellungen entsprechend, auf den Punkt: „Was ist es, was die
95 Zum Kontext vgl. Weinstein 1990, S. 43-84. 96 Vgl. Ausschußmtgl. (DNVP) u. Ausschußmtgl. (USPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1 8 0 8 - 1 8 1 0 u. 1820; Frank (SPD) u. Heß (Z), 4 . 1 2 . 1 9 1 9 , in: LV, Prot., Sp. 7261-7263, 7267-7269 u. 7272-7284; Ritter (DNVP), Hennig (USPD), Garnich (DVP) u. Becker, 5 . 1 2 . 1 9 1 9 , in: LV, Prot., Sp. 7314 f, 7317, 7326-7335, 7343 f u . 7346-7350. 97 Vgl. dazu Paul Westheim: Staat und Kunst. Zur Berliner Tagung des „Deutschen Ausschuß für Kunst", in: FZ, Jg. 62, Nr. 8 2 , 2 3 . 3 . 1 9 1 8 ; Reden des Kaisers 1966, S. 143-145; Kaiser-Schuster 1993; Mommsen 1998, S. 2 6 - 2 9 . 98 Max Osborn: Neue Kunstpolitik, in: Voss. Ztg., Nr. 161, 2 8 . 3 . 1 9 1 9 . 99 Zur kulturpolitischen Positionierung von Heuss vgl. Kienzle / Mende 1984; Campbell 1981, S. 11 f; Theodor Heuss: Wirtschaft, Staat und Kunst, in: Mitt. DWB, Nr. 4 , 1 9 1 9 , S. 107 f.
2. Neudefinition des kunstpolitischen Anspruchs 1918/19
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Kunst von der neuen Demokratie erwartet, erwarten soll? Dies, daß sie sich möglichst wenig um ihre Aeußerung kümmere. Denn als Herrschaftsform hat sie natürlich kein irgendwie deutlicheres, unmittelbareres Verhältnis zum künstlerischen Schaffen. [...] Was die Demokratie leisten kann, ist, in der Selbstbescheidung neutral zu werden und den aktiven Kräften des Kunstlebens nicht mehr die Entwicklungsmöglichkeiten abzusperren. [...] Im übrigen muß sie sich hüten, dem Parteigeist, der bisher in der öffentlichen Kunstpflege geherrscht, zu verfallen, muß begreifen, daß Kunst keine Beamtenqualität, sondern ein freies Geschenk der Natur ist." 1 0 0 Die theoretische Perspektive des Heuss-Artikels gibt einen differenzierten Einblick in die Affinität der Kunstpolitik des Ministeriums zu liberalen Vorstellungen. Der Text verdeutlicht vor allem eins: Trotz parteipolitischer Einflüsse, die sich im Popularisierungsanspruch oder in der sozialen Tendenz spiegeln, war Haenischs kunstpolitischer Anspruch in erster Linie durch die neue republikanische Staatsform bestimmt. Es war also weniger eine sozialistische als vielmehr eine demokratische Kunstpolitik oder besser eine neutral fördernde demokratische Kunstpflege, für die das Ministerium Haenisch eintrat. Diese offene, ideologisch nicht festgelegte staatliche Kunstpolitik fügte sich in die während des Krieges entwickelten Überzeugungen Haenischs 101 ebenso ein wie in den von der MSPD nach 1918 angestrebten Wandel von der Klassen- zur Volkspartei 102 und war sicherlich auch mit der wilhelminisch geprägten Kunstabteilung vereinbar. Zugleich ist sie als demokratisches Gegenmodell zu kunstpolitischen Vorstellungen zu verstehen, wie sie etwa Gustav Landauer im Frühjahr 1919 für die bayerische Räterepublik entwickelte. Während sich Haenisch und Landauer über die staatliche Künstlerfürsorge noch einig waren, ließ sich Landauers kunstpolitisches Programm anders als das preußische auf die Hoffnungen der Expressionisten ein und machte durch den Hinweis darauf, daß der Expressionismus ein erster Schritt in Richtung einer neuen Proletarierkunst sei, unmißverständlich klar, welche Entwicklung als der „richtige" künstlerische Weg zu verstehen war.103 Haenisch rückte im Gegensatz dazu die Kunstfreiheit in den Vordergrund und grenzte sich so von einer sozia-
100 Theodor Heuss: Kunst, Revolution,
Staatsform,
in: DAZ, Jg. 58, Nr. 158, 2 . 4 . 1 9 1 9 ; vgl. dazu auch
Hans Wedendorf: Der Künstler und die Politik, in: W. d. Ku„ Jg. 18, Nr. 2 0 , 1 0 . 2 . 1 9 1 9 , S. 1 3 3 - 1 3 5 ; Max Epstein: Revolution
und Kunst, in: Weltb., Jg. 15/1, Nr. 23, 2 9 . 5 . 1 9 1 9 , S. 631 f; Campbell
1981, S. 1 3 6 - 1 3 8 ; Heuer 1983, S. 54. 101 Vgl. Haenisch 1919 b, S. 23. 102 Vgl. dazu ausführlich H. A. Winkler 1982; siehe auch Hein / Hein 1983, S. 1 2 - 1 4 ; Müller 1991, S. 229 f; O r l o w 1986, S. 28; Deutsche Parteiprogramme 1960, S. 453; Hammel 1990, S. 31; Miller 1978, S. 447; L e h n e « 1983, S. 254. 103 Vgl. Fidelis: Gustav Landauers
Kulturprogramm,
in: Das Forum, Jg. 4/2, Nr. 8, Mai 1920, S. 5 7 7 -
599, S. 586 f. Die am 3 . 1 . 1 9 1 9 formulierten kunstpolitischen Ziele des bayerischen Ministerpräsidenten Eisner standen Haenischs Anspruch zwar inhaltlich näher, bestätigen aber ebenfalls den zurückhaltenden Charakter von Haenischs Ausführungen, vgl. Eisner 1919; siehe dazu auch Weinstein 1990, S. 59 f; Mayer 1981, S. 2 5 2 f u. 2 5 6 f; A r n o H o l z an Haenisch, 5 . 7 . 1 9 1 9 , hs., in: B A r c h B , 90 H a 4, Nr. 151, Bl. 1 2 - 1 3 ; Wilhelm Hausenstein: Aufgaben MNN,
bayrischer Kunstpolitik,
in:
Jg. 72, Nr. 203, 2 4 V 2 5 . 5 . 1 9 1 9 u. Nr. 208, 2 8 - / 2 9 . 5 . 1 9 1 9 ; zur Entwicklung der Kulturpoli-
tik in Bayern nach 1918 vgl. L. Schmidt 2000, S. 5 0 - 7 2 .
II. Neuorientierung
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der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
listischen Kunstpolitik ab, wie sie Landauer propagierte oder wie sie in der Sowjetunion Realität war.104 Die Hoffnungen auf eine dezidiert linke Kunstpolitik in Preußen, die viele moderne Künstler Ende 1918 gehegt hatten, erwiesen sich so seit dem Frühjahr 1919 als weit über Haenischs Vorstellungen hinausgehend.105 Zudem kollidierte der evolutionärer Ansatz des Ministers106 mit dem revolutionären Charakter der progressiven Kunstprogramme. Mit Verschärfung der Konfrontation zwischen MSPD und USPD wurde daraufhin zunächst in der USPD-Presse Kritik an der zögerlichen preußischen Politik laut. Zwar seien, so führte die Freiheit am 15. März 1919 aus, Bevormundung und Zensur der Kunst abgeschafft worden, nun aber werde „mit einer das ganze deutsche Volk kompromittierenden Saumseligkeit am Alten festgehalten! [...] Früher gab es wohl keinen Sozialdemokraten, der nicht schon im Namen des guten Geschmacks gegen die wilhelminischen Kunstverschandelungen protestierte, aber heute wagt eine sich sozialistisch nennende Regierung, die so hurtig Maschinengewehre und schwere Artillerie gegen Arbeiter auffahren läßt, die Denkmäler einer befleckten Vergangenheitsperiode nicht anzutasten."107 Seit dem Frühjahr und Sommer 1919 distanzierten sich auch die revolutionären Künstlergruppen von der ministeriellen Kunstpolitik.108 Der Arbeitsrat für Kunst etwa akzentuierte sein Programm im April 1919 neu. Mit dem USPD-Mann Adolf Behne 109 und Walter Gropius als neuen Leitern tendierte er nun, enttäuscht über ausbleibende grundlegende Veränderungen im Kunstbereich, zur extremeren Linken und wandte sich bis zu seiner Auflösung 1921 utopischen Projekten zu.110 Einen Schritt weiter gingen Künstler wie George Grosz und die Dada-Bewegung mit ihrer Auflehnung gegen die bürgerliche „Spießer"-Gesellschaft, der nach den Erfahrungen
104 Vgl. dazu auch Weinstein 1990, S. 60 u. 67-70; zur Kunstpolitik in der Sowjetunion siehe z. B. Das Kunstprogramm
des Kommissariats für Volksaufklärung in Rußland, in: Ku. bl., Jg. 3,1919, S. 9 1 -
93; Willett 1981, S. 56. 105 Vgl. Weinstein 1990, S. 49 f u. 83 f; Hein / Hein 1983, S. 67-72; Cläre Meyer-Lugau: Brief an Haenisch, in: Weltb., Jg. 16/1, Nr. 9, 26.2.1920, S. 283-285. 106 Vgl. Müller 1991, S. 246; Huber 1978, S. 989-992. 107 Revolutionäre Kunstpolitik, in: Die Freiheit. Organ der USPD, Jg. 2, Nr. 125,15.3.1919, S. 2; vgl. dazu auch Weinstein 1990, S. 44; Hennig (USPD), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7332-7343; Eine Schuldebatte in der Landesversammlung.
Fortsetzung der Beratung über den Landesetat, in: BT,
Jg. 48, Nr. 582, 6.12. 1919, Beibl. S. 3; Max Epstein: Revolution und Kunst, in: Weltb., Jg. 15/1, Nr. 23,29.5.1919, S. 631 f; Hans Janowitz: Die Kunst, in: Weltb., Jg. 15/2, Nr. 28, 3.7.1919, S. 26 f; Weißmann: Politisch - künstlerisch - radikalin:
Weltb., Jg. 16/2, Nr. 53, 30.12.1920, S. 770-772.
108 Vgl. Weinstein 1990, S. 44 u. 105; Sheppard 1979, S. 52; Miller 1978, S. 449; Knütter 1988, S. 396; H. A. Winkler 1982, S. 54. 109 Vgl. Lindner 1992. 110 Vgl. Weinstein 1990, S. 6 4 - 7 7 u. 95; Hermand / Trommler 1978, S. 354 u. 362; Junghanns 1998, S. 3 4 - 4 7 ; Der Berliner Arbeitsrat für Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 33, 26.5.1919, S. 221 f; Curt Glaser: Nein zu den „Stimmen des Arbeitsrates für Kunst", in: Ku. chr.,]g. 55/1, Nr. 16,16.1.1920, S. 315-317; Auflösung des „Berliner Arbeitsrats für Kunst", in: Cie., Jg. 13, Nr. 15/16, Aug. 1921, S. 449.
2. Neudefinition
des kunstpolitischen
Anspruchs
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des Frühjahrs 1919 auch die Sozialdemokraten zugerechnet wurden.111 Nachdem der Expressionismus seit etwa 1920, zur Mode geworden, seine revolutionäre Stoßkraft eingebüßt hatte, stellte sich in diesem Zusammenhang erneut die Frage, was unter linker Kunst zu verstehen sei.112 Viele der modernen Künstler, wie sie etwa in der Novembergruppe vertreten waren, akzeptierten im Gegensatz dazu Haenischs bürgerlich geprägte Absicht einer freiheitlich-liberalen Kunstförderung und ließen sich auf deren Möglichkeiten ein.113 Das Zusammengehen mit diesen expressionistischen Künstlern ließ sich vom Ministerium weiterhin als Zeichen eines offenen Reformkurses nutzen. 114 Noch fortschrittlicheren Kunstrichtungen begegnete das Ressort hingegen zögerlich; vielfach war hier eine Annäherung nicht zuletzt aus Sicht der Künstler undenkbar. Der Anfang 1919 publizierte betont demokratische, inhaltlich neutrale Anspruch des Ministeriums an die eigene Kunstpolitik, der auf den Säulen Kunstfreiheit, Kunstvermittlung und Künstlerförderung basierte, blieb für die Amtszeit Haenischs und von den Grundzügen her für die gesamten Jahre der Weimarer Republik maßgeblich für das Kultusressort. 115 Anfeindungen brachten Haenisch nicht von seinen Uberzeugungen ab, sondern führten im Gegenteil zu noch pointierteren Formulierungen seines Standpunktes.116 Im Ressort selbst stellten sich besonders Becker und Waetzoldt hinter Haenischs Anspruch. Während Becker wiederholt seine Ubereinstimmung mit den Positionen des Ministers demonstrierte,117 verortete Waetzoldt die Kunstpolitik der Republik Preußen auf einem Mittelweg, der sich vom englisch-amerikanischen Modell privater Kunstfinanzierung wie vom sowjetischen Modell staatlicher Kunstbevormundung abgrenzte. Ende 1920 brachte er seine Vorstellungen auf den Punkt: „Das Verhältnis der Regierung zur Kunst sollte sich dar-
111 Vgl. Sheppard 1979; Bergius 1993, S. 3 3 4 - 3 5 0 ; Tendenzen der Zwanziger Jahre 1977, S. 3 / 1 - 5 6 u. 3 / 6 5 - 9 1 ; Heller 1991, S. 19; Franz Schulz: Kunst, Bürger, Staat, in: Das Forum, Jg. 4/2, Nr. 9, Juni 1920, S. 6 5 5 - 6 6 0 . 112 Vgl. Guttsman 1982, S. 3 4 1 - 3 5 4 ; Weinstein 1990, S. 2 1 9 - 2 4 4 . Als fortschrittliche stilistische Alternativen rückten der Verismus und der Konstruktivismus in den Vordergrund, vgl. Langewiesche 1982; Tendenzen der Zwanziger Jahre 1977, S. 1 / 7 7 - 1 6 3 . 113 Vgl. Weinstein 1990, S. 223; Hermand / Trommler 1978, S. 362. 114 Vgl. dazu Weinstein 1990, S. 62 u.105; Hellwag: Die Revolutionsprogramme DWB,
der Künstler, in: Mitt.
1919, Nr. 2, S. 3 3 - 4 1 , S. 33. Heller 1991, S. 21 spricht in diesem Zusammenhang gar von
einer „Strategie der Eindämmung durch Vereinnahmung". Ahnliches konstatiert Weinstein 1990, S. 44, 106 u. 2 4 2 - 2 4 4 ; zum Kontext siehe auch Julius Rosenbaum: Der Ruf nach Organisation,
in:
W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 31, 10.5.1920, S. 211 f; Lange 1987, S. 153. 115 Zur ähnlichen Tendenz in Hessen vgl. Parlament Hessen 1991, S. 19. 116 Vgl. Haenisch 1921, S. 1 5 0 - 1 6 5 ; Konrad Haenisch etc.: Gutachten
über
Brunner,
in:
Weltb.,
Jg. 17/2, Nr. 47, 2 4 . 1 1 . 1 9 2 1 , S. 5 2 1 - 5 2 5 , S. 522. 117 Vgl. ζ. B. Becker, 5 . 1 2 . 1 9 1 9 , in: LV, Prot., Sp. 7330: „Wir wollen überall das patriarchalische Gängeln durch den Staat aufhören, wir wollen den Künstler frei gestalten lassen [...]. Ich bin der Meinung, daß die Regierung als solche, namentlich das Kultusministerium, sich von Werturteilen fernhalten sollte, namentlich gegenüber der zeitgenössischen Kunst, die man noch nicht in ihrer endgültigen Zielsetzung überschauen und in ihrer historischen Bedeutung zu würdigen vermag. Handelten wir anders, so verfielen wir in die Traditionen des alten Regimes. Wir wollen nur beobachten und fördern." Vgl. auch Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1 8 0 6 - 1 8 0 8 .
40
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der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
auf beschränken, ihr Luft, Licht und Freiheit zu verschaffen und ihr äußere wie innere Hindernisse wegzuräumen. Die staatliche Kunstpflege leistet das Höchste, wenn sie den schöpferischen Kräften Entfaltungs- und Wachstumsmöglichkeiten gewährt." 118 Vor diesem Hintergrund ist die kunstpolitische Praxis Preußens in den folgenden Jahren zu sehen.
118 Waetzoldt 1921, S. 5.
3. Zwischen Öffnung und Kontinuität: Einleitung längerfristiger Reformen an den staatlichen Kunstinstitutionen 3.1. Veränderungen im Bereich der Museen Die Forderung der revolutionären Künstlergruppen nach einer neuen Verbindung von Kunst und Leben löste 1918/19 unter anderem eine rege Diskussion über die gesellschaftliche Bedeutung von Museen aus, die bis zur Infragestellung der Institution reichen konnte, deren Haupttendenz aber die Suche nach einer offeneren Form des Kunstmuseums war.1 Ausgangspunkt war die Kritik am unzeitgemäßen, „verstaubten" Zustand vieler Museen.·2 Die Kritiker verwiesen damit auf das mit unzähligen Objekten angefüllte, didaktischen Ansprüchen kaum genügende, von bürgerlichem Kunstverständnis geprägte Museum des 19. Jahrhunderts, das Ergebnis akribischer, historistisch motivierter Sammeltätigkeit war. Diese wenig publikumsorientierte Form des Museums, die 1918 vielerorts noch Realität war, wollten die fortschrittlichen Künstler überwunden wissen. Zudem forderten sie eine Öffnung der Museen für alle Schichten.3 Dabei ging es sowohl darum, den Zugang durch freie Eintritte und erweiterte Öffnungszeiten zu erleichtern, als auch um innovative Vermittlungswege. Beide Tendenzen, die Kritik an bisherigen Präsentations- und Sammelstrategien zum einen und die Notwendigkeit einer Öffnung der eng mit bürgerlichem Eliteverständnis verbundenen Institution Museum 4 zum andern, flössen in die Forderung nach einer Umgestaltung der Museen ein. Die Ziele der Umgestaltung brachte der Arbeitsrat für Kunst unter dem Schlagwort „Belebung der Museen als Bildungsstätten für das Volk" auf den Punkt. Gefordert wurden etwa die „Einrichtung ständig wechselnder, durch Vorträge und Führungen dem ganzen Volke dienstbar gemachter Ausstellungen" und eine Aussonderung von nur für Wissenschaftler relevanten Objekten in besondere Studiensammlungen.5 Um die Aufmerksamkeit der neuen Regierung auf die Fragen der Museumspopularisierung zu lenken, reichte der Arbeitsrat am 30. Dezember 1918 eine von einem seiner Mitglieder, dem Museumsmann Wilhelm R. Valentiner, verfaßte Denkschrift mit dem Titel Die Umgestaltung der Museen im Sinne der neuen Zeit beim preußischen Kultusministerium
1 Vgl. Joachimides 2001, S. 187-225; Lidtke 1993; Flacke-Knoch 1985, S. 15 f; Hammer 1980, S. 275 f; Weinstein 1990, S. 39 f. 2 Vgl. dazu ζ. B. Bruno Taut: Was bringt die Revolution der Baukunstin:
Vorwärts, Jg. 35, Nr. 318,
18.11.1918; Vorwärts, Jg. 35, Nr. 354, 25.12.1918. 3 Vgl. z.B. Die Museen auf!, in: Vorwärts, Jg. 35, Nr. 329, 30.11.1918. 4 Vgl. Mommsen 1998, S. 23; Borgmann 1995, S. 94-107; Flacke-Knoch 1985, S. 11-13; Hammer 1980, S. 256. 5 Arbeitsrat für Kunst, in: BT, Jg. 47, Nr. 633,11.12.1918, S. 2; Steneberg 1987, S. 5; vgl. Arbeitsrat für Kunst, in: W d. Ku., Jg. 18, Nr. 13, 23.12.1918, S. 85 f; Fritz Hellwag: Die
Revolutionsprogramme
der Künstler, in: Mitt. DWB, Nr. 2, 1919, S. 33-41; zu ähnlichen Bestrebungen des Rats bildender Künstler in München siehe A. L. Mayer: Die Kunstreformen Jg. 54/1, Nr. 7, 29.11.1918, S. 136-139.
im Volksstaat Bayern, in: Ku.chr.,
II. Neuorientierung
42
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
ein.6 Die Valentiner-Schrift, die viele Aspekte der zeitgenössischen Diskussion aufgriff, basierte auf der Idee vom Museum als Bildungsstätte für das Volk. Dieser Idee suchte Valentiner durch die Forderung nach einer Trennung des Museums in eine publikumsorientierte Schau- und eine wissenschaftliche Studiensammlung Rechnung zu tragen. Daneben schlug er drei Haupttypen von Museen vor.7 Die einzelnen Museen, für die statt Quantität Qualität maßgeblich sein sollte, sollten in einer integrierten Ausstellung verschiedene künstlerische Zeugnisse einer Epoche, das heißt Malerei, Plastik und Kunstgewerbe gleichzeitig präsentieren. Die Finanzierung sollte privat und öffentlich ohne Berliner Bevormundung erfolgen. Als Museumsleiter favorisierte Valentiner an der Kunstvermittlung interessierte Fachleute. Längere Öffnungszeiten, freier Eintritt, preiswerte, verständliche Kataloge, Führungen und Ausstellungen - Popularisierungsformen, die Valentiner unter Hinweis auf die USA bereits am 10. Dezember 1918 im Vorwärts eingefordert hatte8 - sollten die Öffnung der Museen für breitere Volksschichten ermöglichen. Damit entsprach die Schrift den Vorstellungen der revolutionären Künstlergruppen. Ihre eigentlichen Wurzeln reichten allerdings tiefer. Die Denkschrift knüpfte an eine bereits seit den 1880er Jahren geführte Fachdebatte um die Modernisierung von Museen an.9 Angesichts akuten Platzmangels in den Sammlungen war es dabei zunächst um eine Entlastung durch Magazinierung oder Konzentration auf Originale gegangen. Dieses Bemühen wurde von der Erprobung innovativer Inszenierungsstrategien begleitet. Wilhelm von Bode setzte an prominenter Stelle, in den Berliner Museen, an denen er seit 1872 arbeitete und deren Generaldirektor er seit 1905 war, früh Zeichen in diese Richtung.10 In seinem seit 1883 entwickelten Ausstellungskonzept stand auf Basis kennerschaftlichen Qualitätsurteils und angelehnt an die Gestaltung kulturhistorischer Museen die ästhetische Inszenierung des Meisterwerkes im Mittelpunkt. Mit Hilfe fokussierender Hängungen und durch Stilräume, in denen verschiedene Ausdrucksformen einer Epoche, komponiert zu kulturhistorischen Assemblagen, ausgestellt wurden, sollte der Besucher atmosphärisch an das Werk herangeführt werden.11 In großem Maßstab umsetzen konnte Bode sein historistisch und von Jacob Burckhardt geprägtes, mit der Kunstgewerbebewegung verknüpftes Prinzip im Kaiser-
6 Valentiner 1919; zur Denkschrift vgl. Joachimides 2001, S. 1 9 0 - 1 9 4 ; Flacke-Knoch 1985, S. 1 6 - 1 9 ; Weinstein 1990, S. 40 f; H o b e r g 1988, S. 115 f; Flacke-Knoch 1980, S. 49, 53 f u. 57; H o w o l d t 1982, S. 126. Valentiner war laut Joachimides 2001, S. 191 neben Carl Georg Heise der einzige Museumsmann im Arbeitsrat für Kunst; siehe dazu allerdings auch Steneberg 1987, S. 7 f. 7 Dabei handelte es sich um: 1. das Museum für internationale Kunst, das in Provinzstädten anzusiedeln sei, 2. das als kulturelle „Volksstätte" zu gestaltende Museum für nationale Kunst und 3. die Sammlung von Werken lebender Künstler. 8 W. R. Valentiner: Die Museen als Bildungsstätten
für das Volk, in: Vorwärts, Jg. 35, Nr. 339, 10.12.
1918. 9 Zu den Diskussionen vgl. ausführlich Joachimides 2001; siehe auch Flacke-Knoch 1985, S. 1 1 - 1 4 . 10 Vgl. Joachimides 2001, S. 5 3 - 9 7 ; siehe auch Joachimides 1995 a, S. 194; Joachimides 1997; Gaehtgens 1992 b, hier bes. S. 63. 11 Vgl. dazu ausführlich Joachimides 1995 b, S. 1 4 5 - 1 5 3 ; Gaehtgens 1992 b, bes. S. 6 1 - 6 9 ; Schuster 1995, S. 8 - 1 7 ; Bode-Memoiren 1997, Bd 1, S. X I f; siehe auch Szambien 1994, S. 45.
3. Einleitung längerfristiger Reformen: Museen
43
Friedrich-Museum. 12 Mit ihm gab er ein Übergangsmodell auf dem Weg zum modernen Kunstmuseum vor, das bis in die 20er Jahre hinein wichtig blieb. 13 Da er der bürgerlichen Institution Museum und einem distinktiven, die Arbeiter ausgrenzenden Asthetizismus 14 ebenso wie den Rahmenbedingungen wilhelminischer Kulturpolitik 15 verpflichtet blieb, war Bode zugleich seit um 1900 einer älteren, konservativen Reformergeneration zuzurechnen. Von dieser Generation hoben sich seit der Jahrhundertwende modernere Modelle ab, deren Genese sich dem Einfluß alternativer, auf Sezessionsausstellungen erprobter Präsentationsformen verdankte. 16 Schrittmacher dieser Richtung war Alfred Lichtwark, der in Anlehnung an Signacs Idee vom neutralen Museum für klare, der reduzierten Atmosphäre moderner Ateliers entsprechende Ausstellungsräume plädierte und sich für Museen als Orte der Volksbildung engagierte. 17 In seinem Umfeld gewannen seit 1900 verschiedene Konzepte Kontur, die, teilweise im Gegenentwurf zu Bode, 18 auf innovative Vermittlungsformen setzten, Nähen zur Arbeiterbildungsbewegung oder zum Werkbund 1 9 aufwiesen und bei denen es auch darum ging, zeitgenössische Kunst und mit ihr die Gegenwartsperspektive als für das Museum konstitutiv zu etablieren. Als jüngere Reformer machten sich Fritz Wiehert, Karl Ernst Osthaus, Max Sauerlandt oder Gustav Pauli einen Namen. 2 0 An den Staatssammlungen setzten Hugo von Tschudi in München, Hans Posse in Dresden und Ludwig Justi an der Nationalgalerie Akzente. 21 Auch wenn man Lichtwarks Ideal der weißen Wand noch nicht folgte, wurde hier bereits vor 1914 durch Abkehr von der integrierten Ausstellung, geschlossenere Raumwirkungen, neue Beleuchtungen, breitere Hängeflächen und einreihige Hängungen ein wichtiger Schritt von der Wohnraum- zur Atelierraumsimulation getan und damit eine Richtung eingeschlagen, die nach 1918 ins Zentrum der Reformdebatte rücken sollte. 22 Anders als Bode zeigten sich viele jüngere Reformer für
12 Vgl. dazu ausführlich Joachimides 2001, S. 81-97; Joachimides 1995 b; Gaehtgens 1992 b; Joachmides 1997, S. V; Paul 1994 b; Schuster 1995, S. 14-16; siehe auch Gaehtgens 1997, S. I X - X I I ; Netzer 1995. 13 Joachimides 2001, S. 97 sieht Bodes Inszenierungsstrategie als „Übergangsphänomen auf dem Weg vom kunsthistorischen Museum des 19. Jahrhunderts zu einem ganz auf das formalästhetische Erlebnis zugeschnittenen Museum, wie es das 20. Jahrhundert bestimmen sollte." Siehe auch Flacke 1992, S. 52; Scholl 1995. 14 Vgl. Schuster 1995; Gaehtgens 1997, S. XIII; siehe auch Zimmermann 1994, S. 11; Kuhrau 1995; Joachimides 2001, S. 65-80. 15 Vgl. dazu ausführlich Gaehtgens 1992 a; zum Kaiser-Friedrich-Museum als Ort wilhelminischer Repräsentation vgl. Gaehtgens 1992 b, bes. S. 53-57; Gaehtgens 1997, S. VIII u. XIII f. 16 Vgl. dazu ausführlich Joachimides 2001, S. 99-143; siehe auch Joachimides 1995 a, S. 192; Gaehtgens 1992 b. 17 Vgl. Joachimides 2001, S. 118 f u. 187-198; Edgar Steiger: Ober Kunsterziehung, in: Die Neue Zeit, Jg. 37/2, Nr. 10, 6.6.1919, S. 234-239; Jessen 1921, S. 304. 18 Vgl Hüneke 1995; Schuster 1995, S. 16 u. 20. 19 Vgl. Campbell 1981, S. 50. 20 Vgl. Howoldt 1982; Hille 1992, S. 129 f; Lahme-Schlenger 1992; Salzmann 1992; Hüneke 1995; Weinstein 1990, S. 12; Scheffler 1946, S. 228 u. 248-250. 21 Vgl. dazu ausführlich Joachimides 2001, S. 145-186; zu Tschudi vgl. Schuster 1995, S. 20 f. 22 Vgl. Joachimides 2001, S. 173 u. 177.
44
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Lichtwarks Volksbildungsidee aufgeschlossen. Große Bedeutung kam dabei einer 1903 von der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen veranstalteten Konferenz in Mannheim zu, deren Ergebnisse unter dem Titel Die Museen als Volksbildungsstätten veröffentlicht wurden.23 In der Schrift fand sich bereits vieles von dem, was 1918 angestrebt wurde. Wie Scherers Publikation von 1913 zeigt, gehörte der Popularisierungsgedanke vor dem Weltkrieg zu den gängigen Forderungen an eine moderne Museumspolitik; gleichzeitig galt Bodes Konzept durchaus noch als zeitgemäß.24 Die unpolitisch begonnene, fachinterne Museumsmodernisierungsdebatte hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg durch die Aufgeschlossenheit für die Moderne und die Arbeiterbildungsbewegung teilweise eine politische Färbung erhalten. Dadurch, daß die Fachdebatte 1918 in die Revolutionsforderungen integriert wurde, verstärkte sich ihre politische Dimension erheblich. Valentiner nutzte diese Situation, die ein Interesse der linken Regierung an den Reformideen erwarten ließ, um seine Vorschläge dem preußischen Kultusressort nahezubringen. In der Schrift des aus der Bode-Schule hervorgegangenen, von US-Erfahrungen geprägten Museumsmannes25 verbanden sich dabei Volksbildungsidee und Gegenwartsperspektive mit Inszenierungsformen und Akzentuierungen in der Tradition Bodes.26 Die Schrift erwies sich damit keineswegs als so radikal, wie ihr Kontext suggerierte.27 Als sie im Frühjahr 1919 publiziert wurde, stieß sie dennoch bei konservativen Praktikern auf Ablehnung.28 Justi polemisierte gegen die unzeitgemäßen Inszenierungsvorschläge und tat Valentiners Popularisierungsideen als Binsenweisheiten ab.29 Letztlich wurde das Konzept von führenden Museumsleuten verworfen.30
23 Vgl. Museen als Volksbildungsstätten 1904; Joachimides 2001, S. 1 1 0 - 1 1 2 ; Jessen 1921, S. 305; H o woldt 1982, S. 171 f; Müller 1994, S. 269. 24 Vgl. Scherer 1913, S. 55; Schräder 1995, S. 74; zur Museumspopularisierung vor 1914 vgl. H o w o l d t 1982, bes. S. 3 3 - 3 7 u. 3 9 - 4 5 . 25 Z u m Werdegang Valentiners vgl. Joachimides 2001, S. 191; siehe dazu auch Flacke-Knoch 1985, S. 16 f; Flacke-Knoch 1980, S. 49; Sterne 1980. 26 Die Nähe zu Bode zeigte sich etwa in der integrierten Ausstellungsform und der Idee des nationalen Museums, vgl. Wesenberg 1995, S. 83 f; [Bode]: Zur Förderung
der deutschen
Kunst, abgedruckt
in: Bode als Zeitgenosse der Kunst 1995, S. 8 7 - 9 4 ; Joachimides 2001, S. 1 9 1 - 1 9 3 . 27 Zwar deutet Joachimides 2001, S. 192 eine mögliche Indienstnahme des Bodeschen Modells für dezidiert linke Positionen an. In der Diskussion nach 1918 spielte dies aber letztlich keine Rolle; vgl. dazu allgemein auch Flacke-Knoch 1985, S. 19. 28 Vgl. z . B . Curt Glaser: Die Umgestaltung
der Museen im Sinne der neuen Zeit, in: Ku. u. Kit., Jg. 17,
Nr. 8, Mai 1919, S. 3 3 6 - 3 3 9 ; O t t o von Falke: Die Umgestaltung
der Museen
im Sinne der
Zeit, in: Ku. ». Kü., Jg. 17, Nr. 8, Mai 1919, S. 3 3 4 - 3 3 6 ; Wilhelm Weckbecker: Umgestaltung Museen im Sinne der neuen Zeit, in: Österr. Rundschau,
neuen der
Jg. L X I , Nr. 3 , 1 . 1 1 . 1 9 1 9 , S. 1 3 1 - 1 3 6 ; siehe
dazu auch Joachimides 2001, S. 194 f; kritisch dazu Das Museum
der Zukunft,
in: Cie., Jg. 13, Nr. 6,
März 1921, S. 186 f. 2 9 Vgl. Ludwig Justi: Valentiners
Vorschläge zur Umgestaltung
der Museen,
in: ZSf. hild. Ku., Jg. 54,
1919, S. 1 9 0 - 2 0 0 ; siehe dazu auch Joachimides 2001, S. 193. 30 Vgl. Flacke-Knoch 1985, S. 19; Weinstein 1990, S. 40 f; H o b e r g 1988, S. 115 f; zu den Gründen vgl. auch Joachimides 2001, S. 191 u. 193.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Museen
45
Eine Reaktion des Kultusministeriums auf Valentiners Schrift ist nicht nachweisbar. Daß Valentiner 1920 an der ersten Sitzung der staatlichen Museumsbaukommission nach dem Krieg teilnahm,31 legt aber nahe, daß der Autor der Denkschrift, der nach 1918 auch in anderen kunstpolitischen Fragen mit dem Ressort konform ging (siehe Kap. II. 6.), mit seinen Ideen Beachtung fand. Inhaltlich erscheint eine Affinität in jedem Fall plausibel. Wegen der Verbundenheit Haenischs wie Hoffmanns mit der Arbeiterbildungsbewegung und Haenischs Interesse an schichtenübergreifender Kulturvermittlung ist von einer Aufgeschlossenheit des Ressorts gegenüber dem Popularisierungsanspruch wie der Debatte um die Museumsöffnung auszugehen.32 Als erste Belege dafür können sowohl die Zuordnung der Museen zum Volksbildungswesen im Kulturprogramm vom November 1918 33 als auch Hoffmanns zeitgleiche Erklärung gelten: „Allen Bildungsanstalten, Museen, Bibliotheken, Theatern, Lichtspielen wird treueste Pflege gewidmet, dem ganzen Volke sollen sie zugänglich gemacht werden".34 Haenischs Ende November 1918 formuliertes Plädoyer für Sonderausstellungen, das er mit dem Ziel verband, „die künstlerische Erbauung und Erziehung des Volkes wirksamer als bisher zu fördern",35 deutet ebenfalls in diese Richtung. Darüber hinaus wurden in Haenischs unmittelbarem Umfeld Stimmen laut, die eine Popularisierung der Museen forderten. So führte Lothar Brieger, der Kunstkritiker der Glocke, Mitte November 1918 gegenüber dem neuen Minister aus: „das Kunstinter[e]sse des Volkes [muß] durch Massenführungen in einem ganz anderen Grade als bisher (auch durch Massenvorträge) gehoben und belebt werden [...] Es will mir viel gewonnen scheinen, wenn die sociale Republik auch e[i]ne Volksbildungsrepublik wird. Arbeiten wir nicht rechtzeitig in der Richtung dieser Fragen, [...] so laufen wir [...] Gefahr, [...] mit ihrer Lösung zu spät zu kommen." 36 Haenischs Vertrauter Heinrich Cunow trat zudem für eine Neuordnung der Museen, neue Inszenierungsformen, eine Trennung in Schau- und Studiensammlung sowie für Führungen, Vorträge und Sonderausstellungen ein.37 Solche Uberlegungen wie allgemeinere Appelle für eine Museumsreform38 werden den Minister nicht unbeeinflußt gelassen haben. Zudem ist auch bei einigen Mitarbeitern der Kunstabteilung von einem Popularisierungsinteresse auszugehen. So hatte Trendelenburg 1903 an der Mannheimer Museumstagung teilgenommen und war dort für eine pädagogisch durchdachte Kunstvermittlung mittels Führungen eingetreten.39 Und auch Pallat kann als ein klarer Befürworter der Museumsreform gelten, seitdem er sich 1906 ausführlich mit Geschichte und Gegenwart von Museen auseinandergesetzt und hier in fortschrittlichem Sinne zu den
31 Vgl. Protokoll Museumsbaukommission, 9.4.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 32 Vgl. dazu auch Joachimides 2001, S. 187 u. 190 f. In Neue Sachlichkeit 1994, S. 61 f wird vor diesem Hintergrund sogar vermutet, die Valentiner-Schrift sei im Ministerium für den Arbeitsrat erarbeitet worden. 33 5 T , J g . 47, Nr. 613, 30.11.1918. 34 Hoffmann 1918. 35 Haenisch 1919 b, S. 22. 36 Lothar Brieger an Haenisch, 12.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 22-23. 37 Heinrich Cunow: Volksmuseen,
in: Die Neue Zeit, Jg. 37/1, Nr. 12,20.12.1918, S. 280-285.
38 Vgl. ζ. B. Rudolf Bauer an Haenisch, 12.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 9 - 1 0 . 39 Vgl. Museen als Volksbildungsstätten 1904, S. 167.
II. Neuorientierung
46
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
aktuellen Reformbestrebungen Stellung bezogen hatte. 40 Nachdrücklich war er dabei für 1918 konsensfähige Forderungen wie die nach der Trennung von Schau- und Studiensammlung, Raumklärung und neuen, konzentrierteren Inszenierungsstrategien, Sonderausstellungen und publikumsorientierten Führungen eingetreten. 41 Und mehr noch: Indem er sich, zwar noch mit Respekt vor Bodes Kaiser-Friedrich-Museum, aber doch unmißverständlich gegen dessen Stilraumprinzip aussprach 42 und sich zugleich als Anhänger Lichtwarks und dessen ,,künstlerische[r] Erziehung des Publikums" bekannte, 43 hatte sich Pallat bereits damals auf die Seite der jüngeren Museumsreformer gestellt. Mithin erscheint es nur folgerichtig, daß das Kultusministerium, als ihm die ValentinerSchrift Ende 1918 vorgelegt wurde, offenbar längst erste Popularisierungsmaßnahmen eingeleitet hatte. Zwar sind konkrete Verfügungen nicht überliefert, Schilderungen von Museumsbeamten enthalten jedoch klare Hinweise in diese Richtung. So gab Bode 1919 an, der Minister habe gleich bei seinem Amtsantritt darauf hingewirkt, mehr Führungen als bisher durch die Kunstsammlungen zu veranstalten. 44 Daneben legen Briefe Bodes aus den Weihnachtstagen 1918 nahe, daß das Ministerium in Übereinstimmung mit Forderungen des Vorwärts45 zuvor die Weisung ausgegeben hatte, die Öffnungszeiten der Museen zu erweitern. 46 Und auch Hermann Schmitz, damals Kustos am Kunstgewerbemuseum und selbst ein Verfechter von US-orientierten Volksbildungsideen, 47 erinnerte sich später daran, wie betroffen die mit der Volksbildungsarbeit vertrauten Fachleute „auf die bald nach dem 9. November aus dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Umlauf gesetzten Erlasse der jungen Sachbearbeiter [reagierten], in denen wir über die Neuaufstellung der Sammlungen im Geiste der,neuen Schaubarkeit', allgemein verständlicher Erläuterung und volkstümlicher Propaganda unter Hinweis darauf belehrt wurden, daß die Öffentlichkeit seit dem 9. November mit anderen Augen in die Museen blicke als vorher." 4 8
40 Pallat 1906. 41 Ebd., S. 362 fu. 365. 42 Dazu hieß es ebd., S. 362: „Neuerdings sucht man künstlich die alte Stimmung wiederherzustellen, indem man stilechte Ensembles schafft und in diese Bilder und Statuen einordnet. [...] Das einzelne Kunstwerk läuft dabei Gefahr, zum bloßen Dekorationsstück erniedrigt zu werden; und das Publikum, das dafür gewonnen werden soll, geht vorbei und sagt sich weise: ,das ist romanisch, das ist gotisch, das ist barock' usw. [...] Im Kaiser Friedrich-Museum in Berlin lassen die mit Geschmack und Zurückhaltung verteilten Möbel die Zeitbestimmung nur leise anklingen." Vgl. dazu auch ebd., S. 361. 43 Ebd., S. 364. 44 Vgl. Bode, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1822 f; siehe dazu auch Haenisch 1921, S. 159. 45 Vgl. Wiedereröffnung
der Berliner Museen, in: BT, Jg. 47, Nr. 611, 18.11.1918, S. 2; Die Museen
auf!, in: Vorwärts, Jg. 35, Nr. 329, 30.11.1918; 5 T , J g . 47, Nr. 616, 2.12.1918, S. 2. 46 Vgl. Bode an Haenisch, 24.12.1918, hs. u. Bode an Haenisch, 26.12.1918, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 34, Bl. 2 - 3 u. 5 - 6 ; zu den konkreten Öffnungszeiten vgl. BT, Jg. 47, Nr. 616, 2.12.1918, S. 2; Nr. 654, 23.12.1918, S. 2; Jg. 48, Nr. 443, 20.9.1919, S. 3; Jg. 49, Nr. 175, 16.4.1920; Poll / Rückert 1991, S. 31. 47 Vgl. Poll / Rückert, S. 33; Wer ist's? 1928, S. 1382; Schmitz 1931, S. 42. 48 Schmitz 1931, S. 98.
3. Einleitung längerfristiger
Reformen:
Museen
47
Das Ressort ließ sich also offensichtlich sehr schnell auf die mit der Integration von Kunstmuseen in schichtenübergreifende Bildungskonzepte zusammenhängende Forderung nach einer Popularisierung der Kunstsammlungen ein. Es stellte sich damit auf die Seite derer, die schon in der kaiserzeitlichen Museumsreformdebatte für die Volksbildungsidee eingetreten waren. Erstmals wurde so den bewußt auch auf die Arbeiterschaft zielenden Volksbildungsbestrebungen, die trotz zunehmender Präsenz in der Fachdiskussion vor 1914 faktisch noch immer eine Minderheitenposition darstellten,49 offizielle staatliche Anerkennung und Förderung zuteil. Die Stellungnahmen und Aktivitäten des Ministeriums in diesem Sinne blieben in der ersten Zeit nach dem politischen Umbruch allerdings noch allgemein und auf Maßnahmen wie Führungen oder Öffnungszeiten beschränkt. Hier wie mit der Erhebung der „neuen Schaubarkeit" zum Maßstab setzte das Ressort zwar Schwerpunkte, die den fortschrittlichen Charakter seiner Politik unterstrichen. Auf die weitaus differenziertere Diskussion um eine moderne Museumsgestaltung ließ es sich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht ein. Allzu sehr beherrschte nach dem 9. November zunächst ein anderes Thema die Museumspolitik: der Schutz der während der Unruhen 1918/19 gefährdeten Gebäude und Bestände der Berliner Museen. Nachdem die Königlichen Museen Preußens sofort nach Abdankung des Kaisers in Staatliche Museen umgewandelt worden waren,50 sah sich das Ressort besonders im Kontext der Matrosenbelagerung und der gewaltsamen Stürmung des Berliner Schlosses, die die Museumsinsel Ende 1918 ins Zentrum blutiger Konflikte rückten,51 in der Verantwortung. Bode erinnerte sich zwar 1922 daran, daß er am 9. November 1918 vergeblich bei Haenisch um Schutz für die Museen nachgesucht habe, daß er erst bei Rosa Luxemburg, an die ihn Haenisch verwiesen habe, Gehör gefunden hätte und daß es Luxemburg gewesen sei, die die Aufstellung von Wachen veranlaßt habe.52 Diese Schilderung ist aber wegen des frühen Datums, auf das sie sich bezieht - Haenisch wurde erst am 12. November Minister - , und wegen des Zeitpunkts ihrer Veröffentlichung 53 fragwürdig und erscheint daher wenig aussagekräftig. Belegbar ist hingegen: Als sich Meldungen über Museumsplünderungen mehrten und sich die Gefahr mit der Demobilisierung noch verschärfte, reichte das Kultusministerium am 16. November 1918 ein wohl von ihm verfaßtes Schreiben an das Kriegsministerium weiter, in dem es mit dem Argument „Die deutsche Republik hat ein drin-
49 Vgl. Joachimides 2001, S. 188 ; Pallai 1959, S. 279-281. 50 Wie Petras 1987, S. 152 vermutet, erfolgte dies auf der Grundlage eines Ministerialerlasses vom 12.11.1918. 51 Vgl. Watzinger 1944, S. 342-345; Schmitz 1931, S. 5 9 - 7 0 ; Petras 1987, S. 152; zu den weniger gravierenden Folgen der Novemberunruhen für die Museen vgl. BT, Jg. 47, Nr. 586, 15.11.1918, S. 2; Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 6, 22.11.1918, S. 119; W. d. KH.,]S.
18, Nr. 9 , 2 5 . 1 1 . 1 9 1 8 , S. 60; Bode-Memoi-
ren 1997, Bd. 1, S. 410 f. 52 Vgl. Bode: Die Berliner Museen während der Umsturztage,
in: Voss. Ztg., 10.1.1922, in: SMBPK /
ZA, Nachlaß Bode, Nr. 402; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 416; Lange 1987, S. 100; Ohlsen 1995, S. 286. 53 Als Bode Anfang 1922 über die Episode öffentlich berichtete, war ihm eine Spitze gegen das Ministerium und seine Museumspolitik äußerst willkommen (siehe Kap. III. 4.1.).
II. Neuorientierung
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der ministeriellen Kunstpolitik
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gendes Interesse daran, daß der nationale Kunstbesitz dem Volke in vollem Umfange unversehrt erhalten bleibt", forderte, sämtliche Kommandostellen anzuweisen, für ausreichenden Schutz aller öffentlichen und privaten Kunstsammlungen zu sorgen.54 In Absprache mit den Arbeiter- und Soldatenräten wurden dann tatsächlich Wachen zum Schutz der Berliner Museen abgestellt.55 An den Eingangstüren des Alten Museums angebrachte rote Plakate mit der Aufschrift „Nationaleigentum"56, die die Argumentation vom 16. November spiegelten, können in diesem Zusammenhang als Versuch gewertet werden, ein Bewußtsein für den veränderten Status der Museen zu vermitteln und sie so zumindest vor Zerstörungen zu bewahren, die durch die bisherige Bindung der Sammlungen an die Monarchie motiviert waren. Die Vorstellung vom Gemeingut, die sich an die Museen knüpfte, korrelierte dabei mit den Popularisierungsabsichten des Ministeriums. Die Aussage vom 16. November 1918, daß „schleunigstes Eingreifen [..] im Interesse des Ansehens der neuen Regierung dringend geboten" erscheine, deutet aber noch eine weitere Motivlage an: Vor dem Hintergrund des Mißtrauens, das der linken, vermeintlich auch im Kunstbereich radikalen Regierung aus konservativen Kreisen entgegengebracht wurde, begriff das Kultusministerium seinen Einsatz für den Museumsschutz offenbar auch als Chance, dem Vorurteil sozialistischer Kulturlosigkeit zu begegnen und sich so quasi selbst als ernst zu nehmende Kulturbehörde zu legitimieren. Förderlich in diesem Sinne waren nicht zuletzt Presseberichte wie ein Artikel im Berliner Tageblatt, durch den - eventuell auf Basis ressorteigener Informationen - verbreitet wurde: „Das preußische Kultusministerium betreibt energisch den Schutz der Kunstsammlungen."57 Die unsichere Lage der Staatsmuseen nahm wahrscheinlich auch Einfluß auf die Entscheidung des Kultusministeriums, nach dem Umsturz auf tiefgreifende Personalveränderungen bei den Museen zu verzichten. Entsprechend der im Ressort selbst üblichen Praxis und dem gemäßigten Anspruch des Ministeriums wurden statt dessen führende Museumsbeamte der Kaiserzeit bewußt in ihren Stellungen belassen. So behielten Nationalgaleriedirektor Justi oder der Leiter der Antikensammlungen Theodor Wiegand, die dem wilhelminischen System eng verbunden waren, ihre Ämter. Und auch Bode wurde bald nach dem 9. November 1918 von Hoffmann in seiner Position als Generaldirektor der Staatlichen Museen bestätigt.58 Zwar hatte Bode, dessen Name wie kein zweiter mit dem Aufschwung der Berliner Museen in der Kaiserzeit verwoben war, wohl in Erwartung einer entschlosseneren Politik des linken Ministeriums gerade ihm, dem „Bismarck der Museen",59 gegenüber,
54 Abschr. KM an Kriegsministerium, 16.11.1918, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 56; siehe dazu auch Abschr. Verfügung [KM?], Nov. 1918, ms. in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 56. 55 Vgl. Petras 1987, S. 152. Ergänzend blieben allerdings individuelle Maßnahmen der Museumsmitarbeiter nötig, vgl. Watzinger 1944, S. 342-344. 56 Vgl. ebd., S. 342; siehe auch Petras 1987, S. 152. 57 Schutz der Kunstsammlungen,
in: BT, Jg. 47, Nr. 591, 18.11.1918, S. 3. Einen Einfluß des Ressorts
legt der sonstige Artikelinhalt nahe, in dem es u. a. um interne Ministeriumspläne geht. 58 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 415; Weinstein 1990, S. 38 f; Schmitz 1931, S. 50 f; Otto 1995, S. 42. 59 So z.B. Scheffler 1921, S. 52; Scheffler 1946, S. 230; Hammer 1980, S. 270; Waetzoldt 1995, S. 56.
3. Einleitung längerfristiger
Reformen:
Museen
49
zunächst sein Amt freiwillig zur Verfügung stellen wollen. Hoffmann hatte ihn aber daraufhin gebeten, im Amt zu bleiben.60 Laut Bode begründete der Minister seine Entscheidung: „,Sie glauben gar nicht [...] [,] welches Rennen nach Ihren Museumsämtern ist. Täglich melden sich verschiedene Herren, die erklären, daß nur die Tyrannei Wilhelms sie zurückgehalten habe, in dem freien Deutschland wollten sie aber ihre Kräfte gern zur Verfügung stellen. Wenn ich soweit gelesen habe, sehe ich mir am Schluß noch den Namen an, und dann lege ich den Brief auf den Haufen der anderen Bewerbungen und denke mir: schimpfst du so auf deine alte Regierung, so betrügst du auch die neue.'" 6 1 Schenkt man Bode Glauben, setzte Hoffmann also - den Museumserneuerern, die sich der Regierung andienten, mit Mißtrauen begegnend oder schlicht vor ihnen kapitulierend bewußt auf Bode und die etablierten Mitarbeiter der Sammlungen.62 Daß der im November 1918 bereits 73jährige, kränkelnde Generaldirektor, der aus seiner Ablehnung der nachimpressionistischen Kunst keinen Hehl machte,63 keineswegs den Vorstellungen der revolutionären Künstlergruppen entsprach, wurde dabei ebenso in Kauf genommen wie Bodes Argwohn gegenüber den neuen politischen Handlungsträgern und deren Popularisierungsinteressen.64 Im Vordergrund für das Ressort stand offenbar die Fortsetzung der anerkannten sachlichen Arbeit der Museen. Ausschlaggebend besonders für Haenisch und Becker war in diesem Zusammenhang sicher nicht zuletzt das nationale wie internationale Renommee, das gerade Bode genoß.65 Ende 1918 - zu einer Zeit, in der neue museale Konzepte deutlich über Bodes älteres Inszenierungsmodell und die Konzentration auf ein bürgerliches Publikum hinausgingen - stellte das Ministerium mit dem Festhalten an den alten Beamten die personalpolitischen Weichen bei den Museen Richtung Kontinuität. Die Chance, durch Austausch der Protagonisten einen Bruch mit der wilhelminischen Ära zu markieren, wurde damit vertan. Faktisch blieb das Ministerium so, ähnlich wie es bei der Orientierung der SPD am bürgerlichen Kulturgut vor 1914 der Fall gewesen war (siehe Kap. II. 2.), der etablierten bürgerlichen Vorstellung vom Kunstmuseum verpflichtet, während es sich gleichzeitig um eine Museumsöffnung für das proletarische und kleinbürgerliche Publikum bemühte. 60 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 415; Petras 1987, S. 152; Ohlsen 1995, S. 287. 61 Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 415. 62 Vgl. dazu auch Scheffler 1946, S. 230: „Bode sagte ihm [Hoffmann], er teile die politischen Ansichten des Ministers nicht, dieses brauche ja aber die sachliche Museumsarbeit nicht zu stören. Hoffmann war verständig genug zu erwidern, diese Haltung sei ihm lieber als das Auftreten der Vielen, die nun plötzlich ihr sozialdemokratisches H e r z entdeckt hätten". 63 Vgl. Bode als Zeitgenosse der Kunst 1995, S. VII; Schuster 1995, bes. S. 2 2 - 2 9 ; [Bode]: Zur rung der deutschen
Förde-
Kunst, abgedruckt in: Bode als Zeitgenosse der Kunst 1995, S. 8 7 - 9 4 ; Maaz
1995, S. 139 f, 142 u. 144; Bernau 1995 b; Knopp 1995, S. 20; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 413 u. Bd. 2, S. 366; Wilhelm von Bode: Von der Großmannssucht
in der deutschen
Kunst, in: Ku. u. Kit.,
Jg. 19, Nr. 4, Jan. 1921, S. 1 4 0 - 1 4 5 ; siehe dazu auch F. Winkler: Cui bono? Ein Angriff Ku.chr.,
Jg. 5 4 / 1 , Nr. 9, 1 3 . 1 2 . 1 9 1 8 , S. 1 7 5 - 1 7 7 ; Paul Westheim: Die Museen
auf Bode, in:
und die Kunst, in:
Ku.hl., Jg. 3 , 1 9 1 9 , S. 2 - 1 3 . 64 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 4 0 8 - 4 1 1 u. 4 1 4 - 4 1 7 ; Knopp 1995, S. 20; Ohlsen 1995, S. 285 f. 65 Zur ministeriellen Anerkennung für Bode vgl. z . B . Rede Becker, 15.11.[1919], ms., in: GStA P K , I. H A Rep. 92 Nl. C . H . B e c k e r , Nr. 6782; zur Rolle Bodes siehe u.a. Gaehtgens 1997, S. I X - X I I I ; Zimmer 1995, bes. S. 97 f u. 100.
50
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
Die personalpolitisch zurückhaltende Grundtendenz des Ministeriums Haenisch wurde auch über die Revolutionszeit hinaus beibehalten. 66 Zwar gab es Entwicklungen wie die nach 1918 noch verstärkte Profilierung Justis als moderner Galeriedirektor (siehe Kap. II. 4.1.) und Neuanstellungen wie die des Haenisch-Freundes Cunow im Völkerkundemuseum im Frühsommer 1919, 6 7 die die Personalpolitik des Ressorts in ein innovativeres Licht rückten. Und auch bei den Ankaufskommissionen der Museen zeichneten sich Ansätze des Wandels ab (siehe Kap. II. 4.1.). Allerdings zeigten diese Veränderungen kaum Wirkung, da sie nicht im großen Maßstab vorgenommen wurden und Erwerbungen wegen der beschränkten Ankaufsetats ohnehin selten waren 6 8 . Insgesamt blieb statt dessen zunächst der Kurs, an den Museumsleuten der Kaiserzeit und damit am System Bode festzuhalten, maßgeblich. Daran änderte sich letztlich auch dadurch kaum etwas, daß Bode, nachdem er aus Gesundheitsgründen um Verabschiedung in den Ruhestand gebeten hatte, 69 zum 1. Oktober 1920 auf Basis des neuen Beamtengesetzes pensioniert wurde. 70 Auch wenn Haenisch den Wechsel von Bode zu Otto von Falke als Generaldirektor später zu den wichtigen Neuerungen seiner Amtszeit bei den Museen zählte, 71 stellte der Wechsel doch keinen wirklichen Neubeginn dar.72 Zum einen blieb Bodes Einfluß nämlich dadurch gewahrt, daß der frühere Generaldirektor mit Zustimmung des Ministeriums auch nach seiner Pensionierung
66 Siehe dazu auch Hammer 1980, S. 276. 67 Vgl. Heinrich Ströbel: Herausforderungen, in: Weltb., Jg. 15/1, Nr. 16,10.4.1919, S. 397-403; siehe dazu auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 2, S. 380; Heinrich Cunow: Volksmuseen, in: Die Neue Zeit, Jg. 37/1, Nr. 12, 20.12.1918, S. 280-285; Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807. 68 Vgl. LV, Dr. 1329, S. 1804 u. 1825f; Haenisch 1920 a, S. 32; Zuschrift Bode zu Die Not der deutschen Künstler. Eine Umfrage, in: Berliner Lokalanzeiger, Abendausg., 10.3.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 241; Bode: Probleme des modernen Museums, in: Voss. Ztg., 28.8.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 399. 69 Vgl. Nentwig an Bode, 13.7.1920, hs. u. Nentwig an Bode, 20.7.1920, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Nentwig; Bode an Haenisch, 16.7.1920, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 34, Bl. 11; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 417 f u. 449 u. Bd. 2, S. 370; Wilhelm v. Bodes Rücktrittt?, in: W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 41,19.7.1920, S. 295 f; Theodor-Wilhelm Danzel: Aufgaben des Berliner Völkerkundemuseums, in: BT, Jg. 50, Nr. 41, 26.1.1921. 70 Vgl. Ein neuer Generaldirektor der staatlichen Museen, in: BT, Jg. 49, Nr. 313, 6.7.1920; Fritz Stahl: Wilhelm v. Bode, in: BT, Jg. 49, Nr. 317, 8.7.1920; Fritz Stahl: Die Berliner Museen, in: BT, Jg. 49, Nr. 342, 23.7.1920; Der Wechsel in der Generaldirektion der Museen, in: BT, Jg. 49, Nr. 459, 29.9.1920; Germania, Jg. 50, Nr. 498,12.11.1920, S. 2 f; Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 12, 17.12.1920, S. 230; Mus.kun., Jg. 16, Nr. 1, April 1921, S. 40; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 449 u. Bd. 2, S. 370; Watzinger 1944, S. 352; Ohlsen 1995, S. 290. 71 Vgl. Haenisch 1921, S. 153. 72 Von Falkes Berufung brachte allenfalls Akzentverschiebungen mit sich: Durch seinen Bezug zum Kunstgewerbemuseum kam von Falke zeitgenössischen Forderungen nach einer Intensivierung des Verhältnisses von Kunst und Kunstgewerbe (siehe Kap. II. 3.2.) entgegen. Zudem hatte er in Auseinandersetzung mit Valentiner das Stilraumkonzept in Frage gestellt, vgl. Otto von Falke: Die Umgestaltung der Museen im Sinne der neuen Zeit, in: Ku. u. Kü., Jg. 17, Nr. 8, Mai 1919, S. 334336; siehe dazu auch Germania, Jg. 50, Nr. 498,12.11.1920, S. 2 f.
3. Einleitung
längerfristiger
Reformen:
Museen
51
als kommissarischer Leiter des Kaiser-Friedrich-Museums und Vorsitzender der Museumsbaukommission fungierte. 73 Zum anderen rückte mit von Falke ein zurückhaltend agierender, auf Bodes Wunsch ernannter Fachwissenschaftler 74 zum Generaldirektor auf, der sich, in erster Linie auf das von ihm geleitete Kunstgewerbemuseum konzentriert, seinem Vorgänger keinesfalls entgegenstellen würde. 75 Als treibende Kraft im Kultusministerium, was die Durchsetzung von Falkes als BodeNachfolger angeht, erweist sich bezeichnenderweise der konservative Abteilungsdirektor Nentwig. Zumal von Becker zumindest laut Bode auch ganz andere Möglichkeiten in Bezug auf die Nachfolgefrage bis hin zur Abschaffung des Generaldirektorpostens erwogen wurden, 76 konnte Nentwig dabei noch im Sommer 1920 keineswegs davon ausgehen, daß Haenisch die von ihm und Bode favorisierte, in Teilen der Presse aber als Schritt in die falsche Richtung attackierte Ernennung von Falkes mittragen würde. Mit der Bitte, Bode möge sein Ruhestandsgesuch umgehend einreichen, schrieb Nentwig am 13. Juli 1920 an den scheidenden Generaldirektor: „Ich bin [..] immer in Sorge, daß der Berufung von Herrn v. Falke sich noch Schwierigkeiten erwachsen. In gewissen Zeitungen wird [...] immer noch dagegen geknurrt und ich bin nicht sicher, daß wir nicht doch noch Gunstschreibereien kriegen, die den Minister in eine schwierige Lage bringen. Sie wissen, er ist kein Mann in Kürassierstiefeln. Deshalb werde ich erst ruhig sein, wenn er Herrn v. Falkes Ernennung unterschrieben hat." 7 7 Bode folgte Nentwigs Rat, schnell zu handeln, und legte Haenisch wenig später sein Abschiedsgesuch vor.78 Am 20. Juli 1920 berichtete Nentwig, Haenisch habe das Gesuch in den Geschäftsgang gegeben. 79 Wie der Entscheidungsprozeß im Ministerium genau ablief, ist nicht rekonstruierbar. Fest steht aber: Im Endeffekt setzte sich die konservativere Fraktion in der Kunstabteilung durch, und Haenisch stellte sich hinter sie.80 Auf die etwa von Stahl geäußerte Kritik an der Nachfolgeregelung im Sinne Bodes sowie daran, daß der Generaldirektor weiterhin Samm-
73 Vgl. Abschr. Rundbrief Falke, 3.12.1920, ms., in: SMBPK / ZA, I Β V, Nr. 328, Bl. 99; Falke, 30.11./ 3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7288 f; Falke in: Beri. Mus., Jg. 42, Nr. 3/4, Dez. 1920/Jan. 1921, S. 47 f.
74 Vgl. dazu Ein neuer Generaldirektor der staatlichen Museen, in: BT, Jg. 49, Nr. 313, 6.7.1920; "Wilhelm v. Bodes Rücktrittin: W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 41, 19.7.1920, S. 295 f. 75 Vgl. Falke in: Beri. Mus., Jg. 42, Nr. 3/4, Dez. 1920/Jan. 1921, S. 47 f; Otto von Falke: Die
gestaltung
76
77 78 79 80
Um-
der Museen im Sinne der neuen Zeit, in: Ku. u. Kü., Jg. 17, Nr. 8, Mai 1919, S. 334-336;
Ohlsen 1995, S. 293; Watzinger 1944, S. 351 f; siehe dazu auch die symptomatische Formulierung bei Eggeling 1991, S. 19, von Falke sei von Bode zum Nachfolger ernannt worden; vgl. auch Ohlsen 1995, S. 290 f u. 293. Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 425 f. Ob diese Schilderung in jedem Detail den Tatsachen entspricht, ist angesichts der Differenzen zwischen Bode und Becker in der Entstehungszeit der Memoiren fraglich. Gleichwohl kann sie zumindest als Hinweis gewertet werden. Nentwig an Bode, 13.7.1920, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Nentwig. Bode an Haenisch, 16.7.1920, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 34, Bl. 11. Nentwig an Bode, 20.7.1920, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Nentwig. Zu Haenischs positiver Haltung zu Bode vgl. Der Wechsel in der Generaldirektion der Museen, in: BT, Jg. 49, Nr. 459, 29.9.1920. Offensichtlich paßte sich Becker dem zunächst noch an, vgl. BodeMemoiren 1997, Bd. 1, S. 425 f.
52
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
lungsleiter blieb und sich die Museumsleiter generell unaufgeschlossen für die Popularisierung zeigten,81 ging das Ressort hingegen nicht ein. Auch blieb die in der Werkstatt der Kunst angedeutete Absicht des Ministeriums unrealisiert, „dem neuen Generaldirektor eine jüngere Kraft zur Seite zu stellen, deren Amt es sein soll, die Nutzbarmachung der Museumskräfte für weite Kreise des Volkes systematisch auszubauen." 82 Ob solche Überlegungen, in deren Kontext der Name des Kunsthistorikers Gustav Hartlaub genannt wurde,83 tatsächlich im Ressort angestellt wurden - immerhin legt Nentwigs Brief an Bode ja durchaus nahe, daß man sich auf Ministerebene auch anders hätte entscheiden können oder ob die Presse hier lediglich Gerüchte kolportierte, die zur Offenheit des Ministeriums gegenüber den Popularisierungsabsichten zu passen schienen, läßt sich nicht mehr nachweisen. Immerhin aber deutet sich mit dem nicht realisierten Plan an, wie ein Alternativmodell zur Fortsetzung des Systems Bode hätte aussehen können. Unter Haenisch konnten sich in der Personalpolitik im Museumsbereich zunächst noch die älteren Kunstabteilungsbeamten durchsetzen, während mit den Popularisierungsbestrebungen zwar bereits neue inhaltliche Schwerpunkte von der Ressortleitung vorgegeben wurden, diese aber noch nicht bis in die gesamte Museumspolitik hinein wirksam wurden. Ausschlaggebend für den nach wie vor großen Einfluß der konservativen Beamten in Personalfragen war vermutlich, daß gerade solche Fragen bei der Führung des Ressorts noch nicht vorhandene spezielle Einblicke und Beziehungen erforderten, sowie vor allem, daß die Sozialdemokratie nach 1918 Kontinuitätsentscheidungen in Personalfragen bewußt guthieß. Konkret war zudem wichtig, daß der erst im Frühsommer 1920 mit Museumsfragen betraute junge Referent Gall unter Haenisch noch nicht in der Position war, Nentwigs Vorstellungen zuwiderlaufende Neuerungen durchzusetzen. Diese Rollenverteilung im Hintergrund liefert letztlich den entscheidenden Erklärungsansatz für die Diskrepanz zwischen der konservativen Personalpolitik und der aufgeschlossenen Haltung des Ministeriums, was die Museumsöffnung betrifft. Nachdem Ende 1918 vom Ressort erste Weichen in Richtung Popularisierung gestellt worden waren, intensivierte sich die Diskussion um die Neugestaltung und gesellschaftliche Relevanz der Museen seit dem Frühjahr 1919 noch einmal. Als Katalysatoren wirkten die Veröffentlichung der Valentiner-Schrift, die Kritik, die sich an ihr entzündete, und die Anregungen, die dennoch von ihr ausgingen.84 Veranlaßt auch dadurch, daß im Anhang der publizierten Valentiner-Schrift vier weitere von Karl Ernst Osthaus, Paul Zucker,
81 Vgl. Fritz Stahl: Die Berliner Museen, in: BT, Jg. 49, Nr. 342, 23.7.1920; siehe auch schon Fritz Stahl: Wilhelm v. Bode, in: BT, Jg. 49, Nr. 317, 8.7.1920. 82 Wilhelm v. Bodes Rücktritttf, in: W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 41, 19.7.1920, S. 295 f, S. 296; Fritz Stahl: Die Berliner Museen, in: BT, Jg. 49, Nr. 342, 23.7.1920; siehe dazu später ähnlich auch Wilhelm von Bode: Die Entwicklung der Museumsbauten für Kunst- und Kultur-Sammlungen
in Deutsch-
land, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Okt.-Nr. 1925, S. 49-52. 83 Vgl. Wilhelm v. Bodes Rücktritte,
in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 41, 19.7.1920, S. 295 f, S. 296; zur
Bedeutung Hartlaubs vgl. Hille 1992. 84 Vgl. auch Otto Lauffer: Die Aufgaben der Museen in der neuen Zeit, in: Grenzboten, Jg. 78, 1919, S. 241-247; Das Museum der Zukunft, in: Cie., Jg. 13, Nr. 6, März 1921, S. 186 f.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Museen
53
Otto Grautoff und Paul F. Schmidt verfaßte Texte schichtenübergreifende Kunstvermittlungsmodelle vorstellten, 85 rückten nun die Gegenwartsperspektive und der Aspekt der Volksbildung durch Kunstmuseen verstärkt in den Mittelpunkt. Die zunächst in Fachkreisen, bald aber auch allgemein geführte Diskussion zeichnete sich dadurch aus, daß sie auf differenziertere Weise als in der unmittelbaren Revolutionszeit eine ausgeprägt politisch-gesellschaftliche Dimension annahm. Anknüpfend an das Engagement seiner Initiatoren, der Museumsleiter Gustav Pauli, Karl Koetschau und Georg Swarzenski, für die Volksbildungsbewegung entwickelte sich in diesem Kontext besonders der 1917 gegründete Deutsche Museumsbund zum Sprachrohr der Forderung, der republikanische Staat müsse die demokratische Öffnung der Museen für ein breites Publikum aktiv betreiben. 86 Im Laufe der Diskussion wurde Bodes älteres Inszenierungsmodell endgültig als überholt verworfen, während Tschudis, Justis und Posses Praxis als zeitgemäß galt und das Ideal der Autonomie des Kunstwerkes und der Ateliersimulation ins Zentrum rückte. 87 Der Autonomiegedanke wurde dabei als Argument sowohl für eine moderne Ausstellungsgestaltung als auch von konservativen Gegnern der Volksbildung gegen eine politische Instrumentalisierung der Museen durch den Staat genutzt.88 Trotz der Skepsis, die in diesem Zusammenhang von von Falke, Curt Glaser und Fürsprechern eines staatsfernen Kunstverständnisses im Sinne Schefflers artikuliert wurde,89 setzte sich 1919/20 als Folge der Diskussion die Nutzbarmachung der Museen für alle Schichten als konsensfähiges Ziel durch. Als geeignete Mittel, um diesem Ziel näher zu kommen, wurden in der liberalen und linken Presse sowie in Fachorganen, 90 aber auch von Vertretern linker wie rechter Parteien 91 mittlerweile allgemein die Trennung von Schau- und Studiensammlung, längere Öffnungszeiten, Führungen, Kataloge, Vorträge und Sonderausstellungen angesehen. Wicherts Akti-
85 Vgl. dazu auch Ludwig Justi: Valentiners Vorschläge zur Umgestaltung der Museen, in: ZSfür bild. Jg. 54, 1919, S. 190-200; Howoldt 1982, S. 126. 86 Vgl. Joachimides 2001, S. 188 u. 215-220; Flacke-Knoch 1985, S. 16; siehe auch Emil Waldmann: Organisation im Museumswesen,
in: Ku.u.Kii.,
Jg. 16, Nr. 1, Okt. 1917, S. 3 - 5 ; Deutscher
Mu-
seumsbund, in: Ku. u. KU., Jg. 18, Nr. 12, Aug. 1920, S. 546-549; Kunst und Revolution, in: BT, Jg. 48, Nr. 26, 22.1.1919, S. 2. 87 Vgl. Joachimides 2001, S. 187-190 u. 193. 88 Vgl. ebd., S. 194 f. 89 Vgl. dazu etwa Bode: Probleme des modernen Museums, in: Voss. Ztg., 28.8.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 399; Max J. Friedländer: Von der Nutzbarmachung
der Museen, in: Ku.wan.,
Jg. 2, 1. Sept.-Nr. 1920, S. 1 f; Otto von Falke: Die Umgestaltung der Museen im Sinne der neuen Zeit, in: Ku. u. KU., Jg. 17, Nr. 8, Mai 1919, S. 334-336; Scheffler 1946, S. 223 f. 90 Vgl. z.B. Max Osborn: Neue Kunstpolitik, in: Voss. Ztg., Nr. 161, 28.3.1919; Otto Lauffer: Die Aufgaben
der Museen in der neuen Zeit, in: Grenzboten,
Jg. 78, 1919, S. 241-247; Alfred Kuhn:
Popularisierung der Museen, in: Voss. Ztg., Nr. 328, 1.7.1919; John Schikowski: Die
öffentlichen
Kunstsammlungen
im Volksstaat, in: Die Neue Zeit, Jg. 37/2, Nr. 15, Juli 1919, S. 356-361; O.Wulff:
Lehrsammlungen,
eine Neuaufgabe
unserer Museen, in: Mus.kun., Jg. 15, Nr. 3/4, Juli 1920, S. 121-
147; Alfred Kuhn: Aufgaben der Museen in der Gegenwart (Fortsetzung), in: Mus.kun, Jg. 16, Nr. 1, April 1921, S. 26-38. 91 Vgl. LV, Dr. 1329, S. 1809, 1814 f u. 1820; LV, Prot., Sp. 7319-7321 u. 7334 f.
II. Neuorientierung
54
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
vitäten in Mannheim galten vielen Befürwortern als vorbildlich.92 Überdies wurde die Dezentralisierung des Museumsbesitzes zur gängigen Popularisierungsidee.93 Museumspolitische Modernität mußte sich in der Folgezeit, als immer mehr Museen tatsächlich umgestaltet wurden,94 an diesem Grundkonsens messen lassen. Die Diskussion ging jedoch noch einen Schritt weiter, indem sie die Frage nach der spezifischen Rolle von Kunstmuseen in der jungen Republik stellte.95 Osthaus, der 1903 auf der Mannheimer Tagung noch für eine Anleitung der Masse zum passiven Kunstgenuß eingetreten war,96 hatte sich in seinem im Anhang der Valentiner-Schrift gedruckten Text bereits Ende 1918 mit dieser Frage beschäftigt. Davon ausgehend, eine Gemeinschaft stehe um so höher je größer die Teilhabe an der Kunst sei, hatte er hier den enormen Einfluß einer Beschäftigung mit Kunst auf Charakterbildung und Urteilsfähigkeit sowie die Mittlerrolle des Kunstmuseums betont. Da er die eigenständige Urteilsfähigkeit aber speziell in der Demokratie für unabdingbar hielt, hatte er damit das Museum zur für den republikanischen Staat grundlegenden Bildungseinrichtung erhoben. 97 In eine ähnliche Richtung deutete die 1919 vom Deutschen Museumsbund herausgegebene Publikation Die Kunstmuseen und das deutsche Volk, die Überlegungen jüngerer Museumsreformer wie Pauli, Wiehert, Koetschau und des späteren Reichskunstwarts Edwin Redslob präsentierte.98 In ihr wurde das Museum auf Grund seiner emotional prägenden Qualitäten als „das demokratischste aller Bildungsinstitute" charakterisiert.99 Doch nicht nur mit Blick auf die Förderung der Demokratiefähigkeit schrieb man dem Museum 1919/20 Relevanz zu, sondern auch aus nationalintegrativen Motiven. So vertrat John Schikowski die These, die Aufgabe der Museen liege
92 Vgl. z.B. Alfred Kuhn: Aufgaben
der Museen in der Gegenwart
(Fortsetzung),
in:
Mus.kun.,
Jg. 16, Nr. 1, April 1921, S. 26-38. 93 Vgl. Max Osborn: Neue Kunstpolitik, in: Voss. Ztg., Nr. 161,28.3.1919; Ein neues Museum
moder-
ner Meister in Berlin, in: BT, Jg. 48, Nr. 98, 8.3.1919; LV, Dr. 1329, S. 1810-1812 u. 1819; Dr. 3947, S. 7287; LV, Prot., Sp. 7344; Egon Hofmann: Ausstellungsfragen,
in: W. d. Ku., Jg. 9, Nr. 10, 8.12.
1919, S. 63-65; W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 19, 9.2.1920, S. 131; Karl Konrad: Dezentralisation der Berliner Museen, in: ΌAl, Jg. 25, Nr. 358, 4.8.1920. 94 Vgl. dazu z.B. BT, Jg. 48, Nr. 486,14.10.1919, S. 3; H. v. Wedderkopp: Die Kölner in: FT., Jg. 64, Nr. 97, 6.2.1920; Adolf von Hildebrand: Über Museen und
Museums-Frage,
Ausstellungsanlagen,
in: Ku. u. KU., Jg. 18, Nr. 6, März 1920, S. 281 f; Balet: Die Reorganisation der holländischen in: Cie., Jg. 13, Nr. 15/16, Aug. 1921, S. 4 4 6 - 4 4 8 ; Robert Zahn: Die Neuordnung
Museen,
im Alten
und
Neuen Museum, in: BT, Jg. 48, Nr. 198, 3.5.1919; - n.: Darf man fragend, in: BT, Jg. 48, Nr. 191, 29.4.1919. 95 Vgl. Neue Sachlichkeit 1994, S. 60. 96 Vgl. Lahme-Schlenger 1992, S. 228 f. 97 Vgl. Osthaus 1919, S. 83-88; Lahme-Schlenger 1992, S. 229. 98 Vgl. Kunstmuseen und das deutsche Volk 1919; Joachimides 2001, S. 187-190; Salzmann 1992; K. Zoege von Manteuffel: [Zu Kunstmuseen und das deutsche Volk 1919], in: Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 31, 23.4.1920, S. 593 f; Alfred Kuhn: Aufgaben der Museen in der Gegenwart (Fortsetzung), in: Mus.kun., Jg. 16, Nr. 1, April 1921, S. 26-38. 99 Pauli 1919, S. 3; vgl. dazu auch K. Zoege von Manteuffel: [Zu Kunstmuseen und das deutsche Volk 1919], in: Ku.chr. J g . 55/2, Nr. 31, 23.4.1920, S. 593 f; Howoldt 1982, S. 31 f, 125 u. 165.
J. Einleitung längerfristiger Reformen:
Museen
55
in der Förderung einer bestimmten ästhetischen Kultur. 100 Noch konkreter wies Wiehert den Museen 1919 in der Schrift Der Geist der neuen Volksgemeinschaft
eine zentrale Rolle
in seinem über die Charakterbildung des Einzelnen auf die Gesundung der Nachkriegsgesellschaft zielenden Kunstvermittlungskonzept zu. 101 Haenischs Ideal der moralischen, sozial und demokratisch fühlenden Persönlichkeit 102 und das auf dieser Grundlage entwickelte nationalintegrative Konzept des Ministeriums (siehe Kap. II. 5.1.) weist klare Berührungspunkte mit diesen Überlegungen auf. Die Absicht, die Museen in die Erziehung zur Demokratiefähigkeit einzubinden, die als Basis neuen nationalen Selbstbewußtseins begriffen wurde, einte Ministerium und Museumsbund. 103 Praktisch zeigte das Ministerium seine Sympathie für den Museumsbund dadurch, daß es dessen Mitbegründer Koetschau 1919 beauftragte, an der Universität Bonn Vorlesungen in Museumskunde zu halten. 104 Während Bode den Museumsbund mißtrauisch beäugte, 105 gab das Ministerium so den Professionalisierungsbestrebungen des Bundes und den Inhalten, für die die Vereinigung stand, offizielle Rückendeckung. Daneben war etwa die ministerielle Aufgeschlossenheit für Osthaus' Folkwang-Museum 1 0 6 als ähnliches Statement innerhalb der Museumsreformdebatte zu werten. Das Ministerium beließ es allerdings keineswegs bei solchen Sympathiebekundungen, die eine Nähe zu bestimmten Positionen erkennen ließen. Vielmehr präzisierte Becker 1919/20 auch die theoretische Position des Ressorts in der Diskussion um die gesellschaft-
100 John Schikowski: Die öffentlichen Kunstsammlungen im Volksstaat, in: Die Neue Zeit, Jg. 37/2, Nr. 15, Juli 1919, S. 356-361; siehe dazu auch Lidtke 1993, S. 229 u. 232. 101 Vgl. Wiehert 1919; vgl. dazu auch Howoldt 1982, S. 126-129. 102 Vgl. Haenisch 1918 a, S. 23 f; Haenisch 1919 c, S. 17-24. 103 Vgl. auch Haenisch 1921, S. 29 f; Mayer 1981, S. 268 f; zum Kontext siehe auch Georg Bayer: Kunst, Volk und Staat, in: Die Neue Zeit, Jg. 36/1, Nr. 21, 22.12.1918, S. 492-496; Marchionini 1919, S. 32. 104 Vgl. Clemen an Becker, 12.7.1918, ms., Clemen an Becker, 27.3.1919, ms. u. Clemen an Becker, 29.4.1919, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 112; W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 2, 13.10.1919, S. 13; Mus.kun. J g . 15, Nr. 3/4, Juli 1920, S. 179. Wegen der angeblich zu einseitigen Bevorzugung der Moderne durch Koetschau waren diese Kurse offenbar nicht unumstritten, vgl. W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 2, 13.10.1919, S. 13. 105 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 411 f u. Bd. 2, S. 364 f; siehe dazu auch die konkurrierenden Pläne Bodes für ein Zentralinstitut für die Ausbildung von Museumsbeamten, vgl. Zimmer 1995, S. 97 fu. 100; Gall an Bode, 22.8.1919, hs„ in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Ernst Gall; zu den Hintergründen siehe auch Joachimides 2001, S. 188. 106 Vgl. LV, Dr. 1329, S. 1804 u. 1825; Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1823; Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7319-7321; Das Folkwang-Museum in Gefahr?, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 8, 24.11.1919, S. 54; vgl. dazu auch Sievers 1966, S. 257; Redslob an Waetzold[t], 8.2.1921, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 8; Waetzoldt an Plenge, 7.5.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 159-161, Bl. 159 r; Waetzoldt 1911; n.: Die Zukunft des FolkwangMuseums, in: Cie., Jg. 13, Nr. 19, Okt. 1921, S. 558; n. in: Cie., Jg. 13, Nr. 21, Nov. 1921, S. 630; Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 30, 22.4.1921, S. 579; Redslob an Justi, 14.5.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 7; Lidtke 1993, S. 222 f; Redslob 1972, S. 163 f; Lahme-Schlenger 1992, bes. S. 229 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 234.
II. Neuorientierung
56
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
liehe Relevanz des Museums. Besondere Bedeutung kommt dabei einer Rede zu, die Becker am 5. Dezember 1919 in der Landesversammlung hielt (siehe Kap. II. 5.1.). 107 Von engen Beziehungen zwischen Kunst und „Volksseele" ausgehend, betonte er hier zunächst generell den Sinn künstlerischer Erziehung, indem er von einer Stufenleiter künstlerischen Empfindens sprach, auf der der einzelne vom untersten Stadium, „dem ganz primitiven Zustand des nichtschöpferischen, ja noch nicht einmal rezeptiv empfindenden Menschen" bis zur höchsten Stufe, „dem Ingenium des schaffenden Künstlers", aufsteigen könne. 108 Um ein wirkliches Bewußtsein für das einzelne Kunstwerk entstehen zu lassen, komme es, so Becker weiter, bei der Kunsterziehung darauf an, das bei jedem potentiell vorhandene künstlerische Empfinden zu wecken. So solle das Volk insgesamt auf eine höhere Kulturstufe gehoben werden. Als Maßnahme, durch die das künstlerische Empfinden gefördert werden könne, nannte er auch eine bessere Auswertung der Museumsbestände. 109 An seit um 1900 präsenten Reformansätzen im Sinne Lichtwarks orientiert, 110 stellte Becker so einen Zusammenhang zwischen den Kunstmuseen und einem grundlegenden Ziel der Ministeriumspolitik nach 1918 her, nämlich der Vermittlung sensitiven, emotionalen und sozialen Empfindens (siehe Kap. II. 5.1.). 111 Auf diese Weise band er die Institution Museum und deren rezipientenorientierte Neugestaltung elementar in die Kulturpolitik des demokratischen Preußen ein (siehe Kap. II. 5.2.). Seine Entsprechung und Fortsetzung fand Beckers Anspruch in Haenischs Plädoyers für einen engeren Kontakt zwischen Kunst und Volk und eine intensivierte Museumspopularisierung durch Führungen, längere Öffnungszeiten und verständliche Begleithefte, aber auch in den positiven Stellungnahmen des Ministeriums zur Dezentralisierung im Museumsbereich. 112 Als Ende 1919 in der Landesversammlung die Zustände im überfüllten Völkerkundemuseum kritisiert wurden, 113 Schloß sich das Ressort der Neuordnungsforderung an und erklärte dabei einen weiteren, inzwischen allgemein anerkannten Umgestaltungsgrundsatz zum Maßstab für seine Politik: die Dreiteilung des Museums in eine Schau107 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7330 f; zur Wirkung der Rede siehe auch Max Teilhorst an Becker, 16.2.1920, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3193. 108 Vgl. dazu auch Pallat 1906, S. 365, wo es mit Blick auf Führungen und Vorträge in Museen ähnlich hieß: „Man sollte Wege und Brücken schaffen, die einen zwar langsamen, aber tiefere Eindrücke gewährenden Aufstieg ermöglichen." 109 Vgl. Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7330 f. 110 Vgl. Stelzer 1977, bes. S. 50-52. 111 Vgl. dazu bereits Pallat 1906, S. 360, wo als Grund für die Museumsreform angeführt wurde: „Man klagt über einseitige Verstandesbildung und wünscht mehr Kultur des Gefühls und mehr Entwicklung der schöpferischen Kräfte." 112 Vgl. Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7354-7356; Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815; Haenisch 1921, S. 159-161; siehe auch Haenisch, 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7256-7258; zu ähnlichen Tendenzen in Bayern vgl. A. L. Mayer: Die Kunstreformen
im Volksstaat Bayern, in:
Ku.chr. J g . 54/1, Nr. 7, 29.11.1918, S. 136-139. 113 Vgl. Ausschußmtgl. (SPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1814 f; Bode: Probleme des modernen Museums, in: Voss. Ztg., 28.8.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 399; Das Berliner Völkerkundemuseum, Schloßmuseum,
in: Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 18, 28.1.1921, S. 351-353; O. v. Falke: Das Berliner
in: Ku.wan., Jg. 3, 1. März-Nr. 1921, S. 265-267; Severin 1991, S. 467.
3. Einleitung längerfristiger Reformen: Museen
57
Sammlung für das breite Publikum, eine entwicklungsgeschichtliche Mustersammlung und eine wissenschaftlicher Forschung dienende Studiensammlung. 114 Das Ministerium stellte sich damit in der Diskussion von 1919/20, sowohl was den erzieherisch-volksbildenden Anspruch als auch konkrete Popularisierungsgrundsätze angeht, auf die Seite der fortschrittlichen Forderungen und der jüngeren Reformer. Auf eine Positionierung zu bestimmten Inszenierungsmodellen verzichtete es hingegen auch weiterhin - wobei der fachspezifische Charakter der Debatte, der einen schnellen Zugang des Ressorts erschwerte, ebenso eine Rolle gespielt haben mag wie der zu diesem Zeitpunkt noch dominante Einfluß Nentwigs oder der Wunsch, die bestehende Diskrepanz zwischen der Beibehaltung der älteren Beamten um Bode und den eigenen Volksbildungsabsichten nicht eskalieren zu lassen. Entsprechend war die praktische Museumspolitik des Ministeriums seit 1919 auf die Durchsetzung des Volksbildungsanspruchs, zunächst aber nicht auf die Realisierung konkreter Museumsgestaltungen ausgerichtet. 115 Freie Eintritte oder zumindest zahlfreie Tage und erweiterte Öffnungszeiten wurden nun an den staatlichen Sammlungen zur Regel. 116 In der Absicht, gerade der arbeitenden Bevölkerung den Museumsbesuch zu ermöglichen, unterstützte das Ressort die Idee der Sonntagsöffnung ebenso wie am Vorbild USA orientierte erste Versuche, die Museen auch abends offen zu halten. 117 Überdies bemühte es sich um flankierende Maßnahmen, die eine Stringenz beim Führungswesen gewährleisten sollten. So wurden spezielle Schulungsführungen für Lehrer eingerichtet, 118 bei denen schülergerechte Wege der Beschäftigung mit Kunst im Museum vermittelt und die Lehrer als Multiplikatoren bewußt in die Popularisierungsbestrebungen eingebunden wurden. Die Professionalität war hier durch die Kooperation mit dem Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht sichergestellt, das dem Ministerium eng verbunden war. 119 Bei Arbeiterführungen setzte Haenisch ganz ähnlich auf eine Zusammenarbeit mit bestehenden Institutionen
114 Vgl. Haenisch u. Ministerialdirektor KM, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815 u. 1821; Rede Becker, 15.11.[1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6782; zu Fachdiskussion vgl. Theodor-Wilhelm Danzel: Aufgaben
des Berliner Völkerkundemuseums,
Jg. 50, Nr. 41, 26.1.1921; Das Berliner Völkerkundemuseum,
in: BT,
in: Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 18, 28.1.
1921, S. 351-353; Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 20, 11.2.1921, S. 397. 115 Dazu heißt es in Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 415, Haenisch habe sich für die bildende Kunst nur insofern interessiert „als sie sein besonderes Interesse für Volksunterricht berührt. Daher war er auf Förderung der Führungen in den Museen, namentlich der Arbeiterführungen, auf die Popularisierung der Kunst' bedacht". 116 Vgl. dazu BT, Jg. 48, Nr. 443, 20.9.1919, S. 3; Jg. 49, Nr. 175, 16.4.1920. 117 Vgl. Eine Schuldebatte in der Landesversammlung.
Fortsetzung der Beratung über den Landes-
etat, in: BT, Jg. 48, Nr. 582, 6.12.1919, Beibl. S. 3. 118 Vgl. Bode, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1822 f. 119 Zur Zusammenarbeit mit dem Zentralinstitut siehe auch Becker u. Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7330 f u. 7354-7356; Kulturpolitische Maßnahmen der Regierung seit dem 9. November. Eine Vortragsdisposition, Mai 1920, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1314.
58
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
der Arbeiterbildung.120 Um die Aktivitäten zu intensivieren, plante er, Interessierte aus verschiedenen Schichten zu Museumsführern auszubilden und eine Zentralstelle für Arbeiterführungen einzurichten.121 An den Staatlichen Museen selbst setzte das Ministerium darüber hinaus eigens einen Beamten ein, der für das Führungswesen zuständig war.122 Viele dieser Maßnahmen zeigten offenbar Wirkung: Die Zahl der Führungen und Vorträge an den Staatlichen Museen nahm unter Haenisch stark zu,123 und die Bevölkerung nutzte die neuen Angebote. Bedeutend mehr Besucher als zuvor fanden so in der Zeit nach der Novemberrevolution den Weg ins Museum. Bode berichtete Ende 1919 vom Andrang, der an manchen Tagen in den Sammlungen herrsche,124 und ein Artikel im Berliner Tageblatt vom März 1921, der sich mit Formen und Erfolgen der Museumspopularisierung in Berlin auseinandersetzte, ging davon aus, daß die Besucherzahlen der Staatssammlungen seit 1918 um das zwei- bis dreifache gestiegen seien.125 Der Artikel wies anhand des Wochenplans eines der Museumsführer auch nach, daß die Öffnung der Museen keineswegs nur dem bürgerlichen Publikum zugute kam, sondern schichtenübergreifend ausgerichtet war. Immerhin gehörten neben Gruppen vom Realgymnasium Weißensee und der Volkshochschule Neuendorf zum Beispiel die Arbeiter der 5ergem^«w-Elektrizitätswerke zu denen, die durch die moderne Abteilung der Nationalgalerie geführt wurden. Wie innovativ und engagiert die vom Ministerium vorgegebenen Rahmenbedingungen mit Leben gefüllt wurden, hing jedoch letztlich von den jeweiligen Museumsbeamten ab. Die ältere Garde um Bode ließ sich zwar notgedrungen auf die Popularisierungsabsichten ein, betrachtete sie aber weiterhin distanziert.126 Getragen vom Publikumsinteresse, das die zeitgenössische Kunst nach 1918 genoß, entwickelten im Gegensatz dazu Justi und seine Mitarbeiter im Kronprinzenpalais ein ausgeprägtes eigenes Engagement, etwa wenn es um populäre Publikationen, neue Formen von Museumsführungen oder Ausstellungen ging (siehe Kap. II. 4.1.).127 Verlautbarungen des Ministeriums und Meldungen in der Presse, die 120 Vgl. Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7354-7356; siehe dazu auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 415. Dabei konnte man auf Ansätzen der Kaiserzeit aufbauen, vgl. Pallat 1959, S. 279-281. 121 Vgl. Bode, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1822 f; Chr. B.: Stärkerer Besuch der Berliner Das Interesse für moderne Kunst. Eine neue Art von Führung. - Erhebung
von
Museen.
Eintrittsgeldern,
in: BT, Jg. 50, Nr. 99, 1.3.1921, Beibl. S. 1. 122 Vgl. Wilhelm von Bode: Die Entwicklung der Museumsbauten für Kunst- und
Kultur-Sammlun-
gen in Deutschland, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Okt.-Nr. 1925, S. 49-52. 123 Vgl. Falke, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7288 f; siehe auch BT, Jg. 48, Nr. 469, 4.10.1919; Nr. 477, 9.10.1919, S. 2; Nr. 567, 28.11.1919, S. 2; Jg. 49, Nr. 342, 23.7.1920; Nr. 587, 23.12.1920; Jg. 50, Nr. 141,25.3.1921. 124 Bode, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1822 f. 125 Vgl. Chr. B.: Stärkerer Besuch der Berliner Museen. Das Interesse für moderne Kunst. Eine neue Art von Führung. - Erhebung
von Eintrittsgeldern,
in: BT, Jg. 50, Nr. 99, 1.3.1921, Beibl. S. 1;
Cläre Meyer-Lugau: Brief an Haenisch, in: Weltb., Jg. 16/1, Nr. 9, 26.2.1920, S. 283-285. 126 Vgl. z.B. Bode: Probleme des modernen
Museums, in: Voss. Ztg., 28.8.1920, in: SMBPK / ZA,
Nachlaß Bode, Nr. 399; siehe auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 415; Max J. Friedländer: Von der Nutzbarmachung
der Museen, in: Ku.wan., Jg. 2, 1. Sept.-Nr. 1920, S. 1 f.
127 Vgl. Text Justi für KM, 21.5.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; Joachimides 2001, S. 199; Chr. B.: Stärkerer Besuch der Berliner Museen. Das Interesse für moderne
Kunst.
3. Einleitung längerfristiger
Reformen:
Museen
59
auf die Erfolge der Museumspopularisierung verwiesen,128 bezogen sich dann auch meist auf Justi, während bei den Museen für ältere Kunst, an denen manche der neuen Maßnahmen auch vom Publikum weniger gut angenommen wurden,129 vieles offenbar wie gewohnt weiterlief.130 Doch nicht nur die Abhängigkeit von der Mitarbeit der Museumsbeamten setzte den Bestrebungen des Ministeriums Grenzen, sondern auch die schlechte Wirtschaftslage nach dem Krieg. Nachdem die längeren Öffnungszeiten bereits im Winter 1919/20 Einschränkungen dadurch erfahren hatten, daß viele der Museen wegen Kohlenmangels geschlossen bleiben mußten,131 fehlte Ende 1920 das Geld zum Neudruck vergriffener Museumspublikationen.132 Der Popularisierungsanspruch des Ministeriums zielte indes nicht allein auf die Berliner Museen, sondern zugleich auf eine intensivierte Kunstvermittlung durch Museen auch außerhalb der Hauptstadt.133 Die Förderung von Provinzmuseen und das Aufbrechen der Berliner Monopolstellung war allerdings für das Ministerium schon deshalb schwierig, weil sich die staatlichen Museen, für die das Ressort direkt zuständig war, alle in Berlin befanden.134 Die praktische Dezentralisierungspolitik konnte sich so nur in einer Aufgeschlossenheit gegenüber Museen außerhalb Berlins 135 oder derart äußern, daß man Kunst aus Berliner Beständen auch in der Provinz zeigte. Das Ministerium setzte tatsächlich Zeichen in diese Richtung. So appellierte Haenisch wiederholt, entbehrliche Werke oder Dubletten aus den Berliner Sammlungen leihweise oder dauerhaft an die Provinzen und deren Museen abzugeben.136 Konkret unterstützte das Ressort den Plan des Essener Oberbürgermeisters, Berliner Museumsschätze außerhalb der Hauptstadt zu zeigen.137 Überdies galt ihm eine
Eine neue Art von Führung.
- Erhebung
von Eintrittsgeldern,
in: BT, Jg. 50, Nr. 99, 1.3.1921,
Beibl. S. 1. 128 Vgl. z.B. Haenisch 1921, S. 159. 129 Vgl. Chr. B.: Stärkerer
Besuch der Berliner Museen. Das Interesse für moderne
neue Art von Führung. - Erhebung
von Eintrittsgeldern,
Kunst.
Eine
in: BT, Jg. 50, Nr. 99, 1.3.1921, Beibl.
S. 1. 130 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 414 f. 131 Vgl. W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 7, 17.11.1919, S. 47; Nr. 20, 16.2.1920, S. 137; ST, Jg. 49, Nr. 61, 3.2. 1920; Nr. 80, 13.2.1920; Nr. 100, 24.2.1920. 132 Vgl. Falke, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7288 f. 133 Vgl. Haenisch 1921, S. 163 f; siehe dazu auch schon Pallat 1906, S. 365. 134 Neben den Berliner Sammlungen waren zwar auch die Kasseler Gemäldegalerie und das dortige Landesmuseum staatliche preußische Museen, beide gehörten aber verwaltungstechnisch zum Geschäftsbereich des Oberpräsidenten von Hessen-Nassau, vgl. Zentr.bl.
Unterr.verw.,
1919,
Nr. 1,20.1.1919, S. 76; 1920, Nr. 1,22.1.1920, S. 37; Handbuch preußischer Staat 1922, S. 116; vgl. auch Hammer 1980, S. 257. 135 Vgl. Schutz der Kunstsammlungen,
in: BT, Jg. 47, Nr. 591,18.11.1918, S. 3.
136 Vgl. Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815; Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7 3 5 4 7356; Haenisch 1921, S. 164; siehe dazu auch Pallat 1906, S. 365; Schutz der Kunstsammlungen,
in:
BT, Jg. 47, Nr. 591,18.11.1918, S. 3; Haenisch (SPD), 23.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7487. 137 Vgl. Haenisch 1921, S. 164; siehe dazu auch Haenisch (SPD), 23.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7487.
60
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Menzel-Ausstellung, die an siebzig Orten präsentiert worden war, als Beleg einer aktiven Dezentralisierungspolitik. 138 Welchen Stellenwert diese Politik für das Ministerium hatte, belegt ein Brief Beckers an Ministerpräsident Braun, in dem der Staatssekretär forderte, Leihgaben an Reichsstellen zu reduzieren und die frei gewordenen Werke verstärkt Provinzmuseen zukommen zu lassen. 139 Bei den Leihgaben legte Becker Wert darauf, den Eindruck zu vermeiden, „als verteile der Staat nur Werke von untergeordneter Bedeutung an die Provinzen [...] Es besteht in den Provinzen ein lebhaftes Bedürfnis nach guten Sachen, und dem wird soweit als möglich entgegengekommen werden müssen". 1 4 0 Mit den Dezentralisierungsbemühungen, die sich teilweise eng mit der nationalen Kulturpolitik in den preußischen Grenzregionen verbanden (siehe Kap. II. 5.2.), kam das Ressort den Vorstellungen der preußischen Parteien entgegen. Besonders deutlich waren diese etwa von der Vertreterin der DVP-Fraktion artikuliert worden, die Ende 1919 im Museumszusammenhang von einer Pflicht des Ministeriums zur Dezentralisierung gesprochen hatte, damit sich Berlin nicht zum Wasserkopf der Kunst des Landes auswachse. 141 Zudem begegnete das Ministerium so einer seit der wilhelminischen Zeit verbreiteten Zentralismuskritik, die sich gegen eine Bedrohung der vielfältigen deutschen Kultur durch die Metropole Berlin richtete. 142 Auch wenn das Ressort grundsätzliche Rückendeckung für seine Bestrebungen etwa bei Justi fand, 143 stellten sich der für die Dezentralisierungspolitik wichtigen intensiven Ausleihpraxis bei wertvollen Werken jedoch klar konservatorische Bedenken entgegen. Diese von konservativen wie fortschrittlichen Museumsbeamten und besonders von Justi vorgebrachten Bedenken setzten dem Ministerium oft sogar dort Grenzen, wo sich politische Ziele mit den Ausleihen verbanden. 144 Darüber hinaus kollidierten Bodes Erwerbungsaktivitäten für das Deutsche Museum mit Provinzinteressen. 145 Solch gegenläufige Tendenzen
konterkarierten
die ministeriellen Bestrebungen
oder
erschwerten sie zumindest. Die museale Dezentralisierungspolitik konnte so kaum überzeugend gestaltet werden. Die Kunstpopularisierung außerhalb Berlins stützte sich daher unter Haenisch zunehmend auf Konzepte mit anderer institutioneller Einbindung sowie
138 Vgl. Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7354-7356. 139 Becker an Braun, 18.3.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 95; ähnlich auch schon KM (Nentwig) an Justi, 13.12.1918, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 1, Bd. 1. 140 Becker an Braun, 18.3.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 95 r-v; vgl. dazu auch Justi, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1813. 141 Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7344; zur Haltung der anderen preußischen Parteien vgl. LV, Dr. 1329, S. 1810-1812 u. 1819. 142 Siehe dazu Brunn 1992, S. 26-29; Briesen 1992 a, S. 50 u. 57; Briesen 1992 b, S. 164-169, 172-177 u. 184; Mai 1981, S. 466. 143 Vgl. Justi über die Aufgaben der staatlichen Pflege moderner Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 17, 21.1. 1919, S. 113; Ludwig Justi: Valentiners Vorschläge zur Umgestaltung der Museen, in: ZS f. bild. Ku., Jg. 54,1919, S. 190-200. 144 Vgl. Direktor NG (i.V. Mackowsky) an KM, 22.9.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24; Justi, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1813; siehe dazu auch Deutscher Museumsbund, in: Ku. u. KU., Jg. 18, Nr. 12, Aug. 1920, S. 546-549. 145 Vgl. Schräder 1995, S. 69 f u. 72; Netzer 1995, S. 110.
3. Einleitung längerfristiger Reformen: Museen
61
auf Werke, die schon vor 1918 als Leihgaben an Provinzmuseen gegangen waren (siehe Kap. II. 5.2.). 146 Neue Perspektiven eröffneten sich für die Staatsmuseen nach der Abdankung Wilhelms II. hingegen auf anderem Terrain: im Kontext der Vermögensauseinandersetzungen zwischen dem preußischen Staat und den Hohenzollern. Die Museen waren in die Auseinandersetzungen, für die das preußische Finanzministerium zuständig war, bei denen aber auch das Kultusministerium als Mittler für Kunst- und Museumsbelange eine Rolle spielte, in zweifacher Hinsicht involviert: zum einen wenn es um neue museale Nutzungen für die Hohenzollernschlösser und zum anderen wenn es um wertvolle Werke aus fürstlichem Besitz ging, die für die Staatssammlungen von Interesse waren. 147 Nachdem die Hohenzollernschlösser gleich nach dem Umsturz durch die neue preußische Regierung beschlagnahmt worden waren, wurde die Frage der Zukunft des fürstlichen Kunstbesitzes und des Anspruchs der Allgemeinheit auf ihn intensiv diskutiert. 148 In Folge von Schloßplünderungen fielen gleichzeitig einzelne Kunstwerke der Hohenzollern bereits Ende 1918 an die Museen, 149 immer wieder aber gelangten auch wertvolle Objekte ins holländische Exil des Kaisers. 150 In dieser unsicheren Situation hofften die Leiter der Berliner Museen, allen voran Bode und Justi, daß wichtige Werke aus königlichem Besitz, für die der private Status anfechtbar war, durch die Vermögensverhandlungen den Museen zugesprochen würden und sich das Kultusministerium dabei deutlich hinter die Interessen der Sammlungen stellen würde. 151 Bevor der erste Gesetzentwurf zur Regelung der Vermögensfragen der Landesversammlung Anfang 1920 vorgelegt wurde und während der folgenden Verhandlungen 152 bemühten sich Justi wie Bode entsprechend darum, beim Ministerium Werklisten durchzusetzen und Argumentationslinien zu vermitteln, auf deren Basis das Ressort die Ansprüche der Museen vertreten sollte. In eindringlichen Briefen bat Justi um einen besonderen Einsatz der Kunstabteilung für die Ubereignung der Prinzessinnen-
146 Vgl. Nentwig an Justi, 13.12.1918, ms., KM an Justi, 13.2.1919, ms. u. Entwurf Justi an KM, 18.2.1919, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 1, Bd. 1; Haslinde (Landrat Kreis Arnsberg) an KM, 5.5.1919, hs., Nentwig an N G , 27.5.1919, ms. u. Justi an KM, 4.6.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24; Jahresbericht N G 1918, Justi an KM, 14.7.1919, ms. u. Jahresbericht N G 1919, Justi an KM, 13.9.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3. 147 Vgl. dazu ausführlich Eggeling 1991, S. 9-23. 148 Siehe z.B. Das Schicksal der Kunstsammlungen S. 58; A. L. Mayer: Die Kunstreformen 1918, S. 136-139; W.d.Ku., Tages für Denkmalpflege,
der Schlösser, in: W.d.Ku., Jg. 8, Nr. 9,25.11.1918,
im Volksstaat Bayern, in: Ku.chr.,]%. 54/1, Nr. 7, 29.11.
Jg. 18, Nr. 10, 2.12.1918, S. 65 f; Erweiterte Ausschuß-Sitzung
des
7./8.7.1919, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1796; BT, Jg. 48,
Nr. 295, 1.7.1919, S. 3; Deutscher Museumsbund,
in: Ku. u. Kü„ Jg. 18, Nr. 12, Aug. 1920, S. 5 4 6 -
549. 149 Vgl. ζ. B. BT, Jg. 47, Nr. 659, 27.12.1918, S. 3. 150 Vgl. Wilderotter 1991 a, bes. S. 119 f; Wilderotter 1991 b; Schmitz 1931, S. 76-79. 151 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 416 f u. Bd. 2, S. 370; Schmitz 1931, S. 75. 152 Vgl. dazu LV, Prot., Sp. 4800-4818 u. 10284-10375; Dr. 754, 754 a u. 1722, 1919/20, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; Der Preußische Staat und die ehemals Königlichen Schlösser, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 19, 6.2.1920, S. 390-392; Eggeling 1991, S. 10-12.
62
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
grappe von Schadow, zweier Moltke- und Bismarckbildnisse von Menzel, zweier Gemälde von Krüger sowie des Bestands der Schackgalerie in München. 153 Für Bode war zentrales Anliegen, daß acht Watteau-Gemälde sowie mehrere kleinere französische Bilder und Skulpturen des 18. Jahrhunderts der Gemäldegalerie zugesprochen werden sollten. 154 Mit dem Interesse der Allgemeinheit argumentierend, stimmte das Ressort, das schon 1918 für die Herausgabe der Bildnisse Bismarcks und Moltkes eingetreten war, 155 den Ansprüchen grundsätzlich zu. 156 1919/20 setzte es sich im Fall der in Charlottenburg und Niederschönhausen aufbewahrten Menzelbilder zudem für eine Übereignung an die Nationalgalerie ein.157 Darüber hinaus aber hielt es sich wegen der Zuständigkeit des Finanzministeriums aus den Vermögensverhandlungen heraus. 158 Die Rückendeckung, die die Museumsleiter von der obersten Kunstbehörde erwartet hatten, blieb damit aus. Verärgert, bisweilen aber auch allzu voreilig 159 pochte Justi daraufhin beim Ministerium auf die Durchsetzung seiner Interessen. 160 Das Ministerium wies die Anschuldigungen zurück, kritisierte das inkorrekte Verhalten des Galerieleiters und forderte künftig einen engeren Kontakt zwischen Justi und seinen Referenten. 161 Trotz der Beschwichtigungsversuche, die offenbar auf ein bedachteres Vorgehen bei den diffizilen Vermögensverhandlungen zielten, verfestigte sich allerdings auch bei anderen Beteiligten die Enttäuschung über den in ihren Augen mangelnden Einsatz des Kultusministeriums. So äußerte sich später Schmitz polemisch über den Kunstreferenten des Finanz-
153 Vgl. Justi an FM, 6.8.1919, ms. J u s t i an KM (Nentwig), 5.11.1919, ms., Justi an KM, 29.1.1920, ms., Justi an KM, 9.2.1920, ms. u. Justi an KM, 27.7.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 5; Justi an KM, 5.6.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 11, Bl. 375-380; vgl. dazu auch KM an FM, 31.12.1919, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 15, Abt. XIII, Nr. 17, Bd. 1; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 262-265 u. Bd. 2, S. 176-178. 154 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 459 u. Bd. 2, S. 393 f; Erster Entwurf zu den Verhandlungen zum Vergleich zwischen preußischem Staat und dem ehemaligen Königshaus über den Kunstbesitz, März 1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 433; siehe auch Ausschußmtgl. (DNVP) u. Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1809 f; Ohlsen 1995, S. 289 f. 155 Vgl. Aktenvermerk KM, 22.11.1918, gedr., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 15, Abt. XIII, Nr. 17, Bd. 1. 156 Vgl. Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1810; Notiz, Frühjahr 1920, hs. u. Sitzungsprotokoll Staatsministerium, 16.4.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 4243 u. 45. 157 Vgl. KM an FM, 31.12.1919, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 15, Abt. XIII, Nr. 17, Bd. 1; siehe dazu auch FM an KM, 16.3.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 15, Abt. XIII, Nr. 17, Bd. 1 (Abschr. in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Künstlerspezialakten, M, Bd. 22); Justi an KM, 13.7.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 5. 158 Vgl. LV, Dr. 2199, S. 3567; Dr. 3947, S. 7285 f; Becker, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7286. 159 Vgl. Justi an KM, 9.2.1920, ms. u. KM (Haenisch) an Justi, 21.4.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 5. 160 Vgl. Justi an KM (Nentwig), 5.11.1919, ms., Justi an KM, 29.1.1920, ms. u. Justi an KM, 9.2.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 5; siehe dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 262-265. 161 Vgl. Haenisch an Justi, 21.4.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 5.
3. Einleitung längerfristiger
Reformen:
Museen
63
ministeriums Paul Gustav Hübner, aber auch über Nentwig, der im Kultusministerium der für die Vermögensfragen zuständige Beamte war.162 Explizit unterstellte er beiden, für trotz der Sperre über den Kronbesitz nachweisbare Kunsttransporte nach Holland verantwortlich gewesen zu sein.163 Zudem gab er das „glatte Ineinanderarbeiten der Vertreter des Volksstaates mit der alten Bürokratie" als Grund dafür an, daß unliebsame Störungen bei den Auseinandersetzungen zwischen Krone und Staat nicht etwa von den politisch Verantwortlichen, sondern von den Fachleuten ausgegangen seien.164 Bode erinnerte sich noch unmißverständlicher: „Mit Geheimrat von Falke [...] hatte ich die Liste der für die Museen wünschenswerten Kunstwerke [...] zusammengestellt, über die die Verhandlung nur langsam und schwerfällig vor sich ging. Die Hauptschwierigkeit kam von Ministerialdirektor Nentwig, der nicht unser Interesse, sondern das der Krone vertrat". 165 Was in diesen Schilderungen späterer Mißstimmung oder überzogenen Erwartungshaltungen geschuldet ist, läßt sich nicht mehr klären. Daß sich Nentwig, seiner konservativen Grundhaltung entsprechend, in die Vermögensauseinandersetzungen nicht besonders engagiert einbrachte, während für Bode Sammlungsinteressen Vorrang vor politisch-weltanschaulichen Rücksichten hatten, ist aber auf jeden Fall denkbar.166 Hier deutet sich wie schon bei der Personalpolitik des Ressorts im Museumsbereich wiederum eine Diskrepanz zwischen den fortschrittlichen Ansprüchen der ministeriellen Führungsebene und deren Retardierung in der Praxis durch die erst nach und nach erneuerte Ministerialbürokratie an - wobei im konkreten Zusammenhang die konservative Front, die 1919/20, als es um die Beibehaltung der alten Museumsbeamten ging, noch funktionierte, im Umfeld von Sachinteressen der Museen merkliche Risse bekam. Dies impliziert zweierlei: Zum einen erwies sich die Politik des Ministeriums auch in der Frage der Ubereignung fürstlichen Kunstbesitzes an die Museen keineswegs als so radikal, wie 1918 teilweise erwartet worden war. Zum anderen zeigte sich, daß nach einer Phase der Unsicherheit, des Abwartens oder der Anpassung in der Revolutionszeit verletzte Eitelkeiten bei den renommierten Museumsmännern der Kaiserzeit, alte Eifersüchteleien zwischen den Sammlungen und ein Mißtrauen der Museumsleiter dem Ministerium gegenüber seit Ende 1919 immer offener aufbrachen. Während sich Haenisch gleichzeitig mit dem Vorwurf konfrontiert sah, seine Museumspolitik sei zu wenig sozialistisch, und sich dies mit der Forderung nach einer geringeren Entschädigung der Hohenzollern verband,167 begannen sich hier Konfliktfel-
162 Neben Nentwig waren Ministeriumsreferent Trendelenburg und Bode für das Ressort in die Auseinandersetzungen eingebunden. 163 Vgl. Schmitz 1931, S. 6 4 - 7 9 ; siehe dazu Hoffmann ( K P D ) , 1 3 . 1 . 1 9 2 1 , in: LV, Prot., Sp. 15718 f. 164 Schmitz 1931, S. 75. 165 Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 459; vgl. dazu auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 4 1 6 u. 427. 166 Die Einschätzung der Rolle Bodes bei Wilderotter 1991 a, S. 120 erscheint hingegen etwas zu pauschal. 167 Vgl. Cläre Meyer-Lugau:
Brief an Haenisch, in: Weltb., Jg. 16/1, Nr. 9, 2 6 . 2 . 1 9 2 0 , S. 2 8 3 - 2 8 5 , w o
dem Ministerium u. a. die Beibehaltung des Zeughauses als staatlicher Waffensammlung vorgehalten wurde; zur Unterstellung des Zeughauses unter das Kultusressort zum 1.4.1920 vgl. Sitzungsprotokoll Staatsministerium, 9 . 1 . 1 9 2 0 , ms., in: GStA P K , I. H A Rep. 92 Nl. O t t o Braun, A
II. Neuorientierung
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der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
der und gegen das Ressort und seine Sachentscheidungen gerichtete Frontstellungen zu verfestigen, die die Museumspolitik des Ministeriums in den gesamten 20er Jahre beeinflussen sollten. Inwieweit Nentwigs personalpolitische Einflußnahme zugunsten des Systems Bode in diesem Kontext auch als Besänftigungstaktik zu verstehen ist, läßt sich nur vermuten. In der zweiten für die Museen zentralen Frage im Umfeld der Vermögensauseinandersetzungen, der Frage der musealen Nutzung der Schlösser, 168 hatte das Ministerium früh Position bezogen, indem es bereits im Kulturprogramm vom November 1918 für Bildungszwecke und die Museen Anspruch auf einen Teil der beschlagnahmten Schlösser erhoben hatte. 169 Im Februar 1919 beschäftigte sich Hans Mackowsky differenzierter mit den Implikationen der Ministeriumsrichtlinie. 170 Als früherer Direktor des Rauch-Museums nun Mitarbeiter der Nationalgalerie, 171 nannte er drei Gruppen von Schlössern, auf die sich der Anspruch des Ressorts bezog: 1. Schlösser, die, baulich kaum an ihre ursprüngliche Funktion erinnernd, bereits als Lehrerseminare oder ähnliches genutzt wurden, 2. Schlösser, die wie Sanssouci als Epochenzeugnisse gelten und wegen ihrer kulturhistorischen Bedeutung als Ganzes musealisiert werden sollten, sowie 3. von den Hohenzollern als Wohnungen genutzte Schlösser wie das Berliner Schloß, die kein einheitliches kulturhistorisches Gepräge mehr hatten und als stilvolle, im Idealfall inhaltlich beziehungsreiche zusätzliche Räume für die Museen in Betracht kamen. 172 Mit der Einteilung schlug Mackowsky Schneisen in eine komplexe Thematik und gab Anhaltspunkte für die künftige praktische Politik. Grundlegend für die weitere Diskussion um die Schlössernutzung und das ministerielle Handeln war vor allem die Unterscheidung zwischen denkmalpflegerisch wichtigen Schloßanlagen, die um ihrer selbst willen musealisiert werden sollten, und kunsthistorisch weniger bedeutenden Anlagen, die als Orte für bestehende oder zu gründende Museen genutzt werden sollten. 173 Hatte die Richtlinie des Ministeriums bereits impliziert, daß der Regierung Bilderstürmerei fern lag und man statt
Nr. 19a; Beri. Mus., Jg. 41, Nr. 5, Juni/Juli 1920, S. 230; Ministerialdirektor, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7290; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 417 u. Bd. 2, S. 370. 168 Vgl. dazu ausführlich Eggeling 1991, bes. S. 9 - 2 3 ; siehe auch Bernau 1995 a, S. 27-29; J. v. Bülow: Brauchen wir Museenf,
in: W.d.Ku.,
Erbe der Hohenzollern,
in: Cie., Jg. 11, Nr. 3, 12.2.1919, S. 37-39; Ueher die Zukunft der fürst-
Jg. 18, Nr.41, 21.7.1919, S.277 f; Hans Mackowsky: Das
lichen Schlösser, in: BT, Jg. 48, Nr. 309, 9.7.1919, S. 2; Max Osborn: Neue Kunstpolitik, in: Voss. Ztg., Nr. 161,28.3.1919. 169 Vgl. Das sozialistische Kulturprogramm.
Allerhand Unklarheit, in: BT, Jg. 47, Nr. 613, 30.11.1918,
S. 3. 170 Hans Mackowsky: Das Erbe der Hohenzollern,
in: Cie., Jg. 11, Nr. 3, 12.2.1919, S. 37-39; siehe
dazu auch Mackowsky in: Erweiterte Ausschuß-Sitzung
des Tages für Denkmalpflege,
7./8.7.
1919, gedr., S. 10-21, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1796. 171 Vgl. Zentr.bl. Unterr.verw.,]g.
1918, Nr. 1, 21.1.1918, S. 75; Jg. 1919, Nr. 1,20.1.1919, S. 75; siehe
auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 158, 203, 293, 298, 319, 429 u. 491 f u. Bd. 2, S. 118. 172 Hans Mackowsky: Das Erbe der Hohenzollern, 173 Vgl. Waetzoldt 1933, S. 84.
in: Cie., Jg. 11, Nr. 3, 12.2.1919, S. 38.
3. Einleitung längerfristiger Reformen: Museen
65
dessen durch Umwidmung und Öffnung der Schlösser die Kunstpopularisierung an augenfälliger, da sensibler Stelle demonstrativ vorantreiben wollte, definierte Mackowsky damit den kunsthistorisch-denkmalpflegerischen Rahmen, in dem sich der politische Anspruch zu vollziehen hatte. Auf den Punkt gebracht wurde das denkmalpflegerische Anliegen Anfang Juli 1919 durch eine Resolution des Denkmalpflegetages zu den Vermögensauseinandersetzungen, die forderte, fürstliche Baudenkmäler samt ihren Gärten und ihrer künstlerischen Ausstattung zu erhalten, sie zur Stärkung des Kunstsinns der Bevölkerung und zu Volksbildungszwecken einzusetzen, sie nicht durch falsche Nutzung zu schädigen und sie der Denkmalpflege zu unterstellen. 174 Die Kunstabteilung des Kultusministeriums war beim Denkmalpflegetag in Berlin durch Nentwig und Trendelenburg vertreten und am Zustandekommen der Resolution beteiligt. 175 Der Text wurde zwar später auf Wunsch Nentwigs, der wohl den Eindruck eines Eingriffs in die Vermögensverhandlungen vermeiden wollte, von den Regierungsvertretern nicht mit unterzeichnet. 176 An der positiven Haltung des Ressorts änderte das aber nichts. Wie für das Finanzministerium wurde der denkmalpflegerische Aspekt in der Folgezeit vielmehr auch für das Kultusressort zur Leitlinie im Umgang mit dem ehemals königlichen Kunstbesitz. Speziell bei den Schlössern mit Denkmalwert stellte sich das Ministerium klar auf die Seite der Denkmalpflege. 177 Auch hier agierte man also eher vorsichtig. Die Wahrung von Kulturwerten, ihre Musealisierung und Öffnung für das Volk waren wichtigere Anliegen als etwa ein aggressiver Bruch mit dem alten System und seinen Wahrzeichen. 178 Mit der Vorstellung vom kulturellen Nationaleigentum wurde an Tendenzen angeknüpft, die schon 1918 beim Museumsschutz eine Rolle gespielt hatten. Der denkmalpflegerische Ansatz und das Bemühen, Schlösser komplett zu erhalten, mögen auch für die Zurückhaltung des Res-
174 Vgl. Eggeling 1991, S. 13; Paul Schumann: Tag für Denkmalpflege, 1 8 . 7 . 1 9 1 9 , S. 8 4 7 - 8 5 1 ; Ueber 9 . 7 . 1 9 1 9 , S. 2; Ueber die Zukunft
die Zukunft
der fürstlichen
der fürstlichen
in: Ku.chr.,
Schlösser,
Jg. 5 4 / 2 , Nr. 40,
in: BT, Jg. 48, Nr. 309,
Schlösser, in: W. d. Ku„ Jg. 18, Nr. 41, 2 1 . 7 . 1 9 1 9 ,
S. 278. 175 Vgl. Erweiterte
Ausschuß-Sitzung
des Tages für Denkmalpflege,
7 . / 8 . 7 . 1 9 1 9 , gedr., in: GStA P K ,
I. H A Rep. 90, Nr. 1796; Paul Schumann: Tag für Denkmalpflege,
in: Ku.chr.,
Jg. 5 4 / 2 , Nr. 40,
1 8 . 7 . 1 9 1 9 , S. 8 4 7 - 8 5 1 . 176 Vgl. Erweiterte
Ausschuß-Sitzung
des Tages für Denkmalpflege,
7 . / 8 . 7 . 1 9 1 9 , gedr., in: GStA PK,
I. H A Rep. 90, Nr. 1796. 177 So erklärte es etwa in einem Gesetzentwurf vom 6 . 1 1 . 1 9 2 0 (Abschr. in SchlösserverwaltungsAkten, zitiert nach Eggeling 1991, S. 17): „Die Innenräume der königlichen Schlösser sind heute als geschichtliche Denkmale zu betrachten, die mit allem Zubehör an Möbeln, Teppichen, Beleuchtungskörpern, Bildern und sonstigen Ausstattungsstücken als Ganzes aufzufassen sind und deren Einheit nicht durch Herausnahme einzelner Stücke geschädigt werden sollte." 178 Vgl. dazu auch K M an F M , 9 . 7 . 1 9 2 0 , ms., in: GStA P K , I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 2 1 1 212: „Nach dem [ . . . ] Vergleich über die Vermögensauseinandersetzung zwischen Staat und Krone trifft den Staat die Verpflichtung, von den ihm übertragenen Vermögensgegenständen den Kunstbesitz, die Bauwerke und die übrigen Gegenstände, die einen wissenschaftlichen, geschichtlichen und künstlerischen Wert haben, zu erhalten, auf seine Kosten pfleglich zu behandeln und der Allgemeinheit dauernd zugänglich zu machen."
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II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
sorts bei der Übereignung von Kunst aus den Schlössern an die Museen mit ausschlaggebend gewesen sein. 179 Obwohl das Ministerium auch für die Denkmalschlösser Zuständigkeit beanspruchte, 180 blieb sein Einfluß auf diese Anlagen bis zum Abschluß der Vermögensstreitigkeiten und zur Gründung der Schlösserverwaltung 1926/27 1 8 1 jedoch faktisch begrenzt. Im Schatten des Finanzressorts war der Handlungsspielraum allzu gering. Statt dessen konzentrierte sich das Ministerium Haenisch darauf, denkmalpflegerisch weniger relevante Schloßräume als zusätzliche Orte für die Museen zu gewinnen. Bestätigt wird diese auch für andere deutsche Staaten nachzuweisende Tendenz 1 8 2 durch einen Bericht Haenischs im Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik am 12. Februar 1919, der auf die Bemühungen des Ressorts hinwies, eines der Schlösser für eine Galerie modernster Kunst frei zu bekommen. 1 8 3 Von fortgesetzten Aktivitäten in diese Richtung zeugt ein vermutlich vom Frühsommer 1919 stammendes internes Ministeriumspapier, das auflistet, welche musealen Nutzungen damals für einzelne Hohenzollernschlösser vorgesehen waren. 184 Neben der Absicht, Wilhelmsthal, Brühl und Charlottenburg zu Schloßmuseen auszugestalten, wurde hier der Berliner Marstall als O r t für die anthropologische Sammlung sowie für das Rauch-Museum in Vorschlag gebracht. Vor allem aber ging das Papier auf den Plan ein, das Kunstgewerbemuseum ins Berliner Schloß und die moderne Abteilung der Nationalgalerie ins Kronprinzen- und Prinzessinnenpalais zu verlegen. Diesen Planungen folgten bald praktische Entscheidungen. Nachdem die zeitgenössische Abteilung der Nationalgalerie im August 1919 tatsächlich im Kronprinzenpalais eröffnet worden war (siehe Kap. II. 4.1.), stand dabei, neben dem erfolgreichen Einsatz des Ministeriums für eine Musealisierung der Schlösser Niederschönhausen oder Königsberg, 185 in erster Linie die Frage der musealen Nutzung des Berliner Schlosses im Mittelpunkt. Hatte sich der Denkmalpflegetag bereits im Juli 1919 für eine museale Umwandlung des Schlosses ausgesprochen, 186 setzte sich diese Haltung in den folgenden Wochen in kulturinteressierten
179 Vgl. dazu auch Hans Mackowsky: Das Erbe der Hohenzollern, in: Cie., Jg. 11, Nr. 3, 12.2.1919, S. 37-39; Eggeling 1991, S. 13; Wilderotter 1991 a, S. 120. 180 Vgl. KM: Kunstabteilung, [Juni 1919], ms. u. Liste KM, [Juni 1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 242-244; Karl Scheffler: Kulturabbau, in: Ku. u. KU., Jg. 31, Dez. 1932, S. 468-470, S. 469. 181 Vgl. dazu ausführlich Eggeling 1991, S. 24-29. 182 Vgl. Wilhelm Hausenstein: Aufgaben bayrischer Kunstpolitik, II., in: MNN, Jg. 72, Nr. 208, 28./29.5.1919; A. L. Mayer: Zum Kapitel,Aufgaben bayerischer Kunstpolitik', in: Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 37,27.6.1919, S. 772-775; W. A. Luz: Der Kampf ums Schloß, in: Ku.wart, Jg. 33/3, Nr. 15, Mai 1920, S. 140 f; Eggeling 1991, S. 22; Howoldt 1982, S. 153-156. 183 Vgl. Zentralrat 1968, S. 620. 184 Liste KM, [Juni 1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 244. 185 Vgl. KM an Justi, 28.9.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; Ministerialdirektor KM, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7286; Ritter (DNVP) u. Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7319-7321 u. 7344. 186 Vgl. Paul Schumann: Tag für Denkmalpflege, in: Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 40,18.7.1919, S. 847-851.
3. Einleitung längerfristiger
Reformen:
Museen
67
Kreisen als konsensfähig durch. 187 Jenseits dessen konkurrierten im Herbst 1919 bei der Frage, welches Museum ins Schloß ziehen sollte, jedoch zwei Pläne: Mackowsky favorisierte zusammen mit Bode die Einrichtung eines Skulpturenmuseums mit Werken Schinkels, Schadows und Rauchs, 188 während das Ministerium an der Absicht vom Sommer festhielt, das Kunstgewerbemuseum ins Schloß übersiedeln zu lassen und es mit den vorhandenen historischen Räumen zum Schloßmuseum zu vereinigen. Ende 1919 sollte es in der Landesversammlung zur Entscheidung kommen. Angeregt durch einen Antrag für das Schloßmuseum, den der Haenisch-Vertraute Cunow eingebracht hatte, wurde im November im Ausschuß sowie Anfang Dezember im Plenum intensiv diskutiert. Becker bat darum, Cunows Antrag zuzustimmen, und stellte erstmals den Plan vor, das Kunstgewerbemuseum ins Schloß zu verlegen. 189 Bode hingegen plädierte für das Skulpturenmuseum. 190 Letztlich wurde Cunows Antrag angenommen. 191 Damit war der Weg für eine museale Nutzung des Berliner Schlosses geebnet. Nachdem in der Presse schon im Oktober 1919 ein Umzug des Kunstgewerbemuseums ins Schloß begrüßt worden war und sich jetzt auch SPD und DDP dafür aussprachen, 192 sah sich das Kultusressort auch in seinem Nutzungskonzept bestätigt. 193 Es beantragte daraufhin den Umzug des Kunstgewerbemuseums. SPD-Finanzminister Albert Südekum stimmte dem im Januar 1920 zu, stellte aber die Bedingung, daß dafür auf weitere Ansprüche der Museen auf die Schlösser zu verzichten sei. 194 Offensichtlich erklärte sich das Kultusressort mit dieser Bedingung einverstanden. Nachdem dann im Juni 1920 durch Bereitstellung außerplanmäßiger Mittel in Höhe von 400.000 M, die aus Dublettenverkäufen der ostasiatischen Sammlung zur Verfügung standen, auch die Finanzierung des Umzuges geklärt war, 195 konnte das Kunstgewerbemuseum
187 Zu alternativen Nutzungskonzepten vgl. Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1825; Das Berliner Schloß, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 11, 15.12.1919, S. 75; W. A. Luz: Der Kampf ums Schloß, in: Ku.wart, Jg. 33/3, Nr. 15, Mai 1920, S. 140 f. 188 Vgl. BT, Jg. 48, Nr. 307, 8.7.1919, S. 3. 189 Rede Becker, 15.11.[1919], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 6782; siehe auch das Plädoyer eines Regierungsvertreters, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1825. 190 Bode, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1822 f; siehe auch W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 9, 1.12.1919, S. 61. 191 Vgl. LV, Dr. 1329, S. 1804 u. 1825; Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1809 u. 1812; Ritter (DNVP) u. Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7319-7321 u. 7344; Das Berliner Schloß, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 11,15.12.1919, S. 75. 192 Vgl. BT, Jg. 48, Nr. 498, 21.10.1919, S. 3; Curt Glaser: Der Berliner Museumsneubau in Dahlem, in: Ku.ehr., Jg. 55/1, Nr. 5, 31.10.1919, S. 83-86; Das Berliner Schloß, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 11, 15.12.1919, S. 75; Ausschußmtgl. (SPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1814 f; Bollert (DDP), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7284-7287 u. 7289. 193 Vgl. Das Berliner Schloß, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 11,15.12.1919, S. 75. 194 Vgl. Abschr. Südekum an KM, 29.1.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 193. 195 Vgl. FM an KM, 30.6.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 208-209; siehe dazu auch Heß (Z), 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 4-7; Gall, 23.1.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 238, Sp. 12 f; KM an FM, 7.9.1920, ms. u. Oberrechnungskammer Potsdam an FM, 4.2.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 211-213.
68
II.
Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
seit Juli 1920 sukzessive aus seinem alten Gebäude in der Prinz-Albrecht-Straße ins Schloß übersiedeln. Der von erwartungsvollen wie skeptischen Kommentaren begleitete Umzug 1 9 6 wurde dabei für Kunstgewerbemuseumsleiter von Falke, der während der Ubersiedlung zum Generaldirektor der Museen ernannt wurde, allgemein als Chance begriffen, sich durch die Einrichtung eines zeitgemäßen Museums zu profilieren und so seine Ernennung zu rechfertigen. 197 Als das Schloßmuseum im September 1921 durch Becker eröffnet wurde, 198 wurde es tatsächlich positiv aufgenommen. Nachdem von Falke schon im März 1921 betont hatte, daß im Schloß, dem aktuellen, bisher unerprobten Grundsatz der Sichtung und Trennung entsprechend, eine Schausammlung realisiert werde, 199 fand das Museum Beifall etwa im Landtag. 200 Gericke wies zudem 1922 darauf hin, daß man sich sogar in Frankreich anerkennend über das neue, so prominent untergebrachte Kunstgewerbemuseum geäußert habe. 201 Von Falke wurde also offensichtlich den museumsgestalterischen Forderungen der Zeit zumindest ansatzweise gerecht. 202 Ähnlich wie Justis Kronprinzenpalais konnte das Kunstgewerbemuseum so bei aller gebäudebedingten Einschränkung als erster Beleg dafür gelten, daß sich das Kultusministerium für Museumsgestaltungen im Sinne der „neuen Schaubarkeit" einsetzte. Darüber hinaus entsprach der Stellenwert, den Preußen dem Kunstgewerbemuseum durch die Präsentation an zentraler Stelle und die Ernennung seines Leiters zum Generaldirektor einräumte, nationalen wie internationalen Tendenzen der Kunstpolitik und speziell dem in Deutschland unter Einfluß des Werkbundes etablierten,
196 Vgl. dazu BT, Jg. 49, Nr. 321, 10.7.1920; Nr. 389, 19.8.1920; Curt Glaser: Aus den
Berliner
Museen, in: Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 45, 6.8.1920, S. 859-863; ZA Die Einnahmen
Berliner
der
Museen, 15.4. 1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8241, Bl. 11; W. A. Luz: Der
Kampf
ums Schloß, in: Ku.wart, Jg. 33/3, Nr. 15, Mai 1920, S. 140 f; Schmitz 1931, S. 79 f. 197 Vgl. Die Uebersiedelung
des Kunstgewerbemuseums
in das Schloß, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 42,
2.8.1920, S. 303 f; Fritz Stahl: Die Berliner Museen, in: BT, Jg. 49, Nr. 342, 23.7.1920; Der Wechsel in der Generaldirektion
der Museen, in: BT, Jg. 49, Nr. 459, 29.9.1920.
198 Vgl. Schmitz 1931, S. 79 f; ZA Die Einnahmen
der Berliner Museen, 15.4.1921, in: GStA PK,
I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8241, Bl. 11; Krongutsverwaltung an KM, 21.6.1923, ms. u. Abschr. Protokoll Besprechung, 16.5.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 284-285; zum Museum vgl. auch Eggeling 1991, S. 19-21; Petras 1987, S. 156; Preußischer Kulturbesitz 1986, S. 85; Bernau 1995 a, S. 28; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 431 f u. Bd. 2, S. 379. 199 Ο. v. Falke: Das Berliner Schloßmuseum, in: Ku.wan., Jg. 3 , 1 . März-Nr. 1921, S. 265-267; zur seit dem Sommer 1920 geplanten Studiensammlung vgl. auch FM an KM, 30.6.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 208-209; Curt Glaser: Aus den Berliner Museen, in: Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 45, 6.8.1920, S. 859-863. 200 Vgl. Heß (Z), 28.11.1921, in: LT, W P 1, HA, Szg. 75, Sp. 4 - 7 ; Heß (Z), 22.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7436-7438; siehe dazu auch Oelze (DNVP), 28.11.1921, in: LT, W P 1, HA, Szg. 75, S. 23. 201 Herbert Gericke: Die bildenden Künste im französischen Staatshaushalt 1921, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 17, 20.1.1922, S. 290-294. 202 Eher skeptisch dazu z.B. W. A. Luz: Der Kampf ums Schloß, in: Ku.wart, Jg. 33/3, Nr. 15, Mai 1920, S. 140 f; Oestreicher (SPD), 23.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7479-7481; Schmitz 1931, S. 245.
3. Einleitung längerfristiger Reformen: Museen
69
für das Ministerium maßgeblichen Postulat einer engeren Beziehung von freier und angewandter Kunst (siehe Kap. II. 3.2. und II. 5.). Dem Kunstgewerbemuseum im Schloß kam vor diesem Hintergrund durchaus eine eigenständige Bedeutung für die Museumspolitik des Ministeriums zu. 203 Das eigentliche, weitreichendere Interesse, das sich für das Ministerium mit dem Schloßmuseum verband und das letztlich auch den starken Einsatz des Ressorts für das Museum rechtfertigte, 204 war aber ein anderes: Die katastrophale Finanzlage des Staates nach dem Krieg stellte die Fortführung der großen Museumsbauprojekte, die in Dahlem und auf der Museumsinsel vor 1914 begonnen worden waren und die seit Kriegsbeginn teilweise oder ganz ruhten, in Frage. 205 Vor diesem Hintergrund mußten nach 1918 Konzepte entwickelt werden, dem Platzmangel der Museen, der Hauptgrund für die Neubauprojekte gewesen war, anders zu begegnen. Das Sichten der Sammlungen und der umstrittene, vom Kultusressort aber akzeptierte Dublettenverkauf 206 waren hier auch als Ansätze zu verstehen, der angespannten räumlichen Situation entgegenzuwirken. Vor allem aber rückten jetzt die Schlösser als Raumalternative ins Zentrum. Diese Alternative konnte direkt wirken wie beim Kronprinzenpalais, das einen nicht zu realisierenden Neubau ersetzte, oder indirekt wie beim Berliner Schloß, das das Kunstgewerbemuseum aufnahm und so Platz in dessen altem Bau schuf. Als besonders wirkungsvoll erwies sich der Umzug des Kunstgewerbemuseums ins Schloß, weil dadurch ein komplettes Gebäude, nämlich das alte Kunstgewerbemuseum in der Prinz-Albrecht-Straße, der heutige Martin-Gropius-Bau, frei wurde und für die Museen zusätzlich zur Verfügung stand. Der freie Bau stellte die Voraussetzung für eine Neustrukturierung der Museumslandschaft in Berlin dar, die den Sparzwängen der Nachkriegszeit entsprach und dennoch das Ziel des Raumzuwachses im Blick behielt. Dem Schloßmuseum kam so eine Schlüsselrolle für die Neuordnung der Berliner Museumslandschaft zu, die in Abhängigkeit von Vorgaben des Finanzministeriums federführend vom Kultusministerium betrieben wurde.
203 Vgl. Haenisch 1921, S. 153; Übersiebt Uber bedeutungsvolle Angelegenheiten des Kultusministeriums,
im
Geschäftsbereich
die seit April 1921 in Fluß gebracht bzw. erheblich gefördert oder zum
Abschluß gebracht sind, Duwe an [Becker], 19.10. [1921?], hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1751; KM: Zusammenstellung dem Gebiete der Kulturpolitik seit November
der Leistungen der preußischen
Regierung
auf
1918, 1931, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl.
Grimme, Paket 41 a; Waetzoldt 1933, S. 85; siehe auch Ausschußmtgl. (SPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1814 f. 204 Vgl. dazu auch Abschr. Protokoll Besprechung, 16.5.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 285 r. 205 Vgl. Joachimides 1995 a, S. 195. 206 Zur Diskussion darum vgl. Lothar Brieger an Haenisch, 12.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 22-23; Justi an KM, 25.6.1919, ms. u. Abschr. Alte Meister Guenther Koch & Co. an [KM], 15.3.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 2 0 8 - 2 0 9 u. 220; Deutscher Museumsbund,
in: Ku. u. Kü.,]g.
18, Nr. 12, Aug. 1920, S. 546-549; Falke, 30.11./3.12.1920, in:
LV, Dr. 3947, S. 7288; Karl Scheffler: Die Berliner Museumsbauten, 1921.
in: Voss. Ztg., Nr. 85, 20.2.
II. Neuorientierung
70
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Konkret verband sich bereits im Ressortpapier von 1919 der Vorschlag, das Kunstgewerbemuseum ins Schloß zu verlegen, mit der Idee, den so gewonnenen Platz in dessen altem Bau von anderen Museen nutzen zu lassen. Damals beabsichtigte das Kultusministerium noch, dort die Prähistorie, das Volkskundemuseum und die Musikinstrumentensammlung unterzubringen.207 Im Herbst 1919 erregte dann jedoch der brach liegende Bau des seit 1907 von Bode projektierten, seit 1915 von Bruno Paul ausgeführten und im Rohbau nahezu fertiggestellten Asiatischen Museums in Dahlem 208 öffentliche Aufmerksamkeit. Curt Glaser berichtete Ende Oktober empört davon, daß eine Siedlungsbaugesellschaft Ziegel mit Genehmigung des Reichskommissars für Wohnungswesen vom Bauplatz wegschaffe.209 Durch die Gefährdung des Asiatischen Museums, das für Teile des Völkerkundemuseums, unter anderem die ostasiatische Kunst,210 und für die bisher im Kaiser-Friedrich-Museum untergebrachte Islamische Abteilung gedacht war, sah Glaser die kaiserzeitlichen Neuordnungspläne ihrer Basis beraubt. Die Kritik daran sowie an der Tatsache, daß die Absicht, das Kunstgewerbemuseum ins Schloß zu verlegen und so einen Entlastungsort zu schaffen, noch immer nicht realisiert worden sei, verband er mit dem Vorwurf, die Forderung Kunst fürs Volk sei bisher reines Schlagwort geblieben. Abgesehen vom Kronprinzenpalais sei nichts geschehen. Die Regierung zögere allzu sehr und schaue statt dessen machtlos dem Abtransport von Baumaterial zu.211 Dieser Vorwurf war kaum anders als ein Angriff auf die Museumspolitik des Ministeriums zu verstehen. Nachdrücklich wurde so auf das tatsächlich bestehende Dilemma hingewiesen, daß im Widerspruch zur Bedeutung, die das Kultusressort den Museen zuschrieb, kaum öffentliche Gelder für sie zur Verfügung standen.212 Deutlich wurde das zur gleichen Zeit auch auf der Museumsinsel: Zwar konnte Ende 1919 der dortige bei Kriegsende ebenfalls unfertige Dreiflügelbau Alfred Messels, der, seit 1907 geplant und seit 1909 unter der Leitung Ludwig Hoffmanns stehend, Bodes Deutsches Museum und den Pergamonaltar aufnehmen sollte, notdürftig fortgeführt werden.213 Auch hier waren allerdings wirtschaftlich bedingte Einschränkungen spürbar.214
207 O b hier bereits eigentlich das Völkerkunde- und nicht das Volkskundemuseum gemeint war, läßt sich nur mutmaßen. Als Hinweis darauf kann gelten, daß es in C u r t Glaser: Der Museumsneubau
in Dahlem,
Berliner
in: Ku.chr., Jg. 5 5 / 1 , Nr. 5, 3 1 . 1 0 . 1 9 1 9 , S. 83 hieß, in der Presse sei zu
lesen, nach dem U m z u g des Kunstgewerbemuseums ins Schloß sollten die Prähistorie, die Musikinstrumente und die „Schädelsammlung" im alten Kunstgewerbemuseum untergebracht werden. 208 Z u m Asiatischen Museum vgl. Severin 1991; Preiß 1994, S. 259. 2 0 9 Curt Glaser: Der Berliner
Museumsneubau
in Dahlem,
in: Ku.chr.,
Jg. 55/1, Nr. 5, 3 1 . 1 0 . 1 9 1 9 ,
S. 8 3 - 8 6 ; siehe dazu auch Die „ Kunst fürs Volk " - in Phrase und in Wirklichkeit, i n : W . d . Ku., Jg. 19, Nr. 6 , 1 0 . 1 1 . 1 9 1 9 , S. 38; Severin 1992, S. 477; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 416 u. Bd. 2, S. 370. 210 Die ostasiatische Kunst gehörte damals ζ. T. zum Völkerkunde-, ζ. T. zum Kunstgewerbemuseum, vgl. Severin 1991, S. 4 6 2 - 4 6 6 . 211 Curt Glaser: Der Berliner
Museumsneubau
in Dahlem,
in: Ku.chr.,
Jg. 5 5 / 1 , Nr. 5, 3 1 . 1 0 . 1 9 1 9 ,
S. 8 3 - 8 6 . 212 Vgl. Scheffler 1921, S. 33. 213 Vgl. Protokoll Museumsbaukommission, 9 . 4 . 1 9 2 0 , ms., in: GStA P K , I. H A Rep. 151, I C , Nr. 8263; Watzinger 1944, S. 351 f; Petras 1987, S. 156 f. 2 1 4 Vgl. Arbeitsministerium u. K M an F M , 1 8 . 7 . 1 9 1 9 , ms., Steinmetzfirmen an F M , 2 5 . 8 . 1 9 1 9 , ms.,
3. Einleitung längerfristiger Reformen: Museen
71
Vor diesem Hintergrund war die Frage, wie mit den großen, unfertigen Museumsbauprojekten der Kaiserzeit umzugehen sei, Ende 1919 Thema in der Landesversammlung. Angesichts der Problematik in Dahlem konzentrierte sich die Diskussion dabei auf das Asiatische Museum. Die Stimmungslage der Parteien zu Verhandlungsbeginn war klar: Mehrheitlich wurde ein Antrag angenommen, der eine Fertigstellung des Dahlemer Museums befürwortete und verlangte, eine weitere Schädigung durch die Entnahme von Baustoffen zu verhindern. 215 Während das Zentrum schon einräumte, Einsparungen seien unumgänglich, 216 stellten sich die Vertreter der anderen Parteien zunächst hinter den Antrag. Nentwig bemühte sich daraufhin, das Bild vom zögerlichen Kultusressort zurechtzurücken, indem er darauf hinwies, daß der Dahlemer Bau im Sommer durch Notstandsarbeiten gefördert worden sei, man sich gegen den Abtransport der Baustoffe gewehrt habe und wegen des Völkerkundemuseums in Verhandlungen stehe. 217 Als dann aber die Ausführungen des Sprechers des Wohlfahrtsministeriums in der Aussage gipfelten, der Wohnungsbau müsse Vorrang vorm Museumsbau haben, und deutlich wurde, daß sich das Kultusressort mit dem Wohlfahrts- und dem Finanzministerium allenfalls auf eine eingeschränkte Baufortführung mit dem Ziel der Wetterfestigkeit würde einigen können, 218 leitete das eine Wende in der Debatte ein. Zentrum und D N V P zogen ihre Zustimmung zum Antrag zurück. 219 Und auch die anderen Parteien ließen sich auf Abstriche ein. 220 Wohl auch, um einem Ausspielen der Wohnungsnot gegen die Förderung von Kunst und Kultur und damit dem verbreiteten Vorurteil, Kunst sei ein unzeitgemäßer Luxus, keinen weiteren Vorschub zu leisten, 221 wurde der Antrag zwar nicht abgelehnt, die Fraktionen einigten sich aber schließlich darauf, auch einen reduzierten Weiterbau zu akzeptieren. 222 Offenbar war den Beteiligten durch die Position des Wohlfahrtsministeriums bewußt geworden, daß kulturelle Interessen angesichts der angespannten Situation nach dem Krieg künftig tatsächlich nur eingeschränkt die Chance haben würden, sich gegen soziale Belange zu behaupten. Während die Folgen eines reduzierten Ausbaus des Dahlemer Museums von den Parteien noch nicht konkretisiert wurden und der Dahlemer Bau allenfalls andeutungsweise
Bode an KM, 7.11.1919, ms. u. FM an KM, 25.11.1919, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; siehe auch Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807. 215 Vgl. LV, Dr. 1329, S. 1804 u. 1825 f; siehe auch Ausschußmtgl. (DDP) u. Ausschußmtgl. (SPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1813-1815. 216 Vgl. Lauscher (Z), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806. 217 Ministerialdirektor KM, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1821. 218 Vgl. Ministerialdirektor Wohlfahrtsministerium, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1821. 219 Vgl. Ausschußmtgl. (Z) u. Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1822 f u. 1825. 220 Vgl. Ausschußmtgl. (DVP), Ausschußmtgl. (SPD) u. Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1823-1825. 221 Vgl. dazu auch Ministerialdirektor KM, Ausschußmtgl. (DDP), Ausschußmtgl. (SPD) u. Ministerialdirektor Wohlfahrtsministerium, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1820 f u. 1824 f; Curt Glaser: Der Berliner Museumsneubau
in Dahlem, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 5, 31.10.1919, S. 83-86; Scheff-
ler 1921, S. 33. 222 Vgl. Bollert (DDP), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7284-7287 u. 7289; Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7344.
72
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
mit dem Schloßmuseum in Verbindung gebracht wurde,223 hatte Becker im Ausschuß bereits Mitte November 1919 den Stand der Ministeriumsplanungen bis hin zur möglichen Alternative zum Dahlemer Projekt vorgestellt. Wohl unter dem Eindruck vorheriger Verhandlungen mit anderen Ressorts, hatte er betont: „Bei den in den Zeiten des Friedens für die Museen in Aussicht genommenen Bauten hätten zuerst die Sparsamkeit und das Rechnen mit den neuen Verhältnissen einsetzen müssen. Im Völkerkundemuseum wäre eine Überfülle an Stoff vorhanden; davon sollten die Asiatischen Sammlungen nach Dahlem gebracht werden. Das reichhaltige Material des Kunstgewerbemuseums könnte vielleicht im Stadtschloß [...] untergebracht werden. Dann könnten die Räume des Kunstgewerbemuseums als Ersatz für die bei den Dahlemer Bauten gestrichenen Erweiterungen des Völkerkundemuseums sowie der [...] Sammlung alter Musikinstrumente zur Verfügung gestellt werden." 224 Becker artikulierte damit nicht nur erstmals die Absicht, das Kunstgewerbemuseum im Schloß unterzubringen, sondern verknüpfte diesen Vorschlag auch gleich mit dem Dahlemer Projekt. Er ging hier zwar offensichtlich noch von einer Vollendung des Asiatischen Museums in gewissem Umfang aus, zugleich aber sprach er bereits explizit vom alten Kunstgewerbemuseum als „Ersatz" für die in Dahlem gestrichenen Erweiterungen des Völkerkundemuseums. Sinn machte diese Lösung dabei auch deswegen, weil das 1877-91 errichtete alte Kunstgewerbemuseum neben dem 1886 eingeweihten bisherigen Völkerkundemuseum lag und so als eine Art völkerkundlicher Erweiterungsbau gesehen werden konnte. 225 Becker unterstrich darüber hinaus, daß eine solche Neuordnung der Museen direkte Folge der eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten der Nachkriegszeit war - daß das Kultusressort also, gebunden an Rahmenbedingungen, die die Finanzlage und das Finanzministerium vorgaben, zum Handeln gezwungen war. Er beließ es jedoch nicht bei der Präsentation der daraus resultierenden Planungen, sondern suchte sofort auch erste Weichen für deren Umsetzung zu stellen, indem er wenig später um Zustimmung zu Cunows Antrag bat, 226 durch den der Umzug des Kunstgewerbemuseums ins Schloß und damit letztlich die Neuordnung insgesamt möglich wurde. Daß ausgerechnet Cunow als Mitarbeiter des Völkerkundemuseums den Antrag einreichte, erhellt die Stoßrichtung zusätzlich. Angesichts des engen Finanzspielraums gerade in der Kulturpolitik suchte das Ministerium also früh, Alternativmodellen den Boden zu bereiten. Im April 1920 einigten sich Wohlfahrts- und Finanzressort dann zunächst doch auf einen Abschluß des Dahlemer Projektes und die Fortführung des Museumsinselneubaus.227 Im
223 Vgl. ζ. B. Lauscher (Z) u. Ausschußmtgl. (SPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806 u. 1814 f. 224 Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807; siehe dazu auch Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6782; W. d. Ku. J g . 19, Nr. 8, 24.11.1919, S. 54. 225 Schon zu Beginn des Jahrhunderts war ein solcher Erweiterungsbau für die ostasiatische Kunst diskutiert worden, vgl. Severin 1991, S. 468. 226 Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807; siehe auch Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6782. 227 Vgl. Notiz FM, 11.4.1920, hs. u. Protokoll Museumsbaukommission, 9.4.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263.
3. Einleitung längerfristiger
Reformen:
Museen
73
Sommer 1920 wurden die Arbeiten auf beiden Baustellen in reduzierter Form wieder aufgenommen. 228 Während gleichzeitig die Einrichtung des Schloßmuseums vom Staat gefördert wurde und dabei bezeichnenderweise Erlöse der ostasiatischen Abteilung als Finanzgrundlage dienten,229 war für das Dahlemer Museum nun vor allem zu klären, wie das Minimalziel einer Überdachung realisiert werden könnte. Das Schreckensbild vor Augen, eine Ruine zu hinterlassen, die dem Kulturstaatsverständnis so gar nicht entsprochen hätte, bemühten sich Nentwig und Trendelenburg, Bedingungen durchzusetzen, die eine einigermaßen sinnvolle Baufortführung ermöglichten. 230 Immer wieder sah sich das Kultusministerium dabei mit seinen kulturellen Ansprüchen in Konkurrenz zu brennenden sozialen Themen wie Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit, immer besser verstand es es aber auch, eben diese Themen, etwa wenn es um den Abbau von Arbeitsplätzen auf den Museumsbaustellen ging, im eigenen Interesse zu nutzen. Letztlich wurden so Materialgarantien und zusätzliche Geldbewilligungen für Dahlem möglich.231 Seit Herbst 1920 spitzte sich die Lage jedoch immer mehr zu: Im September stellte das Finanzressort den Museumsinselbau generell in Frage, indem es erklärte, daß „weitere Mittel auch im nächsten Jahr nicht flüssig gemacht werden könnten und daß erneut die Frage geprüft werden müßte, ob der Staat noch in der Lage sei, ein auf ganz andere Verhältnisse zugeschnittenes Unternehmen zu Ende zu führen". 232 Gestützt auf einen Dringlichkeitsappell Bodes und eine Kostenaufstellung der Bauverwaltung beantragte das Kultusministerium wenig später 6 Millionen M für die Museumsinsel und 2,75 Millionen M für das Dahlemer Museum. Als Ziel nannte es den „Ausbau bis zur Gebrauchsfähigkeit [...] in dem Zeitmaß, in dem die Finanzlage es irgend gestattet". 233 Im Oktober 1920 waren die Fonds für die Museumsinsel wie für Dahlem dann allerdings endgültig erschöpft. 234 Das Kultus-
228 Vgl. Fortführung
der Berliner Museumsbauten,
Nr. 550, 1.12.1920; Fortführung
in: BT, Jg. 49, Nr. 347, 26.7.1920; BT, Jg. 49,
der Berliner Museumsbauten,
in: W.d.Ku.,
Jg. 19, Nr. 42, 2.8.
1920, S. 303 f; Petras 1987, S. 156 f; Wille: Protokoll Museumsbaukommission, 9.7.1920, Ds., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 229 Vgl. FM an KM, 30.6.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 208-209; Heß (Z), 28.11.1921, in: LT, W P 1, HA, Szg. 75, Sp. 4 - 7 . 230 Vgl. Protokoll Museumsbaukommission, 9.4.1920, ms., Wille: Protokoll Museumsbaukommission, 9.7.1920, Ds., ms., KM (Nentwig) an FM, 3.8.1920, ms., KM (Nentwig) an FM, 27.9.1920, ms. u. Protokoll Museumsbaukommission, 15.9.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 231 Vgl. KM (Nentwig) an FM, 3.8.1920, ms., KM an FM, 12.10.1920, ms., FM an KM, 21.10.1920 u. [FM] an Dulheuer (FM), 9.8.1920, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; siehe dazu auch Wille: Protokoll Museumsbaukommission, 9.7.1920, Ds., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 232 Protokoll Museumsbaukommission, 15.9.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 233 KM (Nentwig) an FM, 27.9.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 234 Vgl. KM (Trendelenburg) an FM, 15.10.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. Auf der Museumsinsel konnten die Bauarbeiten mit starken Abstrichen dennoch fortgesetzt werden, vgl. Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 9, 26.11.1920, S. 175; BT, Jg. 49, Nr. 550, 1.12.1920; KM an Wille, 23.12.1920, ms., KM (Nentwig) an FM, 14.1.1921, ms., KM (Nentwig) an FM, 17.1.1921, ms., FM an KM, 20.1.1921, ms., FM an KM, 22.2.1921, ms., KM (Nentwig) an FM, 24.2.1921, ms. u.
74
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
ministerium versuchte zwar noch, Mittel aus der produktiven Erwerbslosenhilfe zu aktivieren.235 Für Dahlem kam der Vorstoß aber zu spät, denn das Finanzressort entschied nun, auf das dortige Museum zu verzichten und nur den Museumsinselbau fortzuführen. 236 Am 22. Februar 1921 stellte es die Kultusbehörde entsprechend vor vollendete Tatsachen und verlangte von deren Referenten, „den Ansprüchen der Museumsdirektoren gegenüber mit allem Nachdruck zu betonen, dass für die weitere Förderung des Museumsbaues [auf der Insel] Voraussetzung ist, dass mit dem für Museumszwecke zur Verfügung stehenden Raum im alten Kunstgewerbemuseum und im Neubau auf der Insel auf das sparsamste [...] hausgehalten werden muss. Bei peinlicher Ausnutzung des Raumes sollte es [..] möglich sein, mit den Räumen der beiden genannten Museen den grössten Teil des Bedarfs der Abteilungen, welche nach Dahlem übersiedeln sollten, zu decken. Jedenfalls bitte ich, bei den Erwägungen über die Raumverteilung den Neubau in Dahlem nicht mit in Betracht zu ziehen. Der Dahlemer Bau käme teilweise als zeitweiliges Magazin [...] in Betracht; die Eröffnung eines eigentlichen Museums in diesem Bau würde schon an den ausserordentlichen neuauftretenden laufenden Kosten scheitern. Nur bei den bezeichneten Einschränkungen wird es möglich sein, den Abschluss der Neuordnung der Museen in absehbarer Zeit ins Auge zu fassen". 237 Das fast anderthalb Jahre zuvor schon unter dem Eindruck der angespannten Wirtschaftssituation, aber noch in einer eingeschränkten Version präsentierte räumliche Alternativmodell des Kultusressorts war damit angesichts der Verschärfung der wirtschaftlichen Lage vom Finanzressort in voller Konsequenz und in einer Form beschlossen worden, die über die ursprünglichen Absichten Beckers hinausging. 238 Das Dahlemer Museum sollte künftig gar nicht mehr als Präsentationsort in Betracht gezogen, sondern allenfalls als Magazin genutzt werden; für die Neuordnung der Museen und die ostasiatische und islamische Kunst sollte statt dessen der Raum im alten Kunstgewerbemuseum und auf der Museumsinsel genügen. Das Schreiben vom Februar 1921 unterstreicht dabei die Abhängigkeit des Kultusministeriums von den Vorgaben des Finanzressorts: Das Finanzministerium entschied über die Rahmenbedingungen, innerhalb derer das für die Kunst zuständige Ressort für die Ausgestaltung im Einzelnen verantwortlich war. Der Verzicht auf das Asiatische Museum, der den Kern der Neustrukturierung der Museumslandschaft nach 1918 bildete und der erst durch den Umzug des Kunstgewerbemuseums möglich wurde, erweist sich so eindeutig als Folge finanziell-pragmatischer Entscheidungen. Stilistische Belange spielten beim Verzicht offensichtlich keine Rolle, zumal Pauls Architektur für einen wilhelminischen Museumsbau ungewöhnlich modern war 239 . Und auch für die später polemisch
235
236 237 238 239
Gewerkschafts-Kommission Berlin und Umland an FM, 10.3.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. Vgl. KM (Nentwig) an FM, 17.12.1920, ms. u. FM an KM, 21.12.1920, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263; siehe auch KM (Hiecke) u. FM an Reichsamt für Arbeitsvermittlung, 30.6.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. Vgl. FM an KM, 22.2.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. Ebd., Bl. 4 f. Vgl. dazu auch 1. b.: Berliner Museumsfragen, in: Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 28, 8.4.1921, S. 547 f. Vgl. Peschken 1994, S. 239; Severin 1991, S. 471-475; Waetzoldt 1995, S. 55 f u. 58.
3. Einleitung längerfristiger Reformen: Museen
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propagierte Behauptung, fachspezifische Interessen des Orientalisten Becker seien ausschlaggebend dafür gewesen, (siehe Kap. III. 4.1.) finden sich keinerlei Anhaltspunkte. Mit der Entscheidung vom Februar 1921, die dem Schloßmuseum seine zuvor in eingeschränkterer Form erwogene Entlastungsfunktion in ganzem Umfang zuwies, wurden schon unter Haenisch die wesentlichen Weichen für die Neustrukturierung der Berliner Museumslandschaft in den 20er Jahren gestellt. 240 Früh sah sich das Kultusressort hier mit einer Rahmenbedingung konfrontiert, die seine Politik die gesamte Weimarer Zeit hindurch bestimmen sollte: Dem eigenen Anspruch auf Kunst- und Kulturförderung zum Trotz mußten auf Grund der angespannten Finanzlage des Staates Abstriche in der Kunstpolitik besonders dort in Kauf genommen werden, wo die Umsetzung von größeren Geldsummen abhing. Das Ministerium konnte sich vor diesem Hintergrund allenfalls kompromißhaft bemühen, Prioritäten zu setzen und die einschneidende Wirkung der finanziellen Kürzungen dadurch abzufangen, daß es selbst alternative Modelle entwickelte. Letztlich stand es aber nur in begrenztem Maße in seiner Macht, die großen finanziellen Entscheidungen im Sinne der Kultur zu lenken. Wie im Brief des Finanzministerium bereits anklang, kollidierten die Neustrukturierungspläne der Republik mit den Vorstellungen der aus der Kaiserzeit übernommenen Museumsmänner, die bisher an eine großzügige Förderung gewöhnt waren. Mit dem Verzicht auf Dahlem durchkreuzten Finanz- und Kultusressort vor allem Bodes eng mit kulturideologischen Konzeptionen der Kaiserzeit verknüpfte Neuordnungsabsichten, die dieser seit Beginn des Jahrhunderts auf den Weg gebracht hatte und deren glanzvollen Abschluß Bode als Vollendung seines Lebenswerkes betrachtete. 241 Zwar hatte Becker, wohl im Bewußtsein der Sensibilität des Themas, vor der ersten Ankündigung eines eventuellen Teilverzichts auf Dahlem Ende 1919 die Verdienste des langjährigen Generaldirektors betont. 242 Bode, der sich bereits kurz nach dem Umsturz für eine Baufortsetzung in Dahlem ausgesprochen hatte, 243 begriff aber trotzdem die Reichweite der Ankündigung. Noch im Ausschuß legte er sofort die enorme Wichtigkeit des Dahlemer Museums dar 244 und nahm fortan vehement gegen die Umsetzung der Becker-Pläne Stellung. Konkret suchte Bode den ministeriellen Neuordnungsideen zunächst dadurch die Basis zu entziehen, daß er sich gegen den Umzug des Kunstgewerbemuseums aussprach. Bodes Einsatz für das Skulpturenmuseum im Schloß, 245 dem auf Grund des Bezugs zwischen preußischer Plastik und Schlüterbau eine
240 Zu den Pressereaktionen darauf vgl. ζ. B. Erich Römer: Museumsruine Der Tag, Nr. 135, 22.3.1921 u. Kober: Berliner Museumsfragen.
oder Museumsausbau,
Sorgenkinder
der
in:
Kunstverwal-
tung, in Voss. Ztg., 22.3.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8241, Bl. 6 u. 12. 241 Vgl. Severin 1991, bes. S. 461 f u. 466-477; Gaehtgens 1992 a; Gaehtgens 1992 b, bes. S. 53-57; Schuster 1995, S. 16 f; Gaehtgens 1997, S. XIII f; Szambien 1994, S. 48. 242 Vgl. Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807; Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6782. 243 Vgl. Severin 1991, S. 477. 244 Vgl. Bode, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1822 f. 245 Vgl. ebd.; siehe dazu auch Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1823; W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 9, 1.12.1919, S. 61.
II. Neuorientierung
76
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Berechtigung durchaus nicht abzusprechen ist, erhält vor diesem Hintergrund eine zusätzliche Dimension. Bodes Bemühungen in diese Richtung scheiterten jedoch, als der Umzug Anfang 1920 genehmigt wurde. Im September 1919 hatte das Kultusressort, für das die Unterbringung des Rauchmuseums ja ebenfalls ein Anliegen war, 246 Bode überdies bereits den Wind aus den Segeln genommen, als es beim Finanzressort zusätzliche Mittel für die Fertigstellung des seit 1917 ruhenden Neubaus des Rauchmuseums in der Hardenbergstraße durchsetzen konnte: Nachdem zunächst lediglich ein Schutz des Baus vor Witterungsschäden zugebilligt worden war, hatten Finanz- und Arbeitsressort im März 1920 schließlich grünes Licht für das Vorhaben gegeben. 247 Das Rauchmuseum schien damit untergebracht und Bode einer Strategie gegen die Neuordnungspläne der Republik beraubt. Als der Beschluß, den Bau in Dahlem fortzuführen, die Situation im Sommer 1920 vorübergehend entspannte, 248 blieb Bode mißtrauisch und trug weiterhin den Wunsch in die Öffentlichkeit, das Asiatische Museum müsse vollendet werden. 249 Unterstützung erfuhr er dabei von Glaser und Scheffler. 250 Gleichzeitig appellierte er an das Kultusministerium, sich für Dahlem einzusetzen. 251 Die Ablehnung, mit der der scheidende Generaldirektor den finanziell bedingten Neuordnungsplänen begegnete, und vor allem der Verzicht auf Dahlem belasteten das Verhältnis zwischen Bode und dem Kultusressort schwer. Nachdem Bode die Ministeriumsaktivitäten bereits seit dem Abtransport des Materials von der Dahlemer Baustelle 1919 argwöhnisch beobachtet hatte, 252 verschärfte sich die bei den Vermögensverhandlungen virulent gewordene Mißstimmung so noch einmal erheblich. Waren die differierenden Vorstellungen beim Popularisierungsanspruch für die politischen Handlungsträger wie die Museumsbeamten um Bode noch tolerabel gewesen - wobei sicher entscheidend war, daß das Ressort den Museen bei der Umsetzung relativ freie Hand ließ 253 - , prallten die Ansprüche bei der Neustrukturierung der
246 Vgl. Liste KM, [Juni 1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 244. 247 Vgl. KM an FM, 25.9.1919, ms., Entwurf FM an KM, 13.10.1919, hs. u. FM an KM, 31.3.1920, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 140-141 u. 187. 248 Die Entspannung mag auch dazu beigetragen haben, daß Bode sein Abschiedsgesuch genau in dieser Zeit einreichte, vgl. Ein neuer Generaldirektor
der staatlichen Museen, in: BT, Jg. 49, Nr. 313,
6.7.1920. 249 Vgl. Bode: Probleme des modernen Museums, in: Voss. Ztg., 28.8.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 399; Wilhelm von Bode: Von der Großmannssucht
in der deutschen Kunst, in: Ku. u.
KU., Jg. 19, Nr. 4, Jan. 1921, S. 140-145. 250 Vgl. Curt Glaser: Aus den Berliner Museen, in: Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 45, 6.8.1920, S. 859-863; Karl Scheffler: Die Berliner Museumsbauten,
in: Voss. Ztg., Nr. 85,20.2.1921; siehe dazu auch Scheffler
1946, S. 234 f. 251 Vgl. Abschr. Bode an KM, 22.9.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; Bode an Haenisch, 12.12.1920, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 34, Bl. 12-13; siehe dazu auch Kalendereinträge Bode, 4.1.1921,18.1.1921 u. 2.2.1921, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 212. 252 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 416 f. 253 Vgl. dazu auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 414 f: „Die Minister, mit denen uns die neue Zeit beglückte: anfangs die Zwangsehe des Mehrheitssozialisten Konrad Haenisch mit dem Unabhängigen Adolf Hoffmann [...] brachten für uns keine wesentlichen Veränderungen [...] U m unsere Museen hat sich Haenisch [..] so wenig gekümmert, daß wir ihn nur mit Mühe zu einem Besuch
J. Einleitung längerfristiger Reformen:
Museen
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Museumslandschaft unvereinbar aufeinander.254 Vermutlich verfestigte sich bei Bode und anderen Museumsleitern nicht zuletzt aus dieser Situation heraus der Eindruck, das Kultusministerium habe seit um 1920 eine zentralistische Museumspolitik betrieben. 255 Aus den Sachkonflikten zwischen Ministerium und Museumsleitung, die 1919/20 aufbrachen und im Kontext der Bautenfrage eskalierten, erwuchsen so bald Differenzen von generellerer Tragweite. Es begannen sich Fronten und Feindbilder aufzubauen, die die preußische Kunstpolitik in den folgenden Jahren prägen sollten. Der Grundwiderspruch in der Museumspolitik des Ministeriums nach 1918, zum einen zeitadäquate Ansätze wie den Popularisierungsanspruch oder Abstriche bei älteren Planungen durchzusetzen und zum anderen personalpolitisch konservativ zu agieren, trat dabei schon zum Ende von Haenischs Amtszeit offen zu Tage. Während das Ministerium bei der Öffnung der Museen fortschrittliche, der demokratischen Kulturstaatsidee entsprechende Akzente setzte und es gleichzeitig wegen mangelnder Entschlossenheit bei der Erneuerung von links attackiert wurde, 256 erwies sich das Festhalten an den alten Museumsbeamten - zumal seit Bodes Vertrauen zu Nentwig schwand 257 und neue Männer wie Gall an Einfluß gewannen 258 - bereits früh keineswegs als das erhoffte stabile Fundament, sondern als Belastung für die Zukunft.
bewegen konnten, und der galt auch nur der Frage der Fortsetzung der Neubauten. Im übrigen hat er uns ganz gewähren lassen, und in dem Ausbau unserer Verwaltung und unserer Sammlungen wäre keine Änderung oder Stockung eingetreten, hätten nicht die furchtbaren Zeitverhältnisse eine solche mit sich gebracht." 254 Vgl. dazu auch Joachimides 1995 a, S. 196. 255 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 417; Justi-Memoiren 1999, Bd.l, S. 393-395 u. 397; siehe dazu auch Wilhelm von Bode: Die Kunstverwaltung in den deutschen Staaten und die Pläne zu ihrer Reform, in: Der Tag, 14.4.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 398; 1. b.: Berliner Museumsfragen, in: Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 28, 8.4.1921, S. 547 f. Bei der Kritik mag auch eine Rolle gespielt haben, daß Bode mit neuen Formen der Entscheidungsfindung ζ. B. durch die Einbeziehung von externen Sachverständigen nicht zurecht kam, vgl. dazu Fritz Stahl: Die Berliner Museen, in: BT, Jg. 49, Nr. 342, 23.7.1920; Protokolle Museumsbaukommission, 9.4.1920 u. 9.7.1920, ms. in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. 256 Vgl. Cläre Meyer-Lugau: Brief an Haenisch, in: Welth., Jg. 16/1, Nr. 9,26.2.1920, S. 283-285; siehe dazu auch Cläre Meyer-Lugau: Kultusministerium, in: Welth., Jg. 16/2, Nr. 35, 26.8.1920, S. 228-232; Konrad Haenisch: Brief an Frau Cläre Meyer-Lugau, in: Welth., Jg. 16/2, Nr. 38, 16.9.1920, S. 305-308; Cläre Meyer-Lugau: Antwort an Haenisch, in: Welth., Jg. 16/2, Nr. 39, 23.9.1920, S. 330f; Konrad Haenisch: Nachlese, in: Welth., Jg. 16/2, Nr. 42,14.10.1920, S. 423-425. 257 Vgl. Bode-Memoiren, 1997, Bd. 1, S. 416 f, wo Bode Nentwig als „durchaus wohlwollenden, fleißigen Juristen, aber einen Stockbürokraten, ohne jedes Verhältnis zur Kunst, voll Eifersucht gegenüber dem ihm unterstellten Berichterstatter für Kunst Geheimrat Trendelenburg [...], dazu leider auch ohne Taktgefühl" beschrieb, der bei allen großen nach 1918 in Angriff genommenen Museumsfragen „durch eigenmächtiges, regelmäßig verfehltes Vorgehen nur Unheil angerichtet [habe], das wir hinterher ohne und gegen ihn nur mit größter Mühe bis zu einem gewissen Grade noch einrenken konnten." In Trendelenburg, der über eine größere Kunstbildung verfügt habe, habe man hingegen „einen weit taktvolleren, gewandteren und erfahreneren Mitarbeiter und Vorgesetzten" gehabt, der jedoch für die Museen kaum habe Zeit aufbringen können. 258 Vgl. dazu auch Kalendereinträge Bode 18.1.1921 u. 2.2.1921, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 212.
II. Neuorientierung der ministeriellen Kunstpolitik
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1918-21
3.2. Veränderungen im Bereich der Kunstakademien Die preußischen Kunstakademien waren wie ihre Vorbilder in Paris und Rom stets wichtige Exponenten der staatlichen Kunstpolitik.259 Besonders mit der 1696 in Berlin gegründeten ältesten und wichtigsten Akademie, die als Ausbildungsstätte und zentrale Künstlervertretung einen in Deutschland einzigartigen Doppelcharakter aufwies,260 verbanden sich bis ins 19. Jahrhundert hinein zwei Interessen des Staates: Zum einen sollte hier repräsentative nationale Kunst entstehen, zum anderen wurde die Akademie über den Anspruch der Geschmacksbildung mit dem Ziel der Gewerbeförderung verknüpft.261 Vom Ideal der schönen Kunst geleitet, versteifte sich die Berliner Institution unter Anton von Werner nach 1871 auf die Produktion einer Hof-, Monumental- und Dekorationskunst im historistischen Stil. Orientiert an vergangenen Epochen erfolgte die Ausbildung in gattungsbezogenen Klassen sehr schematisch.262 Durch die Verselbständigung der Lehranstalt und die Abspaltung praxisorientierter Bereiche konzentrierte sich die Akademie auf die hohe Kunst, während zeitgenössisch stark diskutierte kunstgewerbliche Aspekte aus ihrer Zuständigkeit herausrückten.263 Unter Wilhelm II. entwickelte sich die Berliner Akademie zu einer Bastion des offiziellen kunstpolitischen Konservativismus.264 Impressionisten und andere moderne oder sozialkritische Künstler blieben in der Regel von der Mitgliedschaft ausgeschlossen.265 Das Kultusressort, das seit seiner Gründung für die Kunstakademien zuständig war, hatte sich in diese vom persönlichen Regiment des Kaisers geprägte, einseitige Politik zu fügen und trug sie bis 1918 weitgehend mit. Nach Abdankung des kaiserlichen Protektors wurde der Kultusminister Ende 1918 als Kurator zur obersten Entscheidungsinstanz für die Preußische Akademie der Künste zu Berlin, wie sie jetzt hieß. Auch für die vier anderen preußischen Kunstakademien in Düsseldorf, Kassel, Breslau und Königsberg, deren Geschichte bis ins letzte Viertel des 18. Jahrhunderts zurückreichte,266 fungierte das Ministerium fortan als oberste Behörde.267 Nach-
2 5 9 Zum Vorbildcharakter von Paris und R o m vgl. Kirchner 1996; von Specht 1996; Angerer 1984, S. 1 4 - 1 6 u. 108; Mai 1981, S. 431. 2 6 0 Vgl. Kampe 1996 b, S. 348. 261 Vgl. Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 9 1 - 1 9 4 ; Kirchner 1996, S. 25; Angerer 1984, S. 1 0 8 - 1 1 1 u. 143; Mai 1981, S. 4 3 1 - 4 3 7 , 444 u. 4 4 8 - 4 5 0 ; Mai 1977, S. 22 f, 26 u. 28; Stelzer 1977, S. 49. 262 Vgl. Mai 1981, S. 454, 4 5 6 - 4 6 0 u. 463; Poggendorf 1996 a; Schenk 1996 a; Poggendorf 1996 d; Mai 1977, S. 31 f. 263 Vgl. Poggendorf 1996 a, bes. S. 296; Baumunk 1996 a, S. 339; Baumunk 1996 b; Waetzoldt 1921, S. 87 f; Mai 1981, S. 4 3 7 - 4 5 1 u. 4 6 9 - 4 7 2 ; Mai 1977, S. 27. 264 Vgl. Mai 1981, S. 4 5 8 - 4 6 9 ; Mai 1977, S. 32; Poggendorf 1996 a. 265 Eine prominente Ausnahme stellte 1898 die Aufnahme Max Liebermanns in die Akademie dar, vgl. Schuster 1997, S. 51; Paret 1997, S. 65; Diekmann / Kampe 1997, S. 81. 266 Vgl. Pallat 1959, S. 7 9 - 8 5 ; Zweihundert Jahre Kunstakademie Düsseldorf 1973, S. 1 - 1 4 6 ; Scheyer 1960, S. 1 4 - 2 6 ; Mai 1981, S. 436; Hölscher 2003, S. 2 3 - 1 9 4 . 267 Anders als bei der Berliner Akademie kümmerten sich um die Verwaltungsbelange dieser vier Akademien allerdings weiterhin die jeweiligen Ober- oder Regierungspräsidenten.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
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dem die bisherige Akademiepolitik durch das Ende der Monarchie ihre Verankerung verloren hatte und da der nach dem Umsturz formulierte Ressortanspruch klar mit der konservativen Einseitigkeit kollidierte, bedurfte es nun einer generellen Neuorientierung der staatlichen Aktivitäten im Akademiebereich. Erstmals mußte die Rolle, die die Kunstakademien in der Republik spielen sollten, definiert werden, gleichzeitig waren adäquate Ausgestaltungsformen zu finden. Konkret galt es zunächst, die exponierte Berliner Akademie personell wie strukturell zu öffnen - und zwar sowohl im Bereich der Mitgliederakademie als auch der Lehranstalten, also der Hochschule der bildenden Künste und der Meisterateliers. Aber auch die Ausrichtung der anderen preußischen Akademien mußte grundsätzlich überdacht werden. Ähnlich wie bei den Museen sah sich das Kultusressort dabei um so mehr in der Pflicht, als die revolutionären Künstlergruppen auf Grund der Verquickung von Staat, konservativ-offizieller Kunst und Akademien im Kaiserreich die staatlichen Ausbildungsstätten und speziell die Berliner Akademie gleich nach dem Umsturz ins Visier nahmen, sie heftig attackierten und tiefgreifende Reformen, wenn nicht gar die Abschaffung der verknöcherten Institutionen verlangten. Im Programm des Arbeitsrates für Kunst wurde das Ministerium mit der Forderung nach „Auflösung der Akademie der Künste" und der Bauakademie „in ihrer bisherigen Gestalt" und nach Restitution der Einrichtungen auf der Basis von Korporationen konfrontiert, die aus der freien Künstlerschaft ohne Einflußnahme des Staates hervorgehen sollten. Zudem umriß der Arbeitsrat die Richtung der angestrebten Ausbildungsreform, indem er eine „Befreiung des gesamten Unterrichts für Architektur, Plastik, Malerei und Handwerk von staatlicher Bevormundung", eine „Umwandlung des künstlerischen und handwerklichen Unterrichts von Grund auf" sowie die „Bereitstellung staatlicher Mittel dafür und für die Meistererziehung in Lehrwerkstätten" forderte. 268 In der 1918/19 intensiv geführten Diskussion um eine Neugestaltung der Akademien tauchten diese und ähnliche Schlagworte immer wieder auf. Hauptforderungen waren eine personelle Verjüngung und eine volksnähere Form der Akademie sowie eine Kunstschulreform auf handwerklicher Basis. 269 Im Laufe der Diskussion, in der parteipolitisch-ideologische Aspekte wie die Beschwörung einer linken Akademie nach Sowjetvorbild allenfalls
268 Steneberg 1987, S. 5; Arbeitsrat für Kunst, in: BT, Jg. 47, Nr. 633, 11.12.1918, S. 2; Arbeitsrat für Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 13, 23.12.1918, S. 85. 269 Vgl. z.B. Rudolf Bauer an Haenisch, 12.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 9-10; Bruno Taut: Was bringt die Revolution der Baukunst?, in: Vorwärts, Jg. 35, Nr. 318, 18.11.1918; A. L. Mayer: Die Kunstreformen
im Volksstaat Bayern, in: Ku.chr., Jg. 54, 1, Nr. 7, 29.11.1918,
S. 136-139; Über die Kunst im neuen Staat, in: Ku.chr., Jg. 54, 1, Nr. 8, 6.12.1918, S. 148-150; Arbeitsrat für Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 13, 23.12.1918, S. 85; Kunst und Revolution, in: BT, Jg. 48, Nr. 26, 22.1.1919, S. 2; J. v. Bülow: Kunst und Revolution [Teil 2], in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 15, 7.1.1919, S. 99 f; Max Osborn: Neue Kunstpolitik, in: Voss. Ztg., Nr. 161, 28.3.1919; Hans Tietze: Die Demokratie
und die Künstler, in: Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 29, 2.5.1919, S. 589-592;
M. v. Hugo: Zur Neuordnung
des Erziehungswesens
auf dem Gebiet der Kunst und des Kunst-
gewerbes, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 26, 7.4.1919, S. 173-176.
II. Neuorientierung
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der ministeriellen Kunstpolitik
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am Rande anklangen,270 wurden zunehmend präzisere Konzepte speziell für die Künstlerausbildung vorgestellt. Grundtendenz war hier die Forderung nach einer Einheitskunstschule, in der Kunst, Architektur und Kunstgewerbe eng miteinander verwoben in Werkstätten vermittelt werden und in der Kreativität und materialgerechtes Schaffen maßgeblich sein sollten.271 In der vom Reich veröffentlichten Schrift Der Geist der neuen Volksgemeinschaft hob der moderne Industriearchitekt und Werkbundmitinitiator Peter Behrens im Frühjahr 1919 die politisch-gesellschaftliche Bedeutung einer solchen Einheitskunstschule hervor, indem er sie mit dem für die Nachkriegsgesellschaft als besonders relevant erachteten Ziel der Entwicklung einer zeitadäquaten Geschmackskultur verband.272 Über den Austausch mit der angewandten Kunst wollte er die freie Kunst in direkteren Bezug zur Gegenwart bringen; dadurch hoffte er, innovatives künstlerisches Schaffen anzuregen.273 Während Gropius, Kompetenzwirren im Freistaat Sachsen-Weimar nutzend, die Idee der Einheitskunstschule mit Gründung des Bauhauses in Weimar zur gleichen Zeit erstmals in die Tat umsetzte,274 wollte Behrens seine Ausführungen als Appell an „die leitenden Männer der deutschen Republik und der Regierung" verstanden wissen, zu Fragen des künstlerischen Unterrichts Stellung zu nehmen. Konkret wünschte er sich, „daß [...] das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung einen Ausschuß berufen wollte, der sich aus den besten fortschrittlichen Vertretern der verschiedenen Kunstgattungen zusammensetzte und die Aufgabe hätte, ein ausführliches Programm zu bearbeiten."275 Das preußische Kultusministerium war damit einer der zentralen Adressaten für die Forderungen nach einer Akademiereform. Die auf die Akademien bezogenen Erneuerungsforderungen wurden in den ersten Monaten nach dem Umsturz überall in Deutschland vertreten. Ihre Erfüllung wurde für die politischen Handlungsträger ähnlich wie die Museumspopularisierung zum Maßstab kunstpolitischer Fortschrittlichkeit. Neu waren solche Reformansprüche an die Kunstakademien aber keineswegs. Sie reihten sich vielmehr in eine lange Tradition der Akademiekritik und -reform seit Ende des 18. Jahrhunderts ein. Im Umfeld der Humboldtschen Bildungsreform, der Märzrevolution von 1848 oder der Reichsgründung hatten die Akademien nach öffentlichen Debatten um die nationale Relevanz der Künstlerausbildung immer wieder geänderten Rahmenbedingungen angepaßt werden müssen.276 Seit sich die Idee des subjek-
270 Vgl. z.B. Über die Kunst im neuen Staat, in: Ku.chr., Jg. 54, 1, Nr. 8, 6.12.1918, S. 148-150; Max Osborn: Neue Kunstpolitik, in: Vosi. Ztg., Nr. 161, 28.3.1919. 271 Vgl. z.B. Wilhelm Hausenstein: Aufgaben bayrischer Kunstpolitik, II., in: MNN, Jg. 72, Nr. 208, 28-/29.5.1919; kritisch dazu Fritz Hellwag: Die Revolutionsprogramme
der Künstler, in: Mitt.
DWB, Nr. 2, 1919, S. 33-41. 272 Behrens 1919. 273 Ebd., S. 101. 274 Vgl. Droste 1991, bes. S. 16 f u. 22; Wingler 1977, S. 10; Kunstschulreform 1977, S. 94-120; Trier 1973, S. 208. 275 Behrens 1919, S. 106. 276 Vgl. Mai 1981, bes. S. 4 3 4 - 4 4 7 u. 451-455; Mai 1977, S. 25; Trier 1973, S. 2 0 3 - 206; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 77-90; Kampe 1996 b, S. 351; Pallat 1959, S. 53-61.
3. Einleitung längerfristiger
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tiven Künstlers um 1800 durchgesetzt hatte, war außerdem die Lehrbarkeit der Kunst generell angezweifelt worden.277 In diesem Kontext knüpften die Forderungen von 1918/19 an Reformbestrebungen an, die ihren Ursprung um 1900 hatten. Mit den Sezessionen hatte sich damals eine Gegenkraft etabliert, die die Stellung der Akademien geschwächt und die Dringlichkeit eines Wandels vor Augen geführt hatte. Parallel dazu waren, orientiert an den englischen arts-and-crafts-'Werkstä.tten, unter dem Einfluß der Kunstgewerbebewegung, der Reformpädagogik, der Ideen Lichtwarks sowie später des Werkbundes Konzepte für eine Kunstschulreform entwickelt worden, als deren Katalysator die Kunstgewerbeschulen wirkten.278 Nachdem die seit den 1860er Jahren in Reaktion auf die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte entstandenen Kunstgewerbeschulen279 in Preußen um 1900 durch den späteren Werkbundmitinitiator Hermann Muthesius nach englischem Muster umgestaltet worden waren, konnten sie in der Folgezeit zu beachteten Institutionen ausgebaut werden. Bruno Paul setzte an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin ebenso Zeichen wie Behrens in Düsseldorf und Hans Poelzig in Breslau. Außerhalb Preußens wirkten Henry van de Velde in Weimar oder Bernhard Pankok in Stuttgart in ähnliche Richtungen.280 Während die Akademien zunehmend kritisiert wurden, rückten die Kunstgewerbeschulen neben privaten Reformschulen so als zukunftsweisende Alternativen ins Zentrum.281 Im Umfeld der Kunstgewerbeschulen und des 1907 gegründeten Werkbundes kristallisierten sich die Anbindung der Kunst an Handwerk und Architektur, Werkstättenidee, Praxisbezug und die eigenständig-kreative Materialgestaltung statt schablonenhafter Reproduktion als elementare Reformgedanken der Vorkriegszeit heraus.282 War der Ruf nach einer Rückkehr zum Handwerk unter dem Eindruck dieser Entwicklung bald auch für die Akademien laut geworden, wurden die Kunstgewerbeschulen während des Krieges auch institutionell mit den Akademien in Zusammenhang gerückt. 1916 brachte Bode als einer der ersten die Einheitskunstschule als Verbindung von Akademie, Kunstgewerbe- und sonstigen Kunstschulen ins Gespräch.283 Die Werkbundmitbegründer Fritz Schumacher, Theodor Fischer und Richard Riemerschmid griffen die Idee
277 Vgl. Trier 1973, S. 203-205; Mai 1977, S. 23; Angerer 1984, S. 143-145; Mai 1981, S. 437. 278 Vgl. Droste 1991, S. 10; Campbell 1981, S. 36 f; Hardtwig 1994, S. 517 f, 524 f u. 530; Niederstadt 1982 a, S. 10 f; Mai 1981, S. 469 u. 471 f; Wingler 1977, S. 9 - 1 1 ; Mai 1977, S. 23-26 u. 40 f; Stelzer 1977, S. 44-52; Rückert / Segelken 1995; zu den Reformtendenzen der Jahrhundertwendezeit vgl. ausführlich Lebensreform 2001. 279 Zur Geschichte der Kunstgewerbeschulen vgl. Mai 1977, S. 36-38; Waetzoldt 1921, S. 76; Mai 1981, S. 469-471. 280 Vgl. Campbell 1981, bes. S. 17-23 u. 57 f; Hölscher 2003, S. 94-194; Hardtwig 1994, S. 509 f u. 535; Niederstadt 1982 a, S. 11-17; Laube 1997, S. 18 f; Droste 1991, S. 10 f; Mai 1981, S. 472; Wingler 1977; Losse 2000, S. 184; Baumunk 1996 b; Mai 1977, S. 41; Pallat 1959, S. 276-278. 281 Vgl. Wingler 1977; Losse 2000, S. 184; Mai 1981, S. 471 f; Christmann 1999, S. 52. 282 Vgl. dazu ζ. B. Poelzig, Endell, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 14. 283 Vgl. Schenk 1996 a; Trier 1973, S. 203-206; Droste 1991, S. 17; Mai 1977, S. 38; Hölscher 2003, S. 215; Stelzer 1977, S. 49 f; Wesenberg 1995, S. 83-94; Mai 1981, S. 471 f; Joachimides 1995 b, S. 155 f; Netzer 1995, S. 108 u. 112; Schunk 1993, S. 429.
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auf und legten eigene Schriften dazu vor.284 Die Zusammenführung von Künsten, Handwerk und Architektur wurde hier, in Orientierung an den wirtschaftlich-kulturellen Intentionen des Werkbundes und im Vorgriff auf das Bauhaus, als Chance begriffen, einer modernen Formgebung den Weg zu ebnen. Die Konzepte sprachen klar gegen die wilhelminische Akademie, 285 ihre Beschränkung auf die hohe Kunst, ihre starre Einseitigkeit und „Servilität" 286 . Zusammen mit den Sezessionen hatte die kunstpädagogische Reformbewegung die Akademien so schon im Kaiserreich wegen ihrer Lebensfremdheit in Frage gestellt. In der Umbruchsituation von 1918, die dem Ruf nach Reform eine neue Basis gab, boten die Erneuerungskonzepte nun Anknüpfungspunkte sowohl für die modernen Künstler als auch für die staatliche Politik. Die seit der Jahrhundertwende entwickelten Ideen waren es dann auch, die, neben der Forderung nach einer Einbeziehung der Moderne, der Akademiediskussion 1918/19 die Richtung gaben. Während ältere Reformansätze nach der Revolution ihre Zuspitzung in der Beschwörung der mittelalterlichen Bauhütte oder expressionistischer Utopien fanden, 287 brachten sich Träger der Reformbewegung der Kaiserzeit wie Behrens oder Paul nun prominent auch in die Akademiedebatten der Republik ein.288 Bei den Reformforderungen, mit denen das Kultusministerium 1918/19 konfrontiert wurde, waren dabei zwei Haupttendenzen zu unterscheiden: Zum einen ging es um eine personelle, zum anderen um eine strukturelle Erneuerung. Die personelle Erneuerungsforderung bezog sich ebenso auf die Mitglieder der Akademien wie auf die akademischen Lehrer. Erklärtes Ziel war hier eine auch auf den Grad der Modernität eines Künstlers bezogene „Verjüngung". Die Forderung nach einer Strukturreform wies ihrerseits zwei Stoßrichtungen auf: Zum einen wurde eine interne Verwaltungsreform der Mitgliederakademie verlangt, durch die das Verhältnis der Akademie zu Staat und freier Künstlerschaft sowie Hierarchien und Akademiefunktionen der demokratischen Staatsform entsprechend neu geregelt werden sollten. Zum anderen forderte man eine an der zeitgenössischen Diskussion orientierte Kunstschulreform. Die in Berlin an der Hochschule der bildenden Künste und sonst direkt an den Akademien verankerte Künstlerausbildung sollte so, was Ausrichtung, Organisation und institutionelle Strukturen anging, auf eine vollständig neue Basis gestellt werden. Dem eigenen Anspruch einer offenen Kunstpolitik folgend, ließ sich das Ministerium Haenisch nach dem Umsturz zunächst auf die eingängige Forderung nach einer personellen Erneuerung der Berliner Akademie ein. Die Ausgangslage dafür schien günstig: In der Akademie wurde unter dem Druck der Revolution bereits seit November 1918 über die Aufnahme neuer Mitglieder diskutiert. Die Ansichten dazu gingen intern auseinander, vor überstürztem Handeln wurde allenthalben gewarnt, letztlich setzte sich aber bei den Aka-
284 285 286 287 288
Vgl. Droste 1991, S. 17. Vgl. dazu Waetzoldt 1921, S. 88. W.Jens 1996, S. 14. Vgl. Droste 1991, S. 19 f. Siehe dazu auch Mai 1977, S. 25.
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demikern die Haltung durch, man könne sich zumindest der Zuwahl angesehener Künstler nicht verschließen.289 Nachdem der seit 1917 amtierende Akademiepräsident Ludwig Manzel nach einem ersten Gespräch mit Haenisch dazu aufgeforderte hatte, die Akademie auf den Boden der aktuellen Entwicklungen zu stellen, einigte man sich am 21. November darauf, der Regierung Kooperationsbereitschaft zu signalisieren.290 Angesichts der drohenden Gefahr einer Auflösung der bisherigen Akademie, wie sie der Arbeitsrat forderte, war man also um der Selbsterhaltung willen zu Zugeständnissen bereit.291 Das Ministerium seinerseits plante, seiner Personalpolitik in der ersten Zeit nach 1918 entsprechend, offenbar von Beginn an keine Akademieauflösung. Eine Erneuerung auf personeller Ebene glaubte es vielmehr auch durch Ergänzung der alten Körperschaft leisten zu können. Unter diesen gemäßigten Vorzeichen trat das Ressort in den Monaten nach dem Umsturz für eine Öffnung der Berliner Akademie für alle Richtungen und einen engeren Kontakt zu jüngeren Künstlern ein. Trendelenburg plädierte in der Anfang Dezember 1918 eingerichteten Reformkommission der Akademie wiederholt für ein Aufbrechen der einseitigen Akademiestrukturen durch die Einbeziehung moderner Kräfte. 292 Das Ziel war damit vorgegeben. Nentwig wollte die personelle Erneuerungsforderung dabei jedoch keineswegs als Angriff auf die Akademie verstanden wissen. Auf solche Vermutungen hin unterstrich er Ende März 1919, daß von einem Mißtrauen gegenüber der Akademie keine Rede sein könne, und fügte hinzu: „Man stürme eben jetzt gegen alles bestehende an, und man muß dem gegenüber bestrebt sein, den jungen Leuten, die sich als unterdrückt hinstellen, den Wind aus den Segeln zu nehmen." 293 Eindringlich spricht aus dieser Bemerkung, wie distanziert der Abteilungsleiter den revolutionären Forderungen begegnete.294 Letztlich stellte sich aber auch Nentwig hinter Haenischs Ideal der für alle Richtungen offenen Aka-
289 Vgl. Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 21.11.11918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 73-74; Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 7.12.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 3 - 4 . 290 Vgl. Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 21.11.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 73-74; Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 7.12.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 3 - 4 . 291 Vgl. auch Kampe 1996 b, S. 353; Lammert 1996, S. 495; Diekmann / Kampe 1997, S. 80. 292 Vgl. z.B. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-37, Bl. 37 v, wo für Trendelenburg die Aussage belegt ist: „Die Akademie soll die lebende Kunst repräsentieren und zwar die ganze lebende Kunst aller Richtungen. [...] Wenn die Akademie nur die Künstler aufnehmen wolle, die sich Jahrzehnte bewährt haben, dann sei sie immer um Jahrzehnte zurück." Siehe auch Bericht der Kommission zur Vorberatung Akademie,
einer Reform
der
[März 1919], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 40-53; Abschr. Protokoll Ak. d. Kü.,
Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 21.11.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074a, Bl. 73-74; Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 16.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 3 6 - 3 7 u. 61-64, Bl. 62 v; Weinstein 1990, S. 45. 293 Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 26.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 38-39; vgl. Weinstein 1990, S. 45 u. 258; Lammert 1996, S. 491; Diekmann / Kampe 1997, S. 85; siehe dazu auch Protokoll Ak. d. Kü., Senat beider Sektionen, 3.12.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 1. 294 Vgl. Diekmann / Kampe 1997, S. 85.
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demie.295 Ob Nentwigs Aussage so als Beleg für eine bewußte Strategie der „Eindämmung durch Vereinnahmung" gelten kann, 296 scheint zumal angesichts der Sonderrolle des konservativen Beamten innerhalb der Kunstabteilung zumindest fraglich. Gibt der Satz also einen Einblick in die tatsächliche Haltung jenseits der offiziellen Bekundungen? Oder suchte er den verunsicherten Akademiemitgliedern eine Brücke zu bauen? In jedem Fall wirft die Äußerung ein bezeichnendes Licht auf die Akademiepolitik des Ministeriums bis 1919/20: Unter Nentwig etablierte sich zunächst eine Politik der vorsichtigen Erneuerung, die modernen Forderungen gegenüber zwar aufgeschlossen war, im Endeffekt aber doch hinter diesen zurückblieb und statt dessen auf einen Kompromiß mit der alten Akademie setzte. Durch die Anpassungsbereitschaft der Akademie und den gemäßigten Anspruch des Ressorts wurde Anfang März 1919 tatsächlich die Zuwahl von 26 neuen Mitgliedern in die Sektion für bildende Kunst an der Berliner Akademie möglich, die ein erstes Aufbrechen des bisherigen Konservativismus bedeutete.297 Zu den neu ernannten Akademikern gehörten vierzehn Künstler aus Berlin: die Maler Lovis Corinth, Franz Eichhorst, Ulrich Hübner, Melchior Lechter, Hans Purrmann und Willy Jaeckel, die Bildhauer Franz Metzner, Josef Rauch, Wilhelm Lehmbruck und Georg Kolbe, die Graphikerin Käthe Kollwitz, der Graphiker und Bildhauer Ernst Moritz Geyger, der Kunstgewerbler Bruno Paul sowie der Architekt Fritz Bräuning. Hinzu kamen als auswärtige Mitglieder die Maler Hugo Freiherr von Habermann, Ludwig von Hofmann, Leopold Graf von Kalckreuth, Albert von Keller, Wilhelm Steinhausen und Robert Steri, die Bildhauer Theodor von Gosen, Hermann Hahn und Ernst Barlach, der Graphiker Heinrich Wolff sowie die Architekten Paul Bonatz und Theodor Fischer. 298 Wie die Entscheidungsprozesse im Vorfeld genau abliefen, ist nicht rekonstruierbar. Die Initiative des Ministeriums wird aber entscheidend für die Ergänzung gewesen sein.299 Vermutlich nahm das Ressort auch auf die einzelnen Berufungen Einfluß. Haenisch, von dessen Zustimmung die Ernennungen abhingen, wollte die Wahl später als Ausdruck einer neuen Politik gewertet wissen.300 Demonstrativ hielt der Minister bei der Einführung der neuen Mitglieder am 2. Mai 1919 auf Manzels Bitte hin auch die offizielle Rede. 301 Nachdem Manzel die Wahlen zuvor als Beleg für die Objektivität der Institution gedeutet und um deren
295 Vgl. Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 21.11.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 73-74; Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 16.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 61-64, Bl. 63 v. 296 Heller 1991, S. 21. 297 Vgl. Diekmann / Kampe 1997, S. 80; Kampe 1996 a, S. 389; Pare: 1997, S. 68. 298 Vgl. KM (Pallat) an Senat Ak. d. Kü., 7.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 91; Neue Mitglieder der Akademie
der Künste, in: BT, Jg. 48, Nr. 116, 18.3.1919; Mitgliederverzeichnis
Akademie der Künste 1996, S. 321. 299 Vgl. dazu Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 26.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 38-39; siehe dazu jedoch auch den Hinweis in Paret 1997, S. 68. 300 Vgl. Karl Fischer: Kunst und Wissenschaft im neuen Preußen.
Unterredung
mit Kultusminister
Haenisch, in: BT, Jg. 48, Nr. 369, 10.8.1919, S. 2; Haenisch 1921, S. 153. 301 Vgl. dazu Manzel an Haenisch, 17.4.1919, ms. u. Haenisch an Präsident der Ak. d. Kü., 24.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 106 u. 116.
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Förderung durch das Ministerium gebeten hatte,302 stellte sich Haenisch in seiner Rede in drei argumentativen Schritten hinter die personell erneuerte Akademie.303 In einem ersten Schritt suchte er zunächst die bürgerliche Kulturelite im Akademieumfeld für sich und die Republik zu gewinnen, indem er auf das besonnene Vorgehen der Regierung und darauf verwies, daß sich die in den Revolutionstagen verbreitete Befürchtung, „daß mit den klobigen Proletarierstiefeln alle zarten Pflanzen der Literatur und Kunst zertreten würden", inzwischen als unbegründet erwiesen habe. Deutlich war hier, ähnlich wie beim Museumsschutz (siehe Kap. II. 3.1.), das Bemühen spürbar, das Festhalten an der traditionellen Institution zu nutzen, um sich selbst kulturpolitisch zu legimitieren,304 auf diese Weise auch bildungsbürgerliche Kräfte an sich zu binden und so, der allgemeinen SPD-Politik in dieser Zeit folgend, zur Entspannung der unsicheren Lage, die in den Märzunruhen erneut eskaliert war, beizutragen. In einem zweiten Schritt ging Haenisch unter Beschwörung der „Finis Germaniae" auf die Bedeutung geistig-kultureller Werte für den Wiederaufstieg des nach dem Krieg am Boden liegenden deutschen Volkes ein und betonte die Rolle, die die Kunst und die Akademie dabei spielten. Er band die Akademie damit in sein gesellschaftliches Integrationskonzept (siehe Kap. II. 5.1.) ein und solidarisierte sich vor diesem Hintergrund mit ihr. Unter Hinweis auf den Anspruch, die Kunst nicht bevormunden, sondern Wege ebnen und Gegensätze ausgleichen zu wollen, begrüßte Haenisch schließlich in einem dritten Schritt die nun erfolgte Erneuerung der Akademie. Hier hob er die Aufnahme einer Frau, der Graphikerin Käthe Kollwitz, hervor und betonte, an die Akademiker gewandt, daß unter den gerade ernannten Mitgliedern „auch Vertreter der neuen Kunstrichtung sind, die beweisen, daß Sie keine kunstreaktionäre Körperschaft sind und nicht sein wollen." Die Botschaft des Kompromisses war dabei unüberhörbar: Angesichts eigener kulturstaatlichnationaler, aber auch ordnungspolitischer Interessen garantierte das Ressort den Fortbestand der Akademie, setzte keins der alten Mitglieder ab und gewährte der als konservativ verschrieenen Körperschaft auf diese Weise den erbetenen Schutz 305 - im Gegenzug mußte die Akademie der Revision vorhandener Einseitigkeiten zustimmen. Indem er das Ergebnis der Erneuerung guthieß, unterstrich Haenisch, daß die ergänzte Akademie seinen gemäßigten Reformerwartungen gerecht wurde.306 Ganz in Haenischs Sinne rief die Zuwahl vom Frühjahr 1919 besonders in der liberalen Presse positive Reaktionen hervor. Max Osborn konstatierte in der Vossischen Zeitung·. „Diese ersten akademischen Wahlen sind bemerkenswert. Sie zeigen das offenkundige Bestreben, Zöpfe abzuschneiden, alte Versäumnisse auszugleichen, neue Register zu ziehen. Eine ganze Reihe von Künstlern, die längst in diesen Würden stehen müßte, ist nun endlich herangezogen; mit Staunen wird der Uneingeweihte ihre Namen im Verzeichnis der neuen 302 Vgl. Stichpunkte Rede Manzel, [2.5.1919], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/004, Bl. 332. 303 Vgl. Rede Haenisch, 2.5.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 8-10; Gerhart Hauptmann Mitglied der Akademie der Künste, in: BT, Jg. 48, Nr. 199, 4.5.1919, S. 3. 304 Vgl. dazu auch Entwurf Ak. d. Kü. an Kultusminister, 23.11.1921, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 10-12. 305 Vgl. Diekmann / Kampe 1997, S. 81. 306 Vgl. ebd.; Kampe 1996 a, S. 389 f.
II. Neuorientierung
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der ministeriellen Kunstpolitik
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Adepten lesen." 307 Fritz Stahl kommentierte die Wahl im Berliner Tageblatt ähnlich erfreut. Besonders hob er hervor, daß mit Lehmbruck, Jaeckel und Purrmann auch Vertreter der jungen Generation ernannt worden seien.308 Der Werkstatt der Kunst galt die Wahl als Ereignis, bezeichnend für den neuen Kurs und den „Drang nach frischerer Luft". 309 Und auch für den Berliner Lokalanzeiger war die Liste der neuen Mitglieder Beleg dafür, „daß die preußische Akademie der Künste ehrlich gewillt ist, durch eine zielsichere Reorganisation der dort wirksamen Kräfte sich der neuen Zeit anzupassen."310 Daß die Wahl als Erfolg Haenischs und seiner Kunstpolitik wahrgenommen wurde, zeigte sich etwa in einem Berliner Tageblatt-Artikel vom August 1919, in dem es hieß: „Es dürfte ja noch allgemein bekannt sein, daß auf die Initiative des Ministers durch die Berufung jüngerer und moderner Künstler [...] neues Blut und neues Leben in die Akademie der Künste gekommen ist." 311 In Teilen der Kunstpresse wurde die Erneuerung der Akademie hingegen gerade wegen des politischen Kontextes, dem sie sich verdankte, kritischer gesehen. Schon Ende März 1919 dämpfte Glaser die Euphorie, als er die Wahl zwar als Beginn einer Annäherung an die neue Zeit, keineswegs aber als so spektakulär einstufte, wie sie von manchen hingestellt würde.312 Deutlich betonte er, daß mit der Berufung Corinths oder von Kalckreuths zwar alte Unterlassungssünden ausgeglichen, mit Purrmann, Kolbe, Metzner, Lehmbruck und Barlach wegweisende Künstler ernannt und mit der Einbindung von Kollwitz als erster Frau Zeichen gesetzt worden seien, daß die Akademie aber keine radikalen jüngeren Künstler aufgenommen habe und sich so auf einer mittleren Linie bewege. Die Übertragung der demokratischen Gleichheitsidee auf die Kunst ablehnend, charakterisierte er die Selbstergänzung aber letztlich als einzig gangbaren Weg. Glaser legte so als einer der ersten den keineswegs progressiven Kurs der Erneuerung offen, akzeptierte ihn allerdings gleichzeitig. Mit dem Vorwurf, die Akademie „modernisiert ein bisschen, sie sozialisiert scheinbar ein wenig, die alten Mitglieder malen republikanische Stoffe an Stelle der dynastischen und jedermann ist zufrieden", bezog Scheffler im August 1919 deutlicher gegen die angepaßte Akademie Stellung. Seine Kritik machte er vor allem an der Beliebigkeit der Akademieausstellungen fest.313 Und auch aus Kreisen, die der modernsten Kunst aufgeschlossen gegenüber standen, wurden negative Stimmen laut. Wenn auch anders motiviert als Scheffler und
307 Zitiert nach Akademie der Künste, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 25, 31.3.1919, S. 169. 308 Zitiert nach ebd.; siehe dazu auch Neue Mitglieder der Akademie
der Künste, in: BT, Jg. 48,
Nr. 116,18.3.1919. 309 Akademie der Künste, in: W. d. Ku„ Jg. 18, Nr. 25, 31.3.1919, S. 169. 310 A. G. Hartmann in Berliner Lokalanzeiger,
zitiert nach Akademie
der Künste, in: W. d. Ku.,
Jg. 18, Nr. 25, 31.3.1919, S. 169. 311 Karl Fischer: Kunst und Wissenschaft im neuen Preußen.
Unterredung
mit Kultusminister
Hae-
nisch, in: BT, Jg. 48, Nr. 369, 10.8.1919, S. 2. 312 Curt Glaser: Der neue Kurs, in: Ku.chr., Jg. 54, 1, Nr. 24, 28.3.1919, S. 4 9 4 - 4 9 6 . 313 Karl Scheffler: Die Berliner Sommerausstellungen,
in: Ku. u. Kü., Jg. 17, Nr. 12, Aug. 1919, S. 4 7 3 -
484, S. 480. Die Berufungen selbst mußten Scheffler allerdings durchaus zusagen, vgl. K. Sch. in: Ku. u. Kü., Jg. 18, Nr. 9, Mai 1920, S. 429 f.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
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Glaser, monierten sie ebenfalls, daß sich die Akademie der linken Regierung anzupassen suche. Angesichts dessen lehnten etwa Hellwag und Hausenstein die schnellen Zuwahlen in Berlin ab.314 Rückte hier die hastige Selbstanpassung in den Vordergrund, fand sich in Paul Westheims Kunstblatt der Hinweis darauf, daß die Akademieergänzung aus künstlerischer Sicht als unzureichend zu erachten war. Ohne weitere Worte zu verlieren, spitzte die Zeitschrift ihren Kommentar zu den Ernennungen zu: „Die Berliner Akademie hat ein paar Dutzend neue Professoren berufen; nicht berufen worden sind Poelzig, Nolde, Kirchner..." 3 1 5 So sehr die Wahlen an der Berliner Akademie also auch in Teilen der Presse gefeiert wurden, wiesen solche Kritiken doch nachdrücklich darauf hin, daß die Erneuerung eben doch kompromißhafte Züge trug. Mochte zunächst die große Zahl der neuen Mitglieder beeindruckt haben316 und waren in den Listen der Adepten auch durchaus illustre Namen zu lesen, lassen sich die Wahlen bei näherer Betrachtung in der Tat keineswegs als radikales Modernisierungssignal werten. Die Berufungen der Expressionisten Jaeckel und Barlach, des Matisse-Schülers Purrmann sowie Lehmbrucks standen sicher für eine stilistische Neuorientierung.317 Mit Kollwitz und Kolbe fanden überdies zwei wichtige Künstler Zugang zur Akademie, die dem akademischen Betrieb per se skeptisch gegenüberstanden und deren Ernennung schon vor diesem Hintergrund einen Neubeginn markierte.318 Daneben verband sich mit der Wahl von Fischer, Paul und Bonatz offenkundig die Intention, der kunstgewerblichen wie architektonischen Moderne und der Reformbewegung im Werkbundumfeld Einfluß auf die Akademie zu eröffnen.319 Die Berufungen des Wiener Kunstgewerblers Metzner sowie des Jugendstilkünstlers Lechter wiesen in eine ähnliche Richtung.320 Zu dieser ersten Gruppe fortschrittlicher, wenn auch keineswegs progressiver Ernennungen trat eine zweite ähnlich große Gruppe von Künstlern, deren Werke nicht mehr neuesten Tendenzen entsprachen, denen eine Akademieaufnahme jedoch zuvor verwehrt geblieben war. Diese Gruppe stand weniger für eine Verjüngung als für eine Kompensation wilhelmini-
314 Wilhelm Hausenstein: Aufgaben
bayrischer
Kunstpolitik,
1919; Fritz Hellwag: Die Revolutionsprogramme
/ . , in: MNN,
der Künstler,
Jg. 72, Nr. 203, 2 4 . / 2 5 . 5 .
in: Mitt. DWB,
Nr. 2, 1919,
S. 3 3 - 4 1 . 315 Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 126. 316 In den zehn Jahren zuvor waren jeweils höchstens fünf neue Mitglieder pro Jahr in die Kunstsektion gewählt worden, vgl. Mitgliederverzeichnis Akademie der Künste 1996, S. 321. 317 Zur Rolle Barlachs vgl. Maaz 1995, S. 140; zur Lehmbruck-Berufung vgl. Lammert 1996, S. 495; zu Purrmann vgl. E s kommt eine neue Zeit 1999, S. 257. 318 Die Sezessionistin Kollwitz kommentierte ihre Wahl entsprechend am 3 1 . 1 . 1 9 1 9 (zitiert nach Krahmer 2000, S. 108): „Große Ehre, aber ein bißchen peinlich für mich. Die Akademie gehört doch zu den etwas verzopften Instituten, die beiseite gebracht werden sollten." Vgl. dazu auch Sievers 1966, S. 267; zur Rolle von Kollwitz siehe aber auch Eine Kundgebung Dichter,
der Künstler
und
in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 9, 2 5 . 1 1 . 1 9 1 8 , S. 57 f; Weinstein 1990, S. 82 f; Kühnel 1995,
S. 119; zur Haltung Kolbes vgl. Steneberg 1987, S. 5. 319 Vgl. Campbell 1981, S. 143 f; zu Bonatz' Rolle im Werkbund vgl. Campbell 1981, S. 140 u. 271; Niederstadt 1982 a, S. 51 u. 53; Laube 1997, S. 62; Redslob 1972, S. 159 u. 1 6 1 - 1 6 3 . 320 Vgl. Lammert 1996, S. 495.
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II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
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scher Unterlassungen. Die Berufungen waren als Ausdruck der Distanzierung der Republik vom alten System zu werten, künstlerisch wiesen sie jedoch in der Regel keine neuen Wege mehr. Prominentester Vertreter dieser Gruppe war einer der Hauptmeister des deutschen Impressionismus: Corinth. 321 Ihm wurden als weitere impressionistische Maler von Kalckreuth, von Habermann, von Hofmann, Hübner und Steri zur Seite gestellt. 322 Andere Richtungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts fanden durch Steinhausen, dessen Werke von Böcklin und Thoma beeinflußt waren, und durch den neoklassizistischen Bildhauer Hahn Berücksichtigung. Auch die Berufungen von Gosens, der seit 1905 in Breslau lehrte, 323 und Geygers 324 sind am ehesten hier einzuordnen. In einer dritten Gruppe sind die Ernennungen Wolffs, Bräunings, Rauchs und des 75jährigen von Keller zusammenzufassen, die kaum zur Akademieprofilierung beitrugen. Allein der junge Eichhorst, der später in der Ausstellungskommission der Akademie mitwirkte, mag hier noch Akzente gesetzt haben. Damit war nur knapp die Hälfte der Ernennungen als im weitesten Sinne innovativ oder wie im Fall Corinths als demonstrativer kunstpolitischer Akt zu werten. Mehr als die Hälfte der Berufungen band hingegen Künstler in die Akademie ein, die die Institution kaum in fortschrittlichem Sinne prägen, sondern allenfalls eine ehemals innovative, inzwischen längst von einer neuen Avantgarde abgelöste Jahrhunderwendekunst an der Akademie verfestigen würden. Für die Akademie, an der die Impressionisten bisher nur durch Liebermann prominent vertreten waren, bedeutete auch dies bereits eine Veränderung. Aus der Perspektive der zeitgenössischen Diskussion um die neueste Kunst und ihre gesellschaftliche Relevanz, in der der Expressionismus noch einmal ins Zentrum rückte, in der aber auch abstrakte, kubistische oder dadaistische Tendenzen bereits eine Rolle spielten, konnte eine solche kompromißhafte Erneuerung jedoch lediglich als Signal der Offnungsbereitschaft, nicht aber als grundlegende Modernisierung wahrgenommen werden. 325 Betrachtet man angesichts der Forderung nach „Verjüngung" zudem das Alter der Gewählten, stellt sich die Erneuerung ähnlich fragwürdig dar.326 Eine besondere Rolle bei der Ergänzung der Akademie spielte Käthe Kollwitz. Zum einen stand die Graphikerin durch ihr expressives sozialkritisches Werk nicht nur stilistisch, son321 Zu Corinths Haltung im November 1918 vgl. Eine Kundgebung 322 323 324
325 326
der Künstler und Dichter, in:
W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 9, 25.11.1918, S. 57 f. Dabei mag Steri (1867-1932) durch seine Arbeits- und Industriebilder zusätzliches Interesse geweckt haben; zu Steri vgl. Posse 1929; Hiller 1974. Vgl. Hölscher 2003, S. 170-179 u. 487; Poelzig, Endeil, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 78. Geyger machte auf sich aufmerksam, als er beim Ministerium für die Errichtung eines „Jugendtempels" warb, vgl. Geyger an KM, Okt. 1919, ms., in: SAdK, PrAdK, Bd. I., Nr. 324, Bl. B-D u. J-L; siehe dazu auch Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4356 f; Schunk 1993, S. 433. Vgl. dazu auch Heller 1991, S. 21. Jaeckel war mit 31 Jahren der Jüngste der Adepten. Unter 40 waren außerdem Purrmann, Lehmbruck und Eichhorst. Demgegenüber hatten von Keller, von Habermann und Steinhausen die 70 schon erreicht oder überschritten. Das Durchschnittsalter der neuen Mitglieder lag bei 51 Jahren. Die Lebensdaten von Wolff und Rauch konnten nicht ermittelt werden.
3. Einleitung längerfristiger
Reformen:
Kunstakademien
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dern auch thematisch und weltanschaulich für eine Abkehr vom Ideal der schönen Künste, das die wilhelminische Akademie geprägt hatte. Daß dies für Haenisch wichtig war, legt sein Hinweis auf Kollwitz' SPD-Zugehörigkeit und die „starke soziale Kraft" ihrer Werke327 ebenso nahe wie seine Charakterisierung der Künstlerin als „geniale Dolmetscherin sozialer Not".328 Denkbar ist dabei auch, daß Kollwitz für Haenisch wegen ihrer Volkstümlichkeit 329 mit Blick auf die Popularisierungsabsichten zusätzlich interessant war (siehe Kap. II. 5.2.). Zum anderen - und das bestimmte die öffentliche Wahrnehmung vor allem330 bedeutete die Kollwitz-Ernennung eine Öffnung der Akademie für Frauen. Kollwitz war zwar keineswegs die erste Frau überhaupt, die in die Berliner Akademie aufgenommen wurde.331 Tatsächlich aber handelte es sich bei ihr um das erste weibliche Mitglied seit langer Zeit.332 Nachdem Anton von Werner und sein Nachfolger Arthur Kampf eine Einbeziehung von Frauen für die Kunsthochschule abgelehnt hatten,333 war seit Anfang Dezember 1918 unter dem Druck der Ereignisse eine Akademieöffnung für weibliche Mitglieder erwogen worden. Liebermann hatte sich schon damals für Kollwitz als Kandidatin ausgesprochen.334 Wer ihre Ernennung letztlich durchsetzte, ist nicht nachweisbar. Da sich sowohl Haenisch als auch Hoffmann für das Frauenwahlrecht stark machten335 und Haenisch später auf die Neuerung hinwies, die die Aufnahme einer Frau „in die heiligen Hallen der Akademie" bedeutete,336 ist aber von einer Aufgeschlossenheit und wohl auch von einer gezielten Einflußnahme des Ministeriums auszugehen. Bestätigt wird dies durch das weitere Engagement des Ressorts zugunsten einer Stärkung der Frauenrolle im Akademiebereich: Vermutlich auf einen Antrag des Preußischen Vereins für Frauenstimmrecht hin, der im Oktober 1918 beim Ressort eingereicht worden war,337 wurden zum Sommersemester 1919 gegen Kampfs Willen erstmals Frauen zum Studium an der Hochschule der bildenden Künste zugelassen.338 Im Sep327 Rede Haenisch, 2.5.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 8-10, Bl. 10 r. Ob Kollwitz die politische Vereinnahmung vorbehaltlos begrüßte, scheint indes zweifelhaft, vgl. dazu Krahmer 2000, S. 26, 29, 36, 62, 64, 70, 91 f, 94-99, 110 u. 147. 328 Haenisch 1921, S. 153. 329 Wichtige Kriterien dafür waren die menschlich-emotionale Eindringlichkeit der Darstellungen, der eingängige Stil, aber auch der Verbreitungsgrad der Graphiken, vgl. Krahmer 2000, S. 7-9, 11, 15, 19, 36-38, 114, 132 u. 135. 330 Vgl. dazu neben den erwähnten Pressereaktionen z.B. auch Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7345 f. 331 Bereits Ende des 18. Jahrhunderts waren hier Künstlerinnen vertreten gewesen, vgl. Kampe 1996 b, S. 352. 332 Vgl. Diekmann / Kampe 1997, S. 81. 333 Vgl. Poggendorf 1996 a, S. 298. 334 Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 7.12.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 3-4; vgl. auch Paret 1997, S. 68. 335 Vgl. Hoffmann o.J.; Helming 1918, S. 19; Müller-Franken 1931, S. 19. 336 Haenisch 1921, S. 153. 337 Vgl. Die Kunstakademien und die Frauen, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 4, 21.10.1918, S. 21 f. 338 Vgl. Ku.chr., Jg. 54, 2, Nr. 32, 23.5.1919, S. 666; W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 43, 16.8.1920, S. 311; zur Haltung Kampfs vgl. Poggendorf 1996 a, S. 298.
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tember 1919 untermauerte das Ministerium die Stellung des einzigen weiblichen Akademiemitglieds überdies, indem es Kollwitz, wenn auch noch ohne Lehrauftrag, zur Professorin ernannte.339 Gemeinsam mit Institutionen wie dem Bauhaus, das von Beginn an Studierenden beiderlei Geschlechts offenstand,340 kam der Akademie der Hauptstadt so nach 1918 eine Vorreiterrolle zu, was die Öffnung für Frauen anging.341 Wenn Kollwitz auch lange das einzige weibliche Mitglied in der Berliner Kunstsektion wie insgesamt in den preußischen Kunstakademien blieb,342 setzte ihre Ernennung doch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal in Richtung einer veränderten Akademiekultur in der jungen Republik.343 Darüber hinaus entpuppten sich die Neuberufungen vom Frühjahr 1919 jedoch bald als wenig effektiv im Sinne einer grundlegenden Neuorientierung der Berliner Akademie. Zumal die Gruppe der Fortschrittlichen durch den Tod Lehmbrucks und Metzners noch einmal dezimiert worden war,344 offenbarte sich spätestens bei den nächsten Akademiewahlen, wie gering der Einfluß war, den die neuen Mitglieder in der weiterhin konservativ dominierten Kunstsektion wirklich hatten. Durch die Wahlen vom Frühjahr 1920 wurden mit dem Direktor der Berliner Kunstschule Philipp Franck, den Architekten Erich Blunck und Franz Seeck sowie dem Maler Gerhard Janssen, wie nun auch das Berliner Tageblatt urteilte, zwar „tüchtige Lehrer und Künstler, aber keine Persönlichkeiten, die ein Programm bedeuten", berufen.345 Seine Kritik brachte Scheffler nun auf den Punkt: „Die Akademie der Künste hat im Revolutionswinter 1918-19 einen Reformversuch unternommen, der sogar Pessimisten hoffnungsvoll gestimmt hat. [...] Heute schon wissen wir, daß die Reform nicht ernstlich gemeint war. Die Zuwahl der Mitglieder von links ist sozusagen nur unter der Drohung der Maschinengewehre erfolgt. Die Liste der in diesem Jahre Neugewählten beweist, daß die Akademie wieder in ausgefahrene Gleise hineinlenkt".346 Nach
339 Vgl. BT, Jg. 48, Nr. 422, 9.9.1919, S. 2; Ku.chr., Jg. 54, 2, Nr. 47, 19.9.1919, S. 999. 1928 wurde Kollwitz dann auch ein Meisteratelier an den Vereinigten Staatsschulen übertragen, vgl. Krahmer 2000, S. 108 u. 143; Protokoll Ak.d.Kü., Kunstsektion, 23.3.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/003, Bl. 32-33; Ku. u. Wi„ Jg. 9, Nr. 9, 1.5.1928, S. 140; Prof. Käthe Kollwitz hat keine Ahnung, in: Ku. u. Wz'., Jg. 9, Nr. 14, 1.8.1928, S. 237. 340 Vgl. Droste 1991, S. 19. 341 Vgl. Aus der neuen Künstlerbewegung,
in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 17, 21.1.1919, S. 114; Ku.chr.,
Jg. 54, 1, Nr. 21, 7.3.1919, S. 446; Jg. 54, 2, Nr. 47, 19.9.1919, S. 1003; Frauen an der Wiener Kunstakademie,
in: W. d. Ku. J g . 19, Nr. 25, 29.3.1920, S. 173; vgl. auch Christmann 1999, S. 52.
342 Erst 1931 fand mit der Bildhauerin Renée Sintenis eine zweite Frau Aufnahme in die Berliner Kunstsektion. 343 Auch in anderen Bereichen des staatlichen Kulturbetriebs in Preußen spielten Frauen seit 1918 vereinzelt eine Rolle, so z.B. Gertrud Eysoldt beim Theater (siehe Kap. II. 4.2.), Frida Winckelmann als Mitarbeiterin des Kultusressorts (siehe Kap. II. 1.1.) oder Ricarda Huch als Mitglied der Sektion für Dichtkunst an der Akademie der Künste. 344 Vgl. W. d. Ku. J g . 18, Nr. 25, 31.3.1919, S. 169. 345 BT, 27.3.1920, in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 228; vgl. auch weitere ZAs März 1920, in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 228. 346 K. Sch. in: Ku. u. Kii., Jg. 18, Nr. 9, Mai 1920, S. 429; vgl. dazu auch Diekmann / Kampe 1997, S. 87; zur konservativen Tendenz siehe auch ZAs Juni 1920, in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 228;
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den Wahlen vom Frühjahr 1921, durch die der Maler Paul Plontke neben zwei Architekten 3 4 7 als neues Mitglied in die Kunstsektion eingebunden wurde, steigerte sich der Eindruck der mangelnden Berücksichtigung neuer Kunsttendenzen dann noch einmal. In der Presse deutete man Plontkes Wahl als Ausdruck der Stagnation an der Akademie. 348 Die Vossische Zeitung kommentierte: „Auf dem Gebiet der bildenden Künste hat die Akademie die Bestrebungen der Verjüngung und der Heranziehung moderner Kräfte, die nach der Revolution einen verheißungsvollen Anlauf nahm, nicht fortgesetzt." 349 Und Glaser steigerte die Kritik gar zum Generalangriff gegen die Akademie, als er schrieb, die Wahl entlarve den „Zwiespalt zwischen der äußeren Geste und der wahren Gesinnung". Man locke Presse und Publikum durch moderne Ausstellungen und versuche, sie so für die vermeintlich neue Akademie einzunehmen, gleichzeitig verweigere man auf der Mitgliederebene jede Verjüngung. Fakt sei: „Im ersten Schrecken der Revolution, als Kunsträte drohende Reden führten, hatte die Akademie sich schleunigst nach links orientiert und ein paar von den verruchten Sezessionisten in ihren gnadenreichen Schoß aufgenommen. Aber das kleine Häuflein der Gutgesinnten scheint machtlos gegen den alten Stamm der Mitglieder, die sich wieder im Vollbesitz ihrer Stimmenzahl fühlen und denen es offenbar ein Bedürfnis gewesen ist, den berüchtigten ,Ruck nach rechts' im eigenen Hause zu demonstrieren." 350 Tatsächlich waren die konservativen Mitglieder nach der Wahl von 1919, die ihnen offenbar genug der Geste gegenüber der linken Regierung schien, bald wieder auf ihre Abwehrhaltung zurückgeschwenkt und hatten immer unverhohlener gegen eine fortgesetzte Öffnung für die Moderne, wie sie vom Ressort weiterhin verlangt wurde, optiert. 351 Mit der Vermutung, daß den Ausstellungen in diesem Kontext eine Art Alibifunktion zukam, lag Glaser dabei durchaus richtig. 352 Die von Haenisch zunächst als wichtiger Reformansatz aufgefaßte personelle Erneuerung von 1919 erwies sich so bald als unzureichend. Die 1919 ernannten Mitglieder konnten zwar über die Akademieausstellungen Einfluß auf das äußere Erscheinungsbild der Akademie nehmen 353 - und dieses Erscheinungsbild fügte sich dann
Eine Schuldebatte in der Landesversammlung.
Fortsetzung der Beratung über den Landesetat, in:
BT, Jg. 48, Nr. 582, 6.12.1919, Beibl. S. 3; Lammert 1996, S. 491. 347 Dabei handelte es sich um Alfred Breslauer und Josef Hoffmann, vgl. ZA aus Berliner
Börsen-
kurier, O.D., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 277 u. 285-286. 348 Vgl. G. in: Ku.chr., Jg. 56,1, Nr. 25, 21.3.1921, S. 487; ZA Germania, 4.3.1921, in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 277 u. 285-286. 349 ZA Voss. Ztg., 3.3.1921, in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 277 u. 285-286. 350 Glaser: Schaufensterpolitik.
Zu den Neuwahlen
der Akademie,
in: Berliner Börsenkurier,
5.3.
1921, in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 277 u. 285-286. 351 Vgl. Lammert 1996, S. 496; Protokoll Ak. d. Kii., Reformkommission, 16.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 61-64. 352 Vgl. Protokoll Ak. d. Kii., Reformkommission, 16.4.1919, ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 2.6.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 6 1 - 6 4 u. 67-68; vgl. auch Lammert 1996, S. 492-496. 353 Dabei ging es sowohl um eine Neuakzentuierung der Ausstellungen durch die Einbindung der Werke der neuen Adepten als auch darum, daß der Ausstellungskommission in erster Linie modernere Mitglieder der Akademie angehörten.
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der ministeriellen
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auch in den Anspruch des Ministeriums ein.354 Eine substantielle Erneuerung konnte auf diese Weise allerdings nicht realisiert werden. Die den Revolutionsunruhen geschuldete Entscheidung des Ministeriums, die Akademie nur gemäßigt zu ergänzen, stellte sich so als verhängnisvoll heraus. Die vermeintliche Öffnung der Akademie ist vor diesem Hintergrund letztlich nur als allzu zögerlicher Reformschritt zu werten, durch den die alte Akademie relativ unbeschadet in die Republik überführt werden konnte.355 Uber erste Ansätze einer äußeren Erneuerung, für die Namen wie Kollwitz, Barlach, Jaeckel, Purrmann oder Kolbe standen, kam die Berliner Akademie damit in der Zeit direkt nach dem Umsturz nicht hinaus. Da sich der akademische Konservativismus zu einem nicht unerheblichen Teil an der Hochschule der bildenden Künste festmachte, galt es jedoch, nicht nur an der Mitgliederakademie, sondern auch dort Veränderungen in die Wege zu leiten. Auch hier ging es für das Ministerium zunächst um eine personelle Erneuerung. So wandte sich Haenisch bald nach seinem Amtsantritt an Nationalgaleriedirektor Justi und berichtete davon, bei seinem Ressort sei angeregt worden, „an der Berliner Hochschule der bildenden Künste eine Lehrerstelle (Meisterklasse) für Bildnismalerei vorzusehen, die zur Aufgabe haben solle, dieses Fach im modernen Sinne zu pflegen". Dieser Idee offensichtlich nicht abgeneigt, fragte Haenisch nun bei Justi nach, ob dieser den für eine solche Stelle vorgeschlagenen Maler Walter Bondy für geeignet halte.356 Deutlich spiegelt Haenischs Anfrage das erste tastende Bemühen des Ministers um eine Öffnung der Hochschule wieder. Justi riet jedoch im Januar 1919 mit dem Hinweis, Bondy habe die Erwartungen, die er vor dem Krieg geweckt habe, nicht ganz erfüllt, von der Berufung ab.357 Das Ministerium verzichtete daraufhin auf eine Berufung. 358 Von fortgesetzten Aktivitäten Haenischs zeugt dann eine weitere Anfrage an Justi vom März 1919, in der es um eine Einbeziehung des Malers Artur Degner in den Lehrbetrieb ging. 359 Der 32jährige Degner, ein Protégé von Corinth und Liebermann, gehörte dem Vorstand der Berliner Sezession an und war Mitglied des Arbeitsrates für Kunst.360 Zudem hatte er sich Ende 1918 mit der Rolle bildender Kunst in der sozialistischen Gesellschaft auseinandergesetzt und dabei eine neue lebensnahe Kunst für alle in Aussicht gestellt, die im Sozialismus durch den Austausch der Künste untereinander gedeihen werde. 361 In diesem Zusammenhang hatte er für die Akademien eine Reorganisation und Verjüngung, ein Ende staatlicher Bevormundung und die Berufung von Lehrern gefor-
354 Zu den Akademieausteilungen und zur Ausstellungskommission vgl. Lammert 1996, S. 496; Paret 1997, S. 68; Diekmann / Kampe 1997, S. 85. 355 Vgl. Diekmann / Kampe 1997, S. 81. 356 Haenisch an Justi, 25.12.1918, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gaL, Gen. 19, Bd. 13. 357 EntwurfJustianKM, 11.1.1919, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 19, Bd. 13. 358 Bondy blieb allerdings interessant für das Ministerium, vgl. Abschr. Kunstabteilung an Haenisch, Nov. 1920, ms. u. Haenisch an Kunstabteilung, 10.11.1920, Ds., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 461, Bl. 118 u. 143. 359 Haenisch an Justi, 28.3.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 15, Bd. 6. 360 Vgl. Steneberg 1987, S. 7 u. 91. 361 Artur Degner: Über die Kunst im neuen Staat, in: Ku.chr., Jg. 54, 1, Nr. 8, 6.12.1918, S. 148-150.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
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dert, „deren Persönlichkeit eine Gewähr ist für die radikale Durchführung aller geplanten Reformen." 3 6 2 Haenisch konnte sich also durchaus vorstellen, jemanden, der nicht nur stilistisch, sondern auch weltanschaulich für einen Neubeginn stand, in den Lehrbetrieb einzubinden. Justi reagierte darauf diplomatisch: Degner stehe für die jüngste Kunst und sei daher der Jugend vermutlich ein willkommener Lehrer, es sei aber zweifelhaft, ob sich dieser Wert nicht schnell abnutze. Zudem sei entscheidend, in welches Kollegium Degner gerate. 363 Wie bei Bondy kam es daraufhin auch hier zunächst zu keiner Berufung; später band das Ministerium Degner aber tatsächlich in seine Reformbestrebungen ein. Für die erste Zeit nach dem Umsturz ist das Bemühen um Bondy und Degner vor allem deswegen interessant, weil es einen genaueren Einblick in die Reformpolitik des Ressorts gibt. Dabei belegen die Briefe, daß die Initiative für eine personelle Erneuerung des Lehrbetriebs vom Minister selbst ausging. Überdies deutet sich hier eine - im Interesse des Ausgleichs bestehender Schieflagen zu verstehende - Aufgeschlossenheit des Ministeriums für moderne und auch für Künstler an, die sich sozialistisch positionierten. Vor diesem Hintergrund gewinnt dann auch Haenischs Begeisterung für Kollwitz noch einmal präzisere Konturen. Zudem machen die ministeriellen Anfragen auf die Rolle aufmerksam, die Justi nach dem Umsturz als Ressortberater spielte. Eigentlich kam der Akademie der Künste diese Funktion zu. Als es aber 1918/19 eben um das Aufbrechen der Akademiestrukturen ging, war offensichtlich vor allem Justi gefragt.364 Da sich das Ressort an Justis Urteilen orientierte, nahm der Galerieleiter direkten Einfluß darauf, innerhalb welcher Grenzen sich die Veränderungen vollzogen. Daß Justi auch die Tendenz der Akademieberufungen vom Frühjahr 1919 mit prägte und dazu beitrug, daß etwa der Konstruktivismus wie im Kronprinzenpalais auch an der Akademie unberücksichtigt blieb (siehe Kap. II. 4.1.), läßt sich zumindest vermuten. 365 Trotz des ministeriellen Interesses ging die personelle Erneuerung der Hochschule allerdings im Endeffekt noch zögerlicher voran als die der Berliner Mitgliederakademie. 366 Das vom Ministerium sanktionierte Prinzip der vorsichtigen Ergänzung hatte zur Folge, daß auch in der Hochschule alte Strukturen konserviert wurden. Ausdruck dessen war nicht zuletzt, daß der konservative Arthur Kampf bis 1924 Leiter der Anstalt blieb. 367
362 Ebd., S. 149. 363 Entwurf Justi an KM, 3.4.1920, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 15, Bd. 6. 364 Zur Frage des Einflusses der Akademie vgl. auch Bericht der Kommission zur Vorberatung Reform der Akademie,
einer
[März 1919], ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919,
ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 3 6 - 3 7 u. 40-53. 365 Vgl. dazu auch Curt Glaser: Der neue Kurs, in: Ku.chr., Jg. 54, 1, Nr. 24, 28.3.1919, S. 494 f: „So mancher Name stand gewiß schon seit langem auf der Liste der Kandidaten [für die Akademie], manche andere Wahl bedeutet nicht mehr als die Abtragung einer alten Ehrenschuld, und mit ein paar jüngeren Künstlern, die Aufnahme fanden, reicht die äußerste Linke wohl nicht zufällig genau so weit und nicht weiter, als Justi mit seinen Ankäufen für die Nationalgalerie vor etwa Jahresfrist schon vorzugehen wagen durfte." 366 Vgl. W d. Ku., Jg. 19, Nr. 2, 13.10.1919, S. 13; ZAs, 24./27.3.1920, in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 228; Poggendorf 1996 a, S. 298. 367 Vgl. Poggendorf 1996 a, S. 298.
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II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
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Nach der Revolution setzen die Reformbemühungen des Ministeriums indes nicht nur auf personeller, sondern auch auf struktureller Ebene an. Das Ressort konzentrierte sich hier zunächst auf eine Verfassungsreform der Berliner Akademie. Zur Vorbereitung einer solchen Reform wurde vermutlich auf Betreiben des Ministeriums 368 am 3. Dezember 1918 eine Kommission eingerichtet, der neben dem Präsidenten und den beiden Sekretären der Akademie zehn Mitglieder und akademische Lehrer angehörten.369 In den Sitzungen, an denen Nentwig und Trendelenburg für das Ressort teilnahmen, wurde in den folgenden Monaten, an England und Frankreich orientiert, 370 über die generelle Richtung einer der republikanischen Staatsform entsprechenden Reform der Mitgliederakademie sowie darüber diskutiert, wie sich dies im Statut niederschlagen sollte. Die Anpassungsbereitschaft der Akademie und der vorsichtige ministerielle Modernisierungsanspruch waren wichtige Voraussetzungen dafür, daß es überhaupt zu solchen Gesprächen kam. Gleichzeitig war auf Grund dieser Konstellation von Beginn an klar: Ministerium wie Akademie strebten keine radikalen Veränderungen, sondern eine Reform an, die an die bisherige Akademieverfassung anknüpfen sollte.371 Ausgangspunkt der im März und April 1919 intensiv geführten Verhandlungen war die Auffassung des Ministeriums, daß für eine einseitige Körperschaft, wie sie die Akademie bisher dargestellt hatte, in der Republik kein Platz mehr sei und man nach neuen Wirkungskreisen suchen müsse.372 Als Ziel definierte das Ressort das Ideal einer an aktuellen Tendenzen orientierten, für alle Zweige der Kunst zuständigen Zentralakademie, die den Staat als Gutachterin unterstützen und um Kontakt zum Publikum bemüht sein sollte.373 Mit diesem Ideal suchte das Ministerium seinem gegenwartsorientierten, freiheitlich-neutralen kunstpolitischen Anspruch und zugleich dem von Haenisch propagierten gesellschaftlichen Integrationsmodell gerecht zu werden (siehe Kap. II. 5.1.). In den Sitzungen versuchte das Ressort, seinem Ideal den Weg zu ebnen, indem es sich an zwei Maximen orientierte: Erstens wollte man den akademischen Zuständigkeitsbereich erweitern und das Wirken der Akademie effizienter gestalten. Zweitens sollte der Bezug der Einrichtung zu aktuellsten Kunsttendenzen dauerhaft sichergestellt werden.
368 So Weinstein 1990, S. 42. 369 Vgl. Protokoll Ak.d.Kü., Senat beider Sektionen, 3.12.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 1; Diekmann / Kampe 1997, S. 80. 370 Vgl. dazu Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 7.12.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 3 - 4 . In den Akten der Reformkommission (SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 12-24) finden sich Auszüge aus Bestimmungen für die Royal Academy of Arts in London, die Königliche Akademie der schönen Künste in Kopenhagen, aus den Statuten der Academie des Beaux Arts Paris sowie des Institut International de France. 371 Vgl. Protokoll Ak.d.Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-37; zur Haltung der Akademie vgl. Bericht der Kommission zur Vorberatung einer Reform der Akademie,
[März 1919], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 40-53.
372 Vgl. Protokoll Ak.d.Kü., Reformkommission, 16.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 61-64. 373 Ebd.; vgl. dazu auch Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-37.
3. Einleitung
längerfristiger
Reformen:
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D i e erste Maxime fügte sich in generelle Zentralisierungsbestrebungen in der Kunstverwaltung (siehe Kap. II. 6.) ein. 374 Diesen Plänen und der zeitgenössischen Debatte folgend, forderte das Ministerium, daß künftig neben bildender Kunst und Musik auch alle anderen Künste v o m Kunstgewerbe über die Baukunst bis z u m Theater in die Akademie einbezogen werden sollten. 375 Für all diese Kunstzweige sollte die Akademie als mit breiten Kompetenzen ausgestattete Beraterin des Staates fungieren. 3 7 6 Konkret war an einen Einfluß auf die öffentliche Baugestaltung, auf Staatsaufträge oder Nationalgalerieankäufe gedacht. 377 Damit die Akademie dem gerecht werden konnte, mußte nach Wegen eines konzentrierteren Arbeitens gesucht werden. Pläne des Ministeriums, der Akademie Fachkommissare beizuordnen 3 7 8 oder die Hochschule aus dem Akademieverband z u lösen, 379 deuteten hier ebenso Reformwege an wie Überlegungen zur Straffung interner Abläufe durch veränderte Kompetenzen v o n Senat und Genossenschaft. 3 8 0 D e m Ideal einer Akademie aller Künste entsprach nicht zuletzt die Absicht, neben den Sektionen für Kunst und Musik eine dritte Sektion für Dichtkunst einzurichten. N a c h d e m eine solche Sektion in Anlehnung an ältere
374 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 4.4.1919, ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 16.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-37, 55-56 u. 61-64. 375 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 4.4.1919, ms. u. Die Hauptergebnisse der Beratungen der Kommission für Reformvorschläge, 4.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-37 u. 55-57; siehe auch Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1810. 376 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., Die Hauptergebnisse der Beratungen der Kommission für Reformvorschläge, 4.4.1919, ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 16.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-37,57 u. 61-64. In diesem Zusammenhang wurde auch die Rolle des Präsidenten überdacht, vgl. Reformkommission: Reformen, [1918/19], ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 26.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 30-31 u. 38-39. 377 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 26.3.1919, ms. u. Bericht der Kommission zur Vorberatung einer Reform der Akademie, [März 1919], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-53. Ein Einfluß auf die Ankäufe der Nationalgalerie wurde zumindest von der Akademie selbst gefordert (siehe Kap. III. 3.2.), vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 26.3.1919, ms., Bericht der Kommission zur Vorberatung einer Reform der Akademie, [März 1919], ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 2.6.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 38-53 u. 67-68. 378 Vgl. Die Hauptergebnisse der Beratungen der Kommission für Reformvorschläge, 4.4.1919, ms., Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 16.4.1919, ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 2.6.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 57, 61-64 u. 67-68. 379 Vgl. Bericht der Kommission zur Vorberatung einer Reform der Akademie, [März 1919], ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-37 u. 40-53; vgl. auch Reformkommission: Reformen, [1918/19], ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 26.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 30-31. 380 Vgl. Bericht der Kommission zur Vorberatung einer Reform der Akademie, [März 1919], ms., Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 26.3.1919, ms., Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 4.4.1919, ms. u. Die Hauptergebnisse der Beratungen der Kommission für Reformvorschläge, 4.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-39 u. 55-57.
II. Neuorientierung
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der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Pläne von der Akademie selbst bereits Ende 1918 gefordert worden war,381 machte das Ministerium diesen Wunsch in der Folgezeit zu einem seiner großen Anliegen.382 Von der Idee der Einheit der Künste geleitet, trat Haenisch als begeisterter Fürsprecher der Dichtsektion auf.383 In seiner Rede vom 2. Mai 1919 wertete er die Einbindung von Literaten als Markstein und Beginn einer neuen Akademieepoche. Überdies verband er mit der Dichtsektion wie mit den Neuberufungen von 1919 die Hoffnung, „daß das der Welt ein Beweis sein wird, daß diese Akademie als eine Vorkämpferin der ganzen deutschen Kultur fähig ist, neue Ziele sich zu setzen und neue Wege zu diesen neuen Zielen einzuschlagen." 384 Seiner zweiten Maxime, der Garantie des Gegenwartsbezugs, suchte das Ministerium auf struktureller Ebene zunächst dadurch gerecht zu werden, daß es vorschlug, nach englischem Vorbild eine Vorstufe für jüngere Künstler einzurichten. 385 Nachdem dies von den Akademikern abgelehnt worden war, präsentierte das Ministerium das Alternativkonzept, neue Mitglieder nur für fünf Jahre zu wählen und erst nach weiteren fünf Jahren über eine langfristige Mitgliedschaft zu entscheiden.386 Auf diese Weise wollte man das Prinzip der lebenslangen Mitgliedschaft durchbrechen, das aus Sicht des Ressorts wie zeitgenössischer Kritiker die Verknöcherung der Anstalt beförderte. 387 In der Kommission wurde zudem kontrovers diskutiert, ob im Statut festgelegt werden sollte, daß die Akademie allen Richtungen offenstehe. 388 Das Ministerium sah hier scheinbar eine weitere Chance, den Rückfall
381 Vgl. Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 21.11.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 73-74; vgl. auch Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 7.12. 1918, ms., Reformkommission: Reformen, [1918/19], ms. u. Bericht der Kommission zur Vorberatung einer Reform der Akademie,
[März 1919], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 3 - 4 , 30-31 u.
40-53; zur Dichtsektion vor 1926 vgl. I. Jens 1989, S. 5 f; Diekmann / Kampe 1997, S. 86; Kiwus 1996, S. 399. 382 Vgl. Reformkommission: Reformen,
[1918/19], ms. u. Bericht der Kommission zur
Vorberatung
einer Reform der Akademie, [März 1919], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 30-31 u. 40-53. 383 Vgl. Haenisch 1921, S. 154; Fritz Engel: Die Dichtkunst in der Akademie, in: BT, Jg. 48, Nr. 200, 5.5.1919, S. 2; Kampe 1996 a, S. 390. 384 Rede Haenisch, 2.5.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 8-10, Bl. 10 v. 385 Vgl. Reformkommission: Reformen,
[1918/19], ms., Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission,
16.4.1919, ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 2.6.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 30-31, 6 1 - 6 4 u. 67-68. 386 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., Bericht der Kommission zur Vorberatung einer Reform der Akademie,
[März 1919], ms., Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommis-
sion, 16.4.1919, ms. u. Protokoll der Ak. d. Kü., Reformkommission, 2.6.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-37, 40-53, 6 1 - 6 4 u. 67-68. 387 Vgl. Bericht der Kommission zur Vorberatung einer Reform der Akademie,
[März 1919], ms., in:
SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 40-53; ähnlich auch A. L. Mayer: Die Kunstreformen
im Volksstaat
Bayern, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 7, 29.11.1918, S. 136-139. 388 Vgl. Die Hauptergebnisse
der Beratungen der Kommission für Reformvorschläge,
4.4.1919, ms. u.
Protokoll der Ak. d. Kü., Reformkommission, 16.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 57 u. 61-64.
J. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
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in Einseitigkeiten zu verhindern.389 Um die interne Flexibilität zu erhöhen, erörterte man überdies die Einführung eines Rotationssystems im Senat.390 Ebenfalls unter dem Aspekt einer Stärkung des Gegenwartsbezugs wurde außerdem das Verhältnis der Akademie zur Öffentlichkeit und zur Künstlerschaft überdacht. Einig waren sich Akademie und Ministerium dabei in dem Ziel, die Akademie über Ausstellungen, Konzerte, Vorträge und Publikationen aktiver in das aktuelle Kulturleben einzubinden.391 Schwieriger gestaltete sich hingegen die Frage der Bedeutung der Akademie für die freien Künstler.392 Für das Ressort stand fest, daß die alte Konfrontation keinesfalls wiederkehren und man statt dessen auf Kooperation setzten sollte. Wie die Kooperation allerdings gestaltet werden sollte, war nicht so leicht zu beantworten. Einen Anknüpfungspunkt bot das 1919 vieldiskutierte Konzept der Künstlerkammer, das vorsah, in Nachfolge der revolutionären Künstlerräte Kammern als Interessenvertretungen der Künstler einzurichten.393 Es stellte sich nun die Frage, ob die Akademie selbst als Künstlerkammer wirken könne.394 Das Ressort lehnte die umstrittene Idee keineswegs ab, beschränkte sich aber auf die Aussage, die Akademie solle künftig auch berufsständische und wirtschaftliche Künstlerinteressen vertreten.395 In diesem Kontext befürwortete es eine Rolle der Akademie als öffentlich-rechtliche Künstlerorganisation.396
389 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 26.3.1919, ms., Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 4.4.1919, ms., Die Hauptergebnisse der Beratungen der Kommission für Reformvorschläge, 4.4.1919, ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 16.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 38-39, 55-57 u. 61-64. 390 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 26.3.1919, ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 16.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 38-39 u. 61-64. 391 Vgl. Bericht der Kommission zur Vorberatung einer Reform der Akademie, [März 1919], ms., Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 4.4.1919, ms. u. Die Hauptergebnisse der Beratungen der Kommission für Reformvorschläge, 4.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 40-53 u. 55-57. Seinen Einsatz für die Akademieausstellungen untermauerte das Ministerium später, indem es mehr Mittel für diese Zwecke beantragte, vgl. KM an FM, 24.9.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 267-268. 392 Vgl. dazu Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 21.11.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 73-74; Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-37. 393 Vgl. Kunstparlamente, in: W.d.Ku., Jg. 18, Nr. 13, 23.12.1918, S. 85; Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 16, 31.1.1919, S. 333 f; Abschr. Protokoll Ak.d.Kü., 3.12.1920, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/ 130, Bl. 78-79; vgl. auch Eine Kundgebung der Künstler und Dichter, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 9, 25.11.1918, S. 57 f; Paul Westheim: Staat und Kunst. Zur Berliner Tagung des „Deutschen Ausschuß für Kunst", in: FZ, Jg. 62, Nr. 82, 23.3.1918. 394 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., 5.9.1919, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/060, Bl. 76-77. 395 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 26.3.1919, ms., Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 4.4.1919, ms., Die Hauptergebnisse der Beratungen der Kommission für Reformvorschläge, 4.4.1919, ms. u. Protokoll der Ak. d. Kü., Reformkommission, 16.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 38-39, 55-57 u. 61-64; vgl. dazu auch Karl Scheffler: Die Kunst und die Revolution, in: Ku. u. Kü., Jg. 17, Nr. 5, Jan. 1919, S. 165-167. 396 Vgl. Die Hauptergebnisse der Beratungen der Kommission für Reformvorschläge, 4.4.1919, ms.,
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II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
In den Kommissionssitzungen entwickelte das Ministerium also durchaus genaue Vorstellungen für eine Strukturreform der Akademie. Es präsentierte sein Ideal einer republikanischen Zentralakademie und zeigte Schritte zur Annäherung an dieses Ideal auf. Die Kommission verhielt sich mal skeptisch, mal aufgeschlossen dazu. Während etwa die Lösung von der Hochschule unter der Bedingung eines stärkeren Einflusses auf den gesamten Kunstschulbereich begrüßt wurde und man sich, was die Dichtsektion, eine neu akzentuierte Rolle des Senats oder die Einsetzung von Kommissaren anging, ebenfalls vom Grundsatz her einig war,397 wurden gleichzeitig Vorschläge wie die Einrichtung einer akademischen Vorstufe oder die Wahl auf nur fünf Jahre abgelehnt.398 Einer institutionellen Stärkung stand die Akademie mithin zunächst positiv gegenüber, dem Bemühen um eine Flexibilisierung und Modernisierung begegnete man hingegen mit Skepsis. Waren zuvor manche der Reformideen noch von den Akademikern selbst eingebracht worden, verstärkte sich nach der Zuwahl von 1919 auch in der Kommisssion die Verweigerungshaltung. Das Bemühen des Ressorts um eine Einbindung der Moderne wurde immer stärker abgeblockt. Und schließlich geriet auch das Ideal der Zentralakademie, auf dem alle weiteren Reformansätze fußten, in Mißkredit. Dem neuen linken Ministerium gegenüber ohnehin argwöhnisch auf ihre Stellung bedacht, sah sich die Akademie auf diese Weise zu sehr politisiert und in ihrer Autonomie gefährdet.399 Rückendeckung gab ihr dabei die kritische öffentliche Debatte zur selben Zeit, in deren Rahmen die Berechtigung demokratischer Künstlervertretungen angezweifelt und eine staatliche Bevormundung der Kunst durch die Dichtsektion vermutet wurde. 400 Überdies erschwerten äußere Entwicklungen die Strukturreform: Als das Finanzressort im Sommer 1919 die für die Dichtsektion erforderlichen Senatorenstellen trotz von Haenisch eindringlich befürworteter Anträge nicht bewilligte,401 brach eine wichtige Säule des neuen Akademiemodells weg. Das Ministerium forderte zwar weiterhin die
in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 57; Protokoll Ak. d. Kü., 5.9.1919, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/060, Bl. 76-77; Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7329; vgl. dazu auch Die Eröffnung
der
Großen
Berliner Kunstausstellung, in: BT, Jg. 49, Nr. 236, 21.5.1920. 397 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 4.4.1919, ms., Die Hauptergebnisse der Kommission für Reformvorschläge,
der
Beratungen
4.4.1919, ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommis-
sion, 16.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 5 5 - 5 7 u. 61-64. 398 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 16.4.1919, ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 2.6.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 36-37, 6 1 - 6 4 u. 67-68; vgl. auch Dieckmann / Kampe 1997, S. 85. 399 Vgl. Bericht der Kommission zur Vorberatung einer Reform der Akademie,
[März 1919], ms. u.
Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 2.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 4 0 - 5 4 ; siehe dazu auch Protokoll Ak. d. Kü., Senat beider Sektionen, 3.12.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 1; Kestenberg 1961, S. 40. 400 Vgl. ζ. B. F.: Die „ unsterblichen Akademien",
in: Ku.wart, Jg. 33/1, Nr. 4, Nov. 1919, S. 185 f; vgl.
auch Haenisch 1921, S. 154. 401 Vgl. Haenisch an FM, 20.6.1919, ms., FM an KM, 9.7.1919, ms., Haenisch an FM, 20.8.1919, ms. u. Entwurf FM an KM, 9.1919, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 136-137 u. 168-169.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
99
Sektion,402 faktisch mußte die Idee aber zunächst aufgegeben werden.403 Gleichzeitig ließ sich auch die allgemeine Kunstverwaltungsreform, die Rahmenbedingung für die Akademieerneuerung war, nicht durchsetzen (siehe Kap. II. 6.). So gingen die Reformgespräche an der Akademie seit Mitte 1919 immer schleppender voran, um 1919/20 ganz zu stagnieren.404 So klar das Ressort seinen Reformanspruch in den ersten Monaten nach dem Umsturz auch artikuliert hatte und so sehr es ihn weiter betonte,405 kam es daher in Berlin erst einmal weder zum Erlaß eines neuen Statuts noch zu anderen Strukturreformen. Zur selben Zeit brachen an der preußischen West- und Ostgrenze, wo die Nachwehen des Krieges besonders spürbar waren, heftige Akademiekonflikte auf. Als brisant erwies sich vor allem die Lage in Königsberg. Hier opponierten aus dem Krieg heimgekehrte Schüler gegen die vom konservativen Maler Alfred Graf von Brühl geleitete Akademie, die sich trotz Stärkung des Praxisunterrichts vor 1914 weiterhin als Exponentin wilhelminischer Kunstauffassung darstellte.406 Mit ihrer Absicht, eine Demokratisierung der Anstalt in die Wege leiten zu wollen, fanden die Studenten vor Ort schnell Gehör, und so wurde auf einer Vollversammlung Ende Januar 1919 die Neukonstituierung beschlossen. Direktor Brühl trat unter dem Druck der Ereignisse zurück.407 Im März 1919 enthob ihn der Schülerrat formell des Amtes 408 und arbeitete mit einigen Lehrern und dem Königsberger Rat geistiger Arbeiter eine neue Akademieverfassung aus. Der Maxime der Freiheit, der Erziehung zur Selbständigkeit sowie einem vom Werkstättengedanken und der Idee der starken Lehrerpersönlichkeit getragenen Schulideal verpflichtet, basierte das im Juni 1919 publizierte Statut auf dem kollegialen Selbstverwaltungsprinzip.409 Das hieß, daß der Direktor vom Kollegium gewählt und den Schülern ein Mitspracherecht eingeräumt werden sollte. Die Rolle des Ministeriums als Diszplinar- und Aufsichtsbehörde blieb gewahrt; modifiziert wurde
402 Vgl. Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807; Karl Fischer: Kunst und Wissenschaft im neuen Preußen. Unterredung
mit Kultusminister Haenisch, in: BT, Jg. 48, Nr. 369, 10.8.1919, S. 2; vgl.
dazu auch Staatshaushaltsplan 1920, Anlagebd. 2, S. 103; Regierungsvertreter, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7295. 403 Vgl. Haenisch 1921, S. 154; Entwurf Ak. d. Kü. an KM, 16.1.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/129, Bl. 28; Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 18.1.1923, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/075, Bl. 9-10. 404 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 2.6.1919, ms. u. Manzel an KM, 10.6.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 6 7 - 6 8 u. 71. 405 Vgl. Karl Fischer: Kunst und Wissenschaft im neuen Preußen.
Unterredung
mit Kultusminister
Haenisch, in: BT, Jg. 48, Nr. 369, 10.8.1919, S. 2; Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807; Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6782. 406 Vgl. Mai 1981, S. 472; Mai 1977, S. 25. 407 Vgl. W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 2 1 , 1 7 . 2 . 1 9 1 9 , S. 141. 408 Vgl. Ku.chr., Jg. 54, 1, Nr. 21, 7.3.1919, S. 446; KM an FM, 15.5.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154. 409 Vgl. Vorschläge zu einer Notverfassung
der Kunstakademie
in Königsberg,
in: W. d. Ku., Jg. 18,
Nr. 36, 16.6.1919, S. 243-245; Ku.chr., Jg. 54, 2, Nr. 29, 2.5.1919, S. 600; Rieh. Pfeiffer: Demokratisierung der Akademien, Hölscher 2003, S. 204.
in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 36, 16.6.1919, S. 241-245; siehe dazu auch
II. Neuorientierung
100
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
sie allenfalls im Detail, etwa wenn verlangt wurde, daß bei Berufungen die Akademievorschläge bindender als bisher sein sollten. Der Königsberger Alleingang, durch den alte Verwaltungsstrukturen aufgebrochen werden sollten, erwies sich so als durchaus konstruktiv und an fortschrittlichen Reformpositionen orientiert. Das eigenmächtige Vorgehen entsprach dennoch nicht den Vorstellungen des Kultusressorts, das gerade in der ersten Zeit nach dem Umsturz und im Randgebiet Preußens aus national- und ordnungspolitischen Motiven an einer koordinierten Entwicklung interessiert war. Deutlich pochte das Ressort daher auf seine Autorität und die Einhaltung bestehender Bestimmungen, indem es Brühls Absetzung für unrechtmäßig erklärte, sich die Lehrereinsetzung vorbehielt und der Notverfassung durch den Hinweis, ein neues Statut könne erst mit der Reform aller preußischen Akademien eingeführt werden, eine vorläufige Absage erteilte.410 Parallel dazu war man darauf bedacht, die Situation durch Kommissare in geordnetere Bahnen zu lenken.411 Weil eine Wiedereinsetzung Brühls in der aufgeheizten Situation nicht sinnvoll erschien, setzte das Ressort im Mai 1919 den Bildhauer Stanislaus Cauer als dessen Vertreter ein.412 Der Königsberger Statutenentwurf wurde zudem im Sommer 1919 von einer Ressortkommission als Grundlage für die angestrebte Neuordnung der Akademien akzeptiert.413 Die Anerkennung war sicher mehr als eine bloße Geste, denn immerhin wies der Entwurf durch seine gemäßigt fortschrittliche Tendenz, die Betonung von Freiheit und Individualität und den Selbstverwaltungsgrundsatz klare Affinitäten zu ministeriellen Positionen auf. Mitte 1919 verband sich mit ihr aber vor allem ein Effekt: Über die Einbindung des Königsberger Entwurfs in die Ministeriumspolitik wurden die ostpreußischen Erneuerungsbestrebungen kanalisiert. Die Akademie Königsberg stellte sich angesichts dessen 1919 zwar als Anstalt im Aufbruch, aber keineswegs als wirklich erneuerte Institution dar. Im besetzten Rheinland kam es gleichzeitig ebenfalls zum Konflikt, als sich in Düsseldorf junge Expressionisten gegen die dortige Akademie wandten. Die Opponenten entstammten dem linken Flügel der 1919 gegründeten Künstlergruppe Junges Rheinland, sowie dem Umfeld der Düsseldorfer Institution Neue Kunst Frau Ey, die sich seit 1918 zu einer
410 Vgl. Zu den Vorgängen in der Königsberger
Kunstakademie,
in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 38, 30.6.
1919, S. 257; siehe auch Ku.chr., Jg. 54, 1, Nr. 21, 7.3.1919, S. 446. 411 Vgl. KM an FM, 15.5.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154. 412 Brühl galt bis 1920 als beurlaubt. Später machte sich das Ministerium erfolgreich für eine Entschädigung des ehemaligen Direktors stark, vgl. KM an FM, 15.5.1920, ms., FM an KM, 11.6. 1920, ms., FM an KM, 19.5.1920, hs., Abschr. KM an Regierungspräsident Königsberg, 24.6. 1920, ms., Notiz FM, 1.11.1920, hs., Notiz FM, 2.11.1920, ms., Abschr. Erlaß Staatsministerium, 1.12.1920, ms., KM (Nentwig) an FM, 24.12.1920, ms., Abschr. Brühl an KM, 9.12.1920, ms., FM an KM, 22.1.1921, ms. u. KM (Waetzoldt) an FM, 28.4.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154; vgl. auch Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 1920, Nr. 1, 22.1.1920, S. 27; Jubiläum Kunstakademie,
der
in: Königsberg Hartungsche Zeitung, 9.12.1920, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e ,
Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. 413 Vgl. Rieh. Pfeiffer: Demokratisierung
der Akademien,
in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 36, 16.6.1919,
S. 241-245; Notiz KM, 16.2. [1919], hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
101
der agilsten, unkonventionellsten Galerien für modernste Kunst in Deutschland entwickelt hatte. Diese lebendige Kunstszene, die Rückhalt beim Museumreformer Koetschau fand,414 sah sich als Gegenkraft zur konservativen Akademie.415 Seit 1908 vom Historienmaler Fritz Roeber geleitet, galt die nach ihrer Neugründung 1819 demonstrativ preußisch geprägte Akademie bereits um 1900 als Hort der wilhelminischen Kunstreaktion.416 Die Düsseldorfer Akademiekritik von 1918/19 hatte damit zwei Stoßrichtungen: Zum einen ging es auf stilistischer Ebene um das Aufzeigen einer unangepaßten Alternative zur akademischen Malerei. Zum anderen setzte man auf politischer Ebene der alten Akademie nicht nur eine linke Position entgegen,417 sondern man betonte in der Tradition der Preußenkritik des 19. Jahrhunderts die rheinische Eigenständigkeit gegenüber der Staatsinstitution - was angesichts der Anfang 1919 virulenten Separatismusbestrebungen von spezieller Brisanz war.418 Vor diesem Hintergrund kam es im Frühjahr 1919 zu Streitigkeiten zwischen der Akademie und den jüngeren Künstlern, bei denen Kritik besonders am 67jährigen Akademiedirektor Roeber laut wurde.419 Anders als sein Königsberger Kollege wußte sich der für seine Anpassungsbereitschaft bekannte Düsseldorfer Direktor jedoch auch auf Grund des Rufes, den er in bürgerlichen Kreisen genoß, in seiner Stellung zu behaupten.420 Wie in Königsberg solidarisierte sich das Ministerium Haenisch auch in Düsseldorf keineswegs mit den Akademiekritikern. Wohl auch, weil die Situation hier nicht ganz so stark eskalierte wie in Königsberg, enthielt es sich zunächst einer Stellungnahme. Während der Feiern zum hundertsten Jubiläum der preußischen Neugründung der Akademie im Herbst 1919, zu denen auch der Minister geladen war,421 offenbarte sich seine Position dann aber umso deutlicher: Während sich die jungen Linken bei Johanna Ey im „roten Malkästle" trafen, feierte Haenisch mit der alten Professorenschaft im Malkasten, dem Treffpunkt der Akademie, und knüpfte dabei bleibende Freundschaften.422 In seiner Rede beim
414 Vgl. von Kainein 1973, S. 172; W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 2, 13.10.1919, S. 13; zu Koetschaus Rolle vgl. jedoch auch Joachimides 2001, S. 215 f. 415 Vgl. Klapheck 1958; Das rote Malkästle. Frau Ey schreibt Biographie, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 76-85; Heckmanns 1988, S. 81-91; vgl. auch Paul Seehaus: Das junge Rheinland,
in: Ku.bl.,
Jg. 2, 1918, S. 120-122. 416 Vgl. Klapheck 1973, S. 148 u. 150 f; Loup 1973, S. 180 f; Mai 1977, S. 25 u. 28 f; Mai 1981, S. 452. 417 Zur politischen Haltung des Künstlerkreises um „Mutter E y " vgl. Klapheck 1958. 418 Zum rheinischen Separatismus vgl. Huber 1978, S. 1128-1146; Orlow 1986, S. 97-99. 419 Vgl. Klapheck 1973, S. 150 f; Klapheck 1958; Das rote Malkästle. Frau Ey schreibt Biographie, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 76-85; W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 25, 31.3.1919, S. 169; Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 96. 420 Vgl. Klapheck 1973, S. 148; Loup 1973, S. 180-184; Die Kunst im besetzten Rheinland,
in:
W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 20,10.2.1919, S. 135; H. v. Wedderkop: Rheinische Bestrebungen und Gleichgültigkeiten,
in: Ku. u. KU., Jg. 18, Nr. 2, Okt. 1919, S. 81-84; Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 126; Aus-
schußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1818. 421 Vgl. dazu Ku.cbr.,Jg.
55,1, Nr. 2,10.10.1919, S. 27; W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 2,13.10.1919, S. 13; BT,
Jg. 48, Nr. 516, 31.10.1919, S. 3; Nr. 519, 1.11.1919, S. 3; Heß (Z), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7275 f; vgl. dazu auch die Festschrift zur Akademiegründung: Klapheck 1919. 422 Besonders die Freundschaft mit Akademiedirektor Roeber nahm hier offensichtlich ihren Anfang, vgl. dazu BT, Jg. 48, Nr. 519,1.11.1919, S. 3; Haenisch an Roeber, 5.11.1919, ms., Roeber an Haenisch, 19.10.1921, ms., Haenisch an Roeber, 25.10.1919, ms. u. Roeber an Haenisch,
II.
102
Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
Düsseldorfer Festakt am 1. November 1919 stellte er sich überdies, ähnlich wie am 2. Mai 1919 damit argumentierend, wie wichtig nach dem Krieg die Besinnung auf die deutsche Kunst sei, auch verbal hinter die Akademie. Unter Hinweis darauf, daß die dringend notwendige Kunstpflege nur im geeinten Staat möglich und deswegen die Zukunft der Düsseldorfer Kunst nur sichergestellt sei, wenn das Rheinland unverbrüchlich mit Preußen verbunden bleibe, gab er unmißverständliche Signale in Richtung der Akademiekritiker. 423 Haenisch unterstrich damit zugleich das Grundmotiv seiner konservativen Politik in Düsseldorf: Der Gefährdung der Staatseinheit durch den rheinischen Separatismus, der seinen Vorstellungen vom starken Nationalstaat zuwiderlief, 424 suchte er entgegenzuwirken, indem er die gemeinsame deutsche Kultur betonte und in diesem Kontext den Akademien eine elementare nationale Funktion zuschrieb. Diese auch für das Verhalten des Ressorts im Königsberger Akademiekonflikt maßgebliche Haltung 425 präzisierte Becker Ende 1919, als er forderte, man müsse durch die Betonung deutscher Kulturwerte einen „geistigen Limes" gegen das aggressive Vordringen polnischer und französischer Einflüsse in die Grenzgebiete Preußens schaffen (siehe Kap. II. 5.). 426 Konsequenz dessen für die praktische Politik war, daß die Existenzsicherung der Akademien in den preußischen Randgebieten für das Ministerium in der ersten Zeit nach 1918 Priorität genoß und erst in einem weiteren Schritt an eine institutionelle Modernisierung gedacht wurde. Konkret bedeutete das etwa, daß sich das Ressort seit 1919 für eine Förderung des 1914 begonnenen, unvollendeten Neubaus der Düsseldorfer Akademie in Stockum einsetzte. 427 Die Kooperation mit der Akademie implizierte, daß Rückständigkeiten der Institution zunächst in Kauf genommen wurden. Haenisch wollte seine Haltung dabei jedoch offensichtlich keineswegs als Protektion auch der akademischen Kunst mißverstanden wissen. So stand er der Düsseldorfer Akademie zwar aus nationalpolitischen Gründen und in der Folge einigen Professoren auch menschlich nahe. Wenn es um ästhetische Fragen ging, trat er jedoch neutral auf. Äußerungen zur stili-
25.3.1922, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 318, Bl. 2 u. 11-13; Richard Klapheck an Haenisch, 27.8.1921, ms. u. Richard Klapheck an Haenisch, 7.9.1921, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 447, Bl. 135 u. 137; siehe dazu auch Haenisch an Gebhardt, 8.6.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 318; Murdfield an Haenisch, 23.1.1920, hs. u. Murdfield an Haenisch, 11.11.1921, Ds., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 262, Bl. 2 u. 9-10. 423 Vgl. Die Jahrhundertfeier
der Akademie,
in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 6, 10.11.1919, S. 40; ähnlich
auch schon Konrad Hänisch über die rheinischen Fragen, in: Rheinische Zeitung, 5.8.1919, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7681. 424 Vgl. Miller 1978, S. 64 f; Möller 1985, S. 46-52, 64 f, 67-74 u. 79; Schulze 1977, S. 253 u. 255; Zentralrat 1968, S. 461 f; Hömig 1979, S. 28; Schlenke 1987, S. 121; Orlow 1986, S. 94 u. 98 f; Eimers 1969, S. 203 f; H. A. Winkler 1993, S. 49. 425 Vgl. dazu KM an FM, 15.5.1920, ms. u. KM (Pallai) an FM, 16.9.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154; Haenisch, 8.7.1920, in: LV, Prot., Sp. 11750; ZAs Ostpreußische Zeitung u. Königsberg Hartungscher
Zeitung, 16.12.1920, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I,
Nr. 2, Bd. VI; Orlow 1986, S. 99-108. 426 Becker in: LV, Dr. 1329, S. 1808. 427 Vgl. LV, Dr. 1329, S. 1804 u. 1825 f; Ausschußmtgl. (Z), Ausschußmtgl. (DNVP) u. Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1810f u. 1815; Aussschuß-Mtgl. (DDP) u. Ausschußmtgl. (DNVP), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7285-7287; W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 7, 17.11.1919, S. 47.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
103
stischen Ebene des Konfliktes fehlen daher. Lediglich ein Gruß an den Düsseldorfer Akademiker Eduard von Gebhardt zu dessen 82. Geburtstag im Juni 1920 gibt hier gewissen Aufschluß. Auf den Streit zwischen Alt und Neu anspielend, schrieb der Minister damals: „Wie ich Sie kenne, zweifle ich nicht daran, dass Sie den Tag mit der Frische eines Zwanzigjährigen begehen und dass selbst die ,Klecksereien' der bösen Expressionisten Ihnen das Fest nicht vergällen werden." 4 2 8 Eindringlich unterstreicht diese Bemerkung die Präsenz des Themas für die Akademiker, zugleich aber auch Haenischs Distanz. Dem Kunstfreiheitsanspruch folgend, ließ sich das Ministerium 1919/20 also nur auf die politische, nicht aber auf die künstlerisch-stilistische Ebene des Düsseldorfer Streites ein und erteilte der Politisierung des Expressionismus so eine Absage. Eine solche Differenzierung ließ sich allerdings nur schwer vermitteln. Das Ressort wurde deswegen von den modernen Düsseldorfern im fortdauernden lokalen Konflikt immer wieder als Parteigänger der Akademiker wahrgenommen. 429 In den Grenzgebieten stellte sich die kompromißhafte Tendenz der ministeriellen Akademiepolitik im ersten Jahr nach der Revolution also noch weit ausgeprägter als in der Hauptstadt dar.430 Für die Düsseldorfer Institution bedeutete das jedoch keine Stagnation. Vielmehr nutzte der künstlerisch wie politisch konservative Roeber die Rückendeckung des Ministeriums, um wegweisende strukturelle Neuerungen durchzusetzen. Nachdem auf Roebers Initative hin 1909 Werkstätten für Kirchenkunst und Glasmalerei eingerichtet worden waren, wurden Ende 1919 Teile der Kunstgewerbeschule an die Akademie angegliedert. Der Werkstättenbetrieb der Akademie kam damit voll in Gang - neben der freien Kunst waren nun auch die Architektur und verschiedene Zweige der angewandten Kunst vertreten. 431 Zur personellen Untermauerung der Erweiterung wurden zeitgleich sieben neue Lehrer an die Akademie geholt. 432 Mit dem Stockumer Neubau verband sich für Roeber die Idee einer Kunststadt nach englischem Vorbild. 433
428 Haenisch an Gebhardt, 8 . 6 . 1 9 2 0 , ms., in: B A r c h B , 90 H a 4, Nr. 459, Bl. 318; vgl. dazu auch H a e nisch 1921, S. 153. 429 Vgl. B.: Ein Kunststreit Kunstpolitik,
in Dusseldorf,
in: Germania,
in: Cie., Jg. 12, Nr. 16, Aug. 1920, S. 618 f;
Düsseldorfer
Jg. 50, Nr. 481, 3 1 . 1 0 . 1 9 2 0 .
430 Diese Tendenz galt offensichtlich auch für die Akademie in Kassel, die bis 1920 künstlerisch ähnlich konservativ geprägt blieb wie die Düsseldorfer Anstalt; zur Akademie Kassel vor 1918 vgl. Pallat 1959, S. 83 f; Mai 1977, S. 25; Mai 1981, S. 452 u. 461. 431 Vgl. Klapheck 1973, S. 148 u. 150; Trier 1973, S. 208; Lauscher (Z) u. Ausschußmtgl. ( D D P ) , Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1805 u. 1818. 432 Vgl. H . v. Wedderkop: Rheinische
Bestrehungen
und Gleichgültigkeiten,
in: Ku. u. KU., Jg. 18,
Nr. 2, Okt. 1919, S. 8 1 - 8 4 ; Ku.chr., Jg. 55, 1, Nr. 7, 1 4 . 1 1 . 1 9 1 9 , S. 146. Neben dem Maler Ludwig Heupel handelte es sich um die kunstgewerblich ausgerichteten Bildhauer Hubert Netzer und Richard Langer, den Graphiker Ernst Aufseeser sowie drei Architekten: Wilhelm Kreis, der bisher Direktor der Kunstgewerbeschule gewesen war und später durch den Bau des Dresdener Hygienemuseums auf sich aufmerksam machte, dessen 34jährigen Schüler Emil Fahrenkamp, der später ebenfalls als Architekt des Neuen Bauens Karriere machte, und den unbekannteren Fritz Becker. 433 Vgl. Klapheck 1973, S. 150.
104
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
Mit der Erneuerung folgte Roeber fortschrittlichen Positionen in der zeitgenössischen Diskussion um die Kunstschulreform. Zudem wies die Anstellung von Wilhelm Kreis und Emil Fahrenkamp in eine ähnliche Richtung wie die Berufungen von Fischer und Bonatz in Berlin. 434 Die Düsseldorfer Veränderungen wurden daher vom Ministerium sehr positiv aufgenommen. So betonte Becker im November 1919, es „sei notwendig, keine scharfe Trennung zwischen Kunst und Kunstgewerbe zu machen. Man müsse wieder die Verbindung finden zur gegenseitigen Befruchtung. Ein erfreulicher Anfang sei in Düsseldorf gemacht, wo unter Leitung des verdienten Direktors Roeber eine neue Organisation entstanden sei, durch welche die Kunstgewerbeschule mit der Kunstakademie verbunden sei. Hier werde nun auch der Architektur im Rahmen der künstlerischen Erziehung ein gebührender Platz eingeräumt." 435 Den Stellenwert der Düsseldorfer Erneuerung untermauerte Becker wenig später, indem er betonte, daß die erweiterte Akademie mit der vom Ressort angestrebten Neuorganisation der Verwaltung konform gehe, und indem er die Düsseldorfer Entwicklung durch den Hinweis auf vergleichbare Tendenzen in Berlin und Breslau in einen größeren Landeszusammenhang stellte. 436 Er unterstrich auf diese Weise, wo er die Reformakzente im Kunstschulsektor in Ubereinstimmung mit Roeber und fortschrittlichen Positionen der Zeit gesetzt sehen wollte: nämlich vor allem auf struktureller Ebene.437 Ob das Ressort auf die Veränderungen in Düsseldorf angesichts dessen bereits im Vorfeld Einfluß nahm, ist nicht nachweisbar. Maßgeblich war offensichtlich Roebers Initiative,438 während das Ministerium zunächst kein ausgeprägtes eigenes Reformengagement entwickelte. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Düsseldorfer Akademie ein Jahr nach dem Umsturz personell weiterhin konservativ geprägt, strukturell aber bereits als zukunftsweisende Institution dar.439 Als noch fortschrittlicher konnte zur selben Zeit die Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau gelten. Was in Düsseldorf als innovativ wahrgenommen wurde, war hier längst Realität. 440 Die 1791 gegründete, seit 1875 als Königliche Kunst- und Kunstgewerbeschule firmierende Einrichtung gehörte zu den Anstalten, die im Zuge der Kunstgewerbe-
434 Zu Kreis vgl. ausführlich Schulte 2001; zu Fahrenkamp vgl. auch Ku.chr., Jg. 55, 2, Nr. 46, 13.8. 1920, S. 887. 435 Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807; Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6782; vgl. dazu auch Lauscher (Z), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1805; ähnlich später auch Haenisch 1921, S. 153 f; zum Kontext siehe Kap. II. 6. 436 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7326-7328 u. 7331. 437 Vgl. dazu auch Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807, wo es hieß, das „Problem der Akademie der Künste sei nur vom Gesichtspunkt der allgemeinen Reorganisation aufzufassen."
438 Vgl. dazu auch H. v. Wedderkop: Rheinische Bestrehungen
und Gleichgültigkeiten,
in: Ku. u. Kii.,
Jg. 18, Nr. 2, Okt. 1919, S. 81-84; Loup 1973, S. 181 f; Clemen an Becker, 12.7.1918, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 112. 439 Vgl. Trier 1973, S. 208; Klapheck 1961, S. 6. 440 Vgl. Wingler 1977, S. 16 f; Kunstschulreform 1977, S. 208-219; Mai 1977, S. 25; Poelzig, Endeil, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 7 f u. 34.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
105
Schulreform nach 1900 umgestaltet worden waren. 441 Geprägt worden war sie durch Hans Poelzig, der 1903 erst 34jährig ihre Leitung übernommen hatte. Auf den Konnex von Kunst, Kunstgewerbe und Architektur setzend, hatte der Architekt Werkstättenarbeit, Praxiserfahrung, „Materialstillehre", Individualität und die Anleitung durch starke Lehrerpersönlichkeiten zu Grundpfeilern der Ausbildung gemacht und die 1911 in eine Akademie umgewandelte Schule schon vor dem Krieg zu einer beachteten Anstalt ausgebaut.442 Im Herbst 1918 war dann der Jugendstilkünstler August Endell Poelzigs Nachfolger geworden. Ohne daß es 1918 zu größeren Konflikten kam, 443 leitete Endell die Schule in Poelzigs Sinn weiter. 444 Gleichzeitig holte er neue Lehrer an die Akademie, die zu deren weiterer Profilierung beitrugen: 1918 berief er den von Matisse geprägten Maler Oskar Moll, 1919 wurde das Kollegium um den Brücke-Künstler Otto Mueller und den jungen Architekten Adolf Rading ergänzt, der später zu einem der Hauptakteure des Neuen Bauens in Schlesien avancierte. 445 Und 1920 komplettierte der Berliner Sezessionist Konrad von Kardorff die Lehrerschaft. 446 Damit stellte sich die Breslauer Akademie, von Entwicklungen der Vorkriegszeit profitierend, nicht nur strukturell, sondern auch personell wie stilistisch als innovativste Akademie Preußens dar. Wie in Düsseldorf ging die Weiterentwicklung nach 1918 offensichtlich in erster Linie auf die Eigeninitiative des Direktors und weniger auf ministeriellen Einfluß zurück. 447 Auch in Breslau stand das Ressort den Veränderungen jedoch erklärtermaßen positiv gegenüber.448 Basis der positiven Haltung war dabei neben der Nähe zum Werkbund, die Ministerium und Schule einte, vor allem die ministerielle Affinität zu Endells kunstpädagogischem Konzept. Kunstfreiheit, Talentförderung, die Idee der Einheit der Künste oder auch die Vorstellung der Sensibilisierung und Persönlichkeitsbildung durch die Beschäftigung mit Kunst waren für beide Seiten zentrale Ideen. 449 Vor diesem
441 Zur Breslauer Akademie bis 1900 vgl. Hölscher 2003, S. 2 3 - 9 3 ; Poelzig, Endell, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 6 - 8 ; Scheyer 1960, S. 1 4 - 2 6 ; Pallai 1959, S. 85. 442 Vgl. Hölscher 2003, S. 9 4 - 1 9 4 ; Wingler 1977, S. 16 f; Rickert 1977, S. 2 0 4 - 2 0 7 ; Poelzig, Endell, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 7 f u. 14 f; Scheyer 1960, S. 27. 443 Vgl. Poelzig, Endell, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 25. 444 Vgl. ebd., S. 1 7 - 2 5 ; Hölscher 2003, S. 1 9 5 - 2 2 1 ; Rickert 1977, S. 2 0 7 - 2 0 9 ; Scheyer 1960, S. 4 3 - 4 6 . 445 Vgl. Die Gemäldesäle
des Breslauer
Museums,
in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 42, 2 . 8 . 1 9 2 0 , S. 304; H ö l -
scher 2003, S. 2 2 2 - 2 5 2 u. 4 9 2 - 4 9 4 ; Rickert 1977, S. 207; Scheyer I960, S. 43 u. 5 3 - 6 2 ; Niederstadt 1982 b, S. 335; Poelzig, Endell, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 2 6 - 2 8 , 75, 80 u. 84; Kunstschulreform 1977, S. 202 f. 446 Vgl. Hölscher 2003, S. 2 5 3 - 2 5 5 u. 489; Poelzig, Endell, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 82; zur Bedeutung der Berufung für das Ministerium vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355. 447 Vgl. dazu Scheyer 1960, S. 43. 4 4 8 Siehe dazu auch August Endell: Erneuerung
der Akademien,
in: Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 93 f, S. 93,
w o der Breslauer Direktor im Frühjahr 1919 gegen allzu radikale Reformideen Stellung bezog. 4 4 9 Zu Endells Haltung vgl. Der freie
Volksstaat und die Kunst.,
2 5 . 1 2 . 1 9 1 8 ; August Endell: Erneuerung
der Akademien,
in: Vorwärts,
Jg. 35, Nr. 334,
in: Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 93 f; Hölscher
2003, S. 2 0 3 - 2 2 1 ; Kunstschulreform 1977, S. 208 f; zur Haltung des Ministeriums vgl. z . B . O . B.: Ausstellung
einfachen
Hausrates
im Kunstgewerbe-Museum
Berlin,
in: Mitt. DWB,
Nr. 1, 1919,
S. 26 f; BT, Jg. 48, Nr. 1 7 7 , 2 0 . 4 . 1 9 1 9 ; Nr. 3 5 3 , 1 . 8 . 1 9 1 9 , S. 3; Fritz Stahl: Billiger Hausrat,
in: BT,
106
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
Hintergrund kooperierten besonders Endeil und Pallat eng miteinander. 450 Zudem deutete die Einbindung von Moll, Mueller und Rading in eine ähnliche Richtung wie die Berufungen von Purrmann, Jaeckel und Bonatz in Berlin: Ernannt wurden je ein Matisse-Schüler, 451 ein Expressionist und ein junger Vertreter des Neuen Bauens. Entsprechend begrüßte Becker Anfang Dezember 1919 neben dem Düsseldorfer auch den Breslauer Status quo. 4 5 2 Das Ressort ging in Breslau allerdings noch einen Schritt weiter und nutzte die schlesische Akademie Ende 1919 als Experimentierfeld für die Erprobung eigener Reformideen. So unterstützte es in Breslau erste Versuche, das Prinzip der unbefristeten Lehreranstellung aufzubrechen. Haenisch erklärte dazu, „mit Recht sei darauf hingewiesen [worden], daß es sein Bedenken habe, die Lehrer an den Akademien auf Lebenszeit anzustellen. Das sei im Ministerium bereits erwogen worden, und man habe in Breslau versucht, akademische Lehrer an der Kunstschule nur auf fünf Jahre anzustellen. Er glaube, das werde sich bewähren, und er sei geneigt, diese Regelung künftig überall zu treffen." Als einzige Einschränkung nannte er: „Die Lehrer, die auf Lebenszeit angestellt seien, müßten in ihrem Amt belassen werden." 4 5 3 Seiner gemäßigten Tendenz entsprechend wollte Haenisch die Position der alten Lehrer also nicht angetastet, eine tragfähige Veränderung für die Zukunft in Anknüpfung an für Berlin entwickelte Ansätze und in Ubereinstimmung mit den Vorstellungen des Breslauer Direktors 4 5 4 aber durchaus in die Wege geleitet wissen. 455 Parallel dazu berichtete die Presse von einer weiteren Innovation in Breslau: Künftig sollten die Lehrer dort von den Schülern gewählt werden. 4 5 6 Uber genauere Hintergründe und Folgen des Vorhabens geben die Quellen keine Auskunft. 4 5 7 Die Berichte bestätigen jedoch, daß die Breslauer Institution Ende 1919 als O r t praktischer, vom Kultusministerium mitgetragener Reformpolitik wahrgenommen wurde. Daß das Ministerium ein Jahr nach dem Umsturz in Breslau erstmals außerhalb Berlins konkret reformerisch aktiv wurde und in der Landesversammlung, auf Düsseldorf und Breslau rekurrierend, zum ersten Mal öffentlich zur Kunstschulreform Stellung bezog, hatte eine Vorgeschichte: Spätestens seit dem Sommer 1919 hatte sich das Ressort daran
450 451 452 453 454
455 456 457
Jg. 48, Nr. 179, 22.4.1919; W. d. Ku„ Jg. 18, Nr. 43, 18.8.1919, S. 292 f; Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7326-7332. Vgl. Rickert 1977, S. 207; zum Bezug Pallats zur Akademie Breslau schon vor 1918 vgl. Hölscher 2003, S. 96 f. Vgl. dazu auch die Berufung auf Matisse in Waetzoldt 1921, S. 29. Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7326-7328 u. 7331. Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815; vgl. dazu auch Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1811 f. Siehe dazu August Endeil: Erneuerung der Akademien, in: Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 93 f, S. 93: „An sich liegt in der sicheren Stellung, die den Akademielehrer märchenhaft gegen den freien Künstler bevorzugt, die Gefahr des künstlerischen Ermüdens. Darum sollte man auch nicht fest anstellen, sondern vielleicht nur auf 5 Jahre, und eine Verlängerung nur eingehen bei besonderer Bewährung im Unterricht und bei frischer Weiterentwicklung der eigenen Kräfte." Vgl. auch Schunk 1993, S. 431. Als Kandidaten wurden Nolde, Meidner, Jaeckel und Heckel genannt, vgl. W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 10, 8.12.1919, S. 67. Fest steht nur, daß leztlich keiner der Kandidaten dauerhaft nach Breslau kam.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
107
interessiert gezeigt, neben einer Erneuerung der Berliner Akademie auch mögliche Reformen für den Kunstschulsektor zu erörtern. Im Juli 1919 war von Nentwig eine erste Sitzung zu diesem Thema im Ministerium anberaumt worden, der weitere folgten. Zu den Teilnehmern zählten einige der prominentesten Kunstschulreformer: Gropius, Behrens und Muthesius.458 Konkret diskutierte man mit ihnen über kunstpädagogische Theorien, Schulformen, Unterrichtsmethoden, das Verhältnis von Kunst und Handwerk, die Architektenausbildung und die Verbindung von Akademien und Zeichenlehrerseminaren, man ging aber auch auf Fragen der Berufung und Stellung von Lehrern und Direktoren sowie eine Einbeziehung der Schüler in solche Entscheidungen ein.459 In den Gesprächen werden die für die Berliner Akademie entwickelten Reformideen, aber auch der Königsberger Verfassungsentwurf eine Rolle gespielt haben. Zudem dürften Forderungen eingeflossen sein, wie sie etwa im Manifest des Reichsverbandes der Lernenden deutscher Kunstschulen artikuliert wurden, dessen Anliegen eine Rückbesinnung auf das Handwerk war.460 Durch den Austausch mit modernsten Fachleuten signalisierte das Ministerium seine Bereitschaft zur Neuorientierung. Und die Sitzungsthemen zeigen, daß hier bereits in Richtungen disktutiert wurde, die für das Ressort später tatsächlich maßgeblich werden sollten. Unter Nentwigs Ägide kamen die Gespräche aber zunächst offenbar eher schleppend in Gang.461 Bedeutsam für die weitere Auseinandersetzung des Ressorts mit der Thematik war dann vermutlich eine Schrift zur Erziehung der Künstler an staatlichen Schulen, die der Leiter der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums Bruno Paul verfaßt hatte.462 Paul, der zu den wichtigen Protagonisten der Reformbewegung nach 1900 zählte, wandte sich mit der Publikation nämlich direkt auch an die preußischen Behörden - im Juli 1919 an das Finanzministerium und im November 1919 an Becker.463 Mit dem Ziel, das Interesse des Unterstaatssekretärs vor den Etatberatungen auf die Kunsterziehung lenken zu wollen, betonte er Becker gegenüber, wie wichtig es auch aus ökonomischen Gründen sei, „daß die Ausbildung in Baukunst, Plastik, Malerei und Kunstgewerbe, welche Gebiete im öffentlichen und gewerblichen Leben ein untrennbares Ganzes bilden, nach einheitlichen Gesichtspunkten 458 Vgl. Weinstein 1990, S. 86; vgl. dazu auch den Hinweis bei Campbell 1981, S. 151, daß Otto B a n ning im Juli 1919 als Werkbundvertreter an einer Erziehungskonferenz im Kultusministerium teilnahm. 459 Vgl. KM (Nentwig) an Manzel, 5.7.1919, ms. u. Tagesordnung für die Besprechung im KM am 10. 7.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 72-73 u. SAdK, PrAdK, 2.2/060, Bl. 79. 460 Vgl. Fritz Stahl: Die andere Jugend. Forderungen
der Kunstschüler, in: BT, Jg. 48, Nr. 324, 17.7.
1919, S. 2; siehe ζ. B. auch Ernst Moritz Geyger an KM, Okt. 1919, ms., in: SAdK, PrAdK, Bd. I., Nr. 324, Bl. B - D u. J - L ; Ku.chr., Jg. 54, 2, Nr. 40, 18.7.1919, S. 847; Jg. 55, 1, Nr. 2, 10.10.1919, S. 30 f; Heinrich Freytag: Wider die Akademien,
in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 3, 20.10.1919, S. 16 f.
461 Vgl. Weinstein 1990, S. 86. 462 Bruno Paul: Erziehung
der Künstler an staatlichen Schulen, [1919], gedr., in: GStA PK, I. H A
Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 195-205 u. N1 Bde, Nr. 6819; vgl. auch W d. Ku.,]%. 18, Nr. 44, 1.9. 1919, S. 298 f; Zimmer 1995, S. 100. Die Schrift von Paul war 1917 schon einmal unter dem Titel Künstlerlehrzeit
veröffentlicht worden, vgl. Bruno Paul: Erziehung
der Künstler an staatlichen
Schulen, [1919], gedr., S. 5. 463 Paul an FM, 5.7.1919, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 195; Paul an Becker, 14.11.1919, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2249.
108
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
und in einem Ressort zusammengefaßt wird." 464 Über die erwähnte Publikation, die er dem Brief beigefügt hatte, zeigte Paul auf, wie er sich eine Übertragung dieser Maxime auf das staatliche Kunstschulwesen dachte. In den Mittelpunkt rückte er das in der zeitgenössischen Debatte mittlerweile zur festen Größe gewordene Konzept der Einheitskunstschule. In seiner Schrift begründete er dessen Relevanz für das Nachkriegsdeutschland volkswirtschaftlich: Dem Werkbundmitglied galt die Schule zum einen als elementarer Faktor, um der wachsenden Bedeutung der Qualitätsarbeit gerecht zu werden. Zum anderen stellte Paul die Einheitsschule wegen der institutionellen Konzentration, die mit ihr einherging, als Chance dar, öffentliche Gelder einzusparen. Ahnliche Kriterien wie Endell und Poelzig zu Leitmotiven der Künstlerausbildung erklärend,465 ging er zudem konkret darauf ein, wie eine solche Einheitskunstschule auszugestalten sei. Wichtig war ihm dabei etwa die starke Stellung des Direktors, der Kontakt zur Kunstindustrie oder die Möglichkeit auf sechs Jahre befristeter Lehrverträge. Paul führte dem Ministerium die Einheitskunstschule damit als Modell vor Augen, das die im Frühjahr 1919 für die Berliner Akademie formulierten Zentralisierungs- und Modernisierungskonzepte auf den Kunstschulsektor übertrug. Schon deshalb war von einer positiven Haltung des Ressorts gegenüber Pauls Konzeption auszugehen. Überdies wird angesichts der angespannten Finanzlage des Staates der Aspekt der Kosteneinsparung Überzeugungskraft gehabt haben - und so zeigte der Appell tatsächlich die erhoffte Wirkung: Hatte das Ministerium seit Sommer 1919 Einblicke in die Reformdebatte gewinnen und dadurch sowie unter dem Eindruck der Breslauer und Düsseldorfer Entwicklung die eigene Position schärfen können, schlossen sich Becker und Haenisch schließlich Pauls in Fachkreisen konsensfähigem Plädoyer vom Grundsatz her an, indem sie sich in der Landesversammlung Ende 1919 für eine Einbindung von Architektur und Kunstgewerbe in die Akademien aussprachen. Das Ressort positionierte sich so auf der Seite derer, die für eine Neuorientierung der Künstlerausbildung mit dem Ziel, einer zeitgemäßen Formentwicklung den Weg zu ebnen, eintraten und sich dabei am Ideal der Einheitskunstschule orientierten. In einer Zeit, in der sich die politische Lage langsam zu konsolidieren schien, markierte das Ministerium damit einen Wendepunkt in seiner Akademiepolitik. Der vorsichtigen ersten Phase Schloß sich nun ab 1919/20 eine zweite Phase an, in der das Ressort
eine immer konturiertere eigene Reformpolitik im Bereich der Künstlerausbildung betrieb. Hauptträger der aktiveren Politik war Waetzoldt, der seit Oktober 1919 der Kunstabteilung angehörte. Ob die Positionierung in der Landesversammlung bereits auf ihn zurückging, ist unklar. Fest steht jedoch, daß Waetzoldt, der von Beginn an Rückendeckung durch Haenisch und Becker erfuhr, die preußische Akademiepolitik seit 1920, und besonders seit er im April 1920 hauptamtlicher Referent geworden war, theoretisch wie praktisch maßgeblich prägte. Das Engagement des Kunsthistorikers stützte sich dabei auf eine schon vor der Zugehörigkeit zum Ressort intensive Beschäftigung mit der Thematik. So hatte sich Waet-
464 Paul an Becker, 14.11.1919, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2249. 465 Konkret ging es dabei etwa um handwerkliche Vorbildung, Talentförderung, kreative Gestaltung, Werkstattarbeit und Praxiserfahrung.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
109
zoldt bereits 1918 mit einem Artikel zur Entwicklung des kunstgewerblichen Unterrichtswesens in Preußen aktiv in die Debatte um die Ausbildungsreform eingebracht.466 Vor historischem Hintergrund Ziele für die eigene Gegenwart entwickelnd, hatte er hier faktisch für die Einheitskunstschule plädiert, als er forderte: „Die Kunsthochschule der Zukunft, in der wir uns die Akademien und Kunstgewerbeschulen aufgehoben denken, müßten von dem Erziehungsideal beherrscht sein, daß auf ihr nicht in erster Linie Malen, Modellieren, Möbel- und Schriftentwicklung gelehrt wird, sondern: künstlerisch zu gestalten [...]. In einer solchen Kunsthochschule würde jede künstlerische Begabung ihrer Stärke und Richtung gemäß eingeordnet werden können, da keine äußeren Schranken sich zwischen den Werkstätten der hohen und angewandten Künste erheben und ein Austausch der Kräfte und künstlerischen Ideen stattfindet."467 Mit Waetzoldt, der sich nach dem Umsturz zudem, etwa im Düsseldorfer Akademiekonflikt, auf die Seite der Expressionisten gestellt hatte,468 verband sich so von Beginn an die Erwartung des Neuen. War Nentwig typischer Protagonist der ersten Phase der Akademiepolitik nach 1918 gewesen, stand Waetzoldt, an den Nentwig die Verantwortlichkeit für die Akademien 1920 abtrat, für eine aus der Fachdebatte heraus entwickelte Modernisierungspolitik. Entsprechend war die Presse schon beim endgültigen Wechsel des jungen Kunstgeschichtsprofessors ins Ressort davon überzeugt gewesen, der neue Referent werde den Unterricht verbessern, für eine stärkere Architektureinbindung sorgen und „das gegenwärtige Verhältnis der zu streng von einander geschiedenen künstlerischen Bildungsanstalten derart reformieren, daß der Ubergang von einer zur anderen, etwa von einer Kunstakademie zu einer Kunstgewerbeschule, sich nachteilsfrei vollzieht." 469 Im Mai 1920 bestätigte dann eine Publikation die ministerielle Absicht einer gezielten Reform im Akademiebereich. Neben dem Bemühen, die Architektur in Beziehung zu ihren „Schwesterkünsten" zu bringen, wurde hier das Ziel betont, die Kunst wieder auf das Handwerk zu gründen.470 Die Tendenz der angestrebten Kunstschulreform war damit umrissen: Man orientierte sich an der mit dem Werkbund verknüpften Reformbewegung, für die die Namen Paul, Behrens, Poelzig oder Gropius standen. Praktische Konsequenz dessen war, daß sich das Ministerium seit 1920 darum bemühte, Protagonisten eben dieser Reformbewegung, die auf die Entwicklung eines zeitgemäßen Stils abzielte, als Lehrer an die preußischen Akademien zu binden. Hatte die Berufung Fischers und Pauls nach Berlin 1919 schon eine Offenheit in diese Richtung signalisiert, wurde die Tendenz nun auf den Lehrbetrieb ausgedehnt. Im April 1920 konnte so zunächst Poelzig dafür gewonnen werden, ein Meisteratelier für Architektur in Berlin zu über466 Vgl. KuBi SMB, Nl Waetzoldt, A 4; Schunk 1993, S. 428 f. 467 Wilhelm Waetzoldt: Die Entwicklung Deutsche Rundschau,
des kunstgewerblichen
Unterrichtswesens in Preußen, in:
15.8.1918 (zitiert nach Schunk 1993, S. 428 f); siehe dazu auch Hölscher
2003, S. 213. 468 Vgl. dazu W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 25, 31.3.1919, S. 169; siehe dazu auch Düsseldorfer
Kunstpolitik,
in: Germania, Jg. 50, Nr. 481, 31.10.1920; Schunk 1993, S. 427. 469 Prof. Wilhelm Waetzoldt, in: W. d. Ku. J g . 19, Nr. 25, 29.3.1920, S. 173; vgl. auch Ein Gutachten Liebermanns über die Reform der Kunsthochschule, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 37, 21.6.1920, S. 260. 470 Kulturpolitische Maßnahmen der Regierung, seit dem 9. November. Eine Vortragsdisposition, Mai 1920, gedr., S. 13 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1314.
110
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
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nehmen. 471 Haenisch teilte dem Akademiepräsidenten Manzel dazu mit: „Bei der großen Eilbedürftigkeit der Angelegenheit war es nicht möglich, die Akademie vor der Berufung zu einer Stellungnahme aufzufordern. Ich mußte mich vielmehr damit begnügen, Sie [...] auf dem Wege der Besprechung mit meinem Referenten von der in Aussicht genommenen Berufung Professor Poelzigs in Kenntnis zu setzen und hoffe, daß die Akademie die Gewinnung dieses hervorragenden Künstlers mit derselben Freude begrüßen wird, wie ich es tue." 472 Poelzigs Ernennung ging also auf die Initiative des Ministeriums zurück, nachdem Haenisch zuvor von seinem Studienfreund Ernst Jäckh bei einem von dessen Gesellschaftsabenden auf Poelzig aufmerksam gemacht worden war 4 7 3 - die Akademie hingegen wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Berufung war umso mehr als demonstrativer A k t zu verstehen, als Poelzig seit Herbst 1919 Vorsitzender des Werkbundes war. 474 Überdies läßt sich vermuten, daß sich das kunstpädagogische Reformanliegen gerade bei Poelzig mit einem Interesse des Staates auch an der innovativen Formensprache des Architekten verband. 475 Während Poelzig im August 1920 die Nachfolge Franz Schwechtens antrat und ein Meisteratelier in Potsdam für ihn hergerichtet wurde, 4 7 6 führte das Ressort gleichzeitig mit einem weiteren prominenten Reformer Gespräche wegen einer Einbindung in den akademi-
471 Vgl. Ku.chr.,}%. 55, 2, Nr. 30, 23.4.1920, S. 575; Sievers 1966, S. 254. 472 Haenisch an Manzel, 9.4.1920, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/002, Bl. 54 r. 473 Jäckh 1954, S. 192 zitiert dazu aus einem damaligen Brief von ihm selbst an Poelzig: „Deinen Wunsch einer Berufung aus Dresden nach Berlin habe ich dem Kultusminister Hänisch vortragen können [...]: ich habe ihn für alle Gründe und Argumente durchaus zugänglich gefunden und möchte mit seiner Zustimmung Dir vorschlagen, [...] wenn Du wieder in Berlin bist, mit ihm und seinen Ministerialreferenten bei mir zu essen, damit er selbst einen Eindruck von Dir gewinnen kann. [...] Ich habe Dich ,die größte baukünstlerische Begabung unserer Zeit' genannt und Dich für ein Meisteratelier vorgeschlagen." Bereits 1913 hatte es im Ministerium Interesse an Poelzig gegeben, vgl. Sievers 1966, S. 254-256. 474 Zur Rolle Poelzigs im Werkbund vgl. Campbell 1981, S. 163-174 u. 180f; Niederstadt 1982a, S. 30-32 u. 41; Niederstadt 1982 b, S. 333-335; Laube 1997, S. 26-28. Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist sicher nicht zuletzt, daß Jäckh, der bei der Berufung Poelzigs vermittelte, selbst prominentes Werkbundmitglied war, vgl. Campbell 1981, S. 140 u. 153; Jäckh 1954, S. 192 u. 195-208; Laube 1997, S. 17 f u. 20-22. 475 Dafür spricht z.B., daß im Mai 1920 neben dem Urteil von Osthaus das von Poelzig für das Ressort maßgeblich war, als es darum ging, geeignete Künstler für eine Fassadengestaltung (siehe Kap. II. 5.2.) zu nennen, vgl. Waetzoldt an Plenge, 7.5.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 159-161. Zudem rühmte Haenisch die Eröffnung des Großen Schauspielhauses in Berlin „als ein Zeichen unserer nationalen Wiedergeburt" (Haenisch an Reinhardt, 14.12.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 313, Bl. 12) - und eben dieses Schauspielhaus sorgte nicht zuletzt deswegen für Aufsehen, weil es von Poelzig im expressionistischen Tropfsteinhöhlenstil neugestaltet worden war, vgl. dazu Poelzigs Großes Schauspielhaus, in: Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 382; Niederstadt 1982 b, S. 334; Weinstein 1990, S. 242-244; Jäckh 1954, S. 192; zur Relevanz Poelzigs für das Ministerium vgl. auch Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355 f. 476 Vgl. Amtsantritt, in: W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 42, 2.8.1920, S. 304; Abschr. KM an Wittig, 14.5.1921, ms. u. FM an KM, 14.10.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 348 u. 505-507. Poelzig übernahm 1920 zunächst Tuaillons Atelier in der Hochschule an der Kastanienallee. Später bezog er ein für ihn in den Communs am Neuen Palais hergerichtetes Atelier.
3. Einleitung längerfristiger
Reformen:
Kunstakademien
111
sehen Lehrbetrieb: mit Peter Behrens. Seit dem Frühsommer 1920 suchte es den Mitbegründer des Werkbundes davon zu überzeugen, Leiter der Königsberger Akademie zu werden. 477 Die Absicht, die trotz der Ansätze von 1919 weiterhin rückständige Anstalt durch einen profilierten Reformer und etablierten modernen Architekten zu erneuern, war dabei offensichtlich. 478 Laut Presse war hier der Gedanke leitend, „der bei der Berufung von Walter Gropius nach Weimar verwirklicht wurde, daß die Architektur gleichsam als Zentralkunst ganz anders als früher eine maßgebende Stelle in der Organisation der Kunstpflege einzuräumen sei." 479 Behrens, der nicht nur als Ausbildungsreformer, sondern durch seine Industriebauten auf besondere Weise auch der Forderung nach einer engeren Verbindung von Kunst und Leben und dem Ideal eines zeitgemäßen Stils gerecht wurde (siehe Kap. II. 5.1.),480 ließ sich jedoch auf das Werben erst einmal nicht ein. Für die Neubesetzung des Königsberger Direktorenpostens zog man daraufhin, dem Reformziel einer Verbindung von Kunst und Kunstgewerbe entsprechend, den Leiter der Kunst- und Gewerbeschule Halle, den Architekten Paul Thiersch, in Erwägung. 481 Aus diesen Plänen wurde jedoch ebenfalls nichts, und so blieb in Königsberg zunächst Cauer Übergangsdirektor. 482 An Behrens zeigte sich das Ministerium allerdings auch weiterhin interessiert. Als Katalysator wirkte hier vermutlich, daß sich die Beziehung zwischen Haenisch und Behrens um die Jahreswende 1920/21 während einer Veranstaltung in Loschwitz auf persönlicher Ebene intensivierte. 483 Hatte man dort über die gemeinsame Begeisterung für den Autor Otto Erich Hartleben 484 zueinander gefunden, tauschten sich Haenisch und Behrens in der Folge über ihre Ansichten zur Persönlichkeitsförderung aus und berührten unter anderem das Thema Kunstschulreform. 485 Das ministerielle Bemühen um Behrens war wohl auch vor
477 Vgl. W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 35, 7 . 6 . 1 9 2 0 , S. 245 f; zu Behrens' Position im Werkbund vgl. Campbell 1981, S. 142 f, 164 u. 174; Niederstadt 1982 a, S. 28 u. 41; Niederstadt 1982 b, S. 3 1 7 f. 478 Vgl. dazu auch K M an FM, 1 5 . 5 . 1 9 2 0 , ms., in: G S t A PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154: „Um an der Akademie endlich befriedigende Zustände zu schaffen und das Ansehen der Anstalt, das unter den unruhigen Verhältnissen stark gelitten hat, wieder herzustellen, ist es dringend erforderlich, eine künstlerisch hochstehende und energische Persönlichkeit als Nachfolger des Grafen Brühl zu gewinnen". 479 W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 35, 7 . 6 . 1 9 2 0 , S. 245 f, S. 246. 480 Vgl. Segal 1997, S. 9 6 - 9 9 ; siehe z.B. auch Glaser:
Der „Reichskunstwart",
in:
Ku.chr.,
Jg. 55/1,
Nr. 17, 2 3 . 1 . 1 9 2 0 , S. 3 5 1 - 3 5 3 . 481 Vgl.
Ku.chr., Jg. 5 6 , 1 ,
Nr. 15, 7 . 1 . 1 9 2 1 , S. 287; zu Thiersch vgl. Losse2000, S. 185.
482 Unter ihm beruhigte sich die Lage an der Akademie zunehmend, vgl. Cauer an Waetzoldt, 2 0 . 1 . 1 9 2 1 , hs., in: G S t A PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. 483 Vgl. Behrens an Haenisch, 7 . 1 . 1 9 2 1 , hs., Haenisch an Behrens, 1 0 . 1 . 1 9 2 1 , Ds., ms. u. Behrens an Haenisch, 8 . 2 . 1 9 2 1 , ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 21, Bl. 2 - 4 . 484 Hartleben ( 1 8 6 4 - 1 9 0 5 ) war Schwager des Kunstabteilungsmitarbeiters Pallat, vgl. Pallat 1959, S. 396; siehe dazu auch Jäckh 1954, S. 58. 485 Behrens gab dem Minister z. B. Einblick in ein v o n ihm f ü r das Finanzressort verfaßtes Gutachten zur Erwachsenenbildung, in dem er sich gegen eine rein intellektuelle Bildung aussprach und die Relevanz handwerklichen Könnens f ü r die Hebung des Kunstniveaus und die Künstlerausbildung betonte, vgl. F M an Behrens, 2 2 . 9 . 1 9 2 0 , ms. u. Gutachten Behrens, o.D., Ds., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 21, Bl. 5 - 8 .
II. Neuorientierung
112
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
diesem Hintergrund letztlich doch erfolgreich: Im Frühjahr 1921 erklärte sich der Architekt damit einverstanden, Honorarprofessor an der Akademie Düsseldorf zu werden.486 Auch diese Einbeziehung von Behrens, der zur selben Zeit öffentlich als Werkbundvertreter auftrat,487 begrüßte die Presse als „Beginn einer Periode neuer Fruchtbarkeit für die einstmals so bedeutsame Düsseldorfer Kunstschule".488 Haenisch bemerkte dazu später: „So weit es möglich war, versuchten wir auch, durch neue Menschen neuen Geist in die staatlichen Kunstakademien im Lande draußen zu bringen. So gelang es zu meiner großen Freude ζ. B., für die von Fritz Roeber f...] verwaltungstechnisch in mustergültiger Weise geleitete Kunstakademie in Düsseldorf einen Mann wie Peter Behrens zu gewinnen." 489 Haenisch unterstrich damit, daß das Ministerium sein vorsichtiges Agieren von 1919 mittlerweile zugunsten einer pointierteren Politik aufgegeben hatte, die weiterhin auf die Kooperation mit der alten Akademie baute, aber gleichzeitig eigene Reformakzente durch die Einbeziehung starker Lehrerpersönlichkeiten zu setzen verstand. War im März 1921 mit dem Wiener Oberbaurat Josef Hoffmann, der 1903 die 'Wiener Werkstätten und 1912 den österreichischen Werkbund mitbegründet hatte, ein weiterer wichtiger Protagonist der für das Ressort maßgeblichen Reformbewegung Akademiemitglied in Berlin geworden,490 setzte sich das Ministerium zudem dafür ein, Bernhard Pankok als Lehrer zu gewinnen. Konkret wollte das Ressort dem auch als Bühnenbildner tätigen Jugendstilkünstler, der 1902 die Lehr- und Versuchswerkstätten Stuttgart gegründet hatte, seit 1908 dem Werkbund angehörte und seit 1913 die Kunstgewerbeschule Stuttgart leitete, eine Klasse für moderne Theatermalerei an der Hochschule der bildenden Künste übertragen. Nachdem Waetzoldt deswegen bereits im November 1920 beim Direktor der Hochschule vorstellig geworden war, konnte dieser schließlich im März 1921 mitteilen, Pankok sei unter gewissen Bedingungen bereit, dem Vorschlag zuzustimmen.491 Ende März 1921 setzte sich Nentwig daraufhin beim Finanzressort dafür ein, Pankoks Bedingungen zu entsprechen, und begründete dies: „Die Gewinnung des Künstlers für Berlin ist von ganz besonderer Bedeutung wegen seiner Arbeiten für die Staatstheater, von denen ζ. B. die Ausstattung der Mozartschen Oper Cosi fan tutte besondere Anerkennung in der Öffentlichkeit und bei der Kritik gefunden hat." 492 Betont wurde hier also vor allem die Breitenwirkung von Pankoks Theaterarbeit. Daß der pädagogische Reformaspekt hingegen unerwähnt
486 Vgl. Ku.chr., Jg. 56, 2, Nr. 29, 15.4.1921, S. 562; siehe dazu auch Haenisch an Roeber, 25.4.1921, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 318, Bl. 9; Handbuch preußischer Staat 1922, S. 528. 487 Z.B. bei der Beerdigung von Osthaus am 10.4.1921, vgl. Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 30, 22.4.1921, S. 579. 488 Ku.chr., Jg. 56, 2, Nr. 29, 15.4.1921, S. 562; vgl. dazu mch Ku.chr., Jg. 57, 1, Nr. 1,1.10.1921, S. 7; zu Behrens' Bedeutung für die Etablierung der Moderne im Rheinland vgl. Schlüter 1994. 489 Haenisch 1921, S. 153 f. 490 Vgl. ZAs März 1921 in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 277 u. 285-286; zu Hoffmann vgl. Campbell 1981, S. 36. 491 Kampf an KM, 4.3.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 334. Bei den Bedingungen ging es um Besoldungsfragen, die Erstattung von Umzugskosten u. ä. 492 KM (Nentwig) an FM, 24.3.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 333.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
113
blieb, mag damaligen Ressortkonflikten zuzuschreiben sein, die kunstgewerbliche Ansprüche des Kultusministeriums nicht opportun erscheinen ließen (siehe Kap. II. 6.). Möglicherweise hing dies auch damit zusammen, daß im konkreten Fall nicht Waetzoldt, sondern Nentwig verantwortlich zeichnete. Faktisch ist das Bemühen um Pankok aber, zumal der Umworbene dem im Herbst 1919 neugebildeten Werkbundvorstand angehörte,493 ganz ähnlich zu werten wie das ministerielle Interesse an Poelzig oder Behrens.494 Anders als die beiden Architekten trat Pankok allerdings letztlich nicht in preußische Staatsdienste warum, ist den Quellen nicht zu entnehmen.495 Das Ressort beließ es jedoch nicht dabei, Träger der vom Werkbund geprägten Reformbewegung als Multiplikatoren und Garanten der eigenen Modernisierungsabsichten in die Akademien einzubeziehen. Im Laufe des Jahres 1920 arbeitete Waetzoldt vielmehr ein eigenes Reformprogramm aus, das er im November 1920 der Landesversammlung vorlegte und das kurz darauf unter dem Titel Gedanken zur Kunstschulreform veröffentlicht wurde.496 Die Schrift galt als private Meinungsäußerung,497 kam jedoch durch die Präsentation in der Landesversammlung, Stellungnahmen des Ministers sowie die Funktion ihres Verfassers de facto einem ministeriellen Reformplan gleich498 und stellte damit die Basis für die Akademiepolitik der kommenden Jahre dar. Waetzoldts Schrift, die von elementarer Bedeutung für die akademie- wie kunstpolitische Position des Ressorts insgesamt ist, gliederte sich in zwei Teile: einen „programmatischen", in dem in Auseinandersetzung mit der Diskussion der Zeit ein Reformkonzept entwickelt wurde, und einen „geschichtlichen" Teil, bei dem es sich um eine variierte Version des Aufsatzes von 1918 handelte.499 Davon ausgehend, daß in Deutschland kunstpolitisch ein Mittelweg zwischen dem sowjetischen und dem US-amerikanischen Modell zu beschreiten sei, der eine staatliche Kunstförderung vorsehe, aber auch die Finanznot der Nachkriegszeit einzukalkuieren habe, erläuterte Waetzoldt im ersten Teil, wie relevant die Etablierung einer neuen Gemeinschafts- und Gesellschaftsidee für die jungen Republik sei. Diese Gemeinschaftsidee, die sich unter anderem auf die Kunst gründe, setze den Rahmen auch für die Kunstschulreform. An ihr orientiert könne es nicht darum gehen, erneut eine Bevormundung oder ein starres System zu etablieren, sondern es gelte, bei Schülern wie Lehrern eine der Demokratie entsprechende Einstellung zu fördern, ohne die die veränderte Gesellschaft eine leere Hülle bleibe. Als Ziel
493 Vgl. Campbell 1981, S. 174. 494 Vgl. dazu auch Glaser: Der „Reicbskunstwart",
in: Ku.chr., Jg. 5 5 / 1 , Nr. 1 7 , 2 3 . 1 . 1 9 2 0 , S. 3 5 1 - 3 5 3 .
495 Vermutlich spielten hier finanzielle Entscheidungen oder die erwähnten Kompetenzkonflikte eine Rolle. Denkbar ist auch, daß Pankok die Modernisierungspolitik an der Kunstschule in Stuttgart weiter mit vorantreiben wollte. 4 9 6 Waetzoldt 1921; vgl. dazu auch Schunk 1993, S. 4 2 9 f; Trier 1973, S. 208. 497 Vgl. Waetzoldt 1921, S. VI. 498 Siehe dazu Haenisch 1921, S. 161; Duwe an [Becker]: Übersicht über bedeutungsvolle heiten
im Geschäftsbereich
erheblich
gefördert
des Kultusministeriums,
oder zum Abschluß
92 Ni. C . H. Becker, Nr. 1751. 499 Vgl. Waetzoldt 1921, S. V.
Angelegen-
die seit April 1921 in Fluß gebracht
bzw.
gebracht sind, 19.10. [1921 ?], hs., in: GStA PK, I. H A Rep.
II. Neuorientierung
114
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
definierte Waetzoldt vor diesem Hintergrund: An die Stelle der lebensfernen, verwissenschaftlichten Ausbildung von Gattungspezialisten, die sich auf das präzise Abbild konzentriere, solle ein Unterricht treten, der vom Blick auf das Gesamtwerk, von Phantasie, Abstraktion, individueller Kreativität und Persönlichkeit lebe. Als Voraussetzung für eine solche Ausbildung sah Waetzoldt die Rückkehr zum Handwerk an. Nur von dieser Basis aus würden eigenständige gestalterische Lösungen gefunden werden können, die letztlich zur Gesundung der Kunst beitrügen. Die Verbindung von Kunst und Handwerk wollte er dabei in Zusammenhang mit dem ministeriellen Ideal des intellekuell, charakterlich wie körperlich gebildeten Menschen und dem damit verknüpften integrativen Konzept der Einheit von „Kopf- und Handarbeit" verstanden wissen (siehe Kap. II. 5.1.). Als diesem Ideal entsprechende Schulform präsentierte Waetzoldt die Einheitskunstschule, in der freie Kunst und Kunstgewerbe unter Führung der Architektur in Werkstätten und Fachklassen gemeinsam vermittelt werden sollten und als deren Kriterien Begabtenauslese, Materialkenntnis, Formgefühl, produktives Arbeiten und der Bezug zur Gegenwart zu gelten hätten. Genauen Einblick in die Struktur gab ein Schema zum Aufbau der Hochschule für freie und angewandte Kunst.™ Als „Krönung" der Schule beschrieb Waetzoldt die Meisterateliers, in deren „Gipfelluft" überdurchschnittliche Schüler von Lehrerpersönlichkeiten nach dem Vorbild Matisse und durch Aufträge auf ihre Rolle als „Schrittmacher" eines zeitgemäßen Stils vorzubereiten seien.501 Im Zentrum stand der Anspruch der gesellschaftsrelevanten, klassenunabhängigen Talentfördung. Zudem war das Anliegen leitend, die Zahl arbeitsloser Künstler nicht weiter zu vergrößern. Schließlich verband sich für Waetzoldt mit der Einheitskunstschule auch die Vorstellung einer Breitenwirkung ins Volk hinein. So verstand er die Schule nicht nur als Ausbildungsstätte für Gestalter aller Art und als Ort, an dem der nachwachsenden Kunstelite der Weg zu ebnen sei, sondern er regte den Popularisierungsabsichten des Ressorts entsprechend auch an, daß die Schule über Abendkurse als „Volkskunstschule" 502 wirken sollte (siehe Kap. II. 5.2.). Den Gegenwartskontakt wollte er überdies über externe Senatsmitglieder und Verkaufsstellen für im Unterricht entstandene Produkte sicherstellen. Den generellen Anspruch des Ressorts auf den Ausbildungsbereich übertragend, legte er die Trennung von Kunst und Politik 503 und die Ablehnung jeder einseitigen Bevorzugung eines bestimmten Stils, etwa des Expressionismus,504 als Leitprinzipien für das Kunstschulwesen fest. Statt dessen erklärte er die Qualität zur entscheidenden Größe. Bei den Lehrern setzte Waetzoldt zum einen auf Tradition und Konstanz - was dazu führte, daß er eine Anstellung der Meisterateliervorsteher auf Lebenszeit forderte. Zum anderen sprach er sich für die Vergabe von Lehraufträgen für drei bis fünf Jahre aus. Das Wechselspiel zwischen Konstanz und Flexibilität war auch maßgeblich für die angestrebte Verwaltungsform: Hier trat Waetzoldt für ein Mitspracherecht der Schüler und Lehrer bei sozialen oder Prüfungsfragen ein. Der Selbstverwaltung setzte er jedoch zugleich Grenzen, 500 501 502 503 504
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. 46-48. S. 28 f. S. 30. S. 33. S. 11.
3. Einleitung längerfristiger
Reformen:
Kunstakademien
115
indem er die Lehrerwahl durch Schüler oder eine Direktorenwahl durch die Lehrer ablehnte. Jenseits dieser Grenzen hielt er eine starke Schulleitung, die alle Teile der Anstalt koordinieren und für eine geschlossene Außenwirkung sorgen sollte, für unabdingbar. Ihr wiederum wollte er eine Zentralinstanz übergeordnet wissen, die Lehrer und Direktoren zu berufen hätte und die das gesamte Kunstschulwesen nach einem stringenten Programm ausrichten sollte. Um die Forderung nach einer solchen Zentralinstanz, die es in Preußen nicht gab, und die Idee der Einheitskunstschule argumentativ zu untermauern, legte Waetzoldt im zweiten Teil seiner Schrift aus historischer Sicht dar, wie sich die Auseinanderentwicklung der Schulen für freie und angewandte Kunst und die Kompetenzaufspaltung zwischen den Ressorts in Preußen vollzogen hatte. An den Anfang stellte er einen Rekurs auf die Barockakademie, an der alle Künste bis hin zum Handwerk mit dem Ziel der Geschmacksbildung vereint waren. Das damalige Zusammenwirken der Künste habe, führte er aus, ähnlich wie in Gotik und Renaissance zu beeindruckender stilistischer Geschlossenheit geführt. Im Anschluß zeichnete Waetzoldt für Preußen die Entfernung vom barocken Ideal nach. Der Niedergang der Berliner Akademie im 18. Jahrhundert, die Reaktivierungsversuche unter Friedrich II. und das Auseinanderdriften von Kunst und Handwerk nach 1800 wurden ebenso thematisiert wie die Auflösung des Zusammenhangs Bildung, Nation und Kunst infolge dieser Entwicklung. Danach galt Waetzoldts Augenmerk der Aufsplittung der Zuständigkeit für die gewerblichen und künstlerischen Lehranstalten zwischen Kultus- und Handelsressort seit 1822. Zentral war hier zum einen die Verlagerung der Architektenausbildung zur Bauakademie und später zur Technischen Hochschule, die bedeutete, daß sich die Architektur aus der Akademie und der Verantwortlichkeit des Kultusressorts herauslöste. Zum anderen ging es um die Etablierung der Kunstgewerbeschulen, die in Reaktion auf die „Stilleere" 505 um 1850 die Einheit von Kunst und Gewerbe unter der Ägide des Handelsressorts neu zu realisieren suchten und die angewandte Kunst von der Akademie trennten. Die Unterstellung aller preußischen Kunstgewerbeschulen außer der Breslauer unter das Handelsministerium 1884 und die Lösung der Kunst- und Gewerkschule von der Akademie 1882 wertete Waetzoldt als Tiefpunkt der Entwicklung. Was Heinitz unter Friedrich II. und das Berliner Statut von 1790 vermeiden wollten, sei so eingetreten: „die Beschränkung des akademischen Unterrichts auf die sogenannten hohen Künste und damit die Gefahr der Heranzüchtung eines Künstlerproletariats und einer Entfremdung der Akademien vom wirklichen Leben und den Interessen des Nationalwohlstandes". 506 Sein eigenes Reformkonzept stellte für Waetzoldt angesichts dessen „weniger eine Revolution als eine Umkehr" dar, von der man sagen könne: „Sie knüpft bewußt an die Traditionen der Barockzeit an und strebt einer Wiedererweckung jener geschlossenen Kunstanschauung zu, aus der Preußens erste Könige den Kunstunterricht von Staats wegen zu organisieren unternahmen." 507
505 Ebd., S. 77. 506 Ebd., S. 88. 507 Ebd.
116
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
Waetzoldt vereinte damit preußische Tradition und Modernisierungsabsicht, distanzierte sich auf diese Weise von der wilhelminischen Kunstakademie, brach aber keineswegs radikal mit der Vergangenheit, sondern zeigte mit der Barockakademie einen alternativen Orientierungspunkt auf. Gerade über den historischen Bezug unterstrich er das Ziel der eigenen Politik: einem zeitgemäßen Stil den Weg zu ebnen. Daß er mit dem Barock implizit auch die absolutistische Herrschaftsform, der die Epoche ihre Blüte verdankte, zum Orientierungspunkt erhob, thematisierte Waetzoldt hingegen nicht. Für den Kunsthistoriker mag hier das Künstlerische im Vordergrund gestanden haben; das eigene Interesse an einer zentralen Leitung läßt die Orientierung überdies auf gewisse Weise sogar plausibel erscheinen. Im Endeffekt konnte das Vorbild Barock aber nur den äußeren Rahmen abstecken. Inhaltlich war dieser Rahmen vielmehr so zu füllen, daß es der Republik entsprach. An die zeitgenössische Debatte angelehnt, plädierte Waetzoldt in diesem Sinne dafür, Kriterien wie Selbstverantwortung, Freiheit der Kunst und des Individuums oder die klassenunabhängige Förderung als demokratische Prinzipien in der Ausbildung zu verankern.508 Dabei band er die Einheitskunstschule in die allgemeine Bildungs- und Kunstpolitik des Ministeriums Haenisch ein. Konkret flössen so für Haenisch und Becker zentrale Ideen wie die Kunstpopularisierung, die Förderung der demokratischen Führerpersönlichkeit oder der einheitliche Bildungsgedanke bis hin zur Theorie der Einheit von Kopf und Hand, das Ziel einer Zentralisierung der Verwaltung oder die evolutionäre Grundtendenz in Waetzoldts Konzept ein. Hatte die unpolitisch begonnene Kunstschulreformdebatte seit 1918 einen spürbaren politisch-gesellschaftlichen Akzent bekommen, brachte Waetzoldt damit die Perspektive der politischen Handlungsträger in die Diskussion ein und zeigte über die Verquickung etablierter Reformideen mit dem kulturpolitischen Anspruch des Kultusministeriums das Interesse auf, das sich für den Staat mit der Reform der Künstlerausbildung verband. Als Kernanliegen arbeitete er in diesem Kontext heraus: Die freiheitlich-demokratisch geprägte Einheitskunstschule sollte einen aktiven Part in der vom republikanischen Staat betriebenen, kulturell begründeten gesellschaftlichen Integrationspolitik spielen. Der Effekt war dabei in zwei Richtungen kalkuliert: Zum einen sollten an der Schule selbst neue Werte wirksam werden. Zum anderen verband sich mit der erneuerten Kunstschule die Hoffnung, sie werde im Sinne der Etablierung einer veränderten Geschmackskultur, eines zeitgemäßen Stils und in letzter Konsequenz eines darüber definierten neuen nationalen Selbstbewußtseins auf die Gesellschaft zurückwirken. Die Einheitskunstschule wurde so als institutioneller Rahmen einer Künstlerausbildung propagiert, die der jungen Republik und ihren Erfordernissen auf ideale Weise gerecht werde. Wie bei den Museen (siehe Kap. II. 3.1.) stellte sich das Ressort auf diese Weise, orientiert wohl auch an Kugler,509 in einen Kontext mit nationalintegrativen Modernisierungsbestrebungen, wie sie etwa in Der Geist der neuen Volksgemeinschaft vertreten worden waren. Mit seinen Vorschlägen bewegte es sich, seine Personalpolitik theoretisch untermauernd, in
508 Vgl. dazu auch Schunk 1993, S. 430. 509 Zu Kuglers Akademiereformplänen vgl. Mai 1981, S. 441-444; Mai 1977, S. 38; Trier 1973, S. 205; vgl. auch Waetzoldt 1933, S. 81.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
117
Affinität zum Werkbund, vor allem zu Behrens und Paul, sowie zum Bauhaus.510 Ähnliche Zielsetzungen, Strukturvorstellungen und Begrifflichkeiten belegen das nachdrücklich. Das Ressort verortete sich damit auf der Seite der fortschrittlichsten Kunstschulreformer. Gleichzeitig bot die Waetzoldt-Schrift durch ihre evolutionäre Akzentuierung und ihren Traditionsbezug, mit dem sie sich vom radikaleren sowjetischen Weg abgrenzte,511 Anknüpfungspunkte für ein breites Arrangement mit ihr. Dementsprechend war das Echo auf den Reformvorschlag 1920/21 überwiegend positiv. Zwar wurde Ende 1920 von DVP und DNVP Kritik an der Schrift angedeutet und die Vorlage zum Anlaß genommen, einen stärkeren Einfluß der Landesversammlung auf die Reform zu fordern.512 Doch nachdem Becker die Eigenständigkeit der Ressortpolitik betont und das Mitspracherecht der Parteien bestätigt hatte,513 stimmte die Versammlung dem Konzept mehrheitlich zu.514 Der Bildungsausschuß der Akademie der Künste Schloß sich dem an.515 Und bei einer Veranstaltung der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft Ende Januar 1921 äußerten sich ebenfalls nur zwei Redner - einer davon im Auftrag des Berliner Hochschuldirektors Kampf, der bei einer Umsetzung des Konzepts um seine Stellung fürchten mußte - negativ zu den Ideen des Referenten,516 während Reden von Pechstein, Bestelmeyer, Dettmann und anderen die Veranstaltung zu einer Sympathiekundgebung für Waetzoldt werden ließen.517 Auch in der Presse wurde Waetzoldts Konzept begrüßt. So stellte Stahl fest, das sachliche Programm, das sich von jedem Radikalismus distanziere, stimme mit seinen Positionen überein. Stahl stand dabei dem vermehrten Praxisbezug ebenso positiv gegenüber wie etwa der Forderung nach einer zentralen Leitung.518 Glaser, erklärter Gegner revolutionärer Programme und daher Kritiker der Politisierung des Bauhauses,519 betonte, Waetzoldt entwickle „aus eingehender Kenntnis der Verhältnisse den Gedanken einer durchgreifenden Reform des Kunstunterrichts, der sich nicht darin gefällt, alles Gewesene einzureißen, sondern den Versuch macht, den Plan eines Aufbaues auf der Grundlage des historisch Gewordenen durchzuführen." Das Konzept galt ihm als „Grundlage eines gesunden Reformwerkes". Wie Waetzoldt sah er allerdings für dessen Realisierung die Beseitigung der 510 Vgl. Trier 1973, S. 208; Zimmer 1995, S. 98 u. 100; Schunk 1993, S. 429; Wingler 1977, S. 10-12 u. 14; Droste 1991, S. 22. 511 Vgl. dazu auch Mai 1981, S. 473; Trier 1973, S. 206. 512 Vgl. Ausschußmtgl. (DVP) u. Ausschußmtgl. (DNVP), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7295. 513 Vgl. Becker, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7295 f; vgl. dazu auch Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1812. 514 Vgl. Germania, Jg. 50, Nr. 552, 15.12.1920, S. 2; Ku.chr.,56,1,
Nr. 21, 18.2.1921, S. 418 f; Heß
(Z) u. Ausschußmtgl. (Z), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7284 u. 7289. 515 Vgl. Germania, Jg. 50, Nr. 552,15.12.1920, S. 2. 516 Zu Kampfs ablehnender Haltung vgl. Mai 1981, S. 473. 517 Vgl. Ku.chr., Jg. 56,1, Nr. 21, 18.2.1921, S. 418 f. 518 fst: Wilhelm Waetzoldt, in: BT, Jg. 49, Nr. 537, 24.11.1920. Später bot das Tageblatt Waetzoldt wohl auch auf Grund dieser Ubereinstimmung ein zusätzliches Forum zur Darstellung seiner Gedanken, vgl. Waetzoldt: Kunstunterricht der Zukunft, in: BT, Jg. 50, Nr. 1, 1.1.1921. 519 Vgl. dazu Curt Glaser: Kunst und Politik, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 19, 6.2.1920, S. 381-383; Bruno Adler: Kunst und Politik in Weimar, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 24, 12.3.1920, S. 485-487; vgl. auch W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 21, 23.2.1920, S. 143.
II. Neuorientierung
118
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Kompetenzaufsplittung zwischen den Ressorts als Bedingung an.520 Klang hier bei aller Zustimmung Skepsis an, konstatierte der Cicerone euphorisch, Waetzoldt breche mit Weitblick den Stab über den Intellektualismus der wilhelminischen Akademien und zeige praktikable Lösungen auf.521 Waetzoldt erweise sich so als jemand, der das Zeug zum echten Kunstpolitiker habe, der nur dann etwas tauge, „wenn er nicht an den elenden gegebenen Verhältnissen' hängt, zwar mit ihnen rechnet, aber nur um sie für das notwendig Gewollte und als kommend sicher Erkannte umzugestalten·, zu beseitigen, zu vernichten, wenn es der Zwang erfordert." 522 In fortschrittlichen Fachkreisen und der liberalen Öffentlichkeit wurde Waetzoldts Konzept mithin als Reformmodell wahrgenommen, von dem man sich eine solide Modernisierung jenseits politischer Vereinnahmung erhoffte. Besonders an die Zustimmung der Landesversammlung, die die Schrift offiziell zur Basis der preußischen Akademiepolitik machte, knüpfte sich dabei die Erwartung einer baldigen Umsetzung in die Praxis.523 Konkrete Hinweise dazu, wie die Reform praktisch auf den Weg zu bringen sei, hatte Waetzoldt in seiner Schrift bereits selbst gegeben. Der im Vorwort formulierten Absicht folgend, „eine Grundlage schaffen zu wollen für den Gedankenaustausch, der die kunstpädagogische Reform in Preußen einleiten muß", 524 hatte er vorgeschlagen, eine innerministerielle Kommission zur Vorbereitung der Reform einzusetzen und eine Zusammenarbeit der Länder anzuregen, solange es keine Zentralinstanz gäbe.525 Überdies hatte er, neben der integrativen Relevanz wie Paul nun auch die volkswirtschaftliche und finanzielle Bedeutung der Einheitskunstschule betonend, für die Zusammenfassung aller in einer Stadt vertretenen Kunstschulen plädiert.526 Indem er auf das Bild eines verwundeten gepanzerten Kriegers rekurrierte, der sich, um das rettende Ufer zu erreichen, seiner Rüstung entledigen muß, wollte er die Abbauparole des Finanzressorts auf diese Weise konstruktiv umgemünzt und sein Konzept so im lokalen Rahmen organisatorisch vorbereitet wissen.527 Leitend war für ihn dabei die Überzeugung von der Bedeutung der Qualitätsarbeit und in diesem Kontext die Orientierung an Frankreich nach 1871. Als weitere Maßnahmen, die es frühzeitig einzuleiten gelte, sah Waetzoldt die Einbeziehung innovativer Persönlichkeiten in die Schulen
520 Curt Glaser: Kunstschulreform,
in: Ku.chr., Jg. 56, 1, Nr. 11, 10.12.1920, S. 199-201, S. 200.
521 V. C. Habicht: Kunsterziehung,
in: Cie., Jg. 13, Nr. 2, Jan. 1921, S. 59.
522 Ebd. 523 Vgl. Ausschußmtgl. (Z), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7289; Ku.chr., Jg. 56, 1, Nr. 21, 18.2.1921, S. 418 f. 524 Waetzoldt 1921, S. V. 525 Ebd., S. 41 f. 526 Ebd., S. 43. 527 Ebd., S. 44 f; vgl. dazu auch Schunk 1993, S. 430. 528 Vgl. Waetzoldt 1921, S. 6: „Vieles reformiert sich dadurch selber, daß es aus schwachen in starke, aus müden in frische Hände kommt. Sie zu finden und ihre Kräfte dem Staatsleben zuzuleiten, sollte die erste Aufgabe jeder Verwaltung sein."
J. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
119
War das Bemühen um Pankok, Behrens und Poelzig demnach bereits als ein erster Schritt Richtung Realisierung des Reformplans zu verstehen, wurde das Kultusministerium noch unter Haenisch auch darüber hinaus im Sinne des Maßnahmenkataloges aktiv. So kam es nachdem Trendelenburg schon ein Jahr zuvor vermutlich in Anknüpfung an Beckers Forderungen von 1919 5 2 9 eine Kooperation in Kunstunterrichtsfragen auf Reichsebene angeregt hatte 5 3 0 - Anfang 1921 tatsächlich zu einem Treffen der Vertreter der Kultusministerien in München, bei dem die Kunstschulreform Thema war. 531 Wie Waetzoldt in seiner Schrift vorausgesetzt hatte, 532 bestand hier klarer Konsens über die Richtung der staatlichen Reformpolitik. 533 Hintergrund dafür war, daß man sich im Anschluß an die Fachdiskussion auch in anderen deutschen Ländern ähnlich orientiert hatte wie in Preußen: Während sich das Bauhaus unter der Zuständigkeit des thüringischen Ministers für Volksbildung als Staatsinstitution etablierte, 534 hatte der sächsische Kunstreferent Schmitt 1920 für die Kunstschulen Ziele definiert, die denen Waetzoldts sehr nahe kamen. 535 In Baden wurden just, als man sich in München traf, Kunstgewerbeschule und Akademie zur
Landeskunst-
schule vereinigt. 536 Und in Bayern plante man Vergleichbares. 537 Bei der Zusammenkunft in
529 Vgl. Becker 1919 a, S. 33 u. 43. 530 Vgl. Niederschrift über Besprechung der Verordnung vom 11.12.1919 betr. Ausfuhr von Kunstwerken und Aufstellung eines Reichskunstwarts, 5.1.1920, ms., S. 36, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431. 531 Vgl. Ku.chr., Jg. 56,1, Nr. 21,18.2.1921, S. 418 f; BT, Jg. 50, Nr. 47, 29.1.1921. 532 Vgl. Waetzoldt 1921, S. V: „Das Endziel der Reorganisation kann in Preußen kein anderes sein als in Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden oder anderswo. Die Wege und Methoden zur Erfüllung dieser allgemein deutschen Kulturaufgabe werden aber in den einzelnen Ländern vermutlich verschieden sein, da sie abhängen von geschichtlichen, wirtschaftlichen und psychologischen Voraussetzungen, die nicht überall die gleichen sind." 533 Vgl. Ku.chr., Jg. 56, 1, Nr. 21, 18.2.1921, S. 418 f; vgl. dazu auch Mai 1981, S. 473; zur Situation in Dresden und München 1918/19 vgl. Weinstein 1990, S. 107-218. 534 Vgl. Meisterratsprotokolle Bauhaus Weimar 2001; BT, Jg. 48, Nr. 216, 13.5.1919, S. 2; Ku.chr., Jg. 54, 2, Nr. 32, 23.5.1919, S. 666-669; Wilhelm Hausenstein: Aufgaben bayrischer Kunstpolitik, /., in: MNN, Jg. 72, Nr. 203, 24./25.5.1919; W.d.Ku., Jg. 19, Nr. 21, 23.2.1920, S. 143; V.C. Habicht: Kunsterziehung, in: Cie., Jg. 13, Nr. 2, Jan. 1921, S. 59; Curt Glaser: Kunst und Politik, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 19, 6.2.1920, S. 381-383; Bruno Adler: Kunst und Politik in Weimar, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 24, 12.3.1920, S. 485-487. 535 Hermann Schmitt war im sächsischen Innenministerium für die Kunstverwaltung zuständig. Im Frühjahr 1920 hatte er die Schrift Staatsverwaltung und Kunstpflege im Freistaat Sachsen vorgelegt. Dort trat er im Interesse einer Reduzierung des Künstlerproletariats dafür ein, Kunstgewerbeschulen und Akademien auf der Basis eines gemeinsamen handwerklichen Unterbaus zu verbinden und erst später zwischen freier und angewandter Kunst zu trennen, vgl. Paul Sorgenfrei: Staat und Kunstpflege, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 24, 15.3.1920, S. 161 f; zur sächsischen Akademiepolitik vgl. auch Ku.chr., Jg. 54, 1, Nr. 22, 14.3.1919, S. 458 f; Ku.chr., Jg. 54, 2, Nr. 29, 2.5.1919, S. 600; Wilhelm Hausenstein: Aufgaben bayrischer Kunstpolitik, /., in: MNN, Jg. 72, Nr. 203, 24./25.5.1919. 536 Vgl. Christmann 1999, S. 65-67; H. C.: Kunstpolitisches in Baden, in: Cie., Jg. 13, Nr. 4, Febr. 1921, S. 120 f; Mai 1981, S. 473. 537 Vgl. Waetzoldt 1921, S. 49; Wilhelm Hausenstein: Aufgaben bayrischer Kunstpolitik, /., in: MNN, Jg. 72, Nr. 203,24./25.5.1919; Christmann 1999, S. 58-60; zum zunächst eher konservativen Cha-
120
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
München beschloß man daher als gemeinsame Absicht Preußens, Bayerns, Württembergs und Sachsens, eine Verschmelzung von Akademien und Kunstgewerbeschulen vorzubereiten. 538 Die Kultusministerien der größten deutschen Länder stellten sich damit zusammen mit Reichskunstwart Redslob, der den Kunstschulreformideen als Werkbundvertreter von vorneherein nahestand, 539 hinter Waetzoldts Konzept und ließen dessen reichsweite Umsetzung, die letztlich das Ziel war, 540 keineswegs unrealistisch erscheinen. Faktisch konnte diese Kooperation, die Konkurrenzen der Länder beim Werben um einzelne Lehrer keineswegs ausschloß, 541 jedoch zunächst nur den Zweck haben, eine deutschlandweit gültige Tendenz zu definieren und die Aktivitäten zu koordinieren. Bevor an eine reichsweite Umsetzung zu denken war, mußten die Voraussetzungen für eine Reform auf Länderebene geschaffen werden. Hier allerdings stellte sich die Situation für das Ministerium Haenisch weit schwieriger dar: In Preußen kam der Austausch mit dem für die Kunstgewerbeschulen zuständigen Handelsressort, das nicht bereit war, Kompetenzen abzutreten, nämlich nur schleppend in Gang (siehe Kap. II. 6.). Das Handelsministerium bestand vielmehr noch im Februar 1921 etwa darauf, daß die in Waetzoldts Konzept vorgesehene Einrichtung einer Keramikwerkstatt an der Breslauer Akademie generell fragwürdig sei, da an der örtlichen Handwerker- und Kunstgewerbeschule bereits eine solche Werkstatt existiere. 542 Es war also klar, daß sich den Reformplänen des Kultusministeriums trotz vom Handelsressort signalisierter Kooperationsbereitschaft elementare Widerstände entgegensetzen würden. Da in Preußen so keine schnellen Entscheidungen zu erwarten waren, die das Reformkonzept auf der Ebene der Verwaltungszuständigkeiten voranbrachten, konzentrierte sich das Ministerium Haenisch zunächst darauf, Waetzolts Grundsätzen über Veränderungen an den ihm unterstehenden Kunstschulen aktiver als bisher den Boden zu bereiten. Hier ging es 1920/21 erst einmal darum, dem Anspruch der Offenheit für verschiedene Kunstrichtungen und dem Interesse an innovativen Persönlichkeiten durch die gezielte Einbeziehung moderner Künstler besonders an den stilistisch rückständigen Akademien Königsberg, Düsseldorf und Kassel gerecht zu werden. Für planmäßige Aktivitäten in diese Richtung sprach bereits, daß der junge Maler Artur Degner, der von Haenisch schon 1919 ins
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542
rakter der Kunstakademie München nach 1918 vgl. Christmann 1999, S. 52-58; L. Schmidt 2000, S. 268-278. Zur württembergischen Position vgl. auch Laube 1997, S. 34 f u. 62. Vgl. ebd., S. 17-27 u. 40; Speitkamp 1994, S. 553 f; Heffen 1986, S. 27-35 u. 42-46. Vgl. dazu den Bezug auf Frankreich in Waetzoldt 1921, S. 39. Vgl. dazu auch KM (Nentwig) an FM, 11.12.1920, ms., Entwurf FM an KM, 14.12.1921, hs., KM (Haenisch) an FM, 15.11.1920, ms. u. FM an KM, 24.2.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 296, 298, 313-314 u. 317; vgl. dazu auch KM (Trendelenburg) an FM, 23.2.1920, ms., Denkschrift, o.D., ms. u. Abschr. Denkschrift Kunstakademie Düsseldorf, Roeber an [KM], 5.2.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 195-204. Vgl. Abschr. Handelsministerium an KM, 16.2.1921, ms. u. Abschr. Abkommen 1911, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8154; vgl. dazu auch August Endeil: Handwerkerschule und Akademie in Berlin, in: Ku.cbr.,]g. 56,1, Nr. 23,4.3.1921, S. 445-447; Waetzoldt 1921, S. 47; zum Breslauer Kontext vgl. Hölscher 2003, S. 212-216.
3. Einleitung längerfristiger
Reformen:
Kunstakademien
121
Gespräch gebracht worden war, Anfang 1920 offenbar auf Betreiben des Ressorts Lehrer in Königsberg geworden war.543 Nachdem Waetzoldt Veränderungen auch in Düsseldorf angekündigt hatte,544 wurde im Frühjahr 1921 mit der Berufung des Expressionisten Heinrich Nauen an die dortige Akademie ein weiteres Signal gesetzt.545 Für die trotz ihrer strukturellen Fortschrittlichkeit 1920 weiterhin konservativ dominierte Akademie leitete dies zusammen mit der Einbeziehung von Behrens eine Neuorientierung ein 546 - auch wenn gemutmaßt wurde, daß Nauen der Akademie nur als Alibi diene, um ihr Leben zu verlängern.547 Gerade in Düsseldorf zeigte sich aber auch, daß die von Waetzoldt gesuchte Öffnung durchaus mit dem Festhalten an alten Kräften vereinbar war.548 Immerhin setzte sich Haenisch zur selben Zeit, als Behrens und Nauen berufen wurden, dafür ein, daß Roeber trotz Erreichens der Altersgrenze mit Sondergenehmigung Akademiedirektor bleiben konnte. 549 Folge dessen war ein vom Ressort offenbar bewußt intendiertes Zusammenspiel zwischen Alt und Neu, zwischen struktureller und künstlerisch-stilistischer Modernität, mit dem man sich von der starren konservativen Akademie ebenso abgrenzte wie von der allzu einseitig modernistischen.550 Kam Nauen die Rolle zu, die bisher unterrepräsentierte Moderne in Düsseldorf zu stärken, scheinen bei der Berufung des 33jährigen expressionistischen Malers und Graphikers Ewald Dülberg an die Akademie Kassel ähnliche Intentionen leitend gewesen zu sein. Vor dem Hintergrund des Konsenses über die Kunstschulreform auch praktisch kooperierend,551 hatten Waetzoldt und Redslob Dülberg schon Anfang 1921 als für ihre Modernisierungspläne geeigneten Träger ins Auge gefaßt.552 Als dann Mitte 1921 die Graphikprofes-
543 Vgl. Ku.chr., Jg. 55, 1, Nr. 22, 27.2.1920, S. 452; siehe auch Ein Memorandum Königsberger
Kunstakademie,
in: Königsberger
Allgemeine
der Professoren der
Zeitung, Abendausg., Nr. 408, 15.9.
1924, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154; Akademie Königsberg (Cauer, Storck, Lahrs, Pfeiffer, Richter, Wirth, Wolff) an Ak. d. Kü., [Okt. 1924], ms., Memorandum Erlaß des Kultusministeriums vom 19. 9. und 6.10.1924,
u. Antwort auf den
ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/053, Bl. 2 - 8 .
544 Waetzoldt an Redslob, 15.10.1920, hs„ in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 4 - 5 . 545 Zur Bedeutung für die ministerielle Politik vgl. auch Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355. 546 Vgl. Bieber 1973, S. 215; Klapheck 1973, S. 151. Koetschau, der seit 1919/20 Kurse an der Akademie gab (siehe Kap. II. 3.1.), mag dabei eine Vermittlerrolle gespielt haben. 547 Vgl. dazu z.B. Rheinisches, in: Cie., Jg. 13, Nr. 2, Jan. 1921, S. 5 5 - 5 7 ; siehe später auch Ku.chr., Jg. 56, 2, Nr. 29, 15.4.1921, S. 562. 548 Zum Hintergrund dieser Politik vgl. Waetzoldt 1921, S. 11. 549 Vgl. Haenisch an Minna von Gebhardt, 10.1.1921, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 462, Bl. 36-37; KM an Roeber, 17.1.1921, Ds., ms. u. Haenisch an Roeber, 25.4.1921, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 318, Bl. 7 - 9 ; siehe dazu auch Cie., Jg. 13, Nr. 2, Jan. 1921, S. 66; Ku.chr., Jg. 56, 1, Nr. 16, 14.1.1921, S. 309; BT, Jg. 50, Nr. 25,16.1.1921; Mieze Feschemacher an Haenisch, 19.1.1921, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 462, Bl. 80-81; Klapheck 1973, S. 151. 550 Vgl. dazu Haenisch 1921, S. 153 f, wo betont wurde, die Akademie werde von Roeber, „dem jetzt an Jahren Siebenzigjährigen, an Schaffenslust aber knapp Vierzigjährigen", mustergültig geleitet. 551 Offensichtlich hatte es auch im Vorfeld der Düsseldorfer Berufungen eine Kooperation gegeben, vgl. Waetzoldt an Redslob, 15.10.1920, hs., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 4 - 5 . 552 Vgl. Redslob an Waetzoldt, 9.2.1921, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 7: „Ich habe gerade
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II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
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sur in Kassel neu zu besetzen war und von der Akademie selbst Fischer, Adolf Schinnerer und Nadler sowie auf Wunsch des Akademielehrers Kay H. Nebel553 zusätzlich Dülberg als Kandidaten vorgeschlagen wurden, berief das Ministerium Dülberg.554 Damit entschied es sich dafür, neuere Ansätze in die Ausbildung in Kassel einfließen zu lassen und die moderne Fraktion innerhalb der Kasseler Lehrerschaft zu stärken, die bisher vor allem aus dem mit Dülberg befreundeten Nebel bestand.555 Wie sehr diese moderne Fraktion als Kraft wahrgenommen wurde, die die Akademie in ihren Grundfesten erschütterte, und als welch großer Reformschritt die Entscheidung für Dülberg mithin gelten konnte, zeigte sich, als die Kasseler Schüler gemeinsam mit dem Reichsbund deutscher Kunsthochschüler die Ernennung als vom Ministerium diktiert hinstellten und zunächst bei Waetzoldt und, als dies erfolglos blieb, beim Reichsinnenminister Protest gegen sie einlegten.556 Nachdem sich die von Redslob beratene Reichsbehörde darauf nicht einließ und die Ernennung begrüßte, blieb Dülberg dauerhaft im Amt.557 Gezielt hatte das Kultusministerium so die konservativen Strukturen auch der Kasseler Akademie aufbrechen können. Gleichzeitig wurde 1920/21 die strukturelle Modernisierung der Künstlerausbildungsstätten gemäß Waetzoldts Konzept vorangetrieben. Waren vom Ressort Akzente in Richtung einer verstärkten Praxisorientierung bereits durch die Einrichtung der KoetschauKurse in Düsseldorf (siehe Kap. II. 3.1.) und einer Modeklasse an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums gesetzt worden,558 wurde nun der Fächerkanon der Hochschule der bildenden Künste erweitert, die Textilklasse der Düsseldorfer Akademie gezielt bezuschußt,559 der praktische Unterricht an der Akademie Königsberg intensiviert560 und die
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während der letzten Wochen mehrfach das günstigste über Dülberg gehört und glaube, daß er wegen seines sehr strengen, konzentrierten Arbeitens gerade als Lehrer geeignet ist." Nebel war zuvor offenbar selbst vom Kultusressort im Modernisierungsinteresse an die Akademie berufen worden, vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355. Vgl. Reichsbund Deutscher Kunsthochschüler an RMdl, 29.8.1921, ms. u. Abschr. Studentenausschuß Kassel an Becker, 30.6.1921, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8963, Bl. 62-65. Zur Bedeutung der Berufung vgl. auch Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355; zu innovativen Ansätzen in Nebels pädagogischer Arbeit vgl. Hirschauer 1997, S. 9 u. 22. Reichsbund Deutscher Kunsthochschüler an RMdl, 29.8.1921, ms. u. Abschr. Studentenausschuß Kassel an Becker, 30.6.1921, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8963, Bl. 62-65; vgl. Schunk 1993, S. 433. Vgl. Notiz Redslob für Schulz (RMdl), 8.9.1921, ms. u. Entwurf RMdl an Reichsbund Deutscher Kunsthochschüler, 15.9.1921, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8963, Bl. 66-67; zur Lehrerschaft der Akademie 1922 vgl. auch Handbuch preußischer Staat 1922, S. 466; Liste Die Lehrkräfte der Kunstakademie in Cassel, Nentwig an Becker, [21.1.1922], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 3085. Vgl. Clemen an Becker, 12.7.1918, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 112; W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 2, 13.10.1919, S. 13; Waetzoldt 1921, S. 47; Haenisch an Direktor Staatliche Museen, 24.4.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 207; Joachimides 2001, S. 215-220; Baumunk 1996 b, S. 346. Vgl. Ku.chr., Jg. 56, 2, Nr. 29, 15.4.1921, S. 562; KM u. FM, 14.10.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 34. Vgl. KM (Pallat) an FM, 16.9.1920, ms. u. KM an FM, 25.9.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep.
3. Einleitung längerfristiger Reformen:
Kunstakademien
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Einrichtung einer eigenen Klasse für Kirchenkunst in Düsseldorf geplant.561 Die Integration der Zeichenlehrerausbildung in die Akademien Breslau und Düsseldorf ist im selben Kontext zu sehen.562 Und letztlich fügte sich auch die Förderung der Neubauten in Königsberg und Düsseldorf über das Argument, die Einheitskunstschule verlange nach mehr Raum etwa für Werkstätten, in die Bemühungen ein, die Vorausssetzungen für Waetzoldts Reformplan zu schaffen.563 Eine wichtige Neuerung für den Akademiesektor stellte parallel dazu Max Liebermanns Ernennung zum Präsidenten der Akademie der Künste dar. Im Juni 1920 vom Senat zum Nachfolger des nach der üblichen Zeit ausscheidenden Manzel gewählt und vom Ressort bestätigt, 564 stand Liebermann, der beim Amtsantritt am 1. Oktober 1920 565 bereits 73 Jahre alt war, keineswegs mehr für eine radikale Neuorientierung der Institution. 566 Allerdings trat mit ihm ein international renommierter Impressionist an die Spitze der Akademie, dessen Einsetzung nach der Präsidentschaft des kaum profilierten Manzel einen selbstbewußten Neubeginn markierte. 567 Angesichts der oppositionellen Rolle Liebermanns im Kaiserreich vermittelte sich durch die Ernennung überdies der Eindruck der endgültigen Abkehr
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565
566 567
151, IC, Nr. 8154; Cauer an Waetzoldt, 20.1.1921, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. Wenn es um die Finanzierung ging, waren hier jedoch Grenzen gesetzt, vgl. Oberpräsident Königsberg an KM, 10.12.1920, ms., Abschr. Direktor Akademie an Oberpräsident Königsberg, 3.12.1920, ms., Oberpräsident Königsberg an KM, 22.2.1921, ms., Abschr. Direktor Akademie Königsberg an Oberpräsident Königsberg, 12.2.1921, ms., Oberpräsident Königsberg an KM, 12.5.1921, ms., Oberpräsident Königsberg an KM, 29.9.1921, ms., Notiz an Waetzoldt, o.D., hs., Notiz Waetzoldt, 2.10.1921, hs. u. KM an Direktor Akademie Königsberg, 21.10.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. Vgl. LV, Dr. 3947, S. 7284; Ausschußmtgl. (Ζ), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7289 u. 7296; vgl. dazu Ernsting 1994, S. 323 f. Vgl. dazu Klapheck 1973, S. 150; Hölscher 2003, S. 321-326; August Endeil: Die Ausbildung des Zeichenlehrers, in: Ku.chr., Jg. 55, 2, Nr. 28/29, 9./16.2.1920, S. 551-556. Zum Düsseldorfer Bau vgl. Aussschuß-Mtgl. (DDP), Ministerialdirektor KM u. Ausschußmtgl. (Z), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7285 f u. 7289; Roeber an Haenisch, 25.3. 1922, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 318, Bl. 13; Haenisch 1921, S. 154; Klapheck 1973, S. 150; zum Königsberger Bau vgl. KM an FM, 26.8.1918, ms., FM an KM, 21.9.1918, hs., KM (Nentwig) an [FM?], 8.11.1918, ms., FM an KM, 19.11.1918, hs., FM an Etats- u. Kassenabteilung, 5.7.1920, ms., FM an KM, 29.7.1920, hs., KM u. FM an Regierungspräsident Königsberg, 20.8.1920, ms., FM an KM, 21.1.1921, hs., KM (Nentwig) an Oberpräsident Königsberg, 29.1.1921, ms., u. Abschr. Bauabteilung FM, 8.3.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8154. Vgl. BT, Jg. 49, Nr. 255, 2.6.1920; Nr. 258, 4.6.1920; Ein Gutachten Liebermanns über die Reform der Kunsthochschule, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 37, 21.6.1920, S. 260; Diekmann / Kampe 1997, S. 81; Paret 1997, S. 65 u. 67; vgl. dazu die irreführende Darstellung bei Lange 1987, S. 153. Vgl. dazu Ein Gutachten Liebermanns über die Reform der Kunsthochschule, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 37,21.6.1920, S. 260; BT, Jg. 49, Nr. 463,1.10.1920; Liebermann an RMdl, 6.10.1920, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8962, Bl. 255; Paret 1997, S. 65. Vgl. Paret 1997, S. 72 u. 74; Diekmann / Kampe 1997, S. 81; Bärnreuther 1997, S. 259-261 u. 264. Vgl. Seelig 1996; Paret 1997, S. 72; Scheffler 1946, S. 80 f.
124
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
vom starren Akademismus und von der kunstpolitischen Einseitigkeit der wilhelminischen Ära. 568 Die Wahl Liebermanns, der bereits kurz nach der Revolution für eine freiheitliche Kunstpolitik und eine Kooperation mit der neuen Regierung eingetreten war, 569 fügte sich so - zumal sich das Ressort schon zuvor an dem Berliner Maler interessiert gezeigt hatte 570 - gut in die gemäßigt-liberale Politik des Ministeriums ein.571 Als Liebermann die Eröffnung der erste Akademieausstellung unter seiner Ägide am 15. November 1920 zum Anlaß nahm, eine Öffnung der Akademie für qualitativ gute junge Künstler zu fordern, und Haenisch bei derselben Gelegenheit, von der Einbeziehung unterschiedlicher Richtungen in die Schau begeistert, 572 ähnlich betonte, nur die Aufnahme Jüngerer werde die Akademie vor Vergreisung schützen, konkretisierte sich die Affinität zwischen Ressort und neuem Präsidenten zusätzlich. 573 Die gemeinsame Auffassung, die Akademie könne nur als gegenwartsbezogene Institution überleben, machte Liebermann und das Ministerium zu Verbündeten im Bemühen um eine tolerantere Akademie, die als Regulator im aktuellen Kunstleben wirken solle.574 Überdies teilte Liebermann auch in der Frage der Kunstschulreform die Position des Ressorts. 575 Klar geworden war das, als Liebermann 1920 die handwerkliche und kunstgewerbliche Vorbildung als Voraussetzung des Unterrichts interpretierte und Freiheit und Phantasie zu Ausbildungsmaximen erklärte. 576 Im März 1921 unterstrich Liebermann zudem seine Ubereinstimmung mit den ministeriellen Absichten, indem er sich für eine Vereinigung von Kunst- und Kunstgewerbeschulen aussprach. 577 Auch hier war Liebermann dem Ressort also ein willkommener Partner. Entsprechend sah Haenisch den neuen Präsidenten als Garanten dafür an, daß „in der staatlichen Akademie der Künste [..] heute ein frischer Wind [weht]". 578 Dauerhaft gefestigt
568 Vgl. Kampe 1996 a, S. 389 f; Lammert 1996, S. 491 f; Diekmann / Kampe 1997, S. 81; Paret 1997, S. 65; Mai 1977, S. 26; Wesenberg 1995; BT, Jg. 49, Nr. 255, 2.6.1920.
569 Vgl. Eine Kundgebung der Künstler und Dichter, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 9, 25.11.1918, S. 57 f; Der freie Volksstaat und die Kunst, in: Vorwärts, Jg. 35, Nr. 334, 25.12.1918; Paret 1997, S. 66; Gronau 2001, S. 342 f; Diekmann / Kampe 1997, S. 81; Lammert 1996, S. 491. 570 Vgl. Kestenberg 1961, S. 40. 571 Vgl. dazu auch Kampe 1996 a, S. 390 f; Paret 1997, S. 65-68; Diekmann / Kampe 1997, S. 82. 572 Vgl. Lammert 1996, S. 491-496; Paret 1997, S. 68; Fritz Stahl: Akademische und J u r y f r e i e , in: BT, Jg. 49, Nr. 523, 15.11.1920.
573 Vgl. dazu auch Die Ausstellung der Akademie der Künste, in: BT, Jg. 49, Nr. 523, 15.11.1920; Julius Bab: Max Liebermann als Politiker, in: Weltb., Jg. 16, 2, Nr. 53, 30.12.1920, S. 759-762;
Max J. Friedländer: Die Herbstausstellung
der Berliner Akademie, in: Ku.u.Kü., Jg. 19, Nr. 4,
Jan. 1921, S. 124-138; Diekmann / Kampe 1997, S. 82 f. 574 Vgl. dazu auch Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 13.4.1921, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/038, Bl. 95-97; Paret 1997, S. 69; zu den Grenzen des Anspruchs bei Liebermann vgl. Lammert 1996, S. 493-495; Paret 1997, S. 68. 575 Vgl. Baumunk 1996 c, S. 439 f. 576 Liebermann: Zur Reform des Kunstunterrichts, 1920, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/153; vgl. dazu
auch BT, Jg. 49, Nr. 269,10.6.1920; Ein Gutachten Liebermanns über die Reform der Kunsthochschule, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 37, 21.6.1920, S. 260; Öffentliche Kundgebung aller Berliner Künstlerverbände, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 4, Jan. 1921, S. 4. 577 Liebermann an Scheffler, 15.3.1921, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/009, Bl. 4 - 7 .
3. Einleitung längerfristiger
Reformen:
Kunstakademien
125
wurde das positive Verhältnis des Ministeriums zu Liebermann nicht zuletzt durch persönliche und weltanschauliche Nähen, die speziell zwischen Becker und Liebermann bestanden. 579 Liebermann avancierte angesichts dessen neben Justi (siehe Kap. II. 4.1.) schnell zum zweiten für die Kunstpolitik des Ministeriums zentralen Protagonisten. 580 Tatsächlich kamen unter Liebermann seit Ende 1920 die auf die Berliner Akademie bezogenen Reformdiskussionen wieder in Gang. Themen waren dabei die Loslösung der Hochschule der bildenden Künste von der Akademie, die Suche nach Alternativen zur lebenslangen Mitgliedschaft und geeignete Formen der Künstlervertretung. 581 Gegen die Dominanz der konservativen Akademiker konnte letztlich aber auch der neue Präsident, der die aufgeschlossene Fraktion in der Akademie im Sinne des Ressorts stärkte, um die Autonomie der Künstler fürchtend 582 jedoch keineswegs immer mit den ministeriellen Plänen konform ging, nur wenig ausrichten. 583 Die interne Reformdebatte stagnierte deshalb bald erneut. 584 Gleichzeitig setzte Liebermann durch eine offenere Ausstellungspolitik Zeichen einer veränderten Akademiekultur. 585 Insgesamt wurden so schon unter Haenisch trotz anfänglicher Zurückhaltung wichtige Weichen für die preußische Akademiepolitik der Weimarer Jahre gestellt: Die Rolle, die die Berliner Akademie in der Republik spielen sollte, wurde definiert. Orientiert an der fortschrittlichen Fachdiskussion wurde von Waetzoldt ein detailliertes Reformprogramm entwickelt und in Abstimmung mit dem Reich und den anderen Ländern auf den Weg gebracht, das Leitlinie für die weitere Kunstschulpolitik in Preußen werden sollte. Die Akademien wurden dabei in ein werkbundnahes, nationalintegratives Konzept eingebunden, das auf die Förderung individueller Künstlerpersönlichkeiten wie die Ausbildung solider Gestalter setzte und über diese auf die Schaffung eines zeitgemäßen Stils zielte. Parallel dazu bemühte man sich, die Akademien in diesem Sinne personell wie strukturell zu öffnen.
578 Haenisch 1921, S. 153. 579 Vgl. dazu Paret 1997, S. 65 f u. 74; siehe auch Liebermann an Haenisch, 21.12.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 223, Bl. 4; Becker an Liebermann, 28.12.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4546. 580 Vgl. dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 197. 581 Vgl. Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., 3.12.1920, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 78-79. 582 Vgl. dazu Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 2.4.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 54; siehe auch Diekmann / Kampe 1997, S. 85; Paret 1997, S. 71; Gronau 2001, S. 353. 583 Vgl. Diekmann / Kampe 1997, S. 80 u. 82; Lamme« 1996, S. 495. 584 Vgl. dazu auch Entwurf Ak. d. Kü. an KM, 16.1.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/129, Bl. 28. 585 Vgl. Lammert 1996, S. 492 f; Diekmann / Kampe 1997, S. 85 f.
4. Öffentlichkeitswirksame Neuerungen 4.1. Die moderne Abteilung der Nationalgalerie im Kronprinzenpalais Die 1861 als Museum für zeitgenössische Kunst gegründete Nationalgalerie in Berlin war stets eng mit dem Anspruch der Selbstdarstellung der Nation mittels ihres Kunstbesitzes verbunden.1 Den Wandel des Begriffs Nation und der Nationalisierungsbestrebungen im Laufe des 19. Jahrhunderts spiegelnd, war die preußisch verwaltete Nationalgalerie seit der Reichsgründung zum zentralen Präsentationsort offizieller Staatskunst und zur „Bühne der Hohenzollernpropaganda"2 geworden. Der Einfluß des monarchischen Staates war durch das 1898 eingeführte kaiserliche Vetorecht bei Ankäufen, die Landeskunstkommission3 und dadurch gewährleistet, daß die Nationalgalerie bis 1896 und erneut seit den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg nicht dem Generaldirektor der Museen, sondern Kaiser und Kultusministerium direkt unterstand und als einzige preußische Sammlung vollständig vom Staat finanziert wurde.4 Als Nationalgalerieleiter Hugo von Tschudi nach der Jahrhundertwende dem dynastischen Repräsentationsmodell, das immer weniger Akzeptanz in der wilhelminischen Gesellschaft fand, über sein Engagement für den Impressionismus ein modernes, auf individuelle Ästhetik statt instruktive Inhalte bauendes, nationale Grenzen überschreitendes bürgerlich-liberales Modell entgegenzusetzen suchte, scheiterte er am Widerstand des monarchischen Systems und wurde entlassen.5 Sein Nachfolger Ludwig Justi, der seit 1909 amtierte, schwenkte auf einen Kompromißkurs um: Zwar konnte er durch Einrichtung eines eigenständigen Ankaufsgremiums und die Auslagerung reiner Repräsentationskunst Freiräume für eine Modernisierung der Galerie schaffen und deren Akzent vom Dynastischen in Richtung eines allgemeinen Kulturpatriotismus verschieben. Gleichzeitig aber erfüllte er etwa mit der Planung des Reichskriegsmuseums die Erwartungen, die der Kaiser in ihn setzte.6 Letztlich blieb die restriktive Haltung gegenüber der zeitgenössischen Moderne so bis 1918 maßgebend für die Galerie - auch wenn die Möglichkeiten, die monarchischen Vorgaben zu unterlaufen, nach 1914 größer wurden.7 Angesichts der engen Verquickung von Kunst, nationaler Repräsentation und staatlichem Einfluß, die die Nationalgalerie prägte, wurde mit dem Umsturz 1918 eine Neuorientierung unumgänglich. Doch noch bevor das Kultusministerium, das nach Abdankung Wilhelms II. 1 Vgl. K. Winkler 1998, S. 61 f; Forster-Hahn 1994, S. 154 f; Rave 1968, S. 4. 2 Κ. Winkler 1998, S. 62. 3 Vgl. dazu With 1986; Justi 1911. 4 Vgl. Hentzen 1972, S. 10-13; Forster-Hahn 1994, S. 160; Lidtke 1993, S. 217; Preußischer Kulturbesitz 1986, S. 68; Rave 1968, S. 44-56; Kunst in Deutschland 1992, S. 9. 5 Vgl. Paul 1993; Paul 1994 a; K. Winkler 1998, S. 6 4 - 6 6 ; Rave 1968, S. 56-61. 6 Vgl. Κ. Winkler 1998, S. 66-70; Κ. Winkler 1999, S. 6 f u. 11; Baensch 1999, S. 14 f u. 19; vgl. auch K. Winkler 1992, S. 177; Rave 1968, S. 68 f u. 73-78; Hentzen 1972, S. 12 f; zur Ankaufskommission vgl. Justi 1911; Justi: Die Kommission für die Ankäufe der Nationalgalerie. sein sollte, 1911, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1. 7 Vgl. Rave 1968, S. 80 u. 82; Hentzen 1972, S. 12 {.
Wie sie entstand, ist und
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Kronprinzenpalais
127
oberste Entscheidungsinstanz für die Galerie wurde, deren Funktion der veränderten Staatsform entsprechend neu definieren und Pläne für die Umgestaltung entwickeln konnte, ergriff der Leiter der Nationalgalerie selbst die Initiative. Schon am 22. November 1918 reichte Justi ein später unter dem Titel Die Nationalgalerie und die moderne Kunst in gekürzter Form publiziertes Memorandum bei Haenisch ein, mit dem er eine Modernisierung der Galerie in die Wege leiten und sich selbst als deren Träger legitimieren wollte.8 Nach einem Rekurs auf die Unterminierung Tschudis durch die wilhelminische Kunstpolitik und auf eigene Aktivitäten zugunsten der Moderne vor dem Umsturz 9 plädierte Justi hier für eine Öffnung der Nationalgalerie für modernste Richtungen und schlug vor, seinem Museum eine Galerie der Lebenden anzugliedern.10 Weil eine solche, schon 1910 von ihm geforderte Abteilung für die Kunst seit 1871 nicht im ohnehin unter Platzmangel leidenden Stammhaus der Nationalgalerie auf der Museumsinsel würde unterkommen können, verband er dies mit dem Antrag, der Galerie zusätzlichen Raum bereitzustellen.11 Justi suchte so die neue politische Situation und vermeintliche Erwartungshaltungen des Ministeriums, dem er selbst ebenso skeptisch gegenüber stand wie der Republik überhaupt,12 für die Umsetzung eigener Anliegen zu nutzen.13 Bei Haenisch mußte der Vorschlag, bisherige Einseitigkeiten durch die Berücksichtigung modernster Werke auszugleichen, auf Wohlwollen stoßen. Überdies ist auch bei den aufgeschlosseneren Kunstreferenten des Ministeriums, etwa bei Pallat, von einem Interesse in diese Richtung auszugehen.14 Dennoch reagierte das Ende 1918 überlastete Ressort zunächst verhalten auf den Vorschlag und entwickelte erst einmal keine ausgeprägte Eigeninitiative, was die Neuorientierung der Nationalgalerie betraf.15 Justi allerdings begnügte sich nicht damit, vertröstet zu werden, und wirkte in den folgenden Wochen weiter intensiv in seinem Sinne auf die politischen Entscheidungsträger ein. Geschickt stellte er dabei die Galerie der Lebenden als notwendige Konsequenz und Manifestierung des vom Ministerium vertretenen kunstpolitischen Anspruchs dar. So bezog er
8 Ludwig Justi: Die Nationalgalerie
und die moderne
Kunst. Rückblick
und Ausblick.
Leipzig 1918,
Teilabdruck in: W. d. K., Jg. 18, Nr. 18, 2 7 . 1 . 1 9 1 9 , S. 119 f; vgl. auch Weinstein 1990, S. 39 f; Lidtke 1993, S. 216 f; Janda 1988, S. 22; Hentzen 1972, S. 14; Rave 1968, S. 82. 9 Vgl. dazu ζ. B. auch Paul Friedrich: Die Neugestaltung Berliner
Tageszeitung,
10 Vgl. dazu auch Ludwig Justi: Valentiners tfa.Jg.
der Berliner
Museen,
in: Deutscher
Kurier.
Jg. 6, Nr. 205, 2 6 . 7 . 1 9 1 8 , S. 2. Vorschläge zur Umgestaltung
der Museen,
in: ZS f. bild.
5 4 , 1 9 1 9 , S. 1 9 0 - 2 0 0 .
11 Vgl. dazu Justi an Kultusminister, 2 8 . 1 2 . 1 9 1 8 , ms., S. 2 f, in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; Rave 1968, S. 64 f, 6 9 - 7 3 u. 82 f; Hentzen 1972, S. 9 f; Justi 1910, bes. S. 46; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 4 3 3 - 4 3 5 . 12 Vgl. Meyer 1998, S. 26 f; Κ. Winkler 1999, S. 10 f; Κ. Winkler 1992, S. 183; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 161, 3 8 9 f u. 3 9 7 - 4 0 3 ; Justi an Kronprinzessin von Preußen, 1 3 . 2 . 1 9 2 0 , ms., S. 4, in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 13 Vgl. Rave 1968, S. 80; Rave 1987, S. 16; Grabowski 1991, S. 342; Lidtke 1993, S. 217; K. Winkler 1992, S. 179; Flacke-Knoch 1985; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 4 4 0 - 4 4 4 . 14 Zu Pallats Haltung vgl. Pallat 1906, S. 363. 15 Vgl. dazu Hentzen 1972, S. 33; Rave 1968, S. 82.
128
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
sich in einem weiteren Plädoyer, das er am 28. Dezember 1918 beim Kultusressort einreichte, auf die ministerielle Absicht, alle Kunstrichtungen gleichermaßen fördern zu wollen, und folgerte daraus, die „mannigfachen Bestrebungen" der Moderne müßten dann auch in der Galerie präsentiert werden.16 Nachdem er bereits im November 1918 die Abschaffung von Eintrittsgeldern gefordert hatte,17 stellte er die geplante Galerie zudem als Ort dar, an dem dem gesamten Volk und speziell auch den Arbeitern mit Hilfe von Führungen, Diavorträgen, Abendöffnungen, wechselnden Ausstellungen sowie kombinierten Schauen neuen Kunstgewerbes und „hoher Kunst" entsprechend den ministeriellen Popularisierungsabsichten auf lebendige Weise Zugang zur Kunst der eigenen Zeit verschafft werden könne.18 Überdies bemühte sich Justi, das Bewußtsein dafür zu schärfen, welch wichtiges kunstpolitisches Signal mit der Neuorientierung der Staatsgalerie gesetzt werden könnte. Deutlich wurde dies etwa, als Justi Anfang Januar 1919 eine Aufforderung an Haenisch, die Nationalgalerie zu besuchen, mit dem Hinweis verband: „die Angelegenheiten der Nationalgalerie erscheinen der Öffentlichkeit als eine Art Exponent des Verhältnisses der Regierung zum geistigen Leben der Gegenwart".19 Justi suchte aber auch noch auf andere Weise Einfluß auf das Ministerium zu nehmen: Am 7. Januar 1919 setzte er die Presse über sein Memorandum und erste positive Reaktionen des Ressorts in Kenntnis und nahm das Ministerium so zusätzlich in die Pflicht.20 Die liberale Tages- und Fachpresse begrüßte das Neuorientierungskonzept daraufhin als wegweisend. Immer wieder wurde von der ministeriellen Rückendeckung für die Pläne berichtet.21 Das Berliner Tageblatt stellte die in seinen Augen längst überfällige Einrichtung der Galerie der Lebenden bereits explizit als Plan der Regierung dar.22 Tatsächlich ließ sich Haenisch spätestens Anfang 1919 auf Justis Werben ein. So erklärte er am 12. Februar 1919 im Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik: „Wir gehen [..] mit dem Gedanken um, eins der bisherigen königlichen Schlösser frei zu bekommen für die Zwecke einer Galerie lebender Künstler, indem die Nationalgalerie mit den Männern des letzten Jahrhunderts abgeschlossen wird." 23 Haenisch trat damit erstmals als Förderer der Galerie der Lebenden auf. Ungefähr zur selben Zeit wurde der Vorwurf laut, Justi passe sich opportunistisch der neuen politischen Situation an. Paul Westheim, einem der prominentesten publizistischen Fürsprecher modernster Kunst in Deutschland, der schon Ende
16 17 18 19 20 21
Justi an Kultusminister, 28.12.1918, ms., S. 1 u. 3, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3. Vgl. Weinstein 1990, S. 40. Justi an Kultusminister, 28.12.1918, ms., S. 4, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3. Abschr. Justi an Haenisch, 3.1.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 454, Bl. 28. Vgl. Justi an [Pressevertreter], 7.1.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3. Vgl. Franz Servae: Die Zukunft der Nationalgalerie. Eine Denkschrift des Direktors Justi, in: Voss. Ztg., Nr. 37, 21.1.1919; Justi über die Aufgaben der staatlichen Pflege moderner Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 17, 21.1.1919, S. 113 f; W. d. Ku.,]g. 18, Nr. 17, 21.1.1919, S. 114 f; Curt Glaser: Eine Galerie der Lebenden, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 15, 24.1.1919, S. 297-299; Eine Galerie lebender Meister, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 24,24.3.1919, S. 162; siehe auch H. Friedeberger: Die Zukunft der Nationalgalerie, in: Cie., Jg. 11, Nr. 5/6, 13./27.3.1919, S. 138-140. 22 Ein neues Museum moderner Meister in Berlin, in: BT, Jg. 48, Nr. 98, 8.3.1919. 23 Zentralrat 1968, S. 619 f.
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Kronprinzenpalais
129
1918 geschrieben hatte, Justi solle lieber von seinem Posten zurücktreten als sich mit modernen Erwerbungen der linken Regierung anzudienen,24 galt das Memorandum als weiterer Beleg der Augenblickspolitik Justis. 25 Daneben attackierte vor allem Karl Scheffler den Galeriedirektor. Die starke Politisierung der Kunst im nachrevolutionären Deutschland generell ablehnend, sie aber selbst argwöhnisch bei den staatlichen Handlungsträgern vermutend,26 kritisierte er Justis Aktivitäten als allein von politischem Kalkül, nicht aber von künstlerischem Verständnis geleitet. Das Memorandum stehe für den Versuch, „mit fliegenden Fahnen ins neue Lager überzugehen." Das aber sei unvorsichtig, denn „die republikanische Regierung verdient vorläufig kaum weniger Misstrauen als das alte Regime." 27 Das Ministerium, das jede ideologische Vereinnahmung der Kunst von sich wies, ließ sich jedoch von den Vorwürfen nicht beeindrucken und hielt trotz der Anschuldigungen oder möglicherweise auch gerade wegen ihnen - denn immerhin war Schefflers Justi-Kritik ja auch als Kritik an der angeblich politisierten Kunstpolitik des Ressorts zu verstehen 28 - an Justi fest. Und mehr noch: Wie die ministerielle Ratgeberrolle Justis bei Personalentscheidungen im Akademiebereich zeigt,29 baute Haenisch im Frühjahr 1919 bewußt auf den Galerieleiter und stärkte so nachhaltig dessen Position innerhalb der preußischen Kunstverwaltung. Gleichzeitig bestätigte das Ressort seine Solidarisierung mit Justis Plänen für die Nationalgalerie auf praktische Weise, indem es den von Justi beantragten Ankäufen modernster Kunst zustimmte, durch die die Öffnung der Galerie seit Ende 1918 vorangetrieben wurde.30 So konnte, nachdem die Mittel vom Ministerium bewilligt worden waren, Anfang
24 Vgl. Eine Justi-Hetze,
in: Dt. Tagesztg.,]%. 25, Nr. 649, 21.12.1918, Beibl. S. 1.
25 Vgl. Paul Westheim: Die Nationalgalerie und die moderne Kunst, in: FZ, Jg. 63, Nr. 81, 31.1.1919; Eine Justi-Hetze,
in: Dt. Tagesztg., Jg. 25, Nr. 649, 21.12.1918, Beibl. S. 1; Ku.bl., Jg. 3, 1919,
S. 30-32; P. W.: Eine moderne Staatsgalerie in Berlin, in: Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 94-96; Die neue Nationalgalerie, in: Ku.bl., Jg. 3,1919, S. 285-287; vgl. dazu auch Paul Westheim: Die Museen und die Kunst, in: Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 2 - 1 3 ; Lidtke 1993, S. 219 f; Hentzen 1972, S. 21 f; Weinstein 1990, S. 40; Justi 1936, S. XVIII. 26 Vgl. dazu Karl Scheffler: Die Kunst und die Revolution, in: Ku.u.Kü.,
Jg. 17, Nr. 5, Jan. 1919,
S. 165-167; Weinstein 1990, S. 12 u. 44; Scheffler 1946, S. 301-303 u. 330. 27 Karl Scheffler: Die Nationalgalerie und die moderne Kunst, in: Ku. u. KU., Jg. 17, Nr. 6, März 1919, S. 243 f; vgl. dazu auch Karl Scheffler: Die Zukunft der deutschen Kunst, in: Ku. u. Kü., Jg. 17, Nr. 8, Mai 1919, S. 309-328, S. 324 u. 326 f; Ludwig Justi: Offener Brief an Karl Scheffler, in: Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 30, 9.5.1919, S. 613-619; Karl Scheffler: Antwort an Ludwig Justi, in: Ku. u. Kü., Jg. 17, Nr. 9, Juni 1919, S. 378 f; Lidtke 1993, S. 219. 28 Vgl. dazu Karl Scheffler: Die Nationalgalerie und die moderne Kunst, in: Ku. u. Kü., Jg. 17, Nr. 6, März 1919, S. 243 f; Karl Scheffler: Die Kunst und die Revolution, in: Ku. u. Kü., Jg. 17, Nr. 5, Jan. 1919, S. 165-167; Joachimides 1995 a, S. 195 f. 29 Vgl. Haenisch an Justi, 25.12.1918, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 19, Bd. 13; Haenisch an Justi, 28.3.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 15, Bd. 6; siehe auch Justi an KM, 25.6.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 208-209. 30 Vgl. Justi 1921 a, S. 25; Kunst in Deutschland 1992, S. 9; Weinstein 1990, S. 41; Hentzen 1972, S. 16 f; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 9 9 - 1 0 1 , 1 1 1 , 1 9 6 - 1 9 7 , 2 0 3 , 2 1 0 u. 359; W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 14, 30.12.1918, S. 94; siehe dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 447 u. 449.
130
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
1919 Oskar Kokoschkas kurz zuvor entstandenes Gemälde Die Freunde für 15.000 M erworben werden. 31 Die Bereitstellung staatlicher, in der Regel dem Landeskunstfondsi2 oder einem 1917 für Ankäufe lebender Künstler eingerichteten 50.000-Mark-Fonds 3 3 entstammender Gelder, die jeweils vom Kultusressort veranlaßt werden mußte, ermöglichte 1919 mehrere weitere Ankäufe progressiver, meist expressionistischer Werke. Nachdem die Presse Anfang 1919 neben dem Kokoschka-Ankauf Erwerbungen von Barlach und Heckel als erste Schritte in Richtung Modernisierung gewürdigt hatte, 34 konnte der Galeriebestand so mit dem Einverständnis des Ressorts im Sommer 1919 um Werke von Schmidt-Rottluff, Feininger, Nauen, Pechstein, Marc und Nolde ergänzt werden, deren Ankauf vor der Revolution undenkbar gewesen wäre. 35 Wie sicher sich Justi der Unterstützung der Erwerbungen durch das Ministerium sein konnte, zeigte sich beim Ankauf dreier Landschaftsbilder Ernst Ludwig Kirchners. 36 Als Kirchner wegen anderer Angebote zum Kaufabschluß
31 Vgl. Justi an KM, 7.12.1918, ms., Liste, o.D., ms. u. Justi an Kunsthandlung Paul Cassirer, 17.1. 1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 102-104 u. 123; Abb. in Hentzen 1972, S. 32/33; vgl dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 442 f. 32 Hinter der Bezeichnung Landeskunstfonds verbarg sich der unter der Nummer 33 im Kapitel 122 des Staatshaushaltes aufgeführte Titel, dessen Zweck mit „Ankauf von Kunstwerken für die Nationalgalerie sowie Förderung der monumentalen Malerei und Plastik und des Kupferstichs" angegeben wurde, vgl. Abschr. Becker an Kartell der vereinigten Verbände bildender Künstler Berlins, 28.8.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt X1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 14 u. SAdK, PrAdK, Nr. 934, Bl. 54; Jahresbericht NG 1918, Justi an KM, 14.7.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3. Der Titel war für 1919 mit 342.990 M ausgestattet, vgl. Staatshaushaltsplan 1919, Anlagebd. 2, S. 82; Ausschußmtgl. (Z) u. Ministeraldirektor KM, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1822 f. 33 Vgl. Justi an KM, 30.4.1919, hs., Liste, o.D., hs., KM (Nentwig) an Justi, 14.5.1919, ms., Justi an KM, 18.6.1919, ms., KM (Trendelenburg) an Justi, 2.7.1919, ms. u. Entwurf NG an KM, 10.7. 1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 196-197, 203, 210 u. 359. 34 Vgl. Franz Servae: Die Zukunft der Nationalgalerie. Eine Denkschrift des Direktors Justi, in: Voss. Ztg., Nr. 37,21.1.1919; Justi über die Aufgaben der staatlichen Pflege moderner Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 17,21.1.1919, S. 113 f; W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 17,21.1.1919, S. 114 f; vgl. dazu auch Justi an KM, 28.6.1919, ms. u. Justi an KM, 4.7.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 237-238. 35 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 12.7.1919, ms. u. Entwürfe NG an Besitzer verschiedener Werke, 15.7.1919, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 11, Bl. 250-252; siehe auch SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 196-197, 203, 285 u. 358; Jahresbericht NG 1918, Justi an KM, 14.7.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3; Hentzen 1972, S. 16 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 444-446 u. Bd. 2, S. 260 f; zu modernen Erwerbungen auch für das Kupferstichkabinett vgl. Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 221-224; BT, Jg. 48, Nr. 230, 21.5.1919, S. 3; Ku. u. Kü., Jg. 23, Nr. 12, Sept. 1925, S. 496 f. 36 Es handelte sich dabei um Gutshof auf Fehmarn für 6000 M, Küste von Fehmarn für 3000 M und Rheinbrücke für 5000 M, vgl. Justi an Kirchner, 20.6.1919, ms. u. KM an Justi, 17.7.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 211 u. 253 r; vgl. auch Hentzen 1972, S. 17; JustiMemoiren 1999, Bd. 1, S. 444 u. 461 u. Bd. 2, S. 260 u. 264; Abb. Rheinbrücke in Hentzen 1972, S. 32/33.
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Kronprinzenpalais
131
drängte, teilte Justi dem Künstler im Juli 1919 mit: „Der Ankauf wird in kurzem vollzogen sein - genau läßt es sich natürlich nicht sagen, wann der Minister unterschreibt, besonders in jetzigen Zeiten. An der Unterschreibung selbst ist jedoch nicht zu zweifeln. Sie können den Ankauf also schon jetzt als vollzogen betrachten." 37 Als Kirchner bald darauf wegen Zahlungsverzögerungen in Streit mit der Galerie geriet,38 bestand das Ministerium ganz in Justis Sinne zunächst auf der Erwerbung. 39 Unterstützte das Ministerium das Bemühen des Nationalgalerieleiters, den Grundstock für die Galerie der Lebenden zu schaffen, also offenbar ohne eigene Vorgaben zu machen, suchte es gleichzeitig über Veränderungen bei der Ankaufskommission die Nationalgalerie auch auf anderer Ebene zu öffnen. 40 Die Ausgangslage stellte sich dabei folgendermaßen dar: Nachdem Justi bereits im November 1918 eine Ergänzung des Ankaufsgremiums gefordert hatte,41 hatte sich die alte Kommission, der neben Minister Schmidt-Ott Prinz August Wilhelm, Eduard Arnhold, Tuaillon, Wölfflin und Kunsthochschuldirektor Kampf angehörten, Ende 1918 durch freiwilligen Austritt, zwangsläufiges Ausscheiden oder wie bei Kampf durch empörten Rückzug angesichts der modernen Ankaufspläne selbst aufgelöst. 42 Zwar hatte Justi im Dezember 1918, um handlungsfähig zu sein, noch einmal einige der Mitglieder als Beratungsgremium einberufen und über die Hinzuziehung des Malers Hans Purrmann und des Kunstkritikers Curt Glaser angedeutet, wie er sich eine Erneuerung der Kommission dachte.43 In der Folgezeit galt die Kommission jedoch als in Neubil-
37 Justi an Kirchner, 7.7.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 215, Bl. 215 r; vgl. dazu auch Entwurf Justi an KM, 4.7.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 238. 38 Vgl. Kirchner an NG, 25.7.1919, ms., Kirchner an Justi, 13.7.1919, hs. u. Kirchner an Justi, 24.7.1919, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 212 r, 218 u. 221-222. 39 Vgl. Abschr. KM an Ministerial-, Militär- u. Baukommission, 17.7.1919, ms., Vermerk NG, 18.7. 1919, hs. u. Justi an Kirchner, 19.7.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 219 u. 253; siehe dazu auch KM an Justi, 18.8.1919, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 272 r. Später setzte sich das Ministerium für einen Kompromiß ein und stimmte schließlich im Sommer 1920 der Rückgabe der Bilder sowie dem Ankauf einer teureren Straßenszene Kirchners zu, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 274-276 a, 308, 311-312, 340, 480-481, 497 u. 516. 40 Die auch für die Ankäufe der Nationalgalerie zuständige Landeskunstkommission
war bereits 1911
abgeschafft worden. Seither gab es eine separate Ankaufskommission der Nationalgalerie, vgl. Zentr.bl. Unterr.verw.,]g.
1918, Nr. 1,21.1.1918, S. 15; Jg. 1919, Nr. 1,20.1.1919, S. 15; With 1986;
Justi 1911; Hentzen 1972, S. 32. 41 Vgl. Justi an KM, 7.12.1918, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 102-104; vgl. auch Justi über die Aufgaben
der staatlichen Pflege moderner Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 17, 21.1.
1919, S. 113 f; Weinstein 1990, S. 40. 42 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 403 u. 406; Janda 1988, S. 24; Hentzen 1972, S. 32; Justi an [?], 24.12.1918, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 19, Bd. 13. 43 Vgl. Justi an KM, 7.12.1918, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 104; Justi an [?], 24.12.1918, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 19, Bd. 13;Justi über die Aufgaben der staatlichen Pflege moderner Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 17, 21.1.1919, S. 113.
132
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik 1918-21
dung begriffen. 44 Haenisch soll dann im Frühjahr 1919 - was angesichts des Vertrauens, das er damals in Justi setzte, durchaus denkbar ist - sogar bereit gewesen sein, dem zeitgenössisch keineswegs ungewöhnlichen Wunsch des Direktors zuzustimmen, ihn im Interesse flexibleren Handelns künftig ohne Kommission nur unter Aufsicht des Ministeriums über die Ankäufe entscheiden zu lassen. 45 Auf Intervention Nentwigs, der eine Deckung durch Landtag und Öffentlichkeit für wesentlich hielt, soll aber doch der Einsetzung einer Kommission der Vorzug gegeben worden sein. 46 Ob Haenisch hier tatsächlich von der alten Bürokratie ausgebremst wurde, 4 7 läßt sich nicht belegen. Fest steht nur: Nachdem Mitte April 1919 zwischen dem Ressort und Justi über die Kommissionszusammensetzung verhandelt worden war, berief das Ministerium kurz darauf die von Justi vorgeschlagenen Kandidaten - die Künstler Heckel, Slevogt, Gaul, Kolbe und Purrmann, die Kunsthistoriker Adolf Goldschmidt, August Grisebach und Glaser sowie Brugger und den ehemaligen USPD-Finanzminister Hugo Simon als Sammler - für drei Jahre in die nun als Sachverständigenausschuß bezeichnete Kommission. 48 Diese neue Kommission stand besonders durch die Einbeziehung prominenter impressionistischer und expressionistischer Künstler für eine Neuorientierung der Nationalgalerie. 49 Durch ihre Arbeit, die sie am 17. Juni 1919 aufnahm, 50 wurden die modernen Erwerbungen des Sommers 1919 möglich. So reibungslos wie es den Anschein hat, verlief die Neukonstituierung der Kommission allerdings keineswegs. Vielmehr gab es beim Galerieleiter und beim Ministerium differierende Vorstellungen über die Zusammensetzung. Während Justi eigentlich gar keine Künst-
44 Vgl. Justi an [Pressevertreter], 7.1.1919, ms., S. 2, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; Justi an KM, 6.5.1919, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Künstlerspezialakten, T, Bd. 19, Bl. 93 r; Das Ende der preußischen Landeskunstkommission, in: W. d. Ku.,]%. 8, Nr. 25,31.3.1919, S. 169; W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 17, 21.1.1919, S. 114 f; Weinstein 1990, S. 41. 45 Vgl. dazu auch schon Pallat 1906, S. 363: „Notwendig wäre auch, daß man den Männern, die man im Vertrauen auf ihre Tüchtigkeit zu Leitern solcher Sammlungen [für zeitgenössische Kunst] berufen hat, möglichst freie Hand ließe. Ihre Tätigkeit wird schon durch das Publikum, die Presse und andere Faktoren so stark kontrolliert, daß man sie nicht noch durch Sachverständigen- oder Museumskommissionen einengen sollte." Zur zeitgenössischen Diskussion siehe A. L. Mayer: Zum Kapitel Aufgaben bayerischer Kunstpolitik', in: Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 37, 27.6.1919, S. 772-775; H. Friedeberger: Die Zukunft der Nationalgalerie, in: Cie., Jg. 11, Nr. 5/6, 13./27.3. 1919, S. 138140; Paul Westheim: Die Museen und die Kunst, in: Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 2-13. 46 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 403; Hentzen 1972, S. 32; Rave 1968, S. 87. 47 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 403 u. 406. 48 Als Ersatzleute wurden die Künstler Dettmann und Hugo Lederer bestellt; zur neuen Kommission vgl. Justi an KM, 22.4.1919, ms., Justi an neue Mitglieder der Ankaufskommission, 3.6.1919, ms. u. Haenisch an Justi, 28.6.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Hentzen 1972, S. 32 f; Rave 1968, S. 87; Rave 1987, S. 18; Janda 1988, S. 35; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 243 f. 49 Vgl. auch Curt Glaser: Das neue Haus der Nationalgalerie, in: Ku.chr., Nr. 44, 29.8.1919, S. 929-933; Weinstein 1990, S. 85. Daß Kolbe und Purrmann etwa zur selben Zeit auch in die Akademie der Künste aufgenommen wurden, zeigt den generellen Stellenwert beider Künstler für die nachrevolutionäre Kunstpolitik. 50 Vgl. Justi an Kirchner, 20.6.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 211; Hentzen 1972, S. 32.
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Kronprinzenpalais
133
1er, und wenn doch, dann Vertreter nur einer Richtung berücksichtigen wollte, um Interessenkonflikte auszuschließen, bestand das Ressort darauf, daß in der Kommission Künstler aller Richtungen und Lebensalter vertreten sein sollten. 51 Die Vorschlagsliste Justis hatte diesen ministeriellen Vorstellungen bereits zu folgen - und so hielt sich das Ressort zwar formell an Justis Vorschläge, als es die neuen Mitglieder berief, faktisch waren es aber eben doch die Ansprüche des Ressorts, die maßgeblich für die Neukonstituierung waren. Tatsächlich wurden 1919 dann, wie v o m Ministerium angestrebt, Vertreter unterschiedlicher Couleur in den Ausschuß eingebunden. 5 2 Trotz des gemeinsamen Agierens in der Ankaufspolitik und des Grundkonsenses über eine vermehrte Berücksichtung der Moderne deutete sich hier an, wie unterschiedlich sich Justi und das Ministerium die Modernisierung der Galerie vorstellten: Maxime für das Kultusressort war die gleichberechtigte Berücksichtigung aller Richtungen. Entsprechend war das Ressort in der ersten Jahreshälfte 1919, als es darum ging, die Weichen für die Zukunft zu stellen, bemüht, bei der Nationalgalerie jeden Eindruck einer stilistischen Bevorzugung zu vermeiden. Als symptomatisch kann in diesem Zusammenhang der Hinweis des Galeriedirektors v o m Januar 1919 gelten, daß zwar bereits Werke moderner Künstler angekauft seien, diese „aber laut Entscheidung des Ministeriums erst ausgestellt [werden], wenn dieser Brückenkopf verbreitert ist - damit nicht der Eindruck eines einseitigen Radikalismus entstehe." 5 3 Auf Justis Zusage von 1918 bauend, die Moderne in ihrer Vielschichtigkeit zeigen zu wollen, 5 4 wollte das Ressort also keinesfalls unter neuen Vorzeichen in alte Einseitig-
51 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 403 u. 406; Hentzen 1972, S. 32. 52 Daß die Kommissionsarbeit bereits Ende 1919 durch langwierige Diskussionen erschwert wurde und man die Sitzungen daraufhin weitgehend ruhen ließ, scheint Justi im nachhinein Recht gegeben zu haben, vgl. dazu Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 406 f; Hentzen 1972, S. 32 f. Anders als es bei Hentzen anklingt, tagte die Kommission allerdings durchaus noch nach 1919, etwa am 2.12.1920 sowie am 19., 23. und 30.3.1921, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 206, 211, 237, 241-245, 277-282, 511 u. 607; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 8-13 u. 103-104; Einladung N G , 2.12.1920, ms. u. Einladung N G , 19.3.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; vgl. auch Gaul, Slevogt, Kolbe, Purrmann u. Heckel an Justi, [1920?], ms. u. Justi an Direktor Kunsthalle Mannheim (Wiehert), 5.5.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 432 u. 479. 53 Justi an [Pressevertreter], 7.1.1919, ms., S. 2, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; vgl. dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 449: „In die National-Galerie kam Döscher, um sich die von mir beantragten Erwerbungen anzusehen, für die ich einen Eckraum im Mitteigeschoß der National-Galerie vorgesehen hatte. Er zeigte sich keineswegs einverstanden oder gar erfreut, im Gegenteil, er widersprach. Es sei nicht richtig, nun auf einmal eine ganze Anzahl von Werken Einer Richtung zu kaufen, man müsse vielmehr gleichmäßig alle Richtungen berücksichtigen. [...] So bekam ich also die ministerielle Genehmigung zu den Ankäufen nicht, aus der Ausstellung in jenem Eckraum wurde nichts, die National-Galerie behielt ihr vorheriges Gesicht. Erst 1919 kam die Zustimmung, ohne Döscher, von den alten Ministerialbeamten". Ähnlich auch Justi 1921 a, S. 24. Die kurze Ressortzugehörigkeit Döschers und seine unscharf bleibende Rolle in der Kunstabteilung (siehe Kap. II. 1.2.) lassen das Eingreifen indes allenfalls als Episode erscheinen. Belegen läßt sich die Ablehnung nicht. 54 Vgl. Justi an Kultusminister, 28.12.1918, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3.
II. Neuorientierung
134
der ministeriellen Kumtpolitik
1918-21
keiten zurückfallen - und eben dafür suchte man die Rahmenbedingungen, etwa über die Galeriekommission, zu schaffen.55 Justi hingegen Schloß stilistische Schwerpunktsetzungen und Zuspitzungen keineswegs aus. Parallel dazu stellte sich immer drängender die Frage, wo die moderne Sammlung untergebracht werden sollte, die seit der Revolution mit Zustimmung des Ressorts von Justi zusammengetragen wurde. Da klar war, daß an einen Neubau, wie ihn Justi vor dem Krieg gefordert hatte,56 wegen der angespannten Finanzlage nicht zu denken war, konzentrierten sich Justis Bemühungen, angeregt offensichtlich durch Altminister Schmidt-Ott, seit Ende 1918 darauf, eines der ehemals königlichen Schlösser für die Galerie zu gewinnen.57 Während im Frühjahr 1919 das Prinzessinnenpalais, aber auch das Palais des Prinzen Friedrich Leopold, das Schloß Bellevue und das Kronprinzenpalais als geeignete Orte genannt wurden,58 engagierte sich das Ministerium Haenisch, das sowohl an der Galerie der Lebenden als auch an der Nutzung der Hohenzollernschlösser für kulturelle Zwecke interessiert war (siehe Kap. II. 3.1.), spätestens seit Februar 1919 in der Sache.59 Das Kultusressort verfügte bei den Schlössern jedoch nur über begrenzte Einflußmöglichkeiten, da die Zuständigkeit hier beim Finanzministerium lag. Der später von der Nationalgalerie erhobene Vorwurf, das Ministerium Haenisch habe in der Raumfrage zu passiv agiert und ein Antrag vom 18. Dezember 1918 sei gar verloren gegangen,60 mag auch vor diesem Kompetenzhintergrund zu sehen sein. Ob in diesem Zusammenhang zusätzlich Differenzen zwischen den alten und neuen Kräften im Kultusressort eine Rolle spielten,61 läßt sich nicht belegen. Fest steht jedoch, daß Justi, enttäuscht vom mangelnden Engagement der vorgesetzten Kulturbehörde, 62 seit April 1919 vermehrt auch Kontakt zum Finanzressort suchte und dort in Hugo Simon einen seiner Einschätzung nach aktiveren Förderer fand als
55 Vgl. Haenisch 1921, S. 154, w o Haenisch darauf hinwies, der Kommission gehörten jetzt „ohne daß sie deshalb nun etwa einseitig zusammengesetzt wäre, auch mehrere Leute ganz moderner Auffassung an, u. a. der frühere preußische Finanzminister und bekannte Sammler Genösse H u g o Simon". 56 Justi 1910, S. 45 f; vgl. auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 433 f. 57 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 434; Fünf Jahre Ku.bl.,]%.
„Kronprinzen-PalaisEine
Rundfrage,
in:
8 , 1 9 2 4 , S. 2 3 9 - 2 4 4 , S. 2 3 9 - 2 4 2 ; Hentzen 1972, S. 15; Justi an Kultusminister, 2 8 . 1 2 . 1 9 1 8 ,
ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; vgl. auch Justi über die Aufgaben Pflege moderner
der
staatlichen
Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 17, 2 1 . 1 . 1 9 1 9 , S. 113 f.
58 Vgl. Hentzen 1972, S. 14 f; Rave 1968, S. 83; Kunst in Deutschland 1992, S. 9. 59 Vgl. dazu die Ankündigung Haenischs im Zentralrat am 1 2 . 2 . 1 9 1 9 (zitiert nach Zentralrat 1968, S. 619 f): „Vielleicht bekommen wir das Prinzessinnenpalais dazu frei." Siehe dazu auch Ein Museum
moderner
Meister
in Berlin,
in: BT, Jg. 48, Nr. 98, 8 . 3 . 1 9 1 9 ; Eine
Galerie
neues
lebender
Meister, in: W d. Ku., Jg. 18, Nr. 24, 2 4 . 3 . 1 9 1 9 , S. 162. 60 Vgl. Hentzen 1972, S. 15; Kunst in Deutschland 1992, S. 9; Justi an KM, 1 4 . 5 . 1 9 1 9 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 61 Vgl. auch Hentzen 1972, S. 14 f; Hoffmann 1920, S. 184; Grabowski 1991, S. 342 f; Janda 1988, S. 24. 62 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 433 f u. 444.
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Kronprinzenpalais
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im Kultusressort.63 Justi fuhr seitdem doppelgleisig, das heißt, er setzte sowohl auf das Ministerium Haenisch als auch auf das Finanzministerium, das in der Gebäudefrage der beste Partner zu sein schien. Konkret sah das so aus, daß er sich Ende April 1919 zunächst bei Finanzminister Südekum mit dem Hinweis, die geplante Galerie werde „einen dauernden Ruhmestitel der Regierung" bilden, der Förderung seiner Bestrebungen versicherte.64 Am 14. Mai 1919 bat er dann beim Kultusressort darum, „bei dem Herrn Finanzminister durchsetzen zu wollen, daß der National-Galerie zu Ausstellungszwecken die Vorderräume des Kronprinzen- und Prinzessinnenpalais sowie der Garten des Prinzessinnen-Palais so bald als möglich zur Verfügung gestellt werden." 65 Mit dieser Doppelstrategie, die auf eine wechselseitige Aktivierung der Ministerien setzte, war Justi bald erfolgreich: Bei einem Ortstermin am 17. Mai 1919 signalisierten Kultus- und Finanzressort ihre Zustimmung zur Überlassung der vorderen Räume des zentral und nahe zum Stammhaus gelegenen Kronprinzenpalais' an die Nationalgalerie.66 Da für die endgültige Uberweisung noch ein Nutzungs- und Kostenplan benötigt wurde, reichte Justi - um die Sache zu beschleunigen, nun bei beiden Ministerien - noch einmal ein ausführliches Plädoyer zugunsten der Galerie der Lebenden im Kronprinzenpalais ein.67 Unter Hinweis auf schon getätigte Ankäufe, die hervorragende Eignung der Räume und die geplanten umfangreichen Popularisierungsmaßnahmen führte er hier aus, wie er sich die Nutzung des Gebäudes konkret vorstellte: Auf den drei Palaisetagen sollten Gemälde und Plastiken 1. des Vereins Berliner Künstler (Baluschek, Schlichting, Elkan), 2. von deutschen Impressionisten (Corinth, Pankok, Slevogt, Spiro, Charlotte Berend, Ulrich Hübner) bis hin zu Lederer, Gaul und Kolbe sowie 3. von deutschen Künstlern jüngerer Richtungen (Heckel, Jaeckel, Kokoschka, Moll, Purrmann, Waske, Barlach, Lehmbruck, Feininger, Kirchner, Marc, Nauen, Nolde, Schmidt-Rottluff) gezeigt werden. Sein Anliegen begründete Justi kultur- und finanzpolitisch: Heute sei es nicht mehr denkbar, eine Staatssammlung vor der modernsten Kunst zu verschließen. Im Kronprinzenpalais würde der Staat der Gegenwartskunst die gebührende Wirkung geben können. Anders als der Bau des KaiserFriedrich-Museums und die unvollendeten Museumsbauten sei die Galerie im Kronprinzenpalais aus laufenden Mitteln zu finanzieren. Die Kosten für die Einrichtung würden, verglichen mit der Bedeutung der Sammlung, gering sein. „Mit der Eröffnung dieser Galerie der Lebenden würde die Regierung eine weithin sichtbare und dauernd wirksame Tat vollbringen."68 Der Antrag überzeugte offensichtlich, und so wurde der vordere Teil des Kronprinzenpalais' der Nationalgalerie am 2. Juni 1919 offiziell überwiesen.69 Zwar hob Justi auch in
63 Vgl. Hentzen 1972, S. 15; Rave 1968, S. 83; Grabowski 1991, S. 342; Fünf Jahre Palais". Eine Rundfrage,
„Kronprinzen-
in: Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 239-244, S. 239-242; Schmitz 1931, S. 163 f.
64 Justi an FM (Südekum), 28.4.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 65 Justi an KM, 14.5.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 66 Vgl. Justi an FM, 21.5.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 67 Text Justi für KM, 21.5.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; Teilabdruck in: Grabowski 1991, S. 343 u. Kunst in Deutschland 1992, S. 9 f; Hentzen 1972, S. 15. 68 Text Justi für KM, 21.5.1919, ms., S. 12, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 69 Vgl. Abschr. FM (Südekum) an KM, 2.6.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1;
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II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik 1918-21
diesem Kontext noch einmal das entscheidende Engagement des Finanzministeriums hervor, als er sich bei Südekum auch im Namen von Künstlern und Öffentlichkeit für die Bereitstellung bedankte. 70 Faktisch aber war die Palaisgewinnung keineswegs allein dem Finanzressort zuzuschreiben, sondern als Ergebnis der von Justi in Gang gehaltenen Kooperation von Finanz- und Kultusministerium zu sehen. Wie entscheidend durchaus auch der Part des Kultusministeriums war, belegt ein Brief des Finanzressorts ans GroßBerliner Gouvernement, das ebenfalls Räume im Kronprinzenpalais beanspruchte. 71 Hier hieß es, das Kronprinzenpalais sei seit Monaten dem Kultusressort für die Galerie zur Verfügung gestellt gewesen. Dennoch habe sich das Finanzministerium bemüht, auch den Ansprüchen des Militärs zu genügen. In der Einschränkung der Galerieräume sei man schließlich „so weit gegangen, das[s] der Herr Kultusminister in dem in Abschrift beiliegenden Schreiben vom 28. Mai noch einmal mit Nachdruck eine ausreichende Berücksichtigung seiner Interessen gefordert hat." 72 Erst auf dieses Engagement hin sei das Finanzressort auf sein ursprüngliches Mietangebot vom April 1919, das der Galerie mehr Möglichkeiten einräumte, zurückgekommen und das Militär auf das Prinzessinnenpalais verwiesen worden. Entscheidend dafür sei gewesen: Die Berliner Bevölkerung habe, zumal angesichts der harten Friedensbedingungen, Anspruch darauf, wenigstens auf kulturellem Gebiet so viel Anregung und Förderung wie möglich zu erfahren - das sei auch deswegen wichtig, weil dies dazu beitrage, die allgemeine Stimmung zu heben. Die Galerie im Kronprinzenpalais, die elementarer Bestandteil dieses Programms sei, lasse sich aber nach Ansicht der Museumsverwaltung, der sich das Kultusministerium angeschlossen habe, nur dann eindrucksvoll gestalten und es werde sich die erhoffte Wirkung auf die Öffentlichkeit nur dann entfalten können, wenn tatsächlich alle drei Etagen des Palais' der Galerie zur Verfügung stünden. 73 Der Brief stellte die museale Nutzung des Kronprinzenpalais' damit als bewußten kulturpolitischen Akt mit gesellschaftlicher Zielrichtung dar. Das Finanzministerium gab so nicht nur Einblick in staatliche Motive im Hintergrund der Palaisüberweisung, sondern es charakterisierte das Kultusministerium überdies als Institution, die, Justis Ideen folgend, durchaus Eigeninitiative entwickelte, die gerade auch ihm selbst gegenüber als Anwalt der Galerie auftrat und durch ihr Eingreifen sicherstellte, daß der Sammlung der gewünschte
70
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Kunst in Deutschland 1992, S. 10; Hentzen 1972, S. 15 f; Janda 1988, S. 24; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 434; vgl. auch Liste, [Juni 1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 244. Zunächst handelte es sich um eine provisorische Uberweisung bis Oktober 1919. Nach mehreren Verlängerungen stand das Kronprinzenpalais der Galerie später dauerhaft zur Verfügung. Vgl. Justi an FM (Südekum), 5.6.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. Erwähnenswert ist dabei auch, daß Justi offensichtlich, noch bevor er am 10. Juni vom Kultusministerium von der Uberweisung erfuhr, vom Finanzministerium in Kenntnis gesetzt worden war, vgl. Abschr. FM (Südekum) an KM u. NG, 2.6.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. Abschr. FM an Gouvernement Groß-Berlin, 17.6.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal, Spec. 53, Bd. 1. Ebd., S. 1. Das Schreiben des Kultusressorts vom 28. Mai 1919 ist nicht überliefert. Abschr. FM an Gouvernement Groß-Berlin, 17.6.1919, ms., S. 1 f, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1.
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Neuerungen:
Kronprinzenpalais
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Raum komplett zugesprochen wurde. Folgt man der Schilderung des Finanzressorts, hatte das Ministerium Haenisch genuines Interesse und entscheidenden Anteil daran, daß alle zur Prachtstraße Unter den Linden gelegenen Räume des Kronprinzenpalais' im Juni 1919 an die Galerie der Lebenden überwiesen wurden, um so ein Zeichen des Neubeginns im Kunstbereich zu setzen.74 Justi nutzte die Chance, die sich ihm mit der Bereitstellung der Palaisräume bot, und richtete dort in wenigen Wochen, gestützt auf die mit ministerieller Zustimmung realisierten Ankäufe und zahlreiche Leihgaben, die Neue Abteilung der Nationalgalerie ein.75 Bereits am 4. August 1919 konnte die Sammlung, ungefähr so wie Justi sie im Mai 1919 projektiert hatte, eröffnet werden. Im Erdgeschoß wurden zunächst aus der Sammlung Königs stammende Gemälde akademischer Richtungen und der älteren Berliner Sezession gezeigt, bevor im repräsentativen Mitteigeschoß die Impressionisten Liebermann, Slevogt und Corinth zusammen mit ihren französischen Vorläufern zu sehen waren. Das Obergeschoß schließlich war dem Expressionismus vorbehalten. Gezeigt wurden hier Gemälde Heckeis und Kirchners aus der Vorkriegszeit, wenige Monate alte Werke Pechsteins und Kokoschkas, Bilder von Marc, Schmidt-Rottluff, Purrmann und Moll, Zeichnungen Lehmbrucks, Aquarelle Noldes, Plastiken Barlachs und, um den internationalen Vergleich zu ermöglichen, van Gogh, Gauguin, Signac und Ensor.76 Innerhalb der engen Grenzen, die dadurch gesetzt waren, daß die Räume bis zur endgültigen Regelung der Vermögensfragen baulich nicht verändert werden durften, konnte Justi, an seine Praxis vor 1914 anknüpfend, mit einreihiger Hängung und einer reduzierten, monochromen Raumgestaltung im Obergeschoß, die expressionistischen Ausstellungsarrangements nahekam, zumindest in Ansätzen auch in der musealen Inszenierung fortschrittliche Wege gehen.77 Damit war eine in Deutschland einzigartige moderne Staatssammlung entstanden, die national wie international Aufsehen erregte.78 Nachdem
74 Vgl. dazu Abschr. Gouvernement Groß-Berlin an F M , 2 . 6 . 1 9 1 9 , ms., S. 1 f, in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1: „Als ein Grund für die Nichtabgabe der Vorderräume [an das Militär] wurde von den dortigen Vertretern mehrfach angeführt, dass es von grosser politischer Bedeutung für die Regierung sei, und in weiten Kreisen an Beliebtheit gewinnen würde, wenn jetzt Bilder einer früher stets verfolgten Kunstrichtung in einem königlichen] Schlosse ausgestellt würden." 75 Vgl. dazu auch Jahresbericht N G 1919, Justi an KM, 1 3 . 9 . 1 9 2 0 , ms., in: S M B P K / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3; zur Bedeutung der Leihgaben vgl. Janda 1988, S. 30; Hentzen 1972, S. 1 6 - 1 8 ; Lidtke 1993, S. 222; Kunst in Deutschland 1992, S. 10; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 4 7 0 - 4 7 2 ; Daweke / Schneider 1986, S. 131; vgl. z . B . auch B T , Jg. 49, Nr. 343, 2 3 . 7 . 1 9 2 0 . 76 Z u m Aufbau der Sammlung vgl. Meyer 1998, S. 64; Hentzen 1972, S. 1 6 - 1 9 ; Rave 1968, S. 84 f; Rave 1987, S. 16 f; Grabowski 1991, S. 344; Paul 1994 a, S. 175; K. Winkler 1992, S. 180; Weinstein 1990, S. 85; Grete Ring: Die „ Galerie
der Lebenden"
zu Berlin,
in: Rheinlande,
Jg. 19, Nr. 9 / 1 0 ,
1 0 . 9 . 1 9 1 9 , S. 2 0 2 - 2 0 5 . 77 Vgl. Joachimides 2001, S. 1 9 9 - 2 1 0 ; Scholl 1995; Nationalgalerie und nationale Identität 1998, Abb. S. 225. 78 Zur Bedeutung der Sammlung vgl. Gaehtgens 1999, S. X I I I - X V ; K. Winkler 1999, S. 7 f; Daweke / Schneider 1986, S. 130 f; siehe dazu auch H . v. Wedderkopp: Die Kölner Museums-Frage, Jg. 64, Nr. 97, 6 . 2 . 1 9 2 0 ; zur parallelen Entwicklung in Bayern vgl. Ku.bl, Memoiren 1999, Bd. 1, S. 435.
in: FZ,
Jg. 3, 1919, S. 256; Justi-
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der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
schon im Juni 1 9 1 9 in der Presse erwartungsvoll über die bevorstehende Einrichtung des Kronprinzenpalais' berichtet worden war, 79 wurde die Eröffnung der Neuen Abteilung im August 1919 zum öffentlichen Ereignis. In der Presse wurde intensiv und meist positiv über die Galeriedependance geschrieben. 80 Gleichzeitig entwickelte sich das Kronprinzenpalais, das als Präsentationsort modernster Kunst wie als einstiger Wohnort der Kaiserfamilie doppelt lockte, 81 schnell zum Publikumsmagneten. 82 Die Neue Abteilung erfüllte so, was die Resonanz anging, die bei der Palaisüberweisung geäußerten Regierungserwartungen. 83 Bei der Eröffnung hielt sich das Kultusressort dennoch auffallend zurück. Trotz Justis Bitte, Haenisch möge der Galerieeröffnung im Kronprinzenpalais beiwohnen oder sogar eine Ansprache halten, denn immerhin handele es sich um ein Ereignis, das den kunstpolitischen Wandel zeige, 84 trat der Minister bei den Feierlichkeiten am 4. August 1 9 1 9 nicht in Erscheinung. 85 Seinem Anspruch gemäß, Rahmenbedingungen schaffen, aber nicht reglementierend in die Kunst eingreifen zu wollen und Kunst und Politik strikt zu trennen, suchte das Ministerium offensichtlich keine solch demonstrative Wiederbelebung des engen Konnexes zwischen Nationalgalerie und Staat, wie Justi sie gern gesehen hätte. In einer Zeit der linken Politisierung der Moderne und besonders des Expressionismus, 86 in der die Galerie der Lebenden allzu leicht in den Ruf 79 Vgl. z.B. Erweiterung der Nationalgalerie, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 37, 23.6.1919, S. 251 f; BT, Jg. 48, Nr. 352, 1.8.1919, S. 2; P. W.: Eine moderne Staatsgalerie in Berlin, in: Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 94-96; zur gezielten Einbeziehung der Presse im Vorfeld siehe auch Einladungskarte NG, Juli 1919, gedr., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3. 80 Vgl. Hentzen 1972, S. 19-22 u. 27; Kunst in Deutschland 1992, S. 10-13; Fechter: Die neue Nationalgalerie, in: DAZ, Jg. 58, Nr. 371, 4.8.1919; Fritz Stahl: Die Galerie der Lebenden. Eine Erweiterung der Nationalgalerie, in: BT, Jg. 48, Nr. 359, 5.8.1919, S. 2; Die moderne Galerie, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 43, 18.8.1919, S. 292; Curt Glaser: Das neue Haus der Nationalgalerie, in: Ku.chr., Nr. 44, 29.8.1919, S. 929-933; Dora Wentscher: Bilder im Kronprinzenpalais, in: Weltb., Jg. 15/2, Nr. 39, 18.9.1919, S. 364 f; Grete Ring: Die „Galerie der Lebenden" zu Berlin, in: Rheinlande, Jg. 19, Nr. 9/10, 10.9.1919, S. 202-205; Ku.bl., Jg. 3,1919, S. 256; vgl. auch Karl Scheffler: Die Ausstellung im Kronprinzenpalais, in: Ku. u. Kü.,]g. 18, Nr. 2, Okt. 1919, S. 86 u. 89. 81 Vgl. Dora Wentscher: Bilder im Kronprinzenpalais, in: Weltb., Jg. 15/2, Nr. 39, 18.9.1919, S. 364 f; Karl Scheffler: Die Ausstellung im Kronprinzenpalais, in: Ku. u. KU., Jg. 18, Nr. 2, Okt. 1919, S. 86 u. 89; Hentzen 1972, S. 18. 82 Vgl. Kunst in Deutschland 1992, S. 9 f; Hentzen 1972, S. 16 u. 18 f; vgl. auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 435 f. 83 Vgl. Weinstein 1990, S. 85. 84 Entwurf Telegramm Justi an Haenisch, 30.7.1919, ms. / hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 85 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 447: „Als das Kronprinzen-Palais eröffnet wurde, erschien weder der Kultusminister noch der Ministerialdirektor - obwohl sich doch die Regierung mit der Umbestimmung des Monarchen-Palastes für das Volk und mit dem Bekenntnis zur neuen Kunst als einer weithin sichtbaren Kultur-Tat hätte brüsten können." Die Anfrage vom 30.7.1919, die Justi nach Weimar nachgeschickt hatte, war zuvor als unzustellbar zurückgegangen, vgl. Vermerk, 30.7.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; zu möglichen Hintergründen vgl. Dorrmann 1999, S. 23; zur Eröffnungsfeier vgl. auch BT, Jg. 48, Nr. 357, 4.8.1919, S. 2. 86 Vgl. Hermand / Trommler 1978, S. 108-127; Gay 1970, S. 144; Weinstein 1990, S. 2-4, 9 f, 12, 17 u. 20.
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Neuerungen:
Kronprinzenpalais
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geraten konnte, Regierungssammlung zu sein, schien statt dessen die fördernde Rolle im Hintergrund die adäquatere zu sein. Und so war es, nachdem die konkrete Initiative auch in den Monaten zuvor in der Regel vom Galerieleiter ausgegangen war, faktisch Justi selbst, der seit der Eröffnung der Neuen Abteilung den Modernisierungsanspruch der Nationalgalerie inhaltlich füllte. Konkret entschied sich Justi dabei für einen dritten Weg zwischen dem dynastischen Modell und dem auf internationale Ästhetik setzenden Modell Tschudis, indem er den deutschen Expressionismus und speziell die Brücke-Kunst zum Höhepunkt der modernen Kunstentwicklung stilisierte.87 Durch die immer pointiertere Zuspitzung der Kunstpräsentation in der Nationalgalerie auf den Expressionismus kam er dem zeitgenössischen Desiderat nach einer Berücksichtigung modernster Kunst entgegen und reihte sich damit in die Gruppe der „Museumsmodernisten" der Weimarer Zeit ein.88 Gleichzeitig war die Förderung des Expressionismus für den politisch konservativen, bildungsbürgerlich geprägten Kunsthistoriker Justi jedoch keineswegs Selbstzweck.89 Vielmehr fügte er den Expressionismus in die Traditionslinie einer spezifisch deutschen, von seelischen Werten getragenen Ausdruckskunst ein, die von der Romantik über Menzel, Blechen, Böcklin, Feuerbach, Marées, Hildebrand, Leibi und Thoma bis in die eigene Gegenwart reichte.90 Der Expressionismus wurde so als glanzvoller Abschluß einer in Kontrast zum formalen Asthetizismus französischer und italienischer Werke stehenden nationalen Kunstgenese interpretiert und vor diesem Hintergrund ins Zentrum eines Repräsentations- und Identitätskonzeptes gerückt, das Modernität und nationalen Impetus eng miteinander verband.91 Bei der Vermittlung dieses Konzeptes im Stammhaus auf der Museumsinsel92 und vor allem in der Neuen Abteilung Unter den Linden setzten Justi und sein junges Mitarbeiterteam, orientiert an der Fachdebatte und den ministeriellen Vorgaben von 1918/19 (siehe Kap. II. 3.1.), auf modernste Formen der Museumsgestaltung und -popularisierung.93 So 87 Vgl. dazu Meyer 1998, S. 63 f; K. Winkler 1998, S. 66 u. 80. 88 Vgl. Lidtke 1993, S. 218 f; Rave 1987, S. 15 f; Hentzen 1972, S. 14. 89 Zur Prägung Justis vgl. K. Winkler 1998, S. 64 u. 70 f; K. Winkler 1992, S. 173-176 u. 183. 90 Vgl. K. Winkler 1998, S. 64 u. 7 7 - 8 0 ; Meyer 1998, S. 6 6 - 6 8 ; K. Winkler 1992, S. 173 f; Paul 1994 a, S. 175 f; Lidtke 1993, S. 234; siehe dazu auch Nipperdey 1998 b, S. 714. 91 Vgl. dazu ausführlich K. Winkler 1998, S. 7 2 - 8 1 ; K. Winkler 1992, S. 182; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 4 4 0 - 4 4 4 ; vgl. auch März 1994, S. 131-133; zur zeitgenössischen Wahrnehmung vgl. Dora Wentscher: Bilder im Kronprinzenpalais, Ring: Die „Galerie der Lebenden"
in: Weltb., Jg. 15/2, Nr. 39, 18.9.1919, S. 364 f; Grete
zu Berlin, in: Rheinlande,
Jg. 19, Nr. 9/10, 10.9.1919, S. 2 0 2 -
205. 92 Zur Neugestaltung der dortigen Sammlung vgl. Direktor N G (i.V. Mackowsky) an KM, 4.11.1918, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Künstlerspezialakten, K, Bd. 54; Justi an [Pressevertreter], 7.1.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; Jahresbericht N G 1918, Justi an KM, 14.7.1919, ms. U.Jahresbericht N G 1919, Justi an KM, 13.9.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3; W d. Ku., Jg. 18, Nr. 17, 21.1.1919, S. 114 f; Curt Glaser: Das neue Haus der Nationalgalerie, Ku.chr., Nr. 44, 29.8.1919, S. 929-933; BT, Jg. 49, Nr. 61, 3.2.1920; Fünf Jahre Palais". Eine Rundfrage,
in:
„Kronprinzen-
in: Ku.bl.,1%. 8, 1924, S. 239-244, S. 239-242.
93 Vgl. Alois Schardt: Museum, Kunst und Volk, in: BT, Nr. 199, 29.4.1921; Karl Fries: Kunst und Volk, in: Glocke, Jg. 6/2, Nr. 47, Febr. 1921, S. 1322 f; Aus dem Kronprinzenpalais,
in: Vorwärts,
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war das Kronprinzenpalais seit Mitte August 1919 kostenlos zugänglich. Regelmäßig wurden Führungen für alle Schichten und unentgeltliche Vorträge veranstaltet. 94 Ein Handzeichnungssaal mit Bibliothek stand der Öffentlichkeit seit Ende 1919 zur Verfügung.95 Neben der kontinuierlichen Veränderung der Schausammlung durch Neuerwerbungen 96 dienten Sonderausstellungen, die seit 1920 zur festen Einrichtung wurden, als Publikumsanreiz. 97 Überdies bemühte sich Justi, mit Hilfe leicht lesbarer, auch in preiswerter Broschürenform vertriebener Publikationen, die die Museumsbesucher zum bewußten Sehen anregen sollten, das Interesse und Verständnis für die von der Nationalgalerie gezeigte Kunst zu fördern. 98 Die von den Zeitgenossen als spektakulär empfundene Präsentation modernster Werke und das intensive Bemühen um den Kontakt zum Publikum ließen das Kronprinzenpalais zu einem Ort der lebendigen Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst werden, der inhaltlich wie vermittlungstechnisch ganz neue Akzente setzte und während der gesamten 20er Jahre stets große Besuchermengen anzog. Schon unter Haenisch konnte die Neue Abteilung der Nationalgalerie als mit Abstand meist frequentiertes Museum Berlins gelten. 99 Damit paßte das Kronprinzenpalais, das bald zum Synonym für zeitgenössische Kunst und zum Schlagwort im Kampf um die Moderne avancierte, 100 hervorragend in das Bild des neuen, demokratischen Preußen. Entsprechend gern nutzte das Ministerium Haenisch gerade die Sammlung Unter den Linden als Visitenkarte der auf Kultur gegründeten Republik. Deutlich
30.1 .[o.J.], in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 167; Chr. B.: Stärkerer Besuch der Berliner Das Interesse für die moderne Kunst. Eine neue Art von Führung. Erhebung von in: BT, Jg. 50, Nr. 99, 1.3.1921; Fünf Jahre „Kronprinzen-Palais".
Museen.
Eintrittsgeldern,
Eine Rundfrage,
in: Ku.hl.,
Jg. 8, 1924, S. 239-244, S. 239-242; zum Hintergrund vgl. Meyer 1998, S. 70 f; K. Winkler 1992, S. 177. Zu Justis Mitarbeitern gehörten u.a. Walter Kaesbach, Ludwig Thormaehlen, Alois Schardt, Hans Mackowsky und Alfred Hentzen, vgl. Rave 1968, S. 85; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 4 2 9 - 4 3 3 u. Bd. 2, S. 241 u. 256-258; siehe dazu die irreführende Darstellung bei Willett 1981, S. 49. 94 Vgl. BT, Jg. 48, Nr. 357, 4.8.1919, S. 2. 95 Vgl. F. St.: Handzeichnungen
in der Nationalgalerie, in: BT, Jg. 48, Nr. 573, 1.12.1919, S. 3; Hent-
zen 1972, S. 15 u. 27-29; Rave 1968, S. 90-93; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 465-468. 96 Vgl. dazu z.B. Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 30, 23.4.1920, S. 575; Neues aus dem Kronprinzenpalais,
in:
W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 29, 26.4.1920, S. 201. 97 Vgl. Kunst in Deutschland 1992, S. 70-73; Rave 1968, S. 88 f; Hentzen 1972, S. 27-31; JustiMemoiren 1999, Bd. 1, S. 4 7 2 - 4 7 5 u. Bd. 2, S. 268 f; BT, Jg. 49, Nr. 149, 31.3.1920. 98 Vgl. Justi 1919; Justi 1920; Justi 1921 b; zur Resonanz auf die Führersiehe z.B. Marie von Bunsen: Museenkataloge
und ihre Bedeutung,
in: DAX, Jg. 59, Nr. 196, 27.4.1920; Heß (Z), 30.11./
3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7284. 99 Vgl. Chr. B.: Stärkerer Besuch der Berliner Museen. Das Interesse für moderne Kunst. Eine neue Art von Führung. Erhebung von Eintrittsgeldern.,
in: BT, Jg. 50, Nr. 99, 1.3.1921, Beibl. S. 1; Rave
1968, S. 86 f. 100 Vgl. Rave 1968, S. 85; zur besonderen Bedeutung der Galerie im Kronprinzenpalais siehe z.B. auch Hentzen 1972, S. 18 f; Grabowski 1991, S. 344; Rave 1987, S. 17; Hünecke 1988, S. 10; Janda 1988, S. 22; Κ. Winkler 1992, S. 180 f.
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Kronprinzenpalais
wurde das etwa, als Haenisch im Rückblick auf seine Ministerzeit für die Kunst als ersten Punkt anführte: „Dem modernen Geist in der bildenden Kunst wurde im ehemaligen Kronprinzenpalais zu Berlin unter Justis bewährter Führung eine neue Heimstätte geschaffen." 1 0 1 Die ministerielle Identifikation mit dem Kronprinzenpalais fand dabei auf zwei Ebenen statt: zum einen auf der Ebene allgemeiner Modernität, zum anderen auf der Popularisierungsebene. Während die Identifikationsebene Modernität etwa in der Beschwörung des „modernen Geistes" in der Regel eher formelhaft anklang, machte das Ressort seine Ubereinstimmung mit Justis Popularisierungsbemühen angesichts eigener kunstpolitischer Ansprüche in diese Richtung sehr viel deutlicher.102 Praktisch manifestierte sich die Ubereinstimmung zum Beispiel darin, daß das Ministerium die von Justi verfaßten populären Führer durch die Sammlung im August 1919 schnell und bereitwillig mit 19.000 M subventionierte. 103 Als es kurz darauf um die Uberweisung zusätzlicher Palaisräume für die Handzeichnungssammlung ging und Justi dies als wichtigen Popularisierungsschritt darstellte, 104 machten sich Kultus- wie Finanzressort ebenfalls zügig mit der Idee gemein und ermöglichten deren Realisierung. 105 Gleichzeitig bewegten sich auch die verbalen Solidarisierungen des Kultusministeriums mit dem Kronprinzenpalais meist auf der Popularisierungsebene (siehe Kap. II. 5.2.). Sah sich das Ministerium, was das Ziel einer Kunstvermittlung an breiteste Volksschichten anging, also einig mit dem Nationalgaleriedirektor, 106 blieb das Verhältnis zwischen Justi und der vorgesetzten Behörde dennoch in der Zeit nach der Eröffnung des Kronprinzenpalais distanziert. 107 Von einem regen Austausch über die weitere Gestaltung der zeitgenössischen Sammlung konnte keine Rede sein. Das Ressort verfolgte Justis Bemühungen um den Aufbau eines modernen, publikumsnahen Museums zwar wohlwollend, förderte es und bezog das Kronprinzenpalais auf dieser äußeren Ebene in seine Kulturpolitik ein. In der Frage, welche Werke in der Galerie gezeigt und für die Zwecke nationaler Identität und Repräsentation genutzt werden sollten, verhielt sich das Ministerium hingegen weiterhin neutral. Auch wenn es angesichts der Hervorhebung der nationalen Relevanz bildender Kunst durch das Ministerium (siehe Kap. II. 5.1.) durchaus Anknüpfungspunkte gegeben hätte, sich auch auf Justis Repräsentationsmodell einzulassen,108 vertrat es im Gegensatz zur 101 Haenisch 1921, S. 153; ähnlich auch Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807. 102 Siehe dazu auch Karl Fries: Kunst und Volk, in: Glocke, Jg. 6/2, Nr. 47, Febr. 1921, S. 1322 f. 103 Vgl. Justi an KM, 30.8.1919, ms., KM (Pallat) an Justi, 15.9.1919, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 30.3.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 19, Bd. 13; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 19, Bd. 14. 104 Vgl. Justi an KM (Nentwig), 30.9./1.10.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 105 Vgl. BT, Jg. 48, Nr. 560, 24.11.1919, S. 3; F. St.: Handzeichnungen
in der Nationalgalerie, in: BT,
Jg. 48, Nr. 573, 1.12.1919, S. 3; W. d. Ku.,]%. 19, Nr. 10,8.12.1919, S. 67; zur Sammlung vgl. Rave 1968, S. 90-94. 106 Vgl. dazu Gaehtgens 1999, S. XIII u. X V f; K. Winkler 1999, S. 10; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 466 u. 468. 107 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 3 9 0 , 3 9 3 , 4 4 7 u. 449; siehe dazu ζ. B. auch Eine Schuldebatte in der Landesversammlung.
Fortsetzung der Beratung über den Landesetat, in: BT, Jg. 48, Nr. 582,
6.12.1919, Beibl. S. 3. 108 Vgl. dazu Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 453 f. Konsensfördernd hätte hier nicht zuletzt die bildungsbürgerliche Prägung sein können, die Justi, Becker und Haenisch ebenso einte wie die
II. Neuorientierung
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der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
auf eine bestimmte Ästhetik festgelegten Perspektive des Galeriedirektors, in deren Folge abstrakte oder unangepaßtere Strömungen und kritischere Sujets im Kronprinzenpalais weitgehend ausgeblendet blieben,109 eine Position der Offenheit allen Richtungen gegenüber. Dieser Position war eine Bevorzugung des Expressionismus, die das Ministerium schon 1918 von sich gewiesen hatte,110 ebenso fremd wie etwa eine Ablehnung des Kubismus. Als sich Zentrum und DNVP Ende 1919 kritisch zur Einbeziehung kubistischer Werke in die Museen äußerten, weil sie sie für verfrüht hielten,111 wies Becker eine solche Ablehnung entsprechend klar von sich.112 Statt dessen betonte er, „daß die Regierung als solche, namentlich das Kultusministerium, sich von Werturteilen fernhalten sollte, namentlich gegenüber der zeitgenössischen Kunst, die man noch nicht in ihrer endgültigen Zielsetzung überschauen und in ihrer historischen Bedeutung zu würdigen vermag. Handelten wir anders, so verfielen wir in die Traditionen des alten Regimes." 113 Vor diesem Hintergrund war eine explizite ministerielle Solidarisierung mit den stilistischen Festlegungen Justis ausgeschlossen. Obgleich also die Ausrichtung der Nationalgalerie auf den Expressionismus vom Galerieleiter selbst und eben nicht vom Ministerium initiiert und getragen wurde, wurde vor allem von konservativer Seite auch nach 1919 weiter das Vorurteil genährt, Justi erfülle mit seinem Engagement im Kronprinzenpalais in erster Linie die Erwartungen der linken Regierung.114 Vehement vertrat besonders Scheffler diese Haltung.115 So warf er Justi in seiner Schrift Berliner Museumskrieg von 1921 (siehe Kap. III. 4.1.) vor, er wolle mit der Popularisierung „laut wirken, im Ministerium imponieren, die demokratisch eingestellte Presse überzeugen, die Menge hypnotisieren." 116 Der wandlungsfähige Reaktionär Justi habe sich der Republik
Generationszugehörigkeit - alle drei wurden 1876 geboren, vgl. dazu Müller 1991, S. 13-27; Gaehtgens 1999, S. XVI; K. Winkler 1999, S. 8-12. 109 Vgl. Meyer 1998, S. 63 u. 6 6 - 6 9 ; Gaehtgens 1999, S. X V - X V I I ; K. Winkler 1999, S. 2 u. 10; Lidtke 1993, S. 231-233; Paul 1994 a, S. 175; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 461; FünfJahre
„Kronprin-
zen-Palais". Eine Rundfrage (Schluß), in: Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 283 f, S. 284. 110 Vgl. ζ. B. Haenisch an Waiden, 13.11.1918, Ds., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 15. 111 Vgl. Heß (Z), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7276; Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1809, 1811 f u. 1823; Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7324-7326; konträr dazu Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7261-7263 u. 7267-7269; Hennig (USPD), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7334 f. 112 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7330; zur Diskussion in der Landesversammlung vgl. auch Weinstein 1990, S. 92-94; W. d. Ku. J g . 19, Nr. 8, 24.11.1919, S. 54. 113 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7330; zur ähnlichen Haltung der SPD und eingeschränkt auch der DVP vgl. Weinstein 1990, S. 93 f; Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7343 f. 114 Vgl. Lidtke 1993, S. 216. 115 Vgl. z.B. Karl Scheffler: Die Ausstellung im Kronprinzenpalais, 1919, S. 86 u. 89; Kunstsalon Kronprinzenpalais,
in: Ku. u. KU., Jg. 18, Nr. 2, Okt.
in: Ku. u. Kit., Jg. 18, Nr. 9, Mai 1920, S. 430; siehe
dazu auch Scheffler 1946, S. 250 f; Hentzen 1972, S. 22-27; Rave 1968, S. 85 f; Gaehtgens 1999, S. X - X I I I . 116 Scheffler 1921, S. 97; vgl. dazu auch Hentzen 1972, S. 18 f u. 22-27; Rave 1968, S. 85 f; Lidtke 1993, S. 219 u. 235; K. Winkler 1992, S. 178; Joachimides 2001, S. 195-198; Scheffler 1946, S. 2 3 4 -
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Kronprinzenpalais
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und den Jüngsten in die Arme geworfen. Als er sein Palais dem Volk öffnete, wilde revolutionäre Werke hineinstellte und zeitgemäßen Proletkult betrieb, habe er den Geschmack der Revolutionszeit getroffen. 117 Später habe er in plumper Anbiederung im Zeichen der Völkerversöhnung talentlose ausländische Künstler in seine Galerie geholt - und niemand frage, „ob es nicht dasselbe sei, wenn im Kaiserreich Bilder ihres patriotischen Inhalts oder ihrer wohlgesinnten Verfertiger wegen angekauft wurden, oder wenn in der Republik die Künstler um ihres Radikalismus willen gefördert werden". 118 Legte diese Kritik bereits den Rückschluß auf entsprechende Regierungsvorgaben nahe, vertrat Bode, der sich später als Schefflers Informant entpuppte, zur selben Zeit noch offensiver die Ansicht, der Staat sei einseitig am Expressionismus interessiert. Im Konflikt wegen der Museumbauten (siehe Kap. II. 3.1.) wurde Bode, der aus seiner Ablehnung modernster Kunst keinen Hehl machte, 119 nicht müde, die Bevorzugung des Expressionismus durch den Staat und das Ministerium als Tatsache hinzustellen. 120 Mochte der Opportunismusvorwurf bezogen auf die erste Nachrevolutionszeit, als sich Justi in vorauseilendem Gehorsam beim Ministerium letztlich erfolgreich in eine starke Position zu bringen suchte, noch gewisse Berechtigung gehabt haben, 121 leiteten Schefflers und Bodes Vorwürfe jedoch wie gezeigt seit 1919 faktisch in die Irre. 122 Justi stellte in
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236; Kaiserliche oder republikanische Museenin: Kölnische Zeitung, Nr. 611, 14.9.1921; JustiMemoiren 1999, Bd. 1, S. 417 f u. Bd. 2, S. 250. Scheffler 1921, S. 97 f. Ebd., S. 101. Vgl. Maaz 1995, S. 139 f; Hünecke 1995; Wesenberg 1995; Schuster 1995, S. 22, 26 u. 29; Knopp 1995, S. 20; Otto 1995, S. 44; Ohlsen 1995, S. 293 f; Wilhelm von Bode: Von der Großmannssucht in der deutschen Kunst, in: Ku. u. KU., Jg. 19, Nr. 4, Jan. 1921, S. 140-145; vgl. dazu auch F. Winkler: Cui bono? Ein Angriff auf Bode, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 9, 13.12.1918, S. 175-177; Paul Westheim: Die Museen und die Kunst, in: Ku.bl., Jg. 3,1919, S. 2-13. Vgl. z. B. Wilhelm von Bode: Die „Not der geistigen Arbeiter" im Gebiet der Kunstforschung, in: Ku. u. Kü., Jg. 18, Nr. 7, April 1920, S. 297-300; Zuschrift Bode zu Die Not der deutschen Künstler. Eine Umfrage, in: Berliner Lokalanzeiger, Abendausg., 10.3.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 241. Symptomatisch erscheint auch die auf Haenisch bezogene Äußerung in BodeMemoiren 1997, Bd. 1, S. 415: „die lebende Kunst glaubt er am besten zu fördern, indem er die Künstler begünstigt, vor allem die modernsten, die er für die Repräsentanten der neuen Republik hält, diese Nachahmer einer ganz degenerierten Kunst, die in Frankreich vor zwei Jahrzehnten erwachsen ist." Zur allgemeinen Debatte siehe auch Otto von Falke: Die Umgestaltung der Museen im Sinne der neuen Zeit, in: Ku. u. Kü., Jg. 17, Nr. 8, Mai 1919, S. 334-336; Die „KunstModerne" und das „ Volk", in: Ku.wart, Jg. 33/1, Nr. 2, Okt. 1919, S. 93 f; Die Moderne, in: Schlesische Zeitung, Jg. 179, Nr. 319, 27.6.1920, S. 1 f, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 400. Vgl. K. Winkler 1998, S. 76. Nicht nur der Anspruch des Ministeriums wies in eine andere Richtung, sondern auch seine praktische Politik. So läßt sich etwa bei den Künstlerkontakten und Ankäufen des Ministeriums 1919/20 keine Bevorzugung des Expressionismus nachweisen (siehe Kap. II. 5.2.), vgl. auch JustiMemoiren 1999, Bd. 1, S. 453 f; Jahresbericht NG 1919, Justi an KM, 13.9.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3. Auch der vorsichtige Umgang des Ressorts mit wilhelminischer Kunst spricht gegen eine solche Bevorzugung, vgl. BT, Jg. 48, Nr. 296, 2.7.1919, S. 4; Erlaß Haenisch, 29.3.1920, ms. / gedr., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; Revolutionäre Kunstpolitik,
144
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
seiner Antwortschrift, die kurz nach Schefflers Pamphlet unter dem Titel Habemus papam! veröffentlicht wurde, entsprechend klar, daß seine Ankäufe keineswegs auf Drängen von außen und schon gar nicht des Ministeriums erfolgt seien.'23 Scheffler entgegnete er: „Haenisch [...] war in den zwei Jahren seiner Amtsführung gegen mich stets von ausgesuchter Liebenswürdigkeit, aber er hat nie in die Galerie-,Politik', schefflerisch gesprochen, eingegriffen, und der Kunst neuerer Richtungen stand er persönlich fremd gegenüber. Die Räte, die noch von der kaiserlichen Zeit her im Ministerium saßen, haben mich ebenso wenig zu meiner Felonie angestachelt."124 In einem Brief an die ehemalige Kronprinzessin hatte Justi ähnlich schon im Februar 1920 betont, „dass der Gedanke der Verwendung des Palais für die National-Galerie nicht von der Regierung ausging - es hat auch noch keiner der Minister die neue Galerie besichtigt, nicht einmal der Kultus-Minister".125 Er selbst habe sich 1919 bemüht, für das einzige Deutschland, das noch geblieben sei, das geistige, zu wirken. Mit der Staatsform habe das nichts zu tun.126 Und auch in seinen Memoiren wehrte sich Justi später dagegen, mit der Expressionismusbetonung in der Nationalgalerie Forderungen der Regierung erfüllt zu haben. Die SPD habe bis 1918 keine Beziehung zur neuen Kunst gehabt und auch nach der Revolution seien die linken Minister und ihre Berater nicht der Ansicht gewesen, „der Expressionismus entspreche der sozialdemokratischen Regierung oder Weltanschauung". Vielmehr hätten die Ressortchefs geschmacklich kleinbürgerlich gewirkt und seien „noch nicht einmal beim Impressionismus angelangt. Die Minister nahmen nicht den geringsten Anteil an meinem Tun in Ankäufen oder Ausstellungen." 127 Folgt man Justis Darstellungen und führt sie mit den Aussagen des Ministeriums zusammen, läßt sich für die erste Zeit nach der Eröffnung des Kronprinzenpalais' folgendes Bild zeichnen: Das Ministerium hielt sich, wenn es um die Galerie ging, im Hintergrund. Es unterstützte Justis Aktivitäten - und mancher Vorstoß des Galerieleiters mag Tribut an tatsächliche oder vermeintliche Reformansprüche des Ministeriums gewesen sein. Gleichzeitig band das Ressort das Kronprinzenpalais als modernes Museum, mit dem man sich auf
in: Die Freiheit. Organ der USPD, Jg. 2, Nr. 125, 15.3.1919, S. 2; Cläre Meyer-Lugau: Brief an Haenisch, in: Weltb., Jg. 16/1, Nr. 9, 26.2.1920, S. 283-285; Bohner (DDP), 1.4.1930, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 13088-13090. Zudem stimmte das Ressort Ankäufen älterer Kunst ebenso bereitwillig zu wie denen modernster Werke, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 106-107, 109-110, 250 u. 595-596; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 23; siehe dazu auch B.: Ein Kunststreit in Düsseldorf, in: Cie., Jg. 12, Nr. 16, Aug. 1920, S. 618 f. 123 Justi 1921a, S. 23; zu Justis Gegenschrift siehe auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 417-419, 4 4 6 - 4 5 0 u. 454; Scheffler 1946, S. 235; Hentzen 1972, S. 26 f. 124 Justi 1921 a, S. 23; vgl. auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 447. 125 Justi an Kronprinzessin von Preußen, 13.2.1920, ms., S. 3, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; zum Desinteresse der Regierung vgl. auch Fünf Jahre „Kronprinzen-PalaisEine
Rund-
frage, in: Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 239-244, S. 239-242; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 415. 126 Justi an Kronprinzessin von Preußen, 13.2.1920, ms., S. 6, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; vgl. dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 454. 127 Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 446-450, S. 447; siehe dazu auch ebd., S. 453 f.
4. Öffentlichkeitswirksame Neuerungen:
Kronprinzenpalais
145
der Ebene von Offenheit, Popularisierung, institutioneller Fortschrittlichkeit und der öffentlichen Wirkung, die von ihm ausging, identifizieren konnte, als Ausweis des Neuen demonstrativ in seine Kunstpolitik ein. Darüber hinaus war sein Verhältnis zum Kronprinzenpalais jedoch distanziert. Nachdem das Ministerium in der Gründungsphase der Neuen Abteilung noch eine Berücksichtigung aller Richtungen gefordert und durch die Kommissionsbildung Weichen gestellt hatte, enthielt es sich fortan ähnlicher Eingriffe. Der Kunstfreiheit verpflichtet, wies das Ressort eine Verquickung von Stil und Politik von sich. 128 Festzulegen, welche Kunst aus repräsentativen Gründen als die adäquate anzusehen sei und in der Nationalgalerie gezeigt werden sollte, lehnte das Ministerium Haenisch ab. In einer Zeit der starken Politisierung moderner Kunst 1 2 9 war eine solche Position allerdings nur schwer zu vermitteln. Die Reaktionen schwankten daher zwischen der Annahme, daß das Ressort eben doch bestimmte Richtungen bevorzugte, Enttäuschung über die mangelnde Berücksichtigung linker Kunst 1 3 0 und der Vermutung banalen Desinteresses. Dennoch behielt das Ministerium seine neutrale Rolle konsequent bei und ließ den Galerieleiter innerhalb des liberal gesteckten Rahmens als Fachmann frei agieren.131 Daß Justi das Vakuum, das 1918 in der Repräsentationsfunktion der Nationalgalerie entstanden war, dann, eigene Pläne und vermeintliche Erwartungen der neuen Zeit kombinierend, mit einem Konzept füllte, in dem ausgerechnet der zur Revolutionskunst stilisierte Expressionismus eine exponierte Rolle spielte, war ministeriell keineswegs intendiert. Da es sich auf anderer Ebene derart deutlich mit dem Kronprinzenpalais identifizierte, trug das Ministerium Justis Repräsentationsmodell aber im Endeffekt quasi automatisch mit. 132 Weder vom Staat gefordert noch gefördert konnte sich das expressionistische Modell so auf der Folie des ministeriellen Credos der Kunstfreiheit, das bis in die museale Arbeit hinein gültig war, als maßgeblich etablieren. 133 Dem Ressort selbst war das Hohenzollernpalais
128 Entsprechend traten Haenisch oder seine Referenten zunächst weiterhin nicht als Redner bei Ausstellungseröffnungen im Kronprinzenpalais auf, während Reichskunstwart Redslob hier sehr viel offensiver agierte, vgl. Aus dem Kronprinzenpalais,
in: Vorwärts,
3 0 . 1 . [ 1 9 2 1 ] , in: B A r c h B ,
R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 167; Cie., Jg. 13, Nr. 4, Febr. 1921, S. 127; Adolph Donath: Der kunstwart
und die Kunst, in: Ku.wan.,
129 Vgl. dazu ζ. B. Expressionismus 1920; Die Sendung
als Revolutionserscheinung,
des Expressionismus,
E. Wrangel: Der parfümierte
Reichs-
Jg. 3, 1. Febr.-Nr. 1921, S. 221 f. in: Ku.wart,
Kunstbolschewismus,
in: Ku.wart, Jg. 3 3 / 3 u. 4, Nr. 15, Mai Jg. 3 8 / 1 , Nr. 3, Dez. 1924, S. 1 1 6 - 1 2 1 ;
in: Bremer Nachrichten,
2 9 . 2 . 1 9 2 0 , in: S M B P K /
Z A , Nachlaß Bode, Nr. 400. 130 Vgl. ζ. B. Cläre Meyer-Lugau: Brief an Haenisch,
in: Weltb., Jg. 16/1, Nr. 9 , 2 6 . 2 . 1 9 2 0 , S. 2 8 3 - 2 8 5 ;
vgl. dazu auch Lange 1987, S. 153. Allenfalls die Uberweisung der Bildersammlung Lebenslauf
Proletarischer
von Raschke an die Nationalgalerie ist als kleiner Vorstoß des Ministeriums in diese
Richtung zu werten, vgl. dazu K M (Trendelenburg) an Justi, 5 . 5 . 1 9 2 0 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 478; K M (Nentwig) an Justi, 4 . 4 . 1 9 2 4 , in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25. 131 Vgl. dazu auch Hentzen 1972, S. 28. 132 Vgl. dazu z . B . die Kritik Fritz Stahls zum Kronprinzenpalais v o m Dezember 1921 (zitiert nach Kunst in Deutschland 1992, S. 12), in der die Galerie als staatliche Propagandastelle der jüngsten Richtung dargestellt wurde; siehe auch Weinstein 1990, S. 86. 133 Vgl. dazu für den Musikbereich Schenk 1996 b, S. 4 7 5 - 4 7 8 ; zu ähnlichen Tendenzen an anderen
II. Neuorientierung der ministeriellen Kunstpolitik
146
1918-21
Unter den Linden indes vor allem als neuer, zentraler Ort der lebendigen Beschäftigung mit Kunst wichtig, an dem ohne staatliche Bevormundung auch modernste Werke gezeigt werden konnten.
4.2. Öffnung der Großen Berliner Kunstausstellung für alle Kunstrichtungen Ein besonderer Exponent der wilhelminischen Kunstszene waren die seit 1886 jährlich im staatlichen Ausstellungsbau, dem Glaspalast am Lehrter Bahnhof,134 von der Akademie der Künste veranstalteten und seit 1892 vom Verein Berliner Künstler mitgetragenen Großen Berliner Kunstausstellungen. Die mehrwöchigen Verkaufsschauen zeitgenössischer Kunst, die Zehntausende von Besuchern anzogen, waren durch Eröffnungsfeiern mit kaiserlichem Pomp, die Einbeziehung dynastischer Werke, den Veranstaltungsort und die akademische Jurierung stets eng mit dem monarchischen Staat verbunden gewesen.135 Seit der Jahrhundertwende hatten sie sich, während sich die Sezessionisten alternative Ausstellungsmöglichkeiten schufen und moderne Künstler dorthin abwanderten, unter dem Einfluß Anton von Werners, der damals nicht nur die Akademie prägte, sondern 1887-1907 auch dem Verein Berliner Künstler vorstand,136 zum zentralen Präsentationsort konservativer Kunst im Sinne Wilhelms II. entwickelt. Angesichts des Konnexes zwischen Großer Berliner Kunstausstellung und Monarchie stellte sich bei Kriegsende die Frage nach der Zukunft der schon zuvor als Massenschau kritisierten Veranstaltung.137 Seit Oktober 1918 wurde in der Akademie wie in der Presse intensiv über dieses Thema diskutiert. Es ging zunächst darum, ob die während des Krieges von der AEG bzw. militärisch genutzte Halle am Lehrter Bahnhof überhaupt weiter Ort der Ausstellung sein sollte. Nachdem die AEG eine beachtliche Summe für die Renovierung des Glaspalastes bereitgestellt und der Verein Berliner Künstler beim Kultusressort die Weiternutzung beantragt hatte,138 wurde in dieser Hinsicht bald positiv entschieden. War das Fortbestehen der Großen Berliner Kunstausstellung damit generell gesichert, rückte nun die Frage nach der künftigen Ausrichtung, Organisation und Trägerschaft der Kunstschau ins Zentrum. Als konsensfähig kristallisierte sich sowohl bei den anpassungsbereiten bisherigen Trägern, der Akademie und dem Verein Berliner Künstler, als auch in der libera-
deutschen Museen nach 1918 vgl. Lidtke 1993, S. 233 f; Flacke-Knoch 1985, S. 20; Die Kunst der Lebenden
in den deutschen Museen, (Teil 1) u. (Schluß), in: Ku.bl., Jg. 3, 1919, S. 213-221 u.
235-239. 134 Der Bau war 1883 für die Deutsche Ausstellung für Hygiene und Rettungswesen errichtet worden, vgl. Poggendorf 1996 b. 135 Zu den Ausstellungen in wilhelminischer Zeit vgl. Poggendorf 1996 b. 136 Vgl. Kaiser-Schuster 1993, S. 110 f; Anton von Werner 1993, S. 472 u. 474. 137 Zur Debatte um die Neuorientierung des Ausstellungswesens im frühen 20. Jahrhundert vgl. Hegewisch 1991, S. 9 - 1 1 . 138 Vgl. Die nächstjährige Große Berliner Kunstausstellung, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 5, 28.10.1918, S. 29 f; Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 16.10.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/004, Bl. 330-331.
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Große Berliner
Kunstausstellung
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len Presse und bei Liebermann als Vertreter der Berliner Sezession, die Absicht heraus, die neue Lage für die Wiederherstellung eines „Berliner Kunstfriedens" zu nutzen, das heißt den einseitigen Charakter der Großen Berliner Kunstausstellung aufzubrechen und auch moderne Künstlergruppen gleichberechtigt in die Schauen einzubeziehen.139 An der Frage, in welcher Form eine solche gemeinsame Ausstellung realisiert werden sollte, schieden sich jedoch die Geister. Im Kern ging es 1918/19 zunächst um zwei Alternativmodelle: Das erste Modell sah vor, der Ausstellung spezielle Räume anzufügen, die ausschließlich modernen Künstlern vorbehalten sein sollten, und diese einer separaten Jury zu unterstellen. Das zweite Modell hingegen zielte auf eine grundsätzliche Änderung des Ausstellungsstatuts in dem Sinne ab, daß die gesamte Schau künftig einer Leitung unterstehen sollte, deren Mitglieder zur Hälfte von der Akademie und zur Hälfte von den verschiedenen Künstlerverbänden, also sowohl vom Verein Berliner Künstler als auch von den Sezessionen, gewählt werden sollten.140 In der liberalen Presse wurde die zweite Variante klar favorisiert.141 Allerdings räumte man hier im Oktober 1918 durchaus noch ein, daß es bereits ein Fortschritt sei, „wenn Kunstwerke aus allen den großen Verbänden an einer Stelle gut gezeigt werden." 142 Max Schlichting, der Vorsitzende des Vereins Berliner Künstler, lehnte im Gegensatz dazu das zweite Modell, das die Stellung der konservativen Künstler geschwächt hätte, ab. Mit dem Argument, die Sezessionisten wollten sicher keine gemeinsame Ausstellungsleitung und eine aus zerstrittenen Künstlern zusammengesetzte Jury werde kaum arbeitsfähig sein, forderte er statt dessen dem ersten Modell entsprechend: „Es bleibt bei der Leitung durch Akademie und Verein Berliner Künstler als finanzielle Träger der Ausstellung, aber die Sezessionisten erhalten ein Anrecht auf Sonderausstellungen ihrer Gruppen, die durch eine eigene Jury ausgewählt werden." 143 Am 21. November 1918 wandte sich Schlichting an Haenisch und bat ihn um ein erstes Gespräch über die Große Berliner Kunstausstellung 1919.144 Trotz der Arbeitsüberlastung des Ressorts kam es am 27. November tatsächlich zu dem erbetenen Treffen.145 Nachdem Kunstabteilungsleiter Nentwig in den Akademiediskussionen über die Zukunft der Kunstschau bereits das Interesse des Ressorts an einem Zusammengehen aller Künstlerverbände signalisiert hatte,146 zeigte sich nun auch Haenisch daran interessiert, zur Neugestaltung der
139 Vgl. Die nächstjährige Große Berliner Kunstausstellung, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 5, 28.10.1918, S. 29 f, S. 29; speziell zur Haltung Liebermanns vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 16.10.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/004, Bl. 330-331. 140 Vgl. Die nächstjährige Große Berliner Kunstausstellung, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 5, 28.10.1918, S. 29 f, S. 29. 141 Vgl. ebd.; Die Zukunft der Großen Berliner Kunstausstellung, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 7, 11.11. 1918, S. 43 f. 142 Die η ächstjährige Große Berliner Kunstausstellung, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 5, 28.10.1918, S. 29 f, S. 30. 143 Die Zukunft der Großen Berliner Kunstausstellung, in: W. d. Ku.,] g. 18, Nr. 7,11.11.1918, S. 43 f. 144 Vgl. Max Schlichting an Haenisch, 21.11.1918, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 122. 145 Vgl. Haenisch an Schlichting, 23.11.1918, Ds„ ms., in: in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 124; Weinstein 1990, S. 42. 146 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 21.11.1918, ms., in: SAdK,
II. Neuorientierung
148
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
unter staatlicher Ägide veranstalteten Schau beizutragen. Wohl unter dem Eindruck des Gespräches mit Schlichting und zusätzlich motiviert durch Appelle für eine Reform des Ausstellungswesen, die ihn von Künstlerseite erreichten,'47 machte der Minister die Öffnung des staatlichen Ausstellungsbetriebs und vor allem der Großen Berliner Kunstausstellung fortan zu einem der zentralen Anliegen seiner Kunstpolitik. So kündigte er nur wenige Tage nach dem Treffen mit Schlichting, am 30. November 1918, in seiner später in der Neuen Rundschau publizierten Grundsatzerklärung an: „Auf dem Gebiete der bildenden Künste wird auf eine Vereinigung aller Gruppen zunächst der Berliner Künstlerschaft zur Veranstaltung gemeinsamer Ausstellungen hingearbeitet."148 Im Kulturprogramm der preußischen Regierung betonte das Ressort gleichzeitig: „Das Ausstellungswesen wird im Verein mit den Organisationen der Künstler aller Richtungen neu geregelt."149 Und im sozialistischen Zentralrat wies Haenisch im Februar 1919 auf seine Bemühungen hin, „die verschiedenen Kunstrichtungen zu gemeinsamen Ausstellungen zu veranlassen".150 Parallel dazu führte das Ministerium weiterhin mit Schlichting, aber auch mit anderen Künstlergruppen Gespräche, in denen es um eine Beteiligung an der Ausstellung im Lehrter Bahnhof ging.151 Ob dem Minister bei seinem Engagement die diskutierten Alternativmodelle bewußt waren, ist unklar. Zumindest fehlen direkte Stellungnahmen dazu. In einer Zeit, in der der Arbeitsrat für Kunst die Umwandlung privilegierter Ausstellungen in freie forderte und beispielsweise Curt Glaser zusammen mit dem Maler Purrmann ein Neun-Punkte-Programm zur Reform der Großen Berliner Kunstausstellung vorlegte152 - in einer Zeit also, in der Veränderungen im Ausstellungsbetrieb öffentlich zum Maßstab kunstpolitischer Fortschrittlichkeit erklärt wurden - , kam es Haenisch offenbar vorrangig darauf an, die Öffnung der Großen Berliner Kunstausstellung und seine Mittlerrolle als Beleg des Neubeginns und öffentlichkeitswirksame Manifestierung des Anspruchs auf Kunstfreiheit zu nutzen.153 Tatsächlich wurde das Engagement des Ministeriums zunächst ganz in diesem
PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 73-74. Nentwig knüpfte dabei an offenbar schon in den letzten Kriegsmonaten entwickelte Aktivitäten des Ministeriums an, vgl. Mitt. DWB, Nr. 4, April 1918, S. 28. 147 Vgl. dazu ζ. B. Rudolf Bauer an Haenisch, 12.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 9-10. 148 Haenisch 1919 b, S. 22; Haenisch 1919 d, S. 37. 149 Das sozialistische Kulturprogramm.
Allerhand Unklarheit, in: BT, Jg. 47, Nr. 613, 30.11.1918, S. 3;
vgl. dazu auch Fachbeirat KM an Julius Elias, 12.12.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 453, Bl. 148; Hoffmann 1918. 150 Zentralrat 1968, S. 619. 151 Vgl. Mitt. DWB, 1918, Nr. 4, S. 28; siehe dazu auch KM (Nentwig) an Justi, 2.12.1918, ms., Abschr. KM an Schlichting u. Vorstand Berliner Sezession, o.D., ms., Hensel an Justi, 5.12.1918, hs. u. Spiro an Justi, 4.12.1918, ms., in: S M B P K / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 99-101. 152 Vgl. Steneberg 1987, S. 5; Arbeitsrat für Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 13, 23.12.1918, S. 85; Arbeitsrat für Kunst, in: BT, Jg. 47, Nr. 633, 11.12.1918, S. 2; Curt Glaser: Die
Neuorganisation
des Berliner Ausstellungswesens, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 10,20.12.1918, S. 193-199; zur allgemeinen Diskussion um das Ausstellungswesen in dieser Zeit vgl. ζ. B. auch J. v. Bülow: Kunst und Revolution [Schluß], in: W. d. Ku. J g . 18, Nr. 16, 14.1.1919, S. 105-108; A. L. Mayer: Die Kunstreformen im Volksstaat Bayern, in: Ku.chr.,]g.
54/1, Nr. 7, 29.11.1918, S. 136-139.
153 Zur Rolle des Ministeriums vgl. auch Rede Haenisch, 2.5.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 8 - 1 0 ; Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot. Sp. 7327 u. 7330.
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Große Berliner Kunstausstellung
149
Sinne sehr positiv aufgenommen. Schon Anfang Dezember 1918 hatte die Werkstatt der Kunst erfreut berichtet, das Kultusressort hoffe, „die widerstrebenden, in der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft und in den Sezessionen vereinigten Kunstrichtungen zu einer gemeinsamen Ausstellung zu bringen, die auch den jüngsten Stürmern und Drängern in der bildenden Kunst offenstehen soll." 154 Kurz darauf war in der Kunstchronik zu lesen: „Die neue Regierung gewährleistet jeder Künstlergruppe die gleichen Rechte, und allen steht gleichmäßig der große staatliche Ausstellungspalast am Lehrter Bahnhof zur Verfügung." 155 In den folgenden Monaten wurde vor allem in der liberalen Presse betont, welche Neuerung die von Haenisch veranlaßte Veranstaltung einer gemeinsamen Schau unterschiedlicher Richtungen unter einem Dach bedeutete.156 Und im Frühsommer 1919 konstatierte Fritz Hellwag: „Tatsächlich hat in Berlin die Akademie ihren so lange zum Schaden der freien Entwicklung gehüteten Raub, die Große Berliner Kunstausstellung, notgedrungen schon fahren lassen und dort werden jetzt auf Veranlassung des Kultusministers Haenisch auch die Sezessionen und die Novembergruppe einziehen. Jetzt wird der Staat die Kosten übernehmen, so daß kein Verein mehr sich als Hausherr fühlen darf, weil er die Hauptlast trägt." 157 Hellwag wies damit auf eine wichtige Veränderung in der Organisationsstruktur der Großen Berliner Kunstausstellung hin, die das Ministerium mittlerweile, vermutlich im Frühjahr 1919, durchgesetzt hatte: Im Zuge des Bemühens um eine Konzentration der Funktionen der Akademie der Künste, das eng mit Zentralisierungsplänen für die Kunstverwaltung insgesamt zusammenhing (siehe Kap. II. 3.2. und II. 6.), waren die Glaspalastschauen endgültig aus dem Akademieverband herausgelöst worden.158 Auf diese Weise hatte das Ressort den traditionellen Konnex zwischen Akademie und Großer Berliner Kunstausstellung gekappt und die Ausstellungen im Landesausstellungsbau direkt in sein Konzept eingebunden, straffere Strukturen und kürzere Kommunikationswege im staatlichen Kunstbetrieb durchzusetzen.159 Daß der Staat nun auch als Finanzier der Schau auftrat, war nur konsequent.160 Die so entstandene einfachere Struktur der Kunstausstellungen im Glas-
154 Kunstreformpläne
des preußischen Kultusministeriums, in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 11, 9.12.1918, S. 71.
155 Curt Glaser: Die Neuorganisation
des Berliner Ausstellungswesens,
in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 10,
20.12.1918, S. 193-199, S. 194. 156 Vgl. z.B. F. St.: Große Berliner Kunstausstellung 1919, in: BT, Jg. 48, Nr. 248, 31.5.1919, S. 2; BT, Jg. 48, Nr. 332,21.7.1919, S. 2; zur Rolle Haenischs vgl. auch Zuschrift Schlichting zu Die Not der deutschen Künstler. Eine Umfrage, in: Berliner Lokalanzeiger, Abendausg., 10.3.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 241. 157 Fritz Hellwag: Die Revolutionsprogramme
der Künstler, in: Mitt. DWB, Nr. 2, 1919, S. 33-41,
S. 38. 158 Vgl. Kunstausstellung 1919; Kunstausstellung Berlin 1919, in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 38, 30.6.1919, S. 257; zu den Debatten im Vorfeld vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 21.11.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 73-74; Protokoll Ak. d. Kü., Senat beider Sektionen, 3.12.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 1; Weinstein 1990, S. 42. 159 Vgl. dazu auch Haenisch 1919 b, S. 22. 160 Vgl. dazu allerdings den konträren Hinweis in Zuschrift Schlichting zu Die Not der deutschen Künstler. Eine Umfrage, in: Berliner Lokalanzeiger,
Abendausg., 10.3.1920, in: SMBPK / ZA,
150
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
palast, deren Anliegen es nun war, verschiedene Künstlergruppen ihre Werke ohne Einfluß zwischengeschalteter Korporationen in einer vom Staat ermöglichten Schau frei präsentieren zu lassen, stellte - vor allem wenn man sie als Ansatz begreift, die bisherige Entfremdung zwischen Staat und Künstler aufzulösen 161 - tatsächlich eine Neuerung dar. Eben aus dem Blickwinkel der Annäherung von Staat und Künstler mag dann durchaus auch die Vereinnahmungsthese Hellers 162 gewisse Berechtigung haben. Was die Ausstellungsorganisation unterhalb der Ebene der Trägerschaft anging, orientierte sich das Kultusministerium jedoch, wie es seiner Tendenz zum Kompromiß in dieser Zeit entsprach, am von Schlichting befürworteten Modell der Ergänzung der Ausstellung um eine moderne Sonderabteilung. Endgültig klar wurde das bei der ersten nachrevolutionären, zur Kennzeichnung des Neubeginns nur noch unter der Bezeichnung Berliner Kunstausstellung firmierenden Schau,163 die im zuvor von German Bestelmeyer hergerichteten Glaspalast am 24. Juli 1919 eröffnet wurde 164 : Trotz der Einheitsrhetorik im Vorfeld wurden die Vertreter des Vereins Berliner Künstler auf der einen, die Künstler der Sezessionen sowie der Novembergruppe auf der anderen Seite getrennt voneinander gezeigt - in separaten Gebäudeteilen, organisiert von unterschiedlichen Kommissionen und beurteilt von speziellen Juries.165 Damit hatte sich das Ministerium, auch wenn das Aufbrechen der Vormachtstellung der Akademie und des Vereins Berliner Künstler ohne Zweifel bereits einen wichtigen Schritt in Richtung Öffnung der Kunstschau im Landesausstellungsbau bedeutete, letztlich bei der konkreten Neugestaltung für den vorsichtigeren, angesichts der ideologisierten Kunstdebatte 1918/19 zunächst aber möglicherweise auch einzig gangbaren Weg entschieden.166 Auch die derart neugestaltete Ausstellung von 1919 sorgte besonders durch die Novembergruppen-Räume bereits für Aufsehen. Immer wieder kam es zu teilweise offenbar bewußt inszenierten verbalen Attacken und Tätlichkeiten gegen die modernsten der gezeigten
161 162 163
164 165
166
Nachlaß Bode, Nr. 241; vgl. auch Kunstausstellung Berlin 1919, in: W.d.Ku., Jg. 8, Nr. 38, 30.6. 1919, S. 257. In den Etatplänen ist in der Tat kein zusätzlicher Posten für die Ausstellung nachzuweisen. Allerdings gab es einen Fonds zum Unterhalt des Landesausstellungsbaus, vgl. Abschr. KM an Ministerialbaukommission, [5.6.1920], ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 40, Bd. 3. Vgl. dazu Ott 1968, S. 87. Heller 1991, S. 21. Die Bezeichnung wurde 1919 und 1920 verwandt. 1921 wurde sie allerdings wieder durch den traditionellen Namen Große Berliner Kunstausstellung ersetzt, vgl. Kunstausstellung 1919; Kunstausstellung 1920; Große Kunstausstellung 1921; siehe dazu auch Fritz Stahl: Kunstausstellung Berlin 1919, in: BT, Jg. 48, Nr. 338, 24.7.1919, S. 2 f. Vgl. Kunstausstellung Berlin 1919, in: BT, Jg. 48, Nr. 263, 10.6.1919, S. 3; BT, Jg. 48, Nr. 272, 19.6.1919, S. 3; Nr. 315,12.7.1919, S. 2; Weinstein 1990, S. 89 f; Kunstausstellung 1919. Die konservative Richtung war mit 750 Werken in 17 Räumen vertreten, die Moderne mit 530 Werken in zehn Räumen. Die Gestaltung der Ausstellung war traditionell, vgl. Weinstein 1990, S. 89 f; Kunstausstellung Berlin 1919, in: W. d. Ku. J g . 8, Nr. 38, 30.6.1919, S. 257. Zur Bedeutung der Öffnung vgl. Weinstein 1990, S. 43.
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Große Berliner Kunstausstellung
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Werke.167 Die veränderte Tendenz der Ausstellung war so eindringlich wahrnehmbar. In der Presse konnte die Kunstausstellung von 1919 angesichts dessen als Einlösung der revolutionären Künstlerforderungen gewertet werden.168 Überdies stellten sich die linken Parteien in der Landesversammlung hinter die geöffnete Schau. So betonte der SPD-Abgeordnete Frank: „Die letzte Ausstellung im Glashause am Lehrter Bahnhof hat darin etwas Wundervolles gezeigt, und es ist erfreulich, daß man heute auch der modernen Kunst, der freien Sezession und selbst dem Futurismus doch Zugang verschafft hat." 169 Und die USPD solidarisierte sich mit dem Anspruch des Ministeriums, dem Volk alle Richtungen vorzuführen.170 Parallel dazu mehrten sich seit der Ausstellungseröffnung jedoch auch die Negativstimmen. Hauptkritikpunkte neben dem Argument, die Halle sei per se ungeeignet für Kunstausstellungen,171 waren dabei der unglückliche Veranstaltungszeitpunkt, nachdem im selben Jahr schon drei Einzelausstellungen der modernen Künstlergruppen stattgefunden hatten,172 und die überhastete Zusammenstellung. Mit Ausnahme einiger guter expressionistischer und impressionistischer Werke von Heckel, Pechstein oder Kirchner sei vieles bereits anderswo zu sehen gewesen. Daneben werde viel Mittelmäßigkeit gezeigt, die sich nur an der aktuellen Mode der Radikalität orientiere.173 Scheffler galt die Schau als Beleg dafür, daß man auch im Ausstellungswesen zu politisch denke. Entsprechend habe man, schrieb er, bei der Berliner Kunstausstellung „die Freiheit, nach Belieben Ausstellungen machen zu können, mit der Freiheit der Kunst verwechselt, etwas rein Ausserliches mit etwas Innerlichem."174 Gleichzeitig bemängelte Stahl, der den Verein Berliner Künstler noch immer als eigentlichen Hausherrn erlebte: „Von einer Vereinheitlichung der Leitung konnte in der kurzen Zeit gar nicht die Rede sein. Ohne die aber ist die Sammlung aller Künstler unter demselben Dach ohne jede tiefere Bedeutung. [...] So war die Ausstellung von vorneherein verurteilt, eine bloße Demonstration zu bleiben, nur den Schein zu erwecken, als ob zu der Einigung der Künstlerschaft auch nur ein Schritt geschehen sei."175 Sprach aus Schefflers Bemerkung bereits Skepsis auch gegenüber dem
167 Vgl. Tätliche Kunstkritik, in: BT, Jg. 48, Nr. 423, 10.9.1919, S. 3; Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 47, 19.9.1919, S. 1003 f; Weinstein 1990, S. 91 f. 168 Vgl. Karl Scheffler: Die Berliner Sommerausstellungen, in: Ku. u. Kit., Jg. 17, Nr. 12, Aug. 1919, S. 473-484. 169 Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7267. 170 Vgl. Ausschußmtgl. (USPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1820; Hennig (USPD), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7335 u. 7339. 171 Vgl. Fritz Stahl: Kunstausstellung Berlin 1919, in: BT, Jg. 48, Nr. 338, 24.7.1919, S. 2 f; Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7345; Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 16.10.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/004, Bl. 330-331. 172 Vgl. auch F. St.: Große Berliner Kunstausstellung 1919, in: BT, Jg. 48, Nr. 248, 31.5.1919, S. 2. 173 Vgl. dazu v.a. Fritz Stahl: Kunstausstellung Berlin 1919, in: BT, Jg. 48, Nr. 338, 24.7.1919, S. 2 f; Karl Scheffler: Die Berliner Sommerausstellungen, in: Ku.u.Kii., Jg. 17, Nr. 12, Aug. 1919, S. 473-484; siehe auch Weinstein 1990, S. 90 f; Ku.hl., 1919, S. 320. 174 Karl Scheffler: Die Berliner Sommerausstellungen, in: Ku. u. Kü., Jg. 17, Nr. 12, Aug. 1919, S. 473484, S. 476. 175 Fritz Stahl: Kunstausstellung Berlin 1919, in: BT, Jg. 48, Nr. 338, 24.7.1919, S. 2 f.
II. Neuorientierung
152
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Kunstfreiheitsanspruch des Staates, griff Stahl damit die vom Ministerium Haenisch als Neuanfang propagierte Öffnung als bloß auf Außenwirkung bedachten Akt an, der mehr zu sein vorgab, als er tatsächlich war. 176 Im Umfeld der Berliner Kunstausstellung 1920, die nach den gleichen Maßgaben gestaltet wurde wie 1919, an der allerdings die Sezessionen wegen zeitlich kollidierenden Ausstellungsplänen schon nicht mehr teilnahmen, 177 verschärfte sich die Kritik dann zunehmend. Nachdem Glaser bereits Ende 1918 vor einer eindimensionalen Übertragung des Gleichheitsanspruches auf die Kunst gewarnt hatte 178 und Westheim auf die Fragwürdigkeit der uneingeschränkten Offenheit Haenischs hingewiesen hatte, indem er bemerkte, wenn man wirklich alle fördern wolle, müsse man 17.000 Künstler einladen, 179 rückte nun der Vorwurf der Beliebigkeit und Nivellierung noch deutlicher in den Vordergrund. Stahl sprach unverhohlen von einer öden Ausstellung, in der seelenlose reaktionäre und radikale Werke immer austauschbarer würden. 180 Wenn auch aus anderen Motiven, so aber doch mit ähnlichem Ergebnis wies auch Schlichting auf das Dilemma hin, daß bei der Bandbreite der präsentierten Werke eine für die Vermittlung an das Publikum unerläßliche klare Linie fehle. 181 Scheffler beschwor vor diesem Hintergrund gar den Bankrott des gesamten Ausstellungswesens herauf und schrieb: „Wie einst in den Glaspalästen süßer Kitsch fabriziert wurde, um dem Publikum zu schmeicheln, so wird jetzt revolutionärer Kitsch gemacht, um das Publikum in Verwunderung zu setzen. Wirkung ist alles, jedes Bildchen will das Sensationelle." 1 8 2 Die zentrale Berliner Kunstausstellung bekam so einen immer schaleren Beigeschmack. Als Ausweis kunstpolitischer Fortschrittlichkeit konnte sie längst nicht mehr herhalten. Dennoch hielt der Staat auch nach 1919 an der Ausstellung im Glaspalast fest. Mehr noch: Demonstrativ wurde die zweite nachrevolutionäre Ausstellung ganz im Gegensatz zur Zurückhaltung im Kronprinzenpalais am 21. Mai 1920 von Staatssekretär Becker, der kurzfristig für den erkrankten Minister eingesprungen war, und in Anwesenheit des Reichs-
176 Ähnlich z.B. auch Egon Hofmann: Ausstellungsfragen,
in: W. d. Kit., Jg. 9, Nr. 10, 8.12.1919,
S. 63-65. 177 Vgl. Zuschrift Schlichting zu Die Not der deutschen Künstler. Eine Umfrage, in: Berliner
Lokal-
anzeiger, Abendausg., 10.3.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 241; ZA aus DAZ, 22.5. 1920, Abendausg., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7359; Die Eröffnung
der
Großen Berliner Kunstausstellung, in: BT, Jg. 49, Nr. 236, 21.5.1920; Berliner Secession (Spiro) an Haenisch, 29.10.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 461, Bl. 106; W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 37, 21.6. 1920, S. 258 f. 178 Vgl. Curt Glaser: Demokratie
und Kunst, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 8, 6.12.1918, S. 145-147; vgl.
auch Curt Glaser: Sozialismus und Kunst, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 11, 27.12.1918, S. 205-207; Curt Glaser: Die Neuorganisation
des Berliner Ausstellungswesens, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 10,
20.12.1918, S. 193-199. 179 Vgl. Weinstein 1990, S. 42 f. 180 Fritz Stahl: Grobeka 1920, in: BT, Jg. 49, Nr. 236, 21.5.1920. 181 Zuschrift Schlichting zu Die Not der deutschen Künstler. Eine Umfrage,
in: Berliner
anzeiger, Abendausg., 10.3.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 241. 182 Karl Scheffler: Die Freie Sezession, in: Ku. u. KU., Jg. 18, Nr. 9, Juni 1920, S. 416.
Lokal-
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Große Berliner Kunstausstellung
153
Präsidenten Ebert eröffnet.183 Überdies unterstrichen die offizielle Bezeichnung Kunstausstellung Berlin 1920 im Landesausstellungsgebäude, das vom Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung dem Verein Berliner Künstler und der Novembergruppe zur Verfügung gestellt istm oder die Tatsache, daß die Große Düsseldorfer Kunstausstellung 1920 ähnlich wie in Berlin umgestaltet und in Anwesenheit Haenischs eröffnet wurde,185 den Stellenwert, den die allen offenstehende Berliner Ausstellung für die preußische Kunstpolitik hatte. Zwar klang in Beckers Eröffnungsrede von 1920, in der er für eine straffere Organisation der Künstler plädierte und einen einheitlichen Stil zum kunstpolitischen Anliegen erklärte (siehe Kap. II. 5.), durchaus das Bemühen um eine fortgesetzte Reform der Berliner Kunstausstellungen an, mit der man auf den Vorwurf der Beliebigkeit und der Zersplitterung der Künstlerschaft zu reagieren suchte.186 Trotzdem setzte sich angesichts der Auftritte der Politprominenz bei der Eröffnung vor allem ein Eindruck fest - nämlich der, daß sich die politischen Handlungsträger hinter eine oberflächliche Massenschau stellten. Der rechten Presse war dies willkommener Anlaß, gegen die republikanische Kunstpolitik in Preußen zu polemisieren. So kommentierte die Deutsche Zeitung die Ausstellungseröffnung: „Was die Herren redeten, konnte kein Mensch verstehen, weil es so furchtbar demokratisch zuging: Jeder sprach, begrüßte, lustwandelte, wie es ihm gerade paßte", um sich später zu der Bemerkung zu versteigen: „Sollte durch die Ausstellung der ,Novembergruppe' eine Bilderstürmerbewegung entstehen, so würde sich kein vernünftiger Mensch darüber wundern können." 187 Parallel dazu mehrte sich auch die linke Kritik an der Kunstpolitik, wie sie sich im Umfeld der Ausstellung manifestierte. Entsprechend wurde die Teilnahme des Reichspräsidenten an der Eröffnung in der Zeitschrift Das Forum als Beleg einer verlogenen Vereinnahmung revolutionärer Kunst durch den verbürgerlichten SPD-Staat gewertet, dessen Doppelzüngigkeit sich dann entlarve, wenn man bedenke, daß von staatswegen Todesurteile an Arbeitern im Ruhrgebiet vollstreckt würden, während Ebert die Berliner Novembergruppen-Abteilung besichtige.188
183 Vgl. BT, Jg. 49, Nr. 228, 17.5.1920; ZAs aus Deutsche Zeitung, Abendausg., 21.5.1920, Voss. Ztg., Abendausg., 21.5.1921, Der Tag, Morgenausg., 22.5.1920, DAI,
Abendausg., 22.5.1920 und ZA,
O.D., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7359; Die Eröffnung der Großen
Berliner
Kunstausstellung, in: BT, Jg. 49, Nr. 236,21.5.1920. 184 Vgl. Kunstausstellung 1920; vgl. dazu auch Die Eröffnung der Großen Berliner
Kunstausstellung,
in: BT, Jg. 49, Nr. 236, 21.5.1920. 185 Vgl. Große Kunstausstellung Düsseldorf, in: BT, Jg. 49, Nr. 281, 17.6.1920; Düsseldorfer
Kunstpo-
litik, in: Germania, Jg. 50, Nr. 481, 31.10.1920; Abschr. Text Haenisch (später unter dem Titel Eine große Taktlosigkeit publiziert in: Düsseldorfer Nachrichten, Abendausg., 25.5.1920), ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 240-243; BT, Jg. 49, Nr. 227, 16.5.1920. 186 Vgl. ZAs VOM. Ztg., Abendausg., 21.5.1921, Der Tag, Morgenausg., 22.5.1920 u. DAZ, Abendausg., 22.5.1920, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7359; Die Eröffnung
der
Großen Berliner Kunstausstellung, in: BT, Jg. 49, Nr. 236, 21.5.1920. 187 ZA Deutsche Zeitung, Abendausg., 21.5.1920, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7359; zur Tendenz der Deutschen Zeitung vgl. Handbuch der Weltpresse 1970, S. 113. 188 Franz Schulz: Kunst, Bürger, Staat, in: Das Forum, Jg. 4/2, Nr. 9, Juni 1920, S. 655-660; vgl. Weinstein 1990, S. 95 f. Befördert wurde diese kritische Sicht vermutlich nicht zuletzt durch anti-
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der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Ganz direkt griff in diesem Zusammenhang Otto Koester das Ressort Haenisch an, als er sich Anfang August 1920 in der Weltbühne über die in der Novembergruppen-Abteilung des Glaspalastes gezeigte „Nichtkunst" in Form von Collagen aus Alltagsgegenständen beklagte, dabei von künstlerischer Urteilslosigkeit der politischen Führer sprach und das gastgebende Kultusministerium und Haenisch unterstellte, einem Irrtum zum Opfer gefallen zu sein, wenn man glaube, die „Entartungen" der Gegenwart seien als Aufbruch zu einer neuen Kunst zu verstehen.189 Auf Koesters Frage, was der Minister gegen die Kulturschande im Landesausstellungsbau zu tun gedenke, antwortete Haenisch wenig später ebenfalls in der Weltbühne: „Hat die Jury die von Herrn Otto Koester - vielleicht nicht mit Unrecht - getadelten Bilder der Aufnahme für würdig erachtet, so maße ich mir als Minister nicht das Recht an, ihr da hinein zu reden. Mag doch das Publikum die Bilder ablehnen, mag doch die Kritik mit ihnen umspringen, wie immer sie will! Die Aufgabe eines Ministers darf, ganz besonders in künstlerischen Dingen, nun und nimmer mehr die eines Polizeibüttels sein. Ich dächte, im alten Deutschland hätten wir damit und mit der Sucht von Laien in ,maßgebenden' Stellungen, ihre persönliche Auffassung der deutschen Kunstentwicklung aufzuzwingen, grade genug üble Erfahrungen gemacht!" 190 Die Weltbühne reagierte darauf sofort mit der Replik, es handele sich bei den angesprochenen Objekten eben gerade nicht um Kunst. Demnach verlange man von Haenisch auch kein ästhetisches Votum, sondern nur, daß man die staatliche Förderung dort versage, wo es würdigere Anwärter gebe.191 Konkretisiert wurde diese Haltung in einer Artikelserie der Weltbühne zur Politik des Ministeriums von Cläre Meyer-Lugau, in der es gegen Haenischs Reformbestrebungen gerichtet hieß: „Ein Gärtner ist nicht, der sagt: Pflanzen, hier habt Ihr die Freiheit - wachst!, und der nun das Unkraut wuchern läßt, sondern der schützt, indem er es ausreißt."192 Bezog sich Meyer-Lugau hier auch in erster Linie auf die Lehr- und Religionsfreiheit,193 war dies kaum anders denn als Statement auch zum Kunstfreiheitsanspruch Haenischs zu verstehen. Nachdrücklich wies die Weltbühne damit auf auch für eine demokratische Kulturpolitik erforderliche Grenzen und den Qualitätsbegriff als unerläßliches flankierendes Kriterium einer ernstzunehmenden staatlichen Förderpolitik unter dem Leitsatz der Kunstfreiheit hin. In der intensiven Diskussion um die Berliner Kunstausstellung seit 1918 war auf die Wichtigkeit eben des Kriteriums Qualität194 als Gegenpol zum Gleichheitsanspruch von Beginn an hingewiesen worden. So hatte Glaser bald nach dem Umsturz seinem Reformvorschlag für die Kunstschau die Überlegung vorangestellt, es scheine, „daß die Künstler mit beiden Händen zugreifen müßten, wenn ihnen nun Gelegenheit gegeben werden soll, in dem großen Glaspalast gemeinsame Ausstellungen zu veranstalten. Es wäre das Ideal, wenn man zu ihnen jeden Künstler überhaupt zulassen könnte. Aber man weiß von jury freien bürgerliche Avantgardeveranstaltungen wie die Erste Internationale
Dada-Messe,
die parallel zur
Glaspalastschau stattfand, vgl. dazu Adkins 1991; Willett 1981, S. 53 f. 189 O t t o Koester: Berliner Kunstskandal,
in: Weltb. J g . 16/2, Nr. 32, 5 . 8 . 1 9 2 0 , S. 1 6 5 - 1 6 8 .
190 Konrad Haenisch in: Weltb., Jg. 16/2, Nr. 35, 2 6 . 8 . 1 9 2 0 , S. 247. 191 Ebd. 192 Cläre Meyer-Lugau: Antwort an Haenisch,
in: Weltb., Jg. 16/2, Nr. 39, 2 3 . 9 . 1 9 2 0 , S. 330 f.
193 Zur zeitgenössischen Diskussion darum vgl. Müller 1991, S. 310. 194 Vgl. auch Bärnreuther 1997, S. 2 5 9 f.
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Neuerungen:
Große Berliner Kunstausstellung
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Ausstellungen, in wie breitem Strome der blutigste Dilettantismus sich eindrängt, wenn man die Tore ganz auftut. Darum ist die Aufnahmeprüfung nicht wohl [sie] zu umgehen. Nur daß die Forderung gestellt werden muß, die Jury dürfe kein eigentliches Kunstrichteramt üben. Sie hat nicht über Richtungen zu entscheiden und nicht mit dem Zollstock die Qualität zu messen. Sie hat keine andere Aufgabe als barer Unkunst den Einlaß zu verwehren." 195 Scheffler hatte zur selben Zeit immer wieder Qualität als entscheidenden Faktor für Kunstentwicklung und -förderung angesprochen,196 und später war etwa in der Werkstatt der Kunst betont worden: „Es wäre denkbar, daß nach den sozialistischen Begriffen der Gleichheit jeder von staatswegen bei Ausstellungen einen Raum zugemessen erhält. Im ersten Augenblick erscheint diese Maßnahme auch billig. [...] Aber hier liegt auch der Hase im Pfeffer. Eine öffentliche Angelegenheit wie die Kunst zieht Verantwortlichkeit nach sich. Qualität muß gefordert werden, Quantität bedürfen wir nicht." 197 In diesem diskursiven Kontext begann sich der Qualitätsanspruch auch bei einigen der staatlichen Handlungsträger durchzusetzen. Als Wegbereiter fungierten hier vor allem Kunstpolitiker mit eigenem kunsthistorischem Hintergrund, denen ein wissenschaftlich fundierter Qualitätsbegriff in der Kunst präsenter war als etwa dem Laien Haenisch. Dies deutete sich an, als Waetzoldt in Vertretung des Ministers bei der Eröffnung der nun erstmals ebenfalls im Glaspalast gezeigten Jury freien Kunstschau am 14. November 1920 als Grund für die Bereitstellung der Räume „die Achtung vor dem Mut [anführte], in so schwerer Zeit ohne Interessenpolitik eine Bühne junger Begabungen zu schaffen." 198 In Anknüpfung an Beckers Plädoyer bei der Eröffnung der Berliner Kunstausstellung wenige Monate zuvor war hier deutlich das Interesse vernehmbar, die staatliche Kunstförderung nicht mehr, wie es Haenisch entsprach, quasi unbesehen allen, sondern selektiv besonders zukunftsweisenden Künstlern zukommen zu lassen. Diesen Aspekt hob auch Reichskunstwart Redslob in seiner Ansprache im Anschluß an Waetzoldts Rede hervor, in der er betonte, durch „die Parteibrille sehe man rechts und links gleich ungerecht, man solle lieber ausschließlich auf die Qualität den Hauptwert legen." 199 195 Curt Glaser: Die Neuorganisation
des Berliner Ausstellungswesens,
in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 10,
20.12.1918, S. 193-199, S. 196; ähnlich auch Curt Glaser: Sozialismus und Kunst, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 11, 27.12.1918, S. 205-207; Curt Glaser: Kunst und Revolution, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 7, 29.11.1918, S. 129 f; Curt Glaser: Demokratie
und Kunst, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 8,
6.12.1918, S. 145-147; vgl. dazu auch Erich Koehrer: Das Theater im Volksstaat, in: Glocke, Jg. 4/2, Nr. 48, März 1919, S. 1513-1520. 196 Vgl. z.B. Karl Scheffler: Die Zukunft der deutschen Kunst, in: Ku. u. KU., Jg. 17, Nr. 8, Mai 1919, S. 309-328; vgl. auch Campbell 1981, S. 159-162. 197 Egon Hofmann: Ausstellungsfragen, 198 ZA Eröffnung
in: W. d. Ku., Jg. 9, Nr. 10, 8.12.1919, S. 63-65, S. 63 f.
der Jury freien Kunstschau, [Nov. 1920], in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 180;
zur Juryfreien Ausstellung im Glaspalast vgl. auch Waetzoldt an Redslob, 12.11.1920, hs. u. Notiz für Redslob, 12.11.1920, hs., in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 143 u. 146; BT, Jg. 49, Nr. 346, 25.7.1920; Fritz Stahl: Akademische
und Juryfreie,
in: BT, Jg. 49, Nr. 523, 15.11.1920; Die
Juryfreie Kunstschau, in: BT, Jg. 49, Nr. 523, 15.11.1920. 199 ZA Eröffnung
der Juryfreien
Kunstschau, [Nov. 1920], in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 180;
vgl. dazu auch Heffen 1986, S. 65 f, 74 u. 79.
II. Neuorientierung
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der ministeriellen Kunstpolitik
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Die Aussagen vom 14. November 1920 fügten sich dabei in von Redslob entwickelte und seit Anfang 1920 von Waetzoldt adaptierte, werkbundbeeinflußte Überlegungen ein, das Ausstellungswesen so umzugestalten, daß man verstärkt auf sogenannte Musterausstellungen setzte. 200 Konkret wurde hier an Präsentationen mit vorbildlichen Arbeiten zu Themen wie „die hundert ersten deutschen Maler" oder „der moderne deutsche Holzschnitt" gedacht, die nach Redslobs Vorstellung in Potsdam in einem von Peter Behrens zu errichtenden Bau gezeigt werden sollten. 201 Waetzoldt sah diese „vom Bazartypus der Ausstellungen am Lehrter Bahnhof sich vorteilhaft unterscheidende^] Ausstellungen", die er gerne auch im Glaspalast präsentiert hätte, 202 offenbar als eine Alternative zu den bisherigen Berliner Kunstausstellungen an. Ähnlich wie bei den Kunstakademien bemühte sich Waetzoldt hier in Nähe zu Redslob, neue Wege einer zielbewußteren demokratischen Kunstpolitik aufzuzeigen. 203 Im Rahmen des Anliegens, einem zeitgemäßen Stil unter anderem über eine gezieltere Ausstellungspolitik den Boden zu ebnen, entwickelte sich der Faktor Qualität dabei zur elementaren Größe für Waetzoldt und Redslob. Um dem Qualitätsgrundsatz auf der Berliner Kunstausstellung tatsächlich Geltung zu verschaffen, hätte es indes einer weiteren grundlegenden Änderung der strukturellen Voraussetzungen bedurft. In erster Linie wäre die Einsetzung einer Instanz nötig gewesen, die die zur Ausstellung eingereichten Werke auf Grund kunstwissenschaftlicher Kriterien wie Eigenständigkeit oder Innovationsgehalt hätte sondieren müssen. Im Idealfall hätte es sich um eine aus Experten zusammengesetzte zentrale Jury gehandelt, die im Gegensatz zu den seit 1919 entscheidenden Gremien der einzelnen Künstlergruppen, für die im Vordergrund stand, möglichst vielen „ihrer" Künstler die Chance auf Präsentation und Verkauf zu bieten, vor fachlichem Hintergrund weniger interessengeleitet agiert hätte. 204 Eine solche zentrale Fachjury, die als drittes Modell neben den 1918/19 diskutierten zu verstehen gewesen wäre, sah das Reformkonzept des Ministeriums von 1919 aber gerade nicht vor. Und da der Minister die durchgesetzte Form der Öffnung offenbar weiterhin als ausreichend ansah und jede Forderung einer Einflußnahme durch den Staat von sich wies, war eine von Haenisch ausgehende Änderung auch nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Während anderswo über konzisere Ausstellungsformen als Teil einer pointierteren Kunstpolitik diskutiert wurde, zog Haenisch sich immer mehr auf die Position zurück, der Staat wolle im Glaspalast eine allen offenstehende Plattform bieten.
200 Vgl. dazu Campbell 1981, S. 22, 31,40, 8 7 - 1 0 3 , 1 6 1 , 1 6 9 , 1 7 1 u. 186-188; Niederstadt 1982 a, S. 19 f u. 24; Die Zwanziger Jahre des D W B 1982, S. 78-80; Howoldt 1982, S. 157; siehe auch schon Waetzoldt 1911. 201 Vgl. Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung
und Reichskunstwart, 8.3.1920, ms., S. 3 u. F M an
Präsident Staatsministerium, 22.10.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 202 Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung
und Reichskunstwart, 8.3.1920, ms., S. 3, in: GStA PK,
I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 203 Vgl. auch Waetzoldt 1921, S. 33; Waetzoldt an Redslob, 12.11.1920, hs„ in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 143. 204 Vgl. Fritz Stahl: Akademische und Juryfreie, in: BT, Jg. 49, Nr. 523, 15.11.1920; zu den Künstlergremien vgl. auch Kunstausstellung Berlin 1919, in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 38, 30.6.1919, S. 257.
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Die strikt dem Freiheits- und Gleichheitsanspruch verpflichtete Haltung des Ministers ist dabei vor dem Hintergrund der zur selben Zeit geführten Zensurdebatte zu sehen, die sich, zunächst vor allem auf den Theaterbereich bezogen, zunehmend auch auf andere Gebiete der Kunst ausdehnte.205 Konkret verlief diese Debatte im nachrevolutionären Preußen wie folgt: Nachdem die Theaterzensur 1918 abgeschafft worden war,206 forderten Zentrum und DNVP seit Ende 1919 eine Einschränkung des in der Reichsverfassung verankerten Kunstfreiheitsanspruches in dem Sinne, daß aus sittlich-moralischen Gründen gegen Stücke wie Schnitzlers Reigen, Lautensacks Pfarrhauskomödie oder Wedekinds Büchse der Pandora vorgegangen werden könne.207 Rückenwind erhielten sie durch mit dem Namen Karl Brunner verbundene Bestrebungen im Reich, ein Gesetz zur Bekämpfung von Schund- und Schmutzliteratur und zum Schutz der Jugend durchzusetzen.208 Auf linker und liberaler Seite formierte sich daraufhin eine breite Gegenfront, die die Gefahr einer neuen Lex Heinze heraufbeschwor und gegen derartige Bestrebungen Stellung bezog.209 Auch Haenisch reihte sich in diese Gegenfront ein. In der Landesversammlung Ende 1920 lehnte er es ab, sich ein Werturteil etwa über Wedekind oder Lautensack anzumaßen. Das Kultusressort habe, führte er aus, im Fall der Pfarrhauskomödie zwischen den Beteiligten zu vermitteln gesucht. Darüber hinaus aber genieße die künstlerische Freiheit für ihn absolute Priorität. Sein Ressort dürfe nicht als Polizeibüttel wirken. Kunst könne nicht nach moralisch-politischen, sondern nur nach ästhetischen Gesichtspunkten beurteilt werden.210 Wurde Haenisch angesichts dessen auch klar als Zensurgegner wahrgenommen,211 geriet das Ministerium in der 205 Zur Gesamtthematik vgl. ausführlich Petersen 1995. 206 Vgl. Leiss 1971, S. 286; Düwell 1987, S. 64 f; Pfoser / Pfoser-Schewig / Renner 1993, S. 20 f; Das sozialistische Kulturprogramm.
Allerhand
Unklarheit, in: BT, Jg. 47, Nr. 613, 30.11.1918, S. 3;
Paul Linsemann an Haenisch, 19.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 88-89; Curt Glaser: Demokratie und Kunst, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 8, 6.12.1918, S. 145-147; Pr. Verw.bl.,]g.
40,
Nr. 26, 29.3.1919, S. 321-323; Kulturpolitische Maßnahmen der Regierung seit dem 9. November. Eine Vortragsdisposition, Mai 1920, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1314; Vorhang auf!, in: BT, Jg. 47, Nr. 588, 16.11.1918, S. 2. 207 Vgl. Heß (Z), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7279 f; Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7314 f, 7317, u. 7322; Kunst und Literatur im Parlament, in: ST, Jg. 49, Nr. 317, 8.7.1920; zu den umstrittenen Stücken vgl. Leiss 1971, S. 286-291. 208 Vgl. dazu Pfoser / Pfoser-Schewig / Renner 1993, S. 12, 77-90 u. 301-310; siehe dazu auch Anfrage Reichstag, 16.6.1921 u. Interpellation Reichstag, 1920/21, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 74 u. 95; Haenisch 1921, S. 157-159; Konrad Haenisch etc.: Gutachten über Brunner, in: Weltb., Jg. 17/2, Nr. 47, 24.11.1921, S. 521-525. 209 Zu den zur Lex Heinze seit 1892 vorgelegten Gesetzentwürfen vgl. Lenman 1994, S. 36-52; Pfoser / Pfoser-Schewig / Renner 1993, S. 84; zur Diskussion nach 1918 vgl. auch BT, Jg. 50, Nr. 22, 14.1.1921; Nachrichtenblatt Allgemeine Deutsche Kunstgenossenschaft,
Mai 1921, in: GStA PK,
I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 7 6 - 7 7 ; Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, P r o t , Sp. 7346; Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, P r o t , Sp. 7261-7263 u. 7267-7269; Thaer (DVP), 13.1. 1921, in: LV, P r o t , Sp. 15739 f. 210 Haenisch, 30.11.1920/3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7285 u. 7289 f; siehe später auch Haenisch 1921, S. 156-158. 211 Vgl. Ausschußmtgl. (Z), 30.11.1920/3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7289; Haenisch, 13.1.1921, in: LV, P r o t , Sp. 15756.
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emotionalisierten Debatte Ende 1920 gleichzeitig in den Verdacht, gegenüber Schnitzlers Reigen selbst Zensur geübt zu haben. Konkret wurde dies daran festgemacht, daß die f ü r Dezember 1920 im Deutschen Theater geplante Reigen-Uraufführung in einer Inszenierung von Gertrud Eysoldt vom Ressort kurzfristig abgesagt wurde. 2 1 2 Tatsächlich hatten organisatorische Unstimmigkeiten zu der Absage geführt. 2 1 3 Trotz eines Prozesses Anfang 1921, der die Hintergründe offenlegte, trotz allen Bemühens um Richtigstellung und aller Sympathiebekundungen f ü r Haenisch 2 1 4 schenkte speziell die äußerste Linke in einer Zeit, in der der Reigen zum zentralen Objekt rechter Zensurforderungen wurde, 2 1 5 den Beteuerungen aber nur wenig Glauben. 2 1 6 D e m Ministerium haftete so, nachdem es bereits seit Mitte 1920 auf Haenisch bezogene Zensurgerüchte gegeben hatte, der Makel an, Eysoldts A u f f ü h r u n g doch gezielt unterbunden zu haben, 217 während Haenisch ein Einschreiten gegen die Kunst zur selben Zeit vehement von sich wies u n d dafür wiederum von rechts angefeindet wurde. 2 1 8 Wie der Streit u m die Gestaltung eines Giebelfeldes in Münster im Frühjahr 1920 zeigt, in dessen Verlauf dem Ministerium autokratisches Dreinreden vorgeworfen wurde, (siehe Kap. II. 5.2.) wurde die Vermutung der ästhetischen Bevormundung offenbar zum gängigen Angriffspunkt gegen Haenisch. 2 1 9 Auf diese Weise in der Zensurdebatte zwischen die Fronten geraten, zog sich Haenisch aus der Defensive heraus immer kompromißloser auf den Anspruch absoluter Kunstfreiheit zurück. 220 Gerade angesichts seiner persönlichen Erfahrungen mit den wilhelminischen Zensurbestimmungen - Haenisch war 1905 wegen Pressevergehens zu neun Monaten Gefängnis
212 Vgl. dazu ausführlich Pfoser / Pfoser-Schewig / Renner 1993, S. 25-33. 213 Vgl. Pfoser / Pfoser-Schewig / Renner 1993, S. 37-46; siehe dazu auch Haenisch 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15756; Becker an Haenisch, 28.12.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 65-68; Konrad Haenisch etc.: Gutachten über Brunner, in: Weltb., Jg. 17/2, Nr. 47, 24.11.1921, S. 521525; Haenisch 1921, S. 156. 214 Vgl. Pfoser / Pfoser-Schewig / Renner 1993, S. 44; BT, Jg. 50, Nr. 4,4.1.1921; Alfred Kerr: Reigen. Kleines Schauspielbaus, in: BT, 24.12.1920, abgedruckt in Pfoser/ Pfoser-Schewig / Renner 1993, S. 102-104. 215 Vgl. z. B. Thaer (DVP), 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15739 f; League of Truth. Weltbund der Wahrheitsfreunde an [Haenisch?], 23.2.1921, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 462, Bl. 314-316. 216 Vgl. Weyl (USPD), 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15743 f; Pfoser / Pfoser-Schewig / Renner 1993, S. 46. 217 Vgl. Weyl (USPD), 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15743 f; Stefan Großmann: Haenischs Reigen. Eine unsittliche Szenenfolge, in: FZ, Nr. 6, 8.1.1921, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 462, Bl. 27; Herbert Ihering: Reigen. Kleines Schauspielhaus, in: Berliner-Börsen-Courier, 24.12.1920, abgedruckt in Pfoser / Pfoser-Schewig / Renner 1993, S. 105-107; zu den Gerüchten von 1920 vgl. ζ. B. Des Zensors Glück und Ende, in: Das freie Wort, Jg. 2, Nr. 30, 25.7.1920, S. 1, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 482, Bl. 13. 218 Vgl. Haenisch 1921, S. 155. 219 Vgl. Plenge an Haenisch, 23.4.1920, ms. u. Plenge an Haenisch, 5.5.1920, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 293, Bl. 61-62, 65 u. 67; Waetzoldt an Plenge, 7.5.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 160. 220 Vgl. auch Haenisch 1921, S. 156: „Ich wollte auch nicht von fern in den Verdacht einer Gesinnungsgemeinschaft mit den Brunner und Kompagnie geraten."
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verurteilt worden 221 - wollte der Minister, wie Becker es ausdrückte, verständlicherweise „lieber als Jugendverführer denn als Zensor gelten." 222 Entsprechend deutlich bestätigte das Kultusministerium diese Haltung dann auch im Zusammenhang mit der Beschlagnahme mehrerer Publikationen, gegen die Ende 1920 wegen unsittlicher Illustrationen polizeilich vorgegangen wurde. 223 Als zunächst der Verlag Gurlitt Anfang November 1920 Waetzoldt darüber informierte, daß sieben bei ihm erschienene Werke - unter anderem mit Lithographien von Corinth, Zille, Richard Janthur, Walter Rössner und Willi Geiger - konfisziert worden seien, als der Verlag dies als Angriff auf die Kunstfreiheit wertete und die Zensoren als fachlich unqualifiziert beschrieb,224 stellte sich das Ressort ohne Zögern auf die Seite des Verlages. Haenisch selbst gab die Weisung aus, man möge „sofort gegen die Beschlagnahme vorstellig werden", 225 und Waetzoldt legte daraufhin Beschwerde beim Justizministerium ein.226 Motiviert durch dieses Engagement richteten auch andere Betroffene ähnliche Gesuche an das Ministerium. 227 So bat Ende November 1920 der Hannoversche Verlag Steegemann, auf die Kunstfreiheit pochend, das Ressort darum, seinen Einfluß dahin geltend zu machen, daß die Beschlagnahme als pornographisch eingestufter Bücher von Paul Verlaine aufgehoben werde. 228 Haenisch forderte auch hier ein ebenso bestimmtes Eingreifen wie im Fall Gurlitt. 229 Offensichtlich bremste das Justizministerium den Einsatz dann allerdings Ende 1920 aus.230 221 Vgl. Hofmann 1966, S. 443. 222 Becker an Haenisch, 28.12.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 65-68, Bl. 65 r. 223 Bei den Beschlagnahmen stützte man sich auf § 184 des Reichsstrafgesetzbuches, vgl. dazu auch Schunk 1993, S. 435; Petersen 1995, S. 187. 224 Verlag Gurlitt an Waetzoldt im KM, 4.11.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 24-25. 225 Vermerk Haenisch, 9.11.1920, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 24. 226 Waetzoldt an Justizministerium, 16.11.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 26; vgl. Schunk 1993, S. 435; zu den konkreten Fällen vgl. auch Laube 1997, S. 177-182; Ignaz Wrobel: Der Venuswagen, in: Weltb., Jg. 17/2, Nr. 44, 3.11.1921, S. 460 f. 227 So z.B. Noethen im Weimarer Fall Klemm, vgl. Erich Noethen an Haenisch, 21.11.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 108; vgl. dazu auch Laube 1997, S. 172-177; BT, Jg. 49, Nr. 525, 16.11.1920; Zu den staatsanwaltlichen Eingriffen, in: BT, Jg. 49, Nr. 526, 17.11.1920; Schmutz und Schund in der bildenden Kunst, in: Cie., Jg. 18, Nr. 22, Nov. 1926, S. 752 f. 228 Paul Steegemann an KM, 24.11.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V s , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 32-33; vgl. auch Petersen 1995, S. 187 f; Georg Minde-Pouet: Der wilde Konfiskationsgeist, in: Cie., Jg. 13, Nr. 3, Febr. 1921, S. 94 f; GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 39-72; zu Steegemann vgl. ausführlich Katenhusen 1998, S. 627-689. 229 Vgl. Haenisch an Richter (KM), 26.11.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 36 v; vgl. auch Haenisch, 30.11.1920/3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7285; LV, Dr. 3947, S. 7283; LV-Antrag, 2.12.1920, Ds., ms. / gedr., in: in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 30. Die Darstellung zum Fall Steegemann bei Schunk 1993, S. 436 ist hingegen falsch. In dem dort erwähnten Brief bezog sich Waetzoldt nämlich nicht auf Steegemann, sondern auf die Gerichtsverhandlung im Fall Gurlitt, vgl. Notizen KM, Okt. 1921, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 89-90; siehe auch Notiz KM, 26.2.1921, hs. / gedr. in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 28. 230 Vgl. Notiz Richter, [Nov. 1920], hs., Waetzoldt an Richter (KM, [U] II), 6.12. [1920], hs., Akten-
II. Neuorientierung
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der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Der Einfluß des Ressorts Haenisch blieb so begrenzt. Die Position des Ministeriums war jedoch klar geworden: Als sich vor dem Hintergrund der Zensurdebatte die Konfiskationen häuften,231 trat die preußische Kulturbehörde ähnlich wie zur selben Zeit Reichskunstwart Redslob 232 demonstrativ als Fürsprecher der Kunstfreiheit auf. Für Waetzoldt war dabei wie bei den Reformüberlegungen für den Ausstellungsbereich das Kriterium Qualität ausschlaggebend. Ausdruck fand das beispielsweise, als Waetzoldt den Protest im Fall Gurlitt damit begründete, „dass sich die Beschlagnahme gegen Künstler richtet, die schon durch den Ruf, den sie in der Öffentlichkeit geniessen[,] und durch ihre Leistungen vor dem Verdacht geschützt sein sollten, dass ihre Arbeiten irgendwie an die niedrigen Instinkte des Publikums sich wenden. Professor Lovis Corinth [...] hat einen Namen von europäischem Rang, seine Bedeutung als Künstler wird von allen künstlerischen Parteien anerkannt. Heinrich Zille hat sich in zäher Arbeit zu einem Künstler gebildet, dessen Eigenart darin beruht, dass er eine hohe zeichnerische Begabung in den Dienst scharfer Beobachtung und Darstellung des Berliner Lebens, vor allem der Welt des Proletariats, gestellt hat. [...] Willi Geiger, Reinhard [sie] Janthur und Georg Walther Rössner sind jüngere, rasch bekannt gewordene, von der ernsten Kunstkritik gewürdigte Künstler." 233 Bemühte sich Waetzoldt damit um eine sachliche Untermauerung des ministeriellen Einsatzes und so letztlich um die Etablierung einer durch die Orientierung an der Fachdiskussion ernstzunehmenden Kunstpolitik, 234 war der Protest gegen die Beschlagnahmen für Haenisch offenbar vor allem als Positionierung in der übergeordneten Zensurdebatte wichtig. 235 Der im Zusammenhang der Zensurdebatte immer kompromißlosere Rückzug des Ressortchefs auf den Anspruch, die Kunstfreiheit gegen alle Angriffe von außen verteidigen zu wollen, stellte dann auch die Folie dar, vor der die auf die Berliner Kunstausstellung bezogene Haltung Haenischs zu verstehen ist. Die Zensurdebatte und die Auseinandersetzung
zettel KM, 10.12.1920, gedr. / hs. u. Altmaier an Woldt [?], [2.1.1921], hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 27, 31 u. 3 6 - 3 7 ; siehe dazu auch Entwurf KM an Justizministerium, 1.6.1921, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 73. 231 Vgl. Heinrich
Vogelers Verhaftung,
in: W.d.Ku.,
Jg. 8, Nr. 33, 26.5.1919, S. 222; BT, Jg. 49,
Nr. 432, 14.9.1920; Nr. 449, 23.9.1920; Georg Minde-Pouet: Der wilde Konfiskationsgeist, in: Cie., Jg. 13, Nr. 3, Febr. 1921, S. 94 f. 232 Vgl. dazu ausführlich Laube 1997, S. 142-190; siehe auch Georg Minde-Pouet: Der wilde Konfiskationsgeist, in: Cie., Jg. 13, Nr. 3, Febr. 1921, S. 94 f; Kunst und Sittlichkeit, in: Ku.wart, Jg. 34/2, Nr. 8, Mai 1921, S. 114-118; Redslob 1972, S. 176 f; Heffen 1986, S. 72. 233 Waetzoldt an Justizministerium, 16.11.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 26; vgl. Schunk 1993, S. 435 f. 234 Vgl. dazu auch Becker an Haenisch, 28.12.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 65-68, Bl. 65 v. 235 Deutlich wurde dies etwa in einer Stellungnahme des Ministers (Haenisch, 30.11.1920/3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7285), in der er Zille, Corinth und Verlaine sowie Wedekind und Lautensack in einem Zusammenhang erwähnte; ähnlich auch Konrad Haenisch etc.: Gutachten über in: Weltb., Jg. 17/2, Nr. 47,24.11.1921, S. 521-525.
Brunner,
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Große Berliner Kunstausstellung
161
mit Koester vermengend, 236 lehnte Haenisch wie für den Theater- so auch für den Ausstellungsbereich jeden reglementierenden oder auch nur steuernden Eingriff des Ressorts ab und bestand trotz aller Kritik auf der Kunstfreiheit als alleinigem Maßstab für die Glaspalastschau. In diesem Sinne äußerte er sich 1921 rückblickend zu Koesters Forderungen: „Hatte die aus den ersten Kunstverständigen zusammengesetzte Jury die Bildwerke einmal zugelassen, so wäre es [...] einfach ein banausischer Mißbrauch der Amtsgewalt gewesen, nachträglich von Staats wegen dagegen einzuschreiten. [...] die Entscheidung darüber, was Kunst ist oder nicht, geht den Staat als solchen nicht das mindeste an. [...] Der Staat, der sich als Kunstrichter aufspielt, verkennt seinen Beruf vollkommen. Er ist kein Nachtwächter und er ist auch keine Kleinkinderbewahranstalt. Was von der modernsten Malerei und Bildhauerei bloß Modetorheit und darum auf die Dauer lebensunfähig ist, das wird sich schon von ganz von selbst abwirtschaften. Das Gute aber wird sich durchringen. Der Staat soll nur sorgen für gerechte Verteilung von Licht und Schatten und für gleiche Entfaltungsmöglichkeiten für allei Dann hat er reichlich genug getan. Eine Polizeirolle in Kunstdingen ist nicht seines Amtes. Darum hieß es für mich: Hände weg von dem Ringen der Künstler und Kunstrichtungen auf der freien Arena, die ihnen zu schaffen die alleinige Aufgabe des Staates sein darf!" 237 Damit ließ Haenisch das in der zeitgenössischen Diskussion so präsente Kriterium Qualität zwar nicht gänzlich unberücksichtigt, stellte es aber, zumal die Jury in der suggerierten Form eines zentralen Sachverständigengremiums eben nicht existierte, letztlich nicht, wie Waetzoldt oder Redslob es taten, als Voraussetzung, sondern als Ergebnis der staatlichen Kunstförderung dar. Dem Leitsatz folgend, das ästhetische Urteil dürfe nicht von oben dekretiert werden, sondern müsse von unten wachsen, sah er vielmehr die vom Staat zu fördernde Urteilsfähigkeit des selbstverantwortlichen Rezipienten als die elementare Größe an, die an die Stelle der Zensur treten solle.238 Aus inhaltlichen Entscheidungen über die Kunst wollte Haenisch den Staat vor diesem Hintergrund vollständig herausgehalten wissen. Aus der verengten Perspektive der Zensurdebatte ignorierte er dabei jedoch den für das Ausstellungswesen wichtigen Unterschied zwischen allgemeinem Freiheitsgrundsatz und konkreter Förderpolitik ebenso beharrlich wie die Tatsache, daß auch eine freiheitlichdemokratische Förderpolitik ohne qualitative Differenzierungen, also ohne zumindest Kunst und Kitsch voneinander zu scheiden, kaum glaubwürdig funktionieren konnte. Das heißt konkret: Haenisch begriff die Berliner Kunstausstellung, die faktisch Teil staatlicher Kunstförderpolitik war, eben nicht als Veranstaltung, für die auch der freiheitliche Staat aktiv mitverantwortlich war, sondern er betrachtete die Schau im Glaspalast nahezu ausschließlich von der den Staat in diesem Fall passiv haltenden Warte der Kunstfreiheit. Der Freiheits- und Gleichheitsidee relativ eindimensional verpflichtet, verschloß sich der Minister so im Endeffekt einem bewußteren Umgang mit der Berliner Kunstausstellung, wie ihn Waetzoldt anstrebte, und legitimierte die Präsentation im Landesausstellungsgebäude statt
236 Vgl. Haenisch, 30.11.1920/3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7289 f.
237 Haenisch 1921, S. 155 f; vgl. dazu auch Konrad Haenisch etc.: Gutachten Jg. 17/2, Nr. 47, 24.11.1921, S. 521-525. 238 Vgl. Haenisch 1921, S. 157-159.
über Brunner,
in: Weltb.,
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II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
dessen weiterhin ausdrücklich als Schau, auf der alles nach Belieben und in möglichst großer Zahl gezeigt werden sollte, solange nur eine der beteiligten Künstlergruppen die Werke zuließ. Der von Haenisch absolut gesetzte Kunstfreiheitsgrundsatz erwies sich, wie die Nivellierungskritik und die Alternativkonzeptionen seit 1920 zeigen, als alleinige Basis für die Berliner Kunstausstellung allerdings als immer weniger tragfähig. Gleichzeitig waren angesichts der vom Minister vehement vorgetragenen Haltung differenziertere Positionen wie die Waetzoldts noch nicht durchsetzbar. Die Berliner Kunstausstellung war so in doppelter Hinsicht charakteristischer Exponent der teilweise noch tastenden Kunstpolitik der Republik Preußen in der ersten Zeit nach der Revolution. Zum einen war die Ausstellung als Manifestation der gemäßigten kunstpolitischen Neuorientierung nach 1918 zu verstehen. Sie war Ausdruck des Anspruchs auf eine gleichberechtigte Öffnung des Kunstbetriebes auch für modernste Richtungen, sie stellte im konkreten Sinne die Plattform dar, die das Ministerium Haenisch für die vielschichtigen Bestrebungen in der Kunst schaffen wollte, und sie stand zugleich vor allem auf organisatorischer Ebene für den Verzicht auf eine radikale Negierung des Alten. Zum anderen spiegelt die zentrale Schau im Landesausstellungsgebäude wie kaum ein anderer Bereich der staatlichen Kunstpolitik die Grenzen und Schwierigkeiten, die sich aus dem von Haenisch nicht weiter differenzierten Anspruch auf Kunstfreiheit ergaben. Insbesondere führte die Ausstellung vor Augen, wie schwierig die kunstpolitische Gratwanderung zwischen dem Anspruch auf absolute Freiheit und der Gefahr, in Beliebigkeit, Gleichmacherei und Kitsch abzugleiten, gerade dort sein konnte, wo eine vor fachlichem Hintergrund sondierende und eigene Schwerpunkte setzende Zwischeninstanz, wie sie zum Beispiel Justi für die Nationalgalerie verkörperte, fehlte. Die zweite, problematische Seite der Berliner Schau machte die Kunstpolitik unter Haenisch ausgerechnet auf ihrem ureigenen Terrain, der Kunstfreiheit, zunehmend angreifbarer - und zwar nicht nur für Kritiker von rechts, sondern, was noch schwerwiegender war, auch für liberale Fachleute, auf die das Ressort nach 1918 eigentlich als Unterstützer seiner Modernisierungsbestrebungen hatte bauen können. Am Beispiel der Berliner Ausstellung zeigte sich so bald und eindringlich die Notwendigkeit der weiteren Differenzierung des nach der Revolution in Abkehr vom wilhelminischen System definierten Freiheitsanspruchs, wollte man eine wahrnehmbare demokratische Kunstpolitik betreiben, die nicht in einer alles berücksichtigenden Beliebigkeit steckenbleiben wollte. Haenischs absoluter, in der Zensurdebatte geschärfter Kunstfreiheitsanspruch, der im Kontext von Verbot und Beschlagnahme durchaus sinnvoll war, stieß bei der Kunstschau in staatlicher Trägerschaft, die Teil einer eben doch nicht auf alle beziehbaren Förderpolitik war, klar an seine Grenzen. Qualität als unabdingbares flankierendes Kriterium der freiheitlich-demokratischen Kunstpolitik, mit dem der Staat selbst aktiver und pointierter agieren kann, ohne dabei die Kunst zu bevormunden, 239 rückte daraufhin zwar bereits unter Haenisch ins Bewußtsein auch der staatlichen Handlungsträger. Für die Berliner Ausstellung hatte dies zunächst aber keine praktische Relevanz. Die allen offenstehende Landeskunstschau entpuppte sich so nach
239 Zur Relevanz des Qualitätskriteriums bis in die Gegenwart hinein vgl. etwa Rau 1973, S. XI f.
4. Öffentlichkeitswirksame
Neuerungen:
Große Berliner
Kunstausstellung
163
aller Anfangseuphorie - im Gegensatz etwa zum Kronprinzenpalais, bei dem das Zusammenspiel zwischen Kunstfreiheitsgarantie und von Experten gewährleisteter Qualitätsarbeit überzeugender funktionierte - auf längere Sicht eher als weiterhin reformbedürftiges Problemfeld denn als zukunftsweisendes Element der preußischen Kunstpolitik. 240
240 Symptomatischer Ausdruck dessen war nicht zuletzt, daß bald die Ausstellungen der Akademie den Glaspalastschauen den Rang abliefen, vgl. dazu Fritz Stahl: Akademische und Juryfreie, in: BT, Jg. 49, Nr. 523, 15.11.1920; Die Ausstellung der Akademie der Künste, in: BT, Jg. 49, Nr. 523, 15.11.1920.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung 5.1. Der theoretische Anspruch des Ministeriums Das Ende des Jahres 1918 stand keineswegs nur für den von vielen modernen Künstlern euphorisch begrüßten revolutionären Neubeginn. Mit der militärischen Niederlage, der Abdankung des Kaisers und der Erschütterung des wilhelminisch geprägten gesellschaftlichen Normen- und Wertesystems ging vielmehr für weite Bevölkerungskreise ein starkes Gefühl der Verunsicherung und Verbitterung einher. Die Ablehnung der Versailler Friedensbedingungen wurde dabei zum Negativkonsens einer Nachkriegsgesellschaft, der das Fundament entzogen zu sein schien.1 Auch die Führung des Kultusressorts war von solchen Emotionen beeinflußt. Hatte sich Haenisch bereits bei Bekanntwerden der Kriegsniederlage, durch die er den starken Nationalstaat als Voraussetzung seiner gesellschaftlichen Neuordnungspläne in Frage gestellt sah, erschüttert gezeigt,2 machte der Minister ähnlich wie Staatssekretär Becker 3 im Sommer 1919 aus seiner Empörung über Versailles keinen Hehl. 4 Gleichzeitig nutzte er die Ablehnung jedoch, um eindringlich zu appellieren: „Gerade in diesen Tagen des furchtbaren Zusammenbruchs, in diesen Tagen, da Jämmerlinge aller Art sich nicht genug tun können in einer oft fast masochistisch anmutenden nationalen Selbstbespeiung und Selbstgeißelung, da sie mit hysterischem Gekreische tagtäglich aller Welt die Selbstanklage von Deutschlands ,alleiniger verbrecherischer Schuld' am Weltkriege in die Ohren schreien - gerade in diesen Tagen tut uns das Bekenntnis zur nationalen Würde und Selbstachtung dreifach not." 5 Und auch Becker trat wenig später dafür ein, Versailles „innerlich" zu überwinden. 6 Deutlich unterstrich das Ressort damit sein Anliegen, dem negativen Ausgangspunkt Versailles ein neues Nationalbewußtsein als positiven Integrationsfaktor entgegenzusetzen.7 Wie dieses neue Selbstbewußtsein als Nation aussehen und worauf es sich stützen sollte, hatte Haenisch schon während des Krieges durch die Beschwörung der klassenübergreifenden „deutschen Gefühls- und Gedankengemeinschaft", die Darstellung Deutschlands als Kulturnation ersten Ranges, das Postulat eines neuen Menschentypus', der ökonomisches Denken, Gemeinsinn und nationales Kulturbewußtsein in sich vereinen sollte, sowie durch das Ideal der Bildung für das „Volksganze" und die Charakterisierung der SPD als künftiger Kulturpartei angedeutet (siehe Kap. II. l.l.). 8 Kurz vor Kriegsende hatte er für den Fall
1 Vgl. Megerle 1990; Kolb 1993, S. 195; H . A. Winkler 2001, Bd. 1, S. 3 9 8 - 4 0 3 ; Knütter 1988, S. 3 9 5 397; Mühlhausen 1999, S. 4 7 - 5 0 ; Preußen in Weimar 1982, S. 48 f. 2 Vgl. Sigel 1976, S. 160 f; zu Haenischs Eintreten für den starken Nationalstaat vgl. z.B. Haenisch 1915 c. 3 Vgl. Becker 1919 a, S. 53. 4 Vgl. auch Haenisch 1920 c, S. 56 f; Haenisch 1920 a, S. 34. 5 Haenisch 1919 a, S. 6; Abdruck auch in: Konrad Haenisch: Dennoch!,
in: Glocke, Jg. 5 / 1 , Nr. 13,
Juni 1919, S. 3 8 8 - 3 9 3 . 6 Becker 1919 a, S. 53. 7 Vgl. dazu Speitkamp 1994, S. 541, 544 u. 580. 8 Grundlegend in diesem Zusammenhang Haenisch 1919 a; Haenisch 1918 a; vgl. dazu auch Müller 1991, S. 237.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Anspruch
165
einer SPD-Regierungsübernahme eine Verlängerung des Burgfriedens angekündigt und seinem Konzept einer von starken Individuen und gemeinsamer Kultur getragenen „Volksgemeinschaft" Relevanz über den Krieg hinaus zugesprochen. 9 Ende 1918 hatte er seinen klassenübergreifenden Gesellschaftsentwurf auf die Republik übertragen. Für die Neuorientierung nach dem Umsturz erwiesen sich hier zwei Aspekte als zentral: Zum einen wurde nun die Förderung sozial agierender, eigenverantwortlicher, moralisch gefestigter „mündiger Staatsbürger", die ihre Fähigkeiten in den Dienst der modernen demokratischen Gemeinschaft stellen sollten, besonders betont. 10 Zum anderen rückte angesichts von Separatismus und Gebietsabtretungen, die der Minister scharf verurteilte, 11 aus einem Gefühl der territorialen Bedrohung heraus und in Anknüpfung an die Positionen der LenschCunow-Haenisch-Gruppe das nationale Moment in den Vordergrund. 12 Das Gemeinschaftsideal und der aus der Defensive heraus formulierte nationale Anspruch entwickelten sich, eng miteinander verwoben, zum Haupthintergrund des ministeriellen Bemühens, ein neues nationales Selbstwertgefühl über alle Klassengegensätze hinweg zu etablieren. Wie in seiner Schrift Kulturpolitische Aufgaben von Anfang 1919 deutlich wird, war es Haenisch dabei zunächst wichtig, gerade nach den „ungeheuerlichen Waffenstillstandsbedingungen" bei aller Wertschätzung fremder Kultureinflüsse in Deutschland 1 3 die internationale Bedeutung deutscher Kultur ins Bewußtsein zu rücken, gegen die nationale Apathie anzugehen und die Erziehung im „Wurzelboden unseres Volkstums" zu verankern. 14 Letztlich solle so durch Besinnung auf die gemeinsame Kultur „aus den Ruinen, als die sich heute unser Vaterland darstellt, neues Leben, neues Keimen und Blühen sprießen". 15 Näher erläuterte der Minister diesen Anspruch im Mai 1919 in seiner ersten großen kunstpolitischen Rede nach dem Krieg in der Berliner Akademie (siehe Kap. II. 3.2.), wo er als Grund für den Zusammenbruch des deutschen Volkes 1918 anführte, „daß wir [zuvor] [...] alle miteinander zu sehr auf das rein Mechanische, auf das rein Materielle eingestellt waren, daß wir [...] zu sehr die große brutale Macht angebetet haben, sei es die rein militärische Macht, sei es die rein politische Macht, sei es die rein wirtschaftliche Macht [...] und [...] daß bei alledem doch unser eigentlichstes Wesen, der deutsche Geist und die deutsche Seele manchmal vielleicht etwas zu kurz gekommen sind. [...] Das hat sich gerächt, und das hat vielleicht auch zum großen Haß [...] gegen uns [...] beigetragen, dieses allzu brutale und wilde Machtbewußtsein und diese allzu schroffe Abkehrung von unserem eigentlichsten
9 Vgl. Haenisch 1918 b; Der Weg zum Frieden und zur Freiheit, in: Deister- und Weserzeitung, Jg. 71, Nr. 247, 20.10.1918, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 482, Bl. 5; Sigel 1976, S. 114 f; Haenisch 1915 c, S. 17-23. 10 Grundlegend in diesem Zusammenhang v. a. Haenisch 1919 c, S. 10-24; Haenisch 1919 e; vgl. dazu Haenisch 1918 a, S. 14 f; Albert Zimmermann an Haenisch, 4.2.1919, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 454, Bl. 211-212; Haenisch 1921, S. 29 f; Zur Volkshochschulfrage 1919, S. 20 f. 11 Vgl. Haenisch 1919 c, S. 27 f; vgl. dazu die irreführende Sicht in Willett 1981, S. 48 f. 12 Vgl. ζ. B. Haenisch, 23.5.1919, in: LV, Prot., Sp. 1776. 13 Konkret ging es hier etwa um den Einfluß der französischen Malerei auf die deutsche Kunst, vgl. Haenisch 1919 c, S. 26. 14 Haenisch 1919 c, S. 25-29; ähnlich schon Haenisch 1918 a, S. 27; Haenisch 1919 b, S. 25. 15 Haenisch 1919 c, S. 31.
166
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Wesen." 16 Seine Politik verstand Haenisch als Abkehr von dieser Fehlentwicklung und mithin jene vernachlässigten geistig-kulturellen Werte als Kräfte, von denen nun die Neuorientierung des Volkes und „die deutsche Wiedereroberung der Welt" ausgehen solle.17 Dabei sah er sich weit davon entfernt, daß am deutschen Wesen die Welt genesen solle. Vielmehr wolle man allen Nationen ihre Eigenart lassen, aber man müsse sich im Interesse des eigenen Selbstwertgefühls auch über die deutschen Stärken klar werden - und er sei davon überzeugt, „daß der Kunst und den Künstlern bei der Wiederaufrichtung unseres aus tausend Wunden blutenden Vaterlandes eine ganz besondere, eine hervorragende Aufgabe zukommt." 18 Damit benannte Haenisch bereits im Frühjahr 1919 die Grundintentionen, die sich mit seiner nationalintegrativen Politik verbanden: 1. die Etablierung eines über Kultur und Kunst vermittelten sozialeren, sensitiveren und selbstbewußteren gesellschaftlichen Grundkonsenses jenseits von Kaiser, Militärmacht und Revanchismus sowie 2. im Interesse der deutschen Wiedereingliederung in die internationale Staatengemeinschaft ein von dieser Basis aus bewußtes Wirken durch deutsche Kunst und Kultur auch nach außen. Gleichzeitig gab der Minister Hinweise darauf, mit welchen Inhalten das neue nationale Selbstbewußtsein konnotiert sein sollte.19 Entscheidend präzisiert wurde dieser Anspruch dadurch, daß sich aus bildungsbürgerlich-liberalen Motiven und vor dem Hintergrund seiner Einbindung in die auswärtige Kulturpolitik während des Weltkrieges20 auch Becker intensiv mit der Frage beschäftigte, wie man der Nachkriegsgesellschaft innen- wie außenpolitisch Perspektiven geben und diese staatlich fördern könne. Schon Ende November 1918 hatte Becker in einem unter dem Titel Kulturelle Selbstbehauptung veröffentlichen Beitrag ähnlich wie später der Minister konstatiert, nach dem Ende des Wilhelminismus müsse es darum gehen, die Selbstzweifel des Volkes aufzufangen und dessen „Seele" über die Besinnung auf nationale Eigenarten und Kulturwerte, die nur durch Abgrenzung nach außen möglich sei, zu retten.21 Weil die Reichseinigung unter militärischen Vorzeichen erfolgt und das Kaiserreich mehr Beamtenstaat als kulturschaffender Staat gewesen sei, aber auch angesichts des Föderalismus und Partikularismus in Deutschland schätzte er das Reich als solches jedoch bisher als „kulturlos" ein.22 Und eben das, führte Becker, an die neue Regierung gewandt, aus, müsse sich jetzt ändern. Ohne Besinnung auf nationale Kulturwerte seien nämlich auch für den Sozialismus unabdingbare deutsche Geisteshaltungen wie soziales Empfinden oder Idealismus gesellschaftlich nicht abrufbar. Hatte Becker hier analog zu Haenisch die Transformation der Staats- zur Kulturnation und damit die Kulturstaatlichkeit als Voraussetzung für die
16 Rede Haenisch, 2.5.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 8-10, Bl. 9 r; zur Rede vgl. auch Gerhart Hauptmann Mitglied der Akademie der Künste, in: BT, Jg. 48, Nr. 199, 4.5.1919, S. 3. 17 Zum Kontext vgl. Segal 1997, S. 61 f u. 64 f. 18 Rede Haenisch, 2.5.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 8-10, Bl. 8 v - 9 v. 19 Zur Kulturpolitik Haenischs vgl. auch Speitkamp 1996, S. 171-173. 20 Vgl. dazu ausführlich Müller 1991, S. 104-135 u. 215-223. 21 Becker: Kulturelle Selbstbehauptung,
in: Neue Europäische Zeitung, 22.11.1918, in: GStA PK,
I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7676; vgl. dazu auch Müller 1991, S. 234 f. 22 Becker: Kulturelle Selbstbehauptung,
in: Neue Europäische Zeitung, 22.11.1918, in: GStA PK,
I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7676.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Anspruch
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neue demokratische Gesellschaft postuliert und diese damit zugleich mit alten bildungsbürgerlichen Idealen ausgesöhnt, 2 3 verlieh er im Sommer 1919 seinem Anspruch auf eine gezielte Förderung kultureller Identität wiederholt und an exponierter Stelle Ausdruck. 2 4 N a c h dem er seine Gedanken im Juni 1919 in der Deutschen
Gesellschaft
1914 einem exklusiven,
für die Thematik besonders aufgeschlossenen Kreis vorgestellt hatte, 2 5 legte er sie in einer v o m Verfassungsrechtler H u g o Preuß angeregten Denkschrift dar, die er im Juli 1919 dem Verfassungsausschuß der Nationalversammlung übermittelte und die im August 1919 in erweiterter F o r m unter dem Titel Kulturpolitische
Aufgaben
des Reiches publiziert wurde. 2 6
Beckers Hauptintention war hier, im Sinne der angestrebten Identitätsstiftung die PreußForderung nach einer kulturpolitischen Zentralinstanz im Reich zu untermauern (siehe Kap. II. 6.). 2 7 Darüber hinaus gab die Publikation Aufschluß darüber, wie der Staatssekretär sein Konzept einer nationalintegrativen Kulturpolitik generell verstanden wissen wollte. Kulturpolitik als „bewußte Einsetzung geistiger Werte im Dienste des Volkes oder des Staates zur Festigung im Innern und zur Auseinandersetzung mit anderen Völkern nach außen" definierend, 2 8 betonte Becker als Defizit der Kaiserzeit, daß allein wirtschaftlich-militärisches Machtstreben und die monarchische Idee als integrative Inhalte propagiert worden, diese aber ungeeignet gewesen seien, nationale Identität jenseits des Einschwörens auf den wilhelminischen Staat zu vermitteln. 2 9 Daher sei das föderalistische Deutsche Reich noch
23 Vgl. dazu auch Becker: Die deutsche Unterrichtspolitik, o.D., ms. / hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1762; Haenisch 1915 c, S. 22; Hardtwig 1994, S. 531 f; Speitkamp 1996, S. 187; Speitkamp 1994, S. 549 u. 579; Düwell 1976, S. 12 f; siehe dazu jedoch auch Müller 1991, S. 2 5 8 266. 24 Zur Genese der Position Beckers vgl. Müller 1991, S. 224 f, 232 u. 234-253. 25 Vgl. Becker: Kulturpolitik des Reiches, Vertragsentwurf für die Deutsche Gesellschaft 1914, 2.6. 1919, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7189; vgl. dazu auch Müller 1991, S. 267 f; Groppe 1997, S. 539 f; zur Deutschen Gesellschaft vgl. Sösemann 1993, S. 169-178. 26 Becker 1919 a; unter dem Titel Kulturpolitische Zuständigkeiten des Reiches auch als Sonderdruck der Verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung, [1919], in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 6841; zur Schrift vgl. Müller 1991, S. 266-274; Groppe 1997, S. 540 f; Erwin Ackerknecht: [Zu Becker 1919 a], in: Bildungspflege, 1, H. 3, 1.12.1919, S. 101-104, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1664; Heffen 1986, S. 36-41; Campbell 1981, S. 147 f; Hammel 1990, S. 120 f; Speitkamp 1994, S. 547-551; zum Kontext vgl. Müller 1991, S. 253-255, 259 f u. 266 f. 27 Vgl. Becker 1919 a, v. a. S. 9 , 1 1 , 1 4 - 2 1 , 30 f u. 36 f; Speitkamp 1996, S. 172 f, 175 u. 184; Speitkamp 1994, S. 552 f; Müller 1991, S. 251-254 u. 266 f; Laube 1997, S. 11-14; Heuer 1983, S. 51 f; Eimers 1969, S. 203; Schlenke 1987, S. 120; Schulze 1977, S. 253; Zentralrat 1968, S. 461 f; Möller 1985, S. 64 f; Dorrmann 1999, S. 30 f; ähnlich auch Becker: Der Neuaufbau des Reichs vom Standpunkt deutscher Kulturpolitik, [1918/19], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1376; Bildungsaufgaben im neuen Deutschland, in: BT, 16.9.1920, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7530; Redeentwurf Becker: Probleme der Reichskulturpolitik, o.D., hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1646; Max Dessoir: Das Reichskulturamt, in: Voss. Ztg., 25.2. 1919, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7258. 28 Becker 1919 a, S. 2 u. 13; vgl. dazu auch Becker: Kulturpolitik des Reiches, Vertragsentwurf für die Deutsche Gesellschaft 1914, 2.6.1919, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7189. 29 Becker 1919 a, S. 3 - 8 .
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II. Neuorientierung
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keine geschlossene Nation. 30 Nach dem Zusammenbruch der Monarchie stehe man jetzt „vor der ungeheuer schwierigen Aufgabe, ein neues einigendes Band zu suchen, das uns über unseren Stammespartikularismus, über unsere konfessionelle Spaltung und über unsere berufsständische und soziale Gliederung hinaus zum Einheitsvolk werden läßt." 31 Zumal Deutschland „bei seiner politischen und wirtschaftlichen Ausschaltung [...] im Ringen der Völker nur noch seinen Ideengehalt als Einsatz" habe,32 komme einer Erziehungspolitik fundamentale Bedeutung zu, in der alles, was dem Einheitsgedanken diene, betont werde.33 Als typisch deutsche Inhalte und Ideale, die es mit Blick auf die „deutsche Einheitskultur" 34 zu vermitteln gelte, sah Becker in Auseinandersetzung mit der deutschen Kulturgeschichte neben dem Rationalismus die Sehnsucht nach dem Irrationalen und die völkerverbindende Menschlichkeit an.35 Daran anknüpfend formulierte er als politische Intention die Vermittlung einer Lebensauffassung, die auf einem Bewußtsein als Volk und einer mit diesem verbundenen ethischen Haltung des Einzelnen basieren 36 und eine Abkehr von der als Hauptgrund für den deutschen Zusammenbruch interpretierten bisherigen „Uberschätzung des rein Intellektuellen in unserer Kulturbetätigung" einleiten sollte.37 Wohl wissend, daß er damit für ein Ideal votierte, verband Becker die Hoffnung mit dieser Intention, daß sie „eine normative Kraft von packender Wucht enthält". 38 Insgesamt trat er für eine gezielte, humanistisch akzentuierte Kulturpolitik mit weitreichendem Gesellschaftsanspruch ein, in die neben den Schulen Kunst und Wissenschaft zentral eingebunden werden sollten.39 Ziel dieser Politik war es, „unser zerrissenes Volk sich in einer höheren Einheit zusammenfinden [zu] lassen" 40 und die so gestärkte Republik als selbstbewußten Partner in eine neue europäische Gemeinschaft zu integrieren.41 Trotz aller weltanschaulichen Unterschiede, die den Sozialdemokraten Haenisch und den parteilosen Liberalen Becker trennten, wies das nationalintegrative Konzept des Staatssekretärs klare Affinitäten zu den Vorstellungen des Ministers auf.42 Die gemeinsame bildungsbürgerliche Prägung, ein ähnliches diskursives Umfeld etwa in der Deutschen Gesell30 Ebd., S. 3. 31 Ebd., S. 5. 32 Ebd., S. 15. 33 Ebd., S. 5. 34 Ebd., S. 45. 35 Ebd., S. 47-52. 36 Ebd., S. 54-57. 37 Ebd., S. XIII f. 38 Ebd., S. 57 f. 39 Ebd., S. 27-30, 37 u. 41 f; vgl. auch Becker: Kulturpolitik des Reiches, Vertragsentwurf für die Deutsche Gesellschaft 1914, 2.6.1919, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7189; Becker: Formen des dritten Humanismus,
o.D., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker,
Nr. 8132; Müller 1991, S. 395-402. 40 Becker 1919 a, S. 58; vgl. dazu auch Müller 1991, S. 225-227 u. 251 f; Hammel 1990, S. 120; Wende 1959, S. 63. 41 Becker 1919 a, S. 53; zur Kulturpolitik Beckers vgl. auch Speitkamp 1996, S. 172 f. 42 Vgl. Müller 1991, S. 237; Speitkamp 1996, S. 172 f; Speitkamp 1994, S. 547-549; vgl. dazu die irreführende Einschätzung in Weimarer Republik 1977, S. 518.
y Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Anspruch
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schaft 43 und die enge Zusammenarbeit im Ressort dürften zusätzlich verbindend gewirkt haben. Konkret läßt sich die Ubereinstimmung an folgenden Punkten festmachen: Ahnliche Ansichten zu den Fehlentwicklungen der Kaiserzeit führten Haenisch und Becker dazu, das nach dem Ende der Monarchie manifest werdende nationale Identitätsdefizit durch Besinnung auf die eigene Kultur kompensieren und so eine sozialere, Individualität mit Gemeinsinn verbindende und in ihrem Gefühl als Nation selbstbewußt gestärkte Gesellschaft fördern zu wollen. Überdies waren sich beide einig, daß auch eine gezielte auswärtige Kulturpolitik in dieses Konzept einzubeziehen, jeder Chauvinismus abzulehnen und langfristig die deutsche Eingliederung in ein internationales Netzwerk gleichberechtigter Völker anzustreben sei.44 Uberzeugt von der Relevanz gerade der Kunst als Sensiblisierungsfaktor sowie als Ausdruck nationaler Kultur, schrieben Haenisch und Becker speziell der Kunstpolitik eine maßgebliche gesellschaftliche Funktion nach innen wie nach außen zu. Angesichts dieses Konsenses verschmolzen die Konzepte Beckers und Haenischs im Laufe des Jahres 1919 immer mehr zu einem generellen Ressortanspruch, in den linke, liberale und bildungsbürgerliche Prägungen einflossen. 45 Klar wurde das bereits im Juni 1919, als die Kunstabteilung argumentierte: „Die Wiedergeburt unseres Volkes ist denkbar nur durch geistige Erneuerung in allen Schichten und Parteien. Wie nach dem großen Zusammenbruch vor hundert Jahren bedarf es der Zusammenfassung aller derjenigen Kräfte, die über das Materielle hinausführen. In der vollen Bedeutung ihrer sozialen Funktion treten heute hervor: das sittliche Denken und Wollen, das wissenschaftliche Erkennen und Erfinden, das künstlerische Empfinden und Schaffen. Oeffentliche Aufwendungen, die diese Funktionen stärken, die gegen den Materialismus dem Idealismus Kraft geben, sind werbende Ausgaben." 46 Auf den Punkt brachten Becker und Haenisch die ministeriellen Vorstellungen Ende 1919 in der ersten preußischen Kultusdebatte nach dem Krieg. Nachdem Haenisch schon im Ausschuß Wissenschaft und Kunst als „Kristallisationspunkt für die Wiederbelebung unseres Volkes" dargestellt hatte, 47 hob er im Plenum hervor, „daß von der deutschen Seele, vom deutschen Geist aus die Gesundung unseres tiefkranken Volkskörpers ausgehen wird", und prophezeite den Deutschen „noch eine gewaltige Kulturmission unter den Völkern". 48 Becker spitzte die Ressorthaltung angesichts drohender Etatkürzungen zu, die Aufrechterhaltung des Titels für Wissenschaft und Kunst sei „gleichbedeutend mit Selbstbehauptung im Innern und Weltgeltung nach Außen". 49 Elementar erschien ihm der Hinweis, die Kultur stelle das einzige Gebiet dar, auf dem die Wiederanbahnung internatio-
43 Vgl. dazu Sigel 1976, S. 124. 44 Zu Beckers Haltung vgl. auch Düwell 1976, S. 28-32, 243 u. 247; Düwell 1981, S. 46-48. 45 Die von Abelein 1968, S. 208 vertretene These von der Unvereinbarkeit sozialistischer Gesellschaftsvorstellungen mit dem humboldtschen Individualismus erweist sich damit zumindest für das Ministerium Haenisch als nicht haltbar. 46 KM: Kunstabteilung, Quni 1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 242-243, Bl. 242 r; vgl. dazu auch Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815 f. 47 Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815. 48 Haenisch, 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7258. 49 Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806; vgl. auch Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6782.
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II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
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naler Beziehungen möglich sei.50 Haenisch bestätigte seine positive Haltung zum Völkerbund, charakterisierte dessen Ziele als einzige, die „der zerstörten Welt und insbesondere dem zersörten Europa Rettung und Heil bringen" können, und distanzierte sich von der nationalistischen Überheblichkeit, „die uns in der Welt so verhaßt gemacht hat und die nicht zum wenigsten uns in dieses furchtbare Unglück hineingerissen hat, in dem wir heute stehen." 51 Zugleich rief er zur Besinnung auf die „große Kulturvergangenheit unseres Volkes" und „die unsterblichen Schätze unserer Kultur" und zum stolzen Bekenntnis des „Deutschtums" gerade in der Zeit der „Erniedrigung" auf. 52 Der internationale Gedanke und ein starkes nationales Selbstbewußtsein wurden dabei, Artikel 148 der Reichsverfassung entsprechend, 53 als durchaus miteinander kompatible, elementare Pole einer neuen, bewußt nicht aggressiv verstandenen nationalen Kulturgemeinschaftsvision präsentiert. 54 Auf dieser Basis ging Becker im Plenum der Landesversammlung am 5. Dezember 1919 unter dem Leitthema „Beziehungen der Kunst zur Volksseele" erstmals differenzierter auf die Bedeutung der Kunst für die Vermittlung des angestrebten nationalen Selbstbewußtseins ein. 55 Becker, der durch die Kunstsammlung seines Vaters vermutlich früh einen Bezug zur bildenden Kunst entwickelt und diesen als genuinen Bestandteil bürgerlicher Kultur erlebt hatte, 56 unterstrich in einem ersten Schritt zunächst die elementare Rolle der Kunst für die vom Ressort geforderte Persönlichkeitsförderung, indem er erklärte: „Es gibt zweifellos eine Stufenleiter des künstlerischen Empfindens, und man kann hier langsam heraufsteigen von dem ganz primitiven Zustand des nichtschöpferischen, ja noch nicht einmal rezeptiv empfindenden Menschen bis empor zu dem Ingenium als schaffender Künstler selbst. So selbstverständlich es ist, daß die Kunst des großen Schaffens lebendig ist im Künstler selber, so gewiß muß der künstlerisch nicht produktive Mensch erst zur Kunst erzogen werden [...]. Es ist nicht möglich einem Kinde oder einem primitiven Menschen ohne weiteres ein großes Kunstwerk als solches zum Bewußtsein zu bringen. [...] In der Kunsterziehung kommt deshalb alles darauf an, daß wir dieses wohl mehr oder weniger in jedem Menschen schlummernde, das heißt wenigstens potentiell vorhandene künstlerische Sehen und Empfinden wecken, um uns zu einer wirklich höheren Kultur, zu einer Kultur
50 Vgl. Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806; Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6782. 51 Haenisch, 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7257. 52 Ebd.; ähnlich auch Konrad Hänisch über die rheinischen Fragen, in: Rheinische Zeitung, 5.8.1919, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7681. 53 Vgl. Müller 1991, S. 231 f. 54 Vgl. Haenisch, 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7256; vgl. auch Haenisch 1912, S. 51; Haenisch 1915 c, S. 9 - 1 6 ; Haenisch 1915 b, S. 6 f u. 15-20; Haenisch 1918 a, S. 27-29; Haenisch, 1920, in: LV, Dr. 3530, S. 6325; Haenisch 1920 c, S. 4 0 - 6 1 ; siehe dazu auch König (SPD), 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15669-15672; Sigel 1976, S. 39 f; Müller 1991, bes. S. 170, 207 u. 399. 55 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7330-7332. 56 Vgl. Wende 1959, S. 11 f; Becker an Bode, 10.8.1918, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz C. H. Becker; Liste Becker, März 1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1759.
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Anspruch
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des Irrationalen als Gegengewicht gegen den allzu starken Intellektualismus, unter dem wir stehen, emporzuarbeiten." 57 Becker hatte die Kunst damit als idealen Mittler der von ihm selbst als typisch deutsche Eigenschaft bezeichneten Sehnsucht nach dem Irrationalen 58 und so in doppeltem Sinne - nämlich der Abwendung vom wilhelminischen Rationalismus und Materialismus wie der Rückbesinnung auf einen als national definierten Wesenszug - als elementar für das ministerielle Bemühen um eine gesamtgesellschaftlich wesentliche Neuorientierung des Einzelnen nach dem Ende des Kaiserreiches charakterisiert. In einem zweiten Schritt wies er der Kunst zudem große Relevanz als Ausdruck des gemeinsamen nationalen Kulturgedankens zu. Die „Erziehung unseres ganzen Volkes zur Nation, zu dem lebendigen Gefühl einer inneren Zusammengehörigkeit [...] über alle Parteien hinweg" als Grundidee der Ministeriumspolitik charakterisierend, 59 betonte er: „Wir müssen gerade diejenigen Dinge, die uns alle verbinden, in den Mittelpunkt auch unserer Erziehung stellen, und ich glaube allerdings, daß gerade die Kunst etwas ist, was das Volk als Ganzes verbindet, weil eben die Kunst an sich der unmittelbarste und stärkste Ausdruck des Volksingeniums, der Individualität des Volkes ist. Das lehrt uns die Geschichte, wenn Sie irgendwo hinblicken, auf die Renaissance oder irgendeine andere Kunstperiode. Es ist keine internationale Kunst, die uns da begegnet, sondern überall zeigt sich das Ringen einer einzelnen Seele, des Mitglieds eines bestimmten Volkes, das nach Ausdruck sucht. Das Nationale verrät sich nicht nur im Gegenständlichen, sondern es wirkt auch in dem Geist, der die verschiedenen Kunstwerke erfüllt." 60 Auf die Vereinnahmung bestimmter Richtungen unter nationalen Vorzeichen oder gar die Propagierung eines bestimmten nationalen Kunststils verzichtend, nährte Becker hier die Vorstellung von der Existenz einer typisch deutschen Kunst, die gemeinschaftsfördernd wirken könne. Die Individualität des Künstlers und die einzelnen Kunstwerke wurden dabei - ähnlich wie in Haenischs und Beckers Gesellschaftskonzept die Einzelpersönlichkeit - zwar noch als eigenständige, grundlegende Größe wahrgenommen, zugleich aber bereits in einen höheren Begriff von nationaler Individualität eingebunden, über den sich ein Selbstbewußtsein als Volk vermitteln sollte. In einem dritten Schritt schließlich erläuterte Becker die Funktion, die er der Kunst im internationalen Kontext zuschrieb. An den zuvor betonten Nationalcharakter der Kunst anknüpfend, hob er hervor: „Aber es ist auch mit dem künstlerischen Vorwurf wie mit der Idee: ist sie einmal geboren, so wandert sie von Volk zu Volk, und darin liegt auf der Basis
57 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7330; vgl. dazu auch Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA
PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6782; Eine Schuldebatte in der Landesversammlung. Fortsetzung der Beratung über den Landesetat, in: BT, Jg. 48, Nr. 582, 6.12.1919, Beibl. S. 3; Max Teilhorst an Becker, 16.2.1920, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3193; ähnlich auch schon Pallat 1906, S. 360 u. 368; Haenisch 1918 a, S. 14 f; zur Materialismuskritik vgl. allgemein Wiggershaus 2001; Müller 1991, S. 272 f; Hammel 1990, S. 36. 58 Becker 1919 a, S. 4 5 - 5 8 ; ähnlich auch Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806; zum Kontext vgl. Groppe 1997, S. 62-70 u. 81-118. 59 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7332; vgl. dazu auch Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1808. 60 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7332.
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II. Neuorientierung
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des Nationalen in letzter Linie der internationale Gedanke der Wissenschaft wie der Kunst. Hierin liegt schließlich das Völkerverbindende in der Kunst, weil das Schöne etwas ist, was jeder Mensch freudig und dankbar auch vom Feinde hinnimmt, daß es ihn selber erhebt. Nur so wird die Kunst international." 61 Die Idee der selbstbewußten Kulturnation führte so letztlich zum Gedanken einer internationalen Gemeinschaft der Kulturvölker. 62 Faktisch blieb Becker in der emotionalisierten Nachkriegssituation aber erst einmal auf die nationale Ebene konzentriert.63 Die Stärkung des deutschen Selbstbewußtseins durch ideellkünstlerische Werte war ihm vorrangiges Anliegen. In diesem Sinne hielt er etwa eine Verteidigung der deutschen Kultur in den grenznahen und durch den Versailler Vertrag abgetrennten Gebieten im Osten und Westen Preußens für erstrebenswert. Dazu hatte er bereits im Ausschuß erklärt, man „werde sich in Preußen [..] zu wappnen haben gegen die kulturellen Einflüsse, die von anderen Seiten kämen; man werde mit einem Vordringen von polnischen Ideen, vor allem auch an der Rheingrenze mit einem starken Vorstoß des französischen Geistes, zu rechnen haben. Man werde sich hier einen geistigen Limes schaffen müssen nicht zu propagandistischen Vorstößen in französisches Gebiet hinein, sondern nur in dem Sinne der Notwehr, bereit zu einem freudigen Gedankenaustausch, aber auch bereit, einer Niederdrückung deutscher Kultur - nicht durch Gewaltmittel, sondern durch Schaffung eigener Werte - Widerstand zu leisten." 64 Entsprechend Schloß Becker seine Rede vom 5. Dezember 1919 mit Blick auf die innergesellschaftliche Dimension der nationalintegrativen Kunstpolitik: „In diesem Sinne wollen wir als Kunstministerium auch unsere Erziehung leiten, eine Erziehung im Sinne der Verinnerlichung, die wir unbedingt brauchen, und ich bin überzeugt, daß die Erziehung zum echten Deutschen nicht möglich ist ohne Erziehung zur Kunst." 65 Damit hatte Becker in Ubereinstimmung mit Haenisch 66 dargelegt, worauf sich die Bedeutung der Kunst als Träger und Mittler nationalen Selbstbewußtseins seiner Auffassung nach gründete und wie er sich eine Förderung dieses Selbstbewußtseins durch Kunst konkret vorstellte. Er band die Kunst und mithin die Kunstpolitik zentral in das vom Kulturgemeinschaftsgedanken lebende neue Gesellschaftsmodell des Ressorts ein und machte die Idee des über Kunst vermittelten, nach innen wie außen wirksamen nationalen Selbstbewußtseins so neben dem Anspruch einer neuen Freiheit und Offenheit zur zweiten tragenden Säule der liberal-demokratischen Kunstpolitik der Republik Preußen. Und mehr noch:
61 Ebd.; vgl. dazu auch Eine Schuldebatte in der Landesversammlung. Fortsetzung der Beratung über den Landesetat, in: BT, Jg. 48, Nr. 582, 6.12.1919, Beibl. S. 3. 62 Vgl. dazu auch schon Haenisch 1915 b, S. 15; siehe auch Becker 1919 b, S. IX. 63 Vgl. auch Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815; Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7351 f. 64 Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1808; vgl. dazu auch Haenisch 1920 a, S. 34-36; Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6782; Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7353; Konrad Hänisch über die rheinischen Fragen, in: Rheinische Zeitung, 5.8.1919, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7681. 65 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7332. 66 Vgl. dazu Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815; Haenisch 1920 a, S. 36; Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7350-7356; siehe dazu auch Vertreter des Z, 1920, in: LV, Dr. 3530, S. 6320.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Anspruch
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Indem er die Individualität und Kreativität des einzelnen Künstlers zur entscheidenden Voraussetzung für eine eigenständige und nur so überzeugende nationale Kunstentwicklung erklärte, die dann wiederum auf der Rezeptionsebene nationalintegrativ genutzt werden konnte, verknüpfte Becker die Kategorien Freiheit und nationales Selbstbewußtsein in der Kunst unmittelbar miteinander. In diesem Sinne trat er für eine Kunstpolitik ein, in der gerade aus nationalen Motiven der reglementierende Eingriff in die Kunstproduktion verpönt war und bei der statt dessen besonderer Wert auf die freie künstlerische Entfaltung gelegt wurde.67 Konkret hieß das, daß für diese Politik zum einen die Verbesserung der Bedingungen, unter denen Kunst entstand, und die Förderung eigenständiger künstlerischer Lösungen sowie zum anderen eine intensive Kunstvermittlung an die Bevölkerung zentrale Anliegen darstellten. Der nachdrücklich vorgetragene Anspruch war zugleich als Signal zu verstehen, daß sich das Kultusressort als Zentralbehörde des größten deutschen Landes selbst in der Pflicht sah, als Träger der nationalen Kunstpolitik aufzutreten (siehe Kap. II. 6.).68 Der nationalintegrative Ansatz des Ministeriums fügte sich hervorragend in die sozialdemokratische Regierungspolitik in Preußen und im Reich in der ersten Phase nach dem Krieg ein, für die vor dem Hintergrund ordnungspolitischer Interessen keineswegs die progressive Erneuerung unter linken Vorzeichen, sondern das Bemühen um gesellschaftlichen Ausgleich und die Zusammenarbeit mit den Eliten des Kaiserreiches kennzeichnend war.69 Deutlich bestätigte sich die Affinität des Ministeriums Haenisch zur Reichsregierung durch die im März 1919 von der Reichsleitung herausgegebene Aufsatzsammlung Der Geist der neuen Volksgemeinschaft, die propagierte, daß die demokratische Ordnung eine veränderte Einstellung des Einzelnen und der Gesellschaft auf geistig-kulturellem Gebiet erfordere.70 Entsprach der Aufsatzband damit bereits vom Grundimpetus her den Intentionen Beckers wie Haenischs, begriff er ebenfalls Kunst, Literatur und Wissenschaft als ideale Mittler der mit der Idee des Neuen Menschen, einer nationalen Kulturgemeinschaft und einer modernen Europaperspektive verknüpften Einstellung. Die ästhetische Reform sollte dabei den politisch-sozialen Wandel quasi vorwegnehmen.71 Konsequent schrieb die Publikation dann auch der Kunst- und Kulturpolitik in Übereinstimmung mit Haenisch und Becker eine ebenso große gesellschaftliche Relevanz zu wie der Sozial- oder Wirtschaftspolitik.72
67 Vgl. dazu auch Becker u. Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806 u. 1816; Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6782. 68 Vgl. dazu Becker 1919 a, S. 1 0 - 1 2 , 1 4 f, 29 f, 32 f, 36 f u. 41-43; Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1808; Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6782; Müller 1991, S. 266 f; Eimers 1969, S. 203. 69 Vgl. dazu auch Müller 1991, S. 395; Hardtwig 1994, S. 512 f; Wippermann 1976, S. 74-77; Lange 1987, S. 153; Mayer 1981, S. 11. 70 Der Geist der neuen Volksgemeinschaft 1919, S. 3 f; vgl. dazu auch Weinstein 1990, S. 45 f; Mayer 1981, S. 232 f; Wippermann 1976, S. 74 f; Hermand / Trommler 1976, S. 546 f. 71 Vgl. Weinstein 1990, S. 46; Wiehert 1919; Behrens 1919. 72 Der Geist der neuen Volksgemeinschaft 1919, S. 3 f.
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der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Trotz der graduellen Unterschiede zwischen dem neutraleren Duktus der Reichsschrift und der oft emotionalen Argumentationsweise vor allem Haenischs stellte sich die Absicht der gezielten Verknüpfung von Staats- und Kulturnation auf individueller, gesellschaftlicher und internationaler Ebene damit als gemeinsames politisches Motiv des Reiches und Preußens dar.73 Die konkrete Verbundenheit beider Seiten bestätigte sich auch dadurch, daß Haenisch offenbar im Vorfeld um eine Beteiligung an der Reichspublikation gebeten worden war74 und Max Hermann Baege, der 1918/19 Mitarbeiter des Kultusressorts war (siehe Kap. II. 1.1.), später zu den Autoren der Schrift gehörte.75 Mit ihrem nationalintegrativen Kunstpolitikkonzept bewegten sich die staatlichen Handlungsträger im Reich wie in Preußen in deutlicher Nähe zum Deutschen Werkbund, der sich schon vor 1914 für eine Kooperation von Kunst, Industrie und Handwerk sowie eine künstlerische Durchdringung des Alltags engagiert hatte und sich nach 1918 verstärkt um politischen Einfluß bemühte.76 Hatte sich die Orientierung des Staates am Werkbund bereits dadurch angedeutet, daß der Band Der Geist der neuen Volksgemeinschaft in seinem Kunstteil neben einem Text Fritz Wicherts einen Aufsatz von Peter Behrens enthielt,77 unterstrich Haenisch entsprechend bei der Eröffnung einer vom Werkbund mitgetragenen Hausratausstellung im staatlichen Kunstgewerbemuseum Mitte April 1919 seine Aufgeschlossenheit in diese Richtung. Schon vor 1914 hätten er und seine Freunde die Werkbundaktivitäten begrüßt, weil sich hier ein Bund zwischen Kultur und Arbeit anzubahnen schien, „der gefunden werden muß, wenn wir eine Zukunft haben wollen." 78 Während des Krieges habe der Werkbund durch Ausstellungen im neutralen Ausland eine gelungene Propaganda für Deutschland betrieben, die vor Augen geführt habe, daß die Menschheit ärmer wäre, wenn die deutsche Eigenart ausgeschaltet würde.79 Über das gemeinsame Ideal eines neuen Bündnisses von „Kopf und Hand", das in den Debatten um die SPD-Entwicklung zur Volkspartei wenig später zum Schlagwort avancierte und letztlich Ausdruck der nationalen Kulturgemeinschaftskonzeption war,80 sowie über das
73 Vgl. dazu auch Speitkamp 1996, S. 187; zum Kontext vgl. H. A. Winkler 1982; Hammel 1990, S. 31 u. 33; Rülcker 1974; Langewiesche 1982, S. 372-392; Guttsman 1982, S. 345-349 u. 354-358; Mayer 1981, S. 10-16, 30-33 u. 229-283; Neue Sachlichkeit 1994, S. 39 f; Müller 1994, S. 248-250 u. 273. 74 Vgl. A. Metzger (i.A. Zentrale für Heimatdienst) an Haenisch, 18.1.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 454, Bl. 136. 75 Baege 1919; zu Baege vgl. Haenisch 1919 b, S. 22; Müller 1991, S. 228, 230 u. 248-250. 76 Zum D W B vgl. Campbell 1981; Hardtwig 1994; Die Zwanziger Jahre des D W B 1982; speziell zur Zeit nach 1918 vgl. Campbell 1981, S. 138 u. 366; Niederstadt 1982 a, S. 29; Laube 1997, S. 21; Fritz Hellwag: Die Revolutionsprogramme
der Künstler, in: Mitt. DWB, Nr. 2, 1919, S. 33-41.
77 Zu Behrens' Position im DWB vgl. Niederstadt 1982 a, S. 28. 78 Vgl. Zusammenfassung Rede Haenisch in: Ο. B.: Ausstellung gewerbe-Museum
einfachen
Hausrates im Kunst-
Berlin, in: Mitt. DWB, Nr. 1, 1919, S. 26 f; vgl. dazu auch BT, Jg. 48, Nr. 177,
20.4.1919; Fritz Stahl: Billiger Hausrat, in: BT, Jg. 48, Nr. 179, 22.4.1919; Niederstadt 1982 a, S. 29 f; Campbell 1981, S. 143 f. 79 Siehe dazu auch Pallat 1911; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 412 f u. Bd. 2, S. 365-367; Sievers 1966, S. 302; Direktor N G (i.V. Kern) an KM, 6.4.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1. 80 Zur Haltung Haenischs vgl. Haenisch 1918 a, S. 27; Haenisch 1919 b, S. 24; Kartell geistig schaffen-
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Anspruch
175
gemeinsame Interesse an auswärtiger Kulturpolitik begründete Haenisch hier seine Sympathie für den Werkbund. Nachdrücklich stilisierte er diesen nicht zuletzt wegen seiner effektiven Arbeit in den Jahren zuvor zur Orientierungsgröße und zum wichtigen Partner für die ministerielle Kunstpolitik. Das Werkbundinteresse des Ministeriums wurde vermutlich schon dadurch gefördert, daß Becker mit der DDP eben jener Partei nahestand, die in der Nachkriegszeit von Werkbundvertretern wie Friedrich Naumann, Theodor Heuss oder Robert Bosch getragen wurde. 8 1 Zudem basierte die Affinität des Ressorts wohl auch darauf, daß Ernst Jäckh, der seit 1912 als Leiter der Werkbundgeschäftstelle fungierte und für seine Lobbyarbeit bekannt war, 82 mit Haenisch und Becker seit Jahren in engem persönlichen Kontakt stand Jäckh war ein Studienfreund Haenischs, 83 und Becker hatte während des Krieges intensiv mit dem Publizisten und Orientberater des Auswärtigen Amtes in der Türkei kooperiert. 84 Darüber hinaus dürften die Verbindungen, die Ressortmitarbeiter Pallat seit der Vorkriegszeit zum Werkbund unterhielt, 85 zur Festigung der Zusammenarbeit beigetragen haben. Angesichts dessen ist für die Zeit nach 1918 von einem regen gegenseitigen Austausch und einem direkten Werkbundeinfluß auf das Ressort auszugehen. Als geeigneter Anknüpfungspunkt für die ministerielle Politik stellte sich der Werkbund in mehrfacher Hinsicht dar: Zunächst entsprach die von ihm geleistete „Transformation der herkömmlichen neuhumanistischen Bildungsideologie in ein Normensystem und ein Gestaltungsideal, das die neuhumanistische Abschottung gegenüber der technisch-industriellen Zivilisation durchbrach und damit auch die soziale Abgrenzung des Bildungsbürgertums nach unten verflüssigte", 86 den Intentionen Beckers 8 7 und Haenischs. Darüber hinaus markierte die Orientierung an einer Interessenvereinigung, die sich seit ihrer Gründung 1907 als Gegen-
81 82 83 84
85 86 87
der Berufe Leipzig an Blankenburg (KM), o. D., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 457, Bl. 229; Haenisch 1920 c, S. 8 f u. 108-111; Zur Volkshochschulfrage 1919, S. 7, 19 f u. 25; Friedr. Th. Koerner: Die Not des geistigen Arbeiters, in: Glocke, Jg. 5/1, Nr. 6, Mai 1919; ZAs, 22.1.1921, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7561; Konrad Haenisch in: Das Werk, Febr./März 1921, S. 11; zur SPD-Programmdiskussion vgl. H. A. Winkler 1982; Hammel 1990, S. 31-33. Vgl. Niederstadt 1982 a, S. 28; Campbell 1981, S. 23-30,134-139,167 f u. 366-368; zur Nähe Naumanns und Beckers vgl. Müller 1991, S. 111 u. 129. Vgl. Jäckh 1954, S. 184-208; Laube 1997, S. 17 u. 20 f; Campbell 1981, S. 140; siehe dazu auch Hardtwig 1994, S. 511; Redslob 1972, S. 168-170; Scheffler 1946, S. 312 f; Heffen 1986, S. 24. Vgl. Campbell 1981, S. 140 u. 153; Jäckh 1954, S. 192; vgl. dazu auch Haenisch 1920 a, S. 8; Jäckh 1954, S. 57 f. Vgl. Müller 1991, S. 12, 106-109, 113-118 u. 123-131; Hardtwig 1994, S. 533; Düwell 1976, S. 22; siehe dazu auch Becker 1914; Jäckh 1954, S. 202 u. 323-334. Später waren Becker und Jäckh zudem beide an der Gründung der Deutschen Hochschule für Politik beteiligt, vgl. Nickel 1998; Nickel 2000. Vgl. Campbell 1981, S. 57 f; Rickert 1977, S. 207; Reiss 1981, S. 47-50; zum Gesamtkontext vgl. Stelzer 1977. Hardtwig 1994, S. 535. Vgl. dazu Becker: Formen des dritten Humanismus, o.D., ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 8132; Müller 1991, S. 397 f.
176
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
kraft zur Politik des Kaisers verstand 88 und sich nach und nach auch der Arbeiterbildungsbewegung öffnete, 89 eine Abkehr von der wilhelminischen Kunstpolitik. Die innovative Formensprache prominenter Werkbundarchitekten ließ sich als Visualisierung der Neuorientierung nutzen. 90 Und nicht zuletzt kam der Werkbund dadurch, daß in ihm fortschrittliche und konservative Kräfte vereint waren, selbst auf ganz unmittelbare Weise dem Ideal des angestrebten gesellschaftlichen Ausgleichs durch Kultur entgegen.91 Wie das Ministerium sowohl für liberale Reform als auch für nationale Integration auf künstlerischem Terrain stehend,92 bot sich der Werkbund so als kunstpolitischer Verbündeter an.93 Niederschlag fand das in Preußen seit Ende 1919 vor allem im Akademiebereich (siehe Kap. II. 3.2.), während sich der Werkbund im Reich zur selben Zeit durch die Ernennung Redslobs zum Reichskunstwart dauerhaften kunstpolitischen Einfluß zu sichern verstand.94 Bei aller dezidierten Gegenwarts- und Zukunftsorientiertheit des nationalintegrativen Anspruchs des Kultusministeriums verweist das Zusammengehen mit dem Werkbund darauf, daß Haenischs und Beckers Position maßgeblich von den Diskussionen der Kaiserzeit geprägt war.95 Konkret lassen sich die Vorstellungen des Ressorts zur nationalen Relevanz bildender Kunst in eine bildungsbürgerliche Reformdebatte einordnen, in der, durch die seit um 1900 immer offenere Emanzipation von der wilhelminischen Kunstdoktrin und später durch den Krieg befördert, die Frage nach dem Zusammenhang von Kunst, Kultur, Nation und sich modernisierender Gesellschaft neu gestellt worden war und in der ganz unterschiedliche Deutungsmuster und Vermittlungsmodelle entwickelt worden waren. 96 Mit der Kulturgemeinschaftsvision und speziell etwa mit der Idee der Persönlichkeitsbildung durch die Beschäftigung mit bildender Kunst bewegte sich das Ministerium Haenisch auf einem bereits in den Jahren und Jahrzehnten zuvor intensiv und divergent bespielten Terrain. In reformerischem wie nationalem Interesse stellten sich nach 1918 neben dem Werkbund beispielsweise Alfred Lichtwark 97 oder die Popularisierungsaktivitäten des vom Werkbund und von Lichtwark beeinflußten Mannheimer Museumsdirektors Fritz Wiehert
88 Vgl. Hardtwig 1994, S. 507 f u. 539 f; vgl. jedoch auch Campbell 1981, S. 366; zu den Mitgliederzahlen des DWB vor 1914 vgl. Hardtwig 1994, S. 511. 89 Vgl. Campbell 1981, S. 33 f, 51-54 u. 365; Hardtwig 1994, S. 535-538; Niederstadt 1982 a, S. 20 f; Howoldt 1982, S. 6 6 - 6 9 u. 141-144. 90 Vgl. Segal 1997, S. 96-99. 91 Vgl. Nipperdey 1998 b, S. 736; Hardtwig 1994, S. 517 u. 531 f; Niederstadt 1982 a, S. 20 f. 92 Vgl. Hardtwig 1994, S. 531 f. 93 Vgl. ebd., S. 509, 512-514 u. 540. 94 Vgl. Laube 1997, S. 17-25 u. 40; Niederstadt 1982 a, S. 29 f; Speitkamp 1994, S. 553 f; Speitkamp
1996, S. 175; Redslob 1972, S. 157 f; Jäckh 1954, S. 202 f; Α.: Der neue Reichsadler, in: Ku.wart, Jg. 33/3, Nr. 19, Juli 1920, S. 334 f. 95 Vgl. dazu Speitkamp 1994, S. 550 u. 579. 96 Vgl. dazu Segal 1997; Lebensreform 2001; Wesenberg 1999; Campbell 1981, S. 3 0 - 4 2 u. 57 f; Hardtwig 1994, S. 522-534; Glaser 1993, S. 1 0 6 - 1 6 2 u. 240-251; Nipperdey 1998 b, S. 692-738; Netzer 1995. 97 Vgl. auch Schunk 1993, S. 422 u. 424; Stelzer 1977, S. 51 f.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Anspruch
177
als wichtige Orientierungsgrößen für das Ressort dar.98 Über Wiehert, Lichtwark und den Werkbund wiederum erschloß sich, ohne daß dies vom Ministerium selbst thematisiert worden wäre, eine weitere, gerade für die preußische Politik relevante Anknüpfungsebene: nämlich die Reformansätze, die bei der 1906 in der Nationalgalerie gezeigten, von Tschudi und Lichtwark konzipierten Jahrhundertausstellung deutscher Kunst von 1775 bis 1875 leitend gewesen waren." Für die damalige Schau konstitutive Aspekte wie die Betonung des subjektiv-individuellen künstlerischen Schaffens als Basis des Nationalen in der Kunst, die damit verknüpfte Hinwendung von der historischen zur ästhetischen Kunstbetrachtung, die Einbettung der deutschen Kunst in einen internationalen Kontext, Lichtwarks Vorstellung, ein Volk werde nicht durch Abstammung, sondern durch Kulturgemeinschaft zusammengehalten, sowie der Grundansatz, die Kulturnation als Basis nationalstaatlicher Identität zu begreifen,100 bestimmten nun nach 1918 auch die Haltung des Ministeriums. Das zu Beginn des Jahrhunderts von der kaiserlichen Bürokratie mit der Entlassung Tschudis verworfene bürgerlich-liberale Gegenmodell eines über ästhetische Qualität und Individualität vermittelten nationalen Blicks auf die Kunst der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit, das unter dem Leitbegriff des Naturalismus verschiedene Richtungen integrierte,101 übte so offenkundig starken Einfluß auf den nationalen Kunstpolitikanspruch des Ressorts aus. Auf übergeordneter kulturtheoretischer und -politischer Ebene verortete sich Haenisch zudem auf der Seite seines Leipziger Lehrers, des Historikers Karl Lamprecht, 102 der seit den 1880er Jahren soziale, ökonomische und kulturelle Prozesse stärker in den Vordergrund der Geschichtsschreibung gerückt, dadurch Kontroversen ausgelöst und sich vor 1914 zur Friedenssicherung und Völkerverständigung für eine gezielte auswärtige Kulturpolitik eingesetzt hatte. Lamprechts Ansatz, materielle und geistige Kultur als Einheit zu sehen, seine mentalitätsgeschichtlichen Analysen, sein Interesse am Thema Gemeinschaft und seine westlich-liberale Orientierung prägten Haenisch ebenso wie das seit 1914 zwischen europäischer Kulturgemeinschaftsvision und nationalem Selbstbehauptungsinteresse changierende Engagement des Historikers für eine internationale Wissenschafts- und Kulturpolitik. 103 Aber nicht nur Haenischs, sondern auch Beckers Haltung war von den kulturpolitischen Diskussionen der Vorkriegs- und Kriegszeit beeinflußt.104 Für den Islamwissen-
98 Zu Wiehert vgl. Howoldt 1982; Wiehert 1919; zum Kontakt Wicherts zum Ministerium Haenisch vgl. Howoldt 1982, S. 1 2 5 - 1 2 7 . 99 Zur Jahrhundertausstellung als Reformprojekt vgl. Beneke 1998; Beneke 1999; zur D W B - N ä h e vgl. Beneke 1998, S. 52. 100 Vgl. Beneke 1998, S. 47 f, 53 f u. 5 7 - 5 9 . 101 Vgl. Beneke 1998, S. 59. 102 Vgl. Haenisch 1920 a, S. 6; Haenisch 1921, S. 90 f; D.: Nach der Kultusdebatte. und Hochschulein:
BTJg.
Haenischs
„Staat
49, Nr. 5 2 8 , 1 8 . 1 1 . 1 9 2 0 ; vgl. auch Speitkamp 1996, S. 172; Speitkamp
1994, S. 547; Glaser 1993, S. 136; C z o k 1984, S. 9 u. 1 7 - 1 9 ; Schorn-Schütte 1984, S. 7 4 - 1 0 9 . 103 Zu Lamprecht vgl. ausführlich Schorn-Schütte 1984; vom Brocke 1982; vgl. auch Glaser 1993, S. 136 u. 139; Speitkamp 1996, S. 164 f u. 172; Düwell 1976, S. I X , 1 4 - 1 7 , 21 u. 2 5 5 - 2 6 7 ; Deutsche Auswärtige Kulturpolitik 1981, S. 2. 104 Zur Prägung auch Beckers durch Lamprecht vgl. Müller 1991, S. 180 f.
II. Neuorientierung
178
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
schaftler, der sich seit der Marokkokrise 1911 in der Orientpolitik engagiert hatte, war besonders die seit Kriegsbeginn zunehmend mit strategischen Überlegungen verknüpfte Debatte um die umstrittene Frage einer deutschen Kulturpolitik auf dem Balkan konstitutiv, in deren Kontext sich der spätere Staatssekretär sukzessive zum Fürsprecher und Aktivisten einer bewußten auswärtigen Kulturpolitik vor allem in der Türkei entwickelt hatte.105 Der von Haenisch und Becker vertretene nationale Anspruch war mithin als Fortsetzung der kaiserzeitlichen Kulturdebatten und Übertragung damaliger Reformansätze auf die republikanische Politik zu verstehen.106 Der Grundkonsens über die nationale Relevanz von Kultur und Kunst, der die Diskussionen seit der Jahrhundertwende geprägt hatte, bestimmte die Haltung des Ressorts nach 1918 ebenso wie die in den Vorkriegsjahren daraus abgeleitete, bei Kriegsbeginn von bürgerlicher Seite euphorisch propagierte, später brüchiger werdende Vorstellung, Kultur und Kunst seien als wichtige gesellschaftliche Erneuerer und eigentliche Felder der internationalen Auseinandersetzung aufzufassen und daher sei im Sinne des Burgfriedens für eine nationale Kultureinheit einzutreten. 107 Becker und Haenisch hielten nach der Kriegsniederlage an eben dieser Vorstellung fest, interpretierten den Krieg als auf kulturellem Gebiet verloren 108 und leiteten aus dem „Geist von 1914" für die junge Republik die Forderung nach einer intensivierten Hinwendung zu Kunst und Kultur sowie nach einer Profilierung auf diesem Terrain ab. Der in den bürgerlichen Diskussionen der Kaiserzeit geschärfte Anspruch, Kultur und Kunst als Mittler von Nation, Gesellschaft und nationaler Identität jenseits des Monarchischen zu begreifen, wurde so nahezu bruchlos in das Bemühen um die Etablierung einer selbstbewußten Demokratie eingebunden.109 Innerhalb der Vorkriegs- und Kriegsdebatten zur nationalen Relevanz bildender Kunst, für die Segal neben der akademischen Auffassung vier Interpretationsmodelle - 1. das neugermanische, 2. das der Heimat- und Phantasiekunst Hans Thomas, Max Klingers und Arnold Böcklins, 3. das impressionistische und 4. das expressionistische nachweist,110 orientierte sich das Ressort vor allem am Modell der Impressionismusbefürworter.111 Mit ihm setzte es auf Ästhetik statt Mystik, auf internationale wie gesellschaftliche Offenheit und Modernität. 112 Bildungsbürgerlich-liberalen und sozialdemokratischen Impetus miteinander verbindend, lehnte sich das Ressort, wie seine Nähe zu Lichtwark und zum Werkbund zeigt, besonders an mit der Kunsterziehungsbewegung verbundene Kräfte an, die den elitären Charakter der Beschäftigung mit Kunst aufbrechen wollten. 113 Vor dem Hintergrund der Kunstfreiheitsmaxime auf einen inhaltlich neutralen Kunstbegriff
105 Vgl. dazu ausführlich ebd., S. 1 0 6 - 1 1 8 u. 1 2 3 - 1 3 1 ; vgl. auch Segal 1997, S. 68. 106 Vgl. auch Speitkamp 1994, S. 550; Haaß 1967, S. 7 f; W i l l e « 1981, S. 10. 107 Zur Diskussion der Vorkriegs- und Kriegszeit vgl. ausführlich Segal 1997. 108 So z. B. Becker 1 9 1 9 b, S. V I I I - X I . 109 Vgl. dazu allgemein Segal 1997, S. 118. 1 1 0 Vgl. ebd., S. 1 5 - 4 4 , 7 3 - 8 5 u. 9 9 - 1 1 4 . 1 1 1 Was aber z.B. den Hinweis, Klinger sei „einer der größten unserer Bildner", in Haenisch 1920 a, S. 7 keineswegs ausschloß; vgl. auch ebd., S. 74 u. 83. 1 1 2 Vgl. ebd., S. 3 5 - 3 7 , 42 f, 8 5 - 8 7 , 113. 1 1 3 Vgl. ebd., S. 21 f.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Anspruch
179
gestützt, 114 enthielt sich das Ministerium gleichzeitig einer Vereinnahmung bestimmter Stile oder Künstler etwa unter nordisch-germanischen Vorzeichen. 115 Deutlich unterstrich es damit die zeitgenössisch durchaus fortschrittliche, liberale Tendenz seiner nationalen Ambitionen. 116 Persönlichkeitsbildung und kulturell vermitteltes nationales Selbstbewußtsein nach innen und außen als Topoi der wilheminischen Debatte entwickelten sich dabei nach 1918 zu elementaren Aspekten einer reformerisch verstandenen, bewußt vorsichtig agierenden demokratischen Kultur- und Kunstpolitik mit dem idealistischen Ziel des Ausgleichs über alle gesellschaftlichen Segmentierungen und internationalen Differenzen hinweg. 117 Aber nicht nur die Reformdiskussionen der Kaiserzeit konturierten den nationalintegrativen Anspruch des Ministeriums. Das Ressortkonzept lebte auch von einer Verortung in historische Traditionen. Der Bezug auf die künstlerisch-ideelle Geschlossenheit des Mittelalters spielte immer wieder eine Rolle. 118 Zudem wurde die bürgerliche Revolution von 1848 zum Orientierungspunkt stilisiert.119 Wie sich im Text der Kunstabteilung vom Juni 1919 durch die Beschwörung der Zeit „vor hundert Jahren" bereits angedeutet hatte, 120 knüpfte das Ressort jedoch vor allem an die Epoche zwischen dem Frieden von Tilsit 1807 und den Befreiungskriegen 1813 an. 121 Wies die Situation nach 1807 durch die als nationale Kata114 Vgl. dazu ebd., S. 64 f, 67 u. 89. 115 Zur Präsenz dieser Vorstellungen vgl. Schulze-Berghof 1916, S. 292-342; Segal 1997, S. 33-35, 88 f, 95 f u. 102; März 1994; Windhöfel 1995, S. 260 f; zur Rolle Langbehns vgl. Behrendt 1984; H. Frank 1995; siehe dazu auch die irreführende Interpretation der Ministeriumsposition bei Reiss 1981, S. 43. 116 Vgl. dazu Mayer 1981, S. 268. 117 Vgl. dazu auch Megerle 1990; Speitkamp 1994, S. 550 f. 118 Vgl. z.B. Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1816; vgl. dazu z.B. auch Bollert (DDP), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7284; Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7314; Boldt 1999, S. 55, 57 u. 64. 119 Vgl. Becker: Glossen zum Führerproblem, o.D., ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1752; Haenisch 1920 b, S. 255 f; Haenisch 1920 c, S. 15; Waetzoldt 1933, S. 81; KM an Justi, 19.2.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24; vgl. dazu auch Mai 1981, S. 440 f; Speitkamp 1994, S. 569; Mühlhausen 1999, S. 42; BT, Jg. 48, Nr. 404, 29.8.1919, S. 2; Haenisch 1915 c, S. 15; Haenisch 1919 a, S. 144; Haenisch 1920 a, S. 46 f; zum Kontext vgl. Buchner 2001, S. 133-184; zur gleichzeitigen Distanz Haenischs zu 1789 vgl. Buchner 2001, S. 215. 120 KM: Kunstabteilung, [Juni 1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 242-243, Bl. 242 r; vgl. dazu auch Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815 f; ähnlich später auch Textentwurf Nentwig / KM an [Becker], [11.12.1919], ms., S. 1, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1772. 121 Vgl. Becker 1919 a, S. 47, 50 u. 54; Haenisch 1920 c, S. 13-17; Becker: Glossen zum Führerproblem, o.D., ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1752; Konrad Hänisch über die rheinischen Fragen, in: Rheinische Zeitung, 5.8.1919, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7681; Waetzoldt 1933, S. 81 f u. 86; vgl. dazu auch Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815 f; Müller 1991, S. 232, 240 f, 272 u. 398; Schildt 1987, S. 533; Mai 1981, S. 435 u. 438; Bracher 1988, S. 537; P. Th. Hoffmann: Der deutsche Geist nach 1806, in: Ku.wart, Jg. 32/2, Nr. 7, Jan. 1919, S. 11-16; Schmidt 1919.
180
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Strophe empfundene Niederlage, die drohende Zerschlagung Preußens, Gebietsverluste und die französische Besatzung schon äußerlich Ähnlichkeiten mit der eigenen Gegenwart auf, machte eine Berufung auf diese Zeit insbesondere auch deshalb Sinn, weil man damals auf die Bedrängung von außen durch die Besinnung auf geistig-kulturelle Werte vergleichbar zu reagieren suchte wie es das Ministerium nach dem Weltkrieg forderte.122 Besonders der Bezug zu Fichte als „Begründer des deutschen Nationalismus"123 bot sich an. Fichtes Eintreten für den republikanischen Vernunftstaat, in dem zwar Freiheitsrechte gewährt werden sollten, gleichzeitig aber der Einzelne dem Gemeinwesen untergeordnet wurde, und seine Absicht, über die Gebildeten das ganze Volk erreichen zu wollen, stellten ebenso geeignete Referenzpunkte dar wie die Idee einer deutschen Weltbürgerlichkeit, aus der sich der Anspruch auf eine geistige Führungsrolle in der Welt ableitete.124 Daneben bezog sich Haenisch auf Wilhelm von Humboldt und dessen Ideal, „alle Teile der Nation untereinander möglichst zu befreunden."125 Das neue Menschenbild als Basis ihres nationalen Gesellschaftskonzepts126 verstanden Becker und Haenisch zudem als von Schiller und Goethe geprägt.127 Nachdem Haenisch schon 1918 propagiert hatte, der neue deutsche Mensch solle neben Kants Pflichtgefühl und dem Sinn für die Realitäten der Industriegesellschaft Goethes Idealismus als elementar für sich anerkennen,128 trug das Ressort so den seit der Republikgründung präsenten Anspruch mit, die Bezeichnung Weimarer Republik als Chance und Verpflichtung für eine ideelle Neuorientierung der Nation in Goethescher Tradition aufzufassen.129 Der Rekurs auf das frühe 19. Jahrhundert und die damals aufkeimende Nationalbewegung, der für die 20er Jahre, aber auch schon für die Kaiserzeit in der Debatte um nationale Identität immer wieder nachzuweisen ist,130 unterstreicht zweierlei: Zum einen lenkt die historische Parallele das Augenmerk auf das angesichts der Kriegsniederlage kompensatori-
122 Vgl. dazu Ibbeken 1970, bes. S. 174; Böhme / Sundermann 1981, S. 253-258; Hammer 1980, S. 256264. 123 H. A. Winkler 2001, Bd. 1, S. 57. 124 Vgl. ebd., Bd. 1, S. 58 f. 125 Haenisch 1920 c, S. 10; vgl. dazu auch Haenisch 1920 c, S. 60; Vertreter des Z, 1920, in: LV, Dr. 3530, S. 6319 f. 126 Zum übergeordneten Diskurs vgl. ausführlich Der Neue Mensch 1999 u. hier bes. Oelkers 1999. 127 Vgl. Haenisch 1912; Haenisch 1918 a, S. 24; Becker 1919 a, S. 50; Siegfried Weber: Deutsche Volksbildungs-Politik, in: Tägliche Rundschau, Unterhaltungsbeil., 7.7.1921, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7341; H. A. Winkler 2001, Bd. 1, S. 37 f; siehe dazu auch Schuster 1999, S. 36 f; Wesenberg 1999, S. 46; Keisch 1999, S. 109. 128 Haenisch 1918 a,S. 24. 129 Vgl. dazu H. A. Winkler 2001, Bd. 1, S. 395; H. A. Winkler 1999, S. 17; Dorrmann 1999, S. 22 u. 28 f; Merseburger 2000, S. 285-309; vgl. auch Mandelkow 1999; Wilderotter 1999; Düwell 1976, S. 246 f. 130 Vgl. Speitkamp 1994, S. 569; Düwell 1976, S. 13; Schmidt 1919, S. 97; Erich Wentscher: Künstler und Politik. Ein offener Brief an Eduard von Bendemann, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 13,10.1.1919, S. 249-251; M. v. Hugo: Zur Neuordnung des Erziehungswesens auf dem Gebiet der Kunst und des Kunstgewerbes, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 26, 7.4.1919, S. 173-176; H. A. Winkler 2001, Bd. 1, S. 315 u. 429 u. Bd. 2, S. 185; Segal 1997, S. 51 f, 58 f, 65, 70 u. 89-93.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Anspruch
181
sehe Motiv der nationalintegrativen Politik. 131 Zum anderen bestätigt der Rekurs das Ministeriumsinteresse, an bildungsbürgerliche und spezifisch preußische, letztlich dem Obrigkeitsstaat verhaftete Traditionen anzuknüpfen 132 und sich so zwar vom Wilhelminismus, keineswegs aber von der preußisch-deutschen Vergangenheit abzugrenzen, sondern im Gegenteil gezielt Orientierung in der eigenen Geschichte zu suchen. Wohl auch wegen der Anknüpfung an deutsche Geistestraditionen und aus der wilhelminischen Zeit vertraute Positionen stieß der nationale Anspruch Haenischs und Beckers in der Kultusdebatte von 1919 auf allgemeine Zustimmung.133 Zunächst solidarisierten sich die Weimarer Koalitionsparteien mit ihm. 134 Klar stellte sich die SPD auf die Seite des Ministeriums, als sie betonte, „[der] große Verlust an materiellen Gütern lege uns die Verpflichtung auf, unsere ideellen Güter als heiligstes Vermächtnis zu hegen und zu pflegen, nicht nur deshalb, damit uns später die Nachwelt nicht den Vorwurf machen könne, wir hätten in der jetzigen traurigen Zeit das uns überlieferte Erbteil nachlässig behandelt, sondern weil dieses Erbe das beste Mittel bilde, das geschwächte Nationalbewußtsein des Volkes wieder zu heben und seinem Kulturstreben die Wege zu ebnen." 135 Nachdem die SPD Popularisierung und Volkskunstförderung angesichts dessen zu zentralen kunstpolitischen Anliegen erklärt hatte,136 präzisierte Zentrums-Sprecher Joseph Heß 1 3 7 dies durch den Hinweis, „daß die Ideen eines Ferdinand Avenarius und seines Kunstwart nicht etwa überlebt sind, sondern in der armen kranken Zeit, in der wir uns befinden, erst recht zur Auswirkung kommen werden, erst recht in ihrer ganzen Tiefe und in ihrem nationalen Wert werden erkannt werden." 138 Zwar stehe fest, „daß man ein Volk in seiner Gesamtheit zum Künstler nicht erziehen kann: zum Kunstverständnis kann man es sehr wohl erziehen, und je gemütvoller ein Volk ist - und ich kenne kein Volk, das an Gemütsqualitäten dem deutschen Volke gleichkommt - , [...] umso dankbarer sind derartige erzieherische Aufgaben. [...] einem tief gebeugten Volk , wie es das deutsche Volk im Augenblick ist, kann man überhaupt gar kein größeres und besseres Linderungsmittel verschaffen, als daß man eine bewußte Pflege seines Gemüts- und Seelenlebens in die Hand nimmt." 1 3 9 Wie das Ministerium wertete Heß die Erziehung zur Kunst so als integralen Bestandteil einer nationalen Kulturpolitik. Davon 131 Vgl. dazu H. A. Winkler 2001, Bd. 1, S. 60; Müller 1991, S. 400. 132 Vgl. dazu auch Bracher 1988, S. 537; Groppe 1997, S. 51-61. 133 Zur Debatte von 1919 vgl. auch Reiss 1981, S. 3 5 - 4 3 ; Hammel 1990, S. 31-41; Weinstein 1990, S. 92-94; Eine Schuldebatte in der Landesversammlung.
Fortsetzung der Beratung über den Lan-
desetat, in: BT, Jg. 48, Nr. 582, 6.12.1919, Beibl. S. 3. 134 Vgl. dazu auch Die Zentrumsfraktion in der Landesversammlung 1994, S. X X X I . 135 Ausschußmtgl. (SPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1814; vgl. dazu später auch König (SPD), 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15666-15672; Vertreter der SPD, 1920, in: LV, Dr. 3530, S. 6332 f; Erkes (SPD), 22.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7431 u. 7434; zur DWB-Nähe der SPD siehe Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7268. 136 Vgl. Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7261 u. 7267. 137 Vgl. Die Zentrumsfraktion in der Landesversammlung 1994, S. X X V I I u. 299. 138 Heß (Z), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7273; vgl. auch Lauscher (Z), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1805. 139 Heß (Z), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7274.
182
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik 1918-21
ausgehend, daß „noch reichliche Schätze unseres deutschen Volkstums ungehoben [sind], die für den Wiederaufbau unseres Vaterlandes von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung sind", war er sich mit Haenisch einig, „daß unser Volk auch in Zukunft noch eine sehr große kulturpolitische Mission zu erfüllen hat." 140 Und auch Bollert von der DDP war überzeugt, von der deutschen Behauptung auf dem Gebiet der Kunst und Wissenschaft hänge es ab, „ob wir überhaupt noch mal einen Weg des Wiederaufstiegs aus unserem gegenwärtigen Niederbruch finden." 141 Wie das Ressort hob er neben der Relevanz einzelner Künstlerpersönlichkeiten und der Intention, das Kunstempfinden fördern zu wollen, die gesamtdeutsche Verantwortung Preußens in diesem Zusammenhang hervor.142 Aber auch die rechten Parteien stimmten dem Anspruch des Ministeriums zu. Während die DVP-Rednerin betonte, „verständnisvolle Kunstpflege soll uns über das Leid und die Schmach des letzten Jahres, über die Schmach des verlorenen Krieges und über vieles, was wir erdulden müssen, trösten", 143 bewegte sich, gefördert durch eine gemeinsame Werkbundverbundenheit, 144 besonders die DNVP in Affinität zu den Ressortvorstellungen. 145 Ihr Sprecher Ritter ging ähnlich wie Becker und Haenisch davon aus, nach dem Ende der dynastisch-militärisch fundierten Monarchie müsse nun der „Volksorganismus" von innen heraus neu aufgebaut werden. Bei aller Mannigfaltigkeit der deutschen Kultur gelte es, „die Einheit einer deutschen Gesamtkultur möglichst breiten Volksschichten klar zum Bewußtsein [zu] bringen, wollen wir ein lebendig beseelter Organismus, eine Volksgemeinschaft werden." Basis dafür müsse eine „völkische Idee" sein, die alle Glieder des Volkes innerlich erfülle. Da das Deutsche aber bisher nicht klar umrissen worden sei, sei die Kunst als reinster Ausdruck deutschen Wesens gefragt, „um in allen Schichten unseres Volkes wieder lebendiges Bewußtsein unserer deutschen Art wachzurufen." 146 Daraus folge „der Wille, alle Stände und alle Schichten des Volkes irgendwie in Beziehung zu dem Ausdruck dieses Wesens zu bringen, ihnen zu helfen, daß sie sich selbst wiederkennen lernen in den besten Schöpfungen unserer nationalen Kunst." So werde es möglich, „über alle Parteigegensätze und alle Klassengegensätze hinweg auf dem gemeinsamen Boden des Deutschtums sich zusammenzufinden und durch die Gemeinsamkeit dieses geistigen Kulturbesitzes auch wieder Freude zu finden und Freude zu erwecken an unserm Vaterland und damit zuversichtlichen Glauben für die Zukunft." 147 Während sich die DNVP entsprechend der
140 Ebd.; vgl. auch Lauscher (Z) u. Ausschußmtgl. (Z), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1805 u. 1810 f. 141 Bollert (DDP), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7284; vgl. auch Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1817 f. 142 Bollert (DDP), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7284-7290. 143 Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7350; zur Haltung der DVP zum Ministerium vgl. auch Vertreter der DVP, 1920, in: LV, Dr. 3530, S. 6325 f. 144 Vgl. Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1809 u. 1817. 145 Vgl. Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1808-1810; Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7332. 146 Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7313. 147 Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7314; ähnlich später auch Ritter (DNVP), 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15735-15737.
Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Anspruch
183
Forderung des Ressorts nach einer starken Kulturpolitik an der Grenze ebenso wie der Idee der künstlerischen Volksbildung anschloß, 148 unterschieden sich ihre Ambitionen, sowohl was die völkische Tendenz als auch die internationale Perspektive anging, doch deutlich von den ministeriellen. Zwar distanzierte sich Ritter ebenfalls von jedem Chauvinismus; zudem ging er von der übernationalen Bedeutung Dürers oder Holbeins aus.149 Die Ansicht, der internationale Mensch und Künstler sei „verwaschen, farblos, leblos, wurzellos und darum, wie alle Dekadence, zum Absterben verurteilt", 150 wies jedoch spürbar in eine andere Richtung als der Gedanke des europäischen Austausches, für den das Ressort eintrat. In Fortsetzung der Vorkriegsdebatte deuteten sich hier gravierende Differenzen jenseits des Grundkonsenses an. Dennoch wog die Grundübereinstimmung in der angespannten Nachkriegszeit zunächst offenkundig schwerer.151 Gleichzeitig lehnte auch die äußerste Linke den Ressortanspruch keineswegs generell ab.152 Zwar zweifelte USPD-Sprecher Hennig die Vorstellung der nationalen Kultureinheit angesichts bestehender Klassengegensätze an.153 Dennoch sah er sich mit dem Ressort in dem Wunsch einig, „daß das gesamte gesellschaftliche Leben von Kunst durchdrungen wird, daß wir alle soziale und gesellschaftliche Betätigung vom künstlerischen Gesichtspunkt aus höher heben, veredeln, zu großen Zwecken und zu großen Zielen führen können [...] daß man die Arbeit durch künstlerische Höherhebung freudig gestalten könnte für das Volk, für die Arbeiter." 154 In diesem Kontext bot der Anspruch der Kunstförderung und -popularisierung Ansatzpunkte für ein Arrangement auch der USPD mit dem ministeriellen Konzept. 155 Überdies interpretierte Hennig die internationale Funktion der Kunst ähnlich wie das Ressort: „Diese das deutsche Wesen charakterisierende nationale Kunst soll wirklich deutsch sein in ihrer Entstehung und in ihrem Charakter; aber sie soll sich nicht abschließen gegen das Internationale [...], sie soll in ihren Ergebnissen und ihren Auswirkungen durchaus international sein. Sie soll sich nicht nur auswirken für das ganze Volk daheim, sondern über die Lande hinaus, und das könnten wir gar zu gut brauchen, gerade jetzt, wo unser Ansehen in jeder Beziehung draußen in der ganzen Welt so geschwächt und geschmälert ist." 156 Die Idee, Kunst und Wissenschaft sollten von einer starken nationalen Basis aus 157 als Band wir-
148 Vgl. Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1809; Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7320. 149 Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1809; Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7314. 150 Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7314. 151 Vgl. dazu Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7332; HaenÌsch, 1920, in: LV, Dr. 3530, S. 6336. 152 Vgl. dazu auch Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7350. 153 Vgl. Hennig (USPD), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7333. 154 Hennig (USPD), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7333 f. 155 Vgl. Hennig (USPD), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7332-7335; Ausschußmtgl. (USPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1820. 156 Hennig (USPD), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7342. 157 Siehe dazu auch das Interesse Hoffmanns an einem kulturell vermittelten Nationalbewußtsein, vgl. Hoffmann 1918.
184
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
ken, „welches über die Völker hinausgeht, welches die Völker wieder miteinander verbinden kann", 158 kam dem vom Ministerium propagierten Völkerversöhnungsgedanken sehr nahe. Das vielschichtige nationalintegrative Konzept des Ministeriums bot also den kulturpolitischen Sprechern aller preußischen Parteien die Chance, sich zumindest vom Grundsatz her mit dem Ressortanspruch zu identifizieren. Die Idee, in Anknüpfung an vor 1918 entwickelte Positionen gerade nach dem verlorenen Krieg Kultur und Kunst weiterhin als Mittler individueller Selbstfindung, nationaler Integration und Identität sowie nationalen Selbstbewußtseins nach außen zu postulieren, einte, ideologisch unterschiedlich gefüllt und verankert, letztlich alle Parteien. 159 Vor dem Hintergrund des Konsenses über die gesellschaftliche Relevanz von Kultur und Kunst 1 6 0 bewegte sich das Ministerium mit seinem nationalintegrativen Anspruch landespolitisch erst einmal auf gesichertem Terrain. 161 Auch wenn D D P oder D N V P von der Effektivität einer gezielten Erziehungspolitik weniger überzeugt waren als das Ressort, 162 konnte das Ministerium so mit einer nicht zuletzt finanziell wichtigen Rückendeckung der Landesversammlung für seine nationale Politik rechnen. 163 Daß just während der preußischen Kultusdebatte von 1919 die Vergabe der Nobelpreise für Physik und Chemie an die Deutschen Johannes Stark und Fritz Haber bekanntgegeben wurde, gab der Vision geistig-kulturell vermittelten nationalen Selbstbewußtseins auf internationaler Ebene sicher zusätzlichen Auftrieb. 164 Gestützt auf den Zuspruch der Landesparteien 165 und den Konsens mit der Reichsregierung, hielt das Ressort auch in der Folgezeit demonstrativ an seinem 1919 formulierten Anspruch fest. Während sich gleichzeitig angesichts leerer öffentlicher Kassen und der Distanz vieler Intellektueller und Künstler zum SPD-Staat einer Umsetzung der Kulturgemeinschaftsvision Hemmnisse entgegenstellten, die auch Haenisch registrierte, 166 ver-
158 Hennig (USPD), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7342. 159 Vgl. Segal 1997, S. 9 f u. 45. 160 Vgl. dazu auch D.: Nach der Kultusdebatte, Haenischs „Staat und Hochschulein:
BT, Jg. 49,
Nr. 528, 18.11.1920. 161 Vgl. auch Haenisch u. Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7350. 162 Vgl. Ausschußmtgl. (DNVP) u. Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1809,1813, 1817 u. 1819. 163 Vgl. dazu Haenisch 1920 a, S. 47 f; Bollert (DDP), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7284; Lauscher (Z), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1805. 164 Vgl. dazu ausführlich Metzler 1995, S. 185-192. 165 Vgl. Haenisch 1920 a, S. 47 f. 166 Vgl. Haenisch: Das geistige Deutschland
und die Republik,
in: BT, 5.2.1921, in: GStA PK,
I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7564; Haenisch: Wie kann der geistige Arbeiter für den neuen Staat gewonnen
werden?, Teil 1 u. 2, in: BT, 8. u. 10.2.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl.
C. H. Becker, Nr. 7563; Friedrich Blau: Offener Brief an Herrn Konrad Haenisch, Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in: Das Werk, Febr. / März 1921, S. 9-11; Konrad Haenisch in: Das Werk, Febr. / März 1921, S. 11; Kartell geistig schaffender Berufe Leipzig (Pfeiffer) an Blankenburg (KM), o. D., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 457, Bl. 229; Haenisch 1921, S. 21, 31 u. 150 f; Haenisch 1920 a; zur weiteren Perspektive vgl. auch Widdig 2001, S. 145 f, 169 f u. 178-195.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Anspruch
185
festigte und differenzierte sich die ministerielle Position 1920/21 zusehends. Nachdem Becker und Haenisch bereits 1919 maßgeblichen Einfluß auf die Diskurse der Republik genommen hatten und zu gefragten Theoretikern der kulturpolitischen Neuorientierung geworden waren,167 präzisierten nun beide das ministerielle Integrationskonzept und schrieben ihm langfristige Relevanz über die erste Nachkriegszeit hinaus zu. Haenisch betonte in dieser Phase noch einmal den negativen Grundzug der Revolution und die Orientierungslosigkeit der Deutschen, die sich aus der Niederlage, aber auch daraus ergeben habe, daß sich durch die versäumte Entwicklung des Obrigkeitsstaates zum modernen Volksstaat vor 1918 weder Nationalgefühl noch staatsbürgerliche Gesinnung hätten ausbilden können. 168 Gleichzeitig propagierte er weiterhin seinen Gegenentwurf der selbstbewußten Kulturgemeinschaft. Sukzessive verdichteten sich die Ziele und Begrifflichkeiten von 1919 dabei zu einem in sich geschlossenen nationalintegrativen Erziehungskonzept, in dem unter den Leitmotiven Innerlichkeit, Bildung und Sammlung die Persönlichkeitsförderung, das gesellschaftliche Ideal der Einheit von „Kopf und Hand", das Engagement für den nationalen Kulturgedanken bis hin zur Abwehr fremder Einflüsse an den Grenzen und parallel dazu der „Wiederaufstieg" im Zeichen von Völkerversöhnung und europäischem Gedanken feste Topoi darstellten und in dessen Rahmen der Kunst eine zentrale Rolle zugeschrieben wurde. 169 In seiner Schrift Neue Bahnen der Kulturpolitik, die er als Ergänzung des Görlitzer SPDProgramms verstand,170 erläuterte der Minister 1921 das weitreichende Anliegen, das hinter seinem Erziehungskonzept stand: „wenn es überhaupt einen festen Punkt gibt in all dem wilden Wanken und Schwanken dieser Tage, so ist dieser feste Punkt [...] die Erkenntnis, daß dem deutschen Volke die Genesung von dem schweren Siechtum, an dem es heute darniederliegt, letzten Endes nur von innen heraus kommen kann. Nur kommen kann vom deutschen Geiste und von der deutschen Seele, von der deutschen Wissenschaft und Kunst, von deutscher Schule und Erziehung. Von ideellen Mittelpunkten her also, die in dem hinter uns liegenden Zeitalter des reinen Mechanismus und eines mißverstandenen Materialis-
167 Vgl. Der Aufbau an Haenisch, 2.9.1919, ms. u. Die neue Welt an Haenisch, 11.9.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 456, Bl. 163 u. 172; von Goslar (Pressechef Staatsregierung) an Haenisch, 16.8.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 460, Bl. 138; Haenisch an Verlag Dr. Walther Rothschild, 19.10.1920, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 461, Bl. 53. 168 Haenisch 1920 b, S. 255-260; vgl. dazu auch Haenisch 1921, S. 11 f. 169 Grundlegend in diesem Zusammenhang Haenisch 1920 a; Haenisch 1920 c; Haenisch 1921; vgl. dazu auch Vertreter der SPD, 1920, in: LV, Dr. 3530, S. 6332 f; Haenisch u. König (SPD), 13.1. 1921, in: LV, Prot., Sp. 15666-15672 u. 15703-15709; Textauszug aus Lexikon der Pädagogik der Gegenwart,
1930, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 790; Die Jahrhundertfeier
Akademie, in: W. d. Ku.,]g.
der
19, Nr. 6,10.11.1919, S. 40; ZAs, 22.1.1921, in: GStA PK, I. H A Rep.
92 NI. C. H. Becker, Nr. 7561; Konrad Haenisch: Warum Kulturpolitik f, in: Weltb., Jg. 17, Nr. 51, 22.12.1921, S. 617-620; ZA Höchster Kreisblatt, Nr. 212,11.9.1922, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 482, Bl. 33; Becker 1919 a, S. 44 f; Speitkamp 1994, S. 546; Erdmann 1993, S. 262-270; speziell zur bildenden Kunst vgl. Haenisch 1920 c, S. 59 u. 110; Haenisch 1920 a, S. 38^10. 170 Vgl. Haenisch 1921, S. 5; vgl. dazu auch Becker an Haenisch, 19.12.1921, ms. u. Haenisch an Becker, 22.12.1921, Ds„ ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 83-89; Speitkamp 1994, S. 546 f.
II. Neuorientierung
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der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
mus nur allzu oft unterschätzt worden sind". Letztlich sei „die ganze Frage des deutschen Wiederaufstiegs [...] eine Erziehungsfrage. Denn so lange wir nicht die [...] internationale Gemeinwirtschaft der Zukunft haben, wird in dem großen wirtschaftlichen Wettbewerb der Nationen [...] schließlich das Volk das Rennen machen, in dem auf der einen Seite die sittlichen Triebkräfte des Wirtschaftslebens, wie Hingabe des einzelnen an das ganze, Tatkraft, Umsicht, freiwillige Disziplin und innere Freudigkeit zur Arbeit, am stärksten entwickelt sind und das auf der anderen Seite über die besten Einrichtungen der Forschung und Lehre verfügt [...]. Stellen schon die aus dem Weltkrieg stark und groß hervorgegangenen Mächte die Kulturpolitik heute in den Mittelpunkt ihres nationalen Wollens, so muß Deutschland das mit zehnfachem Ernst, mit zehnfacher Entschlossenheit tun". 171 Die Kunst wertete Haenisch in diesem Kontext „als gewaltige Triebkraft nationalen Aufschwunges", derer speziell in Zeiten des Zusammenbruchs „der einzelne noch mehr bedarf als sonst zur Tröstung und seelischen Sammlung" und der gegenüber sich der Staat als ehrfürchtiger Diener zu erweisen habe.172 Während sich dem Minister so etwa das von Hans Poelzig neugestaltete Reinhardtsche Schauspielhaus 1920 als „Zeichen unserer nationalen Wiedergeburt" darstellte,173 ergab sich daraus in erster Linie das Postulat einer intensiven staatlichen Kunstförder- und -Vermittlungspolitik. Umgekehrt begriff Haenisch die zunehmend rigidere Sparpolitik im Kulturbereich als nationale Bedrohung. „Die gesamte Öffentlichkeit", betonte er 1920, „muß von der Überzeugung durchdrungen werden, daß die Förderung der geistigen und künstlerischen Kultur des deutschen Volkes genau in dem gleichen Maße eine Lebensnotwendigkeit für uns ist wie die Förderung von Kohle, wie die Herstellung von Lokomotiven, wie der Anbau von Kartoffeln und Getreide."174 Gerade jetzt sei die Pflicht der Nation groß, die geistig und künstlerisch Schaffenden zu stützen, und so rufe er dem deutschen Volk zu: „deine eigene Sache ist's, um die es sich hier handelt! [...] Zu diesem Kampf um die höchsten Güter der Kultur möchte ich hier alle Deutschen ohne jeden Unterschied der Partei aufrufen. [...] So frei wir uns künftig halten wollten von unserem früheren Hochmut, daß ,am deutschen Wesen die ganze Welt genesen' müsse, so stolz wollen wir [...] gerade heute es aussprechen, daß die ganze Welt verarmen müßte, [...] wenn am Baum der Menschheit [...] die schönste ,Wunderblume', unser Deutschland, je geknickt würde. So kämpfen wir in letzter Linie einen guten Kampf nicht nur für unser Volk, sondern für die ganze Menschheit, wenn wir mit dem Aufgebot unserer letzten Kraft fechten für die deutsche Kultur. Dieser Kampf ist das große Gebot der Stunde." 175 Haenisch schrieb auf diese Weise nicht nur der deutschen Kunst und Kultur wie der Beschäftigung mit ihr, sondern
171 Haenisch 1921, S. 27-29; vgl. dazu auch schon Haenisch 1918 a, S. 30 f; Haenisch: Für Berlin!, Jan. 1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 447, Bl. 12. 172 Haenisch 1921, S. 150-152. 173 Haenisch an Reinhardt, 14.12.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 313, Bl. 12; vgl. auch Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7354; Weinstein 1990, S. 242-244. 174 Haenisch 1920 a, S. 41; vgl. dazu auch Willy Oskar Dreßler an RMdl, 28.4.1921, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8962, Bl. 346. 175 Haenisch 1920 a, S. 4 6 - 4 8 . Mit dem Begriff Wunderblume vgl. Haenisch 1915 c, S. 15.
bezog sich Haenisch auf Freiligrath,
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
187
Anspruch
auch dem Einsatz für sie nationale Relevanz zu. Die im Endeffekt internationale Kulturgemeinschaftsidee als klassenübergreifende Variante des bildungsbürgerlichen Kulturnationskonzepts wurde so gerade in der eskalierenden ökonomischen Krise der jungen Republik zur Basis einer dem sozialen Industriestaat adäquaten gesellschaftlichen Neuformierung stilisiert.176 Während der von Plenges nationalökonomischen Ansätzen geprägte Minister die kulturelle Sammlung als Bedingung für ein wirtschaftliches Wiedererstarken begriff,177 präzisierte Becker parallel dazu den nationalintegrativen Anspruch mit Blick auf den neuen Staatsgedanken.178 Auf der Kieler Woche 1920 stellte er eine direkte Relation zwischen der Tendenz der Zeit zur Individualität und Emotionalität und dem politischen Anliegen her, durch freie Selbstverwaltung zu sozialem Ausgleich und von der apolitischen Staatsgesinnung zum Selbstbewußtsein als Volk zu gelangen.179 Davon ausgehend faßte er es als der neuen Staatsform entsprechendes, zeitgemäßes Ideal auf, die Bildung auf Prinzipien wie 1. Erziehung zu Wertung und Toleranz, 2. Klassenüberwindung durch Humanismus und 3. Initiierung schöpferischer Kraft aus der Tradition heraus auszurichten. Gestützt auf diese Prinzipien wollte er den charakterlich wie intellektuell gebildeten „Vollmenschen" fördern und durch ihn die Gesellschaft zur Volksgemeinschaft „veredeln".180 Speziell das „Irrationale", das er als „Protest [...] gegen unser ganzes rationalisiertes, verlogenes [...] Gesellschaftsdasein" verstand und das er außer in der Religion vor allem in der Kunst wirken sah, postulierte Becker als Kraft, die in die Bildungspolitik eingebunden werden müsse, wenn das deutsche Volk nicht untergehen solle. Bezogen auf die Kunst erschien ihm dabei nicht nur die „ästhetfische] Freude" und künstlerische Volkserziehung, also die Ebene des Rezipierens,181 sondern - in Anknüpfung an 1919 artikulierte Ressorthoffnungen auf einen „deutschen Stil als anschaulichen Ausdruck nationalen Lebensgefühles" 182 - auch der „Formwille" als „sehnsüchtiges Suchen nach Styl", also die Ebene des aktiven Gestaltens, als elementar für die auf Individualität und Kreativität gestützte gesellschaftliche Neuorien-
176 Vgl. im Gegensatz dazu Widdig 2001, S. 168-195. 177 Vgl. dazu auch Haenisch 1921, S. 9 f; Haenisch 1920 c, S. 23-26; Haenisch 1920 d, S. 10; Speitkamp 1994, S. 546 f; zum Einfluß Plenges vgl. Schildt 1987, S. 532 u. 539 f; Haenisch 1921, S. 150. 178 Vgl. dazu auch Düwell 1976, S. 3 0 - 3 2 u. 247; Becker: Glossen zum Führerproblem, GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1752; Becker: Probleme der
o.D., ms., in:
Reichskulturpolitik,
0.D., hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1646; Erdmann 1993, S. 264 u. 267. 179 Rede Becker: Bildungsaufgaben
im Neuen
Deutschland,
1919/20, hs., S. 1-4, in: GStA PK,
1. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1637; zur Rede vgl. auch Bildungsaufgaben
im neuen Deutsch-
land, in: BT, 16.9.1920, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7530; Buch- und Kunsthandlung Zahn & Jensch an Becker, 2.10.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2482; ähnlich z.B. auch Becker: Glossen zum Fuhrerproblem,
o.D., ms., in: GStA PK, I. HA
Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1752. 180 Rede Becker: Bildungsaufgaben
im Neuen Deutschland,
1919/20, hs., S. 5, in: GStA PK, I. H A
Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1637. 181 Zum Umfeld vgl. Stelzer 1977, S. 50-52. 182 Textentwurf Nentwig / KM an [Becker], [11.12.1919], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1772.
188
II.
Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
tierung. 183 Damit band Becker die Kunst noch einmal differenzierter in das integrative Gesellschaftsideal des Ressorts ein. Innovatives künstlerisches Schaffen wurde dabei als Aktivposten der modernen Kulturgemeinschaft gewertet. 184 Gleichzeitig war es Haenisch wichtig, „die internationale Bedeutung der großen Kunst und des Genies" hervorzuheben. 185 So nahm er eine Feier des Kaiser-Friedrich-Museums zu Raffaels 400. Todestag im April 1920 zum Anlaß, darauf hinzuweisen: „Besonders nach dem großen Völkerhaß ist die gegenseitige Durchdringung der großen Kulturen zu erstreben, so sehr auch jede Wissenschaft und Kunst aus dem Mutterboden der Heimat ihre Kraft saugt." 186 In Anknüpfung an die Bekundungen von 1919 nutzte der Minister hier die Präsenz des italienischen Renaissancemeisters auch in deutschen Sammlungen, um seine Auffassung von der völkerverbindenden Kraft der bildenden Kunst plausibel zu machen - ohne zugleich Zweifel an deren nationaler Verankerung aufkommen zu lassen.187 Nachdem die gesellschaftlich-nationale Relevanz von Kultur und Kunst wiederholt und eindringlich aus verschiedenen Blickwinkeln von der Ressortführung erläutert worden war, kam seit 1920 vor allem Waetzoldt als zuständigem Fachreferenten der Part zu, die Intentionen Beckers und Haenischs für die staatliche Kunstpolitik zu präzisieren. Der nationale Anspruch an die bildende Kunst spiegelte sich etwa in Talentförderungskonzepten, die Waetzoldt für den Akademie- oder Ausstellungsbereich entwickelte (siehe Kap. II. 3.2. und II. 4.2.). Die Ausbildung und Unterstützung begabter Künstler wurde hier in das Bemühen um eine qualitativ überzeugende nationale Kunstproduktion eingebunden, die nach innen integrieren und international konkurrenzfähig machen sollte. 188 Wie dezidiert sich diese von Aby Warburgs kulturhistorischer Sicht auf die Kunst geprägten Konzepte 1 8 9 an den
183 Rede Becker: Bildungsaufgaben
im Neuen Deutschland,
1919/20, hs., S. 4, in: GStA PK, I. H A
Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1637. Als wichtige Protestrichtung, die er aus diesem Blickwinkel neben anderen Kunststilen offensichtlich auch in der staatlichen Politik berücksichtigt wissen wollte, galt Becker der Expressionismus, vgl. dazu die analogen Einschätzungen Waetzoldts bei Schunk 1993, S. 424 u. 427. Welche Rolle Becker dem im Redekonzept ebenfalls erwähnten Dadaismus zuschrieb, bleibt hingegen unklar, vgl. dazu auch Sheppard 1979; zum zeitgenössischen Topos der „Sehnsucht nach Stil" vgl. Sehnsucht nach Stil (Teil 1 u. 2), in: Ku.wart, Jg. 32/3, Nr. 17/18, Juni 1919, S. 177-179 u. 215-218; Peter Behrens in: Der freie Volksstaat und die Kunst, in: Vorwärts, Jg. 35, Nr. 334, 25.12.1918; Scheffler 1946, S. 12 f; Netzer 1995, S. 104; kritisch zur Haltung der Regierung in diesem Zusammenhang Wilhelm von Bode: Die „Not der geistigen Arbeiter" im Gebiet der Kunstforschung,
in: Ku. u. Kü., Jg. 18, Nr. 7, April 1920, S. 297-300.
184 Vgl. dazu auch Haenisch 1919 b, S. 22 f; Erich Wentscher: Künstler und Politik. Ein offener an Eduard von Bendemann, 185 H. S.: Eine Raffael-Feier,
Brief
in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 13, 10.1.1919, S. 249-251.
in: BT, Jg. 49, Nr. 157, 6.4.1920.
186 Ebd.; vgl. dazu auch Raffael-Feier
im Berliner Museum, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 29, 26.4.1920,
S. 201; Beri. Mus., Jg. 41, Nr. 4, Mai / Juni 1920, S. 176. 187 Vgl. dazu auch Haenisch 1921, S. 154; Haenisch 1920 c, S. 3 7 - 3 9 u. 55-59. 188 Vgl. dazu den Aspekt der geistigen Führerauslese in Haenisch 1918 a, S. 24 f; Konrad Haenisch: Warum Kulturpolitik?, in: Weltb., Jg. 17, Nr. 51,22.12.1921, S. 617-620; Zur Volkshochschulfrage 1919, S. 20. 189 Vgl. dazu Schunk 1993, S. 415.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Anspruch
189
Vorstellungen Beckers und Haenischs orientierten, zeigte sich in Waetzoldts Gedanken zur Kunstschulreform. Wie die übergeordnete Ressortkonzeption ging die Schrift davon aus, daß Kunst als „Stück nationalen Daseins, mit tausend Fäden, wirtschaftlich, technisch, sozial, geistig in den Teppich des Volkslebens verwoben" aufzufassen sei und man daher in der Kunstpolitik „von einer einheitlichen und klaren Gesamtvorstellung deutscher Wirtschaft und deutscher Geistigkeit aus an die Probleme herantreten" müsse.190 Entsprechend paßte Waetzoldt die Künstlerausbildung in das vom Ministerium geforderte einheitliche Erziehungssystem ein. Konkret hieß das, daß er „die Entwicklung der künstlerischen Fähigkeiten aller Volksgenossen im Erziehungsgesamtplan der neuen Einheitsschule" und das „Ideal des harmonisch durchgebildeten Menschen" als Voraussetzung für das Kunststudium begriff.191 Eine wichtige Scharnierfunktion schrieb Waetzoldt in diesem Zusammenhang dem als „stärkstes Gegengewicht gegen rein verstandesmäßige Bildung" erachteten Werkunterricht in den Schulen zu 192 - verband er mit diesem doch die Hoffnung, „die für unser ganzes politisches Leben verhängnisvolle Kluft zwischen Hand- und Kopfarbeitern [...] zu überbrücken", 193 und die Vorstellung der Wegbereitung einer qualitativ hochstehenden Künstlerausbildung. 194 Die Akademien wurden auf diese Weise, sowohl was ihre Verankerung im Bildungssystem als auch ihre nationale Wirkung anging, eng mit dem Kulturgemeinschaftskonzept des Ressorts verknüpft. 195 Darüber hinaus stellte Waetzoldt in seiner Schrift auch dar, worin er selbst in Affinität zu Haenisch und Becker die nationale Relevanz bildender Kunst begründet sah, und formulierte auf dieser Basis konkrete Perspektiven für die kunstpolitische Arbeit des Ressorts. Dabei standen zwei Aspekte im Vordergrund: Zum einen ging es ihm um das Ideal eines einheitlichen, zeitgemäßen Kunststils 196 als Pendant zur angestrebten gesellschaftlichen Sammlung. Mit der Regierung in Preußen und im Reich darin einig, die Orientierungslosigkeit der Gegenwart aus ordnungs- und nationalpolitischen Gründen durch die Konzentration auf gemeinsame Kulturwerte auffangen zu wollen, erläuterte Waetzoldt: „Wirtschaftliche, soziale und politische Gründe fordern heute ein zielbewußtes Zusammenraffen aller materiellen und geistigen Kräfte der Nation. Wir haben die Anarchie satt, auch in der Kunst. Die Stunde steht vor der Tür, wo die Künstler die stille Leistung der lauten Predigt vorziehen werden, wo man vom ,Kosmischen' und ,Visionären' nicht schon beim Morgenkaffee reden wird, wo wir wieder uns selbst weniger, die Sache um so ernster nehmen. Die Sehnsucht nach Ordnung und Stetigkeit in unserm ganzen öffentlichen und privaten Leben ist nicht mehr zu unterdrücken." 197 Nachdem Becker bei der Großen Berliner Kunstausstellung 1920 bereits mit ähnlicher Stoßrichtung sein Interesse an einer „einheitlichen deutschen, durch ein Stilgefühl geadelten Lebenskultur" und einem zeitgemäßen, klaren, ein-
190 191 192 193 194 195 196 197
Waetzoldt 1921, S. 4. Ebd., S. 14. Zur Kunsterziehung in der Weimarer Zeit vgl. allgemein Reiss 1981. Waetzoldt 1921, S. 14. Ebd., S. 18 f; vgl. dazu auch ebd, S. 23 f. Vgl. Haenisch 1921, S. 161. Vgl. dazu Segal 1997, S. 45. Waetzoldt 1921, S. 40.
190
II.
Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik 1918-21
heitlichen Stil artikuliert 198 und auch in Kiel vom „sehnsüchtigen Suchen nach Styl" gesprochen hatte, 199 wandte sich Waetzoldt damit gegen die utopischen, fragmentierenden Tendenzen in der Gegenwartskunst 200 und plädierte statt dessen im gesellschaftlich-integrativen Interesse für eine Sammlung und Beruhigung auch im Ästhetischen. 201 Um zu verdeutlichen, in welche Richtung er sich die Entwicklung idealiter dachte, betonte er im historischen Teil seiner Schrift den Vorbildcharakter stilistisch in sich geschlossener Epochen wie der Gotik oder des Barock. 202 Wie Becker, der die angestrebte ästhetische Konzentration durch eine straffere Organisation der Künstler zu fördern suchte, 203 sah auch Waetzoldt allerdings keineswegs die staatliche Reglementierung, sondern im Gegenteil die vom Staat durch die Gewährung von Kunstfreiheit zu fördernde Selbstverantwortlichkeit und Kreativität, das heißt die „künstlerische Persönlichkeit", als Voraussetzung für eine überzeugende Neuorientierung in der Kunst an.204 Der von der Künstlerschaft selbst zu entwickelnde zeitgemäß-einheitliche Stil, dessen Tendenz Waetzoldt im Vorgriff auf die später tatsächlich zeittypische realistische und neusachliche Kunst schon 1920/21 mit den Begriffen „Sachlichkeit, Klarheit, Ruhe, Gesetzmäßigkeit" umschrieb 205 und der im Endeffekt für die selbstbewußt in sich ruhende Republik stehen sollte, wurde so zur festen Leitidee der nationalintegrativ und zugleich liberal ausgerichteten Kunstpolitik des Kultusministeriums. 206 Neben dieser Idee und teilweise unmittelbar mit ihr verknüpft, 207 spielte zum anderen der Gedanke der volkswirtschaftlichen Relevanz bildender Kunst eine zentrale Rolle für Waetzoldt. Besonders an diejenigen gewandt, die Kunstpflege als überflüssigen Luxus abtaten, forderte der Kunstreferent: „Wir müssen einfach alles [...] tun, um freie und angewandte Kunst zu fördern, denn wir brauchen sie zur Erhaltung unserer Produktion im Sinne der Qualitätsarbeit. Technische Präzision und künstlerische Hochwertigkeit der Erzeugnisse sind die einzigen Waffen, die wir besitzen zur Bekämpfung des Mißtrauens 198 Vgl. ZAs Voss. Ztg., Abendausg., 21.5.1921 u. DAZ, Abendausg., 22.5.1920, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7359. 199 Rede Becker: Bildungsaufgaben im Neuen Deutschland, 1919/20, hs., S. 4, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1637. 200 Vgl. Segal 1997, S. 41, 61 f, 67 u. 96 f; Hermand / Trommler 1978, S. 353-358; Es kommt eine neue Zeit 1999, S. 18 f. 201 Ähnlich auch schon Textentwurf Nentwig / KM an [Becker], [11.12.1919], ms., S. 4, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1772. 202 Waetzoldt 1921, bes. S. 54 u. 87 f; vgl. auch Schunk 1993, S. 420; Becker 1919 a, S. 47; Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7326; W. d. KH. J g . 19, Nr. 21, 23.2.1920, S. 143; Segal 1997, S. 40, 43, 4 5 , 5 1 , 8 0 , 104 u. 110. 203 Vgl. ZAs Voss. Ztg., Abendausg., 21.5.1921, Der Tag, Morgenausg., 22.5.1920 u. DAZ, Abendausg., 22.5.1920, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7359; vgl. dazu auch schon Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7329. 204 Waetzoldt 1921, S. 8 f, 11, 23 u. 40 f; ähnlich auch Haenisch 1920 a, S. 40. 205 Waetzoldt 1921, S. 9; vgl. dazu auch Eberle 1989, S. 28; Schwarz / Schwarz 1996; Neue Sachlichkeit 1994, S. 40. 206 Vgl. dazu auch Mayer 1981, S. 13; Hermand / Trommler 1978, S. 1 1 0 - 1 1 2 u. 385 f. 207 Vgl. dazu Segal 1997, S. 96 f.
y Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung: Anspruch
191
aller Welt gegen die deutsche Wirtschaft. Bei der Entwertung des Geldes, der Beschränkung der Rohstoffeinfuhr, den [..] wachsenden Lohnforderungen kann und darf Deutschland auf dem Weltmarkt nicht mehr der alle Völker mit seinen niedrigen Preisen unterbietende Konkurrent sein. Wollen wir noch exportieren, so bleibt uns nur, das hochwertige Rohmaterial durch künstlerische Arbeit so zu veredeln, daß die Qualität der Leistung den hohen Löhnen und den Valutaverhältnissen entspricht^] und das Verantwortungsgefühl unserer Exporteure zu schärfen. Die Vorbedingung dafür ist die sorgfältigste Pflege der freien und gewerblichen Künste, damit sie unserer Industrie, ζ. B. der keramischen, Holz-, Metall-, Glas-, Möbelindustrie, dem Buchgewerbe, der Textilindustrie u. a. m. die Wege zur Qualitätsleistung auch weiterhin zu weisen in der Lage sind." 2 0 8 Frankreich habe nach 1870/71 gezeigt, „daß ein geschlagenes Volk durch bewußtes Zusammenraffen und Einsetzen seiner edelsten Kräfte in der Lage ist, auf dem Weltmarkt sich allmählich mit seinen Erzeugnissen der Kunst und Kunstindustrie eine führende Stellung zu erringen. Nur diejenigen, die von den natürlichen Zusammenhängen der Dinge keine Ahnung haben, können an die Möglichkeit guter kunstgewerblicher Arbeit ohne gleichzeitige Pflege der freien Künste glauben." 209 Einen seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts virulenten Diskurs 210 fortführend, verband Waetzoldt damit die internationale wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit und das über sie vermittelte Selbstbewußtsein als Nation mit der bildenden Kunst und schrieb dieser jenseits bildungspolitischer Aspekte gerade in der Zeit der ökonomischen Krise eine handfeste nationale Bedeutung zu. 211 Die Förderung des engen Konnexes zwischen angewandter und freier Kunst sowie in weiterer Konsequenz zwischen Kunst und Industrie deutete sich hier ganz im Sinne Haenischs als weitere zentrale Konstante der Ressortpolitik in den folgenden Jahren an. Waetzoldt spitzte den nationalen Ministeriumsanspruch für die bildende Kunst damit entscheidend zu. Hatten Becker und Haenisch mit ihrem nationalen Blick auf die Kunst bereits die Einsetzung des Reichskunstwarts Ende 1919 maßgeblich gefördert 212 und den Werkbund zur Orientierungsgröße für die eigene Politik erklärt, bewegte sich das Ressort mit den von Waetzoldt vertretenen Ansichten nun auch auf der differenzierteren kunstpolitischen Ebene in Affinität zu Redslob und zum Werkbund - wobei das Anliegen einer Symbiose von Kunst und Wirtschaft, das Wirken gegen eine einseitig intellektuelle Erziehung oder die Idee der Suche nach dem einheitlichen Stil ebenso einte wie die internationale Perspektive. 213 Was die Grundtendenz und die Entwicklung konkreter Konzepte anging, sah
208 Waetzoldt 1921, S. 44 f; ähnlich auch schon Teilung des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (Kultusministerium),
o.D. [1919/20?], gedr., S. 4, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl.
C. H. Becker, Nr. 1770 u. SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 340 (siehe Kap. II. 6.). 209 Waetzoldt 1921, S. 45. 210 Vgl. dazu Rückert / Segelken 1995; Campbell 1981. 211 Zur Bedeutung der „Qualitätsindustrie" für Haenisch vgl. Konrad Haenisch: Warum politikin:
Kultur-
Weltb, Jg. 17, Nr. 51, 22.12.1921, S. 617-620, S. 619.
212 Vgl. Speitkamp 1994, S. 541-551; Heffen 1986, S. 3 6 - 4 1 . 213 Vgl. dazu auch Campbell 1981, bes. S. 7, 21, 77, 85 f, 90 f, 98 f, 1 2 4 - 1 2 7 , 1 5 4 - 1 7 1 u. 362; Hardtwig 1994, S. 512 f, 516-521 u. 537-540; Speitkamp 1996, S. 20 u. 215; Heffen 1986, S. 33; Speitkamp
192
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
sich das preußische Kultusressort dabei mit Politikern anderer deutscher Staaten, etwa Sachsens, einig. 214 Überdies fügten sich seine Ansichten in eine zeitgenössische Debatte um die ökonomisch-gesellschaftliche Relevanz bildender Kunst ein, die, auch in Differenzierung der Bestrebungen der Revolutionszeit, 215 unter anderem von der Künstlerschaft getragen wurde. 2 1 6 In diesem Kontext veranstaltete etwa die Allgemeine
Deutsche
senschaft im April 1920 in Berlin einen Künstlertag zum Thema Die Bedeutung und der Künstler im Kultur- und Wirtschaftsleben
des deutschen
Kunstgenosder Kunst
Volkes, bei dem es um die
Frage ging, inwieweit „die Künste zu der Wiederaufrichtung und wirtschaftlichen Gesundung unseres Volkskörpers heranzuziehen sind". 2 1 7 Ende 1920 fand zudem unter Leitung Liebermanns eine von den Fachverbänden bildender Künstler organisierte Kundgebung im Reichstag statt, die ähnlich ausgerichtet war. 218 In diesen Veranstaltungen fand das Kultusressort eine Plattform zum Austausch über seine kunstpolitischen Ansätze. 2 1 9 Immer wieder bestätigte sich hier der Konsens zwischen dem Ministerium Haenisch und Vertretern des Reiches wie Redslob oder DDP-Reichsinnenminister Erich Koch(-Weser). 2 2 0
214
215 216
217 218
219
220
1994, S. 562-562, 566 f u. 579; siehe dazu allerdings auch Niederschrift über Besprechung der Verordnung vom 11.12.1919 betr. Ausfuhr von Kunstwerken und Aufstellung eines Reichskunstwarts, 5.1.1920, ms., S. 27, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431. Vgl. dazu Curt Glaser: Reform der staatlichen Kunstpflege, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 22,27.2.1920, S. 438-441; Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 41, 9.7.1920, S. 811; Staatliche Beratungsstelle für Kunst, in: W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 41,19.7.1920, S. 295. Vgl. dazu Revolution und Realismus 1978, S. 45; Rigby 1983, S. 93 f. Zur Debatte vgl. ζ. B. Schmidt 1919; M. v. Hugo: Zur Neuordnung des Erziehungswesens auf dem Gebiet der Kunst und des Kunstgewerbes, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 26, 7.4.1919, S. 173-176; Hans Tietze: Die Demokratie und die Künstler, in: Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 29, 2.5.1919, S. 589-592; Bericht zu 9. Mitgliederversammlung Stuttgart 6.-9.9.1919, in: Mitt. DWB, Nr. 4, 1919, S. 105134; August L. Koch: Unsere Fachschulen als Wiederaufbau-Faktor unserer Volkskraft, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 23, 8.3.1920, S. 155-157; J. v. Bülow: Kunst und Revolution [Schluß], in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 16,14.1.1919, S. 105-108; Valentiner: Einige Bemerkungen zu der Denkschrift über die Teilung des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, o.D., ms. u. Valentiner an Mtgl. Staatsministerium, 25.2. [1919], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1382; Der Berliner Arbeitsrat für Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 33, 26.5.1919, S. 221 f; Scheffler 1946, S. 40 u. 304-314. Allgemeine Deutsche Kunstgenossenschaft an RMdl, 15.4.1920, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8969, Bl. 126. Vgl. Germania, Jg. 50, Nr. 538, 7.12.1920, S. 2; Öffentliche Kundgebung aller Berliner Künstlerverbände, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 4, Jan. 1921, S. 4; BDA an RMdl, 28.11.1920, ms. u. Notiz Redslob, 3.12.1920, hs., in: BArchB, R 1501, Nr. 8962, Bl. 270 u. 274; Notiz RMdl, 2.6.1921, hs„ in: BArchB, R 1501, Nr. 8963, Bl. 41; vgl. dazu auch Speitkamp 1996, S. 172. Entsprechend nahm Waetzoldt am Künstlertag im April 1920 teil, vgl. Abschr. Redslob an Allgemeine Deutsche Kunstgenossenschaft, 21.4.1920, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8969, Bl. 127. Für die Kundgebung Ende 1920 ist von einer Beteiligung der Reichs- und Länderminister die Rede, vgl. Germania, Jg. 50, Nr. 538, 7.12.1920, S. 2. Vgl. Germania, Jg. 50, Nr. 538, 7.12.1920, S. 2; Speitkamp 1996, S. 172; Jäckh 1954, S. 203.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
193
Praxis
Zugleich korrelierten die von Künstlerseite formulierten Erwartungen mit den politischen Ambitionen. 221 Das Ministerium sah sich also 1920/21 von einem starken Netzwerk potentieller Kooperationspartner für seine nationalintegrativen Kunstpolitikbestrebungen vor allem aus dem liberalen, werkbundnahen Lager umgeben. Was die Umsetzung seiner Konzepte anging, konnte es angesichts dessen nicht nur auf den Rückhalt des Landtags,222 sondern auch auf die Unterstützung prominenter Protagonisten aus diesem Lager bauen. Trotz der Anfeindungen gegen das Ministerium auf anderen Gebieten (siehe Kap. II. 1.1.) und trotz aller Etateinschränkungen konnten die auf individueller, gesellschaftlicher wie internationaler Ebene greifenden kunstpolitischen Ansprüche des Ressorts so bald Wirkung entfalten. Die genuin mit Kultur und Kunst verknüpften gesellschaftlich-nationalen Ambitionen Haenischs, Beckers und Waetzoldts, die dem 1918/19 formulierten Anspruch auf Kunstfreiheit, Popularisierung und Künstlerförderung noch einmal eine pointiertere Tendenz gaben und diesen Anspruch langfristig in ein vielschichtiges Konzept der nationalen Identitätsbildung mit dem Ziel der Selbstbehauptung auch auf internationalem Terrain integrierten, entwickelten sich dabei immer mehr zur entscheidenden Folie der preußischen Kunstpolitik der Weimarer Zeit. 223 Viele der kunstpolitischen Aktivitäten des Ressorts in den 20er Jahren sind vor dem Hintergrund dieses Konzeptes zu verstehen.
5.2. Erste praktische Ansätze einer nationalintegrativen Kunstpolitik Der Kulturgemeinschaftsanspruch des Ressorts, über den sich neue nationale Identität nach dem Ende des Kaiserreiches vermitteln sollte, stellte nicht nur den theoretischen Uberbau für die ministerielle Politik dar. Er war vielmehr, wie sich im Zusammenhang mit Waetzoldts Präzisierung des Anspruchs bereits andeutete, eng mit der Entwicklung und Umsetzung konkreter Konzepte verknüpft und prägte die praktische Kunstpolitik des Ressorts so ganz unmittelbar. Gemäß Beckers Dreistufenmodell zur nationalen Relevanz bildender Kunst 224 erwiesen sich drei Ebenen als entscheidend für die nationalintegrative Kunstpolitik des Ministeriums: 1. die Ebene der individuellen Sensibilisierung und Persönlichkeitsförderung durch die Konfrontation und bewußte Auseinandersetzung mit Kunst, 2. die Ebene der Interpretation deutscher Kunst als Ausdruck und Mittler nationalen Selbstbewußtseins sowie 3. die Ebene der internationalen Relevanz bildender Kunst.
221 Siehe dazu die Rede Liebermanns bei der Kundgebung Ende 1920 und die Künstlerresolution nach der Veranstaltung, vgl. Germania, Jg. 50, Nr. 538, 7.12.1920, S. 2; Öffentliche aller Berliner Künstlerverbände,
Kundgebung
in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 4, Jan. 1921, S. 4.
222 Vgl. D.: Nach der Kultusdebatte.
Haenischs „Staat und Hochschule",
in: BT, Jg. 49, Nr. 528,
18.11.1920. 223 Vgl. dazu Speitkamp 1996, S. 171-186; Waetzoldt 1933, S. 85; zur ähnlichen Akzentuierung der Musikpolitik des Ministeriums vgl. Weimarer Republik 1977, S. 518. Wie stark das Ressort dauerhaft mit dem Kulturgemeinschaftsanspruch konnotiert blieb, zeigt z.B. Schmitz 1931, bes. S. 9-11, 16 fu. 2 9 - 4 3 . 224 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7330-7332.
194
II.
Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
Auf der Ebene der individuellen Persönlichkeitsförderung ging es dem Ministerium zunächst darum, möglichst breiten Bevölkerungsteilen die Chance zum Kontakt und zur intensiven Beschäftigung mit bildender Kunst zu geben. Entsprechend wollte Becker die „Beziehungen der Kunst zur Volksseele", die er als wesentlichen Aspekt der nationalen Identitätsfindung begriff, durch eine „künstlerische Erziehung des Volkes" fördern. 225 Ähnlich beschrieb Haenisch den „Versuch der Verbreiterung des Kunstlebens" als Anliegen seiner Politik und erklärte: „Kunst und Volk einander nahe zu bringen im richtig verstandenen Sinne der schönen Gedanken Pogners und Hans Sachsens aus den,Meistersingern': das war das Ziel!" 2 2 6 Während Haenisch durch den Rekurs auf das florierende Nürnberg des 16. Jahrhunderts seine Absicht einer „volkstümlichen Kunstpflege" untermauerte 227 und dabei die Führungsrolle einer stadtbürgerlichen Elite implizit akzeptierte, war Beckers erzieherischer Impetus vom humanistischen Bildungsgedanken geprägt. Haenischs und Beckers Positionen deuteten dabei auf zwei Grundtendenzen der Forderung nach Kunstpopularisierung hin: 1. auf die Absicht, die Rolle freier und angewandter Kunst im Alltag zu stärken, und 2. auf den Anspruch einer gezielten Kunsterziehung sowohl im Sinne aktiven Rezipierens als auch eigenen Gestaltens. Beide Aspekte spielten nicht nur für das Ressort, 228 sondern auch in der seit 1918 geführten Diskussion um einen neuen Konnex zwischen Kunst und Leben eine Rolle. Konkret wurden sie hier im Anschluß an die Kulturdebatten und -bestrebungen der wilhelminischen Zeit mit dem Postulat der Anregung und Anleitung zum Sehen und Werten sowie der Erziehung zu Geschmack und Stil durch die Präsenz von Form und Qualität im Alltag verknüpft. 229 Indem das Ressort diese in kulturinteressierten 225 Ebd., Sp. 7330 f. 226 Haenisch 1921, S. 159; vgl. auch Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7354; zu parallelen Bestrebungen im Theaterbereich vgl. z.B. Karl Fischer: Kunst und Wissenschaft im neuen Unterredung
Preußen.
mit Kultusminister Haenisch, in: BT, Jg. 48, Nr. 369, 10.8.1919, S. 2; Haenisch an
Direktion Deutsches Theater, 6.12.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 457, Bl. 236; Becker u. Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7330 f u. 7351-7356; für den Musikbereich vgl. Batel 1989; Weimarer Republik 1977, S. 518 f; Haenisch 1921, S. 161. 227 Vgl. dazu auch Haenisch, 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7256-7258; Kulturpolitische der Regierung
seit dem 9. November.
Maßnahmen
Eine Vortragsdisposition, Mai 1920, gedr., in: GStA PK,
I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1314; Haenisch, 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7256-7258. 228 Entsprechend waren beim Geschäftsbereich des Ressorts 1920/21 Volkstümliche Kunstpflege und Kunsterziehung aufgeführt, vgl. Geschäftsbereich des preußischen Kultusministeriums,
[1920/21],
ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 1-3; zur Relevanz der künstlerischen Volksbildung für das Ministerium vgl. auch KM: Kunstabteilung,
[Juni 1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455,
Bl. 242-243. 229 Zur Diskussion vgl. z.B. J. v. Bülow: Kunst und Revolution [Teil 1], in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 14, 30.12.1918, S. 91-94; Kurt Freyer: Die Künstler und das Volk, in: Glocke, Jg. 6/2, Nr. 31, Okt. 1920, S. 864-868; Über die Kunst im neuen Staat, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 8, 6.12.1918, S. 148-150; Max Osborn: Neue Kunstpolitik, in: Voss. Ztg., Nr. 161, 28.3.1919; Edgar Steiger: Über Kunsterziehung,
in: Die Neue Zeit, Jg. 37/2, Nr. 10, 6.6.1919, S. 234-239; Aus der kunst-
pädagogischen Reformbewegung
(Teil 1), in: Ku.wart, Jg. 34/2, Nr. 10, Juli 1921, S. 212-218; Aus-
schußmtgl. (DNVP) u. Ausschußmtgl. (Z), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1809-1811; Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7319 f; Die Industriestadt als Boden neuer lung, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 12, 22.12.1919, S. 83.
Kunstentwick-
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
195
Kreisen weithin akzeptierten Vorstellungen in sein nationalintegratives Konzept einband wobei vor allem Kunstreferent Pallat eine wichtige Rolle spielte 230 - , erklärte es die als ästhetische Volksbildung verstandene Kunstpopularisierung in Affinität etwa zu Fritz Wiehert zum relevanten Anliegen für die Fundierung republikanischen Selbstbewußtseins.231 Der Einsatz für eine Kunstvermittlung an breiteste Schichten wurde so zum wesentlichen Bestandteil der nationalen Ministeriumspolitik. Ähnlich wie das bildungsbürgerliche Kulturnationskonzept unter Haenisch mit einer klassenübergreifenden Gemeinschaftsvorstellung verbunden wurde, fügte sich der bildungsbürgerliche Erziehungsgedanke hier in die Vision einer offenen, demokratischen Gesellschaft ein, für die Kunst und durch sie vermittelte Eigenschaften wie Stilempfinden und Urteilskraft grundlegend sein sollten. Das konkrete Interesse des Ministeriums galt in diesem Zusammenhang zunächst der Kunsterziehung an den allgemeinbildenden Schulen.232 So führte Becker Ende 1919 als primären Weg, Kunst und Volk zusammenzubringen, die „Erziehung zum künstlerischen Sehen und Fühlen in den Schulen" an, wertete dies als „große nationale Aufgabe" und forderte, die Kunst müsse angesichts dessen eine ganz neue Rolle in den staatlichen Lehranstalten spielen.233 Haenisch trat gleichzeitig sowohl für eine „Verbesserung des kunstgeschichtlichen Unterrichts auf den höheren Schulen" 234 als auch „für eine bessere Schulung des künstlerischen Empfindens und des künstlerischen Schauens in unserer Jugend" ein.235 Die Intensivierung des Zeichen- und Werkunterrichts an preußischen Schulen und die Reformansätze, die das Ressort unter der Ägide Pallats seit der späten Kaiserzeit und verstärkt seit 1918 auf den Weg zu bringen suchte, 236 sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Pallats schulpolitische Konzepte und Aktivitäten, die der Reformpädagogik und speziell den Ideen Friedrich Fröbels und Georg Kerschensteiners verpflichtet waren,237 stützten das Ressortanliegen einer Kunstvermittlung mit dem Ziel der Förderung eigenständig denkender und handelnder Individuen bereits im Kindesalter auf sehr konkrete Weise. Zentrale Bedeutung kam etwa dem Anspruch Pallats, durch den Kunstunterricht „das Kind im Kön230 Vgl. dazu dessen klare Positionierung ζ. B. in Pallat 1906, S. 360 u. 364 f. 231 Vgl. dazu Wiehert 1919; Howoldt 1982, S. 12 u. 125-128; Wilhelm Hausenstein: Aufgaben
bayri-
scher Kunstpolitik, II., in: MNN, Jg. 72, Nr. 208, 28-/29.5.1919; Alfred Kuhn: Aufgaben
der
Museen in der Gegenwart, in: Mus kun, Jg. 15, Nr. 3/4, Juli 1920, S. 147-151 u. Jg. 16, Nr. 1, April 1921, S. 26-38; J. v. Bülow: Kunst und Revolution [Teil 1], in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 14,30.12.1918, S. 91-94; Paul Bekker: Ethisches in der Kunst, in: Ku.wart, Jg. 32/3, Nr. 15, Mai 1919, S. 125 f. 232 Vgl. dazu auch Howoldt 1982, S. 172; BT, Jg. 50, Nr. 202, 30.4.1921. 233 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7331 f. 234 Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815. 235 Haenisch 1921, S. 161; ähnlich auch Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815. 236 Vgl. Pallat 1959, S. III, 258 u. 395-397; Rickert 1977, S. 206 f; Pallat 1927; Gedenktext Grimme zum Tod von Friedrich Schmidt-Ott, Mai/Juni 1956, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 462; Kestenberg 1961, S. 59 f; Campbell 1981, S. 57-59; zum Kontext vgl. Stelzer 1977; Reiss 1981; Hammel 1990. 237 Vgl. Pallat 1913, S. III; Franck 1912, S. 2; Stelzer 1977, S. 50; zum allgemeinen Kontext vgl. auch Buchholz 2001.
II. Neuorientierung
196
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
nen und Schaffen selbständig zu machen", 238 oder dem Verständnis vom Werkunterricht zu, das die von Pallat herausgegebene Zeitschrift Aus der Praxis der Knaben- und MädchenHandarbeit bereits 1912 auf den Punkt gebracht hatte: „Es gilt, nicht starre Methoden oder Lehrgänge festzulegen, sondern an möglichst mannigfachen, vom Schüler selbst gewählten Aufgaben Hand und Auge, Geschmack und Willen zu üben." 2 3 9 Konsequenz der neuen Wertschätzung des Kunstunterrichts waren beispielsweise zwei Erlasse des Ministeriums vom Juli und November 1920, die festlegten, daß das Zeichnen in Zukunft bis zum Abitur als versetzungsrelevantes Fach galt und daß Zeichenlehrer künftig die gleiche Ausbildung durchlaufen mußen wie angehende Künstler.240 Fügte sich das an der Schnittstelle zwischen Schul- und Kunstpolitik zu verortende pädagogische Konzept Pallats 241 demnach gut in den integrativen Anspruch des republikanischen Kultusressorts ein und trug es diesen Anspruch faktisch mit, bemühte sich das Ministerium nach 1918 außerdem verstärkt darum, seinen Kunstvermittlungsintentionen im schulischen Kontext auch jenseits von Fragen der Lehrplangestaltung, Lehreranstellung oder -ausbildung Geltung zu verschaffen. In Anlehnung an Pallats Vorstellungen der Vorkriegszeit 242 war es dem Ministerium hier in erster Linie wichtig, Schüler zum Sehen zu erziehen, indem man sie in der eigenen Schule durch entsprechend vorgebildete Lehrer mit Kunst in Kontakt brachte. Die Abgabe von geeignetem „Anschauungsmaterial" aus staatlichen Beständen, etwa in Form von Leihgaben aus den Museen, befürwortete Haenisch ausdrücklich.243 Das von Pallat seit 1915 geleitete Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht wurde damit beauftragt, „eine Katalogisierung derartigen Materials in die Wege zu leiten." 2 4 4 Zudem sah Haenisch das Ersetzen des bis 1918 obligatorischen Kaiserbildes durch „ein gutes und dabei preiswertes hübsch gerahmtes Kunstdruckblatt", das vom Zentralinstitut und vom Kunsthandel durchgeführt werden sollte,245 als weitere Möglichkeit an, Kinder und Jugendliche mit Kunst zu konfrontieren. 246 Und auch das Ministeriumsinter-
238 Pallat 1913, S. III; vgl. dazu auch Franck 1912. 239 Aus der Praxis der Knaben- und Mädchen-Handarbeit,
Jg. 3, Nr. 1, April-Juni 1912, S. 53.
240 Vgl. Boelitz 1925, S. 118 f. 241 Vgl. dazu auch Pallat 1959, S. 263. 242 Vgl. Pallat 1906, S. 365 u. 368. 243 Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815. 244 Ebd.; zur generellen Relevanz des Zentralinstituts für die Kunstpopularisierung vgl. Kulturpolitische Maßnahmen
der Regierung seit dem 9. November.
Eine Vortragsdisposition, Mai 1920, gedr.,
in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1314. 245 Haenisch 1921, S. 161; zur Entfernung der Kaiserbilder durch das Ministerium vgl. BT, Jg. 48, Nr. 140, 31.3.1919; Nr. 296, 2.7.1919, S. 4; Nr. 433, 15.9.1919, S. 2; Erlaß Haenisch, 29.3.1920, ms. / gedr., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; Sitzungsprotokoll Staatsministerium, 16.4. 1920, ms., S. 3 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. Otto Braun, A Nr. 19 a; zur Diskussion über die Umsetzung nach 1921/22 vgl. auch Oelze (DNVP), 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15695; LT, W P 1, Dr. 3122; Dr. 3291; Dr. 3442; LT, W P 2, Prot., Sp. 18258; Bohner (DDP), 1.4.1930, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 13088-13090; BArchB, R 32, Nr. 206, Bl. 3, 10-11, 13 u. 16-17; Boelitz an nachgeordnete Behörden, 5.7.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; Heffen 1986, S. 122-126. 246 Vgl. dazu auch Pallat 1927, S. 103-105.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
197
esse am Bund für Schulkunstausstellungen247 deutet in eine ähnliche Richtung.248 So setzte sich Waetzoldt dafür ein, daß der Verein bei Kunstbetrachtungsübungen für Kinder, in gutachterlichen Belangen oder bei Ausleihen durch Justi unterstützt wurde.249 Gleichzeitig förderte das Ressort die Arbeit des Bundes, indem es Anfang 1921 die Ausleihe von zwölf Aquarellen und Zeichnungen Ludwig Richters aus der Nationalgalerie für eine in Berliner Schulen gezeigte Wanderausstellung des Vereins genehmigte.250 Unmittelbar wurde bei diesem Bemühen um das Thema Kunst und Schule die ministerielle Absicht greifbar, schon früh den Grundstein für ein neues kulturell-künstlerisch vermitteltes Bewußtsein zu legen, für das statt Untertanengeist und Wissensvermittlung251 individuelle Sensibilisierung und Urteilsfähigkeit konstitutiv waren. Das Popularisierungsinteresse des Ministeriums galt jedoch keineswegs nur den Jüngsten, die als potentielle Multiplikatoren der neuen Einstellung und mit Blick auf die Zukunft vermutlich besonders relevant erschienen.252 Vielmehr setzte sich das Ressort parallel dazu für eine Kunstvermittlung an alle Generationen und Schichten ein.253 Unter dem Aspekt der Persönlichkeits- und Geschmacksbildung kam hier zum einen der Kunsterziehung auch von Erwachsenen und zum anderen einer gesteigerten Präsenz bildender wie angewandter Kunst im Alltag Bedeutung zu.254 Als Beleg seines Anspruchs auf eine bewußte Koordinierung solcher Aktivitäten verstand das Ressort die Einrichtung einer zentralen Auskunftsstelle für volkstümliche Kunstpflege und Kunsterziehung Ende 1919, die zwar noch mit Pallats Zentralinstitut verbunden war, aber bereits über den Schulbereich hinauswies.255 Wichtig war dem Minister eine Zusammenarbeit der Stelle „mit den großen interessierten Organisationen wie mit den Kommunen".256 Vor allem aber strebte Haenisch an, „daß die volkstümliche Kunstpflege des Kultusministeriums in engster und lebendigster Verbindung mit den lebendigen Kräften der Arbeiterbewegung geschehen möge".257 Als günstige Vor-
247 Zum Anfang 1920 gegründeten Bund vgl. Max Osborn: Neue Kunstpolitik, in: Voss. Ztg., Nr. 161, 28.3.1919. 248 Vgl. dazu auch Alfred Kuhn: Aufgaben der Museen in der Gegenwart (Fortsetzung), in: Mus.kun., Jg. 16, Nr. 1, April 1921, S. 26-38; BT, Jg. 48, Nr. 274, 20.6.1919, S. 3. 249 Vgl. Abschr. Bund für Schulkunstausstellungen an KM, 6.12.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. l , B d . 24. 250 Vgl. ebd.; KM (Nentwig) an Justi, 20.12.1920, ms. u. Justi an KM, 3.1.1921, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24; KM (Nentwig) an Justi, 18.1.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25. 251 Vgl. dazu Nipperdey 1998 b, Bd. 1, S. 693. 252 Vgl. dazu Pallat 1906, S. 366. 253 Zum Kontext vgl. Fellbach-Stein 2001, S. 28 f u. 33-53. 254 Vgl. dazu Buchholz 2001. 255 Vgl. Becker u. Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7331 u. 7355; vgl. auch Kulturpolitische Maßnahmen
der Regierung seit dem 9. November.
Eine Vortragsdisposition, Mai 1920, gedr., in:
GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1314; Batel 1989, S. 81; ähnlich auch Wiehert 1919, S. 117. 256 Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7355. 257 Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7356.
II. Neuorientierung
198
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
aussetzung dafür wertete er, daß nach 1918 Vertrauensleute der Arbeiterbewegung ins Ressort berufen worden waren. 258 Die bildungsbürgerliche, nun bewußt schichtenübergreifend intendierte Kunsterziehungsidee und Arbeiterbildungsbestrebungen verschränkten sich so im ministeriellen Popularisierungsanspruch aufs engste miteinander. 259 Als für die Umsetzung dieses Anspruchs geeignete Institution in der Erwachsenenbildung stellte sich zunächst die Volkshochschule dar, die Haenisch und Becker als wichtigen Mittler ihres kulturellen Gemeinschaftskonzeptes begriffen 260 und die das Ressort daher von Beginn an stark förderte. 261 Haenischs Absicht, die Volkshochschule solle als „Arbeitsgemeinschaft" wirken, „in der sich die handarbeitenden Volksgenossen mit akademisch gebildeten Arbeitern aus geistigen Werkstätten aller Art, insbesondere aus den Universitäten und Technischen Hochschulen, aber auch mit besonders geeigneten Vertretern anderer Berufe, wie der Künstler, Kaufleute, Landwirte, Schriftsteller, Architekten usw., zusammenfinden", 262 legte eine Nutzung auch für die Kunsterziehung nahe. Später gehörten Volkshochschulgruppen tatsächlich zu denen, die durch die Galerie im Kronprinzenpalais geführt wurden. 263 Während die Auseinandersetzung mit Kunst an den Volkshochschulen jedoch nur ein Anliegen unter vielen darstellte, entwickelte Waetzoldt 1920/21 im Zuge seiner Reformüberlegungen für die Akademien noch entschiedener auf die bildende Kunst zugeschnittene Pläne, in welchem institutionellen Rahmen eine Kunsterziehung breitester Schichten idealerweise zu leisten sei, indem er forderte: „die staatlichen Kunsthochschulen [dürfen] nicht in akademischer Isoliertheit ihr Dasein führen, sondern sie sind mit der großen Menge der Kunstbegierigen irgendwie zu verbinden. Der künstlerischen Volksbildung und der Volkskultur werden Volksschulen der Kunst dienen. [...] Gelegenheit für Kinder zu malen und zu kneten, ferner Abend-Dilettantenkurse im Arbeiten nach Akt, Pflanze, Tier, in verschiedenen Materialien, also:,offene Zeichensäle', wie sie Großberliner Gemeinden schon einrichten, Bastelstuben in den Großstadtvierteln zu errichten, das wären die Aufgaben der Volkskunstschulen. Junge Lehrer, ältere Schüler, in denen soziales Gefühl und Lehrgeschick lebendig sind, würden hier als Lehrer neben freien Handwerkern und Künstlern zu wirken haben. Die wildwachsenden Bestrebungen des ,Proletkult' könnten durch die Volkskunstschulkurse in eine vernünftige Bahn geleitet werden, hier müßten die im Proletariat schlummernden schöpferischen Kräfte befreit werden. Wie die Wurzeln des neuen künstlerischen Erziehungswesens in der allgemeinen Einheitsschule liegen, sollen
258 Ebd. 259 Zur ähnlichen Tendenz bei Wiehert vgl. Howoldt 1982, S. 11 f, 6 6 - 6 9 , 1 2 5 , 1 4 1 - 1 4 4 , 165 f u. 172 f. 260 Vgl. Haenisch 1921, S. 108 u. 118; Zur Volkshochschulfrage 1919, S. 5, 16, 20 f u. 25. Welche Bedeutung das Ministerium den Volkshochschulen beimaß, zeigt zudem die Einrichtung einer eigenen Abteilung für deren Belange, vgl. Haenisch 1919 c, S. 23; Haenisch 1921, S. 110; Die Gesellschaft für Volksbildung, o.D., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1230. 261 Vgl. Haenisch 1921, S. 108-118; Zur Volkshochschulfrage 1919; Haenisch 1919 c, S. 23. 262 Zur Volkshochschulfrage 1919, S. 11; Haenisch 1921, S. 115; vgl. dazu auch Howoldt 1982, S. 143 u. 166. 263 Siehe Chr. B.: Stärkerer Besuch der Berliner Museen. Das Interesse für moderne Kunst. Eine neue Art von Führung. Erhebung
von Eintrittsgeldern,
in: ST, Jg. 50, Nr. 99, 1.3.1921, Beibl. S. 1; vgl.
dazu auch Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7319 f.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
199
seine letzten Ausläufer wieder hineinreichen in die Volksmassen". 264 Waetzoldt bezog die ästhetische Volksbildung auf diese Weise unter unverhohlen ordnungspolitisch-erzieherischen Vorzeichen in ein umfassendes künstlerisches Bildungssystem der Zukunft ein. Entbehrte ein solches ästhetisches Bildungssystem jedoch vorerst der Grundlage, waren seit der Revolution vor allem die Museen als Kunstvermittlungsinstitutionen ins Bewußtsein gerückt und bald aktiv auf den Plan getreten (siehe Kap. II. 3.1.). Die musealen Bestrebungen korrelierten hervorragend mit dem national motivierten Popularisierungsideal des Ministeriums.265 Die Museumspopularisierung war entsprechend seit 1919 fester Bestandteil der nationalintegrativen Ressortpolitik. So nannte Haenisch unter den Mitteln, die einer „Verbreiterung des Kunstlebens" dienen sollten, an erster Stelle „Führungen durch die staatlichen Kunstsammlungen, zu deren Vorbereitung und Erleichterung gemeinverständliche, illustrierte Einführungen gedruckt wurden". 266 Entscheidend für die Umsetzung seiner Intentionen erschien dem Ministerium vor allem die pointierte Arbeit Justis (siehe Kap. II. 4.I.). 2 6 7 Bestätigung fand dies, wenn Haenisch in Analogie zur „volkstümlichen Kunstpflege" von Justis „volkstümlichen Kunstführern" sprach 268 oder wenn er die Bestrebungen des Galerieleiters als „wichtig im Dienste unserer künstlerischen Volkserziehung" lobte. 269 Becker stellte überdies etwa eine klare Verbindung zwischen Justis Aktivitäten und seinem Anspruch her, als er die Funktion der im Kronprinzenpalais eingerichteten Zeichnungssammlung erläuterte: „Es ist ein neuer Lesesaal eröffnet worden, in welchem derjenige, der sich wirklich in die Handzeichnungen künstlerisch vertiefen will, sie auch in die Hand nehmen, durchblättern kann, sich wirklich hineinstürzen kann, wo man nicht mehr dem Kunstwerk in einer gewissen Entfernung gegenübersteht, sondern sich liebevoll in die Einzelheiten versenken und dadurch ein persönliches Verhältnis zu dem Künstler und seinem Werk finden kann." 2 7 0 Speziell die Staatsgalerie im Kronprinzenpalais fungierte damit als Mittler der vom Ministerium propagierten Idee einer stärkeren Bildung des „Irrationalen". 271 Folgt man der Konzeption des Ressorts, trug die Galerie durch das individuell-emo-
264 Waetzoldt 1921, S. 30 f; vgl. dazu auch Schwab: Aus der kunstpädagogischen (Teil 2), in: Ku.wart,
Reformbewegung
Jg. 3 4 / 2 , Nr. 11, Aug. 1921, S. 2 6 7 - 2 7 1 ; zum Kontext vgl. Wiehert 1919,
S. 113; Wilhelm Hausenstein: Aufgaben
bayrischer
Kunstpolitik,
II., in: MNN,
Jg. 72, Nr. 208,
2 8 . / 2 9 . 5 . 1 9 1 9 ; Wingler 1977, S. 1 7 - 2 0 ; Stelzer 1977. 265 Vgl. dazu auch Heinrich Cunow: Volksmuseen,
in: Die Neue
Zeit, Jg. 3 7 / 1 , Nr. 12, 2 0 . 1 2 . 1 9 1 8 ,
S. 2 8 0 - 2 8 5 . 2 6 6 Haenisch 1921, S. 159; zur Bedeutung der Museen für die Arbeiterbildung vgl. Guttsman 1982, S. 335 f. 2 6 7 Vgl. Haenisch 1921, S. 159 f; vgl. auch Karl Fries: Kunst und Volk, in: Glocke, Jg. 6 / 2 , Nr. 47, Febr. 1921, S. 1322 f. 268 Haenisch, 5 . 1 2 . 1 9 1 9 , in: LV, Prot., Sp. 7356; vgl. dazu auch Justi, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1813. 2 6 9 Haenisch an Justi, 2 . 1 . 1 9 2 0 , ms., in: B A r c h B , 90 H a 4, Nr. 458, Bl. 4 r. 2 7 0 Becker, 5 . 1 2 . 1 9 1 9 , in: LV, Prot., Sp. 7331. 271 Wie sehr umgekehrt die Popularisierungsbemühungen der Nationalgalerie den Ministeriumsanspruch spiegelten, belegt z. B. Chr. B.: Stärkerer für moderne
Kunst. Eine neue Art von Führung.
Besuch
Erhebung
der Berliner
Museen.
von Eintrittsgeldern,
Nr. 99, 1 . 3 . 1 9 2 1 , Beibl. S. 1; vgl. dazu auch Alois Schardt: Museum,
Das
Interesse
in: BT, Jg. 50,
Kunst und Volk, in: BT,
200
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
tionale Rezipieren von Kunst 272 direkt zur Förderung sozialer, eigenverantwortlicher Persönlichkeiten bei. Dem schichtenübergreifenden Gesellschaftsmodell des Ministeriums entsprach dabei das breite Spektrum derer, die an den im Kronprinzenpalais veranstalteten Führungen teilnahmen. 273 Im Rahmen seiner bildungsbürgerlichen Kulturgemeinschafskonzeption fügte das Ressort auf diese Weise konsequent auch die klassische bildungsbürgerliche Institution Museum in seine Vision einer sich künstlerisch-kulturell ihrer selbst bewußt werdenden republikanischen Gesellschaft ein.274 Neben den Kunstmuseen erwies sich ein weiterer Museumstyp als relevant für die ministeriellen Popularisierungsabsichten: das Kunstgewerbemuseum. Traditionell mit der Kunstgewerbebewegung verbunden und so schon vor 1918 für Anschauungszwecke genutzt, 275 bot sich speziell das staatliche Kunstgewerbemuseum in Berlin als Demonstrationsort vorbildlicher Formgebung an. In Anknüpfung an die von Pallat bereits 1906 betonte elementare Rolle der Kunstgewerbemuseen für die industrielle Formgebung und die Etablierung einer schlichten, geschmackvollen Lebensumwelt wurde die museale Präsentation angewandter Kunst der Gegenwart hier in Zusammenhang mit der politischen Intention gerückt, eine zeitgemäße Alltagskultur etablieren zu wollen. 276 Ausdruck dessen war eine von Werkbund und Gewerkschaften im Frühjahr 1919 im Berliner Kunstgewerbemuseum veranstaltete, unter der Leitung Bruno Pauls stehende Ausstellung einfachen Hausrates, die „auf Veranlassung des Preußischen Kultusministeriums" 277 stattfand. 278 Welch große Bedeutung das Ministerium dieser Schau beimaß, wurde durch die programmatische Rede Haenischs bei der Eröffnung Mitte April 1919 deutlich (siehe Kap. II. 5.1). Die Ausstellung selbst entsprach mit der Gestaltung durch verschiedene Vereinigungen, durch die auch der N o t der Zeit geschuldete Konzentration auf einfache, solide Objekte ohne Orna-
272
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Nr. 199, 29.4.1921. An einer Ausrichtung von Museumsführungen in diesem Sinne hatte sich schon Pallat 1906, S. 365 interessiert gezeigt. Vgl. dazu auch Paul Bekker: Ethisches in der Kunst, in: Ku.wart, Jg. 32/3, Nr. 15, Mai 1919, S. 125 f; Alfred Kuhn: Aufgaben der Museen in der Gegenwart (Fortsetzung), in: Mus.kun., Jg. 16, Nr. 1, April 1921, S. 26-38. Vgl. dazu Chr. B.: Stärkerer Besuch der Berliner Museen. Das Interesse für moderne Kunst. Eine neue Art von Führung. Erhebung von Eintrittsgeldern, in: BT, Jg. 50, Nr. 99, 1.3.1921, Beibl. S. 1. Kritisch siehe dazu z.B. A.L.Mayer: Zum Kapitel ,Aufgaben bayerischer Kunstpolitik', in: Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 37, 27.6.1919, S. 772-775; Wilhelm Feld: Bildende Kunst und Arbeiterschaft. Ketzerische Gedanken eines Laien, in: Ku.wart, Jg. 33/1, Nr. 5, Dez. 1919, S. 208-212; Campbell 1981, S. 149. Vgl. Rückert / Segelken 1995; siehe ζ. B. auch Aus der Praxis der Knaben- und Mädchen-Handarbeit, Jg. 3, Nr. 1, April-Juni 1912, S. 53 f. Vgl. Pallat 1906, S. 361 u. 364 f; vgl. dazu auch Wiehert 1919, S. 113; Howoldt 1982, S. 12, 39-45 u. 157; Alois Schardt: Museum, Kunst und Volk, in: BT, Jg. 50, Nr. 199, 29.4.1921; BT, Jg. 48, Nr. 177, 20.4.1919. Mitt. DWB, Nr. 5 - 6 , 1918/19, S. 26; zur generellen Aufgeschlossenheit des Ressorts vgl. auch schon Pallat 1906, S. 364. Vgl. dazu Mitt. DWB, Nr. 5 - 6 , 1918/19, S. 26; Alois Schardt: Museum, Kunst und Volk, in: BT, Jg. 50, Nr. 199, 29.4.1921; BT, Jg. 48, Nr. 177, 20.4.1919; Campbell 1981, S. 143 f; Niederstadt 1982 a, S. 29.
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Praxis
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ment, durch die Verbindung sozialer und künstlerischer Belange sowie ihr Geschmacksbildungsinteresse deutlich den Ideen des Ministeriums.279 Auch wenn angesichts der Verkaufspreise Zweifel an der Tauglichkeit der Exponate für die Arbeiterschaft angebracht waren, 280 war die Ausstellung als wichtiger Beitrag zur nationalintegrativen Kunstpolitik zu verstehen. Wie die Schau exemplarisch belegt, band das Ressort die Institution Museum so über die im Kronprinzenpalais praktizierte Auseinandersetzung mit Kunst hinaus auf der Ebene der Geschmacksbildung noch einmal anders in sein Kulturgemeinschaftskonzept ein. Wie schon bei der theoretischen Positionierung erwies sich auch hier neben der Arbeiterbewegung 281 der Werkbund als entscheidender Partner für das Ministerium.282 Daß die Hausratausstellung von der Berliner Geschäftsstelle des Werkbundes organisiert worden war und Ernst Jäckh als deren Leiter die Eröffnungsworte sprach,283 läßt wiederum auf eine Mittlerrolle Jäckhs schließen. Die ideologische Affinität des Ressorts zum Werkbund (siehe Kap. II. 5.1.) fand so ihre Fortsetzung in der Praxis.284 Vor diesem Hintergrund gewinnt dann auch die ministerielle Sympathie für das Museum Osthaus (siehe Kap. II. 3.1.) noch einmal an Plausibilität - stand die werkbundnahe Einrichtung durch ihren innovativen Vermittlungsanspruch und die weit ins Alltagsleben reichenden Ambitionen 285 doch für ähnlich umfassende gesellschaftlich-kulturelle Visionen wie das Kultusressort. Während sich im Umfeld des Kronprinzenpalais' und des Kunstgewerbemuseums zeigte, wie sich das Ressort eine Aktivierung der Museen für seine integrative Politik vorstellte, suchte das Ministerium seinem Popularisierunganspruch daneben auch jenseits von Bildungseinrichtungen gerecht zu werden. Nachdem sich mit der Schau im Kunstgewerbemuseum bereits die Hoffnung auf die Präsenz von Stil und Form im Alltag verbunden hatte, ging es ihm in diesem Kontext, sicher auch in Reaktion auf entsprechende zeitgenössische Forderungen, in erster Linie darum, der Kunst einen größeren Stellenwert im öffentlichen Leben einzuräumen. Als Mittel, „um die künstlerische Erbauung und Erziehung des Volkes wirksamer als bisher zu fördern", sah Haenisch Ausstellungen in verschiedenen Gegenden Berlins an. 286 Wesentlicher Aspekt der Bestrebungen, Kunst ins Volk zu bringen, war es zudem, die Kunstpopularisierung auf die Provinzen auszudehnen.287 Das Ressort setzte hier
279 Vgl. dazu ausführlich Fritz Stahl: Billiger Hausrat, in: BT, Jg. 48, Nr. 179, 22.4.1919; vgl. auch Bode an Haenisch, 13.7.1919, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 34, Bl. 10; Max Osborn: Neue Kunstpolitik, in: Voss. Ztg., Nr. 161, 28.3.1919. 280 Vgl. Fritz Stahl: Billiger Hausrat, in: BT, Jg. 48, Nr. 179, 22.4.1919. 281 Vgl. dazu auch Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7356; Guttsman 1982, S. 335 f. 282 Vgl. dazu auch vgl. Campbell 1981, S. 149. 283 Vgl. Mitt. DWB, Nr. 5 - 6 , 1918/19, S. 26; BT, Jg. 48, Nr. 177, 20.4.1919. 284 Vgl. auch J. v. Bülow: Kunst und Revolution [Teil 2], in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 15, 7.1.1919, S. 99 f. 285 Vgl. dazu ausführlich Lahme-Schlenger 1992. 286 Haenisch 1919 b, S. 22; vgl. auch Kunstreformpläne
des preußischen Kultusministeriums,
in: W. d.
Ku., Jg. 18, Nr. 11, 9.12.1918, S. 71; BT, Jg. 48, Nr. 354, 2.8.1919, S. 3; Nr. 433, 15.9. 1919, S. 2. 287 Vgl. Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7356.
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II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
auf die Organisation von Wanderausstellungen. 288 Vor allem aber kam der Unterstützung von Provinzmuseen durch Leihgaben, die erklärtes Anliegen des Ministeriums war (siehe Kap. II. 3.1.), Bedeutung zu. Während Becker dabei Wert auf die Entsendung von guten Originalen legte, 289 war Haenisch bereit, dem Ziel der Kunstverbreitung auch durch Reproduktionen gerecht zu werden. 290 Angesichts dessen ist nicht zuletzt die Umwandlung der Meßbildanstalt in eine moderne, kostenlos zu nutzende Staatliche Bildstelle, die das Ressort seit 1919/20 vorantrieb, 291 als Popularisierungsbeitrag zu werten - begriff es die Regierung doch als Hauptaufgabe der Einrichtung, „den gesamten Bildstoff, der für Kunst- und Denkmalsfragen von Bedeutung sei, dem Publikum nutzbar zu machen", und plante man überdies, die Bildstelle über die Kooperation mit Verlagen noch breiter wirken zu lassen. 292 Gleichzeitig waren einem weitreichenden ministeriellen Popularisierungsengagement in Form einer Ausstattung von Amtsgebäuden mit Kunst oder der künstlerischen Gestaltung öffentlichen Raumes, 293 das 1918/19 so vehement gefordert worden war, 294 klare Grenzen gesetzt. Als beispielsweise im Mai 1919 der Landrat des Kreises Arnsberg beim Ministerium Leihgaben für sein stark frequentiertes Kreishaus erbat, reichte man die Anfrage zwar an die
288 Siehe dazu auch die Forderung nach Wanderbüchereien und -bühnen in Zur Volkshochulfrage 1919, S. 28; Haenisch 1921, S. 163 f; vgl. dazu auch BT, Jg. 48, Nr. 354, 2.8.1919, S. 3; Manasse (USPD), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7482 f; Schunk 1993, S. 433. 289 Vgl. Becker an Braun, 18.3.1921, ms., in: GstA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 95. 290 Vgl. Haenisch 1921, S. 164; Haenisch (SPD), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7487; zum möglichen Einfluß Pallats in diesem Zusammenhang vgl. Pallat 1906, S. 365; siehe dazu auch Kühnel 1995; Netzer 1995, S. 110; BT, Jg. 48, Nr. 354, 2.8.1919, S. 3; Manasse (USPD), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7482 f. 291 Vgl. ZA Tägliche Rundschau, o.D., in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 9; BT, Jg. 48, Nr. 514, 30.10.1919, S. 3; LV, Dr. 1329, S. 1804 u. 1825; Ausschußmtgl. (SPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1824; Goldschmidt an Becker, 9.6.1920, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 443; Ausschußmtgl. (SPD), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7292 f; 1. b.: Berliner Museumsfragen, in: Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 28, 8.4.1921, S. 547 f; Burkhard Meier: Die staatliche Bildstelle, in: Ku.chr., Jg. 56,2, Nr. 48,26.8.1921, S. 861-866; Theodor Hetzer: Zur Gründung der staatlichen Bildstelle, in: Cie., Jg. 13, Nr. 17, Sept. 1921, S. 492-494; Übersicht über bedeutungsvolle Angelegenheiten im Geschäftsbereich des Kultusministeriums, die seit April 1921 in Fluß gebracht bzw. erheblich gefördert oder zum Abschluß gebracht sind, Duwe an [Becker], 19.10. [1921?], hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1751; E. Wackenroder: Der 14. Tag für Denkmalpflege, in: Cie., Nr. 20, Okt. 1921, S. 592 f; Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 33, 12.5.1922, S. 544 f; Bode-Memoiren 1997, Bd. 2, S. 377. 292 Vgl. Ausschußmtgl. (SPD), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7293. 1921 wurde der Bildstelle sogar ein eigener Verlag, der Deutsche Kunstverlag, angeschlossen (siehe Kap. III. 5.); zum Kontext vgl. auch Wilhelm Hausenstein: Aufgaben bayrischer Kunstpolitik, II., in: MNN, Jg. 72, Nr. 208, 28./29.5.1919; Alfred Kuhn: Aufgaben der Museen in der Gegenwart, in: Mus.kun., Jg. Ii, Nr. 3/4, Juli 1920, S. 147-151; Goldschmidt an Becker, 9.6.1920, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 443. 293 Vgl. dazu Pallat 1906, S. 365. 294 Vgl. z.B. J. v. Bülow: Kunst und Revolution [Teil 2], in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 15, 7.1.1919, S. 99 f; Hans Wedendorf: Der Künstler und die Politik, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 20, 10.2.1919, S. 133-135.
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Nationalgalerie weiter. 295 Letztlich wurde aber von dort nur mitgeteilt, „daß es bei der bestehenden anderweitigen starken Nachfrage nach Leihgaben [...] wohl nicht angängig sein dürfte, solche auch noch bis auf die Kreishäuser auszudehnen." 296 Später ging man dazu über, nur noch an Kunstsammlungen auszuleihen. 297 Offenkundig kollidierte das Ressortideal also mit den realen Möglichkeiten. Zumal dort, w o etablierte Etats fehlten, mußten die Vorstellungen zurückgeschraubt werden. 298 Zugleich verhinderten fehlende Zuständigkeitsregelungen eine stringente Umsetzung der umfassenden Asthetisierungspläne. 299 Auch die Neuvergabe von Aufträgen für Wandgestaltungen in oder an öffentlichen Gebäuden stellte sich bis 1921 als schwierig dar.300 So blieb ein schon 1917 in Auftrag gegebenes Prometheus-Bild des Akademikers Hugo Vogel im Großen Hörsaal der Charité, das Haenisch 1920 für seine Verwaltung übernahm, in Haenischs Amtszeit offensichtlich das einzige Monumentalwerk, das mit dem Ressort in Zusammenhang stand. 301 Mit elf Metern Länge „wohl das größte Wandbild Berlins" kam das Werk dem Popularisierungsanspruch entgegen. 302 Zumal zur selben Zeit alte wilhelminische Aufträge endfinanziert
295 Vgl. Abschr. Haslinde (Landrat Kreis Arnsberg) an KM, 5.5.1919, hs. u. KM (Nentwig) an Justi, 27.5.1919, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24. 296 Justi an KM, 4.6.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24. 297 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 19.4.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 1, Bd. 1; Haenisch an Staatsministerium, 21.6.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402; Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815. 298 Vgl. dazu Waetzoldt: Premsische Kunstverwaltung und Reichskunstwart, 8.3.1920, ms., S. 6, in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8281; Regierungsvertreter, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7295; Abschr. Becker an Kartell der vereinigten Verbände bildender Künstler Berlins, 28.8. 1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt X 1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 14 u. SAdK, PrAdK, Nr. 934, Bl. 54. 299 Vgl. Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung und Reichskunstwart, 8.3.1920, ms., S. 4, in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8281: „Einen künstlerischen Ratgeber gibt es in Preußen nicht. [...] Selbst im eigenen Hause wird die Mitwirkung des Kunstreferenten bisher nicht verlangt. Der Stempel des Kultusministeriums übertrifft an Schäbigkeit und Ungeschmack die Geschäftsstempel kleiner Papierhandlungen. Die Wartezimmer lassen nicht ahnen, daß man in ihnen auf den Empfang bei Vertretern eines Ministers ,für Kunst' zu warten gezwungen ist." Vgl. dazu auch KM an Justi, 14.3.1919, hs., in: SMBPK/ZA, Nat.gal., ad Spec. 1,Berlin, Bd. 1; Trott zu Solz an Haenisch, 7.12.1919, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 457, Bl. 242. 300 Vgl. Haenisch 1920 a, S. 30; siehe dazu auch Denkschrift des Werkbundes zum staatlichen Bauwesen, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 14, 2.1.1920, S. 291 f; Fellbach-Stein 2001, S. 49-53; Segal 1997, S. 54-60 u. 93-99; Hans Wedendorf: Der Künstler und die Politik, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 20, 10.2.1919, S. 133-135; zu entsprechenden Forderungen z. B. bei Justi vgl .Justi über die Aufgaben der staatlichen Pflege moderner Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 17, 21.1.1919, S. 113. 301 Vgl. Hugo Vogels Prometheus-Bild, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 30, 3.5.1920, S. 206; BT, Jg. 49, Nr. 220, 12.5.1920; zu Vogel vgl. Segal 1997, S. 100. Die 1914-27 geführte Ressortakte zur malerischen Ausschmückung öffentlicher Gebäude, die Aufschluß über mögliche weitere Projekte geben könnte, ist nicht erhalten, vgl. Findbuch GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve. 302 Zitiert nach Hugo Vogels Prometheus-Bild, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 30,3.5.1920, S. 206; vgl. auch BT, Jg. 49, Nr. 219, 11.5.1920.
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II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
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wurden, die für eine Verwendung nicht mehr in Frage kamen, 3 0 3 konnten v o m Ressort darüber hinausgehende eigene Akzente in diesem Bereich kaum gesetzt werden. 3 0 4 Allenfalls das Bemühen u m die Gestaltung eines Giebelfeldes am Staatswissenschaftlichen Institut Johann Plenges in Münster 3 0 5 deutet für die Jahre ab 1920 unter Waetzoldts Einfluß pointiertere Ambitionen an. Konkret ging es dabei um folgendes: Vor Eröffnung des Instituts im Mai 1920 wollte der mit Haenisch befreundete Plenge 3 0 6 das Institutsgebäude, einen klassizistisch umgestalteten Renaissancebau, 3 0 7 auch äußerlich seiner neuen Bestimmung anpassen. Als Plenge die privat finanzierte Giebelfeldgestaltung 3 0 8 Anfang 1920 in Berlin genehmigen lassen wollte, schlug das Ministerium Milly Steger und den Bildhauer Vocke 3 0 9 als Künstler vor. 3 1 0 D e m Ressort war es dabei wichtig, daß Steger wie Vocke einen Bezug zu Westfalen hatten. 3 1 1 Bewußt brachte man mit beiden zudem keine ,,abgestandene[n] akademischefn] G r ö ß e n " ins Spiel, „sondern jüngere, von Osthaus und Poelzig wärmstens empfohlene moderne Künstler". 3 1 2 Deutlich war hier das Interesse spürbar, Vertreter der M o derne aus dem Werkbundumfeld zu berücksichtigen. Aussagekräftig erscheint dies zumal bei einer Institution wie dem Plenge-Institut, die dem Ministerium eng verbunden war, die wegen ihrer innovativen Ansätze überregionales Interesse weckte und deren Existenz wie
303 Vgl. z.B. KM (Pallat) an Justi, 15.7.1919, ms., KM (Nentwig) an Justi, 30.3.1920, ms., Abschr. KM (Waetzoldt) an Justi, 28.12.1920, ms., Abschr. Landeshauptmann Ostpreußen an KM, 26.11. 1920, ms. u. KM (Waetzoldt) an Justi, 7.8.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 5; KM an Justi, 22.8.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 274; KM (Nentwig) u. FM an Ministerialbaukasse, 9.4.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8143. 304 Siehe dazu auch die intensiven Bemühungen der Akademie Königsberg um einen Zuschuß für die Ausmalung des Sitzungssaales der Handelskammer Königsberg, vgl. Oberpräsident Königsberg (i.V. Nordenflycht) an KM, 10.12.1920, ms., Oberpräsident Königsberg an KM, 22.2.1921, ms., Oberpräsident Königsberg an KM, 12.5.1921, ms., Oberpräsident Königsberg an KM, 29.9.1921, ms., Notiz an Waetzoldt, o.D., hs., Notiz Waetzoldt, 2.10. [1921], hs. u. KM an Direktor Akademie Königsberg, 21.10.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. 305 Zum Institut vgl. Schildt 1987, S. 555-562; Plenge 1919. 306 Zur Beziehung Haenisch - Plenge nach 1918 vgl. Müller 1991, S. 234; Schildt 1987, S. 554 f u. 562. 307 Vgl. Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen 1935, S. 529-534; Führer durch Münster 1920, S. 58. 308 Im Giebelfeld sollte nach 1790 ursprünglich ein Wappen des Fürstbischofs angebracht werden, das aber nie realisiert wurde. Im Giebelfeld befanden sich so bis 1920 nur Rohsteine, vgl. Bauund Kunstdenkmäler von Westfalen 1935, S. 529-534. Die Gelder wurden vermutlich vom Industriellen Ludwig Roselius (Kaffee Haag) zur Verfügung gestellt, vgl. Plenge an Haenisch, 10.4. 1920, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 293, Bl. 48-49, Bl. 48 r; Schildt 1987, S. 555-557. 309 Gemeint war wahrscheinlich Alfred Vocke, der später Professor an der Akademie Kassel wurde; zum Kontakt zwischen Vocke und dem Ministerium vgl. Abschr. KM an Vocke, [9.3.1923], ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 33. 310 Vgl. Waetzoldt an Plenge, 7.5.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 159-161, Bl. 159 r; vgl. auch Plenge an Haenisch, 10.4.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 293, Bl. 48-49. 311 Vgl. Waetzoldt an Plenge, 7.5.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 159-161, Bl. 159 r. Steger hatte bis zum Kriegsende wichtige künstlerische Akzente im westfälischen Hagen gesetzt, vgl. www.keom.de/raum/hagen/gesch_ha.html;www.keom.de/raum/hagen/steger_milly.html. 312 Waetzoldt an Plenge, 7.5.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 159-161, Bl. 159 r.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung: Praxis
205
Erscheinungsbild dezidiert als Ausdruck des Neubeginns nach 1918 begriffen wurde. 313 Besondere Konturen gewinnt die Ressortposition in diesem Fall überdies deshalb, weil man sich mit ihr in Gegensatz zu Plenge bewegte: Während der Direktor eine „würdige und stilgemäße Ausschmückung" des Giebels in klassischen Linien und einfachen ornamentalen Symbolen anstrebte, 314 suchte das Ministerium in Münster einen zeitgemäßen Beitrag zur Umsetzung seiner Forderung zu leisten, Kunst im Alltag präsenter werden zu lassen. Im Streit mit Plenge bestand Waetzoldt schließlich zumindest auf dem Maßstab der Qualität. 315 Wenn sich hier auch klare ministerielle Absichten abzeichneten, konnte das Ressort in der Gestaltung des öffentlichen Raumes in der ersten Zeit nach 1918 indes aus Finanzgründen insgesamt nur eingeschränkt wirken. Faktisch waren es unter Haenisch in erster Linie Schulen und Museen, die bei der Umsetzung des Anspruchs auf Persönlichkeitsbildung durch den Kontakt mit Kunst die entscheidenden Beiträge leisteten. 316 Nachdem es auf der ersten Ebene der nationalintegrativen Kunstpoltik um eine allgemeine Präsenz von Kunst im Alltag sowie um eine individuell-emotionale Auseinandersetzung mit Kunst gegangen war, rückte auf der zweiten Ebene der integrativen kunstpolitischen Praxis die Identitätsstiftung durch nationale Kunstinhalte ins Zentrum. Für das Ministerium stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie solche nationalen Kunstinhalte definiert und auf welche Weise sie wie auch ihre Rezeption gefördert werden könnten. Eine Antwort auf diese Frage gab das Ressort zunächst dadurch, daß es sich mit dem erklärten Ziel, so ein vertieftes Verständnis für deutsche Kultur und Kunst fördern zu wollen, nach 1918 verstärkt der Pflege deutscher Kunstdenkmäler zuwandte. Entsprechend wertete Becker die Denkmalpflege Ende 1919 als entscheidenden Beitrag zur nationalintegrativen Politik. Die Bedeutung des Denkmalschutzes wollte er dabei nicht auf den bloßen Respekt vor der Vergangenheit reduzieren. Vielmehr begriff er den Einsatz für die Erhaltung von Kunstdenkmälern als Möglichkeit, „die in ihnen schlummernden Kunstwerte dem Volke dauernd vor Augen zu stellen". 317 Vor dem Hintergrund der Nationalisierung der Denkmalpflege im Weltkrieg sowie im Einklang mit der denkmalpolitischen Diskussion und
313 Vgl. dazu Plenge an Haenisch, 23.4.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 293, Bl. 59-64, Bl. 63 r. 314 Plenge an Haenisch, 23.4.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 293, Bl. 5 9 - 6 4 , S. 59 r; vgl. dazu auch Plenge an Haenisch, 5.5.1920, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 293, Bl. 6 5 - 6 9 , Bl. 66 u. 67; zur Kritik am Ornament vgl. Pallat 1906, S. 365. 315 Vgl. Waetzoldt an Plenge, 7.5.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 159-161, Bl. 161 r. Im Giebelfeld des 1920 von J. Arntzen renovierten Gebäudes wurde im Endeffekt ein „neu erfundenes Wappen des Staats- und Volkswirtschaftlichen Instituts" ausgeführt, vgl. Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen 1935, S. 533 f; zum Streit mit Plenge vgl. auch Becker an Haenisch, 17.1.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 31-32; Becker an Plenge, 25.10.1929, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 2345. 316 Siehe allerdings auch die Kritik am Ministerium in diesem Zusammenhang bei Cläre MeyerLugau: Brief an Haenisch, in: Weltb., Jg. 16/1, Nr. 9, 26.2.1920, S. 283-285; Die Not der Geistesarbeiter und der bildenden Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 22, 1.3.1920, S. 150; Franz Schulz: Kunst, Bürger, Staat, in: Das Forum, Jg. 4 / 2 , Nr. 9, Juni 1920, S. 655-660. 317 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7331; vgl. dazu auch schon Pallat 1906, S. 362.
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der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Praxis im Nachkriegsdeutschland 318 interpretierte das Ministerium die Beschäftigung mit Denkmälern so als wichtigen Schritt zur Besinnung auf gemeinsame deutsche Kultur- und Kunstwerte. 319 Folge dessen war, daß die Arbeit am Denkmalschutzgesetz nach 1918 auch von Preußen vorangetrieben wurde und man sich um den Ausbau der Denkmalpflege im Kultusressort bemühte. 320 Als welch wesentlicher Aspekt der nationalen Kunstpolitik die Denkmalpflege gewertet wurde, zeigt ein Antrag der Kunstabteilung von 1919, in dem mit dem Argument, nach dem Krieg komme der Kunst eine gesteigerte nationale Relevanz zu, eine Besserstellung des Landeskonservators gefordert wurde. 321 Untermauert wurden die denkmalpolitischen Ambitionen dadurch, daß das Ressort im Sommer 1919 50.000 M für das Aachener Münster bereitstellte und damit zur Erhaltung eines Baudenkmals beitrug, das durch den Bezug zu Karl dem Großen und als Krönungskirche besonders markantes Beispiel für den Konnex zwischen Kunst und Nation war und dem zugleich durch seine Grenzlage nationale Bedeutung zukam. 322 Und auch die Bemerkung des Landeskonservators Lutsch gegenüber Conrad Steinbrecht, dessen Marienburg-Führer zuvor in 14. Auflage erschienen war,323 der Autor habe „in der Marienburg das stolze Hauptdenkmal ostdeutscher Kulturarbeit wieder ins helle Licht gerückt", 324 wies in eine ähnliche Richtung. Die Vereinnahmung der im Abstimmungsgebiet an der Grenze zu Polen gelegenen Burg des Deutschen Ritterordens bestätigte das Ziel der nationalen Identitätsstiftung durch Denkmäler auf prägnante Weise. Darüber hinaus weist der Brief an Steinbrecht darauf hin, welch entscheidende nationale Funktion das Ministerium in diesem Kontext wissenschaftlicher Aufklärungsarbeit zuschrieb: Denkmalhistorische Information wurde zur Voraussetzung für die Beschäftigung mit Denkmälern, und an diese wiederum knüpfte sich der Anspruch der Förderung nationalen Kulturbewußtseins. Das Ressort suchte in diesem Sinne zu wirken, indem es die Auseinandersetzung mit „heimischen Bau- und Kunstdenkmälern" in den Lehrplan der Schu-
318 Vgl. dazu ausführlich Speitkamp 1996, bes. S. 110-112 u. 163-218; vgl. auch Erweiterte AusschußSitzung des Tages für Denkmalpflege, 7./8.7.1919, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1796; Paul Schumann: Tag für Denkmalpflege, in: Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 40,18.7.1919, S. 847-851. 319 Vgl. Speitkamp 1996, S. 14, 20, 110-112, 152, 171-187 u. 214-226; vgl. auch Ohle: Zur geplanten Neuregelung der Denkmalpflege in Preußen, in: Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 25, 18.3.1921, S. 481-484. 320 Vgl. Speitkamp 1996, S. 196-223; Becker 1919 a, S. 41; Dr. Reichsrat, April 1920, RMdl an Länderregierungen, 7.5.1920, ms. / gedr. u. Abschr. KM (Nentwig) an Präsident Staatsministerium, 5.8.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1796; Niederschrift über Besprechung der Verordnung vom 11.12.1919 betr. Ausfuhr von Kunstwerken und Aufstellung eines Reichskunstwarts, 5.1.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431; FM an KM, 14.3.1921, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8275, Bl. 115; Bollert (DDP), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7284 f; siehe auch Heuer 1983, S. 53; Boldt 1999, S. 59. 321 KM: Kunstabteilung, [Juni 1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 242-243. 322 Vgl. Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7331; vgl. dazu auch Heß (Z), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7276 f; Ausschußmtgl. (Z), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7289. 323 Steinbrecht 1917. 324 Lutsch an Steinbrecht, 15.12.1919, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV, Bl. 20-21; vgl. dazu auch Regierungspräsident Danzig an Lutsch, 5.9.1917, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV, Bl. 16.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
207
len integrierte. Bestrebungen Pallats aus der Vorkriegszeit fortführend, wollte man über das Zeichnen von Denkmälern oder bei Exkursionen „Verständnis und Liebe für die heimischen Kunstformen" wecken.325 Zudem engagierte sich das Ministerium für denkmalhistorische Publikationen. So regte Trendelenburg 1920 beim Deutschen Verein für Kunstwissenschaft an, bei der Regierung für Georg Dehios Standardwerk Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler 10.000 M zu erbitten.326 Und auch der Ausbau der Meßbildanstalt fügte sich in die Vermittlungsbestrebungen ein.327 Die Anregung zur Auseinandersetzung mit heimischen und speziell mit symbolträchtigen nationalen Denkmälern328 war dabei wie das Engagement für deren Erhaltung329 als grundlegender Beitrag zur nationalintegrativen Kunstpoltik zu verstehen. Während sich das Ministerium Haenisch mit der Hinwendung zur Denkmalpflege weitgehend aus den Kontroversen um die nationale Interpretation zeitgenössischer Kunststile heraushielt und statt dessen unumstrittenere Identitätspunkte in der Vergangenheit betonte, fand das ministerielle Bemühen um nationale Kunst parallel dazu Ausdruck im Engagement für den Kunstausfuhrschutz. Hintergrund der Bestrebungen war folgender: Angesichts der Nationalisierung des Themas Kunst im Weltkrieg330 war von Akteuren der Kunstschutzbewegung wie Bode seit 1917/18 in Anlehnung an Vorkriegspläne des Reiches gefordert worden, die Kunstausfuhr stärker zu kontrollieren.331 Mit Hilfe von Listen, in denen als national wertvoll erachtete und daher vom Verkauf ins Ausland ausgeschlossene Werke aufgeführt waren, sollte nach dem Vorbild der Kriegsgegner332 einem „Ausverkauf" deutscher Kunst vor allem aus Privatsammlungen333 entgegengewirkt und die betreffende Kunst im Land ge-
325 Bestimmung zum Aufnehmen
von heimischen Bau- und Kunstdenkmälern
im
Zeichenunterricht,
in: Pallat 1927, S. 36-38, S. 36 f; vgl. auch Pallat 1912, S. III; Franck 1912, S. 2 u. 10-12; Stelzer 1977, S. 50; Pallat 1959, S. 258. 326 Sitzungsprotokoll Vorstand u. Denkmälerkommission Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, 6.1.1920, ms., S. 11, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431. 327 Vgl. dazu auch Ausschußmtgl. (SPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1823 f; Abschr. Verfügung KM, 4.5.1920, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 134; ZA Tägliche Rundschau,
o.D, in:
BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 9. 328 Vgl. dazu auch Haenisch 1921, S. 160 f. 329 Siehe dazu auch die Instandsetzungsarbeiten an der Berliner Siegessäule, vgl. KM (Nentwig) an Ministerialbaukommission, 21.4.1920, ms., Abschr. KM (Achenbach) an Ministerialbaukommission, 5.5.1920, ms., Abschr. KM (Hiecke) an Ministerialbaukomm., 23.2.1921, ms. u. KM an FM, 6.5.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8325, Bl. 5 6 - 5 7 u. 59-61. 330 Zum Kunstschutz während des Weltkrieges vgl. Speitkamp 1996, S. 163-170. 331 Vgl. SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 429, Nr. 430 u. Nr. 432; Speitkamp 1996, S. 177 f. 332 Vgl. dazu Walther von Pannwitz: Ein neues Kunstgesetz,
in: Voss. Ztg., Nr. 156, 26.3.1918;
Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 36, 4.6.1920, S. 709. 333 Vgl. dazu BT, Jg. 48, Nr. 316, 12.7.1919, S. 2; Ausschußmtgl. (Z) u. Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1810 f u . 1819; Falke, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7288; Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7345 f; Niederschrift über Besprechung der Verordnung vom 11.12.1919
betr. Ausfuhr von Kunstwerken
und Aufstellung eines
Reichskunstwarts,
5.1.1920, ms., S. 27, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431; SMBPK / ZA, Nachlaß Bode,
208
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
halten werden. N a c h d e m das preußische Abgeordnetenhaus noch Anfang 1918 über ein Ausfuhrverbot für Kunst debattiert hatte, 3 3 4 knüpfte das Ressort Haenisch wohl nicht zuletzt auf Grund der Rolle, die Karl Lamprecht (siehe Kap. II. 5.1.) bei der Entwicklung des Kunstschutzgedankens gespielt hatte, 3 3 5 zunächst an diese Bestrebungen an. Bereits im Januar 1919 berichtete Nentwig von vertraulichen Gesprächen des Ministeriums mit dem Reichsamt des Inneren über ein Ausfuhrgesetz, das Werke von vor mindestens dreißig Jahren verstorbenen Künstlern schützen sollte. 3 3 6 Gleichzeitig drängte B o d e bei Haenisch auf eine gesetzliche Regelung. 3 3 7 Als der Versailler Vertrag dann, auch als A n t w o r t auf die Zerstörung der Bibliothek in L ö w e n und der Kathedrale von Reims, in Artikel 2 4 7 die Herausgabe des Genter Altars von Jan van E y c k und von vier Altartafeln von Dirk Bouts aus den Staatlichen Museen in Berlin an Belgien bestimmte, 3 3 8 wirkte dieser zur nationalen Demütigung stilisierte „Kunstraub" als zusätzlicher Katalysator und rückte ein Kunstschutzgesetz umso dringlicher auf die Tagesordnung. 3 3 9 Gleichzeitig verpflichtete Artikel 150 der Weimarer Verfassung das Reich,
Nr. 427; W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 21,17.2.1919, S. 141; Ku.chr. J g . 54/1, Nr. 18,4.2.1919, S. 380; Bode: Die zweite Schenkung von Dr. James Simon ans Kaiser-Friedrich-Museum, in: Beri. Mus., Jg. 41, Nr. 5, Juni/Juli 1920, S. 183; Otto 1995, S. 42; Geismeier 1995, S. 63. 334 Vgl. Walther von Pannwitz: Ein neues Kunstgesetz, in: Voss. Ztg., Nr. 72, 8.2.1918, S. 1 u. Nr. 156, 26.3.1918. 335 Vgl. Speitkamp 1996, S. 164 f. 336 Nentwig (KM) an Justi [u. Falke], 10.1.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 115; vgl. auch KM (Nentwig) an Justi, 30.4.1920, ms. u. Justi an KM, 12.5.1920, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 5; RMdl an Bode, 11.5.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 432. 337 Bode an Haenisch, 29.1.1919, hs„ in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 34, Bl. 8-9. 338 Vgl. Speitkamp 1996, S. 164 f u. 170; Notiz RMdl, 14.8.1919, ms. u. Liste, o.D., ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8976, Bl. 4 - 8 . 339 Vgl. dazu Der Protest gegen den Kunstraub. Die geistige Versammlung in der Akademie, in: DAZ, Nr. 167, 7.4.1919 u. [...] Protest gegen den Kunstraub, in: Freiheit, Nr. 169 [?], 8.4.1919, in: SAdK, PrAdK, 2.2/258, Bl. 24 a u. 26; Deutscher Museumsbund: An unsere Gegner!, [April 1919], gedr., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 159; Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft Kunstsektion, 16.5.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/037, Bl. 396; Paul Clemen: Die Gefährdung des deutschen Kunstbesitzes, Teil 1 u. 2, in: Tägliche Rundschau, Nr. 262 u. 263, 26-/27.11.1919, Unterhaltungsbeil., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 14, Abt. VI, Nr 36, Bd. VII u. SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 430; Bode: Die Kunstraub gelüste unserer Feinde, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 17, 7.2.1919, S. 337-340; W. d. Ku.,]g. 18, Nr. 27, 14.4.1919, S. 181 f; Otto Grauthoff: Die feindlichen Kunstraubpläne, in: Ku.wart, Jg. 32/3, Nr. 15, Mai 1919, S. 107-110; Erweiterter Kunstschutzf, in: Ku.wart, Jg. 32/3, Nr. 16, Mai 1919, S. 162f ; Protest der deutschen Museen gegen Kunstraub, in: BT, Jg. 48, Nr. 195,1.5.1919, S. 3; Fritz Stahl: Die Abwanderung der Kunstwerke, in: BT, Jg. 48, Nr. 401, 10.8.1919, S. 2; Willy Hoffmann: Der internationale Kunstschutz nach dem Versailler Friedensvertrag, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 9, 1.12.1919, S. 57 f; KM an RMdl, 7.7.1919, ms. u. Notiz RMdl, 14.8.1919, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8976, Bl. 3 u. 7-8; Bode in: Beri. Mus., Jg. 41, Nr. 5, Juni/Juli 1920, S. 182; BT, Jg. 49, Nr. 307, 2.7.1920; W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 40, 12.7.1920, S. 288; Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 42, 16.7.1920, S. 815 f; Bode-Memoiren 1997, Bd. 2, S. 377, 394 u. 396; Ohlsen 1995, S. 289; Haase 1991, S. 26-28; LV, Dr. 1329, S. 1810 f,
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
209
eine „Abwanderung" deutschen Kunstbesitzes ins Ausland zu verhindern.340 Nach Beratungen im Reichsrat über einen entsprechenden Verordnungsentwurf des Reiches 341 intensivierte daraufhin auch das preußische Kultusministerium im Oktober 1919 sein Engagement zugunsten eines Gesetzes und koordinierte vertrauliche Treffen dazu mit den Leitern der Staatsmuseen.342 Immer klarer zeichnete sich dabei jedoch ein Dilemma ab: Mit der Reglementierung der Ausfuhr griff man in die Rechte privater Sammler ein. Die Sammler, auf deren Unterstützung der Staat angewiesen war, wollte man aber keinesfalls düpieren 343 - wohl auch ein Grund für die Vertraulichkeit der Treffen. 344 Als sich dann aber Ende 1919 die Landesversammlung hinter den Ausfuhrschutz stellte und der Vorschlag, daß ein Verkauf in Deutschland möglich bleiben und dem Staat ein Vorkaufsrecht eingeräumt werden sollte, das Dilemma zu relativieren schien,345 unterstrich nun auch das Ministerium sein Interesse an einem Ausfuhrverbot. Haenisch erklärte dazu, „daß wir die Verschleppung wertvoller nationaler Kunstwerke ins Ausland aus kapitalistischen Gewinngründen für ein Verbrechen am Kunstbesitz und am Kulturgut unserer Nation halten." 346 Deutlich offenbarte sich hier der Zusammenhang, den der Minister zwischen seinem Kulturgemeinschaftsideal und dem Ausfuhrverbot sah. Der Einsatz dafür, daß der als national definierte Kunstbesitz im Land gehalten wurde, wurde als Vorbedingung für die postulierte Besinnung auf gemeinsame Kunstwerte und damit als Voraussetzung der nationalen Integration interpretiert.347 Immer wieder, führte Haenisch an, habe Preußen daher beim Reich auf eine Regelung gedrängt.348
1820 f u. 1823 f; Dr. 3947, S. 7290; LV, Prot., Sp. 7272-7275, 7284 f, 7344-7346, 7348 u. 7350; siehe dazu auch die kunstpolitischen Auseinandersetzungen mit Polen, vgl. KM (Trendelenburg) an Justi, 11.11.1919, ms., KM (Nentwig) an Justi, 16.10.1920, ms. u. Justi an KM, 25.10.1920, Ds., ms. in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24; Haenisch, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7290; Abschr. KM (Nentwig) u. F M (Dulheuer) an Regierung Bromberg, 26.2. 1919, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8158; KM (Trendelenburg) am Justi, 8.6.1921, ms., Justi an KM, 15.6.1921, hs., Abschr. KM an Reichs- u. Staatskommissar für die Überleitung an Polen, 10.9.1921, ms. u. Abschr. Reichs- u. Staatskommissar für die Überleitung an Polen an KM, 11.3.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25. 340 Vgl. Becker 1919 a, S. 41; Speitkamp 1996, S. 178. 341 Vgl. Rundbrief RMdl, 17.9.1919, ms. / gedr., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 429; Speitkamp 1996, S. 179. 342 Vgl. KM (Trendelenburg) an Justi, 15.10.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 5. 343 Vgl. ebd.; Fritz Stahl: Die Abwanderung
der Kunstwerke, in: BT, Jg. 48, Nr. 401, 10.8.1919, S. 2.
344 Vgl. dazu auch Glaser: Ein Kunstausfuhrverbot
für das Reich, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 12,
19.12.1919, S. 253 f. 345 Vgl. Lauscher (Z), Ausschußmtgl. (Z), Ausschußmtgl. (DDP), Bode u. Ausschußmtgl. (SPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806, 1810 f, 1820 f u . 1823 f; Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7344-7346, 7348 u. 7350. 346 Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7351; vgl. auch Eine Schuldebatte in der
Landesversamm-
lung. Fortsetzung der Beratung über den Landesetat, in: BT, Jg. 48, Nr. 582, 6.12.1919, Beibl. S. 3. 347 Vgl. dazu ähnlich auch Die Not der Geistesarbeiter und der bildenden Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 22, 1.3.1920, S. 150. 348 Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7351.
II. Neuorientierung
210
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Tatsächlich wurde nur eine Woche nach Haenischs Rede, am 11. Dezember 1919, eine Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken im Reichsgesetzblatt veröffentlicht.349 Danach bedurfte die Ausfuhr eines Kunstwerkes behördlicher Genehmigung, „sobald es in das Verzeichnis der Werke eingetragen ist, deren Verbringung in das Ausland einen wesentlichen Verlust für den nationalen Kunstbesitz bedeuten würde." 350 Das Verzeichnis sollte auf Antrag der Zentralbehörden der Länder, also des jeweiligen Kultusressorts, vom Reichsinnenminister geführt werden. Uber eine Ausfuhr entschied ein Ausschuß, dem neben dem Reichskommissar für Aus- und Einfuhrbewilligung ein Vertreter der Reichsbank und ein vom Land zu ernennender Kunstsachverständiger angehörte - für Preußen übernahm diesen Part von Falke. Der Ausschuß durfte seine Zustimmung nur erteilen, „wenn der materielle Gewinn des Reichs den Verlust des Kunstwerks rechtfertigt." 351 Nicht genehmigte Ausfuhren wurden mit Strafen belegt. Kunstbesitzer waren der Landeszentralbehörde gegenüber zudem zu Prüfungen und Auskünften verpflichtet.352 Die öffentliche Reaktion auf die Verordnung war zwiespältig: Die Fachpresse monierte die Schwammigkeit der Bestimmungen.353 Hauptkritikpunkt blieb das Dilemma des Eingriffs in private Rechte. Während Glaser mahnte, die Verordnung dürfe bei Privatbesitz nur greifen, „wenn wirklich für die Nation unersetzliche Werte auf dem Spiel stehen",354 kritisierte Georg Biermann im Sammlerorgan Cicerone, die Verordnung vertrete allein die Interessen der Museen, sie erdrossele das Sammelwesen und „den kulturellen Betätigungsdrang eines Volkes in einem sehr wichtigen Punkte [..], anstatt ihn zu heben". 355 Die Verordnung war so gerade mit
349 Vgl. Speitkamp 1996, S. 178 f; Glaser: Ein Kunstausfuhrverbot
für das Reich, in: Ku.chr., Jg. 55/1,
Nr. 12, 19.12.1919, S. 253 f; Pr. Verw.blatt, Jg. 41, Nr. 12/13,20.12.1919, S. 151; Das neue Kunstschutzgesetz, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 12, 22.12.1919, S. 83; ZAs Dez. 1919, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431; Verordnung
Uber die Ausfuhr von Kunstwerken,
in:
Reichsgesetzblatt,
Jg. 1919, Nr. 236, S. 7169 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1796; W. v. Seidlitz: Die Sicherung des Kunstbesitzes für den Staat, in: Mus.kun., Jg. 15, 1920, S. 82-84; Paul Clemen: Die
Gefährdung
des deutschen Kunstbesitzes, Teil 1 u. 2, in: Ku.wart, Jg. 33/2, Nr. 8, Jan. 1920, S. 6 0 - 6 4 u. Nr. 9, Febr. 1920, S. 114-117; Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken, 1920, S. 42; Zentr.bl. Unterr.verw.,]g.
in: Cie., Jg. 12, Nr. l,Jan.
1920, Nr. 7 / 8 , 1 0 . 8 . 1 9 2 0 , S. 4 8 4 - 4 8 7 ; Laube 1997, S. 66-71;
Bode-Memoiren 1997, Bd. 2, S. 370; Redslob 1972, S. 158; vgl. auch J. v. Bülow: Kunst und Revolution, Teil 2, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 15, 7.1.1919, S. 99 f; Ausschußmtgl. (Z) u. Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1810 f u. 1820 f; Fritz Stahl: Die Abwanderung
der Kunst-
werke, in: BT, Jg. 48, Nr. 401, 10.8.1919, S. 2; Rundbrief RMdl, 17.9. 1919, ms. / gedr., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 429. 350 Zitiert nach Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 1920, Nr. 7/8, 10.8.1920, S. 484-489, S. 485; Das neue Kunstschutzgesetz, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 12, 22.12.1919, S. 83; Laube 1997, S. 66-71. 351 Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 1920, Nr. 7/8, 10.8.1920, S. 484-489, S. 485; Das neue
Kunstschutz-
gesetz, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 12, 22.12.1919, S. 83. 352 Vgl. Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 1920, Nr. 7/8, 10.8.1920, S. 484-489, S. 486 f. 353 Vgl. ζ. B. Glaser: Ein Kunstausfuhrverbot
für das Reich, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 12, 19.12.1919,
S. 253 f,S. 253; G. B.: Das Ausfuhrverbot von Kunstwerken, in: Cie., Jg. 12, Nr. l j a n . 1920, S. 29 f. 354 Glaser: Ein Kunstausfuhrverbot
für das Reich, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 12, 19.12.1919, S. 253 f,
S. 254. 355 G. B.: Das Ausfuhrverbot
von Kunstwerken,
in: Cie., Jg. 12, Nr. 1, Jan. 1920, S. 29 f, S. 29.
y Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
211
Praxis
Blick auf das ministerielle Kulturgemeinschaftsideal allenfalls als erster Schritt in die vom Ressort Haenisch erhoffte Richtung zu verstehen.356 Gelegenheit zum Austausch über die Verordnung gab es am 5. Januar 1920 bei einer Kunstkonferenz der Länder in München. Trendelenburg hob hier noch einmal als Grundanliegen hervor, „daß wir zur Zeit einen wertvollen Kunstbesitz haben, der uns entwunden zu werden droht und über die jetzige Ausfuhrgefahr hinaus festgehalten werden soll." 3 5 7 Das von Preußen angelegte Verzeichnis stellte er als nur vorläufig dar. Künftig sei noch mehr Gewicht auf „den Begriff,deutsche Herkunft"' zu legen; bewußt sollten auch ausländische Werke, die sich in Deutschland befänden, einbezogen werden - man wolle allgemein festhalten, „was für uns wertvoll ist", und Werke ausländischer Herkunft seien eben besonders gefragt auf dem internationalen Markt. 358 Deutlich bestätigte das Ministerium damit zum einen seinen offenen Blick auf das, was als nationaler Kunstbesitz definiert wurde.359 Zum anderen bekundete es seine Bereitschaft zur weiteren Mitarbeit an der Liste. Gleichzeitig jedoch signalisierte Trendelenburg durch den Hinweis, die Liste solle auf „wirklich ganz wertvolle Stücke" beschränkt bleiben, bereits ein Mißbehagen der Verordnung gegenüber. Davon ausgehend bemühte er sich schon in München, alternative Kunstschutzmöglichkeiten aufzuzeigen.360 Konkret entwickelte er dabei die Vorstellung eines nicht auf einzelne Werke, sondern auf die Gesamtheit des nationalen Kunstbesitzes bezogenen Kunstschutzes, in den neben kirchlichem Eigentum der Besitz öffentlicher Körperschaften und von Gemeinden einbezogen werden sollte.361 Der auf Privateigentum beschränkte Verbotsansatz wurde so in einen auf alle öffentlich relevanten Kunstobjekte bezogenen Schutzgedanken überführt, für dessen Gewährleistung die Länder einstehen sollten.362 Eventuelle Kunstexporte wollte das Ressort von der Außenhandelskontrolle regeln lassen. Anfallende Zölle plante es einem Fonds zuzuführen, der zum Ankauf gefährdeten Kunstgutes genutzt werden könnte. 363 Damit hatte Trendelenburg die offenere Tendenz der weiteren preußischen Kunstschutzbestrebungen definiert. Wie sehr diese Haltung die folgenden Aktivitäten in Deutschland bestimmen sollte, zeigte sich bereits bei einer weiteren Kunstschutzkonferenz der Kultus356 Vgl. dazu auch Gall 1920, S. 63. 357 Niederschrift über Besprechung der Verordnung vom 11.12.1919
betr. Ausfuhr von
Kunstwerken
und Aufstellung eines Reichskunstwarts, 5.1.1920, ms., S. 8, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431. 358 Ebd., S. 6. 359 Vgl. dazu auch Speitkamp 1996, S. 181-183. 360 Vgl. Niederschrift
über Besprechung
der Verordnung vom 11.12.1919
betr. Ausfuhr von Kunst-
werken und Aufstellung eines Reichskunstwarts, 5.1.1920, ms., S. 8, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431. 361 Vgl. ebd., S. 16-19. 362 Vgl. ebd., S. 19 f. 363 Vgl. ebd., S. 12 f; vgl. auch RMdl an Länderregierungen, 2.1.1920, ms. / gedr., Staatsministerium an KM, 17.1.1920, ms. u. KM (Nentwig) an Präsident Staatsministerium, 13.4.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1796; zum ähnlichen Vorschlag des Museumsbundes vgl. Deutscher Museumsbund, 1920, S. 877.
in: Ku. u. Kü., Jg. 18, Nr. 12, Aug. 1920, S. 546-549; Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 45, 6.8.
212
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
minister am 12. April 1920 in Stuttgart, wo man im Sinne der Vorschläge Preußens beschloß, „daß eine Verordnung erlassen werden soll, die den Kunstbesitz der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen schützt, insbesondere eine Verschleuderung ins Ausland verhindert".364 Am 8. Mai 1920 wurde daraufhin, initiiert durch den Reichsrat, tatsächlich vom Reich eine Verordnung über den Schutz von Denkmalen und Kunstwerken publiziert, die „Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechtes, Familienstiftungen sowie die Besitzer und Verwalter von Familienfideikommissen, Lehen, Stammgütern und Hausvermögen" verpflichtete, die Veräußerung, Verpfändung, wesentliche Veränderung oder Ausfuhr beweglicher Gegenstände mit geschichtlichem, wissenschaftlichem oder künstlerischem Wert von der Erlaubnis der Zentralbehörde des Landes abhängig zu machen.365 Nachdem in der Folgezeit in Fachkreisen zwar positiv auch auf die neue Verordnung reagiert worden war,366 die für das preußische Ressort wesentliche Bestimmung vom Mai 1920 darüber hinaus aber offenbar nur wenig Resonanz gefunden hatte, nahm Gall Ende Oktober 1920 in der Kunstchronik ausführlich aus Sicht des Ministeriums zu der neuen Verordnung Stellung. Deutlich unterstrich er zunächst die Unvereinbarkeit des bewußt auf die gesamte Bandbreite deutscher Kunst bezogenen nationalen Kunstverständnisses des Ressorts und der Ausfuhrliste, die auf der Grundannahme einer besonderen nationalen Relevanz einzelner Werke basierte und die von spezifischen Museums- und Sammlerinteressen geprägt war.367 Die Verordnung vom Mai 1920 stellte er demgegenüber als Versuch dar, diese Diskrepanz auszugleichen, indem man den Schutzgedanken auf alle beweglichen Kunstgegenstände ausdehnte.368 Als Vorteil der neuen Verordnung wertete er, daß privater Besitz hier keinen weiteren Beschränkungen unterworfen wurde. Mit den Kritikern der Verordnung vom Dezember 1919 sah er sich darin einig, daß Eingriffe in privaten Kunstbesitz „nur schwere Störungen unseres kulturellen Lebens herbeiführen können. Eine Abschnürung der Sammeltätigkeit, eine empfindliche Lähmung der Freude des Einzelnen an seinen mit Liebe zusammengebrachten Schätzen wäre die unausbleibliche Folge gewesen. Was für Schäden im öffentlichen Kulturleben das nach sich gezogen hätte, ist nicht
364 Kunstschutzkonferenz,
in: W.d.Ku.,
Jg. 19, Nr. 29, 26.4.1920, S. 201; vgl. auch Dr. Reichsrat,
April 1920, RMdl an Länderregierungen, 5.7.1920, ms. / gedr., KM (Nentwig) an Präsident Staatsministerium, 5.8.1920, ms., RMdl an Länderregierungen der Länder, 2.1.1920, ms. / gedr. u. Entwurf Staatsministerium an KM, 17.1.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1796; BT, Jg. 49, Nr. 170, 13.4.1920; Nr. 233, 20.5.1920; Ku.chr.,
55/2, Nr. 30, 23.4.1920, S. 583.
365 Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 1920, Nr. 7/8, 10.8.1920, S. 484-489, S. 487-489; vgl. Speitkamp 1996, S. 179 f; vgl. dazu auch Dr. Reichsrat, April 1920, RMdl an Länderregierungen, 5.7.1920, ms. / gedr. u. KM (Nentwig) an Präsident Staatsministerium, 5.8.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1796; BT, Jg. 49, Nr. 233, 20.5.1920; Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 35, 28.5.1920, S. 685; Pr. Verw.hl., Jg. 41, Nr. 39,26.6.1920, S. 451; Reichsgesetzblatt, Jg. 20, Nr. 104, S. 913 f, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431. 366 Vgl. ζ. B. Deutscher Museumsbund, Jg. 55/2, Nr. 45, 6.8.1920, S. 877. 367 Vgl. Gall 1920, S. 63. 368 Ebd.
in: Ku. u. Kit., Jg. 18, Nr. 12, Aug. 1920, S. 546-549; Ku.chr.,
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung: Praxis
213
schwer zu ermessen." 369 Gall interpretierte die private Sammeltätigkeit unter Hinweis auf die Relevanz der von Bode geförderten Sammlerkultur für die staatlichen Museen darüber hinaus als unverzichtbare Größe für die eigene Kulturpolitik. 370 „Hier zu fördern, die alten Traditionen weiterzuführen, nicht hindernd einzugreifen", betonte er, „muß für alle Zeiten das Streben einer Kunstverwaltung sein, die ihre erzieherischen Aufgaben verstanden hat." 3 7 1 Statt privaten Kunstbesitz mit Ausnahmegesetzen zu bedenken, komme es darauf an, ihn „im weitgehendsten Maße zu popularisieren, damit er wirklich ein Teil des Bildungsstoffes weitester Volkskreise wird , um so zur Freude an unserer alten Kultur und zur Liebe zu dem Boden, der sie trug, anzuregen." 372 Dazu sei der Eigentümer nicht zuletzt durch Artikel 153 der Reichsverfassung verpflichtet, der den Gebrauch privaten Eigentums mit dem Gedanken des Dienstes „für das gemeine Beste" verknüpfe. 373 Gall band den privaten Kunstbesitz damit unmittelbar in das ministerielle Kulturgemeinschaftskonzept ein. Den Sammler verstand er als Aktivposten im Sinne der nationalintegrativen Ressortbestrebungen. Als besten Schutz des privaten Kunstbesitzes sah er nicht das Gesetz an, sondern „die Aufklärung, die Förderung der Kenntnis unserer älteren Kunstschätze" und die Achtung vor den unersetzlichen Werten. 374 Klar stellte sich das Ressort so auf die Seite der Sammler und distanzierte sich von der Verbotsliste. An der Bewahrung und Popularisierung nationaler Kunst genuin interessiert, zugleich aber wegen der Kunstfreiheitsmaxime mit einem nicht auf spezielle Inhalte festgelegten nationalen Kunstbegriff agierend, plädierte das Ministerium für einen allgemeinen Kunstschutz. Und für eben diesen sah es die Verordnung vom Mai 1920 als adäquatere Basis an als die vom Dezember 19 1 9. 375 Letztlich wertete es die neue Verordnung als Chance, sowohl einem seinen offeneren Vorstellungen entsprechenden Kunstschutz als auch der Kunstpopularisierung und den privaten Sammlern gerecht zu werden. Statt Kunstschutz und Sammeln gegeneinander auszuspielen, fügte das Ressort auf diese Weise beide Aspekte in sein Bemühen um den nationalen Kunstbesitz ein. Um den Kunstschutz in diesem Sinne voranzutreiben, arbeitete das Ministerium in der Folgezeit die Ausführungsbestimmungen zur Verordnung vom Mai 1920 aus. Nachdem Ende September 1920 beim Eisenacher Denkmalpflegetag eine weitere Beratung der Länder zum Kunstschutz stattgefunden hatte, auf der Preußen durch Gall, Nentwig und den neuen Konservator Hiecke 3 7 6 vertreten war, ließ das Ressort noch im Oktober 1920 den anderen Ländern einen Entwurf dazu zukommen. 377 Im Februar 1921 erließ das Preußische Staats-
369 Ebd., S. 64. 370 Zur Sammlerkultur im Umfeld Bodes vgl. Kuhrau 1995; Gaehtgens 1998; M. Frey 1999, S. 134 f u. 139-141; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. X I I f; Knopp 1995, S. 17-20; Gaehtgens 1993. 371 Gall 1920, S. 64; vgl. dazu auch Gaehtgens 1997, S. XIII; Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1819; Knopp 1995, S. 20; Otto 1995, S. 41 f; Geismeier 1995, S. 51 f u. 60. 372 Gall 1920, S. 64 f. 373 Ebd., S. 65; vgl. dazu auch Aufbruch zur Freiheit 1998, S. 242; Boldt 1999, S. 57 f. 374 Gall 1920, S. 65. 375 Vgl. dazu auch ebd., S. 68 f. 376 Vgl. Rückblick auf die Denkmalpflege
in Preußen, in: Ku.chr., Nr. 2, 8.10.1920, S. 36-38.
377 Vgl. KM an RMdl, 18.10.1920, ms. u. KM: Vertraulicher Entwurf:
Ausführungsbestimmungen
zur Verordnung vom 8. 5.1920, ms. / gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1796.
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II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
ministerium die endgültigen Ausführungsbestimmungen für Preußen, die entsprechend der von Gall geforderten Zentralisation des Kunstschutzes 378 dem Kultusressort eine starke Rolle zuwiesen. 379 Damit wurde auch für bewegliche Kunst sanktioniert, was zuvor bereits die denkmalpolitische Praxis bestimmt hatte: Das Kultusressort wollte als verantwortliche Behörde in allen relevanten Fragen des Schutzes öffentlichen Besitzes mit künstlerischem oder geschichtlichem Wert, gerade auch auf Grund der Kompetenz, die seine wissenschaftlich vorgebildeten Referenten einbrachten, beteiligt sein.380 Parallel zum Bemühen um den breiten Kunstschutzgedanken bezog das Reichsinnenministerium das Ressort weiterhin in die Arbeit am Verzeichnis national wertvoller Kunst ein. Konkret wurden etwa Menzels Werke wegen ihrer nationalen Relevanz und des Kaufinteresses, das sie im Ausland fanden, ausnahmsweise in die Liste aufgenommen - obgleich das Sterbejahr des Künstlers noch nicht weit genug zurücklag. 381 Das Ministerium Haenisch koordinierte den Kontakt zwischen dem Reich und den Museen in diesem Zusammenhang, aus inhaltlichen Entscheidungen hielt es sich jedoch konsequent heraus. Gleichzeitig reagierte Haenisch auf die DVPBitte, man möge eine Statistik zur Ausfuhr gesperrter Werke vorlegen, mit dem distanzierten Hinweis, „daß die Sperrverfügung von der Reichsregierung ausgehe." 382 Damit war klar: Das Kultusministerium sah die Kunstschutzverordnung vom Dezember 1919 kaum noch als seine Sache an.383 Probleme bei der Zusammenstellung des Verzeichnisses ließen das Vorhaben, einen Kunstschutz per Verbotsliste durchzusetzen, jedoch ohnehin in den folgenden Jahren immer umstrittener werden und schließlich scheitern.384 Das Kultusministerium hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst von einem auf einzelne Kunstwerke festgelegten Kunstschutzgedanken entfernt und sich statt dessen für einen breiten Kunstschutz engagiert. Insgesamt bestätigte das Ressort so sein ausgeprägtes, inhaltlich aber bewußt offenes Interesse am Schutz nationalen Kunstbesitzes. Anstelle der Stilisierung einer bestimmten Ästhetik zur maßgeblichen nationalen war es dem Ressort vor allem wichtig, die deutsche Kunst als 378 Vgl. Gall 1920, S. 66. 379 Vgl. Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 63, Nr. 6, 20.3.1921, S. 140 f; vgl. dazu auch Haenisch an Braun, 17.1.1921, ms. u. Protokoll Staatsministerium, 7.2.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90,
Nr. 1796; Speitkamp 1996, S. 180; Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 63, Nr. 20, 20.10.1921, S. 401 f. 380 Vgl. dazu auch Waetzoldt an Plenge, 7.5.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 159-161, Bl. 159-160; zu den generellen Möglichkeiten des Ressorts im Denkmalschutz vgl. auch Lemke an Regierungsrat KM, 12.1.1921, ms. u. KM an Lemke, 5.2.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 6, Abt. VI, Nr. 13, Bd. II, Bl. 77. 381 Vgl. RMdl an Länderregierungen, 25.2.1921, ms., KM an Justi, 10.3.1921, ms. u. NG (Kern) an KM, 16.3.1921, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Künstlerspezialakten, M, Bd. 22. Thomas Aufnahme wurde hingegen später von der Nationalgalerie wegen des geringeren Auslandsinteresses nicht befürwortet, vgl. Kultusministerium Karlsruhe an KM, 12.8.1921, ms., KM an Justi, 30.8. 1921, ms. u. Direktor NG (i.V. Kern) an KM, 5.9.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Künstlerspezialakten, T, Bd. 7. 382 Haenisch, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7288; siehe dazu auch Ausschußmtgl. (DVP), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7288. 383 Vgl. dazu auch Gall 1920, S. 63. 384 Vgl. Speitkamp 1996, S. 180-184; Laube 1997, S. 69 f.
Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
215
Größe an sich 385 - wobei es sowohl um Kunst deutscher Herkunft als auch um Kunst in deutschem Besitz ging - gesellschaftlich integrierend wirken zu lassen. Neben dem Denkmal- und Kunstschutz stellte, wie in Galls Artikel bereits anklang, die Förderung privaten Engagements für die Kunst einen weiteren wichtigen Aspekt der Ressortpolitik zugunsten der Bewahrung und Vermittlung nationalen Kunstbesitzes dar. 386 Auch wenn von vorneherein klar war, daß die Finanzprobleme der Nachkriegszeit die privaten Möglichkeiten ebenfalls einschränkten, 387 begrüßte und forderte Haenisch ein solches Engagement ausdrücklich. 388 So lobte er die Förderkreise, die an den Kunstakademien bestanden und „die schon manche Million für Zwecke der Kunstpflege aufgebracht haben." 3 8 9 Explizit ließ das Ressort Gönnern der Nationalgalerie im Namen des Staates für ihre Zuwendungen danken. 390 Gemeinsam mit der Galerie engagierte man sich dafür, Privatnachlässe für museale Zwecke zu gewinnen. 391 Daneben nutzte das Ministerium, wie das
385 Vgl. dazu Haenisch 1920 c, S. 59. 386 Vgl. dazu Kessemeier 1998; zum Kontext vgl. M. Frey 1999, S. 125-151; Daweke / Schneider 1986, S. 93-147. 387 Vgl. dazu z.B. Staatliche Bildungspolitik im heutigen Deutschland, o.D., ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1777; Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1818; Falke, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7288; zu weiteren möglichen Hemmnissen vgl. Haenisch 1920 a, S. 32; Theodor Heuß: Kunst, Revolution, Staatsform, in: DAZ, Jg. 58, Nr. 158, 2.4.1919. 388 Vgl. dazu Haenisch 1920 a, S. 30; siehe dazu z.B. auch Falke, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7288; zur positiven Haltung der Landesversammlung vgl. Ausschußmtgl. (Z) u. Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1810 f u. 1819 f; Heß (Z), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7272-7275. 389 Haenisch 1920 a, S. 42; vgl. dazu auch Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 3, 1.11.1918, S. 64; Hoffmann (USPD), 20.11.1919, in: LV, Dr. 1290, S. 1774; Haenisch an Staatsministerium, 2.12.1919, gedr., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 27; Haenisch, 12.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7873; Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 13.4.1921, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/038, Bl. 95-97. 390 Vgl. ζ. B. Justi an Böhm, 26.3.1919, ms. u. KM (Trendelenburg) an Justi, 10.6.1920, hs. / gedr., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 11, Bl. 292 r u. 336 r; zur Rolle privater Stiftungen für die Galerie vgl. auch Jahresbericht NG 1918, Justi an KM, 14.7.1919, ms. U.Jahresbericht NG 1919, Justi an KM, 13.9.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 11, Bl. 322, 352 u. 401; zum Mäzenatentum im Umfeld Bodes vgl. Bode, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1822; Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 37, 11.6.1920, S. 717 f; Bode: Die zweite Schenkung von Dr. James Simon ans Kaiser-Friedrich-Museum, in: Beri Mus., Jg. 41, Nr. 5, Juni/Juli 1920, S. 183; Curt Glaser: Aus den Berliner Museen, in: Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 45, 6.8.1920, S. 859-863; BT, Jg. 49, Nr. 379, 13.8.1920; Glaser in: Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 1,1.10.1920, S. 10-12; H. Schäfer: Ägyptische Abteilung. Schenkung des Herrn Dr. James Simon, in: Beri. Mus., Jg. 42, Nr. 1/2, Okt./ Nov. 1920, S. 22 f; Bode: Marcus Kappel und sein Vermächtnis ans Kaiser-Friedrich-Museum, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 19, 6.2.1920, S. 379-381; Heß (Z), Ministerialdirektor KM u. Ausschußmtgl. (DNVP), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7284 u. 7286 f. 391 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 1, Beih. 2, Bl. 1-2,5,12,15 u. 19; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 1, Beih. 3, Bl. 11, 29, 36 u. 43; Justi an KM, 13.3.1920, ms., KM (Nentwig) an Justi, 8.9.1919, ms., KM (Nentwig) an Justi, 29.4.1920, ms., KM (Nentwig) an NG, 23.4.1921, ms. u.
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Beispiel Plenge-Institut zeigt, die Möglichkeiten, die sich ihm durch Privatgelder bei der Baugestaltung eröffneten.392 Parallel dazu richtete Haenisch Appelle an Auslandsdeutsche, ihrem Heimatland in der Nachkriegssituation finanziell zur Seite zu stehen.393 Die Furcht vor einem einseitigen Einfluß privater Gelder ließ er dabei ebensowenig als Gegenargument gelten wie „den Vorwurf, daß es eines großen Staates doch eigentlich unwürdig sei, [...] bei dem Privatkapital gewissermaßen mit dem Klingelbeutel herumzugehen".394 Vielmehr heilige hier „der gute Zweck das - übrigens wirklich nicht allzu schlimme - Mittel. Und wenn der alte, reiche Staat der Vorkriegszeit nicht zu stolz war, für solche Zwecke auch Privatgelder in Anspruch zu nehmen, so darf der arme, am Boden liegende und aus tausend Wunden blutende Staat von 1920 erst recht nicht zu stolz dazu sein." 395 Lebhaft bedauerte es Haenisch, „daß wir nach den Bestimmungen der neuen Reichsverfassung heute nicht mehr die Möglichkeit haben, die Hergabe größerer Geldsummen für wissenschaftliche und künstlerische Zwecke mit irgendwelchen äußeren Ehrungen zu belohnen." 396 Seinem Interesse am Mäzenatentum gerade auch in organisierter Form 397 konnte er gleichzeitig Ausdruck verleihen, indem er sich zum Beispiel Ende 1919 erfolgreich dafür verwandte, daß die Vereinigung der Freunde antiker Kunst weiterhin ihre Staatsbeihilfe von 10.000 M erhielt.398 Die privaten Kunstförderer waren dabei in doppelter Hinsicht wichtig für das Ministerium: Zum einen trugen sie dazu bei, der Öffentlichkeit einzelne Werke oder Institutionen, die ihrerseits als nationale Kulturfaktoren begriffen wurden,399 zu erhalten. Zum anderen entsprachen diejenigen, die mäzenatisch wirkten, durch ihr Engagement dem Ideal einer aus eigenverantwortlichen Individuen bestehenden Kulturgemeinschaft und ließen sich wiederum als gesellschaftliche Vorbilder nutzen.400
KM (Nentwig) an Justi, 20.8.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 1, Beih. 5; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 11, Bl. 545, 550 u. 588-590; Ministerialdirektor KM, 30.11./ 3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7286. 392 Vgl. Plenge an Haenisch, 16.4.1920, ms., Plenge an Haenisch, 10.4.1920, ms. u. Plenge an Haenisch, 5.5.1920, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 293, Bl. 3 8 - 4 1 , Bl. 41r, 48 r u. Bl. 65-69, Bl. 67-68. 393 Vgl. Haenisch 1920 a, S. 44 f; Vereinigte Kultusminister Deutschlands: Entwurf zu einem Appell an die Auslandsdeutschen
zur Rettung der deutschen Kultur, o.D. [1919/20?], gedr. / ms., in: GStA
PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1386; vgl. auch Düwell 1976, S. 250. 394 Haenisch 1920 a,S. 43. 395 Ebd. 396 Ebd., S. 43 f; zur zeitgenössischen Diskussion vgl. auch Sievers 1966, S. 337-339; Heffen 1986, S. 157-162; Laube 1997, S. 120-127. 397 Zur besonderen Bedeutung von organisiertem Mäzenatentum gerade in der finanziell schwierigen Nachkriegszeit vgl. auch Ueber die wirtschaftliche Lage der Künstler, in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 15, 7.1.1919, S. 101; Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1809 u. 1811; M. Frey 1999, S. 125-151. 398 Vgl. Haenisch u. FM an Staatsregierung, 24.12.1919, ms. u. Entwurf Staatsregierung an KM, 29.1.1920, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1793. 399 Siehe dazu auch Abschr. Verfügung [KM?], Nov. 1918, ms. in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 56. 400 Vgl. auch Haenisch 1921, S. 160 f sowie den Hinweis in Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 468 auf die von Goethe konstatierte Relevanz des Kunstsammelns für die Persönlichkeitsbildung.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
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War beim Einsatz für den Denkmal- und Kunstschutz sowie für private Förderer die Absicht leitend, günstigere Rahmenbedingungen für die Erhaltung und Popularisierung deutschen Kunstbesitzes zu schaffen, zeigte sich das Ressort daneben auch auf andere Weise an nationaler Kunst interessiert: indem es Kunstwerke jenseits stilistischer Aspekte als Mittler von ihm selbst als nationalintegrativ postulierter Bezugspunkte nutzte. Angesichts der Ressortorientierung am frühen 19. Jahrhundert deutete etwa die Finanzierung von Unterhaltungsarbeiten an Denkmälern, die den Befreiungskriegen galten, eine mögliche Umsetzung an.401 Aussagekräftig erscheint in diesem Zusammenhang jedoch vor allem das ministerielle Interesse an der Nationalen Bildnissammlung in Berlin. Die Sammlung war 1910 als Nebenabteilung der Nationalgalerie genehmigt und 1913 in der Schinkelschen Bauakademie eröffnet worden. 402 Obgleich sie eng mit der Person des Kaisers verknüpft war,403 hielt die Regierung nach 1918 an ihr fest. 404 Speziell die Tatsache, daß die von Justi projektierte Galerie weniger der Monarchie als vielmehr bürgerlichen Nationalvorstellungen verpflichtet war,405 erleichterte eine Adaption. Konkret erwies sich die Berufung auf den seit den Freiheitskriegen präsenten Nationalgedanken 406 und die retrospektive Ausrichtung der Galerie bis ins Mittelalter als ebenso förderlich für ein Arrangement des Ministeriums Haenisch wie der Bezug zu Lichtwark. 407 Nicht zuletzt auf Grund der enormen integrativen Funktion, die Justi ihr zugeschrieben hatte, 408 konnte die Sammlung dem Ministerium so zumal England und Frankreich vergleichbare Galerien besaßen 409 - als Institution erscheinen, durch die sich die angestrebte nationale Kulturgemeinschaft fördern ließ. Konkret begründete Justi die Relevanz der Sammlung für die Republik: „Der Ausbau der BildnisSammlung wäre gerade jetzt noch wertvoller als vor dem Kriege. Die Aufgabe der Sammlung, einen möglichst erschöpfenden Blick in das Pantheon deutschen Ruhmes, deutscher Grösse und Geistesmacht zu gewähren, mochte in früheren Zeiten einen berechtigten Stolz befriedigen; heute sollte diese Sammlung einem gedemütigtem Volke Trost, Selbstaufrichtung, Erhebung und Ansporn sein." 410 Erwies sich also die Grundidee der Sammlung als
401 So kam das Ressort 1919 und 1920 für Instandsetzungsarbeiten am 1817 nach einem Entwurf von Schinkel geschaffenen Denkmal in Großbeeren auf, das an die dortige Schlacht von 1813 erinnerte, vgl. GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8309, Bl. 110-114. Zudem setzte sich das Ministerium Mitte 1920 für die Reparatur des Befreiungskriegsdenkmals im böhmischen Kulm ein, vgl. GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8275, Bl. 112-113, 116-117 u. 129-130; siehe dazu auch die Unterstützung für eine Ausstellung zur Revolution von 1848, vgl. KM an Justi, 19.2.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24. 402 Zur Bildnissammlung vgl. ausführlich Grabowski 1994; Rave 1968, S. 73-77. 403 Vgl. Grabowski 1994, S. 306 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 483-485 u. Bd. 2, S. 277 f. 404 Vgl. dazu ζ. B. Marie von Bunsen: Museenkataloge und ihre Bedeutung, in: DAZ, Jg. 59, Nr. 196, 27.4.1920; ZA Museumsführungen unter Ausschluß der Arbeiterschaft?, o.D., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8241, Bl. 2. 405 Vgl. dazu Justi 1912, S. 56-58 u. 62. 406 Vgl. ebd., S. 58 f u. 69. 407 Vgl. ebd., S. 69-71 u. 81; Grabowski 1994, S. 305. 408 Justi 1912, S. 68 f. 409 Vgl. ebd., S. 68. 410 Justi an KM, 7.11.1921, Ds., ms., S. 4, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3.
218
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
kompatibel mit den Ressortambitionen und entsprachen die Räume der Bildnissammlung, die Künstler und Wissenschaftler vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des 19. Jahrhunderts präsentierten, bereits dem neuen Anspruch, 4,1 mußten nach 1918 doch einige Veränderungen in der Galerie vorgenommen werden. Neben Gemälden und Statuen der Hohenzollern wurden die Porträts wichtiger Militärs von 1866 und 1870/71 entfernt. Statt dessen richtete man Räume für einzelne Kulturbereiche ein.412 Die bereinigte Bildnissammlung fügte sich nun hervorragend in die Intention des Ministeriums ein, nationales Selbstbewußtsein durch die Besinnung auf gemeinsame Kultur und Kunst zu schaffen. Dabei fand speziell die für das Ressort wichtige Idee der starken Einzelpersönlichkeit Ausdruck in der Sammlung. Durch Justis Popularisierungsaktivitäten wurde man zudem auf innovative Weise dem Vermittlungsanspruch gerecht.413 Bei der Gestaltung der Sammlung ließ das Ministerium Justi weitgehend freie Hand. Es bewilligte Justis Ankäufe, 414 eigene Erwerbungen des Ressorts sind unter Haenisch wegen eingeschränkter Etats hingegen nicht nachweisbar. Justi kommentierte das rückblickend: „Dann schnitt der Krieg und später die Inflation jede Hoffnung auf besondere Mittel für die Bildnissammlung ab, die republikanische Regierung nahm keinen Anteil an ihr. Die Erwerbungen machte ich gleichsam mit linker Hand aus der Ankaufs-Summe der Nationalgalerie". 415 Dies sollte jedoch nicht als Beleg staatlichen Desinteresses mißinterpretiert werden dafür kam die Bildnissammlung zu sehr den Intentionen des Ministeriums entgegen. Seine Aufgeschlossenheit für die Sammlung signalisierte das Ressort vielmehr dadurch, daß es die Galerie spätestens seit Herbst 1919 in seine Neuordnungspläne für die Berliner Museen einbezog. 416 Daneben unterstrich Haenisch seine Haltung, als er Ende 1919 aufgeschlossen auf die Bitte der DNVP reagierte, der Bildnisgalerie mehr Aufmerksamkeit zu schenken
411 Vgl. dazu Grabowski 1994, S. 298, 305 u. 3 0 9 - 3 1 7 ; Justi 1912, S. 76 f, 79, 84 f u . 8 7 - 8 9 . Entsprechend setzte sich das Ministerium gleichzeitig für eine private Ausstellung ein, bei der Porträts deutscher Persönlichkeiten gezeigt werden sollten, vgl. Staatsministerium [Becker] an Reichszentrale für Heimatdienst, 1 1 . 6 . 1 9 2 1 , ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C . H . Becker, Nr. 4361; Becker an Trützschler u. Reichszentrale für Heimatdienst, 2 2 . 6 . 1 9 2 1 , ms., in: GStA P K , I. H A Rep. 92 Ni. C. H . Becker, Nr. 3304; siehe dazu auch Trützschler an [Becker], 1 8 . 4 . 1 9 2 1 , gedr. u. Z A , 5 . 6 . 1 9 2 1 , in: GStA P K , I. H A Rep. 92 Ni. C . H. Becker, Nr. 3304. 412 Vgl. Grabowski 1994, S. 317 f; Rave 1968, S. 77. 413 Der Führer durch die Bildnissammlung (Mackowsky 1913) fügte sich dabei v. a. durch das Bemühen, die Persönlichkeit der Porträtierten durch Zitate lebendig nahezubringen, problemlos in die modernen Vermittlungsbemühungen ein, vgl. Marie von Bunsen: Museenkataloge Bedeutung,
in: DA2,
und
ihre
Jg. 59, Nr. 196, 2 7 . 4 . 1 9 2 0 .
4 1 4 Konkret ging es z . B . um den Ankauf eines Bildnisses Schlegels von Caroline Rehberg Anfang 1919 sowie um die Erwerbung eines Krüger-Selbstbildnisses und einer Büste Bethmann-Unzelmanns Ende 1920, vgl. K M (Nentwig) an Justi, 2 2 . 1 . 1 9 1 9 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. 36, Bd. 1; Justi an KM, 2 1 . 1 2 . 1 9 2 0 , hs., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 5 9 5 - 5 9 6 ; Zahlungsanweisung KM, 2 . 2 . 1 9 2 1 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen.10, Bd. 12, Bl. 23 r. 415 Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 274. 4 1 6 Vgl. Bauverwaltung Staatliche Museen (Wille) an KM, 1 9 . 1 0 . 1 9 2 1 , ms. u. Justi an KM, 7 . 1 1 . 1 9 2 1 , Ds., ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; Grabowski 1994, S. 306; Justi 1912, S. 8 4 - 8 6 .
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
219
und sie verstärkt durch Privatbilder zu ergänzen. 417 Als Erfolg der entsprechenden Bemühungen kann etwa die Stiftung einer von Walter Lobach geschaffenen Büste des Philosophen Georg Simmel an die Sammlung Anfang 1920 gelten. Wie dezidiert das Ressort die Porträtgalerie und deren Unterstützung als seine Sache begriff, zeigte sich hier dadurch, daß es ausdrücklich darum bat, „dem Vertreter der Geschenkgeber für die willkommene Zuwendung auch in meinem Namen zu danken." 418 Im Kontext des Interesses an nationalen Kunstinhalten galt das Augenmerk des Ministeriums indes nicht nur der Vergangenheit, sondern unter Waetzoldts Einfluß zunehmend auch einer überzeugenden nationalen Kunstentwicklung in Gegenwart und Zukunft. 419 Angesichts des Ideals eines einheitlichen, klaren, zeitgemäßen Stils als Pendant zur gesellschaftlichen Sammlung (siehe Kap. II. 5.1.) wurde die Förderung einer profilierten deutschen Kunst, 420 die sich frei von staatlicher Bevormundung entwickeln und über die sich künftig nationales Selbstbewußtsein im modernen Sinne vermitteln sollte, zu einem zentralen Anliegen für das Ministerium. In Fortsetzung seiner Vorstellung der von starken Individuen getragenen Gemeinschaft begriff das Ressort dabei die Künstlerpersönlichkeit als entscheidend für die Umsetzung dieser Ambitionen. Entsprechend betonte Haenisch 1920, er zweifle „keinen Augenblick daran, daß auch in unserer heutigen schwersten nationalen N o t dem deutschen Volke neue Helden des Geistes, neue große Führer zu den höchsten Höhen der Wissenschaft, der Kunst und der Kultur erstehen werden." 421 Als Aufgabe nationaler Kultur- und Kunstpolitik sah er es daher an, solche „neuen Helden" zu fördern. 422 Innerhalb der nationalintegrativen Ministeriumspolitik verschob sich damit die Perspektive von der Rezipienten- auf die Produzentenebene. Als konkrete nationale Zukunftsinvestition war hier etwa die von Waetzoldt propagierte neue Form der Ausbildung an den staatlichen Kunstschulen zu verstehen, die auf die Förderung individueller Kreatitivät und über diese auf die Genese eines zeitgemäßen Stils in der freien wie angewandten Kunst ausgerichtet war (siehe Kap. II. 3.2.).423 Daneben deuteten im Zusammengehen mit dem Werkbund die Kooperation mit Endell, Behrens oder Poelzig im Akademiebereich sowie die Verwendung für Milly Steger oder die Ausstellung einfachen Hausrates
417 Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815; vgl. dazu auch Ausschußmtgl. (DNVP), Ausschußmtgl. (DDP) u. Ausschußmtgl. (USPD), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1812-1814 u. 1820. 418 KM an Justi, 6.2.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 11, Bl. 310; vgl. dazu später auch KM an Justi, 20.9.1924, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3. 419 Vgl. dazu auch schon Pallat 1906, S. 368. 420 Vgl. dazu auch V. O.: Ein Angriff auf die Kunstakademien, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 12, 16.12. 1918, S. 79 f; Wiehert 1919, S. 110. 421 Haenisch 1920 a, S. 39. 422 Vgl. dazu auch Haenisch 1919 c, S. 13. 423 Vgl. dazu bes. Waetzoldt 1921, S. 9, 11 u. 23 f; Rickert 1977, S. 208 f; zu entsprechenden zeitgenössischen Forderungen vgl. z.B. Denkschrift Studierende Kunstschule Schöneberg: Die studierende deutsche Jugend leidet Not, Febr. 1921, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 371-372.
II. Neuorientierung
220
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Tendenzen an, die das Ressort als wegweisend begriff.424 Zumal in einer Zeit, in der Gelder für eine dezidierte Förderung fehlten, galt das Hauptinteresse des Ressorts allerdings zunächst einer Verbesserung der Bedingungen für die Entstehung von Kunst. Eindringlich wies Haenisch darauf hin: „Heute mehr als jemals zuvor ist die geistige Kultur nicht nur Sache des einzelnen großen Genies, sondern zugleich auch eine Sache der materiellen Organisation." Er forderte daher mit Blick auf seine Kulturgemeinschaftsidee: „Das wissenschaftliche und künstlerische Genie muß heutzutage genährt werden, es muß gedüngt werden durch die Bereitstellung der äußeren, materiellen Erfordernisse des Kulturlebens."425 Vor dem Hintergrund der Stilisierung des Künstlers zum wichtigen Faktor nationaler Integration auf der einen und der mit dieser kollidierenden Künstlernot der Nachkriegszeit auf der anderen Seite 426 stellte die wirtschaftlich-soziale Absicherung und Unterstützung der Künstler ein Kernanliegen der nationalen Kunstpolitik des Ministeriums dar.427 Allerdings waren die Möglichkeiten des Ressorts, in breiterem Umfang zu helfen, begrenzt.428 An Ankäufe oder Aufträge in großem Stil, wie sie nach der Revolution gefordert wurden,429 war nicht zu denken - nach Kürzungen während des Krieges waren die Etats nach 1918 allzu gering. Zur Verfügung stand dem Ministerium der Landeskunstfonds, der sowohl für Nationalgalerieankäufe als auch für die Förderung von Monumentalmalerei, Plastik und Graphik genutzt wurde.430 1 9 1 9 und 1920 war er mit jeweils 342.990 M ausgestattet,431 1921 wurde er auf 335.990 M gekürzt.432 Zudem gab es einen 50.000 M-Fonds für lebende Künst-
424 Vgl. dazu auch Pallat 1959, S. 277. 425 Haenisch 1920 a, S. 40; vgl. dazu auch Georg Wendel: Die Not der geistigen Arbeiter, in: Glocke, Jg. 6/2, Nr. 41, Jan. 1921, S. 1143 f. 426 Vgl. dazu Lenman 1994, S. 148; BT, Jg. 49, Nr. 517,11.11.1920; Nr. 519,12.11.1920; Kundgebung
aller Berliner Künstlerverbände,
Öffentliche
in: Ku. ». Wi., Jg. 1, Nr. 4, Jan. 1921, S. 4; Hermann
Lange: Die Künstlerräte in Deutschland, in: Glocke, Jg. 6/2, Nr. 41, Jan. 1921. 427 Vgl. Haenisch 1921, S. 164; ähnlich auch Haenisch 1919 b, S. 22 f; Hoffmann 1918; Waetzoldt 1921, S. 35; Waetzoldt 1933, S. 84; vgl. dazu auch Fellbach-Stein 2001, S. 2 3 - 2 8 u. 54. 428 Vgl. dazu auch Haenisch 1921, S. 164; Haenisch 1920 a, S. 30 f. 429 Vgl. z.B. A. L. Mayer: Die Kunstreformen
im Volksstaat Bayern, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 7,
29.11.1918, S. 136-139; Über die Kunst im neuen Staat, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 8, 6.12.1918, S. 148-150; V. O.: Ein Angriff auf die Kunstakademien,
in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 12, 16.12.1918,
S. 79 f; J. v. Bülow: Kunst und Revolution [Teil 2], in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 15, 7.1.1919, S. 99 f; Eine Schuldebatte in der Landesversammlung.
Fortsetzung der Beratung über den Landesetat, in:
BT, Jg. 48, Nr. 582, 6.12.1919, Beibl. S. 3; Fritz Hellwag: Die Revolutionsprogramme
der Künstler,
in: Mitt. DWB, Nr. 2, 1919, S. 33-41; Ueber die wirtschaftliche Lage der Künstler, in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 15, 7.1.1919, S. 101. 430 Vgl. Ministerialdirektor KM u. Ausschußmtgl. (Z), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1822 f. 431 Vgl. Staatshaushaltsplan 1919, Anlagebd. 2, S. 82, Titel 33; Staatshaushaltsplan 1920, Anlagebd. 2, S. 100, Titel 33. 432 Vgl. Staatshaushaltsplan 1921, Anlagebd. 2, S. 130, Titel 95. Über die Vergabe entschied zunächst eine Landeskommission
zur Beratung
über die Verwendung
der Fonds für Kunstzwecke,
vgl.
Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 1918, Nr. 1, 21.1.1918, S. 15; Jg. 1919, Nr. 1, 20.1.1919, S. 15. Anfang 1919 schaffte das Ministerium die Kommission ab und plante ein kleineres Beratungsgremium,
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
221
1er,433 und der Haushalt wies einen U n t e r s t ü t z u n g s f o n d s für Künstler u n d Wissenschaftler aus. 434 Zumal angesichts der fortschreitenden Geldentwertung war mit diesen S u m m e n keine effektive Unterstützungspolitik für ganz Preußen zu betreiben. D i e Landesversammlung, für die eine solche Politik bei d e m Konsens über die nationale Relevanz v o n Kunst (siehe Kap. II. 5.1.) ähnlich relevant war w i e für das Ministerium, 4 3 5 suchte zwar eine bessere Finanzbasis zu schaffen, indem sie E n d e 1920 für eine E r h ö h u n g des U n t e r stützungsfonds votierte. 4 3 6 D e r Antrag scheiterte jedoch, weil das Finanzressort die geforderte Summe nicht decken konnte. 4 3 7 A u c h das Kultusressort konnte durch den H i n w e i s , mit d e m ohnehin gekürzten F o n d s sei man bei der z u n e h m e n d e n Inflation kaum n o c h vgl. Max Osborn: Neue Kunstpolitik, in: Voss. Ztg., Nr. 161,28.3.1919; G.: Die Landeskunstkommission, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 20, 28.2.1919, S. 405-407; Das Ende der preußischen Landeskunstkommission, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 25, 31.3.1919, S. 169; Hentzen 1972, S. 32; Ausschußmtgl. (DNVP) u. Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1809 f; Denkschrift des Werkbundes zum staatlichen Bauwesen, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 14, 2.1.1920, S. 291 f; Nentwig, 23.4. 1926., in: LT, WP 2, HA, Szg. 121, Sp. 31 f; LT, WP 2, Dr. 3427, S. 4851; LT, WP 2, Prot., Sp. 11601 f u. 11614. Seit 1920 bemühte sich Waetzoldt, den Fonds zu restituieren, vgl. Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung und Reichskunstwart, 8.3.1920, ms., S. 6 u. Notizen, o.D., hs., auf Abschr. Haenisch an Präsident Staatsministerium, 26.6.1920, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8281; Prof. Wilhelm Waetzoldt, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 25, 29.3.1920, S. 173. Aber erst seit Mitte der 20er Jahre trat eine Verbesserung ein (siehe Kap. III. 6); zur Debatte um die Kommission vgl. Arbeitsrat für Kunst, in: BT, Jg. 47, Nr. 633, 11.12.1918, S. 2; Fritz Hellwag: Die Revolutionsprogramme der Künstler, in: Mitt. DWB, Nr. 2, 1919, S. 33-41; A. L. Mayer: Zum Kapitel,Aufgaben bayerischer Kunstpolitik', in: Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 37, 27.6.1919, S. 772-775; Steneberg 1987, S. 5; G.: Die Landeskunstkommission, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 20, 28.2.1919, S. 405-407. 433 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 196, 210 u. 359; Heß (Ζ), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7293. 434 Dabei handelte es sich um den Etattitel Zu Beihilfen und Unterstützungen für Kunst- und wissenschaftliche Zwecke sowie für Künstler, Gelehrte und Literaten und zu Unterstützungen behufs Ausbildung von Künstlern, z[ur] frfeien] Verfügung], der 1919 und 1920 jeweils mit 387.230 M bestückt war, vgl. Staatshaushaltsplan 1919, Anlagebd. 2, S. 82, Titel 32; Staatshaushaltsplan 1920, Anlagebd. 2, S. 100, Titel 32. 1921 wurde der Fonds, der nun unter der Bezeichnung Beihilfen und Unterstützungen für Kunstzwecke sowie für Künstler, Literaten und zu Unterstützungen behufs Ausbildung von Künstlern, zur freien Verfügung nur noch für die Kunst genutzt werden konnte, auf 268.550 M gekürzt, vgl. Staatshaushaltsplan 1921, Anlagebd. 2, S. 130, Titel 96; Becker u. Vertreter des FM, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806 u. 1812 f; LV, Prot., Sp. 7283 u. 7326 f. 435 Vgl. Lauscher (Z), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1805 f; Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7261-7263; Wegscheider (SPD), 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15771; Ausschußmtgl. (USPD), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7294. 436 Vgl. LV, Dr. 3947, S. 7283, 7287, 7289 u. 7293-7295; LV, Prot., Sp. 15771; zur Diskussion um die Künstlerhilfe vgl. auch LV, Dr. 1329, S. 1811 u. 1819; Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7261-7263 u. 7267-7269; Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7345 f. Konkret war von einer Aufstockung auf 1 Million oder zumindest 500.000 M die Rede, vgl. LV, Dr. 3947, S. 7283 u. 7294. 437 Vgl. Regierungsvertreter, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7294; vgl. dazu auch LV, Prot., Sp.13048-13115.
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II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
handlungsfähig und man müsse auch für das Reich ein ebenbürtiger Partner bleiben, 438 nichts mehr ausrichten. Der Antrag wurde vertagt. 439 Eine breite Unterstützung von Künstlern durch den Staat aus sozialen Gründen, die nach 1918 immer wieder gefordert worden, aber stets umstritten geblieben war,440 war so unter Haenisch ausgeschlossen. 441 Das Ressort konnte Künstlern in der ersten Zeit nach 1918 nur in Ausnahmefällen finanziell zur Seite stehen. 442
438 Regierungsvertreter, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7295; zum Reich-Länder-Verhältnis bei der Kunstunterstützung siehe auch den Hinweis auf die nicht erhaltene Ressortakte 1907-27 in Findbuch GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve. 439 Vgl. LV, Dr. 3947, S. 7295. 440 Erwogen wurde sogar ein Mindesteinkommen für Künstler, vgl. Heuer 1983, S. 50-52; J. v. Bülow: Kunst und Revolution [Teil 1], in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 14,30.12.1918, S. 91-94; Staatliche Fürsorge für Künstler, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 28, 21; Rülcker 1974, S. 145 f; zur Debatte insgesamt vgl. Daweke / Schneider 1986, S. 103-106; Ueber die wirtschaftliche Lage der Künstler, in: W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 15, 7.1.1919, S. 101; Hans Tietze: Die Demokratie und die Künstler, in: Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 29, 2.5.1919, S. 589-592; Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 72617263 u. 7267-7269; Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7345; Otto Mahrholz: Die wirtschaftliche Lage der Künstler und ihre Neugestaltung, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 1, 6.10.1919, S. 3, Nr. 2,13.10.1919, S. 7-11 u. Nr. 3, 20.10.1919, S. 17 f; Zuschrift Schlichting zu Die Not der deutschen Künstler. Eine Umfrage, in: Berliner Lokalanzeiger, Abendausg., 10.3.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 241; Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1819; kritisch zur Rolle des Ministeriums Die Not der Geistesarbeiter und der bildenden Kunst, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 22,1.3.1920, S. 150; Wilhelm von Bode: Die „Not der geistigen Arbeiter" im Gebiet der Kunstforschung, in: Ku. u. Kü., Jg. 18, Nr. 7, April 1920, S. 297-300; Cläre Meyer- Lugau: Brief an Haenisch, in: Weltb., Jg. 16/1, Nr. 9, 26.2.1920, S. 283-285. 441 Wie weit die Ressortambitionen gingen, ist unklar. Als Hinweis kann aber Haenischs Äußerung (30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7294 f) gelten: „Es sei für den Staat viel notwendiger, einen nicht verhungernden Nachwuchs von Künstlern und Gelehrten zu haben als eine wohlbehaltene Schicht von Rentnern." Zum Kontext vgl. Ausschußmtgl. (USPD) u. Heß (Ζ), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7294 f; Becker u. Ausschußmtgl. (Z), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806 u. 1811. 442 Nachzuweisen sind Unterstützungszahlungen an die Künstler Geyger (vgl. GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 121 r), Hildebrandt (vgl. SAdK, PrAdK, Bd. I, Nr. 127, Bl. 97-98) und Raschke (vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 478). Hilfen in anderer Form, ζ. B. Ateliervermittlungen, blieben auf Künstler beschränkt, zu denen das Ministerium ohnehin in Kontakt stand. Solche Hilfen gingen etwa an die Maler Harro Siegel (vgl. Becker an Waetzoldt, o.D., ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4942), Richard Hartmann (vgl. Becker an Hartmann, 31.12.1919, ms., Hartmann an Becker, 26.4.1921, hs., Hartmann an Becker, 21.7. 1921, hs. u. Entwurf Becker an Hartmann, 31.7.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 858; siehe Kap. III. 6.) und Lefèbre (vgl. Lefèbre an Becker, 15.2.1921, hs., KM an Mieteinigungsamt Frankfurt, 11.3.1921, ms. u. Privatsekretariat Becker an Lefèbre, 25.4.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4480), die Bildhauer Jacob Hübel (vgl. Becker an Hübel, 24.12.1919, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4207; siehe Kap. III. 6.), Wedepohl (vgl. Scheidemann an Frau Wedepohl, 9.9.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 79, Mappe 139; siehe dazu auch Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 3, Nov. 1920, S. 6) und Rudolf Hellwag (vgl. BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 319; siehe dazu auch BT, Jg. 49,
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
223
In dieser Situation, für die Haenisch die durch das Reich eingeschränkte finanzielle Handlungsfreiheit der Länder verantwortlich machte,443 nahm der Minister verstärkt das Reich für die Künstlerhilfe in die Pflicht. 444 Daneben forderte er wie für die ältere Kunst eine private Unterstützung auch für lebende Künstler.445 Insgesamt wollte er damit eine große nationale Bewegung für die „Rettung" der kulturell Schaffenden anregen.446 Zur Bekräftigung dieser Absicht und wohl um die Selbstverständlichkeit der Forderung zu betonen, bediente sich Haenisch eines ungewöhnlichen Vergleichs: Unter Hinweis darauf, daß bereits die Urvölker „den ungeheuren sozialen Wert künstlerischer und geistiger Betätigung zu würdigen wußten" und sich damals alle Kultur in der Person des Schamanen vereinigt habe, führte er aus: „Diesen Schamanen stellten die Wilden wirtschaftlich ganz unabhängig, es war eine Ehrenpflicht des Stammes, für ihn zu sorgen. Instinktiv fühlten jene Urvölker, daß die geistige und künstlerische Betätigung dieses Schamanen für jedes einzelne Mitglied der Horde von hohem Werte sei. Nun, heute hat sich die Tätigkeit dieses einen Schamanen von einst ungeheuer differenziert, viele Hunderttausende von Männern und Frauen, Künstler und Arzte, Geistliche und Gelehrte, üben heute [dessen] Tätigkeiten aus [...]. Nicht geringer, sondern größer geworden ist damit aber die Pflicht der Nation, alle die, die ihr geistig und künstlerisch dienen, die allein ihr das Leben erst lebenswert zu machen vermögen, zu schützen, sie zu bewahren vor dem Versinken in den Abgrund der sozialen Tiefe." 4 4 7 Das Kultusressort selbst bemühte sich, die nationale Unterstützungsbewegung für die bildende Kunst voranzubringen, indem es sich für verbesserte Rahmenbedingungen für eine solche Bewegung stark machte.448 Ausdruck dessen war, daß sich das Ministerium seit Ende
Nr. 280, 17.6.1920) sowie das Künstlerehepaar Kayssler (vgl. BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 394). Eine Förderung durch Titel und Auszeichnungen war gemäß Reichsverfassung nicht mehr möglich; zur Diskussion darum vgl. SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 1; Becker an Hartmann, 31.12.1919, ms. u. Entwurf Becker an Hartmann, 31.7.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 858; Über die Kunst im neuen Staat, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 8, 6.12.1918, S. 148-150; Der Professorentitel für Künstler, in: W. d. Ku. J g . 19, Nr. 11, 15.12.1919, S. 72 f; LT, W P 1, HA, Szg. 75, Sp. 7, 12 f, 15 u. 20; LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 5. Allerdings wurde der Große Staatspreis weiterhin von der Akademie der Künste vergeben, vgl. Ku.chr., Jg. 54/2, Nr. 27,18.4.1919, S. 563; Jg. 55/1, Nr. 4, 24.10.1919, S. 69; Jg. 55/2, Nr. 34, 21.5.1920, S. 665; BT, Jg. 48, Nr. 479, 10.10. 1919, S. 2; Preußen in Weimar 1982, S. 89 f. 443 Zu den Konsequenzen der Erzbergerschen Steuerreform vgl. H. A. Winkler 1993, S. 109 f. 444 Vgl. Haenisch 1920 a, S. 41; vgl. dazu ähnlich auch Hugo Sinzheimer: Kultur-Politik, in: Voss. Ztg., 21.12.1919 [?], in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7366; Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815-1817. 445 Vgl. Haenisch 1920 a, S. 4 2 - 4 4 ; vgl. dazu allerdings auch Haenischs kritische Distanz zur Rolle der neuen Reichen in Haenisch 1920 a, S. 32; vgl. dazu Fellbach-Stein 2001, S. 30 f. 446 Haenisch 1920 a, S. 46; vgl. auch Gegen die Not der geistigen Arbeiter!, in: Vorwärts, 10.5.1920, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7534. Etwas zu kurz greift die Einschätzung dazu in Weinstein 1990, S. 89. 447 Haenisch 1920 a,S. 46. 448 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 13.4.1921, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/038, Bl. 9 5 97; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 362; siehe dazu auch Vermerk RMdl,
II. Neuorientierung
224
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
1920 mit dem Reich und den anderen deutschen Ländern dafür einsetzte, nach dem Vorbild der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft449 eine Notgemeinschaft der deutschen Kunst ins Leben zu rufen. Von der Landesversammlung darin bestärkt,450 konkretisierte das Ressort die Interessen und Aktivitäten in diesem Zusammenhang: „In Verhandlungen zwischen den Ländern und dem Reichsministerium des Innern und dem Reichsjustizministerium sei in Aussicht genommen, die künstlerische Produktion auf ihrer Höhe zu halten, soweit es denkbar sei [...]. Die Notlage der Künstler werde ebenfalls nicht aus den Augen gelassen. Auf Einladung der Reichsregierung finde im Januar eine Sitzung mit den beteiligten Landesregierungen in München statt, auf der es hoffentlich zum Zusammenschluß einer Notgemeinschaft der Kunst komme. Als Mittel ergäbe sich die Umgestaltung des Urheberrechts, um beträchtliche Summen aufzubringen."451 In der Folgezeit bestätigte Haenisch sein Interesse an der Gründung einer Notgemeinschaft der Kunst,452 die schon durch ihren Namen eine Affinität zu den nationalintegrativen Intentionen des Ressorts nahelegte. Letztlich konnten die Pläne jedoch erst nach Haenischs Amtszeit realisiert werden (siehe Kap. III. 6.1.). Die Vorarbeiten sind dennoch bereits als Beitrag zur Umsetzung der national motivierten Forderung nach einer Unterstützung zeitgenössischer Künstler zu verstehen.453 Der Unterstützungsforderung suchte das Ministerium nicht zuletzt durch eine Zusammenarbeit mit der Künstlerschaft gerecht zu werden.454 1918/19 hatte sein Interesse hier zunächst der Ermöglichung von Verkaufsausstellungen gegolten.455 Ergebnis war etwa eine Ausstellung ehemals feldgrauer Künstler, die im Sommer 1919 im Berliner Palais Prinz Friedrich Leopold präsentiert wurde.456 Noch während der ersten Schau wurde außerdem für Künstler, die erst jetzt aus der Gefangenschaft heimkehrten, „in einem geeigneten staatlichen Gebäude eine Herbstausstellung geplant, der die Unterstützung der Behörden zuge20.8.1919, hs„ in: BArchB, R 1501, Nr. 8962, Bl. 3; KM an nachgeordnete Behörden, 20.2.1920, gedr., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 11, Bl. 311. 449 Vgl. dazu Treue 1990; Zierold 1968; zur positiven Ressorthaltung vgl. Becker, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7286; Haenisch 1920 c, S. 81 f. 450 Vgl. Ausschußmtgl. (DDP), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7286; zur positiven Reaktion aus den Reihen der Künstler vgl. z.B. auch Otto Marcus: Zur Tagung der wirtschaftlichen
Ver-
bände bildender Künstler in Weimar, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 4, Jan. 1921, S. 1 f. 451 Vertreter des KM, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7290. 452 Vgl. z.B. Haenisch: Wie kann der geistige Arbeiter für den neuen Staat gewonnen werden?, Teil 1, in: BT, 8.2.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7563; Haenisch 1921, S. 164. 453 Siehe dazu auch den Hinweis auf die nicht erhaltene Akte des Kultusministeriums zur Notgemeinschaft der Kunst, die in den Jahren 1920-23 geführt wurde, vgl. Findbuch GStA PK, I. H A Rep. 76, V«. 454 Vgl. Haenisch 1919 b, S. 22 f; Haenisch 1919 c, S. 12 f; vgl. auch Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7261; zur Übereinstimmung mit Redslob in diesem Punkt vgl. Speitkamp 1994, S. 556. 455 Vgl. Haenisch 1919 b, S. 22 f; Das sozialistische Kulturprogramm.
Allerhand Unklarheit, in: BT,
Jg. 47, Nr. 613,30.11.1918, S. 3; Kunstreformpläne des preußischen Kultusministeriums, in: W.d. Ku., Jg. 18, Nr. 11,9.12.1918, S. 71. 456 Vgl. BT, Jg. 48, Nr. 253, 3.6.1919, S. 3; Nr. 329,19.7.1919, S. 2.
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
225
sichert ist." 4 5 7 Von November 1919 bis 1. April 1920 fand diese zweite Ausstellung der „Feldgrauen" in der Akademie der Künste statt. 458 Die Förderung, die das Ressort den Veranstaltern beider Ausstellungen, einer Gruppe des Wirtschaftsverbandes
bildender
Künstler,
zuteil werden ließ, fügte sich in den staatlichen Anspruch ein, der organisierten Künstlerselbsthilfe zur Seite zu stehen. 459 Sich selbst faßten die Ressortmitarbeiter dabei nicht als Bürokraten auf, „sondern als Mitarbeiter, als Helfer dem freien Künstler und den künstlerischen Organisationen gegenüber". Die Absicht sei nur, den Künstlern „die Möglichkeit freier Betätigung, Luft und Licht zu geben." 460 Seit Ende 1919 intensivierte das Ressort seine Kooperation mit der Künstlerschaft dann wie gezeigt auch auf ideologischer Ebene (siehe Kap. II. 5.1.). Speziell die Idee der Verbindung von Kunst und Wirtschaft einte hier. Ausdruck des Zusammengehens war der gemeinsame Protest von Künstlern und Kunstpolitikern gegen die Kunstbesteuerung. 461 Dabei ging es um folgendes: Das Reich plante seit 1 9 1 7 / 1 8 ein neues Umsatzsteuergesetz, das erhöhte Steuern auf Luxusgüter und unter anderem auf Kunstwerke vorsah. 462 Da sich die Besteuerung bisher nur auf ältere Kunstwerke bezogen hatte, riefen die Pläne bei den Künstlern 1919 noch ein positives Echo hervor. Die Steuererträge wurden als Chance gesehen,
457 BT, Jg. 48, Nr. 329, 19.7.1919, S. 2. 458 Vgl. BT, Jg. 48, Nr. 450, 24.9.1919, S. 3; Nr. 471, 6.10.1919, S. 3; Nr. 521, 3.11.1919, S. 3; Nr. 540, 13.11.1919, S. 2; Lehmann-Borges an Haenisch, 28.12.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 457, Bl. 342; Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft beider Sektionen, 21.11.1918, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 73-74. Die Anteilnahme des Kultusressorts an der Ausstellung bestätigte sich auch dadurch, daß ein Ministeriumsvertreter, vermutlich Blankenburg, die Schau im Auftrag Haenischs besuchte, vgl. Provinzialschulrat KM an Henny Porten, 5.1.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 458, Bl. 12; Müller 1991, S. 228; Zentr.bl. Unterr.verw.,]g. 1920, Nr. 1,22.1. 1920, S. 2. 459 Vgl. dazu Haenisch 1920 a, S. 45; siehe dazu auch Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7262; Kahle 1977, S. 542; zu Ansätzen der Künstlerselbsthilfe nach 1918 vgl. W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 10, 2.12.1918, S. 66; Die Kornscheuer, in: W.d.Ku., Jg. 19, Nr. 30, 3.5.1920, S. 206; BT, Jg. 48, Nr. 322, 16.7.1919, S. 2; Nr. 329, 19.7.1919, S. 2; Ku. u. M , Jg. 1, Nr. 3, Nov. 1920, S. 5; Otto Marcus: Der Reichswirtschaftsverband bildender Künstler Deutschlands, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 5, Febr. 1921, S. 1-3. 460 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7327. 461 Zur Gesamtthematik vgl. ausführlich Heuer 1983, S. 185-191,252 u. 254; Laube 1997, S. 128-131; Daweke / Schneider 1986, S. 117-120; M. Frey 1999, S. 130; Redslob 1972, S. 159 f; G. in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 17, 23.1.1920, S. 353 f. 462 Vgl. SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 428 u. Nr. 249; Rohde: Die Entwürfe der neuen Kriegssteuergesetze, in: Pr. Verw.bl., Jg. 40, Nr. 21, 22.2.1919, S. 257-259; Pr. Verw.bl., Jg. 40, Nr. 44, 2.8.1919, S. 559; Willy Hoffmann: Das Einkommen des Künstlers als Steuerquelle in Preußen, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 16, 19.1.1920, S. 106 f; Ku.bl., Jg. 4, 1920, S. 352; Die Kunststeuer, in: Cie., Jg. 12,1920, S. 125; Jacob Plessner: Die Luxusbesteuerung der bildenden Künstler, in: O'c., Jg. 12, 1920, S. 586; Das Luxussteuergesetz, in: Cie., Jg. 12, 1920, S. 725; Gesetzgebung und Kunstpflege, in: Cie., Jg. 12,1920, S. 824; Dernburg in: BT, Nr. 19,11.1.1920; zur Besteuerung im Museumsbereich vgl. Druck Deutscher Museumsbund an [NG], 1.2.1919 u. Umsatzsteueramt Berlin an [NG], 28.5.1919, gedr. / hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. 177 u. 200; Erbschaftssteuerbescheid, 22.10.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 11, Bl. 341-342.
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II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
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einen Unterstützungsfonds für Künstler und staatliche Ankäufe zu finanzieren. 463 Parallel dazu wurde über eine Stärkung des Urheberrechts etwa in Form einer Beteiligung lebender Künstler an der Wertsteigerung ihrer Werke nach dem Vorbild des französischen droit de suite diskutiert. 464 Als dann aber Anfang 1920 bekannt wurde, daß die auf 15% erhöhte Luxussteuer ab Sommer 1920 auch für Werke lebender Künstler gelten sollte, 465 brach ein Sturm der Entrüstung los. Die Steuer wurde als unbotmäßige Härte für die Künstler und zudem als Hemmnis für private Kunstförderer interpretiert. 466 Unterschiedlichste Künstlerorganisationen v o m Verein Berliner Künstler über den Wirtschaftsverband bildender Künstler bis zum Werkbund protestierten gegen die Luxussteuer. 467 „In solcher Reinkultur", hieß es in der Kunstchronik, „hatte sich der eminent kunstfeindliche Geist der neuen Regierung bisher noch nicht gezeigt. Was nützt alle staatliche Kunstpflege, wenn von Reichswegen die Existenz des Künstlers selbst untergraben wird? [...] Gewiß werden die
463 Vgl. z.B. J.v.Bülow: Kunst und Revolution [Teil 2], in: W.d.Ku., Jg. 18, Nr. 15, 7.1.1919, S. 99 f. 464 Vgl. ebd.; Ueber die wirtschaftliche Lage der Künstler, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 15, 7.1.1919, S. 101; A: Die Beteiligung des Künstlers am Mehrerlöse des Kunsthandels, in: Ku.wart, Jg. 33/1, Nr. 2, Okt. 1919, S. 94; Frank (SPD), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7261-7263 u. 7267-7269; Entschädigung der Künstler in Frankreich bei Weiterverkauf ihrer Werke, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 39, 5.7.1920, S. 275; Buchhorn (DVP), 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 9 f; Die Kornscheuer, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 30, 3.5.1920, S. 206; Otto Marcus: Reichswirtschaftsverband bildender Künstler, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 6, März 1921, S. 1 f; Redslob 1972, S. 160; Heuer 1983, S. 50 u. 53; zur Haltung des Kultusministeriums vgl. Vertreter des KM, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7290; Becker, 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 13. 465 Vgl. Laube 1997, S. 128-131. Zunächst war sogar von 25 % Steuern die Rede, vgl. Felix Szkolny: 25 Prozent Luxussteuer, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 6, 10.11.1919, S. 35 f. 466 Zum Aspekt der Belastung des privaten Sammeins vgl. Haenisch, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815; siehe auch Walther von Pannwitz: Ein neues Kunstgesetz, in: Voss. Ztg., Nr. 156, 26.3. 1918; J. v. Bülow: Kunst und Revolution [Teil 2], in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 15, 7.1.1919, S. 99 f; Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1820 f; Bollert (DDP), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7284-7286; G. in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 17,23.1.1920, S. 353 f; Redslob 1972, S. 159 f. 467 Vgl. Petition des Vereins Berliner Künstler an die deutsche Nationalversammlung betr. die Luxussteuer, 5.2.1920, gedr. u. Dr. Reichstag, o.D., in: BArchB, R 1501, Nr. 8962, Bl. 205-207; Gegen die Luxussteuer auf Kunstwerke, in: Cie., Jg. 12, 1920, S. 477; Julius Rosenbaum: Die Steuerschraube für bildende Künstler, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 22, 1.3.1920, S. 147-149; BT, Jg. 49, Nr. 122, 12.3.1920; W. d. Ku.,]g. 19, Nr. 24, 15.3.1920, S. 165 f; Adolph Donath: Die Not der deutschen Künstlerschaft, in: Ku.wan., Jg. 2, 2. April-Nr. 1920, S. 309 f; Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 31, 30.4.1920, S. 602 f; BT, Jg. 49, Nr. 217,10.5.1920; Julius Rosenbaum: Der Ruf nach Organisation, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 31,10.5.1920, S. 211 f; W. d. Ku.,}%. 19, Nr. 33,24.5.1920, S. 228; Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 39, 25.6.1920, S. 769-771; Künstler zahlen als „Kleinhändler"/, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 39, 5.7.1920, S. 275; Otto Marcus: Zur Luxussteuerfrage, in: Ku. u. Wi., Nr. 2, Nov. 1920, S. 1; Ko.: Atelierverkauf und Luxussteuer, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 3, Nov. 1920, S. 2 f; Dank der Künstlerschaft in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 3, Dez. 1920, S. 1; Um die Luxus-Steuer, in: Mitt. DWB, Nr. 9/1920, 1920/21, S. 3-10; Friedrich Blau: Offener Brief an Herrn Konrad Haenisch, Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in: Das Werk, Nr. 2/03. 1921, 1921, S. 9-11; Campbell 1981, S. 178 f; Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 21,18.2.1921, S. 419.
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Künstler, die in den letzten Jahren Riesensummen verdient haben, durch die neue Abgabe nicht in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sein. Aber nicht sie gilt es zu schützen, sondern die werdenden Talente, die immer kümmerlich von geringen Einkünften zu leben gezwungen waren." Der „vielgepriesene ,Aufstieg der Tüchtigen'", betonte die Zeitschrift in Anspielung auch auf Haenisch, werde so beim freien Künstler zur Phrase. 468 Haenisch äußerte sich Anfang 1920 zu den Steuerplänen: „Ich will mich hier selbstverständlich jedes kritischen Wortes über die neuen Reichssteuern enthalten, von denen [..] eine, die Umsatzsteuer, die bildenden Künstler auch direkt, und zwar sehr hart trifft. [...] Was soll Erzberger tun? Die Entente hält uns mit eisernem Griff an der Gurgel fest, die Wiedergutmachungskommissionen beginnen demnächst ihre Arbeit, dazu heischen im Innern tausend drängende Aufgaben gebieterisch ihre sofortige Lösung. [...] Darüber ist also kein Wort zu reden, daß wir neue Steuern brauchen [...]. Heute aber habe ich mir die ganze Sache einmal vom Standpunkt der bildenden Künstler aus anzusehen, inbesondere mit den Augen der Maler, und da muß ich [...] sagen, daß für diese Kreise unsere neueste Steuergesetzgebung [...] doch auch ihre sehr bedenklichen Schattenseiten hat. Nicht annähernd im gleichen Maße wie bis zum Jahre 1914 werden Privatsammlungen angelegt und vervollständigt werden können. Ebensowenig werden die öffentlichen Museen in der Lage sein, durch Ankäufe im großen Stil die bildenden Künstler für jenen Ausfall zu entschädigen." 4 6 9 Während der Minister hier noch zwischen Loyalität und Sympathie für Erzbergers Finanz- und Steuerreform von 1919/20 4 7 0 auf der einen Seite und dem Anspruch auf Künstlerunterstützung auf der anderen Seite schwankte, stimmte das Ressort in den folgenden Monaten, wohl auch durch Redslobs Engagement ermutigt, 471 immer offener in den Chor der Steuergegner ein. 472 1921 betonte Haenisch schließlich: „Gegen gewisse Bestimmungen der Luxussteuer und des Umsatzsteuergesetzes habe ich, auch öffentlich, meine lebhaftesten Bedenken geltend gemacht, weil sie in ihrer Wirkung weniger hinausliefen auf eine Besteuerung der reichen Leute als auf eine schwere wirtschaftliche Schädigung der Künstler, die zum größten Teil - von den paar ,Prominenten' abgesehen - sowieso nichts zu brechen und zu beißen haben." 4 7 3 Trotz der Proteste wurde die Steuer 1920 eingeführt. Zugebilligt wurde nur: Direktkäufe von Künstlern, sogenannte Atelierkäufe, blieben steuerfrei. 474 Dadurch, daß das Ministe-
468 G. in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 17, 23.1.1920, S. 353 f, S. 353. 469 Haenisch 1920 a, S. 31 f; vgl. dazu ebd., S. 27; siehe auch schon Haenisch u. Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815-1817. 470 Vgl. dazu H. A. Winkler 1993, S. 109 f; Preußen in Weimar 1982, S. 48 f. 471 Vgl. dazu Laube 1997, S. 128-131. 472 Vgl. ZA Der Tag, Morgenausg., 22.5.1920, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C.H.Becker, Nr. 7359; Haenisch 1920 c, S. 62 f; Konrad Haenisch in: Das Werk, Nr. 2/3, 1921, S. 11. 473 Haenisch 1921, S. 164 f; vgl. dazu auch Friedrich Blau: Offener Brief an Herrn Konrad
Haenisch,
Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in: Das Werk, Nr. 2/3, 1921, S. 9 - 1 1 ; Konrad Haenisch in: Das Werk, Nr. 2/3, 1921, S. 11. 474 Vgl. Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 48, 27.8.1920, S. 943; Nr. 52, 24.9.1920, S. 999 f; Jg. 56/1, Nr. 21, 18.2.1921, S. 419; Heuer 1983, S. 188.
II. Neuorientierung der ministeriellen Kunstpolitik
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1918-21
rium den Steuerprotest mittrug, bestätigte es sein Einstehen für Künstlerinteressen.475 Der Kampf gegen die Steuer war jedoch noch in anderer Hinsicht bedeutsam für die preußische Kunstpolitik: Er ließ nämlich bei Künstlern wie Kunstpolitikern den Ruf nach einer zentralen Organisation laut werden, die künftig effektiver für die ökonomischen Interessen der Künstler einstehen und einer überzeugenden Entwicklung der Kunst den Boden bereiten sollte.476 Wie explizit das Ressort diese Forderung unterstützte, zeigte sich bei Beckers Rede zur Eröffnung der Großen Berliner Kunstausstellung 1920 (siehe Kap. II. 4.2.). Becker verwies hier zunächst auf „die durch Geldentwertung und Verteuerung der Produktionsmittel und die ganze schwierige Lage Deutschlands herbeigeführte Not der geistigen Arbeiter, von der auch die Künstler schwer betroffen würden." Um darauf angemessen reagieren zu können, stellte er „als Ziel, das auch die Regierung verfolge, auf, daß die Künstlerschaft nach einer immer festeren Organisation streben müßte [...] Wir hätten zwar noch keinen einheitlichen Stil. Es sei aber notwendig, daß nach einer einheitlichen deutschen, durch ein Stilgefühl geadelten Lebenskultur gestrebt werde." 477 Deutlich brachte Becker damit zum Ausdruck, in welch direktem Zusammenhang er das Erfordernis der Künstlerhilfe, den Anspruch auf Organisation und die Vision einer einheitlichen deutschen, ästhetisch fundierten Kultur sah. Beeinflußt von Plenges Organisationslehre avancierte das Schlagwort Organisation478 hier zur Voraussetzung für die angestrebte einheitlichere Kunstentwicklung in Deutschland. Als Mittel, der Organisationsforderung479 praktisch gerecht zu werden, hatte das Ressort offensichtlich zunächst die im Rahmen der Berliner Akademiereformverhandlungen diskutierte Zentralakademie in Erwägung gezogen (siehe Kap. II. 3.2).480 Da eine solche Reform nicht umgesetzt werden konnte, entbehrte der Plan, der wegen der Gefahr der Staatsbevormundung von Künstlerseite wohl ohnehin abgelehnt worden wäre, allerdings der Basis. Eine Alternative stellte der Reichswirtschaftsverband bildender Künstler Deutschlands dar, der 475 Siehe dazu auch Haenischs Hinweis auf die beschränkten Möglichkeiten des Ministeriums auf gesetzgeberischem Gebiet, vgl. Eimers 1969, S. 475 f. 476 Vgl. Laube 1997, S. 130; Adolph Donath: Die Not der deutschen Künstlerschaft, in: Ku.wan., Jg. 2, 2. April-Nr. 1920, S. 309 f; Ku.ehr., Jg. 55/2, Nr. 31, 30.4.1920, S. 602 f; Julius Rosenbaum: Der Ruf nach Organisation, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 31, 10.5.1920, S. 211 f; Heffen 1986, S. 55 f; vgl. aber auch Denkschrift des Werkbundes zum staatlichen Bauwesen, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 14, 2.1.1920, S. 291 f. 477 Zitiert nach ZA DA2,
Abendausg., 22.5.1920, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker,
Nr. 7359; vgl. auch Die Eröffnung
der Großen Berliner Kunstausstellung, in: BT, Jg. 49, Nr. 236,
21.5.1920. 478 Vgl. Schildt 1987, bes. S. 532, 539 f, 551, 554 u. 562. 479 Vgl. dazu auch Haenisch 1920 a, S. 33 f u. 45; Friedr. Th. Koerner: Die Not des geistigen
Arbeiters,
in: Glocke, Jg. 5/1, Nr. 6, Mai 1919, S. 180-186; Hermann Lange: Die Künstlerräte in Deutschland, in: Glocke, Jg. 6/2, Nr. 41 J a n . 1921, S. 1140-1142; Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7329. 480 Vgl. Die Hauptergebnisse
der Beratungen der Kommission für Reformvorschläge,
4.4.1919, ms. u.
Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., 3.12.1920, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 57 u. 78-79; Protokoll Ak. d. Kü., 5.9.1919, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/060, Bl. 76-77; Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7329; ZA Der Tag, Morgenausg., 22.5.1920, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7359; siehe auch Präsident der Ak. d. Kü. an Boelitz, 30.11.1921, ms. / hs., in: SAdK,
y Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung: Praxis
229
Anfang 1921 als zentraler Zusammenschluß der seit 1913 bestehenden lokalen Wirtschaftsverbände gegründet wurde.481 Nachdem das Kultusministerium schon bei den Ausstellungen der „Feldgrauen" und beim Steuerprotest mit den Wirtschaftsverbänden kooperiert hatte, 482 nachdem Vertreter der Wirtschaftsverbände 1920 in den Reichswirtschaftsrat berufen worden waren 483 und zumal die Interpretation von Kunst als wichtigem Wirtschaftsund Gesellschaftsfaktor beide Seiten verband,484 mußte sich dem Ressort der Reichswirtschaftsverband als die von ihm angestrebte zentrale Künstlerorganisation darstellen. Ein erstes Signal in diese Richtung hatte das Ministerium bereits im Frühsommer 1920 gesetzt, als es dem Berliner Wirtschaftsverband gegenüber „seine Bereitwilligkeit erklärt [hatte], in allen wirtschaftlichen Angelegenheiten von Bedeutung, welche die bildende Kunst betreffen, dem Verband in erster Reihe Gelegenheit zu einer Meinungsäußerung zu geben." 485 Entsprechend begrüßte es im Frühjahr 1921 die Gründung der von den Malern Otto Marcus, Fritz Hellwag und Hans Baluschek geleiteten, 7000 Mitglieder zählenden 486 zentralen Künstlervertretung. 487 Zwar sollte sich die Kooperation mit dem Reichsverband in der Folgezeit eher schwierig gestalten (siehe Kap. III. 6.1.). Unter Haenisch wurde die berufsständische Organisation der Künstler jedoch zunächst als Option auf eine stringentere Kunstentwicklung gesehen. Erwies sich damit auf der zweiten Ebene der nationalen Kunstpolitik jenseits stilistischer Festlegungen das Eintreten für die deutsche Kunst als Größe an sich - ob in Form der Bewahrung älterer oder der Förderung zeitgenössischer Kunst - als maßgeblich, wurde auf
481 Zum Reichswirtschaftsverband vgl. Kahle 1977; Otto Marcus: Der Reichswirtschaftsverband
bil-
dender Künstler Deutschlands, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 5, Febr. 1921, S. 1-3; zu den Bestrebungen im Vorfeld vgl. Die wirtschaftlichen Interessen der bildenden Künstler, in: Mitt. DWB, Nr. 3,1919, S. 91 f; B. Rauecker: Organisationsprobleme
der Künstlerschaft, in: Glocke, Jg. 4 / 2 , Nr. 45, Febr.
1919, S. 1424-1428; Otto Marcus: Die wirtschaftliche Lage der Künstler,
in: Ku.wan., Jg. 1,
1. Dez.-Nr. 1919, S. 133 f; Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 31, 30.4.1920, S.602 f; Zur Einführung,
in: Ku. u.
Wi., Jg. 1, Nr. 1, Okt. 1920, S. 1 f; Hans Wedendorf: Der Künstler und die Politik, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 20, 10.2.1919, S. 133-135; Julius Rosenbaum: Der Ruf nach Organisation, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 31,10.5.1920, S. 211 f; Paul Westheim: Staat und Kunst. Zur Berliner Tagung des „Deutschen Ausschuß für Kunst", in: FZ, Jg. 62, Nr. 82,23.3.1918; Kunstparlamente, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 13,23.12.1918, S. 85. 482 Vgl. Julius Rosenbaum: Der Ruf nach Organisation,
in: W.d.Ku.,
Jg. 19, Nr. 31, 10.5.1920,
S. 211 f; Otto Marcus: Die wirtschaftliche Lage der Künstler, in: Ku.wan., Jg. 1, 1. Dez.-Nr. 1919, S. 133 f. 483 Vgl. Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 36, 4.6.1920, S. 708 f, S. 708; Otto Marcus: Die Vertretung der bildenden Kunst im vorläufigen Reichswirtschaftsrat, in: Ku. u. Wz., Jg. 1, Nr. 2, Nov. 1920, S. 3. 484 Vgl. dazu Otto Marcus: Die Vertretung der bildenden Kunst im vorläufigen
Reichswirtschaftsrat,
in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 2, Nov. 1920, S. 3. 485 Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 36, 4.6.1920, S. 708f; vgl. dazu auch Otto Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 9, Juni 1921, S. 3. 486 Vgl. dazu Zur Einführung,
in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 1, Okt. 1920, S. 1 f.
487 Vgl. Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 8, Mai 1921, S. 3; Otto Marcus: Der Reichswirtschaftsverband Künstler Deutschlands, in: Ku. ». Wz., Jg. 1, Nr. 5, Febr. 1921, S. 1-3.
bildender
230
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
der dritten Ebene mit diesem offenen nationalen Kunstbegriff auch international agiert.488 In der ersten Nachkriegszeit, für die in der Folge von Unruhen, Separatismusbestrebungen 489 und Gebietsabtretungen durch den Versailler Vertrag 490 ein Gefühl der territorialen Bedrohung prägend war, stellte zunächst die Selbstbehauptung durch Kultur und Kunst an den Grenzen vor allem zu Frankreich und Polen ein zentrales Anliegen für das Ressort Haenisch dar. Die Motivation dieser Politik verdeutlichte der Minister, als er die mögliche Schließung der Universität Frankfurt a.M. als „für das Deutschtum verlorene Schlacht" wertete und erklärte: „Wir würden damit den französischen Kultureinflüssen freiwillig ein breites Tor ins Innere Deutschlands eröffnen. [...] Im Kampfe um die deutsche Kultur und das deutsche Geistesleben [..] dürfen wir nicht die Waffen strecken, wenn wir uns nicht selbst für alle Zukunft aufgeben wollen. Man unterschätze nicht den Einfluß einerseits der systematischen kulturellen Polonisierung im Osten, andererseits der französischen Kulturpropaganda im deutschen Westen und Südwesten. Schon vor dem Kriege hat sich [...] gezeigt, wie unendlich überlegen die Franzosen uns in der Ausmünzung der in ihrem Volkstum zweifellos steckenden hohen kulturellen Werte für ihre nationalpolitische Propaganda waren. Lernen wir wenigstens nach dieser Richtung hin von unseren Feinden! Nicht im Sinne einer kulturellen Angriffspropaganda spreche ich, sondern nur im Sinne einer national-kulturellen Abwehr." 491 Während Haenisch hier, ähnlich wie Becker durch die Forderung nach einem kulturellen „Limes",492 den Defensivcharakter des Einsatzes kultureller Werte an den Grenzen hervorhob, signalisierte sein Vokabular das Festhalten an der schon vor 1914 verbreiteten Vorstellung des Kulturkrieges.493 Wichtig war dem Minister dabei vor allem, orientiert am französischen Vorbild,494 eine zielbewußte Kulturpolitik zunächst in Abgrenzung nach außen zu betreiben, um so zum einen die deutsche Identität in den als gefährdet empfundenen Randregionen weiter zu fördern und zum anderen den ehemaligen Kriegsgegnern über Kultur vermittelte nationale Stärke zu demonstrieren, auf deren Basis dann quasi das eigene Terrain gesichert werden sollte.495 Als adäquate Einsatzmittel in dieser konfrontativen Kulturbegegnung sah das Ministerium neben den zu nationalen „Bollwerken" erklärten Universitäten Frankfurt, Köln und Königsberg, den Aachener und Danziger Technischen Hochschulen 496 oder
488 Vgl. dazu auch Heuer 1983, S. 51. 489 Vgl. Preußen in Weimar 1982, S. 58-62; Huber 1978, S. 1128-1146; Orlow 1986, S. 97-108. 490 Zur Bedeutung der Versailler Bestimmungen für Preußen vgl. Preußen in Weimar 1982, S. 54-58; Schlenke 1987, S. 123. 491 Haenisch 1920 a, S. 35 f; vgl. dazu auch schon Haenisch 1919 c, S. 27-29. 492 Becker in: LV, Dr. 1329, S. 1808; vgl. Haenisch 1920 a, S. 36. 493 Vgl. dazu ausführlich Segal 1997; siehe auch Düwell 1976, S. 242. 494 Vgl. dazu Düwell 1976, S. 21 u. 38-47. 495 Vgl. dazu Haenisch 1920 a, S. 36 f; siehe auch ZAs, 22.1.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 7561; zur Tradition dieser Politik an den Grenzen zu Polen vgl. ausführlich Balzer 1990. 496 Vgl. Haenisch 1920 a, S. 35; Haenisch 1921, S. 153 f; Haenisch 1920 c, S. 16 f; ZAs, 22.1.1921, in:
GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7561; Konrad Hänisch über die rheinischen gen,, in: Rheinische
Zeitung,
Fra-
5.8.1919, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7681;
5. Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung: Praxis
231
dem Wiesbadener Staatstheater 497 die demonstrative Präsenz deutscher Kunst im besetzten Rheinland, 498 im abgetrennten Ostpreußen oder in den Versailler Abstimmungsgebieten an. 499 Für die kunstpolitische Praxis hieß das zum Beispiel, daß das Ministerium der Festigung und Profilierung der Akademien Breslau, Königsberg und Düsseldorf starke Aufmerksamkeit schenkte (siehe Kap. II. 3.2.). Die Förderung des Düsseldorfer Akademieneubaus 500 wurde dabei ebenso zum nationalpolitischen Anliegen wie das Eingreifen im eskalierenden Königsberger Akademiekonflikt. Konkreten Ausdruck fand die Einbindung der Akademien in die Wahrung territorialer Interessen etwa, als das Ministerium im Mai 1920 dafür plädierte, man müsse in Königsberg eine anerkannte Persönlichkeit als neuen Akademieleiter gewinnen, und zur Begründung anführte, dies gelte „jetzt umsomehr, als nach der Abschnürung Ostpreussens vom Reich der Kunstakademie mehr denn je die Rolle zufällt, das Kunstleben der Ostmark zu fördern und überhaupt in deren kulturellem Dasein einen wichtigen Faktor zu bilden." 501 Und im Herbst 1920 argumentierte Pallat bezogen auf die Akademie Königsberg: „Ein Bedürfnis zur Einstellung einer weiteren Lehrkraft ist dort vorhanden, zumal wenn man berücksichtigt, daß die Kunstakademie in Königsberg nach Abschnürung Ostpreußens vom Reich mehr denn je dazu berufen ist, deutsche Kunst im Osten zu pflegen und zu fördern." 502 Die parallele, formelhafte Formulierung unterstrich, zu welch selbstverständlichem Anliegen sich die Unterstützung von Kunstinstitutionen im abgetrennten Ostpreußen bereits unter Haenisch entwickelte. Dem Postulat der besonderen Kunstförderung in den Grenzgebieten suchte das Ministerium, wie sich beim Engagement für das Aachener Münster oder die Marienburg bereits angedeutet hatte, auch durch eine gezielte Denkmalpflege gerecht zu werden. 503 1920 wies
Haenisch: Wie kann der geistige Arbeiter für den neuen Staat gewonnen werden ?, Teil 1, in: BT, 8.2.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7563; Haenisch, 8.7.1920, in: LV, Prot., Sp. 11750; Regierungsvertreter, 30.11.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7297. 497 Vgl. Haenisch 1921, S. 153; Haenisch, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7289; Haenisch, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7353; Sitzungsprotokoll Staatsministerium, 10.3.1920, ms., S. 4 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. Otto Braun, A Nr. 19 a; A. Kraetzer an Seelig (KM), 11.5.1920, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 185-186; siehe auch Ausschußmtgl. (Ζ), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7289. 498 Vgl. Konrad Hänisch über die rheinischen Fragen, in: Rheinische Zeitung, 5.8.1919, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7681. Dabei galt dem Ressort die bayerische Politik in der Pfalz als Vorbild, vgl. Sitzungsprotokoll Staatsministerium, 10.3.1920, ms., S. 4 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Otto Braun, A Nr. 19 a; zur Kunstpolitik der Pfalz vgl. ausführlich FellbachStein 2001, S. 11-221, bes. S. 11-18, 54-61 u. 171-178; Christmann 1999. 499 Vgl. auch Haenisch 1921, S. 164. 500 Vgl. dazu Die Jahrhundertfeier
der Akademie, in: W. d. Ä k . J g . 19, Nr. 6, 10.11.1919, S. 40; Aus-
schußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1811 Aussschußmtgl. (DDP) u. Ausschußmtgl. (DNVP), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7285-7287; zum Kontext vgl. Die Kunst im besetzten Rheinland, in: W. d. Ku„ Jg. 18, Nr. 2 0 , 1 0 . 2 . 1 9 1 9 , S. 135. 501 KM an FM, 15.5.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154; vgl. auch ZAs, 16.12.1920, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. 502 KM (Pallat) an FM, 16.9.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154. 503 Vgl. Speitkamp 1996, S. 184-186.
232
II. Neuorientierung der ministeriellen Kunstpolitik 1918-21
Trendelenburg entsprechend darauf hin, mit Blick auf den kulturellen Abwehrkampf im Rheinland dürfe der Staat den Kaiserpalast in Trier und den Kölner und Aachener Dom nicht verfallen lassen.504 Ahnlich ist auch das Bemühen um das ausgebrannte Schloß Gottorp an der Grenze zu Dänemark zu deuten, zu dem es Anfang 1921 hieß: „Allein die Ruine von Gottorp gibt den Dänen in ihrer Agitation gegen das Deutschtum eine so mächtige Waffe, dass alle Kulturpropaganda von deutscher Seite ohnmächtig bleiben muss, wenn die Dänen den Deutschen Nordschleswigs in den weithin sichtbaren Trümmern von Gottorp den Beweis für die Unfähigkeit und Kulturlosigkeit der deutschen Verwaltung vor Augen führen können, welche noch nicht einmal imstande ist, den alten Renaissancebau vor dem Verfall zu bewahren." 505 Die Wiederherstellung Gottorps 1921/22, die für das Kultusressort vor diesem Hintergrund offenkundig ein Anliegen darstellte, 506 war als aktiver Beitrag zu verstehen, über die Idee der Kulturstaatlichkeit deutsche Stärke zu demonstrieren und diese speziell nach der Abstimmung in Nordschleswig, die zugunsten der Dänen ausgefallen war, gezielt für die Sicherung der eigenen territorialen Position im Norden Preußens zu nutzen. Als weiteres Instrument in der kulturellen Konfrontation an den Grenzen verstand das Ministerium deutsche Kunstausstellungen. Sein Interesse an solchen Ausstellungen unterstrich das Ressort, als es auf die Mitteilung des Wiesbadener Magistrats, Frankreich plane im Mai 1921 in der besetzten Stadt eine Kunst- und Kunstgewerbeschau, man sei daran interessiert, erwäge jedoch eine deutsche Gegenausstellung für Herbst 1921, 507 beim Auswärtigen Amt dafür plädierte: „auch wegen der hohen kultur- und wirtschaftspolitischen Bedeutung, die eine französische Kunstausstellung auf besetztem deutschen Boden besitzt, halte ich es für dringend wünschenswert, daß unter den beteiligten Ressorts des Reiches und Preußens eine Besprechung stattfindet. Da für eine etwaige als Gegengewicht gedachte deutsche Ausstellung nur ein überaus kurzer Zeitraum zur Vorbereitung zur Verfügung stehen würde [...], scheint mir eine schleunige Erörterung [...] geboten." 508 Sofort beraumte das Kultusministerium daraufhin eine Sitzung an, zu der neben dem Vorsitzenden der Inter-
504 Vgl. Sitzungsprotokoll Staatsministerium, 10.3.1920, ms., S. 4 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Otto Braun, A Nr. 19 a; vgl. dazu auch Lutsch an Steinbrecht, 15.12.1919, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV, Bl. 20-21; GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8228, Bl. 226 ff, 328 u. 342. 505 Ministerium der öffentlichen Arbeiten an KM, 27.1.1921, ms., S. 4, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 16, Lit. S, Nr. 34, Bd. I. 506 Vgl. Innenministerium an Staatsministerium u. alle preußischen Ministerien, 16.1.1921, ms., Minister der öffentlichen Arbeiten (Oeser) an KM, 27.1.1921, ms., Bürgermeister Schleswig an Hiecke (KM), 1.2.1921, ms., Jänecke [?] an Ministerialrat KM, 4.2.1921, hs., Minister für öffentliche Arbeiten (Oeser) an KM, 4.3.1921, ms., Abschr. Protokoll Staatsministerium, 28.1.1921, ms. u. Regierungspräsident Schleswig an Innenministerium, 6.4.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 16, Lit. S, Nr. 34, Bd. I; zum späteren Engagement des Ressorts siehe Kap. III. 8. 507 Abschr. Magistrat Wiesbaden an den Kreisdelegierten der Hohen Commission für den Stadtkreis Wiesbaden, 23.10.1920, ms. u. Abschrift Magistrat Wiesbaden an KM, 23.10.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1. 508 Abschr. KM an AA, [3.11.1920], ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1; zur Situation in Wiesbaden vgl. Parlament Hessen 1991, S. 18 f.
5. Kunst ais Mittel nationaler Selbstbehauptung:
Praxis
233
alliierten Kommission in Koblenz auch Justi geladen wurde. 5 0 9 Unterstrich das Ministerium hier seine Grundaufgeschlossenheit für die nationale N u t z u n g von Ausstellungen an den Grenzen, unterstützte es solche Ausstellungen gleichzeitig auch konkret. So hielt Haenisch bei der Großen Düsseldorfer Kunstausstellung 1920, die ganz in seinem Sinne erstmals alle lokalen Künstlergruppen vereinte, nicht nur die Eröffnungsrede, 5 1 0 sondern er setzte sich zudem unter Hinweis auf die „grosse Bedeutung [..], die es für die nationale Politik im Rheinland haben würde", bei Reichsverkehrsminister Groener dafür ein, daß die Transporte im Ausstellungsumfeld kostenfrei blieben. 511 Überdies suchte das Ministerium, grenznahe Ausstellungen durch eine großzügige Leihgabenpraxis zu fördern. 5 1 2 Als prägnantes Beispiel dafür kann das ministerielle Engagement für die im O k t o b e r 1919 in Breslau eröffnete Ausstellung Kunst
und Arbeit
in
Ober-
schlesien gelten, die das Ziel verfolgte, „imponierend" darzustellen, „welche überragenden kulturellen und künstlerischen Werte Deutschland zu bieten hat." 5 1 3 N a c h d e m Haenisch schon im Vorfeld „volle Zustimmung" zu dem Projekt signalisiert hatte, 5 1 4 ermächtigte das Ressort die Nationalgalerie, den Leihgabewünschen der Veranstalter zu entsprechen - man selbst habe „möglichste Förderung des Unternehmens und tunlichste Beschleunigung zugesagt." 5 1 5 Die Galerie ließ den Breslauern die erbetenen Leihgaben daraufhin zukommen.
509 Vgl. Haenisch an Justi, 3.11.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1. 510 Vgl. Abschr. Text Haenisch (später unter dem Titel Eine große Taktlosigkeit publiziert in: Düsseldorfer Nachrichten, Abendausg., 25.5.1920), in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 459, Bl. 240-243; BT, Jg. 49, Nr. 227, 16.5.1920; Finkeldey 1992, S. 23 f; zur besonderen Bedeutung der Ausstellung 1920 vgl. Große Kunstausstellung Düsseldorf, in: BT, Jg. 49, Nr. 281, 17.6.1920; Düsseldorfer Kunstpolitik, in: Germania, Jg. 50, Nr. 481, 31.10.1920. 511 Haenisch an Reichsverkehrsminister Groener, 2.10.1920, Ds., ms.,in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 262, Bl. 7 u. BArchB, 90 Ha 4, Nr. 461, Bl. 15; siehe dazu auch Haenisch an Murdfield, 22.5.1920, ms., Murdfield an Haenisch, 16.6.1920, hs., Haenisch an Murdfield, 17.6.1920, ms. u. Murdfield an Haenisch, 3.11.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 262, Bl. 4 - 6 u. 8; Murdfield an RMdl, 27.8.1920, ms., Abschr. Murdfield an Reichsverkehrsminister, 27.8.1920, ms., Redslob an RMdl, 10.9.1920, ms., Entwurf RMdl an Reichsverkehrsminister, 25.9.1920, ms., Reichsverkehrsminister an RMdl, 8.10.1920, ms. u. Entwurf RMdl an Otto Marcus, 29.3.1921, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 98-103 u. 145; Otto Marcus: Reichswirtschaftsverband bildender Künstler, in: Ku. u. WL, Jg. 1, Nr. 6, März 1921, S. 1 f. 512 Vgl. KM (Becker) an Braun, 18.3.1921, ms. u. Staatsministerium an KM, 13.12.1920, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 84 u. 95. Entsprechend zeigte sich das Ressort Ende 1919 z.B. auch aufgeschlossen, Kunstwerke für Villen bereitzustellen, die im Rheinland für die Interalliierte Kommission angemietet wurden, vgl. Haenisch an Justi, 8.10.1919, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 27.10.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24; vgl. dazu auch Ausschußmtgl. (DNVP), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7287; Watzinger 1944, S. 356 f. 513 Abschr. Volksrat Breslau, Zentralrat Schlesien an KM (Trendelenburg), 21.8.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24; vgl. auch Conrad Buchwald: Die Kunst auf der oberschlesischen Ausstellung, in: Schlesische Zeitung, 12.10.1919, Morgenausg., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24. 514 Vgl. Abschr. Volksrat Breslau, Zentralrat Schlesien an KM (Trendelenburg), 21.8.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24. 515 KM (Nentwig) an Justi, 3.9.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24.
II. Neuorientierung
234
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
Nur die Ausleihe von Menzels Eisenwalzwerk lehnte sie unter Hinweis auf ein MenzelAusleihverbot des Ministeriums ab.516 Die Veranstalter wandten sich daraufhin erneut an das Ressort und argumentierten, wenn ihre Ausstellung gerade in der jetzigen Situation vor der Volksabstimmung für die deutsche Kultur wirken solle, müsse der größte Künstler Schlesiens unbedingt für seine Heimat sprechen dürfen.517 Das Ministerium ließ sich davon offenbar überzeugen. Pallat wandte sich daher wiederum an die Nationalgalerie.518 Dort stellte sich heraus, daß Justi die Ausleihe des Eisenwalzwerks wegen der Transportgefahren verhindern wollte.519 Gegen diese konservatorischen Bedenken war auch das Ressort machtlos. Im Endeffekt einigte man sich darauf, der Breslauer Ausstellung elf Skizzen zum Eisenwalzwerk zur Verfügung zu stellen.520 Nachdrücklich hatte das Ministerium in der Angelegenheit sein Interesse an einer nationalen Instrumentalisierung auch bekannter Kunstwerke mit Hilfe von Ausstellungen in den Grenz- und Abstimmungsgebieten bekundet. Deutlich hatte sich hier aber auch der Widerstreit zwischen politischer Ambition und konservatorischer Beschränkung gezeigt.521 Mit dem an den Grenzen pointiert einsetzbaren Mittel Ausstellung verknüpfte sich für das Ministerium die Hoffnung auf eine vielschichtige nationalintegrative Wirkung. Entsprechend waren die Schauen in den Grenzgebieten nicht nur als demonstrative Geste nach außen und für die Stärkung der kulturellen Identität in den preußisch-deutschen Randregionen wichtig. Vielmehr stellte auch die Förderung enger Beziehungen zwischen Kernland und Grenzregion ein Anliegen dar.522 So war das Ministerium darum bemüht, die Akteure vor Ort durch ein betontes Entgegenkommen der Zentralbehörde an Preußen zu binden.523 Zudem weist speziell die oberschlesische Ausstellung noch auf eine andere, in umgekehrter Richtung intendierte Art der kulturellen Bindung hin. Reich und Preußen planten nämlich zunächst, die Breslauer Schau auch in Berlin zu zeigen.524 Zwar zerschlugen sich die Pläne später.525 Ähnlich wie die Ausstellung junger Rheinländer im Kronprinzenpalais526
516 Vgl. Abschr. Zentralrat Schlesien an Krüss (KM), 15.9.1919, hs. u. Direktor N G (i.V. Mackowsky) an KM, 20.9.1919, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24. 517 Abschr. Zentralrat Schlesien an Krüss (KM), 15.9.1919, hs. u. Abschr. Gutachten Masner, 11.9. 1919, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24. 518 KM (Pallat) an Justi, 20.9.1919, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24. 519 Vgl. Entwurf Direktor N G (i.V. Mackowsky) an KM, 22.9.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24. 520 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal, Spec. 1, Bd. 24. 521 Vgl. dazu auch Entwurf Justi an KM, 29.10.1919, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24. 522 Vgl. dazu auch Konrad Hänisch über die rheinischen Fragen, in: Rheinische Zeitung, 5.8.1919, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7681. 523 Vgl. Abschr. Zentralrat Schlesien an Krüss (KM), 15.9.1919, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 24; Haenisch an Reichsverkehrsminister Groener, 2.10.1920, Ds., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 262, Bl. 7; vgl. dazu auch Entwurf Staatsministerium an KM, 13.12.1920, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 84; Müller 1994, S. 273. 524 Vgl. Oelsner u. Fimmer an Geheimrat [RMdl?], 2.11.1919, ms. u. Begleittext, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 71-74 u. 83. 525 Vgl. Steffens (DVP), 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 13. 526 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 475 u. Bd. 2, S. 268.
Kunst als Mittel nationaler
Selbstbehauptung:
Praxis
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oder ein für die Große Berliner Kunstausstellung 1921 geplanter Saal mit Werken aus „verlorenen" deutschen Gebieten 5 2 7 standen sie jedoch für die Idee, auch in der Hauptstadt durch Ausstellungen eine Affinität zu den Randgebieten des Landes anzuregen. 528 Der vom Ressort geförderte Zusammenhang Kunst und Grenze erwies sich damit für die Kulturgemeinschaftsambitionen des Ministeriums Haenisch in mehrfacher Hinsicht als elementar. 529 So stringent sich die auf die Grenzgebiete bezogenen kunstpolitischen Ansätze aber auch darstellten und so stark der Rückhalt war, den sie in Landesversammlung 530 und Öffentlichkeit fanden, gestaltete sich ihre Umsetzung doch keineswegs reibungslos. Eine starke Politik war schon aus Finanzgründen schwierig. 531 Hinzu kamen unklare kunstpolitische Kompetenzen an den preußisch-deutschen Grenzen: Einfluß beanspruchten hier neben dem Ressort Haenisch, das sich auf Grund der Kulturhoheit der Länder als oberste Kunstbehörde Preußens sowie angesichts seiner nationalen Ansprüche zuständig fühlte, auch das Reichsinnenministerium bzw. der Reichskunstwart und das Auswärtige Amt. 5 3 2 Zwar bot sich das Reich vor diesem Hintergrund als Finanzier preußischer Projekte an. 533 Die Probleme, die sich aus den Kompetenzüberschneidungen ergaben, konnten allerdings nicht im Interesse der angestrebten konzisen Politik sein. Besonders das Kultusressort fühlte sich wiederholt übergangen. So sorgte eine Reise von Reichsinnenminister Koch(-Weser) und Reichskunstwart Redslob ins Rheinland im August 1920, bei der auch über kunstpolitische
527 Vgl. Schlichting an RMdl, 23.3.1921, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 146-147. 528 Vgl. Oelsner u. Fimmer an Geheimrat [RMdl?], 2.11.1919, ms. u. Begleittext, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 71-74 u. 83; siehe dazu später auch Oestreicher (SPD), 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18180 f u. 18184. 529 Wie weit der in diesem Kontext grundlegende Begriff Kulturnation gefaßt wurde, zeigte sich etwa dadurch, daß Haenisch auch die deutsche Bevölkerung in den abgetrennten Gebieten und Auslandsdeutsche in seine Kulturgemeinschaftsvorstellung einbezog, vgl. Haenisch 1920 a, S. 34 f u. 44 f; Vereinigte Kultusminister Deutschlands: Entwurf zu einem Appell an die Auslandsdeutschen zur Rettung der deutschen Kultur, o.D. [1919/20?], gedr. / ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1386; siehe dazu auch Düwell 1976, S. 103-119 u. 174. 530 Vgl. Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7344-7346, 7348 u. 7350; Ausschußmtgl. (DNVP) u. Ausschußmtgl. (DDP), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7285-7287; Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1811. 531 So scheiterte die Frachtfreiheit für die Düsseldorfer Ausstellung an den Finanzen, vgl. Reichsverkehrsminister an RMdl, 8.10.1920, ms. u. Entwurf RMdl an Otto Marcus, 29.3.1921, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 103 u. 145. Aus ähnlichen Gründen konnte bei der Großen Berliner Kunstausstellung keine Kunst aus den „verlorenen" Gebieten gezeigt werden, vgl. Schlichting an RMdl, 23.3.1921, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 146-147. Auch die Finanzierung des Akademieneubaus Düsseldorf gestaltete sich schwieriger als erwartet, vgl. Aussschußmtgl. (DDP), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7285 f. 532 Vgl. Speitkamp 1996, S. 172-175, 184 f u. 214 f; Speitkamp 1994, S. 554 f; Eimers 1969, S. 203-209 u. 408-419; Düwell 1976, S. 8; Laube 1997, S. 61-63; Fellbach-Stein 2001, S. 57; Orlow 1986, S. 98-109. 533 Vgl. Haenisch 1920 a, S. 37; Sitzungsprotokoll Staatsministerium, 10.3.1920, ms., S. 4 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Otto Braun, A Nr. 19 a; Ministerium der öffentlichen Arbeiten an KM, 27.1.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 16, Lit. S, Nr. 34, Bd. I; Speitkamp 1996, S. 216.
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der ministeriellen Kunstpolitik
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Belange diskutiert wurde, von der das Ressort aber erst im Nachhinein erfuhr, für Mißstimmung.534 Ähnlich wie die vom Reich geförderten Rheinischen Kulturkonferenzen galt Haenisch die Reise als Ausdruck der besonders in der Kunstverwaltung spürbaren Tendenz, „daß das Reich sich der Mitwirkung der Landeszentralbehörden nicht mehr bedient, trotzdem es doch nach seiner Behördenorganisation, ohne Schaden für die Sache nicht in der Lage ist, hierauf verzichten zu können." 535 Der Minister pochte demgegenüber auf die tragende Rolle der Länder speziell auch in der Politik in den Grenzgebieten. Die Chance einer besseren Kooperation zwischen Reich und Ländern eröffnete schließlich eine Vereinbarung vom Februar 1921, die für das Rheinland bestimmte: 1. „Voraussetzung einer nicht nur auf vorübergehende Wirkungen berechneten deutschen Kulturpflege im besetzten Westen ist [...] die Vereinbarung eines Sachprogramms zwischen den Ländern und dem Reich. Nicht weniger wichtig als die Pflege rheinischer Stammesart und rheinischer Einrichtungen ist dabei die Aufrechterhaltung und Förderung der Wechselbeziehungen zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiet."; 2. Basis ist die klare Regelung von Zuständigkeiten und Finanzen; 3. „Die nach politischen Gesichtspunkten gerichtete Kulturpflege in einem einzelnen Landesteil kann aus der allgemeinen Kulturpflege der Länder ohne Schaden für den Teil und für das Ganze nicht losgelöst werden. Für die Erfüllung auch dieser Bildungsaufgaben sind demnach die Länder zuständig"; 4. „Dem allgemein deutschen Interesse entspricht es, daß das Reich zur Aufstellung und Durchführung des Sachprogramms seine Hand bietet, wie die Länder ihrerseits sich selbstverständlich in engster Fühlung mit dem Reiche zu halten haben." 536 Die Vereinbarung und die preußische Positionierung im Umfeld bestätigen nicht nur die Schwierigkeiten und das Ziel einer koordinierten nationalen Kulturpolitik in den Grenzenregionen, sondern zum Ende der Amtszeit Haenischs noch einmal, welchen Stellenwert gerade das Kultusministerium einem solchen Engagement zuschrieb. Der Aspekt der nationalen Abgrenzung nach außen zur Festigung nach innen,537 stellte indes nur einen Aspekt der internationalen Kunstpolitik des Kultusministeriums dar. Daneben spielte ein auf diesem aufbauender zweiter Aspekt von Beginn an eine Rolle: die Idee des Austausches und der gegenseitigen Anregung gleichberechtiger Kulturvölker, die einer internationalen Kulturgemeinschaft den Weg ebnen sollte.538 In der konfrontativen Nach-
534 Vgl. Abschr. KM an alle preußischen Ministerien, 7.9.1920, ms. u. Abschr. Haenisch an Präsident Staatsministerium, 14.9.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281; Eimers 1969, S. 412-415 u. 477; vgl. dazu auch W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 34, 31.5.1920, S. 237. 535 Denkschrift Haenisch zum Verhältnis von Preußen und Reich, Febr. 1921, abgedruckt in Eimers 1969, S. 474-477, S. 476; vgl. dazu auch FM an Präsident Staatsministerium, 22.10.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 536 Rheinland - Vereinbarung
zwischen Ländern u[nd] Reich, 14.2.1921, ms., in: GStA PK, I. H A
Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1378. 537 Vgl. Becker: Kulturelle Selbstbehauptung,
in: Neue Europäische Zeitung, 22.11.1918, in: GStA
PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7676. 538 Vgl. Haenisch 1920 a, S. 36, wo betont wurde, die defensive Politik an den Grenzen „bedeute keineswegs eine kulturelle Abschließung.
Einer solchen würde niemand weniger das Wort reden
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kriegssituation war ein solcher Kulturaustausch jedoch besonders mit den Ententemächten kaum realistisch. Zu sehr standen dem die kulturelle Isolation Deutschlands nach 1918 5 3 9 und etwa auch Probleme bei der Rückgewinnung deutscher Kulturinstitute im Ausland 540 entgegen. Zwar kursierten in der Öffentlichkeit bald nach 1918 Pläne für internationale Ausstellungsprojekte auch mit den Siegermächten. 541 Für den Staat waren solche Projekte aber zunächst allenfalls als Zukunftsoption zu verstehen. Einem eigenen Engagement des Kultusressorts waren zudem wegen der Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes Grenzen gesetzt. 542 In dieser Situation suchte das Ressort Haenisch, internationalen Kontakten und einer Wahrnehmung Deutschlands als Kulturnation im Ausland den Boden zu bereiten, indem es über Leihgaben aus den Museen an deutsche Botschaften zu einer seinem Kulturgemeinschaftsideal adäquaten Repräsentation der Republik nach außen beitrug - zumindest so lange, „bis das Reich in der Lage ist, aus eigenen Mitteln für eine würdige Repräsentation Sorge zu tragen." 5 4 3 Im Frühjahr 1921 konnte Haenisch entsprechend von 46 Werken berichten, die an die Botschaften in Konstantinopel, London, Wien, Petersburg und Rom ausgeliehen waren. 544 Wie explizit diese Leihgaben und solche an das Auswärtige Amt als Investition mit Blick auf die angestrebte internationale Anerkennung Deutschlands begrif-
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als gerade ich, der ich von jeher die dringende Notwendigkeit betont habe, daß vornehmlich in Kunst und Wissenschaft die Kulturen der verschiedenen Völker einander immer mehr durchdringen, einander immer mehr befruchten. Befruchten wollen wir auch, und gern wollen wir uns befruchten lassen." Vgl. auch Haenisch 1921, S. 154. Vgl. Briesen 1992 b, S. 177; Düwell 1987, S. 77; Düwell 1976, S. 120 f, 155,232,237 u. 249 f; Metzler 1995, S. 182-200; Theodor Däubler: Die Genfer Internationale Kunstausstellung, in: Cie., Jg. 13, Nr. 3, Febr. 1921, S. 83-88; Präsident Ak. d. Kü. an KM, 20.10.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 164; siehe dazu auch Krauss 1987, S. 94. Vgl. Becker u. Regierungsvertreter, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7292; Düwell 1976, S. 53-68; Abelein 1968, S. 58. Vgl. Adolph Donath: Kunst und Politik. Zu dem Projekt einer englischen Ausstellung in Berlin, in: Ku.wan., Jg. 1, 2. Nov.-Nr. 1919, S. 111 f; Deutsch-französische Kunstbeziehungen, in: Ku.bl., Jg. 4, 1920, S. 353 f; Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 45, 6.8.1920, S. 877; BT, Jg. 49, Nr. 513, 8.11. 1920. Vgl. Düwell 1976, bes. S. 70-102; Düwell 1981; Sievers 1966, S. 287-363; Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 4, 8.11.1918, S. 87. Bei den internationalen Kunstbelangen, in die das Ministerium zunächst involviert war, ging es meist um die Rückgabe ausländischer Werke, vgl. dazu KM (Nentwig) an Justi, 8.9.1919, ms., KM (Trendelenburg) an Justi, 20.9.1919, ms., KM (Trendelenburg) an Justi, 15.12.1919, ms., KM (Nentwig) an Justi, 12.2.1921, ms., Entwurf Direktor NG (i.V. Mackowsky) an KM, 18.1.1921, hs. u. KM (Nentwig) an Justi, 12.2.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 24, Beiheft 1. Haenisch an Braun, 20.4.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 101-102. Dabei handelte es sich um 26 ältere und zwanzig aus der Nationalgalerie stammende neuere Werke, vgl. Haenisch an Braun, 20.4.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 101102; siehe auch GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 51-80; Entwurf Staatsministerium an KM, 13.12.1920, hs. u. Becker an Braun, 18.3.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 84 u. 95.
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fen wurden, hatte Haenisch bereits im Sommer 1920 unterstrichen, als er erklärt hatte: „Wenn ich jetzt [...] dem Herrn Reichsminister des Auswärtigen eine Anzahl Gemälde für die Diensträume des Ministeriums überwiesen habe, so ist dies aus allgemeinen Gründen des Ansehens unseres Landes geschehen. Wie mein künstlerischer Sachreferent sich überzeugt hat, sind die den fremdländischen Vertretern hauptsächlich zugänglichen Empfangsund Diensträume des genannten Ministeriums mit durchaus minderwertigen Bildern ausgestattet. Dadurch wird bei den Ausländern nur zu leicht der Eindruck erweckt, sich in einem Lande künstlerischen Tiefstandes und allgemeinen Ungeschmacks zu befinden. Ein solcher Eindruck muß aber jetzt mehr als je vermieden werden." 5 4 5 Ende 1920 ging die Nationalgalerie noch einen Schritt weiter, indem sie im Kronprinzenpalais eine Schau junger niederländischer Kunst zeigte. Erstmals nach dem Krieg wurde hier ein exponierter staatlicher Ausstellungsort für die Präsentation ausländischer Werke genutzt. 546 Deutlich wurde damit der Anspruch der Republik auf internationale Öffnung unterstrichen - und mehr noch: Weil sich mit der Schau die Hoffnung auf eine deutsche Gegenausstellung in Den Haag verband, 547 war sie als Wegbereiter der auch vom Kultusministerium befürworteten wechselseitigen internationalen Kontakte zu verstehen. 548 Wie stark das ministerielle Interesse an der niederländischen Ausstellung angesichts dessen war, zeigte sich schon dadurch, daß Haenisch entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten an deren Eröffnung teilnahm. 549 Faktisch ging die von der Kornscheuer550 getragene Schau auf eine Initiative des Reichskunstwarts, Justis und des Auswärtigen Amtes zurück. 551 Zumal ihm der Ausstellungsort offiziell unterstand, hatte sich das Kultusministerium jedoch von Beginn an um Einbindung bemüht 552 : Nachdem das Ressort in der ersten Planungsphase zu seinem Mißfallen vor vollendete Tatsachen gestellt worden war,553 legte es in der Folgezeit
545 Haenisch an Staatsministerium, 21.6.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 49. 546 Vgl. dazu Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 238; BT, Jg. 49, Nr. 509, 5.11.1920; Nr. 547, 30.11.1920; Nr. 564, 9.12.1920; Germania, Jg. 50, Nr. 492, 9.11.1920; Nr. 542, 9.12.1920, S. 5; Cie., Jg. 13, Nr. 1, Jan. 1921, S. 29 f; Rave 1968, S. 97. 547 Vgl. AA (Sievers) an Justi, 7.10.1920, ms. u. Abschr. Huebner an AA, 28.9.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1. 548 Zuvor hatte es bereits Pläne für eine Ausstellung des Norwegers Munch gegeben, die sich aber während des Kapp-Putsches zerschlagen hatten, vgl. BT, Nr. 149, 31.3.1920. 549 Vgl. dazu Haenisch an Abgeordneten Hacks, 6.12.1920, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 461, Bl. 272 a: „Punkt 12 Uhr wird [..] eine Ausstellung holländischer Kunst eröffnet, und ich muß aus Gründen der nationalen Höflichkeit dabei unbedingt zugegen sein." Siehe auch Germania, Jg. 50, Nr. 492, 9.11.1920. 550 Die Kornscheuer war eine international operierende Kunstgenossenschaft, vgl. Die
Kornscheuer,
in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 30, 3.5.1920, S. 206; Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 36/37, 3./10.5.1921, S. 684 f. 551 Vgl. AA (Sievers) an Justi, 7.10.1920, ms., Abschr. Huebner an AA, 28.9.1920, ms., Haenisch an Justi, 30.10.1920, ms. u. Justi an KM, 6.11.1920, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 398 u. Bd. 2, S. 237. 552 Zum besonderen Interesse des Ministeriums an den Niederlanden siehe Kap. III. 8. 553 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 398: „Besonders empfindlich war man im Ministerium nach Kriegsende gegenüber dem Reich. [...] Der erste Sturm brach los, als ich eine Ausstellung holländischer Malerei veranstaltete; die Werke waren von namhaften holländischen Künstlern zusam-
Kunst als Mittel nationaler Selbstbehauptung:
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Wert darauf, von Justi genau über die „deutsch-holländische Austauschausstellung" informiert zu werden. 5 5 4 Zumindest wenn preußische Institutionen involviert waren, wollte sich das Ministerium also einen Einfluß auch auf die auswärtige Kunstpolitik sichern. 5 5 5 Wie das Beispiel der niederländischen Ausstellung zeigt, trug es dabei die Politik des Auswärtigen Amtes mit, zunächst mit im Krieg neutralen Ländern wieder erste Kulturkontakte zu knüpfen, u m so die Basis für eine sukzessive internationale Anerkennung Deutschlands zu legen. 5 5 6 N a c h d e m eine Novembergruppen-Beteiligung an einer Ausstellung in Amsterdam Anfang 1921 im Sinne kultureller Werbearbeit als kontraproduktiv wahrgenommen worden war, 5 5 7 konnte die für 1921 erhoffte Gegenausstellung in Den Haag, die wichtiger Teil dieser Strategie war, 5 5 8 letztlich erst 1922 realisiert werden (siehe Kap. III. 8.). 5 5 9 Mit der durch die niederländische Schau initiierten, durch die Valori Plastici- Ausstellung 5 6 0 fortgesetzten Öff-
mengestellt; der Vermittler aus Holland hatte sich zuerst an den Reichskunstwart Redslob gewandt und wurde von diesem zu mir gebracht, .zuständigkeitshalber', aber im Ministerium entstand durch Redslobs Besuch der Verdacht, ich wolle ,die National-Galerie an das Reich ausspielen', was sich noch dadurch verstärkte, daß ich zu dem mir persönlich bekannten Reichsminister des Äußeren, Dr. Simons, gegangen war, um zu fragen, ob gegen diese Ausstellung politische Bedenken bestünden - Simons freute sich vielmehr sehr und kam selbst zur Eröffnung: Empörung und rote Köpfe im Kultusministerium." Siehe auch Hentzen 1972, S. 29. 554 Haenisch an Justi, 30.10.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1. 555 Siehe dazu auch Geschäftsbereich des preußischen Kultusministeriums, [1920/21], ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 1-3; Hinweis auf die nicht erhaltene Akte des Kultusministeriums zu Kunstund Industrieausstellungen in außerdeutschen Staaten 1914-23 in Findbuch GStA PK, I. HA Rep. 76, V e ; Deutsche Auswärtige Kulturpolitik 1981, S. 40 f. 556 Vgl. Rave 1987, S. 28; Abschr. Huebner an AA, 28.9.1920, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1; Sievers 1966, S. 302. Die Annäherung an neutrale Länder implizierte zugleich eine Beobachtung französischer Aktivitäten, zu denen man sich in primärer Konkurrenz sah, vgl. AA an RMdl, 7.11.1919, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 76-77; Düwell 1976, S. 21, 3 9 - 4 7 u. 216-220; zur Rolle des Kultusressorts in diesem Kontext vgl. auch KM (Nentwig) an RMdl, 10.12.1919, ms. u. Entwurf RMdl an AA, 31.12.1919, hs., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 84-85; Sievers 1966, S. 248 f; zur auswärtigen Kulturpolitik nach 1918 vgl. Schober 2004; Düwell 1976, S. 103-191 u. 246-252; Düwell 1981; Deutsche Auswärtige Kulturpolitik 1981, S. 61-71. 557 Zur Ausstellung vgl. Abschr. Deutsche Gesandtschaft Niederlande an AA, 28.2.1921, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 51-52; Direktor N G (i.V. Kern) an KM, 6.4.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1; Redslob 1972, S. 168-170; zum Kontext vgl. Reichsadler, Reichskunst usw. oder: Woher kommen die Mißerfolgef, in: Ku.wart, Jg. 33/3, Nr. 21, Sept. 1920, S. 407-413, S. 412; Rave 1968, S. 29. 558 Zur positiven Haltung des Kultusministeriums vgl. auch Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung und Reichskunstwart, 8.3.1920, ms., S. 3, in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8281; O. B.: Ausstellung einfachen Hausrates im Kunstgewerbe-Museum Berlin, in: Mitt. DWB, Nr. 1, 1919, S. 26 f; Pallat 1911; Waetzoldt 1911. 559 Vgl. Düwell 1976, S. 121. Zuvor, 1921, hatte Justi eine deutsche Ausstellung für den Kunstverein Basel zusammengestellt, die aber offensichtlich keinen offiziellen Charakter hatte, vgl. Justi [?] an Sievers, 30.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 55/3. 560 Die Ausstellung wurde im April 1921 eröffnet, vgl. Adolph Donath: Ausländische Kunst in Berlin.
240
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
nung für ausländische Kunst begann sich das Kronprinzenpalais jedoch schon seit Ende 1920 unter fördernder Anteilnahme des Kultusressorts als Demonstrationsort einer neuen deutschen Aufgeschlossenheit und Plattform für die Anbahnung internationaler Kulturbeziehungen zu profilieren. 561 Die internationalen Ausstellungen in der Berliner Staatsgalerie sind als Voraussetzung für die späteren offiziellen Ausstellungsaktivitäten des Reiches im Ausland zu verstehen. 562 Insgesamt setzte das Kultusministerium bis zum Rücktritt Haenischs also auf allen drei Ebenen seiner nationalintegrativen Kunstpolitik Akzente, wie es seine theoretischen Ambitionen verstanden und umgesetzt wissen wollte. 563 Mit seinen vielfältigen Aktivitäten, die im Endeffekt alle auf eine selbstbewußte deutsche Kulturnation im europäischen Kontext zielten, deutete es schon unter Haenisch die für die weitere preußische Kunstpolitik der 20er Jahre entscheidenden Richtungen an.
Edvard Munch und die neuen Italiener, in: Ku.wan., Jg. 3, April 1921, S. 309 f; Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 29, 15.4.1921, S. 562; Constantin I. David: Die Valori Plastici und der Faschismus, in: Ku.chr., Jg. 58/2, Nr. 26/27, 30.3./6.4.1923, S. 507-509; Hentzen 1972, S. 29 f; Rave 1968, S. 97; Valori Plastici, in: Ku.hl, Jg. 3,1919, S. 319; Eberle 1989, S. 29 f. 561 Vgl. dazu auch Direktor N G (i.V. Kern) an KM, 6.4.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal, Spec. 20, Bd. 1. 562 Zu diesen Aktivitäten vgl. Diiwell 1976, S. 121, 180-191 u. 249; zur Rolle des Kronprinzenpalais' vgl. Justi an KM, 6.11.1920, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1. 563 Wichtig war hier nicht zuletzt der Aspekt der nationalen wie internationalen Konkurrenzfähigkeit, vgl. Becker an Haenisch, 19.8.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 8-11; KM (Nentwig) an FM, 11.12.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 296; Haenisch 1920 a, S. 12, 19-23 u. 33 f; Briesen 1992 b, S. 164-166 u. 172 f; L. Schmidt 2000, S. 2 6 1 - 2 6 3 , 2 6 8 - 2 7 8 u. 285-289.
6. Bemühen um eine Neuorganisation der Kunstverwaltung Die enorme politisch-gesellschaftliche Relevanz, die der bildenden Kunst nach 1918 sowohl in der öffentlichen Diskussion wie von den neuen staatlichen Handlungsträgern zugeschrieben wurde, ließ bereits kurz nach dem Novemberumsturz den Ruf nach adäquaten Verwaltungsstrukturen und einer zentralen staatlichen Kunstinstanz laut werden. So hatte der Arbeitsrat für Kunst die „Bildung einer Reichsstelle zur Sicherung der Kunstpflege im Rahmen der künftigen Gesetzgebung" gefordert.1 Stahl plädierte gleichzeitig für eine personelle wie strukturelle Reform der Kunstverwaltung, hob dabei auf die Zusammenfassung bisher auf verschiedene Ressorts verteilter Kompetenzen ab und betonte: „Vor allem ist es nötig, daß in dem Kunstamt ein starker Kunstwillen am "Werk ist. Dann wird es schnell dahin kommen, daß wir nicht mehr das häßlichste Papiergeld und die häßlichsten Marken der Welt haben, daß nicht Baubeamte, sondern Baukünstler unsere Gebäude gestalten, daß nicht das Bureau aus Entwürfen jede Frische hinausverbessert, daß Künstler von ihrem Handwerk aus erzogen und nicht in Ateliers verdumpft werden, daß statt des ganzen Schlendrians, der nur den Minderbegabten wohltut, ein frisches Leben herrscht." 2 Wertete Stahl eine mit breiten Kompetenzen ausgestattete Kunstverwaltung damit als Voraussetzung für die postulierte umfassende Ästhetisierung des Lebens, hatte bereits kurz nach dem 9. November der unter anderem für die Glocke tätige Kunstkritiker Lothar Brieger bei Minister Haenisch ganz ähnlich für die Einrichtung eines zentralen „Departements für die schönen Künste und Museen" wie in Frankreich votiert, das sich um die Sicherung des nationalen Kunstbesitzes und eine intensive Kunstpopularisierung kümmern sollte.3 Haenisch stimmte in diese Forderungen nach stringenteren Strukturen in der Kunstverwaltung bald nach seiner Amtsübernahme ein. Entsprechend erklärte er es Ende November 1918 zu einem wesentlichen Ziel seiner Kunstpolitik, daß neben dem Theater „auch alle sonstigen Kunstdinge, die heute noch teilweise von anderen Ministerien ressortieren, bei uns vereinigt werden." 4 Nachdrücklich unterstrich der Minister diese Absicht im Februar 1919, als er sich - wohl auch in Reaktion auf den von ihm abgelehnten Verfassungsentwurf von Hugo Preuß, der eine Auflösung Preußens vorsah5 - für die Gründung eines preußischen Kunstministeriums einsetzte. Konkret ging es dabei um folgendes: Nachdem sich Haenisch am 12. Februar im sozialistischen Zentralrat für eine Abtrennung der Kirchenpolitik von seinem Ressort ausgesprochen hatte,6 ließ er wenig später seinem Parteifreund Otto Braun, damals Landwirtschaftsminister, und den übrigen Staatsministeriumsmit-
1 Steneberg 1987, S. 5; Arbeitsrat für Kunst, in: BT, Jg. 47, Nr. 633, 11.12.1918, S. 2. 2 Fritz Stahl: Staatliche Kunstpflege, in: BT, Jg. 47, Nr. 622, 5.12.1918, S. 2. 3 Lothar Brieger an Haenisch, 12.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 22-23. 4 Haenisch 1919 b, S. 17-27, S. 23; Haenisch 1919 d, S. 38. 5 Zu Haenischs Haltung vgl. Schulze 1977, S. 253; Zentralrat 1968, S. 461 f; Möller 1985, S. 64 f; Müller 1991, S. 251-253; Haenisch: Für Berlin!, Jan. 1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 447, Bl. 12; vgl. dazu auch Schulze 1977, S. 252-264; Schlenke 1987, S. 120; Hömig 1979, S. 28. 6 Vgl. Zentralrat 1968, S. 613 f.
II. Neuorientierung
242
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
gliedern eine Denkschrift zukommen, die eben diese Absicht bekräftigte und überdies eine Abtrennung auch der Kunstpolitik vom Kultusressort vorsah. 7 Die im Auftrag Haenischs von Becker und Trendelenburg verfaßte Denkschrift 8 erläuterte den Sinn der Abspaltungen zunächst grundsätzlich: Die Aufgabe der nationalen Einheitsbildung, die das Kultusressort seit Ende 1918 auf neue Weise in die Pflicht nehme, lasse heute keinen Minister mehr in der Lage sein, „gleichzeitig die Neuordnung der Verhältnisse von Kirche und Staat, den Neubau unseres gesamten Unterrichtssystems und die systematische Pflege der Künste und ihre Geltendmachung im öffentlichen Leben wirklich sachverständig zu leiten." 9 Im folgenden legte die Schrift die geplante Neuorganisation der Kunstverwaltung dar. Ausgangspunkt war die Feststellung, die bestehende Kunstabteilung führe ihren Namen zu Unrecht, da in ihr die Kunst „nur ganz lückenhaft vertreten" sei und naturwissenschaftliche Institute von ihr mitverwaltet würden. 10 Solle gerade die lebende Kunst gesellschaftlich endlich die Rolle spielen, „die man unter den Beschränkungen des alten Regimes oft schmerzlich vermißt hat", müsse man die Zuständigkeit für die verschiedenen Ressorts zugeordneten Kunstangelegenheiten künftig zentral bündeln. 11 Als Kernaspekt, den es dabei zu berücksichtigen gelte, betonte die Schrift: „Eine führende Stellung unter den Künsten hat zu allen Zeiten gesunder Entwicklung die Baukunst eingenommen. An der Architektur entwickelt sich der Stil. Hervorragende Architekten sind von jeher als Bildhauer, auch als Maler bekannt geworden. Städtebauliche und bevölkerungspolitische Probleme nicht nur, sondern auch der Wille nach gegenseitiger Belebung der verschiedenen Zweige der Kunst sind es, die auch heute wieder die Blicke aller auf die Baukunst richten. Der Kunstverwaltung des heutigen Kultusministeriums ist jedoch die Baukunst so gut wie verschlossen. Die Staatsbauverwaltung und die wichtige Akademie des Bauwesens sind dem Arbeitsministerium angegliedert. Die Berufsangelegenheiten der Architekten werden beim Handelsministerium bearbeitet, dem auch die Baugewerkeschulen unterstehen." 12 Für eine
7 Vgl. Haenisch an Braun, 1 8 . 2 . 1 9 1 9 , ms., in: B A r c h B , 90 H a 4, Nr. 43, Bl. 14; vgl. dazu auch Valentiner: Einige Bemerkungen Kunst und Volksbildung,
zu der Denkschrift
über die Teilung des Ministeriums
für
Wissenschaft,
2 5 . 2 . [1919], ms., in: GStA P K , I. H A Rep. 92 Ni. C . H . Becker, Nr. 1382;
Müller 1991, S. 255. Zur Abspaltung auch der Kunst erklärte Becker später (Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806 f): „Man habe sich [..] den Bedenken nicht verschlossen, daß das ganze Erziehungswesen nicht ausschließlich unter intellektuelle und rationalistische Gesichtspunkte gestellt werden dürfte, sondern daß man die künstlerischen Werte stärker als bisher für das Erziehungswesen nutzbar machen müsse. Trotzdem habe man damals zugestimmt, das Kunstministerium zu verselbständigen, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß dafür auch das gesamte Unterrichtswesen dem Kultusministerium unterstellt werde." Z u m Anspruch des Ministeriums vgl. auch Weiser 1996, S. 4. 8 Zur Autorenschaft vgl. Müller 1991, S. 256. 9 Teilung
des Ministeriums
für
Wissenschaft,
Kunst und Volksbildung
(Kultusministerium),
[Febr.
1919], ms., S. 1, in: GStA P K , I. H A Rep. 92 Ni. C . H . Becker, Nr. 7190. 10 Ebd., S. 4. 11 Ebd., S. 5; zur Verteilung der kunstpolitischen Zuständigkeiten in Preußen um 1918 vgl. Waetzoldt 1921, S. 7 9 - 8 8 . 12 Teilung
des Ministeriums
für
Wissenschaft,
Kunst und Volksbildung
(Kultusministerium),
[Febr.
1919], ms., S. 5, in: GStA P K , I. H A Rep. 92 NI. C . H . Becker, Nr. 7 1 9 0 (hier zitiert nach der
243
6. Neuorganisation der Kunstverwaltung
stringente Politik sei daher zu fordern, die „Baukunst auch in der Verwaltungsorganisation wieder als Kunst neben den anderen Künsten, die Erziehung zum Baukünstler als Erziehungsaufgabe der Kunst erscheinen zu lassen [...] Jedenfalls muß die Vereinigung des Bauwesens mit der übrigen Kunstverwaltung als eine conditio sine qua non nicht nur für eine Verselbständigung des Kunstressorts, sondern für eine Förderung der Kunst in ihren wichtigsten Funktionen überhaupt bezeichnet werden." 1 3 Daneben strebte man eine Zuständigkeit der Kunstzentrale für den dem Handelsministerium unterstehenden kunstgewerblichen Unterricht an. Zur Begründung betonte man: „Die erst im Jahre 1884 herbeigeführte Abtrennung dieses Zweiges von der Kunst- und Unterrichtsverwaltung ist in immer weiteren Kreisen als unhaltbar erkannt. Sie zerreisst die Zusammenhänge zwischen [..] freier und angewandter Kunst, sie entfremdet die Künstler dem Handwerk und die Handwerker der Kunst, sie erschwert die Auswahl der Begabten. Wie das kunstgewerbliche Unterrichtswesen, so können auch die staatlichen Manufakturanstalten [...] der Kunstverwaltung nicht genommen bleiben. Fühlung dabei zu halten mit der Gewerbeverwaltung und der allgemeinen Unterrichtsverwaltung ist ein selbstverständliches Erfordernis. Die Führung jedoch muss die Kunstverwaltung in Anspruch nehmen". 14 Durch die geforderte gemeinsame Verwaltung von Architektur, freier und angewandter Kunst sahen die Verfasser den Aufgabenkreis für ein volles Ministerium gegeben. Als Umsetzungsformen schlugen sie vor: Wegen des engen Konnexes zwischen Kunst- und Unterrichtsverwaltung sei wie in Frankreich die Einrichtung eines speziellen Unterstaatssekretariats beim Kultusministerium denkbar, aber auch ein Ministerium für Kunst habe Vorzüge. 15 Für ein solches Ministerium präsentierte man abschließend ein Organisationsschema, das zwei Abteilungen vorsah: Die eine Abteilung sollte für das Bauwesen zuständig sein, die andere für „Bildende Künste, Musik, Theater, Kino, Literatur; Museen; Kunstunterricht (auch auf den Gebieten der Baukunst und der angewandten Kunst); künstlerische Volksbildung, Denkmalpflege, Heimatschutz". 16 Mit der zeitgenössischen Fachdebatte
1919/20 gedr. Version der Schrift, S. 3 in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1770 u. SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 340). 13 Teilung des Ministeriums für "Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (Kultusministerium),
[Febr.
1919], ms., S. 5, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7190; zur Grundhaltung des Ressorts vgl. später auch Waetzoldt 1921, S. 25-28. 14 Teilung des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (Kultusministerium),
[Febr.
1919], ms., S. 6, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7190. 15 Ebd., S. 7. 16 Ebd.; vgl. dazu auch Ministerium für Kunst, o.D., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C . H . Becker, Nr. 1383; Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807. In Valentiner: Einige
Bemerkungen
zu der Denkschrift über die Teilung des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und
Volksbildung,
25.2. [1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1382 wurde der Personalbedarf des Kunstressorts folgendermaßen umrissen: ein Kunstminister, ein Unterstaatssekretär vom Arbeitsressort, für die Bauabteilung ein Oberbau- und ein Verwaltungsdirektor sowie für die allgemeine Kunstabteilung neben einem Abteilungsdirektor zehn bis elf Vortragende Räte, ein Regierungsrat für die Meßbildanstalt, neun bis zehn Technische und Künstlerische Beiräte. Damit wurde für das Kunstministerium von 25 bis 27 Mitarbeitern ausgegangen - was, verglichen mit der be-
II. Neuorientierung
244
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
übereinstimmend definierte das Ministerium damit Architektur und Kunstgewerbe als elementare Bereiche der Kunstpolitik. Angestrebt wurde vor diesem Hintergrund ein Ministerium oder zumindest ein Unterstaatssekretariat aller Künste, das dem umfassenden gesellschaftlichen Ästhetisierungsanspruch gerecht zu werden suchte und später seine Entsprechung etwa in der geplanten Zentralakademie fand (siehe Kap. II. 3.2.). 17 Mit Hilfe der Zentralinstanz wollte das Ressort der Kunstverwaltung weit größeren Einfluß als bisher eröffnen und auf diese Weise die organisatorische Basis für die im nationalen Interesse geforderte stringente Kunstpolitik legen. Unterstützt wurde dieses Anliegen durch Wilhelm R. Valentiner, der vom Ministerpräsidenten Hirsch beauftragt worden war, ein Gutachten zu der Denkschrift abzufassen. Das Gutachten bezeichnete die „Errichtung eines selbständigen Ministeriums für Kunst und zwar unter Vereinigung aller die Kunst betreffenden Angelegenheiten aus verschiedenen Ministerien nicht nur als durchaus diskutabel, sondern geradezu als sachlich geboten." 18 Valentiner Schloß sich der Argumentation des Ministeriums uneingeschränkt an und ergänzte sie, indem er die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der bildenden Kunst gerade nach dem verlorenen Krieg hervorhob. Konkret wies er auf die Relevanz der ideellen Kompensation materieller Entbehrungen hin. Wichtig war ihm in Anknüpfung an seine Museumsschrift von 1918 (siehe Kap. II. 3.1.) und in Affinität zu den Positionen des Kultusressorts eine an Osthaus orientierte „Erziehung des Volkes zur Kunst" in Museen und durch die Gestaltung öffentlicher Räume (siehe Kap. II. 5.2.). 19 Daraus ergab sich für Valentiner, „daß nach einem großzügigen einheitlichen Plan zu arbeiten ist, in welchem alle Erfahrungen derer, die auf dem einschlägigen Gebiet bereits vorangingen, verwertet sind. Dieser Plan kann nur von einer Zentralstelle aus, welche über den gesamten staatlichen Kunstbesitz, über zahlreiche Staatsgebäude zu seiner Popularisierung [...] und daneben auch durch Gewährung staatlicher Mittel [...] anregend wirken kann, verwirklicht werden." 20 Zudem betonte Valentiner: „Je mehr es gelingt, die Sinne unseres Volkes künstlerischen Empfindungen zu erschließen, desto leichter wird es befähigt sein, auch in der industriellen Produktion Qualitätsarbeit zu leisten." 21 Gerade in der aktuellen Situation, wo die Schwerindustrie große Einbußen hinzunehmen habe, müsse man solche Arbeit in der Keramik- und Papierindustrie, im Drucker- und Buchbindergewerbe oder in der
stehenden Kunstabteilung, eine enorme Aufstockung bedeutet hätte; siehe dazu auch Skizze einer Referatsverteilung
in der allgemeinen Abteilung des Ministeriums für Kunst, [Febr. 1919], ms., in:
GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1384. 17 Zum Zusammenhang zwischen der Neuorganisation der Kunstverwaltung und der Akademie vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 4.4.1919, ms. u. Protokoll Ak. d. Kü., Kommission für Reform-Vorschläge, 22.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 3 6 - 3 7 u. 55-56. 18 Valentiner: Einige Bemerkungen
zu der Denkschrift über die Teilung des Ministeriums für Wissen-
schaft, Kunst und Volksbildung, 25.2. [1919], ms., S. 2, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C . H . Becker, Nr. 1382. 19 Vgl. ebd., S. 3 - 6 . 20 Ebd., S. 6 f. 21 Ebd., S. 7.
6. Neuorganisation
der
Kunstverwaltung
245
Möbelfabrikation fördern. Dadurch könne „hochwertige Exportware erzeugt [werden], welche zur Hebung der Valuta beiträgt und vielen Arbeitern gut gelohnte Arbeit gewährt." Vorbildfunktion komme hier dem Handeln Frankreichs nach 1870/71 zu. Auch diese auf die Verbindung von Kunst und Gewerbe setzende Politik müsse „nach einheitlichen Grundsätzen von der Stelle aus erfolgen, von welcher die allgemeinen Impulse zur Förderung der Kunst ausgehen."22 Das Gutachten verband damit die Kunstpopularisierung und den ökonomischen Blick auf die Kunst, die auch für das Kultusressort zentrale Themen darstellten (siehe Kap. II. 5.1.), eng mit dem Postulat strafferer Verwaltungsstrukturen. Waren die Pläne für eine Aufsplittung des Kultusressorts in drei Ministerien - für Unterricht, Kirche und Kunst - am Rande der Weimarer Nationalversammlung zunächst intern diskutiert worden, machte sie ein von Haenisch lancierter Berliner Tageblatt-Krúkz\ vom 20. Februar 1919 schnell auch allgemein publik.23 Die Presseresonanz war indes verhalten. So hielt das Berliner Tageblatt angesichts der angespannten Finanzlage allenfalls ein Unterstaatssekretariat für Kunst, nicht aber die Gründung neuer Ministerien für diskutabel.24 Und auch die Deutsche Allgemeine Zeitung positionierte sich ähnlich.25 Dennoch hielt Haenisch erst einmal an der Idee der drei Ministerien fest - hoffte er doch die zähen preußischen Koalitionsverhandlungen vom Frühjahr 1919 (siehe Kap. II. 1.1.) mit Hilfe der Dreiteilung, in deren Zuge das Unterrichtsministerium der SPD, das Kirchenressort dem Zentrum und das Kunstressort der DDP zugesprochen werden sollte,26 auf eine bessere Basis zu stellen.27 Da sich Zentrum und DDP nicht auf diese Überlegungen einließen und Hirsch ein Kunstministerium ablehnte, konnten die Pläne jedoch nicht realisiert werden.28 Damit war die Absicht einer Neuorganisation der Kunstverwaltung zunächst an der Verquickung mit koalitionspolitischem Kalkül gescheitert. Faktisch wiesen die Bemühungen aber über die strategische Ebene hinaus. Die Tatsache, daß man mit ihnen an ältere Umstrukturierungsabsichten anknüpfte29 und sich die Idee eines Ministeriums aller Künste in die zeitgenössi22 Ebd., S. 7 f. 23 Die Teilung des Kultusministeriums,
in: BT, 20.2.1919, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C . H .
Becker, Nr. 7365; vgl. dazu Müller 1991, S. 257; zu den Verhandlungen der Nationalversammlung vgl. auch Haenisch an R. Plentzig, 25.1.1919, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 454, Bl. 170. 24 Vgl. P. M.: Drei Kultusminister? Ministerzüchtung, 25 Kr.: Die Teilung des Kultusministeriums,
in: BT, Jg. 48, Nr. 89, 25.2.1919.
in: DAZ, Jg. 58, Nr. 106, 2.3.1919; zur Reaktion auf die
Teilungspläne vgl. auch Müller 1991, S. 257. 26 Als Kunstminister favorisierte Becker Ernst Troeltsch. Den DDP-Kandidaten Kanzow lehnten Becker und Haenisch hingegen ab, vgl. Müller 1991, S. 256. 27 Vgl. Müller 1991, S. 255-257; Hömig 1979, S. 3 9 - 4 3 ; Wende 1959, S. 69; Möller 1985, S. 327; Zentralrat 1968, S. 707 f; Weinstein 1990, S. 45. 28 Vgl. Weiser 1996, S. 9; Müller 1991, S. 256 f; Zentralrat 1968, S. 783. Letztlich gaben sich DDP und Zentrum mit eigenen parlamentarischen Unterstaatssekretären im Kultusministerium zufrieden (siehe Kap. II. 1.1.). 29 Vgl. dazu Mai 1981, S. 469 f; Pallat 1959, S. 255-257; Manegold 1967, S. 514 f; Waetzoldt 1921, S. 79-88; siehe dazu auch Valentiner: Einige Bemerkungen
zu der Denkschrift über die Teilung des
Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 25.2. [1919], ms., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1382; Haenisch an Braun, 18.2.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 43, Bl. 14.
246
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
sehe Diskussion wie in den Anspruch des Ressorts einfügte, unterstrich das Sachinteresse dabei ebenso wie die geplante Uberweisung des Kunstministeriums an die werkbundnahe DDP. Entsprechend bekräftigte Haenisch auch nach der Regierungsbildung weiterhin sein Interesse an einem Kunstministerium. 30 So wies er bei der Eröffnung der Hausratausstellung im Kunstgewerbemuseum im April 1919 (siehe Kap. II. 5.2.) auf sein Engagement für ein „Ministerium für Kunst und Kunstgewerbe" hin und erklärte: „Dieser Plan mußte vorläufig zurückgestellt werden, aber je mehr man die Bedeutung des Bündnisses zwischen Kopfarbeit und Handarbeit erkennen wird, desto mehr wird dieser Gedanke an Einfluß gewinnen." 31 Eine effektivere Organisation der preußischen Kunstverwaltung, die im Idealfall zur Gründung eines Kunstministeriums führen sollte, blieb so auch jenseits der Koalitionsverhandlungen ein Anliegen des Ministeriums. Angesichts der engen Verknüpfung nationalintegrativer und kunstpolitischer Ambitionen seit dem Frühjahr 1919 (siehe Kap. II. 5.1.) drängte gleichzeitig ein anderer, über die preußische Perspektive hinausreichender Aspekt in den Vordergrund: Zumal die Forderung nach einer zentralen Kunstinstanz zeitgenössisch wiederholt mit der Einrichtung einer Reichsinstitution in Zusammenhang gebracht worden war,32 stellte sich im Umfeld der Weimarer Verfassungsdiskussionen immer vehementer die Frage nach der kulturpolitischen Rollenverteilung zwischen Reich und Ländern und damit nach der Trägerschaft der nationalen Kunstpolitik. Nachdem das Kultusressort auf das Postulat einer strafferen Verwaltungsorganisation in Beantwortung der Preuß-Pläne zunächst mit einer dezidiert preußischen Lösung reagiert hatte, ein preußisches Kunstministerium aber vorerst nicht durchsetzbar war, nahm das Kultusministerium nun dazu Stellung, wie es sich die verwaltungstechnische Umsetzung seines Anspruchs auf eine zielbewußte nationale Kultur- und Kunstpolitik angesichts des Reich-Länder-Dualismus 33 vorstellte. Seit Anfang 1919 hatte besonders Becker seine Gedanken dazu formuliert. 34 Im Sommer 1919 brachte schließlich seine Schrift 30 Vgl. auch Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 22.3.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, BI. 36-37. 31 Ο. B.: Ausstellung einfachen Hausrates im Kunstgewerbe-Museum Berlin, in: Mitt. DWB, Nr. 1, 1919, S. 26 f, S. 27; vgl. auch Heffen 1986, S. 36; Campbell 1981, S. 144; Fritz Hellwag: Die Revolutionsprogramme der Künstler, in: Mitt. DWB, Nr. 2, 1919, S. 33-41. 32 Vgl. z.B. Wiehert 1919, S. 117; siehe auch Howoldt 1982, S. 127; Paul F. Schmidt: Ein demokratisches Kulturprogramm, in: Mitt. DWB, Nr. 1, 1919, S. 1-4. 33 Bezogen auf Preußen vgl. dazu ausführlich Eimers 1969, bes. S. 203-207, 408-419 u. 474-477; Orlow 1986, S. 89-97 u. 108 f; Preußen in Weimar 1982, S. 12-19, 23-26 u. 47-54; Möller 1985, S. 44-65, 77-79 u. 92-114; Schlenke 1987, S. 121 f; Schulze 1977, S. 310-323. 34 Vgl. Becker: Der Neuaufbau des Reichs vom Standpunkt deutscher Kulturpolitik, o.D. [1918/19?], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1376; Becker: Vorschlage für eine Vereinfachung der kulturpolitischen Doppelarbeit im Reich und in Preußen, o.D., hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1380; Becker: Probleme der Reichskulturpolitik, o.D., hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1646; Becker: Kulturpolitische Zuständigkeiten des Reiches, Sonderdruck der Verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung, [1919], in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6841; Becker: Kulturpolitik des Reiches, Vertragsentwurf für die Deutsche Gesellschaft 1914, 2.6.1919, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker,
6. Neuorganisation der Kunstverwaltung
247
Kulturpolitische Aufgaben des Reiches (siehe Kap. II. 5.1.) die Haltung des Ministeriums auf den Punkt. 35 In der für die Nationalversammlung verfaßten, später publizierten Schrift, die als Plädoyer für den einheitlichen Bildungsgedanken mit dem Ziel der nationalen Identitätsstiftung durch Kultur und Kunst zu lesen ist, sprach sich Becker in Anlehnung an ausländische Vorbilder 3 6 für eine zentral koordinierte Kultur- und Kunstpolitik aus, die er idealer Weise vom Reich getragen wissen wollte. 3 7 Dem stellten sich jedoch die fehlenden Rahmenbedingungen im Reich und Bedenken wegen einer Nivellierung kultureller Eigenheiten der Länder entgegen. 38 Daher plädierte Becker für eine Kompromißlösung 3 9 : Das preußische Kultusressort als Zentralinstanz des größten Landes sollte wie vor 1918 weiterhin die tragende Rolle in der deutschen Kulturpolitik spielen - zumal es über die nachgeordneten Institutionen verfüge, und man in Preußen in der Verwaltung unterschiedlicher Regionen geübt sei.40 Daneben setzte Becker auf eine Kooperation der Länder. 41 Überdies sollte das Reich aktiv in die deutsche Kulturpolitik einbezogen werden - und zwar als koordinierende Kraft, die die Länderaktivitäten auch finanziell unterstützen und Normativbestimmungen erlassen sollte. 42 Dazu sollte ein Reichskulturamt eingerichtet werden, zunächst genüge aber auch
35
36
37 38 39 40
41 42
Nr. 7189; Becker: Kulturelle Selbstbehauptung, in: Neue Europäische Zeitung, 22.11.1918, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7676; siehe auch Abteilung für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung beim Reichsamt des Innern, o.D., ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1764; Memorandum betreffend die Neuorganisation der Kultusverwaltungen im Reich und in Preußen, Adolf Morsbach an Becker, o.D. [vor 1920], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 5492; Max Dessoir: Das Reichskulturamt, in: Voss. Ztg., 25.2.1919, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7258. Vgl. dazu auch Müller 1991, S. 251-272; Heffen 1986, S. 36-41; Campbell 1981, S. 147 f; Speitkamp 1996, S. 172-175; Speitkamp 1994, S. 547-551; Eimers 1969, S. 203 f; Erwin Ackerknecht: [Zu Becker 1919 a], in: Bildungspflege, Jg. 1, Nr. 3, 1.12.1919, S. 101-104, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1664; Vertreter der DVP, 1920, in: LV, Dr. 3530, S. 6325 f. Vgl. Becker 1919 a, S. 13 f, wo auf die zielbewußte amerikanische, britische, französische, spanische und dänische Kulturpolitik hingewiesen wurde; siehe dazu ζ. B. auch Becker: Vorschläge für eine Vereinfachung der kulturpolitischen Doppelarbeit im Reich und in Preußen, o.D., hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1380. Becker 1919 a, S. 7-10, 12-18, 37 u. 41 f. Vgl. ebd., S. 9-12, 24 u. 28 f; vgl. auch Oelze (DNVP), 10.12.1921, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 5719 u. 5721-5724. Vgl. dazu Becker 1919 a, S. 20 f. Ebd., S. 9-11, 14 f u. 30; zur Rolle Preußens vgl. auch Max Dessoir: Das Reichskulturamt, in: Voss. Ztg., 25.2.1919, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7258; Vertreter der DVP u. Becker, 1920, in: LV, Dr. 3530, S. 9325-6328; Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6782; Müller 1991, S. 251-253 u. 266 f; Eimers 1969, S. 203. Becker 1919 a, S. 33. Ebd., S. 11 f, 18-20, 23, 30-33 u. 42-44; vgl. dazu auch Becker u. Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1808 u. 1815-1817; Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6782; Müller 1991, S. 267; Heffen 1986, S. 36-41; Speitkamp 1994, S. 552 f.
248
II. Neuorientierung
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
eine Abteilung beim Reichsinnenministerium. 43 Mit dem Auswärtigen Amt sei zudem eine Koordination der Kulturpolitik anzustreben. 44 Insgesamt fügte Becker die Forderung nach einer Reichszentrale, die Länderkulturhoheit, den nationalen Anspruch und das Bemühen um die preußische Position zu einem neuen verwaltungstechnischen Modell zusammen, durch das er eine stringente Politik im Sinne des Kulturgemeinschaftskonzepts gewährleisten wollte. Speziell für die Kunstpolitik postulierte er: 1. eine starke preußische Kunstverwaltung, 2. eine Länderkooperation auf der Basis von Kunstkonferenzen und 3. eine Kunststelle im Reich. 45 Beckers Schrift förderte damit zunächst das seit April 1919 belegbare Bemühen um die Etablierung einer zentralen Kunstberatungsinstanz im Reich, die schließlich im Dezember 1919 zur Ernennung des Stuttgarter Museumsmannes Edwin Redslob zum Reichskunstwart führte. 46 Ob das Kultusministerium jenseits der theoretischen Wegbereitung auch eine praktische Rolle bei der Einrichtung und Besetzung spielte, ist nicht nachweisbar. Die Konstituierung des Amtes unter dem Einfluß des Werkbundes und Jäckhs kam den Vorstellungen des Ministeriums jedoch sicher ebenso entgegen wie die Berufung des erst 35jährigen linksliberalen Werkbundmitglieds Redslob (siehe Kap. II. 5.I.). 47 Die süddeutschen Länder, die sich mit Ausnahme von Württemberg dem Reichskunstwart gegenüber eher skeptisch positionierten, argwöhnten gar ein Zusammengehen von Reich und Preußen, das zu einer erneuten Bevormundung von Berlin aus führen werde. 48 Tatsächlich war das Kultusministe-
43 Becker 1919 a, S. 37 u. 42; vgl. dazu auch Becker: Kulturpolitik des Reiches, Vertragsentwurf für die Deutsche Gesellschaft 1914, 2.6.1919, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7189; Speitkamp 1996, S. 172 u. 174 f. 44 Becker 1919 a, S. 15 f , 29 f u. 37 f. 45 Ebd., S. 27-30, 37 u. 42. Becker sah dabei gerade für die Kunst das Wechselspiel zwischen Reich und Ländern als wesentlich an, vgl. Becker Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807 f; zur preußischen Rolle vgl. auch Waetzoldt 1933, S. 84 f. 46 Zum Reichskunstwart vgl. ausführlich Heffen 1986; Laube 1997; Speitkamp 1994; siehe auch JustiMemoiren 1999, Bd. 2, S. 238 f; Daweke / Schneider 1986, S. 123-125; zur Bedeutung der BeckerSchrift in diesem Zusammenhang vgl. Speitkamp 1994, S. 541 u. 547-554; Heffen 1986, S. 36-41; Becker 1919 a, S. 42; zu den Reaktionen auf die Einsetzung vgl. Ein Reichskunstwart, in: Ku.wart, Jg. 33/2, Nr. 8, Jan. 1920, S. 87 f; BT, Jg. 49, Nr. 1, 1.1.1920; Nr. 7, 5.1.1920; Nr. 22, 13.1.1920; Der künstlerische Berater der Reichsregierung, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 15, 9.1.1920, S. 312; Ein Reichskunst-Rat, in: W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 15,12.1.1920, S. 102; Ψ. d. Ku., Jg. 19, Nr. 16, 19.1.1920, S. 108; Nr. 17, 26.1.1920, S. 117; Glaser: Der „Reichskunstwart", in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 17, 23.1.1920, S. 351-353. 47 Zum Konnex zwischen Werkbund und Reichskunstwart vgl. Heffen 1986, S. 27-35 u. 41-46; Niederstadt 1982 a, S. 29 f; Speitkamp 1994, S. 553 f; Laube 1997, S. 17-28, 32,34 f, 40 u. 62-65; Campbell 1981, S. 146-148; Edwin Redsob: Grundgedanken für die Arbeit des Reichskunstwarts, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 5, 28.10.1921, S. 75-78; K.: Die Tätigkeit des Reichskunstwarts, in: Ku.chr., Jg. 58/1, Nr. 21, 23.2.1923, S. 413 f; zu Redslob vgl. Speitkamp 1994, S. 553 f; Laube 1997, S. 25 f; Heffen 1986, S. 46-51; Redslob 1972. Wichtig erscheint hier nicht zuletzt, daß Waetzoldt Redslob persönlich wie fachlich nahestand, vgl. Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung und Reichskunstwart, 8.3.1920, ms., S. 1 u. 3 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8281. 48 Vgl. Laube 1997, S. 28-31 u. 34 f; Speitkamp 1994, S. 556-560; Speitkamp 1996, S. 215 f; Nieder-
6. Neuorganisation
der Kunstverwaltung
249
rium gegenüber dem Reichskunstwart bei aller Affinität allerdings stets auf Eigenständigkeit bedacht.49 Darüber hinaus war die Reichskunstwartstelle jedoch in jedem Fall als erster Schritt in Richtung der von Becker angestrebten konziseren Kunstpolitik zu verstehen.50 Daneben konnten etwa die Einsetzung eines Reichsetats für Kunst und Wissenschaft auf Anregung Beckers 51 sowie die seit 1920 veranstalteten Kunstkonferenzen der Länder52 als Errungenschaften im Sinne Beckers gelten. Waren damit auf Reichsebene bald wesentliche preußische Organisationsforderungen erfüllt worden, galt das Interesse des Kultusministeriums daneben weiter einer Stärkung vor allem der preußischen Kunstverwaltung. Angesichts der Verquickung des Ideals einer starken Kultur- und Kunstpolitik mit der Forderung nach strafferen Verwaltungsstrukturen wurde hier mittlerweile auch im preußischen Kontext immer offensiver national argumentiert. Deutlich wurde dies etwa, als die Denkschrift vom Februar vermutlich im März oder April 1919 in ergänzter Form publiziert wurde.53 Neben dem endgültigen Verzicht auf ein geistliches Ministerium wurde hier speziell die nationale Relevanz des angestrebten preußischen Kunstministeriums betont. So fand sich in der Druckversion der Zusatz: „Wirtschaftliche und soziale Gründe führen heute mehr denn je zu einer Zusammenfassung aller geistigen Kräfte, [...] zu einer einheitlichen Pflege der angewandten neben der freien Kunst. Soziale und allgemein-politische Gründe fordern [...], daß die sittlichen Werte, die in dem heimischen Kunstbesitz und Kunstschaffen liegen, weitesten Kreisen ganz anders als bisher zugänglich gemacht, daß sie in den Dienst der künstlerischen Volksbildung gestellt werden. Das führt zur Begründung eines Ministeriums für Kunst". 54 Wie das Valentiner-Gutachten
schrift über Besprechung Aufstellung
der Verordnung
eines Reichskunstwarts,
vom 11.12.1919
betr. Ausfuhr von Kunstwerken
und
5.1.1920, ms., S. 26 f, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode,
Nr. 431; Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung
und Reichskunstwart,
8.3.1920, ms., S. 1, in:
GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281; W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 19, 9.2.1920, S. 131. 49 Vgl. Speitkamp 1994, S. 559-561; Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung
und
Reichskunstwart,
8.3.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281; Niederschrift über Besprechung der Verordnung vom 11.12.1919
betr. Ausfuhr von Kunstwerken und Aufstellung eines Reichskunstwarts,
5.1.1920, ms., S. 34-36, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431; vgl. dazu auch Abschr. Haenisch an Präsident Staatsministerium, 26.6.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 50 Siehe dazu auch Glaser: Der „Reichskunstwart",
in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 17, 23.1.1920, S. 351-353;
Bollert (DDP), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7284-7290; Heffen 1986, S. 76. 51 Vgl. Speitkamp 1996, S. 184; Abelein 1968, S. 58 f; siehe dazu auch Regierungsvertreter, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1815-1817. 52 Vgl. Waetzoldt 1921, S. 42; Niederschrift über Besprechung der Verordnung vom 11.12.1919 Ausfuhr
von Kunstwerken
und Aufstellung
eines Reichskunstwarts,
betr.
5.1.1920, ms., S. 26 f, in:
SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431; BT, Jg. 49, Nr. 170, 13.4.1920; Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 21, 18.2.1921, S. 418 f; siehe dazu auch den Hinweis auf die nicht erhaltene Akte des Kultusressorts zu Kunstkonferenzen der Bundesstaaten 1920-24 in Findbuch GStA PK, I. H A Rep. 76, V e . 53 Vgl. auch KM: Kunstabteilung,
[Juni 1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 242-243,
Bl. 242 r. 54 Teilung des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (Kultusministerium),
[1919/
20], gedr., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1770 u. SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 340.
250
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
erläuterte die Druckversion nun auch die ökonomische Relevanz der Kunst. Zunächst wies sie das Argument zurück, „daß im gegenwärtigen Augenblick in erster Linie nicht künstlerische, sondern wirtschaftliche Erwägungen maßgebend sein müssen" - es zeige sich nämlich immer wieder, „wie geschmackliche Vollendung nicht von der Größe des Aufwands, sondern von der geistigen Beherrschung der Form und des Materials abhängen [sie]. Der künstlerisch Denkende arbeitet deshalb ökonomischer als der reine Unternehmer." 55 Gleichzeitig betonte man: „Mehr als je sind wir unter den heutigen Arbeits-, Rohstoff- und Valutaverhältnissen darauf angewiesen, hochwertige Qualitätsarbeit zu leisten, [...] z.B. [in] der Textil-, der keramischen, der Papierindustrie, der Fabrikation von Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen." Der preußischen Kunstverwaltung schrieb das Ministerium Haenisch dabei eine entscheidende nationale Leitfunktion zu. Es gelte hier, dem Vorbild Frankreichs zu folgen, „das nach der Niederlage von 1870/71 durch zielbewußtes Handeln dieser Art zum Beherrscher des Weltmarkts auf dem Gebiet der künstlerisch orientierten Industrien geworden ist." 5 6 Hatte das Ressort seinen Anspruch auf eine stringente Organisation der preußischen Kunstverwaltung so in teilweise wortgetreuer Adaption des Valentiner-Textes mit dem Ziel des nationalen Wiedererstarkens nach dem Krieg verknüpft und hatte es in diesem Kontext zunächst weiterhin für ein Kunstministerium plädiert, kam man seit Mitte 1919 immer mehr von der Idee ab, ein solches Ministerium gründen zu wollen.57 Zumal sich die Vereinigung sämtlicher Unterrichtsbelange beim Kultusministerium, die Bedingung für eine Abspaltung der Kunst gewesen war, nicht durchsetzen ließ, suchte man seinen kunstpolitischen Zielen, wohl auch der zeitgenössischen Skepsis nachgebend, fortan durch einen Ausbau der bestehenden ministeriellen Kunstabteilung gerecht zu werden.58 Wie ein Antrag der Abteilung vom Juni 1919 zeigt, der vor nationalem Hintergrund eine Neuorganisation der preußischen Kunstverwaltung forderte, strebte man eine Verbesserung der Personalstruktur der Abteilung durch zusätzliche Stellen und eine Aufstockung des Abteilungsleiterpostens an (siehe Kap. II. 1.2.). Zentral blieb auch in diesem Zusammenhang der Hinweis auf „die schädliche Zersplitterung dieser staatlichen Verwaltungszweige zwischen 4 - 5 Ressorts, [...] die hindrängt auf eine Vereinigung des Bauwesens, der freien Kunst und der angewandten Kunst." 5 9 Die Bauabteilung wurde daher quasi selbstverständlich in die Planungen für eine Neuorganisation der Kunstabteilung einbezogen.60 Das Ideal einer starken preußischen
55 Ebd., S. 3. 56 Ebd., S. 4; vgl. dazu später auch Waetzoldt 1921, S. 44 f. 57 Vgl. dazu auch Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806 f. 58 Vgl. ebd., S. 1807. 59 KM: Kunstabteilung,
[Juni 1919], ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 242-243, Bl. 242 r.
60 Vgl. Becker an Haenisch, 19.8.1919, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 8-11; Entwurf Ak. d. Kü„ Senat Kunstsekdon an KM, 12.9. [1919?], hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 53; siehe dazu auch Zusammenstellung
derjenigen Verwaltungsgeschäfte, die bei Ό ebergang der Hochbauabteilung
auf das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung übergehen
mit
würden, Nentwig an
Becker, 5.9. [1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H . Becker, Nr. 1772.
6. Neuorganisation der Kunstverwaltung
251
Kunstinstanz hatte damit Bestand. Nur was die Umsetzung anging, verschoben sich die Akzente: Als Lösung schwebte dem Ressort nun die Einrichtung eines Direktorats oder eines Unterstaatssekretariats für Kunst innerhalb des Kultusministeriums vor.61 In der zweiten Hälfte des Jahres 1919 konzentrierte sich das Ressort verstärkt auf die Realisierung dieser Pläne. Nachdem die Angliederung des Theaterbereichs vom Innen- an das Kultusministerium im Herbst 1919 wahrscheinlich als zusätzlicher Katalysator gewirkt hatte,62 galt das Interesse hier primär einer Einbindung der Bauverwaltung in das Ressort. Die Situation schien dafür günstig, da das preußische Arbeitsministerium nach dem Übergang des Eisenbahn- und Wasserbauwesens auf das Reich 63 zur Disposition stand und ohnehin über den Verbleib der dortigen Hochbauabteilung diskutiert werden mußte. In den Verhandlungen unterstrich das Kultusressort vehement seinen Anspruch auf die Bauverwaltung. Grundlegend war vor allem ein Text der Kunstabteilung vom November 1919, der die Relevanz einer zentralen Kunst- und Bauverwaltung zunächst begründete: „Die Ge[s]chichte der Kunstentwickelung [sie] in Preußen vor 100 Jahren lehrt ja, wie sich in einer materiell überaus eingeschränkten Zeit doch ein reiches künstlerisches Leben dadurch hat entfalten können, daß eine Durchdringung auch der bescheidensten Aufgabe mit künstlerischem Geiste gelang. Sie gelang, weil auch die kleineren Meister auf der festen Grundlage eines vom Barock her überlieferten Zusammenarbeitens aller freien und angewandten Künste standen. Heute fehlt diese Tradition. Deshalb bedarf es wieder eines planmäßigen und bewußten Zusammenfassens aller Kräfte. Dazu gehört aber auch eine Eingliederung des Bauwesens in das allgemeine Kunstwesen, der Baupolitik in die Kunstpolitik". 64 Zuvor geäußerten Bedenken gegenüber betonte man, Zweck der Angliederung der Bauverwaltung an das Kultusministerium sei nicht etwa die dekorative Ausstattung von Staatsbauten mit Bildern und Plastiken. Es gehe vielmehr darum, im Zusammenwirken der Künste die Qualität der Bauten an sich zu verbessern.65 Zudem würde die Vereinigung von Bau- und Kunstverwaltung „den freien Künsten, Malerei, Plastik zum Segen gereichen. Diese haben losgelöst von dem Zusammenarbeiten mit der führenden Architektur teilweise eine ungesunde Entwicklung genommen. Es ist zu erwarten, daß ein enges Hand in Handarbeiten aller Künste auch unter dem Zwange der wirtschaftlichen Not [...] uns wieder zu einem deutschen Stil als anschaulichen Ausdruck nationalen Lebensgefühls gelangen lassen wird." 66 Die Angliederung der Bauverwaltung an das Wohlfahrts- oder Finanzressort hielt man demgegenüber für eine unbotmäßige Überbetonung der technischen Aspekte des Bauens. 67 Insgesamt interpretierte das Ressort die Vereinigung von Bau- und Kunstverwal-
61 Vgl. Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7326. 62 Vgl. dazu Becker, Ausschußmtgl. (Z) u. Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807, 1811 u. 1813; Rede Becker, 15.11. [1919], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6782; Heß (Z), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7272-7284. 63 Vgl. Preußen in Weimar 1982, S. 81. 64 Textentwurf Nentwig / KM an [Becker], 12.11. [1919], ms., S. 2, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1772. 65 Ebd., S. 2 f. 66 Ebd., S. 4. 67 Ebd., S. 5 f.
252
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
tung damit als Voraussetzung für die angestrebte Entwicklung eines neuen deutschen Stils (siehe Kap. II. 5.I.). 68 Verwaltungsfragen und nationalpolitische Ambitionen verschmolzen hier eng miteinander. Zuspruch für die ästhetische Sicht auf das Bauwesen 69 und die daraus folgende Beantwortung der Zuständigkeitsfrage erfuhr das Ressort aus Fachkreisen. Bruno Paul, Hans Poelzig, die Akademie der Künste oder die Kunstchronik stellten sich Ende 1919 hinter seine Bestrebungen. 70 Die anderen preußischen Ministerien verweigerten sich hingegen dieser Sicht. Offenkundig kollidierte das werkbundnahe ästhetische Gesellschaftskonzept mit den üblichen realpolitischen Prioritätensetzungen. Entsprechend äußerte sich Becker im Ausschuß der Landesversammlung Mitte November 1919 zu den Chancen einer Angliederung des Hochbaus an die Kunstverwaltung, er glaube nicht, „daß die Kultusverwaltung den Plan durchsetzen könnte, da von Seiten der Hochbauverwaltung sehr starke andere Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt würden. Er hoffe, welche Lösung auch beliebt werde, daß enge Beziehungen zwischen dem Kunstressort und dem öffentlichen Bautenressort sich in Zukunft entwickeln würden." 71 Hatte Becker hier noch auf ein eigenes Bauministerium gehofft, zeichnete sich in der folgenden Zeit ab, daß das Bauwesen in Preußen wie im Reich dem Finanzressort unterstellt werden würde. Im Plenum der Landesversammlung bezog Becker angesichts dessen im Dezember 1919 noch einmal schärfer Stellung. Unmißverständlich wies er auf die schlechte Qualität der Staatsbauten der letzten Jahrzehnte hin und interpretierte sie als Folge der Anlehnung der Architektur an die Technik seit Friedrich II. Das Kultusministerium als „das künstlerische Gewissen der Staatsregierung" sei bei dieser „verhängnisvollen" Entwicklung für ein Bauministerium oder eine Einbindung des Bauwesens in seine Zuständigkeit eingetreten.72 Nun aber bedeute die Angliederung an die Finanzverwaltung eine weitere Gefahr für die Kunst. Das Kultusressort spreche sich daher zusammen mit führenden Baukünstlern wie Behrens, Bestelmeyer, Hoffmann, Fischer oder Poelzig gegen eine solche Regelung aus.73 Zur Untermauerung legte Poelzig der Landesversammlung eine Werkbunddenkschrift vor, die ein Baureferat beim Kultusministerium forderte. 74
68 Ähnlich auch schon Teilung des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung
(Kultus-
ministerium), [Febr. 1919], ms., S. 5, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7190. 69 Grundlegend für diese Sicht Behrens 1919. 70 Vgl. Paul an Becker, 14.11.1919, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2249; Entwurf Ak. d. Kü., Senat Kunstsektion an KM, 12.9. [1919?], hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 53; Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 2,10.10.1919, S. 30 f; Denkschrift des Werkbundes zum staatlichen Bauwesen, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 14, 2.1.1920, S. 291 f; Curt Glaser: Bauverwaltung
und Baukunst, in:
Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 17, 23.1.1920, S. 342-344; siehe auch schon A. L. Mayer: Die
Kunstreformen
im Volksstaat Bayern, in: Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 7, 29.11.1918, S. 136-139; Fritz Stahl: Staatliche Kunstpflege, in: BT, Jg. 47, Nr. 622, 5.12.1918, S. 2. 71 Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1807. 72 Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7327 f. 73 Ebd., Sp. 7328 f. 74 Vgl. Denkschrift des Werkbundes zum staatlichen Bauwesen, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 14, 2.1.1920, S. 291 f.
6. Neuorganisation
253
der Kunstverwaltung
Seiner Denkschrift von Anfang 1919 folgend, beanspruchte das Ministerium Haenisch parallel dazu eine Zuständigkeit auch für den Kunstgewerbeunterricht. Während die preußischen Akademien auf der Basis der Idee der Einheit von freier Kunst, Kunstgewerbe und Architektur erneuert wurden (siehe Kap. II. 3.2.), erfuhr das Ressort in diesem Zusammenhang ebenfalls Unterstützung vor allem aus werkbundnahen Kreisen.75 Ein Antrag, der die Unterstellung des gesamten kunstgewerblichen Unterrichts unter das Kultusministerium forderte,76 rückte das Thema Ende 1919 auch in der Landesversammlung auf die Tagesordnung. So stark der Zuspruch zur Idee der nationalen Relevanz bildender Kunst dort aber auch war (siehe Kap. II. 5.), so klar zeichnete sich hier ab, daß dies keineswegs eine Übereinstimmung auch mit den Neuorganisationsplänen des Ressorts Haenisch bedeutete. DDP und DVP lehnten eine Angliederung des Bauwesens an das Kultusressort vielmehr kategorisch ab.77 Unter Hinweis auf die bewährte Politik des Handelsressorts positionierten sich beide Parteien darüber hinaus negativ zur Verwaltung des Kunstgewerbes durch das Kultusressort sowie zur Idee der zentralen Kunstinstanz.78 Die DNVP teilte zwar die Ansicht, daß freie Kunst und Architektur zusammengehörten, sprach sich aber gegen eine Einbindung des Kunstgewerbes ins Kultusressort aus.79 Nur SPD und Zentrum zeigten sich aufgeschlossen.80 Angesichts der Ablehnung der Ressorts und der unentschiedenen Haltung der Landesversammlung konnte Ende 1919 lediglich eine Trennung von Kunst und Wissenschaft im Etat wie innerhalb des Kultusministeriums durchgesetzt werden.81 Überdies wurde die Kunstabteilung personell aufgestockt. Mit Waetzoldt und Gall traten zwei Referenten in die Abteilung ein, die bald maßgeblich zu einer konturierteren Kunstpolitik des Kultusministeriums beitragen sollten. Gleichzeitig wandelte man die Kunstabteilung durch Beförderung Nentwigs zum Abteilungsdirektor faktisch in ein Direktorat um (siehe Kap. II. 1.2.). Das bedeutete ohne Zweifel bereits eine Stärkung der Kunstverwaltung. Aus den weitreichenden Plänen, die Kompetenzen der Kunstabteilung durch Angliederung der Bau- und der Kunstgewerbeverwaltung zu erweitern und die Abteilung so zu einer zentralen Kunst-
75 Vgl. Paul an Becker, 14.11.1919, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2249; Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 2,10.10.1919, S. 30 f; siehe auch Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7328. 76 LV, Dr. 1329, S. 1804. 77 Vgl. Ausschußmtgl. (DDP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1813; Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7343 f u . 7346-73450; siehe dazu auch Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7326-7328 u. 7331. 78 Siehe dazu auch Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7314 f u. 7317. 79 Vgl. Ausschußmtgl. (DNVP) u. Ausschußmtgl. (DNVP), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1808-1810 u. 1817; Ritter (DNVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7314 f u. 7317; siehe dazu später auch Ausschußmtgl. (DNVP), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7295. 80 Vgl. Lauscher (Z) u. Ausschußmtgl. (Z), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1805 u. 1811; Frank (SPD) u. Heß (Z), 4.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7261-7263, 7267-7269 u. 7272-7284. 81 Vgl. Becker, Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1806; Becker, 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7326 f; Becker: Vorschläge für eine Vereinfachung
der kulturpolitischen Doppelarbeit
im Reich und in
Preußen,
O.D., hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1380; LT, WP 1, HA, Szg. 61, Sp. 7 f; Müller 1991, S. 279.
254
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
instanz auszubauen, wurde jedoch nichts: Die Hochbauabteilung wurde trotz der Proteste dem Finanzministerium angegliedert,82 für die Kunstgewerbeschulen - außer für die Berliner und Breslauer Institutionen, die ohnehin dem Kultusressort unterstanden 83 - blieb das Handelsministerium zuständig.84 Während sich die kunstpolitische Kooperation zwischen Preußen und dem Reich in der Folgezeit keineswegs so problemlos gestaltete, wie es Becker 1919 vorgeschwebt hatte, und Preußen Mühe hatte, der nationalen Führungsrolle gerecht zu werden, 85 unternahm das Kultusressort 1920 einen erneuten Vorstoß in Richtung einer stringenteren Organisation der preußischen Kunstpolitik, der nun vor allem auf eine Behauptung Preußens gegenüber dem Reich abzielte. Ausgangspunkt dafür war eine Denkschrift Waetzoldts vom März 1920 zum Verhältnis von preußischer Kunstverwaltung und Reichskunstwart. Waetzoldt ging hier auf die große öffentliche Präsenz des Reichskunstwarts, dessen „fast diktatorische Machtbefugnisse" in der staatlichen Formgebung und dessen Bemühen um Einfluß auch auf den Hochbau ein. 86 Redslob werde immer wieder zu kunstpolitischen Stellungnahmen aufgefordert, zudem plane er eigene Ausstellungen. Damit greife der Reichskunstwart in preußische Zuständigkeiten ein. 87 Nun sei es jedoch keineswegs so, daß man sich in Konkurrenz sehe. Vielmehr stünden er und Redslob „auf ungefähr dem gleichem Boden wissenschaftlicher und künstlerischer Grundlagen". 88 Außerdem bemühe sich Redslob um eine Kooperation mit Preußen. Entsprechend sei er im Werkrat des Reichskunstwarts vertreten - hier aber begännen die Probleme: Der preußische Referent habe nämlich nicht das Mandat, als offizieller Kunstsachverständiger Preußens aufzutreten. 89 Vor diesem Hintergrund plädierte Waetzoldt dafür, das Staatsministerium solle für den Referenten das Amt eines „Landeskunstwarts", „Staatskommissars für Kunst" oder „künstlerischen Beraters der Staatsregierung" schaffen. 90 Der Amtsinhaber, forderte Waetzoldt, solle für alle preußischen
82 Vgl. Weiser 1996, S. 127; Becker, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7286; Niederschrift Besprechung
der Verordnung
vom 11.12.1919
betr. Ausfuhr von Kunstwerken
und
über
Aufstellung
eines Reichskunstwarts, 5.1.1920, ms., S. 27, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431. 83 Es handelte sich dabei um die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin und um die Breslauer Akademie für Kunst und Kunstgewerbe, vgl. Waetzoldt 1921, S. 86 f. 84 Vgl. Waetzoldt 1933, S. 82. 85 Vgl. Laube 1997, S. 61 f; Eimers 1969, S. 205-208 u. 412-414; Speitkamp 1996, S. 215; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 398. So kollidierten die Ansprüche etwa in der Rheinlandpolitik (siehe Kap. II. 5.2.). Zudem begegnete auch das Auswärtige Amt den preußischen Ambitionen mit Skepsis, vgl. Düwell 1976, S. 8 3 - 8 5 u. 208 f; Düwell 1981, S. 47 f. In der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes war seit Ende 1918 Johannes Sievers Kunstreferent, der zuvor in der preußischen Kunstabteilung beschäftigt gewesen war, vgl. Ku.chr., Jg. 54/1, Nr. 4, 8.11.1918, S. 87; W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 9, 1.12.1919, S. 60; Sievers 1966; Speitkamp 1996, S. 2 1 4 - 2 1 7 u. 173-177. 86 Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 87 Ebd., S. 2 f. 88 Ebd., S. 3. 89 Ebd., S. 3 f. 90 Ebd., S. 5.
und Reichskunstwart, 8.3.1920, ms., S. 1 f, in: GStA PK,
255
6. Neuorganisation der Kunstverwaltung
Ressorts maßgeblicher Kunstberater sein und, unter dem Schutz des Kultusministeriums stehend, über das „Recht selbständigen unmittelbaren Verkehrs mit Behörde, Presse und Oeffentlichkeit" verfügen. Für ein sinnvolles Wirken sei „eine wesentliche Erhöhung des Landeskunstfonds und Angliederung eines Fonds für Staatsaufträge nichtmonumentaler Art" notwendig.91 Auch sei für zusätzliche Infrastruktur zu sorgen.92 Die Bedeutung seines Anliegens unterstrich der Kunstreferent abschließend: „Kann sich die preussische Staatsregierung nicht entschliessen, einen kunstwissenschaftlichen Fachmann mit der Wahrnehmung ihrer Interessen dem Reiche gegenüber zu betreuen [sie] und in Preussen selbst die künstlerische Beratung in eine Hand zu legen, so wird der Reichskunstwart notgedrungen über Preussens Wünsche und Interessen hinweggehen müssen [...]. Schlimmer aber noch und für das Ansehen Preussens als führenden Kulturstaat entscheidender dürfte es sein, dass bei einer der nächsten Gelegenheiten [...] das Reich als die in künstlerischen Dingen führende Macht, Preussen dagegen als der in Ungeschmack und in der Kunstpflege hinterherhinkende Staat - wofür er weiten Kreisen immer noch gilt - in der Oeffentlichkeit gegeneinander ausgespielt würden." 93 Im Juni 1920 reichte Haenisch die Denkschrift an seine Kabinettskollegen im Staatsministerium zur Entscheidung weiter. Im Begleitschreiben stellte er sich hinter Waetzoldts Forderungen. Er monierte das Fehlen „einer einheitlichen Handhabung künstlerischer Angelegenheiten" in Preußen in Folge der Verteilung kunstpolitischer Kompetenzen auf drei Ressorts 94 und betonte, daß es viele Themen vom Luxussteuerprotest (siehe Kap. II. 5.2.) bis zur Formgebung gebe, die eine dem Reichskunstwart vergleichbare Stelle auch für Preußen erforderlich machten. Um die kunstpolitische Rolle Preußens gegenüber dem Reich zu wahren und ein „Odium der Rückständigkeit" zu vermeiden,95 empfahl er, „der Einrichtung einer Landeskunstwartstelle für Preussen baldigst näher zu treten." 96 Ausdrücklich wies er auf den Zuspruch hin, den die Pläne aus Fachkreisen erfuhren. Als Referenzen nannte er eine Stellungnahme des Werkbundes, einen Kunstchronik-Aufsatz Glasers 97 sowie ähnliche Bestrebungen in Sachsen. Gleichzeitig war es Haenisch wichtig, das mini91 Ebd., S. 6. 92 Waetzoldt forderte hier (ebd.) „zum mindesten die Beigabe einer Schreibmaschinenkraft und Zuweisung eines Zimmers, in dem mehr als 2 Stühle und ein Mitteltisch sich befinden [...]. (Wenn der Kunstreferent zur Zeit mehr als 3 Personen bei sich zu sehen wünscht, muss er die Liebenswürdigkeit eines Kollegen in Anspruch nehmen, der über entsprechenden Platz verfügt.)" Z u m Vergleich siehe Laube 1997, S. 4 7 - 5 9 . 93 Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung
und Reichskunstwart,
8 . 3 . 1 9 2 0 , ms., S. 6 f, in: GStA PK,
I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 94 Abschr. Haenisch an Präsident Staatsministerium, 2 6 . 6 . 1 9 2 0 , ms., S. 1, in: GStA P K , I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 95 Ebd., S. 2. 96 Ebd., S. 3. 97 Ebd., S. 1 f. Beim Glaser-Aufsatz handelte es sich wohl um C u r t Glaser: Reform Kunstpflege,
der
staatlichen
in: Ku.chr., Jg. 5 5 / 1 , Nr. 22, 2 7 . 2 . 1 9 2 0 , S. 4 3 8 - 4 4 1 ; zur Politik des sächsischen Mini-
sterialdirektors Schmidt vgl. Curt Glaser: Reform
der staatlichen Kunstpflege,
Nr. 22, 2 7 . 2 . 1 9 2 0 , S. 4 3 8 - 4 4 1 ; Paul Sorgenfrei: Staat und Kunstpflege, 1 5 . 3 . 1 9 2 0 , S. 161 f; P.S.: Das Kapitel „Sammlungen
in: Ku.chr., Jg. 55/1,
in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 24,
für Kunst und Wissenschaft"
im
sächsischen
II. Neuorientierung
256
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
sterielle Engagement anders als das des Reichskunstwarts nicht allzu sehr als vom Werkbund beeinflußt erscheinen zu lassen.98 Er wollte die Pläne vielmehr als Anliegen seines Ressorts wahrgenommen wissen." Nachdem der Antrag zunächst unbeantwortet geblieben war,100 drängte das Kultusministerium im September 1920 im Kontext des Kompetenzkonflikts zwischen Reich und Preußen im Rheinland (siehe Kap. II. 5.2.) erneut auf die Schaffung der Landeskunstwartstelle.101 Wie die Bestrebungen von 1919 stieß jedoch auch die Landeskunstwartidee auf Widerstand in der preußischen Regierung. Vor allem das Finanzministerium trat als Gegner der Ambitionen des Kultusressorts auf. Ersten Aufschluß darüber geben die Randnotizen, mit denen das Finanzressort Haenischs Antrag vom Juni 1920 kommentierte. Den Reichskunstwart wertete man hier in Anlehnung etwa an Bode 102 als „kümmerlichen Versuch des Reiches, auf dem bisher nicht zu seiner Zuständigkeit gehörigen Kunstgebiet Fuß zu fassen, den die Länder durcha[us] nicht nachzuäffen brauchen, sondern dem gegenüber sie auf ihre Institutionen verweisen können." 103 Staatliche wie .richtige' Kunstpflege sei immer eine zweifelhafte Sache - „Beratung und Zensur einer amtl[ichen] Stelle" werde sich die Kunst ungern gefallen lassen. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Finanzlage erteilte man den Plänen des Kultusministeriums eine klare Absage: „Für Stärkung des Landeskunstfonds pp. haben wir auf lange Jahre kein Geld, [...] noch weniger für einen Kunstkadi." 104 Die übrigen Minister begegneten der Idee offenbar keineswegs derart negativ.105 Nachdem das Handelsressort schon für den Antrag votiert hatte, bemühte sich das Finanzministerium jedoch gezielt darum, die anderen Ministerien auf seine Seite zu ziehen.106 Da das FinanzLandtag, in: Ku.wan., Jg. 4, 2. Aug.-Nr. 1922, S. 552; zur Werkbund-Haltung siehe z.B. auch Denkschrift des Werkbundes zum staatlichen Bauwesen, in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 14, 2.1. 1920, S. 291 f. 98 Abschr. Haenisch an Präsident Staatsministerium, 26.6.1920, ms., S. 3, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 99 Vgl. dazu auch Speitkamp 1996, S. 217; Speitkamp 1994, S. 560. 100 Vgl. Vermerk FM, Sept./Okt. 1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 101 Vgl. Abschr. KM an alle preußischen Ministerien, 7.9.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281; siehe dazu auch den Hinweis auf die nicht erhaltene Akte des Kultusministeriums Der preußische Kunstwart und seine Befugnisse, 1920, in Findbuch GStA PK, I. H A Rep. 76, V e . 102 Vgl. Bode: Die Kunstverwaltung
in den deutschen Staaten und die Pläne zu ihrer Reform, in: Der
Tag, 14.4.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 398; zur Kritik am Reichskunstwart siehe auch Reichsadler,
Reichskunst
usw. oder:
Woher
kommen
die Mißerfolgef,
in:
Ku.wart,
Jg. 33/3, Nr. 21, Sept. 1920, S. 407-413. 103 Notizen FM, o. D., hs., auf Abschr. Haenisch an Präsident Staatsministerium, 26.6.1920, ms., S. 2, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281; vgl. dazu auch RMdl an FM, 11.5.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 104 Notizen FM, o.D., hs., auf Abschr. Haenisch an Präsident Staatsministerium, 26.6.1920, ms., S. 3, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 105 Vgl. Abschr. Minister der öffentlichen Arbeiten Oeser an Präsident Staatsministerium, 16.10. 1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 106 Vgl. Notizen F M (Dulheuer), 14.10.1920, hs., auf Vermerk FM, 13.10.1920, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281; siehe dazu auch Vermerk FM, Sept./Okt. 1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281.
6. Neuorganisation
der
Kunstverwaltung
257
argument nur bedingt griff,107 suchte es vor allem inhaltlich zu überzeugen. Seine Haltung präzisierte das Finanzressort im Oktober 1920 in einem offiziellen Statement, in dem es, an seine Randnotizen anknüpfend,108 die Fragwürdigkeit der Institution Reichskunstwart wegen deren uferlosen Ansprüchen und mangelnden Effektivität auf Grund des Fehlens nachgeordneter Einrichtungen betonte. Zudem meldete es generelle Bedenken dagegen an, „die Vertretung künstlerischer Gesichtspunkte gegenüber amtlichen Stellen in die Hand einer einzelnen Persönlichkeit, noch dazu einer künstlerisch einseitig orientierten, zu legen". 109 In Preußen fehle der Anlaß für eine solche Instanz, da hier bereits mehrere Stellen mit Kunstfragen betraut seien. Warum eine weitere Stelle zwischengeschaltet werden solle, sei nicht nachvollziehbar. Außerdem stehe kein Geld dafür zur Verfügung. Statt dessen sprach sich das Finanzressort für eine stärkere Gewichtung der preußischen Position gegenüber dem Reich durch die bestehenden Ministerien und für eine sorgfältigere Auswahl der Kunstbeamten aus. Abschließend unterstrich es: „Einer ausgiebigen Betätigung der Verwaltung nach künstlerischer Richtung, namentlich bei Staatsbauten, steht allerdings für lange Zeit eine immer trostloser sich gestaltende Lage der Staatsfinanzen entgegen." 110 Auch in der Landeskunstwartfrage kollidierte der ästhetische Anspruch des Kultusressorts also mit einem an etablierten Strukturen orientierten Politikverständnis. Vordergründig instrumentalisierte das Finanzministerium in dieser Situation die Gefahr der Kunstbevormundung gegen die Vision einer stringenten Kunstpolitik, die vom Anspruch her jenseits einseitiger Reglementierungen funktionieren sollte (siehe Kap. II. 4.2.). Im Hintergrund ging es dabei jedoch weiterhin um die Interessenkonflikte, die schon 1919 deutlich geworden waren.111 Neuralgischer Punkt war nach wie vor die umstrittene Zuständigkeit für das Hochbauwesen. Nachdem der Reichskunstwart Einfluß auf Baugestaltungen beanspruchte 112 und im Werkbundumfeld eine Zuständigkeit auch der Kultusministerien für
107 Entsprechend gab das Finanzministerium (in Vermerk FM, 13.10.1920, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281) zu bedenken, „dass der Mangel an Mitteln nur bei bestimmten Stilarten der künstlerischen Ausgestaltung hinderlich ist. Bei einer Kunst, welche ihren Beruf in der geistig-künstlerischen Durchdringung der praktischen Aufgaben sieht, die also auch das bescheidenste Gebäude durch vornehmst abgewogene Proportionen der Baukörper, der Fenster- und Türöffnungen, des Daches usw. zu veredeln vermag, spielt der Mangel an Mitteln kaum eine Rolle. Der beste Beweis dafür ist, dass die künstlerisch vornehmsten Bauten in der Gegend von Berlin zur Zeit der größten Armut des Staates entstanden sind (Schinkel, Gilly usw.)." 108 Vgl. dazu später auch Vermerk FM, Sept./Okt. 1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 109 FM an Präsident Staatsministerium, 22.10.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 110 Ebd. 111 Vgl. dazu Vermerk FM, Sept./Okt. 1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 112 Vgl. Heffen 1986, S. 55 f; siehe dazu auch Niederschrift 11.12.1919
betr. Ausfuhr von Kunstwerken
über Besprechung der Verordnung
und Aufstellung
eines Reichskunstwarts,
vom
5.1.1920,
ms., S. 26 f, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 431; BDA an Köbner (RMdl), 12.12.1919, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8962, Bl. 71; Glaser: Der „Reichskunstwart",
in: Ku.chr., Jg. 55/1, Nr. 17,
23.1.1920, S. 351-353; Redslob an Waetzoldt, 9.2.1921, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 7.
II. Neuorientierung
258
der ministeriellen
Kunstpolitik
1918-21
diesen Bereich gefordert wurde,113 vermutete das Finanzministerium hinter den Landeskunstwartplänen offenbar nicht zu Unrecht ein fortgesetztes Interesse des Kultusressorts an der Hochbauabteilung. 114 Demgegenüber beharrte es auf seiner Zuständigkeit für das Bauwesen,115 bestritt die künstlerische Rückständigkeit von ihm verantworteter Bauten 116 und verweigerte sich eben auch der Einsetzung eines Landeskunstwarts, der als Wegbereiter der Ambitionen des Kultusministeriums gesehen wurde. Dem Ministerium Haenisch gelang es nicht, sich gegen das Finanzministerium durchzusetzen. Zur Schaffung der Landeskunstwartstelle kam es nicht. Eine tiefgreifende Neuorganisation der Kunstverwaltung war damit endgültig an Konkurrenzen zwischen den Ressorts gescheitert. Als Zugeständnis an das Kultusministerium war lediglich die Berufung eines Kunstexperten ins Finanzressort 1919/20 zu sehen.117 Auf Grund seiner Zuständigkeit für die zeitgenössische Kunst übernahm Waetzoldt auch ohne offizielles Mandat zudem in der Praxis schon bald Funktionen, wie sie für den Landeskunstwart gefordert worden waren. Die enge Zusammenarbeit des Referenten mit Redslob, 118 Waetzoldts Rolle bei der Gestaltung des Preußenadlers (siehe Kap. III. 6.2.), seine Präsenz in der Öffentlichkeit, aber auch die Außenwahrnehmung seiner Person wiesen deutlich in diese Richtung. 119 Später legte die bereits 1920 geforderte Aufstockung des Landeskunstfonds' tatsächlich die Basis für eine pointiertere Kunstförderung in Preußen (siehe Kap. III. 6.). Diese Entwicklungen stellten jedoch allenfalls eine kompromißhafte Umsetzung der viel weiter reichenden Ambitionen von 1919/20 dar. In der Folgezeit sprach sich vor allem Waetzoldt daher immer wieder für eine zentrale Kunstinstanz in Preußen aus. Als prägnante Beispiele dafür können die Plädoyers in
113 Vgl. Hoher Rat deutscher Baukunst, o.D. [Ende 1919?], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 114 Vgl. dazu Vermerk FM, Sept./Okt. 1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281; siehe auch Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung
und Reichskunstwart, 8.3.1920, ms., S. 7, in: GStA
PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 115 Vgl. dazu auch Bauabteilung FM, 8.3.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154. 116 Vgl. Uber (Bauabteilung [FM]), 8.10.1920, ms. u. FM an Präsident Staatsministerium, 22.10.1920, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281; siehe dazu auch Vermerk FM, 13.10.1920, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281. 117 Vgl. dazu Becker, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7286. Den Posten übernahm der Kunsthistoriker Paul Gustav Hübner (siehe Kap. III. 1.). 118 Vgl. dazu Redslob an Waetzold[t], 8.2.1921, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 8: „Da sich fast täglich Dinge ergeben, die ich mit Ihnen besprechen möchte, scheint es mir das Beste, wenn ich Ihnen zwischen dem Aufdiktieren immer gleich die Fragen notiere, die Gemeinsames unserer Arbeit betreffen oder die wir besprechen wollen." Siehe auch Abschr. Redslob an Allgemeine Deutsche Kunstgenossenschaft, 21.4.1920, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8969, Bl. 127; Waetzoldt an Redslob, 15.10.1920, hs., Redslob an KM, 4.11.1920, ms. u. Redslob an Waetzoldt, 9.2.1921, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 4 - 7 ; Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung
und Reichs-
kunstwart, 8.3.1920, ms., S. 3 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281; Heffen 1986, S. 65 f. 119 Vgl. dazu auch Justi an Becker, 1.2.1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2130.
6. Neuorganisation
der
Kunstverwaltung
259
Gedanken zur Kunstschulreform und in zwei Aufsätzen von Anfang 1922 gelten, die unter dem Beifall der Fachpresse eine mit breiten Kompetenzen ausgestattete Verwaltung als Voraussetzung für die Kunstschulreform postulierten.120 Waetzoldt forderte hier eine „Zentralinstanz, die zugleich die Kunstverwaltung des Staates überhaupt darstellt. Ob diese Zentralstelle als Abteilung innerhalb eines Ministeriums, als selbständiges Staatssekretariat (wie in Frankreich) oder als Kunstministerium organisiert ist, bleibt verhältnismäßig belanglos gegenüber der Notwendigkeit, daß ihr Geschäftsbereich wirklich alle an der kunsttechnischen Erziehung beteiligten Schultypen umfaßt." 121 Zur Zeit aber seien in Preußen „die natürlichen Zusammenhänge zwischen freier und angewandter Kunst, zwischen Baukunst hier und Malerei und Plastik dort zerrissen. Handwerk wie selbständige Kunst leiden gleichermaßen unter dieser ressortmäßigen Trennung des kunstgewerblichen und des KunstUnterrichtswesens. Immer wieder muß daher mit allem Nachdruck die Forderung erhoben werden, alle Bildungs- und Verwaltungsaufgaben aus dem Bereiche der Kunst in eine Hand zu legen. [...] Wirtschaftliche, soziale und allgemeine politische Gründe fordern heute ein zielbewußtes Zusammenfassen aller materiellen und geistigen Kräfte der Nation. Wir haben die Anarchie satt auch in der Kunst." 122 Mit Blick auf die ökonomische Relevanz der Kunst wurde dabei nach wir vor Frankreich zum Vorbild stilisiert, an dem es sich zu orientieren galt, wollte man sich gegenüber den ehemaligen Kriegsgegnern behaupten.123 Gleichzeitig wurde im Landtag 1922 über eine Unterstellung der Kunstgewerbeschulen unter das Kultusressort diskutiert.124 Trotz der Appelle125 und Bemühungen änderte sich am Status quo
120 Waetzoldt 1921, bes. S. 26-28, 39 f, 64, 7 0 - 7 6 u. 82-87; Wilhelm Waetzoldt: Die Reform des künstlerischen Bildungswesens,
in: Ku.wan., Jg. 4, 1. Febr-Nr. 1922, S. 243 f (Auszug auch in
SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 1); Wilhelm Waetzoldt: Die bildenden Künste im Rahmen der preußischen Verwaltung,
in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 20/21, 10./17.2.1922, S. 341-347 (auch in SAdK,
PrAdK, 2.2/289, Bl. 13); siehe dazu später auch Waetzoldt 1933, S. 85; zur Reaktion darauf siehe z.B. fst: Wilhelm Waetzoldt, in: BT, Jg. 49, Nr. 537, 24.11.1920; Cur: Glaser:
Kunstschulreform,
in: Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 11, 10.12.1920, S. 199-201; V. C. Habicht: Kunsterziehung,
in: Cie.,
Jg. 13, Nr. 2, Jan. 1921, S. 59; Ausschußmtgl. (DNVP), 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7295. 121 Waetzoldt 1921, S. 39. 122 Ebd., S. 40. 123 Ebd., S. 45; vgl. auch Herbert Gericke: Die bildenden Künste im französischen
Staatshaushalt
1921, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 17, 20.1.1922, S. 290-294; Heffen 1986, S. 76 f; Kuhn: Zur Reform der öffentlichen Kunstpflege in Preußen, in: Ku.chr., Jg. 59/2, Nr. 40/41, 9./16.1.1926, S. 625-628; Kestenberg: Probleme der preußischen
Kunst- und Theaterverwaltung,
4.3.1926, ms., S. 13, in:
GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1471; Waetzoldt 1933, S. 85. 124 Vgl. Kunert (USPD) u. Nentwig, 8.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 90, Sp. 19 f; Hoff (DDP) u. Oestreicher (SPD), 23.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7476-7479; LT, W P 1, Dr. 3490, S. 4 2 1 2 4215; siehe dazu auch Kuhn: Die Leitung der Kunstakademien
und Kunstgewerbeschulen
durch
Kunsthistoriker, in: Ku.chr., Jg. 58/2, Nr. 28, 13.4.1923, S. 547. 125 Unterstützt wurde das Kultusministerium dabei weiterhin aus der Fachwelt, vgl. dazu z.B. Otto Ewel: Denkschrift
zur staatlichen Kunstpflege,
Ewel an Staatsregierung, 28.8.1925, ms., in:
BArchB, R 32, Nr. 487, Bl. 1-12 u. BArchB, R 1501, Nr. 8699, Bl. 170-181; Justi an Becker, 1.2.1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2130; Ku. u. KU., Jg. 24, Nr. 6, März 1926, S. 247 f.
260
II. Neuorientierung
der ministeriellen Kunstpolitik
1918-21
von 1919/20 in den Weimarer Jahren aber nichts Grundlegendes mehr. Die angestrebte gemeinsame Verwaltung aller Künste blieb ein unverwirklichtes Ideal. 126 Für die folgenden Jahre bedeutete das zum einen, daß das Kultusministerium in der Kunstpolitik wiederholt an ressortbedingte Grenzen stieß, die kontinuierlich den Ruf nach einer Neuregelung laut werden ließen. 127 Zum anderen wirkten die Bestrebungen von 1919/20 insofern nach, als sie im Kultusressort langfristig ein besonderes Interesse an einer stringent organisierten Kunstverwaltung begründeten. 128 Wenn die Neuorganisationsabsichten des Ministeriums nach 1918 auch nur in Ansätzen umgesetzt werden konnten, bestimmte ihre Tendenz den kunstpolitischen Impetus des Ressorts doch nachhaltig.
126 Vgl. Ku.bl., Jg. 16, Dez. 1932, S. 92 f. 127 Vgl. Thiele an Waetzoldt, 12.9.1921, hs., Notiz Irmer an Waetzoldt, 11.10.1921, hs., Notiz Nentwig, 13.10.1921, hs., KM an FM, Okt. 1921, ms. u. KM an pr. FM, 10.11.1921, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; Kunert (USPD) u. Nentwig, 8.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 90, Sp. 19 f; Hoff (DDP), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7476-7478; LT, WP 1, Dr. 3490, S. 4212-4215; Provinzialkonservator Rheinprovinz an Hiecke (KM), 12.7.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV; Ku. u. Kü„ Jg. 22, Nr. 1/2, II.10.1923, S. 32; Höpker-Aschoff (FM), 19.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6607 f; Becker an Eiter, 4.12.1925, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 332; BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 104; Schwering (Z), 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 3; Oestreicher (SPD), Schwering (Z) u. Klausner (DDP), 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18184, 18187 f u. 18199-18201; Kilian (KPD), 22.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18267; Kuhn: Zur Reform der öffentlichen Kunstpflege in Preußen, in: Ku.chr., Jg. 59/2, Nr. 40/41, 9./16.1.1926, S. 625-628; Ku. u. Kü., Jg. 25, Nr. 3, Dez. 1926, S. 115-118; Ζ As Okt. 1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C.H.Becker, Nr. 7346; Mitt. DWB, Jg. 1928, Jan. 1928, S. 1; Reickskultusministerium?, in: Hannoverscher Kurier, 22.8.1929, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7353; SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 326; Buchhorn (DVP), 17.2.1930, in:LT,WP4, HA, Szg. 122, Sp. 16; Schmitz an Grimme, 11.8.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 67, Mappe 62; Becker: Organisatorische Voraussetzungen einer Reichskulturpolitik, Vortrag zum 70. Geburtstag von Wilhelm Heinrich Solf, 5.10.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C.H.Becker, Nr. 8133; Schmitz 1931, S. 87-97. 128 Vgl. dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 395 u. 397 f; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 426; Batel 1989, S. 81-88.
III. Die Umsetzung des Neuen: Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
1. Rahmenbedingungen: Die weitere Entwicklung des Ministeriums und der Kunstabteilung War Haenisch nach den ersten preußischen Landtagswahlen vom Februar 1921 noch im April als Kultusminister auch des neuen Kabinetts in Erwägung gezogen worden, 1 stand mit der Bildung des bürgerlichen Minderheitenkabinetts aus D D P und Zentrum unter Adam Stegerwald am 21. April 1921 fest, daß Haenisch nicht mehr würde amtieren können. 2 Für das Kultusministerium bedeutete dies den Abschluß einer wichtigen Neuorientierungsphase nach dem Krieg, aber keineswegs einen Bruch mit dem Bisherigen. Vielmehr blieb die Kontinuität im Ressort dadurch gewahrt, daß Stegerwald mit dem parteilosen Liberalen Carl Heinrich Becker einen Mann zum Nachfolger Haenischs ernannte, der die Ressortpolitik als Staatssekretär bereits zuvor maßgeblich geprägt hatte. 3 Becker selbst wies nach seinem Amtsantritt darauf hin: „Daß sich [...] seine Kulturpolitik in gewissen Linien nach der gleichen Richtung wie die seines Vorgängers bewege, ergebe sich wohl schon daraus, daß er zwei Jahre lang die Ehre gehabt habe, der Vertreter der Politik des Ministers Haenisch und dessen spezieller Berater zu sein, daß sie beide in großer Harmonie zusammengearbeitet hätten, und daß über alle wichtigen Fragen zwischen ihnen die gleiche Meinung bestanden habe." 4 Überdies war klar, daß es sich bei der Regierung Stegerwald nur um ein Übergangskabinett handeln würde. Bewußt knüpfte die neue Regierung daher an die vorherige Politik an. 5 Für das Kultusressort bedeutete dies, daß Becker es weiterhin als Hauptziel des Ministeriums ansah, trotz aller weltanschaulichen Unterschiede „das kul-
1 Siehe ζ. B. BT, Jg. 50, Nr. 171, 13.4.1921. 2 Zur Regierungsbildung vgl. Möller 1985, S. 339-351; Preußen in Weimar 1982, S. 66 f; Schulze 1977, S. 336f; BT, Jg. 49, Nr. 461, 30.9.1920; Jg. 50, Nr. 89, 23.2.1921; Nr. 117, 11.3.1921; Nr. 160, 6.4.1921; Nr. 166, 8.4.1921; Nr. 181, 19.4.1921; Nr. 185, 21.4.1921; Die Lösung,
in: BT, Jg. 50,
Nr. 186,21.4.1921. 3 Vgl. Müller 1991, S. 231; Möller 1985, S. 348; Preußen in Weimar 1982, S. 82 f. 4 Becker, 27.10.1921, in: LT, WP 1, H A , Szg. 61, Sp. 23. 5 Vgl. Wende 1959, S. 77; vgl. auch Becker an Paul von Schmidt, 10.11.1921, ms., in: G S t A P K , I. H A Rep. 92 NI. C . H . Becker, Nr. 3912.
262
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
turelle Einheitsbewußtsein als Basis unserer nationalen Gemeinschaft zu erhalten", und dies mit den Finanzbeschränkungen in Einklang zu bringen.6 Wegen ihres „entpolitisierten" Charakters und ihrer Tendenz zur Ordnungspolitik von links skeptisch beäugt,7 hatte die Regierung Stegerwald und mit ihr das erste Ministerium Becker tatsächlich nur kurz Bestand.8 Als sich die SPD nach dem Görlitzer Parteitag9 zu einer Kooperation mit der DVP bereit erklärte, wurde Anfang November 1921 eine Große Koalition aus SPD, DVP, DDP und Zentrum unter dem Sozialdemokraten Otto Braun gebildet.10 Dieses zweite Kabinett Braun, das bis Januar 1925 bestehen blieb, war die Basis der politischen Stabilität, die die Republik Preußen in den 20er Jahren im Gegensatz zum Reich auszeichnete.11 Für das Kultusressort bedeutete die Große Koalition einen erneuten Führungswechsel: Becker kehrte auf den vakant gebliebenen Staatssekretärsposten zurück.12 An seiner Stelle wurde Otto Boelitz von der Deutschen Volkspartei für die folgenden drei Jahre neuer Kultusminister.13 Otto Boelitz wurde im selben Jahr wie Haenisch und Becker, 1876,14 als Sohn eines Pfarrers in Wesel geboren, studierte in Berlin, Halle und Bonn Theologie und Philologie und arbeitete später zunächst als Oberlehrer in Bochum. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit am deutschen Realgymnasium Brüssel und an der deutschen Realschule Barcelona wurde er 1915 Gymnasialdirektor in Soest. Seit Februar 1919 gehörte der promovierte Philologe für die kurz zuvor gegründete nationalliberale DVP der preußischen Landesversammlung und später dem Landtag an.15 Vor seiner Ministerzeit trat Boelitz hier als Befürworter eines star6 Vgl. Die Aufgaben
des neuen preußischen
Kultusministers.
Eine Unterredung
mit Minister Dr.
Becker, in: BT, Jg. 50, Nr. 225, 15.5.1921; zu Beckers Anspruch vgl. auch LT, W P 1, HA, Szg. 61, Sp. 9, 16 u. 36-38; Siegfried Weber: Deutsche Volksbildungs-Politik, in: Tägliche Rundschau,
7.7.
1921, Unterhaltungsbeil., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7341; Entwurf Becker: Die akademischen Kreise und der Neue Staat, 20.10.1921, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 16389; Oelze (DNVP), Becker u. von Campe (DVP), 27.10.1921, in: LT, W P 1, HA, Szg. 61, Sp. 11 f, 23 u. 36 f. 7 Vgl. ZAs April-Nov. 1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7341; Haenisch: Die entpolitisierte' Regierung, in: Vorwärts, 12.7.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7564. 8 Vgl. Orlow 1986, S. 77-87; Becker an Paul von Schmidt, 10.11.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3912. 9 Vgl. H. A. Winkler 1982; Johannes Fischart: Genösse Boelitz, in: Weltb., Jg. 18/1, Nr. 7, 16.2.1922, S. 161-163, S. 162 f. 10 Vgl. Möller 1985, S. 352-356. 11 Vgl. Orlow 1986, S. 86 f; Preußen in Weimar 1982, S. 19 f; Möller 1985, S. 336 u. 393. 12 Vgl. Preußen in Weimar 1982, S. 82 f; Wende 1959, S. 77-79; zum Hintergrund vgl. Becker an Paul von Schmidt, 10.11.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3912. 13 Vgl. Preußen in Weimar 1982, S. 64. 14 Vgl. dazu Müller 1991, S. 13-17. 15 Zur Biographie Boelitz' vgl. Johannes Fischart: Genösse Boelitz, in: Weltb., Jg. 18/1, Nr. 7, 16.2. 1922, S. 161-163; Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft 1931, Bd. 1, S. 165; D B E 1995, S. 626; Der neue preußische
Kultusminister,
in: Voss. Ztg., 9.11.1921, Nr. 528/529, in: SAdK,
PrAdK, 2.2/004, Bl. 375; Wende 1959, S. 80-82; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 390 u. 393 u. Bd. 2, S. 236; zur preußischen DVP-Fraktion bis 1921 vgl. Orlow 1986, S. 2 4 - 2 8 u. 111.
1.
Rahmenbedingungen
263
ken preußischen Staates auf, den er als Voraussetzung des deutschen Wiederaufstiegs begriff. Die territoriale Unversehrtheit Preußens stellte für ihn ein Hauptanliegen dar. Den Separatismus im Rheinland und an der Grenze zu Polen verurteilte er auf das schärfste. 16 Den Einheitsstaat als erstrebenswert, vorerst aber nicht realisierbar darstellend, 17 forderte er eine Besinnung auf preußische Tugenden wie Idealismus, Pflichtbewußtsein und Selbstaufopferung für Staat und Vaterland. 18 Orientiert wissen wollte er sich dabei an Fichte, Kant und Humboldt, aber auch an Scharnhorst, Gneisenau oder Friedrich dem Großen 19 und an der Zeit „vor 100 Jahren". 20 Neben dem „Geist von Potsdam" schrieb er dem „Geist von Weimar" im Sinne Goethes Bedeutung zu. „Weimar und Potsdam", betonte Boelitz Anfang 1921, „sind [...] die beiden Brennpunkte der Ellipse: Der eine als Repräsentant des klassischen Humanitätsgedankens, der schließlich in Preußen seine stärkste Ausgestaltung erfahren hat, und der andere als Repräsentant der Staatsgesinnung, des nationalen Gedankens." 21 Aus diesen Kräften sollten „dem heute gebrochen daniederliegenden preußischen Staat [...] neubelebende Quellen entspringen." 22 Und von ihnen müsse Deutschland durchdrungen werden, wenn es wieder aufstehen wolle. 23 Durch die Besinnung auf gemeinsame nationale Kulturwerte, 24 die von Preußen als dem „Rückgrat des Reiches" zu leisten sei,25 sollte nach Boelitz' Auffassung „ein auf den lebendigen Kräften des Liberalismus beruhender starker Staatsgedanke [gefördert werden], eine vertrauensvolle, lebendige Staatsgesinnung aller Bürger, die als höchste sittliche Pflicht freiwillig leisten, was der Staat von ihnen fordert." 26 Als kulturpolitischer Sprecher der DVP hatte Boelitz so 1919-21 als Bildungsziele definiert: 1. die von konservativer Autoritätsgläubigkeit abzugrenzende und dem sozialen Ausgleich verpflichtete Förderung starker Persönlichkeiten, durch die dem Land neue „Führer" erwachsen sollten, und 2. die Förderung eines nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls zur Festigung der „Volksgemeinschaft". 27 Umgesetzt wissen wollte er dies durch die Einheitsschule, von der er eine Vermittlung von Verantwortungsbewußtsein und „glühender Liebe zu unserem deutschen Vaterlande und zu unserer engeren Heimat Preußen" erwartete.28 In der Kunstpolitik plädierte er jenseits einseitiger stilistischer Festlegungen für eine Konzentration auf die deutsche Kunst. 29
16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Boelitz 1919 a; Boelitz 1920, S. 8 f; Boelitz 1922, S. 13. Boelitz 1920, bes. S. 3-5, 8, 13 u. 15 f; Boelitz 1919 a, S. 4; Boelitz 1922, S. 3-5. Boelitz 1919 a, S. 12; Boelitz 1922, S. 7 f. Boelitz 1922, S. 9 u. 11. Ebd., S. 6 f u. 11; Boelitz 1919 a, S. 7 u. 12; Boelitz 1920, S. 16; vgl. später auch Boelitz 1924, S. 13 f, 1 7 , 1 9 u. 41. Boelitz 1922, S. 7; vgl. dazu auch Boelitz, 10.12.1921, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 5740 f. Boelitz 1922, S. 8. Boelitz 1919 a, S. 12. Vgl. dazu auch Boelitz 1920, S. 5. Boelitz 1919 a, S. 12; vgl. auch Boelitz 1922, S. 4 f. Boelitz 1922, S. 11. Ebd., S. 10; vgl. dazu auch Boelitz 1919 b, S. 7. Boelitz 1922, S. 10 f; vgl. dazu auch Boelitz 1919 b, S. 30. Boelitz 1919 b,S. 42.
264
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Auch wenn diese Positionen durchaus Berührungspunkte mit der Haltung des Ministeriums Haenisch aufwiesen, 30 füllte Boelitz die ähnlichen Rahmenvorstellungen bis zu seinem Amtsantritt inhaltlich jedoch vielfach anders als Haenisch und Becker. Statt der Förderung von Individualität, Kreativität und Gefühlsbetontheit war für ihn die Idee der selbstlosen Hingabe an das „große Ganze" zentral. 31 Härte und Zielorientiertheit stilisierte er zum Gegenmodell „einer in Weichheit zerfließenden Zeit, die sich vor einem klaren und festen Wort fürchtet". 3 2 In der Schule stellte so zwar die Vermittlung von Charakterstärke, nicht aber die individuell-emotionale Bildung ein Anliegen für ihn dar. Manifestiert hatte sich dies bereits vor dem Krieg, als Boelitz unterstrich, er wolle den klassischen philologischen Blick auf Schiller gegenüber der neuen, rein ästhetischen Sicht auf ihn wahren, und er sich damit auf der Seite der Kritiker des Weimarer Kunsterziehungstages von 1903 verortet hatte. 33 Von den Ansprüchen des Ministeriums unterschieden sich die Ambitionen des DVP-Politikers zudem insofern, als dieser eine Kunstvermittlung in erster Linie an den Mittelstand anstrebte. 34 Auf allgemeiner Ebene bestanden Differenzen überdies auf Grund des ungebrocheneren Verhältnisses von Boelitz zur Monarchie. 3 5 Auch grenzte sich Boelitz weit aggressiver vom Ausland ab. So betonte er: „Nicht schwächlicher Kosmopolitismus, nicht internationales Schwärmen für Völkerbund und Völkerversöhnung weisen den Weg zur Erziehung eines guten Staatsbürgers, sondern der Schmerz, der auch unsere Jugend ganz erfassen soll, um das Unglück, in das wir gestürzt, die heiße, große Liebe zu unserem schönen Vaterland". 3 6 Entsprechend warnte Boelitz „vor der Uberschätzung ausländischer Kunstwerke, wie sie vor dem Krieg durch gewisse Kreise in Deutschland geflissentlich geübt worden ist." 3 7 Angesichts dieser Differenzen polemisierte der spätere Minister bis 1921 immer wieder heftig gegen das Ressort Haenisch und die Weimarer Koalitionsparteien. 38 Seine Haltung war dabei von Mißtrauen gegenüber der vermeintlich ahistorischen, antibürgerlichen Tendenz der Linken und der Sympathie des Zentrums für den Separatismus sowie von der Furcht vor einer nivellierenden Massenkultur geprägt. 39
30 Vgl. dazu ebd., S. 18-20; Boelitz 1920, S. 12; Boelitz 1922, S. 4; Boelitz: Geleitwort, o.D. [1925?], ms., S. 2, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7869; siehe dazu auch die Übereinstimmung in der Frage der Kompetenzverteilung zwischen Preußen und Reich, vgl. Boelitz 1920, S. 14; Boelitz 1922, S. 9; Boelitz (DVP), 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15697-15703. 31 Boelitz 1922, S. 8; vgl. dazu auch ebd., S. 11. 32 Ebd., S. 9. 33 Boelitz 1910; siehe dazu auch Boelitz 1919 b, S. 30. 34 Vgl. Boelitz 1919 b, S. 42. 35 Vgl. dazu Boelitz 1922, S. 5 u. 11; Boelitz 1920, S. 6 f. 36 Boelitz 1919 b, S. 30; vgl. dazu auch Boelitz 1919 b, S. 20; Boelitz 1919 a, S. 13. 37 Boelitz 1919 b, S. 42. 38 Vgl. Boelitz (DVP), 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15697-15703; Boelitz 1922, S. 13; siehe dazu auch Johannes Fischart: Genösse Boelitz, in: Weltb., Jg. 18/1, Nr. 7, 16.2.1922, S. 161-163, S. 161 f; Becker an Haenisch, 19.12.1921, ms. u. Haenisch an Becker, 22.12.1921, Ds., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 83-89. 39 Vgl. Boelitz 1919 b, S. 7; Boelitz 1920, S. 3; Boelitz 1922, S. 4 f u. 10.
1.
Rahmenbedingungen
265
Auf Boelitz' Ernennung zum Kultusminister im November 1921 reagierten die Parteien der Weimarer Koalition und insbesondere die S P D daher zunächst sehr skeptisch. 40 Letztlich aber schlug Boelitz als Minister einen weit angepaßteren Kurs ein als dies zu erwarten gewesen war. Statt der in der Oppositionszeit betonten Differenzen rückte er nun die Berührungspunkte mit den Ressortvorstellungen in den Vordergrund - wobei die nationalen Ansprüche und die liberale Tendenz des Ministeriums ihrerseits Anknüpfungspunkte boten. 4 1 Entsprechend bekundete Boelitz kurz nach seinem Amtsantritt im Landtag seine Anerkennung für die von Becker gewahrte Stetigkeit im Ministerium und stellte in Aussicht, diese Konstanz fortsetzen zu wollen. 42 In der schwierigen gegenwärtigen Situation gelte es nicht, Parteipolitik zu betreiben, sondern gemeinsam am Aufbau des Vaterlandes zu arbeiten. Daher verstehe er sich nicht als Partei-, sondern bewußt als Koalitionsminister. 43 Höchste Aufgabe sei es nun, „alle sittlichen und intellektuellen Kräfte zum Aufbau unseres Volkes zusammenzubinden. [...] Nur so können wir zur Volksgemeinschaft kommen und durch sie zur kulturellen Einheit." 4 4 Wohl um seinen Anspruch auf Kontinuität zu bekräftigen, hatte Boelitz zuvor eine Fortsetzung auch der Arbeiterbildungspolitik angekündigt. 45 Ausdrücklich hatte er es hier als Ziel bezeichnet, eine Mittellinie zwischen den Koalitionsparteien finden zu wollen. 46 Diesen Anspruch setzte der neue Minister in der Folgezeit tatsächlich um. Entsprechend betonte die Weltbühne:
„Dieser große, massive O t t o Boelitz, vor dem die Neuen und Neu-
esten im Kultusministerium gebangt hatten, tat, wie sich bald herausstellte, keiner Fliege was zu Leide. [...] Jedem lieh er sein Ohr. Jede Anregung fand er erwägenswert. Jeder Wunsch erschien ihm erfüllbar. Die bisher geleistete Reformarbeit war ihm etwas natürlich Gegebenes, auf dem man weiter aufbauen müsse. [...] Die sozialistisch gestimmten Beamten des Kultusministeriums sehen sich augenzwinkernd an, sagen, daß sie es nie so gut und so bequem gehabt hätten, und reden, so liebevoll, immer nur vom - Genossen Boelitz." 4 7
40 Vgl. Schulze 1977, S. 354; Johannes Fischart: Genösse Boelitz, in: Weltb., Jg. 18/1, Nr. 7,16.2.1922, S. 161-163, S. 163; Wegscheider (SPD), 10.12.1921, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 5705 f u. 5708; siehe auch Haenisch 1921, S. 15; Haenisch an Becker, 22.12.1921, Ds., ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 85-89. 41 Vgl. auch Hammel 1990, S. 120. 42 Boelitz, 10.12.1921, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 5738-5740; vgl. auch Rede Boelitz, [9.11.] 1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1776. 43 Boelitz, 10.12.1921, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 5740; vgl. dazu auch Becker an Paul von Schmidt, 10.11.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 3912; später kritisch dazu Ritter (DNVP), 22.6.1923, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 18805 f. 44 Boelitz, 10.12.1921, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 5741 f; ähnlich Boelitz, 20.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7214-7217; siehe dazu auch von Campe (DVP), 10.12.1921, in: LT, WP 1, Prot., Sp.57105713 u. 5716 f; Lauscher (Z) u. Schuster (DVP), 20.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp.7223f, 7226, 7232 f, 7235-7237 u. 7240 f; Steffens (DVP), 7.5.1923, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 17012 f u. 1702517032. 45 Rede Boelitz, [9.11.] 1921, ms., S. 4, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1776. 46 Ebd., S. 8. 47 Johannes Fischart: Genösse Boelitz, in: Weltb., Jg. 18/1, Nr. 7, 16.2.1922, S. 161-163, S. 163.
266
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Auch wenn die äußerste Linke der Neuorientierung des DVP-Politikers keineswegs traute,48 war damit klar, daß die nach 1918 in die Wege geleitete Ministeriumspolitik auch unter Boelitz Bestand haben würde. Dies galt umso mehr, als Staatssekretär Becker, protegiert von Braun, auch nach Übernahme der Amtsgeschäfte durch Boelitz weiterhin der entscheidende Mann im Ministerium blieb.49 Die Weltbühne sprach rückblickend gar davon, für Becker habe die Periode unter Boelitz „nur einen vorübergehenden Wechsel des Amtszimmers" bedeutet. Im Grunde sei Becker „Minister geblieben durch all die scheinbaren und, ach, so oberflächlichen Wechsel unserer kaiserlich-königlichen Republik." 50 Vor diesem Hintergrund ist für die Jahre des Ministeriums Boelitz bis Anfang 1925 von einer klaren Kontinuität der Ressortpolitik auszugehen.51 Einfluß auf die Aktivitäten des Ministeriums nahm in dieser Zeit vor allem die allgemeine Finanzkrise, die 1923 kulminierte und sich erst nach Einführung der Rentenmark und einem rigiden Sparkurs der Reichsregierung ab 1924 wieder zu entspannen begann.52 Boelitz wie Becker bestanden trotz der Finanzsituation dem Reich gegenüber auf der nationalen Führungsrolle Preußens in der Kulturpolitik und forderten adäquate Finanzmittel.53 So reagierte Boelitz auf die Abbauverordnung des Reiches vom 27. Oktober 1923 mit dem Hinweis, alles Sparen müsse „in der einen Forderung ihre Grenze haben, daß die Bildungshöhe unseres Volkes nicht gemindert und die geistige Substanz unseres Volkes nicht gefährdet werden darf. Ja mehr noch: auch in den Zeiten einschneidender Einschränkungen [...] dürfen die Keimkräfte unseres Volkes unter der Not der Zeit unter keinen Umständen verkümmern, und große, neue, belebende
48 Vgl. Meyer (KPD) u. Holtz (USPD), 10.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5743 f u. 5756-5760; Schneider (KPD), 13.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5801-5803; Scholem (KPD), 22.6.1923, in: LT, W P 1 , Prot., Sp. 18814. 49 Vgl. Müller 1991, S. 231; Schulze 1977, S. 354; Emil Proch an Becker, 31.5.1922, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 2409; siehe auch schon Gottschalk (DDP), 10.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5751; Bredt (Wirtschafts-Partei), 13.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5819 f; zur kulturpolitischen Haltung Beckers 1921-25 vgl. z.B. Becker: Staat und Kultur, 16.11.1924, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1641. 50 Anna Siemsen: Kultusminister Becker, in: Weltb., Jg. 21/2, Nr. 48, 1.12.1925, S. 834-838, S. 835; zur Rolle Boelitz' als Minister vgl. auch Wegscheider (SPD) u. Oelze (DNVP), 10.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5705 f, 5708, 5720 u. 5727; ein Schulmann: Das Kultusministerium
von der ge-
schäftlichen Seite betrachtet, in: Weltb., Jg. 25/1, Nr. 5, 29.1.1929, S. 168-171; zum Verhältnis Becker - Boelitz vgl. Wende 1959, S. 81 f; Becker an Paul von Schmidt, 10.11.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3912. 51 Vgl. dazu auch Boelitz 1925. 52 Zur Wirkung auf den Kunstetat vgl. Becker, 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 7 f; Nentwig, 30.11.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 154, Sp. 16; LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 2; Nentwig, 14.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17385 f; Heß (Z), 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 2 f. 53 Vgl. Staatliche Bildungspolitik im heutigen Deutschland,
[nach 1922], ms., in: GStA PK, I. H A
Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1777; Boelitz, 11.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17233 f; Becker an Boelitz, 14.6.1923, ms., Boelitz an Becker, 23.6.1923, hs., Becker an Boelitz, 23.6.1923, ms. u. Becker an Boelitz, 2.7.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7869; Boelitz 1925, S. 12 f.
1.
Rahmenbedingungen
267
und befruchtende Gedanken müssen ungehindert zu dem geistigen Leben der Nation Zugang erhalten".54 Angesichts dessen propagierte das Ministerium Boelitz unter dem Motto Vom Abbau zum Aufbau planvolle organisatorische Veränderungen, die dem Sparzwang Rechnung trugen, den Schaden aber letztlich in einen Gewinn ummünzen sollten.55 Das große Thema für das Ressort war daneben die Fortsetzung der Schulreform.56 Leitend war hier die Idee der nationalen „Bildungseinheit", über die man eine „deutsche Nationalerziehung" im Sinne Fichtes durchsetzen wollte.57 Als entscheidend begriff man die Einheitsschule.58 Inhaltlich galt jenseits von Rückwärtsgewandtheit und Revanchismus die Vermittlung einer von der Staatsform unabhängigen, auf ein positives Bewußtsein für die eigene Gemeinschaft ausgerichtete „Staatsgesinnung" als wesentlich.59 Nach dem Konzept des Ressorts, in dem sich alte Boelitz-Positionen mit denen Beckers vermischten, sollte diese Staatsgesinnung auf zwei Wegen gefördert werden: 1. durch eine Vermittlung nationalen Bewußtseins durch Besinnung auf gemeinsame deutsche Kulturwerte60 und 2. durch die Erziehung eigenverantwortlicher Bürgerinnen und Bürger.61 Dementsprechend setzte man neue Schwerpunkte im Bildungswesen. Im Interesse der „nationalen Kulturgemeinschaft" war zum einen eine Konzentration auf „den Kern des deutschen Bildungsgutes" und die Stärkung kulturkundlicher Fächer zentrales Anliegen.62 Zum anderen rückte auch bei Boelitz der Anspruch einer emotionalen Bildung in den Vordergrund. Wie nach 1918 wiederholt vom Ressort formuliert,63 erhoffte man sich eine „Uberwindung der rein intellektuellen Bildung durch die Einbeziehung der Kunst in die humane Persönlichkeitsbildung."64 Damit blieb die unter nationalliberalen Vorzeichen von Becker und Boelitz einmütig betriebene Kulturpolitik von der Idee einer besonderen deutschen Geistigkeit geprägt.65
54 Boelitz 1924, S. 7; vgl. auch ebd., S. 9 f; Staatliche Bildungspolitik im heutigen Deutschland,
[nach
1922], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1777; Boelitz, 14.5.1923, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 17068; siehe dazu auch LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 2 f u. 5 - 7 ; Szg. 154, Sp. 15; LT, WP 1, Prot., Sp. 7238 f, 7431, 7434-7436, 7474, 13226 u. 17369 f. 55 Vgl. Boelitz 1924, S. 8-10; vgl. auch ebd., S. 15-19 u. 41; Boelitz 1925, S. 185-189; LT, WP 1, Prot., Sp. 16951, 17663 u. 21220 f; Boelitz, 14.5.1923, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 17069; Schunk 1993, S. 430. 56 Zum Kontext vgl. Kunz 1981; Erdmann 1993, S. 262-270. 57 Boelitz 1925, S. 13; vgl. dazu auch ebd., S. 1 f u. 11. 58 Vgl. ebd., S. 7-11. 59 Vgl. ebd., S. 17-19. 60 Vgl. ebd., S. 3 u. 11. 61 Vgl. ebd., S. 13-18. 62 Ebd., S. 11; LT, W P 1, Prot., Sp. 25021; zur entsprechenden Akzentuierung der Schulpolitik vgl. Müller 1991, S. 231 f; Erdmann 1993, S. 267 f; Geiger 1981, S. 68; Wesen und Wege der Schulreform 1930; Boelitz: Geleitwort, o.D. [1925?], ms., S. 2, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7869; siehe auch Boelitz, 8.5.1923, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 17068; Boelitz, 11.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17233 f; Boelitz 1924, S. 30. 63 Vgl. dazu auch Müller 1991, S. 379-381. 64 Boelitz 1926 a, S. 41; vgl. dazu auch Boelitz 1925, S. 20; Boelitz 1926 b, S. 27. 65 Vgl. dazu auch Müller 1991, S. 231 f; Erich Witte: Kultusminister Boelitz, in: Weltb., Jg. 19/2, Nr. 39, 27.9.1923, S. 312-314.
268
III. Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Nicht nur der Anspruch des Ressorts veränderte sich unter Boelitz kaum. Auch die Personalstruktur der Kunstabteilung hatte weitgehend Bestand. Der konservative Nentwig blieb Abteilungsleiter. 66 Die wesentlichen Akzente setzten nun jedoch die jungen Ministerialräte Waetzoldt und Gall. Während sich Gall als Museumsreferent heftigen Konflikten mit den Museumsbeamten der Kaiserzeit im Umfeld Bodes ausgesetzt sah, 67 übernahm Waetzoldt orientiert an Kugler den Part des maßgeblichen Kunstpolitikers in Preußen. 68 Aufmerksamkeit erregte er als Akademiereformer und durch sein Engagement zugunsten der zeitgenössischen Kunst. 6 9 Daneben war er bemüht, gestützt auf fachwissenschaftliche Kontakte, die er als Kunsthistoriker besaß, 70 ausgleichend in den schwelenden kunstpolitischen Konflikten zu wirken. 71 Während Kestenberg und Seelig als linke Kräfte für die Musik- und Theaterpolitik verantwortlich blieben, 72 prägte Pallat weiterhin die Aktivitäten auf dem Terrain des Schulkunstunterrichts und der Kunstpopularisierung. Trendelenburg fungierte wie zuvor als Justitiar der Abteilung 7 3 und Hiecke als Konservator. 74 Mitte 1922 wurde dieser Mitarbeiterstamm um den promovierten Kunstwissenschaftler Herbert
66 Zur Rolle Nentwigs vgl. König (SPD), 14.12.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 7365 f. 67 Vgl. dazu Wiegand an Kultusminister [Becker], 29.4.1921, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 5083; ZAs Aug./Sept. 1921, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Hans Rosenhagen: Enthüllungen im Berliner Museumskrieg, in: Die Zeit, 27.4.1925, in: SAdK, PrAdK, 2.1/049, Bl. 158; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 427-442 u. 452-458; zur sonstigen Tätigkeit Galls vgl. Vermerk LT, Juli 1921, ms. u. Becker an LT, 18.10.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3, adh. 1; GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 1, Bl. 15; Abschr. Bruno Cassirer an Waetzoldt, 28.8.1924, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 5, Bd. 15; KM an Präsident LT, 21.1.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X1, B, Nr. 3. 68 Zur Rolle Waetzoldts vgl. GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bl. 25; Reinhard Huebner: Preußische Kunstpolitik, [1924], gedr., in: SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 6; Schunk 1993, S. 439 f; Waetzoldt an Bode, 1.11.1917, hs. u. Waetzoldt an Bode, 23.12.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t]; Wilhelm Waetzoldt: Ein „Lebenslauf" Franz Kuglers, in: Ku.wan., Jg. 4,2. Aug.-Nr. 1922, S. 543-545; Wilhelm Waetzoldt: Franz Kugler über Jakob Burckhardt, in: Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 49/50, 8. 15.9.1922, S. 827-831; Waetzoldt an Becker, 3.8.1922, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4942; Waetzoldt 1933, S. 83. 69 Zu Waetzoldts Aufgabenbereichen vgl. GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 6, adh. 1, Bl. 3; GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bl. 9, 25 u. 52; Abschr. Becker, 10.4.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 6; GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 2, Bl. 5; GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 3, Bl. 15; Abschr. Bruno Cassirer an Waetzoldt, 28.8.1924, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 5, Bd. 15; GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, D, Nr. 1, Bl. 16; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 491. 70 Vgl. dazu auch Schunk 1993, S. 439. 71 Vgl. dazu z. B. SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t]; Bode an Waetzoldt, 31.12.1921, hs., in: KuBi SMB, Nl Waetzoldt, Β 2. 72 Vgl. dazu ausführlich Batel 1989; Rockwell 1972. 73 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 6, adh. 1, Bl. 3; Trendelenburg an Becker, 7.12.1922, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3278. 74 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X1, B, Nr. 1, Bl. 13; GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, D, Nr. 1, Bl. 16.
1.
Rahmenbedingungen
269
Gericke ergänzt.75 Gericke, der durch seine Ehe mit der Enkelin Eduard Arnholds ohnehin einen Bezug zu dieser Thematik hatte,76 kümmerte sich fortan als Mitarbeiter Waetzoldts um auswärtige Kunstbelange, aber auch um die soziale Unterstützung bildender Künstler.77 Zumal sich Gericke als einziger neuer Referent eng an bisherigen Ressortpositionen orientierte,78 war damit klar: Die Kunstpolitik des Ministeriums wurde auch nach dem Führungswechsel von den bereits unter Haenisch gültigen Tendenzen bestimmt. Nicht nur für die allgemeine Ausrichtung des Ministeriums, sondern auch für dessen kunstpolitische Arbeit kann so für 1921-24 von einer Anknüpfung an die zuvor definierten Ansprüche ausgegangen werden. Das Ende des Ministeriums Boelitz markierten die Landtagswahlen vom Dezember 1924, nach denen die DVP nicht mehr zu einer Großen Koalition bereit war. Es folgten zähe Koalitionsverhandlungen, die im Februar 1925 zunächst in die Bildung einer Regierung unter dem Zentrumspolitiker Wilhelm Marx mündeten. Im April 1925 kam es dann zur Bildung einer Koalition aus SPD, DDP und Zentrum unter der erneuten Führung Otto Brauns.79 Das Ausscheiden der DVP aus der Regierung bedeutete, daß Boelitz, der seine Arbeit gern fortgesetzt hätte,80 zurücktreten mußte. Boelitz wurde Leiter des Iberoamerikanischen Instituts zur Pflege der wissenschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu Mittelund Südamerika in Berlin und gehörte weiter für die DVP dem Landtag an - bis er 1933 aller Ämter enthoben wurde. Nach 1945 als Mitbegründer der westfälischen CDU noch einmal am demokratischen Neubeginn beteiligt, starb er 1951.81 Für das Kultusministerium bedeutete das Ausscheiden von Boelitz einen Führungswechsel. Nachdem Becker bereits zuvor als eine Art Schattenminister gewirkt hatte, rückte der Staatssekretär nun erneut in
75 Zu Gericke vgl. Düwell 1993, S. 246; Änderung in der Preußischen Kunstverwaltung,
in: Ku. u. Wi.,
Jg. 8, Nr. 9,1.9.1927, S. 200 f; Reinhard Huebner: Preußische Kunstpolitik, [1924], gedr., in: SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 6; Handbuch preußischer Staat 1925, S. 186; Gericke [?] an Becker, 27.8.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 332; GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bl. 122. 76 Vgl. Düwell 1993, S. 246; Schenk 1996 c, S. 434; zu Arnhold vgl. Dorrmann 2002. 77 Zu Gerickes Aufgaben vgl. Herbert Gericke: Die bildenden Künste im französischen
Staatshaushalt
1921, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 17, 20.1.1922, S. 290-294; Gericke: Bericht über die Reise nach Holland vom 24. 6. bis 7. 7.1922,
[Juli 1922], ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 15-19; Abschr.
Gericke: Reisebericht über eine private Reise nach England im Herbst 1924, 10.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/114, Bl. 132-135; Reinhard Huebner: Preußische Kunstpolitik, [1924], gedr., in: SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 6; SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 118; Gericke an Bode, 7.4.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t]; SAdK, PrAdK, 2.1/007, Bl. 5; GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bl. 122 u. 140; Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 4, 1.4.1927, S. 95; vgl. dazu auch Düwell 1993, S. 248 f. 78 Vgl. dazu später auch Gericke 1928. 79 Vgl. Möller 1985, S. 356-375; Preußen in Weimar 1982, S. 67 f. 80 Vgl. Möller 1985, S. 357; vgl. dazu auch Boelitz 1925, S. 185 f. 81 Vgl. D B E 1995, S. 626; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 236; Todesanzeige Boelitz, 29.12.1951 u. Entwurf Braun an Else Boelitz, 3.1.1952, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. Otto Braun, C I Nr. 30; Grimme an Else Boelitz, 4.1.1952, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 49, Mappe 9.
III.
270
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
die Position des Ministers auf. Beckers Ernennung, die schon im Februar 1925 von Marx vollzogen und später von Braun bestätigt worden war,82 war als Manifestierung der im Ministerium ohnehin bestehenden Machtverhältnisse und der kulturpolitischen Kontinuitätsabsicht zu werten.83 Bis Januar 1930 führte Becker nun die Ressortgeschäfte zunächst als Mitglied des 1925 gebildeten Kabinetts und nach den Wahlen vom Juni 1928 als Mitglied der fortbestehenden Regierung Braun.84 In Anknüpfung an seine nach 1918 vertretenen Ansprüche trat Becker in seiner zweiten Ministerzeit als Fürsprecher eines Bildungsideals auf, dessen zentraler Gedanke eine auf geistiger, körperlicher, sozialer wie seelischer Ebene ansetzende ganzheitliche Persönlichkeitsbildung in Abkehr vom reinen Intellektualismus war. Dieses eng mit einem ethischen Subjektivismus, der Idee der Humanität und dem Schlagwort des „neuen Menschen" 85 verknüpfte Ideal verdichtete sich bei Becker im Laufe der zweiten Hälfte der 20er Jahre zum Konzept eines „neuen deutschen Humanismus" in hellenistischer Tradition, in dessen Kontext der Einzelne als Individuum wie als Teil der Gemeinschaft wichtig war.86 Im Rahmen dieses Konzepts, das vom George-Kreis, Spenglers Untergang des Abendlandes und der zeitgenössischen Lebensphilosophie beeinflußt war,87 schrieb Becker der ästhetisch-irrationalen Bildung große Relevanz zu (siehe Kap. III. 5.). Über sein Bildungsideal suchte der Minister die soziale und nationale Integration sowie eine internationale Verständigung zu fördern.88
82 Vgl. Möller 1985, S. 364 u. 373; Müller 1991, S. 233; Preußen in Weimar 1982, S. 82 f. 83 Vgl. dazu auch Wiedergabe Rede Becker, 1.9.1925, ms., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1622. 84 Vgl. Möller 1985, S. 374-379. 85 Vgl. dazu ausführlich Der neue Mensch 1999. 86 Vgl. Müller 1991, S. 380-393; vgl. auch Becker: Formen des dritten Humanismus,
o.D., ms., in:
GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 8132; Rede Becker: Das neue
Bildungsideal,
18.10.1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1643; ZAs, 19.-22.10.1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7343; Erziehung Minister Beckers. Fort mit den zwei Bildungsvölkern u. Kulturpolitik im Rundfunk.
zur Freiheit! Das
Bildungsideal
im Volke, in: 8-Uhr-Abendblatt,
3.5.1927 [?]
Minister Becker spricht, in: Funk, 3.5.1927 [?], in: GStA PK, I. H A
Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7556; Becker: Quo vadisf Eine Weihnachtsbetrachtung,
20.12.1927,
ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1494; Becker: Staat und Kultur, 16.11.1924, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1641; Becker: Menschenformung
als Gegen-
wartsproblem, 24.10.1928, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1521; ZAs Okt. 1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7499; Rede Becker zur Eröffnung der Nordisch-Deutschen
Woche in Kiel, 15.6.1929, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker,
Nr. 1566; Becker: Individualismus
und Gemeinschaft.
Eine Weihnachtsbetrachtung,
ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1593; Becker: Nationales und internationale
Verständigung,
23.12.1929,
Selbstbewußtsein
1930/31, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker,
Nr. 1512; Vertragsentwurf Becker: Krise der Kultur, 15.1.1931, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1647; siehe dazu auch die Polemik in Schmitz 1931, S. 179-188. 87 Vgl. Müller 1991, S. 387 f, 390 u. 402; Groppe 1997, S. 535-560. 88 Vgl. Müller 1991, S. 394 u. 400 f; Wende 1959, S. 188 u. 197 f; zur entsprechenden Politik vgl. RedeNotizen Becker: Kulturpolitik
in der modernen
Becker: Kulturpolitik in der modernen Demokratie,
Demokratie,
16.2.1926, hs. u. Rede-Auszug
16.2.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92
1.
Rahmenbedingungen
271
Arbeitsschwerpunkte für das zweite Ministerium Becker waren die Fortsetzung der Universitätsreform und eine verbesserte Lehrerausbildung durch Pädagogische Akademien. 89 Gleichzeitig untermauerte Becker den Anspruch auf eine einheitliche deutsche Kulturpolitik, die idealiter unter Führung des Reiches, ansonsten unter preußischer Ägide gezielt nach innen wie außen wirken sollte. 90 Während sich Becker seit Mitte der 20er Jahre in die zeitgenössische kulturphilosophische Debatte einbrachte, seine Ambitionen mit Hilfe eines jungen, aufgeschlossenen Mitarbeiterstabs 91 praktisch umzusetzen versuchte und so durchaus Akzente zu setzen ver-
Nl. C. H. Becker, Nr. 1374; ZAs 17.2.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7215; Rede-Notizen Becker, 1.5.1926, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1742; Rede Becker: Preußisch-deutsche Kulturpolitik nach dem Kriege, [26.5.1926], hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1387 (datiert nach GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1954); Etatrede Becker, 15.3.1927, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1745; Rede Becker, 24.5.1927, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1494; ZAs, Nov./Dez. 1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7525; Das neue deutsche Bildungsideal. Ein Interview mit Staatsminister Prof. Dr. Becker, in: Neue Leipziger Zeitung, 4.11.1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7553; Rede Becker: Preussischdeutsche Kulturpolitik seit der Staatsumwälzung, 17.5.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1542; ZAs Mai 1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7852; Becker: The Ideals of Education in the German Republic, Sept. 1928, ms. / hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1347; Geleitwort Becker: Herrschaft und Dienst, in: Wie erziehen wir republikanische Menschen? Berlin / Leipzig 1929 (Republikanische Erziehung, H. 4), in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6817; Rede Becker, [25.1.1929], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 408; Becker: Erziehungsideale der deutschen Republik, [März 1929] ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1835 u. 4783 (gedruckt in FZ, 30.3.1929, vgl. GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7254); Karl Reichel: Die Notwendigkeit einer nationalen Erziehung, in: Hamburger Nachrichten, 29.1.1931, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 7367. 89 Vgl. Müller 1991, S. 287-394; Wende 1959, S. 221-229; Becker 1925 b; Weltpolitische Bildungsarbeit 1926; Becker 1926. 90 Vgl. Rede-Auszug Becker: Kulturpolitik in der modernen Demokratie, 16.2.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1374; ZAs Nov./Dez. 1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7525; Rede Becker: Preussisch-deutsche Kulturpolitik seit der Staatsumwälzung, 17.5.1928, ms., S. 24-27, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1542; ZAs Mai 1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7852; Rede Becker, [15.4.1929], hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1750; Becker: Organisatorische Voraussetzungen einer Reichskulturpolitik, Vortrag zum 70. Geburtstag von Wilhelm Heinrich Solf, 5.10.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 8133; Becker an Braun u. alle preußischen Minister, 11.7.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1810; zur zeitgenössischen Debatte siehe auch ZAs Okt. 1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7346; Reichskultusministerium?, in: Hannoverscher Kurier, 22.8.1929, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7353. 91 Vgl. Müller 1991, S. 285 f; Manegold 1967, S. 523. siehe dazu auch Schmidt-Ott an Becker, 6.1. 1927, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3947; Becker, 3.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 5711-5713, 5715, 5720, 5723-5726, 5729 f u . 5732.
272
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
stand, sah sich die Regierung Braun und mit ihr das Kultusministerium heftiger Kritik ausgesetzt. Mehrfach wurden Mißtrauensanträge unter anderem gegen Becker gestellt.92 Zu Beginn der zweiten Amtszeit Beckers kam es zudem zum Eklat, als das Ministerium den konservativ-völkischen Intendanten der Staatsoper Max von Schillings93 absetzte.94 Der „Fall Schillings" bekam durch seine Parallelsetzung mit ähnlich interpretierten Konflikten des Ressorts mit Bode (siehe Kap. III. 4.) oder Liebermann (siehe Kap. III. 3.2.) 95 eine generelle Dimension, vor deren Hintergrund die kunstpolitische Autorität des Ministeriums und seiner Kunstreferenten zerrieben zu werden drohte.96 Becker reagierte darauf Ende 1925 mit einer Landtagsrede,97 die später als Die preußische Kunstpolitik und der Fall Schillings publiziert wurde.98 Hier bezog er zur Neuformierung der Kunstverwaltung nach 1918" Stellung: „Die Kunstverwaltung vor der Staatsumwälzung beruhte im wesentlichen auf dem Gleichgewicht zwischen zwei Potenzen: den großen Fachautoritäten außerhalb des Ministeriums, den Praktikern der Verwaltung innerhalb des Ministeriums. Die Verwaltungstechniker, in erster Linie [...] Juristen, die sich gegebenenfalls einiger fachlich geschulter Hilfskräfte bedienten, sorgten für reibungslose Arbeit der Verwaltungsmaschine und für die Wahrung eines Vertrauensverhältnisses zu den Autoritäten. Die großen Fachleute aber stützten sich auf den Autoritätsglauben der Öffentlichkeit, sie wurden getragen vom Vertrauen der Krone [...]. Sie sahen im Ministerium in erster Linie die Staatsgewalt, die ihren fachlichen Plänen zur Durchführung verhalf, in zweiter Linie eine vorgesetzte Behörde in Angelegenheiten rein verwaltungsmäßiger Natur. Ideenkonflikte konnten gar nicht auftreten, da eine eigentliche Kunstpolitik [...] vom Ministerium gar nicht gemacht wurde." 100 Dies habe sich 1918 geändert: „Die Krone als unverrückbarer Pol bei wechselnden Minister-
92 Vgl. LT, WP 2, Prot., Sp. 14342, 14588, 17240 u. 17506; LT, WP 2, Dr. 4212; LT, WP 3, Prot., Sp.10309. 93 Vgl. Detig 1998; Kampe 1996 a, S. 392-394. 94 Zur Schillingskrise vgl. Stadler 1996; Wende 1959, S. 239-243; Kestenberg 1961, S. 70 f; Rockwell, 1972; GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7192; siehe dazu auch Becker an Boelitz, 1.6.1923, ms., Becker an Boelitz, 14.6.1923, ms. u. Becker an Boelitz, 2.7.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7869; Becker an von Schmidt, 2.10.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3912; Boelitz (DNVP), 14.12.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 7401 f; LT, WP 2, Prot., Sp. 7391-7400. 95 Vgl. Becker 1925 a, S. 27; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 393-396; Wende 1959, S. 245. 96 Vgl. dazu auch Erich Witte: Kultusminister Boelitz, in: Weltb., Jg. 19/2, Nr. 39, 27.9.1923, S. 312314; Justi an KM, 23.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; König (SPD), 14.12. 1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 7365 f; Bohner (DDP), 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11592. 97 Zur Rede vgl. König (SPD) u. Becker, 14.12.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 7365-7380; Nentwig, 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18203 f; Wende 1959, S. 242 f; siehe dazu auch schon Nentwig an Becker, 30.7.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3085. 98 Becker 1925 a; zum Stellenwert der Publikation vgl. von Brehmer etc. (Dt.völk. FP), 15.1.1926, in: LT, WP 2, Dr. 1969, S. 3657; GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6797; Schwering an Becker, 4.1.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6151; Bohner an Becker, 21.1.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7883. 99 Vgl. dazu auch Waetzoldt 1933, S. 85. 100 Becker 1925 a, S. 27 f.
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erscheinungen, als mächtige Hilfe, als Vertrauen- und Gunstspenderin ist dahin. [...] Dazu kommt die entscheidende Verschiebung, die sich im Verfolge der neuen Ideen über Staatsverwaltung zwischen Technikern der Verwaltung und Sachbearbeitern innerhalb des Ministeriums selbst vollzog. Sachbearbeitern wurde ein gegenüber früher bedeutend erweitertes Maß an Verantwortung überlassen, Willensbildung und sachliche Zielsetzung wurden von ihnen erwartet [...]. Draußen aber verblieben nach wie vor - freilich ohne den Schutz der Krone - [...] die großen Fachleute in den leitenden Stellungen [...]. Diese Künstler und Gelehrten zum Teil von Weltruf konnten unmöglich in den neuberufenen Sachbearbeitern des Ministers gleichberechtigte Potenzen erblicken. Ihr Wille mußte mit den Ideen der Ministerialbeamten zusammenstoßen, da der genauen Fach- und Betriebskenntnis der Autoritäten die programmatische Absicht und die ausführende Gewalt, zunächst aber auch eine lückenhafte Einsicht in die Dinge selbst bei den Vertretern des Ministers gegenüberstanden. Draußen entstand das Gefühl der Unterdrückung und Vergewaltigung der Fachleute mit bürokratischen Mitteln zugunsten anfechtbarer Ziele, drinnen, im Ministerium wuchs das Gefühl des Gehemmtseins in planmäßiger Reformarbeit durch eigenwillige und von starkem Selbstgefühl beherrschte Autoritäten." 101 Den momentanen „Kompromiß zwischen dem alten und dem neuen System" hielt Becker auf Dauer für unhaltbar. 102 Statt dessen warb er im Interesse einer fortgesetzten Reformarbeit um Unterstützung für eine stringente Kunstpolitik in der Trägerschaft seines Ministeriums. 103 Durch das Plädoyer, mit dem Becker auf die Notwendigkeit einer aktiven kunstpolitischen Rolle seines Ministeriums und die Kompetenz seiner Kunstreferenten pochte, gelang es dem Minister, nicht zuletzt mit Rückendeckung Brauns, 104 aber auch des nun zu seinem Parteigänger avancierenden Kunstkritikers Scheffler, 105 die Lage zumindest in Ansätzen zu entschärfen - auch wenn die Schillingskrise langfristig zum Topos wurde, der immer wieder gegen Becker instrumentalisiert wurde. 106 Das Kultusministerium hatte
101 Ebd., S. 28 f; vgl. dazu auch Waetzoldt 1933, S. 85; Schunk 1993, S. 427 f. 102 Ebd., S. 29. 103 Ebd., S. 30 f; zur Konkurrenz zwischen Preußen und dem Reich in diesem Zusammenhang vgl. Becker, 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6154; siehe dazu auch Klausner (DDP) u. Bohner (DDP), 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6148 u. 6157 f; Alfred Kuhn: Die Arbeit des Reichskunstwarts, in: Cie., Jg. 18, Nr. 22, Nov. 1926, S. 751 f; Rede Luther, 29.1.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 58/1; Becker, 16.3.1927, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 17870-17873. 104 Vgl. Müller 1991, S. 233; siehe dazu auch Becker an Braun, 30.12.1926, ms. u. Braun an Becker, 7.6.1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7997. 105 Vgl. dazu bes. Karl Scheffler: Das Berliner Museumschaos, in: Ku. u. Kii., Jg. 24, Nr. 7, April 1926, S. 261-271, S. 269-271; siehe dazu auch Ku. u. Kü., Jg. 25, Nr. 3, Dez. 1926, S. 115-118. 106 Vgl. Graef (DNVP), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 34 f; Koch (DNVP) u. von Brehmer (Dt.völk. FP), 11.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11572 f u. 11598; Albrecht Erich Günther: Lessings Nathan in Hannover u. Der unglückliche preußische Kultusminister, in: Deutsches Volkstum, H. 7, Juli 1926, S. 549-552 u. 560 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1674; ZA Berliner Volkszeitung, 13.4.1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7634; Oelze (DNVP), 6.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11220 f u. 11227; Kilian (KPD) u. Bohner (DDP), 14.12.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 7381-7384; Paul Zschorlich: Die Grundsätze
des
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Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
sich damit in den schwelenden Konflikten behauptet und die Stellung der Kunstabteilung unterstrichen. Gleichzeitig hatte die Schillingskrise das Thema Reorganisation der Kunstverwaltung (siehe Kap. II. 6.) erneut auf die Agenda gerückt.107 Entsprechend plädierte der während der Schillingskrise in die Kritik geratene Musikreferent des Ministeriums, Leo Kestenberg,108 vehement für eine institutionelle Stärkung der preußischen Kunstverwaltung.109 Die demonstrative kunstpolitische Positionierung des Ministeriums sowie nicht zuletzt der in der zweiten Hälfte der 20er Jahre größere Finanzspielraum, trugen schließlich tatsächlich dazu bei, daß unter Becker erstmals eine eigenständige ministerielle Kunstpolitik betrieben wurde, die nachhaltige Wirkung entfaltete.110 Träger der konturierteren Kunstpolitik waren zunächst weiterhin die unter Haenisch und Boelitz in der Kunstabteilung beschäftigten Referenten. Besonders Waetzoldt spielte eine entscheidende Rolle. Seine exponierte kunstpolitische Stellung111 gründete sich auf sein fortgesetztes Reformengagement, seinen Ruf und seine persönlichen Kontakte in Wissenschafts- und Museumskreisen112 sowie auf seine Nähe zu Becker,113 die wichtige Wurzeln etwa in der gemeinsamen Verbundenheit mit dem George-Kreis hatte.114 Seit Herbst 1927 kam es dann erstmals seit 1919/20 wieder zu einschneidenden personellen Veränderungen in der Kunstabteilung. Nachdem Waetzoldt im August 1927 von Gall, der sich in den Museumskonflikten nicht hatte behaupten können (siehe Kap. III. 4.), das Museumsreferat übernommen hatte,115 wurde der wichtigste preußische Kunstreferent der vergangenen
Kultusministeriums,
in: Deutsche Zeitung,
14.4.1929, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H.
Becker, Nr. 7748; Schmitz 1931, S. 167 u. 171. 107 Vgl. Becker 1925 a, S. 30; Waentig (SPD) u. Becker, 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 6 - 8 u. 17-19; Kuhn: Zur Reform
der öffentlichen
Kunstpflege
in Preußen,
in: Ku.chr., Jg. 59/2,
Nr. 40/41, 9. 16.1.1926, S. 625-628; Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 6, März 1926, S. 247 f; Jg. 25, Nr. 3, Dez. 1926, S. 115-118. 108 Vgl. dazu König (SPD) u. von Brehmer (Dt.völk FP), 14.12.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 7365 f u. 7392-7400. 109 Kestenberg: Probleme der preußischen Kunst- und Theaterverwaltung,
4.3.1926, ms., S. 10-15 u.
37 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1471. 110 Vgl. dazu auch P. W.: Neuerwerbungen
der Nationalgalerie, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 154 f.
111 Vgl. dazu auch Schunk 1993, S. 438. 112 Vgl. dazu z.B. das begeisterte Statement zu Waetzoldt in Justi an Becker, 1.2.1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2130; siehe auch Schunk 1993, S. 441-443 u. 445; Waetzoldt an Bode, 6.1.1926, ms., Waetzoldt an Bode, 19.5.1926, ms. u. Waetzoldt an Bode, 29.5.1926, ms. u. Waetzoldt an Bode, o. D. [nach 1926], hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t], 113 Vgl. Waetzoldt an Becker, 31.1.1931, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4942; Schunk 1993, S. 450-453. 114 Zur Haltung Waetzoldts vgl. Waetzoldt an Ak. d. Kü., 16.6.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 113; zum Kontext vgl. ausführlich Groppe 1997. 115 Vgl. Schunk 1993, S. 440 f; Watzinger 1944, S. 396; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 458; K. Sch.: Aus dem Kultusministerium,
in: Ku. u. Kü., Jg. 28, Nr. 9, Juni 1930, S. 381; zum Hintergrund siehe
auch Bode an Becker, 24.2.1927, ms. u. Becker an Bode, 28.2.1927, ms. / hs., in: GStA PK, I. H A
1.
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275
Jahre nur zwei Monate später als Nachfolger des ausscheidenden von Falke Generaldirektor der Staatsmuseen. 116 Gleichzeitig verließ auch sein Mitarbeiter Gericke die Kunstabteilung und übernahm im April 1928 in Rom die Leitung der wiedereröffneten Deutschen Akademie in der Villa Massimo. 117 Nach der Pensionierung Nentwigs im November 1929 1 1 8 trat Gall, der Ende 1927 parallel zur Zuständigkeit für die Denkmalpolitik von Waetzoldt das moderne Kunstreferat im Ressort übernommen hatte, 119 übergangsweise dessen Nachfolge als Abteilungsleiter an. 120 Noch im selben Jahr wurde Gall zum Direktor der staatlichen Schlösser- und Gärtenverwaltung ernannt. 121 Deutlich war hier das Bemühen erkennbar, eben die Männer, die die Kunstpolitik des Ressorts zuvor geprägt hatten, an wichtigen Schnittstellen der Kunstverwaltung einzusetzen, den Resonanzboden der ministeriellen Politik auf diese Weise zu vergrößern und so die Position des Ministeriums im Nachgang der Schillingskrise weiter zu stärken. 122 Wesentlich war dabei nicht zuletzt, daß die versetz-
116
117
118 119
Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7873; Notiz 26.2.1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1720; Alfred Kuhn: Der neue Generaldirektor der preußischen Staatsmuseen, in: Cie., Jg. 19, Nr. 5, März 1927, S. 167. Vgl. Ku.bl., Jg. 11, 1927, S. 170 f; Cie., Jg. 19, Nr. 17, 1. Sept.-Nr. 1927, S. 550; Rede Becker, 4.10.1927, ms. / hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1506; Watzinger 1944, S. 390 u. 392; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 458; Schunk 1993, S. 441-465. Vgl. Änderung in der Preußischen Kunstverwaltung, in: Ku. u. M J g . 8, Nr. 9, 1.9.1927, S. 200 f; Wiederöffnung der deutschen Kunstakademie in Rom, in: Ku. ». Wi., Jg. 9, Nr. 8, 15.4.1928, S. 123; Die Deutsche Akademie in Rom (Villa Massimo), in: Ku. ». Wi., Jg. 11, Nr. 6, 16.3.1930, S. 75 f; Schenk 1996 c; Liebermann an Gall, 16.12.1929, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/159, Bl. 123-124. Vgl. dazu auch Schmitz 1931, S. 49 f; Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft 1931, Bd. 2, S. 1310 f; Kestenberg 1961, S. 92. Vgl. K. Seh.: Aus dem Kultusministerium, in: Ku. ». Kü., Jg. 28, Nr. 9, Juni 1930, S. 381; Cie., Jg. 19, Nr. 17, 1. Sept.-Nr. 1927, S. 550; Änderung in der Preußischen Kunstverwaltung, in: Ku. ». Wi., Jg. 8, Nr. 9, 1.9.1927, S. 200 f; Alfred Kuhn: Zur Frage der öffentlichen Denkmalpflege in Preußen, in: Cie., Jg. 19, Nr. 19, 1. Okt.-Nr. 1927, S. 610 f; zu Galls Tätigkeit im Ministerium 1927-29 vgl. auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 402 f u. 495; Amersdorffer an Liebermann, 6.8.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/025, Bl. 125-126; Otto Marcus: Mitgliederversammlung in Nürnberg vom 11.-13. September. Verhandlungsbericht, in: Ku. ». Wi., Jg. 9, Nr. 17, 16.10.1928, S. 301-306; P. W.: Neuerwerbungen der Nationalgalerie, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 154 f.
120 Vgl. Oberpräsident Königsberg an Becker, 21.9.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 5834; Becker an Oberpräsident Königsberg, 5.11.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4757; KM an Präsident Ak. d. Kü., 16.11.1929, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/040, Bl. 96. 121 Vgl. Cie., Jg. 21, Nr. 22, Nov. 1929, S. 655; K. Sch.: Aus dem Kultusministerium, in: Ku. u. Kü., Jg. 28, Nr. 9, Juni 1930, S. 381; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 377; siehe dazu auch Alfred Kuhn: Zur Frage der öffentlichen Denkmalpflege in Preußen, in: Cie., Jg. 19, Nr. 19, 1. Okt.-Nr. 1927, S. 610 f; Justi an KM, 26.9.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 56, Bd. 1; zur Schlösserverwaltung vgl. Eggeling 1991, S. 17-19 u. 21-29; Waetzoldt 1933, S. 85; Kuhn: Zur Reform der öffentlichen Kunstpflege in Preußen, in: Ku.chr., Jg. 59/2, Nr. 40/41, 9./16.1.1926, S. 625-628; Bohner (DDP) u. Hübner, 17.2.1930, in: LT, WP 4, HA, Szg. 122, Sp. 19 f u. 24; LT, WP 4, HA, Szg. 122, Sp. 28. 122 Vgl. dazu Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 163; siehe dazu allerdings auch ebd., S. 402 f.
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III.
Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
ten Mitarbeiter einen Referentenstatus behielten und es, wie das Engagement Waetzoldts und Galls nach 1 9 2 7 / 2 8 belegt, tatsächlich verstanden, weiter entscheidende Akzente etwa in der Ankaufs- und Auftragspolitik des Ministeriums (siehe Kap. III. 6.2.) zu setzen. 1 2 3 Das Ressort suchte damit offensichtlich seine Neuorganisationsabsichten für die Kunstverwaltung zumindest kompromißhaft voranzutreiben. Gleichzeitig war die allseits begrüßte Ernennung Waetzoldts z u m Generaldirektor entscheidend für die Beruhigung der M u seumskonflikte (siehe Kap. III. 4.1.). 1 2 4 N a c h dem Wechsel Waetzoldts, Gerickes und Galls in Stellungen außerhalb des Ministeriums und nach dem Ausscheiden Nentwigs mußten die vakanten Posten in der Kunstabteilung neu besetzt werden. Als Nachfolger Waetzoldts im Ministerium fungierte seit 1 9 2 7 / 2 8 der promovierte Jurist Carl Haslinde (1893 - nach 1958). 1 2 5 N a c h d e m Haslinde 1 9 2 5 / 2 6 in der Verwaltungsabteilung des Ressorts beschäftigt gewesen war und in dieser Funktion seit dem Frühjahr 1926 an Ausschußsitzungen des Landtags zum Thema Kunst teilgenommen hatte, 1 2 6 trat er 1927 als Referent in die Kunstabteilung ein und wurde hier 1 9 2 8 / 2 9 zum Ministerialrat befördert. 1 2 7 Verantwortlich zeichnete er unter anderem für die Nationalgalerie und die Akademien. 1 2 8 Ende 1929 übernahm der Archäologe und Kunsthistoriker Paul Gustav H ü b n e r ( 1 8 8 8 - vor 1940) in der Nachfolge Nentwigs die Leitung der Kunstabtei-
123 Vgl. dazu Waetzoldt 1933, S. 85; Schunk 1993, S. 444; Handbuch preußischer Staat 1929, S. 233; Handbuch preußischer Staat 1930, S. 231; Handbuch preußischer Staat 1931, S. 231; zu Waetzoldts fortgesetzter Tätigkeit im Akademiebereich vgl. Beri. Mus., Jg. 49, Nr. 6, 1928, S. 141; Waetzoldt an FM, 25.7.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 10704; KM (Waetzoldt) an Präsident der Ak. d. Kü., 19.5.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/040, Bl. 46; siehe dazu auch Becker an Winckelmann, 7.3.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker Nr. 5126; Karl Scheffler: Kulturabbau, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, Dez. 1932, S. 468-470, S. 469; Änderung in der Preußischen Kunstverwaltung, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 9, 1.9.1927, S. 200 f. 124 Vgl. Schunk 1993, S. 441-443; Ku.bl.,]g. 11, 1927, S. 170 f; Alfred Kuhn: Der neue Generaldirektor der preußischen Staatsmuseen, in: Cie., Jg. 19, Nr. 5, März 1927, S. 167; Karl Scheffler: Die Generaldirektion der Berliner Museen, in: Ku. u. Kü., Jg. 25, Nr. 8, Mai 1927, S. 283-285; BodeMemoiren 1997, Bd. 1, S. 458 f. 125 Zu Haslinde vgl. Wer ist wer? 1958, S. 451; Berliner Adressbuch, 1927, S. 1158; Notiz N G , 9.5. 1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 1, Beih. 9; Hentzen 1972, S. 38. 126 Vgl. Handbuch preußischer Staat 1925, S. 185; Handbuch preußischer Staat 1926, S. 204; LT, WP 2, HA, Szg. 120/121, 22./23.4.1926, Sp. 2. 127 Vgl. Handbuch preußischer Staat 1927, S. 219; Handbuch preußischer Staat 1928, S. 226; Handbuch preußischer Staat 1929, S. 233; Handbuch preußischer Staat 1930, S. 231; Handbuch preußischer Staat 1931, S. 231; Liste, Juni 1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7997. 128 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 245, 298, 323, 331, 339 u. 426; Thormaehlen an Haslinde (KM), 17.11.1930, ms. u. Galerie Neumann-Nierendorf an N G , 4.9.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 6; Ury-Gedenkfeier in der Sezession, in: Ku.wan., Jg. 13, Nov. 1931, S. 84; Amersdorffer an Liebermann, 3.1.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/258, Bl. 11; KM (Haslinde) an Präsident Ak.d.Kü., 28.7.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/190, Bl. 195; KM an Präsident Ak. d. Kü., 16.11.1929, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/040, Bl. 96; Brenner 1972, S. 29.
1.
Rahmenbedingungen
277
lung. 129 Hübner, der wie Waetzoldt und Gali bei Adolph Goldschmidt studiert und bei A b y Warburg gearbeitet hatte, war vor dem Weltkrieg Assistent an der Bibliotheca Hertziana in Rom gewesen und hatte sich dort mit der Antikenrezeption in der Renaissance beschäftigt. 130 1919 war er als Kunstexperte ins preußische Finanzministerium eingetreten und hatte dort versucht, der vom Kultusministerium postulierten ästhetischen Sicht auf die Architektur Geltung zu verschaffen (siehe Kap. II. 6.). 131 In der Folgezeit hatte der Oberfinanzrat bei den Vermögensauseinandersetzungen zwischen Preußen und dem ehemaligen Königshaus mit der Kunstabteilung des Kultusressorts zusammengearbeitet. 132 1926/27 war er an der Gründung der Schlösserverwaltung beteiligt gewesen und im April 1927 schließlich deren erster Leiter geworden. 133 Aus dieser Stellung wechselte Hübner, dem der Cicerone „besondere menschliche und organisatorische Fähigkeiten neben einer hervorragenden wissenschaftlichen Begabung" zuschrieb, zum Ende der zweiten Amtszeit Beckers als Ministerialdirektor in die Kunstabteilung. 134 Mit Hübner und Haslinde traten zwei noch relativ junge, aber verwaltungserfahrene Männer in die Abteilung ein, die dem Ministerium und seinen Positionen bereits verbunden waren, bei denen davon auszugehen war, daß sie die bisherige Politik fortsetzen würden, und durch die zugleich, den Forderungen Kestenbergs von 1926 entsprechend, 135 die Tradition der paritätischen Stellenbesetzung durch Juristen und Fachleute fortgeschrieben wurde. 1 3 6 Regelmäßig im Haus Unter den Linden 4 ver129 Vgl. Cie., Jg. 21, Nr. 22, Nov. 1929, S. 655; Michaelis (Gemeinnützige Vereinigung zur Pflege deutscher Kunst) an Becker, 11.11.1929, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6799; Ku. u. Wz'., Jg. 11, Nr. 7, 1.4.1930, S. 94; Hanns Bastanier: Ein Vorschlag zur Güte, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 10, 16.5.1930, S. 146; K. Sch.: Aus dem Kultusministerium, in: Ku. u. Kü., Jg. 28, Nr. 9, Juni 1930, S. 381; Becker an Winckelmann, 7.3.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker Nr. 5126; Deutsche Albrecht-Dürer-Stiftung in Nürnberg, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 5, 16.6.1931, S. 37 f; Handbuch preußischer Staat 1930, S. 231; Handbuch preußischer Staat 1931, S. 231; Hentzen 1972, S. 37 f. 130 Zu Hübner vgl. Cie., Jg. 21, Nr. 22, Nov. 1929, S. 655; Bode-Memoiren 1997, Bd. 2, S. 391 f. 131 Siehe dazu z. B. Justi an KM, 9.2.1920, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 5. 132 Vgl. Eggeling 1991, S. 10-12 u. 21-29; Boelitz, 4.10.1922, in: LT, WP 1, Dr. 3677, S. 4354-4358; Gall an Hübner (FM), 9.4.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263; Hübner an Becker, 20.11.1925, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 3701; Cie., Jg. 21, Nr. 22, Nov. 1929, S. 655; Bode und der Hohenzollernvergleich, in: Ku.wan., Jg. 8, 1./2. Nov.-Nr. 1926, S. 121; P. W : Neuerwerbungen der Nationalgalerie, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 154 f; Ku. u. Kü., Jg. 25, Nr. 3, Dez. 1926, S. 115-118; Christoph: Ein Kaiserlicher Museumsdiener, in: Weltb., Jg. Uli, Nr. 49, 7.12.1926, S. 878 f; Schmitz 1931, S. 37, 52-86 u. 163; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 459 f. 133 Vgl. Hübner an Becker, 20.11.1925, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3701; Text [Hübner?], 1.11.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1423. 134 Cie., Jg. 21, Nr. 22, Nov. 1929, S. 655; vgl. dazu auch Justi an KM, 26.9.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 56, Bd. 1; Amersdorffer an Ministeralrat [KM], 26.5.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/025, Bl. 157-158. 135 Kestenberg: Probleme der preußischen Kunst- und Theaterverwaltung, 4.3.1926, ms., S. 14 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1471. 136 Zur Kritik daran, daß keine Künstler berufen wurden, vgl. Klausner (DDP), 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25689.
278
III. Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
anstaltete Kulturempfänge 1 3 7 ließen das Ministerium in dieser Zeit wie unter Haenisch als Ort offenen Austausches erscheinen. Der vergleichsweise kurzen Phase einer pointierteren preußischen Kunstpolitik 1926-28 setzte die internationale Wirtschaftskrise von 1929, deren Vorboten seit 1928 spürbar waren, bald ein Ende. Gleichzeitig begann sich mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus und der damit einhergehenden ideologischen Polarisierung auch die Diskussion um Kultur und Kunst wie nach 1918 wieder verstärkt zu politisieren. 138 War die Kunstpolitik des Kultusministeriums seit der Schillingskrise vor allem von rechts attackiert worden und hatten nicht zuletzt Beckers philosophisch-theoretische Ansprüche wegen ihres elitären Charakters seit Mitte der 20er Jahre Kritiker auf den Plan gerufen, 139 geriet der parteilose Minister trotz der integrierenden Funktion, die er zweifellos für das Kultur- und Geistesleben der 20er Jahre gehabt hatte, 140 nun endgültig zwischen die Fronten der sich verhärtenden politischen Lager. 141 Zumal 1928/29 D V P wie SPD Ansprüche auf den Posten des Kultusministers angemeldet hatten, war Becker vor diesem Hintergrund für die Regierung Braun letztlich nicht mehr haltbar. Nachdem die SPD gegen Brauns Willen zuvor auf Beckers Sturz hingearbeitet hatte, mußte der Kultusminister Ende Januar 1930 zurücktreten. 142 Becker engagierte sich fortan in der internationalen Bildungspolitik. Unter anderem war er für das Teachers College der Columbia University und 1931/32 in China für den
137 Vgl. Notiz, 4.11.1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1720; Josef Jeutter: Großer Empfang, in: Hamburger Fremdenblatt, 25.1.1929, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7767. 138 Vgl. dazu auch Campbell 1981, S. 282. 139 Vgl. Ignaz Wrobel: Hehler, in: Weltb. J g . 23/1, Nr. 9, 1.3.1927, S. 353 f; Weltb., Jg. 23/2, Nr. 51, 20.12.1927, S. 950; ZA Schlesische Zeitung, 29.12.1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7554; Eine Studie über Minister Becker, in: Deutsche Zeitung, 13.5.1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7649; ein Schulmann: Das Kultusministerium von der geschäftlichen Seite betrachtet, in: Weltb., Jg. 25/1, Nr. 5, 29.1.1929, S. 168-171; Weltb., Jg. 26/1, Nr. 6,4.2.1930, S. 223; Kerff (KPD), 2.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 5679-5682; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 393 f. 140 Vgl. dazu auch ZAs zu Beckers 50. Geburtstag, 13.4.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7634; Werner Mahrholz, in: Deutsche Lehrerzeitung, 29.4.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7711. 141 Vgl. Müller 1991, S. 400 f; Preußen in Weimar 1982, S. 82-87; siehe dazu auch GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1288, 1750, 1566, 1593, 1674, 6823, 7626, 7628, 7640, 7645, 7652, 7707, 7728, 7729, 7736, 7755 u. 7762; Ley (NSDAP), 15.4.1929, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 5807 f; LT, WP 3, Prot., Sp. 5704-5706, 5712 f, 5807 f, 10310 u. 10312; LT, WP 3, Dr. 1602; Ignaz Wrobel: Schulkampf, in: Weltb., Jg. 25/2, Nr. 40, 1.10.1929, S. 514-518; Müller 1991, S. 322. 142 Vgl. Möller 1985, S. 376-385 u. 388 f; Preußen in Weimar 1982, S. 82; Müller 1991, S. 233; Adolf Grimme Briefe 1967, S. 33 u. 242-246; Schunk 1993, S. 450; siehe dazu auch GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 2232, 3947, 4783, 6734, 6875, 7632, 7643, 7664, 7742, 7744, 7747, 7756, 7762, 7777 u. 7997; LT, WP 3, Dr. 2744, S. 2154; Bohner (DDP), 1.4.1930, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 13088-13090; Schmitz 1931, S. 246; Fritz Flamme an Becker, 20.3.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 667.
1.
Rahmenbedingungen
279
Völkerbund tätig. 143 Wenige Tage nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten starb er, erst 56 Jahre alt. 144 Nach dem erzwungenen Rücktritt Beckers wurde statt des von der SPD favorisierten Schulrats Christoph König auf Betreiben Brauns der sozialdemokratische Pädagoge Adolf Grimme neuer Kultusminister. 145 A m 31. Dezember 1889 in Goslar als Sohn eines Bahnassistenten geboren, hatte Grimme in Halle, München und Göttingen Philosophie, Germanistik und Philologie studiert und war dabei von Edmund Husserl, dem Begründer der Phänomenologie, geprägt worden. 146 Nach einer aus Krankheitsgründen beendeten Rekrutenausbildung hatte er 1 9 1 6 - 2 3 als Lehrer für Deutsch, Französisch, Philosophie und Religion in Leer und Hannover gearbeitet. 147 Nach der Revolution zunächst Mitglied der DDP, war er 1922 zur SPD gewechselt. 148 Gleichzeitig hatte sich der von den Ideen der Jugendbewegung beeinflußte Lehrer den Entschiedenen Schulreformern angeschlossen, die in Anknüpfung an Kerschensteiner und Lichtwarks Kunsterziehungsbewegung für eine auf den Menschen ausgerichtete Erneuerung der Schule und Lehrerausbildung eintraten. 149 Dieses Engagement hatte ihn in die Schulverwaltung geführt: 1923 war Grimme Dezernent beim Provinzialschulkollegium Hannover, 1925 Oberschulrat in Magdeburg und 1928/29 persönlicher Referent von Becker geworden, dessen Vorstellungen er sich begeistert anschloß. 150 1929 war er schließlich zum Vizepräsidenten des Provinzialschulkollegiums
143 Vgl. Müller 1991, S. 4; siehe dazu auch Adolf Grimme Briefe 1967, S. 44-46. 144 Siehe dazu ZAs 1930-33, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a; Gedächtnisrede Hans Heinrich Schaeder auf Becker auf Deutscher Welle, 14.2.1933, ms., S. 11 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1703; Nachruf auf Becker in: New Era, April 1933, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6848. 145 Vgl. Möller 1985, S. 389; Preußen in Weimar 1982, S. 82; Seiters 1990, S. 17; Müller 1991, S. 233 f; Adolf Grimme Briefe 1967, S. 33 u. 242-248; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 101; siehe auch Braun an Grimme, 30.1.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 92, Mappe 6; LT, WP 3, Dr. 3892, S. 3366; LT, WP 3, Prot., Sp. 10309; ZAs Jan./Febr. 1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6768. 146 Zu Grimme vgl. ausführlich Meissner 1993, hier S. 9-12; Seiters 1990, hier S. 7-13; Oschilewski 1966; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 185-191. 147 Vgl. Meissner 1993, S. 12-18; Seiters 1990, S. 12-15. 148 Vgl. Seiters 1990, S. 12 f; Meissner 1993, S. 22-27; Adolf Grimme Briefe 1967, S. 22-25, 239, 268-274 u. 258; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 84 u. 141 f; vgl. dazu auch Rede Grimme: Was soll nun werden7.1.1919, gedr., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 546. 149 Vgl. Meissner 1993, S. 18 f; Seiters 1990, S. 13-15, 26 u. 42-46; Oschilewski 1966, S. 88; vgl. auch Grimme 1922; Adolf Grimme Briefe 1967, S. 11; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 20-23, 66, 100, 109 f, 141 f u. 187 f; Paul Rehbock: Kultusminister Grimme als Studienrat in Hannover. Erinnerungen eines ehemaligen Schülers, in: Hannoversche Hochschul-Blätter, Nr. 5, Febr. 1930, S. 46 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 324; Paul Oesterreich: Grimme als Erzieher, in: BT, 20.4.1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 324. 150 Vgl. Meissner 1993, S. 19; Seiters 1990, S. 15-17; Adolf Grimme Briefe 1967, S. 12 u. 258; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 66 f.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
280
Berlin und Brandenburg ernannt worden. 151 Von dort wurde er auf Empfehlung Beckers 1 5 2 unerwartet zu dessen Nachfolger bestimmt. Braun berief damit im Gegensatz zur zeitgenössischen Erwartungshaltung „ohne Rücksicht auf den stagnierenden Parteiapparat gerade keinen Parteipolitiker [..], sondern einen für damals überraschend jungen Fachmann, der zwar seiner Partei angehörte, aber an dessen Willen zur Objektivität außer bei den Ewiggestrigen kein Zweifel bestand". 153 Zu Beginn seiner Amtszeit geriet Grimme zwar durch eine mißinterpretierte Rede 1 5 4 in den Ruf, Beckers individualistischer Persönlichkeitsbildung eine dezidierte Parteiperspektive entgegenstellen zu wollen. 155 Auch der bildungspolitische Anspruch Grimmes, dessen Denken stark von einem überkonfessionellen religiösen Sozialismus geprägt war, 156 war jedoch auf die Förderung der freien, sozialen Persönlichkeit ausgerichtet. 157 Bereits 1922 hatte Grimme die Erziehung zur Persönlichkeit als Weg bezeichnet, um von der „Masse" zum bewußten „Volk" zu werden. 158 Die an christlichen Werten orientierte Erziehung zum ganzheitlichen Menschen im Sinne Goethes hatte er als Voraussetzung für Mitverantwortung und eine Gesellschaft postuliert, in der sich jeder nach seinen Fähigkeiten engagieren sollte. 159 Zugleich hatte er ein Bewußtsein für die eigene Nation und deren Individualität gefordert, 160 auf dessen Basis sich das Volk letztlich in die internationale Gemeinschaft einbringen könne. 161 Nationalistische Einseitigkeit begriff er als Beschränkung der eigenen Entfaltungsmöglichkeiten. 162 Nachdem Grimme diese Haltung in den folgenden Jahren, 151 Vgl. Seiters 1990, S. 17. 152 Vgl. Meissner 1993, S. 31 f; Adolf Grimme Briefe 1967, S. 243; zum Verhältnis Becker - Grimme in der Folgezeit vgl. auch Adolf Grimme Briefe 1967, S. 4 4 - 4 6 . 153 Grimme an Peter Zylmann, 23.8.1959, in: Adolf Grimme Briefe 1967, S. 257-259, S. 259; siehe auch Meissner 1993, S. 28. 154 Grimme, 10.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 116, Sp. 9 - 1 1 ; ZAs März-Aug. 1930, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45. 155 Vgl. Meissner 1993, S. 28 u. 32 f; Adolf Grimme Briefe 1967, S. 35, 259 u. 263-265; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 101 f; ZAs Jan./Febr. 1930, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6768; ZAs Febr.-April 1930, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45; W. Mannhardt: Kultusminister Becker und seine Zeit, in: Deutsche Wacht, 12.8.1930, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6875; Welth., Jg. 26/1, Nr. 15, 8.4.1930, S. 562; Karl Reichel: Die Notwendigkeit
einer nationalen Erziehung,
in: Hamburger
Nachrichten,
29.1.1931,
in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7367; Grimme, 10.2.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 116, Sp. 34; Boelitz (DVP), 17.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 18866 f; Rhode (Wirtschaftspartei), 18.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 18928-35; Ausländer (KPD), 21.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 19240 f u. 19244; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 397. 156 Vgl. Meissner 1993, S. 26 f; Seiters 1990, S. 77-82; Oschilewski 1966, S. 88; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 141 f; Grimme 1918; Grimme 1922; Grimme 1923; Grimme 1932, S. 9-13; Grimme: Religion und Sozialismus, 13.12.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 562. 157 Vgl. Meissner 1993, S. 34; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 112-121. 158 Grimme 1922, S. 18. 159 Ebd., S. 20,23, 26, 53 u. 60. 160 Ebd., S. 25, 54, 56 f. 161 Ebd., S. 24 f. 162 Ebd., S. 25 f; ähnlich später auch Grimme 1932, S. 37 u. 4 6 - 5 4 .
1.
Rahmenbedingungen
etwa als Schriftleiter der Republikanischen
281 Warte, immer mehr auf die konkrete Situation in
Deutschland übertragen hatte, 163 definierte der neue Minister vor diesem Hintergrund im März 1930 auch seinen kulturpolitischen Anspruch. 1 6 4 Auf die Nazifizierung reagierend, stellte er die Erziehung zu Toleranz und eigenem Urteil neben der Abschaffung sozialer Bildungsprivilegien als Hauptanliegen seiner Bildungspolitik dar. 165 U m ein „in Persönlichkeiten gegliedertes Volk" entstehen zu lassen, 166 gelte es, sich zu besinnen „auf das Werden des Menschen als eines Trägers geistiger Werte, der das Gliedschaftsbewußtsein zur Masse des deutschen Volkes besitzt, und der dieses Volk erlebt als Glied in der Gemeinschaft aller Völker." 1 6 7 Das Verhältnis von Staat und Kultur wollte Grimme von der Idee der kulturellen Autonomie geprägt wissen. 168 Der Staat erhalte, so betonte er, „seinen Wert überhaupt erst von der Kulturidee her, in deren Dienst er steht, und er ist um so werthaltiger und hat eine um so größere Existenzberechtigung, je höher die Kultur steht, um deretwillen er als notwendige Rechtsorganisation besteht." 1 6 9 Deutlich knüpfte Grimme damit an Beckers Ideen der zweiten Hälfte der 20er Jahre an. 1 7 0 Vor allem die offene humanistische Haltung und das geistig-kulturelle Gesellschaftsverständnis verbanden. 171 In der politischen Praxis führte der neue Minister dementsprechend die Arbeit seines Vorgängers fort. 1 7 2 Die extremen Sparauflagen nach 1929/30 setzten einer aktiven Kulturpolitik jedoch bald immer engere Grenzen. 1 7 3 Während die Nazifizie163 Siehe dazu ζ. B. Adolf Grimme 1924; vgl. Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 177. 164 Vgl. Grimme 1932, S. 18-30; Zusammenfassung Rede Grimme, 31.3.1930, ms. / gedr., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 342; Grimme, 31.3.1930, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 1298812993,12996 u. 12999-13001; vgl. dazu auch ZAs März-Aug. 1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45. 165 Vgl. Grimme 1932, S. 21 u. 25-28; vgl. dazu auch Seiters 1990, S. 102. 166 Grimme 1932, S. 29 f. 167 Ebd., S. 30; vgl. dazu auch ebd., S. 18 f; Seiters 1990, S. 138. 168 Vgl. Grimme 1932, S. 20; vgl. dazu auch Meissner 1993, S. 29-31. 169 Grimme 1932, S. 19; ähnlich auch Rede Grimme: Die Sozialdemokratie als Kulturbewegung, 30.8. 1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 388. 170 Vgl. dazu auch Meissner 1993, S. 31; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 87-91; Verstimmte Koalitionsgefährten, in: Kasseler Neueste Nachrichten, Jg. 20, Nr. 27, 1./2.2.1930, S. 1, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7547; Becker, 3.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 57115713, 5715, 5720, 5723-5726, 5729 f u. 5732; Grimme an Wende, 12.12.1959, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 71, Mappe 43; Briefwechsel Becker - Grimme 1929-31, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a. 171 Vgl. dazu auch Seiters 1990, S. 17. 172 Vgl. Meissner 1993, S. 34 f u. 37; Seiters 1990, S. 18 f u. 44 f; Adolf Grimme Briefe 1967, S. 259 f; speziell zur Schulpolitik vgl. Wesen und Wege der Schulreform 1930; Rezensionen zu Wesen und Wege der Schulreform 1930, Die Schule der Selbstverantwortung. Becker - Beelitz - Grimme, in: Kölnische Zeitung, 6.4.1930, Max Lindenau: Adolf Grimme als Schulreformer, in: Königsberg Hartungsche Zeitung, 30.6.1930 u. Lindenau in: Königsberg Hartungsche Zeitung, 15.12.1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 324; Kurt Metzner (Pan-Verlag) an Grimme, 1.2.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 62, Mappe 1. 173 Vgl. Meissner 1993, S. 34 u. 42-44; Seiters 1990, S. 18 u. 45; Grimme: Kultur in Not. Ein Rundfunkvortrag des Staatsministers Grimme am 10.1.1932, in: Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 74, Nr. 2,
282
III. Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
rung der Kulturdebatte fortschritt und in Thüringen mit Wilhelm Frick 1930 erstmals ein Nationalsozialist Kultusminister wurde, 1 7 4 geriet Grimme mit seinem geistig-kulturellen Persönlichkeits- und Gemeinschaftsanspruch ähnlich wie Becker zunehmend zwischen die ideologischen Fronten. 1 7 5 Trotz des Bemühens, seine Ansprüche gerade auch gegenüber faschistisch-völkischen, antimodernen Tendenzen zu verteidigen und diesen damit die Stirn zu bieten, 176 kämpfte Grimme letztlich bis zum Ende der Regierung Braun im Juli 1932 auf immer verlorenerem Posten. Die Mitarbeiter der Kunstabteilung trugen die Politik des Ressortchefs während aller Bedrängungen mit. Komplettiert wurde die Abteilung im April 1930 trotz der Forderung nach einem Stellenabbau auch im Ministerium 1 7 7 noch einmal durch Oberregierungsrat Dr. Bruno Adriani. Adriani, der zuvor das Kunstreferat im Berliner Polizeipräsidium geleitet hatte (siehe Kap. III. 2.), 178 war in der Nachfolge Galls für die zeitgenössische Kunst zuständig. 179 Während Kestenberg und Seelig begleitet von antisemitischen Angriffen weiter die Musik- und Theaterpolitik prägten, 180 gestaltete Adriani gemeinsam mit Haslinde, Pallat, Trendelenburg und Hiecke bis zum Juli 1932, orientiert an den Tendenzen der vorangegangenen Jahre, die letzte Phase der demokratischen Kunstpolitik in Preußen. Wie das Ministerium insgesamt sah sich auch die Kunstabteilung zunehmend mit einer ideologisierten Wahrnehmung seiner Arbeit konfrontiert. Wurde die Berufung von Hübner und Adriani von der DDP, von Scheffler und verschiedenen Künstlerverbänden begrüßt, 181
174 175
176
177 178 179
180 181
20.1.1932, S. 46-49; Rundfunkvortrag Grimme: Kultur in Not, 10.1.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 398. Vgl. Rudolph 1999, S. 243-252; Rave 1987, S. 20-37; Willett 1981, S. 187. Vgl. Seiters 1990, S. 17 f; Adolf Grimme Briefe 1967, S. 33 f u. 236; Kunz 1981, S. 143-154; Grimme an Taut, 30.8.1946, Ds., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 69, Einzelne T, Mappe 3, Bl. 10; LT, WP 3, Prot., Sp. 10310, 10312, 13001 f, 13010, 13119-13122, 14366, 18958, 18963, 18865, 19240 f u. 19244; LT, WP 3, HA, Szg. 204, Sp. 26; LT, WP 3, Dr. 7588, S. 7579; Weltb., Jg. 26/1, Nr. 15, 8.4.1930, S. 562; ZAs Nov./Dez. 1930 u. ZA Deutsche Zeitung, Nr. 62, 14.3.1931, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45. Vgl. dazu Grimme: Vom politisierten zum politischen Volk, 5.7.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 562; ZA, 24.7.1932, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 406; ZAs April-Juli 1932, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45; Antwort Grimme auf Anfrage LT, 11.2.1931, in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X1, B, Nr. 3; KM an nachgeordnete Behörden, 27.7.1932, ms. / gedr., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen.-Pers., Bd. 5. Vgl. dazu LT, WP 3, Dr. 4707, S. 4372; LT, WP 3, Prot., Sp. 13073 f; LT, WP 3, HA, Szg. 148, Sp. 11-13; Lammers (Staatssekretär KM), 21.5.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 146, Sp. 13. Vgl. Mitgliederliste Gesamtkunstausschuß, 17.2.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/051, Bl. 33 r. Vgl. Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 7, 1.4.1930, S. 94; Hanns Bastanier: Ein Vorschlag zur Güte, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 10, 16.5.1930, S. 146; K. Sch.: Aus dem Kultusministerium, in: Ku. u. Kü., Jg. 28, Nr. 9, Juni 1930, S. 381; zu Adriani vgl. auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 403 u. Bd. 2, S. 242. Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 237; LT, WP 2, Prot., Sp. 25674; LT, WP 3, Dr. 506, S. 575; LT, WP 3, Prot., Sp. 6190 u. 6210 f; siehe dazu auch schon LT, WP 2, Prot., Sp. 7392-7400. Vgl. Bohner (DDP), 5.4.1930, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 13518 f; K. Sch.: Aus dem Kultusministerium, in: Ku. u. Kü., Jg. 28, Nr. 9, Juni 1930, S. 381; Die Kunst im Preußischen Landtag, in: Ku. u. Wï., Jg. 11, Nr. 9, 1.5.1930, S. 123.
1.
Rahmenbedingungen
283
bezog etwa der Völkische Beobachter das Kultusressort als „Ort, an dem sich das Ideologentum in der Pflege einer von der Kunst selbst losgelösten Kunstwissenschaft sehr wohl fühlte", in seine Hetze gegen die als „Baubolschewismus" diffamierte architektonische Moderne ein.182 Insgesamt unterstand das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung nach der Phase der Neuorientierung unter Haenisch also drei weiteren Ministern: 1921 für einige Monate übergangsweise und dann 1925-30 dem parteilosen Liberalen Carl Heinrich Becker, 1921-25 dem DVP-Politiker Otto Boelitz und schließlich in den beiden letzten Jahren der Republik bis 1932 dem Sozialdemokraten Adolf Grimme. Auch wenn jeder der Ressortchefs auf Grund individueller Überzeugungen wie in Reaktion auf die finanziellen und politischen Gegebenheiten seiner Amtszeit eigene kulturpolitische Akzente setzte, war die Ministeriumspolitik in den Jahren 1921-32 in deutlicher Anknüpfung an die unter Haenisch definierten Zielvorstellungen und die damals gesetzten Themen von einer starken Kontinuität gekennzeichnet.183 Als deren Eckpfeiler lassen sich ausmachen: 1. der parteienund schichtenübergreifende Anspruch; 2. die Absicht einer auf Individualität und Bereitschaft zur sozialen Verantwortung ausgerichteten ganzheitlichen Persönlichkeitsbildung, die dem Einzelnen wie der Gemeinschaft zugute kommen sollte; 3. die Intention der Stärkung des Bewußtseins für die eigene, auf Kultur und Geist gegründete nationale Gemeinschaft; sowie 4. das Ziel, über die Identität als Kulturgemeinschaft nationales Selbstbewußtsein aufbauen und so in weiterer Konsequenz einer internationalen Anerkennung den Boden bereiten zu wollen. Die trotz des Anspruchs auf sozialen Ausgleich letztlich bildungsbürgerlich-elitäre Idee einer Synthese von Geist/Kultur und Staat im Interesse der Vermittlung gesellschaftlicher Identität jenseits der Massengesellschaft blieb bis zum Schluß das Ideal des „Ministeriums des Geistes" 184 . Vor diesem Hintergrund ist die praktische Kunstpolitik des Ressorts in den Jahren 1921-32 zu sehen.
182 Eine Abrechnung
mit dem System der May, Gropius, Taut und Konsorten/, in: Völkischer
Beob-
achter, Nr. 193/194, 12./13.7.1931 [?], in: BArchB, R 32, Nr. 316, Bd. 2, Bl. 53; siehe dazu auch Kunstschulreform 1977, S. 207-209 u. 226-239. 183 Vgl. dazu auch Müller 1991, S. 226 f; Preußen in Weimar 1982, S. 82; Meissner 1993, S. 33; Bohner (DDP), 1.4.1930, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 13088-13090; Becker, 3.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 5711-5713, 5715, 5720, 5723-5726, 5729 f u. 5732. 184 Müller 1991, S. 402; Seiters 1990, S. 26.
2. Kunstfreiheit als konstante Maxime Unter Haenisch und Hoffmann war die Kunstfreiheit in Abgrenzung zu den einseitigrestriktiven Tendenzen der Kaiserzeit bald nach der Revolution zum Grundsatz staatlicher Kunstpolitik erklärt worden (siehe Kap. II. 2.). Das Ministerium Haenisch hatte sich gegen jede Reglementierung der Kunst ausgesprochen und sich auf die Seite der Gegner einer Wiedereinführung der Zensur gestellt. Gleichzeitig war das Ressort unter Haenisch im Kontext seines liberalen Anspruchs in die Kritik geraten. Zum einen war es hier im Umfeld der Großen Berliner Kunstausstellung um die Gefahr der Nivellierung und kunstpolitischen Gleichgültigkeit gegangen, wenn der Freiheitsgrundsatz allzu absolut gesetzt wurde. Zum anderen hatte die prononcierte Betonung des Freiheitsanspruchs dazu geführt, daß auf mißliebige Verwaltungsmaßnahmen schnell mit den Vorwurf der Kunstbevormundung trotz anderer Ansprüche reagiert wurde. Angesichts dessen war bereits vor 1921 die Notwendigkeit eines bewußteren Umgangs mit der Maxime der Kunstfreiheit deutlich geworden (siehe Kap. II. 4.2.). Nach dem Rücktritt Haenischs stellte die Idee der Kunstfreiheit weiterhin eine wesentliche Basis der ministeriellen Kunstpolitik dar. Boelitz hatte schon 1919 erklärt: „Selbstverständlich müssen [...] alle Richtungen der Kunst gepflegt werden, und man soll sich davor hüten, wieder eine ganz bestimmte Richtung als offizielle' zu proklamieren." 1 Und kurz nach dem Amtsantritt des neuen Ministers betonte Trendelenburg Ende 1921, wegen der „notwendigerweise subjektiven Einstellung aller künstlerischen Bestrebungen" gelte es, sich in der staatlichen Kunstpolitik aus Richtungskämpfen herauszuhalten und sich auf eine Förderung zu beschränken, die dem Neutralitätsanspruch gerecht werde. 2 Getragen vom Zuspruch der Regierungsparteien folgte das Ministerium Boelitz diesem Grundsatz offensichtlich auch in der Praxis. 3 Jenseits des allgemeinen Neutralitätsgrundsatzes gestaltete sich der Umgang mit dem Thema Kunstfreiheit dann jedoch seit 1921 tatsächlich differenzierter. Nachdem sich bei Waetzoldt schon Ende 1920 die Tendenz angedeutet hatte, dem uneingeschränkten Freiheitsanspruch eine zielgerichtetere, kunstwissenschaftlich fundierte Politik entgegenzusetzen (siehe Kap. II. 4.2.), hatte Waetzoldt wenig später in seinen Gedanken zur Kunstschulreform zu den Hintergründen dieser Bestrebungen Stellung genommen. Als wichtigen Aspekt, den es beim Umgang mit der Maxime der Kunstfreiheit zu bedenken gelte, hatte er hier betont: „Der ärgste Feind einer schöpferischen Gemeinschaft ist die Vermengung politischer und künstlerischer bezw. wissenschaftlicher Gesichtspunkte. Es gibt weder konservative' noch Revolutionäre' Kunst, sondern nur gute oder schlechte. Der Revolutionskitsch ist nicht weniger schlimm als der kaiserliche
1 Boelitz 1919 b, S. 42; vgl. auch Boelitz 1919 b, S. 43; Boelitz, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 5; Boelitz (DVP), 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 28. 2 Trendelenburg, 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 18. 3 Vgl. Heß (Z), 8.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 90, Sp. 4 f; Erkes (SPD), 22.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7433; Wegscheider (VSd) u. Hemming (DVP), 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 14 u. 16.
2. Kunstfreiheit als konstante Maxime
285
Kitsch." 4 Der Kunstreferent hatte sich damit für eine Kunst um ihrer selbst willen ausgesprochen, gleichzeitig aber, anders als Haenisch, für die staatliche Kunstpolitik sehr wohl eine Unterscheidung zwischen Kunst und Kitsch eben nicht aus weltanschaulichen Gründen, sondern allein auf der Grundlage fachlichen Urteils beansprucht. Der postulierten Verknüpfung von autonomem Kunstverständnis und Qualitätsanspruch suchte Waetzoldt in seiner kunstpolitischen Arbeit seit 1921 verstärkt gerecht zu werden. Konkret bedeutete das, daß das Ministerium nicht mehr quasi unbesehen in allen Fällen als Verteidiger der Kunstfreiheit auftrat. Entsprechend lehnte Waetzoldt, nachdem das Ministerium im selben Fall unter Haenisch noch auf den Grundsatz der Kunstfreiheit gepocht hatte (siehe Kap. II. 4.2.), Ende 1921 eine Stellungnahme im Prozeß gegen den Verlag Gurlitt 5 ab.6 Intern begründete er dies so: „Eine Anzahl bekannter Künstler: Corinth Zille - Rössner - Schoff - Janthur - Scheudrich haben Privatdrucke älterer und neuerer Zeit stark erotischen Inhalts illustriert. [...] Weder eine künstlerische Notwendigkeit für die Wahl der Motive noch eine so sehr künstlerische Qualität der Darstellung, daß darüber das Sujet in den Hintergrund träte, läßt sich zu Gunsten der vom Staatsanwalt als ,unzüchtig' beanstandeten Blätter anführen. Ein Interesse der Kunstverwaltung, vor der Öffentlichkeit als Verteidiger dieser Arbeiten aufzutreten[,] besteht demnach nicht." 7 Wie von Waetzoldt gewünscht teilte Becker dem Rechtsanwalt des Verlags Gurlitt daraufhin mit, „im dienstlichen Interesse" sei er nicht in der Lage, Waetzoldts Ladung vor Gericht zu genehmigen.8 Dort, wo es um Werke ging, von deren künstlerischem Wert Waetzoldt nicht überzeugt war, hielt sich das Ministerium also bewußt zurück. Zwar argumentierte man dabei nach außen, wohl um sich auf dem diffizilen Terrain der Kunstfreiheit nicht unnötig angreifbar zu machen, keineswegs inhaltlich, sondern versteckte sich hinter allgemeinen Floskeln. Faktisch aber war die Absage als Ausdruck der mittlerweile differenzierteren Haltung des Ressorts zum Thema Kunstfreiheit zu verstehen. Eben diese abwägendere Haltung ließ das ministerielle Engagement für die Wahrung der Kunstfreiheit in der folgenden Zeit um so bewußter erscheinen. Gestützt auf den Begriff der künstlerischen Qualität, trat das Ministerium durchaus auch in brisanten Fällen als Fürsprecher der Kunstfreiheit auf. Vom Generalstaatsanwalt zu einem Gutachten aufgefordert,9 4 Waetzoldt 1921, S. 33; zur Rezeption der Schrift vgl. Schwab: Aus der kunstpädagogischen
Reform-
bewegung (Teil 2), in: Ku.wart, Jg. 34/2, Nr. 11, Aug. 1921, S. 267-271. 5 Zum Prozeß vgl. Laube 1997, S. 177-182; Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 35, 27.5.1921, S. 673; GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 113-128 u. 196-197; Ignaz Wrobel: Der Venuswagen, in: Weltb. J g . 17/2, Nr. 44, 3.11.1921, S. 460 f; Grünspahn an KM, April 1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 112. 6 Wie sicher man mit Waetzolts Zusage gerechnet hatte, zeigt sich auch dadurch, daß bereits eine Sachverständigengebühr für den Referenten hinterlegt war, vgl. Abschr. Meyer, 19.10.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 86. 7 Notiz Waetzoldt, 24.10.1921, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 89 r-v; vgl. dazu auch die irrige Darstellung bei Schunk 1993, S. 436. 8 Entwurf Becker an Grünspahn, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 90. 9 Vgl. Generalstaatsanwalt Berlin an KM, 18.12.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 228 r.
286
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
äußerte sich Waetzoldt so zum Beispiel im Frühjahr 1923 zugunsten der wegen der Verbreitung unzüchtiger Schriften und Darstellungen vor der Beschlagnahmung stehenden Mappe Ecce Homo von George Grosz, einer Sammlung von hundert Aquarellen und Zeichnungen vor allem mit Bordellszenen.10 Zunächst hatte Waetzoldt, der trotz intensiver Bemühungen Probleme hatte, das umstrittene Werk einzusehen,11 dazu vorläufig bemerkt: „Der Illustrator Grosz ist bekannt als ein Künstler, der sich besonders für scharfe Satiren des Mittels einer - rein künstlerisch betrachtet - sehr beachtenswerten graphischen Kunst bedient." 12 Nachdem ihm die Mappe zur Verfügung stand,13 urteilte er dann: „Soweit künstlerische Gesichtspunkte in Betracht kommen, ist das [...] Werk ,Ecce homo' von George Grosz als eine beachtenswerte Leistung anzusprechen, die von künstlerischem Ernst zeugt." Gleichzeitig verwies er auf Versuche, das Werk politisch „auszunutzen".14 Waetzoldt trat so aus der Perspektive der künstlerischen Qualität jenseits politischer Aspekte für eine Anwendung des Kunstfreiheitsgrundsatzes zugunsten von Grosz ein. In diesem Engagement für eine Wahrung des Kunstfreiheitsgrundsatzes auch und gerade gegenüber der provozierenden Moderne sah sich das Ministerium mit Reichskunstwart Redslob einig.15 Aber auch Akademiepräsident Liebermann brachte sich in ähnlichem Sinne ein.16 Besonders im Kontrast zur Modernefeindlichkeit Brunners oder zur konservativen Haltung Hans Rosenhagens, die die Kunstprozesse zu Beginn der 20er Jahre ansonsten prägten,17 war dieser Einsatz als demonstratives Statement der Kunstverwaltung gegen zeitgenössische Bestrebungen zu verstehen, die Kunstfreiheit durch konkurrierende Gesetze zu unterhöhlen. Innerhalb des Kultusministeriums wurde Waetzoldts wissenschaftliche Kompetenz dabei zur Basis für einen aktiveren, pointierteren und in der Fachwelt ernst zu neh-
10 Vgl. Waetzoldt an Generalstaatsanwalt Berlin, 7.3.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 228 v; vgl. auch GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 276, 287-294 u. 297-299; Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 32. 11 Vgl. Buchhandlung Speyer & Peters an KM, 6.2.1923, ms. u. Generalstaatsanwalt Berlin an KM, 5.3.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V«, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 230 r u. 235 r. 12 Waetzoldt an Generalstaatsanwalt Berlin, 7.3.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 228 v; vgl. dazu auch Schunk 1993, S. 436 f. 13 Vgl. Generalstaatsanwalt Berlin an KM, 14.3.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 237. 14 KM an Generalstaatsanwalt Berlin, 6.4.1923, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 238. 15 Vgl. dazu ausführlich Laube 1997, S. 142-199; vgl. auch Abschr. Redslob: Denkschrift gegen gründete Beschlagnahmungen
von Kunstwerken,
unbe-
7.9.1921, ms. u. RMdl an KM, 21.9.1921, ms.,
in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 97-99; Edwin Redsob: Grundgedanken für die Arbeit des Reichskunstwarts, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 5, 28.10.1921, S. 75-78; Leiss 1971, S. 304 u. 310; Redslob 1972, S. 177; Mtgl. RT an RMdl, 12.10.1923, ms., Redslob an RMdl, 17.10.1923, ms. u. Vermerk RMdl, 2.11.1923, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8965, Bl. 181-184. 16 Vgl. Paret 1997, S. 69; Laube 1997, S. 150 u. 173; Diekmann / Kampe 1997, S. 491 u. 493; siehe dazu auch GStA PK, I. H A Rep. 76, V% Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 287-294 u. 297-299. 17 Vgl. Laube 1997, S. 152 u. 179; Ku.wan., Jg. 4, 1. Juni-Nr. 1922, S. 444; Hans Rosenhagen: Gegen die jüngste Malerei, in: Ku.wan., Jg. 6 , 1 . / 2 . Febr.-Nr. 1924, S. 155.
2. Kunstfreiheit als konstante Maxime
287
menderen Umgang mit der Kunstfreiheit, nachdem Haenischs absoluter Freiheitsanspruch zuvor auch in Kreisen, die einer liberalen Politik aufgeschlossen begegneten, in die Kritik geraten war. So bewußt sich das Kultusministerium aber auch für die Kunstfreiheit stark machte, 18 waren seine Eingriffsmöglichkeiten in laufenden Prozessen doch faktisch begrenzt. 19 Deutlich zeigte sich das, als im Oktober 1922 auf der im staatlichen Glaspalast gezeigten Juryfreien Kunstschau vier Bilder Georg Kobbes und Erich Godais sowie das Gemälde Mädchen vor dem Spiegel von Otto Dix als „unzüchtig" beschlagnahmt wurden. 20 Die Ausstellungsleitung wandte sich damals an das Kultusressort, berichtete über die bereits eingelegte Beschwerde und bemerkte: „Trotz aller Anerkennung bei Staat, Presse und weitester Öffentlichkeit wurde die freieste aller großen Kunstausstellungs-Organisationen schutzlos den Gewaltmaßnahmen der Strafbehörde ausgeliefert. In einer Zeit der größten Notlage deutscher Kunst ist erneut ein Beweis rücksichtsloser Knebelung eines eigene Wege gehenden freien Kunstschaffens gegeben." Man richte daher an das Ministerium das „dringende Ersuchen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Freiheit der Kunst wieder herzustellen und die Künstler vor Eingriffen in ihr Schaffen ausdrücklich in Schutz zu nehmen." 21 Waetzoldt konnte darauf allerdings nur antworten, man müsse den Erfolg der Beschwerde abwarten, und versprach: „Im Rahmen der mir zu Gebote stehenden - leider beschränkten - Möglichkeiten werde ich das Erforderliche veranlassen, um einer Beschlagnahme von Werken ernst strebender Künstler vorzubeugen." 22 Auf ein Hilfeersuchen Redslobs im gleichen Fall 23 blieb ihm ebenfalls nur der Hinweis: „Wenn ich auch die Beschlagnahme der Werke schon im Hinblick auf die Beunruhigung der schwer um ihr Dasein ringenden Künstlerkreise lebhaft bedauere, so sind doch leider die mir zu Gebote stehenden Möglichkeiten, um derartigen Maßnahmen vorzubeugen, nur beschränkt." 24 Generell gelte: Die Staatsanwaltschaften seien beim Verdacht strafbarer Handlungen zum Einschreiten verpflichtet. Beim Polizeipräsidium gebe es eine Kommission mit Experten für 18 Vgl. dazu auch K M an RMdl, 26.10.1921, ms. u. RMdl an KM, 17.11.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 91 u. 96. 19 Vgl. auch Arthur Zapp an KM, 9.6.1921, Ds., ms. u. Entwurf K M an Zapp, 11.8.1921, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 82-84. 20 Vgl. Von der Dada-Messe zum Bildersturm 1991, 1922 u. Abb. 8; Schunk 1993, S. 436; ZAs, 21.10./ 1.11.1922, in: BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 208-209; zu den Hintergründen siehe auch Abschr. Generalstaatsanwalt beim Landgericht I an Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, 2.11.1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8965, Bl. 78. 21 Vereinigung Bildender Künstler / Ausstellungsleitung Juryfreie Kunstschau an KM, 31.10.1922, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 187. 22 Waetzoldt an Vereinigung Bildender Künstler, 21.11.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 188. 23 Vgl. Redslob an Waetzoldt, 2.11.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 189-191; vgl. dazu auch RMdl an Justizministerium, 2.11.1922, hs., in: BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 207. 24 K M (Waetzoldt) an Redslob, 21.11.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 192, Bl. 192 r (auch in BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 309).
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Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Theater- und Literaturfragen, nicht hingegen für die bildende Kunst. Die Entscheidung liege letztlich bei den Gerichten. 25 Etwa gleichzeitig bestätigte ein weiterer Fall die begrenzten Einflußmöglichkeiten des Ressorts: Im September 1922 waren in der Novembergruppen-Abteilung der Großen Berliner Kunstausstellung zwei Bilder des badischen Künstlers Georg Scholz ebenfalls als „unzüchtig" beschlagnahmt worden. 26 Sofort hatte Scholz daraufhin beim Ministerium auf sein Renommée, den wirtschaftlichen Schaden durch die Beschlagnahme sowie mit Blick auf die Große Berliner Kunstausstellung generell darauf hingewiesen: „Das Vertrauen zu dieser Ausstellung muß außerhalb Preußens im Deutschen Reich durch ein derartiges Vorgehen preußischer Behörden schwer erschüttert werden!" Vom Ministerium forderte er daher, die Einziehung seiner Werke umgehend aufzuheben.27 Auch Redslob wandte sich gegen die Konfiszierung und schlug dem Kultusministerium angesichts der sich häufenden Fälle vor: „Wäre es nicht möglich, dass zu mindesten in den Ausstellungen, die der Staat veranstaltet, derartige Beschlagnahme nicht ohne Stellungnahme des [...] Ministeriums erfolgen dürfte; andernfalls wird das Ansehen der Ressorts, denen die Kunstpflege anvertraut ist, schwer beeinträchtigt." 28 Für eine solche Regelung fehlten allerdings die Grundlagen.29 Letztlich blieb dem Ministerium nach mehreren Vorsprachen beim Polizeipräsidium im Fall Scholz nur, den Künstler auf sein Beschwerderecht beim Amtsgericht aufmerksam zu machen.30 Parallel dazu ging es nun jedoch noch einen Schritt weiter und schrieb an das preußische Justizministerium: „In letzter Zeit mehren sich die Fälle, daß auf Anzeigen hin in den großen Berliner Kunstausstellungen [...] Werke der Malerei beschlagnahmt werden. Da es sich bei den letzten hier bekannt gewordenen Fällen um Werke anerkannter Künstler handelt, die als Zeitsatiren und Karikaturen von Menschen und Verhältnissen der Gegenwart gedacht sind, ist eine erneute Beunruhigung weiter Kreise der schwer um ihre wirtschaftliche Existenz ringenden Künstlerschaft und des kunstverständigen Publikums durch solche Beschlagnahmen zu erwarten. Ich würde es daher dankbar begrüßen, wenn die Staatsanwaltschaften angewiesen werden könnten, bevor sie auf Anzeigen 25 Ebd., Bl. 192 r-v; vgl. Schunk 1993, S. 436. 26 Dabei ging es um die Lithographie Sentimentaler
Matrose und das Aquarell Patriotisches Wan-
dertheater, zur Beschlagnahme und zum Prozeß vgl. Georg Scholz an KM, 27.9.1922, hs., RMdl an KM, 19.6.1923, ms. u. Justizministerium an KM, 23.2.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 180, 185, 242 u. 286. 27 Georg Scholz an KM, 27.9.1922, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 180 u. 185, Bl. 185 r. 28 Redslob an Waetzoldt, 8.11.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 199, Bl. 199 r; vgl. dazu auch Abschr. Georg Scholz an Redslob, o. D., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 200. 29 Vgl. auch Vermerk KM, o.D., hs., auf Redslob an Waetzoldt, 8.11.1922, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 199 r. 30 Vgl. Waetzoldt an Scholz, 16.11.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 186; Boelitz an Justizministerium, 16.11.1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 310; vgl. dazu auch Waetzoldt an Polizeipräsident, 9.10.1922, ms., Polizeipräsident an KM, 16.10.1922, ms., Notizen KM, o. D., hs. u. Justizministerium an KM, 24.2.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 1 8 1 , 1 8 4 , 1 8 6 u. 233.
2. Kunstfreiheit als konstante
Maxime
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aus Laienkreisen zu Beschlagnahmen schreiten, mich um Abgabe eines Sachverständigenurteils zu bitten." 31 Durch seine Reaktionen unterstrich das Ministerium, daß es die aktuellen Kunstbeschlagnahmungen angesichts seines Kunstförderanspruchs als kontraproduktiv mißbilligte. Gleichzeitig hatte es jedoch keine Handhabe, gegen die Maßnahmen vorzugehen. Daher kristallisierten sich im Herbst 1922 zwei Handlungsebenen heraus, auf denen das Ressort im Interesse der Kunstfreiheit zu agieren versuchte: 1. das Aktivwerden im Einzelfall durch Kontaktaufnahme mit den Justizbehörden und Hinweis auf das Beschwerderecht sowie 2. das Bemühen um eine Neuregelung der Sachverständigeneinbindung mit dem Ziel, ungerechtfertigte Prozesse bereits im Vorfeld zu vermeiden. Während das Agieren auf der ersten Ebene als Protestsignal wichtig war, knüpfte sich an die zweite Ebene die Hoffnung einer grundsätzlicheren Lösung des Widerspruchs zwischen offizieller Kunstfreiheitsgarantie und den sich häufenden Kunstprozessen - eben auf der Grundlage des vom Ministerium als so wesentlich erachteten Qualitätskriteriums. Entsprechend hatte sich das Kultusministerium bereits seit Ende 1921 für eine verstärkte, frühzeitige Einbeziehung von Fachgutachtern beim polizeilichen Vorgehen gegen Kunstwerke engagiert. Einig hatte es sich dabei mit dem Reichskunstwart gesehen, der seit Herbst 1921 konkrete Länderregelungen in diesem Sinne gefordert hatte. 32 Nachdem Haenisch der Ansicht gewesen war, Kunst gehöre generell nicht vor Gericht, und allenfalls für von Künstlern gewählte Kommissionen votiert hatte, 33 hatte sich das Ministerium Boelitz zunächst um die Bildung eines Sachverständigenbeirats beim Kultusressort selbst bemüht. Als Katalysator hatte hier offenbar eine Landtagsanfrage vom November 1921 gewirkt, in der um Auskunft darüber gebeten worden war, was das Staatsministerium unternehmen wolle, „um zu verhindern, daß trotz Abschaffung der Zensur unter seiner Verantwortung ein persönlicher Vernichtungskampf gegen Bildwerke, Romane, Theaterstücke und andere Produkte der Kunst geführt wird, der geeignet ist, nicht nur ideelle Werte zu zerstören, sondern darüber hinaus auch der Initiative der betroffenen Künstler die schwerste Dauerschädigung zuzufügen." 3 4 Seine Anfrage hatte Beyer mit Kritik an der in „schroffstem Gegen-
31 Boelitz an Justizministerium, 16.11.1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 310; vgl. auch Notizen Waetzoldt, 3.11.1922, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 184 v; Schunk 1993, S. 436. 32 Vgl. Laube 1997, S. 175 fu. 190-196; Abschr. Redslob: Denkschrift gegen unbegründete Beschlagnahmungen von Kunstwerken, 7.9.1921, ms., RMdl an KM, 21.9.1921, ms. u. Redslob an Waetzoldt, 2.11.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 97-99 u. 189-191. 33 Vgl. Haenisch 1921, S. 154-159; Haenisch, 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15756; Konrad Haenisch etc.: Gutachten über Brunner, in: Weltb., Jg. 17/2, Nr. 47, 24.11.1921, S. 521-525. 34 Beyer, 21.11.1921, in: LT, WP 1, Dr. 1425, S. 1609; vgl. dazu auch Innenministerium an KM, 7.12.1921, ms., Notiz KM, 14.12.1921, hs. u. Anfrage Beyer, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 100-101; zur Diskussion siehe auch LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 9; LT, WP 1, Prot., Sp. 7238 f, 17360, 17405 u. 17676; GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 173-179; Dr. Reichstag, [1921/22], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 130.
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Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
satz" zu den Auffassungen der Fachwelt stehenden Einflußnahme Brunners in aktuellen Prozessen verknüpft und dafür plädiert: „Es erscheint im Interesse der in der ganzen Welt hoch angesehenen deutschen Kunst erforderlich, nach Abschaffung der Zensur bei der Beurteilung von Kunstwerken durch eine einzelne Person in der Auswahl dieser eine gesteigerte Vorsicht anzuwenden, und wenn es nicht angängig ist, eine von den Künstlern selbst gewählte Kommission mit der Wahrung der Moral und Sitte durch künstlerische Produkte zu beauftragen, wenigstens einem tatsächlich sachverständigen und vom Vertrauen der Künstler und der Presse getragenen Zensor dieses für das freie künstlerische Schaffen bedeutungsvollste Amt zu übertragen." 35 Das Kultusministerium hatte daraufhin am 19. Dezember 1921 beim Innenressort darauf hingewiesen, ein Sachverständigenbeirat, der sich um die Verhinderung polizeilichen Eingreifens wie um eine „positive Förderung der Künste und des Theaters" kümmern werde, sei bei ihm seit längerem in Vorbereitung.36 Nach intensivem innerministeriellen Ringen um geeignete Formulierungen 37 war die Anfrage Beyers schließlich von Becker beantwortet worden: „Von einem persönlichen Vernichtungskampf gegen [...] Produkte der Kunst, der unter Verantwortung des Staatsministeriums geführt werde, ist [...] nichts bekannt. Das Staatsministerium ist sich der Bedeutung bewußt, die der Freiheit des Kunstschaffens für die künstlerische Initiative der Schaffenden und für die Förderung der Kunst zukommt. Es wird stets dahin wirken, dass die Freiheit der Kunst gewahrt bleibt. Andererseits darf die Staatsregierung die Fälle nicht übersehen, in denen aus geschäftlichen Rücksichten versucht wird, künstlerisch aufgemachten Schmutz als Kunstpflege auszugeben. Daher kann Freiheit auch auf diesem Gebiet nicht gleichbedeutend mit völliger Schrankenlosigkeit sein." 38 Becker hatte damit die differenzierte Sicht seines Ministeriums auf die Kunstfreiheit bekräftigt. Gleichzeitig hatte er die preußische Regierung gegen den Vorwurf einer Mißachtung der Kunstfreiheit verteidigt. Ohne sich näher zu Brunner zu positionieren, hatte er auf dessen Stellung im Wohlfahrtsministerium sowie auf das Engagement seines Ressorts für einen Sachverständigenbeirat hingewiesen39 und so bereits eine Alternative zur bisherigen Handhabung angedeutet. Im Herbst 1922 führten dann die Berliner Beschlagnahmungen erneut die Dringlichkeit einer Regelung der Sachverständigenfrage vor Augen. Das Kultusministerium betonte hier wiederum seine Bemühungen in diese Richtung. 40 35 Beyer, 21.11.1921, in: LT, W P l , D r . 1425, S. 1609. 36 KM an Innenministerium, 19.12.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 102; vgl. dazu auch Notiz KM, 14.12.1921, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 100. 37 Vgl. dazu GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 143, 148-149, 152-153, 155, 157-159 u. 162-163. 38 Becker, 6.5.1922, in: LT, W P 1, Dr. 2720, S. 3139; vgl. dazu auch Kunstabteilung an Präsident LT,
6.5.1922, hs. u. Das Kultusministerium
über die Freiheit
der Kunst, in: BT, 1922.[5],15, in: GStA
PK, I. H A Rep. 76, V% Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 152-153 u. 156. 39 Becker, 6.5.1922, in: LT, W P 1, Dr. 2720, S. 3139. 40 Vgl. auch Waetzoldt an Redslob, 21.11.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt.I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 192 u. BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 309; zur Unterstützung durch das RMdl vgl. auch Vermerk RMdl, Jan. 1923, hs. u. RMdl an KM, 30.1.1923, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 313-314.
2. Kunstfreiheit als konstante
Maxime
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Um den Jahreswechsel 1922/23 kam es in Besprechungen zwischen dem Kultusministerium und dem preußischen Justizressort zur entscheidenden Wende in der Gutachterfrage, als man sich darauf einigte, Kunstausschüsse einzusetzen, deren Aufgabe die Beratung von Polizei und Staatsanwaltschaft in Kunstfragen sein sollte.41 Während der Verhandlungen des Innen-, Kultus- und Justizressorts über diese Ausschüsse im Laufe des Jahres 1923 42 wurde, wie Waetzoldts Stellungnahme zu Ecce Homo nahelegt, offenbar übergangsweise der Fachreferent des Kultusministeriums bei Kunstprozessen als Gutachter hinzugezogen. 1924 zeitigten die Verhandlungen dann konkrete Ergebnisse: Nachdem Anfang des Jahres ein Entwurf des Kultusministeriums vorgelegt worden war und dieser den Landtag unbeanstandet passiert hatte,43 verfügten das preußische Kultus-, Justiz- und Innenministerium am 26. März 1924 die Bildung der Kunstausschüsse.44 „Zur Wahrung der Interessen wirklicher Kunst bei Maßnahmen der Polizeibehörden und der Staatsanwaltschaften zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und insbesondere auch der öffentlichen Sittlichkeit" wurde hier bestimmt: 1. „Bei den Polizeipräsidien in Berlin, Breslau, Dortmund, Frankfurt a. M., Gleiwitz, Halle, Hannover, Kiel, Köln, Königsberg und Stettin werden Kunstausschüsse gebildet", die bei allen strittigen Kunstfragen vor Gericht gehört werden sollen, vor allem „in solchen Fällen, in denen namhafte Künstler, künstlerische oder Verlagsunternehmungen betroffen werden." 45 Die Mitglieder der Ausschüsse, bei denen es sich um Verbandsvertreter oder Einzelpersönlichkeiten handeln kann, werden vom Polizeipräsidenten nach Rücksprache mit dem Generalstaatsanwalt berufen. 2. Unter der Geschäftsführung des Kultusministeriums wird bei den beteiligten drei preußischen Ministerien zudem ein Ausschuß für ganz Preußen gebildet, dem Vertreter der drei Minister angehören und der in besonders bedeutsamen oder strittigen Fällen unter Einbeziehung weiterer Sachverständiger eine gemeinsame ministerielle Entschließung vorbereiten soll. Mit der Verfügung war nach dem Urteil der zeitgenössischen Presse ein erster Schritt in Richtung der allzu lange vernachlässigten Sachverständigeneinbindung getan - nun aber komme es, meinte auch der Reichswirtschaftsverband bildender Künstler, auf die Umsetzung an.46 Dem Kultusministerium war es vermutlich auch deswegen wichtig, Verbands41 Vgl. Justizministerium an KM, 24.2.1923, ms. u. Notiz an Waetzoldt, 21.3.1923, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 233; vgl. dazu auch Petersen 1995, S. 189. 42 Vgl. Becker, 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 19; RMdl an KM, 19.6.1923, ms., Notiz [KM] an Waetzoldt, 12.7.1923, hs. u. Waetzoldt an RMdl, 28.8.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 242-243 u. BArchB, R 1501, Nr. 8965, Bl. 224. 43 Vgl. GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bl. 4 4 - 4 7 ; Waetzoldt an RMdl, 21.1.1924, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8966, Bl. 6; Kunst und Staatsautorität. Bildung von Kunstausschüssen bei den Polizeipräsidenten, in: BT, 23.3.1924, in: SAdK, PrAdK, 2.1/051, Bl. 75 r. 44 Vgl. Innenministerium, Justizministerium u. KM, 26.3.1924, in: Deutscher Reichsanzeiger, Nr. 86, 10.4.1924, in: SAdK, PrAdK, 2.1/051, Bl. 76 r; O. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 5, Mai 1924, S. 1-3; Sachkundige Berater bei preußischen Behörden, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 6, Juni 1924, S. 10; Petersen 1995, S. 190. 45 Innenministerium, Justizministerium u. KM, 26.3.1924, in: Deutscher
Reichsanzeiger,
Nr. 86,
10.4.1924, in: SAdK, PrAdK, 2.1/051, Bl. 76 r. 46 Vgl. O. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 5, Mai 1924, S. 1-3; Kunst und Staatsautorität. Bildung von Kunstausschüssen bei den Polizeipräsidenten, PrAdK, 2.1/051, Bl. 75 r.
in: BT, 23.3.1924, in: SAdK,
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III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
Vertreter in die weiteren Planungen einzubeziehen. Daher wurde am 25. September 1924 eine Sitzung im Ressort unter der Leitung Nentwigs anberaumt, bei der mit der Akademie der Künste und Fachverbänden über die Ausführungsbestimmungen zur Verfügung vom März 1924 diskutiert wurde.47 Hauptergebnis der Besprechung war: Wenn die Mehrheit innerhalb eines lokalen Kunstausschusses anders entschied als der Polizeipräsident, mußte der übergeordnete ministerielle Ausschuß einbezogen werden.48 Die am 20. Oktober 1924 von Boelitz veröffentlichten Ausführungsbestimmungen sahen tatsächlich eine entsprechende Regelung vor. Überdies wurde hier eine Ausschußbildung innerhalb von sechs Wochen und die Untergliederung jedes Ausschusses in drei Unterabteilungen für Theater, bildende Kunst und Literatur festgelegt.49 Die Weltbühne bemerkte dazu: „Dreiviertel Jahre nach der Verfügung über die Bildung von Kunstausschüssen, die den Polizeibehörden zur Vermeidung allzu großer Zensurmißgriffe beigesellt werden sollten, haben jetzt die preußischen Ministerien [...] Ausführungsbestimmungen zum besten gegeben, wonach die ganze Einrichtung völlig illusorisch sein wird." 50 Die Kritik galt der Ernennung der Ausschußmitglieder durch die Polizeipräsidenten. Angesichts dessen sei von vorneherein klar, daß nicht „Anwälte der gefährdeten geistigen Interessen", sondern lediglich neue Alibibehörden bestellt würden. Zudem sei die Justizbehörde nicht an die Sachgutachten gebunden. Wenn die Ausschüsse schon etabliert würden, müsse ihnen „absolutes Verfügungsrecht zugebilligt werden, oder das ganze ist nur eine Farce, und die Ausschüsse sind weiter nichts als eine bequeme Rückendeckung amtlichen Banausentums."51 Die Weltbühne wies damit auf die entscheidenden Schwachpunkte der Bestimmungen hin, über die sich deren vorsichtiger Charakter offenbarte.52 Dennoch stellten die Ausschüsse keineswegs eine ganz unbedeutende Neuerung dar: Immerhin gaben sie der ästhetischen Perspektive erstmals eine institutionalisierte und - dadurch, daß es sich um ein Gremium handelte - demokratisch fundierte Stimme vor Gericht. Daneben war hinter den Bürokratismen im Umfeld der Ausschußeinbeziehung die Tendenz zu vermuten, der Polizei bei Maßnahmen gegen die Kunst bewußt „einen Hemmschuh in den Weg zu legen."53 Überdies relativierte die Praxis die Befürchtungen der Weltbühne. So gab der enge Konnex zwischen der neuen Regelung und den Fachverbänden den Polizeipräsidenten bereits im Vorfeld offenbar wenig Spielraum für einseitige Berufungen. Entsprechend wies etwa die Mitgliederliste des Berliner Kunstausschusses von 1927 Namen auf, von denen eine zeitgemäße Vertretung künstlerischer Interessen durchaus zu erwarten war - gehörten dem neunzehnköpfigen Ausschuß neben Alexander Amersdorffer und Ludwig Dettmann von
47 Vgl. KM (Nentwig) an Ak. d. Kii., 13.9.1924, ms., Liebermann an KM, 23.9.1924, ms. u. Baußnern: Sitzungsbericht, 27.9.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/051, Bl. 72-74. 48 Vgl. Baußnern: Sitzungsbericht, 27.9.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/051, Bl. 72. 49 Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 66, Nr. 20, 5.11.1924, S. 283 f; vgl. auch Petersen 1995, S. 190; Der Instanzenzug der Kunstausschüsse, in: BT, 3.11.1924 u. Die Kunstausschüsse, in: Voss. Ztg., Abendausg., 4.11.1924, in: SAdK, PrAdK, 2.1/051, Bl. 70 r u. 71 r. 50 Willi Wolfradt: Kunstausschüsse, in: Weltb., Jg. 20/2, Nr. 46, 11.11.1924, S. 749 f, S. 749. 51 Ebd., S. 750. 52 Vgl. dazu auch Petersen 1995, S. 191 f. 53 Ebd., S. 192.
2. Kunstfreiheit als konstante
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der Akademie der Künste und Sprechern von Journalisten-, Bühnen-, Verleger- und Autorenverbänden doch zum Beispiel Heinrich Richter von der Novembergruppe, Ernst Pfannschmidt vom Verein Berliner Künstler und der sozialkritische Maler Hans Baluschek an.54 Mitglieder des Berliner Unterausschusses für bildende Kunst waren zudem etwa die fortschrittlichen Akademieprofessoren Philipp Franck und Otto Engel sowie die Kunstkritiker Herbert Ihering und Max Osborn. 55 Auch wenn die Empfehlungen der Kunstausschüsse keineswegs immer eine Schutzgarantie darstellten, verstanden sich die Mitglieder des im Gegensatz zu anderen Ausschüssen stark genutzten Berliner Kunstausschusses entsprechend als Instanz zur Wahrung der Kunstfreiheit. 56 Während sich Kirchen und Sittlichkeitsvereine an der Arbeit der Ausschüsse rieben, 57 wies auch die zeitgenössische Presse auf die Effektivität der Kunstausschüsse hin. So wurde die Tatsache, daß es gegen Ende der 20er Jahre kaum mehr zu Kunstbeschlagnahmen oder -prozessen kam, mit dem Wirken der Ausschüsse in Zusammenhang gebracht. 58 Vor diesem Hintergrund sind die vom Ressort Boelitz mit eingerichteten und bis zu ihrer Auflösung 1933 mitgetragenen Ausschüsse 59 als durchaus wegweisende Neuerung zu sehen, über die der Grundsatz der Kunstfreiheit gegenüber zeitgenössischen Zensurbestrebungen behauptet werden konnte, nachdem es zu Beginn der 20er Jahre wiederholt zu Verurteilungen anerkannter Künstler gekommen war. 60
54 Vgl. Mitgliederliste Gesamtkunstausschuß, 17.2.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/051, Bl. 33 r; vgl. dazu auch Petersen 1995, S. 190; zum möglichen Hintergrund vgl. Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 7, 1.4. 1930, S. 94. 55 Vgl. Polizeipräsident Berlin an [Ak. d. Kii.], 9.12.1925, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/051, Bl. 47 r; Protokoll Ak. d. Kü., Senat Kunstsektion, 8.11.1929, ms., Polizeipräsident (Grzesinski) an Ak. d. Kü., 10.2.1930, ms. u. Polizeipräsident (Grzesinski) an Ak.d.Kü., 22.3.1932, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/038, Bl. 35-38 u. SAdK, PrAdK, 2.1/051, Bl. 8, 12 r u. 14 r; Petersen 1995, S. 191; zur positiven Haltung des Ressorts zu Engel vgl. Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 12, Dez. 1925, S. 196; Öffentliche Kunstpflege, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 3, 1.3.1927, S. 71; zu Franck vgl. Diekmann / Kampe 1997, S. 88; Lammert 1996, S. 497; Brenner 1972, S. 128 f; Kampe 1996 a, S. 393; Franck an Präsident Ak. d. Kü., 3.1.1928, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/078, Bl. 68; Franck an Becker, 24.10.1926, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2879. 56 Vgl. Petersen 1995, S. 190 u. 192; vgl. dazu auch Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtsenat, 14.2.1929, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 340-344; Bohner (DDP), 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 20 f. 57 Vgl. Petersen 1995, S. 193. 58 Vgl. ebd., S. 192 u. 321. 59 Vgl. dazu Becker, 6.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6159; Wissenschaft, Kunst und Volksbildung 1929, S. 79; Petersen 1995, S. 193; siehe auch den Hinweis auf die nicht erhaltene Akte des Kultusressorts zu Theaterbeirat und Kunstausschüssen 1919-32 in Findbuch GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve. 60 So waren die Prozesse gegen Grosz 1923/24 und Scholz 1923/24 zu Ungunsten der Künstler entschieden worden, vgl. Laube 1997, S. 152; Petersen 1995, S. 199 u. 204 f; GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 275, 286-295 u. 297-299; Schmutz und Schund in der bildenden Kunst, in: Cie., Jg. 18, Nr. 22, Nov. 1926, S. 752 f. Auch im Fall Gurlitt hatte das Gericht gegen den Verlag entschieden, vgl. Laube 1997, S. 178-182; Petersen 1995, S.205. Dix war hingegen im Juni 1923 freigesprochen worden, vgl. Petersen 1995, S. 205; Fritz Stahl: Nachwort zum DixProzeß, in: BT, Nr. 304 [?], 30.6.1923 u. Justizministerium an RMdl, 16.7.1923, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8965, Bl. 89 u. 116; zur Thematik insgesamt vgl. ausführlich Petersen 1995, S. 180-205.
294
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Die durch Einbeziehung des Qualitätsbegriffs differenziertere Sicht auf die Kunstfreiheit führte indes nicht nur dazu, daß sich das Kultusministerium für eine verstärkte Sachverständigeneinbindung bei Gericht engagierte. Vielmehr legte die neue Sicht auch die Basis für einen veränderten Umgang mit der Großen Berliner Kunstausstellung (siehe Kap. II. 4.2.). Entsprechend reagierte Boelitz auf eine Eingabe des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz, die mehrere auf der Schau von 1924 gezeigte Werke unter dem Schlagwort „Vergiftung der Volksseele" als antireligiös moniert hatte,61 zwar mit dem Hinweis: „Über die Annahme und Hängung der Bilder entscheiden die von den ausstellenden Gruppen gewählten Kommissionen, auf deren Tätigkeit ich grundsätzlich keinen Einfluß nehmen kann." 62 Im Unterschied zu Haenisch, der jeden Eingriff kategorisch abgelehnt hatte, und anders auch als Redslob, der sich im konkreten Fall weit bedeckter hielt,63 fügte Boelitz dann allerdings hinzu: „Nach einer Uberprüfung der beanstandeten Werke hat mein Sachbearbeiter [...] Dr. Waetzoldt Veranlassung genommen, der Ausstellungsleitung nahezulegen, nach Möglichkeit den gegen eine Reihe von Werken geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen. Die das religiöse Empfinden verletzende Darstellung im Saal 18 ist im Verfolg dieser Verhandlungen aus der Ausstellung entfernt worden." 64 Auf eine weitere Eingabe in derselben Sache teilte man dem Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses zusätzlich mit, man habe der Großen Berliner Kunstausstellung gegenüber die Erwartung formuliert, „daß in Zukunft bei der Auswahl und Hängung der Bilder die gebotene Rücksicht auf sittliche und religiöse Empfindungen der Allgemeinheit nicht außeracht gelassen wird." 65 Waetzoldt hatte bereits zuvor erklärt: „Auch er sei der Uberzeugung, daß in der Auswahl einiger Zeichnungen auf der Großen Berliner Kunstausstellung Entgleisungen passiert seien. Dies würde auch von der Ausstellungsleitung bedauert. Sie habe mitgeteilt, daß sie im nächsten Jahr etwas vorsichtiger sein würde." 66 Das Ministerium hatte sich damit von seinem bisherigen Grundsatz der inhaltlichen Nichteinmischung bei der Großen Berliner Kunstausstellung distanziert und die Präsentation bestimmter Werke zwar nicht verboten, aber doch seinen Einfluß dahin gehend geltend gemacht, daß die monierten Werke teilweise entfernt wurden und ähnliche Werke in Zukunft von der Schau ausgeschlossen bleiben sollten. Dieses ministerielle Eingreifen ist in zweierlei Hinsicht aussagekräftig. Zum einen kann es als Beleg für ein aktiveres Agieren mit dem differenzierteren Kunstfreiheitsbegriff interpretiert werden - denn Sinn machte die Reaktion des Ministeriums angesichts des Festhaltens an einer Ablehnung der Zensur67 nur 61 Vgl. dazu auch die ähnliche Beschwerde von Ritter (DNVP), 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 10 f. 62 Abschr. Boelitz an Vaterländischen Frauenverein vom Roten Kreuz, 1.9.1924, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8966, Bl. 68 r. 63 Vgl. R K W an RMdl, 4.10.1924, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8966, Bl. 56 r. 64 Abschr. Boelitz an Vaterländischen Frauenverein vom Roten Kreuz, 1.9.1924, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8966, Bl. 68 r. 65 Abschr. KM an Präsident Deutscher Evangelischer Kirchenausschuß Charlottenburg, 7.11.1924, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8966, Bl. 67 r. 66 Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 20. 67 Vgl. dazu Boelitz, 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg.289, Sp. 5; Nentwig, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 29 f.
2. Kunstfreiheit als konstante
Maxime
295
vor dem Hintergrund der Einbeziehung des Qualitätskriteriums. Die Gutachterrolle Waetzoldts, aber auch die Charakterisierung der entfernten Werke als „Entgleisungen" legt dabei eine Unterscheidung zwischen Kunst und Unkunst, die dann zur kunstwissenschaftlich begründeten Distanzierung von den monierten Werken führte, tatsächlich nahe.68 Zum anderen offenbarte das Eingreifen das Interesse des Ministeriums, Konflikte im Umfeld der Glaspalastschau zu vermeiden. Vermutlich nahm das Ministerium solche Mißstimmungen im Kontext seiner Integrationsabsichten als ähnlich kontraproduktiv wahr wie die Kunstprozesse und suchte ihnen daher, wohl gerade auch vor den Landtagswahlen,69 durch eine ausgleichend-vermittelnde Politik zu begegnen. So stringent sich beide Aspekte, das Bemühen um Einbindung des Qualitätskriteriums wie um Ausgleich, aber auch in die Ressortpolitik einfügten, so sehr erwies sich das daraus resultierende Eingreifen gerade auf der seit 1918/19 zum Ausweis neuer Kunstfreiheit stilisierten Großen Berliner Kunstausstellung letztlich als Gratwanderung: Wenn die Anwendung des Qualitäts- und Ausgleichsansatzes wie 1924 zur negativen Restriktion führte statt in erster Linie einem positiven Kunstschutz zu dienen, drohte dies mit dem Anspruch der staatlichen Nichteinmischung zu kollidieren. Dies galt um so mehr, wenn sich wie im konkreten Fall die Grenzen zwischen der subjektiven Einschätzung des Fachmanns Waetzoldt, daß es sich bei bestimmten Objekten nicht um Kunst handelte und der Freiheitsgrundsatz daher nicht gelte, und einer Verletzung der Kunstfreiheitsgarantie - gerade angesichts des alternativen Urteils Redslobs - als derart fließend darstellten. Insgesamt unterstreicht das Eingreifen des Ressorts, wie widersprüchlich und tastend sich das Bemühen um eine Verbindung des Kunstfreiheitsgrundsatzes mit der im nationalintegrativen Interesse postulierten Kunstförderpolitik Mitte der 20er Jahre im Umfeld der Glaspalastschau noch gestaltete.70 Erst als das Ministerium in der zweiten Hälfte der 20er Jahre das Qualitätskriterium bereits im Vorfeld und nicht mehr erst im Nachhinein in aktivere eigene Förderkonzepte integrierte und das Interesse an der Glaspalastschau in diesem Zusammenhang endgültig schwand (siehe Kap. II. 4.2.), konnten hier Wege beschritten werden, die dem Anspruch auf Kunstfreiheit wie auf eine pointiertere kunstpolitische Positionierung überzeugender Rechnung trugen (siehe Kap. III. 6. und III. 7.). Trotz dieser Weiterentwicklung und der effektiven Arbeit der Kunstausschüsse seit 1925 riß die Diskussion um Zensurbestrebungen und staatliche Kunstbevormundung in der zweiten Hälfte der 20er Jahre nicht ab. Speziell das 1926 verabschiedete Gesetz zum Schutz der Jugend vor Schmutz und Schund rief eine breite Protestbewegung auf den Plan, in die sich etwa die Akademie der Künste und der Reichswirtschaftsverband bildender Künstler ein-
68 Allerdings geben die Akten keinen genauen Aufschluß über die Motive oder die konkret monierten Werke. 69 Im Dezember 1924 fanden Landtagswahlen statt, und Boelitz wollte in einer Großen Koalition mit dem Zentrum weiteramtieren (siehe Kap. III.l.); zur Haltung des Zentrums vgl. Faßbender (Z), 2 8 . 1 1 . 1 9 2 1 , in: LT, W P 1, H A , Szg. 75, Sp. 15; H e ß (Z) u. Hemming (DVP), 3 0 . 1 1 . 1922, in: LT, W P
1, H A , Szg. 154, Sp. 11 u. 16; Schwering (Z), 1 4 . 5 . 1 9 2 3 ,
Sp. 17370. 70 Vgl. dazu auch die allgemeinen Überlegungen in Fellbach-Stein 2001, S. 55.
in: LT, W P
1, Prot.,
296
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
reihten.71 Parallel dazu waren eine mögliche Theaterzensur und die Furcht vor inhaltlichen Reglementierungen durch die neue Dichtsektion an der Akademie der Künste Gegenstand intensiver Erörterungen.72 Der bereits unter Haenisch virulente Vorwurf, hinter bestimmten Verwaltungsmaßnahmen verberge sich eine bewußte Bevormundung der Kunst, stellte erneut einen beliebten Topos der Kritik am Kultusministerium dar. In der Schillingskrise 1925/26 wurde er in großem Maßstab zum Thema (siehe Kap. III. 1.). Der im Umfeld der Krise in die Enge gedrängte Minister Becker reagierte darauf, indem er die kunstpolitische Kompetenz seines Ressorts betonte und auf eine Unterscheidung zwischen rein verwaltungstechnisch-organisatorischen Maßnahmen und der Freiheit künstlerischen Schaffens Wert legte. Damit brachte er einen zweiten Aspekt in die Diskussion ein, der sich in den folgenden Jahren neben dem Qualitätskriterium als wesentlich für das Ressort erweisen sollte: den Aspekt des Verhältnisses zwischen Organisation und Freiheit bzw. zwischen Staat und Kunst. Als einer der ersten versuchte sich diesem Aspekt Leo Kestenberg, der Musikreferent des Ressorts, anzunähern, als er im März 1926 in Reaktion auf die Schillingskrise die Frage „wo sind die Grenzen staatlicher Regierung und künstlerischer Freiheit?" beantwortete: „Der Staat kann nur fördern, stützen, helfen und erziehen, er kann dem Künstler Gelegenheit für eine handwerklich sichere Fachbildung geben, er kann ihn durch Erteilung von Aufträgen fördern, durch staatliche Mittel in seiner Entwicklung stützen. [...] Während [..] der regierende Fürst oder der private Auftraggeber dem Künstler seinen Willen aufzuzwingen sucht, kann der heutige Staat nicht eine Richtung oder einen Kunstwillen bevorzugen, sondern er muß der Kunst, nicht einer künstlerischen Partei dienen. Die staatliche Kunstverwaltung muß Schaffende der verschiedenen Richtungen berufen, um dem vielfach geteilten, nicht einheitlichen Kunstwillen der Zeit Ausdruck zu geben. Für jede staatliche Verwaltung in einem demokratischen Staat wird die Freiheit der Kunst oberstes Gesetz sein [...]. Der
71 Vgl. dazu Kiwus 1996, S. 402 f; Brenner 1972, S. 15; Dichtsektion Ak. d. Kü. an KM, RMdl u. Reichsjustizministerium, 11.3.1927, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 4 4 6 - 4 4 8 ; Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 2, 1.2.1927, S. 26; Schmutz und Schund, in: Ku. u. Kü., Jg. 25, Nr. 6, März 1927, S. 230; Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtsenat, 14.2.1929, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 340-344; Hellwag: Die große Notversammlung Preußischen Herrenhause
am 5. November
der bildenden Künstler im
1925, in: Ku. u. Wz., Jg. 6, Nr. 12, Dez. 1925, S. 186-188;
Leiss 1971, S. 306; Lenman 1994, S. 55; Pfoser / Pfoser-Schewig / Renner 1993, S. 84-88; Buchhorn (DVP) u. Hoff (DDP), 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 4 u. 12; GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 74, 103-104, 203-227, 248-252, 300 u. 376-377. 72 Vgl. Fritz Gaupp: Krisis der Kunst, in: Ku.bl., Jg. 9, 1925, S. 89; Ignaz Wrobel: Hehler, in: Weltb., Jg. 23/1, Nr. 9, 1.3.1927, S. 353 f; Oestreicher (SPD) u. Bohner (DDP), 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6124 u. 6158 f; Kilian (KPD), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 27; Oestreicher (SPD ), 11.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11579; LT, W P 2, Prot., Sp. 11589; Schwenk (KPD) u. Kimbel (DNVP), 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 12 u. 24 f; LT, W P 2, Dr. 8584, S. 9703; Koch (DNVP) u. Schwering (Z), 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 2 5 6 6 8 - 25673 u. 25675 f; vgl. dazu auch schon Heß (Z), 8.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 90, Sp. 4 f; LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 4 f; Schwering (Z), 14.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17370; Heß (Z), 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 4.
2. Kunstfreiheit
als konstante
Maxime
29 7
republikanische Staat kann nur das Ziel verfolgen, die Entwicklung zu fördern, und mit allen Mitteln dahin zu arbeiten, daß junge Talente und neue Ideen, ganz gleich welcher Kunstgattung, durchdringen, daß sie Hilfe und Verständnis finden." 73 Hatte Kestenberg damit der Kunst selbst die wegweisende Rolle zugeschrieben74 und die Kunstfreiheit zum Ausgangspunkt republikanischer Kunstpolitik erklärt, erhielt die Frage des Zusammenhangs von Kunst und Staat zusätzliche Brisanz durch die Debatten um die Dichtsektion, deren Einrichtung nach den vergeblichen Vorstößen von 1919 (siehe Kap. II. 3.2.) auf Grund der verbesserten Finanzlage 1926 möglich wurde.75 Konkret stellte sich hier die Frage nach dem vermeintlichen Widerstreit zwischen Kunstfreiheit auf der einen und dem Anspruch auf staatliche Organisation auf der anderen Seite.76 Becker nahm dies zum Anlaß, pointiert dazu Stellung zu nehmen, wie er das „schwierige, ja delikate Verhältnis zwischen Kunst und Staat" interpretiert wissen wollte. In seiner Rede zur Gründung der Dichtsektion am 26. Oktober 1926 führte er aus: „Zwischen dem östlichen Pol eines starken Abhängigkeitsverhältnisses der Kunst vom Staat [...] und dem westlichen Pol einer Verweisung der Kunst auf die private Initiative [...] und damit einer vollkommenen äußeren Freiheit der Kunst steht die in Deutschland geschichtlich gewordene [...] Fülle von Wechselwirkungen zwischen staatlichen und künstlerischen Mächten und Daseinsformen. Kunst und Staat sind in der Auffassung des deutschen Menschen aufeinander angewiesene Organe des nationalen Lebens. Sie sollten sich nicht als Fremde gegenüberstehen oder gar als Gegensätze fühlen, vielmehr Diener sein am gemeinsamen Werk: der Erhaltung der Kultur unseres Vaterlandes." 77 Unter dem Einfluß Waetzoldts 78 suchte Becker hier Kunstfreiheit und Kunstpolitik miteinander auszusöhnen, indem er auf die enge Verquickung beider Seiten hinwies, sich zugleich aber von einer politisch-ideologischen Vereinnahmung der Kunst distanzierte.79 Beckers Definition fügte sich in sein generelles Verständnis demokratischer Kulturpolitik ein, für das er zuvor ein neues Verhältnis von Freiheit und Autorität als grundlegend postuliert hatte. Dazu hatte er sich etwa im Februar 1926 im preußischen Herrenhaus 80
73 Kestenberg: Probleme der preußischen
Kunst- und Theaterverwaltung,
4.3.1926, ms., S. 8 f, in:
GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1471. 74 Vgl. dazu für den Schulbereich ähnlich schon Boelitz 1925, S. 3. 75 Zur Dichtsektion vgl. ausführlich I. Jens 1989; Kiwus 1996, S. 399-422. 76 Siehe dazu Arno Holz: Entwurf einer,Deutschen schen Geistesarbeiterschaft. Öffentlichkeit,
Akademie'
als Vertreterin der geeinigten
deut-
Offener, sehr ausführlicher Brief und Bericht an die gesamte deutsche
1926, gedr., in: SAdK, PrAdK, 2.2/131, Bl. 183; ZA DAZ, 10.10.1926, in: BArchB,
R 1501, Nr. 8699, Bl. 244; Ku. u. Kü., Jg. 25, Nr. 3, Dez. 1926, S. 115-118; Klamt (Wirt. V.), 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18209. 77 Rede Becker, 26.10.1926, ms., S. 5 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1482; vgl. auch Pressetext, 26.10.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 98-103. 78 Vgl. Kürzel auf Rede Becker, 26.10.1926, ms., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1482; zum Kontext vgl. Schunk 1993, S. 438; Waetzoldt 1921, S. 5. 79 Vgl. dazu auch Amersdorffer an Präsident Ak. d. Kü., 21.1.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/010, Bl. 208; Becker, 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25681 f. 80 Zur Rede vgl. ZAs, 17.2.1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7215.
298
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
geäußert: „Kulturpolitik als organisatorische Massnahme ist [...] scharf zu trennen von der Kultur, die frei wachsen muss. Die moderne Demokratie hat keine einheitliche Kulturpolitik. [...] Demokratische Länder wie Amerika kennen eigentlich so gut wie gar keine amtliche Kulturpolitik, während z.B. im demokratischen Frankreich die Kulturpolitik [...] das Ziel der grossen Politik überhaupt darstellt. Preussen-Deutschland ist von jeher ein Erziehungsstaat gewesen [...], kann also eine staatliche Kulturpolitik ohne einen vollkommenen Bruch in seiner Entwicklung nicht entbehren. Wenn gegenüber dem Ueberwiegen der Autorität im alten Staate heute eine freiheitliche Selbstverantwortung getreten ist, so kann doch die neue Freiheit auch der selbstgesetzten Autorität nicht entbehren." 81 Als Träger dieser Autorität hatte Becker neben Reich und Ländern Kommunen, Kirchen, Interessenund Berufsverbände sowie Gewerkschaften benannt.82 Zugleich war er für eine einheitliche nationale Kulturpolitik eingetreten.83 Als Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Politik hatte er betont, der Staat müsse alles tun, „um die schöpferischen Kräfte in unserem Volke wieder frei zu machen. Keine politische oder religiöse Vergewaltigung, keine administrative Bevormundung, kein finanzielles Knausern." 84 Becker hatte die freie Entfaltung der „schöpferischen Kräfte" so zur Grundbedingung für eine selbstbewußte nationale Kulturpolitik erklärt. Die freie Kunstentfaltung wurde demnach als konstitutives Element in die nationale Identitätsbildung eingebunden. Für die kunstpolitische Praxis bedeutete dies, daß das Ministerium Becker Kunst und Künstler auf der Basis verbesserter finanzieller Möglichkeiten breit förderte und innovative Tendenzen prononciert in die eigenen Bestrebungen einband, daß sich das Ministerium aber gleichzeitig darum bemühte, bei dieser Förderung allein dem Grundsatz künstlerischer Qualität zu folgen und sich nicht einseitig auf bestimmte Richtungen festzulegen oder gar Einfluß auf die Gestaltung einzelner Werke zu nehmen (siehe Kap. III. 6.). Ahnlich wie Becker es ablehnte, in staatliche Spielplangestaltungen einzugreifen,85 vermied er es vor diesem Hintergrund etwa, in Ausschüssen einzelner Künstlervereinigungen vertreten zu sein.86 Obgleich der Minister mit dem Anspruch auf Neutralität gegen Ende der 20er Jahre, auch angesichts der wachsenden Ideologisierung der Kunst, zunehmend in die Kritik geriet,87 81 Rede-Auszug Becker: Kulturpolitik in der modernen Demokratie,
16.2.1926, ms., S. 1, in: GStA
PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1374. 82 Ebd., S. 1 f. 83 Ebd., S. 2 f. 84 Ebd., S. 4. 85 Vgl. Becker, 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 19 f u. 22; zur Diskussion darum siehe Bohner (DDP), 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 38; Lehmann (DNVP), 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18177 f; Koch (DNVP) u. Schwering (Z), 17.3.1928, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 25668-25673 u. 25675 f. 86 Vgl. dazu KM (Nentwig) an Redslob, 28.2.1927, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 48; Verein der Künstlerinnen zu Berlin an Becker, Jan. 1929, gedr., Notiz KM, 2.1.1929, hs. u. KM an Vereinspräsidium, 2.1.1929, Ds., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2575. 87 Vgl. Ignaz Wrobel: Hehler, in: Weltb., Jg. 23/1, Nr. 9, 1.3.1927, S. 353 f; Was im roten
Preußen
möglich ist, in: Das Bayerische Vaterland, Jg. 62, Nr. 89,17.4.1929, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1288; Noack (DNVP), 19.4.1929, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 6195 u. 6198; zur Polarisierung der Zensurdiskussion seit 1927/28 vgl. auch LT, W P 2, Dr. 8584, S. 9703; LT, W P 2,
2. Kunstfreiheit
als konstante
299
Maxime
blieb das seit 1926 betonte Kulturstaatsverständnis bis zu Beckers Rücktritt maßgeblich.88 Die freie Entfaltung der Kunst und deren Verknüpfung mit einem wissenschaftlichen Qualitätsmaßstab wurden zur Grundlage einer aktiven republikanischen Kunstpolitik, über die sich nationale Integration und internationale Anerkennung vermitteln sollten. 89 Trotz starker Anfeindungen von außen 90 hielt auch Grimme am Grundsatz der staatlichen Neutralität in Kunstfragen fest - und mehr noch: Während die extremen Parteien der Rechten wie der Linken eine Einbindung ihres Parteistandpunktes in die Kunst forderten und unter Fricks Verantwortung in Thüringen, aber etwa auch in Norddeutschland aus politisch-ideologischen Gründen gegen bestimmte Kunstwerke und Künstler vorgegangen wurde,91 betonte der preußische Kultusminister demonstrativ die Bedeutung der Freiheit von Kultur und Kunst. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit spitzte Grimme seine Position zu, indem er am 31. März 1930 im Landtag erklärte, der Staat sei „kein Souverän, der der Kultur von sich aus Zwecke setzt. [...] Angebracht ist alles Programmatische nur insoweit, als es darauf abzielt, der Kultur die Voraussetzung für ihr freies Wachstum zu schenken, ihr die Bedingungen zu garantieren, unter denen sie sich entfalten kann, und ihr die Hemmnisse aus dem Weg zu räumen, die sich ihr entgegenstellen. Denn der Staat macht nicht die Kultur, aber er macht sie möglich." 92 Von diesem Grundverständnis ausgehend, definierte der Minister Anfang Oktober 1930 in einem in der Deutschen Tonkünstlerzeitung veröffentlichten Aufsatz 93 , wie er die Rolle der Kunst in diesem Zusammenhang verstanden wissen wollte. Zunächst verwies er hier darauf, daß zu den „geistigen Werten, vor denen der Staat Achtung hat, auch, und sogar in vorderster Linie die Kunst gehört, [...] daß sie die stärkste Macht zur geistigen Volksformung ist". 94 Daraus folgerte er, „daß diese Achtung vor der Kunst der Staat auch da
Prot., Sp. 18177 f, 25668-25673 u. 25675 f; LT, W P 3, Dr. 2194, S. 1496; Dr. 1777, S. 1225; LT, W P 3, HA, Szg. 56, Sp. 14, 16, 19-21 u. 36 f; Szg. 275, Sp. 3751-3756/54; LT, W P 3, Prot., Sp. 6199 f, 6205 f, 6208 f, 6211 f u. 6213 f; ZAs Juni 1929, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7632. 88 Vgl. dazu z.B. Rede Becker: Preussisch-deutsche
Kulturpolitik seit der Staatsumwälzung,
17.5.
1928, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1542. 89 Zur Breitenwirkung der Auffassung vgl. auch Sonderdruck Staatslexikon-Artikel
Kulturpolitik
von Georg Schreiber, 1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6065. 90 Vgl. Albert Lamm: Staatliche Kunstschulen, in: Ku. u. Kü., Jg. 30, 1931, S. 3 9 - 4 3 ; Schulz (KPD) u. Baecker (DNVP), 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 18, 21 u. 26 f; Schenk etc. (KPD), 24.4.1930, in: LT, W P 3, Dr. 4199, S. 3581; Schulz (KPD), 4.4.1930, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 13475-13478 u. 13480; Ausländer (KPD), 21.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 19243. 91 Vgl. dazu Zensur, in: Kunst der Zeit, Jg. N F 1, Nr. 8, Mai 1930, S. 190 f; Ο. M.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi„ Jg. 11, Nr. 21, 16.12.1930, S. 315 f; Rave 1968, S. 36; Rudolph 1999, S. 247-251; Koch (DNVP), König (SPD) u. Schulz (KPD), 4.4.1930, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 13456-13470, 1347413478 u. 13480-13484; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 19213-19215. 92 Grimme 1932 a, S. 19; vgl. dazu auch Zusammenfassung Rede Grimme, 31.3.1930, ms. / gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 342. 93 Grimme 1930; auch in: BArchB, R 32, Nr. 273, Bd. 1, Bl. 145-154. 94 Grimme 1930, S. 263.
300
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
beweisen sollte, wo er durch das Medium der Kunst Wahrheiten zu hören kriegt, die ihm nicht sehr bequem sind." Zwar sei richtig, „daß die Freiheit, die der demokratische Staat gewährt, im Umkreis der Machtbehauptung eben dieser Freiheit selbst nicht eine absolute sein kann", daß die Freiheit also nicht zur Bedrohung des Staats führen dürfe.95 Dem gegenüber sei aber festzuhalten, „daß für den Staat im Bereiche der Kunst Duldsamkeit nicht nur am Platze ist, sondern [...] Gebot des inneren Wachstums des staatlichen Lebens selbst." 96 Das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Staat sei produktiv und keinesfalls zu unterdrücken. Unerträglich werde die Spannung erst, „wenn die Bühne entgegen den Gesetzen der Kunst, eine Stätte wird, auf der sich der ungeformte Kampf um die Macht im Staate genau so, nur mit anderen Akzenten, abspielt wie im Parlament." Wo es jedoch um Schöpferisches gehe, da müsse „auch der Staat selbstsichere Kraft und moralische Größe aufbringen, Hort der Freiheit der Kunst zu sein - auch der Kunst, die diesem Staat einen Spiegel vorhält, der kein Adonisbild zurückwirft. Ein Staat[,] der fürchten müßte, unter Mitwirkung der Dichter seiner Zeit ins Rutschen zu geraten, der also nicht mehr die Mahnung hören wollte, daß er selbst wachsen muß, der würde reif sein, daß er falle." Umgekehrt hänge die Zukunft des Staates von der Einsicht ab, „daß die Freiheit des künstlerischen Wachstums das diplomatische Mittel ist, eine Verschmelzung wahr zu machen zwischen Staat und Kunst." 9 7 Grimme forderte die Kunst damit nicht nur als integrierende, sondern auch als kritische Kraft ein, die die von ihm angestrebte nationale Gemeinschaft eigenverantwortlicher Persönlichkeiten formen und voranbringen sollte - wobei die Betonung der unbequemen Kunst vor dem Hintergrund der damals aktuellen Prozesse gegen Grosz 9 8 durchaus als Statement zugunsten eines fortgesetzten Engagements des Ministeriums für die Kunstfreiheit auch vor Gericht zu lesen ist. Die Kunstfreiheit avancierte in Grimmes Vorstellung zum Maßstab, über den sich Qualität und Entwicklungsfähigkeit von Staat und Gesellschaft erschlossen. Von einer parteipolitischen Instrumentalisierung der Kunst distanzierte er sich nachdrücklich. Deutlich suchte er so über das Thema Kunstfreiheit ein demonstratives Signal gegen die parteipolitisch-ideologische Polarisierung zu Beginn der 30er Jahre zu setzen,
95 Vgl. dazu ähnlich auch schon Grimme 1932 a, S. 20. 96 Grimme 1930, S. 263. 97 Ebd., S. 264. 98 Vgl. dazu Laube 1997, S. 153-170; Petersen 1995, S. 198-203; Windhöfel 1995, S. 199-202; Ku.bl., Jg. 13, 1929, S. 61; Bohner (DDP) u. Noack (DNVP), 19.4.1929, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 62116214, 6195 u. 6198; Was im roten Preußen möglich ist, in: Das Bayerische Vaterland, Jg. 62, Nr. 89, 17.4.1929, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1288; George Gro.sz freigesprochen, in: Ku. u. Wi„ Jg. 10, Nr. 9 , 1 . 5 . 1 9 2 9 , S. 134; Das Urteil im George-Grosz-Prozeß,
in: Weltb., Jg. 25,
1, Nr. 19, 7.5.1929, S. 708-713; Schenk etc. (KPD), 1930, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 11288, 11575 u. 11922; Schulz (KPD) u. Koch (DNVP), 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 26-28; Schenk etc. (KPD), 24.4.1930, in: LT, W P 3, Dr. 4199, S. 3581; Koch (DNVP), 1.4.1930, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 13149 f; Schulz (KPD), 4.4.1930, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 13475-13478 u. 13480; Künstler gegen die Freiheit der Kunst, in: Kunst der Zeit, Jg. N F 1, Nr. 9, Juni 1930, S. 205 f; Der gelästerte Christus. Zweites Siegert-Urteil 1931, S. 311-316.
im Prozeß George Grosz, in: Weltb., Jg. 27, 1, Nr. 9, 3.3.
2. Kunstfreiheit als konstante Maxime
301
die seinem Integrationsanspruch so fundamental zuwiderlief." Der Anspruch auf Kunstfreiheit und eine nur der künstlerischen Qualität verpflichtete Förderung verschiedener Richtungen blieb für das Kultusressort letztlich bis zum Sommer 1932 wegweisend. Inhaltlich-politisch motivierte Restriktionen gegen die Kunst gab es dementsprechend unter Grimmes Ägide nicht.
99 Siehe dazu auch die Anspielung auf die Vorgänge in Thüringen unter Frick in Grimme 1932 a, S. 20; vgl. dazu auch Schenk etc. (KPD), 24.4.1930, in: LT, WP 3, Dr. 4199, S. 3581; Bohner (DDP), 5.4.1930, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 13519 f; Bohner (Dt. Staatsp.), 20.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19207; zum Kontext vgl. Laube 1997, S. 196-199.
3. Akademiepolitik 3.1. Reform der Künstlerausbildung Als Becker im April 1921 Minister wurde, stand die Tendenz der vom Ressort angestrebten Kunstschulreform bereits fest. Waetzoldts Gedanken zur Kunstschulreform hatten die Zielvorgaben in diesem Bereich kurz vor dem Ende der Amtszeit Haenischs auf den Punkt gebracht. In Affinität zu den Ideen des Werkbunds waren hier als Kernforderungen betont worden: die handwerkliche Basis des Unterrichts, die gemeinsame Ausbildung von Architekten, Künstlern und Kunstgewerblern, individuelles Talent und eigenständige Kreativität der Schüler sowie die Persönlichkeit der Lehrer als Säulen der Künstlerausbildung. Umgesetzt werden sollte dies in der „Einheitskunstschule", die der wirtschaftlichen Bedeutung der Kunst gerecht werden und sich stringent in das vom Ministerium postulierte Konzept der nationalen Einheitsbildung einfügen sollte. Vor allem in Breslau, aber auch in Düsseldorf waren unter Haenisch wichtige Strukturreformen in Angriff genommen worden, die einer Umsetzung der Ansprüche den Weg ebneten. Mit ähnlichem Anliegen hatte sich das Ministerium zudem um eine Einbindung innovativer Künstler und insbesondere prominenter Werkbundvertreter in die ihm unterstehenden Kunstakademien bemüht (siehe Kap. II. 3.2.). Das Ministerium Becker führte diese Politik nahtlos fort. So fand die Einbeziehung von Behrens und Dülberg in den Lehrbetrieb (siehe Kap. II. 3.2.) erst jetzt ihren endgültigen Abschluß. Daneben stand unter Becker jedoch zunächst ein Thema im Vordergrund der Kunstschulpolitik: die unter Haenisch vorbereitete drastische Erhöhung der Einschreibegebühren an den Kunsthochschulen zum 1. April 1921.1 Die Gebührenerhöhung um 150 % wurde als Torpedierung der schichtenübergreifenden Begabtenauslese gesehen, die das Ministerium so dezidiert forderte, und rief einen Sturm der Entrüstung bei den Studenten hervor. Das Problem stellte sich um so schwerwiegender dar, als gerade die Kunstschüler von der Not der Zeit ohnehin besonders betroffen waren. So hatte bereits im Februar 1921 eine Gruppe von Kunststudenten beim Ministerium unter Hinweis auf die auch vom Ressort betonte Rolle des künstlerischen Nachwuchses um vermehrte staatliche Unterstützung gebeten.2 Als nun im März 1921 die Gebührenerhöhung publik wurde, protestierten die Kunststudenten angesichts dessen um so heftiger. Sofort nach deren Bekanntwerden legten die Schüler der Berliner Hochschule für die bildenden Künste und der Düsseldorfer Akademie beim Ministerium Einspruch gegen die neuen Sätze ein.3 Im Düsseldorfer Protest
1 Vgl. Abschr. Briefe KM an Direktor Hochschule für bildende Künste, Oberpräsidenten Königsberg, Kassel u. Breslau, Regierungspräsident Düsseldorf, Direktor Staatliche Museen, Direktor Kunstschule Berlin u. Präsident Ak. d. Kü., Febr. 1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 308-309. 2 Studierende Kunstschule Schöneberg an KM, 9.2.1921, hs. u. Denkschrift Studierende Kunstschule Schöneberg: Die studierende
deutsche Jugend
leidet Not, Febr. 1921, hs., in: GStA PK, I. H A
Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 370-372. 3 Studierende Hochschule der bildenden Künste an KM, 17.3.1921, ms. u. Ausschuß Studierende
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
303
hieß es: „Mit Bestürzung haben die Studierenden der Kunstakademie Kenntniß genommen von der ministeriellen Verfügung, die das Studiengeld auf 660.- Mk festsetzt. Die äußerst schwierige finanzielle Lage macht es den Studierenden unmöglich, vorigen Betrag aufzubringen [...]. Ein großer Teil der Stud[enten] ist nicht einmal in der Lage, sich vollständig zu beköstigen".4 Wenn die Verfügung aufrecht erhalten werde, würde das bedeuten, „daß die meisten Stud[enten] höchstens den alten Satz zahlen können, es also dem Ministerium überlassen bliebe, den weitaus größten Teil der Stud[enten] wegen Nichtbezahlung des neuen Satzes von der Akademie zu entfernen. So würde die Akademie nur noch reichen Studfenten] zugänglich, [...] dagegen müßte sie auf eine große Reihe von Talenten verzichten".5 Unterstrichen die Düsseldorfer Studenten so, wie hart die Gebühren mit dem Anspruch der Talentförderung kollidierten, nutzten bald auch konservativere Berliner Kunsthochschullehrer diese Angriffsfläche gegen die ministerielle Politik. Entsprechend schlossen sich Hochschuldirektor Arthur Kampf und Hugo Lederer den Schülerprotesten demonstrativ an.6 Als die neuen Gebühren zum April 1921 dennoch eingeführt wurden, bestanden die Schüler der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums und die Berliner Studentenhilfe weiter auf Rücknahme der Regelung.7 Die Kunstgewerbeschüler betonten, das neue Schulgeld würde „das künstlerische Niveau der Unterrichtsanstalt herabdrücken, da nicht künstlerische Begabung allein, sondern die Zahlungsfähigkeit des Vaters für die Aufnahme und Ausbildung entscheidend wären. Die Folgen für die Leistungsfähigkeit des deutschen Kunstgewerbes und damit der deutschen Industrie liegen auf der Hand." 8 Zumal die Einnahmen durch die Schulgelderhöhung kaum erheblich wären,9 sei es „unverständlich, daß von Regierungsseite die Zukunftsmöglichkeit zunichte gemacht wird." 10 Die Schüler machten damit zentrale kunstpolitische Ansätze des Kultusressorts (siehe Kap. II. 5.1.) zur Basis ihrer Argumentation. Deutlich wiesen sie so auf den Grundwiderspruch hin, in dem sich das Ministerium mit der Schulgelderhöhung bewegte. Tatsächlich war sich das Ministerium dieses Dilemmas durchaus bewußt. Es sah sich aber zugleich gezwungen, der schlechten Finanzlage durch gewisse Abstriche auch in seinen Konzepten Rechnung zu tragen.11 Als das Finanzministerium Ende 1920 die Erhöhung der Akademie Düsseldorf an KM, 23.3.1921, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 367-369. 4 Ausschuß Studierende Akademie Düsseldorf an KM, 23.3.1921, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 367-368, Bl. 368 r. 5 Ebd., Bl. 368 r-v. 6 Vgl. Die wirtschaftliche Not der jungen Künstler. Unterredungen Lederer.
Gegen die Erhöhung
der Studiengelder,
mit Arthur Kampf und
Hugo
in: BT, 12.3.1921 [?], in: GStA PK, I. H A
Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 373; zu Lederer vgl. Lämmer: 1996, S. 495. 7 Vgl. Ausschuß Schülerschaft Kunstgewerbemuseum an KM (Waetzoldt), 2.4.1921, hs., Studentenhilfe Berlin an FM, 8.4.1921, ms. u. Protest der Kunstgewerbe-Schüler,
in: Berliner
Morgenpost,
Nr. 85, 12.4.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 355-356 u. 360-363. 8 Ausschuß Schülerschaft Kunstgewerbemuseum an KM (Waetzoldt), 2.4.1921, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 360-361, Bl. 360 v. 9 Ebd., Bl. 360 v-361 r. 10 Ebd., Bl. 360 v. 11 Vgl. dazu Haenisch 1920 a, S. 13 f. Durch die Schulgelderhöhung von 1921 wurden immerhin
304
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Einschreibegebühren gefordert hatte,12 hatte sich das Kultusressort so zwar zunächst dafür eingesetzt, parallel die Zahl gebührenfreier Plätze an den Kunstschulen von 20 % auf 25 % anzuheben, um die sozialen Folgen der neuen Gebühren einigermaßen abzufangen.13 Nachdem sich das Finanzressort aber nicht darauf eingelassen hatte,14 war ihm nichts anderes übrig geblieben als nachzugeben. Durch die Proteste sah sich das Kultusressort nun jedoch in seinen Bedenken bestätigt, die es bereits Anfang 1921 artikuliert hatte. 15 Daher wandte sich Becker im April 1921 erneut mit dem Appell an das Finanzressort: „Wenn es auch meines Erachtens bei den einmal festgesetzten Schulgeldsätzen verbleiben muss, halte ich es doch für dringend geboten, die Lage de_r Schüler, die sich durch die unerwartete Mehrbelastung zweifellos verschlechtert hat, auf andere Weise zu erleichtern." 16 Konkret forderte er mit Blick auf seine Ambition der Talentförderung eine Erhöhung der Freistellenzahl auf 3 0 % . Überdies plädierte er für eine Verstärkung der Planmittel für „Unterstützungen, Preise usw.". Um die Not ärmerer Kunststudenten zu lindern, kündigte er zudem an, „die Anstaltsleiter zu ermächtigen, diesen Schülern in der Zeit vom 1. April 1921 bis 31. März 1922 die neuen Jahresschulgeldsätze je nach Bedürftigkeit bis auf die vor dem 1. April 1921 geltenden Sätze zu ermässigen." 17 Becker votierte damit für individuelle Lösungen, mit denen der Widerspruch zwischen der Schulgelderhöhung und dem Anspruch auf eine schichtenübergreifende Begabtenauslese zumindest ansatzweise abgefedert werden sollte. Im Mai 1921 stimmte das Finanzressort Beckers Vorschlägen mit erheblichen Abstrichen zu: Bis zum Oktober 1921 sollte es möglich sein, die Erhöhung noch nicht in vollem Umfang geltend zu machen. Eine Freistellenvermehrung lehnte das Finanzministerium weiter ab. Dafür stellte es Aufstockungen der Unterstützungsfonds in Aussicht.18 Den Kunsthochschulen teilte das Kultusministerium daraufhin mit, zu seinem Bedauern müsse es bei den Schulgelderhöhungen bleiben. Man verkenne keineswegs die Schwierigkeiten, in die die Studenten dadurch gerieten, erwarte aber auch Verständnis für die eigene Zwangssituation. Gleichzeitig suchte das Ministerium der Kritik an den Gebühren durch den Hinweis auf die Erhöhung der Unterstützungsfonds abzumildern.19 Tatsächlich gelang es ihm, auf einen Antrag vom Juli hin 20 Ende 1921 eine Aufstockung der Unterstützungsfonds für Kunst-
Mehreinnahmen von 363.000 M erwartet, vgl. Anlage zu FM an KM, 19.5.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 377 r. 12 Vgl. FM an KM, 21.12.1920, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 269-270. 13 Vgl. KM (Pallat) an FM, 5.2.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 302-303. 14 Vgl. FM an KM, 23.2.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 311. 15 Vgl. KM (Pallat) an FM, 5.2.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 302-303. 16 Becker an FM, 29.4.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 357-359, Bl. 357 r. 17 Ebd., Bl. 357 v. 18 Vgl. FM an KM, 19.5.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 374-375. 19 Vgl. KM (Pallat / Trendelenburg) an Direktor Hochschule für Musik und bildende Künste, Oberpräsidenten Königsberg, Kassel u. Breslau, Regierungspräsident Düsseldorf, Direktor Staatliche Museen, Direktor Kunstschule, Präsident Ak. d. Kü. u. Direktor Institut für Kirchenmusik, 27.6. 1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 385-386. 20 KM (Nentwig) an FM, 27.7.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 495; vgl. dazu auch KM an FM, 24.9.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 496.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
305
schüler um 55.485 M auf nun 94.200 M durchzusetzen.21 Auch wenn die fortschreitende Geldentwertung die Aufstockung erheblich relativierte, konnte das Kultusressort seinen Anspruch auf Talentförderung so wieder glaubhafter vertreten. Auch in der Folgezeit stellte die soziale Fürsorge für die Kunststudenten daher ein Anliegen für das Ministerium dar. Im Herbst 1922 verwies das Ressort entsprechend darauf, daß man sich um wirtschaftliche Erleichterungen für Kunstschüler durch gemeinsame Materialbeschaffung an der Akademie Düsseldorf, Einrichtung von Schlafräumen an der Akademie Königsberg oder das Angebot günstiger Verpflegungsmöglichkeiten in Düsseldorf, Königsberg und Berlin bemüht habe.22 Sein Engagement für eine wirtschaftlich-soziale Stützung der Kunstschüler bewies das Ressort überdies, indem es sich in der ersten Hälfte der 20er Jahre immer wieder erfolgreich für eine Stärkung der Mittel für Preisaufgaben und Stipendien zum Beispiel an der Akademie Königsberg einsetzte.23 Gleichzeitig blieb es weiterhin auf eine Stärkung der Unterstützungsfonds bedacht.24 Nachdem die Ernsthaftigkeit seiner Bestrebungen im Umfeld der Schulgelderhöhung von 1921 angezweifelt worden war, bemühte sich das Ministerium auf diese Weise offenbar gezielt darum, sein Interesse an der Talentförderung jenseits sozialer Grenzen zu untermauern und das verlorene Vertrauen in seine Reformpolitik wiederzugewinnen. Von dieser Basis aus wandte das Ministerium Boelitz seine Aufmerksamkeit wieder verstärkt den inhaltlichen Reformbestrebungen zu. Entsprechend erklärte Boelitz bereits im Dezember 1921: „Die Reform der Ausbildung des Künstlers [...] vor allem auch in den bildenden Künsten ist in meinem Ministerium im Einvernehmen mit der Künstlerschaft mit Nachdruck in Angriff genommen worden. Es hat Ihnen im Hauptausschuß im vergangenen Jahre das Buch von Herrn Geheimrat Waetzoldt vorgelegen, das diese Gedanken weiter entwickelt. Diese Frage ist allerdings nicht ausschließlich vom Ressort des Kultusministeriums zu lösen, sondern wir haben hier Verständigung mit anderen Ressorts nötig, vor allem mit dem Handelsministerium [...]. Dem Grundgedanken werden Sie alle freudig zustimmen, daß der Überschätzung des rein Akademischen entgegenzuarbeiten ist und daß wir uns wieder auf die gute handwerkliche Tradition zu besinnen haben." 25 Der neue Minister bekräftigte damit seine Absicht, die Reformbestrebungen Waetzoldts fortsetzen zu wollen. Während Waetzoldt in der Folgezeit immer wieder die Grundideen seiner Erneuerungspläne für den Kunstschulbereich publik zu machen suchte,26 stellte das Ressort 1922 Pflege
21 Vgl. FM an KM, 6.10.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 4 9 8 - 4 9 9 ; vgl. dazu auch Liste Mehrbedarf
an Mitteln zur Unterstützung von Schülern, Anlage zu KM an FM, 24.9.1921,
ms., Bl. 497 r. 22 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355; vgl. auch KM (Nentwig) an FM, 17.8.1922, ms., KM (Nentwig) an FM, 4.8.1923, ms. u. FM an KM, 1.10.1923, hs„ in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154; Nentwig u. Waetzoldt, 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 12 f. 23 Vgl. KM (Nentwig) an FM, 4.8.1922, ms., KM an FM, 23.8.1924, ms., FM an KM, 1.10.1923, hs. u. KM an FM, 23.8.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154. 24 Vgl. KM an Oberpräsident Königsberg, 29.1.1923, ms. u. Notiz KM, o.D., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154. 25 Boelitz, 13.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5786 f. 26 Vgl. z.B. Wilhelm Waetzoldt: Die Reform des künstlerischen Bildungswesens, in: Ku.wan., Jg. 4,
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III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
und Ausbildung des künstlerischen Nachwuchses gar als wichtigstes Gebiet seiner Kunstpolitik dar. Waetzoldts Reformabsichten galten hier nach wie vor als zentrale Orientierungsgröße.27 Später fügte Boelitz die Reformabsichten in sein Konzept der Einheitsbildung ein. Konkret sah er dabei die „schon in den allgemeinbildenden Schulen gewonnene, allen Volksgenossen zuteil werdende Erziehung zu Formsinn, Anschauungsvermögen und Materialgefühl" als Voraussetzung der späteren Künstlerausbildung an.28 Zudem forderte er die für das neue Erziehungsideal zentralen Aspekte „Verantwortungsfreudigkeit" und „Gemeinschaftssinn" als konstitutiv auch für die innere Organisation der Kunstschulen ein. „Der straffen Werkstattdisziplin [...] [entspreche] auf dem Wege zu den das ganze Schulsystem krönenden Meisterschulen ein allmählich wachsendes Mitbestimmungsrecht der Lernenden und jenes höhere Maß von Selbstverantwortung, in dem der Sinn der ,akademischen Freiheit' liegt." 29 Als Reformziele für die Kunstschulen, über die er diesen Anspruch strukturell fördern wollte, nannte Boelitz in Orientierung an Waetzoldt: „die Einordnung des künstlerischen Bildungswesens in die Wirtschaft, die Verknüpfung des künstlerischen Bildungswesens mit den künstlerischen und geistigen Bewegungen der Gegenwart, das Zurückgewinnen der handwerklichen Grundlagen der Kunst und die Verschwisterung hoher und angewandter Künste." 30 Daneben betonte er wie Waetzoldt den Kontakt „mit bedeutenden schöpferischen Persönlichkeiten", den „Erziehungswert des Geistigen" sowie die Praxisrelevanz als zentrale Aspekte der Künstlerausbildung.31 Vor diesem Hintergrund wurden die bis 1921 eingeleiteten Reformmaßnahmen unter Boelitz aktiv fortgeführt. Zwar betonte man 1922 noch: „Mit Rücksicht darauf, daß die bestehenden politischen, volkswirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse des Staates augenblicklich tiefgreifende Umwälzungen und eine völlige Neuorganisation auch des künstlerischen Bildungswesens von selbst verbieten, hat sich die Kunstverwaltung in ihren Maßnahmen große Beschränkungen auferlegt." 32 Zumal sich auch der Landtag aufgeschlossen für seine Absichten zeigte,33 konnte das Ressort dennoch bald erste Strukturreformen 1. Febr.-Nr. 1922, S. 243 f (Auszug auch in SAdK, PrAdK, AA/24, Bl. 1); Wilhelm Waetzoldt: Die bildenden Künste im Rahmen der preußischen
Verwaltung, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 20/21, 10./
17.2.1922, S. 341-347 (auch in SAdK, PrAdK, 2.2/289, Bl. 13). 27 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4354; vgl. dazu auch Becker, 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 12. 28 Boelitz 1925, S. 117. 29 Ebd, S. 120 f; vgl. dazu ähnlich auch Waetzoldt 1921, S. 5. 30 Boelitz 1925, S. 117. 31 Ebd., S. 122; zur Bedeutung der Lehrerpersönlichkeit auch in der Musikerausbildung vgl. Rathert 1996, S. 485 f. 32 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4354; vgl. dazu auch Boelitz 1925, S. 121. 33 Vgl. Hoff (DDP), 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 7; Hoff (DDP), 23.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7476-7478; Heß (Z), Steffens (DVP) u. Hemming (DVP), 30.11.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 154, Sp. 11 u. 13-15; LT, WP 1, Prot., Sp. 17010, 17359, 17450 u. 17658; Hoff (DDP) u. Hemming (DVP), 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 11 u. 34; LT, W P 1, Dr. 5224, S. 6055; Dr. 7682, S. 8249; Hemming etc. (DVP), 8.5.1923, in: LT, W P 1, Dr. 5329, S. 6105; Garnich (DVP) u. Hoff (DDP), 14.5.1923, in·. LT, WP 1, Prot., Sp. 17384,17389-17391 u. 17393.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
307
an den Kunsthochschulen durchsetzen. 34 So wurde das „bisherige System des schematischen Akademieaufbaus in Klassen, die in ganz bestimmter Reihenfolge zu durchlaufen sind, [..] abgelöst durch ein beweglicheres, das den jungen Künstlern nach ihrer endgültigen Aufnahme freiere Wahl ihres Studienganges und ihres Hauptlehrers ermöglicht." 3 5 Suchte man auf diese Weise die Ausbildung flexibler und individueller zu gestalten, 36 legte man nun bereits bei der Aufnahme Wert nicht nur auf den „Nachweis der künstlerischen Begabung, sondern besonders auch auf den einer handwerklich-technischen Vorbildung". 37 Durch Einführung einer Probezeit, „nach deren befriedigendem Verlauf die Aufnahme des Schülers in einen der unter sich gleichberechtigten Meisterkurse oder in eine der Fachklassen erfolgt", 38 bemühte man sich, dem einzelnen Talent gerecht zu werden. 39 Die Neuerungen wurden schließlich per Erlaß des Kultusministeriums vom 10. Februar 1923 für alle preußischen Kunstakademien verbindlich festgelegt. 40 Schon zuvor war die Studienzeit an den Kunstschulen auf zehn, der begabten Schülern offenstehende Besuch eines Meisterateliers auf weitere vier Halbjahre begrenzt worden. 41 Stand bei diesen Maßnahmen das Interesse einer stringenteren Nachwuchsförderung im Vordergrund, baute das Ministerium den Kunstschulunterricht selbst mit Blick auf die „immer schwieriger werdende wirtschaftliche Lage der Studierenden und aus schwerwiegenden kunstpädagogischen Gründen" darüber hinaus bewußt in die Richtung aus, „daß auf die angewandten Zweige der Malerei, der Graphik und der Plastik erhöhtes Gewicht gelegt wird." 4 2 Zu diesem Zweck führte man Kurse für Materialkunde und Farbenherstellung ein 4 3 oder bemühte sich etwa in Königsberg um einen Ausbau der Graphikabteilung. 44 Außerdem strebte das Ministerium generell eine „möglichst enge Verbindung zwischen Anstalten bzw. Klassen für freie und angewandte Kunst" an. 45 Immer wieder kursierten so in der ersten Hälfte der 20er Jahre Pläne für eine Zusammenlegung der Akademien und Kunstgewerbeschulen in Königsberg und Breslau, die letztlich jedoch an Konkurrenzen
34 Vgl. Schunk 1993, S. 430 f. 35 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355; vgl. dazu auch Nentwig, 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 15 f. 36 Vgl. dazu auch Boelitz 1925, S. 121; Waetzoldt 1921, S. 17 u. 23. 37 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355; vgl. dazu auch Boelitz 1925, S. 121; Zentr.bl. Unterr.verw.,]%. 65, Nr. 7,5.4.1923, S. 134-136; Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 15. 38 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355. 39 Vgl. dazu Boelitz 1925, S. 121. 40 Vgl. Boelitz 1925, S. 121; Zentr.bl. Unterr.verw.,]g. 65, Nr. 7, 5.4.1923, S. 134-136. 41 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355. 42 Ebd. 43 Vgl. ebd. 44 Vgl. KM (Nentwig) an FM, 5.7.1922, ms., Thiele an KM, 12.7.1922, ms., KM (Pallat) an FM, 16.8.1922, ms., KM (Pallat) an FM, 25.8.1922, ms., KM (Pallat) an Oberpräsident Königsberg, 16.11.1922, ms. u. KM (Nentwig) an FM, 2.8.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8154; A. Kuhn: Die Kunst im preußischen Staatshaushaltsentwurf, in: Ku.chr., Jg. 58/1, Nr. 20, 16.2.1923, S. 392 f. 45 Boelitz 1925, S. 121; vgl. dazu auch Boelitz, 15.3.1923, in: LT, WP 1, Dr. 4917, S. 5806.
308
III. Tendenzen der ministeriellen Kumtpolitik
1921-32
zwischen Kultus- und Handelsressort (siehe Kap. II. 6.) scheiterten. 46 Auch die Um- und Ausbauprojekte für die Akademiegebäude Düsseldorf, Breslau und Königsberg, an denen trotz der Finanzlage eingeschränkt festgehalten wurde, 47 standen teilweise in Zusammenhang mit dem erweiterten Ausbildungsideal. Dem Anspruch auf Praxisrelevanz bemühte sich das Ministerium nicht zuletzt gerecht zu werden, indem es eine Beteiligung von Akademieschülern an Gebäudegestaltungen förderte. 48 So ermöglichte es die Ausführung von fünf ostpreußischen „Charakterlandschaften" durch Schüler und Lehrer der Akademie Königsberg, die später per Wanderausstellung durch Deutschland gingen, sowie die Realisierung von fünf Wandgemälden in der Kasseler Orangerie durch Schüler der örtlichen Akademie unter Leitung des modernen Lehrers Ewald Dülberg. 49 Zudem zeigte sich das Ressort aufgeschlossen, die Ausmalung eines Saales der Königsberger Handelskammer durch Akademieschüler mit 5 0 0 0 - 7 0 0 0 M zu unterstützen (siehe Kap. II. 5.2.) - später zerschlug sich das Projekt jedoch. 50 Und auch an der Gestaltung von Neubauten der Königsberger Klinik wollte das Ministerium Schüler der Akademie beteiligt wissen. 51 Als weiteren Ansatz, den Kunstschülern den Weg in den Beruf zu ebnen, begriff das Ressort die Einrichtung einer Stelle an der Berliner Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbe46 Zu den Plänen für Königsberg vgl. Oberpräsident Königsberg an KM, 20.3.1924, ms. u. Notizen Waetzoldt, 9.4.1924, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; Hinweis Mai 1924, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 85; Handelsministerium an FM, 21.6.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8154; zu den Plänen für Breslau vgl. Karl Scheffler: Breslauer Kunstschulwesen, in: Ku. u. Kü.,]g. 22, Nr. 8, Mai 1924, S. 229 f; Hölscher 2003, S. 212-216. 47 Vgl. Haenisch (SPD) u. Nentwig, 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 14 u. 17; Haenisch (SPD), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7487; Roeber an Haenisch, 25.3.1922, hs. u. Roeber an Haenisch, 10.7.1922, hs., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 318, Bl. 13-14; Ku.chr., Jg. 57, 2, Nr. 39, 23.6. 1922, S. 648; A. Kuhn: Die Kunst im preußischen Staatshaushaltsentwurf, in: Ku.chr., Jg. 58, 1, Nr. 20, 16.2.1923, S. 392 f; Nentwig, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 6; Heß (Z), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 2-4; FM an KM, 18.1.1922, ms., KM (Nentwig) an FM, 17.8.1922, ms. u. KM (Nentwig) an FM, 2.8.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8154; Becker an FM, 10.2.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; Heß (Z), 4.5.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 207, Sp. 18; LT, WP 1, Dr. 5224, S. 6052. 48 Vgl. Vermerk KM, 15.9.1922, Notiz Waetzoldt, 20.9.1922, hs. u. Vermerk KM, 8. [11.?] 1922, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; zur langfristigen Relevanz des Themas vgl. auch Klausner (DDP) u. Nentwig, 12.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11617 f u. 11621 f; Hemming (DVP) u. Nentwig, 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 34. 49 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357; Die Lehrkräfte der Kunstakademie in Cassel, Nentwig an Becker, [21.1.1922], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3085. 50 Vgl. Oberpräsident Königsberg an KM, 29.9.1921, ms., Notiz Waetzoldt, 2.10.1921, hs., Thiele an KM, 23.11.1921, hs., KM an Direktor Akademie Königsberg, 15.6.1922, ms., Handelskammer Königsberg an Akademie Königsberg, 5.10.1922, ms., Entwurf Waetzoldt an Thiele, 14.10.1922, hs., Waetzoldt Direktor Akademie Königsberg, 4.11.1922, ms., Thiele an KM, 31.1.1923, ms. u. Vermerk KM, 22.8.1923, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; siehe dazu auch KM an FM, 10.11.1921, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. 51 Vgl. Becker an FM, 10.2.1922, ms., KM an FM, Okt. 1921, ms. u. Abschr. FM an KM, 6.10.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
309
museums, mit deren Hilfe Aufträge und Arbeitsplätze vermittelt wurden und die zugleich die Öffentlichkeit beraten sollte. 52 Das Ressort plante, dieses Konzept, das auch in Bayern praktiziert wurde, 53 auf ganz Preußen auszudehnen. 54 Im September 1922 votierte Waetzoldt entsprechend für von Künstlern getragene dezentrale Vermittlungsstellen an den staatlichen Kunstschulen. 55 Nach zunächst positiven Verhandlungen im Landtag 56 mußte das Vorhaben, das von Beginn aj; durch die Skepsis des Handelsministeriums erschwert worden war, 57 jedoch im Frühjahr 1923 aus Kostengründen aufgegeben werden. 58 Das Kultusministerium strebte daraufhin zumindest einen Ausbau der Berliner Stelle an, forderte Lehrer zur wirtschaftlichen Beratung der Schüler auf und regte an, verstärkt Akademiepräsentationen oder lokale Veranstaltungen als Kontaktbörsen zu nutzen. 59 Gleichzeitig bemühte es sich um eine Öffnung der Akademien für zeitgenössische Entwicklungen, indem es Reisen von Schülern und Lehrern oder Vorträge unterstützte. 60 Ausdruck der postulierten Einbindung der Kunstschulen in das nationale Bildungssystem war zudem, daß Zeichen- und Werklehrer nun gemeinsam mit angehenden Künstlern an den Akademien ausgebildet wurden (siehe Kap. III. 5.).61 Durch all diese Ansätze suchte das Ministerium
52 Vgl. dazu Waetzoldt, 20.9.1922, in: LT, WP 1, Dr. 3490, S. 4213; KM (Waetzoldt) an RMdl, 13.7.1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 103; Becker, 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 8; Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355; Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 65, Nr. 7, 5.4. 1923, S. 134-136, Pkt. 6; Boelitz, 15.3.1923, in: LT, WP 1, Dr. 4917, S. 5806; zur erfolgreichen Arbeit der Vermittlungsstelle vgl. LT, WP 1, Dr. 3490, S. 4213. 53 Vgl. Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 41, 9.7.1920, S. 811; Staatliche Beratungsstelle für Kunst, in: W. d. Ku„ Jg. 19, Nr. 41,19.7.1920, S. 295; zum möglichen Vorbildcharakter ähnlicher Stellen vgl. ζ. B. Zu der Entwurfs- und Modellmesse, in: W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 26, 7.4.1919, S. 176 f. 54 Vgl. Boelitz, 15.3.1923, in: LT, WP 1, Dr. 4917, S. 5806; Becker, 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 8; Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 65, Nr. 7, 5.4.1923, S. 134-136, Pkt. 6; siehe auch Waetzoldt 1921, S. 20 f. 55 Waetzoldt, 20.9.1922, in: LT, WP 1, Dr. 3490, S. 4212-4215. 56 Vgl. LT, WP 1, Dr. 2050, S. 2399; Dr. 3490, S. 4212-4215; Heß (Z), 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 2-4; LT, WP 1, Prot., Sp. 7428, 7464, 7488, 8001 u. 13735 f; GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, adh. 1, Bl. 2-3 u. 9; siehe auch Ak. d. Kii.: Notizen für die Sitzung des Gesamtsenats am 21.7.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 103-105. 57 Vgl. dazu auch LT, WP 1, Dr. 3490, S. 4212-4215. 58 Vgl. Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 65, Nr. 7, 5.4.1923, S. 134-136, Pkt. 6; Boelitz, 15.3.1923, in: LT, WP 1, Dr. 4917, S. 5806. 59 Vgl. Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 65, Nr. 7, 5.4.1923, S. 134-136; Boelitz, 15.3.1923, in: LT, WP 1, Dr. 4917, S. 5806; LT, WP 1, Dr. 3490, S. 4212-4215; Klausner (DDP), 17.3. 1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25687 f. 60 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355. 61 Vgl. Boelitz 1925, S. 117-120; KM (Waetzoldt) an Vorsitzende wissenschaftlicher u. künstlerischer Prüfungsämter, Akademiedirektoren Kassel, Königsberg, Düsseldorf u. Breslau, Kunstschule Schöneberg etc., 10.7.1925, gedr., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; siehe dazu auch Staatliche Kunstakademie in Königsberg i. Pr., 1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V% Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; KM (Pallat) an FM, 26.8.1922, ms., KM (Pallat) an FM, 29.8.1922, ms., KM (Nentwig) an Oberpräsident Königsberg, 12.4.1923, ms. u. KM (Waetzoldt) an FM, 4.8.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8154; Klapheck 1973, S. 150; Zentr.bl.
310
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
Boelitz seinen Anspruch auf eine größere Lebensnähe der Künstlerausbildung wie auf eine Rückwirkung der Kunstschulen auf die Gesamtgesellschaft zu fördern. Entscheidend flankiert wurden diese Maßnahmen durch eine bewußte Personalpolitik. „Um die Schulen vor Überalterung ihrer Lehrkräfte zu bewahren und ihnen einen festen Zusammenhang mit dem Leben der Praxis und künstlerisch hervorragenden Kräften zu sichern", ging die Kunstverwaltung nach ersten Versuchen damit in der Haenisch-Zeit generell dazu über, Lehrer nur noch auf drei, fünf oder zehn Jahre befristet anzustellen. 62 Auch wurde den Lehrerkollegien der Akademien per Erlaß vom 8. September 1923 ein Mitspracherecht bei Berufungen eingeräumt. 63 Wie unter Haenisch maß das Ministerium darüber hinaus einer Einbindung innovativer, teilweise renommierter freier und angewandter Künstler in die Kunstschulen Bedeutung bei. Außer an der Ernennung des Architekten Thiele zum Königsberger Akademieleiter im Sommer 1921 6 4 läßt sich dies etwa an der Berufung des Corinth-Schülers Klaus Richter im Mai 1922 an die Königsberger Akademie, 65 des Bildhauers Gerstel an die Hochschule für die bildenden Künste 66 oder des Bildhauers Vocke (siehe Kap. II. 5.2.) an die Kasseler Akademie 67 festmachen. Dem Ressort selbst galten daneben zum Beispiel die Berufungen des Malers Karl Hofer oder des Bildhauers Fritz Klimsch als Ausweis seiner Reformbestrebungen. 68 Wegweisende Funktion schrieb das Ressort außerdem dem „Bauatelier" von Hans Poelzig zu. 69 Sein Interesse an bestimmten Künstlern suchte das Kultusressort nun auch materiell zu manifestieren. So setzte es sich angesichts der „drohenden Gefahr, die beiden erstklassigen
Unterr.verw., Jg. 65, Nr. 1, 5.1.1923, S. 9 f; Nr. 3, 5.2.1923, S. 64; Nr. 7, 5.4.1923, S. 146; Nr. 8, 20.4.1923, S. 165; Nr. 9, 5.5.1923, S. 184; Jg. 66, Nr. 3, 5.2.1924, S. 26; Nr. 8, 5.2.1924, S. 126; Nr. 20, 5.11.1924, S. 283; Nr. 22, 20.11.1924, S. 297; Nr. 24, 20.12.1924, S. 325; Jg. 67, Nr. 23, 5.12.1925, S. 343. 62 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355; vgl. dazu Waetzoldt 1921, S. 34 f; Waetzoldt, 30.11.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 154, Sp. 13; siehe dazu später auch Richard Pfeiffer: Künstler als Beamte, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 4, April 1925, S. 52 f; Lauscher (Z) u. Schuster (DVP), 23.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 121, Sp. 36 u. 38. 63 Vgl. Boelitz 1925, S. 121. 64 Vgl. Handelsministerium an FM, 21.6.1921, ms., KM (Becker) an FM, 23.6.1921, ms., KM an Handelsministerium, 25.6.1921, ms., FM an KM, 7./8.7.1921, hs., FM an KM, 8.7.1921, ms., Bericht FM, 11.7.1921, ms., KM an Handelsministerium, 21.7.1921, ms., KM (Becker) an FM, 6.8.1921, ms. u. Handelsministerium an FM, 19.8.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154; Thiele an Waetzoldt, 12.9.1921, hs., Notiz Irmer an Waetzoldt, 11.10.1921, hs. u. Notiz Nentwig, 13.10.1921, hs. in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; Nentwig, 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 33. 65 Vgl. Ku.chr., Jg. 57, 2, Nr. 34, 19.5.1922, S. 556. 66 Vgl. ZAs Dez. 1922, in: SAdK, PrAdK, 2.2/074, Bl. 452-454. 67 Vgl. dazu Handbuch preußischer Staat 1925, S. 732. Im Handbuch preußischer Staat 1922, S. 466 war Vocke hingegen noch nicht verzeichnet. 68 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355; zu Hofer vgl. Ku.chr., Jg. 58, 1, Nr. 24, 16.2.1923, S. 470; zu Klimsch vgl. Lammert 1996, S. 495. 69 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4355 f; vgl. dazu auch Nentwig, 30.11.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 154, Sp. 12.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
311
Lehrkräfte zu verlieren", Ende 1921 für höhere Gehaltseinstufungen von Emil Rudolf Weiß und Emil Orlik ein, die damals an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums beschäftigt waren. 70 Und im Frühjahr 1922 berichtete die Presse davon, die preußische Regierung versuche, Max Slevogt, Bruno Paul und German Bestelmeyer trotz des Rufes nach München in der Reichshauptstadt zu halten.71 Im Fall Slevogts, der ein Meisteratelier an der Berliner Akademie leitete, und Pauls, des Leiters der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums, gelang es dem Kultusressort tatsächlich, die Künstler, etwa indem man ihnen geräumige Dienstwohnungen bereitstellte, weiter an Preußen zu binden. 72 Die Konkurrenz zwischen Preußen und Bayern im Umfeld 7 3 verweist darauf, welch große Bedeutung das Ministerium Boelitz gerade personellen Aspekten für die Künstlerausbildung zuschrieb. 74 Eine spezielle Variante, die Modernisierung der Künstlerausbildung personell zu stützen, stellten vom Ministerium durchgesetzte Veränderungen in der Leitungsebene vor allem der Akademien dar, an denen nach wie vor konservative und moderne Kräfte aufeinanderprallten. An der Kasseler Akademie führte das Ressort vor diesem Hintergrund im Herbst 1923 mit Zustimmung des Landtags eine Kollegialverfassung ein, nach der der geschäftsführende Direktor turnusmäßig wechselte. 75 Nach Roebers Tod entschied es sich in Düsseldorf für die auf Künstlerseite umstrittene Variante, mit Walter Kaesbach 76 im Oktober 1924 erstmals keinen Künstler, sondern einen mit der aktuellen Kunst bestens vertrauten Kunstwissenschaftler, Museumsmann und Kunstsammler als Akademieleiter einzusetzen. 77 Mit
70 KM (Nentwig) an FM, 17.11.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 244 r; vgl. dazu auch FM an KM, 21.10.1921, hs. u. FM an KM, 21.1.1922, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 240 u. 246. 71 Ku.chr., Jg. 57, 2, Nr. 31, 28.4.1922, S. 501; vgl. dazu auch Ku.chr., Jg. 57, 2, Nr. 45, 11.8.1922, S. 745. 72 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4358; L. Schmidt 2000, S. 272 f. 73 Vgl. L. Schmidt 2000, S. 271-274; siehe dazu auch ZA Die Münchener
Kulturkrise, 19.4. [1924?],
in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7763; Nentwig, 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 25 f; Ku.chr., Jg. 57, 2, Nr. 31, 28.4.1922, S. 501; Nr. 45, 11.8.1922, S. 745. 74 Vgl. dazu auch KM an FM, 10.10.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1041, Bl. 7 - 8 ; Waetzoldt u. Nentwig, 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 18 u. 25 f. 75 Vgl. Alfred Kuhn: Die Neubesetzung
der Leitung der Kunstakademie
in Kassel, in: Ku.chr., Jg. 58,
2, Nr. 47, 21.9.1923, S. 809; Steffens (DVP), 19.2.1924, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17010, 17359, 17450, 21224 f u. 21229; LT, W P 1, Dr. 7475, S. 7910; Dr. 5224, S. 6055; Dr. 8195, S. 9248; Haenisch, 13.1.1921, in: LV, Prot., Sp. 15760 f; Becker, 27.10.1921, in: LT, W P 1, HA, Szg. 61, Sp. 33 f; Hemming etc. (DVP), 8.5.1923, in: LT, WP 1, Dr. 5329, S. 6105; LT, WP 2, Dr. 1087, S. 2400; Schwebende Fragen der Kasseler Kunstakademie, Waetzoldt an Becker, 23.1.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4942; Rede-Auszug Becker, 1.6.1927, ms., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1495. 76 Kaesbach hatte zuvor beim Aufbau des Kronprinzenpalais' mitgearbeitet und war 1920 Museumsleiter in Erfurt geworden; zu Kaesbach vgl. ausführlich Fehlemann 1992; Klapheck 1961; Klapheck 1973; Drenker-Nagels 1994, S. 375. 77 Zum generellen Interesse des Ministeriums in diese Richtung vgl. BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 21, 2 5 - 2 6 u. 30; Waetzoldt an Ak. d. Kü. u. Redslob, 1.7.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 114
312
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
diesem Schritt versuchte das Ressort, eine moderne Versachlichung der aufgeheizten Situation am Rhein zu fördern. 78 Nach heftigen Auseinandersetzungen an der Akademie Königsberg, die sich an der Person Thieles entzündeten, 79 ersetzte das Ressort zudem im November 1924 Thiele durch den Verwaltungsbeamten Nollau vom örtlichen Oberpräsidium. 80 Offenu. BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 20; Becker, 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 12; zu Kaesbachs Ernennung vgl. Becker u. Kimbel (DNVP), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 36; Nentwig, 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 49; Klausner (DDP) u. Nentwig, 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25688-25690 u. 25693; Protest Düsseldorfer Künstler, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 14, 1.8.1928, S. 224; Kunsthistoriker als Akademiedirektoren, in: Ku. ». Kü., Jg. 28, Nr. 6, März 1930, S. 261; Justi an KM, 26.12.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1; zur Debatte vgl. Willy O. Dressler: Nichtkünstler als Schuldirektoren, in: Ku. u. Wi., Jg. 4, Nr. 7, 1.4. 1923, S. 2 f; OM: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi'., Jg. 4, Nr. 9,1.5.1923, S. 1; Gegen Nichtkünstler als Kunstschuldirektoren, in: BT, Nr. 333 [?], 18.7.1923, in: BArchB, R 1501, Nr. 8965, Bl. 99; Otto Marcus: Der Kampf um die Kunstschulen, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 5, Mai 1924, S. 3 f; O. Marcus: Kunstschulreform, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 6, Juni 1924, S. 4 f; O. Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 10, Okt. 1924, S. 1 f; Marcus an Präsident Ak. d. Kü., 10.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/009, Bl. 10-13; Die Staatliche Akademie und städtische Handwerker- und Kunstgewerbeschule Breslau, in: Mitteilungen des Bundes der Kunstgewerbeschulmänner, Jg. 7, Nr. 1, 25.1.1925, S. 1-3, in: BArchB, R 1501, Nr. 8966, Bl. 93-97; O. Marcus: Regierung und Organisation, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 2, Febr. 1925, S. 18 f; Nochmals „Künstler als Beamte", in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 7, Juli 1925; Graef (DNVP) u. Kimbel (DNVP), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 36; Klausner (DDP), 6.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6150; Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 7, 1.4.1928, S. 98; Otto Marcus: Mitgliederversammlung in Nürnberg vom 11.-13. September. Verhandlungsbericht, in: Ku. ». Wi., Jg. 9, Nr. 17, 16.10.1928, S. 301-306; Klausner (DDP), 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 41 f; Klausner (DDP), 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25688-25690; Ku. ». Wi., Jg. 9, Nr. 7, 1.4.1928, S. 98; Protest Düsseldorfer Künstler, in: Ku. ». Wi., Jg. 9, Nr. 14, 1.8. 1928, S. 224; Kunsthistoriker als Akademiedirektoren, in: Ku. ». Kü., Jg. 28, Nr. 6, März 1930, S. 261; Fr. Hausmann: Nichtkünstler als Schuldirektoren, in: Ku.bl., Jg. 7, 1923, S. 28 f; Kuhn: Die Leitung der Kunstakademien und Kunstgewerbeschulen durch Kunsthistoriker, in: Ku.chr., Jg. 58,2, Nr. 28, 13.4.1923, S. 547; Alfred Kuhn: Die Neubesetzung der Leitung der Kunstakademie in Kassel, in: Ku.chr., Jg. 58,2, Nr. 47, 21.9.1923, S. 809. 78 Vgl. dazu Ku.bl, Jg. 8, 1924, S. 288; Fehlemann 1992, S. 192; Klapheck 1961, S. 5; Klapheck 1973, S. 151. 79 Vgl. LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 10, 12 u. 31-34; Szg. 289, Sp. 21 f; Reinhard Huebner: Preußische Kunstpolitik, [1924], gedr., in: SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 6; Thiele an KM, 19.1.1924, ms., Oberpräsident Königsberg an Ministerialdirektor KM [Nentwig], 8.2.1924, ms., KM an Oberpräsident Königsberg, 22.2.1924, ms., Oberpräsident Königsberg an KM, 20.3.1924, ms., Oberpräsident Königsberg an KM, 15.4.1924, ms. u. Freie Künstler Königsberg an Boelitz, 12.9.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; Akademielehrer Königsberg (Cauer, Storck, Lahrs, Pfeiffer, Richter, Wirth u. Wolff) an Ak. d. Kü., Okt. 1924, ms., Antwort auf den Erlaß des Kultusministeriums vom 19.9. und 6.10.24, ms. u. ZAs Mai u. Sept. 1924, in: SAdK, PrAdK, 2.1/053, Bl. 2-8, 13 u. 20-23; Ein Memorandum der Professoren der Königsberger Kunstakademie, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, Abendausg., Nr. 408, 15.9.1924, in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8154. 80 Thiele wurde an die Kunstschule Berlin versetzt, vgl. Abschr. Briefe Boelitz an Thiele, Oberpräsident Königsberg u. Direktor Kunstschule Berlin, 26.11.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8154; Becker, 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 12; zur Ernennung Nollaus vgl.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
313
sichtlich bemühte sich das Ressort, durch diese neutralisierenden Maßnahmen in Königsberg, Düsseldorf und Kassel den Boden für eine Künstlerausbildung jenseits zermürbender Richtungskonflikte zu bereiten.81 Hatte das Ministerium bis 1923/24 durch seine vielfältigen personalpolitischen wie strukturellen Aktivitäten bereits wichtige Voraussetzungen für eine Annäherung an seine Reformziele innerhalb der bestehenden Akademien geschaffen, stellte die Gründung der Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst 1924 in Berlin schließlich den entscheidenden Schritt in Richtung Realisierung des Waetzoldtschen Reformprogramms dar. Bei der Gründung handelte es sich um eine räumliche wie organisatorische Zusammenlegung der Charlottenburger Hochschule für die bildenden Künste und der Unterrichtsanstalt des staatlichen Kunstgewerbemuseums. Mit der Neugründung konnte einer der grundlegenden Reformansprüche des Ressorts - der der gemeinsamen, gleichberechtigten Ausbildung freier und angewandter Künstler - erstmals in Preußen an exponierter Stelle staatlich institutionalisiert werden. Der Aufbau der neuen Staatsschulen stellte sich folgendermaßen dar: Die Schule umfaßte drei Abteilungen - für Architektur, freie und angewandte Kunst. In einem als „Fachschule" bezeichneten „Unterbau" wurden die Schüler aller Abteilungen in Werkstätten, Ergänzungs- und Fachklassen zunächst gemeinsam unterrichtet und daneben in Sonderklassen spezieller geschult. Daran schloß sich optional als „Oberbau" die eigentliche dreigliedrige „Hochschule" an, in der die Schüler in „Ateliers" ihre an der späteren Berufspraxis orientierte Ausbildung als Architekten, freie Künstler oder Kunstgewerbler erfuhren.82 Für die Aufnahme galten Talent sowie künstlerische und handwerkliche Vorbildung als Voraussetzungen.83 Die Staatsschulen realisierten damit das von Waetzoldt in Ubereinstimmung mit der werkbundnahen Fachdebatte propagierte Ideal der Einheitskunstschule.84 Der Anspruch des Kultusressorts auf eine lebensnahe, praxisorientierte Künstlerausbildung spiegelte sich darin, daß der Schule eine Berufsberatungs- und
auch Klausner (DDP) u. Becker, 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6150 u. 6154 f; Klausner (DDP) u. Nentwig, 22.2.1928, in: LT, W P 2, HA, Szg. 277, Sp. 41 f u. 49; Klausner (DDP) u. Nentwig, 17.3.1928, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 25688-25690 u. 25693; zu ähnlichen Überlegungen für Düsseldorf vgl. Ku.chr., Jg. 58, 1, Nr. 8, 24.11.1922, S. 146. 81 Vgl. Waetzoldt, 15.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17447-17449. 82 Vgl. Boelitz an Direktor Hochschule der bildenden Künste, 8.9.1924, ms. u. KM: für die Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte
Bestimmungen
Kunst, 8.9.1924, ms., in: GStA PK,
I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 90-95, SAdK, PrAdK, AA/24, Bl. 8 - 1 4 u. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 50, Bd. 1; Boelitz 1925, S. 122 u. 211. Ausbildungsschwerpunkte waren 1. in der Architekturabteilung Architektur und Gartenanlage, Wand- und Glasmalerei sowie Bauplastik, 2. in der freien Kunstabteilung Malerei, Plastik und Graphik und 3. in der Abteilung für angewandte Kunst Dekorative Malerei, Dekorative Plastik, Gebrauchsgraphik und Allgemeine Dekoration; vgl. auch Schunk 1993, S. 432. 83 Vgl. KM: Bestimmungen
für
die Vereinigten
Staatsschulen für freie
und angewandte
Kunst,
8.9.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 90-95 u. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 50, Bd. 1. 84 Vgl. Baumunk 1996 c, S. 439; Hölscher 2003, S. 215 f; siehe dazu auch Organisationsschema in Waetzoldt 1921, S. 4 6 - 4 8 .
III.
314
Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Arbeitsvermittlungsstelle angegliedert war und überdies ein Kuratorium eingesetzt wurde, dem neben Vertretern des Kultus- und Handelsressorts und den Leitern der großen staatlichen Kunstinstitutionen je ein Vertreter des Kunsthandwerks, der „Kunstindustrie" und der freien Kunst angehörten. 85 Zum Direktor der Staatsschulen wurde mit Bruno Paul, dem Leiter der ehemaligen Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums, ein prominenter Fürsprecher der Einheitskunstschule ernannt (siehe Kap. II. 3.2.). 86 Untergebracht wurde die neue Schule in den Räumen der Charlottenburger Kunsthochschule. 87 Seit 1921 hatte es Überlegungen für eine derartige Neuregelung des Kunstschulwesens in der Hauptstadt gegeben. Nachdem das Finanzministerium nach Veröffentlichung der Waetzoldt-Schrift im Februar 1921 eine Verbindung der beiden zentralen Berliner Kunstschulen angeregt hatte, 88 war vom Handels- und Kultusministerium im Juli 1921 erstmals über eine Zusammenlegung der Hochschule und der Unterrichtsanstalt diskutiert worden. 89 Das Kultusressort hatte sich damals wegen „der trostlosen Finanzlage des Staates, die gebieterisch Vereinfachung und Ersparnisse in allen Zweigen der Verwaltung verlangt", für die Pläne engagiert. „Ein weiterer Aufschub der auch aus kunstpädagogischen Gründen dringend wünschenswerten Verbindung" sei nicht zu verantworten. 90 Um den Charakter beider Anstalten zu wahren und den Eindruck der vom Handelsressort befürchteten Akademisierung zu vermeiden, hatte das Ressort zunächst vorgeschlagen, beide Einrichtungen „als gleichberechtigte Abteilungen einer künstlerischen Einheitsschule unter ihren bisherigen Direktoren weiterbestehen zu lassen" und die Schule „Vereinigte Staatsanstalten für freie und angewandte Kunst" zu nennen. 91 Die Kooperation der Direktoren sollte dabei Sparoptionen im Personalbereich eröffnen. Für die Ausgestaltung der Schule hatte das Kultusministerium bereits ähnliche Vorstellungen, wie sie 1924 tatsächlich maßgeblich werden sollten. 92 Begründet hatte es sein Plädoyer: „Von der gemeinsamen Ausbildung in Fächern, die für alle der freien oder der angewandten Kunst sich widmenden Schüler gleich wichtig sind, erwarte ich einen segensreichen Austausch [...] und ein vertieftes Verständnis für die Eigen-
85 Vgl. KM: Bestimmungen
für
die Vereinigten
Staatsschulen für freie
und angewandte
Kunst,
8.9.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 90-95; Boelitz 1925, S. 122; Waetzoldt, 15.9.1924 in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 17 f. 86 Zur Rolle Pauls vgl. auch Baumunk 1996 c, S. 439. 87 Vgl. D. R. Frank 1994, S. 226. 88 Vgl. dazu Abschr. KM an Handelsministerium, 19.7.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 415-417, Bl. 415 r. 89 Vgl. KM (Nentwig) an FM, 1.7.1921, ms., Entwurf FM an KM, 5.7.1921, hs., Abschr. KM an Handelsministerium, 19.7.1921, ms., Entwurf. Vereinigte Staatsanstalten für freie und
angewandte
Kunst, [Juli 1921], Ds., ms. u. FM an KM, 11.8.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 399 u. 4 1 5 - 4 2 6 ; Vermerk FM, 19.7.1921, hs. / ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 229. 90 Abschr. KM an Handelsministerium, 19.7.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 415-417, Bl. 415 r; vgl. dazu auch Baumunk 1996 c, S. 439. 91 Abschr. KM an Handelsministerium, 19.7.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 415-417, Bl. 415. 92 Vgl. ebd., Bl. 415 v - 4 1 6 v; vgl. auch Entwurf. Vereinigte Staatsanstalten für freie und Kunst, Quii 1921], Ds., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 418-423.
angewandte
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
315
art und den Wert jeder ernsthaften künstlerischen Betätigung. Dem heranwachsenden Geschlecht eine möglichst gründliche und vielseitige künstlerisch-handwerkliche Ausbildung zu Teil werden zu lassen, halte ich schon im Hinblick auf die wirtschaftliche Notlage der Künstler für dringend geboten. Der Gefahr einer ,Proletarisierung' der künstlerischen Jugend wird am sichersten begegnet werden können, wenn die künstlerischen Schranken zwischen freier und angewandter Kunst durch organisatorische Maßnahmen möglichst beseitigt werden." 93 Zur Stützung seiner Argumentation hatte das Ministerium auf die Ubereinstimmung mit etablierten kunstpädagogischen Forderungen hingewiesen, wie sie 1921 auf der Länderkonferenz in München, bei der Künstlerversammlung im Herrenhaus oder durch die akademische Reformkommission (siehe Kap. II. 3.2. und II. 5.1.) artikuliert worden seien und an denen man sich in Bayern, Württemberg und Baden inzwischen ebenfalls orientiere.94 In Affinität zur zeitgenössischen Fachdebatte hatte es sich so für eine Kunstschulreform stark gemacht, die den wirtschaftlichen Bedrängnissen der Zeit doppelt Rechnung trug: indem sie die staatlichen Kassen durch stringentere Organisation zu entlasten und zugleich durch eine praxis- wie talentorientierte Ausbildung eine Künstlergeneration ohne wirtschaftliche Existenznöte zu fördern suchte.95 Umsetzen wollte das Ministerium dies 1921 noch in reduzierterer Form: ohne räumliche Vereinigung, mit einer nur zwei- statt dreigliedrigen Schule und unter Beibehaltung der Direktoren Paul und Kampf. 96 Im Herbst 1922 hatte die Denkschrift des Kunstreferates das fortgesetzte ministerielle Interesse in diese Richtung bekundet. Hier hieß es: „Ausgearbeitet und den beteiligten Zentralbehörden vorgelegt wurde der Plan einer organisatorischen Verbindung der beiden großen Berliner staatlichen Kunstschulanstalten für freie und angewandte Kunst [...], wodurch eine Kunstlehranstalt geschaffen werden sollte, die durch Einführung des gesamtkünstlerischen Momentes in die Erziehung dem natürlichen Werdegang des Künstlers angepaßt ist und ihm durch die Art der Ausbildung großmögliche Gewähr gegen spätere wirtschaftliche Not gibt." 97 Die Schrift unterstrich gleichzeitig: Entgegen der Hoffnung, die Einheitskunstschule schon 1922 realisieren zu können, 98 gestalteten sich die Verhandlungen zwischen den preußischen Ressorts schwierig. Auch wenn die Kompetenz im speziellen Fall beim Kultusressort lag, dem sowohl die Kunsthochschule als auch die Unterrichtsanstalt unterstand, strebte man offenbar eine Lösung an, mit der sich auch das Finanz- und Handelsressort einverstanden erklären konnten. Während das Kultusministerium mit Rückendeckung Liebermanns und des Landtags immer wieder für eine Verbindung von
93 Abschr. KM an Handelsministerium, 19.7.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 415-417, Bl. 416 v. 94 Ebd., Bl. 4 1 6 v - 4 1 7 r . 95 Zum Konnex zwischen Kunstschulreform und Inflationszeit vgl. auch Wingler 1977, S. 14-16. 96 Vgl. auch Abschr. KM an Handelsministerium, 19.7.1921, ms. u. Entwurf.
Vereinigte Staats-
anstalten für freie und angewandte Kunst, Quii 1921], Ds., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 415-423. 97 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4354; vgl. auch Schunk 1993, S. 431. 98 Vgl. Abschr. KM an Handelsministerium, 19.7.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 415-417, Bl. 417 r.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
316
Kunst und Kunstgewerbe im Kunstschulsektor plädierte," erwies sich der Widerstand des Handelministeriums jedoch als hartnäckig. 100 Erst 1924 kam im Zuge der nachinflationären Sparpolitik wieder Bewegung in die Sache. Auf Basis der preußischen Abbauverordnung vom 8. Februar 1924 beschlossen das Finanzund Kultusressort nun aus Kostengründen die räumliche Vereinigung von Hochschule und Unterrichtsanstalt. Noch am 8. Februar ordnete das Kultusministerium den Umzug der Kunstgewerbeschule ins Hochschulgebäude an. 101 Nachdem Waetzoldt bereits 1920/21 darauf hingewiesen hatte, daß die Einheitskunstschule auch als Rationalisierungsschritt zu begreifen sei, 102 und der finanzielle Aspekt in der Folgezeit beim Engagement für die Vereinigung der Berliner Kunstschulen stets ein zentrales Argument gewesen war, fügte sich die Zusammenlegung der Institutionen im ersten Nachinflationsjahr idealtypisch in das vom Ministerium Boelitz propagierte konstruktive Sparprogramm (siehe Kap. III. 1.) ein. 103 Kunst- und finanzpolitische Interessen verknüpften sich hier unmittelbar miteinander. Boelitz betonte dazu: „Jetzt wird unter dem Zwange der Not die Umstellung des Kunstschulwesens nicht mehr allein aus pädagogischen Erwägungen, sondern aus harten finanziellen Notwendigkeiten gefordert. Das aufgestellte Sparprogramm sieht [...] eine Beseitigung der Doppeleinrichtungen auf diesem Gebiet und damit eine Vereinigung von Kunstakademien und Kunstgewerbeschulen vor. So bietet sich jetzt die Möglichkeit, die beiden Grundgedanken des Waetzoldtschen Reformplanes zu verwirklichen: der künstlerischen Ausbildung die notwendige handwerkliche Grundlage zurückzugeben und durch Verbindung von Schulen für freie und angewandte Kunst einen neuen Schultypus zu schaffen. [...] Unser Ziel besteht [..] darin, die entwickelungsfähigen Bestandteile beider Schul-
99 Vgl. Boelitz, 13.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5786 f; Wilhelm Waetzoldt: Die Reform des künstlerischen Bildungswesens, in: Ku.wan., Jg. 4, 1. Febr.-Nr. 1922, S. 243 f; Wilhelm Waetzoldt: Die bildenden Künste im Rahmen der preußischen
Verwaltung, in: Ku.chr., Jg. 57, 1, Nr. 20/21,
1922.2.10/17, S. 341-347; Boelitz, 15.3.1923, in: LT, W P 1, Dr. 4917; Becker, 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 12; Reinhard Huebner: Preußische Kunstpolitik, [1924], gedr., in: SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 6; zur Haltung Liebermanns vgl. Ak. d. Kü. an KM, 16.1.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/129, Bl. 28; zur Haltung des Landtags vgl. Ulbrich: Verschmelzung von mien und Kunstgewerbeschulen,
in: Königsberg Hartungsche
Kunstakade-
Zeitung, 26./27.5.1923, in: SAdK,
PrAdK, 2.2/130, Bl. 83. 100 Vgl. KM (Nentwig) an FM, 23.1.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154; Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 18.1.1923, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/075, Bl. 9 - 1 0 ; Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft u. Senat Kunstsektion, 24.3.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 102-111, Bl. 102 v; siehe dazu auch Ulbrich: Verschmelzung und Kunstgewerbeschulen,
in: Königsberg
Hartungsche
Zeitung,
von
Kunstakademien
26./27.5.1923, in: SAdK,
PrAdK, 2.2/130, Bl. 83; Handelsministerium an FM, 21.6.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154; Hölscher 2003, S. 212-216. 101 Vgl. Becker an Braun, 21.3.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 57; Baumunk 1996 c, S. 439; zur Differenzierung zwischen räumlicher und organisatorischer Vereinigung vgl. Boelitz an Direktor Hochschule der bildenden Künste, 8.9.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 90. 102 Waetzoldt 1921, S. 43 f, vgl. auch Schunk 1993, S. 430. 103 Vgl. Boelitz 1924, S. 33-35.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
317
gattungen zu verschmelzen und aus der Verschmelzung eine gesteigerte geistige und künstlerische Produktion hervorgehen zu lassen. Einen ersten großen Versuch in dieser Richtung machen wir zurzeit in Berlin". 1 0 4 Das Ministerium verstand es damit geschickt, den Sparzwang für die Umsetzung seiner Reformambitionen zu nutzen. So konsequent sich die zunächst räumliche Vereinigung der beiden Schulen aber auch aus Sicht des Kultusministeriums darstellte, rief die Umzugsanordnung doch einen Sturm der Entrüstung vor allem seitens der Kunsthochschule hervor. In mehreren Schriften protestierten die Kunstschüler gegen den angeblichen Willkürakt der Regierung. 105 Vor dem Hintergrund einer generellen Skepsis gegenüber dessen lebensnäherem Kunstverständnis holte man zum Generalangriff gegen die Kunstpolitik des Ministeriums aus. 106 Auch Hochschuldirektor Kampf und die Charlottenburger Lehrer reihten sich in die Protestfront ein. 107 Unterstützung erfuhr die Hochschule von Otto Marcus, dem Vorsitzenden des Reichswirtschaftsverbands bildender Künstler (siehe Kap. II. 5.2. und III. 6.1.), der das autokratische Vorgehen ohne vorherige Künstleranhörung als Ausdruck einer von Wissenschaftlern getragenen, künstlerfeindlichen Politik kritisierte. 108 Das Kultusressort wies die Proteste am 14. März 1924 zurück. Dennoch forderte der Unterrichtsausschuß des Landtags am 20. März die Einsetzung einer Untersuchungskommission, die den Umzug gegebenenfalls verhindern sollte. 109 Damit war das Ministerium Boelitz gezwungen, Stellung zu beziehen. Vehement verteidigte es nun sein Vorgehen. Dabei verfolgte es zwei Strategien: Zum einen bestand es formell auf der Rechtmäßigkeit der Umzugsanordnung, zum anderen suchte es sein Vorgehen inhaltlich plausibel zu machen. Im Zuge der ersten Strategie betonte Becker am 24. März 1924 zunächst gegenüber Ministerpräsident Braun, bei der Zusammenlegung habe es sich um eine Verwaltungssache gehandelt, die nicht in die Zuständigkeit des Landtags falle. Durch den Landtagsbeschluß
104 Ebd., S. 34; vgl. dazu auch Boelitz 1925, S. 121-123. 105 Vgl. Ein Appell der Berliner Kunsthochschüler an die Öffentlichkeit, besonders an das Hohe Haus der Abgeordneten,
[1924], gedr. u. Reinhard Huebner: Preußische Kunstpolitik, [1924], gedr., in:
SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 5 - 6 ; Schrift Reichsbund Deutscher Kunsthochschüler Berlin u. Studenten der Hochschule der bildenden Künste an [Staatsministerium], 1.3.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 68-73 (gedr. Version auch in SAdK, PrAdK, AA/24, Bl. 5); vgl. dazu Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft u. Senat Kunstsektion, 24.3.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 102-111, Bl. 102 v; Schunk 1993, S. 431. 106 Symptomatisch erscheint hier z.B. auch die Kritik an der angeblichen Berufung von Gropius ins Ministerium, vgl. Ein Appell der Berliner Kunsthochschüler das Hohe Haus der Abgeordneten,
an die Öffentlichkeit,
besonders an
[1924], gedr. u. Reinhard Huebner: Preußische
Kunstpolitik,
[1924], gedr., S. 8, in: SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 5. 107 Vgl. Telegramm Lehrerkollegium Hochschule für bildende Künste an Präsident LT, 7.3.1924, ms. u. Telegramm Kampf an Präsident LT, 8.3.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 77-78. 108 Vgl. O. Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi„ Jg. 5, Nr. 4, März 1924, S. 1 f. 109 Vgl. LT, WP 1, Dr. 7660, S. 8218; Oelze etc., 19.3.1924, in: LT, W P 1, Dr. 7653 B, S. 8213; von Kries etc., 2.4.1924, in: LT, W P 1, Dr. 7684 B, S. 8249; Becker an Braun, 21.3.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 57, Bl. 57 r; vgl. auch Schunk 1993, S. 432.
III.
318
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
komme man in eine „sehr schwierige Lage". Die Verzögerung oder gar ein Verbot des Umzuges würde die Erregung vergrößern und finanziell kontraproduktiv sein. Über den Einzelfall hinaus habe das Vorgehen des Landtags generelle Bedeutung, da es dazu angetan sei, die Autorität der Regierung zu schädigen.110 Es sei unerträglich, wenn der Landtag meine, „der Regierung in den Arm fallen und deren wohlerwogene Maßnahmen hintenanhalten zu können. Dadurch muß schließlich jede Initiative der verantwortlichen Stellen genommen werden". Gerade bei der Abbauverordnung, die dem Landtagseinfluß bewußt entzogen sei, dürfe so etwas nicht üblich werden.111 Nachdem sich auch das Finanzressort ähnlich geäußert hatte,112 entschied das Staatsministerium daraufhin am 26. März, dem Landtagsbeschluß nicht stattzugeben.113 In einer mit Rückendeckung Brauns veröffentlichten Erklärung bekräftigte das Kultusministerium später seine Position. 114 Es hatte damit die Sonderkonditionen, die die Abbauverordnung der Regierung bot, genutzt, um seine Reformvorstellungen letztlich autokratisch, aber doch juristisch korrekt umzusetzen. Einziges Ergebnis des Landtagsprotestes blieb so die Entscheidung, zumindest für die organisatorische Vereinigung eine Kommission einzusetzen, in der neben Kunsthochschule und Unterrichtsanstalt die Akademie der Künste vertreten sein sollte.115 Im Zentrum der zweiten Verteidigungsstrategie stand das Bemühen des Ministeriums Boelitz, die Zusammenlegung der Kunstschulen in der Kunstsektion der Akademie der Künste zu erläutern und sich auf diese Weise des Rückhalts eben der zentralen staatlichen Künstlervertretung zu versichern, der die Hochschule unterstand und die in der folgenden Zeit der Beratungskommission angehören sollte. Entsprechend bezog Waetzoldt zunächst am 24. März 1924 in der Akademie Stellung zu fünf Hauptkritikpunkten, die im Umfeld der Zusammenlegung geäußert worden waren. Auf den Vorwurf, die Sparpolitik sei nur Vorwand für die Durchführung einer lange geplanten Maßnahme gewesen, reagierte er mit dem Hinweis auf die fordernde Haltung des Finanzministeriums seit Ende 1923, der man sich habe unterordnen müssen.116 Die Kritik an der mangelnden Künstlerbeteiligung wies er
110 Becker an Braun, 21.3.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 57 r. 111 Ebd., Bl. 57 r-v. 112 FM an Braun u. alle preußischen Ministerien, 24.3.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 58. 113 Vgl. Notiz Staatsministerium, 24.3.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 5 9 - 6 0 ; Sitzungsprotokoll Staatsministerium, 26.3.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. Otto Braun, A Nr. 19 a. 114 Vgl. LT, W P 1, Dr. 7903, S. 8802; vgl. dazu auch Ministerpräsident an Lehrerkollegium Hochschule für bildende Künste, 14.3.1924, ms., Becker an Braun, 3.4.1924, ms., Entwurf Ministerpräsident (Cohn) an KM, 10.4.1924, hs., Becker an Braun, 12.4.1924, ms. u. Vermerk Ministerpräsident (Cohn), 15.4.1924, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 53, 7 9 - 8 0 u. 82-84; Schunk 1993, S. 432. 115 Vgl. LT, W P 1, Dr. 7903, S. 8802; vgl. auch Schunk 1993, S. 432. 116 Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft u. Senat Kunstsektion, 24.3.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 102-111, Bl. 102 v-103 v; vgl. dazu auch KM (Nentwig) an FM, 20.3.1923, ms., Entwurf FM an KM, 28.4.1923, ms., KM (Nentwig) an FM, 28.7.1923, ms. u. FM an KM, 23.11. 1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 267, 270, 300 u. 306.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
319
zurück, indem er betonte, es habe Besprechungen mit Direktoren und Lehrern der betroffenen Schulen gegeben.117 Mit Blick auf das Argument, der Platz in der Kunsthochschule werde für die 137 bisherigen Schüler und 400 zusätzliche Kunstgewerbeschüler kaum reichen, plädierte Waetzoldt für eine effektivere Nutzung der vorhandenen 480 Räume. 118 Dem Vorwurf, die Zusammenlegung verursache Kosten statt sie zu reduzieren, hielt er die beträchtlichen Einsparungen entgegen, die in keinem Verhältnis zu den geringen einmaligen Aufwendungen stünden.119 Zudem betonte er: Angesichts der Künstlernot sei es ohnehin nicht sinnvoll, „den Kunstschulbetrieb zu erweitern, er müsse vielmehr verengt werden. [...] Nicht große Anstalten, sondern kleine, die ihren Zweck richtig erfüllen, seien anzustreben." 120 Abschließend suchte Waetzoldt die zentrale Befürchtung zu relativieren, die freie Kunst werde durch die Vereinigung „an die Wand gedrückt". Konkret hob er hier zum einen auf die Skepsis des Handelsressorts in umgekehrte Richtung ab. Zum anderen warnte er davor, aus der Majorität der Lehrer der Unterrichtsanstalt 121 ungerechtfertigte Rückschlüsse auf die Verhältnisse an den Staatsschulen zu ziehen. Vielmehr werde das Gewicht beider Seiten durch eine gleichberechtigte Rolle in Senat, Kuratorium und internen Arbeitsgruppen „selbstverständlich ausbalanziert werden". 122 Waetzoldt hatte damit den Kritikern sein auf Leistung und Stringenz ausgerichtetes Kunstschulmodell entgegengestellt, das auf einem Gleichgewicht von freier und angewandter Kunst basierte. Mit seinen Ausführungen erreichte er kurzfristig auch die konservativeren Akademiker. Das Vertrauen wollte die Akademie Waetzoldt aber trotz dessen Bitte nicht aussprechen.123 In weiteren Akademiesitzungen am 31. März und 7. April 1924 spitzte sich die Kritik dann erneut zu. 124 Klimsch sprach von einseitigen Abmachungen des Ressorts mit Bruno Paul,125 und Manzel polemisierte heftig gegen das autokratische Kultusministerium, dessen „Attentat" auf die Hochschule man nicht mittragen könne. 126 Immer klarer kristallisierte sich dabei heraus, daß Liebermann den Reformansätzen zwar positiv gegenüberstand,127 die konservative Mehrheit der Akademie eine Auflösung der 117 Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft u. Senat Kunstsektion, 24.3.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 102-111, Bl. 103 v-104 r. 118 Ebd., Bl. 104 r - 1 0 5 r. 119 Später nannte das Ministerium als Ersparnis durch die Zusammenlegung 200.000 GM zuzüglich der Miete für frei werdende Räume der Unterrichtsanstalt, vgl. Nentwig, 2.4.1924, in: LT, W P 1, Dr. 7684 F, S. 82507. 120 Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft u. Senat Kunstsektion, 24.3.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 102-111, Bl. 105 v. 121 Siebzehn Lehrkräften der Hochschule standen immerhin 48 Lehrer der Unterrichtsanstalt gegenüber, vgl. ebd., Bl. 104 r. 122 Ebd.,Bl. 105 v. 123 Vgl. dazu ebd., Bl. 106 r-111 v. 124 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft Kunstsektion, 31.3.1924, hs. u. Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 7.4.1924, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 79-85 u. 87-99. 125 Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft Kunstsektion, 31.3.1924, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 87-99, Bl. 87 v. 126 Ebd., Bl. 89 r - 9 0 v. 127 Zu Liebermanns Haltung vgl. auch Max Liebermann: Zur Kunstschulreform,
in: Ku.wan., Jg. 6,
320
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Hochschule allerdings ablehnte. Einig waren sich Liebermann und die konservativen Akademiker darin, daß sie Paul keinesfalls zum Leiter der Staatsschulen ernannt wissen wollten.128 Nentwig wies demgegenüber den Vorwurf, mit Paul sei „gewissermaßen ein Komplott geschmiedet worden", entschieden zurück.129 Zugleich erteilte er dem Wunsch nach einem Fortbestehen der Hochschule eine Absage, indem er betonte, die organisatorische Vereinigung der Schulen sei lange geplant, lediglich die räumliche Zusammenlegung sei nun plötzlich vom Finanzressort eingeleitet worden.130 Waetzoldt bestand zudem auf folgenden Feststellungen: „1. daß beide Schulen in gewissem Umfang reformbedürftig seien. Heute, da die Sparmaßnahmen zu Einschränkungen nötigen, könne eine solche Reform sachlich durchgeführt werden. 2. daß keine von beiden Anstalten an die Wand gedrückt, von der anderen verschlungen werden solle. Was geschaffen werden solle, sei ja in der Hauptsache der gemeinsame Unterbau, der ein Herüberwechseln von dem einen Gebiet in das andere ermöglicht. 3. daß ein strenges Selektionsprinzip unter den Schülern bei einer solchen einheitlichen Schule möglich sei." 131 Deutlich sprach sich Waetzoldt auf diese Weise für eine gleichberechtigte Vereinigung beider Schulen aus. Rückendeckung erhielt er dabei von Poelzig, der in der Akademiesitzung vom 7. April 1924 erklärte: „Die früher von ihm, jetzt von Endell geleitete Breslauer Anstalt sei genau so eingerichtet wie die neue Anstalt in Charlottenburg gedacht ist. Trotz anfänglicher Reibungen der verschiedenen Teile der Breslauer Anstalt habe diese ihren Zweck vollkommen erfüllt. [...] Der kunstgewerbliche Teil der Anstalt sei ganz bei dem geblieben, was sein Zweck ist, ebenso der künstlerische Teil. Das Herüber- und Hinüberwechseln von einem Kunstzweig in den anderen habe sich in Breslau ausgezeichnet bewährt." 132 Solche Sympathiebekundungen blieben in der Akademie indes die Ausnahme. Faktisch stand das Ressort hier einer akademischen Majorität gegenüber, die die Einheitsschule als Bedrohung für die eigene Position begriff. Dennoch einigte man sich zumindest auf die Wahl von vier Akademiemitgliedern für die Kommission, die dem Ministerium Vorschläge für die Ausgestaltung der Staatsschulen unterbreiten sollte.133 Der Akademie der
1./2. März-Nr. 1924, S. 192; Liebermann an [Pressevertreter], 27.10.1924, ms. u. Reinhard Huebner: Preußische Kunstpolitik, [1924], gedr., in: SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 6 u. 19; Bärnreuther 1997, S. 259 f. 128 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft Kunstsektion, 31.3.1924, hs. u. Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 7.4.1924, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 7 9 - 8 5 , Bl. 82 r u. 87-99, Bl. 97 ν u. 99 v; Liebermann, [Sept. 1924?], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/153, Bl. 21. 129 Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft Kunstsektion, 31.3.1924, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 87-99, Bl. 88 v. 130 Ebd., Bl. 90 v-91 r. 131 Ebd., Bl. 96 r. 132 Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 7.4.1924, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 79-85, Bl. 83 v. 133 Zu den Kommissionsmitgliedern der Akademie gehörten Schulte im Hofe als einer der Wortführer der konservativen Einheitsschulgegner, aber auch Philipp Franck, der zeitgenössischen Reformansätzen aufgeschlossen gegenüberstand; zu Francks Haltung vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 7.4.1924, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 79-85, Bl. 83 v - 8 4 r; zur Kommission vgl. auch ebd., Bl. 85 r; KM (Nentwig) an Braun, 23.7.1924, ms., u. Boelitz an Direktor Hoch-
J. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
321
Künste wurde so formell zwar eine beratende Rolle bei der Gründung der Staatsschulen eingeräumt, gleichzeitig bestand das Ministerium jedoch gerade gegenüber den sich verweigernden konservativen Akademikern darauf, daß die Entscheidungen in der Kunstschulfrage letztlich von ihm getroffen würden. 134 Das Ressort löste sich so zunehmend von der Vorstellung eines Konsenses mit der Akademie. Während sich das Ministerium intern um eine Untermauerung seiner Position bemühte und dabei implizit den Stellenwert der Berliner Zusammenlegung für seine Politik unterstrich, verhärteten sich ähnlich wie in der Akademie gleichzeitig auch in der öffentlichen Diskussion die Fronten. Einerseits erfuhr das Ministerium Zuspruch: Neben Osborn 1 3 5 stellte sich im April 1924 etwa Scheffler auf seine Seite, als dieser in Orientierung an der ministeriellen Diktion betonte, das Kultusressort habe sich angesichts der Sparnotwendigkeit „glücklicherweise nicht begnügt, einen Teil der Lehrerstellen zu streichen oder sonst in einer äußerlichen Weise Abstriche zu machen, es hat vielmehr den Ehrgeiz den notwendigen Abbau in einen Aufbau zu verwandeln." 1 3 6 Zwar kritisierte Scheffler, daß das Ministerium offenbar „einige verhängnisvolle Formfehler" gemacht habe, durch die sich die Lehrer „vergewaltigt" fühlten. Trotzdem sei festzuhalten: „Der Gedanke des Kultusministeriums ist gut, er ist einer der besten, die aus diesem Ministerium hervorgegangen sind." 1 3 7 Im Juni 1924 nahm dann auch der Werkbund positiv zur Schulvereinigung Stellung. 138 Gemeinsam mit den Lehrern der bisherigen Unterrichtsanstalt erklärte er es zu seinem Ziel, zu verhindern, „daß durch Reibungen und Widerstände die beispielhafte Lösung, die hier erreicht werden kann, eine Störung erfährt." 139 Ende Mai 1924 hatten sich die Lehrer der Unterrichtsanstalt entsprechend „für eine vernünftige Kunstschulreform" eingesetzt und betont, „daß eine solche [Reform] durch organische Verschmelzung unserer Anstalt mit der Hochschule für die bildenden Künste - die Wahrung der beiderseitigen Lebensnotwendigkeiten vorausgesetzt - unter der Leitung eines künstlerisch bedeutenden, organisatorisch befähigten, tatkräftigen Direktors durchaus verwirklicht werden könnte." 1 4 0 Erhielt das Ministerium damit vom Werkbund, von der Kunstgewerbeschule und prominenten Kunstkritikern den Rückhalt, den es ursprünglich von der Akademie erhofft hatte, setzte insbesondere Otto Marcus vom Reichswirtschaftsverband seine Kritik am „System
134 135 136 137 138 139 140
schule der bildenden Künste, 8.9.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 88 u. 90; Nentwig, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 6; Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft u. Senat Kunstsektion, 24.3.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 102-111, Bl. 109 v-110 r; Karl Scheffler: Kunstschulreform, in: Ku. u. Kü. J g . 22, Nr. 7, April 1924, S. 190 f, S. 190. Vgl. dazu auch Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft Kunstsektion, 31.3.1924, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 87-99, Bl. 90 v. Vgl. ebd., Bl. 99 r. Karl Scheffler: Kunstschulreform, in: Ku. u. Kü., Jg. 22, Nr. 7, April 1924, S. 190 f, S. 190. Ebd., S. 191. Mitt. DWB, Jg. 1924/25, Nr. 3, 28.6.1924, S. 2 f, S. 2. Ebd., S. 2 f. Entschließung des Lehrerkollegiums der bisherigen Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums an das KM, 27.5.1924, abgedruckt in: Mitt. DWB, Jg. 1924/25, Nr. 3, 28.6.1924, S. 2 f, S. 3.
III.
322
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Waetzoldt" unvermindert fort. Nachdem Marcus seine langjährige Lehrtätigkeit an der Unterrichtsanstalt im Zuge des Konflikts aufgegeben hatte,141 polemisierte er immer wieder gegen die kunstfremde „Reglementierungssucht" des Ministeriums, die sich unter anderem bei der Neuordnung der Berliner Kunstschulen offenbare.142 Als Drahtzieher im Hintergrund der ministeriellen Politik verstand Marcus dabei Bruno Paul.143 Einig sah er sich mit dem Reichsbund Deutscher Kunsthochschüler, der sich mit der Schrift Kunstdiktatur gegen die Kunstschulreform engagierte, sowie mit dem Bund der Kunstgewerbeschulmänner, der die Berliner Pläne als „fixe Idee" abtat.144 Auch der preußische Landtag reihte sich nach seiner Kollision mit dem Ministerium im März 1924 zunächst in die Reihe der Kritiker ein.145 Im Sommer 1924 waren die Fronten damit abgesteckt: Unversöhnlich standen sich die alte Hochschule für die bildenden Künste, die Akademiemehrheit, der Reichsbund Deutscher Kunsthochschüler und der Reichswirtschaftsverband als Gegner der Neuordnungsbestrebungen auf der einen und der Werkbund, die von Paul geprägte Unterrichtsanstalt und Teile der Kunstpresse als Befürworter der ministeriellen Bestrebungen auf der anderen Seite gegenüber. Letztlich prallten hier die traditionelle akademische Kunstauffassung und der vom Werkbund geprägte, jüngere Anspruch auf eine lebensnahe Kunst aufeinander. Das Ministerium hatte sich zwar schon unter Haenisch auf die Seite des jüngeren Modells gestellt, gleichzeitig hatte es aber durch seine zunächst kompromißhafte Politik im Akademiebereich das traditionellere Kunstverständnis ebenfalls weiterwirken lassen. Als es 1924 im Berliner Präzedenzfall um die Entscheidung entweder für das von der einen oder für das von der anderen Seite favorisierte Modell der Künstlerausbildung ging, kollidierten beide Seiten erstmals offen miteinander. In der zugespitzten Konfrontationssituation war nun eine eindeutige Positionierung auch des Ministeriums gefragt. Nachdem das Kultusressort schon zuvor auf der Umzugsanordnung bestanden hatte, setzte es schließlich Anfang September 1924 Zeichen, indem es der räumlichen Vereinigung jetzt nicht nur die organisatorische Zusammenlegung zu den Vereinigten Staatsschulen folgen ließ, sondern auch, indem es, den Forderungen der Unterrichtsanstalt und Schefflers entsprechend,146 Paul zum alleinigen Direktor der Schule ernannte.147 Zwar hatte sich das 141 Vgl. Otto Marcus: Der Kampf um die Kunstschulen, in: Ku, u. Wi., Jg. 5, Nr. 5, Mai 1924, S. 3 f; Zur Frage der Kunstschulreform:
Ein Brief von Ferdinand
Waldmüller, in: Ku.bl., Jg. 8, 1924,
S. 156 f; Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 192; Nentwig, 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 26. 142 Vgl. O. Marcus: Kunstschulreform,
in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 6, Juni 1924, S. 4 f; vgl. auch Otto Mar-
cus: Der Kampf um die Kunstschulen, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 5, Mai 1924, S. 3 f; Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi.,]g. 5, Nr. 8, Aug. 1924, S. 1 f. 143 Vgl. Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 8, Aug. 1924, S. 1 f. 144 Vgl. Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 7, Juli 1924, S. 1 f; vgl. auch O. Marcus: Kunstschulreform, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 6, Juni 1924, S. 4 f; Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 8, Aug. 1924, S. 1 f. 145 Vgl. Ausschußantrag LT, 17.6.1924, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 86 r. 146 Vgl. Entschließung Lehrerkollegium der bisherigen Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums an das KM, 27.5.1924, abgedruckt in: Mitt. DWB, Jg. 1924/25, Nr. 3,28.6.1924, S. 2 f, S. 3; Karl Scheffler: Kunstschulreform,
in: Ku. u. Kü., Jg. 22, Nr. 7, April 1924, S. 190 f.
147 Vgl. Boelitz an Paul, 8.9.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 15 (Abschr. auch in SAdK, PrAdK, 2.2/153, Bl. 20); Vermerk FM, 8.9.1924, ms. / hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC,
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
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Ministerium, „um bei den vorhandenen psychologischen Schwierigkeiten nicht Öl ins Feuer zu gießen", 148 im Sommer 1924 um eine Berücksichtung der von der Kommission vorgelegten Vorschläge insofern bemüht, als es die ursprünglich geplante Gliederung der neuen Schule durch ein Modell ersetzte, das dem Wunsch nach einem Fortbestehen der bisherigen Anstalten Rechnung trug. 149 Gleichzeitig war die vom Ministerium verfügte Einsetzung eines übergeordneten Direktors 1 5 0 und die Besetzung der Stelle mit Paul jedoch kaum anders als ein Signal gegen die akademische Richtung zu verstehen 1 5 1 - hatte man sich doch damit nicht nur gegen eine Zusammenarbeit mit dem konservativen Hochschuldirektor Kampf, sondern v o r allem für einen zentralen, von der Akademie abgelehnten Protagonisten der kunstgewerblichen Seite ausgesprochen. Das Ministerium hatte sich so in der konfrontativen Situation von 1924, die sich angesichts der Ernennung Pauls weiter zuspitzte 1 5 2 und die schließlich auch den Ressortkonflikt mit Liebermann eskalieren ließ (siehe Kap. III. 3.2.), 153 unmißverständlich für das werkbundnahe Kunstschulkonzept entschieden. 154 Entsprechend selbstbewußt verteidigte Waetzoldt die Gründung der Vereinigten Staatsschulen im Landtag. In einem ausführlichen Statement stellte er die Vereinigung hier als konsequente Umsetzung der seit Jahren vom Ministerium vertretenen Reformvorstellungen dar, die stets die Zustimmung des Landtags, der akademischen Unterrichtskommission
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154
Nr. 8253, Bl. 342; Alfred Kuhn: Zur Reform des künstlerischen Bildungswesens, in: Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 92 f; vgl. auch Schunk, 1993, S. 432. Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 17. Konkret hieß das, daß sich das Ministerium für eine Gliederung in Abteilungen für freie Kunst, angewandte Kunst und Architektur mit jeweils eigenen Leitern entschied, vgl. Waetzoldt, 15.9. 1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 16 f. Vgl. Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 17. Das Kultusministerium sah die Kommissionsvorschläge dabei zwar als Orientierungsgröße, aber keineswegs als bindend an, vgl. Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 16 f; Boelitz an Liebermann, 13.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 34-37, Bl. 35-36 (Original in SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 43-44). Vgl. O. Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 10, Okt. 1924, S. 1 f; O. Marcus: Kunstunterricht und Regierung, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 9, Sept. 1924, S. 2 f; Vermerk Staatsministerium, 31.10.1924, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 96; Das Gebäude der ehemaligen Unterrichtsanstalt des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 6, 29.5. 1925, S. 82 f; O. Marcus: Kunstpolitik im Landtag, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 10, Okt. 1924, S. 2; Ku.bl, Jg. 8, 1924, S. 192. Vgl. dazu Liebermann an [Pressevertreter], 27.10.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 19; Liebermann an Boelitz, 5.11.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 38-39 (Entwurf in SAdK, PrAdK, 2.2/269, Bl. 24-24a); Abschr. Boelitz an Liebermann, 13.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 34-37, SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 4 3 ^ 4 u. SAdK, PrAdK, 2.2/153, Bl. 22-23; Liebermann, [Sept. 1921?], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/153, Bl. 21; Liebermann an Waetzoldt, 30.10.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/270, Bl. 24; Künstler und Kunstverwaltung, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 12, Dez. 1924, S. 2. Zur Übereinstimmung mit dem Reichskunstwart vgl. RKW an [RMdl], 14.8.1926, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 176.
III.
324
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
und der Künstler erfahren hätten.155 Die Berliner Schule verstand er dabei als Projekt, das sich an ähnlichen Schulgründungen in München, Weimar oder Karlsruhe orientierte, bei dessen Umsetzung man aber aus andernorts gemachten Fehlern lernen sollte. Dem Münchener Beispiel,156 bei dem sich die Akademie zur „Aufsicht" über die Kunstgewerbeschule entwickelt habe, wolle man keinesfalls nacheifern. Aber auch vom Weimarer Bauhaus, wo „die freie Kunst tatsächlich an die Wand gedrückt" worden sei, wolle man sich insofern abgrenzen, als man dafür sorgen wolle, „daß die freie Kunst nicht irgendwie zu kurz komme." 157 Als vorbildlich galt Waetzoldt die Karlsruher Landeskunstschule.158 Zudem wies er darauf hin, daß an den Akademien Düsseldorf und Breslau bereits vieles von dem für Berlin Geplanten verwirklicht sei.159 Waetzoldt stellte die neuen Staatsschulen jedoch nicht nur als an der Fachdebatte orientiertes Reformvorhaben dar, sondern erläuterte zudem, welche Intentionen sich für das Ressort mit einer derartigen Reformpolitik insgesamt verknüpften. Als Kerngedanken der ministeriellen Bestrebungen führte er neben der Verhinderung eines Anwachsens des Künstlerproletariats160 an, „die menschlichen wie die finanziellen Kräfte zu konzentrieren mit dem Ziel, die künstlerische Produktion, das künstlerische Können Preußens zu erhalten. Der Weg zu diesem Ziel könne nur der sein, daß man dem jungen, künstlerisch begabten Menschen eine möglichst solide Ausbildung gebe." Als wesentliche Aspekte, über die sich definiere, was als „solide" Ausbildung zu gelten habe, nannte Waetzoldt: Die Ausbildung müsse garantieren, „daß die künstlerische Tradition erhalten bleibe". 161 Zudem müsse „dem Menschen, der zur Kunst dränge, bevor er überhaupt in der Lage sei, sich zu entscheiden, ob er sie zu seinem endgültigen Lebensberuf mache, ob er nachher als freier oder angewandter Künstler existieren wolle, die Möglichkeit geboten werde[n], die Kräfte, die er in sich fühle, zu erproben." Ein Wechsel zwischen Kunstgewerbeschule und Akademie sei bisher aber schwer gewesen. Eine engere Zusammenarbeit von freier und angewandter Kunst biete demgegenüber ein leichteres „Umsatteln." Auch ermögliche sie eine „viel sicherere Auswahl der künstlerisch begabten jungen Menschen nach ihrer spezifischen Begabung", und mache „den Gedanken des Zusammenhangs zwischen den Künsten wieder lebendig". Aus all dem ergebe sich für die neuen Kunstschulen: Sie müßten auf dem festen Fundament von Handwerk und Tradition ruhen. „Die Gliederung einer solchen Anstalt müsse elastisch sein, denn das Leben fluktuiere, und die künstlerischen Richtungen wandelten sich. Und der Geist einer solchen Anstalt müsse frei sein." 162 Das für Berlin aufgestellte,
155 Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 15 f; vgl. dazu auch Gellhorn: Die Erziehung des baukünstlerischen Nachwuchses, in: Ku.chr., Jg. 59, 1, Nr. 19, 8.8.1925, S. 328. 156 Vgl. L. Schmidt 2000, S. 274-278 u. 285 f; Kunschulreform
in München, in: Mitt. DWB, Jg. 1924/
25, Nr. 4, 22.7.1924, S. 1 f; Mai 1981, S. 473. 157 Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 18. 158 Ebd.; zur 1920 gegründeten Badischen Landeskunstschule vgl. Christmann 1999, S. 6 5 - 6 7 ; Mai 1981, S. 473. 159 Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 19. 160 Vgl. ebd., Sp. 16. 161 Ebd., Sp. 19. 162 Ebd.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
325
diesen Grundsätzen verpflichtete Statut, betonte Waetzoldt mit Bezug auf die zeitgenössische Kritik, sei ebensowenig als starre Angelegenheit zu verstehen wie seine eigene Reformschrift. Angesichts der in Berlin vorhandenen Möglichkeiten und Beschränkungen stelle die jetzt realisierte Verbindung der Schulen allerdings den einzig gangbaren Weg dar.163 Waetzoldt charakterisierte die Staatsschulen damit als Einrichtung, die unter den Leitbegriffen Flexibilität und Freiheit, Handwerk und Tradition eine gezielte Talentförderung leisten und so einer überzeugenden Kunstproduktion den Weg ebnen sollte und die sich im Endeffekt genuin in das Konzept der nationalen Identitätsstiftung durch Kunst einfügte. 164 Zugleich unterstrich der Referent durch die Orientierung an der Badischen Landeskunstschule oder am Bauhaus 165 den fortschrittlichen Anspruch der Staatsschulen. Tatsächlich war die Berliner Schulgründung von 1924 gerade auf der Folie der Konflikte in ihrem Umfeld als entschlossener Modernisierungsschritt 166 und endgültiger Bruch mit der vorherigen Kompromißpolitik in diesem Bereich zu sehen. In Fachkreisen erfuhr das Ministerium dafür national wie international Anerkennung. 167 Die Staatsschulen trugen den nationalen Anspruch des Ministeriums faktisch auf doppelte Weise mit: Zum einen wurde die Schule mit dem Ziel verknüpft, eine Kunst zu fördern, die nationale wie internationale Wirkung entfalten sollte. Zum anderen fungierte die moderne Schule selbst als nationaler Prestigeträger.168 Entsprechend stilisierte das Ministerium gerade Paul zu einem Protagonisten, über den sich die Fortschrittlichkeit Preußens vermittelte. 169 Über die nationale Argumentation gelang es dem Ressort schließlich, die zuvor skeptischen Landtagsparteien 170 von der Berliner Schulvereinigung zu überzeugen. 171 Der Landtag stimmte der Waetzoldtschen Reform daraufhin noch im September 1924 zu.172
163 Ebd., Sp. 19 f. 164 Zum Anspruch des Ministeriums vgl. Boelitz 1925, S. 189; zum Stellenwert der Schulgründung für das Ministerium vgl. auch Waetzoldt 1933, S. 85; Rede Becker, 4.10.1927, ms. / hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H . Becker, Nr. 1506; KM: Zusammenstellung der Leistungen der preußischen Regierung auf dem Gebiete der Kulturpolitik seit November 1918, 1931, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a. 165 Zur trotz aller Detailkritik positiven Haltung des Ministeriums zum Bauhaus vgl. auch Redslob an RMdl, 8.12.1926, ms. u. Redslob an Schulz (RMdl), 14.12.1926, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8966, Bl. 258-259; P. F.: Eröffnung des Bauhauses, in: Cie., Jg. 18, Nr. 24, Dez. 1926, S. 811 f; Karl Scheffler: Breslauer Kunstschulwesen, in: Ku. u. Kü., Jg. 22, Nr. 8, Mai 1924, S. 229 f. 166 Vgl. Wingler 1977, S. l l f ; Karl Scheffler: Kulturabbau, in: Ku.u.Kü., Jg. 31, Dez. 1932, S.468470. 167 Vgl. dazu ζ. B. Gericke: Reisebericht über eine private Reise nach England im Herbst 1924, 10.12. 1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/114, Bl. 132-135, Bl. 132-133. 168 Vgl. dazu Boelitz 1925, S. 122; Boelitz 1924, S. 34. 169 Vgl. Waetzoldt u. Nentwig, 15.9.1924, in: LT, W P 1, H A , Szg. 289, Sp. 18, 25 u. 29. 170 Vgl. Wegscheider (SPD), Ritter (DNVP) u. Kilian (KPD), 15.9.1924, in: LT, W P 1, H A , Szg. 289, Sp. 8-10 u. 15. 171 Vgl. v. a. Heß (Z), 15.9.1924, in: LT, WP 1, H A , Szg. 289, Sp. 28. 172 Vgl. O . Marcus: Kunstpolitik im Landtag, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 10, Okt. 1924, S. 2; Boelitz 1925, S. 122; Zusammenfassung Rede Becker, 1.9.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H . Becker, Nr. 1622.
III.
326
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Mit den strukturellen wie personellen Veränderungen an den Akademien und besonders der Gründung der Vereinigten Staatsschulen waren unter Boelitz zentrale Forderungen des Waetzoldtschen Reformprogramms in die Tat umgesetzt worden. Damit hatte das Kultusministerium in der ersten Hälfte der 20er Jahre allen Widerständen zum Trotz einen an der fortschrittlichen Fachdiskussion der Zeit orientierten Status quo geschaffen. Unter Becker bemühte man sich nach 1925, auf diesen Neuerungen aufzubauen. Von Beginn an machte der neue Minister Becker klar, daß er die Kunstschulpolitik weiterhin an den unter Haenisch und Boelitz gültigen Kriterien orientiert wissen wollte. Entsprechend forderte er im Herbst 1925 für die Künstlerausbildung eine zeitgemäße Wiederherstellung des Zusammenhangs Kunst und Handwerk. 173 Speziell die Werkstatt sah er als wirkungsvollen Ausbildungskontext an.174 Am 1. Juni 1927 legte Becker dann in einer Rede zur 150-Jahrfeier der Kasseler Akademie dar, welche Ansprüche er an eine moderne Künstlerausbildung stellte. Davon ausgehend, daß generell vier Kräfte - der „Sehzwang der Zeit", die herrschenden pädagogischen Ideen, die soziale Stellung des Künstlers und die wirtschaftliche Lage der Kunst - auf die Akademieentwicklung einwirkten, beschrieb er hier zunächst die Prägung der Barockakademie, den Wandel der Akademie im Laufe des 19. und die Krise der Akademie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 175 Angesichts dessen betonte er: „Die Akademien vor unfruchtbarer Isolierung dem Leben gegenüber zu bewahren, sie in den Zusammenhang der neuen pädagogischen Ideen und Reformen zu ziehen, die alten ehrwürdigen Gehäuse gleichsam mit neuer Lebendigkeit zu erfüllen, [...] darin sah und sieht die Kunstverwaltung ihre Pflicht. Sie begegnet dabei den Antrieben, die aus der neuen Jugend selbst kommen, und sie trägt damit den völlig veränderten sozialen, wirtschaftlichen und geistigen Verhältnissen der Gegenwart Rechnung. Will der Staat auch heute noch die Verantwortung übernehmen, junge Menschen auf seinen Anstalten zum Künstlerberuf auszubilden, so muss er dem Nachwuchs eine Schulung geben, die für den Kampf um das wirtschaftliche und geistige Dasein möglichst vielseitig und gründlich vorbereitet. [...] Das gesamt-künstlerische Moment, der Begriff der Gestaltung schlechthin, ist einer der Leitgedanken in der Kunstpädagogik der Gegenwart. Eine zweite Grundidee ist die von der Verwurzelung alles künstlerischen Schaffens im Handwerklichen. [...] eine neue Gesinnung, die die Quellen der künstlerischen Kraft da aufsucht, wo sie in allen grossen Perioden der Kunst zu finden ist, in der meisterlichen Beherrschung von Material, Werkzeug, Arbeitsverfahren, eine neue aesthetische Anschauung, die keine chinesische Mauer zwischen sogenannten ,niedrigen' und ,hohen' Künsten mehr kennt, vielmehr das vollendete Können da ehrt, wo immer es Qualität hervorbringt." 176 Wie Waetzoldt begriff Becker die Künstlerausbildung als integralen Bestandteil eines übergeordneten nationalen Bildungssystems. So erklärte er in seiner Kasseler Rede: „Kunstakademien liegen nicht auf pädagogischen Inseln und gedeihen nicht in der dünnen Luft des
173 Vgl. Kultusminister Becker über Kunstfragen,
5.9.1925, ms., in: G S t A PK, I. H A Rep. 92 Nl.
C. H. Becker, Nr. 1618. 174 Vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 11 f. 175 Rede Becker, 1.6.1927, ms., S. 2 - 4 , in: G S t A PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H . Becker, Nr. 1495. 176 Ebd., S. 4 f.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
32 7
Artistischen. Die Prinzipien, nach denen das Lehrbare an der Kunst gelehrt wird, müssen sich decken, mit den Grundsätzen, nach denen der Staat überhaupt Erziehungsmaßnahmen trifft. [...] Es ist der gleiche Wille: die im jugendlichen Menschen schlummernden schöpferischen Kräfte frei zu machen und zu entwickeln, der die moderne Volksschule, den Zeichen-, Werk- und Musikunterricht durchdringt, und der in der Reform des künstlerischen Bildungswesens Ziele setzt und Wege bestimmt." 177 Als verbindendes Ideal im Hintergrund sah Becker dabei die von ihm propagierte „neue Humanitätsidee" an. Deren Wirksamkeit im Kunstschulbereich beschrieb er: „Der alte Humanismus, dessen Geist ja auch die ersten Kunstakademien beherrschte, suchte das Ideal gewissermassen ausser und hinter dem lebenden Menschen: im Vergangenen und Jenseitigen, im Historischen und Heroischen. Die von den modernen Humanitätsideen erfüllte Jugend findet ihr Vorbild gleichsam in sich und vor sich: sie strebt der harmonischen Entwickelung ihrer besten seelischen und leiblichen Anlagen und dem Wunschbilde eines neuen Menschentums zu. Unsere Kunstakademien werden Daseinsberechtigung nur haben, wenn sie den Ruf des Lebens vor ihren Türen nicht überhören, sie werden den Künstler von morgen nur bilden, wenn sie dem Menschen von heute dienen." 178 Insgesamt knüpfte Becker damit an Waetzoldts Reformgedanken an 179 und verschränkte sie mit seinem Konzept des neuen Humanismus (siehe Kap. III. 1.). Dadurch rückte er über die Dimension des Wirtschaftlichen hinaus vor allem den Gedanken der vorwärtsgewandten individuellen Kreativität in den Vordergrund. Während Becker die bisherigen Reformansätze theoretisch untermauerte, suchte das Ministerium zur selben Zeit auch seine praktische Kunstschulpolitik fortzuführen. Anliegen war hier zunächst, das Berliner Vorbild der Vereinigung von Kunstgewerbe- und Kunsthochschule preußenweit als gängiges Ausbildungsmodell zu etablieren.180 Die schon unter Boelitz angestrebte Übertragung des Berliner Modells auf Düsseldorf, Breslau, Königsberg und Kassel 181 scheiterte jedoch an lokalen Gegebenheiten und am Widerstand des Handelsministeriums, das die meisten Kunstgewerbeschulen verwaltete.182 Zwar blieb
177 Ebd., S. 5 f; vgl. dazu auch Rede Becker, 1.6.1927, ms., S. 6, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1495; Rede Becker, 7.1.1930, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1709. 178 Rede Becker, 1.6.1927, ms., S. 6, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1495. 179 Siehe dazu auch Kürzel Waetzoldt auf Rede Becker, 1.6.1927, ms., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1495. 180 Vgl. Günther Martin: Die Vereinigung
der Kunsthochschulen
und Kunstgewerbeschulen,
in:
Ku. u. Kü., Jg. 23/2, Nr. 12, Sept. 1925, S. 4 5 7 - 4 6 0 u. Jg. 24, Nr. 4, Jan. 1926, S. 156 f; Karl Scheffler: Breslauer Kunstschulwesen, in: Ku. u. Kü., Jg. 22, Nr. 8, Mai 1924, S. 229 f; Die Staatliche Akademie
und städtische Handwerker-
des Bundes der Kunstgewerbeschulmänner,
und Kunstgewerbeschule
Breslau, in: Mitteilungen
Jg. 7, Nr. 1, 25.1.1925, S. 1-3, in: BArchB, R 1501,
Nr. 8966, Bl. 93-97. 181 Vgl. Boelitz 1924, S. 34 f; Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 18 f. 182 Vgl. dazu bereits Ausschußantrag LT, 17.6.1924, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 86 r; siehe auch Becker: Organisatorische
Voraussetzungen
einer Reichskulturpolitik,
Vortrag zum
70. Geburtstag von Wilhelm Heinrich Solf, 5.10.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 8133; Kilian (KPD), 22.3.1927, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 18267; Bohner (DDP) u. Hübner, 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 20 u. 25; Hölscher 2003, S. 212-216.
328
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
eine mögliche Schulvereinigung etwa in Königsberg Thema.183 Im Endeffekt ließen sich die weitreichenden Pläne des Kultusministeriums aber nicht umsetzen.184 Die Berliner Regelung, die nicht zuletzt dadurch möglich geworden war, daß in der Hauptstadt beide Schulen dem Kultusministerium unterstanden, blieb ein Sonderfall. Angesichts dessen waren nach 1925 keine so einschneidenden Veränderungen im Kunstschulbereich mehr zu verzeichnen wie zuvor. Nun galt es vielmehr, die vorhandenen Strukturen mit Leben zu füllen. Kernkriterien für das Ministerium stellten dabei die Förderung von Werkstätten und Ateliers, die Berufung innovativer und renommierter Lehrer, die Stärkung praxisorientierter Fächer in der angewandten Kunst, eine strenge Talentauslese, eine flexible Ausbildungsgestaltung oder die Öffnung der Schulen nach außen über Ausstellungen und Feste dar. Für die Politik des Ministerium bedeutete dies, daß man sich darum bemühte, eine über eben diese Kriterien definierte zeitgemäße Entwicklung der preußischen Kunstschulen zu fördern. Generell galt hier: Je profilierter sich eine Einrichtung bereits darstellte und je mehr moderne Initiative aus der Anstalt selbst heraus entwickelt wurde, um so stärker hielt sich das Ressort im Hintergrund. Je größer der Aufholbedarf einer Anstalt war, um so aktiver trat das Ministerium auf den Plan. Konkret hieß das: Der Breslauer Akademie, die seit 1925 unter der Leitung Oskar Molls weiter im modernen Sinne ausgebaut wurde und so zu einer der wegweisendsten deutschen Kunstschulen avancierte, ließ man offensichtlich weitgehend freie Hand in ihrer Arbeit. Im Endeffekt entsprach die Berufung innovativer Künstler wie Carlo Mense, Alexander Kanoldt 185 , Johannes Molzahn, Hans Scharoun, Oskar Schlemmer und Georg Muche nach Breslau, die für eine Integration unterschiedlicher Richtungen der Moderne stand, oder die von der Akademie mitgetragene Breslauer Werkbundausstellung Wohnung und Werkraum von 1929 dann ebenso idealtypisch den Vorstellungen des Ministeriums wie die Prägung durch den Werkstattgedanken, die Schulgliederung in Vor- und Fachklassen, ständige Leistungskontrollen, die gemeinsame Ausbildung von Kunstlehrern und Künstlern oder der Fächeraustausch untereinander.186
183 Vgl. Bericht KM, 14.1.1926, ms. u. Waetzoldt an Direktor Akademie Königsberg, 17.8.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; Berufung Professor Martens an die Akademie, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 24.1.1929, Lehrer Kunstgewerbeschule Königsberg an Braun u. Anlagen, 28.2.1929, ms., KM (Nentwig) an Handelsministerium, 22.3.1929, ms., Handelsministerium an Braun, 30.4.1929, ms. u. Nollau an KM, 8.8.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 111-116, 118, 120-121 u. 233-238; Bohner (DDP) u. Hübner, 17.2. 1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 20 u. 25; zu ähnlichen Plänen für Frankfurt vgl. LT, W P 2, Dr. 5480, S. 6593; Boelitz (DVP) u. Nentwig, 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 27 u. 36; Kilian (KPD), 22.3.1927, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 18267; LT, W P 2, Dr. 8282, S. 9470; GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 122, 124-129 u. 131-133. 184 Zur ähnlich stockenden Entwicklung der angestrebten Architekturangliederung an die Kunstschulen vgl. auch Gellhorn: Die Erziehung
des baukünstlerischen Nachwuchses, in: Ku.chr., Jg. 59, 1,
Nr. 19, 8.8.1925, S. 328; Gellhorn: Nochmals: Erziehung
zum Architekten,
in: Ku.chr., Jg. 59, 1,
Nr. 22,29.8.1925, S. 367 f; SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 176, 183 u. 186-190. 185 Vgl. Neue Sachlichkeit 1994, S. 100 f, 203 f u. 226; Hölscher 2003, S. 284-287 u. 489. 186 Zur Breslauer Akademie nach 1925 vgl. ausführlich Hölscher 2003, S. 256-350; Poelzig, Endeil, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 2 6 - 6 1 ; Wingler 1977, S. 16 f; Kunstschulreform 1977,
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
329
Die Breslauer Tendenz zur lyrisch-spirituellen Kunst 1 8 7 korrespondierte zudem mit dem ministeriellen Anspruch auf eine Förderung des Irrationalen. Gleichzeitig begannen sich die neuen Vereinigten Staatsschulen in Berlin unter der Leitung Pauls und geprägt von Lehrern wie Fritz Klimsch, Wilhelm Gerstel, Ludwig Gies, Hans Meid, Emil Orlik, Emil Rudolf Weiß, César Klein oder Edwin Scharff als Anstalt zu etablieren, die durch Arbeitsschwerpunkte in der Plakat-, Möbel- und Innenraumgestaltung oder der Skulptur für den öffentlichen Raum erklärten Ressortabsichten folgte. 188 1925/26 stellte sich das Ministerium noch einmal explizit hinter die Anstalt und deren Leiter. 189 1927/28 gab es offenbar sogar Pläne für einen Schulneubau. 190 Insgesamt legte das Ministerium jedoch Wert auf eine freie Entfaltung der Schule innerhalb der von ihm selbst so aktiv mitgestalteten Rahmenbedingungen. 191 Parallel dazu nutzte die Düsseldorfer Akademie die Modernisierungsoption, die sich ihr durch die Ernennung Kaesbachs bot. Auf Basis der schon von Roeber geförderten Strukturreform entwickelte sich die Institution neben Breslau und Berlin nun sukzessive zur dritten preußischen Ausbildungsstätte von Rang. Durch Lehrer wie Heinrich Nauen, Jan Thorn-Prikker und Heinrich Campendonk, später auch durch die Berufungen Paul Klees, Alexander Zsckokkes und Ewald Matarés 192 wurden unter der Ägide Kaesbachs ebenso entscheidende Akzente gesetzt wie durch die Einführung der Fächer Bühnenkunst, Städte-
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190
191 192
S. 202 f; Rickert 1977; Scheyer 1960; vgl. auch Adolf Behne: Breslauer Akademie, in: Weltb., Jg. 27, 1, Nr. 10,10.3.1931, S. 367 f. Vgl. Wingler 1977, S. 16 f; Rickert 1977, S. 208 f. Vgl. dazu ausführlich Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 439-464; vgl. auch Wingler 1977, S. 11 f; Karl Scheffler: Die Berliner Kunsthochschule, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, Mai 1932, S. 187-190; KM an Direktor Staatliche Museen, 29.4.1922, ms., Vermerk Boelitz, 30.3. 1922, ms., KM (Nentwig) an FM, 30.4.1923, ms., Entwurf FM an KM, 12.5.1923, ms. u. Entwurf FM an KM, 10.8.1923, hs„ in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 251-253, 272-274 u. 290; Baumunk 1996 b, S. 346; Baumunk 1996 d. Vgl. Becker u. Heß (Z), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 11 f u. 33 f; Nentwig, 12.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11621 f; Zusammenfassung Rede Becker, 1.9.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1622; Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 2.7.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 13-17. Vgl. Wegscheider (SPD), 22.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18267 f; Abschr. KM an Rektor TH Charlottenburg, 16.7.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 2; Lederer an Präsident Ak. d. Kü., 6.6.1928, ms. u. Präsident Ak.d.Kü. an KM, 11.6.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 110-112 u. 114; Anfrage LT, 26.9.1930 u. Antwort LT, 5.11.1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 136-137; siehe dazu auch Bischoff an LT, Sept. 1930, Antwort Handelsministerium, 5.11.1930 u. Grimme an Präsident LT, 15.10.1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X1, A, Nr. 2, Bl. 20-21 u. GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X1, A, Nr. 2, adh. 1, Bl. 1 u. 4-5; Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 15,1.9.1930, S. 220 f; LT, WP 3, Prot., Sp. 18789,19608, 22420 u. 22422; LT, WP 3, Dr. 6592, S. 6369; Bohner (Dt. Staatsp.), 6.3.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 204, Sp. 6-8; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19212; Hertwig (DNVP), 21.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19235 f. Vgl. dazu Protokoll Ak. d. Kü., Kunstektion, 2.7.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 13-17. Zur Ernennung Matarés vgl. van der Grinten 1979, S. 13.
III.
330
Tendenzen
der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
bau, Gartenkunst und Werbung, durch einen erweiterten Werkstättenbetrieb, eine verstärkte Lehramtsausbildung, einen neuen Schulaufbau mit Probeklasse, Unterstufe, Oberstufe und Meisterklasse, durch reduzierte Schülerzahlen oder ein neues äußeres Erscheinungsbild. 193 Das Ministerium stützte vor allem Kaesbach als Träger der Erneuerung. So stellte sich Becker im Herbst 1925, als die D N V P den modernen Kurs der Akademie unter deren neuem Leiter kritisierte, 194 ausdrücklich hinter Kaesbach. 195 Später bekräftigte das Ressort diese Haltung. 1 9 6 U n d als es 1928 zu Protesten gegen Kaesbachs Beteiligung an der Jury der Deutschen
Kunstausstellung
Düsseldorf
(siehe Kap. III. 7.) kam, 1 9 7 reagierte das
Ministerium zwar insofern darauf, als es die Jury nicht vom Staat, sondern von Liebermann ernennen ließ. 198 Gleichzeitig aber bestand Gall auf der Juryzusammensetzung 1 9 9 und Becker sympathisierte im Ausstellungsumfeld offen mit Kaesbachs Akademie. 2 0 0 Nachdem der Plan eines Akademieneubaus auf Kaesbachs Bitte hin und im Zuge der Sparpolitik 1929 endgültig aufgegeben worden war, 201 förderte das Ressort zudem die Neugestaltung der Düsseldorfer Aula durch Campendonk und einen Anstaltsausbau durch Emil Fahrenkamp. 2 0 2 Während das Ministerium die Öffnung der Düsseldorfer Akademie für die Moderne stützte, suchte es daneben auch die weniger profilierten Akademien Kassel und Königsberg
193 Zur Düsseldorfer Akademie unter Kaesbach vgl. ausführlich Klapheck 1961; Klapheck 1973; Trier 1973, S. 208; Fehlemann 1992, S. 192 f; Drenker-Nagels 1994, S. 375; vgl. auch Paul Westheim: Kunst im deutschen Westen. I. Düsseldorf u. II. Mannheim und Duisburg, in: Ku.bl., Jg. 9, 1925, S. 240-243 u. 266-269; Ku.bl., Jg. 9, 1925, S. 349; H. W. Keim: Die moderne Kunst in der Düsseldorfer Jubiläumsausstellung 1925, in: Cie., Jg. 17, Nr. 16, 1925, S. 811-816; Stoffels etc. (Z), 16.10.1925, in: LT, WP 2, Dr. 1275, S. 2707; Mitt. DWB, Jg. 1929,1.6.1929, S. 2 u. 4; Ku.bl., Jg. 10, 1926, S. 441; Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 11, 1.6.1929, S. 163 f. 194 Vgl. Graef (DNVP) u. Kimbel (DNVP), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 36. 195 Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 36. 196 Vgl. Nentwig, 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 49; Nentwig, 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25693; vgl. dazu Klausner (DDP), 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 41 f. 197 Vgl. Ku.bl., Jg. 12, 1928, S. 347; Protest Düsseldorfer Künstler, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 14, 1.8. 1928, S. 224; Der Düsseldorfer Kunstkrach, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 17, 16.10.1928, S. 308; Ku.bl., Jg. 12,1928, S. 347. 198 Vgl. Amersdorffer an Liebermann, 6.8.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/025, Bl. 125-126. 199 Vgl. ebd.; Der Düsseldorfer Kunstkrach, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 17, 16.10.1928, S. 308. 200 Vgl. Rede Becker, 2.5.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1545. 201 Vgl. Kaesbach an KM, 11.3.1925, ms., Regierungspräsident Düsseldorf an FM, 22.3.1929, ms., FM an KM, 22.6.1929, ms., KM (Nentwig) an FM, 20.8.1929, ms., KM (Hübner) an Regierungspräsident Düsseldorf, 30.6.1930, ms., Abschr. Karl Wach an Regierungspräsident Düsseldorf, 24.9.1930, ms., KM an Regierungspräsident Düsseldorf, 28.3.1931, ms., Bericht FM, 2.5. 1931, ms. u. Beschluß KM (Hübner), FM u. Staatsministerium, 26.5.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 10704. 202 Vgl. Abschr. Hochbauabteilung FM an FM, 5.8.1929, ms., Abschr. KM (Waetzoldt) an Regierungspräsident Düsseldorf, 15.8.1929, ms., KM (Nentwig) an FM, 20.8.1929, ms., Abschr. KM (Hübner) an Direktor Akademie Düsseldorf, [4.5.1930?], ms., FM an KM, 6.7.1931, ms. u. KM (Waetzoldt) an FM, 19.9.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 10704; zur realisierten Aulagestaltung vgl. Klapheck 1973, S. 148 f u. 155; Klapheck 1961, S. 13.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
331
voranzubringen. Beckers Rede zum Kasseler Akademiejubiläum 1927 2 0 3 und die aus demselben Anlaß präsentierte, vom Ministerium geförderte Ausstellung in der Kasseler Orangerie, die aus historischer, regionaler und aktueller Sicht einen Uberblick über das lokale Kunstschaffen gab, 204 waren als Appell in Richtung einer weiteren Öffnung und Modernisierung der Kasseler Institution zu verstehen. 205 Anfang 1930 suchte das Ministerium die bisher von Dülberg, Nebel und Vocke getragene Neuorientierung der Kasseler Anstalt zu forcieren, indem es plante, dem Düsseldorfer Modell folgend, mit Ludwig Thormaehlen einen weiteren ehemaligen Mitarbeiter des Kronprinzenpalais' zu deren Leiter zu machen. 206 Wegen des Ministerwechsels und der immer rigideren Sparpolitik zerschlug sich dieses Vorhaben jedoch. 207 In Königsberg, w o sich die Lage unter Nollau entspannte, 208 begleitete das Ministerium die Neuorientierung der Kunstakademie insofern, als es mit dem neuen Direktor in einen intensiven Austausch über die Entwicklung der Anstalt eintrat. 209 Das eng mit der geographischen Lage Königsbergs verknüpfte Bemühen Nollaus um eine zeitgemäße Akademiepräsentation nach außen und eine Öffnung für das Publikum 2 1 0 unterstützte das Ressort durch finanzielle Zuwendungen für verschiedene Akademieausstellungen. 211 Gleichzeitig suchte es die Praxisorientierung zu fördern, indem es 4000 M für
203 Vgl. dazu auch ZAs, 1./2.6.1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7527; KM an Braun, 14.5.1927, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 104; Notiz Gall, 27.5.1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6800. 204 Vgl. dazu Mitt. DWB, Jg. 1927, März 1927, S. 2; Ku.bl., Jg. 11, 1927, S. 349. 205 Zur Entwicklung der Akademie Kassel vgl. Ku.bl., Jg. 11, 1927, S. 349. 206 Vgl. ZAs, 1./2.2.1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7547; Kunsthistoriker als Akademiedirektoren, in: Ku. u. Kit., Jg. 28, Nr. 6, März 1930, S. 261. 207 Vgl. ZAs, 1./2.2.1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7547; Kunstschulen, in: Ku. u. Kü., Jg. 28, Nr. 7, April 1930, S. 296. 208 Vgl. Nollau an KM, 14.3.1925, ms., / gedr., Bericht KM, 14.1.1926, ms., Ludwig Goldstein: Von der Königsberger Kunstakademie, in: Königsberg Hartungsche Zeitung, 29.8.1926 u. Notiz Waetzoldt, 6.9.1926, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; Steffens (DVP), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 23; Klausner (DDP), 6.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6150. 209 Vgl. Nollau an KM, 18.7.1925, hs. u. Anlagen, Nollau an KM, 13.8.1925, ms., Nollau an KM, 22.12.1925, ms. u. Anlagen, Nollau an KM, 17.11.1925, ms., Bericht KM, 14.1.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; siehe dazu auch die zunächst skeptische, später positive Haltung des Ministeriums gegenüber Nollau, vgl. Becker, 6.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6154 f; Nentwig, 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 49; Nentwig, 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25693; Oberpräsident Königsberg an Becker, 21.9.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 5834; Becker an Oberpräsident Königsberg, 5.11.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4757. 210 Zu den Intentionen Nollaus vgl. Nollau an KM, 14.3.1925, Nollau an KM, 18.7.1925, hs. u. Anlagen, Nollau an KM, 17.11.1925, ms., Nollau an KM, 12.12.1925, ms. u. Anlagen, Nollau an KM, 8.1.1926, ms. u. Anlagen, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; zu entsprechenden Aktivitäten der Akademie vgl. ZAs Nov. 1925, Bericht Nollau an KM, Mai 1926, ms. u. Anlagen, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. 211 So förderte es 1925 eine Verkaufsausstellung mit Kleinplastiken sowie 1926 die Schau Corinth als Lehrer, vgl. Waetzoldt an stellvertr. Direktor Akademie Königsberg, 21.10.1925, Eröffnung der
332
III. Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Arbeiten und Wettbewerbe der Kunstschüler zur Verfügung stellte 2 1 2 oder die Ausstattung des Königsberger Universitätsneubaus unter anderem Lehrern der Akademie übertrug. 2 1 3 Gemeinsam mit dem Ministerium plante Nollau Ende der 20er Jahre einen an dessen Reformvorstellungen orientierten Ausbau der Akademie in Richtung angewandte Kunst. 2 1 4 Neben der Einrichtung v o n Werklehrerkursen 2 1 5 und einer Bühnenklasse 2 1 6 ging es hier v o r allem um die Etablierung einer Klasse f ü r Gebrauchs- bzw. Werbegraphik. Nachdem es bereits Mitte der 20er Jahre v o m Ministerium geförderte, aus finanziellen G r ü n d e n jedoch unrealisierte Pläne f ü r einen Ausbau des Graphikerhauses der Akademie gegeben hatte, 2 1 7 berief das Kultusressort A n f a n g 1929 schließlich den z u v o r an der Akademie Düsseldorf tätigen Gebrauchsgraphiker Marten nach Königsberg. 2 1 8 A l s die lokale Kunstgewerbeschule dagegen protestierte, 2 1 9 stellte sich das Ministerium hinter die Entscheidung, verteidigte sie dem Handelsressort gegenüber als wesentlich f ü r eine gute technische und handwerkliche Ausbildung an der Akademie und setzte sich letztlich mit dieser A r g u mentation durch. 2 2 0 Zum Ende der Weimarer Republik hin begannen die ministeriellen
212
213
214
215 216 217
218 219 220
Plastik-Ausstellung, in: Königsberger Zeitung, [Nov./Dez.l925], Nollau an KM, 22.12.1925, ms. u. Anlagen, Nollau an KM, 5.6.1926, ms., Waetzoldt an Nollau, 29.6.1926, ms. u. Waetzoldt an Nollau, 11.9.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; vgl. dazu auch Bericht KM, 14.1.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. Vgl. Bericht KM, 14.1.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. Vermutlich wurde so z.B. eine Raumausmalung auf der Düsseldorfer Ausstellung Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen (Gesolei) durch Königsberger Akademieschüler möglich, vgl. dazu Nollau an KM, 20.5.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; zur Gesolei vgl. Joachimides 2001, S. 216. Vgl. ZAs, 29.-31.1.1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7723; vgl. dazu auch Ludwig Goldstein: Von der Königsberger Kunstakademie, in: Königsberg Hartungsche Zeitung, 29.8.1926 u. Ludwig Goldstein: Akademie und freie Künstlerschaft, in: Königsberg Hartungsche Zeitung, 1.9.1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V% Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. Vgl. ZAs, 29.-31.1.1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C.H.Becker, Nr. 7723; ZAs 10./ 11.12.1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 118. Einem von Nollau angestrebten Ausbau in Richtung Volkskunst hatte sich das Ministerium hingegen zuvor verweigert, vgl. Nollau an KM, 27.7.1926, ms., Notiz Waetzoldt, o. D., hs. u. Waetzoldt an Nollau, 17.8.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. Vgl. LT, W P 3, Prot., Sp. 18789, 19608, 22420 u. 22422; LT, W P 3, Dr. 6591, S. 6369. Vgl. dazu auch Neues aus der Kunstakademie, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 10.12.1928, Abendausg., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 118. Vgl. Bericht KM, 14.1.1926, ms., Notiz Waetzoldt, 6.9.1926, hs. u. Ludwig Goldstein: Von der Königsberger Kunstakademie, in: Königsberg Hartungsche Zeitung, 29.8.1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; LT, W P 2, Prot., Sp. 11192 u. 11198 f; LT, W P 2, Dr. 3114, S. 4733. Vgl. Berufung Professor Martens an die Akademie, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 24.1.1929, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 118. Vgl. Lehrer Kunstgewerbeschule Königsberg an Braun u. Anlagen, 28.2.1929, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 111-116. Vgl. KM (Nentwig) an Handelsministerium, 22.3.1929, ms. u. Handelsministerium an Braun, 30.4.1929, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 120-121.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
333
Reformbestrebungen für die Künstlerausbildung also auch an der Akademie Königsberg zu greifen. Ingesamt verfügte Preußen so um 1930 über ein Kunstschulsystem, das in weiten Teilen den bereits unter Haenisch formulierten Vorstellungen entsprach. Durch eine seit 1923/24 pointiert betriebene Erneuerungspolitik hatte das Kultusministerium diese Entwicklung maßgeblich befördert. 221 Das Engagement für eine stringente Künstlerausbildung, deren Kernanliegen die Förderung individuellen Talents auf der Basis einer soliden handwerklichen Ausbildung war, hatte das Ressort dabei stets eng mit seinem Konzept der nationalen Einheitsbildung verknüpft. Wohl auch vor diesem Hintergrund hatte es sich in den 20er Jahren mit seinem von der Fachdebatte geprägten, werkbundnahen Kunstschulmodell immer wieder gegen die Gegner seiner Politik, zu denen neben dem Handelsressort und den Vertretern eines traditionellen akademischen Kunstverständnisses etwa die DNVP zählte,222 durchsetzen können. Wie die Gründung der Vereinigten Staatsschulen belegt, hatte das Ministerium durchaus geschickt auch mit den finanziellen Beschränkungen der Zeit zu operieren verstanden. Unter Grimme wurde es dann allerdings zunehmend schwieriger für das Ministerium, sich mit seinem Engagement für eine zeitgemäße Künstlerausbildung gegenüber dem immer stärkeren Sparkurs der Regierung zu behaupten.223 Die Lage eskalierte, als die Zweite Preußische Sparverordnung vom 23. Dezember 1931 bestimmte: „Die Kunstakademien insgesamt sind durch organisatorische Maßnahmen insbesondere durch Verlegung oder Aufhebung von Professuren so umzubilden, daß mit Abschluß des Wintersemesters 1931/32 die Kunstakademien in Königsberg, Kassel und Breslau aufgehoben werden." 224 Damit hatte das Finanzministerium unter dem Druck des Reiches die Schließung von drei der fünf preußischen Kunstschulen verfügt, darunter die der fortschrittlichsten Ausbildungsstätte
221 Vgl. auch Denkschrift der Breslauer Akademieschüler, 15.1.1932, abgedruckt in Scheyer 1960, S. 130-132, S. 131. 222 Vgl. Kimbel (DNVP), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 5; Kimbel (DNVP), 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6126-6128; Kimbel (DNVP), 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 24. 223 Vgl. Hölscher 2003, S. 351 f; Reiss 1981, S. 176 f; Willett 1981, S. 209 f; KM an FM, Juni 1929, ms., Notiz FM, 2 5 . 9 . 1 9 2 9 , hs„ KM (Waetzoldt) an FM, 2.7.1930, ms., Notiz FM, 29.10.1930, hs., KM (Hübner) an FM, 12.7.1932, ms. u. FM, 13.8.1932, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 10702; KM an FM, 1.7.1929, ms., Notiz FM, 25.9.1929, hs., KM (Hübner) an FM, 8.7.1930, ms. u. Notiz FM, 29.10.1930, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 10703; Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 5, 1.3.1930, S. 59; O. M.: Preußischer Kunst-Etat, in: Ku. u. Wi„ Jg. 12, Nr. 5, 1.3.1931, S. 59; FM an KM, 18.4.1931, ms., KM (Hübner) an FM, 3.8.1931, ms., Entwurf FM an KM, 12.8.1931, hs., FM an KM, 7.9.1931, ms., u. FM an KM, 7.7.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1043, Bl. 1 - 5 ; Die Kunst im preußischen Staatshaushalt, in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 4, 1.4.1932, S. 61 f; Schwering (Z), 13.3.1929, in: LT, W P 3, HA, Szg. 56, Sp. 5; Grebe (Ζ), 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 9196; Grebe (Ζ) u. Linneborn (Ζ), 14.2.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 3 u. 9. 224 Auszug Preußische Gesetzessammlung, S. 293, 23.12.1931, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 142; Stendel usw. (DVP), 20.1.1932, in: LT, W P 3, Dr. 8187, S. 8050 f; vgl. Reiss 1981, S. 177; zu den Hintergründen siehe auch Hölscher 2003, S. 352-356.
III.
334
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
der Republik Preußen in Breslau. Speziell im Umfeld der Akademien Breslau und Königsberg, denen zuvor wegen ihrer geographischen Lage eine besondere Förderung zuteil geworden war (siehe Kap. III. 8.), brach daraufhin ein Sturm der Entrüstung los.225 In die Protestfront reihten sich neben den Akademien selbst Lokalpolitiker, Universitäten, Gewerbevertretungen, der Reichwirtschaftsverband bildender Künstler und der Werkbund ein.226 Tenor der um die Jahreswende 1931/32 an den Ministerpräsidenten oder das Kultusressort gerichteten Proteste war: Kosten und Nutzen der Anordnung stünden in keinem Verhältnis. Die Einsparungen träfen die ostpreußische Kultur ins Mark und seien mit Blick auf die Grenzlage nationalpolitisch nicht zu verantworten. Teilweise wurde gerade mit dem fortschrittlichen Charakter der Breslauer Akademie argumentiert.227 Auf lokaler Ebene war man sich vor diesem Hintergrund einig, daß die Anordnung umgehend revidiert oder zumindest relativiert werden müsse. Besondere Dynamik bekamen die Proteste dadurch, daß gleichzeitig in Fachkreisen, initiiert durch Albert Lamm,228 darüber debattiert wurde, ob ein Fortbestehen des Akademiewesens angesichts des Sparzwangs überhaupt gerechtfertigt sei.229 Unter dem Eindruck der Sparverordnung reagierten Hans Meid und Curt Glaser auf Lamm nun mit deutlichen Plädoyers zugunsten der bestehenden preußischen Ausbildungsstätten.230 Meid stellte die Künstlerausbildung in den Staatsschulen als Voraussetzung für eine schichtenübergreifende Talentförderung und die Erhaltung künstlerischen Schaffens dar. Speziell die Berliner Institution, an der er selbst als Lehrer tätig war, begriff er als innovatives und tragfähiges System. Das Kunstblatt betonte unter Hinweis auf die realisierten Reformansätze Waetzoldts ähnlich: „Heute bedeutet die Schließung von Kunstschulen nur einen weiteren Abbau des Gei-
225 Vgl. dazu auch Reiss 1981, S. 182-187. 226 Vgl. Magistrat Breslau an Braun, 18.12.1931, ms., Vermerke Staatsministerium, 24./28.12.1931, 29./30.12.1931, 30./31.12.1931, 20.12.1931/2.1.1932, 5./6.1.1932, 8./9.1.1932,
18./19.1.1932,
25./26.1.1932,2./4.2.1932, ms., Bericht LT, 5.2.1932, ms. / gedr., Studierenden-Ausschuß Akademie für Kunst und Kunstgewerbe Breslau an Braun, 10.1.1932, ms., Kulturausschuß Gesellschaft der Kunstfreunde, Schlesischer Museumsverein u. Schlesischer Kunstverein an Braun, 30.1.1932, ms., Rektor Universität Breslau u. Dekan philosophische Fakultät Breslau an Braun, 30.3.1932, ms., Rektor u. Senat Albertus-Universität Königsberg an KM, 28.12.1931, ms. u. Vorstand Verein für religiöse Kunst in der evangelischen Kirche Ostmark an KM, 12.1.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 141, 143-153, 155-160, 207-208 u. 239-241; LT, W P 3, Dr. 8187, S. 8119; LT, W P 3, Prot., Sp. 24136 f; Hölscher 2003, S. 356 f. 227 Vgl. Adolf Behne: Warum gerade Breslauf, in: Weltb., Jg. 28, 1, Nr. 3, 19.1.1932, S. 106; Rektor Universität u. Dekan philosophische Fakultät Breslau an Braun, 30.3.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 207-208. 228 Vgl. Albert Lamm: Staatliche Kunstschulen, in: Ku. u. Kü., Jg. 30, 1931, S. 3 9 - 4 3 . 229 Vgl. Rudolf Bosselt: Zum Kampf gegen den Kunstunterricht, 1931, S. 258-260; Albert Lamm: Erwiderung
in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 19, 1.12.
an Hans Meid, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, März 1932,
S. 96-100; Curt Glaser: Für die Kunst!, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, März 1932, S. 101-105; Richard Riemerschmid / Albert Lamm: Wege und Irrwege unserer Kunsterziehung,
in: Ku. u. Kü., Jg. 31,
Juni 1932, S. 224-226. 230 Hans Meid: Sind Kunsthochschulen
überflüssig?, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, 2.1.1932, S. 30-36; Curt
Glaser: Für die Kunst!, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, März 1932, S. 101-105.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
335
stigen. Und gerade heute sollte vom Staat aus alles getan werden, was der allgemeinen Verflachung und Verrohung entgegenzuwirken vermag." 231 In diesem Diskurs untermauerten die Breslauer Schüler ihren Protest gegen die Schließung, indem sie die „Künstlerproletariat"-Etikettierung für sich selbst zurückwiesen und statt dessen die elementare Rolle betonten, die ihnen als aufbauende Kraft für die Gesellschaft zukomme. 232 Gleichzeitig konstatierten die Breslauer Lehrer: „Die Zerstörung kultureller Werte wird durch das Ministerium zu einem Zeitpunkt verfügt, an dem Deutschland wirtschaftlich und finanziell am Verarmen ist. In solchen Zeiten besinnt sich ein schöpferisches Volk auf seine tieferen Werte, denn ihm bleibt nichts als der Reichtum seines kulturellen Besitzes und die Pflege seiner Tradition." Daher richte „die Vernachlässigung der in der jungen Generation in hohem Maße vorhandenen schöpferischen Begabungen Schaden [an] [..], der sich noch in ferner Zukunft auswirken wird." 233 Damit stellte man der Schließungsanordnung die zuvor vom Kultusministerium vertretene Auffassung von der nationalen Relevanz einer gezielten Künstlerausbildung und die inzwischen entsprechend geprägte preußische Kunstschulpraxis entgegen. Trotz der Bereitschaft, den Sparkurs mitzutragen, 234 mußte das Kultusressort seine Kunstschulpolitik durch die Schließungsanordnung tatsächlich in Frage gestellt sehen. Grimme reagierte darauf auf zweierlei Weise: Einerseits setzte er sich in einer Rundfunkansprache am 10. Januar 1932 offen mit der Not der Kultur, die durch den Abbau weiter verschlimmert werde, und den damit verbundenen gesellschaftlichen Gefahren auseinander, machte aber zugleich klar, daß Einsparungen unausweichlich seien, um den Staat zu retten. Seine Solidarisierung mit der Sparpolitik verknüpfte er mit dem Appell, „daß wir den Verlust an kulturellen Gütern ersetzen durch die Steigerung des Willens zum Dienst am Volk und Staat." 235 Andererseits ließ sich das Ministerium durchaus auf die Proteste gegen die Akademieschließungen ein und wurde in der Frage selbst aktiv. Es setzte sich zunächst dafür ein, daß in der Akademie der Künste eine Kommission gebildet wurde, die die Durchführung der Anordnung begleiten sollte.236 Nach einem Ortstermin in Breslau wandte sich das Ministerium zudem am 1. Februar 1932 an das Finanzressort, informierte es über die meist noch mehrere Jahre laufenden Verträge der Breslauer Professoren 237 und erklärte
231 Zur Schließung der preußischen Kunstakademien, in: Ku.bl., Jg. 16, Febr. 1932, S. 15 f, S. 16. 232 Vgl. Scheyer 1960, S. 130-132; Poelzig, Endeil, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 106; vgl. dazu auch Ausländer (KPD), 16.2.1932, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 24163 f u. 24167. 233 Zitiert nach Poelzig, Endell, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 107. 234 Vgl. dazu auch Ausländer (KPD), 16.2.1932, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 24163 f u. 24167. 235 Grimme: Kultur in Not. Ein Rundfunkvortrag des Staatsministers Grimme am 10.1.1932, in: Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 74, Nr. 2, 20.1.1932, S. 46-49, S. 49; auch in: Königsberg Hartungsche Zeitung, Nr. 21, 14.1.1932, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45. 236 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 20.1.1932, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 117-120. 237 Muches und Molzahns Privatdienstverträge endeten offiziell erst 1936. Scharoun und Bednorz waren bis 1935 verpflichtet worden, Rading und Mense bis 1933, und Schlemmer und Scheinen waren bis Ende 1932 angestellt, vgl. Grimme an FM, 1.2.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 171-175, Bl. 171 r.
III.
336
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
dazu: „Ich halte es für untragbar, den vertraglich angestellten Lehrkräften jahrelang das volle Gehalt [...] und [...] Ateliers zur Verfügung zu stellen, ohne dafür ihre Dienste in Anspruch zu nehmen, und für ihren Unterricht Schulgeld zu erheben [...]. Ein solcher, der Sparabsicht zuwiderlaufender Zustand würde auch in der Oeffentlichkeit gar nicht verstanden werden, umsoweniger als, wie die Verhandlungen in Breslau ergeben haben und aus zahlreichen Eingaben und Protesten hervorgeht, in Nieder- und Oberschlesien das Bedürfnis nach einer weiteren Ausbildungsstätte für die Kunst besteht. Dieses Bedürfnis läßt sich mit den auf noch mehrere Jahre gebundenen Lehrkräften in der Form der Aufrechterhaltung von einigen Meisterateliers [...] in künstlerisch und pädagogisch durchaus [zu] vertretender Weise durchführen."238 Ohne sich von der Sparverordnung zu distanzieren, trat das Kultusministerium damit für ein zuvor bereits im Landtag und vom Schlesischen Kunstverein befürwortetes Alternativmodell zur völligen Schließung ein, das auf die Bewahrung einer Art Rumpfakademie mit der Option auf Reaktivierung abzielte.239 Kurz darauf berichtete Kunstabteilungsleiter Hübner im Landtagsausschuß über die entsprechenden Pläne für Breslau und Königsberg. Dabei wies er auf einen entscheidenden Unterschied hin: Während in Breslau die Mehrzahl der Lehrer vertraglich angestellt sei, sei dies in Königsberg nur in drei Fällen so - bei den meisten Königsberger Lehrern handele es sich um Beamte. Weil sich die Situation damit in Breslau günstiger darstelle,240 verhandele man nun erst einmal „mit dem Finanzministerium über die Akademie in Breslau mit dem Ziele, die zwangsläufigen Ausgaben dadurch auszunutzen, daß man die vorhandenen Kräfte unterrichten lasse und dafür das Schulgeld einziehe."241 Optimistisch gab Hübner der Erwartung Ausdruck, daß sich das Finanzministerium dem kaum verschließen werde.242 Der Ausschuß verabschiedete daraufhin den Antrag auf Umsetzung des für Breslau und Königsberg vorgesehenen Alternativmodells.243 Zusätzlich animiert durch einen Aufruf zur Erhaltung der Königsberger Akademie, der, von über fünfzig lokalen Persönlichkeiten unterzeichnet, am 6. Februar 1932 unter dem Titel Einheitsfront für die Akademie publiziert wurde,244 und durch die Unterstützung des Reichspräsidenten für ein ähnliches
238 Ebd., Bl. 172 r. 239 Zu den Vorschlägen im Vorfeld vgl. Hölscher 2003, S. 356 f; LT, W P 3, Prot., Sp. 23628, 23688, 23691 f, 23724, 23738, 23820, 23824, 23904, 24074, 24136 f, 24178,24199 u. 24298 f; LT, W P 3, Dr. 8187 u. 8236 B, S. 8118 f; Schwarzhaupt (DVP), 22.1.1932, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 23755 f; Kulturausschuß Gesellschaft der Kunstfreunde, Schlesischer Museumsverein u. Schlesischer Kunstverein an Braun, 30.1.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 157-160. In Breslau beanspruchte das Ressort dafür einen Teil des Akademiegebäudes, vgl. Grimme an FM, 1.2.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 171-175, Bl. 172 u. 175 r. 240 Vgl. dazu auch Hübner, 3.2.1932, in: LT, W P 3, HA, Szg. 252, Sp. 66. 241 Hübner, 3.2.1932, in: LT, W P 3, HA, Szg. 252, Sp. 65 f. 242 Ebd., Sp. 6 5 - 6 7 . 243 Vgl. Bericht Ausschuß LT, 5.2.1932, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 156; zur Debatte vgl. Stendel (DVP), Oelze (DNVP), Klost (Z), Hestermann (W. Part.) u. Weisfermel (DNVP), 3.2.1932, in: LT, WP 3, HA, Szg. 252, Sp. 66 f; LT, W P 3, HA, Szg. 252, Sp. 122. 244 Einheitsfront für die Akademie. Ein Aufruf führender
Männer, in: Königsberger Allgemeine
tung, Abendausg., 6.2.1932, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 242.
Zei-
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
337
Gesuch des Heimatbundes Ostpreußen,245 intensivierte das Kultusministerium kurz darauf auch sein Engagement für die Akademie Königsberg. Am 15. Februar 1932 berichtete Grimme dem Finanzressort davon, ein Ortstermin in Königsberg habe gezeigt, „ein wie starkes Verlangen bei allen amtlichen Stellen der Provinz und in weiten Kreisen der Bevölkerung dafür besteht, daß aus nationalpolitischen und kulturellen Gründen ein Zentrum für das freie künstlerische Schaffen und eine Möglichkeit für die weitere Ausbildung von Zeichenlehrern in Ostpreußen erhalten bleibt. Ein vollständiges Aufgeben dieses wertvollen und im Lande verwurzelten Kulturinstituts würde in Ostpreußen nicht verstanden und als Mangel der Fürsorge der Staatsregierung für diese bedrohte Provinz verstanden werden." 2 4 6 Auch für Königsberg schlug das Ressort angesichts dessen die Beibehaltung von Meisterateliers vor. Allerdings stellte sich die Argumentation hier wegen der beamteten Lehrer diffiziler dar. Das Ressort wies daher vor allem auf die bis 1934 bzw. 1936 laufenden Verträge der besonders wichtigen Lehrer Marten, Partikel und Fritz Burmann hin. 247 Für die beamteten Lehrer strebte es daneben eine Aufstockung des 80 %igen Wartegelds bis zur bisherigen Gehaltshöhe an.248 U m seinem Engagement Nachdruck zu verleihen, bat das Ressort gleichzeitig bei Ministerpräsident Braun darum, dieser möge es in dem Bemühen unterstützen, „die beiden wichtigen Kunstakademien im Osten, die gerade unter den gegenwärtigen Verhältnissen von besonderer nationalpolitischer und kultureller Bedeutung sind, in verkleinerter Form aufrechtzuerhalten." 249 Als Hinweis auf das fortgesetzte Reforminteresse war dabei die Bemerkung zu verstehen, „daß die Cauersche Bildhauerstelle in Königsberg im nächsten Jahre mit einer jüngeren besonders tüchtigen Kraft besetzt werden soll." 250 Nachdem der Landtagsausschuß am 16.Februar 1932 eine Beibehaltung von Meisterateliers auch für die dritte betroffene Anstalt befürwortet hatte, 251 engagierte sich das Ministerium auch für die Kasseler Akademie. Am 1. März 1932 beantragte es hier die Erhaltung von drei Meisterateliers, darunter die zweier Reformkräfte: des Bildhauers Vocke und des Malers Nebel. 252 Auf diese Weise sollten „dem hessischen Lande ein künstlerisches Zentrum und eine Ausbildungsmöglichkeit auf dem Gebiete der freien Kunst wenigstens im Kern" erhalten bleiben. 253
245 Vgl. Abschr. RMdl an KM, 10.2.1932, ms., Büro Reichspräsident an Staatsministerium, 16.2. 1932, ms. u. Anlagen, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 167 u. 176-180. 246 Abschr. Grimme an FM, 15.2.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 164-166, Bl. 164 v. 247 Vgl. ebd., Bl. 165 r; zu Burmann vgl. Neue Sachlichkeit 1994, S. 222. 248 Vgl. Abschr. Grimme an FM, 15.2.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 164-166, Bl. 165. 249 KM an Braun, 15.2.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 166 r. 250 Ebd. 251 Vgl. LT, WP 3, Dr. 8277, S. 8219; Haas (SPD), Schwering (Z) u. Stendel (DVP), 16.2.1932, in: LT, WP 3, HA, Szg. 255, Sp. 7 u. 11 f; LT, WP 3, HA, Szg. 255, Sp. 12; LT, WP 3, Prot., Sp. 24298 f. 252 Abschr. Grimme an FM, 1.3.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 163 r-v. 253 Ebd.
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III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Obgleich der Einsatz f ü r die Beibehaltung der Akademien in Breslau und Königsberg jetzt auch vom Staatsministerium unterstützt wurde, 254 lehnte das Finanzministerium am 14. März 1932 jedoch alle Anträge des Kultusministeriums kategorisch ab und erklärte: „Soweit [..] bisherigen Lehrkräften noch ein vertraglicher Anspruch auf Bereitstellung von Ateliers zusteht [...], sind diese Räume lediglich als private Arbeitsstätten [...] anzusehen. O b und unter welchen Bedingungen angehende Künstler dort Anleitung und Belehrung finden können, muß in das Ermessen der Inhaber der betreffenden Ateliers gestellt werden. Die Erhebung von Studiengeldern durch den Staat kann sonach auch nicht in Frage kommen." 2 5 5 Für Breslau strebte das Finanzministerium überdies die vom Kultusressort abgelehnte N u t z u n g des Akademiegebäudes durch die städtische Kunstgewerbeschule an. 256 Bei Einhaltung dieser Vorgaben stellte es allein f ü r Königsberg eine „schonendere Erledigung des AbwicklungsVerfahrens" in Aussicht. Hier sei man eventuell bereit, den beamteten Lehrern Cauer und Wolff „gegen eine geringe Anerkennungsgebühr" ihre Arbeitsräume als private Ateliers zu belassen. 257 E m p ö r t antwortete das Kultusressort daraufhin am 21. März 1932, es könne sich mit einer solchen Regelung „in keiner Weise einverstanden erklären." Die N o t v e r o r d n u n g sei „so gut wie ausschließlich aus finanziellen Gesichtspunkten" erlassen worden. Die angestrebten Einsparungen seien allerdings inzwischen erzielt worden. Die N o t v e r o r d n u n g an sich stehe keineswegs dem Plan entgegen, in einigen Meisterateliers weiter zu unterrichten. Der Vorschlag des Finanzressorts widerspreche hingegen „ganz der Idee staatlicher Meisterateliers", weil aus den privaten Ateliers f ü r die Schüler kein Ü b e r gang mehr zu den fortbestehenden Anstalten in Berlin und Düsseldorf möglich sei. Auch sei der Verzicht auf das Studiengeld nicht nachvollziehbar. Falls das Finanzressort nach wie vor seinen Plänen nicht zustimmen wolle, werde man u m eine Aussprache beim Ministerpräsidenten bitten. 258 Parallel dazu versicherte man sich bei Braun dessen Rückendeckung. 259 Während das Kultusressort weiterhin Unterstützung aus Ostpreußen erfuhr, 260 verwies Haslinde zudem am 8. April darauf, „dass f ü r die Meisterateliers in den drei Städten etwa 150.000 R M nach dem neuen Etat verfügbar sein könnten, vorausgesetzt, dass der Finanzminister zustimmen wird." 2 6 1 Als Hintergrund der Bestrebungen betonte er die Chance, die Akademien Königsberg, Breslau und Kassel über die Meisterateliers in besseren
254 Vgl. Entwurf Staatsministerium an FM, 11.3.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 193. 255 Abschr. FM an KM, 14.3.1932, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 196, Bl. 196 r. 256 Vgl. ebd.; zur Haltung des Kultusressorts vgl. Grimme an FM, 1.2.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 171-175, Bl. 174 v. 257 Abschr. FM an KM, 14.3.1932, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 196 r-v. 258 Abschr. Grimme an FM, 21.3.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 194-195, Bl. 194. 259 Vgl. ebd., Bl. 195 r. 260 Vgl. Vermerke Staatsministerium, 6./7.4.1932, 11./12.4.1932, 13./14.4.1932, 15./16.4.1932 u. 22./23.4.1932, ms., Büro Reichspräsident an Staatsministerium, 13.4.1932, ms. u. Anlagen, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 198-199, 201-204 u. 213-218. 261 Text Ak. d. Kü., Kunstsektion, 8.4.1932, hs. / ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 54-59, Bl. 57 r.
3. Akademiepolitik:
Künstlerausbildung
339
Zeiten „wieder aufleben zu lassen". 262 Die Antwort des Finanzressorts fiel indes erneut ernüchternd aus. Das Ressort bestand am 11. April auf seiner ablehnenden Haltung. 263 Am 3. Mai 1932 unternahm das Ministerium daraufhin einen weiteren Vorstoß, sein Alternativmodell zumindest in Königsberg und Breslau doch noch durchzusetzen. Grimme betonte noch einmal, welch große Bedeutung er den Meisterateliers „vom kunstpolitischen Standpunkt aus, aber auch im Hinblick auf die gesamte Staatspolitik im Osten" beimesse. Daher wolle er „zur Erhaltung und Förderung des künstlerischen Lebens in den beiden Hauptstädten des Ostens wenigstens kleinere künstlerische Zentren [..] belassen". 264 Ausdrücklich verwies er auf die Unterstützung Gerhart Hauptmanns, des Reichspräsidenten und des preußischen Innenministers Carl Severing.265 Überdies suchte er für seine inzwischen eingeschränkten Pläne 266 zu argumentieren, indem er erklärte, die für Königsberg und Breslau notwendigen Gelder, die sich nach Abzug der Studiengelder auf 10.000 RM beliefen, seien aus den Mieterträgen der Breslauer Akademie zu bestreiten.267 Als sich das Finanzressort dennoch weiter den Plänen verweigerte, kam es im Mai 1932 zur Chefbesprechung. Auf Intervention des Staatsministeriums erklärte sich das Finanzressort nun zu einer Aufrechterhaltung von Meisterateliers bereit.268 Wohl auch, weil sich Hindenburg persönlich für Königsberg stark machte,269 konnte Ende 1932 durchgesetzt werden, daß dort fünf Meisterateliers bestehen blieben.270 Die Akademien Breslau und Kassel wurden hingegen geschlossen.271 Das intensive Engagement des Kultusressorts für die von der Schließung bedrohten Akademien weist eindringlich auf das Bemühen hin, das zuvor so pointiert geförderte Aka262 Ebd., Bl. 58 r. 263 Abschr. FM an KM, 11.4.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 210; zur Erwartungshaltung des Ressorts Grimme vgl. auch Grimme an Braun, 9.4.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 206. 264 Abschr. Grimme an Finanzminister Otto Klepper, 3.5.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 224-225, Bl. 224 r. 265 Vgl. ebd., Bl. 224 r-v. 266 Neben der Tatsache, daß Kassel zu diesem Zeitpunkt offensichtlich bereits aufgegeben worden war, war inzwischen auch für Breslau nur noch von drei Meisterateliers die Rede, vgl. ebd., Bl. 224 v. 267 Vgl. ebd., Bl. 224 r-v. Grimme betonte zudem das Entgegenkommen, das er mit der Vermietung des Breslauer Akademiegebäudes an die Kunstgewerbeschule demonstriert habe. 268 Vgl. Entwurf Staatsministerium an FM, Mai 1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 226-227. 269 Vgl. auch Büro Reichspräsident an Staatsministerium, 17.5.1932, ms. u. Entwurf Staatsministerium an Büro Reichspräsident, 24.5.1932, hs. / ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 229-230. 270 Vgl. Entwurf Staatsministerium an Büro Reichspräsident, 24.5.1932, hs. / ms., Nollau an Reichskommissar, 23.8.1932, ms., Nollau an KM, 8.8.1932, ms. u. Anlage, Hermann Nollau: Erhaltet Ostpreußens Kunst! Um den Fortbestand der Königsberger
Akademie,
in: DAZ, Nr. 378, 13.8.
1932 u. KM an Braun, 27.12.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 230, 232-238, 244 u. 259; siehe auch GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 245-262; Waetzoldt 1933, S. 86. 271 Vgl. KM an Braun, 27.12.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 259; Hölscher 2003, S. 358.
340
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
demiesystem über die äußeren Bedrängungen der frühen 30er Jahre hinweg zumindest im Kern zu erhalten. Das Ministerium Grimme suchte das Dilemma zwischen seinen kunstpolitischen Ansprüchen und der Sparverpflichtung dabei zu lösen, indem es innerhalb des von der Sparverordnung vorgegebenen Rahmens nach Wegen suchte, ohne Mehraufwendungen die geplanten Schließungen zu verhindern. Das Meisterateliermodell schien hier eine ideale Lösung zu sein. Für die Realisierung seiner Ziele bediente sich das Ministerium, in der Zeit der Präsidialpolitik nur konsequent, der Rückendeckung höchster Stellen: des Reichs- und des Ministerpräsidenten. Argumentativ baute es in Breslau und Königsberg auf die konsensfähige Idee deutscher Kulturpräsenz an der Grenze zu Polen. Letztlich ging es jedoch um mehr als um eine kulturelle Stärkung des Ostens. Vielmehr stand für das Ressort die Aufrechterhaltung seines modernen Kunstschulsystems auf dem Spiel. Als Beleg dafür kann zum einen die Tatsache gelten, daß sich die ministeriellen Anstrengungen speziell auf die von Waetzoldt als „Krönung" der Künstlerausbildung bezeichneten Meisterateliers bezogen 272 und dem Ressort der Austausch zwischen den angestrebten Meisterateliers und bestehenden Schulen wichtig war.273 Zum anderen spricht eine klare Sprache, daß man sich gerade für die Weiterbeschäftigung dezidierter Reformträger einsetzte.274 Das Engagement gegen die Akademieschließungen war so - zumal angesichts der zunehmenden nationalsozialistischen Hetze gegen das Bauhaus und ihm nahestehende Schulkonzepte - auch als Ringen um den Bestand der seit Beginn der 20er Jahre betriebenen Künstlerausbildungsreform zu verstehen.275 Aus dieser Perspektive stellte die Schließung besonders der renommierten Breslauer Akademie eine Niederlage für die ministerielle Reformpolitik dar. Noch vor der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten leitete sie das Ende der von der Idee der Förderung individueller Kreativität lebenden staatlichen Künstlerausbildung in der Republik Preußen ein.
3.2. Die verzögerte Modernisierung der Berliner Akademie der Künste Nach 1918 war die Berliner Akademie der Künste unter dem Eindruck der unruhigen Nachkriegszeit und der Anpassungsbereitschaft der Institution vom Ministerium Haenisch zunächst nur zögerlich erneuert worden. Zwar waren im Frühjahr 1919 insgesamt 26 neue Mitglieder in die Kunstsektion der zentralen Künstlervertretung berufen worden. Bei ihnen handelte es sich jedoch nur zum Teil um Vertreter neuer Richtungen. Da diese den bestehenden Mitgliederstamm zudem nur ergänzten, konnte die konservative Akademiemehrheit ihre alte Machtposition halten und eine Erneuerung blockieren. So geriet die nach der 272 Vgl. dazu Waetzoldt 1921, S. 28. 273 Vgl. Abschr. Grimme an FM, 21.3.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 194-195, Bl. 194 r. 274 Siehe dazu die Nennung der Künstler Muche, Molzahn, Scharoun, Bednorz, Rading, Mense, Moll und Schlemmer für Breslau, Marten und Burmann für Königsberg sowie Nebel und Vocke für Kassel; zur weiteren Integration Molls und Schlemmers ins preußische Kunstschulsystem vgl. Poelzig, Endeil, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 30; Hölscher 2003, S. 358 f; FischerDefoy 1996. 275 Vgl. dazu auch Campbell 1981, S. 289 u. 292.
J. Akademiepolitik:
Akademie der Künste
341
R e v o l u t i o n vom Ministerium eingeleitete Strukturreform der Berliner Akademie, in deren R a h m e n das Ressort Vorstellungen von einer publikumsnahen, modernen Zentralakademie aller Künste entwickelt hatte, i m m e r mehr ins Stocken, um schließlich ganz zu stagnieren. Z u m E n d e der Amtszeit Haenischs war nach wie vor ungeklärt, welche R o l l e die Akademie in der republikanischen Kunstverwaltung spielen sollte. Intern konnte die kleine G r u p p e Reformfreudiger um den neuen Akademiepräsidenten Liebermann nur begrenzt an einer weiteren Akademieöffnung arbeiten (siehe Kap. II. 3.2). In der kurzen Ministerzeit B e c k e r s 1921 suchte das Kultusressort darauf zunächst durch eine klare Positionierung auf der Seite Liebermanns zu reagieren, nachdem der Akademiepräsident bei B e c k e r s A m t s ü b e r n a h m e b e t o n t hatte, man vertraue darauf, daß es der Minister als K u r a t o r „als eine vornehme Pflicht [..] [betrachte], Stellung und Ansehen der Akademie der Künste zu befestigen und zu h e b e n . " 2 7 6 Entsprechend wertete B e c k e r eine Akademieausstellung mit zeitgenössischen Zeichnungen Anfang Mai 192 1 277 unter Hinweis auf seine Kuratorenrolle als Ausdruck der Aktivität der Akademie unter der Leitung Liebermanns. D i e Akademie zeige damit, daß sie sich ihrer Verpflichtung bewußt sei, „im öffentlichen Kunstleben der Gegenwart eine Führerstellung e i n z u n e h m e n . " Ihre Ziele, erklärte Becker, werde die Akademie aber um so eher erreichen, je mehr sie sich auf das „Vertrauen der schöpferischen K ö p f e unter den lebenden K ü n s t l e r n " stütze. Allen Vorschlägen, die auf eine Wiedergewinnung bzw. Festigung dieses Vertrauens abzielten, stehe er aufgeschlossen gegenüber. 2 7 8 Zumal er gleichzeitig auf die nationale Relevanz des A u s stellungsgegenstands abhob, wies B e c k e r der Berliner Akademie so tatsächlich, wie von Liebermann erwartet, eine zentrale Rolle in seinem nationalintegrativen K u n s t p o l i t i k k o n zept zu. D i e Ausstellungspraxis der Akademie sah er als ersten Ansatz, als Hauptbasis der angestrebten Führungsrolle der Akademie mahnte er j e d o c h einen bisher nicht realisierten engen K o n n e x mit aktuellen Kunstströmungen an. W o h l auch vor dem Hintergrund dieses klaren Statements zugunsten einer weiteren A k a demieöffnung wandten sich die Reformmitglieder um Liebermann Anfang 1922 mit der Bitte an das inzwischen von B o e l i t z geleitete Kultusressort, den Wahlmodus bei den internen Mitgliederwahlen so zu ändern, daß er eine Gewinnung fortschrittlicher Künstler begünstigte. Man forderte zum einen, die Mitgliederzahl der Kunstsektion, die bisher nicht größer sein durfte als sechzig, künftig nicht mehr zu begrenzen. Zum anderen strebte man angesichts der schlecht besuchten Mitgliederversammlungen an, daß für die Wahl eines neuen Mitglieds nicht mehr die Stimmen der Hälfte sämtlicher Berliner Mitglieder erforderlich sein sollten, sondern lediglich die Stimmen von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder. 2 7 9
276 Abschr. Liebermann an KM, 18.4.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1. 277 Zur Ausstellung vgl. auch Nachrichtenblatt Allgemeine Deutsche Kunstgenossenschaft, Mai 1921, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 76-77; Rede Liebermann, 4.5. [1921], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1344; Karl Scheffler: SchwarzWeissausstellung der Berliner Akademie der Künste, in: Ku. u. Kü., Jg. 19, Nr. 10, Juli 1921, S. 372 f. 278 Rede Becker, 4.5.1921, ms., S. 1, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1343. 279 Vgl. Entwurf Liebermann an KM, 18.1.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/127, Bl. 208-211; vgl. auch Text Ak. d. Kü., 6.1.1922, ms. u. Liebermann an KM, 18.1.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 80-82 u. SAdK, PrAdK, 2.2/060, Bl. 79.
342
III.
Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Boelitz ließ sich auf den zweiten Vorschlag ein, den ersten lehnte er ohne Begründung ab. Anfang März 1922 änderte das Ministerium daraufhin das Akademiestatut entsprechend. 280 Deutlich bestätigte es damit sein Interesse, die Akademiereform gemeinsam mit Liebermann voranzutreiben. Die Hoffnungen, die Modernisierung fördern zu können, indem man die passiven Mitglieder von den Mitgliederwahlen ausschloß, zerschlugen sich indes bald. Bei den Wahlen vom März 1922, in deren Vorfeld Heckel, Pechstein, Weiß, Gerstel, Wenck, Poelzig und Orlik als Reformkandidaten genannt worden waren, kam es vielmehr zum offenen Eklat in der Kunstsektion, als die konservative Mehrheit die neue Wahlordnung geschickt in ihrem Interesse zu nutzen verstand und die Wahlen erneut blockierte. Die fortschrittlichen Mitglieder lehnten eine Verantwortung für diesen neuerlichen Boykott ab; einige von ihnen legten ihre Arbeit in der Ausstellungskommission nieder. 281 Nach intensiven Erörterungen des Wahleklats in der Presse, in deren Kontext eine klärende ministerielle Entscheidung gefordert worden war, 282 suchte Boelitz die Blockade, die um so schwerer wog, als sie auch die fortschrittliche Ausstellungspraxis gefährdete, schließlich im Mai 1922 zu lösen, indem er Neuwahlen anordnete. 283 Gleichzeitig stellte sich Staatssekretär Becker bei der Eröffnung der Frühjahrsausstellung der Akademie 1922 demonstrativ hinter die Reformgruppe um den Präsidenten. Dem Minister, der sich damals auf Reisen befand, berichtete er darüber später: „Im letzten Moment wurde es noch nötig, dass ich die Ausstellung der Akademie eröffnete, wo ich eine ziemlich grundsätzliche Rede nahezu improvisiert habe. Doch war es nötig, nach den Vorgängen bei der Wahl zur Akademie einmal von Seiten der Regierung die Liebermann'sche Position zu stützen." 2 8 4 Das Engagement des Ministeriums 2 8 5 zeigte tatsächlich Wirkung: Bei den Neuwahlen Ende 1922 wurden außer Heckel alle im Frühjahr genannten Reformkandidaten in die Akademie aufgenommen. 286 Das Vertrauen, das es in Liebermann setzte, bekräftigte das Ministerium zudem, als es die Amtszeit des Präsidenten, die nach drei Jahren endete, im Frühsommer 1923 per Sondergenehmigung verlängerte. 287 Als Punkt, an dem sich die ministerielle Iden-
280 Vgl. Boelitz an Liebermann, 1.3.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/127, Bl. 215-216. 281 Vgl. Liebermann an KM, 22.3.1922, ms. u. Boelitz an Liebermann, 22.5.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074, Bl. 371-372 u. 394. 282 Vgl. ZAs März 1922, in: SAdK, PrAdK, 2.2/075, Bl. 60-61 u. 83-87 u. SAdK, PrAdK, 2.2/078, Bl. 259-261; Pressenotiz Konflikt, [März 1922], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 93-94; Glaser: Sezession in der Akademie. Die gesprengte "Wahlversammlung, in: Berliner Börsen-Courier, 21.3. 1922, in: SAdK, PrAdK, 2.2/075, Bl. 83-85. 283 Vgl. Boelitz an Liebermann, 22.5.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074, Bl. 394; zur Diskussion im Vorfeld vgl. Protokoll Ak. d. Kü., 22.3.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074, Bl. 377-378. 284 Becker an Boelitz, 11.5.1922, ms., S. 1, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7869. 285 Vgl. dazu auch KM (Nentwig) an Liebermann, 13.10.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074, Bl. 428. 286 Vgl. Die Neuwahlen in der Akademie, in: Voss. Ztg., 28.11.1922, Bemerkungen Amersdorffer dazu, 28.11.1922, ms. u. ZAs Dez. 1922, in: SAdK, PrAdK, 2.2/074, Bl. 436 u. 452-454; Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 18.1.1923, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/075, Bl. 9-10; zur demonstrativen Präsenz des Ministeriums bei den folgenden Berufungen vgl. auch Becker an Boelitz, 2.7.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7869.
287 Vgl. Amersdorffer an KM, 23.5.1923, ms., Notiz Amersdorffer, 23.5.1923, Ks. u. stellvertretender
3. Akademiepolitik:
Akademie der Künste
343
tifikation mit Liebermanns Modernisierungspolitik festmachen ließ, erwies sich in dieser Zeit vor allem die Ausstellungspraxis der Akademie. 288 Die von Liebermann getragenen Akademieausstellungen, die, dem Grundsatz der Toleranz verpflichtet, verschiedene Richtungen zu integrieren suchten und bei denen gezielt mit dem Qualitätsbegriff operiert wurde, entsprachen deutlich den Vorstellungen des Ressorts. 289 Während das Ministerium und Liebermann im personellen wie im Ausstellungsbereich in Opposition zur konservativen Akademiemehrheit bewußt gemeinsame Sache machten, 290 stellte sich parallel dazu die Tatsache, daß die Rolle, die die Akademie der Künste künftig spielen sollte, bisher nicht offiziell definiert worden war, zunehmend als Belastung für das Verhältnis zwischen Liebermann und dem Ministerium Boelitz dar. Motiviert sicher nicht zuletzt durch die vom Ministerium entwickelte Idee einer Zentralakademie aller Künste (siehe Kap. II. 3.2.), beanspruchte Liebermann für seine Institution ein entscheidendes Mitwirkungsrecht in nahezu allen Bereichen der staatlichen Kunstpolitik. Diese Erwartungen gingen jedoch über das vom Ministerium gewollte Maß hinaus. Sie kollidierten nicht zuletzt mit der immer eigenständigeren Kunstpolitik des Ministeriums. 291 Konkreter Konfliktpunkt war dabei, daß Liebermann der Akademie durch Beteiligung an der Ankaufskommission der Nationalgalerie Einfluß auf Justis Erwerbungspolitik sichern wollte. 292 Während Becker, wohl nicht zuletzt wegen eigener Spannungen mit Justi in dieser Zeit 293 (siehe Kap. III. 4.2.), zunächst offenbar noch Aufgeschlossenheit für eine solche Regelung signalisiert hatte,294 wollte sich das Ministerium Boelitz darauf nicht mehr einlassen, als klar wurde, daß es sich hier letztlich um eine Machtprobe zwischen den beiden großen staatlichen Kunstinstitutionen und dem Ministerium handelte. Nachdem Justi die Ansprüche der Akademie schon im Mai 1921 zurückgewiesen hatte,295 beschied das Ministerium den Antrag Liebermanns am 10. November 1921 entsprechend negativ und räumte der Akade-
Präsident Ak. d. Kü. an KM, 8.6.1923, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/004, Bl. 387-388 u. 391; siehe dazu auch Abschr. Boelitz an Liebermann, 13.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 34-37, Bl. 36-37 (Original in SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 43-44); Liebermann an Boelitz, 29.12.1924, ms., SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 47-48, Bl. 47 v; Kampe 1996 a, S. 391. In den folgenden Jahren stimmte das Ressort einer Verlängerung der Amtszeit Liebermanns immer wieder zu, vgl. Paret 1997, S. 69. 288 Vgl. dazu Protokoll Ak. d. Kü., Senat, 25.11.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 51-55, Bl. 54 v; Boelitz an Liebermann, 13.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 34-37, Bl. 37. 289 Zu den Akademieausstellungen in dieser Zeit vgl. Lammert 1996, bes. S. 491-496; Diekmann / Kampe 1997, S. 82 f. 290 Vgl. dazu auch Diekmann / Kampe 1997, S. 82-85. 291 Vgl. dazu auch Paret 1997, S. 71; Diekmann / Kampe 1997, S. 85. 292 Vgl. dazu auch Hentzen 1972, S. 33; Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 13.4.1921, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/038, Bl. 95-97; Abschr. Liebermann an KM, 18.4.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1. 293 Vgl. dazu etwa Becker an Haenisch, 31.3.1921, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 80. 294 Vgl. Protokoll Ak.d.Kü., Gesamtakademie, 13.4.1921, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/038, Bl. 9 5 97. 295 Vgl. Justi an KM, 27.5.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1.
III.
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Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
mie nur ein Vorschlagsrecht für die Besetzung der Kommission ein.296 Dem Akademiepräsidenten gegenüber bestand der Minister darauf, „daß die Sachverständigen-Kommission der Nationalgalerie ein kleiner Kreis von Vertrauenspersonen der Kunstverwaltung ist, die aus den Kreisen der Künstler und Kunstsachverständigen von mir berufen werden und die bei ihrer Tätigkeit [...] lediglich nach ihrem persönlichen Wissen und Gewissen urteilen. Diesen Grundsatz vermag ich auch nicht zu Gunsten der Akademie der Künste zu durchbrechen. Ich glaube auch, daß um so weniger Anlaß dazu gegeben ist, als bereits jetzt 5 von den 6 künstlerischen Mitgliedern [..] der Sachverständigen-Kommission der Akademie der Künste als Mitglieder angehören, und die Akademie selbst betont, daß von einem Gegensatz zwischen der Akademie und dem Direktor der Nationalgalerie keine Rede sein könne. Die Auswahl der Mitglieder ist übrigens [...] nicht durch den Direktor der Nationalgalerie erfolgt, sondern durch mich." 2 9 7 Nach intensiven Diskussionen in der Akademie, wie auf die Zurückweisung zu reagieren sei,298 wies Liebermann schließlich Ende November 1921 beim Ministerium darauf hin, daß die Akademie das Vorschlagsrecht für die Kommissionszusammensetzung zwar als Entgegenkommen werte, daß man mit der Entscheidung ansonsten aber nicht zufrieden sei. Er bestand auf dem angestrebten Einfluß, stilisierte die Akademie in Anspielung auf Justi zum Gegenpol einer „regellosen, nach Tagesmoden und Meinungen schwankenden Kunstpolitik" und kündigte an, die Rechte der Akademie „mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu verfechten." 299 Während Haenisch mit der Akademie umzugehen verstanden habe, sehe sich die Akademie nun in ihrer Hoffnung auf die neue Zeit „schwer enttäuscht [..], denn niemals wurde sie durch die Kunstverwaltung mehr eingeengt, nie wurde sie mehr beiseite geschoben, als gerade jetzt. Die Akademie als Staatsinstitut, wie als demokratische Vertretung der Künstlerschaft ist aber nicht länger gesonnen, sich von einer immer autokratischer werdenden Kunstverwaltung zurücksetzen zu lassen. [...] die Akademie [ist] fest entschlossen [..], ihre Rechte, wenn nötig, vor der Oeffentlichkeit, vor dem Staatsministerium und vor dem Landtag geltend zu machen. [...] Die Wichtigkeit des Bestehens einer Akademie gerade in unserer Zeit höchster Verwirrung in der Kunst ist wohl jedem klar, der über die wahre Bedeutung einer Akademie und über die nur von radikalen Vertretern der Künstlerschaft geleugnete Wichtigkeit der Tradition in der Kunst jemals nachgedacht hat." 3 0 0 Mit unverhohlener Drohgebärde forderte die Akademie damit eine Berücksichtigung ihrer auf die Nationalgalerie bezogenen Ansprüche ein. 296 Zu den Hintergründen vgl. auch Justi an KM, 15.3.1924, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 408 f. 297 Abschr. KM an Liebermann, [10.11.1921], ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 220, Bl. 220 r; zur entscheidenden Rolle des Ressorts in diesem Zusammenhang vgl. auch Justi an KM, 12.12.1921, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 221. 298 Vgl. Amersdorffer an Liebermann, 12.11.1921, ms., Liebermann an Amersdorffer, 13.11.1921, hs., Text Liebermann, [Nov. 1921?], ms. u. Liebermann an Boelitz, 30.11.1921, ms. / hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 3 - 9 u. 29-32; Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft Kunstsektion, 18.11.1921, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/074 a, Bl. 328; Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft Kunstsektion, 30.11.1921, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/038, Bl. 138. 299 Ak. d. Kü. an Kultusminister, 23.11.1921, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 10-12, Bl. 10-11. 300 Ebd., Bl. 11-12.
3. Akademiepolitik:
Akademie
der Künste
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Im Umfeld des Wahlkonflikts von 1922 rückte die Kontroverse zwischen Liebermann und dem Ministerium dann offensichtlich vorübergehend in den Hintergrund. 301 Die Akademie gab ihre Nationalgalerieambitionen jedoch keineswegs auf.302 Zudem suchte sie ihre Position gegenüber der Galerie mit Hilfe Beckers durch eine Intensivierung ihrer Ausstellungspraxis zu stärken,303 während Justi einen Einfluß der Akademie auf seine Erwerbungspolitik weiterhin ablehnte.304 Allerdings war die Akademieleitung nun, wohl wegen des gemeinsamen Agierens in der Akademie, zunehmend zu einem Einlenken gegenüber dem Ministerium bereit. Ende 1923 hielt Akademiesekretär Amersdorffer, ein enger Vertrauter Liebermanns, intern fest: „Wenn die Aussprache mit dem Herrn Minister ergibt, dass die Kunstverwaltung ihren Standpunkt nicht aufgeben will, (aus Gründen, die den Interessen und dem Ansehen der Akademie nicht zuwiderlaufen!)", sei ein Kompromiß in der Form denkbar, daß eine Neukonstituierung der Ankaufskommission herbeigeführt werde und die Akademie Vorschläge für die Neuberufungen mache. Auf den Antrag der Akademie, als solche in der Kommission vertreten zu sein, könne man dann gegebenenfalls verzichten.305 Auf diese Weise wolle die Akademie die Kooperation der beiden zentralen Kunstinstitutionen fördern. 306 Hatte sich die Akademie damit bis zum gewissen Grade auf das Bemühen des Ministeriums um eine konstruktive Zusammenarbeit eingelassen, spitzte sich die Situation im Sommer 1924 erneut zu: Zum einen prallten Liebermanns und Justis Kunstauffassungen jetzt in aller Öffentlichkeit aufeinander, als sich Justi polemisch gegen die aktuelle Akademieausstellung wandte, die Akademie darauf mit Attacken gegen Justi antwortete und sich so eine Kontroverse entspann, die weite Kreise zog. 307 Zum anderen gerieten die Akademie und das 301 Eine Reaktion des Ressorts auf die Provokation der Akademie vom 23.11.1921 läßt sich entsprechend nicht nachweisen. 302 Vgl. Entwurf Ak. d. Kü. an KM, 16.1.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/129, Bl. 28; Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 18.1.1923, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/075, Bl. 9 - 1 0 ; Ak. d. Kü. (Amersdorffer): Kompromiß-Vorschlag,
Dez. 1923 [?], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/006,
Bl. 205-208, Bl. 206-208; Ak. d. Kü.: Notizen zur Reform der Akademie,
[1924?], ms., in: SAdK,
PrAdK, 2.2/134, Bl. 16-17. 303 Vgl. Liebermann an Staatssekretär [KM], 16.3.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Protokoll Ak. d. Kü., Ausstellungskommission, 9.4.1923, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/053, Bl. 127; Abschr. Liebermann an KM, 12.5.1923, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/159, Bl. 104-107; siehe dazu auch Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 2.6.1919, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/130, Bl. 67-68; Abschr. Liebermann an KM, 30.5.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 264 u. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Ak. d. Kü.: Notizen zur Reform der Akademie, [1924?], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/134, Bl. 16-17. 304 Vgl. Abschr. Boelitz an Justi, 21.4.1923, ms., Justi an KM, 31.5.1923, ms., Boelitz an Justi, 31.1.1924, ms. u. Justi an KM, 15.3.1924, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Boelitz an Liebermann, 31.1.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, AA/25, Bl. 12; vgl. dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1,S. 408 f. 305 Ak. d. Kü. (Amersdorffer): Kompromiß-Vorschlag,
Dez. 1923 [?], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/006,
Bl. 205-208, Bl. 205 r. 306 Ebd., Bl. 206 r. 307 Vgl. dazu Lammert 1996, S. 498-501; Bärnreuther 1997, bes. S. 264-266; Paret 1997, S. 67; Diekmann / Kampe 1997, S. 82; W. Jens 1997, S. 297 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 410 f u. Bd. 2,
III.
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Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Ministerium etwa zur selben Zeit im Kontext der Gründung der Vereinigten Staatsschulen in immer größeren Gegensatz (siehe Kap. III. 3.1.). Nachdem das Ministerium Liebermann im Streit mit Justi zunächst den erbetenen Schutz zugesagt hatte und vor allem Becker um Vermittlung bemüht gewesen war,308 ließ die ministerielle Entscheidung gegen die Kunstschulvorstellung der Akademie den Konflikt wegen des Akademieeinflusses auf die staatliche Kunstpolitik Ende 1924 endgültig eskalieren. Gegenüber Waetzoldt betonte Liebermann nun, wie der Referent strebe auch er eine engere Fühlung zwischen Akademie und Ministerium an. Eine Zusammenarbeit setze jedoch eine „Beachtung der Interessen und Ansichten auch der andern Seite, vor allem offenes Vertrau[e]n voraus. Leider hat ein offener Bescheid [...] über Ihre Ansichten bezüglich der Leitung der neuen Unterrichtsanstalt [gefehlt]. Noch mehr aber habe ich bedauert, daß die Akademie im Falle Justi auf Ihr tätiges Entgegenkommen verzichten mußte." 309 Kurz darauf, am 5. November 1924, legte der Akademiepräsident bei Boelitz Protest dagegen ein, daß die Akademie bei der Berliner Schulzusammenlegung übergangen worden sei, und verknüpfte dies mit dem Vorwurf: „Daß Euer Hochwohlgeboren, der Kurator unserer Akademie, diese Vorgänge hinnehmen ohne für die Rechte der Akademie einzutreten und ihr den ihr schuldigen Schutz [...] zu gewähren, ist [...] tief bedauerlich. [...] Akademie und freie Künstlerschaft hoffen seit langem, daß Euer Hochwohlgeboren mit energischer Hand eingreifen werden, um in den durch das selbstherrliche Verfahren der Kunstverwaltung herbeigeführten unhaltbaren Zuständen Abhilfe zu schaffen. Der oft vorgebrachte Einwand, [...] mit den nach verschiedenen Richtungen auseinanderstrebenden Gruppen der Künstlerschaft könne die staatliche Kunstverwaltung nicht ersprießlich arbeiten, dürfte heute wohl kaum mehr verfangen. In der Verurteilung der durch das persönliche Regiment der Kunstverwaltung geschaffenen Zustände, ist die Künstlerschaft einig." 310 Das Ressort, dessen kunstpolitisches Profil sich in der Diskussion um die Berliner Schulgründung geschärft hatte, reagierte deutlich auf diese Kritik. Boelitz, der uneingeschränkt hinter Waetzoldts Kunstschulreform stand (siehe Kap. III. 3.1.), erklärte, Liebermanns Institution verkenne „die Stellung der Akademie im Rahmen der Preußischen Kunstverwaltung in wesentlichen Punkten". Der Brief vom 5. November lasse „nicht nur die erforderS. 244 f; Hentzen 1972, S. 33-35; Rave, 1968, S. 87 f; Ak. d. Kü. [Liebermann]: Hie Akademie - hie Ludwig Justi, [Juni/Juli 1924?], ms., Ak. d. Kü. (Sekretär Musiksektion) an Schriftleitung Baseler Nachrichten, [Aug. 1924?], ms. u. Max Osborn an Liebermann, 20.9.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/270, Bl. 9 - 1 1 u. 22-23; K. Sch.: Justi - Liebermann,
in: Ku. u. Kü., Jg. 22, Nr. 11, Aug. 1924,
S. 355; Kirchner an Liebermann, 9.8.1924, ms. u. Liebermann an Kirchner, 13.8.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/006, Bl. 197 u. 202 u. SAdK, PrAdK, 2.2/270, Bl. 21; Ritter (DNVP) u. Heß (Z), 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 10 u. 24 f. 308 Vgl. Abschr. Becker an Liebermann, 9.7.1924, ms. u. Boelitz an Liebermann, 28.8.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/270, Bl. 13-14; Liebermann an Boelitz, 29.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 47-48, Bl. 48 r; vgl. auch Ak. d. Kü. an [KM], Juli 1924, ms. / hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/270, Bl. 5 - 6 ; Protokoll Ak. d. Kü., Senat, 25.11.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 5 1 55. 309 Abschr. Liebermann an Waetzoldt, 30.10.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/270, Bl. 24. 310 Abschr. Liebermann an Boelitz, 5.11.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 3 9 - 4 0 ; vgl. dazu auch Text, [Juli/Aug. 1924?], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/270, Bl. 15-16.
3. Akademiepolitik:
Akademie
der Künste
347
liehe Kenntnis der Tatsachen vermissen, sondern auch die Wahrung des im Verkehr zwischen einer nachgeordneten Behörde und dem vorgesetzten Minister üblichen Tones." 311 Das Vorgehen bei der Schulgründung sei rechtmäßig gewesen,312 zudem sei die „Einflußsphäre der Akademie [dadurch] [...] nicht verringert, sondern wesentlich erweitert worden." 313 Boelitz verwahrte sich überdies gegen den „Vorwurf des selbstherrlichen Verfahrens und persönlichen Regiments in der Kunstverwaltung". 314 Zur Bitte der Akademie, Justi aus ihrem Senat auszuschließen und die Ankaufskommission der Nationalgalerie bald neu zu berufen, um so Justis unsicheres Kunsturteil auszugleichen,315 bezog das Ministerium parallel dazu ebenfalls negativ Stellung: „Durch die einstimmige Erklärung des Senats [...], daß er mit dem Direktor der Nationalgalerie persönlich nicht weiter amtieren könne, hat es die Akademie selbst mir unmöglich gemacht, eine Kommission für die Nationalgalerie zu berufen, in der Mitglieder der Akademie sich mit dem Direktor der Nationalgalerie zu gemeinsamer dienstlicher Tätigkeit zusammenfinden sollen." 316 Boelitz hatte die Akademie damit in ihre Schranken gewiesen und auf die kunstpolitische Autorität seines Ressorts gepocht. Zumal vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Liebermann und Justi, der die Fachöffentlichkeit in zwei Lager spaltete, mußte dies als Entscheidung des Ministeriums gegen den Akademiepräsidenten wahrgenommen werden.317 Für die vom Ressort angestrebte Modernisierung der Akademie der Künste bedeutete das einen Tiefpunkt: Zum Ende der Amtszeit Boelitz' sah sich das Ministerium nicht mehr nur der konservativen Akademiemehrheit gegenüber,318 sondern auch die Gruppe um Liebermann stand nicht mehr als Kooperationspartner zu Verfügung.319 Vielmehr suchte Liebermann verstärkt den Schulterschluß mit einem der Hauptkritiker der Kunstverwaltung in dieser Zeit: mit dem Reichswirtschaftsverband bildender Künstler (siehe Kap. III. 3.1. und III. 6.1.). Darüber hinaus trieb der Akademiepräsident die Frage des Verhältnisses von freier Kunst und stringenter Politik, um die es im Konflikt zwischen Liebermann und dem Ministerium letztlich ging, auf die Spitze, indem er ein Disziplinarverfahren gegen sich beantragte.320 Die Reformkräfte blockierten sich damit Ende 1924 selbst. 311 Abschr. Boelitz an Liebermann, 13.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 34-37, Bl. 34 u. SAdK, PrAdK, 2.2/153, Bl. 22-23, Bl. 22 (Original in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 43-45). 312 Abschr. Boelitz an Liebermann, 13.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 34-37, Bl. 34-36. 313 Ebd., Bl. 36. 314 Ebd. 315 Vgl. Ak. d. Kü. an [KM?], 2.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 37-38. 316 Abschr. Boelitz an Liebermann, 13.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 30. 317 Vgl. dazu auch Paret 1997, S. 70; Liebermann an Boelitz, 29.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 47-48, Bl. 47 v. 318 Vgl. auch Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 18.1.1923, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/075, Bl. 9 - 1 0 ; Ak. d. Kü.: Die Hauptergebnisse
der Beratungen
der Kommission für
Reform-
vorschläge, [1924?], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/134, Bl. 15. 319 Vgl. auch Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft Kunstsektion, 19.12.1924, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 4 8 - 4 9 . 320 Liebermann an Boelitz, 29.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 4 7 - 4 8 ; vgl. auch Liebermann an Braun, 29.12.1924, ms. u. Liebermann an [Amersdorffer], 29.12.1924, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 49 u. 62.
348
III.
Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Als Becker Anfang 1925 das Ministerium übernahm, mußte es so erst einmal um eine Klärung der verfahrenen Situation gehen. Nachdem Becker bereits zuvor in Akademiebelangen immer wieder als Mittler aufgetreten war, bemühte er sich zunächst um eine Wiederannäherung an Liebermann, ohne die Ressortposition von Ende 1924 aufzugeben. 321 Die Ablehnung des Disziplinarverfahrens gegen Liebermann im Januar 1925 3 2 2 und die Bestätigung der Wiederwahl des Akademiepräsidenten im Juni 1925 3 2 3 markierten erste äußere Etappen auf diesem Weg. Auf inhaltlicher Ebene zeigte sich das Ministerium zudem an der Anbahnung einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Akademie und Nationalgalerie interessiert. 324 Während Liebermann sich nur zögernd auf die Deeskalationsversuche einließ 3 2 5 und nachdem die Differenzen zwischen Akademie und Ministerium bei der Eröffnung der Frühjahrsausstellung 1925 nochmals zu Tage getreten waren, 326 stellte schließlich Beckers Rede zur Schillingskrise vom Dezember 1925 (siehe Kap. III. 1.) einen weiteren Schritt in Richtung Entwirrung des Konflikts mit Liebermann dar. Indem der Minister die Schwierigkeiten, die das Ressort mit dem Akademiepräsidenten hatte, als Ausdruck eines generellen kunstpolitischen Autoritätsproblems nach dem Ende der Monarchie interpretierte 3 2 7 und die aktive Kunstpolitik seines Ministeriums zugleich von einer Bevormundung der Kunst abgrenzte, legte er die Basis für eine selbstbewußte Annäherung beider Seiten. Praktisch suchte Becker eine solche Annäherung gleichzeitig dadurch zu fördern, daß er sich um eine Entscheidung in der zentralen Konfliktfrage der Besetzung der Nationalgaleriekommission bemühte. U m die Diskussion zu versachlichen, forderte das Ministerium Fachgutachten ein, die klären sollten, ob und wie die Ankaufskommission, die seit Beginn der 20er Jahre nicht mehr zusammengetreten war, neubegründet und besetzt werden sollte. 328
321 Vgl. Liebermann an Braun, 22.6.1925, ms., Abschr. Liebermann an KM, 22.6.1925, ms., Abschr. Liebermann an KM, 23.5.1925, ms., Abschr. Liebermann an Becker, 6.4.1925, ms., Abschr. Becker an Liebermann, 15.6.1925, ms. u. Abschr. Becker an Liebermann, 4.5.1925, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 2, 5, 7-8, 10, 17-18 u. 22. 322 Vgl. Becker an Liebermann, 30.1.1925, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 28 (Original in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 50); siehe dazu auch Braun an Liebermann, 17.2.1925, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 25. 323 Abschr. Becker an Liebermann, 15.6.1925, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 7. 324 Vgl. Liebermann an Braun, 22.6.1925, ms., Abschr. Liebermann an KM, 22.6.1925, ms., Abschr. Liebermann an KM, 23.5.1925, ms., Abschr. Liebermann an Becker, 6.4.1925, ms., Abschr. Becker an Liebermann, 4.5.1925, ms. u. Abschr. Becker an Liebermann, 30.1.1925, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/149, Bl. 2, 5, 8, 10, 17-18, 22 u. 28. 325 Vgl. Liebermann an Amersdorffer, 15.6.1925, hs. u. Liebermann an [Amersdorffer?], 24.5.1925, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 56-57. 326 Vgl. Karl Scheffler: Die Frühjahrsausstellung der Akademie, in: Ku. u. KU., Jg. 23, Nr. 10, Juli 1925, S. 373-384, S. 376. 327 Becker 1925 a, S. 27. 328 Vgl. Becker an Justi, 30.12.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; zur Ankaufskommission in dieser Zeit vgl. Hentzen 1972, S. 32 f; KM an Justi, 10.11.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 220, Bl. 220 r; Justi an KM, 23.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1.
3. Akademiepolitik:
Akademie der Künste
349
Während Justi eine Erwerbungskommission weiter ablehnte,329 forderte das Ressort auf ein positives Sachverständigenvotum hin Anfang 1927 die Galerie wie die Akademie zu Vorschlägen für die Kommissionsbesetzung auf.330 Die Kommissionsbildung im Juni 1927 spiegelte dann idealtypisch wider, wie sich das Ministerium die Kooperation mit den beiden zentralen staatlichen Kunstinstitutionen dachte: Das Ministerium traf letztlich die Entscheidung für eine paritätische Zusammensetzung und berief vier Akademie- und vier Galeriekandidaten. 331 Es demonstrierte damit seine kunstpolitische Autorität wie sein Interesse an einer Einbindung sowohl des Justischen als auch des Liebermannschen Kunstverständnisses in seine Politik. 332 Durch die Kommissionsbildung unter Beteiligung der Akademie war, ohne daß die Position des Ministeriums oder Justis geschmälert worden wäre, eine der zentralen Forderungen der Akademie entsprechend dem Kompromißvorschlag von 1923 erfüllt worden. 333 Parallel dazu trug entscheidend zu einer Entschärfung des Verhältnisses zwischen Akademie und Ministerium bei, daß sich die Beziehung zwischen Becker und Liebermann seit 1926 auch auf persönlicher Ebene intensivierte.334 Fundament dafür waren Affinitäten in
329 Vgl. Justi an KM, 23.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; FünfJahre „Kronprinzen-Palais". Eine Rundfrage, in: Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 239-244; siehe dazu auch Ritter (DNVP), 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 10. 330 Vgl. Becker an Justi, 12.1.1927, ms. u. KM an Justi, 18.2.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; zum Sachverständigenurteil vgl. Becker an Justi, 12.1.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Die Ankaufskommission, in: Ku. u. KU., Jg. 25, Nr. 6, März 1927, S. 228 f; Ku.bl., Jg. 11, 1927, S. 123 f. 331 Vgl. Becker an Justi, 24.6.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 411 u. Bd. 2, S. 245. Die Akademie hatte Ulrich Hübner, Kolbe, Gerstel, Pechstein, Jaeckel, Franck, Goldschmidt, Friedländer, Klempner und Rantzau als Mitglieder vorgeschlagen, vgl. KM an Justi, 18.2.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1. Justi hatte hingegen Slevogt, Ury, Spiro, Hofer, Kolbe, Schmidt-Rottluff, Scharff, Hugo Simon, Fechter, Osborn und Bode genannt, vgl. Justi an Becker, 8.3.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1. Das Ministerium berief schließlich Ulrich Hübner, Gerstel, Goldschmidt und Rantzau sowie Hofer, Fechter, Osborn und Simon; zur Kompromißlösung vgl. auch Hentzen 1972, S. 36 f; Rave 1968, S. 37. 332 Zu den konträren Positionen Justis und Liebermanns vgl. Bärnreuther 1997, bes. S. 264-266; Gaehtgens 1999, S. X-XIII; K. Winkler 1999, S. 1 f, 4 f u. 10. 333 Zur Arbeit der Ankaufskommission bis 1931 vgl. Bericht Ankaufskommission NG, [19.12.1927], ms., Bericht Ankaufskommission NG, Dez. 1927-Jan. 1928, ms., Justi an KM, 25.3.1929, ms., KM (Hübner) an Justi, 10.4.1930, ms., Justi an KM, 29.4.1930, Ds„ ms., KM an Justi, 16.7.1930, ms. u. Protokoll Ankaufskommission NG, 28.11.1931, ms. in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Die Sachverständigen-Kommission für die Nationalgalerie, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 5, 16.6.1931, S. 39. Das Ministerium blieb offensichtlich auch in der folgenden Zeit darauf bedacht, die Arbeit der Kommission nicht durch weitere Ansprüche der Akademie zu gefährden, vgl. Abschr. Liebermann an Becker, 21.6.1928, ms. u. Anlagen, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 319-321; KM an Justi, 28.9.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1. 334 Vgl. dazu Ak. d. Kü. an KM, 23.4.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/006, Bl. 181-182; Becker an Liebermann, 10.5.1926, hs. u. Liebermann an Becker, 11.5.1926, hs., in: GStAPK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4546.
350
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Weltanschauung und Habitus. Die Grundhaltung des weltoffenen, von Goethe und Kant geprägten preußisch-deutschen Kulturmenschen und Bildungsbürgers verband ebenso wie die gemeinsame Nähe zum Liberalismus und zur DDP. Hinzu kam, daß Becker Liebermann als Impressionisten bewunderte. 335 Im weiter öffentlich ausgetragenen Konflikt zwischen Liebermann und Justi, in dem beide abwechselnd um die Gunst des Ministeriums warben 3 3 6 und in dessen Verlauf der Akademiepräsident im Juni 1926 gar mit Rücktritt drohte, 337 zeigte das Ressort entsprechend nun auch dem Galeriedirektor seine Grenzen auf. 338 So wies Becker Justis Vorwurf, Liebermann habe in seiner Rede zur Akademieausstellung die Förderer des Expressionismus und damit die Kunstpolitik, die sich über die öffentlichen Sammlungen in diese Richtung engagiere, verhöhnt, 3 3 9 im Juli 1926 zurück: „In der ganz allgemein gehaltenen Behauptung [Liebermanns]: Mancher
,Galeriedirektor
würde gern die Geister, die er rief, wieder los sein' kann ich nur die Bekundung einer subjektiven Meinung über bestimmte Erscheinungen der modernen Kunst erkennen, keineswegs aber eine Kritik der Nationalgalerie, die abzuwähren [sie] ich hätte Anlaß nehmen müssen. Dem gegenüber haben Sie es leider für nötig gehalten, in Ihrem Presseartikel 340 die Rede des Präsidenten zu charakterisieren als ein ,Glied in der Kette der Bestrebungen, sachliche Arbeit für gute lebendige Kunst entscheidend zu gefährden'. Zu einem derartig scharfen persönlichen Angriff war kein Grund gegeben. Ueberdies muß ich lebhaft bedauern, daß Sie es für richtig gehalten haben, Ihre Beschwerden nicht mir als dem Chef der Kunstverwaltung vorzutragen, sondern den Streit der Meinungen in die Oeffentlichkeit zu tragen." 3 4 1 Eindringlich auf die eigene kunstpolitische Autorität pochend, stellte sich Becker so im Sommer 1926 erstmals wieder auf die Seite der Akademie. 3 4 2 Im Herbst 1926 bekräftigte er diese Haltung, als er bei der Eröffnung der Dichtsektion betonte: „In Deutschland gehört es zum guten Ton des geistigen Menschen, sich von dem Begriff .Akademie' schrecken zu lassen und das Akademische als das Verzopfte, Erstarrte,
335 Zur Affinität Beckers und Liebermanns vgl. W. Jens 1997, S. 201-204; Paret 1997, S. 74. 336 Vgl. KM an Justi, 25.5.1926, ms. u. Justi an Kultusdirektor, 29.5.1926, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 455 u. 458; Ludwig Justi: Liebermann und die deutschen Museen, in: DAZ, Nr. 250 [?], 2.6.1926, in: BArchB, R 1501, Nr. 8699, Bl. 199; Entwurf Liebermann an Becker, 5.6.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 92-93; Justi an KM, 24.6.1926, ms. u. Becker an Justi, 8.7.1926, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 7. 337 Vgl. Entwurf Liebermann an Becker, 5.6.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/150, Bl. 92-93. 338 Vgl. Justi an KM, 24.6.1926, ms. u. Becker an Justi, 8.7.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 7; Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 23.7.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 10-11; KM an Justi, 25.5.1926, ms. u. Justi an Kultusdirektor, 29.5.1926, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 455 u. 458. 339 Justi an Becker, 24.6.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 7; vgl. dazu auch Ludwig Justi: Liebermann und die deutseben Museen, in: DAZ, Nr. 250 [?], 2.6.1926, in: BArchB, R 1501, Nr. 8699, Bl. 199. 340 Gemeint war Ludwig Justi: Liebermann und die deutschen Museen, in: DAZ, Nr. 250 [?], 2.6.1926, in: BArchB, R 1501, Nr. 8699, Bl. 199. 341 Becker an Justi, 8.7.1926, ms., S. 1, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 7. 342 Vgl. dazu auch Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 23.7.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 10-11; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 407-409.
J. Akademiepolitik:
Akademie
der Künste
351
Rückwärtsgewandte schlechthin abzutun. Um so höher werden wir alle die Zivilcourage und den geistigen Freiheitssinn Max Liebermanns achten, der willig die dornenvolle Aufgabe auf sich genommen hat, in bald siebenjähriger Präsidentschaft die Akademie der Künste aus unfruchtbarer Isoliertheit zur Mitwirkung im Kunstleben unserer Zeit zu führen. Dies auch von dieser Stelle auszusprechen, Ihnen, hochverehrter Herr Präsident, hierfür namens der Staatsregierung zu danken und Ihnen die Unterstützung der Staatlichen Kunstverwaltung zuzusichern, ist mir ein Bedürfnis. Zugleich verbinde ich damit die Hoffnung, dass es Ihnen vergönnt sein möge, die Geschicke der Akademie noch lange zu leiten." 3 4 3 Deutlich unterstrich Becker so, welch dezidierte Reformhoffnungen man weiterhin in den Präsidenten setzte. Der Hinweis am Schluß der Rede, Kunst und Staat „sollten sich nicht als Fremde gegenüberstehen oder gar als Gegensätze fühlen, vielmehr Diener sein am gemeinsamen Werk: der Erhaltung der Kultur unseres Vaterlandes",344 war sicher auch als Signal an Liebermann zu verstehen, auf welcher Basis die Kooperation von Akademie und Ministerium künftig funktionieren sollte. In der Folgezeit präzisierte Becker die Bedeutung, die der Akademiepräsident für das Ministerium hatte, indem er nun nicht mehr nur den Funktionsträger, sondern, besonders im Umfeld von dessen achtzigstem Geburtstag im Juli 1927, verstärkt auch den Künstler Liebermann in die Kunstpolitik seines Ressorts integrierte (siehe Kap. III. 7.). Liebermann avancierte so für das Ministerium Becker in doppelter Hinsicht zum Protagonisten einer zeitgemäßen Akademiegestaltung: als Wortführer der internen Reformgruppe, mit der man nach den Differenzen von 1924/25 erneut zu kooperieren hoffte, und als Künstlerpersönlichkeit, der im Rahmen der nationalintegrativen Vorstellungen des Ressorts ein zentraler Stellenwert zugeschrieben wurde. Hier bestätigte sich, was sich bei der Gründung der Galeriekommission angedeutet hatte: Neben Justis Kronprinzenpalais stellte unter Becker vor allem die von Liebermann geprägte Akademie einen integralen Bestandteil der staatlichen Kunstpolitik dar.345 Praktisch fand die Wertschätzung zur gleichen Zeit etwa darin Ausdruck, daß das Ministerium die Akademie als Gutachterin in seine Künstlerunterstützungspolitik einbezog (siehe Kap. III. 6.1.). Angesichts der demonstrativen Identifizierung des Ministeriums mit Liebermann rückte in der zweiten Hälfte der 20er Jahre die institutionelle Modernisierung der Akademie wieder auf die Agenda. Nachdem das Ressort, wohl auch um die Koalition von Reichswirtschaftsverband und Akademie zu entschärfen, 1925 zunächst noch einmal das Künstlerkammerkonzept (siehe Kap. II. 3.2.) zur Diskussion gestellt hatte, damit aber gescheitert war,346
343 Rede Becker, 26.10.1926, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1482. 344 Ebd., S. 6. 345 Vgl. dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 408 f. 346 Vgl. Abschr. Becker an Liebermann, 11.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/134, Bl. 18; Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft Kunstsektion, 19.12.1924, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 48 f; Redaktion Kunstchronik an Redslob, 10.5.1925, ms., Redslob an Waetzoldt, 14.5.1925, ms., Waezoldt an Redslob, 18.5.1925, ms. u. Redslob an RMdl, 17.9.1925, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 36-39; Alfred Kuhn: Zur Frage der Künstlerkammern,
in: Ku.cbr., Jg. 59/1, Nr. 16, 18.7.1925,
S. 277-279 u. Nr. 24, 12.9.1925, S. 400 f; Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi, Jg. 6, Nr. 8, Aug.
III.
352
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
markierte die Einrichtung der Dichtsektion an der Akademie im Herbst 1926 einen ersten Reformschritt.347 Becker selbst wertete diese Neuerung in Anlehnung an Haenisch (siehe Kap. II. 3.2.) als Etappe auf dem Weg zu einer einheitlicheren Handhabung künstlerischer Belange und ordnete sie in die Tradition der Reformbestrebungen seit dem 19. Jahrhundert ein.348 Zumal angesichts der Debatte um die überholten Berliner Akademiestrukturen, die anläßlich der Gründung der Dichtsektion aufbrach,349 begriff Becker diese Entwicklung jedoch keineswegs als Endpunkt, sondern als Aufforderung für eine fortgesetzte Akademiereform. In seiner Rede zur Eröffnung der Sektion betonte er: „Wir wissen sehr wohl [...], was gegen die historischen akademischen Institutionen spricht. Uns ist, ebensowenig wie Ihnen, die Antiquiertheit - nicht nur einiger Paragraphen der Akademiestatuten verborgen [geblieben]. Aber die Kunstverwaltung weiss sich mit Ihrem Herrn Präsidenten darin einig, dass es Situationen gibt, in denen zunächst einmal gehandelt werden muss [...]. Lassen Sie uns nicht in einem unfruchtbaren Streit um die Form einer Körperschaft vergessen, dass auch hier es der Geist ist, der sich den Körper baut. Seien Sie aber versichert, dass Sie mit jedem ernsthaft durchdachten Vorschlag einer auf verfassungsmässigem Wege möglichen Anpassung der Jahrhunderte alten Formen der Akademie an die Bedürfnisse der neuen Zeit, in der wir leben, bei der Staatlichen Kunstverwaltung vollstes Verständnis finden werden." 350 Becker verschloß sich dem Problem der unrealisierten Strukturreform also keineswegs. Gleichzeitig unterstrich er jedoch, daß er nicht nur die Statutenreform als Gradmesser einer zeitgemäßen Form der Akademie begriff, sondern ebenso die Aktivitäten und
1925, S. 117-119, S. 118; Öffentliche Kundgebung
aller Berliner Künstlerverbände,
in: Ku. u. Wi.,
Jg. 1, Nr. 4, Jan. 1921, S. 4; Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 9, Sept. 1925, S. 134-136; Kunstschriftsteller und Künstlerkammer, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 10, Okt. 1925, S. 154 f; Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 10, Okt. 1925, S. 162; Zur Frage der Künstlerkammern,
in: Ku. u. Wz'., Jg. 7,
Nr. 1, 1.1.1926, S. 2 - 4 ; Amersdorffer an Liebermann, 3.1.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/258, Bl. 11. 347 Vgl. dazu Schunk 1993, S. 438 f; I. Jens 1989; Kiwus 1996; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 4 1 4 - 4 2 1 ; Buchhorn (DVP), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 41; Ignaz Wrobel: Eine Akademie, in: Weltb., Jg. 22, 1, Nr. 19, 11.5.1926, S. 734 f; Weltb. J g . 22, 1, Nr. 19, 11.5.1926, S. 753; ZAs Mai-Okt. 1926 in: BArchB, R 1501, Nr. 8699, Bl. 1 9 5 , 1 9 8 , 2 0 0 , 2 4 6 - 2 4 7 u. 252; Heinrich Spiero: Der Fall Hauptmann,
in: Deutsches Volkstum, H. 7, Juli 1926, S. 552-554,
in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1674; Rede Becker, 26.10.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1482; Rede Liebermann, 26.10.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1483; Pressetext 26.10.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 98-103; Ewald Blum: Dichterfeier,
in: Weltb., Jg. 22, 2, Nr. 44, 2.11.1926,
S. 706-708; Boelitz (DVP), 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 27; Becker, 22.2.1928, in: LT, W P 2, HA, Szg. 277, Sp. 47 f. 348 Vgl. Rede Becker, 26.10.1926, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1482; vgl. dazu später auch Becker an Liebermann, 4.3.1930, hs. u. Liebermann an Becker, 4.3.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/005, Bl. 203-204. 349 Vgl. dazu etwa Arno Holz: Entwurf einer Deutschen Akademie deutschen Geistesarbeiter,
als Vertreterin der
geeinigten
[1926], gedr., in: SAdK, PrAdK, 2.2/131, Bl. 183; siehe auch Diek-
mann / Kampe 1997, S. 86. 350 Rede Becker, 26.10.1926, ms., S. 3, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1482.
3. Akademiepolitik:
Akademie der Künste
353
den „Geist" der zentralen Künstlervertretung. Der Minister plädierte so für eine Modernisierung der Akademie nicht nur auf dem wegen der internen Blockade diffizilen Terrain der langfristigen Strukturerneuerung, sondern auch auf der Ebene einer zeitgemäßen Ausgestaltung der vorhandenen Strukturen. Vor diesem Hintergrund bezog sich das Reformengagement des Ministeriums und Liebermanns nach Gründung der Dichtsektion zunächst darauf, der Akademie Präsenz im Kunstleben der Hauptstadt zu verschaffen und sie darüber in der Außenwahrnehmung als moderne Institution zu etablieren.351 Neben dem Bemühen, die integrative Kraft des Künstlers Liebermann für eine Akademieprofilierung zu nutzten, stand hier das gemeinsame Interesse von Ressort und Akademiepräsident an einer aktiveren Ausstellungspraxis im Vordergrund. Seit 1 9 2 7 / 2 8 wurden dementsprechend neben den turnusmäßigen Ausstellungen aktueller Akademikerwerke, die nun zusätzliche Attraktivität durch Preisverleihungen bekamen, 352 immer wieder Schauen älterer oder ausländischer Kunst in der Akademie gezeigt, die teilweise zusammen mit den Staatlichen Museen veranstaltet wurden. 353 Wie 351 Siehe dazu auch die Umbenennung der Akademie, vgl. Amersdorffer: Zur Notiz, 3.3.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/131, Bl. 185 r. 352 Vgl. Protokolle Ak. d. Kü., Ausstellungskommission, 11.1.1928 u. 23.5.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/053, Bl. 179-181 u. 188-189; Preisverteilung in der Akademie der Künste, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 12, 15.6.1928, S. 194; Die Verleihung der Staatspreise, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 12, 15.6.1928, S. 194; Ku.bl., Jg. 12,1928, S. 187. 353 Konkret wurden z.B. gezeigt: eine Ausstellung österreichischer Kunst im Januar 1928 (vgl. Rede Liebermann, 1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1532; Rede Becker, 28.1.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1531), eine Dürer-Ausstellung im März 1928 (vgl. Die Dürer-Ausstellung in der Berliner Akademie, in: Cie., Jg. 20, Nr. 5, März 1928, S. 176; Rede Becker, 10.3.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C.H.Becker, Nr. 1537), eine Slevogt-Ausstellung im Oktober 1928 (vgl. Gall an Justi, 7.9.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; Rede Liebermann, [13.] 10.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1555; Rede Becker, 13.10. [1928], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1554), eine Ausstellung chinesischer Kunst im Dezember 1928 (vgl. Gesellschaft für Ostasiatische Kunst an Becker, 28.12.1928, ms., William Cohn an Becker, 7.1.1929, ms., Cohn an Becker, 23.1.1929, ms., Becker an Cohn, 25.1.1929, ms. u. Rede Becker, [25.1.1929], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 408; Becker, 12.1.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1556), eine Rembrandt-Ausstellung Anfang 1930 (vgl. Beri. Mus., Jg. 50, Nr. 5, 1929, S. 98 f; Rede Grimme, 22.2.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 336; ZAs [22.2.1930], in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7778; ZA [22.2.1930], in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45; Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 4 u. 6), eine Ausstellung japanischer Kunst im Januar 1931 (vgl. Rede Grimme, 17.1.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 370; Japan in der Akademie, in: Kölnische Zeitung, Nr. 33, 17.1.1931, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45; Grimme eröffnet die Japan-Ausstellung, in: Berliner Börsen-Courier, Nr. 28, 17.1.1931, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 370) sowie eine Ausstellung altamerikanischer Kunst Ende 1931 (vgl. SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 147-151, 2.1/005, Bl. 86-93 u. 2.2/023, Bl. 38-40; Rede Grimme, 5.12.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 396; ZAs, 5./6.12.1931, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45; Rede Waetzoldt, 5.12.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 396); zu den Ausstellungen vgl. auch Lammert 1996, S. 501 f; JustiMemoiren 1999, Bd. 1, S. 474 f.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
354
aktiv das Ressort diese Entwicklung mittrug, offenbarte sich durch die Ministerauftritte bei den Ausstellungseröffnungen (siehe Abb. 1). 354 Modernisierend wirkten die Ausstellungen, wie Becker bei der Eröffnung der Dürer-Ausstellung im März 1928 betonte, 355 aus Sicht des Ministeriums vor allem dadurch, daß sich die Akademie durch die „Arbeitsgemeinschaft zwischen den Kunsthistorikern unserer Museen und den Künstlern der Akademie" ihrer Aufgabe öffne, eine „Synthese zwischen Tradition und Leben zu finden". Gerade die Veranstaltung von Ausstellungen älterer Kunst stand laut Becker einerseits „für den Willen, das anvertraute Kulturgut der Vergangenheit lebendig und zugänglich zu machen. Andererseits bekennt sich die Akademie der Künste durch die Huldigung vor einem großen alten Meister zu der Auffassung ihres Präsidenten, dass es für die Akademie weder tote noch lebende, sondern nur gute Kunst gibt." 3 5 6 Mit den großen Sonderausstellungen der Akademie verknüpfte Becker im Rahmen seiner national konnotierten Popularisierungsbestrebungen (siehe Kap. III. 5.) die Hoffnung, breiten Kreisen die Gelegenheit zur Schulung des Auges und zum eigenen Entdecken zu geben. 357 Deutlich an das Kunstverständnis Liebermanns angelehnt, wies Becker der Akademie auf diese Weise eine neue, eng mit der Politik des Ressorts verschränkte Vermittlungsaufgabe zu, über die die bewahrende Rolle der Akademie zugunsten einer größeren Lebensnähe überwunden werden sollte. Auch wenn die Ausstellungsaktivitäten immer wieder Kritiker auf den Plan riefen, gelang es so tatsächlich, die Akademie aktiver ins Kunstleben zu integrieren. 358 Gleichzeitig engagierten sich die fortschrittlichen Akademiemitglieder um Liebermann seit 1927/28 dafür, die Stagnation, durch die die Akademie seit 1922 geprägt war,359 durch eine grundlegende Reform aufzubrechen. 360 Nachdem Vorstöße der fortschrittlichen Akademiker, Künstler wie Grosz, Scharff, Kokoschka oder Dix in die zentrale Künstlerreprä-
354 Vgl. auch Diekmann / Kampe 1997, S. 82. 355 Zur Ausstellung vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 475 u. Bd. 2, S. 272. 356 Rede Becker, 10.3.1928, ms., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1537. 357 Vgl. Rede Becker, 10.3.1928, ms., S. 3, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1537; Rede Becker, 13.10. [1928], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1554. 358 Vgl. Abschr. Liebermann an Becker, 21.6.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 319-321; Felix Stössinger: Der Salon der Museen, in: Weltb., Jg. 26/1, Nr. 19, 6.5.1930, S. 693 f; Text [Liebermann], 17.10.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 229-231. 359 Entsprechend war die Akademie 1924 lediglich um Geßner, Zille, Rohlfs, Bieber und den Norweger Krong ergänzt worden, vgl. SAdK, PrAdK, 2.2/076, Bl. 185-186, 205 u. 211. 1926 waren Schmohl, Kreis, Cauer und Feddersen Akademiemitglieder geworden und 1927 Meid, Behrens, Schmidthenner und Pankok, vgl. Ku.bL, Jg. 10,1926, S. 169; Mitt. DWB, Jg. 1927, Febr. 1927, S. 1; SAdK, PrAdK, 2.2/078, Bl. 262; zur Konstellation innerhalb der Akademie vgl. Diekmann / Kampe 1997, S. 82-87; Lammert 1996, S. 495 f; Kampe 1996 a, S. 391-393; Kampe 1996 b, S. 3 4 8 358; Seelig 1996; Paret 1997, S. 71. 360 Vgl. Diekmann / Kampe 1997, S. 88; Text einzelne Mtgl. Kunstsektion u. Senat Ak. d.Kü., [1927/28], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 2 4 - 3 2 ; Ak. d. Kü.: Die Hauptergebnisse tungen der Kommission für Reformvorschläge,
der Bera-
[1924?], ms. u. Ak. d. Kü.: Notizen zur Reform der
Akademie, [1924?], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/134, Bl. 15-17.
3. Akademiepolitik:
Akademie der Künste
355
sentanz einzubinden, 361 am Widerstand der konservativen Mehrheit gescheitert waren, erschien der Reformgruppe in erster Linie eine personelle Neustrukturierung der Kunstsektion wichtig. 362 Im Januar 1928 wandte sich Liebermann entsprechend an Becker und erklärte, daß die Kunstsektion „in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung nicht mehr arbeitsfähig ist, daß sie vor allem die wichtigste Arbeit nicht mehr zu leisten vermag: ihre eigene Ergänzung und ihren Aufbau, der sie lebensfähig erhalten soll." Angesichts dessen bat der Präsident darum, „aus Initiative des Ministeriums eingreifen zu wollen und einen Neuaufbau der Sektion für die bildenden Künste einzuleiten." 363 Becker zeigte sich den Bestrebungen gegenüber aufgeschlossen und teilte kurz darauf im Landtag mit, das Statut der Akademie müsse einer Revision unterzogen werden. Jedoch bestehe dabei „die Schwierigkeit, daß Künstler unter sich sich schwer verständigen könnten; das Ministerium mit seinem formalen und juristischen Sachverstand werde ihnen also helfen müssen." 364 In der Folgezeit machte sich das Ressort zunächst für eine Reform des Akademiestatuts von 1882 stark, das nach 1918 nur kleine Variationen erfahren hatte.365 Nach mehrmonatigen Vorplanungen setzte es Anfang 1929 auf Bitte Liebermanns für die Beratungen über das neue Statut eine Kommission ein, der neben dem Präsidenten und dem Sekretär der Akademie die Vorsitzenden der drei Sektionen, vier von der Akademie gewählte und vier vom Ressort ernannte Mitglieder sowie vier Kommissare des Ministeriums angehörten. 366 Signalisierte die Zusammensetzung der Kommission bereits das Interesse, die Statutenreform unter dem Einfluß des Ressorts voranzutreiben, 367 waren es seit 1928 neben Liebermann und Akademiesekretär Amersdorffer vor allem die Referenten Haslinde, Gall und Waetzoldt, die an einer Statutenänderung arbeiteten. 368 Wenn die Initiative auch zunächst von
361 Vgl. Text einzelne Mtgl. Kunstsektion u. Senat Ak. d. Kü., [1927/28], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 2 4 - 3 2 , Bl. 2 7 r ; Franck an Liebermann, 3 . 1 . 1 9 2 8 , hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/078, Bl. 68. 362 Vgl. Text einzelne Mtgl. Kunstsektion u. Senat Ak. d. Kü., [1927/28], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 2 4 - 3 2 ; vgl. dazu auch Diekmann / Kampe 1997, S. 85 f. 363 Liebermann an Becker, 2 1 . 1 . 1 9 2 8 , hs., in: SAdK, P r A d K , 2.2/078, Bl. 51. 364 Becker, 22.2.1928, in: LT, W P 2, H A , Szg. 277, Sp. 47 f. 365 Zum Statut vgl. Becker namens Staatsregierung an Liebermann, 19.3.1926, ms. u. Anlage, ms., in: SAdK, P r A d K , 2.2/131, Bl. 1 7 8 - 1 7 9 u. 1 8 1 - 1 8 2 ; Grimme, 1 1 . 8 . 1 9 3 1 , ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 85; Diekmann / Kampe 1997, S. 84. 366 Vgl. Ak. d. Kü.: Kommission für die Beratung der Reform der Preußischen Akademie der Künste, [1929?], ms., Becker an Liebermann, 7.1.1929, ms., Liebermann an KM, 2 . 4 . 1 9 2 8 , ms., Becker an Liebermann, 6.3.1928, ms. u. Ak. d. Kü. an KM, 2 6 . 1 . 1 9 2 8 , ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/131, Bl. 11, 1 3 7 , 1 6 5 - 1 6 6 u. 1 7 4 - 1 7 6 . Der Kommission gehörten für die Kunstsektion als von der Akademie gewählte Mitglieder Ulrich Hübner und Max Pechstein und als vom Ministerium ernannte Mitglieder Hans Poelzig und Fritz Klinisch an. Kommissare des Ministeriums waren Nentwig, Gall, Haslinde und Kestenberg. 367 Vgl. auch Ak. d. Kü. an KM, 2 6 . 1 . 1 9 2 8 , ms., in: SAdK, P r A d K , 2.2/131, Bl. 1 7 4 - 1 7 6 . 368 Vgl. Amersdorffer an Liebermann, 3 . 1 . 1 9 2 8 , ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/258, Bl. 11; Ak. d. Kü. [Amersdorffer] an Liebermann, 9 . 1 1 . 1 9 2 8 , ms., in: SAdK, P r A d K , 2.2/028, Bl. 6 6 - 6 7 ; Entwürfe Ak. d. Kü., [1928?], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/129, Bl. 2 9 - 7 3 ; Ak. d. Kü.: Bemerkungen zu dem Entwurf einer neuen Satzung der Akademie der Künste, [1929?], ms. u. Liebermann an KM,
356
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
der akademieinternen Reformgruppe ausgegangen war, entwickelte das Ministerium später also durchaus eigene Aktivitäten. Bis 1930 konnten sich Akademie und Ministerium jedoch auf keinen der Statutenentwürfe einigen. Strittiger Punkt war nach wie vor der Einfluß der Akademie auf die Kunstverwaltung insgesamt: Während die Akademie weitreichende Kompetenzen bis hin zur Besetzung der Referentenstellen im Ministerium für sich beanspruchte, gingen die Ressortvorstellungen weniger weit. 369 Trotz des gemeinsamen Engagements blieb die Austarierung des Kräfteverhältnisses mithin schwierig. Entsprechend hatte Amersdorffer schon Ende 1928 an Liebermann geschrieben, der aktuelle Ministerialentwurf enthalte „nichts von alledem, was uns für eine Stellung und Geltung der Akademie als unerlässlich erscheint [...] Was übrig geblieben ist, ist der Schatten einer Akademie, ein dürftiges Gerippe, eine Akademie, die nur mit sich selbst beschäftigt ist und daneben ein paar Gutachten erstatten darf." Gall, so hoffe er, möge zu einer Preisgabe des noch von Waetzoldt stammenden Entwurfs bereit sein.370 In den folgenden Monaten bewegten sich dann tatsächlich beide Seiten aufeinander zu. Anfang 1930 lag schließlich eine den Wünschen des Ministeriums angepaßte „provisorische Satzung" vor, die sich darauf beschränkte, die Stellung der Akademie im Kunstleben nur in sehr allgemeinen Andeutungen zu umschreiben. 371 Damit war die Reform unter Umgehung des bei ihren Trägern vorhandenen Konfliktpotentials vorangetrieben worden. Beim Ausscheiden Beckers aus dem Ministeramt schien auf dieser Basis eine baldige Statutenreform möglich. 372 Der neue Minister Grimme signalisierte bereits kurz nach seiner Amtsübernahme in einer Rede zur Eröffnung der Rembrandt-Ausstellung in der Akademie Ende Februar 1930, daß er an die Akademiepolitik Beckers anknüpfen werde. 373 Zum einen betonte er hier seine Bewunderung für Liebermann, dessen Werk ihm „schon in früher Schulzeit das Auge dafür geöffnet hat, was in der Kunst Verzicht auf Konvention bedeutet." 374 Damit war klar, daß das Fundament der Zusammenarbeit mit der Akademie auch unter Grimme gewahrt
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370 371
372
373
374
15.12.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/131, Bl. 1 - 8 u. 138; Liebermann an KM, 17.1.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 196-197. Vgl. Entwurf [Ak. d. Kü.?], [1928?], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/129, Bl. 69-73 u. SAdK, PrAdK, 2.2/267, Bl. 18-22; Abschr. Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft Musiksektion, 26.4. 1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/131, Bl. 161-164; Ak. d. Kü. [Amersdorffer] an Liebermann, 9.11.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/028, Bl. 66-67. Ak. d. Kü. [Amersdorffer] an Liebermann, 9.11.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/028, Bl. 66-67. Vgl. Liebermann an KM, 17.1.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 196-197; vgl. dazu auch Liebermann an Reformkommission Ak. d. Kü., 10.3.1930, ms. u. Liebermann an KM Grimme, 8.3.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 190-191. Vgl. dazu auch Liebermann an Becker, 3.2.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H . Becker, Nr. 4546; Becker an Liebermann, 4.3.1930, hs. u. Liebermann an Becker, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/005, Bl. 203-204; Liebermann an KM, 17.1.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 196-197. Zur Rembrandt-Ausstellung vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 475 u. Bd. 2, S. 271; Beri. Mus., Jg. 50, Nr. 5, 1929, S. 98 f; Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, WP 3, H A , Szg. 192, Sp. 4 u. 6; Felix Stössinger: Der Salon der Museen, in: Weltb., Jg. 26/1, Nr. 19, 6.5.1930, S. 693 f. Grimme 1932 a, S. 86; Text der Rede auch in GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 336.
3. Akademiepolitik:
Akademie
der Künste
357
blieb. 375 Zum anderen schrieb der Minister einem der wichtigsten Modernisierungsschritte an der Akademie, nämlich der intensivierten Ausstellungspraxis und speziell der Kooperation von Akademie und Museen, eine ähnlich große Bedeutung zu wie sein Vorgänger. Zur Wechselwirkung der beiden Institutionen erklärte er dabei: „die Museen [sind] gleichsam die stummen Akademien der Künstler, in denen die großen Meister der Kunst Unterricht erteilen, und niemals auszumessen ist der stille Einfluß, den die Museen aller Länder seit Jahrhunderten auf das Schaffen immer wieder frischer Geschlechter junger Künstler ausgeübt haben." 376 Wie Becker strebte Grimme also für die Akademie eine neue Verbindung von Tradition und Leben an. Die Ausstellungen verstand er wie sein Vorgänger als wichtigen Beitrag zur Umsetzung dieses Ziels. Hatten Becker Dürer oder Slevogt als Mittler seines irrationalen Bildungsanspruchs gegolten, betonte Grimme nun ähnliches für Rembrandt (siehe Kap. III. 5.). 377 Er plädierte auf diese Weise in Orientierung an Becker und seinem eigenen freiheitlich-individuellen Bildungskonzept (siehe Kap. III. 1.) letztlich für eine Akademie, für die der immer wieder neue Bruch mit der Konvention Motor sein sollte. 378 Liebermann griff dieses Signal sofort auf und appellierte noch im Umfeld der Ausstellungseröffnung an den Minister, die Reform der Akademie fortzusetzen. 379 In den folgenden Monaten wurde das Ressort allerdings, wohl auch wegen personeller Veränderungen in der Kunstabteilung 380 und weil die Hundertjahrfeier der Museen im Vordergrund stand (siehe Kap. III. 1. und III. 4.1.), zunächst nicht aktiv. Nachdem sich die interne Akademiesituation noch einmal zugespitzt hatte, 381 forderten die fortschrittlichen Akademiker im Oktober 1930 jedoch erneut eine tiefgreifende Veränderung in der Akademie. Entsprechend erklärte Liebermann in der Antrittssitzung des neuen Kunstabteilungsleiters Hübner in der Akademie: „Leider muss die Akademie die erwünschte Unterstützung gerade von der Stelle, von der sie als Staatsinstitut eine solche am meisten erwarten müsste, noch immer vermissen: Es ist etwa zwei Jahre her, dass die Akademie mit dem Ministerium in Verhandlungen über die uns allen als dringend erscheinende Reform und Neufassung des Statuts
375 Zum Kontakt Grimmes und Liebermanns vgl. auch Briefwechsel Grimme - Liebermann in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Autogr. Liebermann; Braun an Liebermann, 5.11.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Otto Braun, A, Nr. 6; Grimme an Frau Liebermann, 10.2.1935, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 79, Mappe 96. 376 Grimme 1932 a, S. 86. 377 Ebd. 378 Zur Rede vgl. auch ZAs [22.2.1930], in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 7778; ZA [22.2.1930], in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45; Der sich berichtigende in: Rhein-
und Ruhrzeitung,
Grimme,
24.2.1930, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 6768;
Schunk 1993, S. 459. 379 Vgl. Liebermann an Grimme, 8.3.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 191. 380 Vgl. dazu auch Protokoll Ak.d. Kü., Senat u. Gesamtakademie, 17.10.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 225-228 u. SAdK, PrAdK, 2.2/040, Bl. 10-14. 381 Ausdruck dessen war etwa, daß im Frühjahr 1930 Paul Schultze-Naumburg in die Akademie gewählt worden war, vgl. Kampe 1996 a, S. 391 f; Diekmann / Kampe 1997, S. 86 f u. 89; Ku. u. Wi„ Jg. 11, Nr. 7 , 1 . 4 . 1 9 3 0 , S. 94.
358
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
eingetreten ist, ohne dass bisher diese wichtige Angelegenheit in entscheidender Weise gefördert worden ist. Ich möchte deshalb an die anwesenden Herren Mitglieder des Senats, die dem Ministerium angehören, den dringenden Wunsch richten, dass die Reformverhandlungen, die für die Akademie von lebenswichtiger Bedeutung sind, endlich weitergeführt werden." 3 8 2 Tatsächlich traten Ministerium und Akademie daraufhin Ende 1930 in neue Reformgespräche ein. Das Ressort suchte die Erneuerung erst einmal eher zaghaft durch die Einführung einer Altersbegrenzung für Akademiker in Gang zu bringen. 383 Liebermann befürwortete statt dessen einen extremeren Schritt: „Der Minister ernenne aus eigener Machtvollkommenheit die zu Mitgliedern, auf die in den letzten 5 Jahren mehr als 20 Stimmen sich vereinigt hatten. (Es würde sich um Scharff, Frau Sintenis, Gross 3 8 4 handeln). Damit würden wir die augenblickliche Kalamität überbrücken, ohne gezwungen zu sein, eine ad-hoc-Bestimmung in die Statuten aufzunehmen". 385 Das Ministerium berief daraufhin im Januar 1931 erstmals die unter Becker gebildete Reformkommission ein. 386 Als im Umfeld der Beratungen schnell wieder die alten Autoritätsdifferenzen zwischen Akademie und Ministerium aufbrachen, 387 herrschte bei den Akademikern in der Kommission bald Einigkeit darüber: Es sollte zunächst nur eine provisorische Satzung erlassen werden. 388 Zudem war man keinesfalls bereit, dem Vorschlag des Ministeriums folgend künftig ein 382 383 384 385
Text [Liebermann], 17.10.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 229-231, Bl. 230 r. Vgl. Liebermann an Hübner (KM), 22.10.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 187-189. Gemeint war George Grosz. Liebermann an Hübner (KM), 22.10.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 187-189, Bl. 189 r; ähnlich auch schon Vorschlag Poelzig in Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Gesamtakademie, 17.10. 1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 225-228; zu den Hintergründen vgl. auch Diekmann / Kampe 1997, S. 85 f. 386 Vgl. Amersdorffer an Liebermann, 3.12.1930, ms., Rundbrief Liebermann an Reformkommission, 30.12.1930, ms. u. Notiz Amersdorffer, 7.1.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 170 u. 180-181. Gleichzeitig willigte Grimme ein, die Mitgliederwahlen wegen der Reformverhandlungen zu verschieben, vgl. Grimme an Liebermann, 13.1.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/082, Bl. 228. 387 Vgl. Amersdorffer an Moser, 6.2.1931, ms. u. Liebermann an Reformkommission, 30.12.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 147-149 u. 180; Text Ak. d. Kü., [1931 ?], ms., Ak. d. Kü.: Zur Reform, [1931?], ms. u. Ak. d. Kü.: Gesichtspunkte für die Reformberatung, [1931?], ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/267, Bl. 91-94; Protokoll Akademievertreter Reformkommission, 5.1.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 198-200 u. SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 175-178; Liebermann an Amersdorffer, 19.5.1931, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/028, Bl. 91; vgl. dazu auch schon Protokoll Ak. d. Kü., Akademievertreter Reformkommission, 5.1.1931, ms., Protokoll Ak. d. Kü., Senat u. Genossenschaft Kunstsektion, 19.12.1930, ms. u. Text [Liebermann], 17.10.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 198-200, 219, 221-223 u. 229-231, Bl. 230 r; Text Liebermann, 20.11. 1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 183-184; Ak. d. Kü. [Amersdorffer] an Liebermann, 9.11.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/028, Bl. 66-67. Diese Differenzen werden vermutlich auch den Hintergrund für die zunächst zögerliche Haltung Grimmes im Reformkontext gebildet haben, die Diekmann / Kampe 1997, S. 89 konstatieren. 388 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission, 5.1.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 198200, Bl. 198 v.
J. Akademiepolitik:
Akademie
der Künste
359
Drittel der Akademiemitglieder vom Ressort ernennen zu lassen.389 Statt dessen votierte man an Liebermann anknüpfend dafür, für die Erneuerung der Akademie ein „radikales Mittel" anzuwenden: „Vorübergehende Suspendierung der Mitgliedschaft und Neuaufbau durch die Reformkommission in Gemeinschaft mit dem Ministerium." 390 Damit war die Tendenz der weiteren Entwicklung bereits Anfang 1931 vorgegeben. Im Sommer 1931 ließ sich das Ministerium schließlich, als klar wurde, daß die unterschiedlichen Auffassungen über die Rolle der Akademie einer anderen Lösung entgegenstanden, endgültig auf die Vorstellungen der Akademiker ein. Waren bisher die Reformkräfte innerhalb der Akademie diejenigen gewesen, die den Erneuerungsprozeß vorangebracht hatten, übernahm nun das Ministerium die Initiative. Gleichzeitig erfuhr die Reform unter der Ägide des Ressorts eine enorme Beschleunigung: Bei einer vom Ministerium anberaumten Besprechung mit den Kunstsektionsmitgliedern der Reformkommission am 4. August 1931 391 teilte Hübner offenbar zur Überraschung der Anwesenden mit, „dass das neue Statut der Akademie am 11. August, dem Verfassungstag, bestätigt und bekanntgegeben werden soll. Am gleichen Tag soll auch die Liste der von dem Minister auf Vorschlag der ReformKommission zu berufenden neuen Mitglieder der Sektion für die bildenden] Künste veröffentlicht werden." 392 Nachdem es zuvor „in kleinerem Kreise", unter anderem vom Ressort aus mit Justi, 393 Vorgespräche über geeignete Künstler gegeben hatte, „durch die eine Verjüngung und Auffrischung der Akademie erreicht werden soll", 394 machten Liebermann und Amersdorffer daraufhin zunächst einen Rückzieher, was die personelle Erneuerung anging, und plädierten nur noch für die Bestätigung des neuen Statuts. Die übrigen Akademiker Franck (siehe Kap. III. 5.), Poelzig und Ulrich Hübner stellten sich hingegen hinter den Ressortvorstoß. Von den beteiligten Akademikern wurde umgehend eine Liste mit erst 26, später zwölf renommierten modernen Malern, Bildhauern und Architekten aufgesetzt, die Basis für die mittlerweile als Pairsschub bezeichnete Mitgliederernennung durch den Minister sein sollte.395 Am 7. August einigten sich die Kommissionsmitglieder mit den
389 Vgl. Protokoll Ak.d.Kü., Reformkommission, 5.1.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 1 9 8 200. 390 Ebd., Bl. 199 r; vgl. auch ebd., Bl. 199 v. 391 Vgl. dazu Liebermann an Amersdorffer, U. Hübner, Klimsch, Poelzig, Pechstein, Franck, Hübner (KM) u. Haslinde, 30.7.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 144. 392 Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission Kunstsektion, 4.8.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 138-139, Bl. 138 r. 393 Vgl. dazu auch Justi an Hübner (KM), 4.7.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30. Bd. 9, Bl. 384-385, wo für Gropius, van der Rohe, Taut, Stam, Oud, Belling, Sintenis, Scheibe, Nolde, Schmidt-Rottluff, Heckel, Büttner, Ury, König, Klee, Feininger, Beckmann, Kirchner, Kokoschka und Dix die Akademieaufnahme vorgeschlagen wurde. 394 Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission Kunstsektion, 4.8.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/ 132, Bl. 138-139, Bl. 138 r. 395 Am 4.8.1931 wurden zunächst 26 Künstler benannt. Es handelte sich dabei um die Maler Karl Schmidt-Rottluff, George Grosz, Otto Dix, Max Beckmann, Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Artur Degner, Bruno Krauskopf und Otto Freytag, um die Bildhauer Rudolf Belling, Edwin Scharff, Renée Sintenis, Hermann Haller, Richard Scheibe und Ludwig Gies sowie um die
360
III.
Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Ministerialvertretern Hübner und Haslinde darauf, die Liste dem Minister vorzulegen. 3 9 6 D i e Entscheidung über die Auswahl der Künstler wie über die Frage, ob einige der neuen Mitglieder sofort in den Senat aufzunehmen seien, sollte dabei „dem Ministerium überlassen bleiben, das dafür die Verantwortung übernimmt." 397 A m 10. August teilte Haslinde der Akademie mit, Grimme habe den Pairsschub mit z w e i Änderungen genehmigt: „Von den Malern wird George Gross auf Wunsch des Ministers mit Rücksicht auf das noch schwebende Strafverfahren weggelassen, dafür tritt, w i e neulich vereinbart, N o l d e ein. Bei den Architekten wird auf besonderen Wunsch des Ministers Bruno Taut hinzugesetzt." 3 9 8 A m 11. August 1931 ernannte das Ministerium tatsächlich die Maler Schmidt-Rottluff, N o l d e , D i x und Kirchner, die Bildhauer Belling, Scharff, Sintenis und Gies sowie die Architekten Mendelsohn, Martin Wagner, Mies van der Rohe, Paul Mebes und Bruno Taut zu neuen Mitgliedern der Akademie der Künste. 3 9 9 Parallel dazu löste es den Senat der Akademie auf, ordnete bis April 1932 N e u w a h l e n an 4 0 0 und legte außerdem ein neues Statut vor, das die Hierarchie zwischen übergeordneter Behörde und Akademie wahrte, der Akademie lediglich eine Gutachterrolle zugestand und deren Publikumsveranstaltungen betonte. 401
396
397 398
399 400 401
Architekten Erich Mendelsohn, Martin Wagner, Bruno Taut, Ludwig Mies van der Rohe, Paul Mebes, Walter Gropius, Emil Fahrenkamp, Fritz Schumacher, Adolf Abel, Otto Ernst Schweizer und Ludwig Ruff, vgl. ebd., Bl. 138 v. Am 7.8.1931 einigte man sich auf eine reduziertere Liste. Hier wurden Schmidt-Rottluff, Grosz, Dix, Kirchner, Belling, Scharff, Sintenis, Gies, Mendelsohn, Wagner, Mies van der Rohe und Mebes vorgeschlagen, vgl. Proto-koll Ak. d. Kü., Reformkommission Kunstsektion, 7.8.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 139-140. N u r gegen die Ernennung von Grosz meldeten die Referenten wegen des laufenden Gotteslästerungsprozesses (siehe Kap. III. 2.) Bedenken an. Die Liste wurde daher um Nolde als Ersatzkandidaten ergänzt, vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission Kunstsektion, 7.8.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 140-141, Bl. 140 v-141 r. Ebd., Bl. 141 v. Amersdorffer an Liebermann, 10.8.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 136; zum Kontakt Grimmes zu Taut vgl. Bruno Taut an Grimme, 6.2.1930, ms. u. Bruno Taut an Grimme, 24.9. 1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 69, Einzelne T, Mappe 3, S. 1-4; Bruno Taut an Grimme, [1930/32?], hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 79, Mappe 156; Bruno Taut an Grimme, 9.4.1931, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Autogr. Taut; zu Taut vgl. ausführlich Bruno Taut 2001. Vgl. Grimme an Liebermann, 11.8.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 85; vgl. auch KM (Hübner) an Liebermann, 18.8.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/082, Bl. 146. Vgl. Grimme an Liebermann, 11.8.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 85. Vgl. Satzung der Preußischen Akademie der Künste, 11.8.1931, gedr., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 105 u. SAdK, PrAdK, 2.2/133. Anfang 1932 verfaßte das Ministerium überdies ein neues Statut für die Nationalgaleriekommission, das die Akademiereform quasi abrundete, vgl. dazu Grimme an Justi, 13.2.1932, ms. u. Grimme: Satzung für Sachverständigenausschuß N G , 13.2. 1932, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Protokoll Ak. d. Kü., Reformkommission Kunstsektion, 4.8.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 138-139, Bl. 139 r; zu den sehr viel weiter reichenden Vorstellungen der Akademie vgl. Text Liebermann, 20.11.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 183-184; Liebermann an Amersdorffer, 19.5.1931, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/028, Bl. 91.
3. Akademiepolitik:
Akademie
der Künste
361
Grimme hatte damit am symbolträchtigen Datum des Verfassungstages, das sicherlich nicht zufällig gewählt war,402 vor allem über die aufsehenerregende Mitgliederernennung ein demonstratives Signal für eine zeitgemäße Akademiegestaltung gesetzt. Auf Drängen der Reformkräfte in der Akademie hatte sich das Ministerium auf einen beispiellosen Modernisierungsschritt eingelassen und ihn letztlich zu seinem eigenen gemacht. Vor dem Hintergrund des gleichzeitigen Bemühens des Ministers, der Ideologisierung und Nazifizierung eine betont freiheitlich-demokratische Position entgegenzuhalten (siehe Kap. III. 1. und III. 2.), ist das ministerielle Eingreifen als bewußtes Eintreten für Offenheit und Modernität sowie als gezielte Gegenaktion gegen die nationalsozialistische „Säuberungspolitik" an thüringischen Akademien unter Frick zu verstehen.403 Die fortschrittliche Tendenz, für die die Namen der neuen Akademiemitglieder standen, fügte sich konsequent in die seit Mitte der 20er Jahre immer pointiertere Kunstförderpolitik des Ministeriums ein (siehe Kap. III. 6. und III. 7.). Das neue Statut spiegelte überdies die Rolle, die das Ressort der Akademie zugewiesen wissen wollte. Letztlich hatte das Ministerium damit in einem Gewaltakt vieles von dem umgesetzt, was nach 1918 versäumt worden war.404 So stringent und überfällig sich die vom Ressort verordnete Modernisierung der Akademie aber auch darstellte, so angreifbar war sie - hatte die demonstrative republikanische Erneuerung der staatlichen Künstlervertretung doch die entscheidende Schwachstelle, daß sie nur durch einen autokratischen und mithin undemokratischen Eingriff des Ministeriums möglich geworden war.405 In eben diese Richtung argumentierten dann auch die konservativen Kritiker des Pairsschubs innerhalb der Akademie, die im September 1931 mit einem Manifest gegen das eigenmächtige Eingreifen des Ministeriums Protest einlegten.406 Die Reformkommissionsmitglieder und der Akademiepräsident stellten sich angesichts dessen hinter die vom Ministerium gemeinsam mit ihnen eingeleitete Reform. 407 Grimme selbst
402 Vgl. dazu auch Grimme an Senat Ak. d. Kü., März 1930, ms. u. Besprechungsprotokoll Kestenberg (KM) u. Gräser, 6.3.1931, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 273, Bd. 1, Bl. 57 u. 5 9 - 6 0 . 403 Siehe dazu etwa auch das Engagement Grimmes für den von Frick entlassenen Kunsthochschullehrer Meseck 1930/31, vgl. Entwurf FM an Reichsfinanzministerium, 3.12.1930, hs., Entwurf FM an KM, 3.12.1930, hs., Reichsfinanzministerium an FM, 22.11.1930, ms., Grimme an FM, 5.1.1931, ms. u. FM an Reichsfinanzministerium, 15.1.1931, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1041, Bl. 9 - 1 3 ; vgl. dazu auch Grimme 1932 a, S. 20; Campbell 1981, S. 289; zur Politik Fricks vgl. Rudolph 1999; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 19213-19215. 404 Vgl. dazu auch Auseinandersetzungen
in der Akademie,
in: Ku.bl., Jg. 16, Juni 1932, S. 47; Adolf
Behne: Akademie am Scheidewege, in: Weltb., Jg. 27, 2, Nr. 35, 1.9.1931, S. 344 f; Mitt. DWB, Jg. 1931, 15.9.1931, S. 1. 405 Zum Pairsschub vgl. auch Lammert 1996, S. 502-504; Diekmann / Kampe 1997, S. 89-91; Kampe 1996 b, S. 354; W. Jens 1997, S. 207; Kampe 1996 a, S. 392; Paret 1997, S. 71; zur Kritik daran siehe auch Amersdorffer an Adolf Behne, 31.8.1931, ms. u. Adolf Behne an KM, 12.8.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 133-135. 406 Vgl. Abschr. 46 Mtgl. Ak. d. Kü. an KM, 26.9.1931, ms. u. Amersdorffer an Ministerialdirektor [KM], 5.10.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/082, Bl. 26 u. 102-103; Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 13.10.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 178-180; vgl. auch Kampe 1996 a, S. 392. 407 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 13.10.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 178-180, Bl. 179 r; vgl. dazu später auch Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 9.11.1931, ms., in: SAdK,
III.
362
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
wies den Protest am 17. Oktober 1931 zurück und rechtfertigte sein Vorgehen: „Die Reform der Akademie bezweckte nicht nur eine äußerliche Neufassung der Statuten, sondern sollte zugleich einer innerlichen Verlebendigung dieses Staatsinstituts dienen. Dieses Ziel ist aber nach Ansicht aller Sachverständigen, auch der von mir wiederholt gehörten Reformkommission, nur auf dem Wege einer durchgreifenden Verjüngung zu erreichen. Um in dieser für das weitere Gedeihen gerade der Abteilung für die bildenden Künste entscheidenden Frage wenigstens einen Anfang zu machen, habe ich mich entschlossen, eine Reihe von neuen Mitgliedern in die Akademie zu berufen, von denen ich erwarten darf, daß sie in diesem Sinne in der Akademie wirken werden. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß in der Eingabe namhafter Akademiemitglieder vom 30. Juni 1927, die den Anstoß zur Reform gegeben hat und die auch von Unterzeichnern der jetzigen Eingabe unterstützt worden ist, sogar der Antrag gestellt war, die Sektion zeitweise aufzuheben und sie staatlicherseits neu zu konstruieren. Von einer so weitgehenden Maßnahme habe ich abgesehen, gerade um in die demokratische Verfassung der Akademie möglichst wenig einzugreifen." 408 Grimme suchte den Vorwurf des autokratischen Eingriffs also durch die Berufung auf Sachverständige und die akademieinterne Reformkommission zu entkräften. Zudem erklärte er: „Die Berufung der neuen Mitglieder ist als wesentlicher Bestandteil der Reform zugleich mit dem Erlaß der neuen Satzung erfolgt, nachdem das alte Statut seitens des Staatsministeriums aufgehoben worden war. Somit sind hierdurch keine Rechte der Mitglieder - weder nach dem alten Statut, das nicht mehr bestand, noch nach dem neuen, das mit dieser Maßgabe erst in Kraft trat - verletzt worden." 409 Der statutenlose Moment wurde hier zum formaljuristischen Kunstgriff, über den der Pairsschub im Nachhinein legitimiert werden konnte. 410 Letztlich drangen Grimmes Rechtfertigungsversuche 1931/32 aber kaum mehr durch.411 Für die an Boden gewinnenden konservativ-völkischen Kreise stellte der Pairsschub vielmehr eine willkommene Angriffsfläche gegen die republikanische Kunstpolitik dar. Die Kritik am Eingreifen des Ministeriums und die Nazifizierung der Akademie vermengten sich dabei immer mehr miteinander.412 Die akademischen Senatswahlen im Frühsommer 1932 scheiterten auch vor diesem Hintergrund.413 Nach der Machtübernahme der Nazis wurde der Pairsschub als Vorwand für die Entlassung der modernen Akademiemitglieder genutzt.414 Durch die demonstrative Akademieerneuerung war so in der Endphase der
PrAdK, 2.1/004, Bl. 147-151 u. SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 3 8 - 4 0 ; Liebermann an Grimme, 2.8.1932, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Autogr. Liebermann; Braun an Liebermann, 5.11.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Otto Braun, A, Nr. 6; Protokoll Ak. d. Kü„ Gesamtsenat, 6.6.1932, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 8 - 9 . 408 Grimme an Liebermann, 17.10.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/082, Bl. 78. 409 Ebd. 410 Vgl. Kampe 1996 b, S. 354; Kampe 1996 a, S. 392; Diekmann / Kampe 1997, S. 90. 411 Vgl. Geßner an KM, 27.10.1931, ms. u. Geßner u. 41 weitere Mtgl. Ak. d. Kü. an KM, 6.11.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/082, Bl. 5 - 9 u. 76. 412 Vgl. dazu auch Kampe 1996 b, S. 348-358; Seelig 1996. 413 Vgl. Auseinandersetzungen
in der Akademie, in: Ku.bl., Jg. 16, Juni 1932, S. 47.
414 Vgl. Brenner 1972, S. 24 f u. 122-151.
3. Akademiepolitik:
Akademie der Künste
363
demokratischen Kunstpolitik in Preußen zwar noch einmal ein Zeichen gesetzt worden. Letztlich kam der Versuch, den zunehmend eklatanteren Widerspruch zwischen den Ministeriumsvorstellungen und der konservativ blockierten Künstlerrepräsentanz durch einen spektakulären Schritt auszugleichen, jedoch zu spät. Das im Kontext der Akademiepolitik Haenischs und später wegen autoritätspolitischer Differenzen allzu lang Versäumte konnte nun, in einer Zeit, in der die Republik selbst in Bedrängnis geriet, nicht mehr kompensiert werden. Im Endeffekt fügte sich die Akademie in den Weimarer Jahren so als zwiespältige Größe in die staatliche Kunstpolitik ein: Einerseits identifizierte sich das Ministerium besonders unter Becker und Grimme mit dem Akademiepräsidenten Liebermann. 415 Zudem band es die Ausstellungen der Akademie als Aktivposten in seine Politik ein. Andererseits konnte eine tragfähige Modernisierung der zentralen staatlichen Künstlerrepräsentanz nicht durchgesetzt werden. Als das Ministerium Grimme im August 1931 endlich einen mutigen Reformschritt wagte, fehlte dafür bereits die Basis. 416
415 Vgl. dazu auch Diekmann / Kampe 1997, S. 90 f. 416 Siehe dazu auch den 1931/32 erneut aufbrechenden Streit zwischen Justi und Liebermann, der die Kunstverwaltung zusätzlich schwächte, vgl. SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 138-139 u. 183-184; SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 5 4 - 5 9 u. 85-88; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 377-384; Max Liebermann: Justi und seine Sachverständigen-Kommission,
in: Ku. u, Kü., Jg. 31, März 1932,
S. 65-71; Ku.bl, Jg. 16, April 1932, S. 27; Ludwig Justi: Zum Ankauf des van Gogh, in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 7, 1.7.1932, S. 115 f; KM (Hübner) an Justi, 10.9.1932, ms., Bericht Thormaehlen an Justi, 19.9.1932, ms. u. Entwurf Justi an KM, 7.1.1933, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 75/14; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 4 1 9 - 4 2 7 u. Bd. 2, S. 252-256; Bärnreuther 1997, S. 264-266; Meyer 1998, S. 90.
4. Museumspolitik 4.1. Konflikt zwischen Alt und Neu: Der schwierige Umgang mit dem Bauprojekt auf der Museumsinsel Bei Kriegsende lagen in Berlin zwei große preußische Museumsbauten, die eng mit der Person Bodes verknüpft waren, unvollendet brach: zum einen der von Alfred Messel entworfene, seit dessen Tod 1909 unter der Leitung Ludwig Hoffmanns stehende Bau des heutigen Pergamonmuseums auf der Museumsinsel und zum anderen der von Bruno Paul geplante Neubau des Asiatischen Museums in Dahlem. 1 Die Frage, wie die Republik mit diesen beiden wilhelminischen Prestigeprojekten umgehen würde, war bereits Anfang 1921 beantwortet worden, als das Finanzressort angesichts der Finanzlage verfügt hatte, auf eine Vollendung des Dahlemer Baus zu verzichten und statt dessen alle Kräfte auf den Museumsinselbau zu konzentrieren (siehe Kap. II. 3.1.). Damit war der Museumsinselneubau, dessen Fertigstellung noch Jahre dauern und enorme Mittel beanspruchen sollte, zu einem der großen kunstpolitischen Themen im Weimarer Preußen geworden. Mit ihm hatten sich die neuen staatlichen Handlungsträger für ein weiter stark von Bode beeinflußtes Projekt entschieden, das sich schon in der Vorkriegszeit als schwierig erwiesen hatte 2 und bei dem die Interessen unterschiedlicher Sammlungen wie kaum anderswo kollidierten. Trat das Kultusministerium als zuständige Behörde so bereits ein diffiziles Erbe an, war zudem von Beginn an klar: Angesichts der exponierten Lage des Baus in der Reichshauptstadt und seiner engen Verquickung mit der wilhelminischen Kunstpolitik würde sich die Kunstpolitik Preußens auch am Umgang mit dem Museumsinselbau messen lassen müssen. In der ersten Ministerzeit Beckers 1921 bemühte sich das Kultusministerium zunächst darum, die Ende 1920 zum Erliegen gekommene Museumsbautätigkeit wieder anzukurbeln. Konkret suchte es Mittel aus der produktiven Erwerbslosenhilfe des Reiches für den Museumsinselbau wie für das Dahlemer Projekt, das bis 1922 im Rohbau fertiggestellt und dann als Magazin genutzt werden sollte (siehe Kap. III. 4.2.), zu gewinnen. 3 Zudem drängte es beim Finanzressort auf eine stringente Umsetzung des inzwischen aufgestellten eingeschränkten Bauplans für die Museumsinsel, nach dem bis 1924 der Außenbau vollendet sein sollte.4
1 Das Asiatische Museum war ursprünglich Teil eines umfassenderen Projekts, das einen Baukomplex auch für die amerikanische, ozeanische und afrikanische Sammlung vorsah. Da bei Kriegsende dieser weitere Baukomplex jedoch noch nicht begonnen worden war, bezogen sich die Diskussionen nach 1918 nur auf den Teilbereich Asiatisches Museum, vgl. Scheffler 1921, S. 29-33; zur Beziehung Bodes zu den Bauten vgl. Waetzoldt 1995, S. 55-68; Bernau 1997; Gaehtgens 1997, S. XV; BodeMemoiren 1997, Bd. 1, S. 449-459; Severin 1991, S. 466-477; Peschken 1994. 2 Vgl. Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2191; Scheffler 1921, S. 64-66; Matthes 1998, S. 45-49; Bernau 1997; Viergutz 1993, S. 85-92 u. 96-104. 3 Vgl. Abschr. K M (Hiecke) u. FM an Reichsamt für Arbeitsvermittlung, 30.6.1921, ms., Abschr. KM (Nentwig) an Ministerialbaukommission, 25.8.1921, ms., K M (Nentwig) an FM, 1.1.1922, ms. u. FM an KM , 9.2.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. 4 Vgl. KM an FM, 19.9.1921, ms., Hochbauabeilung FM an Haushaltsabteilung FM, 6.10.1921, ms., FM an KM, 8.10.1921, ms., K M an FM, 1 1 . 1 1 . 1 9 2 1 , ms., K M (Nentwig) an FM, 1.1.1922, ms., FM
4. Museumspolitik:
Bauprojekt auf der Museumsinsel
365
Offensichtlich schritten die Bauarbeiten bis 1921/22 tatsächlich zügig voran.5 Parallel dazu geriet das Ministerium jedoch nicht zuletzt vor dem Hintergrund, daß Bode den Verzicht auf Dahlem als persönlichen Affront begriff, bald in den Strudel der Interessenkonflikte im Umfeld des Museumsinselbaus. So stellte sich Theodor Wiegand, der als Leiter der Antikensammlungen Nutznießer der Entscheidung für das Pergamonmuseum war, bereits Ende April 1921 auf die Seite des Ressorts und betonte, er freue sich, „mit einem so frischen, klaren und tatkräftigen Mann die Museumsangelegenheiten zu bearbeiten, wie es Herr Dr. Gall ist. [...] ich bin der festen Überzeugung, dass wir in ihm den Mann haben, der den gänzlich verfahrenen Neubaukarren wieder in Gang bringen wird." 6 Wiegand reagierte damit auf eine von Bode initiierte Pressekampagne gegen den Referenten. Darüber habe es, bemerkte er, zwischen ihm und Bode zuvor eine Auseinandersetzung gegeben, die ihm „vermutlich die unversöhnliche Feindschaft dieses leidenschaftlichen Mannes eingetragen" habe. Umso mehr hoffe er, daß ihn das Ministerium „im Kampfe um eine vernünftige und paritätische Baupolitik unterstützt und, wenn nötig, Wasser in die Bode'sche Raketenkiste giesst."7 Suchte Wiegand damit beim Museumsbau Becker gegen Bode auf seine Seite zu ziehen,8 eskalierte die latente Konfliktsituation wenig später, als Karl Scheffler im Spätsommer 1921 seine auf Informationen Bodes gestützte Schrift Berliner Museumskrieg (siehe Kap. II. 4.1.) publizierte.9 Schefflers Schrift, die ganz im Sinne Bodes mit einem Plädoyer gegen die Entscheidung zuungunsten des Asiatischen Museums begann,10 spielte die unterschiedlichen Interessen der am Museumsinselbau Beteiligten, der Bauleitung, der Museumsleiter und des Ministeriums, mit unverhohlener Präferenz gegeneinander aus. Der Architekt Hoffmann wurde zur Negativgröße stilisiert, die ohne Maß dem wilhelminischen Geltungsstreben verhaftet sei.11 Die Museumsdirektoren, allen voran Bode, charakterisierte Scheffler hingegen als Kräfte, deren Tätigkeit zwar ebenfalls mit der kaiserlichen Politik verquickt gewesen sei, die aber gute Sacharbeit geleistet hätten und die daher, zumal wenn sie sich neuesten Grundsätzen der Museumsgestaltung öffneten, auch beim Museumsinselbau als zentrale Akteure zu gelan KM, 9.2.1922, ms., KM (Trendelenburg) an FM, 8.2.1922, ms. u. Entwurf FM an KM, 24.2. 1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; zum Bauprogramm vgl. Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 34, 20.5.1921, S. 647 f; Scheffler 1921, S. 72. 5 Vgl. KM an FM, 19.9.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; Boelitz, 13.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5786; Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2193; Zum Berliner Museumsbauten,
Thema:
in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 7, 11.11.1921, S. 125-127.
6 Wiegand an Becker, 29.4.1921, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 5083. 7 Ebd. 8 Zum Konflikt Bode - Wiegand vgl. Mus.kun., Jg. 16, Nr. 2/3, Aug. 1921, S. 143; Matthes 1998, S. 5 0 - 6 0 ; Watzinger 1944, S. 350-352. 9 Vgl. dazu Der Kolk, in: Schlesische Zeitung, 25.9.1921, Aug./Sept. 1921 u. Julius Elias: Berliner Kunstglossen, in: Der Tag, 5.1.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Ohlsen 1995, S. 2 9 4 296; Viergutz 1993, S. 93 u. 104-107; Joachimides 2001, S. 195 f; Joachimides 1995 a, S. 196 f; Scheffler 1946, S. 234 f; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 436. 10 Scheffler 1921, S. 7 - 4 2 ; ähnlich auch schon Karl Scheffler: Die Berliner Museumsbauten, Ztg., Nr. 85,20.2.1921. 11 Scheffler 1921, S. 55-71; vgl. dazu auch Viergutz 1993, S. 104 f.
in: Voss.
366
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
ten hätten. 12 Dem Kultusministerium warf Scheffler vor, sich für die falsche Seite entschieden zu haben. Ohne Einbeziehung der Museumsleiter 13 habe das Ressort entschieden, die übersteigerten, unökonomischen Pläne Hoffmanns weiter mitzutragen.' 4 Zwar sei die Baufortsetzung anerkennenswert. 15 Die Konzentration des Bauplans auf die Außenbauten belege jedoch: „es herrscht immer noch der wilhelminische Geist des äußerlichen Fertigmachens, die Fassadengesinnung." Eigentlich komme es aber vielmehr darauf an, daß das Museum „sobald wie irgend möglich seiner Bestimmung übergeben werden kann, daß die Kunstwerke aufgestellt werden können." 1 6 Diese Kernkritik paarte Scheffler mit dem Vorwurf, das Ressort verschließe sich allzu kategorisch alternativen Finanzierungsmodellen. 17 Letztlich deutete er die Ressortaktivitäten als Konsequenz einer falschen Prioritätensetzung. Statt sich einseitig der Förderung modernster Kunst zu verschreiben und eine fragwürdige Museumspopularisierung zu betreiben, 18 sollte das Interesse des Ministeriums eher einer überzeugenden Förderung der kulturell wertvollen Berliner Museen gelten.19 Was der Louvre für Frankreich sei, könnten die Berliner Sammlungen für Deutschland werden. 20 Beim Museumsinselbau zeichne sich indes eine gegenteilige Entwicklung ab: „Seit Wilhelm der Zweite nicht mehr wie ein donnernder Zeus im Hintergrund sitzt und der Generaldirektor nicht entfernt mehr soviel gilt wie früher," lockere sich das Gefüge im Bauumfeld 21 - und darauf verstehe das Ministerium nicht adäquat zu reagieren. Während Schefflers Publikation eine breite öffentliche Diskussion entfachte 22 und ihr die Tatsache weitere Aufmerksamkeit einbrachte, daß Justi sofort mit einer Gegenschrift auf sie reagierte, die den Vorwurf der einseitigen Expressionismusförderung relativierte (siehe Kap. II. 4.1.), 21 war das Kultusministerium zunächst vor allem daran interessiert, die Lage 12 Scheffler 1921, S. 44-55, 7 4 - 8 5 , 1 0 6 - 1 0 9 u. 119-121. 13 Ebd., S. 73 u. 119; zur Haltung Bodes vgl. auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 432. 14 Scheffler 1921, S. 72-74. 15 Ebd., S. 73. 16 Ebd., S. 74. 17 Ebd., S. 73. 18 Ebd., S. 86-118. 19 Ebd., S. 44-55, 120 u. 109 f; vgl. dazu auch Joachimides 1995 a, S. 196-200. 20 Ebd., S. 120 f; ähnlich auch schon Karl Scheffler: Die Berliner Museumsbauten,
in: Voss. Ztg.,
Nr. 85, 20.2.1921. 21 Scheffler 1921, S. 119 f. 22 Vgl. Berliner Museumskrieg,
in: Dt. Tagesztg., Nr. 346, 27.7.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 151,
IC, Nr. 8241, Bl. 18; Der Kolk, in: Schlesische Zeitung, 25.9.1921, Aug./Sept. 1921 u.Julius Elias: Berliner Kunstglossen, in: Der Tag, 5.1.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Berliner Museen,
in: Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 49, 2.9.1921, S. 886-888; Kaiserliche oder
Museen f, in: Kölnische Zeitung, Nr. 611, 14.9.1921; Karl Scheffler: Die Berliner
republikanische Museumsbauten,
in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 12/13, 16./23.12.1921, S. 197-200; siehe dazu auch Viergutz 1993, S. 105 f; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 437; Hermann Hieber: Museumskrieg,
in: Der Firn, Jg. 3, H. 3,
1.11.1921, S. 79-81, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 23 Justi 1921a; vgl. dazu auch Kaiserliche oder republikanische
Museen?,
in: Kölnische
Zeitung,
Nr. 611, 14.9.1921; Joachimides 2001, S. 211-213; Scheffler 1946, S. 235 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1,S. 417-419.
4. Museumspolitik: Bauprojekt auf der Museumsinsel
367
beim Museumsinselbau angesichts der Scheffler-Vorwürfe nicht weiter eskalieren zu lassen. Entsprechend beeilte sich Nentwig nun etwa, Bode zu versichern, daß für das Kaiser-Friedrich-Museum relevante Fragen selbstverständlich mit ihm besprochen würden und auch Generaldirektor von Falke dabei nicht übergangen werde. 24 Deutlich offenbarte sich hier das Interesse, nach Schefflers Kritik auf Empfindlichkeiten Bodes mit besonderem Entgegenkommen zu reagieren. Zugleich stellte sich das Ressort demonstrativ hinter den renommierten Museumsmann. So erklärte der neue Minister Boelitz Ende 1921 im Landtag: „In der Vorkriegszeit ist in unseren Museen eine Arbeit in allergrößtem Stil geleistet worden durch Bauten und durch Anschaffungen, die Deutschland an die Spitze der Kulturvölker stellten. [...] Träger dieser Idee war [...] Exzellenz von Bode, ein Mann, dem als Sammler und Forscher und dessen persönlicher Opferwilligkeit und [..] genialer Organisationsgabe die preußischen Museen unendlich viel zu verdanken haben. Als Generaldirektor ist er durch Herrn von Falke ersetzt worden, aber es ist mir eine Freude, Ihnen mitteilen zu können, daß Exzellenz von Bode kommissarisch auf verschiedensten Gebieten weiter arbeiten wird." 2 5 Beschrieb Boelitz Bode damit ganz in Schefflers Sinne als zentralen Protagonisten der für die nationale Profilierung wichtigen Berliner Museumsentwicklung, bestand das Ministerium jedoch gleichzeitig auf seiner Kooperation mit der Bauleitung auf der Museumsinsel. Entsprechend hatte es Schefflers Vorwurf, auf der Museumsinsel werde unwirtschaftlich gebaut, schon im September 1921 durch eine Presseerklärung zurückgewiesen. 26 Auf den Punkt brachte das Ressort seine Haltung schließlich in einer Denkschrift über die geplante äußere Gestaltung des Berliner Museumswesens, die es dem Landtag am 30. Januar 1922 vorlegte. 27 In der Schrift, die die ministeriellen Neustrukturierungspläne für die Berliner Museumslandschaft nach dem Verzicht auf Dahlem argumentativ untermauerte (siehe Kap. III. 4.2.), stellte sich das Ministerium, die Leistungen Bodes wiederum hervorhebend, 28 weiter hinter die Bauleitung. Offen sprach es dabei die problematische Zeitgebundenheit des Museumsinselneubaus an und betonte, angesichts der Tatsache, daß der Bau für unterschiedliche Sammlungen von der Antike bis zur älteren deutschen Kunst
24 Vgl. Nentwig an Bode, 9.8.1921, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Nentwig. 25 Boelitz, 13.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5785 f. 26 Vgl. Viergutz 1993, S. 105; Hermann Hieber: Museumskrieg,
in: Der Firn, Jg. 3, H. 3, 1.11.1921,
S. 79-81, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; Zum Thema: Berliner Museumsbauten,
in:
Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 7, 11.11.1921, S. 125-127; Karl Scheffler: Die Berliner Museumsbauten,
in:
Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 12/13, 16./23.12.1921, S. 197-200; siehe auch Ludwig Hoffmann: Berliner Museumsbauten,
in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 19, 3.2.1922, S. 331 f; Die Berliner Museumsbauten,
in:
Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 22/23, 24.2./3.3.1922, S. 355-359; Boelitz, 13.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5786. 27 Zur Denkschrift vgl. auch Nentwig an Becker, 21.1.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 3085; Joachimides 2001, S. 195; Ohlsen 1995, S. 298; Severin 1991, S. 477 f. Die falsche Datierung bei Joachimides 1995 a, S. 196 u. Joachimides 2001, S. 195 erweckt den Eindruck, Schefflers Berliner Museumskrieg
sei als Reaktion auch auf die Denkschrift zu verstehen. Das
Gegenteil ist jedoch der Fall. 28 Vgl. Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2191 f.
368
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
gedacht sei,29 sei es kaum möglich gewesen, „die Einheit des Baugedankens von innen heraus zu entwickeln. Sie mußte im Äußeren gewonnen werden". Vor diesem Hintergrund seien Konflikte zwischen musealen und architektonischen Forderungen „unvermeidlich" gewesen.30 Dem Vorwurf Schefflers, Hoffmann habe die Messel-Pläne übersteigert,31 begegnete das Ministerium mit der Replik, Hoffmann habe ein „vielfach belastetes Erbe" angetreten.32 Messels Pläne hätten „in manchen Einzelheiten eine Umgestaltung erfahren müssen, aber im großen und ganzen haben seine Nachfolger sich an die Grundgedanken der Anlage [...] gehalten." 33 Für sich selbst wies das Ressort die Anschuldigung der unreflektierten Fortführung der wilhelminischen Politik dadurch zurück, daß es zum einen dem alten Sammeleifer einen neuen Anspruch an die Auswertung der Museumsbestände gegenüberstellte 34 und zum anderen betonte, schon die Finanzlage zwinge zum konstruktiven Uberdenken des bisherigen Bauplans.35 Das Ministerium beließ es in der Denkschrift jedoch nicht bei dieser Richtigstellung, sondern band die Museumsinsel aktiv in sein Konzept zur Neustrukturierung der Berliner Museumslandschaft ein, indem es sie als Ort definierte, an dem „die europäische Kunst, die Kunst des Mittelmeergebiets und des nahen Orients, die alle durchaus einem innerlich zusammenhängenden Kulturkreise entstammen," präsentiert werden sollten. 36 Konsequenz dessen war, daß, anders als von Bode intendiert, auch die Islamische Abteilung auf der Museumsinsel bleiben würde.37 Überdies avancierte die Vollendung des Museumsinselneubaus angesichts der Relevanz, die das Ministerium der Museumsinsel als musealem Zentrum der Hauptstadt zuschrieb, zu einer Kernvoraussetzung für die Umsetzung des Neustrukturierungsplans insgesamt. Entsprechend präsentierte das Ministerium in seiner Denkschrift einen straffen Plan für die Fertigstellung des Museumsinselbaus, der nach der Überdachung des Südflügels für 1922 eine Mittelbauüberdachung, für 1923 die Heizungsinstallation und für das Frühjahr 1924 den Abschluß des Außenbaus vorsah. Für die Innengestaltung, für die wegen finanzieller Unwägbarkeiten noch kein Konzept vorgelegt werden könne, kündigte es eine ebenso zügige Planung in Absprache mit den Sammlungen an. Als zeitliches Ende des Projekts definierte es schon jetzt: „Die staatlichen Museen werden im Jahre 1930 ihr hundertjähriges Jubiläum feiern können; die Staatsregierung hofft, daß sich bis dahin die Durchführung der neuen Organisation ermöglichen lassen wird." 38
29 Vgl. ebd., S. 2190; vgl. dazu auch Schräder 1995; Bernau / Riedl 1995. 30 Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2190; vgl. dazu auch Waetzoldt 1995, S. 59-62. 31 Konkret hatte Scheffler Hoffmann v. a. eine Erhöhung des Gesamtgebäudes vorgeworfen, vgl. Scheffler 1921, S. 66-69. Scheffler adaptierte damit Vorwürfe Bodes von 1915, vgl. Viergutz 1993, S. 103; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 450 u. 454. 32 Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2190. 33 Ebd., S. 2191. 34 Ebd., S. 2191 f. 35 Ebd., S. 2192. 36 Ebd., S. 2193. 37 Vgl. ebd., S. 2194. 38 Ebd., S. 2193.
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
Museumsinsel
369
Das Ministerium hatte seine Neuordnungsabsichten und speziell die Konzentration auf den Museumsinselbau damit als feststehendes Programm hingestellt, dessen Umsetzung in Kooperation mit der Museums- und der Bauleitung zu erfolgen habe. Kurz nach Veröffentlichung der Denkschrift untermauerte Becker diese Position vor dem Landtag. Hier wies er einerseits noch einmal das Vorurteil zurück, Hoffmann habe den Messelbau durch Monumentalisierungen unnötig verteuert - schon 1916 habe eine Prüfung ergeben, daß Hoffmann nicht von Messels Plänen abgewichen sei. 39 Andererseits hielt Becker dem Vorwurf des unwirtschaftlichen Bauens auf der Insel die Einsparungen entgegen, die der aktuelle Bauplan vorsah: den Verzicht auf den dritten Bauabschnitt für das Ägyptische Museum, die Zurückstellung dekorativer Arbeiten und die preiswertere Ausführung der Seitenfassaden. 40 Auch beim Innenausbau werde man „im Interesse erhöhter Sparsamkeit die Baukosten herabzusetzen bemüht sein." 4 1 Angesichts dessen stimmte der Hauptausschuß der Denkschrift zu. 42 Im Ausschuß wurde die Fertigstellung des Museumsinselbaus parteiübergreifend als Chance gesehen, Preußen wie Deutschland international Anerkennung zu verschaffen. 43 Mit Rückendeckung des Landtags hielt das Ministerium so Scheffler und Bode ein Museumskonzept entgegen, das den finanziellen Beschränkungen der Nachkriegszeit unter Verzicht auf zentrale Forderungen Bodes Rechnung zu tragen suchte. Zu einer Entschärfung der Lage trug die selbstbewußte Positionierung des Ministeriums allerdings keineswegs bei - im Gegenteil: Die Presse reagierte skeptisch auf die Denkschrift. 44 Das Berliner
Tageblatt
etwa traute dem Ressort keineswegs zu, die Ansprüche der
Sammlungen einzuschränken. 45 Wie nicht anders zu erwarten, monierte auch Scheffler die
39 Becker, 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 12 f; zur Untersuchung von 1916 vgl. Viergutz 1993, S. 103 f; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 454; Boelitz an FM, 6.4.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263; siehe dazu auch Bernau / Riedl 1995, S. 172; FM an KM, 27.3.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. 40 Vgl. dazu auch KM (Nentwig) an FM, 30.5.1922, ms., Notiz Hochbauabteilung FM an Abteilung I FM, 8.6.1922, hs., Entwurf FM an KM, 3.7.1922, hs., FM an KM, 9.12.1922, ms., Abschr. KM an Reichsverband Deutsche Steinindustrie, 4.1.1923, ms. u. Boelitz u. FM an Steinmetzfirma Holzmann, 15.2.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263; Texte Okt. 1922/Febr. 1923, in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 4; Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2192. 41 Becker, 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 13. 42 Vgl. LT, WP 1, Prot., Sp. 7429 f; LT, WP 1, Dr. 2050, S. 2400; Heß (Z), 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 19; Heß (Z), 22.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7436-7438; Ohlsen 1995, S. 296; BodeMemoiren 1997, Bd. 1, S. 435 u. Bd. 2, S. 381; LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 8 f, 15 f u. 18; Oestreicher (SPD), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7479-7481. Zuvor hatten sich die Ausschußmitglieder bei einem Ortstermin selbst ein Bild vom Museumsinselbau machen können, vgl. Oestreicher (SPD), Nentwig, Heß (Z), Becker u. Gall, 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 16-18. 43 Vgl. Buchhorn (DVP) u. Manasse (USPD), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7464 f u. 7483 f; Manasse (USPD), 7.7.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 11838 f. 44 Vgl. dazu auch Die neuen Pläne für die Staatlichen Kunstsammlungen in Berlin, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 24, 10.3.1922, S. 379-382. 45 Fritz Stahl: Die Zukunft der Berliner Museen, in: BT, 16.2.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401.
370
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Denkschrift. Er vermißte weiterhin eine eindeutige Antwort auf den Vorwurf der Monumentalisierung durch Hoffmann und kritisierte den vorgesehenen Verbleib der islamischen Kunst im Kaiser-Friedrich-Museum ebenso wie die nach wie vor geplante extreme Ausdehnung der Antikensammlung. Vor allem aber wies er auf den Widerspruch zwischen der Anerkennung für Bode und der Tatsache hin, daß das Ressort Bode gleichzeitig bewußt ausschalte. Das Ressort sei mit einem schwerem Erbe belastet und versuche die verfahrene Situation wieder in Gang zu bringen. Das genüge aber nicht, hier fehle der sachliche Mut. 46 Bode reagierte auf die Denkschrift im März 1922 mit einer Gegenschrift, die den Abschluß des Außenbaus bis 1924/25 anzweifelte und forderte, das Asiatische Museum doch zu vollenden, es unter Einbeziehung der islamischen Kunst einzurichten und daneben bevorzugt sein Deutsches Museum im Nordflügel des Museumsinselneubaus zu fördern. 47 Während Wiegand sich im Gegenzug beim Ministerium persönlich wie mit Hilfe ihm nahestehender Netzwerke für eine Förderung des Pergamonmuseums stark machte, 48 stützte Bode sein Gegenkonzept, indem er der Regierung für die Fertigstellung des Dahlemer Baus den Erlös aus der Versteigerung seiner Bibliothek in Höhe von drei Millionen M zur Verfügung stellte. 49
46 Scheffler: Berliner Museumswesen, in: Voss. Ztg., 23.2.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; vgl. dazu auch schon Karl Scheffler: Die Berliner Museumsbauten, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 12/13, 16./23.12.1921, S. 197-200. 47 Vgl. W. von Bode: Die Neuverteilung der Staatlichen Kunstsammlungen in Berlin, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 27, 31.3.1922, S. 429-434; Bodes Museumsprogramm, in: Vorwärts, 31.3.1922, Bodes neues Museumsprogramm, in: DAZ, 31.3.1922, Bodes neues Museumsprogramm, in: Berliner Börsen-Courier, 31.3.1922, Bodes Museumsplan, in: Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung, 1.4.1922 u. Fritz Stahl: Bode über die Museumsfragen, in: BT, 1.4.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 431-434 u. 437 f; Noack (DNVP), 22.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7444 f u. 7447; Fritz Stahl: Bode über die Museumsfragen, in: BT, 1.4.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401. 48 Vgl. Watzinger 1944, S. 353-356; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 436; Nachtrag Bode zum Museumsbauprotokoll vom 12.1.1923, 28.7.1923, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 200, Acc. 3559, Nr. 118 (Hinweis Nikolaus Bernau); vgl. dazu auch Hans Schräder: Das neu erstehende PergamonMuseum in Berlin, in: Ku.wan., Jg. 4,2. März-Nr. 1922, S. 315 f; Ku.chr., Jg. 58/1, Nr. 5, 3.11.1922, S. 95; zur späteren Förderung der Interessen Wiegands durch das Ministerium vgl. KM (Nentwig) an FM, 27.4.1925, ms., Abschr. Wiegand an Direktor Staatliche Museen, 22.3.1925, ms., Entwurf FM an KM, 29.5.1925, ms., KM an FM, 20.8.1926, ms., Abschr. Text Wiegand, 5.7.1926, ms. u. Notizen FM, o.D., hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8264, Bl. 220-225; Watzinger 1944, S. 412. 49 Vgl. Eine Stiftung Bodes, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 14, 30.12.1921, S. 221; Eine Millionen-Stiftung Exzellenz Bodes, in: Der Tag, Nr. 582, 16.12.1921 u. Bodes Millionenstiftung und die Berliner Museumsbauten, in: Zeit, Nr. 71, 25.3.1922, Beil. Zeitstimmen, in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8241, Bl. 21 u. 23; Otto 1995, S. 42 f; Walravens 1989, S. 112 f; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 435 u. Bd. 2, S. 381; Severin 1991, S. 478 f; ZA [1921?], in: SAdK, PrAdK, 2.2/038, Bl. 129; Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 43, 22.7.1921, S. 789; Jg. 57/1, Nr. 3, 1.10.1921, S. 50 f; Haenisch etc. (SPD), 10.10.1921, in: LT, WP 1, Dr. 1195, S. 1452; Oeser etc. (DDP), 12.10.1921, in: LT, WP 1, Dr. 1196, S. 1452; Heß, 13.10.1921, in: LT, WP 1, Dr. 1222, S. 1461; Boelitz, 14.12.1921, in: LT, WP 1, Dr. 1756, S. 1966.
4. Museumspolitik: Bauprojekt auf der Museumsinsel
371
Da der Bibliothekserlös nur einen Teil der Dahlemer Baukosten gedeckt hätte, vor allem aber um die eigene Position zu wahren, 50 ließ sich das Ministerium nicht auf Bodes Werben ein.51 Zusehends zwischen die Fronten geraten, suchte es nun den querschießenden Bode immer deutlicher in seine Schranken zu weisen. Signifikanter Ausdruck dessen war, daß Boelitz im Frühjahr 1922 anstelle von Bode den Vorsitz der Museumsbaukommission selbst übernahm. 52 Nachdem Becker die Notwendigkeit dieses Schrittes bereits im Februar 1922 erläutert hatte, 53 charakterisierte Boelitz die Entscheidung Bode gegenüber als „im Interesse der Museumsbauten und ihrer planmäßigen Fortführung" gebotenes Bemühen um Ausgleich angesichts der von ihm selbst „sehr bedauerten Meinungsverschiedenheiten". 54 Auch wenn dies als klare Spitze gegen Bode zu lesen war, vermied es der Minister im Brief an Bode, diesen für die Differenzen zur Verantwortung zu ziehen. Vielmehr ergänzte er sein Schreiben um den Zusatz: „Euer Exzellenz haben für die Bauten Großes geleistet. In dankbarer Anerkennung dieser Verdienste lege ich ein erhebliches Gewicht darauf, daß Euer Exzellenz mir und den Mitgliedern der Museumsbaukommission namentlich für die Fortführung des Deutschen Museums mit Ihrem erfahrenen Rate zur Seite stehen." 55 Deutlich bemühte sich Boelitz hier, den Weg zu Bode nicht ganz zu verbauen. Gleichzeitig signalisierte er jedoch unmißverständlich, daß er Bodes Einfluß künftig auf das Kaiser-FriedrichMuseum begrenzt wissen wollte. Am eigentlichen Grund für die Absetzung konnte es nach den Auseinandersetzungen der vorangegangenen Monate allerdings keinen Zweifel geben. Dem Finanzministerium gegenüber verwies das Ressort entsprechend auf das fortgesetzte Opponieren des ehemaligen Generaldirektors gegen Hoffmann, dessentwegen schon 1916 einmal ein Wechsel in der Kommissionsleitung erwogen worden sei.56 Damit war klar: Das Ministerium wollte das Agieren Bodes gegen seine Museumspläne nicht länger hinnehmen und anstelle des streitbaren großen alten Museumsmanns künftig selbst als Zentralinstanz in der Museumsbaufrage fungieren. 57 50 Vgl. dazu auch Manasse (USPD), 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 15 f; Dixi: Nochmals Millionengeschenk, in: Berliner Börsen-Courier, 14.3.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 409. 51 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 435; Ohlsen 1995, S. 299 f; Ζ As März/April 1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 409; Die zurückgewiesene
Museumsschenkung,
in: Voss. Ztg., Nr. 112, 7.3.
1922, Fechter: Die abgelehnten Millionen, in: DAZ, Nr. 125, 15.3.1922 u. Bodes und die Berliner Museumshauten,
Millionenstiftung
in: Zeit, Nr. 71, 25.3.1922, Beil. Zeitstimmen, in: GStA PK,
I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8241, Bl. 22-24. 52 Vgl. dazu Nachtrag zu Fritz Stahl: Bode über die Museumsfragen,
in: BT, 1.4.1922, in: SMBPK /
ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Bode und die Museumsbaukommission,
in: Ku.wan., Jg. 4 , 2 . März-Nr.
1922, S. 325; Bodes Millionenstiftung
und die Berliner Museumsneubauten,
in: Berliner
Börsen-
Courier, 24.3.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 409; Bodes Millionenstiftung und die Berliner Museumsbauten,
in: Zeit, Nr. 71, 25.3.1922, Beil. Zeitstimmen, in: GStA PK, I. H A Rep. 151,
IC, Nr. 8241, Bl. 23; Waetzoldt 1995, S. 58; Otto 1995, S. 43; Ohlsen 1995, S. 296; Viergutz 1993, S. 104; Watzinger 1944, S. 356; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 438 u. Bd. 2, S. 383. 53 Vgl. Becker, 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 18 f. 54 Abschr. Boelitz an Bode, 6.4.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 55 Ebd. 56 Boelitz an FM, 6.4.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 57 Vgl. dazu auch FM an KM, 27.3.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; Bode und die Museumsbaukommission,
in: Ku.wan., Jg. 4, 2. März-Nr. 1922, S. 325.
372
III.
Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Beim Museumsinselneubau prallten die Interessen Bodes und des Ressorts so zunehmend offener aufeinander. Letztlich handelte es dabei um einen ähnlichen Autoritätskonflikt zwischen der Kunstpolitik des Ministeriums und den konkurrierenden Ansprüchen renommierter Fachautoritäten, 58 wie er zur selben Zeit mit Liebermann aufbrach (siehe Kap. III. 3.2.). 59 Der zurückhaltende kunstpolitische Kurs unter Haenisch hatte offenkundig bei den Leitern der großen Kunstinstitutionen die Vorstellung entstehen lassen, nach dem Wegfall des Monarchen komme ihnen die eigentliche Kompetenz zu. Als dann aber das Ministerium unter dem Einfluß kunstwissenschaftlicher Fachreferenten eine immer konturiertere eigene Kunstpolitik betrieb, kollidierten die Ambitionen des Ministeriums und der Fachautoritäten miteinander.60 Während sich in der Akademie die Reformkräfte infolgedessen gegenseitig blockierten, erschwerte der Konflikt zwischen dem Ministerium und Bode 6 1 den Fortgang der ohnehin belasteten Bauarbeiten auf der Museumsinsel. Das Ministerium pochte demgegenüber immer nachdrücklicher auf seine Position. Bode jedoch bestand weiter hartnäckig auf seinem Einfluß auf die Museumspolitik. Entsprechend unternahm er Anfang 1923 einen erneuten Vorstoß, das aufgegebene Dahlemer Projekt doch noch zu ermöglichen. Dieses Mal bot er der Regierung 170 Millionen M, umgerechnet 250.000 Dollar, für die Vollendung des Asiatischen Museums an, die ihm zum fünfzigsten Dienstjubiläum im Sommer 1922 aus dem In- und Ausland geschenkt worden waren. 62 Bode suchte sein Renommee und seine Kontakte zu Mäzenen hier für die Behauptung seines Museumskonzepts gegenüber dem konkurrierenden Modell des Ministeriums einzusetzen.63 In einer Zeit, in der die Inflation auch den Museumsinselneubau unter Druck geraten ließ 64 und Unregelmäßigkeiten in der Kostendeckung des Bauleiters Wilhelm Wille auftraten,65 zeigte sich das Ministerium zunächst entgegenkommender als noch 58 Vgl. dazu auch Waetzoldt 1995, S. 56; Schmitz 1931, S. 103 f. 59 Vgl. W. Jens 1997, S. 208; zur Nähe Bodes zu Liebermann vgl. Bode als Zeitgenosse der Kunst 1995, S. VII; Schuster 1995, S. 12 u. 26. 60 Vgl. dazu auch Waetzoldt 1933, S. 85. 61 Zur Ausnahmestellung Waetzoldts in diesem Zusammenhang vgl. Waetzoldt an Bode, 6.1.1922, hs. u. Waetzoldt an Bode, 23.12.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzoldft], 62 Vgl. Adolf Donath: Bodes 50jähriges Amtsjubiläum, in: Ku.wan., Jg. 4, 1./2. Juli-Nr. 1922, S. 483 f; Julius Elias: Wilhelm von Bode, in: Ku. u. Kü., Jg. 20, Nr. 11, Aug. 1922, S. 4 2 0 - 4 2 2 ; Text Bode für die Presse, 18.1.1923, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 174; Neue große
Millionen-Stif-
tung Bodes, in: Ku.wan., Jg. 5 , 2 . Jan.-Nr. 1923, S. 225 f; Wolfradt: Bodes Museumsstiftung, in: Cie., Jg. 15, Nr. 4, Febr. 1923, S. 203; Otto 1995, S. 43; Ohlsen 1995, S. 300 f; Watzinger 1944, S. 356; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 439-441 u. Bd. 2, S. 384; Severin 1991, S. 478 u. 480. 63 Publizistisch unterstützt wurde er dabei von Adolph Donaths Zeitschrift Der Kunstwanderer,
die
sich 1922-25 mehr und mehr zum Sprachrohr der Bode-Verehrer und Dahlem-Befürworter entwickelte, vgl. dazu z.B. Neue große Millionen-Stiftung
Bodes, in: Ku.wan., Jg. 5, 2. Jan.-Nr. 1923,
S. 225 f; Bodes Millionen-Stiftung für das Asiatische Museum, in: Ku.wan., Jg. 5 , 1 . März-Nr. 1923, S. 294 f. 64 Vgl. Schriftwechsel KM - FM April 1922-Aug. 1923, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; A. Kuhn: Die Kunst im preußischen Staatshaushaltsentwurf, in: Ku.chr., Jg. 58/1, Nr. 20,16.2.1923, S. 392 f; Kunert (SPD), 14.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17365-17367. 65 Vgl. FM an KM, 22.2.1921, ms., FM an KM, 27.3.1922, ms., Bau- u. Finanzdirektion an KM,
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
373
Museumsinsel
1922. 66 So dankte Boelitz Bode umgehend für das Angebot und betonte, er sehe „in diesem erneuten hochherzigen Anerbieten einen weiteren Beweis Ihrer außerordentlichen opferfreudigen Fürsorge für die unter Ihrer [...] Amtsführung so erfolgreich ausgebauten staatlichen Museen." Und mehr noch: Er versprach, die Offerte prüfen zu lassen, und kündigte eine Besprechung an, an der auch Bode teilnehmen solle.67 Auf Nachfrage teilte der Minister wenig später mit, man gleiche das Spendenangebot mit dem Bauplan ab.68 Auf Vorschlag des Ministers besuchten Boelitz und Bode gemeinsam den Dahlemer Bau. 69 Ende März 1923 kam es tatsächlich zur angekündigten Aussprache im Ressort. 70 Letztlich bestand das Ministerium jedoch auf seinem Programm von 1922. Auch das Finanzressort lehnte eine Wiederaufnahme des Dahlemer Projekts ab. Angesichts der unsicheren Finanzlage beim Museumsinselbau schlug das Finanzministerium daraufhin eine Umlenkung der BodeSpende auf das Deutsche Museum vor. Bode zeigte sich aufgeschlossen dafür,71 machte aber eine strikte Kontrolle der Bauleitung zur Bedingung. 72 Das Ministerium Boelitz hatte damit sein Museumskonzept gegenüber Bode behaupten können. Beim Museumsinselbau bewegte es sich nun allerdings auf immer diffizilerem Terrain, weil die virulenten Probleme in der Bauorganisation Bodes Kritik an der Bauleitung zu bestätigen schienen und die Kooperation mit den Architekten zur offenen Flanke für die ministerielle Politik wurde. 73 Bode nutzte dies für eine weitere Zuspitzung seines Konflikts mit dem Ministerium um die Frage, wer das sinnvollere Konzept für die Berliner Museumslandschaft und die Museumsinsel vertrete. Die Konfrontation personalisierte sich dabei zusehends. 74 Den jun8.12.1922, ms. u. KM (Nentwig) an FM, 28.11.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; Justi an KM, 7.11.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; siehe auch BodeMemoiren 1997, Bd. 1, S. 440. 66 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 439; siehe auch Wolfradt: Bodes Museumsstiftung,
in: Cie.,
Jg. 15, Nr. 4, Febr. 1923, S. 203; Bodes Millionen-Stiftung für das Asiatische Museum, in: Ku.wan., Jg. 5 , 1 . März-Nr. 1923, S. 294 f. 67 Boelitz an Bode, 25.1.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Otto Boelitz. 68 Boelitz an Bode, 26.2.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Otto Boelitz. 69 Vgl. ebd.; vgl. dazu auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 456; Boelitz an Bode, 24.8.1922, ms., Boelitz an Bode, 26.8.1922, ms. u. Boelitz an Bode, 5.1.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Otto Boelitz; Bode, 20.11. [1926], hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 216. 70 Vgl. Boelitz an Bode, 23.3.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Otto Boelitz. 71 Ausschlaggebend dafür war vermutlich nicht zuletzt, daß im Januar 1923 ein Bauplan aufgestellt worden war, nach dem der für Bodes Deutsches Museum vorgesehene Nordflügel zuletzt fertiggestellt werden sollte, vgl. Wille: Zur Sitzung der Museumsbaukommission
vom 12.1.23,
in: Landes-
archiv Berlin, Rep. 200, Acc. 3559, Nr. 118 (Hinweis Nikolaus Bernau); Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 440. 72 Vgl. Abschr. Gall: Kurze Niederschrift Schenkungsangebot
über die Besprechung
am 26. März 1923 betreffend
das
Exzellenz von Bode's für das Asiatische Museum in Dahlem, ms., in: SMBPK /
ZA, Nachlaß Bode, Nr. 410; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 440 f; Becker, 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 11 f. 73 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 440 f. 74 Vgl. Rosenhagen: Wilhelm von Bode und das Kultusministerium,
in: Tägliche Rundschau,
1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 409; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 429 u. 435.
24.4.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
374
1921-32
gen Museumsreferenten Gall, der sich zunächst um ein gutes Verhältnis zu Bode bemüht hatte, 75 nahm Bode als einen zwar lästigen, aber kaum ebenbürtigen Widerpart wahr.76 Als eigentlichen Gegner empfand Bode hingegen Staatssekretär Becker. 77 Symptomatisch dafür war, daß in Bodes Argumentation gegen die ministeriellen Pläne nun verstärkt die These ins Zentrum rückte, der Orientalist Becker wolle Dahlem verhindern, weil er die islamische Kunst nicht dort, sondern im Zentrum Berlins auf der Museumsinsel gemeinsam mit der europäischen Kunst und der Antike ausgestellt wissen wolle. 78 Hintergrund der Behauptung war folgender: 1922 hatte Becker auf Versuche Ernst Troeltschs, eine Theorie in sich geschlossener Kulturkreise zu begründen, mit dem Hinweis auf die Unhaltbarkeit der Theorie für den Islam reagiert und die Mittlerrolle des Islam zwischen Asien und Europa betont. In diesem Kontext hatte er auf die stärkere Affinität der islamischen Kultur zu Europa hingewiesen und angemerkt, daß dies „auch eine eminent praktische Bedeutung hat, wenn es ein Museum einzurichten gilt." 7 9 Nachdem die Bode-Presse dies bereits zuvor museumspolitisch zu instrumentalisieren versucht hatte, 80 griff Bode im Frühjahr 1923 darauf zurück und erklärte, für den Verzicht auf Dahlem und den Verbleib der Islamabteilung im Kaiser-Friedrich-Museum gebe es letztlich „nur einen ernstlichen Grund: der jetzige Staatssekretär u. frühere Kultusminister Professor Dr. Becker, ein bekannter Islam-Philologe, ist überzeugt, dass die islamische Kunst gar nicht asiatisch ist, sondern zur Mittelmeerkunst gehört u. daher mit der hellenistischen u. byzantinischen Kunst vereinigt bleiben muss." 8 1 Diese Auffassung, betonte Bode, teilten andere Islamforscher und Kenner der islamischen Kunst jedoch keineswegs. Überdies sei die differierende Perspektive kein Grund, „die Sammlungen der Museen, die gewachsen sind, hin- und herzuwerfen und dadurch alte Sammlungen aufs schwerste zu gefährden". 82 Bode spitzte den Autoritätskonflikt mit dem Ministerium damit genau auf den Punkt zu, in dem er sich selbst für überlegen hielt: auf die Frage der Fachkompetenz. Während er für sich selbst eine große Nähe zur islamischen Kunst beanspruchte, 83 suchte Bode die Unrechtmäßigkeit der ministeriellen Pläne dadurch
75 Vgl. Gall an Bode, 22.8.1919, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Ernst Gall; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 426. 76 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 426, 452 u. 464 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 138. 77 Vgl. dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 390-397. 78 Vgl. dazu auch Severin 1991, S. 478 u. 480; Ohlsen 1995, S. 298. 79 Zitiert nach Der Kampf
um das Asiatische Museum
in Berlin-Dahlem,
in: Ku.wan.,
Jg. 7,
1./2. April-Nr. 1925, S. 270. 80 Vgl. Rosenhagen: Wilhelm von Bode und das Kultusministerium,
in: Tägliche Rundschau,
24.4.
1922 u. Q-S: Der weise Sowjet und unser Herr Becker, in: Schlesische Zeitung, 2.3.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 409. 81 Bode: Warum Bode die ihm gemachte Stiftung von etwa 160 Mio. Mk. zur Fertigstellung
des
Asiatischen Museums zur Verfügung stellt, [April 1923], hs., S. 4 r, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 408; zum Text vgl. auch Severin 1991, S. 478 u. 480. 82 Bode: Warum Bode die ihm gemachte Stiftung von etwa 160 Mio. Mk. zur Fertigstellung des Asiatischen Museums zur Verfügung stellt, [April 1923], hs., S. 4 r-v, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 408. 83 Ebd., S. 4 v-5 r; vgl. dazu auch Friedrich Sarre: Wilhelm von Bode und die Islamische lung, in: Ku.wan., Jg. 11, 1./2. April-Nr. 1929, S. 343-345; Severin 1991, S. 461 u. 466.
Kunstabtei-
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
Museumsinsel
375
zu belegen, daß er Beckers in anderem Zusammenhang und keineswegs in der suggerierten Einseitigkeit vertretene These zu deren eigentlichem Hintergrund stilisierte, zugleich aber auf die mangelnden Kenntnisse Beckers auf dem Gebiet der islamischen Kunst abhob und so die Ressortambitionen als fachunkundig abqualifizierte.84 Becker ließ sich indes auf die heraufbeschworene Fachkonkurrenz nicht ein und unterstrich Mitte April 1923: „Es sei bedauerlich, daß dieser sogenannte Museumskrieg entstanden sei, der nicht nur gegen die Bauleitung, sondern in hohem Maße auch gegen einzelne Persönlichkeiten des Ministeriums geführt werde. [...] Das Kultusministerium habe sich jedoch auf den Boden gestellt, daß das im vorigen Jahre genehmigte Programm durchgeführt werden müsse, und daß es seine Stellung Bode gegenüber nach diesem Projekt einzurichten habe. [...] Aus einem Artikel von Bode klinge heraus, als ob bei der Beurteilung der Dinge eine abweichende wissenschaftliche Einstellung des Kultusministeriums eine entscheidende Rolle gespielt habe; bei so großen finanziellen Bedenken gebe aber die wissenschaftliche Differenz nicht den Ausschlag." 85 Der Staatssekretär ließ damit allein die Finanzlage als Grund für die ministeriellen Museumspläne gelten.86 Daß die Denkschrift von 1922 betonte, die Kunst Europas, des Mittelmeers und des nahen Orients entstamme „durchaus einem innerlich zusammenhängenden Kulturkreise", 87 stellte sich so als ein zusätzliches Argument für das ministerielle Museumskonzept dar, aber keineswegs als deren zentrales Motiv.88 Anfang 1925 wurde der Vorwurf des inkompetenten Torpedierens der Bode-Pläne durch Becker 8 9 dann auch in der Presse zurechtgerückt. Zum einen wies Georg Biermann unter
84 Das Bemühen, Beckers Inkompetenz für den Kunstbereich zu belegen, spiegelte sich bereits in einer Anekdote in Ku. ». Kit., Jg. 20, Nr. 9, Juni 1922, S. 332. Hier wurde von einem preußischen Kultusminister der Vorkriegszeit berichtet, der, als er von einem Museumsleiter ein Buch mit persischen Fayencen gezeigt bekam, zu einer Abbildung in Blau und Weiß lediglich zu bemerken wußte: „Ah, die Farben der Göttinger Borussen." Auch die Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 452 f weisen in diese Richtung - findet sich hier doch der Bericht über eine Besichtigung der Islamischen Abteilung, bei der Becker römische und byzantinische Fayencen als ägyptische Arbeiten des 14. und 15. Jahrhunderts mißinterpretierte. 85 Becker, 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 11 f. 86 Tatsächlich waren 1921 wie 1923 rein finanzielle Aspekte ausschlaggebend für den Verzicht auf Dahlem gewesen (siehe Kap. II. 3.1.). 87 Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2193. Genauer führte die Denkschrift (ebd., S. 2191) dazu aus, man habe vor dem Krieg auch die islamische Kunst im Asiatischen Museum unterbringen wollen, „obwohl sie in einem Museum, das in erster Linie den [...] Sammlungen Hinterasiens gewidmet war, nicht eigentlich am Platze sein konnte, denn die islamische Kunst ist auf vorderasiatischem Boden entstanden und steht somit der Kunst des Mittelmeergebiets näher als der des fernen Ostens, vor allem da die Fassade des Schlosses ,Mschatta' (Syrien), ein Hauptstück der Sammlung, mit gleichem Recht als Endglied hellenistisch-byzantinischer Kunst wie als Anfangsglied islamischer Kunst bewertet werden kann." 88 Entsprechend finden sich etwa im Nachlaß Becker keinerlei Belege für Bodes Vorwurf. 89 Vgl. dazu erneut Der Kampf um das Asiatische Museum. Die ausländischen Gelehrten für Bode'schen Plan, in: Ku.wan., Jg. 7,1./2. Juli-Nr. 1925, S. 151 f.
den
III. Tendenzen der ministeriellen Kumtpolitik
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1921-32
Berufung auf den Leiter der Islamischen Abteilung Friedrich Sarre darauf hin, daß der Begriff Asien problematisch sei und die islamische Kunst „zu mindestens 9/10 der Mittelmeerkultur zugehört". Die „Beckersche These von der Zugehörigkeit der islamischen Kunst zum Kulturkreis des Mittelmeerbeckens [..] [sei] überall längst von den Forschern auf dem Gebiete der asiatischen Kunst anerkannt worden." 9 0 Zum anderen stellte sich Ernst Kühnel, damals Kustos der Islamischen Abteilung, noch eindeutiger auf die Seite Beckers, indem er betonte, bei der von Bode initiierten Diskussion handele es sich um ein Scheingefecht, das von der Annahme lebe, „daß tatsächlich C. H. Becker eine derartige Theorie begründet und gelegentlich der Entscheidung über das Dahlemer Projekt umgesetzt hat." 9 1 Dies sei jedoch, führte Kühnel unter Hinweis auf die Troeltsch-Debatte und Beckers damalige Bemerkung zum Thema Museen aus, keineswegs der Fall. Statt dessen stehe fest: „Diese beiläufige Randbemerkung [...] konnte nur deshalb in der Oeffentlichkeit soviel Staub aufwirbeln, weil der, der sie tat, an der Spitze der preußischen Kunstverwaltung stand, und weil der, der sie aufgriff, seine Museumspolitik von ihr bedroht glaubte." 92 Bei der Entscheidung gegen Dahlem sei keineswegs die wissenschaftliche Haltung Beckers maßgeblich gewesen zumal der angesehene Orientalist in anderem Kontext „die fortschreitende Asiatisierung der spätantiken und islamischen Welt" betont habe und es so „bei einigem bösen Willen leicht wäre, aus seinen eigenen Schriften Thesen und Antithesen einander gegenüberzustellen." 93 Die Behauptung Bodes, Beckers Auffassung über die Zurechnung des Islam sei der eigentliche Grund für die Revision seiner Museumspläne gewesen, entpuppte sich auf diese Weise als bloße Strategie im Autoritätskonflikt zwischen Bode und dem Ministerium im Umfeld des Museumsinselneubaus. Während sich der Konflikt mit Bode im Frühjahr 1923 zuspitzte und das Museumsinselprojekt extrem belastete, suchte das Ministerium Boelitz seine Kompetenz in der Museumbaufrage zu festigen, indem es im Landtag auf den Baufortschritt 94 und sein Bemühen ver-
90 Biermann: Asiatische Kunst in den Berliner Museen, in: Cie., Jg. 17, Nr. 3, Febr. 1925, S. 144-146; vgl. dazu auch Biermann: Nochmals ,Asiatische Kunst in den Berliner Museen', in: Cie., Jg. 17, Nr. 6, März 1925, S. 339-341; F. S[arre] an Biermann, 27.2.1925, Ds., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6447; Der Kampf um das Asiatische Museum in Berlin-Dahlem,
in:
Ku.wan., Jg. 7,1./2. März-Nr. 1925, S. 232; Severin 1991, S. 470. 91 Zuschrift Ernst Kühnel an Biermann, 17.3.1925, in: Der Kampf um das Asiatische Museum in Berlin-Dahlem, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. April-Nr. 1925, S. 270; vgl. dazu auch [Friedrich Sarre?] (vgl. dazu GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6796) an Biermann, 17.3.1925, Ds., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6447; Ernst Kühnel an Becker, 19.3.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 5966. 92 Zuschrift Ernst Kühnel an Biermann, 17.3.1925, in: Der Kampf um das Asiatische Museum in Berlin-Dahlem,
in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. April-Nr. 1925, S. 270 u. 272; zu den Hintergründen vgl.
Kühnel an Becker, 19.3.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 5966; ähnlich später auch O. K.: Das asiatische Museum in Berlin, in: Cie., Jg. 17, Nr. 17, Sept. 1925, S. 859 f. 93 Zuschrift Ernst Kühnel an Biermann, 17.3.1925, in: Der Kampf um das Asiatische Museum in Berlin-Dahlem, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. April-Nr. 1925, S. 272. 94 Vgl. Becker, 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 11; Nentwig, 14.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17386 u. 17403 f.
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
Museumsinsel
377
wies, die Bodes Interessen deutlich zupaß kommenden Probleme mit der Bauleitung intern zu regeln. Entsprechend betonte Becker im April 1923, wegen der von der Bauleitung verschuldeten Finanzrückstände habe es eine Besprechung gegeben, bei der beschlossen worden sei, „daß die Bauleitung in Zukunft [...] mehr als bisher mit der staatlichen Aufsichtsbehörde zusammenarbeiten solle." 95 Der Hauptausschuß des Landtags stellte sich im Konflikt mit Bode gleichzeitig auf die Seite des Ministeriums und bestand wegen der nationalen Relevanz des Museumsinselbaus auf Einhaltung des Bauprogramms von 1922. 96 Erhielt das Ministerium also vom Landtag Rückendeckung für seine Museumsbaupolitik, ließ sich der für die Klärung der Bauprobleme eingesetzte Untersuchungsauschuß allerdings in den folgenden Wochen nicht auf die vom Ministerium angestrebte interne Regelung der Schwierigkeiten mit Bauleiter Wille ein, sondern thematisierte diese offen und leistete der Bode-Kritik damit weiteren Vorschub. 97 Empört konstatierte Becker daraufhin im Juni 1923: „Ein Unterausschuss des Landtages behandelte gestern abend gründlich die Museumsbaufrage und stand offenbar ganz unter der Fragestellung Hoffmann-Wille. Unsere Herren waren über diese Illoyalität ziemlich ärgerlich. Es kann nicht schaden, wenn die Bauverwaltung etwas auf den Kopf bekommt. Der Zweifrontenkampf ist allerdings unerfreulich." 98 Auf diese Weise endgültig zwischen die Fronten der am Museumsinselbau beteiligten Parteien geraten, ergriff das Ministerium seit Mitte 1923 die Flucht nach vorn. Es löste sich aus dem destruktiven Kleinkrieg der am Bau direkt Interessierten und konzentrierte sich darauf, die Bautätigkeit gemeinsam mit eben den Kräften auf eine solidere Basis zu stellen, mit denen es sich einig über das Ziel der stringenten Umsetzung des Programms von 1922 sah: mit dem Finanzministerium und dem Landtag.99 Damit markierte das Ressort nach den vorangegangenen Querelen einen entscheidenden Schnitt. Nachdem Bauleiter Wille bereits im April 1923 einer verstärkten Kontrolle des Kultusministeriums unterstellt worden war,100 ging es nun zunächst um die Umsetzung der neuen Hierarchien in der Praxis.101 95 Becker, 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 11; vgl. dazu Greuel: Protokoll Besprechung vom 9.4.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 96 Vgl. Heß (Z), Buchhorn (DVP), Schwering (Z) u. Manasse (VSd), 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 3 f, 10 f u. 13; Kunert (SPD) u. Buchhorn (DVP), 14.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17365-17367 u. 17400-17402; siehe auch Wallraf (DNVP), 14.5.1923, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 17376-17378. 97 Vgl. Gall: Protokoll Besprechung vom 25.5.1923, 6.4.1923, ms. u. Ergebnis der
Verhandlungen
des Unterausschusses des Hauptausschusses zur Vorbereitung der Museumsangelegenheiten,
7.6-
10.7.1923, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; LT, W P 1, HA, Szg. 220, Sp. 11-15; Bode-Memoiren 1997, Bd. 2, S. 384; vgl. auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 441 u. 453. 98 Becker an Boelitz, 8.6.1923, ms., S. 11, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7869. 99 Vgl. dazu Gall, 18.6.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 220, Sp. 15; KM (Nentwig) an FM, 25.10.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; Buchhorn (DVP), 14.2.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 10 f; siehe dazu später auch Schmitz 1931, S. 103; Becker, 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 17 f. 100 Vgl. Text, [April 1923], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 101 Vgl. Hochbauabteilung FM an Oberbaurat Saran, 3.10.1923, ms., Hoffmann an [KM], 16.4.1924, ms., Abschr. Becker an Hoffmann, 16.5.1924, ms., KM (Pallat) an FM, 30.4.1924, ms., Notizen
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
378
Dadurch wurde nicht zuletzt die Voraussetzung für die Spendenumlenkung auf das Deutsche Museum geschaffen. 102 Angesichts der fortschreitenden Inflation und der Stabilisierungsbemühungen der Reichsregierung rückte dann jedoch die Frage, ob und wie der Museumsinselbau überhaupt fortzuführen sei, in den Vordergrund. Nachdem das Finanzressort Ende 1923 zur Klärung der Lage einen Baustop für alle nicht von der Einrüstung abhängigen Bauarbeiten auf der Museumsinsel verhängt hatte, 103 sprach sich der Landtag Anfang 1924 aus Gründen des nationalen Prestiges eindeutig für eine Baufortsetzung aus. 104 Nentwig erklärte dazu, „daß die Kultusverwaltung Wert darauf lege, das Museum endlich in Gebrauch nehmen zu können, um große Schädigungen und Gefährdungen wertvoller Kunstwerke zu verhindern." 105 Zugleich mußte das Ressort allerdings konstatieren, infolge der „Finanzkalamität des Staates" habe sich der Bauplan nicht einhalten lassen.106 Damit war klar: Hauptanliegen mußte jetzt sein, den Museumsinselbau auf eine neue, tragfähige Finanzgrundlage zu stellen. Zur Debatte standen vor allem zwei Finanzierungsmodelle: Zum einen die Idee, den Bau mit Hilfe einer Lotterie zu finanzieren, bei der Museumsdubletten als Gewinne locken könnten. Zum anderen wurde erneut das 1921 von Scheffler vorgeschlagene Modell aktuell, den Bau durch Entschädigungsgelder zu finanzieren, die das Reich Preußen für den Verlust des Genter Altars und der Bouts-Bilder zahlen sollte (siehe Kap. II. 5.2.). Während der Landtagsausschuß für die erste Variante optierte und die Vision eines nationalen Gemeinschaftswerks heraufbeschwor, 107 meldete das Kultusministerium von Beginn an Bedenken gegen das Lotteriemodell an. 108 Offiziell begründete es dies mit der geringen Dublettenzahl. 109 Nentwig warnte überdies vor einer unerwünschten Wirkung im Ausland: „In England sei früher schon der Gedanke aufgetaucht, FM für Oberfinanzrat Hübner, ms., Hochbauabteilung FM an Dulheuer (FM), 2.6.1924, ms. u. Becker an FM, 14.10.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; vgl. auch Schubart (FM), 20.10.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 62, Sp. 8 f. 102 Nachdem Nentwig noch im Mai 1923 betont hatte, bisher sei keine Zusage von Bode über die Verwendung der Gelder eingegangen (14.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17386), flöß die Spende später offenbar tatsächlich in den Museumsinselbau ein, vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 441 u. 464 f; Ohlsen 1995, S. 301; Der Kampf um das Asiatische Museum in Berlin-Dahlem,
in:
Ku.wan., Jg. 7, 1./2. April-Nr. 1925, S. 270 u. 272 f, S. 272. 103 Vgl. Fürstenau: Protokoll Besprechung, 20.12.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; Kimbel (DNVP) u. Dulheuer (FM), 23.1.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 238, Sp. 2 - 5 u. 15. 104 Vgl. LT, W P 1, Dr. 7498, S. 7940; LT, W P 1, HA, Szg. 238, Sp. 2; Kimbel (DNVP) u. Waentig (VSd), 23.1.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 238, Sp. 2 - 6 . 105 Nentwig, 23.1.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 238, Sp. 7; vgl. dazu auch Dulheuer (FM), 23.1.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 238, Sp. 15. 106 Nentwig, 23.1.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 238, Sp. 7. 107 Vgl. LT, W P 1, HA, Szg. 238, Sp. 2, 4 - 9 u. 11-16; Katz (KPD), 22.2.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 248, Sp. 7 f; zum Lotterieplan vgl. auch Watzinger 1944, S. 365. 108 Vgl. dazu auch schon Haenisch, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7289. 109 Vgl. Nentwig u. Gall, 23.1.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 238, Sp. 7-10, 12 f u. 15 f; zur generell durchaus positiven Haltung des Ressorts zur Nutzung von Dubletten als Finanzierungsquelle siehe Becker, 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 12; Nentwig, 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 14.
4. Museumspolitik:
Bauprojekt auf der Museumsinsel
379
sich für die fehlenden Reparationsleistungen Deutschlands dadurch schadlos zu halten, daß man die Kunstschätze ausbeute. Er fürchte, daß man bei den Feinden sage: der Preußische Landtag will für einen überflüssigen Museumsbau seine Kunstschätze weggeben, also nehmen wir sie uns lieber. Es sei Deutschland schon wiederholt zum Vorwurf gemacht worden, daß es nach dem Kriege nicht sämtliche Bauten stillgelegt habe, während Frankreich das nach dem Frankfurter Frieden getan habe, um die Kriegsschulden zu bezahlen." 110 Zudem bezweifelte das Ressort, ob durch eine Lotterie die nötigen Summen aufgebracht werden könnten. 111 Im Hintergrund der ministeriellen Skepsis stand aber vermutlich auch die Befürchtung eines erneuten staatlichen Kontrollverlustes und einer Begünstigung Hoffmanns und Bodes. 112 Nachdem der Ausschuß dennoch auf der Lotterie bestanden hatte, 113 erhielt das Ressort schließlich im Februar 1924 Schützenhilfe vom zuständigen Wohlfahrtsministerium, das die Idee ablehnte. 114 Gegen den im Zuge der Lotterieablehnung geäußerten Vorwurf, das Ministerium Boelitz setze sich nicht genug für den Museumsinselneubau ein, 115 verteidigte sich das Ressort, indem es wiederum auf die Baufortschritte und eine gerade bewilligte Summe von 300.000 M verwies, die die beste Anschubfinanzierung darstelle. 116 Gleichzeitig setzte sich das Ministerium trotz Skepsis des Landtags 117 vehement für das zweite Modell einer Baufinanzierung durch Entschädigungsgelder des Reiches ein. Das Ministerium hatte solche Zahlungen bereits 1921 angemahnt. 118 Bis 1923 war man aber nicht weitergekommen. 119 Im Januar 1924
110 Nentwig, 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 14; vgl. dazu auch Kimbel (DNVP) u. Buchhorn (DVP), 23.1.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 238, Sp. 16. 111 Vgl. Nentwig, 23.1.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 238, Sp. 7 f. 112 Vgl. dazu auch Scheffler: Berliner Museumsbau-Lotterie, in: [Voss. Ztg., Nr. 148, 27.3.1922], in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Waentig (VSd), 22.2.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 248, Sp. 3 f; Nentwig, 23.1.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 238, Sp. 7. 113 Vgl. LT, WP 1, HA, Szg. 238, Sp. 17; Szg. 248, Sp. 13; LT, WP 1, Dr. 7598, S. 8053 f; LT, WP 1, Prot., Sp. 21535. 114 Vgl. Kämper (Ministerium für Volkswohlfahrt), Schwering (Z) u. Lauscher (Z), 22.2.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 248, Sp. 2, 6 - 9 u. 11; zum Festhalten des Landtags an der Lotterieidee vgl. LT, WP 1, Prot., Sp. 21535-21539 u. 21544 f; LT, WP 1, HA, Szg. 248, Sp. 9 u. 11 f; zum endgültigen Scheitern der Idee vgl. FM an Präsident Generallotteriedirektion, 8.5.1924, ms., Präsident Generallotteriedirektion an FM, 14.5.1924, ms. u. FM an Unterstaatssekretär Busch, 26.6.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. 115 Vgl. LT, WP 1, HA, Szg. 238, Sp. 3, 8 f, 11 f u . 14; Szg. 248, Sp. 3 f u. 6. 116 Nentwig, 22.2.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 248, Sp. 4 f. 117 Vgl. Preuß (DDP), 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 15; Schwering (Z), Waentig (VSd) u. Koch (DNVP), 23.1.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 238, Sp. 11-14. 118 Vgl. Becker, 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 11 f; zur Diskussion um das Thema vgl. auch Julius Elias: Berliner Kunstglossen, in: Der Tag, 5.1.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Heß (Z), 22.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7435-7438; Heß (Z) u. Becker, 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 8-14; Q-S: Der weise Sowjet und unser Herr Becker, in: Schlesische Zeitung, 2.3.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 409; Heß (Z), 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 3 f u . 15. 119 Vgl. Becker, 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 11 f.
380
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
erinnerte Nentwig in der Debatte um den Inselbau erneut an die Verpflichtung des Reiches und bat den Landtag um Unterstützung. 120 Kurz darauf forderte zudem das Finanzressort unter Hinweis auf die ausstehende Entschädigung verstärkte Reichszuwendungen für die preußische Kulturpolitik. 121 Dadurch kam im Frühjahr 1924 tatsächlich Bewegung in das Thema. Neben dem Finanz- engagierte sich nun vor allem das Kultusressort für eine Entschädigungsbewilligung, um so den Museumsinselbau fortsetzen zu können. Nachdem die zuständige Kommission beim Reichskommissariat für Reparationslieferungen einen entsprechenden Antrag des Finanzressorts befürwortet und betont hatte, die preußischen Museen als „kleiner in sich abgeschlossener Organismus mit großer kultureller Bedeutung" müßten eine Sonderregelung erfahren, knüpfte Gall „über eine Vertrauensperson" Kontakt zu den Entscheidungsträgern im Reichsfinanzministerium und erfuhr, „dass die Aussichten für eine Entschädigung keineswegs ungünstig sind." 122 U m die Aufgeschlossenheit der Reichsbehörde weiter zu fördern, bat Gall daraufhin den Kunstreferenten des preußischen Finanzressorts Hübner darum, dem Reichsfinanzministerium umgehend zu bestätigten, „dass eine Entschädigung, die das Reich für den Genter Altar und die beiden Bilder von Dirk Bouts zahlen würde, ausschliesslich den Zwecken der Museen zugute kommen würde, indem die Summe dazu dienen soll, die ins Stocken geratenen Bauten auf der Museumsinsel weiterzuführen." 1 2 3 Als Hintergrund der Bemühungen betonte Gall noch einmal, man hoffe, so „die Mittel für eine recht baldige Beendigung der Bauten zu erhalten, damit endlich die grossen Schwierigkeiten, die in der Oeffentlichkeit und im Landtage entstanden sind, behoben werden können." 1 2 4 Die Entschädigungsgelder wurden so quasi zur Voraussetzung für die Beilegung des Museumskrieges. Hübner ließ der Reichsbehörde daraufhin die erbetene Bestätigung zukommen, in der lediglich der Verwendungszweck etwas offener formuliert war. 125 Und nur wenig später zeigte das Engagement Wirkung: Das Kommissariat für Reparationslieferungen teilte Gall am 2. Mai 1924 vertraulich mit, das Reich sei bereit, Preußen als Sonderentschädigung einen Kredit von sechs Millionen GM einzuräumen. Bedingungen seien 1. die Verwendung für die Museen, speziell für den Museumsinselneubau, 2. der Verzicht auf weitere Entschädigungen, 3. die Mitwirkung an „Kunst- und Mobiliarlieferungsabkommen auf Grund des Versailler Vertrages" bis zu zwei Drittel Millionen GM und 4. die Zuständigkeit des Reichs-
120 Nentwig, 23.1.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 238, Sp. 9 f. 121 Abschr. FM an Reichsfinanzministerium, 16.2.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 220-221 u. 225-228; siehe dazu auch Staatsministerium an FM, 29.11.1924, ms., FM an Braun, 10.1.1925, ms. u. Abschr. Reichsfinanzministerium an KM (Gall), 6.7.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 229-230 u. 232. 122 Gall an Hübner (FM), 9.4.1924, ms., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 123 Ebd., S. 2. 124 Ebd., S. 3. 125 In FM an Reichsfinanzministerium, 19.4.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263 hieß es, daß die Entschädigung „ausschließlich für Zwecke der preussischen Kunstverwaltung verwendet wird, insbesondere zur Ermöglichung der Weiterführung der Bauten auf der Museumsinsel."
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
Museumsinsel
381
finanz- und des Kultusressorts. 1 2 6 A m 13. Mai einigte man sich auf eine endgültige Vereinbarung, die weiterhin die genannten Punkte umfaßte, die den Interessen des Kultusressorts im Detail aber noch konsequenter Rechnung trug. 1 2 7 Weil die abgetretenen Werke eigentlich mehr wert waren als die vereinbarte Entschädigungssumme, bat Becker am 15. Mai zudem u m eine Festsetzung der Entschädigung auf „mindestens" sechs Millionen G M und drängte mit Blick auf die Baufortführung auf eine baldige Bewilligung der Gelder. 1 2 8 N a c h d e m das Lotteriemodell wegen der Entschädigung endgültig abgelehnt worden war, 1 2 9 kamen das Reichsfinanzministerium und Preußen schließlich im Juli 1924 überein, daß das Reich von der Entschädigungssumme sofort 5 0 0 . 0 0 0 G M in bar zahlen und für die restlichen 5,5 Millionen G M Schatzanweisungen in vier Raten bis April 1926 ausgeben werde. 1 3 0 Die angekündigten 5 0 0 . 0 0 0 G M gingen Preußen dann wirklich noch im Juli 1924 zu. Waetzoldt legte die Summe auf einem Sonderkonto bei der Preußischen Staatsbank an - diese spezielle F o r m der Veranlagung am offiziellen Etat vorbei hielt er angesichts des sukzessiven Eingangs der Mittel sowie mit Blick auf die „zahlenmäßig zur Zeit noch nicht bestimmbare Verwendung und die gegenwärtige außenpolitische Situation" für unerläßlich. 1 3 1 U m g e hend stellte der Kunstreferent von der verfügbaren Summe 3 7 . 5 0 0 G M für den Museumsinselbau bereit. 1 3 2 Berücksichtigt man die 3 0 0 . 0 0 0 G M , die das Finanzressort zuvor bewilligt hatte, 1 3 3 verfügte der Bau so seit dem Sommer 1924 über eine durchaus
solide
Finanzbasis, mit der die Bauvollendung im 1922 vorgesehenen Rahmen wieder realistisch erschien. 1 3 4 D u r c h das Engagement des Kultus- und des Finanzressorts war damit die vor-
126 Abschr. Reichskommissariat für Repartionslieferungen an Gall, 2.5.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. 127 Wichtig war der Kunstverwaltung etwa mehr Handlungsfreiheit in der Verwendung der Mittel, vgl. Notizen FM, Mai 1924, ms., Abschr. Becker an Reichskommissariat für Reparationslieferungen, 15.5.1924, ms., KM an FM, 15.5.1924, ms. u. Entwurf FM an KM, [Mai/Juni 1924], ms. / hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. 128 Abschr. Becker an Reichskommissariat für Repartionslieferungen, 15.5.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263; vgl. auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 455 u. Bd. 2, S. 390. 129 Vgl. FM an Unterstaatssekretär Busch, 26.6.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. 130 Vgl. Abschr. Reichsfinanzministerium an KM, 6.7.1924, ms., KM an Reichsfinanzministerium, 17.7.1924, ms., Waetzoldt an FM, 30.7.1924, ms. u. Entwurf FM an KM, 13.9.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263; siehe dazu auch Staatsministerium an FM, 29.11.1924, ms. u. FM an Braun, 10.1.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 229-230 u. 232. 131 Waetzoldt an FM, 30.7.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. 132 65.000 GM flössen parallel dazu in die Einrichtung des Völkerkundemuseums, vgl. Waetzoldt an FM, 30.7.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263; vgl. auch Watzinger 1944, S. 367. 133 Vgl. dazu auch Kimbel (DNVP), 18.3.1924, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 21539-21544; Kimbel (DNVP), Moritz (DVP) u. König (VSd), 22.2.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 248, Sp. 10-12; FM an KM, 11.10.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. 134 Vgl. FM: Kosten der Museumsbauten, o.D., ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263; vgl. auch Nentwig, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 27 f; Heß (Z), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 2 - 4 ; Wille an KM, 22.7.1924, ms., KM (Nentwig) an FM, 22.7.1924, ms. u. FM an Bau- u. Finanzdirektion, 22.10.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263;
382
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
läufige Konsolidierung des Museumsinselprojekts gelungen. Speziell Gall hatte dabei als treibende Kraft gewirkt. Um keine Reparationsbegehrlichkeiten im Ausland zu schüren, wurde die Zahlung öffentlich nicht thematisiert; 135 hier war nur neutral von zusätzlichen Einnahmen die Rede. 136 Daß der Museumsinselneubau ausgerechnet durch Entschädigungsgelder für die als nationale Schmach empfundene Abtretung des Genter Altars finanziert wurde, deutet an, welche nationalen Konnotationen sich nicht zuletzt auch für das Kultusministerium mit der Vollendung der Museumsinsel verknüpften. Die Idee einer kulturellen Kompensation der Kriegsniederlage manifestierte sich hier unmittelbar. Die Vollendung der Museumsinsel avancierte so zu einer weiteren Etappe im schon vor 1914 virulenten, im Ersten Weltkrieg kulminierenden und bis in die 20er Jahre fortgeführten Kulturkrieg (siehe Kap. II. 5.2.). 137 Hatten die neuen finanziellen Möglichkeiten das Bemühen des Kultusministeriums um eine zügige Fortführung des Museumsinselbaus auf eine festere Basis gestellt, verstand sich das Ressort nach der Amtsübernahme Beckers 1925 mehr denn je als zentrale Entscheidungsinstanz beim Museumsneubau. Gemeinsam mit dem Landtag setzte das Ressort weiterhin die entscheidenden Akzente in der Bauorganisation. 1925/26 einigten sich Ministerium und Landtag auf einen Bauplan, der vorsah: Nach dem inzwischen fertiggestellten Rohbau sollte bis Anfang 1927 neben der für den Schutz der Kunstwerke wichtigen Neukonstruktion des Glasdaches über dem Nordflügel der Innenausbau im Vordergrund stehen. Überdies sollte die Realisierung von Vorbau, Säulen und Zugängen Thema bleiben. 138 Am Ziel, den Museumsbau bis 1930 abzuschließen, wurde festgehalten. 139 Parallel dazu loderten seit 1925 jedoch erneut die alten Konflikte mit Bode auf. Die Kritik daran, daß Gall auf dem Dahle-
Fürstenau (FM), 22.2.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 248, Sp. 10 f; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 457; Watzinger 1944, S. 367; Petras 1987, S. 156 f. 135 Vgl. dazu später auch Wiegand an Becker, 5.3.1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4980, wo es hieß, Reichskanzler Luther habe bei einem Besuch auf der Museumsinselbaustelle betont: .„Führen Sie nicht H[er]rn de Margerie her. Wir müssen vorsichtig bauen, weil wir in den nächsten 3 Jahren vom Dawesabkommen herunter kommen wollen.' " Auf Nachfrage habe Luther dazu erklärt, „es müßte vorsichtig d. h. mit Ausschaltung der Oeffentlichkeit gebaut werden. Es entspricht also seinen [Luthers] Intentionen, wenn der Neubau erst in 3 Jahren fertig wird und wenn weithin sichtbar Außenbauten zuletzt gemacht werden." 136 Vgl. z.B. Nentwig, 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 7; Nentwig, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 31; Die Entwicklung der Museumsbauten
in Deutschland. Eine Zuschrift
Wilhelm von Bodes, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Dez.-Nr. 1925, S. 169. 137 Vgl. dazu ausführlich Segal 1997. 138 Vgl. LT, W P 2, Prot., Sp. 6122 f, 6139 f, 6152-6154, 6159 f, 6457 fu. 6526; LT, W P 2, HA, Szg. 62, Sp. 3 - 1 2 ; Die Museumsbauten,
in: Ku. u. Kü., Nr. 3, Dez. 1925, S. 118 f; Abschr. Text Gall für LT:
'Weiterführung der Museums-Neubauten gebende Erklärung,
auf der Museumsinsel. [...] Jetzige Sachlage und abzu-
1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1369; Petras,
1987, S. 159 f. 139 Vgl. Schwering (Z) u. Becker, 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 11 f, 21 f u. 25; Koch (DNVP), 11.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11569 f.
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
Museumsinsel
383
mer Museumsgelände wohnte, hielt das Konfliktfeld Dahlem aktuell. 140 Zudem verbreitete Bode weiter die Ansicht, Becker habe sein Museumskonzept wegen differierender Auffassungen über die Zurechnung der islamischen Kunst torpediert. 141 Angesichts dessen gelang dem Ministerium anders als bei Liebermann (siehe Kap. III. 3.2.) nach 1925 keine Annäherung an Bode - allzu sehr stellte sich die Konfrontation als personalisierte Auseinandersetzung zwischen Bode und Minister Becker dar. Während Liebermann und Becker in der zweiten Hälfte der 20er Jahre zu Reformpartnern wurden, vertieften Bodes DNVP-Nähe und seine Skepsis modernsten Kunstrichtungen gegenüber in einer Zeit, in der sich das Ministerium verstärkt um eine Förderung zeitgenössischer Kunst bemühte (siehe Kap. III. 6.), die bestehenden Gräben vielmehr zusätzlich. 142 Verstärkt wurde die Konfrontation nicht zuletzt dadurch, daß sich mittlerweile auch in der öffentlichen Diskussion die Gruppen der Parteigänger Bodes 143 und der Befürworter der ministeriellen Kunstpolitik 1 4 4 zunehmend klarer konturierten. 145 Während Becker die Auseinandersetzung mit Bode durch Austausch, aber auch dadurch einzudämmen suchte, daß er Bode Grenzen aufzeigte, 146 pflegte der ehemalige Generaldirektor seine Frontstellung gegenüber dem Ministerium. 147 Offenkundig wurde dies bei der Feier zu Bodes achtzigstem Geburtstag am
140 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 458 u. Bd. 2, S. 390 f; Schmitz, 1931, S. 109-111; Nentwig, 14.12.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 7400 f; Hermann Hieber: Preußische Museumswirtschaft, in: Weltb., Jg. 24/1, Nr. 8, 21.2.1928, S. 305 f; Bode und der Museumsprozeß, in: Ku.wan., Jg. 8, 1./2. Dez.-Nr. 1926, S. 158. 141 Vgl. Wilhelm von Bode: Die Entwicklung der Museumsbauten für Kunst- und Kultur-Sammlungen in Deutschland, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Okt.-Nr. 1925, S. 49-52. 142 Zur Haltung Bodes vgl. Knopp 1995, S. 20; Schuster 1995, S. 22 u. 26-29; Maaz 1995, S. 139 f u. 144; Scheffler 1946, S. 233. 143 Dazu gehörten die Museumsmitarbeiter Hermann Schmitz und Hermann Voß, Hans Rosenhagen, die DNVP oder die Zeitschrift Kunstwanderer, vgl. Hermann Schmitz: Museumsreformen. Zur Schrift des Karl Grafen Lanckoronski, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Aug.-Nr. 1925, S. 427 f; Hermann Voss: Irrwege deutscher Museumspolitik, in: Ku.wan., 1./2. März-Nr. 1926, S. 269-272; Ein Vertrauensvotum für Bode, in: Cie., Jg. 17, Nr. 8, April 1925, S. 430 f; Adolph Donath: Die Sympathiekundgebungen für Bode, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Mai-Nr. 1925, S. 293-297; Hans Rosenhagen: Enthüllungen im Berliner Museumskrieg, in: Die Zeit, 27.4.1925, in: SAdK, PrAdK, 2.1/049, Bl. 158; Schwenk (Wirtsch. V.), 3.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 5732-5737; Schmitz 1931, bes. S. 98-113, 141-156 u. 211-232; Joachimides 2001, S. 213 f. 144 Dabei handelte es sich um den Cîcerorce-Herausgeber Biermann, Museumsmänner wie Kiihnel, Sarre oder den Leiter der ostasiatischen Kunstabteilung Otto Kümmel sowie inzwischen auch um Scheffler, vgl. B.: Die Berliner Museumswirren, in: Cie., Jg. 18, Nr. 4, Febr. 1926, S. 139; O. K.: Das asiatische Museum in Berlin, in: Cie., Jg. 17, Nr. 17, Sept. 1925, S. 859 f; Karl Scheffler: Das Berliner Museumschaos, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 7, April 1926, S. 261-271. 145 Vgl. Adolph Donath: Die Sympathiekundgebungen für Bode, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Mai-Nr. 1925, S. 293-297; Hermann Schmitz: Zur Kundgebung der kunstgeschichtlichen Gesellschaft für Wilhelm von Bode, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Juni-Nr. 1925, S. 356 f. 146 Vgl. z.B. Becker an Bode, 11.6.1925, ms. u. Becker an Bode, 2.11.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7873 u. SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz C. H. Becker. 147 Vgl. dazu auch Gaehtgens 1997, S. XV f; Ku. u. Kü. J g . 24, Nr. 6, März 1926, S. 247 f.
384
I I I . Tendenzen
der m i n i s t e r i e l l e n K u n s t p o l i t i k 1 9 2 1 - 3 2
10. Dezember 1925, bei der sich der Jubilar eine Präsenz des Ministeriums verbat und die ihm vom Ministerium zugedachte Ehrung durch eine Büste demonstrativ zurückwies. 148 Immer mehr kristallisierte sich seit 1925 heraus, daß es sich bei der Konfrontation zwischen Bode und dem Ministerium um mehr als einen äußeren Autoritätskonflikt zwischen dem renommierten Fachmann und der vorgesetzten Behörde handelte, wie ihn Becker in D i e p r e u s s i s c h e K u n s t p o l i t i k u n d d e r F a l l S c h i l l i n g s auch auf Bode bezogen beschrieben hatte. 149 Vielmehr stellten sich die Differenzen, je näher die Frage der Innengestaltung des Museumsinselneubaus rückte, zunehmend als Konflikt zwischen zwei Museumskonzeptionen dar. Bode erwies sich hier als Vertreter einer älteren, in der Fachdebatte der 20er Jahre an Boden verlierenden Richtung, für die der historische Erziehungsanspruch des Kunstmuseums zentrales Anliegen war (siehe Kap. II. 3.1.). 150 Orientiert an den Museumsidealen seines vormaligen Kritikers Scheffler, der inzwischen sein Zweckbündnis mit Bode aufgegeben hatte, 151 votierte das Ministerium hingegen immer pointierter für ein ästhetisches Konzept, bei dem die individuelle Rezeption des in sachlichen Räumen autonom wirkenden Kunstwerks im Vordergrund stand (siehe Kap. III. 4.2.). Offenbar begriff es dieses Konzept als adäquateste Umsetzungsform seines Anspruchs auf irrationale Persönlichkeitsbildung durch Kunst (siehe Kap. III. 1. und III. 5.). 152 Kernanliegen dürfte dabei gewesen sein, dem Ausstellungskonzept Bodes „mit seiner oft suggestiven Präsentation, die allzu wenig Raum 148 Vgl. Ohlsen 1995, S. 303-305; Otto 1995, S. 44-46; Watzinger 1944, S. 379; Schmitz 1931, S. 107; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 394 u. Bd. 2, S. 238; Wilhelm von Bode und der Berliner Museumskrieg, in: Neue Züricher Zeitung, 25.1.1926, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Wilhelm von Bodes 80. Geburtstag. Die Feier am 10. Dezember 1925, in: Ku.wan.,]g. 8,1./2. Jan.-Nr. 1926, S. 201-204, S. 204; Ku. u. KU., Jg. 24, Nr. 6, März 1926, S. 247 f; Adolf Behne: Von Bode, in: Weltb., Jg. 22/1, Nr. 3, 19.10.1926, S. 116 f; siehe auch Ku.bl., Jg. 9,1925, S. 382; Museumskrieger, in: Ku.bl., Jg. 10, 1926, S. 96; NG an Bode, 9.12.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 6, Bl. 579; Gustav Glück: Wilhelm von Bode zum achtzigsten Geburtstag, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 3, Dez. 1925, S. 87-89; Ku.wan., Jg. 7, Dez. 1925, Sonderheft zu Bodes 80. Geburtstag; Gustav von Bezold: Wilhelm von Bode zum 80. Geburtstag, in: ZS f . bild. Ku., Nr. 9, Dez. 1925, S. 225-230; H. Voss / Th. Demmler: Die zum 80. Geburtstage W. v. Bodes geschenkten Bilder und Skulpturen, in: Beri. Mus., Jg. 47, Nr. 3, 1926, S. 38-44. Schließlich erwarb das Ministerium erst 1930, nach Bodes Tod, eine 1923/24 von Klimsch geschaffene Büste des ehemaligen Generaldirektors und stellte sie im Kaiser-Friedrich-Museum auf, vgl. Beri. Mus., Jg. 51, Nr. 1, 1930, S. 19; siehe dazu auch Maaz 1995, S. 139-142. 149 Vgl. Becker 1925 a, S. 27. 150 Vgl. Gaehtgens 1997, S. XIII; Joachimides 1995 b, S. 155 f. 151 Zu Schefflers Museumskonzeption vgl. Joachimides 2001, S. 195-198 u. 211-213; Joachimides 1995 a, S. 192-205; Bernau / Poll 1991, S. 15-17; Poll / Rückert 1991, S. 32 f; Scheffler 1921, S. 81 f; zur Annäherung Schefflers an das Ministerium vgl. auch Scheffler: Berliner Museumsbau-Lotterie, in: [Voss. Ztg., Nr. 148, 27.3.1922], in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Viergutz 1993, S.108. 152 Vgl. dazu Waetzoldt 1995, S. 62; Wende 1959, S. 245; Bernau 1997; Joachimides 1995 a, S. 205; polemisch dazu Schmitz 1931, S. 151 f; vgl. dazu auch schon Pallat 1906, S. 361 f. Als Hintergrund war vermutlich der Kontakt wichtig, den Gall und Waetzoldt über den Salon Glaser zu Scheffler, Cassirer, Goldschmidt u.a. pflegten, vgl. Schmitz 1931, S. 123 f u. 165; Walravens 1989, S. 100102, 105 u. 107-109.
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
Museumsinsel
385
für kritische Reflexion ließ", 153 in Anlehnung an die Fachdebatte ein zeitgemäßeres Modell entgegenzusetzen, das die Wirkung der Werke und weniger das Wissen um sie in den Vordergrund rückte. 154 Bei den Raumgestaltungsvorstellungen des Ministeriums wird nicht zuletzt der Konnex zum Werkbund (siehe Kap. II. 3.2., II. 5. und III. 3.1.) prägend gewirkt haben. 155 Eindringlich manifestierte sich der Konflikt zwischen dem älteren Bodeschen und dem ministeriellen Museumskonzept, als es 1925/26 um die Innengestaltung des Deutschen Museums im Nordflügel des Museumsinselneubaus ging.156 In der Planungsphase hatte Bode für das Museum in Anlehnung ans Kaiser-Friedrich-Museum (siehe Kap. II. 3.1.) Raumgestaltungen mit gotischen und romanischen Architektureinbauten vorgesehen. Damit war vor dem Krieg entschieden worden, daß Bodes Konzept der historischen Stimmungsräume auch für das Deutsche Museum maßgeblich sein sollte. Hatte Messel das Konzept trotz Bedenken noch mitgetragen, hatte sich Hoffmann später davon distanziert. Daraufhin hatte der Architekt German Bestelmeyer die umstrittenen historischen Raumgestaltungen 1916 zunächst provisorisch in Rabitz ausgeführt.157 In den letzten Kriegsmonaten war es Bode aber gelungen, die Gewölbe an der Museumsbaukommission vorbei doch noch massiv in Ziegel herstellen zu lassen.158 Mitte der 20er Jahre stellte sich nun angesichts der fortentwickelten Fachdebatte die Frage, wie mit den Einbauten umzugehen sei. Während Bode weiter an seinem Inszenierungsmodell und Bestelmeyers Einbauten festhielt, 159 hatte sich das Ministerium bereits 1922 von den Plänen distanziert, als es die „Räume in den Stilformen aller Jahrhunderte" als Gedanken charakterisierte, „der in unserer Generation nicht mehr überall Anerkennung finden wird." 160 Als die Innenraum-
153 Paul 1994 b,S. 216. 154 Vgl. Joachimides 1995 b, S. 155 f; siehe dazu z.B. auch G. F. Hartlaub: Aufgaben
des modernen
Kunstmuseums, in: Ku.wan., Jg. 8,1./2. Dez.-Nr. 1926, S. 133-136. 155 Vgl. Waetzoldt 1995, S. 62; siehe dazu allerdings relativierend Joachimides 2001, S. 224. 156 Vgl. dazu Waetzoldt 1995, S. 59-62; Joachimides 1995 a, S. 205; Otto 1995, S. 42 f. 157 Vgl. Schräder 1995, S. 69-73; Viergutz 1993, S. 91 f u. 100-103; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 454 f u. Bd. 2, S. 389 f; Schuster 1995, S. 10-12; Bernau 1997; Text Gall für LT: der
Museums-Neubauten
Erklärung,
auf
der
Museumsinsel.
[...]
Jetzige
Sachlage
und
Weiterführung abzugebende
1925, ms., S. 5 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1369; Bodes neues
Museumsprogramm,
in: DAZ, 31.3.1922 u. Fritz Stahl: Bode über die Museumsfragen,
in: BT,
1.4.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401. 158 Vgl. Text Gall für LT: Weiterführung der Museums-Neubauten Sachlage und abzugebende
Erklärung,
auf der Museumsinsel. [...]
Jetzige
1925, ms., S. 6, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H.
Becker, Nr. 1369; ZAs Febr.-April 1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Nentwig, 20.10.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 62, Sp. 9 f. 159 Vgl. Wilhelm von Bode: Die Entwicklung der Museumsbauten für Kunst- und gen in Deutschland,
Kultur-Sammlun-
in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Okt.-Nr. 1925, S. 49-52; siehe später auch Wilhem
von Bode: Protest gegen die kahle Wand, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 16, 1.10.1928, S. 295 f; Erich Buchholz: Entgegnung
an Wilhelm von Bode, in: Ku. u. W i . J g . 9, Nr. 19, 15.11.1928, S. 343.
160 Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2190; Becker, 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot.,
III.
386
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
gestaltung Ende 1925 anstand, stellte sich Gall inzwischen sehr viel klarer gegen das Konzept und erklärte, Bodes Forderung nach Stilräumen stehe „rein museumstechnisch betrachtet, auf schwacher Grundlage, denn man hat längst erkannt, daß derartige Stilräume die Wirkung der Kunstwerke mehr beeinträchtigen als fördern, vor allem aber würde das Museum dann einen bestimmt ausgeprägten stilistischen Charakter erhalten, während jede modern denkende Museumsverwaltung darauf bedacht sein muß, die Räume insoweit neutral auszubilden, daß eine Verschiebung der Aufstellung innerhalb der Räume in späteren Zeiten möglich bleibt." 161 Gall führte damit zwei zentrale Kriterien der Museumsdiskussion der 20er Jahre, die Flexibilisierung der Ausstellungspraxis und die Wirkung autonomer Werke in neutraler Umgebung, gegen Bode an. Überdies argumentierte er gegen ein „Potpourri verschiedener Stilarten". Stilanleihen erschienen ihm als Gegenentwurf einer einheitlichen, „gesunden" Architektur.162 Deutlich grenzte er sich so vom wilhelminischen Historismus ab. Als der Landtagsausschuß im Oktober 1925 über eine Entfernung der Bode-Einbauten diskutierte,163 relativierte Nentwig den Vorstoß Galls: „Es sei außerordentlich kränkend für Exzellenz von Bode, wenn man einfach dekretiere, daß diese Dinge zu beseitigen seien. [...] Eher sollte man versuchen, im Wege der Verhandlungen und durch Überredung Exzellenz von Bode dahin zu bringen, daß er sich mit gewissen Änderungen einverstanden erkläre. Wenn hier mit apodiktischer Sicherheit gefordert worden sei, man müsse die Räume ganz neutral halten, so liege das im Zuge der Zeit. Ob man aber von so gänzlich neutral gehaltenen Räumen immer befriedigt sein und nicht wieder einmal auch den Wunsch haben werde, daß die Räume und ihre Ausstattung sich in einer gewissen Harmonie mit dem Stil der darin auszustellenden Museumsobjekte befinden sollten, sei eine offene Frage." 164 Klar offenbarte sich hier noch einmal die Sonderrolle Nentwigs in der Kunstabteilung (siehe Kap. II. 3.). Wie sehr sich das Ressort allerdings inzwischen von Bodes Modell emanzipiert hatte, unterstrich Becker am 6. November 1925 im Landtag, als er die eigenmächtige Ausführung der gotischen und romanischen Räume verurteilte und dazu erklärte: „Da nun imitative Stilräume dem Charakter eines neuzeitlichen Museumsgebäudes nicht mehr entsprechen und solche Räume die Verwaltung für alle Zeiten in ihrer Verwendung festlegen würden, so bin ich entschlossen, hier eine Umgestaltung vorzunehmen [...]. Nach den hoffnungsvollen Ansätzen neuer musealer Raumgestaltung, wie sie [...] in dem TellAmarna-Saal des Neuen Museums und dem Umbau des Völkerkundemuseums soeben zur Ausführung gelangt sind, habe ich das Vertrauen zu der Bauleitung, daß sie auch den Innenausbau der Neubauten auf der Museumsinsel zu voller Zufriedenheit der Museumsver-
Sp. 6153; vgl. auch Karl Scheffler: Die Berliner Museumsbauten,
in: Voss. Ztg., Nr. 85, 20.2.1921;
Scheffler 1921, S. 81 f; Scheffler 1946, S. 226. 161 Text Gall für LT: Weiterführung Sachlage und abzugebende
der Museums-Neubauten
Erklärung,
auf der Museumsinsel. [...]
Jetzige
1925, ms., S. 5, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H.
Becker, Nr. 1369. 162 Ebd. 163 Vgl. LT, W P 2, Prot., Sp. 6122 f u. 6457 f; LT, W P 2, Dr. 1341, S. 2735; LT, W P 2, HA, Szg. 62, Sp. 2 f. 164 Nentwig, 20.10.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 62, Sp. 10.
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
Museumsinsel
387
waltung und der Öffentlichkeit ausführen w i r d . " 1 6 5 Unmißverständlich hatte sich der Minister damit für eine modernere Raumgestaltung am zentralen Präsentationsort der H a u p t stadt ausgesprochen. Konkret wollte er sich dabei an Umsetzungsformen orientiert wissen, wie sie Wille in Kooperation mit Gall gerade im Völkerkundemuseum realisierte (siehe Kap. III. 4.2.). 1 6 6 D e r Landtag Schloß sich dem Minister an und stimmte am 13. N o v e m b e r 1925 dem Ausschußantrag zu, der verlangte, „daß die im Widerspruch zur Bauleitung im Nordflügel des Museumsneubaues hergerichteten gotischen und romanischen Räume in den Zustand zurückversetzt werden, der die Durchführung der Hoffmannschen Baupläne gewährleistet". 1 6 7 Damit war der Weg für das v o m Ressort favorisierte Museumskonzept offiziell frei. 168 Wie nicht anders zu erwarten, verschärfte die Landtagsentscheidung den Konflikt mit Bode zusätzlich. B o d e wies den Vorwurf zurück, er halte an einem veralteten Stilraumkonzept fest. Erst durch die Kunstwerke würden die Räume gotisch oder romanisch. Ahnlich wie zuvor dem Orientalisten Becker sprach Bode Gall, der immerhin über ein mittelalterliches Architekturthema promoviert hatte (siehe Kap. II. 1.2.), jede inhaltliche Kompetenz ab. 1 6 9 Schnell war so von einem erneuten Museumskrieg die Rede. 1 7 0
165 Becker, 6.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6152-6154. 166 Zur Relevanz des Völkerkundemuseums in diesem Kontext vgl. auch Joachimides 1995 a, S. 205; Waetzoldt 1995, S. 62. 167 Vgl. LT, WP 2, Dr. 1341, S. 2735; LT, WP 2, HA, Szg. 62, Sp. 2 f; LT, WP 2, Prot., Sp. 6122 u. 6457; zur Diskussion im Landtag vgl. LT, WP 2, HA, Szg. 62, Sp. 3 - 8 u. 11-13; Waentig (SPD), 6.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6159 f; kritisch dazu Die Museumsbauten, in: Ku. u. Kü., Nr. 3, Dez. 1925, S. 118 f; Kuhn: Wilhelm von Bodes ,Deutsches Museum' vor der Vollendung?, in: Ku.chr., Jg. 59/2, Nr. 31, 31.10.1925, S. 514; Noack (DNVP), 22.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7444 f u. 7447; Wallraf (DNVP), 14.5.1923, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 17376-17378; Noack (DNVP), 20.10.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 62, Sp. 12; Oelze (DNVP), 2.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 5654; zur Zusammenarbeit des Unterausschusses mit Becker gegen Bode vgl. auch Bohner an Becker, 21.1.1926, ms., KM an Bohner, 9.2.1926, ms. u. KM an Bohner, 13.2.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7883; Becker an Bohner, 13.2.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6797; KM an Schwering, 13.2.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6151; zur generellen Dimension der Zusammenarbeit von Ministerium und Landtag vgl. auch Waentig (SPD), 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 6 - 8 ; Waentig (SPD), Nentwig u. Kimbel (DNVP), 20.10.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 62, Sp. 6 - 8 u. 13 f. 168 Publizistische Rückendeckung erfuhr das Ministerium dabei etwa vom Cicerone, vgl. B.: Die Berliner Museumswirren, in: Cie., Jg. 18, Nr. 4, Febr. 1926, S. 139; siehe dazu später auch Alfred Kuhn: Zur Frage der öffentlichen Denkmalpflege in Preußen, in: Cie., Jg. 19, Nr. 19, 1. Okt.-Nr. 1927, S. 610 f. 169 Wilhelm von Bode: Der neueste Museumskrieg. Eine Antwort an Ministerialrat Gall, in: BT, Nr. 82, 18.2.1926, in: SAdK, PrAdK, 2.1/049, Bl. 155. 170 Vgl. z.B. Ein neuer Museumsstreit?, in: BT, 7.3.1926 u. Erich Roemer: Von den Museen in Berlin und München. Nie wieder Museums-Krieg!, in: Berliner Lokal-Anzeiger, 18.3.1926, in: SAdK, PrAdK, 2.1/049, Bl. 154 u. 160; Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 6, März 1926, S. 247 f; siehe auch Berichtigung einer Berichtigung, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 5, Febr. 1926, S. 208; Otto 1995, S. 43; BodeMemoiren 1997, Bd. 1, S. 456.
III.
388
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Parallel dazu brach ein weiterer Konflikt um die Innenraumgestaltung im Museumsinselneubau auf, der von ganz ähnlichen Frontstellungen gekennzeichnet war. Bei ihm ging es um die Frage, welches Inszenierungsmodell im für die Antikensammlungen vorgesehenen Mittelteil des Gebäudes realisiert werden sollte. Aus vergleichbaren Motiven wie in der Auseinandersetzung mit Bode wandte sich das Ministerium hier gegen Wiegands Konzept eines stark mit rekonstruktiven Elementen arbeitenden Museums monumentaler antiker Architekturen. 171 Entsprechend erklärte Becker am 22. April 1926 im Landtagsausschuß: „Der ganze Aufbau des Pergamonaltars, wie er jetzt gedacht sei, sei für sein künstlerisches Empfinden einfach eine Barbarei. Früher sei das wundervolle Denkmal, wie es ursprünglich gestanden habe, in einem von einem Glasdach überdeckten Raum untergebracht gewesen. Jetzt habe man einen großen Saal gebaut, aber das Kunstwerk selbst zerschlagen. Man habe eine großartige Theaterdekoration aufgebaut, aber es sei eben eine solche, die dem Geschmack einer vergangenen Periode entsprochen habe, aber unserem heutigen klaren Empfinden einfach nicht entspreche." 172 Zudem befürchtete der Minister, die von Wiegand geplante Einrichtung werde eher ein Institut für Altertumswissenschaften als ein Museum für das breite Publikum sein.173 Ohne die Lebensleistung des Archäologen Wiegand schmälern zu wollen, plädierte Becker daher ähnlich wie beim Völkerkundemuseum, bei dem es ebenfalls um eine Auseinandersetzung zwischen Kunst und Wissenschaft gegangen sei, (siehe Kap. III. 4.2.) für ein Sachverständigenvotum zur Gestaltung des Pergamonmuseums.174 Damit hatte er die Wiegandsche Inszenierungspraxis ebenso als überholt und allzuwenig am Kunstwerk selbst orientiert zur Disposition gestellt wie zuvor die Bodesche. Vor diesem Hintergrund war dann auch ein Artikel des mittlerweile in der Museumsgestaltungsfrage als Parteigänger des Ministeriums auftretenden Kunst und Künstler-Herausgebers Scheffler,175 der parallel zu Beckers Rede erschien, kaum anders als Ergänzung der ministeriellen Ausführungen zu lesen. Scheffler kritisierte hier, daß Wiegand in wilhelminischer Tradition auf Quantität statt auf Qualität setze, indem er riesige Rekonstruktionen mit wenigen Originalteilen und Unmengen Inschriftentafeln zeigen wolle. 176 Angesichts der strittigen Punkte pochte er ganz im Sinne der kurz zuvor publizierten
171 Vgl. dazu ausführlich Watzinger 1944, S. 380-394; Bernau / Riedl 1995, S. 177 u. 182-186; siehe auch Wiegand an Becker, 3.2.1926, hs. u. Becker an Wiegand, 4.3.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 5083; Wiegand an Becker, 5.3.1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4980. 172 Becker, 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 21. 173 Vgl. dazu auch Reuther 1993, S. 39. 174 Becker, 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 22. 175 Vgl. dazu auch Joachimides 2001, S. 214 f; Scheffler: Umbau im Völkerkundemuseum,
in: Voss.
Ztg., Nr. 47, 24.2.1925, Unterhaltungsbeil., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401. 176 Karl Scheffler: Das Berliner Museumschaos, in: Ku. u. KU., Jg. 24, Nr. 7, April 1926, S. 261-271, S. 261-268; vgl. dazu auch Bernau / Poll 1991; Watzinger 1944, S. 376-385; Wiegand an Hübner (FM), 4.4.1924, hs. u. Theodor Wiegand: In Sachen Pergamon, in: DAZ, 3.4.1924, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; spöttisch dazu später Kunst und Völkerkunde,
in: Ku. u. KU., Jg. 24,
Nr. 5, Febr. 1926, S. 208; Robert Breuer: Das Museum für Völkerkunde in Berlin, in: Ku.bl., Jg. 10,
4. Museumspolitik: Bauprojekt auf der Museumsinsel
389
Becker-Schrift zur Schillingskrise auf die kunstpolitische Autorität des Ministeriums.177 Im Gegenzug positionierten sich die DNVP und der Kunstwanderer im Konflikt um den Museumsinselneubau nicht mehr nur auf Bodes, sondern auch auf Wiegands Seite.178 Die beiden großen Konkurrenten unter den Museumsdirektoren fanden sich so in einer Solidargemeinschaft wieder, deren Anliegen die Verteidigung von in der Kaiserzeit entwickelten Ausstellungskonzepten gegenüber reduzierteren Präsentationsformen war, die das republikanische Ministerium bevorzugte. Im Fall Wiegand stellten sich jedoch die Landtagsparteien keineswegs mehr so eindeutig auf die Seite des Ministeriums wie bei den Stileinbauten Bodes. Vielmehr begrüßten sie Wiegands Architekturmuseum als innovative Einrichtung, mit der man sich international profilieren könne und der in Zeiten, wo sich viele Reisen in den Süden nicht leisten könnten, eine Bedeutung für das breite Publikum zukomme.179 Besonders nachdrücklich beantwortete die DVP die Frage, welches Konzept sie als publikumsnäher begriff, indem sie hervorhob, Wiegands Museum sei keineswegs „in falschem Sinne aristokratisch, sondern in gutem Sinne volkstümlich. Die vom Minister erteilte Belehrung [...], wie das künstlerische Urteil gebildet werde, und über die auf diesem Gebiete herrschende Weltfremdheit mache den Eindruck einer mißglückten Apologie."180 Klang hier, der sonstigen Kritik am Ministerium in dieser Zeit folgend (siehe Kap. III. 1.), der Vorwurf einer allzu elitären Kulturpolitik unter Beckers Ägide an, war das Hauptargument des Landtags für ein Festhalten am Wiegand-Konzept, die Dimensionen des Messelbaus ließen ohnehin keine andere Präsentation als die vorgesehene zu.181 Deutlich stieß das Ministerium so im Bemühen, sich vom wilhelminischen Museum zu distanzieren, an seine Grenzen: Drang es beim Kunstmuseum Bodes mit seinen neutraleren Präsentationsideen noch durch, war der Landtag bei Wiegands Architekturmuseum nicht mehr bereit, seinem ästhetischen Konzept zu folgen.182 Gerade die Diskussion um das Per1926, S. 241-246, S. 24; zur Diskussion um Wiegands Konzept siehe auch Bernau / Riedl 1995, S. 171-189, S. 185 f; Mai 1994, S. 39 f. 177 Karl Scheffler: Das Berliner Museumschaos, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 7, April 1926, S. 261-271, S. 269-271. 178 Vgl. Adolph Donath: Bode und „Das Berliner Museumschaos", in: Ku.wan., Jg. 8, 1./2. Mai-Nr. 1926, S. 353 f; Karl Anton Neugebauer: Der Kampf um den Berliner Museumsneubau,
in: Ku.wan.,
Jg. 8, 1./2. Mai-Nr. 1926, S. 355 f; Friedrich Stock: Was will Theodor Wiegandf, in: Ku.wan., Jg. 8, 1./2. Mai-Nr. 1926, S. 356-359; Um das Pergamonmuseum.
Für Theodor Wiegand, in: Ku.wan.,
Jg. 8, 1./2. Juni-Nr. 1926, S. 421-424; Graef (DNVP), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 35; Brehmer (Dt.völk. FP), 11.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11599; Oelze (DNVP), 6.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11227 f. Gerade die Kritik an der Anti-Bode-Politik verquickte sich dabei mit völkisch-antisemitischer Hetze gegen das Ministerium, vgl. Brehmer (Dt.völk. FP), 11.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11598; Der unglückliche preußische Kultusminister, in: Deutsches Volkstum, H. 7, Juli 1926, S. 549-552 u. 560 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1674. 179 Vgl. Heß (Z) u. Buchhorn (DVP), 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 5 u. 9 f; Lauscher (Z), Schuster (DVP) u. Bohner (DDP), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 36 u. 38; Schuster (DVP), 11.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11584 f. 180 Schuster (DVP), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 38. 181 Vgl. dazu auch Schwering (Ζ), 11.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11582. 182 Vgl. Bernau / Riedl 1995, S. 186.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
390
gamonmuseum unterstrich außerdem, wie eng der Museumsinselneubau selbst mit den älteren musealen Inszenierungsmodellen verknüpft war. Nachdem sich Gall beim Deutschen Museum zunächst noch um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hatte,183 war das Ministerium vor diesem Hintergrund, und zumal die Lage auf der Museumsinsel infolge der ministeriellen Vorstöße erneut zu eskalieren drohte, 184 seit Mai 1926 offenkundig zu einem Einlenken in der Museumsgestaltungsfrage bereit. 185 Während Scheffler das Ministerium aufforderte, „in weniger wichtigen Fällen - die Frage der romanischen und gotischen Stilräume gehört dazu - nicht allzu hartnäckig zu sein", 186 unterstrich Becker nun im Landtag: „Selbstverständlich ist noch nicht alles bis auf die letzten Dispositionen, wo das einzelne Kunstwerk hinkommen soll, endgültig geregelt. [...] Ich habe aber doch das Gefühl, daß über die großen entscheidenden Gesichtspunkte eine Einigung mit Exzellenz Bode jedenfalls erzielt worden ist. Es haben noch [...] Auseinandersetzungen mit Herrn Geheimrat Wiegand stattzufinden über das Pergamon-Museum. Es mag vielleicht beruhigen, [...] daß wir den Fehler, den wir nun einmal durch die historische Bindung mit dem Pergamonaltar haben machen müssen [...], zweifellos [...] mit der M'schattafassade nicht wiederholen werden." 187 Suchte Becker also im Falle der zunächst für das Asiatische Museum vorgesehenen und daher nicht direkt mit dem Museumsinselbau verknüpften islamischen Fassade durchaus noch Möglichkeiten offen zu halten, die seinen am Original orientierten Ansprüchen eher entgegenkamen, plädierte er zugleich für eine Einigung der Beteiligten. In erster Linie komme es darauf an, „eine allseitige Befriedigung zu erzielen, um die mit ungeheuren Kosten und [...] in einem für diese schweren Zeiten erheblichen Tempo fertig gestellten Museumsbauten endlich den Zwecken zuzuführen, für die sie bestimmt sind." 188 Das Ziel der baldigen Bauvollendung wurde so neben den Vorgaben, die der Neubau selbst machte, zur Voraussetzung dafür, daß das Ministerium nach der Formulierung seines Alternativkonzepts für die Museumsinsel schließlich doch zu Kompromissen bereit war. Für die Einrichtung des Deutschen Museums bedeutete das konkret: Nachdem sich die Museums- und die Bauleitung im März 1926 auf die Beseitigung der Bestelmeyer-Einbauten und die Notwendigkeit einer neuen Deckenlösung im Gotiksaal geeinigt hatten,189 sig183 Entsprechend besuchte der Referent Anfang 1926 mit Mitgliedern des Unterausschusses und Hans Poelzig mehrfach die Museumsinselbaustelle, vgl. Wiegand an Becker, 3.2.1926, hs. u. Becker an Wiegand, 4.3.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 5083; Wiegand an Becker, 5.3.1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4980; vgl. dazu auch Becker an Bohner, 13.2.1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6797; KM an Bohner, 9.2.1926, ms. u. KM an Bohner, 13.2.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7883; KM an Schwering, 13.2.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6151. 184 Vgl. auch Oelze (DNVP), 6.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11220 fu. 11227 f. 185 Vgl. Watzinger 1944, S. 389 f. 186 Karl Scheffler: Das Berliner Museumschaos, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 7, April 1926, S. 261-271, S. 271. 187 Becker, 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11591. 188 Ebd. 189 Vgl. Abschr. Vereinbarung Bauleitung u. Museumsverwaltung: 20.3.1926, ms., in: SMBPK / ZA, I B V , N r . 519, Bd. l , B l . 31.
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
Museumsinsel
391
nalisierte Becker Verhandlungsbereitschaft in der Frage, ob „gewisse Teile vielleicht des einen gotischen Saales auf besonderen Wunsch einzelner Herren teilweise erhalten bleiben sollten". 190 Als die DVP im Mai eine erneute Aussprache zu den Stilräumen forderte, 191 betonte Nentwig: „die Ausbauten [sind] bisher noch nicht entfernt, die Angelegenheit kann also nach wie vor noch geprüft und besprochen werden." 192 Am 13. Juli erzielten Hoffmann und Wille tatsächlich mit Bode eine Einigung über die Gestaltung des Nordflügels, der Nentwig am selben Tag zustimmte 193 und hinter die sich im Interesse des Baufortschritts auch Becker stellte.194 Konsequenz dessen war, daß die Bestelmeyer-Einbauten noch Mitte Juli 1926 entfernt wurden. 195 Gleichzeitig offenbarte sich in der Museumsbaukommission zunehmend die Kompromißbereitschaft des Ressorts.196 Unter Galls und Nentwigs Einfluß war unter anderem eine neutrale Wandgestaltung Thema. Daneben stand zur Debatte, ob der am 13. Juli 1926 avisierten Holzdecke einfache Putzdecken vorzuziehen wären. 197 Nach Probeaufstellungen einigte man sich im Sommer 1927 zumindest auf die Anbringung der Holzdecke. 198 Der Hinweis von Bode-Mitarbeiter Theodor Demmler, „eine Holzdecke würde wohl vornehmer wirken und vielleicht dem Charakter des Raumes mehr entsprechen", 199 bestätigt, daß diese Gestaltungsvariante als Chance begriffen wurde, Bodes Ausstellungskonzept ansatzweise doch noch wirken zu lassen. Darüber hinaus ist der Einbau von originalen Architekturteilen ebenfalls als Zugeständnis an Bode zu werten. 200 Zwar bedeutete die Entfernung der Bestelmeyer-Einbauten zweifellos einen Bruch mit dem bisherigen Konzept,201 im Endeffekt stellte sich das Deutsche Museum so jedoch allenfalls als
190 Becker, 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 21; zu den Diskussionen im Umfeld vgl. auch Abschr. Gall an Wille, 31.3.1926, ms., Abschr. Demmler an [Gall], 29.3.1926, ms. u. Entwurf Wille an Gall, 3.4.1926, ms., in: SMBPK / ZA, I BV, Nr. 519, Bd. 1, Bl. 38-41 u. 44. 191 Schuster (DVP), 12.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11636. 192 Nentwig, 12.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11636. 193 Vgl. Besprechungsprotokoll Wille, 13.7.1926, ms., in: SMBPK / ZA, I BV, Nr. 519, Bd. 1, Bl. 47; Waetzoldt 1995, S. 62. 194 Vgl. Becker an Wille, 20.11.1926, ms., in: SMBPK / ZA, I BV, Nr. 519, Bd. 1, Bl. 48. 195 Vgl. Besprechungsprotokoll Wille, 13.7.1926, ms., in: SMBPK / ZA, I BV, Nr. 519, Bd. 1, Bl. 47; Waetzoldt 1995, S. 62; Viergutz 1993, S. 110. 196 Vgl. KM an Wille, 10.1.1927, ms., in: SMBPK / ZA, I BV, Nr. 519, Bd. 1, Bl. 52. 197 Vgl. Protokoll Museumsbaukommission, 21.1.1927, in: SMBPK / ZA, I BV, Nr. 519, Bl. 54-57, Bl. 55 r u. ν (Hinweis Nikolaus Bernau). 198 Vgl. Protokolle Museumsbaukommission, 1.7.1927, 7.7.1927 u. 1.8.1927, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 200, Acc. 3559, Nr. 118 (Hinweise Nikolaus Bernau). 199 Protokoll Museumsbaukommission, 1.7.1927 in: Landesarchiv Berlin, Rep. 200, Acc. 3559, Nr. 118 (Hinweis Nikolaus Bernau). 200 Vgl. dazu Protokoll Museumsbaukommission, 21.1.1927, in: SMBPK / ZA, I BV, Nr. 519, Bl. 54-57, Bl. 54 v; siehe dazu auch allgemein Adolf Behne: Von Bode, in: Weltb., Jg. 22/1, Nr. 3, 19.10.1926, S. 116 f. 201 Vgl. Schuster 1995, S. 17; Bernau 1997; Waetzoldt 1995, S. 62; Schräder 1995, S. 70 u. 73 f; Petras 1987, S. 157; Bernau / Linnenkohll 1991, S. 2 1 - 2 4 ; Gaehtgens 1997, S. S. XV; Bode-Memoiren 1997, Bd. 2, S. 390.
392
III.
Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Zwischenstufe zwischen dem Bodeschen und dem von der Kunstverwaltung bevorzugten ästhetisch-reduzierten Modell dar.202 Bei Wiegands Antikenmuseum war die Situation noch eindeutiger: Da das Ministerium hier für eine Revision des Ausstellungskonzepts über keine Rückendeckung des Landtags verfügte, die baulichen Vorgaben noch mehr verpflichteten und sich das Verhältnis Beckers zu Wiegand als keineswegs so belastet darstellte wie zu Bode, 203 konnten die Pläne Wiegands weitgehend umgesetzt werden. 204 Direkt nach Beckers Kritik hatte Staatssekretär Aloys Lammers als Ressortvertreter den Ausführungen des Ministers gegen Wiegand bereits die Spitze genommen, indem er erklärte, Becker habe selbst darauf hingewiesen, „daß eine Entscheidung, namentlich soweit die innere Ausgestaltung der Museumsräume in Betracht komme, noch nach keiner Richtung gefällt sei, und daß sich das Ministerium der Schwierigkeit der hier zu lösenden Probleme durchaus bewußt sei, die sich daraus ergebe, daß wir etwas überkommen hätten, mit dem wir heute nicht mehr einverstanden seien. Die Problemstellung liege [...] in der Frage, ob das zu schaffende Museum für Fachgelehrte bestimmt und auszugestalten sei, oder ob es den breiten Massen des Volkes ein anschauliches Bild einer vergangenen Kulturepoche geben solle." 2 0 5 Becker habe dabei weder einer Aufstellung des Milettores im Freien noch einer Einzelaufstellung von Blöcken das Wort geredet. Vielmehr sei die Sache „vollständig in der Schwebe." 2 0 6 Anfang 1927 erklärte Becker dann: „Er sei bereit, die Wünsche, die Geheimrat Wiegand in diesen Dingen habe, wenn irgend möglich durchzuführen." 207 Waetzoldt untermauerte dies, indem er zwischen Wiegand und Hoffmann als Vermittler fungierte. 208 Becker hielt zwar bis zum Sommer 1927
202 Vgl. Joachimides 1995 a, S. 205; Joachimides 1997; Karl Scheffler: Berliner Museumsfeier,
in: Ku.
u. Kü„ Jg. 29, Nr. 1, 1930/31, S. 3 - 6 ; Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 3 - 5 ; siehe dazu auch Th. Demmler: Das Deutsche Museum, in: Beri. Mus., Jg. 51, Nr. 5, 1930, S. 101-107, S. 106 f; Theodor Demmler: Das Deutsche Museum zu Berlin, in: Mus.kun., N.F. Jg. 3, Nr. 2, 1931, S. 7 9 - 8 4 ; zur ebenfalls Bodes Gestaltungsgrundsätzen folgenden Neuordnung des Kaiser-Friedrich-Museums in dieser Zeit vgl. Joachimides 2001, S. 213 f. 203 Vgl. auch Karl Lehmann-Hartleben: Ein Museum antiker Architektur in Berlin, in: ZS f. bild. Ku., Jg. 60, Nr. 6, Sept. 1926, S. 61 f; zum Interesse des Ministeriums an Wiegands Arbeit vgl. Wiegand an Becker, 24.12.1924 u. Becker an Wiegand, 2.1.1925, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6795; Wiegand an Becker, 27.11.1925, hs. u. Wiegand an Becker, 5.6.1929, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 5083; KM (Nentwig) an FM, 27.4.1925, ms. u. KM an FM, 20.8.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8264, Bl. 220-225; Watzinger 1944, S. 430 f. 204 Vgl. Hans Nachod: Das Museum für antike Architektur in Berlin, in: ZS f. bild. Ku., Jg. 63, Nr. 3, Juni 1929, S. 2 3 - 2 5 ; Das Pergamonmuseum, Jahrhundertfeierlichkeiten Berliner Museumsfeier,
in: Beri. Mus., Jg. 51, Nr. 5, 1930, S. 94-100; P. W :
in den Berliner Museen, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 342; Karl Scheffler: in: Ku. u. Kü.,]g.
29, Nr. 1, 1930/31, S. 3 - 6 ; Bernau 1997; Bernau / Riedl
1995, S. 184 u. 189; siehe auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 429-431. 205 Lammers (Staatssekretär im KM), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 39. 206 Ebd. 207 Becker, 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 19; vgl. dazu auch Watzinger 1944, S. 390. 208 Vgl. Waetzoldt an Bode, 13.4.1927, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t]; siehe dazu auch Waetzoldts vergleichbares Engagement mit Blick auf Bode
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
Museumsinsel
393
an seiner Kritik am Pergamonmuseum fest. 209 Mit deutlicher Distanz zum „Erbe" Messelbau überließ er die Entscheidung jedoch den Fachleuten 210 - und die votierten mit kleineren Zugeständnissen an das neutrale Konzept für eine Umsetzung der Wiegand-Pläne.211 In der Frage der Ausstellungskonzeption auf der Museumsinsel schwenkte das Ministerium so seit dem Frühjahr 1926 auf einen vermittelnden Kurs um. Damit sorgte es bereits für eine Beruhigung der Lage. 212 Das Ministerium beließ es jedoch nicht bei diesem Entgegenkommen. Vielmehr suchte es die Situation beim Museumsinselneubau nun auch personell zu konsolidieren, indem es im Herbst 1927 seinen Referenten Waetzoldt zum Generaldirektor der Staatsmuseen ernannte. Nachdem von Falke, der in den vorangegangenen Jahren im Schatten Bodes relativ farblos agiert hatte, in den Ruhestand verabschiedet worden war, trat damit ein Mann an die Spitze der Museen, der auf Grund von wissenschaftlicher Kompetenz und langjähriger Erfahrung in der Kunstverwaltung eigene Akzente zu setzen verstand und der zudem über einen wichtigen Vorzug verfügte: Als maßgeblicher preußischer Kunstpolitiker nach 1918 war er aufs engste mit der Politik des Ressorts vertraut und konnte weiterhin als deren Protagonist gelten. Gleichzeitig verband ihn ein Vertrauensverhältnis mit Bode, das den Museumskrieg wohl auch daher unbeschadet überstanden hatte, weil Waetzoldts Arbeitsschwerpunkt vor 1927 bei der zeitgenössischen Kunst lag.213 Überdies begegneten auch die übrigen Direktoren der Staatsmuseen von Wiegand bis Justi dem Referenten mit Sympathie.214 Nach den Konflikten im Umfeld des Museumsinselneubaus stellte sich Waetzoldt so als ideale Integrationsfigur dar. Der Vorschlag, Waetzoldt zum Generaldirektor zu ernennen, war in Ubereinstimmung mit den Abteilungsdirektoren vom scheidenden Amtsinhaber von Falke geäußert worden.215
selbst, vgl. Waetzoldt (KM) an Bode, 12.5.1927, ms., Waetzoldt an Bode, 22.7.1927, hs. u. Waetzoldt an Bode, 20.12.1927, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t]. 209 So betonte er in Protokoll Museumsbaukommission, 1.7.1927 in: Landesarchiv Berlin, Rep. 200, Acc. 3559, Nr. 118 (Hinweis Nikolaus Bernau): „Nach seiner persönlichen Überzeugung habe man hier zwei Prinzipien zur Geltung bringen wollen, nämlich das einer rein musealen Ausstellung und das einer Aufstellung des Altares als Architekturkörper. Beide Prinzipien beeinträchtigten sich gegenseitig. Die jetzige Aufstellung trage daher einen kulissenhaften Charakter, sie sähe etwas nach Theaterfassade aus." 210 Vgl. Protokoll Museumsbaukommission, 1.7.1927 in: Landesarchiv Berlin, Rep. 200, Acc. 3559, Nr. 118 (Hinweis Nikolaus Bernau). 211 Vgl. ebd.; zu den Diskussionen um die Mschattafassade vgl. Protokolle Museumsbaukommission, 1.8.1927, 28.11.1928 und 4.1.1929, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 200, Acc. 3559, Nr. 118 (Hinweise Nikolaus Bernau). 212 Vgl. Lehmann (DNVP), Oestreicher (SPD), Schwering (Z) u. Buchhorn (DVP), 21.3.1927, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 18179 f, 18184 u. 18190-18192. 213 Zum Kontakt Waetzoldt - Bode vgl. Briefwechsel 1911-26 in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t]; KuBi SMB, Nl Waetzoldt, Β 2. 214 Vgl. Watzinger 1944, S. 390-392; zu Justis äußerst positiver Haltung vgl. Justi an Becker, 1.2.1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 2130. 215 Vgl. Bode an Becker, 24.2.1927, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7873.
III.
394
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Ende Februar 1927 hatte sich auch Bode bei Becker für eine solche Regelung ausgesprochen. Als besonderen Vorteil hatte er dabei betont, „daß bei der jetzigen Lage der Museen einmal ein Generaldirektor folgt, der nicht zugleich Leiter einer Abteilung ist". 216 Bode hatte dem Ministerium damit eine Steilvorlage geliefert, die sich hervorragend in dessen Vermittlungsbemühungen einfügte.217 Entsprechend hatte Becker umgehend geantwortet, er nehme die Anregung „gern auf, zumal sie meinen persönlichen Wünschen und Absichten entgegenkommt. Sobald es verwaltungstechnisch möglich ist, beabsichtige ich Waetzoldt dem Staatsministerium als Nachfolger von Falkes zu präsentieren."218 Während Bodes Fürsprache die Beziehung zu Waetzoldt weiter festigte, untermauerte das Ministerium sein Interesse an einer Nachfolgeregelung im Sinne Bodes, indem es den umstrittenen Referenten Gall, der Ende 1926 im Prozeß um seine Wohnung in Dahlem erneut als Antipode Bodes hervorgetreten war,219 1927 sukzessive aus der Museumsverwaltung herauszog und Waetzoldt an seine Stelle treten ließ (siehe Kap. III.l.). 220 Die Bekanntgabe der WaetzoldtErnennung im Frühjahr 1927 rief dann in Blättern wie dem Kunstwanderer, dem Cicerone oder Kunst und Künstler, die zuvor in der Museumsbaufrage so hart gegeneinander agiert hatten, einhellig ein positives Echo hervor. Schnell wurde die Neubesetzung des Generaldirektorenpostens als Signal für das Ende des Museumskriegs gewertet und mit der Hoffnung auf eine baldige Fertigstellung des Museumsinselneubaus verknüpft.221 Die Absichten, die sich für das Ministerium mit der Ernennung Waetzoldts verbanden, offenbarten sich noch einmal bei der Amtseinführung des neuen Generaldirektors am 4. Oktober 1927, wo Becker seine Hoffnung auf Ausgleich durch Waetzoldt ausdrückte222
216 Ebd. 217 Zur Perspektive Bodes vgl. auch Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 458. Waetzoldt hatte sich 1914 mit Unterstützung Bodes schon einmal vergeblich um die Übernahme eines Museumsdirektorenamtes bemüht. Damals war es um Lichtwarks Nachfolge in Hamburg gegangen, vgl. Waetzoldt an Bode, 29.1.1914, hs. u. Waetzoldt an Bode, 1.11.1914, hs„ in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t]; Schunk 1993, S. 422. 218 Becker an Bode, 28.2.1927, ms. / hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7873; vgl. dazu auch Hinweis 26.2.1927, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1720; Waetzoldt an Bode, 2.3.1927, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t], 219 Vgl. Ohlsen 1995, S. 309 f; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 458 f; siehe auch Schmitz 1931, S. 167 f. 220 Vgl. dazu auch Waetzoldt an Bode, 12.5.1927, ms., Waetzoldt an Bode, 22.7.1927, hs. u. Waetzoldt an Bode, 20.12.1927, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t], 221 Vgl. Alfred Kuhn: Der neue Generaldirektor
der preußischen Staatsmuseen, in: Oc., Jg. 19, Nr. 5,
März 1927, S. 167; Adolph Donath: Die Aufgaben des Generaldirektors
der Berliner Museen, in:
Ku.wan., Jg. 9, 1./2. März-Nr. 1927, S. 265 f; Karl Scheffler: Die Generaldirektion
der
Berliner
Museen, in: Ku. u. Kü„ Jg. 25, Nr. 8, Mai 1927, S. 283-285. 222 In seiner Antwortrede ([4.10.1927], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1507) erklärte Waetzoldt dazu: „Das Amt des Generaldirektors, so wie es nach dem Willen der Staatsregierung von mir geführt werden soll, stellt den Chef der Verwaltung ausserhalb der einzelnen Sammlungen. Es weist ihm dafür die Aufgabe zu, mit ungeteilten Kräften dem Ganzen zu dienen und zwischen den Sonderinteressen der verschiedenen Museen ausgleichend zu wirken." Siehe dazu auch Generaldirektor
Waetzoldt, in: Ku.wan., Jg. 9, 1./2. Okt.-Nr. 1927, S. 81 f.
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
Museumsinsel
395
und betonte: „Die Hauptaufgabe der nächsten Zeit ist die Vollendung des Museumsbaus. Obwohl wir hier unter historischem Zwang stehen und, wenn wir heute zu beginnen hätten, gewiss manches anders machen würden, sind doch Staatsregierung und Volksvertretung darin einig, dass das gewaltige Unternehmen im Sinne seiner Planer würdig und so schnell als möglich vollendet werden soll. Die Aufstellung der Denkmäler wird natürlich, soweit es der gegebene Rahmen zulässt, der heutigen Generation angepasst werden müssen. Pietät und lebendige Fortentwicklung müssen sich irgendwie miteinander versöhnen lassen. [...] Die wahre Kontinuität liegt im Wandel des Lebendigen. [...] So führe ich den neuen Generaldirektor ein mit dem Rufe: Machen Sie lebendig!" 223 Zumal Becker diese Erwartungen um den Hinweis ergänzte, daß Waetzoldt in Personalunion Museumsreferent blieb, 224 und Waetzoldt in seiner Antwortrede ebenfalls einen engen Konnex zwischen Ministerium und Museen postulierte,225 avancierte der neue Generaldirektor damit zum Träger einer ministeriellen Politik, die darauf abzielte, den Museumsinselneubau trotz dessen wilhelminischer Prägung im Sinne eines ästhetischen Bildungsideals zeitgemäß zu gestalten und den alten Rang der Berliner Museen auf diese Weise bewußt jenseits wilhelminischen Prestigedenkens zu bewahren. 226 Die Ernennung Waetzoldts war direkt mit dem Anspruch auf eine zügige Fertigstellung des Museumsinselbaus wie darüber hinaus mit der Vorstellung verknüpft, den Bau über neue Vermittlungsformen als Aktivposten in die staatliche Kunstpolitik einzufügen. Nachdem Becker im Februar 1927 ein eingeschränktes Bauprogramm 227 und Waetzoldt im Sommer 1927 einen Belegungsplan für die Museumsinsel präsentiert hatte,228 kamen die Museumsbauarbeiten unter dem neuen Direktor tatsächlich zügig voran. 229 Neben der konstruktiveren Zusammenarbeit im Umfeld und der verbindlichen Zielformulierung stellten die seit 1927 wieder stattfindenden Treffen der Museumsbaukommission und das konstante
223 Rede Becker, 4.10.1927, ms. / hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1506; vgl. auch Generaldirektor
Waetzoldt, in: Ku.wan., Jg. 9, 1./2. Okt.-Nr. 1927, S. 81 f; Schunk 1993,
S. 444. 224 Vgl. Generaldirektor
Waetzoldt, in: Ku.wan., Jg. 9, 1./2. Okt.-Nr. 1927, S. 81 f; vgl. dazu auch
Petras 1987, S. 160; Watzinger 1944, S. 390; Karl Scheffler: Kulturabbau,
in: Ku. u. KU., Jg. 31,
Dez. 1932, S. 468-470. 225 Vgl. Rede Waetzoldt, [4.10.1927], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1507; siehe dazu auch Generaldirektor
Waetzoldt, in: Ku.wan., Jg. 9, 1./2. Okt.-Nr. 1927, S. 81 f; zum
engen Verhältnis, das Becker und Waetzoldt auch nach 1927 pflegten, vgl. Waetzoldt an Becker, 31.1.1931, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4942. 226 Vgl. Rede Waetzoldt, [4.10.1927J, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1507. 227 Vgl. Becker, 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 18. Konkret wurde hier die Fertigstellung der Säulenhalle, von dekorativen Arbeiten, des Übergangs und der Eingangshalle zurückgestellt. 228 Vgl. Protokoll Museumsbaukommission, 1.8.1927, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 200, Acc. 3559, Nr. 118 (Hinweis Nikolaus Bernau); Becker, 22.2.1928, in: LT, W P 2, HA, Szg. 277, Sp. 46 f. 229 Vgl. Becker, 22.2.1928, in: LT, W P 2, HA, Szg. 277, Sp. 46 f; Becker, 13.3.1929, in: LT, W P 3, HA, Szg. 56, Sp. 24 f; Schunk 1993, S. 447 f; Wilhelm Waetzoldt: Ausblick, in: ZS f. bild. Ku., Jg. 64, Nr. 7, 1.10.1930, S. 135 f; zur entscheidenden Rolle Waetzoldts dabei vgl. auch Karl Scheffler: Berliner Museumsfeier, in: Ku. u. Kit., Jg. 29, Nr. 1, 1930/31, S. 3 - 6 ; Karl Scheffler: in: Ku. u. Kü., Jg. 31, Dez. 1932, S. 468-470.
Kulturabbau,
396
III. Tendenzen der ministeriellen
Kumtpolitik 1921-32
Landtagsinteresse 230 wichtige Voraussetzungen dafür dar. 1929 mußten im Zuge der Wirtschaftskrise auch beim Museumsinselbau große Abstriche hingenommen werden. 231 Letztlich gelang es jedoch, den Bau wie 1922 avisiert bis zur Hundertjahrfeier der Museen im Herbst 1930 so weit zu vollenden, daß das Deutsche Museum, das Pergamonmuseum und drei erste Räume des im Südflügel untergebrachten Vorderasiatischen Museums der Öffentlichkeit übergeben werden konnten. 232 Danach setzte sich das Ministerium trotz aller finanziellen Beschränkungen für einen Abschluß der Arbeiten im Südflügel ein.233 Im Juni 1932 galt der Museumsbau offiziell als abgeschlossen. 234 Zum Zeitpunkt seiner Eröffnung im Herbst 1930 stellte sich der Museumsinselneubau für das Kultusressort als zwiespältige Größe dar. Einerseits war die Vollendung unter schwierigsten Bedingungen als Erfolg auch des Ministeriums zu sehen. Durch seine seit 1923 mit Rückendeckung des Landtags betriebene, durch die Ernennung Waetzoldts zum Generaldirektor forcierte Koordinierungspolitik 235 hatte das Ressort ebenso entscheidend zur Fertigstellung beigetragen wie durch sein Engagement für die Entschädigungsgelder des Reiches. Das fast zehnjährige Bemühen um den Bauabschluß hatte das Ministerium eng mit dem Bauvorhaben verbunden, dem schon die Denkschrift von 1922 einen zentralen Stellenwert innerhalb der Neustrukturierungspläne für die Berliner Museumslandschaft zuge-
230 Vgl. dazu LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 5, 7, 11, 15, 24, 38 u. 41 f; Schwering (Z) u. Klausner (DDP), 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 35 u. 40 f; Schwering (Z), Boelitz (DVP) u. Oestreicher (SPD), 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 4 f, 8 u. 12 f. 231 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1031, Bl. 1-2, 5-7, 9, 11-12, 17-33 u. 35-36; Schunk 1993, S. 448 f; Viergutz 1993, S. 94; Reuther 1993, S. 39. 232 Zur Diskussion um den Abschluß der Bauten 1930 vgl. GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1031, Bl. 37-54; LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 2-4, 9-16,19 f u. 22-24; LT, WP 3, Prot., Sp. 13536; Grebe (Ζ), 4.4.1930, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 113451 f; Bohner (DDP), 5.4.1930, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 13517. Die Einrichtung des Südflügels verzögerte sich 1929 aus finanziellen Gründen, vgl. Schwering (Z), 19.4.1929, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 6191; Waetzoldt an KM, 10.7.1929, ms., KM (Nentwig) an FM, 17.8.1929, hs. u. Becker an FM, 30.9.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1026, Bl. 5 - 6 u. 12-14; Waetzoldt an FM, 5.8.1929, ms., KM (Waetzoldt) an FM, 27.7.1929, ms. u. Anlage, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1031, Bl. 9, 11-12 u. 17-31; Andrae: Das Vorderasiatische Museum, in: Beri. Mus., Jg. 51, Nr. 5, 1930, S. 108-113. 233 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1031, Bl. 55-73. Erst Ende 1932 konnte dann das Islamische und im Frühjahr 1934 das Vorderasiatische Museum endgültig eröffnet werden, vgl. Petras 1987, S. 162; Viergutz 1993, S. 94; zur Unterbringung der Islamischen Abteilung vgl. auch BodeMemoiren 1997, Bd. 1, S. 457; Bernau / Riedl 1995, S. 171; Friedrich Sarre: Wilhelm von Bode und die Islamische Kunstabteilung, in: Ku.wan., Jg. 11, 1./2. April-Nr. 1929, S. 343-345; Dürer und Holbein im Deutschen Museum. / Die Islamische Sammlung, in: Ku.wan., Jg. 14, 12.11.1932, S. 383; zur Ergänzung des Vorderasiatischen Museums Ende der 20er Jahre vgl. Waetzoldt an KM, 18.7.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1026, Bl. 8. 234 Vgl. KM an FM, 22.6.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1031, Bl. 74. 235 Vgl. dazu auch KM: Zusammenstellung der Leistungen der preußischen Regierung auf dem Gebiete der Kulturpolitik seit November 1918, 1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41a.
4. Museumspolitik:
Bauprojekt
auf der
Museumsinsel
397
schrieben hatte. Die Bauvollendung ließ sich mithin als beeindruckender Beleg der ministeriell postulierten nationalen Selbstbehauptung auf kulturellem Terrain interpretieren.236 Überdies war es zumindest in Ansätzen gelungen, die älteren Konzepte Bodes und Wiegands in neutralere Bahnen zu lenken und den Museumsinselneubau moderneren Tendenzen zu öffnen. 237 Auch wenn das Ministerium selbst dies nicht thematisierte, schien der Bau durch seine klassizistische Außengestaltung und die Antikenpräsentation in Nähe zur deutschen Kunst nicht zuletzt Beckers Anspruch auf einen neuen deutschen Humanismus (siehe Kap. III. 1.) zu spiegeln.238 Andererseits blieb das Verhältnis des Ministeriums zum Neubau selbst, der mit seinen Dimensionen und seinem historistischen Eklektizismus so klar dem Wilhelminismus verhaftet war, während der gesamten 20er Jahre distanziert.239 Die Vorgaben, die der Bau machte, setzten den Gestaltungsabsichten des Ministeriums speziell beim Pergamonmuseum Grenzen. Die realisierte Raumgestaltung entsprach den Vorstellungen des Ressorts nur bedingt.240 Darüber hinaus stellte sich das Museumsbauprojekt wegen der Konflikte in seinem Umfeld als ein diffiziles Terrain dar. Speziell mit Bode gestaltete sich das Verhältnis bis zu dessen Tod im März 1929 schwierig.241 Vor diesem Hintergrund und auch angesichts der Befürchtung, die Baufinanzierung könnte Reparationsansprüche schüren, erwies sich das Museumsinselprojekt als Thema, das sich in der Bauphase kaum für eine demonstrative Einbindung in die ministerielle Politik eignete. Angesichts dieses zwiespältigen Charakters bemühte sich das Ministerium im Laufe der 20er Jahre um eine Integration des Museumsneubaus in seine Kunstpolitik, indem es die 236 Vgl. auch Bernau / Riedl 1995, S. 187; Pressetext Waetzoldt: Aufbau und Leben der Berliner Museen, 19.7.1928, ms. u. Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen Museen Berlins. Ihre Verwaltung Nicht nur Stätten des Sammeins, sondern auch Lehr- und Forschungsinstitute - Ausstellungen Führungen,
und
18.8.1928, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 318-322.
237 Vgl. Joachimides 1995a, S. 205; Bernau / Riedl 1995, S. 180-184; Bernau 1997; Watzinger 1944, S. 428 f. 238 Vgl. dazu auch Bohner (DDP), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 38; Groppe 1997, S. 5 6 - 6 0 ; siehe dazu auch Bernau 1997; Börsch-Supan 1997; Bernau / Riedl 1995, S. 172, 179 f u. 187 f; Mai 1994; Szambien 1994, S. 47 f; Scheffler 1946, S. 234, Schmitz 1931, S. 142 f. 239 Vgl. dazu auch Protokoll Museumsbaukommission, 1.7.1927, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 200, Acc. 3559, Nr. 118 (Hinweis Nikolaus Bernau), wo Becker vom Pergamonmuseum als „Erbe" sprach; Buchhorn (DVP), 14.2.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 10 f; zur zeitgenössischen Wahrnehmung der Verquickung des Museumsinselneubaus mit dem Wilhelminismus vgl. Adolf Behne: Von Bode, in: Weltb., Jg. 22/1, Nr. 3, 19.10.1926, S. 116 f; Claus Berger: Unsre Museen, in: Weltb., Jg. 22/2, Nr. 52, 28.12.1926, S. 1002 f; Hermann Hieber: Preußische
Museumswirtschaft,
in: Weltb., Jg. 24/1, Nr. 8, 21.2.1928, S. 305 f. 240 Vgl. Joachimides 1995 a, S. 205; Joachimides 2001, S. 213 f; P. W : Jahrhundertfeierlichkeiten
in den
Berliner Museen, in: Ku.bl, Jg. 14, 1930, S. 342; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp.19213-19215. 241 Vgl. dazu auch Becker, 13.3.1929, in: LT, W P 3, HA, Szg. 56, Sp. 24 f; zum Kontext siehe Beri. Mus. J g . 51, Nr. 1, 1930, S. 19; Schunk 1993, S. 449 f; Scheffler 1946, S. 233; Otto 1995, S. 46; Ohlsen 1995, S. 312; Trauerfeier für Wihlem von Bode, in: Ku. u. Kü„ Jg. 27, Nr. 7, April 1929, S. 291; Boelitz (DVP), Noack (DNVP) u. Bohner (DDP), 13.3.1929, in: LT, W P 3, HA, Szg. 56, Sp. 8,10, 20 u. 23; Schwering (Z), 19.4.1929, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 6191; Karl Koetschau: Wilhelm von Bode. Versuch einer Charakteristik, in: ZS f. bild. Ku. J g . 63, Nr. 1, 15.4.1929, S. 1-3.
III.
398
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Relevanz des Baus für die Republik nicht an den vorgegebenen, wilhelminisch besetzten Bereichen der Museumsarchitektur, der Auswahl der Sammlungsschwerpunkte oder der Präsentation festmachte, sondern den Bau über den Anspruch des Bewahrens, Auswertens und Vermitteins auf seine museale Funktion konzentrierte. Nicht der belastete Bau selbst wurde so zum Bezugspunkt, sondern die Auseinandersetzung mit Kunst, die er ermöglichte. Die nationale Bedeutung des Museumsinselbaus wurde also vom Ressort in Orientierung an seiner sonstigen Museumspolitik (siehe Kap. III. 4.2.) deutlich anders definiert als in wilhelminischer Zeit. Im Mittelpunkt der neuen Definition standen nicht mehr Größe und historische Verortung, sondern die Fürsorge für vorhandene Kunstschätze und die Betonung der individuellen Beschäftigung mit Kunst. Über beide Aspekte suchte das Ministerium ein neues Bild der Kulturnation zu etablieren, bei dem es um das autonome Kunstwerk, dessen Schutz und Bedeutung für die Persönlichkeitsbildung und damit um das Moment des Ästhetischen an sich, nicht aber um den Nachweis kultureller Größe durch bestimmte Kunstinhalte ging. Der Museumsinselbau stellte sich so weiter als Ort dar, an dem sich nationales Selbstverständnis manifestierte. Dieses Selbstverständnis setzte nun jedoch auf differenzierterer Ebene an: Der zentrale neue Museumsbau stand für das Ideal einer von eigenständigen Persönlichkeiten getragenen Gesellschaft, deren Identität sich zunächst im individuellen und von dieser Basis aus auch im nationalen wie internationalen Kontext über qualitativ hochstehende Kultur und Kunst vermittelte (siehe Kap. III. 1. und III. 5.). Hatte sich das veränderte Interesse am Museumsinselneubau bereits seit Beginn der 20er Jahre angedeutet, wenn das Ministerium konservatorische Aspekte oder die bessere Bestandsauswertung in den Vordergrund rückte,242 waren in der zweiten Hälfte der 20er Jahre das Engagement für neue Inszenierungskonzepte oder der Popularisierungsanspruch, mit dem Waetzoldt sein Amt 1927 antrat,243 als entsprechende Signale zu verstehen. Später war die nationale Relevanz dieses Bemühens von Waetzoldt unterstrichen worden, als er die preußischen Sammlungen mit den Londoner Museen und dem Louvre verglich, dabei die Intensität der Kunstpflege als Maßstab für die Kultur eines Volkes darstellte244 und betonte: „Wenn [...] 1930 [...] die Neubauten sich öffnen, werden in den drei grossen, um das Museumsforum gelagerten Gebäuden, Schätze der germanischen, der antiken, der vorderasiatischen und islamischen Kunst aus den Tiefen der Keller und dem Dunkel der Kisten auferstanden sein. [...] Dann erst wird die Leistung des Preussiscben Staates sich ganz würdigen lassen."245
242 Vgl. Nentwig, 23.1.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 238, Sp. 7; Abschr. Text Gall für LT: Weiterführung
der Museums-Neubauten
Erklärung,
auf der Museumsinsel. [...] Jetzige Sachlage und
abzugebende
1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1369; Denkschrift
Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2191 f. 243 Vgl. dazu Alfred Kuhn: Der neue Generaldirektor
der preußischen Staatsmuseen, in: Cie., Jg. 19,
Nr. 5, März 1927, S. 167; Adolph Donath: Die Aufgaben
des Generaldirektors
der
Berliner
Museen, in: Ku.wan., Jg. 9, 1./2. März-Nr. 1927, S. 265 f; Karl Scheffler: Die Generaldirektion
der
Berliner Museen, in: Ku. u. KU., Jg. 25, Nr. 8, Mai 1927, S. 283-285. 244 Vgl. Pressetext Waetzoldt: Außau
und Leben der Berliner Museen, 19.7.1928, ms., in: GStA PK,
I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 318-322. 245 Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen Museen Berlins. Ihre Verwaltung - Nicht nur Stätten des
4. Museumspolitik:
Bauprojekt auf der Museumsinsel
399
Vor allem aber bestätigte sich die Neuakzentuierung bei der Eröffnung des Museumsinselneubaus, deren Bedeutung das Ministerium in erster Linie darin sah, daß jahrelang der Öffentlichkeit wie der Fachwelt vorenthaltene Werke wieder zu besichtigen waren. 246 Wie bewußt das Ressort mit diesem Ereignis nach außen wirken wollte, läßt sich daran festmachen, daß sich Grimme beim Ministerpräsidenten „trotz der gegenwärtigen schweren Zeit" für eine zweitägige Feier zum hundertjährigen Bestehen der Museen mit gleichzeitiger Einweihung des Neubaus einsetzte. 247 In der vom Ministerium gewünschten Form realisiert, 248 wurden die Feierlichkeiten am 1. und 2. Oktober 1930 tatsächlich zum nationalen wie internationalen Ereignis. 249 Prägnant zum Ausdruck kam die neue Relevanz, die das Ressort dem Museumsinselneubau zuschrieb, in erster Linie in den Festreden des Kultusministers. Zu Beginn seiner Rede beim Jubiläumsfestakt am 1. Oktober stellte Grimme zunächst die provozierende Frage, „ob es angesichts des Massenelends der Gegenwart wirklich noch als Sache des Staates angesehen werden darf, der Kunst [...] so ungewöhnlich große Zuwendungen zu machen, wie es in den letzten Jahren zur Förderung der Bauten geschehen ist".250 Als Antwort darauf führte der Minister die Pflicht des Staates an, den vorhandenen Kunstbesitz als kostbares Erbe der Nachwelt zu erhalten. 251 Als eigentliches
246 247
248 249
Sammeins, sondern auch Lehr- und Forschungsinstitute - Ausstellungen und Führungen, 18.8.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 321-322. Vgl. Grimme an Braun, 20.3.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2404, Bl. 2-3, Bl. 2 r. Das Ministerium sah für den 1.10.1930 einen Jubiläumsfestakt in der Universität und eine Opernfestaufführung sowie für den 2.10.1930 die Neubaueröffnung und einen Abendempfang des Ministerpräsidenten im Berliner Schloß vor, vgl. Grimme an Braun, 20.3.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2404, Bl. 2-3, Bl. 2 v; Schunk 1993, S. 451. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2404, Bl. 4-16, 36-169,176-507, 564-569 u. 590-599. Zur Feier vgl. ausführlich Schunk 1993, S. 449-455; Scheffler 1946, S. 234; Watzinger 1944, S. 437 f; Pressetexte 1.10.1930 u. ZA, 3.10.1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2404, Bl. 559-560, 563, 572 u. 587; Rede Liebermann, 1.10.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/049, Bl. 121-123; Rede Grimme, 2.10.1930, ms. u. Übergabe der Museumsneubauten. Feier im Pergamonsaal, in: Vorwärts, 3.10.1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 352; Friedrich von Oppeln-Bronikowski an Grimme, 11.10.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 324; Adolph Donath: Die Hundertjahrfeier der Staatlichen Museen Berlins, in: Ku.wan., Jg. 12,1./2. Okt.-Nr. 1930, S. 33 f; Wilhelm Waetzoldt: Der Festakt in der Universität. Festrede, in: Ku.wan., Jg. 12, 1./2. Okt.-Nr. 1930, S. 34-39; Schmidt-Degener: Die Glückwünsche des Auslandes, in: Ku.wan., Jg. 12, 1./2. Okt.-Nr. 1930, S. 40 f; Die ausländischen Gäste, in: Ku.wan., Jg. 12, 1./2. Okt.-Nr. 1930, S. 41 f; Wie wir die Berliner Museen sehen. Urteile des Auslandes, in: Ku.wan., Jg. 12, 1./2. Okt.-Nr. 1930, S. 43 f; Adolf Behne: Das auf dem Pergamon-Altar geopferte Deutsche Museum, in: Weltb., Jg. 26/2, Nr. 42, 14.10.1930, S. 583-585; Ku. u. Wi„ Jg. 11, Nr. 17, 16.10.1930, S. 252; P. 'VI.·. Jahrhundertfeierlichkeiten in den Berliner Museen, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 342; Mus.kun., N.F. Jg. 2, Nr. 3, 1930, S. 138; Werner Noack: Zur Hundertjahrfeier der Berliner Museen. Ansprache im Namen des Deutschen Museumsbundes, in: Mus.kun., N.F. Jg. 2, Nr. 4, 1930, S. 166 f.
250 Grimme 1932 a, S. 63; Grimme, 2.10.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 352; zur Rede vgl. auch Schunk 1993, S. 454; Watzinger 1944, S. 438; Schmitz 1931, S. 142. 251 Ebd., S. 64 f; vgl. dazu auch Grimme an Waetzoldt, 20.2.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 71, Mappe 4.
III.
400
Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Argument dafür, daß der Staat viel Geld für die Kunstpflege ausgebe, galt ihm darüber hinaus jedoch die Bedeutung, die er der Kunst für die Persönlichkeitsentwicklung und die nationale Integration zuschrieb (siehe Kap. III. 5.). 252 Durch gezielte Vermittlungsmaßnahmen solle die Museumskunst Besitz und Bedürfnis jedes Einzelnen werden. Für den verantwortlichen Bürger solle die Auseinandersetzung mit Kunst so schließlich dreierlei sein: „Pforte zur vertieften Erkenntnis der Wirklichkeit, Quelle freudegebender Kraft zur Beherrschung dieser Wirklichkeit und ein nicht wegdenkbares Mittel zur Gestaltung des eigensten Wesens von Mensch und Volk." 2 5 3 Hatte Grimme damit den kostspieligen Museumsinselneubau über die gesellschaftliche Relevanz der Beschäftigung mit Kunst legitimiert,254 spitzte er seine Ausführungen am 2. Oktober bei der Eröffnung des Pergamonmuseums weiter zu, indem er die individuelle Persönlichkeitsbildung durch Kunst zum speziellen Thema machte. Konkret charakterisierte er hier den Moment der Neubauübergabe an die preußische, deutsche, europäische und die Weltöffentlichkeit als einen „Augenblick der Andacht, der verbietet, dass wir Menschen, die wir in diesem Räume bereits im Banne der Werte, die wir nachher sehen werden, stehen, über diese Welt der Werte Worte machen, wo umgekehrt wir lauschen sollten, was die Werte uns zu sagen haben. Und wenn wir lauschen, hören wir aus all diesen neuen Bauten dieselben Stimmen: Wir künstlerischen Werte sind dem Tageskampf entrückt und stehen jenseits aller Not des Alltags, und doch, o Mensch, wenn Du auf uns hörst, wirst Du finden, dass wir es sind, die Deinem Alltag erst Sinn verleihen und Deinem Tageskampf erst Ziel und Richtung weisen, und dass um unsertwillen der Kampf sich erst lohnt und erst das Leben wert, gelebt zu werden, wird. Denn wir sind eine Quelle der Freude, und die Freude ist der Wert, der ,die Mutter aller Tugend' ist (Goethe)." 2 5 5 Mit der Museumseröffnung verband Grimme den Wunsch, „dass den Menschen [...] diese Welt der Werte ein innerer Besitz wird und damit eine Quelle der Freude, die, mag der Alltag licht oder dunkel sein, nie versiegt." 256
252 Vgl. Grimme 1932 a, S. 65; siehe dazu auch Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, W P 3, Prot.,
Sp. 19211 f. 253 Grimme 1932 a, S. 66. 254 Siehe dazu die irreführende Einschätzung in Bernau / Riedl 1995, S. 186 f. Auf welch diffizilem Terrain sich Grimme dabei gerade beim Museumsinselneubau bewegte, zeigen die kontroversen Reaktionen auf Grimmes Rede, vgl. Eine radikale Festrede. Minister Dr. Grimme bei der Einweihung der Museumsbauten,
in: FZ, Nr. 732 [?], 2.10.1930 u. Kunst im Elend, in: Berliner Volks-
zeitung, Nr. 466 [?], 3.10.1930, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2404, Bl. 578-579; von OppelnBronikowski an Grimme, 11.10.1930, ms. u. Grimme an von Oppeln-Bronikowski, 18.10.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 324; Schmitz 1931, S. 142; Adolf Behne: Das auf dem Pergamon-Altar
geopferte Deutsche Museum, in: Weltb., Jg. 26/2, Nr. 42, 14.10.1930,
S. 583-585; Neumann (DNVP), 18.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 18962 f. 255 Rede Grimme, 2.10.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 352; vgl. dazu auch Pressetext 2.10.1930, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2404, Bl. 563; von Oppeln-Bronikowski an Grimme, 11.10.1930, ms. u. Grimme an von Oppeln-Bronikowski, 18.10.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 324; Schunk 1993, S. 454. 256 Rede Grimme, 2.10.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 352.
4. Museumspolitik: Neugestaltung der Museen
401
Grimme fügte den Neubau damit über die Kunstwerke, die er präsentierte, 257 in seine beim Einzelnen ansetzende Kulturgemeinschaftsvision (siehe Kap. III.l.) ein. 258 Nach den Querelen und Belastungen der Bauzeit, bei denen es um den Konflikt zwischen wilhelminischen Ansprüchen und den veränderten Zielsetzungen und begrenzteren Möglichkeiten der Republik gegangen war, söhnte das Ministerium den kaiserzeitlich geprägten Bau, der nach seiner Eröffnung tatsächlich enorme Besuchermengen anzog, 259 so im Endeffekt auf der Ebene der Nutzung mit seinen eigenen Ambitionen aus und integrierte ihn trotz aller Sperrigkeit als positive Größe in seine Kunstpolitik. Die im In- und Ausland verfolgten Museumsfeierlichkeiten stellten eine gute Gelegenheit dar, die neue Identifikation mit dem Museumsinselbau zu propagieren und die Museumsinsel als Ort ins Bewußtsein zu rücken, an dem sich jenseits wilhelminischen Prestigedenkens der kunstpolitische Anspruch der Republik manifestierte.
4.2. Bemühen um eine Neugestaltung der Museen Eine der zentralen museumspolitischen Forderungen des Ministeriums Haenisch war die Öffnung der Museen für breiteste Volksschichten gewesen. Das ministerielle Bemühen um Museumspopularisierung, das sich genuin in die nationalintegrative Politik des Ressorts eingefügt hatte, hatte in Ubereinstimmung mit der zeitgenössischen Debatte auf drei Ebenen angesetzt: 1. bei der Verbesserung der Zugangsbedingungen (Öffnungszeiten, freier Eintritt), 2. bei einer gezielten Vermittlungsarbeit (Führungen, Vorträge, Publikationen) sowie 3. bei einer publikumsorientierteren Museumsgestaltung (Trennung in Schau- und Studiensammlung, Raumklärung). Unter Haenisch waren hier erste Akzente im Kronprinzenpalais gesetzt worden (siehe Kap. II. 4.1.). Daneben waren bei den übrigen Staatssammlungen Eintritte und Öffnungszeiten den neuen Forderungen angepaßt worden (siehe Kap. II. 3.1.).
257 Vgl. Paul 1994 b, S. 207; siehe dazu auch schon Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen
Museen
Berlins. Ihre Verwaltung - Nicht nur Stätten des Sammeins, sondern auch Lehr- und Forschungsinstitute - Ausstellungen und Führungen,
18.8.1928, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402,
Bl. 321-322. 258 Siehe dazu auch die ähnlichen Ausführungen Waetzoldts bei den Feierlichkeiten, vgl. Schunk 1993, S. 451-454; Bernau / Riedl 1995, S. 188; Rede Waetzoldt, 2./1.10.1930, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1342; Pressetext 2.10.1930, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2404, Bl. 563; Wilhelm Waetzoldt: Der Festakt in der Universität. Festrede, in: Ku.wan., Jg. 12, 1./2. Okt.-Nr. 1930, S. 34-39; Wilhelm Waetzoldt: Ausblick, in: ZS f. bild. Ku., Jg. 64, Nr. 7, 1.10.1930, S. 135 f. 259 Vgl. Watzinger 1944, S. 439; Schunk 1993, S. 458; Petras 1987, S. 162; Beri. Mus., Jg. 51, 1930, S. 149 f; Ku.wan., Jg. 13, 1./2. Febr.-Nr. 1931, S. 192; Oestreicher (SPD) u. Hertwig (DNVP), 14.2.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 3 - 8 ; vgl. auch schon Nentwig, 13.3.1929, in: LT, W P 3, HA, Szg. 56, Sp. 30 f. Wichtig dafür waren die Popularisierungsaktivitäten unter Waetzoldt, vgl. dazu Schunk 1993, S. 455 f; Alfred Neumeyer: Die Pressestelle, in: Beri Mus., Jg. 52, Nr. 2, 1931, S. 45; Beri. Mus., Jg. 52, Nr. 2, 1931, S. 47; Grimme an Waetzoldt, 20.2.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 71, Mappe 4.
402
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Bereits zum Ende der Amtszeit Haenischs stieß diese Politik jedoch an ihre Grenzen, als aus Finanzgründen zum 1. April 1921 erneut Eintrittsgelder in den Museen eingeführt wurden. Außer am Sonntag sowie an einem Werktag kostete der Museumsbesuch nun zwei M. 2 6 0 Ähnlich wie bei der Studiengelderhöhung an den Kunstschulen zur selben Zeit (siehe Kap. III. 3.1.) kollidierten auch bei den Museumseintritten kunstpolitischer Anspruch und finanzpolitische Realität. Schnell wurden die Eintritte als Widerspruch zum Popularisierungscredo des Ministeriums, als ungerechtfertigte Bildungssteuer und kulturfeindliche Maßnahme kritisiert. 261 Das Ressort verwies demgegenüber darauf, die Eintritte seien nötig, um Museumspublikationen finanzieren zu können. Daß der Museumszugang vielen verbaut wurde, um eine nur für eine kleinere Gruppe relevante Popularisierungsmaßnahme zu ermöglichen, wurde allerdings als kaum weniger inkonsequent interpretiert. 262 Die ministerielle Popularisierungspolitik verlor so deutlich an Glaubwürdigkeit. Verstärkt wurde dieser Eindruck dadurch, daß es wegen der Eintritte zu Mißstimmungen zwischen dem Ressort und Justi, dem wesentlichsten Träger der staatlichen Popularisierungsbestrebungen, kam. Nachdem der Direktor der Nationalgalerie zuvor unter Rücktrittsandrohung die Rücknahme der Eintritte gefordert hatte, schrieb Becker Ende März 1921 verärgert an Haenisch, Justis Brief sei „derartig verlogen und illoyal, dass die ganze Abteilung in heller Empörung darüber ist. Die ganze Opposition in der Presse geht eingestandenermassen auf Justi zurück. [...] Wenn Sie in diesem Moment nachgeben, ertöten
260 Vgl. K.S.: Eintrittsgeld der Berliner Museen, in: Cie., Jg. 13, Nr. 6, März 1921, S. 187; Chr. B.: Stärkerer Besuch der Berliner Museen. Das Interesse für moderne Kunst. Eine neue Art von Führung. Erhebung
-
von Eintrittsgeldern, in: BT, Jg. 50, Nr. 99, 1.3.1921, Beibl. S. 1; E. V.: Eintrittsgeld in
den Museen, in: BT, Jg. 50, Nr. 137,23.3.1921; 1. b.: Berliner Museumsfragen,
in: Ku.chr., Jg. 56/2,
Nr. 28, 8.4.1921, S. 547 f; ZA Die Eintrittsgelder in den Museen, [April 1921] u. gen und Eintrittsgeld,
Museumsführun-
in: DAZ, Nr. 169, 12. [?]. 4.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC,
Nr. 8241, Bl. 5 u. 15; Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 35, 27.5.1921, S. 669; Ad. Erman: Das Eintrittsgeld der Museen, in: DAZ, Nr. 159, 6.4.1921; vgl. dazu auch den Hinweis auf die 1913-22 geführte, nicht erhaltene Akte des Kultusministeriums zu unentgeltlichem Museumsbesuch in Findbuch GStA PK, I. H A Rep. 76, V e . 261 Vgl. K.S.: Eintrittsgeld der Berliner Museen, in: Cie., Jg. 13, Nr. 6, März 1921, S. 187; Chr. B.: Stärkerer Besuch der Berliner Museen. Das Interesse für moderne Kunst. Eine neue Art von Führung. - Erhebung
von Eintrittsgeldern,
in: BT, Jg. 50, Nr. 99, 1.3.1921, Beibl. S. 1; E. V.: Die
Kunst dem Volk - nur gegen bar!, in: BT, Jg. 50, Nr. 121, 13.3.1921; Ε. V.: Eintrittsgeld in den Museen, in: BT, Jg. 50, Nr. 137, 23.3.1921; ZA Museumsführungen schaft?, [April 1921], Ein Aprilscherz des Kultusministeriums,
unter Ausschluß der Arbeiter-
in: Berliner Lokalanzeiger,
1921], Sling: Für fünf Mark ins Museum, in: Voss. Ztg., 28.4.1921 u. Museumsführungen
[April
und Ein-
trittsgeld, in: DAZ, Nr. 169,12. [?].4.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8241, Bl. 2, 4, 9 u. 15; 1. b.: Berliner Museumsfragen,
in: Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 28, 8.4.1921, S. 547 f; Rülcker 1974,
S. 144 f; siehe dazu auch Scheffler 1921, S. 114-118. 262 Vgl. K.S.: Eintrittsgeld der Berliner Museen, in: Czc., Jg. 13, Nr. 6, März 1921, S. 187; Chr. B.: Stärkerer Besuch der Berliner Museen. Das Interesse für moderne Kunst. Eine neue Art von Führung. Erhebung
von Eintrittsgeldern.,
den Museen, in: BT, Jg. 50, Nr. 137,23.3.1921; 1. b.: Berliner Museumsfragen, Nr. 28, 8.4.1921, S. 547 f.
-
in: BT, Jg. 50, Nr. 99, 1.3.1921, Beibl. S. 1; Ε. V.: Eintrittsgeld in in: Ku.chr., Jg. 56/2,
4. Museumspolitik:
Neugestaltung der Museen
403
Sie die Arbeitsfreudigkeit im ganzen Hause und schädigen die Staatsautorität nach innen und aussen in einer nicht wieder gut zu machenden Weise. Ich habe es deshalb in Ihrem Interesse nicht verantworten können, die mit dem Finanzministerium vereinbarte und in den Etat bereits eingesetzte Gebührenordnung vorläufig außer Kraft zu setzen." 263 Fakt sei nämlich: Justi selbst habe die eintrittspflichtigen Tage eingeführt und sich damit einen schwarzen Fonds geschaffen. Nun geschehe nichts weiter, als daß der Eintritt wegen der Geldentwertung verdoppelt werde und über die Ausgaben Rechenschaft abzulegen sei.264 Für Justi stünde so letztlich mehr Geld zu Verfügung - „wie überhaupt der ganze Zweck der Gebührenerhebung doch nur der ist, seine speziellen Popularisierungszwecke zu fördern. Ich kann mir sein unerhörtes Verhalten gar nicht anders erklären, als dass ihn ein pathologischer Größenwahn befallen hat. [...] Er kommt sich jetzt wie eine Primadonna vor, die nur mit ihrem Rücktritt zu drohen braucht, um den Intendanten zu allem bereit zu finden." Darauf dürfe man sich jedoch nicht einlassen. Im Zweifelsfalle sei auch Justi ersetzbar.265 Zum offenen Machtkampf wie wenig später mit Liebermann und Bode (siehe Kap. III. 3.2. und III. 4.1.) kam es mit Justi indes nicht. Offenbar war hier angesichts der für beide Seiten gewinnbringenden Kooperation im Bereich der Museumsmodernisierung eine Einigung möglich. Insbesondere Haenisch war es jedoch wichtig, die Glaubwürdigkeit des ministeriellen Anspruchs nach den Presseangriffen und der Kollision mit Justi auch in der Sache zu wahren. Daher unterstrich er im Herbst 1921, das Ressort habe sich mit der Einführung von Eintritten an einigen Tagen keineswegs im Widerspruch zu seiner Popularisierungspolitik bewegt. Vielmehr sei versucht worden, Eintritte an allen Tagen einzuführen - und nur dem Einspruch des Ressorts sei es zu verdanken, daß es dazu nicht gekommen sei. Am 25. Februar 1921 habe sich sein Ministerium gegen die ursprünglichen Absichten gewandt und betont, „daß das besondere Verhältnis, in dem die Oeffentlichkeit zu den Museen und den staatlichen Denkmälern steht, die Freigabe wenigstens einiger Tage verlangt. Wenn weiten Schichten des Volkes der Besuch der Museen usw. durch eine zu weit gehende Erhebung von Eintrittsgeldern unmöglich gemacht wird, so verfehlen die Museen als Volksbildungsstätte ihre eigentliche Aufgabe und ihr Besuch wird zu einem Privilegium der gutgestellten Kreise, deren künstlerisches Verständnis nicht immer mit ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit im Einklang steht. Die Angelegenheiten der künstlerischen Kultur sind in Deutschland noch nicht in so hohem Maße untentbehrliche Bildungselemente aller Volkskreise geworden, daß eine Steuer hierauf nicht in störender Weise beschränkend wirken würde."266 Die Eintrittsgelderhebung entpuppte sich so ähnlich wie die Studiengelderhöhung keineswegs als eine vom Kultusressort widerspruchslos hingenommene oder gar forcierte, sondern vom Finanzressort vorgegebene Maßnahme, die das Kultusministerium in Zeiten einer rigiden Sparnotwendigkeit allenfalls relativieren konnte. 263 Becker an Haenisch, 31.3.1921, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 80, Bl. 80 r; zur Kritik an Justi vgl. auch E. V.: Eintrittsgeld in den Museen, in: BT, Jg. 50, Nr. 137, 23.3.1921. 264 Becker an Haenisch, 31.3.1921, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 80, Bl. 80 r; vgl. dazu auch Text Justi fürs KM, 21.5.1919, ms., S. 12, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 265 Becker an Haenisch, 31.3.1921, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 20, Bl. 80, Bl. 80 v. 266 Haenisch 1921, S. 160 f.
404
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Trotz dieser Richtigstellung blieben die Eintritte umstritten.267 Ende 1921 wurde auch im Landtag kontrovers über das Thema diskutiert.268 Staatssekretär Becker erläuterte hier: „Daß ein Eintrittsgeld bei den Museen habe eingeführt werden müssen, bedauere er auf das lebhafteste, es lasse sich aber nicht vermeiden. [...] auch andere Museumsstaaten Deutschlands seien dazu übergegangen. Selbst das Ausland, dessen Finanzlage sehr viel besser sei [...], habe zu der gleichen Besteuerung der Museumsbesucher gegriffen wie wir. Es habe sich herausgestellt, daß [...] von sämtlichen Besuchern nur 2 4 % Eintrittsgeld gezahlt haben. Sonntags und an mehreren Wochentagen werden keine Eintrittsgelder erhoben, auch hätten im weitesten Umfange Ermäßigungen Platz gegriffen. Es sei alles getan worden, um etwaige nachteilige Folgen der Erhebung des Eintrittsgeldes zu verhüten. Der Grundgedanke sei [..] der, daß hier, wie bei allen anderen Staatseinrichtungen, die Kosten zwischen der Allgemeinheit der Steuerzahler und den speziellen Nutznießern geteilt werden." 269 Da keineswegs unbeträchtliche Mehreinnahmen durch die Eintritte erzielt wurden, 270 wurde die Maßnahme letztlich hingenommen. Und die zahlfreien Tage relativierten die Eintritte tatsächlich. Angesichts der fortschreitenden Geldentwertung flammten dann jedoch unter Boelitz immer wieder neue Debatten um eine weitere Erhöhung der Museumseintritte auf.271 Das Ressort stand auch hier zu seiner ablehnenden Haltung, mußte jedoch regelmäßig Zugeständnisse an die ökonomische Situation machen. Als 1922, orientiert am Vorbild Bayern, 272 erwogen wurde, ob man von Ausländern höhere Eintritte verlangen solle, positionierte sich
267 Vgl. Vermerk LT, Juli 1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3, adh. 1; LT, W P 1, HA, Szg. 62, Sp. 5; Gegen das Eintrittsgeld in den Museen, in: BT, Jg. 50, Nr. 186, 21.4.1921; Wolfradt: Eintrittspreise in den Berliner Kunstsammlungen,
in: Cie., Jg. 15, Nr. 4, Febr. 1923,
S. 203; Rülcker 1974, S. 144 f. 268 Vgl. Heß (Z), Kunert (USPD), Baecker (DNVP) u. Faßbender (Z), 28.11.1921, in: LT, W P 1, HA, Szg. 75, Sp. 4 - 7 , 9, 15 u. 20; Wegscheider (SPD), 10.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5707 u. 5709. 269 Becker, 28.11.1921, in: LT, W P 1, HA, Szg. 75, Sp. 11; zu den Ermäßigungen vgl. Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 64, Nr. 8, 20.4.1922, S. 147; Nr. 16, 20.8.1922, S. 355; Nr. 21, 5.11.1922, S. 457; Abschr. KM an Direktor Staatliche Museen, 18.10.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 259. 270 Die Einnahmen beliefen sich nach einer Woche bereits auf 12.200 M, vgl. ZA Die Einnahmen
der
Berliner Museen, 15.4.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8241, Bl. 11 u. 14; KM (Nentwig) an FM, 27.7.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8269, Bl. 261; siehe dazu auch KM (Nentwig) an FM, 27.7.1921, ms. u. Vermerk FM, 26.8.1922, hs. / ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8325, Bl. 65 u. 75 r. 271 Vgl. LT, W P 1, Prot., Sp. 7430 u. 8012; Meyer (KPD), Baecker (DNVP) u. Manasse (USPD), 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 5 f; Noack (DNVP), 22.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7444 f u. 7447; Kunert (USPD) u. Manasse (USPD), 23.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7471 u. 7483 f; Wolfradt: Eintrittspreise in den Berliner Kunstsammlungen,
in: Cie., Jg. 15, Nr. 4, Febr.
1923, S. 203. 272 Vgl. auch Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 51/52, 22./29.9.1922, S. 869 f; zu ähnlichen Debatten in Sachsen vgl. P.S.: Das Kapitel „Sammlungen
für Kunst und Wissenschaft" im sächsischen Landtag,
Ku.wan., Jg. 4, 2. Aug.-Nr. 1922, S. 552.
in:
4. Museumspolitik:
Neugestaltung
der
Museen
405
Becker kritisch zu der Idee, da die Eintritte wie eine Fremdensteuer wirkten.273 Trotz der Bedenken wurden die Ausländereintritte dennoch eingeführt.274 Für Inländer konnte das Ministerium die Eintrittspreise hingegen, um das ohnehin geringe Interesse an den Museen nicht völlig schwinden zulassen, erst einmal stabil halten; während der Inflation galt der Preis für eine Straßenbahnfahrt als Orientierungsgröße.275 Nachdem er bereits 1919 verstärkt freie Museumseintritte gefordert hatte,276 bekräftigte Minister Boelitz parallel dazu weiter seine Skepsis gegenüber einer weiteren Anhebung der Eintritte. Konkret unterstrich er vor allem die Gefahr, daß dadurch inzwischen auch der Mittelstand in Bedrängnis geraten könne.277 Boelitz plädierte statt dessen wie in der Kunstschulpolitik (siehe Kap. III. 3.1.) auch bei den Museen im Interesse der finanziellen Konsolidierung für institutionelle Konzentrationsmaßnahmen, „eine gewisse Planwirtschaft durch Zusammenlegung von Sammlungen" oder auch, um Aufsichtskräfte zu sparen, für ein Rotationssystem mit abwechselnden Öffnungszeiten der verschiedenen Sammlungen.278 Er suchte die finanzielle Bedrängnis der Museen also auf organisatorisch-struktureller Ebene zu lösen, nicht aber dadurch, daß man sie auf die Besucher abwälzte. Faktisch drang Boelitz damit allerdings kaum durch. Trotz ihres widersprüchlichen Charakters im Popularisierungskontext blieben die Museumseintritte letztlich das Mittel der Wahl.279 Während beim Museumszugang also Konzessionen an die Finanzlage gemacht werden mußten, hielt das Ministerium gleichzeitig am Ideal einer publikumsnahen Neugestaltung der Staatsmuseen fest. Auf den Punkt brachte es seine Ambitionen in der Denkschrift über die geplante äußere Gestaltung des Berliner Museumswesens vom Januar 1922 (siehe Kap. III. 4.1.). Die Schrift bekräftigte zunächst den grundsätzlichen Anspruch auf eine Öffnung der Museen: „Das 19. Jahrhundert ist die Periode der großen Sammeltätigkeit gewesen. Ein weiteres Anwachsen, eine fortgesetzte Steigerung im gleichen Tempo ist weder möglich noch wünschenswert. Unsere Generation, in der viele Augen aus neuen zukunftskräftigen Volksschichten zwar nicht mit dem Blick des geübten Kenners, aber mit dem Wunsche nach Erbauung und Belehrung in die Museen schauen wollen, verlangt, daß die
273 Becker, 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 8. 274 Vgl. Abschr. KM an Direktor Staatliche Museen, 18.10.1922, ms., KM (Pallai) an FM, 5.2.1923, ms. u. Entwurf FM an KM, 26.3.1923, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 259 u. 282-283; Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 64, Nr. 21, 5.11.1922, S. 457; Heß (Z), 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 3 f. 275 Vgl. KM (Pallat) an FM, 5.2.1923, ms. u. Entwurf FM an KM, 26.3.1923, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 282-283; Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 65, Nr. 15,5.8.1923, S. 286; Nr. 15, 5.8.1923, S. 286. 276 Vgl. Boelitz 1919 b, S. 42. 277 Boelitz, 14.5.1923, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 17069. 278 Ebd.; Boelitz 1924, S. 35. 279 Vgl. dazu auch KM (Nentwig) an FM, 23.3.1924, ms. u. Entwurf FM an KM, 10.4.1924, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 330-331; Wilhelm von Bode: Die Entwicklung der Museumsbauten für Kunst- und Kultur-Sammlungen in Deutschland, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Okt.-Nr. 1925, S. 49-52, S. 50 f.
III.
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Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
aufgehäuften Schätze nun auch im Bewußtsein größerer Volksschichten Wurzel fassen. Jedenfalls wird der Schwerpunkt [...] für die zukünftige Arbeit hier zu suchen sein: die Sammlungen sollen weniger in die Breite als in die Tiefe wachsen. Ubersichtliche Anordnung, deutliche Scheidung des unmittelbar Schaubaren vom bloß Lehrhaften, häufige Anregung durch wechselnde Ausstellungen und Führungen mögen als äußere Kennzeichen dieses Zieles gelten, an dessen Verwirklichung bereits seit Jahren vielfach erfolgreich gearbeitet wird." 280 Die Denkschrift benannte darüber hinaus auch gleich konkrete Aktionsfelder in Berlin, auf denen der neue Anspruch greifen sollte. Ausgangspunkt war der Verzicht auf das Asiatische Museum in Dahlem (siehe Kap. II. 3.1.), den das Ressort aus finanziellen Gründen, aber auch um die völkerkundlichen Bestände im Stadtzentrum zusammenzuhalten, als unausweichlich darstellte.281 Angesichts dessen sah das Ressort folgendes Alternativmodell vor: 1. Die ostasiatische Kunst sollte nicht in Dahlem, sondern im neben dem Völkerkundemuseum gelegenen ehemaligen Kunstgewerbemuseum, dem heutigen Martin-Gropius-Bau, gezeigt werden, das 1920 durch den Umzug des Kunstgewerbemuseums ins Schloß frei geworden war (siehe Kap. II. 3.1.). 2. Das Völkerkundemuseum seinerseits sollte neu geordnet werden, und der bis 1922 im Rohbau fertigzustellende Dahlemer Bau sollte die dafür benötigte Magazinfläche bieten. Auf diese Weise stiegen das alte Kunstgewerbe- und das Völkerkundemuseum in der Königgrätzer bzw. Prinz-Albrecht-Straße neben der Museumsinsel zum zweiten Museumsviertel der Hauptstadt auf 282 - und an diesem zentralen Museumsort standen nun, sobald das Dahlemer Magazin fertiggestellt war, zwei wesentliche Projekte an: Zum einen die seit langem geforderte Neuordnung des überfüllten Völkerkundemuseums und zum anderen die erste Dauerpräsentation ostasiatischer, das heißt chinesischer, indischer und japanischer Kunst. 283 Damit hatte das Ministerium im Gegenentwurf zu den von Bode geprägten Vorkriegsplänen ein eigenes museumspolitisches Konzept für Berlin aufgestellt und dessen baldige Realisierung angekündigt. Für die Kooperation mit Bode erwies sich dies als dauerhafte Belastung (siehe Kap. III. 4.1.). Für die eigene Museumspolitik definierte das Ressort hingegen in Anknüpfung an die Weichenstellungen der vorangegangenen Zeit mit der Denkschrift ein Programm, an dem sich, nachdem der Landtag der Schrift zugestimmt hatte,284 sein Engagement in den kommenden Jahren tatsächlich orientieren sollte. 285
280 Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2191 f; vgl. auch Severin 1991, S. 478. 281 Vgl. Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2192 f. Wichtiges Argument neben der Ersparnis von vierzehn Millionen M war dabei auch, daß man den Ansatz einer Unterscheidung von „Naturvölkern" und „Kulturvölkern", dem das Dahlemer Museum entsprochen hätte, ausdrücklich zurückwies; zum Dahlemer Projekt vgl. Severin 1991, S. 461-487. 282 Zur Geschichte dieses Museumsviertels vgl. D. R. Frank 1994, S. 221-226; Berlin, Berlin 1987, S. 278 f. 283 Vgl. Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2191-2193; vgl. auch GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 354 u. 454-464. 284 Vgl. LT, W P 1, Prot., Sp. 7429 f; Heß (Z), 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 19; LT, W P 1, Dr. 2050, S. 2400; Heß (Z), 22.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7436-7438; Ohlsen 1995, S. 296; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 435 u. Bd. 2, S. 381. 285 Zu den zwiespältigen Reaktionen auf die Denkschrift vgl. Fritz Stahl: Die Zukunft
der
Berliner
4. Museumspolitik:
Neugestaltung
der
Museen
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Noch bevor das Programm umgesetzt werden konnte, untermauerte das Ressort seinen Anspruch im Museumsbereich zunächst außerhalb der Hauptstadt: bei der Neuordnung der Schack-Galerie in München, die in preußische Zuständigkeit fiel, seit Adolf Friedrich von Schack seine Sammlung romantischer Werke des 19. Jahrhunderts 1894 Wilhelm II. vermacht hatte. 286 Nachdem sich nach 1918 bei den Vermögensauseinandersetzungen zwischen den Hohenzollern und Preußen auch die Frage nach der Zukunft der Schack-Galerie gestellt hatte, fand im Herbst 1921 eine Besprechung des Finanzministeriums und Waetzoldts in München statt, bei der unter anderem die Neugestaltung der Galerie Thema war. Das für die Sammlung zuständige Finanzressort 287 räumte dem Kultusministerium bei dieser Gelegenheit ein Mitbestimmungsrecht für die künstlerischen Galeriebelange ein. 288 Überdies wurde bei dem Treffen bereits benannt, welche Veränderungen man für die Sammlung anstrebte. Konkret ging es um eine „Neuhängung der Gemälde in der Richtung, daß die wertvollen Bestände der Galerie wie z.B. die Werke von Böcklin, Feuerbach, Spitzweg und Schwind in den bestbelichteten und am besten zu beaufsichtigenden Räumen zusammengehängt werden", weiter darum, „das oberste Geschoß von [ . . . ] Kopien zu befreien und abzusperren", außerdem um eine restauratorische Kontrolle sowie die Publikation eines aktuellen Katalogs und „kleinerer Veröffentlichungen über einzelne Künstler nach Art der Hefte, die die National-Galerie herausgibt." Umgesetzt wissen wollte man dies durch Nationalgaleriedirektor Justi. 289 Im November 1921 erbat das Kultusressort daraufhin von Justi einen Vorschlag, wie die Vorstellungen zu verwirklichen seien. 290 Anfang Januar 1922 legte Justi ein Konzept vor, das eine Reduzierung der gezeigten Werke, eine deutlichere Scheidung zwischen Kopie und Original sowie eine klarere Werkanordnung in der Form vorsah, daß im schlecht aufgeteilten und belichteten Erdgeschoß ein Drittel der Kopistenarbeiten, im Mitteigeschoß Werke von Feuerbach, Geneiii, Schwind und Spitzweg und in den besten Räumen im Obergeschoß statt Kopien vor allem Gemälde Böcklins gezeigt werden sollten. 291 Justi war überzeugt, daß auf diese Weise „aus dieser unglücklichsten aller deutschen Galerien ein erfreuliches Ganzes zu gestalten ist. Der so außerordentlich wertvolle Bestand würde zu der Wirkung kommen, die er verdient, und die Schacks
286 287
288 289 290 291
Museen, in: BT, 16.2.1922 u. Scheffler: Berliner Museumswesen, in: Voss. Ztg., 23.2.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Oestreicher (SPD), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7479-7481. Zur Geschichte der Galerie vgl. Pallat 1959, S. 253 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 485 fu. Bd. 2, Bd. 278 f. Zur Zuständigkeitsfrage vgl. auch Wilhelm Waetzoldt: Die bildenden Künste im Rahmen der preußischen Verwaltung, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 20/21, 10./17.2.1922, S. 341-347; Hoff (DDP), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7476 f. Vgl. Waetzoldt: Bericht über die Dienstreise nach München am 16. und 17. September 1921, ms., S. 2 f, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1. Ebd., S. 3 f. Vgl. KM (Pallat) an Justi, 7.11.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1; vgl. auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 485 f. Justi an KM, 7.1.1922, ms., S. 1-6, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1; vgl. auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 486-490 u. Bd. 2, S. 279-281.
III.
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Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Stiftung beansprucht." 292 Einen solchen preußischen Erfolg hielt Justi gerade in der Museumsstadt München für erstrebenswert. Zwar könne er das schlechte Gebäude nicht vergessen machen. Die Neuordnung biete aber die Chance, „daß der wundervolle Bestand klar und günstig und rhytmisch zur Geltung kommt, und daß sich Preußen nicht mehr [...] vor der Münchener und sonstigen Kunstwelt zu schämen braucht." 293 Justi hatte die Neugestaltungsabsicht damit um die Dimension der gezielten Außenwirkung ergänzt. Gestützt auf dieses Argument suchte das Kultusressort die Finanzierung der Neuordnung sicherzustellen. Schnell gelang es ihm, Ministerpräsident Braun für das Projekt zu gewinnen - und Braun engagierte sich daraufhin beim Finanzministerium dafür: „Da es zweifellos von beachtlicher politischer Bedeutung sein würde, wenn der Preußische Staat den [...] überaus wertvollen süddeutschen Kunstschatz in wesentlich verbesserter Form der Allgemeinheit zugänglich macht, so würde ich es mit besonderer Befriedigung begrüßen, wenn die Pläne des Direktors der Nationalgalerie [...], die auch der Herr Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung befürwortet, an finanziellen Bedenken nicht scheitern würden." 294 Konkret bat Braun darum, „den verhältnismäßig geringen Betrag von 80 bis 100.000 M für die Neuordnung der Galerie zur Verfügung stellen zu wollen." Zudem riet er zu einer Abstimmung mit maßgeblichen Münchener Kreisen 295 und einer schleunigen Umsetzung, „weil der kommende Sommer durch die Oberammergauer Passionsspiele einen großen internationalen Fremdenstrom nach München führen wird". 296 Das Bemühen um eine Neugestaltung der Schack-Galerie erfuhr damit Rückendeckung von höchster Stelle. Die Außendarstellung Preußens wurde in diesem Zusammenhang zu einem wichtigen Impuls für die Museumsmodernisierungspolitik. Zumal ein Privatmann weitere Mittel zur Verfügung stellte,297 war die finanzielle Basis für das Projekt angesichts dessen bald gegeben. Waetzoldt traf sich Ende März 1922 mit dem Finanzressort, mit Justi sowie mit bayerischen Politikern, Museumsleuten und Journalisten zu einem weiteren Ortstermin. 298 Zweck des Treffens war, Justis Neuordnungspläne bei einem Galerierundgang zu erläutern und die Reaktion in München zu prüfen. Waetzoldt solidarisierte sich bei der Gelegenheit mit Justis Vorschlag und betonte: „Bei der vorbildlichen Art, wie die Bayerischen Staatsgalerien gehängt sind, wird es darauf ankommen, bei der Neuordnung der Schack-Galerie die museumstechnischen Erfahrungen, die in anderen Galerien moderner Kunst, vor allem auch in der Nationalgalerie gesammelt worden sind, ganz auszunutzen." 299 Nachdem die Neuordnung in München begrüßt worden war, sahen Finanz- und Kultusressort eine Rea-
292 Justi an KM, 7.1.1922, ms., S. 7, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1. 293 Ebd., S. 7 f. 294 Abschr. Braun an FM, 7.2.1922, ms., S. 1, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1. 295 Ähnlich auch schon Justi an KM, 7.1.1922, ms., S. 7, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1. 296 Abschr. Braun an FM, 7.2.1922, ms., S. 2, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1. 297 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4358. 298 Vgl. dazu auch Abschr. KM an FM, [3.3.1922], ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1. 299 Waetzoldt: Bericht über die Dienstreise nach München am 30. und 31. März 1922, ms., S. 5, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1.
4. Museumspolitik: Neugestaltung der Museen
409
lisierung „mit Rücksicht auf den starken Fremdenverkehr, den München in den S o m m e r monaten (Gewerbeschau) erwartet", bereits für Anfang Mai 1922 vor. 300 Nach kleineren Verzögerungen 301 wurde die Schack-Galerie dann tatsächlich in nur drei Wochen durch Justi und einige Mitarbeiter des Kronprinzenpalais' Justis Plänen entsprechend umgestaltet und am 26. Juni 1922 neueröffnet. 302 Das Kultusressort war dabei immer mehr zur verantwortlichen Behörde geworden. Insbesondere Waetzoldt kam eine wichtige Koordinatorenrolle zu. 303 Auf Drängen des Ministeriums konnte Mitte 1923 auch der neue Katalog publiziert werden, mit dem Justi die Besucher ähnlich wie mit seinen Berliner Führern zu einem von Äußerungen der Künstler begleiteten Rundgang durch die Sammlung einlud. 304 Die Tatsache, daß Finanz- wie Kultusressort bei der Neuordnung von Beginn an auf Justi setzten, aber auch die spätere Identifikation des Kultusministeriums mit der neuen SchackGalerie 305 verdeutlichte: Bei der Neugestaltung der Münchener Sammlung suchte man das Museumsmodell Justis offensichtlich bewußt zu exportieren und die eigene Modernisierungspolitik so weitere Kreise ziehen zu lassen. Und wirklich gingen die Hoffnungen auf: Im Sommer 1922 reagierte die Münchener Presse positiv auf die Neuordnung der SchackGalerie. Die Modernisierung wurde als Leistung des Kultusministeriums und Justis wahrgenommen. 306 Aber auch die Fachpresse zeigte sich erfreut über die Galerieerneuerung. 307 Bedeutsam war nicht zuletzt, daß jetzt auch Scheffler konstatierte, die Schack-Galerie habe durch die Neuordnung sehr gewonnen, und hervorhob, „daß Justi die neuen Konventionen, die sich in unsern Museen bei Neuordnungen ausgebildet haben, mit Einsicht und Geschmack umgesetzt hat." 3 0 8 Nachdem sich Scheffler, der selbst für ein auf das Original fokussiertes, neutrales Museumskonzept eintrat, 309 noch 1921 als scharfer Kritiker Justis und des Ministeriums erwiesen hatte (siehe Kap. III. 4.1), begannen sich hier neue muse-
300 Ebd., S. 6. 301 Vgl. Justi an KM, 9.5.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. l , M , B d . 10/1; zum weiteren Engagement für die Schack-Galerie vgl. auch Abschr. FM an KM, 3.5.1922, ms. u. Abschr. KM an FM, [18.5.1922], ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1. 302 Vgl. dazu ausführlich Bericht Justi an KM, 8.7.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 4 8 6 - 4 9 0 u. Bd. 2, S. 279-281. 303 Vgl. Bericht Justi an KM, 8.7.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1. 304 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 489 f u. Bd. 2, S. 281; KM (Nentwig) an Justi, 16.11.1922, ms., Justi an KM, 23.11.1922, Ds., ms., KM (Pallat) an Justi, 10.1.1923, ms., Justi an KM, 25.1.1923, Ds., ms., KM (Pallat) an Justi, 9.5.1923, ms. u. N G (Mackowsky) an KM, 17.5.1923, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1. 305 Vgl. dazu Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4358; siehe dazu auch die Besuche von Waetzoldt und Boelitz in München 1922, vgl. Bericht Justi an KM, 8.7.1922, ms., Justi an KM, 23.8.1922, ms., KM (Pallat) an Justi, 10.1.1923, ms. u. Justi an KM, 25.1.1923, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 390. 306 Vgl. ZAs Juni/Juli 1922, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1. 307 Vgl. z.B. A. L. Mayer: Die Auferstehung
der Schackgalerie, in: Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 45, 11.8.
1922, S. 745; K. Sch. in: Ku. u. KU., Jg. 21, Nr. 2, Nov. 1922, S. 67. 308 K. Sch. in: Ku. u. KU., Jg. 21, Nr. 2, Nov. 1922, S. 67. 309 Vgl. Joachimides 2001, S. 195-198 u. 211-213; Joachimides 1995 a; Bernau / Poll 1991, S. 15-17; Poll / Rückert 1991, S. 32 f; Scheffler 1921, S. 81 f.
III.
410
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
umspolitische Konstellationen anzudeuten. Immer stärker rückte nun die museale Inszenierungsform in den Vordergrund. Die neugeordnete Schack-Galerie eröffnete erstmals jenseits des Kronprinzenpalais' die Option auf eine vom Ministerium geförderte moderne Museumsgestaltungspolitik, für die Raumklärung, Bestandsreduzierung und Konzentration auf das Original sowie flankierend eine gezielte Vermittlungsarbeit konstitutiv waren.310 Nachdem das Kultusministerium bei der Schack-Galerie sein Interesse an einer solchen modernen Museumsgestaltung demonstriert hatte, suchte es diese Grundsätze auch bei den angekündigten Museumsprojekten an der Königgrätzer Straße in Berlin wirksam werden zu lassen. Hier ging es zunächst um die Einrichtung der ostasiatischen Kunstabteilung im Kunstgewerbemuseum. Die Ausgangssituation stellte sich dabei wie folgt dar: Vom Dahlem· Verzicht überrascht, war der Leiter der Abteilung Otto Kümmel311 den ministeriellen Plänen, seine Sammlung weiterhin im Zusammenhang mit dem Völkerkundemuseum zu zeigen, im Frühjahr 1921 noch skeptisch begegnet.312 Von der Regierung war daraufhin betont worden, die endgültige Neuverteilung sei noch völlig offen.313 Nachdem dann im Laufe des Jahres 1921 immer wieder, prominent etwa in Schefflers Berliner Museumskrieg, für eine besondere Präsentation der ostasiatischen Kunst plädiert worden war,314 hatte sich das Kultusressort in seiner Denkschrift vom Januar 1922 schließlich diesen Forderungen
310 Die im Juni 1923 abgeschlossene Neuordnung des Stammhauses der Nationalgalerie bestätigte diese Tendenz zusätzlich, vgl. dazu Wolfradt in: Ku.bl., Jg. 7,1923, S. 283; Justi: [1923?], ms., Fritz Stahl: Die deutsche Jahrhundert-Galerie, Neuordnung Denkmal
der Nationalgalerie,
deutscher
in: Berliner Börsenzeitung,
Kunst. Justis Neuordnung
National-Galerie,
in: BT, 26.6.1923, Paul Landau: Die Morgenausg., 27.6.1923 u. Das
der Nationalgalerie,
in: Deutsche
Zeitung,
28.6.1923, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; Ku.wan., Jg. 5 , 2 . Juni-Nr. 1923, S. 436; Adolf Behne: Die neue National-Galerie,
in: Weltb., Jg. 19/1, Nr. 24, 14.6.1923, S. 685-688; A. Donath
in: Ku.wan., Jg. 5,1./2. Juli-Nr. 1923, S. 4 4 8 - 4 5 0 ; Scheffler: Die Neuordnung
der
Nationalgalerie,
in: Ku. u. Kü., Jg. 21, Nr. 11, Aug. 1923, S. 358-360; Jahresbericht N G 1922, Justi an KM, 29.10.1923, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3; Fünf Jahre „Kronprinzen-Palais". Rundfrage,
Eine
in: Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 239-244, S. 239-242; Kimbel (DNVP), 5.9.1925, in: LT,
W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 35; Rave, 1968, S. 96; zu deren Bedeutung für das Kultusressort vgl. auch Abschr. KM an Ohmert, [11.7.1923], ms. u. Abschr. KM an Brauns, [11.7.1923], ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; KM (Pallat) an Justi, 14.4. 1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 19, Bd. 3; zur gleichzeitigen Neuordnung des Kronprinzenpalais' durch Justi vgl. Adolf Behne: Das Kronprinzenpalais,
in: Weltb., Jg. 19/1, Nr. 25, 21.6.1923, S. 721-723.
311 Vgl. Walravens 1987. 312 Vgl. Kümmel: Berliner Museumsfragen.
Eine Erwiderung,
in: Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 30, 22.4.1921,
S. 579 f. 313 Vgl. Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 34, 20.5.1921, S. 647 f; siehe dazu auch GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 354 u. 454-464. 314 Vgl. Scheffler 1921, S. 7 - 3 8 u. 4 0 - 4 2 ; Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 34, 20.5.1921, S. 647 f; Scheffler: Berliner Museumswesen,
in: Voss. Ztg., 23.2.1922, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; zum
Kontext vgl. auch Walravens 1989, S. 104.
4. Museumspolitik:
Neugestaltung
der Museen
411
angeschlossen, indem es sein Votum gegen eine Unterscheidung von Natur- und Kulturvölkern um die Einschränkung ergänzte: „Etwas ganz anderes aber ist es, wenn verlangt wird, daß die hochwertigen Kunstleistungen gewisser Kulturvölker, wie namentlich der Inder, Chinesen und Japaner, [...] eine besondere Aufstellung erhalten sollten, bei der sie nicht mit den Gegenständen vorwiegend ethnologischer Bedeutung umgeben und damit künstlerischer Betrachtung fast ganz entzogen sind. Dieser sehr berechtigten Forderung muß unter allen Umständen nachgekommen werden, denn man benutzt auch ein Gemälde Rembrandts nicht vornehmlich, um holländische Volkssitten daran zu demonstrieren, und man umgibt es auch nicht mit Kostümfiguren aus dem Amsterdam des 17. Jahrhunderts. Selbstverständlich bleibt freilich, daß die Aufstellung dieser außereuropäischen Kunstwerke, die unserem Verständnis ferner liegen, [...] am besten an einer Stelle erfolgen wird, die [...] auch die ethnologischen Voraussetzungen vermittelt, ohne die der nicht eingeweihte Europäer diese Dinge vielfach falsch einschätzen muß." 3 1 5 Deutlich hatte das Ministerium so die Relevanz einer ostasiatischen Kunstausstellung unterstrichen und zugleich deren Unterbringung in der Nähe zum Völkerkundemuseum plausibel gemacht. In diesem Kontext bahnte sich, nachdem Kümmel noch 1922 eine alternative Unterbringung seiner Abteilung im Schloß Monbijou favorisiert hatte, offenbar sukzessive eine Zusammenarbeit mit dem Leiter der ostasiatischen Sammlung an.316 Gleichzeitig bemühte sich das Kultusministerium um eine Sicherung der finanziellen Basis für das Projekt und beantragte bereits im August 1922 für Bauarbeiten zur Einrichtung der ostasiatischen Kunstsammlung im Erdgeschoß des alten Kunstgewerbemuseums 423.000 M. Den Antrag begründete es: „Um die sehr wertvollen Sammlungen wenigstens einigermaßen zur Wirkung bringen zu können, sind geringfügige bauliche Aenderungen erforderlich, vor allem müssen aber die sehr hohen Räume mit Zwischendecken versehen werden". 317 Vor dem Hintergrund des Verzichts auf Dahlem stellte das Finanzressort daraufhin trotz der schwierigen Finanzlage 498.000 M für die Unterbringung der ostasiatischen Kunst bereit.318 Aufgestockt wurden die Mittel durch Erträge aus Dublettenversteigerungen.319 Auf dieser Finanzbasis setzte sich das Kultusministerium 1923 zunächst für eine Entfernung von Einbauten des alten Kunstgewerbemuseums ein.320 Die Neugestaltung wurde dann in Zu-
315 Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2192; vgl. auch ebd., S. 2191. 316 Vgl. auch Severin 1991, S. 478 u. 480; O. Kümmel: Die Abteilung für Ostasiatische Kunst, in: Beri. Mus., Jg. 45, Nr. 3, 1924, S. 50-58; O. K.: Das asiatische Museum in Berlin, in: Cie. J g . 17, Nr. 17, Sept. 1925, S. 859 f; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 433 f. 317 KM (Pallat) an FM, 26.8.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263. Parallel dazu wurde im alten Kunstgewerbemuseum die prähistorische Abteilung neugeordnet, vgl. C. Schuchardt: Die Neuaufstellung
der vorgeschichtlichen Abteilung im alten Kunstgewerbemuseum,
in:
Ku.wan., Jg. 4, 2. Aug.-Nr. 1922, S. 541-543; Alfred Kiekebusch in: Ku.chr., Jg. 58/1, Nr. 13/14, 29.12.1922/ 5.1.1923; Klausner (DDP), 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6146 u. 6148-6150. 318 Vgl. FM an KM, 13.11.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; FM an KM, 28.11.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 258. 319 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 456 u. Bd. 2, S. 380. 320 Vgl. GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 292-299, 309, 311-318 u. 323-324; O. Kümmel: Die Abteilung für Ostasiatische Kunst, in: Beri. Mus., Jg. 45, Nr. 3,1924, S. 50-58. Wie sehr bereits
III.
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Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
sammenarbeit mit Kümmel vom Kultusministerium und vom Museumsarchitekten Wilhelm Wille durchgeführt, der auch auf der Museumsinsel mit dem Ressort kooperierte. 321 Da der ostasiatischen Kunstabteilung im Kunstgewerbemuseum nur noch drei Viertel des Dahlemer Raumes zu Verfügung standen und zudem im Vorfeld beschlossen worden war, „nur Teile des Bestandes dauernd auszustellen, dem Besucher also nur so viel zu zeigen, als er wirklich verarbeiten kann", war klar, daß in Orientierung an der ästhetischen Museumskonzeption Schefflers 322 die Reduktion zentrales Präsentationskriterium sein würde.323 Ähnlich wie mit der Neuordnung der Schack-Galerie verknüpfte sich für das Kultusressort auch mit der Einrichtung der ostasiatischen Sammlung die Intention, über die moderne Museumsgestaltung nach außen zu wirken. Deutlich zeigte sich dies im Streit um den Eröffnungszeitpunkt. Während Kümmel die Ausstellung dem Publikum erst nach Fertigstellung aller Räume übergeben wollte, drängte das Ministerium schon im Frühjahr 1924 auf eine Eröffnung. 324 Das hatte vermutlich folgenden Grund: Durch die Einrichtung der Ostasienabteilung wollte das Ministerium Bode endgültig die Basis für sein fortgesetztes Bemühen entziehen, das Asiatische Museum in Dahlem doch noch zu realisieren. Die schnelle Eröffnung der ostasiatischen Ausstellung am vom Ministerium vorgesehenen neuen Ort avancierte mithin zum handfesten Argument für das ministerielle Konzept im Konflikt mit Bodes älteren Vorkriegsplanungen (siehe Kap. III. 4.1.). Kümmel mußte dem schließlich nachgeben. Man einigte sich jedoch zumindest darauf, auf eine große Eröffnung zu verzichten und die Abteilung statt dessen in zwei Etappen im Mai und Oktober 1924 der Öffentlichkeit stillschweigend zugänglich zu machen.325 Aber auch so wurde die Sammlung ganz im Sinne des Ministeriums als Neuerung wahrgenommen. Während Bode die Asienschau ablehnte,326 betonte Osborn: „Man hat ganz neue Museumsgrundsätze angewandt. in diesem Kontext die reduzierteren Museumsvorstellungen und ältere Museumskonzepte miteinander kollidierten, zeigt Schmitz 1931, S. 1 1 4 - 1 3 0 . 321 Kümmel schrieb dazu später in Die Abteilung
für Ostasiatische Kunst, in: Beri. Mus., Jg. 45, Nr. 3,
1924, S. 5 0 - 5 8 , S. 54 f, nur radikale Veränderung habe das Museum zu einem geeigneten Ausstellungsort werden lassen. „Daß sie trotz der fast unüberwindlichen Hemmungen der schlimmsten Inflationszeit durchgeführt werden konnte, verdankt die Abteilung in erster Linie den zuständigen Stellen des Ministeriums. Der Umbau hätte jeden zweiten Tag stillgelegt werden müssen, wenn sie nicht immer wieder zu Hilfe gekommen wären." 322 Zur potentiellen Mittlerfunktion Glasers in diesem Zusammenhang vgl. Walravens 1989, S. 1 0 2 105 u. 107 f; Schmitz 1931, S. 123 f u. 165; zu Glaser siehe auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 240. 323 Vgl. O. Kümmel: Die Abteilung
für
Ostasiatische
Kunst,
in: Beri. Mus., Jg. 45, Nr. 3, 1924,
S. 5 0 - 5 8 , S. 54. 324 Vgl. Walravens 1987, S. 144 f. 325 Vgl. ebd., S. 1 4 4 - 1 4 6 ; O . Kümmel: Die Abteilung
für Ostasiatische Kunst, in: Beri. Mus., Jg. 45,
Nr. 3, 1924, S. 5 0 - 5 8 ; Ku. u. KU., Jg. 23, Nr. 2, Nov. 1924, S. 76; Das Museum für
ostasiatische
Kunst, in: Ku. u. Kü., Jg. 23, Nr. 3, Nov. 1924, S. 112. 1930/31 kamen noch einmal weitere Ausstellungsräume hinzu, vgl. Ostasiatische Kunstabteilung,
in: Beri. Mus., Jg. 52, Nr. 6, 1931, S. 123 u.
126. 326 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 434; W. von Bode: Die Neuverteilung sammlungen
in Berlin, in: Ku.chr.,
Grosse: Zur Neuverteilung 2 . 6 . 1 9 2 2 , S. 5 9 1 - 5 9 5 .
der Staatlichen
Kunst-
Jg. 5 7 / 1 , Nr. 27, 3 1 . 3 . 1 9 2 2 , S. 4 2 9 - 4 3 4 ; vgl. dazu auch Ernst
der staatlichen
Sammlungen
in Berlin,
in: Ku.chr.,
Jg. 5 7 / 2 , Nr. 36,
4. Museumspolitik:
Neugestaltung
der Museen
413
[...] Man lernt in Japan und China, wie ein kultivierter Geschmack Kunstwerke darbietet. Diesem vornehmen Beispiel wollte man folgen. Man wird, um jedes rohe Gedränge zu vermeiden, mit dem ausgestellten Bestände von Zeit zu Zeit wechseln. So hat der Besucher Muße, sich in die Schönheit des einzelnen zu vertiefen, ohne daß ihm Auge und Sinn verwirrt werden. [...] Kein anderes Museum hat bisher das Prinzip weiser Beschränkung so streng durchgeführt." 327 Und Kümmel selbst bekräftigte später: „Das Ziel des ganzen Umbaus war, den Kunstwerken einen Rahmen zu schaffen, in dem sie als Kunstwerke zur Geltung kommen konnten." Aufstellung und Raumgestaltung seien nicht auf wenige Ostasienkenner, sondern darauf ausgerichtet, „der immerhin etwas größeren Zahl kunstsinniger Menschen den möglichst ungetrübten Genuß möglichst vollendeter Kunstwerke" zu bieten.328 Die Objektanordnung verfolge die Absicht, „die Kunstwerke als Kunstwerke sprechen zu lassen. Ein äußeres principium divisionis - nach Technik, Herkunft, Zeit - wurde also nicht angewandt, Gemälde, Skulpturen, Gerät, China, Japan, Korea nicht grundsätzlich voneinander getrennt. [...] Bei der Aufstellung wurde den Kunstwerken vor allem das gegeben, was sie zur Entfaltung ihrer künstlerischen Kräfte in erster Linie bedürfen - Raum." 329 Deutlich zeichnete sich hier ab: Mit Eröffnung der ostasiatischen Sammlung hatte das Ministerium nicht nur seinen Neustrukturierungsplan für die Berliner Museumslandschaft praktisch untermauert, sondern zugleich durch die Inszenierungsform Bode ein neues Museumskonzept entgegengestellt, das sich von den auf historische Verortung bedachten Präsentationen des ehemaligen Generaldirektors unterschied. 330 Charakteristika des neuen Inszenierungskonzepts waren im konkreten Fall (Abb. 2 - 4 ) klare, sachlich-reduzierte Raumgestaltungen, die durch wenige Originale, konstruktivistisch-strenge Wandeinlassungen, einfache Vitrinen und Wände in gebrochenem Grün, Grau und Violett bestimmt waren. 331 Die Grundorientierung am japanischen Wohnhaus und die Farbgebung zeigten dabei, daß durchaus noch Justis wahrnehmungspsycholgischer Raumgestaltungsansatz und noch nicht vollständig Schefflers Ideal der neutralen Werkstatt maßgebend war.332 Faktisch aber tendierte das ostasiatische Kunstmuseum durch die Konzentration auf wenige Objekte, und da man sich für reduzierte japanische und nicht für prunkvolle chinesische Raumprägungen entschieden hatte, bereits in Richtung des neutralen Museumsraumes, der sich seit den 30er Jahren immer mehr durchsetzen sollte. Offenkundig zielte die Bevorzugung ruhiger, sachlicher Räume darauf ab, die Werke an sich auf den Betrachter wirken zu lassen. Die Museumsgestaltung spiegelte damit den Anspruch auf Persönlichkeitsbildung durch die Beschäftigung mit Kunst wider. 333 Getragen von der Asienbegeisterung der 20er
327 Osborn in Voss. Ztg., 17.5.1924, zitiert nach Walravens 1987, S. 145 f. 328 O. Kümmel: Die Abteilung für Ostasiatische Kunst, in: Beri. Mus., Jg. 45, Nr. 3, 1924, S. 50-58, S. 55. 329 Ebd., S. 57 f. 330 Zur Bedeutung des Ostasiatischen Museums vgl. auch Joachimides 2001, S. 214. 331 Vgl. O. Kümmel: Die Abteilung für Ostasiatische Kunst, in: Beri. Mus., Jg. 45, Nr. 3, 1924, S. 50-58; Karl Scheffler: Das umgebaute Museum für Völkerkunde, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 10, Juli 1926, S. 384-388. 332 Vgl. dazu auch Scholl 1995. 333 Vgl. dazu auch Poll / Rückert 1991, S. 32 f.
III.
414
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Jahre, 334 fügte sich die ostasiatische Kunstsammlung auf diese Weise unmittelbar in die bildungspolitischen Ambitionen des Ministeriums ein.335 Später schrieb das Ressort der Ausstellung zusätzliche Relevanz im Kontext seines Bemühens um internationale Offenheit zu (siehe Kap. III. 8.). 336 Die neue Sammlung im Erdgeschoß des Kunstgewerbemuseums stellte sich so aus unterschiedlicher Perspektive als Aktivposten der preußischen Kunstpolitik in der Weimarer Zeit dar: als Gegenmodell zu Bode, als Versuch, dem Anspruch auf charakterliche Bildung durch die emotionale Annäherung an Kunst gerecht zu werden, wie als Ort, der der internationalen Kulturgemeinschaftsvision den Boden bereiten sollte. Fortgesetzt wurde diese museumspolitische Neuorientierung beim zweiten großen Projekt, das die Denkschrift vom Januar 1922 benannt hatte: bei der Neuordnung des Völkerkundemuseums. Darüber, daß eine solche Neuordnung dringend nötig war, herrschte Einmütigkeit. Schon Ende 1919 hatte sich das Kultusressort hinter die Neuordnungsforderungen gestellt (siehe Kap. III. 3.1.). 1921 war das Thema dann von Scheffler, Bode und Theodor Wilhelm Danzel auf die Agenda gesetzt worden. 337 Speziell Danzels Plädoyer für eine neuartige Publikumsarbeit und eine Schärfung des Bewußtseins für im ethnologischen Bestand vorhandene Kunstwerke 338 hatte dabei neben der Trennung in Schau- und Studiensammlung für das Völkerkundemuseum vor allem die Frage des Verhältnisses von Ethnologie und Kunst virulent werden lassen.339 Im Januar 1922 hatte das Ministerium dazu zunächst noch sehr allgemein betont, die ethnologischen Sammlungen würden ihre Aufgabe nur dann erfüllen können, „wenn sie von dem überaus zahlreichen Material befreit werden, das zwar dem besonderen Forscher die erwünschte Vollständigkeit der Anschauung vermitteln mag, im allgemeinen aber weder für eine nach klaren Grundsätzen geordnete Schausammlung, noch für eine ergänzende Lehrsammlung von wesentlicher Bedeutung ist." Als beste Kompromißlösung in diesem Sinne hatte das Ressort trotz der entfernten Lage die
334 Vgl. dazu Ostasiatische Kunst in Berlin, in: Ku. u. KU., Nr. 6, März 1926, S. 248; Otto Kümmel: Die Schenkung des Herrn Gustav Jacoby an die Abteilung für Ostasiatische Kunst, in: Beri. Mus., Jg. 42, Nr. 3/4, Dez. 1920/Jan. 1921, S. 2 9 - 4 2 ; B.: Ein Vermächtnis an die Berliner Museen, in: Cie., Jg. 17, Nr. 21, Nov. 1925, S. 1050; Ostasiatische Kunst in Berlin, in: Ku. u. Kit., Jg. 24, Nr. 6, März 1926, S. 248; Ostasiatische Kunstabteilung, in: Beri. Mus.,}%. 52, Nr. 6,1931, S. 123 u. 126. 335 Vgl. dazu auch Heß (Z), 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 2 - 4 ; Rundfunk-Rede Waetzoldt: Neues aus den Museen, [Sommer 1932], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 17-25, Bl. 20 r-21 r. 336 Vgl. Rede Becker, 12./25.1.1929, ms., S. 2, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 408; siehe dazu ähnlich auch schon Scheffler 1921, S. 18. 337 Vgl. Scheffler 1921, S. 19-24 u. 4 0 - 4 2 ; Das Berliner Völkerkundemuseum,
in: Ku.chr., Jg. 56/1,
Nr. 18, 28.1.1921, S. 351-353; Joachimides 1995 a, S. 198; Bode: Probleme des modernen
Mu-
seums, in: Voss. Ztg., 28.8.1920, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 399; Theod.-Wilh. Danzel: Aufgaben
des Berliner Völkerkundemuseums,
in: BT, Jg. 50, Nr. 41, 26.1.1921; siehe dazu auch
Ο. v. Falke: Das Berliner Schloßmuseum, in: Ku.wan., Jg. 3, 1. März-Nr. 1921, S. 265-267. 338 Danzel war so weit gegangen, daß er eine Präsentation der Kunstbestände gemeinsam mit Werken der Gotik oder Romanik und besonders der Gegenwartskunst vorschlug, vgl. Theod.-Wilh. Danzel: Aufgaben des Berliner Völkerkundemuseums,
in: BT, Jg. 50, Nr. 41, 26.1.1921.
339 Vgl. dazu auch Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 20, 11.2.1921, S. 397; Scheffler 1946, S. 253 f.
4. Museumspolitik:
Neugestaltung
der Museen
415
Nutzung des Dahlemer Baus als Magazin propagiert. 340 Tatsächlich kam die Umgestaltung des Völkerkundemuseums, begleitet von heftiger Kritik Bodes, 341 gemäß diesen Vorgaben seit 1923/24 in Gang. Möglich wurde dies durch kleine Etatmittel für die Aufstellung der Turfanfunde. 342 Im Sommer 1924 erfuhr die Neuordnung dann dadurch entscheidenden Aufschwung, daß für sie nun Finanzmittel aus der Entschädigung des Reiches zur Verfügung gestellt wurden, die Preußen kurz zuvor auf das Engagement des Kultusministeriums hin für die Abgabe unter anderem des Genter Altars erhalten hatte (siehe Kap. III. 4.1.). Im Juli 1924 flössen 65.000 G M aus der Entschädigungssumme in das Projekt. 343 Auf dieser Basis koordinierten wie bei der ostasiatischen Sammlung das Kultusministerium, vertreten durch Gall, und der Architekt Wille die Aktivitäten im Museum. Zumal das Völkerkundemuseum keiner zentralen Leitung unterstand, sondern sich in zehn Abteilungen gliederte 344 und das Ressort mit den Entschädigungsgeldern eigenständiger agieren konnte, 345 gestaltete sich der ministerielle Einfluß hier offenbar sogar noch intensiver als beim vorangegangenen Modernisierungsprojekt. 346 Die für die ostasiatische Sammlung prägenden Prinzipien kamen nun auch im Völkerkundemuseum zum Tragen. Dies verdeutlichte bereits die Presseresonanz während der Umgestaltung. 347 Signalisierten schon die Befürworternamen Scheffler und Biermann, wie sehr 340 Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2193; vgl. dazu auch Rede Becker, 26.6.1926, ms., S. 3, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1463. 341 Vgl. dazu Ernst Grosse: Zur Neuverteilung der staatlichen Sammlungen in Berlin, in: Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 36, 2.6.1922, S. 591-595; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 434 f. 342 Vgl. Wolfradt: Eintrittspreise in den Berliner Kunstsammlungen, in: Cie., Jg. 15, Nr. 4, Febr. 1923, S. 203; FM an KM, 22.2.1924, hs. / ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263; vgl. dazu auch Nentwig, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 31. 343 Vgl. Waetzoldt an FM, 30.7.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263; vgl. auch Nentwig, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 7; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 456; Watzinger 1944, S. 377. 344 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 434-436 u. Bd. 2, S. 380 f; K. Th. Preuss: Die Neuaufstellung des Museums für Völkerkunde. Allgemeine Bemerkungen, in: Beri. Mus., Jg. 47, Nr. 4, 1926, S. 67-72, S. 70-72; Rede Becker, 26.6.1926, ms., S. 7, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1463; Biermann: Nochmals,Asiatische Kunst in den Berliner Museen', in: Cie., Jg. 17, Nr. 6, März 1925, S. 339-341; zum Bemühen um eine straffere Verwaltungsorganisation nach der Neuordnung vgl. auch LT, WP 2, Dr. 5482, S. 6593 f; Dr. 8282, S. 9470; LT, WP 2, HA, Szg. 184-192, Sp. 54; LT, WP 2, Prot., Sp. 18170 u. 18692; Lauscher (Z), 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 41 f. 345 Vgl. Waetzoldt an FM, 30.7.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8263. 346 Entsprechend betonte Becker später (Rede 26.6.1926, ms., S. 7, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1463): „wenn wir heute so weit sind, das Museum der Öffentlichkeit übergeben zu können, so ist das in erster Linie der Energie und der Begeisterung des zuständigen Sachbearbeiters Ministerialrats Dr. Gall zu verdanken." Zur entscheidenden Rolle Galls und Willes für die Neueinrichtung vgl. auch Karl Scheffler: Das umgebaute Museum für Völkerkunde, in: Ku. u. KU., Jg. 24, Nr. 10, Juli 1926, S. 384-388, S. 385; Watzinger 1944, S. 377; Schmitz 1931, S. 108 f; zur Kooperation Gall - Wille vgl. Abschr. Gall an Wille, 31.3.1926, ms. u. Entwurf Wille an Gall, 3.4.1926, ms., in: SMBPK / ZA, I BV, Nr. 519, Bd. 1, Bl. 38-41 u. 44. 347 Vgl. dazu Biermann: Asiatische Kunst in den Berliner Museen, in: Cie., Jg. 17, Nr. 3, Febr. 1925,
416
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
auch die Neuordnung des Völkerkundemuseums als Beleg für das Bemühen um eine moderne Museumspolitik in Reaktion auf Bode wahrgenommen wurde, deutete sich überdies in Anknüpfung an die Überlegungen Danzels von 1921 an, daß das Kultusministerium das ästhetische Prinzip auch beim Völkerkundemuseum wirksam werden lassen würde.348 Beim vorläufigen Abschluß der Arbeiten Mitte 1926 stellte sich die Schausammlung tatsächlich ähnlich dar wie die ostasiatische Kunstsammlung. Das Museum war klar gegliedert: Im ersten Geschoß wurde die Amerika-, im zweiten Geschoß die Afrika- und die Ozeanienabteilung präsentiert. Während für das dritte Geschoß die ethnologische Asienabteilung bisher nur projektiert war, waren im Erdgeschoß archäologische Funde aus Asien zu sehen. Später sollte ein Verbindungsgang zur Asiatischen Kunstsammlung im Nachbargebäude den engen Konnex zwischen ostasiatischer Kunst und Völkerkunde manifestieren.349 Hauptneuerung im Völkerkundemuseum selbst war die Reduktion der Exponate auf ein Sechstel des bisherigen Bestandes. Das heißt konkret: Über 80 % der früheren Stücke wurden magaziniert. Die Schauräume präsentierten sich sachlich und geradlinig, die ornamentlosen Wände waren in Grau und Beige gestrichen. Bestimmende Elemente waren besonders hervorgehobene Objekte künstlerischen Charakters, die locker im Raum verteilt waren, und in die Wände eingelassene bzw. frei im Raum stehende Vitrinen.350 Die Fachpresse wertete diese Gestaltung als Beleg dafür, daß man sich beim Völkerkundemuseum mehr an ästhetischen als an wissenschaftlichen Kriterien orientiert habe. Während der Kunstwanderer und Bode dies ablehnten,351 reagierte nun auch die moderne
S. 144-146; Biermann: Nochmals,Asiatische
Kunst in den Berliner Museen', in: Cie., Jg. 17, Nr. 6,
März 1925, S. 339-341; Karl Scheffler: Umbau im Völkerkundemuseum,
in: Voss. Ztg., Nr. 47,
24.2.1925, Unterhaltungsbeil., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Karl Scheffler: Das Berliner Museumschaos, in: Ku. u. KU., Jg. 24, Nr. 7, April 1926, S. 261-271, S. 268. Wie sehr die Eröffnung erwartet wurde, belegt ζ. B. Heß (Z), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 2 - 4 . 348 Vgl. dazu auch Biermann: Asiatische Kunst in den Berliner Museen, in: Cie., Jg. 17, Nr. 3, Febr. 1925, S. 144-146, S. 145; Karl Scheffler: Umbau im Völkerkundemuseum,
in: Voss. Ztg., Nr. 47,
24.2.1925, Unterhaltungsbeil., S. 2, in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; siehe dazu auch die Satire Kunst und Völkerkunde in Ku. u. Kii., Jg. 24, Nr. 5, Febr. 1926, S. 208. 349 In den folgenden Jahren konnten die projektierten Arbeiten zum Abschluß gebracht werden, vgl. Pressetext Waetzoldt: Aufl>au und Leben der Berliner Museen,
19.7.1928, ms., in: GStA PK,
I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 318-320; Beri. Mus., Jg. 51, Nr. 2, 1930, S. 45; LT, W P 2, HA, Szg. 275-277, Sp. 36 f; Szg. 282, Sp. 10. 350 Vgl. Gerippe für die Rede des Ministers zur Eröffnung
des Völkerkundemuseums
am 26. Juni
1926, ms., S. 4 - 6 , in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1468; Rede Becker, 26.6. 1926, ms., S. 3 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1463; Karl Scheffler: Das umgebaute Museum für Völkerkunde, Preuss: Die Neuaufstellung
in: Ku. u. KU., Jg. 24, Nr. 10, Juli 1926, S. 384-388; K. Th.
des Museums für Völkerkunde.
Allgemeine
Bemerkungen,
in: Beri.
Mus., Jg. 47, Nr. 4, 1926, S. 67-72; Berliner Museen, in: Cie., Jg. 18, Nr. 14, Juli 1926, S. 497; Robert Breuer: Das Museum für Völkerkunde
in Berlin, in: Ku.bl., Jg. 10, 1926, S. 241-246;
Joachimides 2001, S. 214. 351 Vgl. Das Völkerkunde-Museum Memoiren, Bd. 1, S. 434 f u. 451.
in Berlin, in: Ku.wan., Jg. 8, 1./2. Juli-Nr. 1926, S. 464; Bode-
4. Museumspolitik:
Neugestaltung der Museen
417
Kunstpresse differenzierter auf die Neuordnung.352 So betonte der Cicerone, die „Herrschaft des Kunstprinzips" sei teilweise übertrieben worden. Statt um ein Völkerkundemuseum handele es sich eher um ein Museum der primitiven Kunst. Es stelle sich die „Kardinalfrage, ob es berechtigt ist, so ohne weiteres und radikal die Ethnographie zur Kunstgeschichte oder Ästhetik umzustempeln". Zugleich sei aber zu konstatieren: „Zeitgemäß ist es sicher, und es ist nicht zu bestreiten, daß das neue Museum eine Tat in dieser Richtung ist." 353 Ahnlich bemerkte Scheffler, bisweilen sei man dem Vorbild der ostasiatischen Sammlung „vielleicht zu getreulich gefolgt. War früher zu viel aufgestellt, so wird jetzt stellenweise etwas wenig gezeigt; mißachtete man einst das künstlerische Moment vollständig, so wird es jetzt vielleicht hier und dort für die Bedürfnisse eines Museums für Völkerkunde zu stark betont." 354 Darüber hinaus solidarisierte sich Scheffler jedoch mit der „mustergültigen" Aufstellung. Besonders wesentlich erschien ihm, daß der Besucher, „der eine möglichst vollständige Vorstellung gewinnen will von der Eigenart der Rassen und Völker", im neuen Museum ebenso zu seinem Recht komme wie derjenige, „der ein Auge hat für die künstlerische Phantasie, womit alle Gebrauchsgegenstände und aller Schmuck der Naturvölker geformt worden sind".355 Mit Blick auf die Einbeziehung von „Sensationen" nach amerikanischem Beispiel konstatierte er: „Der Besucher spürt, daß man sich für ihn angestrengt hat." 356 Explizit beschrieb Scheffler die Neuaufstellung als Erfolg des auf Wandel bedachten Kultusministeriums.357 Gleichzeitig begrüßte auch das Kunstblatt den Radikalismus, mit dem vorgegangen worden sei, „um aus einer abstoßenden und verwirrenden Orgie der Sammelwut und des Spezialistentums etwas Schaubares und das Publikum Fesselndes zu machen." 358 Es hob hervor, die ruhigen, angenehm leeren Räume ließen die Qualität der ausgestellten Stücke und die gezielte Auswahl spüren. Zudem betonte es die Konzentration auf das Original. Modelle und Abgüsse seien klug zur Kontextualisierung beigegeben, niemals aber seien wie bei Wiegand Originale ergänzt worden (siehe Kap. III. 4.1.). Begeistert stellte die Zeitschrift fest: „Das neugeordnete Museum für Völkerkunde ist in seiner Methode vorbildlich: ohne zu langweilen, durch die Kraft der Ordnung und des Gegensatzes, vor allem durch eine weise Ökonomie, die überhaupt erst Schauen und Genießen intensiv werden läßt[,] bringt es ferne und fremde Welten uns so heftig und so intim nahe, daß wir beinahe ohne es zu merken in ihnen untertauchen." Das Kunstblatt ging sogar noch einen Schritt weiter und
352 Vgl. dazu auch K. Th. Preuss: Die Neuaufstellung Bemerkungen, 353 Berliner
Jg.
des Museums für
Völkerkunde.
Allgemeine
in: Beri. Mus., Jg. 47, Nr. 4, 1926, S. 6 7 - 7 2 ; Watzinger 1944, S. 377.
Museen,
in: Cie., Jg. 18, Nr. 14, Juli 1926, S. 497; vgl. dazu ähnlich auch P. W. in:
Ku.bl.,
10, 1926, S. 371.
354 Karl Scheffler: Das umgebaute
Museum für Völkerkunde,
in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 10, Juli 1926,
S. 3 8 4 - 3 8 8 , S. 386; vgl. dazu auch schon Scheffler: Umbau im Völkerkundemuseum,
in: Voss. Ztg.,
Nr. 4 7 , 2 4 . 2 . 1 9 2 5 , Unterhaltungsbeil., S. 2, in: S M B P K / Z A , Nachlaß Bode, Nr. 401. 355 Karl Scheffler: Das umgebaute
Museum für Völkerkunde,
in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 10, Juli 1926,
S. 3 8 4 - 3 8 8 , S. 386 u. 388. 356 Ebd., S. 388. 357 Ebd., S. 385 u. 388; vgl. dazu auch Joachimides, 2001, S. 214 f. 358 Robert Breuer: Das Museum für Völkerkunde
in Berlin, in: Ku.bl., Jg. 10, 1926, S. 2 4 1 - 2 4 6 , S. 241.
III.
418
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
legitimierte die Übertragung des ästhetischen Prinzips auf die primitive Kunst und den Alltagsgegenstand, indem es schrieb: „ein Werkzeug, das scheinbar nur ethnographische Bedeutung hat, kann den Gegenwartsmenschen (und nur auf den kommt es an) in höchstem Maße erregen, kann seine Nerven in Vibration, seine Seele in Träume versetzen. [...] Das aber wollen wir im Museum für Völkerkunde erleben: Aufrauschen einer landschaftlich, rassig und geschichtlich abgeschlossenen Ganzheit [...]. Die Wallung fremden Blutes soll in das unsere hineinschlagen; wir wollen die Einheit des Gefühls, die Mutterverwandschaft des Schreis, der Furcht, des Taumels, des Orgasmus erfahren".359 Deutlich bewegte sich das Kunstblatt damit in einem ähnlichen Kontext wie das Kultusministerium mit seinem irrationalen ästhetischen Bildungsanspruch. Die Pressereaktionen unterstrichen, wie klar sich das Ressort inzwischen mit der Neugestaltung des Völkerkundemuseums in der Museumsdebatte auf der Seite des ästhetischreduzierten Konzepts positionierte.360 Zugleich belegen sie aber auch, wie sehr das Ministerium dadurch, daß es dieses eigentlich für das Kunstmuseum gedachte Konzept auf ein wissenschaftliches Museum und primitive außereuropäische Kulturen übertrug, bei aller Affinität zu Scheffler bereits über dessen elitäres Museumsmodell hinauswies und es in Ubereinstimmung mit der modernen Kulturdebatte um eine offenere Vorstellung von Kunst und Publikum ergänzte.361 Ein wesentlicher Aspekt war dabei, daß das Ressort die moderne Gestaltung mit einer intensiven Vermittlungsarbeit am Völkerkundemuseum verknüpfte.362 Wie explizit das Ministerium selbst das Völkerkundemuseum als Größe begriff, an der es seine Politik orientiert wissen wollte, hatte sich bereits in der Auseinandersetzung um die Raumgestaltungen auf der Museumsinsel 1925/26 (siehe Kap. III. 4.1.) gezeigt.363 Überdies hatte die Finanzierung durch die Entschädigung für den Genter Altar den nationalen Stel-
359 Ebd., S. 243. 360 Vgl. dazu auch Waetzoldt 1995, S. 55-68, S. 62; Bernau / Riedl 1995, S. 186; Joachimides 2001, S. 214 f; Bernau 1997; Scheffler 1946, S. 253 f. 361 Vgl. dazu auch Scheffler 1921, S. 107-121; zum Diskussionskontext vgl. G. F. Hartlaub: Aufgaben des modernen
Kunstmuseums,
Revolution im Kunstmuseum,
in: Ku.wan., Jg. 8, 1./2. Dez.-Nr. 1926, S. 133-136; A. Körber: in: Ku.bl., Jg. 13, 1929, S. 53-55; Erich Buchholz: Entgegnung
an
Wilhelm von Bode, in: Ku. u. Wi„ Jg. 9, Nr. 19, 15.11.1928, S. 343; Wilhem von Bode: Protest gegen die kahle Wand, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 16, 1.10.1928, S. 295 f; Robert Pfaff-Giesberg: Gestaltungsprobleme
des völkerkundlichen
S. 69-73; Richard Karutz: Neue Gedanken
Museums, in: Mus.kun., über Völkerkundemuseen,
N.F. Jg. 1, Nr. 2 - 4 , 1929, in: Mus.kun., N.F. Jg. 2,
Nr. 3, 1930, S. 102-112. 362 Vgl. dazu Beri. Mus., Jg. 49, Nr. 1, 1928, S. 17; Lauscher (Z), 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 41 f; Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen Museen Berlins. Ihre Verwaltung - Nicht nur Stätten des Sammeins, sondern auch Lehr- und Forschungsinstitute Führungen,
- Ausstellungen
und
18.8.1928, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 321-322. So wurden z.B.
jeden Sonntag 90-minütige Führungen zu Spezialthemen angeboten, vgl. Beri Mus., Jg. 47, Nr. 5, 1926, S. 95 f; Jg. 48, Nr. 1, 1927, S. 25; Nr. 6, 1927, S. 147-149; Jg. 49, Nr. 1, 1928, S. 22 f; Nr. 6, 1928, S. 146-148; Übersicht Staatliche Museen, 6.5.1931, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 8644. 363 Vgl. Becker, 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6152-6154.
4. Museumspolitik:
Neugestaltung
der Museen
419
lenwert angedeutet, den das Ministerium der Neuordnung zuschrieb. Die dezidierte Identifikation des Ressorts mit dem neuen Völkerkundemuseum brachte dann vor allem die Rede auf den Punkt, die Becker zur Wiedereröffnung des Museums am 26. Juni 1926 vor internationalem Publikum hielt. 364 Die Umgestaltung zum „mustergültigen modernen Museum" interpretierte der Minister hier im nationalintegrativen Kontext als Ausdruck des deutschen Willens zu Konzentration und Vertiefung. 365 Die Form, in der sich die Sammlung nun präsentierte, begriff er als Hinwendung zu einem neuen Museumsverständnis, dessen zentrales Anliegen es war, „der Allgemeinheit zu dienen - wirklich allen, die seine Räume betreten, nicht nur einigen Spezialisten." Dazu erläuterte er: „Man hat geglaubt, die Museen in Kunst-Museen und in wissenschaftliche Museen einteilen zu können. Und doch muss auch ein Kunst-Museum der wissenschaftlichen Forschung offen stehen, und ein sogenanntes wissenschaftliches Museum kann nur durch geschmackvolle Aufstellung gewinnen, weil, je gelehrter und spröder ein Gegenstand ist, er umso mehr, um wirken zu können, einer gefälligen Aufstellung und Einreihung bedarf. Es wäre ein grundsätzlicher Fehler, grosse öffentliche Mittel [...] ausschliesslich dafür aufzuwenden, um einen kleinen Kreis von Fachästheten oder Fachgelehrten ausschliesslich zu befriedigen. [...] Ein Museum kann nur wirken und seinen vornehmsten Zweck erfüllen, wenn es ,schaubar' ist. Gelingt es nicht, diesem obersten Grundsatz zur Durchführung zu verhelfen, dann ist im Grunde genommen alle Mühe umsonst". 366 Stellte Becker die ästhetischen Grundsätzen folgende Museumsgestaltung damit als unabdingbare Konsequenz der Forderung nach einer Öffnung der Museen für das breite Publikum und mithin das reduzierte, „schaubare" Museum als entscheidenden Popularisierungsbeitrag dar, konkretisierte er im folgenden Teil seiner Rede, worüber sich eine auf den Besucher abgestimmte Präsentation definierte. Als Kernkriterien führte er einerseits die räumliche und andererseits die sachliche Beschränkung an. Dies bedeutete für ihn eine Reduktion der Raumzahl auf ein Maß, das das Publikum nicht überforderte. Zudem ging es ihm bei den Objekten um eine Auswahl des Typischen und eine Ausscheidung des nur für Spezialisten Interessanten. Dabei wollte er das fachwissenschaftlich Relevante keineswegs abwerten, sondern es im Gegenteil in der Studiensammlung nach neuesten Kriterien fördern, es aber eben nicht mehr mit der Schausammlung vermengt wissen. Beide Sammlungen sollten in lebendigen Austausch treten. 367 Dieses Ideal des „schaubaren" Museums sah Becker im neugeordneten Völkerkundemuseum verwirklicht. 368 Ausdrücklich sprach er
364 Zur Eröffnungsfeier vgl. Rede Becker, 26.6.1926, ms., S. 1 u. Programm 26.6.1926, gedr., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1463; Gerippe für die Rede des Ministers zur Eröffnung des Völkerkundemuseums am 26. Juni 1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1468; Beri. Mus., Jg. 47, Nr. 4, 1926, S. 72; Staatssekretär Reichskanzlei an Staatsministerium, 18.6.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 291. 365 Rede Becker, 26.6.1926, ms., S. 1, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1463. 366 Ebd., S. 2; vgl. dazu später auch Schmitz 1931, S. 22 f u. 108 f. 367 Vgl. Rede Becker, 26.6.1926, ms., S. 3 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1463; Gerippe für die Rede des Ministers zur Eröffnung des Völkerkundemuseums am 26. Juni 1926, ms., S. 3, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1468. 368 Rede Becker, 26.6.1926, ms., S. 3, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1463.
420
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
daher Gall und Wille als Trägern der Modernisierung die Anerkennung des Staates aus.369 Fügte Becker das neugestaltete Museum damit in seine integrativen Kunstvermittlungsambitionen ein, bezog er abschließend auch den Ausstellungsgegenstand in seine Identifikation mit dem Völkerkundemuseum ein, indem er unterstrich: „Möchte dieses VölkerkundeMuseum wirklich Kunde von den Völkern geben, und zwar allen Völkern der Welt, die eine eigenartige Kultur zum Gesamtbesitz der Menschheit beigesteuert haben. Solche Völkerkunde-Museen sind Sammlungen von Selbstdarstellungen der Menschheit. Möchten sie Verständnis erwecken für die Differenziertheit der menschlichen Kultur und zugleich [..] für die große einheitliche Idee des schlechthin Menschlichen". 370 Becker hatte damit explizit benannt, was sich bei der ostasiatischen Sammlung bereits angedeutet hatte: Die moderne, künstlerischen Prinzipien folgende Museumsgestaltung wurde als Beitrag zur Verwirklichung der nationalen wie internationalen Kulturgemeinschaftsvorstellung (siehe Kap. III. 8.) und Ausdruck der republikanischen Politik begriffen. Die Wiedereröffnung des Völkerkundemuseums nutzte man, um den neuen Anspruch innerhalb der Berliner Museumsstreitigkeiten (siehe Kap. III. 4.1.), aber auch darüber hinaus nach außen zu tragen. Die Tatsache, daß das Ministerium die ästhetische Präsentation über das Scharnier ostasiatische Kunstsammlung auf ein wissenschaftliches Museum übertrug,371 ließ das ministerielle Asthetisierungsbemühen besonders klar hervortreten. Das ästhetisch-reduzierte Museum wandte sich im Endeffekt an das subjektiv erfahrende Individuum und verdrängte das intellektuell belehrende Museum. Die entsprechende Museumsgestaltung war unter dem Einfluß Galls und Beckers um die Mitte der 20er Jahre zu einem zentralen Thema der ministeriellen Popularisierungspolitik geworden. Praktisch umgesetzt werden konnte sie jenseits des Konfliktfelds Museumsinsel vor allem auf außereuropäischem Terrain. Angesichts des Stellenwerts, den das Ministerium der internationalen Annäherung zuschrieb, war dies jedoch keinesfalls nur als Experimentieren auf entlegenem Gebiet, 372 sondern eher als Nutzen eben der Sphären zu verstehen, die dem Einfluß älterer Planungen und Museumsgrößen wie Bode oder Wiegand entzogen waren. Die ostasiatische Kunstsammlung und das neugestaltete Völkerkundemuseum standen sowohl auf der Ebene der äußeren Wahrnehmung als auch des eigenen Verständnisses idealtypisch für die Museumsmodernisierungspolitik des Ministeriums.373 Hatte das Bemühen um neue museale Inszenierungsformen 1922-26 im Zentrum des ministeriellen Engagements für eine zeitgemäße Museumsgestaltung gestanden, verschoben sich seit 1927/28 die Schwerpunktsetzungen innerhalb der preußischen Museumspolitik. Ur-
369 Ebd., S. 7. 370 Ebd., S. 8. 371 Vgl. dazu auch Becker, 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 21 f u. 25; Watzinger 1944, S. 377. 372 Vgl. Joachimides 2001, S. 214 f. 373 Zum Neuordnungsanspruch in dieser Zeit vgl. auch KM (Nentwig) an Justi, 11.3.1925, ms. u. Abschr. KM an Kunstverein Königsberg, [11.3.1925], ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; Walther Wolf: Neuaufstellung 1925, S. 216-218.
im Ägyptischen Museum, in: Ku.cbr., Jg. 59/1, Nr. 12, 20.7.
4. Museumspolitik:
Neugestaltung der Museen
421
sache dafür waren vor allem zwei Entwicklungen: Zum einen schied 1927 mit Gall der Hauptträger der ästhetischen Neugestaltung aus der Museumsverwaltung aus. Sein Nachfolger Waetzoldt prägte als Referent und Generaldirektor in Personalunion die Museumspolitik neu (siehe Kap. III. 1. und III. 4.I.). 374 Zum anderen fehlten nun wegen der Verschlechterung der Wirtschaftslage, aber auch weil der Abschluß des Museumsinselbaus alle Kräfte beanspruchte, zunehmend die Mittel für ehrgeizige Neugestaltungspläne. In der Folge setzte das Ministerium die Akzente erneut vorrangig in den Bereichen, die schon nach der Revolution im Vordergrund gestanden hatten: bei der Vermittlungsarbeit und im Bereich der Nationalgalerie. Zu zentralen Protagonisten wurden hier Waetzoldt und Justi. Den Rahmen gab das Ministerium durch seine Forderung nach einer neuen Lebendigkeit der Museen vor, die von Becker und Grimme immer wieder pointiert formuliert wurde und die durchaus auch als Aufforderung zu verstehen war, die neuen ästhetischen Museumsräume tatsächlich mit Leben zu füllen.375 Waetzoldt suchte der Forderung in Orientierung an Lichtwark durch die Propagierung und Etablierung neuester Formen der Offentlichkeits- und Vermittlungsarbeit an den Staatsmuseen zu entsprechen.376 Wiederholt informierte er in der Presse und im Radio über die intensiven Bestrebungen, durch die er den Nationalbesitz der Museen377 der Allgemeinheit nahegebracht wissen wollte.378 So betonte er 1928: „Weiteren Volkskreisen sollen die Schätze der Sammlungen in Führungen und Vorträgen, durch Ausstellungen, Kataloge und gedruckte Führer erschlossen werden. Es gibt kein modernes populärwissenschaftliches Propagandamittel, dessen sich die Museen nicht bedienten, um das, was sie an Schätzen bergen, lebendig zu machen. Neben den von der Staatlichen Kunstbibliothek allwinterlich veranstalteten Vortragsreihen laufen Radio-Einzelvorträge und Zyklen her, die alle Gebiete des Museumswesens und alle Sammelgebiete berühren. Der Rundfunk wie die Plakatierung, die
374 Wie dezidiert die Ernennung Waetzoldts sich mit der Erwartung einer Abkehr von Galls ästhetischer Museumsgestaltung verknüpfte, belegt etwa Adolph Donath: Die Aufgaben des Generaldirektors der Berliner Museen, in: Ku.wan., Jg. 9, 1./2. März-Nr. 1927, S. 265 f. Allerdings war auch Waetzoldts Museumskonzeption stark vom ästhetischen Ansatz geprägt, vgl. z.B. Rede Waetzoldt, 5.12.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 396. 375 Vgl. Rede Becker, 4.10.1927, ms. / hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1506; Rede Becker, 10.3.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C.H.Becker, Nr. 1537; ZA [22.2.1930], in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45; siehe auch Schunk 1993, S. 459; Howoldt 1982, S. 31. 376 Vgl. dazu Schunk 1993, S. 444-446 u. 455-458; siehe auch Waetzoldt an Bode, 1.11.1914, hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t]. 377 Vgl. Pressetext Waetzoldt: Außau und Leben der Berliner Museen, 19.7.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 318-320. 378 Vgl. Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen Museen Berlins. Ihre Verwaltung - Nicht nur Stätten des Sammeins, sondern auch Lehr- und Forschungsinstitute - Ausstellungen und Führungen, 18.8. 1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 321-322; Wilhelm Waetzoldt: MuseumsPropaganda. Ihre Möglichkeiten und Grenzen, in: Die Kunstauktion, Jg. 4, Nr. 3, 19.1.1930, S. 1 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 6731; Rundfunk-Rede Waetzoldt: Neues aus den Museen, [Sommer 1932], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 17-25.
422
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Zeitungsnotiz und der Film dienen der Ankündigung von Ausstellungen." 379 Deutete Waetzoldt damit die Bandbreite der Anstrengungen an, hob er zudem auf spezielle Aktivitäten wie Ausstellungen zu Neuerwerbungen oder Jubiläen und die Themenschauen im alten Kunstgewerbemuseum,380 aber auch auf Besonderheiten wie das wechselnde „Meisterwerk des Monats" im Deutschen Museum ab, zu dem jeweils eine Abbildung mit Text in Postkartenformat erschien.381 Diese Aktivitäten verfolgten laut Waetzoldt ein gemeinsames Ziel: „sie wollen dem Besucher, der im unendlichen Reichtum der Riesen-Museen sozusagen ertrinkt, durch Isolierung weniger Werke oder gar nur eines einzigen Stückes die Möglichkeit ruhigen und vertieften Genusses zurückgeben und gleichzeitig durch erlesene Proben das Publikum in die Museen hineinlocken." 382 Klar offenbarte sich hier, daß sich die für die museale Raumgestaltung Mitte der 20er Jahre wesentlichen Kriterien Isolierung, Ruhe und Vertiefung auch in der Vermittlungsarbeit widerspiegelten. Um die Beschäftigung mit Kunst möglichst vielen zu eröffnen, legte Waetzoldt besonderen Wert auf einen Ausbau des Führungswesens.383 1928 konnte er bereits auf starke Aktivitäten in diesem Bereich verweisen. So waren zwischen Januar und März 43 Führungen von Museumsbeamten veranstaltet worden. Pallats Zentralinstitut (siehe Kap. II. 5.2.) suchte daneben systematisch die Möglichkeiten einer Vermittlung an Schüler auszuloten.384 Anfang der 30er Jahre bemühte man sich, den Anspruch der Museumsöffnung für breiteste Schichten trotz der Wirtschaftskrise aufrechtzuerhalten, indem man zweimal pro Woche zu einem geringen Preis Führungen durch Volontäre anbot, die auf allgemeinere Weise als die
379 Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen Museen Berlins. Ihre Verwaltung - Nicht nur Stätten des Sammeins, sondern auch Lehr- und Forschungsinstitute
- Ausstellungen
und Führungen,
18.8.
1928, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 321-322, Bl. 322 r; zur Nutzung des Rundfunks vgl. auch Rundfunk-Rede Waetzoldt: Neues aus den Museen, [Sommer 1932], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 17-25. 380 Vgl. dazu kritisch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 474 f; Felix Stössinger: Der Salon der Museen, in: Weltb., Jg. 26/1, Nr. 19, 6.5.1930, S. 693 f. 381 Vgl. auch Rundfunk-Rede Waetzoldt: Neues aus den Museen, [Sommer 1932], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V«, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 17-25. 382 Ebd., Bl. 20 r. 383 Zu den regelmäßigen Führungen durch die Staatssammlungen vgl. Beri. Mus., Jg. 45, Nr. 4, Okt. 1924, S. 93 f; Jg. 47, Nr. 5, 1926, S. 95 f; Jg. 48, Nr. 1, 1927, S. 25; Nr. 6, 1927, S. 147-149; Jg. 49, Nr. 1,1928, S. 22 f; Nr. 6,1928, S. 146-148; Übersicht Staatliche Museen, 6.5.1931, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 8644; siehe dazu auch Schwering (Z), Klausner (DDP) u. Bohner (DDP), 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 4, 15 u. 38; Lehmann (DNVP) u. Oestreicher (SPD), 21.3.1927, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 18179 f u. 18184; Klausner (DD), 22.2. 1928, in: LT, W P 2, HA, Szg. 277, Sp. 40 f; Oestreicher (SPD), 13.3.1929, in: LT, W P 3, HA, Szg. 56, Sp. 12 f; Oestreicher (SPD), 19.4.1929, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 6201 f. 384 Vgl. Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen Museen Berlins. Ihre Verwaltung - Nicht nur Stätten des Sammeins, sondern auch Lehr- und Forschungsinstitute - Ausstellungen und Führungen,
18.8.
1928, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 321-322, Bl. 322 r; Rundfunk-Rede Waetzoldt: Neues aus den Museen, [Sommer 1932], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 17-25; Arbeitsgemeinschaft Nr. 2,1930, S. 45 f.
Museum und Schule, in: Beri. Mus., Jg. 51,
4. Museumspolitik:
Neugestaltung
der Museen
423
amtlichen Führungen mit den Hauptwerken der Sammlungen vertraut machen sollten. 385 Hier zeichnete sich ein gezielteres, rezipientenorientierteres Vermittlungsinteresse ab, mit dem man den bildungsbürgerlichen Charakter der Museen aufzubrechen suchte. Anlaß dafür war nicht zuletzt, daß Waetzoldt angesichts sinkender Besucherzahlen Ende der 20er Jahre 3 8 6 1930 erstmals die Grenzen des Anspruchs auf Museumspopularisierung hinterfragt und dabei als Grund auch ausgemacht hatte: „die Scheu, besonders der Arbeiter, vor den palastartigen, feierlich sich gebenden Museen und das dumpfe, freilich abwegige Gefühl, daß Kunstgenuß notwendig ,Bildung' und wissenschaftliche Kenntnisse voraussetze." 387 Wie Besucherzahlen von einer Million pro Jahr 1929/30 und 1,7 Millionen nach Eröffnung des Museuminselneubaus belegen, fanden die Staatsmuseen dennoch ihr Publikum. 388 Folgt man Waetzoldt, kollidierte das Popularisierungsideal aber gerade in weniger gebildeten Schichten auch Ende der 20er Jahre immer noch und angesichts der ökonomischen Krise wieder vermehrt mit den Realitäten der Zeit. Das Ministerium begriff dies als Aufforderung, seinen Anspruch auf Öffnung der Museen umso stärker zu propagieren. Überdies wurde um 1930 erneut die Frage des Museumszugangs aktuell. Das Ressort setzte sich jetzt etwa dafür ein, beim Schloßmuseum, amerikanischen Vorbildern folgend, Abendöffnungszeiten einzuführen - ein Versuch, der bald wieder aufgegeben wurde. 389 Vor allem aber wurde nun wie nach 1918 (siehe 385 Rundfunk-Rede Waetzoldt: Neues aus den Museen, [Sommer 1932], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 17-25, Bl. 24 r. 386 Vgl. Nentwig, 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 30 f; Hübner, 17.2.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 22-24; Rundfunk-Rede Waetzoldt: Neues aus den Museen, [Sommer 1932], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 17-25; zu den Hintergründen siehe auch Wilhelm Waetzoldt: Museum und Rundfunk, in: Ku.wan., Jg. 10,1./2. Jan.-Nr. 1928, S. 185 f. 387 Wilhelm Waetzoldt: Museums-Propaganda. Ihre Möglichkeiten und Grenzen, in: Die Kunstauktion, Jg. 4, Nr. 3, 19.1.1930, S. 1, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6731; zum Bemühen um einen differenzierteren Blick auf das Publikum vgl. auch Hanns Bastanier: Fragen und Antworten (Aus der Großen Berliner Kunstausstellung), in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 14,1.8.1928, S. 240-242; Alfred Neumeyer: Die Pressestelle, in: Beri. Mus., Jg. 52, Nr. 2,1931, S. 45. 388 Vgl. Hübner, 17.2.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 22-24; Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen Museen Berlins. Ihre Verwaltung - Nicht nur Stätten des Sammeins, sondern auch Lehrund Forschungsinstitute - Ausstellungen und Führungen, 18.8.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 321-322, Bl. 322 r; Rundfunk-Rede Waetzoldt: Neues aus den Museen, [Sommer 1932], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 17-25; kritisch dazu, daß v. a. Museen mit monarchischem Bezug Zuspruch fanden, Kerff (KPD), 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 15 f ; Becker, 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 46 f. 389 Vgl. Schwering (Z) u. Nentwig, 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 4 u. 34; Klausner (DDP) u. Nentwig, 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 40 f u . 48; Nentwig, 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 30 f; Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen Museen Berlins. Ihre Verwaltung - Nicht nur Stätten des Sammeins, sondern auch Lehr- und Forschungsinstitute - Ausstellungen und Führungen, 18.8.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 321-322, Bl. 321 r; Abendbesuch im Schloßmuseum, in: Beri. Mus., Jg. 49, Nr. 5,1928, S. 116; Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 8,15.4.1928, S. 127; Nr. 17, 16.10.1928, S. 319; Einladung Staatliche Museen an Staatsministerium, 8./9.2.1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 315; kritisch dazu Hermann Hieber: Preußische Museumswirtschaft, in: Weltb., Jg. 24/1, Nr. 8, 21.2.1928, S. 305 f.
III.
424
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Kap. II. 3.1.) über die Notwendigkeit von Eintrittsgeldern diskutiert. Faktisch ließ sich hier jedoch am Status quo der ersten Hälfte der 20er Jahre wenig ändern. Zwar waren außer am Schloßmuseum inzwischen an allen Berliner Staatsmuseen neben dem Sonntag zwei weitere eintrittsfreie Tage üblich. Sonst wurde der Eintritt konstant auf 50 RPf gehalten.390 Letztlich aber bestand der Widerspruch von 1921 weiter. Zumal die Museen durch sie den fehlenden Fonds für Öffentlichkeitsarbeit ersetzen mußten, war ein völliger Verzicht auf die Eintritte nicht durchsetzbar. Waetzoldt brachte das Dilemma auf den Punkt: „Solange wir auf die auf uns fallenden Eintrittsgelder angewiesen sind zur Erfüllung absolut lebensnotwendiger musealer Bedürfnisse, können wir die einzige Maßnahme, die wirklich eine Propaganda ersten Ranges darstellen würde, nicht vorschlagen: nämlich die Beseitigung der Eintrittsgelder." 391 Die Popularisierungsabsicht stieß so nicht nur an gesellschaftliche, sondern auch an finanzielle Grenzen. Für das Ministerium stand die unter Waetzoldt betriebene Politik dennoch im Zentrum des Einsatzes für eine moderne Museumsgestaltung in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Durch das professionalisiertere, vielschichtigere Engagement für publikumsnahe Museen konnten tatsächlich noch einmal innovative Akzente gesetzt werden, die die räumlichen Neugestaltungen wesentlich ergänzten und deren elitären Charakter relativierten. Parallel dazu ging es in der preußischen Museumspolitik nach 1927 um von Justi in Kooperation mit dem Ministerium angestrebte Neuerungen, die auf eine stärkere Außenwirkung der Nationalgalerie zielten. Es handelte sich dabei in erster Linie um räumliche Neugestaltungen und Neuverteilungen. Museumspolitisch relevant war hier zunächst der Plan, das Kronprinzenpalais als einen der zentralen modernen Museumsorte der Republik zeitgemäß umzubauen.392 Die Initiative dafür ging von Justi aus: Als klar war, daß das Palais nach den Vermögensauseinandersetzungen dem Staat zufallen würde und so seit 1918 erstmals räumliche Veränderungen in der Galerie möglich waren, hatte sich Justi bereits im Herbst 1926 beim Kultusministerium für eine Instandsetzung des Gebäudes durch Wille oder einen freien Architekten verwandt. Spezielles Interesse hatte er an Heinrich Tessenow bekundet, der zuvor durch moderne Ausstellungsgestàltungen in Dresden auf sich aufmerksam gemacht hatte.393 Das Ressort hatte darauf durchaus aufgeschlossen reagiert. Entsprechend
390 Vgl. Nentwig, 22.2.1928, in: LT, W P 2, HA, Szg. 277, Sp. 48; Beri. Mus., Jg. 47, Nr. 5, 1926, S. 96; Jg. 48, Nr. 6, 1927, S. 147-149; Jg. 49, Nr. 6, 1928, S. 146-148; Ku.wan., Jg. 12,1./2. Okt.-Nr. 1930, S. 45; Übersicht Staatliche Museen, 6.5.193Ü, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 8644. 391 Wilhelm Waetzoldt: Museums-Propaganda.
Ihre Möglichkeiten und Grenzen, in: Die
Kunstauk-
tion, Jg. 4, Nr. 3,19.1.1930, S. 2, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6731; vgl. dazu auch schon Nentwig, 22.2.1928, in: LT, W P 2, HA, Szg. 277, Sp. 48. 392 Vgl. dazu De Michelis 1994; De Michelis 1991, S. 285-287; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 4 3 7 440 u. Bd. 2, S. 259; Grabowski 1991, S. 346; Rave 1968, S. 89; zum Popularisierungsengagement Justis vgl. auch Fünf Jahre Kronprinzenpalais.
Eine Rundfrage
(Teil 1), in: Ku.bl., Jg. 8, 1924,
S. 239-244, S. 239-242; LT, W P 1, Dr. 3113, S. 3595. 393 Vgl. Justi an KM, 4.9.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; Ku. u. KU., Jg. 25, Nr. 3, Dez. 1926, S. 115-118; De Michelis 1994, S. 181; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 259.
4. Museumspolitik:
Neugestaltung
der Museen
425
berichtete die Berliner Presse im Februar 1927, Tessenow sei beauftragt, ein Gutachten für die Anpassung des Kronprinzenpalais' an die jetzige museale Nutzung zu erstellen. 394 Im Frühjahr 1927 drängte Justi beim Kultusressort wiederholt auf eine Sicherung der finanziellen Basis für den Tessenow-Umbau. 395 Gleichzeitig schlug er vor, Tessenows Pläne, das Gebäude durch Zwischenwände neu zu strukturieren, sollten bereits im Sommer 1927 realisiert werden. 396 Das Ministerium unterstrich daraufhin, der Umbau sei auch denkmalpflegerisch nur zu rechtfertigen, wenn eine dauernde Nutzung des Kronprinzenpalais' durch die Galerie avisiert sei. Zudem kündigte es an, „daß ein [...] Umbau bei der Bedeutung des Gebäudes und der Höhe der Umbaukosten nicht ohne Genehmigung des Landtages erfolgen könnte". 3 9 7 Auf diese Vorgaben reagierte Justi im Juni 1927 mit einem nachdrücklichen Plädoyer für seine Pläne, in dem er das neugestaltete Kronprinzenpalais als ideale Ergänzung des Stammhauses darstellte. 398 Besondere Relevanz suchte er den Umbauabsichten für das Palais dadurch zu verleihen, daß er sie als ersten Schritt hin zu einem einmaligen neuen Museumsareal „an der Hauptstrasse der Hauptstadt Deutschlands" darstellte, in das neben dem Kronprinzen- und Prinzessinnenpalais auch der nahegelegene Garten als Raum für die Aufstellung von Skulpturen einbezogen werden sollte. Seine Ambitionen ähnlich wie schon 1918/19 (siehe Kap. II. 4.1.) gezielt national begründend, stilisierte er dies zu einer Möglichkeit, „die man sich in keiner anderen Grossstadt entgehen lassen würde" und erklärte dazu: „Die Darbietung des Kunstbesitzes wird nicht nur in sogenannten Kunststädten wie München und Dresden, in Stätten alter Kultur wie Florenz, Rom, Venedig, sondern auch in lebendigen Hauptstädten als Aufgabe obersten Ranges genommen: Paris repräsentiert vor der ganzen Welt an erster Stelle mit dem Louvre, Madrid mit dem Prado usw. Wenn in Berlin die moderne Sammlung eine durch ihre Lage so bevorzugte Stelle wie das ehemalige Kronprinzen-Palais mit dem Kopf des Prinzessinnen-Palais und dem anstossenden Garten einnehmen würde, so entspräche das der fortschrittlichen Haltung Deutschlands und Preussens auf den verschiedensten kulturellen Linien, wie ja auch seit Jahrzehnten die moderne Kunstsammlung in Berlin ihrem Bestände nach den entsprechenden Museen ausserdeutscher Länder weit überlegen ist." 3 9 9 Justi suchte dem Ministerium damit nach 394 Vgl. Umgestaltung des ehemaligen Kronprinzenpalais, in: BT, Nr. 69, 10.2.1927, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II. 395 Es war von 350.000 RM die Rede, vgl. Justi an KM, 4.4.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 7, Bd. 4; Direktor N G (i.V. Thormaehlen) an KM, 16.5.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; siehe dazu auch KM (Nentwig) an Kunstverwaltungsbehörden, 28.3. 1927, ms. / gedr. u. KM an Kunstverwaltungsbehörden u. Regierungen Königsberg, Kassel, Düsseldorf u. Breslau, 30.4.1927, ms. / gedr., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 7, Bd. 4. 396 Vgl. Direktor N G (i.V. Thormaehlen) an KM, 16.5.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; siehe dazu auch Hentzen 1972, S. 54. 397 KM an Justi, 30.5.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 7, Bd. 4; vgl. auch Hentzen 1972, S. 55. 398 Abschr. Justi an KM, 15.6.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 7, Bd. 4; vgl. dazu auch De Michelis 1994, S. 181; zum Anspruch auf das Prinzessinnenpalais siehe auch schon Justi an KM, 26.11.1926, ms. u. Justi an KM, 21.12.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 399 Abschr. Justi an KM, 15.6.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 7, Bd. 4.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
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1921-32
dem Abschluß der Projekte an der Königgrätzer Straße und während auch das Museumsinselprojekt seinem Ende entgegenging, neue national motivierte Herausforderungen im Museumsbereich aufzuzeigen. Der Umbau des Kronprinzenpalais' stellte sich dabei als Kern einer nationalen Museumsvision dar, über die Justi in Wettbewerb mit den renommiertesten europäischen Sammlungen treten wollte. Wie 1919 bemühte sich Justi, seine Pläne zu forcieren, indem er auch das Finanzressort für sie zu gewinnen suchte. Als sich im Juni 1927 die Chance auf eine Bewilligung der erforderlichen Gelder bot, forderte Justi das Kultusministerium zu einem entsprechenden Antrag auf. 400 Becker bestand jedoch darauf: „Nach meinen Informationen würde es den Plan eines auch von mir für notwendig erachteten Umbaus des ehemaligen Kronprinzenpalais nicht fördern, sondern schädigen, wenn ich [...] den Versuch machen wollte, die erforderlichen Mittel durch den Herrn Finanzminister außerplanmäßig bereitstellen zu lassen." Für den Umbau selbst legte er Wert darauf, daß er denkmalpflegerischen und baupolizeilichen Aspekten gerecht werde. 401 Das Kultusministerium Schloß sich damit Justis Plänen vom Grundsatz her an. Nach den Erfahrungen beim Museumsinselprojekt und wohl auch nach dem umstrittenen Umbau der Staatsoper, bei dem der denkmalpflegerische Anspruch Preußens 1926/27 in die Kritik geraten war,402 wollte sich das Ressort beim Kronprinzenpalais jedoch offensichtlich bereits im Vorfeld gegen weitere Konflikte absichern. Wie ernst es dem Ministerium mit dem Tessenow-Umbau dennoch war, zeigte sich Ende 1927, als das Ressort den Architekten gegen ein Honorar von 12.000 R M beauftragte, bis Juni 1928 „für den geplanten Umbau des ehemaligen Kronprinzenpalais in Berlin für die Zwecke der Nationalgalerie einen zeichnerischen Vorentwurf im Maßstab 1:100 anzufertigen". Wichtig war dem Ministerium dabei eine Zusammenarbeit mit Justi, „damit von vornherein die sachlichen Wünsche der Nationalgalerie für die Ausgestaltung der Räume und der Zugänge berücksichtigt [...] werden." 4 0 3 Als Motor und Träger der Neugestaltungsbestrebungen im Ressort scheint bezeichnenderweise wiederum Gall gewirkt zu haben, der nun als Chef der dem Ministerium unterstellten Schlösserverwaltung für das Palais zuständig war.404 Nachdem Tessenows Pläne vorlagen, arbeitete Justi im Juli 1928, wie vom Ressort geplant, den Etatantrag für den Umbau aus. Gemeinsam mit der Staatsoper betonte er hier als Charakteristika der Pläne eine klare Grundrißgestaltung und das Einziehen eines Quer-
400 Justi an Nentwig (KM), 22.6.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 401 Becker an Justi, 4.7.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; zur weiteren Entwicklung vgl. KM (Nentwig) an Justi, 5.8.1927, ms., Justi an Bau- u. Finanzdirektion, 8.8.1927 u. Entwurf Justi an KM, 8.8.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1. 402 Vgl. dazu Christoph: Der Opernhausumbau,
in: Weltb., Jg. 23/1, Nr. 14, 5.4.1927, S. 561 f;
Schmitz 1931, S. 87-97. 403 Abschr. KM an Tessenow, [15.12.1927], ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; zur Auftragsvergabe siehe auch De Michelis 1994, S. 181; Hentzen 1972, S. 54; Rave 1968, S. 89. 404 Vgl. [Justi] an Tietjen, 13.7.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 2; zur Schlösserverwaltung vgl. Eggeling 1991, S. 21 f; Niederschrift Becker / Gall, 23.10.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1422; Alfred Kuhn: Zur Frage der öffentlichen pflege in Preußen, in: Cie., Jg. 19, Nr. 19, 1. Okt.-Nr. 1927, S. 610 f.
Denkmal-
4. Museumspolitik:
Neugestaltung
der
Museen
427
flügels im langen Hof, durch den der Besucher in die einzelnen Etagen geführt würde, der den Blick in eine wirkungsvolle Halle eröffne und überdies als Feuerschutz diene.405 Die bisherigen Arbeiten Tessenows, speziell für die Dresdener Kunstausstellung 1926, bürgten laut Justi für die Qualität. Durch den Umbau würde die Sammlung endlich würdig präsentiert. „Mit einem Kostenaufwand, der im Verhältnis zu anderen Museumsbauten gering ist, würde Preussen eine in jeder Beziehung vorbildliche moderne Galerie bekommen. Es würde das der Modernität des preussischen Staates entsprechen, und auch der geistigen Lebendigkeit der Hauptstadt, welche grösser und stärker ist als diejenige der anderen Weltstädte." Trotz des Sparzwangs verpflichte die Kulturkompetenz Preußens - und selten biete sich eine Gelegenheit wie die jetzige, dem „in einem so wichtigen Fall, an so sichtbarer Stelle, vor der ganzen Welt gleichsam, mit verhältnismässig so geringen Mitteln und mit so sicherer Aussicht auf allgemeinen freudigen Beifall Genüge zu tun." 406 Während der Antrag lief, bemühte sich das Ministerium gemeinsam mit Justi bis in den Herbst 1928 hinein um eine Konkretisierung der Pläne.407 Trotz des Engagements wurde der Umbau jedoch letztlich vom Finanzressort abgelehnt. Der gekürzte Kulturetat von 1929 bot keinen Raum für das Projekt. 408 Alternativ konnte lediglich eine Raumklärung im Palais realisiert werden. 409 Auch wenn die Umbaupläne scheiterten, wirft die Unterstützung des Kultusressorts für das Tessenow-Projekt doch ein bezeichnendes Licht auf die Museumspolitik in dieser Zeit. Unter dem Einfluß von Galls Schlösserverwaltung und auf Anregung Justis hielt das Ministerium am Ziel der Außenwirkung über eine moderne Museumsgestaltung fest. Zusammen mit Justi entschied es sich für einen Architekten aus dem Werkbundumfeld, der den Anspruch auf eine publikumsnahe Museumsmodernisierung zu tragen versprach und dessen neoklassizistische, sachliche Architektursprache überdies die Option auf einen zeitgemäßen Kontrapunkt zum so deutlich dem Wilhelminismus verhafteten Museumsinselbau eröffnete.410 405 Tietjen u. Justi an KM, 13.7.1928, ms., S. 1 f, in: SMBPK / ZA, Nat.gal, Spec. 53, Bd. 2; vgl. dazu auch Tietjen an Justi, 15.7.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 2; De Michelis 1994, S. 181; Hentzen 1972, S. 56. 406 Tietjen u. Justi an KM, 13.7.1928, ms., S. 4, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 2. 407 Vgl. Abschr. KM an Präsident Bau- u. Finanzdirektion, [4.9.1928], ms. u. Telegramm [KM?] an Justi, [Sept. 1928?], in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 2. 408 Vgl. Justi [?] an KM, 10.10.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 44, Bd. 1; Joachimides 2001, S. 200 f; Rave 1968, S. 89; zum Etat von 1929 vgl. Die Kunst im preußischen Staatshaushalt, in: Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 3, 2.1.1929, S. 35 f; Schwering (Z) u. Grebe (Ζ), 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 3 f u. 33 f; Steffens (DVP), 15.4.1929, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 5695; Becker u. Bohner (DDP), 19.4.1929, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 6211 u. 6214 f; Ο. M.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 7,1.4.1929, S. 99 f; Ο. M. : Bericht des R V, in: Ku. «. Wi., Jg. 10, Nr. 8,16.4.1929, S. 115; Rede Becker, 15.3.1927, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1745. 409 Durch eine Annäherung an Schefflers Inszenierungsmodell setzte Justi hier noch einmal neue Akzente, vgl. Joachimides 2001, S. 207-210; Hentzen 1972, S. 55 u. 58. 410 Vgl. dazu auch De Michelis 1994, S. 181; Die Zwanziger Jahre des DWB 1982, S. 69; Niederstadt 1982 b, S. 339 f. Die Relevanz Tessenows für die preußische Kulturpolitik erschließt sich auch aus der Tatsache, daß ihm wenig später die Gestaltung des Ehrenmals in der Neuen Wache übertragen wurde (siehe Kap. III. 6.2.).
428
III. Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Nach dem Scheitern des Tessenow-Umbaus wurden weitere Museumsprojekte aktuell, bei denen sich der Nationalgaleriedirektor und das Ministerium ebenfalls gemeinsam engagierten. Zunächst ging es um die Neuordnung der Bildnissammlung. Seit Mitte der 20er Jahre hatten sich Justi und das Ressort hier in Anknüpfung an die Politik unter Haenisch (siehe Kap. II. 5.2.) für eine Neuausrichtung eingesetzt. 411 Nach einer 1926 auf Anregung des Ressorts gezeigten Bildnisausstellung 412 hatte Justi die Sammlung dann tatsächlich umstrukturiert. Das Ministerium stellte sich dabei, Justis nationaler Argumentation folgend, sowohl was die weitere Unterbringung in der Bauakademie als auch was Erwerbungen anging, hinter die Interessen der Bildnissammlung. 413 Im April 1927 wurde die Galerie vorläufig zugänglich gemacht. 414 Nachdem auch ein Katalog vorlag, der ähnlichen Prinzipien wie der der Schack-Galerie folgte, 415 fand im Juni 1929 die Neueröffnung statt. 416 Nationalgaleriemitarbeiter Rave stellte die „nach heutigen musealen Gesichtspunkten" dargebotene Sammlung, die wie ein „lebendiges Bilderbuch" wirken sollte, damals verglichen mit der Londoner National Portrait Gallery als „Beginn und ein Versprechen" dar. 417 Die neugeordnete, vom Ressort im Zuge seiner pointierteren Ankaufspolitik (siehe Kap. III. 6.2.) kontinuierlich ergänzte Sammlung 4 1 8 fügte sich jedoch bereits jetzt als weiterer Mosaikstein in das von
411 Vgl. Justi an KM, 9.10.1924, ms., Becker an Justi, 30.11.1925, ms., Vermerk Mackowsky, 19.12. 1925, hs., KM (Nentwig) an Justi, 15.1.1926, ms. u. Justi an KM, 27.1.1926, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3. 412 Vgl. Becker an Justi, 30.11.1925, ms., Vermerk Mackowsky, 19.12.1925, hs. u. KM (Nentwig) an Justi, 15.1.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; NG (Mackowsky) an Lammers (KM), 13.11.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 551. 413 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 13.4.1928, ms. u. Justi an KM, 19.4.1928, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 44, Bd. 1; KM an Justi, 15.2.1927, ms., KM (Nentwig) an Justi, 7.5.1927, ms. u. Justi an KM, 13.6.1927, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 31; NG (Mackowsky) an KM, 23.8.1928, ms. u. KM (Gall) an Justi, 1.10.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 32; Justi an KM, 12.4.1929, ms. u. Becker an Justi, 2.7.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 57, Bd. 1; KM (Nentwig) an Justi, 14.7.1926, ms., Justi an KM, 9.8.1926, Ds., ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 10.1.1927, ms., KM (Nentwig) an Justi, 6.4.1927, ms. u. Justi an KM, 12.4.1927, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; vgl. dazu später auch FM an KM, 1.10.1929, ms., FM an KM, 31.5.1930, Ds., ms. u. FM an Bau- u. Finanzdirektion, 16.12.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 10708, Bl. 1-6; Justi [?] an KM, 10.10.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 44, Bd. 1. 414 Vgl. Justi an KM, 12.4.1927, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3. 415 Vgl. Justi an KM, 23.8.1928, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 13.11.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 44, Bd. 1; Justi an KM, 12.4.1927, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 2, Bd. 3; Mackowsky 1929. 416 Vgl. Grabowski 1994, S. 318; Pescatore (NG) an Müller-Wulckow, 17.7.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31; Hentzen 1972, S. 57. 417 Paul Ortwin Rave: Die Berliner Bildnissammlung. Zu ihrer neuen Aufstellung, in: ZSf. bild. Ku., Jg. 63, Nr. 4, Juli 1929, S. 33-37, S. 33 f. 418 Bei den Ergänzungen handelte es sich z.B. um ein Hauptmann-Porträt von König, eine EbertBüste von Bednorz, eine Hindenburg-Büste von Scharff oder eine Kollwitz-Büste von HaimWentscher, vgl. KM (Nentwig) an Justi, 20.11.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 201; Abschr. KM an Regierungspräsident Köln, 13.10.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 472; KM an Justi, 26.10.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal.,
4. Museumspolitik: Neugestaltung der Museen
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Justi und vom Ministerium getragene Bemühen ein, nationale Identität, moderne Museumsgestaltung und Kunst im Umfeld der Nationalgalerie miteinander zu verquicken: Die Porträts, die Staatsmänner von Friedrich dem Großen bis Bismarck sowie deutsche Geistesgrößen aus Wissenschaft, Kultur und Kunst zeigten, transportierten direkt nationale Inhalte; die Vermittlung wurde durch eine moderne Museumsgestaltung und Publikumsarbeit gefördert. Die neben dem Kronprinzenpalais in Schinkels Bauakademie gelegene, modern präsentierte Porträtsammlung war dabei als Ergänzung des angestrebten Museumsareals Unter den Linden zu sehen. Daneben konzentrierte sich das Neugestaltungsengagement im Umfeld der Nationalgalerie auf die Einrichtung einer Abteilung mit Werken der Klassizisten Christian Daniel Rauch und Karl Friedrich Schinkel. Nachdem eine solche Sammlung bereits 1919 gefordert worden war (siehe Kap. II. 3.1.), hatte sich das Ministerium seit Beginn der 20er Jahre für ein Rauch-Schinkel-Museum in Berlin stark gemacht. 1922 hatte es eine Zusammenlegung des Rauch-Museums 4 1 9 mit der Schinkel-Sammlung 420 sowie die Unterbringung in einem Neubau des Architekten Kuhberg in der Hardenbergstraße vorgesehen. 421 1923 hatte es die Sammlung der Nationalgalerie unterstellt und eine Einrichtung durch Justi und Kuhberg angeordnet. 422 In der Folgezeit hatte sich die Umsetzung dann jedoch wegen Unklarheiten beim Museumsbestand verzögert. 423 Mitte der 20er Jahre war die Situation endgültig eskaliert, als Differenzen zwischen der Bauleitung und Justi aufbrachen. 424 Das Ministerium hatte dennoch zunächst weiter auf einer Eröffnung zum fünfzigsten Jubiläum der Nationalgalerie 1926 bestanden. 425 1926/27 hatten sich die Probleme dann aber so verGen. 10, Bd. 14, Bl. 689; KM (Hübner) an Justi, 1.12.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 339. 419 Zur Geschichte des Museums vgl. Bloch 1983, S. 117 f; Rave 1968, S. 101-106; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 490 f u. Bd. 2, S. 281 f. 420 Zur Geschichte der Sammlung vgl. Rave 1968, S. 108-113. 421 Vgl. Denkschrift Gestaltung Museumswesen 1922, S. 2194; Ku.chr., Jg. 56/2, Nr. 39, 24.6.1921, S. 728; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 491 u. Bd. 2, S. 282. 422 Vgl. KM (Nentwig) an Vorsteher Rauch-Museum, 8.7.1922, ms. u. Abschr. KM an Rektor T H Charlottenburg, 28.10.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 2; Justi an KM, 16.5. 1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 57, Bd. 1; A. Kuhn: Die Kunst im preußischen Staatshaushaltsentwurf,
in: Ku.chr., Jg. 58/1, Nr. 20, 16.2.1923, S. 392 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1,
S. 491 f; Rave 1968, S. 102 fu. 110 f. 423 Vgl. KM an Justi, 12.5.1924, ms., Justi an KM, 21.5.1924, Ds., ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 8.11.1922, ms., Justi an KM, 10.9.1924, Ds., ms., KM (Nentwig) an Justi, 11.10.1924, ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 16.3.1925, ms. u. Justi an KM, 30.3.1925, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 2; siehe dazu später auch Justi an KM, 16.5.1931, ms., KM (Hübner) an Justi, 24.6.1931, ms., KM (Haslinde) an Justi, 8.9.1931, ms., Justi an KM, 11.9.1931, Ds., ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 23.9.1931, ms., KM (Hübner) an Justi, 19.1.1932, ms., KM (Haslinde) an Justi, 15.4.1932, ms. u. Justi an KM, 6.5.1932, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 57, Bd. 1. 424 Vgl. Justi an KM, 8.9.1925, ms. u. KM (Waetzoldt) an Justi, 20.8.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 2. 425 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 17.4.1925, ms., Direktor N G (i.V. Mackowsky) an KM, 22.5.1925, Ds., ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 8.7.1925, hs., Justi an KM, 8.9.1925, ms., KM (Waetzoldt) an
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III. Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik 1921-32
schärft, 426 daß sich die inzwischen auch hier zuständigen Träger der ministeriellen Neugestaltungspolitik, Gall und Wille, mit Justi gegen eine Nutzung des unzulänglichen Kuhberg-Neubaus aussprachen, der für Preußen kaum eine positive Wirkung entfalten werde. 4 2 7 Trotz der Einwände des Finanzressorts hatten sich die Bedenkenträger durchgesetzt. 428 Das Kultusministerium hatte den Bau daraufhin geschlossen, 429 1929 wurde er abgerissen 430 - und als nun nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten für die v o m Kultusressort so dezidiert geförderte Sammlung gesucht wurde, Schloß sich der Kreis der nationalen Museumsambitionen im Umfeld der Nationalgalerie: Während das Rauch-Museum mit Hilfe von Galls Schlösserverwaltung in der Orangerie des Charlottenburger Schlosses unterkam, 431 wurde Justis Vision des Museumsareals Unter den Linden dadurch weiter gestützt, daß die Schinkel-Sammlung im Prinzessinnenpalais eingerichtet wurde. 432 Das Kultusministerium engagierte sich sehr für eine solche Lösung. Nachdem es sich seit Anfang 1928 um eine Klärung der Raumfrage bemüht hatte, 433 gelang es ihm im August 1928, die Genehmigung zur Nutzung des Kopfbaus des Prinzessinnenpalais' durch das Rauch-Schinkel-Museum zu erwirken. 434 1928/29 setzte es sich dafür ein, daß die Räume im Prinzessinnenpalais freigegeben wurden. Für den Umzug der Sammlung stellte es im Mai 1929
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430
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432 433 434
Justi, 20.8.1925, ms., KM an Justi, 9.10.1925, ms., Justi an KM, 17.12.1925, Ds., ms., KM an Justi, 9.1.1926, ms., Justi an KM, 12.1.1926, hs. u. KM (Nentwig) an Justi, 10.2.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 2. Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 21.1.1926, ms. u. Direktor NG (i.V. Mackowsky) an KM, 1.2.1926, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 2. Vgl. Wille an KM, 11.2.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 2; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 491 f; zur Zuständigkeit Willes vgl. auch KM (Nentwig) an Justi, 10.2.1926, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 1.8.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 2. Vgl. KM (Pallat) an Justi, 7.9.1927, ms., Justi an KM, 20.9.1927, Ds., ms., KM (Nentwig) an Justi, 26.9.1927, ms., Entwurf Justi an KM, 19.11.1927, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 2.11.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 2. Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 440, 492 u. 494 u. Bd. 2, S. 259; zur Kritik wegen der Verzögerung vgl. auch Hermann Hieber: Preußische Museumswirtschaft, in: Weltb., Jg. 24/1, Nr. 8, 21.2.1928, S. 305 f. Vgl. KM an Justi, 15.12.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 3; KM an Justi, 13.2.1929, ms., Abschr. Krencker an Rektor TH Berlin, 29.4.1930, ms. u. Justi an KM, 16.5.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 57, Bd. 1; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 494 u. Bd. 2, S. 282. Vgl. Bloch 1983 S. 117 f; Hentzen 1972, S. 57; Rave 1968, S. 103-106; Gall (Direktor Staatliche Schlösser und Gärten) an KM, 5.9.1931, ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 12.9.1931, ms., Justi an KM, 26.9.1931, ms. u. Justi an KM, 19.1.1932, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 56, Bd. 1. Vgl. Rave 1968, S. I l l f; Petras 1987, S. 155 f. Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 6.2.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 3. Vgl. FM an Präsident Bau- u. Finanzdirektion, 21.9.1928, ms., KM (Nentwig) an Justi, 16.10. 1928, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 8.1.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 54, Bd. 1; KM an Justi, 15.12.1928, ms., KM an Justi, 11.2.1929, ms., KM an Justi, 9.3.1929, ms., KM an Justi, 8.4.1929, ms. u. Justi an KM, 8.5.1929, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 3.
4. Museumspolitik:
Neugestaltung
der Museen
431
außerplanmäßig 5000 M bereit. 435 Der T H gegenüber 436 bestand Becker darauf, „daß der Nachlaß Schinkels im Hinblick auf seine allgemeine museale [...] Bedeutung der NationalGalerie [..] verbleibt." 437 Justi betonte später die Bedeutung Galls für die Durchsetzung des Museums. 438 Seit dem Sommer 1929 begleitete das Ressort schließlich auch die Sammlungseinrichtung im Prinzessinnenpalais, für die 50.000 M zur Verfügung gestellt wurden. 439 Teilweise nahm es konkreten Einfluß auf die Gestaltung. So schlug es etwa vor, den Zugang durch die neuen Räume des Kronprinzenpalais' zu wählen. 440 Immer deutlicher hatte sich das Ministerium so hinter Justis Konzept gestellt, das Prinzessinnen· und Kronprinzenpalais als Einheit und die dort eingerichteten modernen Museen in der „alten preußischen via triumphalis" 441 als neues national konnotiertes Museumsareal erscheinen zu lassen. Justi festigte dieses Konzept, indem er nach der Neuordnung des Kronprinzenpalais' 442 auch im Prinzessinnenpalais eine klar strukturierte Sammlung von Graphik, Gemälden, Skulpturen, Möbeln, Kunstgewerbe und Architekturfotografien präsentierte, die einen eingängigen Uberblick über Schinkels Schaffen gab. 443 Zum 150. Geburtstag Schinkels im März 1931 wurde die Sammlung eröffnet. 444 1930 war bereits die ebenfalls von Justi modern gestaltete Sammlung mit Modellen Rauchs in Char-
435 Vgl. KM an Justi, 15.12.1928, ms., KM an Justi, 11.2.1929, ms., KM an Justi, 9.3.1929, ms., KM an Justi, 8.4.1929, ms. u. Justi an KM, 8.5.1929, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 3; KM an Justi, 13.2.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 57, Bd. 1. 436 Zu deren konkurrierenden Ambitionen vgl. Justi an KM, 12.4.1929, ms., Justi an KM, 19.7.1929, ms., Justi an Rektor TH Berlin, 26.7.1929, ms., Justi an KM, 24.1.1930, ms., Justi an KM, 29.4. 1930, Ds., ms., KM (Hübner) an Justi, 10.5.1930, ms., Justi an KM, 16.7.1930, Ds., ms., Grimme an Justi, 21.11.1930, ms., Justi an KM, 9.12.1930, Ds., ms., KM (Hübner) an Justi, 3.1.1931, ms., Justi an KM, 7.4.1931, Ds., ms., KM (Hübner) an Justi, 19.1.1932, ms., KM (Haslinde) an Justi, 15.4.1932, ms. u. Justi an KM, 6.5.1932, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 57, Bd. 1. 437 Becker an Justi, 2.7.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 57, Bd. 1. 438 Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 403 u. 495 f. 439 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 10.8.1929, ms. u. KM (Hübner) an Justi, 15.11.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 54, Bd. 1; Text FM, Nov. 1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1031, Bl. 34. 440 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 10.8.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 54, Bd. 1. 441 Max Liebermann im Urteil Europas. Zum achtzigsten Geburtstag des Künstlers, in: Ku. u. Kü., Jg. 25, Nr. 10, Juli 1927, S. 365-402, S. 368. 442 Vgl. dazu auch Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 3-5; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19213-19215. 443 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 495 f u. Bd. 2, S. 283; Nationalgalerie und nationale Identität 1998, S. 229; Rave 1968, S. 112 f; Das Schinkel-Museum in Berlin, in: Mus. der Gegenwart, Jg. 2, 1931/32, S. 28; Georg Ponsgen: Das Schinkelmuseum im Prinzessinnenpalais, in: Ku. u. Kit., Jg. 29, 1930/31, S. 318. Ergänzt wurde die Präsentation durch eine Graphik-Studiensammlung, vgl. Adolf Behne: Für und gegen Schinkel, in: Weltb., Jg. 27, 1, Nr. 12, 24.3.1931, S. 435-437, S. 435; zur Finanzierung vgl. auch Justi an KM, 23.6.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 53, Bd. 3; KM (Hübner) an Justi, 31.7.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 10688. 444 Vgl. Material Febr. 1931, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 57, Bd. 1; Hentzen 1972, S. 57; Rave 1987, S. 39 u. 98-100; Rave 1968, S. 113; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 478 u. Bd. 2, S. 274.
III.
432
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
lottenburg zugänglich gemacht worden.445 Besonders in linken Kreisen wurden die beiden neuen Museen, für die sich das Ministerium mit Justi stark gemacht hatte, als Ausdruck moderner Museumspolitik wahrgenommen. So konstatierte Adolf Behne für das SchinkelMuseum, „daß Justi auch hier mit sicher[e]m Gefühl ein Museum von bestem Geschmack und feinem stimmungshaften Reiz geschaffen hat." 446 Und die SPD-Landtagsabgeordnete Oestreicher betonte, bei der Neuordnung des Kronprinzenpalais',447 beim Rauch- und Schinkel-Museum habe „ein genialer Museumsgestalter, und haben seine Mitarbeiter [...] die Aufgabe geradezu vorbildlich gelöst. Die Raumeinteilung, Lichtberechnung, Farbengebung [sie] der Wände, alles wirkt zusammen, ein unendlich wohltuendes Ganzes zu schaffen. Hierzu kommen die [..] vorbildlichen Kataloge, die schlicht und einfach, aber anschaulich dem Besucher ein wirklich annehmbares Stück preußisch-deutscher Geschichte vermitteln." 448 Beide begriffen Justis Gestaltung als zeitgemäßes Gegenmodell zu den älteren musealen Konzepten, die noch auf der Museumsinsel zur Geltung kamen.449 Behne betonte: „Schade, daß die Direktoren von Pergamon und vom Deutschen Museum, ehe sie ihre Riesensäle auf der Insel errichteten, nicht erst bei Justi in die Lehre gegangen sind." 450 Oestreicher erklärte ähnlich: „Im neuen Rauch-Museum [...] sei wohl zum ersten Mal eine Sammlung von Gipsen in hervorragend schöner Weise geordnet worden; wie anders wirke diese Sammlung als die des Deutschen Museums auf den Besucher".451 Beide Sammlungen können so als letzter Ausdruck der ministeriellen Modernisierungspolitik im Gegenentwurf zu Bode gelten. Der Stellenwert, den ihnen das Ministerium selbst zuschrieb, offenbarte sich etwa dadurch, daß in einer Zusammenstellung der Leistungen der Preußischen Regierung auf dem Gebiete der Kulturpolitik seit November 1918 für den Museumsbereich neben der Vollendung des Museumsinselneubaus, der Etablierung der Galerie im Kronprinzenpalais und der Neuordnung des Völkerkundemuseums die Einrichtung des RauchMuseums und die „würdige" Unterbringung der Schinkel-Sammlung aufgeführt wurden.452 Im Umfeld der Nationalgalerie stellten sich hier die Pflege dezidiert preußischer Kulturinhalte und eine moderne Museumsgestaltung als Fundamente eines auf Ausgleich zwischen Modernität und Tradition setzenden neuen nationalen Kulturverständnisses dar, das an zentraler Stelle vermittelt wurde und über das die Republik nach innen wie nach außen
445 Vgl. Einladung Justi u. Direktor Staatliche Schlösser und Gärten, 3.10.1930, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 56, Bd. 1; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 495 u. Bd. 2, S. 282. 446 Adolf Behne: Für und gegen Schinkel, in: Weltb., Jg. 27, 1, Nr. 12, 24.3.1931, S. 435-437, S. 435 u. 437. 447 Vgl. dazu auch Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 3 - 5 . 448 Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 19213 f. 449 Vgl. dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 495 f. 450 Adolf Behne: Für und gegen Schinkel,
in: Weltb., Jg. 27, 1, Nr. 12, 24.3.1931, S. 4 3 5 - 4 3 7 ,
S. 435. 451 Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 5. 452 KM: Zusammenstellung politik seit November
der Leistungen der preußischen Regierung auf dem Gebiete der Kultur-
1918, 1931, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a; zur
Bedeutung des Schinkel-Museums vgl. auch KM an Krohne (Verein zur Berförderung des Gewerbefleißes), 4.1.1932, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 57, Bd. 1.
4. Museumspolitik:
Neugestaltung
der
Museen
433
wirken wollte.453 Die expressionistische Sammlung im Kronprinzenpalais und das modern präsentierte Schinkel-Museum im Prinzessinnenpalais wurden dabei zu Exponenten des Bemühens um die Etablierung einer über Kunst und Kultur vermittelten preußisch-deutschen Identität, die sich vom wilhelminischen Nationalismus und Intellektualismus abzugrenzen suchte. Die Nationalgalerie mit ihren Unterabteilungen wurde so gegen Ende der Weimarer Zeit noch einmal zum Terrain museumspolitischer Neuerungen. Daneben prägte das Popularisierungsengagement unter der Ägide Waetzoldts die Museumspolitik. Die Relevanz beider Bereiche für das Ministerium wurde nicht zuletzt bei den Feierlichkeiten zum Museumsjubiläum Anfang Oktober 1930 deutlich. Grimme erläuterte in seinen damaligen Reden zum einen die elementare gesellschaftliche Bedeutung der musealen Kunstvermittlung und legitimierte damit Waetzoldts wie Justis Aktivitäten (siehe Kap. III. 4.1.). Zum anderen bezog das Ressort die Nationalgalerie als Ort museumspolitischer Innovation bewußt in die auf Außenwirkung bedachten Feierlichkeiten ein. Daß Justi am 3. Oktober 1930 durch das neue Rauch-Museum führte, weist bereits in diese Richtung.454 Aussagekräftig erscheinen aber auch Details wie die Tatsache, daß das Ministerium darauf bestand, Justi solle der Bitte des Museum of Modern Art, das Daumier-Bild Don Quicbote und Sancho Pansa nach New York auszuleihen, nicht nachkommen, weil dies während des Museumsjubiläums in Berlin sein müsse (siehe Kap. III. 8.).455 Konzentrierte sich das ministerielle Bemühen um eine Neugestaltung der Museen mithin in der letzten Weimarer Phase ähnlich wie nach 1918 erneut auf eine gezielte Popularisierung und Neuerungen im Bereich der Nationalgalerie, hatte das Ministerium selbst um die Mitte der 20er Jahre durch die ostasiatische Kunstsammlung und das Völkerkundemuseum Akzente bei der musealen Präsentation gesetzt. Als Träger der ministeriellen Reformpolitik fungierte dabei die gesamten 20er Jahre hindurch neben Waetzoldt vor allem Gall. Scharfe Konturen erhielt das Modernisierungsbemühen durch den Vergleich mit den nach wie vor auf der Museumsinsel präsenten älteren Konzepten Bodes und Wiegands. Von diesen suchte sich das Ministerium an eben den Orten bewußt abzugrenzen, an denen es nicht wie auf der Museumsinsel auf eine Kooperation mit deren Trägern angewiesen war, sondern wo es selbst Entscheidungsträger war und aufgeschlossenere Museumsleute die Reformabsichten förderten oder sogar eigenständig forcierten: im Museumsareal an der Königgrätzer Straße und im Umfeld der Nationalgalerie. Während die Museumsinsel ein Kompromißprodukt blieb, stellten sich diese beiden Orte als Bereiche dar, an denen sich der eng mit dem Kulturgemeinschaftskonzept des Kultusressorts verknüpfte neue museumspolitische Anspruch der Republik Preußen manifestierte.
453 Zur besonderen Relevanz Schinkels in diesem Kontext vgl. Keisch 1999, S. 1 0 8 - 1 1 1 . 454 Vgl. Einladung Justi u. Direktor Staatliche Schlösser und Gärten, 3.10.1930, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 56, Bd. 1; siehe dazu auch Direktor N G (i.V. Thormaehlen) an Sievers (AA), 13.2. 1931, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 32; Rave 1968, S. 104. 455 Vgl. KM (Hübner) an Justi, 13.8.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31.
5. „Kunst und Volk": Bildungskonzepte und Popularisierungsaktivitäten Nach 1918 hatte das Kultusministerium der Kunstvermittlung an breiteste Bevölkerungsschichten im Kontext seiner nationalintegrativen Bildungskonzeption einen wesentlichen Stellenwert zugeschrieben (siehe Kap. II. 5.1.). Bereits unter Haenisch hatte es seinen Popularisierungsanspruch auf vielfältige Weise auch praktisch zu fördern versucht (siehe Kap. II. 5.2.). Das Ministerium Becker signalisierte 1921 sein Festhalten an den Popularisierungsambitionen.1 Auch Boelitz stellte sich in den folgenden Jahren hinter die Idee, die Beschäftigung mit Kunst müsse eine neue Rolle in der Gesellschaft spielen. Schon vor seiner Ministerzeit hatte er 1919 als DVP-Sprecher die Unterstützung des individuellen Bildungsbedürfnisses zum kulturpolitischen Anliegen erklärt. Für die Kunst hatte er damals eine Förderung von Vereinigungen gefordert, „die durch wissenschaftliche oder künstlerische Vorträge dem einzelnen neuen Bildungsstoff vermitteln."2 Auch hatte er betont: „Um den Geschmack und damit zugleich das gesamte Bildungsniveau zu heben, sind die öffentlichen Sammlungen in stärkerem Maße als bisher der Allgemeinheit unentgeltlich zugänglich zu machen. Zugleich ist es wünschenswert, daß namentlich in Bezug auf die bildende Kunst eine vermehrte Dezentralisation eintritt, daß sich nicht alle Kunstwerke in großen Städten häufen, während die kleineren Orte der notwendigen künstlerischen Anregung ermangeln. Wenn es auch nicht möglich ist, überall Museen zu errichten, so kann doch durch Wanderausstellungen manches Gute geschaffen werden, ebenso durch Ausstellung geschickt ausgewählter Gipsabgüsse und Kopien zu Lehr- und Bildungszwecken."3 Hatte sein Interesse damit Bereichen gegolten, die auch für Haenisch zentral waren, hatte Boelitz diese Ambitionen damals jedoch noch mit deutlichem Akzent auf einer intellektuellen Wissensvermittlung vor allem auf den Mittelstand bezogen.4 Gleich zu Beginn seiner Ministerzeit dehnte er den Anspruch auf Kunstvermittlung dann allerdings aus, indem er ihn mit Arbeiterbildungsabsichten verknüpfte.5 Damit war klar: Boelitz setzte nicht nur ähnliche Schwerpunkte wie das Ministerium Haenisch, sondern er war auch bereit, seine Parteiposition nach dem Amtsantritt zugunsten eines umfassenderen Konzepts aufzugeben. Auf diese Weise sorgte er dafür, daß die bisherige Popularisierungspolitik auch nach 1921 Bestand hatte.6 Boelitz beließ es jedoch nicht bei der Anknüpfung an Haenisch und Becker, sondern
1 Vgl. Schwab: Aus der kunstpädagogischen
Reformbewegung
(Teil 2), in: Ku.wart,
Jg. 34/2,
Nr. 11, Aug. 1921, S. 267-271; Rede Becker, 4.5.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1343; zur allgemeinen Diskussion vgl. Alfred Kuhn: Aufgaben
der Museen in der
Gegenwart (Fortsetzung), in: Mus.kun., Jg. 16 Nr. 1, April 1921, S. 26-38; BT, Jg. 50, Nr. 202, 30.4. 1921; Aus der kunstpädagogischen Reformbewegung
(Teil 1), in: Ku.wart, Jg. 34/2, Nr. 10, Juli 1921,
S. 212-218. 2 Boelitz 1919 b, S. 41. 3 Ebd., S. 42. 4 Vgl. ebd., S. 41; vgl. dazu auch Boelitz 1910. 5 Vgl. Rede Boelitz im LT, [9.] 11.1921, ms., S. 4, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1776; vgl. dazu später auch Becker, 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 19. 6 Vgl. dazu auch Boelitz, 23.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7478.
5. Bildungskonzepte
und
Popularisierungsaktivitäten
435
er integrierte die Kunstvermittlung in Übereinstimmung mit den Vorstellungen der Landtagsparteien7 aktiv in sein Konzept der nationalen Einheitsbildung (siehe Kap. III. 1.). In dessen Kontext vertrat er die Auffassung, der Kontakt breitester Schichten mit Kunst sei aus zwei Gründen wesentlich: Zum einen wollte er sich über die Beschäftigung mit Kunst dem Ideal des kulturbewußten, selbstverantwortlichen Menschen annähern, den er als den „wahrefn] Bürger des neuen deutschen Volksstaates" begriff.8 Zum anderen verband sich für ihn die Präsenz von Kunst im Alltag mit der Option auf eine Entfesselung von Kreativkräften, die er für die Behauptung Deutschlands nach dem verlorenen Krieg als wichtig erachtete.9 Boelitz untermauerte damit den ästhetischen Bildungsanspruch des Ressorts. 10 Bei der Umsetzung dieses Anspruchs in die Praxis galt das Hauptaugenmerk des Ministeriums Boelitz dem schulischen Bereich. Boelitz erklärte dazu: „Schon in der Erziehung des Kindes muß dem Sinnlich-Gegenständlichen stärker als bisher neben dem BegrifflichIntellektuellen sein Recht werden. Darüber hinaus müssen die in dem Kinde vorhandenen Kräfte des Schauens und Gestaltens geweckt und gepflegt und die Jugend durch Eigenbetätigung und Kunstbetrachtung in ein persönlich inneres Verhältnis zur bildenden Kunst gebracht werden." 11 Wie unter Haenisch trat gleichzeitig Becker als Fürsprecher der Idee auf, die Basis für die ästhetische Durchdringung der Gesellschaft bereits bei den Jüngsten zu legen. So hob der Staatssekretär Anfang 1922 im Landtag hervor: „Das wichtigste sei wohl der Gedanke, die Kunst in der Jugenderziehung stärker zu berücksichtigen. Aber die Kunstf-] und die Unterrichtsverwaltung könnten mit Stolz auf das zurückblicken, was in den letzten zwanzig Jahren, namentlich im Zeichenunterricht, geschehen sei. In diesen Tagen werde eine Ausstellung des Zentralinstituts eröffnet für Schulzeichnungen japanischer und deutscher Kinder. Da werde man die erstaunliche Höhe des deutschen Schulzeichnens sehen und feststellen können, daß die Wirkungen bis nach Japan gegangen seien. Und das sei nur ein Anfang. Das Bestreben des Ministeriums sei, neben der intellektuellen Erziehung die künstlerische nicht zu vernachlässigen".12 Beckers Statement war in mehrfacher Hinsicht aussagekräftig: Neben der Anknüpfung an vorhandene Ansätze betonte es die wichtige Rolle, die Pallat und sein Zentralinstitut weiterhin für das ministerielle Bemühen um eine Intensivierung des Konnexes Kunst und Schule spielten. Überdies deutete sich hier nicht nur das Ziel der charakterlichen Bildung durch Kunst, durch die man das wilhelminische Erziehungsideal zu ergänzen suchte, sondern auch die Vision an, diesen Ansatz in großem Umfang wirken zu lassen.
7 Vgl. dazu etwa LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 5 - 7 ; LT, WP 1, Prot., Sp. 7238 f, 7431 f, 7443 f, 7452, 7460 f, 7463, 7466-7471, 7473, 7475 f, 7480-7482, 7486, 7488, 17029, 17031 f, 17365, 17367-17370, 17375, 17381, 17385, 17389-17391,17399 f, 17404 fu. 18805 f. 8 Boelitz 1925, S. 19; vgl. auch ebd., S. 20 u. 119. 9 Vgl. ebd., S. 116 u. 189. 10 Zur entsprechenden Einbindung der Musik in das nationale Bildungskonzept vgl. ebd., S. 123-128. 11 Ebd., S. 117; zum Kontext vgl. Stelzer 1977, S. 50-52. 12 Becker, 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 8.
436
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
U m diesen Ambitionen gerecht zu werden, machte sich das Ministerium Boelitz für eine größere Relevanz des Zeichen- und Werkunterrichts in den preußischen Volks- und Oberschulen stark. Mit den von Pallat geleisteten Vorarbeiten (siehe Kap. II. 5.2.) solidarisierte sich Boelitz ausdrücklich. 13 Wichtig erschien ihm hier die Definition einer neuen Rolle der Zeichenlehrer, nach der diese nicht nur als „künstlerische Führer der Jugend" fungieren, sondern auch darum bemüht sein sollten, „die ganze Schule mit künstlerischem Geist zu erfüllen und zu einer vorbildlichen Stätte der Ausdruckskultur zu machen". 14 Dafür setzte man auf eine Reform der Kunstlehrerausbildung. Nach einem vorbereitenden Erlaß vom November 1920, der eine gemeinsame Ausbildung von Künstlern und Kunstlehrern vorsah, veröffentlichte das Ministerium am 22. Mai 1922 eine neue Prüfungsordnung für das künstlerische Lehramt an höheren Lehranstalten, die den ästhetischen Bildungsvorstellungen an den Schulen den Weg ebnen sollte. 15 Als deren zentralen Aspekt stellte Boelitz heraus, daß nun von Kunstlehrern „eine Reife für das Universitätsstudium, eine gründliche künstlerische Schulung, die auch das Gebiet der Werktätigkeit umfaßt, und eine auf die Zwecke der Kunsterziehung gerichtete psychologisch-pädagogische Durchbildung" gefordert werde. Dadurch wollte er „dem Zeichen- und Kunstunterricht dasselbe Ansehen wie den wissenschaftlichen Lehrgebieten" verleihen. 16 Ging es hier darum, den Kunstlehrerberuf aufzuwerten und so dessen gesellschaftliche Relevanz zu betonen, bemühte sich das Ministerium daneben um eine Intensivierung des Werkunterrichts an den Schulen. Auf diese Weise wollte man den „Sinn für das SinnlichGegenständliche [...] wecken und den natürlichen Gestaltungstrieb der Kinder in die Bahn zweck- und formbewußten Schaffens [...] lenken". Gerade angesichts der wirtschaftlichen N o t der Inflationszeit galt dem Ressort der Werkunterricht als geeignetes Mittel, sowohl der schulischen Selbsthilfe als auch der Persönlichkeitsentwicklung der Schüler gerecht zu werden. 17 U m dem Werklehrermangel entgegenzuwirken, sah die Prüfungsordnung vom 22. Mai 1922 die „Werktätigkeit" künftig als verpflichtendes Hauptfach vor. Per Erlaß vom 10. November 1923 wurde der Werkunterricht als Zusatzfach für das wissenschaftliche Lehramt genehmigt. Und am 24. Mai 1924 wurde die Bedeutung des Werkunterrichts dadurch demonstriert, daß das Ministerium erstmals eine besondere Prüfungsordnung für Werklehrer und Werklehrerinnen erließ. Gleichzeitig richtete es an den Kunstakademien Kassel und Königsberg Ausbildungsgänge für Werklehrer ein, förderte die Gründung von städtischen „Werklehrerbildungsanstalten" in Hildesheim, Düsseldorf und Köln und unterstützte deren Betrieb finanziell. 18 Deutlich zeigte dieses Bemühen in Affinität zur Kunsterziehungsbewegung und zum Werkbund das Interesse des Ressorts an einer neuen, schon in der Kindheit angebahnten Prägung des Lebens durch Kunst und Gestaltung. 19
13 14 15 16
Boelitz 1925, S. 117 f. Ebd., S. 118. Vgl. Reiss 1981, S. 83-90. Boelitz 1925, S. 118 f. Ende 1924 wurde überdies die Wochenstundenzahl der Kunstlehrer angehoben, vgl. Reiss 1981, S. 98. 17 Vgl. Boelitz 1925, S. 119 f. 18 Vgl. ebd., S. 120. 19 Vgl. dazu auch Rickert 1977, S. 208.
437
y Bildungskonzepte und Popularisierungsaktivitäten
Seine veränderte Auffassung brachte das Ministerium schließlich auch in die Lehrplanrichtlinien ein, die 1925 als Ergebnis der von Ministerialreferent Hans Richert umgesetzten Schulreform vorgelegt wurden. In den unter Mitwirkung Pallats verfaßten Richtlinien 20 hieß es, der Kunst- und Zeichenunterricht habe die Aufgabe, „mit dem ihm als Kunstfach eigenen Mitteln an der Bildung der Persönlichkeit und der Vertiefung des Kulturverständnisses mitzuwirken. Er entwickelt die im Kinde vorhandenen Kräfte des Schauens und Gestaltens, bringt die Jugend in ein persönliches inneres Verhältnis zu den Schöpfungen der bildenden Kunst und weckt in ihr das Gefühl für Form und den Willen zur Form." 21 Als Unterrichtsschwerpunkte wurden eigenständiges Gestalten, zweckgebundenes Zeichnen sowie die Kunstbetrachtung, bei der es in erster Linie um deutsche Kunst gehen sollte, genannt. 22 Deutlich fügte sich die Neuakzentuierung des Kunstunterrichts damit in das nationale Bildungskonzept von Boelitz (siehe Kap. III. 1.) ein. Die konservativen Ansätze des Schulreferenten Richert 2 3 verknüpften sich dabei mit den fortschrittlicheren Positionen Pallats, aber auch Waetzoldts zu einem bildungsbürgerlich-liberalen Kunsterziehungsmodell, in dessen Zentrum die Förderung eigenständiger Individuen und die Vermittlung einer neuen nationalen Kulturidentität standen. Gerade angesichts der personellen Kontinuitäten in der Kunstabteilung und des konstanten Einflusses Beckers im Ressort war die Neuausrichtung des Kunstunterrichts unter Boelitz, anders als Reiss es darstellt,24 durchaus als Fortsetzung der unter Haenisch begonnenen Politik zu verstehen. 25 Als mit dem Ministerium verbundener Koordinierungsstelle kam dabei, wie Becker 1922 angedeutet hatte, Pallats Zentralinstitut enorme Bedeutung zu. 26 Als Kooperationspartner für die Umsetzung des ministeriellen Anspruchs in die Praxis fungierten zudem die Breslauer Akademie unter Endeil und Moll 2 7 (siehe Kap. III. 3.1.) und die von Philipp Franck geleitete Berliner Kunstschule, die als zentrale Ausbildungsstätte für Zeichenlehrer und wegen der Übungsklassen für Kinder besondere Wirkung entfaltete. 28 In sein Bemühen um einen neuen Konnex zwischen Kunst und Schule bezog das Ressort aber auch private Vereine ein, die seine Politik durch eigene Aktivitäten ergänzten. Exemplarisch steht dafür die Zusammenarbeit mit dem Bund für Schulkunstausstellungen, die nach ersten Ansätzen bis 1921 (siehe Kap. III. 5.2.) unter Boelitz intensiviert wurde. Daß der Bund Ende 1921 Vor-
20 Vgl. Reiss 1981, S. 101. 21 Zitiert nach Rickert 1977, S. 209; zur Boelitz-Richertschen Schulreform und ihrer Bedeutung für den Kunstunterricht vgl. auch Wende 1959, S. 1 7 0 - 1 7 6 . 22 Vgl. Reiss 1981, S. 102. 23 Zu Richerts Politik vgl. Reiss 1981, S. 9 5 - 1 0 1 ; Erdmann 1993, S. 2 6 7 - 2 7 0 . 24 Reiss 1981, S. 97 u. 103. 25 Siehe dazu auch den nach wie vor starken Einfluß Kestenbergs auf die Musikpolitik, vgl. Boelitz 1925, S. 1 2 4 - 1 2 7 ; Batel 1989, S. 5 3 - 7 6 . 26 Vgl. dazu auch Reiss 1981, S. 121. 27 Vgl. Rickert 1977, S. 2 0 8 - 2 1 1 ; Hölscher 2003, S. 3 1 9 - 3 2 6 ; Poelzig, Endeil, Moll und die Breslauer Akademie 1965, S. 5 9 - 6 1 ; siehe dazu auch August Endell: Die Ausbildung
des Zeichenlehrers,
Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 2 8 / 2 9 , 9 . / 1 6 . 2 . 1 9 2 0 , S. 5 5 1 - 5 5 6 . 28 Vgl. Reiss 1981, S. 1 1 9 - 1 2 4 u. 1 5 8 - 1 6 1 ; Ku. u. KU., Jg. 25, Nr. 8, Mai 1927, S. 314.
in:
438
III.
Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
träge im Zentralinstitut veranstaltete, 2 9 war bereits als Signal zu verstehen. Wie gut sich die Vereinsaktivitäten in die ministerielle Politik einfügten, zeigte sich dann aber vor allem, als sich das Ressort, motiviert v o m Landtag, 3 0 auf das Werben der Vereinigung einließ 31 und ihr 1 9 2 3 - 2 5 wiederholt Unterstützungen zukommen ließ. 32 Waetzoldt erklärte nun: „Die Tätigkeit des Bundes für Schulkunstausstellungen
werde v o m Ministerium mit größter Auf-
merksamkeit verfolgt." 3 3 Das Zusammengehen mit dem Verein wurde mittlerweile auch öffentlich wahrgenommen. In der Kunstpresse wurde gar über eine Instrumentalisierung der Schulkunstausstellungen durch den Staat spekuliert. 3 4 Bis in die zweite Hälfte der 20er Jahre blieb gerade Waetzoldt mit dem Bund konnotiert. 3 5 Ü b e r die Einbindung der landesweit agierenden Organisation in seine Politik suchte das Ressort offensichtlich nicht zuletzt der dezentralen Umsetzung seiner ästhetischen Bildungsvorstellungen gerecht zu werden. 3 6 Schlug sich der Anspruch auf Kunstpopularisierung im Umfeld der preußischen Schulreform in der ersten Hälfte der 20er Jahre wesentlich im schulischen Kontext nieder, kam der neue ästhetische Anspruch aber auch darüber hinaus immer mehr zur Geltung. Zeichen setzten hier vor allem die musealen Neugestaltungen des Ressorts, die die Idee der vertieften Auseinandersetzung mit Kunst idealtypisch spiegelten. Die 1924 eröffnete ostasiatische Kunstsammlung kann als besonders charakteristisches Beispiel dafür gelten (siehe Kap. III. 4.2.). Daneben kam wie schon unter Haenisch (siehe Kap. II. 5.2.) der staatlichen
29 Vgl. Bund für Schul- und Kunstausstellungen an [Becker], 21.11.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 8075. 30 Vgl. LT, WP 1, Dr. 2050, S. 2404; Noack (DNVP), 22.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7446; Wegscheider (VSd), 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 14; Wegscheider (VSd), 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 31; Fries (SPD), 14.5.1923, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 17394; Limbertz etc. (SPD), 14.5.1923, in: LT, WP 1, Dr. 5358, S. 61359; Hoff (DDP), Steffens (DVP) u. Wegscheider (SPD), 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 12, 21 u. 89; Steffens (DVP), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 23; Becker an LT, 18.10.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3, adh. 1; Vermerk LT, Juli 1921, in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3, adh. 1; Vermerk LT, 29.3.1922, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1793. 31 Vgl. Bund für Schul- und Kunstausstellungen an [Becker], 21.11.1921, ms., Becker an Bund für Schul- und Kunstausstellungen, 30.11.1921, ms., Bund für Schul- und Kunstausstellungen an Becker, 21.1.1922, hs. u. Regierungsrat KM an Bund für Schul- und Kunstausstellungen, Berlin, 22.1.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 8075. 32 Vgl. KM an Bund für Schulkunstausstellungen, 4.8.1923, in: LT, WP 1, Dr. 6753, S. 7225; KM, 17.9.1923, in: LT, WP 1, Dr. 6921, S. 7450; KM an Bund für Schulkunstausstellungen, 4.8.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bd. I, Bl. 38; Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 10 f; Hoff (DDP), 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 12; Klausner (DDP), 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18202 f; Präsident Ak. d. Kü. an KM, 17.3.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 218. 33 Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 20. 34 Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 32. 35 Vgl. Herwarth Waiden: Amtliche Kunstvorstellungen, in: Weltb., Jg. 23/1, Nr. 13, 29.3.1927, S. 514 f. 36 Vgl. dazu auch Wegscheider (SPD), 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 8.
y Bildungskonzepte
und
Popularisierungsaktivitäten
439
Denkmalpflege im Popularisierungskontext Bedeutung zu - wurde doch der Denkmalschutz auch vom Ministerium Boelitz als wichtige Voraussetzung für eine Beschäftigung breitester Schichten mit der eigenen Kunst und Kultur verstanden. Boelitz hatte die Denkmalpflege daher bereits 1921 als ein Hauptthema seiner Kunstpolitik dargestellt.37 Einen Appell, mit dem er Anfang 1923 um verstärkte Aufmerksamkeit für die Denkmalpflege warb, verband er mit dem Hinweis, daß es sich bei den zu schützenden „Kulturgütern um den sichtbaren Ausdruck dessen handelt, was im Gefühlsleben und in der Phantasie den einzelnen nicht nur mit der Vergangenheit schlechthin, sondern im höheren Sinne mit den nationalen und religiösen Gemeinschaften verbindet, auf denen sich der Staat aufbaut." 38 Auf dieser Folie stellten sich der Einsatz für bedrohte Gebäude wie das Kloster Chorin, die Unterstützung von Lotterien, die Fürsprache für einen umfassenden Denkmalschutz oder die Mitarbeit an einer Denkmälerstatistik 39 ebenso als Popularisierungsbeitrag des Ministeriums dar wie sein fortgesetztes Engagement für ein Denkmalschutzgesetz und die Ausarbeitung von Gesetzentwürfen, die dem Kunstschutz und dem Zugang aller Schichten zur Kunst Priorität vor einer Wahrung der Eigentumsrechte einräumten. 40 Weiter legte das Res-
37 Vgl. Boelitz, 13.12.1921, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 5786. 38 Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 65, Nr. 1, 5.1.1923, S. 16; vgl. dazu ähnlich auch Boelitz an alle preußischen Ministerien, 23.12.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1797; zur entsprechenden Tendenz der zeitgenössischen Debatte siehe Sonderdruck Staatslexikon-Artikel Kulturpolitik von Georg Schreiber, 1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6065; Kurt Karl Eberlein: Das Reichsinstitut für deutsche Kunst und Kunstwissenschaft. Eine Kulturaufgabe des Deutschen Reiches, in: Ku.wan., Jg. 11, 1./2. Jan.-Nr. 1929, S. 197-199; siehe dazu allerdings auch die linke Kritik am allzu pfleglichen Umgang mit dem Erbe der Hohenzollern, vgl. Adolf Behne: Preußische Kunstverwaltung, in: Welth., Jg. 20/2, Nr. 35, 28.8.1924, S. 333 f; Kilian (KPD), 15.9. 1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 14 f; Höpker-Aschoff (FM), 29.7.1925, in: LT, WP 2, Dr. 920 E, S. 2135; Ku.bl., Jg. 15,1931, S. 31; Kerff (KPD) u. Becker, 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 44-46; Kerff (KPD) u. Ausländer (KPD), 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 15 f u. 35; Pieck etc. (KPD), 1.9.1926, in: LT, WP 2, Dr. 4099, S. 5355; LT, WP 2, Prot., Sp. 14174,14246, 14258,14488 u. 14555-14570; siehe dazu auch Boelitz an FM, 11.9.1924, ms. u. KM (Nentwig) an FM, 22.5.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8125. 39 Zur Unterstützung konkreter Projekte vgl. KM (Nentwig) an Regierungspräsident Potsdam, 18.5. 1923, ms. u. KM (Pallat) an Regierungspräsident Potsdam, 13.9.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8352; GStA PK, I. HA Rep. 76, V«, Sekt. 14, Abt. IV, Nr. 36, Bd. VII, Bl. 150; Abschr. KM (Hiecke) an Regierungspräsident Merseburg, 29.2.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8320; zum Lotteriethema vgl. GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 14, Abt. IV, Nr. 36, Bd. VII, Bl. 219-220, 234-235 u. 254; [KM (Hiecke)?] an Schmid, 8.8.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV; zur Denkmälerstatistik vgl. E. Wackenroder: Der 14. Tag für Denkmalpflege, in: Cie., Nr. 20, Okt. 1921, S. 592 f; GStA PK, I. HA Rep. 76, V% Sekt. 14, Abt. IV, Nr. 36, Bd. VII, Bl. 180-212, 236 u. 246-247. 40 Vgl. dazu Abschr. KM an RMdl, 13.12.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1796; KM (Nentwig) an alle preußischen Ministerien, 11.5.1922, ms., Niederschrift über die Besprechung des Denkmalschutzgesetz-Entwurfs am 2. Juni 1922, ms., Vermerk FM, 21.1.1923, hs., Boelitz an alle preußischen Ministerien, 21.2.1924, ms. u. Boelitz an alle preußischen Ministerien, 23.12.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1797; Wallraff (DNVP), 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 8; LT, WP 1, Prot., Sp. 5697; Boelitz, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 5.
440
III.
Tendenzen
der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
sort im Rahmen seiner Popularisierungspolitik Wert auf den Ausbau von Institutionen, die dem breiten Publikum wie um Kunstvermittlung bemühten Kräften das nötige Material lieferten. In Anknüpfung an unter Haenisch eingeleitete Maßnahmen ging es hier zunächst um eine auch von Redslob geforderte aktivere Rolle der staatlichen Bildstelle (siehe Kap. II. 5.2.). 41 Spezielle Bedeutung kam in diesem Zusammenhang dem Deutschen
Kunstverlag
zu,
der, im Juli 1921 als Gemeinschaftsunternehmen von acht Verlagen und einer Bank auf Initiative des Ressorts gegründet und 1924 von de Gruyter übernommen, dem Ministerium als Ergänzung der Bildstelle räumlich angegliedert war. 42 Daneben spielte die Bibliothek des Kunstgewerbemuseums eine wichtige Rolle. Die seit den 1890er Jahren reformorientierte Bibliothek 4 3 fügte sich nach 1918 zunächst eher stillschweigend in den neuen Anspruch ein. Öffnungszeiten von zwölf Stunden an allen Werktagen führten unter Boelitz dazu, daß die
41 Vgl. dazu ZA Tägliche Rundschau, o.D., in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 9; Burkhard Meier: Die staatliche Bildstelle, in: Ku.chr., Jg. 56, 2, Nr. 48, 26.8.1921, S. 861-866; Theodor Hetzer: Zur Gründung der staatlichen Bildstelle, in: Cie., Jg. 13, Nr. 17, Sept. 1921, S. 492-494; Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 33, 12.5.1922, S. 544 f; BArchB, R 32, Nr. 206, Bl. 10-11, 13-14 u. 35; siehe dazu später auch KM: Zusammenstellung der Leistungen der preußischen Regierung auf dem Gebiet der Kulturpolitik seit November 1918, 1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a; Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 5 f; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19212 f. 42 Vgl. Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 464 f u. Bd. 2, S. 395; Theodor Hetzer: Zur Gründung der staatlichen Bildstelle, in: Cie., Jg. 13, Nr. 17, Sept. 1921, S. 492-494; Übersicht über bedeutungsvolle Angelegenheiten im Geschäftsbereich des Kultusministeriums, die seit April 1921 in Fluß gebracht bzw. erheblich gefördert oder zum Abschluß gebracht sind, Duwe an [Becker], 19.10. [1921 ?], hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1751; Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 33, 12.5.1922, S. 544 f; Schmitz 1931, S. 161; siehe dazu auch Richtlinien für die Bearbeitung des Werkes ,Deutsche Heimat, deutsche Kunst', o. D. [1919?], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, V e , Sekt. 5, Abt. VI, Nr. 16, Bd. III, Bl. 186 f; Hinweis auf die nicht erhaltene, 1920-28 im Ministerium geführte Akte zu Bildstelle, Kunstverlag und Denkmälerarchiv in Findbuch GStA PK, I. HA Rep. 76, V e ; kritisch dazu n.: Kultusministerium und Kunstgeschäft, in: Cie., Jg. 13, Nr. 20,1921.10., S. 601. In das Interesse an Kunstpublikationen fügte sich nicht zuletzt auch Waetzoldts Engagement für den Fortbestand des Verlags Cassirer 1924 ein, vgl. Schunk 1993, S. 437; Schmitz 1931, S. 160 f; zum Kontext siehe auch die Diskussion um Reproduktionsgebühren bei den Museen, vgl. dazu KM (Nentwig) an Justi, 20.6.1923, ms., Georg Wigand Verlagsbuchhandlung an KM, 4.2.1924, ms., Justi an KM, 22.2. 1924, Ds., ms., Justi an Verlag R. Piper & Co, 5.3.1924, ms., Justi an Photographische Gesellschaft Berlin, 4.9.1925, ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 7.12.1925, ms. u. Entwurf Justi an KM, 10.12.1925, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 5, Bd. 15; Abschr. Loewenfeld an Fleischer, 15.11.1924, ms., KM (Nentwig) an Justi, 26.11.1924, ms., Justi an KM, 5.12.1924, ms. / hs., Justi an KM, 17.7.1925, hs. u. KM (Nentwig) an Justi, 1.8.1924, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Künstlerspezialakten, M, Bd. 22; KM (Trendelenburg) an Justi, 17.5.1921, ms. u. Entwurf Justi an KM, 11.6.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 5, Bd. 14; KM (Nentwig) an Justi, 20.1.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 5, Bd. 16; KM (Hübner) an Justi, 2.6.1931, ms. u. KM (Hübner) an Justi, 19.6.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 5, Bd. 19. 43 Vgl. Peter Jessen: Vom Kunstgewerbe zur Kunst. Der Aufstieg einer Bibliothek, Jg. 23, Nr. 1, Okt. 1924, S. 31-33, S. 31 f; siehe dazu auch Petras 1987, S. 162.
in: Ku. u. Kü.,
5. Bildungskonzepte und
Popularisierungsaktivitäten
441
enormen Leserzahlen der Vorkriegszeit beinahe wieder erreicht wurden.44 Als nach dem Umzug des Kunstgewerbemuseums ins Schloß 1920 (siehe Kap. II. 3.1.) und der Verlegung der Unterrichtsanstalt 1924 (siehe Kap. III. 3.1.) die Bibliothek als letzte Einrichtung im Museum an der Prinz-Albrecht-Straße verblieben war45 und zudem die Pensionierung des Bibliotheksleiters Peter Jessen46 anstand, nutzte das Ministerium diese Übergangssituation dann, um die Relevanz der Bibliothek für die eigene Politik zu bekräftigen. Die Umbenennung in Staatliche Kunstbibliothek im Mai 192447 stand dabei ebenso für den Anspruch, der sich mit der Institution verband, wie die Neubesetzung des Direktorenpostens mit einer wichtigen Persönlichkeit des Berliner Kunstlebens der 20er Jahre: dem Museumsmann und Kunstkritiker Curt Glaser.48 Im selben Gebäude wie die ostasiatische Kunstsammlung untergebracht, rundete die Kunstbibliothek das so sehr von den ministeriellen Popularisierungsansprüchen geprägte Museumsareal an der Prinz-Albrecht- bzw. Königgrätzer Straße (siehe Kap. III. 4.2.) ab. Daß Glaser prominenter Fürsprecher der für das Ressort mittlerweile zentralen Idee des autonomen Kunstwerks war, unterstrich die Tendenz zusätzlich. Die Kunstbibliothek avancierte auch durch diese Kontextualisierung zu einem weiteren wesentlichen Exponenten der republikanischen Kunstpolitik.49 Der Popularisierungsanspruch des Ministeriums Boelitz sollte indes keineswegs nur in Berlin, sondern den Dezentralisierungsabsichten gemäß und getragen vom Zuspruch des Landtags50 wie schon unter Haenisch bewußt auch in den übrigen Landesteilen greifen. Während das Ressort angesichts immer knapperer Etats bei der künstlerischen Ausstattung von Reichsbehörden zunehmend Zurückhaltung übte,51 sprach es sich daher weiterhin für Dau-
44 1913 war der Lesesaal der Bibliothek von 96.000 Besuchern genutzt worden. 1923 belief sich die Nutzerzahl auf 91.000, vgl. Peter Jessen: Vom Kunstgewerbe
zur Kunst. Der Aufstieg einer Biblio-
thek, in: KM. U. KÜ., Jg. 23, Nr. 1, Okt. 1924, S. 31-33, S. 33. 45 Vgl. D. R. Frank 1994, S. 226. 46 Zu Jessen vgl. Stelzer 1977, S. 52; Pallat 1959, S. 275; Scheffler 1946, S. 40 f; Peter Jessen: Vom Kunstgewerbe
zur Kunst. Der Aufstieg einer Bibliothek, in: Ku. u. Kü., Jg. 23, Nr. 1, Okt. 1924,
S. 31-33, S. 33; Schmitz 1931, S. 148; Jessen 1921. 47 Vgl. Beri. Mus., Jg. 45, Nr. 3, 1924, S. 64; Ku. u. Kü., Jg. 22, Nr. 11, Aug. 1924, S. 354; KM (Nentwig) an FM, 27.5.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 337. 48 Vgl. Abschr. KM (Gall / Becker) an Glaser, 6.11.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8253, Bl. 304; zu Glaser vgl. ausführlich Walravens 1989. 49 Vgl. dazu auch Pressetext Waetzoldt: Auflau
und Leben der Berliner Museen, 19.7.1928, ms. u.
Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen Museen Berlins. Ihre Verwaltung - Nicht nur Stätten des Sammeins, sondern auch Lehr- und Forschungsinstitute - Ausstellungen und Führungen,
18.8.1928,
ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 318-322; Noack (DNVP) an LT, 29.11.1929 u. Antwort Becker, 11.1.1930, in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3; Schunk 1993, S. 460 f. 50 Vgl. Wegscheider (SPD), 10.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5709; Heß (Z), 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 3; Noack (DNVP), 22.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7445 f; Manasse (USPD) u. Haenisch (SPD), 23.2.1922, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 7482 f u. 7487; Wallraf (DNVP), 14.5.1923, in: LT, W P 1, P r o t , Sp. 17376-17378; Wegscheider (VSd), 30.11.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 154, Sp. 14; LT, WP 1, P r o t , Sp. 7429 u. 8012; LT, W P 1, Dr. 2050, S. 2400. 51 Vgl. Becker, 28.11.1921, in: LT, W P 1, HA, Szg. 75, Sp. 11 f; GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402,
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III.
Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
erleihgaben der Nationalgalerie an die Provinzen aus. 52 Nachdem aus Köln und Breslau Vorwürfe laut geworden waren, die Nationalgalerie „brüte" allzu sehr über ihrem Kunstbesitz, 53 wies Waetzoldt Ende 1922 darauf hin, „daß jetzt an 21 Provinzstädte in ganz Preußen auf mehrere Jahre aus der Nationalgalerie Bilder entliehen seien." 5 4 Parallel dazu suchte das Ministerium seinem Anspruch auf eine dezentrale Politik durch die Unterstützung von Ausstellungen außerhalb Berlins gerecht zu werden. Dabei ging es zunächst darum, steigenden Kosten, die Ausstellungsakteure wie die Mobilität des Publikums hemmten, durch ein besonderes Engagement für Kunstpräsentationen gerade in den Städten zu begegnen, „die durch ihre Lage abseits der großen Kunstzentren sich befinden". 5 5 Als die Eisenbahndirektion Berlin einen Wegfall der Vergünstigungen bei Museumstransporten erwog, verwahrte sich Boelitz im Mai 1922 beim Reichsverkehrsminister dagegen und erklärte, „daß die Veranstaltung von künstlerischen Ausstellungen in den Provinzen eine ganz besonders dringende Kulturaufgabe darstellt, deren erhebliche Bedeutung auch auf dem politischen Gebiet nicht hoch genug eingeschätzt werden kann." Und mehr noch: Boelitz bat darum, die Bestimmungen so zu erweitern, daß künftig „nicht nur Besitzstücke der staatlichen Museen die genannte Vergünstigung erfahren, sondern daß allgemein Ausstellungsgut für Ausstellungen, denen ein besonder[e]s wissenschaftliches und künstlerisches Interesse zukommt, in gleicher Weise behandelt wird." 5 6 Umgesetzt wissen wollte er dies so, daß die Vergünstigen allen Ausstellungen zu gewähren seien, denen die Landesbehörde eine besondere Relevanz bescheinigte. 57 Rückendeckung erfuhr das Ressort vom Bl. 153, 169-170; Julius Elias: Berliner Kunstglossen, in: Der Tag, 5.1.1922, SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 401; Heß (Z) u. Becker, 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 8-14; KM (Nentwig) an Justi, 11.5.1922, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 13.10.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; BArchB, R 32, Nr. 206, Bl. 45-46; Justi an KM, 29.4.1924, hs., Direktor NG: Bestimmun-
genfür die Ausleihung von Kunstwerken
der Nationalgalerie und deren Unterbringung in anderen
Gebäuden, 20.6.1924, gedr. u. KM (Nentwig) an Justi, 3.6.1924, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 1, Bd. 1 u. GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 224; Justi an KM, 30.9.1929, ms. u. Becker an Justi, 10.10.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30. 52 Vgl. dazu auch Jahresbericht N G 1920, Justi an KM, 29.10.1921, ms., Jahresbericht N G 1921, Justi an KM, 25.10.1922, ms., Jahresbericht N G 1922, Justi an KM, 29.10.1923, hs. u. Jahresbericht N G 1923, Justi an KM, 12.9.1924, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3. Die Tendenz der ministeriellen Politik zeigte sich etwa auch, als das Ressort vier Steinfiguren an die Stadt Trier zurückgab, vgl. dazu Abschr. Becker, 17.8.1921, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 126; Faßbender (Z) u. Falke, 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 20 f; Kaiser Friedrich-Museum, in: Ku. u. KU., Jg. 20, Nr. 5, Febr. 1922, S. 182; Heß (Z) u. Nentwig, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 24 u. 27; Schmitz 1931, S. 155 f. 53 Vgl. Ludwig Justi: Kunst und Politik, in: Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 35, 26.5.1922, S. 569-574. 54 Waetzoldt, 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 13; siehe dazu auch KM (Waetzoldt) an Justi, 22.12.1921, ms., Justi an KM, 26.1.1922, Ds., ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 26.3.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 230-231, 324 u. 327; Justi an KM, 21.10.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Künstlerspezialakten, M, Bd. 22. 55 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357. 56 Abschr. Boelitz an Reichsverkehrsminister, 3.5.1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 20, Bl. 20 v. 57 Vgl. ebd., Bl. 20 r.
5. Bildungskonzepte
und
Popularisierungsaktivitäten
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Reichsinnenministerium, das sich mit dem Argument hinter den preußischen Antrag stellte, es liege im Interesse des Reiches, „daß die deutschen Künstler nicht durch die Höhe der Frachttarife abgeschreckt werden, ihre Werke an Kunstausstellungen, und zwar besonders provinziale, zu senden." 58 In einer Zeit rigiden Sparens konnte das Kultusministerium dennoch mit seinem Vorstoß nicht durchdringen. Die Transportkosten blieben so trotz des Einsatzes von Boelitz ein Problem, das sich einer konsequenten Umsetzung des Anspruchs, die Kunstpräsenz in entgelegeneren Regionen zu steigern, entgegenstellte.59 Das ministerielle Dezentralisierungsinteresse, das durch den Vorstoß von 1922 klar zu Tage trat, bestätigte sich auch durch die Unterstützung konkreter Ausstellungsprojekte außerhalb Berlins. So ließ das Ressort 1921/22 einer Schau des Kasseler Kunstvereins, der Kunstabteilung der Königsberger Ostmesse oder einer Wanderausstellung des Kupferstichkabinetts, die „in Ostpreußen auf dem flachen Lande gute graphische Kunst" präsentierte, Finanzhilfen zukommen. Mit Leihgaben der Staatsmuseen - das Ministerium sprach von der „Mobilisierung von hervorragenden Stücken" - wurden überdies Ausstellungen in Köln, Kiel und Düsseldorf gefördert.60 Über eine verbesserte Infrastruktur versuchte das Ressort zudem Ausstellungen in den Provinzen anzuregen. So engagierte es sich für einen Ausstellungsneubau in Breslau61 oder verstärkte Zahlungen an das Landesmuseum Kassel, dessen Direktor für seine Popularisierungsarbeit bekannt war.62 Zwar stieß das Ministerium bei seinen Anstrengungen immer wieder an finanzielle und wie schon unter Haenisch auch an konservatorische Grenzen, die seinen Handlungsspielraum spürbar einschränkten und regelmäßig Kritiker auf den Plan riefen.63 Insgesamt verfolgte es aber trotzdem, zumal wenn sich die Popularisierungsabsicht wie in Ostpreußen oder im Rheinland mit dem Impetus der Kulturpropaganda im Grenzgebiet verquickte (siehe Kap. III. 8.), eine sehr klare Linie in diesem Bereich.
58 Entwurf RMdl an Reichsverkehrsminister, 17.5.1922, hs., in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 21, Bl. 21 r. 59 Vgl. Nentwig, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 7; Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 10 f. 60 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357. 61 Vgl. ebd.; Nentwig, 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 15 f. 62 Vgl. dazu GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8269, Bl. 259, 291-304, 327, 332-333, 345, 349, 352-355, 363-365 u. 367-368; Museen in Cassel, Nentwig an Becker, [21.1.1922], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C.H.Becker, Nr. 3085; Waentig etc., Nov. 1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 275-277, Sp. 35; Bohner (DDP), 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 40; KM (Nentwig) an FM, 13.8.1929, ms., KM (Hübner) an FM, 13.8.1930, ms. u. FM an KM, 28.11.1930, Ds., ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 10694. Im weiteren Sinne fügte sich auch der Neubau des Kunsthistorischen Instituts Marburg in diesen Kontext ein, vgl. Mitteilungen Universitätsbund Marburg, Juni 1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7541. 63 Als charakteristisch können hier etwa die Diskussionen um die Kölner Ausstellung von 1921 (siehe Kap. III. 8.) gelten, vgl. dazu Schwering (Z), Becker u. Lauscher (Z), 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 7, 12 u. 16; Justi an KM, 12.12.1921, ms., Justi an KM, 14.2.1922, ms. u. Becker an Justi, 25.2.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357; Heß (Z) u. Wegscheider (VSd), 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 11 u. 14; Schunk 1993, S. 433 f.
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III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Wie bei den Schulkunstausstellungen war es dem Ministerium auch im Rahmen seiner dezentralen Ausstellungspolitik wichtig, bestehende Organisationen als Mittler und Multiplikatoren der eigenen Intentionen zu nutzen. Als typisches Beispiel dafür kann die dezidierte, auch finanzielle Förderung gelten, die das Ministerium unter der Ägide Waetzoldts parallel zum Reichskunstwart dem Bund der Künste im Rheinisch-Westfälischen Industriebezirk und seiner Zeitschrift Feuer seit Mitte 1921 zuteil werden ließ.64 Stellte sich hier auch das Anliegen der Kulturpropaganda im Grenzgebiet als wesentliches Motiv dar (siehe Kap. III. 8.), verknüpfte sich diese Förderung doch stets auch mit einem ausgeprägten Interesse an einer Kunstpopularisierung in der Industrieregion im Westen Preußens. Bei seiner ersten Versammlung plädierte der Bund im Juni 1921 entsprechend für ein breit gefächertes Kunstvermittlungsengagement, dessen Spektrum von der Gründung von Kunstvereinen und der Veranstaltung von Vortragsreihen, didaktischen Wanderausstellungen, privaten Kunstschauen und der Industriekunstwoche über Museumsführungen bis zur Förderung vorbildlicher Industriebauten und Siedlungen und zur Durchsetzung des ästhetischen Bildungsanspruchs in den Schulen reichte. Ganz im Sinne des Ministeriums setzte der Bund auf einen Konnex zwischen Kunst, Kunstgewerbe und Architektur und strebte eine Zusammenarbeit mit den Volkshochschulen und dem Werkbund an.65 Angesichts dessen stellte sich die Vereinigung, der Lokalpolitiker und Kulturakteure des Ruhrgebiets angehörten, als idealer Kooperationspartner dar.66 Der Bund der Künste entwickelte sich so zu einem Netzwerk, das die Popularisierungsabsichten des Ministeriums im Westen des Landes umsetzte. Das östliche Pendant zum Bund der Künste stellte eine vom ostpreußischen BrückeSammler Richard Gröning 1916 initiierte, von Lokalpolitikern protegierte und vom jungen Hans Scharoun mitgetragene Ausstellungsorganisation dar, die sich einer systematischen Kunsterziehung mittels Ausstellungen vor allem aus Museumsbesitz an wechselnden Orten Ostpreußens verschrieben hatte.67 Das Ministerium begegnete diesen Aktivitäten von Beginn an aufgeschlossen. Nach einem ersten Gespräch Waetzoldts mit dem Ausstellungsorganisator setzte es sich im Mai 1921 dafür ein, Grönings Wanderausstellungen durch Leihgaben zu unterstützen.68 Grundlage der Affinität zwischen dem Ministerium und Gröning war nicht zuletzt, daß beide Seiten ihr Vermittlungsinteresse als gesellschaftsrelevant
64 Vgl. KM an RMdl, 19.10.1921, ms. u. Anlagen, in: BArchB, R 32, Nr. 146, Bl. 99-105, 111-117 u. 119; Abschr. Beigeordneter Oberbürgermeister Duisburg an Justi u. KM, 30.8.1924, ms., KM (Nentwig) an Direktor Staatliche Museen u. Justi, 12.9.1924, ms., Entwurf Justi an KM, 30.9.1924, hs., KM (Nentwig) an Justi, 9.10.1924, ms. u. Trendelenburg (KM) an Justi, 25.11.1924, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25. 65 Vgl. Waetzoldt: Reisebericht über die Dienstreise nach Essen am 10.-12, Juni 1921, in: BArchB, R 32, Nr. 146, Bl. 111-117, Bl. 114-115. 66 Vgl. ebd., Bl. 117. 67 Vgl. Denkschrift Gröning, Jan. 1923, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 146, Bd. 2, Bl. 76-81; Richard Gröning: Als Kunstsammler in Ostpreußen, in: Ku.bl., Jg. 12, 1928, S. 342-345. 68 Vgl. KM (Trendelenburg) an Justi, 19.5.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; vgl. dazu auch Abschr. Gröning an KM, 1.3.1921, ms., Entwurf Justi an KM, 31.5.1921, hs. u. KM (Nentwig) an Justi, 9.8.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25.
y Bildungskonzepte
und
Popularisierungsaktivitäten
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begriffen und dies sowohl mit der werkbundnahen Idee der Erziehung zur Qualität als auch mit dem Anspruch auf eine stringente Organisation verknüpften.69 Angesichts dessen entstand speziell zwischen Waetzoldt und Gröning eine enge Zusammenarbeit,70 in deren Verlauf das Ressort dem ostpreußischen Sammler das Privileg einräumte, seine Ausstellungen „in Berlin selbst zusammenzustellen und auch aus den staatlichen Kunstsammlungen jedes Stück persönlich auswählen zu dürfen." 71 Auf dieser Basis konnte Gröning in der ersten Hälfte der 20er Jahre zahlreiche Kunstausstellungen in Ostpreußen veranstalten, die vor allem Graphik zeigten.72 Realisiert wurden so 1921 eine Schau mit Werken Menzels, Heinrich Drebers und Karl Blechens, 1921/22 mehrere Ausstellungen mit Aquarellen, Drucken und Zeichnungen teils illustrer moderner Künstler wie Picasso oder Dix, 1922 eine Wanderausstellung des Kupferstichkabinetts und 1924 eine Präsentation mit Zeichnungen Ludwig Richters aus der Nationalgalerie.73 Wie deutlich sich Grönings Ausstellungen dabei mit der Intention verbanden, die Berliner Museen bis nach Ostpreußen wirken zu lassen, belegt nicht zuletzt die Tatsache, daß man mit Ausstellungen zu Pergamon oder zur ostasiatischen Kunst eben jene Themen aufgriff, die damals im Mittelpunkt der Berliner Museumspolitik standen (siehe Kap. III. 4.). Die Kooperation mit Gröning fügte sich so als weiterer Aktivposten in das ministerielle Engagement für eine breite Kunstpräsenz ein.74 Als Becker 1925 erneut Ressortchef wurde, hatte das Ministerium so bereits ein System etabliert, über das es seinem Anspruch auf eine neue gesellschaftliche Relevanz bildender Kunst auf verschiedenen Ebenen Rechnung zu tragen suchte. Auf dieser Grundlage baute das Ministerium Becker auf. Viele der zuvor eingeleiteten Maßnahmen entfalteten nun erst ihre volle Wirkung. Becker selbst unterstrich von Beginn an, daß es für ihn ein zentrales Ziel darstelle, den Einsatz für eine intensive Kunstvermittlung an breiteste Schichten fortzusetzen. Als es 1925/26 in der Schillingskrise um eine Konturierung der ministeriellen Kunstpolitik ging (siehe Kap. III. 1.), betonte er, das Ministerium habe die Kunst seit der Revolution „mit Nachdruck in den Dienst der Volkserziehung gestellt. Unserer rationalisierten Kultur sollten damit neue seelische Werte im antiken und mittelalterlichen Sinne zugeführt werden." 75 Letztlich gehe durch die ganze Kunstpolitik „ein einheitlicher Gedanke, es ist der einer im höchsten Sinne pädagogischen Einstellung zur Kunst, [...] die Kunst wird als eines der höchsten und bedeutungsvollsten Elemente zur Begründung einer echten Volks-
69 Vgl. Denkschrift Gröning, Jan. 1923, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 146, Bd. 2, Bl. 76-81. 70 Vgl. ebd.; Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 10 f. 71 Richard Gröning: Als Kunstsammler in Ostpreußen, in: Ku.bl., Jg. 12, 1928, S. 342-345, S. 345. 72 Vgl. dazu ebd., S. 344; zur Bedeutung der Graphik für das Ministerium vgl. Rede Becker, 4.5.1921, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1343; KM (Pallat) an FM, 25.8.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154. 73 Vgl. Denkschrift Gröning, Jan. 1923, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 146, Bd. 2, Bl. 7 6 - 8 1 ; Richard Gröning: Als Kunstsammler in Ostpreußen, in: Ku.bl., Jg. 12, 1928, S. 342-345, S. 344 f. 74 Zur fortgesetzten Zusammenarbeit mit Gröning vgl. auch Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 10 f; KM (Nentwig) an Justi, 23.5.1925, ms. u. Liste N G an KM, 29.5.1925, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26. 75 Becker 1925 a, S. 24; vgl. später auch Waetzoldt 1933, S. 85.
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Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
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bildung gewertet. Wohlverstanden einer Bildung des gesamten Volkes, aller seiner Schichten." 7 6 Während sich Vertreter des l'art pour l'art-Standpunktes im Gegensatz zu dieser Auffassung sähen, schätze er die Einbindung der Kunst in die Volksbildung als etwas ein, das „kein zukunftsbewußtes Ministerium unbeachtet lassen darf, so sehr es den historischen Kräften des reinen Künstlertums um der Kunst willen Achtung, ja Verehrung entgegenbringt." 7 7 Becker integrierte damit sowohl die hohe Kunst wie die breite, auch dilettantische Beschäftigung mit Kunst in sein umfassendes Erziehungsideal. Gleichzeitig spitzte Kestenberg die Ressorthaltung zu: „Muß die Kunst sich frei entfalten, so ist das große Gebiet künstlerischer Erziehung das eigentliche Feld staatlicher Aufgaben." 7 8 Die kulturtheoretischen Hintergründe seines Anspruchs konkretisierte Becker in der zweiten Hälfte der 20er Jahre. Ausführlich nahm er dazu etwa in einer Rede Stellung, die er im Mai 1928 bei einem Vortragsabend der D D P hielt. Im Zentrum stand für ihn dabei die Vorstellung, daß sich mit dem Übergang von der Monarchie zur Demokratie eine veränderte Staatsidee etabliert habe, für die die Verantwortlichkeit des Einzelnen vor sich selbst und der Gesellschaft konstitutiv sei. Dies habe zu Verschiebungen im Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Kultur geführt. 79 Vor der Revolution habe sich der Staat „wenig um die Kunst bekümmert. Es gab ein paar Kunsthochschulen. Hier und da wurden Bilder auf Ausstellungen gekauft, einige Aufträge gegeben. Aber die Kunst [...] nicht nur als artistischen[,] sondern als einen pädagogischen Wert mitten hineinzustellen in das Leben unseres Volkes, sei es in der Volksschule, sei es auf der Universität, sei es in den unendlich vielen freien Vereinen [...], dieses Prinzip als ein Erziehungsprinzip aufzufassen, das ist doch erst möglich gewesen, als der Staat durch den Umsturz dazu gezwungen wurde, noch einmal [...] die Art seiner Kulturpflege von Grund auf zu revidieren und bei der Gelegenheit zu merken, dass unsere bisherige Bildung im wesentlichen eine intellektuelle [...] gewesen war, dass grosse irrationale Elemente, dass vor allem das Künstlerische in unseren Sinnen, wenigstens was Staatsaufsicht und Pflege betraf, mehr oder weniger vernachlässigt worden waren." 8 0 Verknüpfte Becker hier die veränderte Staatsidee und das Postulat eines intensivierten Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft miteinander, beleuchtete er diesen Zusammenhang zugleich genauer, indem er ihn auf sein Ideal des ganzheitlich gebildeten „neuen deutschen Menschen" (siehe Kap. III. 1.), der gleichermaßen über geistig-intellektuelle, physische wie emotional-irrationale Fähigkeiten verfügen sollte, bezog. Die Relevanz der Kunstpopularisierung erschloß sich dabei darüber, daß er die postulierten irrationalen Fähigkeiten wesentlich durch die Beschäftigung mit Kunst gefördert sah. 81 Die
76 Becker 1925 a, S. 24 f; vgl. dazu später auch Redenotizen Becker: Kulturpolitik in der modernen Demokratie, 16.2.1926, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1374. 77 Becker 1925 a, S. 25 f; vgl. Wende 1959, S. 242 u. 245. 78 Kestenberg: Probleme der preußischen Kunst- und Theaterverwaltung, 4.3.1926, ms., S. 9, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1471. 79 Vgl. Rede Becker: Preussisch-deutsche Kulturpolitik seit der Staatsumwälzung, 17.5.1928, ms., S. 4-6, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1542. 80 Ebd., S. 9. 81 Vgl. ebd., S. 15-17; siehe dazu auch ZAs, 3.5.1927[?], in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7556; Das neue deutsche Bildungsideal, in: Neue Leipziger Zeitung, 4.11.1927, in:
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und
Popularisierungsaktivitäten
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Präsenz von Kunst im Alltag wurde so zur Voraussetzung für die ganzheitliche Persönlichkeitsbildung - und da das ganzheitliche Individuum als Basis einer neuen gesellschaftlichen Identität begriffen wurde, verquickte sich der Anspruch auf ästhetische Bildung bei Becker letztlich eng mit dem Ziel der Vermittlung eines nach innen wie nach außen wirkenden republikanischen Selbstbewußtseins.82 Zeitgenössisch stellte sich das Ressort damit, in Affinität zur allgemeinen Debatte um den Konnex von Kunst und Gesellschaft in der zweiten Hälfte der 20er Jahre, 83 als Vertreter einer gemeinschaftsorientierten pädagogischen Haltung zur Kunst dar. 84 Für die kunstpolitische Praxis zwischen 1925 und 1930 bedeutete dies eine prononcierte Fortsetzung der bisherigen Popularisierungsansätze. Getragen von der zeitgenössischen Diskussion 85 machte sich das Ministerium weiterhin für eine enge Verbindung zwischen Kunst und Schule stark. Zwar kam nach 1925 Kritik daran auf, daß die Bezahlung der Zeichenlehrer der propagierten Relevanz des Kunstunterrichts nicht entspreche. 86 Zudem war die Verpflichtung der Kunstlehrer auf ein zweites Fach umstritten. 87 Letztlich wurde aber
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GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7553; zur Genese der Position Beckers vgl. Noack (DNVP), 22.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7452; Becker: Staat und Kultur, 16.11.1924, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1641; Redenotizen Becker: Kulturpolitik in der modernen Demokratie, 16.2.1926, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1374; Notizen Becker, 1.5.1926, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1742; zur Position des Ministeriums vgl. auch Waetzoldt 1933, S. 85. Zur internationalen Stoßrichtung vgl. auch ZAs Nov./Dez. 1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 7525; Becker: The Ideals of Education in the German Republic, Sept. 1928, ms. / hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1347. Vgl. dazu LT, WP 2, Prot., Sp. 5680, 6124-6126, 6136, 6157 f, 11576,11579,11593 f, 11621,18186, 18191, 18194 f u. 25694; LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 8, 16 u. 22; Szg. 189, Sp. 7, 16 u. 22; Waentig (SPD), 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 6; LT, WP 3, Prot., Sp. 5695, 6193 f, 6204, 6207 u. 6215; LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 16 u. 36; siehe auch ZA Dresdner Neue Presse, 7.2.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 270; Fidde Biehl: Staat und Künstler (Teil 1 u. 2), in: Ku. u. Jg. 10, Nr. 18, 1.11.1929, S. 286 f u. Nr. 19, 16.11.1929, S. 302. Vgl. dazu auch ZAs, 13.4.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7634; Klamt (Wirtsch. V.), 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18206 f u. 18215; zur Relevanz der Arbeiterbildung in diesem Kontext vgl. Briefwechsel Becker - Ernst Michel 1925, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 5427; Oestreicher (SPD), 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11576 f. Vgl. dazu Kilian (KPD), 12.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11615-11617; Walter Dittmann: Die Stellung der höheren Schule zur bildenden Kunst, in: Ku. u. Kü., Jg. 25, Nr. 4, Jan. 1927, S. 145-148; Lehmann (DNVP), Oestreicher (SPD) u. Klausner (DDP), 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18179-18182 u. 18202 f; Waentig (SPD), 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 53 f; Oestreicher (SPD), 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 12 f; Oestreicher (SPD), 19.4.1929, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 6200 f. Vgl. Reiss 1981, S. 157 u. 161-163. Vgl. Der,Berechtigungsfimmel', in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 18, 1.11.1928, S. 318; O. M.: Akademiker oder Nichtakademiker? Vergütung für nebenamtlichen Unterricht, in: Ku. ». Wi., Jg. 9, Nr. 20, 1.12.1928, S. 350 f; O. Marcus: Der Berechtigungsfimmel, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 21, 15.12.1928, S. 366 f.
448
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
der unter Boelitz eingeleitete Kurs weiterverfolgt. Auch unter Becker begriff das Ministerium die Lehrerausbildung als wesentlichen Ansatzpunkt für die Umsetzung des Popularisierungsanspruchs. Als wichtiger Kooperationspartner stellte sich dabei nach wie vor die von Franck geleitete staatliche Kunstschule in Berlin dar.88 Unterstützt wurde man zudem weiterhin entscheidend durch Pallats Zentralinstitut, das die neue Relevanz von Kunst an den Schulen etwa über Lehrerkurse und Ausstellungen zu steigern suchte und überdies Akzente setzte, indem es nun auch die Museen in den Kunstvermittlungsanspruch an Kinder und Jugendliche einbezog.89 Durch einen Erlaß von 1928, der für Schüler auch an Zahltagen freien Museumseintritt vorsah,90 schuf das Ressort entsprechende Rahmenbedingungen. Flankierend förderte es Einzelprojekte wie die Zeitschrift Deutsche Jugend, die Jugendlichen Kunst und Literatur nahebringen wollte.91 Gleichzeitig eröffneten sich neue Perspektiven im Schulkontext dadurch, daß sich das Provinzialschulkollegium Berlin-Brandenburg 1925 für eine farbige Gestaltung von Lehranstalten unter Mitwirkung von Künstlern einsetzte.92 Wie dezidiert das Ministerium diese mit Geschmacksbildungsinteressen verknüpften Bestrebungen mittrug, bestätigte Beckers Hinweis auf die künstlerische Ausgestaltung einzelner Schulen.93 Daneben blieb in der zweiten Hälfte der 20er Jahre eine überzeugende Denkmalpolitik Anliegen für das Ministerium im Popularisierungskontext. Während es im Umfeld des Opernhausumbaus selbst in die Kritik geriet,94 arbeitete das Ressort weiter an einem Denkmalschutzgesetz. Ein 1925 vorgelegter neuer Gesetzentwurf scheiterte jedoch nach langen Debatten an der Frage des Eingriffs in das Privateigentum.95 Ein Gesetz konnte daher trotz
88 Siehe dazu auch Notizen KM zu Franck, 7.1.1930, hs. u. Redenotizen Becker, 7.1.1930, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1709; zum Kontext vgl. Majer-Leonhard 1930. 89 Vgl. Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen Museen Berlins. Ihre Verwaltung - Nicht nur Stätten des Sammeins, sondern auch Lehr- und Forschungsinstitute - Ausstellungen und Führungen, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 321-322; Arbeitsgemeinschaft
18.8.1928,
Museum und Schule,
in: Beri. Mus., Jg. 51, Nr. 2, 1930, S. 45 {; Beri. Mus., Jg. 51, 1930, S. 150; Zentr.bl.
Unterr.verw.,
Jg. 72, Nr. 7, 5.4.1930, S. 94; Bohner (DDP), 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 38; Rede Becker, 24.5.1927, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1494; Oestreicher (SPD), 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 13. 90 Vgl. Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 70, Nr. 9, 5.5.1928, S. 158; Nr. 19, 5.10.1928, S. 294. 91 Vgl. Schriftleiter Deutsche Jugend
an NG, 25.1.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 5,
Bd. 16; siehe dazu auch die Kooperation mit dem Bund für Kunsterziehung,
vgl. Hertwig (DNVP),
21.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 19236 f. 92 Vgl. Klausner (DDP), 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6145; siehe dazu auch Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 2.7.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 13-17, Bl. 16 v. 93 Vgl. Rede Becker, [2.5.1928], ms., S. 6, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1545. 94 Vgl. Schmitz 1931, S. 87-97; LT, W P 2, Prot., Sp. 11583 f, 18183 f, 18192, 18212, 18221 u. 25698 f; LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 3 u. 28-30; Becker, 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 20 f; Becker, 22.2.1928, in: LT, W P 2, HA, Szg. 277, Sp. 45. 95 Zur Haltung des Ministeriums vgl. Briefe u. Gesetzentwürfe Febr.-Dez. 1925 u. Nov.-Dez. 1926 u. Clemen: Betrachtungen schen Regierung,
über die Denkmalpflege
in Preußen und den Gesetzentwurf
1926/27, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1797; Guillaume:
und Denkmalpflege
der preußi-
Denkmalschutz
in Preußen (Teil lu. 2), in: Pr. Verw.bl, Jg. 47, Nr. 39, 26.6.1926, S. 4 1 3 ^ 1 5 u.
5. Bildungskonzepte
und
Popularisierungsaktivitäten
449
der fortgesetzten ministeriellen Bemühungen auch unter Grimme nicht verabschiedet werden. 96 Dennoch gelang es dem Ministerium, Akzente in der Denkmalpflege zu setzen nicht nur durch das Eintreten für konkrete Projekte wie den Kölner Dom, 9 7 sondern auch durch die 1927 eingerichtete, dem Ministerium angegliederte staatliche Verwaltung der Schlösser und Gärten, durch die der Denkmalpflegeansatz quasi institutionalisiert wurde. 98 Zugleich bezog Becker nach 1925 Museen und Kunstakademien immer pointierter in den Anspruch auf eine ästhetische Prägung der Gesellschaft ein. Die Identifikation mit dem neuen Völkerkundemuseum (siehe Kap. III. 4.2.) belegt dies nachdrücklich. Ebenso fügten sich die Popularisierungsmaßnahmen, die unter der Ägide Waetzoldts an den Staatsmuseen griffen (siehe Kap. III. 4.), in diese Politik ein. Deutlich artikulierte Becker seine Ambitionen bei den großen Akademieausstellungen in Berlin, die nun regelmäßig stattfanden. 99 Neben der Rede zur Dürer-Ausstellung im März 1928, in der er den lebendigen Zugang zur Kulturtradition unterstrich, den die Schau ermögliche, (siehe Kap. III. 3.2.) erscheint dafür etwa die Ansprache zur Slevogt-Ausstellung im Oktober 1928 symptomatisch. Hier konstatierte der Minister: „Wir alle haben dem [...] in so vielerlei Gestalt uns künstlerisch begegneten Slevogt zu danken für die reinen Freuden des Auges, die er uns bereitet hat. Es ist wohl die schönste Gabe, die ein grosser Maler seinem Volke schenkt, wenn er es lehrt,
Nr. 40, 3.7.1926, S. 425-428; LT, WP 2, Dr. 993, S. 2312; Becker, 30.11.1925, in: LT, WP 2, Dr. 1735 F, S. 3231; Becker, 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 24 f; Nentwig, 12.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11621; Becker / Braun, 26.10.1926, in: LT, WP 2, Dr. 4298, S. 5566-5572; Graef (Staatsrat), 20.7.1926, in: LT, WP 2, Dr. 4298, S. 5573; Becker, 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 19; Braun, 7.5.1927, in: LT, WP 2, Dr. 6459, S. 7418-7422; Nentwig, 6.10.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 234, Sp. 5 f u. 14 f; Nentwig u. Hiecke, 7.10.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 235, Sp. 16 f, 21-24, 27 f, 31-33,35 f u. 42; Nentwig, 8.10.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 236, Sp. 45 u. 47; zur Landtagsdebatte'vgl. LT, WP 2, HA, Szg. 234, Sp. 2-15; Szg. 235, Sp. 16-38 u. 41-43; Szg. 236, Sp. 44-48; Szg. 234-236, Sp. 49-68; LT, WP 2, Dr. 7194-7200, S. 8081. 96 Vgl. Hübner, 17.2.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 24 f; Grebe (Ζ), 4.4.1930, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 13451-13453. 97 Vgl. Becker, 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 24 f; Trendelenburg, 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11596 f; Nentwig, 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 28-33; vgl. dazu auch Nentwig, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 31; Hübner, 17.2.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 24 f. 98 Vgl. Niederschrift Becker / Gall, 23.10.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1422; Lehmann (DNVP), 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18178 f; Alfred Kuhn: Zur Frage der öffentlichen Denkmalpflege in Preußen, in: Cie., Jg. 19, Nr. 19, 1. Okt.-Nr. 1927, S. 610 f; KM: Zusammenstellung der Leistungen der preußischen Regierung auf dem Gebiet der Kulturpolitik seit November 1918, 1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41a; Karl Scheffler: Kulturabbau, in: Ku. u. Kii., Jg. 31, Dez. 1932, S. 468-470; siehe dazu allerdings auch die Kritik an der zu weichen Haltung des Kultusressorts bei den Vermögensauseinandersetzungen, vgl. Ku. u. Kii., Jg. 25, Nr. 3, Dez. 1926, S. 115-118; Christoph: Ein Kaiserlicher Museumsdiener, in: Weltb., Jg. 22/2, Nr. 49, 7.12.1926, S. 878 f; Becker an Direktor Staatliche Schlösser und Gärten, 29.9.1927, ms. u. Text Hübner [?], 29.9.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/281, Bl. 51-53. 99 Vgl. dazu auch schon Textentwurf Becker / Waetzoldt, 6.5.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1319.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
450
dass Sehen eine Lust ist." 100 Während das Ministerium zur selben Zeit offenbar mit ähnlichen Intentionen die Ausstellungen der Gesellschaft für Volksbildung durch Bereitstellung von Räumen unterstützte,101 bezog Becker damit die älteren wie zeitgenössischen Akademiepräsentationen in sein nationalintegratives ästhetisches Bildungskonzept ein. Gleichzeitig deutete sich durch die Zusammenarbeit von Museen, Akademien, Zentralinstitut und Provinzialschulkollegium eine Vernetzung der einzelnen Popularisierungsstränge an.102 Der Anspruch, über Kunstpräsentationen gesellschaftlich zu wirken, beschränkte sich dabei weiterhin nicht nur auf Berlin. Vielmehr verband sich mit ihm für das Ministerium Becker in Übereinstimmung mit dem Landtag103 auch in der zweiten Hälfte der 20er Jahre die Idee der Dezentralisation.104 Ausdruck dessen war das fortgesetzte Engagement des Ressorts für eine Unterstützung deutscher wie internationaler Ausstellungen durch Leihgaben (siehe Kap. III. 8.).105 Gerade angesichts der von Justi geäußerten konservatorischen Bedenken gegen eine zu intensive Leihtätigkeit konturierte sich dieses Bemühen umso schärfer: Als das Ministerium Anfang 1926 verbindliche Ausleihregeln forderte106 und die Nationalgalerie daraufhin vorschlug, den Präsenzbestand sowie die Gemälde von Marees, Böcklin, Feuerbach und Menzel generell von der Ausleihe auszuschließen,107 war das Ministerium keineswegs bereit, sich auf dieses Modell einzulassen. Es bestand darauf, daß der Präsenzbestand durchaus ausgeliehen werden könne, da er ohnehin variiert werde. Überdies verlangte es eine Reduzierung der von der Galerie vorgelegten Liste.108 Als Justi auf Drängen des Ressorts109 im September 1926 eine lange Sperrliste mit Werken unterschied-
100 Rede Becker, 13.10. [1928], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1554. 101 Vgl. ZA Mitteilungsblatt Gesellschaft für Volksbildung, 1927/28, gedr., in: SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 96-97. 102 Vgl. dazu auch Oestreicher (SPD), 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 13. 103 Vgl. dazu Klausner (DDP), 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 20-22; Simon (SPD), 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6183 f; Klausner (DDP), 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 13; Klamt (Wirtsch. V.), 21.3.1927, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 18215; Oestreicher (SPD), Grebe (Ζ) u. Waentig (SPD), 13.3.1929, in: LT, W P 3, HA, Szg. 56, Sp. 13 u. 33-35; Grebe (Ζ) u. Bohner (DDP), 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 2 f, 9 f u. 20; Linneborn (Z), 14.2.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 9; siehe dazu auch A. Körber: Revolution im Kunstmuseum,
in: Ku.bl.,
Jg. 13, 1929, S. 53-55. 104 Vgl. Der Auslandsdeutsche, Jg. 8, Nr. 12,2. Juni-Nr. 1925, S. 335-341, S. 337 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1688; ZAs Nov./Dez. 1927, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7525; Gerippe für die Rede des Ministers zur Eröffnung des Völkerkundemuseums
am
26. Juni 1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1468; Abschr. Hilfsverein für junge Kunst an KM, 20.3.1927, ms., KM (Pallai) an Justi, 30.3.1927, ms., Entwurf Justi an [KM?], 5.4.1927, Ds., ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 13.7.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 15, Bd. 7; Auszeichnungen
für junge Künstler, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 10, 1.10.1927, S. 248.
105 Vgl. dazu Ausleihgenehmigungen KM 1927/28, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29. 106 KM (Nentwig) an Justi, 8.1.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 107 Direktor N G (i.V. Mackowsky) an KM, 8.2.1926, ms., SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 108 KM (Waetzoldt) an Justi, 25.2.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 109 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 17.5.1926, ms., KM (Nentwig) an Justi, 16.6.1926, ms. u. KM (Pallat) an Justi, 28.8.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27.
5. Bildungskonzepte
und
Popularisierungsaktivitäten
451
lichster Künstler von Caspar David Friedrich über Monet, Cézanne, Feuerbach, Menzel, Böcklin oder T h o m a bis zu Marc und Corinth einreichte, 1 1 0 verlangte das Ministerium erneut eine Kürzung. 1 1 1 Justi legte dann schließlich eine reduzierte Liste vor, die für die folgende Zeit maßgebend wurde. 1 1 2 Die größere Aufgeschlossenheit des Ministeriums gegenüber Ausleihanfragen bestimmte allerdings weiterhin die Kooperation mit Justi. 1 1 3 Letztlich lag die konservatorische Entscheidung gegen Ausleihen stets beim Galeriedirektor. Zumal sich auch der neue Generaldirektor Waetzoldt gegen eine exzessive Leihgabenpraxis aussprach, 1 1 4 suchte das Ressort einen Mittelweg zwischen konservatorischen Erfordernissen und seinem Popularisierungsideal zu finden. 1 1 5 Dennoch war der Grundimpetus klar: U b e r die Nationalgalerie wollte das Ministerium im Sinne seines ästhetischen Bildungsanspruchs, aber auch der damit verknüpften Idee der Präsentation Preußens als Kulturstaat möglichst viele Menschen erreichen. Seinem Ideal einer Synthese von Kunst und Leben suchte das Ressort darüber hinaus nach 1925 verstärkt auch jenseits der klassischen staatlichen Vermittlungsinstitutionen gerecht zu werden. Die in der wirtschaftlichen Stabilisierungsphase 1 9 2 4 - 2 8 aufgestockten E r w e r bungsfonds des Ministeriums (siehe Kap. III. 6.2.) stellten eine wichtige Voraussetzung dafür dar, daß nun bei der künstlerischen Ausstattung von Staatsgebäuden außerhalb Berlins noch einmal neue Akzente gesetzt werden konnten. N a c h d e m Becker im Herbst 1925
110 Justi an KM, 13.9.1926, hs. u. Liste, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 111 KM an Justi, 23.9.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 112 Justi an KM, 27.11.1926, ms. u. Liste, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27; siehe dazu auch Entwurf Justi an KM, 25.1.1928, ms. / hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 28; Justi an Dörnhöffer, 16.2.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30. 113 Als Beispiel dafür kann gelten, daß das Ministerium 1928 die Bitte des Vereins deutscher Ingenieure an Justi weiterleitete, zur Ausstellung Kunst und Technik im Essener Folkwangmuseum ausnahmsweise doch Menzels Eisenwalzwerk auszuleihen, vgl. Abschr. Oberbürgermeister Essen an KM, 3.1.1928, ms., KM (Nentwig) an Justi, 12.1.1928, ms., Entwurf Justi an KM, 25.1.1928, ms. / hs., Justi an Ministerium für Volkswohlfahrt, 25.1.1928, Ds., ms., Abschr. Verein deutscher Ingenieure an Becker, 12.1.1928, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 19.1.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 28; ähnlich auch Justi an Berliner Secession, 27.1.1928, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 8.2.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; Justi an Gall (KM), 6.4.1929, ms. u. Justi an Allgemeine Deutsche Kunstgenossenschaft, 23.4.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30. 114 Vgl. Wilhelm Waetzoldt: Museums-Propaganda. Ihre Möglichkeiten und Grenzen, in: Die Kunstauktion, Jg. 4, Nr. 3, 19.1.1930, S. 1 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6731. 115 Nach dem Brand des Münchener Glaspalastes 1931, bei dem auch Werke aus preußischem Besitz zerstört worden waren, zeigte sich das Ressort bei größeren Ausleihen dann selbst zurückhaltend, vgl. Briefwechsel KM, N G u. Kunsthaus Bielefeld Juli 1931-Febr. 1932, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 32 u. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 33; zum Brand siehe Ku.wan., Jg. 12/13, Juni 1931, S. 315; ZA Westermanns Monatshefte, Nr. 900, Aug. 1931, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 32; Abschr. Justi an KM, 14.10.1931, ms., KM (Hübner) an FM, 27.10.1931, ms. u. Vermerk FM, 27.11.1931, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1029, Bl. 2.
452
III.
Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
auf Erwerbungen von 46 zeitgenössischen Künstlern verwiesen hatte, die unter anderem für diese Zwecke verwandt werden sollten, 1 1 6 gelang es in der zweiten Hälfte der 20er Jahre, ein System einzuführen, das dieser Absicht stringent Rechnung trug: In Kooperation mit Justi kaufte das Ressort regelmäßig zeitgenössische Werke an, 1 1 7 die bei der Nationalgalerie inventarisiert und von dort in Absprache mit dem Ressort, teilweise auch auf Vermittlung Waetzoldts oder Galls, 1 1 8 zur Ausstattung von Verwaltungsstellen in die Provinzen verliehen wurden. 1 1 9 D a das Interesse der Provinzbehörden an solchen Leihgaben groß war, 1 2 0 zeigte das System bald Wirkung: 1925 konnte Justi von 1004 Dauerleihgaben an Provinzen und Staatsgebäude berichten, 1926 stieg die Zahl auf 1024, 1927 auf 1027, 1928 auf 1179, 1929 auf 1488 und 1930 schließlich sogar auf 1558 Werke an. 1 2 1 B e z o g man die Bestände anderer Staatsmuseen mit ein, waren Anfang 1930 insgesamt 2 2 0 0 Kunstwerke an die P r o vinzen verliehen. 1 2 2 Deutlich spiegelte die Ausstattung gerade von Räumen mit Publikums116 Vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 10. 117 Vgl. dazu auch SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 776 u. 856; Thormaehlen (NG) an KM, 26.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 8, 48-49, 60, 125 u. 454. 118 Vgl. Abschr. Regierungspräsident Trier an KM, 15.5.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; Abschr. KM an Regierungspräsident Köln, 13.10.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 472. 119 Vgl. Thormaehlen (NG) an KM, 26.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; KM (Nentwig) an Justi, 15.5.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 60; KM (Nentwig) an Justi, 31.3.1927, ms. u. Justi an Oberpräsident Rheinprovinz, 5.4.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 28; Groschupf an Becker, 8.5.1928, ms. u. Direktor N G (i.V. Mackowsky) an KM, 25.5.1928, ms., Landgerichtspräsident Dortmund an N G , 26.6.1928, ms., Justi an KM, 30.6.1928, Ds., ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 6.7.1928, ms., Staatliche Bildungsanstalt Potsdam an NG, 14.12.1928, ms. u. Justi an Staatliche Bildungsanstalt Potsdam, 17.12.1928, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; Grzimek an Justi, 19.10.1929, Justi an KM, 12.12.1929, Ds., ms., Magistrat Flatow an N G , 15.11.1929, ms. u. Justi an Magistrat Flatow, 6.12.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30; KM (Haslinde) an Justi, 27.12.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. l , B d . 31. 120 Vgl. Thormaehlen an KM, 26.11.1925, ms. u. Abschr. KM an Präsident Oberrechnungskammer Potsdam, 21.4.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; Groschupf an Becker, 8.5. 1928, ms., Direktor N G (i.V. Mackowsky) an KM, 25.5.1928, ms. u. Justi an Regierungspräsident Königsberg, 14.7.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; Abschr. Direktor Staatliche Museen Waetzoldt an KM, 5.1.1929, ms., FM an KM, 7.10.1929, ms., KM an Justi, 14.10. 1929, ms., Direktor N G (i. V. Thormaehlen) an KM, 28.10.1929, ms., KM an Justi, 5.11.1929, ms., Justi an KM, 25.11.1929, Ds., ms., KM an Justi, 2.12.1929, ms., Magistrat Flatow an N G , 15.11.1929, ms. u. Justi an Magistrat Flatow, 6.12.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30; Magistrat Harburg-Wilhelmsburg an KM, 2.4.1931, ms., KM (Hübner) an Justi, 6.5.1931, ms. u. Entwurf Justi an KM, 13.5.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 32. 121 Vgl. Jahresbericht N G 1924, Justi an KM, 18.8.1925, hs., Jahresbericht N G 1925, Justi an KM, 25.8.1926, hs. u. Jahresbericht N G 1926, Justi an KM, 10.10.1927, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3; Konzept Jahresbericht N G 1927, Justi an KM, 8.10.1928, hs., Jahresbericht N G 1928, Justi an KM, 3.10.1929, hs. u. Jahresbericht N G 1929, Justi an KM, 15.10.1930, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 4; siehe dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 433. 122 Vgl. Hübner, 17.2.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 22 f u. 26.
5. Bildungskonzepte und Popularisierungsaktivitäten
453
verkehr dabei das ministerielle Interesse an einer staatlichen Repräsentation durch Kunst, aber auch an einer Alltagspräsenz von Kunst sowie an einer dezentralen Popularisierungspolitik. Das Ministerium Becker ging in seinem Bemühen, gerade zeitgenössische Kunst in den Provinzen zu verbreiten, jedoch noch einen Schritt weiter, indem es 1926 einen speziellen Fonds einrichtete, aus dem es den Oberpräsidenten in Königsberg, Breslau, Stettin, Magdeburg, Hannover, Kiel, Koblenz, Münster und Kassel Mittel für regionale Kunstankäufe zur Verfügung stellte. 123 Während das Ressort gleichzeitig für die Gründung von Museumsverbänden in den Provinzen warb, regionale Kunstvereine unterstützte und für eine starke Stellung der Provinzen beim Denkmalschutz votierte, 124 war der Fonds als weitere gezielte Maßnahme zu verstehen, das Bewußtsein für Kunst auch in entlegeneren Regionen zu steigern. Organisiert wurde das dezentrale Ankaufsprogramm von Berlin aus: Das Ministerium überwies den Oberpräsidenten die Mittel aus dem Zentralfonds. Dafür wurden von den Provinzen, meist unter Einbeziehung örtlicher Sachverständiger, Werke regionaler Künstler erworben. Nach der offiziellen Inventarisierung als Staatsbesitz bei der Nationalgalerie 125 bzw. in Ausnahmefällen beim Kupferstichkabinett standen den Provinzen die Werke schließlich zur Verfügung. In der Regel wurden sie für Dienstgebäude verwandt oder an Provinzialmuseen weitergeleitet, bisweilen fanden sie aber auch in Schulen, Polizeistellen oder an anderen Orten mit Publikumsverkehr Aufstellung. Insgesamt wandte das Ministerium durchaus beachtliche Summen für das Ankaufsprogramms auf: Im April 1926 und im April 1927 schüttete es jeweils 2000 M an die neun Oberpräsidenten aus.126 1926/27 wurden zudem Gelder für Ausstellungsankäufe bewilligt. 127 1 92 8 wurden den Oberpräsidenten
123 Z u m Hintergrund siehe auch Thormaehlen ( N G ) an KM, 2 6 . 1 1 . 1 9 2 5 , ms. u. Zusatz Justi, 8 . 1 2 . 1 9 2 5 , hs., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; Justi an Regierungspräsident Königsberg, 1 4 . 7 . 1 9 2 8 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29. 124 Vgl. Nentwig, 7 . 1 0 . 1 9 2 7 , in: LT, W P 2, H A , Szg. 235, Sp. 2 7 , 3 2 u. 35 f; Waentig (SPD), 1 3 . 3 . 1 9 2 9 , in: LT, W P 3, H A , Szg. 56, Sp. 35; Abschr. Verein der Kunstfreunde Schneidemühl an KM, 2 4 . 4 . 1 9 2 6 , ms., K M (Nentwig) an Justi, 1 7 . 5 . 1 9 2 6 , ms., Entwurf Justi an KM, 2 1 . 5 . 1 9 2 6 , hs. u. K M (Nentwig) an Justi, 1 6 . 6 . 1 9 2 6 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 125 Vgl. auch Justi an KM, 8 . 1 2 . 1 9 2 8 , Ds., ms., K M (Nentwig) an Justi, 1 7 . 1 2 . 1 9 2 8 , ms., Runderlaß K M (Nentwig) an Ober- u. Regierungspräsidenten, 1 7 . 1 2 . 1 9 2 8 , ms. / gedr. u. Justi an Schulz, 7.1. 1929, ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. Die Inventarisierungskennung war: „Eigentum der N - G Berlin C 2 " , vgl. Oberpräsident Breslau an Justi, 1 3 . 9 . 1 9 2 9 , ms. u. Direktor N G (i.V. Thormaehlen) an Oberpräsident Breslau, 1 4 . 9 . 1 9 2 9 , Ds., ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. 126 Vgl. K M an Justi, 2 8 . 4 . 1 9 2 6 , ms. u. K M (Nentwig) an Justi, 1 . 4 . 1 9 2 7 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. Seit 1927 erhielt überdies der Oberpräsident in Oppeln 1000 M, vgl. K M (Nentwig) an Justi, 1 4 . 5 . 1 9 2 7 , ms. u. K M (Nentwig) an Justi, 3 0 . 4 . 1 9 2 9 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. 127 So erhielten die Oberpräsidenten von Königsberg und Kassel 1926 zusätzlich 500 und 1500 M, die Oberpräsidenten von Breslau und Königsberg 1927 jeweils zusätzlich 1000 M, vgl. K M an Justi, 2 9 . 9 . 1 9 2 6 , ms., K M (Nentwig) an Justi, 4 . 1 2 . 1 9 2 6 , ms., K M (Nentwig) an Justi, 1 7 . 8 . 1 9 2 7 , ms. u. K M (Nentwig) an Justi, 2 5 . 1 1 . 1 9 2 7 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1.
III.
454
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Summen zwischen 500 und 2000 M zur Verfügung gestellt.128 1929 erhielten die Oberpräsidenten aus dem Fonds, der inzwischen unter dem Titel zur Förderung heimischen Kunstschaffens geführt wurde,129 wiederum flexible Mittel zwischen 1000 und 4000 M.130 Und 1929/30 kam es zu Einzelbewilligungen von 400 bis 3000 M.131 1926-30 wandte das Ministerium damit rund 85.000 M für Ankäufe in den Provinzen auf. Durch die Sondermittel gingen viele Werke von Künstlern regionaler Bedeutung in Staatsbesitz über. Unter den Ankäufen konnten sich aber auch Werke von später überregional bekannten Künstlern wie Felix Nussbaum befinden.132 Mit dem Fonds setzte das Ministerium ein Signal zur Förderung der provinziellen Kunstschaffens. Durch die Aufstellung der Ankäufe an öffentlichen Stellen trug es dazu bei, die Bevölkerung auch entlegenerer Landesteile in Kontakt mit Kunst zu bringen. Becker wollte seine Popularisierungsabsichten jedoch keineswegs auf den unmittelbaren staatlichen Einfluß beschränkt sehen. Vielmehr suchte er zunehmend auch Künstler, Publikum und private Förderer in sein Ideal einer tiefgreifenden ästhetischen Gesellschaftsprägung einzubinden. Prägnant brachte er dies in seiner Eröffnungsrede zur Düsseldorfer Ausstellung Deutsche Kunst 1928 (siehe Kap. III. 7.) zum Ausdruck. Hier konstatierte er zunächst, heute stünden sich die Kunst und das breite Publikum oft fremd gegenüber: „Die große Schar der künstlerisch nicht besonders Erzogenen weiss nicht, was sie mit den [...] Werken der Künstler anfangen soll. [...] Es ist eine Entfremdung da, es fehlt an jener Brücke zwischen Kunst und Leben, die früheren Zeiten durchaus selbstverständlich war".133 Um diesen Antagonismus zu durchbrechen, propagierte Becker die Vergabe von Aufträgen, „die
128 Vgl. KM anjusti, 10.4.1928, ms., KM anjusti, 13.4.1928, ms., KM (Gall) anjusti, 16.4.1928, ms., KM (Nentwig) an Justi, 6.8.1928, ms., KM (Nentwig) an Justi, 22.8.1928, ms., KM (Nentwig) an Justi, 4.9.1928, ms., KM (Gall) anjusti, 2.10.1928, ms. u. KM (Nentwig) anjusti, 1.11.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. Zusätzlich wurden nun auch Gumbinnen und Trier bedacht, vgl. KM anjusti, 6.6.1928, ms. u. KM (Gall) anjusti, 2.10.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. 129 Vgl. Regierungspräsident Stettin anjusti, 11.11.1929, ms. u. KM (Waetzoldt) anjusti, 14.3.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. 130 Vgl. KM (Nentwig) anjusti, 15.3.1929, ms., KM (Gall) anjusti, 23.3.1929, ms., KM (Nentwig) anjusti, 27.4.1929, ms., KM (Nentwig) anjusti, 27.4.1929, ms., KM (Nentwig) anjusti, 27.4. 1929, ms., KM (Nentwig) anjusti, 29.4.1929, ms., KM (Nentwig) anjusti, 30.4.1929, ms., KM (Nentwig) anjusti, 27.8.1929, ms. u. KM (Nentwig) anjusti, 3.9.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. 131 Vgl. KM anjusti, 23.10.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 684; Regierungspräsident Stralsund an Justi, 21.12.1929, ms., Regierungspräsident Stettin an Justi, 26.11. 1932, ms., KM (Hübner) an Justi, 2.12.1929, ms., KM (Haslinde) an Justi, 8.1.1930, ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 22.2.1930, ms., Regierungspräsident Köln an Justi, 26.5.1930, ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 14.3.1930, ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 15.3.1930, ms. u. KM an Justi, 19.4.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. 132 Vgl. Regierungspräsident Gumbinnen an Justi, 21.5.1930, ms. u. Oberpräsident Königsberg an Justi, 24.6.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. 133 Rede Becker, [2.5.1928], ms., S. 4 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1545.
5. Bildungskonzepte
und
Popularisierungsaktivitäten
455
so unmittelbar mit dem Dasein, den Sorgen und den Hoffnungen der Gegenwart verknüpft sind, wie dies etwa zurzeit bei den raumschaffenden Künsten der Fall ist." Zugleich betonte er: „Würde man erkennen, dass das Dasein aller Menschen freudiger zur Arbeit und aufgeweckter zu feiertäglicher Stimmung würde, wenn Künstlerhand den Räumen gemeinsamer menschlicher Tätigkeit einen ausdrucksstarken Schmuck [...] gegeben hätte, so wäre ein sehr grosser Teil der Künstlerschaft nicht mehr darauf angewiesen, nur aus dem schöpferischen Drange des eigenen Ichs zu gestalten, er würde vielmehr aufs engste verbunden sein mit dem Wirken und dem Arbeiten aller anderen."134 Vor diesem Hintergrund richtete Becker den Appell vor allem an Wirtschaftskreise: „Suchen Sie der Kunst einen Platz in den Arbeits- und Erholungsstätten Ihrer Fabriken und Kontore zu schaffen, ich bin davon überzeugt, es wird sich reichlich lohnen." 135 Gezielt bemühte sich der Minister so, die vielbeachtete Düsseldorfer Schau zu nutzen, um seinem Ästhetisierungsanspruch einen breiten Resonanzboden zu verschaffen. Sein Hinweis darauf, daß der Staat begonnen habe, „Kirchen, Schulen und Dienstgebäude einzelnen Künstlern zur Gesamtausstattung anzuvertrauen",136 deutete an, wie er sich die Umsetzung dachte. Die Popularisierungspolitik des Ministeriums stellte sich in diesem Kontext als ein Ansatz zur Einlösung eines gesamtgesellschaftlichen Desiderats dar, zu dessen Realisierung verschiedenste Kräfte beitragen sollten. Seinem umfassenderen Popularisierungsanspruch folgend, setzte das Ministerium Becker auch in der Kunstvermittlung noch einmal neue Akzente, indem es modernste Medien in seine Politik einband. Neben einer Aufgeschlossenheit für den Kulturfilm137 ging es hier vor allem um die Nutzung des Rundfunks. Seit 1924/25 bekundete das Ministerium sein Interesse in diese Richtung138 und bestätigte dies auch praktisch, als es sich dafür engagierte,
134 Ebd., S. 5 f. 135 Ebd., S. 6; vgl. dazu auch Redeentwurf Becker / Waetzoldt, 6.5.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1319; Wolfgang Hermann: Gesolei und Kunst, in: Ku. u. KU., Jg. 25, Nr. 2, Nov. 1926, S. 75 f. 136 Rede Becker, [2.5.1928], ms., S. 6, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1545. Als konkretes Beispiel sei hier etwa das mit Ressortmitteln errichtete Musikheim in Frankfurt a.O. genannt, vgl. dazu Musikheim in Frankfurt (Oder) im Zusammenhang
mit der staatlichen Akade-
mie für Kirchen- und Schulmusik, [1928/29], gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 8643. 137 Vgl. dazu Ku.bl., Jg. 10,1926, S. 286; Karl Scheffler: Kulturabbau,
in: Ku. u. Kü„ Jg. 31, Dez. 1932,
S. 468-470; Wissenschaft, Kunst und Volksbildung 1929, S. 79-82; KM: Zusammenstellung Leistungen
der preußischen
Regierung
auf dem Gebiet der Kulturpolitik seit November
der 1918,
1931, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a; Alfred Neumeyer: Die Pressestelle, in: Beri. Mus., Jg. 52, Nr. 2, 1931, S. 45; Ak.d. Kü. an KM, 17.3.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/010, Bl. 168; Klausner (DDP), 17.3.1928, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 25687; siehe dazu auch die Einbeziehung der Fotografie in den Schulunterricht, vgl. Reiss 1981, S. 213. 138 Vgl. Becker, 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 24; Klamt (Wirtsch. V.), 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 17; siehe dazu auch Lerg 1964, S. 252-266. Früh nutzte Becker selbst das neue Medium zur Verbreitung seiner Vorstellungen, vgl. Funkstunde an Becker, 3.8.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 757; ZAs, 5.3.1927 [?], in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7556.
III.
456
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
den Ländereinfluß auf die Rundfunkverwaltung zu sichern.139 Animiert durch einen in der Berliner Börsenzeitung und der Zeitschrift Funk publizierten Artikel, der für eine Kooperation von Museen und Rundfunk plädierte, sprach sich das Ressort im Februar 1927 speziell für eine Indienstnahme des Radios für die Museen aus.140 Um eine solche Zusammenarbeit anzuregen, leitete es den /««¿-Artikel an die Museen weiter.141 Von Falke berichtete daraufhin, bereits 1925 habe er positiv auf den Vorschlag der Deutschen Welle reagiert, „Vorträge durch die wissenschaftlichen Kräfte der Berliner Museen vor dem Mikrophon halten zu lassen, die durch den Sender Königswusterhausen über das ganze Reich verbreitet werden sollten". Inzwischen sei eine Referentenliste aufgestellt worden, bisher liege aber keine Antwort darauf vor. Unter Hinweis auf vom Voxhaus seit längerem gesendete Radiovorträge über Kunst, die von Waetzoldt, Osborn und anderen gehalten würden, votierte von Falke für einführende Sendungen vor Sonderausstellungen und Sonntagsführungen in den Museen.142 Justi zeigte sich ebenfalls interessiert an einer Nutzung des Radios. Allerdings habe die Funkstunde das Angebot einer Radioführung durch die Munch-Ausstellung (siehe Kap. III. 7.) mit der Begründung abgelehnt, daß kein Sendeplatz frei sei.143 Daraufhin setzte sich Ministeriumsreferent Gall über Oberregierungsrat Hoffmann umgehend bei den Berliner Sendern Deutsche Welle und Funkstunde für eine Kooperation von Rundfunk und Museen ein.144 Nach erfolgreicher Vermittlung Hoffmanns 145 begann die Funkstunde Ende 1927 tatsächlich mit der Ausstrahlung einer Sendereihe über die Staatsmuseen, in der es um Neuerwerbungen, Tätigkeiten hinter den Kulissen und einzelne Kunstwerke ging.146 Waetzoldt schrieb dem Radio gleichzeitig einen großen Stellenwert für 139 Vgl. Text-Fragment [Becker], 1925, ms. / hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1353; Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 12; Kultusminister Becker über Kunstfragen, 5.9.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1618; KM (U IV, u.a. Nentwig): Übersicht über die Verwendung
der Rundfunkmittel,
26.12.1926, hs., in: GStA PK,
I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7843; Lerg 1964, S. 228; Kiwus 1996, S. 402; zu den Rundfunkdebatten des Landtags vgl. Ritter (DNVP), 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 9 f; Schwering (Z) u. Kerff (KPD), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 7 u. 9; Bartels (KPD), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 37; Bartels (KPD), 11.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11587 f; Kulesza (DVP), 12.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11641. 140 Vgl. Abschr. Funk, H. 5, 28.1.1927, ms., Anmerkung KM, 14.2.1927, hs. u. Anmerkung Waetzoldt, 13.2.1927, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 1-2. 141 Vgl. Hinweis u. KM an Justi, 6.4.1927, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V% Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 2 r u. 4. 142 Falke an KM, 8.3.1927, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 3. 143 Justi an KM, 11.4.1927, ms. u. Anlagen, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 5 - 7 . 144 Vgl. KM (Gall) an Hoffmann, 28.4.1927, hs. u. Waetzoldt an Schnitzler, 2.10.1927, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 8 u. 12; zu den beiden Sendern vgl. Lerg 1964, S. 2 2 4 - 2 2 9 u. 210-212. 145 Vgl. Hoffmann an KM, 4.10.1927, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 11. 146 Vgl. Notiz Waetzoldt, 20.12.1927, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 11 v; Wilhelm Waetzoldt: Museum und Rundfunk, 1928, S. 185 f, S. 185.
in: Ku.wan., Jg. 10, 1./2. Jan.-Nr.
5. Bildungskonzepte
und
Popularisierungsaktivitäten
457
die Museumspopularisierung zu. 147 Seine Erwartungen brachte er in einem Artikel von Anfang 1928 auf den Punkt, in dem er zunächst einen Zusammenhang zwischen den Funkstunde -Vorträgen und der staatlichen Popularisierungspolitik herstellte 148 und in dem er sich dann offen mit den Schwierigkeiten einer Radiomitwirkung bei der Kunstvermittlung auseinandersetzte. Zum einen ging es ihm hier um eine rezipientenorientierte Gestaltung der Sendungen.149 Zum anderen diskutierte er das Problem der fehlenden Bildübermittlung.150 Nachdem er mit dem Hinweis auf Reproduktionen, die den Hörern an die Hand gegeben werden könnten, bereits eine mögliche Lösung des Problems aufgezeigt hatte, wertete Waetzoldt die optische Vorstellungskraft als wichtiges Element, mit dem das Radio in diesem Kontext zu operieren habe.151 Zudem gehe es nicht darum, „Anschauung zu ersetzen, sondern das anschauliche Erlebnis zu ergänzen oder es vorzubereiten." Der Radiovortrag könne „bei denen, die die Werke [...] schon kennen, [...] die Eindrücke vertiefen, die historische und ästhetische Ordnung aufweisen, der das Einzelne angehört, er kann aber auch in denjenigen seiner Hörer, die noch nicht die Objekte gesehen haben, [...] die Sehnsucht nach dem Museum wecken und in ihnen die geistigen Voraussetzungen für einen intensiven Kunstgenuß schaffen." 152 Während Becker sich für eine Integration des Radios in die Kulturpolitik stark machte,153 gab Waetzoldt so einen Eindruck davon, wie sehr die Radiovorträge den ästhetischen Anspruch des Ressorts trugen und wie differenziert man dabei, auch in Reaktion auf die Museumsmüdigkeit gegen Ende der 20er Jahre, 154 mit dem Rundfunk operierte. Zumal wenn man das ministerielle Engagement für eine breite Radio-
147 Vgl. Adolph Donath: Die Aufgaben des Generaldirektors
der Berliner Museen, in: Ku.wan., Jg. 9,
1./2. März-Nr. 1927, S. 265 f; Pressetext Waetzoldt: Die Staatlichen Museen Berlins. Ihre Verwaltung - Nicht nur Stätten des Sammeins, sondern auch Lehr- und Forschungsinstitute - Ausstellungen und Führungen,
18.8.1928, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 321-322; Wilhelm
Waetzoldt: Museums-Propaganda.
Ihre Möglichkeiten und Grenzen, in: Die Kunstauktion, Jg. 4,
Nr. 3,19.1.1930, S. 1 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6731; Alfred Neumeyer: Die Pressestelle, in: Beri. Mus., Jg. 52, Nr. 2, 1931, S. 45. 148 Wilhelm Waetzoldt: Museum und Rundfunk,
in: Ku.wan., Jg. 10, 1./2. Jan.-Nr. 1928, S. 185 f,
S. 185. 149 Vgl. ebd. 150 Vgl. dazu auch Koch (DNVP), 4.4.1930, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 13457; siehe dazu auch schon Falke an KM, 8.3.1927, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 3. 151 Vgl. Wilhelm Waetzoldt: Museum und Rundfunk,
in: Ku. wan., Jg. 10,1.12. Jan.-Nr. 1928, S. 185 f,
S. 185; siehe dazu später auch Ku.bl., Jg. 16, Dez. 1932, S. 92 f. 152 Wilhelm Waetzoldt: Museum und Rundfunk,
in: Ku.wan., Jg. 10, 1./2. Jan.-Nr. 1928, S. 185 f,
S. 185. 153 Vgl. Rede Becker, 6.2.1928, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1533; Redeentwurf Becker: Rundfunk und Volksbildung, [nach 1930], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 8125; siehe auch Rundfunkkommissar Reichspostministerium an KM, 23.4.1928, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 13-15; Karl Scheffler: Kulturabbau, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, Dez. 1932, S. 468-470; Wissenschaft, Kunst und Volksbildung 1929, S. 79-82. 154 Vgl. Wilhelm Waetzoldt: Museum und Rundfunk, in: Ku.wan., Jg. 10,1./2. Jan.-Nr. 1928, S. 185 f.
III.
458
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Versorgung bedenkt, 155 spiegelte das Bemühen um eine Kunstvermittlung über den Äther sehr sinnfällig das Ideal der landesweiten Kunstpopularisierung wider.156 Hatte die Popularisierungspolitik des Ministeriums damit in der zweiten Hälfte der 20er Jahre vor dem Hintergrund der kulturpolitischen Ambitionen Beckers und durch die verbesserte Finanzlage, aber auch dadurch, daß man auf den unter Boelitz geleisteten strukturellen Vorarbeiten aufbauen konnte, noch einmal eine universellere Dimension bekommen, bemühte sich das Ressort Grimme seit 1930 um eine Fortsetzung dieser Politik. Basis dafür war die weltanschauliche Nähe von Grimme und Becker (siehe Kap. III. 1.). Grimme, der sich schon in den frühen 20er Jahre an der Kunsterziehungsbewegung orientiert hatte, begriff die Beschäftigung mit Kunst wie sein Vorgänger als elementaren Beitrag zur Persönlichkeitsbildung und Fundierung der nationalen Kulturgemeinschaft. Entsprechend betonte er während der Jubiläumsfeierlichkeiten der Museen Anfang Oktober 1930 (siehe Kap. III. 4.1.), „daß es außer dem religiösen Ergriffensein keine andere Kraft gibt, die den einzelnen Menschen und ein ganzes Volk so zu formen vermag wie das Erlebnis großer Kunst". Daraus leitete er die Forderung ab, „alles daran zu setzen, daß die Kunst als menschenformende und volkprägende Kraft [..] lebendiges Gemeingut des ganzen Volkes wird." Zentrales Anliegen der Kulturpolitik müsse „die Erziehung der Gesamtheit unseres Volkes zur Kunst und damit zur geistigen Volkwerdung" sein.157 Diese idealistische Vision wollte Grimme durch konsequente Übertragung des in den Schulen bereits etablierten ästhetischen Anspruchs auf die Erwachsenenbildung gefördert wissen.158 Dabei kam es ihm vor allem auf zwei Aspekte an, die die Idee der Persönlichkeitsbildung durch Kunst idealtypisch spiegelten: Zum einen ging es ihm um die individuelle Vertiefung in einzelne Kunstwerke. Deutlich kam dies etwa bei der Eröffnung des Pergamonmuseums im Oktober 1930 zum Ausdruck, als Grimme die Werke zu lebendigen Wesen stilisierte und diese zum Betrachter sprechen ließ (siehe Kap. III. 4.1.). Zum anderen stellte die Beschäftigung mit der vorbildlichen Künstlerpersönlichkeit einen zentralen Ansatzpunkt für Grimme dar.159 Klar wurde dies zum Beispiel durch die Ansprache zur Rembrandt-Ausstellung in der Akademie (siehe Kap. III. 3.2.), in der der neue Minister Ende Februar 1930 sagte: „wenn ein Künstler diese Kraft hat, über die Jahrhunderte hinweg den Menschen, der seinem Werke naht, im Kerne seines Wesens anzurühren und ihm für
155 So waren 1929/30 insgesamt 7000 Rundfunkempfänger vom Ministerium an preußische Schulen, besonders im Osten des Landes, verteilt worden, vgl. KM: Zusammenstellung preußischen
Regierung
auf dem Gebiete der Kulturpolitik seit November
der Leistungen
der
1918, 1931, ms., in:
GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a; Hübner, 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 22 f u. 26; Weiser 1996, S. 61-63; vgl. dazu auch Oestreicher (SPD), 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 13. 156 Zum Kontext vgl. auch Windhöfel 1995, S. 20; Langewiesche 1982, S. 394. 157 Grimme 1932 a, S. 65; vgl. auch Grimme 1930, S.263; Seiters 1990, S. 263, S. 59. 158 Vgl. Grimme 1932 a, S. 66. 159 Vgl. auch ebd., S. 87-110; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 21 f; Rede Grimme, 19.3.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 401.
y Bildungskonzepte und Popularisierungsaktivitäten
459
sein Wachstum Ziel und Richtung abzustecken, dann ist es Rembrandt, [..] der Erzieher zur Echtheit und Wahrhaftigkeit, Rembrandt, der sein Leben löste von jeder Bindung, nur nicht von der ans eigene Gesetz, der darum typisch unkonventionelle Mensch, den sein Sucherethos immer freier machte von Routine, und der, weil er das Wesen wollte, immer größer, weil immer einfacher wurde". 160 Die Auseinandersetzung mit einzelnen Werken und Künstlerindividuen wurde in Grimmes Vorstellung zum wichtigen Gesichtspunkt im Bemühen um individuelle wie gesamtgesellschaftliche Differenziertheit. Dadurch, daß Grimme einen allgemeinen Wert des Ästhetischen und die unkonventionell-unangepaßte Kreativität zu maßgeblichen Kriterien erklärte, distanzierte er sich zugleich von der immer stärker polarisierten, von inhaltlicher Festlegung bestimmten zeitgenössischen Diskussion um Kunst und Gesellschaft. 161 Wie seine Amtsvorgänger verstand Grimme den ästhetischen Anspruch bewußt schichtenübergreifend. Als Sozialdemokrat setzte er jedoch noch einmal einen speziellen Akzent auf die Verknüpfung von Kultur, Arbeitswelt und Arbeiterbildung. 162 Neben der individuellen Annäherung an Kunst waren Grimme hier stets auch kollektive Vermittlungsansätze wichtig. 163 Vor diesem theoretischen Hintergrund blieb die praktische Popularisierungspolitik des Ministeriums unter Grimme von ähnlichen Schwerpunkten geprägt wie zuvor. Selbst seit Jahren für die Schulreform engagiert, richtete Grimme in Ubereinstimmung mit dem Landtag 164 sein Augenmerk weiterhin auf den Zusammenhang Kunst und Schule. Die Stärkung des Kunstunterrichts durch Boelitz und Becker sah er als Wandel an, der „einschneidender
160 Grimme 1932 a, S. 86 f. 161 Zur zeitgenössischen Diskussion vgl. Kulturbolschewismus,
ein neues Schlagwort, in: General-
anzeiger Dortmund, 12.7.1929, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7758; LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 17-19, 22 u. 26 f; LT, W P 3, Prot., Sp. 13475-13478, 13480 f, 13511-13513, 13516,13522-13525,13529,13554,19234,19237 u. 19243; Willi Wolfradt: Die Kunst und das Zeitgeschehen, in: Kunst der Zeit, N.F. Jg. 1, Nr. 3, Dez. 1929, S. 57 f; Ernst Kállai: Burgfriede in der Kunst, in: Weltb., Jg. 26/1, Nr. 13, 25.3.1930, S. 463-465; Künstler gegen die Freiheit der Kunst, in: Kunst der Zeit, N.F. Jg. 1, Nr. 9, Juni 1930, S. 205 f; Ernst Kállai: Kunstpolitik
links,
in: Weltb., Jg. 26/2, Nr. 44, 28.10.1930, S. 657-660; Kunstkritiker, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 128; Was ist nationalsozialistische Kunst?, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 154; Adolf Behne: Otto Müller, in: Weltb., Jg. 27/1, Nr. 24, 12.6.1931, S. 885 f; Adolf Behne: Die Kunst als Waffe, in: Weltb., Jg. 27, 2, Nr. 34,25.8.1931, S. 301-304; Ernst Kállai: Das Dritte Reich im Bild, in: Weltb., Jg. 27/2, Nr. 49, 8.12.1931, S. 852-854; Karl Scheffler: Nationale Kunst, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, März 1932, S. 72-78. 162 Vgl. Grimme: Gedanken über Kultur und Wirtschaft, 5.6.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 557; Rede Grimme: Die Sozialdemokratie als Kulturbewegung,
30.8.1931, ms.,
in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 388; Grimme 1932 a, S. 32 f, 46 u. 71-77. 163 So setzte sich Grimme etwa für die Volksbühnenbewegung, die Arbeitersängerbewegung u. ä. ein, vgl. Grimme 1932 a, S. 4 3 - 4 6 ; Grimme 1930; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 75-83; siehe dazu auch Seiters 1990, S. 48 f; Kulturverwaltung der Zwanziger Jahre 1961. 164 Vgl. Oestreicher (SPD), Bohner (DDP), Baecker (DNVP) u. Schuster (DVP), 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 13 u. 20-22; Bohner (DDP), 5.4.1930, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 13519; Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 5 f; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19212 f.
460
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
ist als der Schulfortschritt auf irgendeinem wissenschaftlichen Gebiet." 1 6 5 Angesichts dessen bemühte er sich zusammen mit dem Zentralinstitut um eine Fortsetzung der bisherigen Aktivitäten. 166 Parallel dazu bekundete Grimme sein Interesse am Vermittlungsmedium Rundfunk. Dabei stilisierte er Rundfunk und Kunst zu konstitutiven Größen innerhalb des nationalintegrativ wie völkerverbindend intendierten ministeriellen Bildungsanspruchs. 167 Sinnfälligen Ausdruck fand dies etwa darin, daß Grimme dem Haus des Rundfunks in Berlin 1931 als Eröffnungsgeschenk eine Plastik von Georg Kolbe (Abb. 5) übergab, die das „Emporschweben der Radiowellen" darstellen sollte (siehe Kap. III. 6.2.). 168 Der Volksbildungsanspruch, die Aspekte Rundfunk und Kunst sowie die Idee der ästhetischen Gestaltung des öffentlichen Raumes griffen hier an einem Ort markant ineinander. Die Museumsfeiern vom Oktober 1930 rückten zudem unter Grimme noch einmal die staatlichen Sammlungen als Vermittlungsinstitutionen in den Vordergrund (siehe Kap. III. 4.). Die Relevanz, die der Minister in diesem Kontext der Wirkung des Einzelkunstwerks zuschrieb, bestätigte sich auf eindringliche Weise im Konflikt um den möglichen Tausch der Nofretete gegen eine bedeutsamere Ranofer-Statue im Frühsommer 1930, der vom Stifter James Simon und der Fachwelt befürwortet, von der Öffentlichkeit jedoch abgelehnt wurde. 169 Daß sich Grimme schließlich gemeinsam mit Waetzoldt für einen Verbleib der 165 Grimme 1932 a, S. 66. 166 Vgl. Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 159; Reiss 1981, S. 173-213; Gedenktext Grimme zum Tod von Friedrich Schmidt-Ott, Mai/Juni 1956, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 462; ZA 1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 324; Arbeitsgemeinschaft Museum und Schule, in: Beri Mus., Jg. 51, Nr. 2, 1930, S. 45 f; Zentr.hl. Unterr.verw., Jg. 72, Nr. 1, 5.1.1930, S. 12; Nr. 7, 5.4.1930, S. 94; Vorträge der Staatlichen Kunsthibliothek, in: Zentr.hl. Unterr.verw., Jg. 74, Nr. 3, 5.2.1932, S. 69; Oestreicher (SPD), 17.2.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 13; Schunk 1993, S. 456. 167 Vgl. Rede Grimme, 26.1.1931, ms., S. 1-3, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 369; ähnlich auch Rundfunk im Dienst der Volksbildung. Eine Rede des Kultusministers Grimme, in: Funk, Nr. 6, 1931, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45; zur Bedeutung des Rundfunks für das Ministerium vgl. auch Bildende Kunst im Rundfunk, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 15, 1.9.1931, S. 203; Text Grimme, 10.1.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 398; Rundfunk-Rede Waetzoldt: Neues aus den Museen, [Sommer 1932], in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I, Bl. 17-25; Ku.bl., Jg. 16, Dez. 1932, S. 92 f; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 466. 168 Vgl. Rede Grimme, 26.1.1931, ms., S. 4, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 369. Bei der Plastik handelte es sich um die Bronzefigur Nacht von 1930, vgl. dazu auch Berger 1994, S. 100 u. 294-296; Berlin, Berlin 1987, S. 384 f. 169 Vgl. dazu ausführlich Matthes 2000; Krauss 1987; Girardet 1982, S. 86-93; Schunk 1993, S. 459 f; Schmitz 1931, S. 12, 131-140 u. 185; Watzinger 1944, S. 436 f; Hedwig Fechheimer: Austausch ägyptischer Kunstwerke, in: Ku. u. Kit., Jg. 28, Nr. 8, Mai 1930, S. 334; vgl. auch Hallensleben etc. (DVP) an LT, 11.4.1930 u. Grimme an Präsident LT, 26.6.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3, Nr. 4 u. Nr. 4, adh. 3; Buchhorn (DVP), 23.5.1930, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 14363 f; Berliner Künstler zum Nefretete-Streit [sie], in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 11, 1.6.1930, S. 164 f; J. Meier-Graefe: Die Büste der Königin Nofretete, in: Ku. u. Kit., Jg. 28, Nr. 12, Sept. 1930, S. 479-481; James Simon: Um Nofretete. Offener Brief an den Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in: BT, 28.6.1930, abgedruckt in Girardet 1982, S. 92.
5. Bildungskonzepte und
Popularisierungsaktivitäten
461
beliebten Büste in Berlin aussprach,170 ist wohl im Zusammenhang mit dem ästhetischen Bildungsanspruch des Ressorts zu sehen. Als Hinweis darauf kann die Diskussion um den Wert des Ästhetischen und die Relevanz des Publikumsgeschmacks gelten, die sich an der ministeriellen Entscheidung entzündete. Simon kritisierte die Ablehnung des Tausches dabei als schlechtes Zugeständnis an das Publikum und bemerkte dazu: „Die Dargestellte ist eben eine schöne Frau, und man weiss ja, wie leicht der Laie dazu kommt, die Schönheit des Objektes mit dem Wert der künstlerischen Darstellung zu verwechseln."171 Im Gegenzug vertrat etwa die Weltbühne die Ansicht, wichtig sei allein, „daß das Publikum [...] die ägyptische Königin in sein Herz geschlossen hat. [...] Anstatt froh zu sein, daß Tausende zu dem kleinen Glaskasten in der ägyptischen Abteilung pilgern, daß ein Kunstwerk Gegenstand der allgemeinen Diskussion ist [...], anstatt froh zu sein, daß ein Museum Brennpunkt des öffentlichen Kunstinteresses geworden ist, [...] stellt der verärgerte Fachmann griesgrämige Erwägungen an und gibt seinen [...] Abscheu vor dem Geschmack des Publikums kund."172 Die Entscheidung des Ministeriums für ein Kunstwerk, dessen Schönheit vielen zugänglich war, war in diesem diskursiven Umfeld kaum anders denn als Ausdruck des ministeriellen Vermittlungsanspruchs zu lesen. Umgekehrt hätte sich das Ressort mit einem Votum gegen das Publikum im Widerspruch zu seiner Popularisierungspolitik bewegt. Das Eintreten für die Nofretete stellt sich damit als charakteristischer Ausdruck des auf das ästhetische Einzelkunstwerk zugespitzten ministeriellen Popularisierungsinteresses dar. So entschieden das Ressort aber auch an Beckers Politik anknüpfte, setzte ihm die Wirtschaftskrise seit 1930 faktisch immer deutlichere Grenzen. Zuvor etablierte Neuerungen, die den Anspruch auf eine Kunstpräsenz im Alltag mittrugen, mußten aufgegeben oder eingeschränkt werden. So traf die Schließung der Akademien Breslau, Kassel und Königsberg (siehe Kap. III. 3.1.) die Kunstlehrerausbildung empfindlich.173 Für die Ankäufe durch die Oberpräsidenten versiegten unter Grimme ebenso die Mittel174 wie für Neuerwerbungen zur Ausstattung staatlicher Gebäude.175 Zudem mußten Zahlungen etwa an den Bund für
170 Vgl. Grimme an Präsident LT, 26.6.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3, Nr. 4 u. Nr. 4, adh. 3; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 174; siehe dazu auch Krauss 1987, S. 108-110; Ernst Feder: Die Wahrheit über die bunte Königin,
in: National-Zeitung
Basel,
28.1.1947, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Otto Braun, Paket D 5, Nr. 100. 171 James Simon: Um Nofretete. Volksbildung,
Offener Brief an den Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und
in: BT, 28.6.1930, zitiert nach Girardet 1982, S. 92; siehe dazu auch J. Meier-
Graefe: Die Büste der Königin Nofretete, in: Ku. u. Kü., Jg. 28, Nr. 12, Sept. 1930, S. 479-481. 172 Walther Karsch: In Sachen Nofretete, in: Weltb., Jg. 26/2, Nr. 28, 8.7.1930, S. 69 f. 173 Vgl. dazu auch Reiss 1981, S. 176-187. 174 Vgl. KM (Hübner) an Justi, 18.7.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1; siehe dazu auch Behörden und Künstlerschaft, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 5, 1.3.1931, S. 60; Oberpräsident Münster an Justi, 18.12.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. 175 1930 waren 1693 Werke an Provinzen und Staatsgebäude verliehen, 1931 reduzierte sich die Zahl auf 1670 und 1932 auf 1655, vgl. Jahresbericht N G 1930, Justi an KM, 5.10.1931, ms., Jahresbericht N G 1931, Justi an KM, 26.10.1932, ms. u. Jahresbericht N G 1932, Justi an KM, 23.9.
462
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Kunsterziehung eingestellt werden.176 Kritisch brachte das Dilemma zwischen Popularisierungsideal und schwindenden Finanzen eine zur Jahreswende 1931/32 publizierte Satire auf den Punkt, die den Kulturminister vor dem Hintergrund der nationalen Bedeutung der Kunst für eine Revision der Einschränkungen in der Kunstförderpolitik eintreten ließ. 177 Das Ministerium reagierte auf dieses Dilemma etwa mit einem Appell an die Provinzbehörden, moderne Kunst zu erwerben, und mit einem Erlaß, der die verbindliche Berücksichtigung bildender Künstler bei Staatsbauten vorsah.178 Das Ministerium suchte die Präsenz von Kunst im Alltag auf diese Weise zumindest ideell weiterzufördern. 179 Als letztes demonstratives Bemühen des Ministeriums, auch und gerade in den polarisierten frühen 30er Jahren seinen auf Ausgleich zielenden ästhetischen Bildungsanspruch aufrechtzuerhalten, kann Grimmes Rede zur Schau Das zeitgemäße Gebrauchsgerät Ende 1931 im alten Kunstgewerbemuseum gelten. Grimme erklärte hier zunächst: „Wenn die staatliche Kunstverwaltung mit dieser Ausstellung dem Gebrauchsgerät des Alltags ihre Aufmerksamkeit widmet, so bekennt sie sich damit [...] zu der Notwendigkeit, mit ihrer Arbeit auch in das Leben unmittelbar und so weit hinein wie nur irgend möglich zu wirken." 180 Stellte er sich damit hinter die Idee der museal vermittelten Synthese von Kunst und Leben, begründete der Minister deren Relevanz bezogen auf den Ausstellungsgegenstand zusätzlich. Die ornamentlose Form galt ihm dabei als adäquater Ausdruck der materiell armen Gegenwart. Die gezeigten Gegenstände sah er deswegen als vorbildlich an, weil bei ihnen „der Unterschied zwischen der Welt der Gebrauchsgeräte und der Welt der schönen Künste aufgehoben ist." 1 8 1 Davon ausgehend konstatierte er: „Wenn Kunst überall da erreicht ist, wo die dem [..] Zweck adäquate Form gefunden ist, dann befinden wir uns hier in einer echten Kunstausstellung [...]. Und das ist ein wahrhaft tröstlicher Gedanke in unserer Zeit [...], daß der Wille zum Schönen sich [...] mit ungebrochener Kraft ins Werk umsetzt bis in das Gebrauchsgerät des Alltags hinein. Und wenn wir [...] durch diese Räume wandern, dann wird uns [...] bewußt, daß das letzte Motiv dieser Ausstellung eben1933, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 4; vgl. dazu auch Justi an KM, 11.10.1930, ms., KM (Haslinde) an Justi, 21.10.1930, ms. u. Justi an Hoecker, 13.10.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31. 176 Vgl. Hertwig (DNVP), 21.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 19236 f. 177 Rudolf Bosselt: Eine märchenhafte Silvesterunterhaltung,
in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 1, 10.1.1932,
S. 5 - 8 . 178 Vgl. Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 19213-19215; Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 5; Bohner (Dt. Staatsp.), 6.3.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 204, Sp. 6; siehe auch Arbeitsbeschaffung,
in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 15, 1.9.1928, S. 256; Otto
Marcus: Mitgliederversammlung
vom 11.-13. September.
in Nürnberg
Verhandlungsbericht,
in:
Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 17, 16.10.1928. 179 Zum Kontext vgl. Grimme: Kultur in Not. Ein Rundfunkvortrag 10.1.1932,
des Staatsministers Grimme am
in: Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 74, Nr. 2, 20.1.1932, S. 4 6 - 4 9 ; Abdruck auch in: Königs-
berg Hartungsche
Zeitung, Nr. 21, 14.1.1932, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45.
180 Rede Grimme, 14.11.1931, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 393; zur Rede vgl. ZA Der Heimatdienst,
1. Dez.-Nr., 1931, S. 369, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme,
Nr. 393. 181 Rede Grimme, 14.11.1931, ms., S. 2, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 393.
5. Bildungskonzepte
und
Popularisierungsaktivitäten
463
so ein ästhetisches wie ein ethisches ist; denn wer wollte leugnen, daß die Bedeutung des Gebrauchsgeräts über seinen Nutzwert hinaus darin besteht, daß es die Kraft besitzt, zum heimlichen Werktagserzieher der Nation zu werden." 182 Die Rede spitzte noch einmal zu, worum es dem Ministerium bei der Kunstvermittlung an breiteste Schichten ging. Im Mittelpunkt stand die Vorstellung vom Ästhetischen, das den Menschen prägen kann und umso größere Wirkung entfaltet, je mehr es die eigene Zeit spiegelt und in vielfältige Lebensbereiche hineinwirkt. Nach dieser Vorstellung stellten sich sowohl die hohe Kunst als auch die ästhetische Alltagsgestaltung als Mittler einer differenzierten Entwicklung des Einzelnen dar. Die Konfrontation mit dem Schönen sollte überdies den Boden für ein Kulturgemeinschaftsideal bereiten, das auf ethisch-sozialen Werten basierte. Deutete sich dieses Ideal bereits in Grimmes Rede an, wurde es noch deutlicher durch die Notizen, mit denen Waetzoldt im Vorfeld der Rede den ethischen Wert der Präsenz des Ästhetischen konkretisiert hatte: „Wer gewöhnt ist, auch unter den Dingen der täglichen Umgebung nur das Saubere, das Reine und Einfache zu dulden, verlernt das Hässliche zu sehen und das Schlechte zu tun." 183 Die Verbindung von Kunst und Volk wurde so mit einer Gesellschaftsvision verknüpft, die ähnlich bereits seit 1918 vom Ministerium vertreten worden war. Daß die Ausstellung, aus deren Anlaß Grimme seinen Anspruch so nachdrücklich betonte, nicht nur den Bogen zu einer 1919 am selben Ort gezeigten, ebenfalls vom Ministerium geförderten Ausstellung einfachen Hausrates schlug (siehe Kap. II. 5.2.),184 sondern an der Prinz-Albrecht-Straße zudem in einem für die Popularisierungspolitik des Ressorts idealtypischen Kontext gezeigt wurde (siehe Kap. III. 4.2.),185 unterstreicht die Kontinuität des Ästhetisierungsanspruchs. Zu Beginn der 30er Jahre war die Formulierung dieses Anspruchs indes letztlich nur noch als Selbstbehauptungsversuch der in die Defensive gedrängten Republik zu verstehen.
182 Ebd., S. 2 f. 183 Notiz Waetzoldt: Das zeitgemäße Gebrauchsgerät,
14.11.1931, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92
Nl. Grimme, Nr. 393. 184 Zur Bedeutung solcher Ausstellungen vgl. auch G. F. Hartlaub: Aufgaben
des modernen
Kunst-
museums, in: Ku.wan., Jg. 8, 1./2. Dez.-Nr. 1926, S. 133-136. 185 Vgl. dazu auch Rede Waetzoldt, 14.11.1931, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 393.
6. Die Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst 6.1. Engagement für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen: Formen der Künstlerhilfe Die nationale Relevanz, die das Ministerium der Kunst wie gerade der aktuellen Kunstproduktion im Zusammenhang mit seinem Kulturgemeinschaftsideal zuschrieb (siehe Kap. II. 5.1. und III. 5.), stand in Widerspruch zur Künstlernot der Zeit. Schnell war daher die wirtschaftlich-soziale Unterstützung bildender Künstler zum Thema der ministeriellen Kunstpolitik geworden. Unter Haenisch waren mit der Förderung von Verkaufsausstellungen, dem Protest gegen die Luxussteuer und dem Einsatz für eine zentrale Künstlervertretung, aber auch durch Appelle für private Förderung Akzente gesetzt worden. Angesichts geringer Etats konnte das Ministerium den Künstlern jedoch gleichzeitig kaum finanzielle Hilfen gewähren (siehe Kap. II. 5.2.). Nach Haenischs Rücktritt bemühte es sich darum, Wege zu finden, über die dem Dilemma zwischen dem Anspruch auf Künstlerhilfe und dem begrenzten staatlichen Handlungsspielraum zu begegnen war. Während der Reichswirtschaftsverband bildender Künstler den Staat nun verstärkt in die Pflicht nahm,1 entschied sich das Ressort zunächst dafür, daß die Aktivitäten weniger auf die Unterstützung einzelner Künstler als vielmehr auf eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für das künstlerische Schaffen insgesamt ausgerichtet sein sollten. So forderte Trendelenburg Ende 1921: „bei der notwendigerweise subjektiven Einstellung aller künstlerischen Bestrebungen erscheine es geboten, [...] sich auf die Förderung von [..] Bestrebungen zu beschränken, die sich als neutral darstellen: Erleichterung von Ausstellungen, Neubauten und dergl." 2 Waetzoldt erklärte Ende Mai 1922 ähnlich, Preußen sei mit den anderen Ländern darin einig, „dass der Not der Kunst und nicht der Künstler abzuhelfen sei." Unterstützung wollte er vor allem dem Nachwuchs und „der produktiven Kraft" zukommen lassen.3 Der
1 Vgl. Die Not der deutschen Kunst, in: Ku.wan., Jg. 4, 1. März-Nr. 1922, S. 304 f; Die Kunstfürsorge
unzulängliche
des Staates, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 7, April 1922, S. 2 f; Otto Marcus: Bericht des
RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 8, April 1922, S. 1 f; Abschr. KM (Waetzoldt) an RWVbK (Marcus), 2.8.1923, in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 348 r. 2 Trendelenburg, 28.11.1921, in: LT, W P 1, HA, Szg. 75, Sp. 18; vgl. auch Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4358; Boelitz 1924, S. 7. 3 Vgl. Niederschrift über die Sitzung im Reichsministerium des Innern am 28. Mai 1922 über die Notlage der deutschen Kunst, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/258, Bl. 112-115, Bl. 114. Die Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4358 bekräftigte entsprechend: „Von dem früher verfolgten Prinzip der häufigen und kleinen Unterstützungen an Künstler, die in Not geraten sind, wurde abgesehen, dafür wurden seltener, dann aber bedeutendere Summen zur Förderung und Unterstützung an aufstrebende Künstler gegeben." Nachzuweisen sind Beihilfen des Ministeriums Boelitz an den jungen Bildhauer Hübel (vgl. Hinweis 25.2.1922, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6798; Becker an Hoffmann, 19.9.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4139; Briefe April/Mai 1923 in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4207), an den als Talent geltenden Maler Harro Siegel (vgl. Becker an Waetzoldt, o.D., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4942) oder an Richard Hartmann (vgl. Briefwechsel Hartmann - Becker 1919-25 in:
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Künstlerhilfe
465
Anspruch auf eine Verbesserung der Infrastruktur für künstlerisches Arbeiten verknüpfte sich so v o n vornherein mit einem zielgerichteten nationalen Förderinteresse. F ü r die politische Praxis in der ersten Hälfte der 20er J a h r e bedeutete dies, daß sich das Ressort etwa für eine Verbesserung der Ateliersituation in der Hauptstadt einsetzte. E n t sprechend betonte B o e l i t z im O k t o b e r 1922: „ D e n sich mehrenden Klagen, daß infolge der steigenden W o h n u n g s n o t eine i m m e r größere Zahl der an sich schon nicht zahlreichen Ateliers in Berlin in W o h n r ä u m e oder Geschäftsräume umgewandelt werden, nahm sich die preußische Kunstverwaltung in besonderem M a ß e an, indem sie versuchte, durch E i n w i r ken auf die betreffenden Wohnungsämter zur Beseitigung wenigstens der größten Härten beizutragen, zumal die Berufungen hervorragender Künstler nach Berlin mit den W o h n und Atelierfragen heute in engstem Zusammenhange s t e h e n . " 4 Zwar waren die E i n f l u ß möglichkeiten des Ministeriums begrenzt. 5 D e n n o c h engagierte sich das Ressort gerade aus nationalen Motiven auch in der Folgezeit in der Sache. Deutlich belegt dies ein Brief, mit dem das Ministerium im M ä r z 1923 beim Wohlfahrtsressort für eine besondere B e r ü c k s i c h tigung deutscher Interessen in der Atelierfrage warb und der dabei nicht nur damit argumentierte, daß „die Ateliernot seit dem Kriege F o r m e n angenommen hat, die für die E r h a l tung des K ö n n e n s und für den R u f Berlins als Kunststadt überaus bedenklich sind", sondern als G r u n d dafür auch den Zuzug ausländischer, speziell russischer Künstler anführte. 6 U n d tatsächlich zeigte das Engagement bald ein erstes Ergebnis: I m August 1923 konnte Waetzoldt mitteilen, durch Magistratsverfügung v o m 22. Mai sei den Berliner Bezirksämtern aufgegeben worden, alle frei werdenden Ateliers zu melden und diese in A b s p r a c h e mit dem Reichswirtschaftsverband zu besetzen. 7 D u r c h die Meldepflicht hoffte man auch von Ateliers zu erfahren, die „für bedeutende Künstler und Lehrer der hiesigen staatlichen Kunstlehranstalten in Betracht k o m m e n k ö n n t e n . " 8 D i e Atelierfrage entpuppte sich so als zusätzlich relevant im Zuge der Anstrengungen, die kunstpolitische Führungsrolle Preußens zu behaupten (siehe Kap. I I I . 3 . I . ) . 9 Zugleich wies die K o o p e r a t i o n mit dem Reichswirtschaftsverband auf die soziale Bedeutung der Meldepflicht hin. 1 0
GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 858); siehe dazu auch Beckers Kontakt zum Maler Lohe, vgl. Briefwechsel 1922-24 in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4602. 4 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4358; zu ähnlichen Aktivitäten in Sachsen vgl. P.S-i.: Werkstätten für Künstler, in: Ku.wan., Jg. 4, 2. Okt.-Nr. 1922, S. 81 f. 5 Vgl. Nentwig, 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 12 f; siehe dazu auch Heß (Z), 30.11. 1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 11 f. 6 Vgl. Abschr. KM (Nentwig) an Ministerium für Volkswohlfahrt, 3.3.1923, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 31-32; zu den Hintergründen vgl. Schlögel 1998, S. 80-84. 7 Abschr. KM (Waetzoldt) an RWVbK (Marcus), 2.8.1923, in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 348 r; vgl. auch Schunk 1993, S. 434. 8 Abschr. KM (Waetzoldt) an RWVbK (Marcus), 2.8.1923, in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 348 r. 9 Vgl. dazu L. Schmidt 2000, S. 271-274. 10 Vgl. Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 20; Kahle 1977, S. 542; zum ministeriellen Einsatz in der Atelier- und Wohnungsfrage siehe auch Redslob an Justi, 14.5.1923, ms., Redlosb an KM, 15.4.1923, Ds., ms., Redslob an Frau Rohlfs, 25.4.1923, Ds., ms. u. Redslob an KM, 30.4.1923, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 7.
466
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Als weiteren Ansatz im Bemühen um verbesserte Rahmenbedingungen für das künstlerische Schaffen begriff das Ministerium die Einrichtung von Arbeits- und Auftragsvermittlungsstellen für Künstler und Kunstschulabgänger (siehe Kap. III. 3.1.). 11 Auch wenn sich das Konzept nicht landesweit realisieren ließ, ist zumindest die Berliner Stelle, die zunächst der Unterrichtsanstalt und seit 1924 den Staatsschulen angegliedert war, tatsächlich als Beitrag zur ökonomischen Förderung gerade junger Künstler zu verstehen. Überdies kann das ministerielle Engagement für Frachtvergünstigungen bei Ausstellungen (siehe Kap. III. 5.) als Versuch einer wirtschaftlichen Entlastung der Künstler gelten. 12 Und schließlich fügte sich auch der fortgesetzte Einsatz des Ressorts gegen die Luxussteuer in diesen Kontext ein. Eine Revision der bisherigen Regelung suchte das Ministerium vor allem durch Änderungsvorschläge zu erwirken, die es seit Mitte 1922 im Reichsrat einbrachte. 13 Im Herbst 1922 berichtete Boelitz bereits davon, es sei gelungen, „wesentliche Erleichterungen der Luxussteuerpflicht für die Gebiete der Malerei, Graphik und Plastik durchzusetzen." 1 4 Daß die Steuer beim Kunstverkauf schließlich 1926 abgeschafft wurde, 15 war auch auf dieses Engagement zurückzuführen. Zuvor milderte das Ministerium die Wirkung der Luxussteuer, indem es bei Ankäufen der Nationalgalerie die Steuern von der Sammlung tragen ließ. 16 Parallel dazu bekundete es seit 1922 sein Interesse an einer Änderung des Urheber11 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4358. 12 Siehe dazu auch Die Not der deutschen Kunst, in: Ku.wan., Jg. 4, 1. März-Nr. 1922, S. 304 f. 13 Vgl. O. Marcus: Bericht RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 14, 15.7.1922, S. 1 f; Gall (KM) an Ak. d. Kü., 2.8.1922, ms. u. Anlage, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/002, Bl. 93; siehe dazu auch Schunk 1993, S. 434; Baecker (DNVP), 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 5 f; Otto Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 9, 1.5.1922, S. 1 f; Notiz Amersdorffer, 17.7.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/002, Bl. 89-92; O. Marcus: Bericht RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 18, 16.9.1922, S. 1 f; 0 . Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 3, Nr. 1, 1.11.1922, S. 1 f; Biegeleben / Hensel: Gefährdung des Privatbesitzes an historischen Denkmälern und Kunstsammlungen in Deutschland durch Steuergesetze, 1925, gedr., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1797; Becker, 14.12.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 7379 f. 14 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4358; vgl. dazu auch Otto Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 8, April 1922, S. 1 f, S.l. 15 Vgl. Heuer 1983, S. 189; Daweke / Schneider 1986, S. 121-123; Kodlin: Die neuen Steuergesetze, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 10, Okt. 1925, S. 149-154; Kodlin: Die neuen Steuergesetze, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 12, Dez. 1925, S. 189-192 u. Jg. 7, Nr. 2, 1.2.1926, S. 20-24; 5 Millionen für Wissenschaft, 100000 Mark für Kunst im Reichshaushalt, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 4, 1.4.1926, S. 54 f; siehe auch Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 9, Sept. 1925, S. 134 f; Zur „Luxussteuer", in: Mitt. DWB, Jg. 1925/26, Nr. 6, Sept. 1925, S. 1-5; Luxussteuer und moderne Kunst, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Sept.-Nr. 1925, S. 28; Hellwag: Die große Notversammlung der bildenden Künstler im Preußischen Herrenhause am 5. November 192Í, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 12, Dez. 1925, S. 186-188. Die 1929/30 erlassene preußische Gewerbeordnung Schloß Künstler später von vornherein von einer Besteuerung aus, vgl. Drews: Unstimmigkeiten in § 6 der Reichsgewerbeordnung, in: Pr. Verw.bl., Jg. 49, Nr. 50, 8.9.1928, S. 793-795; Ο. M.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 10, 16.5.1929, S. 147 f u. Jg. 11, Nr. 8, 16.4.1930, S. 107 f; Bernhard Blau: Kunstwesen und Steuer, in: Ku.wan., Jg. 13/14, Jan. 1932, S. 121-123; BArchB, R 32, Nr. 316, Bd. 2, Bl. 130-132. 16 Vgl. ζ. B. KM (Waetzoldt) an Justi, 8.2.1923, ms. u. Abschr. Justi an Waetzoldt, 13.2.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 300-301; Schunk 1993, S. 437.
6. Förderung
zeitgenössischer
deutscher Kunst:
Künstlerhilfe
467
bzw. Verlagsrechts in der Form, daß Künstler an der Wertsteigerung ihrer Werke nach dem französischen Vorbild des droit de suite beteiligt werden sollten. 17 Auch hier brachte sich das Ministerium in entsprechende Verhandlungen ein. 18 Durch sein breites Engagement für eine Besserstellung der Künstler, bei dem es sich mit dem Reichskunstwart und dem Reichswirtschaftsverband einig sah, 19 trug das Ressort zur Schärfung des Bewußtseins für wirtschaftlich-soziale Künstlerbelange bei. Auf diese Weise suchte es trotz der beschränkten Mittel den Boden für eine neue gesellschaftliche Rolle der Künstler zu bereiten, die seiner nationalintegrativen Politik entsprach. Während der Landtag 1922/23 eine Künstlerunterstützung forderte, 20 bemühte sich das Ressort in der ersten Hälfte der 20er Jahre überdies darum, die geringen Staatsgelder durch alternative Finanzmittel zu ergänzen. Wie unter Haenisch (siehe Kap. II. 5.2.) galt sein Interesse weiterhin vor allem der privaten Förderung 2 1 - auch wenn von vornherein feststand, daß auch die privaten Möglichkeiten keineswegs mehr denen der Vorkriegszeit entsprachen. 22 Angesichts zahlreicher Hilfsgesuche von Künstlern, auf die man mit den Staats-
17 Vgl. Becker, 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 8; LT, WP 1, Dr. 3490, S. 4212-4215; Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4358; Schunk 1993, S. 434; siehe dazu auch Heuer 1983, S. 50 f; Das neue französische Kunststeuergesetz, in: Cie., Jg. 14, Nr. 2, 1922, S. 284; Waentig (SPD), 7.2. 1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 4; Manasse (USPD) u. Waentig (SPD), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7482 f u. 7488. 18 Vgl. Nentwig, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 7; Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4358; siehe dazu auch Buchhorn (DVP), 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 4 f. 19 Zur intensiven zeitgenössischen Diskussion vgl. Otto Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 9, Juni 1921, S. 3; Rauscher: Luxussteuer und Kunstausstellungen, in: Pr. Verw.bl., Jg. 42, Nr. 48, 27.8.1921, S. 575 f; Flugblatt Wirtschaftlicher Verband bildender Künstler, Febr. 1922, gedr., in: BArchB, R 1501, Nr. 8963, Bl. 222; Neues vom Reichswirtschaftsverband bildender Künstler, in: Ku.wan., Jg. 4,1. Jan.-Nr. 1922, S. 207; Otto Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 5, Febr. 1922, S. 1 f; Die Not der deutschen Kunst, in: Ku.wan., Jg. 4, 1. März-Nr. 1922, S. 304 f; Die unzulängliche Kunstfürsorge des Staates, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 7, April 1922, S. 2 f; Otto Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 8, April 1922, S. 1 f; O. Marcus: Bericht RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 14, 15.7.1922, S. 1 f; O. Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 3, Nr. 1, 1.11.1922, S. 1 f; LT, WP 1, Prot., Sp. 17360; Karl Hermann: Luxussteuergesetz und moderne Graphik, in: Ku. u. Wi., Jg. 4, Nr. 7, 1.4.1923, S. 1 f u. Nr. 8, 16.4.1923, S. 1 f; Felix Szkolny: Kampf gegen die Luxussteuer, in: Ku.chr., Jg. 59/1, Nr. 13, 27.6.1924, S. 229-231; Kahle 1977, S. 542. 20 Vgl. LT, WP 1, Dr. 3113, S. 3595 f; Dr. 5110, S. 5994; Dr. 7508, S. 7961; Dr. 8195, S. 9245; LT, WP 1, Prot., Sp. 7428, 7445, 7474, 7480, 7482 f, 7488, 17025, 17381, 17389 f, 17394 u. 21221; LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 11 f u. 14 f; Szg. 200, Sp. 11 u. 36; siehe auch Wolfradt: Bodes Museumsstiftung, in: Cie., Jg. 15, Nr. 4, Febr. 1923, S. 203; Adolf Behne: Preußische Kunstverwaltung, in: Weltb., Jg. 20/2, Nr. 35, 28.8.1924, S. 333 f. 21 Zum Kontext vgl. M. Frey 1999, S. 125-151; Daweke / Schneider 1986, S. 93-147; speziell zur Ressortpolitik vgl. ausführlich Kessemeier 1998. 22 Vgl. dazu LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 4-6; Manasse (USPD), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7484; Schwering (Z), 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 11; Hoff (DDP), 14.5.1923, in:
468
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
etats nicht adäquat reagieren konnte, 23 rief Becker bereits während seiner ersten Ministerzeit 1921 bei einer Ausstellungseröffnung der Akademie dazu auf: „Wir müssen alle: Künstler und Publikum, private Freunde der Kunst und staatliche Kunstverwaltung uns bemühen, den produktiven Menschen über die augenblickliche Notlage hinwegzuhelfen." 24 Nahm Becker damit neben dem Staat ganz im Sinne seines Kulturgemeinschaftsideals auch die Gesellschaft für die Künstlerunterstützung in die Pflicht, machte sich Boelitz später diesen Ansatz ebenso zu eigen.25 Für die praktische Politik folgte daraus etwa, daß Waetzoldt den Wunsch eines „Kunstfreundes", Kopien von drei Gemälden des Kaiser-FriedrichMuseums anfertigen zu lassen, als Chance nutzen wollte, „wirtschaftlich besonders hart leidenden jüngeren Künstlern durch einen Auftrag eine Unterstützung zu Teil werden zu lassen." 26 Darüber hinaus bemühte sich das Ressort darum, günstigere Bedingungen für die private Kunstförderung zu schaffen. War bereits der Kampf gegen die Luxussteuer auch als Versuch zu lesen, verstärkt zum Kunsterwerb zu animieren, 27 stellten die Verleihung von Ehrenmitgliedschaften der Akademien 28 oder der Einsatz für neue Stiftungsstrukturen wesentliche Aspekte dar.29 Das Ministerium ging jedoch noch einen Schritt weiter, indem es unter Beckers Einfluß seit den frühen 20er Jahren ein mäzenatisches Netzwerk im eigenen Umfeld etablierte und so private Gelder direkt für seine Politik verfügbar machte. 30 Symp-
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LT, WP 1, Prot., Sp. 17389 f; BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 181-184; siehe jedoch auch M. Frey 1999, S. 131-135. Vgl. Nachrichtenblatt Allgemeine Deutsche Kunstgenossenschaft, Mai 1921, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II, Bl. 76-77. Rede Becker, 4.5.1921, ms., S. 2, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1343. Vgl. Boelitz 1924, S. 39 f; Abschr. Boelitz an Grönvold, 11.3.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 5; siehe dazu auch Justi an KM, 27.7.1921, ms., Abschr. KM (Nentwig) an Justi, 12.4.1922, ms., Justi an KM, 28.4.1922, hs., Abschr. Grönvold an Boelitz, 28.3.1922, ms. u. Grönvold an Justi, am 27.3.1922, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 5; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 240. KM (Gericke) an [Amersdorffer], 18.8.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 126 r; siehe dazu auch Entwurf Amersdorffer an Gericke, 9.9.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 127-128. Vgl. B.: Besteuerung des deutschen Kunstbesitzes, in: Cie., Jg. 13, Nr. 24, Dez. 1921, S. 721; Abschr. Verband Deutscher Kunst- und Antiquitätenhändler an Reichsschatzminister, 30.1.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 428; Noack (DNVP), 22.2.1922, in: LT, WP 1, Prot, Sp. 7448; Otto Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 8, April 1922, S. 1 f. Vgl. Ku.chr., Jg. 58/1, Nr. 23, 9.3.1923, S. 458; Zentr.hl. Unterr.verw., Jg. 65, Nr. 7, 5.4.1923, S. 134-136; siehe dazu auch Wallraf (DNVP) u. Kleinspehn (SPD), 14.5.1923, in: LT, WP 1, Prot, Sp. 17381 u. 17404 f. Vgl. Henning 1996. Beckers Förderung der Oppenheim-Stiftung 1922/23 oder eine 1923 vom Ressort vermittelte Klavierfinanzierung durch Hugo Simon können dabei ebenso als Hinweis gelten wie eine Millionensumme, die Freunde der Firma Mendelsohn dem Ministerium 1923 für Bibliotheken und Studenten zur Verfügung stellten, vgl. dazu Becker an Oppenheim, 4.4.1922, ms. u. Oppenheim an Becker, 23.11.1922, ms, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 2190; Abschr. KM an Justi, 20.7.1923, ms. u. Justi an KM, 1.8.1923, D s , ms, in: SMBPK / ZA, Nat.gal, Spec. 30, Bd. 6, Bl. 178-180; Becker an Hugo Simon, 27.4.1923, ms. u. Hugo Simon an Becker, 27.4.1923, hs, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4780; Becker an Georg Götsch, 27.4.1923, ms, in:
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Künstlerhilfe
469
tomatisch erscheint nicht zuletzt, daß Becker selbst Ende 1922 einen Unterstützungsfonds für wissenschaftliche und künstlerische Zwecke einrichtete, in den er bis zum Sommer 1924 seine Privateinkünfte für einen mit 113.000 M vergüteten Lehrauftrag einfließen ließ.31 Speziell der Becker-Fonds und das Netzwerk im Ressortumfeld belegen klar das ministerielle Interesse daran, den eigenen Handlungsspielraum über die Einbeziehung privater Gelder zu erweitern. In diesen Kontext fügten sich auch die großen offiziellen Hilfsprojekte ein, die das Ministerium in der ersten Hälfte der 20er Jahre mittrug. Im Vordergrund stand dabei zunächst die im Oktober 1921 im Umfeld der Glaspalastschauen (siehe Kap. II. 4.2.) von Künstlern initiierte Notspende für deutsche Kunst - ein Konzept, das darauf basierte, daß die Besucher der Juryfreien Kunstschau und später weiterer Berliner Ausstellungen mit ihren Eintrittskarten einen kleinen Originaldruck erwarben und aus diesen Geldern ein Fonds eingerichtet wurde.32 Nachdem Waetzoldt der Notspende von Beginn an seine Unterstützung zugesichert hatte,33 erklärte Trendelenburg dazu Ende 1921, das Ministerium setze im Bemühen, die Not der Künstler zu lindern, auf eine Kooperation mit Berufsorganisationen und die Förderung von dort angeregten Projekten. In diesem Zusammenhang begegne man dem bei der Juryfreien Ausstellung verwirklichten Ansatz, die Besucher auf den Kauf eines Gedenkblattes für eine M zu verpflichten, sehr wohlwollend - „es stehe zu hoffen, daß er bei den größeren Ausstellungen im nächsten Jahre allgemein zur Durchführung gelangen werde." 34 Bald engagierte sich das Ressort auch konkret in der Sache. Nach einem Gespräch Waetzoldts mit Redslob 35 ließ es im April 1922 eine Information in der Presse verbreiten, in der es hieß: „Die Notspende für deutsche Kunst, [...] deren Grundlage durch den Verkauf von Kunstdenkblättern in einer Reihe Berliner Ausstellungen im vergangenen Jahre gelegt wurde, hat die Aufgabe, zur Erhaltung der deutschen Kunst beizutragen, die durch die Verarmung Deutschlands auf das Schwerste gefährdet ist. Die Notspende soll überall da eingreifen, wo zur Durchführung großer Aufgaben der deutschen Kunst öffentliche und private Mittel nicht ausreichen, und wo es gilt, Vorbildliches und Mustergültiges auf dem
GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 476; Becker an Boelitz, 2.7.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7869; zu Beckers Rolle vgl. auch Herbert Müller an Becker, 3.1. [1924], ms. u. Becker an Müller, 17.1.1924, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 5526; zum Engagement des Ressorts siehe auch Kessemeier 1998; M. Frey 1999, S. 127. 31 Vgl. Becker an Boelitz, 25.11.1922, ms. u. Boelitz an Becker, 13.12.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H.Becker, Nr. 7869; Hinweise auf Boelitz an Becker, 18.11.1922 u. Becker an Boelitz, 25.11.1922, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6798; Hinweise auf Becker an Universitätskasse, 24.3.1924 u. Becker an Boelitz, [Frühjahr] 1924, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 6795. 32 Vgl. Eine Notspende deutscher Kunst, in: Kreuzzeitung, [1921?], in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 17; Ku. u. Wz., Jg. 2, Nr. 2, Nov. 1921, S. 7. 33 Vgl. Eine Notspende deutscher Kunst, in: Kreuzzeitung, [1921?], in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 17. 34 Trendelenburg, 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 18. 35 Vgl. Waetzoldt an Redslob, 6.2.1922, ms. u. KM an Redslob, 8.2.1922, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 10-11.
III.
470
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Gebiete der bildenden Künste zu schaffen." 36 Kurz zuvor war ein Kuratorium gebildet worden, dem neben Akademiesekretär Amersdorffer, Kurt Hermann, Max Osborn sowie den Malern Robert Richter und Hermann Sandkuhl, dem Leiter der Juryfreien Kunstschau, auch Ministerialrat Schnitzler und Waetzoldt als Vertreter des Kultusministeriums angehörten.37 Durch den Pressetext und die Kuratoriumsmitgliedschaft Waetzoldts und Schnitzlers wurde deutlich, wie sehr sich das Ministerium inzwischen mit der Notspende identifizierte auch wenn Waetzoldt weiter deren Selbstverwaltung betonte.38 Vom Reichswirtschaftverband, der sich hier übergangen sah, wurde die Notspende gerade wegen ihrer Nähe zum Ministerium kritisiert.39 Waetzoldt reagierte darauf, indem er das Kuratorium noch 1922 ergänzte und über Alternativen zur Mittelgewinnung nachdachte.40 Gleichzeitig bestätigte sich jedoch der Konnex zwischen Ministerium und Notspende, als sich Waetzoldt seit Herbst 1922 um eine Sicherung des Fonds durch Auslandsgelder bemühte.41 Waetzoldt bot nun etwa dem Maler Paul Ohmert an, dem Notspende-Kuratorium beizutreten. Durch Ohmert, der dem Vorstand der ressortnahen Deutsch-Niederländischen Gesellschaft (siehe Kap. III. 8.) angehörte, hoffte er Kontakte der Notspende nach Holland anzubahnen, nachdem ihm selbst dort „von befreundeter Seite" finanzielle Hilfen avisiert worden waren.42 Waetzoldts Engagement ist in zweierlei Hinsicht aussagekräftig: Zum einen bestätigt es die zentrale Rolle des Referenten für die Notspende, zum anderen zeigt es das Ressortinteresse an deren dauerhafter Wirksamkeit. Und tatsächlich konnte Waetzoldt bereits im Februar 1923 berichten, der deutsche Gesandte in Den Haag habe der Notspende aus Basarerträgen zehn Millionen M überwiesen.43 Bezieht man den ergiebigen Kunstblattverkauf mit ein,44 verfügte die Notspende so 1922/23 über eine solide Finanzbasis. Vom Reichswirtschaftsverband weiter kritisiert, zugleich aber vom Werkbund mit Sympathie begleitet, fügte sich die Notspende als privat finanziertes, vom Ministerium koordiniertes Kunstförderwerk damit bis 1924 als feste Größe in das Bemühen des Ministeriums Boelitz um ideelle wie materielle Künstlerunterstützung ein.45 Parallel zum preußischen Projekt Notspende nahm seit 1922 auch die Notgemeinschaft der deutschen Kunst als reichsweites Unterstützungswerk konkretere Formen an. Nachdem 36 Zitiert nach Ku. u. KU., Jg. 20, Nr. 9, Juni 1922, Anhang S. 2; vgl. auch Otto Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wz'., Jg. 2, Nr. 8, April 1922, S. 1 f. 37 Vgl. Otto Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 8, April 1922, S. 1 f; Ku. u. Kü., Jg. 20, Nr. 9, Juni 1922, Anhang S. 2. 38 Vgl. Niederschrift
über die Sitzung im Reichsministerium
des Innern am 28. Mai 1922 über die
Notlage der deutschen Kunst, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/258, Bl. 112-115, Bl. 114 v. 39 Vgl. Otto Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 9, 1.5.1922, S. 1 f, Nr. 12, 15.6.1922, S. 1 fu. Jg. 4, Nr. 9, 1.5.1923, S. 1. 40 Vgl. Waetzoldt (KM) an Amersdorffer, 24.7.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 118. 41 Vgl. dazu auch LT, W P 1, Dr. 3490, S. 4212-4215. 42 Vgl. Waetzoldt (Notspende) an [Amersdorffer], 17.10.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 125. 43 Waetzoldt (Notspende) an [Amersdorffer?], 7.2.1923, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/258, Bl. 43. 44 Vgl. dazu Amersdorffer an [Waetzoldt?], 31.7.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 119-121. 45 Vgl. Fritz Hellwag: Die Notspende für die deutsche Kunst, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 3 , 1 . 3 . 1 9 2 4 , S. 2.
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Künstlerhilfe
471
das Kultusressort schon unter Haenisch (siehe Kap. II. 5.2.) und B o e l i t z sein Interesse in diese R i c h t u n g signalisiert hatte, 4 6 kam es im Mai 1922 zu einer ersten Besprechung in der Sache zwischen dem Reich und Preußen. Bei dem Gespräch im Reichsinnenministerium, an dem neben Redslob, Vertretern der Akademie der Künste, der H o c h s c h u l e für M u s i k und des Bundes D e u t s c h e r Architekten unter anderem Waetzoldt und Kestenberg teilnahmen, einigte man sich auf eine Mischfinanzierung des zentralen Hilfsprojekts aus Reichsmitteln und Privatspenden sowie auf eine leistungsbezogene Mittelvergabe. 4 7 A u f dieser Grundlage wurde die N o t g e m e i n s c h a f t der K u n s t im N o v e m b e r 1922 gegründet. Als Startkapital standen ihr 25 Millionen M Spendengelder aus der Schweiz zur Verfügung, 4 8 im S o m m e r 1923 wurde dieser G r u n d s t o c k v o m Reich um eine Milliarde M erweitert. 4 9 Bei einer L ä n d e r k o n ferenz in Heidelberg Anfang 1923 verständigten sich R e d s l o b und die Kultusministerien auf Richtlinien für die Notgemeinschaft. 5 0 D u r c h sie wurde festgelegt: „Die Mittel der N o t gemeinschaft sollen nur dazu verwendet werden, Schäden und Gefahren von der deutschen K u n s t fernzuhalten, die ihr aus der finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Notlage des deutschen Volkes als Folge des Krieges und des Versailler Friedens erwachsen, soweit sie die Erhaltung des K ö n n e n s auf allen Gebieten der Kunst in Frage stellen. [ . . . ] Es sind dabei solche Massnahmen ins Auge zu fassen, die allgemein und ohne Rücksicht auf künstlerische Werturteile, die Arbeits-, A b s a t z - und Ausbildungsbedingungen zu verbessern geeignet sind." 5 1 Waren hier bereits Parallelen zu den Bestrebungen des Kultusressorts zu erkennen, bei denen sich nationale und soziale Motive verbanden, sahen die Richtlinien überdies eine Förderung vor allem für Z w e c k e vor, für die sich die Länder bereits engagierten. 5 2 D i e
46 Vgl. Trendelenburg, 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 17 f; Boelitz, 13.12.1921, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 5787; siehe dazu auch den Hinweis auf die nicht erhaltene, 1920-23 geführte Akte des Kultusministeriums zur Notgemeinschaft deutscher Kunst in Findbuch GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve. 47 Niederschrift Uber die Sitzung im Reichsministerium des Innern am 28. Mai 1922 über die Notlage der deutschen Kunst, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/258, Bl. 112-115; zum Kontext vgl. auch Daweke / Schneider 1986, S. 106-108. 48 Vgl. Die Notgemeinschaft der Künste, in: Voss. Ztg., 21.11.1922, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 7255; Vorsitzender Reichsverband Deutsche Presse an Schulz (RMdl), 13.10. 1926, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 319; zur Bedeutung privater Spenden auch in der Folgezeit vgl. Niederschrift Uber die Sitzung im Reichsministerium des Innern am 28. Mai 1922 Uber die Notlage der deutschen Kunst, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/258, Bl. 112-115; Auszug Protokoll Reichsrat, 21.12.1922, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1793; siehe auch BArchB, R 1501, Nr. 8965, Bl. 53-59. 49 Vgl. O. Marcus•. Notgemeinschaft der deutschen Kunst, in: Ku. u. Wi., Jg. 4, Nr. 11,1.6.1923, S. 1 f; Ο. M.: Die Notgemeinschaft der deutschen Kunst, in: Ku. u. Wi., Jg. 4, Nr. 12, 1.7.1923, S. 1 f. 50 Dr. Reichsrat, 22.1.1923, Entwurf von Richlinien für die Notgemeinschaft der deutschen Kunst, [Jan. 1923] u. Protokoll Reichsrat, 27.3.1923, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1793; Richtlinien für die Notgemeinschaft der Deutschen Kunst, [1923], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1397. 51 Richtlinien fUr die Notgemeinschaft der Deutschen Kunst, [1923], ms., S. 1, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1397. 52 Vgl. ebd.
III.
472
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Notgemeinschaft stellte sich damit als Förderwerk dar, das die Länderpolitik ergänzen und daneben dem Reich mit bis zu 25 % der Fondsgelder 53 flankierende Aktivitäten ermöglichen sollte. Auf dieser Basis verständigte sich eine Arbeitsgemeinschaft aus Reich und Ländern 54 im Mai 1923 bei einem Treffen in Goslar, an dem Nentwig, Waetzoldt und Trendelenburg teilnahmen, darüber, wie die Arbeit der für Kunst, Musik, Literatur und Theater zuständigen Notgemeinschaft konkret aussehen sollte.55 Ein preußischer Entwurf nannte Arbeitsvermittlungsstellen für Kunstschulabgänger, die Unterstützung von Graphikabteilungen in den Kunstlehranstalten, Graphikankäufe, Reisezuschüsse für Künstler, die Ausbildung des Nachwuchses, die Unterstützung von Ausstellungen deutscher Kunst und vermehrte Aufträge als zentrale Anliegen für die bildende Kunst. 56 Orientiert daran definierte man die Aufgaben der Notgemeinschaft. 57 Zugleich einigte man sich auf einen Verteilerschlüssel für die Mittelvergabe. Nachdem Preußen zunächst für ein Modell votiert hatte, durch das ihm selbst über 60 % der Gelder zugefallen wären, stimmte es später einem Vorschlag Badens zu, nach dem Preußen 48 % der Mittel erhalten sollte.58 Damit war klar: Die Notgemeinschaft der Kunst würde neben dem Reich vor allem Preußen zugute kommen und dessen Förderpolitik mittragen. Nach dem Goslarer Treffen kam die Arbeit der Notgemeinschaft in Gang. Zwischen Mai 1923 und Anfang 1924 erwarben das Reich und offenbar auch Preußen und Bayern mehrere Werke aus Mitteln der Notgemeinschaft, darunter eine Bronze von Wilhelm Gerstel und ein Gemälde von Hans Baluschek. 59 Bis zum Frühjahr 1924 agierte das Ministerium Boelitz mit Geldern der Notgemeinschaft. 60 So reibungslos wie es scheint, verlief die Etablierung der Notgemeinschaft indes keineswegs. Hatte sich beim Verteilerschlüssel schon angedeutet, daß eine Dominanz Preußens als Problem begriffen wurde, war das Ministerium Boelitz umgekehrt darauf bedacht, den kulturpolitischen Einfluß des Reiches zu begrenzen. So hatte Trendelenburg im Zuge der Vorbereitung eines Reichsratsantrags zur Notgemeinschaft der Kunst 61 bereits Ende 1922 berichtet: „Auch in der heutigen Sitzung wurde auf die Tendenz des Reichs aufmerksam 53 Vgl. ebd., S. 2. 54 In ihr waren das Reich mit drei, Preußen mit einem und die übrigen Länder mit acht Delegierten vertreten, vgl. ebd. 55 Vgl. Niederschrift der Besprechung vom 7. und 8. Mai 1923 in Goslar über die Notgemeinschaft Deutschen
der
Kunst, RMdl (Schulz) an [Teilnehmer der Besprechung], 1.6.1923, gedr. / ms., in:
BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 81-88. 56 Vgl. Abschr. Text [RMdl?], [1922/23?], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1405. 57 Vgl. Niederschrift der Besprechung vom 7. und 8. Mai 1923 in Goslar über die Notgemeinschaft Deutschen
der
Kunst, RMdl (Schulz) an [Teilnehmer der Besprechung], 1.6.1923, gedr. / ms., in:
BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 81-88, Bl. 82 v-85; vgl. dazu auch Schunk 1993, S. 434 f. 58 Vgl. Niederschrift der Besprechung vom 7. und 8. Mai 1923 in Goslar über die Notgemeinschaft Deutschen
der
Kunst, RMdl (Schulz) an [Teilnehmer der Besprechung], 1.6.1923, gedr. / ms., in:
BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 81-88, Bl. 86 v-87 r u. 88 r. 59 Vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 3, 8 - 9 , 25-26, 43, 68, 80, 103-105, 135, 146, 164-165, 167, 216-217 u. 319; BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 353-354 u. 359-361; Notgemeinschaft
der deutschen
Kunst, in: Ku. ». Wi., Jg. 4, Nr. 15, 1.10.1923, S. 3 f. 60 Vgl. Moser in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 2 , 1 . 2 . 1 9 2 4 , S. 6. 61 Vgl. dazu Auszug Protokoll Reichsrat, 21.12.1922, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1793.
6. Förderung zeitgenössischer
deutscher Kunst:
Künstlerhilfe
473
gemacht, sich in kulturellen Dingen zur obersten Instanz über den Ländern zu entwickeln. Das muß bekämpft werden." 62 Deutlich wies der Referent damit auf ein Konfliktpotential hin, das die Verhandlungen zur Notgemeinschaft prägen sollte.63 War die Arbeit der Notgemeinschaft bereits vor diesem Hintergrund erschwert, kam als weiteres Problem hinzu, daß strittig war, in welcher Form die Künstlerorganisationen, allen voran der Reichswirtschaftsverband, in die Aktivitäten einbezogen werden sollten. Die Haltung des Kultusressorts war hier zwiespältig. Zwar bekundeten Becker wie Boelitz auch in Reaktion auf entsprechende Landtagsforderungen64 ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit den Künstlern. 65 Gleichzeitig zeigten sich die Referenten aber skeptisch, ob eine Kooperation mit der uneinigen Künstlerschaft Basis einer konstruktiven Politik sein könne. 66 Bereits beim ersten Koordinierungsgespräch im Mai 1922 waren Bedenken gegen eine frühzeitige Einbindung der Wirtschaftsverbände der Künstler laut worden - das bedeute „den Tod des ganzen Gedankens". 67 In Goslar wies Nentwig dann darauf hin, die soziale Tendenz des Reichswirtschaftsverbands sei nur schwer vereinbar mit der national motivierten Künstlerhilfe, die der Staat mit der Notgemeinschaft der Kunst verfolge.68 Nach einem Treffen im Juni 1923 in München, zu dem auch Künstlerorganisationen hinzugezogen wurden, lehnte der Reichswirtschaftsverband schließlich seinerseits eine Mitarbeit ab.69 Damit stellte sich 62 Trendelenburg an Becker, 7.12.1922, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 3278. 63 Vgl. Niederschrift der Besprechung vom 7. und 8. Mai 1923 in Goslar über die Notgemeinschaft Deutschen
der
Kunst, RMdl (Schulz) an [Teilnehmer der Besprechung], 1.6.1923, gedr. / ms., in:
BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 81-88, Bl. 81 r u. 82; zum Kontext vgl. auch Staatsminister für Unterricht und Kultus München an Vertreter Reichsregierung in München, 15.11.1923, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 80; GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 236-237 u. 243-247; BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 47-48; Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. W«'.,Jg. 6, Nr. 7, Juli 1925, S. 102; Hinweis auf die nicht erhaltene, 1907-27 im Kultusministerium geführte Akte zum ReichLänder-Verhältnis bei der Kunstunterstützung in Findbuch GStA PK, I. H A Rep. 76, V e ; Waetzoldt 1933, S. 84 f. 64 Vgl. Meyer (KPD), 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 5; Waentig (VSd), 30.11.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 154, Sp. 15. 65 Vgl. Boelitz, 13.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5786 f; Becker, 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 7 f. 66 Vgl. Heß (Z), 30.11.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 154, Sp. 16 f; O. Marcus: Notgemeinschaft
der
deutschen Kunst, in: Ku. u. Wi., Jg. 4, Nr. 11, 1.6.1923, S. 1 f; Protokoll Ak. d. Kü., Genossenschaft u. Senat Kunstsektion, 24.3.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 102-111, Bl. 107 r; siehe dazu auch schon Niederschrift Kunstwerken
über Besprechung
und Aufstellung
der Verordnung
eines Reichskunstwarts,
vom 11.12.1919
betr. Ausfuhr
von
5.1.1920, ms., S. 27, in: SMBPK / ZA,
Nachlaß Bode, Nr. 431; zum Topos der uneinigen Künstlerschaft vgl. auch Kahle 1977, S. 541 u. 543. 67 Niederschrift über die Sitzung im Reichsministerium
des Innern am 28. Mai 1922 über die Notlage
der deutschen Kunst, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/258, Bl. 112-115, Bl. 115 r. 68 Vgl. Niederschrift der Besprechung vom 7. und 8. Mai 1923 in Goslar über die Notgemeinschaft Deutschen
der
Kunst, RMdl (Schulz) an [Teilnehmer der Besprechung], 1.6.1923, gedr. / ms., in:
BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 81-88, Bl. 86 r. 69 Vgl. Ο. M.: Die Notgemeinschaft
der deutschen Kunst, \n\Ku. u. Wz., Jg. 4, Nr. 12, 1.7.1923, S. 1 f;
siehe dazu auch Fritz Hellwag: Die Notspende für die deutsche Kunst, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 3,
474
III. Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik 1921-32
die Notgemeinschaft jenseits der Reich-Länder-Problematik in weiterer Hinsicht als belastet dar - w a r doch der Anspruch auf eine Kooperation mit den Künstlern und deren Berufsorganisation bis dahin einer der zentralen legitimatorischen Ansätze f ü r die staatliche Unterstützungspolitik gewesen. Während sich die Notgemeinschaft dennoch neben der Notspende zum zweiten großen Hilfsprojekt im U m f e l d des Kultusministeriums entwickelte, wies gerade der letzte A s p e k t auf ein generelles Dilemma der Künstlerpolitik unter Boelitz hin: auf den Widerspruch z w i schen dem Eintreten f ü r die Belange der Künstler und dem gespannten Verhältnis zum potentiell wichtigsten Kooperationspartner in der Sache, dem Reichswirtschaftsverband. Das schwierige Verhältnis zeichnete sich trotz Berührungspunkten in der Atelier- oder Luxussteuerfrage in der ersten Hälfte der 20er Jahre immer klarer ab. Ausgangspunkt waren die 1921 eingeführten Museumseintritte (siehe Kap. III. 4.2.), die trotz heftiger Proteste auch f ü r Künstler galten. 70 W ä h r e n d sich das Ministerium einer Sonderregelung f ü r Berliner Künstler aus Finanzgründen und unter Hinweis auf die eintrittsfreien Tage verweigerte, 7 1 pflegte der Reichswirtschaftsverband daraufhin das Klischee der kunstfremden Kunstverwaltung, die die Künstler v o n Entscheidungen ausschließe. 72 Statt wie v o n beiden Seiten
1.3.1924, S. 2. Eine Kooperation mit lokalen Wirtschaftsverbänden im Umfeld der Notgemeinschaft schloß das aber offenbar keineswegs aus, vgl. Moser in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 2, 1.2.1924, S. 6. 70 Zur Diskussion darum vgl. Gegen das Eintrittsgeld in den Museen, in: BT, Jg. 50, Nr. 186, 21.4. 1921; O. Marcus: Die wirtschaftlichen Verbände und das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 12, Sept. 1921, S. 3 f; Meyer etc. (KPD), 20.2. 1922, in: LT, WP 1, Dr. 2118, S. 2440; Kunert (SPD), 14.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17365; LT, W P 1, Dr. 8195, S. 9245; Wolfradt: Eintrittspreise in den Berliner Kunstsammlungen, in: Cie., Jg. 15, Nr. 4, Febr. 1923, S. 203; O. Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 4, Nr. 3, 1.2.1923, S. 1 f; Kuhn, in: Ku.chr., Jg. 58/1, Nr. 21, 23.2.1923, S. 414; OM: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 4, Nr. 9, 1.5.1923, S. 1; RWVbK an R M d l , 13.9.1923, ms., Abschr. RWVbK an KM, 9.6.1923, ms., Abschr. RWVbK an LT, 27.10.1922, ms. u. Entwurf R M d l an RWVbK, 24.9.1923, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 350-352. 71 Vgl. dazu auch LT, WP 1, Dr. 4000, S. 4604; LT, W P 1, HA, Szg. 154, Sp. 16 f; LT, W P 1, Prot., Sp. 13864. 72 Vgl. O. Marcus: Die wirtschaftlichen Verbände und das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 12, Sept. 1921, S. 3 f; Otto Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 5, Febr. 1922, S. 1 f; Die Not der deutschen Kunst, in: Ku.wan., Jg. 4, 1. März-Nr. 1922, S. 304 f; Die unzulängliche Kunstfürsorge des Staates, in: Ku. u. Wi., Jg. 2, Nr. 7, April 1922, S. 2 f; O. Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Nr. 10, Okt. 1924, S. 1 f; O. Marcus: Regierung und Organisation, in: Ku. u. Wi., Nr. 2, Febr. 1925, S. 18 f; Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 7, Juli 1924, S. 1 f; RWVbK (Marcus) an LT, 28.10.1922, ms., Abschr. RVWbK an KM, 15.4.1921, ms., Abschr. KM (Nentwig) an RWVbK, 27.4.1921, ms., Abschr. RWVbK an KM, 19.5.1921, ms., Abschr. RWVbK an KM, 23.5.1921, ms., Abschr. KM (Pallai) an RWVbK, 8.6.1921, ms., Abschr. RWVbK an KM, 13.6.1921, ms., Abschr. KM (Nentwig) an RWVbK, 20.7. 1921, ms., Abschr. KM (Becker) an RWVbK, 6.8.1921, ms., Abschr. RWVbK an KM, 21.11.1921, ms. u. Abschr. KM (Nentwig) an RWVbK, 27.12.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 2-8; Gegen das Eintrittsgeld in den Museen, in: BT, Jg. 50, Nr. 186,
6. Förderung zeitgenössischer
deutscher Kunst:
Künstlerhilfe
475
angestrebt, gemeinsam für die Belange der Künstler einzutreten,73 standen sich das Ministerium und die berufsständische Künstlervertretung so zunehmend unversöhnlicher gegenüber. Der Konflikt kulminierte schließlich 1924 im Zuge der Berliner Kunstschulzusammenlegung (siehe Kap. III. 3.1.).74 Die Konfrontation bekam nun grundsätzliche Bedeutung, da sie den unter Boelitz eskalierenden Differenzen mit Bode (siehe Kap. III. 4.1.) und Liebermann (siehe Kap. III. 3.2.) ein weiteres, ebenfalls um die Frage der kunstpolitischen Autorität kreisendes Konfliktfeld hinzufügte. Als der Reichswirtschaftsverband und Liebermann Ende 1924 gemeinsam gegen die Kunstverwaltung Front zu machen begannen,75 geriet das Ressort mit seiner Künstlerpolitik endgültig unter Druck. Zwar gab ihm der Zuspruch des Werkbunds Rückhalt, die Vertretungen der freien Künstler, Akademie und Reichswirtschaftsverband, hatte es indes gegen sich. Der leistungsbezogene, die Grenzen zwischen Kunst und Kunstgewerbe aufbrechende Ansatz, mit dem das Ministerium der Künstlernot zu begegnen suchte, kollidierte heftig mit den Vorstellungen des Reichswirtschaftsverbandes, der für eine in die Breite gehende, auf die freien Künstler beschränkte Hilfe votierte.76 Seinen Unterstützungsanspruch konnte das Kultusressort so kaum mehr überzeugend vertreten. Eine Politik, die für die Künstler betrieben, von deren berufsständischer Organisation aber abgelehnt wurde, stellte sich als nur schwer vermittelbar dar.77 Aber nicht nur wegen der Kollision mit dem Reichswirtschaftsverband bewegte sich das Ministerium gegen Mitte der 20er Jahre auf immer brüchigerem Terrain. Auch finanziell verlor es die Basis für seine Hilfspolitik. Nachdem mit den ohnehin geringen Etats durch die Geldentwertung seit 1922/23 nicht mehr effektiv zu agieren gewesen war,78 hatte das Ministerium mit der Notspende und der Notgemeinschaft auf neue Netzwerke gesetzt.79 Wie gezeigt, konnten beide Projekte bis Mitte 1923 mit beachtlichen Mitteln ausgestattet werden. Danach schmolzen die Fonds jedoch ebenso schnell zusammen wie sie gefüllt
21.4.1921; zu ähnlichen Konflikten in Württemberg vgl. Kunstfragen
im Parlament, in: Mitt.
DWB, Jg. 1924/25, Nr. 11,25.2.1925, S. 1-3; Die Kunst im Württembergischen
Landtag, in: Ku. u.
Wi., Jg. 6, Nr. 4, April 1925, S. 53. 73 Vgl. dazu Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 8, Mai 1921, S. 3; O. Marcus: Die wirtschaftlichen Verbände und das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 12, Sept. 1921, S. 3 f. 74 Zu weiteren Konfliktpunkten vgl. auch O. Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Nr. 10, Okt. 1924, S. 1 f; O. Marcus: Regierung und Organisation, in: Ku. u. Wi., Nr. 2, Febr. 1925, S. 18 f. 75 Vgl. Marcus (RWVbK) an Liebermann, 10.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/009, Bl. 10-13. 76 Vgl. dazu später auch Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 1,1.1.1926, S. 1 f. 77 Vgl. auch Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 5, Nr. 8, Aug. 1924, S. 1 f. 78 Vgl. Abschr. Becker an Kartell vereinigter Verbände bildender Künstler Berlins, 28.8.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 14; LT, WP 1, Prot., Sp. 7431, 7435, 7438, 7444, 7460, 7468, 7470, 7482, 7486, 16958-16960, 17069, 17363, 17375-17377 u. 17381 f; LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 2 f u. 6 f; Szg. 200, Sp. 2 u. 9; Szg. 207, Sp. 17 f; Szg. 289, Sp. 2 f u. 12; Wolfradt: Bodes Museumsstiftung,
in: Cie., Jg. 15, Nr. 4, Febr. 1923, S. 203; KM-Etat 1923, gedr., in: GStA
PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1783; A. Kuhn: Die Kunst im preußischen
Staatshaushalts-
entwurf, in: Ku.chr., Jg. 58/1, Nr. 20, 16.2.1923, S. 392 f. 79 Vgl. dazu auch Staatliche Bildungspolitik im heutigen Deutschland, [nach 1922], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1777; Rülcker 1974, S. 145 f.
476
III.
Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
worden waren. 80 Der Sparkurs nach Einführung der Rentenmark führte dazu, daß das Reich im Sommer 1924 keine weiteren Mittel f ü r die Notgemeinschaft bewilligte. 81 N a c h dem die Inflation die private Spendenbereitschaft 1922/23 offenbar noch einmal kurzfristig geweckt hatte, flöß nun auch Privatgeld kaum noch. Die Unterstützungsprojekte N o t spende und Notgemeinschaft verfügten so bereits 1924 über keine Ressourcen mehr. Wohl auch wegen der Konflikte im Umfeld stellten sie f ü r das Ministerium daher bald keine O p tion mehr dar. Beide Projekte scheiterten noch unter Boelitz. 82 Später spielten sie keine Rolle mehr. 83 Als Becker 1925 Minister wurde, war so eine Neuausrichtung der Künstlerhilfspolitik unumgänglich. N a c h den vorherigen Konflikten stellte eine Neudefinition des Verhältnisses zur Künstlerschaft und speziell z u m Reichswirtschaftsverband eine wesentliche Voraussetzung f ü r eine tragfähige Politik dar. N a c h d e m im Landtag bereits zuvor eine engere Kooperation der Kunstverwaltung mit den Künstlern angemahnt worden war, 84 bemühte sich Becker im Dezember 1925 im Zuge der Schillingskrise (siehe Kap. III. 1.) u m eine generelle Entzerrung der Konfliktsituation, indem er das Verhältnis von Staat und Künstlern auf eine neue Basis stellte und zugleich f ü r eine aktive ministerielle Kunstpolitik votierte. 85 In sein Klärungsbemühen band Becker den Appell ein: „Vor allem aber bitte ich die Künstlerschaft draußen, die den harten Notwendigkeiten der Staatsverwaltung oft so verständnislos gegenübersteht, zu glauben, daß die Beamten der preußischen Kunstverwaltung ihre ganze Kraft einsetzen, ihnen zu helfen. [...] Wenn keine Kunstverwaltung wäre, kämen die Interessen der Künstler vollends unter die Räder." 8 6 Konkret wies er auf den Kampf gegen die Luxussteuer hin, den das Ressort nahezu allein ausgefochten habe. 87 Becker unterstrich damit die fortgesetzte Bereitschaft zur Unterstützung wie zur Zusammenarbeit mit den
80 Vgl. auch Notiz RMdl, 29.8.1923, hs. u. RMdl an Mtgl. Arbeitsgemeinschaft Notgemeinschaft der deutschen Kunst, 24.8.1923, ms. / gedr., in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 329 u. 355-357. 81 Vgl. Hensel an Ministerialrat RMdl, 31.7.1924, ms. u. RMdl an Hensel, 14.8.1924, Ds., ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 170-171. 82 Siehe dazu auch OM: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 4, Nr. 9, 1.5.1923, S. 1; O. Marcus: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Nr. 10, Okt. 1924, S. 1 f; O. Marcus: Regierung und Organisation, in: Ku. u. Wi., Nr. 2, Febr. 1925, S. 18 f; Das Gebäude der ehemaligen Unterrichtsanstalt des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 6,29.5.1925, S. 82 f; Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. ». Wi, Jg. 6, Nr. 7, Juli 1925, S. 102; Klausner (DDP), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 19-22; Klausner (DDP), 6.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6143-6146; Daweke / Schneider 1986, S. 109. 83 Zur 1931/32 kurzzeitig aufflammenden Diskussion um eine Neuauflage der Notgemeinschaft vgl. Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19211-19215; Ä*. ». W¿, Jg. 13, Nr. 8, 1.8. 1932, S. 138; Kahle 1977, S. 542. 84 Vgl. z.B. Buchhorn (DVP), 6.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6136. 85 Vgl. Becker 1925 a, bes. S. 24; vgl. auch Rockwell 1972, S. XI f; Waetzoldt 1933, S. 85; Kestenberg: Probleme der preußischen Kunst- und Theaterverwaltung, 4.3.1926, ms., S. 14, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1471. 86 Becker 1925 a, S. 30; vgl. auch Becker, 14.12.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 7367-7380. 87 Becker 1925 a, S. 30 f.
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst:
Künstlerhilfe
477
Künstlern. Nachdem das Ressort ähnliches bereits Ende 1925 bei einer Kundgebung des Reichswirtschaftsverbandes erklärt hatte,88 suchte er so die bestehenden Differenzen zu relativieren und die Kunstverwaltung als für die Künstler engagierte Institution zu legitimieren.89 Im Frühjahr 1926 stellte sich dann im Landtag die Frage, wo die Ursachen für den mangelnden Kontakt zwischen Kunstverwaltung und Künstlerschaft zu suchen seien und wie dem begegnet werden könne.90 Anders als der SPD-Abgeordnete Waentig, der gefordert hatte, der Kunstverwaltung solle nach französischem Vorbild ein beratender Ausschuß aus Künstlern, Sammlern und Parlamentariern beigegeben werden,91 sah Becker die Ursache hier nicht im Bereich der Ausschüsse. Vielmehr wertete er die gestörte Beziehung vor allem als Folge eines Umstands: daß nämlich die öffentliche Meinung von der Presse und in Privatzirkeln im Umfeld wichtiger Wirtschaftskreise gemacht werde, die schlecht bezahlten und arbeitsüberlasteten Kunstreferenten und teilweise auch der Minister aber kaum die Möglichkeiten hätten, Journalisten oder Künstlern in diesem Kontext gleichrangig zu begegnen.92 Auch wenn sich der Landtag demgegenüber nur bedingt aufgeschlossen zeigte und im Gegenzug den diffizilen Umgang mit der subjektiven Größe Kunst als Hintergrund betonte,93 machte Becker damit die fehlende öffentliche Deutungsmacht der Kunstverwaltung, nicht aber etwaige Bürokratismen für die Mißstände verantwortlich. Daraus leitete er die Forderung ab, man müsse den Kunstbeamten einen intensiveren Kontakt mit den Künstlern ermöglichen.94 Letztlich hatte er so erneut seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Künstlern signalisiert. Praktisch untermauerte er dies in der folgenden Zeit, indem er Kultur- und Kunstschaffende zu Veranstaltungen ins Ministerium lud.95 Bemühte sich Becker auf diese Weise um einen Neubeginn, eröffneten sich gleichzeitig im Zuge der wirtschaftlichen Stabilisierung auch finanziell neue Perspektiven für die Künstlerpolitik des Ressorts. Neben der Bitte des Reichswirtschaftsverbands, der Landtag möge
88 Vgl. Klausner (DDP), 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6143-6146; zu den entsprechenden Forderungen an den Staat vgl. RWVbK (Marcus) an Präsident LT, 7.11.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 15-17; Hellwag: Die große Notversammlung den Künstler im Preußischen Herrenhause
am 5. November
der bilden-
1925, in: Ku. u. WL, Jg. 6, Nr. 12, Dez.
1925, S. 186-188; O. Marcus: Kunst und Kunstwissenschaft, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 12, Dez. 1925, S. 188 f; Staatliche Künstlerhilfe, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 5, Febr. 1926, S. 203. 89 Vgl. auch Becker, 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 17 f; siehe dazu auch schon Justi an KM, 23.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1. 90 Vgl. Klamt (Wirtsch. V.), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 29; Klamt (Wirtsch. V.), 11.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11600-11602. 91 Vgl. Waentig (SPD), 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 6 - 8 . 92 Vgl. Becker, 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 18 f; zu Beckers Verhältnis zur Presse vgl. Wende 1959, S. 246 f. 93 Vgl. Schwering (Z), 22.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 120, Sp. 10; König (SPD), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 33. 94 Vgl. Lammers (Staatssekretär KM), 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 39; ähnlich auch Nentwig, 11.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11606. 95 Vgl. Wende 1959, S. 246.
478
III. Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
100.000 M für Künstlerhilfszwecke bewilligen, 96 kam hier vor allem einem im Juli 1925 im Landtag von DDP, SPD, Zentrum, D V P und Wirtschaftlicher Vereinigung gestellten U r antrag Initiativkraft zu, der darauf abzielte, „zur Behebung der N o t unter den bildenden Künstlern sofort genügend Mittel bereit zu stellen, um dadurch mit Hilfe der wirtschaftlichen Organisationen der Künstlerschaft die augenblickliche Schwierigkeit überwinden und der weiteren Verelendung vorbeugen zu helfen, besonders durch Unterstützung in der Atelier- und Ausstellungsfrage." 97 Vor dem Hintergrund der Fürsprache des Landtags 98 konnte dann tatsächlich seit 1925 eine Aufstockung der Künstlerunterstützungsetats durchgesetzt werden. Schon 1925 hatte sich eine Aufwärtsentwicklung abgezeichnet. 99 1926 und 1927 setzte sich dieser Trend fort. Preußen galt nun als der deutsche Staat mit den stärksten Aufwendungen für bildende Kunst und einem besonderen Interesse an der Förderung zeitgenössischer Künstler. 100 1928 wurden die Etats noch einmal erhöht. 101 Erstmals seit 1 9 1 8
96 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 9 u. 44-68; LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 38; Szg. 121, Sp. 42; LT, WP 2, Dr. 3232, S. 4741; LT, WP 2, Prot., Sp. 11207 f, 11568 u. 11993. 97 LT, WP 2, Dr. 877, S. 1778; zum Antrag vgl. auch KM an Präsident LT, 26.11.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X1, D, Nr. 1, Bl. 16; Becker, 3.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 5718; LT, WP 2, Prot., Sp. 6123, 6125, 6128-6130, 6136-6139, 6141-6146, 6458, 8288 f u. 8294 f; LT, WP 2, Dr. 2052, S. 3954. 98 Vgl. LT, WP 2, Prot., Sp. 3899, 4339, 6608, 7514, 8289, 8294 f, 11198 f, 11568 f, 11579 f, 11585, 11594, 11601 f, 11615-11618, 11992 f, 18187, 18202 f, 25665-25667, 25680 u. 25845; LT, WP 2, Dr. 759 A, S. 1593; Dr. 882, S. 1823; Dr. 947 E, S. 2186; Dr. 1597, S. 3091; Dr. 1649 B, S. 3164; Dr. 1899 B, S. 3455; Dr. 1980, S. 3866 f; Dr. 3039, S. 4703; Dr. 3162, S. 4736; Dr. 3407, S. 4839; Dr. 3411, S. 4839; Dr. 4313, S. 5582; Dr. 4615, S. 5981; Dr. 6043, S. 6785; Dr. 6292, S. 7264; Dr. 6573, S. 7512; Dr. 8531, S. 9699; Dr. 9192, S. 10637; Dr. 8530, S. 9699; Dr. 8584, S. 9703; Dr. 9192, S. 10637; LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 2 f, 5, 7, 16,19-22 u. 32 f; Szg. 120, Sp. 8 f, 11-13, 15 f u. 19; Szg. 121, Sp. 26-29, 31 f, 36 u. 38; Szg. 189, Sp. 13-15, 22 u. 37 f; Szg. 277, Sp. 34-37, 44 u. 53 f; Szg. 282, Sp. 10; LT, WP 3, Prot., Sp. 6189 f, 6200 f, 6205 f, 6209 f u. 6215 f; LT, WP 3, Dr. 1944, S. 1267; Dr. 2196, S. 1496-1498; Dr. 4301, S. 4123; LT, WP 3, HA, Szg. 51-56, Sp. 56 f; Szg. 56, Sp. 5, 8, 10-12, 22-24 u. 37 f; Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 1, Okt. 1925, S. 39. 99 Vgl. LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 2-4, 8 f, 19 f u. 27 f; LT, WP 2, Prot., Sp. 5732-5734, 6130 f, 6140-6142 u. 6156 £. Konkret wurde der Fonds Zur Förderung der bildenden Kunst durch Aufträge unter Hinweis auf den Aspekt der Künstlerhilfe von 130.000 M auf 250.000 M und der Kunstverfügungsfonds für 1925 von 155.000 M auf 293.000 M aufgestockt, vgl. Staatshaushaltsplan 1924, Anlagen Nr. 19, S. 38; Staatshaushaltsplan 1925, Anlagen Nr. 19, S. 62. 100 Vgl. LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 2 f, 6, 10 u. 17; Szg. 121, Sp. 26; Szg. 184-192, Sp. 42; Szg. 189, Sp. 7, 13, 23 u. 30 f; LT, WP 2, Prot., Sp. 11189, 11239 f, 11376 f, 11576 f, 11592 u. 18185 f; LT, WP 2, Dr. 1922, S. 3562-3567; Redenotizen Becker, 7.5.1926, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1747; Anträge LT, 11.5.1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bl. 74-85; Rede Becker, 15.3.1927, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1745; Wissenschaft, Kunst und Volksbildung 1929, S. 60. 1926 wurde der Kunstverfügungsfonds auf 358.000 M aufgestockt, vgl. Staatshaushaltsplan 1926, Anlagen Nr. 19, S. 58. 101 Vgl. LT, WP 2, Dr. 8780, S. 9795; LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 30, 34-36 u. 47; LT, WP 2, Prot., Sp. 25694 f. Erst 1929 begann sich die erneute Wirschaftskrise auch im Kunstetat niederzuschlagen, vgl. Die Kunst im preußischen Staatshaushalt, in: Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 3, 1.2.1929, S. 35 f;
6. Förderung zeitgenössischer
deutscher Kunst:
Künstlerhilfe
479
verfügte Preußen damit 1925-28 wieder über Mittel, mit denen eine aktive Künstlerpolitik zumindest in gewissem Umfang möglich wurde. Angesichts dessen gelang es dem Ministerium Becker bald, seine Künstlerunterstützungspolitik neu zu akzentuieren - und dabei seinen Anspruch auf eine Kooperation mit der Künstlerschaft zu bestätigen. Schon im August 1925 hatte Becker darauf hingewiesen, zur Förderung der künstlerischen Produktion seien nicht nur der Akademie der Künste für Wettbewerbe 50.000 RM bereitgestellt worden. Vielmehr seien, „um einer größeren Zahl der heute besonders schwer ringenden Künstler die Vorteile staatlicher Förderung zuteil werden zu lassen, auf den Kunstausstellungen dieses Jahres in Benehmen mit den Vorständen der [..] Ausstellungen und dem Direktor der Nationalgalerie Ankäufe von Kunstwerken zum Betrage von insgesamt 55.000 RM getätigt worden." 102 Zudem habe man aus dem Auftragsfonds „10.000 RM der Materialbeschaffungsstelle des Reichswirtschaftsverbandes bildender Künstler überwiesen [..], aus denen bestimmungsgemäß 400 Gutscheine zu je 25 RM an bedürftige Künstler zur Beschaffung von Arbeitsmaterial verausgabt werden sollen." 103 Während der Wirtschaftsverband ganz im Sinne des Ressorts positiv darauf reagierte,104 warnte Nentwig indes vor überzogenen Erwartungen: Die Regierung sei um Hilfe für die notleidenden Künstler bemüht, alle 10.000 Künstler in Deutschland könnten jedoch nicht aus Staatsmitteln versorgt werden - „man könne ihnen nur durch Ankäufe und Ausschreibung von Wettbewerben die Möglichkeit geben, sich zu betätigen und so ihren Unterhalt sich zu verschaffen. Ihnen Almosen zu geben, sei ja auch von Seiten des Ausschusses mit aller Entschiedenheit abgelehnt worden, und es würde auch von so feinfühlig organisierten Menschen als unwürdig empfunden werden." 105 Deutlich offenbarte sich hier weiterhin das Anliegen des Staates, das Eintreten gegen die Künstlernot mit einem nationalen Förderinteresse zu verbinden. In der konkreten Politik ging das Ressort jedoch bald über
Staatsgesinnung und Volksgesinnung, in: FZ [?], März 1929, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4783; LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 3 f u. 33 f; LT, W P 3, Prot., Sp. 6191-6193, 6195 f, 6211 u. 6214 f; Ο. M.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 7, 1.4.1929, S. 99 f u. Nr. 8, 16.4.1929, S. 115. 102 Abschr. Becker an Kartell vereinigter Verbände bildender Künstler Berlins, 28.8.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 14, Bl. 14 v; vgl. dazu auch Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 10; Justi an Ines Wetzel, 4.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 30. 103 Abschr. Becker an Kartell vereinigter Verbände bildender Künstler Berlins, 28.8.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 14, Bl. 14 v; vgl. dazu auch Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 11; Klausner (DDP), 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6143-6146; Materialspende des preußischen
Kultusministeriums,
in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 8,
Aug. 1925, S. 119 u. Nr. 9, Sept. 1925, S. 137 f; Ku.chr., Jg. 59/1, Nr. 25, 19.9.1925, S. 416; Arno Nadel an Becker, 1.10.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 3063. 104 Vgl. Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 8, Aug. 1925, S. 117-119; sammlung
des RWV in Hamburg,
1.-4.10.1925,
Mitgliederver-
in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 11, Nov. 1925,
S. 165-170. 105 Nentwig, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 28; zur Künstlerzahl vgl. auch Klausner (DDP), 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 19-22.
480
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
die bisherige Praxis hinaus. Während das Ministerium unter Boelitz aus Etatgründen die Grenzen zwischen sozialer und nationaler Förderung eng gezogen hatte und darüber in Konflikt mit den Künstlern geraten war, öffnete es sich unter Becker angesichts des Kooperationsanspruchs und der aufgestockten Etats sehr viel mehr auch der sozialen Perspektive. 106 Als charakteristisches Beispiel dafür kann eine der großen Neuerungen gelten, die das Ressort Ende 1925 durchsetzte: die Einrichtung einer staatlich finanzierten, vom Wirtschaftsverband organisierten Darlehens-
und Unterstützungskasse
für bildende
Künstler,107
Dabei ging es um folgendes: Preußen legte 500.000 M in einer Art Notfonds fest an. Mit den jährlich anfallenden Zinsen von zunächst 50.000 M 1 0 8 wurde 1926 eine Kasse eingerichtet und später kontinuierlich aufgestockt, die vom Reichswirtschaftsverband gemeinsam mit dessen Untergruppierungen in den preußischen Landesteilen verwaltet wurde. Gewährt wurden zinslose Darlehen bis 1000 RM und kleinere Hilfszuwendungen. Uber die Mittelvergabe entschieden von den Wirtschaftsverbänden und Künstlervereinigungen gebildete Ausschüsse, das Ministerium hatte ein Kontrollrecht. 109 Die seit Anfang 1926 ausgezahlten Mittel kamen deutschen Reichsangehörigen zugute, die mindestens ein Jahr in Preußen wohnten und Künstler im Hauptberuf waren. 110 Die Unterstützung zielte auf eine „Auf-
106 Zur Debatte um die Abgrenzung von karitativem Anliegen und Förderinteresse vgl. auch Kuhn: Zur Kunstpolitik der Stadt Berlin, in: Ku.chr., Jg. 59/2, Nr. 32, 7.11.1925, S. 521-524; Scheffler: Kunstherbst, in: Ku. u. Kü. J g . 24, Nr. 3, Dez. 1925, S. 90-96; A. G. in: Ku.bl, Jg. 10, 1926, S. 92; O. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi„ Jg. 7, Nr. 1, 1.1.1926, S. 1 f. 107 Vgl. dazu Becker, 14.12.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 7379 f; Becker 1925a, S. 30 f; Waetzoldt, 26.1.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 82, Sp. 8; Becker, 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 19; Heuer 1983, S. 57; Hellwag: Die große Notversammlung der bildenden Künstler im Preußischen Herrenhause am 5. November 1925, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 12, Dez. 1925, S. 186-188; Oestreicher (SPD) u. Schwering (Z), 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18182, 18184 u. 18187; RWVbK (Marcus) an LT, 11.12.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3, adh. 1; A.G. in: Ku.bl., Jg. 10, 1926, S. 92; Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 29.1.1926, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 49-51, Bl. 50 v; Darlehens- und Unterstützungskasse der bildenden Künstler Preußens, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 2,1.2.1926, S. 19 u. Nr. 3,1.3.1926, S. 37 f; Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 6, März 1926, S. 248; Daweke / Schneider 1986, S. 109,112 u. 129; M. Frey 1999, S. 127. 108 1928 reduzierte sich die Summe auf 40.000 RM, vgl. Die Kunst im preußischen Staatshaushalt, in: Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 3,1.2.1929, S. 35 f; KM (Waetzoldt) an FM, 12.7.1929, ms. u. Vermerk FM, 20.2.1930, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1052, Bl. 1-2; Grebe (Ζ), 17.2.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 2 f u. 9 f; Hertwig (DNVP), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 7 f; zur Verbuchung der Summe im Staatsetat vgl. LT, WP 2, Prot., Sp. 11192; LT, WP 2, Dr. 3114, S. 4733; Dr. 3105, S. 4731; LT, WP 2, HA, Szg. 82, Sp. 8 f. 109 Vgl. Waetzoldt, 26.1.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 82, Sp. 8; LT, WP 2, HA, Szg. 75, Sp. 1; Becker, 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 19; Darlehens- und Unterstützungskasse der bildenden Künstler Preußens, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 2, 1.2.1926, S. 19; Kahle 1977, S. 542. 110 Vgl. Waetzoldt, 26.1.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 82, Sp. 8; Darlehens- und Unterstützungskasse der bildenden Künstler Preußens, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 2, 1.2.1926, S. 19; siehe dazu auch den Erlaß zur Darlehens- und Unterstützungskasse vom 18.1.1926, erwähnt in Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 29.1.1926, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 49-51, Bl. 50 v.
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Künstlerhilfe
481
rechterhaltung der beruflichen Tätigkeit" ab. Als Vergabekriterium galt neben der wirtschaftlichen Not die jenseits der Zugehörigkeit zu bestimmten Kunstrichtungen definierte „künstlerische Tüchtigkeit". 111 Die Darlehenskasse war als deutliches Signal für die neuakzentuierte Unterstützungspolitik insofern zu werten, als sie - wenn auch aus den Förderbedingungen noch eine nationale Orientierung sprach - vor allem karitativ ausgerichtet und zudem als Manifestation der Zusammenarbeit mit dem Reichswirtschaftsverband zu verstehen war.112 Die Darlehenskasse stellte sich letztlich als Kompromiß zwischen den sozialen Forderungen des Wirtschaftsverbandes und dem nationalen Förderinteresse des Ressorts dar. Obwohl die Gelder der Kasse keineswegs ausreichten, um der Künstlernot auch nur ansatzweise Herr zu werden, 113 setzte das Ministerium mit dem Projekt, für das ressortintern Waetzoldt und Gericke zuständig waren 114 und das bis zum Ende der Republik Preußen Bestand haben sollte, in jedem Fall ein wichtiges Zeichen für eine nun zunehmend eigenständigere soziale Künstlerunterstützung. 115 Parallel dazu entwickelte sich seit Mitte der 20er Jahre ein vielschichtiges Engagement des Ressorts für die Belange bildender Künstler. Während bei den intensivierten staatlichen Ankäufen, Aufträgen, Wettbewerben und Ausstellungen (siehe Kap. III. 6.2. und III. 7.) auch das Motiv der Künstlerhilfe eine Rolle spielte,116 trug das Ministerium seinen Ansprüchen durch Einzelaktionen wie eine weitere Materialscheinausgabe Ende 1926 Rechnung.117 Daneben machte es sich mit dem Landtag 118 nach österreichischem und tschechi-
111 Vgl. Darlehens- und Unterstützungskasse der bildenden Künstler Preußens, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 2, 1.2.1926, S. 19. 112 Siehe dazu auch RWVbK (Marcus) an LT, 11.12.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3, adh. 1; Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 1, 1.1.1926, S. 1 f; Darlehens- und Unterstützungskasse der bildenden Künstler Preußens, in: Ku. u. Wi.,]g. 7, Nr. 2, 1.2.1926, S. 19. 113 Vgl. Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 1, 1.1.1926, S. 1 f; Darlehens- und Unterstützungskasse der bildenden Künstler Preußens, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 2, 1.2.1926, S. 19 u. Nr. 3, 1.3.1926, S. 37 f; Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 6, März 1926, S. 248; Klausner (DDP), 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 15 f; Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 9 , 1 . 9 . 1 9 2 6 , S. 148; Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 10, 1.10.1926, S. 165; Klamt (Wirtsch. V.), 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11601 f. 114 Vgl. Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 4, 1.4.1927, S. 95; KM an Präsident LT, 4.10.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bl. 140; Änderung
in der Preußischen Kunstverwaltung,
in:
Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 9, 1.9.1927, S. 200 f. 115 Vgl. dazu auch A.G. in: Ku.bl., Jg. 10, 1926, S. 92. 116 Vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 10 f; Text Becker / Waetzoldt, 6.5.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1319; Abschr. Große Berliner Kunstausstellung an KM, 27.7.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 158. 117 Hier wurden 75 Gutscheine à 25 RM verteilt, vgl. Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 10, 1.10.1926, S. 165. 118 Vgl. LT, WP 2, Prot., Sp. 5615, 18182, 18184 u. 25687 f; Kunert (SPD), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 32 f; König (SPD), 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 42; Klausner (DDP), 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 40 f; siehe dazu auch SAdK, PrAdK, 2.1/010, Bl. 149-156.
482
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
schem Vorbild für die Einführung einer Sozialversicherung für Künstler stark. 119 Wie eine vom Ministerium um 1928 veranlaßte Schrift nahelegt, die jungen Künstlern wirtschaftliches Wissen an die Hand gab, 120 suchte das Ressort die entsprechende Klientel zudem durch gezielte Informationspolitik für den Berufsalltag zu wappnen. Sprach aus diesen Aktivitäten das Bemühen, die berufsständische Anerkennung der Künstler im Sinne des Reichswirtschaftsverbandes voranzutreiben, war darüber hinaus wie unter Boelitz die Unterstützung in Atelierbelangen wichtiges Thema. 121 Sein Engagement in der Atelierfrage bestätigte das Ministerium zunächst 1924/25, als es sich nach dem Auszug der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums (siehe Kap. III. 3.1.) für eine Beibehaltung von zwanzig Ateliers in deren bisherigem Gebäude verwandte. 122 Ende 1925 finanzierte das Ressort eine Statistik des Reichswirtschaftsverbandes, über die zweihundert ungenutzte Ateliers in Berlin nachgewiesen werden konnten. 123 Nachdem die vom Wohlfahrtsressort verfügte Gleichstellung von Ateliers mit Wohnraum dazu geführt hatte, daß viele Künstler aus ihren Arbeitsräumen verdrängt wurden, bemühte es sich beim Wohlfahrtsministerium in der Sache. 124 Trotz seines Einsatzes 125 konnte das Kultusressort hier allerdings nur wenig ausrichten. Zunehmend geriet es darüber in die öffentliche Kritik. 126 Gleichzeitig polemisierte
119 Vgl. Nentwig, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 28 f; Becker, 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 197; Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 2.7.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 13-17, Bl. 15. 120 Vgl. dazu Klausner (DDP), 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25687 f. 121 Vgl. Kultusminister Becker über Kunstfragen, 5.9.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1618; Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 11; Becker, 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 19. 122 Vgl. Hübner (FM), 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 30; Nentwig, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 28 f; Nentwig, 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11606; Nentwig, 12.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11640; siehe dazu auch LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 2f, 8f u. 28; Das Gebäude der ehemaligen Unterrichtsanstalt des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 6, 29.5.1925, S. 82 f; LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 23 u. 26; Szg. 120, Sp. 15 f u. 25; LT, WP 2, Prot., Sp. 11569, 11599 f, 11617 fu. 11638 f. 123 Vgl. O. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wz'., Jg. 6, Nr. 9, Sept. 1925, S. 134 f; Klausner (DDP), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 19-22; Hellwag: Die große Notversammlung der bildenden Künstler im Preußischen Herrenhause am 5. November 1925, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 12, Dez. 1925, S. 186-188. 124 Vgl. Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 1, Jan. 1925, S. 2; O. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 6, 29.5.1925, S. 81 f u. Nr. 9, Sept. 1925, S. 134 f; Wichtiges zur Atelierfrage, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 12, 1.12.1926, S. 205 f; LT, WP 2, Dr. 4720, S. 6094; Dr. 5316 E, S. 6509 f; Dr. 5321, S. 6512 f; Dr. 5329, S. 6516; LT, WP 2, Prot, Sp. 16774, 16801, 16862, 17157 f u. 18219 f; LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 4; GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bl. 151-213; Zur Atelierfrage, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 2, 1.2.1927, S. 27; Schlichting: Sind Künstlerateliers Wohnräumef, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 3, 1.3.1927, S. 50 f; Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 4, 1.4.1927, S. 74; Paul Baecker: Der preußische Herr Minister für Volkswohlfahrt will nicht! Zur Atelierfrage, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 5, 1.5.1927, S. 101-103. 125 Vgl. dazu auch Nentwig, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 28 f; Nentwig, 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11606. 126 Vgl .Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 7, 1.4.1928, S. 98.
6. Förderung
zeitgenössischer
deutscher Kunst:
Künstlerhilfe
483
die politische Rechte in der zweiten Hälfte der 20er Jahre gerade in der Atelierfrage gegen das Ministerium. Mit unverhohlen antisemitischer Tendenz wurde es mit der unbefriedigenden Ateliersituation im an den Kahn-Konzern vermieteten alten Kunstgewerbemuseum oder damit konfrontiert, daß das frühere Atelierhaus Sigmundshof im Tiergarten von der jüdischen Gemeinde für andere Zwecke genutzt wurde. 1 2 7 Das Ressort rechtfertigte sich mit dem Hinweis auf den fehlenden Einfluß beim privaten Sigmundshof sowie auf die Herrichtung von vierzig Ateliers in der ehemaligen Unterrichtsanstalt und weiteren 25 in der Hochschule der Künste. 1 2 8 Als auch die anderen Parteien günstigere Ateliermieten im Kahn-Gebäude forderten, 1 2 9 ging das Ministerium, wohl um mit seiner Politik glaubwürdig zu bleiben, 1927/28 dazu über, die Mieten zu bezuschussen. 130 Ein weiterer wichtiger Aspekt der Künstlerhilfspolitik unter Becker war die Förderung einzelner Organisationen, die man als Mittler in die eigenen Ambitionen integrierte. 131 Im Rahmen dieser Politik unterstützte das Ressort Projekte wie die seit den 1890er Jahren bestehende, vom Wirtschaftsverband organisierte Renten-
und Pensionsanstalt für
bildende
Künstler in Weimar 1 3 2 oder die Genossenschaft deutscher Kunst, die einen Kunstverkauf ohne den Kunsthandel zu realisieren suchte. 133 Daneben ließ es etwa dem Frauenkunstverhand
eine
Beihilfe für Ausstellungsbeschickungen zukommen. 1 3 4 Wie bewußt es seine Mittel vergab, 135 127 Vgl. Koch (DNVP), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 32; Koch (DNVP), 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 12 f; Graef (DNVP), 23.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 121, Sp. 35; Koch (DNVP) u. Brehmer (Dt.völk FP), 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11569 u. 11599 f; Koch (DNVP), 22.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18268. 128 Vgl. Nentwig, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 28 f; Nentwig, 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11606. 129 Vgl. Steffens (DDP), 12.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11638 f; Lehmann (DNVP), 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 5; Wegscheider (SPD), 22.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18267 f; zur weiteren Atelierdiskussion vgl. Hertwig (DNVP), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 7 f; Bohner (Dt. Staatsp.), 6.3.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 204, Sp. 6 - 8 . 130 Vgl. Klausner (DDP), 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25687 f; siehe dazu auch schon Nentwig, 12.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11640. 131 Vg. auch Nentwig, 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 29; BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 43-46; Boelitz an Liebermann, 22.1.1924, ms., Liebermann an Braun, 4.1.1924, ms. u. Notiz Staatsministerium, 31.5.1924, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1793. 132 Vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 11; zur Renten- und Pensionsanstalt siehe auch W. d. Ku., Jg. 18, Nr. 43, 18.8.1919, S. 293 f; Die Renten- und Pensionsanstalt für deutsche bildende Künstler, in: W. d. Ku., Jg. 19, Nr. 39, 5.7.1920, S. 275; Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 2.7.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 13-17, Bl. 15; Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 6,16.3. 1930, S. 75; Kahle 1977, S. 542. 133 Vgl. KM (Nentwig) an Ak. d. Kü., 20.5.1925, ms. u. Vermerk Ak. d. Kü., 19.5.1925, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/008, Bl. 109 u. 111; siehe dazu auch Notizen für Präsident LT, 3.9.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, F, Nr. 5. 134 Vgl. Abschr. KM (Pallat) an Bau- u. Finanzdirektion, 15.8.1927, ms., KM (Nentwig) an Präsident Ak. d. Kü., 25.7.1927, ms. u. Liebermann an KM, 29.7.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/010, Bl. 60 u. 81-82. 135 Siehe dazu auch SAdK, PrAdK, 2.1/010, Bl. 188-190; Nentwig, 23.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 121, Sp. 31 f.
484
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
wird im Umfeld der großen neuen Unterstützungsprojekte wie dem von der Kunstgemeinschaft
1921-32 Deutschen
getragenen „Kunstabonnement" 1 3 6 oder dem Kunstverleih des Reichs-
wirtschaftsverbandes 137 deutlich. Zwar wies das Ministerium im Frühjahr 1926 zunächst noch auf beide Projekte hin. 138 Im Endeffekt wahrte es jedoch trotz der Forderungen, sich auch hier zu engagieren, 139 nicht zuletzt wegen der Verbindung der Projekte mit dem Reich deutliche Distanz. 140 Offenkundig war man nach den Erfahrungen mit der Notgemeinschaft darauf bedacht, neue Reich-Länder-Differenzen zu vermeiden. Mit der Darlehenskasse und seinen Einzelaktivitäten suchte das Ministerium Becker statt dessen eine eigenständige preußische Künstlerpolitik zu verwirklichen. Über diese eigenständigere, mit dem Begriff des Sozialen operierende Künstlerunterstützungspolitik 141 gelang dem Ministerium in der zweiten Hälfte der 20er Jahre tatsächlich die angestrebte Annäherung an die Künstlerschaft und speziell den Reichswirtschaftsverband. Ähnlich wie beim Ausgleich mit Liebermann (siehe Kap. III. 3.2.) scheint hier Becker als Integrationsfigur eine wichtige Rolle gespielt zu haben - differenzierte doch der Reichswirtschaftsverband von Beginn an zwischen den kritisch beäugten Referenten und dem Minister, dem man sein ehrliches Interesse eher abnahm. 142 Auf dieser Basis entwickelte sich
136 Vgl. dazu Ku. U. KÜ. J g . 24, Nr. 6, März 1926, S. 248; Nr. 10, Juli 1926, S. 414; Jg. 26, Nr. 2, Nov. 1927, S. 73 f; Klausner (DDP), 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 15 f; Ku.bl., Jg. 12,1928, S. 127 f; Ku. u. Wi.,]%. 9, Nr. 6, 15.3.1928, S. 87; Fritz Hellwag: Die Deutsche Kunstgemeinschaft, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 17, 16.10.1930, S. 260 f; Ο. M.: Die Deutsche Kunstgemeinschaft, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 8, 16.4.1931, S. 102 f; Oestreicher (SPD), 19.4.1929, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 6200 f; Oestreicher (SPD) u. Schulz (KPD), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 5 u. 11 f; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19211-19215. 137 Vgl. dazu Ku. u. KU., Jg. 24, Nr. 6, März 1926, S. 248; Klausner (DDP), 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25687 f; Kahle 1977, S. 542. 138 Vgl. Becker, 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 19. 139 Vgl. ζ. B. Wilden an Becker, 23.4.1928, ms. u. Abschr. Wilden: Neue Formen des Mäzenatentums, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 5103; Klausner (DDP), 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 13-15. 140 Vgl. Nentwig, 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25693; Becker, 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 19 u. 25; BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 15-34; BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 47-48, 179, 183 u. 202; Becker an Braun, 17.2.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 236-237; GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 243-247; Ο. M.: Die Deutsche Kunstgemeinschaft, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 8, 16.4.1931, S. 102 f; Die Deutsche Kunstgemeinschaft, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 15, 1.9.1931, S. 202 f; siehe dazu auch Becker, 16.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 17870-17873; Wilden an Becker, 23.4.1928, ms. u. Abschr. Wilden: Neue Formen des Mäzenatentums, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 5103; Rede Becker, [2.5.1928], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1545; zum Reichsetat für Kunst vgl. 5 Millionen für Wissenschaft, 100000 Mark für Kunst im Reichshaushalt, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 4, 1.4.1926, S. 54 f; Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 6, 1.6.1927, S. 129 f; Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 13, 1.7.1928, S. 197 f; Daweke / Schneider 1986, S. 106-111. 141 Zu ähnlichen Tendenzen in Bayern vgl. L. Schmidt 2000, S. 282 f; Hans Eckstein: Künstlernot und Kunstpflege in München, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, 2.1.1932, S. 56-59. 142 Vgl. Marcus (RWVbK) an Becker, 11.4.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3421; Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 1,1.1.1926, S. 1 f.
6. Förderung zeitgenössischer
deutscher Kunst:
Künstlerhilfe
485
sukzessive aus der Konfrontation eine nie ganz einfache, in der Sache aber konstruktive Kooperation des Ressorts mit dem Reichswirtschaftsverband. Hatte der Verband wegen der Notgemeinschaft und in der Kunstschulfrage 1925/26 zunächst weiterhin gegen Waetzoldt agitiert und riß die Kritik auch später nicht völlig ab, 143 bewegten sich die preußischen Referenten und die zentrale berufsständische Interessenvertretung seit 1926 im Zuge des Bemühens um eine Einbindung des Verbandes in die staatliche Politik 1 4 4 und durch die Zusammenarbeit bei der Darlehenskasse aufeinander zu. 145 So konnten 1927 im Landtag erste positive Veränderungen konstatiert werden, was die Kooperation von Künstlerorganisationen und Verwaltung anging. 146 Später fand diese Tendenz Ausdruck etwa darin, daß das Ressort nach entsprechenden Landtagsvorstößen 1 4 7 letztlich doch noch den Forderungen des Verbands im Streit um die Museumseintritte für Künstler 1 4 8 entsprach: Nachdem 1926 Sonderbillets eingeführt worden waren, die jedoch umstritten blieben, 149 konnte Ende 1928 der Durchbruch erzielt werden, als das Ressort den Mitgliedsausweis der inzwischen unter dem Namen Reichsverband bildender Künstler firmierenden Organisation zur Gewährung freien Eintritts in den Staatsmuseen anerkannte. 150 Die Relevanz der Neurege-
143 Vgl. O. Marcus: Regierung und Organisation, in: Ku. u. Wi., Nr. 2, Febr. 1925, S. 18 f; Das Gebäude der ehemaligen Unterrichtsanstalt des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin, in: Ku. u. Wi. J g . 6, Nr. 6,29.5.1925, S. 82 f; Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wz'., Jg. 6, Nr. 7,Juli 1925, S. 102; Ο. M.: Künstler und Kunstsammlungen, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 2, 1.2.1926, S. 19; Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 7, 1.4.1928, S. 98; Ο. M.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 21, 16.12.1930, S. 315 f; Bohner (DDP), 5.4.1930, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 13517-13519. 144 Siehe dazu auch Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. ». Wi., Jg. 6, Nr. 9, Sept. 1925, S. 134 f; Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 8, 1.8.1926, S. 114. 145 Vgl. Künstler und Kunstverwaltung, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 1, Jan. 1925, S. 2; Ο. M.: Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 9, Sept. 1925; Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 8, 1.8.1926, S. 114; Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 4, 1.4.1927, S. 95; Änderung in der Preußischen Kunstverwaltung, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 9,1.9.1927, S. 200 f; O. Marcus: Kunst, Wissenschaft, Sammeleifer und Handel, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 12,1.12.1927, S. 286 f. 146 Vgl. Klausner (DDP) u. Klamt (Wirtsch. V.), 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 13 u. 16 f; siehe dazu auch Klausner (DDP), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 19-22; Klausner (DDP), 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25689. 147 Vgl. LT, WP 2, Prot., Sp. 11568, 11601 f, 11993, 18182, 18184 u. 25665; LT, WP 2, Dr. 3406, S. 4839; Dr. 8528, S. 9699; Dr. 9192; LT, WP 2, HA, Szg. 275-277, Sp. 7; Szg. 277, Sp. 40 f; Szg. 282, Sp. 10; Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 7, 1.7.1926, S. 99; Jg. 9, Nr. 5, 1.3.1928, S. 66. 148 Zur fortgesetzten Thematisierung der Eintritte vgl. ζ. Β. Ο. M.: Künstler und Kunstsammlungen, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 2, 1.2.1926, S. 19. 149 Vgl. Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 8, 1.8.1926, S. 114; KM (Nentwig) an Kunstlehranstalten, 19.9.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/049, Bl. 150; Oestreicher (SPD), 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18182 u. 18184. 150 Vgl. Nentwig, 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 49; LT, WP 2, Prot., Sp. 25665; LT, WP 2, Dr. 9192, S. 10637; Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 5, 1.3.1928, S. 66; Freier Eintritt in staatliche Kunstsammlungen, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 10, 16.5.1928, S. 154; Freier Eintritt in die Museen, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 19,15.11.1928, S. 334; Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 3,1.2.1929, S. 35. 1929 wurde der freie Künstlereintritt auch auf Kunststudenten ausgedehnt, vgl. LT, WP 3, Prot.,
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
486
lung läßt sich nicht zuletzt an den Reaktionen der Beteiligten ablesen. Während sie der Verband als „erfreuliches Zeichen" dafür wertete, „daß im [..] Ministerium ein freundlicheres Verständnis für die berechtigten Wünsche der Künstlerschaft Platz greift", 151 solidarisierte sich Gall mit dem Reichsverband auf dessen Mitgliederversammlung. 152 Trotz aller Differenzen im Detail hatte sich so gegen Ende der 20er Jahre ein Verhältnis zwischen Kunstverwaltung und Künstlervertretung herausgebildet, auf dessen Folie das Ressort mit seiner Politik überzeugender auftreten konnte als noch unter Boelitz. Die Aktivitäten des Ministeriums Becker setzten jedoch keineswegs nur bei der Darlehenskasse und einer Interessenpolitik für die Künstler an. Vielmehr wurden durch die aufgestockten Etats in weit größerem Umfang als zuvor auch staatliche Unterstützungszahlungen an einzelne Künstler möglich. 153 Die Mittelvergabe erfolgte dabei nach folgendem Prinzip: Das Ministerium leitete die an den Staat gerichteten Hilfsgesuche zur Begutachtung an die Akademie der Künste bzw. in Einzelfällen an die Nationalgalerie 154 weiter. Auf das Sachverständigenurteil hin entschied es über die Gewährung einer Beihilfe. Als berechtigt galten aktive Künstler, nicht aber deren Hinterbliebene. 155 Ausschlaggebend war neben einer sozialen Notlage eine überzeugende künstlerische Leistung des Antragstellers, die sich dem nationalen Profilierungsinteresse des Ressorts gemäß vor allem an der eigenständigen Kreativität festmachte. 156 Ähnlich wie bei der Darlehenskasse verknüpfte sich das wirtschaftliche Unterstützungsanliegen hier also nach wie vor mit einem qualitativen Anspruch
Sp. 6190 u. 6787; LT, W P 3, HA, Szg. 51-56, Sp. 56; LT, W P 3, Dr. 2197, S. 1497 f; zur Umbenennung des Verbands vgl. Otto Marcus: Mitgliederversammlung ber. Verhandlungsbericbt,
in: Ku. u.
in Nürnberg
vom 11.-13.
Septem-
Jg. 9, Nr. 17, 16.10.1928, S. 301-306; Kahle 1977, S. 541.
151 Ku. u. Wi„ Jg. 9, Nr. 5, 1.3.1928, S. 66. 152 Vgl. Otto Marcus: Mitgliederversammlung
in Nürnberg
vom 11.-13. September.
Verhandlungs-
bericht, in: Ku. u. M , Jg. 9, Nr. 17, 16.10.1928, S. 301-306. 153 Vgl. dazu auch Nentwig, 13.3.1929, in: LT, W P 3, HA, Szg. 56, Sp. 29. 154 Vgl. Abschr. Max Malpricht an KM, 5.12.1927, ms., Abschr. Malpricht an KM, o. D., ms., KM an Justi, 21.12.1927, ms. u. N G an KM, 13.1.1928, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 31; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 147-150; zur Vermittlungsfunktion der Nationalgalerie vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 408-409, 432-434, 444 a, 452-453 u. 623-624; siehe dazu auch Katenhusen 1998, S. 229 u. 332. 155 Vgl. KM an Justi, 26.8.1925, ms., KM an NG, 25.9.1925, ms., Entwurf Justi an KM, 26.9.1925, hs., KM an Justi, 5.10.1925, ms. u. [Hans Schiff?] an Justi, 10.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 30; Dr. Eingaben-Ausschuß LT, 18.5.1927, in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 6; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 216-219, 247, 458 u. 466-467. Zudem sah sich das Ministerium nur für freie Künstler, nicht aber für Kunstgewerbler zuständig, vgl. Becker an Eiter, 4.12.1925 u. Eiter an Becker, 8.2.1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 332. 156 Aufschluß darüber geben besonders die ablehnenden Gutachten, vgl. SAdK, PrAdK, 2.1/010, Bl. 9 - 1 3 u. 61; SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 102-104, 150-151, 185-186, 188, 191, 267-268 u. 294; SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 244.
6. Förderung zeitgenössischer
deutscher Kunst:
Künstlerhilfe
487
und der Option auf gesellschaftliche Wirksamkeit. Wie bei der Kasse stellten sich die Schwerpunkte indes im Vergleich zur ersten Hälfte der 20er Jahre zugunsten des sozialen Aspekts verschoben dar - ging es doch in erster Linie um eine staatliche Hilfe in Notlagen, bei der Talent und Leistung nur als Entscheidungskriterien dienten. Letztlich entstand so ein sozial motiviertes System der individuellen Künstlerunterstützung, das sich neben der traditionellen Förderung durch Ankäufe oder Ausstellungen als eigenständige Größe innerhalb der preußischen Kunstpolitik konturierte. Innerhalb dieses Systems ließ das Ministerium Becker offenbar einer durchaus beachtlichen Zahl von Künstlern finanzielle Hilfen zukommen. Nachdem Becker bereits im August 1925 darauf verwiesen hatte, das Ministerium habe 33 jüngeren Künstlern Beihilfen im Gesamtwert von 20.000 M gewährt,157 reichte das Spektrum in den folgenden Jahren von Zuwendungen, die arrivierten wie unbekannten Künstlern nach Krankheiten oder sonstigen Notlagen gewährt wurden,158 bis zu Zahlungen an Talente wie Ernst Wilhelm Nay, bei denen die Grenze zwischen sozialer Unterstützung und künstlerischer Förderung fließend war.159 Uber den genauen Umfang der sozial motivierten, punktuellen Beihilfen, deren Höhe meist zwischen hundert und fünfhundert RM lag,160 geben die lückenhaften Akten keinen endgültigen Aufschluß. Die bis zur Zuwendungshöhe rekonstruierbaren Einzelfälle (siehe Tab. I) und nicht zuletzt die vielen Gutachten der Akademie 161 weisen für die Jahre des Ministeriums Becker jedoch klar die Richtung. Als die Mittel gegen Ende der 20er Jahre erneut knapp wurden, verpflichtete das Ressort die Akademie noch einmal darauf, höhere Maßstäbe bei der Begutachtung anzulegen.162 Vom Grundsatz her führte es seine
157 Vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 11; vgl. auch LT, WP 2, Prot., Sp. 6140-6142. 158 Vgl. z.B. SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 183 u. 214-215; SAdK, PrAdK, 2.2/076, Bl. 10,14 u. 32-33; Baluschek an Kultusminister [Becker], 15.11.1929, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6208. 159 Vgl. Ak. d. Kü. an KM, 7.5.1927, ms. u. Abschr. KM an Bau- u. Finanzdirektion, 9.5.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/010, Bl. 126-127. Hierzu gehörten z.B. auch Beihilfen für Kleinschmidt, Domscheit oder Segal, vgl. Abschr. KM (Nentwig) an Justi, 22.7.1926, ms., Justi an KM, 23.7. 1926, Ds., ms., Littmann an Justi, 22.7.1926, ms. u. Justi an Littmann, 26.7.1926, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 147-150; KM an Ak. d. Kü., 29.6.1928, ms., KM an Ak. d. Kü., 20.6.1928, ms. u. Ak. d. Kü. an KM, 22.6.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 81 u. 99; Ak. d. Kü. an KM, 5.6.1929, ms. u. KM (Waetzoldt) an Liebermann, 15.6.1929, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 110 u. 121. 160 Vgl. z.B. Oberregierungsrat KM an Emil Stumpp, 6.11.1925, ms. u. Bestätigung Stumpp, 11.12. 1925, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4415; SAdK, PrAdK, 2.2/007, Bl. 223; SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 81,99, 170, 155, 166-167 u. 280-281; SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 121; zum bewußt punktuellen Charakter der Beihilfen vgl. Amersdorffer an Peter Breuer, 4.7.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/025, Bl. 138. 161 Siehe dazu auch die Gutachten, bei denen unklar ist, ob sie zu einer Zuwendung führten oder nicht, vgl. SAdK, PrAdK, 2.1/009, Bl. 71; SAdK, PrAdK, 2.1/010, Bl. 12-13; SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 30, 32, 36, 185-186, 188, 191, 198, 244-245 u. 256; SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 8, 34, 124 u. 136; SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 321. 162 Vgl. KM an Liebermann, 18.4.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 164; zur Begrenztheit der Mittel vgl. auch KM (Waetzoldt) an Ak. d. Kü., 13.7.1929, ms., SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 105 r.
III.
488
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
soziale Unterstützungspolitik für einzelne Künstler jedoch bis in die frühen 30er Jahre fort. Trotz der nach 1925 aufgestockten Etats blieb der finanzielle Handlungsspielraum des Staates allerdings auch in der wirtschaftlichen Stabilisierungsphase faktisch begrenzt. Wie unter Haenisch und Boelitz wollte das Ministerium seine Politik daher durch privates Engagement flankiert wissen. So führte Becker Ende 1925 aus: „In einer Zeit, wo kein Mensch Geld hat, etwas zu kaufen, war es notwendig, daß der Staat sein Bestes tat. Wir haben getan, was wir tun konnten, z.B. mit Rücksicht auf die Notlage einzelner Künstler auf den verschiedenen Kunstausstellungen des letzten Etatjahres zu kaufen. Aber mein Appell geht dahin, und ich hoffe, daß dieser Wunsch in die weitere Öffentlichkeit dringt, daß alle Leute, die noch Geld und Sinn für Kunst haben, in dieser Zeit gut tun, den Mäcen zu spielen. Staatshilfe allein kann es nicht machen. [...] Wenn das große Publikum nicht hilft, wird dieser große und wichtige Stand zugrunde gehen." 163 Wie 1921 hatte Becker damit ein gesamtgesellschaftliches Einstehen für die Künstler gefordert, in das sich das staatliche Engagement einfügte. Diese Haltung, die zeitgenössisch nicht unumstritten war,164 blieb auch in der folgenden Zeit und besonders, als die Etats Ende der 20er Jahre erneut zu schwinden begannen, maßgeblich für das Ministerium.165 In großen Appellen suchte der Minister nun bei Ausstellungen Privatleute zu mäzenatischen Aktivitäten zu animieren. Eine wichtige Rolle spielte hier die Rede zur Eröffnung der Düsseldorfer Ausstellung Deutsche Kunst 1928 (siehe Kap. III. 5.). Vor allem aber artikulierte Becker seine Forderungen bei einer Ausstellungseröffnung der Berliner Sezession im Februar 1928, wo er, zunächst an die Künstler gewandt, sagte: „Die äußeren Umstände des gegenwärtigen Lebens rufen zur Sammlung der Kräfte auf, es sieht in vieler Hinsicht bitter ernst aus und ich würde mit lebhafter Sorge in die Zukunft blicken müssen, hätte ich nicht festes Zutrauen zu Ihnen, zu Ihrem klaren Willen und Ihrem erprobten Talent, das der augenblicklichen Krise trotzen wird." 1 6 6 Aus der gesellschaftlichen Relevanz der Künstler leitete er dann, „an das so zahlreich hier erschienene Publikum der Kunstfreunde" gerichtet, den Aufruf ab: „lassen Sie die Künstler nicht allein! Feiern Sie nicht nur Ihre Feste mit ihnen, teilen Sie auch die Sorgen ihrer Arbeit! Es wäre ein großer Irrtum, zu glauben, der Staat allein sei berufen, den Notrufen zu folgen, die beängstigend aus den Reihen der Schaffenden zu uns dringen. Bei vielen Ausstellungen der letzten Zeit waren der Staat und einige andere öffentliche Körperschaften fast die einzigen Käufer. [...] Man behauptet, es fehle an Mitteln, die wirtschaftlichen Verhältnisse zwängen zu einer bedauerlichen Zurückhaltung. Verzeihen Sie mir da eine gewisse Skepsis, die wach wird, wenn ich von den Summen höre, die für Werke der sogenannten alten Meister und ausländischer Künstler aller Art bezahlt werden. Alle Mäzenaten echten 163 Becker, 3.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 5718. 164 Vgl. LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 21; Szg. 189, Sp. 37 f; LT, WP 2, Prot., Sp. 18173 f, 18180, 18194 f u. 18199-18201; LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 2 f, 9 f u. 12 f; Hellwag: Die große Notversammlung der bildenden Künstler im Preußischen Herrenhause am 5. November 1925, in: Ku. u. Wi., Jg. 6,
Nr. 12, Dez. 1925, S. 186-188.
165 Vgl. dazu auch Becker, 16.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 17870-17873. 166 Rede Becker, 25.2.1928, ms., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1534.
6. Förderung zeitgenössischer
deutscher Kunst:
Künstlerhilfe
489
Stils waren auch immer Pioniere, Entdecker unter den Schaffenden ihrer Zeit. Wenn sich die Künstler ihnen zu D a n k verpflichtet fühlten, sie auch verherrlichten, so geschah das, weil die Lebenden gewürdigt und geschätzt wurden." 1 6 7 Nachdrücklich suchte der Minister damit angesichts der Künstlernot wie der eigenen nationalintegrativen Ambitionen zu einem Engagement gerade f ü r zeitgenössische deutsche Künstler zu motivieren. Private Aufwendungen f ü r ältere und ausländische Kunst, die f ü r das Ressort im Rahmen seiner Museumspolitik ebenfalls wichtig waren, 168 die nach Beckers Auffassung aber nicht zu Lasten der lebenden Künstler primär geleistet werden sollten, 169 wollte er zumindest bis zum gewissen Grade in diesem Sinne umgelenkt wissen. Deutlich markierte das Ministerium so, w o es in einer Zeit immer knapperer Mittel die Akzente in der Kunstförderung setzte. In seinem Berliner Appell suchte Becker dabei mit dem Hinweis auf den speziellen Reiz des Einsatzes für eine im Werden begriffene Kunst zu überzeugen. Bei ähnlichen Gelegenheiten argumentierte das Ressort mit der Vorbildfunktion derer, die sich bereits f ü r die aktuelle Kunst engagierten. 170 Daneben bemühte sich das Ministerium aber auch praktisch, eine vermehrte private Förderung zeitgenössischer Künstler anzuregen. So knüpfte es an die staatlichen Ankäufe und Preisauslobungen bei der Sezessionsausstellung 1928 die H o f f n u n g , daß diese „einen Wetteifer in der Kauflust des Publikums herbeiführen werden." 1 7 1 Wie in der ersten Hälfte der 20er Jahre galt das Interesse des Ministeriums zudem weiterhin der Pflege des Kontaktnetzes privater Förderer im Ressortumfeld. Hatte Becker hier bereits unter Boelitz als entscheidender Mittler fungiert, konnten die entsprechenden Strukturen in der Ministerzeit Beckers ausgedehnt und verfeinert werden. Während Becker gerade in der Wissenschaftsförderung auf ein flankierendes privates Engagement baute, 172 ging es hier stets auch darum, den Handlungsspielraum f ü r die Künstler-
167 Ebd., S. 2. 168 Vgl. Gerippe für die Rede des Ministers zur Eröffnung des Völkerkundemuseums am 26. Juni 1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1468; KM (Nentwig) an FM, 26.9.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1027, Bl. 1-2; Hübner, 17.2.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 22 f. 169 Vgl. dazu auch Becker, 6.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6152 f. 170 Vgl. Rede Becker, 26.10.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1482; siehe dazu auch Justi an KM, 14.5.1929, ms., Abschr. KM (Nentwig) an Justi, 31.5.1929, ms., Abschr. KM (Waetzoldt) an Justi, 29.7.1929, ms., Entwurf Justi (für KM) an A. Pfeffer, 17.8.1929, Ds., ms., Justi an Gall, 16.8.1929, Ds., ms., Direktor NG (i.V. Thormaehlen) an KM, 19.8.1929, Ds., ms. u. Abschr. KM an Pfeffer, 24.8.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 1, Beih. 4. 171 Rede Becker, 25.2.1928, ms., S. 2, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1534; siehe dazu auch Klausner (DDP), 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 15 f. 172 Siehe dazu ζ. B. sein Engagement für die Lincoln-Stiftung, vgl. GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6800; GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 3847; GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4559; Reinhold Schairer: Aufstieg zum Studium, in: Tägliche Rundschau, 15.2.1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7609; Ziegler an Becker, 2.6.1931, ms. u. Becker an Konrat Ziegler, 5.6.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2512; Rathmann an Becker, 13.5.1932, ms. u. Becker an Rathmann, 19.5.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3349; siehe auch Briefwechsel 1926-33, in: GStA PK,
490
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
unterstützungspolitik durch private Mittel zu erweitern. Wichtig waren in diesem Zusammenhang die Kontakte zu Förderern zeitgenössischer Kunst wie Hugo Simon 173 oder Jakob Goldschmidt. 174 Überdies spielten etwa die vom Ressort verwaltete Harry-Kreismann-Stifm tung oder die privaten Fördermittel der Akademie der Künste eine Rolle. 176 Wie aktiv sich Becker für einen Ausbau des mäzenatischen Netzwerkes stark machte und welchen Stellenwert er der Verfügbarkeit privater Gelder im Ressortumfeld zuschrieb, belegt ein Brief vom März 1928, mit dem der Minister auf das Angebot von Marie von GoldschmidtRothschild reagierte, für die Erhaltung des Frankfurter Goethehauses 15.000 RM zu spenden 1 7 7 - verknüpfte Becker doch den Dank für die durch eine Sonderbewilligung mittlerweile hinfällig gewordene Spendenbereitschaft mit dem Hinweis: „Aus Ihrer Initiative in diesem Fall schöpfe ich den Mut, mich bei anderer Gelegenheit einmal vertrauensvoll mit der Bitte um Hilfe an Sie zu wenden. Sie ahnen nicht, wie gross die Not unserer jungen Gelehrten und Künstler zur Zeit ist und wie dankbar ich bin für jede Hilfe, die mir auf diesem Gebiet durch Zurverfügungstellung von Geldern ermöglicht, Gelehrten einmal ohne
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I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2190; Oppenheim an Becker, 3.2.1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6800; Schmidt-Ott an Becker, 2.2.1930, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 3947. Vgl. Hinweise 27.1.1927 u. 4.9.1929, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1720; Geschäftsführer Deutscher Kunstverein an Becker, 16.9.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 210; zu Simon vgl. auch Schmitz 1931, S. 163 f; Meyer 1998, S. 235; Rundfrage über Wertsteigerung moderner Kunst, in: Ku.bl., Jg. 15, 1931, S. 6-22 u. 39-47. Vgl. Briefwechsel Jakob Goldschmidt - Becker 1927-30, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 446; Goldschmidt an Becker, 12.4.1926, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 443; Goldschmidt an Becker, 23.3.1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6800; zu Goldschmidt vgl. auch Ku. u. Wz. J g . 9, Nr. 14, 1.8.1928, S. 222 u. Nr. 21, 15.12.1928, S. 374; Meyer 1998, S. 224; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 252. Vgl. Öffentliche Kunstpflege, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 17, 16.10.1928, S. 315. Vgl. Eine Stiftung für bedürftige Künstler, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 11, 1.6.1928, S. 170; Rede Becker, 26.10.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1482; Ku.bl., Jg. 12, 1928, S. 221 f; Staatspreise für die Frühjahrsausstellung der Akademie der Künste, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 9, 1.5.1928, S. 140; Preisverteilung in der Akademie der Künste, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 12, 15.6.1928, S. 194; SAdK, PrAdK, 2.2/053, Bl. 179-181, 184-186, 188-189 u. 201-202; SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 85-88, 147-151 u. 313-317; SAdK, PrAdK, 2.1/005, Bl. 86-93; SAdK, PrAdK, 2.2/007, Bl. 45; SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 242; SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 38-46; Linneborn (Z), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 9; Prämien-Verteilung der Preußischen Akademie der Künste, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 9, 1.5.1931, S. 112. Vgl. Frau von Goldschmidt-Rothschild an Kultusminister [Becker], [7.3.1928], hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 448; zur Familie von Goldschmidt-Rothschild vgl. auch A. Donath in: Ku.wan., Jg. 5, 2. Juni-Nr. 1923, S. 436; zum Goethehaus vgl. LT, WP 1, Dr. 1375, S. 1547; Dr. 4031, S. 4725; LT, WP 1, Prot., Sp. 13224 f; LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 10, 19 u. 25; LT, WP 2, Dr. 8858, S. 9832; LT, WP 2, Prot., Sp. 25690 f; Karikaturen März 1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7654; Hinweis auf Heinrich Simon an Becker, März 1928 [?], in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6800; Material 1928 u. Briefe 1931, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1791.
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst:
Künstlerhilfe
491
Inbetriebsetzung des amtlichen Apparates, verschämten Armen und Leuten im geistigen Aufstieg unter der Hand helfen zu können." 1 7 8 Nachdem das Ministerium in der zweiten Hälfte der 20er Jahre eine auf unterschiedlichen Ebenen greifende Künstlerhilfspolitik hatte etablieren können, bei der der soziale Aspekt immer gleichrangiger neben ein national motiviertes Förderinteresse getreten war, wurde dieser Politik seit Ende der 20er Jahre infolge der erneuten Wirtschaftskrise zunehmend die Basis entzogen. In Grimmes Ministerzeit beklagten der Landtag wie der Reichsverband die kontinuierlichen Abstriche bei den Mitteln für die zeitgenössische Kunst. 179 1930 lenkte zudem die Feier zum Jubiläum der Staatssammlungen (siehe Kap. III. 4.) das Augenmerk auf das Mißverhältnis zwischen den Aufwendungen für die Museen und die Künstlerhilfe. 180 Das Ministerium suchte darauf zu reagieren, indem es sich dafür einsetzte, den fortgesetzten Abbau des Verfügungsfonds für Kunst zu verhindern und so die Grundlage für die bisherigen Aktivitäten zu wahren. Entsprechend trat Kunstabteilungsleiter Hübner im Mai 1930 beim Finanzressort dafür ein, daß der schon für 1930 um 1 0 % gekürzte Verfügungsfonds für 1931 nicht weiter reduziert werden dürfe - stellten doch bereits die aktuellen Kürzungen eine „höchst empfindliche Minderung" der Etats dar, die gerade deshalb besonders schwer wögen, „weil sie die Möglichkeiten verringern, die allgemeine große Not der Künstlerschaft zu mildern." 1 8 1 Nach Ablehnung des Antrags 1 8 2 wandte sich das Ministerium im Juli 1930 erneut an das Finanzressort und betonte, man habe sich mit der Kürzung von 1930 nur unter der Voraussetzung abgefunden, „daß die Verhältnisse auf dem Gebiete der Kunst sich nicht noch weiter verschlechtern, und daß in absehbarer Zeit wieder eine Erhöhung auf die alten Beträge möglich sei. Tatsächlich haben sich aber die wirtschaftlichen Verhältnisse der schaffenden Künstler in einem Maße ungünstig gestaltet, daß es nicht mehr zu verantworten ist, gerade die Mittel [...] zu beschränken, die geeignet sind, die große Not der lebenden Künstler wenigstens zu einem kleinen Teil lindern zu helfen." Einer weiteren Minderung der Mittel müsse man daher angesichts „der gegenwärtigen Lage des Kunstlebens [...] mit allem Nachdruck widersprechen." Es sei für die Kunstverwaltung
178 Becker an Frau von Goldschmidt-Rothschild, 16.3.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 448; siehe dazu später auch Becker, 13.3.1929, in: LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 25. 179 Vgl. LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 2 f, 9 f, 12 f, 15 u. 20; Szg. 192, Sp. 3, 5, 7 f u. 11 f; Szg. 204, Sp. 6-8; LT, WP 3, Prot., Sp. 13473 f, 13515, 13517-13519, 18790, 18977 f, 19202-19205, 1921119215 u. 19236; LT, WP 3, Dr. 6593, S. 6369; Dr. 6783, S. 6401; Die Kunst im Preußischen Landtag, in: Ku. u. M , Jg. 11, Nr. 9, 1.5.1930, S. 123; Ο. M.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 8, 16.4.1930, S. 107 f; Ο. M.: Preußischer Kunst-Etat, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 5, 1.3.1931, S. 59; Rudolf Bosselt: Unerwartete Wirkung unserer Kundgebung im Herrenhause, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 19,1.12.1931, S. 256-258. 180 Vgl. Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 17, 16.10.1930, S. 252; Die Kunst im Preußischen Landtag, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 9, 1.5.1930, S. 123; Linneborn (Z), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 8; Bohner (Dt. Staatsp.), 6.3.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 204, Sp. 6-8; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19211-19215; GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1029, Bl. 2. 181 KM (Hübner) an FM, 20.5.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1048, Bl. 2, Bl. 2 r. 182 Vgl. Entwurf FM an KM, 28.5.1930, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1048, Bl. 3 r.
III.
492
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
nicht tragbar, „daß auf der einen Seite Mittel, die der Stützung der Künstler zu dienen bestimmt sind, wiederholt gekürzt werden, während auf der anderen Seite die Not der Künstler ins Ungemessene steigt. [...] Die Öffentlichkeit würde es nicht verstehen, wenn gerade im jetzigen Augenblick die zur Uberwindung der ungünstigen wirtschaftlichen Lage der Künstler so dringend erforderlichen staatlichen Mittel gekürzt würden." 183 Letztlich drang das Ressort damit aber nicht durch. Die Kürzung der Mittel wurde 1931 wie geplant realisiert. Im folgenden Jahr verschärfte sie die Situation nochmals, als für 1932 eine Reduzierung der Fonds um 5 0 % vorgesehen wurde. Wieder wandte sich Hübner daraufhin an das Finanzressort und erklärte: „insbesondere im Hinblick auf die außerordentliche wirtschaftliche Not, in die infolge der allgemeinen Wirtschaftslage sogar zahlreiche namhafte Vertreter aller Kunstzweige geraten sind, halte ich es nicht für vertretbar, daß durch eine erneute, weit über das erträgliche Maß hinausgehende Fondskürzung die einzige Möglichkeit zur Förderung der lebendigen Kunst fast völlig beseitigt wird. In der heutigen Zeit, in der die früher so umfangreiche private Förderung der Kunst fast völlig zum Erliegen gekommen ist, müßte es eigentlich Aufgabe des Staates sein, durch Bereitstellung erhöhter Mittel der deutschen Kunst über die jetzige schwere Krisis hingwegzuhelfen." Daher bat Hübner darum, die Kunstfonds als „Notstandsmittel" vollständig, allenfalls aber um 15 % gekürzt bereitzustellen.184 Hübner konnte das Finanzministerium allerdings auch diesmal nicht umstimmen. Vorstellungen Grimmes und eine Chefbesprechung in der Sache bewirkten ebenfalls nichts. 185 Nachdem es dem Ressort zudem nicht gelungen war, zumindest die seit 1927 eingesparten Fondsmittel zu erhalten,186 wurde der Verfügungsfonds für Kunst zur Empörung des Reichsverbandes bildender Künstler im Frühjahr 1932 tatsächlich halbiert.187 Im Kampf um den Verfügungsfonds offenbarte sich das unverminderte Interesse des Ministeriums an einer Künstlerunterstützung auch und gerade in der Krise zu Beginn der 30er Jahre. Angesichts der Not der Künstler und des immer spürbareren Fehlens privater Förderer 188 sah das Ministerium den Staat umso mehr in die Pflicht genommen. Im Endeffekt konnte es mit seiner ideellen Argumentation aber, zumindest was den Verfügungsfonds angeht, nicht durchdringen. Daneben gelang es ihm jedoch, wenigstens die Darlehenskasse zu erhalten.189 Durch eine gewinnbringende Anlage des unveränderten Kapital183 KM an FM, 15.7.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1048, Bl. 4, Bl. 4 v. 184 KM (Hübner) an FM, 21.10.1931, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1048, Bl. 8, Bl. 8 r-v. 185 Vgl. Grimme an FM, 7.11.1931, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1048, Bl. 5 - 6 . 186 Vgl. KM (Waetzoldt) an FM, 8.4.1932, ms. u. Enwurf FM an KM, 3.5.1932, hs„ in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1048, Bl. 9 - 1 1 . 187 Vgl. Die Kunst im preußischen Staatshaushalt, in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 4, 1.4.1932, S. 61 f; R. B.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 5, 1.5.1932, S. 76. 188 Vgl. dazu auch Grimme: Kultur in Not. Ein Rundfunkvortrag 10.1.1932,
des Staatsministers Grimme
am
in: Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 74, Nr. 2, 20.1.1932, S. 4 6 - 4 9 ; auch in: GStA PK, I. H A
Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 398; LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 2 f, 9 f u. 12; siehe dazu allerdings auch Grimmes Agieren mit finanziellen Alternativen dort, wo es noch möglich war, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 502. 189 Vgl. KM (Hübner) an FM, 31.7.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1052, Bl. 18; siehe auch schon KM (Waetzoldt) an FM, 12.7.1929, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1052, Bl. 1.
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und Aufträge
493
stocks 1 9 0 konnten der Kasse weiter die üblichen Erträge von 40.000 R M zugeführt werden. 191 Für die Unterstützungspolitik nach 1930 bedeutete das: Während die Darlehenskasse weiter als staatlich finanziertes Hilfsangebot für Künstler bereitstand, suchte das Ressort mit den gekürzten Fonds das System der Zuwendungen an Künstler fortzusetzen. 192 Statt die Zahl der Unterstützten zu reduzieren, fielen in der Regel die Einzelzuwendungen geringer aus.193 Auf diese Weise konnte das seit 1925 verfolgte Prinzip, mit den Zuwendungen eher in die Breite als in die Tiefe zu wirken und dabei dem motivatorischen Moment Vorrang vor der langfristigen Hilfe einzuräumen, 1930/31 erst einmal aufrechterhalten werden. Die fortschreitende Mittelreduzierung und Geldentwertung ließen den Handlungsspielraum des Staates dann jedoch zunehmend enger werden. 194 An die Stelle der genuin in die nationalintegrative Politik eingebundenen Künstlerunterstützung trat so letztlich ein punktuelles Hilfsbemühen, das kaum noch im Sinne der ursprünglichen Ambitionen wirken konnte. 195
6.2. Ankaufs- und Auftragspolitik 196 Nach der Revolution war der Ruf laut geworden, das postulierte neue Verhältnis von Kunst und Gesellschaft durch eine intensive Ankaufs- und Auftragspolitik der Republik zu untermauern. Unter Haenisch wurde durch die Ankäufe expressionistischer Kunst für das Kronprinzenpalais tatsächlich ein erstes Signal gesetzt. Das Ressort unterstützte den Ausbau der
190 Vgl. GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1052, Bl. 3 - 4 , 6, 9 - 1 0 , 1 2 , 1 4 - 1 5 , 1 7 , 1 9 - 2 8 u. 4 3 - 4 8 . 191 Vgl. LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 2 f u. 9 f; Szg. 192, Sp. 7 f; SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 276; Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 18, 1.11.1930, S. 268; KM: Zusammenstellung Regierung auf dem Gebiete der Kulturpolitik seit November
der Leistungen
der
preußischen
1918, 1931, ms., in: GStA PK, I. H A
Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a; Ο. M.: Preußischer Kunst-Etat, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 5, 1.3. 1931, S. 59; KM (Waetzoldt) an FM, 7.9.1931, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1052, Bl. 43; Zusammenstellung
über Unterstützungen,
in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 5, 1.5.1932, S. 79 f; M. von
Hugo: Stützung der Kunst aus öffentlichen Mitteln, in: Ku. u. Wi.,]g. 12, Nr. 20,20.12.1931, S. 2 7 7 279. 192 Vgl. SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 24, 28, 30, 33-34, 61, 73, 75-78, 84, 103, 106, 206, 214, 231, 242, 2 5 4 , 2 5 6 , 2 6 4 , 2 7 2 - 2 7 3 , 2 7 6 , 2 8 0 u. 321; SAdK, PrAdK, 2.1/014, Bl. 56,118, 2 5 1 , 2 5 3 - 2 5 4 , 2 5 7 , 271 u. 339; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 9, Bl. 43 u. 45; Direktor N G (i.V. Thormaehlen) an Fiedler, 6.2.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 35. 193 Sie lagen nun meist zwischen 50 und 250 RM, vgl. SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 16, 35, 9 7 , 1 1 1 , 2 7 6 , 297, 308, 318 u. 334; SAdK, PrAdK, 2.1/014, Bl. 120 u. 313. 194 Vgl. KM (Hübner) an Liebermann, 31.7.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 208; KM (Hübner) an Liebermann, 25.7.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/014, Bl. 338; LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 7 f. 195 Vgl. dazu auch Hanns Bastanier: Ein Vorschlag zur Güte, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 10, 16.5.1930, S. 146; Rudolf Bosselt: Eine märchenhafte
Silvesterunterhaltung,
in: Ku.u.Wi.,
10.1.1932, S. 5 - 8 ; Emanuel Josef Margold: kunst in not. kritische betrachtung
Jg. 13, Nr. 1, -
anregung zur kunstpflege, Sept. 1931, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 316, Bd. 2, Bl. 49-52. 196 Siehe dazu auch Tab. II u. III.
reforman-
494
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Nationalgalerie in Richtung modernster Kunst, forderte die Ausrichtung auf den Expressionismus allerdings keineswegs. Im Zusammenhang mit der Kunstfreiheitsmaxime sah es seine Aufgabe in erster Linie darin, durch Neubesetzung der Ankaufskommission nach den wilhelminischen Einseitigkeiten eine ausgeglichene Erwerbungspolitik der zentralen Sammlung zu gewährleisten (siehe Kap. II. 4.1.) Unter Waetzoldts Einfluß und angesichts der Werkbundnähe des Ressorts begann sich parallel dazu im Rahmen der Popularisierungspolitik ein ministerielles Interesse an einer ästhetischen Gestaltung des öffentlichen Raumes abzuzeichnen, das eigene Ankaufs- und Auftragsaktivitäten erstrebenswert erscheinen ließ. Einem solchen Engagement setzten die knappen Etats unter Haenisch jedoch äußerst enge Grenzen (siehe Kap. II. 5.2.). Von einer eigenständigen Ankaufs- und Auftragspolitik des Ressorts konnte so bis 1921 nicht die Rede sein. Daran änderte sich auch nach Haenischs Rücktritt zunächst kaum etwas. In der ersten Ministerzeit Beckers 1921 konnte das Ressort in der Auftragspolitik allenfalls durch die Neugestaltung des Preußenadlers 197 gewisse Akzente setzen. Deutlich bestätigte sich die auf ästhetische Integration statt auf demonstrative Progressivität zielende Tendenz des Ministeriums dabei bereits, als Waetzoldt in Abgrenzung zum expressionistischen Reichsadlerentwurf, der auf Anregung Redslobs von Schmidt-Rottluff vorgelegt worden war,198 für eine sachlichere staatliche Formgebung plädierte. Redslobs Lösung kritisierte der Referent vor allem deswegen, weil er den Expressionismus als noch im Werden begriffenen Stil als ungeeignet für Objekte erachtete, die wie Wappen, Siegel oder Urkunden Dauer beanspruchten.199 Für solche Aufgaben kämen vielmehr „möglichst neutrale, sachliche, dabei optisch einwandfreie Formen" in Frage, wie sie etwa Orlik, E. R. Weiß oder Hupp lieferten. Grundsätzlich wollte Waetzoldt für die staatliche Formgebung keine „Bekennernaturen" herangezogen wissen, sondern „Stilisten". 200 So sehr sich Waetzoldt aber auch von Redslobs Lösung distanzierte, teilte er doch dessen Grundansicht, daß es sich bei der Formgebung um ein Arbeitsfeld handelte, das in die Zuständigkeit der Kunstpolitiker fallen sollte. Nachdem Waetzoldt 1920 eine mangelnde Beteiligung des Kunstreferenten an solchen Aufgaben beklagt hatte,201 gelang es ihm im Frühjahr 1921, entsprechenden Einfluß
197 Vgl. dazu ausführlich von Schroeder 1986. 198 Vgl. dazu Laube 1997, S. 71-82; Heffen 1986, S. 80-107; Speitkamp 1994, S. 564-566; Redslob 1972, S. 172 f; Campbell 1981, S. 144 f; Döpler: Der neue Reichsaar, in: Ku.wart, Jg. 33/1, Nr. 2, Okt. 1919, S. 95; Ein neuer Reichsadler, in: Ku.chr. J g . 55,1, Nr. 17, 23.1.1920, S. 354; Ku.chr., Jg. 55/2, Nr. 30, 23.4.1920, S. 583; Α.: Der neue Reichsadler, in: Ku.wart, Jg. 33/3, Nr. 19, Juli 1920, S. 334 f; Reichsadler, Reichskunst usw. oder: Woher kommen die Mißerfolgef,
in: Ku.wart, Jg. 33/3,
Nr. 21, Sept. 1920, S. 407-413; Schmitz 1931, S. 191; siehe dazu auch Redslobs Präsenz bei der Kirchner-Schau der Nationalgalerie 1921, vgl. Aus dem
Kronprinzenpalais,
in:
Vorwärts,
30.1. [o.J.J, in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 167; Cie., Jg. 13, Nr. 4, Febr. 1921, S. 127; Adolph Donath: Der Reichskunstwart und die Kunst, in: Ku.wan., Jg. 3, 1. Febr.-Nr. 1921, S. 221 f. 199 Zu Waetzoldts Verhältnis zum Expressionismus vgl. Schunk 1993, S. 427. 200 Waetzoldt an Becker, 8.5. [1920], hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4942; vgl. auch Schunk 1993, S. 433. 201 Vgl. Waetzoldt: Preussische Kunstverwaltung I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8281.
und Reichskunstwart, 8.3.1920, ms., in: GStA PK,
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und Aufträge
495
auf die Gestaltung des neuen Preußenadlers zu nehmen. Nach der Betrauung mit der Sache im Januar 1921 legte das Kultusministerium im April 1921 zunächst zwei Entwürfe des Malers Max Kutschmann und des Architekten Hermann Esch vor.202 Die Reaktion des Heroldsamtes auf die durch ihren graphisch-plastischen Charakter künstlerisch geprägten Entwürfe war jedoch verhalten. Erst ein weiterer, ebenfalls als „nicht heraldisch" geltender Entwurf von Esch (Abb. 6) fand schließlich im Juli 1921 die Zustimmung des Staatsministeriums.203 Das Ressort hatte damit im Zuge seiner Kulturgemeinschaftsvorstellungen ähnlich wie Redslob den Anspruch auf eine ästhetische Prägung der staatlichen Formgebung durchgesetzt. 204 Die konkrete Gestaltung hob sich indes wie angestrebt vom zeitgenössisch als ärmlich zerrupft wahrgenommenen Reichsadlerentwurf ab. Den auffliegenden, an friderizianischen Vorbildern orientierten, naturgetreuen graphischen Adler von Esch begriff Waetzoldt als typisch preußisch. 205 Die „klare und feste" Lösung Eschs 206 wertete er als ideale Umsetzung des Anspruchs, „in Form und Ausdruck des preußischen Wappenadlers möge etwas anklingen von der Sachlichkeit, Schlichtheit und Straffheit, die in Sonderheit als preußische Stammesmerkmale und auch als Kennzeichen des preußischen Stiles in der Kunst von Schlüter bis Menzel empfunden werden." Der Referent knüpfte daher an Eschs Entwurf die Hoffnung: „Als Symbol hat dieser Adler Aussicht volkstümlich zu werden, weil es als Wahrzeichen einer Staats- und Volksgemeinschaft empfunden werden kann, die, ohne den inneren Zusammenhang mit der Vergangenheit zu verlieren, aus tiefem Fall sich wieder aufzuschwingen Willens ist." 2 0 7 Die Identifikation mit dem künstlerischen Preußenadler, in dem das Ressort Tradition und neuen Gesellschaftsanspruch verbunden sah, erscheint für die Tendenz der Auftragspolitik des Ministeriums zu Beginn der 20er Jahre in mehrfacher Hinsicht aussagekräftig. Die staatliche Formgebung als eher ungewöhnliches Terrain der Auftragspolitik weist
202 Vgl. von Schroeder 1986, S. 247. Zuvor hatte man sich laut Waetzoldt: Der neue preußische
Adler,
in: Der Tag, Nr. 333, 17.7.1921, zitiert nach Schroeder 1986, S. 252 „an eine Reihe hervorragender Künstler, u.a. [...] Gaul, E. R. Weiß, Kutschmann, Hupp, Doepler d.J., Esch, Fischer, gewandt, ohne ihnen nach irgendeiner Richtung die Hände zu binden." Siehe dazu auch Wilhelm Waetzoldt: Der preußische Adler, in: Ku. wan., Jg. 3, 2. Juli-Nr. 1921, S. 445 f, S. 445. 203 Vgl. von Schroeder 1986, S. 247-251; Protokoll Staatsministerium, 5.7.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Otto Braun, A Nr. 19 a. 204 Das in erster Linie ästhetische Anliegen verdeutlichte Waetzoldt in Der neue preußische Adler, in: Der Tag, Nr. 333, 17.7.1921, zitiert nach von Schroeder 1986, S. 252 durch die Abgrenzung: „Heraldische Sinnbilder widersprechen dem inneren Wesen der neuen Staats- und Volksgemeinschaft." Zur kritischen heraldischen Sicht auf den Entwurf vgl. Schroeder 1986, S. 253-257. Symptomatisch für die ästhetische Sicht erscheint auch, daß Waetzoldt den Entwurf in der Kunstpresse vorstellte, vgl. Wilhelm Waetzoldt: Der preußische Adler, in: Ku.wan., Jg. 3, 2. Juli-Nr. 1921, S. 445 f. 205 Vgl. Waetzoldt: Der neue preußische Adler, in: Der Tag, Nr. 333, 17.7.1921, abgedruckt in von Schroeder 1986, S. 252; zur friderizianischen Orientierung vgl. auch Wilhelm Waetzoldt: Der preußische Adler, in: Ku.wan., Jg. 3, 2. Juli-Nr. 1921, S. 445 f, S. 445; von Schroeder 1986, S. 253 f. 206 Waetzoldt: Der neue preußische Adler, in: Der Tag, Nr. 333, 17.7.1921, zitiert nach von Schroeder 1986, S. 252. 207 Wilhelm Waetzoldt: Der preußische Adler, in: Ku.wan., Jg. 3, 2. Juli-Nr. 1921, S. 445 f, S. 445.
III.
496
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
zunächst auf das Kriterium der Praxisrelevanz, die im konkreten Fall zugleich den Blick für das Auftragsfeld Gebrauchsgraphik öffnete, daneben aber vor allem auf den Aspekt der ästhetischen Breitenwirkung hin, die man über die Aufträge erzielen wollte. Gerade Eschs Entwurf für den Preußenadler, der später die Außendarstellung der Republik Preußen tatsächlich prägte und zugleich Basis für Folgeaufträge war,208 kann als charakteristisches Beispiel für eine solche, eng mit dem Kunstpopularisierungsanspruch verknüpfte Auftragspolitik gelten. Überdies spitzte der Entwurf das formell-stilistische Ideal des Ressorts in dieser Zeit zu: Neben den Kriterien Sachlichkeit und Klarheit, die Waetzoldts Vision der ästhetischen wie gesellschaftlichen Sammlung (siehe Kap. II. 5.2.) spiegelten, räumte das Ressort im Kontext seines ästhetischen Bildungsanspruchs den Aspekten Volkstümlichkeit und Eingängigkeit zentralen Stellenwert ein. Die realistische, zugleich dezidiert künstlerische Darstellung schien dem ministeriellen Anspruch auf eine integrative Ästhetik, auch wenn sie zeitgenössisch etwa auf konservativer Seite nicht unumstritten war,209 offenkundig eher gerecht zu werden als konventionelle Lösungen oder ein demonstrativer Modernismus. Der Preußenadler gab damit Tendenzen vor, die auch für das Engagement des Ministeriums Boelitz maßgeblich bleiben sollten. Konkret gestaltete sich die Auftrags- und Ankaufspolitik des Ressorts in der ersten Hälfte der 20er Jahre angesichts dessen folgendermaßen: Nachdem Boelitz bereits 1919 für eine national akzentuierte Kunstförderung unter Vermeidung stilistischer Festlegungen votiert hatte, 210 machte sich der neue Minister, in Übereinstimmung mit dem Landtag und veranlaßt sicherlich auch durch entsprechende Forderungen der Steinindustrie oder der Metallgießer 211 , zunächst für eine Erhöhung der staatlichen Auftragsmittel stark.212 Deutete sich auf diese Weise ein Interesse an einer profilierteren Umsetzung der bisherigen Ansätze an, konnte Boelitz in einer Zeit, in der die Wirtschaftskrise immer drängender wurde, für 1922 jedoch keine Mittelaufstockung durchsetzen.213 Auch unter Boelitz waren mithin kaum umfangreiche Auftrags- oder Ankaufsaktivitäten des Ressorts zu verzeichnen. Mit den vorhandenen Mitteln agierte das Ministerium nun
208 Vgl. von Schroeder 1986, S. 250 u. 256-261; SAdK, PrAdK, 2.2/186, Bl. 2 - 3 ; SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 54, 57-59 u. 248; SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 52-53 u. 56; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30. Bd. 9, Bl. 116-117; BArchB, R 32, Nr. 312 a, Bd. 2, Bl. 21-22 u. 29; BArchB, R 32, Nr. 484, Bl. 21 u. 24-25; zur späteren Annäherung der Formgebung Preußens und des Reiches vgl. Heffen 1986, S. 108-162; Laube 1997, S. 83-111. 209 Vgl. dazu z.B. Kaehler (DNVP), 13.12.1921, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 5791. 210 Vgl. Boelitz 1919 b,S. 42. 211 Vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8963, Bl. 2 - 3 , 5 u. 99-100; KM (Nentwig) an FM, 30.5.1922, ms. u. Entwurf FM an KM, 3.7.1922, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8263; Material Okt. 1922/Febr. 1923, in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 4; LT, W P 1, Prot., Sp. 7446 f, 8001 u. 11620; LT, W P 1, Dr. 3113, S. 3595; Heß (Z), 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 2 - 4 . 212 Vgl. Boelitz (DVP), 13.12.1921, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 5787. 213 Der Posten für die Förderung von Malerei, Plastik und Graphik, aus dem auch die Ankäufe der Nationalgalerie bestritten wurden, belief sich wie 1921 weiterhin auf 335.990 M, vgl. Staatshaushaltsplan 1922, Anlagenbd. 2, S. 74.
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und Aufträge
497
jedoch zielbewußter als zuvor. Für Staatsaufträge setzte sich das Prinzip durch, die Aufgaben „so zu gestalten, daß sie neben der Förderung der Kunst eines bestimmten Meisters der Allgemeinwirtschaft zugute kommen und vorwiegend produktiver Natur sein sollen." 214 Dem wurde das Ministerium etwa durch die Ausführung eines 1917 in Auftrag gegebenen Glasfensters für die Charitékirche durch Harold Bengen gerecht - wurde doch durch die Ausführung 1921/22 nicht nur „einem Künstler [...] die Möglichkeit reicher Entfaltung seines gerade auf diesem Gebiet gelegenen großen Könnens" gegeben, sondern zugleich die unter der Not der Zeit leidende Glas- und Mosaiksteinindustrie unterstützt.215 Aus ähnlichen Motiven erwarb das Ministerium 1922 ein Glasfenster von Jan Thorn-Prikker.216 Und auch die Abwicklung vor 1918 erteilter Aufträge fügte sich in diese Leitidee ein. So finanzierte das Ressort einen Brunnen Ernst Moritz Geygers für Neukölln, einen Brunnen Georg Kolbes für Elberfeld sowie die Ausmalung des Kreissitzungssaals in Schwerin durch Ziegler und einer Aula in Flensburg durch Käthe Lassen.217 Die Ausführung dieser Aufträge stand nicht nur für das produktive Förderprinzip. Vielmehr waren sämtliche Arbeiten, ähnlich wie die Vollendung der Holzfiguren Kraft und Schönheit für das Danziger Rathaus zur selben Zeit, die das Ressort 1917 beim Düsseldorfer Künstler Langer in Auftrag gegeben hatte,218 auch als Beitrag zur Umsetzung des Anspruchs zu verstehen, der schon beim Preußenadler zentral gewesen war: nämlich des Anspruchs auf eine ästhetische Durchdringung des Alltags durch die Auftragspolitik. Das Ministerium bemühte sich so, mit bestehenden Verpflichtungen im Sinne der eigenen Ambitionen konstruktiv umzugehen. Uber bekannte Namen wie Kolbe oder Thorn-Prikker 219 konnte es durchaus zeitgemäße Akzente setzen - letztlich knüpfte es jedoch an schon vor 1918 getroffene Entscheidungen an. Für die Vergabe neuer Aufträge blieb indes auch unter Boelitz kaum Raum.220 Wie zuvor konnte das Ressort hier nahezu ausschließlich in der Gebrauchsgraphik wirken. 1921/22 ließ es von Künstlern wie Rudolf Koch, Wilhelm Poetter oder Lucian Bernhard Entwürfe für ein Diplom einreichen, das die preußische Rettungsmedaille ersetzen sollte. Daneben fertigten in seinem Auftrag Kunstschullehrer wie Max Slevogt, Georg Walter Rössner, Klaus Richter und Emil Rudolf Weiß oder der Maler Tobias Schwab Entwürfe für ein Gedenkblatt, das Gesangvereinen vom Staat verliehen werden sollte.221 Besonderes Augenmerk legte die Kunstverwaltung „auf die staatlicherseits veranlaßten Druckschriften (Führer durch die Museen, Programmhefte, Briefköpfe usw.) [...], um zu zeigen, wie auch mit beschränkten Mitteln bei genügend gewissenhafter Behandlung künstlerisch einwandfreie
214 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4356; vgl. auch Kunstaufträge verwaltung,
der preußischen
Kunst-
in: Ku.chr., Jg. 5 8 / 1 , Nr. 5, 3 . 1 1 . 1 9 2 2 , S. 98.
215 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4356; vgl. Schunk 1993, S. 433. 2 1 6 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4356. 217 Ebd.; vgl. Schunk 1993, S. 433. 218 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4356. 2 1 9 Vgl. dazu auch Ernsting 1994, S. 330. 220 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4356; Nentwig u. Waetzoldt, 3 0 . 1 1 . 1 9 2 2 , in: LT, W P 1, H A , Szg. 154, Sp. 12 f. 221 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4356.
III.
498
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Lösungen gefunden werden können." Das Ressort ließ hier einzelnen Künstlern Aufträge für die Neugestaltung der Programmhefte der Staatstheater, einer Eintritts- und Entlassungsurkunde für Beamte sowie des Titelblattes des Handbuchs für den Preußischen Staat zukommen. Hinzu traten „eine Reihe von Arbeiten graphischer Art, die mit der Einführung des neuen preußischen Adlers zusammenhängen."222 Über die Schwerpunktsetzung im Bereich der staatlichen Gebrauchsgraphik bestätigt sich unmittelbar die wegweisende Rolle des Adlerentwurfs von 1921 für die Auftragspolitik. Hatte sich beim Entwurf von Esch bereits der Aspekt der ästhetischen Außendarstellung des Staates als elementar erwiesen, trugen die 1921/22 erteilten Aufträge zur Potenzierung dieses Aspekts bei. Letztlich fügten sich auch zwei vom Ressort in Auftrag gegebene Plakettenentwürfe223 in diesen Kontext ein. Motiv der derart akzentuierten Politik war offensichtlich, eine den neuen Kulturgemeinschaftsvorstellungen adäquate, zeitgemäße ästhetische Gestaltung zunächst im staatlichen Umfeld durchzusetzen und von dort in die Gesellschaft zu wirken. Uber die Einbindung von Künstlern wie Slevogt, Richter oder Weiß, auf die man auch in der Künstlerausbildung setzte (siehe Kap. III. 3.1.), bemühte sich das Ressort, seinem Ideal einer sachlichen, konsensfähigen Ästhetik gerecht zu werden. Vor dem Hintergrund der Geldentwertung galt dem Ministerium selbst sein Engagement als durchaus beachtlich.224 Hatte das Ressort damit zu Beginn der Amtszeit Boelitz* noch gewisse Auftragsaktivitäten entwickeln können,225 verschlechterte sich die finanzielle Situation dann allerdings seit 1922/23 rapide. Zwar wurde der Etattitel Zur Förderung der bildenden Künste durch Aufträge Anfang 1923 noch einmal aufgestockt, wirklich handlungsfähig war das Ministerium auf dem Höhepunkt der Inflation aber auch mit diesen Mitteln nicht mehr.226 Den Geldmangel suchte es zunächst durch sein Eintreten für die Auftragsvermittlungsstelle an der Unterrichtsanstalt oder dadurch zu kompensieren, daß es sich dafür einsetzte, Schüler und Lehrer der Akademien Kassel und Königsberg bei externen Aufträgen zu berücksichtigen (siehe Kap. III. 3.1.). Während gleichzeitig der Ankaufs- und Auftragspolitik eine immer stärkere Relevanz durch die Verquickung mit dem Thema Künstlernot zugeschrieben wurde, baute das Ressort zudem auf alternative Konzepte wie die Notspende oder die Notgemeinschaft der deutschen Kunst. Bis 1923/24 wurden so offenbar kleinere Aktivitäten des Ressorts möglich (siehe Kap. III. 6.1.). Jenseits dessen konnte das Ministerium Boelitz allerdings kaum mehr eine eigene Ankaufs- oder Auftragspolitik betreiben.227 Die Rolle des
222 Ebd., S. 4356 f; zur Gestaltung des Staatshandbuchs vgl. von Schroeder 1986, S. 256. 223 Es handelte es sich um Plaketten für Verdienste um die Jugend und für das rheinische Olympia, vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357. 224 Vgl. Nentwig u. Waetzoldt, 30.11.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 154, Sp. 12 f. 225 Vgl. auch Heß (Z) ), 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 2; Wallraf (DNVP), 14.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17377.
226 Vgl. A. Kuhn: Die Kunst im preußischen
Staatshaushaltsentwurf,
in: Ku.chr., Jg. 58/1, Nr. 20,
16.2.1923, S. 392 f; Wallraf (DNVP), 14.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17377; Staatshaushaltsplan 1923, Anlagenbd. 2, S. 72; Hinweis auf Richard Hartmann an Becker, 30.1.1925, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6796; Hartmann an Becker, 30.1.1925, hs. u. Becker an Hartmann, 9.2.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 858. 227 Für die Zeit um 1923 ist nur der Ankauf eines Gemäldes nach Canaletto von Welz nachzuweisen,
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und Aufträge
499
Ressorts beschränkte sich demnach um 1923 im Rahmen der Zuständigkeit für die Denkmalpflege auf die einer inhaltlich beratenden, speziell in strittigen Fällen angerufenen Instanz, wenn es um die Neuaufstellung von Denkmälern vor allem im kirchlichen Bereich ging. Der Einsatz für oder gegen bestimmte, von anderer Seite in Auftrag gegebene öffentliche Standbilder ist als eine Art indirektes Auftragsengagement zu verstehen, dem Relevanz in erster Linie deswegen zukommt, weil es Einblick in inhaltliche Präferenzen des Ministeriums gibt. Konkret nahm Landeskonservator Hiecke zum Beispiel im März 1923 Einfluß auf die Gestaltung eines Ehrenpfeilers im Kolberger Mariendom.228 Als zur selben Zeit Protest gegen ein als dilettantisch kritisiertes Kriegerdenkmal laut wurde, das in der Stettiner Jakobikirche Aufstellung finden sollte, suchte er zudem mit der Provinzialberatungsstelle für Kriegerehrungen eine künstlerisch tragfähigere Lösung durchzusetzen.229 Stand hier noch allgemein im Vordergrund, denkmalpflegerisch wie kunstwissenschaftlich überzeugend zu agieren, brachte sich der Konservator gemeinsam mit Oberbaurat Kickton vom Finanzministerium wenig später bei der Neugestaltung des Kantgrabes in Königsberg schon pointierter ein, als er sich für eine Auftragsvergabe an Friedrich Lahrs aussprach, der als Akademielehrer vom Ressort bereits zuvor für Aufträge in Betracht gezogen worden war.230 Auch wenn Hiecke die von Lahrs geplante offene Pfeilerhalle keineswegs für ideal hielt, stellte er sich letztlich hinter die 1924 realisierte Stoa Kantiana. Wichtig war Hiecke und Kickton dabei zu betonen, es handele sich um eine „in sich klar und entschieden durchgebildete Anordnung, [...] eine ernste und charaktervolle Leistung".231 Noch direkter brachte das Ministerium seine Vorstellungen auf den Punkt, als sich Hiecke im Juni 1923 auf die Bitte des Flatower Landrats hin für ein vom Architekten Heilig geschaffenes Kriegerdenkmal im westpreußischen Linde verwandte, das von der Bevölkerung beanstandet worden war. In seinem Gutachten sprach sich der Konservator nachdrücklich für das an der Kirche aufgestellte Denkmal aus, das auf einem wuchtigen Sockel die kleinformatige, stehende Figur eines realistisch dargestellten Soldaten in Uniform zeigte. Gegenüber den Einwänden betonte er: „Es erscheint erfreulich, daß abweichend von der
vgl. Carl Welz, an LT, 6.4.1925, hs. u. Notiz LT, Juni 1925, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, F, Nr. 4, adh. 1. 228 Vgl. KM an Matthes, 19.3.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 6, Abt. VI, Nr. 13, Bd. II, Bl. 148. 229 Vgl. Friedhofsdirektor Stettin an Ministerialrat KM, 24.3.1923, ms., Riezler an Hiecke, 26.3. 1923, ms., Hiecke an Riezler, 5.4.1923, ms., Hiecke an Hannig, 5.4.1923, ms., Hiecke an Konsistorialrat Hanncke, 5.4.1923, ms., Hannig an Ministerialrat [Hiecke], 7.4.1923, ms., Riezler an Hiecke, 7.4.1923, ms., Hiecke an Hannig, 11.4.1923, ms. u. Hiecke an Riezler, 11.4.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 6, Abt. VI, Nr. 13, Bd. II, Bl. 149-158. 230 Vgl. Bericht Hiecke u. Oberbaurat Kickton, 25.6.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV; vgl. dazu auch Hiecke an Wittekind, 19.3.1923, ms., in: GStA PK,
I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 14, Abt. IV, Nr. 36, Bd. VII, Bl. 239; Das Kantgrab, in: Ku.wan., Jg. 5, 1. Juni-Nr. 1923, S. 419 f; Thiele anWaetzoldt, 12.9.1921, hs., Notiz Nentwig, 13.10. [1921], hs. u. KM an FM, 10.11.1921, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. 231 Bericht Hiecke und Oberbaurat Kickton, 25.6.1923, ms., S. 3 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV; zur realisierten Stoa vgl. www.ostsicht.de/kant.htm.
III.
500
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
leider in so zahlreichen Beispielen in ganz Deutschland vertretenen Denkmalschablone eine eigenartige und für die besonderen Bedingungen der Oertlichkeit berechnete Lösung gewählt worden ist und daß der Künstler es unternommen hat, unter Verzicht auf mehr oder minder abstrakte Formen einen Feldgrauen darzustellen, ohne der naheliegenden Gefahr eines flachen Naturalismus zu verfallen." 232 Angesichts dessen war er überzeugt, daß Linde nach Fertigstellung der Anlage „ein Erinnerungszeichen an die für das Vaterland Gebliebenen besitzen wird, das [...] sich in erfreulicher Weise aus ihrer großen Reihe herausheben wird als eine [...] eigenartige und in ihrer schlichten Innigkeit zu Herzen sprechende Lösung. Es wäre aufs Dringlichste zu wünschen, daß Denkmäler von solchem künstlerischen Wert sich öfter in unserem Lande finden möchten, statt der leider schon übergroßen Zahl anspruchsvoller Erzeugnisse, deren Geschmacklosigkeit bei den späteren Geschlechtern [...] die Wirkung der den Toten zugedachten Ehrung in betrüblichem Maße mindern muß." 2 3 3 Das Gutachten bestätigte, worauf es dem Ressort bei der Identifikation mit einzelnen Werken ankam. Wie bei Eschs Entwurf erwies sich das Ministerium auch hier mit Distanz zur abstrakten Darstellung als Fürsprecher einer realistischen Kunst, mit der sich die Option auf eine emotionale, langfristige Wirkung beim breiten Publikum verknüpfte. Als weiteres Kriterium klingt das auch für die Künstlerausbildung (siehe Kap. III. 3.1.) zentrale Motiv der kreativen Eigenständigkeit des Künstlers an. Das aus der Masse herausragende Werk, das sich ohne engere stilistische Festlegung sowohl von abstrakter Kunst als auch von akribischer Naturnachahmung abgrenzte, stellte sich hier als Ideal dar. Nachdem das Ressort selbst dieses Ideal in der Inflationszeit kaum hatte in die Praxis übertragen können, 234 vollzog sich die Wendung hin zu einer aktiveren Auftrags- und Ankaufspolitik Mitte der 20er Jahre. Dafür, daß sich die Ressortpolitik nun nicht nur vom Umfang her, sondern auch inhaltlich konturierter darstellte, waren vor allem zwei Entwicklungen ausschlaggebend: Zum einen zeichnete sich im Zuge der wirtschaftlichen Stabilisierung eine Erhöhung des Kunstetats und speziell der Ankaufs- und Auftragsfonds ab (siehe Kap. III. 6.1.). Nach einem entsprechenden Landtagsantrag235 und begleitenden Künstlerforderungen 236 wurde der Auftragsfonds 1925 von zuvor 130.000 GM auf 250.000 RM aufgestockt 232 Hiecke: Gutachten betr. das Kriegerdenkmal
in Linde, Kreis Flatow, 19.6.1923, ms., S. 1 f, in:
GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV; siehe dazu auch KM an Janßen, 19.6.1923, ms., Janßen an Hiecke (KM), 8.6.1923, ms. u. Janßen an Hiecke (KM), 22.6.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV. 233 Hiecke: Gutachten betr. das Kriegerdenkmal
in Linde, Kreis Flatow, 19.6.1923, ms., S. 3, in: GStA
PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV. 234 Auch 1924 waren die Mittel durch alte Auftragsverpflichtungen gebunden, vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 9; Abschr. Becker an Kartell vereinigter Verbände bildender Künstler Berlins, 28.8.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 14; Waetzoldt, 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 30. 235 Vgl. LT, W P 1, Dr. 8195, S. 9245. 236 Vgl. Kartell vereinigter Verbände bildender Künstler Berlins an LT, 20.8.1925, ms. u. Aufruf Kartell vereinigter Verbände bildender Künstler an KM Becker, 15.6.1925, in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 11-13 u. SAdK, PrAdK, Nr. 934, Bl. 106; siehe dazu auch KM (Pallat) an Liebermann, 12.9.1925, ms. u. Liebermann an KM, 28.8.1925, ms., in:
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und
Aufträge
501
und in den folgenden Jahren konstant auf dieser Höhe gehalten. Parallel dazu wurde der Verfügungsfonds für Kunst von 155.000 GM 1924 für 1925 auf 293.000 RM, 1926 auf 358.000 RM und 1928 auf 500.000 RM erhöht. 237 Damit eröffneten sich für die ministerielle Auftrags- und Ankaufspolitik neue Perspektiven. Zum anderen gab das Anliegen der Künstlerunterstützung, das um 1925 besonders präsent war (siehe Kap. III. 6.1.), vor, welche inhaltliche Tendenz die staatlichen Aktivitäten haben würden. Symptomatisch erscheint in diesem Zusammenhang die Kritik, die sich Ende 1925 an der Erwerbung einer attischen Göttinnenstatue 238 für die staatliche Antikensammlung entzündete. Im Landtag war man sich hier mit der Künstlerschaft und letztlich auch mit Becker, der im konkreten Fall jedoch die Grenzen seines Einflusses eingestehen mußte, 239 einig, daß die Summe statt für eine im Ausland erworbene, in ihrer Echtheit umstrittene antike Plastik besser für lebende Künstler im eigenen Land verwandt worden wäre. Die von privater Seite, vom Reich, vom Staat, von der Stadt Berlin sowie aus dem Museumsetat aufgebrachte Ankaufssumme von einer Million RM erschien als eine bei der Künstlernot in Deutschland kaum zu rechfertigende Benachteiligung der zeitgenössischen Kunst. 240 Einem Landtagsbeschluß folgend, gab das
SAdK, PrAdK, 2.1/008, Bl. 51 u. 56; Heß (Z), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 38; LT, WP 2, Prot., Sp. 5616; Abschr. Becker an Kartell vereinigter Verbände bildender Künstler Berlins, 28.8.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 14, Bl. 14 v. 237 Zum zunächst als Titel 95, 1927 als Titel 114 und seit 1928 als Titel 71 geführten Auftragsfonds und zum zunächst als Titel 96, 1927 als Titel 114 und seit 1928 als Titel 70 geführten allgemeinen Verfügungsfonds vgl. Staatshaushaltsplan 1924, Anlagen Nr. 19, S. 38; 1925, Anlagen Nr. 19, S. 62; 1926, Anlagen Nr. 19, S. 58; 1927, Anlagen Nr. 19, S. 90; 1928, Anlagen Nr. 19, S. 110; 1929, Anlagen Nr. 19, S. 118; 1930, Anlagen Nr. 19, S. 116; Heß (Z), 22.4.1926, in: LT, WP 2, HA, Szg. 120, Sp. 2 f; Daweke / Schneider 1986, S. 129. Für eine Entlastung der Fonds mag überdies gesorgt haben, daß die Entschädigung für den Genter Altar (siehe Kap. III. 4.1.) u. a. für Museumsankäufe verwandt werden konnte, vgl. Nentwig, 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 7. 238 Zur Statue vgl. Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Nov.-Nr. 1925, S. 115; Ku.chr., Jg. 59/2, Nr. 32, 7.11.1925, S. 532; Wiegand: Altattische Polychrome Statue, in: Beri. Mus., Jg. 47, Nr. 2,1926, S. 18-23. 239 Vgl. Becker, 6.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6152 f; Becker, 20.11.1925, in: LT, WP 2, Dr. 1688 F, S. 3195; Hellwag: Die große Notversammlung der bildenden Künstler im Preußischen Herrenhause am 5. November 1925, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 12, Dez. 1925, S. 186-188; vgl. dazu auch Hinweis auf Wiegand an Becker, 18.11.1925, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6796; Vermerk 26.5.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 279-284; Wiegand an KM [Becker], 26.5.1928, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 5083. 240 Vgl. LT, WP 2, Prot., Sp. 6125, 6130 f, 6136 f, 6146, 7336, 7514 u. 8294 f; LT, WP 2, Dr. 1323 B, S. 2720; Dr. 1610, S. 3093; Dr. 2053, S. 3954; LT, WP 2, HA, Szg. 82, Sp. 9; Vermerk LT, Sept. 1925, Martin Schauß: Wieder eine Million für eine Fälschung, 21.9.1925, gedr. u. RWVbK (Marcus) an LT, 11.12.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3, adh. 1; Die attische Göttin von Berlin, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Okt.-Nr. 1925, S. 81; Kö.: Die attische Göttin, in: Ku.chr., Jg. 59/2, Nr. 31, 31.10.1925, S. 513 f; Eine bescheidene Anfrage, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 11, Nov. 1925, S. 176; Westheim: Das attische Mädchen, in: Ku.bl., Jg. 9, 1925, S. 315 f; P. W: Das attische Mädchen, in: Ku.bl., Jg. 9, 1925, S. 379; Die griechische Göttin, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 3, Dez. 1925, S. 119; O. Marcus: Kunst, Wissenschaft, Sammeleifer und Handel, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 12, 1.12.1927, S. 286 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 422 u. Bd. 2, S. 253.
III.
502
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Ressort deshalb im Frühjahr 1926 die Weisung aus, in Anbetracht der Wirtschaftskrise und der Not deutscher Künstler sei in den staatlichen Museen auf die Erwerbung teurer alter Objekte weitgehend zu verzichten und „die Verwendung staatlicher Mittel für den Ankauf von Kunstwerken aus dem Auslande möglichst einzuschränken".241 Später bekräftigte Becker diese Prioritätensetzung in seiner Rede in der Berliner Sezession im Februar 1928 (siehe Kap. III. 6.1.). Damit war klar: Die erstmals seit 1918 in größerem Umfang mögliche Ankaufs- und Auftragspolitik des Ressorts würde in erster Linie aktuellen deutschen Künstlern zugute kommen.242 Vor diesem Hintergrund entwickelte sich eine immer eigenständigere Ankaufs- und Auftragspolitik des Ressorts. Bereits im Herbst 1925 konnte Becker berichten, für die Gesamtsumme von 20.000 RM seien einige Aufträge vergeben worden. So werde von Arthur Kampf ein Porträt des scheidenden Staatsbibliotheksdirektors und von MüllerSchönefeld ein Porträt des scheidenden Präsidenten des Evangelischen Konsistoriums gemalt, Georg Kolbe entwerfe ein Gedenkzeichen für den Musiker Ferruccio Busoni 243 , und bei Slevogt sei „ein Bildnis eines bekannten Gelehrten" in Auftrag gegeben worden. Zudem seien Aufträge für Medaillen, Plaketten und graphische Arbeiten für Musik- und Sportzwecke sowie zur Anfertigung von Ehrenpreisen erteilt worden, die bei der Jahrtausendfeier des Rheinlands 1926 verliehen werden sollten. Daran seien etwa Renée Sintenis und Waldemar Raemisch beteiligt.244 Deutlich knüpfte das Ministerium damit an die bereits zuvor maßgebliche Tendenz an, über Auftragsvergaben im engeren staatlichen Umfeld künstlerisch zu wirken. Die Auftragszwecke wiesen auf die Verquickung der Auftragspolitik mit den allgemeinen kulturpolitischen Ambitionen des Ressorts hin - entsprach doch die parallele Einbindung von Kunst, Musik und Sport ebenso dem nationalintegrativen Bildungskonzept Beckers wie die Kulturförderung im Rheinland (siehe Kap. III. 1. und III. 8.). Aus der Bandbreite der Künstler - vom konservativen ehemaligen Hochschuldirektor Kampf (siehe Kap. III. 3.1.) über den Impressionisten Slevogt bis zu modernen Bildhauern wie Kolbe und Sintenis - sprach weiterhin das Bemühen, den Balanceakt zwischen
241 Zitiert nach Die Attische Göttin im Landtag, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 5, 1.5.1926, S. 71; vgl. dazu auch LT, W P 2, Dr. 1799, S. 3005; Dr. 2053, S. 3954; Klausner (DDP), 12.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11617 f; LT, W P 2, HA, Szg. 82, Sp. 9 f; LT, W P 2, Prot., Sp. 8288 f u. 8294 f; zur Einschränkung bei der älteren Kunst vgl. auch Klausner (DDP), 12.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11617 f; Watzinger 1944, S. 436. 242 Vgl. dazu auch Becker an Justi, 15.5.1926, ms. / hs., Vermerk Thormaehlen, o.D., hs. u. KM (Nentwig) an Justi, 13.12.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 30; Direktor Historisches Museum Köln an Staatsministerium, 20.10.1926, ms., Staatsministerium an KM, 30.10. 1926, ms., Notiz Staatsministerium, 27.1.1927, hs. u. KM (Nentwig) an Braun, 31.1.1927, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1791; N G (Mackowsky) an KM, 23.8.1928, ms. u. KM (Gall) an Justi, 1.10.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 32; KM (Nentwig) an Justi, 31.5. 1929, ms. u. Justi an Emmy Weiß-Bischoff, 7.6.1929, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 33. 243 Zur Beziehung des Ministeriums zu Busoni vgl. Batel 1989, S. 15-26 u. 155-166. 244 Vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 9 f; vgl. dazu auch Kultusminister über Kunstfragen, 5.9.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1618.
Becker
6. Förderung
zeitgenössischer
deutscher Kunst: Ankäufe
und
Aufträge
503
Kunstfreiheit und gezielter Förderung durch ein stilistisch ausgeglichenes Gesamtengagement zu bewältigen. 245 Auch in der Ankaufspolitik orientierte sich das Ressort am Leitmotiv der ausgewogenen Förderung und verknüpfte es noch unmittelbarer sowohl mit dem Anspruch auf Künstlerunterstützung als auch auf eine Asthetisierung des Alltags. 1925 erwarb das Ressort so in Absprache mit Justi und den Vorständen der Ausstellungen für beachtliche 56.300 R M auf den Ausstellungen der Hauptstadt - vor allem auf der Frühjahrsausstellung der Akademie der Künste, aber auch bei der Novembergruppe, der Berliner Sezession oder der Großen Berliner Kunstausstellung 246 - zahlreiche Bilder und Plastiken, die entweder an die Nationalgalerie gingen oder für die Ausstattung von Staatsgebäuden verwandt wurden (siehe Kap. III. 5.). 2 4 7 Namentlich nannte Becker 46 Künstler, von denen das Ressort solche Ankäufe getätigt hatte. 248 Ausdrücklich hob der Minister hervor, unter den Künstlern befänden sich neben jüngeren und unbekannten „Vertreter jeder Kunstrichtung". 2 4 9 Suchte er damit auch die Ankaufspolitik mit der Maxime der Kunstfreiheit auszusöhnen und sie so letztlich als demokratisch zu legitimieren, war sich das Ministerium durchaus der Abstriche bewußt, die die breiten Ankaufsaktivitäten für eine überzeugende Förderung be-
245 Auch der 1926 an den Impressionisten Konrad von Kardorff erteilte Auftrag für ein Bild, das für den Sitzungssaal des Breslauer Provinzialschulkollegiums bestimmt war, fügte sich letztlich in dieses Bemühen ein, vgl. dazu Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 2.7.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 13-17; zum Anspruch des Ministeriums vgl. auch Kestenberg: Probleme der preußischen Kunst- und Theaterverwaltung, 4.3. 1926, ms., S. 8 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1471. 246 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 719, 742, 767, 770, 776 u. 856. 247 Vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 10; Abschr. Becker an Kartell vereinigter Verbände bildender Künstler Berlins, 28.8.1925, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X1, A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 14; siehe dazu auch Hentzen 1972, S. 37. Gleichzeitig überwies das Ressort dem Kupferstichkabinett 4000 RM für Ankäufe von lebenden Künstlern, vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 10; siehe dazu auch Ku. u. KU., Jg. 23, Nr. 12, Sept. 1925, S. 496 f; zur fördernden Rolle des Ministeriums bei den bis 1925 nur eingeschränkt möglichen Erwerbungen der Nationalgalerie vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 11, Bl. 597 u. 606-608; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 266, 282-283, 288, 291, 418, 430, 495, 521, 527, 529, 533, 538, 540 u. 672; Justi an KM, 12.9.1924, hs., KM (Nentwig) an Justi, 3.10.1924, ms. u. Direktor N G (i.V. Mackowsky) an KM, 13.10.1924, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3; allgemein zu den Nationalgalerieankäufen bis 1925 siehe Hentzen 1972, S. 17. 248 Es handelte sich um Bato, Börner, W. Breuer, Büttner, Champion, Corinth, Deierling, Domscheid, Dressler, Dungert, Cawell, Fritsch, Gerson, Heckendorf, Heuser, Hofer, Hoffmann von Fallersleben, Kayer, Eichberg, Kerschbaumer, Klein, Klimsch, Klossowski, Kohlhoff, Kohtz, Krauskopf, Langhammer, Liebermann, Möller, Nauen, Oppler, Rentsch, Roeder, Röhricht, Spiro, Scheiritzel, Schiffner, Schliephacke, Schlichting, Segal, Stock, Waske, Weise (gemeint war Weiß, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 719), Wenk, Zeller und von Zitzewitz, vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 9 f; siehe dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 244. Laut KM (Waetzoldt) an Justi, 4.8.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 742 wurde zudem von Karl Völker angekauft. Günstig für die Ankäufe war dabei nicht zuletzt, daß für zeitgenössische Werke meist relativ geringe Preise verlangt wurden, vgl. Lidtke 1993, S. 221. 249 Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 10.
504
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
deuteten. 250 Dennoch baute das Ressort 1925/26 auf diese stilistisch nicht festgelegte, von sozialen Motiven geprägte Ankaufspolitik. 251 Entsprechend kaufte es auch bei der Herbstausstellung der Akademie Ende 1925 2 5 2 und bei den Ausstellungen des Jahres 1926, 2 5 3 sowohl was die Zahl der Erwerbungen als auch was Richtung und Qualität der Werke anging, breit an. Noch einmal wurde hier von rund vierzig Künstlern erworben. 254 Das Spektrum reichte von impressionistischen Werken von Leo von König, Ernst Oppler oder Ulrich Hübner über expressionistische Kunst von Franz Heckendorf oder Joseph Oppenheimer bis zu ersten Ankäufen von neusachlichen Künstlern wie Fritz Burmann, Georg Schrimpf oder Ernst Fritsch. Gekauft wurde von bekannten wie unbekannteren Künstlern, von jüngeren wie älteren. Die ausgewogene Förderung in Kooperation mit Justi blieb Leitmotiv. Schwerpunkte in der ministeriellen Ankaufspolitik lassen sich angesichts dessen für 1925/26 kaum ausmachen - unterstreichen doch auch die Künstlernamen, die nun schon zum zweiten Mal in den ministeriellen Erwerbungslisten auftauchten (Degner, Deierling, Fritsch, Heckendorf, Jacob, Kohlhoff, Langhammer, Oppler, Röhricht, Schlichting, Waske, Zeller), vor allem die Tendenz einer vielschichtigen Förderung der zeitgenössischen deutschen Kunst. Allein ein Akzent läßt sich erkennen: In Anknüpfung an seine vor 1925 deutlich gewordenen Präferenzen erwarb das Ministerium offensichtlich ausschließlich gegenständliche Werke. Gleichzeitig versuchte das Ministerium, ebenfalls den Motiven der Künstlerhilfe und der Kunstfreiheit verpflichtet, eine ungewöhnliche Form der Auftrags- und Ankaufspolitik zu
250 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 13.1.1926, ms. u. Direktor NG (i.V. Thormaehlen) an KM, 22.5. 1926, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 8 u. 48-49; siehe dazu auch SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 776 u. 856; Paul Ortwin Rave: Neuerwerbungen der NG (Teil 1-4), in: Ku.wan., Jg. 7,1./2. Mai-Nr. 1925, S. 308-311, 1./2. Juli-Nr. 1925, S. 387-391,1./2. Sept.Nr. 1925, S. 22-26 u. Jg. 8,1./2. Jan.-Nr. 1926, S. 196-200. 251 Zur ähnlichen Tendenz der bayerischen Politik vgl. L. Schmidt 2000, S. 280-285. 252 Hier wurde von Degner, Engel, Fritsch, Großmann, Hagemeister, Heinsheimer, Jacob, Kath, Kohlhoff, Kraus, Lategahn, Merling, Neumann, Oesterle, Oppler, Schmidt-Rottluff, Sturtzkopf und Zestermann erworben, vgl. Ku. u. Wz., Jg. 6, Nr. 12, Dez. 1925, S. 196. 253 Das Ministerium kaufte hier an: auf der Frühjahrsausstellung der Akademie der Künste Arbeiten von Hübner, Röhricht, Partikel, Jacob, Langhammer und Burmann, auf der Großen Berliner Kunstausstellung Arbeiten von Waske, Böckstiegel, Lünstroh und Agthe sowie bei der Herbstausstellung der Berliner Sezession Arbeiten von Heckendorf, Deierling, von König, AhlersHestermann, Heuser, Schrimpf, Oppenheimer, Degner, Levy, Zeller und Thorak, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 60, 157-159, 191-192 u. 201; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 66. Daneben erwarb es auf der Ausstellung des Notbundes der freien bildenden Künstler Königsbergs von Bischoff und im Künstlerhaus Bellevuestraße von Max Schlichting, vgl. KM (Pallat) an Justi, 12.4.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 199 u. 306. 254 Hinzu kamen Einzelerwerbungen von Eberlein, Albrecht, Cauer und Hübel außerhalb von Ausstellungen, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 698-702, 707-709, 745, 749, 758, 850 u. 852; Jacob Hübel an Becker, 14.2.1926, hs., Becker an Hübel,Jacob, 15.3.1926, ms. u. Hübel an Becker, 28.4.1926, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4207; Hinweis auf Hübel an Becker, 21.8.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6797.
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und Aufträge
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etablieren: den offenen Künstlerwettbewerb zu einem vorgegebenen Thema. Anfang September 1925 kündigte Becker drei solcher Wettbewerbe an. Beim ersten sollte es um Kleinplastiken für Sportzwecke, beim zweiten um Entwürfe für den Botanischen Garten Berlin und beim dritten um eine Wandmalerei gehen. Insgesamt stellte das Ressort für die Wettbewerbe, die von der Akademie der Künste organisiert werden sollten, 65.000 R M bereit. 255 Kurz nach der Ankündigung rief der Minister alle preußischen Künstler mit Berliner Wohnsitz auf, bis Dezember 1925 kleinere bildhauerische Modelle einzureichen, die sich, in Metall oder Porzellan ausgeführt, für Sportzwecke etwa als Wanderpokale eigneten. Für Preise und Ankäufe im Rahmen des anonymen Wettbewerbs lobte er 20.000 R M aus. Uber den Ausgang sollte eine Fachjury entscheiden, der neben Liebermann, drei Akademieprofessoren und dem Direktor der Porzellanmanufaktur Waetzoldt als Ministeriumsvertreter angehörte. 256 Während der erste Wettbewerb lief, schrieb das Ministerium eine zweite Konkurrenz aus, bei der, ebenfalls bis Dezember 1925, Entwürfe für zwei Brunnen im italienischen Teil des Dahlemer Botanischen Gartens vorgelegt werden sollten. Für die Durchführung dieses Wettbewerbs, an dem nun alle Künstler Preußens teilnehmen konnten, wurden 40.000 RM zur Verfügung gestellt. 257 Den Aufrufen folgten zahlreiche Bildhauer. Zum Kleinplastikwettbewerb wurden 254 Entwürfe eingereicht, zum Brunnenwettbewerb 3 4 8. 258 Das Ergebnis der Wettbewerbe war jedoch nur schwer greifbar: Im Kleinplastikwettbewerb wurden die ersten Preise mit je 4500 R M an W. E. Schade und Kübart vergeben, weitere Preise gingen an Schmidt-Felling, Rudolf Marcuse und erneut an Schade. Überdies wurden Entwürfe von Ernst Wenck, Otto Matthes, Willy Brummer und Elisabeth Richter vom Staat angekauft. 259 Im Brunnenwettbewerb wurden die ersten drei Plätze gar nicht vergeben, die folgenden drei wurden mit je 3500 RM Theodor von Gosen, Konstantin Starck und Max Schmitz zuerkannt. Preise gingen zudem an Herbert Garbe, Otto Placzek, Hans Jenckel und Franz Albermann. Siebzehn Künstler erhielten eine Anerkennung (siehe dazu auch Tab. IV). 2 6 0 Die hohe Teilnehmerzahl, die unentschlossene Preisvergabe und die wenig illustren Preisträgernamen, aus denen allenfalls von Gosen (siehe Kap. II. 3.2.) herausragte, signalisierten: Auch die Ende 1925 veranstalteten Wettbewerbe fügten sich in die Tendenz ein, mit beachtlichen Geldsummen 261 in die Breite zu 255 Vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 10; vgl. auch Abschr. Becker an Kartell vereinigter Verbände bildender Künstler Berlins, 28.8.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1 , A, Nr. 1, adh. 2, Bl. 14. 256 Vgl. Preisausschreiben des Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in: Ku.chr., Jg. 59/1, Nr. 26, 26.9.1925, S. 431 f; Kunstpreise für Sportzwecke, in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Sept.-Nr. 1925, S. 39; Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 10, Okt. 1925, S. 158; vgl. dazu auch Notiz Ak. d. Kü., 5.10.1925, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 90-91; zur Relevanz von Sportpreisen für die staatliche Auftragspolitik vgl. auch Abschr. Redslob, 19.6.1925, ms. / gedr., in: BArchB, R 1501, Nr. 8966, Bl. 148. 257 Vgl. Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 10, Okt. 1925, S. 156; vgl. dazu auch Notiz Ak. d. Kü., 5.10.1925, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 90-91. 258 Vgl. Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 1, 1.1.1926, S. 8 f; A. G. in: Ku.bl., Jg. 10, 1926, S. 92. 259 Vgl. Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 1, 1.1.1926, S. 8. 260 Vgl. ebd., S. 8 f; A.G. in: Ku.bl., Jg. 10, 1926, S. 92. 261 Siehe dazu auch den Hinweis auf das Mißverhältnis zum mit nur 2000 RM dotierten Staatspreis der Akademie in Etwas über den Staatspreis, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 1, 1.1.1926, S. 10.
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III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
wirken und dem Grundsatz der Förderung vieler Priorität vor einer qualitativ konzentrierteren Politik einzuräumen. Während der Landtag positiv auf diese Aktivitäten reagierte, sie aber mit Blick auf die Künstlernot als keineswegs ausreichend erachtete,262 lehnte die Kunstpresse die Ankäufe und Wettbewerbe von 1925 ab. So erklärte Scheffler: „Auch das Kultusministerium kauft ja in letzter Zeit regelmäßig Bilder; in diesem Fall ist es aber mehr eine Aktion zur Unterstützung notleidender Künstler." 263 Das Kunstblatt konstatierte noch deutlicher: „Das preußische Kultusministerium hat im vergangenen Jahr auf einer Reihe von Ausstellungen eine ganze Anzahl Kunstkäufe getätigt, die ziemlich allgemein als peinlich empfunden werden mußten. Es war [..] da recht häufig nicht eigentlich ,Kunst' gekauft, sondern in Not geratenen Künstlern, denen man auf andere Weise zu helfen etatrechtlich keine andere Möglichkeit hatte, Unterstützung gewährt worden." 264 Das Blatt schloß in die Kritik auch den Brunnenwettbewerb ein. Dazu betonte es, man hätte besser von vornherein einen geeigneten Künstler mit der Aufgabe betraut - wenn man aber schon die Gelegenheit nutzen wollte, „um der Gesamtheit der bildenden Künstler Anregung und Geldpreise zuzuführen, so durfte man nicht durch ein einseitig orientiertes Preisgericht (Liebermann, Gerstel, Hosäus, Kraus) die Moderne grundsätzlich ausschalten. [...] So sind auch tatsächlich nur Arbeiten im Sinne der,Münchener Renaissance' gewählt worden. Eine all diesen Püppchen durch Größe der Auffassung überlegene, abstrakt architektonische Arbeit Oswald Herzogs schied [...] im ersten Rundgang aus." 265 Damit geriet das Ressort nicht nur wegen der Vermischung des Anspruchs auf Kunstförderung und Künstlerunterstützung in die Kritik, sondern es büßte im Umfeld der großen Wettbewerbe zudem seine Glaubwürdigkeit als Verfechterin der Kunstfreiheit ein. Während sein Engagement bei den Museen zur selben Zeit auf ein positives Echo in der modernen Kunstpresse stieß (siehe Kap. III. 4.2.), konnte das Ressort mit der unter der Ägide Waetzoldts und Gerickes betriebenen Ankaufs- und Auftragspolitik266 1925/26 allenfalls die Fürsprecher einer sozialen Künstlerpolitik, nicht aber die Fachwelt überzeugen.267 262 Vgl. LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 20 f u. 23; Szg. 120, Sp. 15 f; Szg. 189, Sp. 13; LT, W P 2, Prot., Sp. 6129, 6136 fu. 6139-6147. 263 Scheffler: Kunstherbst, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 3, Dez. 1925, S. 90-96, S. 96. 264 Ku.bl., Jg. 10, 1926, S. 92; zur parallelen Kritik an den Ankäufen der Stadt Berlin vgl. Karl Scheffler: Die Frühjahrsausstellung
der Akademie,
in: Ku. u. Kü., Jg. 23, Nr. 10, Juli 1925,
S. 373-384, S. 384; Kuhn: Zur Kunstpolitik der Stadt Berlin, in: Ku.chr., Jg. 59/2, Nr. 32, 7.11. 1925, S. 521-524; Scheffler: Kunstherbst, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 3, Dez. 1925, S. 90-96, S. 96; Adolf Behne: Braucht Berlin eine Städtische Galerief,
in: Weltb., Jg. 21/2, Nr. 52, 29.12.1925,
S. 994-996. 265 A.G. in: Ku.bl., Jg. 10, 1926, S. 92. 266 Zur Rolle Waetzoldts und Gerickes vgl. [Gericke?] an Becker, 28.7.1925, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 332; Justi an KM, 23.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; [Hans Schiff?] an Justi, 10.11.1925, ms., Justi an KM, 5.12.1925, ms., KM (Nentwig) an Justi, 8.1.1926, ms., Abschr. Gericke an Waetzoldt, 23.12.1925, ms. u. Abschr. H. Pechstein an Justi, 24.2.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 30. 267 Zur kritischen Haltung Justis dazu vgl. auch Justi an KM, 23.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1. Entsprechend suchte Justi das Ministerium in dieser Zeit zu einer poin-
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und
Aufträge
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Als dann allerdings auch der Reichswirtschaftsverband den Brunnenwettbewerb als unwirtschaftliche Massenveranstaltung kritisierte und ein Mitspracherecht vor solchen Aktionen mit dem Ministerium vereinbarte, 268 leitete dies zunächst bei den Wettbewerben einen Kurswechsel ein. An die Stelle der offenen Wettbewerbe traten nun begrenzte Konkurrenzen, zu denen die Künstler eingeladen wurden. Nachdem das Reich bereits im Frühjahr 1926 einen Einladungswettbewerb veranstaltet hatte, bei dem unter anderem Waetzoldt als Jurymitglied fungiert hatte, 269 setzte das Ministerium erste eigenständige Akzente in diese Richtung, als es Ende 1926 eine begrenzte Konkurrenz zur Gestaltung einer Medaille für Kunstschüler veranlaßte, deren Ergebnis eine seit 1928 verliehene vergoldete Bronzemedaille von Ludwig Gies (Abb. 7) war. 270 Vor allem aber wurde jetzt der 1925 angekündigte dritte Wettbewerb des Ressorts als Einladungskonkurrenz ausgeschrieben. Im N o vember 1926 wurden zwanzig freie oder in den Akademien angestellte moderne Künstler 271 für eine Entschädigung von je 500 RM um Entwürfe für die Ausgestaltung der westlichen Eingangshalle der Marienkirche in Frankfurt a. O. gebeten. 272 Uber die Vergabe der Preise entschied eine wiederum in erster Linie von der Akademie gestellte, nach der vorangegangenen Kritik aber auch mit dem Expressionisten Karl Hofer besetzte Jury, der als Vertreter des Staates unter anderem Hiecke angehörte. 273 Ergebnis des Wettbewerbs, an dem sich sechzehn der aufgeforderten Künstlern beteiligten, 274 war: Der erste und zweite Preis wurde mit je 2250 RM an Schmidt-Rottluff und Ludwig Peter Kowalski vergeben, weitere Preise
268 269
270
271
272 273 274
tierteren Förderung zu bewegen, vgl. z.B. Justi an Waetzoldt, 14.7.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 718. Vgl. Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 8, 1.8.1926, S. 114. Hier war es um Sportpreise für das Internationale Olympische Komitee gegangen. Zu Entwürfen waren zwölf Künstler aufgefordert worden: Albiker, Dasio, Ebbinghausen, von Gosen, Hub, Langer, Raemisch, Schwegerle, Scharff, Wackerle, Schott und Gosemann, vgl. Heffen, 1986, S. 155-157; zum Kontext vgl. auch ebd., S. 69; Abschr. Redslob, 19.6.1925, ms. / gedr., in: BArchB, R 1501, Nr. 8966, Bl. 148. Vgl. Protokolle Ak. d. Kü., Kunstsektion, 2.7.1926 u. 23.7.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 10-11 u. 13-17; Medaillen für Kunsthochschuler, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 2, 1.2.1927, S. 44; Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 10,16.5.1928, S. 160; Ak. d. Kü.: Bericht über die Tätigkeit der Abteilung für die bildenden Künste und der Gesamtakademie im Geschäftsjahr 1931/32, 17.11.1932, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/005, Bl. 86-93, Bl. 91 r; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 456. Eingeladen wurden: Birkle (Berlin), Brendel (Nähe Frankfurt), Burmann (Düsseldorf), Dülberg (Kassel), Otto Ewel (Königsberg), Erich Heckel (Berlin), Kohlschein (Düsseldorf), Kowalski (Breslau), Melzer (Berlin), Mense (Breslau), Otto Mueller (Breslau), Nauen (Düsseldorf), Nebel (Kassel), Max Pechstein (Berlin), Klaus Richter (Königsberg), Rimmeck (Jakunowken), Röhricht (Berlin), Schmidt-Rottluff (Berlin), Schmurr (Düsseldorf) und Witte (Kassel), vgl. Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 11, 1.11.1926, S. 184 f. Daneben waren außer Konkurrenz freie Beteiligungen zugelassen, vgl. ebd. Vgl. ebd.; Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 4,1.4.1927, S. 78 f. Bei Abgabeschluß lagen keine Arbeiten von Heckel, Dülberg, Witte und Otto Mueller vor. Dafür beteiligten sich außer Konkurrenz Behrens, Bothe, Brasch, Wrage, Crodell, Heckrott, Kistenmacher, Osten, Pagenstecher, Rüter und Schneider, vgl. Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 4, 1.4.1927, S. 78 f.
III.
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erhielten Heinrich Nauen und Fritz Burmann, dem freien Beteiligten Erich Kistenmacher wurden überdies 600 RM zuerkannt (siehe dazu auch Tab. IV). Für eine Realisierung geeignet hielt man indes keinen der Entwürfe.275 Führte damit auch der dritte Wettbewerb zu keinem konkreten Ergebnis, war er doch als Signal für eine nun pointiertere Politik des Ministeriums zu verstehen. Die Auswahl der Teilnehmer, die klarere Preisverteilung und die Tatsache, daß mit Schmidt-Rottluff und Nauen zwei renommierte Expressionisten und mit Burmann ein Vertreter der Neuen Sachlichkeit unter den Preisträgern waren, stehen deutlich dafür. Nicht zuletzt läßt sich die Veränderung auch an der Reaktion der Fachpresse ablesen. Sah der Reichswirtschaftsverband die Festlegung auf bestimmte Künstler kritisch,276 verknüpfte Westheim im Kunstblatt einen ernüchterten Bericht zum Staatspreis mit dem Hinweis: „Gleichzeitig sah man den Wettbewerb um die Ausmalung einer Kirche in Frankfurt an der Oder. Das Ergebnis ist ein vielversprechender Entwurf von Schmidt-Rottluff. Der Minister sollte diesen Entwurf zur Ausführung bestimmen. Es könnte, wenn die Durchführung hält, was dieser Entwurf verspricht, wieder einmal wirklich monumentale Wandmalerei entstehen." 277 Während sich die soziale Künstlerunterstützung zur selben Zeit als eigenständige Größe innerhalb der preußischen Kunstpolitik zu konturieren begann (siehe Kap. III. 6.1.), löste sich die Förderpolitik in der zweiten Hälfte der 20er Jahre so zunehmend vom sozialen Impetus und stellte sich als Bereich dar, in dem das Ministerium, der Kunstfreiheitsmaxime den kunstwissenschaftlichen Qualitätsbegriff zur Seite stellend (siehe Kap. III. 2.), immer entschiedenere Akzente zu setzen verstand.278 Der Übergang vom Massen- zum Einladungswettbewerb legt diese Tendenz offen. Aber auch bei den Aufträgen ist um 1927 ein ähnlicher Wandel erkennbar. Mit der künstlerischen Ausstattung des Anfang 1928 eröffneten Erweiterungsbaus der Universität Königsberg kam das Ministerium erstmals in größerem Umfang der Forderung nach einer stärkeren Künstlereinbindung in öffentliche Bauvorhaben nach.279 Der preußische Staat finanzierte für die zentrale Universitätshalle vier von Cauer, Kraus-Hobson, Filitz und Rosenberg geschaffene Bronzestatuen, die Luther, Stein, Paracelsus und Kant darstellten. Überdies trat Preußen als Finanzier auf für ein Marmorrelief von Cauer, zwei Schlußsteine in der Durchfahrt von Dandert, fünf Reliefs mit
275 Vgl. ebd. 276 Vgl. Ku. u. Wi„ Jg. 7, Nr. 11, 1.11.1926, S. 184 f. 277 Ku.bl.,]g.
11, 1927, S. 172.
278 Siehe dazu auch die entsprechenden Hoffnungen in Ku.bl., Jg. 10, 1926, S. 92. 279 Zu den Forderungen vgl. LT, W P 2, Prot., Sp. 3899, 4339, 6608, 7342, 7365 f, 7514,11568 u. 11601 f; LT, W P 2, Dr. 759 A, S. 1593; Dr. 882, S. 1823; Dr. 947 E, S. 2186; Dr. 1597, S. 3091; Dr. 1649 B, S. 3164; Dr. 1899 B, S. 3455; Dr. 1980, S. 3866 f; Dr. 1987 A, S. 3912; Dr. 3411, S. 4839; Dr. 4615, S. 5981; LT, W P 2, HA, Szg. 4 7 , S p . 2 f u . 36; Szg. 121, Sp. 29; Ku. u. Kü.,Jg. 24, Nr. 1, Okt. 1925, S. 39; Otto Ewel: Denkschrift
zur staatlichen Kunstpflege,
Ewel an Staatsregierung, 28.8.1925,
ms., in: BArchB, R 32, Nr. 487, Bl. 1-12 u. BArchB, R 1501, Nr. 8699, Bl. 170-181; zur Aufgeschlossenheit des Kultusressorts vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 36; KM an Präsident LT, 26.11.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, D, Nr. 1, Bl. 16; Nentwig, 23.4.926., in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 31 f; Arbeitsbeschaffung, Nr. 1 5 , 1 . 9 . 1 9 2 8 , S. 256.
in: Ku. u. Wi., Jg. 9,
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und
Aufträge
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Studentenszenen im Gartenhof ebenfalls von Dandert, ein Fresko von Freyhold und 26 Glasfenster mit Siegeln deutscher Universitäten von Heinersdorff und Schmidt im Auditorium Maximum. Gemeinsam mit regionalen Geldgebern erteilte der Staat zudem an Burmann, Ewel, Kuhnau und Lerbs Aufträge zur Einrichtung einer Graphiksammlung mit Porträts von Königsberger Professoren. 280 Durch die große Zahl der Aufträge setzte das Kultusministerium, dessen Bezug zum Neubau sich durch die Anwesenheit Minister Beckers bei der Eröffnung offenbarte, 281 hier durchaus Akzente. Was die Künstlerauswahl angeht, entsprach die Ausstattung des Neubaus indes noch dem für 1925/26 aufgezeigten Trend: Realistisch arbeitende Künstler verschiedener Richtungen brachten sich keineswegs unzeitgemäß, aber auch nicht dezidiert modern in die Auftragspolitik ein. 282 Parallel dazu begann sich jedoch eine auch inhaltlich stringentere Politik abzuzeichnen. 283 Während sich das Ministerium gleichzeitig zunehmend aktiver an Debatten um neue Denkmäler oder Kirchengestaltungen beteiligte, 284 kann als Hinweis darauf etwa gelten, daß das Ressort Käthe Kollwitz im Sommer 1927 zu deren sechzigstem Geburtstag 5000 RM für die Realisierung des Grabdenkmals für ihren im Krieg gefallenen Sohn zukommen ließ - eine 1932 verwirklichte Denkmalanlage auf dem Soldatenfriedhof Vladslo in Belgien, die von zwei überlebensgroßen Granitfiguren trauernder Eltern geprägt wird. 285 Ein vom Ministerium zur selben Zeit beim neusachlichen Maler Rudolf Grossmann in Auftrag gegebenes Porträt von
280 Vgl. Die Kunstwerke des Neubaus, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, Jg. 53, Nr. 49,29.1.1928, 1. Beil. Morgenausg., Der Tag der Weihe, in: Königsberger Nachrichten, Nr. 52, 31.1.1928, 2. Abendausg. u. Die Neubauten der Universität, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, Jg. 53, Nr. 49, 29.1.1928, Morgenausg., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7723. 281 Vgl. dazu ZAs in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7723. 282 Vgl. dazu auch E. Kurt Fischer: Festtage der Albertus-Universität. Die Vergrößerung der Universität. Ein Wort zu den Neubauten, in: Königsberg Hartungsche Zeitung, Nr. 49, 29.1.1928, 2. Morgenausg., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7723. 283 Siehe dazu auch die Diskussionen um das Berliner Chodowiecki-Denkmal, vgl. SAdK, PrAdK, 2.1/037, Bl. 1-2, 22-23, 61-65, 122-123 u. 141-142; SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 253-255; SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 337-338. 284 Siehe dazu etwa die Diskussionen um die Projekte Ehrenfriedhof Völklingen, Berliner Beethoven-Denkmal, Richthofen-Grabdenkmal, Koblenzer Görres-Denkmal, Kriegergedenkstätte Treuenbrietzen, Raabe-Denkmal und Ausmalung der Berliner Liebfrauenkriche, vgl. dazu BArchB, R 1501, Nr. 8966, Bl. 149-150, 153-158 u. 183; Hinweis 30.5.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1720; SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 13-17; SAdK, PrAdK, 2.1/038, Bl. 12, 18, 25-26, 35-40 u. 52-56; SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 325-326; SAdK, PrAdK, 2.1/037, Bl. 4 u. 61-63; BArchB, R 32, Nr. 17, Bd. 4, Bl. 13-14 u. 17; ZAs Juni 1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7224; Rede Becker, 24.6.1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1732; SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 251-255, 261-262, 264 u. 266-267; SAdK, PrAdK, 2.2/006, Bl. 121 u. 123-125. 285 Das Reichsinnenministerium steuerte noch einmal die gleiche Summe bei, vgl. Zu Käthe Kollwitz' 60. Geburtstag, in: Ku. u. M., Jg. 8, Nr. 8, 1.8.1927, S. 182; Abschr. Käthe Kollwitz an Redslob, 18.7.1927, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 17, Bd. 4, Bl. 73; zum Denkmal vgl. auch Krahmer 2000, S. 76 f; Meyer 1998, S. 81-83; Hentzen 1972, S. 47; Grober 1996.
III.
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Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
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Helene Lange 286 bestätigt die Tendenz hin zu einer entschiedeneren Förderung der Moderne ebenso wie das Bemühen, Georg Kolbe in die Auftragspolitik einzubeziehen. Ergebnis dieses Bemühens war zum Beispiel, daß Kolbe eine Figur für das Marburger Universitätsjubiläum und auf Wunsch des Ministeriums eine Genius-Marmorfigur für das Vestibül der umgebauten Staatsoper schuf.287 Nicht zuletzt weist auch das seit Ende der 20er Jahre wachsende Interesse des preußischen Staates an Ernst Barlach in diese Richtung, das sich 1929 in der Schenkung eines Barlachschen Gefallenendenkmals für den Magdeburger Dom manifestierte.288 Das strenge, realistische Denkmal, das das 1923 von Hiecke beim Linder Gefallenendenkmal formulierte Ideal fortführte, war gerade angesichts seiner Umstrittenheit 289 als Statement der Republik für eine zeitgemäße Förderpolitik zu sehen, deren zentrales Anliegen im Kontext der Popularisierungsanstrengungen eine eingängige, gegenständliche Kunst in ruhiger, sachlicher Form war. Deutete sich damit ein gezielterer Einsatz der Auftragsmittel an, ist seit 1927 ähnliches auch für die ministerielle Ankaufspolitik auszumachen. Als Ursachen für die stärkere Konzentration der Mittel kamen hier mehrere in Frage: Neben der Einrichtung der Darlehenskasse Anfang 1926 (siehe Kap. III. 6.1.), die den Ankaufsetat von sozial motivierten Unterstützungen entlastete, sorgte etwa die Ausgabe spezieller Erwerbungsmittel an die Oberpräsidenten (siehe Kap. III. 5.) seit dem Frühjahr 1926 dafür, daß das Ministerium selbst weniger in der Breite agierte. Zudem führte offenbar die Debatte, die sich im Nachgang der Schillingskrise (siehe Kap. III. 1.) um die Zuständigkeit für Staatsankäufe und deren Beschränkung auf freie Künstler entspann,290 zu einer bewußteren Ressortpositionierung. Nentwig bestand hier darauf, die Entscheidung müsse unter Einbeziehung von Akademie, Nationalgalerie und Ausstellungsleitungen in erster Linie beim Ministerium liegen. Auch wolle man sich keinesfalls darauf festlegen lassen, an den Akademien angestellte Künstler von Ankäufen auszuschließen.291 Seit 1928 zwangen überdies die erneuten Finanz-
286 Vgl. dazu Emil Stumpp an Becker, 23.3.1928, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4415. 287 Vgl. Berger 1994, S. 100, wo als weitere vom preußischen Staat finanzierte Auftragsarbeit Kolbes 1925 entstandenes Ehrengrabmal für Ferruccio Busoni erwähnt wird; zur Bedeutung des Marburger Jubiläums für die preußische Kunstpolitik vgl. auch Mitteilungen Universitätsbund Marburg, Juni 1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7541; KM (Nentwig) an Justi, 22.6.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 35. Bd. 3 288 Vgl. dazu Piper 1983, S. 39—41; zum Kontakt Barlach - Becker vgl. Wende 1959, S. 46; Benecke an Grimme, 1946, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a; Rundfunkansprache Grimme: Zu Unrecht vergessen. Gestalten aus der Weimarer Zeit, Folge 10: C. H. Becker, 16.7.1954, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 529; zur Bedeutung Barlachs für die Kunstpolitik der 20er Jahre vgl. auch Scheffler 1946, S. 134 f. 289 Vgl. Piper 1983, S. 39-58 u. 77-81. 290 Vgl. dazu LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 29; LT, W P 2, Dr. 3410, S. 4839; Dr. 3427, S. 4851; LT, W P 2, Prot., Sp. 11568, 11601 fu. 11614; Bericht des RWV, in: Ku. u. Wi„ Jg. 7, Nr. 9 , 1 . 9 . 1 9 2 6 , S. 131; O. Marcus: Kunst, Wissenschaft, Sammeleifer und Handel, in: Ku. u. Wz., Jg. 8, Nr. 12,1.12.1927, S. 286 f. 291 Vgl. Nentwig, 23.4.1926, in: LT, W P 2, HA, Szg. 121, Sp. 31 f; Nentwig, 12.5.1926, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 11621 f; Ak. d. Kü. an Popp, 11.10.1927, ms. u. KM (Nentwig) an Liebermann, 19.11.
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und Aufträge
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engpässe zu einem gezielteren Einsatz der Gelder. 292 Angesichts dessen betrieb das Ressort gegen Ende der 20er Jahre eine immer eigenständigere Ankaufspolitik, die weiterhin der Schwerpunktsetzung im Bereich der aktuellen deutschen Kunst folgte, die, dem Interesse an einer nationalen Profilierung durch Kunst entsprechend, nun aber zunehmend die Betonung auf eine qualitativ wegweisende Förderung legte. Zwar war die Grenze zwischen sozialer Künstlerhilfe und einer zielbewußten nationalen Kunstförderung in Einzelfällen auch nach 1926 nicht immer klar zu ziehen, 293 insgesamt verschob sich der Akzent jedoch in Richtung einer auch inhaltlich-stilistisch überzeugenderen Förderung. Die Ankaufspolitik des Ministeriums gestaltete sich so seit 1927 weit konziser als zuvor. Vom äußeren Rahmen her änderte sich hier zunächst kaum etwas. Das Ressort behielt erst einmal das Prinzip bei, auf den Berliner Ausstellungen anzukaufen und vor allem Justi als Ratgeber einzubeziehen. Die Ankäufe selbst wiesen nun allerdings über das bisher Übliche hinaus. Bereits Anfang 1927 kaufte das Ressort bei der Herbstschau der Akademie nicht nur von impressionistischen Größen wie Liebermann, Ulrich Hübner und Ernst Oppler an, sondern auch von Kirchner, Pechstein, Kolbe, Kollwitz, Poelzig, Rudolf Grossmann, Willy Jaeckel, Karl Hofer, Wilhelm Lachnit, Ernst Wilhelm Nay, Max Oppenheimer, Ernst Fritsch oder George Grosz. 294 Und auch die weiteren Erwerbungen des Ressorts bei den Ausstellungen 1927/28 bestätigten das Interesse an der aktuellsten Moderne. Dafür stehen etwa die Ankäufe von Ewald Mataré, Fritz Koelle oder Jankel Adler. 295 Gleichzeitig lassen sich seit 1927 neben der Konzentration auf renommiertere Künstler weitere Schwerpunkte in der Ankaufspolitik ausmachen, die ebenfalls als Beleg eines zielbewußteren Engagements gelten können. Zunächst suchte das Ressort wohl im Interesse der Talentförderung (siehe Kap. III. 3.1. und III. 7.) auch von noch weniger etablierten Künstlern zu erwerben. 296 Daneben kristallisierte sich eine Gruppe heute unbekannterer Künstler heraus, die mehr-
1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/010, Bl. 18 u. 36; siehe dazu später auch Hübner, 12.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 25; Liebermann an Amersdorffer, 19.5.1931, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.2/028, Bl. 91. 292 Vgl. KM an Liebermann, 18.4.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 164; siehe dazu auch SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 125, 167 u. 169. 293 Vgl. z. B. KM (Gall) an Liebermann, 14.4.1928, ms., Liebermann an KM, 19.4.1928, ms., Entwurf Amersdorffer an Ulrich Hübner, 3.4.1928, ms. u. KM an Ak. d. Kü., 6.2.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 173-177. 294 Daneben erwarb es von Franck, Starck, Partikel, Engel, Dettmann, Schiffner, Rößner, Melzer, Unold, Jacobi, Seewald, Großberg, H. Hübner, Schollmeyer und Immelmann, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 260-264; Öffentliche Kunstpflege, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 3, 1.3. 1927, S. 71; siehe dazu auch SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 222, 267 u. 382-383; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 202; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 461 u. Bd. 2, S. 263. 295 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 466, 509 u. 518-519; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 1, 438 u. 4 6 5 - 4 6 6 ; SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 33; siehe dazu auch SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 406-408, 453-454, 504, 506 u. 532-534; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 3. 296 Das belegen etwa die Erwerbungen von Freytag, de Haer, Herbig, Arnrhein, Bissier und Viegener auf der Juryfreien Kunstschau 1927, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 518-519;
512
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
fach in den Erwerbungslisten auftauchen. Dabei handelte es sich zum Beispiel um George Mosson und Wilhelm Kohlhoff, die mit Stilleben und Straßenszenen für eine eingängige Kunst standen, 297 sowie um den mit Becker befreundeten Bildhauer Jacob Hübel. 298 Im Rahmen dieser Ankäufe legte das Ministerium offenkundig besonderen Wert auf eine Förderung von Frauen. 299 Zudem bevorzugte es Berliner Künstlerinnen und Künstler. 300 Setzte seine profiliertere Ankaufspolitik so auf verschiedenen Ebenen an, machte das Ressort seit 1928 doch vor allem über die Erwerbungen von prominenten modernen Künstlern auf sich aufmerksam. 301 So erwarb es auf der Berliner Sezessionsausstellung Anfang 1928 ein Selbstbildnis von Max Beckmann, ein Stilleben von Karl Hofer und das Bildnis des Dichters Theodor Däubler von Otto Dix (Abb. 8 ) 3 0 2 sowie auf Justis Rat hin im Frühjahr 1928 auf der Ausstellung des Künstlerbunds
297 298
299
300 301 302
Hannover
Stilleben von Heinrich Campen-
SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 465-466; siehe dazu auch die Ankäufe von AnnotJakobi oder Max Neumann (vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 396-397,434-435 u. 457), Ohmert (vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 681), Ladengast (vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 65), Völker (vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 115) oder Rickert (vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 60); vgl. auch Thormaehlen (NG) an Waldemar Eckertz, 28.11.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1. Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 547; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 375 u. 395; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 116. Vgl. Hübel an Becker, 14.2.1926, hs., Becker an Hübel, 15.3.1926, ms., Hübel an Becker, 28.4. 1926, hs., Hübel an Becker, 25.10.1929, hs., Becker an Hübel, 28.10.1929, ms. u. sonstiger Briefwechsel 1919-30, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4207; Hinweis auf Hübel an Becker, 21.8.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6797; Hübel an Becker, 25.2.1922, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6798. So handelte es sich bei der Juryfreien Kunstschau 1927 bei fast der Hälfte der Ankäufe um solche von Frauen: von Paula Grünfeld, Sophie Wolff, Edith Dettmann, Jenny Schweminsky und Ima Breusing, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 518-519; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 465-466. 1929 erwarb das Ministerium beim Verein Berliner Künstlerinnen Werke von Emmy Gotzmann, Lene Schneider-Kainer und erneut von Ima Breusing, vgl. Ku. u. Wi, Jg. 10, Nr. 11, 1.7.1929, S. 168; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 671; SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, Berlin, Bd. 1. Auch der Ankauf von Maria Slavona 1928 gehört in diesen Zusammenhang, vgl. NG an Maria Slavona, 27.7.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 19, Bd. 14; zum Stellenwert der Förderung von Künstlerinnen vgl. auch SAdK, PrAdK, 2.1/010, Bl. 60 u. 81-82. Vgl. dazu auch Hentzen 1972, S. 48 f. Für Erwerbungen, die für die Nationalgalerie nicht interessant waren, legte man ein Depot im Zeichensaal des Ministeriums an, vgl. Tab. III. Zusätzlich kaufte das Ministerium hier das Gemälde Zirkusreiterin von Paul Kleinschmidt an; zu den Erwerbungen vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 191, 203, 230, 277, 281, 300, 374, 393 u. 439; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 147-150; Städtischer Kunstpalast Düsseldorf an Justi, 5.6.1928, ms. u. Justi an Runkel, 9.6.1928, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 9, 1.5.1928, S. 140; zur Präsenz von Dix im Kronprinzenpalais bis 1924 vgl. FünfJahre „Kronprinzen-Palais". Eine Rundfrage (Schluß), in: Ku.hl., Jg. 8,1924, S. 283 f; Hentzen 1972, S. 17 f.
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und Aufträge
513
donk und Alexander Kanoldt, Kirchners Künstlergruppe und ein Gemälde von Christian Rohlfs.303 Ende 1929 kaufte es bei der Novembergruppe und der Berliner Sezession sowie auf der Großen Kunstausstellung Kassel Werke von Willi Baumeister (Abb. 9), Wassily Kandinsky, Rudolf Grossmann und Lyonel Feininger.304 Während es der Nationalgalerie daneben Ankäufe von Corinth oder unbekannteren Künstlern wie Wolff oder Uth ermöglichte,305 engagierte sich das Ministerium nun aber auch außerhalb von Ausstellungen für moderne Ankäufe. Ergebnis waren in den ausgehenden 20er Jahren erneute Erwerbungen von Koelle, Heckendorf oder Dressler 306 sowie Ankäufe von Oskar Moll, Robert Bednorz oder Rudolf Schlichter.307 Bei weiteren Erwerbungen bestätigte sich, welch aktiver Part den Referenten des Ressorts in diesem Zusammenhang zukam.308 So war es Gall, der 1928 bei der Nationalgalerie einen zusätzlichen Ankauf von Pechstein anregte. Später war er überdies in die Werkauswahl involviert.309 Ende 1928 erwarb das Ministerium in eigener Aktion Werke von Ernst Fritsch.310 Deutlich offenbarte sich die eigenständige Rolle Galls beim Ankauf der Marmorskulptur Hockende von Edwin Scharff (Abb. 10) 1928. Im Vorfeld der vom Ressort für die ungewöhnlich hohe Summe von 15.000 RM realisierten Erwerbung stattete Gall dem Künstler noch vor der Nationalgalerie einen Atelierbesuch ab. Die folgenden Verhandlungen prägte er entscheidend mit.311 Und nicht zuletzt steht auch die intensive Unterstützung für Ewald Mataré, die Beihilfen wie Ankäufe umfaßte,312 für ein klares ministerielles Eigenengagement. Die gemeinsame Initiative Galls und der Nationalgalerie führte außerdem dazu, daß das Ressort Anfang 1930 Plastiken von Gerhard Mareks und Hermann Haller, zwei Rohlfs-Werke, eine Bronze von Barlach und Oskar Schlemmers Konzentrische Gruppe erwarb.313
303 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 14, Bl. 184-185 u. 190. 304 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 26; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 694-695, 703 u. 713; siehe dazu auch SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 596, 670-671, 690-691, 696, 701-702 u. 704-705. 305 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 290; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 6 0 - 6 1 , 1 5 0 , 188 u. 226. 306 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 21 u. 39; SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 14, Bl. 368 u. 499. 307 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 14, Bl. 685-687, 689 u. 722; SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 15, Bl. 3 u. 27. 308 Vgl. dazu auch schon SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 13, Bl. 322-323. 309 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 14, Bl. 65, 167-168, 233 u. 258; siehe dazu auch schon SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 13, Bl. 472. 310 Vgl. Protokoll Ankaufskommission NG, 8.11.1928, m s , in: SMBPK / ZA, Nat.gal, Spec. 10, Bd. 1; SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 14, Bl. 428. 311 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 14, Bl. 337-340, 342, 410 u. 412; Abb. in Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 454. Später erwarb das Ressort zudem eine HindenburgBüste von Scharff, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 14, Bl. 689. 312 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 14, Bl. 721; SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 33. 313 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal, Gen. 10, Bd. 15, Bl. 25, 40, 60, 107, 109-110, 112-113, 136, 250 a u. 255; KM (Haslinde) an Justi, 2.4.1930, m s , Justi an KM, 9.4.1930, D s , ms. u. KM (Hübner) an Justi, 22.4.1930, m s , in: SMBPK / ZA, Nat.gal, Spec. 24, Bd. 3; siehe dazu auch Justi an Schmidt-
III.
514
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Der Wandel hin zu einer profilierteren Ankaufspolitik spiegelte sich in der zweiten Hälfte der 20er Jahre auch im Gebäude des Kultusministeriums wider. Unter Boelitz war die künstlerische Ausstattung der obersten Kunstbehörde Preußens noch indifferent-traditionell gewesen. Neben einem Skarbina fanden sich hier etwa ein nach Canaletto gemaltes Bild, ältere Gemälde von Quaglio und Werke des 19. Jahrhunderts von Hildebrand, Hoguet oder Schiibach. 314 Nach 1925 wurde das Gebäude nach und nach mit den Werken zeitgenössischer deutscher Künstler ausgestattet, die das Ministerium erwarb und für die die Nationalgalerie zunächst keine Verwendung hatte. Statt älterer Bilder prägten nun moderne Bronzen, Gemälde und Graphiken von Koelle, Dressler, Heckendorf, Feininger, Moll, Nolde, Mataré, Charlotte Berend-Corinth, Orlik, Kohlhoff, Mosson, Röhricht, Völker oder Wolff die Dienst- und Repräsentationsräume und gaben Aufschluß über die neue Orientierung der Förderpolitik. 315 Mit seinen Ankaufsaktivitäten nahm das Ministerium jetzt auch die moderne Fachpresse für sich ein. Während Scheffler wohl auch auf Grund seines gespannten Verhältnisses zu Justi viele der für die Nationalgalerie vom Ressort angekauften Werke für nur bedingt museumsreif hielt und weiter soziale Motive im Hintergrund vermutete,316 stellte Westheim im Frühjahr 1930 anläßlich einer Ausstellung im Kronprinzenpalais mit Neuerwerbungen der letzten Jahre 317 fest: „Die größte Überraschung dieser Ausstellung sind - die Überweisungen des Preußischen Kultusministeriums. Sie waren früher der Schrecken des Galerieleiters. [...] Auch heute dürfte ja noch manches, was das Ministerium [...] ankauft, problematisch sein. Aber wenn an dem System sich kaum etwas geändert hat, so haben sich offenbar doch die Personen geändert, die im Ministerium die Entscheidung hatten. Bei diesen Ankäufen dürften es erst Waetzoldt, dann Gall gewesen sein. Was die Nationalgalerie auf diese Weise an Zuwachs erhalten hat, mutet mit wenigen Ausnahmen - [..] Scharff oder ein paar Pseudobegabungen: Kleinschmidt, Waske, Thorack, Rickert - fast an wie ein Programm, ist höchst lebendige und keineswegs einseitige Kunstpflege. Zum Beispiel: Schlemmer, Baumeister, Dix (wenn auch nur das problematische Däubler-Porträt), der ,Chassid' von Jankel Adler [...], von Schrimpf das [...] ,Mädchen am Fenster', von Kirchner das dokumentarische Werk [...],Meister der Brücke', ein SelbstbildRottluff, 27.2.1930, ms. u. Abschr. Schmidt-Rottluff an Justi, 28.2.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 34. 314 Vgl. Notiz N G (Kastellan Daubensack), 10.1.1922, hs., Bescheinigung Hiecke, 10.1.1922, hs., Justi an KM, 9.2.1922, Ds., ms., Notiz N G (Tschirch), 18.5.1922, hs., Bescheinigung Gerull, 25.8.1922 [?], hs. / ms., Notiz N G (Kastellan Daubensack), 2.3.1923, hs., Notiz N G (Daubensack), 22.3.1923, hs., Notiz N G (Daubensack), 18.10.1924, hs., Justi an KM, 3.4.1925, hs. u. KM an Justi, 1.6.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, Berlin, Bd. 1; Carl Welz an LT, 13.9. 1925, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, F, Nr. 4, adh. 1. 315 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 66, 368, 375, 395, 438, 441, 465-466, 499, 620, 685-687, 694-695, 703 u. 722; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 21, 39 u. 115-116; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 454 u. 547; Wende 1959, S. 46; Rundfunkansprache Grimme: Zu Unrecht vergessen.
Gestalten
aus der Weimarer Zeit, Folge 10: C. H. Becker,
16.7.
1954, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 529. 316 Vgl. Neuerwerbungen,
in: Ku. u. Kit., Jg. 28, Nr. 8, Mai 1930, S. 336 f; zum Verhältnis Scheffler -
Justi vgl. Hentzen 1972, S. 22-27. 317 Vgl. dazu Hentzen 1972, S. 38.
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und Auftrage
515
nis von Beckmann, eine Plastik von Mareks: die ,Griechinnen' (leider nicht gleich ein gewichtigeres Werk von diesem Bildhauer, der ja so etwas wie ein neuer Lehmbruck zu werden verspricht), auch ein so kultiviertes Stück Malerei wie die Gartenhausansicht der Slavona, das man solchem Talent zweiten Ranges niemals zugetraut hätte. Die Weiterentwicklung der Galerie - das sind diese Überweisungen aus dem Ministerium. [...] Es sind die Ankäufe des Ministeriums, die die Galerie lebendig erhalten. Sie weisen ihr Ziel und Richtung, sie machen sie erst wirklich zu einem Museum der Gegenwart." 318 Auch wenn Westheim den Einfluß möglicherweise etwas unterschätzte, den die Nationalgalerie selbst bei vielen der Ankäufe nahm,319 war damit klar: Die profilierteren Ankaufsaktivitäten des Ressorts (siehe dazu auch Abb. 11-12) wurden als bemerkenswerte Neuerung wahrgenommen. Das Ministerium stand mithin um 1930 für eine durchaus moderne Erwerbungspolitik. Charakteristisch für diese Politik war innerhalb des Förderschwerpunkts aktuelle deutsche Kunst 320 die Prägung durch den demokratischen Grundsatz der Ausgewogenheit.321 Über die Verknüpfung dieses Leitmotivs mit dem Kriterium der künstlerischen Qualität betrieb das Ministerium eine zielbewußte Ankaufspolitik, durch die es nicht zuletzt dem Anspruch auf eine nationale Profilierung durch Kunst gerecht zu werden suchte. Konkret rückte gegen Ende der 20er Jahre, der Kunstentwicklung in Deutschland entsprechend, neben impressionistischer und expressionistischer Kunst zunehmend die neusachliche Malerei in ihren heterogenen Ausprägungen zwischen Verismus und klassizistischen Tendenzen ins Zentrum der Förderaktivitäten.322 In der Plastik erwiesen sich die klaren Figurenskulpturen Barlachs, Matarés, Kollwitz' oder Kolbes als prägnante Exponenten. Gerade die Neue Sachlichkeit stellt sich dabei als Größe dar, die sich idealtypisch in das seit 1918 nachweisbare Bemühen des Ministeriums um eine ruhige, sachliche realistisch-gegenständliche Kunst einfügte. Die „Sehnsucht" nach dem klaren,
318 P. W.: Neuerwerbungen der Nationalgalerie, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 154 f, S. 155; zur Haltung Westheims zum Kronprinzenpalais vgl. Hentzen 1972, S. 21 f; zur Prägung des Kronprinzenpalais' durch die Ankäufe des Ministeriums vgl. auch Grabowski 1991, S. 341-357; Hentzen 1972, S. 37 u. 39-49; Nationalgalerie und nationale Identität 1998, S. 225 f. Auch einige der von Hentzen nicht als solche aufgeführten Ankäufe, z.B. Schlemmers Konzentrische Gruppe, Baumeisters Drei Monteure, Hofers Stilleben, Bednorz' Ebert-Büste, Scharffs Hindenburg-Büste, Albikers Büste Ludwig von Hofmanns, Mareks' Griechinnen oder Matarés Holzplastik Stier, wurden aus Ministeriumsmitteln bestritten (siehe Tab. III). Die Zahl der ministeriellen Ankäufe war also noch weit höher als Hentzen es bereits darstellt. 319 Bei manchen Ankäufen des Ministeriums, etwa bei der Beckmann- oder Kleinschmidt-Erwerbung, ist dennoch das Motiv des Ausgleichs Justischer Einseitigkeiten zumindest zu vermuten, vgl. dazu etwa die ablehnende Haltung Justis zu Beckmann in Entwurf Justi [an KM], 30.11.1926, ms., S. 2 f, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 56. 320 Zu den seltenen Abweichungen von diesem Schwerpunkt siehe ζ. B. den Zuschuß von 10.000 RM, den das Ministerium 1928 der Antikensammlung für den Ankauf antiker Porträts bereitstellte, vgl. Wiegand an KM [Becker], 26.5.1928, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 5083. 321 Vgl. dazu auch Rau 1973, S. XII. 322 Zur Vielschichtigkeit des Begriffes Neue Sachlichkeit vgl. Fuhrmeister 2001, S. 12 f; Peters 2001; siehe dazu auch Neue Sachlichkeit 1994, S. 12 u. 217-220.
III.
516
Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
einheitlichen deutschen Stil als Pendant, Ausdruck und Mittler der gesellschaftlichen Integration, die für Becker wie Waetzoldt schon 1920 zentrales Motiv gewesen war, (siehe Kap. III. 5.1.) schien sich letztlich in der richtungsübergreifenden Zeittendenz N e u e Sachlichkeit zu erfüllen. 323 Die Themen der v o m Ministerium angekauften Werke - meist handelte es sich um Stilleben, Landschaften, Straßenszenen, Porträts, Figuren- oder Tierdarstellungen -
deuten zudem den Aspekt der Eingängigkeit beim Publikum an. 3 2 4 Im
Endeffekt Schloß sich hier über die Begriffe Klarheit, Eingängigkeit und Realismus der Kreis
zwischen
zeitgenössischer
Kunstentwicklung
und
staatlichen
Förderinteressen.
Modernität und nationale Kulturgemeinschaftsambitionen verschmolzen in diesem Zusammenhang miteinander und stellten sich als zwei Pole der immer konturierteren, zeitgemäßen Kunstpolitik des Kultusministeriums dar. 3 2 5 Trotz der seit 1 9 2 8 / 2 9 auch in der Auftrags- und Ankaufspolitik zunehmend spürbaren finanziellen Einschränkungen 3 2 6 bemühte sich das Ressort Grimme nach 1930 zunächst u m eine Fortsetzung dieser Politik. A u f den Ausstellungen der Akademie erwarb es 1930 noch einmal 28 Werke. 3 2 7 Standen diese nicht mehr im einzelnen rekonstruierbaren Erwerbun-
323 Zum Kontext vgl. Peters 2001, S. 83, wo die Neue Sachlichkeit als „Symptom eines umfassenden ,Ordnungsrufs' (Jean Cocteau) der Zwischenkriegsepoche" dargestellt wird; vgl. auch Hermand / Trommler 1978, S. 382. Wie deutlich sich das Ministerium mit seiner Affinität zur Neuen Sachlichkeit über Justis Konzept hinausbewegte, manifestiert sich nicht zuletzt darin, daß es sich bei den wenigen Erwerbungen neusachlicher Werke, die Meyer 1998, S. 69 für das Kronprinzenpalais bis 1929 nachweist, sämtlich um vom Ministerium überwiesene Ankäufe handelte; siehe dazu auch Hentzen 1972, S. 45; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 461 u. Bd. 2, S. 263; Baensch 1999, S. 15. 324 Gefühlsbetont-irrationale Bildungsambitionen (siehe Kap. III. 1. und III. 5.) verbanden sich dabei durchaus gezielt mit einer rationalen Formensprache. Dadurch wird die Position von Metzler 1995, S. 196, wo auf die Neue Sachlichkeit und das Bauhaus als Kräfte im Bemühen, dem Irrationalen ein rationales Modell entgegenzuhalten, verwiesen wird, zumindest relativiert; zu den Schwerpunktsetzungen bei der Motivwahl vgl. auch Neue Sachlichkeit 1994, S. 74 f. 325 Siehe dazu auch die Orientierung vieler neusachlicher Künstler an älteren Vorbildern, vgl. Eberle 1989, S. 28; zur nationalen Dimension von Künstlern wie Dix oder Beckmann vgl. auch Schwarz / Schwarz 1996; zur ähnlichen Verbindung von Tradition und Moderne in der preußischen Musikpolitik vgl. Schenk 1996 b. 326 Vgl. KM (Gall) an Justi, 1.10.1928, ms., Justi an KM, 28.11.1928, ms., KM (Nentwig) an Justi, 14.12.1928, ms. u. Justi an Nolde, 28.7.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 32; SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 105-106 u. 135; Direktor N G (i.V. Thormaehlen) an Schreiner, 6.9. 1929, ms., Justi an Schreiner, 23.10.1929, Ds., ms. u. Direktor N G (i.V. Thormaehlen) an Conrad Felixmüller, 6.9.1929, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 33; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 107, 109-110, 112-113 u. 136; Direktor N G (i.V. Thormaehlen) an Fiedler, 6.2. 1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 35; Arbeitsbeschaffung, in: Ku. u. Wi„ Jg. 9, Nr. 15,1.9.1928, S. 256; LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 4 f u. 8; Szg. 122, Sp. 2 f u. 9 f; LT, WP 3, Prot., Sp. 13452; O. M.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi„ Jg. 10, Nr. 7, 1.4.1929, S. 99 f. 327 Vgl. Amersdorffer: Tätigkeitsbericht Kunstsektion, 1930/31, ms., in: SAdK, PrAdK, Bd I, Nr. 324, Bl. 41-46; siehe dazu auch die Ankäufe des Ministeriums Grimme von unbekannteren Künstlern, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 32, 37 u. 331-332; SAdK, PrAdK, 2.1/014, Bl. 120.
6. Förderung
zeitgenössischer
deutscher Kunst: Ankäufe
und
Aufträge
517
gen 3 2 8 für einen nach wie vor breiten Förderanspruch, bestätigen die genauer nachweisbaren Ankäufe bis zum Juli 1932 die inhaltliche Kontinuität in diesem Bereich. Unverkennbar weisen etwa die aus Ressortmitteln bestrittenen Erwerbungen von Franz Lenk, Kollwitz, Mataré, Karl Albiker, Philipp Hart, Milly Steger, daneben aber auch von SchmidtRottluff oder O t t o Mueller in diese Richtung. 3 2 9 Nach wie vor ist von einem aktiven Einfluß der Ministeriumsreferenten auf diese Ankäufe auszugehen. Neben Gall waren nun Hübner und Haslinde an der Erwerbungspolitik beteiligt. 330 Parallel dazu suchte das Ministerium unter Grimme auch in der Auftragspolitik noch einmal Zeichen zu setzen. Charakteristisches Beispiel dafür ist die überlebensgroße Frauenstatue Die Nacht
von Kolbe
(Abb. 5), 3 3 1 mit der das Ressort Anfang 1931 die Eingangshalle von Poelzigs Haus des Rundfunks in Berlin ausstattete (siehe Kap. III. 5.). Wie bewußt sich das Ministerium für Kolbes Bronze entschied, offenbart die Vorgeschichte der Aufstellung: Die 1929 erstmals gegossene Statue war 1930 bei Flechtheim in Berlin gezeigt worden. 3 3 2 Dort sah sie Grimme und gab bei Kolbe im Oktober 1930 eine größere Version für den vor der Eröffnung stehenden Neubau in Auftrag. Den Vorschlag Poelzigs, statt Kolbe den abstrakt arbeitenden Rudolf Belling eine Skulptur für das Gebäude fertigen zu lassen, lehnte das Ressort hingegen ab. 333 Klar bestätigte sich so die ministerielle Bevorzugung der eingängigeren gegenständlichen Moderne. 3 3 4 Demonstrativ knüpfte das Ministerium Grimme damit an die unter Becker betriebene Politik an. 328 Ein Grund für die schwierige Rekonstruierbarkeit ist, daß über die ministeriellen Ankäufe nun nicht mehr generell bei der Nationalgalerie Buch geführt wurde, sondern die Erwerbungen beim Ministerium selbst inventarisiert wurden, vgl. KM an Justi, 29.8.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 6; KM (Hübner) an Justi, 24.9.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Beih. 1. Die ministerielle Uberlieferung fehlt jedoch. 329 Vgl. KM an Justi, 29.8.1930, ms., Thormaehlen an Haslinde (KM), 17.11.1930, ms. u. KM (Hübner) an Justi, 28.11.1930, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 6; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 153,247,271,298,301-302,323, 339, 569 u. 577; KM (Haslinde) an Justi, 2.12.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 5, Bd. 19; Protokoll Ankaufskommission NG, 3.7.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Ausstellung Deutscher Künstlerbund Essen 1931 an Justi, 13.7.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 51, Bd. 1; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 12, Bl. 737, 741 u. 761; siehe dazu auch SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 502; Text [Ak. d. Kü.?], 6.2.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 33; zu weiteren Ankäufen bis 1932 vgl. auch Münchener Künstler in Düsseldorf, in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 5, 1.5.1932, S. 84. 330 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 32, 37, 60, 271, 301-302 u. 331-332; Justi an Schmidt-Rottluff, 27.2.1930, ms. u. Abschr. Schmidt-Rottluff an Justi, 28.2.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 34; Protokoll Ankaufskommission NG, 3.7.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Abschr. Oswald Herzog an Haslinde (KM), 18.3.1931, ms., KM (Hübner) an Justi, 24.3.1931, ms., Entwurf Justi an KM, 9.4.1931, ms. / hs. u. Justi an Herzog, 7.7.1931, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 35. 331 Vgl. Berger 1994, S. 294-296; siehe dazu auch Berlin, Berlin 1987, S. 384 f. 332 Vgl. Hentzen 1972, S. 48. 333 Vgl. Berger 1994, S. 295. 334 Zur ähnlichen Tendenz bei Justi vgl. Protokoll Ankaufskommission NG, 3.12.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; Meyer 1998, S. 69; siehe dazu auch Lidtke 1993, S. 233 f.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
518
Als weiterer Beleg dafür kann ein Anfang 1931 entstandenes Bildnis Grimmes von Charlotte Berend-Corinth (Abb. 11) gelten, das den Minister sitzend vor einem Fenster seines Amtszimmer zeigt. 335 Das Gemälde, auf dem sich Grimmes plastisch-präzises Gesicht mit ruhig den Betrachter fixierendem Blick vom reduzierteren Hintergrund abhebt, verdeutlicht ebenfalls die ministerielle Präferenz einer realistischen, sachlichen, leicht vermittelbaren Kunst. Dem Bildnis, das Zeugnis einer Freundschaft zwischen der Künstlerin und Grimme war, 336 kommt dabei Aussagekraft für die ministerielle Politik nicht nur insofern zu, als es aus Ressortmitteln finanziert wurde 337 und dem Porträtauftrag mehrere staatliche Ankäufe von der Witwe Corinths vorausgegangen waren. 338 Vielmehr verstand Grimme das 1931 in der Berliner Sezession ausgestellte Werk 3 3 9 als Teil einer repräsentativen Porträtreihe der republikanischen Kultusminister, die die traditionellen Ministerbüsten im Ressortgebäude Unter den Linden fortsetzen sollte. Nachdem Eugen Spiro bereits im Frühjahr 1930 im Auftrag des Ressorts ein Porträt von Becker gemalt hatte, 340 nannte die Akademie dem Ministerium in diesem Zusammenhang im April 1932 auf dessen Bitte hin Jaeckel, Eichhorst, Hofer und Dressler als geeignete Künstler für ein entsprechendes Boelitz-Bildnis. 341 Das Projekt zerschlug sich mit der Absetzung Grimmes im Juli 1932. Wäre die Porträtreihe wie geplant realisiert worden, hätte sie gerade durch die Varianz der beteiligten neusachlichen bzw. zeitgemäß realistisch arbeitenden Künstler die staatliche Förderpolitik der späten Weimarerjahre wohl noch einmal prägnant gespiegelt. Den Porträtgraphiken von Haenisch und Becker gegenüber, die es zuvor gegeben hatte (siehe Abb. 14), 342 hätte sich die Gemäldereihe sicherlich als eine der pointierteren Politik gemäße Steigerung ausgenommen. 343
335 Zur Entstehung des Porträts vgl. Charlotte Berend in: Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 15-19; Berend-Corinth an Grimme, 9.2.1931, hs. u. Berend-Corinth an [Grimme], 10.3.1931, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 75, Mappe 9; Abb. in Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 16/17. 336 Zum engen Verhältnis Berend-Corinth - Grimme vgl. auch den Briefwechsel April 1931-Nov. 1932, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 75, Mappe 9. 337 Vgl. Hertwig (DNVP), 14.2.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 7. 338 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 11, Bl. I l l ; W. d. Ku., Jg. 8, Nr. 14, 30.12.1918, S. 94; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 454; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 620. 339 Zur Ausstellung und zu den zeitgenössischen Reaktionen vgl. Norweg: Berliner Sezession im neuen Haus. Eröffnung durch Prof. Pechstein, in: Neues Wiener Journal, 4.11.1931, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 324; Justi an Hübner (KM), 5.1.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 227; Berend-Corinth an Grimme, 13.11.1931, hs. u. Berend-Corinth an Grimme, [1931/32], hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 75, Mappe 9. 340 Vgl. Spiro an Becker, 6.5.1930, hs., Spiro an Becker, 17.6.1930, hs. u. Becker an Spiro, 18.6.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 4853; Abb. in Zeitbilder, Beil. zu Voss. Ztg., 19.2.1933, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a. 341 Vgl. Grimme an Ak. d. Kü., 10.3.1932, ms., Liebermann an KM, 9.4.1932, ms. u. Auszug Protokoll Ak. d. Kü., Senat Kunstsektion, 8.4.1932, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/014, Bl. 115-117; Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 8.4.1932, hs., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 50-51. 342 Von Haenisch und Becker gab es Porträts von Emil Orlik. Für Becker sind zudem Bildniszeichnungen von Emil Stumpp und Ernst Schäffer nachweisbar, vgl. Notiz für Becker, Nov. 1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 2700; Liste März 1930, ms., in: GStA PK, I. H A
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und Aufträge
519
Wie grundlegend die Kriterien Ausgewogenheit und Modernität für die Auftragspolitik unter Grimme blieben, zeigt der Blick auf zwei architektonische Projekte von 1930/31. Zum einen handelt es sich um die Gestaltung des preußischen Ehrenmals für die Gefallenen des Weltkrieges in der Neuen Wache Unter den Linden, bei der das Kultusressort zwar nicht federführend agierte,344 an der es über Hiecke und die Jurymitgliedschaft Waetzoldts aber doch beteiligt war. 345 Nachdem die Debatten um ein Reichsehrenmal kein Ergebnis gezeitigt hatten, 346 setzte Preußen hier gemeinsam mit dem Reich ein zwar zeitgemäßes, aber doch stark mit verklärender Ästhetik und rechter Symbolik operierendes Zeichen, indem es, auch an die Pläne zum Kronprinzenpalaisumbau anknüpfend (siehe Kap. III. 4.2.),
Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1759; Emil Orlik an Haenisch, 15.4.1919, in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 455, Bl. 37; Fünfundneunzig Köpfe von Orlik 1920, S. 13; Ernst Schäffer an Becker, 11.9. 1921, hs., Schäffer an Becker, 14.10.1921, hs. u. Schäffer an Becker, 12.5.1922, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 3843; Hinweise auf Schäffer an Becker, 11.9.1921 u. Schäffer an Becker, 14.10.1921, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6798; ZA Bremer Nachrichten, 18.6.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7543; Schmidt-Ott an Becker, 10.11.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6797; Hinweise auf Kratsikkovsky an Becker, 23.4.1928, KM an Kratsikkovsky, 11.6.1928 u. Kratsikkovsky an KM, 26.8.1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6800; Oberregierungsrat KM an Stumpp, 6.11.1925, ms., Stumpp an Becker, 23.3.1928, ms. u. Bestätigung Stumpp, 11.12.1925, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4415. Überdies hatte Becker 1929 dem Bildhauer Wield für eine Plakette Porträt gesessen, vgl. Briefwechsel April 1929-Jan. 1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 5088; Hinweise 13.4.1929, 26.4.1929, 9./25.6.1929, 12.6. 1929 u. 20.6.1929, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6799. 343 In diese Tendenz fügte sich auch ein, daß das Kultusressort 1932 an Liebermann den Auftrag vermittelte, ein Braun-Porträt zu malen, nachdem es von Braun zuvor auch nur eine Orlik-Graphik gegeben hatte, vgl. dazu Liebermann an Grimme, 2.8.1932, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Autogr. Liebermann; GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Otto Braun, A, Nr. 55; zum Porträt vgl. auch Liebermann an Braun, 18.10.1932, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Otto Braun, A, Nr. 6; Ku. u. KU., Jg. 31, Nov. 1932, S. 417; Lütolf an Braun, 6.7.1939, hs., Lütolf an Braun, 5.9. 1939, hs. u. Lütolf an Braun, 3.9.1941, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Otto Braun, C I Nr. 171; Soperra-Blattmann an Braun, 25.9.1944, ms. u. Soperra-Blattmann an Braun, 10.9.1944, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Otto Braun, C V Nr. 3; ZA Tagesspiegel, 20.7.1997, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Otto Braun, A Nr. 6. 344 Vgl. A.Frey 1993, S. 21. 345 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 17.10.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 225228, Bl. 226 v; Schmitz 1931, S. 207; siehe dazu auch Text Liebermann, 20.11.1930, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/132, Bl. 183-184; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 431. 346 Vgl. Laube 1997, S. 118-120; Speitkamp 1994, S. 570-573; Buchner 2001, S. 220-229; Kruse 2002, S. 422 f; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 429; Walter Curt Behrendt: Das Ehrenmal der Gefallenen in Berlin, in: Mitt. DWB, Jg. 1924/25, Nr. 7, 28.10.1924, S. 7 f; Fritz Stahl: Das Ehrenmal, in: BT, 22.10.1924, in: SAdK, PrAdK, 2.1/036, Bl. 108 r; LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 5; Szg. 120, Sp. 6; LT, WP 2, Prot., Sp. 6142; Bericht des RWV, in: Ku. u. WL, Jg. 7, Nr. 9, 1.9.1926, S. 131; Hermann Schmitz: Schlußwort zum Reichsehrenmal, in: Ku.wan., Jg. 8, 1./2. Nov.-Nr. 1926, S. 105 f; Das Reichsehrenmai, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 10, 16.5.1931, S. 127; Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 15,1.9.1931, S. 200 f; Das Ehrenmal, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, 2.1.1932, S. 51 f.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
520
die Neugestaltung von Schinkels Neuer Wache im Juli 1930 Heinrich Tessenow übertrug und sich damit gegen Entwürfe von Behrens, Erich Blunck, Hans Grube, Mies van der Rohe und Poelzig entschied.347 Tessenows 1930/31 realisierte karge Raumgestaltung mit offenem Oberlicht und einem schlichten Granitblock in der Mitte, auf dem ein von Gies gestalteter Eichenkranz aus Metall lag, fügte sich durchaus in das Bemühen des Kultusressorts um Sachlichkeit, Klarheit und zeitadäquate Modernität ein. Wie wenig das Ministerium Grimme indes auf die neuklassizistische Richtung innerhalb der zeitgenössischen Architektur, für die Tessenow stand, festgelegt war, erwies sich dann im Umfeld des zweiten großen Projekts dieser Zeit: bei den Planungen für einen neuen Ausstellungsbau in Berlin (siehe Kap. III. 7.). Deutlich ging Grimme hier über die Tendenz des Ehrenmals hinaus, als er in der Planungsphase im August 1930 betonte: „Damit keine weitere Zeit verloren wird und keine weiteren Mittel für Preisausschreiben und dergleichen ausgegeben werden, schlage ich vor, mit einem für diese Aufgabe besonders befähigten Architekten in Verbindung zu treten und darüber zu verhandeln, ob er in der Lage ist, einen geeigneten Entwurf zu liefern [...]. Der Bau würde streng sachlich zu halten sein. Jede Verwendung üppigen Materials (Marmorverkleidungen und dergl.) ist auszuschließen. Der Wert des Baues muß in der Schönheit der architektonischen Form und in einer letzten Ausnutzung des Raumes liegen. Hierfür erscheint mir u. a. Herr Mies van der Rohe besonders geeignet. Die Uberweisung des Auftrages an diesen Künstler würde auch den Vorteil haben, daß eine vielleicht vorhandene Verstimmung wegen seiner Nichtberücksichtigung in der Angelegenheit der neuen Wache ausgeräumt würde." 348 Tessenows Ehrenmal und das Eintreten Grimmes für Mies van der Rohe als Architekt des später nicht realisierten Ausstellungsbaus signalisieren neben dem Bemühen um Ausgewogenheit in der Förderung der Moderne vor allem, daß das Ministerium innerhalb der zeitgenössischen sachlichen Kunst sowohl die neuklassizistische Richtung, die seiner Orientierung an preußischen Traditionen entsprach (siehe Kap. II. 5.1. und III. 1.), als auch fortschrittlichste, mit dem Bauhaus verbundene Tendenzen in seine Kunstpolitik integrierte. Letztlich bestätigte sich so noch einmal: Die Bandbreite der ministeriellen Förderpolitik reichte in Malerei, Plastik und Architektur von einer später mit der nationalsozialistischen Kunstpolitik übergangslos zu vereinbarenden Richtung, für die Kanoldt, Lenk, Schrimpf, Kolbe oder Tessenow standen,349 bis zur international anerkannten Moderne, die im Gegensatz zum Nationalsozialismus zu sehen ist und als deren Exponenten etwa Schlemmer,350 Baumeister, Beckmann, Dix oder Mies van der Rohe gelten können. Seit
347 Zum Wettbewerb vgl. A. Frey 1993; Kruse 2002, S. 4 2 3 - 4 2 7 ; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 4 2 9 - 4 3 1 ; Speitkamp 1994, S. 571 f; Buchner 2001, S. 229-231; siehe auch Scheffler 1946, S. 51-53; Berliner Ehrenmal, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 282 f; Karl Scheffler: Das Ehrenmal, in: Ku. u. KU., Jg. 29, 1930/31, S. 399; Ernst Kàllai: Ehrenmal-
Grauenmal, in: Weltb.,
Jg. 26/2, Nr. 34, 19.8.1930, S. 284 f; Schmitz 1931, S. 199-210; Hermann Schmitz an Grimme, 11.8.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 67, Mappe 62. 348 Grimme an FM, 15.8.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 24-25, Bl. 25 r. 349 Vgl. Peters 2001, S. 86-88; Bärnreuther 1999 b, S. 127-129; zur Rolle Tessenows vgl. auch Die Zwanziger Jahre des DWB 1982, S. 69 f, 84-86, 292-294 u. 300; Niederstadt 1982 b, S. 339 f. 350 Zu den ressortnahen gesellschaftlichen Ambitionen Schlemmers vgl. Bärnreuther 1999 a, S . 9 3 100.
6. Förderung zeitgenössischer
deutscher Kunst: Ankäufe
und
521
Aufträge
Ende der 20er Jahre bekam diese bewußte Mehrgleisigkeit des Ministeriums und speziell das Engagement für die Moderne im Bauhausumfeld eine zusätzliche Dimension: Als sich die Kunstdebatte unter Grimme immer mehr polarisierte,351war die Fürsprache für Mies van der Rohe durchaus auch als Bekenntnis gegenüber der politischen Rechten zu verstehen. Mit dem Eintreten für Mies nahm Grimme vorweg, was wenig später unter seiner Ägide in der Akademie der Künste mit dem Pairsschub (siehe Kap. III. 3.2.) geleistet wurde. Das Ministerium stellte sich in einem gezielten kunstpolitischen Akt gegen die konservativvölkische Rechte und besonders die Nationalsozialisten. Letztlich suchte Grimme auf diese Weise wie in anderen Bereichen seiner Kultur- und Kunstpolitik (siehe Kap. III. 1. und Kap. III. 5.) so auch in der Auftragspolitik noch einmal ein Zeichen für die Republik zu setzen. Wie die Vermittlung von Kolbes Frauenplastik für das Rundfunkhaus und die Favorisierung von Mies nahelegen, hielt Grimme dabei zielgerichtet an einem Modell der Moderneförderung fest, das die Außendarstellung des Weimarer Staates in den ausgehenden 20er Jahren geprägt hatte - förderte das Ministerium mit Kolbe und Mies doch eben die Künstler, die dem Pavillon des Deutschen Reiches auf der Internationalen Ausstellung in Barcelona 1929 sein Gesicht gegeben hatten.352 Mit diesem Bemühen um republikanische Selbstbehauptung bewegte sich das Kultusressort nach 1930 indes nicht nur politisch auf immer weniger gesichertem Terrain.353 Vielmehr wurde ihm im Zuge der Sparmaßnahmen in Folge der Weltwirtschaftskrise nun auch die finanzielle Basis für seine Auftrags- und Ankaufspolitik entzogen. Hatten dem Ressort 1930/31 noch gewisse Fördermittel zur Verfügung gestanden, konnte es trotz seines nachdrücklichen Einsatzes die folgenden drastischen Etatkürzungen nicht verhindern (siehe Kap. III. 6.I.). 354 So scheiterte nicht nur der Ausstellungsbau an den Finanzen. Auch der kunstpolitische Handlungsspielraum insgesamt wurde zunehmend enger.355 Nachdem Becker die schwindenden Mittel für zeitgenössische Kunst durch Unterstützungsappelle an Privatleute zu kompensieren versucht hatte (siehe Kap. III. 6.1.) und der Verein der Freunde der Nationalgalerie mittlerweile die Erwerbungspolitik der modernen Staatssammlung stützte, 356 reagierte Grimme auf diese Situation, indem er sich Anfang 1931 mit der dringen351 Vgl. dazu auch Windhöfel 1995, S. 20 f; speziell für die Ankaufs- und Auftragspolitik vgl. dazu Schmitz 1931, S. 1 8 9 - 1 9 8 ; Koch ( D N V P ) , 4 . 4 . 1 9 3 0 , in: LT, W P 3, Prot., Sp. 13463; Oestreicher (SPD), 1 4 . 2 . 1 9 3 1 , in: LT, W P 3, H A , Szg. 192, Sp. 4 f; Rave 1987, S. 35 f. 352 Vgl. Abb. der Rekonstruktion in Gössel / Leuthäuser 1994, S. 174; zur repräsentativen Rolle Kolbes für die Weimarer Republik vgl. Müller 1994, S. 250; siehe dazu auch Ebert-Büste Ku.bl., Jg. 9, 1925, S. 253; K. Sch.: Kolbes Ebertbuste, S. 452; Ku.wan.,
von Kolbe, in:
in: Ku. u. Kü., Jg. 23, Nr. 11, Aug. 1925,
Jg. 7, 1./2. Sept.-Nr. 1925, S. 36; Die Büste des Präsidenten
Ebert,
in:
Ku.wart,
Jg. 38/2, Nr. 12, Sept. 1925, S. 306 u. 309; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 425. 353 Vgl. dazu auch Koch ( D N V P ) , 4 . 4 . 1 9 3 0 , in: LT, W P 3, Prot., Sp. 1 3 4 5 6 - 1 3 4 6 9 . 354 Vgl. dazu auch Ο . M.: Preußischer Kunst im preußischen
Staatshaushalt,
Kunst-Etat,
in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 5, 1 . 3 . 1 9 3 1 , S. 59; Die
in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 4, 1 . 4 . 1 9 3 2 , S. 61 f.
355 Vgl. dazu auch Justi an Konstantin Starck, 2 1 . 1 2 . 1 9 3 1 , ms. u. Justi an Erna Heese, 2 8 . 1 2 . 1 9 3 1 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. 29, Bd. 35; S M B P K / Z A , Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 3 6 5 - 3 6 6 , 4 9 6 u. 498. 356 Vgl. dazu ausführlich Meyer 1998, bes. S. 2 4 - 1 2 1 ; vgl. auch Hentzen 1972, S. 4 9 - 5 3 ; Rave 1968, S. 87 f; Lidtke 1993, S. 225 f; Daweke / Schneider 1986, S. 131 f; M. F r e y 1999, S. 142 f; siehe auch
522
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
den Bitte an alle Staatsminister wandte, „auch in Ihrem Geschäftsbereich nach Möglichkeit die Künstler zu fördern. Ich wäre dankbar, wenn insbesondere geprüft werden könnte, ob nicht mehr als bisher für staatliche Anerkennungen [...] die Form der Verleihung von "Werken der Bildhauerkunst, der Malerei oder der Graphik gewählt werden kann. Auch durch Heranziehung zur künstlerischen Ausschmückung von öffentlichen Gebäuden und Räumen kann den Künstlern wirksam geholfen werden. Ich bin gern bereit, [...] allen Ressorts sachdienlichen Rat zu erteilen und für den einzelnen Fall geeignete Künstler zu benennen." 357 Damit suchte das Ressort auch andere öffentliche Stellen für die Ankaufs- und Auftragspolitik, die es selbst zunehmend weniger leisten konnte, in die Pflicht zu nehmen. Während die Hochbauabteilung noch im Sommer 1931 mitteilte, keine Mittel dafür bereitstellen zu können, 358 konnte das Ministerium mit dem Appell gerade in den Provinzen offensichtlich durchaus eine gewisse Wirkung erzielen. 359 Im Landtag und beim Reichsverband bildender Künstler rief der Vorstoß ein positives Echo hervor.360 In einer Zeit, in der die Künstlerunterstützung aus wirtschaftlich-sozialen Gründen erneut drängendes Thema wurde 361 und der privat finanzierte Ankauf von van Goghs Der Garten von Daubigny für
357 358
359
360
361
schon KM an Justi, 9.1.1926, ms. u. Justi an KM, 12.1.1926, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 2. Zitiert nach Richard: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 2, 16.1.1931, S. 19-21, S. 19. Vgl. FM an KM, 18.6.1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1042; siehe dazu auch LT, WP 3, Dr. 6593, S. 6369; LT, WP 3, Prot., Sp. 18790 u. 19202-19205; Ο. M.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 6, 16.3.1931, S. 75 f; zur zeitgenössischen Forderung, Künstler an öffentlichen Bauvorhaben zu beteiligen, vgl. auch LT, WP 3, Dr. 4301, S. 4123; Dr. 6593, S. 6369; LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 10 f, 13; Szg. 192, Sp. 9 f; Szg. 187-204, Sp. 41; LT, WP 3, Prot., Sp. 13518 f u. 18790; Bischoff (WP) an LT, Sept. 1930, Antwort Handelsministerium, 5.11.1930 u. Grimme an Präsident LT, 15.10.1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 2, Bl. 20-21 u. GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 2, adh. 1, Bl. 1 u. 4-5; Ku. ». Wi., Jg. 11, Nr. 15, 1.9.1930, S. 220f; Ο. M.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 21, 16.12.1930, S. 315 f; Deutsche Bauausstellung 1931, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 4, 16.2.1931, S. 51-53; Ο. M.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 6, 16.3.1931, S. 75 f; Ernst Gock: Wiederbelebung der Wandmalerei, in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 5,16.6.1931, S. 38; siehe auch schon LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 2 f; Szg. 277, Sp. 36 u. 40; LT, WP 2, Dr. 759 A, S. 1593; Dr. 947 E, S. 2186; Wilhem von Bode: Protest gegen die kahle Wand, in: Ku. u. Wi, Jg. 9, Nr. 16, 1.10.1928, S. 295 f; Erich Buchholz: Entgegnung an Wilhelm von Bode, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 19, 15.11.1928, S. 343. Vgl. Behörden und Künstlerschaft, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 5, 1.3.1931, S. 60; Künstlerischer Schmuck an behördlichen Bauten, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 15, 1.9.1931, S. 203; SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 46 u. 63; siehe dazu auch schon Klausner (DDP), 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25690; Heranziehung bildender Künstler bei Errichtung kommunaler Bauten, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 14, 1.8.1928, S. 223; SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 273 u. 276. Vgl. Richard: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 2, 16.1.1931, S. 19-21; Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 5; Bohner (Dt. Staatsp.), 6.3.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 204, Sp. 6; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19211-19215. Siehe dazu auch die zahlreichen Bitten um Ankäufe und Aufträge in dieser Zeit, vgl. z. B. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 9, Bl. 43 u. 45; SAdK, PrAdK, 2.1/013, Bl. 24, 72, 87, 106, 254, 272 u. 276; Justi an [Erich Hösel], 27.10.1930, ms. u. Abschr. Hösel an Thormaehlen, 4.2.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 34 u. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 35; Klaus Wrage
6. Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst: Ankäufe und Aufträge
523
die Nationalgalerie die bei der Erwerbung der attischen Göttin virulente Kritik wieder aufflammen ließ, 362 verdeutlichte der Aufruf Grimmes jedoch vor allem eines: nämlich die finanziell bedingte, nach den vorherigen pointierten Aktivitäten umso schwerer wiegende weitgehende Handlungsunfähigkeit des Ministeriums im Bereich der Ankaufs- und Auftragspolitik, durch die dem selbstbewußten republikanischen Förderengagement schon vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ein Ende gesetzt wurde.
an KM (Haslinde), 22.4.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 26, Bd. 8; SAdK, PrAdK, 2.1/014, Bl. 56, 63, 65, 87, 118, 271 u. 338-339. 362 Vgl. Meyer 1998, S. 88-95; Hentzen 1972, S. 6 0 - 6 8 ; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 418 f u. Bd. 2, S. 251-254; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 575, 577-578 u. 584; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 377-392; SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 54-59; Eingabe des die Reichsregierung,
RVbKan
in: Ku. u. Wz., Jg. 13, Nr. 5 , 1 . 5 . 1 9 3 2 , S. 75 f; Rudolf Bosselt: Zum Ankauf des
van Gogh, in: Ku. u. Wz., Jg. 13, Nr. 5 , 1 . 5 . 1 9 3 2 , S. 78 f; Ludwig Justi: Zum Ankauf des van Gogh, in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 7 , 1 . 7 . 1 9 3 2 , S. 115 f; Antwort auf die Eingabe an die Reichsregierung, Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 7 , 1 . 7 . 1 9 3 2 , S. 115.
in:
7. Tradition und Moderne: Ausstellungen als Präsentationsorte deutscher Kunst Eine wesentliche kunstpolitische Neuerung der ersten Zeit nach 1918 war die Öffnung der Großen Berliner Kunstausstellung für alle Kunstrichtungen gewesen. Schnell hatte sich in die Euphorie über diesen vom Kultusministerium initiierten Schritt indes Kritik daran gemischt, daß sich die Schauen nun als beliebige Massenpräsentationen darstellten (siehe Kap. II. 4.2.). Während Haenisch weiterhin strikt jedes staatliche Eingreifen ablehnte, hatten sich Waetzoldt und Becker in diesem Zusammenhang einer zielgerichteteren Perspektive geöffnet, indem sie dem Credo der Kunstfreiheit das Kriterium der kunstwissenschaftlichen Qualität zur Seite stellten. Davon ausgehend hatten sie ihr Interesse an einer einheitlichen, klaren Entwicklung der deutschen Kunst artikuliert, der gerade über Ausstellungen der Boden zu bereiten sei (siehe Kap. II. 5.). Hatte sich die ministerielle Ausstellungspolitik damit bereits unter Haenisch mit dem Topos der „Sehnsucht" nach einem neuen Stil verknüpft, hatte Justi parallel dazu mit der Ausrichtung des Kronprinzenpalais' auf den Expressionismus ein konkretes Modell der Interpretation und Präsentation zeitgenössischer Kunst angeboten, bei dem Qualitätsgrundsatz, Modernität und nationale Identitätsstiftung ineinanderflossen. Unter Haenisch hatte sich das Ressort bei aller Offenheit für Justis Projekt allerdings gegenüber dessen inhaltlicher Tendenz zurückgehalten. Anders als zeitgenössisch kolportiert, 1 war die Expressionismusbetonung keineswegs staatlich vorgegeben worden (siehe Kap. II. 4.1.). Nach Haenischs Rücktritt wurden mit Becker und Waetzoldt eben die Protagonisten maßgeblich für die ministerielle Politik, die schon zuvor für gezieltere, national konnotierte Ausstellungsaktivitäten votiert hatten. Entsprechend suchte das Ressort diesen Ambitionen seit 1921 gerade bei den Moabiter Glaspalastschauen offensiver Rechnung zu tragen. In der ersten Hälfte der 20er Jahre setzte es sich für eine stringentere Struktur der Großen Berliner Kunstausstellung ein und suchte so die organisatorische Voraussetzung für die angestrebte Kunstentwicklung zu schaffen. Das Ministerium Boelitz sprach nun offen an, daß die Ausstellung den Anforderungen nicht mehr gerecht werde. Gemeinsam mit den Künstlerverbänden bemühte es sich angesichts dessen um eine Klärung der Frage, wie das Problem des Ausstellungsniveaus in den Griff zu bekommen sei.2 Ansatzpunkt war hier die Idee einer zentralen Ausstellungsleitung. 3 So sehr das Ministerium sein Interesse an einer strafferen Organisation aber auch artikulierte, wurde eine Reform der Glaspalastschauen doch durch das von gegenseitigem Mißtrauen geprägte Verhältnis zwischen Künstlern und Kunst-
1 Vgl. Scheffler 1921, S. 107-114; siehe aber auch Baecker (DNVP) u. Lauscher (Z), 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 6 f; Steffens (DVP) u. Preyer (DNVP), 14.4.1923, in: LT, W P 1, HA, Szg. 200, Sp. 32 f; Ritter (DNVP), 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 10; Graef (DNVP), 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 3 4 - 3 6 . 2 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357; siehe dazu auch Schunk 1993, S. 434; Neuerungen im Ausstellungswesen, in: Germania, [Okt. 1922?], in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 1; Ku.wan., Jg. 5, 1. Mai-Nr. 1923, S. 399. 3 Vgl. Nentwig, 30.11.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 154, Sp. 12.
7. Ausstellungen
als Präsentationsorte
deutscher
Kunst
525
beamten (siehe Kap. III. 6.1.) ebenso erschwert wie durch die Tatsache, daß sich das Ressort immer wieder darauf zurückzog, nicht reglementierend eingreifen zu wollen. 4 Während sich der Stellenwert der Großen Berliner Kunstausstellung für die staatliche Kunstpolitik bis Mitte der 20er Jahre dadurch bestätigte, daß die Präsentationen regelmäßig in Anwesenheit des Kultusministers und des Reichspräsidenten eröffnet wurden, 5 änderte sich so unter Boelitz kaum etwas am indifferenten Charakter der dauerkritisierten, durch die Kunstbeschlagnahmungen von 1922 (siehe Kap. III. 2.) weiter in Mißkredit geratenen, als Verkaufsgelegenheit für die Künstler aber nach wie vor wichtigen Ausstellung. 6 Parallel dazu suchte das Ministerium Akzente im Sinne seiner nationalen Förderambitionen dadurch zu setzen, daß es 1 9 2 1 - 2 3 den Potsdamer Kunstsommer
unterstützte und sich
dabei insbesondere für die unter der wirtschaftlichen N o t leidende Mosaikkunst einsetzte. 7 Das Ideal der Verbindung von Kunst und Kunstgewerbe und der damit einhergehende Anspruch auf eine „produktive Kunstpflege", das zur selben Zeit die Akademie- und Auftragspolitik des Ressorts prägte (siehe Kap. III. 3.1. und III. 6.2.), spiegelte sich dabei deutlich auch in der Ausstellungspolitik. Über die Intention, mit Hilfe der Ausstellung das „nationale Können" ins Bewußtsein heben und erhalten zu wollen, verbanden sich die Potsdamer Schauen unmittelbar mit dem nationalen Ressortinteresse am Präsentationsort Ausstellung. In eine ähnliche Richtung wiesen die mit der Notgemeinschaft der deutschen Kunst (siehe Kap. III. 6.1.) angestrebte Ausstellungsförderung 8 oder das ministerielle
4 Vgl. dazu LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 11 f, 14 u. 16 f; siehe auch Abschr. Boelitz an Vaterländischen Frauenverein vom Roten Kreuz, 1.9.1924, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8966, Bl. 68 r. 5 Vgl. Ku.wan., Jg. 5,1. Mai-Nr. 1923, S. 399; ZA Willy Pastor, o. D., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 7359; Hans Siemsen: Die Große Berliner 1921 (Teil 1 u. 2), in: Weltb., Nr. 27, 7.7.1921, S. 17-19 u. Nr. 28, 14.7.1921, S. 41-45; Ku. u. KU., Jg. 22, Nr. 10, Juli 1924, S. 305-307; Walter Curt Behrendt: Die Architektur auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1924, in: Ku. u. Kü., Jg. 22, Nr. 11, Aug. 1924, S. 347-352; Hensel (Große Berliner Kunstausstellung) an RMdl, 31.7.1924, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 170; LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 10 u. 20; zur Kritik Preußens am zu starken Einfluß des Reiches vgl. Abschr. FM an Reichsfinanzministerium, 16.2.1924, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 220-221 u. 225-228; Hensel an RMdl, 31.7.1924, ms. u. RMdl an Hensel, 14.8.1924, Ds„ ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8961, Bl. 170-171. 6 Zur Kritik an der Ausstellung vgl. Hans Siemsen: Die Große Berliner 1921 (Teil 1 u. 2), in: Weltb., Nr. 27, 7.7.1921, S. 17-19 u. Nr. 28, 14.7.1921, S. 41-45; Rauscher: Luxussteuer und Kunstausstellungen, in: Pr. Verw.bl.,}%. 42, Nr. 48, 27.8.1921, S. 575 f; Liebermann an KM, 30.5.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 264; Nentwig, 8.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 90, Sp. 21; Noack (DNVP), 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 29; Ritter (DNVP), 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 10; zur Bedeutung der Schau vgl. auch Ku.wan., Jg. 5, 1. Mai-Nr. 1923, S. 399. 7 Vgl. Potsdamer Kunstsommer 1921, in: Cie., Jg. 13, Nr. 9, Mai 1921, S. 289; FM an RMdl, Aug. 1921, ms., Rauscher (Potsdamer Kunstverein) an RMdl, 13.6.1923, ms. u. Notiz RMdl, 26.6.1923, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 68-69, 313 u. 317; KM an Justi, 27.3.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; KM (Nentwig) an Justi u. Direktor Staatliche Museen, 21.7.1923, ms. u. Justi an KM, 14.8.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 6, Bl. 198. 8 Vgl. RMdl an Mtgl. Notgemeinschaft deutscher Kunst, 9.10.1923 [?], ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 353-354 u. 359-361.
526
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
Bemühen um Frachtvergünstigungen für Ausstellungen 9 (siehe Kap. III. 5.). Die nationale Bedeutung, die das Minsterium dem Medium Ausstellung beimaß, offenbarte sich überdies prägnant bei den Unterstützungen für Ausstellungen in den Grenzregionen oder im Ausland (siehe Kap. III. 8.). Während es in den genannten Bereichen vorrangig um eine Verbesserung von Rahmenbedingungen ging, um Kunstpräsentationen wirkungsvoller in die national motivierte Ressortpolitik zu integrieren, 10 enthielt sich das Ministerium gleichzeitig im Ausstellungsbereich weiter einer inhaltlichen Festlegung auf den Expressionismus in Justis Sinne. Neben der Garantie der Kunstfreiheit war dafür Waetzoldts Deutung des Expressionismus als Übergangsphänomen ausschlaggebend - begriff der Referent die von Justi propagierte Kunstrichtung doch als individuellen Prozeß ähnlich der Romantik, nicht aber als festen Stil wie den Klassizismus oder Impressionismus. Waetzoldt schrieb den Expressionisten zwar eine wegbereitende Rolle für die angestrebte Entwicklung der deutschen Kunst zu, den Expressionismus sah er indes keineswegs als Erfüllung dieses Ideals an.11 Die Kunstabteilung stand mithin weniger für eine Konzentration auf die Kriegs- und Nachkriegskunst als vielmehr für das Ideal einer kommenden Kunstentwicklung, für dessen Realisierung zunächst vor allem ein - nicht zuletzt durch staatliche Kunstpräsentationen zu vermittelndes - Moment wesentlich erschien: nämlich die Orientierung an deutschen Kunsttraditionen. 12 Von der Rückbesinnung auf nationale Stärken in der Kunst und deren Verknüpfung mit der Initiativkraft des Expressionismus versprach sich Waetzoldt die Anbahnung einer überzeugenden neuen deutschen Kunst. Für die ministerielle Kunstpolitik bedeutete dies, daß das Ressort Justis Aktivitäten zwar unterstützend begleitete und über die Ausstellungspläne der Galerie bereits im Vorfeld informiert werden wollte, 13 daß es dem Galerieleiter aber weiterhin relativ freie Hand ließ und sich keineswegs demonstrativ mit den im Kronprinzenpalais gezeigten expressionisti-
9 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357; BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 20, 21, 329 u. 355-357; Becker u. Klausner (DDP), 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 10 f u. 19-22. 10 Zur Unterstützung des Landtags für diese Ambitionen des Ministeriums vgl. LT, W P 1, Prot., Sp. 7429 u. 8012; Heß (Z), 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 2 f; LT, W P 1, Dr. 2050, S. 2400; Dr. 3113, S. 3595. 11 Vgl. Rede Waetzoldt im Kunstverein Kiel am 11.9.1921, wiedergegeben nach Schunk 1993, S. 427; zur Konstanz dieser Haltung vgl. auch Herwarth Waiden: Amtliche Kunstvorstellungen,
in: Weltb.,
Jg. 23/1, Nr. 13, 29.3.1927, S. 514 f. 12 Vgl. Rede Waetzoldt im Kunstverein Kiel am 11.9.1921, wiedergegeben nach Schunk 1993, S. 427. 13 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 7.1.1922, hs., Entwurf Justi an KM, 31.1.1922, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 2.3.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1; KM (Nentwig) an Justi, 29.10. 1923, ms. u. Entwurf Justi an KM, 15.11.1923, ms. / hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 396-398; KM (Nentwig) an Justi, 31.3.1924, ms. u. Justi an KM, 12.4.1924, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 2, Bl. 154-157; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 367, 564-567 u. 574-576; KM an Justi, 9.1.1926, ms. u. Justi an KM, 12.1.1926, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 43, Bd. 2; siehe dazu auch Justi an KM, 26.12.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1; Hentzen 1972, S. 28.
7. Ausstellungen
als Präsentationsorte
deutscher
527
Kunst
sehen Künstlern identifizierte.14 Justis Wirken war auch für das Ministerium ein wichtiger Faktor bei der Öffnung der staatlichen Politik für die Moderne und für innovative Formen der Kunstpräsentation (siehe Kap. III. 4.2.). Die Perspektive des Ressorts wies jedoch über den Expressionismus hinaus.15 Angesichts dessen trat das Ministerium in der ersten Hälfte der 20er Jahre bei Ausstellungen vor allem dann in Erscheinung, wenn deren Gegenstand Gelegenheit zur geforderten Rückbesinnung auf deutsche Kunsttraditionen bot. 16 Im Mai 1921 deutete sich dies bereits an, als Becker die Eröffnung einer Ausstellung mit zeitgenössischen Zeichnungen in der Berliner Akademie auf doppelte Weise national konnotierte: Zum einen stilisierte er die Zeichnung und den Holzschnitt in einer Zeit, in der wegen der ökonomischen Not die Graphik vielfach an die Stelle der Malerei trete, zu den „wichtigsten Organe[n] für das neue Kunstwollen". Zum anderen beschwor er die nationale Tradition der Zeichnung herauf. Dabei unterstrich er: „Dem deutschen Menschen sind die Zeichnung und die ihr verwandten graphischen Techniken besonders vertraut." Anschließend verwies er auf „Grosse Ahnenreihen deutscher Zeichner von Dürer u[nd] Holbein über Schadow, Rethel zu Menzel, Klinger und Liebermann" und konstatierte: „In den zeichnenden Künsten können wir jeden Wettbewerb mit anderen Völkern aufnehmen." 17 Becker stellte das „Kunstwollen" der eigenen Zeit, wie es sich auf der Schau der Akademie darbot, damit aus historischer Sicht in einen übergeordneten nationalen Zusammenhang und stilisierte die Graphik zur auch in Zukunft für die Selbstbehauptung Deutschlands relevanten Größe. Hatte Waetzoldt bereits 1920/21 den Barock zum Orientierungspunkt für eine „Wiedererweckung jener geschlossenen Kunstanschauung" in der Gegenwart erklärt 18 und so den historischen Bezug als grundlegende Dimension der nationalen Kunstpolitik reklamiert (siehe Kap. II. 3.2.), führte Becker in seiner Rede vom Mai 1921 durch die Spezifizierung der „Ahnenreihe" genau an, wo er in der Graphik die entscheidenden Anknüpfungsgrößen sah: Er schlug den Bogen von der altdeutschen Kunst über den Klassizismus und die realistische Graphik des 19. Jahrhunderts bis zur idealistischen Kunst der Jahrhundertwende und zum deutschen Impressionismus. Mit Dürer bezog er sich auf einen schon in der wilhelminischen Diskussion um Kunst und nationale Identität präsenten Künstler, dem Bedeutung vor allem deswegen zukam, weil er als Initiator der Idee einer eigenständigen „Gewalt" der Kunst galt, und der zur selben Zeit für Reichskunstwart Redslob ebenfalls eine wesentliche Orientierungsgröße darstellte.19 Aber auch mit Menzel,
14 Vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 390; zu den Ausstellungen der Galerie 1921-24 vgl. Material Ende 1921, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1; Boelitz an Justi, 1.10.1924, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 2, Bl. 494; FünfJahre
„Kronprinzen-Palais".
Eine Rundfrage,
in: Ku.bL,
Jg. 8, 1924, S. 239-244, S. 239-242; Hentzen 1972, S. 29 f; Rave 1968, S. 95 f. 15 Zu entsprechenden Tendenzen im Landtag vgl. Manasse (USPD), 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 6; Wallraf (DNVP), 14.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 17379 f. 16 Zu dieser in den 20er Jahren gängigen Tendenz vgl. auch Fellbach-Stein 2001, S. 206. 17 Rede Becker, 4.5.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1343. 18 Waetzoldt 1921, S. 88. 19 Zur Bedeutung Dürers für die Jahrhundertwendediskussion vgl. Mommsen 1998, S. 16 u. 28 f; Kratzsch 1969; Schuster / Bärnreuther 1999, S. 24; Schuster 1999, S. 43 f; Wullen 1999, S. 635; Kepler 2001, S. 301; zur Relevanz für Redslob vgl. Heffen 1986, S. 122 f.
528
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Klinger und Liebermann erwähnte Becker Künstler, die in der seit der Jahrhundertwende geführten nationalen Kunstdebatte eine zentrale Rolle spielten.20 Mit Schadow legte er zusätzliches Gewicht auf den preußischen Klassizismus. Die von Becker genannten Namen standen für das Ideal einer ausdrucksstarken, in der Form realistisch-sachlichen Kunst, bei der weniger die Stilrichtung als vielmehr die Künstlerpersönlichkeit tragend war. Durch die Heraufbeschwörung der deutschen Tradition suchte der Minister ganz im Sinne Waetzoldts zu ebenso überzeugenden Leistungen in Gegenwart und Zukunft zu motivieren. Zum zentralen Aspekt wurde hier, ähnlich wie in der Künstlerausbildung (siehe Kap. II. 3.2. und III. 3.1.), die Gestaltungskraft des einzelnen Künstlers. Die Graphikausstellung in der Akademie konnte quasi als Erprobungsort für diese idealiter aus der Vergangenheit heraus entwickelte neue künstlerische Stärke gelten. War die von Becker aufgezeigte künstlerische Traditionslinie durch die Einbeziehung verschiedener, zeitgenössisch konsensfähiger Künstler ideologisch noch relativ offen gewesen, ging das Ressort im Bemühen, nationale Orientierungspunkte in der Kunst mittels Ausstellungen ins Bewußtsein zu rücken, rund ein Jahr später unter Boelitz noch einen Schritt weiter. Anlaß dafür war eine im Frühjahr und Sommer 1922 im Stammhaus der Nationalgalerie gezeigte Werkschau des 83jährigen Malers Hans Thoma.21 Mit Thoma präsentierte Justi einen Künstler, der für die nationale Kunstinterpretation des Galerieleiters seit Beginn des Jahrhunderts von elementarer Bedeutung war, der im Kaiserreich indes zu den umstrittenen Größen innerhalb der nationalen Kunstdebatte gehört hatte und von den Sessezionisten als Vertreter einer Kunst „deutschen Gemüts" kritisiert worden war. Insbesondere der Impressionist Liebermann war um 1905 zum Gegenpol einer von nationalkonservativer Seite im Umfeld Henry Thodes protegierten „deutschen" Kunst stilisiert worden, als deren zentrale Exponenten Thoma und Böcklin galten.22 Während sich das Kultusministerium nach 1918 bei den moderneren Ausstellungen der Nationalgalerie zurückhielt, brachte sich Boelitz nun ausgerechnet bei der Thoma-Ausstellung demonstrativ ein. Entgegen der sonstigen Gewohnheit eröffnete der Minister die Schau nicht nur,23 sondern er unterstrich in einem Schreiben, das im Kunstwanderer veröffentlicht wurde,24 überdies
20 Vgl. Nipperdey 1998 b, S. 701-703 u. 707 f; Bärnreuther 1997, S. 260; Wesenberg 1999; Mommsen 1998, S. 28 f. 21 Zur Ausstellung vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 481 f u. Bd. 2, S. 276 f; Rave 1968, S. 95 f; zur Kritik an Justis Stilisierung Thomas zum Wegbereiter des Expressionismus vgl. Zur
Thoma-Aus-
stellung in der Berliner Nationalgalerie,
in: Ku.wan., Jg. 4, 2. März-Nr. 1922, S. 325 f; Fünf Jahre
„Kronprinzen-Palais".
in: Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 239-244, S. 242-244; Hentzen
Eine Rundfrage,
1972, S. 20 f. 22 Vgl. K. Winkler 1998, S. 78 f; K. Winkler 1999, S. 10; Mommsen 1998, S. 28 f; Kepler 2001; Nipperdey 1998 b, S. 701-703 u. 707 f; Wesenberg 1995, S. 84; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 481 u. Bd. 2, S. 276. 23 Vgl. Hans Mackowsky: Hans Thoma's Kunst. Briefliche Bekenntnisse des Meisters, in: Ku.wan., Jg. 4, 2. Juni-Nr. 1922, S. 461-463, S. 461; Jahresbericht N G 1921 J u s t i an KM, 25.10.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3. 24 Vgl. Hans Mackowsky: Hans Thoma's Kunst. Briefliche Bekenntnisse des Meisters, in: Ku.wan., Jg. 4, 2. Juni-Nr. 1922, S. 461-463; siehe dazu auch [Redslob?] an Staatssekretär Reichskanzlei,
7. Ausstellungen als Präsentationsorte deutscher Kunst
529
die nationale Relevanz des Künstlers aus seiner Sicht. In dem Brief, den Boelitz direkt nach der Ausstellungseröffnung am 11. März 1922 an Thoma geschickt hatte, hieß es: „in der Zeit schwerer Bedrängnis und tiefer Demütigung konnte ein Deutscher wohl an seinem Namen verzweifeln, trüge er nicht in sich neben der Erinnerung an ein heldisches Deutschland die Lebendigkeit des geistigen Deutschland. Dichtung, Musik und bildende Kunst, Wissenschaft und Schaffensfreude jeder Art sind diesem reichen und rätselvollen Volke [...] geblieben. Mir als einem der verantwortlichen Hüter unseres geistigen Lebens ist es darum eine tiefe Freude, in Ihnen, verehrter Meister, einen Erhalter und Mehrer deutschen Seins zu grüßen. Als Chef der Preußischen Kunstverwaltung drängt es mich, Ihnen für das, was Sie in unermüdlichem Schaffen für die Bereicherung der deutschen Kunst gewirkt haben, dankbare Anerkennung auszusprechen."25 Die Thoma-Ausstellung der Nationalgalerie galt Boelitz „als ein Zeugnis der inneren Einheit unseres Volkes und Vaterlandes." Und weiter betonte der Minister gegenüber Thoma: „Die vielen Menschen aus allen deutschen Stämmen, die nun hier vor dem Reichtum Ihrer Schöpfungen stehen, werden die Form bewundern, und im Gehalt den Kern deutschen Wesens empfinden, der uns allen gemeinsam und teuer ist." 26 Boelitz griff damit den schon unter Haenisch zentralen Gedanken eines deutschen Wiedererstarkens nach dem Krieg vor allem auf kulturellem Gebiet auf und erhob Thoma zu einem wesentlichen Träger und Mittler dieses Anspruchs.27 Während Thoma selbst sein Werk durchaus auch als Vorbote der angestrebten ruhigeren deutschen Kunstentwicklung begriff,28 war dem Minister dabei in erster Linie die Wirkung auf das Publikum wichtig. Thomas Kunst, für die Begriffe wie Bodenständigkeit, Naturnähe, stille Innerlichkeit und Uberzeitlichkeit konstitutiv waren,29 stellte sich für Boelitz als Ideal einer volkstümlichen Kunst dar, über die sich nationale Identität vermitteln ließ.30 Im Zentrum der Identifikation mit Thoma stand, daß sich der Popularisierungsanspruch des Ministeriums und die Heimatkunst Thomas über das gemeinsame Stabilisierungsanliegen ergänzten.31 Auf den Antagonismus zwischen französisch beeinflußtem Impressionismus und deutscher Kunst im Sinne Thomas ließ sich der Minister hingegen nicht ausdrücklich ein. Unterstützt von Thomas Antwortbrief32 und Mackowskys Begleittext zu den im Kunstwanderer publizierten Briefen,
25 26 27 28 29 30
31 32
3.3.1922, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 100; Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 29/30, 14./21.4.1922, S. 485 f. Hans Mackowsky: Hans Thoma's Kunst. Briefliche Bekenntnisse des Meisters, in: Ku.wan.,]g. 4, 2. Juni-Nr. 1922, S. 461-463, S. 461 f. Ebd., S. 462. Vgl. dazu auch die Thoma-Briefe ebd., S. 461-463. Vgl. ebd., S. 461 f. Vgl. Kepler 2001, S. 299 u. 301. Die Tatsache, daß 100.000 Besucher die Berliner Thoma-Ausstellung sahen, (vgl. Jahresbericht NG 1921, Justi an KM, 25.10.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 41, Bd. 3) stützte diesen Anspruch zusätzlich; zur Haltung Thomas vgl. auch Deutsche Kultur 1925, S. 255-257. Vgl. dazu Kepler 2001. Vgl. Hans Mackowsky: Hans Thoma's Kunst. Briefliche Bekenntnisse des Meisters, in: Ku.wan., Jg. 4, 2. Juni-Nr. 1922, S. 461-463, S. 462.
530
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
in dem Thoma lediglich als ein wichtiger Strang der jüngsten deutschen Kunstgeschichte charakterisiert wurde,33 enthielt sich der Boelitz-Brief so trotz allem Pathos doch einer Adaption der Frontstellungen der Jahrhundertwendediskussion. Aus dieser Perspektive fügte sich das Eintreten für Thoma durchaus in die liberale Kunstpolitik des Ministeriums ein. Auf der Folie der Debatte um Thoma bewegte sich das Ressort dennoch keineswegs auf unbelastetem Terrain. Gerade bei Boelitz läßt sich vermuten, daß die Sympathiebekundung durchaus absichtsvoll gesetzt war - hatte der spätere Minister doch noch 1919 „vor der Überschätzung ausländischer Kunstwerke [gewarnt], wie sie vor dem Krieg durch gewisse Kreise in Deutschland geflissentlich geübt worden ist." 34 Daß sich Boelitz angesichts dieser Verortung auf der Seite der antifranzösischen Protestbewegung deutscher Künstler von 1911 35 in seiner Ministerzeit gerade für einen typisch „deutschen" Künstler wie Thoma einsetzte, erscheint daher nur folgerichtig. Zwar ist angesichts der Kunstfreiheitsmaxime (siehe Kap. III. 2.) auch für die Amtszeit Boelitz keineswegs von einer einseitigen Festlegung auf Thoma oder die „nordisch-deutsche" Kunst auszugehen, sicherlich aber doch von einer gezielten Einbindung auch dieser Tendenz in die ministerielle Politik.36 Die Thoma-Werkschau von 1922 war als wichtiger Ausdruck dieses Bemühens zu verstehen.37 Darüber, ob Boelitz' Sympathiebekundung für Thoma mit Waetzoldt und Becker abgestimmt war oder ob der Minister hier eigenständig agierte, geben die Quellen keine Auskunft. Fest steht jedoch, daß die Affinität zu Thoma auch nach Boelitz' Rücktritt für das Ministerium wichtig blieb. Entsprechend berichtete Liebermann-Fürsprecher Scheffler im Juli 1925, bei der Eröffnung der Frühjahrsausstellung der Akademie, in deren Rahmen auch eine Thoma-Schau gezeigt wurde, habe der Minister eine wenig einleuchtende Rede gehalten: „Er forderte ein inniges Verhältnis zu Thoma. Er arbeitete dabei so nachdrücklich mit dem Worte Deutsch, daß dem Hörer fast die Lust zum Hören verging." 38 Folgte auch das Ressort Becker also offenbar noch der Tendenz von 1922, wurde in der zweiten Hälfte der 20er Jahre jedoch gleichzeitig immer klarer, wie wenig absolut das Ressort den Bezug auf Thoma verstanden wissen wollte. Nachdem Scheffler Thomas Kunst über die Nähe zur Schule von Barbizon bereits im Juli 1925 einer internationaleren Perspektive geöffnet und so über den gemeinsamen Einfluß des Französischen eine Brücke zwischen Thomas Kunst
33 Vgl. ebd., S. 463. 34 Boelitz 1919 b, S. 42. 35 Vgl. dazu März 1994, S. 131 f; Hünecke 1988, S. 8. 36 Zur nationalen Bedeutung Thomas siehe auch die Überlegungen, ihn in die Ausfuhrverbotsliste aufzunehmen, vgl. Ministerium des Kultus und des Unterrichts Karlsruhe an KM, 12.8.1921, ms., KM an Justi, 30.8.1921, ms. u. Direktor N G (i.V. Kern) an KM, 5.9.1921, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Künstlerspezialakten, T, Bd. 7; ähnlich auch KM (Nentwig) an Liebermann u. Justi, 6.3.1924, ms. u. Bericht Justi an KM, 1.5.1924, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 2, Bl. 150-152. 37 Zur Konsensfähigkeit dieses Ansatzes vgl. Ausschußmtgl. (Z), Nov. 1919, in: LV, Dr. 1329, S. 1810 f; Ritter (DNVP), 15.9.1924, in: LT, W P 1, HA, Szg. 289, Sp. 10. 38 Karl Scheffler: Die Frühjahrsausstellung S. 373-384, S. 376.
der Akademie,
in: Ku. u. Kü., Jg. 23, Nr. 10, Juli 1925,
7. Ausstellungen als Präsentationsorte deutscher Kunst
531
und dem Impressionismus geschlagen hatte,39 rückte im Zuge der Wiederannäherung des Ministeriums an die Akademie der Künste seit 1926 (siehe Kap. III. 3.2.) nämlich erneut auch Liebermann ins Zentrum des ministeriellen Bemühens, nationale Orientierungspunkte in der Kunst aufzuzeigen. Das Ministerium nutzte dafür vor allem die Gelegenheiten, die sich im Umfeld des achtzigsten Geburtstags des Akademiepräsidenten im Juli 1927 boten.40 So unterstrich Becker bei der Eröffnung einer Sonderausstellung zu Ehren Liebermanns in der Akademie41 die nationale Relevanz des Künstlers, indem er ausführte, Liebermann wirke „über die Grenzen seiner eigenen Kunst hinaus durch die Macht der Meisterschaft [...] in Weiten und Tiefen des Kunstlebens seiner Nation überhaupt". Die Ausstellung zeige eine „stolze, ruhmgekrönte, durch Meinungsschlachten und Siege hindurchgegangene" vertraute Kunst, die „seit Jahrzehnten in unseren Anschauungsbesitz als unverlierbares Gut" eingegangen sei.42 In goethischer Tradition43 stilisierte Becker Liebermanns Werk auf diese Weise zum Bezugspunkt, über den sich nationale Kulturidentität vermittelte. In einem in Kunst und Künstler veröffentlichten Text 44 rundete der Minister dieses Bild ab. Er charakterisierte Liebermann hier zum einen als unverzichtbare Größe für die Berlinische Kunst und den preußischen Stil und stellte ihn in eine Reihe mit seinen Vorbildern Chodowiecki, Schadow, Steffeck und Menzel. Zum anderen betonte er Liebermanns Bedeutung als „Verehrer und Deuter der nordischen Natur". 45 Uber den Hinweis auf die in Liebermann idealtypisch verkörperte Verbindung von „Verstand und Gefühl" fügte Becker den Impressionisten als „repräsentative Figur" in sein nationalintegratives Bildungskonzept (siehe Kap. III. 1.) ein. Deutlich markierte Becker damit, daß sich sein nationaler Anspruch keineswegs nur auf die zur „deutschen" Kunst erklärten Werke zum Beispiel Thomas, sondern bewußt auch auf den deutschen Impressionismus bezog. Die Einbeziehung sowohl Thomas als auch des deutschen Impressionismus in die Kunstpolitik des Ministeriums bestätigte sich anläßlich einer Retrospektive zum malerischen Werk von Lovis Corinth, die Anfang 1926 in der Nationalgalerie gezeigt wurde.46 Nachdem das Kronprinzenpalais bereits 1923 eine Corinth-Ausstellung veranstaltet hatte, bei der das Kultusministerium aber nicht in Erscheinung getreten war,47 setzte das Ressort Ende 1925 39 Zur weiteren Präsenz Thomas in der Akademie der Künste vgl. auch Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 3.12.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/003, Bl. 171-175. 40 Vgl. dazu auch Protokoll Ak. d. Kü., Ausstellungskommission, 16.5.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/053, Bl. 170-171; Paret 1997, S. 69; Diekmann / Kampe 1997, S. 88. 41 Zur Ausstellung vgl. Ku. u. Wi„ Jg. 8, Nr. 7, 1.7.1927, S. 159; ZS f. bild. Ku., Jg. 61, Nr. 6, Sept. 1927, S. 67; Rede Franck, 23.6.1927, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1499. 42 Rede Becker, 23.6.1927, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1499. 43 Vgl. dazu auch das Goethe-Zitat ebd., S. 3. 44 Vgl. dazu Becker an Scheffler, 23.3.1927, Ds., ms. u. Scheffler an Becker, 24.3.1927, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3863. 45 Max Liebermann
im Urteil Europas. Zum achtzigsten Geburtstag des Künstlers, in: Ku. u. Kü.,
Jg. 25, Nr. 10, Juli 1927, S. 3 6 5 - 4 0 2 ; Becker an Scheffler, 23.3.1927, Ds., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3863. 46 Zur Ausstellung vgl. Hentzen 1972, S. 31; Rave 1968, S. 96; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 239. 47 Vgl. Ku.bl., Jg. 7, 1923, S. 283; Ku.wan., Jg. 5, 2. Juni-Nr. 1923, S. 436; Rave 1968, S. 96; JustiMemoiren 1999, Bd. 2, S. 239; siehe dazu auch K. Sch.: Kronprinzenpalais,
in: Ku. u. Kü., Jg. 21,
532
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
durch, daß die zunächst abgelehnte Sonderbewilligung für die Schau doch gewährt wurde.48 Hatte es sich damit schon im Vorfeld für die Corinth-Ausstellung stark gemacht, nutzte Becker deren Eröffnung im Januar 1926 für ein kunstpolitisches Statement zugunsten der stilistisch offenen Orientierung an jüngsten nationalen Kunsttraditionen. Er stellte Corinth dabei nicht nur als „grossen Meister", sondern vor allem auch als „Deutschen" bzw. „grossen deutschen Künstler" dar.49 Und mehr noch: Becker thematisierte die Integration so konträrer Größen wie Thoma und Corinth in die ministerielle Politik ganz direkt, indem er ausführte: „Hier in diesen Räumen [...] haben wir vor noch nicht langer Zeit die Gedächtnisausstellung für einen anderen grossen Meister eröffnet, für Hans Thoma. Gibt es wohl zwei Menschen, zwei Künstler, zwei Maler, die einen stärkeren Gegensatz repräsentieren als Thoma und als Corinth? In dem einen sehen wir den ausgesprochenen Vertreter süddeutscher Eigenart. Die stille Sinnigkeit seiner Schwarzwaldseen [...] taucht vor unserem Auge auf. Und auf der anderen Seite sehen wir in Lovis Corinth den Mann, [...] der seine norddeutsche Eigenart, seine ostpreussische Eigenart bis in die Art und Weise hinein, wie er die Landschaften sah, die er malte, niemals verleugnet hat. Hier sind also zwei außerordentlich entgegengesetzte Pole deutscher künstlerischer Eigenart lebendig geworden, und doch verbindet sie [...] etwas, was einem sofort lebendig wird, wenn man diesen Meistern zum Beispiel den Typus der romanischen Malerei gegenüberstellt. Sofort wird einem lebendig, dass hier die deutsche Seele, die ja so ausserordentlich vielgestaltig ist, ihren verschiedenartigen Ausdruck gefunden hat, und dass wir froh und stolz sein dürfen, dass wir als Deutsche in unserem künstlerischen Wollen [...] zu einer so ausserordentlichen Mannigfaltigkeit des Ausdrucks fähig sind." 50 Dem Kunstfreiheitsanspruch gemäß stellte sich also die Vielfalt der Kunsttraditionen in Deutschland als zentraler Anknüpfungspunkt für Becker dar. Gleichzeitig hob der Minister Emotionalität und Ausdruck als gemeinsame Charakteristika hervor, über die sich die deutsche Kunst von der „romanischen" abhebe. Becker suchte so altes Lagerdenken in der deutschen Kunst, das Mitte der 20er Jahre nach wie vor vorhanden war,51 aufzubrechen und sich im Sinne seiner Integrationspolitik über nationale Gemeinsamkeiten gegenüber dem Aus-
Nr. 9, Juni 1923, S. 272; Adolf Behne: Das Kronprinzenpalais, 1923, S. 721-723; Fünf Jahre
„Kronprinzen-Palais".
in: Weltb., Jg. 19/1, Nr. 25, 21.6.
Eine Rundfrage,
in: Ku.bl., Jg. 8, 1924,
S. 239-244, S. 242. 48 Vgl. Justi an KM, 18.12.1925, ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 27.1.1926, ms. u. Direktor N G (i.V. Mackowsky) an KM, 28.1.1926, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 58/3; siehe dazu auch Becker an Justi, 27.3.1926, ms., KM (Nentwig) an Justi, 16.7.1926, ms., Justi an KM, 23.7. 1926, Ds., ms., Justi an KM, 11.1.1926, ms. u. KM (Waetzoldt) an Justi, 3.2.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 58/3; Justi an Becker, 1.2.1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 2130. 49 Rede Becker, 29.1.1926, ms., S. 1 f, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 58/1. Die Rede war von Waetzoldt entworfen worden, vgl. Stichworte für die Rede, 29.1.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1572; Schunk 1993, S. 438. 50 Rede Becker, 29.1.1926, ms., S. 2 f, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 58/1. 51 Siehe dazu auch die Mißstimmungen im Umfeld der Eröffnung der Corinth-Ausstellung, vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 474; Justi [?] an Bruno Cassirer, 31.3.1926, ms., in: SMBPK / ZA,
7. Ausstellungen als Präsentationsorte deutscher Kunst
533
land und speziell gegenüber Frankreich zu profilieren (siehe Kap. III. 8.). Thoma und Corinth wurden dabei trotz oder gerade wegen ihrer Gegensätzlichkeit beide zu Trägern und Mittlern des nationalen Gedankens. Das nationalintegrative Anliegen wurde zusätzlich durch eine Rede von Reichskanzler Luther untermauert, die dieser im Anschluß an Beckers Ansprache hielt.52 Die Eröffnung der Corinth-Ausstellung wurde so zum Ereignis, bei dem sich die vom Ministerium angestrebte Identitätsstiftung durch eine stilistisch offene, von der Idee der Künstlerpersönlichkeit getragene Rückbesinnung auf die jüngere deutsche Kunstgeschichte nachdrücklich vermittelte.53 Die Ausstellung selbst entwickelte sich ganz im Sinne des Ressorts zum Publikumsmagneten.54 Zudem trugen zwei Präsentationen mit graphischen Arbeiten Corinths in der Akademie der Künste und der Berliner Sezession, die parallel zu ihr gezeigt wurden und mit denen sich das Ministerium ebenso identifizierte, zur weiteren Stärkung der Corinthschen Präsenz im offiziellen Kunstbetrieb bei.55 In der Folgezeit manifestierte sich das ministerielle Interesse an Corinth durch die Förderung einer Corinth-Ausstellung an der Königsberger Akademie56 (siehe Kap. III. 3.1.) und Sonderzuwendungen für Corinth-Erwerbungen der Nationalgalerie.57 Neben Liebermann stilisierte das Ressort damit einen zweiten deutschen Impressionisten zur nationalen Orientierungsgröße. Anläßlich einer Ausstellung mit Werken Max Slevogts in der Akademie der Künste bezog Becker schließlich Ende 1928 auch den dritten Altmeister des deutschen Impressionismus als Aktivposten in seine nationale Kunstpolitik ein.58
Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 58/1; KM anjusti, 25.5.1926, ms. u. Justi an Kultusdirektor, 29.5.1926, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 455 u. 458. 52 Vgl. Rede Luther, 29.1.1926, ms., S. 1 f, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 58/1; zur breiten Wirkung gerade der Rede Luthers vgl. auch Der Finanzminister und die Kunst und Wirtschaft, in: Ku.wan., Jg. 8, 1./2. Febr.-Nr. 1926, S. 245; ZA Dresdner Neue Presse, 7.2.1926 u. Dresdner Neue Presse an Becker, 16.2.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 270; zu Differenzen im Vorfeld der Ausstellung vgl. Hentzen 1972, S. 31; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 398 u. Bd. 2, S. 239 f. 53 Vgl dazu auch Scheffler 1946, S. 103; Die Corinth-Gedächtnisausstellungen,
in: Ku.wan., Jg. 8,
1./2. Febr.-Nr. 1926, S. 244 f. 54 Vgl. Hentzen 1972, S. 31. 55 Vgl. Rede Becker, 29.1.1926, ms., S. 1, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 58/1; CorinthEhrungen,
in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 7, April 1926, S. 293.
56 Vgl. Nollau an KM, 5.6.1926, ms. u. Notiz [KM?] dazu, hs., Waetzoldt an Nollau, 29.6.1926, ms. u. KM an Nollau, 11.9.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. 57 So unterstützte der Staat im Februar 1926 den Ankauf von Corinths Baby mit 20.000 RM und im April 1928 den Ankauf von Corinths Bildnis Brandes mit 25.000 RM, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 2 0 - 2 1 ; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 226; siehe dazu auch SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 4 7 0 - 4 7 1 ; Hentzen 1972, S. 40. Zum langfristigen Interesse des Ministeriums siehe auch die Pläne für ein Corinth-Denkmal in Königsberg, vgl. BerendCorinth an Grimme, 25.8.1932, hs. u. Berend-Corinth an Grimme, 6.11.1932, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 75, Mappe 9. 58 Vgl. Rede Becker, 13.10. [1928], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1554; zur weiteren Relevanz Slevogts für die staatliche Politik vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13,
534
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Daneben blieb das Ministerium in seiner Ausstellungspolitik weiterhin aufgeschlossen für die mit dem Begriff „germanisch-nordisch" belegte Kunst. So hob Becker bei der Eröffnung der im Frühjahr 1927 im Kronprinzenpalais veranstalteten, bis dato größten Retrospektive zum Werk des damals 64jährigen Norwegers Edvard Munch 5 9 neben der internationalen Relevanz der Ausstellung die prägende Rolle Münchs für die deutsche Kunst hervor. Konkret sprach er vor dem Hintergrund des Eklats bei der Berliner Munch-Schau von 1892 6 0 von der mittlerweile großen „Verehrung [...] für den bedeutendsten Maler des Nordens" und von Münchs „übernationalem Range". Zudem betonte er: „Die jüngere Künstlergeneration verehrt in dem noch heute in meisterlicher Reife Schaffenden einen der grossen Ahnherren der germanischen Ausdruckskunst." 61 So sehr der Minister damit aber auch die Bedeutung Münchs für die deutsche Kunst unterstrich, enthielt er sich doch einer Vereinnahmung des Norwegers für seine Politik und verschloß sich so der Idee einer über die deutschen Grenzen hinausreichenden „nordischen" Kultureinheit. 62 Die Erhebung Münchs zum „Ahnherren" der deutschen Kunst griff er zwar auf, machte sie sich aber offenbar bewußt nicht zu eigen. Unmißverständlich distanzierte er sich so erneut von den Ideologismen der Jahrhundertwendedebatte. Ähnlich ist die Tatsache zu deuten, daß das Ministerium zur selben Zeit bei einer Nationalgalerieausstellung zum hundertsten Geburtstag des Schweizers Arnold Böcklin, der ja in den wilhelminischen Diskussionen um die „deutsche" Kunst ebenfalls einen zentralen Part gespielt hatte, öffentlich nicht in Erscheinung trat. 63 Wichtig war dem Ministerium offenkundig eine Orientierung an tatsächlich aus Deutschland stammenden Künstlern. Grund dafür war vermutlich nicht zuletzt, daß das Ministerium die in der zweiten Hälfte der 20er Jahre immer wichtiger werdende internationale Annäherung auf kulturellem Gebiet (siehe Kap. III. 8.) durch etwaige Konkurrenzen nicht belasten wollte. Neben Thoma boten sich hier vor allem die deutschen
Bl. 257-259; Justi an Becker, 8.3.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 53, 68-71, 73, 76-77, 120 u. 122-125; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 478 u. Bd. 2, S. 274; zur zeitgenössisch nicht unumstrittenen Stilisierung von Corinth oder Slevogt zu national relevanten Künstlern vgl. Ku. u. Kit., Jg. 23, Nr. 4, Jan. 1925, S. 164; zum Kult der Künstlerpersönlichkeit in den 20er Jahren vgl. Heller 1991, S. 22. 59 Zur Ausstellung vgl. März 1994, S. 127-130; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 4 7 4 - 4 7 7 u. Bd. 2, S. 269; Hentzen 1972, S. 53 u. 40 f; Rave 1987, S. 39; Rave 1968, S. 98. Der Veranstaltungsort Kronprinzenpalais wurde auf Anordnung des Kultusministeriums gewählt, vgl. Direktor N G (i.V. Thormaehlen) an KM, 16.5.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; zum möglichen Hintergrund siehe Lehmann (DNVP), 12.2.1927, in: LT, W P 2, HA, Szg. 189, Sp. 5. 60 Vgl. Kampf 1994. 61 Redenotizen Becker, 12.3.1927, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1489. 62 Zur Debatte um Munch vgl. März 1994, S. 131-138. 63 Zur Ausstellung vgl. Briefe u. Unterlagen Jan. 1927-Dez. 1928, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 61/1; Die Böcklin-Ausstellung
der NG, in: Cie., Jg. 19, Nr. 22, 2. Nov.-Nr. 1927,
S. 705 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 473 u. 483 u. Bd. 2, S. 269 u. 277; Rave 1987, S. 39; Rave 1968, S. 96 f; zum Interesse des Ministeriums an Böcklin siehe allerdings auch KM (Nentwig) an Justi, 8.1.1926, ms. u. Direktor N G (i.V. Mackowsky) an KM, 8.2.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 681, 727 u. 741; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 106, 208 u. 491.
7. Ausstellungen
als Präsentationsorte
deutscher
535
Kunst
Impressionisten als Bezugspunkte an, über die sich nationales Selbstbewußtsein vermitteln ließ, die aber zugleich für internationale Offenheit standen. Während der Hauptakzent des ministeriellen Bemühens, Ausstellungen für die Betonung nationaler Kunsttraditionen zu nutzen, im Bereich der jüngsten deutschen Kunstgeschichte lag, bezog das Ressort parallel dazu immer wieder auch Schauen älterer Kunst in seine nationalintegrative Politik ein. So maß Becker einer Ausstellung österreichischer Kunst der Jahre 1700-1918, die er Anfang 1928 in der Akademie der Künste eröffnete, deswegen Bedeutung bei, weil sie ein Bewußtsein für den gerade mit Blick auf die Stilsehnsucht der 20er Jahre als vorbildlich erachteten Barock vermittele. Entsprechend wertete er es als Verdienst der Ausstellung, „dass nunmehr [...] die Ursprünge jener fast musikalisch zu nennenden, leich[t] beschwingten phantasievollen Gestaltungsgabe erkennbar werden, die im gesamtdeutschen bildnerischen Schaffen als eigentlich österreichisch empfunden werden." 64 Es sei erfreulich zu sehen, „dass nicht nur ein neuer Bezirk deutscher Seele und deutscher Geistigkeit erkannt, sondern auch als solcher dem grösseren Ganzen mit allen seinen vielfältigen Verästelungen eingeordnet werden konnte, sodass sich jetzt allmählich die Kette zu schließen beginnt, die das gesamtdeutsche Wesen in der Kunst umgrenzt." 65 Die österreichische Ausstellung fügte sich so in die Absicht ein, gerade auf die emotionale Ausdrucksstärke aufmerksam zu machen, die der Minister schon in seiner Corinth-Rede von 1926 als Charakteristikum deutscher Kunst betont hatte. Darüber hinaus spielte Ende der 20er Jahre für das Ministerium erneut der Bezug auf Dürer eine wesentliche Rolle. Deutlich wurde dies im März 1928 bei der Eröffnung einer in der Akademie präsentierten DürerGedächtnisausstellung der Staatlichen Museen,66 wo Becker nicht nur von einer „Veranstaltung von [..] hoher kultureller und künstlerischer Bedeutung" sprach, sondern auch auf Dürers Rolle als Mittler zwischen Tradition und künstlerischer Lebendigkeit hinwies.67 Wichtig an der Dürer-Schau erschien dem Minister vor allem, daß sie die Chance biete, „die ästhetischen Schönheiten der Drucke ruhig zu geniessen und im Vergleich von Blatt zu Blatt das Werden der Meisterschaft Dürers zu beobachten." Dabei stand für ihn fest: „Wenn ein Künstler durch sein Werk wahrhaft ein Erzieher sein wollte und geworden ist, so ist es Dürer." 68 Damit Schloß sich bei der Dürer-Ausstellung der Kreis zwischen der ministeriel-
64 Rede Becker, 28.1.1928, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1531. 65 Ebd., S.2. 66 Vgl. dazu Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 475 u. Bd. 2, S. 272. 67 Rede Becker, 10.3.1928, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1537; zur besonderen Rolle Dürers siehe später ζ. B. auch das seit 1929 von der Stadt Nürnberg an Maler und Graphiker vergebene Dürer-Stipendium,
in dessen Stiftungskuratorium jeweils der zuständige
preußische Referent vertreten war, vgl. Die ersten Stipendiaten der Deutschen
Albrecht-Dürer-Stif-
tung, in: Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 11, 1.7.1929, S. 170; Die deutsche Albrecht-Dürer-Stiftung,
in:
Ku.wan., Jg. 11, 1./2. Okt.-Nr. 1929, S. 79; Stipendien der Deutschen Albrecht-Dürer-Stiftung,
in:
Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 8, 16.4.1930, S. 112 f; SAdK, PrAdK, 2.2/189, Bl. 145; Deutsche Dürer-Stiftung
in Nürnberg,
Albrecht-
in: Ku. u. Wi., Jg. 1, Nr. 5 , 1 6 . 6 . 1 9 3 1 , S. 37 f; siehe dazu auch Tab. IV.
68 Rede Becker, 10.3.1928, ms., S. 2, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1537; zur nationalen Dürer-Rezeption vgl. auch Paul Ortwin Rave: Die Berliner Bildnissammlung. neuen Aufstellung, in: ZSf. bild. Ku., Jg. 63, Nr. 4, Juli 1929, S. 33-37.
Zu ihrer
536
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
len Absicht einer lebendigen Kunstvermittlung an breiteste Schichten (siehe Kap. III. 5.) und dem ganz ähnlich nationalintegrativ intendierten Bemühen um die Bewußtmachung nationaler Traditionen in der bildenden Kunst. Das ministerielle Engagement im Ausstellungsbereich bezog sich nach 1925 allerdings keineswegs nur auf die ältere bis jüngere deutsche Kunstgeschichte, sondern es zielte von dieser Basis aus zunehmend auch auf die aktuellste deutsche Kunst ab. Immer stärker rückte hier die Idee in den Mittelpunkt, Ausstellungen als Präsentationsorte für die bereits bekanntere oder noch im Werden begriffene zeitgenössische Moderne zu nutzen und über sie im zeitgemäßen Sinne kulturell integrierend zu wirken. Wie unter Boelitz galt das Interesse des Ministeriums unter Becker angesichts dessen zunächst weiterhin einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für aktuelle Ausstellungen. Becker berichtete im September 1925 über das fortgesetzte Bemühen um Frachtermäßigungen. Zudem sei das Ausstellungswesen durch staatliche Zuschüsse oder Darlehen mit 30.000 RM unterstützt worden. Zu den geförderten Schauen gehörten neben Schulkunst- oder Wanderausstellungen (siehe Kap. III. 5.) die Große Berliner Kunstausstellung und die Ausstellungen des Jungen Rheinlands.69 Darüber hinaus bemerkte Becker grundsätzlich, „die Kunstverwaltung [sei] der Ansicht, daß die an zahlreichen Plätzen Deutschlands zu gleicher Zeit stattfindenden Ausstellungen, besonders aber die Trennung der Künstler in Berlin zu kleinen Sondergruppen [...] zur Gefahr einer Atomisierung des Kunstlebens führen. Die jedes Jahr mit sämtlichen Kunstverbänden Berlins geführten Verhandlungen zur Herbeiführung einer einheitlich geschlossenen Ausstellung werden fortgesetzt." 70 Das entsprach der schon 1920/21 präsenten Vorstellung, über einheitlichere Strukturen im Ausstellungswesen einer klareren Kunstentwicklung den Weg ebnen zu können. Zentraler Bezugspunkt für das Ressort blieb hier erst einmal die Große Berliner Kunstausstellung. Nachdem unter Boelitz keine gravierenden Veränderungen in deren Organisation hatten durchgesetzt werden können und nachdem sich die Kritik an den Glaspalastschauen seit Mitte der 20er Jahre auch wegen des katastrophalen Zustands des Ausstellungsbaus zugespitzt hatte,71 stand schon bald fest: Wenn man die angestrebte stringente Ausstellungspolitik überzeugend umsetzen wollte, würde man über Alternativen zum Status quo nachdenken müssen. Einen Eindruck davon, in welche Richtung das Ministerium tendierte, hatte Waetzoldt bereits 1924 gegeben, als er, am Konzept der „Musterausstellun-
69 Vgl. Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 10; zur Diskussion darum vgl. Kerff (KPD), 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6140-6142. 70 Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 10 f; siehe dazu auch Kultusminister Becker Kunstfragen,
über
5.9.1925, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1618; zum Topos
der „Atomisierung" der Kunst vgl. auch Fünf Jahre „Kronprinzen-Palais".
Eine Rundfrage,
in:
Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 239-244, S. 242 f. 71 Vgl. Ku. u. Kü., Jg. 23/2, Nr. 10, Juli 1925, S. 407 f; LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 19-22; Szg. 120, Sp. 12 u. 15; Szg. 121, Sp. 32 u. 35 f; Szg. 189, Sp. 14,25 u. 35; LT, WP 2, Dr. 3171, S. 4737; Dr. 5600, S. 6601; LT, W P 2, Prot., Sp. 11199 u. 11571; Koch u. Graef (DNVP) an LT, 11.12.1926 u. KM (Becker) u. FM an Präsident LT, 8.1.1927, in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bl. 149-150.
7. Ausstellungen als Präsentationsorte
deutscher Kunst
537
gen" (siehe Kap. II. 4.2.) orientiert, auf Erwägungen für eine „Elite-Ausstellung" mit Verkaufsschau hingewiesen hatte.72 Im Zuge der intensivierten Ankaufspolitik des Ressorts (siehe Kap. III. 6.2.) erlebte die Große Berliner Kunstausstellung dann allerdings seit 1925 noch einmal einen kurzzeitigen Aufschwung als Erwerbungsort.73 Wie die Ausstellungseröffnung 1926 durch Becker zeigt, stellte sich das Ressort hinter die Glaspalastschau, bei der man die Dauerkritik nun durch zeitgemäße Raumgestaltungen des Bauhauses abzufangen suchte.74 1927 berichtete Westheim über die Große Berliner Kunstausstellung: „Es ist scheinbar durch den sanften Druck des Kultusministeriums - gelungen, die in so vielerlei Gruppen und Grüppchen verhedderten feindlichen Kunstbrüder einmal unter ein gemeinsames Glasdach zu bringen." 75 Letztlich erwies sich die zentrale preußische Ausstellung neuester Kunst aber dennoch spätestens seit 1927/28 als Auslaufmodell. Im Kontrast zur Akademieausstellung kritisierte Westheim die Schau von 1928 als „Durcheinander".76 Als die Große Berliner Kunstausstellung seit 1929 wegen der Baufälligkeit des Glaspalastes im Schloß Bellevue veranstaltet werden mußte,77 rückte sie relativ schnell und endgültig aus dem Blickfeld des Kultusressorts. Das Ressort setzte fortan verstärkt auf andere Ausstellungen aktuellster deutscher Kunst. Bei der Nationalgalerie deutete sich ein zielgerichtetes ministerielles Interesse an, als Nentwig Ende 1926 auf Justis Pläne, eine Sonderausstellung mit Werken Maria Slavonas zu deren sechzigstem Geburtstag zeigen zu wollen, mit dem Hinweis reagierte, dies unter dem Aspekt zu überdenken, „daß eine Ausstellung in den Räumen der Nationalgalerie eine so hohe Auszeichnung für einen lebenden Künstler bedeutet, daß diese Ehre nur in Ausnahmefällen oder nur Künstlern von hervorragender Bedeutung zuteil werden sollte." 78 Anfang 1930 stellte das Ministerium die spezielle Relevanz, die es dem Ausstellungsort Nationalgalerie zuerkannte, zudem unter Beweis, als sich Gerüchte mehrten, die Nationalgalerie solle der Generaldirektion der Museen unterstellt werden und daraufhin renom-
72 Vgl. Protokoll Ak. d.Kü., Genossenschaft u. Senat Kunstsektion, 24.3.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/001, Bl. 102-111, Bl. 107 r. 73 Vgl. dazu auch Klausner (DDP), 6.11.1925, in: LT, W P 2, Prot., Sp. 6143-6147. 74 Vgl. Ku.wan., Jg. 8, 1./2. Juni-Nr. 1926, S. 424. 75 Paul Westheim: Große Berliner Kunstausstellung, in: Ku.bl., Jg. 11, 1927, S. 249-252, S. 249; zum Interesse des Ministeriums an einheitlichen Organisationsstrukturen siehe auch Abschr. Bund der Freien an KM, 21.11.1926, ms., KM (Nentwig) an Bund der Freien, 9.12.1926, ms. u. KM (Nentwig) an Bund der Freien, 7.1.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/010, Bl. 188-190. 76 P. W. in: Ku.bl., Jg. 12,1928, S. 186 f; siehe dazu auch Rundfunkvortrag E. Spiro: Rundum
das Aus-
stellungswesen, Juni 1928, Ds., ms. u. KM an Justi u. Liebermann, 11.7.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 4, Bl. 33. 77 Vgl. Karl Scheffler: Berliner Frühjahrsausstellungen, in: Ku. ». Kü., Jg. 28, Nr. 10, April 1930, S. 423 f, S. 424; Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, W P 3, HA, Szg. 192, Sp. 4 u. 6; Ernst Kállai: Straße frei für die Kunst, in: Weltb., Nr. 40, 1.10.1930, S. 532 f; Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 10, 16.5.1931, S. 133 f. 78 KM (Nentwig) an Justi, 28.12.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 576 r; vgl. dazu auch KM (Waetzoldt) an Justi u. Liebermann, 6.11.1926, ms. u. Justi an Becker, 15.12.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 5 6 4 - 5 6 7 u. 574-576; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1,S. 474 f.
538
III. Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
mierte Künstler wie Grosz, Taut, Mies van der Rohe, Mendelsohn, Nolde oder Heckel Bedenken wegen einer Ubervorteilung der zeitgenössischen Kunst äußerten. 79 Waetzoldt sprach sich bei dieser Gelegenheit unmißverständlich für eine Selbständigkeit der Nationalgalerie aus, die schon deshalb wichtig sei, weil die moderne Sammlung einen wesentlichen Teil des Kunstlebens der Gegenwart darstelle. 80 Becker positionierte sich ähnlich. 81 Das Ministerium solidarisierte sich so mit den eigenständigen Aktivitäten der Nationalgalerie. 82 Weit demonstrativer und aktiver noch als die Nationalgalerieausstellungen integrierte das Ressort zur selben Zeit in Anknüpfung an seine Affinität zum Impressionismus neben den Akademieausstellungen (siehe Kap. III. 3.2.) vor allem die Schauen der Berliner Sezession in seine Politik. 83 Deutlich wurde dies, als Becker im Februar 1928 nicht nur die Rede zur Eröffnung der ersten Ausstellung im neuen Sezessionsgebäude hielt, sondern dabei überdies, an die Sezessionisten gewandt, betonte: „Aber ich sehe nicht nur das neue stattliche Haus, [...] ich habe auch das Gefühl, das[s] in Ihren Reihen innerlich eine Konsolidierung vor sich gegangen sei, die mir als verheißungsvolle Bürgschaft für die Zukunft besonders bedeutungsvoll zu sein scheint. [...] Auch künstlerische Bestrebungen bedürfen heute mehr denn je unter Zurückstellung persönlicher Stimmungen eines bestimmten Zusammenschlusses, um das vielen Gemeinsame in vereintem Streben wirkungsvoll zu ver-
79 Zur Diskussion vgl. Um die Selbständigkeit der Nationalgalerie, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 29; Weltb., Jg. 26/1, Nr. 4,21.1.1930, S. 153; Paul F. Schmidt: Bürokratie gegen Nationalgalerie, in: Der Abend. Spätausg. des Vorwärts, 14.1.1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7629; Bohner (DDP), 17.2.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 19 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 401; Hentzen 1972, S. 38. Die Querelen zwischen den Staatssammlungen älterer und neuer Kunst wegen einer möglichen Bevorzugung der einen oder anderen Seite waren keineswegs neu. Virulent geworden waren sie etwa bereits 1927 im Zusammenhang mit Plänen, Michettis im Besitz der Nationalgalerie befindliches Gemälde Figlia di Jorio gegen ein Flora-Î>\\à von Albani zu tauschen, das damals dem italienischen Staat gehörte und nun an die Gemäldegalerie gehen sollte, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 12, Bl. 347-348, 352-358, 365-370 u. 374; Justi an KM, 26.3.1928, ms. u. KM (Gall) an Justi, 3.4.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; Briefe Okt. 1931Sept. 1932, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Beih. 1, Bd. 1; Einladung zu Sitzungen am 29.8. 1932 u. 12.9.1932, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 656-662; siehe dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 270; Karl Scheffler: Die Generaldirektion der Berliner Museen, in: Ku. u. Kit., Jg. 25, Nr. 8, Mai 1927, S. 283-285. 80 Vgl. Waetzoldt: Die Selbständigkeit der Nationalgalerie, in: Die Kunstauktion, Jg. 4, Nr. 3, 19.1.1930, S. 7 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6731. 81 Vgl. Pressetext Becker (an Erich Heckel gerichtet): Die Zukunft der Nationalgalerie, 18.1.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 328 f; vgl. dazu auch Ministerium oder Generaldirektionf, in: Ku. u. KU., Jg. 28, Nr. 6, März 1930, S. 261; Justi an KM, 1.4.1930, ms. u. Abschr. KM (Hübner) an Justi, 17.6.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 10688; Weltb., Jg. 26/1, Nr. 4, 21.1.1930, S. 153. 82 Zu den nach 1925 in der Galerie gezeigten Ausstellungen aktuellster Kunst vgl. Rave 1968, S. 97-99; Hentzen 1972, S. 55-57; Rave 1987, S. 39 f. 83 Zum Interesse auch der Nationalgalerie an der Sezession vgl. Justi an Berliner Sezession, 27.1.1928, ms., Thormaehlen (NG) an KM, 6.9.1928, ms. u. KM (Gall) an Justi, 14.9.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29.
7. Ausstellungen
als Präsentationsorte
deutscher
Kunst
539
treten. Sie haben eine stolze Tradition zu verteidigen, [...] jeder einzelne von Ihnen wird aus dieser Verpflichtung neuen Ansporn für aufbauende Arbeit in der Zukunft empfangen. Die äußeren Umstände des gegenwärtigen Lebens rufen zur Sammlung der Kräfte auf, es sieht in vieler Hinsicht bitter ernst aus und ich würde mit lebhafter Sorge in die Zukunft blicken müssen, hätte ich nicht festes Zutrauen zu Ihnen, Ihrem klaren Willen und Ihrem erprobten Talent, das der augenblicklichen Krise trotzen wird." 8 4 Der Minister unterstrich damit, welch klares nationales Motiv sich für ihn mit der Sezessionsausstellung verband. Entsprechend suchte das Ressort die Aufmerksamkeit für die Ausstellung ähnlich wie bei den Berliner Akademieausstellungen 85 etwa dadurch zu steigern, daß es für die beiden besten Werke Preise von je 2000 R M auslobte. Die Ankäufe von Dix, Hofer, Beckmann und Kleinschmidt, die das Ministerium auf der Ausstellung tätigte, (siehe Kap. III. 6.2.) unterstreichen das gezielte, vom Qualitätskriterium geleitete Förderanliegen, das sich für das Ressort mit der Schau verband. 86 Das Ministerium setzte bei den zeitgenössischen Kunstpräsentationen zudem auf neue Ausstellungsformen, bei denen der Akzent auf der Talentförderung lag. So unterstützte es 1927 eine Bildnisausstellung des Hilfsvereins
junger
Kunst durch Stiftung mehrerer
Preise. 87 Trotz aller Distanz zur eng mit dem Reichsinnenministerium verbundenen Deutschen Kunstgemeinschaft
(siehe Kap. III. 6.1.) begegnete es daneben offenbar deren Ver-
kaufsschauen, die seit 1926 im Berliner Schloß stattfanden, 88 zumindest mit Aufgeschlos-
84 Rede Becker, 25.2.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1534. 85 Vgl. Protokoll Ak. d. Kü., Ausstellungskommission, 23.5.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/053, Bl. 188-189; zur flankierenden Relevanz privater Preise vgl. auch Protokoll Ak. d. Kü., Ausstellungskommission, 28.6.1929, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/053, Bl. 201-202; Prämien-Verteilung der Preußischen Akademie der Künste, in: Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 9, 1.5.1931, S. 112; Rede Becker, 26.10.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1482. 86 Vgl. Becker, 25.2.1928, ms., S. 2, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1534. Die Preise wurden später an Pechstein und Thorak vergeben, vgl. Preisverteilung in der Sezession, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 8, 15.4.1928, S. 119. 87 Das Ministerium stellte vier jeweils mit 400 RM dotierte Preise zur Verfügung, die später an Thorns, Dressler, Schlichter und Kampmann gingen, vgl. Abschr. Hilfsverein für junge Kunst an KM, 20.3.1927, ms., KM (Pallat) anjusti, 30.3.1927, ms., Justi an [KM?], 5.4.1927, Ds., ms. u. KM (Nentwig) anjusti, 13.7.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 15, Bd. 7; zur Ausstellungsförderung durch Staatspreise siehe auch Vermerk Ak. d. Kü., 10.1.1929, ms. u. Ak. an KM, 4.2. 1929, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 240. 88 Zu den Ausstellungen vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 97-98 u. 142; Kunstgemeinschaft (Schulz) an Mtgl. u. Freunde der Kunstgemeinschaft [Becker], 1.7.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 192; Hinweis auf Kunstgemeinschaft an Becker, 8.9.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6797; Ku.wan., Jg. 8,1./2. Sept.-Nr. 1926, S. 26 f; Ku. u. Kü., Jg. 26, Nr. 2, Nov. 1927, S. 73 f; Klausner (DDP), 17.3.1928, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 25687 f; Oestreicher (SPD), 19.4.1929, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 6200 f; Oestreicher (SPD) u. Schulz (KPD), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 5 u. 11 f; Oestreicher (SPD), 20.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 19211-19215; Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 6, 15.3.1928, S. 87; Fritz Hellwag: Die Deutsche Kunstgemeinschaft, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 17, 16.10.1930, S. 260 f; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 9, Bl. 206; BArchB, R 32, Nr. 317 a, Bd. 2, Bl. 83.
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III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
senheit. 89 Vor allem aber ist hier das Engagement für die von Westheims Kunstblatt getragenen Talentausstellungen zu erwähnen, die 1927 in den Räumen der Kunstgemeinschaft im Schloß, 1928 im Kaufhaus Wertheim und 1 9 2 9 - 3 0 im Gebäude des werkbundnahen Berliner Verlags Reckendorf gezeigt wurden. 90 Initiiert wurden die Ausstellungen durch einen unter der Uberschrift An die jungen Maler! veröffentlichten Aufruf, mit dem auf ein „neues künstlerisches Ethos" eingestellte Künstler aufgefordert wurden, sich an einer von der „Kunstjugend" zusammengestellten Schau von hundert Werken zu beteiligen. Als Förderer des Projekts, das Talenten einen ersten Schritt in die Öffentlichkeit ermöglichen sollte, wurden von Beginn an Waetzoldt und Justi genannt. 91 Schnell erwies sich die Tragfähigkeit des Unternehmens: Zur Ausstellung von 1927, bei der Waetzoldt die Eröffnungsrede hielt, 92 wurden 300 Arbeiten eingereicht, laut Kunstblatt konnten auf diese Weise viele Begabungen entdeckt werden, und das Echo auf die Veranstaltung war äußerst positiv. 93 Angesichts dessen wurden die 1928 auf Bildhauer ausgedehnten Ausstellungen zur regelmäßigen Einrichtung. 94 Deutlich fügten sich die Talentschauen, die auch in den folgenden Jahren unter Waetzoldts Patronat standen, in das national intendierte Ressortinteresse an einer Förderung zukunftsweisender Tendenzen in der deutschen Kunst ein. War das nationale Motiv bereits 1927 angeklungen, 95 manifestierte es sich später etwa im Aufruf von 1929, in dem 89 Vgl. Schulz (Kunstgemeinschaft) an Becker, 5.6.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 192; Thormaehlen an Haslinde (KM), 17.11.1930, ms. u. KM (Hübner) an Justi, 28.11.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 24, Bd. 6; KM (Haslinde) an Justi, 2.12.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 5, Bd. 19; Klausner (DDP), 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 13-15; Justi an Hübner (KM), 7.10.1930, ms., KM an Justi, 21.7.1932, ms., Abschr. Justi an KM, 26.7.1932, ms. u. KM an Justi, 4.8.1932, ms., SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 153, 569 u. 577; zum Kontakt KM - Kunstgemeinschaft siehe auch Kunstgemeinschaft (Schulz) an Mtgl. u. Freunde der Kunstgemeinschaft [Becker], 1.7.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 192; Hinweise auf Kunstgemeinschaft an Becker, 1.7.1926 u. 8.9.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6797. Hintergrund war vermutlich nicht zuletzt das fördernde Interesse Otto Brauns, vgl. Schulz (Kunstgemeinschaft) an Braun, 20.12.1926, ms. u. Braun an Schulz, 23.12.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. Otto Braun, Β I Nr. 37. 90 Vgl. Windhöfel 1995, S. 19 f, 61 f u. 300-311; Campbell 1981, S. 266 u. 298 f. 91 Vgl. An die jungen Maler!, in: Ku.bl., Jg. 11, 1927, S. 1. 92 Vgl. Windhöfel 1995, S. 300. 93 Vgl. Die Ausstellung der jungen Maler in der Deutschen Kunstgemeinschaft, in: Ku.bl., Jg. 11,1927, S. 123; Paul Westheim: Die Ausstellung der jungen Maler in der Deutschen Kunstgemeinschaft, Berlin, in: Ku.bl., Jg. 11, 1927, S. 129-144; Ku.bl, Jg. 11, 1927, S. 145-147; Windhöfel 1995, S. 300 f. 94 Vgl. An die jungen Künstler!, in: Ku.bl., Jg. 11, 1927, S. 352; Paul Westheim: Die Ausstellung der jungen Maler und Bildhauer in der Deutschen Kunstgemeinschaft, Berlin, in: Ku.bl., Jg. 12, 1928, S. 1-10; Die Presse über die Ausstellung der jungen Talente, in: Ku.bl., Jg. 12, 1928, S. 55 f; An die jungen Künstler!, in: Ku.bl., Jg. 13, 1929, S. 315; An die jungen Künstler!, in: Ku.bl., Jg. 14, 1930, S. 281; Behne: Der Kunstsalon, in: Weltb., Jg. 26/2, Nr. 45, 4.11.1930, S. 694; Windhöfel 1995, S. 301. Die Nähe des Ministeriums zum Kunstblatt zeigte sich in dieser Zeit auch dadurch, daß Gall 1928 bei einem Graphikpreisausschreiben der Zeitschrift als Juror fungierte, vgl. Windhöfel 1995, S. 277 f. 95 Vgl. Paul Westheim: Über die Notwendigkeit der Förderung junger Talente, in: Ku.bl., Jg. 11,1927, S. 401-406; siehe dazu auch Windhöfel 1995, S. 260 f u. 305.
7. Ausstellungen als Präsentationsorte deutscher Kunst
541
neben Waetzoldt und Justi mittlerweile Reichskunstwart Redslob als Förderer angeführt wurde96 und in dem es hieß: „Wir wenden uns [...] erneut an den Teil des künstlerischen Nachwuchses: Maler und Bildhauer, der in seinem Schaffen eingestellt ist auf ein neues künstlerisches Ethos, indem wir hoffen, daß die Einsendungen wiederum ein charakteristisches Bild geben werden von dem Ernst und dem Können der heutigen deutschen Kunstjugend."97 Mit den Ausstellungen verband sich demnach nicht nur die Hoffnung einer Förderung begabter junger Künstler,98 sondern im Sinne der ministeriellen Ambitionen auch die Vorstellung, mit den Schauen ein Präsentationsforum der kommenden deutschen Kunst bieten zu können. Daß die Ausstellungen nun im von Ludwig Hilberseimer erbauten Reckendorf-Verlagshaus gezeigt wurden, verlieh diesem Anliegen eine zusätzliche Note. Das Neue Bauen gab hier den adäquaten Rahmen für eine Ausstellung ab, die das Ideal der Wegbereitung einer innovativen nationalen Kunstentwicklung mittrug. Als Protagonisten dieser Kunstentwicklung wurden bei den Kunstblatt-Schauen neben vielen anderen Ernst Wilhelm Nay, Gustav Wunderwald, Herbert Bayer oder Felix Nussbaum präsentiert.99 Hatte das Ministerium damit bereits einen Eindruck davon gegeben, worauf es ihm bei den gezielteren Ausstellungsaktivitäten zugunsten der zeitgenössischen Kunst ankam - Qualität, Talent und Auswahl waren hier ebenso Kriterien wie die gleichzeitige Präsentation verschiedener Künstler oder der Bezug zwischen Tradition und Moderne100 - , stellte die viel beachtete Schau Deutsche Kunst Düsseldorf 1928 einen Höhepunkt im ministeriellen Bemühen um zeitgenössische deutsche Ausstellungen dar.101 Die in der grenznahen Rheinprovinz und damit aus nationaler Sicht auf brisantem Terrain (siehe Kap. III. 8.) gezeigte Ausstellung wurde von der Stadt Düsseldorf veranstaltet. Da die Schau die Absicht hatte, „ein klares und eindringliches Bild der Kunst der Gegenwart in Deutschland darzubieten" und zugleich eine qualitätsorientierte Reform des Ausstellungswesens in die Wege zu leiten,102 wies sie jedoch über die lokale Ebene hinaus. Entsprechend waren auf Wunsch der Stadt103 früh auch staatliche Stellen in die Veranstaltung involviert. Seit 1927/1928 bemühte sich der Oberbürgermeister, Becker für das Projekt zu gewinnen.104 Tatsächlich war dann
96 Vgl. dazu auch Windhöfel 1995, S. 303. 97 An die jungen Künstler!, in: Ku.bl., Jg. 13,1929, S. 315. 98 Bei der Ausstellung von 1929 stand nun sogar als besonderer Anreiz ein vom Verlag Reckendorf finanzierter Nationalgalerieankauf in Aussicht, vgl. An die jungen Künstler!, in: Ku.bl., Jg. 13, 1929, S. 315; Windhöfel 1995, S. 305 f. 99 Vgl. Windhöfel 1995, S. 300-306. 100 Zur Relevanz dieses Bezugs auch bei den Kunstblatt-Ausstellungen
vgl. ebd., S. 304.
101 Zur Ausstellung vgl. auch Neue Sachlichkeit 1994, S. 61. 102 Vgl. Oberbürgermeister Düsseldorf an Liebermann, 21.11.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/007, Bl. 241 r. 103 Vgl. ebd. 104 Vgl. Lehr (Oberbürgermeister Düsseldorf) an Becker, 22.3.1928, ms. u. Oberregierungsrat KM an Lehr, 24.3.1928, Ds., ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4489; siehe dazu auch Oberregierungsrat KM an Lehr, 22.10.1927, ms. u. Lehr an Becker, 31.1.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4489.
542
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
bei der Eröffnung der unter dem Protektorat des Reichspräsidenten stehenden Schau am 2. Mai 1928 im örtlichen Kunstpalast neben Reichsprominenz und Ministerpräsident Braun auch der Kultusminister anwesend.105 Und mehr noch: Becker hielt auch die Eröffnungsrede zu der 850 Werke umfassenden Ausstellung, auf der Liebermann, Kokoschka und Hofer, die Meister der Brücke, César Klein und E. R. Weiß ebenso vertreten waren wie Beckmann, Kolbe oder die Bauhausmeister Kandinsky, Moholy-Nagy, Klee und Schlemmer.106 Nachdrücklich bezog der Minister die Ausstellung hier als eine „der lebenden und Zukunft verheißenden Kunst unserer Zeit" geltende Veranstaltung in die eigene Politik ein, indem er sich zunächst solidarisch mit dem engeren Ziel der Ausstellung erklärte, „den Ruf Düsseldorfs als Kunststadt zu festigen." 107 Die staatliche Kunstakademie Düsseldorf (siehe Kap. II. 3.2. und III. 3.1.) galt Becker dabei als wichtiges Bindeglied im Bemühen um eine überzeugende Kunstentwicklung am Rhein. Von dieser Basis aus öffnete er sich der nationalen Perspektive der Ausstellung, die ganz in seinem Sinne Malerei, Plastik, Graphik und Architektur berücksichtigte.108 Dazu sagte er: „Ich möchte [..] bei dieser bedeutsamen Gelegenheit auch dem Wunsche Ausdruck geben, dass wie in der Vergangenheit, so auch jetzt und in der Zukunft Akademie und Künstlerschaft zusammenarbeitend ihrer vom Schicksal gewiesenen Mission dienen, die im gemeindeutschen Schaffen nicht zu entbehren ist." 109 Nachdem er die Düsseldorfer Künstler damit als Aktivposten einer landesweiten Bewegung dargestellt hatte, Schloß Becker sich der Vision der Ausstellung an, „den Augen der Oeffentlichkeit Kunde zu geben von dem Ringen schöpferischer Persönlichkeiten um die formgebundene Darstellung unserer Lebensinhalte".110 In den Pressereaktionen konturierte sich das nationale Anliegen der Schau dann noch klarer. So hieß es im Cicerone bereits im März 1928, „mit der strengen kritischen Auswahl der Besten in der heutigen Produktion" wolle die Veranstaltung neue Wege gehen und beweisen, „daß es auch in der Gegenwart eine deutsche Kunst von hohen Graden gibt, die berufen ist, auch in der übrigen Welt anerkannt und gefördert zu werden." 111 Nach der Eröffnung brachte die Rheinisch-Westfälische Zeitung die Intention der Ausstellung auf den Punkt: „Die Zeiten einseitiger Beherrschung französischer Malerei und Plastik, von Architektur und Kunsthandwerk ganz zu schweigen, sind vorbei. Ueber das erste große Dokument dieser Tatsache, die große Werkbundausstellung Köln 1914, ging der Weltkrieg hin105 Vgl. ZAs Mai 1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 7230. 106 Vgl. Anna Klapheck-Strümpell: Ausstellung „Deutsche Kunst Düsseldorf 1928", in: ZS f. bild. Ku., Jg. 62, Nr. 3, Juni 1928, S. 35 f, S. 36; zu den gezeigten Werken gehörte u. a. das 1928 vom Ministerium angekaufte Beckmann-Selbstbildnis, vgl. Deutsche Kunst Düsseldorf 1928 (Runkel) an Justi, 5.6.1928, ms. u. Justi an Runkel, 9.6.1928, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29. 107 Rede Becker, [2.5.1928], ms., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1545; siehe dazu auch Die, Deutsche Kunst 1928' in Düsseldorf eröffnet, in: Düsseldorfer Nachrichten, Jg. 53, Nr. 224, Abendausg., 2.5.1928, S. 1 f u. Die feierliche Eröffnung,
in: Rheinisch-Westfälische
Zei-
tung, Jg. 191, Nr. 225, S. 1 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7230. 108 Vgl. Rede Becker, [2.5.1928], ms., S. 2, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1545. 109 Ebd., S. 1 f. 110 Ebd., S. 2. 1 1 1 N : Düsseldorf 1928, in: Cie., Jg. 20, Nr. 5, März 1928, S. 176.
7. Ausstellungen als Präsentationsorte deutscher Kunst
543
weg. Er hinderte uns durch seine Folgen daran, eindeutiger dieses Wertes inne zu werden[,] und der deutsche Mensch und Künstler von 1918 stürzte sich kopfüber in eine verzerrte Ausdruckskunst [...]. Wo wir heute stehen, wollte diese Ausstellung zeigen. [...] als ein Dokument neu erworbener Festigkeit, [...] nicht übermütiger, aber stolzer Selbstachtung". 112 Zugleich zeigte sich die Zeitung jedoch skeptisch, ob die Ausstellung dem gerecht werde. Zwar zeige die Veranstaltung „den Zustand künstlerischer Gesundung" in der Plastik, in der Malerei aber fehle weiterhin ein zeitgemäßer Stil. 113 Die Fachpresse sah dies weniger kritisch. So wies die Zeitschrift für bildende Kunst darauf hin: „Die Düsseldorfer Ausstellung stellt insofern einen neuen Typus im Ausstellungswesen dar, als es ihr nur daran lag, einmal deutsche Kunst als Einheit zusammenzufassen und ein Bild von ihr zu entwerfen, das alles Charakteristische enthält, nur mit Rücksicht auf Qualität [...] Noch vor einigen Jahren wäre eine solche Ausstellung kaum möglich gewesen. Seither hat sich manches gefestigt, es ist manches innerlich gesunder geworden. Eine gewisse Gemeinsamkeit ist da, Ernst der Arbeit, Ernst des Stilwillens." 114 Und Westheim bemerkte: „Haben wir in Deutschland [...] ein Kunstschaffen, das der Mühe, der Beachtung, der Schätzung wert ist? Die Düsseldorfer Ausstellung [...] gibt die Antwort. Ein Tatbestand wird festgestellt: [...] daß es bei uns in Deutschland durchaus nicht fehlt an Kräften, Begabungen, auch nicht an organischer Entwicklung, wenn sie auch anders verläuft, anders verlaufen muß als drüben in Frankreich. Nur will man an diese Entwicklung in Deutschland nicht glauben. [...] Man zeigt sie nicht [...]. Man schwatzt sie weg [...]. Die Düsseldorfer Ausstellung ist eine Entlarvung. Entlarvung dieses Falschbildes. [...] Sie besagt: es ist einfach nicht wahr, daß diese ganze Entwicklung des heutigen Kunstschaffens nur Rudersport im Zimmer ist. Man muß nur sehn, was wirklich und tatsächlich da ist. Und in Düsseldorf kann man in der Tat vieles davon sehen." 1 1 5 Folgt man diesen Presseeinschätzungen, stellte sich die Düsseldorfer Ausstellung vor allem als eines dar: als Bestandsaufnahme des aktuellen deutschen Kunstschaffens in den späten 20er Jahren, mit der sich die Hoffnung auf eine starke nationale Außenwirkung verband. Die Veranstaltung fügte sich damit idealtypisch in das Bemühen des Kultusressorts um Vermittlung eines neuen nationalen Selbstbewußtseins durch die Bewußtmachung einer zeitgemäßen und qualitativ überzeugenden deutschen Kunst ein. Läßt man sich speziell auf Westheim ein, war die Ausstellung zudem als Beleg dafür zu verstehen, daß dem auch vom Ressort bemühten Topos der „Stilsehnsucht" mittlerweile tragfähige Kunsttendenzen gegenüberstanden, die als Erfüllung dieses Wunschbildes gelten konnten. Die vom Ministerium demonstrativ protegierte Düsseldorfer Schau war mithin als eine Präsentationsplattform zeitgenössischer deutscher Kunst zu verstehen, über die sich die Republik im Sinne des ministeriellen Kulturgemeinschaftsideals ihrer selbst nach innen zu versichern und nach
112 Paul Joseph Cremers:,Deutsche Kunst Düsseldorf 1928'. Die Ausstellung im Düsseldorfer
Kunst-
palast - Ihr Bild in heutiger Kunstsituation, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung, Jg. 191, Nr. 225, S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7230. 113 Ebd. 114 Anna Klapheck-Strümpell: Ausstellung „Deutsche
Kunst Düsseldorf 1928", in: ZS f. bild. Ku.,
Jg. 62, Nr. 3, Juni 1928, S. 35 f, S. 35. 115 Deutsche Kunst 1928. Zur Düsseldorfer Ausstellung, in: Ku.bl., Jg. 12, 1928, S. 181.
544
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
außen zu profilieren suchte. Ähnlich wie bei den Kunstblatt-Ausstellungen
1921-32
bewegte sich
das Ministerium dabei, seiner Ankaufs- und Auftragspolitik in dieser Zeit entsprechend (siehe Kap. III. 6.2.), gemeinsam mit Westheim und dem Werkbund in einem fortschrittlichen Kontext, der in Düsseldorf konkreten Ausdruck nicht nur durch Raumgestaltungen von Emil Fahrenkamp, Behrens oder Paul, sondern auch dadurch fand, daß parallel zur Ausstellungseröffnung mit dem Neubau des Städtischen Kunstmuseums Düsseldorf von Wilhelm Kreis einer der wenigen modernen Museumsbauten der 20er Jahre eingeweiht wurde. 116 So sehr die Ausstellung Deutsche Kunst 1928 aber auch als Demonstration neuer nationaler Solidität gedacht war, gestaltete sie sich doch keineswegs konfliktfrei. Vielmehr kam es bei der Preisvergabe im Ausstellungsumfeld zum Eklat. Es ging dabei um folgendes: Neben der Stadt und dem Reich hatte Preußen für Auszeichnungen, die von einer Fachjury für besonders gelungene Werke vergeben werden sollten, mehrere tausend RM zur Verfügung gestellt. 117 Die Preise waren wie bei den Sezessions- und Akademieausstellungen als Manifestation des qualitativen Anspruchs zu verstehen, der sich mit der national intendierten Ausstellungspolitik verknüpfte. 118 Vor diesem Hintergrund nahm das Kultsressort später 116 Vgl. Anna Klapheck-Strümpell: Ausstellung „Deutsche Kunst Düsseldorf 1928", in: ZSf bild. Ku., Jg. 62, Nr. 3, Juni 1928, S. 35 f, S. 36; zum Neubau siehe Joachimides 2001, S. 215-220; zu Kreis vgl. ausführlich Schulte 2001. 117 Laut Die feierliche Eröffnung, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung, Jg. 191, Nr. 225, S. 1 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7230 stellte Preußen 28.000 RM zur Verfügung, die Stadt gab 36.000 RM, und das Reich stiftete zwölf weitere Preise. In Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 12, 15.6.1928, S. 195 war von vier Preisen des Reiches à 2000 RM und zwei preußischen Preisen à 3000 M sowie Ehrenpreisen und Plaketten die Rede. Becker sprach von Preisen Preußens und des Reiches im Gesamtwert von 12.000 M, vgl. Rede Becker, [2.5.1928], ms., S. 7, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1545. 118 Vgl. dazu auch Rede Becker, [2.5.1928], ms., S. 7, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1545. Gleichzeitig sollten sie vermutlich die nach 1918 eingeschränkten Möglichkeiten der Auszeichnung von Künstlern kompensieren (siehe Kap. II. 5.2.), siehe dazu die Debatten über die Beschränkung des Professorentitels auf Akademielehrer (vgl. SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 118; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 9, Bl. 434-436) und über die Wiedereinführung der Goldenen Staatsmedaille (vgl. LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 5, 8, 21 u. 37; Szg. 121, Sp. 35 f u. 39 f; LT, WP 2, Prot., Sp. 6128-6130 u. 6136-6139). Jenseits von Ausstellungspreisen gab es in den 20er Jahren nur die Möglichkeit, Künstler durch den Orden pour le mérité (vgl. GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8141, Bl. 405-412 u. 431; Protokoll Staatsministerium, 28.8.1921, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Otto Braun, A Nr. 19 a; Liste für Duwe, Nov. 1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1739; Hinweis Nov. 1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6799) oder den Staatspreis auszuzeichnen, der von der Akademie der Künste verliehen wurde, vgl. Ku. u. Wi., Jg. l,Nr. 12, Sept. 1921, S. 6; Jg. 2, Nr. 14, 15.7.1922, S. 3; Jg. 6, Nr. 1, Jan. 1925, S. 8; Jg. 7, Nr. 10, 1.10.1926, S. 161; Jg. 8, Nr. 4, 1.4.1927, S. 78 f; Nr. 8, 1.8.1927, S. 184; Jg. 9, Nr. 14, 1.8.1928, S. 228; Jg. 10, Nr. 1, 1.1.1929, S. 8; Nr. 15, 1.9.1929, S. 234; Jg. 11, Nr. 16, 1.10.1930, S. 240; Jg. 12, Nr. 15, 1.9.1931, S. 201; Der große Staatspreis, in: Ku. u. Kü„ Jg. 23/2, Nr. 8, Mai 1925, S. 325; SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 110-111; SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 204-207; SAdK, PrAdK, 2.2/023, Bl. 41-46; SAdK, PrAdK, 2.1/005, Bl. 86-93; Etwas über den Staatspreis, in: Ku. u. Wi., Jg. 7, Nr. 1,1.1.1926, S. \0; Ku.bl.,]g. 11,1927, S. 172; Jg. 12, 1928, S. 57. Seit 1928
7. Ausstellungen als Präsentationsorte
deutscher
Kunst
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zumindest indirekten Einfluß auch auf die Preisvergabe, indem es gemeinsam mit dem Reich die Zusammensetzung der Fachjury bestimmte. Daß dann neben Reichskunstwart Redslob, Tessenow, Gropius, Slevogt, Heckel, Campendonk, Scharff und Barlach mit Justi und dem Düsseldorfer Akademiedirektor Kaesbach (siehe Kap. III. 3.1.) unter anderem zwei Protagonisten der modernen preußischen Kunstpolitik in das Gremium berufen wurden, 119 bestätigte die preußische Prägung wie den fortschrittlichen Anspruch. Gerade an diesem Anspruch schieden sich jedoch die Geister. Speziell gegen die Beteiligung Kaesbachs war wegen dessen angeblich einseitiger Kunstauffassung früh Protest angemeldet geworden. 120 Die als Integrationsprojekt geplante Düsseldorfer Ausstellung drohte damit zu kippen. Das Ressort Becker reagierte darauf, indem es an der Juryzusammensetzung festhielt, aber, um eine weitere Eskalation zu vermeiden, den Akademiedirektor nicht selbst berief, sondern dies von der Akademie der Künste übernehmen ließ. 121 Im Sommer 1928 wurden die Preise so trotz der Proteste von der staatlich bestimmten Jury vergeben. 122 Die Bekanntgabe der Prämierten rief indes erneut Mißmut hervor. Daß neben Slevogt, Kalckreuth, Kirchner, Rohlfs, Beckmann, te Peerdt, Albiker und Schmidt-Rottluff der arrivierte Liebermann zu den Ausgezeichneten gehörte, wurde als Widerspruch zur Absicht verstanden, mit den Auszeichnungen besonders zukunftsweisende Künstler unterstützen zu wollen, die der Zuwendung auch materiell bedurften. 123 Liebermann stellte sein Preisgeld daraufhin zwar zwei jüngeren Künstlern zur Verfügung. 124 Letztlich bekam die Düsseldorfer Schau so aber doch einen Beigeschmack der Uneinigkeit, der das integrative Interesse konterkarierte. 125 Gerade das Bemühen, den Jurykonflikt klein zu halten, war noch einmal als Beleg dafür zu
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120 121 122 123 124
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wurde zudem eine Medaille an Kunststudenten verliehen, vgl. SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 10-11, 13-17 u. 30-31; Medaillen für Kunsthochschüler, in: Ku. u. Wi., Jg. 8, Nr. 2, 1.2.1927, S. 44; Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 10, 16.5.1928, S. 160; SAdK, PrAdK, 2.1/005, Bl. 86-93; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 456; zur national motivierten Künstlerauszeichnung vgl. auch Parlament Hessen 1991, S. 229-232; zum Engagement des Ministeriums siehe Tab. IV. Vgl. KM an Justi, 23.8.1928, ms., Liste, ms. u. Justi an KM, 18.9.1928, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 15, Bd. 8; Amersdorffer an Liebermann, 6.8.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/025, Bl. 125-126; zur Rolle Justis vgl. auch Becker an Justi, 14.9.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 28. Vgl. Ku.bl., Jg. 12, 1928, S. 347; Protest Düsseldorfer Künstler, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 14, 1.8. 1928, S. 224; Der Düsseldorfer Kunstkrach, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 17, 16.10.1928, S. 308. Vgl. Amersdorffer an Liebermann, 6.8.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/025, Bl. 125-126. Vgl. dazu auch Speisekarte Juryfestessen mit Unterschriften der Juroren, 27.9.1928, gedr. / hs. (Privatbesitz Kessemeier, Münster). Vgl. Ku.bl, Jg. 12, 1928, S. 347; Der Düsseldorfer Kunstkrach, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 17, 16.10. 1928, S. 308 u. Nr. 18, 1.11.1928, S. 318 f; AT«, u. Wi., Jg. 10, Nr. 1,1.1.1929, S. 4. Es handelte sich dabei um die Düsseldorfer Maler Henrich und Böttcher, vgl. Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 1, 1.1.1929, S. 4; Oberbürgermeister Düsseldorf an Liebermann, 23.10.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/006, Bl. 4. Vgl. Der Düsseldorfer Kunstkrach, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 17, 16.10.1928, S. 308; zur Ausstellung siehe auch Walter Cohen: Deutsche Kunst Düsseldorf 1928, in: Cie., Jg. 20, Nr. 13, 1. Juni-Nr. 1928, S. 437-447; Deutsche Kunst Düsseldorf 1928, in: Ku. u. Kü., Jg. 26, Nr. 11, Aug. 1928, S. 439 f.
546
III.
Tendenzen der ministeriellen Kumtpolitik
lesen, als welch wichtige Plattform das Kultusressort die Ausstellung Deutsche
1921-32 Kunst
Düsseldorf 1928 verstand, wie weit man aber zugleich gegen Ende der 20er Jahre trotz aller stringenteren Tendenzen innerhalb der bildenden Kunst, die sich etwa durch den Begriff Neue Sachlichkeit fassen lassen, doch vom Ideal einer fest in sich gefügten deutschen Kunst entfernt war. Hatte sich gegen Ende der 20er Jahre durch die staatlich protegierten Ausstellungsprojekte tatsächlich ein bestimmter, bewußt breit gefaßter Kanon der deutschen Moderne etabliert, über den sich die Republik national wie international (siehe Kap. III. 8.) definierte, geriet die Konsensfähigkeit dieses Kanons seit 1930 ins Wanken, als sich die Kunstdebatte immer stärker polarisierte. 126 Mit seinem Einsatz für die zeitgenössische Kunst geriet das Ressort nun zwischen die ideologischen Fronten. In dieser Situation suchte es seine Ausstellungspolitik in Berlin noch einmal auf eine neue Grundlage zu stellen. Ansatzpunkt war dabei die Idee, durch ein neues Ausstellungsgebäude, das Ersatz für den Glaspalast sein sollte, einen den ministeriellen Absichten gerecht werdenden innovativen Präsentationsort für die Kunst der Gegenwart zu schaffen. Seit 1926 war ein solcher Neubau, angeregt durch Forderungen des Reichswirtschaftsverbandes bildender Künstler (siehe Kap. III. 6.1.), diskutiert worden. 127 1928 hatte sich das Staatsministerium dafür ausgesprochen. 128 Das Kultusministerium hatte
126 Vgl. dazu Kunstkritiker, in: Ku.bl., Jg. 14,1930, S. 128; Briefe u. Unterlagen 1930/31 zur GurlittEntlassung, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 19, Beih. 1; Koch (DNVP), 4.4.1930, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 13462-13464; Millionen-Stiftung zur Abwehr neuer Kunst, in: Ku.bl., Jg. 15, 1931, S. 119; Armes Weimar!, in: Cie., Jg. 22, Nr. 23/24, Dez. 1930, S. 624; Adolf Behne: Feininger, in: Weltb., Jg. 27/2, Nr. 40, 6.10.1931, S. 535-537; Der Düsseldorfer Kunstkrach, in: Ku. u. M , Jg. 9, Nr. 17, 16.10.1928, S. 308; Ku.bl., Jg. 16, 1932, S. 7 f; Ludwig Justi: Der Zwickauer Skandal, in: Mus. der Gegenwart, Jg. 1, 1930/31, S. 49; Adolf Behne: Otto Müller, in: Weltb., Jg. 27/1, Nr. 24, 12.6.1931, S. 885 f; Eine Abrechnung mit dem System der May, Gropius, Taut und Konsorten!, in: Völkischer Beobachter, Nr. 193/194, 12./13.7.1931 [?], in: BArchB, R 32, Nr. 316, Bd. 2, Bl. 53; Karl Scheffler: Nationale Kunst, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, März 1932, S. 72-78; Löpelmann (NSDAP) an LT, 21.6.1932 u. Grimme an Präsident LT, 2.7.1932 in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 6 u. GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 6, adh. 2. 127 Vgl. Koch u. Graef (DNVP) an LT, 11.12.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bl. 149 r; LT, WP 2, Dr. 5488, S. 6594; Kimbel (DNVP), 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 25; Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 10,16.5.1928, S. 153 f; Rundfunkvortrag E. Spiro: Rund um das Ausstellungswesen, Juni 1928, Ds., ms. u. KM an Justi u. Liebermann, 11.7.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 4, Bl. 33; Scheffler: Berliner Frühjahrsausstellungen, in: Ku. u. Kü., Jg. 26, Nr. 10, Juli 1928, S. 398 f; Hanns Bastanier: Fragen und Antworten (Aus der Großen Berliner Kunstausstellung), in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 14, 1.8.1928, S. 240-242; LT, WP 3, HA, Szg. 56, Sp. 13, 22 f u. 39; LT, WP 3, Dr. 1984, S. 1270; LT, WP 3, Prot., Sp. 6189; siehe dazu auch schon Fritz Stahl: Kunstausstellung Berlin 1919, in: BT, Jg. 48, Nr. 338, 24.7.1919, S. 2 f; Garnich (DVP), 5.12.1919, in: LV, Prot., Sp. 7345; Nentwig, 8.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 90, Sp. 21; Das Gebäude der ehemaligen Unterrichtsanstalt des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin, in: Ku. u. Wi., Jg. 6, Nr. 6, 29.5.1925, S. 82 f; Klausner (DDP), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 19-22. 128 Vgl. LT, WP 2, Dr. 8282, S. 9470 f.
7. Ausstellungen
als Präsentationsorte
deutscher
Kunst
547
von Beginn an zu den Neubaubefürwortern gehört. 129 Gleichzeitig hatte Nentwig jedoch wegen der Finanzlage und der Schwierigkeiten, einen Bauplatz zu finden, vor zu großen Erwartungen gewarnt. 130 Und tatsächlich war man trotz aller Bemühungen in der Grundstücksfrage bis 1930 nicht weitergekommen. 131 Erst als das Kartell der bildenden Künstler Berlins Anfang 1930 aus nationalen Motiven auf eine Realisierung pochte, 132 kam, getragen vom Zuspruch der Presse und des Landtags, 133 noch einmal Bewegung in die Sache. Beeindruckt von der „geschlossenen Willensbildung" der Künstler setzte sich Grimme nun beim Finanzressort für ein weiteres Engagement in der Neubaufrage ein - „die Errichtung eines neuen Gebäudes", betonte er, müsse „in absehbarer Zeit erfolgen [..], wenn nicht das Berliner Kunstleben einen schweren Schlag erhalten soll, von dem es sich für lange Zeit nicht wieder erholen dürfte". 134 Der Staat werde mit den Künstlern und der Stadt kooperieren, ansonsten werde aber erwartet, „daß die preußische Regierung wie bisher, so auch in Zukunft, die Führung fest in der Hand behält." 135 Gleichzeitig präzisierte Grimme seine Vorstellungen, indem er sich wegen der Nähe zu den großen Kunsthandlungen und Auktionshäusern für ein Neubauareal im südlichen Tiergarten aussprach 136 und erklärte, der Bau solle angesichts der Finanzlage „nur in einfachsten, schlichtesten Formen" ausgeführt werden. 1 3 7 Falls man sich nicht für den Neubau entscheide, bestehe er auf einer Renovierung des Glaspalastes. 138
129 So war bereits in KM (Becker) u. FM an Präsident LT, 8.1.1927, Bl. 150 r angekündigt worden: „Der Plan, die bisherigen Ausstellungsgebäude durch einen zeitgemäßen und zweckentsprechenden Neubau zu ersetzen, wird erwogen." Siehe dazu auch Koch u. Graef (DNVP) an LT, 11.12.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, A, Nr. 1, Bl. 149 r. Im Mai 1928 war der Künstlerschaft auf entsprechende Bitten hin (vgl. z.B. Oswald Herzog: Zur Umgestaltung des Ausstellungswesens, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 2, 15.1.1928, S. 28 f; Klausner (DDP), 22.2.1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 41 f) überdies von Gall eine Beteiligung an den nun offiziell verfolgten Bauplänen zugesichert worden, vgl. Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 10, 16.5.1928, S. 153 f. 130 Vgl. Nentwig, 12.2.1927, in: LT, WP 2, HA, Szg. 189, Sp. 35; Klausner (DDP) u. Nentwig, 22.2. 1928, in: LT, WP 2, HA, Szg. 277, Sp. 41 f u. 49. 131 Mitte 1928 stand z.B. ein Neubau am Brandenburger Tor in Aussicht, vgl. Präsident Bau- u. Finanzdirektion an KM, 23.7.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 17-18. Später wurde eine Nutzung des Messegeländes am Funkturm erwogen, vgl. Martin Wagner: Die Kunstausstellung, in: Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 4, Febr. 1929, S. 62. 132 Vgl. Baluschek (Kartell vereinigter Verbände bildender Künstler Berlins) an FM, 21.1.1930, ms., Künstlerresolution, 20.1.1930, ms. gedr. u. FM an KM, 4.2.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 5-7; Ein Kunstausstellungsgebäude für Berlin, in: Ku. u. Wz'., Jg. 11, Nr. 3, 1.2. 1930, S. 37 f; Grimme an FM, 19.2.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 10-12. 133 Vgl. LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 12 f, 16 u. 27; Paderstein an FM, 26.1.1930, hs. u. Paderstein: Wohin mit dem Kunstausstellungshaus?, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 2-4. 134 Grimme an FM, 19.2.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 10-12, Bl. 10 r. 135 Ebd., Bl. 10 v. 136 Er bat daher beim Finanzressort darum, ein Angebot in der Tiergartenstraße 30/31 zu prüfen. 137 Grimme an FM, 19.2.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 10-12, Bl. 10 v-11 r. 138 Ebd., Bl. 11 r-v; siehe dazu auch Hübner, 17.2.1930, in: LT, WP 3, HA, Szg. 122, Sp. 25 u. 27 f.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
548
1921-32
Daraufhin wurden verschiedene Grundstücksoptionen im Tiergarten verfolgt. 139 Immer stärker stellte sich jetzt jedoch der beschränkte finanzielle Handlungsspielraum des Staates dem Projekt entgegen. 140 Im März 1930 lehnte das Finanzressort Grimmes Antrag daher ab. 141 In dieser Situation unternahm Grimme im Sommer 1930 einen weiteren Vorstoß zugunsten des Neubaus. In einem Schreiben an das Finanzressort betonte er: „Das Ausstellungswesen ist in Berlin in einer den Interessen der Künstler abträglichen Weise verfahren. In verschiedenen durchweg unzulänglichen Gebäuden sind in diesem Sommer umfangreiche Ausstellungen veranstaltet worden, bei denen Planmäßigkeit und Qualität [...] vermißt wurden. Das Nebeneinanderarbeiten und zum Teil das Gegeneinanderwirken verschiedener Verbände haben an dem schlechten Erfolge der Ausstellungen mitgewirkt. Ich bin überzeugt, daß ein neuer Aufbau des Ausstellungswesens Wandel schaffen muß. Entscheidend muß der Gesichtspunkt der Qualität im Gegensatz zu dem bisher vielfach durchgeführten Prinzip der Quantität in den Vordergrund gerückt werden." 1 4 2 Anders als das Künstlerkartell, das ein Gebäude für umfangreiche Präsentationen forderte, votierte das Kultusministerium angesichts dessen für die Realisierung eines „verhältnismäßig kleinen Baues, der etwa 750 Kunstwerke aufnehmen kann". 143 War dies bereits als Bekenntnis für eine Fortsetzung der stringenten Ausstellungspolitik zu lesen, unterbreitete Grimme dem Finanzressort darüber hinaus inzwischen konkrete Vorschläge, wie er sich das weitere Procedere dachte. Unter Hinweis auf einen vorhandenen Fonds von 700.000 RM plädierte er einerseits dafür, einen Teil des Wirtschaftshofes des Zoologischen Gartens als Bauareal zu erwerben. 144 Andererseits forderte er, mit einem geeigneten Architekten in Verhandlungen über einen kostengünstigen Entwurf für einen „streng sachlichen" Bau einzutreten. Grimme nannte dabei auch gleich einen prominenten Kandidaten: den damals gerade zum Leiter des Bauhauses ernannten Avantgardearchitekten Ludwig Mies van der Rohe (siehe Kap. III. 6.2.). 145
139 Vgl. GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 7-9, 13, 16 u. 19-20; Hübner u. Buchhorn (DDP), 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 25 u. 27 f; siehe dazu auch GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 28-29. 140 Vgl. Schwering (Z), 13.3.1929, in: LT, W P 3, HA, Szg. 56, Sp. 39; Hübner, 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 25; Oestreicher (SPD), 14.2.1931, in: LT, WP 3, HA, Szg. 192, Sp. 4 u. 6; Hanns Bastanier: Ein Vorschlag zur Güte, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 10, 16.5.1930, S. 146. 141 FM an KM, 21.3.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 15; siehe dazu auch FM an Präsident Bau- u. Finanzdirektion, ms., 4.4.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 22. 142 Grimme an FM, 15. 8.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 24-25, Bl. 24 r-v. 143 Ebd., Bl. 24 v. 144 Das Grundstück erschien ihm wegen seiner zentralen Lage besonders geeignet, vgl. ebd., Bl. 24 v-25 r; zum Bemühen um das Areal siehe auch GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 1, 2 6 - 2 7 u. 30-31; GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 2493, Bl. 24-29; zum Fonds vgl. Baluschek an FM, 25.7.1932, ms. u. Notiz FM, 22.9.1932, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 2493, Bl. 24-29. 145 Grimme an FM, 15.8.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 24-25, Bl. 25 r; zu weiteren Architektenbewerbungen in der Sache siehe z. B. Abschr. A. Gellhorn an Adriani (KM), 4.9.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 23.
7. Ausstellungen als Präsentationsorte
deutscher
Kunst
549
Deutlich signalisierte Grimme damit, welch gezieltes Interesse sich für ihn mit dem Ausstellungsbau verband. Durch den Neubau wollte er eine publikumsnahe Plattform für ausgewählte Präsentationen zeitgenössischer Kunst mitten in Berlin schaffen, die vom architektonischen Rahmen her als Statement der Republik für eine im eigenen Land von rechts attackierte, international anerkannte deutsche Moderne zu verstehen war. Wohl auch im Gegenentwurf zum in München praktizierten Modell 146 spitzte Grimme den unter Becker etablierten Ansatz in der modernen Ausstellungspolitik so nochmals zu. Allen Forderungen der Künstler, des Landtags und der Presse zum Trotz scheiterte das Neubauprojekt jedoch letztlich an den Finanzen. 147 Dem Ressort wurde dadurch eine wesentliche Basis für die fortgesetzte Reform des Ausstellungswesens entzogen. Der ministerielle Einsatz für die zeitgenössische deutsche Kunst manifestierte sich so in der letzten Phase der Republik kaum noch im Ausstellungsbereich.148 Wie sich etwa durch die Einrichtung des SchinkelMuseums (siehe Kap. III. 4.2.) zeigte, blieben die Pole Tradition und Moderne innerhalb der deutschen Kunst Bezugspunkte für das Ressort. Akzente im Sinne einer nationalintegrativen Ausstellungspolitik setzte das Ministerium nun aber nicht mehr.
146 Vgl. dazu Haaß 1967, S. 135-139; Ein neues Kunstausstellungsgebäude
in München, in: Ku. u. Wi.,
Jg. 9, Nr. 13, 1.7.1928, S. 205 f; Hans Eckstein: Künstlernot und Kunstpflege in München, in: Ku. u. KU., Jg. 31, 2.1.1932, S. 56-59; Hans Eckstein: Vorentwurf zu einem neuen
Kunstausstellungs-
bau in München, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, Aug. 1932, S. 305 f. 147 Zunächst hatte sich die Absicht, einen Teil des Wirtschaftshofes zu erwerben, noch verdichtet; zu entsprechenden Forderungen in der Folgezeit vgl. Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 17, 16.10.1930, S. 252; Ku. u. Wi., Jg. 12, Nr. 10,16.5.1931, S. 133f;SAdK, PrAdK, 2.1/012, Bl. 147 u. 150-154; Oestreicher (SPD), 2 0 . 3 . 1 9 3 1 , in: LT, W P 3, Prot., Sp. 19212; Hertwig (DNVP), 21.3.1931, in: LT, W P 3, Prot., Sp. 19235; Curt Glaser: Für die Kunst.', in: Ku. u. Kü., Jg. 31, März 1932, S. 101-105; R. B.: Bericht des RV, in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 5, 1.5.1932, S. 76; GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 2493, Bl. 24-29; KM (Rust) an FM, 6.7.1933, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1047, Bl. 33. 148 Als Ansatz kann hier z.B. noch die Feininger-Ausstellung der Nationalgalerie Ende 1931 gelten, vgl. Adolf Behne: Feininger, Lyonel Feininger:
in: Weltb., Jg. Π12, Nr. 40, 6.10.1931, S. 535-537; Ernst Källai:
Zwanzigtausend,
in: Weltb., Jg. 27/2, Nr. 46, 17.11.1931, S. 763-765; Ku.hl.,
Jg. 16, 1932, S. 7 f. Der Einfluß des Ministeriums ist hier allerdings unklar.
8. Zwischen Konfrontation und Annäherung: Internationale Aspekte der Kunstpolitik Der nach 1918 formulierte kunstpolitische Anspruch des Kultusministeriums hatte mit der Vision einer Kulturgemeinschaft gleichberechtigter Völker von Beginn an auch eine internationale Perspektive (siehe Kap. II. 5.1. und III. 1.). Obgleich die Hauptkompetenz in der auswärtigen Kulturpolitik beim Auswärtigen Amt lag, agierte das Ressort kunstpolitisch immer auch international. 1 Vor allem über die preußischen Kunstinstitutionen, die als Aktivposten in die auswärtige Politik eingebunden wurden, nahm es Einfluß. In der ersten Nachkriegszeit hatte hier eine defensive Kunstpolitik im Vordergrund gestanden. Es war dabei vor allem darum gegangen, an den preußischen Grenzen etwa die Akademien als deutsche „Bollwerke" gegen Kultureinflüsse von außen wirken zu lassen (siehe Kap. II. 3.2.) oder mit Ausstellungen die Bevölkerung grenznaher oder besetzter Regionen kulturell an das Kernland zu binden und so in Anknüpfung an die Idee vom Weltkrieg als Kulturauseinandersetzung Frankreich, Polen oder Dänemark gegenüber Stärke zu demonstrieren. Auch das Ausfuhrverbot für „national wertvolle Kunstwerke" war als Beitrag zu dieser Politik zu verstehen gewesen. Daneben hatte sich um 1920/21 im Umfeld des Kronprinzenpalais' ein erstes Interesse des Kultusressorts am Kulturaustausch mit im Krieg neutralen Ländern angedeutet, über den man die deutsche Isolation nach der Niederlage aufzubrechen hoffte (siehe Kap. III. 5.2.). Mit der defensiven Konfrontationspolitik und ersten Ansätzen eines offeneren Austausches waren zwei Grundlinien der internationalen Kunstpolitik des Ministeriums vorgegeben, die auch nach 1921 prägend bleiben sollten. In der ersten Ministerzeit Beckers 1921 änderte sich am unter Haenisch verfolgten Kurs zunächst nichts. Während eine moderne deutsche Ausstellung in Basel, die allerdings noch keinen offiziellen Charakter trug, den Kurs der Annäherung an die neutralen Nachbarländer zumindest indirekt fortsetzte, 2 stand weiterhin die defensive Politik an den Grenzen im Mittelpunkt. 3 Als aktive Beiträge des Ministeriums dazu können etwa der Einsatz für eine Sonderbewilligung von 350.000 M für die Unterbringung des Königsberger Landesmuseums im Schloß, in dessen Kontext mit der „bedrängten und politisch gefährdeten Lage der Provinz Ostpreußen" argumentiert wurde, 4 oder die Unterstützung für die von Gröning im Kreis Gumbinnen veranstalteten Wanderkunstausstellungen (siehe Kap. III. 5.) gelten. 5 Das gemeinsame Eintreten des Ressorts und des Auswärtigen Amtes für die Renovierung eines
1 Vgl. dazu auch Daweke / Schneider 1986, S. 125-127. 2 Vgl. Justi [?] an Sievers, 30.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 55/3. Als Signal der internationalen Aufgeschlossenheit ist in dieser Zeit ζ. B. auch die vom Kultusressort angeregte Einführung einer Leibniz-Medaille für um die deutsche Wissenschaft verdiente Ausländer zu werten, vgl. Protokoll Staatsministerium, 12.7.1921, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. O t t o Braun, A Nr. 19 a. 3 Vgl. dazu auch Oelze (DNVP) u. Becker, 27.10.1921, in: LT, W P 1, H A , Szg. 61, Sp. 11 f u . 23. 4 KM (Nentwig) an FM, 26.7.1921, ms., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154; vgl. dazu auch Becker an FM, 25.10.1921, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154. 5 Vgl. KM (Trendelenburg) an Justi, 19.5.1921, ms., Abschr. Gröning an KM, 1.3.1921, ms., Entwurf
8. Internationale
Aspekte der Kunstpolitik
551
Schinkelschen Preußendenkmals im belgischen Plancenoit, das an die Niederlage Napoleons von 1815 erinnerte, war zudem als Versuch zu lesen, eine national konnotierte Kulturpräsenz auch jenseits der Grenzen zu wahren. 6 An dieser defensiven Selbstbehauptungstendenz blieb die auswärtige Politik des Ministeriums in Ubereinstimmung mit dem Reichskunstwart 7 auch unter Boelitz orientiert. Die Ablehnung jedes Separatismus (siehe Kap. III. 1.) sowie die Angst vor einer „herannahenden slawischen Welle" und dem „Drang der romanischen Völker, sich auszudehnen bis zum ,Rhin français' und darüber hinaus", wovon Boelitz noch 1919 geschrieben hatte, 8 stellten den Hintergrund für die vom Landtag bereitwillig mitgetragenen, intensiven Aktivitäten des Ressorts in der ersten Hälfte der 20er Jahre dar. 9 Als Beleg des fortgesetzten Engagements kann etwa das Eintreten des Ministeriums für eine 1921/22 in Köln gezeigte deutsche Kunstausstellung gelten, die als Gegenaktion gegen eine zuvor in Wiesbaden veranstaltete französische „Propagandaausstellung" gedacht war. 10 Wie sehr das Ressort an einer Förderung der Schau interessiert war, zeigte sich, als es entgegen konservatorischen Bedenken Justis darauf bestand, die Ausstellung durch mehr als dreißig Nationalgalerieleihgaben, darunter Werke von Blechen, Feuerbach, Friedrich, Krüger, Uhde und Schadow, zu unterstützen. 11 Während Justi von Ausleihen „auf Befehl des Ministeriums" sprach, 12 stellte sich das Ressort auch später hinter seine Entscheidung. 13 Auch wenn Ende 1922 im Landtag Vorwürfe laut wurden, es seien keineswegs erstklassige Werke nach Köln gegangen, 14 trug die
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Justi an KM, 31.5.1921, hs. u. KM (Nentwig) an Justi, 9.8.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8275, Bl. 118-120, 123, 125, 128 u. 136-137; ähnlich auch GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8275, Bl. 133; zum Denkmal in Plancenoit vgl. Kuhn 1995. Vgl. Speitkamp 1994, S. 555. Boelitz 1919 a, S. 13; siehe dazu auch Boelitz 1920, S. 8-10. Zur Haltung des Landtags vgl. LT, WP 1, HA, Szg. 61, Sp. 36-38; Szg. 200, Sp. 11, 18 u. 35; LT, WP 1, Prot., Sp. 5709, 5719, 5721-5724, 5799, 7206-7208, 7212 f, 7446-7449, 7471, 7474, 7489, 17011, 17067 f, 17367 u. 17371 f; LT, WP 1, Dr. 2050, S. 2399. Vgl. Schwering (Z), Becker, Haenisch (SPD) u. Lauscher (Z), 28.11.1921, in: LT, WP 1, HA, Szg. 75, Sp. 7,12,14 u. 16. Vgl. Justi an KM, 12.12.1921, ms., Justi an KM, 14.2.1922, Ds., ms. u. Becker an Justi, 25.2.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; siehe dazu auch Kölnischer Kunstverein an Boelitz, 22.11.1921, ms. u. Fischer an Becker, 12.12.1921, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 655; Redslob an RMdl, 3.12.1921, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 224 u. 226; zu Justis Haltung vgl. auch Ludwig Justi: Kunst und Politik, in: Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 35, 26.5.1922, S. 569-574. Justi an KM, 14.2.1922, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25. Vgl. Abschr. Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf an KM, 21.3.1922, ms., KM (Pallat) an Justi, 31.3.1922, ms., Entwurf Justi an KM, 6.4.1922, hs. u. KM (Pallat) an Justi, 21.4.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357. Vgl. Heß (Z), 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 11; zur Rechfertigung vgl. Nentwig, 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 12; Ludwig Justi: Kunst und Politik, in: Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 35, 26.5.1922, S. 569-574; siehe dazu auch LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 16 f.
552
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
ministerielle Solidarisierung mit der Kölner Ausstellung in jedem Fall zur Untermauerung des Interesses an einer pointierten Kunstpolitik gerade im Grenzgebiet zu Frankreich bei. In eine ähnliche Richtung wies zur selben Zeit, daß das Ministerium, wiederum gegen Justis Absichten, darauf bestand, der Großen Düsseldorfer Kunstausstellung 1922 zwei Gemälde von Uhde und Bantzer leihweise zur Verfügung zu stellen.15 Was sich hier für das Rheinland angesichts der großen Zahl der Leihgaben und der Widerstände Justis so klar abzeichnete, läßt sich parallel, wie die Unterstützung einer Ausstellung in Kiel und im besetzten Schleswig im Frühjahr 1922 zeigt, in Ansätzen auch für das Gebiet an der Grenze zu Dänemark,16 vor allem aber für den Osten Preußens nachweisen. Ausdruck des ministeriellen Wirkens in diesem Bereich war die Förderung der künstlerischen Abteilung der Königsberger Ostmesse, in deren Rahmen das Ressort von Akademielehrern und -schülern fünf ostpreußische „Charakterlandschaften" schaffen ließ, „die mit der Ausstellung später ihren Weg durch Deutschland nehmen und Zeugnis von der Schönheit des östlichen Heimatgebietes geben werden." 17 Während das Ministerium den Aspekt der Kulturförderung an der Grenze hier um die Dimension der Stärkung der wechselseitigen Beziehung zwischen Grenzregion und Kernland ergänzte, wurde seine spezielle Aufmerksamkeit für den Osten darüber hinaus ebenfalls in einer besonders bereitwilligen Leihgabenpraxis sichtbar.18 Das Ministerium war indes sowohl im Rheinland wie in Ostpreußen keineswegs nur auf Einzelveranstaltungen festgelegt. Vielmehr galt sein Interesse auch einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine dauerhafte Umsetzung seiner kunstpolitischen Ambitionen in den Grenzregionen. Dem suchte es etwa durch die Fürsprache für günstigere Frachtkonditionen bei Ausstellungen gerade im Grenzgebiet19 (siehe Kap. III. 5.) oder das Engagement für das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz gerecht zu werden.20 Exemplarisch brachte es sein Anliegen beim Königsberger Landesmu15 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 28.11.1921, ms. u. Abschr. Murdfield an Waetzoldt, 5.11.1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357. 16 Vgl. Abschr. Schleswig-Holsteinischer Kunstverein an KM, 2.5.1922, ms., KM (Hiecke) an Justi, 8.5.1922, ms., Entwurf Justi an KM, 17.5.1922, hs. u. Entwurf Justi an Schleswig-Holsteinischen Kunstverein, 17.5.1922, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357; zur parallelen Debatte um die Nutzung des Kieler Schlosses für Kulturzwecke vgl. LT, WP 1, HA, Szg. 135, Sp. 6-13; Landeshauptmann Schleswig-Holstein an Staatsministerium, Aug. 1919, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1791. 17 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357; siehe auch Neuerungen im Ausstellungswesen, in: Germania, o.D, in: BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 1; Preyer (DNVP), 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 31. 18 Vgl. Nentwig, 30.11.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 154, Sp. 15 f. So wurden z.B. Werke der Nationalgalerie von Blechen, Nolde und Kirchner mit Zustimmung des Ressorts nach Breslau geliehen, vgl. Justi an Silberberg, 3.4.1922, ms., KM an Justi, 12.10.1924, ms. u. Material Ende 1924, in: SMBPK / ZA, Nat.gal, Spec. 1, Bd. 25. 19 Vgl. Abschr. Boelitz an Reichsverkehrsminister Groener, 3.5.1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 20-21, Bl. 20 r; zu den Problemen bei Kunsttransporten in besetzte Gebiete siehe später auch KM (Nentwig) an Justi, 20.6.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25. 20 Vgl. Boelitz an Braun, 26.8.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1791; siehe dazu auch Staatsministerium Hessen an preußischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Juni 1922 u. Staatsministerium an KM, Juli 1922, in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1791.
8. Internationale
Aspekte der
553
Kunstpolitik
seum zum Ausdruck. Bereits im August 1922 sprach sich das Ministerium hier mit dem Argument, „an der Grenze des Staates, in dem abgeschnittenen Teile Preussens" müsse ein „lebensfähiges" Museum entstehen, für eine Finanzierung aus dem Ostpreußenprogramm aus.21 Nachdem das Museum nach intensivem Drängen des Ressorts im Juni 1923 tatsächlich ins Königsberger Schloß hatte einziehen können,22 spitzte das Ministerium seine Vorstellungen zu, indem es auf dem Höhepunkt der Inflation die Einsetzung von einer Milliarde M für das Museum beantragte und anführte, „daß die Unterstützung des Ostpreußischen Museums in Königsberg zur Stärkung des Deutschtums in den Grenzgebieten unbedingt notwendig ist." 23 Wertete das Ressort die verbesserte Infrastruktur im Museumsbereich damit als eine der Voraussetzungen für die geforderte starke Kunstpolitik im Grenzgebiet,24 bemühte es sich wie unter Haenisch mit ähnlicher Zielrichtung weiterhin darum, die Akademien Düsseldorf, Breslau und Königsberg in seine nationalen Bestrebungen einzubinden. Seine Absichten unterstrich es im Sommer 1922 in zwei Etatanträgen, in denen es um die Einrichtung eines neuen Werkstattgebäudes und den Ausbau der Graphikabteilung an der Königsberger Akademie ging.25 Wie sehr sich die Vorhaben, die Teil der Kunstschulreformpolitik waren (siehe Kap. III. 3.1.), mit dem Motiv der Demonstration kunstpolitischer Stärke verquickten, belegt der Hinweis auf die spezielle Relevanz der Anträge auf Grund der Lage Königsbergs.26 Das Ministerium erklärte zudem: „Die graphische Abteilung der Kunstakademie in Königsberg ist infolge der Stellung Königsbergs als Warte des Deutschtums gegen den Osten mit berufen, ein wichtiger Kulturträger und Ausstrahlungspunkt hochwertiger deutscher Kunst zu sein. Dieser Aufgabe wird sie infolge ihrer hervorragenden tüchtigen Kräfte jetzt schon in anerkennenswerter Weise gerecht. Ihre volle Wirksamkeit kann die graphische Abteilung jedoch erst entfalten, wenn für den technischen Ausbau gesorgt ist." 27 Die Formulierung „Warte des Deutschtums gegen den Osten" weist klar auf die Intention hin, die sich in Übereinstimmung mit der konservativen Debatte der Zeit 28 mit dem
21 KM (Pallai) an FM, 25.8.1922, ms., S. 1, in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8154. 22 Vgl. Becker an Kronverwaltung [?], 8.1.1923, ms., Abschr. Regierungspräsident Königsberg an Kronverwaltung, 15.1.1923, ms., Regierungspräsident an FM, 24.6.1923, ms. u. KM (Nentwig) an FM, 25.9.1923, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154. 23 KM (Nentwig) an FM, 8.8.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154. 24 Vgl. dazu später auch KM (Nentwig) an Justi, 11.3.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26. 25 Vgl. KM (Nentwig) an FM, 17.8.1922, ms., Abschr. Thiele an KM, 10.7.1922, ms. u. KM (Pallai) an FM, 25.8.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8154; zur entsprechenden Einbindung der Akademie Königsberg siehe auch schon KM an FM, Okt. 1921, ms. u. Entwurf KM an FM, 10.11.1921, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. 26 Vgl. KM (Nentwig) an FM, 17.8.1922, ms., S. 3, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154. 27 KM (Pallai) an FM, 25.8.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, IC, Nr. 8154. 28 Vgl. dazu z. B. Steffens (DVP), 30.11.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 154, Sp. 13; LT, WP 1, Dr. 5331, S. 6106; Preyer (DNVP), 15.9.1924, in: LT, WP 1, HA, Szg. 289, Sp. 20 f; Ein Memorandum Professoren der Königsberger
Kunstakademie,
in: Königsberger
Allgemeine
der
Zeitung, Abendausg.,
Nr. 408, 15.9.1924, in: GStA PK, I. H A Rep. 151, IC, Nr. 8154; siehe auch Oberpräsident Königsberg an KM, 18.2.1923, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI.
554
III. Tendenzen
der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Einsatz für die ostpreußischen Kunstinstitutionen verband. Eben dieser Intention suchte das Ressort zur selben Zeit in Schlesien Rechnung zu tragen, indem es sich für die Einrichtung neuer Ausstellungsräume für den Schlesischen Kunstverein in Breslau stark machte.29 Das Zusammengehen mit dem Schlesischen Kunstverein öffnet dabei den Blick für einen weiteren Aspekt der Kunstpolitik in den Grenzgebieten: für das Interesse an einer Kooperation mit bestehenden Kunstvermittlungsorganisationen vor Ort, die als lokale Netzwerke nicht nur den Anspruch auf Kunstpopularisierung, sondern auch die nationalpolitischen Absichten mittrugen. In Ostpreußen setzte das Ministerium in diesem Zusammenhang weiter auf die von Gröning veranstalteten Wanderausstellungen. Immer wieder förderte es die entsprechenden Aktivitäten, deren Bedeutung Gröning auch darin sah, seine „vom deutschen Kunstleben abgeschnittene Heimat mit fast allen bedeutenden deutschen Künstlern bekannt zu machen",30 durch Leihgaben aus den Staatsmuseen (siehe Kap. III. 5.).31 Im Westen galt das ministerielle Interesse gleichzeitig dem Bund der Künste im Rheinisch-Westfälischen Industriebezirk (siehe Kap. III. 5.), der von Beginn an eine antifranzösische nationalpolitische Tendenz aufwies.32 Die Solidarisierung mit dem Bund hatte sich schon durch die Teilnahme Waetzoldts an der Gründungsversammlung im Juni 1921 in Essen angedeutet und im nachfolgenden Bericht des Referenten bestätigt, in dem dieser betonte, er habe den Eindruck gewonnen, „daß der Bund der Künste wohl als die wichtigste und auch vom Standpunkt der Politik im besetzten Gebiet nützlichste Organisation auf dem Gebiete der Kunstförderung angesehen werden dürfte. [...] Es ist daher jede nur mögliche Unterstützung des Bundes aus öffentlichen Mitteln anzuempfehlen. Es darf auch hervorgehoben werden, daß von keiner Seite während der Verhandlungen das politische Moment etwa vorhandener Separationsgelüste im Rheinland als Druckmittel in die Wagschale geworfen wurde und daß auch bei der Besprechung des Verhältnisses zwischen Provinz und Berlin nicht das Gegensätzliche, sondern das Verbindende ernstlich betont wurde." 33 Stellte sich der Bund der Künste damit mit Blick auf die nationalintegrativen Ambitionen im Grenzgebiet als idealer Partner für das Ministerium dar, konkretisierte sich das Interesse schließlich, als das Ressort der Vereinigung im Oktober 1921 eine später zur Hälfte vom Reich mitgetragene
29 Vgl. Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357; siehe dazu auch den entsprechenden Antrag der DNVP, vgl. Noack (DNVP), 22.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7446-7449. 30 Denkschrift Gröning, Jan. 1923, in: BArchB, R 32, Nr. 146, Bd. 2, Bl. 76-81, Bl. 79 r. 31 Zu weiteren Kontakten des Ministeriums zur Koordinierung der kulturpolitischen Aktivitäten im Osten Preußens vgl. auch Der Zusammenschluß der oberschlesischen Kulturbestrebungen, Oberschlesischer Verband für Heimatpflege und Volksbildung an [Becker], [nach 1921/22], gedr., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 2155; Regierungsrat KM an Strunk (Senator für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Danzig), 23.6.1923, Telegramm Strunk an Becker, 25.6. 1923 u. Notizen Duwe, o.D., hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4390. 32 Vgl. Abschr. Bund der Künste im Rheinisch-Westfälischen Industriebezirk (Landrat [Schöne]) an RMdl, 23.7.1921, ms. u. Abschr. Waetzoldt: Reisebericht über die Dienstreise nach Essen am 10.-12. Juni 1921, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 146, Bd. 2, Bl. 101-104 a, Bl. 103-104 u. Bl. 111-117, Bl. 112 r. 33 Abschr. Waetzoldt: Reisebericht über die Dienstreise nach Essen am 10.-12. Juni 1921, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 146, Bd. 2, Bl. 111-117, Bl. 117 r.
8. Internationale
Aspekte
der
555
Kunstpolitik
Beihilfe von 30.000 M bewilligte, die zur Förderung der „schon jetzt für die kulturelle Arbeit im besetzten rheinischen Gebiet" wichtigen Zeitschrift Feuer verwandt werden sollte. Eine weitere Zuwendung machte das Ministerium davon abhängig, „daß diese nur insoweit in Frage kommen kann, als die Mittel für die Pflege der deutschen Kultur im besetzten Gebiet und der kulturellen Wechselbeziehungen zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet Verwendung finden." 3 4 Ergebnis dieser Forderungen war etwa eine im Herbst 1922 mit Unterstützung des Ministeriums im Rheinland und in Westfalen gezeigte Wanderausstellung mit Werken in Berlin lebender rheinischer Künstler. 35 Darüber hinaus suchte das Ressort den Bund der Künste als Instanz zu etablieren, die das Ausstellungswesen im Westen gezielt koordinieren sollte. 36 Unter Boelitz stand dem Ministerium so mit dem Bund der Künste gerade in der Konfrontation mit Frankreich, das in der Nachkriegszeit als kunstpolitischer Hauptkonkurrent wahrgenommen wurde, 37 eine vielschichtig engagierte Organisation zur Seite (siehe Kap. III. 5.). 38 Während das Kultusministerium seine national intendierte Kunstpolitik an den Grenzen mithin auf eine immer festere Basis stellte, wurde in der ersten Hälfte der 20er Jahre gleichzeitig ein weiteres, für die defensiven nationalpolitischen Bestrebungen wesentliches Projekt weiterverfolgt: die Aufstellung der Liste „national wertvoller Kunstwerke". Nachdem sich das Ministerium bereits unter Haenisch zunehmend von dem Projekt distanziert und einem breiten Kunst- und Denkmalschutzgedanken den Vorzug vor einer restriktiven Verbotsliste gegeben hatte (siehe Kap. III. 5.2.), gehörte das Ministerium Boelitz hier keineswegs zu den treibenden Kräften. Vielmehr Schloß sich der zuständige Mitarbeiter Hiecke unverhohlen der Pressekritik an der unter Federführung des Reichsinnenministers willkür-
34 Abschr. KM an Bund der Künste im Rheinisch-Westfälischen Industriebezirk (Schöne), 19.10. 1921, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 146, Bd. 2, Bl. 100, Bl. 100 r. 35 Vgl. Ku. u. Wi„ Jg. 2, Nr. 18, 16.9.1922, S. 2; siehe dazu auch SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 6, Bl. 53-54. Die Sensibilität des Ministeriums für dieses Thema zeigte sich später auch im Umfeld der Felixmüller-Ausstellung der Nationalgalerie 1923, vgl. KM (Nentwig) an Justi, 29.10. 1923, ms. u. Entwurf Justi an KM, 15.11.1923, ms. / hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 396-398. 36 Vgl. Abschr. KM an Bund der Künste im Rheinisch-Westfälischen Industriebezirk (Schöne), 19.10. 1921, ms. u. Abschr. KM an Oberbürgermeister Krefeld, 19.10.1921, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 146, Bd. 2, Bl. 100 u. 105 r. 37 Zum Interesse des Kultusministeriums an der französischen Kunstpolitik vgl. KM (Trendelenburg) an RMdl, 16.12.1921, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 2; Herbert Gericke: Die
bildenden
Künste im französischen Staatshaushalt 1921, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 17, 20.1.1922, S. 290-294; zur allgemeinen Wahrnehmung vgl. z.B. Lothar Brieger an Haenisch, 12.11.1918, ms., in: BArchB, 90 Ha 4, Nr. 452, Bl. 22-23; Curt Glaser: Die Umgestaltung der Museen im Sinne der neuen Zeit, in: Ku. ». Kü„ Jg. 17, Nr. 8, Mai 1919, S. 336-339; Alfred Kuhn: 25 Jahre Museums-Verein,
Kaiser-Friedrich-
25 Jahre Société des Amis du Louvre, in: Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 44, 4.8.1922,
S. 713-718; O. Marcus: Kunstschulreform,
in: Ku. u. Wi„ Jg. 5, Nr. 6, Juni 1924, S. 4 f.
38 Zum fortgesetzten Interesse des Ministeriums an Ausstellungen im Rheinland vgl. auch Doderer an Becker, 12.8.1922, hs. u. Becker an Doderer, 17.8.1922, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 251.
556
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1 9 2 1 - 3 2
lieh zusammengestellten Ausfuhrliste an, als diese im Sommer 1922 vorgelegt wurde. 39 Dennoch war das Ministerium durch die Aufforderung des Reiches immer wieder zwangsläufig in die entsprechenden Aktivitäten involviert. 40 So war es Ende 1923 über Gall maßgeblich an einem Treffen zur Überarbeitung der Ausfuhrliste beteiligt, bei dem man sich auf neue Kriterien für die Werkaufnahme einigte.41 1923/24 setze das Ministerium überdies eine Kommission zur Revision der Liste ein.42 Faktisch gestaltete damit auch das Ressort Boelitz die Politik in diesem Bereich mit. Letztlich trug es so trotz aller Distanz in einer Zeit, in der Berichte über Kunstabwanderungen ins Ausland die Gemüter erregten und in der man mit dem Verzeichnis einem international gängigen Muster folgte, 43 doch dazu bei, den Gedanken der nationalen Abschottung gegenüber dem internationalen Kunstmarkt staatlich zu sanktionieren. Die defensive Strategie stellte unter Boelitz jedoch nur e i n e Seite der internationalen Kunstpolitik des Kultusressorts dar. In Abhängigkeit von Vorgaben des Reiches bestimmte nun auch die Idee des internationalen Kulturaustausches zunehmend die ministeriellen Aktivitäten. Während für Boelitz selbst in der Kunstpolitik nationale Aspekte im Vordergrund standen, 44 wirkten vor allem Becker, Waetzoldt und Gericke als Motoren des Annäherungskurses.45 Wie 1920/21 erwiesen sich zunächst weiterhin die Niederlande und Italien als wichtige 39 Vgl. Entwurf Hiecke an Clemen, 3.4.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 14, Abt. IV, Nr. 36, Bd. VII, Bl. 246-247; siehe dazu auch Clemen an Hiecke (KM), 13.3.1923, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 14, Abt. IV, Nr. 36, Bd. VII, Bl. 236; KM an Justi, 29.7.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 22, Bd. 1; zur Pressekritik vgl. G.: Das Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke, in: Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 51/52, 22./29.9.1922, S. 869 f; K. Sch.: National wertvolle Kunstwerke, in: Ku. u. Kii. J g . 21, Nr. 2, Nov. 1922, S. 66 f. 40 Vgl. Zentr.bl. Unterr.verw., Jg. 63, Nr. 20, 20.10.1921, S. 401 f; Briefe u. Unterlagen Okt. 1921Nov. 1922, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Künstlerspezialakten, M, Bd. 22; LT, WP 1, Dr. 5224, S. 6055; LT, WP 1, Prot., Sp. 17010 u. 17384 f; siehe dazu auch RMdl an Bode, 3.5.1923, ms., RMdl an Bode, 4.5.1923, ms. u. RMdl an Bode, 18.6.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 432. 41 Vgl. RMdl an Unterrichtsverwaltungen der Länder, 8.12.1923, gedr., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 22, Bd. 1; siehe dazu auch RMdl an Bode, 15.10.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 432. 42 Vgl. RMdl an Unterrichtsverwaltungen der Länder, 17.3.1923, ms. / gedr., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 432; KM (Nentwig) an Justi, 11.4.1923, ms., Anlagen, ms. u. Entwurf Justi an KM, 31.1.1924, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 22, Bd. 1. 43 Vgl. Baecker (DNVP), 7.2.1922, in: LT, WP 1, HA, Szg. 89, Sp. 5; Wallraff (DNVP) u. Becker, 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 9 f u. 12; Schwering (Z), 14.5.1923, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 17371 f; Paul Kompert in: Ku.wan., Jg. 7, 1./2. Juni-Nr. 1925, S. 337-339; siehe auch Waetzoldt an Bode, 22.7.1927, hs., Waetzoldt an Bode, 20.12.1927, hs. u. Waetzoldt an Bode, [Anfang 1928?], hs., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm Waetzoldft]; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 12, Bl. 672-676, 729, 742, 748, 756, 758 u. 760. 44 Vgl. dazu auch Boelitz 1919 b, S. 42; Erich Witte: Kultusminister Boelitz, in: Weltb., Jg. 19/2, Nr. 39, 27.9.1923, S. 312-314; Boelitz (DVP), 17.3.1931, in: LT, WP 3, Prot., Sp. 18866 f. 45 Vgl. Düwell 1976, S. 156 f; siehe dazu auch Becker u. Nentwig, 14.4.1923, in: LT, WP 1, HA, Szg. 200, Sp. 20 f u. 25; Becker: Wiederanknüpfung kultureller Beziehungen zum Ausland, [1924], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1395.
8. Internationale
Aspekte der Kunstpolitik
55 7
Partner für das Minsterium (siehe Kap. II. 5.2.). Nachdem es bis 1921 vorrangig um Ausstellungen ausländischer Kunst in Berlin gegangen war, konnten seit 1922 merkliche Fortschritte auch mit Blick auf die Präsenz deutscher Kunst im Ausland erzielt werden. Hintergrund dafür war ein intensiviertes Bemühen des Reiches um koordinierte deutsche Aktivitäten in diesem Bereich, in das unter anderem das preußische Kultusressort eingebunden wurde.46 Anfang 1922 kam Bewegung in die Sache, als sich das Auswärtige Amt für die Unterstützung einer Barockausstellung in Florenz aussprach, das Kultusressort dem Kaiser-Friedrich-Museum und der Gemäldegalerie Kassel daraufhin umgehend die Genehmigung für Ausleihen erteilte und im Frühjahr 1922 tatsächlich mehrere Werke aus dem Berliner Staatsmuseum in Florenz gezeigt wurden.47 Gleichzeitig ermöglichte die Tatsache, daß auf der XIII. Internationalen Kunstausstellung in Venedig 1922 erstmals nach dem Krieg wieder eine deutsche Abteilung vorgesehen war, auch auf dem Terrain der aktuellen Kunst eine Rückkehr Deutschlands auf das internationale Ausstellungsparkett.48 Dabei leistete das preußische Kultusressort anders als etwa Bayern, das hier wie bei der florentiner Ausstellung restriktiver agierte,49 einen aktiven Beitrag zur Förderung des Unternehmens, indem es Ende März 1922 die Erlaubnis erteilte, das der Nationalgalerie gehörende Gemälde Donna Gravida von Corinth nach Venedig zu schicken.50 Durch die staatliche Ausleihe trug das Ministerium dazu bei, daß die deutsche Präsentation, bei der neben Corinth Werke von Liebermann, Slevogt, Kokoschka und jüngeren Künstlern gezeigt wurden,51 einen offiziellen Charakter erhielt. Wie genuin eine solche Präsentation den Absichten des Ressorts entsprach und wie dezidiert es die entsprechende Politik mitgestaltete, offenbarte sich wenig später bei einer Reihe von Ausstellungen deutscher Kunst in den Niederlanden. Hatte sich das spezielle Interesse des Ministeriums an den Niederlanden bereits dadurch gezeigt, daß sich der in Amsterdam geborene Becker sowie Waetzoldt und Justi seit Anfang 1922 in der Deutsch-Niederländi46 Vgl. dazu Entwurf RMdl an AA, 24.5.1922, hs. u. AA an RMdl, 1923.11.14 [?], ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 27 u. 377; KM (Waetzoldt) an Liebermann u. Justi, 4.12.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 2, Bl. 131. Als Katalysator werden nicht zuletzt die entsprechenden Aktivitäten anderer Länder, v. a. Frankreichs, gewirkt haben, vgl. dazu Herbert Gericke: Die bildenden Künste im französischen
Staatshaushalt 1921, in: Ku.chr., Jg. 57/1, Nr. 17, 20.1.1922,
S. 290-294; AA an RMdl u. KM, 4.1.1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 211-212. 47 Vgl. [KM, U IV]: Kunstausstellungen
in Italien unter deutscher Beteiligung, [1922], hs., in: GStA
PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1823; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 421 u. Bd. 2, S. 373. 48 Vgl. Sievers 1966, S. 307 f; Düwell 1976, S. 121 u. 181 f. 49 Vgl. Waetzoldt: Bericht über die Dienstreise nach München am 16. und 17. September 1921, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 1, M, Bd. 10/1; Ludwig Justi: Kunst und Politik, in: Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 35, 26.5.1922, S. 569-574. 50 Vgl. Justi an KM, 25.2.1922, ms., Posse an Justi, 18.2.1922, ms. u. Posse an Justi, 22.3.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; [KM, U IV]: Kunstausstellungen
in Italien unter deut-
scher Beteiligung, [1922], hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1823; KM (Pallat) an Justi, 31.3.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1; Ludwig Justi: Kunst und Politik, in: Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 35, 26.5.1922, S. 569-574; Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357. 51 Vgl. Kunstausstellung in Venedig, in: Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 44, 4.8.1922, S. 727 f.
558
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
sehen Gesellschaft engagierten, deren Ziel es war, „die guten Beziehungen auf dem Gebiete der Kultur und der Wirtschaft zwischen Deutschen und Niederländern zu fördern", 52 ging es dabei zunächst um die Förderung einer internationalen, auch die deutsche Kunst berücksichtigenden Ausstellung im Den Haager Kunstsalon Kleykamp im Juli 1922. Seine Aufgeschlossenheit für das Projekt signalisierte das Ministerium, indem es im Juni 1922 sofort positiv auf die Haager Ausleihanfragen reagierte und die Ausstellung schließlich mit fünf Werken von Liebermann, Slevogt, Corinth, Thoma und Kalckreuth aus der Nationalgalerie unterstützte.53 Noch klarer zeichnete sich die Rolle, die das Ressort in diesem Kontext spielte, dann ab, als Gericke den Transport der preußischen Leihgaben nicht nur persönlich nach Den Haag begleitete, sondern dort auch die Hängung der Bilder beaufsichtigte und auf die Gestaltung des Haager Katalogs maßgeblichen Einfluß nahm.54 Gerade angesichts der besonderen Qualität der in Den Haag gezeigten Werke aus preußischem Besitz war Gericke überzeugt davon, daß sich Deutschland gegenüber den anderen auf der Schau vertretenen Ländern würde positiv behaupten können.55 Tatsächlich wirkte die Beteiligung an der Ausstellung in Den Haag ganz im Sinne des Ministeriums als eine Art Türöffner für eine noch intensivere deutsche Kunstpräsenz in den Niederlanden im Herbst 1922. Die genauen Umstände der weiteren Entwicklung lassen sich nicht rekonstruieren. Fest steht jedoch: Nur zwei Monate nach der Schau im Salon Kleykamp, die einen zumindest halboffiziellen Charakter dadurch hatte, daß sie mit einem Empfang der Frau des niederländischen Außenministers van Karnebeck eröffnet wurde,56 gab es wiederum in Den Haag, diesmal in der Kunstgenossenschaft, eine große deutsche Ausstellung, die von van Karnebeck angeregt und von der mit dem preußischen Kultusressort liierten Deutsch-Niederländischen Gesellschaft vorbereitet worden war. Daß die nun allein der deutschen Kunst der letzten fünfzig Jahre - von Menzel über Trübner, Feuerbach, Klinger, Liebermann und Corinth bis zu den Expressionisten - gewidmete Schau57 vor dem Hintergrund der Kooperation des Kultusministeriums mit maßgeblichen niederländischen
52 Broschüre Jan. 1922, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; siehe dazu auch Einladung Verein zur Förderung der Hollandkunde in Berlin / Deutsch-Niederländische Gesellschaft Berlin an [Becker], Febr. 1922, gedr., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 5592. 53 Vgl. KM (Waetzoldt) an Vertreter Direktor N G , 20.6.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; Waetzoldt an Redslob, 21.7.1922, ms. u. Gericke: Bericht über die Reise nach Holland vom 24. Juni bis 7. Juli 1922, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 14-19; Hinweis AA an Redslob, 22.8.1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 75; Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357. 54 Vgl. Gericke: Bericht über die Reise nach Holland vom 24. Juni bis 7. Juli 1922, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 15-19; zur späteren Mitarbeit auch Waetzoldts am Katalog siehe Waetzoldt (KM) an Amersdorffer, 24.7.1922, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/027, Bl. 118. 55 Vgl. Gericke: Bericht über die Reise nach Holland vom 24. Juni bis 7. Juli 1922, ms., in: BArchB, R 32, Nr. 166, Bl. 15-19, Bl. 18 r - 1 9 r. Neben Deutschland waren bei der Ausstellung Frankreich, England, Belgien, Spanien, Italien, die Schweiz, Ungarn, Polen, die Tschechoslowakei, Griechenland, Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland und Osterreich vertreten. 56 Vgl. ebd., Bl. 19 r. 57 Vgl. Deutsche Kunst in Holland, in: Ku.wan., Jg. 4, 2. Sept.-Nr. 1922, S. 38.
8. Internationale
Aspekte
der
559
Kunstpolitik
Kreisen im Umfeld der Ausstellung bei Kleykamp zustande kam, ist zumindest anzunehmen. 58 Zahlreiche Leihgaben der Nationalgalerie und des Kupferstichkabinetts belegen das preußische Engagement für die zweite Haager Ausstellung. 59 Mit dieser ersten großen deutschen Kunstpräsentation im Ausland nach 1918 setzte das Ministerium Boelitz auf ein durchaus wirkungsvolles Projekt - betonten doch nicht nur die Redner bei der Eröffnung am 9. September 1922, allen voran der niederländische Kultusminister de Visser, die Qualität der gezeigten Werke, sondern hob überdies auch die holländische Presse darauf ab, „daß hier die erste Gelegenheit geboten sei, die deutsche Kunst in ihrer Enwicklung und in ihren führenden Meistern kennenzulernen, und daß derartige Beziehungen der Künste und der Künstler am besten geeignet seien, die Wiederannäherung und das gegenseitige Verständnis der Völker nach Jahren der Trennungen und Verstimmungen anzubahnen." 6 0 Die Haager Schau wurde später an zwei weiteren Orten in den Niederlanden, zunächst im Oktober 1922 im Stadtmuseum in Amsterdam und anschließend in Rotterdam, gezeigt. Im Umfeld dieser Folgeveranstaltungen, die Preußen weiterhin bereitwillig durch Leihgaben unterstützte, 61 bestätigte sich erneut die besondere Rolle des Ressorts Boelitz bei den deutschen Ausstellungsaktivitäten in den Niederlanden, als Waetzoldt die Schau in Amsterdam eröffnete und erklärte, es sei „eine schwierige und verantwortungsreiche Aufgabe, zu versuchen, so einem fremden Volk ein Bild der eigenen Kunst zu geben. Man habe zuerst geschwankt, ob man eine Auswahl aus Werken der gesamten deutschen Malerei geben sollte oder ob man sich auf die letzten fünfzig Jahre beschränken wollte. Schließlich habe man sich für das letztere entschieden. Natürlich könnten die ausgestellten Werke [...] nur einen allgemeinen Begriff von den wichtigsten Ideen [geben], welche die deutschen Künstler seit der Romantik beherrscht hätten." 6 2 Gab der Kunstreferent so einen Einblick in die Grundintention der Ausstellung, schloß er seine Rede mit dem Wunsch, „daß die holländischen Maler bald dem Beispiel [...] folgen und auch den Deutschen ihre Kunst zeigen würden und so beitragen zum Austausch geistiger Güter zwischen den beiden benachbarten Völkern." 6 3 Damit hatte Waetzoldt die doppelte Relevanz des internationalen Einsatzes seines Ressorts betont: Zum einen ging es darum, im Ausland, wie zur selben Zeit im eigenen Land (siehe Kap. III. 7.), ein vielschichtiges, traditionsbewußtes Bild der zeitgenössischen deutschen Kunst zu zeichnen und dabei bekannte Namen für die Republik wirken zu lassen.
58 Zu den preußisch-niederländischen Kulturkontakten vgl. auch KM (Pallat) an Justi, 20.9.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 6, Bl. 99-100. 59 Vgl. Deutsche Kunst in Holland, in: Ku.wan., Jg. 4, 2. Sept.-Nr. 1922, S. 38. 60 Ebd.; siehe dazu auch BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 91-92. 61 Vgl. dazu Deutsch-Niederländische Gesellschaft an Justi, 6.11.1922, ms. u. Notiz Justi, 10.11. 1922, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; siehe dazu auch schon KM (Pallat) an Justi, 31.3.1922, ms., KM (Pallat) an Justi, 3.10.1922, ms. u. Justi an KM, 11.10.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 1. 62 Zitiert nach Die deutsche Kunstausstellung
in Amsterdam,
in: Rheinisch-Westfälische
Zeitung,
12.10.1922, in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 89; siehe dazu auch BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 75; Schunk 1993, S. 439. 63 Zitiert nach Die deutsche Kunstausstellung
in Amsterdam,
12.10.1922, in: BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 89.
in: Rheinisch-Westfälische
Zeitung,
560
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
Zum anderen verband sich mit dem Ziel, das Ausland mit deutscher Kunst vertraut zu machen, umgekehrt die Hoffnung auf eine stärkere Präsenz ausländischer Kunst in Deutschland. Durch beides sollte im Sinne der von Becker formulierten internationalen Kulturgemeinschaftsvision (siehe Kap. II. 5.1.) eine gegenseitige offene Annäherung möglich werden. Die vom Kultusministerium so entschieden mitgetragenen Ausstellungsbeteiligungen des Jahres 1922 in Italien und den Niederlanden hatten Initialfunktion - folgten ihnen doch, nachdem Waetzoldt im Frühjahr 1922 an einer Ausstellung des Reiches in Stockholm am Rande beteiligt gewesen war,64 1923 und 1924 mehrere Veranstaltungen, die das Begonnene unter Mitwirkung des Ministeriums Boelitz weiter festigten. So setzte sich das Ressort im Herbst 1923 für die Unterstützung einer internationalen Ausstellung in Rom ein. Zumal Frankreich und England Entsprechendes bereits zugesagt hatten und „in Würdigung der besonderen politischen Bedeutung der Angelegenheit", genehmigte das Ressort die Ausleihe je eines Marées, Feuerbach und Menzel nach Rom. 6 5 Bereits im Frühjahr 1923 hatte es mit der Ausleihe eines Gartenbildes von Liebermann an die Züricher Kunstgesellschaft kunstpolitische Kontakte in die Schweiz eröffnet. 66 Diese setzten sich im Frühjahr 1924 fort, als für eine Thoma-Ausstellung in Basel und Zürich zwei Werke des auch für das Ressort zentralen Künstlers (siehe Kap. III. 7.) ausgeliehen wurden. 67 Während sich privat und offiziell vom Reich organisierte deutsche Kunstpräsentationen im Ausland mehrten, 68 zeigte sich auf diese Weise auch das Ministerium Boelitz zunehmend aufgeschlossener für eine internationale Perspektive. Damit bewahrheitete sich zumindest mit Blick auf die Niederlande, Italien und die Schweiz das, was das Ressort schon im Herbst 1922 konstatiert hatte:
64 Vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 2 8 - 3 7 ; zu den folgenden Ausstellungsaktivitäten in Schweden und Finnland siehe auch SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 6, Bl. 167; BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 178-181. 65 Boelitz an Justi, 17.9.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25. Bei den Leihgaben handelte es sich um Marées' Die vier Lebensalter, Feuerbachs Ricordo di Tivoli und Menzels Fackelzug. 66 Vgl. Direktor N G (i.V. Mackowsky) an KM, 17.5.1923, ms. u. KM (Waetzoldt) an Justi, 26.5. 1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25. 67 Vgl. Justi an KM, 25.2.1924, ms., KM (Nentwig) an Justi, 4.3.1924, ms. u. KM (Waetzoldt) an Justi, 15.4.1924, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 25; zur Bedeutung der Ausstellung vgl. auch SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 2, Bl. 147, 150-152 u. 487-487; SAdK, PrAdK, 2.2/270, Bl. 22; KM (Nentwig) an Justi, 23.5.1925, ms. u. N G an KM, 29.5.1925, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; Hans Mackowsky: Hans Thoma's Kunst.
Briefliche
Bekenntnisse des Meisters, in: Ku.wan., Jg. 4, 2. Juni-Nr. 1922, S. 461-463, S. 463. 68 So sind nach 1921 deutsche Ausstellungen in den USA, Tokio, Rom, Kopenhagen oder Moskau nachweisbar. Daneben nahm Deutschland seit 1922 an der Internationalen Ausstellung in Venedig teil, vgl. Deutsche Kunst für Amerika, in: Cie., Jg. 13, Nr. 17, Sept. 1921, S. 494; BArchB, R 32, Nr. 69, Bd. 1, Bl. 12; BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 405; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 2, Bl. 121, 136, 486 u. 495; Ku.wan., Jg. 6, 1./2. Sept.-Nr. 1924, S. 24; Die erste Allgemeine
Deutsche
Kunstausstellung in Moskau, in: Cie., Jg. 16, Nr. 24, Dez. 1924, S. 1198 f; E. Waldmann: Von der Internationalen
Kunstausstellung in Venedig, in: Ku. u. KU., Jg. 23, Nr. 3, Dez. 1924, S. 113-115;
Sievers 1966, S. 307-309; Rave 1987, S. 27; siehe dazu auch Schober 2004.
8. Internationale
Aspekte der Kunstpolitik
561
„Auch im Auslande eroberte sich deutsche Kunst ihren Platz." 69 Wohl auch wegen negativer Erfahrungen mit Ausstellungen weniger eingängiger modernster Kunst im Ausland70 befanden sich vornehmlich Werke der Impressionisten Liebermann, Slevogt und Corinth, aber auch von Thoma und Künstlern des 19. Jahrhunderts bis hin zu Menzel unter den Auslandsleihgaben. An aktueller Kunst wurden daneben allenfalls die Expressionisten gezeigt. Offenkundig wollte sich das Ministerium gerade auf dem diffizileren ausländischen Terrain zunächst auf gesichertem Boden bewegen. Während gleichzeitig die deutsche Teilnahme an internationalen Kunstveranstaltungen noch keineswegs selbstverständlich war,71 trug es so bis Mitte der 20er Jahre dazu bei, die deutsche Nachkriegsisolation kunstpolitisch zumindest ansatzweise aufzubrechen.72 In Preußen selbst fand die wachsende internationale Aufgeschlossenheit des Ressorts etwa dadurch Ausdruck, daß sich das Ministerium interessiert an der vom Jungen Rheinland für den Sommer 1922 im Düsseldorfer Kaufhaus Tietz geplanten I. Internationalen Kunstausstellung73 zeigte und erklärte: Aus den Gesuchen der Organisatoren74 habe man „gern ersehen, dass das Junge Rheinland mit gleichgerichteten, für die künstlerische Fortentwicklung bedeutsamen Künstlergruppen des In- und Auslandes in nähere Verbindung getreten ist. Soweit diese Gruppen zu meiner Verwaltung in besonderen Beziehungen stehen, bin ich bereit, ihnen jede mögliche Unterstützung zu leihen [...]. Ebenso begrüsse ich es, wenn es der Jugend verschiedener Länder gelingt, das künstlerische Schaffen durch wechselseitige Anregung auf diesen Gebieten zu befruchten." 75 Signalisierte das Ressort damit seine Sympathie für das internationale Projekt, waren ihm angesichts der distanzierten Haltung des Reiches 76 doch Grenzen gesetzt, was eine Identifikation mit der Veranstaltung anging. Eine Wahl in den Ehrenausschuß oder eine Teilnahme an der Eröffnung mußte sich Boelitz versagen.77 Faktisch trug das Kultusministerium die vom Reich vorgegebene Ablehnung so
69 Denkschrift Tätigkeit Kunstreferat 1922, S. 4357. 70 Siehe dazu z. B. die kritische Aufnahme einer Sr«nn-Ausstellung im schwedischen Göteborg 1923, vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 377; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 2, Bl. 131. 71 Vgl. dazu z.B. Theodor Däubler: Die Genfer Internationale
Kunstausstellung,
in: Cie., Jg. 13,
Nr. 3, Febr. 1921, S. 83-88; BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 200-201; BArchB, R 1501, Nr. 8983, Bl. 391-393. 72 Zur generellen Offnungstendenz zu Beginn der 20er Jahre vgl. auch Düwell 1976, S. 121, 155 f u. 180-191. 73 Zur Ausstellung vgl. Finkeldey 1992. 74 Vgl. Oberbürgermeister Düsseldorf an RMdl, 22.3.1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 242; Junges Rheinland an Justi, 3.4.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 6, Bl. 48; siehe dazu auch Finkeldey 1992, S. 24. 75 Abschr. KM an Junges Rheinland, 7.4.1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 247 r. 76 Am 5.4.1922 hatte es eine Besprechung im Kultusministerium wegen des Projekts gegeben, an der das Reichsinnenministerium, der Reichskunstwart und das Auswärtige Amt teilnahmen. Dort hatte man sich darauf geeinigt, das Projekt u. a. wegen undurchsichtiger finanzieller Machenschaften und der im besetzten Gebiet gebotenen Zurückhaltung nicht zu protegieren, vgl. Redslob an RMdl, 5.4.1922, ms., BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 243. 77 Vgl. Abschr. KM an Junges Rheinland, 7.4.1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 247; zur
562
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
zwar mit, machte aber durch sein Schreiben vom April 1922 doch sein Interesse an deren Grundintention des internationalen Austausches klar.78 Während eine private russische Avantgardeschau in Berlin eine Internationalisierung des Kunstlebens auch in der Hauptstadt andeutete79 und die preußische Kunstschulpolitik zunehmendes Interesse im Ausland fand,80 kann zum Beispiel eine Anfang 1922 in Pallats Zentralinstitut gezeigte Präsentation mit Schulzeichnungen japanischer und deutscher Kinder (siehe Kap. III. 5.) als erster Ansatz für einen internationalen Kulturaustausch verstanden werden.81 Auch eine Ausstellung moderner indischer Aquarelle, die im Frühjahr 1923 parallel zur Einrichtung des Ostasiatischen Museums (siehe Kap. III. 4.2.) im Kronprinzenpalais veranstaltet wurde, deutete in diese Richtung. 82 Gleichzeitig wurde einem solchen Engagement der Nationalgalerie in der ersten Hälfte der 20er Jahre jedoch vom Reich noch deutlich ein Riegel vorgeschoben. So waren russische und französische Kunstpräsentationen in der Galerie nicht erwünscht.83 Daneben erwies sich in der Inflationszeit das Interesse an ausländischer Valuta als zwiespältiges Thema, wenn es um die Demonstration internationaler Offenheit ging. Zwar trug beispielsweise das Bemühen Waetzoldts, die Kontakte in die Niederlande für eine finanzielle Besserstellung der Notspende für deutsche Kunst zu nutzen (siehe Kap. III. 6.1.), vermutlich zu einer Intensivierung der preußisch-niederländischen Beziehungen bei. Die Einführung höherer Eintritte für Ausländer an den Staatsmuseen, die Becker als unerwünschte Fremdensteuer kritisierte, die aber Ende 1922 von Boelitz dennoch sanktioniert wurde (siehe Kap. III. 4.2.), 84 erwies sich hingegen kaum als
Ehrenausschußwahl vgl. auch Abschr. Junges Rheinland an Oberbürgermeister Düsseldorf, 26.3. 1922, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 246 r; Junges Rheinland an Justi, 3.4.1922, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 6, Bl. 48; zum Kontext siehe Finkeldey 1992, S. 23 f; BT, Jg. 49, Nr. 513, 8.11.1920; Ku.chr., Jg. 57/2, Nr. 33, 12.5.1922, S. 545. 78 Vgl. dazu auch Vermerk von Zahn [RMdl], 25.4.1922, hs„ in: BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 248 r. 79 Vgl. dazu Adolph Donath: Die Russische Kunstausstellung in Berlin, in: Ku.wan., Jg. 4 , 1 . Nov.-Nr. 1922, S. 95 f; Karl Scheffler: Erste russische Kunstausstellung, in: Ku. u. Kü., Jg. 21, Nr. 3, Dez. 1922, S. 101 f; Windhöfel 1995, S. 153; Willett 1981, S. 74-76; Lersch 1979, S. 278. 80 Anfragen kamen z.B. aus Italien oder den USA, vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 95, 103, 168-186 u. 255; BArchB, R 1501, Nr. 8965, Bl. 8, 25, 117-145, 153-154, 170-171 u. 178-180. Aufmerksamkeit erregte man auch in Großbritannien, vgl. Gericke: Reisebericht Reise nach England im Herbst 1924,10.12.1924,
über eine private
ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/114, Bl. 132-135.
81 Vgl. dazu Becker, 7.2.1922, in: LT, W P 1, HA, Szg. 89, Sp. 8. 82 Zur Ausstellung vgl. KM (Waetzoldt) an Justi, 15.1.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 2, Bl. 1-2; William Cohn: Neue indische Malerei im Kronprinzenpalais, Nr. 7, April 1923, S. 220; Rave 1968, S. 97; Fünf Jahre Kronprinzenpalais.
in: Ku. u. KU., Jg. 21, Eine Rundfrage,
in:
Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 239-244, S. 241; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 477 u. Bd. 2, S. 273. 83 Vgl. Fünf Jahre Kronprinzenpalais.
Eine Rundfrage,
in: Ku.bl., Jg. 8, 1924, S. 239-244, S. 241 f.
84 Zur ähnlichen Thematik höherer Studiengebühren für Ausländer und der eher zurückhaltenden Positionierung des Ressorts dazu vgl. Die Ausländergebühren
an preußischen Hochschulen, in: BT,
Jg. 49, Nr. 342, 23.7.1920; Schuster (DVP), 5.5.1923, in: LT, W P 1, Prot., Sp. 16958; Klausner (DDP), 22.2.1928, in: LT, W P 2, HA, Szg. 277, Sp. 42; Noack (DNVP) u. Hübner, 17.2.1930, in: LT, W P 3, HA, Szg. 122, Sp. 14 f u. 24 f.
8. Internationale Aspekte der Kunstpolitik
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förderlich im Sinne einer internationalen Öffnung. Und beim Museumsinselbau, der auch auf internationale Wirkung hin kalkuliert war,85 stellte sich die Finanzierungsfrage ebenfalls als Hemmnis auf dem Weg zu einer internationalen Annäherung dar - verfestigte die Finanzierung aus Entschädigungsgeldern des Reiches doch über die Befürchtung, im Ausland weitere Reparationsbegehrlichkeiten zu schüren (siehe Kap. III. 4.1.), das Mißtrauen speziell gegenüber den Siegermächten. 86 Insgesamt kann man so für die erste Hälfte der 20er Jahre von einer - sowohl was die Zahl der kooperationsbereiten Länder als auch die Rezeption des Fremden im eigenen Land anging - noch eingeschränkten, darüber hinaus aber deutlich spürbaren internationalen Öffnung der ministeriellen Kunstpolitik sprechen. In der zweiten Hälfte der 20er Jahre verschoben sich die Akzente im internationalen Engagement des Ministeriums dann immer konsequenter in die unter Boelitz eingeschlagene Richtung. Die Kulturpräsenz an den Grenzen im Westen wie Osten blieb in Ubereinstimmung mit dem Landtag 87 auch nach 1925 Anliegen. Ins Zentrum des Interesses rückte um 1925/26 zunächst die Absicht, ein Bewußtsein für die deutsche Kulturvergangenheit in den Grenzregionen zu wecken und so das Band zwischen diesen und dem Kernland zu festigen. Eine Zuwendung von 400.000 RM, mit der Preußen die als demonstrativer kulturpolitischer Akt gegenüber Frankreich interpretierte, 1925 begangene rheinische Tausendjahrfeier unterstützte, 88 ist ebenso als Beleg für eine solche Politik im preußischen Westen zu werten wie der ministerielle Einsatz für die Erhaltung des Kölner Doms wegen dessen Bedeutung als „Wahrzeichen der deutschen Einheit am Rhein". 89 Im Osten des Landes offenbarte sich diese Tendenz vor allem im Umfeld des Denkmalpflegetages, der im Sommer 1926 in Breslau stattfand. Bereits im Vorfeld hatte sich das Ressort für die Förderung einer anläßlich der Breslauer Tagung gezeigten Ausstellung mit schlesischer Malerei und Plastik des Spätmittelalters stark gemacht, deren Ziel es war, „die kulturelle Einheit der schlesischen Grenzprovinzen mit den übrigen deutschen Landesteilen des Ostens und Südostens auch auf dem
85 Vgl. dazu z.B. Buchhorn (DVP), 23.2.1922, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 7462 u. 7465; Kunert (SPD), 14.5. 1923, in: LT, WP 1, Prot., Sp. 17367. 86 Vgl. dazu Wiegand an Becker, 5.3.1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4980. 87 Vgl. dazu LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 24, 29 u. 31; Szg. 82, Sp. 10; LT, WP 2, Prot., Sp. 6126, 6184, 11199, 11581, 11592, 11630, 11680, 18188 u. 18190; LT, WP 2, Dr. 1941, S. 3623; LT, WP 3, Dr. 409, S. 453; Dr. 2202, S. 1498; Dr. 2208, S. 1501. 88 Vgl. Protokoll Staatsministerium, 22.1.1925, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. Otto Braun, A Nr. 19 a; siehe dazu auch Briefe März-Mai 1925, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; Kerff (KPD), 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 8; Kerff (KPD) u. Klausner (DDP), 6.11.1925, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 6140-6142 u. 6149 f. Wie sehr sich das Kultusressort mit der Veranstaltung identifizierte, zeigte sich durch Beckers Teilnahme an der Eröffnung, vgl. Rede Becker, [2.5.1928], ms., S. 1, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1545. 89 Trendelenburg, 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11596 f; siehe dazu auch Bohner (DDP), 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11592; zur Marienburg als östlichem Pendant des Kölner Doms vgl. Kickton / Nentwig / Hiecke / Grosser: Niederschrift über die erste Sitzung des Bauausschusses für die Marienburg,
16.6.1922, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV.
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III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Gebiet der Kunst zu dokumentieren." 90 Gall, selbst ein Fachmann für die Architektur des Mittelalters, hatte dabei erklärt, die Ausstellung habe „zweifellos eine erhebliche kulturelle Bedeutung" vor dem Hintergrund, daß „die deutsche Kunst des Ostens" bisher kaum beachtet worden sei, „während neuere Forschungen wenigstens ahnen lassen, daß gerade in Schlesien im 14. und 15. Jahrhundert ein besonders blühendes künstlerisches Leben geherrscht hat, das einige ausgezeichnete Meisterwerke hervorbrachte, die sich neben denen des Westens durchaus sehen lassen können." 9 1 Um nun die schlesische Kunst des Spätmittelalters ins Bewußtsein zu rücken, förderte das Ministerium die Ausstellung mit 15.000 RM. Daneben stellte es für eine begleitende Publikation weitere 9000 R M zur Verfügung. 92 Vom Reich forderte das Ressort zusätzlich 10.0000 bzw. 15.000 RM als Ausstellungsbeihilfe. 93 Überdies nahm Becker den Denkmalpflegetag zum Anlaß, noch einmal die Motivation dieses Engagements darzulegen. Die Relevanz der Tagung wie der Ausstellung brachte er hier auf den Punkt: „In dieser Zeit, in der das nationale Bewusstsein in der Kunst immer lebendiger wird, und in der die Vorgeschichte der einzelnen Provinzen auch für die grosse Politik von Bedeutung wird, da ist es auch für uns ein erhebendes Bewusstsein, zu sehen, dass diese Ostmark des Reiches schon immer ein deutsches Bollwerk gegenüber dem Osten gewesen ist, und dass deutscher Geist nicht nur auf dem Schlachtfeld von Wahlstatt, im 13. Jahrhundert, sondern [...] immer wieder in der schaffenden Kunst des Ostens ganz unmissverständlich zum Ausdruck gekommen ist: alles ein Beweis dafür, dass wir hier auf deutschem Boden stehen." 9 4 Becker stellte die Denkmalpflege und allgemein die Besinnung auf die eigene Kulturgeschichte, der das Ministerium ohnehin zentrale Bedeutung für die nationale Identitätsstiftung beimaß (siehe Kap. II. 5.2. und III. 5.), damit gerade im Grenzgebiet als Anliegen dar.95 Die Bewußtmachung der gemeinsamen deutschen Kultur- und Kunstvergangenheit wurde in seiner Vorstellung letztlich zur ideellen Voraussetzung für die territoriale Selbstbehauptung gegenüber dem angrenzenden Ausland. 96
90 Abschr. Heinz Branne (Ausstellungsausschuß Breslau) an KM, 16.2.1926, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 206 v. 91 KM (Gall) an Gürich [RMdl], 27.2.1926, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 205, Bl. 205 r. 92 Vgl. KM (Gall) an RMdl (Gürich), 17.3.1926, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 227 r. 93 Vgl. KM (Gall) an Gürich [RMdl], 27.2.1926, ms. u. KM (Gall) an RMdl (Gürich), 17.3.1926, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 205, Bl. 205 ν u. 227 r. Bewilligt wurden vom Reich schließlich 8000 RM, vgl. Entwurf RMdl an Gall (KM), 31.3.1926, ms., in: BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 227 v; BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 144-145. 94 Rede Becker, [22.9.1926], ms., S. 2, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1466; vgl. auch ZA Schlesische Zeitung, 23.9.1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7497. 95 Vgl. dazu auch Rede Becker, [22.9.1926], ms., S. 3, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1466; siehe später auch Die Kunst im preußischen
Staatshaushalt,
in: Ku. u. Wi., Jg. 10, Nr. 3,
1.2.1929, S. 35 f. 96 An der dänischen Grenze fügte sich in diesen Kontext ζ. B. das Engagement des Ressorts für die fotografische Dokumentation des als „Bollwerk" deutschen Geistes in der „Nordmark" bezeichneten Brüggemannschen Altars im Schleswiger Dom ein, zitiert nach Elisabeth Paulsen an KM, 6.10.1928, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 16, Lit. S, Nr. 34, Bd. I; vgl. dazu ebd.; Briefe Okt./Nov. 1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 16, Lit. S, Nr. 34, Bd. I. Auch die finanzielle Unterstützung von 4.500 RM, die das Ressort für die Renovierung des Deckengemäldes im Schloß
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Aspekte der
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Kunstpolitik
Aber nicht nur eine Besinnung auf Vergangenes forderte das Ministerium in diesem Zusammenhang. Vielmehr unterstützte es mit ähnlichen Intentionen unter Becker zunehmend auch das Bemühen um die Vermittlung zeitgenössischer deutscher Kunst in den Grenzgebieten. So förderte es eine Ende 1925 an der Akademie Königsberg veranstaltete Kleinplastikausstellung mit Werken von ostpreußischen und Berliner Künstlern wie Brachert, Ludwig und Stanislaus Cauer, Gaul, Gerstel, Klimsch, Kollwitz, Kraus, Lederer, Scharff und Tuaillon (siehe Kap. III. 3.1.), die sich zumal angesichts des Engagements von Akademiedirektor Nollau in der Landesgruppe der Deutschen Akademie97 auch als national intendiert darstellte.98 Entsprechend betonte der Organisator Stanislaus Cauer bei der Eröffnung am 22. November 1925, durch die finanzielle Förderung der Schau habe das Kultusressort „klar zum Ausdruck gebracht, daß unsere Ausstellung für den abgeschnürten deutschen Osten eine kulturelle Angelegenheit ist." 9 9 Gleichzeitig deuteten beispielsweise die Beihilfe von 500 RM, die das Ministerium dem Kunstverein Schneidemühl gewährte, die fortgesetzte Kooperation mit Gröning oder das ministerielle Interesse an einem Ankauf des Königsberger Malers Albrecht wegen dessen Bedeutung für die ostpreußische Kunst in eine ähnliche Richtung. 100 Sein Bemühen um eine pointierte national motivierte Kunstpolitik an der östlichen Grenze demonstrierte das Ressort zudem durch die staatlich finanzierte künstlerische Ausstattung des 1928 in Anwesenheit Beckers eingeweihten Königsberger Universitätsneubaus (siehe Kap. III. 6.2.). Fügte sich der Bau selbst bereits in die nationale Politik in Ostpreußen ein,101 erscheinen etwa die Aulafenster mit Siegeln deutscher Univer-
Gottorp (siehe Kap. II. 5.2.) bereitstellte, ist entsprechend zu interpretieren, vgl. dazu Briefe u. Unterlagen Juni 1927-Nov. 1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 16, Lit. S, Nr. 34, Bd. I. 97 Zu den Zielen der Deutschen Akademie vgl. Königsberger Zweigstelle der,Deutschen Gründung
einer ostpreußischen Landesgruppe,
in: Königsberg Hartungsche
Zeitung,
Akademie'. 5.12.1925,
in: GStA PK, I. H A Rep. 76, V e , Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; zu Nollaus Engagement vgl. Nollau an KM, 12.12.1925, ms., Niederschrift Nollau, 15.12.1925, hs. u. Nollau an KM, 8.1. 1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. 98 Zur Ausstellung und zu deren Förderung vgl. Nollau an KM, 22.12.1925, ms. u. ZAs Dez. 1925, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI. 99 Zitiert nach Die Ausstellung von Bildhauerarbeiten. berg Hartungsche
Eröffnung in der Kunstakademie,
in: Königs-
Zeitung, Nr. 548, 23.11.1925, in: GStA PK, I. H A Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I,
Nr. 2, Bd. VI. 100 Vgl. dazu SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 12, Bl. 702, 707-709 u. 758; Abschr. Verein der Kunstfreunde Schneidemühl an KM, 24.4.1926, ms., KM (Nentwig) an Justi, 17.5.1926, ms., Entwurf Justi an KM, 21.5.1926, hs. u. KM (Nentwig) an Justi, 17.5.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27; Richard Gröning: Als Kunstsammler in Ostpreußen,
in: Ku.bl., Jg. 12,
1928, S. 342-345; siehe dazu auch KM an Justi, 23.6.1927, ms. u. Anlagen, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 28; KM (Nentwig) an Justi, 23.5.1925, ms. u. N G an KM, 29.5.1925, Ds„ ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; Becker, 5.9.1925, in: LT, W P 2, HA, Szg. 47, Sp. 11. 101 So betonte Becker bei der Einweihung (zitiert nach Zusammenfassung Rede [Becker], 31.1. [1928], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1961; ZAs 22.6.1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7473): „Möchte der stolze Bau trotzig dastehen als eine
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III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
sitäten besonders aussagekräftig. Ebenso dokumentierte zum Beispiel die Einweihung eines Görres-Denkmals in Koblenz durch Becker 102 das fortgesetzte Interesse an einer nationalen Kulturpolitik im Rheinland. Im westlichen wie östlichen Grenzgebiet suchte das Ressort überdies die Präsenz älterer und aktueller deutscher Kunst auch nach 1925 durch eine bereitwillige Leihgabenpraxis zu fördern, sowohl was Gebäudeausstattungen als auch was Beschickungen von Ausstellungen anging (siehe Kap. III. 5.). 103 Während die entsprechenden Aktivitäten im Kontext des West- bzw. Ostprogramms des preußischen Staates noch einmal schärfere Konturen bekamen 104 und sich der besondere staatliche Kultureinsatz an den Grenzen, gefördert durch große Erwartungen vor Ort, 1 0 5 zu einer immer gängigeren Forderung entwickelte, 106 distanzierte sich das Ministerium dabei gerade im Engagement für die zeitgenössische Kunst zum Ende der 20er Jahre zunehmend von der konfrontativen Tendenz gegenüber dem Ausland. Nachdem 1925/26 durch Locamo und den deutschen Völkerbundeintritt wichtige Weichen für eine Annäherung Deutschlands auch an Frankreich und Polen gestellt worden waren, übertrug das Ressort seine in dieser Zeit immer modernere Kunstförderung (siehe Kap. III. 6.2. und III. 7.) nun auch auf die Grenzregionen. Weit weniger aggressiv als zu Beginn der 20er Jahre suchte es
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Hochburg deutschen Geistes im Osten und als ein lebendiger Beweis dafür, dass das deutsche Vaterland und dass die preussische Staatsregierung Ostpreussen nicht vergessen haben, sondern mehr und mehr alle Liebe diesem seinem unglücklichen Landesteile zuwenden wollen". Vgl. ZAs Juni 1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7224; Hinweis auf Rede Becker, 24.6.1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1732. Fürs Rheinland vgl. dazu Briefe u. Unterlagen Febr. u. Nov.-Dez. 1925, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; Briefe März/April 1927, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 28; Briefe März- Mai 1928, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 472; für Ostpreußen vgl. dazu Notiz Justi, 30.5.1925, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; Briefe Nov./Dez. 1929, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 28; Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 10 f; Briefe Dez. 1928, Jan.-Febr., Aug. u. Nov. 1929, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30; siehe auch Briefe Mai 1925, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26. Vgl. dazu LT, WP 2, Prot., Sp. 17137 f u. 14173 f; LT, WP 2, Dr. 1942, S. 3623; Dr. 4171, S. 5510; Dr. 4188, S. 5521; Dr. 4517, 4610, 4613 u. 4930; Unterlagen, 27.12.1927[?J, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 6800. Fürs Rheinland vgl. z. B. Direktor Historisches Museum Köln an Staatsministerium, 20.10.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1791; KM (Nentwig) an Justi, 8.2.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; Landmann an Braun, 29.4.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 122 u. 124; Verlag Girardet an Becker, 8.5.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 3021; für Ostpreußen vgl. Ludwig Goldstein: Von der Königsberger Kunstakademie, in: Königsberg Hartungscbe Zeitung, 29.8.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 76, Ve, Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI; Und doch Becker-Kultur!, in: Pommerscbe Tagespost, 20.8.1929[?], in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7764. Zum Kontakt des Ministeriums zu kommunalen Behörden der Grenzregionen siehe auch Kaestner (Ministerialdirektor KM), 12.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11681; Briefwechsel Becker Strunk (Senator für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Danzig) Sept. 1926-Jan. 1930, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4390; Lehr an Becker, 31.1.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 4489.
8. Internationale
Aspekte der Kunstpolitik
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durchaus selbstbewußt mit der aktuellen Kunst der Republik in all ihrer Vielschichtigkeit von den Impressionisten über die Expressionisten bis zur Neuen Sachlichkeit und zum Bauhaus zu wirken. Vor allem die vom Ministerium Becker so dezidiert protegierte Ausstellung Deutsche Kunst Düsseldorf 1928 (siehe Kap. III. 7.) spiegelte diese Tendenz idealtypisch. Als östliches Pendant der Düsseldorfer Schau ist die von der Kunstakademie Breslau entscheidend mitgetragene, international beachtete moderne Breslauer Werkbundausstellung Wohnung und Werkraum von 1929 (siehe Kap. III. 3.1.) anzusprechen.107 Hatte sich schon unter Boelitz ein Interesse angedeutet, der Kunstpolitik an den Grenzen eine besondere Prägnanz durch die Verknüpfung mit der modernen Kunstschulpolitik zu geben, begann so zum Ende der Amtszeit Beckers endgültig der Anspruch Raum zu greifen, durch eine fortschrittliche staatliche Kunstpolitik selbstbewußt-positive Kulturakzente an den Grenzen zu Frankreich und Polen zu setzen und damit das eigene Territorium nicht mehr nur mit ängstlichem Blick auf konkurrierende Kultureinflüsse des Auslands zu verteidigen, sondern vielmehr gerade an den exponierten Grenzorten offensiv auf die deutsche Republik als innovative, international ernst zu nehmende Kulturgröße aufmerksam zu machen. Daß nach 1925 mit der Ausfuhrliste „national wertvoller Kunstwerke" ein weiteres Thema der defensiven Politik gegenüber dem Ausland aus dem Blickfeld des Ministeriums rückte, unterstrich diese Entwicklung zusätzlich. So hatte das Ressort schon 1925 vorgeschlagen, Werke des 19. und 20. Jahrhunderts nicht mehr in die Liste aufzunehmen.108 In den folgenden Jahren distanzierte es sich immer mehr von der Liste.109 Während Bode und das Reichsinnenministerium weiter für das Projekt eintraten,110 orientierte sich das Ministerium Becker zum Ende der 20er Jahre offenkundig zunehmend an Stimmen, die sich mit dem Argument, daß es im Sinne des internationalen Kulturaustausches zu begrüßen sei, wenn die deutsche Kunst ihren Weg ins Ausland finde, gegen eine Verlängerung des Ausfuhrverbots wandten.111
107 Vgl. Campbell 1981, S. 295; zur Ausstellung vgl. ausführlich Scheyer 1960, S. 85-90. 108 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 17.1.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 22, Bd. 1; siehe dazu auch Briefe u. Unterlagen Jan. 1924-März 1925, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 22, Bd. 1. 109 Siehe dazu auch die entsprechende Haltung Justis, vgl. Text [Justi], [1923/24?], ms. u. Entwurf Mackowsky (NG) an KM, 27.11.1924, ms. / hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 22, Bd. 1. 110 Vgl. Ku. u. KU., Jg. 24, Nr. 3, Dez. 1925, S. 117; RMdl an Bode, 13.11.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Nr. 432; KM (Gall) an Justi, 29.1.1925, ms. u. Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke.
Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken
und Reichsgesetz vom 21.12.1925
(R.G.Bl.
vom 11.12.1919
(R.G.Bl. S. 1961)
I S. 470), gedr., 1927, in: SMBPK / ZA, Nat.gal.,
Spec. 22, Bd. 1; Otto Friedberg: Anzeigepflicht
bei Besitz von Kunstwerken,
in: Ku.wan., Jg. 11,
1./2. Febr.-Nr. 1929, S. 262 u. 265. 111 Vgl. z . B . t f « . u.Kü.,]g.
26, Nr. 5, Febr. 1928, S. 206 f; Karl Scheffler: Falscher Kunstschutz, in: Ku.
». Kit., Jg. 26, Nr. 6, März 1928, S. 232 f. Die Diskussion um den Weifenschatz brachte das Thema Kunstschutz Ende der 20er Jahre noch einmal auf die Tagesordnung. Das Kultusressort hielt sich auch hier deutlich zurück, vgl. LT, W P 3, HA, Szg. 56, Sp. 4 f, 8, 25 u. 29-31; Szg. 122, Sp. 4, 8, 22 u. 24 f; Szg. 192, Sp. 9 f; LT, W P 3, Dr. 4273, S. 3622 u. 4977; Dr. 5880, S. 5887; LT, W P 3, Prot., Sp. 13452 u. 19236; Biester u.a. an LT, 21.9.1930, Antwort Braun, KM u. Innenministerium, 13.12.1930, Anfrage von Stendel (DVP), 25.9.1930, Anfrage Biester etc. (Deutsche Hannoversche Partei), Antwort Braun, 4.2.1931, Anfrage Biester etc., 6.3.1931 u. Antwort Braun, 19.3.1931, in:
568
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Setzte sich so in der zweiten Hälfte der 20er Jahre in den bislang defensiv-konfrontativen Bereichen der preußischen Kunstpolitik eine offenere, selbstbewußtere Tendenz durch, konnte parallel dazu, wiederum in Abhängigkeit von übergeordneten außenpolitischen Entwicklungen und gemäß dem Anspruch Beckers, 112 auch das ministerielle Wirken für eine Präsenz deutscher Kunst im Ausland erheblich intensiviert werden. 113 Das Terrain, auf dem man bereits vor 1925 in Erscheinung getreten war, wurde zunächst weiter gefestigt. Konkret bedeutete das: Die Zusammenarbeit mit der Schweiz, den Niederlanden und Italien wurde fortgesetzt. Nachdem Deutschland im Herbst 1925 bei einer internationalen Ausstellung in Zürich mit einer eigenen Abteilung vertreten gewesen war, die offenbar von Preußen mitgestaltet worden war, 114 unterstützte das Kultusressort wenig später eine in der Kunstsammlung Basel gezeigte Ausstellung von Böcklin-Studien durch Bereitstellung von sechzehn Zeichnungen Fritz Drebers aus der Nationalgalerie. 115 1926 setzte es diesen Kurs fort, indem es eine Züricher Füssli-Ausstellung und eine Baseler Trübner-Schau durch Leihgaben förderte. 116 Gleichzeitig fand eine Ausstellung aktueller deutscher Graphik in Zürich statt, in die das Kultusministerium offensichtlich ebenfalls involviert war. 117 Und Anfang 1927 war ein Höhepunkt der Kooperation mit der Schweiz, daß das Kultusressort nach Justis Hinweis auf die politische Brisanz der Angelegenheit die Genehmigung erteilte, elf
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GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 1, Bl. 110 u. 112-118 u. GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X1, B, Nr. 1, adh. 2; G. Α.: Sensation am Kunstmarkt, in: Ku.bl.,]g. 16,1932, S. 8; Schmitz 1931, S. 126 u. 245. Becker formulierte seine Vorstellung in einer Grundsatzrede zur Kulturpolitik in der modernen Demokratie (16.2.1926, ms., S. 1 u. 4, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1374): „Kulturpolitik ist die bewusste Einsetzung geistiger Werte im Dienste des Volkes oder Staates zur Festigung im Innern oder zu Auseinandersetzung mit anderen Völkern nach aussen." Er umschrieb die auswärtige Kulturpolitik dabei als eine „nicht aggressive und nur mit dem inneren Wert der deutschen Kultur arbeitende Kulturpropaganda". Dies begründete er: „es liegt im Wesen jedes geistig schöpferischen Volkes, dass es Wert darauf legen muss, dass seine Ideenwelt mit der anderer grosser Kulturvölker in freiheitlichen Wettbewerb trete. Das braucht kein geistiger Imperialismus zu sein, aber namentlich auf dem Gebiet der Wissenschaft und Kunst gibt es bei aller nationaler Besonderheit keine Landesgrenzen." Siehe dazu auch das ministerielle Engagement für die Einsetzung einer speziellen Kommission zur Vorbereitung von Kunstausstellungen im Ausland, vgl. Protokolle Ak. d. Kü., Kunstsektion, 29.1.1926 u. 23.7.1926, hs. u. ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 10-11 u. 49-51; Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 3.12.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/003, Bl. 171-175; Protokolle Ak. d. Kü., Kunstsektion, 5.2.1932 u. 8.2. 1932, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 81-88; zur parallelen Entwicklung der auswärtigen Politik des Reiches vgl. Sievers 1966, S. 310. Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 339; BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 97-100; Brief an Justi, 21.12.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 55/3. Vgl. Justi an KM, 18.12.1925, ms. u. KM an Justi, 30.12.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26. Vgl. Justi an KM, 29.6.1926, ms., Deutsche Gesandtschaft Bern an Justi, 8.11.1926, ms. u. Direktor NG (i.V. Mackowsky) an KM, 23.12.1926, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27; KM (Waetzoldt) an Justi, 31.12.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 28. Vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 223-227.
8. Internationale Aspekte der Kunstpolitik
569
Werke Böcklins aus preußischen Beständen zu einer Werkschau des Künstlers in die Kunsthalle Basel zu entsenden. 118 Auch wenn Preußen einem Teil der Ausleihanfragen wegen konservatorischer Bedenken nicht nachkommen konnte, 119 trug das Ministerium Becker damit dazu bei, die Präsenz deutscher Kunst in der Schweiz immer selbstverständlicher zu machen. 120 In den Niederlanden ermöglichte etwa die internationale Kunstschau, die im Rahmen der Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam stattfand, eine Festigung der bestehenden Beziehungen. 121 Und in Italien war die Präsenz deutscher Kunst - selbst wenn die Zusammenarbeit mit Italien in der zweiten Hälfte der 20er Jahre nicht immer reibungslos verlief 122 - durch die regelmäßige Teilnahme des Reiches an der Kunstgewerbeausstellung in Monza und an der Biennale in Venedig gewährleistet. 123 Kontinuierlich war auch hier das Kultusressort als Leihgeber im Spiel.124 Dadurch, daß die deutsche Abteilung in Monza 1927 von Bruno Paul, einem der Protagonisten der fortschrittlichen Kunstschulpolitik Preußens (siehe Kap. III. 3.1.), gestaltet wurde, 125 stellten sich die Präsentationen ebenso als von der preußischen Politik beeinflußt dar wie etwa dadurch, daß bei der Biennale 1928 gerade solche Werke zu den zentralen Objekten gehörten, die kurz zuvor vom Kultusressort erworben worden waren und die die moderne Ankaufspolitik des preußischen Staates in dieser Zeit (siehe Kap. III. 6.2.) besonders charakteristisch spiegelten.126
118 Vgl. Justi an KM, 9.2.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27; KM (Waetzoldt) an Justi, 22.2.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 28. 119 Vgl. dazu auch Abschr. Badische Kunsthalle Karlsruhe (Storck) an AA (Sievers), 3.12.1926, ms., AA an Waetzoldt (KM), 18.12.1926, ms., KM (Nentwig) an Justi, 28.12.1926, ms. u. Justi an KM; 3.1.1927, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27; zu den Diskussionen im Umfeld siehe Briefe u. Unterlagen Jan.-Nov. 1926, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27; Justi an Allgemeine Deutsche Kunstgenossenschaft, 23.4.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30; Wilhelm Waetzoldt: Museums-Propaganda. Ihre Möglichkeiten und Grenzen, in: Die Kunstauktion, Jg. 4, Nr. 3, 19.1.1930, S. 1 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6731; Schunk 1993, S. 459. Bei der Böcklin-Ausstellung kam es zudem zu Differenzen wegen eines Böcklin-Ankaufs, vgl. Briefe Febr./März 1928, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 31 u. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Bd. 32. 120 Siehe dazu später auch die Ausleihen von vier Marées-Bildern nach Basel 1929, vgl. Justi an KM, 7.10.1929, ms. u. KM an Justi, 16.10.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30; zum ähnlichen Interesse des Reiches vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 105-111, 128-129 u. 148-150. 121 Vgl. Justi an KM, 2.5.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; Redslob 1972, S. 178 f. 122 Vgl. Sievers 1966, S. 312-316; Deutsche Botschaft Rom an AA, 5.6.1928, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/011, Bl. 82 u. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 8. 123 Vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 46; BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 69 u. 158-159; Hinweis auf KM (Waetzoldt) an NG, 4.8.1926, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27; Dörnhöffer an Justi, 17.1.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; Campbell 1981, S. 268 u. 294 f; Rave 1987, S. 31-35; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 435 u. Bd. 2, S. 259; siehe dazu auch BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 171. 124 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 18.3.1926, ms., KM (Nentwig) an Justi, 20.3.1926, ms. u. Mackowsky (NG) an KM, 4.3.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 125 Vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 176; Sievers 1966, S. 320; Rave 1987, S. 29 f. 126 Bei den Werken handelte es sich um Beckmanns Selbstbildnis, ein Stilleben von Hofer, das Bildnis
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III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Aber nicht nur im Ausstellungsbereich war gegen Ende der 20er Jahre ein preußischer Einfluß in Italien spürbar. Preußen gelang gleichzeitig eine selbstbewußte Rückkehr in das südeuropäische Land durch die Wiedergewinnung deutscher Kunstinstitute in Italien. Dabei ging es für das Kultusressort vor allem um drei Einrichtungen: 1. die Villa Falconieri in Frascati, eine Arbeits- und Erholungsstätte für deutsche Künstler, die 1907 dem Kaiser vermacht und seit 1910 vom Ministerium verwaltet worden war, 2. ein seit 1915 zur Berliner Akademie gehörendes Künstlerheim im Gerhardtschen
Septenarhäuschen
bei Olevano
sowie 3. das 1910 von Eduard Arnhold dem Staat gestiftete Ateliergebäude Villa Massimo in Rom. 1 2 7 Nach Kriegsende zunächst anderweitig genutzt, waren alle drei Institutionen 1921 von Italien beschlagnahmt worden. Seit Beginn der 20er Jahre hatte sich das Kultusressort um eine Wiedergewinnung bemüht. 128 Während das in die Zuständigkeit des Reiches fallende Kunsthistorische Institut in Florenz bereits im Herbst 1923 hatte wiedereröffnet werden können, 129 hatten sich die Verhandlungen wegen der Rückübertragung der preußischen Einrichtungen jedoch hingezogen. So war die Villa Massimo als Zentrale der Institutionen 130 zwar Mitte der 20er Jahre an Preußen zurückgegeben, aber noch nicht geräumt worden. 131 Im April 1928 konnte dann allerdings mit der Wiederöffnung der Villa Massimo als Deutscher Akademie in Rom unter der Ägide des Ministeriums Becker endgültig ein entscheidender Schritt getan werden. 132 Als welch bedeutsamer Aktivposten der preußischen
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des Dichters Theodor Däubler von Dix sowie Kleinschmidts Zirkusreiterin, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 14, Bl. 191, 230 u. 393; siehe dazu auch KM (Nentwig) an Justi, 24.8.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 45, Bd. 1. In eine ähnliche Richtung deutete später die Ausstellung der ebenfalls zuvor vom Ministerium erworbenen Griechinnen von Mareks in Venedig, vgl. Unterlagen 1930, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31. Zur Geschichte der Einrichtungen vgl. Villa Massimo in Rom (Amhold'sche Stiftung. Academia Prussiana), Das Gerhardtsche Septenarhäuschen bei Olevano u. Die Villa Talconieri in Frascati, 8.5.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1823; Die Deutsche Akademie in Rom (Villa Massimo), in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 6, 16.3.1930, S. 75 f; zu Arnholds Engagement in der auswärtigen Kulturpolitik vgl. Diiwell 1993; zu Arnhold vgl. ausführlich Dorrmann 2002. Vgl. Die deutschen Institute in Italien, Villa Massimo in Rom (Amhold'sche Stiftung. Academia Prussiana), Das Gerhardtsche Septenarhäuschen hei Olevano u. Die Villa Falconieri in Frascati, 8.5.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1823; Schunk 1993, S. 439 f; siehe auch Becker u. Regierungsvertreter, 30.11./3.12.1920, in: LV, Dr. 3947, S. 7292. Zur Geschichte der Institution vgl. Kunsthistorisches Institut in Florenz, 8.5.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1823; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 418-425 u. Bd. 2, S. 372 u. 375; Ohlsen 1995, S. 291 f u. 306; zur zumindest begleitenden Rolle Waetzoldts vgl. Waetzoldt (KM) an Bode, 29.7.1921, ms. u. Waetzoldt (KM) an Bode, 5.3.1923, ms., in: SMBPK / ZA, Nachlaß Bode, Korrespondenz Wilhelm WaetzoId[t]; zur weiteren Enwicklung des Instituts vgl. auch Bonhardt an Becker, Ostern 1929, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7901; Schunk 1993, S. 464 f. Zur herausragenden Bedeutung der Villa Massimo vgl. auch schon Das Gerhardtsche Septenarhäuschen bei Olevano, 8.5.1922, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1823. Vgl. Die Deutsche Akademie in Rom (Villa Massimo), in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 6, 16.3.1930, S. 75 f; Protokoll Ak. d. Kü., Kunstsektion, 5.6.1925, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 110-111. Vgl. Wiedereröffnung der deutschen Kunstakademie in Rom, in: Ku. u. Wi., Jg. 9, Nr. 8,15.4.1928,
8. Internationale Aspekte der Kunstpolitik
571
Kunstpolitik die Deutsche Akademie verstanden wurde, bestätigte sich nicht nur dadurch, daß die Einrichtung dem Kultusministerium direkt unterstand, sondern vor allem dadurch, daß Ressortmitarbeiter Gericke als deren Gründungsdirektor fungierte. 133 Unter Gerickes Leitung spielte die Villa Massimo in den folgenden Jahren als etablierte Institution, an der Träger des von der Akademie der Künste vergebenen Staatspreises (siehe Kap. III. 7.) sowie jüngere Künstler als Stipendiaten arbeiten konnten, 1 3 4 eine wichtige Rolle für die auswärtige Ministeriumspolitik. Die Villa Massimo diente dabei nicht nur dem Zweck, Künstlern im klassischen Kunstland Italien neue Anregungen zu bieten, 135 sondern leistete - wie die Ubereinstimmungen zwischen den Stipendiatenlisten 136 und den ansonsten vom Ministerium geförderten Künstlern (siehe Tab. V) zeigen - auch einen wichtigen Beitrag dazu, die italienische Hauptstadt mit eben den neuen Strömungen in der deutschen Kunst vertraut zu machen, auf die das Kultusressort gegen Ende der 20er Jahre setzte (siehe Kap. III. 6.2. und III. 7.). Ähnlich wie die Ausstellungen war so auch die Deutsche Akademie in der Villa Massimo als Präsentationsplattform deutscher Kunst im Ausland zu verstehen. Während die Präsenz deutscher Kunst in Italien zum Ende der Amtszeit Beckers immer stärker wurde und sich über die Verquickung der auswärtigen Politik mit der modernen preußischen Förderpolitik ein zunehmend überzeugenderes Auftreten nach außen abzeichnete, gelang es dem Kultusministerium im Zuge der Entspannung nach Locamo zudem, den Radius seiner Aktivitäten im Ausland sukzessive auszuweiten. Als weiteres Land, in dem deutsche Kunstpräsentationen möglich wurden, trat Österreich hinzu. Wegbereiter war eine vom Reich in Reaktion auf eine französische „Propagandaausstellung" bewußt geför-
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S. 123; siehe dazu auch schon Briefe u. Unterlagen zur Restituierung der Gustav-Müller-Kunststiftung, Juni 1926-April 1928, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 15, Bd. 8. Vgl. Wiedereröffnung der deutschen Kunstakademie in Rom, in: Ku. u. Wî. , Jg. 9, Nr. 8,15.4.1928, S. 123; Die Deutsche Akademie in Rom (Villa Massimo), in: Ku. u. Wi. J g . 11, Nr. 6, 16.3.1930, S. 75 f; Liebermann an Gall (KM), 16.12.1929, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/159, Bl. 123-124; zur Bedeutung der Wiedereröffnung für das Ministerium vgl. auch KM: Zusammenstellung der Leistungen der preußischen Regierung auf dem Gebiete der Kulturpolitik seit November 1918, 1931, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a. Vgl. Die Deutsche Akademie in Rom (Villa Massimo), in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 6,16.3.1930, S. 75 f; Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 18.11.1929, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 309-311. Siehe dazu auch das Bemühen um freie Museumseintritte für deutsche Künstler in Italien seit 1922, vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8968, Bl. 205-206, 209 u. 266-267; SAdK, PrAdK, 2.2/114, Bl. 125-126 u. 141-142; O. M.: Künstler und Kunstsammlungen, in: Ku. ». Wi., Jg. 7, Nr. 2, 1.2. 1926, S. 19; if«. ». M , Jg. 10, Nr. 18,1.11.1929, S. 279. 1928 gehörten zu den Stipendiaten der Villa Massimo Fritsch, Jäckel und Zadikow. 1929 arbeiteten Dreßler, Eberz, Heise, Herbig, H. Macke, Neumann, Rößner, H. Tucholski, Abel, Merling, Schreiner sowie der Architekt R. Ullrich dort, vgl. Die Deutsche Akademie in Rom (Villa Massimo), in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 6,16.3.1930, S. 75 f; Mitt. DWB, 1.10.1929, S. 1.1930/31 gewährte das Ministerium u. a. dem von Frick entlassenen Paul Meseck (siehe Kap. III. 3.1.) ein Villa-Massimo-Stipendium, vgl. GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1041, Bl. 9-13. Im Juni 1932 zählten Arno Breker, J. Karsch, A. de Haer und H. Oberländer zu den Stipendiaten, vgl. SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 14-15 u. 23 r.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik 1921-32
572
derte Ausstellung zur deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts Anfang 1926 in Wien. 137 Ganz im Sinne des Auswärtigen Amtes brachte sich auch das Kultusressort aktiv in die Vorbereitungen ein. Bereitwillig unterstützte es das Vorhaben durch Leihgaben. Auf die Bitte, sechzehn Nationalgaleriewerke - unter anderem von Blechen, Feuerbach, Friedrich, Marées, Menzel, Trübner, Schnorr von Carolsfeld und Olivier - für die Wiener Schau zu Verfügung zu stellen, wies Nentwig die Nationalgalerie an: „Bei der außerordentlichen politischen Bedeutung der Ausstellung lege ich Wert darauf, möglichst alle gewünschten Bilder darzuleihen. Wenn etwa der Erhaltungszustand des einen oder anderen Werkes die Versendung verbieten sollte, erbitte ich sofortigen Bericht." 1 3 8 Abgesehen von drei Bildern, die durch andere ersetzt wurden, 139 wurden daraufhin sämtliche angeforderten Werke nach Wien geschickt. 140 Welch wichtigen Beitrag das Kultusministerium damit zum Gelingen der Ausstellung wie zur Anbahnung kunstpolitischer Kontakte auch nach Osterreich leistete, geht aus einem Brief von Bundesminister Schneider, dem Chef der österreichischen Kunstverwaltung, an das Kultusressort hervor, in dem dieser schrieb: „Mögen Sie davon überzeugt sein, daß Ihr so großzügiges Eingehen auf die Intentionen der Veranstalter [...] in der Wiener Künstlerschaft wie in allen interessierten Kreisen Wiens den tiefsten Eindruck hinterlassen hat und allseits mit aufrichtiger Dankbarkeit zur Kenntnis genommen wurde." 1 4 1 Tatsächlich eröffnete das preußische Entgegenkommen in der Folgezeit weitere Möglichkeiten zur Präsentation deutscher Kunst in Österreich. So unterstützte das Ressort 1927-29 verschiedene Ausstellungen in Wien durch Leihgaben von Schwind und Schuch bis hin zu Corinth oder Liebermann. 142 Parallel dazu bahnten sich im Zuge der Beziehungen Beckers zu seinem dortigen Amtskollegen Graf Klebeisberg kunstpolitische Kontakte Preußens auch in die Republik Ungarn an. 143 137 Zur Ausstellung vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8964, Bl. 2; BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 228-229; BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 182, 186 u. 204; KM (Nentwig) an Justi, 27.1.1926, ms., AA [an Waetzoldt?], 13.1.1926, ms. u. Justi an KM, 29.1.1926, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27; Sievers 1966, S. 311 f. 138 KM (Nentwig) an Justi, 27.1.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 139 Es handelte sich um Feuerbachs Nanna, Menzels Theatre Gymnase und Trübners Hoffmann.
Bürgermeister
An ihre Stelle traten Werke von Böcklin, Habermann und Thoma, vgl. Justi an KM,
29.1.1926, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 140 Vgl. ebd.; siehe auch KM (Nentwig) an Justi, 12.2.1926, ms., Entwurf Mackowsky (NG) an KM, 15.2.1926, hs., Mackowsky an KM, 17.2.1926, N G an KM, 22.2.1926, N G an KM, 25.2.1926 u. KM an [NG], 8.7.1926, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 141 Bundesminister E. Schneider an KM, 4.3.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 142 Vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 577; Justi an KM, 10.8.1927, ms., Justi an KM, 25.11.1927, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 1.12.1927, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 28; Justi an KM, 31.3.1928, ms., AA (Sievers) an KM, 5.4.1928, ms., KM an Justi, 12.4.1928, ms., Justi an Vereinigung bildender Künstler Wiens, 13.7.1928, KM (Nentwig) an Justi, 29.5. 1928, ms. u. Justi an KM, 21.5.1928, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; Genossenschaft bildender Künstler Wiens an Justi, 15.1.1929, ms., Abschr. AA (Sievers) an KM, 24.1. 1929, ms., KM (Nentwig) an Justi, 4.2.1929, ms. u. Unterlagen Mai 1929, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30. 143 Vgl. Wende 1959, S. 249-251; „Budapester Rede" Becker: Preußisch-deutsche
Kulturpolitik nach
dem Kriege, o.D., hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1387; Ein
demokrati-
8. Internationale
Aspekte der Kunstpolitik
573
In der zweiten Hälfte der 20er Jahre gelang es unter Mitwirkung des Ministeriums Becker zudem, der deutschen Kunst Wirkungsmöglichkeiten auch wieder auf dem Terrain der Siegermächte zu eröffnen und damit eine Rückkehr auf das große internationale Parkett einzuleiten. Nachdem Gericke bereits Ende 1924 bei einer Englandreise Gespräche mit britischen Kunstpolitikern geführt hatte und dabei besonders wegen der fortschrittlichen preußischen Kunstschulpolitik (siehe Kap. III. 3.1.) auf Interesse gestoßen war,144 unterstützte das Kultusressort ein Jahr später die vom deutschen Künstler Rudolf Hellwag forcierten Pläne, bei der Herbstausstellung der British Society of Painters, Sculptors and Gravers in London erstmals seit dem Krieg wieder deutsche Künstler zu präsentieren.145 Entsprechend entsandte das Ressort im Herbst 1925 Menzels Ballsoupé und Uhdes Mädchen im Vorzimmer nach London und anschließend nach Bradford.146 Während das Ressort danach in Großbritannien offenbar keinen aktiven kunstpolitischen Part mehr spielte, rückten dann vor allem die USA ins Zentrum seiner Bemühungen, speziell der aktuellen deutschen Kunst internationale Aufmerksamkeit zu verschaffen. Entscheidende Weichen dafür stellte die Ende 1925 unter der Ägide von Charlotte Weidler vom Department of Fine Arts des Pittsburgher Carnegie-Instituts veranstaltete 24. Internationale Ausstellung gegenwärtiger Malerei.147 An der Schau, die später auch in New York gezeigt wurde,148 wollte Weidler erstmals seit zehn Jahren wieder deutsche Künstler beteiligen.149 Konkret erbat sie zwei zuvor vom Kultusressort erworbene Gemälde: ein Selbstporträt Liebermanns und Hofers Näherin. Nachdruck verlieh Weidler ihrer Ausleihbitte durch den Hinweis, es
scher Minister im Ausland. Angst der Deutschen vor deutschen Politikern, in: Stahlhelm, 3.10. 1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7709; Rote Fahne, 16.10.1925, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7504; Hinweise 20.10.1925 u. 25.4.1929, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1720; Becker an Grimme, 1931/32 [?], ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a; siehe dazu auch Watzinger 1944, S. 473; Beri. Mus., Jg. 46, Nr. 2, 1925, S. 23; zu preußischen Ausleihen nach Ungarn vgl. Abschr. Ungarische Gesandtschaft an AA, 3.12.1927, ms., AA an KM, 23.12.1927, ms., KM (Nentwig) an Justi, 6.1.1927, ms., Justi an KM, 10.1.1928, hs. u. Becker an Justi, 21.1.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29. 144 Vgl. Gericke: Reisebericht Uber eine private Reise nach England im Herbst 1924, 10.12.1924, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/114, Bl. 132-135. 145 Zur Ausstellung vgl. Abschr. AA an KM, 1.9.1925, ms. u. KM an Justi, 9.9.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 167; Rudolf Hellwag an Justi, 23.9. 1925, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26. 146 Vgl. Abschr. AA an KM, 1.9.1925, ms., KM an Justi, 9.9.1925, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 28.12.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26. 147 Zur Ausstellung vgl. KM (Nentwig) an Justi, 25.7.1925, ms. u. KM an Justi, 3.8.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; Rave 1987, S. 30. 148 Nach der Präsentation in Pittsburgh, die am 15.10.1925 eröffnet wurde, war die Ausstellung vom 7.3. bis 21.4.1926 in New York zu sehen, vgl. Informationsmaterial zur Ausstellung 1925/26, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26. 149 Neben Deutschland waren England, Österreich, Belgien, Dänemark, Schottland, Spanien, Frankreich, Holland, Italien, Norwegen, Polen, Schweden, die Schweiz und die Tschechoslowakei auf der Ausstellung vertreten, vgl. ebd.
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III. Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik 1921-32
sei „wohl überflüssig zu sagen, daß es in A m e r i k a einen großen Eindruck machen würde, w e n n w i r einige Bilder aus deutschem Staatsbesitz erhalten würden. [...] w e n n unsere A u s stellung Erfolg hat, ö f f n e t sie anderen deutschen Ausstellungen in den Vereinigten Staaten v o n A m e r i k a alle Türen." 1 5 0 Das Ministerium Becker nutzte die Chance und sandte die erbetenen Werke in die U S A . 1 5 1 W ä h r e n d das Reich verschiedene deutsche Ausstellungen in den U S A eher kritisch beobachtete, seriöse Bemühungen in diese Richtung aber unterstützte, 1 5 2 setzte das Kultusministerium mit den Präsentationen des Carnegie-Instituts offenkundig auf ein tragfähiges Modell der Vermittlung neuester deutscher Kunst in U b e r see. Nachdem das erste Zusammengehen erfolgreich gewesen war, 1 5 3 kam es 1929/30 zu einer weiteren Kooperation zwischen Preußen und dem Carnegie-Institut, als das 1 9 2 8 v o m Kultusressort erworbene Beckmann-Selbstbildnis (siehe Kap. III. 6.2.) bei der in Pittsburgh, Baltimore und St. Louis gezeigten Ausstellung des Instituts präsentiert wurde. 1 5 4 K o n n t e das Kultusministerium in der zweiten Hälfte der 20er Jahre also durchaus entscheidend dazu beitragen, sowohl den Wirkungsradius deutscher Kunst im Ausland zu vergrößern als auch die Stringenz der Aktivitäten noch einmal zu steigern, blieb doch eins auch nach 1925 schwierig: der A u f b a u kunstpolitischer Beziehungen zu Frankreich. Bis weit in die zweite Hälfte der 20er Jahre hinein w u r d e die als kulturpolitischer Hauptkonkurrent eingeschätzte Siegermacht in ihrer auswärtigen Kunstpolitik v o n Deutschland aus argwöhnisch beäugt. 155 A u c h das Kultusressort w u r d e v o m Reich zum Beispiel über französische 150 Abschr. Charlotte Weidler an KM, 6.7.1925, ms., S. 2 f, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26. 151 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 25.7.1925, ms. u. Homer Saint-Gaudens (Direktor Carnegie-Institute, Department of Fine Arts) an Justi, 7.12.1925, ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. l , B d . 26; KM (Waetzoldt) an Justi, 26.1.1926, ms. u. Hinweis auf KM (Waetzoldt) an NG, 10.8.1926, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 27. 152 Vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 195-197; BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 6; SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 12, Bl. 518-520; zu den Aktivitäten in den USA siehe auch Kunst in Amerika, in: Ku. u. Kii., Jg. 24, Nr. 3, Dez. 1925, S. 117; Ku.hl., 1927, S. 91; Drenker-Nagels 1994, S. 373; Abschr. Gottberg: Gemälde-Austausch mit Amerika, in: Berliner Lokalanzeiger, 24.1.1927, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 37, Bd. 1, Beih. 5; Briefe Aug. 1929, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 15, Bd. 8; Winckelmann an Becker, 17.2.1931, ms., Winckelmann an Becker, 4.3.1931, ms. u. Becker an Winckelmann, 7.3.1931, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker Nr. 5126; zum Kontext vgl. Dexheimer 1981. 153 Vgl. Charlotte Weidler: Erfolg deutscher Kunst in Amerika, in: Künstlerselbsthilfe, Jg. 1, Nr. 4, 1927, S. 86 f. 154 Vgl. Justi an Posse, 27.1.1930, ms. u. Justi an Graphisches Kabinett GmbH, 10.6.1930, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31. 155 Vgl. dazu Sonderdruck Staatslexikon-Artikel Kulturpolitik von Georg Schreiber, 1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6065; Ein Standesamt für Kunstwerke in Frankreich, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 3, Dez. 1925, S. 118; Kuhn: Zur Reform der öffentlichen Kunstpflege in Preußen, in: Ku.chr., Jg. 59/2, Nr. 40/41, 9./16.1.1926, S. 625-628; Waentig (SPD), Klausner (DDP) u. Becker, 22.4.1926, in: LT, W P 2, H A , Szg. 120, Sp. 6 f, 16 u. 18; KM (Nentwig) an Direktor Staatliche Museen, Direktor Schlösser und Gärten u. Justi, 17.3.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30. Bd. 8; Deutsche Botschaft Paris an AA, 23.4.1926, ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 12.5.1926, ms. u. Entwurf Justi an KM, 19.5.1926, hs., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 7; Ku.hl, Jg. 11, 1927, S. 381 f; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 4, Bl. 1-4.
8. Internationale
Aspekte der
Kunstpolitik
575
Ausstellungen auf dem Laufenden gehalten. 1 5 6 Eine Unterstützung solcher Veranstaltungen kam für die deutsche Seite keinesfalls in Frage. 1 5 7 Deutsche Auslandsausstellungen waren umgekehrt oft als Reaktion auf französische Veranstaltungen intendiert. 1 5 8 N a c h L o c a m o begann sich das Verhältnis zu Frankreich allerdings langsam zu verändern. 1 5 9 In Preußen legte neben Ministerpräsident Braun vor allem Becker durch den Kontakt zu seinem französischen Amtskollegen Herriot Grundlagen für eine erste Annäherung. 1 6 0 Bis E n d e 1928 fand dies jedoch offensichtlich noch keinen konkreten Niederschlag auf kunstpolitischem Gebiet - lehnte das Kultusressort nach Rücksprache mit dem Auswärtigen A m t doch noch zu diesem Zeitpunkt die Unterstützung einer Ausstellung mit französischen Zeichnungen des 19. Jahrhunderts in Berlin mit der Begründung ab, an solchen Veranstaltungen bestehe kein politisches Interesse. 1 6 1 E r s t 1 9 2 8 / 2 9 deutete sich ein Wandel an, als sich das Kultusressort und Justi aufgeschlossen für eine von Louvre-Direktor Verne verfaßte Note über zeitweiligen Museen
Austausch
verschiedener
von Länder
Kunstwerken
und
archäologischen
Denkmälern
den
zwischen
zeigten 1 6 2 und 1 9 2 9 / 3 0 erstmals wieder Werke aus der
Nationalgalerie nach Paris geliehen wurden. 1 6 3 Verknüpfte sich dieses Entgegenkommen
156 Vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8982, Bl. 76-77; BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 204; BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 204; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 4, Bl. 14-15; siehe dazu auch Sievers 1966, S. 355 f; zur Beobachtung auch der belgischen Aktivitäten vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 474. 157 Vgl. dazu z. B. Becker an Justi, 20.2.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26. 158 Vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 228-229; Abschr. AA (Sievers) an KM, 5.4.1928, ms. u. KM an Justi, 12.4.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 204; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 4, Bl. 14-15; siehe dazu auch Eine Ausstellung deutscher Kunst, in: Ku. u. Kü., Jg. 21, Nr. 5, Febr. 1923, S. 162-164; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 2, Bl. 79-80. 159 Vgl. dazu auch Bock 1996; Schober 2004. 160 Vgl. Herriot an Becker, 20.7.1927, hs., Becker an Herriot, 10.8.1927, ms. u. Becker an Herriot, 17.8.1930, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 887; siehe dazu auch Das neue deutsche Bildungsideal. Ein Interview mit Staatsminister Prof. Dr. Becker, in: Neue Leipziger Zeitung, 4.11.1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7553; ZA Berliner Volkszeitung, 26.9.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7708; ZA Le Matin, 26.9.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 7706. 161 Vgl. Justi an KM, 25.9.1928, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 25.10.1928, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 4, Bl. 60-61 u. 72; zur verzögerten Auswirkung des deutschen Völkerbundeintritts auch in anderen Bereichen der Kulturpolitik vgl. Kitowski 2000, S. 22; zum privaten Engagement für französische Kunst in dieser Zeit siehe z.B. Julius Meier-Graefe: Die Franzosen in Berlin, in: Cie., Jg. 19, Nr. 2, Jan. 1927, S. 43-59. 162 Vgl. KM (Nentwig) an Justi, 1.11.1928, ms., Abschr. Henri Verne: Note über den zeitweiligen Austausch von Kunstwerken und archäologischen Denkmälern zwischen Museen verschiedener Länder, [Herbst 1928], ms. u. Justi an KM, 1.12.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; siehe dazu auch schon Abschr. Deutsche Botschaft Paris an AA, 26.10.1928, ms., Sievers (AA) an KM, 6.11.1928, ms., KM (Nentwig) an Direktor Staatliche Museen u. Justi, 12.11.1928, ms., Abschr. Direktor Staatliche Museen (Waetzoldt) an Justi, 19.2.1929, ms. u. Justi an KM, 2.3.1929, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30. 163 So genehmigte das Kultusressort im April 1929 eine Courbet-Ausleihe ans Petit Palais und im
576
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
sicher bereits mit der Hoffnung auf einen Kulturaustausch, der auch die Möglichkeit deutscher Kunstpräsentationen in Frankreich einschloß, brachte das Kultusministerium seine Ambitionen in diese Richtung offen anläßlich einer Deutschen Kunstgewerbeausstellung zum Ausdruck, die der Deutsche Werkbund für das Frühjahr 1930 in Paris plante. 164 Gall hielt die für das Grand Palais des Beaux Arts projektierte Ausstellung gerade nach der deutschen Nichtbeteiligung an der Pariser Kunstgewerbeschau von 1925 für eine gute Chance, „um eine mittelgroße repräsentative Schau deutscher Leistungsfähigkeit auf allen Zweigen künstlerischer Betätigung zu ermöglichen." 165 Überzeugt davon, daß die Pariser Ausstellung „politisch und künstlerisch von erheblicher Bedeutung für unser Ansehen im Ausland" sei und sie überdies „wirtschaftlich beträchtlichen Nutzen bringen wird", machte sich Gall daher beim Finanzministerium für eine finanzielle Unterstützung auch aus preußischen Mitteln stark, nachdem das Projekt bereits mit 150.000 RM vom Reich bezuschußt wurde und Sachsen 20.000 RM zugesichert hatte. 166 Wegen der Haushaltslage lehnte das Finanzministerium eine solche Unterstützung dann zwar ab,167 dennoch war die Haltung des Kultusressorts klar geworden: Entschieden hatte sich Gall dafür ausgesprochen, die erste Chance einer Präsentation deutscher Kunst - in diesem Falle der für das Ministerium so wesentlichen angewandten Kunst (siehe Kap. II. 3.2. und III. 3.1.) - in Frankreich zu nutzen. Damit war zum Ende der Amtszeit Beckers auch die Tür nach Frankreich einen Spalt breit geöffnet worden. 168 Insgesamt wurde so um 1929/30 auch durch das Zutun des Kultusressorts in der auswärtigen Kunstpolitik der Weimarer Republik ein Stadium der
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Frühjahr 1930 die Ausleihe eines Werkes von Delacroix an den Louvre, vgl. Justi an Deutsche Botschaft [Paris], 6.4.1929, Ds., ms., Justi an KM, 9.4.1929, Ds., ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 17.4.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30; Justi an KM, 25.4.1930, ms., Justi an Direktor Staatliche Museen Paris, 25.4.1930, Ds., ms. u. KM (Hübner) an Justi, 5.5.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31. 1929 waren das Auswärtige Amt und das Kultusministerium zudem bereit, einer Chardin-Ausleihe nach Paris zuzustimmen. Das Vorhaben scheiterte jedoch daran, daß die Nationalgalerie keine Bilder von Chardin besaß, vgl. KM (Nentwig) an Justi, 17.9.1929, ms., Anlagen, ms. u. Direktor NG (i. V. Thormaehlen) an KM, 18.9.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 30; zum Kontext vgl. auch Rave 1987, S. 30 f. Zur Ausstellung vgl. Campbell 1981, S. 268 u. 294 f; Sievers 1966, S. 320. Gall (KM) an Schnitzler (FM), 20.7.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1049, Bl. 1-2, Bl. 1 r; zur Ausstellung von 1925 vgl. Campbell 1981, S. 294 f; BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 142-163; BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 46-51; Sievers 1966, S. 320. Gall (KM) an Schnitzler (FM), 20.7.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1049, Bl. 1-2, Bl. 1 r-v. Vgl. FM an Gall, 10.9.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 151, Nr. 1049, Bl. 3 r. Zur gleichzeitigen kunstpolitischen Annäherung an Polen, in die das Kultusressort aber offenbar nur am Rande involviert war, vgl. Briefe u. Unterlagen Mai-Aug. 1925, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 26; GStA PK, I. HA Rep. 90, Nr. 2402, Bl. 307-312; Briefe u. Unterlagen März-Juli 1927, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 28; Winckler u. DNVP an LT, 12.7.1927 u. Antwort Becker, 19.9.1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3 u. GStA PK, I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 3, adh. 2; Deutsche Kunstausstellung Warschau an Justi, 8.5.1929, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 29; O.M.: Deutsche Kunstpropaganda, in: Ku. u. Wi., Jg. 11, Nr. 8, 16.4.1930, S. 108; Rave 1987, S. 30 f.
8. Internationale Aspekte der Kunstpolitik
577
Offenheit und internationalen Präsenz erreicht, das zu Beginn der 20er Jahre kaum für möglich gehalten worden wäre. In der zweiten Hälfte der 20er Jahre wurde indes nicht nur der deutschen Kunst verstärkt der Weg ins Ausland geebnet. Vielmehr wurde auch eine größere Offenheit für ausländische Kunst im eigenen Land spürbar. War unter Boelitz das Interesse am Kulturaustausch allenfalls in ersten Ansätzen zum Tragen gekommen, wurde es unter Becker zu einem zentralen Anliegen der preußischen Kunstpolitik. Ausdruck dessen war die beachtliche Zahl ausländischer Kunstausstellungen, die nach 1925 unter staatlicher Ägide veranstaltet wurden. 169 Nachdem im Rahmen des Potsdamer Kunstsommers bereits 1925 eine von der ressortnahen Deutsch-Niederländischen Gesellschaft organisierte Ausstellung niederländischer Kunst der letzten fünfzig Jahre präsentiert worden war,170 setzte hier einerseits die Nationalgalerie Akzente - Ende 1925 mit einer Schau neuerer Malerei aus der Schweiz 171 und 1926 mit zwei weiteren Projekten: einer zuvor in Lübeck und Hamburg präsentierten Ausstellung moderner schwedischer Malerei und einer Vier-Nationen-Ausstellung, bei der aktuelle Kunst aus den USA, England, Frankreich und Deutschland zu sehen war.172 1927 wurde zudem die Munch-Ausstellung (siehe Kap. III. 7.) zum großen Ereignis. 173 Andererseits lenkten verschiedene Ausstellungen der Akademie der Künste gegen Ende der 20er Jahre den Blick auf die ältere Kunst anderer Länder: Ende 1926 wurde eine russisch-byzantinische Monumentalmalerei- und Anfang 1928 eine österreichische Barockausstellung, im Januar 1929 eine chinesische Ausstellung und wenig später eine russische Ikonenkunstschau gezeigt.174 Wie 169 Zu ähnlichen Tendenzen in Sachsen vgl. BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 18-19 u. 96; BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 125 u. 169. 170 Vgl. Ku. u. Kü„ Jg. 2 3 / 2 , Nr. 10, Juli 1925, S. 407 f. 171 Zur Ausstellung vgl. Briefe Aug.-Dez. 1925, März 1926 u. ZAs Nov./Dez. 1925, in: S M B P K / Z A , Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 55/3; Justi an Krongutsverwaltung (Hübner), 17.10.1925, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 17.11.1925, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 53, Bd. 1; SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 55/2; Ku.wan., Jg. 7 , 1 . / 2 . Sept.-Nr. 1925, S. 10-13; Hentzen 1972, S. 30; Rave 1968, S. 97; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 477 u. Bd. 2, S. 273. 172 Zur schwedischen Ausstellung vgl. Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 473 f u. Bd. 2, S. 269 u. 273; Hentzen 1972, S. 31; Rave 1968, S. 97; Briefe u. Material Juni 1925-Juni 1926, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 54; BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 193; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 20, Bd. 3, Bl. 367; Programm Waetzoldt, 23.4.1926, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1578; Gustav Pauli: Die Ausstellung schwedischer Kunst, in: Ku. u. Kü., Jg. 24, Nr. 8, Mai 1926, S. 330-333; Carl Georg Heise: Schwedische Malerei der Gegenwart,
in: Cie., Jg. 18,
Nr. 9, Mai 1926, S. 275-285; Oestreicher (SPD), 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11576; zur Vier-Nationen-Ausstellung vgl. Ku.hl, Jg. 10,1926, S. 351; Briefe u. Material April-Nov. 1926, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 56; Vier-Länder-Ausstellung
in der Nationalgalerie,
in:
ZSf. bild. Ku., Jg. 60, Nr. 7, Okt. 1926, S. 84; Hentzen 1972, 31 f; Rave 1968, S. 97; Rave 1987, S. 38 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 475 f u. Bd. 2, S. 272 f. 173 Vgl. dazu auch Redenotizen Becker, 12.3.1927, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1489. 174 Zu den russischen Ausstellungen vgl. Notizen Becker, [Nov. 1926], hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1485; Gerippe zur Ansprache des Ministers zur Eröffnung der Ausstellung byzantinisch-russischer Monumentalmalerei,
3.11.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92
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III. Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik 1921-32
wichtig dem Kultusministerium die internationalen Ausstellungen in der Hauptstadt waren, zeigte sich schon in deren Vorfeld. So setzte sich das Ressort über die bei allen genannten Projekten erforderliche ministerielle Zustimmung hinaus bei der Schweizer Ausstellung erfolgreich für eine Finanzierung durch Zuschüsse des Auswärtigen Amtes und der Schweiz ein. 175 Bei der von der Amerikanerin Harriman angeregten Vier-Nationen-Ausstellung wurde das Ministerium insofern aktiv, als es Justi auf das Projekt aufmerksam machte. 176 Und im Umfeld der Akademiepräsentationen zur russischen, österreichischen und chinesischen Kunst kam Becker, wie die Kontakte zu konsularischen Vertretungen und Kulturorganisationen andeuten, 177 offensichtlich ein vermittelnder Part zu. Das Kultusressort beließ es allerdings nicht beim fördernden Agieren im Hintergrund, sondern nutzte die internationalen Kunstschauen in Berlin zugleich f ü r zunehmend stringentere Bekundungen seines Interesses am internationalen Kulturaustausch. Eine erste Gelegenheit dafür bot die Eröffnung der schwedischen Ausstellung im April 1926, 1 7 8 bei
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NI. C. H. Becker, Nr. 1485; Rede Becker, 18.2.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1557; Lersch 1979, S. 283; zur österreichischen Ausstellung vgl. Rede Liebermann, [28.1.] 1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1532; Rede Becker, 28.1.1928, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1531; zur chinesischen Ausstellung vgl. Rede Becker, [12.1.1929], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 408; Rede Becker, 12.1.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1556; zu weiteren Aktivitäten der Akademie siehe auch die Ausstellung neuerer amerikanischer Architektur sowie die Planungen für eine finnische Ausstellung und eine Schau altspanischer Kunst, vgl. SAdK, PrAdK, 2.2/053, Bl. 148-149; Robert Breuer: Amerikanische Bauten, in: Weltb., Jg. 22/1, Nr. 6, 9.2.1926, S. 214-218; SAdK, PrAdK, 2.1/003, Bl. 171-175; SAdK, PrAdK, 2.1/002, Bl. 10-11. Vgl. Justi an Schweizer Gesandten Berlin, 13.10.1925, ms., NG an Waetzoldt, 19.12.1925, Ds., ms., KM (Nentwig) an Justi, 3.11.1925, ms., KM (Waetzoldt) an Justi, 1.3.1926, ms. u. Entwurf NG, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 55/3. Vgl. Deutsche Botschaft Washington an AA, 29.4.1926, KM an Justi, 2.6.1926, ms. u. Becker an Justi, 16.6.1926, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 56. Siehe dazu Beckers Kontakte zum russischen Botschafter (vgl. Hinweis 3.11.1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1720; SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 30, Bd. 6, Bl. 548; SAdK, PrAdK, 2.1/009, Bl. 160—161), zum österreichischen Gesandten (vgl. Hinweis 13.2.1927, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1720; BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 182 u. 186) sowie zu den Trägern der russischen und chinesischen Ausstellung, der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas und der Gesellschaft für ostasiatische Kunst, vgl. Briefe Dez. 1928/Jan. 1929 u. 1931/32, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 408; Hinweis 25.2.1928, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1720; Hinweis [1923?], in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 3947; Rede Becker, 12.1.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1556; siehe dazu auch Lersch 1979, S. IV f; zum Ressortbemühen um eine Präsenz österreichischer Kunst in Berlin vgl. auch BArchB, R 1501, Nr. 8984, Bl. 199 u. 221-222; BArchB, R 1501, Nr. 8985, Bl. 43 u. 61. Das Interesse des Ministeriums an russischer Kultur zeigte zudem eine im Mai 1927 von Becker eröffnete russische Schulkunstausstellung, vgl. Rede Becker, 24.5.1927, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1494. Schon an der Eröffnung der Schweizer Ausstellung hatten Nentwig und Waetzoldt teilgenommen, damals war das Ministerium aber noch nicht weiter in Erscheinung getreten, vgl. ZAs Nov./Dez. 1925, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 55/3.
8. Internationale Aspekte der Kunstpolitik
579
der B e c k e r erläuterte: „ D e r Wert und die Auswirkung einer solchen Ausstellung bleibt nicht auf die Vermittlung rein künstlerischer E i n d r ü c k e beschränkt, gerade die Werke der Malerei sind darüber hinaus in hervorragendem Masse geeignet, [ . . . ] die mannigfachen B a n d e zu verstärken, die das schwedische mit dem deutschen Volke verknüpfen. N a c h d e m sich die T ü r e n zwischen den V ö l k e r n wieder aufgetan haben, werden lebhafter, als dies früher der Fall war, Kunstausstellungen hinüber und herüber über die G r e n z e n der Länder gesendet. H i n t e r dieser Mobilisierung der K u n s t steht [ . . . ] die tiefe Überzeugung, dass die bildende K u n s t eines Volkes A b b i l d und Wunschbild zugleich ist, dass die Malerei einer N a t i o n nicht nur zeigt, wie sie ist, sondern auch wie sie sein möchte. [ . . . ] Zugleich aber zeigt jede Kunstausstellung nicht nur das, was das einzelne Volk allein besitzt, sondern auch was allen Kulturvölkern gemeinsam ist. E s ist von besonderem R e i z zu verfolgen, wie die großen Wellenbewegungen der K u n s t v o m frühen Impressionismus an über den Expressionismus hinweg bis zur sog. neuen Sachlichkeit hin bei allen V ö l k e r n w i e d e r k e h r e n . " 1 7 9 U b e r den Hinweis auf die nationale Prägung bildender Kunst legitimierte B e c k e r nicht nur das Engagement für deutsche Auslandsausstellungen und die Aktivitäten anderer Länder in Deutschland, sondern er beleuchtete zudem die weitergehende Bedeutung, die er der Beschäftigung mit der K u n s t anderer V ö l k e r zuschrieb: D e r B l i c k auf das Andere sollte ein Bewußtsein für das Ideal der Kulturgemeinschaft gleichberechtigter N a t i o n e n wecken. Nationale Identität und selbstbewußte Begegnung in der Kunst, wie sie etwa durch die aktuelle Ausstellung gefördert werden sollte, wurden dabei in Beckers Vorstellung zur Voraussetzung für eine Politik „friedlicher Zusammenarbeit und vertieften Verständnisses der Völker".180 H a t t e B e c k e r bei der schwedischen Ausstellung in Affinität zu den Weimarer Koalitionsparteien 1 8 1 quasi das G r u n d c r e d o der internationalen Kulturbegegnung formuliert, manifestierte und differenzierte er diese Haltung bei den folgenden Schauen ausländischer Kunst. W ä h r e n d er bei der österreichischen Ausstellung die gemeinsame deutsche Tradition in den Vordergrund rückte (siehe Kap. I I I . 7.), spitzte er seinen Anspruch bei den E r ö f f nungen der russischen Ausstellungen, der chinesischen und der Munch-Ausstellung zu. 1 8 2 D a b e i kristallisierten sich drei zentrale Aspekte heraus: 1. Als Basis jeder offenen Kulturbegegnung postulierte B e c k e r die A c h t u n g vor dem F r e m d e n 1 8 3 und die Einsicht in dessen 179 Redeentwurf Becker, 23.4.1926, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C.H.Becker, Nr. 1578; zur von Waetzoldt entworfenen Rede vgl. Schunk 1993, S. 438; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 473 f u. Bd. 2, S. 269; zur sachlich-realistischen Tendenz nicht nur der deutschen Kunst in dieser Zeit vgl. Der kühle Blick 2001. 180 Redeentwurf Becker, 23.4.1926, ms., S. 3, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1578. 181 Vgl. dazu z.B. Oestreicher (SPD) u. Schuster (DVP), 11.5.1926, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 11576 u. 11585; Oestreicher (SPD), 21.3.1927, in: LT, WP 2, Prot., Sp. 18180 f u. 18184. 182 Vgl. Redenotizen Becker, [Nov. 1926], hs. u. Gerippe zur Ansprache des Ministers zur Eröffnung der Ausstellung byzantinisch-russischer Monumentalmalerei, 3.11.1926, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1485; Redenotizen Becker, 12.3.1927, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1489; Rede Becker, 18.2.1929, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1557. 183 Vgl. auch Notizen Etatrede Becker, 7.5.1926, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1747.
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III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Gleichrangigkeit im Vergleich zur deutschen Kunst. 184 2. Wichtig war zudem die Vorstellung von der gegenseitigen internationalen Anregung und Befruchtung in der Kunst. 185 Letztlich durchbrach der Minister so die Auffassung von der abgeschütteten nationalen Kunstentwicklung und verband die eigene Kunst und die des Auslandes miteinander, ohne deren nationale Verwurzelung zu negieren. 3. U m das rein nationale Kunstverständnis zu überwinden, machte Becker auf einen alternativen Gesichtspunkt aufmerksam: die menschliche Grunddimension aller künstlerischen Betätigung. 186 Uber die Betonung dieser drei Grundüberzeugungen solidarisierte sich Becker nicht nur mit den Ausstellungen ausländischer Kunst in Berlin und band sie in das Anliegen ein, einen internationalen Austausch zu beförden. 187 Vielmehr bemühte er sich durch seine Appelle konkret darum, das Publikum für die Verständigungsabsicht der Ausstellungen zu öffnen und so der angestrebten aufgeschlossenen Begegnung mit dem Fremden, die sich letztlich in seine humanistische Bildungskonzeption einfügte, im eigenen Land den Boden zu bereiten. Unter Grimme setzte sich der internationale Verständigungskurs fort. Während staatliche Leihgaben nach Venedig oder Wien üblich blieben 188 und das Ministerium durch Bereitstellung von fünfzehn Macke- und Marc-Werken für eine von der Deutschen
Kunstgesellschaft
184 Vgl. Gerippe zur Ansprache des Ministers zur Eröffnung der Ausstellung byzantinisch-russischer Monumentalmalerei, 3.11.1926, ms., S. 2, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1485; Rede Becker, [12.1.1929], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 408; Rede Becker, 18.2.1929, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1557. 185 Vgl. Gerippe zur Ansprache des Ministers zur Eröffnung der Ausstellung byzantinisch-russischer Monumentalmalerei, 3.11.1926, ms., S. 2, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1485; Redeentwurf Becker, 23.4.1926, ms., S. 3, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1578; Redenotizen Becker, 12.3.1927, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C.H.Becker, Nr. 1489; siehe dazu auch Beitrag Becker für Ausstellungskatalog zu siebenbürger Volkskunst, [15.] 2.1927 (Datierung nach Nl. Becker, Nr. 1514), hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1490 u. GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7234; Hinweis auf Rede Becker, 17.3.1927, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1594; Sievers 1966, S. 326. 186 Vgl. Rede Becker, 26.6.1926, ms., S. 8, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1463; Rede Becker, [12.1.1929], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 408; Rede Becker, 18.2.1929, ms., S. 2, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1557; siehe dazu auch Becker: Menschenformung als Gegenwartsproblem, [24.10.1928], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1521; Rede Becker, 15.6.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 1566. 187 Vgl. dazu auch Redenotizen Becker, 12.3.1927, ms., S. 2, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 1489; Gerippe zur Ansprache des Ministers zur Eröffnung der Ausstellung byzantinisch-russischer Monumentalmalerei, 3.11.1926, ms., S. 3, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1485. 188 Vgl. Briefe Okt. 1931-Aug. 1933, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 29, Beih. 1, Bd. 1; Briefe Jan. 1932, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 33; siehe auch den fortbestehenden Kontakt nach Ungarn, vgl. Becker an Grimme, 1931/32 [?], ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a; Karafiáth an Grimme, 3.3.1932, ms. u. Grimme an Karafiáth, 9.3.1932, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 58, Mappe 19.
8. Internationale
Aspekte
der
Kunstpolitik
581
veranstaltete Ausstellung in Belgrad und Zagreb dazu beitrug, der deutschen Kunst noch einmal neue Wirkungsfelder zu erschließen, 189 wurden nun die kunstpolitischen Beziehungen nach Frankreich und in die U S A ausgebaut. Neben der Tatsache, daß die Berliner Staatsmuseen speziell dem Louvre immer häufiger französische Werke zur Verfügung stellten, 190 bedeutete einen weiteren Schritt der Öffnung, daß Preußen jetzt auch französische Kunstausstellungen im Ausland durch Leihgaben unterstützte. 191 Im Mittelpunkt der ministeriellen Aktivitäten in den U S A stand indes die Förderung einer ersten großen Schau zeitgenössischer deutscher Kunst, die Anfang 1931 im Museum of Modern A r t in New York stattfand. 192 Auf Justis Bitte hin 193 erteilte das Ressort umgehend die Genehmigung, sechs angeforderte Werke von Dix, Kirchner, Klee und Pechstein aus der Nationalgalerie in die U S A zu entsenden. 194 Das Ministerium knüpfte so an die Kooperation mit dem Carnegie-Institut an und setzte seine Politik auf noch exponierterem Terrain fort. 1 9 5 Grenzen der Ausleihbereitschaft zeigten sich allenfalls, wenn die Anfragen mit eigenen kunstpolitischen Interessen kollidierten. Dies war zum Beispiel beim Museumsjubiläum im Oktober 1930 (siehe Kap. III. 4.) der Fall, bei dem man Wert darauf legte, den staatlichen Kunstbesitz möglichst vollständig in der Hauptstadt zu haben, um auch jenseits der neuen Museums-
189 Vgl. Direktor NG (i.V. Thormaehlen) an KM, 17.1.1931, ms. u. KM (Waetzoldt) an Justi, 22.1.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 32; vgl. dazu auch Sievers 1966, S. 317-319; Düwell 1976, S. 180-191; Rave 1987, S. 30 f; Neue Sachlichkeit 1994, S. 15 f; Daweke / Schneider 1986, S. 126 f; zu Kontakten des Ressorts auch mit anderen auswärtigen Kunstorganisationen vgl. z. B. Michaelis (Gemeinnützige Vereinigung zur Pflege deutscher Kunst) an Becker, 9.9.1929, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 383. 190 Vgl. Briefe Mai 1931, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 32; Briefe Juni-Nov. 1932, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 33; zur Präsenz deutscher Kunst in Paris siehe auch Paul Westheim: Deutsche Kunst in Paris, in: Ku.bl., Jg. 15, 1931, S. 171-173; Briefe April 1931, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 32. 191 Vgl. Justi an KM, 20.6.1930, ms. u. KM (Hübner) an Justi, 27.6.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31. Hier ging es um eine Ausstellung zu van Gogh und seinen französischen Zeitgenossen in Amsterdam. 192 Zur Ausstellung vgl. Thormaehlen an Barr, 15.9.1930, ms. u. Barr an Justi, 18.9.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31; Neues aus Amerika, in: Ku. u. Kü., Jg. 29,1930/31, S. 125; Alfred Barr: Deutsche Kunst in New York. Ein Rückblick, in: Mus. der Gegenwärtig. 2, 1931/32, S. 1-6; Alfred H. Barr: Die Wirkung der deutschen Ausstellung in New York, in: Mus. der Gegenwart, Jg. 2, 1931/32, S. 58-75; Rave 1987, S. 37 f. 193 Vgl. Justi an Magistrat Duisburg, 15.9.1930, ms., NG an Anita Lehmbruck, 15.9.1930, ms. u. Barr an Justi, 18.3.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31. 194 Vgl. Barr an Justi, 11.8.1930, ms., Direktor NG (i.V. Thormaehlen) an KM, 29.8.1930, Ds„ ms. u. KM (Waetzoldt) an NG, 3.9.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31. Es handelte sich um die Gemälde Baby von Dix, Straße und Rheinbrücke von Kirchner, Angler und Zwitschermaschine von Klee sowie um Pechsteins Rettungsboot. 195 Zum Erfolg dieser Aktivitäten in den USA vgl. auch Hans Tietze: Deutsche Kunst in Amerika, in: Ku.wan.,]%. 14, 12.11.1932, S. 367-369; zur Präsenz deutscher Kunst in den USA siehe auch Margaret Heiden: Neue deutsche Kunst im Detroit Institute of Arts, in: Mus. der Gegenwart, Jg. 2, 1931/32, S. 13-24; Justi an KM, 13.3.1931, ms. u. KM (Hübner) an Justi, 28.3.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 32.
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
582
1921-32
bauten ein beeindruckendes Bild vom Kulturstaat Preußen vermitteln zu können. 196 So lehnte das Ministerium im Spätsommer 1930 eine vom Museum of Modern Art erbetene Leihgabe von Daumiers Don Quichote unter Hinweis auf das Jubiläum zunächst ab. 197 Nach Intervention des Auswärtigen Amtes ließ es sich dann aber doch darauf ein, das Bild dem New Yorker Museum nach Abschluß der Feierlichkeiten zu überweisen. 198 Daß Grimme später Mitglied des Ehrenkomitees der New Yorker Ausstellung war,199 unterstrich das Interesse des Ministeriums gerade an einem Kulturaustausch mit den USA. Gleichzeitig spitzte Minister Grimme den von seinem Vorgänger so pointiert vertretenen Anspruch auf eine intensive Auseinandersetzung mit ausländischer Kunst im eigenen Land auf die menschlich-humanistische Dimension zu. Als erster Hinweis darauf war bereits Grimmes Eröffnungsrede bei der Rembrandt-Ausstellung in der Akademie (siehe Kap. III. 3.2. und III. 5.) zu verstehen gewesen, in der der holländische Meister zum „künstlerische[n] Menschfen] schlechtweg" stilisiert worden war. 200 Im Herbst 1930 manifestierte sich die Tendenz weiter, als Grimme bei der Einweihung des Pergamonmuseums den übernationalen Wert der präsentierten Objekte hervorhob (siehe Kap. III. 4.1.). In besonderer Weise verlieh Grimme seiner Haltung dann bei der Eröffnung einer modernen japanischen Ausstellung in der Akademie der Künste im Januar 1931 Ausdruck, wo er als Reiz der Betrachtung fremder Kunst zunächst die Erkenntnis betonte, „dass dieses so ganz anders Erscheinende in seinem Wesensgrund ja gar nicht das ewig Fremde und Verschlossene und nie Zugängliche ist, sondern dass sich hinter dem anderen Ausdruck zwar eine andere Betrachtungsweise der Dinge und eine andere Art, sich zur Welt und zu den Menschen zu verhalten, verbirgt, dass hinter dieser so grundverschiedenen Einstellung aber unser eigenes Ich hervorblickt: Der Mensch in uns Menschen." 2 0 1 Von dieser individuellen Ebene schwenkte Grimme zudem in Reaktion auf die sich nationalisierende Kunstdebatte auf eine
196 Zur internationalen Dimension der Feierlichkeiten vgl. auch Schmidt-Degener: Die wünsche des Auslandes, in: Ku.wan., Jg. 12, 1./2. Okt.-Nr. 1930, S. 40 f; Die ausländischen
GlückGäste,
in: Ku.wan., Jg. 12, 1./2. Okt.-Nr. 1930, S. 41 f; Wie wir die Berliner Museen sehen. Urteile des Auslandes, in: Ku.wan., Jg. 12, 1./2. Okt.-Nr. 1930, S. 43 f. 197 Vgl. Justi an KM, 5.8.1930, ms., KM (Hübner) an Justi, 13.8.1930, ms., Telegramm N G an Museum of Modern Art, 27.8.1930, ms., Telegramm Barr an Justi, 30.8.1930, ms., Justi an Barr, 22.8.1930, Ds., ms., Barr an Justi, 2.[?]9.1930, ms., Thormaehlen (NG) an Sievers (AA), 1.9. 1930, ms. u. Justi an Barr, 12.9.1930, Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31; siehe dazu auch die ähnliche Reaktion auf eine zwei Beckmann-Gemälde betreffende Ausleihanfrage der Pariser Galerie La Renaissance, vgl. Briefe Jan./Febr. 1931, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 32. 198 Vgl. KM an Justi, 12.9.1930, ms., Barr an Thormaehlen (NG), 9.9.1930, ms., Thormaehlen an Barr, 15.9.1930, ms. u. Barr an Justi, 18.9.1930, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31. 199 Vgl. Neues aus Amerika, in: Ku. u. Kü., Jg. 29, 1930/31, S. 125. 200 Grimme 1932 a, S. 87. 201 Rede Grimme, 17.1.1931, ms., S. 2, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 370, auch in: Grimme 1932 a, S. 83 f; zur Rede vgl. auch Japan in der Akademie, in: Kölnische Zeitung, Nr. 33, 17.1.1931, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45; Grimme Ausstellung, in: Berliner Börsen-Courier, Grimme, Nr. 370.
eröffnet die Japan-
Nr. 28, 17.1.1931, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl.
8. Internationale Aspekte der Kunstpolitik
583
aktuelle gesellschaftliche um. So zeigte er sich bei der Japanausstellung überzeugt davon, daß die „unbändige Sehnsucht nach der Fremde" von keinem „missverstandenen und erhitzten Nationalismus" verdrängt werden könne. 202 Überdies richtete er den Appell an die Ausstellungsbesucher: „Wenn wir nun an diese Bilder herantreten, dann möchte ich, dass jeder diese Ausstellung wertet als ein Bekenntnis des Deutschen zu dem über alle Unterschiedenheit hinausgreifenden Bewusstein des Miteinanders aller Völker mit allen Völkern, [...] dass die Betrachtung dieser Bilder jeden, der sich ihnen naht, zur Andacht stimmt vor der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit der Entfaltungsweisen ein und desselben menschlichen Seins." 203 Grimme wollte die japanische Ausstellung damit als Statement für ein weltoffenes Deutschland gewertet wissen, das an einen übergeordneten Wert von Kultur jenseits nationaler Kategorisierungen glaubte. 204 Diese Haltung bekräftigte er in den folgenden Monaten immer wieder - etwa bei einer Akademieausstellung zur altamerikanischen Kunst, bei der er Ende 1931 die Zerstörungswut der Entdecker der Inkakunst verurteilte und die veränderte Einstellung in der eigenen Gegenwart betonte, für die jenseits jeder Hybris die Achtung vor dem Anderen und die Aufgeschlossenheit für den Reichtum der Welt konstitutiv sei. 205 Zunehmend stellten sich einer Umsetzung der vom Ministerium Grimme propagierten international offenen Kunstpolitik jedoch seit 1929/30 äußere Hemmnisse entgegen. Zum einen schränkte die rigide preußische Sparpolitik den Handlungsspielraum auch in diesem Bereich spürbar ein. 206 Hatte sich dies bereits bei der Ablehnung der Beihilfe für die Pariser Kunstgewerbeausstellung angedeutet, waren zum Beispiel die gegen den Protest des Kultusministeriums verfügten Kürzungen bei den Reisekostenfonds der Kunstakademien und Museen, die wichtige Basis der internationalen Kontaktpflege waren, als Beleg dafür zu sehen. 207 Infolge der Zweiten Preußischen Sparverordnung brachen zudem zwei Aktiv-
202 Ebd., S. 2 f. 203 Ebd., S. 3. 204 Zum fortgesetzten Engagement des Ministeriums für japanische Kunst vgl. auch Rede Grimme, 26.2.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 399. 205 Grimme 1932 a, S. 85; Rede Grimme, 5.12.1931, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 396; zur Rede vgl. auch „Wir Europäer haben diese schöne Welt zerstört".
Amerikanische
Kunst in Berlin, in: Fl, Nr. 907, 6.12.1931, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 45; siehe dazu ähnlich auch Rede Waetzoldt, 5.12.1931, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 396; zur Ausstellung und zur fördernden Rolle Waetzoldts vgl. auch Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 9.11.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 147-151; Ak. d. Kü.: Bericht über die Tätigkeit der Abteilung für die bildenden Künste und der Gesamtakademie Geschäftsjahr 1931/32,17.11.1932,
im
ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/005, Bl. 86-93.
206 Vgl. dazu auch Produktive Kunstpflegef,
in: Ku.bl., Jg. 16, Sept. 1932, S. 69; Becker an Wiegand,
2.11.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 5083; siehe auch schon Oskar Kresse an Becker, Sept. 1928 u. Becker an Kresse, Sept. 1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C. H. Becker, Nr. 5866. 207 Vgl. KM (Waetzoldt) an FM, 12.8.1929, ms. u. Notiz FM, 25.9.1929, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 10684; FM an KM, 30.6.1930, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 10694; KM an Justi, 2.9.1930, ms., KM (Hübner) an Justi, 23.2.1931, ms., Justi an KM, 14.4.1931, ms. u. KM (Haslinde) an Justi, 24.4.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 45, Bd. 1; zur Relevanz der
III.
584
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
posten im Bemühen um eine selbstbewußte Repräsentation Deutschlands an der Ostgrenze weg: die Akademien Breslau und Königsberg. Die 1931 angeordnete Schließung der Einrichtungen rief zwar gerade aus nationalpolitischen Gründen Protest hervor,208 und das Kultusministerium setzte sich auch deswegen für eine Erhaltung der Anstalten ein. 209 Letztlich konnte allerdings nur für Königsberg ein Kompromiß durchgesetzt werden, mit dem eine Fortsetzung der bisherigen Politik aber kaum möglich war (siehe Kap. III. 3.I.). 210 Zum anderen kollidierte das Ressortinteresse am offenen internationalen Austausch mit der sich polarisierenden zeitgenössischen Kunstdebatte. Wie unmittelbar die preußische Kunstpolitik um 1931/32 in den Strudel dieser Polarisierungen geriet, offenbarte sich bei einer von Justis Mitarbeiter Thormaehlen organisierten deutschen Kunstausstellung, die als Gegenleistung für die Berliner Munch-Ausstellung in Oslo und später in Bergen, Stavanger und Kopenhagen gezeigt wurde.211 Die unter der Federführung des Auswärtigen Amtes veranstaltete Schau hatte insofern eine andere Dimension als die zuvor im Ausland gezeigten Ausstellungen, als sie mit dem Anspruch, ein charakteristisches Bild des zeitgenössischen deutschen Kunstschaffens zeichnen zu wollen, einen Schwerpunkt auf den Expressionismus legte und damit zumal im skandinavischen Umfeld den Eindruck einer „nordisch-germanischen" Ideologisierung der deutschen Kunst nährte (siehe Kap. III. 7.). 212 Diese Tendenz der Ausstellung stieß dann auch bei der deutschen Künstlerschaft auf Widerstand. Hauptkritikpunkt war dabei die Ausklammerung der Impressionisten und besonders Liebermanns. 213 Neben antisemitischen Motiven wurde
Auslandsreisen vgl. auch KM (Nentwig) an Kunstverwaltungsbehörden, 8.9.1926, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/114, Bl. 123; Protokoll Ak. d. Kü., Gesamtakademie, 9.11.1931, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 147-151. 208 Vgl. GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 141, 149-152, 157-160, 176-180, 207-208, 213-218, 239 u. 242. 209 Vgl. Grimme an FM, 15.2.1932, ms. u. Staatsministerium an FM, Mai 1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1778, Bl. 164-166 u. 226-227. 210 Siehe dazu auch die gestrichene Förderung für das Schloßmuseum Königsberg, vgl. Hinweis Mai 1932, in: GStA PK, I. H A Rep. 90, Nr. 1791; zum Engagement des Ministeriums für die östliche Grenzregion zu Beginn der Amtszeit Grimmes vgl. auch Briefe Febr. u. Juli 1930, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Spec. 1, Bd. 31. 211 Zur Ausstellung vgl. Hentzen 1972, S. 68-70; Rave 1987, S. 40 f; Rave 1968, S. 99; Neue
deutsche
Kunst in Oslo, in: Mus. der Gegenwart, Jg. 2,1931/32, S. 161-172; SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 75/5; Georg Kraski: Ein Leben für die Unabhängigkeit
der Kunst. Prof. Ludwig
Thorma-
ehlen [zum] 60. Geburtstag, 24.5.1949, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Personalia, Τ, Bd. 5; Abschr. Deutsche Gesandtschaft Stockholm an AA, 9.5.1932, ms. u. KM (Hübner) an Justi, 29.5.1932, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 75/11. 212 Vgl. März 1994, S. 131-133. 213 Vgl. Ku.bl., Jg. 16, 1932, S. 16; Adolf Behne: Das Kronprinzenpalais in Oslo, in: Weltb., Jg. 28/1, Nr. 1, 5.1.1932, S. 22-24; Ein Protest deutscher Künstler, in: Ku. u. Kü., Jg. 31, 2.1.1932, S. 47 f; SAdK, PrAdK, 2.1/004, Bl. 85-88; Zur deutschen Ausstellung in Oslo, in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 3, 1.3.1932, S. 46 f; Adolf Behne: Noch einmal Oslo, in: Weltb., Jg. 28/1, Nr. 10, 8.3.1932, S. 3 6 5 369; KM (Hübner) an Justi, 10.3.1932, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 75/14; Ku.bl., Jg. 16, April 1932, S. 27; Antwort des Vorstandes der Berliner Sezession auf die
Erklärung
8. Internationale Aspekte der Kunstpolitik
585
dahinter das Bemühen vermutet, französische Einflüsse in der deutschen Kunst zu negieren und statt dessen die „germanische Ausdruckskunst" als maßgeblich zu stilisieren. Auch wenn die Osloer Kooperationspartner die Vorwürfe abschwächten, 214 bestätigte sich die Stilisierung des Expressionismus zur „eigentlichen" deutschen Kunst im Umfeld der Diskussionen und Eröffnungsfeiern in Bergen und Stavanger deutlich. 215 Während sich das Auswärtige Amt hinter die durchaus erfolgreiche Ausstellung stellte, 216 spielte das Kultusministerium in dem Konflikt von Beginn an eine eher passive Rolle. Bei ersten Planungen im April 1931 hatten das Auswärtige Amt und die Nationalgalerie noch vereinbart, man werde das Ministerium einbeziehen. 217 Tatsächlich war die Ressortzustimmung dann aber nie eingeholt worden. Haslinde war zwar laut Nationalgalerie mündlich auf dem Laufenden gehalten worden, offizielle Berichte gingen dem Ressort aber nicht zu. 218 Faktisch blieb das Ministerium so wohl nicht ganz zufällig von der Vorbereitung einer Ausstellung ausgeschlossen, die seinen breiten Förderintentionen und der demonstrativen Einbindung der Impressionisten in seine nationale wie internationale Politik fundamental zuwiderlief. Durch das Außenministerium war das Unternehmen dennoch politisch gedeckt. Letztlich büßte das Ministerium Grimme so im entscheidenden Augenblick seinen Einfluß auf die von der Nationalgalerie getragene auswärtige Ausstellungspolitik ein. Ohne aktiv werden zu können, mußte es hinnehmen, daß eine Ausstellung, die auch als Ergebnis seiner Politik wahrgenommen wurde, 219 für eine spezielle Positionierung in der polarisierten Kunstdebatte genutzt wurde. Im Endeffekt signalisierte der Konflikt um die Oslo-Ausstellung damit aus Sicht des Kultusministeriums vor allem eines: daß das Ressort mit seinem liberalen Anspruch in der Debatte der frühen 30er Jahre zunehmend zerrieben wurde.
des Herrn Dr. Thormaehlen,
in: Ku. u. Wi., Jg. 13, Nr. 4, 1.4.1932, S. 62 f; siehe dazu auch Karl
Scheffler: Nationale Kunst, in: Ku. u. KU., Jg. 31, März 1932, S. 72-78; zur Rolle Liebermanns vgl. Paret 1997, S. 72-74. 214 Vgl. KM an Justi, 6.4.1932, hs., Deutsche Gesandtschaft Oslo an AA, 11.3.1932, Ds., ms. u. zwei Erklärungen Kunstnernes Hus Oslo, [März 1932], Ds., ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 75/14. 215 Vgl. KM (Hübner) an Justi, 8.3.1932, ms. u. Anlagen, in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 75/14; AA an KM, 24.3.1932, ms., KM an Justi, 2.4.1932, ms. u. Abschr. Krogh an J. Dreyer, 17.3.1932, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 75/11 ; siehe auch Albert Dresdner: Die deutsche Kunstausstellung in Oslo, in: Ku.wan., Jg. 14, Febr. 1932, S. 160 f. 216 Vgl. AA an KM, 20.2.1932, ms. u. Abschr. AA an KM, 24.3.1932, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 75/11; Abschr. AA an KM, 20.2.1932, ms. u. Abschr. AA (Sievers) an Deutsche Gesandtschaft Oslo, 17.3.1932, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 75/14; zur kritischen Sicht auf den Oslo-Konflikt siehe auch Curt Glaser: Für die Kunst!, in: Ku. u. Kit., Jg. 31, März 1932, S. 101-105. 217 Vgl. AA an Justi, 21.4.1931, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 75/14. 218 Vgl. Notiz Rave an Thormaehlen, 22.2.1932, hs., KM (Hübner) an Justi, 10.9.1932, ms., Abschr. Liebermann an KM, 26.4.1932, ms., Bericht Thormaehlen an Justi, 19.9.1932, ms. u. Entwurf N G an KM, 7.1.1932, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., ad Spec. 20, Bd. 75/14. 219 Vgl. Ein Protest deutscher Künstler, in: Ku. u. Kü.,]%. 31, 2.1.1932, S. 47 f.
9. Ende, Rezeption und Nachwirken der demokratischen Kunstpolitik in Preußen Seit 1930/31 hatte sich immer deutlicher abgezeichnet, daß die offene, fortschrittliche Kunstpolitik des preußischen Kultusministeriums an finanzielle, aber auch ideologische Grenzen stieß, die sich einer stringenten Umsetzung der Ressortambitionen entgegenstellten. Grimme bemühte sich zwar darum, gerade angesichts der bedrängten Situation die eigenen kunstpolitischen Positionen umso stärker zu betonen und so ein selbstbewußtes, liberales Zeichen der Republik speziell gegen den aufkommenden Nationalsozialismus zu setzen. Letztlich geriet das Ressort kunstpolitisch aber seit 1931/32 in die Defensive.1 In dieser ohnehin schwierigen Lage wurde der demokratischen Kunstpolitik in Preußen am 20. Juli 1932 durch den sogenannten „Preußenschlag" ein abruptes Ende gesetzt. Die von Reichskanzler Franz von Papen mit Rückendeckung Hindenburgs an diesem Tag verfügte Absetzung der preußischen Regierung unter Ministerpräsident Braun bedeutete auch den erzwungenen Rücktritt von Kultusminister Grimme.2 An Grimmes Stelle übernahm daraufhin unter Reichskommissar von Papen zunächst der langjährige Ressortmitarbeiter Aloys Lammers die Leitung des Ministeriums.3 Ende Oktober 1932 löste ihn in dieser Funktion der DNVP-Landtagsabgeordnete Wilhelm Kähler (1871-1934) ab, ein habilitierter, zuletzt an der Universität Greifswald tätiger Nationalökonom.4 Und kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Reich wurde schließlich am 4. Februar 1933 der Nationalsozialist Bernhard Rust als Nachfolger Kählers zum Staatskommissar für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung in Preußen ernannt.5 Diese Veränderungen in der Ministeriumsführung bedeuteten eine sukzessive Neuausrichtung der Kultur- und Kunstpolitik des Kultusressorts unter konservativ-völkischen bzw. später nationalsozialistischen Vorzeichen.6 Speziell für die Kunstverwaltung brachten die Ereignisse vom Sommer 1932 jedoch noch einen weiteren Einschnitt mit sich: Wenige Wochen nach der Absetzung Grimmes wurde der bisherigen Kunstpolitik auch personell-organisatorisch die Grundlage da-
1 Vgl. dazu z.B. Löpelmann (NSDAP) an LT, 21.6.1932 u. Grimme an Präsident LT, 2.7.1932, in: GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 6 u. GStA PK, I. H A Rep. 169 D, Abt. X 1, B, Nr. 6, adh. 2. 2 Zur Absetzung Grimmes vgl. Reichskanzler an Grimme, 20.7.1932, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 92, Mappe 6; zum „Preußenschlag" vgl. Bracher 1988, S. 542-550; Bernhard Citron: Preußens Abschied von Weimar, in: Weltb., Jg. 28/1, Nr. 24, 14.6.1932, S. 902 f. 3 Vgl. www.gonschior.de/weimar/Preussen/Ueberblick-Reg.html; zu Lammers siehe auch Müller 1991, S. 282. 4 Vgl. Brenner 1972, S. 15; Karl Scheffler: Kulturabbau,
in: Ku. u. Kü., Jg. 31, Dez. 1932, S. 468-470;
www.gonschior.de/weimar/Preussen/Ueberblick-Reg.html;
Wirkendes, sorgendes Dasein 1959,
S. 112; www.catalogus-professsorum-halensis.de/kaehlerwilhelm.html. 5 Vgl. Brenner 1972, S. 15; Rave 1987, S. 5 4 - 5 6 u. 96. 6 Vgl. dazu auch schon KM an nachgeordnete Behörden, 27.7.1932, ms. / gedr., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen.-Pers., Bd. 5; zur sukzessiven Entwicklung siehe auch die Tatsache, daß das Ministerium bis Ende 1932 weiter die moderne Ankaufspolitik der Nationalgalerie mittrug, vgl. SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 15, Bl. 570, 574-575, 606, 612-613, 619-620, 643, 645 u. 666.
9. Ende, Rezeption und
Nachwirken
587
durch entzogen, daß die eigenständige Kunstabteilung des Ministeriums kurzerhand aufgelöst wurde.7 Der „Preußenschlag" leitete so auf ideologischer wie verwaltungstechnischer Ebene das endgültige Scheitern der demokratischen Kunstpolitik in Preußen ein. Nachdem sich die preußische Regierung juristisch gegen ihre Absetzung zu wehren versucht hatte,8 wurde auch die Auflösung der Kunstabteilung nicht unwidersprochen hingenommen. Als prägnanter Beleg dafür kann ein Protestschreiben vom 10. September 1932 gelten, das 23 Künstlerorganisationen an Ressortchef Lammers richteten. Die Organisationen erklärten hier, man sehe in der Abteilung 1. „nicht ein Anhängsel, sondern einen integrierenden Bestandteil des für die gesamten volkskulturellen Belange verantwortlichen Kultusministeriums", 2. „nicht eine an bestimmte politische Strömungen gebundene Einrichtung, sondern den sinnvollen und untendenziösen Ausdruck für die kulturelle Gleichberechtigung der Kunst mit den Gebieten der Wissenschaft und Volksbildung" und 3. „nicht eine innerhalb des staatlichen Verwaltungsapparates beliebig verschiebbare Registratur [...], sondern eine autoritative und repräsentative Kunstinstanz, die durch eigene Initiative richtunggebend auf die Belange der Kunst und der Künstlerschaft einwirkt." 9 Davon ausgehend hieß es in dem Protest: „Die tätige Mitarbeit des Staates auf dem Gebiete der Kunst stellt eine kulturelle Forderung dar, die - unabhängig von allen nationaloder parteipolitischen Wandlungen - seit Jahrzehnten von hervorragendsten Repräsentanten aller Künste in Deutschland erhoben war, und die unmittelbar auf die humanistischdeutschen Bildungsideen der Zeit Wilhelm von Humboldts zurückgeht." Diese Erkenntnis habe zur Angliederung der Kunstverwaltung an die oberste Bildungsbehörde geführt, und tatsächlich habe „die Kunstabteilung des Ministeriums in dem Jahrzehnt ihres Bestehens in enger Zusammenarbeit mit den Organisationen der Kunst nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Künste genommen".10 Direktiven und Anregungen der Abteilung hätten in anderen deutschen Ländern „lebhafte Resonanz und vielfach praktische Nachahmung" gefunden. Im vergangenen Jahrzehnt sei kaum eine für Kunst und Künstler relevante Frage ohne staatliche Mitarbeit gelöst worden. Daraus ergebe sich: „Wenn heute [..] die Kunst in die allgemeine Zeitkrise hineingezogen ist, [...] so erscheint es dringender denn je geboten, dass der Staat sich seiner Verantwortung für die künstlerischen Gesamtbelange der Nation bewusst bleibt und ihnen sinnvolle Repräsentation verleiht. Der Abbau der Kunstabteilung würde nicht nur eine Entwicklung jäh abbrechen, um die jahrzehntelang von den geistigen Führern des Volkes gekämpft worden ist, sondern sie würde die Lebensbelange der Kunst erneut der völligen Ungewißheit aussetzen."11 Damit war der Protest nicht nur als Anerkennung der preußischen Kunstpolitik in den 20er Jahren, sondern zugleich als historisch begründetes, in der aktuellen Situation offenbar bewußt parteipolitisch offen formuliertes
7 Vgl. auch Willett 1981, S. 212. 8 Vgl. Proteste u. Prozeßunterlagen Juli/Aug. 1932, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 u. GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 41 a. 9 Protest Künstlerorganisationen an Staatssekretär KM, 10.9.1932, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/010, Bl. 103-106, Bl. 103 r - 1 0 4 r. 10 Ebd., Bl. 104 r. 11 Ebd.,Bl. 105 r.
III.
588
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Plädoyer für den Fortbestand der Kunstabteilung und die Fortsetzung einer stringenten staatlichen Kunstpolitik zu lesen. Das eindringliche Plädoyer blieb indes erfolglos. Trotz der Proteste wurde die Kunstabteilung am 29. Oktober 1932 durch die Zweite Verordnung zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung mit der Wissenschaftsabteilung des Ministeriums zu einer Gesamtabteilung für Wissenschaft und Kunst zusammengelegt.12 Dies bedeutete das Ende der eigenständigen Kunstabteilung des Ministeriums und die Entlassung einer Reihe von Referenten.13 Unmißverständlich legte in dieser Situation die moderne Fachpresse die Tragweite des Schrittes offen. So schrieb Scheffler im Dezember 1932: „Zu den unerfreulichsten Zeichen der Zeit gehört der Versuch, die Initiative des Preußischen Kultusministeriums lahm zu legen und die Kunstabteilung zu beseitigen. Ersparnismaßnahmen müssen den Vorwand liefern, um im Geistigen Grundsätzliches zu ändern. Der Versuch hängt zusammen mit der Aktion des Reichs gegen Preußen, erschöpft sich aber nicht darin. Die Widerstände gegen die bisherige Arbeitsweise des Ministeriums kommen nicht nur von außen, sondern auch von innen [...]. Läßt man alle vorgegebenen Gründe als unbeträchtlich beiseite, so stellt sich die Aktion, die einen Ministerialdirektor und zwei Ministerialräte direkt oder indirekt beseitigt hat, zwei Referenten beseitigen möchte und einige der führenden Köpfe immer noch bedroht, als ein Kampf dar - als der uralte Kampf! - den der Ungeist gegen den Geist, die Juristerei gegen die Fachkenntnis, der Bureaukratismus gegen künstlerische Gesinnung zu führen hat. Daß antisemitische und politische Gesinnung dabei auch ihr Mütchen kühlt, versteht sich fast von selbst." 14 Scheffler untermauerte seine Empörung durch ein anerkennendes Resümee der von Fachleuten getragenen preußischen Kunstpolitik in den 20er Jahren.15 Kurz zuvor hatte Westheim konstatiert: „Die Neuordnung in Preußen hat als eine der ersten Maßnahmen den Abbau der Kunstabteilung im Kultusministerium erbracht. Die bewährten Fachreferenten Hübner, Kestenberg, Seelig, Gall und Waetzoldt sind mit Wartegeld verabschiedet worden. Die Kunst in Preußen von Verwaltungsjuristen so nebenbei mitgepflegt ...? Merkwürdig!" 16 Im Dezember 1932 ordnete er das Ende der Kunstabteilung dann in einen übergeordneten Kontext ein, indem er betonte: „Zu den Merkwürdigkeiten dieser unglorreichen Zeit gehört die Art, wie der Staat seine Verpflichtung der Kunst gegenüber auffaßt. Er nimmt diese Verpflichtung sehr ernst - wie in zahlreichen Ministerreden zu hören war. [...] In der Wirklichkeit geschieht freilich ebenso entschieden das Gegenteil. [...] Die Auflösung der Kunstabteilung im preußischen Kultusministerium ist mit Recht als Absage an eine zielbewußte, sachlich und fachlich orientierte Kunstpflege empfunden worden. Während seit Jahren die Kunstkreise sich einsetzten für die Errichtung eines eigenen Kunstministeriums17 [...], wird die Kunstabteilung abgeschafft. In ,Kunst und Wirtschaft' nennt Rudolf Bosselt das die offizielle Unwichtigerklärung der Kunst'. Gerade jetzt, wo das Bürgertum [...] nicht mehr in der Lage ist, 12 Vgl. Waetzoldt 1933, S. 81. 13 Vgl. ebd., S. 81. 14 Karl Scheffler: Kulturabbau,
in: Ku. u. KU., Jg. 31, Dez. 1932, S. 468-470, S. 468 f.
15 Vgl. ebd., S. 469 f.
16 Ku.bl., Jg. 16, Nov. 1932, S. 87. 17 Zu entsprechenden Vorstößen des Kultusministeriums siehe Kap. II. 6.
9. Ende, Rezeption und
Nachwirken
589
Kunst- und Kulturpflege zu treiben, wo die Massen immer mehr einer zügellosen, ungeistigen Agitation zum Opfer fallen, wäre es Sache des Staatesf,] für die Kunst mit allen Mitteln zu sorgen, nicht aber auf alle Weise abzubauen."18 Und schließlich war auch ein von Waetzoldt Anfang 1933 veröffentlichter Aufsatz zur Geschichte der preußischen Kunstpolitik seit 1817 19 als Plädoyer für die Fortsetzung staatlicher Aktivitäten im Kunstbereich zu verstehen. Wie Scheffler und Westheim verband Waetzoldt den Rückblick auf Geleistetes mit dem Hinweis darauf, daß der Verzicht auf eine staatliche Kunstpolitik eine ernste Gefahr für die Aufrechterhaltung des Kulturstaatsgedankens mit sich bringe.20 Letztlich wurde die Auflösung der Kunstabteilung von ihren Kritikern als Symbol für den Abschied vom bildungsbürgerlich-humanistischen Ideal einer von Kultur und Kunst getragenen Gesellschaft interpretiert, das die preußische Kunstpolitik die 20er Jahre hindurch so entscheidend geprägt hatte. Wie die vorherigen Künstlerproteste zeigten auch diese Bemühungen, die Notwendigkeit staatlicher Kunstpolitik aus einem bürgerlichen Kulturstaatsverständnis heraus vor Augen zu führen, kurz vor der nationalsozialistischen Machtübernahme keine Wirkung mehr. Entsprechend verloren die Mitarbeiter der Kunstabteilung seit Ende 1932 tatsächlich nach und nach ihre Positionen. Zwar nahmen Hübner und Haslinde noch mindestens bis Februar 1933 an Sitzungen der Akademie der Künste teil,21 bereits das Handbuch Uber den Preußischen Staat von 1934 führte jedoch für die stark verkleinerte Unterabteilung für Kunst außer Konservator Hiecke keinen der zuvor maßgeblichen Kunstbeamten mehr auf.22 Hübner oder Haslinde waren ebenso aus dem Mitarbeiterverzeichnis verschwunden wie Waetzoldt oder Gall.23 Das verordnete Ausscheiden der wichtigsten kunstpolitischen Protagonisten des Ministeriums schuf die Voraussetzung dafür, daß die bisherige Kunstpolitik in Preußen auch jenseits der Ministerebene früh ausgehebelt wurde. Eine starke Zentralinstanz, die die von pädagogischen Grundsätzen geleitete, liberale Kunstpolitik der 20er Jahre fortgeführt hätte, gab es so schon 1933 nicht mehr. Im Mai 1934 etablierte zudem die Gründung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung endgültig zentralistischere Strukturen in der deutschen Kulturpolitik. Das preußische Kultusressort ging nun unter der Leitung von Bernhard Rust, der in Personalunion auch dem neuen Reichsministerium vorstand, in der zentralen Reichsbehörde auf.24 Gleichzeitig wurde die bildende Kunst aus der neuen Behörde aus- und Goebbels' Propagandaministerium ange-
18 Ku.bl., Jg. 16, Dez. 1932, S. 92 f. 19 Waetzoldt 1933; siehe dazu auch Schunk 1993, S. 465. Offenbar basierte der Aufsatz auf einem zuvor gehaltenen Vortrag Waetzoldts, vgl. Becker an Waetzoldt, 6.1.1933, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 4942. 20 Vgl. Waetzoldt 1933, S. 86. 21 Vgl. Brenner 1972, S. 29. 22 Vgl. Handbuch preußischer Staat 1934, S. 117; zur auch nach 1933 offenbar keineswegs völligen Anpassung der Abteilung siehe das Engagement des Referenten von Oppen im Widerstand, vgl. Georg Kraski: Ein Leben für die Unabhängigkeit
der Kunst. Prof. Ludwig Tbormaeblen
60. Geburtstag, 24.5.1949, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Personalia, Τ, Bd. 5. 23 Vgl. Ku.bl., Jg. 16, Nov. 1932, S. 87; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 391 f. 24 Vgl. Weiser 1996, S. 8.
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III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
gliedert.25 Damit konnte bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten von einer eigenständigen preußischen Kunstpolitik keine Rede mehr sein. Die nationalsozialistische Unterminierung der staatlichen Kunstpolitik in Preußen setzte nach 1933 allerdings keineswegs nur bei der obersten Kulturbehörde an. Während in der ersten Jahreshälfte 1933 im Reich wichtige republikanische Kunstpolitiker wie Redslob oder Johannes Sievers, der Kunstreferent des Auswärtigen Amtes, entlassen wurden,26 verdrängten die neuen Machthaber zur selben Zeit auch die Leiter der staatlichen Kunstinstitutionen aus ihren Positionen. Auf der Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums kam es zu einschneidenden Veränderungen etwa in der Museumsverwaltung. Zum 1. Juli 1933 wurde Waetzoldt als Generaldirektor der Museen beurlaubt.27 Trotz seiner Versuche, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, mußte zum selben Zeitpunkt auch Nationalgaleriedirektor Justi seinen Abschied nehmen.28 Bereits im Frühjahr 1933 hatte Minister Rust die Ankaufskommission der Galerie aufgelöst.29 Parallel dazu wurde die Akademie der Künste immer stärker nazifiziert.30 Der Bruch mit der Weimarer Zeit ließ sich hier nicht nur an der antisemitischen Hetze gegen Ehrenpräsident Liebermann sowie dessen erzwungenem Akademieaustritt,31 sondern auch daran festmachen, daß seit dem Frühjahr 1933 neben jüdischen Akademikern eben die Mitglieder zum Verlassen der zentralen Künstlervertretung genötigt wurden, die im Zuge des Pairsschubs berufen worden waren (siehe Kap. III. 3.2.). Die schon in bedrängter Lage von Grimme verfügte Aufnahme modernster Maler, Bildhauer und Architekten in die Berliner Akademie wurde nun zum offiziellen Entlassungsgrund.32 Parallel zu diesen personellen und organisatorischen Maßnahmen, die dazu dienten, eine Fortsetzung der bisherigen kunstpolitischen Aktivitäten im größten deutschen Land syste-
25 Vgl. Brenner 1972, S. 15; Rave 1987, S. 6 8 - 7 2 ; siehe auch Campbell 1981, S. 323. 26 Vgl. Ku. u. Wi„ Jg. 14, Nr. 3, 1 . 3 . 1 9 3 3 , S. 48; Sievers 1966, S. 358 u. 363; Speitkamp 1994, S. 576. 2 7 Vgl. Schunk 1993, S. 4 6 2 - 4 6 4 ; Ku. u. Wi., Jg. 14, Nr. 8, 1 . 8 . 1 9 3 3 , S. 155. 28 Vgl. Rave 1968, S. 89 u. 114; Rave 1987, S. 50 f u. 59; Schunk 1993, S. 463; Ku. u. Wi. J g . 14, Nr. 8, 1 . 8 . 1 9 3 3 , S. 155; siehe dazu auch Gaehtgens 1999, S. I X f; Baensch 1999, S. 13 f. Mit Justi verlor zugleich dessen Mitarbeiter Thormaehlen seine Stellung, vgl. N o t i z 7 . 1 1 . 1 9 3 3 u. Georg Kraski: Ein Leben für die Unabhängigkeit
der Kunst. Prof. Ludwig
Thormaehlen
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60. Geburtstag,
24.5.
1949, ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Personalia, Τ, Bd. 5; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 241; zu Justis Anpassungsversuchen vgl. P. W. in: Ku.bl., Jg. 17, Jan. 1933, S. 5 f; Neuer
Kurs bei Justi, in:
Ku.bl., Jg. 17, Jan. 1933, S. 5 f; Windhöfel 1995, S. 22 f; Justi an KM, 4 . 1 . 1 9 3 3 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. 1, Bd. 33; K. Winkler 1999, S. 3 u. 11; Piper 1983, S. 70 f. 2 9 Vgl. K M (Rust) / Kommissar des Reiches an Justi, 2 9 . 3 . 1 9 3 3 , ms., in: S M B P K / Z A , Nat.gal., Spec. 10, Bd. 1; zur weiteren Entwicklung der Kommission wie der Galerie siehe Rave 1987, S. 61, 91, 96, 1 0 4 - 1 0 6 u. 148; Rave 1968, S. 1 1 3 - 1 2 2 ; Kunst in Deutschland 1992, S. 7 f; Piper 1983, S. 70 f. 30 Vgl. dazu ausführlich Brenner 1972; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 5 0 7 - 5 5 2 ; Piper 1983, S. 7 1 - 7 6 u. 188 f; zur Entwicklung der Akademie seit Herbst 1932 vgl. auch Braun an Liebermann, 5 . 1 1 . 1 9 3 2 , ms., in: GStA P K , I. H A Rep. 92 NI. O t t o Braun, A, Nr. 6. 31 Vgl. Schmalhausen 1996, S. 533; Paret 1997, S. 7 2 - 7 4 ; Diekmann / Kampe 1997, S. 84, 87 f u. 92. 32 Vgl. Brenner 1972, S. 1 6 - 2 0 , 2 3 - 2 6 u. 1 4 3 - 1 4 5 ; Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen 1996, S. 5 1 9 - 5 2 3 ; N e u m a n n 1996, S. 5 1 5 - 5 1 8 ; Piper 1983, S. 7 1 - 7 6 u. 188 f.
9. Ende, Rezeption und
Nachwirken
591
matisch zu unterbinden, wurde die staatliche Kunstpolitik der Weimarer Zeit nach 1933 durch gezielte Propaganda inhaltlich-ideologisch zur Negativgröße erklärt, von der sich die neuen Machthaber demonstrativ abgrenzten. Die seit 1933 veranstalteten Ausstellungen „entarteter Kunst", auf denen Werke vieler zuvor von der Republik geförderter zeitgenössischer Künstler zu sehen waren, standen beispielhaft für diese Bestrebungen. Daß als „Schandausstellungen" deklarierte Schauen mit Bildern von Liebermann, Corinth, Slevogt, Marées, Chagall, Munch, Dix, Grosz oder Beckmann nun unter Etikettierungen wie Regierungskunst von 1918 bis 1933 oder Novembergeist, Kunst im Dienste der Zersetzung veranstaltet wurden, wies unmißverständlich auf die gegen die staatliche Politik der 20er Jahre gerichtete Tendenz hin.33 Speziell das preußische Kultusministerium wurde in diesem Zusammenhang wegen seiner Affinität zur Moderne angegriffen. Nachdem das Ressort bereits im Sommer 1931 in die nationalsozialistische Hetze gegen die als „Baubolschewisten" bezeichneten Ring-Architekten Gropius, May und Taut einbezogen worden war,34 wurde diese Stoßrichtung deutlich zum Beispiel in einem gegen den progressiven Düsseldorfer Kunsthändler Alfred Flechtheim gerichteten antisemitischen Artikel vom April 1933, in dem es hieß: „Die große Zeit Flechtheims kommt nach der Revolution. Er ist verbündet mit dem snobistisch-dekadenten Ministerial-Direktor Waetzold [sie] im KultusMinisterium. Dadurch kommt er an den Kultus-Minister Becker, dessen Aufgabe es war, die Umwertung aller seelischen Werte in Preußen vorzunehmen. Becker macht Kaesbach zum Direktor der Düsseldorfer Akademie. Kaesbach, kulturbolschewistischer JesuitenZögling aus Gladbach, gänzlich unbegabt, willensschwach, Kunst-Hysteriker, der in Angst seiner Unfähigkeit jedem Kunstschwindel nicht nachläuft, sondern vorausläuft. [...] Dann hält der große Klee seinen Einzug, berühmt schon als Lehrer des Bauhauses Dessau. Er erzählt jedem, er habe arabisches Vollblut in sich, ist aber typischer, galizischer Jude. Er malt immer toller, er blufft und verblüfft, seine Schüler reißen Augen und Maul auf, eine neue noch unerhörte Kunst. [...] Alle Schüler der Akademie sind dem Banne verfallen, der Dekadenz ausgeliefert, entwurzelt, entartet [...]. 95 Prozent aller Akademischen sind fanatische Kommunisten - der jüdische Samen unter Kaesbachs Düngung herrlich aufgegangen. [...] Man übersieht garnicht die letzten furchtbaren Wirkungen dieses Ringens Flechtheim Becker - Waetzold - Kaesbach und Genossen. [...] Das System - Flechtheim - Waetzold Kaesbach ist auszurotten."35 Und im Herbst 1933 schrieb Winfried Wendland kaum weniger deutlich: „Die Kunstpolitik des Preußen von 1918 bis 1933 ist gekennzeichnet durch jene unglückselige Herrschaft blutleerer Literaten und Dogmatiker im Geiste Glasers,
33 Vgl. Rave 1987, S. 44; siehe dazu auch ebd., S. 94 u. 103 f. 34 Konkret hieß es z. B. in Eine Abrechnung in: Völkischer
Beobachter,
„Auch im Preußischen
mit dem System der May, Gropius, Taut und
Konsorten!,
Nr. 193/194, 1 2 . / 1 3 . 7 . 1 9 3 1 [?], in: B A r c h B , R 32, Nr. 316, Bd. 2, Bl. 53:
Kultusministerium
war ein Ort, an dem sich das Ideologentum in der Pflege
einer von der Kunst selbst losgelösten Kunstwissenschaft sehr wohl fühlte und sich keine besseren Geistesverwandten als die Ringarchitekten wünschen konnte." Zum Ring vgl. Stephan 1998, S. 6 9 - 7 1 ; Niederstadt 1982 a, S. 3 7 - 4 0 u. 51; Campbell 1981, S. 2 3 4 f, 270 u. 2 9 6 f. 35 Hendrik: Abgetakeltes Volksparole,
Mäzenatentum.
Wie Flechtheim
und Kaesbach
deutsche Kunst machten,
in:
1 . 4 . 1 9 3 3 , abgedruckt in Alfred Flechtheim 1987, S. 196; zur Flechtheim-Hetze vgl.
auch Windhöfel 1995, S. 24.
592
III.
Tendenzen der ministeriellen
Kunstpolitik
1921-32
Osborns [...] u.a.m., die als Knechte eines internationalen Kunsthandels nur die Aufgabe von Reklamechefs hatten [...]. Die Aera Simon und Seelig im Preußischen Kultusministerium, der die von Hübner folgte, eine so unglücklich wie die andere, sind noch in deutlicher Erinnerung, hatte sie doch Ankläger genug gefunden. Unter dieser Aera, unter der Kaesbach Direktor der Akademie in Düsseldorf wurde und die Männer wie Moll in Breslau, den Formalismus und Snobismus auf den Schild erhob, ist nicht nur eine gesunde Fortentwicklung künstlerischen Lebens unterbrochen, sondern der Nachwuchs stark zersetzt worden." 36 Die preußische Kunstpolitik der Weimarer Jahre wurde damit als Teil eines engmaschigen Netzwerkes zur Förderung einer zeitgenössischen Moderne dargestellt, deren Tendenz als dekadent, entartet, zersetzend verurteilt wurde.37 Über den Topos der Verquickung von künstlerischer Modernität auf der einen und antisemitischen und antikommunistischen Klischees auf der anderen Seite verliehen die erwähnten Artikel ihren Vorwürfen Nachdruck. 38 Die auf Einzelpersonen wie Waetzoldt zugespitzte Darstellung machte die Kritik zudem noch greifbarer und pointierter. Zum gängigen Muster der Hetze gegen die Kunstpolitik des Kultusressorts wurde vor allem der Vorwurf der engen Kooperation mit jüdischen Kunstkritikern und Kunsthändlern.39 Neben den Namen Flechtheim oder Glaser wurden in diesem Zusammenhang immer wieder auch die Berliner Kunstverleger und Galeristen Paul und Bruno Cassirer erwähnt.40 Die nationalsozialistische Presse bediente sich dabei schon in der Weimarer Zeit üblicher Motive der rechtskonservativen Kritik am Ministerium,41 die, zumindest was die suggerierte Dominanz des Einflusses der genannten privaten Kunstkreise auf die Gestaltung der staatlichen Politik angeht, fragwürdig erscheinen.42 Gleichzeitig verwies der personelle Kontext, in dem die ministerielle Kunstpolitik verortet wurde, und die Verwendung des Begriffes „snobistisch" auf den eigentlichen Kern der 1933 einsetzenden Hetze gegen die preußische Kunstpolitik der 20er Jahre: auf den Vorwurf, das Ministerium habe eine elitäre, intellektualistisch-abgehobene, individualisierte und damit
36 MNN, 27.9.1933, zitiert nach Piper 1983, S. 90. 37 Zur Einbeziehung auch des Kunstblatts
in diesen Kontext vgl. Windhöfel 1995, S. 331 f.
38 Vgl. dazu auch Schunk 1993, S. 464; Rave 1968, S. 114; Rave 1987, S. 45; Campbell 1981, S. 296-299. 39 Vgl. dazu auch Sievers 1966, S. 358. 40 Vgl. dazu auch Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 251; Schunk 1993, S. 463 f; zur Bedeutung Flechtheims und Cassirers für den Kunsthandel der Weimarer Republik vgl. Alfred Flechtheim 1987; Lenman 1994, S. 97; Nutt 1989; Scheffler 1946, S. 188; Eberle 1989, S. 58. 41 Vgl. dazu z.B. Schmitz 1931, S. 123 f, 135 f, 160 f, 163 u. 165; Bode-Memoiren 1997, Bd. 1, S. 414; Sievers 1966, S. 315. 42 Zwar bestanden über Musikreferent Kestenberg und Waetzoldt Beziehungen zum Verlag Cassirer (siehe Kap. II. 1.2.). Faktisch war der Austausch des Ministeriums mit Flechtheim oder Cassirer allerdings offenbar keineswegs derart intensiv, wie es die späteren Agitationen behaupten, vgl. dazu auch Schunk 1993, S. 464; Justi-Memoiren 1999, Bd. 1, S. 251. So sind nur wenige Kontakte zwischen dem Ressort und dem Verlag nachzuweisen, vgl. Verlagsbuchhandlung Cassirer an Becker, 30.9.1926, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 6797; Protokoll Ak. d. Kü., Ausstellungskommission, 16.5.1927, ms., in: SAdK, PrAdK, 2.2/053, Bl. 170-171; Justi an KM, 23.8.1928, ms. u. KM (Nentwig) an Justi, 13.11.1928, ms., in: SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 44, Bd. 1; Bruno Cassirer an Becker, 27.10.1928, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. C.H.Becker, Nr. 6800; KM (Nentwig) an FM, 26.9.1929, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 151, Nr. 1027, Bl. 1-2.
9. Ende, Rezeption und
Nachwirken
593
„volksferne" Kunstpolitik betrieben.43 Daß der Anspruch auf Popularisierung seit 1918 zu den zentralen Anliegen des Ressorts gehört hatte, ignorierte die nationalsozialistische Propaganda. Der bildungsbürgerliche Grundansatz eines gesellschaftsrelevanten Ästhetizismus, der die ministerielle Kunstpolitik bis 1932 zweifellos geprägt hatte, wurde so, eng verquickt mit rassisch-ideologischen und antimodernen Topoi, zum Hauptangriffspunkt gegen die preußische Kunstpolitik. Mit der Kritik am allzu intellektuellen Ansatz distanzierten sich die Befürworter einer neuen, nationalsozialistischen Kunstförderung nicht nur von der im Laufe der 20er Jahre immer überzeugender umgesetzten fortschrittlichen Kunstpolitik unter liberalen Vorzeichen, sondern zugleich vom mit dem bildungsbürgerlich-ästhetischen Anspruch verknüpften Ideal einer humanen, toleranten, nach innen wie außen offenen Gesellschaft. Die auf die preußische Kunstpolitik bezogenen, nach 1933 verbreiteten Negativklischees übertünchten die realen Absichten, Begrenzungen und Leistungen des intensiven ministeriellen Engagements für die Kunst zwischen 1918 und 1932 dabei offenbar relativ schnell und nachhaltig. Die in der Weimarer Zeit maßgeblichen kunstpolitischen Protagonisten im preußischen Kultusressort reagierten ganz unterschiedlich auf die mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten veränderte Lage, in der ihre früheren Aktivitäten zum Gegenpol einer nun gültigen, ideologisierten Kunstpolitik 44 stilisiert wurden. Für das eine Extrem der möglichen Reaktionsweisen stand Grimme. Der letzte Kultusminister der Republik Preußen leistete von Beginn an Widerstand gegen den Nationalsozialismus, wurde 1942 wegen seines Kontakts zu Adam Kuckhoff festgenommen und blieb bis zum Kriegsende inhaftiert. 45 Zwei weitere Träger der preußischen Kunstpolitik der 20er Jahre, Waetzoldt und Gall, nahmen eine Art Mittelposition ein, indem sie sich, nach 1933 weiterhin öffentliche Amter bekleidend, aus der wissenschaftlichen Nische heraus mit dem Nationalsozialismus arrangierten. Waetzoldt wirkte 1934-45 erneut als Kunstgeschichtsprofessor an der Universität Halle. 46 Gall behielt bis 1945 seine Stellung als Direktor der staatlichen Schlösser- und Gärtenverwaltung.47 Als Beispiel für das im Vergleich zu Grimme andere Extrem des
43 Vgl. Kultusminister
Rust über Kunst und Staat, in: Ku. u. Wi., Jg. 14, Nr. 6, 1 . 6 . 1 9 3 3 , S. 105; Bren-
ner 1972, S. 2 7 f; Fritz Nemitz: Reichskunstwart stischen Kunstauffassung,
in: Tägliche Rundschau,
und zeitgenössische
Kunst. Das Ende der
liberali-
2 0 . 9 . 1 9 3 2 , in: B A r c h B , R 32, Nr. 317 a, Bd. 2;
Rave 1987, S. 79 f; zu den Hintergründen vgl. auch die Abkehr der NS-Kunstpolitik vom Bildungsgedanken, die Brenner 1963, S. 2 7 7 betont; siehe dazu auch schon Schmitz 1931, S. 2 3 6 - 2 4 0 ; zur ähnlichen Kritik am Reichskunstwart vgl. Speitkamp 1994, S. 575. 44 Vgl. dazu Brenner 1963; Abelein 1968, S. 6 0 - 6 5 . 45 Vgl. Meissner 1993, S. 4 5 - 6 7 ; Seiters 1990, S. 2 1 - 2 4 ; zum möglichen Konnex der kunstpolitischen Positionen Grimmes und der Entscheidung zum Widerstand vgl. Groppe 1997, S. 674, w o auf „Das Schöne als das H u m a n e " als Wertkategorie hingewiesen wird, von der z. B. die Brüder Stauffenberg geprägt wurden; siehe dazu auch Speitkamp 1994, S. 579. 46 Vgl. Schunk 1993, S. 4 6 3 - 4 7 3 . 47 Vgl. D B E 1996, S. 561; Eggeling 1991, S. 23 f; Justi-Memoiren 1999, Bd. 2, S. 242. Wie Gall wirkte auch Haslinde nach 1933 weiter in der Schlösserverwaltung, vgl. Eggeling 1991, S. 22; siehe dazu auch Sievers 1966, S. 363.
594
III. Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Umgangs mit den neuen Verhältnissen nach 1933 kann Landeskonservator Hiecke gelten, der während des Dritten Reiches eine nationalsozialistisch geprägte Denkmalpflege betrieb. 48 Die Bandbreite der Reaktionen auf die seit 1932/33 veränderte Situation war damit groß. Sie reichte von der Resistenz über die graduelle Anpassung bis zur aktiven Mitgestaltung der NS-Kunstpolitik. Nach 1945 wurde die Weimarer Kunstpolitik im geteilten Deutschland unterschiedlich rezipiert. In der D D R distanzierte man sich im Zuge der einseitigen Schwerpunktsetzung im Bereich der realistischen Kunst von der staatlichen Kunstpolitik der 20er Jahre. Klar kam diese Haltung beispielsweise in einer Schrift von 1960 zum Ausdruck, in der es hieß, nach 1945 habe sich die Frage gestellt: „Wie sollte es weiter gehen. [...] Man müsse dort anknüpfen, meinten viele, wo der Machtantritt Hitlers den Weg der Kunst unterbrochen habe. Diese Losung erschien logisch, aber war doch in ihrer Zielrichtung unklar. Denn es hatte vor 1933 in Deutschland keinen einheitlichen Weg, keine bestimmte Entwicklungslinie in der bildenden Kunst gegeben. Jenen Künstlern, die allen [..] aus der realen Wirklichkeit gegriffenen Inhalt aus ihrem Schaffen verbannt hatten und das Künstlerische nur in der formalen Mache erblickten, [...] standen andere Künstler gegenüber, die ihre Kunst nicht als leeres Privatvergnügen, nicht als Angelegenheiten einer geistigen ,Elite' betrachteten, sondern mit ihren Werken eingriffen in den Kampf der Arbeiter [...] Die sogenannte offizielle Kunstkritik in den großen Zeitungen und die Kunstwissenschaft der vom Weimarer Staat unterhaltenen Institutionen freilich hatten das Werk jener anderen, fortschrittlichen Künstler verschwiegen oder verfälscht, denn es entlarvte das Wesen der damaligen Ordnung [...]. Für die bürgerliche Kunstwissenschaft galten nur die Strömungen des späten Expressionismus, des Surrealismus, der .absoluten' Malerei als Kunst, da diese [...] den drohend heraufziehenden Gefahren für die Nation weit aus dem Wege gingen. Konnte man aber nun, nach dem Ende des Krieges, an diese Erscheinungen anknüpfen? [...] Die neuen gesellschaftlichen Bedingungen erforderten vom Künstler, seine Stellung zur Wirklichkeit, vor allem seine künstlerischen Positionen zu überprüfen und neu zu bestimmen." 49 Faktisch hielt sich damit in der D D R das schon von den Nationalsozialisten propagierte Bild einer elitären, einseitig auf einen formalen Ästhetizismus ausgerichteten, realitätsfernen Kunstpolitik in den 20er Jahren. Ergänzt wurde es um den Vorwurf, der Weimarer Staat habe durch seine Entscheidung gegen die kritisch-realistische Kunst systemerhaltend agiert und den Nazismus mitbefördert. Für die D D R stellte die bürgerliche Kunstpolitik der Weimarer Zeit mithin keinen geeigneten Bezugspunkt dar.50 In der jungen Bundesrepublik hingegen gab es ein dezidiertes Bemühen darum, die Kulturpolitik der ersten deutschen Republik zur Orientierungsgröße für das kultur- und kunstpolitische Engagement im Nachkriegsdeutschland zu machen. Die Wiederanknüpfung an 48 Vgl. Speitkamp 1996, S. 273-275. 49 K u h r t 1960, S. 8-10. 50 Vgl. dazu auch Willett 1981, S. 226; Losse 2000, S.189; Auf der Suche nach dem verlorenen Staat 1994; Dollichon 1992. Das Schloß allerdings z.B. keineswegs aus, daß Justi in Ost-Berlin als Generaldirektor der Museen noch einmal aktiv in der staatlichen Kunstpolitik mitwirkte, vgl. Gaehtgens 1999, S. X; K. Winkler 1999, S. 2.
9. Ende, Rezeption und Nachwirken
595
Weimarer Tendenzen zeigte den Willen zum demokratischen Neubeginn aus eigener Kraft und Tradition heraus. Nachdem wichtige Träger der preußischen Kunstpolitik wie Waetzoldt oder Hübner während des Krieges gestorben waren 51 und andere wie Haslinde nicht mehr in die Kulturverwaltung zurückkehrten, 52 kam in diesem Zusammenhang vor allem denjenigen ehemaligen Mitarbeitern des preußischen Kultusministeriums eine wichtige Mittlerfunktion zu, die nach 1945 weiterhin kulturpolitisch wirkten. Neben Boelitz, der bis zu seinem Tod 1951 als Mitbegründer der westfälischen C D U und der Westfalenpost aktiv am demokratischen Neuanfang beteiligt war,53 spielte hier etwa Gall eine Rolle. 1946-53 war er als Museumsdirektor der bayerischen Schlösserverwaltung und seit 1947 als Kunstgeschichtsprofessor in München tätig. 54 Träger des Bemühens um eine Orientierung an der Kulturpolitik der 20er Jahre war jedoch vor allem Grimme, der nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst als Leitender Regierungsdirektor der Kulturabteilung im Oberpräsidium Hannover, 1946-48 als niedersächsischer Kultusminister und 1948-56 als Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks erneut höchste kulturpolitische Amter innehatte. 55 Aus diesen Positionen heraus engagierte er sich gezielt dafür, die Leitideen der preußischen Kulturpolitik der Weimarer Jahre wieder aufleben zu lassen.56 Ausdruck fand dies zunächst darin, daß Grimme zum Mitgestalter einer Erinnerungskultur wurde, die in erster Linie dem 1933 gestorbenen, zentralen Protagonisten der preußischen Kulturpolitik der 20er Jahre Carl Heinrich Becker galt. So trat Grimme im Rahmen der Gedenkfeiern zu Beckers siebzigstem Geburtstag im Frühjahr 1946 nicht nur mit einer Laudatio hervor.57 Vielmehr ging auf ihn auch die Anregung zurück, die Erinnerungen an Becker von 1946 in Buchform zusammenzufassen, um, wie der Bearbeiter der 1950 erschienen Gedenkschrift betonte, „die seinerzeit [...] unterbliebene öffentliche Ehrung des Verstorbenen nachzuholen und die Erinnerung an ihn zu erneuern." 58 Der niedersächsische Kultusminister begleitete die Entstehung des Buches dann auch redaktionell. Zudem ermöglichte er 1949 durch Druckkostenzuschüsse die Publikation. 59 Der neuen Pädagogischen Hochschule Hannover hatte er zuvor bereits den Namen Minister-Becker-Hochschule gegeben. 60 Zum zwanzigsten Todestag Beckers 1953 61 verfaßte Grimme dessen
51 Waetzoldt starb im Januar 1945, Hübner vor 1940, vgl. Schunk 1993, S. 473; Bode-Memoiren 1997, Bd. 2, S. 391 f. 52 Haslinde wirkte in der Nachkriegszeit als Präsident der Oberfinanzdirektion Düsseldorf, vgl. Wer ist's? 1958, S. 451. 53 Zur Biographie Boelitz' nach 1945 vgl. D B E 1995, S. 626. 54 Zur Biographie Galls nach 1945 vgl. D B E 1996, S. 561. 55 Zu Grimmes Werdegang nach 1945 vgl. Seiters 1990, S. 2 4 - 4 1 . 56 Vgl. dazu auch Seiters 1990, S. 4 2 - 8 2 ; Wirkendes, sorgendes Dasein 1959, S. 8 4 - 8 6 u. 112-121. 57 Später publiziert als Grimme 1950. 58 Schaeder 1950, S. 166. 59 Vgl. Wende an Grimme, 21.3.1949, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 71, Mappe 43; Schaeder 1950, S. 166. 60 Vgl. Adolf Grimme Briefe 1967, S. 133 u. 135. 61 Zum damaligen Gedenken vgl. ZAs zu Beckers Todestag, 10.2.1953, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Ni. C. H. Becker, Nr. 7793; Ansprache des Bundespräsidenten [Theodor Heuss] bei der Gedächtnis-
596
III.
Tendenzen
der ministeriellen Kunstpolitik
Lebensdarstellung für die Neue Deutsche Biographie.62 grammatischen Sendereihe Zu Unrecht
vergessen.
1921-32
Im Juli 1954 erinnerte er in der proGestalten
aus der Weimarer
Zeit an
Becker. 63 U n d auch später knüpfte er immer wieder an dieses Erinnerungsbemühen an. 64 Kurz vor seinem Tod 1963 erklärte sich Grimme dazu bereit, auch den Haenisch-Beitrag für die Neue Deutsche Biographie zu verfassen. 65 1961 hatte er als Herausgeber des Bandes Kulturverwaltung
der Zwanziger Jahre verantwortlich gezeichnet, in dem Aufsätze und Texte
aus der Weimarer Zeit, darunter Beckers Die preußische
Kunstpolitik und der Fall Schillings,
mit kultur- und kunstpolitischen Ansprüchen jener Tage vertraut machten. 6 6 Über dieses intensive erinnerungspolitische Engagement hinaus suchte Grimme nach 1945 seine Kulturkontakte aus den 20er Jahren zu reaktivieren und wichtige Protagonisten der damaligen Kulturszene für die Gestaltung der Politik im Nachkriegsdeutschland zu gewinnen. 67 Für die bildende Kunst erscheint beispielsweise aussagekräftig, daß er sich in den späten 40er Jahren mit Max Taut über eine Reform der Architektenausbildung austauschte und den Vertreter des Neuen Bauens zum Wettbewerb für den N W D R - N e u b a u einlud. 68 Neben dem langjährigen Kontakt Grimmes zu Emil Nolde 6 9 weist in eine ähnliche Richtung zudem etwa die 1954 neu initiierte Beziehung zu Charlotte Berend-Corinth (siehe Kap. III. 6.2.), in deren Zusammenhang sich der damalige N W D R - D i r e k t o r erfolgreich für die Veranstaltung einer Ausstellung der Künstlerin einsetzte. 70 Deutete sich hier bereits auf
62 63 64
65 66 67
68
69
70
feier für Carl Heinrich Becker am 11. 2.1953, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 NI. C. H. Becker, Nr. 1701. Vgl. Grimme 1953; siehe dazu auch Grimme an Sohn Haenisch, 27.1.1963, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 790. Vgl. Rundfunkansprache Grimme (15 Minuten): Zu Unrecht vergessen. Gestalten aus der Weimarer Zeit, Folge 10: C. H. Becker, 16.7.1954, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 529. Entsprechend wertete Grimme die Becker-Biographie von 1959 erfreut als Auftrag für die Gegenwart, vgl. Grimme an Wende, 12.12.1959, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 71, Mappe 43. Vgl. Briefe u. Unterlagen Jan.-Mai 1963, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 790. Nach Grimmes Tod wurde der Text von Wolfgang Hofmann verfaßt, vgl. Hofmann 1966. Kulturverwaltung der Zwanziger Jahre 1961. Vgl. dazu auch schon Käthe Kollwitz an Grimme, 5.8.1938, hs., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 79, Mappe 86; siehe dazu später auch Adolf Grimme Briefe 1967, S. 212; Grimme an Redslob, 28.9.1954, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 65, Mappe 21. Vgl. Max Taut an Grimme, 6.8.1946, ms., Grimme an Taut, 30.8.1946, Ds., ms., Taut an Grimme, 23.9.1948, ms., Taut an Grimme, 25.3.1949, ms. u. Taut an Grimme, 10.5.1950, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 69, Einzelne T, Mappe 3, Bl. 9-14; siehe auch schon Grimme an Max Taut, 2.1.1939, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 69, Einzelne T, Mappe 3, Bl. 8. Vgl. Emil Nolde an Grimme, 20.4.1946, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 79, Mappe 112; Grimme an Nolde, 15.11.1946, ms., Grimme an Nolde, 10.4.1951, ms., Grimme an Nolde, 6.8.1952, ms. u. Grimme an Jolanthe Nolde, April 1956, ms., in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 63, Mappe 19; Adolf Grimme Briefe 1967, S. 123 f. Vgl. Briefwechsel Grimme - Berend-Corinth März 1954-Juli 1955, in: GStA PK, I. HA Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 75, Mappe 9.
9. Ende, Rezeption und
Nachwirken
59 7
persönlicher Ebene ein Interesse an einer Wiederbelebung alter Netzwerke und einer Prägung der Nachkriegskultur durch in der Weimarer Zeit prominente Namen an, hatte Grimme schon im März 1946, damals noch als Kulturbeamter im Oberpräsidium Hannover, ein generelles Signal in diesem Sinne gesetzt, als er im Celler Schloß die Ausstellung Befreite Kunst eröffnete.71 Demonstrativ stand die Schau, auf der vor allem nach 1933 entstandene Werke von Barlach, Nolde, Pechstein, Rohlfs, Hofer, Kollwitz, Schmidt-Rottluff, Kokoschka, Heckel und Feininger gezeigt wurden,72 für eine fortgesetzte Orientierung an für die Kunstpolitik der 20er Jahre maßgeblichen, in der Nazizeit diffamierten Künstlern.73 Darüber hinaus war die Celler Ausstellung noch in weiterer Hinsicht symptomatisch für das Bestreben, an die Weimarer Zeit anzuknüpfen - nutzte Grimme seine Eröffnungsrede doch für einen Appell zur Wiederbelebung der nach 1918 vom Kultusressort betonten Grundhaltungen zur demokratischen Kunstpolitik. Konkret unterstrich er in seiner Ansprache den Grundsatz der Freiheit und Autonomie der Kunst sowie seine Auffassung, daß der Staat seinen Wert überhaupt erst durch die Kultur erhalte. Ausdrücklich grenzte er sich vom die Eigenständigkeit des Einzelnen zugunsten staatlicher Machtziele mißachtenden NS-Regime ab.74 Davon ausgehend, daß die Persönlichkeit in der Kunst ihren stärksten Ausdruck finde, verstand er die aktuelle Ausstellung als Bekenntnis zur menschlichen Kreativität. Der Staat signalisiere mit der Schau, ein „Diener" der Kunst und damit „jedes Menschen, aller Menschen, des ganzen Volkes also und der Menschheit" sein zu wollen.75 Gerade die Künstler, die sich den Nazis nicht gebeugt hätten, seien als Exponenten eines besseren Deutschland zu betrachten, an das man national wie international anknüpfen müsse.76 Im Gegensatz zur inhaltsleeren Abbildung der Natur, wie sie in der NS-Zeit propagiert worden sei, gelte es nun, eine metaphysische, über den Tag hinausweisende Kunst und über sie erneut die Dimension des Menschlich-Ethischen ins Bewußtsein zu rücken.77 Der Beschäftigung mit solcher Kunst schrieb Grimme weitreichende gesellschaftliche Funktionen zu. Sie solle „Pforte zur vertieften Erkenntnis der Wirklichkeit [sein], freudegebende Kraft zur Beherrschung dieser Wirklichkeit und unwegdenkbares Mittel zur
71 Zur positiven Künstlerreaktion darauf vgl. Emil Nolde an Grimme, 20.4.1946, ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 79, Mappe 112; Karl Schmidt-Rottluff an Grimme, 4.5.1946, hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 79, Mappe 146; Erich Heckel an Grimme, 17.6.1946 [?], hs., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Paket 79, Mappe 60. 72 Vgl. Rede Grimme zur Eröffnung der Kunstwoche und der Ausstellung Befreite Kunst im Schloß Celle, 3.3.1946, ms., S. 7, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 423. 73 Zu ähnlichen Tendenzen in der Pfalz vgl. Es kommt eine neue Zeit 1999, S. 18; zu den Hintergründen der Distanz der westdeutschen Nachkriegskunstpolitik zur realistischen Kunst, die sich hier andeutete, vgl. Neue Sachlichkeit 1994, S. 220. 74 Vgl. Rede Grimme zur Eröffnung der Kunstwoche und der Ausstellung Befreite Kunst im Schloß Celle, 3.3.1946, ms., S. 1 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 423; zur Rede vgl. auch Piper 1983, S. 234 f. 75 Rede Grimme zur Eröffnung der Kunstwoche und der Ausstellung Befreite Kunst im Schloß Celle, 3.3.1946, ms., S. 3 f, in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl. Grimme, Nr. 423. 76 Ebd., S. 6. 77 Ebd., S. 6 f.
598
III.
Tendenzen der ministeriellen Kunstpolitik
1921-32
Gestaltung des eigensten Wesens von Mensch und Volk" und damit „Mittel der Erlösung des Menschen aus der Masse zur Persönlichkeit". 78 Dem Künstler wies er eine „national und menschheitspädagogische Mission" zu, die es ohne Gängelung durch den Staat zu fördern gelte.79 Grimmes Celler Rede war als Plädoyer für eine Neudefinition staatlicher Kunstpolitik unter liberalen Vorzeichen zu verstehen, das - bis hin zu wörtlichen Adaptionen 80 - unverkennbar an die Grundsätze des preußischen Kultusministeriums anknüpfte. Die Maxime der Kunstfreiheit und der Anspruch auf Förderung der Persönlichkeit beim Künstler wie beim Kunstrezipienten, das humanistische Kulturstaatsverständnis und die Hoffnung auf eine internationale Verständigung über Kunst stellten sich hier für die Neuorientierung nach 1945 als ebenso elementar dar wie für die Weimarer Zeit. 81 Wohl auch infolge des Wirkens von Grimme und anderen82 orientierte sich die Kunstpolitik in den westlichen Besatzungszonen bzw. später in der Bundesrepublik tatsächlich an den bereits nach 1918 definierten Ansprüchen.83 Praktisch bestätigte sich dies etwa dadurch, daß sich die West-Berliner Akademie der Künste am Vorbild der preußischen Akademie der 20er Jahre ausrichtete und viele der durch den Pairsschub zu akademischen Ehren gelangten, dann aber aus dem Kunstleben verdrängten modernen Künstler nach 1945 wieder in die Künstlervertretung aufgenommen wurden.84 Daß die Akademie Düsseldorf nach 1945 mit Mataré durch einen schon für das preußische Kultusministerium wichtigen Künstler geprägt wurde 85 oder die Reformdebatten an den Akademien in den 60er Jahren spürbare Nähen zu ministeriellen Reformzielen in den 20er Jahren aufwiesen,86 deutete ebenso in diese Richtung wie die Orientierung der Bundesrepublik an bauhausnahen Ideen und am Weimarer Kunstgewerbeschulgedanken.87 Zumindest am Rande sei zudem auf den Ende
78 Ebd., S. 7 f. 79 Ebd., S. 8. 80 So findet sich die Passage, in der Grimme die gesellschaftlichen Funktionen der Beschäftigung mit Kunst beschrieb (ebd., S. 7 f), nahezu wortgleich bereits in seiner Rede zur Hundertjahrfeier der Museen vom 1.10.1930 (Grimme 1932 a, S. 63-66, S. 66). Die Aussage zur prägenden Kraft der Kunst für Individuum und Gesellschaft in der Celler Ansprache (S. 3) stammte ebenfalls aus der Museumsrede von 1930 (Grimme 1932 a, S. 63-66, S. 65). Und auch die Ausführungen zur Autonomie der Kunst (S. 1) wurden nahezu wortgetreu aus einer Land tagsrede des Kultusministers vom 31.3.1930 übernommen (Grimme 1932 a, S. 18-30, S. 19). 81 Zum gemeinsamen Grundsatz der Trennung von Kunst und Politik vgl. auch Willett 1981, S. 226. 82 Erwähnt sei etwa Theodor Heuss, vgl. Ansprache des Bundespräsidenten Gedächtnisfeier für Carl Heinrich
Becker am 11.2.1933,
[Theodor Heuss] bei der
ms., in: GStA PK, I. H A Rep. 92 Nl.
C. H. Becker, Nr. 1701; Kienzle / Mende 1984. 83 Zu parallelen Tendenzen in der Musik- und Schulpolitik vgl. Kestenberg 1961, S. 108 f; Kunz 1981, S. 125. 84 Vgl. Kampe 1996 b, S. 348. 85 Vgl. Mataré und seine Schüler 1979. 86 Vgl. Trier 1973, S. 208-210. 87 Vgl. Losse 2000, S. 187-189 u. 192 f. Die Affinitäten gingen bis ins Detail. So wurde 1949 in Köln die Ausstellung Neues "Wohnen präsentiert, die wie die 1919 von Haenisch eröffnete Hausratausstellung oder die von Grimme 1931 eröffnete Schau zeitgemäßen Gebrauchsgeräts (siehe Kap. II. 5.2. und III. 5.) formschöne, preiswerte Alltagsgegenstände präsentierte.
9. Ende, Rezeption und Nachwirken
599
der 60er Jahre nach Plänen Mies van der Rohes errichteten Bau der Neuen Nationalgalerie in Berlin verwiesen, mit dem letztlich das von Grimme schon 1930 verfolgte Projekt eines Mies-Ausstellungsbaus in Tiergarten-Nähe (siehe Kap. III. 7.) aufgegriffen wurde. 88 Jenseits dessen sind auch im kunstpolitischen Anspruch klare Affinitäten zwischen den Haltungen des preußischen Kultusministeriums in den 20er Jahren und den Vorstellungen in der Bundesrepublik auszumachen. Als zentral stellt sich hier zunächst der gemeinsame Bezug zur staatlich garantierten Kunstfreiheit dar. 89 Aber auch Einzelaussagen bundesrepublikanischer Kunstpolitiker bewegten sich immer wieder in Nähe zu den vor allem von Becker und Grimme formulierten und praktizierten Ansprüchen. Beispielhaft sei eine Rede des nordrhein-westfälischen Kultusministers Johannes Rau zum Jubiläum der Düsseldorfer Akademie von 1973 erwähnt, in der dieser wie das Kultusministerium in den 20er Jahren im Interesse einer überzeugenden Kunstförderung für die notwendige Ergänzung des Freiheitsgrundsatzes durch einen wissenschaftlichen Qualitätsmaßstab plädierte. 90 Das Eintreten der Bundesregierung für eine Verbesserung der sozialen und rechtlichen Bedingungen für Künstler, die Einbeziehung von Künstlern in die auswärtige Kulturpolitik sowie nicht zuletzt die Begründung der gesellschaftlichen Relevanz dieser Maßnahmen Mitte der 70er Jahre 9 1 wiesen ebenso Parallelen zum ministeriellen Engagement in der Weimarer Zeit auf. Aber auch bis in die direkte Gegenwart hinein - etwa wenn Julian Nida-Rümelin den „humanistischen Individualismus" zur elementaren Orientierungsgröße der staatlichen Kulturpolitik erklärt 92 - ist eine Prägung der Kulturpolitik durch bereits in den 20er Jahren vom Kultusministerium vertretene Ansätze zu erkennen. 93 Mit dem Anspruch auf eine ausgewogene Förderung zeitgenössischer Kunst, der Etablierung einer breiten Denkmalpflege oder dem Einsatz für eine soziale Künstlerunterstützung setzte das preußische Ressort bis heute gültige Kernthemen der Kunstpolitik in einer demokratisch-liberalen Gesellschaft, die sich nach wie vor über ihren Bezug zur nationalen Tradition wie zur aktuellen Kultur definiert. 94 Daß schon in den Weimarer Jahren virulente, vom Kultusministerium mitgetragene Diskussionen wie die um die Vorzüge einer kulturpolitischen Zentralinstanz (siehe Kap. II. 1.) bis heute die Debatten um die Organisation der staatlichen Kultur- und Kunstverwaltung bestimmen, 95 bestätigt die Aktualität der kulturpolitischen Ansätze der 20er Jahre auf einem weiteren Terrain. 96
88 Zur Neuen Nationalgalerie vgl. Tegethoff 1994. 89 Vgl. dazu Artikel 5 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. 90 Rau 1973, S. X I f. 91 Vgl. Lattmann 1976. 92 Nida-Rümelin 2001, S. 249. 93 Ähnlich auch schon Rau 1973, S. XII. 94 Zur entsprechenden Gestaltung der Kunstpolitik in der Bundesrepublik vgl. Im Bund mit der Kultur 2000, S. 3 2 - 6 1 ; Rau 1973, S. XII; Weiss 1998; T. E. Schmidt 2000; Nicht vom Fußball allein 2000; Schulz 1996; Greffrath 1998; Lau 1998 b. 95 Vgl. dazu z.B. Greiner 1998; Miessgang 1998; L ö f f l e r 1998; Berliner Virus 1998; Naumann 2000; Lau 1998 a; Naumann 2002. 96 Vgl. dazu auch Abelein 1968, S. 65.
IV. Fazit
Bei der Neudefinition des kunstpolitischen Anspruchs nach 1918 waren für das preußische Kultusministerium zwei Aspekte wesentlich: Zum einen wurde in Abgrenzung von der einseitigen Kunstpolitik Wilhelms II. die Kunstfreiheit zur Grundmaxime der demokratischen Kunstpolitik erklärt. Zum anderen stilisierte das Ressort angesichts der gesellschaftlichen Identitätskrise nach dem Ende der Monarchie und des Negativkonsenses Versailles Kunst und Kultur zu neuen Integrationspunkten. Der daraus folgende nationalintegrative Kunstpolitikanspruch setzte auf drei Ebenen an: 1. auf individueller Ebene. Über die Beschäftigung mit Kunst hoffte man, sozial und differenziert denkende Persönlichkeiten heranbilden zu können, die Fundament der neuen Gesellschaft sein sollten. 2. auf innergesellschaftlicher Ebene. Durch Bewußtmachung nationaler Traditionen und Leistungen in der Kunst sollte das Selbstwertgefühl der verunsicherten Nachkriegsgesellschaft gestärkt werden. 3. auf internationaler Ebene. Uber kulturelle Kontakte wollte man der Wiedereingliederung Deutschlands in die Staatengemeinschaft den Boden bereiten. Mit seinen Vorstellungen entsprach das Ministerium dem Minimalkonsens der nachrevolutionären Kunstdebatte. Sein Konzept, das sich im Bezug auf Humboldt, Goethe, Schiller und Fichte klar von radikaleren Forderungen abgrenzte, war von bildungsbürgerlichliberalen Vorstellungen der Zeit um 1900 und damaligen Reformansätzen geprägt. Affinitäten wies es vor allem zum Werkbund, zur kunstpädagogischen Reformbewegung, zu Alfred Lichtwark, Fritz Wiehert oder Hugo von Tschudi, zu Karl Lamprecht oder zum GeorgeKreis auf. Das Ministerium übertrug die auf eine Ästhetisierung der Gesellschaft zielenden Ansätze auf die staatliche Politik und räumte ihnen erstmals offizielle Relevanz ein. In Anknüpfung an etablierte bürgerliche Ideen wurde so ein neues republikanisches Kulturstaats- und Kunstpolitikverständnis kreiert. Der nach 1918 definierte Kunstpolitikanspruch war vom Grundsatz her die gesamte Weimarer Republik über für das preußische Kultusressort maßgebend. Die unterschiedlichen parteipolitischen Ausrichtungen der Minister - Haenisch und Grimme waren Sozialdemokraten, Boelitz gehörte der DVP an, und Becker stand als Parteiloser der D D P nahe brachten allenfalls Akzentverschiebungen mit sich. Grund für die Kontinuität war zum einen die Tatsache, daß Becker als Staatssekretär und Minister zwischen 1918 und 1930 stets der bestimmende Protagonist im Ressort war. Zum anderen blieben auch die Mitarbeiter der Kunstabteilung, etwa der für die ministerielle Politik wegweisende Referent Waetzoldt oder sein Kollege Gall, über die Ministerwechsel hinweg dieselben. Kamen im Laufe der
602
IV. Fazit
20er Jahre neue Mitarbeiter hinzu, knüpften diese explizit an die Arbeit ihrer Vorgänger an. Der große gesellschaftliche Anspruch an die Kunst, für den das Kultusministerium stand, implizierte ein intensives staatliches Engagement auf diesem Terrain. Einer stringenten Kunstpolitik stellten sich in den 20er und frühen 30er Jahren jedoch mehrere Umstände entgegen: 1. Eine zentrale Organisation der Kunstverwaltung, die den weitreichenden kunstpolitischen Anspruch getragen hätte, konnte trotz entsprechender Vorstöße des Ministeriums nicht realisiert werden. Kompetenzstreitigkeiten zwischen den preußischen Ressorts sowie zwischen Preußen und dem Reich blieben so üblich. 2. Immer wieder gab es Autoritätskonflikte im Umfeld der ministeriellen Kunstpolitik, zum Beispiel im Akademieoder Museumsbereich („Museumskrieg"), bei denen alte und neue Vorstellungen aufeinanderprallten. 3. Zudem beeinflußten drei externe Faktoren den Handlungsspielraum des Ministeriums: a. die instabile Finanzsituation der Weimarer Zeit, b. die sich nach der Novemberrevolution und gegen Ende der 20er Jahre erneut polarisierende Kunstdebatte sowie c. die Abhängigkeit von übergeordneten politischen Vorgaben des Reiches. Diese Rahmenbedingungen bestimmten die Entwicklung der Ressortaktivitäten entscheidend mit. Vor ihrem Hintergrund sind folgende grundsätzliche Phasen der Kunstpolitik des Kultusministeriums für die Jahre 1918-32 festzuhalten: 1. In der Ministerzeit Haenischs 1918-21 gab es zunächst einen klaren kunstpolitischen Neuansatz in Abgrenzung zur wilhelminischen Kunstdoktrin. Die Umsetzung der neuen Ansprüche in die Praxis gestaltete sich jedoch trotz öffentlichkeitswirksamer Neuerungen noch sehr tastend und zögerlich. Neben der schlechten Finanzlage war dafür in erster Linie die Orientierung des Ministeriums an der defensiven Außenpolitik des Reiches und der ordnungspolitischen Tendenz der Zeit verantwortlich. Das im Gegensatz zur Reformabsicht stehende Zusammengehen mit konservativen Protagonisten in der Kunstverwaltung, das Konsequenz dieser Orientierung und eine Ursache für die Autoritätskonflikte der folgenden Zeit war, gab der Ressortpolitik einen zwiespältigen Charakter. Dadurch, daß er den Grundsatz der Kunstfreiheit allzu absolut setzte, machte sich Haenisch darüber hinaus in einem Kernbereich seiner Kunstpolitik angreifbar. Die wenige Monate dauernde erste Ministerzeit Beckers 1921 war zu kurz für eine grundlegende Veränderung dieser Politik. 2. In der Amtszeit Boelitz' 1921-25 reagierte das Ministerium auf die sich verschärfende Finanzlage und die Autoritätskonflikte mit Größen wie Bode und Liebermann, indem es sich um Neustrukturierungen und Rationalisierungen bemühte, die eng mit inhaltlichen Reforminteressen verknüpft waren. Zentral waren hier die Neuordnung der Berliner Museumslandschaft und die Zusammenlegung der Berliner Kunstschulen. Gleichzeitig stützte das Ressort seine Reformpolitik personalpolitisch und bezog so in den kunstpolitischen Konflikten immer klarer Stellung. Durch die Strukturmaßnahmen und einen differenzierteren Umgang mit der Kunstfreiheit wurden die Voraussetzungen für eine zielgerichtetere Politik geschaffen. Parallel dazu konzentrierte man sich in der Ausstellungspolitik auf jüngere nationale Kunsttraditionen. Thoma spielte dabei ebenso eine Rolle wie Liebermann, Slevogt oder Corinth. 3. In der Ministerzeit Beckers 1925-30 konnte auf den unter Boelitz geschaffenen Voraussetzungen aufgebaut werden. Die Situation dafür war günstig: Die hemmenden Auto-
Fazit
603
ritätskonflikte konnten durch Offenlegung der Hintergründe, Kompromißbereitschaft und beruhigende Personalentscheidungen geklärt werden. Die entspanntere außenpolitische Situation eröffnete neue Chancen. Vor allem aber verfügte das Ressort infolge der Wirtschaftsstabilisierung finanziell über ganz andere Möglichkeiten. Das Kultusministerium nutzte die verbesserte Ausgangslage und die neuen Rahmenbedingungen. Die zweite Hälfte der 20er Jahre stellt sich so als die überzeugendste Phase der preußischen Kunstpolitik in der Weimarer Zeit dar. Auf der Grundlage der Verknüpfung von Kunstfreiheitsgrundsatz und kunstwissenschaftlichem Qualitätskriterium betrieb das Ministerium in der Erwerbungspolitik und im Ausstellungssektor, aber auch im Bereich der Museen und Akademien eine moderne Politik, die, nach innen wie nach außen wirkend, das Gesicht des Weimarer Staates im fortschrittlichen Sinne mitprägte. Im Zentrum dieser Politik standen neben den Impressionisten zeitgenössische deutsche Künstler, speziell die Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Als Exponenten der modernen preußischen Aktivitäten konnten Dix oder Beckmann, aber auch Kollwitz, Mataré oder Kolbe gelten. 4. In der Amtszeit Grimmes 1930-32 geriet das Ministerium mit dieser fortschrittlichen Kunstpolitik zunehmend in die Defensive. Nach der Wirtschaftskrise von 1929 wurde der Politik sukzessive die finanzielle Basis entzogen. Überdies hatte das Ressort mit seinem neutralen Förderverständnis einen immer schwereren Stand in der sich ideologisierenden Kunstdebatte. Grimme versuchte in dieser Situation, demonstrativ die zuvor etablierte Politik fortzuführen, um gerade den Nationalsozialisten selbstbewußte republikanische Aktivitäten entgegenzustellen. Letzlich wurde die Kunstpolitik des Ressorts aber finanziell und ideologisch zerrieben. Innerhalb dieser vier allgemeinen Phasen der ministeriellen Kunstpolitik zwischen 1918 und 1932, die wegen ihrer engen Verquickung mit übergeordneten Entwicklungen die klassische historiographische Phaseneinteilung der Weimarer Republik spiegeln, gestalteten sich die Aktivitäten des Ministeriums in den Kernbereichen der staatlichen Kunstpolitik folgendermaßen: 1. Eintreten für das Prinzip der Kunstfreiheit: In der ersten Zeit nach der Novemberrevolution wurde unter der Ägide des Ministeriums mit der Öffnung der Großen Berliner Kunstausstellung für alle Kunstrichtungen ein öffentlichkeitswirksames Zeichen für die Orientierung des Staates am Prinzip der Kunstfreiheit gesetzt. Bestätigung fand dies, als das Kultusressort Justis Öffnung der Nationalgalerie für die bis dahin ignorierte zeitgenössische Moderne durch die Einrichtung des Kronprinzenpalais' unterstützte, ohne dabei der Festlegung des Nationalgaleriedirektors auf den Expressionismus aktiv zu folgen oder sie gar zu fordern. Nachdem schon bald Kritik ausgerechnet am Prestigeprojekt Berliner Kunstausstellung wegen deren Nivellierungstendenz laut geworden war, setzte sich im Ministerium unter Beckers und Waetzoldts Einfluß seit 1920/21 ein differenzierterer Umgang mit der Maxime der Kunstfreiheit durch, indem man sie um ein wissenschaftliches Qualitätskriterium ergänzte. Dieser differenziertere Umgang wurde zur Basis der gezielteren Kunstförderpolitik des Ministeriums nach 1925. Überdies prägte er das für die Weimarer Zeit kontinuierlich nachweisbare Eintreten des Ressorts für die Wahrung der Kunstfreiheit in Kunstprozessen. Ausdruck dessen war etwa die vom Ministerium geförderte Einsetzung von Kunstausschüssen bei Gericht 1924. Unter
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IV. Fazit
Grimme wurde das Bekenntnis zur Kunstfreiheit zum Statement gegenüber den Nationalsozialisten. 2. Akademiepolitik: Kurz nach der Novemberrevolution wurde die Akademie der Künste demonstrativ um moderne Mitglieder ergänzt. Bald erwies sich dieser Schritt jedoch als allzu vorsichtig. Bereits in der ersten Hälfte der 20er Jahre dominierten erneut die alten Kräfte die Künstlerrepräsentanz. Der Autoritätskonflikt mit Akademiepräsident Liebermann hemmte die Reformpläne des Ministeriums für die Akademie zusätzlich. Nach Beilegung des Konflikts band das Ressort Becker die Liebermannsche Akademie nach 1925 neben Justis Kronprinzenpalais als zweiten Aktivposten in seine Kunstpolitik ein. Die Körperschaft selbst blieb indes konservativ geprägt. Erst 1931 wagte Grimme in einem mutigen, aber zu späten Reformschritt zusammen mit Liebermann eine personelle Erneuerung durch den Pairsschub. Im Gegensatz zur zögerlichen Berliner Akademiepolitik fuhr das Ministerium im Bereich der Künstlerausbildung einen überzeugenderen Kurs. Eine Reformschrift von Waetzoldt gab hier 1920/21 die Tendenz vor. Im Zentrum der nationalintegrativ intendierten Bemühungen stand die Verbindung von Kunst und Kunstgewerbe sowie die Förderung individueller Kreativität. In der ersten Hälfte der 20er Jahre wirkte das Ministerium durch Strukturveränderungen und moderne, teilweise werkbundnahe Personalentscheidungen an den Kunstschulen in diese Richtung. Einen Höhepunkt stellte 1924 die Gründung der Vereinigten Staatsschulen in Berlin dar, mit der das Ressort im Bauhaus realisierten Ideen folgte. Auf der Grundlage dieser Maßnahmen konnte in der zweiten Hälfte der 20er Jahre eine fortschrittliche Künstlerausbildungspolitik in Preußen etabliert werden, als deren Träger neben der Berliner Schule die Akademien Breslau und Düsseldorf wirkten. Als Finanzkürzungen 1931/32 das Kunstschulsystem bedrohten, kämpfte Grimme um dessen Erhaltung. Die Schließung von zwei der fünf Akademien, darunter der wegweisenden in Breslau, konnte er jedoch nicht verhindern. 3. Museumspolitik: Schon unter Haenisch wurde die Berliner Museumslandschaft aus Finanzgründen neustrukturiert. Die Dahlemer Museumspläne wurden aufgegeben. Statt dessen konzentrierte man sich auf die Museumsinsel und das Museumsareal an der PrinzAlbrecht-Straße. Begleitet von heftigen Konflikten mit Bode, der die neuen Pläne als Affront begriff, engagierte sich das Ministerium in den 20er Jahren für die Fertigstellung des prestigeträchtigen Neubaus des Pergamonmuseums auf der Museumsinsel. Durch die Vermittlung von Gall konnten 1924 Entschädigungsgelder des Reiches für den Verlust des Genter Altar gewonnen werden, die wichtige Basis für die Bauvollendung waren. Im Interesse des Bauabschlusses ließ sich das Ressort schließlich auf der Museumsinsel auf einen Kompromiß mit den überholten museumsgestalterischen Vorstellungen Bodes und Wiegands ein. Bei der Museumseröffnung 1930 identifizierte es sich mit dem Neubau in erster Linie auf der Ebene der individuellen Auseinandersetzung mit Kunst, die er ermöglichte, nicht aber mit dessen Gestaltung. Sein eigenes ästhetisches Ideal der Museumsgestaltung, für das klare Räume und die Konzentration auf das Original wesentlich waren, konnte das Ministerium parallel dazu an der Prinz-Albrecht-Straße umsetzen. Das 1924 unter Einfluß des Ressorts neugestaltete Museum für ostasiatische Kunst und das 1926 wiedereröffnete Völkerkundemuseum standen für seine fortschrittlichen Vorstellungen. Sein eng mit einer rezipientenorientierten Vermittlungsarbeit verbundenes Museumsideal sah das Ressort nicht zuletzt durch Justi verwirklicht. Entsprechend integrierte es die Popularisierungs-
Fazit
605
aktivitäten im Umfeld des Kronprinzenpalais' nachdrücklich in seine Politik. Zudem arbeitete das Ministerium Ende der 20er Jahre mit Justi zusammen, als dieser ein modernes Museumsareal Unter den Linden zu verwirklichen suchte, das als Kontrapunkt zur Museumsinsel zu verstehen war und bei dem preußische Kulturinhalte mit fortschrittlichen Museumsgestaltungen verknüpft werden sollten. 4. Künstlerförderung durch Ankäufe, Aufträge und soziale Unterstützungen: Die gesellschaftliche Relevanz, die das Ministerium der Kunst zuschrieb, implizierte eine intensive Förderung von deren Trägern, den Künstlern. Bis Mitte der 20er Jahre waren dem Staat jedoch enge finanzielle Grenzen gesetzt, die über das ideelle Eintreten für soziale Künstlerbelange hinaus kaum eigene Aktivitäten zuließen. Die fehlenden materiellen Voraussetzungen versuchte das Ministerium durch alternative Unterstützungskonzepte wie die Notspende und die Notgemeinschaft der Kunst oder durch private Netzwerke zu kompensieren. Dem setzte jedoch die Inflation 1923/24 ein Ende. Einer überzeugenden Künstlerpolitik stellte sich zudem der Konflikt mit dem Reichswirtschaftsverband bildender Künstler entgegen. Erst in der zweiten Hälfte der 20er Jahre konnte, gestützt auf verstärkte Etats, eine zunehmend konzisere Politik betrieben werden. Immer klarer wurde nun zwischen einer sozialen Hilfspolitik, bei der mit den Künstlervertretern kooperiert wurde, und einer gezielten Förderung unterschieden. Die Hilfspolitik basierte auf individuellen Beihilfen und einem staatlich finanzierten Hilfswerk: der 1926 eingerichteten Darlehens- und Unterstützungskasse für bildende Künstler. Parallel dazu machte das Ministerium durch breite, nach indifferenten Anfängen immer gezieltere Ankäufe und Aufträge auf sich aufmerksam. Dem Impetus der Künstlerunterstützung folgend und im Interesse einer Profilierung der Kunst im eigenen Land setzte es den Förderschwerpunkt auf die zeitgenössische deutsche Kunst. Neben den Impressionisten rückte dabei der Kunstentwicklung entsprechend und wohl auch der Eingängigkeit beim Publikum wegen die gegenständliche Kunst und speziell die Neue Sachlichkeit in den Vordergrund. Nachdem diese Politik unter Becker einen Höhepunkt erlebt hatte, konnte sie unter Grimme aus finanziellen Gründen nur noch eingeschränkt fortgeführt werden. 5. Popularisierungs- und Ausstellungspolitik: Dem integrativen Asthetisierungsanspruch gemäß war es von Beginn an ein Kernanliegen der Politik des Ministeriums, breite Bevölkerungskreise mit Kunst in Kontakt zu bringen. Das Ressort suchte dem in Kooperation mit staatlichen wie privaten Institutionen und unter Berücksichtung der Idee der Arbeiterbildung durch ein vielseitiges Engagement gerecht zu werden, das von der Aufwertung des Kunstunterrichts in den Schulen über die vermehrte Ausstattung öffentlicher Gebäude mit Kunst, den Einsatz für eine zeitgemäße Formgebung und die Förderung der Denkmalpflege bis zur gezielten Vermittlungsarbeit in den Museen reichte. Im Laufe der 20er Jahre wurde dieses Engagement, das stets den Anspruch auf eine dezentrale Kunstpolitik beinhaltete, immer differenzierter. So spielten nach 1925 rezipientenorientiertere Ansätze eine Rolle. Das Ministerium richtete spezielle Fonds für die Oberpräsidenten ein, mit deren Hilfe regionale Kunst erworben und vor Ort präsentiert werden konnte. Zudem wurden neue Medien wie der Rundfunk genutzt. Die Popularisierungspolitik war dabei inhaltlich nicht festgelegt. Im nationalintegrativen Interesse war zunächst Anliegen, mit Kunsttraditionen von Dürer bis zu den deutschen Impressionisten vertraut zu machen. In der zweiten Hälfte der 20er Jahre rückten die zeitgenössischen neusachlichen Künstler ins Zen-
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IV. Fazit
trum der Ausstellungspolitik. In Talentausstellungen oder der Schau Deutsche Kunst Düsseldorf 1928 wurde eine zeitgemäße, ruhige, realistische Kunst präsentiert, die das Ministerium seit 1920/21 als Pendant zur gesellschaftlichen Sammlung gefordert hatte. 1930/31 wollte Grimme diesen aktuellen Kunstschauen, die das Ministerium als Plattformen gesellschaftlicher Identitätsstiftung begriff, einen adäquaten Rahmen durch einen Ausstellungsneubau von Mies van der Rohe geben. Das Projekt scheiterte aber an den Finanzen. 6. Internationales kunstpolitisches Engagement: In der ersten Zeit nach 1918 verfolgte das Kultusressort einen defensiven kunstpoltischen Kurs gegenüber dem Ausland. Akademien, Museen und Ausstellungen an den Grenzen wurden dabei als „Bollwerke" deutscher Kultur instrumentalisiert. Seinem Anspruch auf internationalen Kulturaustausch gemäß engagierte sich das Ministerium jedoch früh auch für die Anbahnung internationaler Kunstbeziehungen zunächst mit im Krieg neutralen Ländern. Durch seine Kontakte in die Niederlande konnte es einen aktiven Beitrag zur auswärtigen Kulturpolitik leisten. 1922 kamen unter Ressortmitwirkung mehrere Präsentationen deutscher Kunst in den Niederlanden zustande. Durch Leihgaben unterstützte das Ministerium zudem Ausstellungen in der Schweiz und Italien. In der zweiten Hälfte der 20er Jahre konnte im Zuge der Entspannung nach Locamo verstärkt ausländische Kunst in Berlin gezeigt werden. Becker förderte diese Schauen, nutzte sie für Bekenntnisse zur gegenseitigen internationalen Anregung und suchte das Publikum dafür zu gewinnen. Gleichzeitig förderte das Ministerium weiterhin deutsche Ausstellungen im Ausland durch Leihgaben. Der Radius der Aktivitäten wurde dabei immer größer. Nach 1925 unterstützte das Ressort aktuelle Präsentationen in den USA, und schließlich nahm es erste kunstpolitische Kontakte zum lange argwöhnisch betrachteten Kulturkonkurrenten Frankreich auf. Mit seiner modernen Förderpolitik wirkte das Ministerium nun auch international und trug so zu einer selbstbewußten Profilierung der Republik bei. In den frühen 30er Jahren setzte Grimme die Idee des Kulturaustausches der zunehmend in den Mittelpunkt rückenden intoleranten nationalen Sicht auf die Kunst entgegen, geriet dann aber in den Strudel der sich ideologisierenden Kunstdebatte. Gemessen an den zeitgenössischen Fachdiskussionen stand das Kultusministerium in den 20er Jahren für eine durchaus fortschrittliche Kunstpolitik. Vor allem in der Künstlerausbildung, bei den Museen, in der Erwerbungspolitik und im Ausstellungssektor setzte es moderne Akzente. Basis der sich nach zögerlichen Anfängen im Laufe der 20er Jahre immer deutlicher konturierenden Politik war die enge Verquickung von Kunstfreiheitsmaxime und kunstwissenschaftlichem Qualitätsgrundsatz. Für die Wirksamkeit dieses Prinzips im Ministerium war wichtige Voraussetzung, daß nach 1918 gezielt Kunsthistoriker wie Waetzoldt oder Gall in die Kunstabteilung einbezogen worden waren. Während in der Führungsebene des Ressorts ein bildungsbürgerlich-liberaler, nationalintegrativer Anspruch propagiert wurde, avancierten gerade die jungen Fachreferenten zu Trägern einer an modernen Tendenzen orientierten, zunehmend auch Kunstpublizisten wie Westheim oder Scheffler überzeugenden Reformpolitik. Die kunstpolitischen Grundansprüche und Reformaktivitäten des preußischen Kultusministeriums wiesen klare Nähen zu den Vorstellungen des Reichskunstwarts auf. Insbe-
Fazit
607
sondere die Orientierung am Werkbund, aber auch ein ähnliches Kulturstaatsverständnis1 verband beide Seiten. Angesichts dessen kooperierten Redslob und Waetzoldt zum Beispiel im Kunstschulbereich. Auf Grund der Kompetenz für nachgeordnete Kunstinstitutionen konnte das Kultusressort vieles von dem in die Tat umsetzen, was bei Redslob nur angedacht war. Die Kunstpolitik des Kultusministeriums weist so deutlich über das Wirken des Reichskunstwarts hinaus. Der integrative Reformanspruch stellt sich damit keineswegs nur als allzu idealistisch-elitäres, nicht mehr zeitadäquates Konzept dar,2 sondern als Motor für die Gestaltung einer im konkreten Engagement fortschrittlichen Kunstpolitik. In anderen deutschen Ländern, beispielsweise in Baden oder Sachsen, lassen sich für die Weimarer Jahre teilweise ähnliche kunstpolitische Tendenzen nachweisen wie für Preußen. So gab es etwa bei der Reform der Künstlerausbildung immer wieder Berührungspunkte und Kooperationen. Gleichzeitig kam der preußischen Kunstpolitik jedoch eine besondere, wegweisende Bedeutung im nationalen Kontext zu. Durch die exponierte Stellung Preußens im Reich und die spezielle Aufmerksamkeit, mit der das Kulturleben in der Hauptstadt Berlin verfolgt wurde, hatten viele der preußischen Aktivitäten Vorbildfunktion.3 Durch die der veränderten Staatsform adäquate, national akzentuierte Neudefinition des kunstpolitischen Anspruchs nach 1918 und sein pointiertes, fortschrittliches Wirken vor allem seit Mitte der 20er Jahre setzte das preußische Kultusministerium kunstpolitische Maßstäbe für ganz Deutschland. Gerade in der letzten Phase der Republik Preußen, zu Beginn der 30er Jahre, zeigte sich, wie eng die kunstpolitischen Aktivitäten des Kultusministeriums inzwischen mit einem dezidiert republikanischen Selbstverständnis verbunden waren. Demonstrativ hielt Grimme den aufkommenden Nationalsozialisten damals den der Idee von Toleranz und Freiheit, aber auch dem Qualitatskriterium verpflichteten Förderanspruch entgegen. Selbstbewußt versuchte er, die moderne preußische Kunstpolitik und deren Exponenten für die Selbstbehauptung der Republik zu nutzen. In bedrängter Lage bestätigte sich damit auf dem Terrain der Kunstpolitik noch einmal die Vorstellung von Preußen als „The Unlikely Rock of Democracy" 4. Im Endeffekt kämpfte das Ministerium indes auf verlorenem Posten. Die drastischen Finanzeinschränkungen entzogen der Kunstpolitik schon vor dem Sommer 1932 das Fundament. Mit der Ergänzung des Kunstfreiheitsgrundsatzes um das Kriterium der Qualität, der dadurch möglich werdenden Förderpolitik, der Wertschätzung von Kulturtraditionen und der Idee eines internationalen Kulturaustausches, mit dem Anspruch auf Kunstvermittlung und eine soziale Künstlerpolitik, aber etwa auch mit der Forderung nach einer kunstpolitischen Zentralinstanz gab das Kultusministerium Maßstäbe für eine demokratische Kunstpolitik vor, an denen man sich später in der Bundesrepublik orientierte. Die Kunstpolitik des preußischen Kultusministeriums in der ersten deutschen Republik stellt sich so als
1 Zu den Vorstellungen Redslobs vgl. Speitkamp 1994, S. 579. 2 So konstatiert es Speitkamp 1994, S. 579 f für den Reichskunstwart. 3 Vgl. dazu auch Protest Künstlerorganisationen an Staatssekretär KM, 1 0 . 9 . 1 9 3 2 , ms., in: SAdK, P r A d K , 2.2/010, Bl. 1 0 3 - 1 0 6 , Bl. 105 r. 4 O r l o w 1986.
608
IV. Fazit
wesentliche Traditionslinie für die Entwicklung der demokratischen Kunstpolitik in Deutschland bis in die Gegenwart hinein dar. Die Beschäftigung mit ihr mag zur Schärfung und Differenzierung der Positionen in den teilweise ganz ähnlichen heutigen Diskussionen um Kunst, Staat und gesellschaftliche Identität in der Zeit knapper öffentlicher Kassen beitragen.
Abb. 1
Pressefoto von der E r ö f f n u n g der Leibi-Ausstellung in der Akademie der Künste am 13. April
1930, Eröffnungsrede Max Liebermann, links Carl Heinrich Becker, rechts im H i n t e r g r u n d vermutlich Adolf Grimme.
Abb. 2 - 4 Unter Einfluß des Kultusministeriums neugestaltete Ausstellungsräume im Berliner Museum für ostasiatische Kunst, 1924.
Abb. 5 Georg Kolbe, Die Nacht, 1926/30, Bronze, vom Kultusministerium 1930/31 für das Berliner Haus des Rundfunks in Auftrag gegeben. Foto Christian Borchert 1988.
Abb. 6
Hermann Esch, Entwurf Preußenadler, 1921, im Auftrag des Kultusministeriums entstanden.
Abb. 7 Ludwig Gies, Medaille der Akademie der Künste für hervorragende Leistungen preußischer Kunsthochschüler, 1926, vergoldete Bronze, im Rahmen einer vom Kultusministerium veranlaßten Künstlerkonkurrenz entstanden. Museum Morsbroich, Leverkusen, Nachlaß Gies, Inv. Nr. 4756. Historische Aufnahme (ohne Datum) aus dem Nachlaß Ludwig Gies.
Abb. 8 Otto Dix, Bildnis des Dichters Theodor Däubler, 1927, Ölgemälde, vom Kultusministerium 1928 auf der Ausstellung der Berliner Sezession für das Kronprinzenpalais erworben. Museum Ludwig, Köln.
Abb. 9 Willi Baumeister, Drei Monteure, 1927, vom Kultusministerium 1929 auf der Ausstellung der Novembergruppe für das Kronprinzenpalais erworben. Kriegsverlust. Historische Aufnahme.
Abb. 10
Edwin Scharff an der M a r m o r s k u l p t u r Hockende
arbeitend, 1926-28. Die Skulptur w u r d e
1928 v o m Kultusministerium beim Künstler f ü r die Nationalgalerie erworben.
Abb. 11 Ausstellungsraum im Obergeschoß des Kronprinzenpalais' unter anderem mit Werken der vom Kultusministerium geförderten Künstler Ewald Mataré, Wassily Kandinsky und Heinrich Campendonk, um 1930.
Abb. 12 Ausstellungsraum im Obergeschoß des Kronprinzenpalais' unter anderem mit Werken der vom Kultusministerium geförderten Künstler Willi Baumeister, Oskar Schlemmer, Jean Metzinger und Oskar Moll, 1930/31.
Abb. 13 Charlotte Berend-Corinth, Bildnis Adolf Grimme, 1931, Ölgemälde, 118 x 88 cm, im Auftrag des Kultusministeriums entstanden. Privatbesitz.
Í/V» ' ' Abb. 14
Emil Orlik, Konrad Haenisch im Deutschen Theater, 1919, Zeichnung.
Abkürzungsverzeichnis
I. Allgemeine Abkürzungen AA Abschr. AK Ak. d. Kü. BDA Beibl. Beil. DHM Dr. Ds. DDP DNVP Dt. Staatsp. Dt. völk. FP DVP DWB FM gedr. GM HA hs. KM KPD LT LV M ms. Mtgl. NG pr. Prot. RKW
Auswärtiges Amt Abschrift Ausstellungskatalog Akademie der Künste Bund Deutscher Architekten Beiblatt Beilage Deutsches Historisches Museum Drucksache Durchschlag Deutsche Demokratische Partei Deutschnationale Volkspartei Deutsche Staatspartei Deutschvölkische Freiheitspartei Deutsche Volkspartei Deutscher Werkbund preußisches Finanzministerium gedruckt Goldmark Hauptausschuß handschriftlich preußisches Kultusministerium Kommunistische Partei Deutschlands Landtag Landesversammlung Mark maschinenschriftlich Mitglied / Mitglieder Nationalgalerie preußisch Protokolle Reichskunstwart
Anhang
610 RM
Reichsmark
RMdl
Reichsministerium des Inneren
RPf
Reichspfennig
RV / RVbK
Reichsverband bildender Künstler Deutschlands
RWV / RWVbK
Reichswirtschaftsverband bildender Künstler Deutschlands
Szg.
Sitzung
USPD
Unabhängige Sozialdemokratische Partei
VSd
Vereinigte Sozialdemokraten
Wirtsch. V.
Wirtschaftliche Vereinigung
WP
Wahlperiode
Ζ
Zentrum
ZA
Zeitungsausschnitt
ZAs
Zeitungsausschnitte
II. Abkürzungen für Zeitungen und Zeitschriften Beri. Mus.
Berliner Museen
BT
Berliner Tageblatt
Cie.
Der Cicerone
DAZ
Deutsche Allgemeine Zeitung
Dt. Tagesztg.
Deutsche Tageszeitung
Dt. Wille
Deutscher Wille
Glocke
Die Glocke
Grenzboten
Die Grenzboten
FZ
Frankfurter Zeitung
HZ
Historische Zeitschrift
Jb. Pr. Kb.
Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz
Ku.bl.
Das Kunstblatt
Ku.chr.
Kunstchronik und Kunstmarkt
Ku. u. Kü.
Kunst und Künstler
Ku. u. Wi.
Kunst und Wirtschaft
Ku.wan.
Der Kunstwanderer
Ku.wart
Der Kunstwart und Kulturwart
Mitt. D W B
Mitteilungen des Deutschen Werkbundes
MNN
Münchener Neueste Nachrichten
Mus. der Gegenwart
Museum der Gegenwart
Mus.kun.
Museumskunde
Osterr. Rundschau
Osterreichische Rundschau
Pr. Verw.bl.
Preußisches Verwaltungs-Blatt
Rheinlande
Die Rheinlande
VfZG
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Voss. Ztg.
Vossische Zeitung
Weltb.
Die Weltbühne
W. d. Ku.
Werkstatt der Kunst
ZS f. bild. Ku.
Zeitschrift für bildende Kunst
Zentr.bl. Unterr.verw.
Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen
Quellen- und Literaturverzeichnis
I. Quellen Editorische Notiz Kursivsetzungen in Quellenzitaten basieren auf Hervorhebungen in den Originalquellen. Bei Zitaten aus unveröffentlichten Schriften und Briefen wird die Orthographie der Autoren beibehalten. Allein offenkundige Schreibfehler wurden korrigiert. In Quellenzitaten wird das Auslassen eines Wortes durch „[..]", mehrerer Wörter hingegen durch „[...]" angezeigt.
I. A. Archivalien Bundesarchiv Berlin (BArchB) 90 Ha 4 (Nachlaß Konrad Haenisch) Nr. 20; Nr. 21; Nr. 34; Nr. 43; Nr. 87; Nr. 126; Nr. 151; Nr. 173; Nr. 203; Nr. 223; Nr. 262; Nr. 292; Nr. 293; Nr. 313; Nr. 318; Nr. 447; Nr. 450; Nr. 452; Nr. 453; Nr. 454; Nr. 455; Nr. 456; Nr. 457; Nr. 458; Nr. 459; Nr. 460; Nr. 461; Nr. 462; Nr. 466; Nr. 482; Nr. 483 R 32 (Bestand Reichskunstwart) Nr. 17, Bd. 4; Nr. 69, Bd. 1; Nr. 146, Bd. 2; Nr. 166; Nr. 206; Nr. 273, Bd. 1; Nr. 312 a, Bd. 2; Nr. 316, Bd. 2; Nr. 317 a, Bd. 2; Nr. 462; Nr. 484; Nr. 487 R 1501 (Bestand Reichsinnenministerium) Nr. 8961; Nr. 8962; Nr. 8963; Nr. 8964; Nr. 8965; Nr. 8966; Nr. 8968; Nr. 8969; Nr. 8976; Nr. 8982; Nr. 8983; Nr. 8984; Nr. 8985
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GStA PK) I. HA Rep. 76, V£ (Bestand Preußisches Kultusministerium, Kunstsachen) Sekt. 1, Abt. I, Nr. 36, Bd. II Sekt. 1, Abt. IV, Nr. 139 Sekt. 1, Abt. VII, Nr. 87, Bd. I Sekt. 3, Abt. III, Nr. l , B d . III
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Anhang
Sekt. 3, Abt. VI, Nr. 14, Bd. IV Sekt. 5, Abt. I, Nr. 2, Bd. IX Sekt. 5, Abt. VI, Nr. 16, Bd. III Sekt. 6, Abt. VI, Nr. 13, Bd. II Sekt. 7, Abt. I, Nr. 3, Bd. I Sekt. 11, Abt. VI, Nr. 25, Bd. IV Sekt. 12, Abt. I, Nr. 5, Bd. I Sekt. 14, Abt. VI, Nr. 36, Bd. VII Sekt. 14, Abt. VI, Nr. 36, Bd. VIII Sekt. 15, Abt. XIII, Nr. 17, Bd. I Sekt. 16, Lit. S, Nr. 34, Bd. I Sekt. 20, Abt. I, Nr. 2, Bd. VI I. HA Rep. 90 (Bestand Preußisches Staatsministerium) Nr. 1778; Nr. 1791; Nr. 1793; Nr. 1796; Nr. 1797; Nr. 2402; Nr. 2404 I. HA Rep. 92 Ni. C. H. Becker (Nachlaß Carl Heinrich Becker) Nr. 52; Nr. 84; Nr. I l l ; Nr. 112; Nr. 131; Nr. 138; Nr. 163; Nr. 192; Nr. 210; Nr. 251; Nr. 270; Nr. 332 Nr. 349; Nr. 383; Nr. 386; Nr. 408; Nr. 443; Nr. 446; Nr. 448; Nr. 453; Nr. 476; Nr. 542; Nr. 572 Nr. 573; Nr. 610; Nr. 655; Nr. 667; Nr. 730; Nr. 757; Nr. 808; Nr. 858; Nr. 866; Nr. 887; Nr. 964 Nr. 1008 Nr. 1060; Nr. 1094 Nr. 1114; Nr. 1136; Nr. 1230 Nr. 1288 Nr. 1310 Nr. 1314 Nr. 1319 Nr. 1321 Nr. 1342; Nr. 1343 Nr. 1344; Nr. 1347; Nr. 1353 Nr. 1358 Nr. 1361 Nr. 1369 Nr. 1370 Nr. 1373 Nr. 1374; Nr. 1376 Nr. 1378; Nr. 1380; Nr. 1382 Nr. 1383 Nr. 1384 Nr. 1385 Nr. 1386 Nr. 1387 Nr. 1395; Nr. 1397 Nr. 1405; Nr. 1421; Nr. 1422 Nr. 1423 Nr. 1463 Nr. 1466 Nr. 1468 Nr. 1469 Nr. 1471; Nr. 1482 Nr. 1483; Nr. 1485; Nr. 1489 Nr. 1490 Nr. 1494 Nr. 1495 Nr. 1499 Nr. 1500 Nr. 1506; Nr. 1507 Nr. 1512; Nr. 1514; Nr. 1516 Nr. 1521 Nr. 1531 Nr. 1532 Nr. 1533 Nr. 1534 Nr. 1537; Nr. 1542 Nr. 1545; Nr. 1546; Nr. 1547 Nr. 1554 Nr. 1555 Nr. 1556 Nr. 1557 Nr. 1566 Nr. 1572; Nr. 1578 Nr. 1593; Nr. 1614; Nr. 1618 Nr. 1622 Nr. 1637 Nr. 1638 Nr. 1641 Nr. 1643 Nr. 1644; Nr. 1646 Nr. 1647; Nr. 1664; Nr. 1665 Nr. 1670 Nr. 1674 Nr. 1688 Nr. 1692 Nr. 1701 Nr. 1703; Nr. 1709 Nr. 1718; Nr. 1719; Nr. 1720 Nr. 1723 Nr. 1732 Nr. 1739 Nr. 1742 Nr. 1745 Nr. 1747; Nr. 1750 Nr. 1751; Nr. 1752; Nr. 1759 Nr. 1761 Nr. 1762 Nr. 1764 Nr. 1770 Nr. 1772 Nr. 1776; Nr. 1777 Nr. 1780; Nr. 1781; Nr. 1783 Nr. 1794 Nr. 1810 Nr. 1821 Nr. 1823 Nr. 1833 Nr. 1835; Nr. 1837 Nr. 1953; Nr. 1954; Nr. 1961 Nr. 1967 Nr. 2007 Nr. 2099 Nr. 2130 Nr. 2155 Nr. 2190; Nr. 2197 Nr. 2232; Nr. 2249; Nr. 2337 Nr. 2342 Nr. 2345 Nr. 2409 Nr. 2482 Nr. 2512 Nr. 2521; Nr. 2574 Nr. 2575; Nr. 2643; Nr. 2663 Nr. 2675 Nr. 2693 Nr. 2700 Nr. 2708 Nr. 2748 Nr. 2767; Nr. 2773 Nr. 2835; Nr. 2879; Nr. 2902 Nr. 2993 Nr. 3021 Nr. 3063 Nr. 3085 Nr. 3095 Nr. 3140; Nr. 3193 Nr. 3205; Nr. 3217; Nr. 3224 Nr. 3229 Nr. 3278 Nr. 3304 Nr. 3340 Nr. 3349 Nr. 3367; Nr. 3383 Nr. 3404; Nr. 3421; Nr. 3438 Nr. 3463 Nr. 3522 Nr. 3549 Nr. 3586 Nr. 3692 Nr. 3701; Nr. 3759 Nr. 3843; Nr. 3847; Nr. 3863 Nr. 3912 Nr. 3947 Nr. 3969 Nr. 4052 Nr. 4053 Nr. 4107; Nr. 4115 Nr. 4137; Nr. 4139; Nr. 4173 Nr. 4207 Nr. 4210 Nr. 4247 Nr. 4252 Nr. 4361 Nr. 4390; Nr. 4415 Nr. 4466; Nr. 4480; Nr. 4489 Nr. 4518 Nr. 4523 Nr. 4546 Nr. 4555 Nr. 4559 Nr. 4602; Nr. 4682 Nr. 4757; Nr. 4780; Nr. 4783 Nr. 4828 Nr. 4853 Nr. 4917 Nr. 4942 Nr. 4980 Nr. 5083; Nr. 5088 Nr. 5103; Nr. 5126; Nr. 5223 Nr. 5324 Nr. 5352 Nr. 5364 Nr. 5427 Nr. 5492 Nr. 5526; Nr. 5552 Nr. 5592; Nr. 5649; Nr. 5767 Nr. 5777 Nr. 5834 Nr. 5866 Nr. 5962 Nr. 5966 Nr. 5985; Nr. 5986 Nr. 5987; Nr. 6065; Nr. 6084 Nr. 6151 Nr. 6157 Nr. 6174 Nr. 6183 Nr. 6208 Nr. 6360; Nr. 6403 Nr. 6414; Nr. 6447; Nr. 6490 Nr. 6700 Nr. 6716 Nr. 6731 Nr. 6734 Nr. 6750 Nr. 6768; Nr. 6782 Nr. 6795; Nr. 6796; Nr. 6797 Nr. 6798 Nr. 6799 Nr. 6800 Nr. 6805 Nr. 6816 Nr. 6817; Nr. 6823 Nr. 6829; Nr. 6830; Nr. 6838 Nr. 6841 Nr. 6848 Nr. 6851 Nr. 6875
Quellen- und Literaturverzeichnis:
Archivalien
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
6880; Nr. 6896; Nr. 6906; 6995; Nr. 7111; Nr. 7162; 7230; Nr. 7234; Nr. 7238; 7341; Nr. 7343; Nr. 7344; 7366; Nr. 7367; Nr. 7405; 7525; Nr. 7527; Nr. 7530; 7553; Nr. 7554; Nr. 7555; 7625; Nr. 7626; Nr. 7628; 7645; Nr. 7649; Nr. 7652; 7706; Nr. 7707; Nr. 7708; 7735; Nr. 7736; Nr. 7738; 7762; Nr. 7763; Nr. 7764; 7850; Nr. 7852; Nr. 7869; 8075; Nr. 8114; Nr. 8124; 8643; Nr. 8644; Nr. 8655
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
6970; 7189; 7242; 7346; 7428; 7532; 7556; 7629; 7654; 7709; 7742; 7767; 7873; 8125;
6971; 7190; 7254; 7347; 7473; 7533; 7561; 7630; 7656; 7711; 7744; 7776; 7879; 8132;
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
613 6972; 7192; 7255; 7349; 7490; 7534; 7563; 7632; 7664; 7717; 7747; 7777; 7883; 8133;
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
6973; 7207; 7258; 7353; 7491; 7541; 7564; 7633; 7676; 7721; 7748; 7778; 7901; 8153;
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
6974; 7208; 7311; 7359; 7497; 7543; 7603; 7634; 7679; 7723; 7755; 7793; 7913; 8231;
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
6989; 7215; 7319; 7364; 7499; 7545; 7604; 7640; 7681; 7728; 7756; 7794; 7997; 8234;
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
6994 7224 7322 7365 7504 7547 7609 7643 7702 7729 7758 7843 8073 8330
I. HA Rep. 92 Nl. Otto Braun (Nachlaß Otto Braun) A Nr. 6; A Nr. 19 a; A Nr. 55; Β I Nr. 3; Β I Nr. 5; Β I Nr. 9; Β I Nr. 23; Β I Nr. 37; C I Nr. 30; C I Nr. 93; C I Nr. 171; C I Nr. 279; C V Nr. 3; Paket D 5 Nr. 100 I. HA Rep. 92 Nl. Grimme (Nachlaß Adolf Grimme) Autographen (unverzeichnet): Brief von Bruno Taut; Autographen (unverzeichnet): Briefe von Max Liebermann; Nr. 306; Nr. 307; Nr. 324; Nr. 334; Nr. 336; Nr. 337; Nr. 342; Nr. 352; Nr. 358; Nr. 369; Nr. 370; Nr. 374; Nr. 382; Nr. 388; Nr. 393; Nr. 396; Nr. 398; Nr. 399; Nr. 401; Nr. 406; Nr. 423; Nr. 462; Nr. 499; Nr. 529; Nr. 546; Nr. 551; Nr. 557; Nr. 561; Nr. 562; Nr. 681; Nr. 698; Nr. 790; Paket Nr. 41; Paket Nr. 41 a; Paket Nr. 45; Paket Nr. 48, Mappe Nr. 2; Paket Nr. 49, Mappe Nr. 9; Paket Nr. 50, Mappe Nr. 81; Paket Nr. 51, Mappe Nr. 1; Paket Nr. 54, Mappe Nr. 1; Paket Nr. 54, Mappe Nr. 39; Paket Nr. 55, Mappe Nr. 1; Paket Nr. 56, Mappe Nr. 51; Paket Nr. 57, Mappe Nr. 7; Paket Nr. 57, Mappe Nr. 8; Paket Nr. 57, Mappe Nr. J l ; Paket Nr. 58, Mappe Nr. 19; Paket Nr. 59, Mappe Nr. 8; Paket Nr. 60, Mappe Nr. 29; Paket Nr. 61, Mappe Nr. 56; Paket Nr. 62, Mappe Nr. 1; Paket Nr. 63 (Emil Orlik); Paket Nr. 63, Mappe Nr. 19; Paket Nr. 65, Mappe Nr. 21; Paket Nr. 66, Mappe Nr. 1; Paket Nr. 67, Mappe Nr. 23; Paket Nr. 67, Mappe Nr. 28; Paket Nr. 67, Mappe Nr. 59; Paket Nr. 67, Mappe Nr. 62; Paket Nr. 69, Mappe Nr. 3; Paket Nr. 71, Mappe Nr. 4; Paket Nr. 71, Mappe Nr. 43; Paket Nr. 71, W 1; Paket Nr. 74, Mappe Nr. 4; Paket Nr. 75, Mappe Nr. 9; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 10; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 12; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 60; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 67; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 74; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 78; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 86; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 96; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 112; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 120; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 135; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 139; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 145; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 146; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 156; Paket Nr. 79, Mappe Nr. 179; Paket Nr. 82; Paket Nr. 92, Mappe Nr. 6; (Wiegand) I. HA Rep. 151 (Bestand Preußisches Finanzministerium) Nr. 1026; Nr. 1027; Nr. 1028; Nr. 1029; Nr. 1031; Nr. 1032; Nr. 1041; Nr. 1042; Nr. 1043; Nr. 1047; Nr. 1048; Nr. 1049; Nr. 1052; Nr. 2493; Nr. 10660; Nr. 10684; Nr. 10687; Nr. 10688; Nr. 10691; Nr. 10694; Nr. 10703; Nr. 10704; Nr. 10708; Nr. 10709;
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Anhang
IC, Nr. 6461; IC, Nr. 8125; IC, Nr. 8141; IC, Nr. 8143; IC, Nr. 8154; IC, Nr. 8158; IC, Nr. 8228; IC, Nr. 8241; IC, Nr. 8253; IC, Nr. 8263; IC, Nr. 8264; IC, Nr. 8269; IC, Nr. 8275; IC, Nr. 8281; IC, Nr. 8309; IC, Nr. 8315; IC, Nr. 8320; IC, Nr. 8325; IC, Nr. 8352 I. HA Rep. 169 D, Abt. X 1 (Akten des Preußischen Landtags, Kunstsachen) A Nr. 1; A Nr. 1, adh. 1; A Nr. 1, adh. 2; A Nr. 1, adh. 3; A Nr. 2; A Nr. 2, adh. 1; A Nr. 3; A Nr. 3, adh. 2; A Nr. 3, adh. 3; Β Nr. 1; Β Nr. 1, adh. 1; Β Nr. 1, adh. 2; Β Nr. 3; Β Nr. 3, adh. 1; Β Nr. 3, adh. 2; Β Nr. 4; Β Nr. 4, adh. 1; Β Nr. 4, adh. 2; Β Nr. 4, adh. 3; Β Nr. 5; Β Nr. 6; Β Nr. 6, adh. 1; Β Nr. 6, adh. 2; Β Nr. 7; D Nr. 1; E Nr. 1; E Nr. l,adh. 1; F Nr. 1; F Nr. 1, adh. 1; F Nr. 4; F Nr. 4, adh. 1; F Nr. 5
K u n s t b i b l i o t h e k der S t a a t l i c h e n M u s e e n z u Berlin - P r e u ß i s c h e r K u l t u r b e s i t z (KuBi SMB) Nachlaß Wilhelm Waetzoldt A 5; Β 1; Β 2; Β 13; Β 14; Β 15
Staatliche M u s e e n z u Berlin - P r e u ß i s c h e r K u l t u r b e s i t z ( S M B P K / Z A ) I BV (Bestand Bauverwaltung der Staatlichen Museen zu Berlin) Nr. 328; Nr. 519, Bd. 1 Nachlaß Bode (Nachlaß Wilhelm von Bode) Korrespondenz Carl Heinrich Becker; Korrespondenz Otto Boelitz; Korrespondenz Ernst Gall; Korrespondenz Wilhelm Arnold Maximilian Karl Nentwig; Korrespondenz Wilhelm Waetzold[t]; Nr. 212; Nr. 213; Nr. 214; Nr. 215; Nr. 216; Nr. 217; Nr. 241; Nr. 311; Nr. 329; Nr. 340; Nr. 343; Nr. 398; Nr. 399; Nr. 400; Nr. 401; Nr. 402; Nr. 403; Nr. 404; Nr. 405; Nr. 408; Nr. 409; Nr. 410; Nr. 428; Nr. 429; Nr. 430; Nr. 431; Nr. 432; Nr. 433; Nr. 6645; Nr. 6718; Nr. 6819 Nat.gal. (Bestand Nationalgalerie) ad Spec. 1, Berlin, Bd. 1; ad Spec. 1, M, Bd. 10/1; ad Spec. 20, Bd. 54; ad Spec. 20, Bd. 55/2; ad Spec. 20, Bd. 55/3; ad Spec. 20, Bd. 56; ad Spec. 20, Bd. 58/1; ad Spec. 20, Bd. 58/2; ad Spec. 20, Bd. 58/3; ad Spec. 20, Bd. 61/1; ad Spec. 20, Bd. 61/2; ad Spec. 20, Bd. 61/4; ad Spec. 20, Bd. 75/5; ad Spec. 20, Bd. 75/11; ad Spec. 20, Bd. 75/14; Gen. 1, Bd. 1; Gen. 2, Bd. 3; Gen. 4, Bd. 1; Gen. 5, Bd. 13; Gen. 5, Bd. 14; Gen. 5, Bd. 15; Gen. 5, Bd. 16; Gen. 5, Bd. 18; Gen. 5, Bd. 19; Gen. 7, Bd. 6; Gen. 7, Bd. 7; Gen. 9, Bd. 1; Gen. 10, Bd. 11; Gen. 10, Bd. 12; Gen. 10, Bd. 13; Gen. 10, Bd. 14; Gen. 10, Bd. 15; Gen. 10, Beih. 1; Gen. 15, Bd. 6; Gen. 15, Bd. 7; Gen. 15, Bd. 8; Gen. 15, Bd. 9; Gen. 19, Bd. 8; Gen. 19, Bd. 14; Gen. 19, Beih. 1; Gen. 24, Bd. 5; Gen. 24, Bd. 6; Gen. 35, Bd. 1; Gen. 37, Bd. 11; Gen. 37, Bd. 12; Gen. 37, Bd. 1, Beih. 1; Gen. 37, Bd. 1, Beih. 2; Gen. 37, Bd. 1, Beih. 3; Gen. 37, Bd. 1, Beih. 4; Gen. 37, Bd. 1, Beih. 5; Gen. 37, Bd. 1, Beih. 9; Gen. 40, Bd. 3; Gen. 41, Bd. 3; Gen. 41, Bd. 4; Gen. 44, Bd. 1; Gen. 50, Bd. 1; Gen. 53, Bd. 3; Gen.-Pers., Bd. 4; Gen.-Pers., Bd. 5;
Quellen- und Literaturverzeichnis: Gedruckte Quellen
615
Künstlerspezialakten, B, Bd. 38; Künstlerspezialakten, K, Bd. 54; Künstlerspezialakten, M, Bd. 22; Künstlerspezialakten, S, Bd. 11; Künstlerspezialakten, T, Bd. 7; Künstlerspezialakten, T, Bd. 19; Personalia, T, Bd. 5; Spec. 1, Bd. 24; Spec. 1, Bd. 25; Spec. 1, Bd. 26; Spec. 1, Bd. 27; Spec, 1, Bd. 28; Spec. 1, Bd. 29; Spec. 1, Bd. 30; Spec. 1, Bd. 31; Spec. 1, Bd. 32; Spec. 1, Bd. 33; Spec. 7, Bd. 3; Spec. 7, Bd. 4; Spec. 10, Bd. 1; Spec. 19, Bd. 3; Spec. 20, Bd. 1; Spec. 20, Bd. 2; Spec. 20, Bd. 3; Spec. 20, Bd. 4; Spec. 22, Bd. 1; Spec. 24, Bd. 1; Spec. 24, Bd. 3; Spec. 24, Beih. 1; Spec. 26, Bd. 8; Spec. 29, Bd. 30; Spec. 29, Bd. 31; Spec. 29, Bd. 32; Spec. 29, Bd. 33; Spec. 29, Bd. 34; Spec. 29, Bd. 35; Spec. 29, Beih. 1, Bd. 1; Spec. 30, Bd. 6; Spec. 30, Bd. 7; Spec. 30, Bd. 8; Spec. 30, Bd. 9; Spec. 35, Bd. 2; Spec. 35, Bd. 3; Spec. 36, Bd. 1; Spec. 43, Bd. 2; Spec. 43, Bd. 3; Spec. 45, Bd. 1; Spec. 50, Bd. 1; Spec. 51, Bd. 1; Spec. 53, Bd. 1; Spec. 53, Bd. 2; Spec. 54, Bd. 1; Spec. 56, Bd. 1; Spec. 57, Bd. 1
Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin (SAdK) PrAdK (Bestand Preußische Akademie der Künste) 2.1/001; 2.1/014; 2.2/002; 2.2/038; 2.2/130; 2.2/189;
2.1/002; 2.1/003; 2.1/004; 2.1/005; 2.1/007; 2.1/008; 2.1/009; 2.1/010; 2.1/011; 2.1/012; 2.1/036; 2.1/037; 2.1/038; 2.1/049; 2.1/051; 2.1/053; 2.2/004; 2.2/005; 2.2/006; 2.2/007; 2.2/009; 2.2/010; 2.2/023; 2.2/025; 2.2/027; 2.2/028; 2.2/040; 2.2/053; 2.2/060; 2.2/074; 2.2/075; 2.2/076; 2.2/078; 2.2/082; 2.2/114; 2.2/127; 2.2/131; 2.2/132; 2.2/133; 2.2/134; 2.2/149; 2.2/150; 2.2/153; 2.2/159; 2.2/186; 2.2/187; 2.2/190; 2.2/257; 2.2/258; 2.2/267; 2.2/269; 2.2/270; 2.2/281; 2.2/284; 2.2/289
2.1/013; 2.2/037; 2.2/129; 2.2/188;
I. B. Gedruckte Quellen I. B. 1. Einzelveröffentlichungen An alle Künstler 1919 An alle Künstler! Berlin 1919. Baege 1919 M[ax] H[ermann] Baege: Vorschläge zur Demokratisierung Geist der neuen Volksgemeinschaft 1919, S. 84-92.
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Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen 1935 Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, hg. v. Wilhelm Rave. Bd. 41: Die Stadt Münster, Teil 4: Die profanen Bauwerke seit dem Jahre 1701, bearb. v. Max Geisberg. Münster 1935. Becker 1914 C[arl] Hfeinrich] Becker: Deutschland und der Islam. Stuttgart / Berlin 1914 (Der Deutsche Krieg. Politische Flugschriften, hg. v. Ernst Jäckh, H . 3). Becker 1919 a C[arl] Hfeinrich] Becker: Kulturpolitische
Aufgaben
des Reiches. Leipzig 1919.
Becker 1919 b C[arl] Hfeinrich] Becker: Gedanken zur Hochschulreform.
Leipzig 1919.
616
Anhang
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der
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Köpfe von Orlik. Mit einem Vorwort von Max Osbom. Berlin [1920].
Gall 1920 Ernst Gall: Die Reichsverordnung über den Schutz von Denkmalen 1920, in: Ku.chr., Jg. 56/1, Nr. 4/5, 22./29.10.1920, S. 63-69. Gericke 1928 Herbert Gericke: Der Werkstoff v. Theda Behme. München 1928.
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und Kunstwerken
in: Schlichte deutsche
vom 8. Mai
Wohnmöbel,
hg.
Grimme 1918 Adolf Grimme: Arbeit und Lebensfreude.
Eine Laienpredigt
als Weg zur Philosophie. Leer 1918.
Grimme 1922 Adolf Grimme: Der religiöse Mensch. Eine Zielsetzung für die neue Schule. Berlin 1922. Grimme 1923 Adolf Grimme: Die religiöse Schule. Rede, gehalten auf der Tagung des Bundes Entschiedener Schulreformer zu Leer in Ostfriesland und in der Berliner Universität, 28. Juli und 3. Oktober 1923. Berlin 1923.
618
Anhang
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620
Anhang
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sozialdemokratisches
H o f f m a n n 1924 Adolph Hoffmann: Episoden und Zwischenrufe
aus der Parlaments- und Ministerzeit.
Berlin 1924.
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Ein Führer zur Sammlung
Justi 1920 Ludwig Justi: Deutsche Malkunst im neunzehnten Jahrhundert. Ein Führer durch die Berlin 1920 (Amtliche Veröffentlichungen der National-Galerie). Justi 1921 a Ludwig Justi: Habemus papam! Bemerkungen lin 1921.
der
Nationalgalerie.
zu Schefflers Bannbulle „Berliner Museumskrieg".
Ber-
Quellen-
und Literaturverzeichnis:
Gedruckte
Quellen
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der Königlichen
Nationalgalerie.
Berlin
Mackowsky 1929 Hans Mackowsky: Führer durch die Bildnissammlung
der National-Galerie.
Berlin 1929.
Malkowsky 1912 Georg Malkowsky: Die Kunst im Dienste der Staats-Idee. Hohenzollerische Kurfürsten bis auf Wilhelm II. Berlin 1912. Majer-Leonhard 1930 Ernst Majer-Leonhard: Kunsterziehung,
Kunstpolitik vom Großen
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622
Anhang
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und
Jg. 3, Nr. 4, Jan.-März
Pallat 1927 Ludwig Pallat: Zeichen- und Werkunterricht nebst einer Sammlung der Bestimmungen über Ausbildung, Prüfung und Anstellung der Werklehrer und Werklehrerinnen (Stand vom 1. Juni 1927). Berlin 1927 (Weidmannsche Taschenausgaben von Verfügungen der Preußischen Unterrichtsverwaltung, H. 51). Pauli 1919 Gustav Pauli: Das Kunstmuseum der Zukunft, in: Kunstmuseen und das deutsche Volk 1919, S. 3-16. Plenge 1918 Johann Plenge: Durch Umsturz zum Aufbau. Eine Rede an Deutschlands Jugend [gehalten am 15.11. 1918 in der Versammlung der Allgemeinen Studentenschaft in Münster]. Münster 1918. Plenge 1919. Johann Plenge: Die Zukunft Deutschlands und die Zukunft der Staatswissenschaft. Essen 1919. Posse 1929 Hans Posse: Robert Steri. Dresden 1929 (Neue Kunst in Sachsen, Bd. 2). Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft 1931 Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. 2 Bde., Berlin 1931. Scheffler 1921 Karl Scheffler: Berliner Museumskrieg. Berlin 1921. Scherer 1913 Valentin Scherer: Deutsche Museen. Entstehung und kulturgeschichtliche lichen Kunstsammlungen. Jena 1913.
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öffent-
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Schriftstücke,
hg. v. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und
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des Preußischen Landtags. 1. Wahlperiode (1921/24). Sitzungen des
1. Wahl-
Hauptausschusses.
LT, W P 1, Prot. Sitzungsberichte des Preußischen Landtags. 1. Wahlperiode. 1. Tagung: begonnen am 10. März 1921. 18 Bde., Berlin 1922-26.
624
Anhang
LT, WP 2, Dr. Sammlung der Drucksachen des Preußischen Landtags (Anlagen zu den Sitzungsberichten). periode, 1. Tagung: begonnen am 5. Januar 1925. 18 Bde., Berlin 1925-28.
2. "Wahl-
LT, WP 2, HA Preußischer Landtag. Sitzungsberichte
des Hauptausschusses. 2. Wahlperiode (1925/28). [Berlin] o.J.
LT, WP 2, Prot. Sitzungsberichte des Preußischen Landtags. 2. Wahlperiode, 18 Bde., Berlin 1926-29.
1. Tagung: begonnen am 5. Januar
LT, WP 3, Dr. Sammlung der Drucksachen des Preußischen Landtags (Anlagen zu den Sitzungsberichten). periode, 1. Tagung: begonnen am 8. Juni 1928. 16 Bde., Berlin 1929-32. LT, WP 3, HA Preussischer Landtag. Niederschriften lin] o.J. LT, WP 3, Prot. Sitzungsberichte des Preußischen 18 Bde., Berlin 1929-33. LV, Prot. Sitzungsberichte Berlin 1921.
des Staatshaushaltsausschusses.
Landtags. 3. Wahlperiode,
der verfassunggebenden
3. Wahlperiode
3. Wahl-
(1928/32). [Ber-
1. Tagung: begonnen am 8. Juni
Preußischen Landesversammlung.
1925.
1928.
Tagung 1919/21. 12 Bde.,
LV, Dr. Sammlung der Drucksachen der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung den Sitzungsberichten). Tagung 1919/21.15 Bde., [Berlin] o.J.
(Anlagen zu
Staatshaushaltsplan 1919 Staatshaushaltsplan
für das Rechnungsjahr
1919.1 Hauptbd. u. 2 Anlagebde., Berlin 1919.
Staatshaushaltsplan 1920 Staatshaushaltsplan
für das Rechnungsjahr
1920. 1 Hauptbd. u. 2 Anlagebde., Berlin 1920.
Staatshaushaltsplan 1921 Haushaltsplan für das Rechnungsjahr
1921. 1 Hauptbd. u. 2 Anlagebde., Berlin 1921.
Staatshaushaltsplan 1922 Haushaltsplan für das Rechnungsjahr
1922. 1 Hauptbd. u. 2 Anlagebde., Berlin 1922.
Staatshaushaltsplan 1923 Haushaltsplan für das Rechnungsjahr
1923. 1 Hauptbd. u. 2 Anlagebde., Berlin 1923.
Staatshaushaltsplan 1924 Haushaltsplan des Preußischen Staates nebst Anlagen für das Rechnungsjahr lagen, Berlin 1924. Staatshaushaltsplan 1925 Haushaltsplan des Preußischen Staates nebst Anlagen für das Rechnungsjahr lagen, Berlin 1925.
1924. 1 Hauptbd. u. An-
1925. 1 Hauptbd. u. An-
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Staatshaushaltsplan 1928 Haushaltsplan des Preußischen Staates für das Rechnungsjahr 1928.
1928. 1 Hauptbd. u. Anlagen, Berlin
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op
Berliner Sezession, Herbstausstellung 1926 Akademie der Künste, Herbstausstellung 1925
Nov. 1926
Dez. 1925
1925
Zeller, Magnus
Zestermann, Otto
Zitzewitz, von
Art des Werkes
Erwerbungsort
Titel des Werkes
Zeitpunkt der Erwerbung
Künstler
Preis in Mark
Aufstellungsort
Becker, 5.9.1925, in: LT, WP 2, HA, Szg. 47, Sp. 9
S. 196
Ku. ». Wi., Jg. 6, Nr. 12, Dez. 1925,
SMBPK / ZA, Nat.gal., Gen. 10, Bd. 13, Bl. 201
Nachweis
Tabelle III: Ankäufe
706
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