Kulträume: Studien zum Verhältnis von Kult und Raum in alten Kulturen 9783515117692, 9783515117708, 3515117695

Welches Verhältnis herrscht zwischen Kult und Raum in alten Kulturen? Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes suchen An

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German Pages 307 [310] Year 2017

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
Hans Ulrich Wiemer: Kulträume. Einführende Bemerkungen
Andreas Pastoors: Kultraum oder Bilderhöhle? Über den Kontext prähistorischer Felsbilder
Doris Mischka: Der sogenannte Kosbacher Altar aus der frühen Latènezeit
Norbert Oettinger: Die Rolle von Flüssen in der Religion der Hethiter
Bernhard Maier: Kulträume der frühen Kelten
Henrik Pfeiffer: Der nordisraelitische Staatskult und seine Heiligtümer
Andreas Grüner: Das Kapitol als Klangraum. Enargeia und die Visualisierung von akustischen Ereignissen in der römischen Opferikonographie
Hans-Ulrich Wiemer: Apollon, Babylas und Leontios – der Kultraum Daphne zwischen Hellenismus und Spätantike
Lukas Bormann: ἡ κατ` οἶκον ἐκκλησία = „Hausgemeinde“? Raum und Ritual im frühesten Christentum
Hanns Christof Brennecke: Templa et busta despiciunt. Das Fehlen von Tempeln im vorkonstantinischen Christentum als Argument der antichristlichen Polemik
Annette von Stockhausen: ἡ ἁγία πόλις – Die Inszenierung Jerusalems als liturgischer Ort
Jan N. Bremmer: Cult spaces in a Longue Durée perspective
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Kulträume: Studien zum Verhältnis von Kult und Raum in alten Kulturen
 9783515117692, 9783515117708, 3515117695

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Kulträume Studien zum Verhältnis von Kult und Raum in alten Kulturen Herausgegeben von Hans-Ulrich Wiemer

Alte Geschichte Franz Steiner Verlag

Potsdamer Altertums­wissenschaftliche Beiträge 60

Hans-Ulrich Wiemer (Hg.) Kulträume

POTSDAMER ALTERTUMSWISSENSCHAFTLICHE ­ BEITRÄGE ( PAwB ) Herausgegeben von Pedro Barceló (Potsdam), Peter Riemer (Saarbrücken), Jörg Rüpke (Erfurt) und John Scheid (Paris) Band 60

Kulträume Studien zum Verhältnis von Kult und Raum in alten Kulturen Herausgegeben von Hans-Ulrich Wiemer

Franz Steiner Verlag

Gefördert aus Mitteln des Universitätsbund Erlangen-Nürnberg e.V. sowie des Emerging Fields Office der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11769-2 (Print) ISBN 978-3-515-11770-8 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS Hans Ulrich Wiemer Kulträume. Einführende Bemerkungen............................................................ 7 Andreas Pastoors Kultraum oder Bilderhöhle? Über den Kontext prähistorischer Felsbilder...... 23 Doris Mischka Der sogenannte Kosbacher Altar aus der frühen Latènezeit............................. 53 Norbert Oettinger Die Rolle von Flüssen in der Religion der Hethiter......................................... 87 Bernhard Maier Kulträume der frühen Kelten............................................................................ 95 Henrik Pfeiffer Der nordisraelitische Staatskult und seine Heiligtümer................................... 117 Andreas Grüner Das Kapitol als Klangraum. Enargeia und die Visualisierung von akustischen Ereignissen in der römischen Opferikonographie............................................ 139 Hans-Ulrich Wiemer Apollon, Babylas und Leontios – der Kultraum Daphne zwischen Hellenismus und Spätantike.................................................................................................. 173 Lukas Bormann ἡ κατ` οἶκον ἐκκλησία = „Hausgemeinde“? Raum und Ritual im frühesten Christentum...................................................................................................... 221 Hanns Christof Brennecke Templa et busta despiciunt. Das Fehlen von Tempeln im vorkonstantinischen Christentum als Argument der antichristlichen Polemik............................................................................................................ 247 Annette von Stockhausen ἡ ἁγία πόλις – Die Inszenierung Jerusalems als liturgischer Ort...................... 267 Jan N. Bremmer Cult spaces in a Longue Durée perspective...................................................... 285 Autoren und Autorinnen................................................................................... 297 Danksagung...................................................................................................... 299 Register............................................................................................................ 301 Ortsnamen..................................................................................................... 301 Personennamen............................................................................................. 303 Sachen........................................................................................................... 305

KULTRÄUME Einführende Bemerkungen1 Hans Ulrich Wiemer I. KULT UND RAUM IN ALTEN KULTUREN Gegenstand der hier versammelten Studien ist das Verhältnis von Kult und Raum in alten Kulturen. Dabei wird unter Kult die durch Praktiken und Diskurse vollzogene Interaktion und Kommunikation mit Wesen verstanden, denen übernatürliche Eigenschaften zugeschrieben werden. Solche übernatürlichen Wesen können persönlich oder unpersönlich gedacht werden; sie können Namen tragen oder namenlos bleiben. Stets aber werden ihnen Eigenschaften und Kräfte zugeschrieben, die über das Alltägliche und Berechenbare hinausgehen.2 Kulträume sind demnach topographische oder soziale Räume, in denen kultische Handlungen vollzogen werden.3 Wie alles menschliche Sprechen und Handeln der Vergangenheit ist auch der Kult nicht mehr unmittelbar greifbar. Der historischen Analyse zugänglich sind kultische Praktiken und Diskurse nur insoweit, als sie Spuren hinterlassen haben, die sich auffinden und deuten lassen. Auffindbar sind solche Spuren, weil kultisches Handeln sich in Bildern und Texten niederschlagen, aber auch materielle Überreste hinterlassen kann. Beim Opfern von Tieren etwa bleiben in der Regel Knochenreste zurück; der Vorgang wird in Bildern dargestellt, in literarischen Texten beschrieben und in philosophischen Texten reflektiert.4 Ein Gebet ist spurlos verschwunden, sobald die Worte, aus denen es besteht, verklungen sind. Der Akt des Betens kann jedoch in Bild und Text dargestellt werden; der gesprochene Wortlaut kann ein Muster reproduzieren oder variieren, er kann protokolliert, paraphrasiert oder parodiert werden.5 Allerdings können wir Spuren menschlichen Handelns nur dann als Zeugnisse des Kultes verwerten, wenn wir in der Lage sind, den Sinn zu erfassen, der diesem 1 2 3 4 5

Ich danke Lukas Bormann für die kollegial-konstruktive Kritik des Tagungskonzepts, auf dem dieser Abschnitt beruht. Zur Orientierung über den religionswissenschaftlichen Begriff Kult sei auf Lang 1993 verwiesen; zur Abgrenzung von Ritus und Ritual Lang 1998. Eine systematische Analyse bietet Bell 2009. Aus archäologischer Sicht Verhoeven 2011. In ähnlicher Weise verwendet den Terminus bereits Egelhaaf-Gaiser 2001, 11 f. Zur Archäologie des Opfers Insoll 2011b. Über Praxis, Semantik und Ikonographie des Opfers in der klassischen Antike Donati u. a. 2004; Hermary u. a. 2004; Huet u. a. 2004. Zum jüdisch-christlichen Bereich Seebaß/Stemberger/Young 1995. Über das Gebet als Grundform religiösen Sprechens Heiler 1917. Zur Praxis, Semantik und Ikonographie des Gebets in Hellas und Rom ; Fyntikoglou u. a. 2005Jakov u. a. 2005; Maggiani u. a. 2005.

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Handeln von den Akteuren zugeschrieben wurde. Bei Texten, die in einer uns verständlichen Sprache verfaßt sind, läßt sich in der Regel ohne weiteres entscheiden, ob sie von kultischem Handeln zeugen, denn das Zeichensystem, das sie benutzen, vermag komplexe Vorstellungen mit einem hohen Grad von Eindeutigkeit zu bezeichnen. Bei Artefakten und Monumenten, Symbolen und Bildern hängt die Deutbarkeit davon ab, ob der Kontext, in welchem sie entstanden sind, für uns noch rekonstruierbar ist. Diese Rekonstruktion kann durch den Bezug auf sprachliche Äußerungen geleistet werden, die in diesem Kontext entstanden sind oder Aufschlüsse über ihn gewähren. Auch der Vergleich mit Phänomenen, die zwar nicht zum Kontext gehören, aber strukturell ähnlich und besser bekannt sind, vermag den Sinn zu erhellen, der Handlungen einstmals zugeschrieben wurde. In diesem Fall hängt die Schlüssigkeit der Deutung davon ab, ob sie wesentliche Merkmale des materiellen Befundes kohärent und plausibel zu erklären vermag. Im materiellen Befund selbst zeichnet sich häufig nicht klar genug ab, ob die Handlungen, die ihn hervorgebracht haben, von denen, die sie vollzogen, als Kommunikation und Interaktion mit übernatürlichen Wesen verstanden wurde. Der dauerhafte und unumkehrbare Verzicht auf die Nutzung von Gütern, die in einem sozialen Kontext knapp sind – das Opfer im weitesten Sinn –, stellt jedoch ein starkes Indiz für die Annahme dar, daß eine Handlung auf einen Bereich jenseits der sinnlich wahrnehmbaren Lebenswelt ausgerichtet ist. In geringerem Maße gilt dies auch für die förmliche Beisetzung von Leichen und die kontinuierliche Pflege von Grabstätten. Ob jede Praxis, die in einem sozialen Kontext als außergewöhnlich erscheint, weil sie von den alltäglichen Bemühungen um Existenzsicherung abweicht, allein aus diesem Grund als Kult anzusprechen ist, muß jedoch als fraglich gelten.6 Die Deutung materieller Befunde stößt daher auf methodische Grenzen, wenn nach Kult in Kulturen der Vergangenheit gefragt wird, die selbst nicht über eine Schrift verfügten. Wurden solche Kulturen Gegenstand der Beobachtung durch Außenstehende, die der Schrift mächtig waren, stellt sich Frage, ob die Berichterstatter fähig und willens waren, ihnen fremde Rituale adäquat zu beschreiben. Diese Frage rührt an das grundsätzliche Problem, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit das Verstehen einer fremden Kultur möglich ist. In den klassischen Altertumswissenschaften wird sie häufig am Beispiel des griechischen Historiographen Herodot diskutiert, dessen Werk für viele frühe Völker Eurasiens die früheste und ausführlichste schriftliche Quelle darstellt.7 Kult hat immer eine räumliche Dimension, denn die Praktiken und Diskurse, aus denen er besteht, finden stets in einem Raum statt. Dieser Raum ist gegen seine Umwelt stets einerseits mehr oder weniger deutlich abgegrenzt, andererseits aber 6

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Colpe 1980 erörtert die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen und methodischen Probleme der Identifikation von Heiligtümern und Opfern in schriftlosen Kulturen und identifiziert Wiederholung, Entdeckung und Außergewöhnlichkeit als deren allgemeine Merkmale. Zur globalen Archäologie des Kults in Form eines Handbuchs Insoll 2011. Über die Kontextanalyse („framing“) als Interpretationsmethode der prähistorischen Archäologie Verhoeven 2011. Zur Theorie des Opfers Seiwert 1998. Herodots Bild der fremden Völker analysieren die Beiträge bei Nenci/Reverdin 1990; Forschungsüberblick bei Bichler/Rollinger 2014.

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mit dieser verbunden.8 Ein Kultraum kann durch natürliche Eigenschaften markiert sein, zum Beispiel durch einen Fluß, einen Hain oder Berg; in diesem Fall ist zwar ein Ort eindeutig und dauerhaft lokalisiert, aber seine Grenzen bleiben oftmals fließend. Dagegen ist die Abgrenzung ebenso eindeutig wie dauerhaft, wenn sie durch künstliche Objekte (zum Beispiel Grenzsteine oder Mauern) erfolgt. Ein Kultraum kann aber auch performativ, durch Handlungen, Worte oder Töne (zum Beispiel Musik), markiert werden; dann ist die Abgrenzung gegen die Umgebung ebenso vergänglich wie diese performativen Akte.9 Die Markierung eines Kultraums grenzt diesen aber nicht nur von einer Umgebung ab, sondern stellt zugleich auch eine Verbindung zu dieser Umgebung her; dadurch weist sie dem jeweiligen Kultraum einen Ort in seiner Umgebung zu. Ein Kultraum kann daher sowohl über die Verbindung mit einem oder mehreren Orten als auch über diejenige mit einer Kultgemeinde definiert werden. Es gibt demnach Kulträume, die überwiegend topographisch, aber auch solche, die überwiegend sozial definiert werden. Topographisch definierte Kulträume wie etwa Tempel, Synagogen oder Kirchen sind in der Regel ortsfest. Kulträume, die sozial definiert sind, wie etwa ein Haushalt oder ein nomadischer Stamm, sind dagegen ebenso mobil wie die Gruppen, deren Handeln diese Kulträume konstituiert.10 Kulträume können schließlich miteinander verknüpft sein, sei es, daß sie in eine Sequenz kultischer Handlungen, ein Kultprogramm, einbezogen sind, sei es, daß sie als Teil eines größeren Ganzen gedacht werden. Erfolgt diese Verknüpfung performativ, kann man von einer Kultlandschaft sprechen, die durch das Beziehungsnetz konstituiert wird, das zwischen mehreren Kulträumen besteht. Mit Kultlandschaften verbinden sich häufig aitiologische Erzählungen, die das Ritualprogramm erklären, indem sie seine Entstehung und Eigenart auf Ereignisse der entfernten Vergangenheit zurückführen und dadurch zur Verortung von Erinnerung beitragen.11 Ein Kultraum kann aber auch eine symbolische Funktion im Rahmen eines kosmologischen Modells erfüllen: Ein Tempel oder Heiligtum kann als Abbild oder Mitte des Weltganzen verstanden werden. Auch auffällige Naturmerkmale geologischer oder botanischer Art werden häufig als Zeichen aufgefaßt, die auf eine unsichtbare Wirklichkeit verweisen: So gelten Berggipfel als Sitz der Götter, Höhlen als Eingang zur Unterwelt, Bäume als Weltachse.12   8 Über Raumkonzepte und ihre Bedeutung für die Religionswissenschaft Gehlen 1998.   9 Elsas 1998 unterscheidet innerhalb der topographisch definierten Kulträume („Kultorte“) zwischen abgegrenzten, aber offenen Räumen einerseits und gedeckten Räumen andererseits. Der vierte Band des „Thesaurus cultus et rituum antiquorum“ (THesCRA) ist zur Gänze Kultorten und deren Darstellung in der griechisch-römischen Welt gewidmet: Kossatz-Deissmann 2005; Sinn u. a. 2005; Torelli u. a. 2005. 10 Über die soziale Konstruktion des Raumes Lefebvre 2001. 11 Das „Heilige Land“ als Erinnerungslandschaft war Gegenstand der letzten Monographie des Soziologen Maurcie Halbwachs (1941). Über griechische Heiligtümer als Erinnerungsorte Haake/Jung 2011. 12 Haaland/Haaland 2011 betonen die symbolische Bedeutung der Landschaft für religiöse Weltbilder in frühen Gesellschaften.

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Zum Kultraum im engeren Sinn wird ein Raum dann, wenn in ihm nicht nur einmalig und zufällig, sondern wiederholt und absichtlich kultische Praktiken und Diskurse stattfinden. Kulträume sind daher der Ort von Ritualen, die aus einem bestimmten Anlaß durchgeführt werden. Solchen Räumen wird häufig eine besondere Qualität zugeschrieben, die sie von anderen Räumen unterscheidet. Man spricht dann von sakralen Räumen. Sakrale Räume sind der Nutzung für profane Zwecke ganz oder teilweise entzogen. Häufig werden sie als Eigentum einer Gottheit verstanden und bezeichnet.13 Kultorte oder Heiligtümer heißen in der Religionswissenschaft Orte, an denen regelmäßig kultische Handlungen vollzogen werden. Heiligtümer sind von ihrer Umwelt stets irgendwie abgegrenzt. In der klassischen Antike spiegelt sich das auch im sprachlichen Befund: Das griechische Substantiv temenos („heiliger Bezirk“) leitet sich von dem Verbum temnô „schneiden“ her; es bedeutet also wörtlich ein „herausgeschnittenes“ Gebiet. Das lateinische Adjektiv sanctum, das einen Ort als „unverletzlich“ bezeichnet, leitet sich von sancire „einhegen“ her; das Adjektiv sacrum „was den Göttern gehört oder verfallen ist“ steht in kontradiktorischem Gegensatz zu profanum „was vor dem Tempelbezirk (fanum) liegt“.14 Heiligtümer müssen darum aber keineswegs notwendig auch architektonisch gestaltet sein. Auch eine Quelle, ein Felsen oder ein Baum können als Heiligtümer behandelt werden. In sesshaften Gesellschaften gibt es jedoch häufig Anlagen und Gebäude, die dem Kult gewidmet sind; nicht selten sind diese durch Symbole und spezifische Bauformen als solche ausgewiesen und erkennbar. Allerdings dienen Gebäude, die dem Kult gewidmet sind, keineswegs immer auch regelmäßig als Ort für kultische Handlungen. Griechische und römische Tempel dienen primär als Haus einer Gottheit, die dort in ihrem Bild anwesend ist.15 Das gebräuchlichste griechische Wort für den Tempel, naos, ist von dem Verbum naiô „wohnen“ abgeleitet. Zentrale kultische Handlungen, vor allem das Tieropfer, werden jedoch außerhalb dieses Gebäudes vollzogen. Kirchen, Synagogen und Moscheen dagegen sind primär Haus einer Gemeinde, die dort ihren Gott verehrt. Das im Griechischen wie im Lateinischen zur Bezeichnung eines christlichen Kultraums übliche Wort ekklesia/ecclesia meint ursprünglich die Kultgemeinde. Auch das Wort synagogê 13 Sakral wird hier im Sinne von Durkheim 1912 als metasprachlicher Terminus für eine soziale Konstruktion verwendet. Die Unterscheidung zwischen sakral bzw. „heilig“ und profan findet jedoch in vielen Objektsprachen eine Entsprechung: Colpe 1993a. Über „Heiligkeit“ bei Heiden, Juden und antiken Christen vgl. Dihle 1988; im Alten und Neuen Testament Lanczkowski/ Dellermann/Lattke 1985. Davon zu unterscheiden ist „ das Heilige“ als „das ganz Andere“, das im Gefühl des Schauderns erlebt wird, wie bei Otto 1917. Eliade 1954 verwendet das „Heilige“ als Kategorie zur Beschreibung „archaischer“ Weltbilder von dichotomer Struktur; bei ihm steht es für die Erfahrung einer übersinnlichen Wirklichkeit, die sich in der wahrnehmbaren Welt, dem Bereich des Profanen, offenbart und dieser dadurch Struktur und Bedeutung verleiht. Dazu kritisch Colpe 1993b. 14 Eine religionswissenschaftliche Phänomenologie „heiliger“ Orte bietet Heiler 1961, 128–149; ebenso Elsas 1998. „Heilige Stätten“ im Christentum behandeln Lanczkowski/Dellermann 1985. 15 Das Verhältnis zwischen Gottheit und Bild in der griechischen Welt behandelt aufgrund literarischer Quellen Scheer 2000.

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wurde von der Versammlung der Gläubigen auf das Gebäude übertragen. Das Wort Moschee leitet sich von dem arabischen Wort masdschid ab und bedeutet „Ort, wo man sich (vor Gott) niederwirft“. Kultische Räume sind jedoch nicht immer und notwendig sakrale Räume. In vielen Religionen wird Kult regelmäßig im Haushalt vollzogen, ohne daß der Haushalt dadurch zu einem Raum würde, der allein für diesen Zweck genutzt werden darf. Griechische Volksversammlungen und Sitzungen des römische Senats wurden stets mit einem Opfer eröffnet. Die Unterscheidung zwischen sakralen und profanen Räumen ist daher oftmals nicht prinzipiell, sondern graduell.16 Es ist Aufgabe kulturwissenschaftlicher Forschung zu untersuchen, wie sich diese hier in idealtypischer Form skizzierten Zusammenhänge in der historischen Realität darstellen (wobei Kulturwissenschaft hier als Oberbegriff für alle wissenschaftlichen Disziplinen gemeint ist, die menschliches Handeln in seiner Kulturbedeutung untersuchen, gleichgültig, welche Materialien sie für diese Forschung benutzen und welche Methoden sie dabei anwenden).17 Diese Aufgabe wird erleichtert, indem man verschiedene Dimensionen des Verhältnisses von Kult und Raum unterscheidet. Vor dem Hintergrund aktueller kulturwissenschaftlicher Debatten erscheinen die folgenden Aspekte als wesentlich: 1) Kultraum und fremde Umgebung, 2) Kultraum und verwandte Umgebung, 3) Kultraum und Kultpraxis, 4) Kultraum und Diversität, 5) Kultraum und Identität, 6) Kultraum und soziale Funktionalität. Auf der Grundlage dieser Unterscheidung läßt sich ein Katalog von Fragen formulieren, die geeignet sind, das Material unter den gewählten Blickwinkeln zu erschließen: ad 1) Kultraum und fremde Umgebung: Kulträume bedürfen der Abgrenzung von ihrer Umgebung, mag diese nun offen oder geschlossen sein. Die Unterscheidung von drinnen und draußen ist daher für sie konstitutiv. Zu fragen ist daher, wie Kulträume sich zu ihrer Umgebung verhalten. Wo verlaufen die Grenzen? Wie werden sie markiert? Wie fügen Kulträume sich in die Landschaft? ad 2) Kultraum und verwandte Umgebung: Was mit dem Kultraum verknüpft ist, wird von ihm zwar unterschieden, erscheint aber zugleich als ihm zugehörig; in diesem Sinn kann man eine verwandte Umgebung von einer fremden unterscheiden. Dazu gehört die architektonische Gestaltung von Kulträumen. Zu fragen ist daher, ob Kulträume repräsentativ und monumental oder schlicht und unscheinbar gestaltet sind.18 Wirkt ihre Gestaltung inkludierend, segregierend oder exkludierend? Besteht zwischen mehreren Kulträumen 16 Auch Verhoeven 2011, 124 weist daraufhin, daß die von Eliade 1954 als anthropologische Konstante definierte Dichotomie von sakral und profan auf frühe Gesellschaften häufig nicht zutrifft. 17 Noch immer grundlegend Weber 1904. 18 Monumentalität als Qualität natürlicher Orte und künstlicher Artefakte, die Rituale aus der Sphäre des Alltäglichen erheben, behandelt Scarre 2011.

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eine Vernetzung? Wie kommt diese Vernetzung zustande? Kann man von einer Kultlandschaft sprechen? ad 3) Kultraum und Kultpraxis: Erst durch kultisches Handeln wird ein Raum zum Kultraum. Die Bedeutung, die ein bestimmter Kultraum für eine bestimmte Kultpraxis hat, kann jedoch sehr unterschiedlich sein. Zu fragen ist daher, welche Rolle ein Kultraum in der Kultpraxis spielt. In welcher Beziehung steht er zu Ritualen, Ritualakteuren und Ritualklienten? ad 4) Kultraum und Diversität: Ein und derselbe Kultraum kann von mehreren Kultgemeinden genutzt werden. Häufig lösen sich diese ab; der Kultraum überdauert dann die Gruppenidentität. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die Nutzung eines Kultraums kontinuierlich war. Falls sie positiv zu beantworten ist: Waren die Akteure sich dieser Kontinuität bewußt ? In einem kulturellen Kontext, der sich durch religiöse Diversität auszeichnet, kann es aber auch vorkommen, daß ein und derselbe Raum gleichzeitig von mehreren Kultgemeinden beansprucht oder genutzt wird. Dann ist zu fragen, wie diese Konstellation sich ausprägt: Welche Formen des Konflikts und/oder der Kooperation entstehen daraus? ad 5) Kultraum und Identität: Kulträume – Heiligtümer, Tempel, Kirchen, Moscheen usw. – können das Selbstverständnis einzelner Ritualakteure und Ritualklienten, aber auch ganzer Kultgemeinden prägen und für Individuen wie für Kollektive identitätsstiftend wirken. Daher stellt sich die Frage, welche Kulträume als einzigartig und unverzichtbar gelten, welche dagegen ersetzt oder ausgetauscht werden können. Welche Rolle spielen Kulträume für die Inszenierung kollektiver Identität und für das soziale Gedächtnis? Wird die Kultpraxis theoretisch reflektiert, läßt sich die Frage zuspitzen: Wie wird das Verhältnis von Raum und Kult gedacht? ad 6) Kultraum und soziale Funktionalität: Räume sind nur so lange Kulträume, als sie für kultische Zwecke genutzt werden. Daher büßen sie diese Funktion ein, wenn die Kultgemeinde, die sie erzeugt hat, verschwindet. Kulträume können verfallen oder absichtlich zerstört, aber auch einer profanen Nutzung zugeführt und dadurch desakralisiert werden. Kulträume erfüllen aber neben der kultischen häufig noch weitere Funktionen für soziale oder politische Gruppen, die mit der Kultgemeinde nicht identisch sind und zu ihr im Verhältnis der Überordnung stehen können. Zu fragen ist daher, welche Funktionen Kulträume für solche Gruppen erfüllen. In welcher Weise sind Kulträume auf ihre Bedürfnisse bezogen? Wie wirkt sich die Multifunktionalität des Kultraums auf seine Gestaltung aus?

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II. ZIELSETZUNG UND INHALT DIESES BANDES Der vorliegende Band versammelt Studien über Kulträume in alten Kulturen. Alte Kulturen meint dabei ein weites räumliches und zeitliches Spektrum. Dieses Spektrum reicht im Raum von Westeuropa bis in den Vorderen Orient, übergreift also die Kontinente Europa und Asien. In der Zeit erstreckt sich das hier mit „alte Kulturen“ gemeinte Spektrum vom mitteleuropäischen Jungpaläolithikum bis in die Spätantike, reicht also mehrere Zehntausend Jahre hinter unsere Gegenwart zurück. Das Themenspektrum übergreift die Grenzen von Kontinenten, Epochen und Kulturen. Es geht um Bilderhöhlen aus dem Jungpaläolithikum, die über weite Teile Europas verstreut sind, und um eine rätselhafte Installation aus der frühen Latènezeit in Mittelfranken, den Kosbacher Altar. Andere Studien thematisieren Flüsse in der Religion der Hethither, Kulträume der frühen Kelten und die Heiligtümer des nordisraelitischen Staatskultes. In den Bereich der griechisch-römischen Welt führen Studien über das kultische Zentrum des römischen Staates, das Kapitol, und über das bedeutendste extramurale Heiligtum der hellenistischen Großstadt Antiocheia. Drei weitere Studien behandeln das frühe Christentum: den Haushalt als sozialen Ort des christlichen Kultes in neutestamentlicher Zeit, die anti-christliche Polemik über das Fehlen von Tempeln im vor-konstantinischen Christentum und die liturgische Inszenierung Jerusalems als Zentrum der christlichen Heilsgeschichte. Der vorliegende Band schlägt einen weiten Bogen vom Paläolithikum in die Spätantike, kann und will aber nicht beanspruchen, das Verhältnis von Kult und Raum systematisch oder gar enzyklopädisch abzuhandeln. Es handelt sich um Studien, die mit den Methoden und Materialien vieler verschiedener altertumswissenschaftlicher Disziplinen das Verhältnis von Kult und Raum in alten Kulturen thematisieren. Neben den archäologischen Wissenschaften, vertreten durch die Ur- und Frühgeschichte und die Klassische Archäologie, neben der Alten Geschichte, der Indogermanistik und der Religionswissenschaft sind auch die historisch arbeitenden Disziplinen der (evangelischen) Theologie beteiligt, vertreten durch die Wissenschaften vom Alten und vom Neuen Testament sowie die Ältere Kirchengeschichte. Daß der Kreis der beteiligten Fächer so und nicht anders gezogen ist, hängt auch damit zusammen, daß die Beiträge aus einer Tagung des „Interdisziplinären Zentrums Alte Welt“ (IZAW) an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen (FAU) hervorgegangen sind, die am 17. und 18. Juli 2014 stattfand. Darum spiegelt die Auswahl bis zu einem gewissen Grad die damalige Zusammensetzung dieses Zentrums, das aus dem Zusammenschluß archäologischer, historischer, philologischer und theologischer Fächer entstand, die sich als Teil der Altertumswissenschaften verstehen. Allerdings wurde dieses Spektrum erweitert durch Vertreter der Religionswissenschaft, die zugleich ausgewiesene Spezialisten für Religionen im Altertum sind, durch Jan Bremmer und Bernhard Maier, sowie durch den Althistoriker Peter Funke.19 19 Der Vortrag von Peter Funke behandelte am Beispiel der pyläisch-delphischen Amphiktyonie die Multifunktionalität überregionaler Heiligtümer des klassischen und hellenistischen Griechenlands im Spannungsgefüge von Abgrenzung und Integration; vgl. dazu auch die methodischen Vorüberlegungen bei Funke 2009.

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Der folgende Überblick soll den Inhalt des Bandes vergegenwärtigen, indem er den Inhalt der einzelnen Beiträge knapp zusammenfaßt. Ausgenommen bleibt allein das von Jan Bremmer verfaßte Nachwort, das die im folgenden referierten Beiträge aus religionswissenschaftlicher Sicht kommentiert. Am Anfang steht ein Beitrag des Prähistorikers Andreas Pastoors, der sich mit Bilderhöhlen aus der jüngeren Altsteinzeit (sogenanntes Jungpaläolithikum, ca. 40.000 bis 12.000 v. Chr.) beschäftigt. Er wendet sich gegen die von Henri Breuil (1867–1961), dem „Papst der Prähistorie“ (Jacques Arnould), begründete, lange Zeit vorherrschende und noch nicht überwundene Annahme, solche Höhlen, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert vor allem in Frankreich und Spanien entdeckt wurden, könnten allein aus dem Grund, daß sie bildliche Darstellungen aufweisen, als Heiligtümer charakterisiert werden, während bilderlose Höhlen grundsätzlich als Wohnhöhlen anzusprechen seien. Da die Interpretation von Bildern beim Fehlen schriftlicher Zeugnisse der Willkür der Interpreten ausgeliefert ist, schlägt er vor, die Funktion solcher Höhlen anhand von Spuren zu analysieren, deren Deutung in höherem Maße objektivierbar ist: Feuerspuren, Abdrücke im plastischen Untergrund, Fundkonzentrationen, Konstruktionen, Deponierungen, Rohmaterial-Gewinnung, Bestattungen. Die Musterung einschlägiger Befunde ergibt, daß die Bilderhöhlen in vielfältiger Weise genutzt wurden und sich in dieser Hinsicht nicht von anderen Höhlen unterscheiden. Spuren, für die eine profane Erklärung weniger plausibel ist, finden sich nur selten. Dabei handelt es sich um Objekte, die in Spalten und Nischen der Höhlenwände in einer Weise deponiert wurden, daß sie nicht ohne weiteres wiedergefunden und genutzt werden konnten. Da auch die Bilder lediglich das in der gegenständlichen Darstellung von Objekten enthaltene Wissen über die Lebenswelt, nicht aber den ihnen zugeschriebenen Sinn preisgeben, sollten Bilderhöhlen, so folgert Pastoors, nicht mehr per se als Kulträume angesprochen werden. Die Prähistorikerin Doris Mischka geht der Frage nach, ob eine merkwürdige Steinsetzung, die von dem gelehrten Pfarrer Rudolf Herold kurz vor dem 1. Weltkrieg in Kosbach bei Erlangen entdeckt wurde und von ihm als „Kosbacher Altar“ angesprochen wurde, tatsächlich als Kultanlage zu deuten ist. Die kleine, annähernd quadratische Steinsetzung kann in die frühe Latènezeit (450–380 v. Chr.) datiert werden; sie besteht aus einem Steinpflaster und ist durch Ecksteine unterschiedlicher Höhe eingefaßt. In der Mitte steht ein Pfeiler. Weshalb Herold den Befund als Altar deutete, läßt sich heute nicht mehr rekonstruieren, zumal genaue Parallelen bis heute nicht gefunden wurden. Auch eine Nachgrabung im Jahre 1979 führte nicht zu einer gesicherten Interpretation. Mischka untersucht den Kontext der Steinsetzung, die am Rand eines Grabhügels errichtet wurde, der über Jahrhunderte hinweg und bis in die frühe Latènezeit hinein genutzt wurde, und erörtert verschiedene Deutungsmöglichkeiten: Altar, Abdeckung eines Grabes, Teil eines Grabgartens, Überrest einer Wegepflasterung oder der Umrandung eines Grabhügels sowie schließlich Vorplatz eines Grabhügels. Mischka macht darauf aufmerksam, daß sich Pfeiler in sepulkralen Kontexten auch im etruskischen Bereich finden lassen – dort als Cippi bezeichnet –, und schlägt aufgrund dieser Übereinstimmung vor, die Pfeiler in Kosbach als Import aus Etrurien zu deuten: Der sogenannte Kosbacher Altar wäre demnach Teil einer Grabanlage. Diese Deutung impliziert die

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Immigration einer Personengruppe aus dem Süden, die ihren Brauch nach Kosbach importierte, ihn aber aufgrund äußeren Drucks und/oder wegen ihrer geringen Größe und mangelnden Geschlossenheit nicht verbreiten konnte. Pastoors und Mischka arbeiten in ihren Beiträgen die methodischen Schwierigkeiten heraus, auf welche die archäologische Forschung stößt, wenn sie materielle Überreste analysiert, deren Kontext nicht aus anderen Quellen erschlossen werden kann. Der Indogermanist Norbert Oettinger geht bei seiner Analyse hingegen von Texten aus, um die Frage zu beantworten, welche Rolle Flüsse in der Religion der Hethiter spielten. Flüsse wurden, wie Oettinger aufzeigt, nicht nur als Grenze, sondern auch als Verbindung zweier Räume aufgefaßt, konnten aber auch das gedankliche Zentrum eines Raums bilden. In jeder dieser drei konzeptionellen Funktionen wurde der Fluß als übernatürliches Wesen vorgestellt, mit dem Menschen durch kultische Handlungen kommunizieren können. So erzählt eine Legende, die im 13. Jahrhundert v. Chr. aufgezeichnet wurde, daß König Sargon von Akkad vor der Überschreitung eines Flusses diesem einen Stier und sieben Schafe opferte. In einem Ritualtext wird beschrieben, wie sich ein Priester im Namen der Stadt Nerik an den Flußgott Marassanta wendet, um den Wettergott Tarhunt aus der Unterwelt hervorzuholen. Dabei verweist der Priester darauf, daß der Wettergott dem Flußgott nicht nur befohlen habe, sein Bett niemals zu verlassen, sondern auch ihm selbst keinen Durchzug zu gewähren, falls er einmal in die Unterwelt auswandern wolle. Als Zentrum eines Raums erscheint ein Fluß in einem Ritualtext, in welchem der Körper eines Kindes mit einem Flusstal parallelisiert wird: Ein Flußtal trocknet aus, weil der Flußgott es verläßt, und alle seine Bewohner werden dadurch „gebunden“. Diese Bindung wird wieder „gelöst“, als der Flußgott auf Befehl einer übergeordneten Gottheit zurückkehrt. Dementsprechend soll eine Ritualexpertin alle Körperteile eines Kindes, die aufgrund von Krankheit oder Schwäche als „gebunden“ gelten, beschwören, sich wieder zu „lösen“. Oettinger interpretiert dieses Ritual als „profanisierten“, auf seine Basisstruktur reduzierten Mythos, der die Zuversicht nähren sollte, das „Gebundensein“ eines Kindes könne in derselben Weise rückgängig gemacht werden wie die Trockenheit eines Flußtals. Es sei vorzugsweise an einem Flußlauf, sonst aber in einem Flußtal vollzogen worden, der sich dadurch in einen Kultraum verwandelt habe. Der Religionswissenschaftler und Keltologe Bernhard Maier stellt in seinem Beitrag über „Kulträume der frühen Kelten“ literarische Zeugnisse und archäologische Befunde gegenüber. Dabei versteht er unter Kelten alle Völker, die von griechischen und lateinischen Autoren als Kelten, Galater oder Gallier bezeichnet werden, sowie diejenigen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Sprache verwendeten, die von der modernen Sprachwissenschaft als keltisch klassifiziert wird. Maier betont, daß die Aussagekraft der literarischen Überlieferung heute geringer eingeschätzt wird, als das früher der Fall war, weil die Aussagen der griechischen und lateinischen Autoren zu diesem Thema nicht nur punktuell und fragmentarisch sind, sondern auch oftmals unter dem Verdacht stehen, nicht auf ethnographischem Wissen zu fußen, sondern literarische Topoi zu reproduzieren. Über die Art und Weise, wie keltische Heiligtümer von ihrer Umgebung abgegrenzt waren, macht die literarische Überlieferung keinerlei Angaben. Immerhin ist mehrfach bezeugt, daß kelti-

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sche Heiligtümer außerhalb von Siedlungen, in Hainen und auf Inseln, gelegen waren. Die Aussagen über Götterbilder sind jedoch widersprüchlich und auch wegen ihres topischen Charakters von zweifelhafter Glaubwürdigkeit. Dagegen berichten mehrere Gewährsmänner übereinstimmend, daß in keltischen Heiligtümern Weihgaben deponiert wurden. Aus dem Werk des augusteischen Geographen Strabon (12, 5, 1) und einer gallischen Inschrift (in griechischen Buchstaben) läßt sich erschließen, daß das Altkeltische mit nemeton über ein eigenes Wort für das Heiligtum verfügte. Im Gegensatz zu den literarischen Zeugnissen hat sich die Zahl der archäologischen Befunde im letzten halben Jahrhundert stark vermehrt und wächst weiterhin an. Dieser Zuwachs an Informationen läßt, wie Maier aufzeigt, deutlich erkennen, daß sich hinter dem primär sprachlich definierten Sammelbegriff „keltisch“ auch und gerade „im Hinblick auf die kultische Nutzung des Raumes eine ausgeprägte regionale Vielfalt verbirgt, die nicht leicht auf einen Nenner zu bringen ist“. Das Bild, das sich aus den archäologischen Befunden ergebe, decke sich nur teilweise mit den Aussagen antiker Schriftsteller, ja es laufe ihnen teilweise geradezu entgegen. Maier hebt zudem hervor, daß archäologische Forschungen unser Wissen über Opferriten und Weihegaben stark vermehrt haben, dagegen bislang keine Aufschlüsse über die Strukturierung des Raumes und deren religiöse Motivation gewähren. Die Heiligtümer des israelitischen Staatskultes bilden den Gegenstand des Beitrags des Alttestamentlers Henrik Pfeiffer. Der biblischen Erzählung (1. Kön. 12, 25–33) zufolge gründete Jerobeam I., der erste König Israels (927–907 v. Chr.), an der nördlichen und südlichen Grenze seines Herrschaftsgebiets Heiligtümer, indem er in Bethel und Dan Höhenhäuser erbaute und in diesen Bilder von Jungstieren aufstellte. Pfeiffer interpretiert diesen Bericht als „kultpolemisches Pamphlet“, das die beschriebenen Kultreformen aus judäischer Perspektive als Erbsünde der Könige Israels deute. Diese Polemik setze die im „Deuteronium“ propagierten Prinzipien der Kulteinheit und Kultreinheit voraus und könne daher frühestens im 7. Jahrhundert entstanden sein. Gleichwohl lassen sich aus dem biblischen Bericht, der Königsannalen des Nordreichs verarbeite, ein glaubwürdiger Kern herausschälen, der aus vor-deuteronomistischer Zeit stamme. Freilich sei die Gründung der Heiligtümer in Bethel und Dan Jerobeam I., der seine Herrschaft noch keineswegs bis nach Dan ausdehnen konnte, erst nachträglich zugeschrieben worden, um den kultischen Frevel mit der politischen Spaltung zu synchronisieren. In Wahrheit habe erst Jerobeam II. (787–747 v. Chr.) diese Grenzheiligtümer gegründet, in dessen Regierungszeit in Dan eine Stadt mit Heiligtum entstand. In der Residenzstadt Samaria habe es allerdings bereits unter der Dynastie der Omriden ein Heiligtum gegeben, das dem Jerusalemer Zion funktional entsprach. Der offizielle, im Auftrag des Königs ausgeübte Kult war im Nordreich demnach ursprünglich wie im Südreich auf die Residenz beschränkt. Wie Hos. 8, 4–6 erkennen lasse, habe man auch in Samaria Jahwe im Bilde eines Stieres verehrt. Diese Rekonstruktion läßt ein neues Bild der Religionsgeschichte des Nordreichs und der Kultpolitik seiner Könige entstehen: Pfeiffer hebt hervor, daß die Einrichtung von Heiligtümern in Dan und Bethel der Legitimation und Integration neu erworbener Gebiete diente, und äußert die Vermutung, daß die Inbesitznahme dieser Gebiete durch eine Prozession

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nach Dan in festen Abständen symbolisch wiederholt wurde, wobei die Exodusformel in 1. Kön. 12, 28 als eine Art Kultruf gedient haben könnte. Ein Umgangsritus hätte dann die beiden Grenzheiligtümer miteinander verknüpft. Am Ende des Beitrags stehen Überlegungen zu den historischen Ursprüngen der radikalen Kultpolemik bei dem Propheten Hosea, die dem „Deuteronium“ um mindestens ein Jahrhundert vorausliegt. Pfeiffer formuliert die Hypothese, daß der Glauben an die Präsenz Jahwes in den Heiligtümern des Staatskults nachhaltig erschüttert wurde, als Dan 732 v. Chr. in die Hände der Assyrer fiel und das Nordreich auf einen kleinen Reststaat um die Stadt Samaria zusammenschrumpfte. Der klassische Archäologe Andreas Grüner untersucht in seinem Beitrag die Bedeutung akustischer Phänomene für die Markierung von Kulträumen. Dabei geht er von der Beobachtung aus, daß Töne in Rom ein fester Bestandteil vieler kultischer Handlungen waren; beim Opfer an Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitol war die Mitwirkung eines Flötenspielers (tibicen) unerläßlich. Diese Kultmusik ist als solche freilich unwiederbringlich verloren. Wie Grüner hervorhebt, existierte in römischen Heiligtümern „eine ganz spezifische soundscape, ein Gemisch aus Sprache, Musik, akzidentiell menschlichen und natürlichen Geräuschen“, die jedoch für uns nicht mehr rekonstruierbar ist. Im Gegensatz zu den akzidentiellen Geräuschen, die spurlos verschwunden sind, haben die intentionalen Geräusche sich jedoch in Bildern und Texten niedergeschlagen. Grüner arbeitet heraus, daß die sakrale Musik einen Klangraum erzeugte, der zwar einerseits eine Grenze nach Außen zog, aber andererseits über das Heiligtum hinausreichte und auch nicht immer ortsfest war. Ihre Deutung hing (auch) von der räumlichen Position des Rezipienten ab. Das Kapitol im besonderen war zudem ein Raum, in welchem akustischen Ereignissen, die als Vorzeichen gedeutet werden konnten, besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde; die Sensibilität für Klänge und Geräusche war hier besonders hoch. Diese hohe Sensibilität für akustische Phänomene zeichnet aber auch Opferdarstellungen der römischen Kaiserzeit aus. Ihre Analyse zeigt, wie die akustischen Zeichen, die Opfer begleiteten, in visuelle Zeichen umgesetzt wurden: Zum einen suggerierten die Künstler durch die Darstellung von Musikern und Instrumenten eine musikalische soundscape, um die Botschaft eines Bildes zu verstärken. Zum anderen setzten sie bei der Darstellung von Kulthandlungen, die als exotisch galten, bestimmte Musikinstrumente wie Sistrum, Tamburin oder Zymbel ein, um den spezifischen Charakter eines Kultes hervorzuheben. Die visuelle Darstellung musikalischer Aspekte erleichtert so einerseits die Deutung des religiösen Kontexts. Andererseits evozierte sie die Erinnerung an eine bestimmte soundscape und appellierte dadurch an Emotionen, die durch diese Klänge und Geräusche ausgelöst wurden. Akustische Imagination und ikonographische Merkmale verstärkten sich auf diese Weise gegenseitig. Die wechselvolle Geschichte Daphnes als Kultraum bildet den Gegenstand des Beitrags des Althistorikers Hans-Ulrich Wiemer. König Seleukos I. (301–281 v. Chr.) weihte in einem Hain nahe der von ihm selbst gegründeten Stadt Antiocheia ein Heiligtum für Apollon und ließ darin einen monumentalen Ringhallentempel errichten, der bis zum Jahre 362 n. Chr. intakt war. Wiemer beschäftigt sich zum einen mit der Frage, wie sich die Funktion und der Stellenwert dieses Heiligtums im

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Laufe seiner fast siebenhundertjährigen Geschichte veränderte. Zum anderen zeichnet er die Reaktionen nach, welche die Zerstörung des Tempels und das Ende des Opferkultes bei Heiden und Christen hervorrief, und fragt, wie sich das Ende des Opferkultes auf den Kultraum Daphne auswirkte. Wie Wiemer aufzeigt, war das Apollon-Heiligtum von Daphne eine königliche Gründung und stand unter königlicher Verwaltung, bis Pompeius im Jahre 64 v. Chr. die Herrschaft der Seleukiden beendete. Für die Stadt Antiocheia war daher in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens nicht Apollon, sondern Zeus der wichtigste Gott. Diese Konstellation änderte sich, als Daphne zu Beginn der Kaiserzeit unter städtische Verwaltung kam: Das Apollon-Heiligtum überflügelte nun die in der Stadt gelegenen Heiligtümer. Im frühen 3. Jahrhundert n. Chr. erhielt es jedoch Konkurrenz durch die antiochenischen Olympien, ein penterisches Fest, das in Daphne zu Ehren des Zeus Olympios gefeiert wurde. Das Programm der Olympien verknüpfte die Stadt mit ihrem Vorort. Das Apollon-Heiligtum hingegen hatte seine Funktion als Orakel bereits unter Hadrian eingebüßt. Wiemer weist auf lokale Münzprägungen hin, die belegen, daß die der sakrale Charakter Daphnes seit der Mitte des 3. Jahrhunderts erneut akzentuiert wurde; Kaiser Maximinus Daia (311–313) propagierte den Apollon von Daphne sogar als Symbol des Kampfes gegen das Christentum. Der Umschwung kam mit Constantins des Großen Sieg über Licinius (324). Als Kaiser Julian 362 nach Antiocheia kam, war der öffentliche Kult Apollons bereits zum Erliegen gekommen; der Versuch einer Reaktivierung mißlang. Als das Apollon-Heiligtums niederbrannte, gerieten die Heiden in Erklärungsnot; es folgte eine Polemik, die von Wiemer eingehend analysiert wird: Während Julian und Libanios mit dem Problem rangen, wie der Tempelbrand mit dem Glauben an allmächtige Götter zu vereinbaren se, deutete Johannes Chrysostomos ihn als Beweis der überlegenen Macht des Märtyrers Babylas, der wenige Jahre früher in der Nähe bestattet worden war. Bis in die Mitte des 5. Jahrhunderts hinein erzählen christliche Autoren das Ereignis als Beweis für die Ohnmacht der heidnischen „Dämonen“. Wiemer argumentiert weiter, daß das Ende des Opferkultes zwar die Desakralisierung Daphnes zum Abschluß geführt, den Ort aber keineswegs unmittelbar in einen christlichen Kultraum verwandelt habe: Eine Kirche entstand dort erst nach dem Jahr 507; die mit den Olympien verbundenen Massenspektakel dauerten bis zum Jahre 520. Der Neutestamentler Lukas Bormann unterzieht in seinem Beitrag die verbreitete Auffassung, die ersten Christen hätten sich in der Regel in privaten Häusern versammelt, einer grundsätzlichen Kritik. Bormann versteht die ersten christlichen Gemeinden als Teil einer religiösen Sondergruppe, die sich von ihrer jüdischen Umwelt vor allem durch die Bereitschaft unterschied, auch Nicht-Juden aufzunehmen; aus diesem Grund sei diese Sondergruppe als Konversionsgemeinschaft zu charakterisieren. Die religiöse Praxis dieser Konversionsgemeinschaft war nicht an natürliche Merkmale oder sakrale Gebäude gebunden; sie vollzog sich vielmehr in einem sozialen Raum, der durch Handlungen und Sprechakte konstituiert wurde. Die frühesten Quellen, die Paulusbriefe und die „Apostelgeschichte“, machen keine konkreten Angaben über die Orte, die dafür als geeignet galten. Da die ersten Christen in ihrer Umwelt auf Ablehnung und Anfeindungen gestoßen seien, sei aber davon auszugehen, daß sie repräsentative Räume mieden, die öffentliche Aufmerk-

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samkeit erregt hätten. Stichhaltige Indizien für die in der Forschung behauptete Bevorzugung privater Häuser als Versammlungslokale gebe es jedoch nicht. Zunächst einmal fehle ein eigener Begriff für die „Hauskirche“, da die häufig mit „Hausgemeinde“ wiedergegebene Wendung kat’ oikon ekklesia bei Paulus eben kein abstrakter Begriff sei, sondern eine konkrete Ortsbestimmung enthalte: „die sich im Haus des/der N. N. versammelnde Gemeinde“. Auch könne keine Rede davon sein, daß schon im 1. Jahrhundert n. Chr. eine geprägte Formel für die Konversion ganzer Haushalte existiert habe. Die in den echten Paulusbriefen bezeugten Beispiele von Häusern, in denen sich Christen versammelten – drei an der Zahl –, reichten aber nicht aus, um die Vermutung zu rechtfertigen, daß die ersten Gemeinden grundsätzlich Hausgemeinden gewesen seien, deren soziale Struktur derjenigen patriarchalischer Häuser entsprochen habe. Bormann weist daher die in der Forschung verbreitete Vorstellung zurück, das Haus habe den topographischen und sozialen Raum gebildet, in welchem die ersten Gemeinden sich entwickelten. Weder sei die Konversion eines Hausvorstands die notwendige Voraussetzung für diejenige seiner Hausgenossen gewesen, noch seien ausschließlich Privathäuser als Versammlungslokale genutzt worden; vielmehr hätten diesem Zweck auch Handwerkeranwesen und angemietete Räume in Wirtshäusern gedient. Die räumlichen Konstellationen waren nach Bormann also vielfältig, boten aber kaum Möglichkeiten für eine repräsentative Gestaltung. Er argumentiert weiter, daß repräsentativ gestaltete Räume der religiösen Praxis auch nicht entsprochen hätten, weil die grundlegenden Kulthandlungen – das gemeinschaftliche Essen und Trinken – weder besondere Utensilien erforderten noch auf die Darstellung und Bestätigung von sozialen Hierarchien gerichtet waren. Vielmehr habe das kultische Mahl die Gruppe strukturiert, indem es ihre Mitglieder synchronisierte. Die Kirchenhistorikern Annette von Stockhausen arbeitet heraus, wie Jerusalem seit dem 4. Jahrhundert zum Ort einer liturgischen Inszenierung der christlichen Heilsgeschichte wurde: Die Mosaikkarte von Madaba, auf der Jerusalem um die Mitte des 6. Jahrhunderts als „die heilige Stadt“ (hê hagia polis) bezeichnet wird, markiert den vorläufigen Abschluß einer Entwicklung, die mit den von Constantin dem Großen finanzierten Kirchenbauten im „Heiligen Land“ begann. Zuvor hatte die nach dem gescheiterten Bar Kochva-Aufstand als Aelia Capitolina neu gegründete Stadt den Charakter einer römischen Kolonie mit den üblichen Kulten römischer Götter getragen. Bereits Eusebios von Cäsarea hebt hervor, daß Constantin diese Kirche an den Stätten der Heilsgeschichte errichten ließ, aber erst Bischof Kyrillos von Jerusalem bezeichnet die Orte, an denen sich die Heilsgeschichte ereignet hat, ihrerseits als „heilig“ (in seinen „Taufkatechesen“ aus dem Jahre 351). Da die Christen zu dieser Zeit noch nicht die Mehrheit der Bevölkerung Jerusalems stellten, begründete Kyrillos die Notwendigkeit des Taufunterrichts mit der Notwendigkeit, gegenüber Heiden und Juden Rechenschaft über den eigenen Glauben ablegen zu können. Im „Reisebericht“ der Pilgerin Egeria vom Ende des 4. Jahrhunderts wird die Entstehung einer Stationsliturgie greifbar, welche die Orte der Heilsgeschichte durch Prozessionen miteinander verknüpfte. Dabei wechselte die Gemeinde sowohl im Kreislauf der täglichen Gebetszeiten als auch im Laufe des Kirchenjahres mehrfach ihren Versammlungsort, um den Gottesdienst jeweils dort

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zu begehen, wo sich das Ereignis, dessen man gedenken wollte, einst abgespielt haben sollte. Die Liturgie verortete also historische Ereignisse und verwandelte Jerusalem dadurch in eine Kultlandschaft, die zugleich Erinnerungslandschaft war. Besonders intensiv war die kultische Verknüpfung von Kulträumen an Epiphanias (6. Januar) und Ostern sowie am Jahrestag der Einweihung der Grabeskirche (13. September), wenn die Hauptgottesdienste in einer festen Reihenfolge jeweils an unterschiedlichen Orten begangen wurden. Diese Prozessionen bezogen auch den Raum zwischen den einzelnen Stationen ein, denn auf dem Weg von einer Station zur nächsten sang man unter Anleitung des Bischofs Hymnen und rezitierte antiphonal Psalmen. Das emotionale Erlebnis stärkte die kollektive Identität der teilnehmenden Personen. Von Stockhausen argumentiert, daß diese „Historisierung“ der Liturgie durch die Funktionen zu erklären sei, die sie erfüllt hätten: Erstens habe der körperliche Kontakt mit den Orten der Heilsgeschichte die Gläubigen in der Hoffnung auf ihr persönliches Seelenheil bestärkt, zweitens habe die Teilnahme an der Stationsliturgie ihnen Wissen über den Inhalt der christlichen Heilsbotschaft vermittelt, und drittens hätten die Prozessionen der Christen den christlichen Anspruch auf die Stadt demonstriert und dadurch gegenüber Heiden und Juden zugleich einschüchternd und werbend gewirkt. Der Kirchenhistoriker Hanns Christof Brennecke beschäftigt sich mit dem Wandel der Semantik christlicher Kultgebäude zwischen dem 1. und dem 4. Jahrhundert n. Chr. Er zeigt auf, daß der Raum, in welchem Christen Gottesdienst feierten, bis zum Beginn des 4. Jahrhunderts niemals mit einem der geläufigen lateinischen oder griechischen Worte für Tempel oder Heiligtümer bezeichnet wurde. Auch wenn die „Apostelgeschichte“ erkennen läßt, daß die älteste christliche Gemeinde in Jerusalem zunächst weiterhin am Tempelkult teilnahm, übt ihr Verfasser in der „Stephanusrede“ (Apg. 7, 43–50) massive Kritik daran. Paulus betont in den Briefen an die Korinther, daß der wahre Tempel Christus und die Versammlung seiner Anhänger sei. Dementsprechend wurde das Wort für die Gemeinde der Gläubigen (ekklesia) auf den Raum übertragen, in welchem sich die Gläubigen versammelten. Eine ähnlich Entwicklung vollzog sich nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. auch im Judentum; dort fand das Wort synagogê zunächst für die Versammlung und dann auch für deren Ort Verwendung. Die Räume, in denen sich die Christen der ersten drei Jahrhunderte versammelten, dienten jedoch keineswegs ausschließlich kultischen Zwecken und galten daher nicht als sakrale Räume. Die heidnische Umwelt sah im Fehlen von Götterbildern, Altären und Tempeln den Ausdruck einer atheistischen und antisozialen Gesinnung der Christen. Philosophen wie Kelsos verwendeten es als Argument in der antichristlichen Polemik. Umgekehrt bestritten christliche Apologeten wie Origenes, Tertullianus, Minucius Felix, Arnobius und Lactantius niemals den Tatbestand als solchen, sondern lediglich seine Bewertung. Der erste christliche Autor, der die heidnische Terminologie für Kulträume auf ein christliches Versammlungsgebäude übertrug, war Eusebios von Cäsarea, der in der zwischen 314 und 320 verfaßten Festrede zur Einweihung einer „Kirche“ in Tyros wiederholt von einem „Tempel“(neôs) Gottes spricht. In der bald nach 337 verfaßten „Vita Constantini“ steht dieses Wort dann gleichberechtigt neben Begriffen wie „Gebetsraum“ (proseuktêrion) oder „Haus

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Gottes“ (oikos theou). Brennecke unterstreicht, daß der terminologische Wandel mit dem Beginn staatlicher Förderung des Christentums durch Constantin den Großen zusammenfiel, und folgert daraus, daß die „Konstantinische Wende“ in sehr kurzer Zeit „eine völlig neue Einstellung der christlichen Kirche zum Kultbau“ herbeigeführt habe. In der Folge habe sich der Raum des christlichen Kults dann allerdings tatsächlich zu einem Tempel mit allen Merkmalen eines solchen entwickelt. LITERATUR Bell 2009 = Catherine Bell, Ritual: Perspectives and Dimensions, 2. Aufl., Cambridge 2009. (1. Aufl. 1997) Bichler/Rollinger 2014 = Reinhold Bichler / Robert Rollinger, Herodot, 3. Aufl., Hildesheim 2014. (1. Aufl. 2000) Colpe 1977 = Carsten Colpe (Hrsg.), Die Diskussion um das Heilige (Wege der Forschung 305), Darmstadt 1977. Colpe 1980 = Carsten Colpe, Theoretische Möglichkeiten zur Identifizierung von Heiligtümern und Interpetation von Opfern in ur- und parahistorischen Epochen, in: ders., Theologie, Ideologie, Religionswissenschaft. Demonstration ihrer Unterscheidung, München 1980, 138–162. Colpe 1993a = Carsten Colpe, heilig (sprachlich), in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe III (1993) 74–80. Colpe 1993b = Carsten Colpe, Das Heilige, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe III (1993) 80–99. Dihle 1988 = Albrecht Dihle, Heilig, in: Reallexikon für Antike und Christentum 14 (1988) 1–63. Donati u. a. 2004 = Luigi Donati u. a., Il sacrificio nel mondo etrusco, in: Thesaurus Cultus et Rituum Antiquorum I (2004) 135–182. Durkheim 1912 = Émile Durkheim, Les formes élémentaires de la vie religieuse, Paris 1912. Egelhaaf-Gaiser 2001 = Ulrike Egelhaaf-Gaiser, Kulträume im römischen Alltag. Das Isisbuch des Apuleius und der Ort von Religion im kaiserzeitlichen Rom (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 2), Stuttgart 2001. Eliade 1954 = Mircea Eliade, The Sacred and the Profane: The Nature of Religion, New York 1954. Elsas 1998 = Christoph Elsas, Kultort, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe IV (1998) 32–43. Funke 2009 = Peter Funke, Integration und Abgrenzung. Vorüberlegungen zu den politischen Funktionen überregionaler Heiligtümer in der griechischen Staatenwelt, in: Archiv für Religionsgeschichte 11 (2009) 285–297. Fyntikoglou u. a. 2005a = Vassilis Fyntikoglou u. a., Das römische Gebet, in: Thesaurus Cultus et Rituum Antiquorum III (2005) 151–179. Gehlen 1998 = Rolf Gehlen, Raum, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 4 (1998) 377–398. Haake/Jung 2011 = Matthias Haake / Michael Jung (Hrsg.), Griechische Heiligtümer als Erinnerungsorte. Von der Archaik bis in den Hellenismus. Erträge einer internationalen Tagung in Münster, 20.–21. Januar 2006, Stuttgart 2011. Haaland/Haaland 2011 = Randi Haaland / Gunnar Haaland, Landscape, in: Insoll 2011, 24–37. Halbwachs 1941 = Maurice Halbwachs, La Topographie légendaire des Évangiles en Terre Sainte, Paris 1941. Heiler 1969 = Friedrich Heiler, Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung, ND München 1969 (1. Aufl. 1919). Heiler 1979 = Friedrich Heiler, Erscheinungsformen und Wesen der Religion, 2. Aufl., Stuttgart 1979. (1. Aufl. 1961)

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KULTRAUM ODER BILDERHÖHLE? Über den Kontext prähistorischer Felsbilder Andreas Pastoors Das Verhältnis von Kult und Raum bei prähistorischen Wildbeutern zu untersuchen ist eine besondere Herausforderung, denn methodische Hürden erschweren begründete und daher konsensfähige Interpretationen. Auf den ersten Blick scheinen prähistorische Höhlen, die mit Felsbildern versehen sind, gesicherte Aufschlüsse über diese Thematik zu gewähren, wird der Begriff „Kulthöhle“ doch insbesondere in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen häufig unreflektiert auf sie angewandt.1 Die weitergehende Beschäftigung mit dem Thema zeigt jedoch, dass der epistemologische Prozess, durch den Bilderhöhlen zu Kulthöhlen bzw. Kulträumen geworden sind, ausschließlich forschungsgeschichtlich begründet ist. Auch die heute noch aktuelle Differenzierung von Höhlen mit prähistorischen Hinterlassenschaften in grottesanctuaire (Höhlenheiligtum) und grotte-habitat (Wohnhöhle) geht letztlich auf diesen Prozeß zurück. Unter grotte-sanctuaire wird im Allgemeinen eine Bilderhöhle verstanden, unter grotte-habitat hingegen eine Höhle mit Siedlungsaktivitäten. Diese Einteilung basiert auf frühen Arbeiten von Emile Cartailhac und vor allem Henri Breuil2, dessen erkenntnisleitendes Interesse auf „le religieux“ als anthropologische Fundamentalkategorie gerichtet war. Rodrigo de Balbín-Behrmann hat Breuils methodischen Zugriff folgendermaßen charakterisiert: „Il ne réalisa pas une grande explication des raisons pour lesquelles on réalise une œuvre artistique, mais il existe en lui une prise en charge claire de la condition religieuse de celle-ci même, qui se différencie mal de ce qui serait un simple comportement magique. Si l’œuvre d’art a des raisons religieuses, le lieu où elle se représentait, devait être nécessairement un Sanctuaire, et le maître ou l’intermédiaire qui la créait, un prêtre ou un Sorcier.“3

Demnach sind Bilderhöhlen per se Heiligtümer. Breuil nennt einen solchen Ort einen „lieu éloigné de la vie quotidienne où l’on procédait à la découverte des mystères constitutifs de l’existence, dans la profondeur obscure et occulte, prohibée au non initié.“4

Wie Balbín Behrmann5 hervorhebt, schließt diese Beschreibung Höhlen, „dans lequel on mange, dort, travaille, rit et dépose ses défécations,“

ausdrücklich aus. Bilder und profane Tätigkeiten gehörten nach Breuil voneinander getrennten Sphären menschlicher Aktivität an und hatten nichts miteinander zu tun. 1 2 3 4 5

vgl. Kusch & Kusch 2001 Cartailhac & Breuil 1906 Balbín Behrmann & Alcolea González 1999: 24 Balbín Behrmann & Alcolea González 1999: 25 Balbín Behrmann & Alcolea González 1999: 25 f.

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Dieses Konzept des Höhlenheiligtums ist schon deswegen problematisch, weil es weder von Breuil noch von anderen Wissenschaftlern eindeutig definiert und analysiert worden ist6: „Si les grottes ornées sont ou non des Sanctuaires religieux, il faut le démontrer, mais ce n’est pas un axiome, ni une réalité indiscutable.“7

Balbín-Behrmann betont, dass nicht alle Bilderhöhlen mit diesem Konzept erklärt werden können, denn es gibt eine Reihe von Höhlen, in denen neben Felsbildern auch Spuren von Siedlungsaktivitäten gefunden wurden. An erster Stelle nennt er Altamira, La Pasiega, Tito Bustillo und La Lluera. Die Kombination von Felsbildern und Siedlungsaktivitäten in Höhlen ist demnach kein isolierter Einzelbefund, sondern erscheint wiederholt in spanischen Höhlen. Darüber hinaus hat die ausführliche Diskussion möglicher ritueller Aktivitäten in prähistorischen Bilderhöhlen durch Arias8 gezeigt, dass der Begriff des Rituals ebenfalls ohne eindeutige Begriffsbestimmung benutzt wurde und wird. Die begriffliche Trennung in grotte-sanctuaire und grotte-habitat ist jedoch noch keineswegs überwunden. So schreibt Jean Clottes mit Blick auf Höhlen wie Niaux und La Vache, Les Eglises, Labastide, Les Trois-Frères und Enlène in den Pyrenäen: „grottes ornées pyrénéennes n’étaient ni des Sanctuaires au sens où nous l’entendons aujourd’hui ni des lieux de séjours habituels. Si les circonstances le permettaient, l’habitat était installé en un autre lieu, même si proche.“9

Hintergrund dieser Aussage sind Siedlungsaktivitäten im Zusammenhang mit Felsbildern in Höhlen, aber so formuliert, als hätten die beiden Aktivitäten im Regelfall räumlich voneinander getrennt stattgefunden. Nur wenn es die äußeren Umstände nicht anders zuließen, wären die beiden Aktivitäten räumlich zusammengerückt. Auch die Entdeckung von Felsbildern in Kombination mit Siedlungsaktivitäten im Freien, wie vor allem in Foz Côa, konnte das Konzept des Höhlenheiligtums und die Trennung von grotte-sanctuaire und grotte-habitat nicht umstoßen. Durch dieses Festhalten an überkommenen Begriffen nimmt sich die prähistorische Felsbildforschung die Möglichkeit, die Vielseitigkeit der Erscheinungsformen zu erfassen: „Nous ne comprenons pas comment on peut prétendre qu’une chose aussi variée que l’art rupestre paléolithique puisse se mettre dans l’unique catégorie de l’explication religieuse. Evidemment ce graphisme, beaucoup plus qu’un art, possède des ressorts suffisants pour représenter n’importe quelle chose. Elle semble un code riche, rempli de capacités expressives. Peutêtre les auteurs d’une chose si complexe prétendaient manifester des pensées variées, des formules distinctes, non seulement religieuses, entre autre choses parce que pour eux il aurait été certainement difficile d’isoler le contenu simplement religieux des autres. […] Est-il nécessaire de proposer une explication globale pour les graphismes paléolithiques? Pourquoi n’admettons-nous pas la variété possible des teneurs significatives et des raisons représentatives?“ 10 6 7 8 9 10

Balbín Behrmann & Alcolea González 1999: 23 Balbín Behrmann & Alcolea González 1999: 25 Arias (2009) Clottes 1996: 83 Balbín Behrmann & Alcolea González 1999: 27

Kultraum oder Bilderhöhle?

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Diese Sätze wurden vor fast 20 Jahren geschrieben, sind aber immer noch aktuell. Die Forschung steckt weiterhin in der Sackgasse, in welche die Unterscheidung von Kult- und Wohnhöhlen sie geführt hat, denn das Konzept des Höhlenheiligtums wird nach wie vor ohne konkrete Definition und systematische Analysen angewendet. Es ist Grundlagenforschung nötig, um einen Paradigmenwechsel anzustoßen. In dem vorliegenden Beitrag wird erstmals die breite Palette der prähistorischen Spuren, die sich in prähistorischen Bilderhöhlen finden lassen, zusammengetragen. Nach Auffassung des Autors ermöglicht erst die systematische Analyse dieser Befunde des contexte archéologique interne11 begründete Aussagen darüber, was in den Bilderhöhlen passiert ist; nur so wird sich klären lassen, welche Rolle dabei Aktivitäten spielten, die als kultisch angesprochen werden können. Erst dann wird es möglich sein, das Verhältnis von Kult und Raum bei prähistorischen Wildbeutern auf der Grundlage empirischer Daten konkret zu untersuchen. Doch so weit ist die internationale Forschung bislang noch nicht. Seit den ersten Entdeckungen von prähistorischen Bilderhöhlen Ende des 19. Jahrhunderts haben die zum Teil sehr ausdrucksstarken Bilder von Tieren und Menschen, aber auch von abstrakten Zeichen, Archäologen und archäologisch Interessierte fasziniert (Abb. 1).12 Mehr als alle anderen archäologischen Funde repräsentieren diese Bilder Gesichtspunkte des Denkens der damaligen Gemeinschaften, ohne dass für den heutigen Betrachter eine unmittelbare Funktion greifbar wird.

Abb. 1: Ekain – Adobe. Darstellungen von Pferden. Ein häufig abgebildetes Motiv in prä­ historischen Bilderhöhlen. Foto Heinrich Wendel (Die Sammlung Wendel, Neanderthal Museum). 11 Clottes 1993 12 Bahn/Vertut 1999; Clottes 2008.

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„Bilder sind Zeichen. Wie sollte es uns angesichts der bekannten Bedeutungsvielfalt von Zeichen in verschiedenen Kulturen möglich sein, die in ihnen enthaltenen Informationen richtig zu lesen?“13

Zimmermann stellt diese Frage zu Recht. Während in schriftlosen Kulturen die Rekonstruktion manueller Fertigkeiten und wirtschaftlicher Subsistenz-Strategien für den Archäologen relativ leicht erscheint, sind – wenn überhaupt – sozio-politische Strukturen ungleich schwerer zu fassen. „To infer to the religious institutions and spiritual life may seem superficially, perhaps, to be easier, and for the first few steps it may sometimes be so. […] In general, I believe, unaided inference from material remains to spiritual life is the hardest inference of all.“14

Hawkes drückt mit diesem Satz nicht nur die Schwierigkeit der Interpretation von Felsbildern aus, sondern es schwingt die Verlockung ihrer leichten Auslegung mit. So veraltet die in den 1950er Jahren von Hawkes durchgeführte Hierarchisierung der archäologischen Arbeitsfelder auch erscheinen mag, ist sie grundsätzlich immer noch aktuell. Denn trotz ihrer langen Tradition war und ist auch die Interpretation der prähistorischen Felsbilder immer noch hochgradig spekulativ und geprägt von der Intuition des jeweiligen Bearbeiters. Dieses Defizit resultiert nicht zuletzt aus der gängigen Vorgehensweise, detaillierte Beschreibungen der einzelnen Darstellungen anzufertigen und diese dann vor einem sehr persönlichen Erfahrungshintergrund zu interpretieren. Unterschiede in den Motiven der Felsbilder von Tuc d’Audoubert (Frankreich) werden beispielsweise so begründet: „Dans la thématique, l’opposition entre les animaux blessés ou tués et les images de fécondité met en lumière d’un côté, l’obligation de donner la mort pour vivre, de l’autre, la nécessité de la reproduction pour que le processus se perpétue.“15

Dabei wird vollkommen verkannt, dass die Festlegung der Motive des verletzten oder getöteten Tieres und der Fruchtbarkeit bereits auf Spekulationen beruht. Mit derselben Klarheit wird ebenfalls in Tuc d’Audoubert die Anwesenheit eines Kindes am Ende der Höhle frei von allem Zweifeln erklärt: „Une chose est sûre: sa présence place le renouvellement des générations au cœur du sanctuaire.“16

Clottes gießt diese Eigenart der Interpretation prähistorischer Felsbilder in eine Art Regel: „La recherche ne se fait pas seulement au travers de lectures et références savantes. La sensibilité et les expériences personnelles interviennent et jouent un rôle, fût-ce de manière impressionniste, dans les idées et les hypothèses que nous concevons et développons.“17

13 14 15 16 17

Zimmermann 2013, 65. Hawkes 1954, 161 f. Bégouën u. a. 2009, 396. Bégouën u. a. 2009, 396. Clottes 2011, 78.

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Der Schwerpunkt der bisherigen wissenschaftlichen Analyse lag vor allem auf der Dokumentation der Darstellungen und der Analyse ihrer Ausführungstechnik. Neue technische Möglichkeiten eröffnen inzwischen der Präzisionskopie ein weites Feld. Immer genauere Verfahren führen zur Atomisierung der Bilder in allerkleinste, individualisierte Informationseinheiten.18 Dank dieser Entwicklung konnten die Herstellungsprozesse ganzer Bildfelder rekonstruiert und Details der zeichnerischen Ausführung sichtbar gemacht werden. Bislang ist es jedoch nicht gelungen, sich von den Detailbetrachtungen der Bilder zu lösen und verschiedene Erkenntnisse in einen größeren Bezugsrahmen zu stellen.19 Voraussetzung hierfür wäre eine klare Trennung zwischen Betrachtungs- und Deutungs-Ebene, wie sie Lenssen-Erz fordert.20 Auf der Betrachtungs-Ebene können Elemente des genetisch vorbestimmten Verhaltens von Tieren gefasst werden. Das sind besonders verlässliche Elemente, denn Tierverhalten ist in dem prähistorischen Kontext keinem kulturellen Wandel unterworfen. Der Archäologe besitzt eine gewisse Urteilskraft über das, was abgebildet ist. „Davon unberührt bleibt aber zu Anfang unsere ‚Deutungs-Inkompetenz‘, die nicht durch wiederholte Betrachtungen der Bilder abgebaut werden kann, sondern nur durch Hinzunahme anderer Erkenntnissysteme (z. B. Archäologie, Ethnographie, Ethologie, Kognitionsforschung).“21

Übertragen auf die prähistorischen Bilderhöhlen besteht somit die Notwendigkeit, unsere Deutungs-Inkompetenz anzuerkennen und stattdessen unsere Betrachtungskompetenz gewinnbringend einzusetzen. Dies ist umso wichtiger, da religiöse Vorstellungen und Rituale in der Prähistorie archäologisch kaum fassbar sind. Vor allem über die Hinzunahme kontextueller Daten aus der räumlichen und archäologischen Fundsituation besteht die Hoffnung, diese Lücke füllen zu können. Die Höhle muss genauso mit in die Analyse und Interpretation einbezogen werden wie die Aktivitäten, die im Schatten der Bilder durchgeführt wurden. Dies ist umso wichtiger, da Höhlen für Menschen vermutlich schon immer fremde Welten darstellten, in denen der gewohnte Alltag unter Tageslichtbedingungen keine Rolle spielte. In dem vorliegenden Beitrag stehen die Felsbilder im Hintergrund. Vielmehr interessiert der sie einbettende Kontext als Rahmen für die Interpretation der Bilderhöhlen. Was unter Kontext zu verstehen ist, scheint schwierig zu bestimmen zu sein. „The term ‚context‘ has many colloquial uses, but when it comes to archaeology it is a more or less firm concept, albeit a diffuse one.“22

Hodder gibt folgende über die Aussage von Lenssen-Erz hinausgehende Definition: „The context of an archaeological ‚object‘ (including a trait, a site, a culture) is all those associations which are relevant to its meaning. This totality is of course not fixed in any way since the meaning of an object depends on what it is being compared with, by whom, with what purpose 18 Pinçon/Geneste 2010; Paillet 2014.  19 Pastoors 2016.  20 Lenssen-Erz 2001. 21 Lenssen-Erz 2001, 50. 22 Lenssen-Erz 2012, 47.

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Andreas Pastoors and so on. There is thus a relationship between the totality and the question of relevance. The definition of the totality depends on perspective and interest and knowledge. In addition, there is a dynamic relationship between an object and its context. By placing an object in a context, the context is itself changed. There is thus a dialectical relationship between object and context, between text and context. The context both gives meaning to and gains meaning from an object.“23

Vor diesem Hintergrund unterscheidet Lenssen-Erz zwischen dynamischem und statischem Kontext. Teil des dynamischen Kontextes sind Faktoren der lebenden Umwelt, soziale Beziehungen und Praktiken, Vorstellungen und Wissen. Diese Aspekte von Kontext sind im archäologischen Befund kaum fassbar. Hingegen erscheint der statische Kontext – Geologie, Topographie, räumliche Bezüge und Artefakte – viel leichter greifbar, zumal gilt: „static/durable context, […], is of a character that usually persists in its original configuration.“24

Bezogen auf die prähistorischen Bilderhöhlen lässt sich eine ganze Reihe von Aspekten zusammentragen, die diesen statischen Kontext ausmachen. Zunächst ist sicherlich die Höhle selbst zu nennen. Mit ihrem Wegenetz und mannigfaltigen Raumgefüge bildet sie den Rahmen, innerhalb dessen Menschen Spuren hinterlassen haben. Hierzu zählen Feuerspuren, Abdrücke im plastischen Untergrund, Konzentrationen archäologischer Funde, in Spalten und Nischen der Höhlenwand deponierte Objekte, Rohmaterialaufschlüsse und Bestattungen. Es wäre vermessen, in diesem Beitrag eine vollständige Auflistung sämtlicher in den vergangenen 100 Jahren Forschungsgeschichte gemachten Funde und Befunde aus dem statischen Kontext der Felsbilder zu erwarten. In dem vorliegenden Beitrag werden diese in verschiedene Kategorien strukturiert und an prominenten Beispielen vorgestellt. Dadurch entsteht eine Sammlung von Aspekten, deren weitere Ausarbeitung sich sicherlich als gewinnbringend für die Interpretation von Bilderhöhlen erweisen wird. 1. NATURRAUM HÖHLE Höhlen sind von Gestein umgebene natürliche Hohlräume, deren Ausmaße dem Menschen Zutritt gestatten.25 Es werden zwei Typen von Höhlen unterschieden: die Primärhöhle, die sich gemeinsam mit dem sie umgebenden Gestein bildet, und die Sekundärhöhle, die durch Lösung oder mechanische Aushöhlung entsteht (Abb. 2). Unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte ist das Klima in Höhlen relativ konstant. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 100 Prozent, und die Temperatur entspricht der langfristigen Jahresmitteltemperatur der umgebenden Region. In Mittel- und Westeuropa werden in Höhlen Temperaturen zwischen 7 °C und 12 °C erreicht. 23 Hodder 1992, 13. 24 Lenssen-Erz 2012, 48. 25 Kempe 1982b.

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Abb. 2: Tuc d’Audoubert – Salle Carteilhac. Filigrane Sinterbildungen in einer Tropfsteinhöhle. Foto Association Louis Bégouën.

Höhlen sind keineswegs unbelebte Räume. Obwohl der bedeutendste Faktor für das Leben – das Sonnenlicht – fehlt, gibt es Lebewesen, die sich an die totale Finsternis angepasst haben. Während den an der Erdoberfläche lebenden Tieren der Sonnenstand zur Richtungsorientierung, zur Bestimmung der Tagesrhythmik und zur Festlegung von Paarungszeiten dient, müssen sich Lebewesen in der Höhle andere Orientierungsmöglichkeiten geschaffen haben. Zu diesen echten Höhlentieren zählen beispielsweise der Höhlenflohkrebs (Abb. 3) oder die Höhlenassel. Neben dieser Gruppe von Tieren gibt es auch solche, die die hohe Luftfeuchtigkeit oder die gleichmäßigen niedrigen Temperaturen schätzen. Diese Tiere aber müssen zur Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung die Höhle nach einer gewissen Zeit wie-der verlassen.26 Auch der Mensch ist nicht in der Lage, in einer Höhle zu leben, ohne diese regelmäßig wieder zu verlassen. Insofern ist der Mensch zu der zweiten Gruppe von Höhlennutzern zu zählen. Dies hat sich im Laufe der Menschheitsgeschichte nicht geändert. Lange galten Höhlen aufgrund ihrer jeweils einzigartigen Beschaffenheit als nicht klassifizierbar.27 Dies ist jedoch Voraussetzung dafür, den Naturraum Höhle in die Betrachtungen des Kontextes der Felsbilder einzubeziehen. Die Recherchen zu den bislang existierenden Konzepten der Strukturierung von Höhlen und Höhlenräumen nach menschlichen Bedürfnissen haben gezeigt, dass vor allem Rouzaud 26 Kempe 1982a, 85 f. 27 Sieveking 1997.

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Abb. 3: Als echtes Höhlentier muss der Höhlenflohkrebs Niphargus ictus die Höhle nicht zur Nahrungsaufnahme bzw. Fortpflanzung verlassen.27

anwendbare Kriterien dazu vorgelegt hat.29 Sein Ansatz, Höhlenräume aufgrund von Beleuchtung und Orientierungsmöglichkeiten zu klassifizieren, weist in die richtige Richtung, denn die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des menschlichen Auges in der Dunkelheit der Höhle kann als Schlüssel zum Verständnis der besonderen Rahmenbedingungen angesehen werden.30 Das Auge ist niemals in der Lage, sich absoluter Dunkelheit anzupassen. Um etwas wahrnehmen zu können, ist eine externe Lichtquelle absolut notwendig. 2. BELEUCHTUNG Zur Überwindung dieser gegebenen absoluten Dunkelheit in den Dunkelzonen der Höhlen hat der Mensch verschiedene Lösungen in Form künstlicher Beleuchtung gefunden. Diese können grundsätzlich in mobile und statische Lichtquellen unterschieden werden. In der Höhle Enlène in den französischen Pyrenäen wurden im Laufe der langwierigen Ausgrabungen insgesamt 33 Feuerstellen entdeckt.31 Sie stammen aus einer Zeit vor rund 17.000 Jahren, einer Epoche, die als Magdalénien bezeichnet wird. Die 33 Feuerstellen liegen über 250 m vom Eingang der Höhle entfernt in den Räumen Salle du Fond und Salle des Morts. Dieser Bereich der Höhle ist komplett dunkel. Die Feuerstellen haben alle einen ähnlichen Durchmesser von etwa 50 cm; sie liegen entweder direkt auf der Oberfläche auf oder sind leicht in den Boden eingetieft. Der Boden der Feuerstellen ist von Knochen schwarz gefärbt, die als Brennmaterial gedient haben. Diese Verwendung von Knochen ist im Magdalénien nichts Außergewöhnliches. Die Feuerstellen liegen nicht wahllos in der Höhle ver28 29 30 31

Flot u. a. 2010 Rouzaud 1997. Pastoors/Weniger 2011a; Pastoors/Weniger 2011b; Pastoors 2016. Bégouën u. a. 1989.

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teilt. Gesucht wurde die Nähe zur Wand oder zur Laufachse des Höhlenraums. Das hier aufgeführte Beispiel aus der Höhle Enlène kann als Muster für die Platzierung und Dimension der Feuerstellen in prähistorischen Bilderhöhlen gelten. Es ist keine Bilderhöhle bekannt, in der die Feuerstellen grundsätzlich von diesen Prinzipien abweichen. Wie ist dies zu erklären? Die Nähe zur Wand wird gesucht, um eine Reflexionsfläche zu haben. So können Licht und Wärme von der Wand reflektiert werden, was den Wirkungsgrad des Feuers erhöht. Das menschliche Auge braucht solche Reflexionsflächen als sekundäre Lichtquellen unabdingbar zur Erfassung seiner Umwelt. Fällt das Licht einer primären Lichtquelle nicht auf eine irgendwie geartete Fläche, verpufft die Wirkung im Nichts.

Abb. 4: Enlène – Salle des Morts. Beispiele von prähistorischen Feuerstellen. Foto Association Louis Bégouën.

Dies macht sich nicht nur in der Positionierung der Feuerstellen bemerkbar, sondern auch beim Gang durch die Höhle. Auch hier muss immer eine Reflexionsfläche – sei es die Wand oder die Decke – gesucht werden. Hinweise auf mobile, tragbare Beleuchtung finden sich in verschiedenen Höhlen. So fanden Archäologen in Lascaux in der Dordogne mindestens 36 tragbare Lampen aus Stein.32 Zum überwiegenden Teil – bei 34 Lampen – wurden unbearbeitete Steine ausgewählt. Diese mussten zwei Bedingungen erfüllen: 1. Sie sollten flach sein und 2. auf einer Seite leicht konkav bzw. leicht ausgehöhlt sein. 32 Beaune 1987.

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Im Ganzen sollte der Stein in etwa die Form eines Tellers haben. Als Brennmaterial diente wahrscheinlich Talg – tierisches Fett. Leider haben sich in den Hohlformen direkte Hinweise auf das Brennmaterial nicht erhalten; moderne Experimente legen dies aber nahe. Dagegen wurden Asche, Ruß und Holzkohle in manchen Lampen gefunden. Die Holzkohle konnte als Wacholder bestimmt werden. Und tatsächlich eignet sich Wacholder sehr gut als Docht einer solchen Talglampe. Bei manchen Lampen aus Lascaux färbte sich der Stein durch das Feuer rot. Die Leuchtkraft gleicht in etwa der einer großen Kerze. Ein ganz besonderer Fund gelang dem Ausgräber André Glory am 8. Juli 1960. Am Fuß eines etwa 5 m tiefen Schachtes mit schwierigem Zugang fand er eine einzigartige Lampe aus Sandstein (Abb. 5). Das Stück ist 22 cm lang, 11 cm breit und 3 cm hoch. Die Form erinnert an einen großen Löffel. Der Griff ist mit einem einfachen Muster dekoriert. Es soll noch eine weitere Lampe aus Sandstein in Lascaux gefunden worden sein, doch ist diese heute verschollen. Interessanterweise ist diese besondere Lampe nicht die einzige, die am Fuß des angesprochenen Schachtes aufgefunden wurde. Nach den Angaben des Ausgräbers fand sich etwa die Hälfte aller Lampen dort an dieser schwer zugänglichen, in der Passage kritischen Stelle.

Abb. 5: Lascaux – Puits. Lampe aus Sandstein.33

Doch sind solche Talglampen nicht die einzigen Hinweise auf eine transportable Beleuchtung. Fackeln erfüllten denselben Zweck. Der direkte Nachweis des Gebrauchs von Fackeln fällt nicht leicht, denn auf der einen Seite hat sich Holz über so lange Zeit nicht erhalten, auf der anderen Seite ist es im Einzelfall schwierig, an einem einfachen mit Holzkohle gezogenen Strich festzustellen, ob es sich um eine simple Zeichnung oder um eine Fackelspur handelt. Dennoch gibt es sichere Belege für die Verwendung von Fackeln. In einer kleinen Seitengalerie in der Höhle Tuc d’Audoubert (Frankreich), weit vom Eingang entfernt, findet sich der Abdruck einer Fackelspitze von etwa 4 cm Durchmesser.34 Hier wurde eine Fackel mit ihrer Spitze gegen die Höhlenwand gedrückt (Abb. 6), wodurch die Spitze auf die festen Bestandteile reduziert wurde. Loses Material fiel ab und klebt hier an der Felswand. Für die Fackel wurde Rosenholz ausgesucht; Rosen wachsen in Büschen in den geschützten Talniederungen in der Nähe der Wasserläufe. Weitere Belege fin33 Leroi-Grouhan – Allain 1979 34 Bégouën u. a. 2009.

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den sich in Réseau Clastres (Frankreich).35 Hier wurden mehrere solcher Fackelspuren an den Wänden und auch ein kleines Fragment einer Fackel gefunden. Das Problem der Beleuchtung – ob mobil oder an festen Punkten in der Höhle – ist also auf verschiedene Art und Weise von den damaligen Gemeinschaften gelöst worden. Es gibt darüber hinaus Feuerstellen, die zu einem ganz anderen Zweck angezündet wurden. Im hinteren Teil der Grotte Chauvet in der Ardèche (Frankreich) finden sich in der Salle du Cierge und in der Galerie des Megaceros mehrere Feuerstellen, von denen die Bearbeiter denken, dass es sich hierbei nicht um Beleuchtungsfeuer handle.36 Nach der Lage im Höhlenraum zu urteilen – die Feuerstellen

Abb. 6: Tuc d’Audoubert – Galerie Supérieure. An der Höhlenwand abgedrückte Fackelspitze. Foto Association Louis Bégouën.

liegen an der Wand und in der Laufachse der Höhle – könnten sie jedoch sehr wohl diesen Zweck erfüllt haben. Zudem haben sie einen Durchmesser von etwa 50 cm. Dennoch unterscheiden sie sich von den bereits vorgestellten Feuerstellen. In der Grotte Chauvet wurden dicke Kiefernäste in großer Anzahl verbrannt. Die Größe und die Menge der zurückgebliebenen Holzkohlestücke legen für die Bearbeiter nahe, dass es sich um Produktionsstätten dafür handelt. Die gewonnene Holzkohle wurde dann als Grundlage der Farbe für die schwarzen Zeichnungen verwendet. Einzelne Holzkohlestücke unmittelbar unterhalb einiger schwarzer Zeichnungen 35 Clottes/Simonnet 1972. 36 Clottes 2001.

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unterstützen diese Interpretation. An manchen Stellen wurde tatsächlich Holzkohle der Kiefer als schwarze Farbe genutzt. Nicht auszuschließen ist insgesamt eine doppelte Nutzung der Feuerstellen: Es wurde Farbmaterial gewonnen, und gleichzeitig konnten Teile der Höhle beleuchtet werden. Künstliches Licht war absolut notwendig und hinterließ seine Spuren. 3. ABDRÜCKE Menschliche Hand- und Fußabdrücke sind die persönlichsten nicht materialisierten Hinterlassenschaften unserer Vorfahren. Unter idealen Bedingungen ist darin ein kurzer Moment aus dem Leben einer einzelnen Person im plastischen Untergrund ‚eingefroren‘. Kein anderer archäologischer Fund ist so eindeutig mit einem zeitlichen Moment verbunden (Abb. 7).

Abb. 7: Pech-Merle – Galerie des Disques. Prähistorische Fußabdrücke haben sich im ursprünglich weichen Untergrund erhalten. Foto Heinrich Wendel (Die Sammlung Wendel, Neanderthal Museum).

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Prähistorische Fuß- und Handabdrücke sind aus unterschiedlichen Kontinenten und zeitlichen Perioden bekannt.37 Unter ihnen sind sicherlich die Fußabdrücke von Laetoli (Tansania), Koobi Fora (Kenia), Wilandra (Australien)38 und die kürzlich entdeckten in Happisburgh (England)39 am spektakulärsten. Nicht weniger faszinierend sind Fußabdrücke in den prähistorischen Bilderhöhlen im Südwesten Frankreichs.40 Erste Entdeckungen dieser Art reichen zurück bis zu den Pionierarbeiten von Èmile Carteilhac und Henri Breuil am Beginn des 20. Jahrhunderts in der Höhle Niaux (Frankreich). Diese heutzutage zerstörten Fußabdrücke gelten als die ersten Dokumente dieser Art. Weitere Entdeckungen folgten in den Bilderhöhlen Tuc d’Audoubert, Pech-Merle und Montespan (alle Frankreich). Im Jahre 1948 machte dann Denis Cathala in der Höhle Aldène (Frankreich) einen sensationellen Fund: Auf einer Strecke von annähernd 50 m hatten sich Hunderte von Fußabdrücken im weichen Höhlenlehm erhalten. Sie stammen von einer kleinen Gruppe von Menschen, die hier im Mesolithikum die Höhle erkundet hatten. Nicht weniger spektakulär sind die beiden Entdeckungen am Beginn der 1970er Jahre – Réseau Clastres und Fontanet – und später Chauvet (1994) und Cussac (2000) mit einer großen Anzahl prähistorischer Fußabdrücke (alle Frankreich). Außerhalb Frankreichs gibt es weitere Höhlen mit Fußspuren, vor allem in Toirano (Italien) und Ojo Guareña (Spanien). Für die Erhaltung solcher Art der Spuren sind außergewöhnliche Bedingungen notwendig. Es müssen verschiedene Faktoren zusammenkommen: 1. Die Verursacher der Spuren sollten die letzten Menschen gewesen sein, die durch die Gänge gelaufen sind. 2. Der Höhlenboden muss weich sein, um überhaupt Spuren aufnehmen zu können. 3. Der weiche Höhlenboden darf nicht durch die Kräfte der Erosion zerstört werden. Eine solche Konstellation von Bedingungen ergibt sich nur in Ausnahmefällen. Die Analyse der bisherigen Arbeiten zu prähistorischen Fußabdrücken hat gezeigt, dass die Höhlentouren jener Zeit barfuß, also ohne Fußbekleidung, durchgeführt wurden. Darüber hinaus ist aus der Lage der Fußspuren im Höhlenraum zu erfahren, dass für die Passagen häufig die Nähe zur Höhlenwand gesucht wurde. Dies ist sicherlich im Zusammenhang mit der notwendigen Beleuchtung zu verstehen. Die Höhlenwand verstärkt durch ihre Reflexionsfläche die Leuchtwirkung der Fackel oder Talglampe. Der besondere Status dieser zerbrechlichen Spuren steht in starkem Kontrast zu dem geringen wissenschaftlichen Interesse in den letzten 100 Jahren Forschung zu den Bilderhöhlen. Nur drei Wissenschaftler haben sich ernsthaft des Themas angenommen: Henri Victor Vallois, Léon Pales und Henri Duday. Dieses Ungleichgewicht liegt möglicherweise an den fehlenden Kompetenzen, sie zu verstehen. In der 37 38 39 40

Lockley u. a. 2008; Pasda 2013. Leakey/Harris 1987; Raichlen u. a. 2008; Webb u. a. 2006. Ashton u. a. 2014. Vallois 1931; Pales 1976; Duday/García 1985.

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modernen Industriegesellschaft hat das Lesen von Fußabdrücken keine Bedeutung mehr. So basieren die Interpretationen der Abdrücke seit den ersten Entdeckungen in prähistorischen Bilderhöhlen auf der Analyse der an den Abdrücken selbst genommenen Messwerte. Auf diese Weise wird versucht, Alter und Geschlecht der Person zu erfassen, die den entsprechenden Abdruck hinterlassen hat41 – in den Höhlen waren Menschen jeden Alters unterwegs: Es finden sich Spuren von Erwachsenen bis hin zum Kleinkind von etwa 3 Jahren. Da das Fährtenlesen in manchen Gesellschaften aber noch alltägliche Praxis ist, wird nun versucht, dieses Wissen gewinnbringend für die archäologische Forschung einzusetzen (Abb. 8).42

Abb. 8: Tuc d’Audoubert – Salle des Talons. Fährtenleser aus Namibia lesen die Abdrücke verschiedener Höhlenbesucher. Foto Association Louis Bégouën.

Eine besondere Entdeckung zu diesem Thema wurde in der Höhle La Garma (Spanien) gemacht.43 Auf einem besonders geschützten Balkon hat sich ein ausgetretener Pfad erhalten (Abb. 9). Er ist etwa 20 cm breit und führt nach einer schwierigen Kletterpassage zur Höhlenwand hinauf. Dort finden sich dann Zeichnungen an der Wand. Der Mensch ging also in der Regel barfuß mit einer Fackel oder einer Talglampe ausgerüstet auf Höhlentour. Bei längeren Aufenthalten wurden überschaubare kleine Feuer von einem halben Meter Durchmesser angezündet. Verbrannt wurden Holz und vor allem Knochen. Feuerstellen dienten auch zur Produktion von Holzkohle, einer Grundlage von schwarzer Farbe. 41 Z. B. Pales 1976; Webb u. a. 2006; Kinahan 2013; Ashton u. a. 2014. 42 Pastoors u. a. 2015; Pastoors u. a. 2016. 43 Arias Cabal u. a. 1999.

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Abb. 9: La Garma – Zone I. Ausgetretener prähistorischer Pfad.44

4. KONZENTRATIONEN ARCHÄOLOGISCHER FUNDE Unter günstigen Bedingungen haben sich neben den Felsbildern, den Spuren der künstlichen Beleuchtung und den menschlichen Fußabdrücken weitere Spuren der Aktivitäten des Menschen erhalten.45 Diese betten die Felsbilder in ein Aktivitätsspektrum ein, das wichtige Grundlagen für weitergehende Interpretationen der Bilderhöhlen liefern kann. Zwei Gruppen von prähistorischen Hinterlassenschaften können neben den Felsbildern unterschieden werden: das archäologische Objekt und dessen Abdruck. Das archäologische Objekt ist Teil der materiellen Kultur (Sachgut).46 Robert Bégouën und Jean Clottes erweitern den Begriff der materiellen Kultur um die Kategorie der apports mobiliers und verstehen darunter absichtlich oder unabsichtlich hinterlassene Spuren.47 Dazu zählen sie auch die Abdrücke von Objekten. Ein Abdruck entsteht, wie auch der Fußabdruck, durch das zufällige oder absichtliche Eindrücken eines Gegenstands oder Körperteils in einen plastischen Untergrund. Eine der Stellen, an denen sich solche Abdrücke von Objekten am besten erhalten 44 45 46 47

Arias Cabal u. a. 2003 Vgl. Bégouën/Clottes 1981; Arias Cabal 1999; Arias Cabal u. a. 2003; Bégouën u. a. 2009. Vgl. Eggert 2001, 52. Bégouën/Clottes 1981, 157.

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haben, ist die obere Galerie der Höhle Tuc d’Audoubert.48 Hier sind Abdrücke von entfernten bzw. bewegten Knochen, Konkretionen und Geschossspitzen zu finden. Konzentrationen von archäologischen Objekten sind sowohl quantitativ als auch qualitativ analysierbar und geben so die Möglichkeit, über die Analyse von Arbeitsabläufen die Aktivitäten an den jeweiligen Konzentrationen zu rekonstruieren (Abb. 10). Für Fundstellen im Freiland hat Lewis Roberts Binford die Unterscheidung von Aktivitäten zur Grundversorgung und eingeschränkten Spezialaufgaben vorgeschlagen.49 Vollständige Operationsketten der lithischen Grundformproduktion, die Herstellung von retuschierten Werkzeugen und eine möglichst

Abb. 10: La Garma – Zone I. Viele Knochenfragmente liegen hier in einer Konzentration zusammen in der Nähe der Höhlenwand.50 48 Bégouën u. a. 2009. 49 Binford 1984. 50 Arias Cabal u. a. 2003

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vollständige Präsenz von Skelettteilen der Jagdbeute charakterisieren Konzentrationen mit Aktivitäten zur Grundversorgung. Singuläre Skelettelemente von Jagdbeute und unvollständige Operationsketten werden als eingeschränkte Spezialaufgaben klassifiziert. Im Rahmen einer ersten vergleichenden Untersuchung der Konzentrationen prähistorischer Hinterlassenschaften in acht verschiedenen Bilderhöhlen konnten insgesamt 40 Befunde solcher Art analysiert werden.51 Vor allem auf Grundlage der Vollständigkeit der Operationsketten konnten an den Konzentrationen archäologischer Objekte die Aktivitäten zur Grundversorgung, Verbrauch eingebrachter Vorräte und unbekannte Spezialaufgaben rekonstruiert werden. In Tuc d’Audoubert und Les Trois-Frères (Frankreich) konnte dank der guten Dokumentation diese Unterscheidung in Aktivitäten zur Grundversorgung und Verbrauch eingebrachter Vorräte zusätzlich an einzelnen formalen Werkzeugen bzw. Kleinkunstobjekten nachgewiesen werden. So fehlen an Konzentrationen mit Verbrauch eingebrachter Vorräte Kratzer, Bohrer, Lochstäbe, Nadeln und Kleinkunstobjekte. Diese Objekte repräsentieren Aktivitäten, die an diesen Konzentrationen nicht ausgeführt wurden, an Konzentrationen mit Aktivitäten zur Grundversorgung hingegen schon. Diese Differenzierung anhand einzelner formaler Werkzeuge findet sich ebenfalls bei den weiteren untersuchten Bilderhöhlen und bestätigt dieses Ergebnis. 5. KONSTRUKTIONEN Menschen haben im Zuge ihrer Aktivitäten in prähistorischen Bilderhöhlen nicht nur produziert und konsumiert, sondern auch bauliche Veränderungen im Innenraum der Höhle vorgenommen. Solche Konstruktionen sind allerdings überaus selten und z. T. auch schwer nachzuweisen. Am eindrücklichsten sind solche Baumaßnahmen in der unteren Galerie von La Garma zu erkennen.52 Hier ist der Höhlenboden mit archäologischen Objekten übersät. Jedoch sind drei besondere Stellen auszumachen, an denen sich die Funde und Einbauten konzentrieren. Die erste dieser Stellen ist die ehemalige Vorhalle, welche in rechteckiger Form ca. 70 m × 10 m misst. Die Fläche weist hunderttausende von Knochen-, Feuerstein- und Geweihartefakten auf sowie Holzkohlen, Meeresschnecken und unter anderem vier Lochstäbe. An den Wänden der Vorhalle liegen umfangreiche Knochenansammlungen, welche auf Arbeits- und/oder Nahrungsabfälle hinweisen. Weitere künstliche Knochenhaufen finden sich abseits der Wände, wie auch einige Eintiefungen in den Höhlenboden. Zu den spektakulärsten Befunden gehören allerdings Nachweise von steinzeitlichen Bauten. Eine dieser Strukturen befindet sich ca. 50 m vom Eingang entfernt an der Westwand, unterhalb von einem Sims. Es handelt sich dabei um kreisförmig angeordnete Kalksteinblöcke, welche als Sockel für einen Aufbau aus vergänglichem Material interpretiert werden können, vielleicht ein Zelt. Der Boden im Innern dieses Kreises ist wesentlich stärker ausgetreten als der ihn umgebende 51 Pastoors 2016. 52 Arias Cabal 1999; Arias Cabal u. a. 1999; Arias Cabal/Ontañón Peredo 2012.

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Bereich. Zudem kamen hier unter anderem auch drei Geweihgeschossspitzen zum Vorschein. Als zweite bedeutende Stelle ist der 90 m vom Eingang entfernte Saal (Zone III) zu nennen. Die 8 m breite Fläche mit elliptischem Grundriss ist, ebenso wie die Vorhalle, mit großen Mengen an Tierknochen und Artefakten übersät. Vorherrschend sind hierbei Rinderknochen. Auch finden sich wieder Nachweise von Bauten in Form eines halbkreisförmigen „Raumes“ an der westlichen Wand, welcher aus Kalksteinblöcken und aufrecht stehenden, glatten Steinen gebildet wird und im Innern eingetieft wurde. Weiterhin findet sich in Zone III ein von Steinen umlegtes Loch, welches als Eintiefung für einen Pfosten interpretiert werden könnte. Die dritte Stelle befindet sich 130 m vom Eingangsbereich entfernt, am Ende von Zone IV (Abb. 11). Wiederum an der Westwand des Saales finden sich vier nebeneinander liegende Strukturen, die eine Grundfläche von 2 bis 4 qm haben und, wie die vorher beschriebenen, von niedrigen Gesteinswällen umgeben sind. Wieder sind Unterschiede zwischen den Außen- und Innenbereichen dieser Strukturen festzustellen. Auffällig ist hier der große Anteil von Pferdekiefern. Neben größeren Mengen an weiteren Knochen, Flint- und Geweihartefakten, sind besonders einige Stichel, eine Knochennadel, eine Kette aus Meeresschneckengehäusen (Littorina

Abb. 11: La Garma – Zone IV. Aus Kalksteinen gebaute östliche Struktur.53

53 Arias Cabal u. a. 2003

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littorae) sowie ein Spatel aus einer Rinderrippe mit einer Steinbockdarstellung hervorzuheben. In einer Nische an der Wand wurde ein Feuersteinabschlag vom prähistorischen Menschen abgelegt. 6. DEPONIERUNGEN Archäologische Objekte finden sich in prähistorischen Bilderhöhlen nicht nur in Konzentrationen auf dem Höhlenboden, sondern auch isoliert oder in kleinen Stückzahlen in Spalten und Nischen der Höhlenwände (Abb. 12). Solche Funde werden traditionell allein aufgrund ihrer räumlichen Nähe zu den Felsbildern ebenfalls kultisch interpretiert.54 Grundsätzlich sind Depot- bzw. Hortfunde aus jüngeren Epochen vor allem der Frühgeschichte bekannt. Hier unterscheidet die archäologische Forschung zwischen geschlossenem Hort, nichtgeschlossenem Hort und Einzelfund mit Hortcharakter,55 wobei unter Hort „mehrere, in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang aufgefundene Kleinaltertümer, vor allem Waffen, Geräte und Schmuck, aber auch Halbfertigwaren und Rohmaterial“

Abb. 12: Tuc d’Audoubert – Salle du Cheval Rouge. Steinwerkzeug (Klingenkratzer) in natürlicher Felsspalte. Foto Association Louis Bégouën.

54 Bégouën/Clottes 1982; Clottes 2007. 55 Eggert 2001, 78 f.

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verstanden wird.56 Die Unterscheidung der genannten drei Hortvarianten ist mit der Anzahl der abgelegten Objekte und der postulierten zeitlichen Nähe des Ablegens begründet und nicht Resultat unterschiedlicher Deutungen. Diese führen in der Regel kultische bzw. wirtschaftliche Aspekte der Deponierung an, wobei zwischen der Art der Deponierung und der dahinterstehenden Absicht zu differenzieren ist. Bei der Deponierungsart lässt sich eine reversible und eine irreversible Art unterscheiden. Als dahinterstehende Absicht wird die profane von der kultischen Motivation abgegrenzt.57 Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, müssen konsequenterweise sämtliche Aspekte der Deponierung analysiert werden. Deponierungen in prähistorischen Bilderhöhlen sind seit langem bekannt. So wurde zum Beispiel in der Höhle Labastide in den französischen Pyrenäen ein Versteck von 20 contours découpés gefunden.58 Contours découpés sind in der Regel flache Objekte aus Knochen, Geweih oder Elfenbein, deren herausgeschnittener Umriss ein Tier wiedergibt (Abb. 13).59 Die Stücke lagen alle eng zusammen. Es wird angenommen, dass sie sich ursprünglich in einem Beutel befanden, der in einer Spalte hinter einem Kalksteinblock versteckt worden war. Nach genauen Untersuchungen der Machart dieser kleinen Objekte ist es sehr wahrscheinlich, dass sie alle von derselben Person hergestellt wurden.60 Darüber hinaus wurde im Jahr 2001 in der Galería Principal von Tito Bustillo (Spanien) ein Versteck von vier contours découpés mit der Darstellung von Hirschkühen gefunden. Die Objekte lagen auf einer höher gelegenen Empore hinter einer Reihe von Stalagmiten in dem zentralen

Abb. 13: Tuc d’Audoubert – Galerie du Bouquetin. Aus dem Zungenbein von Pferd oder Steppenwisent gefertigte mobile Kunstobjekte (contour découpé) mit Darstellung von Hirschkühen. Foto Association Louis Bégouën.

56 57 58 59 60

Eggert 2001, 78. Siehe dazu Eggert 2001, 81. Omnés 1982; Omnés 1984. Leroi-Gourhan 1988. Fritz/Simonnet 1996; Fritz 1999.

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Gang.61 An anderen Stellen in Labastide sowie in anderen Höhlen wurden große Klingen aus Feuerstein in zum Teil versteckten Nischen in der Höhlenwand deponiert. In Spalten und Nischen der Höhlenwand deponierte Objekte sind bislang vor allem in Tuc d’Audoubert und in Les Trois-Frères systematisch dokumentiert worden.62 Demnach gibt es in Tuc d’Audoubert 18 und Les Trois-Frères 26 solcher Depots. Während in Tuc d’Audoubert Knochenfragmente klar dominieren, sind es in Les Trois-Frères vorwiegend Steinartefakte und erst an zweiter Stelle Knochenfragmente und Zähne. Jeweils als Einzelstück finden sich in Tuc d’Audoubert Geschossspitzenfragment, Stalaktit und rote Farbe; in Les Trois-Frères sind dies Sandsteinplakette, Jakobsmuschel, rote Farbe und Gagat. In beiden Höhlen befinden sich die deponierten Objekte hauptsächlich im unmittelbaren Umfeld der Konzentrationen archäologischer Objekte (88,5 % in Tuc d’Audoubert und 60 % in Les Trois-Frères). Ein direkter Bezug zwischen Felsbildern und deponierten Objekten, wie ihn Robert Bégouën und Jean Clottes beschreiben, kann somit nicht bestätigt werden.63 Deponierte Objekte sind in den beiden Höhlen vorwiegend dort zu finden, wo auch andere Aktivitäten (Grundversorgung oder Konsum) durchgeführt wurden. Dort sind sie zum Teil griffbereit abgelegt worden, so dass sie ohne weiteres bei Bedarf wieder aufgenommen werden konnten. Eine solche Deponierung in der Wand erleichtert das Wiederfinden in der Dunkelheit enorm. Andere Stücke legen ebenso eine praktische Anwendung nahe, so in der Chapelle de la Lionne (Les Trois-Frères), wo drei Knochenfragmente wahrscheinlich als Keile gedient haben, oder auf dem Balcon I (Tuc d’Audoubert), wo mehrere Knochenfragmente in annähernd derselben Höhe über dem Höhlenboden in regelmäßigen Abständen verkeilt wurden, wodurch sie sich hervorragend zum Aufhängen von Gegenständen eigneten (Abb. 14). Darüber hinaus gibt es aber auch in Spalten und Nischen der Höhlenwand deponierte Objekte, die sich nicht so profan erklären lassen: Hierzu gehören die Sandsteinplakette im Salle des Gours (Les Trois-Frères) oder der Rentierzahn im Salle du Théâtre (Les Trois-Frères) und einzelne Knochenfragmente vor allem im Salle du Cheval Rouge (Tuc d’Audoubert). Im Besonderen gilt dies für die große Anzahl von deponierten Knochenfragmenten vor allem im hinteren Teil von Enlène (Frankreich)64 und den Höhlen von Gargas (Frankreich)65. Diese Zusammenstellung der in Spalten und Nischen der Höhlenwand deponierten Objekte zeigt die Vielfalt, in der sie vorkommen, und vor allem bietet sie alternative Ansätze einer funktionalen Erklärung.

61 62 63 64 65

Balbín Behrmann u. a. 2002, 587. Bégouën u. a. 2009; Bégouën u. a. 2014. Bégouën/Clottes 1981; Bégouën/Clottes 1982; Clottes 2007. Bégouën u. a. 1996. Peyroux 2012.

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Abb. 14: Tuc d’Audoubert – Balcon I. Knochensplitter in natürlicher Felsspalte. Foto Association Louis Bégouën.

7. ROHMATERIAL-GEWINNUNG Über die bislang genannten Aktivitäten in prähistorischen Bilderhöhlen hinaus geht die Nutzung natürlich gegebener Materialien. Beim Winterschlaf verendete Höhlenbären wurden beispielsweise in Tuc d’Audoubert genutzt, sich die begehrten Eckzähne zu besorgen (Abb. 15). Diese wurden dann zu Schmuckobjekten weiterverarbeitet.66 Es gibt nur einen einzigen Höhlenbärenunterkiefer, in dem noch der Eckzahn steckt. Alle anderen wurden systematisch eingesammelt. In Les Trois-Frères gibt es eine Stelle, an der Kalzitplatten von der Höhlenwand geschlagen wurden (Abb. 16).67 Die Form dieser gewonnenen Platten entspricht exakt der beschriebenen Beschaffenheit der tellerförmigen Talglampen aus Lascaux. Ob diese Platten in Les Trois-Frères tatsächlich als Talglampen verwendet wurden, ist nur zu vermuten. Sicher scheint, dass mit Hilfe von Knochen die Platten abgemeißelt wurden. Dazu wurden flache Rippen als Meißel in die engen Zwischenräume zwischen Kalzit und Fels getrieben, bis die Platten abplatzten; die Rippen brachen dabei ab. In der Ignatievka-Höhle im Ural findet sich ein weiteres Beispiel für die Vielfalt der Nutzung von Höhlen. An 34 Stellen im Innern der Bilderhöhle wurden an vor66 Bégouën u. a. 2009. 67 Bégouën u. a. 2014.

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Abb. 15: Tuc d’Audoubert – Galerie Supérieure. Unterkiefer eines Höhlenbären mit herausgebrochenem Eckzahn. Foto Association Louis Bégouën.

Abb. 16: Les Trois-Frères – Chapelle de la Lionne. Rippen als Keile zum Ablösen von Kalzitplatten. Foto Association Louis Bégouën.

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springenden Felspartien insgesamt 348 Abschläge abgehoben.68 Dies erbrachte eine Zählung der an der Felswand verbliebenen Negative. Die Abschläge selbst waren an den entsprechenden Stellen nicht mehr zu finden. Auf dem Boden der Salle Eloignée fanden die Bearbeiter eine retuschierte Klinge und ein weiteres Artefakt aus demselben Kalkstein. Dies wird als Hinweis darauf gewertet, dass die Abschläge von den Höhlenwänden eine entsprechende Nutzung als Werkzeuge fanden.69 8. BESTATTUNGEN Im Jahr 2000 wurde in der Dordogne die prähistorische Bilderhöhle Cussac entdeckt, deren Boden an der Oberfläche vollkommen unberührt ist.70 Nach dem aktuellen Stand der Forschung war der prähistorische Mensch der letzte Höhlenbesucher, denn ein Felsversturz nahe dem heutigen Eingang machte den Zugang für lange Zeit unmöglich. In Cussac findet sich der Beleg dafür, dass Bilderhöhlen auch als Bestattungsplatz gedient haben. Insgesamt sind in Cussac fünf Individuen gefunden worden. Die Knochen der vier Erwachsenen und des einen Jugendlichen liegen zusammengeschoben in ausgedienten Schlafkuhlen der Höhlenbären. Die Tatsache, dass die Knochen nicht mehr in ihrem ursprünglichen anatomischen Zusammenhang liegen, spricht dafür, dass die Toten hier sekundär bestattet worden sind. Die Knochen wurden ohne Bedeckung an der Oberfläche liegen gelassen. Es gibt keine Beifunde, die als Beigaben interpretiert werden können. Cap Blanc (Frankreich) ist eine weitere Bestattung aus dem Kontext von Felsbildern.71 Das Skelett einer jungen Frau wurde in unmittelbarer Nähe zu dem monumentalen Pferdefries gefunden. 9. FAZIT Die Zusammenstellung der Funde und Befunde aus dem statischen Kontext der prähistorischen Felsbilder hat gezeigt, dass die Analyse der Bilderhöhlen eine Vielfalt an Erkenntnissen über das Beziehungsgeflecht zwischen Höhle und Mensch erbringen kann, ohne in eine nähere Betrachtung der Felsbilder einzutreten Eine undifferenzierte Interpretation von Felsbildern und Bilderhöhlen gleichermaßen, wie sie in den letzten 100 Jahren versucht wurde, gibt den archäologischen Befund nicht befriedigend wieder. Holistische Ansätze belegen vielmehr die Existenz allgemeiner Vorstellungen, die jedoch alle Lebensbereiche betreffen und nicht für die Bilderhöhlen spezifisch sind. Eine Änderung und Erweiterung des Blickwinkels bringt nicht nur nachvollziehbare Ergebnisse, sondern eröffnet auch neue Fragestel68 69 70 71

Petrin 1997, 43 f. und Abb. 57. Ščelinskij/Sirokov 1999, 130. Aujoulat u. a. 2001; Aujoulat 2002. Capitan/Peyrony 1912; Wüller 1999.

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lungen, welche die Vorgänge in den Bilderhöhlen beleuchten. Damit wird unterstrichen, dass die bisherigen, intuitiv verwendeten Konzepte des Höhlenheiligtums und des Rituals nicht mehr zeitgemäß sind. Sie sind auf der einen Seite nie definiert worden, sondern haben sich einfach in der Verwendung festgesetzt, auf der anderen Seite liefern sie keine befriedigenden Erklärungen für die vorhandenen archäologischen Befunde und Funde. Somit bringt die eingebürgerte Bezeichnung einer Bilderhöhle als grotte-sanctuaire (Höhlenheiligtum) keinen Erkenntnisgewinn. Dies gilt genauso für die unreflektierte Verwendung des Begriffs des Rituals im Zusammenhang mit archäologischen Funden und Befunden. Die in diesem Beitrag vorgestellten Funde und Befunde eröffnen die Möglichkeit, mit Mitteln der archäologischen Wissenschaft die in prähistorischen Bilderhöhlen durchgeführten Vorgänge detailliert zu untersuchen und auf diese Weise durch den Vergleich mit Fundstellen im Freiland mögliche Rituale aufzudecken und beschreiben zu können. Darüber hinaus werden sich durch die Betrachtung der Höhle als natürlicher Raum, der durch die Aktivitäten des Menschen in einen persönlichen Bezugsraum, eine Landschaft, umgewandelt wird, unmittelbare systemische Vergleichsmöglichkeiten mit Felsbildregionen im Freiland ergeben. Auch hier wird durch die Aktivitäten des Menschen ein natürlicher Lebensraum in eine Landschaft umgewandelt. Die Bilder selbst – und damit auch die Felsbilder – werden in der aktuellen prähistorischen Forschung als herausragendes Mittel angesehen, um die Geschichte der Beziehungen zwischen verschiedenen prähistorischen Menschengruppen zu verstehen.72 In den Bildern ist Wissen gespeichert, welches für das Überleben essenziell ist.73 Dies betrifft Informationen über die Umwelt in gleicher Weise wie Informationen über Technologie und soziale Beziehungsgeflechte. In diesem Sinne sind Bilder Teil des gesamten Informationsflusses: Beschaffung, Zirkulation, Speicherung und Mobilisierung. Grundsätzlich funktioniert dieses System der Verschlüsselung und Entschlüsselung nur, wenn die entsprechenden kulturellen Elemente extrahiert, interpretiert und verstanden werden können.74 Hierzu müssen der Absender und der Empfänger das entsprechende Wissen besitzen. Darüber hinaus stellt Robert Whallon fest, dass Informationen mit zunehmender räumlicher Distanz von ihrem Ausgangspunkt immer weniger Bedeutung haben, wenn sich die entsprechenden Inhalte um räumlich entfernte Umweltthemen und soziale Beziehungen drehen.75 So können zwei verschiedene Arten von Wissen gruppiert werden: das traditionelle und das lokale Wissen.76 Traditionelles Wissen ist in diesem Zusammenhang die Bündelung an Informationen, die jenseits der eigenen lokalen Erfahrungen liegen. Es ist der Wissensspeicher sowohl für Strategien der Ressourcennutzung als auch für historische Beziehungen mit benachbarten sozialen Gruppen. Am akkuratesten ist jedoch das lokale Wissen, in dem Informationen, die den Alltag betreffen, zirkulieren. Per72 73 74 75 76

Sauvet/Wlodarczyk 2001, 219; Rivero/Sauvet 2014. Whallon 2011. Whallon 2011. Whallon 2011. Fitzhugh u. a. 2011.

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sönliche Erfahrungen, Instruktionen und storytelling sind hier die zentralen Kommunikationskomponenten innerhalb einer etablierten Gruppe. Die Diversität der aufgeführten Punkte führt letztendlich zu lokalen und überregionalen Informationsnetzwerken, die unterschiedlich eng verknüpft sein können. Die hier angestellten Überlegungen zur Funktion prähistorischer Felsbilder basieren auf grundsätzlichen Betrachtungen zur Phänomenologie von Alfred Schütz, zur Sozialpsychologie von Abraham Maslow und zur Anthropologie von Arnold Gehlen.77 Demnach ist das Anfertigen von Bildern grundsätzlich fester Bestandteil der hierarchisch aufgebauten menschlichen Bedürfnisse, es resultiert aus dem konstitutionellen Antriebsüberschuss und bedient letztendlich Ferninteressen. In der prähistorischen Kunst sind in der Regel Bilder aus der Lebenswelt des steinzeitlichen Menschen festgehalten. Der hier verwendete Begriff der Lebenswelt beschreibt den Wirklichkeitsbereich, an dem jeder Mensch unausweichlich teilnimmt. Die Bilder geben die Typisierung der in ihrer jeweiligen Lebenswelt präsenten Gegenstände und Ereignisse wieder und sind somit Teil eines Wissensvorrats aus (mit)geteilten und unmittelbaren Erfahrungen. Mit dem grundsätzlichen Vertrauen, dass die Welt sich seit dem Anfertigen der Bilder insofern nicht verändert hat, als Bäume immer Bäume und Vögel immer Vögel waren, besitzt dieser Wissensvorrat zur Weltauslegung immer noch Gültigkeit. Die Auslegung hat jedoch Grenzen, denn die sich in den Bildern reflektierenden Erlebnisse und Erkenntnisse sind nur innerhalb eines geschlossenen Sinngebiets verträglich. Nach Schütz gibt es auch keine Möglichkeit, „ein geschlossenes Sinngebiet auf ein anderes mit Hilfe einer Verwandlungsformel zurückzuführen.“78

Prähistorische Bilderhöhlen sind fester Bestandteil des für den steinzeitlichen Menschen lebensnotwendigen Informationsnetzwerkes. Sie per se als Kulträume anzusprechen entspricht jedoch nicht mehr dem Stand prähistorischer Forschung: Auf der einen Seite kann die Interaktion mit Wesen, denen übernatürliche Eigenschaften zugeschrieben werden, mit archäologischen Methoden für die Prähistorie nicht nachgewiesen werden. Auf der anderen Seite finden sich in Bilderhöhlen viele Spuren profaner Aktivitäten. Es sind weitere Forschungen nötig, um die Funktion von Bilderhöhlen im der Lebenswelt prähistorischer Wildbeuter zu erfassen und konkrete Antworten auf die Frage, in welchem Verhältnis von Kult und Raum zueinander standen.

77 Schütz/Luckmann 2003; Maslow 1970; Maslow 1981; Gehlen 1986. 78 Schütz/Luckmann 2003, 56.

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DER SOGENANNTE KOSBACHER ALTAR AUS DER FRÜHEN LATÈNEZEIT Doris Mischka 1. GEGENSTAND UND METHODE Vergangene Kulturen hinterlassen Spuren. Wenn Schriftzeugnisse fehlen, bestehen diese ausschließlich aus Überresten der sogenannten materiellen Kultur. Von der materiellen Kultur ist nur derjenige Teil erhalten, der bis heute in Abhängigkeit von den Erhaltungsbedingungen der Objekte selbst und ihres Lagerungsmilieus überdauert hat. Der größte Teil der ehemals existenten Gegenstände oder Bauwerke – vor allem diejenigen aus organischen Materialien – fehlt fast immer. Die Beschäftigung mit scheinbar „sprachlosen“ Zeiten stellt daher eine methodische Herausforderung dar, wenn versucht wird, aus diesem „wiederentdeckten“ Teil der „toten Kultur, den erhaltenen und aufgefundenen Sachquellen, Rückschlüsse auf Diskurse und Praktiken der „lebenden Kultur“ zu ziehen, deren Resultat die ausgegrabenen Überreste sind.1 Die folgende Studie ist der Frage gewidmet, ob es Hinweise darauf gibt, dass eine kleine quadratische Steinsetzung, die in der Nähe von Kosbach bei Erlangen von einem Pfarrer entdeckt und von ihm als „Kosbacher Altar“ angesprochen wurde, für kultische Zwecke genutzt worden sein könnte. Da für die Eisenzeit, in die die Anlage datiert wird, aus der Region nördlich der Alpen keine Schriftquellen zur Verfügung stehen, kann dieses Erklärungsmodell nur durch eine genaue Erfassung der charakteristischen Merkmale des Befundes, seiner topographischen Lage und seines Kontexts bewertet werden. Die Suche nach alternativen Deutungen erfordert Vergleiche mit Befunden ähnlicher Zeitstellung in der näheren und weiteren Umgebung. Zusätzlich zur Kontextualisierung der Anlage in ihrer Landschaft und in ihrem Bezug zu benachbarten Denkmälern erlauben die Art und die Verteilung der hinterlassenen Gegenstände im Bereich der Steinsetzung und ihrer Umgebung Rückschlüsse auf Aktivitäten, die dort abliefen, auf die Funktion und die Bedeutung der Anlage. Aus diesem Forschungsansatz ergibt sich, dass nicht auf alle Fragen, die im Rahmen der Tagung gestellt wurden, Antworten gegeben werden können. 2. ENTDECKUNGS-, GRABUNGS- UND FORSCHUNGSGESCHICHTE 2014 zeigte das Stadtmuseum Erlangen zur 100-Jahr-Feier der Entstehung der „Anthropologisch-Prähistorischen Sammlung“ die Ausstellung „Rätsel Kosbacher Altar“, die als studentisches Projekt am Institut für Ur- und Frühgeschichte (UFG) der 1

Eggers 1951, 24.

Abb. 1. Topographische Karte zur Lage der Fundstelle Kosbach, Hügel 9. Ausschnitt aus TK 50, Kartenblätter Höchstadt a. d. Aisch, Blatt L6330 und Fürth, Blatt L6530 (Geobasisdaten © Bayerische Vermessungsverwaltung 2013).

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Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) entstanden war. Diese Sammlung, die den Grundstock des heutigen Instituts bildete, ging aus der Vereinigung und Stiftung der beiden privaten Sammlungen des Anatomieprofessors und Direktors des Anatomischen Instituts Leo Gerlach und des Erlanger Pfarrers Rudolf Herold hervor. Gerlach stellte den größten Teil der Funde und Geldmittel zum Kauf weiterer Funde bereit, Herold steuerte vor allem Objekte aus seinen eigenen Grabungen in der Umgebung Erlangens bei, darunter auch Funde aus seinen Grabungen des Vorjahres 1913 in Kosbach (Abb. 1).2 Zu ihnen gehörte der sogenannte Kosbacher Altar.

2.1 Lebenslauf Rudolf Herolds Zum Verständnis der Fundstelle und der Entstehung der Interpretationen der Befunde ist es notwendig, sich kurz mit der Lebensgeschichte Herolds vertraut zu machen:3 Der 1879 als Sohn des evangelischen Pfarrers Wilhelm Herold in Erlangen geborene Rudolf Herold studierte Theologie in Erlangen und Greifswald. Sein Interesse an alten Kulturen und Geschichte ließ ihn Kurse zu assyrischer und ägyptischer Sprachwissenschaft besuchen. Er promovierte in München, jedoch nicht über ein theologisches Thema, sondern über den General des Dreißigjährigen Krieges, Gottfried Heinrich zu Pappenheim; der Titel der Dissertation lautet: „Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim. Seine kriegerische Tätigkeit im westlichen Mitteldeutschland und sein Feldzug an die untere Elbe 1630 auf Grund archivalischer Forschungen dargestellt“ (München 1906). Zur geplanten Habilitation in Erlangen im Fach „Orientalische Archäologie“ kam es nicht. Von 1911 bis 1914 absolvierte er im Rahmen eines Stadtvikariates die praktische Ausbildung zum Pfarrer in Erlangen und fand Zeit, sich mit der Ur- und Frühgeschichte der Region zu beschäftigen. Er unternahm eigene Ausgrabungen unter anderem an verschiedenen Grabhügeln im Markwald und im Mönauer Forst, darunter auch an demjenigen mit dem sogenannten Kosbacher Altar (Abb. 1). Seit 1913 fungierte er ehrenamtlich als staatlicher Vertrauensmann für Bodenaltertümer, ernannt vom Königlichen Generalkonservatorium in München. Von der damaligen Fachwelt wurde er aber nicht zur Kenntnis genommen.4 Von 1916 bis zu seinem Tod im Alter von nur 38 Jahren 1917 betreute er die Pfarrstelle der oberfränkischen Gemeinde Küps. Herold hat sich im Studium mit der Archäologie des Vorderen Orients beschäftigt und möglicherweise auch an archäologischen Ausgrabungen im Ausland teilgenommen, zu denen bislang nichts bekannt ist. Im Bericht zu seiner Grabung formuliert er vage: „[…] eine derartige Steinsetzung war mir aus der germanischen, bezw. europäischen Archäologie nicht bekannt, nur auf Grund meiner Forschungen zur Archäologie Syriens und Palästinas stand mir Vergleichsstoff zur Verfügung, dort 2 3 4

Züchner 1993; Reisch 2000; Bockisch-Bräuer 2002; Züchner 2007. Nadler/Kaulich 1980, 173 Anm. 3. Nadler/Kaulich 1980, 173.

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hat man es bei derartigen Erscheinungen mit Altären zu tun“.5 Etwas später schreibt er mit Bezug auf den Mittelstein, man müsse „[…] zumal auf Grund meiner Altarstudien auf dem Gebiete der vorderasiatischen Archäologie, zu der Vermutung kommen, daß hier ein Phallus hatte dargestellt werden sollen […]“.6 Ein konkretes Vorbild scheint er nicht gekannt zu haben, da er in den folgenden Zeilen auf fehlendes Vergleichsmaterial hinweist. Herauszufinden, was Herold hier vor Augen hatte, böte möglicherweise einen Ansatzpunkt für die Beantwortung der Frage, weshalb er nicht nur eine rechteckige Steinsetzung als Altar, sondern auch den dort aufgestellten Mittelstein als Phallus interpretierte. Vielleicht dachte Herold an Hörneraltäre mit ihren vier erhabenen Ecken (Abb. 20)7 und Pfeileridole, die er z. B. aus den Schriften Gustaf Dalmans zu Petra in Jordanien oder Stewart Macalisters in Tell Gezer/Tell el-Jezer in Israel gekannt haben könnte,8 oder an Baityloi (Sg. Baitylos) als von einem Gott „beseelte“ Steine der Phönizier, z. B. den konischen schwarzen Stein, der im Tempel des Sonnengottes in Emesa (Homs im heutigen Syrien) verehrt und von Kaiser Elagabal nach Rom gebracht wurde. Er könnte aber auch andere Befunde, z. B. von Fruchtbarkeitskulten, kennengelernt haben, mit denen er den „Kosbacher Altar“ in Verbindung brachte. 2.2 Die Grabungen am Hügel 9 im Mönauer Forst 1913 und 1979 2.2.1 Die Grabungen Herolds 1913 Im August 1913 unternahm Herold mit einem Dutzend Helfer am 1,50 m hohen Hügel Nummer 9 in Kosbach Ausgrabungen, nachdem Waldarbeiter zwei Bronzeringe gemeldet hatten. Innerhalb von kurzer Zeit ließ er zunächst den Steinkranz freilegen, dann den inneren Bereich und zuletzt die Flächen außerhalb des Steinkreises in einem Abstand von einem bis drei Meter von diesem (Abb. 2). Einzelne dort liegende Steinblöcke interpretierte er als zweiten Hügelkranz. Er berichtete von einer zentralen Steinpackung unter einer etwa 30 cm dicken Humusdecke von etwa 4 m × 7 m Ausdehnung und einer Mächtigkeit von einem Meter9. An anderer Stelle werden die Maße widersprüchlich mit 10 × 10 m angegeben.10 Diese Steinpackung sucht man im Plan vergeblich. Nach ihrer Abtragung, so heißt es, fanden sich lediglich Knochenreste, eine Bronzenadel (E22511) und ein tönerner Spinnwirtel (E95) als mögliche Überreste einer Bestattung.

 5  6  7  8   9 10 11

Herold 1913b, 81. Herold 1913b, 88. Vgl. Herold 1913b, 90. Dalman 1908; Dalman 1912; Macalister 1912, bes. 446. Abb. 3 zeigt eine Rekonstruktion eines vergleichbaren hallstattzeitlichen Grabhügels. Nadler/Kaulich 1980, 176. Die Buchstaben- und Nummernkombination beziehen sich auf die Inventarnummern der Funde in der Ur- und Frühgeschichtlichen Sammlung der FAU Erlangen-Nürnberg.

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Abb. 2. Grabungsplan des Grabhügels von Kosbach mit dem „Altar“ von Herold 1913, 91 Abb. 10, verändert.

Im Nordwesten des Steinkreises stießen die Ausgräber auf eine Hügelerweiterung und die Scherben mehrerer Gefäße aus Keramik mit kalzinierten Knochen (E86, E88-E92) bzw. ein Gefäß ohne verbrannte Knochen (E87), die als Urnengräber interpretiert werden können. Herold ließ diese Gefäße – nicht immer richtig – restaurieren. Im Nordosten kamen Fibelfragmente und ein Halsringset aus vier verzierten Bronzeringen zu Tage sowie insgesamt 23 sogenannte Steigbügelarmringe ebenfalls aus Bronze – im Plan (Abb. 2) nur schematisch durch eine Schraffur hervorgehoben. Am letzten Tag der Ausgrabung wurde überraschend eine kleine annähernd rechteckige Steinsetzung mit Pfeilern an den Ecken und in der Mitte entdeckt, für die Herold den Begriff des „Kosbacher Altars“ prägte. Sie liegt im Westen des Grabhügels, vor dem Hügelfuß.

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Abb. 3. Rekonstruktionszeichnung des hallstattzeitlichen Großgrabhügels „Fuchsenbühl“ bei Riedenheim, Kr. Würzburg mit hölzerner Grabkammer und Steinpackung, Hügelschüttungen und Steinkranz; Durchmesser ca. 40 m (Spindler 1991, 100 Abb. 12).

Herold war ein Meister der „public relations“ und wusste zahlreiche Besucher für seine Arbeiten zu interessieren. So trugen sich zum Beispiel in nur 14 Tagen 1148 Personen namentlich in eine Besucherliste auf der Grabung ein. Herold publizierte seine Berichte allerdings nur ungenügend, hauptsächlich in Form von Presseberichten. Die verfügbaren Planunterlagen sind nicht ausreichend, so dass 1979 durch das Institut für Ur- und Frühgeschichte der FAU eine Nachgrabung unter der Leitung von Martin Nadler und Brigitte Kaulich durchgeführt wurde. 2.2.1.1 Der „Kosbacher Altar“ Beim als „Kosbacher Altar“ bezeichneten Befund handelt es sich um ein unregelmäßig gesetztes dichtes Steinpflaster von 2,24 m (Nordkante) × 2,20 m (Westkante) × 2,08 m (Südkante) × 1,98 m (Ostkante) Ausdehnung (Abb. 4). Das sorgfältig verlegte Pflaster weist leicht erhöhte Außenkanten auf. Die Pflasterung ist zweilagig (Abb. 5). Die Ecken sind durch kleine Sandsteinpfeiler unterschiedlicher Höhe markiert. Der Mittelpfeiler ist der größte. In Herolds Profilzeichnung sieht es so aus, als ob der „Altar“ vor den Hügel gebaut und nicht mit überhügelt wurde. Es fanden sich weder verbrannte noch unverbrannte Knochen oder andere Funde auf dem Pflaster. Lediglich die Gefäßscherben eines oder vielleicht mehrerer Töpfe zwischen den beiden Pflasterlagen am Fuß des Mittelblocks sind dokumentiert. Aus diesen Scherben ließ Herold das in der Ur- und Frühgeschichtlichen Sammlung unter der Nummer E85 inventarisierte Gefäß unter Einsatz von viel Gips zusammensetzen. Es findet sich lediglich eine einzige Scherbe mit einem deutlichen Profileinzug. Nadler und Kaulich publizierten einen zeichnerischen Rekonstruktionsvorschlag12 (Abb. 18 rechts) und plädierten aufgrund des erkennbaren 12 Nadler/Kaulich 1980, 205 Taf. 18 Gefäß 85.

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Abb. 4. Der „Kosbacher Altar“ während der Nachgrabung 1979 (Aufnahme M. Nadler).

Abb. 5. Oben: Profilzeichnung des „Altars“. Im Osten Anschluss an den Hügelfuß des Grabhügels. Rot hervorgehoben das Gefäß E85 am Fuße des Mittelsteins im Bereich der unteren Pflasterlage. Unten: Zeichnung des Mittelpfeilers in vier Ansichten durch den Bildhauer Baierlacher im Maßstab 1:10 (Herold 1913, 86; 84 Abb. 8 verändert und 87 Abb. 9).

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Merkmals für eine Datierung in die Stufe Latène A der jüngeren Eisenzeit, die in die Zeit zwischen 450 und 400 v. Chr. datiert wird. Der mittlere Pfeiler war für Herold etwas Besonderes (Abb. 5). Er ließ ihn bergen und vor der Wiederherrichtung des Befundes und seiner Zuschüttung durch einen ähnlichen Stein ersetzen. Der Stein gehört zur Ur- und Frühgeschichtlichen Sammlung und befindet sich heute als Dauerleihgabe im Erlanger Stadtmuseum. Wie der von Herold veranlassten Zeichnung aus vier Perspektiven zu entnehmen ist, ist die Spitze des Blocks durch eine Rille vom Rest abgesetzt. Es gibt nach wie vor sehr unterschiedliche Meinungen, ob dies natürlichen Umständen zu verdanken oder artifiziell entstanden ist. Für Herold bestand jedenfalls kein Zweifel an einer artifiziellen Herstellung zur Darstellung eines Phallus. Er sieht nur im Mittelpfeiler einen Phallus, nicht in den Eckpfeilern. Im ersten Moment erscheint diese Interpretation – eines männlichen Geschlechtsteils auf einem Altar – ungewöhnlich, doch gibt es aus jüngeren Zeiten Darstellungen von Phalli im Kult – auch mit architektonischem Bezug, wie zum Beispiel römische Darstellungen der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. von einzelnen Phalli in Tempeln.13 Es handelt sich eventuell um Kulte des Mutunus Tutunus (gr. Priapos).14 Es wird jedoch im Folgenden zunächst nach entsprechenden Hinweisen und ähnlichen Darstellungen in zeitlicher Nähe zum Zeithorizont des 5. Jahrhunderts v. Chr. zu suchen sein. 2.2.1.2 Merkmale des Befundes (Abb. 4–5) Als charakteristische Merkmale des Befundes lassen sich folgende bauliche Details zusammenstellen: – – – – – – – –

annähernd quadratische bzw. leicht trapezoide Steinsetzung Kanten etwa in Richtung der Haupthimmelsrichtungen kürzeste Kante in Richtung Hügelmitte orientiert zweilagiges, sorgfältig gesetztes Pflaster aus unregelmäßigen Steinen partiell erhöhte Randsteine an einer Seite etwas flachere Stelle der Randsteine; Abfluss – oder Zufall? unterschiedlich hohe Ecksteine, Mittelpfeiler wenige Funde, keine Knochen und keine Hinweise auf Feuer; Scherben von eventuell nur einem Gefäß am Fuße des Mittelpfeilers zwischen den beiden Steinlagen

Wichtig für die folgenden Vergleiche sind nun noch die Merkmale der Topographie und des Kontexts am Fuße des Grabhügels. 2.2.1.3 Topographische Lage Der Grabhügel, an dessen Fuß der „Kosbacher Altar“ liegt, befindet sich im heutigen Waldgebiet des Mönauer Forstes (Abb. 1). Im digitalen Geländemodell liegt der Bereich des Mönauer Forstes mit den Grabhügeln zwischen 285 und 360 m NN 13 Abbildung eines Phallus im Tempel aus Pompeji in: De Caro 2000, 80. 14 Palmer 1974, 187–206.

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und damit ca. 5–25 m über seiner Umgebung (Abb. 6). Der sanfte Höhenzug wird heute durch die Autobahn A3 geteilt. Insgesamt sind 13 Grabhügel sicher bekannt. Der Hügel Nr. 9 mit dem „Altar“ gehört also zu einem Grabhügelfeld, welches im Bereich des Höhenzuges errichtet wurde und partiell erhalten geblieben ist. Die topographische Lage ist nicht weiter außergewöhnlich. Der Grabhügel liegt nicht auf einer markanten Anhöhe und auch nicht in einer Position am Talrand.

Abb. 6. Digitales Geländemodell mit Höhen von 385 bis 360 m NN durch den Mönauer Forst. Deutlich erkennbar sind die Autobahn A3 und einige hier durch Kreise hervorgehobene Grabhügel des Kosbacher Gräberfelds. Rosa – Grabhügel 6 im kleinen schwarzen Kreis, Grabhügel 9 mit dem "Kosbacher Altar" im großen schwarzen Kreis, weitere Grabhügel durch gestrichelte Kreise markiert (Geobasisdaten © Bayerische Vermessungverwaltung 2013, Umsetzung C. Mischka).

2.2.2 Zum Kontext des „Altarbefundes“: Die Grabungen Nadlers und Kaulichs 1979 Zwischen dem 22. Juni und dem 14. August 1979 fand durch Martin Nadler und Brigitte Kaulich eine Nachgrabung zwischen dem damaligen Baumbestand statt, mit dem Versuch, die Befundsituation der Fundstelle zu klären. Auch sollte nach weiteren Anhaltspunkten für die Datierung und Bedeutung von Grab und „Kosbacher Altar“ gesucht werden. Neben der Hinzugewinnung von weiteren Funden, darunter an die Altfunde passende Scherben und weitere vermutliche Anbauten an den Steinkranz, gelang es, die von Herold in situ belassene und lediglich zugeschüttete Steinsetzung des „Altars“ wieder freizulegen (Abb. 4) und seine Angaben zur Gestaltung, soweit möglich, zu verifizieren. Herold hatte zwar die Steinsetzung vollständig abtragen lassen, um zu überprüfen, ob sich ein Grab darunter befindet. Wie der Vergleich der Altfotos mit denen der Nachgrabung belegt, ließ er den Befund jedoch sehr sorgfältig, steingenau wieder herstellen.

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Aus beiden Grabungen lässt sich folgende Entwicklungsgeschichte des Grabhügels und des Anbaus ableiten, soweit es anhand der wichtigsten latenten Befunde und der geborgenen Funde rekonstruierbar ist.15 3. BEFUNDE, FUNDE UND DATIERUNG Der abgebildete Plan wurde während der Nachgrabung 1979 gezeichnet (Abb. 7). Die eingetragenen arabischen Ziffern bezeichnen Funde, die anhand von Beschreibungen Herolds in etwa verortet werden können. Aufgrund der typologischen Einordnung der Funde und aus ihrem Auffindungsort lassen sich diverse latente Befunde ableiten, bei denen es sich unter Vorbehalt um vermutlich neun Gräber handelt.

Abb. 7. Grabungsplan der Nachgrabung von 1979 mit Eintragung bestimmter Funde in Form von arabischen Ziffern (Nadler und Kaulich 1980, 5 Abb. 3).

15 Vgl. Nadler/Kaulich 1980.

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Abb. 8. Inventar eines rekonstruierten Grabes 1 aus der Urnenfelderkultur mit einem Nadelfragment aus Bronze vom Typ Wollmesheim und einem Spinnwirtel aus Ton (Fotos F. Sauer). Möglicherweise aus derselben zerstörten urnenfelderzeitlichen Zentralbestattung stammen die abgebildeten Keramikscherben (Nadler und Kaulich 1980, 197 Tafel 10, verändert).

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3.1 Urnenfelderkultur (1200–800 v. Chr.) Grab 1: Den ältesten Kern bilden die Funde 30 und 41–42 im Zentrum des Hügels (Abb. 7), die im Bereich der lediglich beschriebenen, nicht jedoch in Zeichnungen oder Fotos festgehaltenen Steinpackung gelegen haben dürften. Nach Herolds Beschreibungen misst die Steinpackung 4 m × 7 m. Geborgen wurden Knochenreste, eine Bronzenadel (E225) und ein tönerner Spinnwirtel (E95) als mögliche Überreste einer Bestattung (Abb. 8). Die Nadel ist typologisch mit Nadeln des Typs Wollmesheim nach Kubach zu vergleichen, die vor allem im Rhein-Main-Gebiet verbreitet sind, sowohl in Männer- wie auch Frauengräbern belegt sind und in die ältere Urnenfelderzeit datiert werden. Dazu lassen sich weitere Gefäßfragmente fügen, die zumindest in die Urnenfelderkultur datiert werden können, deren genaue Fundposition jedoch unklar ist. 3.2 Hallstatt C (800–620 v. Chr.) Grab 2: In den Hügel der angenommenen urnenfelderzeitlichen Bestattung wurde zentral eine hölzerne Grabkammer eingebaut. Als Alternative zu dieser Deutung kann man erwägen, dass der Grabhügel für die jetzt errichtete Bestattung aufgeworfen, wobei urnenfelderzeitliches Fundmaterial umgelagert wurde. Die Interpretation ist vergleichsweise vage, da es kaum Anhaltspunkte gibt. Wichtig ist die im Plan unter 52 eingetragene Scherbe der Nachgrabung, die sich an Altfunde anpassen ließ. Unter den Altfunden findet sich dann eine ganze Reihe Gefäße ähnlicher Machart, die – so Nadler und Kaulich16 – durchaus ein Bestandteil des zu erwartenden Geschirrsatzes der Zentralkammer der Phase Hallstatt C sein könnten (Abb. 9–10). Die Keramik ist zum Teil bemalt. Bronzefunde konnten nicht in diesen Zeitabschnitt datiert werden. Etwa in die gleiche Zeit gehören bzw. etwas jünger sind mindestens drei Nachoder Nebenbestattungen in Anbauten am Rande des Hügels (Abb. 11):

16 Nadler/Kaulich 1980, 198–200 Taf. 11–13.

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Abb. 9–10. Inventar der rekonstruierten Zentralbestattung, Grab 2 aus der frühen Eisenzeit, Hallstatt C, bestehend aus Keramikgefäßen (Nadler und Kaulich 1980, 198–200, Tafel 11–13).

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Grab 3: Bei 44–45: zwei Urnen mit Leichenbrand als Zeugnisse einer Brandbestattung (Abb. 11).

Abb. 11. Inventar einer Nachbestattung am Hügelrand, Brandgrab, Grab 3, aus der frühen Eisenzeit, Hallstatt C, bestehend aus zwei Keramikgefäßen und Leichenbrand (Nadler und Kaulich 1980, 201, Tafel 14).

Grab 4: Bei 48–50: etwas jünger – Gefäßformen schon ähnlich zum folgenden Hallstatt D, hier aber noch Brandbestattung (Abb. 12).

Abb. 12. Inventar einer Nachbestattung am Hügelrand, Brandgrab, Grab 4, aus der frühen Eisenzeit, Hallstatt C–D, bestehend aus drei Keramikgefäßen und Leichenbrand (Nadler und Kaulich 1980, 201–202, Tafel 14–15).

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Grab 5: Bei 46–47: ähnlich wie zuvor. Aufgrund des geschweiften Profils des Topfes 47 wäre auch schon eine frühlatènezeitliche Datierung denkbar (Abb. 13). Es gibt Leichenbrandsplitter.

Abb. 13. Inventar einer Nachbestattung am Hügelrand, Brandgrab, Grab 5, aus der Eisenzeit, Hallstatt C/D–Latène A, bestehend aus zwei Keramikgefäßen und Leichenbrand (Nadler und Kaulich 1980, 202, Tafel 15).

3.3 Hallstatt D (620–450 v. Chr.) Grab 6: Bei 28–29 fanden sich zwei Schlangenfibeln aus Bronze (Abb. 14); der Fund an Position 28 lässt sich typologisch als Form S5 nach Mansfeld bestimmen.17 Es handelt sich um eine Leitform von Ha D. Bei 40 lag ein verzierter Spinnwirtel und bei 35 eine honigfarbene Glasperle. Zwei heute verschollene Ohringe sind bei 31–32 zu ergänzen, und vermutlich gehören auch Steigbügelarmringe (vgl. Abb. 15) zu diesem Grab.

17 Nadler/Kaulich 1980, 184.

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Abb. 14. Inventar einer Nachbestattung am Hügelrand, Grab 6, Hallstatt D. Zwei Schlangenfibeln, ein Spinnwirtel und eine Glasperle sowie zwei verschollene Ohrringe (Nadler und Kaulich 1980, 195, Tafel 8; Glasperlenfoto Ch. Züchner).

Grab 7: Bei 1–4 fand sich ein Halsringkragen aus vier verzierten Bronzeringen außerhalb des Steinkranzes, die ebenfalls in die Phase Ha D datiert werden können (Abb. 15). Im gesamten nordöstlichen Hügelbereich fanden sich 23 Steigbügelarmringe aus Ha D. Zwei Konzentrationen schienen vorzuliegen. Drei Funde lagen im Bereich der Fibeln, die anderen nordöstlich davon bei Position 5–27. Im Ostteil des Grabhügels waren von Waldarbeitern zwei weitere Ringe entdeckt und gemeldet worden, was die Grabung veranlasste. Die Steigbügelringe verteilten sich eventuell auf zwei Gräber. Die Funde gehörten am ehesten alle in den Abschnitt Ha D1 und sind typisch für Frauengräber.

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Abb. 15. Inventar einer (oder mehrerer) Nachbestattung(en) am Hügelrand, Grab 7, Hallstatt D1. Halsringkragen aus vier verzierten Bronzeringen, 23 verzierte Steigbügelarmringe aus Bronze (Nadler und Kaulich 1980, 195, Tafel 8, Fotos Ch. Züchner).

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3.4 Latène A (450–380 v. Chr.) Grab 8: Zentral bei 36 und 39 befanden sich eine Augenperle (Abb. 16) und eine grünliche Glasperle; letztere ist heute nicht mehr vorhanden.

Abb. 16. Inventar einer Nachbestattung im Hügel, Grab 8, Latène A. Augenperle und verschollene grüne Glasperle (Foto Ch. Züchner).

Grab 9: Bei 33 im Süden, umgeben von kalzinierten Knochensplittern, die auf ein Brandgrab hindeuten, wird von Herold das Fragment eines großen hohlen Bronzearmrings erwähnt. Dieses ist heute nicht mehr vorhanden. Bei einer späteren Funddurchsicht tauchte ein Eisenfragment auf (Abb. 17), welches zu einem Hiebmesser gehören könnte. Es handelt sich um den einzigen erhaltenen Eisenfund aus Hügel 9.

Abb. 17. Teil einer Nachbestattung am Hügelrand, Grab 9, Latène A. Fragement eines Hiebmessers aus Eisen (Nadler und Kaulich 1980, 195 Tafel 8).

Im „Kosbacher Altar“: Das Gefäß bei Position 51 am Mittelstein des „Kosbacher Altars“ enthielt einen Stein. Der Topf lag zerscherbt zwischen den beiden Pflasterlagen (Abb. 18).

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Abb. 18. Keramikgefäße E85 vom „Kosbacher Altar“. Das Foto zeigt die Zusammensetzung von Herold an, daneben die moderne zeichnerische Rekonstruktion der Gefäßform von M. Nadler und B. Kaulich (Nadler und Kaulich 1980, 205, Tafel 18, Foto F. Sauer).

Fazit zum Befundkontext: Der „Altar“ wurde am Rand eines mehrfach genutzten Grabhügels errichtet. Soweit dies festzustellen ist, stammt er aus der letzten Nutzungsphase des Hügels, die über die Augenperle in die frühe Latènezeit zu datieren ist, und lässt sich über den Fund des Gefäßes zwischen den Steinlagen unter Vorbehalt in die Phase Latène A, also in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. datieren. 4. INTERPRETATIONEN 4.1 Herold 1913 Herold interpretierte die Steinsetzung am Grabhügel 9 in Kosbach als Altar und den Mittelstein als Phallus. Es ist nicht klar, wie er zu dieser Deutung kam, möglich ist aber eine Beeinflussung durch seine Kenntnisse von Befunden aus dem Vorderen Orient. Eine Publikation zu Petra, die er gekannt haben dürfte, stellt Pfeileridole aus Stein vor, die z. T. als Phallus gedeutet wurden.18 Sollte Herold hier Analogien gezogen haben, ignorierte er allerdings Dalmans ablehnende Haltung zu dieser Interpretation.19 Gleiches gilt für die Interpretation der Anlagen als „Altäre“, da Dalman davon ausging, dass an den Steinmalen keine Brandopfer, sondern Schlachtopfer vollzogen wurden.20 Ein anderes Werk, das Herold vor seiner Grabung in Kosbach hätte lesen können, wäre jenes von Macalister zu den Grabungen am Tell Gezer. 18 Dalman 1908, 55. 19 Dalman 1908, 55. 20 Dalman 1908, 55.

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Hier werden in den Spitzpfeilern allerdings Totendenkmäler gesehen.21 Ein Fund aus Petra ähnelt dem Mittelpfeiler von Kosbach mit der abgebrochenen Spitze ein wenig (Abb. 19).22 Die kleinen monolithischen Hörneraltäre weisen zwar z. T. eine ähnliche Größe auf wie der Mittelpfeiler von Kosbach, sind damit jedoch deutlich kleiner als die Gesamtanlage des „Kosbacher Altars“ (Abb. 20). Lediglich die Form der erhabenen Ecken erinnert an die namengebenden Hörner der Altäre. Die kleinen, in einigen Fällen in den Maßen mit dem Kosbacher Mittelpfeiler vergleichbaren portablen Hörnerältäre waren vom 10. bis ins 7. Jahrhundert v. Chr. besonders im heutigen Israel, Palästina und Syrien in Gebrauch und sind damit etwas älter als Kosbach.23 Auch handelt es sich meist um rechteckige Formen mit flacher Oberseite zur Ablage von Opfern oder Gaben. Herold hat vermutlich nicht den Mittelpfeiler mit Hörneraltären verglichen, sondern das Gesamtkonstrukt ohne Mittelpfeiler (insbes. Abb. 20.7).24 In der Mitte der Hörneraltäre findet sich keine feste Installation.25 Eine Steinanordnung wie in Kosbach mit vier Ecksteinen und einem Mittelstein ist literarisch für das Grabmal von Porsenna durch Plinius überliefert,26 allerdings dort mit einer Gesamthöhe von ca. 25 m.

Abb. 19. Steinpfeiler aus Petra (Macalister 1912, 446 Abb. 528).

21 22 23 24 25 26

Dalman 1908, 56. Macalister 1912, 446 Abb. 528. Gitin 2002, 109 Abb. 6. Vgl. Herold 1913, 90. Zwickel 1990, 125. Plin. nat. 36,91 ff. (zitiert nach Blumhofer 1993, 159): supra id quadratum pyramides stant quinque, quattuor in angulis et in medio una („Über diesem Quadrat stehen vier Pyramiden, vier an den Ecken und eine in der Mitte.“).

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Abb. 20. Zwölf tragbare sogenannte Hörneraltäre aus Stein vom Fundplatz Ekron, Tel Miqne, Israel (Gitin 2002, 104 Abb. 4).

4.2 Nadler/Kaulich 1980 Aufgrund der bis heute gegebenen Singularität des Befundes taten sich Nadler und Kaulich schwer, eine Interpretation vorzunehmen. Sie schlugen neben der Deutung Herolds als Altar eine Deutung als Grabgarten vor27. Als Grabgärten gelten meist rechteckig angelegte Umhegungen von Gräbern z. B. durch eine Bepflanzung oder Steinsetzung, oder eingehegte Areale vor den Gräbern.

27 Nadler/Kaulich 1980, 181.

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4.3 Weitere Vergleichsbefunde Es gibt nach Meinung der Verfasserin bis heute keine in allen Details zur Konstruktion und Lage übereinstimmenden Befunde mit ähnlicher Datierung in räumlicher Nähe. Im Folgenden werden sechs Befundkategorien vorgestellt und diskutiert, die zumindest in einzelnen Merkmalen mit dem „Kosbacher Altar“ verglichen werden können. 4.3.1 Aschealtäre oder Brandopferplätze nach Vorbildern in der Ägäis oder im Alpenraum Aufgrund der Terminologie naheliegend, sollen an erster Stelle die Aschealtäre oder Brandopferplätze mit dem „Kosbacher Altar“ verglichen werden. Im mykenischminoischen Kontext wird von „Aschealtären“, im Alpenraum und zircumalpinen Gebiet von „Brandopferplätzen“ gesprochen. Beide Opferplatzkategorien sind nach aktuellem Forschungsstand nicht unbedingt voneinander abzuleiten.28 Die historischen Quellen zu den mediterranen Aschealtären fasst Riemer zusammen.29 Wie die Liste mit Brandopferplätzen bzw. Aschealtären aus Griechenland und Italien zeigt, ist das Phänomen älter als der Kosbacher Befund.30 Typisch ist die Lage dieser Plätze, insbesondere der räumlich zu Kosbach näher gelegenen alpinen Altäre auf Bergspornen oder an Talrändern oder in ähnlicher auffälliger Topographie – nicht jedoch am Fuße von Grabhügeln. Gelegentlich findet sich im archäologischen Befund eine Abgrenzung der Feuerstelle mit Feld- oder Bruchsteinen, auch in rechteckiger Form mit einer offenen Seite, die grob der Form des „Kosbacher Altars“ entspricht. Auch Rollstein- und Steinpflaster sind neben diversen unterschiedlichen Bauweisen belegt (Abb. 21).31 Bislang sind drei mit Kosbach vergleichbare Fund

Abb. 21. Konstruktionsvariante eines Aschealtars (Riemer 2005, 130 Abb. 54, Ausschnitt).

28 29 30 31

Riemer 2005, 109–196. Riemer 2005, 172–180. Vgl. Übersicht in Riemer 2005, 184 Abb. 74: 1000–400 v. Chr. Weiss 1997, 44–50.

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plätze bekannt: Biberg, Piller Sattel und Icking-Irschenhausen.32 Brandopferplätze weisen große Fundmengen auf, darunter zum Beispiel bis zu mehrere Hundert Gefäße oder Gefäßfragmente sowie Knochenreste. Abgesehen von den kalzinierten Knochen der Brandbestattungen gibt es in Kosbach keine Hinweise darauf. 4.3.2 Abdeckung eines Grabes Herold ließ die Steinsetzung abtragen, weil er sie zunächst für eine Grababdeckung hielt. Als Beispiel für einen derartigen Befund sei das Grab von Landersdorf im Hügel 65, Lkr. Roth genannt (Abb. 22). Zu erkennen sind eine rechteckige Randeinfassung und ein Pflaster aus Steinplatten.

Abb. 22. Grabsituation im Hügel 65 von Landersdorf 99 im Landkreis Roth, Frühlatènezeit (Schußmann 2008, Tafel 289). 32 Weiss 1997, Fundstelle 35, 47 und 15; Riemer 2005, 130 Abb. 54.

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Die Abmessungen der Steinsetzung und die sorgfältige Ausführung des „Kosbacher Altars“ entsprechen durchaus zeitgleichen Bestattungen. Auch die Nachgrabung 1979 konnte allerdings keinerlei positiven Beleg für eine Bestattung unter (oder auf) dem Pflaster finden. Bestenfalls wäre ein Grab ohne Beigaben und mit vollständig vergangenen Knochen denkbar. Pfeilersetzungen auf Pflasterungen von solchen Gräbern sind nicht bekannt. 4.3.3 Teil eines Grabgartens Aus der mittleren und späten Latènezeit sowie aus frührömischer Zeit sind Einhegungen von Gräbern und Grabarealen mit Hecken oder kleinen Mäuerchen bekannt.33 Die Steinpflasterung im Inneren eines Grabgartens der nördlichen Gräberstraße von Vindonissa aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. weist eine ähnliche Form und ähnliche Dimensionen auf wie die Kosbacher Pflasterung (Abb. 23). In Kosbach ließ sich jedoch weder ein Grab nachweisen noch eine Einhegung der Pflasterung. Außerdem sind die Grabgärten etwas jünger als die Kosbacher Anlage unter der Annahme der korrekten zeitlichen Einordnung beider Befundgattungen.

Abb. 23. Grabgärten entlang der nördlichen Gräberstraße von Vindonissa aus dem 1. Jh. n. Chr. (Drack und Fellmann 1988, 271).

4.3.4 Überrest einer Wegepflasterung zwischen Grabhügeln Zwischen Grabhügeln lassen sich in seltenen Fällen wie im Schwarzachtal Pflasterungen beobachten, die zumeist als Wege interpretiert werden (Abb. 24). Die Kosbacher Steinsetzung ist jedoch durch die Randsteine klar eingefasst, was diese Interpretation unwahrscheinlich macht. Auch würden die Pfeiler, vor allem der Mittelpfeiler, einer Wegenutzung entgegenstehen; es sei denn, die Pfeiler und insbe-

33 Becker 1995.

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sondere der Mittelpfeiler wären nachträglich aufgestellt worden, was sich aber nicht aus dem Befund ableiten lässt.

Abb. 24. Greding-Großhöbing im Schwarzachtal. Wegepflaster zwischen Grabhügeln der späten Hallstatt- und frühen Latènezeit (Foto M. Nadler).

4.3.5 Rest einer Steinpflasterumrandung des Grabhügels Der großflächig ausgegrabene und intensiv erforschte Grabhügel von Hochdorf in Baden-Württemberg liefert ebenfalls interessante Vergleiche. Im Plan ist die zentrale Grabkammer in der Mitte des Hügels zu sehen (Abb. 25). Die Hügelgrenzen sind nicht einfach nur durch kleine Mäuerchen begrenzt, sondern durch breitere Gefache von 1,70 m bis 3,60 m, also Maße, in die sich die Kosbacher Steinsetzung einfügen ließe (Abb. 25–26). Übereinstimmend zu Kosbach lägen die längsten Kanten außen und die kürzesten zum Hügel hin orientiert. Die Maße des Kosbacher Befundes passen hier sehr gut, eine ursprünglich den Hügel umfassende Konstruktion ist vorstellbar. Die Pfeiler könnten – zugegebenermaßen sehr ausgefeilte – radiale Markierungen für einzelne Bauabschnitte und -trupps sein. Ein solches Vorgehen ist von den Grabhügeln der nordischen Bronzezeit bekannt.34

34 Holst/Rasmussen 2013.

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Abb. 25. Hochdorf, Baden-Württemberg. Plan des Grabhügels (Biel 1995, 31 Abb. 20).

Im Befundfoto zeigt sich jedoch, dass die Steinsetzung, die den Hügel von Hochdorf umfasst, aufgewölbt ist, anders als beim „Kosbacher Altar“. Auch wurde in Kosbach kein Hinweis auf eine Fortsetzung der Pflasterung gefunden. Bestenfalls könnten die weiteren Steinanhäufungen entlang des Hügelfußes als deren Überreste gedeutet werden. Diese sind jedoch eher kleine, rundlich an die Krepis angemauerte Fassungen für Nachbestattungen. Die Position des Mittelpfeilers lässt sich ebenfalls mit einer solchen Deutung nur schwer in Einklang bringen. Während sich die ersten Vergleiche auf das Steinpflaster konzentrierten, sollen sich die folgenden mehr den Sandsteinpfeilern auf dem Pflaster zuwenden.

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Abb. 26. Hochdorf, Baden-Württemberg. Detailausschnitt aus dem Plan des Grabhügels (Biel 1995, 31 Abb. 20; Digitalisierung C. Mischka; Foto: Biel 1995, 38 Abb. 28).

4.3.6 Stelen auf einem Grabhügel In der späten Hallstatt- und frühen Latènezeit sind Pfeiler aus Sandstein durchaus geläufig. Sie werden zumeist als Stelen bezeichnet. Es handelt sich um einzelne Monumente von variabler Größe zwischen wenigen Dezimetern bis Menschengröße, die unverziert oder wie hier im Beispiel der „Pfalzfelder Säule“ aus Rheinland-Pfalz stark verziert sein können (Abb. 27.1). Der erhaltene untere Teil misst knapp 1,50 m und ist damit mehr als doppelt so hoch wie der Kosbacher Mittelpfeiler. Noch berühmter sind die menschengestaltigen Statuen vom Glauberg in Hessen (Abb. 27.2) und aus Hirschlanden. Diese Sandsteinskulpturen sind Kriegerdarstellungen mit erkennbaren Ausstattungen, Waffen, Schmuck bzw. Herrschaftszeichen. Der „Krieger von Hirschlanden“ ist mit erigiertem Glied dargestellt. Wenn es

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Abb. 27. Stelen der späten Hallstatt- und frühen Latènezeit. 1 Pfalzfelder Säule, Rheinland-Pfalz; 2 Glauberg, Hessen; 3 Hirschlanden, Baden-Württemberg; 4 Calw-Stammheim, Baden-Württemberg, Sandsteinstele bei Grab, ithyphallisch; 5 Rai-Breitenbach, Hessen, Steinstele, Maskengesicht, Armringe; 6 Ebrach, Kr. Bamberg, Steinstele mit Halsring; 7 Windelsbach-Preuntsfelden, Kr. Ansbach, Steinstele (1 Frey 2002, 213 Abb. 200, verändert; 2 Statue@keltenwelt-am-Glauberg. Foto: P. Odvody; 3 Landesmuseum Württemberg, Stuttgart; Frankenstein/Zwietasch; 4–7 Spindler 1991, 182–183 Abb. 27–30).

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Phallusdarstellungen im Kontext der Zeit gibt, dann derartige. Freistehende Phalli bzw. Phallusskulpturen sind nicht bekannt. Da seit den ersten Grabungen in Kosbach 100 Jahre vergangen sind, in denen intensiv geforscht wurde, wären jedoch weitere ähnliche Befunde und Funde wie beim „Kosbacher Altar“ angetroffen zu erwarten gewesen. Die zumeist einzeln belegten Stelen (Abb. 27), unverziert oder verziert, werden meist als ehemals auf den Grabhügeln stehend rekonstruiert (Abb. 28), obwohl sie oft auch am Fußbereich der Hügel angetroffen werden. Eine Aufstellung am Hügelfuß kann daher durchaus in Betracht gezogen werden.

Abb. 28. Rekonstruktionszeichnung des Grabhügels von Ditzingen-Hirschlanden, Kr. Ludwigsburg, Baden-Württemberg (Spindler 1991, 173 Abb. 21).

Die Anzahl und Position der Pfeiler in Kosbach sprechen gegen die Deutung als Grabstele auf dem Hügel. Dass es sich um menschenartige Darstellungen in Form unverzierter Stelen handelt, liegt aber im Bereich des Möglichen. Dazu sei auf die verzierten, aber stark reduzierten Darstellungen in Calw-Stammheim (BadenWürttemberg) mit einer ithyphallischen Sandsteinstele bei einem Grab und in RaiBreitenbach (Hessen) mit einer Steinstele mit Maskengesicht und Armringen sowie auf Befunde in Mittelfranken verwiesen: die Steinstele mit Halsring in Ebrach, Kr. Bamberg – also in der Nähe von Kosbach – und die Steinstele von WindelsbachPreuntsfelden, Kr. Ansbach.35 35 Spindler 1991, 182 f. Abb. 27–30.

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Heute unverzierte und unskulptiert erscheinende Sandsteine an Gräbern könnten bis zur Unkenntlichkeit verwittert sein. Vielleicht waren sie auch niemals verziert, oder sie waren bemalt. Nachgewiesene Farbreste an der Glauberger Statue weisen auf diese Möglichkeit hin. 4.3.7 Vorplatz eines Grabhügels Vor den großen etruskischen Tumuli finden sich neben den Eingängen breite Steinplatten oder Pflaster mit darauf abgestellten kleinen Pfeilern und Hausmodellen aus Stein wie z. B. in der Banditaccia-Nekropole von Cerveteri (Abb. 29). Die Einlassplatte E5, rechts neben Tomba 156, verfügt über mehr als acht dieser sogenannten Cippi, sechs männliche und zwei weibliche. Sie misst immerhin 0,95 m × 0,57 m × 0,205 m und ist damit kleiner als der „Kosbacher Altar“. Diese Steinpfeiler oder Cippen (ital. cippi) stellen die Verstorbenen dar, wie etruskische und lateinische Inschriften auf den jüngeren Funden belegen. Die Häuser stehen oft für Frauen und die zylindrischen Pfeiler für Männer. Die Sitte ist seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. belegt, im 6./5. Jahrhundert v. Chr. besonders beliebt und wurde, wie in der Banditaccia-Nekropole, bis 350 v. Chr. und sogar bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. praktiziert.36 Es kann festgehalten werden, dass Cippi meist auf Platten zu mehreren am Eingang aufgestellt sind. Vergleichbar ist auch ihr Aufstellungsort am Hügelfuß mit Kosbach. Eingänge gibt es in Erd- und Steingrabhügel jedoch nicht. Cippi können auch einzeln aufgestellt sein, oben auf dem Grab oder unmittelbar über dem Eingang. Aus den jüngeren Zeiten sind mehrere Generationen in den Cippi eines Grabes nachweisbar. Es gibt anthropomorphe Cippi, sowie solche, bei denen eine Interpretation als Phallus diskutiert werden kann.37 Es gibt sehr verschiedene Formen, mit und ohne Inschriften; auch hier wäre eine Bemalung oder Stuckverzierung denkbar. 4.4 Zwischenergebnis Die Cippi mit Darstellung des Verstorbenen im Grabkult stellen die bislang beste Annäherung für den Kosbacher Befund dar. Ohne direkten Parallelbefund diesseits der Alpen ist der Vergleich trotzdem problematisch. Allerdings bestanden seit der späten Hallstattzeit, ab 800 v. Chr., aber vor allem dann mit dem Beginn der Latènezeit ab 450 v. Chr. Handelskontakte mit dem Süden, was Importfunde und Imitationen belegen, darunter zum Beispiel die keramische Schnabelkanne von der Höhensiedlung Ehrenbürg in Oberfranken, der zu Kosbach nächstgelegenen frühlatènezeitlichen Höhensiedlung.38

36 Blumhofer 1993. 37 Vgl. Abbildung eines phallusförmigen Cippus mit etruskischer Inschrift in De Caro 2000, 28. 38 Abels/Voß 2007, 161.

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Abb. 29. Cerveteri, Nekropole Banditaccia, Italien, Tomba 156. Cippen auf Steinplatte außen neben dem Zugang zur Grabkammer (oben: Blumhofer 1993 Tafel 35; unten: M. Boss).

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5. RESÜME: DER „KOSBACHER ALTAR“ – EIN KULTRAUM? Das Beispiel „Kosbacher Altar“ verdeutlicht, wie schwierig es ist, kultische Nutzungen zu erschließen, wenn keine Schriftquellen, sondern lediglich Sachquellen, die zurückgelassen wurden oder zurückgeblieben sind, in erhaltungsbedingter Auswahl zur Verfügung stehen. Aufgrund der geschilderten Quellenlage kann „nur“ zu den folgenden beiden Fragen Stellung genommen werden: 1. Kultraum und „fremde“ Umgebung: Wie verhalten sich Kulträume zu ihrer räumlichen Umgebung? Wie werden sie markiert? Wie fügen sie sich in die Landschaft? Unter dem Vorbehalt, dass die Interpretation als Cippen auf die Steinpfeiler in Kosbach übertragen werden kann, können wir festhalten, dass hier ein fremder Brauch aus Gebieten südlich der Alpen transferiert wurde. Die Tatsache, dass dieser Befund bislang singulär geblieben ist, lässt zwei Deutungen zu: Entweder wurde diese Form des Bestattungskultes normalerweise im Norden nicht toleriert, oder kleine Familienverbände aus dem Süden, die ihren Brauch nach Kosbach importierten, ihn aber wegen ihrer geringen Zahl und mangelnden Geschlossenheit nicht verbreiten konnten. 2. Kultraum und Identität: Welche Rolle spielen Kulträume – Heiligtümer, Tempel, Kirchen usw. – für das Selbstverständnis einzelner Kultteilnehmer/innen (individuell) und ganzer Kultgemeinden (kollektiv)? Welche Kulträume sind identitätsstiftend, einzigartig und unverzichtbar, welche können ausgetauscht oder ersetzt werden? Wiederum unter der Prämisse, dass die Interpretation als Cippen zutrifft, ist festzuhalten, dass für eine Familie die Beibehaltung ihres Grabbrauchs von hoher Bedeutung war und sicherlich zur Ausprägung der eigenen Identität in der Fremde als Abgrenzung von den Einheimischen beitrug. Die Tatsache, dass sie in einem gemeinsamen Gräberfeld bestattet wurden, zeigt andererseits, dass sie offensichtlich in die Siedlungsgemeinschaft integriert waren. Alternativ könnte auch eine einheimische Familie die südlichen Bräuche und Glaubensvorstellungen übernommen haben. Die Tatsache, dass auch nach über 100 Jahren Forschungsgeschichte immer noch keine in allen Merkmalen übereinstimmenden Monumente angetroffen wurden, ist unter Vorbehalt dahingegend zu deuten, dass hier tatsächlich nur ein singuläres Geschehen erfasst ist. Bislang sind noch keine eisenzeitlichen Siedlungen in der Nähe von Kosbach ausgegraben worden, deren Bewohner das Gräberfeld angelegt haben könnten. Fünf Pfeiler sind belegt, jedoch finden sich nur an zwei Stellen im/am Hügel frühlatènezeitliche Funde als Reste möglicher Bestattungen. Aufgrund der starken Störung des Befunds und der ungenügenden Dokumentation der Altgrabung sollte dem jedoch nicht zu viel Bedeutung beigemessen werden. Die vorgestellten Vergleichsbeispiele zum Befund „Kosbacher Altar“ zeigen jeweils nur in einzelnen Aspekten mehr oder weniger gute Übereinstimmungen, nicht jedoch in allen genannten Charakteristika.

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DIE ROLLE VON FLÜSSEN IN DER RELIGION DER HETHITER Norbert Oettinger Die Wahrnehmung von Räumen wird in deren Zentren und Begrenzungen fassbar. Zum Beispiel ist das Zentrum eines natürlichen Flusstals der Fluss selbst, gewissermaßen als Mittellinie, seine Grenzen aber sind die umgebenden Berge. Unter anderem Aspekt kann ein Fluss entweder eine Grenze bilden, etwa zwischen zwei Völkern, oder auch etwas Verbindendes als Verkehrsweg. Dies lässt sich an Beispielen aus der deutschen Dialektgeographie illustrieren. Der Rhein war und ist ein bedeutender Faktor des Austauschs. Mit seiner Schifffahrt stellte er schon im Mittelalter eine lebendige Verkehrsader dar, an der entlang sich die Dialektgrenze zu Gunsten des hier überwiegenden Hochdeutschen und auf Kosten des Niederdeutschen immer weiter nach Norden verschob, dabei den sogenannten „Rheinischen Fächer“ bildend. Der Lech hingegen war ein reißender, nicht schiffbarer Fluss, über den hinweg außer in Augsburg, das eine Brücke besaß, nur wenige Kontakte stattfanden. Daher bildet er, außer bei Augsburg, noch heute eine scharfe und für jeden hörbare Dialektgrenze, nämlich zwischen Bairisch im Osten und Schwäbisch/Alemannisch im Westen. Im Folgenden soll je ein Beispiel für einen Fluss als Grenze zwischen Räumen, als Verbindung zweier Räume und als Zentrum eines Raumes vorgeführt werden. Alle stammen aus dem alten Kleinasien, und alle drei Beispiele handeln vom selben Fluss, dem Halys. Und doch sind sie untereinander völlig verschieden und bestätigen so Heraklits Aussage, man steige nie zweimal in denselben Fluss, denn beim zweiten Mal sei er schon nicht mehr derselbe. Die Rolle einer Grenze spielte der Halys, bekannt geworden durch das Missgeschick des reichen Krösus, der im 6. Jahrhundert v. Chr. König der Lyder war. Wie der griechische Historiker Herodot berichtet (1,53 und 1,75–91), hatte Krösus das Orakel von Delphi befragen lassen, „ob er gegen die Perser zu Felde ziehen und ein Heer von Bundesgenossen dazugewinnen solle“. Dieses hatte geantwortet: „[…] wenn Krösus gegen die Perser zu Felde ziehe, werde er ein großes Reich zerstören. Sie rieten ihm, die Mächtigsten der Griechen herauszufinden und sich zu Freunden zu machen“ (Hdt. 1,53,3).

Er interpretierte dies als Hinweis darauf, dass er siegen werde, unternahm daraufhin den Feldzug und überschritt den Grenzfluss Halys, doch das Reich, das er dadurch zerstörte, war sein eigenes. Eine ähnliche Grenzüberschreitung, die ins Verhängnis führt, ist für Herodot (7, 33–37) das Überschreiten der Dardanellen durch den Perserkönig Xerxes am Beginn seines Zuges gegen Griechenland.

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Unter welchen Vorkehrungen Könige mit ihrem Heer im alten Anatolien Flüsse1 überschritten, geht z. B. aus der hethitischen Legende vom Zug König Sargons von Akkad gegen die zentralkleinasiatische Stadt Purushanda (KBo 22.6 I 14‘–20‘)2 hervor: „Sargon brach nach Purushanda auf. Sein Heer marschierte eifrig mit ihm. Und er opferte dem heiligen Fluss Aranzah einen Stier und sieben Schafe. Der Brücke aber opferte er zwei Widder. Dann überschritt er den Fluss und forderte auch die Befehlshaber auf, das Heer zum Überschreiten zu veranlassen“.

Während der Zug Sargons (Scharrukins) I. bereits im 24. Jahrhundert v. Chr. stattfand, stammen Abfassung und Niederschrift des hethitischen Textes aus dem 13. Jahrhundert. Die Hethiter hatten ein starkes historisches Interesse und pflegten Texte, die ihr Land betrafen, zu sammeln, auch wenn alte Überlieferungen damals naturgemäß mythologisch verbrämt waren. Diese Legende ist singulär. Bleiben wir bei den Hethitern im 2. Jahrtausend v. Chr. Hier hieß der betreffende Fluss noch nicht Halys, sondern Marassanta. (Heute ist sein türkischer Name Kızıl Irmak, ‚Roter Fluss‘.) Der uns nun interessierende Text findet sich ebenfalls auf einer Keilschrifttafel aus Hattusa, der hethitischen Hauptstadt, und zwar handelt es sich um die Beschreibung eines kultischen Festes. (Profane Feste gab es damals noch nicht, denn die Religion beherrschte alle Lebensbereiche.) Die zahlreichen Festrituale der Hethiter hatten in erster Linie den Zweck, die Gesundheit von König und Königin zu schützen bzw. wiederherzustellen. Deren Gesundheit war deshalb von so außerordentlicher Bedeutung, weil sich in ihr nach Auffassung der Zeit das Wohlwollen der Götter dem Staat gegenüber unmittelbar äußerte. Daher musste bei Erkrankung alles versucht werden, um auf rituellem Wege Abhilfe zu schaffen. Um aber keine Ritualfehler zu begehen, dokumentierte man die betreffenden Rituale in akribischer Weise schriftlich. Dies gilt auch für Rituale, die nicht unmittelbar das Königspaar, sondern andere wichtige Personengruppen betrafen oder potentiell für sie nützlich sein konnten. Der betreffende Text beginnt mit dem Bericht, dass der Wettergott der Stadt Nerik verschwunden ist. Wie sich herausstellt, ist er über irgendetwas in Zorn geraten und durch eine Höhle in die Unterwelt hinabgestiegen. Ohne ihren Wettergott kann die Stadt Nerik aber nicht den so nötigen Regen bekommen. Daher wird nun durch eine Beschwörung versucht, ihn wieder herbeizurufen. Dazu werden zunächst die Opfergaben an die Unterweltsgötter aufgezählt, die diese Gottheiten freundlich stimmen sollen, damit sie die Rückkehr des Verschwundenen ermöglichen. Dann ruft man Tarhunt, den obersten Wettergott, um Hilfe an. Anschließend wendet sich der Priester direkt an den göttlichen Fluss Marassanta, der an der Stadt Nerik vorbeifließt. Er spricht:

1 2

Vgl. generell Otten 1983 sowie Rollinger 2013. Für die letztere Literaturangabe danke ich Hans-Ulrich Wiemer. Vgl. Güterbock 1969, 19–22. Meine Übersetzung weicht nur in Einzelheiten von der Güterbocks ab. Die Keilschriftedition ist zu finden in Otten/Rüster 1974.

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„Du, Fluss Marassanta, stehst dem Herzen des Wettergottes von Nerik nahe. Früher warst Du westwärts geflossen. Tarhunt aber hat dich gedreht und nach Osten fließen lassen, weil dort die Stadt Nerik liegt. So hat Tarhunt zu dir gesprochen: ‚Wenn jemand den Wettergott von Nerik erzürnt, so dass er aus seinem Tempel in Nerik fortgehen will, dann sollst du, Marassanta, ihn nicht in einen deiner Nebenflüsse und eine Quelle hineinlassen!‘ Und noch etwas hat er zu dir gesagt: ‚Es soll dir unter Eid gelegt sein, dass du deine Fließrichtung nie wieder änderst!‘ Und du hast sie (seither) auch nie wieder geändert.“3

Was hat nun diese Beschwörung für einen Zweck? Die Situation ist folgende: Die Bevölkerung von Nerik hat – vielleicht in Folge von Regenmangel – den Eindruck, der Wettergott ihrer Stadt sei zornig geworden, habe seinen Tempel verlassen und sich durch irgendeine Quelle in die Unterwelt begeben. Die Priester wenden sich daher an eine für sie noch erreichbare andere göttliche Macht, nämlich den Fluss ihrer Stadt, den Halys. Sie erinnern ihn daran, dass der oberste Wettergott, Tarhunt, ihn früher einmal zu Gunsten ihrer Stadt umgeleitet und ihn eidlich verpflichtet habe, sein neues Flussbett nie mehr zu verlassen. Bei derselben Gelegenheit habe er ihm damals auch befohlen, dem Wettergott von Nerik für den Fall, dass dieser einmal im Zorn auswandern wolle, keinen Durchlass in die Unterwelt freizugeben. Nachdem der Fluss sich an den ersten Befehl seither gebunden gefühlt habe, müsse er konsequenterweise auch den zweiten befolgen. Er hätte daher den Wettergott von Nerik nicht in die Unterwelt abtauchen lassen dürfen und müsse ihn nun wieder von dort herbeiholen. Die Beschwörung dient also unter anderem dazu, den Flussgott Halys zum Handeln zu zwingen. Unser drittes Beispiel beruht auf dem hethitischen Ritual vom „Großen Fluss“, womit wiederum der Marassanta (= Halys) gemeint ist. Diesmal geht es aber um dessen Flusstal als Naturraum. Der Text, KBo 3.8, lautet in Übersetzung:4 § 1 „Der große Fluss band seine Flut, er band die Schildkröte5 im Wasser, band die hohen Berge, die tiefen Täler, band die wilden Flussauen6 (wörtlich: ‚Wiesen des Wettergottes‘)7, band auf ihnen die reinen Binsen8, band die Flügel des (Fisch-)Adlers, band die Aale in Ringform. § 2 Er band den Hirsch unter der Eiche, band den Panther im Versteck9, den Wolf auf der Höhe, band den Löwen in der Wildnis (?)10, band die Wildziege11 auf der Weide, band die Milch der Wildziege, band den Thron der Schutzgottheit.“

  3 Vgl. Haas 1970, 153. Meine Übersetzung weicht nur in Einzelheiten von Haas ab.   4 Die Keilschriftedition ist zu finden in Ehelolf 1938. Zu einer ersten Bearbeitung s. Kronasser 1961, 140–162. Meine Übersetzung spiegelt den seit 1961 gewachsenen Kenntnisstand der Hethitologie wider.   5 Vgl. Haas 2002, 28 f.  6 An beiden Stellen des Textes ist wellu, ‚Wiesen‘, Kollektivum (Neutrum Plural) zum geschlechtigen Singular wellu- c.   7 Alles von Menschen Genutzte gehörte dem König (Staat), alles andere dem Wettergott. Vergleichbar ist, dass im Deutschen die vom Menschen nicht genutzten Pflanzen Besitz des Bären waren, wie noch die Pflanzennamen Bärlauch und Bärlapp zeigen.   8 Vgl. Archi 1988, 36 Anm. 45 mit Lit.   9 Vgl. Collins 1989, 49 f. 10 Vgl. Hutter 1988, 93–95. 11 Vgl. Oettinger 2015.

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Die ausführliche Diktion ist dem Beschwörungscharakter des Textes geschuldet. Was hier mit „Bindung“ gemeint ist, ist die Reglosigkeit in Folge von Austrocknung, das vollständige Erstarren allen Lebens. Doch das Biotop ist über seine Schutzgottheit mit der Götterwelt verbunden. Diese wird nun auf die Situation aufmerksam: § 3 „Und du, Ištar, sagtest das der (Göttin) Maliya, Maliya sagte es dem (Gott) Pirwa, Pirwa wiederum der (Göttin) Kamrusepa. Kamrusepa ließ sich die Pferde anspannen und fuhr zum großen Fluss. Und sie beginnt ihn zu beschwören, den großen Fluss, und beginnt die Schildkröte im Wasser zu beschwören (usw.). Da wurde der große Fluss hinsichtlich seiner Flut wieder gelöst, im Wasser wurde die Schildkröte gelöst. § 4 Die hohen Berge wurden gelöst, die tiefen Täler wurden gelöst, die wilden Flussauen (‚Wiesen des Wettergottes‘) wurden gelöst, auf ihnen wurden die reinen Binsen gelöst, die Flügel des (Fisch-)Adlers wurden gelöst, die in Ringform (gebundenen) Aale wurden gelöst. § 5 Der Hirsch unter der Eiche wurde gelöst, der Panther in seinem Versteck wurde gelöst, der Wolf auf der Höhe, der Löwe in der Wildnis (?), die Wildziege auf der Weide, die Milch der Wildziege, der Thron der Schutzgottheit wurde gelöst.“

Nun kommt die Anwendung des Geschilderten. Die Magierin stellt eine Analogie zwischen dem Biotop des Flusses und dem Organismus eines erkrankten Säuglings oder eines nicht lebensfähig wirkenden Neugeborenen her: § 6 „Und welches kleine Kind (hier) ist, dem wurden die reinen Haare gebunden, darunter aber wurde ihm die Schädeldecke gebunden, die Nase, seine Ohren, der Mund, seine Zunge, die Kehle, die Speiseröhre, darunter aber wurde ihm die Brust gebunden, die Lunge, die Leber, die Genitalien, seine Blase, sein After, seine Knie, darüber aber seine Kleider wurden ihm gebunden. § 7 Und zur Geburtsgöttin kam die Botschaft: ‚Wie sollen wir handeln, wenn wir handeln?‘ Darauf sie: ‚Geh, hole die Magierin! Sie soll oben an ihm die Schädeldecke beschwören, die reinen Haare soll sie ihm beschwören, seine Ohren, die Nase, seinen Mund, seine Zunge soll sie beschwören. § 8 Die Kehle soll sie beschwören, die Speiseröhre, die Brust ebenso, die Lunge ebenso, die Leber ebenso, den Darm ebenso, die Genitalien ebenso, die Blase ebenso, sein After ebenso, die Knie ebenso, darüber aber seine Kleider ebenso.‘ § 9 (Die Magierin spricht:) ‚Oben habe ich ihm die Kopfhaut (o. ä.) gelöst, die reinen Haare habe ich ihm gelöst, seine Ohren, die Nase, seinen Mund ebenso, seine Zunge ebenso, die Speiseröhre ebenso. Die Brust ihm ebenso, die Lunge ebenso, die Genitalien ebenso, den Schenkel ebenso, das After ebenso, die Knie ebenso, darüber aber seine Kleider ebenso.‘“

Damit endet diese Keilschrifttafel. Die Unterschrift lautet sinngemäß: „Beschwörung gegen Bindung. Der Name der Verfasserin ist nicht bekannt.“ Nun zur Deutung des Rituals. Die Analogie ist klar. So, wie das Flusstal mit seinen Lebewesen ein abgegrenzter Raum innerhalb der Steppenlandschaft ist, so ist auch der erkrankte Säugling mit seinen Körperteilen ein abgegrenzter Raum. Da der größte Körperteil des Säuglings der Kopf ist, zählt die Magierin vor allem Teile seines Kopfes auf. Das Flusstal war vertrocknet; sogar die Wasserschildkröte war im eingetrockneten Schlamm erstarrt. Sie war, magisch betrachtet, „gebunden“, und so auch alle übrigen Lebewesen. Dann aber kommt durch die Beschwörung der göttlichen Magierin Kamrusepa die „Los-Bindung“, also die Lösung, Befreiung. Sie beschwört den Fluss, so dass er wieder Wasser führt, die Schildkröte, so dass sie wieder in ihm schwimmen kann, usw. So löst sie das ganze Leben des Flusstals

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Schritt für Schritt aus seiner Erstarrung. Das gleiche tut nun auch die menschliche Magierin mit dem kranken Kind, das „gebunden“, also apathisch daliegt. Indem sie dessen Körperteile beschwört, löst sie sie Schritt für Schritt, so dass es wieder gesund werden kann. Wie die Göttin im größeren Raum, so handelt die Magierin im kleineren. Nun zum Parallelismus im Einzelnen. Warum werden die Binsen genannt, sonst aber keine anderen Pflanzen des Flusstals? Man darf vermuten, dass sie in magischem Parallelismus den Haaren des Kindes entsprechen, vor allem deshalb, weil die Binsen ebenso wie die Haare des kleinen Kindes als „rein“ bezeichnet werden. Das hethitische Wort suppi- meint aber keine profane, sondern die kultische Reinheit: Die Haare des Säuglings sind noch nicht durch die Welt befleckt, noch im Status der Unberührtheit. Bei den Binsen am Fluss macht das keinen Sinn, ihre Qualifizierung als ‚rein‘ kann also nur auf Parallelisierung mit den Säuglingshaaren beruhen, was beweist, dass wirklich magische Analogie vorliegt. Ebenso entspricht das Schädeldach des Kindes dem Panzer der Schildkröte – beide Begriffe erscheinen jeweils am Anfang der Aufzählungen. Die Berge können dann der Nase des Kindes entsprechen, die Täler den Ohren, der Aal der Zunge. Zwar lassen sich nicht alle Begriffe so parallelisieren, aber völlige Konsequenz ist in der Magie auch nicht erforderlich; das Genannte ist auffällig genug. Wie ist nun dieses Ritual als Textgattung einzuordnen? Es besteht aus folgenden Komponenten: A. Bestehende Voraussetzung: großräumige Notsituation (Trockenheit). B. Aufhebung: Beseitigung der Notsituation durch Beschwörung von Seiten der göttlichen Magierin Kamrusepa. C. Parallel bestehende Voraussetzung: erkrankter Säugling oder nicht lebensfähig wirkendes Neugeborenes. D. Aufhebung: Beseitigung der Notsituation durch Beschwörung von Seiten einer menschlichen Magierin auf göttliches Geheiß hin und durch magische Parallelisierung mit B. Die Komponenten A und B enthaltende Mythen finden sich bei den Hethitern häufig und seit frühester Zeit12; sie gehen sogar schon auf die nicht-indogermanische Vorbevölkerung, die Hattier, und somit auf den Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. zurück. Dieses Wissen haben wir dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass die Hethiter jede Gottheit möglichst in der Sprache des Volkes anriefen, dessen Pantheon sie ursprünglich angehört hatte. Das galt auch dann, wenn diese Sprache bereits ausgestorben war. Dadurch sind uns auch Beschwörungen in der vor-indogermanischen Sprache Hattisch überliefert, darunter ein den Neumond betreffender Mythos samt hethitischer Übersetzung. Der Mond war demnach vom Himmel gefallen. Erst durch eine Beschwörung der Göttin Kamrusepa, die auf Hattisch Furusemu hieß, konnte der durch den Donner und Regen des Wettergottes verängstigte Mond wieder an seinen Platz am Himmel zurückgebracht werden. Von diesem Typus sind auch die anderen Mythen. So wurde zum Beispiel der Wettergott von der 12 Vgl. generell Hoffner 1998.

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(riesigen) Schlange Illuyanka besiegt. Erst unter Mithilfe eines Menschen gelingt es, die Schlange zu überlisten und dem Wettergott doch noch zum Sieg zu verhelfen.13 Ein anderer Mythos, der in vielen Varianten auftritt, betrifft das Verschwinden von Gottheiten im Zorn, wie wir es oben bereits kennengelernt haben. So wird etwa der Vegetationsgott Telipinu zornig und verlässt seinen Tempel und das Land.14 Es heißt im Text: „Telipinu war fortgegangen. Nebel erfasste die Fenster, Rauch erfasste das Haus. Im Herd gerieten die Holzscheite in Unordnung. Auf den Altären gerieten die Götterbilder in Unordnung. In der Hürde gerieten die Schafe in Panik, im Stall die Rinder. Das Schaf verweigerte sich seinem Lamm, das Rind seinem Kalb. Telipinu war fortgegangen, Korn, Fruchtbarkeit, Wachstum, Gedeihen und Sättigung hatte er mit sich fortgenommen, fort aus Feld und Wiese. Er schlüpfte in ein Moor, und über ihn zogen sich Wasserlinsen. Nun wachsen Korn und Emmer nicht mehr, Rinder, Schafe und Menschen begatten sich nicht mehr. Die Berge und Wiesen vertrocknen, die Quellen versiegen […] Die Sonnengöttin gab ein Fest und lud die tausend Götter dazu ein. Sie aßen, wurden aber nicht satt, sie tranken, löschten aber ihren Durst nicht. Da vermisste (plötzlich) der Wettergott seinen Sohn Telipinu […].“

Was der Weggang des Vegetationsgottes ausgelöst hat, ist also offenbar eine große Trockenheit. Der Text berichtet nun, dass alle Götter sich auf die Suche nach Telipinu machten, aber ohne Erfolg. Der Wettergott fragte sein Frau: „Was sollen wir tun? Wir werden verhungern.“ Sie schickte ihn zur Stadt des Telipinu, aber die war verschlossen. Da beauftragte sie die Biene: „Suche du den Telipinu!“ Der Wettergott sagte zu ihr: „Die großen und die kleinen Götter haben ihn nicht gefunden, und jetzt soll ihn die Biene finden! Ihre Flügel sind winzig, sie selbst ist winzig, und auch noch vorne abgeplattet!“ Die Frau antwortete: „Lass nur, sie wird ihn finden.“ Die Biene suchte lange, endlich fand sie Telipinu und stach ihn, um ihn zu wecken. Da rief er zornig: „[…] Warum habt ihr mich jetzt aus meinem Schlaf aufgestört?“

Und er ließ er die Quellen losströmen, die Flüsse begannen zu toben, das Wasser erfasste die Ortschaften, Häuser stürzten ein, Menschen, Rinder und Schafe begannen zu ertrinken. Nach der Dürre kam nun also das Gegenextrem, die Überschwemmung. Nun holten die Götter einen Menschen zu Hilfe. Der Mensch kann nämlich etwas, was die Götter nicht beherrschen: Opfer darbringen. Und so mündet der Mythos direkt ins Ritual, nämlich in die Beschreibung des zugehörigen Opfers samt Beschwörung bzw. Gebet. Es heißt: „‚Schau her, hier liegt Sesam. Möge dein Sinn, Telipinu, nach außen abgeschirmt sein wie die Sesamkerne durch die Schalen. Hier liegt Feige, und wie die Feige süß ist, so möge auch dein Sinn süß werden!‘ Man zerstößt Malz und Bierwürze und spricht: ‚Wie Malz und Bierwürze eine Verbindung eingehen, so möge auch dein, des Telipinu, Sinn mit den Anliegen der Menschheit verbunden sein!‘ Da erblickte die Göttin Kamrusepa den Telipinu und kam zu seiner Besänftigung herbei […]. Am Ende des Rituals berichtet der Priester der Gemeinde, dass Telipinu wieder in seinen Tempel zurückgekehrt sei: ‚Telipinu kümmert sich wieder um sein Land. Die Götterbilder auf den Altären sind wieder in Ordnung gekommen, […] die Mutter

13 Zu diesem Illuyanka-Mythos s. Beckman 1982. 14 Vgl. Laroche 1965 und Rüster 1992.

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betreut wieder ihr Kind, das Schaf wieder sein Lamm, die Kuh ihr Kalb, und Telipinu betreut wieder König und Königin.‘“

Lebenswelt und Staat sind also wieder in Ordnung gekommen. Die Hethiter kannten zahlreiche solche Mythen von verschiedenen verschwundenen Gottheiten, die alle ähnlich aufgebaut waren und jeweils damit endeten, dass der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt wurde und das Leben auf der Welt weitergehen konnte. Vergleichen wir nun unser Ritual vom Großen Fluss (Marassanta = Halys) mit dem Telipinu-Mythos. Gemeinsam ist beiden als Ausgangspunkt die Notsituation der Trockenheit. Im Gegensatz zum Telipinu-Mythos gilt dies allerdings beim Ritual vom Fluss nur für den ersten Teil, denn im zweiten geht es ja um die Gesundheit eines menschlichen Individuums, des Säuglings. Gemeinsam ist beiden wiederum die Vorgehensweise mittels Beschwörung durch die Göttin Kamrusepa und anschließend durch menschliche Funktionäre. Der Unterschied zwischen beiden Texten dürfte darin liegen, dass das Ritual vom Großen Fluss einen nachträglich auf das Notwendigste reduzierten Mythos enthält, der so wirkt, als sei bei ihm alles Anekdotische eingespart worden. Übrig geblieben ist nur die Basisstruktur eines Mythos, und zwar desjenigen von den verschwundenen Gottheiten, aber gewissermaßen profanisiert, denn es ist gar nicht mehr von einer im Zorn fortgegangenen Vegetationsgottheit die Rede, sondern der Fluss scheint sich selbst trockengelegt zu haben (s. o. § 1). Nur auf das schrittweise „Gebundenwerden“ der Natur im Flusstal kommt es an, von der allein zu dem Zweck berichtet wird, damit das körperteilweise Gebundenwerden des Neugeborenen damit parallelisiert werden kann. Und daraus, dass man aus Erfahrung wusste, dass das „Gebundensein“ der Natur durch Trockenheit mit göttlicher Hilfe wieder endet, schöpfte man die Zuversicht, dass auch das Gebundensein des Säuglings wieder rückgängig gemacht werden wird, und stellte es als bereits vollendete Tatsache dar. Was den räumlichen Aspekt betrifft, so wird das ganze Flusstal mit dem Körper des Säuglings magisch parallelisiert. Sicher hielt man das Ritual nur dann für voll wirksam, wenn es in Anwesenheit des Kindes an einem Fluss, im Idealfall am Halys selbst, durchgeführt wurde. Nun ist aber das Bett des Halys im größten Teil seines Unterlaufs, also dort, wo er von der hethitischen Hauptstadt aus am schnellsten erreichbar war, ins Bergland eingeschnitten. Dadurch umgab es die das Ritual ausführende Gruppe als relativ geschlossener Raum. Unten im Fluss selbst befanden sich die auf das Wasser angewiesenen Tiere und Pflanzen, darüber die am bewaldeten Abhang lebenden Wildtiere, die sich zu jenen Zeiten noch gut beobachten ließen, und über allem stand der Thron der Schutzgottheit, sei es in Form eines kleinen Schreins oder auch nur ideell. Das ganze Tal diente so als Kultraum und verwandelte sich schrittweise in eine Art von befreiter, geheiligter Landschaft. In Analogie dazu wurde auch der Körper des Kindes am Ende als befreit und geheilt empfunden. Die angeführten Beispiele für die Rolle von Flüssen in der Religion der Hethiter sind charakteristisch für ein Land wie Kleinasien mit semiaridem Klima. In Ländern mit ebenfalls polytheistischer Religion, die aber in anderen Klimaten liegen, würde sich die Lage jeweils anders darstellen, so beispielsweise im ariden Iran, im tropischen Indien oder im niederschlagreichen, aber kühlen Island.

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KULTRÄUME DER FRÜHEN KELTEN Bernhard Maier 1. EINLEITUNG Wer sich vom Standpunkt der Alten Geschichte oder der Religionswissenschaft aus einen Überblick über die Kulträume der frühen Kelten in der vorrömischen Eisenzeit verschaffen will, sieht sich einer doppelten Schwierigkeit gegenüber. Die erste besteht in der Bestimmung des Gegenstands, denn der Gebrauch der Bezeichnung „Kelten“ durch griechische und römische Autoren deckt sich weder mit dem der Vergleichenden Sprachwissenschaft noch mit dem der modernen Archäologie, und die Berechtigung seiner Anwendung auf die eisenzeitlichen Kulturen der Britischen Inseln und Irlands ist insbesondere unter Archäologen seit einigen Jahren stark umstritten.1 Die zweite Schwierigkeit resultiert aus der Notwendigkeit, für eine solche Zusammenschau eine Vielzahl philologischer und archäologischer Quellen unter Berücksichtigung ihrer jeweils unterschiedlichen Problematik miteinander zu verknüpfen und zu einem Gesamtbild zu verbinden, ohne die Grenzen zwischen dem Gesicherten, dem Wahrscheinlichen und dem bloß Möglichen zu verwischen oder die Charakteristika besonders prominenter oder besonders gut erforschter Einzelfälle in unzulässiger Weise zu verallgemeinern. Was die erste Schwierigkeit betrifft, so schien es im Hinblick auf den Zweck des vorliegenden Beitrags als einer ersten Orientierung über den Gegenstand angezeigt, sowohl den antiken als auch den modernen – also derzeit in der Vergleichenden Sprachwissenschaft, Archäologie und Alten Geschichte üblichen – Sprachgebrauch zu berücksichtigen. Behandelt werden also nicht nur die Kultstätten der Völker, die von den griechischen und römischen Autoren zusammenfassend Keltoí/ Celtae, Galátai/Galatae oder Galli genannt werden, sondern auch die jener namenlosen eisenzeitlichen Völkerschaften Mitteleuropas während der Späthallstatt- und Frühlatènezeit, die nach dem derzeitigen Stand unserer Kenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit eine keltische Sprache verwendeten, obschon keine schriftlichen Zeugnisse für diese frühe Zeit vorliegen. Außer Betracht blieben gleichwohl Irland und die Iberische Halbinsel, wo der Forschungsstand höchst uneinheitlich, die sprachlich-kulturelle Zuordnung oft schwierig und ein unmittelbarer Vergleich zwischen archäologischer und schriftlicher Überlieferung in der Regel unmöglich ist.2 1 2

Vgl. dazu Maier B. 2012, 1–36. Eine umfassende Bestandsaufnahme vorrömischer Kultstätten auf der Iberischen Halbinsel gibt Alfayé Villa 2009. Neue Überlegungen zur Rolle Taras als einer vorchristlichen irischen Kultstätte geben die Beiträge in Bhreathnach 2005, Schot u. a. 2011, OʼSullivan u. a. 2013 und Waddell 2014.

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Was die Notwendigkeit der Auswertung und Verknüpfung unterschiedlicher Quellengattungen angeht, so erschien es am sinnvollsten, sprachliche und außersprachliche (d. h. archäologische) Quellen getrennt voneinander zu behandeln. Erörtert werden also zunächst die Aussagen der griechischen und römischen Autoren sowie das Zeugnis der altkeltischen Inschriften und der keltischen Sprachen. Erst danach erfolgt eine Besprechung der archäologischen Funde und Befunde anhand einiger ausgewählter Beispiele, die als repräsentativ für den gegenwärtigen Stand der Forschung gelten können. Ausschlaggebend für die getrennte Behandlung der philologischen und archäologischen Quellen war der Umstand, dass erstere im Großen und Ganzen schon vor dem Aufkommen der modernen Archäologie bekannt waren und sich ihr Umfang seit dieser Zeit nur geringfügig – vor allem durch die Einbeziehung bis dahin übersehener Mitteilungen griechischer und römischer Autoren sowie durch Neufunde altkeltischer Inschriften – verändert hat. Im Unterschied dazu erfuhr und erfährt der Bestand an archäologischen Quellen sowohl durch die wachsende Zahl neuer Ausgrabungen als auch durch die Weiterentwicklung naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden eine beständige und namentlich in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Erweiterung, so dass gerade hier die Vorläufigkeit unseres Kenntnisstands besonders hervorzuheben ist. Der Versuch, die Aussagen der sprachlichen und außersprachlichen Quellen unter Berücksichtigung dieser Vorbehalte zu einem vorläufigen Gesamtbild zusammenzufügen, wird im Schlussabschnitt des vorliegenden Beitrags unternommen. 2. DIE ANTIKE LITERARISCHE ÜBERLIEFERUNG Die Aussagen griechischer und römischer Autoren über die Religion(en) der von ihnen als „Kelten“ bezeichneten Völker fallen in den Zeitraum zwischen 500 v. Chr. und 500 n. Chr. Bequem zugänglich sind sie einer umfassenden und ausführlich kommentierten zweisprachigen Ausgabe in drei Bänden, die für die vorliegende zusammenfassende Übersicht die Materialgrundlage bildete und auf die daher im Folgenden immer wieder verwiesen wird.3 Vorab ist dazu allerdings festzustellen, dass die Aussagekraft dieser Texte für die hier interessierende Fragestellung aus zwei Gründen relativ niedrig zu veranschlagen ist. Zum einen nämlich äußern sich die antiken Autoren zumeist nur in beiläufiger und oberflächlicher Weise zum Thema „Kulträume“, wobei der – in der Regel an griechisch-römischer Begrifflichkeit orientierte – Wortlaut oft unterschiedliche Deutungen zulässt, zum anderen kennen wir viele Aussagen lediglich aus Zitaten, Auszügen und Paraphrasen, wobei oft nicht nur die Herkunft und damit das Alter eines Textes, sondern auch der ursprüngliche Wortlaut bzw. mögliche spätere Änderungen daran nicht sicher zu ermitteln sind. Obschon also relativ viele Einzelaussagen griechischer und römischer Autoren zu keltischen Kulträumen zur Verfügung stehen, reicht die Quellenlage doch nicht aus, um ein umfassendes, nach geographischen und chronologischen Gesichtspunkten differenziertes und detailreiches Gesamtbild zu zeichnen. Die fol3

Hofeneder 2005, 2008 und 2011.

Kulträume der frühen Kelten

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genden Ausführungen beschränken sich daher notgedrungen auf eine Übersicht darüber, was die antiken Autoren in ihrer Gesamtheit zum Thema „Kulträume der frühen Kelten“ aussagen. Dabei blieben späte kaiserzeitliche Quellen, sofern sie keine weiterführenden Informationen bieten und nach unserem Kenntnisstand lediglich die Angaben älterer Autoren reproduzieren, grundsätzlich unberücksichtigt. 2.1 Lage Ein prominenter, von den antiken Autoren immer wieder angesprochener Aspekt keltischer Kulträume ist ihre topographische Lage. Aus rezeptionsgeschichtlicher Sicht spielen dabei insbesondere Lucans und Tacitusʼ Bemerkungen über naturbelassene Heilige Haine eine wichtige Rolle – zum einen, weil diese Autoren in späterer Zeit besonders geschätzt und viel gelesen wurden, zum anderen, weil ihre Beschreibungen im Einklang mit der bis ins 19. Jahrhundert allgemein verbreiteten Vorstellung von der Primitivität bzw. Urwüchsigkeit der keltischen Religion zu stehen schienen. Von keltischen Kulträumen in „tief liegenden Hainen in entlegenen Wäldern“ (nemora alta remotis […] lucis) spricht Lucan in seiner Schilderung der Religion gallischer Druiden zur Zeit Caesars.4 Mit ähnlichen Worten, doch explizit auf die Religion der Britannier in der frühen Kaiserzeit bezogen, erwähnt Tacitus die „den Riten eines grausamen Aberglaubens geweihten Haine“ (luci saevis superstitionibus sacri) auf der Insel Anglesey.5 Die ausführlichste und zugleich bekannteste Schilderung eines Heiligen Hains findet man wiederum bei Lucan, dessen – von Conrad Ferdinand Meyer in seinem 1892 veröffentlichten Gedicht „Das Heiligtum“ poetisch neu gestaltete – Darstellung effektvoll die rationalistische Geisteshaltung des Eroberers Caesar mit der abergläubisch-dumpfen Scheu der vorrömischen Gallier kontrastiert.6 Tatsächlich kann man in Lucans Beschreibung jedoch den Einfluss der bekannten Schilderung des Avernerhains durch Vergil7 nachweisen, wobei die antiken Schilderungen von naturbelassenen Heiligen Hainen als den bevorzugten Kulträumen unverbildeter Naturvölker ohnehin eher ein geprägtes literarisches Klischee als konkrete Beobachtungen widerspiegeln dürften. Mehrfach literarisch bezeugt ist neben der topographischen Lage außerhalb der Siedlungen das Vorhandensein von Kulträumen auf küstennahen Inseln. Den ältesten Hinweis darauf enthält möglicherweise die wohl auf einem frühgriechischen Periplus beruhende Zeile in der Küstenbeschreibung des Avienus, in der von einer „Insel, überreich an Gras und dem Saturn geweiht“ die Rede ist.8 Allerdings ist unklar, ob man diese wohl vor der Küste der Iberischen Halbinsel gelegene Insel bzw. den damit verbundenen Kult tatsächlich den frühen Kelten und nicht doch eher einer anderen Volksgruppe Alteuropas zuschreiben muss. Eindeutig auf die 4 5 6 7 8

Lucan. 1,453 f.; vgl. dazu Hofeneder 2008, 295–304. Tac. ann. 14,30,3; vgl. dazu Hofeneder 2008, 493–498. Lucan. 3,399–449; vgl. dazu Hofeneder 2008, 305–311 und Maier B. 2009, 49–51. Verg. Aen. 6,179–209. Avien. Ora mar. 165; vgl. Hofeneder 2005, 20–22.

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frühen Kelten zu beziehen ist jedenfalls ein bei Strabo überlieferter Bericht des Artemidoros von Ephesos (2./1. Jahrhundert v. Chr.), dem zufolge auf einer Insel vor der Küste Britanniens ähnliche Riten wie jene der Demeter und Kore in Samothrake gefeiert würden.9 Dies gilt auch für den ebenfalls bei Strabo überlieferten Bericht des Poseidonios (2./1. Jahrhundert v. Chr.), der – vielleicht unter Rückgriff auf eine Schilderung des Artemidoros von Ephesos – von einem Kult des Dionysos auf einer Insel vor der Loire-Mündung erzählt.10 Zu erwähnen ist schließlich noch die Mitteilung des Pomponius Mela über eine Insel gegenüber dem Gebiet der Osismier an der bretonischen Küste, auf der nach seiner Darstellung neun jungfräuliche Priesterinnen eine Orakelstätte hüteten.11 Die Häufigkeit, aber auch der Variantenreichtum dieser Hinweise lassen vermuten, dass die kultische Nutzung vorgelagerter Inseln zumindest bei den küstennahen keltischen Völkerschaften immer wieder vorkam und nicht nur einen literarischen Topos darstellt.12 Was antike Quellen darüber hinaus über die topographische Lage keltischer Kulträume zu berichten wissen, sind vereinzelte Beobachtungen, von denen man nur schwer abschätzen kann, ob und inwiefern man sie verallgemeinern darf. Von stehenden Gewässern, in die man Weihegaben versenkte, berichtet unter Rückgriff auf Poseidonios erstmals Strabo.13 Bei ihm findet man – wohl wiederum in Anlehnung an Poseidonios – auch den ersten Hinweis auf ein städtisches Heiligtum (in Tolosa), das von den Bewohnern der Umgebung sehr verehrt worden sei.14 Bei Athenaios von Naukratis wiederum findet man eine Notiz des Phylarchos (3. Jahrhundert v. Chr.), der zufolge ein vornehmer Kelte – wo, wird nicht gesagt – überall im Land entlang den Hauptstraßen Stationen festgelegt, dort Hütten errichtet und zahlreiche Opfertiere habe schlachten lassen.15 Einen isolierten Hinweis auf die Nutzung von Gräbern als Kultstätten bietet eine bei Tertullian überlieferte Bemerkung des hellenistischen Dichters Nikandros aus Kolophon (2. Jahrhundert v. Chr.), der zufolge die Kelten zum Zweck der Inkubation die Gräber tapferer Männer aufsuchten.16 Zwar kann man für alle diese Hinweise mögliche Anknüpfungspunkte im archäologischen Befund und manchmal auch in den inselkeltischen Literaturen des Mittelalters finden, doch handelt es sich dabei eben immer nur um Möglichkeiten, die angesichts der Kürze und oft auch Mehrdeutigkeit der antiken Texte fraglich bleiben und zumeist schon wegen der räumlichen und zeitlichen Entfernung

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Strab. 4,4,6; vgl. Hofeneder 2005, 109–111. Strab. 4,4,6; Hofeneder 2005, 132–136. Mela 3,48; vgl. Hofeneder 2008, 272–274. Eine umfassende Studie des gesamten keltischen und germanischen Materials von der antiken Ethnographie bis zu den inselkeltischen und skandinavischen Literaturen des Mittelalters bietet jetzt Egeler 2015. Strab. 4,1,3; vgl. Hofeneder 2005, 125–129. Strab. 4,1,13; vgl. Hofeneder 2005, 125–129. Athen. 4,34; vgl. Hofeneder 2005, 65–69. Tert. Anim. 57,10; vgl. Hofeneder 2005, 83–84.

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zwischen den (vielleicht nur vermeintlichen) Parallelen keinen wirklichen Beitrag zur Interpretation leisten können.17 Für das Vorhandensein der Vorstellung einer sakralen Mitte spricht vielleicht die bekannte Bemerkung Caesars über eine alljährliche Versammlung der Druiden im Gebiet der Carnuten, das für die Mitte ganz Galliens gehalten worden sei (in finibus Carnutum, quae regio totius Galliae media habetur), doch bietet die antike literarische Überlieferung dafür keine weiteren Anknüpfungspunkte.18 Mitunter findet man in diesem Zusammenhang zwar den Hinweis, dass auch der mehrfach bezeugte keltische Ortsname *Mediolānon (latinisiert Mediolanum, heute Milano) die Vorstellung einer sakralen Mitte widerspiegle und dass diese Vorstellung auch in der mittelalterlichen irischen Überlieferung eine wichtige Rolle spiele, doch sind diese Parallelen beide nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Was *Mediolānon betrifft, so kann man den ersten Bestandteil dieses aus zwei Elementen zusammengesetzten Namens zwar tatsächlich aus keltisch *medio-, „Mitte“ erklären, doch fehlt eine befriedigende Etymologie für den zweiten Bestandteil *lānon und somit für die Bedeutung des Namens insgesamt.19 In diesem Zusammenhang ist es vielleicht nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, dass der Religionsphänomenologe Mircea Eliade (1907–1986) in seinen – auch außerhalb der Religionswissenschaft breit rezipierten – Büchern der Vorstellung einer sakralen Mitte gerade in den von ihm so genannten „archaischen Religionen“ eine kaum zu überschätzende Bedeutung beimaß, was die religiöse Deutung des Elements *medio- im Ortsnamen *Mediolānon begünstigt haben mag. Dies gilt auch für die entsprechende Deutung der Hinweise auf eine sakrale Mitte in der mittelalterlichen irischen Überlieferung, die eben nur vielleicht vorchristliche Vorstellungen widerspiegeln, wobei die Annahme gesamtkeltischer religiöser Übereinstimmungen zwischen Irland und Gallien auch im Zusammenhang mit nationalromantischen Ideologien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu sehen ist.20 Im Hinblick darauf wäre auch zu fragen, ob die Zuschreibung zentral bedeutsamer Vorstellungen von einer sakralen Mitte tatsächlich weniger die objektive Quellenlage als vielmehr die Zählebigkeit der antiken Randvölkeridealisierung widerspiegelt. 2.2 Abgrenzung Eine augenfällige Lücke zeigen die griechischen und römischen Bemerkungen über die Kulträume der frühen Kelten im Hinblick auf die Frage, wie heilige und profane Räume voneinander abgegrenzt waren. Vielleicht überhaupt eher semitisch als keltisch und folglich hier außer Acht zu lassen ist die von Strabo erwähnte Notiz des 17 Eine neue Studie der archäologischen Anhaltspunkte für einen Heroenkult bei den vorrömischen Kelten bietet Müller 2016. 18 Caes. Gall. 6,13,10; vgl. Hofeneder 2005, 187–194. 19 Vgl. dazu insbesondere Rivet/Smith 1979, 415 f. sowie Delamarre 2001, 166. 20 Eine ausführliche Behandlung der entsprechenden Hinweise in der mittelalterlichen irischen Literatur mit Ausblicken vor allem auf Wales und das antike Gallien bietet Mac Cana 2011.

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Artemidoros von Ephesos über eine Opferstätte im äußersten Südwesten der Iberischen Halbinsel, die nur tagsüber aufgesucht werden durfte, da man glaubte, dass des Nachts die Götter sie innehätten.21 Eindeutig auf die Keltiberer bezieht sich demgegenüber der Hinweis in einem Gedicht Martials, dem zufolge ein bestimmter Steineichenhain nur zu Fuß betreten werden durfte; die Abgrenzung des Kultraums zur profanen Außenwelt bestand also in der Anwendung einer besonderen Kultvorschrift.22 In ähnlicher Weise berichtet Lucan in seiner bereits erwähnten Schilderung eines gallischen Heiligen Hains, die Priester dürften diesen zur Mittagszeit und in der Nacht überhaupt nicht betreten.23 Alle diese Notizen sind jedoch gleichermaßen isoliert, und von umlaufenden Palisaden, Mauern, Steinen, Wällen oder Gräben zur Markierung oder Abgrenzung einer Kultstätte ist in den Schilderungen der antiken Beobachter auffälligerweise nie die Rede. Im Hinblick darauf stellt sich die Frage, ob die antike Überlieferung hier – ähnlich wie im Falle des ebenfalls von keinem antiken Autor explizit erwähnten keltischen Kunsthandwerks – gleichsam einen blinden Fleck aufweist, oder aber, ob der Gegensatz zwischen „heilig“ und „profan“ für die vorrömischen Kelten eben gar nicht so bedeutsam war, wie wir heute anzunehmen geneigt sind. Einmal mehr ist auch in diesem Fall – ähnlich wie bei der sakralen Mitte – der Einfluss moderner Religionstheorien in Rechnung zu stellen, die gerade im deutschsprachigen Raum den Gegensatz von „heilig“ und „profan“ zu einer Universalie der Religionsgeschichte stilisierten, tatsächlich aber vor allem jüdisch-christliche und griechisch-römische Distinktionen verallgemeinerten bzw. Beobachtungen bei anderen alten Kulturen und bei schriftlosen Völkern der Neuzeit im Lichte des biblischen und antiken Befundes interpretierten. 2.3 Gestaltung und Ausstattung Ergiebiger sind in jedem Fall die Hinweise griechischer und römischer Autoren zur Gestaltung und Ausstattung frühkeltischer Kulträume. Außer Betracht bleiben muss hier wohl die bei Diodor überlieferte Schilderung eines kreisrunden, auf einer Insel gegenüber dem Land der Kelten gelegenen Tempels durch Hekataios aus Abdera oder Teos, die augenscheinlich märchenhafte Züge trägt und aller Wahrscheinlichkeit nach zu Unrecht mit der – ohnehin neolithischen und frühbronzezeitlichen, mithin also vorkeltischen – Anlage von Stonehenge in Verbindung gebracht wurde.24 Kaum anzuzweifeln ist demgegenüber der Realitätsgehalt der bereits erwähnten, bei Athenaios von Naukratis überlieferten Darstellung des Phylarchos, wo im Zusammenhang mit der Zubereitung von Opfermahlzeiten von Hütten aus Pfählen, Schilf und Weidenruten die Rede ist.25 Vom rituellen Decken des Dachs eines Heiligtums, vermutlich mit Stroh oder Schilfrohr, erzählt Poseidonios, dessen Schilde21 22 23 24 25

Strab. 3,1,4; vgl. Hofeneder 2005, 105–109. Mart. Epigr. 4,55,23 f.; vgl. Hofeneder 2008, 435 f. Lucan. 3,423–425; vgl. Hofeneder 2008, 305–311. Diod. 2,47,2; vgl. Hofeneder 2005, 45–48. Athen. 4,34; vgl. Hofeneder 2005, 65–69.

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rung sich in einem Auszug bei Strabo erhalten hat.26 Demselben Autor verdanken wir auch die Bewahrung der poseidonischen Beschreibung von monumentalen, mit menschlichen Schädeln geschmückten Torbauten (propylaía), wobei allerdings offen bleiben muss, ob sich diese Schilderung auf die Tore von Befestigungsanlagen oder von Heiligtümern bezieht.27 Mehrfach erwähnen antike Autoren im Zusammenhang mit keltischen Kultstätten das Vorhandensein von Altären.28 Diese werden allerdings nirgends näher beschrieben, so dass es letztlich offen bleiben muss, ob diese Bemerkungen auf eigener Anschauung beruhen oder ob hier lediglich griechisch-römische Verhältnisse unreflektiert auf die Kelten übertragen werden. Ähnlich problematisch sind die antiken Hinweise auf Götterbilder in frühkeltischen Kultstätten, deren Aussagekraft in der Forschung unterschiedlich beurteilt wird. Wie Caesar schreibt, hatte der von ihm nicht namentlich genannte, aber mit dem römischen Mercurius identifizierte oberste Gott des gallischen Pantheons die meisten Götterbilder.29 In einem gewissen Gegensatz dazu steht jedoch die in einem späten byzantinischen Exzerpt erhaltene Bemerkung Diodors, bei der keltischen Eroberung Delphis habe der Anführer der Gallier darüber gelacht, dass die griechischen Tempel anthropomorphe Götterbilder enthielten.30 Ein Ausweg aus dem scheinbaren Gegensatz könnte allenfalls darin bestehen, dass Caesar bei den simulacra des Gottes Mercurius an anikonische, den griechischen Hermen ähnliche Symbole dachte. Aus Holz geschnitzte unförmige Götterbilder erwähnt in der bereits erwähnten Schilderung eines gallischen Heiligen Hains Lucan, was jedoch ebensogut ein wegen der literarischen Wirkung verwendetes literarisches Klischee wie eine authentische Beobachtung widerspiegeln kann.31 2.4 Nutzung Im Hinblick auf den Verwendungszweck keltischer Kulträume sprechen die antiken Autoren am häufigsten von ihrer Nutzung zur Deponierung von Weihegaben. Dies bezeugt bereits eine sowohl bei Strabo als auch Diodor überlieferte Schilderung des Poseidonios.32 In ganz ähnlicher Weise äußert sich Caesar, dessen Darstellung von entsprechenden Bemerkungen in den Caesar-Biographien Suetons und Plutarchs bestätigt wird.33 Von Menschenopfern durch Aufhängen an Pfählen in Heiligtümern 26 Strab. 4,4,6; vgl. Hofeneder 2005, 132–136. 27 Strab. 4,4,5; vgl. Hofeneder 2005, 130–132. 28 Vgl. die Hinweise auf altaria bei Pomponius Mela 3,18 (Hofeneder 2008, 272–274) und Lucan 3,404 (Hofeneder 2008, 305–311) sowie die Bemerkungen über arae bei Cicero Font. 14,31 (Hofeneder 2008, 20–23), Lucan 1,445 f. (Hofeneder 2008, 295–304) und 3,404 (Hofeneder 2008, 305–311) und schließlich Tacitus ann. 14,30,3 (Hofeneder 2008, 493–498). 29 Caes. Gall. 6,17,1; vgl. Hofeneder 2005, 198–211. 30 Diod. 22,9,4; vgl. Hofeneder 2008, 77 f. 31 Lucan. 3,412 f.; vgl. Hofeneder 2008, 305–311. 32 Strab. 4,1,3 und Diod. 5,27,4; vgl. Hofeneder 2005, 125–129 bzw. 136–138. 33 Vgl. Caes. Gall. 6,16,3–5 (Hofeneder 2005, 198–211) mit Suet. Iul. 54,2 (Hofeneder 2008, 508–510) und Plut. Caesar 26,8 (Hofeneder 2008, 544–547).

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berichtet – wohl wiederum nach Poseidonios – Strabo.34 Daneben bietet die antike Historiographie noch zwei spezifischere, doch ihrer Herkunft nach unsichere Hinweise. So erwähnt Polybios mit Bezug auf die Kelten Oberitaliens Heiligtümer als Aufbewahrungsort von Feldzeichen in Friedenszeiten.35 Auf die Verhältnisse in Oberitalien bezieht sich auch eine Schilderung des Livius, der zufolge der in Gold gefasste Schädel eines gefallenen römischen Feldherrn im bedeutendsten (sanctissimum) Heiligtum der Boier als Trink- und Libationsgefäß verwendet worden sei.36 Im Hinblick auf die zeitliche Dimension der Nutzung keltischer Heiligtümer geben die antiken Schilderungen keinerlei Informationen, denn wir erfahren weder etwas über die mit der Gründung eines Heiligtums verbundenen Riten noch über bauliche Veränderungen während seiner Nutzung oder besondere Maßnahmen bei seiner Schließung. 2.5 Zusammenfassung Wie die oben angeführten Zeugnisse deutlich machen, enthalten die Schriften der griechischen und römischen Autoren im Hinblick auf die Kulträume der vorrömischen Kelten nur wenige und gleichsam schlaglichtartige Informationen. Viele von ihnen sind mit großen Unsicherheiten der Interpretation belastet, und man kann sie weder ohne weiteres verallgemeinern noch zu einem in sich geschlossenen Bild zusammenfügen. So bietet keiner der uns bekannten Autoren die Beschreibung oder auch nur Erwähnung eines namentlich bekannten und archäologisch identifizierbaren Heiligtums, und auch die Informationen über uns sonst unbekannte Kultstätten erweisen sich bei näherer Prüfung als überaus lückenhaft. Dies gilt insbesondere für Zahlenangaben aller Art, denn die griechischen und römischen Beobachter schweigen geflissentlich nicht nur über die Größe und Anzahl keltischer Kulträume, sondern auch über die jeweilige Größe der Kultgemeinschaft, die Anzahl der darin vollzogenen Opferungen und den Umfang des Kultpersonals. Auch über das Verhältnis geographisch benachbarter Heiligtümer zueinander im Sinne einer Abstufung oder Hierarchie gibt es abgesehen von der bereits erwähnten Notiz des Livius über das „bedeutendste“ Heiligtum der Boier Oberitaliens keinerlei Informationen. Unergiebig und mitunter geradezu irreführend ist dabei die fast durchweg dem griechisch-römischen Sprachgebrauch entlehnte und auf die Verhältnisse der Klassischen Antike zugeschnittene Terminologie (griechisch hierón, lateinisch templum), die, der für Griechen und Römer charakteristischen ethnozentrischen Sichtweise verpflichtet, keinerlei Rückschlüsse auf die Begrifflichkeit der Kelten selbst zulässt und folglich eine nähere Betrachtung der festlandkeltischen Inschriften nötig macht.

34 Strab. 4,4,4; vgl. Hofeneder 2008, 223–231. 35 Pol. 2,32,6; vgl. Hofeneder 2005, 91 f. 36 Liv. 23,24,12; vgl. Hofeneder 2008, 176–182.

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3. ALTKELTISCHE INSCHRIFTEN UND DAS ZEUGNIS DER KELTISCHEN SPRACHEN Das einzige auch literarisch überlieferte altkeltische Wort für einen Kultraum ist nemeton. Man findet es in einer Darstellung der politischen Verhältnisse in Kleinasien, wo die drei keltischen Stämme der Trokmer, Tolistobogier und Tektosagen in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. Fuß fassten und zusammen zwölf „Viererherrschaften“ (Tetrarchien) bildeten. Wie Strabo bemerkt, bestand der Rat dieser zwölf Tetrarchien aus 300 Männern, „die im sogenannten drynemeton zusammen­ kamen.“37 Dass der zweite Bestandteil dieses Wortes als „Heiligtum“ zu deuten ist, bestätigt die inselkeltische Entsprechung nemed, die in den altirischen Glossen das lateinische Wort sacellum umschreibt. Den ersten Bestandteil, dry-, deutete der Keltologe Rudolf Thurneysen (1857–1940) 1893 als eine die Grundbedeutung verstärkende Vorsilbe *dru- und sah dementsprechend im drynemeton ein „Erzheiligtum“. Diese Deutung setzte sich in der Folge weithin durch, wobei man die vermeintliche Verstärkungssilbe *dru- nun auch in der Bezeichnung der Druiden wiederfinden und diese – unter Rückgriff auf *wid-, „wissen“ – als „die Hochweisen“ verstehen wollte. Bereits 1927 zog Thurneysen jedoch seine Etymologie des Wortes drynemeton wieder zurück, da eine Verstärkungssilbe *dru- in den inselkeltischen Sprachen nicht nachweisbar und daher eine Deutung der Druiden als „Eichenkundige“ und des drynemeton als eines „Eichenheiligtums“ vorzuziehen sei.38 Bestätigt wird die Deutung von nemeton als „Heiligtum“ durch eine siebenzeilige, mit griechischen Buchstaben geschriebene gallische Inschrift, die 1840 in Vaison-laRomaine im Département Vaucluse gefunden wurde.39 Sie lautet: SEGOMAROS / OYILLONEOS / TOOYTIOYS / NAMAYSATIS / EIŌROY BĒLĒ- / SAMI SOSIN / NEMĒTON, zu übersetzen: „Segomaros, (Sohn) des Villu, Bürger von Nîmes, weihte der Belisama dieses Heiligtum“. Die genaue Bedeutung des Wortes nemeton, das man unter anderem auch noch aus den Ortsnamen Augustonemetum (Clermont-Ferrand) und Nemetodurum (Nanterre) kennt, lässt sich aus dieser Inschrift indessen nicht ermitteln, so dass auch unklar bleibt, ob es sich um eine bauliche Struktur oder um einen Heiligen Hain handelt, wie man dies für die oben zitierte Darstellung Strabos vermutet. Ein weiteres gallisches Wort für einen Kultraum, celicnon, begegnet in der dritten Zeile einer sechszeiligen, mit lateinischen Buchstaben geschriebenen gallischen Inschrift, die 1839 auf dem Mont Auxois gefunden wurde.40 Sie lautet: MARTIALIS DANNOTALI / IEVRV VCVETE SOSIN / CELICNON ETIC / GOBEDBI DVGIIONTIIO / VCVETIN / IN ALISIIA, zu übersetzen: „Martialis, (Sohn) des Dannotalos, weihte dem Ucuetis dieses celicnon, zusammen mit den Schmieden, die Ucuetis in Alesia verehren“. Im Hinblick auf die baulichen Strukturen, die Archäo37 Strab. 12,5,1. Zur Deutungsgeschichte dieses Abschnitts und zum Verständnis des Wortes drynemeton vgl. Hofeneder 2008, 240–246. 38 Vgl. Thurneysen 1893, 564 gegenüber Thurneysen 1923, 276 f. 39 Vgl. dazu Lejeune 1985, 205–209 sowie Lambert 1994, 84 f. 40 Lambert 1994, 98–101.

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logen vor Ort gefunden haben, ist vermutet worden, bei dem celicnon handle es sich um das für Kultmähler bestimmte Obergeschoss eines Gebäudes, doch ist das Wort tatsächlich ohne gesicherte Etymologie und ohne Entsprechungen in den späteren inselkeltischen Sprachen. Als letzte festlandkeltische Inschrift ist in diesem Zusammenhang die gallischlateinische Bilingue von Vercelli zu besprechen, die 1960 am Ufer der Sesia gefunden wurde.41 Zu lesen steht auf dem 150 × 70 cm großen Stein zunächst auf lateinisch: FINIS / CAMPO QVEM / DEDIT ACISIVS / ARGANTOCOMATER/ECUS COMVNEM / DEIS ET HOMINIB/VS ITA VTI LAPIDE[S] / IIII STATVTI SVNT, zu übersetzen: „Ende des Feldes, welches Acisius Argantocomaterecus Göttern und Menschen dort, wo vier Steine aufgestellt sind, als gemeinschaftlichen Besitz gab“. Darunter ist – mit einigen Unsicherheiten aufgrund von Beschädigungen des Steins – auf Keltisch zu lesen: Akisios Arkatoko{k}/materekos to[.]o/kot[.] atom (oder: atoś) tevoχ/tonion ev. Sieht man in diesem gallischen Satz eine Übersetzung oder Paraphrase des lateinischen, so kann man in to[.]okot[.] das Prädikat (als Entsprechung zu dedit) und in atom (oder: atoś) das direkte Objekt (als Entsprechung zu campus) sehen. In jedem Fall ist tevoχtonion wohl ein aus *dēvo-, „Gott“ (irisch día) und *gdonio-, „Mensch“ (irisch duine) zusammengesetztes Adjektiv mit der Bedeutung „auf Götter und Menschen bezogen“ oder „Göttern und Menschen zugehörig“, was dem lateinischen Ausdruck COMVNEM DEIS ET HOMINIBVS genau entspricht. Wie man sich die Aufteilung des Kultraums unter Götter und Menschen im Einzelnen vorgestellt haben mag, lässt die Inschrift zwar nicht erkennen, doch sei in diesem Zusammenhang noch einmal an die oben (2.2.) erwähnte Notiz des Artemidoros von Ephesos erinnert, der zufolge eine Kultstätte der Keltiberer nur tagsüber aufgesucht werden durfte, da sie des Nachts den Göttern gehörte. Altkeltisch nicht bezeugt, doch mit hoher Wahrscheinlichkeit aus späteren inselkeltischen Sprachzeugnissen und älteren indogermanischen Parallelen zu rekonstruieren, ist schließlich die aus den Bezeichnungen der Himmelsrichtungen ersichtliche Orientierung im Raum.42 So entspricht im Altirischen das Wort für „nördlich“ (túaid) zugleich auch „links“, das für „südlich“ (dess) zugleich auch „rechts“, während der „Osten“ (t-air) „vorne“ ist und der „Westen“ (t-íar) „hinten“. In ähnlicher Weise gehört auch walisisch gogledd, „Norden“ zu cledd, „links“. Auf eine religiöse Komponente dieser Orientierung verweist dabei der Umstand, dass dem Süden bzw. der rechten Seite und dem Norden bzw. der linken Seite im Irischen auch eine symbolische Bedeutung zukommen, denn dess bedeutet zugleich auch „angemessen“ und „schicklich“ (daraus neuirisch deas, „hübsch“ oder „nett“), wohingegen túath in zusammengesetzten Begriffen „böse“ oder „schlimm“ bedeutet. So versteht denn auch eine altirische Glosse zu 2Kor 6,7 (Würzburg 50d40) die paulinische Wendung von den arma iustitiae a dextris et sinistris, also den „Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und Linken“ (d. h. zum Angriff und zur Verteidigung) im übertragenen Sinn als Metapher für den Wechsel von Glück und Unglück im Leben des Gläubigen (nachin rogba úall de prosperis nachinrogba derchoíniud 41 Lambert 1994, 76–79. 42 Das Folgende nach Maier B. 2004, 57 f.

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in aduersís, „dass uns im Glück nicht Stolz, im Unglück nicht Verzweiflung erfasse“). Im Einklang damit gilt in vielen mittelalterlichen Texten die rechtsläufige Bewegung im Uhrzeigersinn (dessel) als glückverheißend, die linksläufige Bewegung (tuaithbel) jedoch als unheilbringend. 4. DER ARCHÄOLOGISCHE BEFUND Wendet man den Blick weg von der griechisch-römischen Literatur und den festlandkeltischen Inschriften hin zur Archäologie, so muss man hier weitaus mehr als bei den zuvor genannten Quellengruppen den enormen Zuwachs an Erkenntnissen durch Ausgrabungen vor allem im Laufe der vergangenen fünf Jahrzehnte in Rechnung stellen. Dies führte immer wieder dazu, dass bereits bekannte Funde im Lichte neuer Erkenntnisse neu gedeutet wurden. Im Hinblick darauf erscheint es angemessen, die wichtigsten hier zu besprechenden Beispiele frühkeltischer Kulträume nicht nach geographischen oder chronologischen Gesichtspunkten zu ordnen, sondern sie in der ungefähren Reihenfolge ihrer Erschließung für die Forschung vorzustellen. 4.1 La Tène Die La Tène genannte Untiefe bei Marin an der Nordspitze des Neuenburger Sees (Lac Neuchâtel) in der Schweiz, von der die als Latènezeit bekannte jüngere Periode der vorrömischen Eisenzeit ihren Namen hat, wird erst neuerdings, und auch nur von einigen Archäologen, als keltisches Heiligtum gedeutet.43 Seit 1857 waren Altertumsforscher dort immer wieder auf eiserne Waffen und Trachtbestandteile sowie auf Überreste hölzerner Strukturen gestoßen. Nach ersten Ausgrabungen in den Jahren 1880–1900 deutete man den Ort zunächst als eine Ufersiedlung der keltischen Helvetier, doch favorisieren einige Fachleute heute vor allem im Hinblick auf die Funde von Haustier- und Menschenknochen eine Interpretation als Opferstätte. Unmittelbar damit zu vergleichen wären dementsprechend die Funde von der Riesenquelle von Dux (Lahošť bei Duchcov in Tschechien), wo 1882 bei Regulierungsarbeiten an der Quelle ein Bronzekessel und zahlreiche Metallgegenstände aus der Frühlatènezeit zu Tage kamen, sowie die Funde aus dem Brodelbrunnen bei Bad Pyrmont, wo man 1863 auf etwa 250 Fibeln aus dem 1. bis 4. Jahrhundert n. Chr. stieß. Die Vermutung liegt nahe, dass der See bzw. die Quelle in allen drei Fällen ausschlaggebend für die Wahl des Ortes zum Vollzug kultischer Handlungen war, doch lässt sich wegen des Fehlens entsprechender Überreste kein klares Bild von dem Aussehen der Kultstätte während ihrer Nutzungsdauer gewinnen.

43 Vgl. zur Einführung David 2010 sowie zum gegenwärtigen Forschungsstand die Beiträge in Alt/Betschart 2007 und Honegger u. a. 2009. Zu den Metallfunden vgl. ferner ausführlich Lejars 2013.

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4.2 Der Goloring Eine Kultstätte ganz anderer Art, die ihre nächsten Parallelen auf den Britischen Inseln hat, ist der unmittelbar südlich des Karmelenbergs bei Kobern-Gondorf im Kreis Mayen-Koblenz gelegene Goloring, der erstmals in den Jahren 1939–1942 im Zuge des Autobahnbaus näher untersucht wurde.44 Die Anlage besteht aus einem Grabenring mit vorgelagertem Wall, der einen Durchmesser von ca. 190 Metern hat und je einen schmalen Zugang im Süden und Norden sowie eine 40 Meter breite Unterbrechung im Westen aufweist. Im Inneren der ringförmigen Anlage befindet sich eine kreisrunde, ca. 1,5 Meter hohe Plattform aus aufgeschütteter Erde, deren Mittelpunkt einst ein mächtiger Holzpfosten mit einer mutmaßlichen Höhe von 8 bis 12 Metern bezeichnete. Ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Deutung der Kultstätte ist dabei der Umstand, dass sie zwar bereits in der Späten Bronzezeit angelegt wurde, ihr oben beschriebenes Aussehen jedoch erst in der Späthallstattund Frühlatènezeit erhielt. Etwa einen Kilometer südlich des Golorings befindet sich auf einem in nord-südlicher Richtung verlaufenden Höhenrücken ein Grabhügelfeld mit 59 Hügeln, die drei deutlich voneinander abgesetzte Gruppen bilden. Während die 13 Hügel der südlichen Gruppe meist nur eine geringe Größe aufweisen, gehörten zur mittleren Gruppe auch vier größere Hügel, darunter zwei Wagenbestattungen. Die 40 Hügel zählende nördliche Gruppe orientierte sich augenscheinlich an einem noch heute erhaltenen Großgrabhügel mit 35 Metern Durchmesser. Der Sichtkontakt zum Goloring und die Anlage weiterer Gräberfelder in der Umgebung lassen vermuten, dass die Kultstätte über mehrere Jahrhunderte den Mittelpunkt einer Siedlungsgemeinschaft bildete. 4.3 Holzhausen, Fellbach-Schmiden und weitere Viereckschanzen Im Gegensatz zu dem mit seinem kreisförmigen Grundriss höchst ungewöhnlichen und einzigartigen Goloring steht die enorm hohe Zahl jener Anlagen, die man in üblicher, aber irreführender Weise als Viereckschanzen bezeichnet.45 Dabei handelt es um quadratische oder rechteckige Einfriedungen aus Wall und Graben mit zumeist nur einer Toröffnung, die in einer breiten bandförmigen Zone von der französischen Atlantikküste bis nach Böhmen verbreitet sind und besonders häufig in Süddeutschland zwischen Rhein, Main und Inn vorkommen. Ihre Lage im Gelände ist uneinheitlich, doch findet man sie nur selten an ausgesprochen exponierter oder militärstrategisch günstiger Stelle, was die früher angenommene Funktion als Befestigungsanlagen unwahrscheinlich macht. Von den knapp 200 vermessenen Anlagen in Baden-Württemberg und Bayern nehmen die größten Viereckschanzen mehr als 1,7 und die kleinsten weniger als 0,7 Hektar ein. Nachdem man diese Erdwerke 44 Vgl. dazu knapp zusammenfassend mit weiteren Literaturangaben Wegner 2001 sowie ausführlich Röder 1948. 45 Eine Übersicht über den gegenwärtigen Stand der Forschung ermöglichen die Beiträge in Wieland 1999, Wieland 2002 und Neumann-Eisele 2005.

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seit dem 19. Jahrhundert abwechselnd für römische Marschlager, vorrömische Gutshöfe, Fluchtburgen oder Viehpferche gehalten hatte, verhalf 1931 ein Aufsatz des Archäologen Friedrich Derxel (1885–1930) der Deutung als Kultanlagen zum Durchbruch. Eine Bestätigung dieser Auffassung sah man Jahrzehnte später im Ausgrabungsbefund der Viereckschanzen von Holzhausen im Landkreis München und Tomerdingen bei Dornstadt im Alb-Donau-Kreis, wo Archäologen um 1960 auf Schächte mit Spuren von organischen Substanzen stießen und sie deshalb als Opferschächte deuteten. Allerdings führten dann kaum zwanzig Jahre später Ausgrabungen in der Viereckschanze von Fellbach-Schmiden bei Stuttgart dazu, dass man für diese Schächte auch eine Deutung als Brunnen in Erwägung zog, während gleichzeitig weitere Forschungen im Umfeld der Viereckschanzen von BopfingenFlochberg im Ostalbkreis und Riedlingen im Landkreis Biberach erneut Argumente für die inzwischen fast in Vergessenheit geratene frühere Deutung der Anlagen als Mittelpunkte dörflicher Siedlungen lieferten. Im Einklang mit der neuen Deutung der vermeintlichen Opferschächte als Brunnenanlagen interpretierte man nunmehr auch in die in Holzhausen und Tomerdingen gefundenen hölzernen Stangen nicht mehr als „Kultpfähle“, sondern als Bestandteil hölzerner Schöpfvorrichtungen. Als klare Indizien für kultische Handlungen in der Viereckschanze von Fellbach-Schmiden galt und gilt nach wie vor der Fund dreier Holzfiguren, nämlich eines sich aufbäumenden Hirsches und zweier einander gegenüberstehender Steinböcke, die ursprünglich eine wohl thronende oder mit untergeschlagenen Beinen sitzende menschliche Gestalt flankierten, von der allerdings nur noch die Finger einer Hand sichtbar sind. Dieser Fund spricht zwar dafür, dass sich innerhalb oder in der Nähe der Viereckschanze von Fellbach-Schmiden ein vorrömisches Heiligtum befand, doch kann man daraus natürlich nicht auf eine primär kultische Funktion der gesamten Anlage schließen, geschweige denn diesen letztlich einmaligen Befund ohne weiteres auf andere Viereckschanzen übertragen. Wie oft Viereckschanzen (vielleicht: unter anderem auch) kultisch genutzt wurden, ist wegen der äußerst geringen Anzahl großflächiger Grabungen kaum abzuschätzen. 4.4 Gournay-sur-Aronde Abgesehen von den Viereckschanzen, hat die Erforschung frühkeltischer Kulträume im vergangenen halben Jahrhundert insbesondere von der archäologischen Untersuchung einer Reihe von Kultstätten in Nordfrankreich profitiert, für die sich in der Literatur im Hinblick auf diesen regionalen Schwerpunkt die Bezeichnung „nordfranzösische Heiligtümer“ oder „Heiligtümer vom type picard“ eingebürgert hat.46 An erster Stelle ist dabei der Kultplatz von Gournay-sur-Aronde zu nennen, der 1977 entdeckt und in den darauf folgenden Jahren als erster vollständig ausgegraben wurde.47 Angelegt am Südhang des Tales der Aronde, befand sich das Heiligtum am Rand des Territoriums der Bellovaker, unweit der Grenze zum Land der 46 Einführend dazu Brunaux 1995, 1999 und 2006. 47 Brunaux u. a. 1985 sowie Brunaux 1988.

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Viromanduer. Wie Funde von Tongefäßen in einer quadratischen Grube auf einem nahegelegenen kleinen Hügel vermuten lassen, diente der Ort bereits im 4. Jahrhundert als Kultplatz. Das eigentliche Heiligtum wurde ebenfalls im 4. Jahrhundert östlich dieser Grube als 45 × 38 Meter lange Einfriedung mit einem über 2 Meter breiten und ca. 2 Meter tiefen umlaufenden Graben, einem zentralen Opferplatz und einem einzigen Eingang in der Mitte der Ostseite angelegt. Am Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. errichtete man vor diesem Graben eine hohe Palisade mit einem Toreinbau und davor einen weiteren Graben. Im 2. Jahrhundert v. Chr. erbaute man sodann über den Opferstellen im Zentrum der Einfriedung einen hölzernen Tempel mit quadratischem Grundriss, dessen nach Osten ausgerichtete Symmetrieachse mit der des um 2 Meter in nördliche Richtung erweiterten Eingangs übereinstimmte. Im Zuge dieser Umgestaltung erhielt der Eingang einen monumentalen, mit menschlichen Schädeln geschmückten und auf sechs Pfeilern ruhenden Portalvorbau. Funde von Schwertern, Schwertscheiden, Schilden und Lanzen im östlichen inneren Graben rechts und links des Portals lassen vermuten, dass hier Trophäen gefallener Krieger eine weitere symbolische Begrenzung des Kultareals bildeten. Viele dieser Waffen hatte man – wohl aus rituellen Gründen – verbogen, zerbrochen oder in anderer Weise unbrauchbar gemacht, um sie dadurch für immer der profanen Nutzung zu entziehen. Den Mittelpunkt des Heiligtums bildete seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. eine ovale Opfergrube von 3 Metern Länge und 2 Metern Tiefe, in der die Opfertiere – hauptsächlich Rinder – unzerteilt so lange deponiert wurden, bis sich die Fleischpartien zersetzt hatten. Anschließend wurden die Schädel der Tiere im Eingangsbereich zur Schau gestellt und die übrigen Teile des Skeletts im inneren Graben hinter der Palisade deponiert. Neben den durchweg sehr alten Rindern, die offenbar als Ganzes geopfert wurden, schlachtete man auch Schweine und Schafe, deren Fleisch bei gemeinsamen Opfermahlzeiten verzehrt wurde. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. wurde das Heiligtum planmäßig geräumt und eingeebnet, doch entstand nach der Romanisierung an eben dieser Stelle ein gallo-römischer Tempel. 4.5 Ribemont-sur-Ancre Ca. 50 Kilometer nordöstlich von Gournay-sur-Aronde lag an einem Abhang unweit des kleinen Flusses Ancre das Heiligtum von Ribemont-sur-Ancre, das nach Ausweis des archäologischen Befundes aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. stammt und ebenfalls in gallo-römischer Zeit durch einen Tempel überbaut wurde.48 1962 entdeckt, waren die archäologischen Überreste bereits 1966 Gegenstand erster Sondierungsgrabungen, bei denen die kultische Nutzung der Anlage festgestellt wurde. Wie spätere Ausgrabungen zeigten, bestand das vorrömische Heiligtum aus einer quadratischen Einfriedung von ca. 40 Metern Seitenlänge mit 48 Zum vorrömischen Heiligtum vgl. zusammenfassend Brunaux 2008 sowie ausführlich Brunaux u. a. 1999. Zum 2001 entdeckten kreisförmigen Vorläufer der späteren Anlage vgl. Ricard/ Brunaux 2009.

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einem knapp 3 Meter tiefen und ca. 3 Meter breiten umlaufenden Graben und einer wohl über 3 Meter hohen Palisade. Außerhalb und entlang dieser Einfriedung entdeckte man zwischen 1982 und 1999 zum einen die Spuren eines monumentalen, mit menschlichen Schädeln geschmückten Eingangsportals, zum anderen über 10.000 menschliche Knochen (ohne Schädel) und mehrere hundert Waffen. Man vermutet aufgrund der Fundumstände, dass sie von im Kampf gefallenen feindlichen Kriegern stammen, die man hier nach ihrer Enthauptung durch Lufttrocknung mumifiziert und danach auf einem Podest zur Schau gestellt hatte. Darüber hinaus fand man innerhalb und längs der Einfriedung die Überreste mehrerer tausend latènezeitlicher Metallgegenstände sowie insgesamt über 15000 menschliche Knochen, die sich mindestens 500 vorwiegend männlichen Individuen unterschiedlichen Alters zuordnen lassen. Wie in Gournay-sur-Aronde ist auch in Ribemont-surAncre eine sukzessive Erweiterung und Umgestaltung der Kultstätte festzustellen, wobei erst 2001 ein kreisförmiger Vorläufer der späteren quadratischen Kultstätte zu Tage kam und Funde von Keramik und Münzen auf Änderungen in der Kultpraxis während des 1. Jahrhunderts v. Chr. schließen lassen. 4.6 Acy-Romance 1979 durch Luftbildaufnahmen entdeckt, gehört das Heiligtum von Acy-Romance zu einer ca. 20 Hektar großen, von mehreren Gräberfeldern umgebenen offenen Siedlung auf einer Hochebene im Tal der Aisne, die im 2./1. Jahrhundert v. Chr. bestand und zwischen 1986 und 2003 ausgegraben wurde.49 Dort fand man auf einem weitläufigen, von einer Palisade begrenzten Kultplatz die Knochen zahlreicher Rinder und Pferde, deren Fleisch nach der Schlachtung vermutlich in gemeinschaftlichen Opfermahlzeiten verzehrt wurde. Außerhalb der Palisade verlief in süd-nördlicher Richtung eine Reihe von Gebäuden, von denen das größte am Nordende eine Grundfläche von 110 Quadratmetern erreichte und allem Anschein nach kultischen Zwecken diente. Auf einem freien Platz vor diesem Gebäude fand man die Skelette von 19 jungen Männern, die dort in stark gekrümmter Haltung mit dem Kopf zwischen den Beinen in kreisförmigen flachen Gruben beigesetzt waren. Obschon der schlechte Erhaltungszustand der Knochen eine Feststellung der Todesursache unmöglich machte, lässt die fehlende oder jedenfalls nur spärliche Bekleidung der Leichen sowie das Fehlen von Grabbeigaben oder persönlichen Habseligkeiten darauf schließen, dass hier keine gewöhnlichen Bestattungen, sondern die Überreste von Opferhandlungen vorliegen. Außer diesen 19 Toten fand man in der Siedlung noch die Überreste eines jungen Mannes, der mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen in kniender Stellung durch einen Axthieb auf die rechte Schläfe zu Tode gekommen war und den man anschließend neben einer Hauswand beigesetzt hatte. Auch in diesem Fall erscheint ein ritueller Hintergrund zumindest wahrscheinlich. Neben diesen Hinweisen auf Menschenopfer entdeckte man in AcyRomance die Überreste von Opferhandlungen, bei denen mindestens viermal bis zu 49 Vgl. dazu knapp zusammenfassend Lambot 2006 sowie ausführlich Verger 2000.

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150 Schafe geschlachtet wurden. In einer rechteckigen Grube fand man dabei neben den Knochen von dreijährigen Mutterschafen die Knochen mehrerer ungeborener Lämmer, was auf eine Schlachtung der Tiere gegen Ende Dezember oder Anfang Januar hindeutet. 4.7 Corent, Bibracte, Manching Ebenso wie bei der offenen Siedlung von Acy-Romance haben Ausgrabungen der vergangenen drei Jahrzehnte auch Kulträume in einigen der gleichzeitig bestehenden großen befestigten Siedlungen (Oppida) wahrscheinlich gemacht. Eines der prominentesten Beispiele dafür ist das Oppidum von Corent, das mit einer geschätzten Fläche von mindestens 50 Hektar auf einer Hochebene ca. 200 Meter über dem Tal des Flusses Allier ca. 15 Kilometer südöstlich des Oppidums von Gergovia gelegen ist.50 Im späten 2. Jahrhundert v. Chr. gegründet, wurde Corent schon im Laufe des 1. Jahrhunderts v. Chr. in seiner Bedeutung als wichtigster Ort der Arverner von dem nahe gelegenen Gergovia übertroffen und zwischen 30 und 20 v. Chr. aufgegeben. Seit den frühen 1990er Jahren finden dort Ausgrabungen statt, bei denen ein bedeutendes Heiligtum, ein Handwerker- und Händlerviertel sowie Wohnhäuser zutage kamen. Überreste von Schlachtopfern und Opfermahlzeiten fand man bei der archäologischen Untersuchung eines annähernd quadratischen freien Platzes mit ca. 45 Meter Seitenlänge: Dort kamen ein Altarstein, Tierknochen, Amphorenscherben sowie unbrauchbar gemachte Waffen und Trachtbestandteile zum Vorschein. Die Frage, ob alle Oppida vergleichbare Kultstätten besaßen, ist beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht zu beantworten, da man über die Funktionen größerer Gebäude und freier Plätze oft nur Vermutungen anstellen kann. Beachtung verdient immerhin eine Bemerkung Caesars, dem zufolge die Gallier Kriegshandlungen stets durch die Einberufung eines bewaffneten Landtags eröffneten, wobei man den, der sich als letzter dazu einfand, vor aller Augen hingerichtet habe.51 Möglicherweise waren solche Anlässe von religiösen Riten begleitet, ohne dass sich dies von archäologischer Seite nachweisen ließe.52 Eine solche Versammlungsstätte mit möglicherweise – auch – religiösen Funktionen vermutet man innerhalb des Oppidums Bibracte auf dem Mont Beuvray in der als „La Terrasse“ bekannten Anlage, einer ca. 80 × 100 Meter großen, ebenen Fläche, die in der Spätlatènezeit mit Wall und Graben umfriedet war, sich im Innern jedoch als weitgehend fund- und befundleer erwies.53 Innerhalb des Oppidums von Manching bei Ingolstadt erschließt man das Vorhandensein einer Kultstätte aus dem Fund zweier mutmaßlicher Kultobjekte. Dabei handelt es sich zum einen um ein heute noch 70 cm hohes Bäumchen aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr., dessen Blätter aus Bronze bestehen und in einer bis dahin nur aus Unteritalien bekann50 51 52 53

Vgl. dazu zusammenfassend Poux 2006 sowie ausführlich die Beiträge in Poux 2011. Caes. Gall. 5,56,2. Vgl. dazu Metzler u. a. 2006 sowie Fernández-Götz 2012 und 2013. Vgl. dazu Goudineau/Peyre 1993, 90–93 sowie Haffner 1995, 37.

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ten Technik mit Blattgold überzogen sind, zum andern um eine eiserne, zum Teil mit Bronze überzogene Pferdeplastik aus dem 2. Jahrhundert v. Chr., die ursprünglich wohl in einem Kultbezirk oder Heiligtum unmittelbar an der Hauptstraße im Zentrum der Anlage aufgestellt war.54 4.8 Glauberg Eine zentralörtliche Siedlung mit einem dazugehörigen Heiligtum von überregionaler Bedeutung vermutet man auf dem Glauberg, 32 Kilometer nordöstlich von Frankfurt am Main, wo seit 1994 Ausgrabungen stattfinden.55 Als letzter Ausläufer des Vogelbergs bildet der Glauberg eine zur Besiedlung und Befestigung gut geeignete Hochebene von über 800 Metern Länge und 80 bis 200 Metern Breite. Schon in der Jungsteinzeit besiedelt, wurde diese Anhöhe erstmals in der Späthallstattzeit mit einer Holz-Stein-Erde-Mauer befestigt, wobei zusätzliche Wälle im Norden des Bergs ein Wasserreservoir umschlossen, um so die Versorgung der Bewohner zu sichern. Eine zentralörtliche Funktion des Glaubergs in der Frühlatènezeit erschließt man vor allem aus den reich ausgestatteten Gräbern am Fuß des Bergs sowie aus einem großflächigen, doch nur teilweise bekannten und weitgehend ungedeuteten System von Wällen und Gräben im Südwesten der Anlage, das man als Überreste eines zentralen Heiligtums interpretiert. Dazu gehört auch eine 350 Meter lange und 10 Meter breite, zu beiden Seiten von 7 Meter breiten Gräben gesäumte Prozessionsstraße, die von Südosten auf den Grabhügel im Südwesten des Glaubergs zuläuft. Eine rituelle Funktion der weiteren Gräben erschließt man im Übrigen vor allem daraus, dass eine fortifikatorische Bedeutung nicht zu erkennen ist. Eine schlüssige Gesamtdeutung ist jedoch wegen des Fehlens vergleichbarer Anlagen nicht möglich. 4.9 Roseldorf Neue Perspektiven auf die nordfranzösischen Heiligtümer vom type picard eröffnet seit 2002 die Ausgrabung einer latènezeitlichen Kultstätte, die in der seit 1995 untersuchten keltischen Siedlung von Roseldorf am Südhang des Sandberges in Niederösterreich zutage kam.56 Wie in Nordfrankreich fand man auch hier ein Grabenquadrat mit zentraler Opfergrube, das von der späten Frühlatènezeit bis zum Beginn der Spätlatènezeit genutzt wurde. Geopfert wurden nach Ausweis der Funde insbesondere Waffen, darunter Lanzen und Schilde (von denen sich die Spitzen bzw. Schildbuckel erhalten haben) sowie Schwerter und Schwertscheiden, von denen 54 Vgl. dazu Krämer 1989 bzw. Maier F. 1990 und 2000. 55 Vgl. dazu knapp zusammenfassend Baitinger/Herrmann 2007 sowie ausführlich die Beiträge in Baitinger u. a. 2008. 56 Vgl. dazu Holzer 2007, 2008 und 2009 sowie zur musealen Rekonstruktion des Heiligtums Lauermann 2008 und zu den Überresten der Tieropfer Abd El Karem 2013.

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man die letzteren oftmals absichtlich verbogen oder zerstückelt hatte. Außerdem fanden die Ausgräber zahlreiche Tierknochen, vor allem von Rindern und Pferden, sowie – insgesamt seltener – Menschenknochen. Ob die Anlage von Roseldorf singulär ist oder ob sich im Zuge weiterer Grabungen ähnliche Kultstätten in der Umgebung werden nachweisen lassen, ist derzeit jedoch noch unbekannt. 4.10 Der Mormont und die Alte Burg bei Langenenslingen Abschließend sei hier noch auf zwei erst vor kurzem entdeckte keltische Kultstätten hingewiesen, die beide erst ansatzweise erforscht sind und für die deshalb noch keine ausführlichen Publikationen vorliegen. 2006 entdeckte man auf dem Mormont, einem 4 Kilometer langen und 600 Meter hohen bewaldeten Hügelzug im Schweizer Kanton Waadt, eine der mutmaßlich bedeutendsten Kultstätten der keltischen Helvetier aus dem 2. und 1. Jahrhundert v. Chr.57 Sie bestand aus über 250 bis zu 5 Meter tiefen Gruben und Opferschächten, die zahlreiche Keramik- und Bronzegefäße, Eisenwerkzeuge, Schmuck, Münzen sowie die Überreste von Menschen und Tieren enthielten. Besondere Beachtung fand dabei der Umstand, dass die rituellen Aktivitäten an diesem Ort auch nach dem von Caesar geschilderten Auszug der Helvetier 58 v. Chr. in unvermindertem Umfang angedauert zu haben scheinen. 2014 schließlich entdeckte man im Zuge von archäologischen Untersuchungen im Umfeld der frühkeltischen Heuneburg an der oberen Donau auf der sogenannten Alten Burg im nahegelegenen Langenenslingen eine monumentale Trockensteinmauer, die man in Anbetracht des Fundes eines Opferschachts mit menschlichen Skelettresten als Bestandteil eines frühkeltischen Kultplatzes interpretiert.58 Wie erste Ausgrabungen an einem Teilstück zeigten, war die Mauer wenigstens 4, möglicherweise aber 6 bis 8 Meter hoch, doch sind ihr Verlauf ebenso wie ihre Länge bis jetzt unbekannt. 5. RÜCKBLICK UND AUSBLICK Fasst man die hier kurz vorgestellten frühkeltischen Kulträume noch einmal insgesamt ins Auge und vergleicht das daraus resultierende Bild mit jenem der antiken Schriftquellen, so ist zunächst festzustellen, dass beide Bilder sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte stark verändert haben: das der antiken Autoren infolge der stark angewachsenen Einsicht in die Problematik einer Nutzung dieser Texte als religionsgeschichtliche Quellen, das der Archäologie durch eine bis dahin unbekannte Zunahme an neuen Funden und Befunden. Gleichwohl haben die daraus resultierenden Erkenntnisfortschritte nicht dazu beigetragen, die beiden Bilder konvergieren zu lassen und so ein insgesamt deutlicheres Gesamtbild zu erzeugen. Vielmehr ist festzustellen, dass das von den antiken Autoren gezeichnete Bild heute 57 Vgl. dazu Dietrich 2007, Dietrich/Nitu 2009 sowie Brunetti u. a. 2014. 58 Vgl. dazu Dürr 2014.

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gleichsam blasser und unschärfer erscheint, während sich das der Archäologie zwar insgesamt sehr viel detailreicher, zugleich aber auch sehr viel uneinheitlicher ausnimmt und überdies zahlreiche Einzelheiten aufweist, die in der antiken Ethnographie überhaupt keine Entsprechung finden bzw. den Aussagen der antiken Schriftquellen direkt zuwiderlaufen. Eindeutig zeigen gerade die Ausgrabungen der jüngsten Vergangenheit, dass sich hinter dem zu Recht als fragwürdig erkannten Sammelbegriff „keltisch“ auch im Hinblick auf die kultische Nutzung des Raumes eine ausgeprägte regionale Vielfalt verbirgt, die nicht leicht auf einen Nenner zu bringen ist. Hinzu kommt, dass Anlagen wie etwa die Trophäenstätte von Ribemont-surAncre, das Grabensystem am Glauberg oder die erst ansatzweise erforschte Trockensteinmauer des mutmaßlichen frühkeltischen Heiligtums bei Langenenslingen jeweils singulär sind und allenfalls weitläufige Parallelen erkennen lassen, was sowohl die Interpretation als auch die Einordnung in größere Zusammenhänge erheblich erschwert. Auch bietet die moderne Archäologie zwar – im Unterschied zu den antiken Texten – die Möglichkeit, die Geschichte eines einzelnen Kultraums z. T. über mehrere Jahrhunderte hinweg und bis in die Zeit der Romanisierung hinein zu verfolgen, doch ist die Anzahl der gut dokumentierten Fälle insgesamt zu gering und räumlich zu breit gestreut, um so etwas wie eine einheitliche Entwicklung erkennen zu lassen. Im Übrigen ist im Hinblick auf die archäologische Deutung keltischer Kultstätten eine augenfällige Diskrepanz zwischen verschiedenen Aspekten der Interpretation zu verzeichnen. Während nämlich unsere Kenntnis der Strukturierung des Raumes und deren religiöse Motivation wegen des Fehlens entsprechender Schriftquellen nach wie vor weitgehend im Dunkeln liegen, liegt zu den dort vollzogenen Riten inzwischen eine Fülle konkreter Informationen vor. So etwa kennt man im Fall der Tieropfer in der Regel sehr genau die Anzahl der geopferten Tiere, ihr Lebensalter, den relativen Anteil verschiedener Tierarten und die Art der Schlachtung. Während unzweifelhafte Belege für Menschenopfer insgesamt nach wie vor selten sind, kennt man aus vielen keltischen Kultstätten vor allem Tier- und Sachopfer sowie Waffenweihungen, wie sie in vergleichbaren Gesellschaften der Alten Welt auch sonst vorkommen. Dabei ist – analog zu anderen Bereichen der keltischen Kultur wie etwa der Kunst – wohl auch hier nicht nur mit Konvergenzen, sondern mit einer konkreten Beeinflussung der Kelten durch die religiösen Riten ihrer südlichen Nachbarn zu rechnen. Die Hoffnung erscheint daher berechtigt, dass neue Ausgrabungen auch künftig dazu beitragen werden, unser Bild der keltischen Religion insgesamt und damit auch der keltischen Kulträume jenseits der Stereotypen antiker Ethnographie weiter zu präzisieren und zu vervollständigen.

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DER NORDISRAELITISCHE STAATSKULT UND SEINE HEILIGTÜMER Henrik Pfeiffer Der Kult im antiken Israel vollzog sich auf mindestens drei soziologisch zu unterscheidenden Ebenen:1 Grundlegend für den Einzelnen war zunächst der Bereich der Familie, für deren Erhalt familiäre Schutzgottheiten und Ahnen sorgten. Die kultischen Handlungen in diesem Bereich (meist in Form von Rauchopfern oder Libationen) fanden in den Wohnbereichen statt und benötigten keine Heiligtümer. Den von mehreren Familien oder Sippen bewohnten Siedlungen waren sodann lokale Heiligtümer zugeordnet, sog. „Höhen“ (bmwt).2 Solche Heiligtümer beherbergten in der Regel keine festen Kultgebäude und waren idealiter mit Kultsteinen (bibl. „Mazzeben“), Holzpfählen oder heiligen Bäumen (bibl. „Ascheren“) und Altären, manchmal auch Libationsbecken ausgestattet. Kultsteine, Pfähle und Bäume galten dabei als kultische Repräsentanten männlicher wie weiblicher Gottheiten. Altäre und Libationsbecken hingegen dienten dem Opfervollzug. An den lokalen Kultstätten wurden vor allem die großen agrarischen Feste begangen, aber auch Opfermahlzeiten, welche die Gemeinschaft der Sippenmitglieder untereinander und mit ihren Gottheiten rituell dar- und herstellten. Von Kulten dieser Art zu unterscheiden sind die Staatskulte. Sie waren königliche Einrichtungen und standen unter königlicher Protektion. Bestimmende Themen dieser Kulte waren der Bestand der kosmischen Ordnung und des Königtums. Der einzelne Israelit oder Judäer wurde dabei kaum in die kultischen Handlungen einbezogen, auch wenn ihre Wirkungen nicht ohne Folgen für das Geschick des Einzelnen blieben. Oberster Staatsgott war im Nordreich Israel wie im Südreich Juda der Gott Jahwe. Als solcher nahm er die gleiche Funktion wahr wie die transjordanischen Gottheiten Milkom, Kamosch und Qaus. Ob es eine Jahweverehrung vor der Staatenbildung in Israel und Juda gab und seit wann Jahwe jenseits von Staat und Dynastie bedeutsam wurde, ist umstritten. In außerbiblischen Quellen begegnet er jedenfalls erstmals im 9. Jahrhundert auf der Stele des moabitischen Königs Mescha,3 und zwar – wohl nicht zufällig – als ein Gott, der Israel und seinem König zugeordnet wird. Ist damit zumindest ein terminus a quo für die Geschichte der offiziellen Jahweverehrung im Nordreich gewonnen, so lässt sich nur mit Mühe ein konkreteres Bild vom nordisraelitischen Staatskult zeichnen. Die Quellen fließen spärlich. Außerbi1 2 3

Vgl. Weippert 1997. Vgl. Gleis 1997. Vgl. Weippert 2010, Nr. 105.

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Abb. 1. Juda und Israel in der Königszeit.

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blische Texte, die sich direkt auf den Staatskult beziehen, fehlen. Gewisse Eckdaten gibt, wie wir noch sehen werden, die Archäologie vor. Die Hauptquelle sprudelt indes in den biblischen Texten.4 Diese fallen leider zum Nordreich sehr viel schmaler aus als zum Südreich Juda. Das Alte Testament ist aus der Perspektive Judas und Jerusalems, nicht aber Israels verfasst oder redigiert worden. Es handelt sich in der vorliegenden Form zudem um kanonische Texte religiöser Tradenten. Nicht zuletzt gehören zu den Merkmalen des Kanonischen immer auch Selektion und Zensur. Die kanonische Überlieferung bewahrt nur, was sie bewahren will, und deutet es nach eigenem Gusto. Zudem stellen die vorliegenden Texte selten zeitgenössische Urkunden dar. Erzählzeit und erzählte Zeit liegen oft weit auseinander. Anderseits bewahrt das Alte Testament durchaus ältere Quellen der Königszeit. Nur gehen Tradition und Redaktion mehr oder weniger nahtlos ineinander über. Beide voneinander zu sondern, bleibt ein notwendiges, aber leider auch hypothetisches Unterfangen. All dies müssen wir vor Augen haben, wenn wir im Folgenden versuchen, aus den wenigen Überlieferungssplittern ein historisches Bild vom nordisraelitischen Staatskult zu zeichnen. 1. HEILIGTÜMER DES ISRAELITISCHEN STAATSKULTES Für den Staatskult in Israel bedürfen drei Orte der Diskussion: Bethel (ganz im Süden des Nordreiches, an der Grenze zu Juda), Dan (ganz im Norden, an den Jordanquellen) und Samaria (nicht ganz im Zentrum), vgl. Abb. 1. Dabei sind wir vornehmlich auf die Textüberlieferung angewiesen. Die Quellenlage empfiehlt, bei Bethel und Dan einzusetzen.

1.1 Bethel und Dan a) Die Einsetzung des nordisraelitischen Reichskultes durch Jerobeam (I.) nach 1Kön 12,25–33 Folgt man der biblischen Erzählung, so erstreckte sich die Herrschaft der Könige David und Salomo vom Euphrat bis an die Grenze Ägyptens (1Kön 5,1). Salomo schreibt die Bibel auch die Errichtung von Palast und Tempel auf der Jerusalemer Akropolis zu, die als politisches und religiöses Zentrum des neu geschaffenen Reiches dienten (1Kön 6–8). Doch die Einheit des Reiches währte nicht lange. Einem gewissen Jerobeam ben Nebat gelang es, dem Nachfolger Salomos die Nordstämme abspenstig zu machen und einen eigenen Staat zu gründen (1Kön 11,26–12,33). Fortan existierten ein Nordreich Israel und ein Südreich Juda, bis das Nordreich am Ende des 8. Jahrhunderts dem Expansionsdrang der Assyrer erlag (2Kön 17) und das 4

Zu den damit verbundenen Problemen, die im Folgenden nur kurz angesprochen werden können, vgl. auch Köckert 2010, bes. 361–364.

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Südreich anderthalb Jahrhunderte später unter babylonische Herrschaft geriet (2Kön 24 f.). Politisches und religiöses Zentrum des Südreiches Juda blieb auch nach der „Reichsteilung“ Jerusalem. Jerobeam hingegen, der erste Herrscher des Nordreiches, soll einen eigenen Kult in Bethel und Dan errichtet haben – der Bericht über die ersten Regierungsmaßnahmen Jerobeams findet sich in 1Kön 12,25–33: (25) Und Jerobeam baute Sichem auf dem Gebirge Ephraim und wohnte darin. Und er zog von dort aus und erbaute Pnuel. (26) Und Jerobeam sprach in seinem Herzen: Jetzt wird die Königsherrschaft zum Hause Davids zurückkehren. (27) Wenn dieses Volk hinaufzieht, um Schlachtopfer darzubringen im Hause Jahwes in Jerusalem, dann wird das Herz dieses Volkes zurückkehren zu ihrem Herrn, zu Rehabeam, dem König von Juda. Und sie werden mich töten und werden zurückkehren zu Rehabeam, dem König von Juda. (28) So ging der König mit sich zu Rate. Und er machte zwei goldene Jungstiere und sprach zu ihnen: Zu viel ist es für euch, nach Jerusalem hinaufzuziehen. Siehe, (das ist) dein Gott, Israel, der dich aus dem Lande Ägypten heraufgeführt hat.5 (29) Und er stellte den einen in Bethel auf, den anderen aber gab er nach Dan. (30) Und diese Sache geriet zur Sünde. Und das Volk zog vor dem einen bis nach Dan. (31) Und er machte ein Höhenhaus. Und er machte aus allen Teilen des Volkes solche zu Priestern, die nicht von den Leviten waren. (32) Und Jerobeam machte ein Fest im achten Monat, am fünfzehnten Tag des Monats, gleich dem Fest, das in Juda war. Und er stieg hinauf zum Altar. So tat er in Bethel, um den Jungstieren zu opfern, die er gemacht hatte. Und er stellte in Bethel Höhenpriester ein, die er (dazu) gemacht hatte. (33) Und er stieg hinauf zum Altar, den er in Bethel gemacht hatte, am fünfzehnten Tag, im achten Monat, im Monat, den er ‚von seinem Herzen her‘6 ersonnen hatte. Und er machte ein Fest für die Israeliten. Und er stieg auf den Altar, um zu räuchern.

b) Quelle und Redaktion in 1Kön 12,25–33 Der Abschnitt präsentiert sich als ein kultpolemisches Pamphlet sondergleichen. Die Summe zieht V.30a: „Und diese Sache geriet zur Sünde“. Man darf ohne weiteres präzisieren: zur Erbsünde der Könige Israels. Denn von den Nachfolgern Jerobeams heißt es in den Königebüchern nun mit steter Regelmäßigkeit, sie wandelten in „der Sünde/den Sünden Jerobeams“.7 Das setzt sich so lange fort, bis das Nordreich endlich den Stürmen der Assyrer erliegt (1Kön 17) und wegen der Sünde Jerobeams sein verdientes Ende findet (1Kön 17,22; vgl. 1Kön 14,16). Bereits in statu nascendi trägt es mit der „Sünde Jerobeams“ den Keim des Verderbens in sich. Worin diese Sünde besteht, entfaltet der hintere Teil der Passage nachgerade wie ein Sündenregister (V.31–33). Es bezieht sich gleichermaßen auf den Kultort

5 6 7

Möglich ist auch die Übersetzung: „Siehe, (das sind) deine Götter, Israel, die dich aus dem Lande Ägypten heraufgeführt haben.“ Qere; vgl. die alten Übersetzungen. Vgl. 1Kön 15,30.34; 16,2.19.26.31; 2Kön 3,3; 10,29.31; 13,2.6.11; 14,24; 15,9.18.24.28.

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(„Höhenhaus“8, V.31), das Kultpersonal (nicht-levitische [„Höhen“-]9Priester, die Jerobeam von allen Enden des Landes zusammensucht, V.31.32), die Kultzeit (ein „Monat, den er ‚von seinem Herzen her‘ ersonnen hatte“,10 V.33) und die Adressaten des Kultes (Jungstierbilder11 in Bethel, „die er gemacht hatte“,12 V.32). Bei alledem bleibt die judäische Handschrift des Verfassers unverkennbar. Für ihn kommt selbst der Apostat nicht umhin, den judäischen König „ihren (scil.: der Israeliten) Herrn“ zu nennen, zu dem das Volk wieder „zurückkehren“ könnte (V.26 f.). Daneben inszeniert er die kultischen Neuerungen als frevelhaften Gegenentwurf zum Jerusalemer Kult (V.27.32). Den Maßstab für seine Wertungen liefert vor allem das Buch Deuteronomium. Dieses kreist theologisch um die Ideale von Kultuseinheit und Kultusreinheit. Das Prinzip der Kultuseinheit beschränkt den legitimen Kult auf den Jerusalemer Tempel als die einzige von Jahwe erwählte Kultstätte (Dtn 12). Die Forderung nach Kultusreinheit verlangt von Israel eine exklusive Verehrung seines Gottes Jahwe (Dtn 5,7.9; 6,4 f. u. ö.). Sie wurde später noch durch das Verbot von Jahwe-Kultbildern erweitert (Dtn 4; 5,8).13 In das weitere Umfeld der kultischen Vorstellungen des Deuteronomiums gehört auch das Ideal des levitischen Priestertums.14 Die Ursprünge des Deuteronomiums sucht man gewöhnlich im 7. Jahrhundert v. Chr. In jedem Fall hat es eine längere Entstehungsgeschichte durchlaufen.15 Die in 1Kön 12,25.26–33 vorausgesetzte Gestalt des Buches ist dabei nicht vor dem 6. Jahrhundert v. Chr., mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar noch später entstanden.16 Der heute vorliegende Text von 1Kön 12,25.26–33 datiert damit mindestens dreieinhalb Jahrhunderte nach dem berichteten Ereignis. Allein schon vor diesem Hin  8 Der Terminus „Höhen“ (bmwt) dient in den Königebüchern zur Bezeichnung illegitimer Kultstätten außerhalb des Jerusalemer Tempels. In den mutmaßlich älteren deuteronomistischen Schichten bezieht er sich dabei auf judäische Kultstätten (1Kön 3,2; 14,32; 15,14; 22,44; 2Kön 12,4 u. ö.). Erst auf jüngerer Ebene begegnet er für (illegitime) Heiligtümer des Nordreichs (2Kön 17,9.11). Die wenigen sonstigen Belege für „Höhenhäuser“ (1Kön 13,32; 2Kön 23,19 – jeweils im Plural) und „Höhenpriester“ (1Kön 13,2.33; 2Kön 23,20) stehen in sachlichem wie literarischem Zusammenhang mit 1Kön 12. Die Belege für beide Termini innerhalb der Samaritaner-Ätiologie 1Kön 17,24–41 (vgl. V.29.32, „Höhenhaus“ hier wie in 1Kön 12,31 im Singular) sind in Kenntnis der genannten Stellen formuliert worden.   9 Vgl. Anm. 8. Zum Ideal levitischer Priester vgl. Dtn 8,1–8; 10,7 f.; 21,5. 10 V.33 argumentiert auf der Grundlage der – freilich erst im Heiligkeitsgesetz anzutreffenden – Terminierung des Laubhüttenfestes auf den 15. Tag des 7. Monats (Lev 23,24). V.32 erhebt demgegenüber den Vorwurf eines Gegenkultes zum Jerusalemer (Herbst-)Fest. Beide Stellen sind vermutlich verschiedenen literarischen Ebenen zuzuordnen. 11 V.28 rechnet mit nur einem Jungstierbild in Bethel. Die Pluralität der Kultgegenstände in V.32 zielt vermutlich auf eine Verletzung des Fremdgötterverbotes (Ex 20,3.5; Dtn 5,7.9). 12 Der Ausdruck assoziiert das Bilderverbot (Dtn 5,8; Ex 20,4). 13 Zur späten Herkunft des Bilderverbots innerhalb der alttestamentlichen Traditionsbildung vgl. Köckert 2009. 14 Vgl. Anm. 9. 15 Einen Überblick über die wichtigsten entstehungsgeschichtlichen Fragen des Deuteronomiums vermittelt Römer 2014. 16 1Kön 12,33 rekurriert zudem auf den Festkalender des Heiligkeitsgesetzes Lev 17–26 (s. Anm. 10), das nicht ohne Kenntnis des Deuteronomiums formuliert wurde.

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tergrund verwundert es kaum, wenn die Wahrscheinlichkeit, in 1Kön 12 auf religionsgeschichtlich zuverlässige Informationen aus dem 10. Jahrhundert zu stoßen, zunehmend kontrovers diskutiert wird.17 Allerdings wäre der Text als theologisches Konstrukt aus deuteronomistischer Feder historisch nur unzureichend beschrieben. Die Verfasser der Königebücher bedienten sich für ihre Darstellung durchaus älterer Quellen. Zu diesen gehörten auch die offiziellen Annalen des Jerusalemer und des Samarischen Hofes.18 Zumindest für die Baunotiz in 1Kön 12,25 ist die Herkunft aus den Annalen des Nordreiches weitgehend anerkannt.19 Auch für den folgenden Abschnitt über die kultpolitischen Maßnahmen Jerobeams bleibt eine solche Annahme sinnvoll. Er lässt eine Reihe von sprachlichen und sachlichen Unebenheiten erkennen, die auf spätere Überarbeitung deuten. Sondert man die mutmaßlichen Bearbeitungen, so verbleibt als vordeuteronomistischer Textbestand:20 (25) Und Jerobeam baute Sichem auf dem Gebirge Ephraim und residierte darin. Und er zog von dort aus und erbaute Pnuel. (28*) Und er machte zwei goldene Jungstiere[: Siehe, dein Gott, Israel, der dich aus dem Lande Ägypten heraufgeführt hat]. (29) Und er stellte den einen in Bethel auf, den anderen aber gab er nach Dan. (30b) Und das Volk zog vor dem einen bis nach Dan.

Formal erinnert der rekonstruierte Grundtext an den notizenhaften Stil altorientalischer Annalen.21 Deuteronomistische Formulierungen sind im Gegensatz zum vorliegenden Text nicht erkennbar. Ein Stierbild von Bethel ist für die Königszeit auch in Hos 10,5–6a bezeugt.22 Zudem erwähnt Am 7,13 für die Zeit Jerobeams II. – ei17 Vgl. etwa die Skepsis bei Köhlmoos 2006, 154–182, und Pakkala 2008. 18 Die deuteronomistischen Verfasser haben ihre Berichte über die einzelnen Könige in ein festes Rahmenwerk gefügt. Dazu zählen Schlussformeln, in denen die Autoren auf gewisse „Tagebücher der Könige“ Israels oder Judas verweisen, die weitere, in der Darstellung nicht berücksichtigte res gestae der jeweiligen Könige enthielten (vgl. 1Kön 14,19 f.29–31; 15,7 f.23 f.31 f.; 16,5.14.20.27 f.; 22,39.46 f. u. ö.). Bei diesen „Tagebüchern“ dürfte es sich um eine Art Königschroniken handeln, wie man sie auch aus Assur und Babylon kennt (vgl. Dietrich 2014, bes. 271–273). 19 Vgl. z. B. Würthwein 1985, 150–152; Köhlmoos 2006, 159 und 161, hingegen sieht die Notiz als Teil eines theologisch motivierten geographischen Konzepts, das gleich mehrfach das Zerbrechen der Reichs- und Kultuseinheit dokumentiert und das „Nordreich im Rahmen einer idealen Geographie“ (161) zeichnet. Entsprechend rechnet sie auch V.25 zur (deuteronomistischen) „Grundschrift der Königebücher“. Ihre Beobachtungen schließen jedoch nicht aus, dass die „ideale Geographie“ hinter 1Kön 12,25–30 Produkt redaktioneller Vorgänge sein könnte. Die Annahme deuteronomistischer Herkunft von V.25 wird durch den sprachlichen Befund jedenfalls nicht gestützt. 20 Zur Analyse vgl. Pfeiffer 1999, 26–31. Diese ist allerdings an zwei Punkten zu modifizieren: V.30b lässt sich nur schwer als Nachtrag erklären und ergibt – wie noch zu zeigen sein wird – auch im Grundbestand einen guten Sinn. V.33b hingegen dürfte Teil einer redaktionellen Brücke sein, die zur Erzählung 1Kön 13 überleitet (vgl. bereits Würthwein 1985, 166 und 168 f.). Zur Exodusformel von V.28 s. u. S. 132 f. Alternative Analysen diskutiert knapp Köckert 2010, 368 f., Anm. 38. 21 Beispiele finden sich etwa in Janowski/Wilhelm 2005, 35–45. 22 S. u. Abschnitt 2.

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nes Namensvetters des Jerobeam von 1Kön 12 aus dem 8. Jahrhundert – das Heiligtum von Bethel in der Funktion eines „Königsheiligtums“ und „Reichstempels“.23 Alles zusammen spricht dafür, 1Kön 12,28*.29.30b aus der Kenntnis königszeitlichen Quellenmaterials zu erklären. c) Jerobeam I. oder Jerobeam II.? Vergleicht man den von Jerobeam errichteten Kult mit den Jerusalemer Verhältnissen, so fällt sofort ein entscheidender Unterschied ins Auge: Der königliche Kult in Jerusalem scheint wesentlich zentral organisiert gewesen zu sein. Irdischer König und göttlicher Promotor residierten gemeinsam auf der Jerusalemer Akropolis und lenkten von hier aus die Geschicke von Stadt und Staat. Ein gänzlich anderes Bild zeichnet 1Kön 12* für das Nordreich. Jerobeam reklamiert gleich zwei Heiligtümer für den königlichen Kult. Diese liegen fernab der Residenz(en)24 an der Peripherie des Staatsterritoriums. Die biblische Überlieferung schreibt diese Einrichtung dem Gründer des Nordreiches Jerobeam I. (927–907 v. Chr.) zu. Viele Ausleger folgten ihr darin. Doch will sie nicht – wie neuere Forschungen zeigen – zu den territorialen Gegebenheiten des vor-omridischen Israel (spätes 10. und frühes 9. Jahrhundert v. Chr.) passen. Dessen Siedlungsgebiet reichte im Norden kaum über die Jesreel-Ebene hinaus.25 Auch die in vielerlei Hinsicht glanzvollen omridischen Herrscher des 9. Jahrhunderts haben ihre Nordgrenze nicht bis nach Dan verschieben können.26 Die Überlieferung von 1Kön 12,26–33* bezieht sich offensichtlich auf noch spätere Zeit. Das bestätigt auch der archäologische Befund zu den beiden in 1Kön 12,26– 30* genannten Kultstätten. Für Bethel (Betin) ergibt sich aus den bisherigen Veröffentlichungen freilich nur ein vages Bild. Neuere Auswertungen sehen allerdings wenig Spielraum für ein Staatsheiligtum im 10. Jahrhundert. Der nach Norden relativ isolierte Ort27 war bestenfalls schwach besiedelt. Erst zwischen 800 und 720 v. Chr. erlebte er einen Aufschwung.28 Ein Heiligtum ist bisher nicht entdeckt worden. Dan29 war zur Zeit Jerobeams I. vermutlich nicht besiedelt. In der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts errichtete hier der damaszenische König Hasael ein regionales aramäisches Zentrum. Dieses fiel Anfang des 8. Jahrhunderts der Zerstörung anheim, vermutlich durch die Hand des israelitischen Königs Joas (802–787 v. Chr.). Wenig

23 Der Fremdbericht Am 7,7–17 mag durch Hosea inspiriert sein (vgl. z. B. Köhlmoos 2006, 109 f.). Das schließt aber nicht aus, dass die genannten Termini für das Betheler Heiligtum einen durchaus zutreffenden Sachverhalt ansprechen. 24 Unter den vor-omridischen Herrschern diente Tirza (Tell el-Far‛a Nord), seit Omri Samaria als königliche Residenz. 25 Vgl. Finkelstein 2014, 88–94, bes. S. 93, Abb. 18 (Karte). 26 Vgl. Finkelstein 2014, 123–127. 27 Vgl. Köhlmoos 2006, 20–45. 28 Köhlmoos 2006, 45–83; Finkelstein/Singer-Avitz 2009. 29 Vgl. Arie 2008; Finkelstein 2014, 89 und 148.

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später, wohl unter Jerobeam II. (787–747 v. Chr.), entstand in Dan erstmals eine israelitische Stadt, die – wie auch die Vorgängerstadt – ein Heiligtum barg.30 Die Befunde sprechen insgesamt dafür, die Einrichtung der Stierkulte in Bethel und Dan nicht mit Jerobeam I. im 10. Jahrhundert, sondern mit Jerobeam II. im 8. Jahrhundert zu verbinden.31 Diese Annahme fügt sich auch gut in den größeren historischen Zusammenhang. Hauptfeind Israels im 9. Jahrhundert waren die Aramäer von Damaskus. Die Inaktivität der Assyrer im Westen nach dem Feldzug Salmanassars III. von 841 v. Chr. erlaubte den Aramäern – namentlich unter Hasael von Damaskus (2. Hälfte des 9. Jahrhunderts v. Chr.) –, ihren Einfluss in Richtung Süden auszudehnen. Entsprechende Zerstörungsschichten in den Ebenen des Nordreiches32 geben ebenso wie biblische Texte Zeugnis von der bedrückenden Lage für Israel. Die Gründung der aramäischen Stadt in Dan geht – wie die Tel-DanStele33 nahelegt – ebenfalls auf Hasael zurück. Ab dem Ende des 9. Jahrhunderts richtete Assur seinen Blick wieder verstärkt nach Westen. Damit änderte sich auch die Lage für Israel, das bereits seit 841 v. Chr. assyrischer Vasall war.34 Die eisigen Winde Assurs bekam zunächst Damaskus zu spüren. Israel indes konnte sich zu neuen Höhen aufschwingen und erlebte unter der vierzigjährigen Herrschaft Jerobeams II. eine Blüte, die Rückeroberungen und territoriale Erweiterungen einschloss. Dazu zählten nach biblischer Überlieferung sogar „(Lebo-)Hamat“ (2Kön 14,25) sowie „Damaskus und Hamat“ (2Kön 14,28).35 Auch wenn solche Notizen sicherlich nicht ohne Übertreibung bleiben, spiegelt der archäologische Befund zu Dan die Ausdehnung des israelitischen Territoriums nach Norden. Eroberung und Wiederaufbau der Stadt fallen mit großer Wahrscheinlichkeit in die Zeit Jerobeams II. und seines Vorgängers.36 Dass die in 1Kön 12 erwähnte Kultgründung Dans und damit auch Bethels ebenfalls auf diesen König zurückgeht, erscheint vor diesem Hintergrund plausibel. Ebenso leicht lässt sich erklären, weshalb die spätere Redaktion von 1Kön 12 die Stierkulte von Bethel und Dan dem Reichsgründer Jerobeam I. zuschrieb. Für die Redaktoren, die am Deuteronomium mit seinen Vorstellungen von Kultuseinheit und Kultusreinheit geschult waren, stellten die beiden Heiligtümer mit ihren Stierbildern einen einzigartigen kultischen Frevel dar. Garant der Kultuseinheit war für diese Theologen die politische Einheit von Nord- und Südreich, wie sie nach ihrem Bilde nur unter David und Salomo bestand. Der Abfall Israels vom Hause Davids und die Existenz eines Nordreiches waren als solche schon Ausdruck der 30 Nicht abschließend geklärt scheint, ob es sich bei der sog. „Bamah B“ (Stratum III) um ein offenes Heiligtum oder einen Tempel handelt (vgl. Arie 2008, 10). 31 Den Zusammenhang mit Jerobeam II. haben – wenn auch auf unterschiedliche Weise – bereits Köhlmoos 2006, 138, und Berlejung 2009 hergestellt. Beide erkennen aber in 1Kön 12,28–33* keine vordeuteronomistische Quelle; vgl. ferner Finkelstein 2014, 89 f. 32 Vgl. Finkelstein 2014, 137–141. 33 Vgl. Weippert 2010, Nr. 116. 34 Vgl. Weippert 2010, Nr. 112, 113 („Schwarzer Obelisk“), 122 (Steleninschrift vom Tell er-Rimah). 35 Vgl. 2Kön 15,29; Finkelstein 2014, 151. 36 Vgl. Arie 2008.

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„Sünde Israels“. Des zum Zeichen legten sie dem Nordreich nun auch den Kultfrevel von Dan und Bethel in die Wiege.37 1.2 Samaria Fällt die Einrichtung königlicher Heiligtümer in Bethel und Dan erst in die Zeit Jerobeams II. und damit in die zweite Hälfte der Geschichte des Nordreiches, so stellt sich die Frage, ob sich funktional vergleichbare Kultstätten auch für die Zeit davor finden lassen. Jedenfalls wäre es seltsam, wenn der omridische Staat (9./8. Jahrhundert v. Chr.) ohne ein solches Heiligtum geblieben wäre.38 Direkte Hinweise fehlen freilich. Doch gibt es gute Gründe, die Nordreichsresidenz Samaria mit in die Überlegungen einzubeziehen.39 Die Baugeschichte des eisenzeitlichen Samaria beginnt im 9. Jahrhundert mit Omri (1Kön 16,24). Topografisch ist eine Akropolis, die durch eine monumentale Kasemattenmauer gestützt wurde, von der eigentlichen, auf einer tieferen Plattform gelegenen Stadt zu unterscheiden. Inwieweit bereits die omridische Anlage über die Akropolis hinausreichte, ist umstritten.40 Die Akropolis selbst beherbergte einen Palast, der „eines der größten eisenzeitlichen Bauwerke, die aus der Levante bekannt sind“,41 darstellte. Allerdings ist bisher weder auf der Akropolis noch in der unteren Stadt ein Heiligtum nachgewiesen worden. Die Textüberlieferung des Alten Testaments kennt indes ein solches Heiligtum. Nach der Überlieferung der Königebücher sei dieses „dem Baal“ geweiht gewesen (1Kön 16,32), was ihm die Zerstörung während der Revolte des Jehu eintrug (2Kön 10,18–28). Die Erzählung 37 Der Abschnitt über die kultpolitischen Maßnahmen Jerobeams in 1Kön 12,28*.29.30b wäre demnach einer annalistischen Quelle zuzuschreiben, die sich auf die Zeit Jerobeams des II. bezieht. Den Zusammenhang mit 1Kön12,25 hat dann erst die deuteronomistische Redaktion hergestellt. 38 Der Begriff „Staat“ wirft freilich eine Reihe von Fragen auf, die hier nicht sinnvoll diskutiert werden können. Von politologischer Seite her steht seine Anwendbarkeit auf vormoderne Herrschaftsformen überhaupt in Zweifel (vgl. die Hinweise bei Oswald 2013). Ein weniger eng gefasstes Verständnis von „Staat“ erkennt in diesem eine „Lebensform, in der einige Menschen hauptberuflich alle diejenigen verwalten, organisieren und schützen, die selber produzieren, verarbeiten und handeln“ (Berlejung 2012, 374; vgl. zum Folgenden ebd.). Israel und Juda werden im Kontext der Bibelwissenschaften gemeinhin als „Territorialstaaten“ verstanden. Kennzeichnend für diese Form der Staatlichkeit ist die zentral organisierte Herrschaft über mehrere Städte und ihre umliegenden Territorien. In archäologischer Hinsicht gelten als „Kennzeichen territorialer Staatlichkeit […] die Existenz einer eigenen Verwaltungssprache und -schrift, Monumentalarchitektur in Stein für staatliche Bauten, Massenproduktion von Keramik sowie die Anlage und Koordination von staatlichen Funktionalbauten in verschiedenen Ortslagen, die zentrale Organisation und ortsübergreifendes Interesse (z. B. territoriale Grenzsicherung, lokal übergreifende Vorratshaltung, überregional agierende Verwaltungszentren) erkennen lassen“ (Berlejung 2012, 374). Ein entsprechender Befund wird im Nordreich Israel mit den Omriden greifbar (vgl. Finkelstein 2014). 39 Zur Diskussion vgl. Pfeiffer 1999, 142–152 (freilich mit noch negativem Ergebnis). 40 Vgl. Finkelstein 2014, 110. 41 Finkelstein 2014, 107.

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2Kön 10,18–28 bietet allerdings historisch kaum Zuverlässiges.42 Vage bleibt auch 1Kön 16,32. Hier heißt es vom König Ahab, dem Nachfolger Omris: „Er errichtete einen Altar für den Baal im Hause des Baal, das er in Samaria erbaut hatte.“

Der Text ist in seiner jetzigen Gestalt sicher deuteronomistisch. Allerdings erscheint die Aussage, Ahab habe einen „Altar für (den)43 Baal“ im „Hause (des) Baal“ errichtet, merkwürdig redundant. Die Formulierung weist vielleicht auf eine überlieferungsgeschichtliche Vorstufe, in der die Gottheit des Altars noch nicht mit dem Hauptgott des Tempels identisch war. Die Gottesbezeichnung „Baal“ wäre dann auf eine deuteronomistische Bearbeitung zurückzuführen, die hier – wie auch an anderen Stellen – mit dem Begriff „Baal“ den Vorwurf des Fremdgötterdienstes zur Sprache brächte. Alles Weitere bleibt leider noch ungewisser. Da der von Ahab erbaute Tempel eine königliche Einrichtung in der Residenzstadt war, Jahwe als Reichs- und Dynastiegott galt, erscheint die Annahme, der Grundtext habe von einem Jahwe-Tempel gehandelt, jedoch nicht völlig unbegründet.44 Die ursprüngliche Identität des mit dem Altar verbundenen Gottes klärt sich vielleicht im Umfeld der voranstehenden Notiz über die Heirat Ahabs mit der sidonischen Prinzessin Isebel (1Kön 16,31*). Die Eheschließung diente wohl nicht zuletzt wirtschaftlichen Interessen des israelitischen Hofes am phönizischen Fernhandel. Möglicherweise fand der außenpolitische Schulterschluss mit Sidon auch auf der kultischen Ebene durch eine Kohabitation Jahwes mit einer sidonischen Gottheit (Eschmun?)45 im (Jahwe?)-Tempel zu Samaria ihren symbolischen Ausdruck. Für die Deuteronomisten konnten kultische Verhältnisse dieser Art freilich nichts anderes sein als ein Ausdruck finsterster „Baalisierung“. Einen weiteren Hinweis gibt vielleicht Am 6,1a. Die Stelle parallelisiert den „Berg Samaria“ mit dem Jerusalemer Zion46: „Weh den Sorglosen auf Zion, denen, die auf den/dem (?) Berg Samarias vertrauen.“

42 Die ältere Jehu-Erzählung (2Kön 9 f.*) endete vermutlich in 10,17aα („So kam er [scil. Jehu] nach Samaria“): vgl. z. B. Levin 1982, 86 f., Anm. 9; Würthwein 1984, 340–342; Würthwein 2008; Minokami 1989, 96 f.; Kratz 2000, 169, Anm. 72. Diese Sicht ist freilich nicht unwidersprochen geblieben: vgl. zuletzt etwa Robker 2012, bes. 48 f. und 62–65; Dietrich 2014, bes. 273–278. Abgesehen von den umstrittenen literarischen Befunden wird die in 2Kön 10,18–27 fest verankerte Jahwe-Monolatrie erstmals mit dem Deuteronomium (nicht vor dem 7. Jahrhundert v. Chr.) greifbar. Entsprechende theologische Profile in den Elia-Erzählungen und dem Hoseabuch sind nicht älter; vgl. zur Diskussion Köckert 1998. 43 Die Determinationen vor „Baal“ zielen auf eine Entpersonalisierung der Gottheit. Sie lassen sich jedoch ohne weiteres der erst später erfolgten Vokalisation durch die Masoreten zuschreiben. 44 Vgl. vor allem Timm 1982, 32 f. Vage bleibt freilich dessen Vermutung, der Formulierung „Haus des Baal“ gehe ein älteres „Haus Gottes“ (= „Haus Jahwes“) voraus. 45 Zur Götterwelt Sidons im 1. Jt. v. Chr. vgl. Niehr 1998, 123. 46 „Zion“ bezeichnet im Alten Testament den Jerusalemer Tempelberg nördlich der Davidsstadt oder die Stadt Jerusalem insgesamt.

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Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist der Vers in seiner vorliegenden Form Produkt judäischer Bearbeitung.47 In seiner ursprünglichen Form wird er gelautet haben: „Weh denen, die auf den/dem (?) Berg Samarias vertrauen.“

Unklar bleibt, ob die Wendung „vertrauen auf“ (bṭḥ b) transitiv („auf den Berg Samarias vertrauen“) oder intransitiv („auf dem Berg Samarias vertrauen“) zu deuten ist. Im erstgenannten Falle wären vergleichbare Aussagen mit göttlichem Objekt zur Seite zu stellen,48 was dem „Berg Samaria“ eine religiöse Konnotation verliehe.49 In diese Richtung könnte auch die Parallelisierung von „Berg Samaria“ und „Zion“ durch die judäische Redaktion von Am 6,1 weisen.50 Unterstützung erhält die Vermutung eines Heiligtums in der Stadt Samaria auch von epigraphischer Seite. So heißt es in dem Bericht des assyrischen Königs Sargon II. (722–705 v. Chr.) über die Eroberung Samarias im Jahre 720: „27.280 Einwohner nebst Streitwagen und den Göttern, auf die sie vertrauten, rechnete ich als Beute.“51

Die Wegführung der Götter(bilder) eroberter Städte war Teil der assyrischen Kriegspraxis.52 Offensichtlich barg auch Samaria solche Bilder.53 Der Kontext der Inschrift legt dabei nahe, dass Sargon von Götterstatuen des offiziellen Kultes spricht. Die Existenz solcher Statuen impliziert auch die eines zugehörigen Tempels. Als Kronzeugin für ein (Jahwe-)Heiligtum in Samaria gilt gemeinhin eine Inschrift aus Kuntillet ‘Aǧrud im Nordosten der Sinaihalbinsel. Hier wurde eine Anlage entdeckt, die man heute – anders als der leitende Ausgräber – zumeist als Karawanserei deutet und in das 8. Jahrhundert v. Chr. datiert.54 Inschriften und ikonografische Zeugnisse lassen einen Bezug zum Nordreich vermuten. Möglicherweise stand die Anlage unter königlicher Verwaltung des Nordreiches, das nach dem Niedergang der aramäischen Macht nicht nur Juda dominierte,55 sondern auch den Karawanenhandel von und nach Arabien kontrollierte.56 Zu den viel diskutierten Funden von Kuntillet ‘Aǧrud zählen vor allem Inschriften auf Wänden und Pithoi. Eine dieser Inschriften enthält im Kontext eines Segenswunsches die Buchstaben47 48 49 50 51 52 53

54 55 56

Vgl. bereits Marti 1904, 198. Vgl. z. B. 2Kön 19,10; Jes 26,4; Ps 9,11. Für den Jerusalemer Tempel findet sich eine analoge Formulierung in Jer 7,14. Vgl. Jeremias 2007, 87, der Am 6,1 freilich als einheitlich betrachtet und den Vers auch nicht im Sinne eines Jahwe-Heiligtums in Samaria auswertet. Übersetzung: Borger/Hinz/Römer 1984, 382, 31–34. Zu den anschließenden historischen und religionsgeschichtlichen Fragen vgl. Uehlinger 1998; Becking 2001. Vgl. Spieckermann 1982, 348. Um einen rein literarischen Topos handelt es sich nicht (vgl. Becking 2001, 156–159). Die Stelle lässt damit indirekt auf ein Samarisches Pantheon schließen, zu dem man auch den Gott Jahwe zählen darf. Dieser wurde – wie die anderen Götter – in einem Kultbild vergegenwärtigt (vgl. Köckert 2010, 365 f.). Vgl. Meshel 2012, 3–9 und 61–63. Vgl. Frevel 2016, 203. Vgl. Finkelstein 2014, 156–159.

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folge yhwh šmrn (Pithos-Inschrift 3.1, Z. 2 [„Pithos A“]),57 was man in aller Regel mit „Jahwe von Samaria“ wiedergibt. Die Bezeichnung wäre dann Formulierungen wie „Ischtar von Arbela“ oder „Melqart von Tyros“ ähnlich und verbände eine Gottheit mit ihrem Kultort, was die Existenz eines Jahwe-Heiligtums in Samaria voraussetzen würde.58 Alternativlos ist die Wiedergabe von yhwh šmrn mit „Jahwe von Samaria“ allerdings nicht. Die ältere Deutung als „Jahwe, unser Beschützer“59 ist zwar aus der Mode gekommen, bisher aber nicht wirklich widerlegt worden. Insofern wird man die Wendung yhwh šmrn aus Kuntillet ‘Aǧrud nicht als unumstößlichen Beleg für ein Jahwe-Heiligtum in Samaria werten dürfen. Der Befund für ein offizielles (Jahwe-)Heiligtum in Samaria bleibt damit insgesamt uneindeutig.60 Doch scheint mehr für eine solche Annahme zu sprechen als dagegen, zumal die Vorstellung einer Residenz vom Format dieser Stadt ohne Heiligtum auch ihre Schwierigkeiten hätte. Am 6,1 lässt dabei für Samaria eine gleiche kultische Funktion wie für den Jerusalemer Zion vermuten. Für die Zeit vor Omri verlassen uns die Informationen über ein mögliches Staatsheiligtum gänzlich. Das Nordreich Israel erstreckte sich in seiner Anfangszeit im Wesentlichen auf das Samarische Gebirge und die Jesreel-Ebene. Als Residenz diente die Stadt Tirza (Tell el-Far‛a Nord),61 die sich im 10./9. Jahrhundert wahrscheinlich auf eine kleine unbefestigte Siedlung beschränkte,62 aber durchaus Spuren königlicher Verwaltung in Form von Siegeln hinterlassen hat.63 Die bisherigen Grabungen, die allerdings nicht das gesamte Areal der Akropolis erschließen, haben weder einen Palast noch ein Heiligtum zu Tage gefördert.

57 Vgl. Meshel 2012, 86–91. „(1) Gesagt hat … Sprich zu … und zu Yau‘asa und zu …: Ich segne euch (2) vor yhwh šmrn und (seiner) Aschera“ (zur Übersetzung der Präposition l vor yhwh vgl. Köckert 2005, 11; zur möglichen Deutung des Graphems in wl’šrth als altem a-Kasus vgl. Tropper 2001, 100–102). Neben der mit roter Tinte geschriebenen Inschrift trägt der im Eingangsbereich des Hauptgebäudes entdeckte Vorratskrug noch verschiedene Zeichnungen, die ebenfalls in roter Tinte gefertigt wurden. Die Inschrift überschneidet sich mit dem Kopfputz einer Bes-Gestalt. Nach gegenwärtigem Stand der Untersuchungen gehen Zeichnungen und Inschrift auf verschiedene Hände zurück. Ebenfalls im Umfeld des Torbereiches wurde ein weiterer Vorratskrug mit Inschriften und Zeichnungen (in roter und schwarzer Tinte) gefunden (Pithos B), die inhaltlich und formal Parallelen zu der Inschrift auf Pithos A aufweisen, aber auch Abecedarien und Wortwiederholungen enthalten. Unter den verschiedenen Erklärungen zu Gattung und Pragmatik der Inschriften (vgl. Renz 1995, 47–52) verdient die Deutung derselben als „stationäre[r] Briefe“ im Kontext der Kommunikation zwischen den in der Niederlassung rastenden Berufskollegen und Geschäftspartnern (Blum 2013, 48–50) besondere Beachtung. 58 Das gilt freilich nur, wenn „Samaria“ hier die Stadt und nicht die gleichnamige Region bezeichnet. 59 Vgl. dazu Renz 1995, 61, Anm. 2. 60 Vgl. auch die ablehnende Haltung bei Timm 2002. 61 1Kön 14,17; 15,21.33; 16,6 u. ö. 62 Vgl. Finkelstein 2014, 80–88. 63 Vgl. Finkelstein 2014, 88.

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2. RELIGIONSGESCHICHTLICHE ASPEKTE Der nordisraelitische Staatskult geht somit allem Anschein nach auf die Omriden zurück, denen das Reich zugleich seine erste Blüte verdankte. Sollte diese Annahme zutreffen, so war der offizielle Kult des Nordreiches wie in Jerusalem zunächst auf die königliche Residenz beschränkt.64 Vermutlich beherbergte bereits das Heiligtum von Samaria ein Jungstierbild.65 Das jedenfalls legt ein Abschnitt aus dem Hoseabuch (Hos 8,4–6) nahe, dessen älteste Traditionen in das ausgehende 8. Jahrhundert v. Chr. weisen: (4) Sie waren es, die Könige einsetzten, doch ohne mich. Beamte setzten sie ein, doch ich erkannte (sie) nicht an. (Aus) ihrem Silber und ihrem Gold fertigten sie sich Gottesbilder – damit es zerstört wird. (5) Er hat verworfen deinen Jungstier, Samaria. Entbrannt ist mein Zorn wider sie. Wie lange noch sind sie unfähig zur Reinheit? (6) Denn was hat Israel mit ihm zu schaffen? Ein Handwerker hat ihn gemacht, also ist er kein Gott. Fürwahr, zu Splittern66 wird der Jungstier Samarias.

Der Text gliedert sich in der vorliegenden Form in einen knappen Schuldaufweis (V.4) und eine anschließende Unheilsansage (V.5–6). Allerdings hat er eine komplexe Entstehungsgeschichte durchlaufen.67 Die fett markierten Teile in V.5 und V.6 fügen sich zu einem prophetischen Drohwort, das noch in die Zeit vor dem Untergang des Nordreiches datiert68 und dem „Jungstier Samarias“ das Ende deutet. Die Wendung bereitet die wenigsten Probleme, wenn man „Samaria“ auf die Stadt69 und nicht auf die gleichnamige Region oder das Nordreich bezieht.70 Das Drohwort Hos 8,5–6* hat nach dem Untergang des Nordreiches Eingang in eine größere Redekomposition (Hos 8,1–8) gefunden, zu der aus dem zitierten Abschnitt V.4a und V.5aβ.b gehörten (im Druckbild normal). V.4* kommt dabei auf die Einsetzung von Königen und Beamten zu sprechen. Der redaktionelle Zusammenhang mit dem Drohwort gegen den „Jungstier Samarias“ (V.5–6*) lässt an einen sachlichen Zusammenhang zwischen der Bestellung von Königen nebst Beamten und dem Jungstier denken. Wahrscheinlich erfolgte die sakrale Einsetzung der 64 Die Frage, ob sich um den „Berg Samaria“ (Am 6,1) ähnliche Vorstellungen wie um den Zion rankten, muss indes offen bleiben. 65 Der „Jungstier“ ist als rundplastisches Bild mit einem Holz- oder Bronzekern und einem Goldoder Silberüberzug vorzustellen. 66 Vgl. Pfeiffer 1999, 130 und 132. 67 Zur Analyse dieses Abschnitts in seinem Kontext vgl. Pfeiffer 1999, 129–164. 68 Für die Tradierung des Wortes war durch seinen skandalösen Inhalt gesorgt. 69 Vgl. die Literatur bei Pfeiffer 1999, 140 f., Anm. 308. 70 Anders noch Pfeiffer 1999, 129–164. Alle diesbezüglichen Vorbehalte entfallen jedoch unter den oben skizzierten Bedingungen. Eindeutige Belege für eine regionale Bedeutung von „Samaria“ vor 720 v. Chr. fehlen ohnedies (zu yhwh šmrn in Kuntillet ‘Aǧrud s. o.).

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Könige vor dem „Jungstier Samarias“ also an dem vermuteten Reichsheiligtum der Hauptstadt. Welche Gottheit der Jungstier Samarias repräsentierte, verrät der Text nicht. Er ergibt aber dann den besten Sinn, wenn man ihn als Jahwebild deutet.71 Je nachdem, wie man den oben angesprochenen Beleg für yhwh šmrn aus Kuntillet ‘Aǧrud versteht, könnte diese Annahme weitere Unterstützung erfahren. Das Stierbild präsentiert Jahwe vermutlich als einen Wettergott vom Typ Hadad.72 Als solcher begegnet er schon in ältesten Texten des Alten Testaments aus der Königszeit,73 von denen sich mindestens Ps 29* dem Nordreich zuordnen lässt. Die tauromorphe Repräsentation des Wettergottes entspricht dabei vorderorientalischer Tradition (vgl. Abb. 2–3).74 In ihr verdichten sich Kraft, Aggressivität und Fertilität des Wettergottes.

Abb. 2. Umzeichnung eines Rollsiegelabdrucks vom Tell Mardikh (Ebla), um 1725 v. Chr. Die Darstellung zeigt unter der ägyptischen Flügelsonne den Wettergott (rechts) und enen Beter (links). Erst das Stierbild auf dem Podest ermöglicht die kultische Kommunikation mit dem Wettergott. Rechts neben ihm steht seine Partnerin, die ein achtstrahliger Stern als venerische Göttin vom Typ der mesopotamischen Ischtar ausweist. Die Lebenszeichen in der Hand der Göttin und zwischen Wettergott und Beter assoziieren die segenspendenden Kräfte im Umfeld der Gottheiten und des Kultes. 71 Dass Jahwe, der in V.5* Subjekt sein dürfte, das Kultbild eines anderen Gottes „verwirft“, ist nur schwer vorstellbar. 72 Vgl. Pfeiffer 1999, 48–64. 73 Vgl. Müller 2013. 74 Zur Stiersymbolik im Kontext der Wettergottvorstellungen vgl. Schwemer 2001, 124–127. Aus dem eisenzeitlichen Palästina hat in dieser Hinsicht eine Stierbronze aus dem 11. Jahrhundert v. Chr. für Aufmerksamkeit gesorgt, die in der Nähe Dothans (nördlich von Samaria) entdeckt wurde (Mazar 1982) und sicherlich einmal kultische Funktion besaß. Ob die Anlage, die diesen Fund barg, tatsächlich als regionale Kultstätte früher israelitischer Siedler zu verstehen ist (Wenning/Zenger 1986), bleibt jedoch strittig; vgl. Fritz 1996, 155.

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Abb. 3. Umzeichnung einer Basaltstele aus Arslan Tasch, Zeit Tiglatpelesers III. (745–727 v. Chr.). Die Stele porträtiert den assyrischen Wettergott in kriegerischer Aktion. Er ist mit einem Schwert gegürtet; über der Schulter ragt ein Bogen oder ein Köcher hervor. Die Hände umgreifen jeweils ein Blitzbündel. Mit der erhobenen Rechten schleudert er die Blitze seinen Feinden entgegen. Wiederum ist der Wettergott mit seinem Attributtier, dem Stier, dargestellt. Dieser scheint zu galoppieren, während der Wettergott auf ihm einher schreitet, was die Dynamik der Szene unterstreicht.

Die Einrichtung von Reichsheiligtümern in Dan und Bethel unter Jerobeam (II.) markiert eine Zäsur innerhalb der Kultgeschichte des Nordreiches. Inwieweit sie im Kontext weiterer kultischer Neuerungen steht, bleibt undeutlich. Auffällig ist zumindest, dass frühere lokale Heiligtümer der Jesreel- und Beth-Schean-Ebene aus dem archäologischen Befund der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts verschwinden.75 Die kultpolitische Maßnahme Jerobeams (II.) bezieht nunmehr auch die Grenzen Israels in den Staatskult ein.76 Jerobeam konnte dabei bis zu einem gewissen 75 Nach Na’aman 2002 sind diese von Hasael zerstört und dann bewusst von Joas und Jerobeam II. nicht wieder aufgebaut worden, um so den Kult stärker unter königliche Kontrolle zu bringen. Finkelstein 2014, 159–161, spricht vorsichtiger von einer „Neuordnung des Kultes“. 76 Die hier skizzierte Vermutung, wonach die Inanspruchnahme der Heiligtümer von Dan und Bethel als Reichsheiligtümer Ergebnis imperialer Expansion sei, steht in gewisser Spannung zu der Beobachtung, dass peripheren Heiligtümern im griechischen Bereich eine wichtige Funktion im Kontext der Entstehung von Staatlichkeit zukam (vgl. Polignac 1995). Ohne diese

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Grade an Traditionen seiner omridischen Vorgänger anknüpfen. Bereits diese hatten vornehmlich an den Grenzen repräsentative Bauten errichtet.77 Die kultische Repräsentation Jahwes in Stierbildern führt offensichtlich ebenfalls omridische Tradition weiter. Die Programmatik hinter den kultischen Neuerungen Jerobeams (II.) zielte offenbar auf die Legitimation der Gebietserweiterungen, die das Reich unter Joas und Jerobeam II. erfahren hatte (s. o.). Jedenfalls fällt die territoriale Akzentsetzung durch die Einrichtung von königlichen Heiligtümern an den Grenzen des Reiches auf. Theologisch konnte dieser Vorgang an ein kultisches Verständnis des Landes anknüpfen,78 dem zufolge Jahwe als Eigentümer des Landes und das Land als „Land Jahwes“79 erscheint. In diesen gedanklichen Kontext passt auch 1Kön 12,30b: „Und das Volk zog vor dem einen bis nach Dan“.

Die Stelle vermittelt den Eindruck einer Prozession nach Dan unter Beteiligung der Bewohner des Jahwe-Landes. Über den Ausgangspunkt des Zuges schweigt der Text. Man könnte sich aber vorstellen, dass das Territorium des Nordreiches oder der neu eroberten Gebiete bei der Installation der Jungstierbilder symbolisch abgeschritten und so dem Landesgott unterstellt wurde. Eine Schwierigkeit besonderer Art stellt im Kontext von 1Kön 12,26–33* die Exodusformel von V.28 dar. Auf den ersten Blick wirkt der heilsgeschichtliche Topos des Exodus im Kontext des königszeitlichen Staatskultes sachlich irgendwie fehlplatziert. Auch syntaktisch erscheint die Formel im vorgegebenen Text wie im rekonstruierten Grundtext nur lose verankert.80 Es bleiben also erhebliche Unsicherheiten. Auf der anderen Seite fehlt ohne die Formel jedwede Angabe über die durch die Stierbilder repräsentierte Gottheit. Wie schwer die sachlichen Schwierigkeiten im Kontext von 1Kön 12,26–33* wirklich wiegen, kann hier nicht eingehend diskutiert werden. Die Exodus-Landnahmeerzählung der Bücher Ex–Jos setzt bereits in ihrer ältesten Gestalt den Untergang des Nordreiches voraus und kann daher zur Erklärung nicht herangezogen werden. Verankert man 1Kön 12,28 im königszeitlichen Grundbestand von 1Kön 12,26–33, so liegt hier sicherlich der älteste literarische Beleg für die biblische Vorstellung des Exodus vor. Die mit dem Verb „Heraufführen“ (‘lh Hif.) gebildete Exodusformel akzentuiert dabei weniger die Befreiung Israels aus dem „Sklavenhaus Ägypten“ (Ex 20,2; Dtn 5,6 u. ö.) als vielmehr die Hineinführung Israels in das Land durch Jahwe.81 Der weitere traditions-

77 78 79 80 81

Spannung hier auflösen zu können, scheinen die peripheren Heiligtümer aber hier wie dort der territorialen Integration auf kultischer Ebene zu dienen. – Für diesen Hinweis danke ich HansUlrich Wiemer. Vgl. Finkelstein 2014, 123–131. Zu dieser Vorstellung vgl. Köckert 2012, 508–511. Vgl. Hos 9,3; Am 4,13; 5,8; 9,6. Einen späteren Zusatz erkennen in ihr etwa Kratz 2000, 157 und 168, Anm. 71; Köhlmoos 2006, 155 f.; Berner 2013. Eine solche Deutung legen spätestens die (nachträglichen) Erweiterungen der Formel durch Termini des Landes als Ziel des Heraufführens nahe (vgl. Gen 50,24; Ex 3,8.17; 33,1; Jdc 2,1).

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geschichtliche Hintergrund der Formel bleibt weitgehend dunkel. Ihr scheint neben der geprägten und im Alten Orient keineswegs analogielosen Vorstellung vom „Land Jahwes“82 ein Wissensstoff von der allochthonen Herkunft Israels zugrunde zu liegen. Die naheliegende Verbindung beider Vorstellungen macht Jahwe zum Subjekt und die Landesbewohner (Israel) zum Objekt des Heraufführens. Die Formel dürfte diese Verbindung nicht erst geschaffen haben. Ihre Sprachform setzt vielmehr eine ausgeführte Erzählung voraus, die – wie 1Kön 12,28 zeigt – in Israel auch populär gewesen sein muss. Nach 1Kön 12,28* präsentiert Jerobeam (II.) die Jungstiere dem Volk förmlich als Symbole des Exodusgottes: „Siehe, dein Gott, Israel, der dich aus dem Lande Ägypten heraufgeführt hat.“

Ein solcher Vorgang versteht sich wiederum am besten in kultischen Zusammenhängen. Die traditionelle Auslegung erkennt in 1Kön 12,28* entsprechend einen Kultruf,83 den man sich gut im Kontext der in V.30b erwähnten Prozession vorstellen kann. Es muss, wie gesagt, offen bleiben, ob die Exodusformel in 1Kön 12,28* tatsächlich alt ist. Im Rahmen des territorialen Konzepts, das hinter der kultpolitischen Maßnahme Jerobeams (II.) erkennbar wird, wäre sie aber gut vorstellbar. Das Land, in das Jahwe Israel heraufgeführt hat, integriert nun auch die Gebietszuwächse nach dem Niedergang der aramäischen Macht. Zugleich erfahren die kultischen Neuerungen Jerobeams (II.) durch den Bezug auf eine populäre Tradition die nötige Legitimation vor dem Volk. 3. DIE URSPRÜNGE DER KULTPOLEMIK IN DER PROPHETIE Wie man 1Kön 12 unschwer entnehmen kann, haben die judäisch-jüdischen Redaktoren an den kultischen Einrichtungen Jerobeams kein gutes Haar gelassen. Entsprechendes gilt für Samaria.84 Auf den theologischen Fundamenten des Deuteronomiums wird solche Kritik schnell verständlich. Erstaunlich aber ist, dass die deuteronomistische Kritik Vorläufer hatte, denen das Deuteronomium so unbekannt war wie den Königen Israels. Diese finden sich in den prophetischen Kultpolemiken, die sich – wenn auch nur spurenhaft – bis in das 8. Jahrhundert v. Chr. zurück-

Die Annahme, die Exodusformel von 1Kön 12,28 rücke die Stierbilder in den Horizont des Dekalogs (Ex 20,2; Dtn 5,6; vgl. zuletzt Berner 2013, 69 f.), hat den von der Dekalogpräambel abweichenden Sprachgebrauch gegen sich (‘lh Hif. statt jṣ’ Hif.). Berner erklärt diesen als theologisch ambitionierte Angleichung an den Nahkontext von V.28 („Zu viel ist es für euch, nach Jerusalem hinaufzuziehen [‘lh Qal])“. Der Bearbeiter hätte sich unter dieser Voraussetzung allerdings um die Pointe seines Nachtrags gebracht, denn die intendierte Anspielung an die Dekalogpräambel wäre im Ergebnis der Bearbeitung nicht mehr erkennbar. 82 Vgl. etwa die Mescha-Stele (s. Anm. 3). 83 Vgl. Pfeiffer 1999, 35–42. 84 Vgl. 1Kön 16,32 f.; 2Kön 10,15–28.

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verfolgen lassen. Wir beschränken uns auf zwei Beispiele aus dem Hoseabuch. Hos 8,5–6* kündet, wie wir gesehen haben, dem Jungstierbild von Samaria das Ende: (4) Sie waren es, die Könige einsetzten, doch ohne mich. Beamte setzten sie ein, doch ich erkannte (sie) nicht an. (Aus) ihrem Silber und ihrem Gold fertigten sie sich Gottesbilder – damit es zerstört wird. (5) Er hat verworfen deinen Jungstier, Samaria. Entbrannt ist mein Zorn wider sie. Wie lange noch sind sie unfähig zur Reinheit? (6) Denn was hat Israel mit ihm zu schaffen? Ein Handwerker hat ihn gemacht, also ist er kein Gott. Fürwahr, zu Splittern wird der Jungstier Samarias.

Das Drohwort von V.5–6* kündet im Grundbestand (Fettdruck) von der Zerstörung des Kultbildes Samarias. Das ist nur möglich, wenn Jahwe dem Bild seine Gegenwart entzieht und es somit zu bloßem Zeug depotenziert, was spätere Bearbeiter im Eindruck deuterojesajanischer Götzenbildpolemiken (V.4b.6a: im Druckbild kursiv) dann auch pointiert zum Ausdruck bringen. Die früheren Redaktoren, die das Drohwort in den Kontext der Komposition 8,1–8* gestellt haben (V.4*.5*: Schriftschnitt normal), reflektieren den Untergang des Königtums (nach 720 v. Chr.) vor dem Horizont des Geschicks des Stierbildes. Israels Könige waren, wiewohl vor dem Kalb rite et recte bestellt, nicht von Jahwe eingesetzt. Symptomatisch dafür dürften der prophetischen Tradition die Bluttaten der Könige und Beamten gewesen sein, die das Hoseabuch andernorts beschreibt (Hos 7,3–7). Hos 10,5–6a wendet sich in ähnlicher Weise gegen das Stierbild von Bethel: (5) Bei der „Kälberei“85 Beth-Avens86 weilt die Bewohnerschaft Samarias. Ja, seinetwegen87 ist verdorrt sein Volk. Und ihre88 Priester, seinetwegen, wegen ihrer Pracht jauchzen sie. Ja, in die Verbannung ist es89 gegangen – weg von ihm90. (6) Auch [es] sie91 wird nach Assur gebracht als Geschenk für den Großkönig.

Wiederum liegt dem gewachsenen Text92 ein prophetisches Unheilswort zugrunde, bestehend aus einem Schuldaufweis (V.5a*) und einer Unheilsansage (V.6a*). Spä85 86 87 88 89 90 91 92

Vgl. Pfeiffer 1999, 101 und 103. „Haus des Frevels“/„Haus des Unheils“ (Verballhornung von Bethel). Constructio ad sensum mit Bezug auf ‘gl („Jungstier“). Bezug auf škn šmrwn („Bewohnerschaft Samarias“). Sachlich ist von der „Kälberei BethAvens“, also dem Jungstierbild Bethels, die Rede. Bezug auf ‘mw („sein Volk“). Constructio ad sensum mit Bezug auf ‘gl („Jungstier“). Auf der Ebene des Grundtextes rekurriert das Pronomen auf kbwdw („ihre Pracht“), auf der Ebene des vorliegenden Textes auf das Volk von V.5. Zur Analyse vgl. Pfeiffer 1999, 101–129.

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tere Fortschreibungen blicken vor allem auf das Eintreffen der Unheilsbotschaft Hoseas zurück (im Druckbild normal). Der Grundbestand (Schriftschnitt fett) macht aus dem Stierbild von Bethel (= „Haus Gottes“) die „Kälberei des Frevel-/Unheilshauses“ (= Beth-Aven). Eben noch von Priestern umjubelt,93 wird es als Tribut in die Schatzkammern des assyrischen Großkönigs wandern. Der Kult um solcherart Jahwe-loses Kalbszeug konnte nichts anderes bedeuten als Unheil gebärenden Frevel. Ohne Frage sprengt die Kultpolemik Hoseas die Grenzen all dessen, was sonst als prophetische Kultkritik aus dem Alten Orient bekannt ist.94 Wie dieser Umstand historisch zu erklären ist, gehört zu den gegenwärtig intensiv diskutierten Problemen der alttestamentlichen Prophetenforschung.95 Dabei versteht es sich keineswegs von selbst, Texte wie die hier besprochenen überhaupt in die Zeit eines funktionierenden Staatskultes zu datieren.96 Anderseits aber boten die letzten Jahre des Nordreiches durchaus Anlass, die kultische Präsenz Jahwes an den (Staats-) Heiligtümern in Frage zu stellen. 732 v. Chr., nur wenige Jahre nach dem Tod Jerobeams II., wurde das Nordreich durch die Assyrer nachhaltig amputiert. Übrig blieb ein kleiner Reststaat um die Stadt Samaria. Auch das Heiligtum von Dan ging ein für allemal verloren. Vielleicht wirkte Dan auf oppositionelle Prophetenkreise wie eine Art Modellfall gottverlassener Heiligtümer. Die assyrische Praxis stetiger Deportationen von Kultbildern tat sicherlich das Übrige. Gut zehn Jahre nach dem Verlust Dans fiel auch Samaria (720 v. Chr.) und besiegelte damit das Ende des Staates Israel. Bethel aber überlebte, wenn auch ohne Stierbild. An seine Stelle trat ein schlichter Kultstein, dessen Ätiologie ein Traum des Erzvaters Jakob erzählt (Gen 28,10–22). ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1: H. Donner: Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen. Teil 2: Von der Königszeit bis zu Alexander dem Großen. Mit einem Ausblick auf die Geschichte des Judentums bis Bar Kochba, Göttingen 42008 (Grundrisse zum Alten Testament, Band 4), 315, Karte 4. © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG. Abb. 2: O. Keel: Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Zürich/Neukirchen-Vluyn 51996, 192, Abb. 290 (Umzeichnung nach P. Matthiae, Empreintes d’un cylindre paléosyrien de Tell Mardikh, Syria 46 [1969], 1–43: 5, Abb. 1). Abb. 3: O. Keel: Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Zürich/Neukirchen-Vluyn 51996, 194, Abb. 294 (Umzeichnung von H. Keel-Leu). Den Kollegen Othmar Keel und Prof. Dr. Paolo Matthiae sowie dem Verlag Vandenhoeck & Rupprecht sei für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der Abbildungen herzlich gedankt. 93 Dass die „Bewohnerschaft Samarias“ (V.5) auch in Bethel anzutreffen ist, dürfte mit funktionalen Unterschieden zwischen den Heiligtümern zusammenhängen, die sich unserer näheren Kenntnis entziehen. 94 Vgl. dazu Nissinen 2003a; Nissinen 2003b. 95 Vgl. etwa die widerstreitenden Positionen von Becker 2004, Kratz 2003, Kratz 2013 auf der einen und Blum 2008, Jeremias 2013 auf der anderen Seite. 96 Zu Hosea vgl. etwa Vielhauer 2007; Rudnig-Zelt 2006.

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DAS KAPITOL ALS KLANGRAUM Enargeia und die Visualisierung von akustischen Ereignissen in der römischen Opferikonographie Andreas Grüner Eine der folgenreichsten ästhetischen Debatten des achtzehnten Jahrhunderts beginnt mit einem paradoxen Phänomen: einem Schrei, der niemals zu hören war. In den „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst“ von 1755 hatte Johann Joachim Winckelmann zum geöffneten, aber stummen und unbeweglichen Mund der marmornen Laokoonfigur im Vatikan den entsprechenden Klang ergänzt, den Todesschrei des sterbenden Priesters (Abb. 1). Als Winckelmann, ausgehend von der literarischen Fassung der Episode

Abb. 1: Kopf des Laokoon aus der Laokoongruppe, Rom, Vatikanische Museen.

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in Vergils Aeneis, diesen imaginierten Klang mit der dargestellten Situation des Laokoon vergleicht, fällt ihm eine Diskrepanz auf. Der Mund ist weniger drastisch geöffnet, als man das bei einem Mann im Kampf um Leben und Tod erwarten müßte: „[…] dieser Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wut in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebet kein schreckliches Geschrei, wie Vergil von seinem Laokoon singet: Die Öffnung des Mundes gestattet es nicht; es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen“1.

Diese Diskrepanz zwischen der sichtbaren Situation und dem nur im Geiste hörbaren Schrei des Laokoon nimmt Lessing ein gutes Jahrzehnt später zum Ausgangspunkt seines „Laokoon“. Er stellt dabei aber keineswegs den einigermaßen absurden Sachverhalt infrage, daß ein ganz und gar imaginierter Schrei überhaupt Gegenstand einer archäologischen Diskussion sein kann. Lessing kritisiert lediglich die winckelmannsche Erklärung dieses ontologisch schwer bestimmbaren, mentalen Phänomens: „Wenn es wahr ist, daß das Schreien bei Empfindungen körperlichen Schmerzes, besonders nach der alten griechischen Denkungsart, gar wohl mit einer großen Seele bestehen kann: so kann der Ausdruck einer solchen Seele die Ursache nicht sein, warum demohngeachtet der Künstler in seinem Marmor dieses Schreien nicht nachahmen wollen; sondern es muß einen andern Grund haben, warum er hier von seinem Nebenbuhler, dem Dichter abgehet, der dieses Geschrei mit bestem Vorsatze ausdrücket“2.

Akustische Phänomene in Bildern nehmen eine hermeneutisch problematische Zwischenstellung ein. Zwar kann das Bild plausibel zeigen, daß sich ein Schrei, ein Seufzen oder eine Melodie ereignet; wie sich aber der Schrei, das Seufzen und die Melodie anhört, vermag das Medium des Bildes nicht zu vermitteln. Der Betrachter kann Geräusch und Klang allenfalls mental ergänzen. Dieser ikonographisch-akustische Sonderfall, den die archäologische Bildanalyse aufgrund seiner hermeneutischen Problematik zumeist ausgeklammert, wird in vielen Bildern allerdings ganz strategisch eingesetzt. Bilder von Sakralhandlungen zeigen, welch entscheidende Rolle akustische Phänomene im Rahmen der antiken Ikonographie spielen können. ZWEI RITUALBILDER Das wichtigste Ritual, das auf dem Kapitol praktiziert wurde, war bekanntermaßen das Staatsopfer an den obersten Gott, das Kaiser, Senat und Volk etwa bei Jahresbeginn oder am Ende des Triumphzugs durchführten. Auf einem Relief aus einer Serie von Relieftableaus, die anläßlich des zweiten Markomannenfeldzugs des Mark Aurel entstanden, ist dieses Opfer in vollem Gange.3 (Abb. 2) 1 2 3

Winckelmann (1755) Kap. 4. Lessing (1766) Kap. 1. Museo Capitolino inv. 807, 3,50 × 2,36 m, weißer Marmor. Colini (1925) 181–191; Hamberg (1945) 94–96; Scott Ryberg (1967) 21–27; Angelicoussis (1984) 154; Koeppel (1986) 52–56; M. L. Cafiero, in: La Rocca (1986) 40 (Restaurierungsbericht von M. G. Chilosi und G. Martelotti ebd. 46–51 (Umzeichnung mit Angabe der Ergänzungen Taf. 3, Abb. 3)); Simon (1990) 114–118. Detaillabbildungen des Giebels in La Rocca (1986) Taf. 38 f., 40, 2; Simon (1990) 116 f. Abb. 143.

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Abb. 2: Rom, Konservatorenpalast, Relief aus dem Reliefzyklus des Mark Aurel mit Darstellung des Staatsopfers auf dem Kapitol.

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Im Hintergrund links steht der Tempel des Jupiter Optimus Maximus Capitolinus, rechts ein Gebäude, dessen Identität bislang nicht sicher bestimmt werden konnte. Im Vordergrund tritt das Personal der Opferzeremonie auf. Auf der linken Seite sieht man den bärtigen Genius des römischen Senats und die Entourage des Kaisers, auf der anderen Seite die für die Durchführung des Rituals obligatorischen Kultdiener mit dem Opferstier. Um den Altar im Zentrum, an dem gerade das Trankopfer vollzogen wird, reihen sich links Mark Aurel sowie die unmittelbar beteiligten Opferassistenten. Hinter dem Altar steht der Tibicen, der auf der Doppelflöte das Ritual begleitet. Seine Musik wirkt sich auf Gestik und Körperhaltung der beteiligten Personen nicht aus, obwohl sie ihm so nahestehen, daß sie seine Klänge hören müssen.

Abb. 3: Relief mit der Darstellung einer Kulthandlung zu Ehren ägyptischer Gottheiten, Rom, Museo Nazionale Romano.

Aus einem Grab bei Ariccia in der Nähe von Rom stammt ein Relief, das ebenfalls einen kaiserzeitlichen Kultraum zeigt.4 (Abb. 3) In seinem unteren Register bewegen sich zwei Personengruppen. Rechts, auf einem girlandengeschmückten Podium, stehen fünf Personen, in die Knie gebeugt und mit zum Klatschen erhobenen Händen. Sie wenden sich allesamt dem Bereich vor dem Podium zu. Dort klatscht zunächst ein weiterer Mann, dann aber folgen drei Frauen, deren feine, lange Gewänder die darunterliegenden Körperformen sichtbar werden lassen. Zwei Frauen halten Klappern in den hoch erhobenen Händen, ihre stark gekrümmten Körper zeigen, daß sie tanzen. Links schließt sich eine Gruppe kurzgeschürzter Männer an, zwei von ihnen halten Schlaghölzer, und auch die Männer scheinen sich im Rhythmus zu bewegen. Die Ibisvögel unter dem Tanzboden, der Stier und die Paviane im oberen Register, die ägyptisierende Stützfigur am rechten Rand, die Gewänder und 4

Rom, Museo Nazionale Romano, Inv. 77255. Lembke (1994a)174–176; dies. (1994b); BeckBol-Bückling (2005) 640 f. (M. Bommas); Capriotti Vittozzi (2014) 254–257.

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schließlich die grotesken Physiognomien der Tänzer zeigen, daß man hier einem ekstatischen Ritual zu Ehren einer oder mehrerer ägyptischen Gottheiten beiwohnt.

Abb. 4: Larenaltar des Vicus Aescleti.

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BILD UND TON Die Präsenz des Tibicen auf dem Opferrelief des Mark Aurel erklärt sich zunächst durch die konkrete rituelle Funktion des Kultmusikers.5 Der Instrumentalist war bekanntermaßen obligater Bestandteil jeder Opferzeremonie;6 daß der Tibicen auf dem Bild erscheint, ist insofern nicht verwunderlich. Erstaunlich aber scheint, welch prominente Position der Flötist in der Gesamtkomposition der Relieftafel und im Kontext der anderen Opferteilnehmer einnimmt. Das Bildfeld ist in vier Quadranten gegliedert. Ein oberes Register mit den beiden Gebäuden, zwischen denen die Mittelachse der Komposition verläuft; und ein unteres Register mit den Kultteilnehmern. Es präsentiert, wiederum mittig geteilt, in der rechten Hälfte das Kultpersonal, in der linken den Kaiser und seine Entourage. Der Tibicen steht in der zentralen Gruppe mit dem Weihrauchkistenträger und dem Kaiser, sein Instrument auf den Altar gerichtet. Bildhierarchisch besetzt diese Gruppe mit dem Tibicen die Mittelachse der Komposition. Innerhalb dieser zentralen Mittelgruppe, die sich symmetrisch um den Altar verteilt, bildet der Musikant das direkte Pendant zum Triumphator und Herrscher der Welt. Der Kaiser wendet sich im Ritual dem Flötenspieler zu. Dem Genius des Senats – Platzhalter der vielen hundert am Opfer beteiligten Senatoren – und sogar dem Flamen Dialis zeigt Mark Aurel den Rücken. Diese auffallend prominente Situation des Tibicen steht konträr zur sozialen Position des Opferdieners, der im Bild sogar vor den mächtigsten Männern des Imperiums rangiert. Die Position des Tibicen auf dem Bild des Opfers auf dem Kapitol ist kein Einzelfall. Sie entspricht der ikonographischen Konvention. Viele kaiserzeitliche Bilder, die ein Opferritual zeigen, stellen den Flötenspieler in das Zentrum des Rituals.7 Zumeist steht er aus rituellen Gründen direkt neben oder hinter den Altar, oft genug nimmt der Tibicen dabei aber nicht nur eine Position im zentralen Geschehen um den Altar ein. Er – und nicht der Opfernde – markiert in frontaler Position die Symmetrieachse, um die herum das Personal am Altar konstruiert ist. Dies ist beispielsweise der Fall beim Relief auf dem Altar der Lares Augusti vom Vicus Aesculetii in Rom, das eine Gruppe von Vicomagistri beim gemeinsa5

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Zur rituellen Funktion und sozialem Kontext des Tibicen (und anderer Kultmusiker) s. Wille (1967) 27–29. 33–36; für die bildlichen Darstellungen Fless (1995) 79–84 (zur Bedeutung als wichtigster Kultmusiker ebd. 80); ThesCRA II 4c II, 406–410, s. v. Rôles de la musique dans les cérémonies (vgl. ebd. 406 „L’omnipresence du tibicen“); Guittard (2001); Sterbenc Erker (2001) 174–177. Zur Kultaedicula des Collegium der aenatores, tubicines, liticines und cornicines Romani an den Curiae veteres an der Meta Sudans zuletzt Panella (2013) 49–58; vgl. Péché (2001). Cic. dom 48, 125 nennt als indispensabile Elemente des Opfers Quid ergo illa tua tum obtestatio tibicinis, quid foculus, quid preces, quid prisca valuerunt?, vgl. immolasse ad tibicinem foculo posito, Plin. n. h. 22,6,11. Derselbe Verweis steht fast wortgleich in der vorigen Anmerkung. Zur Ikonographie des Tibicen grundlegend Fless (1995) 79–86. 89 f. (zur Position des Tibicen: „In diesem Fall betrifft die rituelle Vorschrift also auch die kompositionelle Stellung des Flötenspielers am Altar, wenn auch nicht dessen Ausrichtung in eine Frontal- oder Profilansicht.“, ebd. 90).

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men Opfer zeigt.8 (Abb. 4) Um den girlandengeschmückten Blockaltar stehen vier Männer mit verhülltem Haupt, je zwei zur Linken und zur Rechten; jeweils der rechte Arm greift nach vorne über den Altar, um eine Ritualhandlung durchzuführen. Das symmetrische Arrangement der vier Männer findet seine kompositorische Mitte im Tibicen, der, ebenfalls capite velato, mit aufgeblasenen Backen den Doppelaulos spielt und dem Betrachter fast frontal gegenübersteht. Es scheint, als ob der Tibicen auf dem Relief im Kapitol nicht alleine das Vorhandensein einer akustischen Begleitung verkörpert. Er signalisiert auch die genaue Durchführung und damit die Gültigkeit des Opfers. Wenn der in der profanen sozialen Hierarchie weit unten angesiedelte Flötenassistent eine wichtigere kompositorische Position besetzt als Senat und kaiserliche Entourage an den Seiten, so verdeutlicht dies dem Betrachter, daß nicht die soziale Position des Kaisers, sondern der präzise Vollzug des Rituals im Vordergrund steht; mithin, die metaphysische Kommunikation zwischen Gott und Kaiser.9 Um Mißverständnisse zu vermeiden, wird dabei die Position des Opferdieners durch eine andere Bildstrategie, die Größenhierarchie, relativiert. Hier überragen Senatsgenius, der Kaiser und seine Begleiter den Musiker. Anders als der Weihrauchträger, die Victimarii und der Stier greift der Tibicen aber nicht konkret in die Opferhandlung ein. Bis auf die Tatsache, daß er Musik erzeugt, wohnt er dem Ritual passiv bei. Die Position des Musikers erscheint noch eklatanter, hält man sich die extreme Verkürzung und Selektivität der Opferdarstellungen vor Augen. Der Künstler konnte für sein Bild aus hunderten, wenn nicht tausenden Akteuren, die an den Ritualen des Staatsopfers aktiv oder passiv teilnahmen, nur sehr wenige Figuren auswählen. Warum entschied er sich, den Musikanten in das eng limitierte Feld der darstellungswürdigen Personen aufzunehmen? Anders gesagt, warum nimmt gerade die akustische Untermalung in der Bildkonvention eine solch prominente Rolle ein? SAKRALER UND AKUSTISCHER RAUM Mauern, Grenzsteine und topographisch markante Punkte definieren das antike Temenos als eine Zone, innerhalb derer ein anderes Regelwerk gilt. In den großen Temené sind Aus- und Eintrittspunkte bekanntlich durch Tore monumentalisiert; Architekten inszenieren die jeweilige Schwellensituation durch Wände, Stützen, Stufen, Durch- und Ausblicke und markieren solchermaßen die Grenzlinie. Der 8

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Rom, Musei Capitolini, Centrale Montemartini, Inv. 855. Vgl. z. B. auch den Altar der Lares Augusti, Rom, Vatikan, Sala delle Muse, Inv. 311 (Tibicen in der Mitte, doch zur Seite gedreht); den Altar aus Angera, Mailand, Civico Museo Archeologico, Inv. 16, wo der Tibicen ebenfalls hinter dem Altar die Mitte der Opferteilnehmer, allerdings leicht zum Opfernden gewandt, einnimmt. Um Mißverständnisse zu vermeiden, wird dabei die Position des Opferdieners durch eine andere Bildstrategie, die Größenhierarchie, relativiert. Hier überragen Senatsgenius, der Kaiser und seine Begleiter den Musiker.

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Schritt in das Heilige und aus dem Heiligen erhält eine Rahmung. Sie macht die Raumgrenze materiell und damit auch visuell erfahrbar. Der Raum des antiken Heiligtums mit seiner strikten Terminierung könnte, gerade aus materiell-archäologischer Sicht, gewissermaßen als absolute Raumeinheit erscheinen, mit Newton ‚immer gleichartig und unbeweglich‘. Der sakrale Raum wird über seine strikten, materiellen Raumbegrenzungen hinaus aber auch – und vielleicht vor allem – durch Beziehungen und Handlungen konstituiert. Im Heiligtum treten Akteure wie Priester und Besucher in bestimmte Verhältnisse zueinander – und sie interagieren mit materiellen Ausstattungselementen, mit den Altären, Tempeln, Votiven etc. Die Bewegung der Akteure schafft Raumbeziehungen; die kinästhetische Wahrnehmung der Akteure bildet individuelle Vorstellungen vom jeweiligen sakralen Raum. Es ist die Gesamtheit dieser relativen Interaktionen und Kommunikationen, welche den heiligen Raum – neben den Objekten – überhaupt erst als solchen auszeichnet. Im antiken Heiligtum überlagern sich zahlreiche Raumsysteme. Rituelle Bewegungen und Handlungen etwa stehen in und neben jenen Raumsystemen, die von der Bebauung des heiligen Bezirks geschaffen werden; Prozessionen bewegen sich vom Propylon zum Altar, der Priester vom Altar in den Tempel, Betende berühren die Gewände der Tempeltüren. Jedes dieser Bezugssysteme definiert unterschiedliche Räume; und es sind vor allem die spezifischen Parallelen und Differenzen zwischen diesen Systemen, die diversen Überlappungen, Überschreitungen, Schwerpunktsetzungen etc., welche das antike Heiligtum als komplexen sozialen und ästhetischen Ort ausweisen und analytisch greifbar machen. Dabei konvergieren diese räumlichen Teilsysteme oft nicht mit der eindeutig definierten Temenosgrenze. Hallen oder Reihen von Votivweihungen ignorieren die sakral-juristischen Grenzen, Prozessionen tragen Bestandteile eines spezifischen sakralen Raums in das ‚Außerhalb‘, sei es in andere sakrale, sei es in profane Zonen; für den Gegenwartsmenschen ganz und gar profan erscheinende Handlungen wie Geldgeschäfte werden im sakralen ‚Innerhalb‘ vollzogen. Über das visuell Erfahrbare hinaus wurden antike Heiligtümer – wie die sakralen Räume der meisten anderen Epochen und Kulturen – von einer außerordentlichen Dichte an sinnlichen Phänomenen geprägt. Neben Architektur und Bewegung waren es vor allem akustische und olfaktorische, aber auch haptische Erfahrungsräume, die den heiligen Raum signalisierten und damit von seiner Umgebung trennten. Wolken aus Weihrauch hüllten die Heiligtumsbesucher ein, die elfenbeinernen Kultstatuen dufteten nach exotischen Parfüms und der beißende Rauch verbrannten Fleisches stieg von den Altären. Diese Geruchslandschaften überlagerten zahllose Geräusche, den monotonen Rhythmus der Gebetsformeln, penetrante Melodien von Blasinstrumenten, Hymnen und Gesänge und schließlich den background noise der Besuchermassen und Händler.

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VISUALISIERTE KLANGERFAHRUNG Musiker erfüllten innerhalb der römischen Ritualpraxis, insbesondere der großen Opferzeremonien, wichtige Funktionen.10 Zum einen bestand die Rolle des oder der begleitenden Instrumentalisten darin, die Opferzeremonie durch musikalische Ereignisse akustisch zu gliedern.11 Instrumentalmusik und Gesänge strukturierten den Ablauf des Geschehens ebenso wie sie bestimmte Elemente punktuell akzentuierten. Gleichzeitig steuerten Instrumente und Gesang als akustische Signale die Partizipation der Akteure, indem sie etwa das Publikum zu Aufmerksamkeit aufforderten oder das Zeichen für Gebet und rituelle Handlungen gaben. Zum zweiten evozierten die Klänge bei den Teilnehmern und Beobachtern des Rituals bestimmte Stimmungen, welche als „aesthetic framework“12 der Zeremonien ebenso eine bestimmte Atmosphäre erzeugten. Auch wenn der Tibicen obligater Bestandteil des Rituals war: Allein um das Spiel der Flöte ging es auf den unzähligen Reliefs und Münzen, die das Opferritual zeigten, offensichtlich nicht, und so auch nicht auf dem Relief des Mark Aurel. Vielmehr scheint der Tibicen auf den Bildern pars pro toto für die Gesamtheit jener akustischen Phänomene zu stehen, die ein Opfer begleiteten; und zu diesen Phänomenen gehörten nicht zuletzt auch die Gebete des Pontifex und der Priester. Die akustischen Elemente einer Opferzeremonie wiederzugeben wäre für einen modernen Regisseur, dem Ton- und Zeitwiedergabe zur Verfügung stehen, ein triviales Problem. Im Medium des Reliefs, das den Bildhauer zu einer synchronen und eklektischen Darstellung der Elemente zwingt, ist dies aber so gut wie unmöglich. Das pars pro toto der Tibicenfigur erscheint vor diesem Hintergrund bildrhetorisch ebenso einfach wie wirkungsvoll. Die Strategie, Darstellungen von zentralen Ereignissen des öffentlichen Lebens, deren Erleben maßgeblich durch Klang- und Geräuschkulissen mitgeprägt wurde, durch die markante Hinzufügung der entsprechenden Klang- und Geräuschquellen zu verlebendigen, also um eine weitere, die akustische Erfahrungskomponente des Ereignisses zu bereichern, findet sich auf zahlreichen antiken Bildern, bis hinein in die Graffiti Pompejis.13 (Abb. 5)

10 Zur Rolle von Musik und Tanz im römischen Kult Wille (1967) 26–74; ThesCRA II 397–415; mit besonderem Blick auf die Bildquellen Fless-Moede (2011), insbesondere 259–262 („Function of Music and Dance in Structuring the Ritual and Creating Emotions“); zur raumkonstituierenden und abgrenzenden Funktion der Kultmusik im Bacchuskult in den literarischen Quellen Sterbenc Erker (2011). 11 Fless-Moede (2011) 259–261. 12 Fless-Moede (2011) 261. 13 Vgl. etwa das Graffito Pompeji, Porta Nocera, Grab 14, mit der Zeichnung eines Gladiatorenduells der Spiele des M. Cominius in Nola, auf das drei rechts anschließende Trompetenbläser ihre Instrumente richten, Langner (2001) 113 Abb. 63. Taf. 52, Nr. 1007.

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Abb. 5: Graffito aus Pompeji, Porta Nocera, Grab 14, mit der Zeichnung eines Gladiatorenduells der Spiele des M. Cominius in Nola.

In Kontext des Kultraumes ist gerade die Tatsache, daß die Gebetsformeln der kaiserzeitlichen Rituale in hohem Maße, ja bis hin zur Unverständlichkeit, formalisiert waren, interessant.14 Denn sie lenkt die Wahrnehmung automatisch weg von der sprachlichen Semantik hin zu den akustischen Merkmalen des Gesprochenen, zu Rhythmus, Höhe und Dynamik, Sprachmelodie. Auch wenn wir nicht den geringsten Hinweis auf den konkreten Klang dieser Phänomene haben, der Wechsel von vorlesendem Assistenten und nachsprechendem Priester; der distinktive Klang archaischer Sprachformen; der notwendigerweise repetitive Rhythmus beim Rezitieren von Formeln, all das war integraler Bestandteil einer distinktiven Klanglandschaft, die der zeitgenössische Rezipient unmittelbar mit dem Raum des Heiligtums verband. Das spezifische Klangspektrum des Opferrituals dürfte im Gedächtnis der Rezipienten durch die permanente rituelle Repetition fest mit den heiligen Handlungen gekoppelt gewesen sein und damit automatisch zu einer bestimmten emotionalen response geführt haben. Die zentrale Position des Tibicen zeigt, daß die spezifischen akustischen Phänomene nicht nur für die Opferhandlung selbst, sondern auch für die Wahrnehmung des römischen Heiligtums entscheidend waren. Daß der ritualisierten Gebetssprache im Konzert der Klänge und Geräusche eine Schlüsselstellung zukam, muß dabei nicht näher erläutert werden. Leider weiß man nun wiederum wenig darüber, in welcher Weise sich ritualisierte Sprache und instrumentalakustische Phänomene überlagerten; wann also der Priester und sein Vorbeter sprachen, wann der Tibicen 14 Zu Gebet und Gebetssprache in Rom ThesCRA III 151–179, bes. 160–162; Hickson Halm (2011); zur Sprache des antiken Gebets Norden (1971). Zu den akustischen Aspekten der Akklamation (Stimme, Lautstärke, Formeln etc.) Chaniotis (2009), bes. 200–209.

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spielte. Klar ist lediglich, daß im römischen Opferritual die Kultmusik eine wichtige Bedeutung hatte. Worin aber lag diese Bedeutung? INTENTIONALES UND AKZIDENTIELLES GERÄUSCH An dieser Stelle gerät man einen hermeneutischen Scheideweg. Auf der einen Seite wissen wir aus Text- und Bildquellen, daß im Heiligtum eine ganz spezifische soundscape, ein Gemisch aus Sprache, Musik, akzidentiellen menschlichen und natürlichen Geräuschen, existierte. Auf der anderen Seite ist es unmöglich, die konkrete Gestalt dieser soundscapes zu rekonstruieren. Das hat sehr viele Gründe: Die Komplexität von Klangerzeugung und Klangdiffusion im Raum; das Fehlen von technischer Klangaufzeichnung in der Vormoderne; die weitgehende Inkompetenz der Sprache, akustische Phänomene objektiv zu beschreiben und zu analysieren; vor allem aber die ganz extreme zeitliche Begrenztheit der allermeisten akustischen Phänomene, sei es das Zwitschern von Vögeln, das Rauschen der Bäume, das Rattern von Rädern oder das Gebet des Pontifex Maximus. Jeglicher Versuch, die akustische Realität des Staatsopfers auf dem Kapitol am verregneten oder sonnigen 22. Oktober des Jahre 180 n. Chr. zu rekonstruieren, ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Selbst wenn es einem sogenannten Musikarchäologen gelänge, die Originalflöte des Originaltibicen dieses Opfers zu finden und zum Klingen zu bringen: bis auf die Klangfarbe blieben alle wesentlichen Parameter wie Dynamik, Rhythmus, Modulierung, Tonlänge unbekannt, von den akustischen Verhältnissen auf der Area Capitolina und den parallelen Klangquellen ganz abgesehen. Die Möglichkeit, antike soundscapes zu rekonstruieren, besteht zumindest im Falle des Kapitols nicht. Welchen Sinn hat also die Frage nach den akustischen Phänomenen? Zunächst scheint es grundsätzlich wichtig, zwischen intentionalen und akzidentiellen Geräuschen zu unterscheiden. Die meisten Geräusche, und zwar die zufälligen, sei es das Muhen des Opferstiers, das Husten der erkälteten Kaiserin oder das Rauschen des Regens auf den Goldbronzeziegeln des Jupitertempels, sind ohne Spur verschwunden. Sie entziehen sich, auch wenn ihre Existenz ein historisches Faktum darstellt, jeder archäologischen Analyse. Anders steht es dagegen mit jenen Klängen und Geräuschen, die bewußt generiert wurden und einen bestimmten Zweck erfüllten, etwa der Musik des Tibicen. Hier stellt sich nicht die wenig weiterführende Frage im Mittelpunkt, wie denn dieses Flötespielen nun genau geklungen hat. Interessant ist vielmehr das Problem, welche Funktion und welche Bedeutung diesem Phänomen zugemessen wurde; und hier ist der ursprüngliche Klang weitgehend unerheblich. Die Fragestellung verlagert sich damit weg von einer positivistischen Rekonstruktion akustischer (wie auch olfaktorischer und haptischer) Phänomene hin zur spezifischen Semantik dieser Phänomene. Der wichtigste Schlüssel zu dieser Semantik ist – gerade deswegen, weil uns im Gegensatz zu den visuellen Zeugnissen die meisten materiellen Spuren fehlen – die Rezeption dieser Phänomene in den Bild- und Textquellen.

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DER SAKRALE KLANGRAUM ALS AKUSTISCHER SONDERFALL Zunächst zu der Frage, wozu der Klang der Tibia während des Opfers diente. Der locus classicus ist hier die Passage des älteren Plinius zur Wirksamkeit von Gebetsformeln. Sie ist in unserem Kontext von größter Bedeutung: „Wir sehen, daß die obersten Beamten mit bestimmten Gebetsformeln Weihehandlungen vornehmen und daß jemand [neben dem Priester] aus einem Text vorliest, damit kein einziges Wort übergangen oder an der falschen Stelle gesprochen wird, daß dazu ein Aufpasser bereitgestellt wird, der auf das Gesprochene achtet, ein anderer aber vorangestellt wird, der dem Publikum zu schweigen befiehlt, und daß ein Flötenspieler spielt, damit man nichts anderes hört“.15

Ob das Erklärungsmodell des Plinius wirklich zutrifft, wurde viel diskutiert,16 ist in unserem Zusammenhang aber sekundär. Entscheidend ist, daß Plinius mehrere, ganz wesentliche Aspekte der akustischen Charakteristika von Staatsopfer und Heiligtum benennt. Da sind erstens die Gebete, die precationes, ohne die das Opfer nicht wirkt und die Plinius noch weiter funktional ausdifferenziert; zweitens der obligate Wechselgesang zwischen Vorbeter und Priester; dann zwei prinzipiell konträre akustische Strategien, das Schweigen der Masse (favete linguis), also das Entfernen fremder Geräusche auf der einen Seite;17 und eben die regulierte und regulierende Klangkonstruktion des Tibicen auf der anderen Seite. Für alle vier akustischen Phänomene sind bestimmte Akteure verantwortlich, die summi magistratus für das Gebet, der Vorsprecher für das Ablesen der Formeln, ein weiterer Vorsteher für das Schweigegebot, schließlich der Kultmusiker, der Tibicen. All diese Klangstrategien generieren jene spezifische akustische Umgebung, jene soundscape, die für die korrekte Durchführung des Opfers notwendig ist. Das akustische Zentrum dieses spezifischen Klangraums (der Flötenspieler) konvergiert dabei mit dem Zentrum des Heiligtums, dem Altar. Genau dieser Sachverhalt wird durch die Präsenz des Tibicen auf Darstellungen wie dem Relief des Mark Aurel vermittelt. Der räumliche Aspekt der sakralen Akustik wird bei Plinius besonders deutlich. Denn das Spiel des Tibicen schafft gewissermaßen eine geschützte Zone, in die keine fremden, im sakralen Sinne unreinen Geräusche eindringen können. Der Musiker erzeugt einen abgeschlossenen, durch Töne immateriell definierten Klangraum, der ebenso exklusiv ist wie der räumlich und materiell definierte Bezirk des Temenos selbst. Man könnte auch sagen: Die exklusive Klangraum um den Altar ist 15 Plin. n.h. 28,11 videmusque certis precationibus obsecrasse summos magistratus et, ne quod verborum praetereatur aut praeposterum dicatur, de scripto praeire aliquem rursusque alium custodem dari qui adtendat, alium vero praeponi qui favere linguis iubeat, tibicinem canere, ne quid aliud exaudiatur. 16 Zur Diskussion vgl. Wille (1967) 37 f.; Fless (1995) 81 Anm. 25. 17 Hor. c. 3, 1, 2–4 favete linguis: carmina non prius / audita Musarum sacerdos / virginibus puerisque canto. Serv. ad Aen. 5, 71 „ore favete“ apto sermone usus est et sacrificio et ludis: nam in sacris taciturnitas necessaria est, quod etiam praeco magistratu sacrificante dicebat ‚favete linguis, favete vocibus‘, hoc est bona omina habete, aut tacete. Vgl. Sen. vit. 26, 7; Liv. 29, 27, 1. Zu der Formel Bäumer (1984); Fless (1995) 32 f.; David (2003) 87; ThesCRA I 203. III 162 f.

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die unsichtbare Verkörperung des ‚Innen‘, das rituell vom akustisch andersartigen – nicht notwendigerweise profanen – ‚Außen‘ strikt getrennt ist. Dabei ist es letztlich unerheblich, wie dieser Klangraum semantisch begründet wurde, als Vertreibung böser Geister, als akustische Reinigung des Ortes, als Übertönung des Brüllens der sterbenden Tiere etc.18 Ob apotropäisch oder appellativ – welche religionshistorische Begründung man hier auch liefern möchte, mit dem Spiel des Tibicen wie auch dem Sprechverbot ist zwangsläufig die Erzeugung eines andersartigen, auf das Metaphysische verweisenden Klangraumes verbunden. Diesem Klangraum wohnt allerdings eine Paradoxie inne. Die Klänge diffundierten nicht nur weit über den Ort der Opferhandlung, sondern auch über den sakralen Raum des Heiligtums hinaus, denn im Regelfall konnte der Tibicen sicher auch außerhalb des Heiligtums wahrgenommen werden. Die Grenzen der Klangwolke um den Altar konvergieren nicht mit den präzis determinierten Grenzen des Temenos. Zudem war diese Klangwolke nicht einmal notwendigerweise ortsstabil. Mitunter bewegte sie sich, etwa bei Prozessionen, durch den städtischen Raum. Die spezifische akustische Atmosphäre des Temenos konnte damit, wie die Tragaltäre und heiligen Bilder, die sie umhüllte, transportiert werden. Die Deutung der Klänge am Altar verschob sich mit der Position des Rezipienten. Dieselben Töne, die vor dem Altar die sakrale Exklusivität der Gemeinschaft der Ritualteilnehmer verstärkten, erhielten, wurden sie aus der Entfernung wahrgenommen, eine ganz andere Bedeutung. Für die Außenstehenden erfüllten die Tibiaklänge eine bestimmte Signal- und Warnfunktion. Sie markierten den Ort des Rituals, mahnten insbesondere den zufällig passierenden Rezipienten – auch wenn Opfermusik durchaus gewohnter Bestandteil der urbanen Klanglandschaft war – zu erhöhter Aufmerksamkeit. In gewisser Weise könnte man die Mischung aus Schweigen und Musik damit als das akustische Pendant zur materiellen, hindernden, wenigstens zu einem gewissen Maß an Aufmerksamkeit verpflichtenden Begrenzung eines Temenos oder Templum durch Mauern und Propyla lesen. Vor allem aber erzeugte der spezifische Klang des Heiligtums Assoziationen, die zu einer Vielfalt an emotionalen Reaktionen des Rezipienten führen konnten. Damit gerät das antike Heiligtum zum akustischen Ausnahmeraum. Und dies hat Folgen für die Bewertung von akustischen Signalen, die mit der heiligen Zone räumlich in Verbindung stehen. AKUSTISCHE SENSIBILITÄT IM SAKRALEN RAUM Das Heiligtum des Jupiter Optimus Maximus Capitolinus nimmt innerhalb der zahllosen Heiligtümer der antiken Welt eine besondere Stellung ein. Durch die Machtposition Roms ist das Kapitol über Jahrhunderte der sakrale (und in gewisser Hinsicht auch politische) Mittelpunkt des gesamten Mittelmeerraums. Demgegenüber stellt sich der konkrete archäologische Befund katastrophal fragmentarisch dar, bedingt durch topographische Situation und Nachfolgenutzung, aber auch 18 Vgl. Wille (1967) 36–38; Fless (1995) 81 Anm. 25.

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durch den Dokumentationsstand.19 So ist nur ansatzweise bekannt, an welcher Stelle die eigentliche Grenze des Temenos verlief. Man kann den Hügel nur sehr grob in drei Zonen gliedern: zum einen das eigentliche Zentrum, das große Podium des Tempels des Jupiter Optimus Maximus Capitolinus;20 zum zweiten die sog. Area Capitolina, die vermutlich mit dem eigentlichen Temenos des Heiligtums zusammenfiel;21 zum dritten das Doppelplateau des Kapitolhügels, das von einer riesigen Menge an einzelnen Heiligtümern belegt war, die der gesamten topographischen Einheit den Charakter einer sakralen Zone verliehen.22 Ausdehnung, Grenzen, Permeabilität etc. des wichtigsten Heiligtums der römischen Welt archäologisch genauer definieren zu wollen, wäre beim gegenwärtigen Kenntnisstand vergeblich. Umso dringender stellt sich die Frage, welche Aspekte den Raum dieses Heiligtums über seine konkrete, sakralrechtliche Begrenzung hinaus definierten. Hier kommt die zweite überlieferungsbedingte Besonderheit zum Tragen: Für kein anderes Heiligtum der römischen Welt existiert eine derart große Anzahl an literarischen Quellen.23 Ungewöhnlich viele Passagen kreisen dabei um akustische Phänomene. Beginnen wir mit einem Vorzeichen, daß sich beim Regierungsantritt Trajans ereignet haben soll. Die Epitome de Caesaribus schreibt: „Mehrere wundersame Ereignisse kündigten das Imperium des Trajan an. Unter ihnen war besonders eine Krähe, die vom First des Kapitols mit griechischen Wörtern sagte: Kalos estai“24. 19 Die beste Gesamtdarstellung zur Überlieferung der Area Capitolina (s. u.) bietet bislang Reusser (1993) anhand der Dokumentation der bei S. Omobono gefundenen Reste des Fidestempels. Paradigmatisch für die Probleme ist die äußerst kontroverse Forschung zum Tempel des Jupiter Optimus Maximus Capitolinus selbst; dazu s. u. 20 Die Forschung zum Tempel des Jupiter Optimus Maximus Capitolinus hat sich in den letzten Jahren intensiviert und kann hier nur ansatzweise referiert werden. Im Mittelpunkt steht allerdings die Frage nach der Rekonstruktion des archaischen Tempels. Die Basis für alle folgenden, zum Teil erheblich abweichenden Rekonstruktionsversuche legte hier Gjerstad (1960); die Grabungen der Jahrtausendwende lieferten grundlegend neue Informationen (Berichte s. Danti (2001), Mura Sommella (2001) (2009)). Der zweite Tempel des Catulus, der dritte und der vierte Tempel der flavischen Zeit sind bis heute so gut wie gar nicht bekannt und nur rudimentär erforscht; zur Baugeschichte mit Angabe der Quellen ausführlich (aber noch ohne die wichtigen Befunde der Grabungen um 2000) Tagliamonte (1996); Viscogliosi (1996). Vgl. zuletzt Arata (2010a); Perry (2012). Was die Rekonstruktion der Architektur des kaiserzeitlichen Tempels betrifft, so leisteten auf Basis des fragmentarischen Befunds Vorarbeiten u. a. Jordan (1876); Marquand (1898); Colini (1925); Arata (2010a); Perry (2012). Zur Frage der bildlichen Darstellungen des Jupitertempels Grüner (2015). 21 Zur Area Capitolina grundlegend Reusser (1993). Eine knappe historische Gesamtschau bietet Hölscher (2006). 22 Insbesondere das Tabularium und der Tempel der Juno Moneta gerieten in jüngster Zeit in die Diskussion; vgl. Tucci (2005) und (2013/14), Arata (2010b). 23 Giuseppe Lugli (1969) verzeichnet in seiner (sicher nicht ganz vollständigen) Quellensammlung 381 griechische und lateinische Passagen, die den Tempel selbst betreffen. Dazu kommen fast ebenso viele Texte, die über den Hügel insgesamt informieren, und noch einmal fast 500 weitere Texte zu kleineren Heiligtümern, Weihegeschenken und anderen Gebäuden auf dem Kapitol. 24 Epit. Caes. 13 (…)adveniens imperium eius pleraque mirifica denuntiaverint. In quis praecipuum cornicem e fastigio Capitolii Atticis sermonibus effatam esse: kalos estai.

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Dieses Vorzeichen stand in einer Reihe von außergewöhnlichen akustischen Ereignissen, die in republikanischer Zeit auf dem Kapitol registriert worden waren. Schon im Jahre 323 v. Chr. soll ganz Rom nachts von einem gewaltigen Krawall aufgeschreckt worden sein.25 Laut Livius hörte es sich an, als ob das Kapitol und die Arx voll von Bewaffneten gewesen wären; nachdem sich alles bewaffnet hatte, stellte sich aber bei Tagesanbruch heraus, daß niemand auf dem Kapitol gewesen war. 135 v. Chr. schrie ein Uhu auf dem Kapitol, der dann allerdings gefangen, verbrannt und als Asche rituell in den Tiber gestreut wurde.26 Um dieselbe Zeit hörte man auf dem Kapitol einen Vogel, der wie ein Mensch stöhnte.27 Bei einem Erdbeben schließlich hätte man laut Cicero schon in früher Zeit eine warnende Stimme aus dem Tempel der Juno vernommen, wonach diese ihren Namen Juno Moneta, die ‚Mahnerin‘, bekommen hätte.28 All diese Vorzeichen verdankten ihre besondere Bedeutung vor allem dem Umstand, daß sie sich auf dem Kapitol ereigneten. Sie zeigen, daß der heilige Bereich des römischen Hauptheiligtums als akustisch besonders sensibler Raum definiert war. Es war ein Raum, in dem auch kleinen Geräuschen und Zwischenfällen große Bedeutung beigemessen wurde. Die besondere Stellung des kapitolinischen Heiligtums als Ausnahmezone zeigt sich auch an einem akustischen Sonderfall: dem Schweigen. Immer wieder taucht die Unterdrückung oder das Nicht-Vorhandensein von Sprache und Geräusch – das Schweigen – als Charakteristikum des heiligen Bezirkes auf. An erster Stelle steht hier eine signifikante Sonderform akustischer Inszenierung, das bereits erwähnte Schweigegebot favete linguis des Opferassistenten.29 In der Ode 3, 30 akzentuiert Horaz seine Beschreibung der Prozession zum Staatsopfer auf dem Kapitol durch das Schweigen der Vestalinnen.30 Nach Gellius hätten die ansonsten scharfen Wachhunde jedes Mal, wenn Scipio Africanus nachts den Jupitertempel betrat, geschwiegen.31

25 Liv. 8, 37 Romae nocturnus terror ita ex somno trepidam repente civitatem excivit ut Capitolium atque arx moeniaque et portae plena armatorum fuerint; et cum concursatum clamatumque ad arma omnibus locis esset, prima luce nec auctor nec causa terroris comparuit. 26 Obseq. 26 Bubonis vox primum in Capitolio dein circa urbem audita. Quae avis praemio positi ab aucupe capta combustaque; cinis eius in Tiberim dispersus. 27 Obseq. 27 In Capitolio nocte avis gemitus similes hominis dedit. 28 Cic. div. 1, 101 Atque etiam scriptum a multis est, cum terrae motus factus esset ut sue plena procuratio fieret, vocem ab aede Iunonis ex arce exstitisse; quocirca Iunonem iram appellatam Monetam. 29 Dazu o. Abschnitt 7. 30 Hor. c. 3, 30, 7–9 usque ego postera / crescam laude recens, dum Capitolium / scandet cum tacita virgine pontifex, vgl. Pseudacro ad loc. 31 Gell. 6, 1, 6 Id etiam dicere haut piget, quod idem illi, quos supra nominavi, litteris mandaverint Scipionem hunc Africanum solitavisse noctis extremo, priusquam dilucularet, in Capitolium ventitare ac iubere aperiri cellam Iovis atque ibi solum diu demorari quasi consultantem de republica cum Iove, aeditumosque eius templi saepe esse demiratos, quod solum id temporis in Capitolium ingredientem canes semper in alios saevientes neque latrarent eum neque incurrerent.

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Die akustische Sensibilität des Kapitols nutzt auch Augustus. In einem Traum war ihm der kapitolinische Jupiter erschienen, der sich beklagte, daß ihm der neue und kleine, aber prachtvolle Tempel des Jupiter Tonans nebenan die Gläubigen wegnehme.32 Augustus antwortete, Jupiter Tonans am Eingang der Area Capitolina sei ja gewissermaßen nur der Pförtner des großen Jupiter. Um die Hierarchie auch akustisch wieder klarzustellen, läßt Augustus im Gebälk des Tonans-Tempels Glöckchen aufhängen, wie sie im Eingang römischer Häuser üblich waren. Schließlich steht auch in der berühmtesten Geschichte des Kapitols ein akustisches Phänomen im Vordergrund, das legendäre Schnattern der Gänse.33 Insgesamt bilden diese (und andere) Passagen eine relativ heterogene Sammlung. Dennoch treffen sie einen bestimmten Kernaspekt des Kultraums Kapitol: Innerhalb dieses Kultraums werden akustische Ereignisse in besonderem Maße registriert. Registriert zum einen, weil die Rezipienten hier auf akustische Besonderheiten achten, die außerhalb der sakralen Zone oft keine Bedeutung hätten. Registriert zum zweiten ganz wörtlich, weil diese Ereignisse schriftlich fixiert werden, und das in ganz verschiedenen literarischen Kontexten. Damit wäre ein weiterer, essentieller Aspekt der Akustik des sakralen Raumes benannt, die besondere Sensibilität für Klänge und Geräusche. Offenbar bildete die Area Capitolina einen akustisch eminent anfälligen Raum – und dies galt sicher nicht nur für dieses Heiligtum, das die Identität des römischen Staates mehr als jedes andere symbolisierte und sakral fixierte. Im Raum des Heiligtums konnten akustische Anomalien als Zeichen gedeutet werden, womit sich der Kultraum wiederum für die Inszenierung akustischer Phänomene prädestinierte. Nicht zuletzt dieser Aspekt begründet die Präsenz des Opfermusikers auf dem Relief des Mark Aurel. KLANG ALS BILDSTRATEGIE Das Thema der Akustik wird in vielen Bildern der römischen Lebenswelt thematisiert, oft in Form musikalischer Gestaltung. Diese Bilder beziehen sich auf sakrale ebenso wie auf profane, auf öffentliche wie auf häusliche, auf militärische wie auf zivile Kontexte. Sie skizzieren die für die jeweilige Situation typische soundscape vor allem durch eine gezielte, oft standardisierte Kombination bestimmter Instrumente. So erkennen wir auf einer der Platten des Großen Trajanischen Frieses, das den Kaiser in vollem Sturm auf die barbarischen Feinde zeigt, drei Militärmusiker am oberen Bildrand.34 (Abb. 6) Es sind zwei Hornisten und ein Trompeter, die hinter 32 Suet. Aug. 91, 2 Cum dedicatam in Capitolio aedem Tonanti Iovi assidue frequentaret, somniavit, queri Capitolinum Iovem cultores sibi abduci, seque respondisse, Tonantem pro ianitore ei appositum; ideoque mox tintinnabulis fastigium aedis redimiit, quod ea fere ianuis dependebant. Zu der Episode Bendlin (2006) 302 f. 33 Liv. 5, 47; Plin. n.h. 10,51. 34 Zum Großen Trajanischen Fries zuletzt Faust (2012) 9–34.

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dem Kaiser und mit ihm nach rechts auf den Feind zustürmen. Auf raffinierte Weise unterstützt nicht nur ihre Körperbewegung, sondern auch die Ausrichtung der Instrumente, vor allem aber der implizite, sich nach vorne und in Schallgeschwindigkeit ausbreitende Ton die Bewegungsrichtung der Attacke und zudem die dramatische Geschwindigkeit der Situation. Die lauten Blechblasinstrumente dieser (im Übrigen völlig fiktiven) Szene sind – und das ist entscheidend – nicht in erster Linie dazu da, einen realistischen Eindruck eines Kampfgeschehens zu vermitteln. Vielmehr beschreibt der Künstler hier wie auf dem Opferrelief einen ganz spezifischen Klangraum. Dieser Klangraum unterstützt durch die besagte bildkompositorische Gerichtetheit ebenso wie durch das Zitat tatsächlicher Militärmusikinstrumente vor allem die Handlungsdramatik, die wiederum das eigentliche Bildziel, die Vermittlung der kaiserlichen Virtus, unterstützt.

Abb. 6: Rom, Konstantinsbogen, Schlachtenszene vom Großen Trajanischen Fries.

Eine ganz andere Zielrichtung verfolgen die akustischen Bildelemente des Theaterreliefs von Castel Sant’Elia.35 (Abb. 7) Vor einer reichen, mit Aedikulen gegliederten Bühnenarchitektur, füllt das Personal einer Theateraufführung die Bühne. Als musikalisches Ambiente par excellence erscheint hier eine große Vielfalt akustischer Quellen. Ganz rechts steht in drei Reihen ein Mädchenchor; links im Bild ein 35 Gefunden 1948 bei Nepi, s. Anti (1952).

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Bläser mit einer Tibia, der mit dem linken Fuß ein Schlagzeug (scabellum) bedient; hinter diesem ein Panflötenspieler; dann die Schauspieler. Raffiniert ergänzt in der Mitte des oberen Registers ein leierspielender Apollo, wohl eine Statue, diesen Klangraum auf der Bühne – gewissermaßen ein doppeltes Spiel mit Bild und Ton.

Abb. 7: Relief aus Castel Sant´Elia mit Darstellung einem Wagenrennen (unten) und einer Szene auf der Bühne eines Theaters (oberes Register).

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Auch bei diesem Relief ging es den Auftraggebern weniger um die Illustration eines römischen Theaterspiels für künftige Realienforscher. Die akustische Vielfalt spiegelt vielmehr die finanzielle Potenz des Spielgebers, der mitten im Kreise der von ihm bezahlten Angestellten auf der Bühne steht; und aller Wahrscheinlichkeit nach hing das Relief auch an dessen Grabmonument. Die gezeigten Beispiele demonstrieren die strategische Sensibilität, mit denen die Künstler akustische Phänomene nutzen, um die Botschaft des Bildes zu verstärken. Die Suggestion musikalischer soundscapes verleiht – so die These, die im Folgenden diskutiert werden soll – dem Bild eine zusätzliche Wirkungsebene. So erstaunt es nicht, daß eben dieses Mittel auch eingesetzt wurde, wenn es darum ging, sakrale Diversität zu verdeutlichen. RITUELLE DISTINKTION Auf dem bekannten Fresko aus Herkulaneum, das eine Kulthandlung vor einem ägyptischen Tempel zeigt, wird systematisch die exotische Prägung von Kulthandlung und Ritual durchbuchstabiert.36 (Abb. 8) Neben der Präsentation exotischer Architektur, Skulptur, Pflanzenwelt, Physiognomien und Gesten gibt sich der Maler Mühe, die akustischen Strategien zu verdeutlichen, welche zur Andersartigkeit der rituellen Atmosphäre beitragen. Die akustische Hauptrolle spielt das Sistrum. Sowohl die beiden flankierenden Priester am Treppenende als auch viele Teilnehmer halten die ägyptischen Klapperinstrumente in die Höhe. Zwar findet sich auch hier ein Flötenspieler, der in der Nähe des Altars spielt. Allerdings unterscheidet er sich mit seiner afrikanischen Physiognomie, seiner fremdartigen Kleidung, seiner eigenartig langen Flöte und seiner Position – abseits auf dem blanken Boden sitzend – diametral vom Tibicen des Mark-Aurel-Reliefs. Die Kategorien sind derart konsequent als Gegensätze durchbuchstabiert, daß man beinahe an eine bewußte Parodie denken könnte. In jedem Fall bildet das Fresko ein Gegenbild zu den Darstellungskonventionen der großen Staatsrituale auf dem Kapitol. Noch deutlicher wird dieser Charakter des akustischen Gegenbildes mit dem Relief aus Ariccia, das am Anfang stand; deutlicher insofern, als sich hier die akustische Kulisse auch auf die Körperhaltung der Beteiligten auswirkt. Die Kultteilnehmer strecken und krümmen sich, getrieben vom Rhythmus der Klappern und der klatschenden Menschen auf dem Podium. Auf dem Kapitol bleibt die Musik des Tibicen dagegen vollkommen folgenlos. Zumindest reagieren die am Opfer Beteiligten nicht sichtbar auf die Töne, sondern konzentrierten sich in totaler körperlicher Selbstbeherrschung auf den Vollzug des Rituals. Die Protagonisten stehen und handeln ruhig – Pathoszeichen oder gar Pathosformeln sind nicht zu erkennen. Es zeigt sich: Nicht nur die zahlreichen Attribute, von der Architektur bis hin zur Kleidung der Kultteilnehmer, sondern auch die Körperbilder, die auf den akustischen soundtrack reagieren oder eben nicht reagieren, markieren Kulthandlungen als individuelle, voneinander in vielfacher Hinsicht unterschiedene Rituale. 36 Neapel, Museo Archeologico Nazionale, Inv. 8924. ThesCRA II 107, Nr. 140.

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Abb. 8: Kulthandlung in einem ägyptischen Heiligtum, Wandmalerei aus Herculaneum, Neapel, Museo Nazionale.

Auch sonst werden akustische Instrumente auffällig häufig eingesetzt, um den individuellen Charakter eines Kultes zu beschreiben. Auf einem Relief in der Villa Albani sieht man eine alte Frau, die in freier Landschaft auf einem Altar opfert.37 (Abb. 9) Hinter ihr sitzt eine weitere Frau, die einen sogenannten phrygischen Aulos spielt, eine jüngere Person hinter ihr schlägt das Tambourin; beides Instrumente, die den Staatsopfern fremd sind. Die bukolisch idealisierte Szene ist anhand der Instrumente leicht mit dem Kybele- oder Dionysoskult zu identifizieren. Auch hier werden akustische Attribute und Ereignisse als Zeichen der religiösen Andersartigkeit ins Bild gesetzt.

37 Wrede (1991) Taf. 48 Abb. 3

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Abb. 9 Schmuckrelief mit bukolischer Szene, Rom, Villa Albani.

Dieselben Instrumente kehren fast emblemartig auf dem Relief eines Kybelepriesters aus Lanuvium aus hadrianischer Zeit wieder.38 (Abb. 10) Um das Halbkörperporträt des Mannes (?) sind wichtige Kultinstrumente additiv angeordnet, als ob sie an einer Wand hingen und auf ihren Einsatz warteten, darunter ein Tambourin, zwei Blasinstrumente und Zymbeln. Die Musikinstrumente sind aus ihrem Handlungskontext gelöst und verweisen attributiv auf die spezifische akustische Identität des Kybelekultes und seiner Kulträume. Auf den performativen Kontext des Rituals wird verzichtet. Er wäre auch nicht nötig: Als ikonographische Platzhalter vergegenwärtigen Schlag- und Blasinstrumente dem Betrachter die kultischen Handlungen, ohne daß diese gezeigt werden müssen. Interessant ist, daß sich gerade im dionysischen Kontext die spezifische Auswahl an akustischen Instrumenten der exotischen Kulte mit anderen Darstellungsmodi vergesellschaftet. So suggeriert die extreme, heftige Bewegung signalisierende Verdrehung der Körper den Aspekt des Tanzes, der natürlich mit der soundscape eng verbunden ist. (Abb. 11) Das Bemerkenswerte dabei ist, daß bei vielen

38 Musei Capitolini, Centrale Montemartini, Inv. 1207. Fittschen-Zanker (2014) 107 f. Nr. 110, Taf. 115.

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Bildern tanzender Mänaden und Satyrn gar keine Instrumente dargestellt werden; der im Tanz verdrehte Körper impliziert ganz automatisch Rhythmus und Musik.39

Abb. 10: Portät eines Kybelepriesters, Rom, Musei Capitolini, Centrale Montemartini.

39 Die Kombination von tanzendem Körper und akustischem Raum kehrt im Übrigen auch in der Darstellung anderer soundscapes, etwa dem Schauspiel, wieder. Das Vermikulatmosaik aus der Villa des Cicero in Pompeji (Neapel, Museo Archeologico Nazionale, Inv. 9985. Pappalardo (2012) 173 Taf. 173) zeigt einerseits Cymbala und Tympanon als Rhythmusinstrumente, den Doppelaulos als Melodieinstrument und andererseits die gebeugte Körperhaltung des linken, das erhobene linke Bein des rechten Schauspielers, die jenem Rhythmus im Tanz folgen, den die dargestellten Instrumente erzeugen.

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Abb 11: Tanzende Mänade, Relief, New York, Metropolitan Museum.

IKONOGRAPHISCHE ABGRENZUNG Die gezeigten Beispiele machen deutlich, wie nuanciert die kaiserzeitlichen Künstler distinktive Phänomene akustischer Kulträume im Bild konstruierten. Die Darstellung spezifischer Musikinstrumente und musikbezogener Körperhaltungen wie Tanz oder Instrumentenführung verdeutlichten dem Betrachter Diversität und Indi-

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vidualität des dargestellten Kultes. Vor allem die Bilder der sogenannten fremden Kulte nutzten die medialen Möglichkeiten des Bildes, um sich von den traditionellen Ritualformen eindrucksvoll abzusetzen.40 Sie bedienten sich dabei zu einem nicht geringen Teil der Visualisierung besonderer akustischer Phänomene, um dem Betrachter Abgrenzung und kultische Individualität zu vermitteln. Im Relief aus Ariccia war das etwa die Demonstration von Rhythmus durch Körperhaltung und Schlaginstrumente. Es ist klar, daß diese Bilder exotischer Kulte vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Staatsikonographien gelesen werden müssen, wie sie etwa das Opferrelief des Mark Aurel repräsentiert. Ebenso klar ist auf der anderen Seite, daß diese Bilder, welche die sakralen Normen und Ritualvorschriften der traditionellen Kulte bewußt sprengten, auch auf den staatlichen Bilderkanon selbst rückwirkten – und vermutlich dazu beitrugen, daß sich das Repertoire der akustischen Ikonographie der staatstragenden Kulte verfestigte.41 Daß die Sensibilität im Hinblick auf die Darstellung akustischer Aspekte der römischen Ritualpraxis in der Tat sehr groß war, zeigt der Fall des Leierspielers.42 Denn nur auf sehr wenigen Monumenten erscheint neben dem Tibicen auch der Fidicen, so etwa auf dem sehr frühen Beispiel der Ahenobarbusara.43 (Abb. 12) Dieses weitgehende Fehlen der Leierspieler bei den Opferbildern wird u. a. dadurch erklärt, daß die Präsenz eines Fidicen im Bild ein Opfer ritu Graeco signalisierte.44 Ob die Sensibilität für die Fremdheit der Leier für die tatsächliche Praxis galt oder ob – gerade angesichts des höchst konstruierten Charakters der Reliefs – nur die Bildmedien den Fidicen vermieden, ist schwer zu klären.

40 Allgemein zur Distinktion von Kult und kultischen Praxen im Bild und den damit verbundenen sozialen und kulturellen Phänomenen etwa Steuernagel (2004), bes. 210–257 zur Integration sogenannter fremder Kulte in die städtischen Räume; Schörner (2009) für regionale Differenzierungen; in unserem Zusammenhang besonders Sterbenc Erker (2001). Zu Pluralität und Konfrontation von Kulten im Imperium Romanum s. die Beiträge in Cancik-Rüpke (2009). 41 Auf eine interessante Tatsache, die eben dies belegen könnte, wurde vor Kurzem aufmerksam gemacht (Fless-Moede (2011) 255): Im Gegensatz zu vielen Bildern des dionysischen Thiasos zeigt kein einziges historisches Relief einen tanzenden Akteur; und das, obwohl wir sicher wissen, daß die extrem rhythmusbetonten Springtänze des alten Salierrituals bis in die Spätantike aufgeführt wurden – sogar auf dem Kapitol! 42 Wille (1967) 29–31; Fless (1995) 82 f. 43 Paris, Louvre, Inv. MA 975. Stilp (2001). 44 „Das Spiel der fides scheint, nach der bildlichen und literarischen Überlieferung zu urteilen, mit Ausnahme der nach griechischem Ritus vollzogenen Kulthandlungen nicht üblich gewesen zu sein. Dagegen kommen Leier- und Flötenspieler zusammen als typische Prozessionsmusiker vor.“

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Abb. 12: Detail mit Tibicen und Fidicen aus dem Censusrelief der Sog. Domitiusara, Paris, Louvre.

BILD UND INTERNALISIERTER KLANG An diesem Punkt kommt die Debatte zwischen Winckelmann und Lessing ins Spiel – genauer, das wahrnehmungspsychologische Phänomen, um dessen Interpretation es den beiden Gelehrten des achtzehnten Jahrhunderts ging. Die akustische Ikonographie kaiserzeitlicher Kultdarstellungen – also Motive wie Instrumente, Gesang oder Tanz – unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von anderen Motivgruppen. Denn die Rezeption eines Bildes, das klangerzeugende Objekte oder musizierende Individuen zeigt, besitzt ein doppeltes Potential. Der Betrachter kann die abgebildeten Instrumente einerseits attributiv lesen, also als visuelles, einer bestimmten Umgebung oder Situation zuzuordnendes und erklärendes Zeichen, so wie etwa der Helm der Athena zugeordnet ist. Er kann die Flöte des Tibicen andererseits aber auch als akustischen Assoziationspunkt nutzen. Das Bild der Tibia bietet dem Betrachter die Möglichkeit, sich an ein bestimmtes Klangspektrum, in diesem Fall die ritualisierten Klänge des Staatsopfers, zu erinnern und dieses spezifische Klangspektrum zu imaginieren – als internalisierter Klang. Schließlich kann er dieses imaginierte Klangspektrum und die damit verbundenen Assoziationen und Inhalte wiederum in Beziehung zu all dem setzen, was auf dem Bild zu sehen ist. Vielleicht diskutierten Winckelmann und Lessing nicht nur deswegen so selbstverständlich über den Schrei des Laokoon, weil das Problem der Imagination von akustischen Ereignissen eines der virulenten Themen des zeitgenössischen ästheti-

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schen Diskurses war. Sie konnten sich auf die antike rhetorische Theorie stützen, die eben dieses psychologische Phänomen im Rahmen einer produktionsästhetischen Strategie erörtert hatte, der Strategie der enargeia. Tatsächlich beschreibt etwa Quintilian nicht nur das Prinzip der visuellen, sondern auch der akustischen Imagination: „Ich beklage den Mord an einem Menschen: Werde ich nicht alles, was bei der gegenwärtigen Sache glaubhaft geschehen ist, vor Augen haben? Wird nicht plötzlich der Mörder herausstürmen? Werden die Augenzeugen nicht vor Furcht erstarren, aufschreien oder fragen oder fliehen? Werde ich nicht den Täter, den Zusammenbrechenden sehen? Werden sich im Geist nicht das Blut, die Blaßwerden und das Stöhnen, schließlich nicht der letzte Atemzug des Sterbenden festsetzen? Daraus resultiert die enargeia, die von Cicero inlustratio und evidentia genannt wird; die nicht so sehr zu sprechen als zu zeigen scheint, und auf welche die Emotionen genauso folgen, wie wenn wir an den Geschehnissen selbst beteiligt wären.“45; und ganz explizit in der Definition „Manche nennen denjenigen ‚euphantasiotos‘, der sich Objekte, Stimmen und Verhalten sehr gut vorstellen [im Sinne von erfinden] kann.“46 Im vorliegenden Fall, der Frage nach der Visualisierung musikalischer Ereignisse in römischen Ritualdarstellungen, ist es unerheblich, welche Melodien und Rhythmen tatsächlich erzeugt wurden. Wenn mangels eigener Erfahrung und der geschilderten, problematischen Evidenz akustischer Phänomene dem heutigen, analytischen Betrachter diese Ebene der Bildrezeption weitgehend versagt bleibt, so stellt das Phänomen an sich doch einen ganz entscheidenden Aspekt der Bildkonzeption und Bildwirkung dar. Das Relief aus Ariccia gewann durch die Darstellung von akustischen Phänomenen in hohem Maße an Präsenz, da der Betrachter unmittelbar eine bestimmte Klangatmosphäre assoziierte. Das Relief bot so gewissermaßen einen soundtrack. Spezifische Klänge und Geräusche einer spezifischen Situation wurden suggeriert; das Bild erhielt einen multisensuellen Charakter und wirkte überzeugender. IKONOGRAPHISCHES UND AKUSTISCHES ZEICHENSYSTEM Bislang stand die Analyse eines ikonographischen Zeichensystems im Vordergrund, das mit akustischen Gegenständen, meist Musikinstrumenten operierte. Durch Variation, Kombination und Nuancierung unterstützte dieses Zeichensystem die Bot45 Quint. inst. 6, 2, 31 f. Hominem occisum queror: non omnia quae in re praesenti accidisse credibile est in oculis habebo? non percussor ille subitus erumpet? non expavescet circumventus, exclamabit vel rogabit vel fugiet? non ferientem, non concidenten videbo? non animo sanguis et pallor et gemitus, extremus denique exspirantis hiatus insident? Insequitur enargeia, quae a Cicerone inlustratio et evidentia nominatur, quae non tam dicere videtur quam ostendere, et adfectus non aliter, quam si rebus ipsis intersimus, sequentur. Zur Passage und generell den Begriffen enargeia und phantasia in der rhetorischen Theorie vgl. Webb (2009) 86–130; Plett (2012); Bussels (2012) 57–82. 46 Quint. inst. 6, 2, 30 Quidam dicunt euphantasioton qui sibi res voces actus secundum verum optime finget.

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schaft des Bildes in doppelter Weise. Zum einen, indem es die dargestellte Szene ikonographisch näher spezifizierte – als Opfer im kultischen Rahmen der römischen Staatsreligion in Abgrenzung zu anderen rituellen Kontexten mit anderen Instrumenten –, zum zweiten, indem es internalisierte Klänge des Betrachters aufrief. Inwieweit aber läßt sich das ikonographische Zeichensystem – ganz positivistisch – als Beleg für ein entsprechendes, akustisches Zeichensystem in der Realität der kaiserzeitlichen Kultlandschaft ansprechen? Inwieweit entsprachen den akustischen Räumen, welche uns die Bilder bieten, reale soundscapes in den Heiligtümern des kaiserzeitlichen Rom? Und inwieweit wurden diese soundscapes als identifikationsstiftende Phänomene rezipiert und instrumentalisiert? Prinzipiell lassen sich diese Fragen nicht beantworten, da wir die tatsächlichen, extrem heterogenen akustischen Praxen der zahllosen Kulte der römischen Welt, wie bereits erläutert, so gut wie gar nicht rekonstruieren können. Zumindest aber kehrt vieles, was im Vorigen an den Bildern skizziert wurde, auch in unserem einzigen Korrektiv, den Texten, wieder. Besonders deutlich wird dies im Falle der fremden Religionen in den Passagen zum Bacchuskult.47 Autoren wie Livius betonen die spezifische soundscape der Bacchusverehrung als eines der Distinktionsmerkmale der dionysischen Rituale in Rom – und verknüpfen deren neues, auffälliges Klangspektrum rhetorisch geschickt mit kompromittierenden Begründungsmustern: „Sobald jemand hineingeführt war, wurde er den Priestern wie ein Opfertier übergeben. Die führten ihn zu einem Platz, der ringsum von Geheul und dem Klang der Musiker und dem schlagenden Rhythmus der Zimbeln und Tambourine hallte, damit man die Stimme des Klagenden, als man ihn gewaltsam mißbrauchte, nicht hören konnte.“48

Auf die zahllosen weiteren, oft topischen Erwähnungen rhythmusbetonter, wenn nicht orgiastischer Musik in den Kulten der Magna Mater, Bona Dea, Isis und anderer Gottheiten muß hier nicht näher eingegangen werden.49 47 Dazu Wille (1967) 53–36; Sterbenc Erker (2011). 48 Liv. 39, 10, 7 ut quisque introductus sit, uelut uictimam tradi sacerdotibus. eos deducere in locum, qui circumsonet ululatibus cantuque symphoniae et cymbalorum et tympanorum pulsu, ne uox quiritantis, cum per uim stuprum inferatur, exaudiri possit. Wie beim Relief aus Ariccia erscheint auch bei Livius das Phänomen der ekstatischen Körperbewegung, Liv. 38, 13, 12 uiros, uelut mente capta, cum iactatione fanatica corporis uaticinari. 49 Zum Phänomen akustischer Distinktion in der Kultpraxis Sterbenc Erker (2001) am Beispiel der dionysischen ululatio. Vgl. etwa die in Hinblick auf die akustischen Phänomene eindrucksvolle Schilderung der Kulthandlung zu Ehren der Isis bei Apul. met. 11,9 f. Symphoniae dehinc suaves, fistulae tibiaeque modulis dulcissimis personabant. Eas amoenus lectissimae iuventutis veste nivea et cataclista praenitens sequebatur chorus, carmen venustum iterantes, quod Camenarum favore sollers poeta modulatus edixerat, quod argumentum referebat interim maiorum antecantamenta votorum. Ibant et dicati magno Sarapi tibicines, qui per oblicum calamum, ad aurem porrectum dexteram, familiarem templi deique modulum frequentabant, et plerique, qui facilem sacris viam dari praedicarent. tunc influunt turbae sacris divinis initiatae, viri feminaeque omnis dignitatis et omnis aetatis, linteae vestis candore puro luminosi (…) magnae religionis terrena sidera, aereis et argenteis, immo vero aureis etiam sistris argutum tinnitum constrepentes etc.; Egelhaaf-Gaiser (2000) 130 f. 257. 407; Rüpke (2001) 92–96. Wei-

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Trotz häufig zu konstatierender literarischer Topik und polemischer Übertreibung50 scheint es zumindest plausibel, daß die soundscapes der kaiserzeitlichen Heiligtümer ebenso differenziert erschienen wie die Bilder und Texte, welche von ihnen sprechen; vor allem aber, daß die individuelle akustische Atmosphäre eines Kultes als spezifisches Merkmal für diesen Kult galt. Was die Antinomie von traditionellen und fremdartigen Kulten betrifft, so scheint die Analyse der Texte dabei exakt jenen, oben erörterten Unterschied in den Bildern zu spiegeln, der zwischen der beherrschten, ruhigen Atmosphäre des kapitolinischen Opferreliefs und der Kultszene aus Ariccia besteht. Die Möglichkeit der Texte, Emotionen zu formulieren, kommentiert diesen Unterschied geradezu: „Die meisten öffentlichen Rituale vermittelten durch die Flötenmusik ein Ideal der ruhigen, emotionslosen und routinierten Kultausübung. Die Bacchusrituale feierten dagegen durch das Geschrei und das ekstatische Rufen Ausgelassenheit, emotionelle Erregung und eine besondere Nähe zum Gott, die Furcht und Freude im Kultteilnehmer auslöst.“51

Vor diesem Hintergrund könnte sich erklären, warum so viele Kultdarstellungen der römischen Kaiserzeit musikalische Aspekte hervorheben. Zum einen ist der Betrachter sofort in der Lage, anhand der Darstellung bestimmter Instrumente und Musiker, ebenso wie bestimmter Kleider und Gesten, den konkreten religiösen Kontext der Szene zu erkennen. Tibia und caput velatum grenzen das Ritualbild und dessen Auftraggeber ikonographisch von vergleichbaren Szenen mit Sistrum und Glatzkopf ab. Im Falle von Tibia und Sistrum kommt aber – ganz im Gegensatz zu caput velatum und Glatzkopf – eine weitere Rezeptionsebene hinzu. Mit seinem Potential, spezifische soundscapes zu vergegenwärtigen, überschreitet das Bild die Grenzen des Visuellen. Indem der Betrachter unmittelbar bestimmte Klänge assoziiert, instrumentalisiert das Bild den Bereich des Akustischen. Dadurch verstärkt sich, und das ist entscheidend, der distinktive Charakter des Bildes. Eine besondere Rolle dürften dabei vor allem die mit den Klängen notwendigerweise verbundenen emotionalen Assoziationen gespielt haben.52 Dieser distinktive Effekt war Absicht. Im Falle des antoninischen Opferreliefs, das ja ein zentrales Ritual des römischen Staates abbildet, sollte die assoziierte Klangwelt integrativ wirken, als Affirmation des staatstragenden Bundes zwischen Jupiter und der res publica, repräsentiert durch den Kaiser; im Falle des Reliefs aus tere Quellen bei Wille (1967) 63–65. Bona Dea: Iuv. 6, 314–317 nota bonae secreta deae, cum tibia lumbos / incitat et cornu pariter uinoque feruntur / attonitae crinemque rotant ululantque Priapi / maenades. o quantus tunc illis mentibus ardor / concubitus, quae uox saltante libidine, quantus / ille meri ueteris per crura madentia torrens!; Brouwer (1989) 331. Magna Mater: Wille (1967) 56–62 mit zahlreichen Quellen; Vendries (2001). 50 Vgl. Sterbenc Erker (2011) 190 (Verzerrung der akustischen Merkmale durch Livius; „stereotype Schilderungen von Klang der fremden Kulte“). 51 So das Fazit von Sterbenc Erker (2011) 189 nach der philologischen Analyse der von Ovid und Horaz geschilderten Klangphänomene. 52 Sterbenc Erker (2001) 189 zur Differenz traditioneller und fremder Kulte: „Der wichtigste Unterschied liegt im Bereich der Emotionen, die durch Stimme und Musik transportiert wurden.“

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Ariccia, das die Teilnahme Eingeweihter an einem exotischen Kult suggeriert, exklusiv. Die Abgrenzung im Bild funktionierte somit auf doppelte Weise. Zum einen verfolgten die Auftraggeber eine visuelle, sprich ikonographische Strategie, da der Betrachter die unterschiedlichen Musikinstrumente und Körperhaltungen einem bestimmten Ritual zuordnen konnte; zum anderen eine akustische – oder vielleicht eher: eine ikonoakustische – Strategie, indem sie dem Betrachter die Möglichkeit gaben, das Bild durch den typischen Klangraum des jeweiligen Kultes zu ergänzen. FAZIT Bilder und Texte zeigen sehr deutlich: Die Vorstellung von Kulträumen beruhte nicht nur auf visuellen Phänomenen. Das kaiserzeitliche Heiligtum war ein Raum der Sinne, der unter anderem von spezifischen akustischen Phänomenen geprägt war. Die Klangphänomene waren konstitutiver Bestandteil des individuellen sakralen Raumes – und damit geeignet, Botschaften und Emotionen zu vermitteln, vor allem aber, religiöse Identitäten zu markieren. Klänge und Geräusche bildeten somit ein spezifisches Zeichensystem, das sich von Kult zu Kult unterschiedlich manifestierte. Die Bildquellen übersetzten dieses akustische System in ein visuelles Zeichensystem. Sie vermittelten damit ihrerseits Identitäten und Alteritäten. Besonders wirksam wurde dieses visuelle Zeichensystem, indem es den Betrachter paradoxerweise wieder zu den akustischen Phänomenen des jeweiligen Kultraums zurückführte. Dies geschah, indem das Bild (1) die Erinnerung des Rezipienten an spezifische akustische Erfahrungen reaktivierte, (2) sich der Betrachter die ihm bekannten Klangwelten etwa auf dem Kapitol oder in einem Isisheiligtum vergegenwärtigte und dadurch (3) die ikonographischen Merkmale eines bestimmten Kultes wie durch einen Resonanzkörper akustisch hinterfangen und verstärkt wurden – so wie sich Winckelmann und Lessing den Schrei des Laokoon konkret vorstellten und als eigenständiges Bildphänomen ernstnahmen. LITERATUR Angelicoussis 1984 = Elisabeth Angelicoussis, The Panel Reliefs of Marcus Aurelius, in: RM 91 (1984) 442–468. Anti 1952 = Carlo Anti, Rilievo teatrale romano da Castel S. Elia, in: Festschrift R. Egger (Beiträge zur älteren deutschen Kulturgeschichte I), Klagenfurt 1952, 189–205. Arata 2010 a = Francesco Paolo Arata, Nuove considerazioni a proposito del Tempio di Giove Capitolino, in: MEFRA 122 (2010), 585–624. Arata 2010 b = Francesco Paolo Arata, Osservazioni sulla topografia sacra dell’Arx capitolina, MEFRA 122 (2010), 117–146. Bäumer 1984 = Änne Bäumer, Die Macht des Wortes in Religion und Magie (Plinius, Naturalis Historia 28, 4–29), in: Hermes 112 (1984), 84–99. Bendlin 2006 = Andreas Bendlin, Nicht der Eine, nicht die Vielen : zur Pragmatik religiösen Verhaltens in einer polytheistischen Gesellschaft am Beispiel Roms, in: Reinhard Gregor Kratz / Hermann Spieckermann (Hrsg.), Götterbilder, Gottesbilder, Weltbilder. Bd. II., Tübingen 2006, 297–313.

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Das Kapitol als Klangraum

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ABBILDUNGSNACHWEIS Abb. 1: Bol (2007) Abb. 336 b Abb. 2: Ryberg (1967) Taf. 15 Abb. 14 a. Abb. 3: Lembke (1994b) Taf. 42 Abb. 4: Bol (2010) Taf. 39, a Abb. 5: Langner (2001) Taf. 52, Nr. 1007 Abb. 6: Faust (2012) Taf. 1 Abb. 2 Abb. 7: Gabelmann (1980) 28 Abb. 4 Abb. 8: La Rocca (2009) 233 Abb. IV.5 Abb. 9: Wrede (1991) Taf. 48 Abb. 3 Abb. 10: Fittschen-Zanker (2014) Taf. 115 u. l. Abb. 11: Mertens (1987) 69 Abb. 50 Abb. 12: Stilp (2001) 351 Abb. 23.

APOLLON, BABYLAS UND LEONTIOS: Der Kultraum Daphne zwischen Hellenismus und Spätantike1 Hans-Ulrich Wiemer 1. EINFÜHRUNG: DAPHNE IM „ANTIOCHIKOS“ DES LIBANIOS Im Jahre 356 n. Chr. trug der Sophist Libanios im Rahmen eines Festes, das unter dem Namen Olympien gefeiert wurde, eine Lobrede auf seine Heimatstadt Antiocheia vor. Libanios, der wenige Jahre zuvor den städtischen Lehrstuhl für Rhetorik übernommen hatte,2 überarbeitete und ergänzte den Vortragstext später für eine Verbreitung in schriftlicher Form, auf welcher der uns überlieferte Text beruht.3 Neben einer eingehenden Darstellung der vorrömischen Vergangenheit Antiocheias, die 356 nicht vorgetragen wurde und vielleicht noch gar nicht geschrieben war, enthält die Rede eine ausführliche Beschreibung der Stadt und ihres Umlands. In diesem Zusammenhang kommt der Redner auf den etwa acht Kilometer südlich des ummauerten Stadtgebiets gelegenen Vorort Daphne zu sprechen, der sich auf einem Plateau ca. 250 Meter über dem Meeresspiegel befindet.4 Libanios rühmt den Ort, der heute Harbiye heißt, mit folgenden Worten: „Wer diesen Platz erblickt, der kann nicht umhin, laut zu rufen, zu tanzen und zu springen, zu klatschen und sich selig zu preisen um dieser Schau willen; er wird von der Freude gleichsam beflügelt. Denn bald hier, bald dort entzückt ihn dies, bezaubert ihn jenes, hält ihn jenes gebannt, ein anderes zieht ihn an. Es ist ein einziger Glanz, der die Augen des Betrachters umgibt: das Heiligtum (hieron) des Apollon, das Heiligtum (hieron) des Zeus, das olympische Stadion, ein Theater für jede Art des Entzückens, unzählige Zypressen, mächtig und hoch, schattige Pfade, Schwärme singender Vögel, angenehme Lüfte, ein Duft süßer als Parfum, staunenswerte Grotten, Rebstöcke, die zu Gasthäusern (andrones) hinführen, die Gärten des Alkinoos, die üppige Tafel Siziliens, das Füllhorn der Amaltheia, ein Festschmaus, ein Sybaris. Und welches Bad du auch wählst, dich zu erfrischen, ein noch reizvolleres hast du übersehen. 1

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Ich danke Jan Bremmer, Franz Peter Mittag und Johannes Nollé für Denkanstöße und Hinweise auf Literatur, die mir sonst entgangen wäre. Felix Schmutterer, Christina Storf und Melanie Watzer haben mich bei der Beschaffung von Literatur und Abbildungen unterstützt, Bernhard Kremer, Agnes Luk, Christina Storf und Sabina Walter das Manuskript in verschiedenen Stadien sorgfältig korrigiert. Auch dafür möchte ich mich bedanken. Eine Liste der verwendeten Abkürzungen findet sich am Ende dieses Aufsatzes. Zum Leben des Libanios ausführlich Wintjes 2005; vgl. auch Wiemer 2014, 187–202. Mit Struktur und Genese des Textes, der jetzt in einer griechisch-französischen Ausgabe mit ausführlicher Einleitung und wertvollen Anmerkungen vorliegt (Casevitz/Lagacherie/Saliou 2016), habe ich mich an anderer Stelle beschäftigt: Wiemer 2003. Nach Lib. Ep. 36,2 zirkulierte im Winter 358/9 bereits eine schriftliche Fassung der Rede. Den Zustand während der Ausgrabungen der Princeton University in den späten 1930er Jahren beschreibt Wilber 1938a.

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Hans-Ulrich Wiemer So gut tut dieser Ort dem Körper, daß du ihn nach kurzem Aufenthalt mit wohligerem Gefühl verläßt. Fragt man dich aber, was dich am meisten erquickte, so weißt du es nicht; so sehr liegt das eine mit dem anderen im Wettstreit. Und kein Leiden ist so stark und so unbezwinglich und so hartnäckig, daß Daphne es nicht vertriebe: Kaum hast du den Ort betreten, so weicht der Schmerz. Und wenn die Götter tatsächlich den Himmel verlassen, um auf Erden zu wandeln, dann, so glaube ich, kommen sie hier zusammen, Gemeinschaft zu pflegen, denn es gibt keinen schöneren Aufenthaltsort.“5

Diese panegyrische Ekphrasis schildert Daphne als einen Ort der Entspannung, der Erholung und der Heilung. Ein schattiger Zypressenhain, geschmückt mit prächtigen Bauten, der von einer kühlen Brise durchweht wird, von Vogelstimmen widerhallt und nach Parfüm duftet: Dieser locus amoenus hält den Vergleich mit jedem sprichwörtlichen Ort des Wohlbehagens und des Entzückens aus. Darum der irreale Gedanke: Wenn die Götter tatsächlich auf die Erde niederstiegen, dann kämen sie hierher, nach Daphne. Im historischen Teil der Rede, der für die Veröffentlichung als Buch nachträglich hinzugefügt wurde, sind die Akzente anders gesetzt. Libanios geht dort näher auf die Gründung jenes Apollon-Heiligtums ein, das in der topographischen Beschreibung als erstes in einer Aufzählung von Bauwerken erscheint, die den unwiderstehlichen Zauber Daphnes ausmachen.6 Libanios erzählt dort, schon der Gründer Antiocheias, der Diadoche Seleukos, habe Daphne dem Gott Apollon geweiht, dort einen heiligen Bezirk (temenos) abgegrenzt, einen Hain (alsos) von Zypressen gepflanzt und einen Tempel (neos) errichtet.7 Um diesen Entschluss zu motivieren, rekurriert Libanios auf die berühmte, ursprünglich in Arkadien beheimatete Geschichte, derzufolge Apollon sich in ein Mädchen namens Daphne verliebt habe, das sich seiner Zudringlichkeit nur dadurch zu entziehen vermochte, daß es sich in einen Lorbeerbaum, der im Griechischen ja ebenfalls Daphne heißt, verwandelt habe.8 Seleukos nämlich habe bei einem Ausritt eine goldene Pfeilspitze gefunden, welche durch ihre Aufschrift zu erkennen gab, daß sie Apollon gehörte. Der Diadoche habe den Sinn dieses Zeichens sogleich erkannt – er sollte den Ort als Heiligtum des Phoibos Apollon ehren und achten –, und sei in dieser Deutung durch die Erscheinung einer freundlichen Schlange noch zusätzlich bestätigt worden.

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Lib. Or. 11,236A-237. Lib. Or. 11,94-100. Bereits Pompeius Trogus schrieb die Gründung des heiligen Hains von Daphne Seleukos I. zu, wie aus dem Exzerpt bei Iustinus 15,4,8 hervorgeht: et urbem ex Antiochi patris nomine Antiochiam vocavit et campos vicinos urbi Apollini dicavit (sc. Seleucus); vgl. Malal. 8,19,204. Antiocheias Beiname ἡ ἐπὶ Δάφνῃ war schon im frühen Hellenismus gebräuchlich: Habicht 1992. Der syrische Daphne-Mythos begegnet erstmals bei Pausanias 8,20,2; vgl. Philostr. V.Apoll. 1,16,1–2. In der Spätantike gehörte er zum Bildungswissen griechischer Eliten und wurde gerne in der Schule behandelt: Lib. Dih. 17; Ethop. 11; Nicol. Dam. Progymn. 10; Ps.-Nonnos, Fab. 18 (Kommentar zu Greg. Naz. Or. 5,32). Vgl. auch Chrys. De S. Bab. c. Iul. 68; Philost. Hist. eccl. 7,8a,4 = Art. Pass. 51; Soz. Hist. eccl. 5,19,6 f.; Thdt. Graec. Cur. Aff. 7,9; Sev. Ant. Hom. 50, PO XXXV, 362 f.; Hom. 95, PO IV, 539.

Apollon, Babylas und Leontios

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Schließlich habe auch das Orakel von Didyma bekräftigt, daß Daphne künftig Apollon als heiliger Ort gehören solle.9 Diese mit traditionellen Topoi fabrizierte Gründungsgeschichte erklärt nicht allein, wie der Zypressenhain von Daphne zu seinem Namen gekommen war;10 sie bringt vor allem unmißverständlich zum Ausdruck, was in der zitierten topographischen Beschreibung Daphnes allenfalls angedeutet wird: die enge und in den Augen des Redners unauflösliche Beziehung zwischen diesem Ort und dem Gott Apollon. Tatsächlich war dessen an der Wende vom vierten zum dritten Jahrhundert v. Chr. gegründetes Heiligtum über sechs Jahrhunderte hinweg der berühmteste Kultraum Antiocheias gewesen – bis Constantin der Große innerhalb des ummauerten Stadtgebiets eine große Kirche auf oktogonalem Grundriß errichten ließ,11 die im Jahre 341 n. Chr. – also 15 Jahre, bevor Libanios bei den Olympien des Jahres 356 das Wort ergriff – im Rahmen einer Bischofsversammlung feierlich eingeweiht worden war.12 Damals herrschte im Osten des römischen Reiches Constantius II., ein Sohn Constantins, der seinem Vater 337 nachgefolgt war. Seitdem verfügten auch die Christen Antiocheias über ein monumentales Kultgebäude, das es mit dem Tempel des Apollon von Daphne aufnehmen konnte. In Libanios’ „Antiochikos“ wird diese Kirche indessen mit keinem Wort erwähnt; die Rede ignoriert geflissentlich alles, was den Eindruck stören könnte, die Antiochener verehrten auch im Jahre 356 n. Chr. noch einmütig dieselben Götter, die schon von den Gründern ihrer Stadt verehrt worden waren. Der „Antiochikos“ zielt darauf ab, eine kulturelle Tradition zu verteidigen, die Libanios als bedroht empfand, weil sie für ihn von der Religion der Vorväter nicht zu trennen war. Wie es seiner beruflichen Stellung, aber auch seinem Temperament entsprach, hat er sein Bekenntnis zu dieser Tradition freilich je nach Adressatenkreis in einer Weise dosiert, die Anstoß vermeiden sollte. Libanios konnte nicht ahnen, daß der Tempel des Apollon in Daphne nur wenige Jahre später, am 22. Oktober 362, durch einen Brand weitgehend zerstört werden würde. Dieses aufsehenerregende Ereignis fiel in die spannungsreichen Monate, als Kaiser Julian in Antiocheia residierte, und damit in die Hochphase der von ihm betriebenen Restauration und Reformation traditioneller Kulte. Nur wenige Tage vor dem Brand waren die Gebeine eines Märtyrers namens Babylas, die in einem Kultgebäude in der Nähe des Apollon-Heiligtums aufbewahrt wurden, auf Befehl Julians wieder auf den städtischen Friedhof zurückgebracht worden, wo sie sich ursprünglich befunden hatten. Der Brand wurde darum bereits zu Lebzeiten   9 Die frühen Seleukiden waren eng mit dem milesischen Apollon-Heiligtum von Didyma verbunden: Günther 1971, 23–95. 10 Zu den Gründungslegenden neben Wiemer 2003, 450 f. vor allem Saliou 2003. 11 Die seit Eltester 1934, 258–263; Downey 1961, 346–349 übliche Lokalisierung der „Großen Kirche“ Antiocheias auf der Orontes-Insel (zuletzt Poccardi 1994, 1005–1014) wird neuerdings bestritten: Saliou 2000; Mayer/Allen 2012, 73; Saliou 2014b, 128 Anm. 41. Die Frage hängt an der Interpretation des topographischen Mosaiks von Yakto (dazu unten Anm. 194), die ihrerseits umstritten ist und hier nicht diskutiert werden kann. Nach Thdt. Hist. eccl. 5,37,4 lag die Kirche jedenfalls in der Nähe des Flusses. 12 Datierung nach Hieron. Chron. 2342 (a. 327); 2358 (a. 342); Theoph. I 28,19 f. Vgl. Mayer/ Allen 2012, 69 f. Anm. 107; Saliou 2014b, 130 f.

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dieses Kaisers, noch mehr aber nach dessen frühem Tode am 26. Juni 363, Gegenstand einer Polemik zwischen Heiden und Christen, die Antworten auf die Frage nach Ursache und Sinn des Vorgangs zu geben versuchten. Dieser Aufsatz wird sich zum einen mit der Frage beschäftigen, wie sich die Funktion und der Stellenwert des Heiligtums im Laufe seiner fast siebenhundertjährigen Geschichte veränderte. Welche Rolle spielte das Apollon-Heiligtum für Antiocheia ? Welcher Platz kam ihm innerhalb der sakralen Topographie der Stadt zu ? Der dramatische Konflikt des Jahres 362 ist schon mehrfach behandelt,13 die Geschichte des Heiligtums davor jedoch kaum beachtet worden. Insbesondere die hellenistische Periode führt in Glanville Downeys bis heute grundlegender Stadtgeschichte ein Schattendasein.14 Tatsächlich gewähren Autoren, Inschriften und Münzen jedoch wertvolle Informationen. Zum anderen wird dieser Aufsatz die Polemik verfolgen, die heidnische und christliche Autoren über diesen Konflikt führten. Die Forschung hat sich bislang auf Julian, Libanios und Johannes konzentriert; die Kirchenhistoriker des 5. Jahrhunderts wurden lediglich als Quellen für die Ereignisgeschichte herangezogen, die Autoren des 6. Jahrhunderts so gut wie gar nicht berücksichtigt. Hier soll die Geschichte Daphnes als Kultraum und Erinnerungsort bis zur persischen Eroberung im frühen 7. Jahrhundert n. Chr. verfolgt werden. Dabei geht es um die Frage, welche Wirkungen das Ende des Opferkultes tatsächlich zeitigte: Kann man von einer „Christianisierung“15 Daphnes in der Spätantike sprechen? 2. DAS APOLLON-HEILIGTUM IM HELLENISMUS Das Apollon-Heiligtum von Daphne kann zwar recht genau lokalisiert werden – es muß in der Nähe der insgesamt fünf Quellen gelegen haben, die bis heute reichlich sprudeln –, konnte aber trotz der Ausgrabungen in den 1930er Jahren bislang nicht gefunden werden. Der Tempel stand inmitten eines gewaltigen Hains von Zypressen, dessen Umfang auf 80 Stadien, etwa 16 km, beziffert wird.16 In der hohen Kaiserzeit zeigte man Besuchern den Lorbeer-Baum, in den sich das Mädchen Daphne verwandelt hatte. Ein Wasserlauf war zudem nach ihrem Vater Ladon be-

13 Zuletzt von Rist 2005; Soler 2006, 56–65; Todt 2008; Rist 2010. Die 1984 an der Universität Paris IV angenommene Dissertation von Bernadette Cabouret „Le culte d’Apollon à Daphne près d’Antioche. Étude d’archéologie et d’histoire“ ist ungedruckt geblieben und nur als Microfiche zugänglich. 14 Downey 1961. Eine Gruppe französicher Forscherinnen und Forscher arbeitet seit einigen Jahren daran, Downeys Standardwerk für den Bereich der Topographie zu ersetzen; die Beiträge eines 2010 veranstalteten Workshops über „Les sources de l’histoire du paysage urbain d’Antioche sur l’Oronte“ sind im Internet veröffentlicht: Saliou 2012. Viele Fragen der Topographie Antiocheias, die lange als geklärt galten, sind dadurch wieder offen. Vgl. auch Saliou 2014a. 15 Zu diesem schwierigen Begriff Leppin 2012. 16 Strab. 16,2,6: κύκλος δὲ τοῦ ἄλσους ὀγδοήκοντα στάδιοι.

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nannt.17 Wie das Heiligtum von seiner Umgebung abgegrenzt war, ist nicht überliefert. Der Tempel selbst wird häufig, aber stets beiläufig erwähnt.18 Man muß sich daher mit der Feststellung begnügen, daß es sich um einen monumentalen Peripteros handelte. Ausführlich beschrieben wird allein die kolossale Kultstatue des Apollon, die als Werk des athenischen Bildhauers Bryaxis galt; sie stellte den Gott stehend, im Chiton, mit einer Kithara und einer Opferschale dar.19 Auf der Rückseite einer Silbermünze, die der Seleukide Antiochos IV. (175–164) prägen ließ, ist diese Kultstatue abgebildet:20

Abb. 1: Tetradrachme Antiochos’ IV. mit Apollon von Daphne auf der Rückseite.

17 Arrian FGrHist 156 F 87: Ἐν Δάφνῃ τῇ πρὸς Ἀντιοχείᾳ ἄλσος τι ἱερὸν Ἀπόλλωνος, καὶ αὐτὴ ἐκείνη ἡ δάφνη δείκνυται, ἥν τινες γῆθεν ἀνασχεῖν λέγουσιν ἐπὶ τῇ Δάφνῃ τοῦ Λάδωνος, ἣ φεύγουσα τὸν ἐραστὴν Ἀπόλλωνα ηὔξατο τὸν ὑπὸ γῆν ἀφανισμὸν, καὶ ἔτυχε τῶν εὐχῶν; Philostr. V.Apoll. 1,16,1; vgl. Lib. Or. 11,94. 18 Auf einem aus Caesarea Maritima stammenden Bronzebecher mit lateinischen Beischriften, der sich heute im Louvre befindet und auf das 4. Jahrhundert n. Chr. datiert wird, ist Apollon sitzend vor einem Tempel dargestellt. Will 1983, 8–10 mit Abb. 6 (akzeptiert von Mundell Mango 1995, 277 f.) deutet die Szene plausibel als Konsultation eines Apollon-Orakels vor der ersten Gründung der Stadt unter dem Namen Stratonos Pyrgos (vgl. Nov. Just. 103 pr.). Ob der Künstler sich den Apollon-Tempel in Daphne zum Vorbild nahm, ist jedoch ganz unsicher. 19 Die Kultstatue beschreiben Lib. Or. 60,11 (dazu Nock 1962) und Philost. 7,8a = Artemii Passio 52. Amm. 22,13,1 vergleicht die Kultstatue irrtümlich mit dem Zeus des Phidias in Olympia. Georgios Kedrenos (I 576), ein Autor des 11. Jahrhunderts, überliefert die Nachricht, daß sie ein Werk des Bildhauers Bryaxis gewesen sei, der auch ein Porträt des Seleukos geschaffen haben soll: Plin. Nat. Hist. 34,19. 20 Lacroix 1949a, 319 f. mit Taf. XXVIII 7; Lacroix 1949, 174 mit Taf. IV 10; Le Rider 1999, Nr. 552–561; Houghton/Lorber 2008, Nr. 1401. Die Deutung als Abbild der Kultstatue beruht auf dem Standmotiv und seiner Wiederholung auf kaiserzeitlichen Bronzemünzen Antiocheias (dazu unten Anm. 86). Auf der Vorderseite erscheint Apollon im Lorbeerkranz. Da nur 10 Exemplare bekannt sind, dürfte es sich um eine „Festprägung“ aus dem Jahr 166 handeln; dazu unten Anm. 28.

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In der Cella des Tempels erinnerten Statuen noch zur Zeit des Libanios an „die Gründer“ (ktistai) des Heiligtums, zu denen neben Seleukos I. wohl auch spätere Seleukiden gerechnet wurden.21 Der Apollon von Daphne trug im Hellenismus wie seine Schwester den Beinamen Daittes; dieser ist freilich nur ein einziges Mal belegt und kann nicht sicher erklärt werden.22 Über die Kultpraxis machen die Quellen ebenfalls nur vage Angaben. Natürlich gab es Opfer, Gebete und Prozessionen, aber die Einzelheiten entgehen uns. Vermutlich erteilte der Apollon von Daphne von Anfang an Auskünfte über die Zukunft, auch wenn sein Orakel erst zu der Zeit erwähnt wird, als es bereits verstummt war.23 Es gibt Indizien, daß die Absicht, dem Apollon-Heiligtum von Delphi Konkurrenz zu machen, bei der Gründung eine Rolle spielte: Der Ortsname Daphne verweist auf das Wahrzeichen des Gottes von Delphi; vor allem aber erinnert der Name der Quelle, durch die der Gott in Daphne sprach, an das Heiligtum am Fuß des Parnass, wo ebenfalls eine Quelle namens Kastalia existierte.24

Abb 2: Die Quelle Kastalia auf dem topographischen Mosaik von Yakto; mittig ein Nymphäum mit Beischrift ΚΑΣΤΑΛΙΑ

21 Lib. Or. 60,12: οἰκιστῶν εἰκόνας. Zu diesen οἰκισταί gehörte vielleicht Antiochos IV., den Amm. 22,13,1 (zitiert unten Anm. 153) als Bauherrn des Tempels bezeichnet. 22 Welles 1934, Nr. 44, Z. 21 f.: τοῦ Ἀπόλλωνος | [κ]αὶ τῆς Ἀρτέμιδος τῶν Δαιττῶν; das Epitheton begegnet fast gleichzeitig in einer Freilassungsurkunde aus Susa (SEG 7, Nr. 17 = I.EstremoOriente 190 = CII II, 1, 13, Z. 6): Ἀπόλλωνι καὶ Ἀρτέμιδι Δαίτταις. 23 Zum Orakel des Apollon von Daphne Cabouret 1994. Busine 2005 geht in ihrer umfangreichen Studie über die Apollon-Orakel der Kaiserzeit und Spätantike nur beiläufig (231) darauf ein. 24 Zur Rolle des Lorbeers im Apollon-Heiligtum von Delphi Weniger 1919, 16–31; zu seinem Orakel Fontenrose 1978. Die Quelle Kastalia diente in Delphi jedoch nicht wie in Daphne als Indikator des göttlichen Willens.

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Immerhin gestatten uns Inschriften und verstreute Bemerkungen bei antiken Autoren, die Administration und Funktion des Apollon-Heiligtums in seiner Frühphase einigermaßen zu bestimmen: Solange im nördlichen Syrien Seleukiden regierten, war Daphne königlicher Kontrolle unmittelbar unterstellt. Ein Brief Antiochos’ III. aus dem Jahr 189 belegt, daß das Heiligtum des Apollon damals Teil eines Ensembles von Heiligtümern war, die durch einen vom König bestellten Amtsträger kontrolliert wurden; dieser Amtsträger trug den Titel archiereus und war für Apollon und Artemis Daittai „sowie die anderen Heiligtümer (hiera), deren heilige Bezirke (temenê) sich in Daphne befinden“, zuständig.25 Er amtierte auf Lebenszeit und besaß eine Art Weisungsbefugnis gegenüber dem Kultpersonal der einzelnen, in Daphne befindlichen Heiligtümer.26 Artemis wurde in Daphne ursprünglich gemeinsam mit Apollon verehrt, erhielt aber bereits unter den Seleukiden einen eigenen Tempel, der wie der Tempel des Apollon eine königliche Stiftung war.27 Daphne diente den Seleukiden bis zum Ende der Dynastie im Jahre 63 v. Chr. als bevorzugter Ort zur Repräsentation ihrer Herrschaft. Die von Polybios beschriebene, aufsehenerregende Parade, die Antiochos IV. im Jahre 166 im Rahmen eines in Daphne gefeierten, panhellenischen Festes veranstaltete, ist dafür das bekannteste Beispiel.28 Bei dieser Gelegenheit ließ dieser König Tetradrachmen ausbringen, deren Rückseite ein Abbild der Kultstatue schmückte.29 Poseidonios berichtete in seinem Geschichtswerk von den prächtigen Gelagen, die drei Generationen später Antiochos VIII. in Daphne veranstaltete.30 25 Welles 1934, Nr. 44, Z.21–41: [ἐ]πειδή, τῆς ἀρχιερωσύνης τοῦ Ἀπόλλωνος | [κ]αὶ τῆς Ἀρτέμιδος τῶν Δαιττῶν καὶ τῶν | ἄλλων ἱερῶν ὧν τὰ τεμένη ἐστὶν ἐπὶ τῆς | Δάφνης προσδεομένης ἀνδρὸς φίλου, δ[υ̣]|νησομένου δὲ προστῆναι ἀξίως τῆς ὑ̣|πὲρ τῆς τοῦ τόπου σπουδῆς ἣν ἔσχον οἵ τε πρόγονοι καὶ ἡμεῖς καὶ τῆ̣ς ἐξ ἡμῶν πρὸς τὸν θεῖον εὐσεβείας, ἀποδεδ̣είχαμεν αὐτὸν ἀρχι̣|ερέα τούτων, πεπε̣ισμέ̣νοι τὴν περὶ τὰ ἱερὰ̣ | ἐξαγωγὴν μάλιστ’ ἂν διὰ τούτου συν|τελεσθήσεσθαι δεόντως. σύνταξον | ἔν τε τοῖς χρηματισμοῖς καταχωρίζειν | αὐτὸν ἀρχιερέα τῶν | δεδηλωμένων ἱερῶν̣ | καὶ προτιμᾶν τ̣ὸν ἄνδρα ἀξίως τῆς ἡμε|τέρας κρίσεως καὶ ἐὰν εἴς τινα παρακαλῆ̣[ι] | τῶν ἀνηκ̣όντων εἰς ταῦτα συνεπιλαμ̣|βάνεσθαι τοῦς τε πρὸς τοῖς ἱεροῖς γενομέ|νους καὶ τοὺς ἄλλους οὗς καθήκει πε̣[ι]|θάρχειν αὐτοῦ συστῆσαι, παραγγείλαν|τας ὑπακούειν περὶ ὧν ἂν γράφηι ἢ συντά[σ]|σηι. Vgl. den 20 Jahre früher verfaßten Brief Antiochos’ III. über die Ernennung des Nikanor zum archiereus sämtlicher Heiligtümer in den Gebieten jenseits des Tauros: SEG 37, Nr. 1010. 26 Zum ἀρχιερεύς im Reich der Seleukiden grundlegend Müller 2000, 526–537; seit kurzem wissen wir, daß diese Behörde auch in Syrien und Phönizien existierte: SEG 57, Nr. 1838. 27 Malal. 10,9,234: Ἀντίοχος ὁ βασιλεὺς πάλιν ὁ λεγόμενος Φιλάδελφος ἔκτισεν ἔξω τῆς πόλεως πολλά· ὅστις καὶ ἐν Δάφνῃ ἔκτισεν ἐν τῷ ἄλσει ἱερὰ δύο Ἀπόλλωνος καὶ Ἀρτέμιδος, στήσας ἐν αὐτοῖς ἀγάλματα δύο χρυσᾶ, παρασχὼν προνόμια τοῖς καταφεύγουσιν ἐκεῖ πρὸς τὸ μὴ ἐκβάλλεσθαί τινα ἐκ τῶν αὐτῶν ἱερῶν. Downey 1961, 130 f. bemerkt mit Recht, daß Malalas mit dem Verb κτίζω hier wie an vielen anderen Stellen seines Werks die Reparatur oder Renovierung eines bereits existierenden Bauwerks meint, denn Antiochos XI. regierte kaum ein Jahr und hatte daher keine Zeit, aufwändige Baumaßnahmen durchzuführen. 28 Athen. 5,24,194C–195D + Diod. 31,16,2 = Pol. 30,25,1–26,4; dazu zuletzt Mittag 2006, 282– 295 (mit weiteren Hinweisen). 29 Vgl. oben Anm. 20. 30 Poseidonios FGrHist 87 F 21a = Athenaios 5, 540A/B. Die Episode wird von Ehling 2008, 216 in die „ruhigen Jahre zwischen 121 und 113“ datiert.

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Bei einem Fest, das offenbar im Abstand von zwei Jahren in Daphne gefeiert wurde, trat die Dynastie selbst als Veranstalter hervor: Livius erwähnt zum Jahr 195 beiläufig, Antiochos, der Sohn und Mitregent Antiochos’ III., habe in Daphne Wettbewerbe veranstaltet.31 Eine Generation später ist Antiochos IV. inschriftlich als Agonothet in Daphne belegt.32 Im Jahre 198/7 ehrten die Mitglieder einer Festgesandtschaft Theophilos aus Seleukeia nach vollendeter Agonothesie wegen der Großzügigkeit und des Wohlwollens, die er Antiochos III., seiner Familie und ihnen selbst erwiesen hatte, durch die Errichtung einer Stele, die in Antiocheia gefunden wurde.33 Die Dedikanten verzichteten auf die Angabe ihrer Herkunft, weil die Ehrung einem Mitbürger galt, der sich bei dem von ihnen besuchten Fest als Agonothet ausgezeichnet hatte. Dieses Fest scheint in Daphne gefeiert worden zu sein; ein Priestertum des Apollon von Daphne ist in Seleukeia inschriftlich belegt.34 Demnach traten in Daphne auch Personen als Agonotheten hervor, die der königlichen Familie nicht angehörten und Bürger griechischer Städte waren; ob sie dabei selbständig oder im Auftrag der Dynastie handelten, ist kaum zu entscheiden. Da Strabon für die Zeit nach dem Ende der Seleukiden davon spricht, daß die Antiochener und ihre Nachbarn in Daphne ein Fest zu feiern pflegten,35 umschloß der Teilnehmerkreis wohl zumindest die syrische Tetrapolis, die untereinander und mit den Seleukiden besonders eng verbunden war;36 neben Antiocheia und Seleukeia waren also wohl auch Laodikeia und Apameia beteiligt. Ob der Teilnehmerkreis darüber hinausreichte, läßt sich nicht sagen. Ein Beschluß der delphischen Amphiktionie, von dem sich nur geringe Reste erhalten haben, könnte darauf hindeuten, daß das in Daphne gefeierte Fest an der Wende vom dritten zum zweiten Jahrhundert von Festgesandtschaften aus dem griechischen Mutterland besucht wurde.37

31 Liv. 33,49,6: filiumque eius sollemne ludorum ad Daphnen celebrantem. Livius schöpfte diese Information aus Polybios. 32 OGIS 248, Z.50 f.: ἐν οἷς (sc. ἀγῶσιν) ὁ βασιλεὺς Ἀντίοχος ἐπὶ Δάφνει θήσει. 33 Robert/Robert 1965, Nr. 436: […]έδημος ὁ ἀρχι[θέωρος | καὶ ο]ἱ θεωροὶ Θεόφιλον Διογέ[νους | Σελ]ευκέα ἀπὸ Πιερίας | [συν]αγωνοθετήσαντα ἐν τῷ ει′ κα[ὶ ρ ἔτει | φιλ]οτιμίας ἔνεκεν καὶ εὐνοίας | [τ]ῆς εἰς βασιλέα μέγαν Ἀντίοχο[ν | κ]αὶ Ἀντίοχον τὸν υἱὸν | [κ]αὶ βασίλισσαν Λαοδίκην | [κ]αὶ τὰ παιδία καὶ αὐτούς. Die Roberts ergänzen in Z. 4 wohl mit Recht [συν] αγωνοθετήσαντα statt [τὸν] ἀγωνοθετήσαντα in der editio princeps, deren Ergänzung SEG 36, Nr. 1280 ohne Begründung übernimmt. Der Geehrte war demnach nur einer unter mehreren Agonotheten. Die Identifikation mit dem von Polybios (5,69,4; 79,6; 82,11) erwähnten Menedemos von Alabanda ist willkürlich und daher abzulehnen. 34 OGIS 245 = SEG 35, Nr. 1521A, Z.7 f. 35 Strab. 16,2,6: Ὑπέρκειται δὲ τετταράκοντα σταδίοις ἡ Δάφνη, κατοικία μετρία, μέγα δὲ καὶ συνηρεφὲς ἄλσος διαρρεόμενον πηγαίοις ὕδασιν, ἐν μέσῳ δὲ ἄσυλον τέμενος καὶ νεὼς Ἀπόλλωνος καὶ Ἀρτέμιδος. ἐνταῦθα δὲ π αν η γ υ ρ ί ζ ε ι ν ἔ θο ς τ ο ῖ ς Ἀ ν τ ι ο χ ε ῦ σ ι καὶ τοῖς ἀ στ υγεί τοσι · 36 Seyrig 1970; Capdetrey 2007, 59–76; 246–248; Kosmin 2014, 106–115. 37 SEG 46, Nr. 557 = CID IV 98, datiert auf 201/200. Im Text werden König Antiochos (A, Z. 4; B. B, Z. 1 + 10) und Königin Laodike (B, Z. 10), Ehren für Apollon als ἀρχηγός der Seleukiden (A, Z. 13 f.), die ἀσυλία eines Heiligtums (A, Z. 16), und ein penteterisches Fest (B, Z. 2) erwähnt. Die Verbindung mit dem Fest von Daphne geht auf Robert/Robert 1955, Nr. 122 zurück.

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Das Apollon-Heiligtum von Daphne spielte in seleukidischer Zeit demnach zwar gewiß eine erhebliche Rolle für den Festkalender und das Selbstverständnis Antiocheias, war aber kein städtisches Heiligtum. Es unterstand königlicher Kon­ trolle und wurde von Agonotheten ausgerichtet, die keineswegs immer, vielleicht nicht einmal überwiegend, Bürger Antiocheias waren. Auch in den Gründungslegenden, die wohl aus hellenistischer Zeit stammen, auch wenn sie erst bei Libanios und Malalas überliefert sind, erscheint Daphne als königliche Gründung.38 Als die Antiochener in der turbulenten Endphase seleukidischer Herrschaft, im Jahre 92/1, das Recht erhielten, eigene Bronzemünzen zu prägen, verwendeten sie daher ganz überwiegend das Bild des Zeus und nicht dasjenige des Apollon.39 Die ambivalente Stellung des Apollon-Heiligtums von Daphne zwischen der Polis Antiocheia und der Dynastie der Seleukiden spiegelt die besondere Rolle Antiocheias als seleukidische Residenz wider; die Bürger Antiocheias und die Könige aus dem Haus der Seleukiden waren aufeinander angewiesen. Eine ähnliche Konstellation bestand bis zum Ende der Attaliden in Pergamon. Auch dort veranstalteten Polis und Dynastie gemeinsam ein großes Fest,40 und auch dort amtierte ein archiereus, der vom König mit der Aufsicht über eine Vielzahl von Heiligtümern beauftragt war.41 Als die Macht der Seleukiden schwand, erlangten die Antiochener für das Heiligtum von Daphne das Privileg der asylia, das damit förmlich als unverletzlich anerkannt wurde.42 Strabon bezeichnet Daphne als „mittelgroße Siedlung“ (katoikia metria) und erklärt, in seiner Mitte liege ein heiliger Bezirk, der als Ort des Asyls anerkannt sei (asylon temenos).43 Wenn man Malalas trauen darf,44 erhielt das Heiligtum dieses Recht von Antiochos XI. Epiphanes Philadelphos, der Antiocheia nur für kurze Zeit, im Jahre 93 v. Chr., beherrschte.45 Auf Bronzemünzen, die in den Jahren 48/7 bis 41/40 geprägt wurden, trägt die Stadt darum die Titel „heilig, unverletzlich und autonom“ (mêtropolis hiera kai asylos kai autonomos).46 Die enge Verbindung zwischen Kult und königlicher Macht wurde gelöst, als Pompeius die Herrschaft der Seleukiden im Jahre 64 v. Chr. endgültig beende-

38 Lib. Or. 11,94; Malal. 8,19,204. 39 Newell 1919 mit den chronologischen Korrekturen von Seyrig 1950, 5–15. 40 OGIS 248, Z. 48 f. mit Holleaux 1900 (gemeinsame Veranstaltung der Nikephoria); vgl. Rigsby 1996, 362–377; Wiemer 2009, 127–131. Die Nikephoria waren allerdings nicht trieterisch, sondern penteterisch. 41 Zum archiereus als königlichem Kultfunktionär in hellenistischen Monarchien grundlegend Müller 2000 (zu den Attaliden 519–526; 539–542). Seitdem ist mit SEG 52, Nr. 1197A, Z. 9 f. ein weiteres Zeugnis hinzugekommen; dazu Müller/Wörrle 2002, 220 f. 42 Grundlegend Rigsby 1996, 496–499. 43 Strabon 16,2,6 (zitiert oben Anm. 35). 44 Malal. 10,9,234 (zitiert oben Anm. 27). 45 Nach 2. Makk. 4,33 f. suchte der jüdische Hohepriester Onias im Jahre 170 im Apollon-Tempel vergeblich Schutz vor seinen Häschern, ἀποκεχωρηκὼς εἰς ἄσυλον τόπον. Der jüdische Historiograph scheint hier jedoch die Terminologie des ptolemäischen Ägypten auf einen griechischen Tempel zu übertragen. Vgl. auch Iust. 27,1: Beronice, cum ad se interficiendam missos didicisset, Daphinae se claudit. 46 Newell 1919, 86.

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te.47 Die Auswirkungen für Daphne sind in den Quellen schwer zu greifen. Eutropius und Festus berichten in ihren vier Jahrhunderte später verfaßten Kurzdarstellungen römischer Geschichte nach gemeinsamer Quelle, Pompeius habe den heiligen Hain von Daphne, „beeindruckt von der Lieblichkeit des Ortes und der Fülle an Wasser“, vergrößert.48 In der fast zeitgleichen „Chronik“ des Hieronymus heißt es, er habe diesen Hain Apollon geweiht.49 Im Zuge der Einrichtung der Provinz Syria kamen die Heiligtümer Daphnes unter städtische Regie. Die Antiochener prägten zwischen 5/4 und 2/1 v. Chr. eine Serie von Bronzemünzen, die Augustus als archiereus gewidmet war.50

Abb. 3: Bronzemünze der Antiochener mit Augustus als archiereus auf der Vorderseite

Der Titel archiereus, der später zum Monopol städtischer und provinzialer Kaiserpriester wurde, bezeichnet in diesem Fall ein städtisches Priestertum, das Augustus in absentia übernommen hatte. Da Augustus nicht mit dem Kult seiner eigenen Person beauftragt werden konnte,51 muß das Amt andere Aufgaben gehabt haben: 47 Will 1982, 505–516, bes. 508–512; Ehling 2008, 256–277, bes. 272 ff. Zur Einrichtung der Provinz Syria jetzt Vitale 2013, 29–41. 48 Eutr. 6,14,2: Aliquantum agrorum Daphnensibus dedit, quo lucus ibi spatiosior fieret, delectatus loci amoenitate et aquarum abundantia; Fest. Brev. 15: Rediens apud Antiochiam Daphnensem lucum, delectatus loci amoenitate et aquarum abundantia addito nemore consecravit. 49 Hieron. Chron. 1949: Lucus Dafnensium iuxta Antiochiam a Pompeio Apollini consecratur. Hieronymus’ Datierung führt freilich auf das Jahr 68 v. Chr. 50 RPC I, Nr. 4250 f.; 4255–4259; Butcher 2004, 325–327. Die Serie wurde unter der Statthalterschaft des Quinctilius Varus von 5/4 bis 2/1 v. Chr. geprägt; auf der Vorderseite steht das Porträt des Augustus im Lorbeerkranz mit der Legende ΚΑΙΣΑΡΙ/ΣΕΒΑΣΤΩ/ΑΡΧΙΕΡΕΙ, auf der Rückseite ein Kranz mit der Legende ΑΡΧΙΕ/ΡΑΤΙΚΟΝ/ΑΝΤΙΟΧΕΙΣ und einer Datierung nach der Ära von Actium. 51 Butcher 2004, 326 läßt offen, worin die Aufgaben dieses archiereus bestanden: „it seems to commemorate a civic High Priesthood bestowed on Augustus by the Antiochenes“.

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Offenkundig hatte das ursprünglich königliche Amt des archiereus wie in Pergamon so auch in Antiocheia das Ende der Monarchie überdauert, und hier wie dort dürfte es eine Oberaufsicht über alle oder die wichtigsten Kulte der Stadt beinhaltet haben. Zu diesen gehörte zweifellos auch das Heiligtum des Apollon von Daphne, das dem seleukidischen archiereus unterstanden hatte und für Augustus wegen seiner Affinität zu Apollo besonders attraktiv gewesen sein muß, da dieser seinen Sieg bei Actium auf den Beistand Apollons zurückführte.52 Strabon nennt Daphne den Ort, wo „die Antiochener und ihre Nachbarn zu feiern“ (panêgyrizein) pflegten. Tatsächlich ist in Inschriften, die siegreiche Athleten ehren, etwa seit der Zeitenwende ein Agon fassbar, der alle vier Jahre in Antiocheia veranstaltet wurde; er war also penteterisch. Dieser Agon dürfte im ersten Jahrhundert nach Christus an diesem Ort der einzige gewesen sein; andernfalls hätte man nicht darauf verzichtet, ihn durch seine Benennung von anderen zu unterscheiden.53 Daß er einmal Kaisareia genannt wird,54 deutet darauf hin, daß er Augustus gewidmet war, der ja in absentia zeitweise ein Priestertum der Polis Antiocheia verwaltete. Seit den Flaviern profitierte Daphne von Baustiftungen römischer Kaiser. Titus ließ dort ein Theater errichten, das ausgegraben werden konnte; es faßte etwa 6.000 Zuschauer und konnte bei Bedarf unter Wasser gesetzt werden.55 Hadrian vollendete einen Aquädukt, den sein Vorgänger Trajan begonnen hatte, und ließ an den Quellen von Daphne ein Heiligtum der Nymphen errichten.56 Davon abgesehen, haben römische Kaiser in Daphne jedoch vor Diokletian keine Kultbauten errich-

52 Habicht 1969, 132 f., der das an den ἀρχιερεύς Euthydemos adressierte Memorandum des Priesters Kadoas (SEG 46, Nr. 1519) noch nicht kannte, nahm an, daß der pergamenische archiereus nach dem Ende der Monarchie ein städtisches Oberpriestertum innehatte. Dagegen meint Frija 2010, 292–298, Diodoros Pasparos und Mithridates Sohn des Menodotos, für die der Titel ἀρχιερεὺς καὶ διὰ γένους ἱερεὺς τοῦ Διὸς τοῦ μεγίστου (Belege bei Müller 2000, 541 Anm. 118–120) bzw. ἀρχιερεὺς καὶ διὰ γένους ἱερεὺς τοῦ καθηγεμόνος Διονύσου (Belege ebd. 519 Anm. 4) bezeugt ist, seien für den Kult der Attaliden zuständig gewesen (295); sie räumt aber ein, daß ihr Portfolio auch andere Kulte eingeschlossen haben könne (298). Da Euthydemos der Nachfolger des seleukidischen ἀρχιερεύς Nikanor war, der nach SEG 37, Nr. 1010 sämtliche Heiligtümer jenseits des Tauros beaufsichtigte, ist die Alternative falsch gestellt. Gegen die Verbindung mit dem Herrscherkult spricht, daß die in Pergamon belegten Priester attalidischer Herrscher nicht ἀρχιερεὺς, sondern ἱερεὺς heißen: Hamon 2004, bes. 182. Überdies amtierte zur Zeit des zweiten Triumvirats in Ephesos ein ἀρχιερεὺς γραμ(ματεύς), der schwerlich für den Kult der Triumvirn zuständig war: RPC I, Nr. 2570–2574. Beispiele für ἀρχιερεῖς bzw. ἀρχιέρειαι ohne Verbindung zum Kult hellenistischer Herrscher oder römischer Kaiser finden sich im späten Hellenismus und der frühen Kaiserzeit auch in Philadelpheia in Lydien (RPC I, S. 491, 1. Jh. v. Chr. ?), Magnesia am Mäander (I.Magnesia 221, 1. Jh. v. Chr. ?), Herakleia Salbake (CIG III 3953d = Robert/Robert 1954, Nr. 69, Lesung unsicher) und Synnada (IGRR IV 708). 53 Über die Agone Antiocheias grundlegend Remijsen 2010, 421–428. 54 SER 66a. 55 Malal. 10,45,261. Zum archäologischen Befund Wilber 1938b; Traversari 1960, 23–27; Berlan-Bajard 2006, 225–235. Das Theater von Daphne wurde nach einem Erdbeben ca. 341 n. Chr. (Theoph. a. m. 5833) restauriert. 56 Malal. 11,14,278; dazu Birley 1997, 153.

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tet.57 Allerdings weihte die Stadt selbst dort nach dem Erdbeben von 115 einen Tempel für Zeus als „Retter“ (Soter).58 Der Festkalender Antiocheias unterlag seit dem frühen 2. Jahrhundert einem beschleunigten Wandel, dessen Rekonstruktion mit vielen Unsicherheiten behaftet ist. Seine Auswirkungen auf die sakrale Topographie Antiocheias und das ApollonHeiligtum von Daphne sind darum schwer abzuschätzen. Immerhin steht fest, daß Hadrian die Tätigkeit des Orakels unterband, das mit dem Apollon-Heiligtum verbunden war: Da ihm der Gott prophezeit hatte, daß er einmal Kaiser werden würde, ließ er die Quelle Kastalia, aus der man Aufschlüsse über die Zukunft zu gewinnen hoffte, blockieren, nachdem die Prophezeiung im Jahre 117 tatsächlich eingetroffen war.59 Das Verfahren, das bei dieser Art Zukunftsforschung zur Anwendung gelangte, wird in den Scholien zu Gregor von Nazianz vage beschrieben: Demnach „ertönte keine Stimme, sondern es entstand ein Geräusch, ein Hauch und ein Ausströmen. Danach sagten einige, die dabei standen und diese Zeichen verstanden, die Zukunft voraus“.60 Mit dieser Art von Hydromantik war es nach 117 vorbei; Klemens von Alexandreia zählt zu Beginn des 3. Jahrhunderts die Kastalia zu den Orakelquellen, die in der Gegenwart verstummt seien.61 Als der Apollon von Daphne aufhörte, Orakel zu erteilen, wurde die Attraktivität seines Heiligtums um einen wichtigen Aspekt reduziert. Aus Inschriften für siegreiche Athleten geht weiterhin hervor, daß Antiocheia an dem unter Hadrian einsetzenden Boom griechischer Agonistik partizipierte.62 Seit Hadrian sind für Antiocheia zwei, seit Commodus mindestens drei sportliche Wettbewerbe nachgewiesen, die vermutlich in Daphne abgehalten wurden. Einer war nach einem Stifter namens Eukrates, ein zweiter nach Kaiser Hadrian benannt; unter Commodus kam ein Kommodeios agôn hinzu. In einer Inschrift aus severi-

57 Malal. 11,11,277 spricht davon, Trajan habe mitten im Hain ein Heiligtum der Artemis „erbaut“: (ἔκτισε). Bei dieser Baumaßnahme dürfte es sich jedoch eher um die Reparatur des hellenistischen Tempels (vgl. oben Anm. 27) gehandelt haben (so Downey 1961, 218). 58 Malal. 11,14,278. Auch der Tempel des Zeus stand noch zur Zeit des Libanios: Lib. Or. 11,236A (356); Or. 60,13 (363); Ep. 1183,2 (364). 59 Amm. 22,12,8; Soz. Hist. eccl. 5,19,10–11; akzeptiert von Birley 1997, 83. Downey 1961, 222 Anm. 103 hält diese Version dagegen für eine Erfindung, die im Zusammenhang mit Julians Öffnung der Quelle entstanden sei, berücksichtigt aber nicht das unten in Anm. 61 zitierte Zeugnis des Klemens von Alexandreia. 60 Ps.-Nonnos, Fab. 14 (zu Greg. Naz. Or. 39,5): οὐ γὰρ φωνή τις ἐξηχεῖτο, ἀλλ’ ἁπλῶς ἤχου τινὸς καὶ πνεύματος ἀναδιδομένου καὶ ἐκροῆς, πρὸς ἅ τινες ἱστάμενοι καὶ νοοῦντες τὰ σύμβολα ταῦτα ἔλεγον τὰ μέλλοντα; vgl. Ps.-Nonnos, Fab. 16 (zu Greg. Naz. Or. 5,32): ἡνίκα ἐμαντεύετό τις, αὔρας καὶ πνοὰς τὸ ὕδωρ ἀνεδίδου. καὶ ἀναδιδομένων τῶν τοιούτων πνευμάτων, οἱ ἱερεῖς οἱ περὶ τὴν πηγὴν ἔλεγον ἃ ἤθελεν ὁ δαίμων. 61 Clem. Protr. 2,11,1: Σεσίγηται γοῦν ἡ Κασταλίας πηγὴ καὶ Κολοφῶνος ἄλλη πηγή, καὶ τὰ ἄλλα ὁμοίως τέθνηκε νάματα μαντικὰ καὶ δὴ τοῦ τύφου κενὰ ὀψὲ μέν, ὅμως δ’ οὖν διελήλεγκται τοῖς ἰδίοις συνεκρεύσαντα μύθοις mit Cabouret 1994, 101–104. Klemens unterscheidet an dieser Stelle verschiedene Formen der Mantik. Zur Hydromantik im Apollon-Orakel von Klaros bei Kolophon vgl. Iambl. Myst. 3,11. 62 Grundlegend Remijsen 2010 mit Katalog der einschlägigen Inschriften (insgesamt 20).

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scher Zeit ist zudem von Olympien in Antiocheia die Rede.63 Alle genannten Wettbewerbe wurden im Abstand von vier Jahren abgehalten, und zwar stets in ein und demselben Jahr. In diesem Jahr, dem vierten einer Olympiade, stand Daphne ganz im Zeichen großer Sportveranstaltungen, an denen Athleten aus der gesamten griechischen Welt teilnahmen. Die „Weltchronik“ des Malalas erzählt freilich eine ganz andere Geschichte; sie kennt nur einen einzigen Agon, der in Antiocheia veranstaltet worden sei, nennt diesen Olympia und datiert seine Anfänge auf die Regierung des Kaisers Claudius. Seinem Bericht zufolge erbaten und erlangten die Antiochener von Claudius die Erlaubnis, den Bewohnern der Landschaft Pisatis die in Olympia zu Ehren des Zeus veranstalteten Spiele abzukaufen, und veranstalteten darauf im Jahr 43/44 n. Chr. die ersten Olympischen Spiele von Antiocheia. Weil die Ratsherren der Stadt freilich die Erträgnisse der Stiftung, die der Finanzierung der Wettkämpfe dienen sollten, veruntreut hätten, sei das Fest nur unregelmäßig und in großen Abständen gefeiert worden. Fast anderthalb Jahrhunderte später hätten die Antiochener sich dann an Kaiser Commodus gewandt und ihn gebeten, die bereits unter Augustus durch einen gewissen Sosibios für die Ausrichtung von Festen gestifteten Mittel dem öffentlichen Etat (demosion) zuzuweisen, um auf diese Weise die Veruntreuung von Geldern zu verhindern. Diese Entscheidung ging nach Malalas mit einer umfassenden Reorganisation des Festes einher, das damals von 30 auf 45 Tage ausgedehnt worden sei; seitdem habe die Feier im Juli und August stattgefunden.64 Wie Sofie Remijsen gezeigt hat,65 gibt es gute Gründe, dieser Darstellung zu mißtrauen, zumal Malalas selbst den Beginn der antiochenischen Olympien an zwei anderen Stellen eindeutig auf das Jahr 212 datiert.66 Offenbar ist dieser Agon 63 TAM II 587. 64 Malal. 12,3,284: Ἐπὶ δὲ τῆς αὐτοῦ βασιλείας οἱ Ἀντιοχεῖς κτήτορες καὶ πολῖται μήνυσιν ποιήσαντες ἐδεήθησαν τοῦ αὐτοῦ βασιλέως Κομμόδου, ἵνα ἀπὸ θείας αὐτοῦ κελεύσεως προσκυρώσῃ τῷ δημοσίῳ τὰς προσόδους, ἃς εἴασεν τῇ τῶν Ἀντιοχέων πόλει Σωσίβιος ὁ προειρημένος λόγῳ θεωριῶν πολυτρόπων καὶ διαφόρων ἀγώνων ἐπιτελουμένων τῇ αὐτῇ πόλει, καὶ ἵνα μὴ πορίζωνται τὰς προσόδους οἱ πολιτευόμενοι, ἀλλὰ τὸ δημόσιον καὶ αὐτὸ χορηγεῖ λόγῳ τῶν ἐπιτελουμένων πρὸς τέρψιν τῆς πόλεως Ὀλυμπίων καὶ ἄλλων τινῶν θεωριῶν ἐν τῇ αὐτῇ πόλει τῶν Ἀντιοχέων. καὶ εὐθέως ὁ αὐτὸς βασιλεὺς Κόμμοδος διὰ θείας αὐτοῦ κελεύσεως προσεκύρωσε τῷ δημοσίῳ τὰς προσόδους, θεσπίσας τὰ Ὀλύμπια ἐπιτελεῖσθαι ἀφορίσας ἐκ τοῦ δημοσίου παρέχεσθαι εἰς λόγον ἀναλωμάτων τῶν ὑπουργούντων τῇ τῶν Ὀλυμπίων ἱερᾷ καὶ κοσμικῇ ἑορτῇ φανερὰ χρήματα, νομοθετήσας κατὰ τετραετῆ χρόνον ἐπιτελεῖσθαι ἀμέμπτως ἐν ταῖς ἑορταῖς τῶν ἀναθημάτων ἤτοι θυσιῶν τῶν ἐξ ἔθους, τουτέστι τῷ πανέμῳ ἤτοι ἰουλίῳ μηνὶ καὶ τῷ λώῳ τῷ λεγομένῳ αὐγούστῳ μηνὶ ἐπὶ ἡμέρας μεʹ εἰς ἑορτὴν τοῦ Ὀλυμπίου Διός. 65 Remijsen 2010. Das entscheidende Argument besteht darin, daß für fünf Athleten, die in severischer Zeit aktiv waren, nicht weniger als 22 Siege bei allen drei genannten antiochenischen Agonen bezeugt sind, aber kein einziger bei den Olympien (Remijsen 2010, 428). Bereits Liebeschuetz 2004, 144–147 wies darauf hin, daß Malalas die Gründung und Entwicklung der Olympien in der konstitutionellen Terminologie des 6. Jahrhunderts beschreibt. Die ältere Forschung übersah die Anachronismen und versuchte, die inneren Widersprüche zu harmonisieren (z. B. Stauffenberg 1931, 412–422; Downey 1937). 66 Malal. 12,6,286; 17,13,417 (zitiert unten Anm. 77). Malalas zählt 77 Alytarchen bis zur Aufhebung der Olympien im Jahre 520; diese Zählung begann folglich im Jahre 212 (77 × 4 = 298 + 212 = 520).

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also erst im frühen dritten Jahrhundert eingerichtet wurden. Auch Malalasʼ Beschreibung des Festprogramms ist von anachronistischen Verzerrungen nicht frei. Dennoch sind die Grundzüge noch erkennbar: Es handelte sich um ein Fest zu Ehren des Zeus, das als gleichrangig mit den Olympien von Elis galt und dessen Programm imitierte.67 Man veranstaltete musische, athletische sowie hippische Wettkämpfe, die Teilnehmer und Zuschauer von weither anzogen. Als athletische Disziplinen werden Laufen, Ringen, Boxen, Wrestling genannt; die ersten drei auch für Frauen.68 Wenn Frauen bei den antiochenischen Olympien im Unterschied zu den elischen Frauen zumindest ursprünglich teilnehmen durften, wie Malalas behaup-

Abb. 4: Das Stadion von Daphne auf dem topographischen Mosaik von Yakto, mittig, mit Beischrift ΤΟ ΟΛΥΜΠΙΑΚΟΝ

67 Malal. 10,27,248: Ἐπὶ δὲ τῆς βασιλείας τοῦ αὐτοῦ Κλαυδίου οἱ αὐτοὶ Ἀντιοχεῖς κτήτορες καὶ πολῖται ἀναφορὰν ἐξέπεμψαν δεόμενοι ὥστε παρασχεθῆναι αὐτοῖς ἀπὸ θείας αὐτοῦ κελεύσεως ἀγορασθῆναι τὰ Ὀλύμπια ἀπὸ τῶν Πισαίων τῆς Ἑλλάδος χώρας ἀπὸ τῶν ἐτησίων προσόδων τῶν ἐαθέντων χρημάτων παρὰ Σωσιβίου τινὸς συγκλητικοῦ, συμπολίτου αὐτῶν. καὶ παρέσχεν αὐτοῖς ἀγοράσαι τὰ Ὀλύμπια ὁ αὐτὸς Κλαύδιος βασιλεύς, ἔτους χρηματίζοντος κατὰ τοὺς Ἀντιοχεῖς Σύρους ϟβʹ; wiederholt in 12,6,286. Vgl. Lib. Or. 11,268 f. 68 Das Festprogramm beschreibt Malal. 12,10,287 f.; dazu grundlegend Remijsen 2015, 93–108; für die Belege bei Libanios vgl. auch Millon/Schouler 1988, 64 f., die jedoch von der durch Liebeschuetz 1959 widerlegten Annahme ausgehen (65 f.), die Olympien seien vom Landtag der Provinz Syrien veranstaltet worden. Überholt Stauffenberg 1931, 432–441; Downey 1939; Downey 1961, 230–233.

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tet,69 dann gab es für sie schwerlich eigene Wettbewerbe; in der Spätantike waren sie während des Festes sogar vom Besuch Daphnes ausgeschlossen.70 Die Polis Antiocheia bestellte für die Olympien eigene Amtsträger.71 Als Leiter fungierte ein Amtsträger mit dem Titel alytarchês, der als Zeichen seiner Würde ein weißes, golddurchwirktes Gewand, einen Kranz aus Edelsteinen, einen Stab aus Ebenholz und weiße Sandalen trug; er durfte während der Olympien kein Haus betreten und sich auf keiner Liege niederlassen.72 Der Schriftführer (grammateus) trug ebenfalls ein weißes Gewand sowie einen Kranz aus goldenen Lorbeerbättern.73 Welche Funktion der amphithalês erfüllte, ist unklar, da Malalas nur seine Kleidung, aber nicht seine Aufgaben beschreibt: Er trug ein weißes Gewand aus Seide, auf dem Kopf einen Kranz aus Lorbeerblättern mit einer goldenen Büste des Zeus in der Mitte. In jedem Fall brachte auch dieses städtische Amt seinem Träger hohes Prestige ein.74 Der antiochenische Lokalhistoriker Domninos, auf den Malalas sich hier ausdrücklich beruft,75 verdeutlichte dieses Prestige durch die Aussage, die Antiochener ehrten den alytarchês wie Zeus, den grammateus wie Apollon und den amphithalês wie Hermes. Möglicherweise verbergen sich hinter dieser Aussage kultische Funktionen dieser drei Amtsträger. Da wir vom Programm der inschriftlich bezeugten Agone lediglich wissen, daß sie sportliche und musische Wettkämpfe umfaßten, läßt sich nicht sagen, in welcher Weise das Apollon-Heiligtum einbezogen war. Daß Apollon nicht in irgendeiner 69 Malal. 12,10,287 mit Remijsen 2015, 102 f. Vgl. auch Liebeschuetz 2004, 151 f. 70 Lib. Or. 10,29; Sev. Ant. Hom. 95, PO XXV, 94. 71 Malalas’ Angabe, damals sei der erste Syriarch bestellt worden, kann nicht richtig sein: Zum einen bestellte die Provinzialversammlung bereits seit Augustus einen Priester für den Kult des Augustus: AE 1976, Nr. 678 = SEG 52, Nr. 1553 mit Vitale 2013, 43–48; vgl. auch Downey 1961, 232 f. Zum anderen war der Syriarch im vierten Jahrhundert nicht für die Olympien zuständig, sondern für die im Namen der Provinz ausgerichteten Spiele: Liebeschuetz 1959. 72 Malal. 12,7,286: Καὶ ἐγένετο ἐν αὐτῇ Ἀντιοχείᾳ ἀλυτάρχης ἐν τῇ αὐτῇ θείᾳ κελεύσει ὀνομασθεὶς πρῶτος Ἀφράνιος ὁ ἀπὸ ἐπάρχων, πολίτης Ἀντιοχεύς. ὅστις φορέσας τὸ σχῆμα τοῦ ἀλυτάρχου τὰς μὲν ἡμέρας ἐτιμᾶτο καὶ προσεκυνεῖτο ὡς αὐτὸς ὁ Ζεύς, μὴ ἀνιὼν δὲ εἰς οἶκον τὰς αὐτὰς ἡμέρας μήτε δὲ εἰς κλίνην ἀναπίπτων, ἀλλ’ εἰς ἐξάερον καθεύδων εἰς ἔδαφος ὑπεράνω λίθων καὶ καθαρῶν στρωμάτων καὶ θρυΐνης ψιάθου. ἐφόρει δὲ στολὴν διάχρυσον ἄσπρην ὡσεὶ χιὼν καὶ στέφανον ἀπὸ λυχνιτῶν καὶ μαργαρίτων καὶ ἄλλων τιμίων, καὶ κατεῖχεν ῥάβδον ἐβενίνην φορῶν εἰς τοὺς ἰδίους πόδας σανδάλια ἄσπρα. ἐκάθευδεν δὲ τὰς αὐτὰς ἡμέρας εἰς τὸ ἐξάερον τῆς λεγομένης βασιλικῆς τὸ Καισάριον, τὸ κτισθὲν ὑπὸ τοῦ Καίσαρος Ἰουλίου τοῦ δικτάτορος; vgl. 12,44,310. 73 Malal. 12,8,275: Ὁ δὲ γραμματεὺς προεχειρίσθη πρῶτος ἀπὸ τῆς βουλῆς καὶ τοῦ δήμου ὀνόματι Πομπηιανὸς Κοιαίστωρ, ὃς ἐκ γένους συγκλητικῶν Ῥώμης ὑπάρχων, φορέσας καὶ αὐτὸς στολὴν ἄσπρον καὶ στέφανον ὁλόχρυσον τύπῳ φυλλοδαφνῶν. ὅντινα ἐτίμων καὶ προσεκύνουν ὥς τινα, φησίν, Ἀπόλλωνα. 74 Malal. 12,9,287: Ἡ αὐτὴ δὲ βουλὴ καὶ ὁ δῆμος πάλιν προεβάλοντο Ἀμφιθαλὴν ὀνόματι Κάσιον Ἰλλούστριον, φοροῦντα ὡσαύτως στολὴν ἄσπρον ὁλοσήρικον καὶ στέφανον πεπλεγμένον ἀπὸ δαφνίνων φύλλων καὶ ἐν τῷ μέσῳ στηθάριν χρυσοῦν ἔχον τὸν Δία. ὅντινα Ἀμφιθαλὴν ἐτίμων καὶ προσεκύνουν ὡς τὸν Ἑρμῆν, καθὼς ὁ σοφὸς Δομνῖνος ὁ χρονογράφος πάντα ταῦτα συνεγράψατο. 75 Domninos scheint im 5. Jahrhundert n. Chr. eine Lokalgeschichte Antiocheias verfaßt zu haben, die Malalas bis mindestens Buch XII als Quelle diente: Jeffreys 1990, 178 f.

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Weise gehuldigt wurde, ist kaum vorstellbar, auch wenn er gewiß nicht im Zentrum stand. Apollon wird aber auch im Falle der Olympien, über die wir viel besser informiert sind, nicht erwähnt. Man wird daher davon ausgehen, daß die Einrichtung mehrerer Agone in städtischer Trägerschaft den Stellenwert des Apollon-Heiligtums verringerte. Mit der Etablierung der Olympien lief Zeus Apollon den Rang ab. Für Kaiser Julian war Daphne daher sowohl dem pythischen Apollon als auch dem olympischen Zeus geweiht.76 Während die anderen Agone um die Mitte des 3. Jahrhunderts spurlos verschwanden, bestanden die Olympien bis in die Spätantike hinein fort; sie wurden erst 520 abgeschafft.77 Die mit sportlichen und musischen Wettbewerben verbundenen Feste waren jedoch nicht die einzige Konkurrenz, die dem Apollon von Daphne im Laufe der Kaiserzeit erstand. Vielmehr wurde in Daphne wohl bereits in der hohen Kaiserzeit ein Fest gefeiert, das Maiuma genannt wurde und an vielen Orten des griechischen Ostens bezeugt ist.78 In der Spätantike war das Maiuma-Fest sehr populär und wurde teilweise durch staatliche Instanzen subventioniert;79 christlichen Moralisten, aber auch gebildeten Heiden war es ein Dorn im Auge, weil es als unsittlich galt. Über seinen Ablauf wissen wir sehr wenig, über seine Entstehung so gut wie nichts. Sicher ist lediglich, daß das Maiuma-Fest mit Banketten und mit Wasser verbunden war.80 Wenn der Bericht des Malalas über ein nächtliches Fest, das alle zwei Jahre im Mai 30tägig gefeiert wurde, mit Recht auf das Maiuma-Fest bezogen wird, setzte Commodus den Antiochenern für Kerzen, Lampen und andere Utensilien eine stattliche Summe aus; dieser Darstellung zufolge handelte es sich um Mysterien des Dionysos und der Artemis.81 Daß ein Fest wie dieses all diejenigen

76 Jul. Ep. 98 Bidez, 400B: ἱερὸν Διὸς Ὀλυμπίου καὶ Ἀπόλλωνος Πυθίου [τὸ] χωρίον. 77 Malal. 17,13,417: Ὁ δὲ αὐτὸς βασιλεὺς ἐκώλυσεν τὸν ἀγῶνα τῶν Ὀλυμπίων πρὸς τὸ μὴ ἐπιτελεῖσθαι ἐν Ἀντιοχείᾳ ἀπὸ ἰνδικτιῶνος ιδʹ. ἀλυτάρχησαν δὲ ἀπὸ Ἀφρανίου ἕως ὀγδόου ἑξηκοστοῦ πεντακοσιοστοῦ, ἀφ’ οὗ ἐκωλύθη τὰ Ὀλύμπια, ἀλύταρχοι οζʹ. 78 Das Maiuma-Fest ist in den letzten Jahrzehnten oftmals, aber ohne nennenswerte Fortschritte behandelt worden: Caimi 1984/5; Greatrex/Watts 1999; Belayche 2004, bes. 414 („le maïouma n’est pas la fête d’une divinité particulière. Il est le nom générique d’une rejouissance d’origine sémitique en relation avec l’eau“). Mentzu-Meimare 1996 stellt die Zeugnisse zusammen und zeigt, daß sich die auf das Jahr 535 datierte Bauinschrift Kraeling 1939 Nr. 279 nicht auf das Maiuma-Fest, sondern auf ein danach benanntes Gebäude bezieht. 79 Malal. 14,17,362; I.AphrLatAnt 40. 80 Bankette: Jul. Mis. 362B. Daß das Fest in Daphne gefeiert wurde, ergibt sich aus der Kombination der Julian-Stelle mit Lib. Or. 41,16; Or. 50,11; vgl. Or. 10,14; Or. 45,23. Wasser: Belayche 2004, 408 f. (Wasserbecken); 411 f. (Etymologie). Die Gemeinde des Johannes bekam im Theater schwimmende Frauen zu sehen: Hom. 7 in Matthaeum 6–8, PG 57, 79–82. Ob das im Rahmen des Maiuma-Festes geschah, ist jedoch ungewiss (dafür Soler 2006, 84–86, dagegen z. B. Traversari 1960, 46–61, bes. 48 f.; Pasquato 1976, 131–135). 81 Malal. 12,3,284 f.: ὁμοίως δὲ καὶ εἰς λόγον σκηνικῆς ἑορτῆς νυκτερινῆς ἐπιτελουμένης κατὰ ἔτη γʹ, τῶν λεγομένων ὀργίων, ὅπερ ἐστὶ μυστηρίων Διονύσου καὶ Ἀφροδίτης, τουτέστι τοῦ λεγομένου Μαϊουμᾶ διὰ τὸ ἐν τῷ μαΐῳ τῷ καὶ ἀρτεμισίῳ μηνὶ ἐπιτελεῖσθαι τὴν αὐτὴν ἑορτήν, ἀφώρισεν φανερὰν χρυσίου ποσότητα λόγῳ λαμπάδων καὶ κανδήλων καὶ τῶν ἄλλων τῶν προχωρούντων ἐπὶ τὴν πανήγυριν τῶν λʹ ἡμερῶν τερπνῶν παννυχίδων. Robert 1936, 11 macht darauf aufmerksam, daß τουτέστι τοῦ λεγομένου Μαϊουμᾶ wie ein Glossem aussieht.

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beunruhigte, welche Keuschheit oder gar Enthaltsamkeit als allgemeine Maxime sittlichen Handelns betrachteten, kann man sich denken. Der Apollon von Daphne bekam bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts also starke Konkurrenz. Sportliche und musische Wettkämpfe, aber auch das ausgelassene Maiuma-Fest zogen in regelmäßigen Abständen Tausende von Schaulustigen an. Im Mittelpunkt der Olympien stand Zeus, der in Daphne als Retter und in der Stadt als Olympier verehrt wurde. Und dies war nicht die einzige Verknüpfung zwischen der Stadt Antiocheia und Daphne, die durch das Programm der Olympien bewirkt wurde, denn auch wenn das Stadion sich in Daphne befand,82 wurden die Vorausscheidungen für den Boxwettbewerb in der Stadt abgehalten.83 Das Apollon-Orakel dagegen war verstummt. In der im ersten Drittel des 3. Jahrhunderts verfaßten Vita des neupythagoräischen Philosophen Apollonios wird das Apollon-Heiligtum von Daphne als geräuschvoller Ort beschrieben, dessen Besuchern es an sittlichem Ernst und griechischer Bildung fehlt.84 Zu diesem Eindruck dürfte beigetragen haben, daß sich Daphne in der hohen Kaiserzeit zu einem suburbanen Villenviertel entwickelt hatte, wo wohlhabende Antiochener prächtige Häuser besaßen, deren Fußböden mit kostbaren Mosaiken geschmückt waren.85 Der sakrale Charakter Daphnes wurde seit der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. erneut akzentuiert. Schon unter den Kaisern Philippus Arabs, Decius und Trebonianus Gallus erscheint vereinzelt Apollon mit der Kithara auf der Rückseite von Bronzemünzen, die im Auftrag und Namen der Stadt Antiocheia geprägt wurden, unter Decius und Trebonianus Gallus in Begleitung einer Schlange.86 Ihren Höhepunkt erreichte diese Sakralisierung des Ortes unter Diokletian und seinen unmittelbaren Nachfolgern. Diokletian ließ in Daphne ein Heiligtum des Zeus Olympios, eines der Nemesis sowie ein unterirdisches Heiligtum der Hekate erbauen; weiterhin ließ er den Apollon-Tempel renovieren und einen kaiserlichen Palast errichten.87 Zudem übernahm der Kaiser bei den antiochenischen Olympien persönlich das Amt eines Alytarchen, wobei ihm offenbar sein Mitkaiser Galerius 82 Lib. Or. 11,236. Das Stadion ist auf einem 1932 aufgenommenen Luftbild anscheinend noch zu erkennen: Leblanc/Poccardi 1999/2000. 83 Lib. Ep. 1183,3: ἐπαινεσόμεθά σε κἀν τοῖς προάγωσιν ἐν ἄστει κἀν τοῖς μείζοσιν ἐν Δάφνῃ, καὶ πρὸς τοὺς ξένους, ὅταν θαυμάζωσι τοὺς νικῶντας, ἐροῦμεν· τούτων μέντοι τὰ Ὀλύμπια τετύχηκεν; Or. 10,33 mit Millon/Schouler 1988, 66–70. 84 Philostr. V.Apoll. 1,16,2: ὁ Ἀπολλώνιος ἰδὼν τὸ ἱερὸν χαρίεν μέν, σπουδὴν δ’ ἐν αὐτῷ οὐδεμίαν, ἀλλ’ ἀνθρώπους ἡμιβαρβάρους καὶ ἀμούσους „Ἄπολλον,“ ἔφη „μετάβαλε τοὺς ἀφώνους ἐς δένδρα, ἵνα κἂν ὡς κυπάριττοι ἠχῶσιν.“ 85 Stillwell 1961 (Häuser); Campbell 1988 (Mosaiken); vgl. Lib. Or. 11,234 (Häuser und Bäder); Philost. Hist. eccl. 7,8a,3 = Art. Pass. 51 (glänzenden Bauten, Herbergen, Bäder). 86 Philippus Arabs: Butcher 2004, 395 Nr. 495; Decius: RPC IX Nr. 1686; Trebonianus Gallus: Butcher 2004, 398 Nr. 499 (); 401, Nr. 505 RPC IX, Nr. 1820. Die Legende der Rückseite lautet: ΑΝΤΙΟΧΕΩΝ ΜΗΤΡΟΚΟΛΩ(Ν). 87 Malal. 12,38,307: ἔκτισε δὲ ἐν αὐτῷ τῷ σταδίῳ Δάφνης ἱερὸν Ὀλυμπίου Διός, καὶ ἐν τῇ σφενδόνῃ τοῦ αὐτοῦ σταδίου ἔκτισεν ἱερὸν τῇ Νεμέσει. ἀνενέωσεν δὲ καὶ τὸ τοῦ Ἀπόλλωνος ἱερὸν κοσμήσας διαφόροις μαρμάροις. ἔκτισεν δὲ καὶ τῇ Ἑκάτῃ ἱερὸν καταχθόνιον βαθμῶν τξεʹ. ἔκτισεν δὲ ἐν Δάφνῃ καὶ παλάτιον εἰς τὸ τοὺς ἀνιόντας βασιλεῖς ἐκεῖ καταμένειν, ἐπειδὴ πρῴην εἰς τὸ ἄλσος ἐποίουν παπυλεῶνας καὶ κατέμενον. Vgl. Downey 1961, 317–331.

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Abb. 5: Bronzemünze mit Bild des Trebonianus Gallus auf der Vorderseite und Apollon auf der Rückseite

assistierte.88 Auch in das Festprogramm griff Diokletian ein, indem er verfügte, daß die Bekränzung der Sieger fortan in Daphne stattfinde solle.89 Möglicherweise fiel die Entscheidung, die Christen vom Kaiserhof zu vertreiben, während Diokletian und Galerius sich in Antiocheia aufhielten.90 Maximinus Daia, der letzte Christenverfolger, propagierte den Apollon von Daphne als Schutzgottheit Antiocheias. Das läßt sich an einer Serie von Bronzemünzen ablesen, die wohl während der letzten Christenverfolgung zwischen dem Ende des Jahres 311 und Dezember 312 in Antiocheia selbst geprägt wurden.91 Sie gehören zu einer Serie, die nicht allein in Antiocheia, sondern auch in zwei anderen 88 Malal. 12,44,310: καὶ τοῦ Ὀλυμπικοῦ ἀγῶνος μέλλοντος ἐπιτελεῖσθαι ἐφόρεσε τὸ σχῆμα τὸ τοῦ ἀλυτάρχου ὁ βασιλεὺς Διοκλητιανός (nach dem ägyptischen Feldzug von 297/8); Malal. 12,46,312 (Diokletian und Galerius, fälschlich auf 305 datiert); Lib. Or. 11,269 scheint auf diese beiden Kaiser anzuspielen. Das Itinerar Diokletians behandelt Barnes 1982, 54–56; vgl. 62–64 zu Galerius. 89 Malal. 12,38,307. 90 Lact. Mort. 10, 1–5 (in partibus Orientis); Div. inst. 4,27,4 f. (sacrificantibus dominis; principes suos) mit Barnes 1982, 63. DePalma Digeser 2004 meint sogar, der Apollon von Daphne und nicht der von Delphi habe das von Konstantin im „Brief an die östlichen Provinzialen“ (Eus. VC 2,50) erwähnte Orakel erteilt, das zur Vertreibung der Christen vom Hof der Tetrarchen geführt habe (akzeptiert von Shepardson 2014, 61 f.). Die für diese Hypothese angeführten Argumente sind jedoch wenig überzeugend. Gerade Galerius hätte sich schwerlich an eine Statue gewandt, um ein Orakel zu erhalten, wie DePalma Digeser annimmt. 91 Grundlegend van Heesch 1993. Städtische Prägungen sind nach dem ägyptischen Feldzug Diokletians (297/8) sonst nicht mehr belegt. Für die Datierung in die Regierungszeit des Maximinus Daia spricht eine Reihe von Indizien: 1) die verwendeten Beizeichen SMA (für sacra moneta Antiochensis) und ANT (für Antiochia) in Verbindung mit griechischen Zahlzeichen von Α bis Ι, die dort nur von 299 bis 312 und von 325 bis 330 verwendet wurden, 2) die Stempelachsen, 3) die Vergesellschaftung mit Münzen der Jahre 310/1 bis 326/7 in einem Hortfund so-

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Metropolen im Herrschaftsbereich dieses Kaisers – im ägyptischen Alexandreia und in Nikomêdeia – in großen Mengen zu einer Zeit ausgebracht wurde, als die meisten griechischen Städte des Imperium Romanum die Prägung eigener Münzen bereits seit Jahrzehnten vollständig eingestellt hatten.92

Abb. 6: Bronzemünze mit der Tyche von Antiochia auf der Vorderseite und Apollon von Daphne auf der Rückseite

Diese Münzen zeigen auf der Vorderseite die Tyche von Antiocheia, davor den Flußgott Orontes mit der Legende Genio Antiocheni (sic); sie sind also dem genius, der als Person gedachten schützenden Kraft, der Stadt gewidmet. Auf der Rückseite ist Apollon mit Opferschale und Kithara abgebildet, wie ihn das Kultbild des Heiligtums in Daphne darstellte. Die Legende der Rückseite lautet Apolloni sancto, „für den heiligen Apollon“. Die Epiklese sanctus ist für Apollon häufig belegt,93 in Antiocheia jedoch singulär.94 Das liegt nun nicht etwa daran, daß Münzlegenden dort sonst immer in griechischer Sprache abgefaßt sind: Auch die Epiklese hagios, die als Übernahme aus dem semitischen Bereich in der späten Kaiserzeit häufig begegnet,95 ist für die Götter Antiocheias nicht nachweisbar. Dagegen erscheint das Adjektiv sanctus auch an den beiden anderen Prägeorten dieser Serie: in Ni-

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wie 4) die Lage der Prägestätten, die erst nach dem Tod des Galerius (311) unter der Herrschaft des Maximinus Daia vereinigt wurden. Van Heesch 1993, 75 Anm. 45. Link 1910; Delehaye 1927, 2–20, bes. 13 (Apollo sanctus); zum antiken und christlichen Vokabular der Heiligkeit Dihle 2003 Von einer unter Pescennius Niger in Antiocheia geprägten Serie von Denaren, die auf der Rückseite Apollon mit der Legende Apollini sancto zeigen (RIC IV, 3, Nr. 2a-c), kann in diesem Zusammenhang abgesehen werden, Williger 1922, bes. 80–83; Bowersock 1990, 15 f. Ich danke Johannes Nollé für diesen Hinweis.

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komêdeia als Attribut der Ceres, in Alexandreia als Attribut des Sarapis und des als Gott verehrten Nilstromes. Offenkundig steht hinter diesen Legenden der Wille des Maximinus Daia, der ebenso wie Diokletian die Sprache und Vorstellungswelt des lateinischen Westens im griechischen Osten propagierte.96 In der Auseinandersetzung mit den Christen sollte das Adjektiv sanctus die sakrale Qualität des Gottes unterstreichen. Der Apollon von Daphne wurde als Symbol des Kampfes gegen die Christen mobilisiert.97 Diese Politik fand in Teilen der lokalen Eliten offenbar durchaus Unterstützung; Eusebios überliefert, eine Gesandtschaft der Antiochener habe den Kaiser aufgefordert, die Christen aus ihrer Stadt zu verbannen.98 Seit dem Ende der seleukidischen Dynastie war die Verbindung der Stadt Antiocheia, dem Gott Apollon und einem Herrscher niemals so eng gewesen wie unter der Tetrarchie. 3. DAPHNE NACH DER KONSTANTINISCHEN WENDE Maximinus Daia unterlag am 30. April 313 seinem Rivalen Licinius und wurde bald darauf hingerichtet. Die Verfolgung der Christen wurde eingestellt. Ob der Sieg Constantins über Licinius im Jahre 324 unmittelbare Auswirkungen auf Daphne und seine Heiligtümer gehabt hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Sicher ist lediglich, daß die antiochenischen Olympien weiterhin gefeiert wurden.99 Zudem ließ Constantin gegenüber den östlichen Provinzialen keinen Zweifel daran, daß er polytheistische Kulte verabscheute; er entzog ihren Priestern die rechtlichen Privilegien, die sie bis dahin genossen hatten, und wandte seine Gunst den Vorstehern christlicher Gemeinden zu.100 In Antiocheia selbst ließ er die eingangs erwähnte große Kirche errichten, die freilich erst nach seinem Tod eingeweiht wurde. Unter der Herrschaft seines Sohnes Constantius, die im Osten von 337 bis 361 – also volle 24 Jahre – dauerte, verlor der Apollon-Tempel in Daphne jedoch nachweislich seine Stellung als wichtigstes Heiligtum Antiocheias. Die Stadt Antiocheia stellte die bis dahin in ihrem Namen und Auftrag durchgeführten Kulthandlungen ein und gestattete sogar die Verwendung von Bauteilen für profane Zwecke. Man  96 Zur Religionspolitik des Maximinus Daia Castritius 1969; Grant 1975; Mitchell 1988 sowie Belayche 2011.  97 Möglicherweise gehört die Nachricht des Malalas (12,47,312), der neuplatonische Philosoph Iamblichos habe unter der Herrschaft des Galerius in Daphne gelehrt, in diesen Zusammenhang, doch wird dessen Lehrtätigkeit sonst mit Apameia verbunden. Der Vorschlag von Vanderspoel 1988, Malalas verwechsle Daphne bei Antiocheia mit einem gleichnamigen Ort im nördlichen Palästina, den nur Jos. Bell. Iud. 4,3 erwähnt, löst das Problem jedoch nicht. Soler 2006, 34–36 schließt aus der erwähnten Notiz, Daphne habe sich an der Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert zu einem Zentrum neuplatonischer Theurgie entwickelt.  98 Eus. Hist. eccl. 9,2–3.  99 Downey 1939; Petit 1955, 126–136; Liebeschuetz 1959. 100 Es ist hier weder möglich noch nötig, auf die uferlose Literatur über Constantin den Großen einzugehen; das Meinungsspektrum in der deutschsprachigen Forschung reicht derzeit von Girardet 2010 bis Wallraff 2013.

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entfernte Säulen aus dem Peristylion des Tempels, um sie in profanen Gebäuden als Spolien wiederzuverwenden.101 In den frühen 350er Jahren entstand die erste christliche Kultstätte in Daphne selbst. Es handelte sich um ein Martyrion für den antiochenischen Bischof Babylas, der von den Christen als standhafter Glaubenszeuge verehrt wurde, auch wenn über Zeit und Umstände seines Todes keine Einigkeit bestand.102 Der Caesar Gallus, der von 351 bis 354 in Antiocheia residierte,103 ließ das Gebäude, dessen Größe und Gestalt völlig unbekannt sind,104 eigens für diesen Zweck am Eingang nach Daphne in der Nähe des Apollon-Heiligtums erbauen. Über die Motive des Kaisers liegen keine belastbaren Zeugnisse vor. Die Lage des Martyrion deutet aber darauf hin, daß es ihm vor allem darum ging, den Kult dieses Märtyrers an einem Ort zu verankern, wo sich bislang ein Zentrum heidnischer Kultaktivitäten befunden hatte.105 Als Julian am 11. November 361 durch den plötzlichen Tod des Constantius kampflos die Alleinherrschaft über das Imperium Romanum erlangte, änderten sich die politischen Rahmenbedingungen von Grund auf. Die Verbote heidnischer Kulthandlungen, die Constantius in den 350er Jahren erlassen hatte,106 waren nun Makulatur. Julian wollte als eine Art Anti-Constantin die Kulte der Vorväter restaurieren, aber zugleich im Sinne einer spirituellen Verinnerlichung und organisatorischen Vereinheitlichung auch reformieren.107 Der Stadt Antiocheia kam dabei insofern eine besondere Rolle zu, als sie dem Kaiser vom 18. Juli 362 bis zum 5. März 363 als Residenz dienen sollte. Die Wahl des Ortes war eine nahezu zwangsläufige 101 Jul. Ep. 88 Bidez; vgl. Lib. Or. 60,5: Apollon vernachlässigt, mit Dreck beworfen und um seinen äußeren Schmuck gebracht. 102 Dazu Schatkin 1990, 15–19; Bleckmann/Stein 2015 II, 371–373. 103 Für (Constantius) Gallus grundlegend Bleckmann 2008; zum Antiocheia-Aufenthalt vgl. auch Matthews 1989, 406–408. 104 Wood 2005 vermutet, daß das von Malal. 13,17,325 überlieferte und von diesem auf die „Große Kirche“ bezogene Epigramm (IGLS 832 = SGO IV 20/03/03) in Wahrheit zu diesem ersten Martyrion des Babylas gehöre (akzeptiert von Mayer/Allen 2012, 96 f., 116 f.). Die beiden im Text genannten Kaiser seien nicht Constantin der Große und Constantius II., sondern Constantius II. und sein Caesar Constantius, der in der literarischen Überlieferung Gallus genannt wird. Tatsächlich dürfte der in Z. 4 genannte Gorgonius mit dem gleichnamigen praepositus sacri cubiculi des Gallus (Amm. 15,2,10) identisch sein. Wood vermag jedoch nicht zu erklären, wie der vermutete Irrtum entstanden ist, zumal Malalas an anderer Stelle über den Beginn der Bauarbeiten an der „Großen Kirche“ berichtet. Zudem beschreibt Sozomenos (3,5,1) die Arbeitsteilung zwischen Vater und Sohn beim Bau der „Großen Kirche“ in ähnlicher Weise wie das Epigramm. Denis Feissel verteidigt daher die traditionelle Deutung des Epigramms (referiert und akzeptiert von Saliou 2014b, 130 Anm. 68). Man muß dann in Z. 1 Κωνσταντῖνος statt des überlieferten Κωνστάντιος lesen, wie es bereits Karl Otfried Müller tat. Keinesfalls jedoch kann θαλαμήπολον ἑργον ὕφανε in Z. 4 „carried out the work of the servant of a shrine“ (Wood) bedeuten; es bezieht sich vielmehr auf die Tätigkeit als oberster Kammerdiener: so mit Recht Agosti 2005, 23–29. 105 Der früheste Bericht steht bei Chrys. De S. Babyla c. Iul. 67–69; er führt die Initiative des Gallus auf eine Eingebung Gottes zurück. Brennecke 1988, 137 vermutet den antiochenischen Bischof Leontios als treibende Kraft hinter dieser Maßnahme. 106 Über die Lage der Heiden unter Constantius Leppin 1999. 107 Damit habe ich mich an anderer Stelle eingehend befaßt: Wiemer 2017.

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Folge der Absicht, eine Offensive gegen das Perserreich zu starten. Gleichwohl hoffte Julian, daß er in dieser Metropole des römischen Orients für seine Bestrebungen nachhaltige Unterstützung finden werde. Der Apollon-Tempel von Daphne spielte in seinen Planungen eine erhebliche Rolle.108 Noch vor seiner Ankunft in Antiocheia beauftragte er seinen Onkel Julianus, den Leiter der Diözese Oriens (comes Orientis), das Peristylion des Tempels provisorisch zu reparieren.109 Nachdem Julian am 18. Juli 362 in Antiocheia eingetroffen war, stattete er dem Gott mehrfach seinen Besuch ab; er brachte ihm blutige Opfer dar und küßte andachtsvoll den Fuß seiner Statue.110 Es zeichnete sich indessen früh ab, daß die antiochenische Oberschicht dem vom Kaiser forcierten Opferkult reserviert gegenüberstand. Im Oktober des Jahres 362 kam es zum Eklat. Als der Kaiser, der zuvor das Heiligtum des Zeus auf dem Berg Kasios besucht hatte, nach Daphne eilte, um dort das alljährliche Hauptfest des Gottes zu feiern, wurden seine Erwartungen herb enttäuscht. Julian selbst berichtet darüber folgendermaßen: „Ich also eilte vom Zeus Kasios dazu, in der Meinung, daß ich dort am meisten euren Reichtum und eure Freigebigkeit genießen würde. Dann stellte ich mir bei mir eine Prozession (pompê) vor, als sähe ich einen Traum: Opfertiere, Trankopfer und Chöre für den Gott, Räucherwerk und die Epheben dort mit einer gottgefälligen Haltung in der Seele, geschmückt mit weißer und prächtiger Kleidung. Als ich jedoch in den heiligen Bezirk (temenos) hineinging, fand ich weder Räucherwerk vor noch einen Opferkuchen oder ein Opfertier. Ich wunderte mich auf der Stelle, und glaubte, ich wäre außerhalb des heiligen Bezirks (temenos) und ihr würdet, um mich als Oberpriester (archiereus) zu ehren, das Zeichen von mir abwarten. Als ich indessen fragte, was die Stadt dem Gott opfern wolle zur Feier seines Jahresfestes (eniausios heortê), sagte der Priester: ‚Ich komme und bringe dem Gott von zuhause eine Gans als Opfertier, die Stadt aber hat für heute nichts vorbereitet.‘“111

Wir wissen nicht, ob Julians Vision dieses Apollon-Festes auf genauer Kenntnis seines Programms beruhte; sie enthält nichts, was für dieses Fest spezifisch wäre: Tier- und Trankopfer, Räucherwerk und Opferkuchen, Chöre und weiße Gewänder 108 Zum „Antiocheia-Programm“ Julians ausführlich Pack 1986, 303–316. 109 Jul. Ep. 80 Bidez; Amm. 22,13,2: idem templum inviti videbant ambitioso cirumdari peristylio. 110 Jul. Mis. 15,346B; Lib. Or. 60,5: στόμα βασιλέως ὅσιον τῷ ποδὶ δεξάμενος, ἰδὼν ὃν προὔλεγες, ὀφθεὶς ὑπὸ τοῦ μεμηνυμένου. Förster hat in seiner Ausgabe das in den Handschriften des Chrysostomos (§ 98) bezeugte ὅσιον nach βασιλέως versehentlich ausgelassen (bemerkt von Nock 1962, 307 Anm. 5). 111 Jul. Mis. 34,362A/B: Ἐγὼ μὲν οὖν ἀπὸ τοῦ Κασίου Διὸς ἐπὶ τοῦτο ἔδραμον, οἰόμενος ἐνταῦθα μάλιστα τοῦ πλούτου καὶ τῆς φιλοτιμίας ὑμῶν ἀπολαύσειν. Εἶτα ἀνέπλαττον παρ’ ἐμαυτῷ πομπήν, ὥσπερ ὀνείρατα ὁρῶν, ἱερεῖα καὶ σπονδὰς καὶ χοροὺς τῷ θεῷ καὶ θυμιάματα καὶ τοὺς ἐφήβους ἐκεῖ περὶ τὸ τέμενος θεοπρεπέστατα μὲν τὰς ψυχὰς κατεσκευασμένους, λευκῇ δ’ ἐσθῆτι καὶ μεγαλοπρεπεῖ κεκοσμημένους. Ὡς δὲ εἴσω παρῆλθον τοῦ τεμένους, οὔτε θυμιάματα κατέλαβον οὔτε πόπανον οὔτε ἱερεῖον. Αὐτίκα μὲν οὖν ἐθαύμασα καὶ ᾤμην ἔξω τοῦ τεμένους εἶναι, περιμένειν δ’ ὑμᾶς, ἐμὲ δὴ τιμῶντας ὡς ἀρχιερέα, τὸ σύνθημα παρ’ ἐμοῦ. Ἐπεὶ δὲ ἠρόμην τί μέλλει θύειν ἡ πόλις ἐνιαύσιον ἑορτὴν ἄγουσα τῷ θεῷ, ὁ ἱερεὺς εἶπεν· «ἐγὼ μὲν ἥκω φέρων οἴκοθεν τῷ θεῷ χῆνα ἱερεῖον, ἡ πόλις δὲ τὰ νῦν οὐδὲν ηὐτρέπισται». Wie es zu erklären ist, daß Libanios in seiner „Monodie“ auf den zerstörten Tempel (Or. 60,12) von einer Priesterin des Gottes (φίλη Δάφνης ἔνοικος, ἱέρεια τοῦ θεοῦ) spricht, steht dahin.

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– diese Elemente finden sich bei vielen griechischen Ritualen. Klar ist hingegen, daß die politische Vertretung der Stadt Antiocheia nicht gewillt war, dieses Fest in den traditionellen Formen zu feiern, obwohl ihr zweifellos bewußt war, daß der Kaiser genau das von ihr erwartete. Tatsächlich hielt Julian den antiochenischen Ratsherren nach diesem Boykott eine tüchtige Standpauke, die er im Anschluß an die zitierte Erzählung auszugsweise mitteilt. Der Kaiser warf ihnen vor, daß sie ihr Geld zwar gerne für Festbankette ausgäben und ihren Frauen erlaubten, die christliche Armenfürsorge zu unterstützen. Ihre kultischen Pflichten gegenüber Apollon hingegen vernachlässigten sie sträflich.112 Bald darauf ordnete der Kaiser an, die Babylas-Reliquien auf den Friedhof der Stadt zurückzubringen.113 Vorausgegangen war das vergebliche Bemühen Julians, ein Orakel des Apollon zu erhalten. Auf welche Art er dieses Orakel zu erlangen hoffte, darüber machen die Quellen widersprüchliche Angaben: Während in einem Teil der Überlieferung davon die Rede ist, Julian habe die Kultstatue zum Reden bringen wollen,114 tradieren sowohl der heidnische Geschichtsschreiber Ammianus als auch der Kirchenhistoriker Sozomenos eine Version, derzufolge Julian beabsichtigt habe, die Orakel-Quelle Kastalia wieder zu öffnen.115 Unklar ist auch, wer dem Kaiser die Auskunft erteilte, der Gott werde solange kein Orakel erteilen, als sich Leichen in seiner Umgebung befänden. Während die Mehrzahl der Berichte einen oder mehrere Priester des Apollon nennt, schreibt der Kirchenhistoriker Philostorgios einem Philosophen namens Eusebios die führende Rolle zu.116 Sicher scheint lediglich, daß man im Umfeld Julians mit der traditionellen Vorstellung argumentierte, die Nähe von Leichen verursache eine Art Befleckung, welche die Götter fernhalte.117 Da Julian die Umsetzung des Befehls, die Babylas-Reliquien aus Daphne zu entfernen, den antiochenischen Christen überließ, war es möglich, daß die Translation der Babylas-Reliquien sich als Demonstration der Intransigenz gestaltete. Eine Menschenmenge, die vermutlich avon Euzoios, dem Bischof der größten antiochenischen Gemeinde,118 angeführt wurde, begleitete den Sarg auf dem mehrere Kilometer langen Weg von Daphne zum Friedhof und skandierte dabei den Psalm

112 Jul. Mis. 35 f.,362B–363C. 113 Jul. Mis. 33,361B: ἀπεπεμψάμεθα τὸν νεκρὸν τῆς Δάφνης; Lib. Or. 60,5 f.; Chrys. De S. Bab. c. Iul. 12,17,23; Chrys. Pan. Bab. 2 f.; Ruf. Hist eccl. 10,36; Socr. Hist. eccl. 3,18,3 f.; Soz. Hist. eccl. 5,19,12 f.; Thdt. Hist. eccl. 3,10. 114 Philost. Hist. eccl. 7,8a,8–11 = Art. Pass. 53; 7,8a,18 = Art. Pass. 55; 7,8a,23 = Art. Pass. 56; Zon. 13,12: ἔθυε δὲ τῷ Δαφναίῳ Ἀπόλλωνι ἑκατόμβας ὅλας, χρησμὸν ζητῶν ἐξ αὐτοῦ. ὡς δ’ ἦν τὸ εἴδωλον ἐκεῖνο κωφόν, οἱ νεωκόροι τὴν αἰτίαν τῆς σιωπῆς ἀπαιτούμενοι διὰ τοὺς κειμένους ἐκεῖ νεκροὺς σιωπᾶν τὸ ἄγαλμα ἔλεγον. 115 Amm. 22,12,8; Soz. Hist. eccl. 5,19,10 f. 116 Philost. Hist. eccl. 7,8a,9–11 = Art. Pass. 53; 7,8a,18 = Art. Pass. 55; 7,8a,23 = Art. Pass. 56. 117 Diese Vorstellung kommt auch im Edikt Julians zum Verbot von Bestattungen bei Tage zum Ausdruck: Jul. Ep. 136b: vgl. CTh 9,17,5. Für Befleckung durch Geburt und Tod im archaischen und klassischen Griechenland grundlegend Parker 1983, 32–73. 118 Zu Euzoios vgl. Spanneut 1967 sowie unten Abschnitt IV.

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(96,7 f.): „Mögen alle zugrunde gehen, die Götzenbilder verehren und auf ihre Abbilder vertrauen!“119 In dieser erregten Stimmung verbreitete sich in der Nacht vom 22. Oktober 362 die Nachricht, der Apollon-Tempel in Daphne stehe in Flammen. Eine Menschenmenge lief um das brennende Gebäude zusammen, aber zu retten war nichts mehr: Das Dach und die Kultstatue wurden völlig zerstört.120 Die Frage nach der Brandursache war unabweisbar. Auf christlicher Seite beteuerte man von Anfang an, das Feuer sei durch Blitzschlag verursacht worden. Julian selbst war überzeugt, daß es sich um Brandstiftung handle, und machte Christen für die Tat verantwortlich.121 Diese Überzeugung wurde auch dadurch nicht ins Wanken gebracht, daß weder das von Julian angeordnete peinliche Verhör verdächtiger Personen, einschließlich des Apollon-Priesters selbst, noch eine im Auftrag der Stadt durchgeführte Untersuchung Täter ermitteln konnte.122 Trotz des Fehlens von Beweisen ließ der Kaiser die Hauptkirche der Stadt schließen und deren liturgisches Gerät konfiszieren.123 Ein halbes Jahr später, am 5. März 363, brach Julian von Antiocheia aus zum Feldzug gegen die Perser auf, auf dem er am 26. Juni desselben Jahres ums Leben kam. Die Nachricht soll bei Teilen der antiochenischen Bevölkerung Jubel ausgelöst haben.124 4. HEIDNISCHE UND CHRISTLICHE DEUTUNGEN DES TEMPELBRANDS125 Der Brand des Apollon-Tempels am 22. Oktober 362 bedeutete einen massiven Rückschlag für Julians Bemühungen um eine Revitalisierung und Reformation der heidnischen Kulte. Da eine innerweltliche Erklärung nur wenige Zeitgenossen vollauf befriedigte, geriet die heidnische Seite in Erklärungsnot, zumal der Verdacht der 119 Chrys. De S. Bab. c. Iul. 90; Rufin. Hist. eccl. 10,36: ; Philost. Hist. eccl. 7,8a,19–20 = Art. Pass. 55; Socr. Hist. eccl. 3,18,3–4; Soz. Hist. eccl. 5,19,17–19, Thdt. Hist. eccl. 3,10; Theoph. I 49,28–50,2. Sozomenos spricht von etwa 40 Stadien (ca. 8 km), Rufinus von sechs Meilen (ca. 9 km), Philostorgios von mehr als 50 Stadien (ca. 10 km). 120 Lib. Or. 60,12; Jul. Mis. 15, 346B (ἀφανισθέν); Ep. 98 Bidez, 400A/B. 121 Jul. Mis. 15,346B: τὸ τῆς Δάφνης ὁσάκις εἰσῆλθον τέμενος, προδοθὲν μὲν ὀλιγωρίᾳ τῶν φυλάκων, ταῖς δὲ τῶν ἀθέων ἀνδρῶν τόλμαις ἀφανισθέν; Mis. 33,361B: Ἐπεὶ δὲ ἀπεπεμψάμεθα τὸν νεκρὸν τῆς Δάφνης, οἱ μὲν ἀφοσιούμενοι τὰ πρὸς τοὺς θεοὺς ἐξ ὑμῶν ἀντέδωκαν τοῖς ὑπὲρ τῶν λειψάνων ἠγανακτηκόσι τοῦ νεκροῦ τὸ τέμενος τοῦ Δαφναίου θεοῦ, οἱ δὲ εἴτε λαθόντες εἴτε μὴ τὸ πῦρ ἔδειξαν ἐκεῖνο. 122 Lib. Ep. 1376; Chrys. De S. Babyla c. Iul. 95; Amm. 22,13,2. 123 Hieron. Chron. 2378 (a 362); Amm. 22,13,2; Philost. Hist. eccl. 7,8a,27 = Art. Pass. 57; Thdt. Hist. eccl. 3,11,4–3,12,9; Theoph. I 50,7–23; Zon. 13,12. 124 Lib. Ep. 1220; Thdt. Hist. eccl. 3,28,1. 125 Mit den zeitnahen Reaktionen bei Julian, Libanios und Johannes „Chrysostomos“ beschäftigt sich auch Shepardson 2009 und 2014, 67–91, die zu Recht betont, daß im Streit über die Ursachen des Tempelbrands raumbezogene Modelle kollektiver Erinnerung und Identität verhandelt wurden, aber den gattungsspezifischen und adressatenbedingten Merkmalen der Texte nicht hinreichend Beachtung schenkt.

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Brandstiftung nicht erhärtet werden konnte. Julian selbst wehrte den Vorwurf, der Brand des Tempels beweise die Machtlosigkeit seines Inhabers, mit dem Argument ab, Apollon habe das Heiligtum in Daphne schon vor dem Brand verlassen, und berief sich dafür auf ein Zeichen, das der Gott ihm gegeben habe, als er sein Kultbild erstmals erblickte.126 Der Kaiser verstand den Tempelbrand demnach als Strafe für das gottlose Verhalten der Antiochener. Libanios vertrat unmittelbar nach den Ereignissen eine andere Deutung: Der Sophist verfaßte eine Klagerede über den Tempelbrand, die von Julian ausdrücklich gelobt wurde,127 uns aber nur auszugsweise überliefert ist.128 In diesem Text beklagte er den Verlust eines bedeutenden Kunstwerks und die Verwüstung eines Ortes der Erholung, knüpfte also an die Deutung im „Antiochikos“ an. Daß es sich um Brandstiftung handle, war auch Libanios nicht zweifelhaft, doch hütete er sich, Täter namhaft zu machen. Darum richtete er an Helios und Ge – den Sonnengott und die Erdgöttin – die Frage: „Wer ist dieser Feind oder woher, der weder schwere Infanterie noch Reiter oder Leichtbewaffnete benötigte, um mit einem kleinen Funken alles zu vernichten?“129

Auch das Problem, weshalb Apollon die Zerstörung seines Tempels just in dem Moment zugelassen habe, in welchem sein Kult erneuert wurde, wird zwar aufgeworfen, bleibt aber ungelöst: „Als deine Altäre nach Blut dürsteten, Apollon, warst du ein gewissenhafter Wächter Daphnes trotz der Vernachlässigung; ja manchmal nahmst du es sogar hin, daß du mit Dreck beworfen und um den äußeren Schmuck gebracht wurdest. Jetzt aber, nachdem du viel Kleinvieh und viele Rinder, ja den heiligen Kuß des Kaisers am Fuß empfangen und den gesehen hast, den du vorhergesagt hattest, nachdem du von dem erblickt worden warst, der prophezeit worden war, und von einem üblen Nachbarn befreit worden warst, einem Toten, der dich aus der Nähe belästigte, da bist du mitten aus deiner Verehrung davon gesprungen. Womit werden wir uns noch brüsten gegenüber Männern, die an Heiligtümer (hiera) und Kultbilder (agalmata) denken?“130

126 Jul. Mis. 34,361C: Ἐμοὶ μὲν οὖν ἐδόκει καὶ πρὸ τοῦ πυρὸς ἀπολελοιπέναι τὸν νεὼν ὁ θεός, ἐ πε σή μ η ν ε γὰρ εἰ σελθ όντι μοι π ρῶ τον τὸ ἄγ αλ μ α, καὶ τούτου μάρτυρα καλῶ τὸν μέγαν Ἥλιον πρὸς τοὺς ἀπιστοῦντας; Mis. 36,363C: ὁ μὲν θεὸς ἐμαρτύρησέ μου τοῖς λόγοις, ὡς μήποτε ὤφελεν, ἐκλιπὼν τὸ προάστειον, ὃ πολὺν ἐτήρησε χρόνον ἐν ἐκείνῃ τῇ ζάλῃ τρέψας ἀλλαχοῦ τῶν κρατούντων τὴν διάνοιαν καὶ τὼ χεῖρε βιασάμενος. 127 Jul. Ep. 98 Bidez, 400A/B. 128 Richard Förster druckt die Fragmente in seiner Ausgabe als Rede 60. Nock 1962 hebt hervor, daß Libanios die Kultstatue selbst als Epiphanie des Gottes darstellt, und vermutet, daß der Sophist die Episode um den Perserkönig Sapor I., der die Kultstatue angeblich verschonte (Or. 60, 2), frei erfunden habe. 129 Lib. Or. 60,3: νῦν δέ, Ἥλιε καὶ Γῆ, τίς ἢ πόθεν ὁ πολέμιος οὗτος, ὃς οὔτε ὁπλιτῶν οὔτε ἱππέων οὔτε ψιλῶν τινων δεηθεὶς μικρῷ σπινθῆρι πάντα ἀνάλωσεν; vgl. § 8–10; dazu Festugière 1959, 83. 130 Lib. Or. 60,5 (zum Text vgl. oben Anm. 110): Εἶτα διψώντων μέν σοι τῶν βωμῶν αἵματος ἔμενες, Ἄπολλον, φρουρὸς ἀκριβὴς τῆς Δάφνης, καὶ ῥᾳθυμούμενος, ἔστι δὲ ὅπη καὶ προπηλακιζόμενος περικοπτόμενός τε τὸν ἔξω κόσμον ἠνείχου· νῦν δὲ μετὰ πολλὰ μὲν πρόβατα, πολλοὺς δὲ βοῦς στόμα βασιλέως ὅσιον τῷ ποδὶ δεξάμενος, ἰδὼν ὃν προὔλεγες, ὀφθεὶς ὑπὸ τοῦ μεμηνυμένου, πονηροῦ γειτονήματος ἀπαλλαγείς, νεκροῦ τινος ἐνοχλοῦντος ἐγγύθεν, ἐκ μέ-

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Die aporetische Beantwortung von Sinnfragen entsprach den Konventionen der literarischen Gattung Monodie und war darum auch für Julian nicht anstößig. In der Klagerede auf Julian, die Libanios wenige Monate nach dem frühen Tod des Kaisers verfaßte,131 machte der Sophist sich hingegen die Auffassung zu eigen, daß der Brand des Apollon-Tempels deshalb möglich gewesen sei, weil der Gott dieses Heiligtum vorher verlassen habe. Er ordnete sie nun jedoch in eine Serie von kosmischen Zeichen an, die Aufruhr und Unordnung angekündigt hätten: „Atmet auf, ihr Kelten! Führt Freudentänze auf, ihr Skythen! Stimmt das Siegeslied an, ihr Sarmaten! Euer Joch ist zerbrochen; eure Nacken sind frei. Das also bedeutete es, daß der Tempel (neos) des Apollon durch Feuer vernichtet wurde: Der Gott hat die Erde verlassen, weil sie befleckt werden sollte. Das bedeuteten die Erdbeben, welche die ganze Erde erschütterten: Sie waren Boten des Aufruhrs und der Unordnung.“132

Christlichen Theologen lieferte der Brand des Apollon-Tempels die gewünschte Bestätigung ihres Glaubens an das wirksame Eingreifen ihres Gottes in innerweltliche Geschehnisse. Die Nachricht muß sich noch zu Lebzeiten Julians weit über Antiocheia hinaus verbreitet haben. Gregor von Nazianz triumphiert kaum ein Jahr später, daß die Orakel des Apollon in Delphi und Daphne erneut verstummt seien: „Die Eiche spricht nicht mehr, der Dreifuß erteilt keine Orakel mehr, die Pythia füllt sich nicht mehr mit irgend etwas außer mit Mythen und Fabeleien. Kastalia ist erneut verstummt und schweigt wieder; sie ist kein Wasser mehr, das Orakel erteilt, sondern eines, das ausgelacht wird. Apollon ist wieder eine Statue ohne Stimme; Daphne ist wieder eine Pflanze, die wegen eines Mythos beweint wird …“133

In Antiocheia selbst war die Erinnerung an den Tempel-Brand eng mit dem Kult des Märtyrers Babylas verbunden. Dieser Kult wurde zunächst vor allem, vielleicht ausschließlich, in der homöischen Gemeinde gepflegt, die bis 376 von Euzoios geführt wurde und von Julians Nachfolger Valens als Teil der einen rechtgläubigen Kirche anerkannt war.134 Als Prüfstein der Orthodoxie galt damals eine Glaubensformel, die Gottvater und Gottsohn als gleich (homoios) definierte, weswegen die moderne Forschung von Homöern spricht. Die in zwei Gemeinden gespaltenen Anhänger der Glaubensformel von Nizäa hingegen hatten damals weder Anlaß noch σης τῆς θεραπείας ἀποπεπήδηκας. πόθεν ἔτι φιλοτιμησόμεθα πρὸς ἄνδρας ἱερῶν μεμνημένους καὶ ἀγαλμάτων; 131 Wiemer 1995, 247–259. 132 Lib. Or. 17,30: ἀναπνεύσατε, Κελτοί. χορεύσατε, Σκύθαι. παιανίσατε, Σαυρομάται. ὁ ζυγὸς ὑμῖν συντέτριπται καὶ οἱ αὐχένες ἐλεύθεροι. τοῦτο ἦν ἄρα νεὼς Ἀπόλλωνος πυρὶ δαπανώμενος, ἐξέλιπεν ὁ θεὸς τὴν γῆν μιαίνεσθαι μέλλουσαν, τοῦτο σεισμοὶ γῆν πᾶσαν δονοῦντες, μελλούσης ἄγγελοι ταραχῆς τε καὶ ἀκοσμίας. 133 Greg. Naz. Or. 5,32: Οὐκέτι φθέγγονται δρῦς, οὐκέτι λέβης μαντεύεται, οὐκέτι Πυθία πληροῦται οὐκ οἶδ᾽ ὧντινων πλὴν καὶ ληρημάτων. Πάλιν ἡ Κασταλία σεσίγηται καὶ σιγᾷ καὶ ὕδωρ ἐστὶν οὐ μαντευόμενον, ἀλλὰ γελώμενον· πάλιν ἀνδριὰς ἄφωνος ὁ Ἀπόλλων, πάλιν ἡ Δάφνη φυτόν ἐστιν μύθῳ θρηνούμενον. Vgl. auch Or. 39,5; Carm. 2,1,41, Z.18; Carm. 2,2,7, Z.256. 134 Richtig Brennecke 1988, 137 mit Anm. 125; anders Hahn 2004, 170 Anm. 11. Bischof Leontios von Antiocheia, der Vorgänger des Euzoios, verfaßte eine Vita des Babylas, aus der Chron. Pasch. I 503 f. zitiert.

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Gelegenheit, des Märtyrers Babylas und seiner postmortalen Wirksamkeit in ritualisierter Form zu gedenken.135 Der Anspruch der homöischen Gemeinde, die rechtgläubige Kirche zu vertreten, geriet jedoch ins Wanken, als Kaiser Valens wohl Ende des Jahres 377 den verbannten Bischöfen die Rückkehr in ihre Gemeinden gestattete.136 Meletios, der Vorsteher einer der beiden nizänischen Gemeinden, konnte nach Antiocheia zurückkehren und dort im September 379 eine Synode abhalten.137 Zugleich beanspruchte er den Kult des Babylas für sich und seine Anhänger. In dieser Situation, im Jahre 378 oder 379, verfaßte ein Mitglied seiner Gemeinde, das später unter dem Beinamen Chrysostomos („Goldmund“) Berühmtheit erlangen sollte,138 einen Traktat über Babylas, um an seinem Beispiel die von Christus verliehene Macht der Märtyrer zu demonstrieren, die auch über den Tod hinaus wirksam bleibe.139 Johannes, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Diakon geweiht, also kein Kleriker war, polemisierte in diesem Traktat folglich keineswegs nur gegen die Heiden Antiocheias; vielmehr ergriff er zugleich Partei im Kampf der christlichen Gemeinden gegeneinander.140 In diesem umfangreichen Text bildet der Brand des Apollon-Tempels den dritten und letzten Akt eines Dramas, das mit dem Märytertod des antiochenischen Bischofs (§ 23–63) beginnt, sich mit der Überführung seiner Leiche aus dem städtischen Friedhof nach Daphne (§ 67–75) und der von Julian erzwungenen Rückkehr 135 Zu den innerchristlichen Lagerbildungen in Antiocheia nach dem Tode Julians vgl. Eltester 1937, 275–277; Downey 1961, 410–413; Brennecke 1988, 196. 136 Hieron. Chron. 2394 (a 378): Valens de Antiochia exire compulsus sera poenitentia nostros de exiliis revocat. Die unmittelbar zeitgenössische Aussage des Hieronymus bezeichnet die Umstände, die Valens zu einer Änderung seiner Politik zwangen, nicht deren Zeitpunkt und führt, wie schon Seeck 1919, 249 gesehen hat, wegen Chron. Edess. 33, CSCO. Syr. 1 4, 2 (Text), CSCO. Syr. 2, 5 f. (Übersetzung), auf Ende 377; vgl. auch Ruf. Hist. eccl. 11,13; dazu überzeugend Snee 1985. Anders Barnes 1997, der auf April/Mai 378 datiert. 137 Zu Meletios vgl. Brennecke 1988, bes. 66–81; 173–178; 232–236; Shepardson 2014, 79–90. Karmann 2009 behandelt die Jahre nach Jovians Tod lediglich in Form eines kurzen Anhangs: 453–459. Zum antiochenischen Konzil von 379 vgl. Bardy 1933. 138 Eine aktuelle Einführung zu Leben und Werk bietet Brändle 1997, doch bleiben die älteren Werke von Baur 1929/1930 und Kelly 1976 unentbehrlich. Grundlegend für das Verhältnis des Johannes zu den Schauspielen ist Pasquato 1976; vgl. auch Soler 2006, 139–215. 139 Einführend Schatkin 1990; vgl. auch Rist 2005. Ein terminus ante quem ergibt sich daraus, daß das Martyrion jenseits des Orontes, mit dessen Bau spätestens im Sommer 380 begonnen wurde, nirgendwo erwähnt wird. Bei der Abfassung des Traktats rechnete Johannes noch damit, daß der Leichnam des Babylas nach Daphne zurückkehren werde (§ 126). Andererseits hätte Johannes wohl nicht behauptet, man befinde sich im zwanzigsten Jahr nach dem Tempelbrand (§ 117), wenn nicht deutlich mehr als 10 Jahre vergangen gewesen wären. 140 Shepardson 2009 liest den Traktat des Johannes als Replik auf Libanios’ Rede „Rache für Julian (Or. 24) aus dem Jahr 379 und meint, er sei für den Gedächtnistag des Märtyrers (24. Januar) verfaßt worden. Beides ist wenig wahrscheinlich: Johannes polemisiert gegen Libanios als „Sophisten der Stadt“ (§ 98 f.; 99; 104) und zitiert aus dessen „Monodie auf den ApollonTempel“ (Or. 60), nicht aus der Rede „Rache für Julian“. Libanios adressierte seine Rede an Kaiser Theodosus oder jedenfalls an Personen bei Hofe, die in der Lage waren, Einfluß auf kaiserliche Entscheidungen zu nehmen. Johannes dagegen schrieb seinen Traktat für Angehörige der lokalen oder provinzialen Eliten. Zudem war Johannes’ Traktat für eine liturgische Verwendung schon aufgrund seiner Länge völlig ungeeignet.

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(§ 76–91) fortsetzt und in der Vertreibung Apollons aus seinem Heiligtum (§ 92–97) seinen Höhepunkt erreicht. Es folgt eine ausführliche Widerlegung der Klagerede des Libanios (§ 98–113), die stückweise zitiert und dann nach allen Regeln der Dialektik zerpflückt wird. Johannes erzählt zunächst, ein Kaiser, dessen Namen zu nennen er vermeidet,141 habe den Sarg des Babylas nach Daphne bringen lassen (§ 67–69), weil er auf diese Weise die dort herrschenden Ausschweifungen habe beenden wollen. Denn dieser Kaiser habe erkannt, daß der Märtyrer dadurch, daß er die Macht des dort hausenden Dämons breche, auch die Zuchtlosigkeit der jungen Männer bändigen werde. Tatsächlich habe Babylas durch seine bloße Anwesenheit die schädlichen Wirkungen neutralisiert, welche Apollon und andere Dämonen auf das moralische Verhalten der Besucher Daphnes ausgeübt hätten: „Denn kaum betritt einer Daphne, dann wird er zur Mäßigung gebracht, wenn er gleich am Eingang zur Vorstadt das Martyrion sieht, wie wenn ein junger Mann beim Gastmahl seinen Erzieher (paidagogos) erblickt, der neben ihm steht und ihn durch den Anblick ermahnt, in der angemessenen Ordnung zu trinken und zu essen, zu reden und zu lachen, und sich dadurch zu hüten, durch Überschreiten des Maßes dem eigenen Ruf Schande zu bereiten. Wenn er durch den Anblick vorsichtiger geworden ist und sich den Glückseligen vorgestellt hat, dann geht er gleich zu dessen Sarg (larnax); dort angekommen, empfindet er noch größere Furcht, legt alle Geringschätzung ab und geht auf diese Weise beflügelt davon.“142

Johannes vergleicht den Märyrer hier mit einem Erzieher; an anderer Stelle (§ 69) bezeichnet er ihn als Seelenarzt, der die durch das Wirken eines Dämons entfesselten Affekte bändige: „Die Schönheit Daphnes ruft auch die Leichtsinnigeren zu sich heraus; der Märtyrer aber, der gleichsam in einer Höhle sitzt und dort denen auflauert, die eintreten, hält sie fest und läßt sie erst wieder los, nachdem er sie vorher diszipliniert hat, damit sie künftig ihre Geliebte nicht mißhandeln (hybristikos), sondern anständig (semnos) mit ihr umgehen. Da nämlich unter den Menschen die einen aus Leichtsinn und die anderen aufgrund von Alltagssorgen nicht zu den Gräbern der Märtyrer gehen wollen, hat Gott dafür gesorgt, daß sie auf diese Weise wie in einem Netz gefangen werden und dadurch der Pflege ihrer Seele teilhaftig werden.“143

Mit der Zeit, so fährt Johannes fort, habe die Menge Daphne nicht mehr allein wegen des Strebens nach Üppigkeit (tryphê) aufgesucht, sondern aus Sehnsucht nach 141 Daß Johannes den Vorgänger und Halbbruder Julians sehr wohl kennt, ergibt sich aus § 76. 142 Chrys. De S. Bab. c. Iul. 70: Ἅμα τε γὰρ ἐφίσταταί τις τῇ Δάφνῃ καὶ τὸ μαρτύριον εὐθέως ἀπὸ τῶν τοῦ προαστείου προθύρων ἰδὼν συστέλλεται καθάπερ τις νέος ἐν συμποσίῳ παιδαγωγὸν θεασάμενος ἐφεστῶτα καὶ παρακελευόμενον διὰ τῆς ὄψεως ἐν τάξει τῇ προσηκούσῃ πίνειν τε καὶ ἐσθίειν καὶ φθέγγεσθαι καὶ γελᾶν, φυλαττόμενον μή που τὸ μέτρον ὑπερβὰς τὴν δόξαν αἰσχύνῃ τὴν ἑαυτοῦ. Γενόμενος δὲ ὑπὸ τῆς ὄψεως εὐλαβέστερος καὶ τὸν μακάριον φαντασθεὶς πρὸς τὴν λάρνακα εὐθέως ἐπείγεται, καὶ ἐλθὼν ἐκεῖ μείζονά τε προσλαμβάνει φόβον καὶ πᾶσαν ὀλιγωρίαν ἐκβαλῶν καὶ γενόμενος πτηνὸς οὕτως ἄπεισι. 143 Chrys. De S. Bab. c. Iul. 71: Καὶ τὸ μὲν Δάφνης κάλλος καὶ τοὺς ῥαθυμοτέρους ἐκκαλεῖται πρὸς ἑαυτήν, ὁ δὲ μάρτυς καθάπερ ἐν αὐλίῳ τινὶ καθήμενος καὶ λοχῶν τοὺς εἰσιόντας κατέχει τέως αὐτούς, καὶ ῥυθμίσας πρότερον οὕτως ἀφίησιν οὐδὲ ὑβριστικῶς ἀλλὰ σεμνῶς τῇ ἐρωμένῃ χρησομένους λοιπόν. Ἐπειδὴ γὰρ τῶν ἀνθρώπων οἱ μὲν διὰ ῥαθυμίαν οἱ δὲ διὰ φροντίδας βιωτικὰς οὐκ ἐθέλουσιν εἰς τὰς τῶν μαρτύρων θήκας ἀπαντᾶν, ᾠκονόμησεν ὁ Θεὸς τούτῳ σαγηνεύεσθαι τῷ τρόπῳ καὶ τῆς θεραπείας αὐτοὺς ἀπολαύειν τῆς ἐν τῇ ψυχῇ.

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dem Märtyrer. Freilich räumt er ein, daß das nicht für alle gelte: Aber auch diejenigen, die Daphne allein um der Üppigkeit willen aufsuchten, erführen die heilsame Wirkung des Märtyrers, denn er rufe sie zu sich, bewirte sie mit seinen Gaben und immunisiere sie auf diese Weise gegen schädliche Einflüsse (§ 72). Babylas habe aber nicht nur die Herrschaft der Ausschweifung beendet, sondern auch die Macht des Dämons gebrochen, indem er ihn erst zum Schweigen gebracht und dann vertrieben habe. Freilich sei das Schweigen des Dämons zunächst damit erklärt worden, daß er keine Opfer mehr erhielt (§ 73–74). Da gerade Julian den Apollon von Daphne eifrig verehrt hatte, fiel es Johannes nicht schwer, diese Erklärung zu widerlegen: „Dieser Kaiser ging dauernd nach Daphne […]. Heftig bedrängte er den Dämon, forderte ein Orakel und verlangte, daß er ihm wegen seiner Pläne eine Prophezeiung erteile. Jener gute Mann aber, ‚der die Anzahl der Sandkörner kennt und das Maß des Meers, der den Tauben versteht und den Stummen hört‘, wie es heißt, er verweigerte zwar eine ausdrückliche und deutliche Aussage, daß er nämlich deswegen nicht sprechen könne, weil ihm wegen des heiligen Babylas und der von den Nachbarn ausgehenden Kraft der Mund verschlossen sei, denn er fürchtete, sich dadurch bei seinen eigenen Anhängern lächerlich zu machen. Da er aber eine Niederlage bemänteln wollte, nannte er einen Vorwand für sein Schweigen, der ihn noch lächerlicher machte als sein Schweigen. […] Was nämlich war der Vorwand? ‚Der Ort Daphne ist voller Leichen, und das hindert das Orakel‘, sagte er. Wie viel besser wäre es gewesen, Elender, die Macht des Heiligen einzugestehen, als so unverschämte Vorwände zu ersinnen? Das waren die Worte des Dämon. Der Kaiser ohne Verstand aber ging, als führe er auf einer Bühne ein Drama auf, sogleich auf den glückseligen Babylas los.“144

Um die Behauptung, der Dämon habe sich hinter einem Vorwand versteckt, zu untermauern, legt Johannes ausführlich dar, daß die heidnische Vorstellung, Leichen verursachten eine Befleckung, unbegründet sei (§ 82–86), und unterstellt, Julian habe den Sarg des Babylas deswegen nicht angetastet, weil er sich selbst vor dem Märytrer gefürchtet habe (§ 87–91). Kaum sei Babylas auf den städtischen Friedhof zurückgekehrt, habe er Gott gebeten, den Tempel in Brand zu setzen (§ 93). Daraufhin habe ein gottgesandtes Feuer das Kultbild und das Dach des Tempels vollständig vernichtet, die Mauern der Cella und die Säulen der Ringhalle aber bis auf eine stehen lassen (§ 94). Mit der Flucht des Dämon aus Daphne endet diese dramatische Auseinandersetzung. Der Traktat vermittelt also eine sehr optimistische Botschaft, eine Art pas144 Chrys. De S. Bab. c. Iul. 80 f.: Οὗτος δὴ οὖν ὁ βασιλεὺς εἰς τὴν Δάφνην συνεχῶς ἀνιὼν […] ἐπέκειτο σφοδρῶς τὸν δαίμονα χρησμὸν ἀπαιτῶν καὶ ἀξιῶν ἀναιρεῖν ὑπὲρ τῶν κατὰ γνώμην αὐτῷ. Ὁ δὲ γενναῖος ἐκεῖνος, καὶ ψάμμου τε ἀριθμὸν εἰδὼς καὶ μέτρα θαλάσσης καὶ κωφοῦ συνιεὶς καὶ οὐ λαλέοντος ἀκούων (ὥς φησι) τὸ μὲν εἰπεῖν διαρρήδην καὶ σαφῶς, ὅτι ‘διὰ τὸν ἅγιον Βαβύλαν καὶ τὴν ἐκ γειτόνων δύναμιν ἐπιστομισθεὶς οὐ δύναμαι φθέγγεσθαι,’ παρῃτήσατο δεδοικὼς μὴ γέλωτα παρὰ τοῖς θεραπευταῖς ὄφλει τοῖς αὑτοῦ, βουλόμενος δὲ συσκιάσαι τὴν ἧτταν εἶπε πρόφασιν τῆς σιγῆς ἢ μᾶλλον αὐτὸν καταγελαστότερον ἀπέφηνε τῆς σιγῆς. […] 81. Τίς γὰρ ἡ πρόφασις; Νεκρῶν, φησίν, ἐστι τὸ χωρίον ἡ Δάφνη μεστὸν καὶ τοῦτο κωλύει τὸν χρησμόν. Καὶ πόσῳ βέλτιον ἦν, ὦ δείλαιε, τοῦ μάρτυρος ὁμολογῆσαι τὴν δύναμιν ἢ οὕτως ἀναίσχυντα προφασίζεσθαι. Καὶ ὁ μὲν δαίμων ταῦτα, ὁ δὲ ἀνόητος βασιλεὺς καθάπερ ἐν σκηνῇ παίζων καὶ δρᾶμα ὑποκρινόμενος ἐπὶ τὸν μακάριον εὐθέως ἦλθε Βαβύλαν. Johannes zitiert Herodot 1,47.

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toraler Utopie: Mit dem Sieg über die Dämonen ist auch die Ursache der Zügellosigkeit beseitigt; der heidnische Mythos wird durch eine christliche Ethik der Mäßigung abgelöst. Daphne hat sich aus einem Ort der Ausschweifung in eine Stätte der Andacht verwandelt. Die Ruine des Apollon-Tempels erfüllt dabei die Funktion eines Mahnmals: Die Überreste sollten künftige Geschlechter an den Sieg des Babylas erinnern und dadurch zu ihrer sittlichen Besserung beitragen (§ 117). Johannes kam auch später noch wiederholt auf Babylas zu sprechen, nachdem er im Jahre 386 das Amt eines Presbyters in der Gemeinde des Bischofs Flavianos, des Nachfolgers des Meletios, angetreten hatte. Die innerchristlichen Machtverhältnisse hatten sich inzwischen völlig umgekehrt: Die homöische Gemeinde wurde vom Kaiser verfolgt, während die nizänische Gemeinde des Flavianos als rechtgläubig anerkannt war. Sie befand sich mittlerweile im Besitz der „Großen Kirche“ und beanspruchte ein Monopol auf den Kult des Babylas. Als Johannes am Jahrestag des Heiligen – dem 24. Januar – eine Predigt hielt,145 lagen dessen Gebeine nicht mehr auf dem städtischen Friedhof, sondern in einer eigens für ihn errichteten, kreuzförmigen Kirche, die auf der anderen Seite des Orontes lag und von Daphne weit entfernt war. Babylas war in diesem Kultgebäude, das in den 1930er Jahren ausgegraben werden konnte,146 gemeinsam mit Bischof Meletios bestattet, der im Mai 381 auf dem Konzil in Konstantinopel verstorben war. In dieser Predigt beschreibt Johannes zwar die Ruine des Apollon-Tempels als Zeichen des Sieges Christi über Apollon, erwähnt hingegen das inzwischen verwaiste Martyrion in Daphne nur noch beiläufig: „Denn die Mauern stehen jetzt wie Siegeszeichen und tönen lauter als eine Trompete; den Menschen in Daphne, denen in der Stadt, denen, die von weither kommen, den Zeitgenossen, den Menschen, die noch kommen werden, erzählen sie alles durch ihren Anblick: das Ringen, den Kampf, den Sieg des Märtyrers. Denn wer weit von der Stadt entfernt ist und das Martyrion ohne den Sarg, den Tempel aber seines Daches beraubt sieht, der dürfte nach der Ursache für beides suchen; wenn er dann die ganze Geschichte gehört hat, geht er so von dort wieder weg. Von dieser Art sind die Taten des Märtyrers, die er nach seinem Tod vollbracht hat. Deswegen preise ich eure Stadt glücklich, daß ihr so großen Eifer für diesen Heiligen gezeigt habt. Und auch damals, als er aus Daphne zurückkehrte, hatte sich unsere ganze Stadt auf dem Weg ausgebreitet; leer von Männern waren die Plätze, leer von Frauen die Häuser, verlassen von Jungfrauen die Gemächer. Jedes Alter und beide Geschlechter waren aus der Stadt geeilt, wie um einen Vater nach langer Zeit zu empfangen, der von einer weiten Reise zurückkehrt. Und ihr habt ihn dem Chor derjenigen zurückgegeben, die denselben Eifer zeigten. Die Gnade Gottes aber ließ ihn dort nicht immer bleiben, sondern transportierte ihn erneut, (und zwar) auf die andere Seite des Flusses. Und auch dort sollte er nicht allein bleiben, sondern bald erhielt er als Nachbarn und Mitbewohner einen, der denselben Charakter hatte. Denn er teilte mit ihm dasselbe Amt und zeigte denselben Freimut um der Frömmigkeit willen. Deswegen erhielt

145 Einführung bei Guinot 1995; vgl. Grillet/Guinot bei Schatkin 1990, 279–281, die sich für eine Datierung auf 398 aussprechen. Das Datum der Hinrichtung des Babylas nennt eine syrische Martyrologie, die vor 412 entstanden ist: Wright 1866, 424 (Übersetzung). 146 Downey 1938; Mayer/Allen 2012, 32–49.

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dieser bewundernswerte Nachahmer des Märtyrers auch dieselbe Wohnung, nicht umsonst, wie es scheint …“147

Der Kult des Babylas blieb in Daphne also ein kurzes Intermezzo. Es entstanden dort aber auch keine anderen Stätten christlichen Kultes.148 Das sakrale Vakuum, das durch die Zerstörung des Apollon-Kults entstand, blieb ungefüllt. Als Johannes seine Schriften über Babylas verfaßte, lag das erste historiographische Werk, das sich mit den Ereignissen um das Apollon-Heiligtum befaßte, wohl bereits vor. Es entstand in Antiocheia und beschrieb das Geschehen aus der Sicht derjenigen Gemeinde, die von Johannes und seinem Bischof Meletios als arianisch betrachtet wurde, bis zum Jahr 380 aber die vom Kaiser anerkannte „Reichskirche“ repräsentierte; er war also Homöer. Dieser sogenannte homöische Historiograph ist freilich im Original verloren und kann daher nur im Umriß rekonstruiert werden. Offenbar betonte er die Standhaftigkeit und Geschlossenheit der in Wahrheit mehrfach gespaltenen Christen Antiocheias und stellte dabei den homöischen Bischof Euzoios als leuchtendes Vorbild heraus.149 Manches spricht dafür, daß der Bericht des homöischen Historiographen dem Heiden Ammianus Marcellinus bekannt war, der 391 den ersten Teil einer römi-

147 Chrys. Pan. Bab. 9–10: Καὶ γὰρ ἑστήκασιν οἱ τοῖχοι νῦν ἀντὶ τροπαίων, σάλπιγγος λαμπροτέραν ἀφιέντες φωνὴν, τοῖς ἐν τῇ Δάφνῃ, τοῖς ἐν τῇ πόλει, τοῖς πόῤῥωθεν ἀφικνουμένοις, τοῖς συνοῦσι, τοῖς αὖθις ἐσομένοις ἀνθρώποις ἅπαντα διηγοῦνται διὰ τῆς ὄψεως, τὴν πάλην, τὴν συμπλοκὴν, τὴν νίκην τοῦ μάρτυρος. Τὸν γὰρ πόῤῥωθεν ἀφιστάμενον τοῦ προαστείου, καὶ τὸ μὲν μαρτύριον τῆς λάρνακος ἔρημον, τὸν δὲ ναὸν τὴν στέγην ἀφῃρημένον ὁρῶντα, εἰκὸς τὴν αἰτίαν τούτων ἑκατέρων ζητεῖν· εἶτα πᾶσαν μαθόντα τὴν ἱστορίαν, οὕτως ἀπελθεῖν ἐκεῖθεν. Τοιαῦτα τοῦ μάρτυρος τὰ κατορθώματα, τὰ μετὰ τὴν τελευτήν. 10. Διὸ καὶ τὴν ὑμετέραν μακαρίζω πόλιν, ὅτι πολλὴν περὶ τὸν ἅγιον τοῦτον ἐπεδείξασθε τὴν σπουδήν. Καὶ γὰρ τότε, ἡνίκα ἀπὸ τῆς Δάφνης ἐπανῄει, πᾶσα μὲν ἡμῖν ἡ πόλις εἰς τὴν ὁδὸν ἐξεχύθη, καὶ κεναὶ μὲν αἱ ἀγοραὶ ἀνδρῶν, κεναὶ δὲ γυναικῶν ἦσαν αἱ οἰκίαι, ἔρημοι δὲ παρθένων οἱ θάλαμοι. Οὕτω καὶ ἡλικία πᾶσα, καὶ φύσις ἑκατέρα τῆς πόλεως ἐξεπήδησαν, ὥσπερ πατέρα ἀποληψόμενοι χρόνιον, ἐκ μακρᾶς ἐπανιόντα τῆς ἀποδημίας, Καὶ ὑμεῖς μὲν αὐτὸν τῷ τῶν ὁμοζήλων ἀπεδώκατε χορῷ· ἡ δὲ τοῦ Θεοῦ χάρις οὐκ εἴασεν ἐκεῖ διηνεκῶς μεῖναι, ἀλλὰ πάλιν αὐτὸν τοῦ ποταμοῦ πέραν μετέστησεν, ὥστε πολλὰ τῶν χωρίων τῆς εὐωδίας ἐμπλησθῆναι τοῦ μάρτυρος. Καὶ οὐδὲ ἐνταῦθα ἐλθὼν μόνος ἔμελλεν ἔσεσθαι, ἀλλὰ ταχέως γείτονα καὶ ὁμόσκηνον τὸν ὁμότροπον ἔλαβε, Καὶ γὰρ τῆς ἀρχῆς ἐκοινώνησεν αὐτῷ τῆς αὐτῆς, καὶ παῤῥησίαν ἴσην ἐπεδείξατο τῆς εὐσεβείας ἕνεκεν. Διὸ καὶ τὴν σκηνὴν ἔλαχεν αὐτῷ τὴν αὐτὴν, οὐ μάτην, ὡς ἔοικεν, ὁ θαυμαστὸς οὗτος τοῦ μάρτυρος ζηλωτής … 148 Gegen die Annahme, es habe in Daphne ein christliches Martyrion der Makkabäer gegeben (Mayer/Allen 2012, 92–94), wendet sich mit guten Gründen Saliou 2014a, 645–656. Johannes erwähnt eine Höhle namens Matrona, wo Christen unter jüdischem Einfluß durch Inkubation Heilung suchten (Chrys. Adv. Iud. 1, PG 48, 852; In Tit. Hom. 3, PG 62, 679). Diese Höhle hat jedoch mit dem Kult der Makkabäer nichts zu tun und kann auch nicht lokalisiert werden. Die von Malal. 8,23,207 erwähnte Synagoge der Makkabäer in Antiocheia ist eine aitiologische Legende, wie Triebel 2005 gegen Bickerman 1951 gezeigt hat; vgl. auch Ziadé 2006, 118–123. 149 Grundlegend Brennecke 1988, 136–141. Aus dieser Quelle muß die Nachricht stammen (Thdt. Hist. ecl. 3,12,3), es sei Bischof Euzoios gewesen, der den Beamten Julians in der „Großen Kirche“ Antiocheias entgegentrat.

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schen Geschichte in lateinischer Sprache veröffentlichte.150Ammianus, der aus Antiocheia stammte,151 übergeht die Überführung der Babylas-Reliquien mit Stillschweigen. Seinem Bericht zufolge faßte Julian den Plan, die Orakel-Quelle Kastalia wieder zu öffnen, die einst Hadrian habe verschließen lassen. Nach einer Lücke unbekannten Ausmaßes folgt unvermittelt die Aussage, Julian habe befohlen, die dort beerdigten Körper wegbringen zu lassen, wie einst die Athener das ApollonHeiligtum von Delos gereinigt hätten.152 „Zur selben Zeit“, am 22. Oktober, sei das gewaltige Heiligtum des Apollon von Daphne durch „die plötzliche Gewalt der Flammen“ zerstört worden. Julian habe daraufhin peinliche Verhöre angeordnet, die „strenger als üblich“ gewesen seien, und die „größere Kirche“ Antiocheias schließen lassen. Denn der Kaiser, außer sich vor Zorn, habe vermutet, Christen hätten den Brand gelegt, weil sie neidisch waren, daß der Tempel mit einem prächtigen Säulenring umgeben wurde.153 Der heidnische Historiograph distanziert sich auf diese Weise verhalten, aber deutlich vom Verhalten Julians, lehnt jedoch zugleich die christliche Deutung implizit ab. Obendrein unterstreicht er die Unmöglichkeit, die Brandursache sicher zu ermitteln, indem er das „haltlose Gerücht“ (rumor levissimus) referiert, der Brand sei durch das fahrlässige Verhalten eines Philosophen verursacht worden.154 Die Reihe der kirchenhistorischen Werke, die uns erhalten geblieben sind,155 beginnt mit Rufinus von Aquileia, der zu Beginn des 5. Jahrhunderts die Kirchengeschichte des Eusebios von Kaisareia ins Lateinische übersetzte und dessen Dar150 Das Standardwerk zu Ammianus Marcellinus ist Matthews 1989, der 439–441 die Darstellung der Babylas-Episode analysiert. Zu seinen historiographischen Methoden vgl. jetzt Kelly 2007. Über christliche Quellen Brennecke 1997. 151 Matthews 1994. 152 Amm. 22,12,8: Iulianus novam consilii viam ingressus est venas fatidicas Castalii recludere cogitans fontis, quem obstruxisse Caesar dicitur Hadrianus mole saxorum ingenti veritus, ne, ut ipse praecinentibus aquis capessendam rem publicam comperit, etiam alii similia docerentur: adfatus, circumhumata corpora statuit exinde transferri eo ritu, quo Athenienses insulam purgaverant Delon. Die Lücke wurde durch Mommsen entdeckt und mit deumque gefüllt. In der Ausgabe des Gelenius steht ac statim vor adfatus. Den Boeft u. a. 1995, 225 f. diskutieren das textkritische Problem, ohne eine Lösung vorzuschlagen. Der Verweis auf die Reinigung des Apollon-Heiligtums von Delos bezieht sich auf Herodot 1,64 und/oder Thukydides 3,104. 153 Amm. 22,13,1 f.: Eodem tempore diem undecimum kalendarum Novembrium a m p l i s s i m u m Daphnaei Apollinis fanum, quod Epiphanes Antiochus rex ille condidit iracundus et saevus, et simulacrum in eo Olympiaci Iovis imitamenti aequiperans magnitudinem subita vi flammarum exustus est. quo tam atroci casu repente consumpto ad id usque imperatorem ira provexit, ut quaestiones agitari iuberet solito acriores et maiorem ecclesiam Antiochiae claudi. suspicabatur enim id Christianos egisse stimulatos invidia, q u o d i d e m t e m p l u m i n v i t i v i d ebant amb itioso circumdari peristylio . Ammianus ist der einzige Autor, der Antiochos IV. Epiphanes als Bauherrn des Apollon-Tempels bezeichnet. Möglicherweise hatte dieser König den Tempel restaurieren lassen und wurde deshalb zu den οἰκισταί gezählt, deren Statuen Lib. Or. 60,12 erwähnt. 154 Amm. 22,13,3. Der Philosoph hieß Asklepiades. Julian erwähnt ihn in Or. 7,18, 224D. 155 Zu den „synoptischen“ Kirchenhistorikern Sokrates, Sozomenos und Theodoret grundlegend Leppin 1996; für Sokrates und Sozomenos vgl. auch Nuffelen 2004.

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stellung bis an das Jahr 395 heranführte.156 Rufinus zufolge versuchte Julian vergeblich, von Apollon ein Orakel zu erhalten. Als der Kaiser die Priester des Gottes (sacerdotes daemonis) nach dem Grund für dieses Schweigen gefragt habe, hätten diese die Nähe des Babylas genannt, woraufhin Julian den Christen befohlen habe, dessen Grab zu entfernen. Rufinus schildert die Überführung des Sarges (arca) als Demonstration christlicher Siegesgewißheit und kontrastiert sie mit der ohnmächtigen Wut des Kaisers. Zur Beglaubigung und Veranschaulichung erzählt er die Geschichte eines junges Mannes namens Theodorus, die er von ihm selbst gehört habe: Theodorus sei wegen der Teilnahme an der Translation mit größter Brutalität gefoltert worden, habe aber keine Schmerzen gespürt, weil ihm ein Jüngling erschienen sei, der ihm Beistand geleistet habe.157 Der Brand des Tempels spielt in dieser Darstellung, die um 440 von dem Kirchenhistoriker Sokrates ins Griechische übertragen wurde, keine Rolle.158 Im Fokus steht die Standhaftigkeit der als Einheit beschriebenen Christen gegen Julian. Auch Sozomenos, der sich wenige Jahre später daran machte, die „Kirchengeschichte“ des Sokrates formal und inhaltlich zu überbieten, kannte die Darstellung des Rufinus; sein Bericht über die Überführung der Babylas-Reliquien stammt aus dieser Quelle, derjenige über den Bekennermut des Theodorus ist durch Sokrates vermittelt, der seinerseits aus Rufinus schöpfte.159 Sozomenos zog für seine Darstellung, die um ein Vielfaches ausführlicher ist, jedoch auch andere Quellen, darunter die Schriften des Johannes über Babylas, heran.160 Er beschreibt zunächst Daphne als Ort der Ausschweifung, der von anständigen Leuten gemieden, von den Heiden aber wegen seiner lieblichen Natur, des mit ihm verbundenen Mythos, wegen der Statue und des Tempels des Apollon sowie wegen seines Orakels hoch geschätzt worden sei.161 An dieser Stelle schiebt der Kirchenhistoriker die Aussage ein, wie es heiße, habe dieses Orakel einst Hadrian vorhergesagt, daß er einmal Kaiser werden würde; nachdem die Prophezeiung dann eingetreten sei, habe dieser die Quelle Kastalia zuschütten lassen, damit sie nicht anderen dasselbe Orakel erteilen könne.162 Im Fortgang der Darstellung wird deutlich, daß Sozomenos diese Auffassung nicht teilt. Denn er argumentiert genau wie Johannes: Der wahre Grund für das Verstummen des Orakels bestehe darin, daß der Caesar Gallus, den Sozomenos als einziger beim Namen nennt, den Sarg des Babylas nach Daphne habe überführen lassen. Zwar sei zunächst behauptet worden, das Verstummen des Orakels erkläre sich dadurch, daß dem Gott keine Opfer mehr dargebracht wurden. Die Ereignisse unter Julian bewiesen jedoch, daß diese Erklärung nicht zutreffend sei. Wie Johannes erklärt Sozomenos, der Dämon habe seine Niederlage bemänteln wollen, 156 Thelamon 1981. 157 Ruf. Hist. eccl. 10,36. Brennecke 1988, 139 führt die Theodorus-Geschichte auf antiochenische Lokaltradition zurück und vermutet, sie sei erst nachträglich mit der Babylas-Tradition verbunden worden. 158 Socr. Hist. eccl. 3,18–19. Sokrates zitiert Rufinus ausdrücklich als Quelle: 3,19,8. 159 Soz. Hist. eccl. 5,19,18–19 + 5,20,1–4. 160 Schoo 1911, 76; Nuffelen 2004, 486 f. 161 Soz. Hist. eccl. 5,19,4–10. 162 Soz. Hist. eccl. 5,19,10–11; vgl. Amm. 22,12,8.

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indem er in unbestimmter Weise davon gesprochen habe, daß Leichen ihn daran hinderten, ein Orakel zu erteilen.163 An dieser Stelle fügt Sozomenos dann die Translation der Reliquien des Babylas und das Martyrium des Theodorus ein.164 Darauf wiederum faßt er in knapper Form zusammen, was Johannes über den Brand des Apollon-Tempels, den Zustand der Ruine und den Streit über die Brandursache berichtet. Dabei betont er, daß die Ansicht der Christen, das Feuer sei nicht durch menschliches Handeln, sondern durch den Zorn Gottes verursacht worden, auch durch die Folter des Apollon-Priesters nicht habe widerlegt werden können.165 Während Sokrates und Sozomenos ihre als Fortsetzung der „Kirchengeschichte“ des Eusebios angelegten Werke als Laien verfaßten, die in Konstantinopel wirkten, ist die wenig später entstandene „Kirchengeschichte“ Theodorets das Werk eines Bischofs und Theologen, der aus Antiocheia stammte und daher mit lokalen Traditionen vertraut war. Theodoret erzählt, Apollon habe Julian am Vorabend des Perserkriegs das erbetene Orakel mit der Begründung verweigert, erst müßten die in seiner Nähe bestatteten Leichen entfernt werden. Daraufhin habe der Kaiser die Reliquien des Babylas und die der Jünglinge, die mit ihm das Martyrium erlitten hätten, aus Daphne entfernen lassen.166 Diese Version unterscheidet Theodoret von den anderen Kirchenhistorikern und entspricht der antiochenischen Kultpraxis, denn dort wurde Babylas gemeinsam mit drei jugendlichen Märtyrern verehrt.167 Theodoret schildert dann die Überführung der Reliquien und das Martyrium des Theodorus, anschließend den Tempelbrand und das vergebliche Bemühen Julians, durch Folter eine Aussage gegen die Christen herbeizuführen.168 Er berichtet weiterhin nach dem „homöischen Historiographen“ von der durch Julian angeordneten Konfiskation liturgischer Geräte und der Schließung der „Großen Kirche“ sowie dem seiner Ansicht nach verdienten Tod derjenigen, die diese Maßnahmen für den Kaiser durchführten.169 Theodoret beschließt diesen Abschnitt mit einer Geschichte, die er von einem der Beteiligten selbst gehört habe: Demnach habe ein junger Mann, der sich heimlich zum Christentum bekehrt habe, seinem Vater, der sich als Priester im Gefolge Julians aufgehalten habe, während eines siebentägigen Festes, das der Kaiser in Daphne gefeiert habe, als Tempelwärter (neokoros) zunächst assistiert. Er sei dann aber in die Stadt geflohen, dort von seinem Vater grausam bestraft und eingesperrt, aber auf wunderbare Art und Weise befreit worden.170 Etwas andere Akzente setzte Philostorgios, der vor den drei genannten Autoren griechischer Sprache eine Darstellung der Kirchengeschichte verfaßte, die vom 163 Soz. Hist. eccl. 5,19,12–17. 164 Soz. Hist. eccl. 5,19,18–5,20,4. 165 Soz. Hist. eccl. 5,20,5–6. 166 Thdt. Hist. eccl. 3,10. 167 Johannes verschweigt die drei Jünglinge zwar in seiner Predigt auf Babylas, nennt sie aber in der auf Iuventinus und Maximus (BHG 975): PG 50,572. Vgl. Delehaye 1933, 195. 168 Thdt. Hist. eccl. 3,11. Bei Theodoret wird allerdings nicht der Priester des Apollon gefoltert, sondern die Tempelwächter (νεωκóροι). 169 Thdt. Hist. eccl. 3,12–13. 170 Thdt. Hist. eccl. 3,14; dazu Brennecke 1988, 144, der die Geschichte „im meletianischen Milieu von Antiochien“ verortet.

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„arianischen Streit“ bis mindestens 425 reichte. Da Philostorgios als Anhänger einer christlichen Glaubensrichtung schrieb, die nur von einer kleinen Gemeinde getragen und vom Kaiser mit Strafen belegt wurde, ist sein Werk im Original verloren, kann aber aus Zitaten, Exzerpten und Paraphrasen teilweise rekonstruiert werden.171 Wie Sozomenos leitete auch Philostorgios seinen Bericht über die Ereignisse in Daphne mit einer Ekphrasis des Vorortes ein; wie viele andere vor ihm hob er die Pracht der Bäume und den Wasserreichtum hervor, betonte darüber hinaus auch die dichte Bebauung mit Herbergen, Bädern und Tempeln.172 Zusätzlich bot Philostorgios auch eine eingehende Beschreibung der Kultstatue.173 Auch die Darstellung der Art und Weise, wie Julian versucht habe, ein Orakel des Apollon zu erhalten, weicht von Johannes und den anderen Kirchenhistorikern ab: Nach Philostorgios versuchte Julian nämlich, die Kultstatue des Gottes zum Sprechen zu bringen; als er dieses Ziel mit Opfern nicht erreichen konnte, habe er einen gewissen Eusebios, der sich auf magische Praktiken verstanden habe, damit beauftragt. Weil aber auch dieser nichts auszurichten vermochte, habe er behauptet, der Grund für das Schweigen dieses und aller anderen Kultbilder in Daphne bestehe darin, daß die Götter den Leichnam des Babylas verabscheuten, obwohl er gewußt habe, daß die Dämonen durch die Macht des Babylas gefesselt waren, und obwohl Apollon selbst ausgesprochen habe, daß er wegen Babylas nicht antworten könne.174 Nach einem Exkurs über das Martyrium des Babylas175 schilderte er die Überführung des Sarges in das Koimeterion genannte Gebäude vor der Stadt und malte dann den Tempelbrand mit vielen Details aus: Während Eusebios, Priester und Tempelwärter (neokoroi) mit Spannung die Ankunft des Kaisers in Daphne erwarten, schlägt aus dem Nachthimmel plötzlich Feuer auf den Tempel herab und vernichtet ihn und das Kultbild vollständig. Philostorgios hob hervor, daß das Feuer nur den ApollonTempel, aber keinen der umstehenden Bäume erfaßt habe, und fügte hinzu, daß die bescheidenen Reste zur Erinnerung an dieses „gottgesandte Feuer“ zurückgeblieben seien. Schließlich ging er auch auf die Schließung der „Großen Kirche“ und die Konfiskation ihrer liturgischen Geräte ein. Die griechischen Kirchenhistoriker des 5. Jahrhunderts schrieben die Geschichte des Babylas’ im Geiste des oströmischen Triumphalismus; für sie war der Sieg über das Heidentum gleichbedeutend mit der Entstehung eines christlichen Imperium Romanum. Die gescheiterte Reaktivierung des Apollon-Orakels diente ihnen als Beweis 171 Grundlegend Bleckmann/Stein 2015 (Einleitung, Ausgabe mit Übersetzung und Kommentar). 172 Philost. Hist. eccl. 7,8a,2–4 = Art. Pass. 51. 173 Philost. Hist. eccl. 7,8a,5–7 = Art. Pass. 52. 174 Philost. Hist. eccl. 7,8a,8–11 = Art. Pass. 53; vgl. 7,8a,18 = Art. Pass. 55. Die Vorstellung, man könne Kultbilder dazu bringen, Zeichen zu geben, war in der theurgischen Richtung des Neuplatonismus verbreitet: Becker 2013, 370–372 (mit zahlreichen Belegen). Julian selbst behauptet, die Kultstatue des Apollon habe ihm ein Zeichen gegeben: Mis. 15, 346B. Unter den nicht wenigen neuplatonischen Philosophen im Umkreis Julians gibt es jedoch keinen, der diese Art von Magie betrieb und Eusebios hieß. Vermutlich ist er aus der umstrittenen Gestalt des Maximus von Ephesos herausgesponnen. Vgl. Eun. V.Soph. 7,2,1–13. 175 Philost. Hist. eccl. 7,8a,12–17 = Art. Pass. 54–55. Auch bei Philostorgios erleidet Babylas das Martyrium zusammen mit drei Jünglingen, aber unter Kaiser Numerianus.

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für die Unbesiegbarkeit und Allmacht ihres Gottes. In diesen Chor stimmte auch der Außenseiter und Dissident Philostorgios ein; von Sozomenos und Theodoret unterscheidet er sich vor allem dadurch, daß er die Auffassung vertritt, Julian habe vergeblich versucht, die Kultstatue mit magischen Praktiken zum Sprechen zu bringen. 5. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK: DAPHNE IM 5. UND 6. JAHRHUNDERT Der Tempel des Apollon von Daphne lag seit dem 22. Oktober des Jahres 362 in Ruinen; ob sein Heiligtum überzeugten Heiden trotzdem weiterhin als Kultraum diente, entzieht sich unserer Kenntnis. Möglicherweise wurden die Zypressen, die dem Gott heilig gewesen waren, weiterhin in irgendeiner Form verehrt. Der Zypressenhain existierte jedenfalls weiter, war aber in den Besitz des Kaisers übergegangen und stand unter dessen Schutz. Theodosius I. bestätigte kurz nach seinem Regierungsantritt am 19. Januar 379 das Recht des Alytarchen, mehrere Zypressen zu pflanzen, aber nur eine zu fällen, offenbar im Rahmen einer Zeremonie, die mit den Olympien verbunden war.176 388 protestierte Libanios, als ein christlicher Statthalter in Daphne Zypressen fällte; als der sich nicht darum scherte, drohte der Sophist, ihn deswegen beim Kaiser zu verklagen.177 Theodosiusʼ Sohn und Nachfolger Arcadius drohte denen, die Bäume aus dem Hain von Daphne kauften oder verkauften, eine Strafe von fünf Pfund Gold an.178 Erst Theodosius II. entzog im Jahre 427 dem Alytarchen „das ihm seit alters gewährte Recht“, dort eine Zypresse zu fällen, falls er dafür mehrere pflanze, und bestimmte, daß auch Statthalter gleich welchen Ranges nur dann dazu berechtigt seien, wenn sie vorher die Erlaubnis des comes sacrarum largitionum eingeholt hätten.179 Seitdem spielte der Hain im Programm der Olympien wohl keine Rolle mehr. Da der Apollon-Tempel nach dem Brand niemals wieder aufgebaut wurde, gilt dieses Ereignis zugleich als Schlußpunkt in der Geschichte des Heiligtums, dessen Zentrum er einst gebildet hatte. Dessen Anfänge lagen damals etwa sechseinhalb Jahrhunderte zurück. Gegründet durch Seleukos I., war das Apollon-Heiligtum in hellenistischer Zeit Teil eines Komplexes von Gebäuden, die für kultische, sportliche und repräsentative Zwecke genutzt wurden und allesamt unter königlicher Verwaltung standen. Mit dem Verschwinden der Dynastie löste sich auch die Verbin176 CTh 10,12,1. Das Gesetz ist an den comes rerum privatarum gerichtet. 177 Lib. Or. 1,255; 262. Libanios glaubte, der Zypressenhain stehe unter dem Schutz Apollons, der sich an dem Frevler rächen werde. 178 CJ 11,78,1. 179 CJ 11,78,2: Omnes iudices cuiuscumque dignitatis sciant posthac absque permissu magnitudinis tuae arborem ex Daphnensi luco Antiochenae civitatis praecidendi vel quolibet modo lapsas transferendi licentiam sibimet denegandam. Sed nec alytarcha unam cupressum aliis plantatis excidere sibi licere contendat, ac ne solacio antiquitus ei concesso privari per omnia videatur, pro eo, quod ei cupressum excidere denegatur, unam auri libram eum de privatis nostris largitionibus accipere decernimus: quinque librarum auri condemnatione huius legis temeratore plectendo.

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dung zwischen Heiligtum und König; in der römischen Kaiserzeit fiel das Heiligtum in die alleinige Verantwortung der Stadt Antiocheia. Durch die Etablierung der antiochenischen Olympien erhielt Apollon mächtige Konkurrenz; auch die Schließung seines Orakels verringerte seine kultische Bedeutung. Den Bemühungen der Christenverfolger Diokletian und Maximinus Daia, den Apollon von Daphne wieder zum Symbol Antiocheias zu machen, war kein langfristiger Erfolg beschieden. Ebenso erfolglos blieben die Bemühungen Julians, das Heiligtum von Daphne als Kultzentrum zu reaktivieren. Da der Kaiser das Verstummen des Orakels mit der Präsenz einer Leiche erklärt hatte, die von Christen als sterblicher Überrest eines Märtyrers verehrt wurde, war der Brand des Tempels für seine Gegner ein Geschenk des Himmels. Der antiochenische Presbyter Johannes feierte die Ereignisse schon um 379/380 als Triumph des Christentums über das besiegte Heidentum, und die griechischen Kirchenhistoriker des 5. Jahrhunderts erzählen das Scheitern der Bemühungen Julians um eine Reaktivierung des Apollon-Orakels als Beweis für die Unbesiegbarkeit und Allmacht ihres Gottes. Die moderne Forschung hat keine Veranlassung, in den Jubel spätantiker Theologen und Kirchenhistoriker über die Zerstörung eines Apollon-Tempels einzustimmen. Aus der Distanz von anderthalb Jahrtausenden fällt auf, daß sich die hochgespannten Erwartungen, die Johannes in die Wirkung des Märtyrers auf die Besucher Daphnes setzte, gerade nicht erfüllten. Die von ihm erhoffte Christianisierung der Lebensformen blieb auch nach dem Ende des heidnischen Opferkultes aus. Zwar gab es dort am Ende des 4. Jahrhunderts eine Synagoge, aber keine einzige Kirche. Nicht allein der ausgebrannte Tempel des Apollon war eine Ruine. Auch das Martyrion des Babylas wurde nach allem, was wir wissen, nicht mehr als Kultgebäude genutzt, nachdem die Reliquien um 380 in ein neues Martyrion auf der anderen Seite des Orontes überführt worden waren. Eine Predigt, die der antiochenische Patriarch Severos im Jahre 513 am Gedenktag des Heiligen, dem 23. oder 25. Januar, dort hielt,180 ist uns in syrischer Übersetzung erhalten. Vom postumen Kampf des Babylas gegen Apollon war bei dieser Gelegenheit nicht die Rede:181 Severos nutzte die Gelegenheit, um sein Auditorium über die Natur Christi zu belehren und die anwesenden Frauen zum Verzicht auf kostbaren Schmuck zu ermahnen; zudem tadelte er Eltern, die es als Unglück betrachteten, wenn ihre Kinder sich für ein asketisches Leben entschieden.182 Bis zu eben diesem Jahr scheint es in Daphne selbst keine Kirche gegeben zu haben.183 Zwar berichtet Malalas, die dort befindliche Synagoge sei am 9. Juli 507 180 Grundlegend Alpi 2008, der auch umfassend über das vielsprachige Quellendossier informiert. Zur ersten Orientierung vgl. auch Allen/Hayward 2004. 181 Unter den Hymnen, die unter dem Namen des Severos überliefert sind, befindet sich eine, in der Babylas als Sieger über Apollon gerühmt wird: Sev. Ant. Hymn. 142, PO VII, 599–601; die Echtheit dieser Hymnen unterliegt jedoch starken Bedenken: Alpi 2008 II, 10. 182 Sev. Ant. Hom. 11 (PO XXXVIII, 370–381), 7–9 (Christologie); 10–14 (Schmuck);15–20 (Eltern); zur Datierung Alpi I 186; 194. 183 Alpi 2008 I, 140; 154 lokalisiert das Martyrion des Romanos, zu dessen Gedenken Severos zwei erhaltene Predigten (Hom. 35; 99) hielt, in Daphne; vgl. dagegen jedoch Mayer/Allen 2012, 102 f.

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bei einem Aufruhr niedergebrannt und sogleich in eine Kirche umgewandelt worden; diese Kirche sei dem heiligen Leontios geweiht gewesen.184 Da die Kirche jedoch erst sechs Jahre später Reliquien dieses Heiligen erhielt, wurde mit dem Wiederaufbau oder Umbau des Kultgebäudes offenbar erst einige Jahre später begonnen. Anläßlich der Translation der Reliquien hielt Severos, der sich dem Heiligen aus dem phönizischen Tripolis persönlich verbunden fühlte,185 am 16. Juni des Jahres 513 eine Predigt, die in syrischer Übersetzung erhalten ist.186 Der Patriarch rühmt Leontios als Arzt der Seele und des Körpers, der durch sein Martyrium die Fähigkeit erworben habe, nach dem Tode Wunder zu wirken, wobei er hervorhebt, daß der Heilige dem heidnischen Kult in Phönizien, insbesondere dem des Zeus von Baalbek und der Aphrodite, den Garaus gemacht habe.187 Er erzählt dann drei Beispiele dafür, daß der Heilige seine Macht kleinen Leuten, Dorfbewohnern und Schuldnern, offenbare.188 Am Ende der Predigt kommt er dann auf die Rolle zu sprechen, die Leontios in Daphne spielen werde: Leontios sei nicht nach Daphne gekommen, um Apollon der Lüge zu überführen – das habe bereits Babylas getan, als der Gott, vom Blitz getroffen, mitsamt seinem Tempel und Idol verbrannt sei. Vielmehr werde Leontios in Daphne als Arzt der Seelen wirken: Damit diejenigen, die nach Daphne hinaufgingen, an ihrer Seele keinen Schaden nähmen, habe er seinen Tempel am Eingang nach Daphne platziert. Jeder, der vorbeikomme, trete ein, bete und erinnere sich der Leiden des Märtyrers; anschließend salbe er sich mit heiligem Öl aus dessen Urne. Nachdem er die Begierden des Fleisches auf diese Weise abgestumpft habe, vergnüge er sich mit keuschem Sinn, ohne sich der Unzucht, schändlichen Gesängen oder obszönen Riten zu ergeben. Nach maßvollem Genuß von Speisen und Getränken kehre der Besucher schließlich an Körper und Seele unbeschadet nach Hause zurück. Überdies zwinge ihn die große Anzahl von Bettlern, die sich um den Tempel des Heiligen lagerten, dazu Almosen zu geben und dadurch einen Schatz im Himmel anzusparen.189 Die Rolle, die Severos Leontios zuschreibt, gleicht aufs Haar derjenigen, die Johannes mehr als ein Jahrhundert zuvor Babylas zugedacht hatte, wenn man davon absieht, daß die Vorstellung, die Salbung mit Öl, das mit dem Grab eines Heiligen in Berührung gebracht wurde, vermöge dessen Segen zu übertragen, bei Johannes keine Rolle spielte.190 Der eine wie der andere hofft darauf, daß die Wunderkraft eines Heiligen dem unsittlichen Treiben in Daphne ein Ende machen werde.

184 Malal. 16,6,397; dazu Alpi 2008 I, 154; Mayer/Allen 2012, 89 f. 185 Alpi 2008 I, 140 mit Anm. 63–65. 186 Sev. Ant. Hom. 27, PO XXXVI, 558–573; zur Datierung Alpi 2008 I, 188; 194. Die koptische Fassung, ediert von Garitte 1966, ist ausführlicher. 187 Sev. Ant. Hom 27, PO XXXVI, 558 f.–564 f. 188 Sev. Ant. Hom. 27, PO XXXVI, 566 f.–570 f. 189 Sev. Ant. Hom. 27, PO XXXVI, 570 f.­572 f. 190 Auch Johannes ist die Salbung mit Öl, das durch die Berührung mit dem Grab eines Märytyrers „geheiligt“ ist, jedoch nicht völlig fremd: Chrys. Hom. in martyres, PG 50, 664 f. Zur Geschichte der Berührungsreliquien Kötting 1958, 67–74. Angenendt 1997, 155–158 berücksichtigt allein das okzidentalische Mittelalter.

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Im Jahr darauf ergriff der Patriarch zum selben Anlaß an derselben Stelle erneut das Wort. Erneut ist seine Argumentation derjenigen im Babylas-Traktat des Johannes verblüffend ähnlich: Diesmal verkündete Severos der versammelten Kultgemeinde, in Daphne habe nicht mehr der zügellose Apollon, sondern Leontios, der Lehrer der Enthaltsamkeit, das Wort. Das Verstummen des Dämons erweise seine Schwäche und entlarve die unmoralischen Mythen der Heiden als haltlos.191 Der Märtyrer hingegen rufe durch seinen Opfertod zur Verachtung irdischer Güter auf, bekämpfe dadurch Habgier, Ungerechtigkeit und Ausschweifung.192 Theologen, die im Evangelium den Auftrag zu einem asketischen Leben sahen, hatten in der Tat allen Grund, über das Treiben ihrer Schäfchen besorgt zu sein. Daphne war auch nach dem Ende des Apollon-Kultes kein Ort christlicher Andacht geworden. Auf die im späten vierten Jahrhundert weitgehend abgeschlossene Desakralisierung heidnischer Kulträume folgte keine Christianisierung, wie Johannes sie erträumt hatte. Daphne blieb das gesamte 5. Jahrhundert hindurch ein Ort für profane Massenspektakel, die Kirchenlehrern und Seelsorgern als Werk des Teufels erschienen: Theater, Wagenrennen und Tierhetzen. Unter Theodosius II. stellte der Prätoriumspräfekt Antiochos der Polis Antiocheia zusätzliche Mittel für die Wagenrennen, die Olympien und das Maiuma-Fest bereit.193 Im Jahre 465 wurde die Ausrichtung der Olympischen Spiele von Antiocheia auf einen kaiserlichen Funktionär, den comes Orientis, übertragen.194 Breite Schichten der Stadtbevölkerung befürchteten offenkundig keine irreparablen Folgen für ihr Seelenheil, wenn sie das Theater und das Stadion von Daphne füllten. Für gebildete Christen des 6. Jahrhunderts wie Prokopios von Gaza oder den anonymen Verfasser der Scholien zu Gregor von Nazianz waren der Zypressenhain von Daphne und die Orakel-Quelle Kastalia literarische Versatzstücke, die ihre religiösen Konnotationen eingebüßt hatten.195 Malalas erzählt in seiner „Weltchronik“ die wohl im Hellenismus erfundene Geschichte, den ersten Zypressenhain in Daphne habe Herakles gepflanzt, ohne jede Polemik gegen die heidnische Mythologie.196 Auf dem berühmten topographischen Mosaik, das um die Mitte des 5. Jahrhunderts auf den Fußboden einer Villa in Daphne gelegt wurde, sehen wir denn auch nicht allein das Olympische Stadion, sondern auch die Quelle Kastalia als eines der Wahrzeichen Daphnes.197

191 Sev. Ant. Hom. 50, PO XXXV, 358–367, bes. 362 f.–364 f.; zur Datierung Alpi 2008 I, 154; 189; 186. 192 Sev. Ant. Hom. 50, PO XXXV, 359 f.–362 f. 193 Malal. 14,17,362: Καὶ προηγάγετο ἔπαρχον Ἀντίοχον τὸν Χούζωνα, τὸν ἔγγονον Ἀντιόχου τοῦ Χούζωνος τοῦ μεγάλου, ὃς παρέσχεν ἐν Ἀντιοχείᾳ τῇ μεγάλῃ προσθήκην χρημάτων εἰς τὸ ἱππικὸν καὶ τὰ Ὀλύμπια καὶ τὸν Μαϊουμᾶν. 194 CJ 1,36,1. 195 Proc. Gaz. Ep. 13, Z.14–29; Ep. 71; Ps.-Nonnos, Fab. 14, Fab. 16. 196 Malal. 8,19,204; vgl. Lib. Or. 11,56; 94–99; 233–236 (Herakliden als Gründer des Stadtteils Herakleia). Palladios berichtet, die Olympischen Spiele von Antiocheia würden auch Herakleia genannt (V. Joh. Chrys. 96): ἐπιτελουμένων τῶν Ἡρακλείων ἄθλων, Ὀλυμπίων καλουμένων. 197 Grundlegend Levi 1947, 323–345 mit Taf. LXXV–LXXX. Forschungsüberblick und Literaturhinweise bei Mayer/Allen 2012, 22–24.

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Severos predigte während seines sechsjährigen Patriarchats immer wieder gegen die Aufführungen im Theater, gegen Wagenrennen und gegen Tierhetzen.198 Als im Mai des Jahres 516 die Feier der Olympien anstand, warnte er seine Gemeinde nachdrücklich vor den Gefahren, die von diesem Fest ausgingen.199 Diejenigen, die nach Daphne hinaufgingen, dort im Stadion Fackeln anzündeten und Weihrauch streuten, feierten ein Fest des Satans. Wer daran teilnehme, verehre Zeus Olympios und nehme Schaden an Körper und Seele, indem er sich den Gott zum Vorbild nehme. Denn dieser Gott, der Frauen vom Spektakel ausschließe, sei selbst verrückt nach jungen Männern.200 Wie für Libanios waren die Olympien auch für Severos noch immer ein Fest, das zu Ehren des Zeus Olympios gefeiert wurde, und wie der Sophist fürchete auch der Theologe, daß es als Vorwand und Anlaß für homosexuelle Praktiken diene.201 Als die Olympien dann vier Jahre später durch Justin tatsächlich abgeschafft wurden, war Severos bereits aus seinem Amt vertrieben. Die „Weltchronik“ des Malalas vermerkt, daß bis zu diesem Zeitpunkt nicht weniger als 77 Alytarchen ihr Amt versehen hatten.202 Erst jetzt, im Jahre 520, verschwand das letzte Fest aus Daphne, dessen Ursprünge in vorchristliche Zeit zurückreichten.203 Einige Jahre später, wohl nach dem Erdbeben von 526, ließ Justinian in Daphne eine Kirche erbauen, die dem Erzengel Michael geweiht war; freilich wurde diese schon 540 zerstört und anscheinend nicht wieder aufgebaut.204 Ebenfalls unter Justinian wird zudem erstmalig eine Kirche erwähnt, die der Euphemia geweiht war.205 Für den Wiederaufbau der „Großen Kirche“ in Antiocheia, die beim Erdbeben von 526 zerstört worden war, durfte der Patriarch Ephraim Holz verwenden, das in Daphne geschlagen wurde.206 Die Vorstellung freilich, daß in Daphne übernatürliche Kräfte wirksam seien, die dem Gott der Christen nicht dienstbar sein wollten, hielt sich hartnäckig, bis weit ins 6. Jahrhundert hinein: Demselben Severos, der beim Martyrion des Leontios verkündet hatte, der Heilige habe Apollon in die Flucht gejagt, wurde 518 auf einem Konzil in Konstantinopel vorgeworfen, er habe bei den Quellen von Daphne

198 Garitte 1978; Alpi 2008 I, 179–181 (mit weiteren Verweisen). 199 Sev. Ant. Hom. 90, PO XXV, 519–537; zur Datierung Alpi 2008 I, 191. Vgl. auch Hom. 94; Hom. 96. 200 Sev. Ant. Hom. 95, PO IV, 93–95. 201 Lib. Or. 53,6 ff. 202 Malal. 17,13,417 (zitiert oben Anm. 77). 203 Zum Ende der antiochenischen Olympien vgl. Remijsen 2015, 217–219. 204 Proc. Bell. Pers. 2,11,6–13 mit Mayer/Allen 2012, 99 f. Bei der Einweihung hielt der antiochenische Patriarch Ephraim (527–545) eine Predigt, die dem Patriarchen Photios noch vorlag: Cod. 228, 249a. 205 Euagr. Hist. eccl. 4,35; Joh. Mosch. Prat. 88 mit Alpi 2008 I, 154 f.; Mayer/Allen 2012, 119 f. 206 Zerstörung: Malal. 17,16,419 f.; Wiederaufbau mit Holz aus Daphne: Euagr. Hist. eccl. 6,8. Angesichts der Tatsache, daß Ephraim die Kirche zusammen mit 132 Bischöfen einweihte, scheinen Zweifel, ob es sich tatsächlich um die „Große Kirche“ gehandelt habe (Mayer/Allen 2012, 74 f.; 114), unbegründet; zur Kritik vgl. auch Saliou 2014a, 631–638.

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magische Handlungen vollzogen und die Dämonen durch Opfer verehrt.207 Zwei volle Generationen später, um 577, sagte ein gewisser Theodoros, ein notarius des antiochenischen Patriarchen Georgios, auf der Folter aus, sein Vorgesetzter habe in Daphne gemeinsam mit Eulogios, dem späteren Patriarchen von Alexandreia, bei Nacht einen Knaben geopfert und durch dieses magische Ritual die ganze Stadt in einen Aufruhr gestürzt.208 Offenbar war die Herrschaft Christi in Daphne auch damals noch nicht völlig unangefochten. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ACO AE BHG CID CIG CII CSCO FGrHist I.AphrLatAnt I.Magnesia I.EstremoOriente IGRR OGIS PG PO RIC RPC TAM SEG SER

= Acta Conciliorum Oecumenicorum = L’année épigraphique = Bibliotheca Hagiographica Graeca = Corpus des Inscriptions de Delphes = Corpus Inscriptionum Graecarum = Corpus Inscriptionum Iranicarum = Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium = Die Fragmente der griechischen Historiker = (Inscriptions from) Aphrodisias in Late Antiquity = Die Inschriften von Magnesia am Maeander. = Iscrizioni dello Estremo Oriente. = Inscriptiones Graecae ad Res Romanas pertinentes = Orientis Graeci Inscriptiones selectae = Patrologia Graeca = Patrologia Orientalis = Roman Imperial Coinage = Roman Provincial Coinage = Tituli Asiae Minoris = Supplementum Epigraphicum Graecum = Supplemento Epigrafico Rodio

Für Abb. 1 geht Dank für die Bereitstellung an Roma Numismatics Für Abb. 2 geht Dank für die Bereitstellung an Dick Ossemann Für Abb. 3 geht Dank für die Bereitstellung an die Classical Numismatic Group Für Abb. 4 geht Dank für die Bereitstellung an Dick Ossemann Literaturverzeichnis Für Abb. 5 geht Dank für die Bereitstellung an die Classical Numismatic Group Für Abb. 6 geht Dank für die Bereitstellung an Roma Numismatics

207 ACO I 3, 60, Z. 34–36: περὶ τὰς ἐν Δάφνῃ πηγὰς πρᾶξαι τετόλμηκε μαγείαις τε χρώμενος αὐτόθι καὶ θυμιάμασι μυσαροὺς θεραπέυων τοὺς δαίμονας, καὶ τοῦτο πᾶσα ἡ μεγάλη ἄιδει πόλις. 208 Joh. Eph. Hist. eccl. (CSCO 106) 3,29.

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ἡ κατ` οἶκον ἐκκλησία = „HAUSGEMEINDE“? Raum und Ritual im frühesten Christentum Lukas Bormann 1. VOM „URCHRISTENTUM“ ZUR RELIGIÖSEN KONVERSIONSGEMEINSCHAFT Die ältere Forschung bezeichnete noch recht unbekümmert die ersten Anfänge des Christentums als „Urchristentum“.1 Den Beginn dieser kirchengeschichtlichen Epoche sah man entweder im Wirken Jesu von Nazareth oder in der ersten Verkündigung der Apostel. Die Diskontinuität zwischen Jesus, der nach Julius Wellhausens (1844–1918) berühmtem Diktum „kein Christ, sondern Jude“ gewesen sei,2 und der frühen Kirche, die diesen Jesus nach seiner Hinrichtung durch Pontius Pilatus als den Auferstandenen und zur Rechten Gottes erhöhten „Herrn“ (κύριος) verehrte, verstand man auch als die historische Grenze, die das Judentum vom Christentum trennte. Diese Auffassung wurde angesichts intensiver religionsgeschichtlicher und historischer Forschungen zu den Trennungsprozessen zwischen Christentum und Judentum sehr grundsätzlich revidiert. Es setzt sich mehr und mehr eine Sichtweise durch, die nicht nur Bruch und Trennung, sondern auch Zusammenhänge und Verbindungen und damit neben der Diskontinuität auch die Kontinuität beachtet. Die Gruppierungen, über die die neutestamentlichen Texte berichten und die sich in diesen Ausdruck verleihen, werden nun als religiöse Sondergruppen („sects“) verstanden, die sich im Zuge eines Prozesses der inneren Diversifizierung des Judentums des zweiten Tempels gebildet haben. Der judäische Priester, Militärkommandant und spätere Günstling des flavischen Kaiserhauses Flavius Josephus bzw. Joseph ben Mattathias (ca. 37–102 n. Chr.) bezeichnet Pharisäer, Sadduzäer, Essener und weitere Gruppierungen mit dem Oberbegriff αἵρεσις (Sekte, Sondergruppe) und ihre Mitglieder als αἱρετισταί (Sektierer, Anhänger).3 Philo von Alexandrien (ca. 20 v. Chr. – 40 n. Chr.) macht uns mit zwei weiteren Gruppierungen vertraut, die sich ebenfalls als Sondergruppen von der Mehrheit abgrenzten. Er nennt zum einen die „Essaier“ (Ἐσσαίοι) oder Essener, die dem praktischen Leben folgen, und zum anderen die „Therapeuten und Therapeutinnen“ (θεραπευταὶ γὰρ καὶ θεραπευτρίδες), die sich gemäß ihrer „Lebensweise als Philosophen“ (προαίρεσις 1 2 3

Zur Kritik des Begriffs vgl. Koch 2014, 23 f. Wellhausen 1911, 102. Ios. bell. Iud. 2,118–119; ant. Iud. 13,371–373; 18,10–23. Vgl. Mason 2000, XXXI.

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Lukas Bormann

τῶν φιλοσόφων) mit dem theoretischen Leben (θεωρία) befassen.4 In den Textfunden von Qumran begegnet eine Klasse von Texten, die sich auf eine weitere Sondergruppe bezieht. Diese versteht sich selbst als „Gemeinschaft“ (‫ יהד‬/ yahad) in Abgrenzung zur Mehrheit des judäischen Judentums.5 Vor diesem Hintergrund jüdischer Sondergruppen sind auch die Gemeinschaften der ersten Christusanhänger zu verstehen, die vom Apostel Paulus in seinen Briefen als „Versammlung“ (ἐκκλησία), „Versammlung Gottes“ (ἐκκλησία τοῦ θεοῦ) oder „Versammlung Christi“ (ἐκκλησία τοῦ Χριστοῦ) angesprochen werden.6 Unter diesen nehmen die von Paulus selbst gegründeten Gemeinden, die „Versammlungen aus den (nichtjüdischen) Völkern“ (ἐκκλησίαι τῶν ἐθνῶν), wiederum eine Sonderstellung ein.7 Angesichts der Vielfalt von Sondergruppen liegt es nahe, diese Form religiöser Vergemeinschaftung als solche zu untersuchen. Nach Cohen beginnt mit der Zeit der Makkabäer und damit ab Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. ein Prozess der Diversifizierung des Judentums, die er mit dem positiv konnotierten Begriff der „Demokratisierung“ näher kennzeichnet.8 Ab dieser Zeit entstehen Sondergruppen, die sich von der Mehrheit abgrenzen, ohne sich von dieser zu trennen. Oftmals lässt sich nachweisen, dass sie sich als elitäre Gruppen verstanden, in denen das Selbstverständnis der Mehrheitsgruppe besonders angemessen zum Ausdruck komme. Cohen schlägt deswegen folgende Definition vor: „A sect is a small, organized group that separates itself from a larger religious body and asserts that it alone em-9 bodies the ideals of the larger group because it alone understands God’s will.“ Auf dieser Basis diskutiert die Forschung, welche bestimmten Elemente zur Abgrenzung und welche zur Aufrechterhaltung der Beziehung zur Mehrheitsgruppe geeignet sind. Lim knüpft an die Definition Cohens an, relativiert allerdings die Notwendigkeit, eine Sondergruppe über den Anspruch auf Alleinvertretung zu definieren, d. h. über die Vorstellung, die Sondergruppe müsse für sich postulieren, dass sie alleine die Ideale der Mehrheitsgruppe vertrete. Er nennt hingegen mehrere Sachverhalte, die in unterschiedlicher Ausprägung die Determinanten einer Sondergruppenmatrix („sectarian matrix“) bilden, aus der sich die Identität einer Sondergruppe innerhalb des Judentums des zweiten Tempels bestimmen ließe. Die wichtigsten Merkmale sind: besondere religiöse und ethische Überzeugungen, die Hervorhebung bestimmter biblischer Texte, zusätzliche religiöse Praktiken und Ritua10 le. Vor diesem religionssoziologischen Hintergrund, der die Ekklesia, d. h. die Sondergruppe der Christusanhänger, im Kontext der jüdischen Sondergruppen des  4 Phil. Vit. 1–2. Vgl. Taylor 2003.  5 4Q255 (=1QS): ‫ספר סרך היחד‬, „Buch der Regel der Gemeinschaft“. Vgl. Talmon 1994; Scho� field 2009, 217 f.  6 Phil 4,15; 1Kor 1,2; Röm 16,16.  7 Röm 16,4. Daneben unterscheidet Paulus im Rahmen seiner Briefkommunikation die Versammlungen auch nach geographischen Gesichtspunkten, z. B. die „Versammlung der Thessalonicher“ (1Thess 1,1) oder die „Versammlungen Galatiens“ (Gal 1,2).  8 Cohen 1987, 160: „democratization of religion“.  9 Cohen 1987, 125. 10 Lim 2009, 7 f.

ἡ κατ` οἶκον ἐκκλησία = „Hausgemeinde“?

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Judentums des zweiten Tempels versteht, sind auch die paulinischen Gemeinden zu analysieren. Diese lassen sich aufgrund einer ihrer auffallendsten Besonderheiten, der Bereitschaft nämlich, Nichtjuden aufzunehmen, ja geradezu anzuwerben, als Konversionsgemeinschaft („conversionist group“) näher charakterisieren.11 Auch eine Untersuchung zu Raum und Ritual im frühesten Christentum hat deswegen zu berücksichtigen, dass sich dieses aus konversionistisch ausgerichteten Sondergruppen innerhalb der weiten Grenzen des Judentums des zweiten Tempels zusammensetzt. Die neutestamentlichen Schriften berichten nur in knappen Wendungen über die Entstehung von Gemeinden. Die dort etablierten religiösen Praktiken werden darüber hinaus weitgehend vorausgesetzt und nur selten näher erläutert, zudem meist nur in Hinsicht auf umstrittene Details wie die Fragen, ob Frauen in der Gemeindeversammlung mit bedecktem Haupt beten müssten (1Kor 11,5 f.) oder in welcher Reihenfolge Glossolalie, Auslegung und Prophetie durchzuführen seien (1Kor 14,27–30). Schließlich ist auch die Problematik zu berücksichtigen, dass die neutestamentlichen Quellen die Situation in den Gemeinden nicht ohne Widersprüche darstellen. Aus den authentischen Paulusbriefen, die in den Jahren 48 bis 56 oder – nach einer alternativen Forschungsmeinung – bis 62 n. Chr. abgefasst wurden und von einem unmittelbar Beteiligten stammen, ergibt sich ein etwas anderes Bild als aus den Ausführungen der Apostelgeschichte des Lukas, die kaum früher als 80 n. Chr. entstanden sein kann und ihre erste Erwähnung Mitte des 2. Jahrhunderts findet. Diese früheste Apostelgeschichte wie auch die späteren apokryphen Apostelakten, deren älteste, die Akten des Paulus und der Thekla, etwa gegen Ende des 2. Jahrhunderts abgefasst wurde, blicken auf die Zerstörung des Jerusalemer Tempels zurück und repräsentieren eine deutlich veränderte Wahrnehmung des Judentums im Imperium Romanum.12 Diese jüngeren Texte sind nun aber nicht einfach die Produkte ihrer Zeit, sondern sie informieren uns darüber, wie man sich gegen Ende des 1. Jahrhunderts, nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels, und im 3. Jahrhundert, als die Kirchengeschichte von Christen mit nichtjüdischer Herkunft dominiert wurde, die Mission der ersten Apostel vorstellte. Die genannten Texte eint, dass sie das „Haus“, zum Teil als Gebäude und zum Teil als soziale Personengemeinschaft des patriarchalen Haushalts verstanden, als einen Bezugspunkt der religiösen Konversionsgemeinschaft der Jesusanhänger darstellen.13 Die 11 Regev 2009, 81. 12 Esch-Wermeling 2008, 13–15. 13 Die beiden verwendeten Wörter οἶκος und οἰκία werden zwar von Xen. oik. 1,5 unterschiedlich definiert, bezeichnen im Sprachgebrauch aber in aller Regel sowohl das Gebäude als auch die soziale Gemeinschaft. Klauck 1981, 15–17 weist auf diese Überschneidung hin, meint aber dennoch unterschiedliche „Bedeutungsnuancen“ der durch die jeweiligen Wörter eröffneten semantischen Felder nachweisen zu können. Neben dem gemeinsamen Bedeutungskern würde οἶκος eher weitere mit dem Haushalt verbundene materielle Sachverhalte miteinbeziehen, während οἰκία über den gemeinsamen Bedeutungskern hinaus eher auf weitere Personenbeziehungen wie Verwandtschaft und Klientelverhältnisse hinweise. Im Fall des lukanischen Doppelwerks ist nun aber z. B. unter Einfluss der Wendungen für „Haus Jakob“ (Lk 1,33: οἶκος Ἰακώβ) oder „Haus Davids“ (Lk 1,27.69; 2,4: οἶκος Δαυίδ) in der Septuaginta das Gegenteil festzustel-

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mit dem Begriff „Haus“ vorläufig umschriebene Raumkonstellation wird allerdings erst dann anschaulich, wenn man auch die religiösen Praktiken analysiert, die dort durchgeführt wurden. 2. RELIGIÖSE PRAXIS UND SOZIALER RAUM Die religiöse Praxis der ersten Gemeinden war bestimmt von der Werbung neuer Mitglieder (Mission, Evangeliumsverkündigung) und der Ausbildung gemeinschaftlicher Sozialformen (Gemeinde), um bestimmte religiöse Praktiken (Verkündigung, Lehre und Prophetie) und Rituale (Taufe und Mahlgemeinschaft) gemeinschaftlich durchzuführen. Die Praktiken dieser religiösen Konversionsgemeinschaft waren demnach nicht an bestimmte sakrale Topographien wie Grotten, Quellen, besondere Naturkonstellationen wie freistehende Bäume oder Felsformationen und schon gar nicht an repräsentative sakrale Gebäude wie etwa Tempel gebunden, sie konstituierten sich vielmehr in einem „sozialen Raum“, im Sinne eines durch Personenbeziehungen gebildeten Geflechts von Interaktionen und Kommunikationen.14 Welche historischen Informationen haben wir über diese gruppenbezogenen sozialen Interaktionen? Darüber informieren uns die Paulusbriefe, die als Briefe einerseits „Ego-Dokumente“ sind, „die Auskunft über die Selbstsicht eines Menschen geben“,15 und andererseits in der brieflichen Kommunikation rhetorische und persuasive Ziele bei den Adressaten verfolgen.16 Die Auswertung des faktualen Gehalts der paulinischen Briefe hat demnach ihre Funktion als Selbstrepräsentation des schreibenden Ichs und die rhetorische Strategie des Briefautors zu berücksichtigen, um nicht vorschnell von der paulinischen Rhetorik auf die soziale Realität der Gemeinden zu schließen.17 Berücksichtigt man diese Einschränkungen, erweisen sich die Paulusbriefe als außerordentlich wertvolle und ereignisnahe Quellen für die Frage nach dem Verhältnis von Raum und Ritual im frühesten Christentum.

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len, so dass man tatsächlich in jeder Quellengruppe gesondert die Frage nach einer unterschiedlichen Verwendung stellen muss. Zum Begriff s. Lefebvre 2006, 330. Lefebvres Überlegungen zur Beziehung von Raum und sozialer Praxis werden aufgegriffen und unter die kulturwissenschaftliche Analyseweise des „spatial turn“ subsummiert von Bachmann-Medick 2007, 291. Im Hintergrund stehen die lebensphilosophisch bestimmten älteren Beiträge von Bollnow und Dürckheim zum „gelebten Raum“: Dürckheim 1932; Bollnow 1997, 18. Schulze 1996, 14. Neben den Briefen, deren Autorschaft durch den Apostel Paulus in der Forschung unumstritten ist, sind im neutestamentlichen Kanon noch weitere, die als Schreiben des Paulus auftreten, enthalten. In diesen deuteropaulinischen und somit pseudepigraphen Briefen werden die Sozialbeziehungen des antiken patriarchalen Hauses als normativ für die Gemeinde in Anspruch genommen, etwa in den statusbezogenen Verhaltensanweisungen der Haustafeln (Kol 3,18– 4,1; Eph 5,22–6,9) oder in der Übernahme des patriarchalen Oikos als Vorbild für die Sozialstrukturen der christlichen Gemeinde, die in den Pastoralbriefen ausdrücklich als „Haus Gottes“ bezeichnet wird (1Tim 3,15). S. Schnelle 2013, 44. Uro 2016, 152 f.

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Im paulinischen Philipperbrief blickt Paulus auf die Gründung der Gemeinde der Philipper zurück, die etwa zwischen Herbst 48 und Sommer 49 n. Chr. zu datieren ist.18 Er schreibt in Phil 1,3–6: „Ich danke meinem Gott allezeit bei jeglichem Gedenken eurer (4) durch jedes meiner Gebete für euch alle. Mit Freuden vollziehe ich das Gebet (5) wegen eurer gemeinschaftlichen Teilhabe am Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt. (6) Ich bin ebenso zuversichtlich, dass der, der das gute Werk bei euch angefangen hat, es auch zum Ziel führen wird bis zum Tag Jesu Christi“.

Paulus spricht hier von einem „ersten Tag“ (ἀπὸ τῆς πρώτης ἡμέρας), von dem an die Teilhabe am Evangelium begonnen habe, die „bis jetzt“ (ἄχρι τοῦ νῦν) andauere. Er verdeutlicht damit, dass er die Gemeinde gegründet hat und ihre Entwicklung bis in die Gegenwart, den Zeitpunkt der Abfassung des Schreibens, beurteilen kann. Trotz dieser Vertrautheit mit der Entwicklung der philippischen Gemeinde gibt Paulus aber keine näheren Informationen über das Wie und – was uns hier vor allem interessiert – das Wo der sozialen und kultischen Praktiken der Gemeinde. Erfahren wir mehr aus den übrigen Paulusbriefen? Der Erste Thessalonicherbrief wurde wenige Monate nach dem ersten Aufenthalt des Paulus in Philippi abgefasst. Paulus erläutert in diesem Schreiben im Rückblick die Ereignisse während dieses Aufenthalts in Philippi wie folgt (1Thess 2,2): „nachdem wir vorher gelitten hatten und misshandelt worden waren, wie ihr wisst, in Philippi, haben wir die Zuversicht durch unseren Gott gewonnen, zu euch das Evangelium Gottes zu sagen unter viel Kampf.“

Das Konfliktpotential, das er mit den Begriffen „vorher leiden“ (προπάσχειν), „misshandeln“ (ὑβρίζειν) und „Kampf“ (ἀγών) zum Ausdruck bringt, beschreibt er dann im weiteren Verlauf des Briefes noch deutlicher, indem er auf die gewalthaltigen Konflikte zwischen der neu gegründeten Gemeinde und ihrem direkten Umfeld zu sprechen kommt. Er schildert in 1Thess 2,14 die Übereinstimmung des Ergehens der Thessalonicher mit dem der judäischen Christen, indem er erneut vom „Erleiden“ (πάσχειν) spricht und die Gemeindemitglieder in Thessaloniki als „Nachahmer“ (μιμηταί) derer in Judäa bezeichnet:

18 So Schnelle 2013, 46 f. Anders Koch 2014, 257: „Mitte bis Ende 50 n. Chr.“ Ohne Festlegung: Dahlheim 2013, 97–103. Die divergierenden Datierungen ergeben sich aus den Bewertungen und der Inbeziehungsetzung von Apg 18,12–17 und dem Brief des Claudius an die Delpher aus dem Jahr 52 n. Chr., der sog. „Gallio-Inschrift“ (SIG III 801D). Nähere Diskussion z. B. bei Koch 2014, 567–571. Zur Forschungslage hinsichtlich des Quellenwerts der Apostelgeschichte s. Sänger 2014, 331 f.: Der „Realitätsgehalt der in ihr [der Apg, LB] begegnenden historischen Referenzen“ sei gegen den „konstruktiven Charakter der vorausgesetzten und vergegenwärtigten Ereigniswelt“ abzuwägen. Sänger verweist auf das Problem, dass die allgemeine historische Plausibilität der Darstellung, die die Apostelgeschichte bietet, nicht den Schluss erlaubt, dass die berichtete Ereignisfolge und die Informationen über die an ihr beteiligten Personen im Detail zuverlässig sind. Allzu oft sind unauflösbare Widersprüche zwischen den Tatsachenbehauptungen der Apostelgeschichte und der Paulusbriefe zu konstatieren (z. B. Apg 9,22–25 im Vergleich zu 2Kor 11,32 f.).

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In den weiteren Ausführungen verweist er auf die Tötungen Jesu und der Propheten, auf Verfolgungen und auf die Gottes- und allgemeine Menschenfeindschaft der Judäer.19 Paulus verwendet hier Tropen des antiken Ethnozentrismus, wie etwa das Stereotyp vom allgemeinen Hass, der einer bestimmten Menschengruppe entgegengebracht wird oder von ihr gegen die Menschheit ausgeht, wie wir sie aus Tac. ann. 15,44, dem Wort vom allgemeinen Menschenhass gegen die Christen (odium humani generis), und Tac. hist. 5,1, der Behauptung, die Judäer seien von einem feindseligen Hass gegen alle anderen Menschen beseelt (sed adversus omnes alios hostile odium), kennen.20 Die authentischen Selbstberichte des Gemeindegründers Paulus geben Einblick in die erfolgreichen Gemeindegründungen, die daraus entstandene Verkündigungsgemeinschaft (Teilhabe im Evangelium) und schließlich den massiven Widerstand gegen Gründung wie Existenz einer Gemeinschaft von Anhängern des Kyrios Christos in den jeweiligen lokalen Umgebungen. Dabei ist mit 1Thess 2,14 die jeweilige lokale Bevölkerung (συμϕυλέται) zu berücksichtigen, d. h. in Philippi die Bewohner der römischen Kolonie, in Thessaloniki die Angehörigen der griechisch dominierten und von den Römern zur civitas libera erhobenen Polis, in Korinth wiederum die Bewohner der durch die Doppelstruktur von römischer Kolonieverfassung und griechisch-hellenistischem Selbstverständnis geprägten Stadt und schließlich in Jerusalem die „Judäer“.21 Nun bleibt die Frage, wodurch die paulinischen Konversionsgemeinschaften die Ablehnung und den Widerstand ihrer Umwelt provoziert haben. Krauter setzt bei der Stellung des Judentums in der Antike an. Er fragt, warum die Christen an dem Freiraum, der dem Judentum seiner Meinung nach in antiken Gesellschaften eingeräumt wurde, nicht partizipierten.22 Freilich stützt er seine Annahme, dass ein solcher großzügiger Freiraum existierte, zu einem großen Teil auf Quellen, die wie z. B. Inschriften Ausdruck der von den antiken Gesellschaften akzeptierten Formen des Mehrheitsjudentums sind, und geht nur gelegentlich auf „Strömungen“ im antiken Judentum ein, d. h. auf religiöse Sondergruppen, die sich Konflikten ausgesetzt sahen oder die solche ausgelöst haben.23 Mit den paulinischen Gemeinden bewegen wir uns aber in der kleinteiligen Welt der religiösen Sondergruppen und ihrer konflikthaften und provokativen religiösen Praktiken. Diese Gruppen treten noch dazu häufig mit dem Anspruch auf, dass sie die Ideale der Mehrheitsgruppe 19 Zur Unterscheidung der modernen Übersetzungen von gr. Ἰουδαῖος mit Jude / Jew zur Betonung der Religion einerseits und Judäer / Judean zur Hervorhebung der ethnisch-geographischen Bindung andererseits s. Mason 2007, bes. 484. 20 Holtz 1998, 96–113; Sänger 2010; Schäfer 2010, 298 f. 21 Zu Philippi: Bormann 1995, 11–84; Tsochos 2012, 39–135. Zu Thessaloniki: Brocke 2001, 12–101 und 155–162; Steimle 2008, 201–220. Zu Korinth: Murphy-O’Connor 1987; DeMaris 2008, 37–56. 22 Krauter 2004, 423 f. 23 Krauter 2004, 228 f. und 272–279.

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besser als diese selbst repräsentieren. Man wird demnach weder die Bereitschaft der Sondergruppen, die Mehrheitsgruppe zu provozieren, noch das Gewaltpotential, das von den legitimen Vertretern (Amtsinhabern) und den Bevölkerungsgruppen ausging, die sich zur Gewaltanwendung um der Erhaltung des Status quo willen herausgefordert fühlten, unterschätzen dürfen.24 Es ist jedenfalls festzuhalten, dass die paulinischen Gemeinden de facto sowohl die jüdische als auch die nichtjüdische Mehrheit der Umgebung provozierten und ablehnendes und gewaltsames Verhalten hervorriefen. Das Spannungsfeld von Provokation und Status quo erklärt hinreichend, dass die ersten Gemeinden keine repräsentativen Raumgestaltungen, die auf eine öffentliche Wahrnehmung zielten, anstrebten. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die frühesten identifizierbaren christlichen Versammlungsräume an den Anfang des 3. Jahrhunderts zu datieren sind.25 Aus vorkonstantinischer Zeit ist nur das Versammlungshaus der christlichen Gemeinde in Dura Europos erhalten, das als das „älteste bekannte christliche Gebäude“ gilt.26 Neben diesem sozialgeschichtlichen Gesichtspunkt ist nun aber auch zu beachten, dass die ersten Gemeinden personenorientiert ausgerichtet waren, d. h. die Mitgliedschaft beruhte auf der Entscheidung des Einzelnen und nicht auf der Zugehörigkeit zu politischen, ethnischen oder sozialen Gruppen. Eine vermutlich im Zusammenhang mit der Taufe verwendete Formel bringt diese Personenorientierung deutlich zum Ausdruck. Nach ihr sind „in Christus“ die Gegensätze von Juden und Griechen (= Nichtjuden), personenrechtlich Freien und Sklaven, Mann und Frau und schließlich auch die zu einigen namentlich genannten kulturell ausgegrenzten Menschengruppen, Barbaren und Skythen, aufgehoben (Gal 3,27 f.; 1Kor 12,13; Kol 3,11). Der Sachverhalt, dass diese personenorientierte Form der Religiosität neben dem sozialen Raum der Gruppe auch eines physikalischen Raums bedarf, wird von der religiösen Gemeinschaft nicht als Herausforderung zu besonderer Gestaltung, sei es sakral-esoterischer, sei es sakral-repräsentativer Art, verstanden. Die Zusammenkünfte zu religiösen Praktiken erfolgen in Anknüpfung an die alltäglichen Lebensbedingungen und finden in der ältesten Überlieferung keinerlei besondere Aufmerksamkeit. Greift man Überlegungen von Löw zu „gruppenspezifisch differente[n] Raumkonstruktionen“ auf, dann wird man sagen können, dass die in den religiösen Konversionsgemeinschaften produzierten und reproduzierten Anordnungen die Syntheseleistung, die die Einzelnen zu einem Ganzen verknüpft, und die Platzierungspraxis, die dem Einzelnen Identitäten zuweist, an personenbezogene Gruppenkonstellationen und nicht an physikalische Raumkonstellationen bin24 Zu diesem Gewaltpotential s. Seland 1995, 7–10. Seland definiert „establishment violence“ als die durch nicht-amtliche und damit private Akteure ausgeübte Gewalt gegen gesellschaftliche Nonkonformisten, deren Verhalten als ein Verstoß gegen grundlegende, von einem breiten Konsens getragene Werte oder Überzeugungen wahrgenommen wird. Diese Form der Gewaltausübung diene der Vertiefung, Festigung oder Wiederherstellung der Geltung gemeinsamer Überzeugungen und trete vor allem dort auf, wo das Konfliktmanagement der autorisierten Institutionen untätig bleibe. 25 Freigang 2001, 1060–1062. 26 Leriche/Coqueugniot/De Pontbriand 2011, 17: „oldest known Christian building“. Zur Geschichte der Christen in Dura Europos s. Mell 2010, 59–105.

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den.27 Die ältesten Quellen interessieren sich demnach nicht für die Frage, in welchen Räumen sich die neu gegründeten Gemeinden versammeln sollen. Dieses mangelnde Interesse an Räumlichkeiten verweist auch darauf, dass für die religiösen Praktiken dieser Gruppen keine spezifisch aufwändigen Vorkehrungen notwendig waren, die Räumlichkeiten zur Lagerung von Geräten und Kultmaterialien erfordert hätten. Was wissen wir nun von dem nicht-öffentlichen, nicht-repräsentativen und durch die Gruppenkonstellation bestimmten Raum, innerhalb dessen die religiösen Praktiken vollzogen wurden? 3. DAS „HAUS“ Die Paulusbriefe konkretisieren an keiner Stelle den Raum, in dem religiöse Praktiken vollzogen wurden. Sie erwähnen aber in anderen Zusammenhängen mehrfach das „Haus“.28 Daraus hat sich die Annahme gebildet, die ersten Gemeinden hätten sich in Privathäusern versammelt.29 Gehring kommt in seiner umfangreichen Studie zur Bedeutung antiker Häuser und Hausgemeinschaften zu dem Ergebnis, „daß in allen drei Phasen der frühchristlichen Mission das Haus als Grundlage jeglichen Gemeindelebens [Hervorhebung im Original] diente.“30 Wick formuliert diese opinio communis lakonisch: „Die paulinischen Gemeinden sind Hausgemeinden“.31 Gegen Zweifel an der Dominanz dieser einen Form der Vergemeinschaftung im Privathaus, die aufgrund der inkonsistenten Quellenlage nicht verstummen wollten, hielten z. B. Osiek und Balch noch einmal die Bedeutung des Privathauses, das sie nach seinem Gebäudetyp als Atrium-Haus bezeichneten, mit den Worten fest: „The atrium house is surely not the exclusive but is the primary setting for Pauline ekklesiai“.32 Diese Forschungsposition wurde in den letzten Jahren zunehmend infrage gestellt.33 Tatsächlich belegen bereits zwei exegetische Beobachtungen zum Gebrauch von ἐν οἴκῳ und συνέρχεσθαι in den Paulusbriefen, dass das Haus durchaus in einen Gegensatz zur Gemeindeversammlung gestellt werden kann. In 1Kor 11,34 werden die korinthischen Gemeindemitglieder angewiesen, „zuhause“ (ἐν οἴκῳ) zu essen und eben nicht am Ort der Zusammenkunft der Gruppe, der selbst nicht näher bezeichnet wird. Eine solche Gegenüberstellung findet sich auch in 1Kor 14,35. In diesem Wort werden die Frauen angewiesen, ihre eigenen Männer 27 Löw 2004, 58. 28 Z. B. Röm 16,5; 1Kor 16,19; Kol 4,15; Phlm 2: οἴκος. Die Apostelgeschichte bietet einige weitere Ortsangaben und verweist darauf, dass man aus der Perspektive der Jahre nach 80 n. Chr. mit einer größeren Vielfalt rechnete: 1. der Jerusalemer Tempel (Lk 24; Apg 2,46), 2. die Synagoge (Apg 9,20; 13,14), 3. das Privathaus (Apg 2,2.46; 12,12), 4. der „Obersaal“ / ὑπερῷον (Apg 1,13; 20,8; vgl. 9,37.39) und 5. die „Schule“ / σχολή des Tyrannos (Apg 19,9). 29 Klauck 1981, 21–44; Dassmann 1984; Dassmann 1986; Gielen 1986; Lehmeier 2006, 26–42; Wagner 2011, 15; Müller 2012, 43–48. 30 Gehring 2000, 486. 31 Wick 2003, 220. 32 Osiek/Balch 2000, 16. 33 Oakes 2009; Balch 2012; Adams 2013, 198–202; Strecker 2013.

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„zuhause“ (ἐν οἴκῳ) zu befragen und nicht in der Gemeindeversammlung, deren räumliche Bedingungen wiederum nicht weiter geschildert werden. Die beiden Aussagen lassen sich natürlich nicht als eine grundsätzliche Bestreitung des Privathauses als Versammlungsort der ersten Gemeinden verstehen, sie weisen allerdings darauf hin, dass das „Haus“ und die Gemeindeversammlung nicht einfach synonym verstanden wurden. Diese erste relativierende Beobachtung findet weitere Unterstützung bei einem zweiten exegetischen Sachverhalt. Paulus verwendet zur Bezeichnung des Vorgangs des Versammelns der Gemeinde das Verb „zusammenkommen“ (συνέρχεσθαι) und für das Zusammensein der Gemeinde eine Wendung, die sich als „Beieinandersein“ (εἶναι ἐπὶ τò αὐτό) übersetzen lässt.34 Ein wichtiger Bestandteil dieser Zusammenkunft war das gemeinsame Mahl, so dass es nicht verwundert, dass das gemeinsame Essen metonym für die Zusammenkunft, die Verweigerung der Mahlgemeinschaft wiederum für den Ausschluss aus oder die Aufkündigung der Gemeinschaft stehen kann (1Kor 5,11; Gal 2,12). Insbesondere die Wendung „Brot brechen“ (κλᾶν ἄρτον) bezeichnet demnach sowohl die Zusammenkunft selbst als auch das für diese Zusammenkunft zentrale Mahl (1Kor 10,16). Nun fällt auf, dass keine der genannten Bezeichnungen von Paulus mit einer Ortsangabe oder Raumangabe und demnach auch nicht mit dem „Haus“ verbunden wird. Worauf beruht nun aber die Annahme, die paulinischen Gemeinden hätten sich in Privathäusern versammelt? Als Beleg für die Nutzung von Privathäusern zur Versammlung wird zunächst auf das Vorbild der jüdischen Gemeinschaften verwiesen. Eine Inschrift von Stobi aus dem 3. Jahrhundert regelt die Besitzverhältnisse und Nutzungsrechte des Hauses des Claudius Tiberius Polycharmos.35 Hengel wertet die Inschrift und die komplexen archäologischen Befunde zum Gebäude wie folgt aus: „Die Inschrift deutet darauf hin, daß sich ein Privathaus in einen Kultort verwandelte, wobei aufgrund der vielseitigen Funktionen der jüdischen Gemeinden ein großer Bedarf an Nebenräumen bestand.“36 Claußen erweitert diesen Befund für Stobi vor dem Hintergrund weiterer Auswertungen zu der Behauptung, dass vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum 6. Jahrhundert n. Chr. antike Synagogengebäude nachweisbar seien, die durch Umbauten aus ursprünglichen Privathäusern entstanden sind.37 Die Inschrift von Stobi erwähnt aber auch präzise Regelungen für die Nutzung des Gebäudes durch verschiedene Personengruppen. Der Verfasser der Inschrift und Hausbesitzer unterscheidet zwischen den Räumen für die jüdische Gemeinschaft und den Privaträumen im „Obergeschoss“ (ὑπερῷον), die ihm und seinen Erben als Besitz und Eigentum verbleiben sollen.38 Die Umwandlung von Privathäusern zu Versammlungsgebäuden belegt demnach nicht zugleich, dass die Sozialstruktur des Haus34 35 36 37

1Kor 11,17–18.20.33–34; 14,23.26: συνέρχεσθαι; 1Kor 11,20; 14,23: εἶναι ἐπὶ τò αὐτό. CIJ 694 = Frey 1936. Zum archäologischen Befund s. Levine 2000, 270–273. Hengel 1996, 124 f. Claußen 2002, 208; Claußen 2004, 70. Zur Diskussion um die Nutzung privaten Raumes („domestic space“) für synagogale Zusammenkünfte vor 70 n. Chr. vgl. Catto 2007, 104–105. 38 CIJ 694: ἐξουσία καὶ δεσποτεία.

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halts der Anknüpfungspunkt für die religiöse Gemeinschaft gewesen sei, aus der sich dann die Nutzung eines Privatgebäudes als Versammlungsraum ergeben habe. Als ein weiterer Hinweis auf eine solche Nutzung von Privathäusern gilt vor allem die Wendung κατ’ οἶκον ἐκκλησία, die in der Regel mit „Hausgemeinde“ übersetzt wird. In ihr sind das „Haus“ und der zentrale Begriff für die Selbstbezeichnung der paulinischen Gemeinde, nämlich ἐκκλησία, miteinander verknüpft. Die Wendung κατ’ οἶκον ἐκκλησία zeigt nach Dassmann, dass sich die ersten Gemeinden in Privathäusern versammelt und sich selbst als „Hauskirche“ verstanden hätten.39 Klauck verdichtet diese Überlegungen und behauptet, dass es sich bei ἡ κατ’ οἶκον ἐκκλησία um eine „geprägte Wendung“ handele, die zu übersetzen sei mit „die sich hausweise konstituierende Kirche“.40 Diese Interpretation wirft einige Fragen auf. Zunächst einmal ist zuzugestehen, dass die Wendung jeweils determiniert verwendet wird und sich in drei verschiedenen Paulusbriefen findet, also Sachverhalte an drei verschiedenen Orten reflektiert, nämlich in Rom (Röm 16,3– 5) als Adresse des Römerbriefs, in Ephesus (1Kor 16,19) als Abfassungsort des Ersten Korintherbriefes und in Colossae, dem Ort, an dem in der Regel die Adressaten des Philemonbriefes vermutet werden.41 Allerdings gibt es auch Einwände, die zu berücksichtigen sind. Die Wendung ist an allen Stellen durch ein Genitivattribut konkretisiert. Es ist demnach nicht von der „Hausgemeinde“ im Sinne einer Gattung die Rede, sondern vielmehr durchweg von konkreten Gemeinden, die sich in Häusern, die durch eine Besitzangabe näher bestimmt werden, versammeln. Der paulinische Gebrauch wäre demnach korrekt wiederzugeben mit „die sich im Haus des/der N. N. versammelnde Gemeinde“. Es handelt sich demnach nicht um einen generischen Begriff für „Hausgemeinde“ oder gar „Hauskirche“, sondern um die Bezeichnung eines individuellen Sachverhalts. Damit ist zugleich die durchaus mögliche Übersetzung von κατ’ οἶκον mit „hausweise“ infrage gestellt.42 Eine solche modale, genauer distributive Übersetzung wird durch die Verbindung mit einem Genitivattribut unmöglich.43 Im Ergebnis wird man den Befund historisch zunächst so auszuwerten haben, dass die unumstrittenen Paulusbriefe von drei Häusern oder Hausgemeinschaften sprechen, in denen sich Gemeinden versammeln. Die Besitzer und Haushaltsvorstände werden jeweils durch ein Personalpronomen benannt und lassen sich durch den Kontext recht eindeutig namentlich identifizieren. Es handelt sich demnach bei den drei Häusern um das Haus der Prisca und des Aquila in Rom (Röm 16,5: ἡ κατ’ οἶκον αὐτῶν ἐκκλησία), ein Haus in Ephesus, das demselben Paar gehört (1Kor 16,19: ἡ κατ’ οἶκον αὐτῶν ἐκκλησία) und das Haus des Philemon (Phlm 1 f.: ἡ κατ’ οἶκόν σου ἐκκλησία), das wir in Colossae vermuten. Der Kolosserbrief, dessen Verfasser39 40 41 42

Dassmann 1984, 83 f. Klauck 1981, 102. Müller 2012, 84: Colossae sei „zwar nicht gesichert, aber doch wahrscheinlichste Lösung“. Vgl. die etwas anders gelagerte Kritik an der Übersetzung Klaucks bei: Gielen 1986, 111. Gielen stellt der „distributiven“ Interpretation, die sie bei Klauck wahrnimmt, eine „lokale Interpretation“ gegenüber, die sie favorisiert. 43 Klauck 1981, 19 f. zieht für die modale Bedeutung „hausweise“ den rechtsgeschichtlichen Terminus κατ’ οἰκίαν ἀπογραφή heran.

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schaft umstritten ist, nennt noch ein Haus der Nympha (Kol 4,15: ἡ κατ’ οἶκον αὐτῆς ἐκκλησία) vermutlich in Laodikeia.44 Für die Hausgemeinden in Rom und Ephesus ist demnach dasselbe Paar als Besitzer genannt.45 In der Apostelgeschichte wird zudem berichtet, dieses Paar sei aufgrund des Edikts zur Vertreibung der Juden aus der Stadt Rom unter Claudius nach Korinth umgesiedelt (18,1–3). Paulus habe dort bei ihnen gelebt und, da sie das gleiche Handwerk wie er, nämlich das des Zeltmachers oder Lederhandwerkers (σκηνοποιός) betrieben hätten, habe er auch bei ihnen gearbeitet. Der Römerbrief würde dann belegen, dass das Paar wieder von Ephesus oder Korinth nach Rom zurückgekehrt ist. Über den Hausbesitzer Philemon erfahren wir aus dem Philemonbrief immerhin so viel, dass er Haushaltsvorstand ist und mindestens einen Sklaven, den bei Paulus sich befindenden Onesimus (Phlm 16), besitzt. Da nun für die Häuser in Rom, Ephesus und Korinth dieselben Besitzer genannt werden, ist der Befund in Bezug auf die soziale Realität, die hinter den Hausgemeinden steht, auf zwei Belege zu reduzieren: das Paar Prisca und Aquila mit Hausbesitz in Rom und Ephesus einerseits und den Haushaltsvorstand und Sklavenbesitzer Philemon vermutlich in Colossae andererseits. Ergänzt man die paulinischen Aussagen um die Notiz in Apg 18,1–3, nach der Prisca bzw. dort Priscilla und Aquila auch in Korinth ein Haus besessen hätten, und um den Hinweis aus dem Kolosserbrief auf die Hausgemeinde der Nympha in Laodikeia, dann weitet sich das Bild etwas aus. Die Belege reichen aber nicht aus, um die häufig geäußerte Grundsatzthese zu erhärten, nach der die ersten Gemeinden grundsätzlich Hausgemeinden in dem Sinne gewesen seien, dass sie sich an die Sozialstruktur des antiken und damit des patriarchalen Haushalts angelehnt hätten. Vielmehr wird man sagen können, dass sich die ersten Gemeinden auch in Privathäusern getroffen haben, ohne daraus allzu weitreichende Schlüsse von der Nutzung des Gebäudetyps Privathaus auf die Anknüpfung an die Sozialform des patriarchalen Haushalts durch die Gemeinde ziehen zu können.46 Einige neutestamentliche Quellen reflektieren das Haus als soziale Gemeinschaft. In der neutestamentlichen Forschung wird immer wieder eine „Oikos-Formel“ oder „Oikos-Wendung“ angeführt, die in den Quellen im Zusammenhang mit der Erinnerung an die Erstmission, speziell an die Taufe verwendet werde.47 Das Interesse der Forschung an Formeln und festen Wendungen erklärt sich daraus, dass man der Ansicht ist, man könne von verfestigten Sprachzusammenhängen („Formeln“) auf reale Verwendungs- und damit Sachzusammenhänge schließen („Sitz im Leben“). Die angeführten Belege beeindrucken zunächst, da sie verschiedene Quellengruppen des Neuen Testaments zu umfassen scheinen – die Paulusbriefe, die Apostelgeschichte und das Johannesevangelium (1Kor 1,16; 16,15; Apg 11,14; 16,15; 16,31–33; 18,8; Joh 4,53) –, bisweilen werden auf dieser Basis weitere Texte herangezogen, wie etwa Mk 5,19, die Aufforderung Jesu an einen Geheilten „Geh

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Bormann 2012, 196 f. Zu Prisca und Aquila s. Lampe 1989, 159–164. Alikin 2010, 49–57. Klauck 1981, 51–56; Müller, Philemon, 47.

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in dein Haus!“.48 Eine kritische Durchsicht der angeführten Quellen relativiert den ersten Eindruck von einer umfangreichen Liste. Bereits die Rekonstruktion des Wortlauts der vermeintlichen Formel stellt vor erhebliche Schwierigkeiten. Sie besteht nach Klauck aus den Worten „N. N. kam zum Glauben, wurde gerettet, ließ sich taufen ‚mit seinem (ganzen) Haus‘“.49 Tatsächlich sähe aber das Ergebnis einer Rekonstruktion des Wortlauts, das die Vielfalt der sprachlichen Varianten berücksichtigt, eher so aus: „verkündigen/taufen/retten/glauben – dich/den/die N. N. – und dein/sein/ihr (ganzes) Haus/die Seinen“. Die komplexe Darstellung macht bereits deutlich, dass von einer geprägten Formel nicht die Rede sein kann. Eine gewisse Einheitlichkeit ist am ehesten in der Apostelgeschichte festzustellen. Aber auch hier sollte man nicht von einer Formel sprechen, die soziale Realitäten zu erschließen vermag, sondern vielmehr auf die literarische Funktion achten. Nach MacDonald gestalte der Autor der Apostelgeschichte mit Hilfe der zahlreichen Verweise auf Haushaltsvorstände unter den ersten Christen und deren Hausgemeinschaften idealisierte Szenen, die sowohl den guten Erfolg der Verkündigung als auch deren soziale Verträglichkeit präsentieren sollen.50 Wie stellt sich vor dem Hintergrund, dass weder ein generischer Begriff für Hausgemeinde noch eine Oikos-Formel für die Bekehrung von patriarchalen Haushalten für die ersten Gemeinden nachgewiesen werden kann, das Verhältnis von „Haus“ zur religiösen Konversionsgemeinschaft der ersten Christen dar? Sehr viel aussagekräftiger als die Rekonstruktion vermeintlicher Formeln oder fester Wendungen, um soziale Realitäten zu erschließen, sind gerade eher beiläufige Äußerungen, die weder durch rhetorische noch literarische Darstellungsinteressen verfremdet sind. In 1Kor 16,15 erinnert Paulus die Briefempfänger an die Erstbekehrten in Achaia mit den Worten „Ihr kennt das Haus des Stephanas (οἰκία Στεϕανᾶ) und (wisst), dass es der Erstling der (Provinz) Achaia (ἀπαρχὴ τῆς ᾿Αχαΐας) ist.“ Hier wird nun tatsächlich ein Haushalt angesprochen. Die Wendung „Erstling von“ begegnet nochmals in Röm 16,4. Dort wird „Epainetus, der Erstling der (Provinz) Asia in Christus (ἀπαρχὴ τῆς ᾿Ασίας εἰς Χριστόν)“ erwähnt. Die Näherbestimmung „in Christus“ verdeutlicht, dass sich die Erstlingschaft auf die Zugehörigkeit zur religiösen Gemeinschaft bezieht, so dass sich diese Deutung auch für das Haus des Stephanas in 1Kor 16,15 nahelegt. In Achaia, demnach wohl in Korinth, ist tatsächlich Stephanas und sein Haushalt zur Christusgemeinschaft gestoßen. Von einer Hausgemeinde ist allerdings nicht die Rede. Die sozialen Zusammenhänge, die mit dem Haushalt des Stephanas verbunden sein können, werden gerne auch für die nachfolgenden, weit offeneren Wendungen in Anspruch genommen. In 1Kor 1,11 werden „die (Leute) der Chloë (τῶν Χλόης)“ erwähnt. In Röm 16,14 f. werden nach der namentlichen Nennung von fünf Personen „die Brüder, die mit ihnen sind (τοὺς σὺν αὐτοῖς ἀδελϕούς)“ in den Gruß miteingeschlossen. In Röm 16,15 folgt in einem Gruß ebenfalls auf vier Namen und eine als Schwester eingeführte fünfte Person eine allgemeine Wendung: „alle Heiligen, die mit ihnen sind (τοὺς σὺν αὐτοῖς 48 Klauck 1981, 60. 49 Klauck 1981, 51. 50 MacDonald 2011.

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πάντας ἁγίους)“. Röm 16,10 f. spricht von „denen aus den (Leuten) des Aristobul (τοὺς ἐκ τῶν ᾿Αριστοβούλου)“ und „denen aus den (Leuten) des Narcissus, die im Herrn sind (τοὺς ἐκ τῶν Ναρκίσσου τοὺς ὄντας ἐν κυρίῳ)“. Diese Aussagen werden nicht selten als Belege für Hausgemeinschaften gewertet, obwohl sich die Benennung kleinerer Personengruppen über nur eine namentlich genannte Person leicht aus der Unkenntnis des Paulus über die näheren Verhältnisse besonders in der römischen Gemeinde, die er bei Abfassung seines Schreibens noch nicht kennengelernt hatte, erklären lässt. Zeller interpretiert 1Kor 1,11 als „Haushalt der Chloë“.51 Lohse übersetzt Röm 16,10 f. sogar mit „die aus dem Haus des Aristobul“ und „die aus dem Haus des Narcissus“, ohne darauf hinzuweisen, dass das Wort „Haus“ im griechischen Text gar nicht vorkommt.52 Schließlich ist noch Röm 16,23a zu erwähnen. Dort wird der Gruß eines Gaius (vgl. 1Kor 1,14) übermittelt,53 der sich bei Paulus in Korinth befindet: „Gaius, mein Gastgeber und der der ganzen Gemeinde (Γάϊος ὁ ξένος μου καὶ ὅλης τῆς ἐκκλησίας)“. Das Wort „Haus“ kommt nicht vor, aber eine Person, die als Gastgeber sowohl des Paulus als auch der ganzen Gemeinde fungiert. In der Regel wird sehr schnell darauf geschlossen, dass dieser Gaius sein „Haus“ der „Ortsgemeinde, die sich im Haus des Gaius versammelt“ zur Verfügung gestellt habe.54 Der einzige Beleg für eine Personengruppe, die explizit mit einem Haushalt als Sozialgemeinschaft in Zusammenhang gebracht wird, findet sich in Phil 4,22: „die aus dem Haus des Kaisers (οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας)“. Demnach sind bei Paulus, der sich bei Abfassung des Philipperbriefs in Gefangenschaft befindet, Angehörige des kaiserlichen Haushalts, die die Philipper grüßen. Gerade hier ist aber nun überdeutlich, dass der Kaiser weder sein Haus als Gebäude für Gemeindeversammlungen zur Verfügung stellt noch sein gesamter Haushalt gemeint sein kann. Im Ergebnis erscheint die Vorstellung, dass die religiöse Konversionsgemeinschaft der Christusanhänger vor allem an der Sozialstruktur des antiken Hauses angeknüpft habe, unbegründet. Das Haus als Personengemeinschaft war natürlich von der Konversion einzelner Mitglieder tangiert; die Darstellung der Apostelgeschichte, nach der vor allem die Hausvorstände konvertierten und dabei ihr ganzes Haus miteinbezogen, lässt sich aber nicht als Normalfall betrachten, sondern scheint eher die literarische Umsetzung einer idealisierenden und harmonisierenden Darstellungsintention des Autors zu sein. Die wenigen genannten Hausgemeinden sind Einzelfälle (Aquila und Prisca, Philemon, evtl. Nymphe). Die Wendung „Haus des Stephanas“ (1Kor 16,15) belegt, dass der antike Oikos die soziale Basis für bestimmte Formen der erstanfänglichen Gruppen bilden konnte. Das erlaubt aber nicht die Schlussfolgerung, dass die Personengruppen, die über eine Einzelperson identifiziert werden, ohne dass explizit ein Oikos genannt wird, jeweils einem ge51 Zeller 2010, 91, vgl. 39: Chloë sei „Herrin der 1,11 genannten Sklaven gewesen“. 52 Lohse 2003, 405, vgl. 407: „Die Namen des Aristobul (V. 10) und Narcissus (V. 11) werden als Vorstände eines – wohl größeren – Hauses angeführt, zu dessen Dienerschaft einzelne Christen gehören.“ 53 In 1Kor 1,14 nennt Paulus einen Gaius in Korinth, den er getauft habe. 54 Lohse 2003, 416.

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meinsamen Haushalt angehören. Es scheint vielmehr der Fall zu sein, dass Gruppen auch über Hausvorsteher identifiziert werden, die selbst nicht zur Gruppe gehören (der Kaiser, Aristobul, Narcissus). Auf welche Weise aber ein „Gastgeber“ (ξένος) wie Gaius Einzelnen und der Gesamtgemeinde den Raum für ihre Versammlungen zur Verfügung stellen konnte, ist nicht näher ausgeführt. Der Schluss auf ein Privathaus als Gebäude mag naheliegen, ist aber alles andere als zwingend. Die hier vorgetragene Kritik der in der neutestamentlichen Forschung dominanten Vorstellung von Hausgebäude und Haushalt als der sozialen und physischen Raumkonfiguration, in der und aus der sich die religiöse Konversionsgemeinschaft der Christen vor allem entwickelt habe, wird zudem von sehr praktischen Überlegungen zu den konkreten Raumkonstellationen gestützt. In erster Linie stellt sich die Frage nach den Größenverhältnissen, die sich aus der Mitgliederzahl der Gemeinde und der üblichen Größe des Privathauses ergeben. Murphy-O’Connor schließt aus den bekannten Daten zum römischen Privathaus und aus einigen ausgewählten Grundrissen auf die maximale Zahl von 50 Versammlungsteilnehmern.55 Aber selbst diese Teilnehmerzahl für eine Gemeindeversammlung sei auch in einer Privatvilla eines Elitemitglieds nur durch die „Diskriminierung“ eines Teiles der Versammlung, der sich mit einfachen Bedingungen („second-class facilities“) zufriedengeben musste, zu erreichen. Diese Zahl lässt sich demnach kaum mit der Vorstellung vereinbaren, die gesamte Gemeinde habe sich an einem Ort versammelt. Balch möchte diesem Dilemma ausweichen, indem er für einzelne Häuser mit signifikant abweichenden Raumverhältnissen rechnet.56 Tatsächlich wird man unter der von allen Quellen gestützten Annahme, dass das gemeinsame Mahl zur Inszenierung der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen (κυριακὸν δεῖπνον, „Herrenmahl“) das rituelle Zentrum der Zusammenkunft darstellte, sehr präzise nach den räumlichen Möglichkeiten eines Privathauses fragen müssen. Einfache Unterkünfte besitzloser Schichten gewährten nur Raum für die Befriedigung der eigenen Alltagsbedürfnisse, ermöglichten aber nicht die Bereitstellung von Versammlungsraum für Gruppen. Auch aus diesem Teil der Bevölkerung hat sich die religiöse Konversionsgemeinschaft rekrutiert, wie die Aufzählung von Eigenschaften der Gemeindemitglieder in 1Kor 1,26–29 und 6,9–11 zeigt. Denkt man aber an das Privathaus als Versammlungsraum der Gemeinde, muss man zumindest an Mieter oder gar Besitzer größerer Gebäude denken, was auch entsprechende Schlussfolgerungen auf deren gehobenen sozialen Status zwingend macht. Alikin hat sich jüngst diesen älteren Konsens der Forschung noch einmal zu eigen gemacht und zusammenfassend konstatiert: „To conclude this section it can be stated that the earliest locations used by Christians for their gatherings were private houses, in most cases houses of comparatively richer Christians with sufficient economic resources to have space to accommodate their coreligionists’ meetings.“57

55 Murphy-O’Connor 1987, 153–161. 56 Balch 2008, 43: „with space for significantly more than forty worshippers“. 57 Alikin 2010, 49–57, hier 57. Ähnlich Müller 2012, 48.

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Oakes hingegen wirft der Forschung vor, bisher an den „falschen Haustyp“ gedacht zu haben, wenn die Versammlungsräume der Gemeinde rekonstruiert wurden.58 Man habe jeweils über Häuser der Elite spekuliert, dann die patriarchale Struktur eines solchen Elite-Haushalts mit besitzendem und einflussreichem pater familias auch als prägend für die Sozialform der ersten Gemeinden angenommen und daraus eine Ethik des „Liebespatriarchalismus“, der die fürsorgliche Besitzverwendung der reichen Gemeindemitglieder für die Armen und für die Belange der Gemeinde als Kern frühchristlicher Ethik bezeichnen soll, abgeleitet.59 Oakes wendet den Blick von den Elitehäusern ab. Diese kommen für ihn aus zwei Gründen nicht in Betracht: 1. Die ersten Gemeinden hatten keine Angehörigen der lokalen Eliten als Mitglieder. 2. Der Haustyp des Privathauses eines Eliteangehörigen biete im Triclinium in der Regel Platz für nicht mehr als zehn auf Klinen liegende Mahlteilnehmer, etwa die doppelte Zahl, wenn man von einer Anordnung von Sitzenden ausgeht (so 1Kor 14,30: κάϑημαι), selbst unter Einbeziehung des Atriums und des geöffneten Hauseingangs sind kaum mehr als 40 bis 50 Personen für die Teilnahme an der Versammlung der Gemeinde mit Mahlzusammenkunft realistisch. Diese Widersprüche führten neben Oakes auch Balch und andere zu der Überlegung, dass es sinnvoller sei, an räumliche Alternativen zu denken, die sowohl der sozialen Zusammensetzung der ersten Gemeinden und ihrer Raumbedürfnisse als auch den Raumverhältnissen antiker Städte eher gerecht würden. Balch räumt ein: „We would do well to follow Peter Oakes, Reading Romans in Pompeii, and explore a variety of domestic settings for texts and communities. (…) renting spaces in taverns, or simply gathering there for meals with wine.“60

Oakes selbst hält Handwerkeranwesen, die Werkstätten, Lagerräume, Wohnräume für die Handwerkerfamilie und Wohnmöglichkeiten für die dort beschäftigten Sklaven und Mitarbeiter umfassten, für die plausibelste Lösung des gemeindlichen Raumproblems und leitet daraus das Paradigma der Handwerkerhausgemeinde („craftworker house church“) ab, für die er eine typische soziale Zusammensetzung vorschlägt, die sowohl die sozialen Strukturen des antiken Haushalts als auch die Stratigraphie des gesellschaftlichen Segments berücksichtigt, aus dem sich die Mitglieder der ersten Gemeinden zusammensetzten.61 Neben dem Mieter des Hand58 59 60 61

Oakes 2009, 70. Oakes 2009, 70. Balch 2012, 232. Zu dieser Diskussion s. Oakes 2009, 69 f. Oakes 2009, 96: „Social description of the model craftworker house church in Rome“: „Thirty people in total, comprising: 1. A craftworker who rents a fairly large workshop (c. 45m2) and some separate living accommodation, his wife, children, a couple of (male) craftworking slaves, a (female) domestic slave, a dependent relative. 2. A few other householders (mainly, but not necessarily all, male) who rent less space than the householders above, some (but not all) of their spouses, children, slaves and other dependants. The rented spaces would be either workshops with mezzanine living areas or apartments on upper floors of apartment blocks. 3. A couple of members of families whose householder is not part of the house church. 4. A couple of slaves whose owners are not part of the house church. 5. A couple of free or freed dependants of people who are not part of the house church. 6. A couple of homeless people. 7. A few people who are renting space in shared rooms (e. g. migrant workers separated from their families).“

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werkeranwesens und einzelnen Mitgliedern seiner Familie stellt er sich weitere Hausvorstände und Angehörige ihrer Familien vor, die selbst über weniger großzügige Raumverhältnisse verfügen und sich deswegen dieser HandwerkeranwesenGemeinde angeschlossen haben. Weiterhin hält er es für wahrscheinlich, dass einige weitere Einzelpersonen oder Kleingruppen aus anderen Haushalten, Freigelassene, Sklaven, weitere Personen wie etwa zugereiste Wanderarbeiter und schließlich auch Wohnsitzlose zur Gemeinde gestoßen seien. Diese weit offenere, aber doch die soziale Struktur des antiken Haushalts integrierende Sicht wird der Vielfalt und Diversität der Angaben in den paulinischen Briefen eher gerecht als eine Sichtweise, die den vereinheitlichenden Angaben der Apostelgeschichte folgt und diese durch die Fixierung des vermeintlichen sozialen Sachverhalts in einer neutestamentlichen Oikos-Formel verallgemeinert. Neben dem Privathaus und dem Handwerkeranwesen ist demnach auch die Anmietung von Versammlungsräumen bzw. Wirtshäusern im Erdgeschoss von Mietshäusern (insulae) in Betracht zu ziehen.62 Schließlich ist auch auf die im Neuen Testament häufiger genannten „Obergeschosse“ (Act: 1,13; 9,37.39; 20,8: ὑπερῷον; Mk 14,15; Lk 22,12: ἀνάγαιον) zu verweisen, die für die Gemeindeversammlungen infrage kommen. Diejenigen hingegen, die am herkömmlichen Modell der Hausgemeinde im Privathaus eines reichen Gemeindemitglieds festhalten, rechnen mit der Existenz von mehreren solcher Gemeinden an einem Ort. Müller etwa stellt die Vermutung an, dass „eine Hausgemeinde alle Christen einer Stadt umfasste, ist für größere Städte eher unwahrscheinlich, für kleinere gut möglich.“63 Die genannten Alternativen wie Hausgemeinde im Elite-Privathaus, mehrere Hausgemeinden in solchen Häusern in größeren Städten, Handwerkerliegenschaften-Gemeinden unter Einbeziehung von Gewerbeflächen und Straßenanteilen vor dem Gebäude, Anmietung von Versammlungsraum in den Mietsblöcken oder in Wirtshäusern sind jedenfalls anregend, sie leiden aber unter einem zentralen Mangel: Die neutestamentlichen Quellen geben nur gelegentlich Hinweise, machen aber nie explizite Aussagen zu den Raumkonstellationen, die für eine Gemeindeversammlung als notwendig erachtet werden. So hilfreich eine räumliche Vorstellung von den Verhältnissen der Versammlungen dieser ersten Gemeinschaften sein mag, so deutlich ist auch, dass die Quellen an Angaben zur näheren Bestimmung der Raumverhältnisse nicht interessiert sind. Das gilt schließlich auch für die älteste einigermaßen auskunftsfreudige nichtchristliche Quelle zum Christentum, den Brief des Plinius an Trajan. Dort heißt es ebenfalls nur, die Christen hätten im Verhör zugegeben, „vor Sonnenaufgang zusammengekommen“ (ante lucem convenire) zu sein, um Gebete und Gesänge auszuführen, und sich dann später erneut getroffen zu haben, „um Speise zu sich zu nehmen“ (ad capiendum cibum).64 Der Sachverhalt, der für das Verständnis des frühen Christentums von Raum, Raumkonfigurationen, Raumkonstellationen und deren Sakralität von größter Bedeutung ist, bleibt damit das offensichtliche Desinteresse an Ort und Raum der Zusammenkunft. 62 Oakes 2009, 80–97; Lampe 1989, 40 f. und 50–52. 63 Müller 2012, 48; Alikin 2010, 49–57. 64 Plin. epist. 10,96.

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4. RAUM, RITUAL UND SAKRALITÄT Die Begriffe, die am deutlichsten die Zusammenkunft der Mitglieder der religiösen Konversionsgemeinschaft bezeichnen, verzichten auf eine Ortsangabe, thematisieren aber den Vorgang des „Zusammenkommens“ (συνέρχεσθαι). In 1Kor 14,23 wird zudem ausdrücklich darauf verwiesen, dass sich nicht Untergruppen je für sich treffen, sondern vielmehr die „ganze“ Gemeinschaft versammelt: „Wenn nun die ganze Gemeinde auf einmal zusammenkommt (ἐὰν οὖν συνέλϑῃ ἡ ἐκκλησία ὅλη ἐπὶ τὸ αὐτό)“. Das „Zusammenkommen“ erscheint zumindest im Ersten Korintherbrief als der terminus technicus für die Versammlung der Gemeinde. Es wird nicht zusammengerufen oder angeordnet, sondern die Aktivität wird durch den gewählten Plural und den Verzicht auf eine anordnende Instanz als selbstgesteuerte Handlung der Gruppe und ihrer Mitglieder vorgestellt. Der Begriff wird mehrfach mit Mahnungen verbunden, etwa zur Eintracht u. a. Es werden aber auch konkrete Praktiken genannt, die mit dem „Zusammenkommen“ der Gemeinschaft verbunden werden: „zum Essen“ (1Kor 11,33: εἰς τὸ φαγεῖν), „das Herrenmahl zu essen“ (1Kor 11,20: κυριακὸν δεῖπνον ϕαγεῖν). In 1Kor 14,23 werden weitere Aktivitäten genannt: „Wenn ihr zusammenkommt, hat jeder einen Psalm, hat eine Lehre, hat eine Offenbarung, hat eine Glossolalie, hat eine Übersetzung – alles geschehe zur Erbauung.“

Bereits oben wurde darauf hingewiesen, dass Wendungen, die das gemeinsame Mahl thematisieren wie etwa „Brot brechen“ (κλᾶν ἄρτον) sowohl die Zusammenkunft selbst als auch das für diese Zusammenkunft zentrale Mahl bezeichnen (1Kor 10,16; 11,24; Apg 20,7.11). Diese zentrale Stellung des Mahls für die Zusammenkunft der religiösen Konversionsgemeinschaft hat in den letzten Jahren intensive Aufmerksamkeit der Forschung gefunden.65 Dabei sind wichtige Ergebnisse erarbeitet, aber auch einige übertriebene Schlussfolgerungen gezogen worden, wie etwa die Behauptung, dass der vermeintliche „Identitätskern“ der Gemeinschaft im gemeinsamen Essen bestünde, etwa bei Klinghardt: „Die Identität der frühchristlichen Gemeinschaft(en) ist ihr συνεσθίειν.“66 Gerade die genannte Aussage macht deutlich, dass, ähnlich wie bei den Festlegungen bezüglich des vermeintlichen generischen Begriffs κατ’ οἶκον ἐκκλησία, der so genannten Oikos-Formel oder der Vorstellung von der Hausgemeinde als der grundlegenden und einzigen Sozialform des entstehenden Christentums, die Tragweite hypothetischer Ergebnisse allzu leicht überschätzt wird. Im letztgenannten Fall, der Behauptung, dass die Identität im „Zusammenessen“ liege, wird die einfache und doch grundlegende ritualwissenschaftliche Einsicht missachtet, auf die Rappaport hingewiesen hat, nach der die Teilnahme am Ritual (hier: das Zusammenessen) bereits ein vorläufiges Einverständnis mit Sinn und Ziel der strukturierten Handlungsfolge voraussetze und nicht

65 Zur Orientierung nenne ich nur die Anthologien der letzten Jahre: Ebner 2007; Hartenstein 2008; Weiß 2011; Klinghardt/Taussig 2012; Löhr 2012; Hellholm/Sänger 2016. 66 Klinghardt 2012, 15.

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erst schaffe.67 Dem Essen geht demnach ebenfalls eine Übereinstimmung mit den mit der Zusammenkunft verfolgten Absichten voraus, theologisch gewendet kann man sagen, es setzt bereits eine gewisse Übereinstimmung mit dem Bekenntnis der Gruppe voraus.68 Trotz dieser Einschränkungen ist dennoch festzuhalten, dass dem Mahl und den ihm zugrundeliegenden Überzeugungen, die als eine Art Sozialvertrag die Ausführung des gemeinschaftlichen Rituals erst ermöglichen, eine besondere identitätsbildende Funktion für die religiöse Konversionsgemeinschaft zukommt. Aus den zahlreichen Gesichtspunkten, unter denen man das gemeinsame Mahl der religiösen Konversionsgemeinschaft untersuchen kann, soll eine Fragestellung hervorgehoben werden, die besonders hilfreich ist, wenn man eine vergleichende Perspektive einnehmen möchte. Die kognitionswissenschaftliche Religionsforschung hat in den letzten Jahren Parameter entwickelt, diskutiert und verfeinert, mit denen der Zusammenhang von Religion, Emotion und Ritual erforscht werden kann. Als empirische Parameter werden genannt: die Häufigkeit von Ritualen („frequency“), der Grad ihrer sinnlichen Gestaltung („sensory pageantry“), die im materiellen Aufwand zum Ausdruck kommende Verbindlichkeit („costly-signalling“), die Ausführung durch Spezialisten („special agents“) und die Auswahl bestimmter Personen als Klienten bzw. als Empfänger der Ritualwirkung („special patient“).69 Auf dieser Basis erforscht man dann, wie diese Parameter auf den Zusammenhang von Ritual und Emotion wirken.70 Es wird etwa die Annahme vertreten, dass in großem zeitlichen Abstand durchgeführte, prunkvoll gestaltete, aufwändige und durch Spezialisten an wiederum ausgewählten Teilnehmern ausgeführte Rituale in einem höheren Maße Emotionen auslösen und verarbeiten als häufige, sinnlich kaum gestaltete, einfache und von Nichtspezialisten an nicht gesondert ausgewählten Teilnehmern ausgeführte Rituale. Eine Auswertung der neueren Forschungen zum Mahl kann für eine einfache und doch formalisierte Beschreibung des gemeinsamen Mahls der religiösen Konversionsgemeinschaft folgende Sachverhalte hervorheben:71 Die Handlungsfolge des Mahls orientiert sich am hellenistischen Symposion, d. h. die Mahlzusammenkunft beginnt mit einer Mahlzeit, die Brot und etwas Beispeise umfasst, und geht dann zu einem gemeinschaftlichen Trinkgelage mit weiteren Aktivitäten wie Prophetie, Glossolalie, Reden und Gesprächsbeiträgen über.72 Die beiden Mahlhandlungen werden zum einen mit einem rituellen und inszenierenden Brotbrechen unter Zitierung des liturgischen Brotwortes (1Kor 11,24: τοῦτό μού ἐστιν τὸ σῶμα …; „Dies ist mein Leib …“) und zum anderen mit der Kelchdarbietung und dem Spre67 Rappaport 2008, 198–201. 68 Vgl. die Kritik an der „thought–action dichotomy“ mancher ritualwissenschaftlicher Forschungen, die die Überzeugungen der untersuchten Ritualgemeinschaften aus ihrer Analyse des Rituals grundsätzlich ausschließen und sich alleine auf dessen strukturierte Handlungsfolge beschränken, bei: Bell 1992, 19–46. 69 McCauley/Lawson 2002, 38–56. 70 Luomanen/Pyysiäinen/Uro 2007, 12; Uro 2011. 71 S. Bormann 2016. 72 Klinghardt 2002, 69; Theobald 2007, 153–161; al-Suadi 2011, 33–46; Uro 2016, 147 f.

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chen des liturgischen Kelchwortes (1Kor 11,25: τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαϑήκη; „Dieser Kelch ist der neue Bund …“) eröffnet. Beziehen wir nun die Parameter der kognitionswissenschaftlichen Forschung auf die Handlungsfolge dieses Mahls. Zur Häufigkeit des Mahls („frequency“) äußern sich erst Texte, die in die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts datiert werden, etwas deutlicher. Dort ist von einer wöchentlichen Mahlgemeinschaft die Rede (Did 14, TA 22; Iust. Apol. 67), die möglicherweise bereits im Neuen Testament selbst angedeutet ist (1Kor 16,2; Apg 20,7). Es spricht aber vieles dafür, dass insbesondere in den ersten Gemeinden das gemeinsame Mahl als Herrenmahl täglich gefeiert wurde.73 Die Raumkonstellationen der Mahlgemeinschaft sind durch die Nutzung nichtrepräsentativer Räume des antiken Alltagslebens bestimmt. Man wird hier mit einer lokalen Vielfalt rechnen müssen, die das Handwerkeranwesen, das Privathaus, den Versammlungsraum und das Wirtshaus im Untergeschoss oder größere Räume im Obergeschoss eines Mietshauses umfasst. Keine der genannten Möglichkeiten bietet Anknüpfungspunkte für die repräsentative Gestaltung des Raums für die Zwecke der Gruppe, da die genannten Raumtypen nach den Zusammenkünften jeweils wieder anderweitigen Nutzungen zur Verfügung gestellt wurden. Informationen über Kultinventar oder auch nur Hinweise darauf besitzen wir ebenfalls nicht. Der Grad der sinnlichen Gestaltung („sensory pageantry“) ist demnach als eher niedrig zu veranschlagen. Das gemeinsame Mahl bedient sich der Medien Brot und Wein, bei letzterem ist an ein Wein-Wasser-Gemisch zu denken. Es handelt sich dabei um einfache und alltägliche Nahrungsmittel, die in keiner Weise besondere Kosten verursachten. Der materielle Aufwand („costly-signalling“) bewegt sich auch auf der Ebene des Alltäglichen und signalisiert keine durch materielles Engagement gefestigte Verbindlichkeit unter den Ritualteilnehmern.74 Nimmt man den paulinischen Vorschlag auf, dass man zur Sättigung zuhause essen sollte (1Kor 11,22.34), dann scheint auch der Sachverhalt, dass für besonders arme Menschen der Zugang zu Nahrung alleine schon hohe Bedeutung haben kann, für das Essensritual keine allzu große Rolle gespielt zu haben. Die ältesten Texte berichten nichts darüber, dass bestimmte Personen als Leiter des Mahls eingesetzt worden seien. Eine Ausführung durch Spezialisten („special agents“) ist demnach nicht vorgesehen. Die Auswahl bestimmter Personen als Klienten bzw. als Empfänger der Ritualwirkung („special patient“) ist nun aber dadurch gegeben, dass die Gruppenkonstitution die Abgrenzung von der Mehrheitsgruppe erforderte. Die Selbstbezeichnungen der Angehörigen der religiösen Konversionsgemeinschaft wie „Heilige“ (ἅγιοι), „Auserwählte Gottes“ (ἐκλεκτοὶ τοῦ θεοῦ) oder „Geliebte Gottes“ (ἀγαπητοὶ θεοῦ) unterstreichen, dass die Anwesenden eine besondere Auswahl darstellen. Die Gruppe der Auserwählten ist für die Wir73 Schröter 2014, 270 f. 74 Vgl. dazu die Skizze bei Uro 2016, 139–152. Uro kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Evidenz, die durch die Paulusbriefe gegeben ist, ein „generally low level of costly signalling“ (147) belegt.

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kung des Rituals bedeutsam. Dieser Aspekt wird zudem durch die Forderung verdeutlicht, bestimmte Abweichler vom Mahl auszuschließen und dem Satan zu übergeben (1Kor 5,5.11). Schließlich sind einige Formen der Selbstbezeichnung zu nennen, mit denen die Konzepte kultischer Sakralität auf die Personen übertragen werden. Zunächst ist auf einige individuelle Metaphern der Sakralität zu verweisen, die die Lebensführung des Einzelnen charakterisieren sollen. Der individuelle Lebensvollzug aller Gruppenangehörigen wird in Röm 12,1 als „Opfer“ (θυσία) und „Gottesdienst“ (λατρεία) bezeichnet. Diese kultisch geprägte Terminologie des Opfers wendet Paulus auf sich und die Apostel noch weit häufiger an (z. B. Phil 2,17; 4,18). In Röm 12,1 wird aber auch jedes einzelne Gemeindeglied in die kultischsakrale Sphäre miteinbezogen. Das Verhältnis von einzelnem Gruppenangehörigen zur Gemeinschaft wird mehrfach mithilfe der Metaphorik vom Leib und den Körperteilen (Gliedern) zum Ausdruck gebracht (Röm 12,4 f.; 1Kor 12,12–24).75 Nach 1Kor 12,27 ist jedes „einzelne Glied“ (μέλη ἐκ μέρους) der Gemeinde, demnach jeder einzelne Gruppenangehörige, Teil des Leibes Christi (σῶμα Χριστοῦ). Damit wird die Bedeutung des Zusammenhalts hervorgehoben, da die Gruppe=der Körper den Verlust eines Mitglieds=Körperglieds nicht ohne Schädigung für den ganzen Leib erfahren kann. Das „eigentlich Innovative“ in der Anwendung der sehr verbreiteten Leib-Glieder-Metapher besteht nun aber darin, dass Christus der Leib sei.76 Das ist nun wiederum die Voraussetzung dafür, dass auch auf die Gemeinschaft als solche Metaphern der kultischen Sakralität bezogen werden. Die Gemeinschaft ist nach 1Kor 3,16 f. „Tempel Gottes“ (ναὸς θεοῦ).77 Jede Schädigung des Tempels Gottes werde von Gott wiederum am Schädiger vergolten: „Denn der Tempel Gottes ist heilig, das seid ihr.“ Die religiöse Konversionsgemeinschaft der Christusanhänger verbindet Vorstellungen der kultischen Sakralität mit der Personengemeinschaft, nicht aber mit bestimmten Räumen und Kultinventaren. Veranschaulichen wir uns mit einigen Äußerungen aus den Paulusbriefen die Mahlsituation näher, dann verstärkt sich der Eindruck, dass die Emotionalität und damit die Bindekraft des Rituals vor allem durch die Gruppenkonstellation erreicht wird. Paulus kritisiert „Spaltungen“ in der korinthischen Gemeinde (1Kor 11,18), fordert die Aufrechterhaltung der „Gemeinschaft“ (1Kor 10,16: κοινωνία) im Mahl, erläutert die sinnvolle Reihenfolge der Handlungen der Versammlung (1Kor 14,27– 33), er bevorzugt ein Auftreten, das den Erwartungen an die Geschlechterrollen entspricht (1Kor 11,4 f.). Die Konfliktthemen gruppieren sich einerseits um die Qualität der gruppenbezogenen Handlungsvollzüge, die nicht durch Provokationen und Ausgrenzungen beeinträchtigt sein sollen, und andererseits um deren bessere Koordinierung, die durch Vereinbarungen über die Abfolge und den Zeitpunkt der Handlungsvollzüge erreicht werden soll. Die Kommunikation um das Ritual kon-

75 Zeller 2010, 394–401; Lindemann 2000, 268–277. 76 Zeller 2010, 397. 77 Müller 1995, 100–112.

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zentriert sich demnach auf einen wichtigen Gesichtspunkt: die effektive und effiziente Synchronisation der Gruppenprozesse und der rituellen Handlungsfolgen.78 5. ERGEBNIS Die religiösen Gemeinschaften, die am Anfang der Entwicklung zum Christentum stehen, sind historisch nicht angemessen zu verstehen, wenn man in ihnen die spätere Weltreligion präfiguriert sieht. Bezeichnungen wie Urchristentum oder Hauskirche sind allzu deutlich auf die spätere Entwicklung ausgerichtete Begriffe. Vielmehr ist es unter religionsgeschichtlichen und religionssoziologischen Gesichtspunkten angemessen, die ersten Gruppierungen der Christusverehrer als religiöse Sondergruppen innerhalb der weiten Grenzen des Judentums des zweiten Tempels aufzufassen und sie aufgrund ihrer Besonderheit, auch Nichtjuden in ihre religiösen Praktiken miteinzubeziehen, als religiöse Konversionsgemeinschaft zu bezeichnen. Diese Sondergruppen standen unter einem gewissen Anpassungsdruck, der von den jeweiligen sozialen, politischen und religiösen Mehrheitsgemeinschaften ausging. Die Überschreitung sozialer und ethnischer Grenzziehungen sowie die ungewohnte Konstellation der Geschlechterrollen provozierten Reaktionen, deren Ausmaß und Intensität sehr unterschiedlich gewesen sein mag. Die Äußerungen des Paulus im Zusammenhang der Erstverkündigung des Evangeliums in Philippi und Thessaloniki als auch bezüglich der Situation der Gemeinden in Judäa weisen auf gewaltsame Formen der Auseinandersetzung hin, die auf die Erhaltung des Status quo und die Begrenzung der Aktivitäten dieser Sondergruppen zielten. Diese prekäre Situation machte die Wahl öffentlicher Plätze und die repräsentative Gestaltung von Sakralgebäuden für die Durchführung religiöser Praktiken nahezu unmöglich. Ein Anknüpfungspunkt, um die Durchführung der religiösen Praktiken im nichtöffentlichen Raum zu ermöglichen, stellten antike Hausgemeinschaften und die diesen zur Verfügung stehenden Gebäude dar. Von einer dominanten Stellung des Privathauses als Versammlungsraum und des antiken Haushalts als Sozialgemeinschaft kann aber nicht die Rede sein. Weder existierte mit der Wendung κατ’ οἶκον ἐκκλησία ein generischer Begriff für die Hausgemeinde oder gar Hauskirche noch wurde eine Oikos-Formel verwendet, mit der die am Anfang der Evangeliumsverkündigung stehende Taufe und Bekehrung ganzer Haushalte bezeichnet wurde. Vielmehr ist sowohl räumlich als auch sozial mit einer weit größeren Vielfalt der Konstellationen zu rechnen. Als Gebäude kommen Handwerkeranwesen, Versammlungsräume und großzügig gestaltete Obergeschosse von Mietshäusern ebenso infrage wie das Privathaus, das aber nur als eine Raumvariante verstanden werden sollte. Dieses Ergebnis der Untersuchungen zu οἶκος und οἰκία wird wiede78 Schüler 2012, 271: „Religiöse Rituale stellen aber durch ihren sakralisierenden Charakter außerordentlich effektive Formen der Synchronisation dar. Die besonders hohe Synchronisationsdynamik in religiösen Ritualen verleiht diesen darüber hinaus eine spezielle, kohäsive Funktion zur Regeneration religiöser Gruppen.“ Zur Bedeutung der Synchronisation für die paulinischen Gemeinden s. Uro 2016, 151 f.

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rum bestätigt durch eine Analyse der grundlegenden religiösen Praktiken, die in dieser Konversionsgemeinschaft vollzogen wurden. Im Zentrum der Zusammenkunft stand das gemeinsame Mahl in der Form des Symposions mit der Abfolge gemeinschaftliches Essen (Brot mit Beispeise) und anschließendes Trinken (WeinWasser-Gemisch). Es erfolgte im Sitzen, griff auf alltägliche Lebensmittel zurück und erforderte keine aufwändige Raumgestaltung mit Klinen, Bedienung und ähnlichem. Ebenso wenig sind Funktionen bei der Gestaltung des Mahls erkennbar, in denen sich soziale Hierarchien widerspiegeln. Das Mahl als zentrales Ritual der Zusammenkünfte trug wesentlich zur Koordinierung und Strukturierung der Gruppe bei, da es recht effektiv die Synchronisation der Gruppenmitglieder regelte. Allerdings waren dennoch der Zeitpunkt des Mahlbeginns, dann aber auch die Abfolge weiterer religiöser Praktiken wie Prophetie, Glossolalie und Auslegung umstritten und bedurften der konsensualen Koordination. Die ersten Gemeinden waren demnach religiöse Konversionsgemeinschaften, die sich durch gruppenbezogene und personale Praktiken konstituierten, ohne sich dabei auf bestimmte Raumkonstellationen festzulegen. Die so gewonnene Flexibilität, gepaart mit einer metaphorischen Sakralisierung der Sondergruppe als „Leib Christi“ und „Tempel Gottes“, sicherte die Identität der Gruppe und gewährleistete die notwendige Flexibilität, um dem Anpassungsdruck der Mehrheitsgemeinschaften und der intendierten Rückkehr der Mitglieder zum vormaligen Status quo entgegenzuwirken. LITERATUR Adams 2013 = Edward Adams, The Earliest Christian Meeting Places. Almost Exclusively Houses? (Library of New Testament Studies 450), London 2013. Alikin 2010 = Valeriy A. Alikin, The Earliest History of the Christian Gathering. Origin, Development, and Content of the Christian Gathering in the First to Third Centuries (Supplements to Vigiliae Christianae 102), Leiden 2010. al-Suadi 2011 = Soham al-Suadi, Essen als Christusgläubige. Ritualtheoretische Exegese paulinischer Texte (Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter 55), Tübingen 2011. Bachmann-Medick 2007 = Doris Bachmann-Medick, Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, 2. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2007. Balch 2008 = David L. Balch, Roman Domestic Art and Early House Churches (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 228), Tübingen 2008. Balch 2012 = David L. Balch, The Church Sitting in a Garden (1Cor 14:30; Rom 16:23; Mark 6:39–40; 8:6; John 6:3; Acts 1:15; 2:1–2), in: ders. (Hrsg.), Contested Spaces. Houses and Temples in Roman Antiquity and the New Testament (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 285), Tübingen 2012, 201–235. Bell 1992 = Catherine Bell, Ritual Theory, Ritual Practice, New York/Oxford 1992. Bollnow 1997 = Otto Friedrich Bollnow, Mensch und Raum (1963), 8. Aufl., Stuttgart 1997. Bormann 1995 = Lukas Bormann, Philippi – Stadt- und Christengemeinde zur Zeit des Paulus (Supplements to Novum Testamentum 78), Leiden 1995. Bormann 2012 = Lukas Bormann, Der Brief des Paulus an die Kolosser (Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament 10/1), Leipzig 2012. Bormann 2016 = Lukas Bormann, Das Abendmahl. Kulturanthropologische, kognitionswissenschaftliche und ritualwissenschaftliche Perspektive, in: Hellholm/Sänger 2017, 697–731.

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TEMPLA ET BUSTA DESPICIUNT1 Das Fehlen von Tempeln im vorkonstantinischen Christentum als Argument der antichristlichen Polemik Hanns Christof Brennecke I. DAS ZEUGNIS VON EUSEBIUS VON CAESAREA Eusebius von Caesarea berichtet im zehnten Buch seiner „Kirchengeschichte“ vom Wiederaufbau oder auch Neubau zerstörter Kirchen nach dem Ende der diokletianischen Verfolgungen auch im Osten nach dem Sieg des Kaisers Licinius über Maximinus Daia.2 Er betont, daß diese neuen Kirchen viel größer und vor allem höher als die alten waren, und nennt sie hier „Tempel“ (νεώς): … καί τις ἔνθεος ἅπασιν ἐπήνθει χαρὰ πάντα τόπον τὸν πρὸ μικροῦ ταῖς τῶν τυράννων δυσσεβείαις ἠριπωμένον ὥσπερ ἐκ μακρᾶς καὶ θανατηφόρου λύμης ἀναβιώσκοντα θεωμένοις νεώς τε αὖθις ἐκ βάθρων εἰς ὕψος ἄπειρον ἐγειρομένους καὶ πολὺ κρείττονα τὴν ἀγλαΐαν τῶν πάλαι πεπολιορκημένων ἀπολαμβάνοντας. „[…] und bei allen war eine göttlich Freude sichtbar, da wir sahen, daß ein jeder Ort, der vor kurzem durch die Gottlosigkeit der Tyrannen niedergestürzt war, wie aus langer und todbringender Mißhandlung wieder auflebte und Tempel wieder von den Fundamenten an in ungeheure Höhe errichtet wurden und eine viel größere Pracht als die einst zerstörten erhielten.“3

Im vermutlich bald nach 324 abgeschlossenen zehnten Buch seiner „Kirchen­ geschichte“4 behandelt Eusebius von Caesarea die Geschichte der christlichen Kirche während der Herrschaft der Kaiser Konstantin und Licinius (312–324) bis zum Beginn der Alleinherrschaft Konstantins über das römische Reich im Jahre 324 1 2

3

4

„Tempel verachten sie als Grabmäler“, Min. Fel. 8,5 (7,3 Kytzler); vgl. dazu unten Anm. 46. Die herangezogenen Übersetzungen sind je angegeben, deutsche Fassungen ohne Angabe einer Übersetzung stammen von mir selbst. Nachdem die diokletianische Christenverfolgung durch ein Edikt des Kaisers Galerius im Jahre 311 (überliefert bei Lact. mort. pers. 34) eigentlich beendet war, hatte Maximinus Daia sie im Osten wiederaufgenommen. Dort endeten die Verfolgungen dann erst mit dem Beginn der Herrschaft des Licinius 313 und der Mailänder Übereinkunft zwischen ihm und Konstantin (Lact. mort. pers. 48,2; Eus. HE 10,5,2–14). Eus. HE 10,2,1 (860,1–5 Schwartz, deutsch von Annette von Stockhausen und Hanns Christof Brennecke). Νεώς erscheint an dieser Stelle zum erstenmal für einen christlichen Kultbau in der Kirchengeschichte Eusebs; vgl. de Blaauw 2008, 282–286; Thümmel 1999. Allgemein zum christlichen Sprachgebrauch von ναός vgl. Michel 1942, 884–895; Bauer 1963, 1055 f.; Lampe 1968, 897 f. Das zehnte Buch endet mit dem Beginn der Alleinherrschaft Konstantins. Der 326 hingerichtete Crispus ist von Euseb noch ganz positiv als zukünftiger Kaiser gesehen (10,9). Die Synode von Nicaea im Jahre 325 wird nicht mehr erwähnt.

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nach seinem Sieg über seinen Schwager Licinius. Die „Kirchengeschichte“ des Eusebius, der seit etwa 314 Bischof der Metropolis Caesarea in Palästina und damit Metropolit der Provinz Palästina war, ist überhaupt der erste Versuch, eine Geschichte der christlichen Kirche zu schreiben. Für die ersten drei Jahrhunderte der Geschichte des Christentums ist sie heute die wichtigste Quelle. Eusebius († ca. 339/340)5 wurde in den sechziger Jahren des dritten Jahrhunderts vermutlich in Caesarea geboren und durch die dort gepflegte theologisch-philosophische Tradition des Origenes († 254) geprägt. Sein umfangreiches literarisches Werk – er galt als der gebildetste griechische Theologe seiner Zeit – ist in erster Linie apologetisch ausgerichtet. Nachdem Eusebius schon vor Beginn der letzten großen Christenverfolgung im Imperium Romanum unter Diokletian und seinen Mitregenten eine Weltchronik aus christlicher Sicht verfaßt hatte,6 begann er ebenfalls noch vor Beginn der Verfolgungen im Jahre 303 mit der Abfassung einer „kirchlichen Geschichte“7 in am Ende insgesamt zehn Büchern und wurde so zum Erfinder einer neuen literarischen Gattung in Anknüpfung an die griechische historiographische Tradition, wobei er aber auch neue Wege beschritt, indem er z. B. seine Quellen teilweise wörtlich zitierte. In einem ausführlichen Proömium8 hat er über sein Vorgehen Auskunft gegeben. Buch 8–10 behandeln die von ihm selbst erlebte Zeit9 ab dem letzten Drittel des dritten Jahrhunderts. Seit dem Beginn der diokletianischen Verfolgung wurde seine Darstellung der Zeitgeschichte durch die politischen Ereignisse immer wieder überholt, so daß er sich mehrfach zu Überarbeitungen und Korrekturen gezwungen sah, die sich teilweise auch in der handschriftlichen Überlieferung finden lassen, wie Eduard Schwartz, der Herausgeber der ersten kritischen Edition dieses Werkes, vor etwas mehr als einem Jahrhundert als erster bemerkt hat.10 Am Anfang des zehnten Buches berichtet Euseb über Ereignisse unmittelbar nach dem Sieg des Licinius über Maximinus Daia, als Licinius und Konstantin noch Verbündete waren. Der berichtete Wiederaufbau von Kirchen bezieht sich hier in erster Linie auf den Osten unter der Herrschaft des Licinius, wie vor allem auch die eingefügte Rede des Bischofs von Caesarea bei der Weihe der Kirche in Tyrus deutlich macht.11 Über die von ihm als „Tempel“ bezeichneten Kirchen sagt er aber weiter nichts. Wer baute da eigentlich was? Das Kirchenbauprogramm, das Konstantin nach seinem Sieg über Licinius und die Erringung der Herrschaft auch über den Osten ab 324 durchführen ließ, wurde vom Kaiser finanziert.12 Im Westen hatte Konstantin schon sehr schnell nach sei  5 Zu Eusebius von Caesarea vgl. Schwartz 1907; Barnes 1981; Winkelmann 1991; Ulrich 2002; Brennecke 2013, 31–40.  6 Helm/Treu 1984.   7 Der griechische Titel lautet: ἐκκλησιαστικὴ ἱστορία. Zur Datierung Barnes 1981, 126–147.  8 Brennecke 2013, 31–40.  9 Eus. HE 8 pr. 10 Schwartz/Mommsen/Winkelmann III 1999, 11–46. 11 Eus. HE 10,4. 12 Zum Bau der Grabeskirche in Jerusalem und anderen Kirchenbaustiftungen Konstantins in Palästina vgl. Eus. vita Const. 2,25–47.

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nem Sieg über Maxentius im Jahre 312 begonnen, Kirchenbauten zu stiften. Die Lateransbasilika in Rom als neue römische Bischofskirche ist das bedeutendste Beispiel.13 Nicht klar ist, an welchen Vorbildern Konstantin sich hier orientierte. Gab es überhaupt schon einen christlichen Kirchenbau? In Trier hat man anläßlich des Konstantinjahres 2006 versucht, die Entstehung des Konzeptes der frühchristlichen Basilika, die seit Konstantin in mancherlei Varianten dann die vorherrschende Form des christlichen Kirchenbaus wurde, in einer filmischen Sequenz deutlich zu machen: Die vom Kaiser beauftragten Architekten versuchen es mit allen möglichen Modellen ihnen vertrauter Tempel und Kultbauten; die Bischöfe machen ihnen aber klar, daß sie damit nun gar nichts anfangen könnten. Sie brauchen etwas ganz anderes, nämlich einen Versammlungsraum, gerade eben keinen Tempel! Heraus kommt am Ende ein Modell dessen, was wir inzwischen „frühchristliche Basilika“ zu nennen uns angewöhnt haben.14 II. DAS CHRISTENTUM UND DER JERUSALEMER TEMPEL Das Christentum hatte bis zum Beginn des vierten Jahrhunderts keine Tempel, keine Altäre und kennt keine Opfer, wie von christlicher wie nichtchristlicher Seite vielfältig bezeugt ist. Bei der Frage nach der Stellung des Christentums zu Tempeln ist natürlich zuerst nach der Stellung zu dem für das früheste Christentum maßgeblichen Tempel, nämlich dem Tempel in Jerusalem zu fragen, der allerdings im Jahre 70 zerstört worden war und bekanntlich nie wieder aufgebaut wurde.15 Das Judentum hatte seitdem in den Synagogen16 seinen kultischen Mittelpunkt. Die Apostelgeschichte berichtet an zwei Stellen (allerdings etwa zwanzig Jahre nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels) davon,17 daß die Jerusalemer christliche Urgemeinde, jedenfalls Petrus und Paulus, weiterhin am Tempelkult in Jerusalem teilgenommen hatten: 1) 3,1: Πέτρος δὲ καὶ Ἰωάννης ἀνέβαινον εἰς τὸ ἱερὸν ἐπὶ τὴν ὥραν τῆς προσευχῆς τὴν ἐνάτην. „Petrus und Johannes gingen hinauf zum Tempel um die neunte Stunde zur Gebetszeit.“ 2) 21,26: Τότε ὁ Παῦλος παραλαβὼν τοὺς ἄνδρας τῇ ἐχομένῃ ἡμέρᾳ σὺν αὐτοῖς ἁγνισθείς, εἰσῄει εἰς τὸ ἱερὸν διαγγέλλων τὴν ἐκπλήρωσιν τῶν ἡμερῶν τοῦ ἁγνισμοῦ ἕως οὗ προσηνέχθη ὑπὲρ ἑνὸς ἑκάστου αὐτῶν ἡ προσφορά. „Daraufhin nahm Paulus die Männer mit, heiligte sich am nächsten Tage mit ihnen zusammen und ging in den Tempel hinein, er meldete die Erfüllung der Tage der Heiligung an, bis wann für jeden von ihnen das Opfer dargebracht würde.“18

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Brandenburg 2004, 16–37; de Blaauw 2008, 288–291. Weber 2007. Zur frühchristlichen Basilika vgl. de Blaauw 2008, 286–393. Vgl. Welten 1987; Fritz 2002; Bachmann 2002; de Blaauw 2008, 247–250. Vgl. Siegert 1999; Hüttenmeister 1999; Levine 2001; Reeg 2004; de Blaauw 2008, 249–261. Zur Datierung der Apostelgeschichte vgl. Pesch I 1986, 28; Schnelle 2013, 333–353. Übersetzungen nach Pesch II 1986, 217, zum Kommentar ebenda, 221–223.

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Jakobus, der Bruder Jesu und Leiter der Jerusalemer christlichen Gemeinde, soll nach Hegesipp19 sogar in privilegierter Form Zugang ins Innere des Tempels gehabt haben: τούτῳ μόνῳ ἐξῆν εἰς τὰ ἅγια εἰσιέναι. οὐδὲ γὰρ ἐρεοῦν ἐφόρει, ἀλλὰ σινδόνας. καὶ μόνος εἰσήρχετο εἰς τὸν ναὸν ηὑρίσκετό τε κείμενος ἐπὶ τοῖς γόνασιν καὶ αἰτούμενος ὑπὲρ τοῦ λαοῦ ἄφεσιν, ὡς ἀπεσκληκέναι τὰ γόνατα αὐτοῦ δίκην καμήλου, διὰ τὸ ἀεὶ κάμπτειν ἐπὶ γόνυ προσκυνοῦντα τῷ θεῷ καὶ αἰτεῖσθαι ἄφεσιν τῷ λαῷ. „Allein ihm (Jakobus) war es erlaubt, in das Heiligtum (des Tempels) einzutreten, denn er trug kein Gewand aus Wolle, sondern eines aus Leinen. Er pflegte allein in den Tempel zu gehen, und man fand ihn auf den Knien liegend und für das Volk um Verzeihung flehend, so daß seine Knie hart wie die eines Kamels wurden, da er immerzu auf den Knien lag und zu Gott um Verzeihung für sein Volk betete.“20

Das ist sicher Legende, macht aber eine gewisse Nähe zumindest der ersten Jerusalemer Christen zum Tempel deutlich, die sich ja als „neues Israel“ verstanden.21 Das verschiebt sich mit der Zerstörung des Tempels und dem Ende der noch ganz aus dem Judentum kommenden Jerusalemer Urgemeinde. Deutlich tempelkritische Züge trägt das in den Evangelien mehrfach und etwas unterschiedlich überlieferte Wort Jesu von Zerstörung und dem Wiederbau des Tempels als „handgemacht“, also rein menschliches Werk: Joh 2,19–21: ἀπεκρίθη Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτοῖς· ‚λύσατε τὸν ναὸν τοῦτον καὶ ἐν τρισὶν ἡμέραις ἐγερῶ αὐτόν;‘ εἶπαν οὖν οἱ Ἰουδαῖοι· ‚τεσσεράκοντα καὶ ἓξ ἔτεσιν οἰκοδομήθη ὁ ναὸς οὗτος, καὶ σὺ ἐν τρισὶν ἡμέραις ἐγερεῖς αὐτόν;‘ ἐκεῖνος δὲ ἔλεγεν περὶ τοῦ ναοῦ τοῦ σώματος αὐτοῦ. „Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Reißt diesen Tempel ab und in drei Tagen will ich ihn (wieder) aufrichten. Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber redete von dem Tempel seines Leibes“.22

19 Hegesipp verfaßte in der Mitte des zweiten Jahrhunderts eine in ihrer Gattung nicht ganz klare Schrift, von der Eusebius in seiner „Kirchengeschichte“ Fragmente überliefert. In der Überlieferung wird diese nicht als ganze erhaltene Schrift „Hypomnemata“ genannt. Es ging Hegesipp in einer Art historischer Beweisführung offenbar darum, von den Aposteln bis in seine Gegenwart die ununterbrochene Bewahrung der apostolischen Überlieferung gegen aufkommende Häresien nachzuweisen; vgl. Halton 1985; Markschies 1998; Durst 2003. 20 Eus. HE 2,23,6 (166,14–19 Schwartz). 21 Simon 1964; Brennecke 2001; ders. 2004; ders. 2006. 22 Im Johannesevangelium findet sich diese Stelle im Zusammenhang mit der Perikope von der Tempelreinigung, im Matthäus- und Markusevangelium dagegen in der Passionsgeschichte und dort nicht als Zitat Jesu, sondern indirekt als Behauptung über Jesus und damit als Anklagepunkt: Mt 26,61: οὗτος ἔφη· δύναμαι καταλῦσαι τὸν ναὸν τοῦ θεοῦ καὶ διὰ τριῶν ἡμερῶν οἰκοδομῆσαι. „Dieser (Jesus, wie zwei Zeugen behaupten) hat gesagt: Ich kann diesen Tempel Gottes niederreißen und in drei Tagen (wieder) aufbauen.“ Mt 27, 40: καὶ λέγοντες· ὁ καταλύων τὸν ναὸν καὶ ἐν τρισὶν ἡμέραις οἰκοδομῶν, σῶσον σεαυτόν, εἰ υἱὸς εἶ τοῦ θεοῦ, [καὶ] κατάβηθι ἀπὸ τοῦ σταυροῦ. „Die aber sagten: Der du den Tempel niederreißt und in drei Tagen (wieder) aufbaust, rette dich selber, wenn du der Sohn Gottes bist, steig herab vom Kreuz.“

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Für Paulus dagegen ist der eigentliche Tempel für die Christen Christus selbst oder sogar die christliche Gemeinde: 1Kor 3,16: Οὐκ οἴδατε ὅτι ναὸς θεοῦ ἐστε καὶ τὸ πνεῦμα τοῦ θεοῦ οἰκεῖ ἐν ὑμῖν; „Wißt ihr nicht, daß ihr der Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“23 2Kor 6,16: τίς δὲ συγκατάθεσις ναῷ θεοῦ μετὰ εἰδώλων; ἡμεῖς γὰρ ναὸς θεοῦ ἐσμεν ζῶντος, καθὼς εἶπεν ὁ θεὸς ὅτι ἐνοικήσω ἐν αὐτοῖς καὶ ἐμπεριπατήσω καὶ ἔσομαι αὐτῶν θεὸς καὶ αὐτοὶ ἔσονται μου λαός. „Was hat der Tempel Gottes mit den Götzen gemeinsam? Wir aber sind der Tempel des lebendigen Gottes, wie Gott spricht: Ich will unter ihnen wohnen und wandeln und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein.“24

In der „Stephanusrede“ (Apg 7,43–50)25 findet sich nun eine massive Tempelkritik in Aufnahme innerjüdischer Tempelkritik, die es immer gegeben hatte: Σολομὼν δὲ οἰκοδόμησεν αὐτῷ οἶκον. ἀλλ’ οὐχ ὁ ὕψιστος ἐν χειροποιήτοις κατοικεῖ, καθὼς ὁ προφήτης λέγει· ‚ὁ οὐρανός μοι θρόνος, ἡ δὲ γῆ ὑποπόδιον τῶν ποδῶν μου· ποῖον οἶκον οἰκοδομήσετέ μοι, λέγει κύριος, ἢ τίς τόπος τῆς καταπαύσεώς μου; οὐχὶ ἡ χείρ μου ἐποίησεν ταῦτα πάντα;‘ „Salomo aber baute ihm ein Haus, aber der Höchste wohnt nicht in von Händen Gemachtem, wie der Prophet sagt.“ Es folgt ein Zitat aus Jes 66,1: „Der Himmel ist mein Thron, die Erde der Schemel meiner Füße. Was für ein Haus wollt ihr mir bauen, spricht der Herr, oder was für ein Ort soll meine Ruhestätte sein? Hat dies alles nicht meine Hand geschaffen?“26

Hier ist also eine deutliche Kritik schon am Bau des Jerusalemer Tempels durch Salomo in Aufnahme tempelkritischer Traditionen der Propheten formuliert: Ein Tempel als von Menschen gebauter Ort für Gott ist grundsätzlich falsche Gottesverehrung. In der Rede des Paulus auf dem Areopag in Athen (Apg 17,24 f.) wird das wörtlich aufgenommen, richtet sich hier aber nicht gegen jüdische, sondern nun gegen die griechische Tempeltradition: 23 24 25 26

Mk 14, 58: ὅτι ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ λέγοντος ὅτι ἐγὼ καταλύσω τὸνναὸν τοῦτον τὸν χειροποίητον καὶ διὰ τριῶν ἡμερῶν ἄλλον ἀχειροποίητον οἰκοδομήσω. „Wir haben gehört, daß er gesagt hat: Ich will diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, niederreißen und in drei Tagen einen anderen bauen, der nicht mit Händen gemacht ist.“ (nur hier in der gesamten Überlieferung dieses Logion bei den Evangelien χειροποίητος!). Mk 15, 29 f.: Καὶ οἱ παραπορευόμενοι ἐβλασφήμουν αὐτὸν κινοῦντες τὰς κεφαλὰς αὐτῶν καὶ λέγοντες· ‚οὐὰ ὁ καταλύων τὸν ναὸν καὶ οἰκοδομῶν ἐν τρισὶν ἡμέραις, σῶσον σεαυτὸν καταβὰς ἀπὸ τοῦ σταυροῦ‘. „Und die vorübergingen verspotteten ihn, schüttelten ihre Köpfe über ihn und sagten: Ha, der du den Tempel niederreißt und baust ihn in drei Tagen (wieder) auf, rette dich selbst und steige herab vom Kreuz.“ Vgl. Böttrich 1999. Zur Datierung der Korintherbriefe, die auf jeden Fall abgefaßt wurden, als der Tempel in Jerusalem noch stand, vgl. Schnelle 2013, 76–115. Das Zitat aus Leviticus 11,26 f. ist frei aufgenommen. Die Rede, die Stephanus bei seiner Steinigung hält, ist eine literarische Komposition des Verfassers der Apostelgeschichte; vgl. Pesch I 1986 I, 241–260. Zu Jes 66,1 in der christlichen Tradition vgl. auch Albani 1999.

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Hanns Christof Brennecke ὁ θεὸς ὁ ποιήσας τὸν κόσμον καὶ πάντα τὰ ἐν αὐτῷ, οὗτος οὐρανοῦ καὶ γῆς ὑπάρχων κύριος οὐκ ἐν χειροποιήτοις ναοῖς κατοικεῖ οὐδὲ ὑπὸ χειρῶν ἀνθρωπίνων θεραπεύεται προσδεόμενός τινος, αὐτὸς διδοὺς πᾶσιν ζωὴν καὶ πνοὴν καὶ τὰ πάντα·¨ „Der Gott, der die Welt gemacht hat und alles in ihr, dieser, der Herr des Himmels und der Erde ist, wohnt nicht in von Händen errichteten Tempeln und läßt sich nicht von Menschenhänden dienen, als ob er irgendetwas brauchte, ist er es doch selbst, der allem Leben und Odem und alles gibt.“

Bei dieser ja sehr grundsätzlichen Tempel- und Opferkritik handelt es sich um eine ganz bewußte Anknüpfung des Verfassers der Apostelgeschichte an eine im ersten Jahrhundert verbreitete griechische Kult- und Tempelkritik in der platonischen und stoischen Tradition, die bis auf Platon und Zenon von Kition zurückgeht.27 Der Barnabasbrief, wahrscheinlich im ersten Drittel des zweiten Jahrhunderts verfaßt,28 nimmt Apg 7 nun äußerst polemisch gegen den inzwischen seit etwa einem halben Jahrhundert zerstörten jüdischen Tempel auf. Der Tempel sei ein jüdischer Irrtum. Daß dieser inzwischen längst nicht mehr existierte, sagt er allerdings nicht: ἔτι δὲ καὶ περὶ τοῦ ναοῦ ἐρῶ ὑμῖν, ὡς πλανώμενοι οἱ ταλαίπωροι εἰς τὴν οἰκοδομὴν ἤλπισαν, καὶ οὐκ ἐπὶ τὸν θεὸν αὐτῶν τὸν ποιήσαντα αὐτούς, ὡς ὄντα οἶκον θεοῦ. σχεδὸν γὰρ ὡς τὰ ἔθνη ἀφιέρωσαν αὐτὸν ἐν τῷ ναῷ. „Aber auch über den Tempel will ich euch mitteilen, wie die Unglückseligen dem Irrtum verfallen und auf das Gebäude ihre Hoffnung setzen, als wäre es das Haus Gottes, und nicht auf ihren Gott, der sie geschaffen hat. Fast nämlich wie die Heiden haben sie ihn auf den Tempel begrenzt.“29

Auch für den uns unbekannten Verfasser des Barnabasbriefes gilt: Der Tempel Gottes sind die Christen selbst.30 III. DIE TEMPELLOSIGKEIT DES FRÜHEN CHRISTENTUMS Wie die Juden seit der Zerstörung des Tempels brauchten die Christen für ihre gottesdienstlichen Versammlungen keinerlei sakralen Raum, keinen heiligen oder speziell kultisch ausgesonderten Ort, sondern nur einen Versammlungsort. Gottesdienstliche Versammlungen konnten also eigentlich überall, auch in Privathäusern stattfinden.31 Seit dem zweiten Jahrhundert verfügten christliche Gemeinden offenbar auch über eigene Gebäude, die besonders nach dem Toleranzedikt des Kaisers 27 Auch bei der Rede des Paulus auf dem Areopag handelt es sich um eine literarische Komposition des Verfassers der Apostelgeschichte, in der Tempelkritik aus der philosophischen Tradition aufgenommen wird; vgl. Pesch II 1986, 129–145. Zur Tempelkritik der philosophischen Tradition und ihrer Aufnahme in der christlichen apologetischen Literatur seit dem 2. Jahrhundert vgl. unten IV. 28 Prostmeier 1999, 111–119. 29 EpBarn 16,1 f. (182 Wengst; Übersetzung nach Wengst 1984). 30 Vgl. EpBarn 4,11; 6,15; 16 zum geistigen Tempel. 31 Vgl. den Beitrag von Lukas Bormann in diesem Band sowie Dassmann/Schöllgen 1986.

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Gallienus32 durchaus ziemlich groß und auch als solche erkennbar sein konnten. Daß es (mit der einen Ausnahme in der Grenzfestung Dura Europos um etwa 24033) trotz zahlreicher Textbelege bisher keine archäologisch nachweisbaren Gebäude für den christlichen Kult gibt, erstaunt daher nicht. Ihre Überreste sind für uns – auch wenn sie ausgegraben werden sollten – nicht mehr ohne weiteres als christliche Kultbauten erkennbar, es sei denn, sie sind durch Malereien wie in Dura Europos oder andere eindeutig christlich zu interpretierende Beifunde entsprechend definiert. Sowohl im lateinischen als auch im griechischen Bereich findet sich in Parallele zum Sprachgebrauch von „Synagoge“ nun der offenbar analog zum jüdischen Vorbild geprägte Begriff ἐκκλησία/ecclesia, der nun ebenfalls wie bei dem jüdischen „Synagoge“ einerseits die Versammlung selbst, andererseits aber auch ihren Ort bezeichnen kann. Außerdem werden in der griechischen christlichen Literatur bis zum vierten Jahrhundert vor allem folgende Begriffe für den christlichen Versammlungsraum benutzt: προσευκτήριον („Gebetsraum“); κυριακόν („Haus des Herren“ [scil. Christus]); οἴκος (θεοῦ) („Haus [Gottes]“).34 Bis zur konstantinischen Wende kannten Christen keine sakralen Räume oder Gebäude, die ausschließlich kultischen Zwecken dienten und in denen die Gottheit in irgendeiner Weise vergegenwärtigt wurde, aber unter Umständen durchaus nicht ganz kleine eigene Versammlungsräume oder -häuser.35 Wie das bisher einzige archäologisch nachweisbare Beispiel eines christlichen Kultraumes aus vorkonstantinischer Zeit in Dura am Euphrat zeigt, konnte es sich dabei durchaus auch um eine Art von Gemeindezentrum mit multifunktionalen Räumen einschließlich Wohnräumen für den Klerus handeln.36 Aber die christlichen Gemeinden hatten keinen Opferkult, vor allem keine Tier- oder Brandopfer, und so auch keine Altäre.37 32 Eus. HE 7,13; vgl. dazu Andresen 1979. 33 Kraeling 1967; White 1990. 34 Zum Sprachgebrauch bei Eusebius vgl. Voelkl 1953; zum lateinischen Sprachgebrauch vgl. Voelkl 1954. In Lact. mort. pers. 34,4 (Toleranzedikt des Galerius; 182, 12 Städele) werden Kirchengebäude wie auch häufig in christlichen Texten conventicula genannt („Versammlung“ und auch „Ort der Versammlung“). Es handelt sich um die wörtliche Entsprechung des griechischen Begriffs ἐκκλησία, der in seiner latinisierten Form ecclesia dann conventiculum im christlichen Sprachgebrauch verdrängt hat; vgl. Voelkl 1954, 108–110. Lactantius bietet wahrscheinlich das lateinische Original des Ediktes; vgl. Guyot/Klein I 1993, 188–191 (Text mit deutscher Übersetzung), 413 (Kommentar). Eus. HE 8,17,9 übersetzt (794,16 Schwartz): … οἴκους ἐν οἷς συνήγοντο („Häuser, in denen sie zusammenkommen“); Rufins lateinische Übersetzung der griechischen Fassung bei Eusebius macht daraus (795,12 f. Mommsen): … conventicula, in quibus orare consuerunt („Versammlungsräume, in denen sie zu beten pflegen“). 35 Vgl. Lactantius über den Abriß der Kirche in Nikomedien bei Ausbruch der Verfolgung, Lact. mort. pers. 13. Auch die Kirche in Tyrus vor der diokletianischen Verfolgung scheint nicht ganz klein gewesen zu sein; vgl. Eus. HE 10,4. 36 Vgl. den Bericht bei Eusebius über die Absetzung des Paulus von Samosata als Bischof von Antiochien und dessen Weigerung, das „Haus der Kirche“ (οἴκος ἐκκλησίας) zu räumen; Eus. HE 7,30,19. 37 Wie der Tisch für die Eucharistie dann im Zusammenhang der Interpretation der Eucharistie als Opfer relativ früh doch zum Altar wird, muß hier übergangen werden. Der am häufigsten verwendete Terminus ist τράπεζα (Tisch), seltener θυσιαστήριον (Opferaltar), der klassische Ter-

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IV. DIE ANTICHRISTLICHE POLEMIK Der heute erkennbar wichtigste Vorwurf gegen die Christen in vorkonstantinischer Zeit war der Vorwurf des Atheismus wegen ihrer Ablehnung der Götter und ihres Kultes und der Weigerung, am kultischen und damit eben auch am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.38 Atheismus galt in der Kaiserzeit als gesellschaftszerstörend.39 Die verschiedentlich erhobenen Vorwürfe wegen moralischer Verfehlungen dagegen spielten eine wesentlich geringere Rolle. Sie wurden allerdings umso lieber von der apologetischen christlichen Literatur aufgegriffen, weil sie leicht zu widerlegen waren. Die dauernd wiederholte Betonung der Haltlosigkeit und eigentlich Lächerlichkeit der moralischen Vorwürfe gegen die Christen in der apologetischen Überlieferung hatte in erster Linie die Funktion, die Haltlosigkeit überhaupt aller gegen die Christen erhobenen Vorwürfe zu demonstrieren.40 Bei dem Versuch einer Rekonstruktion der antichristlichen Argumentation und Polemik im intellektuellen Diskurs der Kaiserzeit ergibt sich allerdings ein methodisches Problem. Seit vor allem Theodosius II., noch mehr dann unter Justinian, sind die antichristlichen polemischen Schriften systematisch vernichtet worden; überliefert sind nur oft aus dem Zusammenhang gerissene Zitate oder Paraphrasen und diese fast ausschließlich in einem christlichen Kontext, in dem sie dann christlich interpretiert, kommentiert und widerlegt werden. Keine der antichristlichen Schriften aus der philosophischen Überlieferung ist vollständig überliefert. Der ἀληθὴς λόγος des dem mittleren Platonismus zuzurechnenden, sonst allerdings völlig unbekannten Philosophen Kelsos,41 der aller Wahrscheinlichkeit nach dieses Werk im letzten Drittel des zweiten Jahrhunderts verfaßt hat, ist fragmentarisch nur in der manchmal ziemlich mühseligen Widerlegung des Origenes (ca. 230/40)42 überliefert; dieser bietet aber eine große Anzahl manchmal sehr ausführlicher echter Zitate, die Rückschlüsse auf die antichristliche Polemik im philosophischen Milieu zulassen. Interessant ist dabei die Argumentationsstrategie des Kelsos: οὐκ ἀνέχονται νεὼς ὁρῶντες καὶ βωμοὺς καὶ ἀγάλματα. οὐδὲ γὰρ Σκύθαι τοῦτο οὐδὲ Λιβύων οἱ Νομάδες οὐδὲ Σῆρες οἱ ἄθεοι οὐδ’ ἄλλα ἔθνη τὰ δυσαγέστατα καὶ ἀνομώτατα. ὅτι δὲ καὶ Πέρσαι οὕτως νομίζουσιν, Ἡρόδοτος ἐν τοῖσδε ἱστορεῖ· ‚Πέρσας δὲ οἶδα νόμοισι τοῖσδε χρεωμένους, ἀγάλματα μὲν καὶ βωμοὺς καὶ ναοὺς οὐκ ἐν νόμῳ ποιευμένους ἱδρύεσθαι, ἀλλὰ

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minus βωμός (Altar) dagegen findet sich selten. Kelsos betont, daß die Christen keine Altäre (βωμoί) haben, vgl. u. Anm. 43; vgl. auch Min. Fel. 10,2 (Text und Übersetzung unten Anm. 47). Eus. HE 7,15,4 (das Martyrium des Marinus muß nach dem Aufriß von Eusebs „Kirchengeschichte“ in die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts datiert werden) bezeichnet den Altar in der Kirche in Caesarea als ἁγίασμα (heiliger Ort), Rufins lateinische Übersetzung dagegen als altare und zeigt damit schon den Sprachgebrauch des vierten Jahrhunderts. Brennecke 2007; ders. 2008b. Vgl. Nestle 1950; Auffarth 1997; Brennecke 2008a. Zu den gegen die Christen erhobenen Vorwürfen vgl. die Zusammenstellung von Texten von Guyot/Klein 1993/1994 und Wilken 1986. Lona 2005. Origenes, Contra Celsum.

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καὶ τοῖσι ποιεῦσι μωρίην ἐπιφέρουσιν· ὡς μὲν ἐμοὶ δοκέει, διότι οὐκ ἀνθρωποφυέας ἐνόμισαν τοὺς θεοὺς καθάπερ οἱ Ἕλληνες εἶναι.‘ „Ihre Augen können weder Tempel noch Altäre oder Götterbilder ertragen. Hierin sind ihnen aber die Skythen gleich und die Nomadenstämme Libyens und die Serer, die keinen Gott verehren, und andere Völker, gerade die ruchlosesten und gesetzlosesten. Daß es auch die Perser so halten, berichtet Herodot mit folgenden Worten: ‚Von den Persern aber weiß ich, dass sie diese Bräuche haben, dass sie es für Unrecht ansehen, Götterbilder, Altäre und Tempel zu errichten; und denen, die es tun, werfen sie Torheit vor, meiner Meinung nach deshalb, weil sie nicht glaubten, daß die Götter, wie die Griechen annehmen, menschenartig seien‘.“43

Christen sind Atheisten, weil sie Tempel, Altäre und Götterbilder ablehnen. Und damit sind sie auch Barbaren, wie Kelsos hier an einigen Beispielen beweisen will. Die Kritik an der Tempellosigkeit der Christen, am Fehlen von Altären und Götterbildern bei ihnen gehört bei Kelsos in den Zusammenhang des übrigens durchaus um 200 nicht ungefährlichen Vorwurfs des Atheismus.44 Bei dem literarischen Dialog „Octavius“ des uns sonst unbekannten Minucius Felix45 handelt es sich nicht um ein Beispiel direkt in einem christlichen Kontext überlieferter antichristlicher Polemik, sondern um einen christlichen Text: Der Autor nimmt zwar die übliche Christentumskritik auf, formuliert aber dezidiert mit dem Ziel der Widerlegung. Den Vertreter der klassisch-römischen Religiosität Caecilius läßt er sagen: templa ut busta despiciunt, deos despuunt, rident sacra, miserentur miseri – si fas est – sacerdotum, honores et purpuras despiciunt, ipsi seminudi. „Tempel verachten sie als Grabmäler, vor Götterbildern spucken sie aus, über die Opfer lachen sie. Sie bemitleiden, selbst bemitleidenswert, wenn man so sagen darf, die Priester, selbst halbnackt verachten sie Ämter und Würden.“46 cur nullas aras habent, templa nulla, nulla nota simulacra, numquam palam loqui, numquam libere congregari, nisi illud, quod colunt et interprimunt, aut puniendum est aut pudendum? „Weshalb haben sie keine Altäre, keine Tempel, keine bekannten Götterbilder? Warum reden sie nie öffentlich, versammeln sich niemals frei? Weil eben der Gegenstand ihrer Verehrung und Verheimlichung strafbar oder schändlich ist.“47

Auch für Caecilius ist Tempel- und Kultlosigkeit ein Beleg für den gesellschaftszerstörenden und asozialen Atheismus der Christen. Den Einwand, daß das Christentum monotheistisch sei, also nur einen Gott verehrt, läßt er nicht zu: Iudaeorum sola et misera gentilitas unum et ipsi deum, sed palam, sed templis aris victimis caerimoniis que coluerunt […].

43 Orig. c. Cels. 7,62, lies: IV 158 Borret, die Übersetzung nach Lona 2005, 424; ein Kommentar zur Stelle ebenda, 424–427. 44 Zum Atheismus der Christen als Gesetzlosigkeit vgl. Eus. HE 6,19,7 = Porph. Frgm. 6 f. Becker; Eus. Pr. Ev. 1,2,3 vgl. Becker 2016, 48, 462 f., 465 f. 45 Kytzler 1992. Der Dialog wurde vielleicht in Rom, vermutlich im zweiten Viertel des dritten Jahrhunderts verfaßt; vgl. Heck 1997. 46 Min. Fel. 8,5 (7,3–5 Kytzler; Übersetzung nach Kytzler 1965, 75). 47 Min. Fel. 10,2 (8,15–17 Kytzler; Übersetzung nach Kytzler 1965, 75).

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Hanns Christof Brennecke „Auch das jämmerliche Judenvölkchen verehrt nur einen Gott, aber ganz offen mit Tempeln und Altären, mit Opfern und Zeremonien […].“48

Es ist nicht ganz deutlich, was jener Caecilius damit eigentlich meint. Die Juden hatten immer nur einen Tempel – und den gab es längst nicht mehr. Synagogen aber sind eben gerade keine Tempel, was übrigens den Juden sehr wichtig war. Die Synagogen waren kein Ersatz für den verlorenen Tempel, sondern ein Kultraum mit bewußt anderen Funktionen als denen, die der Tempel in Jerusalem gehabt hatte. Synagogen durften gerade nicht den Tempel nachahmen.49 Offenbar verfügt der fiktive Dialogpartner Caecilius zwar über Kenntnisse des Alten Testaments, aber nicht über das Judentum seiner Zeit. In einer „Apokritikos“ („Gegenrede“) betitelten Schrift eines sonst unbekannten Autors mit Namen Makarios Magnes aus dem späten vierten oder frühen fünften Jahrhundert, die uns vor viele nicht nur philologische und historische Probleme stellt,50 ist ein Fragment überliefert, das spätestens seit Adolf von Harnack allgemein als Fragment des Porphyrios gilt, aber wohl zu Unrecht: ἀλλὰ καὶ οἱ Χριστιανοὶ μιμούμενοι τὰς κατασκευὰς τῶν ναῶν, μεγίστους οἴκους οἰκοδομοῦσιν, εἰς οὓς συνιόντες εὔχονται, καίτοι μηδενὸς κωλύοντος ἐν ταῖς οἰκίαις τοῦτο πράττειν, τοῦ κυρίου δηλονότι πανταχόθεν ἀκούοντος. „Aber auch [worauf sich das καί bezieht, ist völlig unklar] die Christen bauen sehr große Gebäude, in denen sie beten, wenn sie zusammenkommen, und ahmen so die Einrichtungen von Tempeln nach, obwohl sie niemand hindert, das in ihren Häusern zu tun, da der Herr offenkundig von überall her hört.“51

Wenn das Fragment wirklich Porphyrios zuzuschreiben wäre, wäre es ein Beleg dafür, daß in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts Christen über eigene und auch deutlich sichtbare Gebäude für ihren Gottesdienst verfügten. Ein Problem stellt dabei die Interpretation des Begriffes μιμούμενοι dar, weil die Christen ja laut allen uns bekannten Texten Tempel abgelehnt haben. Bei einem christentumskritischen Autor des 4. oder 5. Jahrhunderts, der schon die frühchristliche Basilika vor Augen gehabt hätte, sähe das anders aus.52 Zum Schluß soll noch ein Autor an der Schwelle zur konstantinischen Wende zu Wort kommen, Arnobius der Ältere. Seine apologetische Schrift „Adversus nationes“ wurde wohl in Africa, während der diokletianischen Verfolgung im ersten

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Min. Fel.10,4 (8,20 f. Kytzler; Übersetzung nach Kytzler 1965, 75). de Blaauw 2008, 247–261. Volp 2013. Makarius Magnes, Apokritikos 4,21,8 (398 f. Volp = Porph. (?) Frgm. 76 Harnack); vgl. Harnack 1916, 93; Übersetzung nach Volp. 52 Ich danke den Tübinger Kollegen Irmgard Männlein-Robert und Matthias Becker, die mich in meinem Zweifel an der Zuschreibung dieses Fragmentes an Porphyrios bestärkt haben. Die bei Makarios Magnes überlieferten antichristlichen Fragmente werden von Matthias Becker, dem Herausgeber der Fragmente der Schrift Contra Christianos des Porphyrios nicht mehr Porphyrios, sondern einem bisher noch nicht identifizierten Autor des späten vierten oder fünften Jahrhunderts zugeschrieben, vgl. Becker 2016, 86–112.

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Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts, verfaßt.53 Unmittelbar vor der religionspolitischen Wende unter Konstantin ab 312 zunächst im Westen des Reiches ist sowohl für Arnobius als auch die von ihm angesprochenen Gegner des Christentums noch klar, daß Christen keine Tempel und keinen Opferkult haben: Nunc quoniam summatim ostendimus, quam impias de diis vestris opinionum constitueritis infamias, sequitur ut de templis, de simulacris etiam sacrificiis que dicamus deque alia serie quae his rebus adnexa est et vicina copulatione coniuncta. In hac enim consuestis parte crimen nobis maximum impietatis adfigere, quod neque aedes sacras venerationis ad officia construamus, non deorum alicuius simulacrum constituamus aut formam, non altaria fabricemus, non aras, non caesorum sanguinem animantium demus, non tura neque fruges salsas, non denique vinum liquens paterarum effusionibus inferamus. „Nun, nachdem wir kurz gezeigt haben, welche gottlosen und schändlichen Auffassungen ihr über eure Götter aufgestellt habt, folgt, daß wir nun auch über Tempel, Götterbilder und Opfer reden, über eine Reihe von Dingen, die damit verwandt und eng verbunden sind. In diesem Punkt pflegt ihr uns das größte Verbrechen der Gottlosigkeit anzulasten, weil wir keine Tempel zum Dienst der Verehrung (der Götter) errichten, kein Bild oder Statue irgendeines Gottes aufstellen, keine Brandopferaltäre aufstellen, keine Hausaltäre, nicht das Blut geschlachteter Lebewesen (als Opfer) darbringen, keine gesalzenen Früchte und endlich keine Weinlibationen spenden.“54

Vom zweiten Jahrhundert bis an den Beginn des vierten Jahrhunderts wurde in der antichristlichen Polemik das Fehlen von Tempeln und Opferkult bei den Christen als Beweis für ihren Atheismus und damit für ihre grundsätzliche Ablehnung und Gefährdung der Gesellschaft des Imperium Romanum gedeutet. Dabei bestritten die Christen diesen Tatbestand nie, sondern verteidigten ihn im Gegenteil offensiv. V. CHRISTLICHE APOLOGETIK Wie reagierten die des Atheismus verdächtigen Christen nun auf diesen Vorwurf, sie hätten keine Tempel und Altäre? Die christlichen Autoren des zweiten und dritten Jahrhunderts antworteten z. T. äußerst polemisch.55 Interessant ist nun, daß sich die apologetischen christlichen Schriftsteller in ihrer Polemik gegen Götterbilder, Opferkult und Tempel auf die kultkritischen Stimmen der philosophischen Überlieferung berufen und diese aufnehmen, wie schon die Schriften des Neuen Testaments die kultkritische Überlieferung der Propheten Israels aufgenommen hatten.56 Die Widerlegung des Atheismusvorwurfs verbunden mit heftiger Polemik gegen den Opferkult und gegen Götterbilder als von Menschen gemacht ist ein charakteristisches Merkmal der apologetischen Literatur. Unter Berufung auf Platon, der im „Timaios“ bei der Behandlung der Erschaffung der Weltseele den Himmel konzipiert hat, der keines anderen 53 54 55 56

Wlosok 1989a. Arnob. 4,1 (307,1–12 Marchesi); vgl. auch 6,3. Brennecke 2007; ders. 2008a. Dasselbe Verfahren der Übernahme der philosophischen Kritik ist auch bei der christlichen Polemik gegen das Theater zu beobachten; vgl. Brennecke 2008b.

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bedarf,57 wird immer wieder betont, daß Götter bedürfnislos sind und keine Opfer nötig haben. Opfer der Christen dagegen sind Gebete und Lieder als Dank an Gott, wie in der apologetischen Überlieferung unendlich oft betont wird.58 In diesen Zusammenhang gehört auch die Verteidigung gegen den Vorwurf, keine Tempel zu haben. Die alttestamentliche Tempelkritik der Propheten Israels wird nun bei christlichen Autoren in Übereinstimmung mit kult- und tempelkritischen Aussagen der antiken lateinischen und griechischen philosophischen Tradition gesehen. Dabei sollen zudem die Übereinstimmung der Christen mit den besten philosophischen Traditionen der Griechen und im Grunde auch deren Nähe zum Christentum unterstrichen werden. Wenn Tertullian die christliche Ablehnung der Tempel in dem ihm eigenen Rigorismus damit zu erklären versucht, daß Tempel oft zu sexuellen Orgien mißbraucht würden, so ist das eine wenig originelle und wohl kaum überzeugende Replik auf den gegen Christen erhobenen Vorwurf, daß es sich bei ihren Versammlungen um sexuelle Orgien handele: Ceterum si adiciam, quae non minus conscientiae omnium recognoscent, in templis adulteria componi, inter aras lenocinia tractari, in ipsis plerumque aedituorum et sacerdotum tabernaculis, sub iisdem vittis et apicibus et purpuris, ture flagrante, libidinem expungi, nescio, ne plus de vobis dei vestri quam de christianis querantur. Certe sacrilegi de vestris semper apprehenduntur; Christiani enim templa nec interdiu norunt; spoliarent forsitan ea et ipsi, si et ipsa ea adorarent! „Wenn ich aber hinzufüge, was nicht weniger allen bewußt ist, daß in den Tempeln Ehebrüche verabredet, zwischen den Altären Kuppeleien verabredet, ja in den Räumen der Tempelhüter und Priester selbst, unter denselben gottesdienstlichen Kopfbinden, Hüten und Purpurgewändern, bei brennendem Weihrauch die Begierde befriedigt wird, so weiß ich nicht, ob sich eure Götter nicht über euch eher als über die Christen zu beklagen haben. Tempelräuber werden zweifellos immer nur unter euch ergriffen. Denn die Christen wollen von den Tempeln auch am Tag nichts wissen. Vielleicht würden sie selbst sie auch berauben, wenn sie sie anbeten würden.“59

Minucius Felix behauptet, ebenfalls außerordentlich polemisch, daß die Tempel der Römer aus Beutegut gebaut und somit das Ergebnis von Raub und Mord seien: ita quicquid Romani tenent colunt possident, audaciae praeda est: templa omnia de manubiis, id est de ruinis urbium, de spoliis deorum, de caedibus sacerdotum. „So ist alles, was die Römer haben, nutzen und besitzen, Lohn für ihre Frechheit. Alle ihre Tempel sind aus Beutegut, das heißt aus zerstörten Städten, aus Tempelraub und Priestermord“.60

57 Plat. Tim. 34b (46 f. Widdra/Müller): καὶ οὐδενὸς ἑτέρου προσδεόμενον/(der) keines anderen bedarf. 58 Athenag. leg. 13. Die Belegstellen aus der apologetischen Literatur des zweiten und dritten Jahrhunderts ließen sich fast beliebig vermehren. Die Berufung auf Platons Kosmologie trifft die Sache eigentlich nicht, da sich der Satz Platons auf die Weltseele und nicht auf Gott bezieht. Zur Kosmologie im „Timaios“ vgl. Erler 2007, 263–272, 449–473. 59 Tert. apol. 15,7 (114,30–38 Dekkers); zum Kommentar vgl. Georges 2011, 261–264. 60 Min. Fel. 25,5 (23,21–23 Kytzler; Übersetzung nach Kytzler 1965, 145).

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Interessanter ist nun allerdings die christliche Übernahme heidnischer philosophischer Kultkritik. In seiner Auseinandersetzung mit den Stoikern zitiert Plutarch einen Satz aus der „Politeia“ des als Begründer der Stoa geltenden Zenon von Kition gegen den Bau von Tempeln, die als Werk von Menschen den Göttern nicht angemessen seien, allerdings um dann diesen Satz in aller Deutlichkeit zurückzuweisen: ἔτι δόγμα Ζήνωνος ἔστιν· ἱερὰ θεῶν μὴ οἰκοδομεῖν· ἱερὸν γὰρ μὴ πολλοῦ ἄξιον καὶ ἅγιον οὐκ ἔστιν· οἰκοδόμων δ’ ἔργον καὶ βαναύσων οὐδέν ἐστι πολλοῦ ἄξιον. „Die Auffassung Zenons ist, keine Tempel der Götter zu bauen, denn ein Tempel ist nicht viel wert oder heilig; ein Werk von Bauleuten und Handwerkern ist nicht viel wert.“61

In der christlichen Verteidigung gegen den Vorwurf, keine Tempel zu haben, vorgebracht von den Kritikern oder Gegnern des Christentums als Beweis für den Atheismus der Christen, spielt dieses Zitat des Begründers der Stoa – durchaus verschieden überliefert – eine erstaunlich prominente Rolle, nun aber positiv zur Begründung der christlichen Ablehnung von Tempeln: λέγει δὲ καὶ Ζήνων, ὁ τῆς Στωικῆς κτίστης αἱρέσεως, ἐν τῳ τῆς πολιτείας βιβλίῳ μήτε ναοὺς δεῖν ποιεῖν μήτε ἀγάλματα· μηδὲν γὰρ εἶναι τῶν θεῶν ἄξιον κατασκεύασμα, καὶ γράφειν οὐ δέδιεν αὐταῖς λέξεσι τάδε· ‚ἱερά τε οἰκοδομεῖν οὐδὲν δεήσει· ἱερὸν γὰρ μὴ πολλοῦ ἄξιον καὶ ἅγιον οὐδὲν χρὴ νομίζειν· οὐδὲν δὲ πολλοῦ ἄξιον καὶ ἅγιον οἰκοδόμων ἔργον καὶ βαναύσων‘. „Aber auch Zenon, der Begründer der Stoischen Schule, sagt in seinem Buch über den Staat, man solle weder Tempel erbauen noch Götterbilder anfertigen; denn kein Bauwerk sei der Götter würdig, und er scheute sich nicht, wörtlich so zu schreiben: ‚Es wird kein Bedarf bestehen, Tempel zu errichten; denn einen Tempel, der nicht viel wert und heilig wäre, müßte man für nichts achten; aber kein Werk von Bauleuten und Handwerkern ist viel wert und heilig‘.“62

Clemens, der sich im elften Kapitel des fünften Buches der „Stromata“ in seiner Tempel- und Kultkritik auch sonst ausführlich auf die philosophische Überlieferung beruft,63 verbindet hier die alttestamentliche mit der philosophischen Tradition der Tempelkritik. Er zitiert in diesem Zusammenhang noch ein Euripides zugeschriebenes Fragment, nach dem ein von Handwerkern gebautes Haus Gott nicht fassen kann, in Verbindung mit einem – allerdings nicht verifizierbaren – Platonzitat und der Tempelkritik von Jes 66,1 und Apg 17: παγκάλως τοίνυν καὶ ὁ Εὐριπίδης συνᾴδει τούτοις γράφων· ‚ποῖος δ’ ἂν οἶκος τεκτόνων πλασθεὶς ὕπο δέμας τὸ θεῖον περιβάλοι τοίχων πτυχαῖς;‘ καὶ ἐπὶ τῶν θυσιῶν ὡσαύτως λέγει· ‚δεῖται γὰρ ὁ θεός, εἴπερ ἔστ’ ὀρθῶς θεός, · ἀοιδῶν οἵδε δύστηνοι λόγοι.‘ ‚οὐ γὰρ χρείας ἕνεκεν ὁ θεὸς πεποίηκεν τὸν κόσμον, ἵνα τιμὰς πρός τε ἀνθρώπων καὶ πρὸς θεῶν τῶν ἄλλων καὶ δαιμόνων‘, φησὶν ὁ Πλάτων, ‚καρποῖτο, οἷον πρόσοδόν τινα ἀπὸ τῆς γενέσεως ἀρνύμενος, παρὰ μὲν ἡμῶν καπνούς, παρὰ δὲ θεῶν καὶ δαιμόνων τὰς οἰκείας λειτουργίας.‘ διδασκαλικώτατα ἄρα ὁ Παῦλος ἐν ταῖς Πράξεσι τῶν ἀποστόλων ‚ὁ θεὸς ὁ ποιήσας τὸν κόσμον‘ φησὶ ‚καὶ πάντα τὰ ἐν αὐτῷ, οὗτος οὐρανοῦ καὶ γῆς κύριος ὑπάρχων οὐκ ἐν 61 Plut. mor. 1034b (422 Cherniss) = Frgm. 264 von Arnim (I 61, 31–34 von Arnim); vgl. Frgm. 9 a, b, c; 18 a, b Bees; vgl. Bees 2011, 171, 249–253, 340 f., 350. 62 Clem. Al. strom. 5,11,76 (377,1–6 Stählin/Früchtel) = Frgm. 264 von Arnim (I 61, 25–31 von Arnim). 63 Vgl. den Testimonienapparat zur Stelle in der Edition von Stählin/Früchtel 1960.

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Hanns Christof Brennecke χειροποιήτοις ναοῖς κατοικεῖ, οὐδὲ ὑπὸ χειρῶν ἀνθρωπίνων χειροποιήτοις ναοῖς κατοικεῖ, οὐδὲ ὑπὸ χειρῶν ἀνθρωπίνων θεραπεύεται προσδεόμενός τινος, αὐτὸς διδοὺς πᾶσι πνοὴν καὶ ζωὴν καὶ τὰ πάντα.‘ „Ausgezeichnet stimmt damit (mit dem Propheten Jesaja) auch Euripides überein, der schreibt: ‚Denn welches Haus, das von Handwerkern gebaut ist, könnte wohl in engen Mauern Gottes Macht umschließen?‘ Und über die Opfer sagt er ebenso: ‚Gott, wenn er wirklich Gott ist, benötigt gar nichts. Das sind nur leere Worte von Dichtern.‘ ‚Denn Gott hat den Kosmos nicht aus einem Bedürfnis geschaffen, um Ehren von den Menschen und den übrigen Göttern und Dämonen zu bekommen‘, sagt Platon, ‚um sich gewissermaßen ein Einkommen aus der Schöpfung zu verschaffen, nämlich von uns den Opferrauch, von den Göttern und Dämonen dagegen die ihnen gemäßen Leistungen.‘ Daher ist überaus lehrreich, was Paulus in der Apostelgeschichte sagt: ‚Der Gott, der die Welt gemacht hat, und alles in ihr, dieser, der Herr des Himmels und der Erde ist, wohnt nicht in von Händen errichteten Tempeln und läßt sich nicht von Menschenhänden dienen, als ob er irgendetwas brauchte, ist er es doch selbst, der allem Leben und Odem und alles gibt‘.“64

Die christliche Ablehnung von Tempeln, das will der christliche Autor zeigen, erweist sich so nicht als Atheismus, sondern steht in voller Übereinstimmung sowohl mit der jüdischen als auch mit der besten philosophischen Überlieferung der Griechen. Konnte man das Zenonzitat bei Plutarch durchaus auch atheistisch verstehen, so bemüht sich Clemens, nun genau das Gegenteil zu zeigen: Kein menschliches Bauwerk ist der Götter würdig. Auch Origenes zitiert ganz zu Beginn seiner Schrift gegen Kelsos die tempelkritische Äußerung Zenons: προσθήσομεν δὲ καὶ ἡμεῖς ὅτι καὶ ὁ Ζήνων ὁ Κιτιεὺς ἐν τῇ Πολιτείᾳ φησίν· ‚ἱερά τε οἰκοδομεῖν οὐδὲν δεήσει· ἱερὸν γὰρ οὐδὲν χρὴ νομίζειν οὐδὲ πολλοῦ ἄξιον καὶ ἅγιον οἰκοδόμων τε ἔργον καὶ βαναύσων‘. „Wir selbst können noch hinzufügen, daß auch Zenon von Kition im ‚Staat‘ sagt: ‚Es wird kein Bedarf bestehen, Tempel zu errichten. Einen Tempel darf man nämlich nicht für wertvoll und heilig halten, da er das Werk von Bauleuten und Handwerkern ist‘.“65

Dieser Satz Zenons wird weit über die konstantinische Wende hinaus benutzt, um eine Übereinstimmung zwischen der Tempelkritik in der philosophischen Tradition und der christlichen Ablehnung von Tempeln zu beweisen. Noch Theodoret von Cyrus hat sich in der Mitte des fünften Jahrhunderts in seinen apologetischen Schriften, in denen er sich mit den Einwänden aus der philosophischen Tradition gegen das Christentum auseinandersetzt, auf die tempelkritische Äußerung Zenons berufen.66 Auch Arnobius hatte zu Beginn des vierten Jahrhunderts noch die christliche Ablehnung von Tempeln mit der Bedürfnislosigkeit Gottes, der weder Tempel noch Kult braucht, begründet und macht sich in Übernahme der philosophischen Opfer64 Clem. Al. strom. 5,11, 75,1–4 (376,15–377,1 Stählin/Früchtel); vgl. zur Stelle den Testimonienapparat. Es handelt sich um eine Zusammenstellung eines Euripides zugeschriebenen Fragments mit einem Zitat aus Eur. Herc. 1345 f. Diggle; vgl. Kannicht/Snell 1981, 174. 65 Orig. c. Cels. 1,5 (I 88, 15–18 Borret) = Frgm. 265 von Arnim (I 62, 3–7 von Arnim). Vgl. den Anmerkungsapparat zur Stelle in der französischen Übersetzung Borret I 1968, 89. 66 Vgl. Theod. gr. aff. cur. 3,74 = Frgm. 264 von Arnim (I 61,35–62,1 von Arnim).

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kritik – wenn auch ohne ausdrückliche Nennung von Autoren – über die Vorstellung der Bedürfnisse der Götter nach Häusern und Speise außerordentlich polemisch lustig.67 Der Versuch der christlichen Apologetik, mit Hilfe der traditionellen philosophischen Kultkritik den gegen das Christentum erhobenen Vorwurf des Atheismus zu widerlegen und zu zeigen, daß die christliche Tempellosigkeit in Übereinstimmung mit zumindest Teilen der philosophischen Tradition steht und somit genau als das Gegenteil von Atheismus angesehen werden muß, ist, wie an Arnobius deutlich wird, bis unmittelbar an die Schwelle des konstantinischen Zeitalters zu beobachten. Auch in den „Institutiones“ des Rhetors Lactantius, eines Schülers des Arnobius, der als Rhetor am Hofe Diokletians und dann als Erzieher von Crispus am Hofe Konstantins in Trier wirkte,68 findet sich noch dieser Rückgriff auf die vor allem stoische Überlieferung in seiner Kritik am Opferkult: recte igitur Seneca in libris moralibus ‚simulacra‘ inquit ‚deorum venerantur, illis supplicant genu posito, illa adorant, illis per totum adsident diem aut adstant, illis stipem iaciunt, victimas caedunt: et cum haec tanto opere suspiciant, fabros qui illa fecere contemnunt. quid inter se tam contrarium quam statuarium despicere, statuam adorare et eum ne in convictum quidem admittere qui tibi deos faciat?‘ „Seneca sagt zu Recht in seinen Moralia: ‚Sie verehren Götterbilder, sie flehen zu ihnen mit gebeugten Knien, sie beten sie an, sie sitzen oder stehen bei ihnen den ganzen Tag, sie werfen ihnen Almosen zu, schlachten ihnen Opfertiere. Und so verehren sie sie mit aller Mühe, verachten aber die Handwerker, die diese verfertigt haben. Was ist das für ein Widerspruch, den Bildhauer zu verachten, die Statuen aber anzubeten und den, der dir die Götter gemacht hat, von der Gesellschaft auszuschließen?‘“69

VI. EUSEBIUS UND DIE KONSTANTINISCHE WENDE Mit Konstantins Hinwendung zum Christentum, völlig unabhängig davon, wie man diesen „konstantinische Wende“ genannten Prozeß im einzelnen beurteilt, ist nun eine völlig neue Einstellung der christlichen Kirche zum Kultbau festzustellen. Über die Entstehung der frühchristlichen Basilika und die Rolle Konstantins dabei, die man nur von seiner ererbten Funktion als pontifex maximus – nun eben auch in Hinsicht auf die christliche Kirche – her verstehen kann, gibt es bekanntlich inzwischen ganze Bibliotheken.70 Besonders interessant erscheint in diesem Zusammenhang die sich erstaunlich plötzlich ändernde Begrifflichkeit, was sich besonders gut am Sprachgebrauch Eusebs von Caesarea, des wichtigsten Chronisten

67 Arnob. 6,1–3; vgl. oben Anm. 54. 68 Wlosok 1989b. 69 Lact. inst. 2,2,14–15 (115,12–116,3 Heck/Wlosok). Lactantius zitiert hier ein sonst unbekanntes Fragment Senecas (Fragment 120 Haase). 70 Vgl. die Bibliographie bei de Blaauw 2008, 389–393.

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dieses Umbruches, auf den ich mich hier beschränken will, ablesen läßt,71 da sich der Umschwung in der Terminologie für den christlichen Kultraum bei den anderen christlichen Autoren des vierten Jahrhunderts längst nicht in dieser Deutlichkeit beobachten läßt. Bis zum Beginn des vierten Jahrhunderts wird der Raum des christlichen Gottesdienstes nie als Tempel bezeichnet, was angesichts der Ablehnung von Tempeln durch die Christen nicht erstaunlich ist. Nach dem Ende der Verfolgungen kann Euseb einigermaßen unbefangen christliche Versammlungshäuser „Tempel“ nennen. Vor dem zehnten Buch der „Kirchengeschichte“ taucht der Begriff νεώς bei Eusebius im christlichen Kontext nicht auf.72 In seiner wohl zwischen 314 und 320 – also noch vor Beginn der Herrschaft Konstantins auch über den Osten – gehaltenen und Paulinus, dem Bischof von Tyros, gewidmeten Festrede bei der Einweihung der neuen Kirche in Tyros73 bezeichnet Euseb ganz konkret diese Kirche immer wieder als Tempel und bemüht Vergleiche mit dem Jerusalemer Tempel. In seinem bald nach 337 verfaßten und offensichtlich nicht ganz vollendeten Enkomion auf den verstorbenen Kaiser, der „Vita Constantini“,74 werden die von Konstantin oder seiner Mutter Helena75 angeregten oder geförderten neuen Kirchen nun oft ναός/νεώς genannt,76 was dann interessanterweise sogar mit den traditionellen christlichen Begriffen für einen gottesdienstlichen Raum oder ein Gebäude für den Gottesdienst wie προσευκτήριον („Gebetsraum“), κυριακόν („Haus des Herren“) oder οἴκος θεοῦ („Haus Gottes“) kombiniert werden kann.77 Die von Helena errichtete Kirche auf dem Ölberg kann er so z. B. als νεώς προσεὐκτήριον bezeichnen.78 Im Werk Eusebs ist also in der Terminologie für den Ort des christlichen Gottesdienstes, den christlichen Kultraum oder -bau mit der konstantinischen Wende ein ziemlich deutlich markierter Bruch festzustellen. Seither können die Gebäude für den christlichen Gottesdienst auch als Tempel bezeichnet werden, was noch für einen Arnobius, den älteren afrikanischen Zeitgenossen des Eusebius, der allerdings vermutlich die konstantinische Wende nicht mehr miterlebt hat,79 offenbar unmöglich war. Seit dem vierten Jahrhundert wird dann der Raum des christlichen Kultes in einem hier allerdings nicht mehr nachzuzeichnenden Prozeß nun in der Tat zum Tempel, zu einem Tempel allerdings durchaus eigenen Typs, dabei aber mit eigentlich allem, was einen Tempel definiert. 71 Dieser terminologische Aspekt hat allgemein erstaunlich wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Noch immer unverzichtbar dazu die Arbeiten von Voelkl (1953; 1954). 72 Vgl. das Register der griechischen Wörter Schwartz/Mommsen/Winkelmann III 1999, 191. 73 Eus. HE 10,4. 74 Bleckmann/Schneider 2007. 75 Zu Helena vgl. Drijvers 1992. 76 Eus. vita Const. Index 3,25; 3,35–43; 4,41,2; 4,44,2; 4,59; 4,60,4; 4,70,2. Horst Schneider hat ναός/νεώς an den genannten Stellen häufig mit „Kirche“ übersetzt. 77 Vgl. oben Anm. 34. 78 Eus. vita Const. 3,43,3. 79 Wlosok, Arnobius (1989).

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Zu dieser Entwicklung wäre nun das von Adolf von Harnack und anderen einst Porphyrios zugeschriebene Fragment durchaus passend. Für einen Kritiker oder Gegner des Christentums in der zweiten Hälfte des vierten oder ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts konnte es in der Tat so scheinen, als ob die Christen mit ihren Kirchenbauten die heidnischen Tempel in gewisser Weise nachahmten und dann sogar auch ehemalige Tempel zu Kirchen umfunktionieren konnten.80 QUELLEN Arnobius: Marchesi 1953 = Concetto Marchesi, Arnobii Adversus nationes libri VII, Mailand u. a. 1953. Athenagoras: Goodspeed 1984 = Edgar J. Goodspeed, Athenagoras, Supplicatio pro Christianis, in: ders. (Hrsg.), Die ältesten Apologeten, Göttingen 1984 (unveränderter Nachdruck der Auflage Göttingen 1914), 314–358. Barnabasbrief: Wengst 1984 = Klaus Wengst, Barnabasbrief, in: ders. (Hrsg.), Schriften des Urchristentums II, Darmstadt 1984, 103–202. Clemens von Alexandria: Stählin/Früchtel 1960 = Otto Stählin / Ludwig Früchtel, Clemens Alexandrinus, Stromata I–VI (GCS 52 [15] Clemens Alexandrinus II), 3. Aufl., Berlin 1960. Euripides: Diggle 1981 = James Diggle, Euripides, Hercules, in: ders., Euripidis fabulae 2, Oxford 1981, 117–174. Eusebius, Chronik des Hieronymus: Helm/Treu 1984 = Rudolf Helm / Ursula Treu, Eusebius von Casarea, Die Chronik des Hieronymus (GCS Eusebius, Werke 7), 3. Aufl., Berlin 1984. Eusebius, Kirchengeschichte: Schwartz/Mommsen/Winkelmann 1999 = Eduard Schwartz / Theodor Mommsen / Friedhelm Winkelmann, Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte I–III (GCS NF 6/1–3), 2. Aufl., Berlin 1999. Eusebius, De vita Constantini: Bleckmann/Schneider 2007 = Bruno Bleckmann / Horst Schneider, Eusebius von Caesarea, De vita Constantini – Über das Leben Konstantins (Fontes Christiani 83), Turnhout 2007. Frühchristliche Texte: Guyot/Klein 1993/1994 = Peter Guyot / Richard Klein, Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen: eine Dokumentation I/II (Texte zur Forschung 60; 62), Darmstadt 1993/1994. Lactantius, Divinae Institutiones: Heck/Wlosok 2005 = Eberhard Heck / Antonie Wlosok, Lactantius, Divinarum institutionem libri septem, Fasc. 1: Libri I et II, München/Leipzig 2005. Lactantius, De mortibus persecutorum: Städele 2003 = Alfons Städele, Laktanz, De mortibus persecutorum – Die Todesarten der Verfolger (Fontes christiani 43), Turnhout 2003. Makarios Magnes: Volp 2013 = Ulrich Volp, Makarios Magnes, Apokritikos (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 169), Berlin/Boston 2013. Minucius Felix, Octavius: Kytzler 1965 = Bernhard Kytzler, M. Minucius Felix, Octavius, lateinisch – deutsch, München 1965. Minucius Felix, Octavius: Kytzler 1992 = Bernhard Kytzler, Minucius Felix, Octavius, Stuttgart/ Leipzig 1992. Neues Testament: Aland/Aland 1993 = Barbara Aland / Kurt Aland, Das Neue Testament, Griechisch und Deutsch, 27. Aufl., Stuttgart 1993.

80 Zur Umwandlung von paganen Tempeln in christliche Kirchen in der Spätantike vgl. de Blaauw (2008), 268–270. Die Mehrzahl der Umwandlungen hat allerdings wohl erst nach 600 stattgefunden, nachdem in den allermeisten Fällen wahrscheinlich der Kultbetrieb schon seit längerer Zeit nicht mehr stattgefunden hatte.

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ἡ ἁγία πόλις – DIE INSZENIERUNG JERUSALEMS ALS LITURGISCHER ORT Annette von Stockhausen Seit dem 4. Jh. hat sich Jerusalem zur „heiligen“ Stadt des Christentums entwickelt, dessen mit der Lebens- und Leidensgeschichte Jesu Christi verbundene Stätten liturgisch hervorgehoben und zueinander in Beziehung gesetzt wurden (und werden). Ausgehend von den einschlägigen Quellen (Egerias Itinerarium, Kyrill von Jerusalems Taufkatechesen und den erhaltenen liturgischen Büchern) soll der Frage nachgegangen werden, wie und warum es zu dieser liturgischen Inszenierung Jerusalems kam und welche Formen sie annahm. JERUSALEM AUF DER MADABA-KARTE In der christlichen Tradition gilt Jerusalem seit dem 4. Jahrhundert als „heilige Stadt“,1 die nicht mehr nur „im Himmel“2, sondern ganz irdisch ist. Davon zeugt exemplarisch die berühmte, leider nur fragmentarisch erhaltene Mosaik-Karte in der Georgskirche der östlich des Jordans gelegenen Stadt Madaba (Abb. 1), die Stätten des biblischen „heiligen“ Landes verzeichnet.3 Sie stammt zwar erst aus der Mitte des 6. Jahrhunderts, gibt also einen schon fortgeschrittenen Entwicklungsstand wieder, greift aber auf das Onomastikon des Eusebius von Caesarea und damit eines der wichtigsten Zeugnisse für die Ausbildung einer „heiligen“ Geographie des Landes im 4. Jahrhundert zurück.4 Die Karte ist auf jeden Fall ein eindrucksvolles Zeugnis für die Wahrnehmung Jerusalems in der Spätantike. Die Vignette Jerusalems ist mit „Ἡ ἁγία πόλις Ἱερούσα“ identifiziert.5 Die Stadt bildet – soweit das angesichts des fragmentarischen Charakters feststellbar ist – das Zentrum der Karte, Jerusalem sticht allein auf Grund der überproportionalen Größe der Vignette unter allen anderen auf der Karte dargestellten Städten hervor. Durch

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Die Literatur zum Thema ist umfänglich, als weiterführend für einzelne hier behandelte Aspekte sei vor allem verwiesen auf Shalev-Hurvitz 2014, 25–42, Drijvers 2004 und Drijvers 2013, Verhelst 2004 und Verhelst 2006, Baldovin 1987, Kretschmar 1971 sowie Markus 1994. Vgl. die beiden neutestamentlichen Zeugnisse Gal 4,21–31 und Apk 21,1 f. Vgl. Donner 1992 und den umfangreichen Tagungsband Piccirillo/Alliata 1999, darin Shahid 1999 zur immer noch umstrittenen Deutung, vgl. dazu aber auch Thümmel 1973. Vgl. Avi-Yonah 1954, 31 f., und Di Segni 1999. Vgl. Donner 1992, 87, und die Beschreibung bei Tsafrir 1999.

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die vergrößerte Darstellung lässt sich der Aufbau der Stadt im Gegensatz zu anderen, eher schematischen Stadtdarstellungen der Karte6 weitgehend nachvollziehen:7

Abb. 1: Madaba-Karte: Jerusalem (Photo: AvS)

Deutlich erkennbar ist das heute als Damaskustor bezeichnete Nordtor der Stadt, auf dessen Innenseite im Zentrum eines Platzes eine alleinstehende Säule steht (nr. 1). Von diesem Platz gehen die beiden Äste des Cardo nach Süden ab, die sich über die gesamte Länge der Stadt erstrecken und im (kleiner dargestellten) Misttor (nr. 2) bzw. im Zionstor (nr. 3) enden. Im Westen und im Osten sind zwei weitere (ebenfalls kleiner dargestellte) Stadttore in der turmbewehrten Stadtmauer zu erkennen, die heute als Jaffa- (nr. 4) bzw. Löwentor (nr. 5) bezeichnet werden. Auffällig sind schließlich – und darin liegt hier unser Interesse an der Karte begründet – mehrere durch rote Dächer hervorgehobene größere Gebäude, die Kirchen Jerusalems: allen voran die beiden Bauteile der konstantinischen Grabeskirche (nr. 6), die Kirche auf dem Zion (nr. 7) und die Kirche des Hauses des Kaiaphas (nr. 8), die Siloa-Kirche 6

7

Vgl. z. B. die Darstellung von Nikopolis oder Jericho (Donner 1992, nr. 73 und 25). Leider sind die Vignetten größerer Städte wie z. B. Neapolis, Gaza oder Pelusion zum Teil zerstört, wobei noch erkennbar ist, dass auch hier nicht schematische, sondern die Stadtgeographie abbildende Darstellungen vorhanden waren (Donner 1992, nr. 32, 118 und 134). Zu den Vignetten vgl. Duval 1999. Vgl. im Folgenden v. a. Donner 1992, 87–94.

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(kein Dach sichtbar, nr. 9), die justinianische „neue“ Theotokos-Kirche (nr. 10)8, die Kirche Pinna Templi an der Zinne des Tempels (nr. 11) – das leere Tempelplateau ist ausgeblendet –, die Sophien-Kirche (am Ort des Palastes des Pilatus, nr. 12) und schließlich die Kirche St. Maria Probatica (nr. 13). Auf Grund des schlechten Erhaltungszustandes des Mosaiks sind der Ölberg und seine Kirchen auf der Madaba-Karte nicht mehr vorhanden. Einzig eine Inschrift ist noch erkennbar, die als Γηθσ9 zu lesen ist, sowie eine kleine Kirche (nr. 14), die wohl mit der unter Theodosius I. erbauten Gethsemane-Kirche zu identifizieren ist.10 In der Mitte des 6. Jahrhunderts ist die Topographie Jerusalems (abgesehen von der Stadtbefestigung) also ganz und gar durch Kirchen geprägt, in denen der Ereignisse der Leidensgeschichte Jesu gedacht wird – allem voran in der Grabeskirche, der Kirche des Hauses des Kaiaphas, der Sophien-Kirche und den Kirchen auf und am Abhang des Ölbergs – oder wichtiger Heilungen Jesu wie in der Probatica- und der Siloa-Kirche oder herausragender Ereignisse der Geschichte der nachösterlichen Gemeinde wie auf dem Zion. Die Nea-Kirche Justinians stellt insofern einen Sonderfall dar, als sie den dogmatischen Entwicklungen des 5. Jahrhunderts, der Auseinandersetzung um die richtige Formulierung der Christologie, geschuldet ist und nicht einen Ort der (Heils-)Geschichte markiert.11 Zieht man zur Madaba-Karte noch (neben anderen Quellen, die eher einen punktuellen Einblick bieten12) die Angaben des sogenannten armenischen Lektionars, das die Situation um die Mitte des 5. Jahrhunderts widerspiegelt,13 und des sogenannten georgischen Lektionars14 heran, das die gottesdienstliche Situation in Jerusalem wohl um 700 abbildet,15 so kann man im Vergleich zum 4. Jahrhundert eine immer weitergehende Verdichtung des kirchlich und vor allem auch gottesdienstlich genutzten Raumes erkennen.16

  8 Vgl. den Bericht über ihre Erbauung in Prok. aed. 5,6.  9 In der Abbildung umrandet. 10 Vgl. Donner 1992, nr. 52, der die Kirche aber fälschlich mit der bei Egeria (Itin. Eger. 36,1) genannten „ecclesia elegans“ identifiziert, dagegen richtig Röwekamp 1995, 66–68. 11 Dazu kommen noch die dem 5. Jahrhundert entstammenden „historisierenden“ Marien-Gedenkstätten der Kathisma-Kirche auf dem Weg nach Bethlehem und des Marien-Grabs im Kidron-Tal, vgl. Shalev-Hurvitz 2014, 117–167. 12 Vgl. z. B. Hier. epist. 108,9, Theodosius, De situ terrae sanctae 7–11, den Breviarius de Hierosolyma und Itin. Plac. 16–27. 13 Einleitung, Edition und Übersetzung bei Renoux 1969 und Renoux 1971. 14 Edition und Übersetzung bei Tarchnischvili 1959/1960. Vgl. auch die Verweise auf beide Lektionare unten. 15 Also nicht lange nach dem Einschnitt der mit starken Zerstörungen einhergehenden persischen Eroberung im Jahr 614, der Rückeroberung der Stadt unter Heraklios und dann der muslimischen Eroberung im Jahr 638, deren Auswirkungen auf das christliche Leben Jerusalems im Lektionar jedoch nicht sichtbar sind. Vgl. dagegen den Bericht über die Pilgerreise des Franken Arculf vom Ende des 7. Jahrhunderts. 16 Die von Verhelst 2004, 16–19, 21–26 und 69 f. erstellten Listen und Karten zeigen das – bei allen in Einzelfällen hinsichtlich der Lokalisierung freilich bestehenden Unsicherheiten – sehr

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DER WANDEL DES STADTBILDES VON AELIA CAPITOLINA/JERUSALEM IM 4. JAHRHUNDERT Wie stark das Stadtbild Jerusalems sich in der Spätantike verkirchlicht hatte, d. h. immer stärker von Kirchenbauten und den in und zwischen diesen vorgenommen gottesdienstlichen Handlungen geprägt worden ist, wird überdeutlich, wenn man auf die Zeit vor der sogenannten Konstantinischen Wende zurückblickt: Nach der Zerstörung des jüdischen Tempels im Jahr 70 und der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung Jerusalems nach dem Bar-Kochba-Aufstand im Jahr 135, die mit der „Neu“-Gründung der Stadt unter Hadrian als „Aelia Capitolina“ und damit einhergehend mit einer Umgestaltung des Stadtbildes endete, haben wir bis zum Jahr 325 eine römisch-heidnische (Garnisons-)Stadt vor uns, die neben dem Lager der römischen Garnison auf dem Areal des herodianischen Palastes und der alten Oberstadt auch die typischen Einrichtungen einer römischen civitas umfasste: ein Forum sowie diverse Tempel. Auf dem Plateau, auf dem vor 70 der jüdische Tempel gestanden hatte, befanden sich nun eine freie Fläche sowie zwei offenbar monumentale Statuen.17 Dieses Stadtbild wurde nach dem Herrschaftsantritt Konstantins im Osten (im Jahr 324) und nach der ersten ökumenischen Synode von Nizäa (325) zum zweiten Mal nach dem Jahr 70 bzw. 135 einem grundsätzlichen Umbau unterworfen: Auf der Synode von Nizäa wurde ein Ehrenvorrang Aelias18 wegen der παράδοσις ἀρχαία, der „altehrwürdigen Tradition“, festgestellt.19 Knapp über 75 Jahre später, im Jahr 382, im Schreiben der Synode von Konstantinopel an die Bischöfe des Westens heißt „die Kirche zu Jerusalem“ „die Mutter aller Kirchen“20. Diese 75 Jahre (mit Ausblicken ins 5. Jahrhundert) sollen im folgenden im Zentrum meiner Überlegungen stehen: Die großen Veränderungen21 setzten ein, als Kaiser Konstantin in offensichtlichem Zusammenhang mit der „Pilger“-Reise seiner Mutter Helena22 unter der Leitung des Ortsbischofs Makarios und dessen Nachfolgers Maximos in Jerusalem zwei Kirchen bauen ließ:23

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eindrücklich. Auffällig ist vor allem die verstärkte Nutzung des Ölberges sowohl durch monastische Gemeinschaften als auch durch Privatstiftungen. Vgl. dazu Bieberstein/Bloedhorn I 1994, 142–182, Geva 1993a und Geva 1993b. Auch das jüdische Jerusalem vor 70 (bzw. 135) war natürlich schon eine hellenistische Stadt mit den für eine solche typischen Einrichtungen, in der freilich heidnische Tempel fehlten. Der Name der Stadt ist hier noch nicht „christianisiert“ und wieder mit „Jerusalem“ angeführt. Synode von Nizäa, Can. 7. Theod. hist. eccl. 5,9,17: τῆς δέ γε μητρὸς ἁπασῶν τῶν ἐκκλησιῶν τῆς ἐν Ἱεροσολύμοις […]. Dass bereits in vorkonstantinischer Zeit eine (kleine?) Kirche auf dem Zion bestanden habe, die der Jerusalemer Gemeinde gedient habe und die dann am Ende des 4. Jahrhunderts durch die monumentale Hagia Sion ersetzt worden sei, weist Bieberstein 1995 mit Recht zurück. Vgl. zu deren möglicher Motivation und zu der mit ihr verbundenen ausgedehnten Legendenbildung Heid 1989 sowie Drijvers 1992 und Drijvers 2011. Zusätzlich ließ Konstantin an heilsgeschichtlich ebenfalls wichtiger Stelle, nämlich in Bethlehem am Ort der Geburt des Heilandes, eine weitere Kirche errichten. Für die konstantinischen Kirchenbauten ist Eus. vita Const. 3,25–43 (Kommentar bei Cameron/Hall 1999, 273–294) der

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1. die Anastasis-Kirche an der Stelle von Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu und 2. die Eleona-Kirche an der Stelle seiner Himmelfahrt auf dem Ölberg. Mit diesen beiden Bauten wird nun die Bindung der Heilsgeschichte an den physischen und nicht mehr nur wie bisher an den symbolischen Ort Jerusalem manifest,24 und der Prozess einer derart „verorteten“ Erinnerung und kultischen Verehrung,25 die mit einem sich ausbreitenden und aus allen Regionen des Imperium Romanum (und darüber hinaus) speisenden Pilgerwesen einhergeht,26 erreicht einen ersten Höhepunkt. Jerusalem wird nun für die Christen der gesamten Oikumene (wie es es zuvor schon für die Juden war) zu dem exzeptionellen heiligen Ort, an dem die Grenzen zwischen Himmel und Erde verschwimmen, an dem der transzendente Gott physisch manifest wird.27 Über die Errichtung der konstantinischen Kirchenbauten und das christlich werdende Jerusalem der 30er Jahre des 4. Jahrhunderts sind wir vor allem durch die zeitgenössische Vita Constantini des Eusebius von Caesarea28 und die, freilich sehr knappen, Bemerkungen des sogenannten Pilgers von Bordeaux29 unterrichtet. Da beide aber ganz auf das Christliche fokussieren und eventuelle heidnische und jüdische Reaktionen auf das konstantinische Kirchenbauprogramm für uns im Dunkeln bleiben, ist es schwer einzuschätzen, welche Rolle die Jerusalemer Gemeinde in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts innerhalb Jerusalems eigentlich ausübte. Klar ist, dass sie durch das kaiserliche und das heißt nicht zuletzt auch dessen finanzielles Engagement massiv gefördert und gestärkt wurde und dass auch der einsetzende Zustrom von Pilgern und Asketen eine Stärkung der christlichen Position innerhalb des Stadtgefüges bedeutete.30 Einhergehend mit dem und ergänzend zum konstantinischen Kirchenbauprogramm können wir bei Eusebius bereits die enge, geradezu materielle Verknüpfung der literarisch (und durch mündliche Tradition?) überlieferten Orte, an denen sich die Heilsgeschichte zugetragen hat bzw. haben soll, mit den Stätten der Jetztzeit beobachten, die ihren Höhepunkt dann in der mehrstündigen rituellen Verehrung eines Teiles des „wahren Kreuzes“ in der Karfreitagsliturgie findet, wo in Gestalt eines Holzsplitters Jesus Christus gewissermaßen in seiner Kirche selbst anwesend

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wichtigste literarische Zeuge, vgl. dazu auch kritisch Spieser 2014. Vgl. auch die die Archäologie einbeziehenden Überblicke bei Bieberstein/Bloedhorn 1994, Geva 1994, Küchler 2007, 433–444, Verhelst 2004, 60–65 und jetzt Shalev-Hurvitz 2014, 43–116. Gleiches gilt natürlich analog für die Geburtskirche in Bethlehem. Drijvers 2013 spricht von „spatial control“ durch die Christen (313), von „sacralization of space“ (319) und von „spatial reconfiguration“ (Drijvers 2015, 289). Vgl. dazu aus der umfangreichen Literatur nur die grundlegende Studie von Hunt 1982. Freilich wird an dieser heilsgeschichtlichen Aufladung Jerusalems auch Kritik geübt, z. B. von Gregor von Nyssa, vgl. Ulrich 1999. Entstanden bald nach dem Tod des Kaisers im Jahr 337. Nach Itin. Burdig. 8 ist die Reise ins Jahr 333 datiert. Vgl. für unsere Fragestellung Elsner 2000 und v. a. Irshai 2009. Vgl. dazu auch die Überlegungen von Drijvers 2015.

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ist und die Heilsbedeutung seines Todes sich physisch manifestiert.31 Mit nur etwas geringerer Intensität trifft dies dann auf alle im 4. Jahrhundert in Jerusalem verehrten Orte der Heilsgeschichte zu, wobei diese im Lauf der Zeit nicht mehr nur auf die neutestamentliche Heilsgeschichte begrenzt ist, sondern in immer größerem Umfang auch die alttestamentliche Heilsgeschichte und deren Akteure umfasst.32 So betont Euseb in der Zusammenfassung seines Berichtes über den Bau der konstantinischen Kirchen und über die bei ihm damit verbundene Pilgerreise der Kaisermutter Helena in der Vita Constantini33 mehrmals das Faktum, dass diese Bauten in Bethlehem als dem Ort der Inkarnation, über dem Grab als dem Ort der Auferstehung und auf dem Ölberg als dem Ort der Himmelfahrt über drei „mystischen Höhlen“ (μυστικὰ ἄντρα) errichtet seien, also Stätten seien, denen eine spirituelle Qualität zukommt, die offenbar vom jeweiligen Heilshandeln Christi in ihnen herrührt. Und so kann Euseb unter Rückgriff auf Ps 131,7 LXX – „Lasst uns den Ort anbeten, wo seine Füße standen.“ –, einer Stelle, die er auch im Kontext der Pilgerreise der Kaisermutter Helena angeführt hatte,34 die physische Anwesenheit des Heilandes auf dem Ölberg als Ort der Übergabe der christlichen Mysterien (= der Eucharistie) und der Himmelfahrt ganz konkret mit der Heiligkeit des Ortes verknüpfen, wenn er in seiner Demonstratio evangelica emphatisch sagt: „Wahrhaftig und nach der geläufigen wie ausgesprochenen Verkündigung standen die Füße unseres Herrn und Heilandes, ja des Gott Logos selbst, … auf dem Ölberg bei der dort gezeigten Höhle…“.35

Schließlich können wir – ebenfalls im Kontext des Berichts über den Bau der konstantinischen Grabeskirche – eine weitere Facette dieser heilsgeschichtlichen Deutung des konstantinischen Bauprogramms erkennen, nämlich die eschatologisch schattierte Verknüpfung des irdischen konstantinischen Jerusalem mit dem himmlischen, „neuen“, im Gegensatz zum „alten“, jüdischen, wenn Eusebius folgendes darlegt:36 „… und in dem Martyrion des Erlösers selbst wurde das neue Jerusalem erbaut, im Angesicht des von alters her berühmten, das nach der Blutschuld der Ermordung des Herrn in die äußerste Verwüstung gestürzt worden war und so die Strafe für seine gottlosen Einwohner büßte.“ 31 Vgl. Itin. Eger. 36,4–5 (Röwekamp 1995, 270) und Renoux 1971, nr. XLIII. 32 Dies hat natürlich auch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Auseinandersetzung mit dem Judentum, die eben auch eine Auseinandersetzung um symbolisch hoch aufgeladene Räume und Orte ist, wie sich zum Beispiel an der Episode über den versuchten Wiederaufbau des jüdischen Tempels unter Kaiser Julian und der von (Ps.-?)Kyrill von Jerusalem berichteten Kreuzeserscheinung sehen lässt (vgl. Drijvers 2004, 127–152 und Appendix III). 33 Eus. vita Const. 3,41,1 und 43,1. 34 Eus. vita Const. 3,42,2–43,1.3 f., wobei auch dort vom Ölberg als Übergabeort der Mysterien die Rede ist. 35 Eus. Dem. Ev. 6,18,23: ἔστησαν δὲ ἀληθῶς καὶ κατὰ τὴν πρόχειρον καὶ ῥητὴν διήγησιν οἱ πόδες τοῦ κυρίου καὶ σωτῆρος ἡμῶν, αὐτοῦ δὴ τοῦ θεοῦ λόγου, δι’ οὗ ἀνείληφεν ἀνθρωπείου σκήνους, ἐπὶ τοῦ ὄρους τῶν ἐλαιῶν πρὸς τῷ αὐτόθι δεικνυμένῳ σπηλαίῳ, […]. 36 Eus. vita Const. 3,33,1 f.: καὶ δὴ κατ’ αὐτὸ τὸ σωτήριον μαρτύριον ἡ νέα κατεσκευάζετο Ἰερουσαλήμ, ἀντιπρόσωπος τῇ πάλαι βοωμένῃ, ἣ μετὰ τὴν κυριοκτόνον μιαιφονίαν ἐρημίας ἐπ’ ἔσχατα περιτραπεῖσα δίκην ἔτισε δυσσεβῶν οἰκητόρων.

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Doch jenseits dieser, wenngleich sehr massiven, heilsgeschichtlichen Aufladung der konstantinischen Kirchenbauten bezeugen Eusebius ebenso wie der Pilger von Bordeaux zunächst nur die Bauten und ihre üppige Ausstattung.37 Was die christliche Gemeinde in ihnen machte, wie sie in ihnen Gottesdienste feierte, wie sie mit ihnen ganz allgemein umging, erfahren wir aus diesen beiden Quellen nicht. Dazu sind nun einige weitere, etwas spätere Quellen hinzuziehen, die darüber umfänglich Auskunft geben. JERUSALEM IN DEN TAUFKATECHESEN KYRILLS VON JERUSALEM Einige wenige, wegen ihrer noch relativ frühen Datierung aber sehr wichtige Hinweise zur Jerusalemer Liturgie bietet Bischof Kyrill von Jerusalem in seinen 19 Taufkatechesen aus der Fastenzeit des Jahres 351.38 Wichtig ist er für uns als Zeuge eine halbe Generation nach Euseb aber vor allem, weil er in seinen Taufkatechesen immer wieder (mit teilweise deutlich patriotischen Untertönen) die „Heiligkeit“ Jerusalems hervorhebt. Von der ersten seiner Taufkatechesen an führt er den Taufkandidaten Jerusalem als Stadt vor Augen, in der sich die Heilsgeschichte einstmals ereignet hat und in der diese in der Jetztzeit mit Händen greifbar ist. Dabei apostrophiert er die Orte, an denen sich die Heilsgeschichte ereignet hat, als „heilig“. Eine kleine Auswahl der einschlägigen Stellen soll hier genügen: • „Denn die Vorrangstellung in allen Gütern ist in Jerusalem.“39 • „Selbst wenn du es leugnen wolltest, so widerlegt dich der Ort, der sich dir zeigt, dieser selige Golgotha, auf dem wir jetzt um dessentwillen versammelt sind, der auf ihm gekreuzigt worden war. Und mit dem Holz des Kreuzes ist nun in Teilen der ganze Erdkreis erfüllt.“40 • „Zeugnis legt der selige Ort der Krippe ab, […]. […] Zeugnis legt das heilige Holz des Kreuzes ab, das bis auf den heutigen Tag bei uns sich zeigt und das wegen der im Glauben aus ihm genommenen Teile von hier aus schon fast die ganze Erde erfüllt. Zeugnis legt die Palme im Tal ab, die den damals lobpreisenden Kindern ihre Zweige gab. Gethsemane legt Zeugnis ab und zeigt beinahe noch den Hinsehenden den Judas. Dieser heilige, weithin sichtbare Golgotha legt Zeugnis ab. Das Denkmal der Heiligung legt Zeugnis ab und der Stein, der bis auf diesen Tag dort liegt. […] Der heilige Ölberg legt Zeugnis ab, von dem aus Christus zum Vater aufstieg.“41

37 38 39 40

Vgl. nur die Beschreibung der Grabeskirche bei Eus. vita Const. 3,33–40. Edition bei Reischl 1848 und Rupp 1860; zur Datierung vgl. Drijvers 2004, 56–58. Cyr.Hier. cat. 3,7: τὸ γὰρ ἁπάντων ἀγαθῶν ἀξίωμα ἐν Ἱεροσολύμοις. Cyr.Hier. cat. 4,10: Κἂν γὰρ ἀρνήσασθαι βουληθῇς, ὁ τόπος ἐλέγχει σε φαινόμενος, ὁ μακάριος οὗτος Γολγοθὰς, ἐν ᾧ νῦν, διὰ τὸν ἐν αὐτῷ σταυρωθέντα, συγκεκροτήμεθα. Καὶ τοῦ ξύλου τοῦ σταυροῦ πᾶσα λοιπὸν ἡ οἰκουμένη κατὰ μέρος (sc. in den Kreuzesreliquien) ἐπληρώθη. 41 Cyr.Hier. cat. 10,19: μαρτυρεῖ ὁ μακάριος τῆς φάτνης τόπος. […] Τὸ ξύλον τὸ ἅγιον τοῦ σταυροῦ μαρτυρεῖ, μέχρι σήμερον παρ’ ἡμῖν φαινόμενον, καὶ διὰ τῶν κατὰ πίστιν ἐξ αὐτοῦ λαμβανόντων, ἐντεῦθεν τὴν οἰκουμένην πᾶσαν σχεδὸν ἤδη πληρῶσαν. Ὁ φοῖνιξ ὁ ἐπὶ τῆς φάραγγος μαρτυρεῖ, τὰ βάϊα παρασχὼν παισὶ τοῖς τότε εὐφημοῦσι. Τὸ Γεθσημανῆ μαρτυρεῖ, τὸν Ἰούδαν μονονουχὶ δεικνύον ἔτι τοῖς νοοῦσιν. Ὁ Γολγοθᾶς ὁ ἅγιος οὗτος ὁ ὑπερανεστηκὼς μαρτυρεῖ φαινόμενος. Τὸ μνῆμα τῆς ἁγιότητος μαρτυρεῖ, καὶ ὁ λίθος ὁ μέχρι σήμερον κείμενος. […] Τὸ ὄρος τῶν Ἐλαιῶν μαρτυρεῖ τὸ ἅγιον, ἀφ’ οὗπερ ἀνῆλθε πρὸς τὸν Πατέρα.

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Annette von Stockhausen • „Und doch darf man nie müde werden, auf die Lehre über den gekrönten Herrscher zu hören, und zwar besonders hier auf dem hochheiligen Golgotha. Während nämlich andere nur von ihm hören, sehen und berühren wir ihn. Keiner soll nachlassen! Ergreife die Waffen gegen die Feinde für eben dieses Kreuz! Stelle den Glauben an das Kreuz als Siegeszeichen auf gegen die, die widersprechen! Denn jedes Mal, wenn du mit Ungläubigen über das Kreuz Christi disputierst, mache vorher mit der Hand das Zeichen des Kreuzes Christi und der Gegner verstummt.“42 • „[…] Wir bekennen den Heiligen Geist, der in den Propheten gesprochen hat und am Pfingstfest in Gestalt feuriger Zungen auf die Apostel herabgekommen ist hier in Jerusalem in der oberen Kirche der Apostel; wir haben nämlich in allem die Vorrangstellung.“43

Die Serie der Taufkatechesen endet am Schluss von cat. 18, der Katechese, die am Karsamstag unmittelbar vor der Taufe an die Täuflinge gerichtet wurde, mit einem fulminanten eschatologischen Lobpreis Jerusalems in Form eines Centos von Bibelstellen: „Bald wird euch die schöne Stelle vorgelesen werden: Werde Licht, werde Licht, neues Jerusalem! Dein Licht ist erschienen. Von diesem Jerusalem hat der Prophet gesagt: Dann wirst du heißen Stadt der Gerechtigkeit, treue Metropole Sion; denn aus Sion ist das Gesetz hervorgegangen und aus Jerusalem das Wort des Herrn, das von hier aus sich über den ganzen Erdkreis ergossen hat. Zu diesem Jerusalem sagt der Prophet über euch: Erhebe ringsum deine Augen und siehe deine Kinder versammelt! Jerusalem aber antwortet und spricht: Wer sind die, welche auf mich zufliegen wie Wolken und wie Tauben mit ihren Jungen? Wolken (heißen jene Kinder) wegen ihres geistigen Wesens, Tauben wegen ihrer Einfalt. An anderer Stelle (sagt der Prophet): Wer hat solches erfahren oder wer hat solches gesehen? Gebiert ein Land an einem Tage, wird ein Volk auf einmal geboren? Denn Sion gebar und brachte zur Welt ihre Kinder. Alles wird mit unaussprechlicher Freude erfüllt werden; denn der Herr sagte: Denn sieh, ich mache Jerusalem zur Wonne und mein Volk zur Freude“.44

Vergleichbare Aussagen finden sich bei Kyrill auch in seinem bald nach dem 7. Mai 351 an Kaiser Constantius II. gerichteten Brief über die wunderbare Erscheinung eines „übergroßen Kreuzes, aus Licht gebildet, am Himmel, das sich über dem hei42 Cyr.Hier. cat. 13,22: καίτοιγε οὐκ ἔστι ποτὲ καμεῖν ἀκούοντας τὰ περὶ τοῦ δεσπότου στεφανουμένου, καὶ μάλιστα ἐν τῷ παναγίῳ τούτῳ Γολγοθᾷ. ἄλλοι μὲν γὰρ ἀκούουσι μόνον, ἡμεῖς δὲ καὶ βλέπομεν καὶ ψηλαφῶμεν. μηδεὶς καμνέτω. λάβε τὰ ὅπλα κατὰ τῶν ἐναντίων ὑπὲρ αὐτοῦ τοῦ σταυροῦ. τρόπαιον στῆσον τὴν πίστιν τοῦ σταυροῦ κατὰ τῶν ἀντιλεγόντων. ὅταν γὰρ μέλλῃς περὶ τοῦ σταυροῦ τοῦ Χριστοῦ συζητεῖν πρὸς ἀπίστους, προαπόστειλον τῇ χειρὶ τὸ σημεῖον τοῦ σταυροῦ τοῦ Χριστοῦ καὶ φιμοῦται ὁ ἀντιλέγων. 43 Cyr.Hier. cat. 16,4: οἴδαμεν τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον τὸ λαλῆσαν ἐν προφήταις καὶ ἐν τῇ πεντηκοστῇ κατελθὸν ἐπὶ τοὺς ἀποστόλους ἐν εἴδει πυρίνων γλωσσῶν ἐνταῦθα ἐν τῇ Ἱερουσαλὴμ ἐν τῇ ἀνωτέρᾳ τῶν ἀποστόλων ἐκκλησίᾳ. πάντων γὰρ παρ’ ἡμῖν ἔστι τὰ ἀξιώματα. 44 Cyr.Hier. cat. 18,34: καὶ μετ’ οὐ πολὺ τῆς ἀγαθῆς ἀναγνώσεως ἀκούσεσθε λεγούσης· φωτίζου, ἡ νέα Ἱερουσαλήμ· ἥκει γάρ σου τὸ φῶς. περὶ ἧς Ἱερουσαλὴμ ὁ προφήτης εἴρηκε· καὶ μετὰ ταῦτα κληθήσῃ πόλις δικαιοσύνης, μητρόπολις πιστὴ Σιών, διὰ τὸν ἐκ Σιὼν ἐξελθόντα νόμον καὶ λόγον κυρίου τὸν ἐξ Ἱερουσαλήμ, ὃς ἐντεῦθεν εἰς ἅπασαν τὴν οἰκουμένην ἐξώμβρησεν. Πρὸς ἣν καὶ ὁ προφήτης περὶ ὑμῶν φησιν· ἆρον κύκλῳ τοὺς ὀφθαλμούς σου καὶ ἴδε συνηγμένα τὰ τέκνα σου. ἡ δὲ ἀποκρίνεται λέγουσα· τίνες οἵδε ὡς νεφέλαι πέτανται καὶ ὡς περιστεραὶ σὺν νεοσσοῖς ἐπ’ ἐμέ; νεφέλαι διὰ τὸ πνευματικόν, καὶ περιστεραὶ διὰ τὸ ἀκέραιον. καὶ πάλιν· τίς οἶδε τοιαῦτα; ἢ τίς ἑώρακεν οὕτως; εἰ ὤδινε γῆ ἐν μιᾷ ἡμέρᾳ, καὶ ἐτέχθη ἔθνος εἰς ἅπαξ; ὅτι ὤδινε καὶ ἔτεκε Σιὼν τὰ παιδία αὐτῆς. χαρᾶς δὲ ἀνεκλαλήτου τὰ πάντα πληρωθήσεται, διὰ τὸν εἰπόντα κύριον· ὅτι ἰδοὺ ἐγὼ ποιῶ Ἱερουσαλὴμ ἀγαλλίαμα καὶ τὸν λαόν μου εὐφροσύνην.

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ligen Golgotha bis zum heiligen Ölberg erstreckt hat.“45 Diese Erscheinung, die entsprechend 1Kor 1,18 als Beweis für die Allmacht Gottes gedeutet wird,46 führt dazu, dass die gesamte Jerusalemer Bevölkerung (samt Fremden), Christen wie Nicht-Christen, in der „heiligen Kirche der Stadt zusammenkommt“ und Christus als Herrn bekennt.47 Die Taufkatechesen Kyrills (wie auch sein Brief an Kaiser Constantius) sind für uns aber auch noch wegen eines weiteren Charakteristikums instruktiv, auf das ich gleich noch einmal zurückkommen werde: Sie erlauben Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Jerusalemer Gemeinde. Diese stellte in der Mitte des 4. Jahrhunderts offenbar (und auch trotz des anzunehmenden Zustroms an Pilgern und Asketen) noch nicht die Mehrheit der Bevölkerung Jerusalems, zumindest sah Kyrill durchaus noch die Notwendigkeit, eine apologetische Haltung einzunehmen, was sich sehr deutlich daran zeigt, dass er in seinen Taufkatechesen den Taufunterricht immer wieder damit begründet und die mit ihnen für die Zuhörer verbundenen Anstrengungen dadurch zu plausibilisieren versucht, dass die Jerusalemer (angehenden) Christen gegenüber Heiden wie Juden (sowie Samaritanern und Häretikern) in Fragen des Glaubens auskunftsfähig sein müssen, d. h. fähig sein müssen, ihren Glauben zu begründen und so gegen Vorwürfe von außen zu verteidigen. Zum Beispiel sagt er in cat. 4,2:48 „Der höchste Besitz ist also Kenntnis der Glaubenslehren, […]. Eine nüchterne Seele ist nötig, da es viele sind, die durch Philosophie und leere Täuschung Beute machen. Die Heiden verschleppen durch schöne Rede; denn Honig tropft von den Lippen einer Hure. Die aus der Beschneidung aber täuschen sie, die zu ihnen kommen durch die göttlichen Schriften, die sie 45 Cyr.Hier. ep. Const. 4: Ἐν γὰρ ταῖς ἁγίαις ἡμέραις ταύταις τῆς ἁγίας πεντηκοστῆς, νόνναις μαΐαις, περὶ τρίτην ὥραν, παμμεγέθης ὁ σταυρός, ἐκ φωτὸς κατεσκευασμένος, ἐν οὐρανῷ, ὑπεράνω τοῦ ἁγίου Γολγοθᾶ μέχρι τοῦ ἁγίου Ὄρους τῶν ἐλαιῶν ἐκτεταμένος ἐφαίνετο· Edition bei Bihain 1973. 46 Vgl. auch cat. 15,22, wo eine Kreuzeserscheinung als Zeichen der 2. Parusie Christi angeführt, also eschatologisch gedeutet wird. 47 Cyr.Hier. ep. Const. 4: ὡς ἅπαν μὲν ἀθρόως ἐξαυτῆς εἰς τὴν ἁγίαν ἐκκλησίαν συνδραμεῖν τῆς πόλεως τὸ πλῆθος, τῷ τῆς θεοπτίας φόβῳ μετ’ εὐφροσύνης κατασχεθέν, νέων ἅμα καὶ πρεσβύτων ἀνδρῶν τε καὶ γυναικῶν, καὶ πάσης ἡλικίας καὶ μέχρις αὐτῶν ἤδη τῶν κατ’ οἴκους θαλαμευομένων κορῶν, ἐντοπίων τε καὶ ξένων, χριστιανῶν τε ἅμα καὶ τῶν ἀλλαχόθεν ἐπιδημούντων ἐθνικῶν· ὁμοθυμαδὸν δὲ πάντων ὡς ἐξ ἑνὸς στόματος Χριστὸν Ἰησοῦν τὸν κύριον ἡμῶν, τὸν υἱὸν τοῦ θεοῦ τὸν μονογενῆ, τὸν θαυματοποιὸν ἀνυμνούντων, ἔργῳ τε καὶ πείρᾳ παραλαβόντων· ὅτι χριστιανῶν τὸ δόγμα τὸ πανευσεβὲς οὐκ ἐν πειθοῖς σοφίας ἐστι λόγοις, ἀλλ’ ἐν ἀποδείξει πνεύματος καὶ δυνάμεως, οὐχ ὑπ’ ἀνθρώπων μόνον καταγγελλόμενον, ἀλλ’ ἐξ οὐρανῶν θεόθεν μαρτυρούμενον. 48 Μέγιστον τοίνυν κτῆμά ἐστι τὸ τῶν δογμάτων μάθημα· […] καὶ χρεία νηφαλίου ψυχῆς, ἐπειδὴ πολλοί εἰσιν οἱ συλαγωγοῦντες διὰ τῆς φιλοσοφίας καὶ κενῆς ἀπάτης. Καὶ οἱ μὲν Ἕλληνες διὰ τῆς εὐγλωττίας κατασύρουσι· Μέλι γὰρ ἀποστάζει ἀπὸ χειλέων γυναικὸς πόρνης· οἱ δὲ ἐκ περιτομῆς διὰ τῶν θείων γραφῶν, ἃς παρεξηγοῦνται κακῶς, τοὺς προσερχομένους ἀπατῶσιν· ἐκ παιδίου μελετῶντες ἕως γήρως καὶ ἐν ἀμαθίᾳ καταγηρῶντες. Αἱρετικῶν δὲ παῖδες διὰ τῆς χρηστολογίας καὶ εὐγλωττίας ἀπατῶσι τὰς καρδίας τῶν ἀκάκων· ὥσπερ μέλιτι τῇ του Χριστοῦ προσηγορίᾳ τὰ τῶν δυσσεβῶν δογμάτων ἰοβόλα συγκαλύπτοντες. Περὶ ὧν ἁπάντων ἅμα λέγει ὁ Κύριος· Βλέπετε μή τις ὑμᾶς πλανήσῃ. Διὰ τοῦτο καὶ ἡ τῆς Πίστεως διδασκαλία, καὶ αἱ εἰς αὐτὴν ἐξηγήσεις γίνονται.

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Annette von Stockhausen schlecht und falsch auslegen; dabei üben sie von Kindheit bis ins Greisenalter und werden doch in Unwissenheit alt. Und die Kinder der Häretiker täuschen die Herzen der Unschuldigen durch nützliche und schöne Rede; dabei verbergen sie wie mit Honig mit der Bezeichnung als Christen die Giftpfeile ihrer gottlosen Lehren. Über alle zugleich sagt der Herr: Seht, dass keiner euch verführe! Deswegen erfolgt die Lehre im Glauben und die Einführung in ihn.“

Gleichermaßen äußert er sich in cat. 13,37:49 „Und solltest du einmal in einen Disput geraten und nicht beweiskräftige Worte haben, so soll der Glaube bei dir fest gegründet bleiben. Vielmehr aber bilde dich gut aus und stopfe dann den Juden aus den Propheten den Mund und den Heiden aus ihren mythologischen Erzählungen!“

Obwohl uns Kyrill also über die Örtlichkeiten der Gottesdienste Jerusalems in den Taufkatechesen nur wenige Hinweise gibt, nämlich nur, dass die Taufkatechesen im Martyrion in unmittelbarer Nähe zum Golgotha-Felsen stattfanden und dass auf dem Zion eine Kirche bestand, die mit dem Pfingstfest in Verbindung steht50, ist er für uns vor allem für die Selbstwahrnehmung der Jerusalemer Gemeinde um die Mitte des 4. Jahrhunderts eine wichtige Quelle. DIE ENTSTEHUNG EINER STATIONSLITURGIE Das Itinerarium der Egeria ist sicherlich die wichtigste Quelle für die Liturgie Jerusalems an der Wende zum 5. Jahrhundert,51 auch wenn es nur in einer einzigen Handschrift des 11. Jahrhunderts überliefert ist, deren Text zudem durch Blattverlust an mehreren Stellen Lücken aufweist. Es handelt sich um das Reisetagebuch einer uns sonst unbekannten Pilgerin vom westlichen Ende der Welt, die sich sehr wahrscheinlich zwischen 381 und 384 in Jerusalem aufgehalten hat und die sich im Bericht über ihre Pilgerreise (und deren einzelne Stationen) auch ziemlich ausführlich über die sowohl im Tages- als auch im Jahreslauf anfallenden diversen Gottesdienste der Jerusalemer Kirche äußert. An die Seite des Itinerarium der Egeria treten die Angaben des sogenannten armenischen und des sogenannten georgischen Lektionars.52 Im Vergleich dieser drei Texte untereinander kann man Kontinuitäten, Modifikationen sowie Erweiterungen der Liturgie53 sehr gut differenzieren, 49 Καὶ ἐὰν εἰς συζήτησίν ποτε ἐμπέσῃς καὶ μὴ τοὺς λόγους τῆς ἀποδείξεως ἔχῃς, ἡ πίστις ἑδραία μενέτω παρὰ σοί. μᾶλλον δὲ πολυμαθὴς γενόμενος Ἰουδαίους ἐπιστόμιζε ἐκ τῶν προφητῶν καὶ ἕλληνας ἐκ τῶν παρ’ αὐτοῖς μυθολογουμένων. 50 Vgl. Cyr.Hier. cat. 16,4: οἴδαμεν τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον τὸ λαλῆσαν ἐν προφήταις καὶ ἐν τῇ πεντηκοστῇ κατελθὸν ἐπὶ τοὺς ἀποστόλους ἐν εἴδει πυρίνων γλωσσῶν ἐνταῦθα ἐν τῇ Ἱερουσαλὴμ ἐν τῇ ἀνωτέρᾳ τῶν ἀποστόλων ἐκκλησίᾳ. πάντων γὰρ παρ’ ἡμῖν ἔστι τὰ ἀξιώματα. ἐνταῦθα Χριστὸς ἐξ οὐρανῶν κατῆλθεν. ἐνταῦθα τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον ἐξ οὐρανῶν κατῆλθεν. καὶ πρεπωδέστατον μὲν ἀληθῶς ἦν, ὥσπερ τὰ περὶ Χριστοῦ καὶ τοῦ Γολγοθᾶ ἐν τῷ Γολγοθᾷ τούτῳ λέγομεν, οὕτως καὶ περὶ ἁγίου πνεύματος ἐν τῇ ἀνωτέρᾳ λέγειν ἐκκλησίᾳ. ἐπειδὴ δὲ τῆς δόξης τοῦ ἐνταῦθα σταυρωθέντος συναπολαύει τὸ ἐκεῖ κατελθόν, οὕτως τὰ περὶ τοῦ ἐκεῖ κατελθόντος ἐνταῦθα λαλοῦμεν. ἀμέριστος γάρ ἐστιν ἡ εὐσέβεια. 51 Text, Übersetzung und Anmerkungen bei Röwekamp 1995. 52 Vgl. oben. 53 Z. B. das Gedächtnis an die Einsetzung des letzten Abendmahles.

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wobei deutlich wird, dass die oben schon einmal angesprochene Vervielfältigung der Kirchenbauten mit einer Verdichtung des kirchlichen Kalenders einhergeht, die vor allem auf die Hinzufügung von Propheten-, Märtyrer- und Heiligengedenktagen zurückgeht. Im Folgenden konzentriere ich mich vor allem auf das Itinerarium der Egeria, die solche Gedenktage überhaupt nicht erwähnt, und damit auf die Situation gegen Ende des 4. Jahrhunderts. Egeria unterteilt ihre (teilweise etwas verwirrende) Darstellung der Jerusalemer Liturgie in die Beschreibung der täglichen wiederkehrenden Stundengebete und die Beschreibung der besonderen Feste im Jahreslauf, die nun beide – und das ist eine Jerusalemer Besonderheit – dadurch geprägt sind, dass sie je nach Anlass und Zeit an unterschiedlichen Stationen stattfinden, also den heilsgeschichtlichen Ereignissen und deren jeweiliger Lokalisierung folgen.54 Die Jerusalemer Gemeinde, die sich jeweils aktuell aus Einheimischen wie aus der immer größer werdenden Zahl an Pilgern und ursprünglich nicht aus Jerusalem stammenden Nonnen und Mönchen zusammensetzt, feiert ihre Gottesdienste nicht – wie sonst üblich – in ihrer einen Kirche, sondern verlegt ihren Versammlungsort jeweils dorthin, wo der zu begehende Anlass einstmals stattgefunden hat. Die Liturgie wird also durchgehend historisierend verortet. Eine gewichtige Folge dieses (mehrmals am Tag und teilweise auch über größere Entfernungen) erfolgenden Wechsels ist dabei, dass auch die Wege zwischen den Orten in Form von Prozessionen mit in das liturgische Handeln einbezogen werden, das durch gemeinsames Singen von Hymnen und antiphonal gesprochenen Psalmen unter Leitung des Bischofs charakterisiert ist. Der christliche Gottesdienst Jerusalems nahm dabei durch die Prozessionen auch Räume in Besitz, denen als Wege per se für die Christen erst einmal keine religiöse Relevanz zukam.55 Die täglich wiederkehrenden fünf (während der Fastenzeit sechs) Gebetszeiten finden im konstantinischen Martyrion-Anastasis-Komplex statt. Dabei stellt der in Form von Prozessionen vorgenommene Ortswechsel zwischen Martyrion, Anastasis und Kreuz auch hier schon ein herausragendes Charakteristikum des Morgenlobs und des zum Zeitpunkt des Entzündens der Lichter am Abend abgehaltenen Lucernars dar, das für viele Gottesdienste an den Sonn- und Festtagen typisch ist:56 • •

Vigilien: Anastasis57 Morgenlob: Martyrion, Prozession zur Anastasis – Grab

54 Die Jerusalemer Liturgie war durch die sich nicht zuletzt im Pilgerwesen und im Mönchtum manifestierende wichtige Rolle Jerusalems in der christlichen Oikumene stilbildend für die Entwicklung einer Stationsliturgie in anderen Gemeinden, vgl. Baldovin 1987 (Jerusalem, Rom, Konstantinopel), Brakmann 1987 (Alexandrien), Papaconstantinou 1996 (Oxyrrhynchos). 55 Die einzige Ausnahme stellt hier die Prozession am Abend des Palmsonntag dar, die den Einzug Jesu in Jerusalem, also seinen Weg in die Stadt, kommemoriert. 56 Vgl. Itin. Eger. 24,1–7. 57 An den Sonntagen wird in den Vigilien zwischen Martyrion und Grab gewechselt, und es findet abschließend eine Prozession zum Golgotha-Felsen (mit dem Kreuz) statt (Itin. Eger. 24,8–11).

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Annette von Stockhausen

• Terz58: Anastasis • Sext: Anastasis – Grab • Non: Anastasis – Grab • Lucernar: Anastasis, Prozession zum Kreuz Die Ausnahme bildet neben den Vigilien am letzten Freitag der Fastenzeit (also vor der Karwoche)59 das Stundengebet zur neunten Stunde, das an den beiden wöchentlichen Fastentagen Mittwoch und Freitag auf dem Zion abgehalten wird – warum, wird in der rein deskriptiven Beschreibung Egerias nicht erwähnt –, wobei man im Anschluss an das Stundengebet gemeinsam in einer Prozession zurück zur Anastasis geht, in der dann das Lucernar als letztes Stundengebet des Tages stattfindet.60 Das aber heißt: Woche für Woche fand das ganze Jahr hindurch an zwei Tagen abends eine Prozession durch die Straßen Jerusalems zwischen Zion und Grabeskirche statt – wie viele Personen dabei jeweils beteiligt waren, entzieht sich unserer Kenntnis, für die (auch nicht-christliche) Öffentlichkeit können diese Prozessionen aber kaum unbemerkt geblieben sein. Eine noch bedeutendere und auch räumlich umfassendere Rolle spielten diese Ortswechsel im Laufe des Kirchenjahres, allen voran an den in Jerusalem jeweils mit einer ganzen Woche begangenen Christusfesten Epiphanias (6. Januar)61 und Ostern62 sowie an den Enkainia der konstantinischen Grabeskirche am 13. September,63 bei denen die Hauptgottesdienste an den einzelnen Tagen der Oktav jeweils in fester Reihenfolge an unterschiedlichen Orten begangen wurden – und implizit selbst da, wo es von Egeria nicht explizit erwähnt wird, Prozessionen bzw. zumindest kollektive Bewegungen größerer Menschengruppen vorauszusetzen sind.64 Auch die Feier des Pfingstfestes ist von solchen Ortswechseln und damit einhergehenden Prozessionen geprägt.65

58 59 60 61 62 63 64 65

Nur während der Fastenzeit, vgl. Itin. Eger. 27,4. Itin. Eger. 29,2. Vgl. Itin. Eger. 27,5 f. Das georgische Lektionar kennt dann bereits neben der Epiphanias-Oktav das Weihnachtsfest am 25. Dezember. Samt der Karwoche und den dieser vorangehenden Festen des Lazarus-Samstags und des Palmsonntags, s. unten. Zum Fest der Jerusalemer Enkainia vgl. Fraser 1995. Wichtig ist für die Prozessionen im Laufe des Kirchenjahres neben Egerias Itinerar vor allem das armenische Lektionar mit seinen ziemlich ausführlichen Rubriken. S. unten S. 46.

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Orte der Liturgie während der drei Festoktaven nach Egerias Itinerarium66

Tag

Epiphanias

Ostern

Enkainia

Sonntag

Prozession aus Bethlehem

Martyrion

Martyrion/Anastasis

Martyrion (Anastasis)

Prozession zum Zion

Montag

Martyrion

Martyrion/Anastasis

Martyrion

Dienstag

Martyrion

Martyrion/Anastasis

Eleona

Mittwoch

Eleona

Eleona

(Text endet)

Donnerstag

Lazarium

Anastasis

Freitag

Zion

Zion

Samstag

Anastasis

Golgotha

Sonntag

Golgotha

Martyrion Prozession zur Eleona und zum Imbomon Prozession zur Anastasis Prozession zum Zion

Während der Epiphanias-, Oster- und Enkainia-Oktav findet der Gottesdienst also nicht nur im Martyrion-Golgotha-Anastasis-Komplex statt, sondern auch auf dem Zion und dem Ölberg sowie in Bethlehem, wo nach dem Epiphanias-Gottesdienst eine Prozession über die 8 km zurück nach Jerusalem stattfindet, und beim Lazarium. Als herausragendes Ereignis kommt während der Osteroktav hinzu (Itin. Eger. 39,3 f.), dass die gesamte Gemeinde nach dem Mittagessen in einer Prozession aus der Stadt auf den Ölberg zur Eleona-Kirche und zum Imbomon, dem Ort der Himmelfahrt Christi, zieht und zur Zeit des Lucernars dann wiederum in einer Prozession zur Anastasis zurück – jeweils begleitet, wie Egeria auch sonst bei den Prozessionen immer anmerkt, von Hymnen und Antiphonen, die den jeweils begangenen Anlass widerspiegeln. Weitere große Prozessionen finden im Kontext der Karwoche statt: • am Lazarus-Samstag, dem Samstag vor Palmsonntag, eine nachmittägliche Prozession zum Lazarium und zurück zur Anastasis,67

66 Itin. Eger. 25,6–11 (Epiphanias); 39 f. (Ostern); 48 f. (Enkainia). Die Enkainien-Oktav ist im Itinerar Egerias nicht vollständig erhalten, da der Text mit Itin. 49,3 mit Beginn des 4. Tages der Festoktav abbricht. 67 Itin. Eger. 29,3–6.

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Annette von Stockhausen

• am Palmsonntag eine nachmittägliche Prozession zur Eleona-Kirche und anschließend zum Imbomon und kurz vor Sonnenuntergang (mit Palmenzweigen) zurück zur Anastasis statt, in der dann das Lucernar gehalten wird,68 • am Dienstag der Karwoche nachts nach den Gebeten im Martyrion bzw. der Anastasis ein Gottesdienst in der Eleona-Kirche, wobei der Weg dorthin allerdings offenbar nicht in der Form einer durch Antiphone und Hymnen begleiteten Prozession begangen wird,69 • am Gründonnerstag nach einer abendlichen Eucharistiefeier beim Kreuz im Anastasis-Martyrion-Komplex von der ersten bis zur fünften Nachtstunde ein Gottesdienst in der Eleona-Kirche.70 Zur sechsten Nachtstunde folgt eine Prozession zum Imbomon und von dort schließlich am Karfreitag zum ersten Hahnenschrei eine Prozession über eine „ecclesia elegans“ am mit dem Gebet des Herrn Lk 22,41 verbundenen Ort71 nach Gethsemane und von dort nach Golgotha.72 In den zwei Wochen vor und nach Ostersonntag befand sich also die gesamte örtliche Gemeinde zusammen mit der zu diesem Zeitpunkt vermutlich besonders reichlich vorhandenen Pilgerschar – Egeria war ja sicherlich kein Einzelfall – mehr oder weniger permanent als Hymnen und Psalmen singender Zug auf dem Weg zwischen der Anastasis, (dem Zion) und dem Ölberg, an den Orten, an denen die Heilsgeschichte stattgefunden hat, und auf den Wegen, die der historische Jesus an seinen letzten Tagen gegangen war – ein Spektakel, das sicherlich nach außen ebenso Eindruck gemacht hat wie es nach innen durch die Verknüpfung mit den rezitierten biblischen Texten für die teilnehmenden Christen ein Nacherleben der Heilsgeschichte ermöglichte, und das seine diesbezüglichen Höhepunkte am Gründonnerstag und dem abschließenden Sonntag der Osteroktav73 hatte. Vergleichbar sind die Abläufe des Pfingstfestes:74 Nach den Vigilien in der Anastasis und dem Morgengottesdienst im Martyrion zieht eine Prozession auf den Zion als historischem Ort des Pfingstgeschehens; auf dem Zion findet ein weiterer Gottesdienst (samt Eucharistie) statt, in dessen Zentrum die Kommemoration des 68 Itin. Eger. 31. 69 Itin. Eger. 33. 70 Nach Egeria (Itin. 35,1 f.) findet explizit keine Prozession dorthin statt, eine solche kennen dann aber das armenische Lektionar (Renoux 1971, nr. XXXIXbis und XXXIXter, sogar via den Zion; der Gottesdienst im Martyrion findet auch eine Stunde früher als bei Egeria statt) sowie das georgische Lektionar (Tarchnischvili 1959/1960, nr. 642). 71 Itin. Eger. 36,1; das armenische Lektionar spricht vom „Ort der Jünger“ (Renoux 1971, nr. XLbis). 72 Itin. Eger. 35 f. Das armenische Lektionar kennt als Zwischenstation auf dem Weg von Gethsemane nach Golgotha noch das Haus des Kaiaphas (Renoux 1971, nr. XLI), das georgische noch das Haus des Kaiaphas (Tarchnischvili 1959/1960, nr. 654), die Sophien-Kirche (nr. 657; Nr. 12 auf der Abbildung oben) und den Zion (nr. 660). Auch hier lässt sich also schön die Entwicklung beobachten, immer weitere Orte zu lokalisieren und dann auch in das liturgische Geschehen einzubetten. 73 Itin. Eger. 40. 74 Itin. Eger. 43.

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Pfingstereignisses steht (mit Lesung aus Apg 2). Mittags trifft sich die Gemeinde erneut zum Gebet, diesmal beim Imbomon auf dem Ölberg (wie am Gründonnerstag ohne Prozession dorthin), von dort zieht schließlich eine Prozession (unter Hymnen und Antiphonen) zur Eleona-Kirche, wo das Lucernar gefeiert wird, und anschließend eine Prozession zurück in die Stadt zum Martyrion. Beim Betreten der Stadt ist es nach Egeria bereits dunkel, so dass die Straße mit prunkvollen Leuchtern gesäumt wird75 – und die Wirkung der Prozession sicherlich noch zusätzlich gesteigert wird. SCHLUSS: GRÜNDE FÜR DIE LITURGISCHE INSZENIERUNG JERUSALEMS Am Schluss sollen noch einige sehr kurze Überlegungen stehen, warum sich der Gottesdienst in Jerusalem in dieser Form entwickelt hat und warum in ihm Prozessionen eine so herausragende Rolle eingenommen haben:76 Ein Grund für Prozessionen als Teil des gottesdienstlichen Lebens Jerusalems liegt auf der Hand: Wenn man die Liturgie in einer Art und Weise historisiert und lokalisiert, wie es in Jerusalem geschehen ist und wie es für eine sich in ihren wichtigsten Aussagen auf geschichtliche Ereignisse beziehende Religion ja auch durchaus nahe liegt, indem man möglichst immer genau an dem Tag und zu dem Zeitpunkt dort feiert, an dem sich das Heilsgeschehen (sei es nun vermeintlich oder tatsächlich) ereignet hat, so ergibt sich fast zwangsläufig, dass die zunächst unverbunden und in einigem Abstand voneinander liegenden Orte durch gemeinsames Gehen miteinander verbunden werden und dass man dieses gemeinsame Gehen dann auch durch gemeinsame (Wechsel-)Gesänge begleitet und so liturgisch inszeniert, d. h. in gottesdienstliches Handeln integriert. Das Nacherleben und -gehen des Evangeliums und die Prozessionen tragen dabei in ihrer Wirkung zur (durchaus auch gegenüber anderen religiösen Gruppen abgrenzenden) Identitätsbildung der christlichen Gemeinde bei.77 Die Frage aber ist: Warum hat man die Liturgie überhaupt in diesem Maße historisiert? 75 Itin. Eger. 43,7. 76 Vgl. hierzu neben dem den älteren Forschungsstand wiedergebenden Aufsatz von Kretschmar 1971 und dem in andere Richtung gehenden Beitrag von Markus 1994 v. a. Drijvers 2013. 77 Hier sei noch einmal an Kyrills Taufkatechesen und ihre Betonung der Notwendigkeit einer anti-heidnischen und anti-jüdischen Bildung der Taufkandidaten erinnert. Deutlich wird das auch aus dem Brief Kyrills an Constantius über die Kreuzeserscheinung vom Mai 351 sowie in den noch drastischeren Schilderungen des wohl pseud-epigraphischen, vom Anfang des 5. Jahrhunderts stammenden propagandistischen Brief „Kyrills“ über den kläglich durch das Wirken von Naturgewalten gescheiterten Versuch, im Jahr 363, kurz vor dem Tod Julians, den jüdischen Tempel wieder aufzubauen, vgl. Brock 1977 und Drijvers 2004, Appendix III. Diesen Wiederaufbauversuch empfand die christliche Gemeinde wohl als eine echte Bedrohung, und so wird nach der Katastrophe eine Freudenprozession der christlichen Gemeinde auf den Ölberg veranstaltet.

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Erstens ist natürlich das (freilich auch als imperiale Machtdemonstration zu deutende) konstantinische Bauprogramm und das bei Konstantin wie auch bei Helena offenbar anzutreffende Streben, „den Fußspuren des Erlösers die gebührende Verehrung zukommen zu lassen“78, grundlegend. Auch bei Kyrill (in der oben schon zitierten Stelle aus cat. 13,22) spielt das „Sehen und Berühren“ des Erlösers in Gestalt der Orte, an denen er war, eine große Rolle. Und so verwundert es nicht, dass auch der sogenannte Pilger von Piacenza in seinem Bericht (Kap. 17) großen Wert darauf legt, in Gethsemane „auf den drei Bänken, auf denen er (sc. Jesus beim letzten Abendmahl) zu Tisch lag“, selbst zur Segnung gelegen zu haben. Die abstrakte Heilsbotschaft des Christentums, die sich auf ein schon längst vergangenes Ereignis bezieht, kann durch den körperlichen Kontakt mit Orten, die einstmals in Berührung mit dem Erlöser gestanden hatten, von den einzelnen Christen also offenbar angeeignet werden. Die Orte bilden die Brücke zwischen dem Jetzt der Christen und dem Damals des Heilandes und sind so Garant für die Heilswirklichkeit. Zweitens dient das physische Nachvollziehen der (letzten) Wege und Tage Jesu auch der notwendigen religiösen Bildung der im 4. Jahrhundert exponentiell anwachsenden christlichen Gemeinde, weil die Gottesdienste ja nicht nur zur „rechten“ Zeit am „rechten“ Ort stattfinden, sondern auch jeweils die „für Ort und Stunde“ passenden Evangelientexte verlesen werden, wie Egeria beinahe anlässlich jeden Gottesdienstes vermerkt.79 Drittens wird durch den mit Prozessionen verbundenen Ortswechsel zwischen den verschiedenen Gottesdienst- und Gedächtnisorten der Jerusalemer Gemeinde (auch an Stellen, an denen zunächst noch gar keine Kirchen standen, wie zum Beispiel dem Imbomon oder in Gethsemane) die Stadt mit ihren Straßen im Angesicht ihrer nicht-christlichen Bewohner, Heiden wie Samaritaner oder Juden, auch symbolisch in Besitz genommen und Anspruch auf die Stadt als Ganzes erhoben, indem die in der Topographie der Stadt verstreuten und zum größten Teil auch erst durch Betreten überhaupt sichtbaren Gedächtnisorte miteinander verbunden werden. Die Prozessionen mit ihrem Prunk, ihren Riten und Gesängen erweisen sich so als Demonstrationen vergleichbare Manifestationen des christlichen Machtanspruchs gegenüber allen anderen religiösen Gruppen der Stadt, die ebenso einschüchternden wie werbenden Charakter haben.

78 In Eus. vita Const. 3,42,2 wird aus dem Wallfahrtspsalm Ps 131,7 LXX zitiert: ὡς δὲ τοῖς βήμασι τοῖς σωτηρίοις τὴν πρέπουσαν ἀπεδίδου προσκύνησιν, ἀκολούθως προφητικῷ λόγῳ, φάντι προσκυνήσωμεν εἰς τὸν τόπον, οὗ ἔστησαν οἱ πόδες αὐτοῦ, τῆς οἰκείας εὐσεβείας καρπὸν καὶ τοῖς μετέπειτα παραχρῆμα κατελίμπανεν. Vgl. auch die oben angeführten weiteren Belege. 79 Vgl. Itin. Eger. 25,5 und öfter; aussagekräftig ist hier auch das armenische Lektionar. Die neben Kyrill auch sonst breit bezeugte Gattung der Taufkatechesen ebenso wie die sonstige auf Konvertiten abzielende christliche Literatur zeigen in aller Deutlichkeit auf, für wie wichtig man die religiöse Bildung der Taufkandidaten neben der Einübung in eine christliche Ethik gehalten hat.

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CULT SPACES IN A LONGUE DURÉE PERSPECTIVE Jan N. Bremmer It is probably reasonable to suppose that for nearly all of us the first cult space that we encountered in our youth is a Christian church.1 Many of us may also have later visited a synagogue, although perhaps not during a service, and some of us may have even entered a mosque. Fewer of us will have probably visited a non-monotheist place of worship, such as a Hindu sanctuary or a Chinese temple. In other words, if the past is a foreign country where they do things differently, this is certainly the case for most of the Kulträume that are being described and analysed in these interesting and instructive papers. What results do they bring and which desiderata should we notice in this connection for future research? I follow the order of the Table of Contents. 1. CULT SITES Unlike the proceedings of many conferences in the humanities, of most conferences probably, in this book Kulträume are discussed in a très longue durée perspective, going from prehistory until the final period of the Roman Empire, literally thousands of years. Which developments can we see during this period? It is obvious that we have to go through prehistory with big steps. Yet, precisely from a longue durée perspective, such a view sharpens our eyes for the difficulties in studying such old evidence. Interpreting material evidence without texts makes the researcher highly vulnerable to the Zeitgeist. Hunting magic, fertility, structuralism and shamanism: it is not difficult to see the impact of once ruling paradigms, such as fertility, or of, at the time, new intellectual approaches, such as structuralism, or of the influence of innovative books, such as Mircea Eliade’s famous study of shamanism in these fashions to explain prehistoric images and deposits.2 Personal circumstances must also have played a role. The fixation of Henri Breuil (1877–1961)

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My text is the somewhat elaborated and annotated version of my ‚Summing up‘ at the end of the conference on which this book is based. In my references, I limit myself mainly to recent literature or studies to be added to the various chapters of this book, to which I refer by the names of the authors. M. Eliade, Le chamanisme et les techniques archaïques de l’extase (Paris, 1951). More in general, illuminating even if focused on Scandinavia, K. Kristiansen, ‚Rock Art and Religion‘, in Å. Fredell et al. (eds), Representations and Communications: Creating an archaeological matrix of late prehistoric rock art (Oxford, 2010) 93–115 at 93–96.

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on prehistoric caves as grotte-sanctuaire can hardly be separated from him being a priest.3 In that respect, one cannot but wonder to what extent Andreas Pastoors’ social-functional and flexible approach is not the product of our own secularising and individualising era. Naturally, we cannot escape the spirit of our own time, but it is always good to ponder such a question. In any case, his approach leaves the question open if we can speak at all about cult landscapes, cult spaces or cult buildings in prehistory. Obviously, when we talk about a cult or a sanctuaire, the question inevitably must be raised: a cult by whom and a sanctuary of whom? Yet raising the question, immediately also provides an unsatisfactory answer: we will never know. There simply is no way we will ever be able to discover what supernatural agents, if any, were the object of worship of prehistoric men and women. Unlike many scholars, Pastoors has concentrated on the contents of the prehistoric caves, not the rock drawings which so fascinate the general public. His careful analysis clearly is the way forward, if we want to acquire a more evidence based insight into prehistoric practices, although probably never the discourses, of the inhabitants of these prehistoric spaces. Might a combined analysis of drawings and contents perhaps bring us any further? We move to somewhat more understandable ground with the Hittites. For our purpose, the texts adduced by Norbert Oettinger are interesting in various respects. The Hittite legend of Sargon of Akkad’s expedition against the Central Anatolian city of Purushanda points to rivers as sacred beings. This quality of rivers is well known in the Indo-European tradition and was probably brought along by the Hittites when they entered Anatolia.4 The Greeks, in turn, also brought the worship of rivers along when they started to colonise the coasts of Anatolia from about 1000 BC onwards, but the many references to river worship in Anatolia well into the Roman period suggests that the Greeks also found river worship already present.5 However, sacrifices to bridges seem pretty unique. One might be inclined to think of the Roman priestly title pontifex as suggesting a connection between bridges and the sacred, but the etymology of the title is unclear, and when the Greeks came to Rome they did no longer saw a connection of the title with bridges.6 The magical text adduced and subtly analysed by Oettinger about the healing of a newborn baby suggests that the valley of the Halys river was seen as a kind of sacred landscape. Unfortunately, the text does not inform us about a possible sanctuary of the river. Given that in Asia Minor only one sanctuary of a river god, the Eurymedon, has been discovered, and that only a few rock reliefs of Hittite kings 3 4 5 6

A. Hurel, L’abbé Henri Breuil. Un préhistorien dans le siècle (Paris, 2011). K. Dowden, European Paganism (London and New York, 2000) 51–55; M. L. West, Indo-European Poetry and Myth (Oxford, 2007) 274–79. R. Parker, ‚„For Potamos, a vow“: River Cults in Graeco-Roman Anatolia‘, in M.-P. de Hoz et al. (eds), Between Tarhuntas and Zeus Polieus: Cultural Crossroads in the Temples and Cults of Graeco-Roman Anatolia (Leuven, 2016) 1–13. F. Van Haeperen, Le collège pontifical (3ème s. a. C.–4ème s. p. C.). Contribution à l’étude de la religion publique romaine (Brussels and Rome, 2002) and ‚Grand-prêtre ou hiérophante: Les traductions grecques du terme pontifex‘, L’Antiquité Classique 73 (2004) 149–63.

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have been found outside the cities,7 it seems to me more likely than not that the Hittite text presupposes an imaginary sanctuary rather than a real one. On the other hand, this one Greco-Roman example of a sanctuary of a river god, which dates to the second century AD, might give us an idea why Sargon sacrificed to the river, as its publication tells us that‚ there was a bridge, decorated with a bust of the god surveying his river as it ran south towards the Mediterranean. Steps led up from the river beside the bridge to a paved area; and beyond this there was probably a monumental stairway leading up to the sanctuary itself‘.8 Can it be that such a bust was also thought to be present on the bridge in the legend about Sargon? When we now move from the Stone Age and Hittites times to the first millennium BC, one might be forgiven for thinking that the evidence would also become richer. Somewhat surprisingly, this is not the case with the early Celtic cult spaces. Bernard Maier persuasively argues that most of our evidence is unreliable, rhetorically ornate or simply copied from earlier authors. This means that in Iron Age Europe we have a large culture the sanctuaries of which remain very much in the dark. Yet we may perhaps make some progress by looking at the best known name of the Celtic sanctuary, nemeton, the meaning of which was probably still known to Venantius Fortunatus (c.530-c.600), as he explains the Gaulish place name Vernemeta, modern French Vernantes, as fanum ingens, ‚enormous sanctuary‘ (Carmina 1.9.9– 10). The term is part of more place names than one might suspect from Maier’s brief mention of some French ones. In fact, we also find Nemetobriga in Galicia, Medionemeton near the Antonine Wall, Vernemetum in Nottinghamshire as well as Nymet Rowland and Nymet Tracey in Devon in England,9 Nemed and Nemud Siebe Fúait in Ireland,10 and even Drynemeton in Galatia in Asia Minor (Strabo 12.5.1). This widespread onomastic occurrence suggests a considerable number of Celtic sanctuaries, as indeed the archaeological evidence has increasingly demonstrated.11 The term nemeton itself is related to Latin nemus, ‚wood‘ and Greek νέμος, ‚wooded pasture‘. The parallels with Latin and Greek, as well as with Indo-Iranian namas, ‚prostrate, worship‘, suggest that the place of worship once was a grove,12   7 J. Seeher, ‚Der Landschaft sein Siegel aufdrücken – hethitische Felsbilder und Hieroglypheninschriften als Ausdruck des herrscherlichen Macht- und Territorialanspruchs‘, Altorientalische Forschungen 36 (2009) 119–39.  8 D. Kaya and S. Mitchell, ‚The Sanctuary of the God Eurymedon at Tymbriada in Pisidia‘, Anatolian Studies 35 (1985) 39–55 at 48.  9 England: Dowden, European Paganism, 134–36; R. Dunn, ‚Four Possible nemeton Placenames in the Bristol and Bath Area‘, Landscape History 27 (2005) 17–30; V. Watts, The Cambridge Dictionary of English Place-Names (Cambridge, 2011) 446. 10 Cf. eDictionary of the Irish Language, s. v. neimed (= http://www.dil.ie/search?search_in=headword&q =neimed). 11 In addition to Maier’s bibliography, see also T. Lejars, ‚Les installations cultuelles celtiques. Un aperçu de la recherche en France‘ and D. Vitali, ‚Luoghi di culto e santuari celtici in Italia‘, in S. Vitri and F. Oriolo (eds), I Celti in Carnia e nell’arco alpino centro orientale (Triest, 2001) 245–77 and 279–301, respectively. 12 M. de Vaan, Etymological Dictionary of Latin and the Other Italic Languages (Leiden, 2008) 405 s. v. nemus; R. Beekes, Etymological Dictionary of Greek, 2 vols (Leiden, 2010) 2.1006 s. v. νέμος.

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which may well mean that, despite probable literary refinements, the descriptions of the Celtic sanctuaries as situated in the woods by Lucan (3.399–449) and Tacitus (Annals 14.30.3) were not without truth. Maier’s survey illustrates the progress made in our understanding of the Celtic sanctuaries by successive excavations. Perhaps there is one interesting feature, though, in his material that deserves further attention, namely Caesar’s notice that Celtic sanctuaries also were the place at which conflicts were solved. One is reminded of the German and Old Norse Thing,13 and I wonder to what extent this was also a function of, say, Greek sanctuaries in the Archaic period.14 Clearly, religion and politics were not separated, as is so often argued as an ideal in contemporary times. Interestingly too, as Maier points out, the excavations have shown that many sanctuaries had an open area suitable for political assemblies,15 but also, we may add, for fairs, which were a prominent part of many Greek sanctuaries too.16 Once again, onomastics may support this finding, as in Gloucestershire, in England, there is a place called Nympsfield, going back to a very old, pre-Norman Nymdesfelda, ‚the field of the nemeton‘, and the place name Nymphsfield can also be found in Ireland.17 Is it not likely that these fields were once the open places of the Celtic sanctuaries? Although evidently not proven Celtic, Doris Mischka’s Kosbacher Altar, as deriving from the La Tène period, may perhaps be mentioned in this context too. She shows how difficult it is to interpret what seems to be a cult assemblage, perhaps even cultic space, in any case, seemingly, some kind of cultic space outside the immediate living space and related to the neighbouring graves. In this respect, it might be of interest for a better understanding of the location that for the Celts, unlike for the Jews and Greeks,18 death within a cultic space was not tantamount to sacrilege. In fact, several examples of the late La Tène period, such as at Acy-Romance and Corent in France, suggest the combination of a tomb or tumulus and

13 As is M. Fernández-Götz, ‚Politik, Religion und Jahrmärkte: Zur Rolle der Volksversammlungen im eisenzeitlichen und frühmittelalterlichen Europa‘, in R. Karl and J. Leskovar (eds.), Interpretierte Eisenzeiten 5. Fallstudien, Methoden, Theorie (Linz, 2013) 71–82. 14 For their political function, see K. Freitag et al. (eds), Kult-Politik-Ethnos: Überregionale Heiligtümer im Spannungsfeld von Kult und Politik (Stuttgart, 2006); P. Funke and M. Haake (eds), Greek Federal States and Their Sanctuaries (Stuttgart, 2013). 15 See also M. Fernández-Götz and N. Roymans, ‚The Politics of Identity: Late Iron Age Sanctuaries in the Rhineland‘, Journal of the North Atlantic 8 (2015) 18–32. 16 See, most recently, C. Chandezon, ‚Foires et panégyries dans le monde grec classique et hellénistique‘, Revue des Etudes Grecques 113 (2000) 70–100; R. Basser, ‚Is the Pagan Fair Fairly Dangerous? Jewish-Pagan Relations in Antiquity‘, in L. Vaage (ed.), Religious Rivalries in the Early Roman Empire and the Rise of Christianity (Waterloo, 2006) 73–84; Y. Cohn, ‚The Graeco-Roman Trade Fair and the Rabbis‘, J. Am. Or. Soc. 131 (2011) 187–94. 17 Watts, Cambridge Dictionary of English Place-Names, 446 (with also comparable French names). Ireland: Nymphsfield in County Mayo and Nymphsfield in County Sligo. 18 R. Parker, Miasma (Oxford, 1983) 32–73 (Greece); C. Frevel, ‚Struggling with the Vitality of Corpses. Understanding the rationale of the ritual in Numbers 19‘, in J.-M. Durand et al. (eds), Les vivants et leurs morts (Fribourg and Göttingen, 2012) 199–226.

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sanctuaries.19 I would not go as far as recent Celtologists by interpreting these sites as those of heroic worship, which seems too much inspired by the Greek evidence, but a combination of cult and graves seems to fit what can be seen at other Celtic sites. 2. TEMPLES, CHURCHES AND SANCTUARIES A political meaning of sanctuaries, albeit it rather different from those of the Celts and the Greeks, is demonstrated by Henrik Pfeiffer’s analysis of the sanctuaries in Israel. As is well known, the Old Testament gives detailed information about the temple in Jerusalem, but hardly any about the sanctuaries/temples of the Northern Kingdom of Israel. Unfortunately, the early history of Israel is a battle field of opinions and very slippery ground where hardly a stable position is to be found. Even though old material may have been preserved in a temple library in Jerusalem, the loss of these books, if indeed ever existing,20 makes it very difficult to bring the text of the Old Testament and archaeology together, a problem we also know so well from Rome’s early history. Pfeiffer makes a good case that the references to Jerobeam in the Old Testament concern Jerobeam II,21 and that the cults instituted by him in Dan and Bethel served to mark the borders of his kingdom, even if there remains something odd in this promotion of existing (?) sanctuaries to important religious centres so far from the royal residence Samaria. Unfortunately, excavations have not given us any idea of the appearance of the sanctuaries in Bethel, Dan and Samaria. In the case of the latter, no temple has even been found yet, and all arguments for its existence have to rest on textual references in an Assyrian inscription as well as in Josephus and 2 Maccabees.22 Should we, though, not be bold and also look at an Israelite temple built only a bit more than a century after the fall of the Northern Kingdom in 722 BC? From papyri we know that Jews lived on the island of Elephantine in Egypt and had even built a temple there. We have a partial description in one of the papyri, which details the destruction of the temple:

19 R. Häussler, ‚From Tomb to Temple. On the Rôle of Hero Cults in Local Religions in Gaul and Britain in the Iron Age and the Roman Period, in J. A. Arenas Esteban (ed.), Celtic Religion across Space and Time (Molina de Aragón, 2010) 200–26; M. Almagro Gorbea and A. Lorrio, Teutates. El Héroe Fundador y el culto heroico al antepasado en Hispania y en la Keltiké (Madrid, 2011); M. Fernández-Götz, ‚Sanctuaries and Ancestor Worship at the Origin of the Oppida‘, Mousaios (published at Buzău, Romania) 19 (2014) 111–32 at 121–22. 20 As argued, not unpersuasively, by N. Na’aman, ‚The Temple Library of Jerusalem and the Composition of the Book of Kings‘, in A. Lemaire (ed.), Congress Volume Leiden 2004 = Supplement to Vetus Testamentum 109 (2006) 129–52. 21 Similarly, I. Finkelstein, The Forgotten Kingdom. The Archaeology and History of Northern Israel (Atlanta, 2013) 74 f. 22 In addition to Pfeiffer, see also R. Pummer, ‚Was There an Altar or a Temple in the Sacred Precinct on Mt. Gerizim?‘, Journal for the Study of Judaism 47 (2016) 1–21.

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Jan N. Bremmer They (the Egyptians) came to the Fortress of Elephantine with their weapons (tlyhm//znyhwm), broke into that temple (ᴐgwrᴐ), razed it to the ground, and smashed the stone columns that were there. Moreover, it so happened that they demolished five (variant adds: great) gateways built of hewn stone that were in that temple. And their standing doors, plus the bronze hinges of those doors, and the cedar wood roof–they burned them all with fire, along with the rest of the furniture and the other things that were there. But the gold and silver basins (mzrqyᴐ) and the other things that were in that temple–all of them they took and made their own (A4.7:8–13// A4.8:7–12).23

This cannot be the place to enter into a detailed discussion of the papyrological and archaeological evidence for the Jewish temple.24 I only want to raise one question. As the Jews of Elephantine apparently came from Northern Israel and not from Judah,25 could they still have had memories of the temples of the Northern Kingdom? And could these, or one of them, have looked like the one in Elephantine? We simply do not know but may perhaps pose the question.26 What actually happened in temples and sanctuaries often escapes our observation. This makes the contribution of Andreas Grüner the more valuable, as it focuses on an element normally neglected in the study of temples, viz., their soundscapes.27 His innovative contribution focuses on an element of temple service, which often is treated only in books on ancient music or in classical encyclopedias under the lemma ‚music‘, but rarely ever in a holistic discussion of the events going on in a sanctuary. Grüner well illustrates how the sculptors of the earlier imperial period through their representation of specific musical instruments, such as the tibia or tambourine, and/or the reactions of the cultic participants, in full bodily control or in tortuous ecstasy, would have indicated to the spectators the nature of the cult, traditional or foreign import. Although he notices that the visual representation evokes the acoustic nature of the cults represented and thus their traditional or more exotic, ecstatic nature, he could have, perhaps, stressed that the contrast between 23 I owe this translation to a forthcoming book on the Jews of Elephantine by Karel van der Toorn, of which he kindly let me read the chapter on the temple. 24 For the archaeological evidence, see C. von Pilgrim, ‚XII. Der Tempel des Jahwe‘, in W. Kaiser et al., ‚Stadt und Tempel von Elephantine: 25./26./27. Grabungsbericht‘, Mitt. Deutschen Arch. Inst., Abt. Kairo 55 (1999) 63–236 at 142–45 and ‚VI. Das aramäische Quartier im Stadtgebiet der 27. Dynastie, in G‘. Dreyer et al., ‚Stadt und Tempel von Elephantine: 28./29./30. Grabungsbericht‘, ibidem 58 (2002) 157–225 at 192–97; C. Cornell, ‚Cult Statuary in the Judean Temple at Yeb‘, Journal for the Study of Judaism 47 (2016) 291–309. 25 J. Joosten, ‚The Aramaic Background of the Seventy: Language, Culture and History‘, Bulletin of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies 43 (2010) 53–72 at 66– 71; K. van der Toorn, ‚Ethnicity at Elephantine: Jews, Arameans, Caspians‘, Tel Aviv 43 (2016) 151–68. 26 The question is not raised by G. Granerød, Dimensions of Yahwism in the Persian Period. Studies in the Religion and Society of the Judaean Community at Elephantine (Berlin and Boston, 2016), despite his detailed discussion of the temple. 27 For recent developments in studying soundscapes, see D. W. Samuels et al. ‚Soundscapes: Toward a Sounded Anthropology‘, Annual Review of Anthropology 39 (2010) 329–45. For Rome, see C. Vendries, ‚Du bruit dans la cité. L’invention du „paysage sonore“ et l’Antiquité romaine‘, in S. Emerit et al. (eds), Le paysage sonore de l’Antiquité. Méthodologie, historiographie et perspectives (Châtillon, 2015) 209–56.

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the traditional Roman cults and the more recent, although not really that recent, imports of Cybele and Dionysos were more than just unpleasant to the ears of the Roman upper-class. Horace thinks the tambourine saeva, ‚savage‘ (Odes 1.18.13– 14), and Ovid considers its sound inanis, ‚inane‘ (Fasti 4.183). The sound of the cymbal terret, ‚frightens‘ (Ovid, F. 4.190; Valerius Flaccus 2.583) and is rauca, ‚hoarse‘ (Propertius 3.17.36), like that of the flute (Seneca, Agamemnon 689), and the horns of the Phrygian Mother are seen as menacing with their raucisono cantu, ‚hoarsesounding song‘ (Lucretius 2.619).28 As these examples show, traditional Romans seem to have felt a proper revulsion against these ecstatic cults, and the view of these instruments will have helped to evoke those feelings. The rise of the Christian church went concomitant with the decline of the pagan temple. Hans-Ulrich Wiemer well shows that we can follow the fate of a Greek sanctuary, in this case Apollo’s sanctuary in Daphne, over many centuries. Despite frequent mentions, we have little information about this temple. Yet it is illuminating to see how the sanctuary gradually changed from a royal possession, since its foundation by Seleucus around 300 BC, into a sanctuary of the city of Antioch after the conquest by the Romans. In the second century AD, Hadrian ungratefully closed its oracle after it had prophesied his rise to the throne, apparently afraid that it might prophesy a succession for somebody else. The closure will not have enlarged its prestige, and Wiemer discusses in detail the competition of gymnastic and other festivals which the sanctuary had to endure in the second and third century.29 Even so, its prestige must have been still high enough for emperors to focus on the Apollo sanctuary in their attempts to enhance the pagan cult from the middle of the third century onwards. From Decius via Diocletian to Maximinus Daia, the last persecutor of the Christians, we can see attempts to mobilise Apollo as an important pagan symbol in the battle against the Christians. This top-down approach was not successful, and, moreover, the frequent stay of Constantine’s Christian son Constantius II in the town cannot have helped the pagan sanctuary, which was now indeed looted in order to use parts of its columns for secular buildings. Moreover, the construction of the so-called Great Church, initiated by Constantine but completed and dedicated in 341 under Constantius II, will have signaled to the Antiochene elite that it no was no longer advantageous to invest in the pagan cults.30 Even though the new churches did not immediately change its cityscape, Antioch was at the beginnings of a transformation into a Christian city, and this development also was felt by Apollo’s sanctuary. The Caesar Gallus, who resided in Antioch from 351 to 354, had a martyrion, a church that contains the relics of a martyr, built for bishop Babylas, the probably most promi28 For more evidence, see Bremmer, Greek Religion and Culture, the Bible and the Ancient Near East (Leiden, 2008) 295–96. 29 For the Olympia, see J. Hahn, ‚Die Olympischen Spiele von Antiochia: Zu den Wandlungen eines Agons im spätantiken Imperium‘, in A. Gutsfeld and S. Lehmann (eds), Der gymnische Agon in der Spätantike (Gutenberg, 2013) 75–89. 30 For Constantius II and Antioch, see W. E. Kleinbauer, ‚Antioch, Jerusalem, and Rome: The Patronage of Emperor Constantius II and Architectural Invention‘, Gesta 45 (2006) 125–45 at 126–28; G. Brands, Antiochia in der Spätantike (Berlin and Boston, 2016) 58–64.

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nent Christian victim of the pagan persecutions, close to Apollo’s home – a clear attempt, as Wiemer rightly notes, to replace Apollo’s sanctuary as the central place of worship in the area. In the course of his attempt at restoring and modernising Greek religion, the emperor Julian also tried to give back the ancient sanctuary of Daphne its ancient function. Although the sanctuary seems to have lost its function for the Antiochene elite, for Julian Greek religion was clearly unthinkable without temples and their sacrifices. Was Julian’s view perhaps influenced by his knowledge of and experience with Christian churches, just as also in other aspects his restoration was influenced by contemporary Christian practices? If Julian had lived, would the temple have become a kind of pagan church? We will never know, since by a God-given, so to speak, present to the Christians, in October 362 a fire destroyed Apollo’s temple, just when Julian tried to restore its old glory. As Julian had ordered to remove the body of the Christian martyr Babylas from its martyrion as polluting Apollo’s sanctuary,31 in the end both the temple and the martyrion did not emerge as winners, but both were losers in their competition for Daphne. As Wiemer illustrates, the fire was explained in various ways, by pagans and Christians, but the latter had the last laugh and could explain the fire as proof of God’s omnipotence. Memories of Apollo’s temple lingered on well into sixth century: evidently it had become an interesting lieu de mémoire for (local) historians and preachers.32 In the end, Apollo’s temple in Antioch is probably the only pagan temple the destruction of which we have so many reports, including sermons and anecdotes, except perhaps for the Serapeion in Alexandria,33 thus testifying to its great symbolic importance, both for pagans and Christians. 3. SOCIAL AND DISCURSIVE PRACTICES Now public sanctuaries in the ancient world could have both political and religious functions, as we have seen. Yet as political power became concentrated in fewer and fewer hands, the sanctuaries started to lose their political functions, even though they could remain symbols of cities, as Apollo’s temple in Antioch, or live off their ancient fame, such as the oracle of Delphi. With the rise of the city of Rome as the pre-eminent power in Italy, the political aspect of its sanctuaries also gradually disappeared, and the same happened completely in the Greek world when the Romans extended their rule there. What remained, where sanctuaries, sometimes 31 See also J. Torres, ‚Emperor Julian and the Veneration of Relics‘, Antiquité Tardive 17 (2009) 205–14. 32 C. Raschle, ‚Le temple d’Apollon à Daphné: un lieu de mémoire au centre du conflit entre chrétiens et païens‘, in A. Gangloff (ed.), Lieux de mémoire en Orient grec à l’époque impériale (Bern, 2013) 215–38. 33 See most recently, with full bibliography, J. F. Dijkstra, ‚Religious Violence in Late Antique Egypt Reconsidered: the Cases of Alexandria, Panopolis and Philae‘, Journal of Early Christian History 5.2 (2015) 24–48 at 31–36.

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pretty impressive, but basically spaces limited to religious activities. This situation would change with the rise of Christianity. As Lukas Bormann shows, for the first followers of Christ, the Kultraum is not a temple or sanctuary but in principle a place without sacral, let alone political qualities. In his analysis, he carefully discusses the various passages in which we hear about places where the earliest Christians were meeting. Although I agree that we should not dogmatically accept that the early Christians only met in houses and accordingly accepted the patriarchal ethos of the male house owners, I am less convinced by his proposition that they met in rented spaces like taverns. Such a renting presupposes a fair amount of organisation in order to look for a place, pay for it and then to announce it to the members of the congregation. And would women of some status really go to taverns? This hardly seems likely. Moreover, we do have some idea how the Christians of a century later imagined the earliest converts. In the Apocryphal Acts of John (46) of the, probably, AD 160 s, the apostle John not only preaches in the house of Andronicus on Sunday, but also performs a prayer, celebrates the Eucharist and lays hands on all those present.34 In the Acts of Peter (20) of the AD 180 s the apostle preaches in the house of the senator Marcellus, and in the Acts of Paul and Thecla (5–7) of about AD 190–200 Paul preaches in Iconium in the house of Onesiphorus and in Ephesus in the house of Aquila and Priscilla.35 Although the best known house church is the ‚Christian house‘ in Dura Europos, on the Euphrates, more recent excavations have also revealed two third-century house churches in Israel.36 The latter are fairly small, but from the historical Acts of the Abitinian Martyrs (2.5) we learn that in the winter of AD 303–4 a group of about fifty Christians was surprised in ‚the house of Octavius Felix‘, evidently a private house, where they were celebrating the Sunday meal.37 I would therefore be less sceptical about the prominence of the private house in the first centuries of Christianity, even if other possibilities cannot be excluded.38 We have to separate this question, though, from that of an influence of the patriarchal ethos, which seems to be a different question. Even if the congregation met in the house of a more well-to-do patron, we need not assume that he could impose his will on the congregation and neither does the meeting in taverns or artisans’ workshops eliminate the influence of the wealthier members of the congregation. Undoubtedly, the general hierarchical mentality at the turn of the era must have had 34 Note the same order in cc. 106–110, except for the laying of hands. 35 See R. Kasser and P. Luisier, ‚Le papyrus Bodmer XLI en édition princeps. L’épisode d’Éphèse des Acta Pauli en copte et en traduction‘, Le Muséon 117 (2004) 281–384. 36 J. Patrick, ‚The Early Christianization of the Holy Land – The Archaeological Evidence‘, in O. Brandt and G. Castiglia (eds), Costantino e i Costantinidi: L’innovazione Costantiniana, le sue radici e i suoi sviluppi, vol. I (Vatican City, 2016) 265–93 at 268–72 (‚Christian Houses of Assembly (Domus Ecclesiae)‘). 37 For the text of these Acts, see P. Franchi de’ Cavalieri, Note agiografiche 8 (Vatican City, 1935) 1–71; H. R. Seeliger and W. Wischmeyer, Märtyrerliteratur (Berlin and Boston, 2015) 311–59. 38 In any case, it is clear that the first floors of the Roman houses in Herculaneum often had rooms large enough for a congregation of 40 to 50 people, cf. G. Losansky, Die Obergeschossreale der Stadthäuser in Herculaneum (Wiesbaden, 2015).

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some influence, even if the meeting of free and slave, wealthy and poor, men and women will have led to a certain degree of bridging and bonding that transcended these differences to some extent.39 However this may be, Bormann convincingly stresses that for the early Christians the actual space of their cultic meetings was without sacred interest. He also well elaborates the fact that the members of the earliest congregations ‚upgraded‘ themselves by using terminology, such as ‚the chosen‘, ‚the beloveds of God‘, the ‚body of Christ‘ and ‚the temple of God‘. In other words, they did not need a material building, as they themselves were the sacred house of God. Yet in their meetings the common consumption of food helped to keep the congregation together. On the other hand, I would not be certain if there was not, from a very early moment onwards, a kind of leader of the congregation who actually performed the Eucharist formula (‚This is My Body…This is My Blood‘), as it seems hard to imagine that this was left to pronounce to whoever wanted to do so. In the end, there are clearly several questions still open despite Bormann’s stimulating analysis. We move to a different kind of Christianity in the fourth century. Wiemer has already shown how the church entered into competition with the temple in Antioch, but a much more prominent presence of the Christian church could be observed in Jerusalem in the later fourth century. In fact, from Constantine onwards, as Annette von Stockhausen shows, Jerusalem became filled with churches, to be followed with processions during festivals like Palm Sunday and Pentecost that packed the streets of what in this manner gradually was turned into a holy city. At the same time, by connecting all kinds of spots and spaces to the biblical story of salvation, the town was turned into a homogeneous Erinnerungslandschaft, like in many ways the rest of the Holy Country. The Christian character was further stressed by a number of processions which, by suggesting the absence of non-Christians (Jews, pagans and Samaritans), were a form of power politics, as Von Stockhausen rightly notes. But the Christians not only appropriated urban space, they also appropriated urban time. Nocturnal processions were very uncommon in pagan festivals. The only groups with lamps on the streets in ancient cities were normally symposiastic revellers. The disciplined Christian processions thus must have struck outsiders as something very new and strange when they started to be organised.40 Given this Christian presence and dominance, it is not surprising that Jerusalem occupied the main position on the Madaba map,41 the more so as Israel was only slowly and lately christianised.42 Instead of having just individual cult spaces, Jerusalem itself had become one big Christian sanctuary.

39 See Bremmer, ‚The Social and Religious Capital of the Early Christians‘, Hephaistos 24 (2006) 269–78. 40 See, for the Jerusalem liturgy, also F. Graf, Roman Festivals in the Greek East (Cambridge, 2015) 226–38, with good observations on the processions. 41 For the map, see also G. Bowersock, Mosaics as History (Cambridge MA and London, 2006) 1–29. 42 Patrick, ‚The Early Christianization of the Holy Land‘.

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It is clear that the Christians were very conscious of the difference between them and their surrounding pagan and Jewish contemporaries and, as Hans Christoph Brennecke notes, this difference led to early critiques of temples, be they Jewish or pagan. The critique was widely shared by the apologists, and as they were wont to do, they also searched the works of pagan philosophers, such as Zeno but also Heraclitus, for supporting ideas. Yet the prestige of these temples was still such that soon after the Konstantinische Wende the pagan vocabulary of the temples was used for the Christian churches. We can see here the same development as can be observed regarding the mysteries. Whereas the early Christians fiercely criticised the Eleusinian and other mysteries before Constantine, they appropriated the vocabulary of the mysteries very soon after Constantine.43 Evidently, the Greek term neôs, ‚temple‘ was also so prestigious despite its pagan background that an intellectual like Eusebius did not want to lose it. This appropriation confirms Bormann’s observation that the early Christians had no standard term for their places of worship. 4. SOME FINAL CONSIDERATIONS Looking back, we might perhaps imagine something what we could call nowadays domestic religion, perhaps as early as 40.000 years ago, as the small groups of prehistoric peoples can hardly have had bigger sanctuaries or are unlikely to have worshipped many divinities (supernatural beings, if you will). Yet much later constructions such as Stonehenge (3000–2000 BC) already presuppose larger communities and a more developed religious system, although we have no idea to what extent this sanctuary also had political significance. In other words, I would postulate a development, over thousands of years, from domestic cult via family cult to a more public cult as a correlate of growing populations and increasing political configurations. Admittedly, this was not a linear development but an accumulative one: domestic and family cults remained alive also in times of public cults. Concomitantly, we seem to observe a development from sanctuaries with worship in the open air or natural locations to houses (temples), where the gods were supposed to live – even though worship in natural spaces continued to be practised. Yet they were clearly more vulnerable than stone buildings. In the middle of the first century BC, Varro (De lingua Latina 5.49 and 152) writes that many sacred groves existed as place names only, no longer as places of worship, often because greedy developers had cut them down. The development did not mean that gods lived only in temples. Even in the Roman Empire springs and rivers were still worshipped, and the garden became an important place of worship.44 Yet temples, big and small, were so ubiquitous that the fact that the earliest Christians did not have a specific place to worship and only 43 Cf. Bremmer, Initiation into the Mysteries of the Ancient World (Berlin and Boston, 2014) 161–64. 44 J. Rüpke, Pantheon (Munich, 2016) 236–41.

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very gradually started to build stone churches must have really singled them out from other religions in the early Roman Empire. Yet it is also clear from this book that it would be wrong to focus on temples or churches as places of worship only. It is evident that in times of competition certain temples could acquire a symbolic significance, like Apollo’s temple in Daphne, which well transcended its importance as place of worship. Even a city like Jerusalem could be transformed at certain times into a place of worship. Let me conclude with some desiderata. It is obvious that not all functions and manifestations of Kulträume can be discussed in the proceedings of a conference of 2 days. If we think of typically anthropological questions such as where, who, why, and how, we soon realise that there are still many problems that remain to be solved. Where do we find Kulträume? Norbert Oettinger has gives us a very interesting Hittite text about a purification at a river. This location raises the question to what extent natural phenomena, such as rivers, mountains, caves and woods, could become ‚sacral places‘ or were preferentially selected? Was there a difference between a sanctuary of a small Greek hero and a sanctuary of a well known god, such as Jupiter or Athena? Were there private sanctuaries and how many? We have also heard very little about the who of the Kulträume. When do we first hear of more professional clergy? What does it mean that Israel had a professional priestly class, but Rome not and Greece hardly? What were the gender structures in the sanctuaries? What role do issues like age, status and profession play in sanctuaries? What difference did the Christian art of organising a congregation make for the Christian Kultraum? Then, why did people come to a sanctuary? We find it natural to suppose their visits, but is that not a Christian heritage? To what extent was a visit to an ancient sanctuary religious? What about tourists who liked to see the votives and statues?45 Or people who liked to have a place for eating and drinking? How can we describe an ancient sanctuary in non-Christian terms? Andreas Grüner has rightly asked attention for the acoustic and olfactory aspects of the sanctuaries. Why are there so few studies of these aspects which must have been very important? Not only did the sanctuaries smell of the sacrificial victims, but, for example, we can read that the sanctuary of the Eleusinian mysteries smelled of the extinguished torches of initiands and initiates.46 And what kind of emotions did the sanctuaries evoke among worshippers. Would we have been able to observe profound piety, amused scepsis or uninspired interest? How do we imagine the emotions of the Christian worshippers? Is the haptic behavior of these worshippers a new phenomenon? In other words, there are still many questions to be answered. Even after all these excellent papers, we only see the ancient Kulträume through a mirror darkly.47

45 For tourism and pilgrimage, see Bremmer, ‚Pilgrimage Progress?‘, in W. Friese and T. M. Kristensen (eds), Excavating Pilgrimage (London and New York, 2017) 275–84. 46 Bremmer, Initiation into the Mysteries, 9. 47 I am most grateful to Laura Feldt for her careful scrutiny of my text.

AUTOREN UND AUTORINNEN Prof. Dr. Lukas Bormann, Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament an der Universität Marburg Prof. em. Dr. Jan Bremmer, 1990–209 Inhaber des Chair of Religious Studies an der Universität Groningen Prof. em. Dr. Hanns Christof Brennecke, 1989–2013 Inhaber des Lehrstuhls für Ältere Kirchengeschichte an der FAU Erlangen-Nürnberg Prof. Dr. Andreas Grüner, Inhaber des Lehrstuhls für Klass. Archäologie an der FAU Erlangen-Nürnberg Prof. Dr. Bernhard Maier, Inhaber der Professur für Allgemine Religionswissenschaft und Europäische Religionsgeschichte an der Universität Tübingen Prof. Dr. Doris Mischka, Inhaberin der Professur für Ur- und Frühgeschichte an der FAU Erlangen-Nürnberg Prof. Dr. Norbert Oettinger, 2000–2014 Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft an der FAU Erlangen-Nürnberg Dr. Andreas Pastoors, wiss. Mitarbeiter des Neanderthal Museums (Mettmann) Prof. Dr. Henrik Pfeiffer, Inhaber des Lehrstuhls für Altes Testament an der FAU Erlangen-Nürnberg Dr. Annette von Stockhausen, wiss. Mitarbeiterin am Thyssen-Projekt „Edition Athanasius Werke“ am Lehrstuhl für Ältere Kirchengeschichte der FAU ErlangenNürnberg Prof. Dr. Hans-Ulrich Wiemer, Inhaber des Lehrstuhls für Alte Geschichte, FAU Erlangen-Nürnberg

DANKSAGUNG Der vorliegende Band ist aus einer Tagung zum Thema „Kulträume. Gebäude – Orte – Landschaften“ hervorgegangen, die das „Interdisziplinäre Zentrum Alte Welt“ der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg am 17. und 18. Juli 2014 veranstaltet hat. Die Organisation der Tagung lag bei Frau Angelika Jakob, der Sekretärin des Lehrstuhls für Alte Geschichte, und bei Herrn Dr. Felix Schmutterer, die diese Aufgabe glänzend gemeistert haben. Dieser Band wäre ohne das anhaltende Engagement der Autorinnen und Autoren nicht zustande gekommen. Der Herausgeber hofft, daß sie mit dem Ergebnis zufrieden sein können. Prof. Dr. Jörg Rüpke und den Mitherausgebern der Reihe „Potsdamer Beiträge zur Altertumswissenschaft“ danke ich für die Aufnahme des Bandes in ihre Reihe, Frau Sarah Schäfer und Herrn Dr. Albrecht Franz vom Franz Steiner Verlag für die professionelle Zusammenarbeit bei der Drucklegung. Ebenfalls zu danken ist dem Universitätsbund Erlangen-Nürnberg e. V. sowie dem Referat F 3 – Strategische Angelegenheiten der Forschung und Forschungsförderung (Emerging Fields Office) der FAU, die jeweils einen namhaften Zuschuss zu den Druckkosten geleistet haben. Bei der Erstellung der Druckvorlage bin ich durch meine Assistentinnen, Agnes Luk, M. A. und Sabina Walter, tatkräftig unterstützt worden. Frau Walter hat gemeinsam mit Herrn Dr. Bernhard Kremer auch das Register erstellt. Allen dreien bin ich zu großem Dank verpflichtet. Erlangen, den 14. August 2017

REGISTER Hauptstellen sind durch Fettdruck hervorgehoben. ORTSNAMEN Achaia 232 Acy-Romance (Frankreich)  109, 288 Aelia Capitolina, s. auch Jerusalem  19, 270 Aldène (Frankreich)  35 Alexandreia (Ägypten)  184, 191 f., 213, 292 Angera (Italien)  145 Anm. 8 Antiocheia (Syrien)  13, 17 f., 173–220 Area Capitolina (Rom), s. auch Kapitol (Rom)  149, 152 m. Anm. 21, 154 Ariccia (Italien)  142, 157, 162, 165 Anm. 48, 166 f. Arx (Rom)  153 m. Anm. 25 Asia 232 Assur, Assyrer  17, 119 f., 122 Anm. 18, 124, 134 f. Babylon  120, 122 Anm. 18 Bad Pyrmont (Niedersachsen)  105 Bethel 16, 117–138, 289 Bethlehem  269 Anm. 11, 270 f. Anm. 23 f., 272, 279 Bibracte (Frankreich)  110 Bopfingen-Flochberg (Baden-Württemberg)  107 Britannien, Britannier, Britische Inseln  95, 97 f., 106 Caesarea (Palästina)  248, 253 Anm. 37 Cap Blanc (Frankreich)  46 Castel Sant’ Elia (Italien)  155 f. Chauvet (Frankreich)  33, 35 Corent (Frankreich)  110, 288 Cussac (Frankreich)  35, 46 Damaskus 124 Dardanellen 87 Delphi  87, 101, 178 m. Anm. 24, 180, 190 Anm. 90, 198, 292 Dura Europos  227 m. Anm. 26, 253, 293 Dux/Lahošť (Tschechien)  105 Elis 186 Emesa/Homs (Syrien)  56 Enlène (Frankreich)  24, 30 f., 43

Ephesos  98, 100, 104, 183 Anm. 52, 230 f., 293 Fellbach-Schmiden (Baden-Württemberg)  106 f. Fontanet (Frankreich)  35 Gallien, Gallier/Galater/Galli  15, 95, 97, 99, 101, 110 Gargas (Frankreich)  43 –– Cerveteri  82 f. –– Dan  16 f., 117–138, 289 Gergovia (Frankreich)  110 Glauberg (Hessen)  79 f., 82, 111, 113 Goloring (Rheinland-Pfalz)  106 Gournay-sur-Aronde (Frankreich)  107–109 Griechenland  13 Anm. 19, 74, 87 Halys (Kızıl Irmak), s. auch Marassanta  87– 89, 93, 286 Happisburgh (England)  35 Hattusa 88 Herculaneum (Italien)  158, 293 Anm. 38 Hirschlanden (Baden-Württemberg)  79–81 Hochdorf (Baden-Württemberg)  77–79 Holzhausen (Bayern)  106 f. Iberische Halbinsel  95 m. Anm. 2, 97, 100 Ignatievka (Russland)  44 Irland  95, 99 Israel  13, 16, 56, 72 f., 117–138, 250, 257 f., 289 m. Anm. 29, 290, 293 f., 296 Italien  74, 83 –– Oberitalien 102 –– Unteritalien 110 Jerusalem, s. auch Aelia Capitolina  13, 17, 19 f., 117–138, 247–284, 270, 289, 294, 296 –– Anastasis  271, 277–280 –– Eleona  271, 279–281 –– Gethsemane  269, 273, 280, 282 –– Golgotha  273–277, 279 f. –– Grabeskirche  20, 248 Anm. 12, 268 f., 272, 273 Anm. 37, 278 –– Imbomon 279–282 –– Martyrion  272, 276 f., 279–281

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Register

–– Ölberg  262, 269 m. Anm. 16, 271–273, 275, 279–281 –– Zion  16, 126 ff. m. Anm. 46, 268 f., 270 Anm. 21, 276, 278–280 Jesreel-Ebene  123, 128, 131 Juda  117–138, 290 Judäa  225 f., 241 Kamrusepa/Furusemu 90–93 Kapitol (Rom)  13, 17, 139–172 Kastalia, Quelle  178 m. Anm. 24, 184, 195, 198, 204 f. Kleinasien  87, 93, 103, 286 f. Kolossai  230 f. –– Koobi Fora (Kenia)  35 Korinth  226, 231–233 Kuntillet ‘Aǧrud   127–130 Labastide (Frankreich)  24, 42 f. Laetoli (Tansania)  35 La Garma (Spanien)  36–40 Landersdorf (Bayern)  75 Langenenslingen (Baden-Württemberg)  112 f. Lanuvium/Lanuvio (Italien)  159 Lascaux (Frankreich)  31 f., 44 La Tène (Schweiz)  105, 288 Les Trois-Frères (Frankreich)  24, 39, 43–45 Madaba (Palästina)  19, 267–284 Manching (Bayern)  110 Marassanta, s. auch Halys  15, 88 f., 93 Mont Auxois (Frankreich)  103 Montespan (Frankreich)  35 Mormont (Schweiz)  112 Nerik  15, 88 f. Niaux (Frankreich)  24, 35 Nikomedeia 191 Ojo Guareña (Spanien)  35 Olympia  177 Anm. 19, 185, 291 Anm. 29 Orontes, Fluß  175 Anm. 11, 191, 199 Anm. 139, 202, 209 Palästina  55, 72, 130 Anm. 74, 192 Anm. 97, 248 m. Anm. 12

Pech-Merle (Frankreich)  34 f. Pergamon  181, 183 m. Anm. 52 Petra (Jordanien)  56, 71 f. Pfalzfeld (Rheinland-Pfalz)  79 f. Philippi  225 f., 241 Phönizien   179 Anm. 26, 210 Pompeji  60 Anm. 13, 147 f. m. Anm. 13, 160 Anm. 39 Purushanda  88, 286 Qumran 222 Réseau Clastres (Frankreich)  33, 35 Ribemont-sur-Ancre (Frankreich)  108 f., 113 Riedlingen (Baden-Württemberg)  107 Rom  17, 56, 139, 141 f., 144, 145 Anm. 8, 151, 153, 155, 159 f., 165, 230 f., 249, 286, 289, 292, 296 Roseldorf (Österreich)  111 f. Samaria (Palästina)  16 f., 119, 123 Anm. 24, 117–139, 289 Sant’ Omobono, Kirche (Rom)  152 Anm. 19 Schwarzachtal  76 f. Seleukeia (Syrien)  180 Stobi 229 Syrien  55 f., 72, 179 m. Anm. 26, 186 Anm. 68 Tell Gezer/Tell el-Jezer (Israel)  56, 71 Thessaloniki  225 f., 241 Tito Bustillo (Spanien)  24, 42 Toirano (Italien)  35 Tomerdingen (Baden-Württemberg)  107 Tuc d’Audoubert (Frankreich)  23–53 Tyros (Phönizien)  20, 128, 262 Vaison-la-Romaine (Frankreich)  103 Vercelli (Italien)  104 Vicus Aesculeti (Rom)  144 Villa Albani (Rom)  158 f. Vindonissa 76 Wilandra (Australien)  35

PERSONENNAMEN

Ahab 126 Ammianus Marcellinus  203, 204 Antiochos III.  179 m. Anm. 25, 180 Antiochos IV. Epiphanes  177–180, 204 m. Anm. 153 Antiochos VIII.  179 Antiochos XI. Epiphanes Philadelphos  179 (Anm. 27), 181 Apollo(n)  17–18, 156, 173–220 Aramäer 124 Arcadius/Arkadius 208 Arnobius der Ältere  20, 256 f., 260–262 Artemidoros von Ephesos  98, 100, 104 Arverner 110 Athenaios von Naukratis  98, 100 Avienus 97 Augustus  154, 182 f., 185, 187 Anm. 71 Bacchus, s. auch Dionysos  147 Anm. 10, 165 f. Bona Dea  165 m. Anm. 49 Caesar, Gaius Iulius  97, 99, 101, 110, 112, 288 Celsus/Kelsos, Philosoph  20, 253 Anm. 37, 254 f., 260 Cicero, Marcus Tullius  101 Anm. 28, 153, 160 Anm. 39, 164 m. Anm. 45 Claudius, Kaiser  185, 225 Anm. 18, 231 Clemens von Alexandria  259 f. Commodus, Kaiser  184 f., 188 Constantius II., Kaiser  175, 192 f., 274 f., 291 David  119 f., 124, 126 Anm. 46 Diodor von Sizilien  100 f. Diokletian, Kaiser  183, 189–192, 209, 247 f., 261, 291 Dionysos, s. auch Bacchus  98, 158, 188, 291 Egeria 19, 267–284 Elagabal, Kaiser  56 Euripides  259 f. Eusebius von Caesarea  150 Anm. 19, 153 Anm. 34 u. 36, 247–266, 271–273, 295 Euzoios, Bischof von Antiocheia  195, 198, 203 m. Anm. 149 Flavius Josephus / Joseph ben Mattathias  221, 289 Galatai/Galatae   95 Galerius, Kaiser  189 f. m. Anm. 91, 192 Anm. 97, 147 Anm. 2, 253 Anm. 34 Gallien, Gallier/Galater/Galli  15, 95, 97, 99, 101, 110

Gallus, Kaiser  189 f., 193 m. Anm. 104, 205, 291 Gellius, Aulus  153 Gregor von Nazianz  184, 198, 211 Hadrian  18, 159, 183 f., 204 f., 270, 291 Hasael  123 f., 131 Anm. 75 Hattier 91 Hegesipp  250 m. Anm. 19 Hekataios von Abdera  100 Helena, Mutter Konstantins d. Gr.  262 m. Anm. 75, 270, 272, 282 Helvetier  105, 112 Heraklit 87 Herodot  8 m. Anm. 7, 87, 201 Anm. 144, 204 Anm. 152, 255 Herold, Rudolf  14, 55–62, 64, 70–75 Hethiter  87 f., 91, 93 Horaz  153, 166 Anm. 51 Isis  165 m. Anm. 49, 167 Jehu  125, 126 Anm. 42 Jerobeam I.  16, 117–138 Jerobeam II.  16, 117–138 Joas  123, 131 Anm. 75, 132 Johannes Chrysostomos  18, 194 Anm. 110, 196 Anm. 125, 199 Julian, Kaiser  18, 175 f., 184 Anm. 59, 188, 173–221, 272 Anm. 32, 281 Anm. 77, 292 Juno  153 Juno Moneta  152 Anm. 22, 153 Jupiter  166, 204 Anm. 153, 296 –– Jupiter Optimus Maximus Capitolinus  142, 151 f. m. Anm. 19 u. 20, 154 –– Jupiter Tonans  154 Justin  212 Justinian I., Kaiser  212, 254, 269 Kaulich, Brigitte  58, 61–73 Kelsos, s. Celsus  Kelten/Keltoí/Celtae  13, 15, 95–116, 198 Konstantin der Große, Kaiser  190 Anm. 90, 247–266, 270, 282 Krösus 87 Kybele, s. auch Magna Mater  158–160 Kyrill von Jerusalem  19, 267, 272 Anm. 32, 273–276, 281 Anm. 77, 282 Laokoon  139 f., 163, 167 Lessing, Gotthold Ephraim  140, 163, 167

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Register

Libanios  18, 173 ff., 181, 184 Anm. 58, 186 Anm. 68, 194 Anm. 111, 196 Anm. 125, 197 f. m. Anm. 128, 199 Anm. 140, 200, 208 m. Anm. 177, 212 Licinius, Kaiser  18, 192, 247 f. m. Anm. 2 Livius, Titus  102, 153, 165 m. Anm. 48, 166 Anm. 50, 180 m. Anm. 31 Lukan  223 Anm. 13 Magna Mater, s. auch Kybele  165 m. Anm. 49 Makarios Magnes  256 m. Anm. 52, 270 Malalas  179 Anm. 27, 181, 185–188, 192 Anm. 97, 193 Anm. 104, 209, 211 f. Mark Aurel, Kaiser  140–142, 144, 147, 150, 154, 157, 162 Martial 100 Maximinus Daia, Kaiser  18, 190 m. Anm. 91, 192 m. Anm. 96, 209, 247 f. m. Anm. 2, 291 Meletios, Bischof von Antiocheia  199 m. Anm. 137, 202 f. Minucius Felix  20, 255, 258 Mutunus Tutunus / Priapos  60, 165 Anm.  49 Nadler, Martin  58 f., 61–73 Nikandros aus Kolophon   98 Omri, Omriden  16, 123 m. Anm. 24, 125 f. m. Anm. 38, 128 f., 132 Origenes  20, 248, 254, 260 Paulus, Apostel  18–20, 222–226, 228–233, 239 Anm. 74, 240 f., 249, 251, 252 Anm. 27, 253 Anm. 36, 260 Philippus Arabs, Kaiser  189 Philon von Alexandrien  221 Philostorgios  195, 206–208 Phylarchos  98, 100 Platon  252, 257, 258 Anm. 58, 259 f. Plinius –– Plinius der Ältere  72, 150 –– Plinius der Jüngere  236 Plutarch  101, 259 f. Polybios  102, 179, 180 Anm. 31 u. 33

Pompeius  18, 181 f. Pomponius Mela  98 Pontius Pilatus  221 Porphyrios  256 m. Anm. 52, 263 Poseidonios  98, 100–102, 179 Quintilian 164 Rufinus  204 f. Salmanassar III.   124 Salomo  119, 124, 251 Sargon I. / Sharrukin  15, 88, 286 Sargon II.  127 Scipio Africanus  153 m. Anm. 31 Seleukiden  18, 175 Anm. 9, 178–181 Seleukos I.  17, 174 m. Anm. 7, 177 Anm. 19, 178, 208 Severos, Patriarch von Antiocheia  209–212 m. Anm. 181 u. 183 Sokrates, Kirchenhistoriker  204 Anm. 155, 205 f. Sozomenos  193 Anm. 104, 195, 196 Anm. 119, 204 Anm. 155, 205–208 Strabo  16, 98 f., 101–103, 180 f., 183, 287 Tacitus  97, 288 Tarhunt  15, 88 f. Telipinu  92 f. Tertullian  20, 98, 258 Thekla 223 Theodoret  204 Anm. 155, 206, 208, 260 Theodosius I., Kaser  208, 269 Theodosius II., Kaiser  208, 254 Titus, Kaiser  183 Trajan, Kaiser  152, 183, 184 Anm. 57, 236 Trebonianus Gallus, Kaiser  189 f. Valens, Kaiser  198 f. Vergil  97, 140 Winckelmann, Johann Joachim  139 f., 163, 167 Xerxes 87 Zenon  252, 259 f.

SACHEN Abgrenzung  9, 11, 74, 99 f. Agon  183 m. Anm. 53, 184, 185 m. Anm. 65, 187 f. Altar  13 f., 20, 53–86, 92, 101, 118, 120, 126, 142, 144 m. Anm. 7, 146, 150 f., 157 f., 197, 249, 253 m. Anm. 37, 255–258, 288 –– Altar der Lares Augusti, Vicus Aesculeti (Rom)  143–145 –– Aschealtar 74 –– Hörneraltar  56, 72 f. Alytarch  185 Anm. 66, 187, 189, 208 m. Anm. 179, 212 Archiereus  179 m. Anm. 25, 181 m. Anm. 41, 182 m. Anm. 51, 183 m. Anm. 52, 194 Asket  271, 275 Asyl, asylia  181 Aulos, Doppelaulos  145, 158, 160 Anm. 39 Basilika  249, 256, 261 Befestigungsanlage  101, 106, Beschwörung 88–93 Bestattung  14, 28, 46, 106, 56, 63–70, 75 f., 78, 84, 109, 195 Anm. 117 Bilder  7 f., 14, 16 f., 23, 25–27, 47 f –– Felsbilder  23 f., 26–29, 37, 41, 43, 46–48 Blasinstrument, -musik s. auch Tibicen  146, 155, 159 Brandopferplatz  74 f. Brunnen  105, 107 Caput velatum 166 Celicnon  103 f. Cippi  14, 82 Deuteronomium  121 m. Anm. 15 f., 124, 126 m. Anm. 42, 133 Druiden  97, 99, 103 Ekklesia  10, 19 f., 222, 228 Enargeia  139, 164 m. Anm. 45 Enkainia  278 m. Anm. 63 Epiphanias  20, 278 m. Anm. 61 Eucharistie  253 m. Anm. 37, 272, 280 Evangelium  211, 224–226, 231, 241, 250 Anm. 22, 281 Exodus  17, 122 m. Anm. 20, 132 m. Anm. 81, 133 Fastenzeit  273, 277, 278 m. Anm. 58 Fest  18, 88, 92, 117, 120, 121 Anm. 10, 173, 179, 180 m. Anm. 37, 181, 185–187, 188 m. Anm. 78 u. 80, 189, 194 f., 206, 211 f.,

274, 276 f., 278 m. Anm. 61–63, 280, 291, 294 –– panhellenisch 179 Fidicen  162 f. Flöte s. Aulos und Tibia  Fluss  13, 15, 87–93 Gebet  7 m. Anm. 5, 92, 147, 148 m. Anm. 14, 149 f., 178, 225, 236, 258, 277–281 Gebetsformel  146, 148, 150 Gemeinde  10, 18–20, 92, 188 Anm. 80, 192, 195, 198 f., 202 f., 207, 212, 251–253, 277 Anm. 54 –– Gemeinde, Jerusalem  20, 249 f., 268–282 –– Hausgemeinde  221–242 Geruch 146 Gesang  146 f.,150, 163, 210, 236, 281 f. Gewässer 98 Götterbild  16, 20, 92, 201, 255, 257, 259, 261 Gottesdienst  19 f., 92, 201, 255 f., 258, 262, 269 f., 273, 276–279, 280 m. Anm. 70, 281 f. Grab  8, 14, 61, 64–70, 73, 75 f., 80–82, 98, 100 f., 142, 147 Anm. 13, 148, 157, 200, 205, 210 m. Anm. 190, 269 Anm. 11, 272, 277 m. Anm. 57, 278 –– Grabbeigabe 109 –– Gräberfeld  61, 84, 106, 109 –– Grabgarten  14, 73, 76 –– Grabhügel 14, 55–82, 106, 111 –– Grabstele 81 Graben  100, 106, 108–111, 113 Grafitto (Pompeii, Porta Nocera, Italien)  147 m. Anm. 13, 148 Hallstattzeit  56 Anm. 8, 58, 82, 111 Hauskirche  19, 230, 241 Hain  9, 16 f., 97, 100 f., 103, 174 m. Anm. 7, 175 f., 182, 184 Anm. 57, 208 m. Anm. 177, 211 Heiligtum s. auch Tempel  8 Anm. 6, 9 m. Anm. 11, 10, 12, 13 m. Anm. 19, 14–18, 23, 95–113, 118–135, 146–154, 158, 165–167, 250 –– Apollon  17 f., 173–213 –– Höhlenheiligtum  23–25, 47 –– lokal  117, 131 –– Staatsheiligtum  123, 128 –– städtisch  98, 181 Heiliger Hain  97, 100 f., 103, 174 Anm. 7, 182

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Register

Heilsgeschichte  13, 19 f., 271–273, 280 Homöer s. auch Gemeinde, homöisch  198, 203 Informationsnetzwerk 48 Insel  16, 95, 97 f., 100, 106 Instrument s. auch Blasinstrument und s. auch Schlaginstrument  17, 144, 147 m. Anm. 13, 155, 158 f., 160 m. Anm. 39, 161, 163–167 Karwoche  278 m. Anm. 62 , 279 f. Kirchenbau  249, 263, 270, 277 Kirchenbau, konstantinisch  19, 248 m. Anm. 12, 270 Anm. 23, 271, 273 Klang, -raum, -landschaft  17, 139 f., 142, 147–151, 154–156, 163–167 Knochen  7, 30, 36, 38–40, 42–44, 46, 56–58, 60, 64, 70, 75 f., 105, 109 f., 112 Kult –– Kult in Diskurs und Praxis  7–21 –– nichtrömische Kulte in Rom  142 f., 157 f., 162 m. Anm. 40, 166 Anm. 50 u. 52 –– Kultdiener 142 –– Kultgemeinschaft 102 –– Kulthandlung, Kultpraxis  11 f., 17, 19, 109, 142, 157 f., 162 Anm. 44, 165 Anm. 49, 178, 192 f., 206 –– Kultmahl 104 –– Kultmusik/-musiker  17, 144 m. Anm. 5, 147 Anm. 10, 149 f. –– Kultpersonal  102, 121, 144, 179 Konversionsgemeinschaft  18, 222–224, 226, 232–234, 237–242 Lage, topographisch  33, 35, 54, 60 f., 74, 97 f., 106, 193, Laokoongruppe 139 Latènezeit  13 f., 53, 67, 71, 75–77, 79, 80, 82, 84, 95, 105 f., 109–111 Lares Augusti  144, 145 Anm. 8 Leier, -spieler s. auch Fidicen  156, 162 m. Anm. 44, Lektionar  269 Anm. 14 –– armenischer  269, 278 Anm. 64, 280 Anm. 71 f., 282 Anm. 79 –– georgischer  269 m. Anm. 15, 276, 278 Anm. 61, 280, Anm. 70 Liturgie  19 f., 271, 273, 276, 277 m. Anm. 54, 279, 281 Madaba-Karte 267–269 Magdalénien 30 Magie, Magierin  90 f., 207 Anm. 174 Mahl, Mahlgemeinschaft  19, 224, 229, 234, 237–240, 242 Maiuma  188 m. Anm. 78 u. 80, 189, 211

Mänade  160 f. Märtyrer  18, 175, 193, 198, 199 m. Anm. 140, 200–203, 206, 209–211 Martyrion –– Daphne  193 m. Anm. 104, 199 m. Anm. 139, 200, 202 f., 209 m. Anm. 183, 212, 291 f. –– Jerusalem  272, 276, 277 m. Anm. 57, 279–281 m. Anm. 70 Mosaik aus der Villa des Cicero (Pompeji, Italien)  160 Anm. 39 Mosaik von Yakto  175 Anm. 11, 178, 186 Münze  109, 112, 147, 176, 177 m. Anm. 20, 181 f., 189, 190 m. Anm. 91, 191 Musik, Musiker  9, 17, 142, 144 m. Anm. 5, 145 m. Anm. 9, 147 m. Anm. 10, 149–151, 154, 157, 160, 165, 166 m. Anm. 52 Mythos  15, 91, 92 m. Anm. 13, 93, 174 Anm. 8, 198, 202, 205 nemeton  16, 103 m. Anm. 37, 287 f. Oikos  21, 224 Anm. 16, 231–233, 236 f., 241 Olympien  18, 173, 175, 185 m. Anm. 65 f., 186 m. Anm. 68, 187 m. Anm. 71, 188 f., 192, 208 f., 211, 212 m. Anm. 203 Opfer –– Brandopferplatz s.o.  7 m. Anm. 4, 8 m. Anm. 6, 11, 17, 72, 92, 140, 144 m. Anm. 6, 145, 147, 149 f., 157, 162, 165, 178, 194, 201, 205, 207, 213, 240, 249, 253 Anm. 37, 255–258, 260 –– Menschenopfer  101, 109, 113 –– Opfergrube  108, 111 –– Opferkult  18, 176, 194, 209, 253, 257, 261 –– Opfermahl  100, 108–110, 117 –– Opferplatz/Opferstätte  100, 105, 108 –– Opferschacht  107, 112 –– Opferstier  142, 149 –– Opfertier  98, 108, 165, 194, 261 –– Opferzeremonie  142, 144, 147 –– ritu Graeco  162 –– Staatsopfer  140 f., 145, 149 f., 153, 158, 163 –– Tieropfer 10, 111 Anm. 56, 113 10, 111 Anm. 56, 113 –– Trankopfer  142, 194 Oppidum 110 Orakel  18, 87, 175, 177 m. Anm. 18, 178 m. Anm. 23 f., 184 m. Anm. 61, 189, 190 Anm. 90, 195, 198, 201, 204–207, 209 Orakelstätte 98 Ostern  20, 278, 279 m. Anm. 66 Palisade  100, 108 f. Pfingsten  281

Sachen Pilger  19, 270–273, 275–277, 280, 282 Pontifex Maximus  149, 261 Praxis, religiöse  18 f., 224 Priester, Priesterin  15, 88 f., 92, 98, 100, 120, 121 m. Anm. 8, 134 f., 139, 146–148, 150, 165, 180, 183 m. Anm. 52, 187 Anm. 71, 192, 194 m. Anm. 111, 195 f., 205, 206 m. Anm. 168, 207, 221, 255, 258 Kaiserpriester 182 Prozession  16, 19 f., 111, 132 f., 146, 151, 153, 178, 194, 277 m. Anm. 55 u. 57, 278 m. Anm. 64, 279, 280 m. Anm. 70, 281 m. Anm. 77, 282 Quelle (Wasser)  10, 89, 92, 105, 176, 178 m. Anm. 24, 183, 184 m. Anm. 59, 195, 204 f., 211 f., 224 Reliquien  195, 204–206, 209, 210 m. Anm. 190, 273 Anm. 40 Relief –– auf der Domitius-Ahenobarbus-Ara  163 –– auf dem Altar von Angera (Italien)  145 Anm. 8 –– aus Ariccia (Italien)  142, 157, 162, 164, 165 Anm. 48, 166 f. –– Großer Trajanischer Fries  154 m. Anm. 34, 155 –– Konstantinsbogen (Rom)  155 –– Aus Lanuvium / Lanuvio (Italien)  159 f. –– Opferrelief des Marc Aurel in Rom  140 f., 144, 162, 166 –– in der villa Albani (Rom)  158 f. Rhythmus  142, 146, 148 f., 157, 160 m. Anm. 39, 162, 165 Ritual  7 Anm. 2, 8–10, 11 Anm. 18, 12, 15, 24, 27, 47, 88–93, 139–168, 195, 213, 221–224, 237, 238 m. Anm. 68, 240, 241 Anm. 78

307

–– Ritualteilnehmer  151, 239 Schlaginstrument 162 Schweigen, Schweigegebot  150 f., 153 See 105 Senat  11, 140, 142, 144 f. Sistrum  18, 157, 166 Sondergruppe, religiöse  18, 221–223, 226 f., 241 f. Stier, Stierkult  15 f., 88, 120, 121 m. Anm. 11, 122, 124, 129 m. Anm. 65, 130 m. Anm. 74, 131–133, 134 m. Anm. 87 u. 90, 135, 142, 145, Stoa, Stoiker  259 Synagoge  9 f., 20, 203 Anm. 148, 209, 228 Anm. 28, 229, 249, 253, 256 Tambourin  158 f., 165, 290 f. Tanz, Tänzer  142 f., 147 Anm. 10, 159–161, 162 Anm. 41, 163, 198 Taufe  224, 227, 231, 241, 274 Temenos  10, 145 f., 150, 151 f., 174, 181, 194 Theater  155–157, 173, 183 m. Anm. 55, 188 Anm. 80, 211 f., 257 Anm. 56 Tibia  150 f., 156, 163, 166, 290 Tibicen  17, 142, 144 m. Anm. 5 u. 7, 145 m. Anm. 8, 147, 148–151, 157, 162 f. Tor, Torbau  101, 106, 108, 145, 268 Viereckschanze  106 f. Vorbeter  148, 150 Votiv  146, 296 Waffen  41, 79, 104 f., 108–111, 113 Wall  40, 100, 106, 110 f. Weihegabe  16, 98, 101 Weihrauch, Weihrauchträger  144–146, 212, 258 Zimbel 165

p o t s da m e r a lt e rt u m s w i s s e n s c h a f t l i c h e b e i t r äg e

Herausgegeben von Pedro Barceló, Peter Riemer, Jörg Rüpke und John Scheid.

Franz Steiner Verlag

46. 47. 48.

49. 50. 51. 52. 53.

ISSN 1437–6032

Veit Rosenberger (Hg.) Divination in the Ancient World Religious Options and the Individual 2013. 177 S. mit 11 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10629-0 Francesco Massa Tra la vigna e la croce Dioniso nei discorsi letterari e figurativi cristiani (II–IV secolo) 2014. 325 S. mit 23 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10631-3 Marco Ladewig Rom – Die antike Seerepublik Untersuchungen zur Thalassokratie der res publica populi romani von den Anfängen bis zur Begründung des Principat 2014. 373 S. mit 17 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10730-3 Attilio Mastrocinque Bona Dea and the Cults of Roman Women 2014. 209 S. mit 16 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10752-5 Julietta Steinhauer-Hogg Religious Associations in the ­Post-Classical Polis 2014. 189 S. mit 18 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10646-7 Eike Faber Von Ulfila bis Rekkared Die Goten und ihr Christentum 2014. 300 S. mit 5 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10926-0 Juan Manuel Cortés Copete / Elena Mun ˜ iz Grijalvo / Fernando Lozano Gómez (Hg.) Ruling the Greek World Approaches to the Roman Empire in the East 2015. 192 S., kt. ISBN 978-3-515-11135-5 Mirella Romero Recio (Hg.) La caída del Imperio Romano Cuestiones historiográficas 2016. 220 S. mit 9 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10963-5

54. Clifford Ando (Hg.) Citizenship and Empire in Europe 200–1900 The Antonine Constitution after 1800 years 2016. 261 S., kt. ISBN 978-3-515-11187-4 55. Valentino Gasparini (Hg.) Vestigia Miscellanea di studi storico-religiosi in onore di Filippo Coarelli nel suo 80° ­anniversario 2016. 786 S. mit 136 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10747-1 56. James J. Clauss / Martine Cuypers / Ahuvia Kahane (Hg.) The Gods of Greek Hexameter ­Poetry From the Archaic Age to Late Antiquity and Beyond 2016. XIV, 458 S., kt. ISBN 978-3-515-11523-0 57. Katharina Waldner / Richard Gordon / Wolfgang Spickermann (Hg.) Burial Rituals, Ideas of Afterlife, and the Individual in the Hellenistic World and the Roman Empire 2016. 264 S. mit 25 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11546-9 58. Jessica Schrader Gespräche mit Göttern Die poetologische Funktion kommunikativer Kultbilder bei Horaz, Tibull und Properz 2017. 314 S., kt. ISBN 978-3-515-11700-5 59. Timo Klär Die Vasconen und das Römische Reich Der Romanisierungsprozess im Norden der Iberischen Halbinsel 2017. 290 S. mit 7 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11739-5

Welches Verhältnis herrscht zwischen Kult und Raum in alten Kulturen? Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes suchen Antworten auf diese Frage. Dabei spannen sie einen weiten Bogen, der von der europäischen Steinzeit über Hethiter, Kelten, Griechen und Römer bis in die christliche Spätantike reicht. Stets aber geht es um die Frage, wie sich das Verhältnis von kultischen Praktiken und Diskursen zum Raum konkret gestaltet. Die dafür verwendeten Materialien sind höchst unterschiedlich:

Sie umfassen materielle Überreste und Bilder ebenso wie Texte verschiedenster Art und in einer Vielzahl von Sprachen. Breit ist daher auch das Spektrum der beteiligten Disziplinen: von der Ur- und Frühgeschichte über die Klassische Archäologie, die Indogermanistik sowie die Alte Geschichte bis hin zu den Wissenschaften vom Alten und vom Neuen Testament, der älteren Kirchengeschichte sowie der Religionswissenschaft.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-11769-2