Kult, Kunst, Konsum: Tiere in alten Kulturen 3805351429, 9783805351423

Zu allen Zeiten haben Menschen Tiere gejagt, domestiziert, als Haustiere gehalten oder sie als Gottheiten verehrt. Tiere

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German Pages 112 [114] Year 2018

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Table of contents :
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Impressum
Inhalt
Vorwort
Vor dem Tabu – Der Umgang mit Schweinen im Alten Orient
Emotional, spirituell, praktisch, materiell, ökonomisch: Die Rolle der Tiermumien im alten Ägypten
Tiere im Denken der Griechen und Römer – Eine schwierige Sache
«Sie ziehen auf Kamelen in die Schlacht und werfen ihre Speere» –Beja-Identität und Kamelwirtschaft in historischer Perspektive
Zur Symbolik von Speisetieren – Jeschutes Rebhühner und der animal turn
Jagen in Byzanz – Eine Fallstudie zur Falknerei
Rinder und Schafe – Akteure mittelalterlicher Umweltgeschichte
Epilog: Mensch-Tier-Relationen in Alten Kulturen
Literaturverzeichnis
Adressen der Autoren
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Kult, Kunst, Konsum: Tiere in alten Kulturen
 3805351429, 9783805351423

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Gejagt - Domestiziert - Vergöttert Tiere waren und sind ein wichtiger Lebensbestandteil in allen Kulturen. Seit jeher fanden sie auch Eingang in Kunst und kultische Handlungen. Die interdisziplinären Beiträge zu Kult, Kunst und Konsum widmen sich aus diachroner und transkultureller Perspektive dem faszinierenden Thema der Interaktion zwischen Mensch und Tier sowie den zugrundeliegenden Konzepten. Die von hervorragendem Bildmaterial begleiteten Beiträge spannen hierbei einen Bogen von den alten Kulturen Mesopotamiens und Ägyptens bis in die heutige Zeit. Anhand von archäologischen, ikonografischen und textlichen Belegen untersucht das hochkarätige Autorenteam Fragen zur Universalität, Spezifität und zum interkulturellen Transfer von Konzepten über Mensch und Natur.

Tanja Pommerening ist Professorin für Ägyptologie an der Johannes GutenbergUniversität Mainz und Sprecherin des DFG-Graduiertenkollegs »Frühe Konzepte von Mensch und Natur». Jochen Althoff ist Professor für Klassische Philologie/Gräzistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und stellvertretender Sprecher des DFG-Graduiertenkollegs »Frühe Konzepte von Mensch und Natur«. Mit Beiträgen von Alexander Pruß, Salima Ikram, Stephen T. Newmyer, Marianne Bechhaus-Gerst, Sabine Obermaier, Stavros Lazaris und Rainer Schreg.

www.zabern.de ISBN 978-3-8053-5142-3

Pommerening/Althoff · Kunst, Kult, Konsum

Tanja Pommerening · Jochen Althoff (Hrsg.)

Kult, Kunst, Konsum Tiere in alten Kulturen

KULT, KUNST, KONSUM TIERE IN ALTEN KULTUREN Tanja Pommerening & Jochen Althoff

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KULT, KUNST, KONSUM TIERE IN ALTEN KULTUREN Tanja Pommerening & Jochen Althoff

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112 Seiten mit 85 Farb- und 10 s/w-Abbildungen

Buchhandelsausgabe: Transport von Enten in einer Tasche unter dem Arm, Altes Reich, frühe 6. Dynastie, nach 2347 v. Chr. Sakkara, Grab Kagmeni. (Foto: Hervé Champollion / akg-images). ANTIKE WELT-Sonderheft: Opferzug, Ausschnitt: Zwei Steinböcke, Altes Reich, frühe 6. Dynastie, nach 2347 v. Chr. Sakkara, Grab Kagemni. (Foto: Hervé Champollion / akg-images). Frontispiz: Ibis, Ente und Katze, ägyptisch, Spätzeit, 7.–1. Jh. v. Chr. Département des Antiquités égyptiennes, Paris, Musée du Louvre. (Foto: akg-images / Archives CDA / St-Genès).

Weitere Publikationen finden Sie unter: www.zabern.de

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnr.: 215342465/GRK 1876.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der Verlag Philipp von Zabern ist ein Imprint der WBG.

Gestaltung: Melanie Jungels, scancomp GmbH, Wiesbaden Cover Buchhandelsausgabe: Jutta Schneider, Frankfurt am Main

© 2018 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Buchhandelsausgabe: ISBN 978-3-8053-5142-3 ANTIKE WELT-Sonderheft: ISBN 978-3-8053-5143-0

Herstellungsbetreuung: Ilka Schmidt, WBG, Darmstadt Redaktion: Annine Fuchs, Holger Kieburg, WBG, Darmstadt Repros: scancomp GmbH, Wiesbaden Druck: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe (Saale)

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Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

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Inhalt

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Vorwort

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von Tanja Pommerening und Jochen Althoff

Zur Symbolik von Speisetieren – Jeschutes Rebhühner und der animal turn von Sabine Obermaier

10

Vor dem Tabu – Der Umgang mit Schweinen im Alten Orient

67

von Alexander Pruß

Jagen in Byzanz – Eine Fallstudie zur Falknerei von Stavros Lazaris

20

Emotional, spirituell, praktisch, materiell, ökonomisch: Die Rolle der Tiermumien im alten Ägypten

75

von Salima Ikram

33

Tiere im Denken der Griechen und Römer – Eine schwierige Sache

Rinder und Schafe – Akteure mittelalterlicher Umweltgeschichte von Rainer Schreg

90

Epilog von Tanja Pommerening und Jochen Althoff

von Stephen T. Newmyer

48

«Sie ziehen auf Kamelen in die Schlacht und werfen ihre Speere» − Beja-Identität und Kamelwirtschaft in historischer Perspektive von Marianne Bechhaus-Gerst

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101 Anhang 101 107 110 111

Literaturverzeichnis Anmerkungen Bildnachweis Adressen der Autoren

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Ausschnitt aus dem Fußbodenmosaik im Peristyl des Großen Kaiserpalastes in Konstantinopel (Foto: akg-images / André Held).

Vorwort

I

m Wintersemester 2016/17 fand an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz die zweite Ringvorlesung des 2013 gegründeten – und nunmehr nach erfolgreicher Evaluation durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft verlängerten – Graduiertenkollegs «Frühe Konzepte von Mensch und Natur. Universalität, Spezifität, Tradierung» statt. Die erste Ringvorlesung ist unter dem Titel Anfang und Ende. Vormoderne Szenarien von Weltentstehung und Weltuntergang (hrsg. v. M. Gindhart und T. Pommerening) 2016 ebenfalls in diesem Verlag erschienen. Die Organisatoren der zweiten Veranstaltung waren bei der Themenformulierung der

Alliteration «Kult, Kunst und Konsum» erlegen, die als schlagkräftige Stichworte zentrale Bereiche bezeichnen sollten, innerhalb derer sich der Umgang des Menschen mit Tieren in alten Kulturen beschreiben lässt. Von vornherein war klar, dass damit nicht alle maßgeblichen Bereiche abgedeckt werden, sodass weitere Felder (z. B. Jagd, Speisetabus, philosophische Bewertung, literarische Nutzung) und übergreifende Fragen zum Kulturvergleich bereits bei der Einladung formuliert wurden. Sieben Referenten und Referentinnen aus den Fächern Vorderasiatische Archäologie, Ägyptologie, Klassische Philologie, Mediävistische Germanistik, Byzan-

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Vorwort

tinistik, Archäologie des Mittelalters und Afrikanistik konnten so für einen Vortrag gewonnen werden. Alle haben ihre Vortragsmanuskripte für diesen Band gekürzt und für eine breitere Leserschaft aufbereitet. Die englischsprachigen Beiträge von Salima Ikram (Kairo), Stephen Newmyer (Pittsburgh) und Stavros Lazaris (Paris) wurden vom Verlag Philipp von Zabern unter tatkräftiger Mithilfe durch die Herausgeber ins Deutsche übersetzt. Die Zusammenschau der Beiträge in diesem Band ermöglicht nicht nur einen kulturübergreifenden Vergleich historischer Konzepte des Tier-Mensch-Verhältnisses, sondern damit auch einen Einblick in die Erkenntnisziele, methodischen Ansätze und ersten Antworten des Mainzer Graduiertenkollegs auf Fragen nach Universalität und Spezifität. Gegenstand des Graduiertenkollegs sind «Frühe Konzepte von Mensch und Natur» in unterschiedlichen Kulturen und Epochen von der Vorgeschichte bis ins Mittelalter. Ausgehend von den Kulturen des nordafrikanischen, vorderasiatischen und europäischen Raumes werden entsprechende Konzepte für vier große Forschungsfelder erfasst, beschrieben und kontextuell eingeordnet. Während der erste Band dem Komplex «Weltentstehung und Weltuntergang» gewidmet war und ihn eng mit dem zweiten Forschungsfeld «Naturphänomene, Naturgewalten und Naturkatastrophen» verknüpfte, konzentriert sich dieser Band auf einen Ausschnitt aus dem dritten Themenfeld: «Flora, Fauna und Naturraum». Im Kolleg werden darüber hinaus noch Konzepte aus dem Gebiet «Menschlicher Körper, Krankheit, Heilung und Tod» untersucht. Im fächerübergreifenden Verbund wird gefragt, ob die erschlossenen Konzepte nur für eine Kultur spezifisch sind bzw. ob und wann sie in verschiedenen Kulturen auftreten und ob man Beeinflussungen durch Kulturkontakte feststellen oder zumindest plausibel machen kann. Dabei interessiert, wie die Konzepte medial vermittelt werden, ob und inwiefern sie text- und bildsortenspezifisch bzw. diskursiv (neu) geformt und funktionalisiert werden. Schließlich soll auch die Frage behandelt werden, ob es universelle Konzepte gibt, d. h. vergleichbare Vorstellungen, die un-

abhängig voneinander an verschiedenen Orten oder zu verschiedenen Zeiten existieren. Diese Frage steht vor allem in diesem Band im Vordergrund. Das Verhältnis von Mensch und Tier ist seit einigen Jahrzehnten von großem öffentlichen Interesse. Das hängt mit der Umweltschutzbewegung und dem damit einhergehenden BioTrend zusammen, der inzwischen zu einer erheblichen Marktmacht herangewachsen ist. In diesem Zusammenhang werden Fragen wie die nach Tierrechten und nach einem verantwortungsbewussten, ethisch vertretbaren Umgang mit Tieren von Politik und Wissenschaft diskutiert. Im Zuge des sog. animal turn hat sich die kulturwissenschaftliche Forschungsrichtung der «Human-Animal-Studies» etabliert, die einen interdisziplinären und zum Teil auch politischen Ansatz verfolgt (einige einschlägige Titel bieten die Bibliographien der Beiträge von St. Newmyer und S. Obermaier). Hier gliedert sich auch das Thema dieser Ringvorlesung ein. Da das Verhältnis von Mensch und Tier sehr vielschichtig ist, decken die hier versammelten Beiträge ein breites Spektrum an Aspekten ab. Wir versuchen daher auch in diesem Band, in einem Epilog noch einmal einige zentrale Verbindungen zu ziehen; zugleich bieten wir dort eine knappe Zusammenfassung der Beiträge. Die Herausgeber danken allen Referentinnen und Referenten der Ringvorlesung für ihre interessanten Vorträge und die Bereitschaft, ihre Beiträge in einer überarbeiteten Version hier zu publizieren. Eine besondere Erwähnung verdient Sabine Obermaier (Mainz), die wesentliche Impulse für das Thema und seine Ausgestaltung gegeben hat. Mehrere Übersetzer/innen haben von Seiten des Verlags und der Uni Mainz kompetent mitgewirkt; auch ihnen danken wir sehr. Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft hat auch die Publikation dieses neuen Bandes maßgeblich vorangetrieben. Annine Fuchs und Holger Kieburg haben ihn im Verlag Philipp von Zabern vorbildlich betreut. Ihnen allen sei für ihre Unterstützung herzlich gedankt. Mainz, im Februar 2018 Tanja Pommerening und Jochen Althoff

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König Sanherib inspiziert den Transport einer Kolossalfigur. Im Hintergrund Schilfdickicht mit Hirschen und Wildschweinen. Relief aus Hof VI des Südwest-Palastes von Ninive, ca. 700 v. Chr. (Foto: bpk | The Trustees of the British Museum).

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Vor dem Tabu – Der Umgang mit Schweinen im Alten Orient von Alexander Pruß

W

er sich heute in einen Supermarkt begibt, hat eine zunehmend größer werdende Auswahl an Lebensmitteln, die nicht mit ihren Inhaltsstoffen oder ihrem Geschmack beworben werden, sondern mit dem, was sie nicht enthalten. Die inzwischen weit verbreiteten Regale mit glutenfreien Produkten sind ein Segen für diejenigen (weniger als 1 % der Bevölkerung), die aus medizinischen Gründen tatsächlich keine glutenhaltigen Speisen zu sich nehmen sollten. Gekauft werden diese Produkte (und solche ohne Laktose, tierische Fette etc.) aber auch von vielen Verbrauchern, die sich durch Verzicht auf bestimmte Inhaltsstoffe ihrer Nahrung einen gesundheitlichen Vorteil versprechen oder sich einfach besser fühlen, ohne dass es dafür nachweisbare medizinische Gründe gibt. Neben gesundheitlichen gibt es aber noch weitere Motive, bestimmte Nahrungsmittel zu vermeiden. Eines der ältesten und bekanntesten Speisetabus ist das jüdische Verbot des Schweinefleischkonsums, das in der Thora mehrfach, am prominentesten im Buch Leviticus (Kap. 11, Vers 1–8) formuliert ist: «Der Herr sprach zu Mose und Aaron: Sagt den Israeliten: Das sind die Tiere, die ihr von allem Vieh auf der Erde essen dürft: Alle Tiere, die gespaltene Klauen haben, Paarzeher sind und wiederkäuen, dürft ihr essen. Jedoch dürft ihr von den Tieren, die wiederkäuen oder gespaltene Klauen haben, Folgende nicht essen: Ihr sollt für unrein halten das Kamel, weil es zwar wiederkäut, aber keine gespaltenen Klauen hat; ihr sollt für unrein halten den Klippdachs, weil er zwar wiederkäut, aber keine gespaltenen Klauen hat; ihr sollt für unrein halten den Hasen, weil

er zwar wiederkäut, aber keine gespaltenen Klauen hat; ihr sollt für unrein halten das Wildschwein, weil es zwar gespaltene Klauen hat und Paarzeher ist, aber nicht wiederkäut. Ihr dürft von ihrem Fleisch nicht essen und ihr Aas nicht berühren; ihr sollt sie für unrein halten.»1 Das Verbot von Fleisch und anderen aus Schweinen gewonnenen Produkten findet sich auch im Islam, wo es im Koran in Sure 2, Vers 173 heißt: «Verboten hat Er euch nur Verendetes, Blut, Schweinefleisch und etwas, worüber (beim Schlachten) ein anderes Wesen als Gott angerufen worden ist. Aber wenn einer sich in einer Zwangslage befindet, ohne (von sich aus etwas Verbotenes) zu begehren oder eine Übertretung zu begehen, trifft ihn keine Schuld. Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben.»2 Aufgrund dieser Verbote sind Hausschweine im heutigen Vorderen Orient kaum zu finden; selbst in christlich geprägten Gegenden sind sie eher selten. Es wäre jedoch ein Irrtum, zu glauben, dass dieser Befund auch für den Alten Orient zutreffend wäre. Schweine waren weit verbreitet und müssen ein normaler Bestandteil vieler Siedlungen gewesen sein. Die mehrfach vertretene These, dass Klima und natürliche Voraussetzungen im Vorderen Orient für Zucht und Haltung von Schweinen ungeeignet seien,3 ist mehrfach überzeugend widerlegt worden.4 Die in diesem Beitrag aufgeführten Belege für den weit verbreiteten Konsum von Schweinefleisch und die Normalität des Umgangs mit Schweinen sollen daher nicht zur Erklärung des späteren Tabus dienen.5 Allerdings

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Der Umgang mit Schweinen im Alten Orient

Abb. 1 Karte von Siedlungen der Spät-Uruk-Zeit (ca. 3500–3000 v. Chr.) mit Markierung von Orten mit hohem Anteil von Schweineknochen.

Abb. 2 Karte von Siedlungen der zweiten Hälfte des 3. Jts. v. Chr. mit Markierung von Orten mit hohem Anteil von Schweineknochen.

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Vor dem Tabu

Abb. 3 Karte von Siedlungen der Mittelbronzezeit (ca. 2000–1550 v. Chr.) mit Markierung von Orten mit hohem Anteil von Schweineknochen.

Abb. 4 Karte von Siedlungen der Spätbronzezeit (ca. 1550–1180 v. Chr.) mit Markierung von Orten mit hohem Anteil von Schweineknochen.

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Der Umgang mit Schweinen im Alten Orient

Abb. 5 Karte von Siedlungen der Eisenzeit (ca. 1180–550 v. Chr.) mit Markierung von Orten mit hohem Anteil von Schweineknochen.

gibt es auch schon lange vor der Formulierung des jüdischen Speisegesetzes (je nach Standpunkt zwischen dem 8. und 5. Jh. v. Chr.) Indizien dafür, dass zumindest in manchen Kontexten der Konsum von Schweinefleisch als problematisch empfunden worden ist. Man kann sich der Beantwortung der Frage, welche Bedeutung Schweine für die Menschen des Alten Orient gehabt haben, mit verschiedenen Methoden annähern, wobei die (Teil-) Antworten nicht unbedingt alle in die gleiche Richtung weisen. Im Rahmen dieses kurzen Überblicks sollen die tatsächlich in den Siedlungen gefundenen tierischen Überreste, die bildlichen Darstellungen von Schweinen, die Erwähnungen in Wirtschafts- und Verwaltungstexten sowie diejenigen in kultisch-religiösen und literarischen Texten in den Blick genommen werden. Wichtig ist es dabei, die enorme zeitliche Dimension der altorientalischen Geschichte zu berücksichtigen, da es deutliche Indizien dafür gibt, dass sich die Einstellung zum Schwein in den drei durch Textüberlieferung und Darstellung in vielen Medien belegten Jahrtausenden zwischen

der zweiten Hälfte des 4. Jts. v. Chr. und dem Auslaufen vieler altorientalischer Traditionen in der Achämenidenzeit (6.–4. Jh. v. Chr.) verändert hat. Das Wildschwein, das in weiten Teilen Eurasiens natürlich verbreitet ist, ist bereits im frühen Neolithikum domestiziert worden.6 Der Konsum von Schweinefleisch lässt sich in archäologischen Grabungen durch die Analyse von Tierknochen nachweisen, die als Speiseabfälle meist innerhalb der Siedlungen entsorgt worden sind und sich – im Gegensatz zu anderen organischen Materialien – im Boden in der Regel gut erhalten haben. Die bei verschiedenen Ausgrabungen in Mesopotamien und Syrien / Palästina durchgeführten Untersuchungen der Tierknochenfunde aus dem 6. bis 1. Jt. v. Chr. hat die französische Archäozoologin Emmanuelle Vila im Hinblick auf den Anteil an Schweineknochen zusammengetragen.7 Auf ihre Arbeit gehen die hier abgebildeten Karten (Abb. 1–5) zurück, in denen Fundorte, in denen Schweineknochen einen substantiellen Anteil (in der Regel mindestens 20 % der ana-

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Vor dem Tabu

Abb. 6 Umzeichnung der modernen Abrollung eines Rollsiegels, frühes 3. Jt. v. Chr., Paris.

lysierten Tierknochen) ausmachen, mit einem Schweinesymbol gekennzeichnet sind. Fundorte mit untersuchten Tierknochen, in denen Schweine einen geringeren Anteil haben und daher nicht als normaler Nahrungsbestandteil angesehen werden können, sind durch einen Kreis markiert. In der Spät-Uruk-Zeit (ca. 3500–3000 v. Chr.) sind die Fundorte mit hohem Anteil von Schweineknochen auf ein relativ kleines Gebiet einer relativ stark lokal orientierten Kultur im mittleren Euphrattal beschränkt (vgl. Abb. 1), während in den Koloniestädten weiter Euphrat-abwärts sowie in den städtischen Zentren der Uruk-Kultur in Südmesopotamien Schweineknochen ausgesprochen selten gefunden wurden.8 Für die stark zentralisierte und überregional organisierte Wirtschaft der Uruk-Kultur scheinen Schweine daher nicht von Bedeutung gewesen zu sein. Eine offensichtliche Blütezeit hat die Nutzung von Schweinen im 3. Jt. v. Chr. erlebt, für das vor allem aus seiner zweiten Hälfte Daten aus zahlreichen Fundorten zur Verfügung stehen (vgl. Abb. 2). Schweine sind in dieser Zeit in allen besiedelten Regionen des Nahen Ostens in größerer Zahl gehalten und konsumiert worden; nur in den verhältnismäßig trockenen Steppenregionen Syriens und Palästinas finden sich in größerer Zahl Orte mit niedrigen Schweineknochenanteilen. Im obermesopotamischen Fundort Tell Leilan sind sehr unterschiedliche Anteile von Schweineknochen in verschiedenen Wohnvierteln beobachtet worden. Dieser Befund wurde von den Ausgräbern auf soziale Unterschiede zwischen den Bewohnern dieser Viertel zurückgeführt: Die eher kleinen Häuser in einem «Arbeiterviertel» haben einen viel höheren Anteil an Schweineknochen erbracht als die Elite-Wohnhäuser eines anderen Viertels.9

In der ersten Hälfte des 2. Jt. v. Chr. (vgl. Abb. 3) sind Schweine insgesamt in einer geringeren Zahl von Siedlungen gut belegt. Zu einem guten Teil dürfte dies an der Tatsache liegen, dass im nördlichen Mesopotamien nomadisch geprägte Bevölkerungsgruppen in dieser Zeit dominieren, in deren Wirtschaftsweise für Schweine kein Platz ist. Aus Südmesopotamien, dem oberen Euphrattal, Anatolien und Palästina sind aber durchaus Orte belegt, in denen die Nutzung von Schweinen in dieser Zeit eine bedeutende Rolle gespielt haben muss.10 In der nachfolgenden Spätbronzezeit (ca. 1550–1180 v. Chr.) sind aus Obermesopotamien wieder mehr Siedlungen belegt, wodurch sich in dieser Region auch die Zahl der Orte mit intensiver Schweinenutzung erhöht. Während für das südliche Mesopotamien aus dieser Zeit keine analysierten Tierknochensammlungen zur Verfügung stehen, ist die weitgehende Abwesenheit von Schweineknochen in der Levante, vor allem in Palästina, bemerkenswert (vgl. Abb. 4).11 Das Bild der Schweinenutzung in der Eisenzeit (vgl. Abb. 5) ähnelt dem der vorangehenden Periode: Belegt sind Funde aus dem inländischen Syrien und Obermesopotamien. Aus Südmesopotamien stehen keine Analysedaten zur Verfügung. Die meisten Fundorte in Palästina haben weiterhin kaum Schweineknochen erbracht, wobei allerdings einige Orte im Gebiet der Philisterstädte der südlichen Küstenebene durchaus einen erheblichen Anteil an Schweineknochen aufweisen.12 Allerdings ist der Konsum von Schweinen nur in einigen der Philisterstädte nachzuweisen. Schweine haben also im gesamten Alten Orient eine Rolle in der Nahrungsversorgung gespielt, allerdings im Gegensatz zu Schafen, Ziegen und Rindern nicht im gleichen Maß zu allen Zeiten und an allen Orten. Bildliche Darstellungen von Schweinen sind insgesamt nicht sehr häufig. In Reliefs und auf Siegeln zeigen sie fast immer Wildschweine, meist im Kontext von Jagdszenen. Schon in der frühneolithischen Anlage von Göbekli Tepe finden sich Darstellungen von Keilern auf einigen der reliefverzierten Pfeiler.13 Auf Rollsiegeln sind Wildschweinjagden zu verschiedenen Zeiten gelegentlich wie-

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Der Umgang mit Schweinen im Alten Orient

dergegeben, wobei meist einige Schilfbündel den Ort der Jagd, feuchte und sumpfige Gegenden, bezeichnen (Abb. 6). In achämenidischer Zeit wird das Motiv der Wildschweinjagd relativ populär,14 wobei diese nun auf festem Grund stattzufinden scheint; jedenfalls fehlt die Wiedergabe von Pflanzen oder anderen Landschaftselementen. Wohl ebenfalls im Zusammenhang mit der Jagd zu sehen ist die Wiedergabe einer Bache mit ihren Frischlingen (Abb. 7), die in einem Schilfrohrdickicht nach Nahrung suchen. Diese Darstellung findet sich auf einer reliefverzierten Steinplatte, mit der der assyrische König Sanherib (reg. 705–681 v. Chr.) die Wand eines Hofes in seinem Palast in Ninive schmücken ließ.15 Eine Inschrift dieses Königs klärt darüber auf, dass die Schweine zusammen mit anderen Tieren hier in einer Sumpflandschaft ausgesetzt wurden, die künstlich angelegt worden war, um die kontinuierliche Wasserversorgung der königlichen Gärten sicherzustellen: «Um den Lauf des Wassers zu den Gärten hin zu verlangsamen, ließ ich eine Schilflandschaft entstehen. Darin pflanzte ich Rohrdickicht. Reiher, Rohrschweine und Rehe ließ ich dort frei. Prächtig gediehen auf Geheiß der Gottheit in den Gärten auf dem umbrochenen Land Wein, Früchte, Ölbäume und Gewürzpflanzen. Zypressen, Sissoo- und alle (erdenklichen anderen) Bäume wuchsen heran und brachten Zweige hervor. Die Sumpfgefilde entwickelten sich prächtig. Vögel des Himmels, Reiher, deren Heimat fern ist, bauten sich ein Nest. Die Rohrschweine und Rehe brachten zahlreichen Nachwuchs hervor.»16 Auch wenn es nicht explizit erwähnt wird, kann man wohl davon ausgehen, dass die hier genannten Wildschweine und Rehe auch gejagt und verspeist werden sollten. In altorientalischen Siedlungen treten häufig kleine Figuren von Tieren auf, meist aus gebranntem Ton angefertigt. Sie sind selten größer als 10 cm und stellen ganz überwiegend Haustiere dar. Zwischen der Bedeutung einer Tierart für die lokale Wirtschaft und

der Häufigkeit des Auftretens entsprechender Tierfiguren scheint es eine gewisse Relation zu geben.17 Auffällig ist allerdings, dass Schweinefiguren in diesem Korpus nur selten auftreten. In Obermesopotamien und Syrien (wo Schweine durchaus in größerer Zahl gegessen wurden) fehlen sie fast völlig,18 in Südmesopotamien treten sie zwar auf (Abb. 8), allerdings deutlich seltener als Figuren von Rindern, Schafen oder Ziegen.19 Schweine sind vielfach in kleiner Zahl in und bei den einzelnen Häusern gehalten worden. Rechtstexte des 14. Jh. v. Chr. aus Nuzi (nahe der heutigen Stadt Kirkuk gelegen) erwähnen ein oder zwei erwachsene Schweine und eventuell zugehörige Ferkel zusammen mit Kleidern und Möbeln als mobiles Inventar einzelner Privathäuser.20 Da Schweine andererseits eher selten in größerer Zahl in Ställen gehalten worden zu sein scheinen, tauchen sie in administrativen Texten, die sich vor allem auf die Tiere unter der Kontrolle großer und

Abb. 7 Detail von einem Alabasterrelief aus Hof VI des SW-Palastes von Ninive, Zeit des Sanherib, 705–681 v. Chr., London.

Abb. 8 Schweineterrakotte aus Tell Beydar, 3. Jh. v. Chr.

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Vor dem Tabu

Abb. 9 Tontafel mit Liste von Schweinen und Schweineprodukten, Uruk, spätes 4. Jt. v. Chr., Berlin.

bedeutender Haushalte beziehen, nur selten auf.21 Schweinehaltung scheint überwiegend eine Angelegenheit der Privathaushalte gewesen zu sein, deren wirtschaftliche Aktivitäten sich in den Verwaltungstexten meist nicht abbilden. Allerdings ist unter den frühesten Verwaltungstexten aus Uruk aus dem späten 4. Jt. v. Chr. auch eine Wortliste von Schweinen und Schweineprodukten gefunden worden (Abb. 9)22, die vermuten lässt, dass die Schweinezucht in der zentralen Administration eine Rolle gespielt haben dürfte. Aus der Mitte des 3. Jts. v. Chr. stammt eine bedeutende Ausnahme von der Regel der «unsichtbaren Schweine», das Archiv des Lugal-pa’e. Dieser Beamte war in der sumerischen Stadt Girsu neben anderen Aufgaben für die Verwaltung einer Schweineherde zuständig, die zum Besitz der Frau des Stadtfürsten gehörte.23 Diese Herde bestand zum überwiegenden Teil aus Hausschweinen (auf sumerisch: schach u, wörtlich: «Grasschwein»), und zwar aus ca. 60 bis 70 erwachsenen Mutterschweinen, ca. 100 Ferkeln und acht bis elf Ebern. Die meisten männlichen Ferkel wurden im Laufe des ersten Lebensjahres geschlachtet, während ungefähr die Hälfte der weiblichen Ferkel das reproduktionsfähige Alter erreichte. Daneben wurden noch fünf bis neun männliche Wildschweine (schach gischgi, wörtlich: «Rohrschwein») gehalten, wohl

zu Zuchtzwecken. Vergleichbare Verwaltungstexte, die allerdings keine zusammenhängenden Archive darstellen, sind vom Ende des 3. Jts. v. Chr. aus Südmesopotamien24 und aus dem frühen 2. Jt. v. Chr. aus Obermesopotamien25 bekannt. Nach der Mitte des 2. Jts. v. Chr. spielen Schweine in den Verwaltungstexten überhaupt keine Rolle mehr. Den Texten kann man auch entnehmen, dass Schweinefleisch durchaus mit Genuss und regelmäßig verzehrt wurde. So beschwert sich ein exilierter Herrscher, der zur Zeit des Königs Hammurabi (ca. 1765 v. Chr.) in Babylon Zuflucht gefunden hatte, über die angeblich bevorzugte Behandlung der Gesandten aus der Stadt Mari mit den Worten: «Seitdem ich nach Babylon gegangen bin, hat man den Boten von Zimri-Lim ständig Schweinefleisch, Fisch, Vögel und Pistazien gereicht, aber um mich hat man sich überhaupt nicht gekümmert!»26 Auch aus anderen Texten dieser Zeit erfahren wir, dass Schweinefleisch hochgestellten Persönlichkeiten als Mahlzeit vorgesetzt wurde bzw. als Abgabe geliefert werden musste. Ungefähr eine Generation vor dem eben genannten Brief erhält z. B. die Königin im nordmesopotamischen Schubat-Enlil anlässlich eines Festmahls 5 l Schweineschmalz und ein mit Getreide gemästetes Schwein.27 Gegen Ende des 3. Jts. v. Chr. ist einer der Monate des Kalenders der südmesopotamischen Stadt Ur als «Monat des Ferkelessens» bezeichnet.28 Aus allen genannten Texten geht hervor, dass Schweinefleisch bis mindestens zur Mitte des 2. Jts. v. Chr. nicht nur nicht tabuisiert war, sondern auch als Delikatesse gegolten hat. Auch im 1. Jt. v. Chr. ist Schweinefleisch, trotz des inzwischen verstärkten negativen Images des Schweins (s. u.), gegessen worden. Schweine sind im späten 3. Jt. v. Chr. auch als Opfertiere willkommen, offenbar vor allem für den Totenkult. In mehreren Fällen aus dem südlichen Mesopotamien werden u. a. Ferkel regelmäßig an die Totenopferstellen geliefert, um die Totengeister der verstorbenen Ahnen mit Nahrung zu versorgen.29 Auch im hethitischen Kontext im Anatolien des 14. und

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Der Umgang mit Schweinen im Alten Orient

13. Jhs. v. Chr. tauchen Schweine bzw. genauer Ferkel regelmäßig in Ritualtexten auf. Sie werden geopfert bzw. in Ritualen eingesetzt und scheinen auch hier vor allem mit Unterweltsgottheiten verbunden zu sein.30 Für den normalen Opferkult in den Tempeln der Götter scheinen Schweine aber schon im frühen 2. Jt. v. Chr. als unpassend empfunden worden zu sein. In einem Gerichtsprotokoll erfahren wir von einem Mann, der ein Schwein gestohlen hatte, um es als Opfertier zu schlachten.31 Offenbar hatte er kein Schaf zur Verfügung, das Schwein war aber greifbar, vermutlich, weil es unbeaufsichtigt herumlief. Der Text erweckt den Eindruck, dass die Opferung eines Schweines ein schlimmeres Vergehen sei als der Diebstahl des Tieres. Im 1. Jt. v. Chr. ist das Schwein als Opfertier jedenfalls völlig unvorstellbar. In einem in der assyrischen Hauptstadt Ninive gefundenen antibabylonischen Propagandatext aus dem 7. Jh. v. Chr. wird der Göttin Zarpanitu, der Frau des babylonischen Reichsgottes Marduk, ein Schwein geopfert.32 Damit wird aber keineswegs eine übliche Kultpraxis dokumentiert, sondern der Versuch unternommen, Marduk und seine Umgebung mit einem möglichst abschreckenden Vorwurf zu denunzieren. Die Lebensweise von domestizierten Schweinen, die sich u. a. von menschlichen Abfällen ernähren, hat wohl schon früh zu einem schlechten Renommee dieser Tiere beigetragen. Ähnlich wie Hunde galten sie daher als unreine Tiere ohne Verstand. In einer sumerischen Sprichwortsammlung heißt es beispielsweise: «Was der Hund nicht frisst, frisst das Schwein in der Straße.»33 In einer neuassyrischen Sprichwortsammlung werden alle Vorwürfe gegen das Schwein in einer einzigen Brandrede zusammengefasst:

«Das Schwein ist unheilig, es bespritzt seinen Rücken; es verstinkt die Straßen und beschmutzt die Häuser; das Schwein ist für den Tempel ungeeignet, hat keinen Verstand, darf nicht auf dem Pflaster laufen; es ist allen Göttern ein Gräuel und von Šamaš verflucht.»34 Bemerkenswert ist, dass sich diese negativen Konnotierungen des Schweins immer nur auf das Hausschwein beziehen, während das Wildschwein von solchen abwertenden Kommentaren nicht direkt betroffen zu sein scheint. Das negative Image des Schweins hat – ähnlich wie in unserer heutigen westlichen Gesellschaft – dazu geführt, dass es als abwertende und verächtlich machende Metapher benutzt werden konnte. In einem weiteren Brief der bereits erwähnten Korrespondenz vom Hof des Königs Hammurabi in Babylon beschwert sich ein Diplomat beim Protokollchef von Hammurabi über die von ihm als Geringschätzung empfundene Ungleichbehandlung seiner Delegation mit den Worten: «Warum machst Du diese Absonderung zwischen uns, als ob wir die Söhne der Sau wären?»35 Diese Äußerung ist, wohlgemerkt, in einem Kontext gemacht worden, in dem Schweinefleisch als exquisite Delikatesse angesehen werden konnte. Lange Zeit galt im Alten Orient offensichtlich die Verachtung dem lebenden (domestizierten) Tier, nicht aber den aus ihm gewonnenen Lebensmitteln, wie Fleisch, Speck und Schmalz. Die Entwicklungen, die dann im jüdischen Kontext zum Schweinefleischtabu geführt haben, sind jedenfalls nicht direkt aus den altorientalischen Traditionen ableitbar.

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Werkraum eines Balsamierers mit Tiermumien im Hintergrund, Tuna el-Gebel (Mittelägypten) (Foto: akgimages / François Guénet).

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von Salima Ikram

Abb. 2  Ein Bild von Thot aus dem Grab des Chaemwaset im Tal der Königinnen.

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iere hatten in der Weltanschauung der alten Ägypter eine ungewöhnliche Position inne. Sie galten wie die Menschen als fühlende Wesen, aber zugleich als fremdartig und mit besonderen Gaben, Mächten und Fähigkeiten ausgestattet. Man schrieb ihnen ein besonders instinktives und nuanciertes Verständnis der natürlichen Welt zu, über die die Götter herrschten. Tiere galten als wild und furchterregend, doch man konnte sie auch manipulieren und zähmen. In ungezähmtem Zustand standen sie Pate für die ägyptische Vorstellung vom Göttlichen – sie waren Totems bestimmter Gottheiten und trugen auch zur Ikonographie im Herrscherkontext bei, z. B. indem man den König als Löwen, den Herrscher der Tier-

welt, darstellte. Sie leisteten aber auch – in Form von Hieroglyphen mit spezifischen Lautwerten – einen wichtigen Beitrag zur physischen Ausgestaltung und zum Klang der Sprache und waren als Akteure oder in Form von Metaphern Schlüsselkomponenten literarischer Texte. Im gezähmten oder kontrollierten Zustand sorgten sie als Haustiere für Gesellschaft (Abb. 1) bzw. dienten als Lastoder Jagdtiere. Ansonsten nutzte man sie als Nahrung (Fisch, Geflügel und Fleisch), als Rohstoffe für Kleidung, Schmuck, Möbel, Musikinstrumente, Werkzeuge und sogar als Baumaterial; von Letzterem zeugen eine Treppenstufe aus Nilpferdknochen in Merimde2 und das Leder der Zelte der Isetemcheb D (CG 29835). Tiere bewohnten

Abb. 1 Dieses Bild eines Mannes mit einem Hund an der Leine stammt von der Außenseite des in Asyut gefundenen Sargs dieses Mannes. Wahrscheinlich wurden beide im selben Sarg bestattet, doch da die Mumien bereits in der Antike Grabräubern zum Opfer fielen, werden wir es nie wissen.

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Abb. 3  Gazellenförmiger Sarg aus Holz, der den einbalsamierten Körper der zahmen Gazelle von Isetemcheb D enthält.

Abb. 4  Maatkares Sarg enthielt den Körper der Priesterin und ihres Affen, der am Kopfende des Sargs saß.

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Abb. 5

Präparierte Rippen, umwickelt und in einem kleinen Sarg platziert. Aus dem Grab von Yuya und Tuya im Tal der Könige.

Abb. 6

Eine Gans, ausgeweidet, umwickelt und in einem kleinen Sarg platziert. Aus dem Grab von Yuya und Tuya im Tal der Könige.

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Abb. 7 Falkengalerie von Sakkara. Tausende Töpfe enthalten jeweils einen Greifvogel.

aus altägyptischer Sicht sowohl die physische als auch die metaphysische Welt und hatten eine ganz besondere Beziehung zu den Göttern. Verschiedene Tiere assoziierte man mit bestimmten Gottheiten, deren Charakteristika sie teilten. So wurden Hunde, die oft auf Friedhöfen herumstreunten und sich zugleich sehr gut in der Wüste und im Niltal zurechtfanden, mit Anubis identifiziert, dem Gott der Mumifizierung und der Reisen / Übergänge, sowohl in dieser als auch in der nächsten Welt. Der Heilige Ibis mit seinem Schnabel, der einem Schreibgriffel ähnelte, war mit Thot verbunden, dem Gott der Schreiber und der Weisheit (Abb. 2).

Tiere besaßen wie Menschen und Götter eine Seele (ba) und insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass sie wie Menschen mumifiziert wurden. Aber im Gegensatz zu menschlichen Mumien gab es verschiedene Arten von Tiermumien.

Entsprechend lassen sich Tiermumien in sechs verschiedene Kategorien einteilen. Die erste Kategorie bilden mumifizierte Haustiere.3 Die Leichname liebgewonnener tierischer Gefährten wurden sorgfältig mumifiziert und gemeinsam mit ihren Besitzern in deren Särgen oder Grabkammern begraben, oder in den Höfen von Gräbern, falls sie vor oder nach ihren Besitzern verstorben waren. Solche bestatteten Tiere sind aus königlichen Gräbern bekannt, z. B. die Gazelle in einem eigenen Sarg, bestattet zusammen mit Königin Isetemcheb D4 (Abb. 3), und der Affe der Maatkare (Abb. 4). Man kennt sie aber auch aus bescheideneren Bestattungen, z. B. den Hund (University of Pennsylvania Museum E16219), der zu Füßen seines Besitzers, Hapi-Min, in dessen Sarg gefunden wurde.5 Die zweite Kategorie bilden Nahrungsoder Proviantmumien, die wir vor allem aus dem Neuen Reich und der Dritten Zwischenzeit kennen.6 Fleisch- und Geflügelstücke wurden zubereitet, verzehrfertig konserviert und dann in Binden gewickelt und oft in individuellen kleinen Särgen platziert, bevor sie im Grab bestattet wurden. Auf diese Weise stellte man nicht nur sicher, dass der Verstorbene im Jenseits keinen Hunger leiden musste, sondern auch, dass er bis in alle Ewigkeit seine Lieblingsgerichte essen konnte (Abb. 5. 6). Tutanchamun besaß einen der größten Bestände dieser sog. Proviantmumien – möglicherweise ein Hinweis auf den gesunden Appetit eines heranwachsenden jungen Mannes.7 Die bekannteste Variante der Tiermumie ist die des Heiligen Tieres. Aus Sicht der Ägypter war es möglich, dass der Geist einer Gottheit in ein spezifisches Tier einkehren konnte. Entsprechende Tiere konnten die Priester an speziellen Merkmalen erkennen. Zu Lebzeiten wurde ein solches Tier bereits als Gott verehrt; es besaß Orakelfähigkeiten, marschierte bei Prozessionen mit und wurde nach seinem Tod kunstvoll mumifiziert und

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Abb. 8 Mumie eines Widders, der Verkörperung von Chnum, aus Elephantine. Sein Kopf ist mit einer vergoldeten Maske aus Kartonage bedeckt.

in einer speziellen Katakombe oder einem Grab beigesetzt8 (Abb. 7). Nach der Beisetzung wanderte der göttliche Geist in den Körper eines neuen Tieres und der Zyklus setzte sich fort, ähnlich wie man es vom Dalai Lama kennt.9 Beispiele für solche Gottheiten sind Apis-, Buchis- und Mnevis-Stiere, die Sobek-Krokodile in Kom Ombo und Fayum sowie die in Elephantine bestatteten ChnumWidder (Abb. 8. 9).10 Die Mehrzahl der ausgegrabenen Tiermumien fällt in die Kategorie der Votivgaben.11 Mumifiziert wurden auf diese Weise viele unterschiedliche Tierspezies in einer Zahl, die in die Millionen geht.12 Anstatt eine Statue oder eine Stele als Opfer darzubringen, kaufte man beim Priester ein mumifiziertes Tier, das mit einer bestimmten Gottheit in Verbindung stand, ließ es weihen, brachte es als Opfer dar und setzte es an einem der jeweiligen Gottheit geweihten Festtag in einer speziellen Katakombe oder Grabstätte bei.13

Einige Tiere wurden dazu in einem Tontopf oder Sarg platziert, die meisten aber waren einfach nur umwickelt und wurden so in der

Abb. 9 Röntgenbilder des ChnumWidders, die Amulette auf seinem Kopf und die Zähne zeigen. Offensichtlich war der Widder von Hand mit Brei gefüttert worden, denn die Zähne sind völlig abgenutzt.

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Abb. 10 Röntgenaufnahme einer Katzenmumie, die zeigt, dass man ihr absichtlich den Hals gebrochen hat.

Grabstätte abgelegt (vgl. Abb. 7). Möglicherweise war diese spezielle Tiermumie deshalb so populär, weil dafür ein Geschöpf sein Leben gelassen hatte (wir besitzen einige Beispiele, bei denen die Tiere eigens getötet wurden;14 Abb. 10), von dem man annahm, dass es eine enge Beziehung zu dem Gott hatte und somit ein besonders effektiver Fürsprecher war. Innerhalb dieser Gruppierung findet sich eine weitere Tiermumien-Kategorie, die Fachleute als «antik gefälschte» oder «falsche Mumie» bezeichnen.15 Es handelt sich um Mumien-

bündel, die kein ganzes, sondern nur Teile eines Tiers enthalten, z. B. ein Bündel Federn (Abb. 11) oder ein paar Fußknochen; manche enthalten sogar gar keinen Tierbestandteil. Offenbar haben entweder die Priester in solchen Fällen die Pilger betrogen oder die Idee der alten Ägypter, dass ein Teil das Ganze symbolisiert, wurde verwirklicht. Es könnte allerdings auch sein, dass es sich bei diesen Fragmenten um Abfall handelte, der bei der Anfertigung einer Tiermumie angefallen war; da diese Reste auch vergöttlicht waren, musste man ebenfalls Mumien daraus herstellen. Die letzte Kategorie von Tiermumien möchte ich «Sonstiges» nennen – hier finden sich alle Mumien, die sich keiner der zuvor definierten Kategorien zuordnen lassen. So wurden in einigen Fällen verschiedene Tiere (Ibis, Hund, Schlange) mitbestattet und an den vier Seiten eines Körpers platziert,16 was möglicherweise die vier Horussöhne oder andere Schutzgottheiten repräsentieren sollte, oder sie fungierten als Wächter17 oder Amulette für die Toten.18 Trotz der Bedeutung, die die alten Ägypter ihnen beimaßen, blicken die Tiermumien wie die menschlichen Mumien19 auf eine wechselvolle und oft haarsträubende Geschichte zurück. Katzenmumien sind nach Europa als

Abb. 11 Umwickeltes Bündel Ibisfedern, eine Votivgabe aus Abu Rawasch.

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Düngemittel verkauft worden, diverse Tiermumien wurden von Touristen als Kuriosität gekauft, nur um daheim im Müll zu landen, sobald man sie nicht mehr so spannend fand (oder sie zu riechen begannen). Man hat Tiermumien als Brennstoff benutzt und Seife aus ihnen hergestellt.20 In der Frühzeit ihrer Disziplin nahmen Ägyptologen hin und wieder Tiermumien mit, als kuriose Manifestation der altägyptischen Religion der späteren Epochen oder als Beispiele für die Wickeltechnik fachkundiger Einbalsamierer. Ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenkten den Mumien die Naturforscher. Ende des 18. und Anfang des 19. Jhs. untersuchten E. G. St. Hilaire und G. Cuvier Tiermumien, um mehr über die antike Umwelt und die verschiedenen Tierarten zu erfahren, die im alten Ägypten lebten – ein intellektueller roter Faden, den um die Wende zum 20. Jh. L. C. Lortet und M.-C. Gaillard wieder aufnahmen, deren umfangreiche Sammlungen die Grundlage für die Sammlungen von Tiermumien im Ägyptischen Museum Kairo und im heutigen Musée des Confluences in Lyon bilden.21 Nach einer längeren Pause wird diesen Artefakten erst seit Kurzem der Respekt gezollt, den sie verdienen. Tiermumien sind eine äußerst wichtige Informationsquelle über das Klima, die Umwelt, die Tierarten und ihre Entwicklung, über tierärztliche Praktiken, religiöse und kulturelle Überzeugungen, über Technologie, Handel und Wirtschaft. Durch ihr Studium kann man zudem die Arbeit einzelner Werkstätten, die geographische Herkunft und die Datierung bestimmen. Diese Mumien lassen sich auf unterschiedliche Weise untersuchen. Die wichtigste Methode ist die visuelle Untersuchung, die ein allgemeines Verständnis des Artefaktes vermittelt. Ferner ist die Radiographie von entscheidender Bedeutung: Der Inhalt von Mumienbündeln lässt sich sowohl röntgentechnisch als auch computertomographisch erfassen (Abb. 12), ohne sie – wie in der Vergangenheit oft geschehen – auspacken oder beschädigen zu müssen.22 Zur Identifizierung von Materialien, die zur Einbalsamierung benutzt wurden, und um ihre Herkunft zu bestimmen, dienen Gaschromatographie und

Massenspektrometrie. So hat man z. B. bereits festgestellt, dass zum Einbalsamieren bestimmte Harze aus der Levante importiert wurden.23 Datierungen mithilfe der genaueren C-14-Methode verraten, wie lange eine Nekropole genutzt wurde.24 Mittels DNATests kann man den Ursprung von Spezies und die Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen ermitteln.25 So postulierte G. St. Hilaire im Jahr 1807, dass zwei Krokodilarten (Crocodilus niloticus und Crocodilus suchus) mumifiziert worden seien – eine Behauptung, die sich erst 2011 mithilfe von DNA-Tests verifizieren ließ.26 Isotopbestimmungen können dabei helfen, die Bewegungen von Tierpopulationen zu identifizieren, was insbesondere für die Festlegung von Handelsrouten für exotische Tiere interessant ist. Diesbezüglich hat man Untersuchungen an Pavianen durchgeführt.27 Weitere Informationen erhalten Forscher durch die Untersuchung von Balsamierungsstätten und Bereichen, die mit der Weihung von Tiermumien in Verbindung stehen. Solche Örtlichkeiten befinden sich z. B. in Memphis und Tuna elGebel. Experimentelle Untersuchungen zeigen uns nicht nur, wie Mumien hergestellt wurden und warum bestimmte Techniken

Abb. 12 CT-Scans haben eine extrem hohe Auflösung und zeigen besonders viele Details. Dieses Bild zeigt das Innere eines Tontopfs mit Knochenfragmenten, Federn und Kieselsteinen, den Überresten einer IbisMumifizierung.

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Abb. 13 Diese zwei Spitzmäuse wurden in einer Kalksteinkiste in Abydos gefunden. Der Deckel war mit einem vergoldeten erhabenen Relief der zwei Spitzmäuse versehen, was auf die besondere Beziehung dieser Tierart zum Sonnengott verweist.

Abb. 14 Mumie eines heiligen Krokodils von über fünf Metern Länge. Zu Lebzeiten wurde es angebetet, gefüttert und gepflegt; Pilger kamen es besuchen und befragten es als Orakel.

dabei bevorzugt angewendet wurden, sondern auch, welches überschüssige Material bei der Mumienproduktion anfiel, was dabei hilft, Balsamierungsstätten im archäologischen Befund zu identifizieren.28 Nekropolen, insbesondere solche mit Votivmumien, finden sich in ganz Ägypten.29 Die meisten von ihnen scheinen in die Spätzeit zu datieren und wurden bis in die römische Zeit hinein benutzt. Zahlreiche verschiedene Tierarten wurden mumifiziert: Hunde, Katzen, Rinder, Schafe, Ziegen, Gazellen, Ibisse, Greifvögel, Spitzmäuse (Abb. 13), Krokodile (Abb. 14), Schlangen, Eidechsen, Fische und Skarabäen (manchmal sogar mitsamt ihren Mistkugeln). Sie wurden auf verschiedene Weise mumifiziert, je nachdem, ob sie Fell, Federn, Flossen oder Schuppen hat-

ten. Zudem unterschieden sich die Mumifizierungstechniken auch nach wirtschaftlichen, chronologischen, geographischen oder stilistischen Gesichtspunkten. Grundsätzlich entfernte man die Eingeweide, trocknete den Körper mithilfe von Natron aus, salbte das Tier mit Ölen und Harzen und umwickelte es dann mit Leinenbinden. Das Gehirn wurde bei Tieren nicht entnommen, da es bei den meisten Tieren von vernachlässigbarer Größe war; bei einigen Tieren, z. B. Spitzmäusen, wurden nicht einmal die Eingeweide entfernt. Es gab allerdings auch andere Varianten: In einigen Fällen, wie bei den Buchis-Stieren von Armant und ihren Müttern, scheinen den Tieren Einläufe aus Zedernöl oder ähnlichen Ölen verabreicht worden zu sein, um die inneren Organe aufzulösen anstatt sie manu-

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ell zu entnehmen.30 Einige Vögel dürfte man vor dem Umwickeln in eine Mischung aus Harz und Öl getaucht haben (Abb. 15). Es gibt Fälle von einbalsamierten Pavianen, die man in mit Gips gefüllten Holzkisten platzierte, um die Position der Tiere zu bewahren.31 Bei manchen Tieren, z. B. einigen Rindern (CG 29676, CG 29860), Schafen und Ziegen (Nationalmuseum der Altertümer, Leiden Inv. No. BA 217; AMM 16e) oder Hunden (CG 29758), wurde möglicherweise irgendeine Art Mazeration durchgeführt. Dann wurden die Knochen gesammelt, in ein Simulakrum des Tieres eingewickelt und begraben. Die verschiedenen Typen stellen klar, dass Tiermumien im Leben der alten Ägypter eine Vielzahl von Funktionen erfüllten – emotionale, spirituelle, materielle, praktische und ökonomische. Was die emotionale Funktion betrifft, so ist das Bestatten des eigenen Haustiers, damit es einem im Jenseits Gesellschaft leistet, ein äußerst wichtiges Zeugnis für die enge Beziehung zwischen Mensch und Tier. Ob es sich dabei um Tiere handelte, die nur Gefährten waren, oder zusätzlich geschätzte Jagdhunde (z. B. CG 29836), relativ seltene Pferderassen (CG 29897)32 oder importierte Affen, wie sie in Theben (CG 29837, CG 29838, CG 29839)33 oder Sakkara34 gefunden wurden: Die starke emotionale Bindung zwischen einem Haustier und seinem Besitzer ist sicherlich etwas, das wir heute noch nachvollziehen können. Auf andere Weise erfüllten Votivmumien auch ein emotionales Bedürfnis, zusätzlich zu dem spirituellen: Sie stellten ein persönlicheres Instrument zur Kommunikation mit einer bestimmten Gottheit dar. Diese Mumien galten als immerwährende Fürsprecher, die einst aus Fleisch und Blut bestanden, und die dem Bittsteller halfen, eine intimere und dauerhafte Beziehung zu der Gottheit aufzubauen – eine Beziehung, die die Grenzen der materiellen Welt überwand. Die Tierkulte, die sich bis zum Anbeginn der ägyptischen Geschichte zurückverfolgen lassen35 und ab der Spätzeit florierten,36 erfüllten neben dem spirituellen Bedürfnis auch ein Bedürfnis der Ägypter nach nationaler Identität. Wahrscheinlich gewannen diese Kulte als Reaktion auf die Fremdherrschaft durch Nubier,

Abb. 15 Der Heilige Ibis war in Ägypten einst extrem verbreitet; seit Ende des 19. Jhs. ist er dort ausgestorben. Hier sieht man ein mumifiziertes Paket, bei dem der Kopf des Vogels in versteiftem Leinen und mit Farbe nachgebildet ist.

Assyrer und Perser in der Spätzeit an Bedeutung. Sie halfen den Ägyptern, eine spezifische Identität auszubilden, die sich von derjenigen der Invasoren völlig unterschied. Zudem gewährte sie den Ägyptern in einer Zeit des Aufruhrs und der Unsicherheit spirituelle Unterstützung. Zweifellos verstärkte die Tatsache, dass sie ihre Gottheiten auf diese Weise physisch betrachten konnten (im Gegensatz zu den Abbildern der Götter, die traditionell abgeschieden im Tempel aufbewahrt wurden), bei den Ägyptern das Gefühl, eine persönlichere und unmittelbarere Interaktion und Beziehung zu dem Gott aufzubauen. Darüber hinaus antworteten diese Kreaturen auf Fragen der Verehrer in Form von Orakeln – Fragen sowohl spiritueller als auch ganz praktischer Natur, z. B. bezüglich Adjudikation.37 Tierkulte und die dazugehörigen Mumien spielten in der Spätzeit und im griechisch-römischen Ägypten in mehrerlei Hinsicht auch eine ganz praktische Rolle: einmal wirtschaftlich, indem sie für die Tempel und die Bevölkerung Einkommen generierten, aber auch in Bezug auf die Beziehung zwischen Religion / Staat und ägyptischem Volk.38 Es ist

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Abb. 16 Hölzerner Sarg in Form einer Katze, der den mumifizierten Körper eines jungen Kätzchens enthält. Es ist möglich, dass es eigens als Opfertier gezüchtet und bereits als Kätzchen absichtlich getötet wurde.

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Abb. 17 Ein Affe, der in einem Grab im Tal der Könige gefunden wurde. Wahrscheinlich wurde er aus südlicheren Gebieten Afrikas importiert, um einem Pharao als Haustier zu dienen.

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durchaus möglich, dass Tempel diese Kulte förderten, um ihre Macht und ihren Reichtum aufrechtzuerhalten oder sogar noch auszubauen, in Zeiten, in denen der traditionelle Förderer, der Pharao bzw. Staat, zu schwach, zu arm oder vergleichsweise unfähig war, die nötigen finanziellen Mittel bereitzustellen. Insbesondere dann, wenn die Identität des Pharaos zeitweise infrage gestellt wurde, sorgten die Tempel für Stabilität und Kontinuität und garantierten der Bevölkerung die Aufrechterhaltung der Maat. Die Tierkulte steigerten die Beliebtheit der Tempel, indem sie Schutz durch eine zugängliche Gottheit bereitstellten.39 Das «Geschäft» mit der Herstellung von Votivmumien, die untrennbar mit dem Kult des Heiligen Tieres verbunden waren, hätte Öl in das Getriebe der Wirtschaft gegeben. Doch die Tiere mussten beschafft, gefüttert und versorgt werden.40 Einige dieser Tiere dürften auf dem Tempelgelände selbst gehalten worden sein, andere dürften von Einheimischen gezüchtet worden sein, die in der Umgebung eines Tierkult-Tempels lebten, und zwar als Bestandteil eines Heimgewerbes, welches eine wichtige Einnahmequelle für sie darstellte und für eine größere Loyalität (oder zumindest eine auf Finanzen basierende Loyalität) der Tierzüchter zum Tempel sorgte (Abb. 16).41 Zur Anlage von Katakomben wurden zahlreiche Arbeiter, sowohl Facharbeiter als auch ungelernte benötigt; in manchen Fällen wurden zur Aufbewahrung der einbalsamierten Tiere tausende Töpfergefäße hergestellt; davon profitierten andere geschickte Handwerker. Um die Mumien herzustellen, benötigte man tausende Tonnen Natron, die in Wadi Natrun und Elkab gesammelt und durch das Land transportiert werden mussten. Mit Harzen und Ölen, die oft aus der Levante und möglicherweise auch aus Ostafrika und dem heutigen Jemen importiert wurden, handelte man und verteilte sie in ganz Ägypten. Außerdem benötigte man Leinentücher, um die Mumien einzuwickeln. Höchstwahrscheinlich wurden manche der bei griechisch-römischen Mumien verwendeten Tücher in rosa und beige gefärbt. Auch die Produktion in kleinem Umfang von Masken aus Kartonage oder Leichentüchern und von Särgen, die aus einhei-

mischem oder importiertem Holz hergestellt wurden, war ein Wirtschaftsfaktor – nicht zu vergessen die diversen Tierkultfeiern, anlässlich derer die Menschen in die Tempel strömten, darunter vor allem die großangelegten, wie Komplexe der Heiligen Tiere in Sakkara und in Tuna el-Gebel. Zu solchen Veranstaltungen reisten neben den Menschen aus der Region auch zahlreiche Pilger aus nah und fern an, wie bei den traditionellen mawlids.42 Die Besucher mussten essen und trinken, benötigten teilweise eine Unterkunft und wahrscheinlich erwarben sie nebenbei auch bestimmte Waren, wenn sie erhältlich waren, und verkauften andere, wie es noch heute bei religiösen Veranstaltungen der Fall ist. All dies waren Faktoren, die zum Funktionieren der Wirtschaft beitrugen, und sie heben die Bedeutung der Tempel im spirituellen, täglichen und wirtschaftlichen Leben der alten Ägypter hervor. Die verschiedenen Arten von Tiermumien, die ich hier beschrieben habe, veranschaulichen, welch wichtige und komplexe Funktion den Tieren im Leben der alten Ägypter zukam. Proviantmumien versorgten die Toten mit Nahrung und sorgten so für ein ewiges Weiterleben ihrer Besitzer. Mumien heiliger Tiere und besonders Votivmumien stellten eine spirituelle Verbindung zwischen den Menschen und ihren Gottheiten her und verstärkten das Gefühl für die eigene Identität; ihre Produktion und Beisetzung war ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der die Beziehung zwischen Tempeln, Priestern und Bevölkerung verstärkte. Dennoch war die Beziehung zwischen Mensch und Tier nicht immer bloß praktischer, gesellschaftlicher oder religiöser Art, sie konnte auch sehr persönlich und emotional sein, wie die Mumien von Haustieren bezeugen (Abb. 17). Diese ständigen Begleiter im Leben der Menschen wurden nach ihrem Tod sorgfältig mumifiziert und zusammen mit ihren Haltern bestattet – ein bleibendes Zeugnis für die Liebe zwischen Mensch und Tier. Tiere waren sowohl in dieser Welt als auch in der nächsten für die alten Ägypter von wesentlicher Bedeutung. Sie bereicherten nicht nur ihren Speiseplan, sondern auch ihre Seelen und Herzen. Übersetzung von Cornelius Hartz, Hamburg

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Tiere im Denken der Griechen und Römer – Eine schwierige Sache von Stephen T. Newmyer

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nser Verständnis der griechisch-römischen Ansichten bezüglich der Stellung von Tieren in der Hierarchie der Lebewesen basiert auf relativ zahlreichen literarischen Quellen. Sie gestatten uns, von der Sichtweise der klassischen Antike auf andere Spezies ein klareres und umfassenderes Bild zu entwerfen, als es aufgrund der oft spärlichen archäologischen Überreste gewonnen werden kann, von denen unser Verständnis der Stellung der Tiere in anderen alten Kulturen häufig abhängt. Ironischerweise ergibt gerade diese Fülle noch vorhandener Quellen ein komplexes und manchmal widersprüchliches Bild der griechisch-römischen Ansichten über die Interaktion und das Verhältnis von Menschen und Tieren. Anthropozentrischen Ansprüchen auf menschliche Überlegenheit gegenüber anderen Spezies, wie man sie in philosophischen Texten antrifft, stehen Andeutungen von Mitgefühl angesichts tierischen Leids gegenüber und Zuneigung zu anderen Spezies, auf die man im agrarwirtschaftlichen und militärischen Kontext trifft. Im Ganzen betrachtet legen diese Äußerungen eine komplexe Einschätzung des Verhältnisses zwischen dem Menschen und seinen tierischen Verwandten innerhalb der griechisch-römischen Kultur nahe. Selbst innerhalb der philosophischen Tradition können wir eine schrittweise Entwicklung ausmachen: von der Überzeugung, dass die ganze Lebenswelt aus einem oder mehreren gemeinsamen Grundbestandteilen hervorgeht, bis zur gegensätzlichen Ansicht, gemäß der der Mensch von der Tierwelt getrennt und ihr übergeordnet sei. Dank der reichhaltigen schriftlichen Überlieferung aus der klassischen Antike ist es uns möglich, eine Reihe verschiedener Fragen aufzuwerfen, die im Bereich anderer alter Kulturen nicht ohne weiteres untersucht werden

können. Wir können beispielsweise den außerordentlich komplexen Beitrag der Griechen und Römer zur Frage nach den intellektuellen Fähigkeiten der Tiere untersuchen und können unter praktischen Gesichtspunkten betrachten, wie Tierzucht und -haltung im antiken Griechenland und Rom gehandhabt wurden. Wir können die Frage, ob Menschen Tiere zu Recht verzehren dürfen, in gewisser Detailgenauigkeit untersuchen, da sich die Ansichten darüber bei den Griechen und Römern mit der Zeit entwickelt haben; und wir können den Grad emotionaler Verbundenheit abschätzen, den Menschen gegenüber Tieren empfunden haben. Was vielleicht angesichts seines Einflusses auf die nachklassische Zeit am wichtigsten ist: Wir können ein deutliches und detailliertes Bild davon ent-

Abb. 1 Illustration des Empedokles in der Schedelschen Weltchronik, auch Nürnberger Chronik genannt, von 1493.

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Tiere im Denken der Griechen und Römer

werfen, welchen Platz Menschen in der Hierarchie der Lebewesen aus Sicht der Griechen und Römer einnehmen. Die Schlussfolgerungen der antiken Schriftsteller bezüglich dieser Frage – seien sie tierfreundlich oder

unverblümt anthropozentrisch – haben ohne Zweifel die spätere Behandlung anderer Spezies in einem Maß beeinflusst, wie es keine andere antike Kultur für sich beanspruchen kann.

Griechenland: Von der Einheit zur Verschiedenheit und wieder zurück

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rotz der schlechten Überlieferung der Werke der sog. Vorsokratiker – derjenigen Philosophen, die größtenteils vor Sokrates (469–399 v. Chr.) lebten – können wir in ihrer Beschäftigung mit dem Konzept von kosmos (wörtlich der «geordneten Einrichtung» der Bestandteile der Welt) ein primäres Interesse ausmachen: Die Vorsokratiker widmen sich besonders der Frage, ob ein «erstes Prinzip» (archē) gefunden werden könne, aus dem heraus sich die ganze Welt entwickelt hat. Anaxagoras (ca. 500–428 v. Chr.) war der Ansicht, dass alle Lebewesen eine grundlegende Substanz gemeinsam haben, die er nous («Vernunft / Verstand») nannte. Sein Zeitgenosse Empedokles (ca. 492–432 v. Chr.; Abb. 1) vertrat dagegen die Verwandtschaft aller Lebewesen untereinander aufgrund ihrer gemeinsamen Teilnahme an den Elementen Luft, Erde, Feuer und Wasser – eine Einheit der Schöpfung, die allen Menschen, die ungerechtes Verhalten gegenüber anderen Tieren vermeiden wollten, eine vegetarische Lebensführung auferlegte. Der berühmteste antike Vertreter einer vegetarischen Ernährung, Pythagoras (wahrscheinlich 6. Jh. v. Chr.; Abb. 2), nutzte die Lehre der sog. metempsychōsis, der Seelenwanderung, um aufzuzeigen, dass die Tötung eines beliebigen Tiers, dessen Seele daraufhin in den Körper eines Menschen oder eines anderen Tiers übergehen kann, eine ungerechte Handlung darstelle, da man auf diese Weise unabsichtlich einen ehemaligen Menschen verzehren könnte. Innerhalb dieser frühen griechischen Äußerungen bezüglich der Einheit der Tierwelt stoßen wir auf einen der einflussreichsten Versuche eines griechischen Denkers, Menschen aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten von anderen Tieren zu unterscheiden.

Der Arzt und Naturforscher Alkmaion von Kroton (wahrscheinlich frühes 5. Jh. v. Chr.) behauptete, dass nur der Mensch «versteht» (xyniēsi), wohingegen andere Tiere lediglich «wahrnehmen» (aisthanetai) (fr. 24 B 1 a Diels / Kranz) – dies entspricht den von Alkmaion festgestellten verschiedenen mentalen Fähigkeiten der einzelnen Arten. Alkmaions Behauptung stellt das früheste im griechischen Raum überlieferte Zeugnis dafür dar, dass der Mensch aufgrund seiner Natur über anderen Spezies steht; sie markiert den ersten Schritt hin zur später unter den Griechen verbreiteten Auffassung, dass der Mensch von der übrigen Tierwelt verschieden sei oder sogar ganz außerhalb derselben stehe.1 Der einzige vor Alkmaion erhalten gebliebene Versuch innerhalb der griechischen Literatur, zwischen Menschen und anderen Spezies begründet zu unterscheiden, findet sich beim Lehrdichter Hesiod (vielleicht um 700 v. Chr.). Er stellt die bahnbrechende Behauptung auf, Zeus habe die Gerechtigkeit (dik ē) nur den Menschen, aber nicht den Tieren gegeben, die deshalb einander verschlingen (Werke und Tage [Opera et dies] 276–280). Hesiods Kernthese ist, dass Götter und Menschen miteinander verwandt sind, weil beide eine wichtige intellektuelle Fähigkeit (den Sinn für Gerechtigkeit) besitzen, die dennoch eine direkte Gabe der Götter allein an die Menschen darstellt. Der Dichter versucht hier anders als Alkmaion nicht, irgendeine naturgegebene Überlegenheit des Menschen gegenüber den Tieren zu beanspruchen. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Forschung diese deutlich anthropozentrische Haltung gegenüber den Tieren als Ausdruck der Tendenz griechischen Denkens ge-

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Abb. 2

Bronzebüste des Pythagoras, heute im Archäologischen Nationalmuseum, Neapel.

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deutet, bestimmte Klassen von Individuen als «Andere» zu betrachten. Dabei wird einer Seite der solchermaßen zusammengestellten Paare immer das Stigma der Minderwertigkeit angeheftet. Zu diesen polaren Gegenüberstellungen im griechischen Denken gehören beispielsweise «Grieche – Barbar», «männlich – weiblich», «Sklave – Freier» sowie «Mensch – Tier». Die Behauptung des Aristoteles (384–322 v. Chr.; Abb. 3), der Mensch sei aufgrund der nur ihm eigenen Vernunft vom Rest der Tierwelt unterschieden, trug dazu bei, eine Mauer zwischen den Spezies zu errichten, die in der klassischen Antike nie wieder eingerissen werden sollte und sich im griechischen Denken zur Überzeugung kristallisierte, dass

Tiere innerhalb der Welt eine intellektuell untergeordnete Kategorie darstellen. In seinen politischen und ethischen Schriften vertrat Aristoteles die Ansicht, dass andere Spezies um der Menschen willen und zum Gebrauch durch die Menschen geschaffen worden seien (beispielsweise Politik I 8, 1256 b 21–23), und dass es keine Beziehung auf Basis von Gerechtigkeit und Freundschaft zwischen Menschen und Tieren gebe, da vernunftlose Tiere nichts mit den vernunftbegabten Menschen gemein hätten (Nikomachische Ethik VIII 13, 1161 b 2–4). Gleichwohl entwirft Aristoteles in seinen zoologischen Schriften ein großzügigeres Bild der intellektuellen Fähigkeiten der nichtmenschlichen Spezies, indem er beispielsweise anmerkt, dass die meisten Tiere durch

Abb. 3 Marmorbüste des Aristoteles, heute im Museo Nazionale Romano Palazzo Altemps, Rom.

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Wahrnehmung, Gedächtnis und Überlegung zum Handeln angetrieben werden (Über die Bewegung der Tiere [De motu animalium] 7, 701 a 35–36). In ähnlicher Weise gesteht er zu, Tiere besäßen etwas dem vernünftigen Verstand Ähnliches (Historia animalium VII 1 [Balme], 588 a 23–24). Dennoch behauptet Aristoteles nie, dass nicht-menschliche Spezies dem Menschen hinsichtlich des gemeinsamen Besitzes von Vernunft verwandt seien; die Vernunft bleibt in seiner Sicht exklusiv dem Menschen vorbehalten. In seiner berühmtesten Aussage zum Unterschied zwischen Mensch und Tier bemerkt Aristoteles, dass andere Tiere in erster Linie aufgrund der Natur lebten, wohingegen der Mensch auch aufgrund der Vernunft lebe, da er allein Vernunft besitze (Politik VII 13, 1332 b 3–6). Aristoteles’ kritische Bemerkungen über den tierischen Intellekt sind das Ergebnis seiner zoologischen Forschungen; er schreibt den Menschen nirgends aufgrund des nur ihnen eigenen Vernunftbesitzes irgendeine Art moralischer Überlegenheit über andere Tiere zu. Es blieb der Stoa überlassen, Aristoteles’ naturwissenschaftliche Beobachtungen bezüglich der intellektuellen Unterschiede zwischen Menschen und Tieren zu ‹moralisieren› und auf der Grundlage dieser Unterschiede zu schließen, dass Tiere dem Menschen moralisch untergeordnet seien. Die Stoa war bereits von ihrer Gründung an eine philosophische Richtung, die besonders an ethischen Fragestellungen interessiert war und für die die Naturwissenschaft größtenteils als Hilfswissenschaft zur Unterstützung ihres ethischen Systems diente. Herzstück dieses Systems war die komplexe stoische Lehre von der oikeiōsis – ein Begriff, der sich in etwa als «Verwandtschaft», «Zugehörigkeit», «Angliederung» oder «Verbindung» übersetzen lässt. Gemäß dieser Lehre erkennt jedes Lebewesen bei seiner Geburt seine natürliche Verwandtschaft zu anderen Lebewesen derselben Art. Tiere haben, da ihre Seelen keine Vernunft besitzen, keine natürliche Verwandtschaft mit den Menschen, die aufgrund des ihnen gemeinsamen Besitzes der Vernunft einzig mit anderen Menschen verwandt sind. Tiere sind nur mit anderen Tieren verwandt, die alle durch die

Natur hervorgebracht wurden, um menschlichen Bedürfnissen zu dienen, und gegenüber denen Menschen zu nichts verpflichtet sind. Menschen dürfen demnach andere Lebewesen so behandeln, wie es ihnen angemessen scheint, ohne dabei irgendeine Pflicht zur übergeordneten Gerechtigkeit zu verletzen. Welchen extremen Standpunkt diese Lehre einnehmen konnte, illustriert die Aussage des stoischen Philosophen Chrysipp (280– 207 v. Chr.; Abb. 4): Gott habe den Schweinen eine dem Salz ähnliche Seele gegeben, die einzig dazu diene, die Tiere für die Menschen schmackhafter zu machen (fr. 723 = II, 206 ab Arnim). Außerdem seien Schalentiere dazu da, den Menschen eine abwechslungsreichere Ernährung zu gewährleisten. Erst spät in der griechischen Geistesgeschichte wird die Idee systematisch ausgearbeitet, dass Vernunft – und in Folge davon auch moralischer Wert – nicht das exklusive Vorrecht der Menschen sei. Die leiden-

Abb. 4 Marmorbüste des Chrysipp, heute im British Museum, London.

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schaftlichsten Vertreter der These, dass Tiere zumindest mit einem Minimum an Vernunft ausgestattet seien und deshalb Gegenstand moralischer Überlegungen durch die Menschen sein müssten und ihnen ihre menschlichen Geschwister eine gerechte Behandlung schulden, waren der Biograph und Buntschriftsteller Plutarch (ca. 50–120 n. Chr.) und der Neuplatoniker Porphyrios (234– ca. 305 n. Chr.; Abb. 5). Diese beiden sind zugleich die einzigen griechischen Schriftsteller, von denen vollständige Werke überliefert sind, in denen Tiere aus einer philosophischen statt aus einer zoologischen Perspektive betrachtet werden. In seinem Dialog Über die Klugheit der Tiere vertritt Plutarch die These, dass alle Lebewesen an Vernunft und Ver-

stand teilhaben (Über die Klugheit der Tiere [De sollertia animalium] 960 A). Vernunft existiert nach seiner Ansicht unter den Tieren in unterschiedlichem Maße, da einige Spezies einen höheren Grad von Vernunftgebrauch an den Tag legen als andere. Tiere könnten die Anforderungen ihres eigenen Körpers und der Umwelt, in der sie leben, nicht bewältigen, wenn die Natur sie nicht mit den intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet hätte, die nötig sind, um den Alltag zu bewerkstelligen: Sie könnten dann z. B. keine Behausungen errichten, keine Beute fangen, Feinden nicht entkommen oder nicht für ihren Nachwuchs sorgen. Plutarchs Dialog Gryllos oder Ob Tiere vernünftig sind (Gryllus an bruta animalia ratione uti) ist eine witzige Parodie auf

Abb. 5 Porphyrios war ein antiker neuplatonischer Philosoph. Französischer Stich aus dem 16. Jh.

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eine Episode in Homers Odyssee (10, 203– 574), in der der Titelheld die Zauberin Kirke besucht und sie bittet, seine in Schweine verhexten Gefährten wieder in Menschen zurückzuverwandeln. Das Schwein Gryllos, dessen Name «Quieker» bzw. «Grunzer» bedeutet, weigert sich, zurückverwandelt zu werden. Es vertritt nämlich die Meinung, dass gerade die Tiere das stoische Ideal des «naturgemäßen Lebens» erreichten – ein Ideal, das oft als Leben entsprechend den Geboten der Vernunft verstanden wird. Tiere jedoch, so das Schwein Gryllos, könnten, da sie ein weniger hoch entwickeltes Vernunftvermögen besäßen, ihre Vernunft im Denken nicht überlisten, wie es Menschen tun können. Diese nämlich könnten ihren überlegenen Verstand dazu einsetzen, die moralisch besseren Instinkte zu umgehen und zu pervertieren. Plutarchs Interesse an gerechtem Verhalten gegenüber Tieren wird besonders in seinem zweiteiligen Plädoyer für vegetarische Ernährung Über das Fleischessen (De esu carnium) deutlich erkennbar. Die Schrift ist besonders wegen der Fülle an Argumenten bemerkenswert, die Plutarch für den Verzicht auf fleischhaltige Ernährung anführt. Einige dieser Argumente finden sich, wenn überhaupt, nur selten in anderen antiken Erörterungen zum Thema, werden allerdings regelmäßig in der ethischen Debatte über verschiedene Ernährungsstile im 21. Jh. vorgebracht. Plutarch verwirft oder ignoriert einige andere Argumente, die für gewöhnlich in griechischen und römischen Abhandlungen zum Thema vorgebracht werden. Die Frage, was Pythagoras dazu brachte, sich von Fleisch fernzuhalten, tut Plutarch z. B. als unwichtig ab, denn philosophische Gründe für den Verzicht auf Fleisch tauchen in seiner Argumentation kaum auf. Bedeutsam aus seiner Perspektive ist indes die Ansicht, dass Tiere genügend Intelligenz besäßen, sich während der Schlachtung durch Schreie und Quieken ihrer Tötung zu widersetzen. Das Schlachten diene nämlich nur dem Zweck, den Menschen eine reichhaltigere Ernährung zu ermöglichen, während den Tieren wiederum das Leben genommen und die von der Natur zugewiesene Lebenszeit verkürzt

werde. Menschen würden das Aufschreien der Tiere als bedeutungslose und unzusammenhängende Lautäußerungen missverstehen, wohingegen es in Wahrheit, so Plutarchs Überzeugung, ein flehentlicher Ruf nach Gerechtigkeit sei (Über das Fleischessen 994 E). In seiner Abhandlung Über die Enthaltung von Fleisch (De abstinentia), einer umfangreichen und elaborierten Verteidigung der vegetarischen Lebensführung, bedient sich Porphyrios einiger aus Plutarch entlehnter Argumente, um zu zeigen, dass Menschen ihren nicht-menschlichen Verwandten aufgrund von deren Teilhabe an der Vernunft Gerechtigkeit schulden. Er entfaltet Plutarchs Idee, dass tierische Lautäußerungen in Wahrheit eine Form artikulierten Sprechens seien, indem er darlegt, dass Menschen den Intellekt anderer Arten falsch einschätzen: Weil sie nicht gelernt haben, die Sprache der Tiere zu verstehen, sei ihr Schluss, tierische Äußerungen seien bedeutungslos, nicht gerechtfertigt. In Opposition zur stoischen Lehrmeinung, die Natur habe alle Tiere zum Nutzen des Menschen hervorgebracht, fragt Porphyrios, wie man sicher sein könne, dass nicht genau das Gegenteil der Fall sei und es von der Natur geradezu intendiert sei, dass Menschen ihrerseits Krokodilen, Schlangen und Walen als Nahrung dienten (Über die Enthaltung von Fleisch 3, 20, 6). Ein in der Abhandlung des Porphyrios besonders prominentes Argument, das in Plutarchs Einsatz für den Vegetarismus keine besondere Rolle spielt, ist die Ansicht, dass Fleischkonsum die menschliche Seele nach unten ziehe und vom Göttlichen entfremde, da der Mensch durch die Aufnahme von Fleisch schwer, grob und ungeeignet für die Gottesgemeinschaft werde. Obwohl Porphyrios zur Untermauerung des von ihm vertretenen Vegetarismus teilweise auf philosophische Argumente zurückgreift, die in Plutarchs Einsatz für fleischlose Ernährung ohne wesentliche Bedeutung sind, stimmen beide Philosophen darin überein, dass Tiere einen Anspruch auf gerechte Behandlung durch ihr menschliches Gegenüber haben und den Menschen verwandt sind, da auch sie zumindest zu einem gewissen Grad an der Vernunft partizipieren.

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Rom: Grausamkeit und Güte

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Abb. 6 Mosaik aus dem «Haus des tragischen Dichters» in Pompeji.

ie oben ausgeführt hängt unser Verständnis der verschiedenen griechischen Einstellungen gegenüber Tieren zum großen Teil von den überlieferten philosophischen und naturwissenschaftlichen Quellen ab. Diese Haltungen waren, wie oben bemerkt, besonders konfliktreich und bestimmt sowohl von Ansprüchen menschlicher Überlegenheit über andere Lebewesen als auch von Äußerungen der Zusammengehörigkeit mit ihnen und des Respekts für sie. Diese Ambiguität ist deutlich in der oben behandelten griechischen Diskussion für und gegen fleischlose Ernährung zu greifen, die sich von den vorsokratischen Philosophen bis ins 3. Jh. n. Chr. des Römischen Reiches hinzog, wobei innerhalb des ein ganzes Jahrtausend überspannenden Diskurses kein Konsens erreicht wurde. Wendet man sich den römischen Zeugnissen zu, so lassen die alltäglichen Interaktionen zwischen Tier und Mensch eine ähnlich ambivalente Einstellung zur Mensch-TierBeziehung vermuten: Beispiele grausamer Aus-

beutung und einfühlender Zuneigung stehen dabei in seltsamer Weise nebeneinander (Abb. 6). Die römische Vorliebe für exotische und blutrünstige Unterhaltung bei den Kampfdarbietungen in der Arena – ob dabei nun Menschen gegen Menschen, Menschen gegen Tiere oder Tiere gegeneinander antraten (Abb. 7. 8) – mag die Anschauung illustrieren, dass der Mensch den gefährlichen und feindlichen Elementen der Natur überlegen ist. Im Zuge der Demonstration dieser Anschauung hat Rom ganze Spezies großer Wildtiere ausgelöscht. Während der hunderttägigen Feier zur Einweihung des Flavischen Amphitheaters, des sog. Kolosseums, im Jahr 80 n. Chr. wurden 9000 große Wildtiere getötet, und Kaiser Trajan ließ im Jahr 107 n. Chr. zur Feier seines Sieges über die Daker 11 000 Tiere abschlachten. Gelegentlich kann man aber auch Zeichen echter Sympathie von Seiten der Menschen gegenüber dem Leid der in der Arena zugrunde gerichteten Tiere erkennen. Im achten

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Abb. 7

Mosaik mit der Darstellung eines Tierkampfs, heute im Mosaikmuseum Istanbul.

Abb. 8

Mosaik mit der Darstellung von Kampfdarbietungen in der Arena, Sousse, Tunesien.

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Abb. 9 Plinius der Ältere.

Buch seiner 37 Bücher umfassenden Naturgeschichte (Naturalis historia) – einer umfangreichen Sammlung naturwissenschaftlicher Beobachtungen und Forschungen, deren Bücher 8–11 der Zoologie gewidmet sind – bietet Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.; Abb. 9) eine Version einer im antiken Schrifttum oft anzutreffenden Anekdote: Bei den Feierlichkeiten zur Eröffnung des nach dem römischen General Pompeius benannten Theaters im Jahr 55 n. Chr. habe bei einer Darbietung eine Herde Elefanten schwerbewaffneten Männer zum Kampf gegenübergestanden. Zu Beginn hätten die Tiere die Hiebe ihrer menschlichen Gegner erfolgreich abgewehrt; als sie realisiert hätten, dass sie ihre Tötung nicht würden umgehen können, hätten sie durch Gestikulieren und das ostentative Klagen über ihr Schicksal versucht, das Mitgefühl der Zuschauer zu erregen (Naturalis

historia 8, 7, 21). Die Menge der Zuschauer habe sich daraufhin erhoben und Pompeius wüst beschimpft. Derartige Mitleidsbekundungen angesichts des Schicksals der in der Arena kämpfenden Tiere stellten unter den antiken Zeugnissen eher die Ausnahme als die Regel dar. Vielmehr bekundeten die Autoren wesentlich häufiger ihr Bedauern gegenüber den dabei zu Tode gekommenen Menschen als gegenüber den getöteten Tieren. Der römische Stoiker Seneca (4 v. Chr.–65 n. Chr.; Abb. 10) verurteilt in seiner Darstellung desselben Vorfalls im Theater des Pompeius die gesamte Veranstaltung, allerdings nicht wegen der Grausamkeit gegenüber den Elefanten, sondern aufgrund von Pompeius’ eitler Überheblichkeit: Dieser nämlich habe sich selbst über die natürliche Ordnung hinwegsetzen wollen, indem er Menschen gegen außerordentlich große Wildtiere antreten ließ. Außerdem habe er sich nicht damit zufriedengegeben, dass die Menschen von anderen Menschen verstümmelt wurden, sondern habe sie von schweren Elefanten zertrampeln lassen (Über die Kürze des Lebens [De brevitate vitae] 13, 6–7). Wenn wir in der griechisch-römischen Antike nach Sympathiebekundungen angesichts tierischen Leids suchen, müssen wir uns meist abseits des philosophischen Schrifttums umsehen. Zugleich aber gibt es kaum Hinweise, dass eine derartige Sympathie gegenüber Tieren, wie man sie in antiken Quellen finden kann, tatsächlich zu einer Verbesserung tierschutzrechtlicher Bestimmungen geführt hätten. Dennoch gibt es gelegentlich Nachrichten über Bestrafungen mutwilliger Tierquälerei. Plutarch erwähnt, dass die Athener einen Menschen verurteilt hätten, der einen Schafbock bei lebendigem Leibe häutete (Über das Fleischessen 996 A). Das im römischen Kontext größte Mitgefühl mit Tieren findet sich in den Lehrbüchern der Agrarschriftsteller, deren Werke größtenteils auf Latein verfasst wurden. Besonders augenfällig sind die außergewöhnlich humanen Empfehlungen des römischen Agrarschriftstellers Columella (ca. 50 n. Chr.; Abb. 11). Dieser schrieb vor, man solle Schweine im Dreck nach Futter wühlen und sich dort nach Belieben suhlen lassen, da sie dabei Freude

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Abb. 10 Römische Doppelherme: Seneca, heute in der Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin.

Abb. 11 Lucius Iunius Moderatus Columella.

empfänden; ferner sollte Ferkeln genügend Platz gewährt werden, um ihnen zu ermöglichen, ihre Mütter nach eigenem Ermessen aufzusuchen und zu verlassen (Über die Landwirtschaft [De agricultura] 7, 9, 7). Die moderne Massentierhaltung und ihre Missachtung derartig tierfreundlicher Forderungen würde Columella mit Abscheu erfüllen. Auch Plutarch berichtet davon, dass Landwirte, um ihren Profit zu steigern, die ihnen anvertrauten Tiere entsetzlich gequält hätten: Einige hätten, um das Blut von Schweinen schmackhafter zu machen, den Tieren rotglühende Schüreisen in den Rachen gedrückt; außerdem hätten sie Kraniche und Schwäne in Dunkelheit für den Verkauf zwangsgemästet (Über das Fleischessen 997 A). Diese Gräueltaten erinnern erneut an Praktiken der modernen Massentierhaltung. Alles in allem belegen die erwähnten Zeugnisse von Columella und Plutarch, dass sich

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Abb. 12 Mosaik mit der Darstellung des Dreschens von Getreide mit Pferden und Rindern aus der Küstenvilla von Dar Buc Ammera bei Zliten, Umgebung von Leptis Magna (Tripolitanien, Libyen).

die Interaktion zwischen Menschen und Tieren auch im Kontext der antiken Landwirtschaft (Abb. 12) uneinheitlich und widersprüchlich zeigt: Auch hier stehen sich Güte und Grausamkeit unvereinbar gegenüber. Eine weitere Unterart der Agrarschriftstellerei, die aus dem römischen Umfeld überliefert ist, während sie im griechischen Kontext weitestgehend fehlt, bilden einige detaillierte veterinärmedizinische Handbücher, die offenbar aus dem 4. Jh. n. Chr. stammen. Agrarschriftsteller wie Columella, die landwirtschaftliche Abhandlungen allgemeiner Art verfassten, berücksichtigen gelegentlich auch Anweisungen, wie die Gesundheit der gehaltenen Tiere sichergestellt werden kann.

Auf einzelne Arten spezifizierte Abhandlungen sind unter Titeln wie mulomedicina bzw. Pferdeheilkunde überliefert; diese unterrichten ausführlich über medikamentöse und sogar operative Behandlung von Huftieren. Der Zweck dieser Abhandlungen war es, die Gesundheit der für Kriegszwecke notwendigen Tiere zu erhalten. Interessanterweise lässt sich beobachten: Wie die medizinische Versorgung der Armeeangehörigen qualitativ höherwertig war als die des durchschnittlichen römischen Bürgers, so war auch die medizinische Sorgfalt, die man den zu Kriegszwecken verwendeten Tieren entgegenbrachte, qualitativ sogar höherwertig als die, die man menschlichen Zivilisten entgegenbrachte.

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Klassische Ambiguitäten

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inige Altertumswissenschaftler haben ein deutlich freundlicheres Bild vom Verhältnis zwischen Menschen und ihren nicht-menschlichen Verwandten in der griechisch-römischen Antike gezeichnet als diese Untersuchung. Die Belege, die diese Wissenschaftler für ihre Darstellung anführen, stammen vorrangig aus der agrarwissenschaftlichen Literatur der oben dargestellten Art, während sie die Bedeutung philosophischer und zoologischer Gegenbelege entweder abwerten oder gänzlich außer Acht lassen. Ein umfassendes Panorama der Einstellungen gegenüber Tieren in der griechisch-römischen Antike muss dagegen auch die philosophische und naturwissenschaftliche Tradition in vollem Umfang berücksichtigen. Solch eine Perspektive führt zu einem weit weniger freundlichen Gesamtbild. Zeugnisse emotionaler Bindung und der Achtung gegenüber Tieren stehen Behauptungen der Einzigartigkeit und Vorherrschaft gegenüber, die dem Menschen aufgrund sei-

ner intellektuellen Überlegenheit zukämen. Das Nebeneinander dieser zwei Strömungen läuft auf eine Art Bipolarität bzw. Disjunktion der Haltung des Menschen gegenüber anderen Spezies hinaus. Die Griechen taten sich schwer damit, die unangenehme Wahrheit anzuerkennen, dass auch wir Menschen zum Tierreich gehören. Obwohl sie diese Gegebenheit theoretisch akzeptierten, entwickelten sie Strategien, um die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu minimieren; am einflussreichsten war dabei die lange Zeit vertretene Behauptung, nur der Mensch sei ein vernunftbegabtes Wesen. Demzufolge nahmen die Griechen die schroffen, in unserer Untersuchung aufgezeigten Dichotomien einfach hin und gaben sich damit zufrieden, in der Gegenüberstellung von Mensch und Tier in Fragen von Ähnlichkeit und Verschiedenheit, Zahmheit und Wildheit, Kultur und Chaos immer auf der überlegenen Seite zu stehen.2 Übersetzung von J. Althoff und B. Reitze, Mainz

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Mosaik mit der Darstellung von zwei Dompteuren mit einem Tiger, heute im Museo Nazionale Romano delle Terme, Rom (Foto: akg-images / Erich Lessing).

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«Sie ziehen auf Kamelen in die Schlacht und werfen ihre Speere» – Beja-Identität und Kamelwirtschaft in historischer Perspektive von Marianne Bechhaus-Gerst

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ie Beja bewohnen einen großen geographischen Raum, der das Gebiet zwischen Nil und Rotem Meer von Westen nach Osten, von Südägypten, über den Nordostsudan bis Eritrea von Norden nach Süden umfasst (Abb. 1). Der Name Beja ist vermutlich arabischen Ursprungs. Die Menschen, die so bezeichnet werden, hatten historisch keine Eigenbezeichnung, die die ganze Volksgruppe umfasste, sondern benannten sich nach der jeweiligen Untergruppe, zu der sie gehörten. Traditionell unterscheidet man fünf große Untergruppen: Bischariin, Amar’ar, Haɖenɖiwa, Halanga und Beni ʾAmir. Die Haɖenɖiwa oder Hadendoa, wie sie in der Literatur oft genannt werden, stellen die größte dieser Gruppen der Beja dar.1 In antiken, griechischen und römischen Quellen werden die Beja als Blemmyer bezeichnet. Mit ca. 1,5 Millionen Menschen gehören sie heute zu den größten Volksgruppen des Sudan. Die traditionelle Wirtschaftsform der Beja, mit Ausnahme der südlichen Halanga, ist die Kamelhaltung im Norden, die Rinderhaltung in den südlicheren feuchten Regionen. Ziegen und Schafe waren von jeher im gesamten Gebiet von großer Bedeutung. Nur die Halanga, die die fruchtbare Region um das Gash-Delta bewohnen, betrieben Landwirtschaft und waren in der Vergangenheit berühmte Pferdezüchter. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich ausschließlich mit den im Norden lebenden Beja-Untergruppen, die Kamelwirtschaft betreiben. Durch das 1892 veröffentlichte Gedicht Fuzzy Wuzzy des britischen Autors Rudy-

ard Kipling erlangten die Beja zumindest im englischsprachigen Raum eine gewisse Berühmtheit.2 Die Briten nannten die BejaMänner wegen ihrer kunstvollen Frisuren, ihrer Haartracht, Fuzzy Wuzzies. Aus Kiplings Gedicht spricht eine gewisse Bewunderung für die Kampfstärke der Beja, die zwischen 1881 und 1899 aufseiten der vereinten Armeen des sudanesischen Mahdi gegen die anglo-ägyptische Besatzung des Sudan kämpften und den feindlichen Armeen empfindliche Niederlagen beibrachten. Es waren vor allem die schwer bewaffneten Beja, in Teilen auf ihren schnellen und wendigen Kamelen, die die britischen Gefechtsformationen durchbrachen. Diese Bewunderung für die Beja-Männer als furchtlose Krieger zieht sich durch die Jahrhunderte, und das Kriegertum der Beja ist untrennbar verbunden mit der Einführung des Kamels in Nordostafrika (Abb. 3. 4). Sprachhistorische Untersuchungen haben ergeben, dass die Beja ab ca. 1500 v. u. Z. in ihren heutigen Wohngebieten ansässig waren.3 Vieles von dem, was über die nachfolgende Geschichte bekannt ist, ist dem Umstand zu verdanken, dass sie, wenn auch am Rande, zunächst in die antike griechisch / römische, dann auch in die nachantike, mittelalterlich / byzantinische Welt eingebunden waren. So gibt es eine Fülle von Fremdquellen, die vor allem ab der Zeitenwende über die Beja und über die frühe Bedeutung der Kamelwirtschaft in ihrer Gesellschaft berichten. Vereinzelt sind ab dem 5. Jh. u. Z. auch schriftliche Dokumente der Beja selbst erhalten. Hierbei handelt es sich fast ausschließlich um diplomatische Korrespondenz oder

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Beja-Identität und Kamelwirtschaft in historischer Perspektive

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Nassersee

Kurusku

ÄGYPTEN

Halaib-Dreieck

Halaib Bir Tawil

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Rotes Meer

200

Wadi Halfa

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SUDAN

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Omdurman

Khartum

Kassala

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H A L A N G A

Atbara

A

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Berber

Tohamiyam

A

Korti

Musmar

Suakin Gebeit Erkovit Sinkat 200

Merowe

Port Sudan

Sallom

J

Ed Debba

M

Karima

A

Dongola

B

I N A R S H B I

Abu Hamed

Muhammad Qol

Asmara

Wadmedani Ed Dueim

Gedaref Sennar

Umm Ruwaba 0

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Kosti 200

2000

0

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ÄTHIOPIEN 00

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300km

Gondar

Abb. 1 Karte des Beja-Gebiets. Die Beja siedeln seit rund 3000 Jahren im Gebiet zwischen Nil und Rotem Meer, zwischen Südägypten und Eritrea.

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«Sie ziehen auf Kamelen in die Schlacht und werfen ihre Speere»

Schuldverschreibungen und Freilassungsurkunden. Geschrieben wurde nicht in der eigenen Sprache, dem Beja, sondern in Koptisch oder – häufiger noch – in Griechisch. Im Nordsudan hatte sich um 500 u. Z. eine eigene Form des Griechischen entwickelt, die als Verkehrssprache im gesamten nördlichen Sudan verbreitet war. Anders als die antiken Autoren haben die koptisch- und arabischsprachigen, muslimischen wie christlichen Historiographen und Geographen des Mittelalters, die die Region zum Teil aus eigener Anschauung kannten, sehr lebendige Beschreibungen

der Beja-Gesellschaft hinterlassen. Wo die schriftlichen historischen Quellen fehlen, ist es vor allem die Sprache, die dabei hilft, die Bedeutung des Kamels für die Kultur, Identität und die Konzeptualisierung der Welt der Beja nachzuvollziehen. Schließlich fördert auch eine Betrachtung der rezenten Bedeutung des Kamels in der Beja-Gesellschaft das Verständnis für die Vergangenheit, wenngleich Gesellschaften niemals statisch sind und für längere Zeitperioden zahlreiche Veränderungsprozesse angenommen werden müssen.

Die Beja und ihre Kamele

D Abb. 2 Die 1493 in Nürnberg erschienene sog. Schedelsche Weltchronik stellte die Blemmyer / Beja als kopflose Monstren dar.

ie Ankunft der einhöckrigen Kamele im Sudan ist schwer zu datieren. Als relativ gesichert kann gelten, dass sie aus dem Süden der arabischen Halbinsel nach Nordostafrika gebracht wurden. Die archäologische Evidenz legt den Schluss nahe, dass schon im 2. Jt. v. u. Z. semitische Einwanderer das Kamel in den Küstenregionen des Sudan und Äthiopiens bekannt gemacht haben. Spätestens um die Zeitenwende sind Kamele in größerer Zahl im nördlichen Sudan nach-

weisbar.4 Die Kamelwirtschaft war perfekt geeignet sowohl für die Wüste als auch für das Steppenklima der Küstenregion. Die Beja unterscheiden sich von den ebenfalls Kamele züchtenden sprachverwandten Volksgruppen Nordostafrikas dadurch, dass bei ihnen Kamele als Reit- und Renntiere eine enorme Bedeutung hatten. Mit der Einführung des Kamels kam es bei den Beja zu tiefgreifenden ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Waren sie zuvor auf die feuchteren Gebiete als Lebensraum eingeschränkt, gewannen sie nun gewaltig an Mobilität hinzu. Und diese verstanden sie zu nutzen. Im teilweise aufgrund der Katarakte nicht schiffbaren Nil im Nordsudan waren Kamele für den Handel auf dem Landweg von enormer Bedeutung. Auf dem Rücken ihrer Kamele kontrollierten die Beja die Wüste, in der es ertragreiche Goldund Smaragdminen gab. Sie begleiteten und bewachten oder plünderten die Karawanen auf dem Weg zu den Küsten und Hafenstädten des Roten Meeres und nach Äthiopien. Gehandelt auf dieser Route wurden neben Gold und Smaragden Elfenbein und Menschen. Im Mittelalter waren es zumindest zeitweise die Beja auf ihren Kamelen, die die Reisenden aus dem nördlichen und westlichen Afrika auf dem Weg nach Mekka zum Hafen Aidhab begleiteten, von wo sie sich auf die arabische Halbinsel einschifften. All diese Unternehmen brachten den Beja einen relati-

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Beja-Identität und Kamelwirtschaft in historischer Perspektive

ven Wohlstand. Nicht zuletzt stellten sie mit ihren schnellen Kamelen in der Grenzregion zum Römischen Reich und dessen Nachfolgerstaaten eine stete Bedrohung und ein konstantes Ärgernis dar. Seit 2000 Jahren, so

kann man zusammenfassen, waren Kamele das Rückgrat der Beja-Gesellschaft. Kamele machten die Beja reich, sie waren berühmte Kamelzüchter und auf ihren Kamelen mutierten sie zu gefürchteten Kriegern.

Zwischen Angst und Bewunderung – Die Beja in den Quellen

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ine der ersten Erwähnungen der Beja – unter dem Namen Blemmyer – findet sich in Strabos Geographie aus dem frühen 1. Jh. u. Z.5 (vgl. Abb. 2). Dort wird berichtet, dass sie als Nomaden südlich von Assuan / Syene leben. Bis zum Ende des 3. Jhs. u. Z. griffen sie laut unterschiedlichen antiken Quellen immer wieder die südliche Grenze des römischen Ägypten an. Dabei gelang es ihnen offenbar, sogar einige Städte, wie z. B. Coptos, vorübergehend in ihren Besitz zu bringen. Im letzten Viertel des 4. Jhs. u. Z. sprechen christliche Autoren von gewalttätigen Überfällen der Beja auf ägyptischem Boden. Dank ihrer Kamele waren die Beja schon unter den Römern die wichtigste Macht am südlichen Roten Meer, wo Letztere in verschiedenen Häfen den ertragreichen Handel mit Indien kontrollierten. Auch mit ihren südlichen Nachbarn in Aksum, auf dem Gebiet des heutigen Äthiopien bzw. Eritrea, waren sie in ständige kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt. Kamele spielten sowohl bei den Kampfeshandlungen als auch bei den Friedensverhandlungen, sofern es um Reparationszahlungen ging, eine wichtige Rolle. Insgesamt konstruieren die antiken Quellen die Blemmyer / Beja als eine äußerst angriffslustige, kriegerische Volksgruppe, die ohne ihre Kamele nicht denkbar waren. Ammianus Marcellinus (350–395 u. Z.) nennt sie einen «gefährlichen Stamm» und vermerkt, dass alle Mitglieder Krieger seien und Kamele besäßen. Insgesamt lässt sich aus nicht wenigen Quellen eine mehr oder weniger offene Bewunderung für die männlichen Krieger auf ihren Kamelen herauslesen – auch wenn man sich von diesen bedroht sah. Auch nach mehr als einem halben Jahrtausend hatte sich diese Situation wenig verändert. Im 10. Jh. beschreibt der in Bagdad

geborene Reisende Al-Mas’udi die Beja als gefürchtete Raubritter: «Ihre Überfallkommandos, auf Kamelen reitend, kommen nach Nubien, plündern das Land und nehmen Gefangene.»6 Offenbar dominierten die Beja auch nach der arabischen Eroberung Ägyptens im 7. Jh. die Ostwüste und die südliche Handelsroute zwischen dem Hafen Aidhab am Roten Meer und dem Nil. Das Gebiet war reich an wertvollen Mineralien, und AlMas’udi hebt hervor, dass die Kontrolle der ertragreichen Gold- und Smaragdminen bei den Beja liege. Der Minendistrikt werde von 30 000 mit Speeren bewaffneten Beja auf Kamelen kontrolliert.7 Wenn auch diese enorme Zahl übertrieben erscheint, so wird deutlich, dass man die Beja als ernst zu nehmende Größe konstruierte. Verschiedene Autoren schildern, dass diejenigen, die die Minen ausbeuten, Abgaben an die Beja bezahlen müssten. Wie geschäftstüchtig diese ihre Kamele einzusetzen wussten, verdeutlicht eine koptische Quelle. Der Bischof von Aidhab, der von den Beja kontrollierten Hafenstadt, war gestorben und wurde in vollem Ornat zu seinem Begräbnisplatz getragen. Dies geschah auf dem Rücken von Kamelen, deren Anmietung sich die Beja bezahlen ließen.8 Dass die Beja Einkommen aus der Vermietung von Kamelen bezogen, wird von verschiedenen Autoren beschrieben. So heißt es bei dem arabischen Reisenden Ibn Battuta um 1356: «Einige Beja-Männer kamen zu uns; es waren Einheimische dieses Landes, von schwarzer Hautfarbe, in gelbe Tücher gekleidet und mit roten Turbanen aus ein Finger breitem Tuch um ihre Köpfe gebunden. Sie sahen ritterlich aus, mit Speeren und Schwertern bewaffnet. Sie führten Kamele mit sich, genannt suhub, die sie auf Sätteln sitzend ritten. Wir mieteten ein paar von ihnen und reisten mit ihnen

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durch die Wüste, wo wir viele Gazellen sahen. Da die Beja diese nicht essen, sind sie zahm und laufen nicht vor den Menschen weg.»9 Die ausführlichsten historischen Informationen zu den Beja und ihren Kamelen stammen aus der Feder des ägyptischen Enzyklopädisten und Historikers Maqrizi (1364–1442). Maqrizi schrieb selbst, kompilierte aber auch das Werk Ibn Selim el-Aswanis, der im 10. Jh. als Diplomat in den nördlichen Sudan geschickt worden war. El-Aswanis Schriften sind nicht erhalten, Maqrizi schrieb aber lange Passagen aus seinen Werken ab, ohne dies immer zu kennzeichnen. Maqrizi / Al-Aswani unterscheiden zwei Kamelrassen, die bei den Beja vorzufinden seien. Die einen seien gelbbraun, die anderen arabischer Rasse. Die Geschwindigkeit und Ausdauer der Kamele und die Geschicklichkeit von Tier und Reiter werden dabei hervorgehoben: «Die Beja reiten auf gelbbraunen Dromedaren, die in ihrem Land gezüchtet werden; sie haben auch viele Kamele der arabischen Rasse. […] Auch sind ihre Kamele sehr schnell, können die Geschwindigkeit über lange Zeit hinweg halten und Durst ertragen. Wenn sie (die Beja) auf den Kamelen reiten, können sie Pferde überholen und in Schlachten kämpfen; sie können die Tiere bestens lenken und lange Strecken durch das Land zurücklegen. Es muss auch erwähnt werden, dass die Beja auf dem Kamelrücken in die Schlacht ziehen und Speere

werfen.»10 Wie meisterhaft sie die Kampfeskunst auf dem Kamelrücken beherrschen, zeigt eine weitere Beschreibung von Maqrizi / Al-Aswani: «Wenn [der Speer] das Ziel getroffen hat, rennt das Kamel darauf zu, damit sein Meister es packen kann; wenn der Speer auf den Boden fällt, neigt das Kamel seinen Hals, damit sein Meister ihn aufheben kann.»11 (Abb. 5). Da Kamele zu wertvoll waren, wurden sie nur selten geschlachtet, auch wenn man ihr Fleisch schätzte. Eine Ausnahme wurde gemacht, wenn es um die Bewirtung von Gästen ging. Maqrizi / Al-Aswani schreiben: «Sie sind überaus gastfreundlich: Wenn ein Besucher bei Nacht zu ihnen kommt, tötet der Gastgeber ihm zu Ehren ein Lamm. Sind es mehr als drei Besucher, schlachtet der Gastgeber ein Kamel aus der am nächsten gelegenen Herde, ob es ihm gehört oder einem anderen. Wenn gar kein Tier zur Hand ist, schlachtet er das Reitkamel des Gastes selbst und kompensiert ihn später mit einem besseren Tier.»12 Diese Gastfreundschaft galt offenbar vor allem den eigenen Leuten gegenüber. Aus der Perspektive der arabischen Schreiber legten die Beja Fremden gegenüber nicht selten eine rücksichtslose Geschäftstüchtigkeit an den Tag: «Die Pilger, die Boote von den Einwohnern von Aidhab gechartert haben, sahen sich bei der Überquerung des Roten Meeres großen Gefahren ausgesetzt,

Abb. 3 (li.) Junge Beja-Männer in Port Sudan. Die englischen Kolonialherren im Sudan nannten die Beja wegen ihrer auffälligen Haartracht «Fuzzy Wuzzies».

Abb. 4 (re.) Beja-Mann mit Lanze und Buckelschild. Das Kriegertum der Beja beschreiben schon die antiken und mittelalterlichen Quellen. In der Sprache der Beja gibt es unterschiedliche Bezeichnungen für Schilde, die vom verwendeten Leder abhängen.

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weil der Wind sie sehr oft zu Landeplätzen abtrieb, die weit entfernt Richtung südliche Wüste lagen. Dann kamen die Beja von ihren Bergen herunter, vermieteten ihre Kamele und führten die Pilger durch die Wüste. Viele verdursteten dort und die Beja machten sich mit deren Hab und Gut davon. […] Die Einwohner von Aidhab behandeln die Pilger auf widerwärtige Weise wie Teufel.»13 Von Maqrizi / Al-Aswani erfahren wir auch, dass die Bevölkerung um die Minen herum schon im 9. Jh. so zugenommen hatte, dass 60 000 Lasttiere nötig waren, um Versorgungsgüter von Assuan im Niltal zu den Minen zu transportieren. Diese Lasttiere lieferten die Beja,14 für die der Karawanenhandel bis ins 19. Jh. hinein eine Haupteinnahmequelle blieb. Auf der illegalen Seite wäre die Erpressung von Schutzgeldern für Karawanen zu erwähnen, für die die Beja bekannt waren. Sie vermieteten aber auch die Kamele und stellten die Kamelführer für die 500 bis 1500 Tiere. Dawid Reubeni, der im 16. Jh. durch das Beja-Gebiet reiste, begleitete eine Karawane vom Roten Meer zum Nil, die aus

3000 Kamelen bestanden haben soll.15 Für das Be- und Entladen und das Hochholen des Wassers aus den tiefen Brunnen wurde normalerweise ein Mann pro vier bis fünf Kamele benötigt. Man benötigte also 120 bis 250 Männer, um eine durchschnittliche Karawane zu managen.

Kamel-Kultur in Sprache und Gesellschaft

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ie schriftlichen Quellen vermitteln zwangsläufig nur ein lückenhaftes Bild der historischen Bedeutung des Kamels für die Beja-Gesellschaft. Diese Lücken können teilweise geschlossen werden, indem man zum einen auf rezente ethnologische Studien zurückgreift, zum anderen auch betrachtet, was die Versprachlichung der Kamel-Kultur über die Beja-Identität verrät. Die Kamelhaltung war traditionell ein bedeutender Faktor bei der Konstruktion von Männlichkeit bei den Beja. Die besondere Geschicklichkeit der Beja beim Reiten und Lenken der Kamele wurde schon von den mittelalterlichen Autoren herausgestellt, und die Reitkunst wurde bis in die jüngste Zeit als männliche Tugend hoch geschätzt. Ihre Geschicklichkeit auf dem Kamel stellten die Männer meist bei Kamelrennen unter Beweis. Ein Reiter, so hieß es, sollte in der Lage sein, bei hoher Geschwindigkeit auf einem Kamel stehend

Abb. 5 Junger Beja auf seinem Kamel in voller Kriegsbewaffnung mit Schild, Lanze und Schwert. Zu sehen ist auch die traditionelle Frisur der jungen Männer. Im Beja gibt es einen umfangreichen Wortschatz für die einzelnen Teile der Frisur, das Frisieren und Behandeln der Haare der Männer.

eine Schale mit Milch in der Hand zu halten, ohne einen Tropfen zu verschütten. Er sollte es auch schaffen, mit einer lebenden Kamelfliege, eingeklemmt zwischen seinem Knie und dem Kamel, zu reiten, ohne die Fliege zu töten oder sie entkommen zu lassen.16 Die Kamelzucht war ein zentrales Element des Beja-Ethos und auch sehr stark emotional besetzt. Die Kamelhirten, mishʾarii in der Sprache der Beja, waren meist junge, unverheiratete Männer, die – imaginiert oder tatsächlich – ein wildes, unabhängiges, abenteuerliches Leben führten. Ein geradezu romantischer Glamour verband sich mit dem Kamelleben. Man sagte, die Männer würden stark, männlich und attraktiv für Frauen durch ihre Ernährung, die vor allem aus Kamelmilch bestand.17 Dass diese Ernährung für Menschen anderer Volkszugehörigkeit offenbar nur schwer zu ertragen war, erwähnt schon Ibn Battuta um 1356: «Als unsere Vor-

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«Sie ziehen auf Kamelen in die Schlacht und werfen ihre Speere»

Abb. 6  Kamele waren auch noch in jüngerer Zeit ein alltäglicher Anblick in Port Sudan am Roten Meer. Mangels grüner Weiden suchten sie im Müll nach Nahrung.

Abb. 7  Auch nachdem viele Beja sich um Port Sudan und andere Städte des Gebiets herum angesiedelt hatten, versuchten sie einzelne Kamele zu behalten. Milch wurde traditionell als wichtigstes Nahrungsmittel angesehen.

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räte zur Neige gingen, trafen wir einige Beja, die ihr Kleinvieh versorgten, und wir kauften Fleisch bei ihnen. Auf diesem Weideland traf ich einen arabischen Jungen, der mir auf Arabisch erzählte, dass ihn die Beja versklavt hätten und dass er seit einem Jahr nur Kamelmilch als Nahrung bekommen hätte.»18 Die meisten Beja waren auch in jüngster Zeit noch der Überzeugung, dass Milch das beste Nahrungsmittel überhaupt sei, weshalb die meisten versuchten, Kamele zu halten, auch wenn sie sesshaft geworden waren. Die Bedeutung der Milch als Nahrungsmittel manifestiert sich auch sprachlich. In den verschiedenen Beja-Dialekten gibt es Begriffe speziell für das Trinken von Kamelmilch im Gegensatz zu anderen Flüssigkeiten. Im Zusammenhang mit dem Melken und der Milch gab es Restriktionen und Tabus: Frauen durften keine Kamele melken. Der Melker durfte nicht als erster von der Milch trinken, die er selbst gemolken hatte. Die dialektal unterschiedlichen Bezeichnungen sikísti / símilása / ligaag haben alle die Bedeutung «gegenseitig einen Schluck Milch trinken», d. h. der erste Schluck muss immer von einer anderen Person genommen werden.19 Dass es im Beja in Zusammenhang mit der Kamel-Kultur kaum Entlehnungen aus anderen Sprachen, z. B. dem Arabischen, oder zusammengesetzte Begriffe gibt, kann als ein weiteres Indiz für die historische Bedeutung gewertet werden. Darüber hinaus kann man einen Zusammenhang zwischen spezialisiertem Lexikon in einer Sprache und kultureller Bedeutung konstatieren. Noch vor wenigen Jahrzehnten verfügten nicht wenige Kamelbesitzer und -hirten über einen umfangreichen, mehrere hundert Begriffe umfassenden Wortschatz im Zusammenhang mit der Kamelwirtschaft. Aus der Beschäftigung mit diesen Begriffen erfährt man Vieles über die Beja-Identität. Es passt zu dem, was seit der Antike über sie geschrieben wurde, dass es im Beja z. B. eine spezielle Bezeichnung für eine bewaffnete Kameltruppe gibt, die eine Gruppe Kameldiebe verfolgt. Kameldiebstahl war von jeher ein beliebtes Verfahren, eine Herde zu vergrößern. Auch die Konzeptualisierung und Versprachlichung von Zeit und Raum steht in

Abb. 8 Gruppe von Beja-Männern und Jungen in Port Sudan. Heute verdingen sich viele Beja als Hafenarbeiter in Port Sudan oder übernehmen andere Hilfsarbeiten.

engem Zusammenhang mit der Kamel-Kultur, wie an zwei Bereichen beispielhaft gezeigt werden soll. Der Tagesablauf wie auch die Abläufe durch das Jahr hindurch sind in einer nomadischen Gesellschaft zwangsläufig durch die Weide- und Wasserbedingungen bestimmt. Das Tränken der Kamele stellte eine der wichtigsten täglichen Aufgaben des Beja-Mannes, des Kamelhirten dar. Das Tränken geschah an den Flüssen oder Trockenflüssen während der Regenzeit, aber

Abb. 9 Das Beja-Gebiet war über Jahrzehnte mehrfach von massiven Dürren betroffen. Viele Beja mussten die Kamelhaltung komplett aufgeben.

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Epilog

Abb. 10 Blick auf die Red Sea Hills.

auch an zentralen Brunnen, an denen sich die Kamelhirten mit ihren Kamelen meist zur Nachtzeit versammelten. Spezielle Begriffe, die sich auf das Tränken beziehen, sind z. B. óogwa / úujau «zum Wasser gehen», too-nhála «tränken», o-frúur «zum 2. Mal tränken», nagwɛɛmti «vom Wasser weggehen». Unterwegs oder bei Trockenheit konnten die Kamele nicht jeden Tag getränkt werden. Spezialisierte Begriffe, wie nagár «1. Tag ohne Wasser» und sírma «2. Tag ohne Wasser», zeigen an, wie lange man bereits von einer Wasserstelle entfernt war. Nach einer guten Regenzeit, zwischen Juli und September, wenn die Herbstweiden frisch und gut waren, konnte ein Kamel 5 bis 8 Tage ohne Wasser aushalten. Das Reisen oder Umherziehen mit den Kamelen hat eine zeitliche und eine räumliche Komponente. Die Einteilung des Tages stand in Zusammenhang mit den Bedürfnissen von Tier und Hirte sowie mit der Bewegung im Raum. Hier finden sich im Beja u. a. Begriffe wie ɛ-drímti «eine Etappe», toodirím «eine lange Morgenetappe», i-hímina «Nachmittagsetappe», hojar «durch die Hitze des Tages reisen ohne nach Schatten zu suchen oder eine Pause zu machen», ʾáyim «die Mittagszeit an einem schattigen Ort verbrin-

gen», libás «in der Kühle der Nacht reisen», nagee «an einem Brunnen trinken und sich anschließend ausruhen». Schaut man in die Konzepte der räumlichen Orientierung und ihre Versprachlichung, muss man zunächst feststellen, dass die Bezeichnungen für die Himmelsrichtungen im Beja aus dem Arabischen entlehnt sind. Diese wurden aber kaum verwendet, da die räumlichen Zuordnungen, wieder in Abhängigkeit von den Bedürfnissen der Kamelwirtschaft, nach anderen Orientierungspunkten erfolgten. Die Red Sea Hills, die sich zwischen Port Sudan und der ägyptischen Grenze entlang der Küste des Roten Meeres ziehen, stellten einen wichtigen Orientierungspunkt im Zusammenhang mit der Migration auf der Suche nach Futter und Wasser dar (Abb. 10). Die verschiedenen Hügel, die zu der Bergkette gehören, sind bis zu 2000 m hoch und von ca. 400 bis 600 m hoch liegenden Tälern, Wadi oder Khor genannt, durchzogen. Zu Beginn des Winters zogen die nördlichen Beja mit ihren Tieren nach Osten, eine Wanderungsbewegung, die mit dem Verb ɖ a «Richtung Rotes Meer ziehen» bezeichnet wird. Sie ließen ihre Kamele in einer Region weiden, die als

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Die Beja und ihre Kamele heute

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gwineb «das Land östlich des Bergkammes der Red Sea Hills, Küstenebene» bezeichnet wird. Im März zogen die Beja mit ihren Kamelen in den westlichen Teil der Red Sea Hills oder in die Region um den Atbara. Beja ʾ awil bedeutet «von den Red Sea Hills Richtung Westen ziehen».20 Mit dem davon abgeleiteten Nomen ʾawíli / ʾaule bezeichnet man «das Land westlich des Kammes der Red Sea Hills».

ie Beja-Gesellschaft war in den vergangenen 70 bis 100 Jahren massiven Veränderungen unterworfen. Diese Veränderungen hingen u. a. (vgl. Abb. 6. 7). zusammen mit der Einführung mechanisierter Landwirtschaft durch die britische Kolonialregierung in Teilen des Beja-Gebiets in den 1940er Jahren. Als eine Folge des Baus des Assuan-Staudammes 1964 bis 1967 wurden die Nubier, die in der Überschwemmungszone gelebt hatten, in den südwestlichen Teil des Beja-Gebiets umgesiedelt, was dort eine größere Bevölkerungskonzentration und damit eine Verknappung der ohnehin nie üppigen Ressourcen des Landes bedeutete. Der Assuan-Stausee überschwemmte darüber hinaus wichtige Weidegründe der Bischarriin, einer der nördlichsten Beja-Gruppen, was zur massiven Verarmung der davon Betroffenen führte. Nicht zuletzt waren die Beja über Jahrzehnte mehrfach von massiven Dürren betroffen (vgl. Abb. 9). Viele Beja mussten die Kamelhaltung komplett aufgeben; sie verdingten sich als Hafenarbeiter in Port Sudan oder übernahmen andere Hilfsarbeiten (vgl. Abb. 8). Das Beja-Gebiet gehört heute zu den ärmsten Regionen des Sudan. Es ist vor allem die Sprache der Beja, die noch die meisten Spuren der ehemaligen Bedeutung der Kamelwirtschaft für die Beja bewahrt.

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Dionysischer Zug, Mosaik aus Thysdrus, heute im Archäologischen Museum El Djem, Tunesien (Foto: akg-images / Erich Lessing).

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Zur Symbolik von Speisetieren – Jeschutes Rebhühner und der animal turn 1

von Sabine Obermaier

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n einer Forschung, die sich vorrangig mit den sozialen und politischen Dimensionen von literarischen Speiseszenen beschäftigt, werden Speisetiere gern gedeutet als Indikatoren für die Qualität, d. h. die Exklusivität des Mahls, des Gastgebers und der Gäste: Spei-

sen – und damit auch die Speisetiere – sind im Mittelalter sozial markiert.2 Ich möchte hier nun aber fragen, ob sich die Funktion von Speisetieren darin erschöpft oder ob sie nicht noch einen «semantischen Mehrwert» haben.3

Ein Textbeispiel: Jeschutes Rebhühner

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ie gewählte Textstelle stammt aus dem Artus- und Gralroman Parzival (Pz. 131, 28) Wolframs von Eschenbach (um 1200– 1210). Auf seinem Weg zum Artushof trifft

Parzival auf die wunderschöne Jeschute. Als er ihr – die kryptische Lehre seiner Mutter wörtlich befolgend – tölpelhaft Ring und Spange abnimmt, sagt Jeschute zu ihm:

Abb. 1 Rebhuhn, Perdix perdix.

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Jeschutes Rebhühner und der animal turn

«[…]: ‹ir solt mîn ezzen nieht. wært ir ze frumen wîse, ir næmt iu ander spîse. dort stêt brôt unde wîn, und ouch zwei pardrîsekîn, alss ein juncfrouwe brâhte, dius wênec iu gedâhte.› Ern ruochte wâ diu wirtin saz: einen guoten kropf er az, dar nâch er swære trünke tranc.» (Wolfram von Eschenbach, Parzival, vv. 131,24– 132,3; Hervorhebungen v. d. Autorin)

Übers.: «[…] ‹Ihr sollt nicht mich essen. Wärt ihr halbwegs klug, ihr würdet euch andere Speise nehmen. Dort stehen Brot und Wein und auch zwei Rebhühnerchen, wie sie ein Edelfräulein gebracht hat, die dabei kaum an euch gedacht hat.› Er kümmerte sich nicht darum, wo die Gastgeberin saß: Er aß sich einen guten Kropf, danach trank er schwere Trünke.» Wenn sich der tumbe Parzival an Brot, Wein und den zwei pardrîsekîn (aus afrz. perdriz «Rebhuhn»), die ihm Jeschute hier statt seiner empfiehlt, einen guoten kropf isst, so akzentuiert dies – nach Barbara Nitsche – Parzivals «unhöfische Maßlosigkeit»;4 Natascha Rauber bezeichnet Parzivals Verhalten sogar als «kulinarische Vergewaltigung».5 Das Verspeisen der Rebhühner tritt hier an die Stelle der (wohl unterbleibenden) Vergewaltigung Jeschutes.6 Dass hier «Nahrungsdiskurs, Gewaltdiskurs und sexueller Diskurs […] verschränkt»7 sind, zeigt auch Wolframs Wahl des Rebhuhns, denn in Wolframs afrz. Vor-

lage, dem Perceval von Chrétien de Troyes, ist von drei Rehpasteten die Rede (Pc. 738– 763), von denen Perceval nur eine isst, sich dafür aber hemmungslos betrinkt. Seit der Antike wird dem Rebhuhn eine intemperantia libidinis («maßlose Geilheit») zugeschrieben, die es vor Vergewaltigungen oder Geschlechtsverwechslungen nicht zurückscheuen lässt.8 Plinius’ Bemerkungen dürften sich allerdings noch nicht auf das Rebhuhn (Perdix perdix, Abb. 1), sondern auf das bereits bei Aristoteles beschriebene Steinhuhn (Alectoris chukar / graeca, Abb. 2) beziehen;9 doch sind im Mittelalter die Eigenschaften des Steinhuhns auf das recht ähnliche Rebhuhn übertragen worden.10 Die Zweizahl der Vögel unterstützt hier den Gedanken an «Paarung». Die beiden Rebhühner geben der Szene also eine zusätzliche semantische, genauer: eine eindeutig sexuell-erotische Grundierung.11

Abb. 2 Steinhuhn, Alectoris chukar / graeca.

Nach dem animal turn

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och macht eine solche Lesart – so müsste ich mich nach dem animal 12 turn vermutlich kritisch fragen – das Tier nicht doch wieder zum Objekt und bestätigt damit die «kategoriale Differenz» zwischen Tier und Mensch, welche die Human-AnimalStudies so radikal in Frage gestellt wissen wollen13 (welche allerdings für das Mittelalter noch fraglos gelten dürfte)? Tiere werden in

den Human-Animal-Studies als «eigenständige, mit Handlungsmacht ausgestattete Wesen, als Wesen mit ‹Agency›» gedacht,14 auch wenn durchaus gesehen wird, dass «jede Erforschung der Tiere notwendiger Weise immer von den untersuchenden Menschen her perspektiviert wird.»15 Ob es überhaupt möglich ist, eine Literatur- und Geschichtswissenschaft aus der «Sicht [!] der Tiere» zu

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Zur Symbolik von Speisetieren

Abb. 3 Das Rebhuhn stiehlt die Eier anderer Vögel, um sie selbst aufzuziehen. Harley MS 4751, fol. 48r.

Abb. 4 Wenn die Rebhuhküken, die den gestohlenen Eiern entschlüpft sind, den Ruf ihrer wahren Mutter hören (hier links im Bild), kehren sie zu dieser zurück. MS Douce 308, fol. 102 v.

betreiben, möchte ich hier am Beispiel des Rebhuhns einfach einmal durchspielen. Das Rebhuhn und der mittelalterliche Mensch agieren in einem gemeinsamen Raum: Rebhühner sind sog. Kulturfolger, finden also ihren Lebensraum in den durch die menschliche Rodungstätigkeit entstandenen Kultursteppenlandschaften.16 Sie gehören zum Niederwild, dürfen also auch vom niederen Adel gejagt werden;17 teilweise werden sie im Mittelalter auch schon gezüchtet.18 Das mittelalterliche Rebhuhn-Wissen ist durch die Physiologus-Tradition und die mittelalterlichen Natur-Enzyklopädien, die beide aus (spät-) antikem Tier-Wissen schöpfen, gut dokumentiert.

In ihrem Ursprung dürften menschliche Merkmalszuschreibungen an ein Tier durch die physische Präsenz des Tieres und sein Verhalten bedingt sein – jedenfalls in den Fällen, wo man das Tier aus der Natur kennt. Insofern könnte man hier von agency sprechen, da das Set an Merkmalen, welches das Tier in natura bereithält (wie z. B. Größe, Aussehen, Art der Bewegung, Verhaltensauffälligkeiten, Art der Fortpflanzung etc.), die Möglichkeiten der menschlichen Merkmalszuschreibungen beschränken (im Sinne Latours also «einen Unterschied machen»19) dürfte: Ein Rebhuhn evoziert eben andere Zuschreibungen als z. B. ein Pfau. Doch wie der Mensch das Tier wahrnimmt und wie er das Wahrgenommene interpretiert – darüber dürfte das Tier kaum Macht haben. Das Rebhuhn-Beispiel zeigt dies deutlich. Aristoteles schreibt über das Rebhuhn: «Weil die Männchen nun [gemeint ist: in der Zeit der Balz] sehr hecklustig [wir würden sagen: geil] sind, werfen sie die Eier durcheinander und zerknicken sie, wenn sie sie finden, damit die Weibchen nicht brüten sollen.»20 Daraus entsteht der in Antike und Mittelalter sehr gängige Topos, dass diese Vögel einander (bisweilen auch anderen Vögeln) die Eier stehlen (Abb. 3), was dazu weitergedacht wird, dass das Rebhuhn «ausbrütet, was es nicht gelegt hat» und daher mit ihm «ein Mensch, der Reichtum durch Unrecht erwirbt» verglichen wird (Jer 17,11). Der Physiologus beschreibt, wie die Küken, die aus den ausgebrüteten fremden Eiern schlüpfen, der Stimme ihrer wahren Mutter folgen (Abb. 4): Das Rebhuhn, das die Eier stiehlt, wird ausgedeutet auf den unchustich tiuvil (den «hinterlistigen Teufel»), der die Geschöpfe, die Gott nach seinem Ebenbild erschaffen hat (also die Menschen), zum Bösen verführt; die Rebhuhnküken, die, wenn sie gotes lere hören, zu Gott zurückkehren, werden dagegen zum Symbol für die Erkenntnis des Göttlichen und für die Nachfolge Christi.21 Nicht nur, dass sich die Beschreibung des Verhaltens des Rebhuhns hier offenbar verselbständigt, auch die Kategorien, in denen die Beschreibung erfolgt (wie das «Stehlen» oder das »dem Ruf der Mutter folgen»), sind durch und durch menschliche.

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Noch deutlicher wird dies bei der – auf uns heute befremdlich wirkenden – Vorstellung von der Befruchtung der Rebhenne durch den Wind des Rebhahns (Abb. 5). Das ist keine krude Erfindung des Mittelalters, sondern findet sich so ebenfalls schon bei Aristoteles22 und ist eine durch und durch menschliche Kopfgeburt. Obgleich der mittelalterliche Naturgelehrte und Theologe Albertus Magnus an der Windbefruchtung Zweifel hegt:23 Für die mittelalterlichen Gelehrten kann damit das Tier, dem Plinius «unersättliche Lüsternheit» (Abb. 6) attestiert hatte – eine Zuschreibung, die durch Isidor von Sevilla an die mittelalterlichen Natur-Enzyklopädisten weitergereicht wird – auch zum Sinnbild unbefleckter Empfängnis werden. Dies ist nur ein Ausschnitt aus dem vielfältigen mittelalterlichen Spektrum menschlicher Bedeutungszuschreibungen an das Rebhuhn; doch mag dies hier zur Illustration erst einmal genügen.

Abb. 5 Eine Rebhenne wird durch den Wind eines Rebhahns befruchtet. Codex 151, fol. 226v, um 1350.

Abb. 6 Zwei einander küssende Rebhühner, möglicherweise hier auch zwei Männchen. MMW, 10 B 25, fol. 33r.

Mittelalterliche Hermeneutik

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mnis creatura significans (Jedes Geschöpf ist «bedeutend», d. h.: hat eine Bedeutung),24 sagt Alanus ab Insulis († um 1203), der der sog. Schule von Chartres zugeordnet wird, einer bedeutenden frühscholastischen Denktradition des Mittelalters. Wie dieses hier reflektierte mittelalterliche Zeichen-Denken funktioniert, hat Friedrich Ohly bereits 1958 / 59 in seinem maßgeblichen Aufsatz Vom geistigen Sinn des Wortes dargelegt. Den Grundgedanken findet man bei Richard von St. Victor († 1173) formuliert: Non solum voces, sed res significativae sunt (Nicht allein die Wortklänge, sondern auch die [mit dem Wort gemeinten] Dinge sind bedeutungshaltig).25 Das bedeutet für das Wort, dass es einen quasi doppelten Zeichencharakter hat: Der Wortklang (lat. vox) verweist zunächst auf ein Ding (lat. res), das aber selbst wieder – über seine Merkmale, die sog. proprietates – Bedeutungsträger ist und auf ein weiteres Ding verweist (Abb. 7).

Auf das Rebhuhn übertragen heißt das also (Abb. 8): Das lateinische Wort perdix (wie mhd. rephuon oder Wolframs pardrîsekîn) verweist auf die res prima, im Kontext einer Mahlszene also zunächst auf das gebratene, gesottene oder gebackene Rebhuhn, dahinter aber auch auf das Rebhuhn als lebendiges Tier. Über seine proprietates verweist das «materielle» Tier seinerseits auf die res secundae, wie z. B. den Teufel, die unbefleckte Empfängnis oder die voluptas. Ein Mitwirken des Tieres an den Bedeutungszuschreibungen durch den Menschen scheint mir allenfalls bei der Relation zwischen res prima und den Proprietäten denkbar; allerdings liegt die Deutungshoheit – nicht nur, was die Auswahl und konkrete Modellierung der Merkmale angeht, sondern auch ihre Interpretation – eindeutig beim Menschen. Zum Trost der Animal-Studies-Vertreter(innen) sei aber gesagt, dass mit der res prima – sobald es um ein Tier geht – auch tatsächlich das Tier in seiner materiell-physischen Existenz gemeint ist.

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Zur Symbolik von Speisetieren

Abb. 7 Die Sinnfindungsregel der mittelalterlichen Hermeneutik, aus: H. Weddige, Einführung in die germanistische Mediävistik (München 72008) 68 [basierend auf einem Schaubild von C. Meier, das F. Ohlys Erläuterungen visuell umsetzt].

Wort(klang) vox

Wort(klang) vox

Sinnträger Bedeutendes significans res (prima)

Eigenschaften / Proprietäten Deutungsansätze proprietates

→ → →

→ → →



Sinnträger Bedeutendes significans

Eigenschaften / Proprietäten Deutungsansätze

Bedeutungen Bedeutetes significata (significationes) res secundae vel aliae

proprietates

res (prima)

Bedeutungen Bedeutetes significata (significationes) res secundae vel aliae

Deutungshoheit des Menschen

«agency» des Tieres



 perdix



‹Eierdiebstahl›

‹Teufel›



 ‹Windbefruchtung›

‹Unbefleckte Empfängnis›

  ‹maßlose Geilheit›

Abb. 8 Die Sinnfindungsregel der mittelalterlichen Hermeneutik, angewandt auf das Rebhuhn (Schaubild: Sabine Obermaier).

‹Wollust›

Noch einmal: Jeschutes Rebhühner

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rimär würde ich immer davon ausgehen, dass es eine Entscheidung des Dichters26 ist, welche Tiere er mit welcher Bedeutung und welcher dichterischen Funktion in seinem Text erwähnt (und dass es als Literaturwissenschaftlerin meine Aufgabe ist, diese Bedeutung und diese Funktion freizulegen). Vorstellbar ist dabei allerdings, dass es nicht immer nur ganz bewusste Entscheidungen sein müssen und dass gerade das, was dem Dichter beiläufig unterläuft, einen Blick auf das kulturell Selbstverständliche freilegt. In-

sofern halte ich die Interpretation auch noch so marginal erwähnter Tiere (wie auch anderer Bedeutungsträger) für unabdingbar. Die beiden Rebhühner in der JeschuteSzene habe ich zunächst mit Natascha Rauber als Mittel der «erotischen Grundierung» der Szene gelesen. Doch ist das – vor dem Hintergrund der mittelalterlichen RebhuhnSymbolik – die einzig mögliche Lesart? Wohl kaum, aber für diese Lesart spricht der Kontext der Szene, nämlich die Beinahe-Vergewaltigung Jeschutes durch den in der Minne

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Jeschutes Rebhühner und der animal turn

gänzlich unerfahrenen Parzival (Abb. 9). Hinzu kommt der im Mittelalter gängige und besonders für Wolfram kennzeichnende Konnex zwischen Essen und Lieben, den Anna Kathrin Bleuler in ihrer Habilitationsschrift Essen – Trinken – Liebe. Kultursemiotische Untersuchung zur Poetik des Alimentären in Wolframs «Parzival» umfassend herausgearbeitet hat. Die Zwei-Zahl der Tiere, die eine Assoziation an das Paar, an das Sich-Paaren nahelegt, hatte ich bereits erwähnt. Auffällig ist aber auch, dass Wolfram die Vögel mit der flämisch-niederdeutschen Variante des französischen Lehnworts pardrîsekîn (statt mit dem mittelhochdeutschen Wort rephuon) bezeichnet und dabei den Diminutiv verwendet, was bei einem bibelexegetisch versierten Publikum durchaus die Assoziation an die Rebhuhnküken wecken könnte, die – wie hier auch Parzival – dem Ruf ihrer Mutter folgen. Im Zusammenhang mit dem auf den Kontext der Eucharistie hindeutenden Wortpaar brot unde wîn jedoch erhalten hier die Rebhühner noch einen geistlichen (Zweit-)Sinn im Sinne einer epischen Vorausdeutung: Auch der von Gott und seiner eigentlichen Bestimmung abgeleitete Parzival wird am Ende zu Gott und seiner Bestimmung zurückfinden. Gerade an der Wahl des Rebhuhns wird aber auch noch einmal deutlich, dass das literarische Tier immer Tier und Zeichen zugleich ist. Warum also ein Rebhuhn und nicht einfach ein Huhn oder eine Taube? Auch diese beiden Vögel sind Speisevögel, denen – wie dem Rebhuhn – ein reges sexuelles Verhalten zugeschrieben wird.27 Insofern die Taube in Wolframs Parzival als Wappentier der Gralsburg eine sehr spezifische Konnotation erhält, fällt sie hier aus (hier ist es vorrangig die literarisch-semiotische Hypothek, die das Tier für diese Szene ausschließt). Das Huhn aber scheidet hier aus, weil es ein Haustier und kein jagdbares Nutztier ist. Denn indem

Wolfram sagt, dass Parzival sich einen guoten kropf isst, rückt er seinen Helden in die Nähe eines Tiers, genauer: eines Beizvogels (und dies ist nicht das einzige Mal so: Auch im Kontext der Blutstropfenszene wird Parzival mit einem überkröpften Falken korreliert, Pz. 281,23–282,3).28 Es ist also durchaus auch der physischen Natur des Rebhuhns geschuldet und nicht allein seines symbolischen Gehalts wegen, dass Wolfram seinen Parzival hier zwei Rebhühnchen verspeisen lässt (wobei dem Metaphernkomplex Essen / Lieben damit noch der gängige Metaphernkomplex Jagen / Lieben hinzugefügt wird, Abb. 10). Nur: Will man dies als Mitwirkung des Tieres am Making of Poetry 29 lesen? Wohl allenfalls in einem übertragenen Sinne. Die Definitionsmacht und Deutungshoheit über das Rebhuhn liegt bei Wolfram und bei seinen Leserinnen und Lesern, nicht beim Rebhuhn.

Abb. 9 Die spätmittelalterliche Illustration der ParzivalJeschute-Begegnung führt den erotisch-gewaltsamen Duktus der Szene deutlich vor Augen (das Verspeisen der Rebhühnchen ist allerdings ein Detail, das keine der illustrierten ParzivalHandschriften ins Bild setzt). Cod. AA 91, fol. 23r.

Fazit: Plädoyer für eine «Poetik des literarischen Tieres»

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iterarische Speisetiere sind – wie überhaupt literarische Tiere – immer Tiere und Zeichen zugleich und damit – wie es

Borgards formuliert – als «materiell-semiotische Mischwesen» ernst zu nehmen.30 Literarischen Tieren kommt allerdings nur bedingt

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Zur Symbolik von Speisetieren

Abb. 10 Rebhuhnjagd mit Falken. Tacuinum sanitatis, cod. ser. nov. 2644, fol. 67v.

«Akteur»-Status zu; ihre Handlungsmacht erscheint begrenzt – sie sind als literarische Zeichen «Objekte» (genauso wie übrigens auch die literarischen Menschen, Pflanzen oder Dinge), auch wenn sich das Tier unwillkürlich in die Texte oder in die Lektüre der Texte mit einschreiben kann – das will ich gar nicht bestreiten, das liegt meines Erachtens nur außerhalb meines Erkenntnisinteresses als Literaturwissenschaftlerin. Für mich sind literarische Tier-Texte mehr als nur «Protokolle dessen, was sich in den contact zones, in den Begegnungen zwischen Tieren und Menschen ereignet hat»,31 mehr als nur Dokumente einer Mensch-Tier-Geschichte, weil die Tiere es den Autoren und Autorinnen ermöglichen, ihren literarischen Texten noch eine zweite Sinndimension einzuschreiben – und dies tun sogar, wie wir am Beispiel von Jeschutes Rebhühnern sehen konnten, auch ganz marginale Tiere, die es daher wert sind, in eine literaturwissenschaftliche Analyse einbezogen zu werden: In diesem Sinne ist eine Literaturgeschichte «von den Tieren aus» (will heißen: die die Tiere in den Fokus rückt, und nicht: aus der Perspektive der Tiere) durchaus sinnvoll. Und nur in diesem Sinne plädiere ich für eine «Poetik des literarischen Tieres»; denn Tiere sind offenbar nicht nur – wie es Claude Lévi-Strauss sagt – «gut zu denken»,32 sondern auch gut, um damit zu dichten.

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Jagen in Byzanz – Eine Fallstudie zur Falknerei von Stavros Lazaris

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ie Byzantiner waren, genau wie die Griechen und Römer vor ihnen, erfahrene Jäger. Im Allgemeinen bezeichneten sie die Jagd mit den Begriffen thera (θήρα) und kynegin (κυνήγιν).1 Der Jäger hieß kynegos (κυνηγός), und er jagte entweder allein oder in Begleitung anderer Jäger. Bei manchen Jagdgesellschaften waren auch Jägerinnen dabei.2 Die Jäger wurden von Jagdgehilfen begleitet; das konnten Sklaven sein, aber auch freie Männer. Bei den großen kaiserzeitlichen Jagden war der protokynegos (πρωτοκυνηγός), der «erste Jäger» des Kaisers, für die Jagd verantwortlich.3 Wenn Jagdhunde verwendet wurden, erwähnen die Texte zudem skylagogoi (σκυλαγώγοι), die sich während der Jagd um die Hunde kümmerten.4 Bei der Jagd mit Greifvögeln werden hierakarioi (ἱερακάριοι) genannt; diese waren für das Abrichten der gewählten Greifvögel zuständig. Sie unterstanden einem protoierakarios (πρωτοϊερακάριος), dem «ersten Falkner des Kaisers»5. Die Jäger gingen vor Sonnenaufgang und manchmal, bei Vollmond, sogar nachts auf die Jagd. Vorher beteten sie zu Gott und baten ihn, ihnen beizustehen. Sie trugen kurze Kleidung, um sich möglichst frei bewegen zu können, und manchmal einen konischen Hut, meist aber gar keine Kopfbedeckung. Sie waren mit Pfeil und Bogen bewaffnet, führten einen Köcher und ein Jagdmesser mit. Außerdem hatten sie oft eine Peitsche dabei, um Hasen aus der Ferne aus ihrem Versteck zu scheuchen, sowie einen Stock, den sie nach den Hasen warfen. Andere Jäger trugen einen Knüppel (βαρδούκιον), eine Axt oder einen Speer (hauptsächlich bei der Jagd auf größere Tiere). Manche hatten Netze dabei, die sie über der Schulter trugen. Des Weiteren führten die Jäger Blasinstrumente aus Tierhör-

nern mit (κερατοβούκινα), und diejenigen, die die Falknerei praktizierten, trugen Lederhandschuhe, um sich vor den Krallen der Greifvögel zu schützen. Die Jäger wurden von Jagdhunden unterstützt; als die besten Hunde galten die aus Kreta. Laut Demetrios Pepagomenos, einem byzantinischen Gelehrten und Tierarzt aus dem 15. Jh., musste man Hunde mit auf die Jagd nehmen, um dafür zu sorgen, dass sie nicht faul wurden. Hunde wurden in Byzanz und während der gesamten Kaiserzeit sehr geschätzt – ein Eindruck, den der Lobpreis für Hunde in verschiedenen byzantinischen Texten noch verstärkt.6 Genau wie ihre Hunde ließen die Byzantiner ihre Greifvögel vor der Jagd für gewöhnlich hungern – aus offensichtlichen Gründen. Sie verwendeten Greifvögel, um Landtiere sowie große und kleine Vögel zu jagen. Die am meisten gejagten Landtiere in Byzanz waren Hasen und Kaninchen, deren Haut man als isolierendes Futter für Kleidung verwendete. Ihr Fleisch war ebenfalls begehrt, und sie wurden oft als Geschenk überreicht.7 Hasen wurden mit Jagdhunden oder Greifvögeln oder beidem gleichzeitig gejagt. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen zur Jagd in Byzanz möchte ich mich nun der Praxis der Falknerei im Byzantinischen Reich zuwenden. Als Basis dienen mir einige seltene Text- und Bildquellen. Tatsächlich sind Informationen über die Jagd mit Raubvögeln in Byzanz rar und datieren relativ spät. Laut A. Karpozilos «finden sich im Oneirokritikon von Achmet einige Hinweise auf die Praxis der Jagd mit Falken»,8 aber genauere und umfassendere Informationen zu diesem Thema tauchten erst zu einem viel späteren Zeitpunkt auf. Mitte des 12. Jhs. verfasste Konstantinos Pantechnes (der Metropolit von Philippopo-

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Jagen in Byzanz

Abb. 1 Miniatur im Codex Paris. gr. 64, fol. 5v.

lis) eine ekphrasis («ausführliche Beschreibung»), in der er ganz lebhaft die Jagd mit Hunden, Falken und Geparden beschrieb.9 Unter den nützlichen literarischen Quellen zu unserem Thema sticht eine weitere ekphrasis heraus (Ἔκφρασις κυνηγεσίου γεράνων [Beschreibung der Jagd auf Kraniche], ed. Kurtz, 1906), die von Konstantinos Manasses (13. Jh.) verfasst wurde.10 In diesem Text schreibt Manasses über die Jagd auf Kraniche. Dabei beschreibt er nicht nur diese spezielle Art der Jagd, sondern auch die Falknerei im Allgemeinen. Der Autor beginnt mit der Beschreibung eines Kranichs. Er berichtet uns, dass er größer als eine Gans ist, dass er einen spitzen Schnabel hat und sich von Samen ernährt, nicht von Fleisch. Sein Hals ist so lang, weil seine Beine lang sind, was dazu führt, dass sein Körper recht weit oben sitzt. Er hat einen breiten Hals. Seine Federn haben die Farbe von Hyazinthen, vor allem aber von Asche. Ein kleiner Teil des Gefieders ist komplett schwarz. Seine Flügel sind breit, seine Schwanzfedern lang, seine Beine schwarz und seine Elle lang. Seine Füße sind gerade, aufrecht und genauso lang wie sein Hals. Seine Krallen sind breit und haben scharfe Klauen. Die Kranichjagd lief wie folgt ab: Sie begann im Herbst, meist im November, als die Kraniche nach Ägypten zu ziehen begannen. Wenn die Jäger die Kraniche entdeckten, schlugen sie ihre Trommeln, um sie aufzuschrecken, und sandten einen erfahrenen Raubvogel aus, normalerweise einen Adler.11 Wenn der Adler einen Kranich erwischte, versuchten die anderen Kraniche, ihn zu retten,

und attackierten den Adler mit ihren Schnäbeln. In den meisten Fällen kam der Adler davon, manchmal wurde er aber von den Kranichen überwältigt.12 Sobald der Kampf in die entscheidende Phase eintrat, ließen die Falkner einige junge Greifvögel frei, die dem bereits kämpfenden Raubvogel helfen sollten. Wenn der Kranich schließlich zu Boden stürzte, war die Freude unter den Jägern groß.13 Das Schicksal des Kranichs war fürchterlich: Die Jäger schnitten ihm Schnabel und Krallen ab und überließen ihn wehrlos den jungen Greifvögeln, die ihn mit ihren scharfen Schnäbeln töteten. Der erfahrene Greifvogel durfte die Innereien des Kranichs fressen und trank manchmal auch sein Blut.14 In seiner ekphrasis über die Kranichjagd beschreibt Manasses auch sehr detailliert den Falken des Kaisers und schildert die Farbe und Form des Vogels mit bemerkenswerter Präzision (Ἔκφρασις κυνηγεσίου γεράνων, 130– 154, ed. Kurtz, 1906). Neben weiteren schriftlichen Zeugnissen zur Falknerei verweist auch Leontios Machairas in seiner Chronik, die der Geschichte Zyperns gewidmet ist, immer wieder auf die Praxis der Jagd mit Falken.15 Auf Zypern war die Falknerei insbesondere während der Herrschaft des Hauses Lusignan (1192– 1474) sehr beliebt, und sie wurde unter türkischer Herrschaft fortgeführt.16 Neben den literarischen findet der Falke aber auch in eher technischen Texten Erwähnung. Wir besitzen verschiedene Abhandlungen über Auswahl, Ausbildung und Ernährung von Raubvögeln. Allerdings hatten die Byzan-

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Eine Fallstudie zur Falknerei

tiner an dieser Literatur vor der spätbyzantinischen Zeit kein Interesse. Während sich griechische und römische Pferdeärzte mindestens seit dem 3. Jh. n. Chr. mit der Pathologie des Pferdes beschäftigten17 und sich die landwirtschaftlichen Fachtexte lateinischer Agronomen detailliert mit den Krankheiten anderer Haustiere beschäftigten, wurden die Krankheiten von Vögeln in der griechisch-römischen Antike und in der früh- und mittelbyzantinischen Zeit völlig vernachlässigt. Sie tauchen unter unseren Texten nicht nur erst sehr spät auf, sondern haben im Vergleich zu den lateinischen und arabischen Zeugnissen auch einen viel geringeren Umfang.18 Die byzantinischen technischen Texte zu diesem Thema stammen aus dem ausgehenden Mittelalter.19 Sie sind entweder anonym oder unter dem Pseudonym Demetrios von Konstantinopel überliefert. Genauer gesagt: Zwei dieser Texte (Περὶ τῆς τῶν ἱεράκων ἀνατροφῆς τε καὶ θεραπείας [Über Aufzucht und Pflege von Falken] und Ἕτερον ὀρνεοσόφιον ἀγροικότερον εἰς ἱέρακα [Ein anderes, schlichteres Vogelbuch über den Falken]) werden im Codex Paris. gr. 2323 einem gewissen Demetrios von Konstantinopel zugeschrieben.20 Wie ich bereits im Rahmen einer anderen Untersuchung gezeigt habe, ist Demetrios von Konstantinopel niemand anderes als Demetrios Pepagomenos, ein byzantinischer Gelehrter, den man allerdings nicht mit seinem Namensvetter aus dem 13. Jh. verwechseln darf.21 Dieser Pepagomenos lebte im 15. Jh., und er war mit byzantinischen Gelehrten wie Johannes Chortasmenos, Basilios Bessarion und Johannes Eugenikos bekannt – falls nicht persönlich, so doch zumindest per brieflicher Korrespondenz.

In diesen Texten zeigt sich der Autor ebenso an der Ausbildung von Greifvögeln interessiert wie an ihrer Gesundheit. In mehreren Manuskripten, in denen diese beiden Abhandlungen überliefert sind, ist noch ein dritter Text enthalten, in dem es um Hunde, genauer: Jagdhunde, geht (Βιβλίον περὶ κυνῶν ἐπιμελείας [Buch über Hundepflege). Der Name des Autors wird nicht erwähnt.22 Es handelt sich bei Letzterem ebenfalls um einen Text von Demetrios Pepagomenos, jedoch ist beinahe sicher, dass Pepagomenos die zweite Abhandlung über die Jagd mit Falken (Ἕτερον ὀρνεοσόφιον ἀγροικότερον εἰς ἱέρακα) nicht geschrieben hat. Diese zweite Abhandlung über Falken ergänzt die erste; es hat aber niemand versucht, es so aussehen zu lassen, als wären beide Texte in den byzantinischen Manuskripten, die ihn überliefern, vom selben Autor.23 In Pepagomenosʼ Abhandlung über Greifvögel (Περὶ τῆς τῶν ἱεράκων ἀνατροφῆς τε καὶ θεραπείας [Über Aufzucht und Pflege der Falken]) sind die Symptome so kurz und bündig aufgelistet, dass es oft schwierig ist, festzustellen, welche Krankheiten der Autor in den 303 Kapiteln seines Textes beschreibt. In der Einleitung zu seinem Text betont Pepagomenos die Bedeutung von Heilkräutern. Obgleich er auch die Bedeutung von «heiligen Steinen» (ἱερῶν λίθων) erwähnt, nennt er vor allem pflanzliche Therapien. Der Autor beschreibt ausführlich die Krankheiten, an denen Greifvögel leiden, und verschiedene Behandlungsmethoden. In den Rezepten sind sogar ein paar magische Praktiken erwähnt. Für die Behandlung dieser «heiligen Vögel» (Θεραπείαν πρὸς σωτηρίαν τῷ ἱερῷ τῶν ὀρνίθων [Pflege zur Erhaltung

Abb. 2 Miniatur im Codex Paris. gr. 64, fol. 6r.

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Abb. 3

Personifikation des Monats Oktober. Barb. Lat. 2154, f. 21r.

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Eine Fallstudie zur Falknerei

des heiligen Vogels]) rät er zu Heilmitteln, die ihm durch göttliche Inspiration vermittelt wurden, die ihm im Träumen erschienen sind und die er durch seine eigene Forschung kennengelernt hat.24 Oft empfiehlt er eine den Genesungsprozess fördernde Ernährung. Die letzten Kapitel in Pepagomenosʼ Buch stellen die verschiedenen Arten der Falknerei und verwandte Techniken vor, erklären, nach welchen Kriterien die Vögel ausgewählt werden, nennen die besten Zeiten für eine Jagd, beschreiben die Ausbildung von Falken und geben Tipps, wie man vermeidet, einen kranken Falken zu kaufen. Am Ende des Buches gibt der Autor noch ein paar Ratschläge dazu, wie man mit Falken Vögel fängt. Neben den schriftlichen Zeugnissen besitzen wir einige ikonographische Dokumente über die Falknerei in Byzanz, die in etwa aus derselben Zeit stammen. Eine dieser Abbildungen, eine Miniatur im Codex Paris. gr. 64, die aktuell auf das 12. Jh. datiert wird, basiert laut A. Grabar wahrscheinlich auf einem älteren Vorbild.25 Auf Folio 5v (Abb. 1. 2) hat ein Jäger mit Helm und Köcher an der rechten Hand einen Falken, in der linken hält er einen Hasen an den Ohren. Auf der anderen Seite ist der Greifvogel dabei zu sehen, wie er gerade seine Beute, wahrscheinlich einen Fasan, zur Strecke bringt.26 Von dieser Zeit an finden sich in der byzantinischen Kunst immer öfter Szenen mit Motiven aus der Falknerei, und das in allen möglichen künstlerischen Medien.27 Nach eingehender Prüfung habe ich festgestellt, dass einige ältere Darstellungen jedoch gar keine echten Falknerei-Szenen zeigen.28 Meines Wissens findet sich eine der ältesten in der berühmten Chronographie (oder dem Kalender) von 354.29 Das Original ist nicht erhalten, doch in der umfangreichsten Kopie (Barb. lat. 2154) findet sich eine Personifikation des Monats Oktober (f. 21r) in Gestalt eines nackten Jägers, der sich einen Mantel über die linke Schulter geworfen hat, der in seinem Rücken flattert. Hinter dem Mann steht ein Raubvogel auf einem über mehrere Leimruten geworfenen Netz (Abb. 3). Eine ähnliche Darstellung findet sich auf einem Mosaik aus dem Großen Palast von Konstantinopel, das auf das 6. Jh. datiert. Die zentra-

len Motive sind Jagd, Alltagsleben, mythologische, bukolische und pastorale Szenen. Die Hauptszene zeigt zwei Tiere, wahrscheinlich Leoparden oder Geparden, die eine Gazelle auffressen. Über der Szene sieht man ein geflügeltes Einhorn,30 und rechts vom Einhorn imitiert ein Affe (oder ein kleiner Schauspieler mit Halbmaske)31 einen Vogelfänger und richtet die Spitze einer Leimrute auf einen Vogel, der auf einer Palme sitzt.32 Dieser «Vogelfänger» trägt auf dem Rücken einen Käfig, und auf dem Käfig sitzt ein Vogel mit Hakenschnabel. Es muss sich um einen Falken handeln (Abb. 4). Bei all diesen Beispielen nimmt der Greifvogel zwar an der Jagd teil, aber nur indirekt. Wie in einer Paraphrase des dem Dionysios Periegetes zugeschriebenen Ixeutikon erwähnt wird, verwendeten Vogelfänger häufig in Gefangenschaft gehaltene Vögel, um wilde Vögel von der gleichen Art anzuziehen.33 Die Raubvögel jagen also nicht selbst, sie fungieren als Lockvögel. Insofern kann man diesen Jagdstil nicht der Falknerei zurechnen, bei der die Greifvögel aktiv das Wild töten. Der erste verifizierte Hinweis auf die Falknerei findet sich in einem Mosaik, das aus dem sog. Haus der zwei Löwen stammt. Dieser Mosaikfußboden aus dem 5. Jh. ist heute im Bardo-Museum zu sehen (Abb. 5).34 Einige Jahrzehnte später beschreibt Paulinus von Pella in seinem zwischen 455 und 459 n. Chr. verfassten Eucharistikos, wie gerne er als junger Mann einen schnellen Hund und einen Habicht oder Sperber (accipiter) besessen hätte.35 Wozu? Zweifellos für die Jagd. Seine Schriften bezeugen die Einführung der Jagd mit Sperbern oder Falken im Westen.36 Der wahrscheinlich einzige Beweis für die Falknerei im Alten Griechenland ist ein bekanntes Mosaik, das man in der «Villa des Falkners» in Argos auf der Peloponnes entdeckt hat. Diese Darstellung ist fast zeitgenössisch mit Paulinus von Pella. In einer sorgfältigen ikonographischen Studie dieses Hauses hat G. Akerström-Hougen den hellenistischen Einfluss herausgearbeitet, der von einer Rückkehr zu den Bräuchen der Vorfahren kündet. Bei diesem Peristylhaus, das sich am nördlichen Ende der Agora von Argos befindet, waren die Fußböden der Portiken, des

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Abb. 4

Mosaik vom Großen Palast von Konstantinopel.

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Eine Fallstudie zur Falknerei

Innenhofs und des triclinium mit Mosaiken dekoriert, die auf die Zeit um 500 n. Chr. datieren. Neben den Mosaiken, die die personifizierten Monate zeigen, sind Szenen aus Falknerei und Hasenjagd, der Kampf zweier Männer mit einem Löwen sowie ein dionysischer Thiasos zu sehen. Die fünf erhaltenen Felder des Jagdmosaiks (von ursprünglich

sieben) zeigen eine Hasenjagd und eine Entenjagd mit einem Falken. Trotz zweier fehlender Felder kann man erkennen, dass hier mit visuellen Mitteln der Ablauf einer ganzen Jagd erzählt wird, von den ersten Vorbereitungen bis zur Rückkehr der Jäger. Diese wunderbar erhaltene Arbeit zeigt auch einen Falkner mit seinem Vogel, einmal bei den

Abb. 5 Mosaik heute im Bardo Museum (Tunis, Tunesien).

Abb. 6 Mosaik aus der «Villa des Falkners» in Argos auf der Peloponnes.

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Jagen in Byzanz

Abb. 7 Mosaik aus der «Villa des Falkners» in Argos auf der Peloponnes.

Vorbereitungen im Vorfeld der Jagd (Abb. 6) und dann in einem naiven, aber dennoch präzisen Stil, als der behandschuhte Falkner zu einer Ente geht, die sein Habicht gerade geschlagen hat (Abb. 7). Doch ein Beispiel genügt natürlich nicht, um zu beweisen, dass die Falknerei in Byzanz schon zu einem so frühen Zeitpunkt intensiv praktiziert wurde. Tatsächlich gibt es außer den Mosaiken aus der Villa des Falkners in Argos keine andere Darstellung, weder textlich noch bildlich, die die Forschung bisher veranlasst hätte, die späte Datierung dieser Praxis in Byzanz zu überdenken.37 In seiner isolierten Lage zwischen der westlichen und der arabischen Welt, wo die Literatur über die Falknerei und ihre Praxis schon ab dem späten 4. Jh. n. Chr. (im Westen) bzw. ab dem 8. Jh. (in Arabien) blühte, scheint man in Byzanz lange Zeit wenig Interesse an der Falknerei gehabt zu haben.

Diese Praxis setzte sich in den letzten Jahrhunderten des Reichs weithin durch, doch die Gründe dafür muss man in den sozialen Spannungen der byzantinischen Gesellschaft im 11. und 12. Jh. suchen. Von jener Zeit an lässt sich beobachten, wie sich die Jagd allmählich veränderte. Die Landbevölkerung jagte wie eh und je, fing Vögel mit Vogelleim und Lockvögeln und stellte zu Fuß Hasen nach. Währenddessen wurde aber auch die aristokratische Jagd immer beliebter, die zu Pferde stattfand, mit zwei Ausnahmen: dem endgültigen Töten von Großwild und dem Einsatz von Greifvögeln, die von der behandschuhten Faust aus starteten. Ab dem Zeitpunkt, wo diese aristokratische Form der Jagd endlich Gestalt anzunehmen begann, lässt sich auch eine Zunahme schriftlicher und bildlicher Zeugnisse beobachten. Übersetzung von Cornelius Hartz, Hamburg

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Rinder und Schafe – Akteure mittelalterlicher Umweltgeschichte von Rainer Schreg

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ie Unmittelbarkeit des Mensch-TierKontaktes im täglichen Zusammenleben, der Nahrungsmittelproduktion und der Nutzung tierischer Rohstoffe ist in der modernen Gesellschaft weitgehend verloren gegangen. Heute kennen viele Nutzvieh nur noch als Fertigprodukt im Tiefkühlregal (Abb. 1) oder an der Grillbude, aus dem Zoo oder dem Urlaub. Im Unterschied zur umfassenden Verwertung eines Tieres findet heute nur noch die selektive Nutzung des Fleisches statt. Auch Knochen als Rohmaterial – wie es zahlreiche Werkstattfunde noch für die frühe Neuzeit belegen (Abb. 2) – sind heute ungebräuchlich, weil sie durch Kunststoffe ersetzt wurden. Die Grundbedürfnisse der Tiere und ihre Auswirkungen auf die alltägliche Lebenswelt der Vormoderne sind uns nicht mehr geläufig. Die Bedeutung der Tiere im Produktionsgefüge traditioneller Landwirtschaft und ih-

ren Einfluss auf die rurale Kulturlandschaft kann heute nur noch ermessen, wer direkt in Landwirtschaft oder Naturschutz tätig ist. Heute wird die Umweltdiskussion dominiert von Methanausstoß, dem Beitrag der Massentierhaltung zum Klimawandel und der Frage ob angesichts dessen ein vegetarisches oder veganes Leben nicht ethischer und umweltfreundlicher wäre. Klassische Probleme wie Überweidung oder Krankheitsrisiken finden eher selten Eingang in die Medien, etwa wenn die Krisen und Hungersnöte der Dritten Welt diskutiert werden. Geben uns die Aspekte Kult, Kunst und Konsum ein angemessenes Bild über die Rolle und Wahrnehmung von Tieren in alten Kulturen? Nein, denn sie spiegeln schon im Ansatz die moderne Distanz den Tieren gegenüber wider, die sie einerseits in höhere Sphären von Kunst und Religion verschiebt und andererseits zum Konsumgut degradiert.

Abb. 1 Moderne Begegnung mit Rindern.

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Rinder und Schafe

Nahrung Gerbmittel Kämme Messergriffe Tintenfässchen Vogeltränken Wasserbehältnisse für Wetzsteine

Nahrung Farbe

Gehirn Hörner

Abb. 2 Die Produkte des Rindes und ihre Verwendung in Spätmittelalter und früher Neuzeit.

Nahrung

Fleisch

Fett

Blase Mist Urin Schwanz Sehnen

Blut Flomen

Fensterglasersatz Lederkleidung (Schuhe, Gürtel, Handschuhe) Taschen, Beutel Falkenhauben Futtersäcke Zaumzeug, Sättel Haushaltsgegenstände (Trichter, Fingerhüte, Riemen, Sitzbezüge)

Nahrung Schmiermittel Talg (Kerzen, Seife)

Milch

Fell Haare Mörtel Polster Seile Filz

Knochen

Gedärm

Pfeffersack Dudelsack Schwimmhilfe Dung Mörtel Peitschenwedel Türöffner Bogensehnen zum Dreschen des Getreides Nahrung

Entw

Nahrung Wursthaut

Nahrung Leim Knochenschnitzereien (Perlen, Würfel, Veschläge, Kämme) Nahrung (Mark) Seife

Diese Betrachtungsweise ist zwar durchaus berechtigt, aber sie darf die alltägliche Präsenz der Tiere, die vielfältigen Abhängigkeiten

der Menschen von ihren Haustieren und deren Bedeutung für die Siedlungs- und Landschaftsgeschichte nicht verbergen.

Eine methodisch-theoretische Annäherung

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it diesem Thema – der Rolle der Haustiere für Alltag, Subsistenz und Kulturlandschaftsentwicklung – bewegen wir uns im Arbeitsfeld der Umweltgeschichte und der Umweltarchäologie, die Fragen der Interaktion zwischen Mensch und Umwelt bzw. zwischen Kultur und Natur behandeln. Sie untersuchen die Einflussnahme des Menschen auf seine Lebensbedingungen, seine Reaktion auf Störungen und die unbeabsichtigten Langzeitwirkungen seines Handelns.1 Methodisch-theoretisch setzt dies eine humanökologische Perspektive voraus, die den Menschen und seine Haustiere als Teil eines Natur und Gesellschaft gleichermaßen umfassenden Ökosystems betrachtet.2 So kann beispielsweise eine Siedlung, ob Dorf oder Stadt, als ein Ökosystem beschrieben werden (Abb. 3),3 in dem das soziale System und das naturale System, oft nicht scharf zu trennen, in komplexen Wechselbeziehungen zueinander stehen. So hat etwa die Bauweise der Häuser Einfluss auf die Wälder, die als Ressource für Baumaterial, aber auch für Brennholz dienen. Diese Nut-

zungsansprüche an den Wald können jedoch in Konflikt zu anderen Nutzungen stehen, als Jagdrevier, als Waldweide, als Standort von Köhlereien und Glashütten oder in der Neuzeit als Holzlieferant für die Papierfabriken. Ähnlich treffen bei Bächen und Flüssen verschiedene Funktionen und Interessen aufeinander: Die Nutzung als Wasserstraße steht mit Nutzungsinteressen als Mühl- oder Fischgewässer und dem Brückenbau im Konflikt.4 Aber nicht nur Nutzungskonflikte sind hier relevant. Beispielsweise führte am Trauf der Schwäbischen Alb eine zunehmende agrarische Nutzung im Verlauf des Mittelalters unwillentlich zu einer Veränderung der dortigen Travertinablagerungen. Erst dadurch wurden die bis dato sumpfigen Täler gangbar und boten Ansatzpunkte für Siedlungs-, Mühlen- und schließlich Industriestandorte.5 Umweltarchäologie ist also mehr als Umweltrekonstruktion oder Darstellung von Umweltverschmutzung, Umweltkrisen und Umweltkatastrophen in der Vergangenheit. Es geht vor allem um die Auswirkungen und

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Akteure mittelalterlicher Umweltgeschichte

Rauchentwicklung Mikroklima

Gemeinde

Demographie Zahl der Haushalte

Erosion Vorratshaltung Wasserversorgung

Entsorgung Energie

Entwaldung Nahrungsmittelproduktion

Eigentumsverhältnisse

Transport

Düngepraxis

Rückkoppelungen der Mensch-Natur-Beziehung auf soziale und wirtschaftliche Prozesse. Hier ergeben sich Fragen zur Rolle der Haustiere für die Entwicklung der Kulturlandschaft, der bäuerlichen Gesellschaften und historische Entwicklungen. So stellt sich die Frage der wirtschaftlichen Funktionen von Rindern und Schafen für die bäuerliche Wirtschaft. Waren sie primär Fleisch- oder Milchlieferanten? Welche Rolle spielte die tierische Arbeitskraft? Welche anderen Produkte wurden gewonnen? Wie wurden die

Tiere gehalten? Im Stall, auf dem Hof oder in einem Weidewechselsystem der Transhumanz? Welche Tiere wurden überhaupt gehalten? Darüber hinaus ist auch nach der ökologischen Bedeutung der Tiere zu fragen. Welche Auswirkungen hatten die Haustiere auf die Umwelt und die Gesellschaft? Wie veränderten sie die Artenzusammensetzung von Flora und Fauna? Wie veränderten sie die Kulturlandschaft? Und umgekehrt: Wie beeinflusste diese die Lebensbedingungen der Tiere?

Gewässernutzung

Abb. 3 In der Dorfökologie spielen viele Faktoren der Gesellschaft und ihrer Umwelt zusammen. Tiere sind dabei wichtige Akteure.

Die Neolithische Revolution

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ie Relevanz dieser Fragen wird deutlich, wenn man an die Frühzeit der bäuerlichen Lebensweise im Neolithikum denkt. Haustiere waren entscheidende Triebkräfte der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation. Die Domestikation der Haustiere und die Kultivierung der Kulturpflanzen waren wichtige Voraussetzungen für die Erschließung neuer Lebensräume, für Bevölkerungswachstum, Sesshaftigkeit, soziale Differenzierung und Staatenbildung. Mit der sich erst entwickelnden Laktosetoleranz zog die Rinderhaltung sogar eine genetische Adaption der Menschen nach sich.6 Erst dadurch verträgt heute die Mehrzahl der Eu-

Abb. 4 Die Darstellung auf neolithischer Reliefkeramik des 6. Jt. v. Chr. aus Kösk Höyük in Zentralanatolien ist nur ein Beispiel für zahlreiche Rinderdarstellungen, die häufig eine kultische Bedeutung nahelegen.

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Rinder und Schafe

ropäer Frischmilch. Bis heute gibt es eine Diskussion um die Hintergründe der Domestikation und Ausbreitung der Hausrinder, die im frühen Neolithikum zunächst weder als Arbeitstiere noch als Milchlieferant relevant waren.7 Insbesondere Rinder hatten nicht zuletzt auch eine religiöse Bedeutung (Abb. 4).

Mensch und Haustier stehen in einer komplexen Wechselwirkung, die im Kontext der Neolithischen Revolution besonders deutlich ins Bewusstsein rückt. In den jüngeren Perioden werden diese Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten, die ja sehr langfristig wirken und – wie gleich gezeigt wird – in den Quellen nur bedingt fassbar sind, allzu leicht übersehen.

Die Quellen

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ie Schriftquellen bieten wenig Information, da die ökologischen Zusammenhänge, die uns heute interessieren, kaum Niederschlag fanden. Sie waren dem Denken der Menschen der Vergangenheit unbekannt, da sie oft nicht unmittelbar sichtbar sind. Das gilt etwa für Krankheitserreger oder das Konzept der Energie. Auch verlaufen viele umwelthistorische Wandlungsprozesse langsam und entziehen sich weitgehend der Wahrnehmung einzelner Generationen. Deutungen der Umwelt erfolgten nicht modern wissenschaftlich, sondern im Rahmen der jeweiligen Weltbilder. Zudem ist der für die Umweltgeschichte wichtige bäuerliche Lebensbereich in den Schriftquellen deutlich unterrepräsentiert. Oft dominiert eine Top-down-Perspektive, die viele Alltagshandlungen gar nicht in den Blick nimmt. Letztlich haben soziale Unterschichten wie Bauern auch in der Archäologie geringere Chancen, ins Blickfeld zu geraten. Archäologisch greifbar ist nur, was einen materiellen Niederschlag hat. Eine arme Bevölkerung, die sich keine festen Häuser leisten kann und kaum über Besitz aus haltbaren Materialien verfügt, ist vergleichsweise schlechter zu erfassen als eine reiche Oberschicht. Auch ökologisch bedeutsame Sachverhalte wie Energienutzung, Abfallentsorgung oder Eigentumsverhältnisse sind nur dort zu fassen, wo es materiellen Niederschlag gibt, so etwa in Mühlenbefunden, Abfallgruben oder Grenzsteinen. Die Quellen der Umweltarchäologie umfassen klassische Fundobjekte, aber auch bauliche und landschaftliche Relikte wie Bauernhäuser, Ställe und Speicher, Pres-

sen und Altfluren. Im Fundmaterial sind es neben Agrargeräten und Produkten wie Nahrungsresten oder Textilien vor allem organische Materialien wie Tierknochen oder Pflanzenreste. Besonders die Archäozoologie hat unmittelbaren Zugriff auf die Tiere, indem sie deren erhaltene Knochen nach Arten, Altersund Geschlechtszusammensetzung oder Arbeitsbelastungen auswertet. So konnte etwa in Mitteleuropa schon seit Langem eine Größenentwicklung der Haustiere zwischen vorrömischer Eisenzeit und Frühmittelalter aufgezeigt werden (Abb. 5 a.b). Mit der Romanisierung nimmt die Größe der Rinder zu. Die Widerristhöhe wächst von 106 cm in der Spätlatènezeit auf fast 140 cm im 3. Jh. n. Chr., danach fällt sie rapide ab.8 Darin spiegelt sich nicht nur der Einfluss antiker Zuchterfolge, sondern auch eine veränderte Einstellung zu Effizienz, Risiko und Prestige der Tierhaltung: Kleine Tiere sind leichter zu überwintern, der Verlust eines einzelnen Tieres wiegt weniger schwer; außerdem wird der Konservierungsaufwand verringert. Tierknochenspektren aus Grabungen geben Auskunft über die relative wirtschaftliche Bedeutung der Tiere und über Nahrungsgewohnheiten der Menschen. So lässt die archäozoologische Auswertung der Tierknochen aus dem Renninger Becken9 erkennen, wie von der Völkerwanderungszeit bis zum hohen Mittelalter das Rind der wichtigste Fleischlieferant war, gefolgt von Schwein und Schaf / Ziege. Bemerkenswert ist das Knochenspektrum aus einem bald nach 1000 verfüllten Brunnen. Tausende darin gefundener Froschknochen, vor allem von Schenkeln, können in ihrer Zusammensetzung nicht durch natürliche Zerfallspro-

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zesse erklärt werden (Abb. 6). Vielmehr liegt hier – von prähistorischen Belegen abgesehen – der älteste Nachweis des Verzehrs von Froschschenkeln vor.10 Im überregionalen Vergleich lässt eine Auswertung der Tierknochenspektren landschaftliche Trends in der Viehhaltung erkennen. So dominieren in mittelalterlichen Tierknochenspektren im südlichen Rhônetal Schaf und Ziege, während im westlichen Mitteleuropa meist das Rind, gelegentlich aber auch das Schwein, die bedeutendste Rolle einnimmt (Abb. 7). Neuerdings gewähren Genetik und Isotopie Einblicke, die uns die Domestikation bzw. Zuchtlinien, aber auch Weideflächen und saisonale Wanderungen rekonstruieren lassen. Genetische Studien an Haustieren konzentrieren sich bislang vor allem auf prähistorische Perioden, besonders auf das für die Ausbildung von Ackerbau und Viehzucht entscheidende Neolithikum, während jüngere Perioden kaum wahrgenommen werden.11 Dabei ist nicht nur die DNA der Haustiere von Interesse, mit der Abstammungs- und Zuchtlinien sowie wichtige Eigenschaften der Tiere erfasst werden können. Die DNA von Bakterien oder Viren, aus Tierknochen oder aus Bodenproben, zeigt die Erreger von Tierseuchen, die häufig existenzbedrohend sein konnten. So war etwa die große Hungersnot 1315 bis 1317 verursacht durch Rinderpest und Viehseuchen.12 Isotopenuntersuchungen an Rinderzähnen erlauben es, Weideflächen einzugrenzen. Mit dem Futter nahmen die Tiere die spezifische Signatur des biologisch verfügbaren Strontium auf, das primär vom geologischen Untergrund abhängt, und speicherten sie in Zähnen und Knochen. Während für die neolithische Rinderhaltung detaillierte Untersuchungen vorliegen, die kleinräumigen Weidewechsel erkennen lassen,13 sind solche für jüngere Perioden und speziell das Mittelalter eher selten14. Dabei haben sie großes Potential für die Rekonstruktion der räumlichen Organisation der Viehhaltung. Sie könnten einen wichtigen Beitrag dabei leisten, die Anfänge der vielfältigen, in den Schriftquellen aber oft erst spät greifbaren Weidewechselsysteme15 zu erfassen. In England konnte in Kombination archäo-

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Abb. 5 a.b Größenentwicklung von Haustieren. Oben: Größenvergleich eisenzeitlicher Haustiere mit heutigen (nach B. Krüger (Hrsg.): Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa 1: Von den Anfängen bis zum 2. Jt. unserer Zeitrechnung. Berlin 1979 (Veröff. Zentralinst. Alte Gesch. u. Arch. Akad. Wiss. DDR 4/1).). Unten: Größenentwicklung von Rindern im Raum Basel von der jüngeren Eisenzeit bis ins frühe Mittelalter. b

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Abb. 6 Renningen: Tierknochenspektrum aus einem Brunnen um 1000 sowie die Skelettverteilung der Froschknochen.

Abb. 7 Ausgewählte Tierknochenspektren ländlicher Siedlungen des Früh- und Hochmittelalters.

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zoologischer Größenbestimmung und Isotopenuntersuchungen ein starker Wandel der Schweinehaltung im 14. Jh. erkannt werden.16 Wichtige Informationen zur Viehhaltung liefern auch bodenkundliche Untersuchungen. Mit der schon lange gebräuchlichen Phosphatanalytik lässt sich eine Stallhaltung oder ein Düngereintrag auf Wirtschaftsflächen nachweisen. Phosphateinträge beruhen in erster Linie auf Exkrementen. Sie belegen beispielsweise in frühmittelalterlichen Häusern in Nord- wie in Süddeutschland eine Aufstallung des Viehs in den Häusern neben dem Wohnbereich.17 Inzwischen werden weitere Methoden wie die Biomarker-Analyse eingesetzt, mit denen sich Fäkalien einzelner Tierarten differenzieren lassen.18 Trotz des breiten Spektrums an Quellen und Methoden sind wir weit davon entfernt, gut einschätzen zu können, welche Rolle die

Haustiere für die historische Entwicklung von Gesellschaften und Landschaften gespielt haben. Das ist neben dem Problem der Methoden und der Überlieferung auch ein eher philosophisch-theoretisches. Inwiefern möchte man den Haustieren überhaupt den Status von Akteuren zubilligen? Ein traditionelles Geschichtsbild, geprägt vom Historismus des 19. Jhs., sah Geschichte vor allem als von Politik und wenigen handelnden «Genies» gemacht. Bauern und erst recht Vieh spielten in diesem Weltbild keine historische Rolle. In den modernen historischen Kultur wissenschaften mag dies spätestens mit den Human-Animal-Studies19 überwunden sein. Da die archäologischen Disziplinen im deutschsprachigen Raum aber lange sehr theorie-abstinent waren, blieb auch das archäologische Geschichtsverständnis eher traditionell und wenig hinterfragt.20

Historische Archäologie

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or diesem Hintergrund ist es wichtig, die Rolle von Haustieren zunächst dort zu betrachten, wo wir die verschiedenen Quellen zusammenführen und so zumindest fundierte Thesen über das Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren und Akteure aufstellen können.21 Es ist ein wichtiges Kennzeichen der historischen Archäologien, dass sich materielle und schriftliche Quellen (wie auch bildliche) ergänzen können. Das gilt in besonderem Maße für die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit.

Im Folgenden gehen wir daher der Frage nach der Akteursrolle von Rindern und Schafen am Beispiel der mittelalterlichen Siedlungsgeschichte nach. Hier können wir durch das Zusammenwirken der unterschiedlichen Quellen grundlegende Einsichten und eine besondere Sensibilisierung für die mögliche Bedeutung von Rindern und Schafen als historische Akteure gewinnen. In der Kombination ergeben sich Einblicke in sonst unbeachtete Zusammenhänge.

Landschaften voller Rinder und Schafe

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eispiele dafür, dass Rinder und Schafe Kulturlandschaften umgestaltet haben, sind gerade aus dem späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit zahllos. Sehr gut bekannt ist die Situation in England, wo es am Ende des Mittelalters zu einer massiven Umwandlung von Ackerland in Schafweiden kam. Dadurch wurden viele alte Ackerstrukturen im Grünland erhalten (Abb. 8).22 Der Trend zu einer größeren Bedeutung der Viehwirtschaft

nach der mittelalterlichen Agrarkrise ist auch andernorts zu beobachten. Im Alpenraum haben verschiedene Surveys der letzten Jahre Relikte früher Gebirgsweiden entdeckt (Abb. 9). Neben einer deutlichen Phase endneolithischer und früheisenzeitlicher Nutzung datieren viele Viehpferche, Weideeinhegungen und Almhütten in die Frühe Neuzeit.23 Auf der Schwäbischen Alb gewannen im 15. Jh. Schäfereien zumindest vorübergehend an Bedeu-

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Abb. 8  Whittlebury, Northamptonshire: ehemalige Wölbäcker («ridge and furrow») unter moderner Schafweide.

Abb. 9  Innertkirchen: Viehkral in den Berner Alpen.

Abb. 10 Wiesensteig, Klösterle: frühneuzeitlicher Viehhof.

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tung (Abb. 10).24 Schafhaltung ist auch charakteristisch für viele Heidelandschaften wie die Lüneburger Heide. Hier kam es jedoch aufgrund eines intensiven Getreidebaus mit Plaggendüngung zu einer Bodendegradation in jenen Arealen, die man zum Stechen der Rasensoden («Plaggen») nutzte, welche man auf den Ackerflächen ausbrachte. Die verarmten Flächen eigneten sich schließlich nur noch als Schafweide. In einigen Landschaften bewirkte die Überweidung eine Zerstörung der Grasnarbe und eine verstärkte Bodenerosion. In Sandgebieten konnten so auch

im Binnenland Dünen in Bewegung geraten, wie an der frühmittelalterlichen Siedlung von Kootwijk zu beobachten ist. Hier verschwanden Siedlungs- und Ackerflächen unter mehreren Metern Sand.25 Vieh prägt die Kulturlandschaft in vielfältiger Weise, etwa durch die Infrastruktur der Viehwirtschaft wie Ställe, Pferche, geeignete Weiden, Hirtenunterkünfte oder Viehtriebwege, aber auch durch Verbiss an Bäumen und Sträuchern, ggf. durch eine Zerstörung der Grasnarbe und durch einen Düngereintrag in Boden und Gewässer.

Rinder und Schafe als Teil des Landmanagements

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n der gemischten Landwirtschaft der Alten Welt, die Ackerbau und Viehzucht kombiniert, kommt dem Vieh – insbesondere den Rindern und Schafen – eine wichtige Rolle im Landmanagement zu (Abb. 11). Sie sind Rohstofflieferant, ihr Fleisch trägt zur Ernährung bei und ihre Arbeitskraft ist besonders vor Wagen und Pflug ein wichtiger Faktor in der vorindustriellen Wirtschaft.26 Die Größe (und der Zustand) des Viehbestandes ist in einem Dorf eine wesentliche wirtschaftliche Größe. Er ist abhängig von der Bevölkerungszahl, der verfügbaren Landfläche und der für die Landwirtschaft verfügbaren Arbeitskraft.27 Die Produktivität der Fläche ist im gemäßigten Klima i.d.R. bei Viehhaltung weniger effektiv als beim Ackerbau, der jedoch von einer Düngung abhängig ist. Viehhaltung ist charakteristisch für Perioden mit geringer Bevölkerung, weil sie in weitläufigen Landschaften prinzipiell weniger Arbeit macht als intensiver Ackerbau, aber eben auch deutlich mehr Flächen benötigt. Mit dem Landesausbau des Früh- und Hochmittelalters gewinnt der Ackerbau an Bedeutung. Nach den Bevölkerungsverlusten durch die Pest im 14. Jh. kommt es zu einer steigenden Bedeutung der Viehhaltung (Abb. 12). Gerade bei intensivem Ackerbau sind Haustiere jedoch von besonderer Bedeutung: Ihre Exkremente werden als Dünger dringend benötigt, um über einen längeren Zeitraum hinweg die Ackerflächen fruchtbar zu halten.

Andere Düngestrategien, wie die Plaggenwirtschaft oder die Ausnutzung von Flusssedimenten, wie sie prominent die Landwirtschaft in Ägypten, aber auch in der Neuen Welt28 bestimmten, traten demgegenüber zurück. Eine direkte Düngung erfolgt durch Beweidung der Anbauflächen während einer Bracheperiode. Dies kann sowohl im Rahmen eines langfristigen als auch eines kurzfristigen Nutzungswechsels wie in einer Zwei- oder Dreifelderwirtschaft erfolgen. Die indirekte Düngung ermöglicht eine weitere Aufbereitung und ein gezieltes Ausbringen des Mists. Dazu wird der Dung gesammelt, aufbereitet und dann ausgebracht. Am einfachsten geht dies bei einer Stallhaltung der Tiere, die freilich angesichts robusterer Tierarten, die auch draußen überwintern konnten, nicht immer und über-

• Produkte -

Fleisch Milch Fell / Leder Textilien Horn / Knochen

• Ökosystemfunktion - Bodendüngung - Offenhaltung von Brachland - Artenselektion

Abb. 11 Die ökologische und wirtschaftliche Rolle der Viehwirtschaft.

• Soziale Rolle -

Prestigeobjekt/ Vermögen «Hausgenosse» Rolle der Hirtengemeinschaft Ggf. kultische Bedeutung der Tiere

• Risikofaktor -

Überweidung Krankheitsüberträger Wirtschaftliches RisikoAbhängigkeit von Viehseuchen Überwinterung in Kaltperioden

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Abb. 12 Entwicklung des Anteils von Wald- und Offenland.

all vorausgesetzt werden darf.29 Mist, Jauche und Gülle, die heute wegen hoher Nitratbelastungen im Grundwasser als Problem angesehen werden, leisteten vor der industriellen Massentierhaltung und intensivem Einsatz von Kunstdünger den entscheidenden Beitrag zur Nährstoffversorgung der Äcker. Flüssiger Dünger in Form von Jauche gewinnt erst in der Neuzeit an Bedeutung. Zuvor wurden die Tierfäkalien mit Stroh versetzt als Mist aufbereitet (Abb. 13). Da Stroh auch als Futter gebraucht wurde, musste es teilweise durch andere Streu ersetzt werden. Im Nord-

schwarzwald entstand so die Streuwirtschaft, bei der Laub und Unterholz aus dem Wald geholt wurden. Steine auf dem Waldboden waren beim Einsatz von Sense und Rechen störend und wurden deshalb auf Lesesteinhaufen rund um Bäume zusammengetragen. Archäologische Ausgrabungen solcher Haufen belegen, dass das Verfahren bis mindestens ins Spätmittelalter zurückgeht.30 Im frühen Mittelalter scheint hingegen noch die direkte Düngung dominierend gewesen zu sein. Aus den inzwischen zahlreich vorliegenden Siedlungsgrabungen kennen wir weder Dunggruben noch Latrinen und kaum Rinnen in den Ställen. Nur ausnahmsweise gibt es einen sog. Scherbenschleier, eine weitläufige Verteilung einzelner Keramikscherben auf den Ackerflächen. Er wird durch die Entsorgung zerbrochener Gefäße über den Misthaufen erklärt, die so mit dem Mist auf den Feldern verteilt wurden. Erst seit dem Spätmittelalter oder der frühen Neuzeit kann solch ein Scherbenschleier bei sorgfältigen archäologischen Feldbegehungen festgestellt werden.31 Ein wichtiges Element des Bodenmanagements war bis ins Hochmittelalter die auch in vorgeschichtlicher Zeit häufig zu beobachtende Verlegung der Siedlungen innerhalb

Abb. 13 Zum Verteilen auf dem Feld ausgebrachter Mist, durchsetzt mit Keramikscherben (Südserbien 2013).

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weniger Jahrzehnte. Man brachte nicht den Dünger auf den Acker, sondern umgekehrt den Acker zum Dung. In den Siedlungen reicherten sich um die Häuser Nährstoffe an, da hier Exkremente von Mensch und Tier sowie organische Abfälle eingetragen wurden. Mög-

licherweise fand in manchen Perioden eine gezielte Aufbereitung im Sinne einer Fermentierung und Kompostierung statt.32 Die wiederkehrende Verlegung der Siedlung über geringe Distanzen lässt sich bis ins Hochmittelalter beobachten.33

Der Übergang zur Dreizelgenwirtschaft und die Genese des Dorfes

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ie beiden Dörfer Renningen und Malmsheim westlich von Stuttgart zeigen aufgrund umfassender archäologischer Beobachtungen sehr deutlich die Umstrukturierung während des 12./13. Jhs. Gab es zuvor unzählige kleine Siedlungsplätze, so konzentriert sich das Leben nun in den beiden Dörfern (Abb. 14). Diese Dorfgenese im engeren Sinne, die Konzentration der Höfe um einen zentralen Bereich der gemeinsamen Wirtschaftsflur, wo das Dorf seitdem ortskonstant blieb, kann in weiten Teilen West- und Mitteleuropas beobachtet werden. Der genaue Zeitraum dieses Prozesses variiert jedoch landschaftlich. In Südwestdeutschland gehörte er ins 12./13. Jh., in Bayern und Nordfrankreich fand er nach aktuellem Forschungsstand wenige Generationen früher statt.34 Ein wesentlicher Faktor dieser Dorfgenese war die Einführung der geregelten Dreizelgenwirtschaft, bei der die Felder eines Dorfes in drei große Blöcke («Esche» oder «Zelgen») aufgeteilt wurden. Das entscheidend Neue war nicht die Einführung der Fruchtfolge von Sommergetreide, Wintergetreide und Brache – die schon länger bekannt war und individuell auf einzelnen Grundstücken durchgeführt werden konnte – sondern die koordinierte Landnutzung. Bei einer gemeinsam durchgeführten regulierten Dreizelgenwirtschaft konnte man auf eine Einhegung verzichten, die man bei individueller Bewirtschaftung benötigte, um zu verhindern, dass Rinder und Schafe während der Brache ausbrachen und die frische Saat auf dem Nachbargrundstück abfraßen. Die Umfassung war nur noch an den Zelgenrändern notwendig. In Zeiten ohne Stacheldraht oder Elektrozaun war sie am ehesten mit einer Feldsteinmauer oder häufiger mit einer Hecke

zu erreichen, die so beschaffen sein musste, dass sich das Vieh nicht durchfraß. Anders als Zäune benötigten Hecken einen mehrere Meter breiten Streifen und waren, wie Mauern, zudem ein Hindernis beim Pflügen, da

Abb. 14 Renningen im 12. (oben) und 14. Jh. (unten): Durch die Konzentration der zahlreichen Siedlungsstellen mit hier schematisch dargestellter individueller Dreifelderwirtschaft entstanden großflächige Zelgen mit einheitlichem Anbau.

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Abb.  15 Die Hecke als Feldgrenze war notwendig, um das Vieh vom benachbarten Acker fern zu halten. Hecken waren aber auch ein Hindernis beim Pflügen und beanspruchten mitten im Ackerland wertvollen Boden. Mit Einführung der regulierten Dreizelgenwirtschaft wurden viele Hecken überflüssig.

ein Ochsengespann einen gewissen Wendekreis benötigt (Abb. 15). Die Dreizelgenwirtschaft ermöglichte eine viel effizientere Landnutzung. Die Fläche der ehemaligen Hecken wurde dazu gewonnen und der Pflug konnte ohne Flurschaden anzurichten auf dem Nachbargrundstück gewendet werden. Die benachbarten Bauern mussten daher viel stärker kooperieren: Das Vieh wurde in der Brachezeit gemeinschaftlich geweidet, ein Dorfhirte bestellt und ein Zuchtbulle gestellt. Rinder wurden so zu einem Akteur bei der Ausbildung der Dorfgemeinde. Die Einführung der Dreizelgenwirtschaft hatte noch weitere Konsequenzen. Durch die Neuverteilung des Landbesitzes und eine lang-

fristige Ackernutzung veränderten sich die Vorstellung von Grundbesitz und die Besitzverhältnisse. Der Landschaftswandel durch die Rodung von Hecken und das Entstehen großer Ackerflächen führte zu einem erhöhten Risiko der Bodenerosion und wirkte sich durch veränderte Verdunstung und Aufheizung auf das Mikroklima aus. Die gemeinschaftliche Tierhaltung erhöhte das Risiko von Viehseuchen. Vielleicht begünstigten diese Veränderungen die Ausbreitung der Pestepidemie nach 1347.35 Mit Dorfgenese und Dreizelgenwirtschaft ist das Ende der bisherigen Siedlungsfluktuation verbunden, die ein wesentliches Element einer langfristigen Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit darstellte.36 So kam es zunächst zu einer Düngerlücke und einem Rückgang der Bodenfruchtbarkeit – erst im 15. Jh. setzte nach Aussage des Scherbenschleiers die indirekte Düngung ein. War also die Krise des 14. Jhs. mit ihren Seuchen, Wüstungen und Wetterkapriolen auch eine Folge der durch die Bedürfnisse von Rindern und Schafen umgestalteten Landschaft?

Das Wissen um den Dünger

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it den verfügbaren Quellen ist es schwer zu entscheiden, ob die hier skizzierten Zusammenhänge zwischen Rindern, Schafen, Landschaftsentwicklung und Sozialgeschichte tatsächlich so wirksam waren. Ein Problem dabei ist, dass wir wenig direkte Quellen zur Düngepraxis besitzen. Empfehlungen für das erfolgreiche Düngen finden sich bereits bei den antiken Agrarschriftstellern.37 Ihr Wissen wurde bei mittelalterlichen Schriftstellern wie Walter de Henley (13. Jh.) oder Konrad von Megenberg (1309–1374) rezipiert. Walter de Henley wägt Dung gegen Mergel ab und beschreibt direkte Beweidung, aber auch das Sammeln und Ausbringen von Mist. Im Unterschied zu den römischen Agrarschriftstellern erwähnt er aber weder Hausabfälle noch menschliche Fäkalien. Er verbindet das antike Wissen jedoch mit der Elementenlehre:

«Your dung which is mingled with earth, lay it upon gravely ground, if you have any. And I will tell you why. The time of summer is hot, and the gravel is hot also, and the dung is hot. And when these three heats do meet together, by their great heat they vex and burn, after mid-summer, the barley that grows in gravel …»38 (Abb. 16). Die Stelle zeigt, wie wenig man von Nährstoffen wusste, aber das Erfahrungswissen doch zu erklären versuchte. Aber: Inwiefern war das auch das Wissen der Bauern? Wurde die große Bedeutung der Rinder und Schafe für die Landwirtschaft von mittelalterlichen Bauern überhaupt wahrgenommen? Ein archäologischer Befund in Mittelengland erlaubt einen Einblick: Eine genaue Kartierung des Scherbenschleiers zeigt, dass vor allem einfache Bauern mit Mist düngten,

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während das Land des Herrenhofs kaum Keramikfunde aufweist (Abb. 17). Wie Walter de Henley empfiehlt, achtete die Herrschaft darauf, dass ihr Land regelmäßig beweidet wurde, während die abhängigen Bauern versuchen mussten, alles Mögliche an Mist zusammenzukratzen – inklusive der Keramikscherben, die auf dem Misthaufen entsorgt wurden – um es dann auf den Feldern zu verteilen. Abb. 16 Düngemittel in der Elementenlehre.

Abb. 17 Düngung im Umfeld des Herrenhofes von Wick Hamon (Northamptonshire) um 1250–1400. Die Auswertung des Scherbenschleiers zeigt unterschiedliche Düngepraxis auf Herrenhof und abhängigen Bauernstellen.

Kult, Kunst, Konsum und Kot

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austiere waren früher oft Teil der Hausgemeinschaften. Mit ihren Ansprüchen und ihrem Stoffwechsel beeinflussten sie die Umwelt und letztlich die Gesellschaft. Ihre historische Bedeutung bewegt sich jenseits der Wahrnehmung der Zeitgenossen bzw. der Aufmerksamkeit der Schriftquellen, da es sich zum einen um langfristige Entwicklungen jenseits des Erfahrungshorizontes handelt. Zum anderen sind Tiere selbstverständlicher Teil der bäuerlichen Lebenswelt, und schon deshalb

finden sie wenig Aufmerksamkeit in den Quellen. Hinzu kommt, dass die Rolle von Rindern und Schafen als Akteure nicht zuletzt auf ihrem Stoffwechsel beruht und damit ein Tabuthema berührt. Zeitgenossen wie moderne Forscher wendeten sich hier lieber angenehmeren Themen zu. Viele der hier skizzierten Zusammenhänge müssen darum hypothetisch bleiben. Sicher aber ist: Rinder und Schafe haben ihre Gesellschaften und Kulturlandschaften wesentlich mitgeprägt.

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Pflügen im 14. Jh. Illustration von Charles H. Ashdown, (London, 1910). (Foto: HeritageImages / The Print Collector / akg-images).

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Epilog: Mensch-Tier-Relationen in Alten Kulturen von Tanja Pommerening und Jochen Althoff

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as Bild vom Verhältnis des Menschen zum Tier in alten Kulturen mag auf den ersten Blick etwas disparat erscheinen. Wir wollen daher abschließend noch einmal ver-

suchen, die verstreuten Aspekte der einzelnen Beiträge zusammenzufassen und einige maßgebliche Linien aufzuzeigen. Die Beiträge werden dabei teilweise neu gruppiert.

Methodisches

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ie Autorinnen und Autoren nutzen unterschiedliche Methoden, um Aussagen über die Relationen von Mensch und Tier zu erfassen. Die Philologen Stephen Newmyer, Sabine Obermaier und Stavros Lazaris analysieren Quellentexte und haben dabei unterschiedliche Zielsetzungen im Blick. Newmyer wählt eine Überblicksdarstellung zum Gesamtthema unter Einbindung einer Vielzahl unterschiedlicher literarischer, philosophischer und naturkundlicher Schriften aus der Antike. Obermaier gelingt es anhand nur eines Ausdrucks («zwei gebratene Rebhühner») in einer mittelalterlichen Erzählung zu demonstrieren, auf welch vielfältige Weise ein Tier als Deutungsinstanz narrativ verwoben und metaphorisch gebraucht werden kann, und Lazaris nimmt ein spezifisches Themenfeld, die Falkenjagd in Byzanz, in den Blick und vergleicht das überlieferte Quellenmaterial dazu aus einem Zeitraum von rund 800 Jahren. Archäologen wie Alexander Pruß, Salima Ikram und Rainer Schreg analysieren Objekte, hier vor allem zooarchäologische Reste wie Tierknochen oder -mumien, aber auch bildliche Darstellungen; sie berufen sich u. a. auf naturwissenschaftliche Analysemethoden (CT-Analysen, DNA-Analysen, Röntgenfluoreszenzanalysen usw.), binden aber

darüber hinaus ebenfalls Textquellen in ihre Interpretationen mit ein. Marianne BechhausGerst kombiniert sprachwissenschaftliche und historische Textanalysen mit den Ergebnissen rezenter Befragungen. Diese Methodenvielfalt zeigt unterschiedliche Blickwinkel auf dennoch gemeinsame Fragestellungen: Wo liegen die Grenzen zwischen Menschen und Tieren? Gibt es spezifische Zuschreibungen hinsichtlich Denken, Moral, Recht und Konsum? Wie werden Menschen von Tieren differenziert und in eine Rangordnung gebracht oder miteinander identifiziert? Wann steht der praktische und wirtschaftliche Nutzen zur Fortbewegung, in der Landwirtschaft oder als Lebensmittellieferant im Vordergrund? Welche ideologischen Motive spielen bei der Betrachtung von Tieren eine Rolle? Welche sozialen Faktoren sind für die MenschTier-Relation wichtig? Wird zwischen einer mehr rationalen und einer mehr emotionalen Betrachtung der Tiere unterschieden? So widmet sich der interdisziplinäre Band in einer diachronen und transkulturellen Perspektive den hinter der Interaktion zwischen Mensch und Tier stehenden Konzepten. Diese zu beschreiben und miteinander in Beziehung zu setzen ist Ziel des folgenden Abschnitts.

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Epilog

Der Mensch als Maßstab für die Metaphorisierung des Tieres

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lexander Pruß widmet sich ausgehend von dem im Alten Testament belegten jüdischen Speisetabu für Schweinefleisch der Frage, wie die Menschen des Alten Orients mit dem Schwein umgegangen sind. Er gibt anhand von archäologisch belegten Tierknochenfunden, aber auch anhand von Bild- und Textmaterial einen Überblick über ca. 3000 Jahre Tiergeschichte des Schweins im Alten Orient (ca. 3500–400 v. Chr.). Mit der Sesshaftwerdung des Menschen im frühen Neolithikum (ca. 12 000 Jahre vor unserer Zeit) beginnt bereits die Domestikation von Wildschweinen im Nahen Osten. Relativ viele Schweineknochen wurden noch in Siedlungen der zweiten Hälfte des 3. Jts. v. Chr.) gefunden. Teilweise kann man Schweinefleisch sogar als eine Art «Armendiät» erschließen. Vergleichbare Befunde gibt es für die späte Bronzezeit (ca. 1550–1180 v. Chr.), so dass man feststellen kann: Im gesamten Alten Orient dient bis zur Bronzezeit Schweinefleisch als Alltagsnahrung; häufiger werden allerdings Schaf-, Ziegen- und Rindfleisch verzehrt. Auch Rechtstexte belegen, dass Schweinefleisch bis mindestens zur Mitte des 2. Jts. v. Chr. gegessen wurde. Sie lassen erkennen, dass Schweine häufig als Haustiere, seltener dagegen unter zentraler Verwaltung in größeren Herden gehalten wurden. Im kultischen Kontext sind Schweine als Opfergaben belegt, so etwa Ferkelopfer im Totenkult. Allerdings gelten die Tiere ab dem 2. Jt. v. Chr. als ungeeignet für höherwertige Kulte, so dass ab dieser Zeit eine deutliche Abwertung zu beobachten ist. Diese Abwertung bezieht sich allerdings ausschließlich auf Hausschweine, niemals auf Wildschweine und hat ihren Ursprung darin, dass die Tiere – ähnlich wie Hunde – als unrein galten, da sie sich von Haushaltsabfällen ernähren. Aus demselben Grund wurde der Ausdruck «Schwein» sodann herabsetzend auf minderwertige oder verhasste Menschen übertragen. Unterdessen hat man aber Schweinefleisch, Schmalz und Speck durchaus weiter gegessen und geschätzt. Das jüdische Speisetabu lässt sich daher nur sehr un-

vollkommen aus dem kulturellen Umfeld des Vorderen Orients ableiten. Der Beitrag liefert einen Einblick in die Nutzung und Bewertung eines uns sehr vertrauten Tieres im Alten Orient. Es scheint sich im Laufe der Zeit eine gewisse Zurückhaltung ausgebildet zu haben, die sich aus einer Abwertung des Schweins ableitet. Das jüdische Speisetabu könnte als die Endstufe dieser Abwertung gedeutet werden. Sie resultiert aus einer Übertragung menschlichen Sozialverhaltens auf die Tiere: Schweine ernähren sich von Haushaltsabfällen, was eigentlich rein ökonomisch (im Sinne eines «Müllschluckers») sinnvoll und erwünscht gewesen sein dürfte. Wenn aber ein Mensch sich von Abfällen ernährt, steht er in der sozialen Hierarchie auf der untersten Stufe. Das dem Menschen nahestehende Hausschwein wurde vermutlich mit diesen weniger geschätzten Menschengruppen assoziiert und als ebenso minderwertig eingeschätzt. Aus dieser nur unvollkommenen Abwertung (die Produkte des Tieres hat man ja weiterhin gerne verzehrt) wird dann umgekehrt eine Metapher für verabscheuungswürdige Menschen. Die Kategorien von Nähe und Distanz zwischen Mensch und Tier sind hier also eigentümlich vermischt: Die Abwertung, die zunächst in kultischen Praktiken aufscheint, setzt offenbar eine weitgehende Vermenschlichung des Tieres voraus, denn der zugrunde gelegte Maßstab ist ein menschlicher. Dennoch hat man anfangs weiter Schweinefleisch gegessen. Erst sekundär hat man die Abwertung weitergetrieben, indem man auf den Verzehr von Schweinefleisch konsequent verzichtete. Auf diese Weise ist das Tier dem Menschen völlig fremd geworden, die kultische Abwertung ist auf den Bereich des Konsums übertragen worden. Im Vordergrund stehen somit nicht so sehr die realen Eigenschaften des Tieres als vielmehr die Bewertung dieser Eigenschaften durch den Menschen (wie dies wohl für alle Speisetabus gilt). Statt das Ernährungsverhalten der Tiere für natürlich und nützlich zu halten, wendet man einen menschlichen Maßstab an und verurteilt das Schwein, weil es diesem Maßstab nicht gehorcht.

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Mensch-Tier-Relationen in Alten Kulturen

Ein vergleichbares Konzept, nämlich die Verknüpfung von tierischen Eigenschaften mit menschlichen Bewertungen, zeigt sich in der Analyse von Sabine Obermaier. In ihrem Beitrag geht es um die Bedeutung von Tieren in mittelalterlichen Romanen. An einem Textbeispiel aus dem Parzival Wolframs von Eschenbach macht sie deutlich, wie viele zusätzliche Bedeutungsebenen sich hinter der Erwähnung zweier gebratener Rebhühner verbergen, die dem jungen Parzival von der schönen Jeschute angeboten werden. Rebhühner sind seit der Antike als besonders lüsterne Vögel berüchtigt, so dass sich eine sexuelle Konnotation andeutet. Wahrscheinlich ist das Verspeisen der Rebhühner sogar eine Art Ersatzhandlung für eine unterbliebene Vergewaltigung Jeschutes. Ausgehend von dieser Passage setzt sich Obermaier kritisch mit dem sog. animal-turn auseinander, der 2007 von einem amerikanischen Gelehrten ausgerufen wurde. Mit dieser Forschungswende wollte man versuchen, den tiefgreifenden kategorialen Unterschied zwischen Mensch und Tier zu überwinden und vor allem von der Verdinglichung der Tiere fortzukommen. Sie sollen vielmehr als eigenständig Handelnde wahrgenommen werden. Auch im Beitrag von Newmyer wird deutlich, wie schon in der Antike eine ganz vergleichbare Fragestellung diskutiert wurde. Obermaier macht sich dagegen dafür stark, dass es die Dichter der – in ihrem Fall mittelalterlichen – Werke im Dialog mit ihren Lesern sind, die über die Aufladung von Tieren mit zusätzlichen Bedeutungen entscheiden. Die Tiere selbst spielen dabei nur insoweit eine Rolle, als sich nicht jedes beliebige Tier für jede beliebige Zuschreibung eignet; zumindest grundsätzlich muss es bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen der Tiere geben, die man in einem weitergehenden Sinn ausdeuten kann. So sind es etwa bei den Rebhühnern ihre Paarungsfreude und die hohe Zahl ihrer Nachkommen, die eine Deutung im Sinne der (menschlichen) Lüsternheit und sexuellen Zügellosigkeit erlauben. Wir erkennen hier ein vertrautes Muster, das bereits bei der Bewertung von Schweinen im Alten Orient benutzt wurde.

Diese Methode der Bedeutungszuschreibung wird aber bei den Rebhühnern im Mittelalter noch sehr viel weiter ausgebaut. Weil sie so lüstern sind, zerstören sie angeblich die Eier des Weibchens, damit sie sich erneut mit ihm paaren können. Zum Ausgleich stehlen sie die Eier anderer Vögel und brüten somit aus, was ihnen nicht gehört. Das Rebhuhn wird dadurch zu einem Symbol für einen diebischen Menschen oder sogar für den Teufel, der die Menschen zu schlechtem Handeln verleitet. Diese Überhöhung auf eine religiöse Ebene ist für das christliche Mittelalter typisch. Die Rebhuhnküken dagegen gelten als Symbol für einen auf das Wort Gottes hörenden Menschen. Dem liegt vermutlich nur noch entfernt das Faktum zugrunde, dass die Küken (allerdings wie alle Küken) treu ihrer Mutter folgen. In die theologische Dimension gehoben symbolisieren die Rebhuhnküken daher die Nachfolge Christi und die Erkenntnis der christlichen Lehre. Da es seit der Antike die Vorstellung gibt, dass Rebhühner durch den Wind befruchtet werden können, stehen Rebhühner auch für die unbefleckte Empfängnis Marias. All diese zusätzlichen Bedeutungen passen logisch nicht unbedingt zusammen und werden je nach dichterischem Kontext unterschiedlich aufgerufen. Mittelalterliche Denker wie Richard von St. Victor haben diese Lehre auch theoretisch fundiert, indem sie von «zweiten Sachen» (res secundae) sprechen, die durch den Tiernamen bezeichnet werden (die «erste Sache» ist das reale Tier). Wenn man von diesen allgemeinen Ausführungen noch einmal auf die Passage aus dem Parzival zurückblickt, so ergeben sich noch weitere Deutungsmomente: Dadurch, dass dort von einem Paar Rebhühner die Rede ist, wird neben der drastischen sexuellen Bedeutung auch noch eine erotische Dimension eröffnet, die auf Parzival und Jeschute als Liebespaar verweist. Wenn als Begleitspeisen Brot und Wein erwähnt werden, deutet dies auf die theologische Ebene (Abendmahl), die besonders den Rebhuhnküken beigelegt wird. Und Rebhühner (und nicht etwa Tauben oder Haushühner) erwähnt Wolfram hier deshalb, weil sie jagdbares Wild sind, was wiederum auf die sozialen Konstellationen verweist (nur

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Adlige dürfen jagen). Auf diese soziale Konnotation der Jagd wird auch im Beitrag von Lazaris hingewiesen. Es kann also natürlich nicht das Tier als eigenständiger Akteur auf seine poetische Gestaltung Einfluss nehmen. Höchstens fließen bestimmte reale Eigenschaften des Tieres in seine Ausdeutung durch den Menschen ein. Es sind der Dichter und die geistesgeschichtliche Tradition (die seine Leser idealerweise teilen), die die Verwendung von Tieren in der Dichtung bestimmen. Die Vielzahl der Bedeutungsebenen muss in einer sorgfältigen Interpretation herausgearbeitet werden, damit man über den ersten Eindruck hinaus zu einem tieferen Verständnis des Textes gelangen kann. Dass Tiere im narrativen Zusammenhang mit bestimmten sekundären Konnotationen aufgeladen werden und symbolische und metaphorische Verwendung finden, zeigt sich auch in den frühesten Schriftkulturen Ägyptens und des Vorderen Orients sowie der griechisch-römischen Antike. Der Vergleich kann sich dabei auf relativ konkrete Eigenschaften beziehen (Kraft, Mut) oder auch weit gespannt

und filigran theoretisiert sein (Theologie, Sexualmoral, Gesellschaft, Weltanschauung etc.). Entsprechend vielfältig und teilweise willkürlich sind die zusätzlichen Konnotationsebenen, die, wie man am mittelalterlichen Beispiel sieht, fast beliebig erweitert werden können. Der umfassendste Bezugsrahmen ist im Mittelalter das christliche Weltbild, innerhalb dessen alle Elemente der Schöpfung wechselseitig aufeinander verweisen können, weil sie von Gott so eingerichtet worden sind. Der Mensch kann diese Querbezüge aufgrund seiner Vernunft als Dichter einsetzen und als Rezipient nachvollziehen. Trotz unterschiedlicher Methoden, Fachgebiete und Zeiträume zeigen die beiden Beiträge sehr gleichartige Konzepte hinter der Mensch-Tier-Ausdeutung. Wir gehen daher und vor dem Hintergrund der aus anderen Kulturen bekannten Beispiele davon aus, dass das Konzept der Verknüpfung menschlicher und tierischer Eigenheiten und die Übertragung tierischer Eigenschaften auf menschliche und andere Ebenen (Gesellschaft, Moral, Theologie etc.) ein relativ universelles ist.

Das Tier als Wirtschaftsfaktor und emotionaler Mittler

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alima Ikram befasst sich mit ägyptischen Tiermumien und ihren Kontexten. Sie unterscheidet vor allem vier Typen: erstens mumifizierte Tiere, die ihren Eigentümern wohl als ehemalige Haustiere mit ins Grab gegeben wurden. Zweitens nennt sie solche Mumien, die den Verstorbenen als Speise für das Jenseits dienen sollten. Hier ist die Zurichtung als Fleischportion klar erkennbar. Drittens die Mumien «heiliger» Tiere: Von solchen Tieren (vor allem Stiere, Krokodile und Widder) wurde angenommen, dass der Ba (Geist/ Seele) der mit dem Tier assoziierten Gottheit in ihnen wohnen konnte. Die vierte Gruppe ist zahlenmäßig die größte: Tiermumien, die als Votivgaben an die entsprechenden tiergestaltigen Götter gestiftet wurden. Die Methoden der Mumifizierung von Tieren decken sich weitgehend mit den bei Menschen angewendeten: Der tote Körper wurde von Innereien befreit, in Natron getrocknet, mit Öl oder

Harz eingerieben und mit Leinenstreifen bandagiert. Das Gehirn wurde allerdings wegen seiner geringen Größe meist im Schädel belassen, während es bei Menschen entfernt wurde. Salima Ikram unterscheidet für das Phänomen der Tiermumien vor allem zwei Funktionen: eine praktische und eine immaterielle. Auf der praktischen Seite stellt der Tierkult einen Wirtschaftsfaktor für Priester, Tempel und Anwohner dar: Aufzucht, Verkauf, verbundene Handwerkerleistungen und der Handel mit relevanten Materialien wie Natron, Harz und Öl sind hier zu nennen. Es zeigt sich eine deutliche Vergegenständlichung und Instrumentalisierung des Tieres. Der mit den Tiernekropolen verbundene Kult hat dabei noch eine zusätzliche wirtschaftliche Seite: Pilger müssen anreisen, verpflegt und untergebracht werden. Auf der anderen Seite dokumentiert der Umgang mit verstorbenen Haustieren emo-

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tionale Bindungen zwischen Mensch und Tier. Auch der Tierkult hat eine wichtige psychologische und emotionale Dimension. Der Beitrag erarbeitet vor allem die kultische und konsumbezogene Dimension der Mumifizierung von Tieren, wobei hier der Begriff des «Konsums» sehr weit gefasst ist. Tiermumien werden in Verbindung mit Tiernekropolen und Votivgaben zu Objekten einer kultischen Praxis, die das Wirtschaftsleben florieren lässt. Ein konkreter Konsum im Sinne einer dauerhaft gesicherten rituellen Nahrungsaufnahme steht dagegen dann im Vordergrund, wenn ein Tierbestandteil während der Bestattung als Speiseopfer dargereicht wird. In beiden Fällen können die kultischen Handlungen auf psychologische und emotionale Bedürfnisse der Menschen zurückgeführt werden. Wenngleich also die spezifische Praxis der Mumifizierung von Tieren eine ägyptische Eigenart ist, kann die Zentrierung auf das Tier mit einer Befriedigung psychischer Bedürfnisse in Verbindung gebracht werden. Während die Verbindung von Mensch und Tier sich in anderen Kulturen primär auf lebende Tiere bezieht (das Haustier als Freund und Helfer, man vergleiche den berühmten Hund des Odysseus, Argos, der als einziger seinen als Bettler verkleideten Herrn wiedererkennt, Odyssee 17, 290–327, oder Catulls Klage um den Haussperling seiner Geliebten, carmen 3), reicht sie in Ägypten über den Tod hinaus und entwickelt dadurch eigene neue Dynamiken, die eine Materialisierung des Tieres mit allen daraus resultierenden Verflechtungen nach sich ziehen. Auch im Beitrag von Rainer Schreg stehen Tiere als Wirtschaftsfaktoren im Zentrum. Er behandelt die Frage des Verhältnisses von Mensch und Tier aus der Perspektive der Umweltgeschichte und Umweltarchäologie. Speziell geht es dabei um die Frage, wie Rinder und Schafe als «Akteure» der mittelalterlichen Siedlungsgeschichte gewirkt haben – hier wird übrigens ein sehr viel sinnvollerer Begriff des «handelnden

Tieres» angenommen als der von Obermaier kritisierte. Charakteristisch ist im Mittelalter die Mischung aus Viehhaltung und Ackerbau, weshalb die Funktion der Düngung im Vordergrund steht: Das Vieh düngt anfangs die späteren Ackerbauflächen direkt, indem man es zur Zeit der Brache dort weiden lässt. Erst später kommt die indirekte Düngung auf, bei der der Mist gesammelt, mit Stroh und Laub gemischt und gezielt ausgebracht wird. Die Notizen der römischen Agrarschriftsteller zur Düngung werden in der mittelalterlichen Fachliteratur rezipiert und teilweise theoretisch fundiert (z. B. durch Annahme einer Wärmewirkung bei Henley im 13. Jh.). Es ist aber schwer zu belegen, wie weit solche Fachliteratur praktisch befolgt wurde. Immerhin scheint es soziale Unterschiede in den Düngestrategien gegeben zu haben. In der Summe wird deutlich, dass Tiere als zentrale Wirtschaftsfaktoren im Mittelalter vom Menschen in immer ausgefeilterer Weise genutzt wurden. Dabei spielt vor allem die geschickte Kombination mit dem Ackerbau eine wichtige Rolle. Die Tiere verändern aber auch umgekehrt aktiv die Landschaft, das Mikroklima, die Siedlungsstrategien und die soziale Organisation der Menschen. Auf diese Weise ergibt sich eine recht komplexe Wechselwirkung zwischen Menschen, Nutztieren und Umwelt, wie sie etwa auf sozialer und sprachlicher Ebene auch bei den Beja im Beitrag von Bechhaus-Gerst herausgearbeitet wird. Wenn im Beitrag Obermaier kritisiert wurde, dass das Akteur-Modell für Tiere in der Dichtung sinnlos sei, so werden in der mittelalterlichen Wirklichkeit die Tiere ganz klar als Akteure der Umweltgeschichte erkennbar. Allerdings werden auch diese Tiere vom Menschen in bestimmter Weise eingesetzt und operieren nicht nach eigenem Willen. Die Wirkung der Tierzucht auf die Umwelt wird vermutlich in Textquellen älterer Kulturen deshalb nicht beschrieben, weil man hierzu sehr langfristige Beobachtungen anstellen muss.

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Hierarchisierungen von Mensch und Tier

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tephen Newmyer versucht einen Überblick über das komplexe Verhältnis der antiken Menschen zu den Tieren zu geben. Die Auswertung zahlreicher literarischer Quellen führt in der Summe zu einem sehr vielfältigen Bild dieser Relation. Hesiod als der älteste griechische Autor (wohl noch 8. Jh. v. Chr.) trennt Menschen und Tiere unter dem Gesichtspunkt des Gerechtigkeitsempfindens. Dies besäßen nur die Menschen, die Tiere hätten daran keinen Anteil und verschlängen einander gegenseitig. Eine ausgeprägte Überlegenheit des Menschen über die Tierwelt ist damit allerdings nicht ausgedrückt, zumal der Mensch jederzeit seine Bindung an die Moral vergessen kann. Die vorsokratischen Philosophen (6. und 5. Jh. v. Chr.) gehen überwiegend davon aus, dass Mensch und Tier (wie auch der gesamte Kosmos) aus denselben Grundmaterialien bestehen, und betonen damit eher ihre Einheit. Diese Überzeugung führt bei Pythagoras zur ersten Formulierung eines Vegetarismus. Als Vertreter einer Seelenwanderungslehre lehnt er den Verzehr von Tieren ab, denn man müsse damit rechnen, dass eine ehemalige Menschenseele in einen Tierkörper gelangt sei, und dann werde der Mensch gewissermaßen zum Kannibalen. Diese Argumentation ist logisch nicht unproblematisch. Alkmaion von Kroton greift die These Hesiods von dem großen Unterschied zwischen Menschen und Tieren auf, begründet sie aber anders: In seiner Vorstellung besitzen Tiere nur die Wahrnehmung, während die Menschen sich mit dem Verstand auf eine höherwertige Fähigkeit stützen können. Damit sind die beiden auch in der Folgezeit anzutreffenden Kernthesen formuliert: Entweder wird die Ähnlichkeit von Tieren und Menschen betont oder ihr Unterschied. Im letzteren Fall werden die Menschen gern als höherwertiger als die Tiere eingeschätzt und es wird ihnen oft das Recht eingeräumt, über Tiere zu verfügen und sie nach ihrem Willen zu gebrauchen. Aristoteles (4. Jh. v. Chr.) nimmt eine vermittelnde Position ein. Einerseits ist für ihn

der Mensch auch ein «Tier» (zoon), aber eines, das Sprache und Vernunft (logos) als abgrenzende Merkmale besitzt. Andererseits ist er überzeugt, dass auch Tiere in unterschiedlichem Maße zu vernünftigem Handeln fähig sind. Nur die höchste Vernunftstufe erreichten sie nicht; die sei allein den Menschen vorbehalten. Das Verhältnis von Mensch und Tier schwankt hier also zwischen Ähnlichkeit und Verschiedenheit; das unterscheidende Merkmal ist die voll ausgeprägte theoretische Vernunft des Menschen. Nur selten räumt Aristoteles aber wie Hesiod eine moralische Überlegenheit des Menschen gegenüber den Tieren ein. Eine intensivere Moralisierung des MenschTier-Verhältnisses ist für die Stoa (gegründet um 300 v. Chr.) charakteristisch. Menschen zeichnen sich für die Stoiker durch ihre Vernunft und Moral gegenüber den anderen Tieren aus. Damit haben sie das volle Recht, Tiere zu ihren Zwecken zu benutzen. Erst ab dem 1. Jh. n. Chr. findet sich vereinzelt eine Gegenbewegung. Plutarch rückt ähnlich wie Aristoteles die vernünftigen Fähigkeiten der Tiere wieder in den Vordergrund. In seinem Gryllos geht er sogar soweit, die Tiere für moralisch besser als die Menschen zu erklären. Tiere verhielten sich immer naturgemäß und seien nicht wie die Menschen in der Lage, sich Methoden zur Überwindung natürlicher Grenzen auszudenken. Geldgier, hemmungsloses Luststreben und der Wille zur Macht sei den Tieren ganz fremd. In dieser stoisch-kynischen Ansicht ist der moderne Ruf des «Zurück zur Natur» angelegt, der spätestens seit Rousseau bis in die modernsten Vorstellungen der biologischen Landwirtschaft wirkt. Sowohl Plutarch als auch Porphyrios nehmen den Vegetarismus des Pythagoras wieder auf und schreiben eigene Werke gegen den Fleischverzehr. Plutarch verweist auf die relativ hohe Intelligenz der Tiere, die es für den Menschen moralisch anrüchig mache, ähnliche Lebewesen aufzuessen. Viele seiner Argumente tauchen in den modernsten Tierrechtsdebatten wieder auf. Porphyrios unterstützt diese These durch weitere Argu-

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mente: Fleischkonsum macht die Menschen tierähnlich, entfernt sie damit von den Göttern und von der vernunftgeleiteten Philosophie. Beide Denker plädieren für einen ethischen Umgang des Menschen mit seinen tierischen Verwandten. Auch römische Quellen zeigen ein ambivalentes Verhalten gegenüber den Tieren. In den Darbietungen im Amphitheater wird regelmäßig eine große Grausamkeit nicht nur gegenüber Tieren, sondern auch gegenüber Menschen demonstriert. Nur selten wird dies einmal von moralischer Warte aus kommentiert oder gar zurückgewiesen (Seneca, Plinius). Es sind die Agrarschriftsteller (Columella) und die tierärztlichen Handbücher (De mulomedicina), die eine größere Sympathie und einen verantwortlicheren Umgang mit Tieren anmahnen. Primär stehen allerdings auch hier pragmatische Aspekte im Vordergrund: Tiere sind Wirtschaftsfaktoren, deren Wohlergehen letztlich einen größeren Nutzen für die Menschen verspricht. Hier liegt also nicht ein neues Verständnis von der Autonomie der Tiere zugrunde, wenngleich manche Bemerkungen aus moderner Perspektive wie ein sympathisches Plädoyer für artgerechte Tierhaltung erscheinen. Eine einheitliche Position ergibt sich aus all diesen Quellen nicht. Das Bild pendelt zwischen den beiden Extremen der Abwertung und der Gleichstellung von Tieren durch den Menschen mit mannigfachen Mischformen. Ein zentrales Kriterium für den Unterschied ist die angenommene Vernunft des Menschen, die ihn gegenüber den Tieren auszeichne. Wenn man den Tieren grundsätzlich auch die Fähigkeit zu vernünftigem Handeln

zuerkennt (Aristoteles, Plutarch), schrumpft die Differenz zum Menschen. Wenn man vernünftiges Handeln beim Tier ausschließt (Stoa), wächst die Differenz, und der Mensch als das überlegene Lebewesen darf über die Tiere wie über Werkzeuge verfügen. Eng damit verbunden ist die Vegetarismusdebatte, sofern sie auf der Seelenwanderungslehre beruht. Wenn eine vormals menschliche Seele auch in Tiere eingehen kann, ist dies prinzipiell ein Argument für eine große Ähnlichkeit von Menschen und Tieren. Aus der engen Verwandtschaft von Mensch und Tier folgt dann das Verbot, Tiere zu essen. Ein zweiter häufig diskutierter Vergleichspunkt ist die Fähigkeit zu moralischem und gerechtem Handeln. Hesiod hat dies für die Tiere verneint, sieht aber zugleich, dass moralisches Handeln auch bei den Menschen nicht fest verankert ist. Plutarch betont sogar umgekehrt, dass sich die Tiere aufgrund ihrer Naturnähe moralisch besser verhielten als die Menschen. Die Vernunftbegabung des Menschen ist also moralisch ambivalent, während die Tiere gar keine Möglichkeit haben, sich falsch zu verhalten. Scheinbarer Tierschutz in technischen Handbüchern erweist sich als landwirtschaftliche Ressourcenoptimierung. Insgesamt sind Plädoyers für einen freundschaftlichen Umgang mit Tieren wohl eher marginale Positionen. Das vielleicht erstaunlichste Ergebnis ist, dass zahlreiche Argumente antiker Autoren sich auch in den modernsten Tierrechtsdebatten finden, deren Verfechter/innen für Tierrechte sich zumeist aus Lehren des östlichen Kulturraums speisen. Insgesamt begegnen uns das universelle Phänomen der Kategorienbildung und der Hierarchisierungen von Mensch und Tier.

Das Tier als sozialer Identitätsstifter

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tavros Lazaris befasst sich mit dem Thema der Jagd mit Falken in Byzanz. Anhand der schriftlichen und bildlichen Quellen kann man zunächst festhalten, dass die Bezeugung insgesamt gering und relativ spät ist (erst ab der Mitte des 12. Jhs.). Seit dieser Zeit sind verschiedene Jagdbeschreibungen mit detail-

lierter Auskunft über die benutzten Jagdtechniken erhalten. Besonders ausführlich wird die Jagd auf Kraniche beschrieben, die durchaus grausame Züge aufweist: So werden den bereits gefassten Kranichen ihre Schnäbel und Klauen abgeschnitten, damit sie wehrlos von den Falken zerrissen werden können. Die

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Hasenjagd auf einem attisch-schwarzfigurigen Skyphos. Inv. Nr. 74966, Rom, Museo Nazionale di Villa Giulia (Foto: akg-images / André Held).

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Falken dürfen Teile des Fleisches und sogar des Bluts der Kraniche verspeisen, der Rest gehört naturgemäß den menschlichen Jägern. Der Mensch benutzt also Falken als eine Art lebendige Jagdwaffe und muss Methoden ersinnen, wie man den Jagdinstinkt des Raubvogels aufrechterhält. Das geschieht durch Teilung der Beute, wobei die Gefahr für den tierischen Jäger so gering wie möglich gehalten wird. Aus dem 15. Jh. stammen einige technische Werke über die Aufzucht und Heilbehandlung von Falken. Verglichen mit arabischen oder lateinischen Texten desselben Inhalts sind aber aus Byzanz nur wenige Zeugnisse erhalten. Sie stehen oft zusammen mit Traktaten über Jagdhunde, so dass die Parallelität der beiden Jagdweisen deutlich wird. Solche tiermedizinischen Werke sind wohl weniger ein Ausdruck besonderer Fürsorge gegenüber den Falken als vielmehr eine Art Pflegeanleitung für ein benötigtes Jagdinstrument. In dieser Hinsicht sind sie mit den lateinischen Traktaten De mulomedicina vergleichbar. Einige Handschriften solcher Texte sind mit Miniaturen illustriert, die einen Falkner oder die Falkenjagd zeigen. Aufgrund ihrer mageren Bezeugung vor dem 12. Jh. muss man schließen, dass das Interesse an der Falkenjagd in Byzanz erst dann in größerem Umfang eingesetzt hat. Dies ist bemerkenswert, weil es in arabischen und lateinischen Texten bereits seit dem späten 4. bzw. dem 8. Jh. vielfache Hinweise auf diese Jagdmethode gibt. Lazaris vermutet, dass soziale Umwälzungen im 11. und 12. Jh. der Grund dafür gewesen sein könnten, dass sich in der Aristokratie die Falkenjagd neben der Jagd zu Pferde durchgesetzt habe. Daneben jagte die Landbevölkerung mit Hunden und betrieb Vogelfang, ohne Raubvögel zu benutzen. Auch eine so alte Technik wie das Jagen unterliegt also Veränderungen, wenn sich die sozialen Rahmenbedingungen verschieben. Jagd mit tierischen Gehilfen ist eine alte Technik, um sich Tiere als Nahrung zu verschaffen. Bereits früh hat man sich den ausgeprägten Jagdinstinkt von Raubtieren nutzbar gemacht. Darstellungen von Jagdhunden sind vor- und frühgeschichtlich und in großem

Umfang in der Ikonographie Altägyptens und Mesopotamiens erhalten und eine technische Schrift über die Jagd mit Hunden (Kynegetikos; auch zwei Schriften zur Reitkunst) liegt von Xenophon (4. Jh. v. Chr.) vor. Die Ausbildung von Jagdtieren ist eine schwierige Gratwanderung zwischen Wildheit und Domestikation, denn die Zähmung von Raubtieren darf nicht so weit gehen, dass das Tier seinen Jagdinstinkt verliert. Das Jagdtier ist weitgehend instrumentalisiert und verdient insofern eine gewisse Aufmerksamkeit und Gesundheitspflege. Jagdtiere muss man sich aber auch leisten können, so dass sie eng mit dem sozialen Status des Besitzers verbunden sind. Im Mittelalter sind es besonders die Falken, die primär – im Gegensatz zu den alltäglichen Hunden – vermögenderen Schichten zuzuordnen sind. Genutzte Jagdtiere sind so ein Indikator der sozialen Stellung ihrer Besitzer, ein durchaus universelles Phänomen. Man denke beispielsweise an die Pferdehaltung in Ägypten (für Gespanne) und im antiken Griechenland, die lange Zeit eine Domäne der Führungselite war. Die soziale Funktion von Tieren stellt noch deutlicher der Beitrag von Marianne Bechhaus-Gerst in den Vordergrund. Sie befasst sich mit dem besonders engen Verhältnis einiger Untergruppen der Beja (im nördlichen Sudan) zu ihren Kamelen. Diese Volksgruppen sind seit ca. 1500 v. Chr. dort ansässig und werden bereits in antiken Texten als «Blemmyer» erwähnt. Kamele, die bereits im 2. Jt. v. Chr. durch semitische Einwanderer in den Sudan gekommen waren, dienen ihnen als Nutztiere. Sie sind schnelle und ausdauernde Reittiere und machen ihre Besitzer wie schon in mittelalterlichen Quellen erwähnt zu Händlern und gefürchteten Kriegern. Kamele werden auch als Lasttiere vermietet und als Naturalienwährung benutzt, in eher seltenen Fällen werden sie geschlachtet oder ihre Milch wird getrunken. Insgesamt hat das Tier die gesamte soziale Struktur der Beja beeinflusst. Insbesondere die Männer sind für ihre Expertise in Aufzucht und Umgang mit Kamelen berühmt. Kamelmilch gilt ihnen als optimales Nahrungsmittel, das Kraft und Schönheit verbürgt. In den vergangenen ca. 100 Jahren hat sich diese einstmals stolze Reiterkultur stark ver-

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ändert. Die ursprünglich nomadisch lebenden Beja sind durch Landwirtschaft sesshaft geworden, der Bau des Assuan-Staudammes (1964–67) hat zu großen Umsiedelungen, Ressourcenknappheit und Verarmung ganzer Landstriche geführt. Die Eingliederung in eine moderne Arbeitswelt (viele Beja arbeiten heute als Hafenarbeiter etc.) lässt sich mit der Kamelzucht kaum noch vereinbaren. Allein die Sprache hat noch viele Spuren der ehemals engen Verbindung der Menschen zu ihrem zentralen Tier bewahrt. Der Beitrag demonstriert eindringlich den starken Einfluss einer für einen spezifischen Kulturraum zentralen Tierart auf gesellschaftliche Strukturen und die Sprache der Einwohner. Die Beja haben eine enge Bindung zu den Tieren aufgebaut, die ganz von der Nutzung des Kamels bestimmt ist. Aus der Synthese entstand eine männlich dominierte

nomadische Reiterkultur. Die Beja-Kultur erinnert an Nomadenvölker der südrussischen Steppen (Skythen, Mongolen) mit ihren Pferden als den zentralen Tieren. Nicht nur die Nutzung steht im Zentrum, vielmehr werden die Tiere zu Identitätsstiftern ganzer Ethnien. Eine solche Fokussierung auf ein Tier bringt naturgemäß eine Aufwertung des Tieres mit sich, wie sie bei den Beja u. a. in der Festlegung einer KamelWährung zum Ausdruck kommt, im liebevollen und pfleglichen Umgang mit den Tieren und dem tiefen Verständnis ihrer Natur. Dennoch verlieren die Tiere nicht ihren instrumentalen Charakter als Wirtschaftsfaktoren und Hilfsmittel, bisweilen sogar als Nahrungsquelle. Es verwundert nicht, dass dabei eher die Milch als nachhaltigere Nahrungsquelle im Vordergrund steht, für die man das Tier nicht töten muss.

Fazit

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in Ausgangspunkt unterschiedlicher Konzeptionalisierungen von Tieren liegt in der sich kontextuell wandelnden Ausdeutung der Mensch-Tier-Relationen. Je nachdem, ob der Mensch Tiere eher als ihm ähnlich und verwandt begreift oder als ihm fremd, werden sie zu Gefährten oder zu Gegenständen seiner Verfügungsgewalt. Da der Mensch von frühester Zeit als Jäger und Sammler Tiere als Nahrungsquelle benutzte, brauchte er sie als Objekte und musste eine Distanz konstruieren. So kommt in die Mensch-Tier-Beziehung sehr früh eine typische Ambiguität hinein, die in allen alten Kulturen (und auch in der Moderne) durchgängig zu beobachten ist. Tierisches Verhalten wird früh mit menschlichem Maß gemessen und manchmal als menschenähnlich, meist jedoch als ganz andersartig bewertet. Dabei werden tierische Eigenschaften vielfältig metaphorisiert, sie werden als Symbole für abstrakte Anschauungen über Mensch und Natur verwendet und teils als vorbildlich, teils als verabscheuungswürdig bewertet. Distanz verhilft zu einem instrumentellen Umgang mit Tieren als Lasttieren, Reittieren, Jagdhelfern und Nahrungsmittel,

kurz: als Wirtschaftsfaktoren. Damit geht eine deutliche Hierarchisierung einher: Der Mensch steht über den Tieren und darf sie zu seinen Zwecken verwenden. In theoretischen Schriften versucht man diese Hierarchie durch mangelnde Vernunft und mangelnde Moral der Tiere zu begründen. Sobald man die Ähnlichkeit von Mensch und Tier betont, werden Tiere aufgewertet, weniger als Sachen, sondern mehr als Subjekte eigenen Rechts verstanden. Früh führt dies zu Vegetarismus, aber auch zu einer emotionalen Bindung an Tiere und zu rücksichtsvollem Umgang mit ihnen. Manche Denker gehen so weit, tierisches Verhalten wegen seiner Nähe zur Natur gegenüber menschlichem als moralischer einzuschätzen (also die Hierarchie wieder umzukehren), aber das bleibt eher die Ausnahme. Pfleglicher Umgang kommt aber auch den Tieren als Wirtschaftsfaktoren zu, er ist also allein erneut ein ambivalentes Merkmal. Der Besitz von Tieren und die Jagd mit ihnen hat eine ausgeprägte soziale Komponente, da die Anschaffung und Haltung von Tieren kostspielig ist und über den Rang des Besitzers Auskunft gibt. Ganze Ethnien kön-

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nen durch die Fixierung auf bestimmte Tiere in Sprache und Gesellschaft beeinflusst werden. Auch dies ist ein Grund für sorgfältigen Umgang mit Tieren, die ja wertvolle Wirtschaftsgüter und soziale Identifikationsstifter sind. Das Bewusstsein dafür, dass Tierhaltung auch Rückwirkungen auf die Umwelt hat, ist erst in neuester Zeit entwickelt worden, es spielt aber auch in früheren Kulturen bereits (von den Zeitgenossen meist unbemerkt) eine große Rolle. Innerhalb dieser kulturell im Einzelnen sehr differenzierten Konzeptionalisierungen von Tieren konnten auch einige Vorstellungen identifiziert werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit eine relativ universelle Gültigkeit besitzen. Dies gilt erstens überhaupt für den Vergleich des Menschen mit den Tieren, für die vergleichende Verknüpfung von

Eigenschaften und die metaphorische Aufladung tierischer Eigenschaften mit konkreten und abstrakten Bedeutungen. Zweitens ist die Kategorienbildung (was ist ein Mensch, was ist ein Tier, was unterscheidet die beiden?) und die damit einhergehende Hierarchisierung, die meist zugunsten des Menschen ausgeht, wohl ein relativ universelles Phänomen. Drittens dienen Tiere in sehr vielen Kulturen als Indikatoren für die soziale Stellung ihrer Besitzer. Diese gleichartigen Konzepte, die zu jeder Zeit und an jedem Ort unabhängig, d. h. ungeachtet von kulturellen Kontakten, zu identischen oder vergleichbaren Sachverhalten entstanden sind, bilden am Ende doch eine recht enge Klammer um die scheinbar disparaten Zugänge zum Thema, die in den vorliegenden Beiträgen gewählt wurden.

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Anmerkungen Vor dem Tabu – Der Umgang mit Schweinen im Alten Orient 1

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Deutscher Text nach der Einheitsübersetzung von 1980 [https://www.uibk.ac.at/ theol/leseraum/bibel]. Übersetzung nach Paret 1966. So z. B. Harris 2005. Diener – Robkin 1978. So auch schon Dahl 2006, 31. Nelson 1998. S. auch Wrede 2003, 51 mit weiteren Verweisen. Vila 2006a. Vila 2006a, 140. Zeder 1998, 118. Vila 2006a, 143; Vila 2006b, 218, Karte 2. Vila 2006a, 143; Vila 2006b, 218–220, Karte 3. Vila 2006a, 144; Vila 2006b, 221, Karte 4. Schmidt 2007, Abb. S. 93 oben. Z. B. Marzahn 2008, Abb. 162a aus Babylon. Barnett u. a. 1998, Taf. 109. Text BM 103214. Pruß – Sallaberger 2003/04, 299–302. Pruß – Sallaberger 2003/04, 302. Wrede 2003, 51–52. Lion 2006, 104–105. Dahl 2006, 33; Pruß – Sallaberger 2003/04, 299; Weszeli 2009, 321. Hilgert 2013, 295, Abb. 51.6. Dahl 2006, 33–35. Owen 2006 (aus Garšana). Lion – Michel 2006b, 91–93, 97–98 (aus Chagar Bazar). Charpin 1988, 384. Diese Aussage findet sich als wörtliches Zitat in einem Brief des Gesandten aus Mari an seinen Herrscher Zimri-Lim. Lion – Michel 2006b, 94, 100. Weszeli 2009, 323. Owen 2006, 85. Mouton 2006, 256. Koppen 2006, 189. Livingstone 1989, Text Nr. 34, Z. 44. Alster 1997, Nr. 2.111. Lambert 1996, 215. Übersetzung nach Charpin 1999, 116–117.

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Emotional, spirituell, praktisch, materiell, ökonomisch: Die Rolle der Tiermumien im alten Ägypten 1

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Ich bedanke mich bei Tanja Pommerening und Jochen Althoff für die freundliche Einladung zur Teilnahme an dieser Vortragsreihe und bei Christina Geisen für die sprachliche Unterstützung. Midant-Reynes 2000, 108–118. Ikram 2015, 1–4. Ikram 2000. Petrie 1902. Ikram 1995, Anhang 2; Ikram 2004; 2013. Ikram 1995, Anhang 2; Murray – Nuttall 1963. Kessler 1986; Kurth 1986; Ikram 2015a, 7–10; Kessler – Nur el-Din 2015; Redford – Redford 2015; Mond – Myers 1934, 47; Kakosy 1981, 141. Ikram 2015b, 6–10 und Ray 2001. Ikram 2015a; Ikram u. a. 2013a. Ikram 2015b, 9–15.

Kessler 1986; Kessler – Nur el-Din 2015; Nicholson 2015; Ikram u. a. 2013; Nicholson – Ikram – Mills 2015; Ikram 2015e. Ray 1976; Preisigke – Spiegelberg 1914; Kessler 1986. Armitage – Clutton-Brock 1981; Ikram – Iskander 2002; Ikram u. a. 2013; Zivie – Lichtenberg 2015. Ikram 2015a, 14–15; Ray 1976; Raven – Taconis, 240; Ikram – Iskander 2002, 61. Rhind 1862, 99. Adam – Colin 2012; Ikram 2011a; Ikram 2013b. Hartley u. a. 2011. Ikram – Dodson 1998; Wolfe – Singerman 2009. Wolfe – Singerman 2009, 185–86; McKnight – Atherton-Woolham 2015, Abb. 45; Punch Feb. 15, 1890, S. 81. Ikram 2015/2016. Beispiele bei Raven – Taconis 2005; Ikram – Iskander 2002; Armitage – Clutton-Brock 1981. Clark u. a. 2004; Buckley u. a. 2013; Ikram 2013a. Richardin u. a. 2017; Wasef u. a. 2015. Spigelman u. a. 2008; Kurushima u. a. 2012; Ottoni u. a. 2017. Hekkala u. a. 2011. N. Dominy führt momentan mit einem Team eine solche Studie durch. Ikram 2015c; 2015f. Kessler 1986; Ikram 2015a, xvii–xx. Mond – Myers 1934; Ikram 2015c. Nicholson 2015. Quibell – Olver 1926. Davis u. a. 1908. Lansing – Hayes 1935–36: 7–11; Ikram 2011b. Simpson 1957. von Lieven 2003, 126–127; Quack 2003, 116; Charron 1990; 1996. Bleiberg u. a. 2013, 84; Endreffy 2010; Smith 2002; Ray 2011. Ikram 2015e. Smith 1992, 219. Ray 1976. Ikram 2015e. McPherson 1941.

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Zur Symbolik von Speisetieren – Jeschutes Rebhühner (Pz. 131,28) und der animal turn 1

Tiere im Denken der Griechen und Römer – Eine schwierige Sache 1

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Eine hilfreiche Diskussion der griechischen Tendenz, den Menschen als zugleich im Zentrum wie außerhalb der Schöpfung stehend zu betrachten, bietet D. Lau, Der Mensch als Mittelpunkt der Welt. Zu den geistesgeschichtlichen Grundlagen des anthropozentrischen Denkens (Aachen 2000). Viele in diesem Beitrag untersuchte Aspekte werden ausführlicher diskutiert in: Dierauer 1977.

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«Sie ziehen auf Kamelen in die Schlacht und werfen ihre Speere» – Beja-Identität und Kamelwirtschaft in historischer Perspektive 1

Seit längerer Zeit schon wird die ursprüngliche Fremdbezeichnung auch von den

Beja selbst verwendet, da sie politische und kulturelle Einheit symbolisiert. Allerdings findet man auch den Namen Hadendoa als Synonym für Beja in Gebrauch. http://www.kiplingsociety.co.uk/poems_ fuzzy.htm. Vgl. Behrens 1981. Esser – Esser 1982; Blench 2000. Zu den frühen Quellen s. Pierce 2012; Dijkstra 2012. Vantini 1975, 131 und 653 ff. Diese und alle nachfolgenden Übersetzungen aus dem Englischen durch die Autorin. Vantini 1975, 653 ff. Vantini 1975. Vantini 1975, 521. Vantini 1975, 619. Vantini 1975. Vantini 1975, 620 ff. Vantini 1975, 652. Aidhab war eine von den Beja kontrollierte Hafenstadt am Roten Meer. Vantini 1975, 653. Vantini 1975, 746. Vgl. Hjort af Ornäs – Dahl 1991. Hjort af Ornäs – Dahl 1991. Vantini 1975, 652. Die Informationen zur Sprache der Beja basieren auf Feldforschungen der Verfasserin; s. auch: Bechhaus-Gerst 1994. Sekundär kann ɖa «Richtung Rotes Meer ziehen» dann auch die generelle Bedeutung «in eine östliche Richtung ziehen» annehmen, ʾawil «von den Red Sea Hills Richtung Westen ziehen» kann sekundär jede Bewegung in eine westliche Richtung anzeigen.

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Dies ist eine Kurzversion meines Vortrags «Du bist das Tier, das du isst. Zur Symbolik von Speisetieren in der höfischen Epik des Mittelalters» bei der GRK-Ringvorlesung «Kult, Kunst und Konsum – Tiere in alten Kulturen». Die Vollversion erscheint unter dem Titel You are the animal that you eat. On the symbolism of food animals in the courtly epic of the Middle Ages. In: J. Pahlitzsch-Tristan Schmidt (Hrsg.), Impious dogs, ridiculous monkeys and exquisite fish – Judgemental perception and interpretation of animals in ancient and medieval thought. Brackert 1993, 129: «Die Speisen […] haben ihre Bedeutung als Zeichen sozialer Differenzierung.» Grundlegend: Althoff 1987; Brackert 1993; Bumke 2005, Kap. III.4; Schulz 2011; zu den erotischen Dimensionen von Speisen und Speiseszenen s. Nitsche 2000; Bleuler 2012 und 2016. Angeregt zu dieser Idee hat mich die – mein Seminar-Dictum «Kein Tier ist Zufall» aufgreifende – Masterarbeit von Rauber 2014. Nitsche 2000, 257. Rauber 2014, 14. Vgl. Nitsche 2000, 255 ff.

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Anmerkungen

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Nitsche 2000, 256. Plinius, nat. hist. 10,100 und 101; Isidor, Et. XII, 7, 63, spricht von libido praeceps (Übers. Möller: «unbedachte Begierde»), was sich in den mittelalterlichen Naturenzyklopädien entsprechend wiederfindet: Alexander Neckham, nat. rer. 1, 43: In hac etiam ave libido flagitiosa reperitur; Vinzenz von Beauvais, spec. nat. 16, 128. Insofern wird das Rebhuhn auch zum Sinnbild für Homosexualität, s. Hühnemörder 1998, 120; differenzierter: Albertus Magnus, e an. 1, 1, 3 (§ 48). Die vnchau ch des Tiers ist auch noch im Buch der Natur Konrads von Megenberg (III.B.58) mehrfach Thema; vgl. Thomas von Cantimpré, nat. rer. 5, 101, Z. 29 ff. Arnott 1977, 336. Hünemörder 1998, 119. Dies dürften auch die (Sing-)Vögel leisten, die Jeschute und Orilus nach ihrer Versöhnung auf dem Bett (!) sitzend gemeinsam verspeisen (Pz. 273,26−28). Ebenso haben das Geflügel und die Edelfische, die Gawan mit Antikonie (Pz. 423,17-21), mit Bene (Pz. 550,27−551,2) und mit Orgeluse (Pz. 622,8 ff.) verzehrt, eine erotische Konnotation. Dazu Rauber 2014, 15–18. Der Begriff wurde geprägt von Ritvo 2007, 118. Deutlich erkennbar in Formulierungen wie «humans and other animals» oder «non-human vs. human animals», regelmäßig verwendet z. B. bei Haraway 2008 und DeMello 2012. Borgards 2016, 2. Präzisiert bei Steinbrecher – Krüger 2015, 10: «Zu betonen ist, dass der hier zugrunde gelegte Begriff von Agency, der sich an der «Akteur-NetzwerkTheorie» (ANT) orientiert, ohne jeden Begriff von Intentionalität auskommt, wenn die Verknüpfungen von Technik, Mensch und Tier («Assemblagen») beschrieben werden.» Borgards 2016, 4. Dwenger 1973, 10; wobei unter gewissen Bedingungen das Rebhuhn auch als «Kulturflüchter» auftritt. Dwenger 1973, 49, vgl. 91: «Das Rebhuhn wurde bereits im Mittelalter als Jagdwild hoch bewertet.» So erwähnt Albertus Magnus Beobachtungen bei domesticis perdicibus (an. 5, 1, 2 § 18). B. Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie (Frankfurt a. M. 2007) 123; vgl. B. Latour, Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie (1999), in: Borgards u. a. 2015, 218–237, hier 226. Aristoteles, hist. an. 613 b 25–28. Vgl. Physiologus, Millstätter Reimfassung, Str. 153-158; Wiener Prosa, 98v, Z. 19-99r, Z. 18. Die Deutung des Physiologus beruht auf Ambrosius, hex. 6, 3 § 13, so Braunfels 1971, 504. Aristoteles, hist. an. 540 a 27–31. Vgl. Plinius, hist. nat. 10, 101; Alexander Neckham, nat. rer. 1, 45; Vinzenz von Beauvais, spec. nat. 16, 129; Thomas von Cantimpré, de nat. rer. 5, 101, Z. 31 ff.; Konrad von Megenberg, BdN, III.B.58. Albertus Magnus, an. 6, 1, 2 § 23.

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Alanus ab Insulis, Elucidatio in cantica, in: MPL 210, 53A: ex omni creatura significante. Richard von St. Victor, Excerptionum allegoricarum, in: MPL 177, 205 B. Wie vertraut der Berufsdichter Wolfram von Eschenbach mit (lebendigen wie gebratenen, gesottenen oder gebackenen) Rebhühnern tatsächlich war, lässt sich – da wir ihn ständisch nicht zweifelsfrei einordnen können – nicht genau sagen. Ihm dürften aber zumindest die Merkmalszuschreibungen geläufig sein, welche die mittelalterliche Natur-Enzyklopädik sowie die Physiologus-Tradition vermitteln. Albertus Magnus, an. 1, 1, 3 § 48: Quaedam etiam sunt multi coitus et assiduae pullificationis, sicut perdices et gallinae et columbae. Wildvögel (zu denen das Rebhuhn gehört) werden mit Geschossen, Schlingen, Fallen oder Netzen gejagt, aber auch mittels Beizjagd, s. Schulz 2011 374 (mit weiterer Literatur); Heinig, 2012, 33, sieht überdies eine Parallele zum Vergleich Gahmurets mit einem edlen Greifvogel (Pz. 64,7 f.), wobei sie auf die Differenz in der Wertung hinweist. Borgards 2016, 239, gestützt auf A. M. Moe, Zoopoetics. Animals and the making of poetry (Lanham 2014). Borgards 2016, 237. Borgards 2016, 239. C. Lévi-Strauss, Das Ende des Totemismus (Frankfurt a. M. 1965) 116.

Jagen in Byzanz – Eine Fallstudie zur Falknerei 1

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Zur Jagd in der griechisch-römischen Antike und im Mittelalter s. Normand 2015, bes. 531–554; Trinquier – Vendries 2009; Delobette 2005; Paravicini Bagliani – Van den Abeele 2000; Van den Abeele 1994; Aristeidou 1993–1994; Böhr 1992; Patlagean 1992; Papanikola-Bakirtzi 1986; Anderson 1985; Patlagean 1978–1979; Lindner 1973; Aymard 1951; Koukoules 1952; Epstein 1943; Koukoules 1932. Vgl. Nicephorus Gregoras, Historia Romana, 1, 44, 7–10 [Schopen 1829]. Dieses Amt bzw. dieser Titel ist seit dem 13. Jh. bekannt. Laut Pseudo-Kodinos befehligte ein protokynegos bestimmte Jäger (skyllomangoi, wahrscheinlich «Jagdhundhalter»); seine Funktion bestand darin, dem Kaiser den Steigbügel zu halten, wenn dieser sein Pferd bestieg (vgl. Pseudo-Kodinos, De officiis, 182, 28–183, 10 [Verpeaux 1966]). Der Vorgänger des protokynegos war wahrscheinlich der komes tou kynegiou, der auf einem undatierten Siegel des protospatharios Johannes bezeugt ist, der diese Funktion mit der eines hetaireiarches in Verbindung brachte ( ωάνν βασιλικῷ πρωτοσπαθαρί καὶ τ αι ρειάρ καὶ κόμ η τι το κυνηγίου, vgl. Zacos – Nesbitt 1984, Nr. 524). Vgl. Karpozilos – Cutler 1991. Der Begriff protoierakarios findet sich erstmals Ende des 13. Jhs. in der Historia brevis des Georgios Pachymeres. Pachymeres erinnert (I, 8, 3) an Theodoros Laskarisʼ Beförderungen nach dem Tod

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von John Batatzes. Georgios Mouzalons dritter Bruder wurde zum protoierakarios ernannt ( ὸν δέ γε τρίτον ἀδελφὸν ποιε ται πρωτοιερακάριον [Failler 2001]). Denselben Begriff finden wir im Testament von Theodoros Sarantenos aus dem Jahr 1325 (τὸν πρωτοιερακάριον τὸν ἀνε ιόν μου ἀφίημι λογον [Bompaire u. a. 2001, 358, 36–37]). Im Registrum patriarchatus Constantinopolitani (1337–1350) taucht der Terminus ebenfalls mehrmals auf [Hunger – Koder 1981, Doc. 135, 13; 48; 90; 99 und Doc. 150, 3]. Man sollte auch die Confirmatio Joannis Ducae protovestiarii von 1344 erwähnen (Acts of Docheiariou, Oikonomidès 1984, 166–172). Im Jahrhundert darauf beschreibt PseudoKodinos in De officiis die Uniform eines protoierakarios [Verpeaux 1966, 162, 25–32]. Ebenfalls bei Pseudo-Kodinos lesen wir mehrfach, dass der protoierakarios jene Jäger anführte, die die Falken trugen ( πρωτοϊερακάριος ρ ει τῶν φερόντων ρνεα κυνηγῶν [Verpeaux1966, 184, 10–11]). Dieses Amt bzw. dieser Titel taucht in den Quellen nur selten auf. C. Guilland 1967, 600 behauptet zu Unrecht, dass Anna Komnene «von einem protoierakarios spricht». Tatsächlich erwähnt sie nur einen gewissen Konstantin, der für den Falken des Kaisers verantwortlich ist (περὶ τ ν τῶν βασιλικῶν ἱεράκων θεραπείαν διαπονούμενον ωνσταντ νον, Alexias, 7, 9, 2, 7). Zu Hunden in der griechisch-römischen Antike und Byzanz s. Kitchell 2014, 47–53; Luce 2008; Brewer u. a. 2001; Lurker 1983; Lilja 1976. Vgl. Michel Apostolis, Epistulae, Brief Nr. LIX [Noiret, 1889]. Karpozilos 1991. Dieser Text wird derzeit auf das 10. Jh. datiert (vgl. Bernardi 2011, 83). Zu dieser Abhandlung s. Miller 1872. Der Text wurde von Nicholas 1999 ins Englische übersetzt. Manasses verfasste noch eine weitere ekphrasis, in der er beschreibt, wie man Finken und Stieglitze fängt Ἔκφρασις λώσεως σπίνων καὶ ἀκανθίδων [Sternbach 1901]). Außerdem schrieb er eine monodia («Klagelied»: ον δία ἐπὶ ἀστρογλήν α το τεθνηκότι [Horna 1902]), in der er den Tod seines Lieblingssingvogels beklagt, der ihm daheim mit seinem Gesang Gesellschaft leistete, wenn er sich seinen Studien widmete oder wenn er krank war. Wir haben es hier mit einer Jagd mit niedriger Flughöhe zu tun, im Gegensatz zur Jagd mit hoher Flughöhe, bei der der Falkner im Voraus einen Falken freilässt, welcher hoch am Himmel seine Kreise zieht, bevor er sich auf seine Beute stürzt. Bei der Jagd mit niedriger Flughöhe fliegt der Vogel vom Handschuh des Falkners los. Die Kraft und Beweglichkeit seines Flugs ermöglichen es dem Falken, seine Beute einzuholen und geradezu akrobatische Tricks zu vollführen, bevor er seine Beute mit den Krallen erfasst und zu Boden drückt. Tatsächlich finden sich in veterinärmedizinischen Abhandlungen Arzneirezepturen speziell für Adler, die von Kranichen verwundet worden sind.

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Michael Psellos z. B. schreibt ganz unbefangen, Isaak I. Komnenos habe sich vor allem am Herabstürzen des Vogels ergötzt, da der Kranich einen Todestanz aufführe, bei dem er abwechselnd seinen Bauch und seinen Rücken zeige (wörtlich: «seine vorderen Teile und seine hinteren Teile»), ν δ δον ν πτῶσις ἐδίδου πιπτε γ ρ γέρανος ἐπορ ουμένη τὸν θάνατον καὶ ν ν μ ν τ πρανῆ ν ν δ δεικν σα τ πτια, Chronographia, VII, LXXII, 13–15 [Renauld 1967]. Vgl. Constantine Manasses, Ἔκφρασις κυνηγεσίου γεράνων, 268: γευσομένους α ματος καὶ σαρκῶν [Kurtz 1906]; Dèmètrios Pépagôménos, Περὶ τῆς τῶν ἱεράκων ἀνατροφῆς καὶ δίδου πίνειν τῷ ἱέρακι θερμο ἀναβλ οντος α ματος κἀκ τῶν περὶ τὸν τρά ηλον κρεῶν μετ τα τα δ καὶ το ἐγκεφάλου καὶ τῆς καρδίας πατός τε καὶ γαστρός [Hercher 1866]. Pierès – Nikolaou-Konnarès 2003. Vgl. Aristeidou 1993–1994. Vgl. Lazaris 2010. Das bedeutet natürlich nicht, dass vorher nichts über dieses Thema geschrieben wurde. Der Syrer Al-Gitrif aus dem 8. Jh. bezieht sich ausdrücklich auf byzantinische Quellen, nur ist von diesen Quellen eben keine erhalten; wahrscheinlich waren es ohnehin nur wenige Schriften, die kaum jemandem bekannt waren; s. u. a. Viré – Möller 2002; s. auch Van den Abeele 2013, 14; Viré 1980. Vgl. Hunger 1978, 269. Die anderen Manuskripte, in denen diese Schriften überliefert sind, erwähnen keinen Autor, außer Monac. gr. 390, in dem eine spätere Hand ebenfalls Demetrios von Konstantinopel als Verfasser der Abhandlungen über Falken nennt. Lazaris 2006. Diese Abhandlung ist von einem Text von Flavius Arrianus zum selben Thema inspiriert (Cynegeticus, s. Roos – Wirth 1967). Der Text von Demetrios Pepagomenos enthält nach einer kurzen Beschreibung verschiedener Rassen von Jagdhunden Rezepte für Arzneimittel für solche Hunde. Vgl. Lazaris 2006. μ ν ο ν δι ὀνείρων α το θεο καθηγεμόνος τυ ν τ δ δι πολλῆς πείρας πολλῷ τῷ ρόν συνεργῷ […]. «Die einen (Hilfsmittel) im Traum durch Gott, den Herrn, selbst erlangend, die anderen durch viel Erfahrung mit Hilfe von viel Zeit […].» Grabar 1990, 176. Im selben Manuskript ist eine weitere Jagdszene enthalten (f. 6r, Abb. 2), in der ein anderer Jäger, der zu Fuß unterwegs ist, einen Geparden auf einen fliehenden Hirschen und eine Hirschkuh loslässt (einen Geparden und keinen Panther, wie diverse Male behauptet wurde, s. Buquet 2011; Nicholas 1999). Auf anderen Blättern des

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Manuskripts sind noch verschiedene andere Tiere abgebildet. Vgl. Alison-Frantz 1938, Abb. 30; Biers 1977, Abb. 1; Papanikola-Bakirtzi 1986. Im Gegensatz zu dem, was man hier und da liest, werden weder in den Schriften von Niketas Choniates, der Jagdszenen rund um den Palast von Andronikos I. Komnenos beschreibt (Historia, Andron 1 [Dieten 1975, 333]), eindeutig Falknerei-Szenen erwähnt noch in der Vita Stephani Iunioris, als dort die exzessive Vorliebe von Kaiser Konstantin V. für Wandbilder mit Jagdszenen beschrieben wird (Symeon Metaphrastes, Vita Stephani Iunioris, 770–775 [Iadevaia 1984]). Mit «Falknerei» meine ich die Kunst, wilde Tiere oder Vögel in ihrem eigenen Territorium unbewaffnet und nur mit Hilfe eines oder mehrerer Greifvögel (verschiedene Arten von Falken, Habichte, Sperber und hin und wieder Steinadler) zu fangen. Im Allgemeinen durchläuft die Ausbildung eines Jagdvogels drei Phasen: erster Kontakt, allmähliches Erlernen von Übungen und schließlich das Absolvieren der gleichen Übungen während des freien Flugs. Vgl. Stern 1953. Vgl. Brett 1947, 77. Ich danke A. G. Mitchell für diesen Vorschlag. Vgl. Rice 1958, 139. Das Gedicht wird heute Dionysios Periegetes zugeschrieben, einem kaiserzeitlichen Autor, von dem nur eine Paraphrase aus der Spätantike (ca. 5. Jh. n. Chr.) erhalten blieb. Eine Reproduktion des gesamten Mosaiks findet sich in Mermet 1995, Abb. 131. Pulcher equus falerisque ornatior esset, strator procerus, velox canis et speciosus accipiter, 143–144 [Moussy 1974]. Paulinus verbrachte die ersten 18 Monate seines Lebens in Mazedonien und kam dann mit Umweg über Rom nach Bordeaux in Gallien, gerade als er drei Jahre alt wurde. Die Zeugnisse von Iulius Firmicus Maternus (Mathesis V, 7, 8) und Sidonius Apollinaris (Epistulae III, III, 2 und IV, IX, 2) sind nicht eindeutig genug, um hier Beachtung zu finden. Die Authentizität von zwei Fragmenta de Aucupio, die Marcus Aurelius Olympius Nemesianus zugeschrieben werden, ist fraglich (vgl. Volpilhac 1975, 11). Åkerström-Hougen 1974. Das Mosaik aus der domus in Utica, das sieben Jagdszenen zeigt, stammt aus dem 4. Jh. n. Chr. und ist in seiner Themenwahl und Komposition dem Mosaik in Argos sehr ähnlich. Allerdings gibt es in diesem Mosaik keinen Falkner. In der zweiten Szene sehen wir zwei Männer, die mit Würmern jagen, aber ohne die Hilfe

eines Greifvogels (die domus untersuchte Ville 1961). Und im Gegensatz zu dem, was A. Aristeidou 1993–1994, 145 schreibt, finden sich im Haus des Dionysos in Kato Paphos (Zypern) keinerlei Falknerei-Szenen (vgl. Nicolaou 1963; Eliades 1980).

Rinder und Schafe – Akteure mittelalterlicher Umweltgeschichte 1 2

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Radkau 2003, 165–186. Finke 2003, 248–277; Blute 2008, 1059–1067. Schreg 2014a, 83–119. Schreg 2013a, 147–167. Schreg 2009a, 11–24. Burger u. a. 2007, 3736–3741; Leonardi u. a. 2012, 88–97. Knipper 2011. Breuer u. a. 1999, 207−228. – Für Italien leider ohne Ausblick ins Mittelalter: MacKinnon 2010, 55–73. Chaput 2006, 629−654. Thode 2010. Scheu 2012. Jordan 1996, 35–39. Knipper 2011; Gerling u. a. 2017. Fisher – Thomas 2012, 151–167. Z. B. Hornberger 1959; Küster 1996, 118–121. Hamilton – Thomas 2012, 234–259. Z. B. Schreg – Behrendt 2011, 263–272; Zölitz 1987, 219–225. Z. B. Baeten u. a. 2012, 1143–1159. Z. B. Hürlimann u. a. 2008. Scholkmann u. a. 2016, 120–121. Z. B. Schreg 2013b, 47–66. Z. B. Foard u. a. 2009. – Zu Altfluren: Schreg 2016, 351–370. Meyer 1998; Hebert u. a. 2007; Andres 2016; Mandl 2017. Grees 1993, 363–378; Schreg 2009b, 451–464. Heidinga 1987. Allerdings ist der Einsatz von Arbeitstieren nicht immer energetisch sinnvoll: Sieferle 2008. Ebersbach 2002. Denevan 2001; Martín u. a. 2015, 558– 564. Donat 1999 35–48; Zimmermann 1999, 27–33. Schreg 2013c, 189–202. Schreg 2006, 201–210; Poirier 2016, 279–290. Schreg – Behrendt 2011, 263–272, 270. Schreg 2012, 137–164. Schreg 2014b, 215–238. Schreg (im Druck). Romankiewicz u. a. (im Druck). Z. B. Columella, de re rustica 1, 6, 21; s. Winiwarter 1999, 181–229. Walter de Henley, Le Dite de Hosebondrie.

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Bildnachweis Vor dem Tabu – Der Umgang mit Schweinen im Alten Orient

Abb. 1–5: Alexander Pruß; 6: nach Amiet 1961: Taf. 40, Nr. 609; 7: nach Barnett, Bleibtreu & Turner 1998: Taf. 109; 8: Mission Tell Beydar; 9: nach Hilgert 2013: Abb. 51.6.

Emotional, spirituell, praktisch, materiell, ökonomisch: Die Rolle der Tiermumien im alten Ägypten

Abb. 1, 2, 7, 9–11, 13: Salim Ikram; 3, 5, 6, 8, 14–17: Anna-Marie Kellen, mit freundlicher Genehmigung des Animal Mummy Project, Ägyptischen Museums Kairo; 4: Emile Brugsch, Ikram / Warner Collection; 12: Carlos Prates, mit freundlicher Genehmigung des Lisbon Mummy Project.

Tiere im Denken der Griechen und Römer – Eine schwierige Sache

Abb. 1: akg-images / Pictures From History; 2: akg-images / Album / Oronoz; 3: akgimages / De Agostini Picture Lib. / A. Dagli Orti; 4, 8: akg-images / Album / Prisma; 5: akg-images / bilwissedition; 6: Eric Vandeville / akg-images; 7: akg-images / De Agostini Picture Lib. / G. Dagli Orti; 9: akg / Bible Land Pictures; 10: bpk / Antikensammlung, SMB / CoDArchLab; 11: By Jean de Tournes [Public domain], via Wikimedia Commons; 12: akg-images / Gilles Mermet.

«Sie ziehen auf Kamelen in die Schlacht und werfen ihre Speere» − Beja-Identität und Kamelwirtschaft in historischer Perspektive Abb. 1: Peter Palm, Berlin; 2: By Hartmann Schedel (Schedelsche Weltchronik d 012. jpg) [Public domain], via Wikimedia Commons; 3: Historische Postkarte Sammlung Bechhaus-Gerst; 4: nach E. Dagobert Schoenfeld. Erythräa und der Ägyptische Sudan. Berlin 1904. Abb. X, o. S.; 5: Union Postale Universelle. Egypte / Vergnios & Zachos;

6–9: Marianne Bechhaus-Gerst; 10: Mike P. Shepherd / Alamy Stock Photo.

Zur Symbolik von Speisetieren – Jeschutes Rebhühner und der animal turn

Abb. 1: By K.Pitk (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons; 2: By FokusNatur (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons; 3: British Library, CC0 1.0 Universal (CC0 1.0); 4: The Bodleian Library, University of Oxford/MS Douce 308, Folio 102v; 5: Aufnahme: Institut für Realienkunde der Universität Salzburg; 6: The Hague, Museum Meermanno | House of the book, mmW 010 B 25, f. 33r.; 7: aus: H. Weddige, Einführung in die germanistische Mediävistik (München 72008) 68 [basierend auf einem Schaubild von C. Meier, das F. Ohlys Erläuterungen visuell umsetzt]; 8: Rebhuhn zubereitet: Fotolia_185264490_S;Prostockstudio, Rebhuhn lebend: BS Thurner Hof (Own work) CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons, Teufel: Wikimedia Commons; By Herman the Recluse of the Benedictine monastery of Podlažice [Public domain], via Wikimedia Commons, Unbefleckte Empfängnis: Wikimedia Commons, Wollust: Erzbischöfliches Or-dinariat Freiburg i.Br., Bildarchiv, Aufnahme Christoph Hoppe; 9: Burgerbibliothek Bern, Cod. AA 91, fol. 23r; Foto: Codices Electronici AG, www.ecodices.ch; 10: ÖNB, cod. Ser. Nov. 2644, fol. 67v.

Jagen in Byzanz – Eine Fallstudie zur Falknerei

Abb. 1, 2: Bibliothèque nationale de France; 3: Universitätsbibliothek Heidelberg, Die Calenderbilder des Chronographen vom Jahre 354, Tafel XXVIII [CC BY-SA 3.0 DE]; 4: akg-images / Album / Prisma; 5: bpk / Scala; 6, 7: Nach ÅKERSTRÖMHOUGEN, 1974, pl. III [Detail].

Rinder und Schafe – Akteure mittelalterlicher Umweltgeschichte

Abb. 1: Ralf Roletschek [CC BY-SA 3.0] via WikimediaCommons; 2: verändert nach Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300. Stuttgart 1992; 3: Graphik: RGZM, M. Ober / R. Schreg; 4: C. Lichter, Vor 12000 Jahren in Anatolien - Die ältesten Monumente der Menschheit. (Stuttgart 2007) 347; 5: nach B. Krüger (Hrsg.): Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa 1: Von den Anfängen bis zum 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Berlin 1979 (Veröff. Zentralinst. Alte Gesch. u. Arch. Akad. Wiss. DDR 4/1), und nach G. Breuer / A. Rehazek / B. Stopp, Grössenveränderungen des Hausrindes. Osteometrische Untersuchungen grosser Fundserien aus der Nordschweiz von der Spätlatènezeit bis ins Frühmittelalter am Beispiel von Basel, Augst (Augusta Raurica) und Schleitheim-Brüel, in: Jahresberichte aus Augst und Kaiseraugst 20 (1999), 207–228. Abb. 9; 6: nach K. Thode, Froschfresser? Archäologische Funde, Quellenkritik und kulturgeschichtliche Interpretation am Beispiel archäozoologischer Funde aus Renningen. BA-Arbeit (Tübingen 2010) und S. Arnold – U. Gross – I. Stork – J. Wahl – M. Kokabi (Hrsg.), … mehr als 1 Jahrtausend … Leben im Renninger Becken vom 4. bis 12. Jahrhundert, Arch. Inf. Bad.-Württ. 19 (Stuttgart 1991); 7, 8, 10, 11, 14, 15: R. Schreg; 9: GoogleEarth/ Digital Globe; 12: nach H.-R. Bork (Hrsg.), Landschaften der Erde unter dem Einfluss des Menschen (Darmstadt 2006) Abb.160;13: Foto: R. Schreg, RGZM; 16: nach R. Jones, Elemental theory in everyday practice: food disposal in the later medieval English countryside, in: J. Klápšt (Hrsg.), Food in the Medieval Rural Environment – Processing, Storage, Distribution of Food, Ruralia 8 (Turnhout 2011) 145–154, fig. 2 Graphik: R. Schreg; 17: nach R. Jones, Manure and the Medieval Social Order, in: M. J. Allen – N. Sharples – T. O’Connor (Hrsg.), Land and people. Papers in memory of John G. Evans, Prehistoric society research paper 2 (Oxford 2009) 215–225. fig. 19.

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Adressen der Autoren Jochen Althoff Johannes Gutenberg-Universität Mainz Klassische Philologie/Gräzistik Institut f. Altertumswissenschaften FB 07 D-55099 Mainz Marianne Bechhaus-Gerst Universität zu Köln Institut für Afrikanistik und Ägyptologie Albertus-Magnus-Platz D-50923 Köln Salima Ikram Distinguished University Professor Egyptology Unit Head Department of Sociology, Egyptology & Anthropology American University in Cairo AUC Avenue, PO Box 74 New Cairo 11835

Stavros Lazaris Monde byzantin Collège de France UMR 8167 Orient et Méditerranée (Byzance) 52, rue du Cardinal Lemoine 75005 Paris France Stephen T. Newmyer Duquesne University McAnulty College and Graduate School of Liberal Arts Classics College Hall 408 600 Forbes Ave. Pittsburgh,PA 15282 (USA)

Tanja Pommerening Johannes Gutenberg-Universität Mainz Institut für Altertumswissenschaften Ägyptologie FB 07 D-55099 Mainz Rainer Schreg Otto-Friedrich-Universität Bamberg Lehrstuhl für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit Kapuzinerstraße 16 D-96047 Bamberg

Sabine Obermaier Johannes Gutenberg-Universität Mainz Deutsches Institut FB 05 D-55099 Mainz

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Brunnenfigur aus dem Haus des Kitharaspielers, Pompeji, heute im Museo Nazionale Archeologico, Neapel (Foto: akg-images).

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Gejagt - Domestiziert - Vergöttert Tiere waren und sind ein wichtiger Lebensbestandteil in allen Kulturen. Seit jeher fanden sie auch Eingang in Kunst und kultische Handlungen. Die interdisziplinären Beiträge zu Kult, Kunst und Konsum widmen sich aus diachroner und transkultureller Perspektive dem faszinierenden Thema der Interaktion zwischen Mensch und Tier sowie den zugrundeliegenden Konzepten. Die von hervorragendem Bildmaterial begleiteten Beiträge spannen hierbei einen Bogen von den alten Kulturen Mesopotamiens und Ägyptens bis in die heutige Zeit. Anhand von archäologischen, ikonografischen und textlichen Belegen untersucht das hochkarätige Autorenteam Fragen zur Universalität, Spezifität und zum interkulturellen Transfer von Konzepten über Mensch und Natur.

Tanja Pommerening ist Professorin für Ägyptologie an der Johannes GutenbergUniversität Mainz und Sprecherin des DFG-Graduiertenkollegs »Frühe Konzepte von Mensch und Natur». Jochen Althoff ist Professor für Klassische Philologie/Gräzistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und stellvertretender Sprecher des DFG-Graduiertenkollegs »Frühe Konzepte von Mensch und Natur«. Mit Beiträgen von Alexander Pruß, Salima Ikram, Stephen T. Newmyer, Marianne Bechhaus-Gerst, Sabine Obermaier, Stavros Lazaris und Rainer Schreg.

www.zabern.de ISBN 978-3-8053-5142-3

Pommerening/Althoff · Kunst, Kult, Konsum

Tanja Pommerening · Jochen Althoff (Hrsg.)

Kult, Kunst, Konsum Tiere in alten Kulturen