Kritik ohne Grenzen: Nonkonformistische Filmkultur in Italien und Westdeutschland nach 1945 in transnationaler Perspektive 3515121250, 9783515121255

In den 1950er Jahren entstanden in Italien und in der Bundesrepublik Deutschland mit der "Cinema Nuovo" und de

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German Pages 421 [426] Year 2018

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INHALT
VORWORT
1 EINLEITUNG
1.1 Film, Filmkritik, Filmkultur und Geschichtswissenschaft
1.2 Chronologischer Forschungskontext. Gesellschaftlicher Umbruch
in den „langen 1960er Jahren“
1.3 Methodischer Forschungskontext. Vergleich, Transfer, Verflechtung
1.4 Untersuchungsaufbau und Quellenbasis
2 DER ENTSTEHUNGSKONTEXT DER ZEITSCHRIFTEN
2.1 Cinema Nuovo, gegründet 1952
2.2 Filmkritik, gegründet 1957
3 THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND FILMKRITISCHE PRAXIS
3.1 Aufbau und Ausrichtung der Cinema Nuovo der 1950er Jahre
3.1.1 Antiidealistische Filmkritik und eine „neue Kultur“
3.1.2 Spielarten des Filmrealismus
3.2 Aufbau und Ausrichtung der Filmkritik der ersten Jahrgänge
3.2.1 Das ideologiekritische Programm und seine Vorbilder
3.2.2 Filmtheoretische Wechselwirkungen zwischen Italien und Deutschland?
3.3 Die Zeitschriften, das einheimische Kino und die US-Importe
3.3.1 Realismus als Ausweg, Realismus in der Krise. Cinema Nuovo und der italienische Film
3.3.2 Überwiegend hoffnungslos. Filmkritik und die Filme der Bundesrepublik
3.3.3 Cinema Nuovo und Filmkritik zum US-Kino
4 DIE ZEITSCHRIFTEN ALS EXPONENTEN NONKONFORMISTISCHER FILMKULTUR
4.1 Cinema Nuovo, Filmkritik und Gesellschaftskritik
4.1.1 Film, Kunst und Gesellschaft
4.1.2 Cinema Nuovo – Resistenza in der Republik
4.1.3 Filmkritik – Widerwillen im Wohlstand
4.1.4 Erziehungsarbeit. Die Zeitschriften, ihre Leser und das Publikum
4.1.5 Links – unabhängig? Positionen und Verbindungen der Filmkritiker
4.2 Aufklärung statt Verklärung. Die Kritiker, die Vergangenheit
und die Filme darüber
4.2.1 Faschismus und Nationalsozialismus
4.2.2 Krieg im Film, Krieg und Film
4.2.3 „Vilipendio alle Forze Armate“. Der Fall „L’armata s’agapò“
4.3 Die Zeitschriften im filmpolitischen Klima Italiens
und Westdeutschlands
4.3.1 Die filmpolitischen Konfliktfelder des Kreises um die Cinema Nuovo
4.3.2 Das westdeutsche filmpolitische Klima zur Entstehungszeit der Filmkritik
4.3.3 Nonkonformismus in zwei Richtungen. Die Zeitschriften und der osteuropäische Film
4.4 Cinema Nuovo und Filmkritik in den Filmkulturen ihrer Länder.
Bilanz zum Ende der 1950er Jahre
4.4.1 Umtriebig und unbequem. Die Kritiker um die Cinema Nuovo
4.4.2 Jahre der Emanzipation. Die Filmkritik bis 1960
5 CINEMA NUOVO, FILMKRITIK UND DIE 1960ER JAHRE
5.1 Auf dem Weg in die 1960er Jahre. Format, Personal – Umbrüche?
5.2 Theorie und filmkritische Praxis
5.2.1 Cinema Nuovo – Kontinuität des kritischen Realismus
5.2.2 Filmkritik – Ideologiekritik, Realismus und ein Paradigmenwechsel
5.3 Zwischen „Neokapitalismus“ und 1968. Die Kritiker in der
Gesellschaft der 1960er Jahre
5.4 Filmpolitik
5.4.1 Cinema Nuovo – eine letzte Hochphase der Zensur und der Polemik
5.4.2 Filmkritik gegen das „Komplott der Leisetreter“
5.5 Die Position in der Filmkultur
5.5.1 Cinema Nuovo, weiter umtriebig und unbequem – und in Bedrängnis?
5.5.2 Die omnipräsenten „Obercinéasten“ der Filmkritik
6 FILMKRITIK UND FILMKULTUR – WESTEUROPÄISCH UND TRANSNATIONAL
6.1 Transnationale Prägungen in der Geschichte der Filmkritik
6.1.1 Das italienische Modell
6.1.2 Die Filmkritik im deutsch-italienischen „Filmkrieg“
6.1.3 Alternative Modelle? Französische und angelsächsische Filmkultur
6.2 Einbahnstraßen und Asymmetrien in der europäischen Filmkultur
6.3 Die Nouvelle Vague als Herausforderung. Umbrüche in der
linken europäischen Filmkultur
6.4 Plattformen und Formen filmkritischer Verflechtung
6.4.1 Festivals
6.4.2 Filmkultur vernetzt. Gastbeiträge und Briefe, Reisen und Besuche
7 SCHLUSSBETRACHTUNG
8 ANHANG
8.1 Quellenverzeichnis
8.1.1 Ungedruckte Quellen – Archive
8.1.2 Zeitzeugen
8.1.3 Gedruckte Quellen
8.2 Literaturverzeichnis
8.3 Personenregister
8.4 Filmregister
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Kritik ohne Grenzen: Nonkonformistische Filmkultur in Italien und Westdeutschland nach 1945 in transnationaler Perspektive
 3515121250, 9783515121255

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Lukas Schaefer Geschichte

Studien zur modernen Geschichte – 65

Franz Steiner Verlag

Kritik ohne Grenzen Nonkonformistische Filmkultur in Italien und Westdeutschland nach 1945 in transnationaler Perspektive

Lukas Schaefer Kritik ohne Grenzen

studien zur modernen geschichte Herausgegeben von Gabriele Clemens, Markus Friedrich, Frank Golczewski, Ulrich Mücke, Angelika Schaser, Claudia Schnurmann und Jürgen Zimmerer Band 65

Lukas Schaefer

Kritik ohne Grenzen Nonkonformistische Filmkultur in Italien und Westdeutschland nach 1945 in transnationaler Perspektive

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Luchino Visconti beim Dreh von Rocco e i suoi fratelli auf der Dachterrasse des Mailänder Doms mit Annie Girardot und Alain Delon, 1960. © akg-images / Mondadori Portfolio / Giovan Battista Poletto / Reporters Associati & Archivi Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12125-5 (Print) ISBN 978-3-515-12127-9 (E-Book)

INHALT Vorwort ...............................................................................................................

9

1 Einleitung ..................................................................................................... 1.1 Film, Filmkritik, Filmkultur und Geschichtswissenschaft ................... 1.2 Chronologischer Forschungskontext. Gesellschaftlicher Umbruch in den „langen 1960er Jahren“ .............................................................. 1.3 Methodischer Forschungskontext. Vergleich, Transfer, Verflechtung ... 1.4 Untersuchungsaufbau und Quellenbasis ...............................................

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2 Der Entstehungskontext der Zeitschriften .................................................... 30 2.1 Cinema Nuovo, gegründet 1952 ........................................................... 33 2.2 Filmkritik, gegründet 1957 ................................................................... 37 3 Theoretische Grundlagen und filmkritische Praxis ...................................... 3.1 Aufbau und Ausrichtung der Cinema Nuovo der 1950er Jahre ............ 3.1.1 Antiidealistische Filmkritik und eine „neue Kultur“ ................. 3.1.2 Spielarten des Filmrealismus ..................................................... 3.2 Aufbau und Ausrichtung der Filmkritik der ersten Jahrgänge .............. 3.2.1 Das ideologiekritische Programm und seine Vorbilder .............. 3.2.2 Filmtheoretische Wechselwirkungen zwischen Italien und Deutschland? ....................................................................... 3.3 Die Zeitschriften, das einheimische Kino und die US-Importe ............ 3.3.1 Realismus als Ausweg, Realismus in der Krise. Cinema Nuovo und der italienische Film ................................... 3.3.2 Überwiegend hoffnungslos. Filmkritik und die Filme der Bundesrepublik .................................................................... 3.3.3 Cinema Nuovo und Filmkritik zum US-Kino ............................ 4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur ............. 4.1 Cinema Nuovo, Filmkritik und Gesellschaftskritik .............................. 4.1.1 Film, Kunst und Gesellschaft ..................................................... 4.1.2 Cinema Nuovo – Resistenza in der Republik ............................. 4.1.3 Filmkritik – Widerwillen im Wohlstand ..................................... 4.1.4 Erziehungsarbeit. Die Zeitschriften, ihre Leser und das Publikum .............................................................................. 4.1.5 Links – unabhängig? Positionen und Verbindungen der Filmkritiker ..........................................................................

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Inhalt

4.2 Aufklärung statt Verklärung. Die Kritiker, die Vergangenheit und die Filme darüber ........................................................................... 4.2.1 Faschismus und Nationalsozialismus ......................................... 4.2.2 Krieg im Film, Krieg und Film .................................................. 4.2.3 „Vilipendio alle Forze Armate“. Der Fall „L’armata s’agapò“ ... 4.3 Die Zeitschriften im filmpolitischen Klima Italiens und Westdeutschlands ........................................................................... 4.3.1 Die filmpolitischen Konfliktfelder des Kreises um die Cinema Nuovo ............................................................................ 4.3.2 Das westdeutsche filmpolitische Klima zur Entstehungszeit der Filmkritik .............................................................................. 4.3.3 Nonkonformismus in zwei Richtungen. Die Zeitschriften und der osteuropäische Film .......................... 4.4 Cinema Nuovo und Filmkritik in den Filmkulturen ihrer Länder. Bilanz zum Ende der 1950er Jahre ....................................................... 4.4.1 Umtriebig und unbequem. Die Kritiker um die Cinema Nuovo ............................................................................ 4.4.2 Jahre der Emanzipation. Die Filmkritik bis 1960 ......................

5 Cinema Nuovo, Filmkritik und die 1960er Jahre .......................................... 5.1 Auf dem Weg in die 1960er Jahre. Format, Personal – Umbrüche? .... 5.2 Theorie und filmkritische Praxis ........................................................... 5.2.1 Cinema Nuovo – Kontinuität des kritischen Realismus ............. 5.2.2 Filmkritik – Ideologiekritik, Realismus und ein Paradigmenwechsel .................................................................... 5.3 Zwischen „Neokapitalismus“ und 1968. Die Kritiker in der Gesellschaft der 1960er Jahre ............................................................... 5.4 Filmpolitik ............................................................................................ 5.4.1 Cinema Nuovo – eine letzte Hochphase der Zensur und der Polemik ......................................................................... 5.4.2 Filmkritik gegen das „Komplott der Leisetreter“ ....................... 5.5 Die Position in der Filmkultur .............................................................. 5.5.1 Cinema Nuovo, weiter umtriebig und unbequem – und in Bedrängnis? ..................................................................... 5.5.2 Die omnipräsenten „Obercinéasten“ der Filmkritik ................... 6 Filmkritik und Filmkultur – westeuropäisch und transnational ................... 6.1 Transnationale Prägungen in der Geschichte der Filmkritik ................ 6.1.1 Das italienische Modell .............................................................. 6.1.2 Die Filmkritik im deutsch-italienischen „Filmkrieg“ ................. 6.1.3 Alternative Modelle? Französische und angelsächsische Filmkultur ................................................................................... 6.2 Einbahnstraßen und Asymmetrien in der europäischen Filmkultur .....

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Inhalt



6.3 Die Nouvelle Vague als Herausforderung. Umbrüche in der linken europäischen Filmkultur ............................................................ 6.4 Plattformen und Formen filmkritischer Verflechtung ........................... 6.4.1 Festivals ..................................................................................... 6.4.2 Filmkultur vernetzt. Gastbeiträge und Briefe, Reisen und Besuche ...............................................................................

7

345 362 364 380

7 Schlussbetrachtung ....................................................................................... 386 8 Anhang ......................................................................................................... 8.1 Quellenverzeichnis ............................................................................... 8.1.1 Ungedruckte Quellen – Archive ................................................. 8.1.2 Zeitzeugen .................................................................................. 8.1.3 Gedruckte Quellen ..................................................................... 8.2 Literaturverzeichnis .............................................................................. 8.3 Personenregister .................................................................................... 8.4 Filmregister ...........................................................................................

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VORWORT Der vorliegende Band ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Sommersemester 2017 an der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes verteidigt habe. Einer Vielzahl von Personen bin ich für die Unterstützung, mit der sie die Arbeit von den ersten konzeptionellen Schritten bis zur Veröffentlichung in Buchform begleitet haben, zutiefst dankbar. Zunächst gebührt mein großer Dank Prof. Dr. Dietmar Hüser für die Betreuung der Arbeit mit einer wunderbaren Mischung aus „langer Leine“ und schneller, enorm produktiver Hilfe. Prof. Dr. Clemens Zimmermann als Zweitgutachter danke ich für die wertvollen Gespräche und Lektürehinweise und auch Prof. Dr. Gabriele B. Clemens und Dr. Jens Späth waren mir nicht nur bei den anregenden Tagungen der Arbeitsgemeinschaft für die Neueste Geschichte Italiens kompetente und aufgeschlossene Ansprechpartner. Ich danke der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Studienstiftung des deutschen Volkes dafür, dass sie ideale Bedingungen für die Forschungs- und Projektarbeit geschaffen haben.1 Katharina Stüdemann und ihr Team vom Franz Steiner Verlag haben das Buchprojekt äußerst umsichtig betreut. Allen Kolleginnen an den Lehrstühlen für die Geschichte Westeuropas im 19. und 20. Jahrhundert an der Universität Kassel und für Europäische Zeitgeschichte an der Universität des Saarlandes sei herzlich für konstruktiven Austausch und Zusammenarbeit gedankt – namentlich Nicole Burkhardt, Christine Göttlicher, Katharina Hirsch, Gwendolin Lübbecke und schließlich Dr. Birgit Metzger, Ilka Braun, Isabelle Morandini, Jasmin Nicklas und Martina Saar. An beiden Orten war besonders Jürgen Dierkes ein wichtiger, freundschaftlicher und gastfreundlicher Kollege. Diese Arbeit verdankt etlichen klugen und hilfreichen Gesprächspartnern auf Tagungen, Kolloquien, Workshops und auf Bürofluren sehr viel. Stellvertretend für die vielen hilfsbereiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der konsultierten Archive und Bibliotheken danke ich zudem Davide Badini von der Cineteca di Bologna, Cordula Döhrer von der Deutschen Kinemathek in Berlin und Uschi Rühle vom Textarchiv des Deutschen Filminstituts in Frankfurt am Main. Ich bedanke mich bei Erika und Ulrich Gregor für die freundliche Bereitschaft, aus ihren Erinnerungen zu erzählen. Prof. Dr. Stephan, Monika und Helene Schaefer haben die Arbeit in jeder Hinsicht grandios unterstützt. Besonders Ricarda Alt hat sie auf unschätzbare, unersetzliche Weise mitgetragen; und auf der Zielgeraden hat Greta noch einmal für ganz neuen Schwung gesorgt. Hamburg, April 2018 1

Lukas Schaefer

Die DFG hat im Rahmen des Projekts „Filme(n) für eine ‚bessere Welt‘. Filmkritik und Gesellschaftskritik im Westeuropa der Nachkriegszeit in Vergleich, Transfer und Verflechtung“ auch die Drucklegung dieses Bandes dankenswerterweise großzügig gefördert.

1 EINLEITUNG Es sind drei über die vergangenen Jahrzehnte verstreute Zitate, mit denen der Untersuchungshorizont dieser Studie zum Einstieg abgesteckt werden kann. Vor einigen Jahren äußerte Slavoj Žižek im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, „Filme können wie Maulwürfe sein, die langsam alles untergraben. Sie können unsere ideologische Sicht auf die Dinge verändern.“1 Der Philosoph griff damit ein bereits seit der Frühzeit des Mediums ideen- und kulturgeschichtlich auffindbares Verständnis von der Wechselwirkung zwischen Film und der umgebenden Gesellschaft auf. Analytisch und deskriptiv ist ein möglicher Effekt von Filmproduktionen auf die gesellschaftliche, historische Entwicklung immer wieder festgestellt worden, vielfach schwang dabei auch auf einer normativen Ebene der Wunsch oder Anspruch mit, über diese Kunstform Impulse für Veränderungen und Aufbruch zu geben. Ein solches engagiertes und gesellschaftskritisches Verständnis von Film im Besonderen und Kultur im Allgemeinen pflegte auch der westdeutsche Filmkritiker Enno Patalas, aus dessen Zeitschrift Filmkritik das zweite einführende Zitat stammt. Ende 1966 zeigte er dort durch die Abwandlung eines berühmt gewordenen Diktums seine Anknüpfung an die marxistische Denktradition und sein eigenes Rollenverständnis als aktiv eingreifender, nicht bloß passiv registrierender Kunstkritiker: „Die Kritiker haben den Film nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, ihn zu verändern.“2 Im Kern dreht sich diese Arbeit um zwei gesellschaftskritische, in vielen Aspekten in ihren Heimatländern nonkonformistische Gruppen von Filmjournalisten in den 1950er und 1960er Jahren: um die 1957 in der Bundesrepublik gegründete Filmkritik, die in wechselnder Besetzung und publizistischer Ausrichtung letztlich bis 1984 Bestand hatte, und um die Cinema Nuovo aus Italien, die 1952 gegründet wurde und bis zum Tod ihres maßgeblichen Redakteurs Guido Aristarco Mitte der 1990er Jahre erschien. Das Wirken dieser Kritikergruppen wird gründlich ausgeleuchtet, in der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte ihrer Länder verortet und darüber hinaus in inhaltliche und methodische Forschungsfragen zur Entwicklung des „westlichen“ Europas nach 1945 eingeklinkt. Erste Hinweise darauf, in welcher Beziehung diese beiden Fallbeispiele zueinanderstanden, und damit Anregungen für einen komplexen Ansatz der transnationalen Geschichtsschreibung bietet das dritte Zitat – der französische Filmjournalist Louis Marcorelles befasste sich 1959 in folgender Notiz in den Cahiers du cinéma mit einem der Nebenprojekte der Kritikergruppe um Patalas: 1 2

Jan Füchtjohann: An Dummheit gescheitert. Was sehen wir wirklich, wenn wir ins Kino gehen? Der slowenische Philosoph, Lacan-Schüler und Kinofan Slavoj Žižek sagt: Ideologie bei der Arbeit. Zehn provozierende Denkanstöße, in: Süddeutsche Zeitung, 18. 4. 2013. Enno Patalas: Zehn Jahre „Filmkritik“, in: Filmkritik, Nr. 12, 1966, S. 665.

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1 Einleitung La première revue sérieuse de cinéma de l’Allemagne fait aujourd’hui son apparition sous le titre langien de F., alias Film 58. Rédacteur en chef: Enno Patalas, figure familière des festivaliers, dont la politique rédactionnelle trahit des préoccupations sociologiques assez dans la ligne de Cinema Nuovo, avec les penchants communistes en moins.3

Marcorelles’ Zeilen lassen die Interpretation zu, dass das nicht nur auf das Medium fixierte, sondern gesellschaftlich orientierte Filmverständnis der Kritiker nicht bloß in einem Vergleich nebeneinandergestellt werden kann, sondern im Rahmen einer italienisch-deutschen Transferanalyse darüber hinaus nach Einflussströmen und Vorbildrollen gefragt werden kann. Überdies deutet er mit dem Hinweis auf die regelmäßige Festivalteilnahme von Patalas die Einbindung der westdeutschen Kritiker in die internationale Szene der Cineasten an und verweist auf die transnationale Forschungsperspektive der Verflechtung. Ausgehend von diesen knapp angerissenen Quellenbeispielen können – neben der sowohl für Italien als auch für Deutschland erstmaligen, umfassend empirischen Ausleuchtung des sehr quellen- und facettenreichen historischen Felds der Filmpublizistik – zwei leitende Arbeitshypothesen für die folgende Untersuchung festgehalten werden. An zahllosen Stellungnahmen zu den verschiedensten, zeitgenössisch virulenten Themen wird sich zeigen lassen, dass auch diese Filmkritiker als Trägergruppen des häufig konstatierten Gesellschaftswandels im Westeuropa der „langen 1960er Jahre“ zu verstehen sind, dass sie den filmkulturellen Flügel der etwa von Jürgen Habermas so bezeichneten „Fundamentalliberalisierung“4 bildeten. Ihre publizistischen Polemiken richteten sie in einer doppelten Opposition gegen die marktbeherrschende, politisch konforme Filmproduktion und gegen die christdemokratisch geprägten Mehrheiten und Mentalitäten dieser Jahre. Damit verschlungen ist zweitens die Vorannahme, dass gerade die Gruppe um die Filmkritik ihre nachholende filmkulturelle sowie ihre gesellschaftskritische Dynamik aus filmischen Kulturtransfers aus dem überwiegend europäischen und dabei besonders aus dem italienischen Ausland speiste. Die Geschichte der Filmkritik wird als Musterbeispiel filmkultureller Transfers und internationaler Vernetzungsarbeit vorgestellt. Beide Gruppen betrieben die titelgebende Kritik ohne Grenzen, denn sie beschränkten sich weder auf das Kernmetier der Filmbesprechung noch auf eine eng abgesteckte nationale Filmproduktion und Filmkultur. Bevor nachfolgend der Aufbau der Arbeit und der zugrundeliegende Quellenfundus genauer erläutert werden, sind einige Vorklärungen zu treffen: Diskutiert werden nun Film, Filmkritik und Filmkultur als geschichtswissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand sowie die in dieser Studie aufgegriffenen Forschungskontexte, die Fragen nach dem Gesellschaftswandel in den europäischen 1960er Jahren und nach der Methodik und Anwendung von Vergleich, Transfer und Verflechtung.

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Louis Marcorelles: Revue des revues, in: Cahiers du cinéma, Nr. 94, April 1959, S. 58. Zitiert nach Ulrich Herbert: Liberalisierung als Lernprozeß. Die Bundesrepublik Deutschland in der deutschen Geschichte – eine Skizze, in: ders. (Hg.): Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980, Göttingen 2002, S. 7–49, hier S. 7.

1.1 Film, Filmkritik, Filmkultur und Geschichtswissenschaft

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1.1 FILM, FILMKRITIK, FILMKULTUR UND GESCHICHTSWISSENSCHAFT Wer sich mit der italienischen oder der deutschen Filmgeschichte der ersten Nachkriegsjahrzehnte befasst, stößt auf den ersten Blick auf ein breites, komfortables Literaturangebot. Italien hat hier einen historischen Vorsprung; wie Frankreich war es in dieser Zeit ein führendes Filmland, das bald nach 1945 mit einem florierenden Filmbuchmarkt und besonders mit einer ausdifferenzierten Filmzeitschriftenkultur verwöhnt wurde.5 Bereits früh verfassten Zeitgenossen und Mitwirkende des italienischen Nachkriegskinos darüber erste filmgeschichtliche Abrisse6 und auf der Grundlage dieses angeregten und anregenden Diskussionsklimas liegen heute zahlreiche Überblicke zur Filmhistorie des Landes vor; und dies keineswegs nur in italienischer Sprache.7 Direkt im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg setzte die italienische Filmschule des Neorealismus internationale Maßstäbe unter vielen Kritikern und Cineasten, auch wenn sie sich, bedrängt durch filmpolitische Maßnahmen, nur wenige Jahre ungehindert entfalten sollte. Filme wie Roma città aperta und Paisà von Roberto Rossellini, Ladri di biciclette und Umberto D. von Vittorio De Sica oder auch La terra trema von Luchino Visconti bedeuteten einen Bruch mit dem kaschierenden oder propagandistischen Kino der faschistischen Zeit. Explizit wie selten zuvor thematisierten die Regisseure soziale und politische Problemfelder der italienischen Nachkriegswirren und gingen formal durch die Abkehr von festen Skripts und die Arbeit mit Laiendarstellern an Originalschauplätzen neue Wege. Der Neorealismus ist seitdem in einer Vielzahl von Publikationen behandelt worden, seine filmhistorische und -wissenschaftliche Aufarbeitung dauert an.8 Sein Stellenwert animierte auch etliche angelsächsische Akademiker, die Phänomenen der Populärkultur traditionell ohnehin vergleichsweise aufgeschlossen begegnen, Film ausgiebig in ihre Forschungen zur italienischen Kulturgeschichte einzubeziehen.9 Die italienische Filmgeschichtsschreibung hat sich über die kursorischen Überblicke und den Fix5 6 7

8

9

Vgl. Ulrich von Thüna: Filmliteratur nach 1945, in: Hans-Michael Bock / Wolfgang Jacobsen (Hg.): Recherche: Film. Quellen und Methoden der Filmgeschichtsschreibung, München 1997, S. 47–66, hier S. 47. Vgl. Carlo Lizzani: Storia del cinema italiano, 1895–1961, Florenz 1961; Lorenzo Quaglietti: Storia economico-politica del cinema italiano, 1945–1980, Rom 1980. Vgl. Gian Piero Brunetta: Storia del cinema italiano, Bd. 3: Dal neorealismo al miracolo economico 1945–1959, 2. Aufl., Rom 1993; ders.: The History of Italian Cinema. A Guide to Italian Film from its Origins to the Twenty-First Century, Princeton 2009; Peter Bondanella: A History of Italian Cinema, New York 2009; Laurence Schifano: Le cinéma italien de 1945 à nos jours, 4. Aufl., Paris 2016. Als über die Jahrzehnte verteilte Auswahl vgl. Millicent Joy Marcus: Italian Film in the Light of Neorealism, Princeton 1986; Alberto Farassino (Hg.): Neorealismo. Cinema italiano 1945– 1949, Turin 1989; Gian Piero Brunetta: Il cinema neorealista italiano. Storia economica, politica e culturale, Rom/Bari 2009; Torunn Haaland: Italian Neorealist Cinema, Edinburgh 2012; Jörn Glasenapp: Abschied vom Aktionsbild. Der italienische Neorealismus und das Kino der Moderne, München/Paderborn 2013. Vgl. Nicholas Hewitt (Hg.): The Culture of Reconstruction. European Literature, Thought and Film, 1945–50, Basingstoke 1989; David Forgacs: Italian Culture in the Industrial Era, 1880–

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1 Einleitung

punkt des Neorealismus hinaus längst weiter differenziert, etwa filmwirtschaftliche Aspekte in den Blick genommen oder mit der Aufarbeitung von Faschismus und Widerstand allgemeine historische Fragestellungen tangiert.10 Deutschland hatte demgegenüber zunächst großen Nachholbedarf – lange Zeit traf der Befund einer „schwierigen Beziehung“ zwischen der hiesigen Geschichtswissenschaft und dem Medium Film zu.11 Mittlerweile ist allerdings häufig genug dargelegt worden, dass es lohnenswert ist, die latente Geringschätzung der audiovisuellen Medien und methodische Schwierigkeiten bei ihrer sachgerechten Auswertung zu überwinden, da hinter diesen Hürden ein aussagekräftiger, sozial- und kulturhistorisch hoch relevanter Quellenkorpus wartet.12 Seit der letzten Jahrtausendwende, und allein auf die ersten Nachkriegsjahrzehnte als Untersuchungszeitraum bezogen, haben deutschsprachige Historiker Filme vermehrt als Indikatoren für Fragestellungen wie den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit oder die Entwicklung der Sexualmoral in der Bundesrepublik genutzt,13 immer wieder auch versierte, ausführliche Filmanalysen in die historische Rekonstruktion und Darstellung eingebunden.14 Zusätzlich existieren nun wie in Italien – parallel zu einer kaum überschaubaren Zahl eher anekdotischer, essayistischer und populärwissenschaftlicher Deutungen15 – verdienstvolle Überblicke der deutschen Filmgeschichte und Sammelbände und Handbücher, die entlang markanter Filme und Daten oder anhand wichtiger Aspekte des deutschen Kinos und seiner Entwicklung strukturiert sind – und die größtenteils aus der Film- und Medienwissenschaft, aus

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1980, Manchester 1990; ders. / Stephen Gundle: Mass Culture and Italian Society from Fascism to the Cold War, Bloomington 2007. Vgl. Barbara Corsi: Con qualche dollaro in meno. Storia economica del cinema italiano, Rom 2001; Giuseppe Ghigi: La memoria inquieta. Cinema e resistenza, Venedig 2009; Maurizio Zinni: Fascisti di celluloide. La memoria del ventennio nel cinema italiano (1945–2000), Venedig 2010. Vgl. Günter Riederer: Film und Geschichtswissenschaft. Zum aktuellen Verhältnis einer schwierigen Beziehung, in: Gerhard Paul (Hg.): Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 96–113. Vgl. etwa Thomas Lindenberger: Vergangenes Hören und Sehen. Zeitgeschichte und ihre Herausforderung durch die audiovisuellen Medien, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 1 (2004), S. 72–85; auch Fabio Crivellari / Marcus Sandl: Die Medialität der Geschichte. Forschungsstand und Perspektiven einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Geschichts- und Medienwissenschaften, in: Historische Zeitschrift 277 (2003), S. 619–654. Vgl. Peter Reichel: Erfundene Erinnerung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater, München u. a. 2004; Sybille Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik, München 2011. Vgl. als Beispiele Massimo Perinelli: Fluchtlinien des Neorealismus. Der organlose Körper der italienischen Nachkriegszeit, 1943–1949, Bielefeld 2009; Maja Figge: Deutschsein (wieder-) herstellen. Weißsein und Männlichkeit im bundesdeutschen Kino der fünfziger Jahre, Bielefeld 2015; Ina Merkel: Kapitulation im Kino. Zur Kultur der Besatzung im Jahr 1945, Berlin 2016. Vgl. Hilmar Hoffmann / Walter Schobert (Hg.): Zwischen Gestern und Morgen. Westdeutscher Nachkriegsfilm 1946–1962, Frankfurt/Main 1989; Gerhard Bliersbach: Nachkriegskino. Eine Psychohistorie des westdeutschen Nachkriegsfilms 1946–1963, Gießen 2014; Claudia Dillmann / Olaf Möller (Hg.): Geliebt und verdrängt. Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963, Frankfurt/Main 2016.

1.1 Film, Filmkritik, Filmkultur und Geschichtswissenschaft

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der Sprach- und Literaturwissenschaft und den benachbarten Disziplinen beigesteuert worden und teils wiederum auf Initiativen aus der angelsächsischen Forschung zurückzuführen sind.16 Trotz all dieser angeführten Publikationen bleiben in beiden Ländern vergleichbare Forschungsdefizite bestehen. So ist weder in Italien noch in Deutschland das Kernthema dieser Arbeit, die Filmkritik beziehungsweise Filmpublizistik, über Ansätze hinaus historiographisch erschlossen worden. Nach ersten Katalogisierungen des heimischen Filmzeitschriftenwesens nach 1945 stagniert diese Forschung in Italien nun bereits seit geraumer Zeit wieder.17 Zur Frühgeschichte der deutschen Filmkritik gibt es eine Pionierstudie;18 aber eine Arbeit, die die hier behandelte Zeitschrift Filmkritik in den 1960er Jahren genauer in den Blick nimmt, und eine aktuelle Synthese zur deutschsprachigen Filmkritik sind nicht von Historikern verfasst worden und weisen exemplarische, disziplinspezifische Lücken auf: sie operieren auf einer relativ schmalen Quellenbasis und verzichten weitgehend auf eine historische Kontextualisierung ihres Untersuchungsgegenstands.19 Hierzulande ist die Geschichte der Filmpublizistik durch die verdienstvolle Reihe Film & Schrift weiter ins Blickfeld gerückt, die Texte von früheren Filmkritikern neu herausgibt, dabei bereits Autoren der Filmkritik berücksichtigte20 und mit dieser Praxis Anschluss an die Anthologien filmkritischer Texte hält, die in bewährten europäischen Filmländern bereits seit Jahrzehnten erscheinen.21 Neben der Filmkritik in Italien und Deutschland harrt insgesamt die Filmkultur beider Länder noch einer umfassenden, systematischen und quellengesättigten Auswertung durch die geschichtswissenschaftliche Zunft. Eine vom Centro Speri-

16 Vgl. neben anderen Tim Bergfelder / Erica Carter / Deniz Göktürk (Hg.): The German Cinema Book, London 2002; Sabine Hake: Film in Deutschland. Geschichte und Geschichten seit 1895, Hamburg 2004; Wolfgang Jacobsen / Anton Kaes / Hans Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films, 2. Aufl., Stuttgart 2004; Jennifer M. Kapczynski / Michael D. Richardson (Hg.): A New History of German Cinema, Rochester 2012. 17 Vgl. Cristina Bragaglia: Critica e critiche, Mailand 1987. Zur Stagnation Lorenzo Pellizzari: Critica alla critica. Contributi a una storia della critica cinematografica italiana, Rom 1999, S. 9. 18 Vgl. Helmut H. Diederichs: Anfänge deutscher Filmkritik, Stuttgart 1986. 19 Vgl. Peter Kessen: „Ästhetische Linke“ und „politische Linke“ der Zeitschrift „Filmkritik“ in den 60er Jahren unter besonderer Berücksichtigung Jean-Luc Godards, Diss. München 1996; David Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, München 2015. 20 Vgl. Theodor Kotulla. Regisseur und Kritiker. Mit Aufsätzen und Kritiken von Theodor Kotulla, Essays von Peter W. Jansen und Heinz Ungureit und einer Filmobibliografie von Ulrich Döge, München 2005; Herbert Linder. Filmkritiker. Mit Kritiken und Texten von Herbert Linder. Mit einem Dialog von Stefan Flach und einem Aufsatz von Rolf Aurich, München 2013; Wilfried Berghahn. Filmkritiker. Mit Kritiken und Texten von Wilfried Berghahn. Essay von Michael Wedel, München 2017. Eine weitere Neuedition von Filmkritiken ist Gunter Groll: Die Kunst der Filmkritik. 110 Filmkritiken, neu gelesen. Mit einem Vorwort von David Steinitz, Marburg 2015. 21 Beispiele dafür sind Guido Aristarco (Hg.): Antologia di Cinema Nuovo 1952–1958. Dalla critica cinematografica alla dialettica culturale, Bd. 1: Neorealismo e vita nazionale, Rimini/ Florenz 1975; David Wilson (Hg.): Sight and Sound. A Fiftieth Anniversary Selection, London 1982; Stéphane Goudet (Hg.): L’amour du cinéma. 50 ans de la revue Positif, Paris 2002.

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1 Einleitung

mentale di Cinematografia in Rom verantwortete Reihe Storia del cinema italiano22 bewältigt ebendiese in 15 umfangreichen Bänden mit entsprechendem Detailreichtum und bietet neben den Skizzen zu allen möglichen italienischen Filmgenres und Regisseuren seit dem Ende des 19. Jahrhunderts unter anderen Einstiegsartikel zu filmpolitischen oder -wirtschaftlichen Themenkomplexen und in vielen Bänden auch zur Filmkritik, -theorie und -literatur. Doch kaum einmal werden, nicht nur in diesem Fall, medienwissenschaftliche Methodenkompetenz und der archivalische und epistemologische Tiefgang der Historiographie fusioniert.23 Während sich die Geschichtswissenschaft weiter Fertigkeiten der Filmanalyse aneignen muss, kann sie umgekehrt zu einer elaborierteren Filmgeschichte beitragen: Sie kann „den Blick für das textuelle Umfeld von Filmbildern schärfen“, „den Entstehungskontext eines Filmes gleichsam archäologisch freilegen“ und durch ihre Kenntnis über den „sozio-kulturellen Kontext“ helfen, „Filme in ihrer historischen Bedingtheit zu sehen.“24 Mit dieser historiographischen, noch überwiegend textbasierten Herangehensweise sind im deutschen Fall zuletzt überzeugend filmkulturelle Bereiche wie die Filmzensur und zwei Filmfestivals auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze erkundet worden.25 Die vorliegende Studie setzt es sich ebenfalls zum Ziel, das noch vage bearbeitete Terrain der Filmkultur – besonders der Bundesrepublik, doch auch Italiens – genauer historiographisch zu verzeichnen. Filmkultur wird hier verstanden als ein komplexes Ensemble etlicher mit Film beschäftigter Personen, Gemeinschaften oder Institutionen und ein Geflecht aus ihren Beziehungen, Überschneidungen oder Spannungsverhältnissen: aus der Filmwirtschaft mit all ihren Sparten der Produktion, Distribution und Projektion, den Filmschaffenden aller beteiligten Berufsgruppen wie zum Beispiel Autoren, Regisseuren und Schauspielern, aus dem Filmpublikum, aus Filmclubs, Festivals oder filmwissenschaftlicher Forschung, aus der Filmpresse und aller sonstiger Filmpublizistik und auch aus der Filmpolitik mit all ihren beigeordneten Einrichtungen und Funktionären beispielsweise der Filmkontrolle oder Filmförderung. Die untersuchten Filmkritiker werden durchweg als vielfältig filmkulturelle Akteure interpretiert. Indem ihr Handeln in den filmkulturellen Teilbereichen außerhalb der Filmpublizistik nachgezeichnet und ihr Verhältnis zu anderen filmkulturellen Akteuren gründlich abgeklopft wird, kann eine fruchtlose 22 Vgl. den Überblicksband zur Reihe: Paolo Bertetto (Hg.): Storia del cinema italiano. Uno sguardo d’insieme, Venedig 2011; zudem die in dieser Arbeit herangezogenen, von Sandro Bernardi, Gianni Canova, Luciano De Giusti und Giorgio De Vincenti herausgegebenen Bände. 23 Als jüngeres Beispiel für ein häufiges Nebeneinander der Disziplinen vgl. die Beiträge in Bastian Blachut / Imme Klages / Sebastian Kuhn (Hg.): Reflexionen des beschädigten Lebens? Nachkriegskino in Deutschland zwischen 1945 und 1962, München 2015. 24 Riederer: Film und Geschichtswissenschaft, S. 103 f. In ähnlicher Weise argumentieren Axel Schildt: Das Jahrhundert der Massenmedien. Ansichten zu einer künftigen Geschichte der Öffentlichkeit, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 177–206, hier S. 206; Frank Bösch / Annette Vowinckel: Mediengeschichte, in: ders. / Jürgen Danyel (Hg.): Zeitgeschichte – Konzepte und Methoden, Göttingen 2012, S. 370–390, hier S. 374 f. 25 Vgl. Jürgen Kniep: „Keine Jugendfreigabe!“ Filmzensur in Westdeutschland 1949–1990, Göttingen 2010; Andreas Kötzing: Kultur- und Filmpolitik im Kalten Krieg. Die Filmfestivals von Leipzig und Oberhausen in gesamtdeutscher Perspektive 1954–1972, Göttingen 2013.

1.2 Chronologischer Forschungskontext

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Verengung auf eine reine Zeitschriftenanalyse vermieden werden. Gleichzeitig federt dieser Ansatz das einschlägige Problem der Medien- und Pressegeschichte, Rezeptionen und Resonanzen quantitativ und qualitativ nachzuweisen,26 durch ein erweitertes Quellenspektrum ein wenig ab. Filmkritiker werden hier als debattengeschichtliche Bindeglieder und Prüfsonden der in ihrer Komplexität noch nicht wirklich bekannten, nationalen wie internationalen Filmkulturen genutzt. Die Gruppen um die Cinema Nuovo und die Filmkritik dienen zudem als debattengeschichtliche Bindeglieder zwischen intellektuellen Theoriediskussionen und populärkultureller Massenunterhaltung. 1.2 CHRONOLOGISCHER FORSCHUNGSKONTEXT. GESELLSCHAFTLICHER UMBRUCH IN DEN „LANGEN 1960ER JAHREN“ Die Filmkritikerzirkel, die im Zentrum dieser Arbeit stehen, formierten sich Anfang, spätestens Mitte der 1950er Jahre um ihre langlebigen eigenen Zeitschriften, die Cinema Nuovo und die Filmkritik. Neben den vielfältigen Gemeinsamkeiten und Beziehungen der Gruppen als gesellschaftskritische Cineasten ist die Auswahl dieser Untersuchungsgegenstände wesentlich von den in vielen Punkten durchaus vergleichbaren Ausgangsbedingungen und Entwicklungen der jeweiligen Ursprungsländer begünstigt worden. Italien und Deutschland verband nach 1945 die unmittelbare, belastete und belastende Vergangenheit als verbündete Diktaturen und Aggressoren im für beide Länder katastrophalen Zweiten Weltkrieg. Das Deutsche Reich hatte sich bis zur Kapitulation bitterlich und blindlings gegen die Alliierten gewehrt, während das Kriegsende in Italien durch den Sturz Mussolinis, einen partiellen Seitenwechsel und bürgerkriegsartige Kampfhandlungen unübersichtlicher verlaufen war und zumindest noch die Grundlage für die Erzählung einer antifaschistischen Resistenza gebildet hatte. Bald waren erstmals beziehungsweise erneut republikanische Verfassungen in Kraft getreten. Die Regierungen in Italien und in der Bundesrepublik Deutschland wurden in den gesamten 1950er Jahren und darüber hinaus von den christlich-konservativen Parteien Alcide De Gasperis und seiner Nachfolger sowie Konrad Adenauers geführt, bisweilen koalierten die DC und die CDU/CSU noch mit kleineren, zumeist liberalen oder konservativen Gruppierungen. Das Gründungsjahrzehnt der beiden Filmzeitschriften stand innen- und außenpolitisch deutlich unter den Vorzeichen des Kalten Kriegs und der Blockspaltung. Die Bundesrepublik erlebte diese unmittelbar durch die deutsche Teilung und die Konfrontation mit der DDR, in Italien gab es heftige politische, juristische und auch gewalttätige Auseinandersetzungen mit den starken Milieus und Parteien der Kom26

Vgl. Bösch/Vowinckel: Mediengeschichte, S. 388 f.; Jörg Requate: Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 5–32, hier S. 9; Irmbert Schenk: „Derealisierung“ oder „aufregende Modernisierung“? Film und Kino der 50er Jahre in der Bundesrepublik, in: ders. (Hg.): Erlebnisort Kino, Marburg 2000, S. 112–129, hier S. 124 und 128.

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munisten und Sozialisten. Die christdemokratischen Regierungen suchten Zuflucht in der Westbindung und im Transatlantismus, etwa in der NATO und in der beginnenden europäischen Integration. Durch massive Aufbauhilfen aus den USA, durch wirtschaftspolitische Strukturmaßnahmen und teils auch durch günstige Umstände und Voraussetzungen blühten die beiden Länder in diesen Jahren ökonomisch wieder auf; Westdeutschland früher und leistungsstärker, doch auch Italien schaffte den Anschluss an das westliche Leistungsniveau, wenngleich mit gravierenden regionalen Differenzen zwischen Norden und Süden.27 Als Eckdatum in der Nachkriegsgeschichte beider Staaten ist mittlerweile auch das Jahr 1968 als Höhepunkt etwa der Studenten- und Jugendproteste fest verankert, publizistisch und wissenschaftlich mindestens zu jedem glatten Jubiläum diskutiert und zudem transnational verortet worden.28 Die Phase zwischen den soeben skizzierten 1950er Jahren und dem Schlüsseldatum 1968 ist ebenfalls in das Visier der Geschichtswissenschaft geraten. Längst ist es, nicht nur auf den westdeutschen Fall bezogen, Konsens, dass 1968 nicht ein schlagartiger Umsturz der Verhältnisse und ein singulärer Ausbruch war, sondern ein symbolischer Kulminationspunkt langwierigerer Liberalisierungsprozesse. Von der zweiten Hälfte der 1950er Jahre bis zur ersten Hälfte der 1970er Jahre vollzog sich ein fast beispielloser Gesellschaftswandel, es änderten sich in bemerkenswert breiten Bevölkerungsschichten fundamentale Werte und Moralvorstellungen, Umgangsformen, Lebenswandel und Konsummuster. Für die bundesdeutsche Geschichte gelten diese „langen 1960er Jahre“ als „dynamische Zeiten“ und als spannungsreiches „Scharnierjahrzehnt“, das endgültig mentalitätsgeschichtliche Überhänge aus Kaiserzeit und Nationalsozialismus verdrängt habe.29 Dieses „Scharnierjahrzehnt“ habe eine „Take offPhase“ um 1960 gehabt und die 1968er Bewegung durchschritt „Tore […], die an27

Zu all diesen Aspekten der Nachkriegsgeschichte bieten zuverlässige Überblicke für Italien Aurelio Lepre: Storia della prima Repubblica. L’Italia dal 1942 al 1992, Bologna 1993; Christian Jansen: Italien seit 1945, Göttingen 2007; Hans Woller: Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, München 2010; Guido Crainz: Storia della Repubblica. L’Italia dalla Liberazione ad oggi, Rom 2016. Für Westdeutschland vgl. Manfred Görtemaker: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart, München 1999; Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006; Ulrich Herbert: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014. Vgl. zudem für beide Länder etliche Passagen in Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, 4. Aufl., München 2000; Tony Judt: Die Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg, Bonn 2006. 28 Vgl. beispielsweise Peppino Ortoleva: I movimenti del ’68 in Europa e in America, 2. Aufl., Rom 1998; Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.): 1968. Vom Ereignis zum Mythos, Frankfurt/Main 2008; Detlef Siegfried: 1968. Protest, Revolte, Gegenkultur, Ditzingen 2018. 29 Vgl. Herbert: Liberalisierung als Lernprozeß, S. 35; Axel Schildt / Detlef Siegfried / Karl Christian Lammers: Einleitung, in: dies. (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S. 11–20, hier S. 11–13 und 18 f.; Anselm DoeringManteuffel: Eine neue Stufe der Verwestlichung? Kultur und Öffentlichkeit in den 60er Jahren, in: ebd., S. 661–672, hier S. 665 f.; Christina von Hodenberg / Detlef Siegfried: Reform und Revolte. 1968 und die langen sechziger Jahre in der Geschichte der Bundesrepublik, in: dies. (Hg.): Wo „1968“ liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen 2006, S. 7–14, hier S. 7 f.

1.2 Chronologischer Forschungskontext

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dere längst vor ihr geöffnet hatten“.30 In Italien wird ein „decennio di preparazione“ ab circa 1956 angesetzt,31 multinational ausgerichtete Betrachtungen erkennen zwischen 1958 und 1974 eine „cultural revolution“ in Großbritannien, Frankreich, Italien und den USA oder den Abschluss und die Vollendung einer europäischen „high modernity“.32 Diese viel zitierten Makrodiagnosen sind bislang jedoch nur selten mit empirischem Leben gefüllt und an konkreten Fallbeispielen in einem transnationalen Untersuchungsrahmen nachgewiesen worden – im italienischen Fall nicht zuletzt aufgrund einer starken Fokussierung der Zeithistoriker auf Politik- und Parteiengeschichte.33 An diesem Punkt klinkt sich die vorliegende Studie über die gesellschaftskritischen Filmpublizisten ein. Sie prüft etwa die Bezüge dieser Kritikergruppen zu den international ausgemachten „Neuen Linken“34 und greift ein nicht nur für die westdeutsche Geschichte nutzbares Forschungsprogramm Ulrich Herberts auf: Die tiefgreifenden Veränderungen in Westdeutschland zwischen den frühen 50er und den frühen 70er Jahren sind also nicht geworden, sondern gemacht, sind das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen, Prozesse und Entscheidungen, das Produkt gesellschaftlicher Erfahrungen und ihrer Verarbeitung.

Die Untersuchung der Cinema Nuovo und der Filmkritik als Vertreter kritischer Filmkultur soll dazu beitragen, die sich verändernden Fronten der gesellschaftlichen Auseinandersetzung nachzuzeichnen, beschleunigende und verlangsamende Faktoren herauszuarbeiten, Trägergruppen des Wandels auszumachen, das Verhältnis von wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen, Veränderungen im politischen System und kulturellen Prozessen näher zu beleuchten35

30 Zitate aus Axel Schildt: Von der Kampagne „Kampf dem Atomtod“ zur „Spiegel-Affäre“ – Protestbewegungen in der ausgehenden Ära Adenauer, in: Michael Hochgeschwender (Hg.): Epoche im Widerspruch. Ideelle und kulturelle Umbrüche der Adenauerzeit, Bonn 2011, S. 125– 140, hier S. 127; Norbert Frei: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest, Bonn 2008, S. 131. 31 Vgl. Danilo Breschi: Sognando la rivoluzione. La sinistra italiana e le origini del ’68, Florenz 2008, besonders S. 11–19. 32 Vgl. Arthur Marwick: The Sixties. Cultural Revolution in Britain, France, Italy, and the United States, c.1958–c.1974, Oxford 1998; Ulrich Herbert: Europe in High Modernity. Reflections on a Theory of the 20th Century, in: Journal of Modern European History 5 (2007), S. 5–21, hier S. 18 f. 33 Vgl. Christof Dipper: Die italienische Zeitgeschichtsforschung. Eine Momentaufnahme, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 63 (2015), Nr. 3, S. 351–377, hier S. 366 und 368 f.; Claudia Christiane Gatzka: „Demokratisierung“ in Italien und der Bundesrepublik. Historiographische Narrative und lokale Erkundungen, in: Sonja Levsen / Cornelius Torp (Hg.): Wo liegt die Bundesrepublik? Vergleichende Perspektiven auf die westdeutsche Geschichte, Göttingen 2016, S. 145–165, hier S. 147–152 und 164. Auch im deutschen Fall gab es zumindest lange Zeit eine „politik- und ideengeschichtliche Fixierung insbesondere der vorliegenden Forschung über die Studentenbewegung“ – von Hodenberg/Siegfried: Reform und Revolte, S. 9. 34 Vgl. Ingrid Gilcher-Holtey: Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa – USA, 2. Aufl., München 2003, S. 11–24. 35 Herbert: Liberalisierung als Lernprozeß, S. 9.

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1 Einleitung

– gilt es doch gerade, den „Einfluss bisher vernachlässigter, doch wirkungsmächtiger sozial- und kulturgeschichtlicher Impulse des Wandels“36 hervorzuheben. Im Verlauf der Arbeit wird anhand der Filmkritiker immer wieder Herberts Beobachtung präzise illustriert werden können, dass Intellektuelle und dann vor allem Studenten schon früh die Funktion von Vorauskommandos ein[nahmen], die auf unbekanntem Gebiet neue Fragen diskutierten und in geschütztem Raum Kritik, Öffentlichkeit und neue Lebensformen übten oder ausprobierten, ohne daß daraus jeweils schon generalisierbare Modelle entstehen konnten.37

1.3 METHODISCHER FORSCHUNGSKONTEXT. VERGLEICH, TRANSFER, VERFLECHTUNG Die gemeinsame Diskussion der Filmkritik und Filmkultur Italiens und Westdeutschlands und die Frage nach ihrem Zusammenhang mit der Gesellschaftsgeschichte ihrer Länder führt zu den methodischen Anknüpfungspunkten, zum transnationalen Untersuchungsansatz dieser Studie. Als klassischer Zugang liegt dabei zunächst der Vergleich nahe, im Zuge dessen nach weiterhin gängiger Definition „zwei oder mehrere historische Phänomene systematisch nach Ähnlichkeiten und Unterschieden“ untersucht werden, „um auf dieser Grundlage zu ihrer möglichst zuverlässigen Beschreibung und Erklärung wie zu weiterreichenden Aussagen über geschichtliche Handlungen, Erfahrungen, Prozesse und Strukturen zu gelangen.“38 Aus der deutsch-französischen Literatur- und Geschichtswissenschaft erwuchs der historischen Komparatistik seit den 1980er Jahren verstärkt der Vorwurf, durch ihr Forschungsdesign streng abgetrennte nationale Einheiten zu konstruieren und damit auch gesellschaftspolitisch zu perpetuieren, und durch ihre Vorannahmen und Vergleichskategorien im Wesentlichen tautologische Erkenntnisse zu produzieren. Dem entgegen sollte die Kulturtransferforschung den Schwerpunkt auf Adaptionen, Einflüsse und Beziehungen über historische nationale Grenzen hinweg legen.39 Über eine trennende Rivalität zwischen Vergleich und Transfer ist die Geschichtswissenschaft in ausgiebigen Diskussionen hinausgelangt, die beiden Ansätze gelten nun jeweils als sinnvolle Ergänzung zueinander; Transferanalysen lockern starre Vergleichsmodelle gewinnbringend auf, Vergleiche stehen in der Forschungslogik ohnehin am Anfang und am Ende eines jeden Nachweises historischer Kulturtransfers.40 Zudem lassen sich die beiden Zugriffe etwa bei der Frage nach der Aneig36 Von Hodenberg/Siegfried: Reform und Revolte, S. 9. 37 Herbert: Liberalisierung als Lernprozeß, S. 45. 38 Heinz-Gerhard Haupt / Jürgen Kocka: Historischer Vergleich: Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung, in: dies. (Hg.): Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt 1996, S. 9–45, hier S. 9. 39 Zur Rekapitulation dieser Entwicklung vgl. Michael Werner: Kulturtransfer und Histoire croisée. Zu einigen Methodenfragen der Untersuchung soziokultureller Interaktionen, in: Stephan Braese / Ruth Vogel-Klein (Hg.): Zwischen Kahlschlag und Rive Gauche. Deutsch-französische Kulturbeziehungen 1945–1960, Würzburg 2015, S. 21–42. 40 Vgl. Johannes Paulmann: Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer: Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeit-

1.3 Methodischer Forschungskontext. Vergleich, Transfer, Verflechtung

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nung US-amerikanischer Populärkultur in verschiedenen europäischen Ländern in einem Kultur-Transfer-Vergleich verknüpfen.41 Neben dem Vergleich blieb auch dem Transfermodell die Kritik, noch unterschwellig nationalen Denkrahmen verhaftet zu sein und zudem implizit Teleologie und Geschichtsdeterminismus Vorschub zu leisten. Eine „Histoire croisée“ sollte hier Abhilfe verschaffen: Eine Verflechtungsanalyse kulturhistorischer Phänomene, die eng am Objekt und an den Akteuren grenzüberschreitende Transfers und Adaptionen verfolgt, dabei aber auch Rückflüsse und Rückspiegelungen, komplexere – „überkreuzte“ – Beziehungsgeflechte berücksichtigt und von den Geschichtsschreibenden ein hohes Problembewusstsein und eine permanente Selbstreflektion im Hinblick auf die Forschungskonstruktion und mögliche Vorprägungen erwartet.42 Nach diesem Debattenschwenk kurz nach der Jahrtausendwende hat sich die Überzeugung verbreitet, dass transnationale Geschichte eher ein Beobachtungsblickwinkel ist, als dass sie eine feste Methodenentscheidung verlangt und dass hier flexibel und fein abgestimmt auf das Instrumentarium aus Vergleich, Transfer und Verflechtung zurückgegriffen werden sollte.43 Diesem Verständnis schließt sich die vorliegende Untersuchung zur italienischen und westdeutschen Filmpublizistik an und soll auf diese Weise dazu beitragen, nicht nur empirische Lücken zu den „langen 1960er Jahren“ zu schließen, sondern auch weiterhin aktuelle Desiderata zur transnationalen Konturierung der europäischen Kulturgeschichte nach 1945 auszuräumen. Die italienische Zeithistoriographie beginnt ohnehin erst mit Verzögerung, sich zu internationalisieren,44 doch auch in Deutschland stehen empirische, transnationale Fallstudien noch hinter den theoretischen Diskussionen zurück.45 schrift 267 (1998), S. 649–685; Hartmut Kaelble / Jürgen Schriewer (Hg.): Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt/Main 2003; Jörn Leonhard: Comparison, Transfer and Entanglement, or: How to Write Modern European History today, in: Journal of Modern European History 14 (2016), S. 149–163. 41 Vgl. Dietmar Hüser: Kultur-Transfer-Vergleich – Zur Amerikanisierung in Frankreich und Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Rainer Hudemann / Hélène Miard-Delacroix (Hg.): Wandel und Integration. Deutsch-französische Annäherungen der fünfziger Jahre, München 2005, S. 397–417. 42 Vgl. die Programmatik von Michael Werner / Bénédicte Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607–636. 43 Vgl. Agnes Arndt / Joachim C. Häberlen / Christiane Reinecke: Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, in: dies. (Hg.): Vergleichen, Verflechten, Verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen 2011, S. 11–30, hier S. 13–15; Arnd Bauerkämper: Wege zur europäischen Geschichte. Erträge und Perspektiven der vergleichs- und transfergeschichtlichen Forschung, in: ebd., S. 33–60, hier S. 45–50; Philipp Gassert: Transnationale Geschichte, in: Bösch/Danyel (Hg.): Zeitgeschichte, S. 445–462, hier S. 460 f.; Christoph Cornelißen: Transnationale Geschichte als Herausforderung an die Europa-Historiographie, in: Friedrich Wilhelm Graf / Edith Hanke / Barbara Picht (Hg.): Geschichte intellektuell. Theoriegeschichtliche Perspektiven, Tübingen 2015, S. 389–404, hier S. 394 f. 44 Vgl. Dipper: Die italienische Zeitgeschichtsforschung, S. 374 f.; Gatzka: Demokratisierung, S. 148 f. 45 Vgl. Gassert: Transnationale Geschichte, S. 458; Alexander Gallus / Axel Schildt / Detlef Siegfried: Deutsche Zeitgeschichte – transnational, in: dies. (Hg.): Deutsche Zeitgeschichte – trans-

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1 Einleitung

Die Bundesrepublik und Italien sind sehr häufig – nicht nur auf das Medium Film bezogen und nicht zuletzt aus angelsächsischer Warte – als Paradebeispiele für das Forschungsparadigma einer Amerikanisierung der west- und südeuropäischen Nachkriegskultur behandelt worden.46 Das „Paradigma der amerikanischen Kulturhegemonie“ ist in der Zwischenzeit differenziert und immer häufiger „durch ein solches der diskursiven und symbolischen Mischung“ ersetzt worden, „die Sensibilität für gegenläufige Bewegungen und historische Ungleichzeitigkeiten“ ist gestiegen.47 „Westernisierung“ ist ein solches, differenzierendes Konzept, das eher von einer langfristigen, transatlantischen Zirkulation ausgeht.48 Maßgeblich anhand der immensen Bedeutung der romanischen Filmländer – aber auch der osteuropäischen Filmproduktion – für die Autorengruppe um die Filmkritik soll in dieser Arbeit dagegen insbesondere „binneneuropäischen Austauschbewegungen“ und einer „Europäisierung“, in diesem Fall kritischer Filmkultur, nachgespürt werden.49 Filmkultur ist insgesamt ein einschlägiges Untersuchungsfeld für methodisch variable, transnationale Geschichte.50 Von Anfang an etablierter internationaler Filmhandel, Co-Produktionen oder die freiwillige beziehungsweise erzwungene Migration von Filmschaffenden ermöglichen oder erfordern sogar eine Kombination aus Rezeptions-, Beziehungs- und Transfergeschichte. Vergleiche bieten sich in spezifisch national ausgeprägten Fragen beispielsweise der Filmpolitik an und filmhistorische Quellen erzwingen ohnehin häufig den Rückgriff auf Denken in nationalen Kategorien – bei „typischen“ Filmen für die einzelnen Länder, Filmpatriotismus und Länderkonkurrenz oder Protektionismus, Importquoten und filmpo-

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national, Göttingen 2015, S. 11–23, hier S. 17; Sonja Levsen / Cornelius Torp: Die Bundesrepublik und der Vergleich, in: dies. (Hg.): Wo liegt die Bundesrepublik, S. 9–28, hier S. 16 f. Vgl. als verkürzte Auswahl David W. Ellwood / Rob Kroes (Hg.): Hollywood in Europe. Experiences of a Cultural Hegemony, Amsterdam 1994; Victoria De Grazia: Irresistible Empire. America’s Advance through Twentieth-Century Europe, Cambridge 2005; Angelika Linke / Jakob Tanner (Hg.): Attraktion und Abwehr. Die Amerikanisierung der Alltagskultur in Europa, Köln 2006. Lars Koch / Petra Tallafuss: Modernisierung als Amerikanisierung? Anmerkungen zur diskursiven Dynamik einer Analysekategorie, in: ders. (Hg.): Modernisierung als Amerikanisierung? Entwicklungslinien der westdeutschen Kultur 1945–1960, Bielefeld 2007, S. 9–22, hier S. 12 f. Vgl. Anselm Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999; ders.: Westernisierung. Politisch-ideeller und gesellschaftlicher Wandel in der Bundesrepublik bis zum Ende der 60er Jahre, in: Schildt/ Siegfried/Lammers (Hg.): Dynamische Zeiten, S. 311–341. Vgl. Helke Rausch: Wie europäisch ist die kulturelle Amerikanisierung? in: Aus Politik und Zeitgeschichte 58 (2008), Nr. 5–6, S. 27–32, hier S. 28 und 30; Cornelißen: Transnationale Geschichte, S. 398–404. Michael Werner schreibt dazu, wenngleich überwiegend auf allerjüngste Entwicklungen bezogen: „Auf vielen Gebieten lässt sich in der Tat beobachten, dass sich gesellschaftliche, politische und kulturelle Prozesse zwar einerseits in einzelnen nationalstaatlichen Rahmungen vollziehen, dabei aber die Prozesse in anderen Staaten miteinbeziehen und somit eine transnationale Komponente aufweisen. Veränderungen etwa der Arbeitsbeziehungen und des Arbeitsrechts, der Bildungssysteme, der Umweltpolitik oder der Stadtplanung und des Transportwesens sind heute in Europa transnational miteinander verflochten. Ähnliches gilt für die Theater- und Filmkulturen, die Musikszenen und die elektronischen Medienlandschaften.“ – ders.: Kulturtransfer und Histoire croisée, S. 39.

1.4 Untersuchungsaufbau und Quellenbasis

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litischer Abschottung.51 Ein Musterbeispiel filmkultureller Verflechtungsanalyse stellen schließlich die diversen, zumeist europäischen Festivals seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Sie werden in dieser Studie als Austauschplattform für Filmkritiker entsprechenden Raum bekommen, zumal sie international besehen erst spärlich von der Geschichtswissenschaft erschlossen und nur ansatzweise für eine „Histoire croisée“ ins Gespräch gebracht worden sind.52 1.4 UNTERSUCHUNGSAUFBAU UND QUELLENBASIS Die Geschichte der Cinema Nuovo und der Filmkritik in den 1950er und 1960er Jahren wird in dieser Arbeit aus verschiedenen Untersuchungsperspektiven beleuchtet – mit dem Anspruch überhaupt einmal gründlich die filmkritische Praxis und die Prinzipien dieser in ihren Heimatländern bedeutsamen und einflussreichen Publikationen zu rekonstruieren; dazu im Lichte der Hypothese, dass diese Filmkritiker nicht nur filmkulturelle Vorreiter von 1968 in Italien und der Bundesrepublik Deutschland waren und mit dem Blick auf die transnationalen Dimensionen ihrer publizistischen Tätigkeit. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von der Gründung der Cinema Nuovo und den ersten journalistischen Schritten der westdeutschen Autoren in den frühen 1950er Jahren bis zum Ausklang der nachfolgenden Dekade. In diesen fast zwei Jahrzehnten blieben weder die Zeitschriften und ihre Redaktionszirkel noch deren filmkulturelles Umfeld unverändert. Der Übersichtlichkeit der Darstellung zuliebe erwies es sich daher als sinnvoll, den Themenkomplex nach chronologischen, inhaltlichen und auch methodischen Kriterien zu gliedern. Zunächst führt eine breite, ausführliche Analyse einer Sockelphase der beiden Zeitschriften in die filmkritischen und filmischen Standpunkte der Kritiker ein, darüberhinausgehend in ihre Weltanschauungen, gesellschaftspolitischen Reizthemen und Konflikte. Nach jeweils grob fünf Bestandsjahren waren die Cinema Nuovo auf dem italienischen Filmzeitschriftenmarkt und die Filmkritik einschließlich ihrer Vorläufer- und Nebenprojekte in der Bundesrepublik anerkannt und etabliert und da sie 1958 beziehungsweise zum Jahreswechsel 1960/61 einschneidende Veränderungen in Format und Erscheinung vornahmen, bietet sich dieser Teil der 1950er Jahre als erster chronologischer Block an. Anschließend werden die filmkritischen 51 Andeutungen zu transnationalen Aspekten und Forschungspotenzialen von filmkulturgeschichtlichen Themen machen Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 194; Kötzing: Kultur- und Filmpolitik, S. 391; Philipp von Hugo: Beobachten, bürgen und zensieren – Filmpolitik mit dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre, in: Tel Aviver Jahrbuch für Geschichte XXXI (2003), S. 62–91, hier S. 90. 52 Vgl. zum Forschungsstand zum Beispiel Christian Jungen: Hollywood in Cannes. Die Geschichte einer Hassliebe, 1939–2008, Marburg 2009, S. 16–18; Stefano Pisu: Stalin a Venezia. L’Urss alla Mostra del cinema fra diplomazia culturale e scontro ideologico (1932–1953), Soveria Mannelli 2013, S. 21. Zu einem möglichen methodischen Ansatz vgl. Caroline Moine: Les festivals internationaux de cinéma, lieux de rencontre et de confrontation dans l’Europe de la Guerre froide, in: Anne Dulphy u. a. (Hg.): Les relations culturelles internationales au XXe siècle. De la diplomatie culturelle à l’acculturation, Brüssel 2010, S. 299–306.

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1 Einleitung

und gesellschaftskritischen Positionen der Gruppen in die 1960er Jahre verfolgt. In all diesen Betrachtungen schwingt die transnationale Perspektive bereits mit und äußert sich etwa in vergleichenden Beobachtungen oder Fragen nach Kulturtransfers und Einflussströmen in den einzelnen Kapiteln; zum Abschluss dieser Studie bündelt aber ein eigener Abschnitt noch einmal die grenzüberschreitende westeuropäische Filmkultur und geht dabei auch dezidiert auf Verflechtungs- und Vernetzungsprozesse ein. Nach einigen Vorbemerkungen zu den filmkulturellen Gegebenheiten im damaligen Italien und Westdeutschland erfolgt der Einstieg in die Sockelphase der 1950er Jahre über die Vorstellung des biographischen Hintergrunds der prägenden Mitglieder der beiden Kritikergruppen und die Ausleuchtung der Vor- und Entstehungsgeschichten der Zeitschriften. Zur Einführung in die Kritikerpraxis werden Aufbau und Gestaltung der Publikationen vorgestellt und anschließend gilt die Aufmerksamkeit dem grundlegenden Filmverständnis und film- und kulturtheoretischen Prinzipien dieser Publizisten – konkret wird sich im Fall der Cinema Nuovo eine vielschichtige Verfechtung des Filmrealismus offenbaren, für die Filmkritik der Anfangsjahre ein leitendes Paradigma der Ideologiekritik. Diese werden jeweils auf ihre ideengeschichtlichen Wurzeln abgeklopft und sodann im folgenden Abschnitt im filmkritischen Tagesgeschäft nachgezeichnet. Als Prüfsteine dienen die statistisch meistkonsumierten Filmgruppen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten dieser Länder: Die realistischen und ideologiekritischen Programme zeigten sich besonders anschaulich anhand der heimischen Filmproduktion, dem italienischen oder dem westdeutschen Kino, und an den US-amerikanischen Importen. Während diese Abschnitte zur Orientierung und Übersichtlichkeit noch überwiegend auf die Äußerungen der engeren Kritikerkreise und auf filmspezifische Texte beschränkt bleiben, dient das folgende, größere Kapitel dazu, den Blick zu weiten. Die theoretischen und praktischen Anknüpfungen der Kritiker an Autoren wie Antonio Gramsci und Georg Lukács oder an die Kritische Theorie deuten ohnehin bereits ihre engagiert linksgerichtete Ausrichtung an, so dass in ihren Beiträgen eine analytische Trennung zwischen Filmthemen und gesellschaftspolitischen Fragestellungen kaum durchgehend möglich ist; nun geht es aber noch dezidierter um die Kontextualisierung der Redaktionen der Cinema Nuovo und der Filmkritik als Vertreter gesellschaftskritischer und nonkonformistischer Filmkultur und als überwiegend parteiunabhängige Linke. Dazu wird der Blick auch auf Themen außerhalb von Filmtheorie und Filmbesprechung gerichtet und es werden Texte und Handlungen anderer Akteure einbezogen. Der Nonkonformismus der Filmpublizisten wird anhand einer Reihe von Aspekten aufgefächert. Ganz allgemein gilt das Interesse zunächst ihrer Kritik und Analysen zum Italien, zur Bundesrepublik und zum Weltgeschehen in den ersten knapp 15 Jahren nach Kriegsende 1945, ihrem Rollenverständnis als kritische Intellektuelle und Kontakten zu kritischen Milieus. Hier und auch an der im Folgenden referierten Diskussion der faschistischen und nationalsozialistischen Vergangenheit durch die Filmkritiker zeigt sich die Vermengung von filmischen und gesellschaftspolitischen Fragen eindrücklich; eine gesondert geschilderte Episode aus Italien zeigt zusätzlich, welch handfeste juristische Schwierigkeiten wichtigen Mitarbei-

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tern der Cinema Nuovo aus Filmprojekten zur jüngeren Geschichte ihres Landes erwuchsen. Die kritische Position der Zeitschriften wird weiter anhand des ausgiebig rekonstruierten filmpolitischen Klimas in Italien und Westdeutschland in den 1950er Jahren und ihrer Konflikte um Filmkontrolle, politische Filmförderung oder auch kirchliche Filmarbeit ausgeleuchtet, schließlich anhand ihrer ambivalenten Haltung zum Kino und zu sonstigen Repräsentanten des sowjetischen Einflussbereichs, die sich im Fall der Filmkritik etwa im Verhältnis zum Regisseur Wolfgang Staudte spiegeln lässt. Die ausführliche Darstellung dieser Sockelphase der beiden Zeitschriften in den 1950er Jahren rundet eine Bestandsaufnahme zu ihrer Position in den Filmkulturen ihrer Länder ab, die nach der Rolle in der einheimischen Filmpublizistik am Ende des Jahrzehnts fragt, dazu in einigen Seitenblicken nach Kontakten und Handeln in Filmliteratur, Filmschaffen oder den Filmclubs. Die beiden Fallstudien werden nach Möglichkeit in all den genannten Bereichen gemeinsam diskutiert und dargestellt, immer wieder machen aber auch die spezifischen Ausprägungen der jeweiligen Filmkulturen oder Filmpolitiken, die zeitlich leicht versetzte Entstehungsgeschichte der Zeitschriften und die teils divergierende Überlieferungsdichte separate Ausführungen unausweichlich. Einige Skizzen zur politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der beiden Länder und ihrer Filmkulturgeschichte der 1960er Jahre führen zu den wesentlichen Fragen hin, die im Anschluss die filmkritische Arbeit der Cinema Nuovo und der Filmkritik in diese Dekade weiterverfolgen: Behielten die Filmjournalisten aus Italien und aus der Bundesrepublik Deutschland ihre theoretischen Grundlagen und ihre filmkritischen Kernpositionen bei, oder entwickelten sie diese in andere Stoßrichtungen – und wodurch kam gegebenenfalls eine solche Veränderung zustande? Knüpften die Kritiker an die bewährte Analyse ihrer Gesellschaften und an den kritischen Umgang mit deren Vergangenheiten und Vergangenheitspolitiken an? Blieben die nationalen Filmpolitiken weiter umkämpfte Themenfelder, beispielsweise auch in Bezug auf das Kino der sozialistischen Staatenwelt? Geprüft wird zudem, wie sich vor dem Hintergrund dieser Fragen die Position der Kritikerzirkel innerhalb der italienischen oder westdeutschen Filmkultur entwickelte, im deutschen Fall beispielsweise mit Blick auf den Jungen Deutschen Film in der Folge des Oberhausener Manifests von 1962. Zum Abschluss dieser Studie über gesellschaftskritische Filmjournalisten aus Italien und der Bundesrepublik Deutschland sollen wie erwähnt noch einmal die in der bisherigen Darstellung en passant integrierten transnationalen Facetten ihrer Aktivitäten gebündelt werden. Als Ankerpunkt dieses abschließenden Vorhabens bietet sich die Entwicklung der Filmkritik in den 1950er und 1960er Jahren an, die hier als Transferbiographie aufgefasst wird. Der Begriff der Transferbiographie ist dabei in doppelter Hinsicht zu verstehen: Transnationalität – konkreter: filmkritische Kulturtransfers überwiegend aus dem näheren westeuropäischen Ausland und die zunehmende Verflechtung in internationale, wiederum überwiegend westeuropäische, Kritikernetzwerke – war von vornherein ein essentieller Bestandteil der filmkulturellen Sozialisation und der Arbeitsbiographien der einzelnen Redaktionsmitglieder; ihre Kritikerbiographien bauten auf Transfers auf. Die Gruppe als

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Summe dieser Einzelbiographien und damit die Zeitschrift Filmkritik selbst wies zudem ebenfalls eine Transferbiographie auf. Es ist somit etwa nachzuverfolgen, zu welchem Zeitpunkt welche Einflussströme und internationalen Kontakte in der Redaktion vorherrschten, wie diese das Magazin prägten und an welchen Punkten es in welcher Form zu Brüchen in dieser Transferbiographie der Filmkritik kam – beispielsweise in einem immer wieder angeführten Richtungsstreit der Gruppe zur Mitte der 1960er Jahre. Diese Transferbiographie der Filmkritik führt zunächst noch einmal gesammelt das Modell und Vorbild der italienischen Filmkritik und Filmkultur vor Augen, wendet sich aber auch anderen Filmkulturen und Kritikergruppen zu, aus den angelsächsischen Ländern und insbesondere der in diesem Abschnitt privilegierten, weil historisch einflussreichen Vergleichs- und Referenzgröße Frankreich. Überblicke stellen daher auch die Kreise um Zeitschriften wie die Positif, die Cahiers du cinéma und die Sight and Sound vor. Eine Kombination aus Rezeptionsgeschichte, Kulturtransfergeschichte und Beziehungsgeschichte bildet darauf aufbauend die transnationale Prägung des Filmkritik-Kreises ab, und nimmt anschließend ebenso weitere Einfluss- oder Kontaktschienen in der internationalen Kritikerszene ins Visier: In diesem Schritt gilt die Frage Überschneidungen und Asymmetrien etwa im filmkulturgeschichtlichen Dreieck zwischen Italien, Frankreich und Deutschland, der Einbeziehung weiterer Länder und ihrer filmkulturellen Akteure und der Dynamik und den Wandlungsprozessen innerhalb dieser transnationalen Rezeptions- und Beziehungsgeflechte, wie sie beispielsweise durch das Aufkommen der französischen Nouvelle Vague ausgelöst wurden. Diese Fragen nach den Formen filmkultureller Transnationalität der 1950er und 1960er Jahre ergänzt zum Abschluss die Frage nach Plattformen und Rahmenbedingungen internationalen Austauschs: Abermals ausgehend vom Filmkritik-Kreis und basierend auf der Annahme seines stetigen Hineinwachsens in die westeuropäische, insbesondere nonkonformistisch-linksgerichtete Filmkultur, wird der Frage nach Verflechtung, nach personellen und institutionellen Querverbindungen und Überschneidungen, etwa anhand der zahlreichen Filmfestivals, anhand von Reisen und Besuchen und – dies ist in der historischen Beweisführung vergleichsweise unkompliziert – anhand des Austauschs von Korrespondenzen und Gastbeiträgen nachgegangen. Die Untersuchung der Rahmenbedingungen dieser Verflechtungen und auch die der Rezeption und Adaption internationaler Filmkultur bringt Anknüpfungspunkte an zuvor bereits beleuchtete Themen, die den nonkonformistischen Anstoß der Kritikergruppen erregten. Aus der Untersuchung der internationalen Filmfestivals sind die Aspekte der Filmpolitik und der auswärtigen Kulturpolitik jedenfalls einmal mehr kaum sinnvoll auszuklammern, genauso wenig wie aus den Transferbiographien dieser Kritiker und Filmexperten, die ihre Position auch auf möglichst ungefilterten und unbehelligten Filmstudien aufbauen wollten. Die Kernquellen dieser Untersuchung sind selbstverständlich die beiden Zeitschriften, die Cinema Nuovo und die Filmkritik selbst, die für den genannten Zeitraum in den 1950er und 1960er Jahren erschöpfend ausgewertet worden sind. Hinzu kamen im italienischen Fall die Zeitschrift Cinema der Jahrgänge unmittelbar vor der Gründung der Cinema Nuovo 1952, da ihre wesentlichen Mitarbeiter von die-

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sem Magazin überwechseln mussten, und im westdeutschen Fall die Vorgängerzeitschrift film 56, die wie das Nebenprojekt F jedoch nur in wenigen Ausgaben erschien. Die Mitglieder beider Kritikergruppen publizierten darüber hinaus rege in anderen Filmmagazinen oder in Kulturzeitschriften, zudem in der Tages- und Wochenpresse und wirkten als Autoren oder Herausgeber an zahlreichen Buchveröffentlichungen mit. Es ist nicht immer leicht gewesen, kohärente biographische Angaben und retrospektive Einschätzungen der Filmkritiker beider Länder zu ihrem Wirken zu erlangen, da viele der zentralen Mitarbeiter der Zeitschriften bereits seit Langem verstorben sind oder aus gesundheitlichen Gründen für einen Austausch nicht zur Verfügung standen. Zahlreiche verstreute Rückblicke und einige Memoiren halfen über diese Informationslücken hinweg. In der Cineteca di Bologna ist zudem ein Teil des Nachlasses von Guido Aristarco, dem Chefredakteur der Cinema Nuovo, zugänglich, im Nachlassarchiv der Deutschen Kinemathek in Berlin ist bereits ein kleiner Bestand zu Enno Patalas von der Filmkritik angelegt worden. Die gewonnenen Erkenntnisse ergänzte sehr anschaulich ein Zeitzeugengespräch mit dem langjährigen Filmkritik-Mitstreiter Ulrich Gregor. Zur Verortung der Kreise um die Cinema Nuovo und die Filmkritik in der zeitgenössischen nationalen und internationalen Filmkultur wurde der Quellenfundus zunächst auf dem Feld der Filmpresse und sonstigen Filmliteratur deutlich erweitert. Die für diese Kritiker relevanten Schriften Gramscis, Lukács’ und besonders auch Siegfried Kracauers, Walter Benjamins, Theodor W. Adornos und Max Horkheimers wurden eingehend studiert. Die wichtigsten Konkurrenten auf dem üppigen italienischen Filmzeitschriftenmarkt und dem vergleichsweise schmalen Segment in Westdeutschland wurden gründlich gesichtet, auf Bezüge zu den Kritikergruppen und zu ihren virulenten Themen geprüft. Gleiches gilt für die Branchenzeitschriften der Filmindustrie, Filmclubzeitschriften oder die konfessionellen Filmratgeber und für Nachrichtenmagazine und Kulturzeitschriften beider Länder, für das abschließende Kapitel zur transnationalen Dimension der kritischen Filmkultur des Weiteren für zentrale Filmzeitschriften und ähnliche Publikationen aus den USA, Großbritannien und besonders aus Frankreich. Beim Abgleich mit der Filmberichterstattung der Tagespresse, die in beiden Ländern erwartungsgemäß einen nicht in einer einzelnen Untersuchung zu bewältigenden Umfang an Texten hinterlassen hat, half ein aus dem ersten Quellenstudium deduzierter Katalog der in der Entwicklung der Cinema Nuovo und der Filmkritik wichtigsten Filme – diese konnten gezielt an den breit gefächerten Rezensionssammlungen im Fondo Padre Nazareno Taddei der Cineteca di Bologna und im Textarchiv des Deutschen Filminstituts in Frankfurt am Main abgeprüft werden. Die über das Kernmetier des Filmjournalismus und über die nationalen Grenzen hinausreichende filmkulturelle Kontextualisierung der Kritikerkreise ermöglichte für den italienischen Fall neben dem genannten Nachlass Aristarcos wesentlich derjenige seines Kritikerkollegen Renzo Renzi, der ebenfalls in der Cineteca di Bologna verwahrt wird. Hier finden sich zahlreiche, aufschlussreiche Briefwechsel mit weiteren Filmkritikern, aber auch mit prominenten Filmschaffenden dieser Jahrzehnte. Auf deutscher Seite wurden zu diesem Zweck die im Nachlassarchiv

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der Deutschen Kinemathek oder im Archiv der Akademie der Künste nutzbaren Schriftwechsel und sonstigen Unterlagen von Filmschaffenden wie Wolfgang Staudte, Konrad Wolf und Helmut Käutner ausgewertet. Auch wiesen bereits edierte oder nicht veröffentlichte Briefe aus dem Theodor W. Adorno Archiv in Frankfurt am Main auf Kontakte des Theoretikers zur Filmkritik hin, ebenso wie ein Briefwechsel zwischen Enno Patalas und Siegfried Kracauer, der sich in dessen Nachlass im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar befindet. Dort ist zudem Schriftverkehr Kracauers mit Guido Aristarco von der Cinema Nuovo überliefert. Weitere transnationale Verbindungen in der Filmkultur der 1950er und 1960er Jahre förderte eine Recherche in den Korrespondenzen des französischen Filmkritikers Georges Sadoul in der Bibliothèque du film der Pariser Cinémathèque française zutage. Als essentieller Bestandteil der Filmkultur Italiens und der Bundesrepublik in der Zeit nach 1945 wird in dieser Studie das jeweilige filmpolitische Klima ausgebreitet und letztlich die Opposition der Filmkritiker darin aufgezeigt. Um die filmpolitischen Strukturen im Italien der 1950er Jahre nachzuempfinden, erwies es sich aus arbeitsökonomischen Gründen als sinnvoller, auf die bereits fortgeschrittenere Forschungsliteratur zurückzugreifen und auf die umfängliche Bearbeitung der nach ersten Erkundungen nur schwer zugänglichen Bestände in den zuständigen römischen Archiven zu verzichten. Schließlich ist in Italien bereits durch die für diesen Themenkomplex der Untersuchung ebenfalls herangezogenen Veröffentlichungen, Datenbanken und Digitalisierungen des Projekts Italia taglia, das sich mit der Filmzensur befasst, verdienstvolle Vorarbeit geleistet worden. Im weniger zusammenhängend erforschten Feld der bundesdeutschen Filmpolitik sind demgegenüber umfangreichere Recherchen angestellt worden. Neben den veröffentlichten Protokollen der Bundestagssitzungen und der angehängten Drucksachen wurden im Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestags die Sitzungsprotokolle der entsprechenden Ausschüsse der entsprechenden Wahlperioden gesichtet, dazu zahlreiche Akten zur auswärtigen Kultur- und Filmpolitik im ebenfalls in Berlin angesiedelten Politischen Archiv des Auswärtigen Amts und im Bundesarchiv in Koblenz filmrelevante Akten aus der Überlieferung der Ministerien des Innern, für Wirtschaft, für gesamtdeutsche Fragen sowie des Bundeskanzleramts und des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung. Im abschließenden Kapitel der Arbeit werden insbesondere Festivals als Austauschplattform für transnationale Filmkritik und Filmkultur unter die Lupe genommen. Abgesehen davon, dass die genannten filmpolitischen Quellenbestände in großer Zahl auch beispielsweise die Filmfestspiele von Berlin behandeln, bot sich in der Frage der Filmfestivals weiteres reichhaltiges Quellenmaterial. Im Archivio Storico delle Arti Contemporanee in Venedig wurde die umfangreiche Überlieferung zur Festivalorganisation und auch zur Presseberichterstattung konsultiert; analog dazu bietet die Bibliothek der Kinemathek in Berlin verschiedene Sammlungen zur Berlinale. Dort können zudem kleinere, aber für die untersuchten Kritiker relevante Veranstaltungen in Oberhausen und auch in Leipzig etwa anhand von Programmheften, Pressesammlungen und organisatorischen Unterlagen nachvollzogen

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werden. Zum Festival in der DDR sind darüber hinaus einige Bestände am Berliner Standort des Bundesarchivs gesichtet worden. In den wörtlichen Zitaten aus deutsch- und fremdsprachigen Quellen sind Eigenheiten der Rechtschreibung, Zeichensetzung und des Satzbaus und Hervorhebungen zumeist übernommen worden, nur offensichtliche Tipp- und Grammatikfehler wurden stillschweigend korrigiert. Schließlich ist zur Handhabung dieser Arbeit noch auf das Personenregister mit den zahlreichen Namen aus Filmkritik und Filmkultur und besonders auf das Filmregister hinzuweisen: Im Text werden die Filme durchgehend im Originaltitel genannt, im Anhang sind aber neben den Angaben zu Regisseur, Produktionsland und Entstehungsjahr auch die deutschen Verleihtitel – sofern vorhanden und bekannt – zu finden.

2 DER ENTSTEHUNGSKONTEXT DER ZEITSCHRIFTEN Der Zusammenbruch der faschistischen und nationalsozialistischen Diktaturen in den 1940er Jahren bedeutete für Italien und Deutschland auch das Ende einer längeren filmkulturellen Isolation. Mit den alliierten Siegern gelangten nun hunderte Filme, besonders aus den USA, in die anfangs noch wenigen unversehrt gebliebenen Kinos – zur Freude der Kinobetreiber und des Publikums, das begierig nachholte, was Importsperren und Krieg ihm vorenthalten hatten. Die jungen Nachkriegsstaaten strebten bald an, der ausländischen Filmkonkurrenz eine nennenswerte eigene Produktion entgegenzusetzen. Gerade in der Bundesrepublik war dies wichtig, da mit Hilfe der Sowjetunion die DEFA in der DDR schnell ihre filmische Arbeit aufnahm. Die italienischen Filmpolitiker brachten das einheimische Filmwesen unter anderem mit Prämienausschüttungen und verpflichtenden Spielzeiten in den Kinos wieder in Schwung, in Westdeutschland wurden ab Anfang der 1950er Jahre Bundesbürgschaftsprogramme aufgezogen. Diese Filmförderung war in beiden Ländern an die oft straffe Kontrolle durch eine Reihe von Institutionen gekoppelt: Diverse politische Ausschüsse und Kommissionen, in der Bundesrepublik die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft mit deutlichem staatlichen Einfluss und jeweils die ausdifferenzierten Gremien konfessioneller Filmarbeit begleiteten die Entstehung eines Films.1 Die frühen Meisterwerke des Neorealismus brachten dem italienischen Filmschaffen zwar internationale Reputation unter Kritikern und auf Festivals, im Inland waren ihre Schöpfer mit ihren gesellschaftskritischen Implikationen aber politisch unliebsam und wurden bald gegenüber anderen, im Export durchaus erfolgreichen Filmgattungen benachteiligt: Melodramen oder Familienkomödien mit Lokalkolorit und Filmdiven wie Gina Lollobrigida und Sophia Loren, den Streifen von Komikern wie Totò, dazu Historien- und Monumentalfilmen.2 Die Bundesrepublik 1

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Für die genannten filmpolitischen und filmwirtschaftlichen Entwicklungen vgl. zum Überblick Brunetta: Storia, Bd. 2, S. 46–126; Forgacs/Gundle: Mass Culture and Italian Society, S. 124– 167; Daniel J. Leab: Seite an Seite: Hollywood und die deutsche Filmkultur, in: Detlef Junker (Hg.): Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945–1990. Ein Handbuch, Bd. 1: 1945–1968, Stuttgart 2001, S. 696–706; Knut Hickethier: Das bundesdeutsche Kino der fünfziger Jahre. Zwischen Kulturindustrie und Handwerksbetrieb, in: Harro Segeberg (Hg.): Mediale Mobilmachung III. Das Kino der Bundesrepublik Deutschland als Kulturindustrie (1950–1962), München 2009, S. 33–60. Erwähnte Detailaspekte aus der Bundesrepublik behandeln auch Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 38–42; Jürgen Berger: Bürgen heißt zahlen – und manchmal auch zensieren. Die Filmbürgschaften des Bundes 1950–1955, in: Hoffmann/ Schobert (Hg.): Zwischen Gestern und Morgen, S. 80–97; Heide Fehrenbach: Cinema in Democratizing Germany. Reconstructing National Identity after Hitler, Chapel Hill/London 1995, S. 118–147. Vgl. Christopher Wagstaff: The Place of Neorealism in Italian Cinema from 1945 to 1954, in: Hewitt (Hg.): The Culture of Reconstruction, S. 67–87; Morando Morandini: Italien: Vom Fa-

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brachte in den 1950er Jahren neben einer zwischenzeitlichen Welle von Kriegsfilmen Dutzende Operetten- und Musikfilme und später Urlaubs- und Ferienkomödien hervor.3 Besonders das Genre des im Schwarzwald oder der Lüneburger Heide angesiedelten Heimatfilms ist – nicht zuletzt in der Agitation der Filmkritik – als Symbol für Biederkeit und Restauration dieser Zeit herausgestellt worden, und erst mit zeitlichem Abstand sind ihm auch integrative, identitätsstiftende und gar modernisierende Züge zugeschrieben worden.4 Die internationale Resonanz des westdeutschen Films blieb in der Nachkriegszeit aber zunächst gering. Diese Asymmetrie zwischen italienischem Filmaufschwung und bundesdeutschem Rückstand wiederholt sich im damaligen filmkulturellen Klima und Niveau der beiden Nationen. Die italienische Filmkultur war elaboriert: Noch aus faschistischer Zeit exisierte in Rom das Centro Sperimentale di Cinematografia mit einer strukturierten Ausbildung von Filmschaffenden und filmwissenschaftlichen Publikationen, landesweit entstanden Filmarchive und erste Filmcurricula an den Universitäten. Es gab ein dichtes Netz an Filmclubs, die Circoli del cinema, und unzählige anspruchsvolle Filmzeitschriften, von denen im Verlauf dieser Arbeit beispielsweise die bereits in die Zwischenkriegszeit zurückreichenden Cinema und Bianco e Nero ebenso wie die katholische Rivista del cinematografo immer wieder herangezogen werden. Die Kulturseiten der wichtigen Tageszeitungen widmeten sich regelmäßig Filmthemen, die auch Eingang in gehobene italienische Kulturzeitschriften fanden und selbst in den weit verbreiteten Illustrierten auf hohem Niveau diskutiert wurden.5 Das Westdeutschland der 1950er Jahre ist demgegenüber häufig als „intellektuelle Provinz“ oder „Filmkulturwüste“ bezeichnet worden.6 Das Medium Kino war durch die propagandistische Vereinnahmung im Nationalsozialismus unter vielen

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schismus zum Neo-Realismus, in: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.): Geschichte des internationalen Films, Stuttgart/Weimar 1998, S. 318–326. Zu diesen Filmgruppen vgl. Hake: Film in Deutschland, S. 177–201; Walter Uka: Modernisierung im Wiederaufbau oder Restauration? Der bundesdeutsche Film der fünfziger Jahre, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der 50er Jahre, München 2002, S. 71–89, hier S. 80–86. Vgl. Schenk: Derealisierung; Johannes von Moltke: No Place Like Home. Locations of Heimat in German Cinema, Berkeley 2005; Lars Koch: Zwischen Kontinuität und Innovation: Der Westdeutsche Spielfilm 1945–1960, in: ders. (Hg.): Modernisierung als Amerikanisierung, S. 89–109; Kaspar Maase: Von Heimatfilmen und Taubenfüßen. Populärkultur, Mainstream und gesellschaftlicher Wandel in der Adenauerzeit, in: Hochgeschwender (Hg.): Epoche im Widerspruch, S. 259–281. Vgl. Andrea Martini: Il cinema nelle riviste culturali degli anni ’50, in: Materiali sul cinema italiano degli anni ’50. Quaderno informativo n. 74, XIV Mostra Internazionale del Nuovo Cinema, Pesaro 1978, S. 141–154; Patrizia Pistagnesi: Il cinema nei rotocalchi, in: ebd., S. 155–183; Federico Pierotti / Giovanni Maria Rossi / Federico Vitella: Il cinema nei quotidiani, in: Sandro Bernardi (Hg.): Storia del cinema italiano, Bd. 9: 1954/1959, Venedig 2004, S. 531–544. Vgl. Hans Helmut Prinzler: Filmkritik in den fünfziger Jahren, in: Zur Rhetorik der Filmkritik, Marburg 1987, S. 24–43, hier S. 42; Claudia Lenssen: Der Streit um die politische und die ästhetische Linke in der Zeitschrift Filmkritik. Ein Beitrag zu einer Kontroverse in den sechziger Jahren, in: Norbert Grob / Karl Prümm (Hg.): Die Macht der Filmkritik. Positionen und Kontroversen, München 1990, S. 63–78, hier S. 70.

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2 Der Entstehungskontext der Zeitschriften

Intellektuellen gründlich in Misskredit geraten, durch die NS-Praxis der deskriptiven, regimetreuen „Kunstbetrachtung“ gab es kaum mehr filmpublizistische Kompetenz im Lande und zudem hallte der Jahrzehnte alte Vorwurf des besonders für Heranwachsende schädlichen „Schunds“ nach. Viele Tageszeitungen und Kulturzeitschriften behandelten Film kaum, um so reichhaltiger war das Angebot an Illustrierten und Gesellschaftsmagazinen, die um die Filmstars kreisten.7 Abgesehen von den akribisch verzeichnenden katholischen und evangelischen Blättchen gab es nur wenige filmpublizistische Lichtlicke in der Bundesrepublik – etwa das film­ forum, das Verbandsorgan der Filmclubbewegung. An dieser von den französischen und englischen Besatzern angestoßenen filmkulturellen Initiative sowie an ersten zaghaften Versuchen, Filmwissenschaft zu betreiben, war jeweils verdienstvoll der Münsteraner Publizistikprofessor Walter Hagemann beteiligt.8 Die italienische und die westdeutsche Kritikergruppe verband eine halbwegs kohärente Haltung zu Film und Filmkultur, auch wenn es immer wieder interne Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen gab. Dem Impressum zufolge bestand die Cinema Nuovo nur aus einem sehr kleinen Kern dauerhafter und mehr oder weniger fester Mitarbeiter. Hinzu kam aber noch, selbst, wenn etwa die übersetzten Gastbeiträge aus dem Ausland herausgerechnet werden, ein sehr weiter, loserer Kreis an Journalisten, die gelegentlich und zumeist im Einklang mit der Redaktionslinie Artikel platzierten. Alle diese Filmpublizisten, seien es die aus dem engen Redaktionskern oder die diversen unregelmäßigen Mitarbeiter und Korrespondenten, publizierten auch aus finanziellen Gründen in zahlreichen weiteren Kontexten, in anderen Filmzeitschriften, in der Tagespresse und als Verfasser oder Herausgeber von Filmliteratur. Eine Eingrenzung auf wesentliche Mitarbeiter fällt für die Filmkritik leichter. An der Wende zu den 1960er Jahren erweiterte sich der Beiträgerkreis zusehends, besonders dann in der Mitte des Jahrzehnts, doch die ersten Jahrgänge zeigten eine relativ abgeschlossene Zahl von Mitarbeitern im Impressum und als Unterzeichnende der Filmbesprechungen und sonstigen Artikel. Bei beiden Gruppen handelte es sich um Kritiker, die vor allem durch eine gemeinsame filmkulturelle Einstellung und Neigung zusammenfanden, und die nicht geschlossen an einem Ort lebten und arbeiteten, sondern sich sowohl in Italien als auch in der Bundesrepublik überregional verteilten. Sie wiesen jeweils ähnliche Altersstrukturen auf, so dass in diesem Abschnitt eine erste Einordnung in die Generationsgeschichte der beiden Länder vorgenommen werden kann. Wichtige 7

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Vgl. Ulrich von Thüna: Filmzeitschriften der fünfziger Jahre, in: Hoffmann/Schobert (Hg.): Zwischen Gestern und Morgen, S. 248–262, hier S. 248–253; Hans Helmut Prinzler: Shadows of the Past. Die bundesdeutsche Filmkritik der fünfziger Jahre, in: Grob/Prümm (Hg.): Die Macht der Filmkritik, S. 46–62; Irmbert Schenk: ‚Politische Linke‘ versus ‚Ästhetische Linke‘. Zum Richtungsstreit der Zeitschrift „Filmkritik“ in den 60er Jahren, in: ders. (Hg.): Filmkritik. Bestandsaufnahmen und Perspektiven, Marburg 1998, S. 43–73, hier S. 44–46; Claudia Liebrand: „Literatur und Linse“. Kinodiskurse der 50er Jahre, in: Irmela Schneider / Peter M. Spangenberg (Hg.): Diskursgeschichte der Medien nach 1945, Bd. 1: Medienkultur der 50er Jahre, Wiesbaden 2002, S. 177–190. Vgl. Anne Paech: Die Schule der Zuschauer. Zur Geschichte der deutschen Filmclub-Bewegung, in: Hoffmann/Schobert (Hg.): Zwischen Gestern und Morgen, S. 226–245; Joachim Paech: Die Anfänge der Filmwissenschaft in Westdeutschland nach 1945, in: ebd., S. 266–279.

2.1 Cinema Nuovo, gegründet 1952

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Vertreter beider Zeitschriften waren ungefähr zu dem Zeitpunkt geboren, als das faschistische beziehungsweise das nationalsozialistische Regime entstanden. 2.1 CINEMA NUOVO, GEGRÜNDET 1952 Das erste Heft der Cinema Nuovo vom 15. Dezember 1952 nannte – abgesehen von freien Mitarbeitern, die als Auslandskorrespondenten in Paris, New York, Mexiko City und Prag aufgeführt wurden – eine Handvoll Journalisten als feste Mitarbeiter. Guido Aristarco firmierte als „direttore“ der Zeitschrift, Giuseppe Grieco als Chefredakteur und Abele Saba war für die Gestaltung der Seiten zuständig. Der innere Zirkel der Redaktion wurde laut Impressum ergänzt durch den Redakteur Tom Granich, die beiden redaktionellen Berater Tullio Kezich und Renzo Renzi sowie den römischen Korrespondenten Michele Gandin. Die meisten der genannten Journalisten arbeiteten gemeinsam in Mailand, Renzi zum Beispiel lebte aber in Bologna. Von Aristarco und Renzi gibt es einige wenige Überlieferungen auch zu ihrem Vorleben, das in vielen Punkten exemplarisch für die meisten ihrer Kollegen anzusehen ist. Guido Aristarco wurde 1918 geboren, Renzo Renzi 1919. Ermittelbar für den engeren Kreis ist noch das Geburtsjahr von Tullio Kezich (1928).9 Die Geburtsdaten weiterer gelegentlicher Mitarbeiter der Cinema Nuovo bewegen sich alle im ersten faschistischen Jahrzehnt: Glauco Viazzi war Jahrgang 1920, Callisto Cosulich 1922, Oreste Del Buono 1923, Lino Del Fra 1929 und Vittorio Spinazzola 1930. Eine Ausnahme bildete Luigi Chiarini, der 1900 geboren wurde, schon seit den 1930er Jahren und noch nach dem Zweiten Weltkrieg die Leitung des Centro Sperimentale und der Bianco e Nero innehatte und durch seine Kolumnen der Gruppe verbunden war. Zu Guido Aristarcos Biographie sind in seinem Nachlass einige kleinere Notizen überliefert.10 Der Sohn eines Bahnhofsvorstehers stammte ursprünglich aus den Abruzzen, lebte aber schon seit der Kindheit in Mantua, wo er auch sein Studium begann. Er schloss es in Venedig ab. Bereits sehr früh hatte Aristarco begonnen, für Regionalzeitungen Filmartikel zu schreiben und setzte dies an der Universität in Studentenzeitschriften fort. Aristarco beschrieb sich in den knappen Skizzen als Sympathisant der Resistenza und der Aktionspartei. Anscheinend hat er für diese Widerstandsgruppen auch Botengänge und ähnliche Dienste ausgeführt11 und sich nach eigenen Angaben 1945 an einer Befreiungsaktion des staatlichen Radios in Mailand beteiligt. Nach dem Krieg arbeitete Aristarco bald als einflussreicher Filmjournalist in ebenso einflussreichen Publikationen. 1948 wurde er zwar kurz nach den von der DC gewonnenen Wahlen als Leiter einer Filmsendung in der öffentli9 10

Vgl. für diese Angaben beispielsweise die Autorendatenbank der Cineteca di Bologna. Vgl. Cineteca di Bologna, Fondo Guido Aristarco, 504 D4. Das Studienfach Aristarcos geht daraus allerdings nicht hervor. 11 Vgl. Frank Ulrich Döge: Pro- und antifaschistischer Neorealismus. Internationale Rezeptionsgeschichte, literarische Bezüge und Produktionsgeschichte von La nave bianca und Roma città aperta, die frühen Filme von Roberto Rossellini und Francesco De Robertis, Diss. Berlin 2002, S. 111 f.

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2 Der Entstehungskontext der Zeitschriften

chen Rundfunkanstalt RAI abgesetzt.12 Bis 1951 schrieb er allerdings regelmäßig für die wiederbelebte Bianco e Nero und war von 1949 bis 1952 Chefredakteur der ebenfalls wiederbelebten Cinema. Renzo Renzi erzählte in einem ausführlicheren autobiographischen „rapporto“ von seiner Herkunft aus einer kleinbürgerlichen Familie in der ländlichen Bologneser Umgebung. Der Vater, wie bei Aristarco ein Eisenbahner, sympathisierte mit der neuen faschistischen Ordnung und Renzi durchlief die Jugendorganisationen von Balilla bis Avanguardia.13 Seine Filmbegeisterung wurde in der Schule geweckt. Das Studium in Bologna, zunächst der Chemie, dann der Geologie und schließlich der Geisteswissenschaften, langweilte Renzi und lieber engagierte er sich in der Cineguf, der Filmsektion der faschistischen Studentenorganisation. In dieser Zeit, zum Ende der 1930er Jahre, betrieb das faschistische Regime auch filmkulturell eine Politik der nationalistischen Abschottung – Filminteressierte mussten beispielsweise auf US-amerikanische Filme verzichten und mit den staatlich begünstigten einheimischen Produktionen vorliebnehmen. Diese stießen gerade in einigen Regionalzeitungen und in studentischen Zeitschriften auf heftige Kritik, da sie in den Augen besonders jüngerer Kritiker ein unwahrhaftiges Bild der italienischen Gegenwart zeichneten. Renzi begann gerade seine filmpublizistische Laufbahn für kleinere Zeitungen und reihte sich unter diese Kritiker ein. In diesem Zusammenhang begegnete er Guido Aristarco,14 der sich als erbitterter Gegner des vermeintlich unrealistischen italienischen Films hervortat.15 In seinem Bericht erschienen Renzi und seine Bologneser Mitstreiter nicht nur als Antipoden des massentauglichen italienischen Films, sondern auch als latent unzufriedene Vertreter der jüngeren, im Faschismus aufgewachsenen Generation.16 Durch ihre Ausbildung waren sie tief faschistisch eingefärbt, also von starken patriotischen und nationalistischen Gefühlen getragen und dem Ideal einer permanenten Revolution der italienischen Gesellschaft zugeneigt. Wenig Resonanz fanden bei ihnen, wie Renzi wiederholt betonte, die rassistische Zuspitzung Mussolinis von 1938, die ritualisierten Massenveranstaltungen und die Vorherrschaft der älteren Generation der faschistischen Kampftrupps aus der Zeit um 1922. Es machte sich Ungeduld breit, wann die versprochene Machtübergabe an die faschistische Jugend erfolgen solle und die verknöcherten Partei- und Machtstrukturen aufgebrochen würden. Ein Ventil fand diese Ernüchterung über die Erstarrung des Faschismus in der Kriegsbegeisterung auch vieler Cineguf: „Inoltre la guerra significava, credevamo, la frattura dalla noia e dal conformismo ridicolo della rivoluzione tradita dai gerarchi. Con la guerra, si diceva, il fascismo spento si ritroverà“.17

12 Vgl. Brunetta: Storia, Bd. 3, S. 47. 13 Vgl. Renzo Renzi: Rapporto di un ex-balilla, in: Dall’Arcadia a Peschiera. Il processo s’agapò, Bari 1954, S. 101–137, hier S. 103 f. 14 Vgl. ebd., S. 107. 15 Vgl. Gian Piero Brunetta: Storia del cinema italiano, Bd. 2: Il cinema del regime 1929–1945, 2. Aufl., Rom 1993, S. 94–97. 16 Vgl. Renzi: Rapporto, S. 107–121. 17 Ebd., S. 112.

2.1 Cinema Nuovo, gegründet 1952

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Renzi meldete sich freiwillig, schlug eine untere Offizierslaufbahn ein und verbrachte den Weltkrieg zunächst in Bosnien und später in Griechenland, wo er die Wirren von der Absetzung Mussolinis bis zur Kapitulation miterlebte. Er geriet in deutsche Gefangenschaft und nach langen Transportfahrten durch Osteuropa und Ostdeutschland in Lagerhaft in den Masuren. Renzi schlug sich nicht dem Widerstand zu, sondern erlebte die folgenden Lageraufenthalte in Niedersachsen und im Münsterland in Resignation und Lethargie. Desillusioniert und nach dem Zusammenbruch des Faschismus desorientiert kehrte er einige Monate nach Kriegsende nach Italien zurück – viele seiner Freunde aus der Cineguf hatten die Kampfhandlungen nicht überlebt.18 Stellvertretend für viele weitere Angehörige der Kritikergruppe um die Cinema Nuovo lässt sich bei Aristarco und Renzi die filmische Sozialisation bis in die faschistische Zeit zurückverfolgen. Viele dieser jüngeren Kritiker entwickelten gerade im Umfeld der Cineguf schon seit den späten 1930er Jahren eine teils sehr klare Oppositionshaltung gegen das faschistische Kino, auch gegen die wichtigsten Vertreter der etablierten Filmfachpresse, und propagierten demgegenüber die Hinwendung zu einem realistischeren Film nach damaligem, etwa französischen Vorbild, wie er Anfang der 1940er Jahre Luchino Visconti mit dem umstrittenen Ossessione gelingen sollte. Die aufkeimende Strömung des Neorealismus um die mit einigen Freiräumen ausgestattete Cinema ist in einem Zusammenhang mit der Aktivität vieler Cineguf zu verstehen.19 Aus diesen Kreisen kamen einerseits die Gruppe neorealistischer Filmemacher der unmittelbaren Nachkriegszeit, andererseits die sie begleitenden Filmjournalisten wie eben Guido Aristarco und weitere Mitarbeiter der Cinema Nuovo. Dieses Kritikerpersonal hatte schon zu Kriegszeiten, wie sich Aristarco selbst zuschrieb, dezidiert linksgerichtete, antifaschistische Überzeugungen entwickelt oder aber – gemäß einer Erklärung, die Domenico Settembrini findet und die zum Beispiel auf Renzi zutrifft – nach Kriegsende einen innerfaschistischen Oppositionsgeist, der sich aus antibürgerlichen und antikapitalistischen Motiven und einer jugendlichen Frustration über erstarrte Hierarchien speiste, in ein politisch linksstehendes Engagement umgewidmet.20 Die linksgerichteten Filmschaffenden aus dem Umfeld des Neorealismus bekamen spätestens mit der Durchsetzung der politischen Vorrangstellung der DC zum Ende der 1940er Jahre Schwierigkeiten, ihre Projekte weiterzuführen und der gesellschaftskritische Strang des italienischen Nachkriegskinos wurde allmählich abgewürgt. Ein ebenso gesellschaftskritisches Kritikernetzwerk hatte sich in der Filmpresse gebildet, wo einige Mitarbeiter etwa der Cinema teils offen mit der kommunistischen Bewegung sympathisierten. Vermehrt gerieten diese Filmjournalisten nun unter Druck von staatlicher oder verlegerischer Seite. Guido Fink hat in diesem Zusammenhang von einer Art Rechtsruck auch in der Filmpresse, einer „sterzata a

18 19 20

Vgl. ebd., S. 122–137. Vgl. Brunetta: Storia, Bd. 2, S. 90–97 und 213–230. Vgl. Domenico Settembrini: Storia dell’idea antiborghese in Italia 1860–1989. Società del benessere – liberalismo – totalitarismo, Rom/Bari 1991, S. 447.

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destra“,21 gesprochen. Luigi Chiarini und Umberto Barbaro mussten ihre Posten am Centro Sperimentale und bei der hauseigenen Zeitschrift Bianco e Nero bald nach 1948 räumen. Guido Aristarco wurde im Herbst 1952 als Chefredakteur bei der Cinema von Direktor Adriano Baracco entlassen. Die Initiative scheint sowohl von Baracco, der mit der Cinema in Mailand ansässig war, ausgegangen als auch von einer konservativen römischen Filmpublizistengruppe um den Nachfolger Chiarinis am Centro Sperimentale und bei der Bianco e Nero, Giuseppe Sala, befeuert worden zu sein. Den Konflikt zwischen Aristarco und gleich gesinnten Redak teuren auf der einen Seite und Baracco und Unterstützern auf der anderen Seite illustrieren bis 1951 zurückreichende Briefe Aristarcos an Renzo Renzi. Im Januar 1951 befürchtete Aristarco, dass ein Editorial Renzis zum Festival in Karlovy Vary in der Direktion für Verärgerung sorgen könnte.22 Im darauffolgenden Sommer schrieb er an Renzi: „I ‚capi‘ milanesi sono sempre di piú contro di te, e di me: saremmo dei provocatori.“23 Nach Chiarinis Absetzung bei der Bianco e Nero sah sich Aristarco allmählich isoliert mit der in seinen Augen letzten verbliebenen unabhängigen Filmzeitschrift und bat Renzi in diesen Monaten nicht nur einmal um weitere Mithilfe: „La mia, è una lotta quotidiana. Ho bisogno del tuo aiuto; mi occorrono, intendo dire, tuoi articoli.“24 Von Frühjahr bis Sommer 1952 eskalierte die Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Cinema schließlich an verschiedenen Spitzen, die Aristarco in der Zeitschrift setzte. In einer Notiz warnte er vor politischer Einmischung in filmische Angelegenheiten.25 Offensichtlich erhielt er dazu redaktionsintern eine heftige Gegenreaktion, denn er äußerte daraufhin gegenüber Renzi die Befürchtung klerikaler Übernahmepläne der Cinema, so dass weitere filmpolitische Polemiken, die Renzi geplant hatte, vorerst ausbleiben sollten.26 Im April 1952 klagte er, dass er müde und demoralisiert sei, alles allein machen müsse, wobei ihm auch noch „Knüppel zwischen die Beine“ geworfen würden, und Baracco, den er als „neofaschistisch“ bezeichnete, ihn mit der Forderung, die Zeitschrift müsse unpolitisch sein, bedränge.27 Aristarco blieb jedoch beharrlich bei seiner kritischen Linie. Als er im Sommer 1952 die ungerechte Bevorzugung regierungsfreundlicher und katholischer Dokumentarfilme anprangerte, provozierte er damit einen Drohanruf der römischen Gruppe um Sala bei Baracco. Trotz dieser erneut harten Reaktion publizierte er im August schließlich einen Bericht Renzis zu dessen Dokumentarfilmprojekt über die Bewohner des Podeltas, der soziale Missstände und gleichzeitig filmpolitische 21 Guido Fink: Per una stelletta in più: mito sovietico e mito americano nella critica cinematografica italiana, in: Pier Paolo D’Attorre (Hg.): Nemici per la pelle. Sogno americano e mito sovietico nell’Italia contemporanea, Mailand 1991, S. 349–361, hier S. 349. 22 Vgl. Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 31. 1. 1951, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 1. 23 Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 23. 7. 1951, ebd. 24 Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 7. 1. 1952, ebd. 25 Vgl. Zusatz zu Guido Aristarco: Umberto D., in: Cinema, Nr. 80, 15. 2. 1952, S. 82–84, hier S. 84. 26 Vgl. Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 14. 3. 1952, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 1. 27 Vgl. Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 10. 4. 1952, ebd.

2.2 Filmkritik, gegründet 1957

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Restriktionen offenlegte. Im nächsten Brief an Renzi berichtete er schon von seiner Entlassung.28 Frustriert musste er bald feststellen, dass Baracco, der ihn einige Jahre zuvor noch mit großen Versprechungen zur Cinema gelockt hatte, im Anschluss die Erklärung verbreitete, die Entlassung sei lediglich wegen unterschiedlicher Gehaltsvorstellungen erfolgt.29 Die Briefe, die Aristarco in den auf seine Entlassung folgenden Wochen an Renzi schrieb, zeigen, dass es ihm zu seiner eigenen Überraschung allerdings schon bald gelang, einen Verlag und eine Finanzierung zu organisieren, um mit vielen bewährten Mitstreitern aus den Cinema-Zeiten ab Dezember in der Cinema Nuovo die eigene filmpublizistische Arbeit weiterzuführen. 2.2 FILMKRITIK, GEGRÜNDET 1957 Die prägenden Figuren der ersten Jahrgänge der Filmkritik waren Enno Patalas, Wilfried Berghahn, Theodor Kotulla, Ulrich Gregor, Dietrich Kuhlbrodt und Reinold E. Thiel; zum Ende des Jahrzehnts beziehungsweise Anfang der 1960er Jahre kamen als regelmäßigere Mitarbeiter noch Günter Rohrbach und Heinz Ungureit hinzu. Diese Redakteure waren alle um 1930 geboren und hatten zumeist zum Anfang der 1950er Jahre begonnen, zu studieren. Soweit solche Angaben oder Erinnerungen vorliegen, erlebten sie alle die Zeit um 1945 als Phase der Neuorientierung, auch der Desorientierung. Teilweise litten sie unter materieller Not oder verheerten Familienverhältnissen und absolvierten ihre ersten Studienjahre unter prekären Bedingungen. In der hundertsten Ausgabe der Filmkritik vom April 1965 erschienen auf vielfachen Leserwunsch erstmals einige biographische Notizen zu wesentlichen Mitarbeitern der Zeitschrift, die erste Hinweise auf ihren Werdegang liefern können.30 Enno Patalas wurde 1929 im Emsland geboren. Sein Vater war ein nationalkonservatives Mitglied des Wehrverbands Stahlhelm, hielt aber Distanz zum Nationalsozialismus. Um einer Mitgliedschaft in der NSDAP zu entgehen, schlug er eine Offizierslaufbahn bei der Luftwaffe ein und starb bereits in den ersten Kriegsjahren, so dass Patalas mit zwölf Jahren Halbwaise wurde. Nach diversen Umzügen lebte er in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit seiner Mutter in ärmlichen Verhältnissen. Zunächst engagierte er sich in SPD und SDS beispielsweise im Wahlkampf von 1949, gab die Pläne einer Laufbahn in der Politik oder im politischen Journalismus allerdings später auf. 1949 nahm er sein Studium in Münster auf; im Hauptfach belegte er Publizistik, als Nebenfächer zunächst Neuere Geschichte und Öffentliches Recht, dann Germanistik und Kunstgeschichte.31 28 Für diese Vorgänge vgl. Rider’s indigest, in: Cinema, Nr. 89, 30. 6. 1952, S. 356; dazu die Briefe von Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 5. 8. 1952, 15. 8. 1952 und 1. 10. 1952, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 1. 29 Vgl. Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 10. 10. 1952, ebd. 30 Für die folgenden Angaben vgl., wenn nicht anders gekennzeichnet, Lebensläufe, in: Filmkritik, Nr. 4, 1965, S. 236–239. 31 Vgl. Enno Patalas: Vor Schluchsee und danach. Aus dem Leben eines deutschen Cinephilen, in: Filmgeschichte 19, September 2004, S. 61–69, hier S. 61–64 und 67.

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2 Der Entstehungskontext der Zeitschriften

Der in etlichen Erinnerungen und Beiträgen zur Filmkritik immer wieder als einer der einflussreichsten und wichtigsten Kritiker der Zeitschrift genannte Wilfried Berghahn hat, auch bedingt durch seinen frühen Tod 1964, nur relativ wenige (auto-)biographische Spuren hinterlassen. Bekannt ist, dass er 1930 geboren wurde und in Bonn Germanistik studiert hatte. Sein Studium schloss er mit einer Promotion über Robert Musil ab, anschließend arbeitete er einige Jahre für den Südwestfunk in Baden-Baden.32 Theodor Kotulla, geboren 1928, kam ursprünglich aus Schlesien, machte sein Abitur allerdings kriegsbedingt erst 1950 in Westdeutschland. Finanziert durch Ferienjobs als Bergarbeiter studierte er anschließend ebenfalls in Münster Publizistik, dazu noch Germanistik und Philosophie. Ulrich Gregor war 1932 in Hamburg geboren, hatte dort die Schule beendet und zunächst unter anderem auf einer Werft gearbeitet. Das Studium der Romanistik begann er in seiner Geburtsstadt, bis Mitte der 1950er Jahre ein zweijähriger Auslandsaufenthalt in Paris folgte. Danach studierte er Publizistik an der FU Berlin. Auch Dietrich Kuhlbrodt war 1932 in Hamburg geboren und machte ebenfalls erst spät, 1953, sein Abitur. Seit 1956 studierte er – überwiegend in Hamburg – internationales und ausländisches Privatrecht. Reinold E. Thiel schließlich war Jahrgang 1933 und begann 20 Jahre später in Bonn, Mathematik, Physik und Chemie, dann Psychologie und Kunstgeschichte zu studieren. 1955 wechselte er – mit Publizistik als drittem Fach – nach Berlin. Sein Studium finanzierte er mit Arbeit in Fabriken oder im Tage- und Straßenbau. Ähnliches berichtete Heinz Ungureit, geboren 1931, der sich in einer Zeche Geld für sein Münsteraner Studium der Publizistik, Germanistik und Geschichte verdiente.33 Als exemplarisch für die Erfahrungen dieser Kritikergruppe in der Nachkriegszeit können die Erinnerungen des späteren, einflussreichen Produzenten Günter Rohrbach herangezogen werden, auch wenn dieser erst ab den späten 1950er Jahren für einige Dutzend Artikel in die Filmkritik einsteigen sollte. Direkt nach Kriegsende hatte er „eine religiös geprägte Phase“, die allerdings schnell durch intensive Beschäftigung mit Literatur abgelöst wurde. Rohrbach, 1928 geboren und im Saarland aufgewachsen, verspürte einen „wahnsinnige[n] Hunger nach Kultur“ und stürzte sich begierig auf die entsprechenden Angebote der französischen Besatzer. Während seines Studiums in München engagierte er sich im Theater und Kabarett und setzte dies nach seinem Wechsel an die Bonner Universität fort, wo er 1957 über Grimmelshausen promovierte.34 Diese Filmpublizisten sind einer Generation zuzurechnen, die vermehrt in den Fokus der zeithistorischen Forschung in Deutschland geraten ist und als zentral gerade für die intellektuelle Geschichte und Entwicklung der Bundesrepublik ab spätestens ihrem zweiten Bestandsjahrzehnt angesehen wird. Die Rede ist von der „45er“- oder „Flakhelfer“-Generation. Je nach definitorischer Bandbreite werden 32 Vgl. „Einer der Besten …“. Aus den Nachrufen auf Wilfried Berghahn, in: Filmkritik, Nr. 11, 1964, S. 608 f. 33 Vgl. auch Heinz Ungureit: Das Widerständige der Hagemann-Clique, in: Theodor Kotulla. Regisseur und Kritiker, S. 7–19, hier S. 9 f. 34 Vgl. Egon Netenjakob: Beharrlichkeit und Fortune. Gespräch mit dem Produzenten Günter Rohrbach, in: Filmgeschichte 19, September 2004, S. 70–81, hier S. 72 f.

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ihr die zwischen etwa 1920 und 1935 Geborenen zugerechnet, die ihre Kindheit oder Jugend noch im Nationalsozialismus verbracht und schließlich 1945 bereits bewusst als gravierenden Einschnitt miterlebt hatten. Teilweise ist diese Generation in Anlehnung an Helmut Schelsky als „skeptisch“ – eher apolitisch und auf private Sicherheiten bedacht – charakterisiert worden, teils aber auch als dynamisierendes Element, das sich besonders seit dem Ende der 1950er Jahre für eine intellektuelle Öffnung der bundesrepublikanischen Gesellschaft und Öffentlichkeit stark gemacht habe.35 Inwieweit eine solche „45er“-Generation für die Gruppe um die Filmkritik ein verbindendes Interpretationsmodell darstellen kann, wird im Laufe dieser Studie reflektiert werden. In den Biographien der Filmkritik-Redakteure spielte Film früh eine wichtige Rolle, auch als es um die Neuorientierung ab 1945 ging. Regelmäßige Filmvorführungen hatten einige von ihnen schon zu NS-Zeiten kennengelernt. Enno Patalas erwähnte die Filmstunden der Hitlerjugend,36 auf die auch Heinz Ungureit als Negativfolie rekurrierte, wenn er sich und seine Mitstreiter als „noch Kriegs-, Kriegsfilm- und Ufa-Film-Geschädigte“ bezeichnete und weiter ausführte: „Film war bei Hitler und Goebbels starkes Propaganda- und Ablenkungs- ebenso wie emotionales Einlullungsmittel gewesen. Wir hatten das als Pimpfe und Luftwaffenhelfer noch bewusst erlebt.“37 Patalas ging bald nach Kriegsende regelmäßig ins Kino und qualifizierte sich für sein Publizistikstudium am Numerus clausus vorbei durch eine Filmbesprechung.38 Ulrich Gregor beschrieb den Film als einen Bestandteil in seinem „Prozess der Selbstorientierung“ seit Kriegsende, der durch verschiedene Impulse befördert wurde: man schaute also um sich herum und versuchte, alle möglichen Informationen zu sammeln, die man nicht hatte, und dazu gehörte auch, dass eben Filme nicht zu uns gekommen waren und die waren jetzt plötzlich zugänglich und wurden in Kinos gezeigt und es hieß, wir sollten doch mal da hingehen und angucken und teilweise kam das aus der Familie, teilweise auch aus der Schule, solche Anregungen, oder aus Zeitungen, Zeitschriften und ja, die frühesten Filmerlebnisse, in Hamburg war ich ja, da liefen englische Filme und französische, amerikanische; Les enfants du paradis war ein starker Eindruck und auch Orphée.39

Mit dem Eintritt in die Universität eröffneten sich nicht nur für Ulrich Gregor neue Möglichkeiten, den entdeckten filmischen Interessen nachzugehen – bei aller beschriebenen Dürftigkeit der westdeutschen Filmkultur. Gregor schnappte in Seminaren Titel und Hinweise auf und arbeitete sich intensiv durch die wenige vorhandene Filmliteratur. In der ersten Phase seines Studiums in Hamburg gründete er einen Filmclub an der Universität mit regelmäßigen Vorführungen und Vorträgen. 35

Vgl. zum Überblick Christina von Hodenberg: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945–1973, Göttingen 2006, S. 41–43; Dirk Moses: Die 45er. Eine Generation zwischen Faschismus und Demokratie, in: Neue Sammlung 40 (2000), S. 233–263. 36 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 63. 37 Ungureit: Das Widerständige, S. 9. 38 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 63 f. 39 Das Zitat und die folgenden biographischen Angaben stammen aus dem Zeitzeugengespräch des Verfassers mit Ulrich Gregor, Berlin, 25. 6. 2012.

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2 Der Entstehungskontext der Zeitschriften

Nach seiner Rückkehr aus Frankreich setzte er diese Aktivitäten auch in Berlin fort. In Bonn lernten sich Wilfried Berghahn, Reinold E. Thiel und Günter Rohrbach kennen und gründeten ebenfalls einen sehr aktiven studentischen Filmclub. Mit Berghahn und Rohrbach befreundet und ebenfalls im Filmclub engagiert war damals Jürgen Habermas, gemeinsam mit seiner späteren Frau Ute Wesselhoeft.40 Günstige Ausgangsbedingungen für Filminteressierte fanden die Publizistikstudenten Enno Patalas, Theodor Kotulla und Heinz Ungureit an ihrem Institut in Münster vor. Zu dieser Gruppe stieß noch der 1930 geborene Benno Klapp hinzu. Wie bereits geschildert bemühte sich in Münster der Publizistikprofessor Walter Hagemann um eine Verankerung des Films in der bundesdeutschen Universitätskultur und lockte mit seinen Seminaren zahlreiche Studenten nach Westfalen. Obendrein fungierte er als wichtiger Impulsgeber für die zunächst aufblühende Filmclubbewegung und ihr Verbandsorgan filmforum. Hagemann, CDU-Mitglied und schon vor der NS-Zeit als Zentrumsnaher politischer Journalist aktiv, pflegte einen eher konservativen, wenig theoriegestützten Zugang zum Film, den er als Mittel verstand, die „sittliche Ordnung“ zu bewahren. Empört über die FSK-Freigabe für Die Sünderin beendete er seine Mitarbeit in der Institution.41 Zu ihrem Professor standen die zunehmend gesellschaftskritischeren Studenten um Patalas in einem ambivalenten Verhältnis: Einerseits rieben sie sich an seiner konservativen Lehre, andererseits ermöglichte sein filmwissenschaftliches Engagement in Münster eine gute bibliothekarische Ausstattung mit ansonsten kaum erhältlichen ausländischen Materialien.42 Patalas, Kotulla und Klapp gründeten den studentischen Filmclub vor Ort und Hagemann führte seine interessierten Studenten an die international besuchten Filmclubtreffen heran, als er sie 1950 mit nach Schluchsee nahm. Diese jährlichen Treffen erscheinen in den Erinnerungen der späteren Filmkritik-Mitarbeiter oftmals wie wahre Erweckungserlebnisse, deren Wichtigkeit immer wieder herausgestrichen wurde. Patalas knüpfte hier beispielsweise Kontakte mit französischen Kritikern, die er später anlässlich internationaler Studententreffen in Paris besuchte.43 Wer wie Günter Rohrbach, Dietrich Kuhlbrodt44 oder Ulrich Gregor im Rahmen des Studiums im Ausland, in allen Fällen in Paris, gewesen war, profitierte 40 Vgl. Netenjakob: Beharrlichkeit und Fortune, S. 72; Ralph Eue / Lars Henrik Gass: Auf diesem Niveau waren sie nicht. Ein Gespräch mit Günter Rohrbach, in: dies. (Hg.): Provokation der Wirklichkeit. Das Oberhausener Manifest und die Folgen, München 2012, S. 270–276, hier S. 270. 41 Vgl. Lutz Hachmeister: Theoretische Publizistik. Studien zur Geschichte der Kommunikationswissenschaft in Deutschland, Berlin 1987, S. 166; Thomas Wiedemann: Rütteln an den Grundfesten der Adenauer-Republik. Der folgenschwere Dialog des Publizistikwissenschaftlers Walter Hagemann mit der SED, in: Deutschland Archiv Online, 04.02.2013, Permalink: http:// www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/wiedemann20130204. 42 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 64; dazu auch Ungureit: Das Widerständige, S. 7–12; Lars Henrik Gass: Resignatorische Befunde. Manifeste vor Oberhausen, in: Dillmann/Möller (Hg.): Geliebt und verdrängt, S. 46–53, hier S. 48–50. 43 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 65–68; Ungureit: Das Widerständige, S. 11. 44 Zu seinem Auslandsstudium vgl. diverse Passagen in Dietrich Kuhlbrodt: Das Kuhlbrodtbuch, Berlin 2002.

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enorm von den im Vergleich zur Bundesrepublik gigantischen Möglichkeiten, an einem großen filmischen und filmhistorischen Repertoire in Filmclubs oder in der Cinémathèque française seine Studien zu betreiben. Bei Rohrbach klang das rückblickend an: „In den vier Monaten, die ich in Paris studiert habe, ging ich ein- oder zweimal täglich ins Kino. Das war eine Offenbarung. Das Programm war nicht mehr zufällig wie in Wiebelskirchen. […] Plötzlich war da eine Welt des künstlerischen Films, die mich enthusiasmierte.“45 Und Gregor erzählte aus seinen zwei Jahren in Paris, die er größtenteils mit Filmstudien in der örtlichen Cinémathèque verbrachte: das war wunderbar, weil dort waren immer große Retrospektiven, meistens nach Ländern oder auch nach Regisseuren gegliedert, und ich weiß, das ganze sowjetische Kino, angefangen vom Stummfilm, konnte man dort besichtigen, aber auch spätere Jahre, 20er und 30er Jahre und dann natürlich amerikanisches Kino, französisches Kino, italienisches Kino. Also, meine filmische Bildung sozusagen, die Grundlagen dieser filmischen Bildung, konnte ich dort mir aneignen und auch viele Filme, die aus bestimmten Gründen in Deutschland nicht liefen.46

Parallel zu diesen intensiven Filmstudien und zur Arbeit in den studentischen Filmclubs unternahmen diese späteren Filmkritik-Redakteure ihre ersten filmpublizistischen Schritte. Seit 1950 erschienen erste Rezensionen von Enno Patalas in kleineren Tageszeitungen, bald darauf folgten Artikel in Kulturzeitschriften wie den Frankfurter Heften, den Neuen Deutschen Heften oder dem Monat. Im Laufe der ersten Hälfte des Jahrzehnts publizierten hier auch Berghahn oder Kotulla. Wichtigstes „Übungsfeld“47 wurde aber das Filmclubblatt filmforum. Ulrich Gregor etwa war die Zeitschrift regelmäßig von Verwandten zugeschickt worden, bis er sich entschloss, dort selbst aktiv zu werden und mit der Übersetzung eines Artikels des französischen Filmkritikers und -theoretikers André Bazin debütierte. Ihm und den anderen jungen Kritikern ließ das filmforum über einige Jahre hinweg weitgehend freie Hand. Da die Beiträge der Studenten allerdings immer schärfer mit dem bundesdeutschen Film ins Gericht gingen und dies mit anschwellender Gesellschaftskritik verbanden, erlosch das beiderseitige Interesse an der Zusammenarbeit zur Mitte der 1950er Jahre. Es fiel der Entschluss, das filmforum zu verlassen, „das uns zu unpolitisch, unverbindlich, feuilletonistisch war“,48 und eine eigene Filmzeitschrift zu begründen. Anfang des titelgebenden Jahres erschien die film 56 und hielt drei Ausgaben lang. Benno Klapp ermöglichte die Finanzierung, nachdem er in Kanada mit der Arbeit als Holzfäller Geld verdient hatte. Die Verbreitung der Zeitschrift unterstützte die FIAG, die Filmarbeitsgemeinschaft an den deutschen Hochschulen.49 Unter dem Dach dieser Zeitschrift fand sich die regional verstreute Kritikergruppe erstmals zusammen. Sie hatten sich in den Vorjahren allmählich kennengelernt, so dass beispielsweise die sehr aktiven Bonner und Münsteraner Filmclubs ihre Zusammenarbeit und ihren Austausch intensivierten. Patalas und Gregor hatten sich 45 46 47 48 49

Netenjakob: Beharrlichkeit und Fortune, S. 73. Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. Patalas: Schluchsee, S. 67. Ebd., S. 68. Vgl. ebd.

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bei einem studentischen Filmclubtreffen kennengelernt, so wie später Dietrich Kuhlbrodt zur Filmkritik dazu kam, nachdem er Patalas bei einem Vortrag in Hamburg getroffen hatte.50 Häufig entstand der Kontakt schon über die gegenseitige Lektüre – anschaulich beschrieb Patalas, wie die Bonner und Münsteraner „Fraktionen“ voneinander erfuhren und die Zusammenarbeit beschlossen: Bei einem Filmclubtreffen – 1952 in Lindau – habe ich Wilfried Berghahn und seine junge Frau zum erstenmal getroffen. In den folgenden Jahren brachte uns der Film immer häufiger zusammen. […] Mehr als daß wir uns sprachen, lasen wir, was die anderen hier und da publizierten, vor allem in den ‚Frankfurter Heften‘, und erkannten darin gemeinsame Zu- und Abneigungen. Als wir in Münster 1956 unsere erste Zeitschrift machten, war es selbstverständlich, daß wir Wilfried um Beiträge baten und er sie uns gab.51

Für ein längeres Überleben hatte die anspruchsvoll und ambitioniert gestartete film 56 zu wenig Abonnenten. Die Gruppe stand für eine Weile wieder ohne eigene publizistische Plattform da. In Münster kam es zudem zum endgültigen Bruch mit Walter Hagemann, „dem wir zu links waren“, und der Patalas im Streit über einige Beiträge und die Ausprägung der Zeitschrift Hausverbot am Institut erteilte.52 Hagemanns universitäre Laufbahn nahm in den folgenden Jahren noch eine aufsehenerregende Wende. Innerhalb der CDU und mit markanten Auftritten in der DDR positionierte er sich als polemischer Gegner von Adenauers Westbindung und stellte ihr eine Kampagne für die Annäherung an die DDR – und langfristig die Wiedervereinigung unter neutralistischen Vorzeichen – entgegen. Anfang der 1960er Jahre wurde in engem zeitlichem Zusammenhang mit seinem außenpolitischen Engagement an der Universität ein Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnet und Anzeige wegen „Unzucht mit Abhängigen“ erstattet, da ihm Beziehungen zu mehreren Studentinnen vorgeworfen wurden. Während der Prozesse setzte sich Hagemann in die DDR ab und starb dort 1964 als Inhaber einer Professur an der Humboldt-Universität.53 Spätestens diese Entwicklung beendete die studentische Karriere der Münsteraner Filmpublizistengruppe, wie Heinz Ungureit zusammenfasste: „Einige von uns, die schon journalistisch tätig waren, nebenbei aber fleißig an einer Dissertation bei Hagemann werkelten, hatten nun endgültig genug von der Universität und gingen ohne Abschluss (Promotion war im Hauptfach Publizistik der einzig mögliche) davon.“54 Enno Patalas zog auf der Suche nach einer Beschäftigung nach München um. Es gelang ihm, einen SPD-nahen Frankfurter Verlag für ein neues Zeitschriftenprojekt zu finden und so entstand die Filmkritik, die erstmals Anfang 1957 erschien. Erneut firmierten hier die wesentlichen vorgestellten und in der film 56 versammelten Kräfte als Autoren. Sie telefonierten, um sich abzusprechen, verschickten ihre Beiträge per Post oder gaben sie am Telefon durch – kooperierten also weiter, ohne alle an einem Ort versammelt zu sein. Mit den Jahren etablierte sich die Filmkritik 50 51 52 53 54

Vgl. Lebensläufe (Filmkritik, Nr. 4, 1965), S. 237. Enno Patalas: Wilfried Berghahn, in: Filmkritik, Nr. 10, 1964, S. 507. Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 68. Vgl. Hachmeister: Theoretische Publizistik, S. 175–186; Wiedemann: Rütteln an den Grundfesten. Ungureit: Das Widerständige, S. 11.

2.2 Filmkritik, gegründet 1957

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allmählich bei einem größeren Publikum und erweiterte Umfang und Gestaltung zusehends. 1958 musste aber ein Versuch, eine weniger aus aktuellen Rezensionen als aus grundlegenden Aufsätzen bestehende Quartalsschrift, die F, nach abermals drei Ausgaben eingestellt werden. Die Mitarbeiter der Filmkritik schrieben auch nach Gründung der Zeitschrift weiter für die genannten Kulturzeitschriften, bisweilen noch im filmforum und in der Tages- oder Wochenpresse. Wie in Italien und im losen Kreis um die Cinema Nuovo ist also auch beim personell geschlosseneren Filmkritik-Team eine breite Streuung an Artikeln und Beschäftigungen zu konstatieren, überwiegend aus finanziellen Erwägungen heraus. Abschließend kann dafür als Beispiel Günter Rohrbachs Einstieg bei der Filmkritik herhalten. Nach seiner germanistischen Promotion hatte er große Schwierigkeiten, beruflich Fuß zu fassen, da in Presse und Kulturbetrieb kaum offene Stellen verfügbar waren. Ein Volontariat in der Bonner Lokalpresse füllte ihn wenig aus, so dass er über Wilfried Berghahns Vermittlung begann, nebenbei in der Filmkritik, für die Frankfurter Hefte und für Radiosendungen zu publizieren.55 Nach der Schilderung der Ursprünge und der Entstehungsgeschichte der italienischen und der westdeutschen Filmzeitschrift ist im Folgenden die Rezensionspraxis der Kritikergruppen zu beleuchten.

55 Vgl. Netenjakob: Beharrlichkeit und Fortune, S. 73.

3 THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND FILMKRITISCHE PRAXIS 3.1 AUFBAU UND AUSRICHTUNG DER CINEMA NUOVO DER 1950ER JAHRE Als die Cinema Nuovo im Dezember 1952 zum ersten Mal erschien, orientierte sich ihr „direttore“ Guido Aristarco deutlich am Format und Layout der Cinema, bei der er wenige Monate zuvor als Chefredakteur entlassen worden war.1 Rubriken und Gestaltung der Titelblätter sowie der sonstigen Seiten ähnelten sich auffällig; nur sah sich Aristarco nun weniger dem zum Ende der Cinema-Zeit immer stärker werdenden politischen Druck ausgesetzt und konnte Mitarbeiter um sich scharen, die alle eine mehr oder weniger gesellschaftskritische, linksgerichtete Haltung miteinander verband. Innerhalb dieser weltanschaulichen Ansichten gab es aber immer wieder Abweichungen in Nuancen, die durchaus zu zeitschrifteninternen Kontroversen und Debatten führen konnten. Diese offene Struktur der Zeitschrift und ihrer Mitarbeiter verkompliziert eine eindeutige Einordnung und Charakterisierung. Die Zeitschrift selbst hatte bis zum Formatwechsel 1958 – bis dahin erschien sie bis auf Ausnahmen im zweiwöchentlichen Rhythmus, von da an alle zwei Monate – einen optisch ansprechenden Magazincharakter mit sehr ausgiebiger Bebilderung. Nicht selten zeigte sie, im Widerspruch zu eigenen Polemiken gegen Starkult und seichte Berichterstattung in den Illustrierten, Schauspielerinnen in attraktiver Aufmachung und aufreizenden Posen – ein Zugeständnis an Marktzwänge?2 Die Bebilderung ließ die Zeitschrift in jedem Fall lebendiger wirken als die vergleichsweise spröde und akademisch anmutende Konkurrenz Bianco e Nero, Filmcritica oder Rassegna del film. In der Cinema Nuovo fanden sich neben den angesprochenen Bildern, die teils zu thematisch gegliederten Fotoreportagen ausgebaut wurden, in jeder Ausgabe feste Rubriken: Kurznachrichten aus Filmwesen und Filmwirtschaft, glossierte aufgeschnappte Begebenheiten im sogenannten „Rider’s Indigest“ und Kolumnen und regelmäßige Gastbeiträge wie zum Beispiel die „Argomenti“ von Luigi Chiarini, dazu Buchtipps, Berichte von den Circoli del cinema oder dem aufkommenden Fernsehen. Außerhalb dieses Gerüsts gab es zudem vereinzelte Schwerpunktthemen in Sonderausgaben, immer wieder Umfragen unter Regisseuren, Schriftstellern, Produzenten oder Kritikern, längere Auslandsberichte, Essays, Porträts oder Diskussionen. Am Anfang eines jeden Hefts druckte die Cinema Nuovo ausgewählte Zuschriften an Aristarco ab, die teils aus der Filmbranche oder von sonsti1 2

Vgl. Bragaglia: Critica e critiche, S. 94; Lorenzo Pellizzari: Il cinema pensato: la guerra fredda delle idee, in: Luciano De Giusti (Hg.): Storia del cinema italiano, Bd. 8: 1949/1953, Venedig 2003, S. 514–533, hier S. 518. Vgl. Bragaglia: Critica e critiche, S. 94.

3.1 Aufbau und Ausrichtung der Cinema Nuovo der 1950er Jahre

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gen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens kamen, teilweise von gewöhnlichen Lesern. Das Gegenstück dieser Klammer des Publikumsdialogs bildete zum Ende jeder Ausgabe die Rubrik „Colloqui con i lettori“, in der Leserfragen zu bisweilen sehr praktischen Anfragen beantwortet wurden. Die wichtigsten regelmäßigen Rubriken innerhalb dieser Klammer waren das Editorial mit Stellungnahmen zu aktuellen Entwicklungen in Film und Gesellschaft sowie der eigentliche, nicht sonderlich umfangreiche Rezensionsteil. Das Editorial war bis auf sehr wenige Ausnahmefälle stets mit Cinema Nuovo unterzeichnet; es entstand in der gemeinsamen Diskussion der in Mailand oder gerade an anderen Orten versammelten Mitarbeiter, gelegentlich in Alleinarbeit durch Aristarco. Aristarco war es auch, der den Filmbesprechungsteil zumeist dominierte, da von ihm regelmäßig die einzige namentlich gekennzeichnete und umfangreichste Kritik stammte, die sich über mehrere Seiten mit mehreren Spalten hinstrecken konnte. Es folgten für gewöhnlich eine Handvoll weitere, kleinere Rezensionen zu aktuell laufenden Filmen, die aber gar nicht namentlich gekennzeichnet oder nur mit „Vice“ unterschrieben waren. 3.1.1 Antiidealistische Filmkritik und eine „neue Kultur“ Die Editorials stellen mit die wichtigsten Quellen für die Rekonstruktion der Einstellungen und Schwerpunkte der Gruppe dar. Bereits im ersten, mit vielen Zitaten gespickten Editorial der neuen Zeitschrift ließen sich einige Grundprinzipien erkennen. Der kurze Text vom 15. Dezember 1952 wurde mit „Continuare il discorso“ betitelt.3 Und eben eine solche Weiterführung einer Diskussion machten sich der oder die Verfasser zum Programm der Zeitschrift. Im Kern dieser Diskussion sollte der Neorealismus – „la nuova ‚scuola‘ del nostro cinema“ – stehen, dessen Entstehung in der faschistischen Zeit im Editorial rückblickend rekapituliert wurde. Die Entwicklung des neuen italienischen Kinos sei in den Nachkriegsjahren aus verschiedenen Gründen ins Stocken geraten, es sei zu einer „Systemkrise“ gekommen. Die Cinema Nuovo machte es sich zur Aufgabe, diesen kinematographischen Aufbruch in Italien weiter zu befördern, die neuartigen Filme nach den realistischen Prinzipien etwa des Drehbuchautors Cesare Zavattini zu unterstützen; daher resultierte der Name der Zeitschrift. Das Editorial sprach dabei von zwei wesentlichen Aufgaben. Einerseits sollten in der publizistischen Arbeit die Ursachen für die Stagnation der protegierten Filmbewegung ausgemacht und attackiert werden. Andererseits sollte den gleichgesinnten Strömungen und Akteuren in Film und Filmkritik eine Plattform entstehen, um auch über den Film hinaus eine neue Kultur im Sinne Antonio Gramscis, der im Text zitiert wurde, zu erkämpfen. Die Cinema Nuovo wolle nicht neutral oder „objektiv“ bleiben, wenn es um die Klärung und Diskussion der grundsätzlichen zeitgenössischen Probleme gehe, als deren Bestandteil der Film gesehen werde. Objektivität, distanzierte Beobachtung und unkritische 3

Für alle folgenden Aspekte und Zitate vgl. Continuare il discorso, in: Cinema Nuovo, Nr. 1, 15. 12. 1952, S. 7.

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Standpunkte wirkten auf Dauer systemstabilisierend, und so positionierte sich die Cinema Nuovo in dieser Programmschrift „dentro la mischia“ – am ehesten mit „im Getümmel“ oder „Gemenge“ zu übersetzen. Im ersten Editorial ließ sich also der Anspruch erkennen, keineswegs auf rein künstlerische und filmische Fragestellungen beschränkt zu bleiben, sondern engagierte gesamtgesellschaftliche Debatten mitzuführen oder zu provozieren. Der in diesem Zusammenhang erfolgte Rückgriff auf Gramsci und das Verständnis eines neuen, erweiterten Kulturbegriffs ließen sich insbesondere in der Kritikerarbeit Guido Aristarcos bereits einige Jahre früher feststellen. Seine Vorstellung von der Verortung des Films in Kultur und Gesellschaft ist im Kontext von Filmdebatten zu verstehen, die in Italien seit der faschistischen Zeit geführt wurden und deren Ausläufer Aristarco und die Cinema Nuovo im Verlauf der 1950er Jahre weiter beschäftigen sollten. An dieser Stelle ist ein knapper Exkurs in die idealistisch und von Benedetto Croce beeinflusste Kunst-, Kultur- und Filmdebatte zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen vonnöten. Der Einfluss von Croces Idealismus im italienischen Geistesleben, den Piero Lucia für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als beinahe diktatorisch charakterisiert hat,4 blieb auch in der zweiten Nachkriegszeit sehr stark. Für viele, insbesondere heranwachsende Intellektuelle hatte Croces über dem politischen Tagesgeschäft schwebende philosophische und ästhetische Reflektion im Faschismus einen willkommenen, attraktiven Ausweg aus der plumpen Propaganda und den endlosen Massenveranstaltungen bedeutet, gerade, weil sie zumindest gelegentlich mit regimekritischen Einlassungen kombiniert wurde. Auch wenn Croce durch seinen Antimarxismus und wegen seiner politischen Inaktivität und vermeintlichen Kollaboration mit den Faschisten nach 1943 Zielscheibe kommunistischer Polemiken wurde, kappte selbst Parteichef Togliatti die Wurzeln der idealistischen Sozialisation, die viele seiner Gesinnungsgenossen hatten, nicht vollständig, sondern versuchte, einzelne Bestandteile dieses Denkgebäudes in seine kulturelle Parteiarbeit einfließen zu lassen.5 Filmkritiker und Filmtheoretiker hatten sich bereits in den 1930er Jahren am idealistischen Kunstverständnis abgearbeitet. Zum einen bestand in den Diskussionen die Schwierigkeit, die Auffassung des Kunstwerks als Ausdruck und alleinige Schöpfung des Künstlergenies auf den Film mit seiner technisierten Medialität und vor allem der auf vielen Beteiligten beruhenden Produktionsform zu übertragen. Damit eng zusammen hing zum anderen ein Legitimationsproblem, das Filmfreunde und -theoretiker auch in etlichen weiteren Ländern in der Zwischenkriegszeit und teilweise darüber hinaus umtrieb. Film musste erst als Medium etabliert werden, das würdig genug war, um in die Reihe der hohen Künste aufgenommen 4 5

Vgl. Piero Lucia: Intellettuali italiani del secondo dopoguerra. Impegno, crisi, speranza, Neapel 2003, S. 55. Vgl. ebd., S. 56–60; Stephen Gundle: The Legacy of the Prison Notebooks: Gramsci, the PCI and Italian Culture in the Cold War Period, in: Christopher Duggan / Christopher Wagstaff (Hg.): Italy in the Cold War. Politics, Culture and Society 1948–58, Oxford/Washington D. C. 1995, S. 131–147, hier S. 143–145; ders.: Between Hollywood and Moscow. The Italian Communists and the Challenge of Mass Culture, 1943–1991, Durham/London 2000, S. 18 f.

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zu werden und die ästhetischen Prinzipien, beispielsweise die idealistischen Croces, auf sich beziehen zu dürfen. In Italien erfolgte dieser Legitimationsprozess in widersprüchlichen Bahnen. Während versucht wurde, zum Beispiel über die Funktion des Regisseurs als schöpferischen Künstlers, den Film den etablierten Künsten anzugleichen, unterstrichen viele Theoretiker und Kritiker parallel die Besonderheit des Films, um ihn von der Einstufung als eine Unterkategorie etwa der Fotografie zu befreien und als eigenständige Kunstform darzustellen. So entstand das Konzept des „specifico filmico“ – Eigenschaften, Stilmittel und künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten, die nur diese Kunstform für sich beanspruchen könne, das heißt etwa Montage, Einstellungsfolgen oder Anschlüsse. Diese Kritiker und Theoretiker begaben sich fortan insbesondere auf die Suche des kinematographischen Kinos, des „cinema cinematografico“, und maßen die Filmproduktion an der Verwendung der als exklusiv filmisch wahrgenommenen Darstellungsmittel. Noch stark der Stummfilmära verhaftet, gelang es auf diese Weise, auch bei Croce und den idealistischen Ästheten salonfähig zu werden.6 Guido Aristarco setzte sich mit dem Konzept des „specifico filmico“ schon zu seiner Zeit bei der Cinema kritisch auseinander. Im Oktober 1950 erschien hier sein programmatischer Beitrag „Urgenza di una revisione dell’attuale indagine critica“. Von diesem Text führte eine Linie zum ersten Editorial der Cinema Nuovo von 1952 und darüber zur filmkritischen Arbeit Aristarcos, aber auch anderer Vertreter der Zeitschrift, in den folgenden Jahren. Fortan propagierte Aristarco in etlichen Beiträgen sein Programm einer gründlichen „revisione critica“. Was hatte es genau mit dieser Neuausrichtung der Filmkritik auf sich? Im Artikel in der Cinema stellte Aristarco zunächst fest, dass die Filmkritik und die sonstige Befassung mit dem Medium in den letzten Jahren ein gutes Niveau erreicht habe. Publikationen florierten, der Film sei in der „offiziellen“ Kultur angekommen und werde, nicht zuletzt auch durch das Urteil Croces, als Kunst anerkannt. Nach dieser Anerkennung des Films sei es Aristarco zufolge nun wichtig, den Blick wieder zu weiten, Film in ein breiteres Kulturverständnis einzubetten.7 Filmliteratur und Filmkritik litten nämlich unter einer Verengung der Perspektive, die mit dem Konzept des „specifico filmico“ zusammenhänge. Vielfach mäßen sie Werke nur noch in einem luftleeren, „isolierten“ Raum daran, ob die exklusiv dem Film zugeschriebenen Stilmittel dem Kanon gemäß vorhanden seien. Durch diese Verengung werde verkannt, dass es diese Gestaltungsmittel in anderen Kunstformen ebenfalls gebe, an Filme also allgemein gültige ästhetische Kriterien angelegt werden müssten: non sono nati col cinema, e che quindi al cinema non sono peculiari: come lo stacco, ad esempio, e il montaggio; e l’uno e l’altro esistono infatti anche in letteratura, anche nella musica, e, sia pure in misura piú ristretta, nel teatro, o in certe forme di teatro. […] Tutto sommato i film sono valutabili col metro dell’estetica che vale per tutte le arti.8 6 7 8

Vgl., insbesondere zum „specifico filmico“, Lorenzo Cuccu: Il dibattito teorico fra estetica e ideologia, in: De Giusti (Hg.): Storia, S. 485–501, hier S. 492–500; Roberto De Gaetano: Il lessico della teoria, in: Bernardi (Hg.): Storia, S. 517–530, hier S. 517–522. Vgl. Guido Aristarco: Urgenza di una revisione dell’attuale indagine critica, in: Cinema, Nr. 48, 15. 10. 1950, S. 217 f., hier S. 217. Ebd.

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Die herkömmlichen Urteilsraster könnten innovative Filme dieser Jahre – Aristarco zählte neben anderen Luchino Viscontis La terra trema auf – nicht mehr adäquat begreifen, sie seien fossilisiert und müssten weiterentwickelt werden. Die Fokussierung auf Stilmittel und damit formale Analysen sollte ergänzt werden um die Fragen, weshalb und in welchen Kontexten sie angewendet wurden und die Filme entstanden. Dies bedeutete für ihn das geforderte breitere Kulturkonzept: anstelle der formalistischen Fixierung auf filmische Ausdrucksmittel die Verknüpfung mit anderen Kunstformen und die Verankerung der Filmproduktion im gesellschaftlichen Kontext, mithin eine Soziologisierung der Kulturproduktion und -kritik. Mit Aristarcos Worten: Cose possibili, tutte queste, soltanto se inseriamo il cinema nei problemi dell’arte, della vita e della storia: se portiamo, appunto, la critica su un piano di cultura. […] risalendo alle diverse fonti – storiche e letterarie, sociali e teatrali – da cui sono partiti i vari autori; […] risalendo, inoltre, alle diverse condizioni ambientali nelle quali queste opere sono nate.9

In dieser Programmatik wurde eine Distanz zwischen der idealistischen Betrachtungsweise und Aristarcos zunehmend materialistisch und marxistisch inspiriertem Verständnis von Kunst, Kultur und Kulturproduktion deutlich. Diese idealismuskritische Auffassung unterstrich der Filmkritiker noch Mitte der 1960er Jahre in einer Publikation über marxistisch inspirierte Filmtheorie anschaulich: es wird immer schwieriger zu glauben, daß die Kritik im Nachvollzug des schöpferischen Prozesses des Künstlers besteht und ein ‚definitives‘ Urteil über das Kunstwerk fällt; daß die historischen, biographischen, soziologischen, sprachlichen Untersuchungen der Kritik äußerlich sind, weil sie Bedingungen betreffen, die das Kunstwerk nicht wirklich berühren, das als geistige Schöpfung eben außerhalb dieser Bedingungen und außerhalb der Zeit steht.10

Das Kulturverständnis, das Guido Aristarco und seine Kollegen in dieser Phase entwickelten, ihre Idealposition „dentro la mischia“ und die kritische Auseinandersetzung mit der idealistischen Philosophie stützten sich auf Texte von Autoren, die kaum explizit über das Medium Film geschrieben hatten, sondern sich kulturtheoretisch in größerem Rahmen bewegten. Der Einfluss Georg Lukács’11 wird in diesem Kapitel noch eingehend beleuchtet werden und aus dem ersten Editorial der Cinema Nuovo ist bereits die Referenz an Gramsci zitiert worden – seine Rezeption in der Zeitschrift wird im Kontext seiner allgemeinen Rezeption im Italien der Nachkriegszeit klarer. Das Werk Antonio Gramscis war an der Wende von den 1940er zu den 1950er Jahren in Italien noch kaum bekannt und nur lückenhaft erschlossen. Es setzt sich im Wesentlichen aus Briefwechseln und wenig systematisch angeordneten Skizzen zusammen, die während seiner Inhaftierung in der faschistischen Zeit entstanden, an deren Folgen er 1937 verstarb. Palmiro Togliatti hatte diese Aufzeichnungen 9 10

Ebd., S. 218. Guido Aristarco: Marx, das Kino und die Kritik des Films. Mit einem Vorwort von Georg Lukács. Aus dem Italienischen von Andrea Spingler und Maja Pflug, München 1981, S. 70, ähnlich auch S. 78 f. 11 Bis in die frühen 1960er Jahre schrieb Lukács nahezu keine filmspezifischen Texte – vgl. Ian Aitken: Realist Film Theory and Cinema. The Nineteenth-Century Lukácsian and Intuitionist Realist Traditions, Manchester 2006, S. 83.

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und Unterlagen in sein Moskauer Exil retten können und machte sich nach Kriegsende an die Veröffentlichung einiger Schriften Gramscis. Zwischen 1947 und 1951 erschienen im Einaudi-Verlag anfangs einige Gefängnisbriefe, anschließend dann eine Auswahl an Texten aus den Gefängnisheften. Die Auswahl erfolgte nicht chronologisch, sondern nach thematischen Schwerpunkten, was lange Zeit die einzige Publikationsform von Gramscis Gedanken blieb.12 Häufig zitiert wurde beispielsweise der im Zusammenhang dieser Untersuchung wichtigste Teilband Letteratura e vita nazionale.13 Die Veröffentlichung der Texte durch Togliatti verlief recht selektiv. Der kommunistische Parteivorsitzende verfolgte damit fein austarierte politisch-strategische Absichten. Er ließ trotzkistische und antistalinistische Passagen in Gramscis Nachlass außen vor, um sich der Rückendeckung der Sowjetunion und der kommunistischen Internationale nicht gänzlich zu berauben. Gleichzeitig diente die Betonung von Gramscis Überlegungen zur Besinnung auf italienische historisch-gesellschaftliche Besonderheiten dazu, ein Stück weit Unabhängigkeit von Moskau zu bewahren und ein eigenes politisches Projekt der italienischen Linken, insbesondere der Kommunisten, zu verfolgen. In diesem Lager war ein eigener, genuin italienischer Weg zum Sozialismus, der über die von Togliatti in der unmittelbaren Nachkriegszeit praktizierte politische und verfassungsrechtliche Kooperation im Parlamentarismus anstelle einer Totalopposition und gewaltsamen Revolution laufen sollte, das Idealbild. In diesem Sinne wurden aus Gramscis Texten die allzu radikalen, demokratiekritischen Tendenzen ebenfalls eliminiert.14 Als Folge dieser gesteuerten und unvollständigen Veröffentlichung kam es zu Fehlinterpretationen und bisweilen zu Schlüssen auf sehr konkrete, kulturpolitische Initiativen, wobei Gramsci selbst weitaus allgemeiner argumentiert hatte.15 Aus seinen Überlegungen blieben zu Beginn der 1950er Jahre insgesamt im Wesentlichen einige populäre und viel zitierte „Schlüsselbegriffe“ übrig. Diesen zufolge sollte anstelle eines gewaltsamen Umsturzes des kapitalistischen Systems ein Klassenschranken überwindender „historischer Block“ aus dem Proletariat in Verbindung mit kritischen, fortschrittlichen Intellektuellen und gleichgesinnten Gruppen eine kulturelle, antikapitalistische Hegemonie erringen, unter der der Übergang zum Sozialismus erfolgen sollte. Zentral dabei war Gramsci und seinen Multiplikatoren in der Nachkriegszeit zufolge der Aufbau einer „cultura nazional-popolare“, geschaffen von Intellektuellen unter Einbeziehung einfacherer Bevölkerungsschichten und ihrer Traditionen.16 12 Zur Publikationspraxis vgl. Thomas Kroll: Kommunistische Intellektuelle in Westeuropa. Frankreich, Österreich, Italien und Großbritannien im Vergleich (1945–1956), Köln 2007, S. 464 f. 13 Vgl. Lino Micciché: Rimpianti, auspici, utopie: i dibattiti, in: Bernardi (Hg.): Storia, S. 37–56. 14 Vgl. Gundle: Legacy, besonders S. 137–139; ders.: Between Hollywood and Moscow, S. 51 f.; Kroll: Kommunistische Intellektuelle, S. 469 f. 15 Vgl. David Forgacs: National-Popular. Genealogy of a Concept, in: Simon During (Hg.): The Cultural Studies Reader, 2. Aufl., London 1999, S. 209–219, hier S. 216–218; Micciché: Rimpianti. 16 Vgl. Lucia: Intellettuali, S. 117–127; Kroll: Kommunistische Intellektuelle, S. 465–469.

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Welche Passagen aus dem noch so diffus verbreiteten Werk Gramscis spielten nun eine Rolle für die Ausrichtung der Cinema Nuovo? Aus ihrem ersten Editorial sprachen die Hoffnung und die Ambition auf eine viel beschworene „neue Kultur“; die in „Continuare il discorso“ zitierte Textstelle findet sich im Gefängnisheft 23 von 1934: Man muß vom Kampf um eine neue Kultur sprechen, d. h. für ein neues moralisches Leben, das eng an eine neue Auffassung vom Leben gebunden sein muß, bis es eine neue Art und Weise wird, die Realität zu fühlen und zu sehen, eine Welt also, die den ‚möglichen Künstlern‘ und den ‚möglichen Kunstwerken‘ im innersten Wesen angeboren ist.17

Zu diesem recht allgemein gehaltenen Aufbruchsduktus gehörte für Gramsci insbesondere auch die Absage an ein gesellschaftlich abgekoppeltes Intellektuellendasein.18 Gramsci als eine Art „anti-Croce“19 war ein zentraler Ankerpunkt für Aristarcos Revision der Kritik. Mehr als ein Jahrzehnt nach der Gründung der Cinema Nuovo schrieb Guido Aristarco rückblickend, hauptsächlich auf den einst vorherrschenden Idealismus gemünzt: „Die Unzufriedenheit über bestimmte kulturelle Strömungen, deren Grenzen und Sackgassen wir spürten, hatte zur Begegnung mit den Texten Gramscis und zur Rückkehr zu De Sanctis geführt (in dem von Gramsci aufgezeigten Sinn).“20 Gramsci hatte Francesco De Sanctis, den Literaturkritiker und -historiker aus dem 19. Jahrhundert, der die damalige italienische Literaturwissenschaft als Verfechter demokratischer Reformen und engagierter politischer Stellungnahme mitgeprägt und verändert hatte, als Idealbild eines „vergesellschafteten“21 Kritikers Croces abstrakterer Ästhetik gegenüber gestellt und im vierten Gefängnisheft Aristarco und seinen Kollegen modellhaft dessen Arbeitsansatz vor Augen geführt: Kurz und gut, der Typ der Literaturkritik, den die Philosophie der Praxis vertreten muß, wird von De Sanctis angeboten und nicht von Croce oder irgendeinem anderen […]: Sie muß den Kampf für eine neue Kultur, d. h. für einen neuen Humanismus, für die Kritik der Sitten, der Gefühle und der Weltanschauungen mit der ästhetischen oder rein künstlerischen Kritik in leidenschaftlicher Glut verschmelzen, sei es auch in sarkastischer Form.22

Anspielungen auf Gramsci und seine Schriften tauchten immer wieder verstreut in der Mailänder Zeitschrift auf. Gramsci war Referenzgröße, wenn es um Historienfilme und deren Analyse italienischer Entwicklungen des 19. Jahrhunderts ging. Giorgio Moscon plädierte dafür, zur italienischen Einigungsgeschichte neben 17

Antonio Gramsci: Marxismus und Kultur. Ideologie, Alltag, Literatur, hg. und aus dem Italienischen übertragen von Sabine Kebir. Mit einem Nachwort von Giuliano Manacorda, 3. Aufl., Hamburg 1991, S. 108 f. 18 Im elften Gefängnisheft führte er dazu aus: „Daß eine Masse von Menschen dahin geführt wird, kohärent und in einheitlicher Weise die gegenwärtige Wirklichkeit zu durchdenken, ist eine sehr viel bedeutendere und ‚originellere‘ ‚philosophische‘ Tatsache, als es die Auffindung einer neuen Wahrheit durch ein philosophisches ‚Genie‘ darstellen würde, die das Erbe kleiner intellektueller Gruppen bleibt.“ – Gramsci: Marxismus und Kultur, S. 75. 19 Lucia: Intellettuali, S. 119. 20 Aristarco: Marx, S. 49 f. 21 Gramsci: Marxismus und Kultur, S. 75. 22 Ebd., S. 107.

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anderen Autoren Gramsci in den Kanon der Schullektüre aufzunehmen.23 Guido Aristarco zog aus dem „gesamten Werk Gramscis“ die Lehre, dass gute Kritik nur mit einem soliden philosophischen und gesellschaftstheoretischen Fundament entstehen könne. Ausführlich rezitierte der Direktor der Cinema Nuovo in einer Kritik zu Luchino Viscontis Senso die „neue Kultur“ als „eine neue Haltung den Volksmassen gegenüber, ein neues Konzept des ‚Nationalen‘, das sich von dem der historischen Rechten unterschied; es war weiter, weniger elitär, weniger für die sogenannte ‚Polizistenrolle‘ bestimmt.“24 Die Entdeckung Gramscis für die Filmpublizistik und Filmproduktion war keine Privatleidenschaft Aristarcos. Dies wurde weiter deutlich, als sich der Regisseur Giuseppe De Santis Ende 1954 in der Zeitschrift mit einem offenen Brief gegen seiner Ansicht nach zu pedantische Kritiken aus allen politischen Lagern zur Wehr setzte. Er störte sich beispielsweise an dem Unwillen, den leichte, humoristische Passagen in seinen Filmen unter Rezensenten hervorriefen. Dabei bezog er sich auf Gramscis Ausführungen, wie denn überhaupt eine „cultura nazional-popolare“ im Zusammenspiel zwischen Intellektuellen und formal weniger gebildeten Bevölkerungsgruppen zustande kommen sollte. Letzterer schrieb 1933 im 15. Heft: Das geläufigste Vorurteil besteht darin, daß die neue Literatur sich mit einer künstlerischen Schule intellektuellen Ursprungs identifizieren müsse, wie es beim Futurismus der Fall war. Die Voraussetzung der neuen Literatur kann aber nur historisch, politisch, volkstümlich sein: sie muß versuchen, das weiterzuentwickeln, was schon existiert, polemisch oder in irgendeiner anderen Weise; es ist wichtig, daß sie ihre Wurzeln im Humus der Volkskultur schlägt, so wie sie ist, mit ihren Geschmacksformen, ihren Tendenzen usw., mit ihrer moralischen und intellektuellen Welt, sei sie auch noch so zurückgeblieben und konventionell.25

Giuseppe De Santis nahm dies für seine Filmarbeit auf und beschwor seine Haltung gegenüber Aristarco fast schon pathetisch in den folgenden Zeilen: E questo è il mio credo, da anni, caro Guido, questo è quello per cui mi batto, quando dico a me stesso che un film deve essere in grado di comprenderlo tanto un bambino quanto un uomo grande, tanto un contadino della mia Ciociara quanto un tuo operaio di Sesto S. Giovanni, e non soltanto il socio di un cine-club, quel tale e tale altro critico, quel tale o tale altro intellettuale.26

Der geringen Konkretisierung der Vorlage entsprechend diente Antonio Gramsci dem linksgerichteten Kritikerkreis um die Cinema Nuovo weniger als Vorbild für die Verfechtung einer bestimmten Stilrichtung oder filmkulturellen Maxime; wesentlicher erschien die Übernahme einer bestimmten Haltung in Fragen der Kultur und gegenüber ihren Konsumenten und Produzenten. Der Traditionslinie von De Sanctis über Gramsci folgend bemühte sich die Redaktion der Cinema Nuovo in ihrer Publikation um so etwas wie Volksnähe, um ein „andare verso il popolo“, 23 Vgl. Giorgio Moscon: Una marsigliese per gli italiani, in: Cinema Nuovo, Nr. 32, 1. 4. 1954, S. 169 f., hier S. 170. 24 Vgl. Guido Aristarco: Esame di coscienza, in: Cinema Nuovo, Nr. 46, 10. 11. 1954, S. 288–290, hier S. 290; ders.: Senso, in: Cinema Nuovo, Nr. 52, 10. 2. 1955, S. 111–114, hier S. 111; das eingeflochtene, hier übersetzte Zitat aus Gramsci: Marxismus und Kultur, S. 105. 25 Gramsci: Marxismus und Kultur, S. 114 f. 26 Giuseppe De Santis: De Santis ci scrive, in: Cinema Nuovo, Nr. 49, 25. 12. 1954, S. 427–429, hier S. 429.

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wie es auch in einem Zitat Cesare Paveses im ersten Editorial von 1952 anklang. Es wird weiter unten noch genauer herausgearbeitet, inwiefern sich diese Haltung tatsächlich in der Zeitschrift niederschlug, etwa in der Rubrik „Colloqui con i lettori“. Im Zuge dessen muss zudem bedacht werden, ob die Kritikergruppe gegen alle Gefahren gefeit war, die in dieser „Hinwendung zum Volk“ lauerten. Bei vielen kommunistischen Intellektuellen, die sich von Gramsci inspirieren ließen, wandelte sich dieses Programm in eine nicht selten paternalistische, herablassende Haltung gegenüber den formal weniger gebildeten Arbeitern oder Bauern um, die sie nun nur noch zu ihrer eigenen „Kultur“ erziehen wollten, anstatt den Austausch mit ihnen zu suchen. Auf diese Weise agierten viele Kommunisten am tatsächlichen Bedarf und Interesse ihrer Zielgruppe vorbei und spielten so den deutlich pragmatischeren katholischen Organisationen in die Hände, die attraktivere Angebote, auch aus der US-amerikanischen Populärkultur, machten.27 3.1.2 Spielarten des Filmrealismus Konkretere Auswirkungen auf die tatsächliche filmkritische Arbeit und die filmkulturellen Kriterien insbesondere Guido Aristarcos hatte im Vergleich zu Gramscis Schriften die Beschäftigung mit den wenigen zu dieser Zeit nach Italien gelangten Texten Georg Lukács’. Seine Überlegungen sind eine von mehreren Realismuskonzeptionen, die die Gruppe um die Zeitschrift gerade in den ersten fünf Jahren stark beschäftigten und über die teils kontroverse Diskussionen ausgetragen wurden. Vorweg kann festgestellt werden, dass darunter nicht der sozialistische Realismus sowjetischer Prägung fiel, der zu Beginn der 1950er Jahre im russischen Einflussbereich die obligatorische Richtschnur der künstlerischen Arbeit war. Auch die italienische kommunistische Partei übernahm unter ihrem Kulturfunktionär Emilio Sereni zwischen 1948 und 1951 diese Leitlinie – anschließend setzte sich allerdings wieder ein liberalerer kulturpolitischer Kurs in der Partei durch.28 Für die Gruppe um die Cinema Nuovo ist der sozialistische Realismus keine wesentliche Inspirationsquelle gewesen.29 Die Auseinandersetzung mit der sowjetrussischen und sonstigen osteuropäischen Filmproduktion, falls sie aufgrund von beschränkter Filmeinfuhr überhaupt stattfand, erfolgte differenzierter und keineswegs völlig unkritisch und wird in späteren Kapiteln Untersuchungsgegenstand sein. Nun stehen aber zunächst die in der Anfangszeit der Cinema Nuovo teils miteinander konkurrierenden Realismusauffassungen Cesare Zavattinis, Luigi Chiarinis und Guido Aristarcos im Zentrum der Analyse. Unstrittig ist, dass in der Mailänder Zeitschrift als Ideal der filmische Realismus vertreten wurde, auch wenn die genauen Vorstellungen davon, was diesen ausmachen und welcher Begriff der treffendste sein sollte, eben voneinander abweichen konnten. Die Propagierung der 27 28 29

Vgl. Gundle: Between Hollywood and Moscow, S. 35–47; Kroll: Kommunistische Intellektuelle, zum Beispiel S. 468. Vgl. Gundle: Between Hollywood and Moscow, S. 48–52. Anders als angenommen bei Ian Aitken: European Film Theory and Cinema. A Critical Introduction, Edinburgh 2001, S. 234 f.

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„neuen Schule“ des italienischen Kinos, ob nun nach den Vorstellungen Zavattinis, Chiarinis oder Aristarcos, wurde in allen Fällen von einer Krisendiagnose überlagert. Alle Autoren schrieben vor dem Hintergrund des allmählichen Auslaufens der realistischen Impulse, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit national und international für so starkes Aufsehen gesorgt hatten. Die filmpolitischen und filmwirtschaftlichen Entwicklungen und Rahmenbedingungen erschwerten es Regisseuren wie Vittorio De Sica oder Luchino Visconti zusehends, den filmischen Faden der Vorjahre weiterzuspinnen. Die Ablehnung dieser filmpolitischen Linie einte die genannten Filmjournalisten; in Teilen reagierten ihre Realismuskonzeptionen auch auf diese Krise gesellschaftskritischen, realistischen Filmschaffens. Realismus nach Cesare Zavattini Der Schriftsteller und Drehbuchautor Cesare Zavattini hatte im Gespann mit dem Regisseur Vittorio De Sica einige der zentralen Werke des – wie weitläufig auch immer definierten – italienischen Neorealismus der zweiten Nachkriegszeit geschaffen. Nach einem ersten Film zu Kriegszeiten, I bambini ci guardano, entstanden aus ihrer Zusammenarbeit in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre Sciuscià und Ladri di biciclette. 1952, als die Krisendebatten um den Neorealismus bereits im Gange waren, drehte das Duo noch Umberto D., einen Film über die alltäglichen Mühen eines verarmten Pensionärs. Von Zavattini stammte einer der wenigen halbwegs programmatischen und zusammenfassenden Grundlagentexte zum filmischen Aufbruch in der italienischen Nachkriegszeit. In „Alcune idee sul cinema“ strich Zavattini die wesentliche Neuerung, die der Neorealismus gebracht habe, heraus: die Abkehr davon, fiktive „Geschichten“ zu erzählen, die nur „tote Schemata über lebendige soziale Fakten“ legten. Der Neorealismus sei dagegen und im Kontrast zum künstlichen US-amerikanischen Kino angetrieben vom „Hunger nach Wirklichkeit“. Es ging Zavattini darum, „winzige Fakten ohne jeden Zusatz von Phantasie“ zu erzählen und „in diesen Fakten das zu betonen, was sie an Menschlichem, Historischem, Determinierendem, Definitivem enthalten“.30 Er war der festen Überzeugung, dass die Kamera die Wirklichkeit vollständig und exakt abbilden könne und das noch in kapitalistischen Strukturen verfangene Medium potenziell ein demokratisches, breitenwirksames Ausdrucksmittel darstelle.31 Zavattini plädierte für „die Beseitigung des technisch-professionellen Mitarbeiterstabs, den Drehbuchschreiber inbegriffen“.32 Formale Überlegungen wie die Einstellungsgestaltung interessierten ihn nach eigenem Bekunden nicht. Auch professionelle Schauspieler brauchte es für sein reduziertes Filmverständnis nicht mehr, wie in Ansätzen von Zavattini und De Sica beispielsweise in Ladri di biciclette praktiziert sollten Laien sich selbst vor der Kamera darstellen. 30 Zitate aus Cesare Zavattini: Einige Gedanken zum Film, in: Theodor Kotulla (Hg.): Der Film. Manifeste Gespräche Dokumente, Bd. 2: 1945 bis heute, München 1964, S. 11–27, hier S. 11 f. und 14. 31 Vgl. ebd., S. 15 und 25. 32 Ebd., S. 23.

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Ein vielfach zitierter Schlüsselsatz von Zavattini dazu lautete: „Ein hungernder, ein erniedrigter Mensch muß gezeigt und mit seinem Vor- und Zunamen benannt werden.“33 Cesare Zavattini verstand den Neorealismus als eine gesellschaftskritische Haltung und allgemein lag für ihn die „wahre Funktion des Films“ nicht darin, „Fabeln zu erzählen, sondern seine wahre Funktion ist die jeder Kunst, die immer darin bestanden hat, die Notwendigkeit ihrer Zeit auszudrücken“.34 Sein Ideal des Neorealismus sah Zavattini am Anfang der 1950er Jahre erst in Ansätzen verwirklicht. Bisher, also auch in Ladri di biciclette oder in Umberto D., sei es auch aufgrund der filmwirtschaftlichen Zwänge nur gelungen, in erfundene Geschichten einzelne Elemente konkreter Wirklichkeitsbeobachtung einzuflechten. Und so schloss Zavattini seine „idee“ mit dem Appell an die italienischen Filmschaffenden, die bereits für einen Spalt geöffneten „Pforten der Wirklichkeit nun ganz weit auf[zu]stoßen“.35 Cesare Zavattinis Neorealismus fand in der Cinema Nuovo über die ersten Jahre eine ambivalente Aufnahme. Als Referenz wurde er bereits im ersten Editorial herangezogen, als seine Suche nach dem „Menschen an der Straßenecke“ zitiert wurde.36 In der Zeitschrift wurde regelmäßig ein „diario“ Zavattinis veröffentlicht. Hier brachte er beispielsweise sein Konzept des „pedinamento“, des quasi-dokumentarischen „Beschattens“ der Protagonisten mit der Kamera, auf.37 Dem Einfluss und einer Idee von „nostro Zavattini“ war zudem die Einrichtung der Rubrik „Contributi al neorealismo“ geschuldet.38 Die Leser wurden aufgefordert, Anekdoten oder Fotos aus ihrer alltäglichen Umgebung einzusenden, auf dass diese interessierten Filmschaffenden als Vorlage für neue Produktionen dienen könnten. Zavattini saß einer Redaktionskommission vor, die die besten Einsendungen mit einem kleinen Geldpreis belohnen sollte. Mit Wohlwollen begleitete schließlich noch Michele Gandin die Dreharbeiten zu einem von Zavattini ersonnenen Projekt einer „gefilmten Zeitschrift“, einer Mischung aus Interviews und zumeist mit Laien nachgedrehten wahren Begebenheiten.39 Zavattinis Filme und Ideen stießen in der Mailänder Zeitschrift andererseits immer wieder auf Kritik aus verschiedenen, teils einander widersprechenden Richtungen. Tullio Kezich entdeckte in Umberto D. noch zu viele „Erfindungen“, zu viele Einfälle und zu viel künstlich Konstruiertes auf dem Weg zum Neorealismus.40 33 34 35 36 37

Ebd., S. 15. Ebd., ähnlich zudem S. 18 und 22. Ebd., S. 27. Vgl. Continuare il discorso (Cinema Nuovo, Nr. 1, 1952). Vgl. Cesare Zavattini: Diario, in: Cinema Nuovo, Nr. 1, 15. 12. 1952, S. 8. Zu Zavattinis Programm vgl. auch Francesco Casetti: Teorie del cinema 1945–1990, 3. Aufl., Mailand 1996, S. 27 f.; Stefania Parigi: Il pensiero di Zavattini, in: De Giusti (Hg.): Storia, S. 502–513; Beate Ochsner: Cesare Zavattini, „regista mancato“ oder mit den Bildern gegen die Bilder, in: Vittoria Borsò / Claudia Öhlschläger / Lucia Perrone Capano (Hg.): Realismus nach den europäischen Avantgarden. Ästhetik, Poetologie und Kognition in Film und Literatur der Nachkriegszeit, Bielefeld 2012, S. 189–220. 38 Vgl. Contributi al neorealismo, in: Cinema Nuovo, Nr. 7, 15. 3. 1953, S. 179. 39 Vgl. Michele Gandin: Gli italiani si voltano, in: Cinema Nuovo, Nr. 10, 1. 5. 1953, S. 271. 40 Vgl. Tullio Kezich: Zavattini coniuga il presente, in: Cinema Nuovo, Nr. 6, 1. 3. 1953, S. 157.

3.1 Aufbau und Ausrichtung der Cinema Nuovo der 1950er Jahre

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Renzo Renzi hingegen spürte Langeweile dabei aufziehen, den Protagonisten des Films lediglich bei alltäglichen Handlungen und Ereignissen beobachten zu müssen, ohne dass ein Bezug zu ihm entstehe. Dem Zuschauer fehle hier eine Analyse oder Interpretation von Seiten der Filmemacher, so dass er desorientiert zurückbleibe.41 Vergleichbare Kritik an der mangelnden Durchdringung der Alltagsstoffe münzten in der Cinema Nuovo auch der Schriftsteller Alberto Moravia, der realistische Maler Gabriele Mucchi und der Filmkritiker Lino Del Fra auf die Projekte Zavattinis.42 Pointiert gebündelt wurde die Kritik besonders in den Rezensionen, die Guido Aristarco in dieser Zeit zu Filmen mit Beteiligung Zavattinis abfasste. In der „gefilmten Zeitschrift“ Amore in città beharre Zavattini insgesamt zu stark auf seinem puristischen Verständnis vom Neorealismus, wie Aristarco in der Besprechung Anfang 1954 konstatierte. Durch die von verschiedenen Regisseuren verantworteten Episoden ziehe sich die viel zu oberflächliche Abbildung der vermeintlichen Realität, die Charaktere würden kaum in ihrem sozialen Kontext verankert: In questo film, come in altri di registi impegnati, la limitata rappresentazione degli ambienti, presi da un solo angolo di visuale, e le figure viste soltanto in alcune zone psicologiche sentimentali, indica una incapacità a fermare l’individuo nella sua concretezza umana, nei suoi rapporti con gli altri individui.43

Hier setzte Aristarco demnach die mangelnde Variation in der Einstellungsgestaltung mit einem verkürzten Blick auf die soziale Realität gleich. Über zwei Jahre später, im Mai 1956, präsentierten Vittorio De Sica und Cesare Zavattini ihren Film Il tetto bei den Festspielen in Cannes.44 Nach einigen Abweichungen wie der CoProduktion Stazione Termini bedeutete dieser Film ihre Rückkehr zu einem relativ typischen Thema für den Neorealismus. Er zeigt ein junges Ehepaar, das unter der Wohnungsnot in Rom leidet und in der Verzweiflung über Nacht mit Hilfe von Freunden illegal eine Hütte errichtet, in der es dank einer Gesetzeslücke wohnen bleiben darf. Trotz aller optischen Vorzüge empfand Guido Aristarco diesen Film des Gespanns De Sica-Zavattini nun endgültig als anachronistisch.45 Die neorealistische Methode der beiden, die Aneinanderreihung von Skizzen und Anekdoten, passe eher in die direkte Nachkriegszeit zehn Jahre zuvor als in die komplexer gewordene Gesellschaft der Gegenwart. Der „Hunger nach Wirklichkeit“ führe bei Zavattini zu einer wahren Phobie davor, einen Handlungsstrang und typische, das heißt für die soziale Realität repräsentative Charaktere zu entwerfen, wie es der 41 42

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Vgl. Renzo Renzi: Una tendenza sedentaria contro gli impegni del realismo, in: Cinema Nuovo, Nr. 1, 15. 12. 1952, S. 9–11 und 30, hier S. 10. Vgl. Alberto Moravia: Il film conformista, in: Cinema Nuovo, Nr. 13, 15. 6. 1953, S. 361; Gabriele Mucchi: Dietro c’è sempre la macchina da presa, in: Cinema Nuovo, Nr. 30, 1. 3. 1954, S. 114–116, hier S. 115; Lino Del Fra: I figli smarriti del neorealismo italiano, in: Cinema Nuovo, Nr. 41, 15. 8. 1954, S. 92–94, hier S. 93 f. Guido Aristarco: Amore in città, in: Cinema Nuovo, Nr. 27, 15. 1. 1954, S. 27–29, hier S. 28; vergleichbar auch ders.: Stazione Termini, in: Cinema Nuovo, Nr. 9, 15. 4. 1953, S. 249 f., hier besonders S. 250. Vgl. Guido Aristarco: Il tetto del festival, in: Cinema Nuovo, Nr. 83, 25. 5. 1956, S. 300 f. Vgl. Guido Aristarco: Il tetto, in: Cinema Nuovo, Nr. 92, 15. 10. 1956, S. 217.

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Realismus nach Aristarcos Auffassung aber voraussetzte. Zwischen Zavattinis Programmatik und Aristarcos Auffassung, die stark von Georg Lukács’ Schriften zum Realismus beeinflusst war und im weiteren Fortgang noch präziser beleuchtet wird, stand im Umfeld der Cinema Nuovo die Realismuskonzeption Luigi Chiarinis. Realismus nach Luigi Chiarini Nach seiner Absetzung beim Centro Sperimentale di Cinematografia und als Redakteur bei dessen Hauszeitschrift Bianco e Nero publizierte Luigi Chiarini die zumeist aus eher langen, grundsätzlichen Abhandlungen zusammengesetzte Zeitschrift Rivista del cinema italiano. Wie aber zuvor in der Cinema unter Aristarcos Leitung steuerte er auch für die Cinema Nuovo regelmäßig Beiträge im Rahmen einer eigenen Kolumne bei. Nebenher veröffentlichte Chiarini in der ersten Hälfte der 1950er Jahre einige film- und kulturtheoretische Bücher und Aufsatzsammlungen.46 In seinen Kolumnen und Diskussionsbeiträgen verfocht er die Weiterführung der Prinzipien des Neorealismus der Nachkriegszeit – anders als Zavattini, der die bisher gedrehten neorealistischen Filme nur als Zwischenstufe ansah, empfand Chiarini diese bereits als Vollendung des realistischen Kinos.47 In seinen Prämissen zeigte er sich weiterhin stark vom Idealismus und dem Konzept des „specifico filmico“ beeinflusst, was den Kontrast zu Aristarco – beispielsweise angesichts dessen Forderung der „revisione critica“ – offensichtlich macht. Luigi Chiarinis aus den 1930er Jahren verbliebene Verbundenheit mit der idealistischen Kunstauffassung48 äußerte sich in seiner Überzeugung, dass ein Kunstwerk grundsätzlich als der Ausdruck der Persönlichkeit, der Empfindungen und der Reflektion des einzelnen Künstlers zu verstehen sei. Besonders in der Wahl der formalen Gestaltungsmittel zeige sich dessen Haltung und die Durchdringung seines Themas: „i sentimenti e le idee dell’artista si rispecchiano nella forma dell’opera […] secondo il punto di vista dell’artista che solo dalla forma può essere desunto.“49 Auf dieser Grundlage beharrte Chiarini in Filmfragen – als Anhänger des „specifico filmico“ – auf der Autonomie des Mediums gegenüber Einflüssen aus anderen Kunstformen. Gerade im Gegensatz zu Guido Aristarcos „revisione critica“ grenzte er sich gegenüber Anleihen aus der Literatur ab, denn „i problemi della letteratura non sono quelli del film“.50 Der Film solle sich auf seine eigenen, spezifischen Ausdrucksformen beschränken. Und während Cesare Zavattini für das allmähliche Verschwinden jeder filmtechnischen Gestaltung zugunsten einer ungefilterten Dokumentation der Realität votierte, bedurfte es Chiarinis Ansicht 46 Vgl. neben anderen Luigi Chiarini: Il film nella battaglia delle idee, Mailand 1954. 47 Vgl. Casetti: Teorie del cinema, S. 31 f.; Luca Barattoni: Italian Post-Neorealist Cinema, Edinburgh 2014, S. 90–94. 48 Vgl. Luigi Chiarini: I marxisti e il film, in: Cinema Nuovo, Nr. 21, 15. 10. 1953, S. 250. 49 Luigi Chiarini: Parlare a tutti e farsi capire, in: Cinema Nuovo, Nr. 52, 10. 2. 1955, S. 105 f., hier S. 105. 50 Luigi Chiarini: Tradisce il neorealismo, in: Cinema Nuovo, Nr. 55, 25. 3. 1955, S. 225 f., hier S. 226.

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nach noch durchaus einer Künstlerpersönlichkeit, die das aufgezeichnete Material mit hohem Medien- und Formbewusstsein in einen Zusammenhang bringe – „l’elaborazione avviene attraverso le riprese e le fasi successive, sicché il fotogramma porta il sigillo squillante della realtà.“51 Seine Verteidigung des „specifico filmico“ bezog sich nicht nur auf die Herstellung von Filmen, sondern auch auf ihre Rezeption durch seine Kollegen, die Filmkritiker. Wiederholt rieb Chiarini sich am „contenutismo“, der einseitigen Überbetonung des Inhalts in Filmbesprechungen kommunistischer, aber auch anders gesinnter Journalisten.52 Er erwartete eine critica che abbia coscienza del mezzo cinematografico, dei suoi valori, della sua tecnica e sappia distinguere il ‚linguaggio‘, unico, insostituibile, del film dalle ibride forme, dai balbettamenti o dalla registrazione su pellicola delle ispirazioni letterarie o pittoriche o musicali. […] bisogna analizzare il film nelle sue immagini significanti, nel suo ritmo di montaggio, insomma nella sua forma insostituibile e non reversibile letterariamente.53

Chiarinis Texte wirkten im Vergleich zu den politisch engagiert argumentierenden „contenutisti“ bisweilen kühl, kompliziert und formalistisch. Er bevorzugte den auf das Wesentliche reduzierten „film“ und nicht „spettacolo“, das von üppigen Filmteams, „per bombardare il pubblico con superficiali emozioni“, aufwändig hergestellte Großkino.54 Als Luchino Viscontis opulent ausgestatteter Historienfilm Senso in der Cinema Nuovo vor allem durch Guido Aristarco eine euphorische Resonanz fand, schaltete sich Chiarini in die Diskussion ein und es entstand eine Kontroverse um den Film und seinen Realismus.55 Denn der römische Filmtheoretiker empfand auch Senso als zu „spettacolare“, als Verrat am Neorealismus der 1940er Jahre und seiner nüchternen, rein filmischen Hinwendung zur Alltagswirklichkeit, den viele linke Kritiker auf der Suche nach politischen Botschaften im Werk einfach ausblendeten.56 Er teilte ihre grundsätzliche Abneigung gegen das politische Abwürgen des Neorealismus und die Verschleierung gesellschaftlicher Missstände und neorealistische Filmproduktion stellte für ihn vor allem ein Mittel der Aufdeckung und des Verstehens von politischen und sozialen Problemen dar.57 Es war aber gerade die Klarheit des „film“ und des „specifico filmico“, die für Chiarini gewährleistete, dass die Werke allgemein verständlich und damit wirkmächtig blieben. Formalistische Experimente der Film-Avantgarden lehnte er daher genauso ab wie die schwammigen und oberflächlichen Großproduktionen. Filme und deren Rezensionen müss51 Luigi Chiarini: Film e spettacolo, in: Cinema Nuovo, Nr. 6, 1. 3. 1953, S. 142. Chiarini erachtete als „vera essenza“ des Films die „elaborazione creativa della realtà“ – vgl. ders.: Il film nella battaglia delle idee, S. 66. 52 Vgl. beispielsweise Chiarini: Parlare a tutti (Cinema Nuovo, Nr. 52, 1955), S. 106. 53 Luigi Chiarini: L’estetica dell’informe nella critica cinematografica, in: Cinema Nuovo, Nr. 4, 1. 2. 1953, S. 78. 54 Zitat aus Chiarini: Tradisce il neorealismo (Cinema Nuovo, Nr. 55, 1955), S. 225. Zu Chiarinis Differenzierung in „film“ und „spettacolo“ vgl. zum Beispiel ders.: Film e spettacolo (Cinema Nuovo, Nr. 6, 1953); ders.: Fine di una polemica, in: Cinema Nuovo, Nr. 16, 1. 8. 1953, S. 88. 55 Vgl. Döge: Pro- und antifaschistischer Neorealismus, S. 145–158. 56 Vgl. insbesondere Chiarini: Tradisce il neorealismo (Cinema Nuovo, Nr. 55, 1955), S. 225. 57 Vgl. Luigi Chiarini: Il linguaggio delle cose, in: Cinema Nuovo, Nr. 59, 25. 5. 1955, S. 385.

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ten für breite Bevölkerungsschichten zugänglich und nachvollziehbar sein. Hinter Chiarinis Realismuskonzeption stand ein kommunikatives und emanzipatorisches Programm: Non possono per tanto essere considerati realisti coloro che non sentono una siffatta esigenza di chiarezza di linguaggio […]. Il valore sociale, dunque, di un’arte realistica non consiste nelle idee e sentimenti che essa comunica, ma nel modo di comunicarli, cioè in quell’accessibilità della forma da cui si genera l’universale comprensione.58

Emanzipatorisch und aufklärerisch verstanden nicht nur Zavattini und Chiarini den filmischen Realismus. Es sollte sich aber zeigen, dass die führenden Realismustheoretiker, die sich dazu in der Cinema Nuovo positionierten, jeweils unterschiedliche Wege und Herangehensweisen zu dieser Funktion des Films bevorzugten. Realismus nach Georg Lukács und Guido Aristarco Guido Aristarco adaptierte dazu Georg Lukács’ marxistische Literaturanalyse und seine Version des filmischen Realismus erhielt letztlich die größte Präsenz in der Zeitschrift und prägte ihre Außenwirkung – nicht zuletzt durch einige markante Editorials. In einem Atemzug mit der Bedeutung Antonio Gramscis für seine filmkulturelle Ausrichtung nannte Guido Aristarco den Einfluss von Georg Lukács: „Die Begegnung mit Lukács, die zu der mit Gramsci hinzukam, war für uns entscheidend“.59 Neben anderen Texten Lukács’ führte Aristarco in diesem Rückblick die Essays über Realismus an, die wie die weiteren literaturtheoretischen oder ästhetischen Abhandlungen des ungarischen Philosophen erst im Verlauf der 1950er Jahre von breiteren Intellektuellenkreisen in Italien rezipiert werden sollten.60 Von den genannten Essays erweist sich bei genauerer Analyse der Beiträge Aristarcos in der Cinema Nuovo insbesondere der erstmals 1936 in der Zeitschrift Internationale Literatur in zwei Folgen erschienene Aufsatz „Erzählen oder beschreiben?“ als einflussreich.61 Lukács kontrastierte in diesem Aufsatz anhand von zahlreichen Beispielpassagen aus ihren Werken neben anderen Émile Zola und Gustave Flaubert, die nicht über die Beschreibung hinauskämen und somit einem Naturalismus verhaftet blieben, mit Honoré de Balzac oder Leo Tolstoi, denen eine Erzählung gelänge und die in der Konsequenz als Realisten bezeichnet werden könnten. Das Beschreiben der Ersteren sei eine mit dem Kapitalismus verwachsene Literaturform.62 Lukács kritisierte unter anderem an Zolas Romanen, dass er Szenen auf einer Pferderennbahn 58 59 60 61

Chiarini: Parlare a tutti (Cinema Nuovo, Nr. 52, 1955), S. 105. Aristarco: Marx, S. 50. Vgl. Lucia: Intellettuali, S. 112. Zur Lukács-Rezeption durch Aristarco vgl. Casetti: Teorie del cinema, S. 28–31; Döge: Pro- und antifaschistischer Neorealismus, S. 113–117. 62 Lukács schrieb dazu: „Die Herrschaft der kapitalistischen Prosa über die innere Poesie der menschlichen Praxis, das immer Unmenschlicherwerden des gesellschaftlichen Lebens, das Sinken des Niveaus der Menschlichkeit – all das sind objektive Tatsachen der Entwicklung des Kapitalismus. Aus ihnen entsteht notwendig die Methode des Beschreibens.“ – ders.: Erzählen

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oder im Theater nach intensiver Vorbereitung und Recherche minutiös rekonstruiere, aber mit einer solchen formalen Herangehensweise keine gesellschaftlichen Hintergründe ausleuchten könne. Die beschreibende Methode halte sich an einer zusammenhanglosen Objektivität auf und die „tiefe soziale Wahrheit der gegenseitigen Verschlungenheit von gesellschaftlichen Bestimmungen mit psychophysischen Eigenschaften der Menschen geht immer verloren.“63 Ein erzählender Schriftsteller hingegen konzentriere sich nur auf Gegenstände und die Umgebung oder Umwelt, wenn sie in der Entwicklung der geschilderten Menschen eine Rolle spielten.64 Weshalb sich Lukács derart an den in seinen Augen statischen Darstellungen des naturalistischen Beschreibens störte, wurde deutlich, wenn in wuchtigen Formulierungen sein marxistisches Geschichtsverständnis und sein Anspruch durchbrachen, was Literatur seiner Ansicht nach leisten sollte – die Passagen verdienen es, zur Illustration ausgiebiger zitiert zu werden: Aber das System reproduziert sich ununterbrochen, und dieser Reproduktionsvorgang ist in Wirklichkeit eine Kette von erbitterten, von wütenden Kämpfen – auch im Leben des einzelnen Menschen, der zum unmenschlichen Zubehör des kapitalistischen Systems erst gemacht wird, nicht aber als solches auf die Welt kommt. […] Hier liegt die weltanschaulich und dichterisch entscheidende Schwäche der Schriftsteller der beschreibenden Methode. Sie kapitulieren kampflos vor den fertigen Ergebnissen, vor den fertigen Erscheinungsformen der kapitalistischen Wirklichkeit. Sie sehen in ihnen nur das Ergebnis, nicht aber den Kampf entgegengesetzter Kräfte. […] Das heißt, es wird nicht ein im Sinne des ‚fertigen‘ Kapitalismus erstarrter Mensch im Laufe des Romans erzeugt, sondern die Gestalt zeigt von Anfang an die Züge, die nur als Ergebnis des ganzen Vorgangs in Erscheinung treten dürfen. […] Nicht ein lebendiger Mensch, den wir als lebendigen kennen- und liebenlernen, wird im Laufe des Romans vom Kapitalismus seelisch ermordet, sondern ein Toter wandelt durch die Kulissen der Zustandsbilder mit ständig wachsender Bewußtheit seines Gestorbenseins.65

Georg Lukács plädierte in seinem Realismusmodell für einen hohen Anteil an literarischer, erzählerischer Konstruktion und weniger für eine zurückgenommene Position des Autors mit einer mehr oder weniger reinen Widerspiegelung der beobachteten Realität. Im erzählenden Realismus ging es ihm um die Konstruktion des „Typischen“, von „typischen“ Charakteren, um die gesellschaftliche Entwicklung zu veranschaulichen.66 Offensichtliche Beispiele für die Einflechtung von Passagen aus Lukács’ „Erzählen oder beschreiben?“ in die Kritikerarbeit Guido Aristarcos fanden sich in den Ausgaben 13 und 29 der Cinema Nuovo. Im Juni 1953 rezensierte er Claudio Goras Film Febbre di vivere. Das Lukács-Vokabular kam zum Tragen, als er dem Regisseur bescheinigte, immerhin einige „personaggi tipici“ herauszuarbeiten, letztlich aber ein „descrittore di ambienti“ zu bleiben, der nicht in die Tiefe

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oder beschreiben? [1936], in: ders.: Werke, Bd. 4: Probleme des Realismus I. Essays über Realismus, Neuwied/Berlin 1971, S. 197–242, hier S. 213. Ebd., S. 225. Vgl. ebd., S. 223. Ebd., S. 232. Vgl. ebd., beispielsweise S. 211.

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vordringe.67 Luigi Comencinis Pane, amore e fantasia, von Aristarco im Februar 1954 besprochen, werde fast nie zur Erzählung – „la descrizione quasi mai diventa narrazione“ – und hier zitierte er Lukács mit der Kritik, dass im Film die Menschen eben auf das „Niveau der toten Gegenstände“ herabsänken.68 Guido Aristarcos Realismuskonzeption baute sich, ähnlich wie Lukács’ zentraler Aufsatz, in Kontrastierungen grundlegender Begriffe oder Attribute auf. Der Schritt von einem Begriff oder Attribut zum anderen sollte dabei die Weiterentwicklung signalisieren, die der filmische Realismus Aristarco und dem Motto der Cinema Nuovo – „continuare il discorso“ – zufolge dringend unternehmen musste, um gerade in Italien bestehen zu können und aussagekräftig und einflussreich zu bleiben. Im dritten Editorial der neu gegründeten Zeitschrift wurde dem status quo des objektiven Realismus das Ideal des kritischen Realismus entgegengehalten. Auf den italienischen Film übertragen hieß dies, dass frühe Durchbrüche des Neorealismus wie Viscontis Ossessione bei der Anklage gesellschaftlicher Missstände stehen geblieben seien und darüber hinaus aber keine Lösungswege zu ihrer Beseitigung und zum gesellschaftlichen Wandel aufgezeigt hätten.69 Nach dem lediglich „objektiven“ Realismus galt als Negativbegriffe weiter der dem Naturalismus artverwandte Verismus, eine literarische Schule, die in Italien beispielsweise Giovanni Verga vertreten hatte, und Filme sollten nicht „Chronik“ oder reines „Dokument“ bleiben, sondern romanartig als „Geschichte“ ausgebreitet werden. Guido Aristarco wiederholte diese Urteilsraster in seinen Texten stoisch und verwendete sie teils redundant. Er erläuterte selten ausführlich und veranschaulichte kaum an exemplarischen Stellen aus den kritisierten Filmen, inwieweit diese Ansprüche bereits in die Tat umgesetzt seien oder erfüllt werden könnten. Häufig dekretierte er schlicht, dass dieser oder jener Film den Übergang zum Realismus noch nicht erreicht habe. Die Begriffe tauchten in den verschiedensten Konstellationen zueinander auf, waren verschlungen und teilweise verschwommen, ohne dass das übergeordnete Ziel, der Aufbau einer kritisch-realistischen Filmschule, aus den Augen verloren wurde. Eine vielsagende Passage aus der bereits zitierten Kritik zu Cesare Zavattinis „gefilmter Zeitschrift“ Amore in città illustriert gesammelt die Lukács nachempfundene Realismusvorstellung und die eingängige Begrifflichkeit Aristarcos: Non si tratta, è chiaro, di portare alle estreme conseguenze il neorealismo nel senso che si è visto, quanto di arrivare al realismo, distinguendolo dal verismo, dal naturalismo, dalla formula: da tutto ciò che in somma realismo non è. La civiltà del nostro cinema è arrivata, nel dopoguerra, tolte le solite eccezioni (Visconti), a una fase oggettiva del realismo: alla cronaca, al documento, alla denuncia. Tutto questo costituisce soltanto la prefazione al vero realismo, il quale, per la sua natura, non può essere che critico, storicistico.70

67 Vgl. Guido Aristarco: Febbre di vivere, in: Cinema Nuovo, Nr. 13, 15. 6. 1953, S. 379 f., hier S. 380. 68 Vgl. Guido Aristarco: Pane amore e fantasia, in: Cinema Nuovo, Nr. 29, 15. 2. 1954, S. 89 f., hier S. 90. 69 Vgl. Ottimismo e pessimismo, in: Cinema Nuovo, Nr. 3, 15. 1. 1953, S. 39. 70 Aristarco: Amore in città (Cinema Nuovo, Nr. 27, 1954), S. 29.

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Einen Hoffnungsschimmer bilde wenigstens noch Carlo Lizzani, der sich in der Adaption von Vasco Pratolinis Roman Cronache di poveri amanti mit dem Leben unter dem faschistischen Regime in den 1920er Jahren auseinandersetzte,71 vor allen anderen Regisseuren und Filmen war es aber Luchino Visconti mit seinem zur Zeit der italienischen Einigungsbewegung spielenden Historienfilm Senso, der von Guido Aristarco als das Nonplusultra des italienischen Filmrealismus gepriesen wurde. Zwischen September 1954 und März 1955 widmete er ihm mehrere längere Beiträge, zum Beispiel im Zuge der erwähnten Kontroverse mit Luigi Chiarini, die um diesen Film entstanden war. Die obligatorischen Vokabeln, der Übergang von der objektiven zur kritischen, von der neorealistischen zur realistischen Phase, fanden sich auch in diesen Texten.72 Doch was steckte genau dahinter und kam Aristarco zu einer Präzisierung der altbekannten Schlagworte? Visconti sei ein filmischer Roman gelungen, eine ausholende, gründliche Erzählung, „al respiro della grande e distesa narrazione“. Hier könne vom ersten wirklich gelungenen historischen Film gesprochen werden. Der österreichische Leutnant Mahler erscheine als typische Figur für die im Niedergang begriffene habsburgische Aristokratie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „Egli viene meglio scovato nella sua tipicità, nei suoi attributi; viene rinforzato, ha riflessi inediti significanti. E’ in lui che Visconti individua con interezza l’esponente di una classe dominante, di una società, di un mondo in disfacimento, e la coscienza di questo disfacimento.“ Mahlers rastlose Liebesgeschichte mit der Venezianerin Livia werde perfekt in die Ereignisgeschichte der Schlacht von Custoza eingeflochten und in eine Beziehung gesetzt mit „l’esterno, con gli altri individui, e in questo rapporto, in questo interesse per un determinato periodo della vita nazionale, Senso assume il suo carattere di film storico“.73 Senso gehe, wie schon Viscontis La terra trema von 1948, über die „cronaca“ hinaus, sei eine wirkliche „storia“, da hier nicht nur Einzelphänomene wiedergegeben, sondern Ursachenforschung betrieben werde: „non si fermava ai fenomeni ma di essi ricercava le cause, l’essenza“.74 Die historische Deutungsarbeit durch Viscontis Senso sei darüber hinaus wichtig, da sie anhand des Kontrasts zwischen der venezianischen Oberschicht und den unabhängigen italienischen Freiheitskämpfern die von Gramsci aufgebrachte Diskussion befeuere, inwieweit das Risorgimento eine Einigungsbewegung von „oben“ gewesen oder doch von „unten“ angetrieben worden sei.75 Durch die mit Georg Lukács unterfütterte, unermüdliche Betonung der fruchtbaren Verbindung zwischen Film und Literatur grenzte sich Guido Aristarco von Luigi Chiarinis Konzept der Trennung zwischen „film“ und filmfremden „spetta-

71 Vgl. Guido Aristarco: Cronache di poveri amanti, in: Cinema Nuovo, Nr. 34, 1. 5. 1954, S. 249– 252, hier zum Beispiel S. 249. 72 Vgl. besonders Dal neorealismo al realismo, in: Cinema Nuovo, Nr. 53, 25. 2. 1955, S. 127. 73 Alle Zitate aus Guido Aristarco: I leoni fischiati, in: Cinema Nuovo, Nr. 43, 25. 9. 1954, S. 167– 170, hier S. 167 f. 74 Aristarco: È realismo (Cinema Nuovo, Nr. 55, 1955), S. 226. 75 Vgl. Aristarco: I leoni fischiati (Cinema Nuovo, Nr. 43, 1954), S. 169.

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colo“ ab.76 Seine Rezensionen waren in einem Maße, das hier nicht widergespiegelt werden kann, literaturbezogen, die seiner „revisione critica“ zur Ehre gereichte. Spalten-, wenn nicht seitenlang diskutierte er dort zumeist die – wenn vorhandene – literarische Vorlage und klopfte sie auf den realistischen Impetus ab, um anschließend die filmische Umsetzung dahingehend zu analysieren. Im ersten halben Jahrzehnt der Cinema Nuovo erschienen immer wieder Beiträge, die Aristarcos Realismuskonzeption und die Anknüpfung an Lukács sekundierten, so dass diese Auffassung letztlich Oberhand in der Kritikergruppe gewann und sich die meisten ihrer Mitglieder auf diese Vorstellung von Film und Filmschaffen verständigen konnten. Unterstützung in der Verteidigung des „wahren“ Realismus fand Aristarco gemäß seiner nicht auf filmische Ausdrucksformen reduzierten Konzeption beispielsweise bei anderen Künstlern. Der Dichter und Essayist Franco Fortini befand, der bisherige Neorealismus sei eher ein Neopopulismus gewesen angesichts seiner Konzentration auf die zuvor in den Künsten und besonders im Film vernachlässigten ärmeren Bevölkerungsschichten. Nun bedürfe es einer weiter gefassten gesellschaftlichen Analyse, die mit Lukács’ Verständnis von realistischer Ästhetik und kritischer Literatur im Einklang stehe.77 Der Maler Mucchi warnte metaphorisch vor den veristischen Straßengräben, in die die Künstler von der Straße zum Realismus abgleiten könnten, und der Kritiker Del Fra unterstrich ebenfalls das Lukács’sche Konzept der „tipicità“.78 Schließlich sprach sich noch Ende 1957 Renzo Renzi für die von Aristarco geforderte und an den wenigen gelungenen Filmen wie Senso hervorgehobene Verknüpfung zwischen Individuum und Umgebung aus, „quel saldo legame tra individualità e ambiente che permetta di giungere a una piú complessa e finalmente piena visione del reale, senza eluderne una parte.“79 Die Durchsetzung des kritisch-realistischen Paradigmas als maßgebliche filmkritische Haltung der Zeitschrift bewirkte, dass formal-ästhetische Kriterien bei der Beurteilung der Filme nur selten eingehender diskutiert wurden. Der Vorwurf der inhaltlichen Fixierung, des „contenutismo“, von Chiarini wiederholt aufgebracht und jedoch stärker auf die kommunistischen Kritiker etwa der Parteimedien gemünzt, focht die Cinema Nuovo nicht an. Aristarco wiegelte in der Diskussion um Senso ab: Significa tutto questo discorso essere astratti contenutisti? […] E’ ovvio che l’astratto contenutismo, per essere indifferente alla forma, giudica dal valore del soggetto; ma è altrettanto ovvio che non si può giudicare il valore del soggetto prescindendo dalla forma […]. L’accusa di astratto contenutismo è un’accusa che può essere facilmente ribaltata; e in ogni caso sono da preferire i contenutisti cosí detti volgari ai formalisti astratti.80 76 Vgl. etwa Aristarco: È realismo (Cinema Nuovo, Nr. 55, 1955), S. 227; ders.: Senso (Cinema Nuovo, Nr. 52, 1955), S. 113 f. 77 Vgl. Franco Fortini: Il realismo italiano nel cinema e nella narrativa, in: Cinema Nuovo, Nr. 13, 15. 6. 1953, S. 362 f. Dazu auch Robert S. Dombroski: Critics and Intellectuals during the Cold War: The Case of Franco Fortini, in: Duggan/Wagstaff (Hg.): Italy in the Cold War, S. 203–214, hier besonders S. 205. 78 Vgl. Mucchi: Dietro (Cinema Nuovo, Nr. 30, 1954), S. 114 f.; Del Fra: I figli smarriti (Cinema Nuovo, Nr. 41, 1954), S. 94. 79 Renzo Renzi: I quattro della crisi, in: Cinema Nuovo, Nr. 119, 1. 12. 1957, S. 291–293, hier S. 292. 80 Aristarco: È realismo (Cinema Nuovo, Nr. 55, 1955), S. 228.

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Formale Analysen waren bei Aristarco zumeist nachrangig. Die filmischen Stilmittel wie Einstellungsgestaltung oder Kamerabewegungen wurden allenfalls hervorgehoben, wenn sie dem Thema des Films angemessen Ausdruck verliehen, wie beispielsweise im Fall von Charlie Chaplins Limelight.81 3.2 AUFBAU UND AUSRICHTUNG DER FILMKRITIK DER ERSTEN JAHRGÄNGE Im Vergleich zur Cinema Nuovo musste die Filmkritik, als sie im Januar 1957 das erste Mal erschien, mit bescheideneren Mitteln auskommen und konnte daher nicht mit ihrem italienischen Pendant mithalten, was das Erscheinungsbild als professionell aufgemachtes, abwechslungsreich gestaltetes und üppig bebildertes Filmmagazin anbelangte. Für das nur drei Ausgaben umfassende vorherige Projekt der film 56 hatten Enno Patalas und seine Mitstreiter auf die Ersparnisse Benno Klapps und die logistische Unterstützung der FIAG bauen können. So kam diese Zeitschrift der Cinema Nuovo in Abwechslungsreichtum und optischem Niveau verhältnismäßig nah. Sie hatte zumindest einige Bilderblöcke vorzuweisen und in den Textteilen eine vielfältige Kombination aus aktuellen Filmbesprechungen oder Grundsatzaufsätzen durch die wesentlichen Mitarbeiter, Übersetzungen oder Abdrucken aus Werken anderer Autoren zu filmischen oder kulturtheoretischen Themen und schließlich einer Auswahl von Leserzuschriften. Die Filmkritik wirkte demgegenüber in ihren ersten Jahren trotz einer modernen Schrifttype deutlich spröder. Die im monatlichen Rhythmus erscheinenden 20 bis 30 Seiten im Format eines kleinen Heftchens waren 1957 noch vollkommen unbebildert. Seit 1958 kamen sporadisch grobkörnige Fotos hinzu, überwiegend von Szenen aus den besprochenen Filmen. Die karge Bebilderung passte zur recht schematischen Gliederung der Filmkritik dieser Jahre. Schon im ersten Erscheinungsjahr 1957 bestand die Zeitschrift nahezu ausschließlich aus Filmbesprechungen, abgesehen von einem etwas längeren Artikel in jeder Ausgabe und einer unregelmäßigen Rubrik über Filmliteratur. Pro Ausgabe wurde einigen Filmen eine mehrseitige Rezension gewidmet, dazu gab es einseitige und halbseitige Kritiken und häufig mehr als ein Dutzend sehr kurze und nicht selten drastisch und polemisch formulierte Kurzbesprechungen. 1959 gab es zusätzlich einige Seiten, die kurze Vorschauen zur Vorabinformation für Kinogänger boten und 1960 wurden diese schließlich durch eine übersetzte Auswahl von Rezensionen und Zitaten aus dem Ausland, größtenteils aus englisch- und französischsprachigen Publikationen, oder aber durch eigene Kritiken im Ausland bereits gesehener Filme ersetzt. Gerade von 1958 bis 1960 gab es in der Zeitschrift nur selten Meldungen und Stellungnahmen aus der Redaktion oder Hinweise auf Äußerungen von Lesern. 1958 ergänzte für allerdings nur drei Hefte das Nebenprojekt F die Arbeit der Kritikergruppe. Filmkritiken erschienen hier nicht, 81 Vgl. Guido Aristarco: Luci della ribalta, in: Cinema Nuovo, Nr. 3, 15. 1. 1953, S. 58–61, hier vor allem S. 61.

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ansonsten erinnerte diese Zeitschrift mit ihrer Typographie und der sparsamen Bebilderung wiederum an die Filmkritik. Der inhaltliche Aufbau folgte allerdings akademischeren Ansprüchen. Abermals wurden hier grundlegende, teils sehr lange Aufsätze aus dem Filmkritik-Kreis mit Kommentaren, Festivalberichten oder Abdrucken anderer Autoren kombiniert. Die Filmkritik selbst erweiterte ihren Umfang zum Jahreswechsel 1960/61 deutlich und nun gab es wieder Kommentare und längere Essays oder Berichte der Redakteure, zudem eine ausgiebigere Bebilderung. Von der Kerngruppe um die Filmkritik wirkten Enno Patalas, Ulrich Gregor, Wilfried Berghahn und Theodor Kotulla schon an der film 56 mit und schrieben von Beginn an für das neue Magazin. Benno Klapp schrieb nur für die von ihm maßgeblich finanzierte film 56, Berghahn setzte zwischen 1958 und 1960 weitgehend mit der Mitarbeit aus, da er in Baden-Baden beim Südwestfunk beschäftigt war.82 Nach und nach stießen ab 1958 Dietrich Kuhlbrodt, Reinold E. Thiel und Günter Rohrbach als regelmäßige Autoren hinzu. Im ersten halben Jahrzehnt der Zeitschrift tauchten zudem gelegentlich weitere Namen als Rezensenten oder im Impressum auf, ohne als Autoren längerfristig dabei zu bleiben. Zu nennen sind aus dieser Gruppe beispielsweise der Journalist und spätere Filmhistoriker Gero Gandert sowie der Essayist, Schriftsteller und Adorno-Schüler Karl Markus Michel. Diese beiden kamen ebenso aus den einschlägigen Jahrgängen um 1930 wie der Kern der Gruppe und wie auch Gerhard Schoenberner und Rolf Becker, die in dieser Zeit noch etwas regelmäßiger in der Zeitschrift publizierten. Schoenberner, Jahrgang 1931, veröffentlichte 1960 Der gelbe Stern, eine frühe Dokumentation der nationalsozialistischen Judenverfolgung.83 Der 1928 geborene Becker arbeitete in Köln für den Stadtanzeiger und für die magnum, und auch als für Film oder Literatur verantwortlicher Redakteur des Spiegels.84 3.2.1 Das ideologiekritische Programm und seine Vorbilder All die genannten Filmkritiker vertraten gerade in den ersten fünf Jahrgängen der Zeitschrift und in den Filmbesprechungen weitgehend homogene Positionen. Die Abwesenheit von namentlichen Kennzeichnungen der Filmkritiken im ersten Halbjahr 1957 unterstrich diesen Eindruck. Rückblickend formulierte Enno Patalas dazu 1973: „Die Einmütigkeit unserer Urteile war so groß, daß wir die erste Person nur im Plural gebrauchten.“85 So kann hier für die Frühphase der Filmkritik von einem recht einheitlichen Paradigma der Ideologiekritik ausgegangen werden.86 Wie im 82 Vgl. Postscriptum, in: Filmkritik, Nr. 2, 1961, S. 128. 83 Vgl. auch Hans-Peter Kunisch: Die Kraft der Bilder. Vor fünfzig Jahren erschien die Dokumentation „Der gelbe Stern“: Eine Begegnung mit dem Autor Gerhard Schoenberner, in: Süddeutsche Zeitung, 20. 9. 2010. 84 Vgl. Die Autoren des Monats, in: Der Monat 11 (1959), Nr. 130, S. 96; zudem die Impressen des Spiegels dieser Zeit. 85 Enno Patalas: Zehn Jahre später, in: ders. / Ulrich Gregor: Geschichte des Films, München/ Gütersloh/Wien 1973, S. 530–533, hier S. 530. 86 Vgl. Claudia Lenssen: Die „Klassiker“. Die Rezeption von Lotte H. Eisner und Siegfried Kracauer, in: Bock/Jacobsen (Hg.): Recherche: Film, S. 67–82, hier S. 74; Helmut H. Diederichs:

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Fall der Cinema Nuovo zeigte das Editorial in der ersten Ausgabe der Filmkritik schon exemplarisch ihre Ausrichtung. Unter dem Titel „Anstelle eines Programms“ fand sich in dem kurzen Beitrag der Redaktion zunächst eine Art Kampfansage an die etablierte westdeutsche Filmkritikerszene der 1950er Jahre, die als „feuilletonistisch“ angegangen wurde.87 Die ersten Absätze des Editorials bestanden aus etlichen Kritikpunkten an den „Feuilletonisten“, aus denen sich im Umkehrschluss wiederum die eigenen Maximen der Filmkritik-Gruppe ableiten ließen. Die „gängige Filmkritik“ bestehe vorwiegend aus der „wohlformulierten Bestätigung der herrschenden Meinungen und Ansichten“. Sie fixiere mehr oder weniger wahllos „Eindrücke und Einfälle“, beschreibe die Filme als isolierte Phänomene und leiste allenfalls „die Erfindung schicker Bonmots“. Demgegenüber ging es der Filmkritik-Gruppe um eine systematische und hinterfragende Herangehensweise, darum, „Strukturen nachzuweisen“, „zu interpretieren“, „den Leser zur rechten Einsicht zu führen“, Filme in ihrem „gesellschaftlichen Zusammenhang“ zu analysieren und auch darum, „Forderungen zu stellen.“ Die hier angegriffene „feuilletonistische“ Filmpublizistik besitze keine Mittel, einerseits filmische Kunstwerke angemessen in ihrem „Kunstcharakter“ zu würdigen, andererseits einem „kommerziellen Produkt der Lebenslüge“ auf die Schliche zu kommen durch die Reflektion des Films „an der konkreten (soziologisch und ökonomisch zu begreifenden) Wirklichkeit“. Noch einmal wurde die Anbiederung beim Leser beispielsweise durch geschliffene Formulierungen und Wortwitz kritisiert, darüber hinaus die Tendenz vieler Filmkritiker, die eigenen Urteile sogleich als diskutabel zu relativieren. Eine Haltung, die auf Veränderungen – sei es nur der Filme und des Filmwesens – abziele, könne so nicht entstehen: „Kritik wird konsumierbar und läßt letzten Endes die Dinge so, wie sie sind, auch und gerade da, wo sie sich mokiert.“ Im letzten kurzen Absatz von „Anstelle eines Programms“ lieferte die Gruppe schließlich noch ein eigenes Modell der Filmbeurteilung, das sich in zwei Stränge aufgliederte, mit denen jeweils der „Blick des ansprechbaren Kinogängers“ geschärft werden sollte – „im Künstlerischen: für ästhetische Strukturen und Bauformen“, „im Gesellschaftlichen: für soziale und politische Leitbilder, in denen, bewußt oder unbewußt, der Geist der Zeit sich ausspricht und sich selbst bestätigt.“ Insbesondere im letzten Teil zeigte sich der ideologiekritische Ansatz des Kritikerkreises. Mit dem letzten Satz des Editorials jedenfalls überwog die soziologische Perspektive und hier wurde zudem deutlich, welche Ansprüche die Filmkritik nicht nur an die Kritik, sondern auch an die Filme selbst zu stellen gedachte: Die Kritik sollte die gesellschaftlichen Mechanismen im Zustandekommen und in der Wirkung von Filmen durchleuchten, die möglichen positiven Fälle, in denen Filme zur sozialen Selbsterkenntnis beitragen, feststellen, und die negativen, in denen politische Beschränktheit gefördert und verewigt wird, denunzieren. Filmkritik und Filmtheorie, in: Jacobsen/Kaes/Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films, S. 497–510, hier S. 502. 87 Dies und die folgenden Zitate sämtlich aus Anstelle eines Programms, in: Filmkritik, Nr. 1, 1957, S. 1 f.

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Filme sollten somit einen aufklärenden Charakter haben und nicht beruhigend und einschläfernd wirken. Auf welchen film- und kulturtheoretischen Vorbildern fußte die nicht nur in diesem kurzen Text postulierte Haltung der Gruppe um die Filmkritik? Immer wieder haben ihre Mitglieder Namen und Zitate in ihre Abhandlungen einfließen lassen, sich dazu insbesondere auch retrospektiv geäußert. Vielsagend ist der Hinweis von Theodor Kotulla aus den biographischen Skizzen der Redakteure von 1965: „Mehr als meine akademischen Lehrer beeinflussen mich die Schriften von Horkheimer, Adorno, Benjamin, Brecht, Kracauer, Eisenstein.“88 Aus dieser Aufzählung spielte der sowjetische Regisseur Sergej Eisenstein insgesamt in der Filmkritik mit seinen Filmen, vor allem aber mit seinen theoretischen Schriften keine nennenswerte Rolle als ausdrückliche Referenz. Walter Benjamin hingegen erschien 1957 im ersten Satz der neuen Zeitschrift überhaupt, denn laut ihrem Editorial wollten es die Redakteure „mit Walter Benjamin halten: Das Publikum muß stets unrecht erhalten und sich doch durch den Kritiker vertreten fühlen.“89 Hier wurde ein Rollenmodell, changierend zwischen unkonventionellem, auch belehrendem Aufklärer einerseits und Anwalt des Publikums gegenüber dem Filmwesen andererseits, angekündigt. Der Satz Benjamins ist Bestandteil der „Technik des Kritikers in dreizehn Thesen“ aus seiner Einbahnstraße. Bereits in der film 56 war ein Auszug aus diesen Thesen veröffentlicht worden, wobei vermutlich besonders auf diese Leitsätze Wert gelegt wurde: Wer nicht Partei ergreifen kann, der hat zu schweigen. […] Immer muß ‚Sachlichkeit‘ dem Parteigeist geopfert werden, wenn die Sache es wert ist, um welche der Kampf geht. […] Die Kunst des Kritikers in nuce: Schlagworte prägen, ohne die Ideen zu verraten. Schlagworte einer unzulänglichen Kritik verschachern den Gedanken an die Mode.90

Die Gruppe muss auf diese Thesen durch die 1955 von Theodor W. Adorno herausgegebenen Schriften Benjamins aufmerksam geworden sein. Da diese zunächst kaum Beachtung in der Bundesrepublik fanden,91 zählte der Filmkritik-Kreis vermutlich zu den wenigen Stimmen, die außerhalb des Frankfurter Instituts für Sozialforschung auf Benjamins Werk hinwiesen. Wenige Jahre später, in der Zeitschrift F, zog Kotulla Walter Benjamins heute deutlich breiter wahrgenommenen Aufsatz über „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ in einer Diskussion von Federico Fellinis Filmen heran.92 Mit Bertolt Brecht und dessen Dramen setzte sich im Verlauf der 1950er Jahre Wilfried Berghahn in mehreren Buchrezensionen oder Theaterkritiken in den Frankfurter Heften auseinander, seltener rekurrierte er in Filmbesprechungen auf

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Lebensläufe (Filmkritik, Nr. 4, 1965), S. 237. Anstelle eines Programms (Filmkritik, Nr. 1, 1957), S. 1. Zitat nach film 56, Nr. 3, 1956, S. 137. Vgl. Detlev Schöttker: Kommentar, in: Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit – und weitere Dokumente, Frankfurt/Main 2007, S. 99–254, hier S. 164. Vgl. Theodor Kotulla: Die Antwort des Mönchs. Bemerkungen zu Federico Fellini, in: F, Nr. 2, 1958, S. 139–159, hier S. 142–144.

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das Brecht’sche Konzept der Verfremdung.93 In die Filmkritik fand Brecht zumeist Eingang als Kronzeuge oder geistiger Vater der engagierten Haltung der Filmjournalisten, wenn beispielsweise Enno Patalas in einer Filmbuchbesprechung auf Brechts „Kleines Organon für das Theater“ anspielte und forderte, „[g]erade die Kritik müßte Brechts ‚Lust unseres Zeitalters‘ hervorrufen, ‚alles so zu begreifen, daß wir eingreifen können.‘“94 Auf den Spuren von Kotullas oben zitierter Aufzählung fortfahrend, zeigt sich, dass Adorno und Max Horkheimer eine deutlich explizitere Verbreitung durch die Filmkritik-Gruppe erfuhren. Dies gilt für kurze Aphorismen aus Adornos Minima Moralia,95 besonders aber für das Fragment „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“ aus der Dialektik der Aufklärung der beiden Autoren. Auch die 1947 in Amsterdam erschienene Dialektik der Aufklärung fand in der bundesdeutschen Nachkriegszeit lange Zeit kaum Gehör.96 In der F wurde der Abschnitt zur „Kulturindustrie“ allerdings in drei Folgen mit Genehmigung der Verfasser abgedruckt und eine kürzere Passage daraus war schon in der zweiten Ausgabe der Filmkritik erschienen. Die jungen Kritiker übernahmen, ihrer Profession gemäß, nicht die häufiger festgestellte, skeptische bis ablehnende Einstellung Adornos und Horkheimers gegenüber dem Film; vielmehr verbanden sie, wie etwa das erste Editorial der Filmkritik zeigte, mit dem Medium in Anlehnung an Walter Benjamin und auch Siegfried Kracauer Ansprüche und Hoffnungen.97 Das Schlagwort der „Kulturindustrie“ beeinflusste sie aber und fiel in diesen Jahrgängen sehr häufig, wenn der manipulative, konformistische und damit gefährliche Charakter nicht nur der westdeutschen Filmindustrie, sondern sämtlicher serieller Kulturproduktion beklagt wurde. Die wenigen Absätze aus Adornos und Horkheimers Kapitel, die in der Filmkritik zur Veröffentlichung unter der Überschrift „Amusement und Kulturindustrie“ ausgewählt wurden, betonten eben besonders die Verknüpfung der anspruchslosen Massenunterhaltung mit Kapitalismus und Ausbeutung: Dem Arbeitsvorgang in Fabrik und Büro ist auszuweichen nur in der Angleichung an ihn in der Muße. Daran krankt unheilbar alles Amusement. Das Vergnügen erstarrt zur Langeweile, weil es, um Vergnügen zu bleiben, nicht wieder Anstrengung kosten soll und daher streng in den ausgefahrenen Assoziationsgeleisen sich bewegt. Der Zuschauer soll keiner eigenen Gedanken bedürfen: […] Jede logische Verbindung, die geistigen Atem voraussetzt, wird peinlich vermieden. Entwicklungen sollen möglichst aus der unmittelbar vorausgehenden Situation erfolgen, ja nicht aus der Idee des Ganzen. […] Kulturindustrie bietet als Paradies den selben Alltag wieder an. Das Vergnügen befördert die Resignation, die sich in ihm vergessen will.98

93 Vgl. Wilfried Berghahn: Die kalte Lola, in: film 56, Nr. 3, 1956, S. 143–145. 94 Filmliteratur, in: Filmkritik, Nr. 5, 1957, S. 80. 95 Jedenfalls erschien in den Publikationen mehrmals folgendes Zitat daraus: „Vielleicht könnte ein Film, der dem Code des Hays Office in allem streng Genüge tut, als großes Kunstwerk geraten, aber nicht in einer Welt, in der es ein Hays Office gibt.“ – Vgl. film 56, Nr. 1, 1956, S. 34; F, Nr. 1, 1958, S. 21. 96 Vgl. Schöttker: Kommentar, S. 163 f. 97 Zu den divergierenden Einstellungen der Theoretiker zum Film vgl. zum Beispiel ebd. und Lenssen: Die Klassiker, S. 75 f. 98 Zitiert nach Theodor W. Adorno / Max Horkheimer: Amusement und Kulturindustrie, in: Filmkritik, Nr. 2, 1957, S. 17 f., hier S. 18.

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Stärker noch als diese düsteren Beobachtungen und das Schlagwort der „Kulturindustrie“ beeinflusste die meisten Mitarbeiter der Filmkritik der von Kotulla genannte Filmsoziologe und -historiker Siegfried Kracauer, hauptsächlich mit seinem 1947 in den USA veröffentlichten From Caligari to Hitler. Als Kracauer 1966 starb, erinnerte sich Enno Patalas in einem Nachruf in der Filmkritik daran, dass für ihn und seine Kollegen „die Begegnung mit ihm eine zentrale Erfahrung“ gewesen war: Ich erinnere mich noch deutlich der Bewegung, die in mir die Lektüre des Caligari-Kapitels auslöste, als ich es, als Primaner, im Monat las, […] Im münsterschen Institut für Publizistik war dann das Buch wohl fast permanent ausgeliehen an die nachmaligen Gründer dieser Zeitschrift, soweit sie dort studierten; […] Ich bin sicher, daß ich hier im Plural sprechen darf: unser Verhältnis zum Film ebenso wie zur Gesellschaft – zu unserem Film, zu unserer Gesellschaft – ist von keinem anderen einzelnen Buch ähnlich profund mitbestimmt worden wie von diesem.99

Auch für Ulrich Gregor stellte diese Entdeckung einen entscheidenden Einschnitt in die intellektuelle Biographie dar, als er irgendwann an der Universität […] in ein Seminar [geriet] und da wurde der Name Kracauer erwähnt und wurde auch über das Buch Von Caligari zu Hitler gesprochen, das es damals nur auf Englisch gab, aber als ein sehr wichtiges Werk, ich hab mir dieses Werk sofort besorgt und hab das mit Faszination gelesen und das wurde so für mich und andere eine Art Bibel für eine gewisse Zeit, das waren so die Grundlagen filmischer Orientierung und Bewertung.100

Siegfried Kracauer hatte sich bereits in seiner Zeit als Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung in den 1920er und frühen 1930er Jahren für eine Verknüpfung von Filmanalyse mit Soziologie und Sozialpsychologie ausgesprochen. Die damit zusammenhängende gesellschaftskritische Haltung und seine jüdische Herkunft waren es, die ihn zur Flucht vor den Nationalsozialisten zwangen. Nach einigen Jahren in Frankreich siedelte er nach New York über, wo er bis zu seinem Tod in den 1960er Jahren lebte und anders als Adorno und Horkheimer nicht mehr dauerhaft in die Bundesrepublik zurückkehrte.101 1932 hatte er in einem Beitrag in der Frankfurter Zeitung „Über die Aufgabe des Filmkritikers“ postuliert, „der Filmkritiker von Rang“ sei „nur als Gesellschaftskritiker denkbar. Seine Mission ist: die in den Durchschnittsfilmen versteckten sozialen Vorstellungen und Ideologien zu enthüllen und durch diese Enthüllungen den Einfluß der Filme selber überall dort, wo es nottut, zu brechen.“102 Sein früherer Aufsatz „Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino“ zeigte ebenfalls, dass er Filme und ihre standardisierten Handlungskonstellationen als „Spiegel der bestehenden Gesellschaft“ nutzen wollte.103 Diese frühen Texte Kracauers wurden teils erst in den 1960er Jahren gebündelt neu herausgege-

99 Enno Patalas: Siegfried Kracauer, in: Filmkritik, Nr. 1, 1967, S. 5. 100 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 101 Vgl. zum Beispiel Lenssen: Die Klassiker, S. 67–70. 102 Siegfried Kracauer: Über die Aufgabe des Filmkritikers [1932], in: ders.: Kino. Essays, Studien, Glossen zum Film, hg. von Karsten Witte, Frankfurt/Main 1974, S. 9–11, hier S. 11. 103 Vgl. Siegfried Kracauer: Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino [1928], in: ders.: Das Ornament der Masse. Essays, Frankfurt/Main 1963, S. 279–294, hier etwa S. 279.

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ben. Erst spät erschien zum Beispiel ein Auszug aus dem „Ladenmädchen“-Aufsatz in der Filmkritik.104 Das in den Erinnerungen von Patalas und Gregor als so bedeutsam gerühmte Caligari-Buch ist allerdings im nahezu gleichen Geiste, mit dem gleichen sozialkritischen und aufklärerischen Impetus abgefasst worden wie die Texte Kracauers vor seiner Emigration. Kracauer las hier, wie der Titel der Studie bereits suggerierte, aus etlichen deutschen Filmen und Filmmotiven der Weimarer Zeit untergründig wirkende Mentalitäten und weit verbreitete Dispositionen als die Vorboten des nationalsozialistischen Aufstiegs heraus. Neben anderen Aspekten ist diese teleologische Deutung mittlerweile einer kritischen Revision unterzogen worden,105 für die studentischen Kritiker in den Anfangsjahren der Bundesrepublik war dieser soziologische Ansatz jedoch eine äußerst vielversprechende Untersuchungsperspektive. Kracauers Buch teilte mit den Werken Walter Benjamins, Theodor W. Adornos und Max Horkheimers die zögerliche Aufnahme und Verbreitung in ihrem Heimatland. Abgesehen von der in Patalas’ Erinnerungen erwähnten Veröffentlichung eines übersetzten Kapitels im Monat, in dem Kracauer Eingriffe in die Produktion von Robert Wienes 1920 entstandenem Das Cabinet des Dr. Caligari offenlegte,106 war das Werk lange Zeit, wenn überhaupt, nur in englischer Sprache greifbar, da sich kein Verlag dauerhaft interessiert zeigte. Erst 1958 erschien das Buch als Von Caligari bis Hitler und um einige analytische Schärfen ärmer, was zeitgenössisch kaum bemerkt und kritisiert worden ist. Für Karsten Witte ist „die Tendenz der Ausgabe […] schon im Titel zu fassen: statt einer politischen Konklusion eine historische Eingrenzung. […] Die Streichungen waren so massiv (Vorwort, Anhang, Exkurse, Anmerkungen, Darlegungen zur Methode der Analyse), daß nur ein Digest aus Filmplots stehen blieb.“107 Um die Anregungen, die die späteren Mitarbeiter der film 56 und der Filmkritik aus Kracauers Buch notgedrungen in englischer Sprache gewannen, nachzuzeichnen, ist daher von der deutschen Ausgabe von 1958 abzusehen und auf den vollständigen Text – hier der Einfachheit halber in der jüngsten deutschsprachigen Edition – zurückzugreifen. Zentrale Passagen fanden sich bereits in Kracauers knapper Einleitung.

104 Vgl. Siegfried Kracauer: Wirklichkeit im Zeugenstand, in: Filmkritik, Nr. 2, 1967, S. 103–113, hier S. 103–105. Zur Editionsgeschichte vgl. auch Lenssen: Die Klassiker, S. 73. 105 Vgl. Lenssen: Die Klassiker, S. 72; Thomas Koebner: Von Caligari führt kein Weg zu Hitler. Zweifel an Siegfried Kracauers „Master“-Analyse, in: ders., in Verbindung mit Norbert Grob und Bernd Kiefer (Hg.): Diesseits der „Dämonischen Leinwand“. Neue Perspektiven auf das späte Weimarer Kino, München 2003, S. 15–38. 106 Vgl. Siegfried Kracauer: Das Kabinett des Dr. Caligari, in: Der Monat 1 (1948), Nr. 2, S. 78–86. 107 Zur problematischen Rezeptions- und Publikationsgeschichte des Buchs vgl. Karsten Witte: Nachwort des Herausgebers, in: Siegfried Kracauer: Schriften, hg. von dems., Bd. 2: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films [1947]. Übersetzt von dems. und Ruth Baumgarten, Frankfurt/Main 1979, S. 605–615, Zitat S. 611; Sabine Biebl: Nachbemerkung und editorische Notiz, in: Siegfried Kracauer: Werke, hg. von Inka MülderBach und Ingrid Belke, Bd. 2.1: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films [1947], hg. von ders. unter Mitarbeit von Gerhard Hommer, Berlin 2012, S. 499–532, hier S. 522–529.

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Eingangs bemängelte er eine analytische Leerstelle in der vorherigen filmwissenschaftlichen und filmhistorischen Auseinandersetzung mit dem Weimarer Kino. Der Fokus auf Filmtechnik und -ästhetik greife zu kurz, um dessen Entwicklung nachzuvollziehen, es „wird sich zeigen, daß die Technik, der Inhalt der Geschichte und die Entwicklung der Filme einer Nation nur in Verbindung mit dem vorliegenden psychologischen Grundmuster dieser Nation voll verständlich werden.“108 Kracauer bekräftigte in der Einleitung – mit einigen differenzierenden Einschränkungen und hier am Beispiel des US-Kinos – seine „Spiegel“-These, dass der Publikumsgeschmack einen größeren Einfluss habe als dass umgekehrt die Manipulation der Filmindustrie überwiege: Der verzerrende Einfluß der Hollywood-Massenunterhaltung sollte jedoch nicht überschätzt werden. Derjenige, der manipuliert, bleibt abhängig von den Eigenschaften, die seinem Material innewohnen; […] Hollywood kann es sich nicht leisten, Spontaneität aufseiten des Publikums zu ignorieren. Allgemeine Unzufriedenheit zeigt sich in den rückläufigen Kasseneinnahmen, und die Filmindustrie, für die Profitinteresse eine Existenzfrage ist, muß sich so weit wie möglich den Veränderungen des geistigen Klimas anpassen. Gewiß, amerikanische Kinobesucher kriegen vorgesetzt, was Hollywood will, daß sie wollen; auf lange Sicht aber bestimmen die Bedürfnisse des Publikums die Natur der Hollywood-Filme.

Methodisch präzisierte Kracauer im Anschluss, was er in den Filmen zu finden glaubte: „weniger explizite Überzeugungen als psychologische Dispositionen – jene Tiefenschichten der kollektiven Mentalität, die sich mehr oder weniger unterhalb der Bewußtseinsdimension erstrecken“109 und aus welchen filmischen Elementen er dies zu destillieren gedachte. Hier kam er wieder auf die stereotyp wiederholten Filmmotive zurück, die er im „Ladenmädchen“-Aufsatz schon als Indikator herausgestrichen hatte und die er nun nicht mehr nur in Durchschnittsfilmen verortete: Was zählt, ist weniger die statistisch erfaßbare Popularität von Filmen als die Popularität ihrer bildlichen und erzählerischen Motive. Die beharrliche Vorherrschaft dieser Motive kennzeichnet sie als äußere Projektionen innerer Antriebe. Und sie haben offensichtlich am meisten symptomatisches Gewicht, wenn sie in sowohl populären wie unpopulären Filmen, in als zweitrangig eingestuften Filmen wie Spitzenproduktionen auftauchen. Diese Geschichte des deutschen Films ist eine Geschichte von Motiven, die Filme jeglichen Niveaus durchdringen.110

Zum Abschluss seiner programmatischen Überlegungen lieferte Siegfried Kracauer zudem bereits eine kurze sozialpsychologische Einschätzung zum Ende der Weimarer Republik und zum Sieg der NSDAP. Gerade die kleinbürgerlichen Mittelschichten hätten dazu beigetragen, indem sie nicht, wie ihrem vom Abstieg bedrohten Status angemessen, demokratische Positionen verfochten, sondern sich von „Versprechungen der Nazis“ hätten locken lassen. Zu einer solchen Analyse könne auch die Filmgeschichtsschreibung beitragen.111

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Kracauer: Werke, Bd. 2.1, S. 12 f. Ebd., S. 14 f. Ebd., S. 17. Kracauer stellte diese Verknüpfung wie folgt her: „So spielt sich hinter der offenkundigen Geschichte der ökonomischen Veränderungen, sozialen Krisen und politischen Machenschaften eine geheime Geschichte ab, die die inneren Dispositionen des deutschen Volkes ins Spiel

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Der ideologiekritische Ansatz in Sozial- und Filmgeschichte und die Perspektive seiner Übertragung auf die Gegenwart der 1950er Jahre übte auf die Begründer der Filmkritik besondere Faszination aus, wie aus dem ersten Editorial der Zeitschrift deutlich wurde, wenn beispielsweise dem „Geist der Zeit“ und den „gesellschaftlichen Mechanismen“ nachgespürt werden sollte. Enno Patalas, Ulrich Gregor oder Wilfried Berghahn setzten bei der Adaption dieser kulturtheoretischen Vorbilder jeweils eigene Schwerpunkte, zusammengefasst oszillierten all diese Beiträge aber um das „Spiegel“-Motiv Kracauers und vermengten es auf verschiedene Art und Weise mit Adornos und Horkheimers Modell der manipulativen und dem Eskapismus förderlichen „Kulturindustrie“. Dass sich die Diskussion von Kracauers „Spiegel“-These von der reinen Übernahme ausgehend über die Jahre hinweg weiterentwickelte, zeigen beispielsweise die Aufsätze von Enno Patalas. In einem frühen Text, 1954 im ersten Jahrgang der Neuen Deutschen Hefte erschienen, paraphrasierte Patalas noch ein wenig umständlich, dass Filme Spiegel seien, „nicht des Lebens, ‚wie es ist‘, sondern des Widerscheins der Wirklichkeit, dessen Strahlen gebrochen werden durch das Prisma der kollektiven Wunsch- und Furchtvorstellungen“; das Kino, „der Erfüllungsort für jene Triebwünsche der Menge, denen die Wirklichkeit die vollkommene Befriedigung versagt“, betrachtete er als Indikator für historische Fragestellungen, etwa das „Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft“ oder „die Stellung der Familie, die Stellung des Kindes und der Frau im Bewußtsein der Massen“.112 In seinem gemeinsam mit Theodor Kotulla und Ulrich Gregor verfassten „Panorama 1955“, das als programmatischer Auftakt der film 56 fungierte, tauchte wieder der Kracauer-Duktus auf – „Filme sind Spiegel“ – einhergehend mit der Maxime: „Die Aufhellung des ideologischen Charakters der Filmproduktion wird film 56 zu seiner Hauptaufgabe machen“.113 Etwa zwei Jahre später entdeckte Patalas als Autor einer „Sozialgeschichte des amerikanischen Films“ für die F gleichwohl „Grenzen“ der Abhängigkeit des Films von kollektiven Mentalitäten. Ungewollt übersehe Kracauer dabei die „vielfältigen Steuerungsmechanismen“ in der Filmindustrie, leiste deren „Verschleierungsstrategie“ Vorschub und falle auf die Hollywood-Ideologie des „movies are mirrors“ herein. Es gelte einerseits anzuerkennen, dass sich die Filmindustrie in der marktwirtschaftlichen Konkurrenzsituation selbstverständlich auf massenkompatible Aussagen und angenommene Mehrheitsmentalitäten stützen müsse, andererseits wies Patalas darauf hin, dass diese nur „gebrochen reflektiert werden“ angesichts der Aktivität von Kontroll- und Zensurinstanzen, der Meinungen der Filmhersteller

bringt. Die Aufdeckung dieser Dispositionen im Medium des deutschen Films dürfte dazu beitragen, Hitlers Aufstieg und Machtergreifung zu verstehen.“ – ebd., S. 21. 112 Alle Zitate aus Enno Patalas: Die Furcht vor der Verantwortung. Der deutsche Film als soziales Symptom, in: Neue Deutsche Hefte 1 (1954), Nr. 6, S. 457–463, hier S. 457. 113 Ulrich Gregor / Theodor Kotulla / Enno Patalas: Panorama 1955, in: film 56, Nr. 1, 1956, S. 2–8, hier S. 2.

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und – die Wortwahl ist zu beachten, auch wenn der Gedanke an dieser Stelle nicht präzisiert wurde – der „Gewalt des Apparates der Kulturindustrie“.114 Ulrich Gregor arbeitete sich 1958 und 1959 in verschiedenen Artikeln mit ähnlichem Ergebnis an Kracauers „Spiegel“-Metapher ab. Eingebettet war diese kritische Prüfung bei Gregor stets in eine materialistisch angehauchte Auffassung von Kultur-, Kunst- und Filmgeschichte, die an die idealismuskritische „revisione critica“ Guido Aristarcos in der Cinema und der Cinema Nuovo erinnerte. Er forderte, dass „man die Werke aus dem Himmel scheinbar ‚freier‘ Inspiration herunterholt in die Niederungen irdischer Auseinandersetzungen, sie hineinstellt in die Perspektive historischer Entwicklung“115 oder kritisierte in einer seiner Filmliteraturbesprechungen für die Neuen Deutschen Hefte die „idealistische[…] Philosophie“ Edgar Morins, dem anders als Adornos und Horkheimers Dialektik der Aufklärung jede „gesellschaftlich-geschichtliche[…] Dimension“ fehle.116 Im Grundverständnis seines Metiers klang der Filmkritiker noch sehr deutlich wie das Vorbild Kracauer, ihm erschien kaum etwas dringlicher, als den offenen oder versteckten ideologischen Gehalt der Filme konkret zu bestimmen. Das vermag nur eine Kritik zu leisten, die sich der Beziehungen zwischen Film und Gesellschaft bewußt ist. Die bloß beschreibende, ästhetische Analyse kann nicht genügen: sie macht selbst ein Element jener falschen Versöhnung von Wirklichem und Scheinbarem aus, die die Filmindustrie propagiert.117

Gregor nahm aber eine Verfeinerung gegenüber Kracauer vor, was die Rolle des Films in Geschichte und Gesellschaft betraf. Das „movies are mirrors“ Kracauers habe „für die Steuerungsmechanismen, die auch in der westlichen Filmproduktion wirksam sind, scheinbar keinen Platz“ gelassen, sogar „indirekt zur Rechtfertigung skrupelloser Geschäftsleute“ beigetragen unter deren Motto „Die Leute wollen es ja nicht anders!“118 Gregor brachte ein „dialektisches“ Verhältnis zwischen Film und Gesellschaft auf, womit er Kracauers Modell zu einer Synthese aus einer reinen Manipulationsthese und einer ausschließlichen Spiegelungsthese weiterentwickelte: Der Prozeß der Wechselwirkung zwischen Film und Publikum kennt keine Urheber, wohl aber Verantwortliche. Er verweist die Filmhersteller zwar auf die ansatzweise beim Publikum vorhandenen Urteile, Meinungen und Bestrebungen, hebt sie aber, indem er sie widerspiegelt,

114 Alle Zitate aus Enno Patalas: Hollywoods Antwort. Sozialgeschichte des amerikanischen Films, in: F, Nr. 1, 1958, S. 21–40, hier S. 21 f. 115 Ulrich Gregor: Zwischen Tradition und Revolte. Sozialgeschichte des französischen Films, in: F, Nr. 3, 1958, S. 249–267, hier S. 250. 116 Vgl. Ulrich Gregor: Literatur über den Film, in: Neue Deutsche Hefte 5 (1959), Nr. 54, S. 930– 936, hier S. 933 f. Mit der Dialektik der Aufklärung konform konstatierte Gregor die zeitgenössische Bedrohlichkeit der Filmindustrie, „daß man den Massen als Ersatz für den unbefriedigenden Alltag eben jenen Alltag, in Klischees und stereotype Handlungen übersetzt, ein zweites Mal anbietet und dadurch aktiv zur Versteinerung der Gesellschaft beiträgt“ – ebd., S. 936. 117 Ulrich Gregor: Zur Soziologie des Films, in: Neue Deutsche Hefte 6 (1959), Nr. 65, S. 842– 850, hier S. 850. 118 Zitate aus Gregor: Literatur über den Film (Neue Deutsche Hefte, Nr. 54, 1959), S. 932; Gregor: Soziologie des Films (Neue Deutsche Hefte, Nr. 65, 1959), S. 844.

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auf ein höheres Niveau der Bewußtheit und schließt daher auch keineswegs die Möglichkeit gezielter Beeinflussung aus.119

In diesem Sinne lenkte er seinen Blick in einer längeren Passage eines Aufsatzes über die „Soziologie des Films“ gerade auch auf die zahlreichen politischen und gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten und Einflüsse auf die Filmproduktion.120 Wilfried Berghahn diskutierte in einigen Beiträgen dieser Jahre den auch im ersten Editorial der Filmkritik verwendeten Leitbildbegriff und zeigte dabei ebenfalls ein zweischneidiges Verständnis vom Medium – als manipulatives Instrument in den Händen von Industrie und politischen Steuerungsinstanzen einerseits und als Spiegelbild ohnehin vorhandener gesellschaftlicher Strömungen andererseits. In der film 56 beleuchtete er unter der Überschrift „Mac Arthur und die Zivilisten“ die Produktion und die Motivation filmischer Leitbilder.121 Populäre Filmfiguren würden häufiger als erahnt und auf raffinierte, indirekte Weise zur Überzeugung von politischen Entscheidungen eingesetzt: Bei dieser Technik wird die ideologische Wirkung nicht durch den direkten Appell erreicht, man wendet sich nicht an das Bewußtsein, sondern prägt ins Unbewußte ein Handlungsschema ein, das wenn es oft genug durch andere Filme und andere Beeinflussungsquellen bestätigt wird, stark genug werden kann, um die bewußten politischen Vorstellungen des Publikums zu infiltrieren und schließlich, wenn nicht zu beherrschen, so auf jeden Fall gegenteilige zu verwirren und den Betreffenden für die eigene Richtung ansprechbar zu machen.122

Als Beispiel für ein solches Leitbild übernahm Berghahn vom US-Kritiker Robert Warshow den Westerner, den einsamen, souveränen Helden der Prärielandschaften. In Fred Zinnemanns Western High Noon wirbt ein ehemaliger Sheriff vergeblich um Unterstützung der Bürger einer Kleinstadt und wehrt schließlich auf eigene Faust einen Banditenangriff ab. Der Film wurde zur Zeit des Koreakriegs produziert. Da in diesen Jahren in den USA eigentlich Kriegsmüdigkeit und wenig Begeisterung über Präsident Trumans Interventionsbeschluss herrschten, deutete Berghahn die Handlung als kaum zufälligen Appell zur Entschlossenheit und Kampfbereitschaft. Die Annahme der Politikfreiheit des Kinos sei selbst ein „Teil der westlichen Ideologie“.123 Nach weiteren Filmbeispielen, in denen sich diese „Wildwest-Situation“ auf den Kalten Krieg und militärische Auseinandersetzungen in Asien übertragen lasse, verzichtete Berghahn zum Abschluss seines Textes demonstrativ auf „alles Beruhigende“, weil er wie Patalas und Gregor zur Wachsamkeit aufrufen wollte – darüber, „daß auch in der westlichen Welt von den Kinoleinwänden herunter eine unablässige Meinungsführung an uns versucht wird. Wir

119 Gregor: Soziologie des Films (Neue Deutsche Hefte, Nr. 65, 1959), S. 844. 120 Vgl. ebd., S. 845–847. 121 Unter Leitbildern verstand er „gefühlsbesetzte Gestaltungsformeln, die sich in leichter Variation vielfach wiederholen, aber immer einen identischen Kern – sowohl formal wie emotional – bewahren.“ – Wilfried Berghahn: Mac Arthur und die Zivilisten. Nationale Leitbilder im amerikanischen Film und ihre politische Bedeutung, in: film 56, Nr. 1, 1956, S. 28–34, hier S. 28. 122 Ebd., S. 30. 123 Ebd., S. 31.

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werden der totalitären nur dann widerstehen, wenn wir der marktwirtschaftlichen entgangen sind.“124 1958 widmete sich Berghahn in den Frankfurter Heften noch einmal den sozialpsychologischen Funktionen und Implikationen der Leitbilder, wiederum in der Tradition Siegfried Kracauers. Dem von Warshow entlehnten Westerner stellte er dabei aus gleicher Quelle das Leitbild des Gangsters an die Seite. Gangster und Westerner unterschieden sich zwar durch die direktere Verbindung mit der urbanen Lebenswirklichkeit des Publikums und dadurch, dass der Gangster zum Ende der Filmhandlung zumeist geschlagen sei, erfüllten aber beide auch die Funktion eines Ventils. Der Gangster „nimmt, wie der Westerner, alle die halbbewußten Unwillensregungen seiner Zuschauer über ihr verwaltetes und reglementiertes Dasein auf“. Wie Träume auf versteckte „seelische[n] Erlebnisse und Spannungen“ der einzelnen Menschen schließen ließen, offenbare sich „die Gesellschaft als Kollektivwesen in ihren Filmmotiven.“ Leitbilderanalyse zeige vor allem die Probleme der Gesellschaft, die diese Filme konsumiere, denn Berghahn ging von einer latenten Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten aus, die vor dieser in Filmmotiven Zuflucht nähmen: „Der Mensch der modernen Gesellschaft erträumt sich heute überall Reservate. Er möchte Ferien machen von seiner Existenz als soziales Wesen dieser unserer Zeit.“125 Die diversen Leitbilder aus unterschiedlichen Ländern, die Formen des impliziten und expliziten Eskapismus, die er in diesem Aufsatz nun in einem internationalen Vergleich aufschlüsselte, empfand Berghahn in jedem Fall als gefährlich. Sein Schluss war ein Appell zum Aufbruch aus der blinden Hingabe an Traumwelten, der direkt wieder von einer pessimistischen Note relativiert wurde: „Man kann ihm nur dort entgegenarbeiten, wo zur Konfliktspannung die Bewußtheit hinzutritt. Leider ist das Kino freilich nicht der Ort, an dem Bewußtsein sehr gefragt wäre.“126 Insbesondere in diesem Text wurde eine Vermengung der Einflüsse durch Kracauer auf der einen sowie durch Theodor W. Adorno und Max Horkheimer auf der anderen Seite deutlich, da sowohl die Abbildfunktion des Films als auch die pessimistische Beschreibung als besinnungslos konsumiertes Massenprodukt auftauchte. Ähnlich wie bei der Cinema Nuovo zeigte sich bei der Filmkritik in ihren ersten Bestandsjahren und bei den Vorläufer- und Nebenprojekten, dass die inhaltliche Auseinandersetzung mit den besprochenen Filmen zumeist deren formal-ästhetische Untersuchung überlagerte. In ihrem Fall dominierte das ideologiekritische Urteilsraster, wenngleich die Redakteure sich häufig an die Analyse filmtechnischer Aspekte herantasteten, wie sie es im Programm der Filmkritik mit der Frage nach „ästhetische[n] Strukturen und Bauformen“ angekündigt hatten. Dieses Herantasten, das sich zeitweise in ein wenig ungelenken Formulierungen widerspiegelte, sollte vor dem Hintergrund der dürftig entwickelten Filmwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland keineswegs unterschätzt werden. 124 Ebd., S. 34. 125 Alle Zitate aus Wilfried Berghahn: Reservate in Zelluloid. Die eskapistischen Leitbilder des zeitgenössischen Films, in: Frankfurter Hefte 13 (1958), Nr. 6, S. 427–433, hier S. 428–430. 126 Ebd., S. 433.

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Formale Analyse und die Verwendung filmischer Ausdrucksmittel durften für diese Kritikergruppe nur in Verbindung mit einer gehaltvollen Aussage geschehen, ein reines „l’art pour l’art“ wurde, wie von den italienischen Kritikern um die Cinema Nuovo, abgelehnt. Wilfried Berghahn kritisierte bereits 1952, in einer Rezension von Helmut Käutners Nachts auf den Straßen in den Frankfurter Heften, den leeren Formalismus von Filmherstellern – und von Kritikern. Zunächst bescheinigte er dem Regisseur und seinem Team, den Fernfahreralltag auf der Autobahn, um den es in der Geschichte des Films geht, durch die „Photographie“ – „sehr sicher komponiert und erstaunlich klar“ –, durch „Perspektive und Einstellungswechsel seiner Kamera“ sehr gut wiederzugeben, somit „allein mit filmischen Mitteln wirksame dramatische Momente aus dem Stoff heraus[zuholen]“.127 Flache Symbolik und der sentimentale Ausgang des Films machten diese potenziellen Erkenntnisgewinne allerdings wieder zunichte. Überhaupt zögen sich viele Kritiker und Regisseure in ihren Wortmeldungen immer wieder auf das vage „Filmische“ zurück – „Das alte Lied jeder rein formalen Untersuchung!“ Verhängnisvoll sei das bloße Abarbeiten eines Kanons filmästhetischer Stilmittel, ohne dabei etwas zu sagen zu haben: Kamerafahrten, Montagen, Gags – die Darstellungsmittel des Filmes genauso wie seine Symbol-Möglichkeiten sind Selbstzweck geworden. […] Muß man noch sagen, daß damit imgrunde doch nichts ausgesagt ist, daß man schockiert, überrascht und witzig ist um des Schocks, um der Überraschung und des Witzes willen?128

Seinem Anspruch und seiner Argumentationslinie folgend, lobte Berghahn andererseits im gleichen Jahr und abermals in den Frankfurter Heften Wolfgang Staudtes Der Untertan als ein Meisterwerk, in dem der Regisseur „filmische Effekte […] nie zu einem anderen Zweck [verwendet], als seine literarische Vorlage in adäquate Bilder zu übersetzen. […] Die Absichten des Regisseurs wie des Autors sind darin vollkommen realisiert worden.“129 Die rezensierten Filme bekamen in den ersten Jahrgängen der Filmkritik ohnehin selten klar zustimmende Bewertungen durch die strengen Redakteure. Wie bei Berghahn war es dann aber zumeist gerade auch die gelungene Verknüpfung von stilistischen Mitteln mit einer pointierten Aussage, die zu einem solchen positiven Urteil verleitete. Eine weitere Literaturadaption von Wolfgang Staudte, diesmal von Gerhart Hauptmanns Rose Bernd, unterstreiche die „Starre der dargestellten Welt“ durch die entsprechende Filmarchitektur und die Unbeweglichkeit der Kamera, es könne mit Hegel eine „innige Dialektik zwischen Thematik und Form“ beobachtet werden.130 Ulrich Gregor lobte an Twelve Angry Men von Sidney Lumet: „Hier steht jede Großaufnahme, jedes travelling in intimer Wechselwirkung zum dramatischen Geschehen: ein seltenes Aufgehen der Form im Inhalt, Identischwerden der 127 Wilfried Berghahn: Auf abschüssigen Straßen, in: Frankfurter Hefte 7 (1952), Nr. 5, S. 386– 388, hier S. 386. 128 Ebd., S. 387 f. 129 Wilfried Berghahn: Deutschenspiegel für Ost und West. Zu dem DEFA-Film „Der Untertan“, in: Frankfurter Hefte 7 (1952), Nr. 9, S. 712 f., hier S. 713. 130 Rose Bernd, in: Filmkritik, Nr. 4, 1957, S. 51–54, hier S. 51 f.

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Sprache mit ihrem Objekt.“131 Dass eine solche Wechselwirkung ebenso zu einem negativen Urteil führen konnte, zeigte sich etwa, als Enno Patalas Kracauers Analysemethode auf die bundesrepublikanischen Filme zu übertragen versuchte und die ideologisch fragwürdige Figurenzeichnung in der formalen Machart vieler Produktionen wiederfand: Der passive, quietistische Charakter dieser Haltung enthüllt sich auch im Optischen und im Dialog. In starren, ‚auf schön‘ photographierten Einstellungen, die in primitiver Bilderbuchmanier aneinandergereiht werden, läuft die Geschichte ab; die Darsteller der psychologisch ganz indifferenten Helden bewegen sich wie Gliederpuppen […]; der Rhythmus des Schnitts und der Kamerabewegung ist langsam und schleppend; die Dekorationen und Kostüme sind mit bemühter Sorgfalt ausgetüftelt, aber sie bleiben äußere Attribute, werden nicht zu Akteuren im Geschehen, wie es der Eigenart des Films entspräche.132

3.2.2 Filmtheoretische Wechselwirkungen zwischen Italien und Deutschland? Die Ideologiekritik war ein Analysewerkzeug, das der Gruppe um die Filmkritik überwiegend dazu diente, Mängel und Schwächen zu diagnostizieren. Es stellt sich die Frage, ob sie über diese Negativfolie hinaus ein konstruktives Filmprojekt verfolgte, ob es also eine Idealvorstellung vom Kino gegeben hat und ob die vorgestellten theoretischen Grundlagen und filmkritischen Schwerpunkte der Cinema Nuovo und der Filmkritik mit Erkenntnisgewinn in einem Zusammenhang diskutiert werden können. Zugespitzter formuliert: Welche Rolle spielte der in der Cinema Nuovo breit diskutierte Realismusbegriff in der frühen Filmkritik und welche Bedeutung hatten Ideologiekritik und ihr theoretischer Überbau für die italienischen Filmpublizisten? Siegfried Kracauer tauchte in den 1950er Jahren immer wieder in der Cinema Nuovo auf. Guido Aristarco unterhielt einen Briefwechsel mit dem in die USA emigrierten Theoretiker und ihm und seinen Kollegen war das Caligari-Buch bereits gut bekannt, bevor es 1954 in Italien – wie in der Bundesrepublik um einige Passagen gekürzt – erschien.133 Corrado Terzi widmete dem Werk eine zustimmende Rezension und bald wurden in der Cinema Nuovo darüber hinaus in loser Folge Vorabauszüge aus Kracauers erst Jahre später veröffentlichter Theory of Film abgedruckt, beispielsweise ein kurzer Text zu Filmen über Kunstwerke.134 Kracauer diente der Zeitschrift in diesen Jahren zumeist als eine Art Kronzeuge in allen Fragen zum deutschen Film und zur jüngeren deutschen Geschichte. Guido Aristarco zitierte immer wieder seine Filmbesprechungen und als der Chefredakteur von ei131 Ulrich Gregor: Die zwölf Geschworenen (Twelve Angry Men), in: Filmkritik, Nr. 9, 1957, S. 134 f., hier S. 135. 132 Patalas: Furcht vor der Verantwortung (Neue Deutsche Hefte, Nr. 6, 1954), S. 459. 133 Zur Vorgeschichte des Caligari-Buchs in Italien vgl. Witte: Nachwort des Herausgebers, S. 607 und 614. 134 Vgl. Corrado Terzi: In Caligari Hitler, in: Cinema Nuovo, Nr. 31, 15. 3. 1954, S. 159; Siegfried Kracauer: I film sull’arte, in: Cinema Nuovo, Nr. 4, 1. 2. 1953, S. 70.

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ner Rundreise zu kleineren westdeutschen Filmfestivals berichtete, bemängelte er, dass bei einer Ausstellung zu Filmliteratur am Rande der Göttinger Filmtage From Caligari to Hitler fehlte.135 Für Giorgio Signorini bestätigte sich schließlich in einer Retrospektive zum deutschen Kino im Rahmen des venezianischen Festivals Kracauers These von der „Präfiguration“ der NS-Herrschaft.136 Über diese wohlwollende Zustimmung und gelegentliche Sympathiebekundungen hinaus lässt sich aber nicht die systematische Übernahme des ideologiekritischen Prinzips durch die Cinema Nuovo feststellen. Gewiss, passagenweise erinnerten ihre Kritiken und sonstigen Texte an Kracauers Methodik und die seiner gelehrigen Schüler von der Filmkritik. Das Vokabular der „Spiegel“-These fand sich beispielsweise auch im Italienischen in manch knapper Rezension und als ideologiekritischer Zugang kann ebenfalls Giovan Battista Cavallaros Rückschau auf die internationale Filmproduktion in Venedig interpretiert werden, der er Eskapismus und Heldenkult attestierte.137 Nichtsdestotrotz dominierte in der Anfangszeit der Cinema Nuovo eindeutig die oben rekapitulierte inneritalienische Realismusdebatte. Kracauers Einfluss reichte nicht bis in diese Grundsatzdiskussionen hinein, sondern ergänzte vorwiegend die in den 1950er Jahren äußerst skeptische Auffassung der italienischen Kritiker vom deutschen, vor allem westdeutschen Kino. Zwar machte sich in der Zeitschrift schließlich, zum Ende ihrer Etablierungsphase, zusätzlich die in Italien Mitte des Jahrzehnts in breiteren Intellektuellenkreisen erfolgte Rezeption der Schriften Adornos und Horkheimers – ausgehend von der ersten Übersetzung der Minima Moralia138 – bemerkbar: Anfang 1958 brachte die Zeitschrift, von Kommentaren und Zusammenfassungen begleitet, Auszüge der Überlegungen zur „Kulturindustrie“ aus der Dialektik der Aufklärung.139 Beinahe ein Jahrzehnt später befasste sich Guido Aristarco auch mit dem Kunstwerk-Aufsatz Walter Benjamins.140 Insgesamt sind aber nur ein geringer Transferfluss von der deutschen in die italienische Filmkritik und Filmkultur und somit eine Asymmetrie zwischen den beiden Länderbeispielen zu diagnostizieren, wesentlich erklärbar durch die zeitlich versetzte Entstehungsgeschichte der Kritikerkreise und vor dem Hintergrund der kargen, international kaum angesehen Filmkultur in der Bundesrepublik. In der folgenden Untersuchung der umgekehrten Rezeptionsrichtung wird sich dies problemlos bestätigen lassen. Quellenbeispiele verdeutlichen, wie auch in der Filmkritik, parallel zum ideologiekritischen Urteilsraster, der Realismus als Ideal verfolgt und verteidigt wurde. 135 Vgl. Guido Aristarco: La voce del silenzio, in: Cinema Nuovo, Nr. 6, 1. 3. 1953, S. 153 f., hier S. 153; ders.: I mobbisti vogliono il Golem, in: Cinema Nuovo, Nr. 15, 15. 7. 1953, S. 57 f., hier S. 58; ders.: Deutschland, in: Cinema Nuovo, Nr. 64, 10. 8. 1955, S. 87–90, hier S. 88. 136 Vgl. Giorgio Signorini: Sul risvolto della svastica, in: Cinema Nuovo, Nr. 43, 25. 9. 1954, S. 185–187, hier S. 185. 137 Vgl. Wanda la peccatrice, in: Cinema Nuovo, Nr. 13, 15. 6. 1953, S. 380; Giovan Battista Cavallaro: La scomparsa dell’uomo comune, in: Cinema Nuovo, Nr. 43, 25. 9. 1954, S. 190 f. 138 Vgl. Sandro Bernardi: Gli anni del centrismo e del cinema popolare, in: ders. (Hg.): Storia, S. 3–34, hier S. 13. 139 Vgl. L’industria della cultura, in: Cinema Nuovo, Nr. 125, 15. 2. 1958, S. 114–117. 140 Vgl. Guido Aristarco: La mobilitazione crociana e la teoria di Walter Benjamin, in: Cinema Nuovo, Nr. 181, Mai/Juni 1966, S. 172–177.

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Schon in einem gemeinsamen Aufsatz für die film 56 prüften Enno Patalas, Wilfried Berghahn und Theodor Kotulla US-Filme wie Death of a Salesman und On the Waterfront auf ihre gesellschaftskritischen Potenziale. Sie fragten: „ist korrekte Oberflächenschilderung bereits ein gültiger Ausweis für den künstlerischen – oder auch moralischen – Realismus? Die dritte Dimension gewinnt das naturalistische fait divers zweifellos erst durch irgendeine Art von Interpretation.“141 Realismus bedeute die aufmerksame Beobachtung der Wirklichkeit, erzählerisch in einen verständlichen Zusammenhang gebracht – keine der Komponenten dürfe dabei dominieren, wie Kotulla formulierte: „Ein Kunstwerk kommt aber nur zustande, wo Protokoll und Konstruktion dialektisch ineinander umschlagen.“142 Bei der Verfechtung des Realismus durch die Filmkritik waren italienische Filme und Filmkultur und gerade auch die Cinema Nuovo die einflussreichsten Vorbilder. Die Begeisterung für die italienische realistische Filmschule äußerte sich direkt in einer überschwänglich positiven Rezension von Luchino Viscontis Senso durch Kotulla: „Die Epoche, das gesellschaftliche Milieu und die politische Atmosphäre muten in ‚Senso‘ so real an, wie zuvor in keinem anderen Film. […] man möchte fast jedes Bild von der Leinwand reißen, man fragt sich nur, ob wegen seiner ‚Schönheit‘ oder seiner epischen Authentizität.“143 Indirekt klang sie etwa bei diesem Kritiker an, als er wiederholt den Neorealismus als Referenzgröße in Kritiken zu anderen Filmen heranzog.144 Die bisherigen Beispiele aus der westdeutschen Kritikergruppe haben schon auf das Realismusverständnis von Georg Lukács hingedeutet; inwieweit zum Beispiel Theodor Kotulla auf einen kritischen Realismus im Sinne Lukács’ abzielte, verdeutlicht eine weitere Passage aus seiner Rezension von Viscontis Senso: das Risorgimento bleibt nicht Hintergrund; private Entscheidung, gesellschaftlicher Zustand und Notwendigkeit des geschichtlichen Augenblicks bedingen einander und verschränken sich zu dichtem Geflecht. Weder wird einem Kult individuellen erotischen Erlebens gefrönt […], noch verschlingt ein aufgeblähter politischer Engagementsanspruch den persönlichen Bereich. Beide Kräfte stoßen vielmehr in harter Dialektik aufeinander, und hieraus entwickelt sich die Katastrophe.145

141 Wilfried Berghahn / Theodor Kotulla / Enno Patalas: Sie nennen es Realismus. Selbstkritik und ihre Grenzen im amerikanischen Film, in: film 56, Nr. 3, 1956, S. 112 und 115–123, hier S. 122. 142 Theodor Kotulla: Wege zum Ruhm (Paths of Glory), in: Filmkritik, Nr. 12, 1957, S. 182–184, hier S. 184. 143 Theodor Kotulla: Der Geist des Widerstands, in: film 56, Nr. 3, 1956, S. 145 f. und 149 f., hier S. 146. 144 Kotulla stellte beispielsweise zu einem Film Bernhard Wickis die Frage: „Und wenn schon Vorbilder, warum nicht der hier so naheliegende Neorealismus von ‚Liebe in der Stadt‘?“ – ders.: Warum sind sie gegen uns?, in: Filmkritik, Nr. 1, 1959, S. 8 f., hier S. 9. Positiv hob er an einem der ersten Filme Stanley Kubricks hervor, der Regisseur habe „mit den großen Neorealisten die Gabe gemein, alltägliche Gesten, Worte, Situationen, Umgebung, […] in etwas qualitativ anderes zu verwandeln: in Erzählung, in die Wahrheit ästhetischer Dimension. Er beobachtet seine Individuen in der Abhängigkeit von ihrem sozialen Milieu dergestalt, daß ihr Wesen lebendig wird und Geschehen in Gang kommt.“ – ders.: Der Tiger von New York (The Killer’s Kiss), in: Filmkritik, Nr. 4, 1959, S. 100–102, hier S. 102. 145 Kotulla: Geist des Widerstands (film 56, Nr. 3, 1956), S. 149.

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Diese Sätze sind nahezu deckungsgleich mit Aristarcos Lob für Viscontis „historischen Roman“, der die Protagonisten auf überzeugende Weise mit ihrer historischen Umwelt verknüpfe. Ulrich Gregor kritisierte in der Filmkritik im Oktober 1957 den avantgardistischen Film Jonas und dessen fruchtlose, naturalistische Statik und nahm dabei Lukács’ Bild vom Toten, der durch die Kulissen wandelt, aus dem Aufsatz „Erzählen oder beschreiben?“ auf. Die Herangehensweise des Regisseurs Ottomar Domnick sei problematisch, da sie die im Film geschilderte Entfremdung und die sozialen Missstände als gegeben hinnehme und nicht als „Wechselwirkung der gesellschaftlichen Kräfte“ erkenne, was auch Lukács im besagten Essay festgehalten hatte: es ist ja nicht so, daß es irgendein ‚fertiges‘ Wesen der entfremdeten Gesellschaft gäbe; das System reproduziert sich vielmehr ununterbrochen, und zwar vor allem in den Menschen, die zum Zubehörteil dieses Systems ja erst gemacht werden, nicht aber schon als solche auf die Welt kommen.146

Auf die Dichotomie aus Naturalismus und Realismus, aus Beschreiben oder Erzählen, griff auch Enno Patalas in seinen Rezensionen der frühen Filmkritik-Jahre häufiger zurück.147 Dass gerade die in der Cinema Nuovo vorgenommene spezifische Mischung aus der Tradition des italienischen Filmrealismus und der Literaturtheorie Georg Lukács’ die westdeutsche Zeitschrift prägte, ist zeitgenössisch vermutlich nie so deutlich zum Ausdruck gebracht worden wie in einem langen Aufsatz Ulrich Gregors in der F. Unter Verwendung zahlreicher Zitate aus der Cinema Nuovo und Aristarcos gab er hier einen gründlichen Rückblick auf die Entwicklung des Neo realismus, inklusive seiner jüngsten Stagnation und deren Kontext. Dabei beleuchtete er zumindest in Ansätzen die inneritalienischen Realismusdebatten. In der Summe habe sich das von Guido Aristarco […] vorgebrachte theoretische Konzept wohl als das Fruchtbarste erwiesen: es besagt, daß der Neorealismus ‚von der Chronik zur Erzählung‘ gelangen müsse. Damit gemeint ist das Fortschreiten vom bloß beschreibenden, ‚objektivistischen‘ Naturalismus zu einem vertieften Realismus, der sich nicht damit begnügt, bloße ‚Blöcke der Wirklichkeit‘ vor uns hinzustellen, sondern die Widersprüche der objektiven, d. h. historischen Wirklichkeit mit Charakteren und Handlungen verschmilzt, die im Extrem das Typische erfassen.148

In diesem Zusammenhang erwähnte er Gramsci als Einfluss auf Aristarco und zitierte eine Passage Lukács’ aus einem der Aufsätze zum Realismus. Der Kreis schließt sich, denn für Gregor war wiederum Viscontis Senso das beste Beispiel, „der Idealfall eines historischen ‚Filmromans‘ von formaler Vollendung“ und er beendete seinen Artikel mit der Bemerkung, dass der Neorealismus zwar krisele, aber keineswegs ein überholtes Phänomen darstelle.149 Zum Abschluss dieses Kapitels sollte der allgemeinen methodischen Intention der Arbeit folgend überprüft werden, inwieweit es zwischen den beiden Zeit146 Ulrich Gregor: Jonas, in: Filmkritik, Nr. 10, 1957, S. 152–154, hier S. 154. 147 Vgl. Enno Patalas: Noch minderjährig, in: Filmkritik, Nr. 12, 1957, S. 190; ders.: Westfront 1918, in: Filmkritik, Nr. 1, 1958, S. 4–6, hier gerade S. 6. 148 Ulrich Gregor: Neorealismus – Ende oder Anfang?, in: F, Nr. 1, 1958, S. 89–99, hier S. 94. 149 Vgl. ebd., S. 95 und 99.

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schriften Vergleichbares gegeben hat oder ob es zu nachweislichen Transfer- und Austauschprozessen schon auf dieser eher theoretischen Ebene gekommen ist. Angesichts der zeitlich versetzten Entstehung und der deutlichen Unterschiede im Reifegrad der einheimischen Filmkultur kann dabei nicht wesentlich überraschen, dass der italienischen Gruppe eine Vorbildrolle für ihre bundesdeutschen Pendants zukam. Es ist herausgearbeitet worden, dass in der Filmkritik auf produktive Weise die Einflüsse aus der deutschsprachigen kritischen Theorietradition mit den vorwiegend aus Italien rezipierten Prinzipien der realistischen Kunst und besonders des realistischen Kinos kombiniert wurden. Ein Filmkulturtransfer half der FilmkritikGruppe, sich in der Etablierungsphase ihrer filmpublizistischen Praxis zu orientieren und von der bemängelten etablierten Filmkritik abzusetzen. 3.3 DIE ZEITSCHRIFTEN, DAS EINHEIMISCHE KINO UND DIE US-IMPORTE Nach der Herleitung der film- und kulturtheoretischen Prinzipien, die in der Cinema Nuovo und der Filmkritik vorherrschten, stellt sich in diesem Unterkapitel nun die Frage, wie das sich Realismusideal der italienischen Kritikergruppe in der täglichen Rezensionspraxis niederschlug. Auf westdeutscher Seite sollen die konkreten Ausprägungen der ideologiekritischen Haltung genauer skizziert werden. Um diese Fragen zu bündeln, werden die Urteile der beiden Zeitschriften zu jeweils zwei Gruppen von Filmen – genauer: zu zwei Herkunftszusammenhängen – analysiert. Geprüft wird die Kritikerpraxis an der Haltung zum jeweils einheimischen und zum US-amerikanischen Film. Vereint sind für beide Länder hierdurch die größten Anteile auf dem Filmmarkt und damit repräsentative Gruppen von Filmen, an denen sich die Kritiker teils buchstäblich abarbeiteten. Für den italienischen Filmmarkt der 1950er Jahre lassen sich die Größenverhältnisse beispielsweise an den Anteilen am gesamten Kartenerlös festmachen. Zwischen 1951 und 1954 bewegten sich die italienischen Filme – in einer ansteigenden Kurve – zwischen circa 30 und circa 40 % der Einspielergebnisse, die US-Filme – in einer gegenläufigen Entwicklung – zwischen knapp über 60 und knapp über 50 %. 1958 hatte sich dieses Verhältnis zunächst stabilisiert, die italienischen Filme hatten also ihren Marktanteil von etwa 40 % halten können, während die US-Importe über einen längeren Zeitraum nun nicht mehr über etwa 50 % hinausgelangen sollten.150 In der Bundesrepublik Deutschland pendelte sich die einheimische Filmproduktion in der Statistik der von den Verleihfirmen erstmals im Land aufgeführten Filme in den ersten Jahren der Filmkritik grob zwischen 20 und 25 % ein – wobei zusätzlich noch die zahlreichen deutschen Reprisen von Filmen aus der UFA-Produktion im Nationalsozialismus im Hinterkopf zu behalten sind. Marktführer waren die US-amerikanischen Filme, in diesen Jahren mit Werten 150 Für diese Daten vgl. Christopher Wagstaff: Italy in the Post-War International Cinema Market, in: ders./Duggan (Hg.): Italy in the Cold War, S. 89–115, hier S. 108; Forgacs/Gundle: Mass Culture and Italian Society, S. 125 f.

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stets zwischen etwa 35 und 40 %.151 Sowohl in Italien als auch in Westdeutschland hatten alle anderen Filmländer teils deutlich geringere Anteile an den Verkaufserlösen beziehungsweise den Aufführungen als die einheimische Produktion und die US-Importe. Bevor die wesentlichen Argumentationsmuster der beiden Zeitschriften in Bezug auf die einheimischen Filme behandelt werden, sind noch einige länderübergreifende Vorbemerkungen hilfreich. Für beide Untersuchungsobjekte gilt, dass es nicht nur aussagekräftig ist, wie in den tatsächlich verfassten Artikeln und Rezensionen über die Filme geschrieben wurde, sondern auch, welche Filme von vornherein gar nicht erst Eingang in die Zeitschriften fanden. Anders als beispielsweise der westdeutsche katholische Filmdienst, der minutiös das gesamte laufende Kinoprogramm besprach, widmeten sich sowohl die Cinema Nuovo als auch die Filmkritik in ihren Texten lediglich einer begrenzten, ja subjektiven Auswahl der aktuellen Filmproduktion. Das Verschweigen oder Ignorieren kann als vielsagend interpretiert werden. In der Cinema Nuovo zeigte sich der Interessenschwerpunkt gerade Guido Aristarcos in Anzahl und Umfang der Rezensionen, in denen zumeist italienischen Produktionen der größte Platz eingeräumt wurde, und in einer „apriorischen“ Exklusion zum Beispiel etlicher „Mainstream“-Filme.152 In ähnlicher Weise blieb in der Filmkritik der ersten Jahre neben anderen Filmrichtungen das populäre und mit zahllosen Importen bediente Westerngenre unterrepräsentiert.153 Bereits ein grober Abgleich der filmischen Jahresbestenlisten für Italien und die Bundesrepublik in den 1950er Jahren, die auf zeitgenössischen Erhebungen beruhen, mit den Inhalten der beiden Zeitschriften illustriert, dass größere „Kassenschlager“ häufig überhaupt keine oder allenfalls eine Nebenrolle auf der Agenda der Kritikergruppen spielten. Das trifft im italienischen Fall auf die im eigenen Land oder in Co-Produktion hergestellten Monumentalfilme wie Ulisse, Komponistenbiographien wie Giuseppe Verdi und die beliebten Filmserien Totò und Don Camillo ebenso zu wie auf Hollywoods Großproduktionen, von denen an dieser Stelle exemplarisch War and Peace und 20.000 Leagues Under the Sea genügen sollen.154 Die Filmkritik wiederum ignorierte in ihren Besprechungen etliche der erfolgreichsten Filme in den Jahren 1956 bis 1959, darunter Die Trapp-Familie, Liane, das Mädchen aus dem Urwald, Und ewig singen die Wälder oder Freddy, die Gitarre und das Meer.155

151 Vgl. Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e. V.: Filmstatistisches Taschenbuch 1960, zusammengestellt und bearbeitet von Götz von Pestalozza, Wiesbaden 1960, S. 13; Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e. V.: Filmstatistisches Taschenbuch 1970, zusammengestellt und bearbeitet von Reinhard Knierim, Wiesbaden 1970, S. 7. 152 Vgl. Bragaglia: Critica e critiche, S. 97; Pellizzari: Il cinema pensato, S. 519. 153 Vgl. von Thüna: Filmzeitschriften, S. 259–261. 154 Zur Übersicht vgl. die Statistiken in De Giusti (Hg.): Storia, S. 644 f.; Bernardi (Hg.): Storia, S. 659–661. 155 Vgl. die Tabellen in Joseph Garncarz: Hollywood in Germany. Die Rolle des amerikanischen Films in Deutschland: 1925–1990, in: Uli Jung (Hg.): Der deutsche Film. Aspekte seiner Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Trier 1993, S. 167–213, hier S. 202 f.; Werner Schneider / Klaus Sigl / Ingo Tornow: Jede Menge Kohle? Kunst und Kommerz auf dem deut-

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Wenn sich doch solche populären Filme in den Rezensionsspalten der beiden Zeitschriften wiederfanden, unterlagen sie wie alle besprochenen Filme einem Punktesystem zur Filmbewertung. In der Cinema Nuovo konnten die Redakteure ihrer Bewunderung oder Abneigung mit Hilfe kleiner Sternchen, der „stellette“, Ausdruck verleihen. Die Skala reichte anfangs von vier Sternchen bis zu der Verweigerung jeglichen Sternchens. Abgestuft gab es somit die Kategorien „eccellente“, „buono“, „sufficiente“, „mediocre“ und schließlich, bei völlig misslungenen Werken, „sbagliato“. Einige Jahre später kam noch die Möglichkeit eines fünften Sternchens für ein „Meisterwerk“ – „capolavoro“ – hinzu. In der Filmkritik vergaben die Autoren in ihren Wertungen, die sich „für Filmbesucher mit reifem Urteil“ verstehen sollten, gar keinen oder bis zu drei Punkte. Letztere stuften einen Film als „ausgezeichnet“ ein, über „gut“ und „annehmbar“ ging es hinab bis zur Kategorie „mäßig“. Ein Film mit drei Punkten galt als „in Aussage und Gestaltung weit über dem Durchschnitt“, zwei Punkte bescheinigten, „in Aussage oder Gestaltung überragend oder in beidem passabel“, ein Punkt, „in Aussage und Gestaltung hinreichend, auch unterhaltsam“, zu sein. Ein „mäßiger“ Film ohne Punkt war für den Kritiker „in Aussage und Gestaltung uninteressant und unannehmbar“. In der Kategorienbeschreibung zeigt sich erneut der Versuch der Redaktion, sowohl inhaltliche – „Aussage“ – als auch formal-ästhetische – „Gestaltung“ – Urteilsraster ihrem ersten Editorial gemäß an die Filme anzulegen. Die mittlerweile in einer Tabelle zusammengefassten Bewertungen aller aktuellen Mitarbeiter orientierten sich ab Frühjahr 1959 schließlich an ein wenig veränderten Kategorien. Neben drei Punkten für „überragend“, zwei Punkten für „gut“ und einem Punkt für „annehmbar“ gab es bei keinem vergebenen Punkt noch die endgültig verreißende Differenzierungsmöglichkeit zwischen „uninteressant“ und „unannehmbar“.156 3.3.1 Realismus als Ausweg, Realismus in der Krise. Cinema Nuovo und der italienische Film Die Folie, vor der in der Cinema Nuovo insbesondere das italienische Kino beurteilt wurde, ist in der Rekonstruktion der theoretischen Grundlagen deutlich geworden: eine Krise des italienischen Films, die die gesellschaftskritischen Publizisten ungeachtet aller Nuancierungen in theoretischen Feinheiten oder strategischen und kommunikativen Herangehensweisen einmütig beklagten. Bei Formulierungen wie „nostro cinema“ wurde nicht immer klar ersichtlich, ob sich „unser Kino“ insgesamt auf alle italienischen Filmproduktionen bezog oder nur auf das in der direkten Nachkriegszeit aufblühende neorealistische beziehungsweise realistische Kino der politisch mehr oder weniger engagierten Filmschaffenden des Landes. Ausweislich des ersten Editorials der Zeitschrift sollte aber besonders letzteres verteidigt und gerade Guido Aristarco zufolge in Richtung eines „kritischen“ Realismus weiterschen Filmmarkt der Nachkriegszeit. Filmpreise und Kassenerfolge 1949–1985, München 1986, S. 130–133. 156 Vgl. die Übersichten in Filmkritik, Nr. 2, 1957, S. 31; Filmkritik, Nr. 3, 1959, S. 61.

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entwickelt werden. Als weitere Folie leitete sich daraus der Realismus nach Georg Lukács als Prüfstein für im Grunde alle besprochenen Filme ab. Unter diesen beiden Vorzeichen sind die folgenden Ausführungen zum Umgang der Kritikergruppe mit italienischen Filmen zu verstehen. Um die zu bekämpfende italienische Filmkrise zum Ausdruck zu bringen, wurden in der Cinema Nuovo vor allem in den ersten Jahren schlagwortartig drei zentrale Begriffe beziehungsweise Kritikpunkte verwendet: Der italienische Film erlebe Jahre des Rückschritts – der „involuzione“. Auch die hoffnungsvollsten Filmschaffenden beschränkten sich, bedrängt etwa durch filmpolitische und -wirtschaftliche Zwänge, selbst – „autolimitazione“. Schließlich fänden sich so in zahlreichen Filmen nur noch enttäuschende Anzeichen eines Ausweichens, einer Ausflucht in weniger kontroverse Themenbereiche – „evasione“. Gleich im ersten Editorial im Dezember 1952 tauchten zwei dieser wesentlichen Schlagworte auf. Die besorgniserregende Rückentwicklung – „una preoccupante involuzione“ – vieler der eigentlich besten italienischen Regisseure wurde festgestellt: „troppi uomini di cinema i quali cominciano, coscientemente o incoscientemente, ad autolimitarsi.“157 Vorwiegend die Schlagworte „involuzione“ und „autolimitazione“ entwickelten sich zu festen, etwas schematisch eingebrachten Textbausteinen in dem Mailänder Blatt. Randbemerkungen oder Seitenhiebe unterstrichen regelmäßig die beklagenswerte Gesamtsituation des italienischen realistischen Kinos. Für Aristarco war laut seiner Rezension von Senso eben Luchino Visconti der letzte verbliebene Regisseur, bei dem nicht von „involuzione“ gesprochen werden könne, und Vittorio De Sicas Il tetto füge sich nahtlos in den „processo involutivo del nostro cinema“ ein.158 Der Direktor der Zeitschrift wies wortgleich auch in der Rezension zu De Sicas Stazione Termini auf das „autolimitarsi“ der Filmschaffenden hin, das er in einem Bericht vom Festival in Cannes als keineswegs nur auf italienische Beispiele beschränkt beschrieb.159 Die Problemdiagnose „evasione“ diskutierten die Autoren der Cinema Nuovo in zwei Editorials in den Jahren 1953 und 1954. In Ausgabe 14 wurde verschiedenen italienischen Regisseuren (film)politischer Opportunismus vorgeworfen, der zu den kritisierten seichteren Themen führe – „spiegando le vele al vento della fortuna politica.“160 Facetten dieser „evasione“ wurden schließlich noch einmal im Editorial von Ausgabe 30 ausgebreitet. Im Text schien einmal mehr die Orientierung vieler Mitarbeiter an der Literaturwissenschaft Lukács’ durch. Ihnen schwebte ja als Ideal ein filmischer Roman nach den Prinzipien des kritischen Realismus vor. Was sie aber vorfänden im italienischen Film sei vom erzählerischen Niveau zwischen einfachen Novellen, Illustriertengeschichten und Comics angesiedelt. Zahlreiche italienische Regisseure griffen auf das Format des Episodenfilms zurück. In ihrer Skizzen- und Sketchhaftigkeit fehle es diesen Filmen an einem roten Faden, der die 157 Continuare il discorso (Cinema Nuovo, Nr. 1, 1952). 158 Vgl. Aristarco: Senso (Cinema Nuovo, Nr. 52, 1955), S. 111; ders.: Il tetto (Cinema Nuovo, Nr. 92, 1956). 159 Vgl. Aristarco: Stazione Termini (Cinema Nuovo, Nr. 9, 1953), S. 249; ders.: Le allegre vacanze di Monsieur Cocteau, in: Cinema Nuovo, Nr. 11, 15. 5. 1953, S. 313–315, hier S. 313. 160 Il salario della paura, in: Cinema Nuovo, Nr. 14, 1. 7. 1953, S. 7.

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einzelnen, eher belanglosen Geschichten zusammenhalte. Die beklagenswerte Tendenz im heimischen Film ginge in Richtung von nur noch oberflächlichen Analysen, kitschiger Ausmalung der vermeintlich authentisch dargestellten italienischen Provinz, mit versöhnlichen Enden und verkürzten Versionen der lokalen Dialekte. Dies alles sei „evasione“: „una tendenza maggiormente marcata verso la indagine superficiale, la realtà costretta entro i limiti di un regionalismo oleografico in chiave falsamente ottimistica e il dialetto usato in modo equivoco. Una ulteriore tendenza, cioè, verso l’evasione.“161 Einige Beispiele verdeutlichen weiter, welche Filme und Filmgruppen aus der italienischen Produktion auf diese Weise durch die Redakteure der Cinema Nuovo bewertet und welche konkreten Beanstandungen getroffen wurden. Es ist schon angemerkt worden, dass ganze populäre Genres wie Monumentalfilme selten über die sehr knappen, anonymen Kurzrezensionen hinauskamen und die kommerziell erfolgreichsten Filme auf dem italienischen Markt bestenfalls geringe Rollen in der Zeitschrift spielten. Eines der wenigen Beispiele aus den Anfangsjahren der Cinema Nuovo stellt Canzoni di mezzo secolo dar, der in der Spielzeit 1952/53 der erfolgreichste italienische Film war.162 Die „evasione“ bestand für Guido Aristarco bei dieser Musikrevue, die Lieder aus den vorangegangenen 50 Jahren in kleine Episoden einbindet, in der kaum problematisierenden Behandlung der faschistischen Zeit. Das stehe symptomatisch für die Vergangenheitsbewältigung Italiens und für den „processo involutivo della nostra società ufficiale“. Die unkritische Präsentation der ausgewählten Lieder in diesem „quadro superficiale e pericolosamente nostalgico“ bezeichnete Aristarco als „unmoralisch“.163 Aristarco und seine Mitarbeiter widmeten italienischen Filmen größere Aufmerksamkeit, die zumindest ansatzweise versuchten, realistische Beobachtungen einzuflechten und deren Regisseure einen höheren Anspruch an ihre Arbeit aufwiesen als die Hersteller der eher fantasielosen Massenproduktionen. Sie setzten sich zudem immer wieder mit den in den 1950er Jahren populären und in größerer Zahl hergestellten Filmen auseinander, die als „neorealismo rosa“ zusammengefasst worden sind.164 Von den neorealistischen Kritiker- und teils Publikumserfolgen der späten 1940er Jahre übernahmen ihre Drehbuchautoren und Regisseure die Schauplätze und sozialen Milieus, jedoch nicht den gesellschaftskritischen, oft schonungslosen Impetus. Vielmehr wurden allzu deprimierende Thematiken mit komödiantischen, ins Folkloristisch-Groteske übersteigerten Szenen ausgeglichen. Zu den halbwegs kritischen Filmen gehörten beispielsweise Le infedeli, ein Werk des Regieduos Mario Monicelli und Steno,165 und Febbre di vivere von Claudio Gora. Beide Filme siedelten ihre Handlung in der gelangweilten, wohlhabenden Oberschicht an, laut Aristarco ein noch unterrepräsentiertes Filmmilieu – jedenfalls, was eine gründliche realistische Analyse ohne bewundernde Verklärung an161 Novellistica d’evasione, in: Cinema Nuovo, Nr. 30, 1. 3. 1954, S. 103. 162 Vgl. De Giusti (Hg.): Storia, S. 645. 163 Vgl. Guido Aristarco: Canzoni di mezzo secolo, in: Cinema Nuovo, Nr. 4, 1. 2. 1953, S. 90. 164 Vgl. beispielsweise Morandini: Italien: Vom Faschismus zum Neo-Realismus, besonders S. 325 f. 165 Unter diesem Pseudonym arbeitete Stefano Vanzina.

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belange. Le infedeli nehme sich immerhin heraus, ein kritisches Urteil über seine Protagonisten zu fällen.166 Noch mehr war dann Goras Film „[n]ell’attuale stato involutivo del nostro cinema“ ein Lichtblick, „un bell’incontro“, der mit drei Sternchen als „buono“ eingestuft wurde. Bei allem Verharren in der Beschreibung des wohlhabenden Milieus gelängen ihm hier einige eindrucksvoll beobachtete Szenen. Als Regieneuling sei Gora noch nicht vollständig von Konformismus und „autolimitazione“, hier zudem noch als „autocensura“ benannt, betroffen. Nur seien ihm der zweite Teil des Films zu moralistisch und das Ende des Films mit einer schlichtenden Geste doch zu konformistisch geraten.167 Ein einschlägiges Beispiel für die von der Gruppe mit großem Misstrauen beäugte Hinwendung zu „neorealistischen“ Milieus „in rosa“ ist Luigi Comencinis Pane, amore e fantasia, in der Filmsaison 1953/54 in Italien der größte Zuschauererfolg. Comencini zeigt im Film Ausschnitte aus dem ärmlichen Alltag in einem Dorf in Mittelitalien. Aristarco beklagte den oberflächlichen Zugang zu dieser Alltagsarmut, der sie beinahe amüsant herüberkommen lasse und der zudem nur eine bereinigte und „gesüßte“ Armut zeige. Etliche Nebenrollen beständen aus reinen Stereotypen. Die Vertiefung gesellschaftlich relevanter Fragestellungen, etwa nach religiösem Fanatismus und seiner machtpolitischen oder gar geschäftlichen Einträglichkeit, verpasse der Film, da er eben bestenfalls eine Beschreibung der Verhältnisse im Ort anbiete. In einem längeren Absatz sezierte Aristarco die künstlich wirkenden Dialoge und Dialekte und verwies abschließend auf das heuchlerischromantische Ende des Films. All diese Aspekte ließen ihn von einer „reaktionären“ Tendenz des Werks von Comencini schreiben.168 Über solche einzelnen Rezensionen hinaus beschäftigte sich die Kritikergruppe um die Cinema Nuovo intensiver mit diesen populären Anknüpfungsversuchen an die neorealistischen Filminnovationen der 1940er Jahre. Eingebettet waren diese Texte in eine noch weiter gespannte Grundsatzdiskussion zum Realismus im italienischen Kino. In diesem Rahmen fand die Kontroverse zwischen Aristarco und Luigi Chiarini um Viscontis Senso statt, der für Ersteren die bisherige Krönung des kritischen Realismus markierte, für Letzteren allerdings einen verräterischen Bruch mit den Errungenschaften des Nachkriegsrealismus. Aristarcos Standpunkt in der Frage des italienischen Filmrealismus zur Mitte der 1950er Jahre war eindeutig und setzte sich zumindest aus der Perspektive der veröffentlichten Meinung in der Zeitschrift gegen Chiarinis Interpretation durch. Die stoische Wiederholung der Prinzipien nach Georg Lukács und der damit verbundene Schritt des italienischen Films zum wahren, kritischen Realismus galten ihm als vielversprechendster Ausweg aus der Krise alternativen Filmschaffens im Lande. Die Stimmen in den Beiträgen verschiedener Mitarbeiter der Zeitschrift divergierten allerdings auch von dieser eher dogmatischen Position Aristarcos. Einige der Diskussionsteilnehmer beschränkten sich überwiegend auf Analysen der allerjüngsten italienischen Filmgeschichte, manche wiederum ließen zumindest eigene Vorlieben oder Ideen durchblicken. 166 Vgl. Guido Aristarco: Le infedeli, in: Cinema Nuovo, Nr. 5, 15. 2. 1953, S. 122. 167 Vgl. Aristarco: Febbre di vivere (Cinema Nuovo, Nr. 13, 1953). 168 Vgl. Aristarco: Pane amore e fantasia (Cinema Nuovo, Nr. 29, 1954).

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Lino Del Fra setzte sich in seinem Artikel von den „verlorenen Söhnen“ des Neorealismus, dessen Niedergang für ihn auch in der Anekdotenhaftigkeit etwa der Projekte Zavattinis angelegt war, ebenfalls mit Filmen wie Comencinis Pane, amore e fantasia auseinander. Er beobachtete, dass im italienischen Kino der gerade abgelaufenen Spielzeit 1953/54 eine bemerkenswerte technische und handwerkliche Perfektion eingezogen sei. Immer versiertere Regisseure, Kameraleute und Drehbuchautoren bildeten die Grundlage dieses „realismo minore“. Bei allen immer besser ausgefeilten Pointen, Dialogen, Episoden und Karikaturen blieben allerdings die tatsächliche soziale Substanz und Wirklichkeit nur noch zweitrangig. Del Fra führte zum „realismo minore“ aus: La sua forza espressiva si limita alla ‚trovata‘, poggia su un dialogo sapientemente animato, sostituendo al personaggio – tipico di una condizione sociale o se si vuole umana – dei profili scherzosi, bizzarri, delle semplici macchiette, la cui ‚umanità‘ è al piú risolta in chiave vacuamente sentimentale. Il realismo minore ondeggia tra la caricatura e la satira ora timida ora pesante e quasi volgare; non incide sulla sostanza sociale, scalfisce – nella ipotesi migliore – certo malcostume.169

Betrübt stellte er fest, dass es sich eigentlich nur noch um eine Fortsetzung des unkritischen, seichten Kinos der „telefoni bianchi“ aus der faschistischen Zeit handele, es habe sich in Anlehnung an den Neorealismus lediglich das soziale Milieu der Filmhandlungen, von der Oberschicht hin zu einem geschönt dargestellten Kleinbürgertum oder Proletariat, gewandelt.170 Im April 1955 verband auch Francesco Sardi in seiner Reflektion über „Pubblico e critica“ eine Problemdiagnose der bisherigen Werke des Neorealismus mit dem Missfallen an seinen popularisierten Varianten. Sardi ging es besonders darum, dass Filmschaffende deutlich stärker den Kontakt zu breiteren Publikumsschichten suchen sollten, und dass es wenig ertragreich sei, gesellschaftskritische Diagnosen von oben herab zu stellen. De Sicas Ladri di biciclette oder Viscontis La terra trema hätten überhaupt nicht „il linguaggio del pubblico“ gesprochen und daher scheitern müssen. Visconti beschäftige sich in Senso – zwar in einem Histo rienfilm – immerhin mit dem Milieu, aus dem er selbst stamme, der Aristokratie, und seine Kritik komme nun „dal di dentro“. Sardis Beitrag offenbarte verschiedene Widersprüche im Zusammenhang mit dem italienischen Neorealismus und der Cinema Nuovo. Zunächst war seine Annäherung an den Publikumsgeschmack nicht durchgehend kompatibel mit Aristarcos Ideal des allwissenden, minutiös und stets gesellschaftskritisch konstruierenden Filmautors. Gleichzeitig legte er den Finger in die Wunde des Neorealismus, der zwischen der engagierten, teils didaktischen Herangehensweise der zumeist intellektuell geprägten Regisseure und Autoren und der nur leidlichen Konsumierbarkeit seiner Werke für ein breiteres Publikum allmählich zerrieben wurde. Auf dieses Dilemma der Publikumstauglichkeit und des Beharrens auf kritischer Intellektualität wird in dieser Studie noch wiederholt eingegangen. An dieser Stelle soll der Hinweis Vorrang haben, dass Sardi mit der verfälschenden, sozial versöhnlichen Adaption neorealistischer Elemente in Filmen wie auch Re169 Del Fra: I figli smarriti (Cinema Nuovo, Nr. 41, 1954), S. 92 f. 170 Vgl. ebd., S. 93.

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nato Castellanis Due soldi di speranza scharf ins Gericht ging, mit „questa nuova produzione falsamente neorealista, che insegna ad accettare allegramente la propria sorte e a essere contenti con poco.“171 Im Verlauf der zumeist in verhältnismäßig losen, vielstimmigen Beiträgen geführten Grundsatzdebatte zum Neorealismus ging schließlich mit Renzo Renzi einer der wichtigsten Mitarbeiter der Zeitschrift ebenfalls noch einmal auf die geringe Populärität vieler neorealistischer Filmproduktionen ein. Das Problem habe einerseits darin gelegen, dass der Neorealismus „un fenomeno essenzialmente antidivistico“ gewesen sei; das heißt, er habe keine Stars und Helden als leicht zugängliche Identifikationsfiguren aufgebaut, wie es in nahezu allen Kinematografien, ob in der Marktwirtschaft, in faschistischen Diktaturen oder im kommunistischen Machtbereich, gängig und erfolgreich sei. Mit seinen eher pessimistischen und deprimierenden Schilderungen ärmlichen Alltags und tragischer Zwangslagen habe der Neorealismus zudem nicht zu einer „kathartischen“ Befreiung von den in die Freizeit mitgeschleppten Frustrationen des Publikums leisten können, was schlichtere Abenteuerfilme und Happy Ends eben auszeichne. Trotz dieser Inkompatibilität mit größeren Zuschauerströmen bekannte sich Renzi weiter zu den Prinzipien des Filmrealismus und glaubte weiter „nel fondamento morale e civile del nostro cinema migliore, nella sostanziale vitalità della sua rivoluzione, anche se esercitata attraverso forme impopolari“.172 Er mahnte im gleichen Atemzug an, dass die italienischen Filmkritiker, die den Neorealismus unterstützt hätten, weniger dogmatisch mit seiner Weiterentwicklung umgehen, den „artisti“, den Regisseuren, größere Freiräume lassen und möglichst unvoreingenommen die Ergebnisse ihrer Arbeit beurteilen sollten.173 Dieser Appell Renzis führt zu einer letzten Komponente der Haltung der Cinema Nuovo gegenüber dem italienischen Filmschaffen. Charakteristisch für die Entwicklung der Zeitschrift im Verlauf der 1950er Jahre war die mit den Klagen über den Niedergang des Filmrealismus einhergehende Ungnade, in die die meisten für ihre frühen Werke geschätzten Regisseure bei diesen Kritikern fielen. Zwischen den Zeilen ist in den bisherigen Ausführungen immer wieder angeklungen, dass sich der Kreis der vorbehaltlos befürworteten, weil als vollwertig realistisch anerkannten Regisseure zusehends reduzierte.174 Die Kritik an den jüngsten Filmen des Tandems Vittorio De Sica und Cesare Zavattini wurde angeführt. Darunter galt auch ihr L’oro di Napoli als „regionalismo in chiave pseudo ottimistica“ und damit als „controrealista“.175 Beispiele für teils noch schwerwiegendere Attacken aus der Mailänder Redaktion folgen nun. Arge Vorwürfe erlitt besonders Roberto Rossellini, der um 1945 mit Roma città aperta und Paisà noch zwei Meilensteine des Neorealismus gedreht hatte. 171 Francesco Sardi: Pubblico e critica, in: Cinema Nuovo, Nr. 56, 10. 4. 1955, S. 265 f., hier S. 266. 172 Renzo Renzi: Impopolarità del neorealismo?, in: Cinema Nuovo, Nr. 82, 10. 5. 1956, S. 278 f., hier S. 278. 173 Vgl. ebd., S. 278 f. 174 Vgl. Brunetta: Storia, Bd. 3, S. 403 f. 175 Vgl. Guido Aristarco: L’oro di Napoli, in: Cinema Nuovo, Nr. 51, 25. 1. 1955, S. 71–73, hier S. 72.

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Ihm verübelten die Vertreter der Cinema Nuovo die als religiös gefärbt interpretierten Filme wie Viaggio in Italia oder Stromboli, die er zu Beginn der 1950er Jahre angefertigt hatte. Rossellini galt schon im ersten Editorial der Zeitschrift als einschlägiges Beispiel für die „involuzione“ und wurde in späteren Texten regelmäßig und prominent mit allen negativen Entwicklungen des zeitgenössischen italienischen Films in Verbindung gebracht.176 So war er einer der im Editorial von Ausgabe 14 für politischen Opportunismus gebrandmarkten Regisseure, da er statt Zavattinis Idee für Italia mia nur Viaggio in Italia verfolgt habe.177 Sein Europa ’51 hielt Aristarco für eine selbst nur konformistische Anklage des gesellschaftlichen Konformismus – ohne dieses Verdikt allerdings klarer zu begründen –, sein Beitrag zum Episodenfilm Siamo donne war „oberflächlich“178 und der Tiefpunkt von Rossellinis Reputation in der Zeitschrift wurde schließlich in einer Doppelrezension im März 1955 erreicht. Der Verfasser referierte aus einer Branchenzeitschrift ausführlich die miserablen Einspielergebnisse von Giovanna d’Arco al rogo und La paura. Anschließend ging er zu einem groben Verriss der beiden Filme Rossellinis über. Der erstgenannte Film sei ein „künstlerischer Misserfolg“, „von extremer Erfindungsarmut“, schlichtweg „unendlich langweilig“. Bei La paura fragte sich der Kritiker, ob es sich überhaupt noch um den Regisseur eines Meisterwerks wie Paisà handele, denn die Leitung „è cosí dilettantesca, cosí pretenzioso il tono della fotografia, cosí approssimativa e ‚fumetto‘ la sceneggiatura“.179 Parallel zu Roberto Rossellini galt des weiteren Pietro Germi als Exemplar für die filmische „involuzione“ und als filmpolitisch zu angepasster Regisseur. Mit seinem Historienfilm Il brigante di Tacca del Lupo liege er auf der „restaurativen“ Linie des „offiziellen Italiens“, mit Gelosia sei er dann nur noch ein Filmhandwerker unter vielen, mit uninspirierter Ausdrucksweise und irrelevantem Inhalt.180 Michelangelo Antonioni wurde über den gesamten hier ins Auge gefassten Zeitraum in Rezensionen der Cinema Nuovo mit stets wiederkehrenden Etiketten belegt – und als „intellektualistisch“, „formalistisch“ und, anstatt auf Verankerung in und Ausleuchtung von Milieus, nur auf die isolierten psychologischen Beziehungen konzentriert bezeichnet.181 Stark umstritten – ohne dabei so einhellig wie etwa Roberto Rossellini verurteilt zu werden – war im Kreis der Zeitschrift zu guter Letzt Federico Fellini, dessen Regielaufbahn zur gleichen Zeit begann wie die Publikation der Cinema Nuovo und 176 Vgl. Continuare il discorso (Cinema Nuovo, Nr. 1, 1952); Aristarco: Senso (Cinema Nuovo, Nr. 52, 1955), S. 111; ders.: Le infedeli (Cinema Nuovo, Nr. 5, 1953). 177 Vgl. Il salario della paura (Cinema Nuovo, Nr. 14, 1953). 178 Für die genannten Filme vgl. Guido Aristarco: Europa ’51, in: Cinema Nuovo, Nr. 1, 15. 12. 1952, S. 25; Siamo donne, in: Cinema Nuovo, Nr. 23, 15. 11. 1953, S. 315. 179 Giovanna d’Arco al rogo / La paura, in: Cinema Nuovo, Nr. 54, 10. 3. 1955, S. 191. 180 Für die Beurteilung Pietro Germis vgl. Continuare il discorso (Cinema Nuovo, Nr. 1, 1952); Il salario della paura (Cinema Nuovo, Nr. 14, 1953); Guido Aristarco: Il brigante di Tacca del Lupo, in: Cinema Nuovo, Nr. 1, 15. 12. 1952, S. 26; Gelosia, in: Cinema Nuovo, Nr. 28, 1. 2. 1954, S. 58. 181 Vgl. Aristarco: Amore in città (Cinema Nuovo, Nr. 27, 1954), S. 28; ders.: La signora senza camelie, in: Cinema Nuovo, Nr. 7, 15. 3. 1953, S. 185 f.; ders.: Il grido / I sogni nel cassetto, in: Cinema Nuovo, Nr. 116, 15. 10. 1957, S. 199–201.

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der 1954 mit La strada internationales Aufsehen erregte. Der hinlänglich bekannte Einwand des geringen gesellschaftskritischen Tiefgangs deutete sich sowohl in der Rezension zu Lo sceicco bianco als auch in der Besprechung von I vitelloni an.182 In seiner strengen Kritik konnte Guido Aristarco aber besonders La strada kaum lobenswerte Merkmale abgewinnen. Er vergab keine einzige „stelletta“, sein Urteil lautete somit: „sbagliato“. Aristarco störte sich an Fellinis „Subjektivismus“, „Irrationalismus“, „Psychologismus“, seinem „Symbolismus“ und „Mystizismus“. Diese wuchtige Liste an Vorhaltungen war für den Kritiker wesentlich verknüpft mit dem autobiografisch-sentimentalen Zugang, mit dem Fellini all seine Geschichten ersinne und erzähle. Der Regisseur war in seiner Jugend an der romagnolischen Adriaküste selbst ein „vitellone“, ein als perspektivlos geltender Heranwachsender, gewesen und später, wie die Protagonisten in La strada, mit einer fahrenden Schauspielertruppe durch die italienische Provinz gereist. Dieser Ansatz und die damit verbundene Reduktion von „la realtà alla propria psicologia“ stehe aber einer rationalen Analyse der sozialen Wirklichkeit und einer nach Lukács dringend erforderlichen Verankerung des Geschehens darin im Wege. An der in dieser Hinsicht zentralen Stelle der Besprechung führte Aristarco dies wie folgt aus: In Fellini l’autobiografia, il ricordo, la memoria – i motivi e gli elementi soggettivi dei suoi film – non hanno legami e rispondenze storiche, o una individuazione del tempo e una vera localizzazione geografica. La sua partecipazione alla realtà è episodica, frammentaria, solo in parte nutrita di elementi e atteggiamenti realistici.183

Nicht bei allen Kollegen Aristarcos in der Redaktion traf Fellinis Wirken auf ein derart strenges, beinahe vernichtendes Urteil. Lino Del Fra beispielsweise hob ihn unter den „verlorenen Söhnen“ des Neorealismus noch hervor. In I vitelloni erfasse er die Probleme der italienischen Jugend sehr konkret und authentisch, so dass es für Del Fra der bedeutendste Film des Jahres war.184 In einer einleitenden Notiz verweigerte die Redaktion der Cinema Nuovo dieser Einschätzung allerdings die Zustimmung.185 Renzo Renzi hielt in einem längeren Aufsatz von 1955 Fellinis nächsten Film, Il bidone, für diskussionswürdig und keineswegs völlig verfehlt: „Se ci si arrabbia ai suoi errori, è perché ne vale la pena.“186 Auf einer ähnlichen Linie wie Aristarco stellte er aber auch die Ungereimtheiten in den Grundstrukturen von Fellinis Erzählungen heraus. Jenseits von autobiografischen Elementen und Sympathiebekundungen für entsprechende Protagonisten habe Fellini Schwierigkeiten, realistische „personaggi“ zu entwickeln. Ihm sei noch nicht die Entscheidung zwischen einer rein individuellen oder einer gesellschaftskritischen Perspektive, deren

182 Vgl. Guido Aristarco: Lo sceicco bianco, in: Cinema Nuovo, Nr. 1, 15. 12. 1952, S. 26; I vitelloni, in: Cinema Nuovo, Nr. 20, 1. 10. 1953, S. 220. 183 Guido Aristarco: La strada, in: Cinema Nuovo, Nr. 46, 10. 11. 1954, S. 311 f. 184 Vgl. Del Fra: Figli smarriti (Cinema Nuovo, Nr. 41, 1954), S. 93 f. 185 „Anche alcune affermazioni del nostro collaboratore non sono da noi condivise, come quando indica nei Vitelloni il film piú significativo dell’annata.“ 186 Renzo Renzi: I problemi dell’indecisione, in: Cinema Nuovo, Nr. 71, 25. 11. 1955, S. 387–390, hier S. 390.

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Grundzüge in seinen Werken jeweils vorlägen, gelungen. Der Kritiker sehe sich also in Fellinis Filmen stets mit einer undefinierten Haltung konfrontiert.187 Die aus den Beiträgen der Redaktion um Guido Aristarco herausgearbeitete Krisendiskussion, die Ablehnung etlicher kommerziell erfolgreicher Produktionen, die strenge Orientierung an den theoretischen, filmkritischen Grundlagen und daraus resultierend die kritischen Urteile selbst zu engagierten oder bemühten, zumindest in Ansätzen gesellschaftskritisch ausgerichteten Regisseuren und Werken lassen sich im Folgenden auch für die Filmkritik und ihr Verhältnis zum westdeutschen Kino diagnostizieren. Dem Paradigma des Realismus, bevorzugt des kritischen Realismus nach Lukács und Aristarco, stand bei der Filmkritik die Ideologiekritik gegenüber. Trotz Verschmelzungen dieser Zugänge in der westdeutschen Kritikergruppe machen insgesamt die jeweils spezifischen Zugänge der beiden Zeitschriften zu den Produktionen ihrer Heimatländer nun noch einmal eine gesonderte Betrachtung erforderlich. 3.3.2 Überwiegend hoffnungslos. Filmkritik und die Filme der Bundesrepublik Die Mitarbeiter der Filmkritik waren angetreten, um die dürftige Filmkultur in der Bundesrepublik zu beleben. Für sie war hier Entwicklungshilfe vonnöten, wie sie bei ihren Auslandsaufenthalten im Vergleich feststellen konnten. Einem sehr großen Teil der westdeutschen Filmproduktion der 1950er und frühen 1960er Jahre waren sie in tiefer Abneigung verbunden: „mit dem deutschen Kino waren wir total unzufrieden“.188 Die allgemeine Geringschätzung dieser Filme zog sich sowohl durch ihre längeren Aufsätze, als auch durch die eigentliche Rezensionsarbeit in der film 56 oder der Filmkritik – wenn, wie geschildert, die Filme dort überhaupt zur Kenntnis genommen wurden und nicht, wie viele Genres und Kassenerfolge, allenfalls als abzulehnende Filmgattung auftauchten. Nicht ohne Hintersinn strukturierten also beispielsweise Enno Patalas, Theodor Kotulla und Ulrich Gregor ihren Einstiegsaufsatz in der ersten Ausgabe der film 56, in dem sie die internationale Produktion des Vorjahres einer ideologiekritischen Prüfung unterzogen. Nach – neben anderen Herstellungsländern – amerikanischem, französischem, italienischem oder britischem Kino folgte die Bundesrepublik am Ende des Artikels, „wie es Bescheidenheit und Gerechtigkeit gebieten“.189 Ende des gleichen Jahres beanstandete Patalas die „künstlerische […] Belanglosigkeit“190 der heimischen Filme, deren erzählerische und kreative Mängel er schon in seinem oben zitierten Aufsatz „Die Furcht vor der Verantwortung“ in den Neuen Deutschen Heften zusammengefasst hatte: „Zumeist wird eine Anzahl gefühlvoller Episoden und lyrisierender Szenen aneinandergereiht, fast stets durch eine mühsame Rahmenkonstruktion verknüpft – die letzte Weisheit aller dramaturgisch schwachen 187 Vgl. ebd., S. 389. 188 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 189 Gregor/Kotulla/Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1, 1956), S. 6. 190 Enno Patalas: Autorität und Revolte. Nationale Leitbilder von Caligari bis Canaris, in: Frankfurter Hefte 11 (1956), Nr. 1, S. 19–27, hier S. 25.

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Drehbuchschreiber.“191 Der Kritik und Klagen überdrüssig zeigte sich schließlich 1959 Rolf Becker, als er im Monat einen Artikel über „Zeitkritik im deutschen Film“ mit dem Bekenntnis einleitete, „[m]an begibt sich nicht mehr gern in die Nähe des Themas Filmkunst und deutscher Film. Zu oft schon und bisher ziemlich fruchtlos ist die Unzulänglichkeit, die Minderwertigkeit deutscher Produktionen beklagt und angeprangert worden.“192 Drastisch und sarkastisch wurde der Tonfall der Filmkritik-Autoren gegenüber den Filmerzeugnissen ihrer Landsleute insbesondere in den zahlreichen sehr kurzen Rezensionen, die es in den ersten Jahren in der Zeitschrift gab. Oft bildeten nur wenige Zeilen einen harschen Verriss, wie einige Kostproben veranschaulichen. So stellte etwa der dritte Teil der Sissi-Reihe für Enno Patalas „ein neues Attentat auf den gesunden Menschenverstand“ dar. Das war zwar ein österreichischer Film, aber – wie sich aus scharfzüngigen Kommentaren an anderen Stellen ersehen ließ – „das macht keinen Unterschied“, denn die Regisseure aus dem Nachbarland hätten „sich den Anschluß an die deutsche Filmmisere stets angelegen sein lassen“.193 In den frühen Jahrgängen der Filmkritik fanden sich zahlreiche weitere vielsagende Formulierungen. Hart getroffen wurde etwa Die Letzten werden die Ersten sein von Rolf Hansen, denn der Film sei ein „Schlammbad aus mißratenen Gefühlen und verquollenen Ideen, prätentiös angerichtet nach deutscher ‚Problemfilm‘Art.“194 Weitere Spielfilme waren „hirnschwach“, basierten auf „verlogene[n] Drehbücher[n], die im bundesdeutschen Film an der Tagesordnung sind“, oder verkörperten bestenfalls „das Äußerste an Charme und Witz […], was im deutschen Film erreichbar zu sein scheint“.195 Die Missbilligung einschlägiger und oft erfolgreicher Filmgenres im Westdeutschland der ersten Nachkriegsjahrzehnte brachten zwei Kurzkritiken noch einmal auf den Punkt. In Das Mädchen vom Moorhof hatte der Regisseur Gustav Ucicky nach Theodor Kotullas Vorwurf die literarische Vorlage, eine Novelle von Selma Lagerlöf, „dummdreist auf die Ebene eines deutschen Heimatfilms, Marke: Leidenschaft, Schuld und happy end auf dem Lande, herabgezerrt“. Nachtschwester Ingeborg war 1958 für Enno Patalas schnell katalogisiert und kritisiert: „Deutsche Kittel- und Skalpell-Schnulze mit den landesüblichen Ingredienzen.“196 Über die eher unsystematischen Verrisse, Polemiken und die aggressive Ablehnung bestimmter Filmstile und -genres hinaus verfolgte die Filmkritik-Redaktion allerdings ja einige klare ideologiekritische Grundprinzipien. Mit seiner in 191 Patalas: Furcht vor der Verantwortung (Neue Deutsche Hefte, Nr. 6, 1954), S. 458. 192 Rolf Becker: Versuche, wesentlich zu werden. Zeitkritik im deutschen Film, in: Der Monat 11 (1959), Nr. 130, S. 70–78, hier S. 70. 193 Die Zitate aus Enno Patalas: Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin, in: Filmkritik, Nr. 1, 1958, S. 23; ders.: Das gibt’s nur einmal …, in: film 56, Nr. 1, 1956, S. 49 f., hier S. 49; Die liebe Familie, in: Filmkritik, Nr. 4, 1957, S. 59. 194 Die Letzten werden die Ersten sein, in: Filmkritik, Nr. 7, 1957, S. 110. 195 Für diese gesammelten Zitate vgl. Theodor Kotulla: Verbrechen nach Schulschluß, in: Filmkritik, Nr. 8, 1959, S. 212; ders.: Dorothea Angermann, in: Filmkritik, Nr. 3, 1959, S. 68; Enno Patalas: Der Engel, der seine Harfe versetzte, in: Filmkritik, Nr. 3, 1959, S. 65 f. 196 Theodor Kotulla: Das Mädchen vom Moorhof, in: Filmkritik, Nr. 11, 1958, S. 246; Enno Patalas: Nachtschwester Ingeborg, in: Filmkritik, Nr. 5, 1958, S. 119.

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den Neuen Deutschen Heften früh veröffentlichten Kritik am „Gefühlskult“ der deutschen Filmproduktionen stand Enno Patalas in der Gruppe keineswegs allein da. Irrationalismus, Schicksalsgläubigkeit, Ausflucht ins Private oder aber Autoritätshörigkeit – das waren die immer wieder aufgebrachten Etiketten für den bundesdeutschen Film und seine erfolgreichsten und prominentesten Regisseure und Drehbuchautoren. Diese gesammelten Kritikpunkte wurden oft in wahren Tiraden gebündelt und letztlich liefen diese Analysen der Filmkritiker auf ein grundsätzliches Unbehagen hinaus, das den Umgang der meisten westdeutschen Filme der 1950er Jahre mit Politik, Geschichte und Zeitgeschehen betraf. Exemplarisch werden nun die einschlägigsten ideologiekritischen Angriffspunkte der FilmkritikVertreter und ihre Verschränkung ineinander aufgezeigt. Der deutsche Illustriertenroman und der deutsche Film lieben es, ihre Helden als Getriebene des Schicksals oder ihrer Leidenschaften darzustellen. Die Emotion ‚kommt über sie‘, lähmt ihnen Verstand und Willen und treibt sie hin und her. Daß dabei herkömmliche Moralvorstellungen […] schlankweg ignoriert werden, ist noch nicht einmal das Bedenklichste an dieser Haltung, sondern daß jede kritische Reflexion auf das Leben und das eigene Verhalten, durch die Moral überhaupt erst möglich ist, verächtlich gemacht wird.197

Diese Passage aus der Rezension zu Falk Harnacks Wie ein Sturmwind bündelt prägnant die Diagnosen des Filmkritik-Kreises von der irrationalen Emotionsfixierung und dem zugehörigen Schicksalsglauben im deutschen Kulturschaffen. Ein besonderes Ärgernis stellten für die jungen Publizisten Filme wie Geliebtes Leben oder Hotel Adlon dar, in denen die Protagonisten – eine Familie oder Hotelbelegschaft – durch die politisch eigentlich brisante und aufarbeitungswürdige Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begleitet werden. Geliebtes Leben von Rolf Thiele war für Enno Patalas ein „Musterbeispiel“,198 das „die Lieblingsmotive des westdeutschen Films überhaupt“199 in sich vereine. Die Filmfamilie sei in kaum glaubwürdiger Weise in sämtliche Kriege und Konflikte der deutschen Geschichte direkt involviert oder von ihnen betroffen. Patalas fragte nach Ungenauigkeiten und unlogischen Wendungen im Film, bemerkte die Darstellung der Gestapo als „einen harmlosen Kinderschreck“. Gravierender sei das Grundproblem des Films, dass an keiner Stelle eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den politischen Ursachen der privaten Kalamitäten [erfolgt], nie fällt einer der Helden eine politische Entscheidung, sondern die Wendung zum Besseren resultiert ganz automatisch einfach aus der moralischen Integrität der Heldin. […] Das Ausweichen vor der verantwortlichen politischen Entscheidung wird schließlich verherrlicht und durch die nie ausbleibende glückliche Wendung gerechtfertigt.

Patalas vermisste, dass „ein gültiges oder auch nur wahrscheinliches Einzelschicksal aus dem allgemeinen Geschehen der Zeit herausgegriffen und künstlerisch verdichtet“200 wird – und tangierte damit das Konzept und die Forderung des „Typischen“ von Georg Lukács. Hotel Adlon, einem Exemplar für das „Genre des ge197 Wie ein Sturmwind, in: Filmkritik, Nr. 4, 1957, S. 61 f., hier S. 62. 198 Patalas: Furcht vor der Verantwortung (Neue Deutsche Hefte, Nr. 6, 1954), S. 460. 199 Enno Patalas (als Ben Eichsfelder): Die Apotheose des Unpolitischen. Bemerkungen zu dem Film „Geliebtes Leben“, in: filmforum 3 (1954), Nr. 5, S. 6. 200 Alle Zitate aus Patalas: Furcht vor der Verantwortung (Neue Deutsche Hefte, Nr. 6, 1954), S. 461.

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pflegten Gesellschaftsfilms von Ufa-Observanz“, wurde von drei Verfassern aus der Filmkritik-Gruppe eine ähnliche Ausblendung einschneidender historischer Entwicklungen attestiert: „Fünfzig Jahre Zeitgeschichte passieren Revue und werden mit immer gleicher larmoyanter Indifferenz abgehandelt. Politik erscheint als Schicksal, als eine auferlegte Prüfung der individuellen privaten Untadeligkeit, niemals als Aufgabe.“201 Der Regisseur Helmut Käutner sah sich in der film 56 einerseits mit dem Lob bedacht, unter seinen einheimischen Kollegen der Einzige mit „politische[m] Verantwortungsbewußtsein“ zu sein, gleichzeitig aber auch dem Vorwurf ausgesetzt, er sei ebenso der einzige „Intimist“.202 So stehe er stellvertretend für die Abschwächung brennender politischer Themen durch Ausflüchte in private Schilderungen und Konflikte. Heraus komme dabei ein Film wie Himmel ohne Sterne, den Wilfried Berghahn in der Zeitschrift rezensierte. Käutner wählte als Schauplatz der Handlung die innerdeutsche Grenze. Zunächst, billigte Berghahn zu, treffe er in manchen Szenen die kühle Geschäftstüchtigkeit auf der bundesrepublikanischen Seite und das zunehmende Auseinanderleben der beiden deutschen Gesellschaften – „[e]inige unangenehme Minuten für den Bundesbürger vor und auf der Leinwand gibt es immerhin“. Doch anschließend reduziere Käutner die Filmhandlung wieder auf eine sentimentale, grenzüberschreitende Liebesgeschichte: „Romeo und Julia – darum geht es schließlich. Die politische Situationsanalyse, mit der der Film begann, versickert; die Zonengrenze wird mehr und mehr zum bloßen Vorwand für eine Liebestragödie.“ Um diese eher gewöhnliche Handlung weiterzutreiben und dramaturgisch auszubeuten, bedürfe der Regisseur der „Kolportage“ und der Zuspitzung im gewaltsamen Tod der beiden Liebenden, so dass als enttäuschendes Resultat „die Lebensfragen unseres Landes wieder einmal zum Vorwand privater Konflikte gemacht und verschlissen [werden], um den Bürger das Gruseln zu lehren.“203 Stand in den Augen der Kritiker Helmut Käutner exemplarisch für die Ausflucht vor heiklen Themen in private Bereiche, so galt Harald Braun mit seinen Filmen als Herold der „großen Persönlichkeiten“ im verbreiteten Autoritätskult in der zeitgenössischen bundesdeutschen Filmproduktion.204 Brauns Historienfilm Herrscher ohne Krone über den am dänischen Königshof einflussreichen Arzt Struensee verbinde praktischerweise gleich zwei etablierte Autoritäten des deutschen Films miteinander, den Arzt, der gleichzeitig auch mächtiger Politiker ist. Die Botschaft sei deutlich, merkte in der Filmkritik der anonyme Rezensent an, „daß nicht das Volk selbst seine Lage bessern könne, sondern nur der erleuchtete Herrscher – mit oder ohne Krone.“205 Für Ulrich Gregor war Herrscher ohne Krone den „Untertanen-Instinkten des Publikums förderlich“, die gehobene Machart des Films und die Verlagerung in die Vergangenheit suggerierten eine Unausweichlichkeit der historischen Entwicklung, erzeugten beim Zuschauer „eine Wendung zur 201 Gregor/Kotulla/Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1, 1956), S. 8. 202 Enno Patalas: Romeo und Julia bei Langemarck, in: film 56, Nr. 3, 1956, S. 152 f., hier S. 152. 203 Wilfried Berghahn: Romeo und Julia an der Zonengrenze, in: film 56, Nr. 1, 1956, S. 40–42, hier S. 41 f. 204 Vgl. zum Beispiel Patalas: Autorität und Revolte (Frankfurter Hefte, Nr. 1, 1956), S. 26. 205 Herrscher ohne Krone, in: Filmkritik, Nr. 2, 1957, S. 26 f., hier S. 27.

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Passivität, einen Reflex der Unterordnung“.206 Wolfgang Liebeneiners Film über die preußische Königin Luise vermische den üblichen Personenkult mit der problematischen Deklaration „unklare[r] Emotion zum Leitfaden nun gar des politischen Handelns“.207 Politische Passivität, Schicksalsglaube und Irrationalität hingen für die Kritikergruppe also auch in einigen Filmen unmittelbar zusammen. Ihre Frustration über dieses Politikverständnis, das eigenverantwortliche Beteiligung behindere, entlud sich an Regisseuren und Filmen, aber auch an einzelnen Schauspielern und deren typischen Rollen. Heinz Rühmann beispielsweise tauche in Mein Schulfreund wieder einmal „als bedauernswertes Opfer, nicht als kritikwürdiger Mitschuldiger der politischen Zeitläufte“ auf, könne so „seiner Galerie ein weiteres Porträt aufmuckender Subalternität anfügen“. Hans Albers verkörpere in Der Greifer das Bewährte, Althergebrachte, das moderne Erfindungen oder Methoden, in diesem Fall in der Polizeiarbeit, überflüssig mache.208 Die latent konservative Tendenz, die sich hinter all diesen ideologiekritisch herausgearbeiteten Defiziten im westdeutschen Film verstecke, wurde im „Panorama 1955“ anhand von Hotel Adlon ausdrücklich betont – hier sahen die Redakteure, nicht nur aus tagespolitischen Überlegungen heraus, beunruhigende Manipulationsversuche am Werk: „Es liegt ganz in der Konsequenz dieser passiv-emotionalen Haltung, daß nur das Alte als wertvoll erscheint, Veränderungen und Umsturz notwendigerweise von Übel sind.“209 Ein herausragendes Beispiel bündelt viele der ideologiekritischen Anwürfe des Filmkritik-Kreises noch einmal markant. Im dritten Heft 1957 befasste sich einer ihrer Mitarbeiter in einer namentlich nicht gekennzeichneten Rezension mit der filmischen Biographie des früheren Reichskanzlers und Außenministers, mit Stresemann von Alfred Braun, der mit Bundesbürgschaftsmitteln gefördert worden war. Dem Rezensenten fielen so viele historische Ungenauigkeiten, die wenig informierte Zuschauer völlig desorientieren müssten, auf, dass er „keine Nachlässigkeiten mehr“, sondern „ein System“210 zu entdecken meinte. Offensichtlich sei es den Herstellern des Films nicht angelegen gewesen, die Argumentationen und oftmals schwierigen Verhandlungen Stresemanns nachzuzeichnen und die ihm vorgesetzten oder gleichrangigen Politiker in ein komplexeres Bild einzugliedern. Der Film zeige stattdessen einen „Autokraten reinster deutscher Filmprovenienz“, einen „Titelhelden ohne inneren Widerspruch und ohne Entwicklung, die aus diesem resultiert“, einen „monolithischen Typus“, den „Gegensatz zwischen dem gutdenkenden, durch und durch edelmeinenden Helden und seinen übelwollenden Gegnern.“211 Der Kritiker spürte dieser historischen Konstruktion auch in der formalen Gestaltung des Werks nach: Während der verkürzt dargestellten Reichstagsdebatten werde Stresemann 206 Ulrich Gregor: Herrscher ohne Krone. Ein anspruchsvolles Melodrama der Autorität, in: filmforum 6 (1957), Nr. 6, S. 6. 207 Königin Luise, in: Filmkritik, Nr. 4, 1957, S. 58. 208 Vgl. Enno Patalas: Mein Schulfreund, in: Filmkritik, Nr. 9, 1960, S. 257; Ulrich Gregor: Der Greifer, in: Filmkritik, Nr. 5, 1958, S. 116. 209 Gregor/Kotulla/Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1, 1956), S. 8. 210 Stresemann, in: Filmkritik, Nr. 3, 1957, S. 39–42, hier S. 40. 211 Ebd., S. 39 f.

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größtenteils in Untersicht, „aus der Perspektive der Devotion gleichsam“, gefilmt, die restlichen Abgeordneten als anonyme, sich durcheinander tummelnde Menge von oben gefilmt. Ferner werde „Stresemann von hinten gezeigt, Unnahbarkeit, abweisende Einsamkeit ausstrahlend.“ An dieser Stelle erfüllte sich mithin der Anspruch der Filmkritik, formale und inhaltliche Bestandteile der Filme im Einklang zu analysieren. Die Verherrlichung des Pseudo-Stresemanns zeige sich darüber hinaus in der Hinzuerfindung eines Liebespaares, das „stellvertretend für das Kinopublikum die Pose der ehrerbietigen Bewunderung“ einnehme.212 Aus dem Beobachteten und der Auseinandersetzung mit etlichen weiteren westdeutschen Filmen destillierte der Verfasser im Anschluss drei häufig wiederkehrende Perspektiven auf Politik heraus – sofern die deutschen Filme nicht ohnehin apolitische Haltungen kultivierten.213 Diese Filme verstünden erstens Politik als eine „Privatangelegenheit“ zwischen den Untertanen entrückten Regierenden, die in geheimen Gesprächen Entschlüsse fassten und Verträge besiegelten. Der Film Stresemann habe zum Beispiel das private Verhältnis zwischen dem deutschen Außenminister und seinem französischen Kollegen Briand durch nicht verbürgte Anekdoten überbetont. Mit dieser Perspektive einher ging die zweite Beobachtung, dass deutsche Filme den Geschichtsverlauf im Wesentlichen durch die auf unergründlichen Eingebungen oder „Vorsehung“ beruhenden Aktionen einzelner bedeutender „Führer“ erklärten. Drittens erschienen die Regierten kaum als in der Demokratie aktive Subjekte, sondern als die Taten ihrer Herrscher erleidende oder von ihnen profitierende Objekte. Die Problematik dieses Politikverständnisses lag für den Filmkritiker auf der Hand, da es einerseits die aktuelle Autorität des Bundeskanzlers unterstreiche und andererseits historisch bereits seine fatalen Folgen deutlich geworden seien: In allen drei Fällen wird Politik aus der Perspektive des ‚Unpolitischen‘ gezeigt, der sie als eine Gegebenheit ansieht, die seinem Einfluß entzogen ist, und der sich daher auch von Verantwortung frei fühlt. Für die Gefahren dieser Haltung hat die neuere deutsche Geschichte, wie erinnerlich, einen eindringlichen Beweis erbracht.214

Die soeben angeführten westdeutschen Filme vertraten größtenteils nicht den Anspruch, satirische oder gesellschaftskritische Effekte zu erzielen oder Denkanstöße ins Publikum zu tragen. Solche Filme, zeitgenössisch zum Beispiel als „Problemfilme“ bezeichnet, wurden aber durchaus gedreht. Ähnlich wie im italienischen Fall, in dem ambitionierte Projekte von Initiatoren des Neorealismus – erinnert sei an Cesare Zavattinis „gefilmte Zeitschrift“ Amore in città – nicht pauschal gelobt, sondern mit umso peniblerer Kritik versehen wurden, galten für die „zeitkritischen“ Filme in der Filmkritik strenge Maßstäbe. Das ist bei Helmut Käutners Himmel ohne Sterne angeklungen, in dem für Wilfried Berghahn einzelne bissige Aussagen den harmlosen, konformistischen Gesamteindruck nicht kompensieren konnten. Käutner war es beispielsweise auch, über dessen Der Rest ist Schweigen Reinold E. Thiel zu allgemeineren Schlüssen kam: „der Mangel an präzis analytischem Den212 Vgl. ebd., S. 41. 213 Für diese drei Perspektiven vgl. ebd., S. 41 f. 214 Ebd., S. 42.

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ken bei den Autoren macht unsere deutschen ‚Problemfilme‘ so ungenießbar.“215 Was die Gruppe um die Filmkritik an diesen zeitkritisch gemeinten Filmen störte, soll nun an zwei Beispielen verdeutlicht werden. Für die Filme Glücksritter und Das Mädchen Rosemarie werden die entsprechenden Rezensionen aus der Zeitschrift herangezogen und durch Passagen aus Rolf Beckers erwähntem Aufsatz aus dem Monat ergänzt, dessen Titel „Versuche, wesentlich zu werden“ die Richtung der Argumentation bereits vorgab. Ein prägnanter Fall eines gesellschaftskritisch ambitionierten Regisseurs war auch Wolfgang Staudte. Staudtes Laufbahn und seine Rezeption durch die Filmkritik bilden allerdings, aufgrund seiner vielfältigen Konflikte in beiden Filmkulturen des geteilten Deutschlands, erst im weiteren Verlauf dieser Studie einen eigenen Abschnitt. Der nicht namentlich genannte Autor hielt in seiner Besprechung für die Filmkritik die Produktion Glücksritter eigentlich für vielversprechend. Die wesentlichen Verantwortlichen um Regisseur Arthur Maria Rabenalt galten ihm als „AntiKonformisten“216 und ihr Thema sei interessant: Es wird die Geschichte einer politischen Zeitschrift geschildert, die nach 1945 mit aufklärerischem Impetus gegründet wurde und im Wirtschaftsboom zehn Jahre später zu seichter Berichterstattung übergegangen ist. Diese Entwicklung werde im Film aber nur äußerst unklar vorgeführt. Dazu listete der Kritiker einen umfangreichen Katalog an offen gebliebenen Fragen, beispielsweise zur ursprünglichen Motivation des Zeitschriftengründers, zur genauen Ausrichtung der Zeitschrift oder zu ihren ökonomischen Verhältnissen nach dem Abklingen der kritischen Tendenzen, auf, der hätte verfolgt werden müssen.217 Verschlimmert wurden diese Analysemängel für den Verfasser der Rezension dadurch, dass knapp die Hälfte des Films aus einer äußerst verworrenen Liebesintrige auf Illustriertenniveau bestehe. Hier zeige sich ein typisches Missverständnis in der Grundanlage der vermeintlich kritischen westdeutschen Filme: Eine unbequeme Aussage, so wird uns erklärt, müsse ‚verpackt‘ werden, um ‚anzukommen‘. Diese Auffassung vergißt, daß das, was sie ‚Verpackung‘ nennt, Eigengewicht hat, ebenso wirkt wie die ‚verpackte‘ Aussage, nur entgegengesetzt – das Messer der Kritik, mit den dicken Bandagen des Gemüts mehrfach umwunden, schneidet nicht mehr.

Verärgert schloss die Kritik mit der Forderung nach „Mut zum Skandal! – indem er ihn unterdrückt, hat dieser Film selbst teil an der Korruption, die zu kritisieren er unternimmt.“218 Vergleichbar günstige Voraussetzungen für einen gelungenen Film, die dann wiederum nicht ausgenutzt worden seien, fand Enno Patalas in seiner Kritik vom Oktober 1958 bei Das Mädchen Rosemarie vor: Das Drehbuch hatte Regisseur Rolf Thiele mit dem als scharfsichtig bekannten Publizisten Erich Kuby verfasst und dabei einen aufsehenerregenden realen Fall verwertet. Der erfolgreichste Film des Jahres219 handelt von dem dubiosen Mordfall der Prostituierten Rosemarie Ni215 Reinold E. Thiel: Der Rest ist Schweigen, in: Filmkritik, Nr. 8, 1959, S. 209 f., hier S. 209. 216 Glücksritter (Eine Geschichte von heute), in: Filmkritik, Nr. 5, 1957, S. 70–72, hier S. 70. 217 Vgl. ebd., S. 71. 218 Jeweils ebd., S. 72. 219 Vgl. Schneider/Sigl/Tornow: Jede Menge Kohle, S. 132.

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tribitt, die im Frankfurt der 1950er Jahre einflussreiche Männer aus Politik und Wirtschaft zu ihren Kunden gezählt haben soll.220 „Fragen nach der Soziologie der Macht, nach der Psychologie der Mächtigen“ erwartete sich Patalas hier – und bekam nur „einen plakativen Bilderbogen“221 zu sehen. Die Titelfigur bleibe ein statischer Charakter, auch wenn zusätzlich noch eine Liebesgeschichte mit einem ihrer Kunden erfunden werde. Vage Andeutungen über Erpressungen und Geschäftsgeheimnisse sollten offensichtlich eher „Gruseln“ bei den Zuschauern erzeugen und die grotesk karikierten Wirtschaftsbosse wiesen keinerlei Glaubwürdigkeit auf; ihre in der Realität erzielten Erfolge und damit ihre Gefährlichkeit würden so jedenfalls nicht deutlich. Etliche Elemente standen für Patalas zusammenhanglos in einem konzeptionellen Durcheinander: einige wenige treffende Spitzen, dazu dann zahlreiche Tritte ins „Fettnäpfchen“, überzogene „Ausfälle“ gegen Gewerkschaften oder Rüstungsbestrebungen und nicht zuletzt die völlig deplatzierten filmästhetischen Eskapaden. Diese „desavouieren“ die angedachte Aussage des Films endgültig: Flinke Transfactor-Fahrten, Stehkader, elektronische Toneffekte und quasi-expressionistische Arrangements wie die Kette der Mercedes 300 ergeben wohl eine interessant und zuweilen gefährlich schillernde Oberfläche, die aber den Zugang zur gemeinten Realität nicht vermittelt, sondern verstellt. Die Details machen sich selbständig und rotieren beziehungslos im Raum.

Insgesamt war Das Mädchen Rosemarie durch all die Kritikpunkte für den Kritiker nur „ein Film, der die herrschenden Tabus nicht bricht, sondern sie befestigt, indem er um sie herumredet als gäbe es sie nicht.“222 Rolf Becker kam bei Glücksritter und Das Mädchen Rosemarie zu den gleichen Schlüssen wie seine Kollegen in der Filmkritik. Beim zweiten Film sagten ihm zwar einige Dialogpassagen und formale Aspekte zu – die „effektvolle Symbolsprache“ Thieles „mythologisiere“ aber auch die Profiteure und die Annehmlichkeiten des Wirtschaftsaufschwungs. Sowohl Rabenalts als auch Thieles Film litten an der schon anderorts beklagten „Undeutlichkeit der Verdächtigungen, [der] Unschärfe der Kritik“.223 Beckers ebenfalls den Vorwürfen in der Filmkritik entsprechender Befund von der Verwässerung der Themen durch Liebesgeschichten oder andere „private“ Angelegenheiten bildet ein repräsentatives Schlusswort der in diesem Abschnitt zusammengetragenen Angriffspunkte, die die mehr und die weniger ambitionierten einheimischen Filmproduktionen trafen: Unfähig oder zu ängstlich, sich ganz auf das gesellschaftskritische Thema zu konzentrieren, letzten Endes ohne Vertrauen in das eigene und eigentliche ‚Anliegen‘, glaubt der deutsche Film fast immer, private Affären und Verwicklungen hinzutun zu müssen – es ist ja nicht etwa die legitime Inkarnation der allgemeinen Zeitkritik in einem speziellen menschlichen Fall, 220 Vgl. Marli Feldvoß: Wer hat Angst vor Rosemarie Nitribitt? Eine Chronik mit Mord, Sitte und Kunst aus den fünfziger Jahren, in: Hoffmann/Schobert (Hg.): Zwischen Gestern und Morgen, S. 164–182; Christian Steiger: Rosemarie Nitribitt. Autopsie eines deutschen Skandals, Königswinter 2007; Bernd Ulrich: Rosemarie Nitribitt, in: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Skandale in Deutschland nach 1945, Bielefeld 2007, S. 40–49. 221 Enno Patalas: Das Mädchen Rosemarie, in: Filmkritik, Nr. 10, 1958, S. 218 f., hier S. 218. 222 Jeweils ebd., S. 219. 223 Becker: Versuche (Der Monat, Nr. 130, 1959), S. 74 f.

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3 Theoretische Grundlagen und filmkritische Praxis sondern reine Zutat, privat und irrelevant, Garnierung, die dann aber meistens das eigentliche Thema überwuchert, oder zumindest entscheidend schwächt und verdünnt. So dementiert schließlich der Konformismus der Form den vorgeblichen Nonkonformismus des Themas, die Kritik wird unglaubwürdig.224

3.3.3 Cinema Nuovo und Filmkritik zum US-Kino Die Auseinandersetzung der Kritiker mit den italienischen beziehungsweise den bundesdeutschen Filmen der 1950er Jahre folgte zwar einigen ähnlichen Grundlinien, wies aber letztlich jeweils charakteristische Eigendynamiken auf. Demgegenüber lassen sich in Bezug auf den US-Film, der in beiden Ländern in dieser Zeit beträchtliche Zuschauerzahlen und Wirtschaftsdaten erzielte, teils nahezu deckungsgleiche Herangehensweisen und Urteile herausarbeiten. Auf Referenzen und Anleihen, die die transfer- und verflechtungsgeschichtliche Facette dieser Studie untermauern, wird dabei besonders verwiesen. Filmproduktionen aus den USA wurden in der Cinema Nuovo und der Filmkritik keineswegs überschwänglich rezipiert. Die meisten Werke der zu dieser Zeit bereits etablierten und international renommierten US-Regisseure wie beispielsweise William Wyler, Billy Wilder, John Ford oder John Huston fanden zwar Eingang in die Rezensionsspalten der Zeitschriften oder in weiterführende Artikel, dort allerdings weder überproportional umfangreiche Aufmerksamkeit noch auffällig begeisterte Aufnahme. Pauschale Verdammung erfuhren sie allerdings ebenso nicht, so dass die zurückhaltend formulierte Erinnerung, die Ulrich Gregor im Interview äußerte, den deutschen und auch den italienischen Fall treffend zusammenfasst: „Zu Hollywood waren wir ein bisschen mehr in Distanz“.225 Die Aufnahme des US-Kinos lässt sich nicht mit der Verehrung vergleichen, die etwa Alfred Hitchcock mit seinen Hollywood-Produktionen im Rahmen der „politique des auteurs“ in den Cahiers du cinéma erfuhr.226 In den Publikationen der beiden Kritikergruppen erschienen bei aller Distanz regelmäßig Beiträge zu Film und Filmwesen jenseits des Atlantiks. Die Mailänder Redaktion unterhielt mit Giorgio N. Fenin ja eigens einen USA-Korrespondenten, der aus New York berichtete und sich in seinen Texten überwiegend technischen Neuerungen und Filmpremieren widmete. Ab und zu erschienen Artikelserien zum amerikanischen Gangster- oder Science-Fiction-Film oder Berichte über USA-Reisen weiterer Mitarbeiter.227 Bis auf kleinere Aufnahmen waren diese aber zumeist in einem sachlichen, neutralen Ton gehalten, so dass ein ausführliches Referat ihrer Inhalte an dieser Stelle müßig wäre. Aus dem Filmkritik-Kreis war es im Verlauf der ersten Jahre gerade Enno Patalas, der einige längere Artikel zum US-Film beisteuerte. Seine bereits erwähnte „Sozialgeschichte des amerikanischen Films“ in 224 Ebd., S. 72. 225 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 226 Vgl. Kapitel 6.1.3. 227 Als Beispiel vgl. Luigi Caglio: Volevano Stevenson, in: Cinema Nuovo, Nr. 23, 15. 11. 1953, S. 310 f.

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der F stand nicht allein, es folgten in dem kurzlebigen Heft weitere Blicke in die Vereinigten Staaten, zuvor gab es sie schon in der film 56 und in verschiedenen Beiträgen für die Frankfurter Hefte und die Neuen Deutschen Hefte. Patalas’ „Sozialgeschichte“ war eine an Kracauers Ideologiekritik anknüpfende Bilanz von etwa einem halben Jahrhundert Filmgeschichte. Nicht nur sie war geprägt von einer auch filmhistorischen Entwicklung in der US-amerikanischen Nachkriegszeit: Die von Senator McCarthy initiierten, antikommunistisch motivierten Ermittlungen, die bis weit ins Filmwesen hineingereicht und Regisseure wie Charlie Chaplin und Orson Welles zur Ausreise getrieben hatten,228 bildeten ein zentrales Motiv der Diskussion über das US-Kino in der Filmkritik und auch der Cinema Nuovo. Die Verurteilung dieser rigorosen Ermittlungen und filmpolitischen Konsequenzen mischte sich dabei häufiger mit Kritik an zu kooperationswilligen US-Regisseuren und ihrer Arbeit im Anschluss an die Verhöre. In der film 56 und der Filmkritik fand sich immer wieder der Verdacht, ein gegenüber den Ermittlern allzu aussagefreudiger Regisseur oder Drehbuchautor wolle sich mit einem vordergründig kritischen Film ein „Alibi“ verschaffen.229 Gerade Edward Dmytryks Veränderung enttäuschte die westdeutschen Kritiker, er „bewegt sich seit seiner Entlassung aus politischer Haft auf dem sicheren Boden des Katholizismus“ und provoziere keine tiefgehenden Analysen mehr, sondern allenfalls noch die Frage, „an welchem Punkt dieser Karriere der Geist des Rebellen gebrochen wurde“.230 In der Cinema Nuovo ging Kritik an den Auswüchsen des „maccartismo“, diesem „metodo politicamente barbarico“,231 ebenfalls einher mit Verärgerung oder Enttäuschung über nachgiebige Filmemacher, wie in diesem Zitat am Beispiel von Elia Kazan deutlich wird: „Un triste spettacolo. I democratici americani alzano le braccia e si allineano con le direttive del senatore McCarthy.“232 Dass diese Kritik an „umgefallenen“ Regisseuren wie Dmytryk oder Kazan in den 1950er Jahren unter mehr oder weniger kritischen westeuropäischen Filmpublizisten ein gängiges Motiv war und nicht auf Italien oder die Bundesrepublik Deutschland beschränkt blieb, zeigt ein Seitenblick auf den französischen Kritiker Pierre Kast, der sich über Dmytryk und seinen „Verrat“ in den Cahiers du cinéma äußerte: Car il s’agit bien de trahison. M. Dmytryk a purement et simplement ‚donné‘ un certain nombre de ses confrères, dont les policiers ignoraient les opinions subversives, confrères qui ont dû 228 Vgl. Frank Niess: Schatten auf Hollywood. McCarthy, Bush junior und die Folgen, Köln 2005; Michael Freedland / Barbara Paskin: Hollywood on Trial. McCarthyism’s War against The Movies, London 2007; Ann Malaspina: The McCarthy Era. Communists in America, New York 2011. 229 Vgl. Berghahn/Kotulla/Patalas: Sie nennen es Realismus (film 56, Nr. 3, 1956), S. 121; Enno Patalas: Lockende Versuchung (Friendly Persuasion), in: Filmkritik, Nr. 11, 1957, S. 171; ähnlich später noch ders.: Hollywoods Antwort (F, Nr. 1, 1958), S. 37–39. 230 Zitate aus Gregor/Kotulla/Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1, 1956), S. 2; Berghahn/ Kotulla/Patalas: Sie nennen es Realismus (film 56, Nr. 3, 1956), S. 119; zum Thema vgl. auch Enno Patalas: Hollywoods gelähmte Linke. Künstlerischer Kraftverlust durch politische Unterwürfigkeit, in: Frankfurter Hefte 10 (1955), Nr. 10, S. 724–732. 231 Renzo Renzi: Fine del maccartismo?, in: Cinema Nuovo, Nr. 53, 25. 2. 1955, S. 146 f., hier S. 146. 232 Salto mortale (The Man on a Tightrope), in: Cinema Nuovo, Nr. 21, 15. 10. 1953, S. 251.

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3 Theoretische Grundlagen und filmkritische Praxis mettre immédiatement l’océan entre eux et la commission des activités anti-américains. […] Il cesse seulement d’être quelqu’un à qui on a envie de serrer la main.233

Angesichts der filmtheoretischen und gesellschaftskritischen Ausrichtung der beiden Zeitschriften ist es naheliegend, dass viele US-Importe als Musterbeispiele für eine unkritisch-oberflächliche, rein kommerzielle Filmherstellung abgelehnt wurden. Vielfach schwang diese Ablehnung schon in schlagwortartiger Form mit, ohne dass zwingend eine tiefer gehende Analyse folgte. Diese lässt sich für beide Fälle allerdings in verschiedenen Stufen und Filmgruppen nachzeichnen, was im Anschluss an eine erste Bestandsaufnahme erfolgen wird. Die Defizite, den Mangel an profunder Gesellschaftsanalyse, die Vittorio De Sica und Cesare Zavattini in der Cinema Nuovo für ihren Film Stazione Termini angelastet wurden, führte Guido Aristarco in seiner Rezension eben auch darauf zurück, dass es sich um eine Co-Produktion mit US-Firmen handelte, und Hollywoods verflachender Einfluss offenbar werde: „L’attuale versione è la conseguenza diretta del citato compromesso, di due diverse mentalità e maniere di concepire il cinema: quella del realismo italiano e quella dell’evasione hollywoodiana.“234 Das Schlagwort der „evasione“ erschien hier also einmal als typisches Merkmal Hollywoods. Diese „evasione“ blockiere Stazione Termini „con il romanticismo e il sentimentalismo“.235 Ein weiteres gängiges Schlagwort der Cinema Nuovo, den „conformismo“, griff Lo Duca auf, indem er dem US-Kino eine solche Krise attestierte.236 Zwei kleinere Besprechungen zeigen gebündelt die Wucht der Kritik und Geringschätzung, die Hollywoods Arbeitsweisen – oder das, was in der Zeitschrift dafür gehalten wurde – betrafen. Eine Erzählung Ernest Hemingways sei in The Snows of Kilimanjaro exemplarisch lieblos, verzerrt und marktorientiert verwertet worden: Avventure davvero senza senso e senza personalità, prolisse e banali, rese ancora piú ingombranti da un technicolor vistoso e pacchiano. […] Hollywood non esita a capovolgere il significato delle opere narrative, quando si tratta di accontentare le esigenze di un pubblico che si vuol far credere privo di sensibilità.237

Der Musicalfilm Lovely to Look At sei ebenfalls einer von vielen „pellicole banali, pretenziose“, er biete den gewohnten „cattivo gusto dei balletti e delle scenografie“, eine „trama insignificante“ und einen Schauplatz, der „non esce dal luogo comune“.238 Wurde in der Filmkritik Grundsatzkritik an der US-amerikanischen Filmpraxis laut, so rekurrierten die Autoren ebenfalls auf ein gängiges Schlagwort ihres filmtheoretischen Wortschatzes: Die von Adorno und Horkheimer abgeleitete „Kul233 Pierre Kast: Edward Dmytryk, in: Cahiers du Cinéma, Nr. 4, Juli/August 1951, S. 28 f., hier S. 29. 234 Aristarco: Stazione Termini (Cinema Nuovo, Nr. 9, 1953), S. 249. 235 Vgl. ebd., S. 250; auch Braccio Agnoletti: Il codice Hays li guarda, in: Cinema Nuovo, Nr. 3, 15. 1. 1953, S. 46. 236 Vgl. Lo Duca: La maschera del pessimismo, in: Cinema Nuovo, Nr. 1, 15. 12. 1952, S. 22. 237 Le nevi del Chilimangiaro (The Snows of Kilimanjaro), in: Cinema Nuovo, Nr. 9, 15. 4. 1953, S. 251. 238 Modelle di lusso (Lovely to Look at), in: Cinema Nuovo, Nr. 10, 1. 5. 1953, S. 284.

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turindustrie“ diente als Maßstab. Für Gerhard Schoenberner etwa war die Literaturadaption The Naked and the Dead „eine besonders auffällige Gelegenheit, den präzise funktionierenden Kontrollmechanismus der Kulturindustrie zu studieren, der Mailers Epos bei weitem am schlimmsten zugesetzt, d. h. es verstümmelt und entstellt hat.“239 Einige Textpassagen aus Rezensionen von Enno Patalas verstärken diesen Eindruck. So sei William Wylers Monumentalfilm Ben-Hur ein „Symptom für das, was die Industrie durch Druck und Verführung aus einem ihrer bedeutendsten Talente machen kann.“240 Patalas widerstrebten die kommerziellen Praktiken dieser immer wieder angegriffenen „Industrie“ zutiefst, da sie häufig diskussionswürdige und zeithistorisch relevante Themen überlagerten. Der Kritiker warf „den emsigen Geschäftemachern und Routiniers der Filmindustrie“ beispielsweise vor, dass sie nicht einmal vor dem Szenario eines „alles menschliche Leben auslöschenden Atomkrieg[s]“ Halt machten mit der kommerziellen Ausbeutung und der dazu gehörenden „Darbietung nervenzerrender Effekte, lustigen Klamauks und gefühlvoller ‚romance‘“.241 Konkrete Kritikpunkte der italienischen und westdeutschen Redaktionsmitglieder, die auf den Durchschnitt der US-Filmimporte abzielten, betrafen zunächst die konformistische Moral und die Alltagsideologie der Produktionen. Dies konnte etwa die US-amerikanische Sexualmoral sein, wenn in der Cinema Nuovo die vermeintlich provokanten, aber letztlich doch harm- und sinnlosen erotischen Szenen in Gentlemen Prefer Blondes beanstandet wurden oder in der Filmkritik das Dogma von der „happiness in sex life“ hinterfragt wurde.242 Weitere Kritik in den beiden Zeitschriften befasste sich mit dem in US-Filmen verbreiteten Verständnis vom Arbeitsleben und beruflichen Erfolg. Der italienische Rezensent störte sich bei Steel Town an der Verabsolutierung der „self-made-men“ und der parallelen Weichzeichnung der Arbeitsbeziehungen und Beschäftigungsverhältnisse.243 Für Enno Patalas zeigte sich in Marjorie Morningstar einmal mehr die „gut-amerikanische message […], daß es besser ist, den ‚netten‘ Erfolgsmenschen zu ehelichen, als den geliebten, aber erfolglosen Outsider.“244 Ulrich Gregor sah in Disneys Dokumentarfilm Jungle Cat sogar die Absicht, den einfachen Angestellten auf seine alltägliche und – im übertragenen Sinne – schmerzhafte Eingliederung in die beruflichen und gesellschaftlichen Hierarchien zu eichen, denn wie in Disneys Cartoons „wird die Kreatur immer von neuem zerhackt, gefressen, vernichtet; der Zuschauer soll verstehen, daß unabänderliches Lebensgesetz ist, was ihm im realen Leben selbst widerfährt.“245 An dieser Stelle zeigte sich erneut sehr deutlich der Einfluss der 239 Gerhard Schoenberner: Die Nackten und die Toten (The Naked and the Dead), in: Filmkritik, Nr. 10, 1959, S. 281. 240 Enno Patalas: Ben Hur (Ben-Hur), in: Filmkritik, Nr. 11, 1960, S. 338. 241 Enno Patalas: Das letzte Ufer (On the Beach), in: Filmkritik, Nr. 1, 1960, S. 18. 242 Vgl. Gli uomini preferiscono le bionde (Gentlemen prefer Blondes), in: Cinema Nuovo, Nr. 30, 1. 3. 1954, S. 124; Baby Doll (Begehre nicht des Anderen Weib) (Baby Doll), in: Filmkritik, Nr. 3, 1957, S. 35–38, hier S. 37. 243 Vgl. Nervi d’acciaio (Steel Town), in: Cinema Nuovo, Nr. 13, 15. 6. 1953, S. 380. 244 Enno Patalas: Die Liebe der Marjorie Morningstar (Marjorie Morningstar), in: Filmkritik, Nr. 11, 1958, S. 247. 245 Ulrich Gregor: Wilde Katzen (Jungle Cat), in: Filmkritik, Nr. 8, 1960, S. 248.

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Dialektik der Aufklärung Adornos und Horkheimers auf die Arbeit der Filmkritik. Diese hatten geschrieben: „Donald Duck in den Cartoons wie die Unglücklichen in der Realität erhalten ihre Prügel, damit die Zuschauer sich an die eigenen gewöhnen.“246 Irritiert zeigten sich die Kritiker zumeist, wenn die US-Filme mit der Rückkehr zur gewünschten moralischen Ordnung schlossen. In The Girl Who Had Everything kehrt die Tochter eines erfolgreichen Anwalts, nachdem sie sich in einen Gangster verliebt hat, schließlich doch einsichtig zu ihrem Vater zurück. Für die Cinema Nuovo war das ein bequemer Schluss, „[u]n finalino di tipo moralistico, come si vede, e molto facile.“247 Es war nicht nur der Schluss mit der Rückkehr zur sozialen Norm, den Enno Patalas im letzten Beispiel dieser Passage mit facettenreicher ideologiekritischer Wucht sezierte. In Edward Dmytryks Raintree County fielen ihm zunächst die stereotypen Frauenbilder, die sich durch viele US-Filme zögen, auf. Der blonden, zuverlässigen Nordstaatlerin werde häufig die dunkelhaarige, verführerische, aber wankelmütige Südstaatlerin gegenübergestellt. Nach einem kurzen Ausbruch obsiege stets der solide Norden. Ideologiekritisch ordnete Patalas dies wie folgt ein: die Absage an das Ungewöhnliche, Fremde, das Bekenntnis zum Üblichen, Gewohnten, Anerkannten. Dieser Film ist somit nach dem beliebten dramaturgischen Schema verfertigt, das dem Zuschauer zunächst gestattet, sich seinen unerlaubten Neigungen hinzugeben, und ihn dann nach einer eleganten Wendung, die ihn der Verantwortung enthebt, darin rechtfertigt, daß er es in der Wirklichkeit eben doch nicht wagt und sich lieber an die erlaubten Genüsse hält.

Eine Analogie zum „ehernen Konformismus dieser Moral“ erkannte der Autor in der formalen Gestaltung durch den Regisseur, der „malerische Totalen, anheimelnde Interieurs, geschickt geschminkte Darsteller“ einsetze.248 Mindestens ebenso gravierend war für die Kritiker die ideologische Verzerrung in US-Produktionen, die sich direkt oder indirekt mit zeitgenössischer Politik und dem Kalten Krieg auseinandersetzten. Die Enttäuschung der Cinema Nuovo über Elia Kazans Kapitulation vor Senator McCarthy galt besonders dessen Man on a Tightrope. Darin reist eine Zirkustruppe jenseits des Eisernen Vorhangs. Das Resultat dieser Geschichte sei reine „propaganda antisovietica“, die sämtliche antikommunistische Gemeinplätze bediene.249 Auch Delmer Daves war für die italienische Redaktion ein vormals mutiger Regisseur, nun durch die McCarthy-Ermittlungen gezwungen „alle umilianti buffonate della produzione antisovietica“.250 Viele US-Filme scheuten nach Ansicht der Cinema Nuovo zu diesem Zweck auch nicht davor zurück, historische Ereignisse in eindeutiger Perspektive zu interpretieren; das Kino begebe sich so in die Hände einer „storiografia faziosa, servo sciocco

246 Theodor W. Adorno / Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, 17. Aufl., Frankfurt/Main 2008, S. 147. 247 Vita inquieta (The Girl who had Everything), in: Cinema Nuovo, Nr. 26, 31. 12. 1953, S. 411. 248 Enno Patalas: Das Land des Regenbaums (Raintree County), in: Filmkritik, Nr. 11, 1958, S. 242. 249 Vgl. Salto mortale (Cinema Nuovo, Nr. 21, 1953). 250 Arrivo l’alba (Never Let Me Go), in: Cinema Nuovo, Nr. 25, 15. 12. 1953, S. 378.

3.3 Die Zeitschriften, das einheimische Kino und die US-Importe

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dell’ignoranza e del fanatismo“.251 Besonders ärgerlich sei etwa die Behandlung der französischen Résistance in Operation Secret. Die kommunistischen Partisanen würden dabei als Kriminelle dargestellt. „Traurig“ und „besorgniserregend“ sei demgegenüber eine „rivalutazione dei nazisti“, denn im Film sagt ein früherer Gestapo-Führer vor einem Tribunal gegen die Kommunisten aus, anstatt dort selbst für seine Kriegsverbrechen belangt zu werden.252 In der Filmkritik stellte Rolf Becker eine selbstgewisse, westliche Arroganz gegenüber dem Ostblock fest – „Und nach Sputnik muß uns eine Pointe über die technische Rückständigkeit der Russen, gelinde gesagt, ein wenig schwach erscheinen.“253 Die verhärteten Fronten des Kalten Kriegs und ihre verzerrende Auswirkung auf die US-Filmproduktion bemerkten und bemängelten die westdeutschen Kritiker wie ihre italienischen Kollegen. Enno Patalas deutete neben anderen den amerikanischen Science-Fiction-Film Invasion of the Body Snatchers, in dem eine außerirdische Attacke droht, als Zeichen für eine „tiefinnere Unsicherheit“ in der westlichen Welt. „Die Kommunistenschnüffelei der McCarthy-Ära war ein anderer Ausdruck derselben Furcht“, so dass es nicht verwunderlich sei, dass die Außerirdischen im Film an die Schreckbilder der antikommunistischen Propaganda erinnerten. Die drängendste Gefahr dieses und ähnlicher Filme sah Patalas darin, „daß sie die Auseinandersetzung verschiedener Lebensformen stets nur als Kampf auf Leben und Tod darstellen und damit – nicht der einzelne Film, aber alle zusammen – beitragen zur Hysterisierung des politischen Klimas.“254 Wie beim heimischen Kino waren die Vertreter der Cinema Nuovo und der Filmkritik auch unter den US-amerikanischen Filmen stets auf der Suche nach und empfänglich für kritische Ansätze und profunde Gesellschaftsanalysen. Guido Aristarco erwähnte in einem Bericht aus Cannes, dass in den USA einige unabhängig produzierte, durchaus mutige und interessante Filme entstünden, diese nur leider äußerst selten auf den europäischen Festivals ankämen.255 1955 registrierte auch Renzo Renzi nach dem allmählichen Abklingen des „maccartismo“ einige US-Filme „che rivelano una ripresa di motivi polemici secondo la tradizione liberale di quel paese“,256 die immerhin Passagen über gesellschaftliche Missstände enthielten. Das Lob Theodor Kotullas für Stanley Kubricks Killer’s Kiss in der Filmkritik, das auf der Ähnlichkeit zum italienischen Neorealismus begründet war, ist bereits zitiert worden. Kubrick bediene sich eben nicht in „dem üblichen Hollywood-Kanon“.257 Enno Patalas setzte seine „Hoffnungen auf eine Renaissance des amerikanischen Filmrealismus“ nach der Dürre und Konformität der McCarthyJahre insbesondere in jüngere Regisseure von der dortigen Ostküste, die vom 251 La conquista della California (California Conquest), in: Cinema Nuovo, Nr. 22, 1. 11. 1953, S. 284. 252 Vgl. L’altra bandiera (Operation Secret), in: Cinema Nuovo, Nr. 8, 1. 4. 1953, S. 219. 253 Rolf Becker: Seidenstrümpfe (Silk Stockings), in: Filmkritik, Nr. 3, 1958, S. 67. 254 Enno Patalas: Die Dämonischen (The Invasion of the Body Snatchers), in: Filmkritik, Nr. 8, 1957, S. 125. 255 Vgl. Guido Aristarco: In un festival che tramonta il salario della paura, in: Cinema Nuovo, Nr. 10, 1. 5. 1953, S. 281–283, hier S. 281. 256 Renzi: Fine del maccartismo (Cinema Nuovo, Nr. 53, 1955), S. 146. 257 Kotulla: Der Tiger von New York (Filmkritik, Nr. 4, 1959), S. 101.

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Fernsehen kamen und erste „independent“-Produktionen vorgelegt hatten: „Neue Produktionsformen geben den neuen Regisseuren Gelegenheit, den Geist ihrer Generation zu projizieren.“258 Einer dieser Regisseure war Sidney Lumet. Als er 1957 mit Twelve Angry Men in Europa bekannt wurde, fand er auch in der Cinema Nuovo und der Filmkritik eine diesen Hoffnungen entsprechende positive Aufnahme. Twelve Angry Men zeigt kammerspielartig die Verhandlung einer New Yorker Geschworenenjury in einem Mordprozess. Lediglich einer der zwölf Männer ist nicht bereit, die Zweifel an der eher lückenhaften Indizienlage zu Lasten des jugendlichen Angeklagten zu übergehen. In zähen Diskussionen gelingt es ihm, nach und nach alle seine Kollegen vom Plädoyer auf „not guilty“ zu überzeugen. Für den Rezensenten der Cinema Nuovo reihte sich der bei der Berlinale prämierte Film mit seinem „coraggio sociale del tema“ unter die Lichtblicke, die aus dem TV der USA kamen, ein. Er zeichne die Justiz in den Vereinigten Staaten als eine „Klassenjustiz“ und stelle damit „uno degli attacchi piú violenti e distruttivi che mai il cinema abbia portato alle istituzioni di una società“ dar. Gleichwohl sei der Film ein wenig mechanisch aufgebaut und der Realismus eher oberflächlich.259 Ulrich Gregor lobte Lumets Werk in der Filmkritik als „mutig“ und „notwendig“; er hob die gelungene Verknüpfung des Themas mit der formalen Gestaltung hervor und zudem biete der Film einen „echte[n] Kursus in Demokratie […], eine Lektion zur Bekämpfung konformistischer und autoritärer Strömungen mit den Mitteln des Argumentes.“ Ein Einwand war für Gregor jedoch, dass die anfangs flüchtigen und fahrlässigen Urteile von elf Geschworenen nur als Einzelfälle und nicht als typische Erscheinungen präsentiert würden und dadurch übersehen werde, „daß auf einer höheren, gesellschaftlichen Ebene, die Probleme sich qualitativ verändern.“260 Beide Kritikergruppen verzichteten selbst bei diesem Hoffnung spendenden Film nicht darauf, Kritikpunkte und Unzulänglichkeiten aufzuführen. Dies erinnert an ihre Haltung zu gesellschaftskritischen oder satirischen Versuchen im italienischen oder bundesdeutschen Film und lässt sich als grundsätzliches Muster auf den Umgang mit dem US-Kino übertragen. Kinopublikum, Filmpresse und auch filmpolitische Entscheidungsträger waren zur Mitte der 1950er Jahre in vielen westlichen Ländern beeindruckt von den „harten“, drastischen Schilderungen in den Werken der Regiegeneration vor derjenigen Sidney Lumets, in den Werken beispielsweise von Nicholas Ray, Fred Zinnemann oder Richard Brooks. Doch gerade diese Werke missfielen den Zeitschriftenredaktionen und gerade die Filmkritik-Gruppe tat sich hier mit mehreren ideologiekritischen Grundsatzartikeln hervor. Der schon mehrfach zitierte Elia Kazan provozierte offensichtlich besonders ausführliche und vielfältige Analysen und Kritik. Er galt für die Cinema Nuovo ohnehin als politisch rückgratlos, des Weiteren als zu symbolverliebter Regisseur, der

258 Patalas: Hollywoods Antwort (F, Nr. 1, 1958), S. 39; vgl. auch Enno Patalas: Hollywoods „mißmutige junge Männer“, in: F, Nr. 2, 1958, S. 220–229, besonders S. 221 und 229. 259 Vgl. La parola ai giurati (Twelve Angry Men), in: Cinema Nuovo, Nr. 114–115, 15. 9. 1957, S. 169. 260 Ulrich Gregor: Die zwölf Geschworenen (Filmkritik, Nr. 9, 1957), S. 135.

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kaum etwas Relevantes zu sagen habe.261 In der Filmkritik schien noch zum Ende der hier untersuchten Etablierungsphase das Vorbild des italienischen Realismus durch, mit dem Kazan und seine Regiekollegen nicht mithalten könnten. Für Patalas war in Wild River die gesellschaftliche Analyse […] nicht breit genug angelegt, der private Aspekt isoliert sich; der sozialen wie der privaten Thematik bleiben einzelne Szenen vorbehalten, nicht aber erscheint privates Geschick sozial vermittelt und soziales von individuellem Handeln bestimmbar, wie in den gelungenen Werken des Filmrealismus, etwa denen von Visconti.262

Der Filmkritik-Kreis argumentierte in dieser Zeit konstant und konsequent ideologiekritisch, verknüpft mit einer Idealvorstellung des italienisch geprägten Filmrealismus. Umgekehrt wird an weiteren Filmen Kazans deutlich, wie diese auch die realismustheoretischen Gralshüter der Cinema Nuovo zu einer in der Zeitschrift eher selten eingeschlagenen, ideologiekritischen Spurensuche verleiteten. Dabei kam es bisweilen zu fast deckungsgleichen Diagnosen, von denen sich nicht nachvollziehen lässt, ob sie auf direkte Übernahmen und Einflüsse, also filmkulturelle Transfers wie im Fall des realistischen Paradigmas, zurückgehen. On the Waterfront lief 1954 beim Festival in Venedig. Giovan Battista Cavallaro kritisierte, dass sich im Film der Hafenarbeiter Terry nur durch individuellen Gewalteinsatz, per Faustrecht, gegen tyrannische Gewerkschaftsfunktionäre durchsetze.263 In der Rezension des Films in der Zeitschrift wurde am Ende des Jahres zudem bemängelt, dass die Hafenarbeiter Terry nach dessen siegreicher Schlägerei nun genau so brav und fügsam folgten wie zuvor den Gewerkschaftern, dass sie also stets „abbisognano di un capo che li protegga e li guidi.“264 Es waren bis auf Nuancen exakt diese Punkte, die circa eineinhalb Jahre später in der film 56 aufgegriffen wurden: „Unzweifelhaft wird dem Faustkampf der Vorzug vor dem Rechtsweg gegeben.“ Und weiter hieß es: „Wer bürgt dafür, daß nicht eine neue diktatorische Herrschaft sich etabliert – ist Terry selbst gegen die Versuchung der Macht gefeit? Man darf diese Haltung des Films wohl ‚faschistoid‘ nennen.“265 Die westdeutschen Filmkritiker elaborierten in der film 56 den Vorwurf, die „hard boiled“ Regisseure um Elia Kazan böten lediglich Pseudo-Kritik. Berghahn, Kotulla und Patalas schrieben hier, dass Gesellschaftskritik in Hollywood ein „Standardprodukt“266 geworden sei, das an keine Tabus rühre. Neben On the Waterfront analysierten sie vier weitere Filmbeispiele, „deren lärmender Ehrgeiz oder aufgetragene Schlichtheit die Kritik ins System integriert, sie kanalisiert und ableitet in die Kläranlagen der ideologischen Kontrollinstanzen.“267 Death of a Salesman etwa bestätige durch seine unvollendete Analyse den Erfolgskult des amerika261 Vgl. Un tram che si chiama desiderio (A Streetcar named Desire), in: Cinema Nuovo, Nr. 35, 15. 5. 1954, S. 284; La valle dell’Eden (East of Eden), in: Cinema Nuovo, Nr. 69, 25. 10. 1955, S. 316. 262 Enno Patalas: Wilder Strom (Wild River), in: Filmkritik, Nr. 8, 1960, S. 242–244, hier S. 244. 263 Vgl. Cavallaro: La scomparsa (Cinema Nuovo, Nr. 43, 1954), S. 191. 264 Fronte del porto (On the Waterfront), in: Cinema Nuovo, Nr. 48, 10. 12. 1954, S. 396. 265 Berghahn/Kotulla/Patalas: Sie nennen es Realismus (film 56, Nr. 3, 1956), S. 120. 266 Ebd., S. 112. 267 Ebd., S. 123.

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nischen Geschäftslebens, der vorgeblich attackiert werden solle. Edward Dmytryk war es mit The Caine Mutiny einmal mehr, der die Ideologiekritik der Gruppe auf sich zog. Durch die Schlusswendung werde die nachvollziehbare Meuterei einer Schiffsbesatzung gegen ihren autoritären Kapitän als Irrweg eines intellektuellen Aufrührers gebrandmarkt.268 Diese Diagnose der Intellektuellenfeindschaft in vermeintlich brisanten Hollywood-Filmen war mehr als ein Jahr zuvor auch in der Cinema Nuovo getroffen worden – die Parallele im Urteil, ähnlich wie zu On the Waterfront, wird in einem längeren Zitat aus der dortigen Rezension deutlich. Noch dazu illustriert es die politische Dimension dieses Urteils: L’intellettuale, insomma, è un vigliacco, un tipo pericoloso, di cui è bene non fidarsi. Questo Keefer è la vera figura che il film attacca per bocca dell’avvocato, con argomenti identici a quelli usati dai maccartisti per convincere l’opinione pubblica a diffidare della cultura indipendente, degli intellettuali e degli artisti indipendenti (indipendenti, intendiamoci, dalla dottrina ufficiale del governo, dalla linea della destra repubblicana oggi prevalente a Washington) e a considerarli dei potenziali traditori in pace e in guerra.269

Auf halber Strecke zurückgenommene Gesellschaftskritik, relativierende Schlusswendungen oder Happy Ends – diese Kritikpunkte fanden sich an zahlreichen Stellen in den ersten Jahrgängen der Filmkritik. Richard Brooks beispielsweise „sabotierte“ in Dietrich Kuhlbrodts Augen kritische Aussagen nicht nur in Cat on a Hot Tin Roof mit einem „versöhnlichen ‚Ende gut – alles gut‘“.270 Die bisher ausgewählten Beispiele betrafen die routinierten, etablierten Regisseure, sie betrafen die Regisseure „harter“ Sozialstudien, die Mitte der 1950er Jahre die internationale Wahrnehmung Hollywoods mitprägten, doch Vorwürfe der verkürzten, unzureichenden Kritik trafen wie bei Sidney Lumet selbst die jüngsten Hoffnungsträger, die TV-erprobten Filmemacher von der Ostküste. Patalas widmete ihnen einen Beitrag in der F über „Hollywoods ‚mißmutige junge Männer‘“ und griff darin viele auch durch seine Mitarbeiter in den jeweiligen Rezensionen geäußerten Probleme auf. Thematisch verdienstvoll sei die Auseinandersetzung von Regisseuren wie Delbert Mann oder Martin Ritt mit dem „Druck der Kollektive auf das Individuum“.271 Patalas fasste die Filme zusammen: Immer wieder finden sich in den Filmen der jungen Regisseure dieselben Vorzüge und dieselben Fehler: ein unverkennbares Mißbehagen über die Bedrohung der Freiheit des Einzelnen durch die Allgegenwart des gesellschaftlichen Anspruchs, dieselbe Ausflucht in privat-resignierende Standardlösungen, […] Der Rückzug in die Psychologie, das Verschweigen objektivsozialer Ursachen für ein subjektiv-privates Versagen.272

268 Vgl. ebd., S. 119. 269 L’ammutinamento del Caine (The Caine Mutiny), in: Cinema Nuovo, Nr. 45, 25. 10. 1954, S. 274. 270 Dietrich Kuhlbrodt: Die Katze auf dem heißen Blechdach (Cat on a Hot Tin Roof), in: Filmkritik, Nr. 4, 1959, S. 96 f., hier S. 97. 271 Patalas: Hollywoods mißmutige junge Männer (F, Nr. 2, 1958), S. 221. 272 Ebd., S. 225.

3.3 Die Zeitschriften, das einheimische Kino und die US-Importe

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Die jungen Regisseure kamen ihm unsicher vor und nicht fähig, übergeordnete Zusammenhänge zu erfassen und im Film greifbar darzustellen. Sein Versuch, diese Misere zu ergründen, bildet eine letzte in diesem Abschnitt erwähnenswerte Verbindung zu den aus Italien adaptierten Kernbegriffen und Ansprüchen realistischen Filmschaffens: „Da bestehen natürlich Zusammenhänge: das Unvermögen, die vorgeführten tranches de vie aus dem Zusammenhang des sozialen Prozesses zu interpretieren, verführt zum Naturalismus, zur scheinbar objektiven Abschilderung der statisch gesehenen Oberfläche.“273 Ob im heimischen Film, im US-Kino oder in anderen importierten Produktionen – die Kritiker der Cinema Nuovo und der Filmkritik suchten beharrlich nach Elementen realistischen Filmschaffens und forderten gesellschaftskritische Aussagen ein. Sie benannten haarklein die Defizite auch noch so engagierter Filmwerke und auf der anderen Seite die für sie katastrophalen Ausprägungen einer filmischen Realitätsflucht oder Zementierung des politischen und gesellschaftlichen Status quo. Gesellschaftskritische Aussagen und Analysen formulierten die Gruppen allerdings auch selbst, über ihr eigentliches Kernmetier der Filmbesprechung hinausreichend, in den unterschiedlichsten Formen und Themenfeldern. Konfrontativ setzten sie sich zudem mit den von ihnen als Widersacher unangepasster Filmarbeit identifizierten Akteuren und Strukturen in der Filmkultur auseinander. Darum soll es im Folgenden gehen.

273 Ebd., S. 229.

4 DIE ZEITSCHRIFTEN ALS EXPONENTEN NONKONFORMISTISCHER FILMKULTUR 4.1 CINEMA NUOVO, FILMKRITIK UND GESELLSCHAFTSKRITIK 4.1.1 Film, Kunst und Gesellschaft Weder der Kritikerkreis um die Cinema Nuovo noch um die Filmkritik beabsichtigte, sich ausschließlich auf filmische Belange zu konzentrieren und gesellschaftlich relevante, politische Themen auszuklammern. Vielmehr strebten die beiden Gruppen eine engagierte Positionierung als Gesellschaftskritiker an. Das ist mindestens implizit bereits an einer Vielzahl der bisher diskutierten Quellenbeispiele deutlich geworden. Zu nennen sind hier die vielschichtige Anknüpfung an linksgerichtete Theoretiker wie Antonio Gramsci, Georg Lukács und die Vertreter der Frankfurter Schule sowie ihrer Nebenlinien; dazu auch die herausgearbeiteten strengen Maßstäbe, die die Rezensenten an die Filme anlegten und die zwischen den Zeilen immer wieder über filmische Fragen hinausreichten. In diesem Abschnitt sollen nun noch ein wenig pointierter die historischen, sozialen oder gesellschaftspolitischen Angriffspunkte der Filmjournalisten herausgefiltert werden. Zudem geraten sie selbst als Akteure in den Blick: Was war ihr Verständnis von gesellschaftskritischer Aktion und ihrer eigenen Rolle in diesem Zusammenhang? Worin bestanden Kontakte und konkrete politische Aktionen dieser Kreise? Von filmischen Fragestellungen können diese Punkte nicht gänzlich getrennt werden, da sie in den Zeitschriften häufig mit Reflektionen über die Rolle und Funktion von Film und Kunst im Zeitgeschehen verbunden war, wie sich schnell zeigen lässt. In Italien erlebte die Diskussion über Film, filmischen Realismus und seine Rolle in Kultur und Gesellschaft gerade zur Mitte der 1950er Jahre eine Blüte. Eingebettet waren die Debatten und Publikationen in die grundsätzliche Erörterung der Funktion von Kunst und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft.1 Die Auffassung der Gruppe um die Cinema Nuovo war in dieser Frage eindeutig und einhellig. Für Luigi Chiarini hatte insbesondere das neorealistische Kino ja einen „valore educativo“, eine „forza di documentazione“,2 für Giuseppe Grieco hatten die neorealistischen Regiepioniere der Nachkriegszeit den Film wieder zurückgeführt „alla sua autentica ragion d’essere, ne hanno fatto cioè un mezzo di conoscenza.“3 Immer wieder betonten die Autoren der Zeitschrift den Anspruch an Filme, aufzudecken, das Publikum über die Gesellschaft und ihre Missstände aufzuklären, Zusammen-

1 2 3

Vgl. Bernardi: Gli anni del centrismo, S. 14. Chiarini: Il linguaggio delle cose (Cinema Nuovo, Nr. 59, 1955). Giuseppe Grieco: Agli uomini di fatica la difesa del realismo, in: Cinema Nuovo, Nr. 2, 1. 1. 1953, S. 9 f., hier S. 9.

4.1 Cinema Nuovo, Filmkritik und Gesellschaftskritik

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hänge zu verdeutlichen,4 und, was Guido Aristarco an Pane, amore e fantasia fehlte, zum Nachdenken über sich und die soziale Wirklichkeit geradezu zu zwingen.5 Francesco Sardi warb in dieser Frage um Verständnis für publikumswirksame Elemente in Filmen – vielfach, auch in der Cinema Nuovo, als banales „spettacolo“ gescholten – und im selben Artikel im Übrigen auch für Comics als Lehrmittel, da nur durch massenhafte Zirkulation und Rezeption kritische Botschaften wirksam werden könnten: se il cinema sarà spettacolo, se cioè il film sarà anche intreccio, storia, mito, passione elementare ed evidente, e se insieme riuscirà a conservare piena dignità d’arte, scendendo a indagare nella realtà umana, si potrà realizzare l’identificazione di arte e spettacolo necessaria perché il film circoli largamente ed eserciti quindi una funzione.6

Michele Gandin bevorzugte den schlichteren Neorealismus einer „indagine sociale“ wie in Zavattinis Projekt Amore in città. Konsens war über diese unterschiedlichen Spielarten des Realismus hinweg aber seine Auffassung, wie ein Spielfilm oder eine Dokumentation zu einer Verbesserung der zukünftigen Lebensbedingungen hilfreich beitragen könne: „documenterà la nostra condizione umana, servirà a farci conoscere chi siamo, come viviamo oggi, ci aiuterà a trovare i modi e i mezzi per vivere meglio domani.“7 In der Filmkritik klangen die Erwartungen und Ansprüche an Filme ähnlich. Bereits im ersten Editorial der Zeitschrift waren ja die unterstützungswürdigen „positiven Fälle“ definiert worden, „in denen Filme zur sozialen Selbsterkenntnis beitragen“.8 Im Monat führte Rolf Becker dies etwas weiter aus, indem er Filmschaffende aufforderte, ihr Medium „als ein Mittel anzusehen, sich auszudrücken oder Stellung zu nehmen, als ihre Feder, ihren Pinsel, ihr Instrument, als ein Mittel, Wahrheiten über sich selbst und über Zeit und Gesellschaft zu finden und zu vermitteln.“9 Enno Patalas verlieh dieser Forderung zusätzliches Gewicht, indem er Albert Camus zitierte, der den Prolog für einen aus Sicht des Kritikers ausnahmsweise gelungenen US-Film über die Todesstrafe verfasst hatte. Camus fragte darin: „Welchen Sinn hätten Filme, wenn sie uns nicht dazu bringen, den Realitäten unserer Zeit ins Auge zu sehen?“10 Über den Film hinausgedacht, legte in dieser Zeit Ulrich Gregor einige Male anhand von sowjetischen Filmen dar, dass künstlerische Höchstleistungen stets auch „Engagement“ bedeuteten.11 Die „Vitalität einer Kunst“ erweise sich vor allem darin, „die Wirklichkeit, wenn auch nur vorübergehend, einmal radikal in Frage zu stellen, die Notwendigkeit oder Gerechtigkeit 4

Vgl. etwa Contributi al neorealismo, in: Cinema Nuovo, Nr. 12, 1. 6. 1953, S. 338; La battaglia di Arcinazzo, in: Cinema Nuovo, Nr. 19, 15. 9. 1953, S. 167. 5 Vgl. Aristarco: Pane amore e fantasia (Cinema Nuovo, Nr. 29, 1954), S. 90. 6 Sardi: Pubblico e critica (Cinema Nuovo, Nr. 56, 1955), S. 266. 7 Gandin: Gli italiani si voltano (Cinema Nuovo, Nr. 10, 1953). 8 Anstelle eines Programms (Filmkritik, Nr. 1, 1957), S. 2. 9 Becker: Versuche (Der Monat, Nr. 130, 1959), S. 70. 10 Zitiert nach Enno Patalas: Lasst mich leben! (I Want to Live), in: Filmkritik, Nr. 5, 1959, S. 130 f., hier S. 131. 11 Vgl. Ulrich Gregor: Panzerkreuzer Potemkin (Bronenosez „Potjomkin“), in: Filmkritik, Nr. 6, 1959, S. 160–163, hier S. 163.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur

einer Ordnung anzuzweifeln und daraus einen Protest herzuleiten.“ In seinen Texten blieb unmissverständlich, welche Filmschule diese Kriterien erfüllt habe – ein erneuter Beleg der Vorbildfunktion des italienischen für das westdeutsche Fallbeispiel dieser Studie: „Die italienischen Neorealisten erfüllten sie.“12 Für die Kreise um die Cinema Nuovo und die Filmkritik stellen sich im Folgenden die Fragen, wogegen sich diese kritische Funktion des Films und der Kunst eigentlich genau richten sollte, was es ihrer Ansicht nach aufzudecken galt und worin eine mögliche „Verbesserung“ der Lebensbedingungen, die gerade den italienischen Kritikern offensichtlich am Herzen lag, bestehen sollte. Die Gesellschaftsanalysen und die gesellschaftskritischen Beiträge aus den Mitarbeiterstäben der beiden Zeitschriften lassen sich jeweils auf einer Skala konkreter Aussagekraft ordnen. Neben der eher diffusen Äußerung von Unbehagen beim Blick auf die zeitgenössische Welt setzten sich die Kritiker ebenso mit spezifischen politischen und historischen Entwicklungen insbesondere in ihren nationalen Kontexten auseinander und gingen dabei wiederum bisweilen noch auf tagespolitische Details und Phänomene ein. Im Vergleich der Stellungnahmen der westdeutschen und der italienischen Filmpublizisten, die hier nun zuerst behandelt werden, macht sich die zeitlich versetzte Entstehungsgeschichte zumindest insoweit bemerkbar, als letztere Gruppe noch ein wenig mehr mit den Kriegsfolgen und dem sozialen Wiederaufbau der Nachkriegsjahre befasst war. 4.1.2 Cinema Nuovo – Resistenza in der Republik Ein unklares Krisengefühl äußerte sich immer wieder in kleineren Bemerkungen in der Cinema Nuovo, die gelegentlich pessimistisch, zivilisationskritisch oder gar ein wenig nostalgisch anmuteten. Etliche Male fand sich in den Artikeln die Rede von nicht näher definierten „tempi di malafede“,13 vom allgemeinen Konformismus der zwischenmenschlichen Beziehungen, von der zerklüfteten Gesellschaft in der Marktwirtschaft und, weltpolitisch betrachtet, der paralysierenden Wirkung des Kalten Krieges gerade auf die künstlerische Produktion.14 Die eher düstere Rhetorik solcher Beiträge brachte das Editorial vom Jahresende 1953 auf den Punkt: „Il mondo moderno brucia gli uomini soli.“15 Doch die Autoren der Cinema Nuovo setzten sich über diese schwammigen Unmutsbekundungen hinaus auch konkreter mit zeitgenössischen Gesellschaften und Politik auseinander. Ein bemerkenswertes Beispiel bildet die Ausgabe 11 der Zeitschrift, in der mehrere Artikel die Situation der Afroamerikaner in der US12 Ulrich Gregor: Der sowjetische Film im Zeichen des „Tauwetters“, in: Neue Deutsche Hefte 5 (1958), Nr. 47, S. 236–244, hier S. 244. 13 Vgl. Dal neorealismo al realismo (Cinema Nuovo, Nr. 53, 1955); Oreste Del Buono: Simpatia per il colored man, in: Cinema Nuovo, Nr. 11, 15. 5. 1953, S. 302. 14 Vgl. für die genannten Aspekte der Reihe nach Grieco: Agli uomini di fatica (Cinema Nuovo, Nr. 2, 1953), S. 9; Sardi: Pubblico e critica (Cinema Nuovo, Nr. 56, 1955); Moravia: Il film conformista (Cinema Nuovo, Nr. 13, 1953). 15 Più che una bandiera, in: Cinema Nuovo, Nr. 26, 31. 12. 1953, S. 391.

4.1 Cinema Nuovo, Filmkritik und Gesellschaftskritik

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Gesell schaft beleuchteten. Dies erfolgte zunächst aus filmischer und filmhistorischer Warte, indem die Präsenz und Darstellung der Afroamerikaner in Hollywood geschildert wurde. Kritische Töne kamen bereits hier auf, da die Beiträge latenten Rassismus und Vorurteile aufzeigten.16 Nach Ansicht von Tullio Kezich etwa könne sich die US-Filmproduktion viel deutlicher für die Belange der Afroamerikaner einsetzen.17 Gänzlich von der filmischen Perspektive sah im Anschluss Giuseppe Grieco ab, der in scharfem Ton den weiterhin gravierenden Rassismus der weißen US-Amerikaner verurteilte, ihn mit kapitalistischer Arbeiterfeindlichkeit in Verbindung brachte und die Abschaffung diskriminierender Gesetze in den Südstaaten und damit die vollständige, aufrichtige Umsetzung der Verfassung der Vereinigten Staaten anmahnte.18 Die Beschäftigung mit politischen und sozialen Begebenheiten jenseits des Atlantiks bildete in den 1950er Jahren in der Cinema Nuovo eher eine Ausnahme – sozialkritische Polemiken oder gründlichere Analysen galten zumeist doch eher italienischen Angelegenheiten. Cesare Zavattini hatte in seinen für die Cinema Nuovo wichtigen „Alcune idee sul cinema“ festgestellt: „Nach meiner Meinung geht es in der Welt weiterhin schlecht zu“, dies hauptsächlich auf Italien selbst bezogen, am Elend, „eine der lebendigsten Wirklichkeiten unserer Zeit“19 festgemacht und damit schon den Ton und die Stoßrichtung für viele der Mitarbeiter der Mailänder Zeitschrift vorgegeben. So erschienen in einer Notiz der Redaktion schließlich auch Armut und Elend, „la miseria“, als „aspetto piú vistoso della crisi della nostra società“.20 Die kritische Aufmerksamkeit der Cinema Nuovo galt etwa der ungleichen Verteilung von Besitztümern und Privilegien,21 und auch dem inneritalienischen Gefälle: dem Desinteresse, das von Seiten der Regierung und in der landesweiten Berichterstattung den Strukturproblemen der südlichen Regionen, zum Beispiel Kalabriens, entgegengebracht werde.22 Ausführlich widmete sich Callisto Cosulich in einem Artikel den Problemen des italienischen Südens, und mahnte im gleichen Atemzug dessen Bewohner zu gesteigerter Initiative und solidarischem Engagement. Jahre nachdem Luchino Visconti dort La terra trema gedreht hatte, bereiste er einen sizilianischen Fischerort und berichtete in der Zeitschrift von den unverändert prekären Lebensbedingungen, die er in Gesprächen und Hausbesuchen erkundet hatte, und in denen sich das Dilemma des „mezzogiorno“ spiegele: Abulia, scarso spirito di organizzazione e di solidarietà, abitudine a un’oppressione secolare determinano tuttora l’atteggiamento di quei pescatori. E son cose che non si cancellano imbian-

16 Vgl. Del Buono: Simpatia (Cinema Nuovo, Nr. 11, 1953). 17 Vgl. Tullio Kezich: Jim Crow si è fermato a Pearl Harbour, in: Cinema Nuovo, Nr. 11, 15. 5. 1953, S. 298–301, hier S. 301. 18 Vgl. Giuseppe Grieco: Il progresso del negro preoccupa il bianco, in: Cinema Nuovo, Nr. 11, 15. 5. 1953, S. 302 f., hier S. 303. 19 Zavattini: Einige Gedanken zum Film, S. 14 und 18. 20 Contributi al neorealismo (Cinema Nuovo, Nr. 12, 1953). 21 Vgl. La battaglia di Arcinazzo (Cinema Nuovo, Nr. 19, 1953). 22 Vgl. Franco Zannino: Hanno visto solo l’alluvione, in: Cinema Nuovo, Nr. 25, 15. 12. 1953, S. 381.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur cando quattro edifici, costruendo un albergo per i turisti e servendo in un ristorante di lusso dei filetti speciali di pesce-spada.23

Neben diesen sozialpolitischen Betrachtungen waren wesentliche Themen der inneritalienischen Auseinandersetzung die von den Filmjournalisten diagnostizierte Renaissance faschistischer Einflussgruppen und Mentalitäten, die als erdrückend beschriebene Übermacht des politischen Katholizismus und der konservativen Auffassungen der Kirche und der christdemokratischen Partei, und mit den genannten Aspekten zusammenhängend der nach Ansicht der Kritiker ausufernde Antikommunismus. Grundzüge dieser Kritikpunkte werden nun vorgestellt und auch im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder aufgenommen, da sie von der filmkulturellen Agenda der Cinema Nuovo kaum zu lösen sind – von der Agitation gegen verklärende filmische Vergangenheitsbewältigung, gegen christdemokratische Filmpolitik und den restriktiven Umgang mit osteuropäischen Filmen. Ein knappes Jahrzehnt nach dem Sturz Mussolinis, den anschließenden bürgerkriegsartigen Zuständen und dem Kriegsende sahen Guido Aristarco und seine Mitarbeiter mit Sorge, dass faschistische Eliten und Gedanken in Italien offensichtlich weiter oder wieder salonfähig waren. Im April 1954 schrieb er in einem Brief an Siegfried Kracauer nach New York: „proprio in questi ultimi tempi si rifanno vivi, anche da noi, molti ‚nostalgici‘ nazisti e fascisti.“24 Aldo Paladini registrierte in der Zeitschrift ein halbes Jahr zuvor, dass etliche „Rädelsführer“ aus der faschistischen Zeit seelenruhig und unbehelligt im Abgeordnetenhaus säßen und sich „alte Kerle“ des Faschismus wieder anmaßten, öffentlich das Wort zu ergreifen.25 Mit Bestürzung bezog die Redaktion 1955 in einem Editorial gegen die Verwüstung einer linken Buchhandlung in Rom durch neofaschistische Jugendgruppen Stellung – die Aktualität des Antifaschismus sei weiter ungebrochen.26 Bei aller Brutalität solcher Übergriffe und dem auch gewalttätig aufgeladenen politischen Klima blieb der jungen italienischen Republik eine Regierungsübernahme des neofaschistischen MSI erspart. Die Regierung wurde in diesen Jahren des „centrismo“ von der christdemokratischen DC geführt. Hier gab es genug Reibungspunkte für die kritischen Publizisten. Die häufiger eingesetzten Schlagworte vom „regime clericale“, der „dittatura piú prossima“ und der „destinazione Spagna“, die auf ähnliche Defizite an – nicht nur künstlerischer – Freiheit und politischer Vielfalt wie im franquistischen Spanien anspielen sollten, illustrieren dies.27 Weiter beklagten die Kritiker monarchistische Nostalgie und konservativen Moralismus, der von Vertretern der Kirche ausgehe und sich beispielsweise in sommerlichen 23 Callisto Cosulich: La terra trema ma non cambia nulla, in: Cinema Nuovo, Nr. 39, 15. 7. 1954, S. 26 f., hier S. 27. 24 Guido Aristarco an Siegfried Kracauer, Mailand, 14. 4. 1954, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005845. 25 Vgl. Aldo Paladini: Non riescono a entrare nelle scuole gli anni difficili di Via del Corno, in: Cinema Nuovo, Nr. 23, 15. 11. 1953, S. 301 f., hier S. 301. 26 Vgl. Attualità del film antifascista, in: Cinema Nuovo, Nr. 55, 25. 3. 1955, S. 207. 27 Für diese Schlagworte und Kritikpunkte vgl. Renzi: Una tendenza sedentaria (Cinema Nuovo, Nr. 1, 1952), S. 30; Luigi Chiarini: Anche le mostre hanno un’anima, in: Cinema Nuovo, Nr. 17, 15. 8. 1953, S. 108; Destinazione Spagna, in: Cinema Nuovo, Nr. 33, 15. 4. 1954, S. 199.

4.1 Cinema Nuovo, Filmkritik und Gesellschaftskritik

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Bikini-Verboten äußere.28 Zur allgemeinen Unzufriedenheit mit der christdemokratischen politischen Kultur gehörte die Kritik an der mangelnden Implementation der republikanischen Verfassung – tatsächlich verschleppte die DC-Regierung bis weit in die 1950er Jahre hinein etwa die Einrichtung eines Verfassungsgerichtshofs.29 In mehreren Artikeln widmete sich gerade Renzo Renzi unerbittlich dem als autoritär und konservativ wahrgenommenen politischen Klima in Italien. Er bündelte dies in einer Bilanz der Jahre nach dem Ende des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs: Nella storia della nazione, prima c’era stata l’illusione delusa del fascismo, con la guerra persa, poi rivinta in fretta. Un risveglio grande, una speranza; quindi, il rapido consolidarsi di un nuovo regime, sostanzialmente conservatore; un fantasma ancora piú insidioso poiché esso trova i suoi argomenti non tanto nelle rettoriche pagliacciate di una nazione troppo giovane, quanto nelle abitudini di una tradizione millenaria: quella ecclesiastica.30

Die unumstößlich erscheinende religiöse Tradition mit ihrem strukturellen „paternalismo“ war für Renzi erdrückend.31 Künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten und politische Meinungsäußerungen wurden ihm und seinen Kollegen zufolge in Italien erdrückt, gerade auch durch den sturen Antikommunismus der katholischen und christdemokratischen Autoritäten. Luigi Chiarini hielt die „Kommunistenjagd“ in der italienischen Politik und Kultur für den Weg zu einer „unzivilisierten Intoleranz“. Es müsse demgegenüber aber möglich sein, die vorhandenen unterschiedlichen Meinungen, seien sie katholisch oder eben kommunistisch motiviert, in Diskussionen zu verhandeln, ohne dass abweichende Auffassungen zur Existenzbedrohung würden: In questa dialettica consiste, appunto, la cultura e chi ne vuol sopprimere uno dei termini ricorrendo al terrorismo ideologico – e a questo risultato si giunge quando solo il sospetto di comunismo può portare al bando dalla vita sociale e magari alla fame (ci sono incoscienti che parlano nientedimeno di cacciare dai pubblici uffici i comunisti e i loro simpatizzanti) – non ha diritto a parlare in nome proprio della cultura,

was er in diesem Fall auch auf den italienischen Ableger des Congress for Cultural Freedom münzte.32 Für Renzo Renzi zerstörten ebenfalls die antikommunistischen Maßnahmen der Regierung „ogni possibilità di opposizione organizzata, anche liberale“,33 und damit die Prinzipien der parlamentarischen Demokratie. Selbst den – kommunistischen Überzeugungen weniger verdächtigen – Mittelschichten werde dadurch der Zugang zum politischen System verstellt: „Cosí si distrugge il naturale terreno di polemica e di opposizione democratica dei ceti medi che, lasciati senza una parte troppo importante della casa, finiranno per andarsene a 28 Vgl. Tullio Kezich: Applaudirebbero i Borboni, in: Cinema Nuovo, Nr. 18, 1. 9. 1953, S. 153; Destinazione Spagna (Cinema Nuovo, Nr. 33, 1954). 29 Vgl. Il cinema e la Resistenza, in: Cinema Nuovo, Nr. 57, 25. 4. 1955, S. 287. Vgl. auch Nello Ajello: Intellettuali e PCI. 1944–1958, Rom/Bari 1979, S. 276. 30 Renzi: I quattro della crisi (Cinema Nuovo, Nr. 119, 1957), S. 293. 31 Vgl. Renzi: Fine del maccartismo (Cinema Nuovo, Nr. 53, 1955), S. 147. 32 Vgl. Luigi Chiarini: Il terrorismo ideologico, in: Cinema Nuovo, Nr. 48, 10. 12. 1954, S. 367. 33 Renzo Renzi: Laici e cattolici, in: Cinema Nuovo, Nr. 61, 25. 6. 1955, S. 447 f., hier S. 448.

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cercare un’altra altrove.“34 Die Gefahr der Rückkehr undemokratischer, womöglich faschistisch angehauchter politischer Ausdrucksweisen lag hier für den Kritiker auf der Hand. Diese Gefahr, die sich im Abwürgen jeglicher kritischer Gegenargumente niederschlage, spiegele sich im italienischen Filmwesen wider: „La situazione del nostro cinema ci pare esemplare a questo proposito. Oggi si combatte ormai chiaramente il ‚neorealismo‘. […] Insomma non fu il neorealismo a essere rivoluzionario, furono i suoi nemici a essere fascisti.“35 In der Analyse der Missstände im Italien der mittleren 1950er Jahre gingen Probleme der Filmkultur und Probleme der sie umgebenden Politik und Gesellschaft also ineinander über. Gleiches gilt für die Reaktion vieler Autoren der Cinema Nuovo angesichts dieser Missstände: ein utopisches Aufbruchspathos und eine kämpferische Widerstandsrhetorik, mit denen sie sich als engagierte Kritikergruppe präsentierten. Aristarco stieß sich an Mythen und Ideologien von der ewigen Statik der Gesellschaft und der damit verbundenen Nutzlosigkeit aller Verbesserungsinitiativen,36 schließlich sollte das realistische Kino zu einer „besseren Welt“ beitragen, die etwa der Regisseur Luciano Emmer in einem Beitrag ankündigte: „Non amo questa società: e do per certo, per naturale e già scontato, quasi, l’avvento di un mondo migliore.“37 Pathetisch und erwartungsvoll gab sich in ähnlicher Weise der Redakteur Glauco Viazzi. Das Kino solle den Aufbruch in eine bessere Zukunft zeigen, begleiten und verkünden, von der sich Viazzi versprach: „la trasformazione del mondo, la realizzazione dei sogni migliori dell’umanità, l’inizio di un nuovo grande ciclo nella storia della società.“38 Bis dahin galt es aber zunächst, die beschriebenen Angriffe auf die Meinungsfreiheit und die politische Selbstbestimmung abzuwehren, wofür sich die Cinema Nuovo ausweislich des ersten Editorials „dentro la mischia“ werfen wollte. Rhetorisch bildete dafür die Resistenza der letzten Kriegsjahre die Vorlage, die nicht nur auf die faschistischen Altlasten oder Wiedergeburten, sondern auch auf das konservativ-katholische Klima des Nachkriegsitaliens im Allgemeinen und die Filmkultur im Besonderen gerichtet wurde. Dies folgte einer emphatisch vorgetragenen Assoziationskette von der Resistenza, und damit dem Antifaschismus, bis zum filmischen und künstlerischen Realismus und seinen Verfechtern. Nach knapp einem Jahr ihrer Existenz definierte die Cinema Nuovo „l’antifascismo, la nostra posizione cioè contro gli oppositori del realismo“, und rief, unter Hinzuziehung einer historisch anmutenden Argumentation, zu einer konzertierten Aktion auf: Occorre impedire che il realismo venga ucciso, esiliato, imprigionato, come sono stati imprigionati, esiliati, uccisi, tante volte nel corso della nostra storia, i nostri uomini migliori. […] Occorre organizzare una vasta azione di appoggio del realismo, nella quale siano impegnati 34 Renzi: Fine del maccartismo (Cinema Nuovo, Nr. 53, 1955), S. 147. 35 Renzi: Laici e cattolici (Cinema Nuovo, Nr. 61, 1955), S. 447. 36 Vgl. Guido Aristarco: Un volto nella folla (A Face in the Crowd), in: Cinema Nuovo, Nr. 125, 15. 2. 1958, S. 121–123, hier S. 122 f. 37 Luciano Emmer: La gioventù dei miei film è la stessa di Roma ore 11, in: Cinema Nuovo, Nr. 7, 15. 3. 1953, S. 174 f., hier S. 175. 38 Glauco Viazzi: Si chiama Poucette la benedetta dei lettristi, in: Cinema Nuovo, Nr. 6, 1. 3. 1953, S. 141.

4.1 Cinema Nuovo, Filmkritik und Gesellschaftskritik

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produttori, noleggiatori, registi, sceneggiatori, soggettisti, critici, circoli del cinema; non ultimo, il pubblico.39

Zum zehnten Jahrestag der größten und symbolisch wichtigsten Erhebung der italienischen Partisanen im April 1945 bekundete die Redaktion einmal mehr ihre Verbundenheit mit der Widerstandsbewegung und deren Aktualität: „Abbiamo sempre sostenuto, e risosteniamo ora dedicando questo numero al 25 aprile, che se la Resistenza resiste, anche il cinema italiano resisterà.“40 4.1.3 Filmkritik – Widerwillen im Wohlstand Eine nennenswerte, wenngleich etwas überhöhte, Widerstandsbewegung wie in Italien oder auch in Frankreich konnte der Filmkritik-Kreis im eigenen Land angesichts der deutschen Geschichte nicht als Anknüpfungspunkt für gesellschaftskritische, kämpferische Positionen heranziehen. Da die ersten eigenen Publikationen dieser Kritikergruppe beinahe ein halbes Jahrzehnt nach der Cinema Nuovo erstmals auf den Zeitschriftenmarkt kamen, war die sozialkritische Haltung der Westdeutschen deutlich weniger von Wiederaufbau und Armut als Folge von Krieg und Besatzungszeit geprägt, als dies zumindest in Teilen bei den italienischen Journalisten anklang. In gleicher Weise wie dort ist aber die Gesellschaftskritik und Gesellschaftsanalyse in der Filmkritik und den Nebenpublikationen in unterschiedlich konkrete Äußerungen sortierbar, von diffusem Unbehagen bis zu tagespolitischen Einlassungen. Enno Patalas begründete seine Hinwendung zu einer soziologischen Filmanalyse im Sinne Siegfried Kracauers und deren selbstständige Weiterentwicklung ein wenig kryptisch, ohne genauere Erklärungen folgen zu lassen, mit dem Wirken in „einer Zeit, die die politische Entscheidung vom Einzelnen, also auch vom Künstler und vom Kritiker, ganz augenfällig fordert“.41 Eine latent unzufriedene, kulturpessimistisch eingefärbte Stimmungslage sprach ebenso aus Ulrich Gregors Befund von der „Unmenschlichkeit der Gesellschaft und der Technik“42 wie aus Theodor Kotullas unvermittelt in einer Kritik untergebrachten Aussage: „In der heutigen Gesellschaft ist der Einzelne so allein wie kaum je zuvor“, die er mit dem Verweis auf ein Werk der US-amerikanischen Soziologie unterfütterte: „Nicht ohne Grund ist David Riesmans Buchtitel ‚The Lonely Crowd‘ zum geflügelten Wort avanciert.“43 Aus etlichen solcher Passagen in Texten der Filmkritik-Redakteure sprachen die Erkenntnis und die Überzeugung, dass etwa zur Mitte der 1950er Jahre die Kriegsfolgen zwar materiell überwunden seien, der Wirtschaftsaufschwung und Wohlstand in der Welt des westlichen Kapitalismus allerdings neue, ungeahnte 39 Più che una bandiera (Cinema Nuovo, Nr. 26, 1953). 40 Il cinema e la Resistenza (Cinema Nuovo, Nr. 57, 1955); vgl., fast wortgleich, Attualità del film antifascista (Cinema Nuovo, Nr. 55, 1955). 41 Patalas: Hollywoods Antwort (F, Nr. 1, 1958), S. 21. 42 Gregor: Jonas (Filmkritik, Nr. 10, 1957), S. 154. 43 Theodor Kotulla: Das rote Signal (Il Ferroviere), in: Filmkritik, Nr. 2, 1958, S. 25–28, hier S. 28.

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Zwänge, ein konformistisches und restauratives Klima in der Gesellschaft mit sich gebracht hätten. Patalas nannte es, nicht nur auf die USA bezogen, „die Konsolidierung des zum zweiten Mal wiederhergestellten Wohlstandskonformismus“ oder die „sich restaurierende[…] Wohlstandsgesellschaft“ mit „ihre[r] allzu große[n] Sicherheit.“44 Benno Klapp meinte, „daß in unserer heutigen Gesellschaft mit ihren petrefakten und standardisierten Wertbegriffen der Konformismus jede Äußerung von Individualität unterdrückt.“45 Wie weit der Kreis um die Filmkritik dabei öfters den ursprünglichen Zweck einer Filmrezension hinter sich ließ, zeigt noch drastischer die Einleitung einer solchen, die Dietrich Kuhlbrodt formulierte: Die Wohlstandsgesellschaft verlangt für ihre verlockenden Offerten einen einzigen, pauschalen aber hohen Preis: die Integration ins System, oder auf deutsch: das Sichabfinden, das Mitmachen, das Sichausliefern. Wer etwa bei seiner Integration Vorbehalte macht, wird bestraft mit Isolierung, Vertreibung und Ausweisung, samt dem Gefolge von Einsamkeitsgefühlen und mancherlei psychischen Defekten.46

Das Vorbild dieser trostlosen Diagnosen war augenscheinlich insbesondere Adornos und Horkheimers Dialektik der Aufklärung, die in den Publikationen des Kreises ja mehrfach auszugsweise abgedruckt wurde. Jahre später bereitwillig eingestanden,47 war das Vokabular der Kritischen Theorie tief in die Ausdrucksweise der Filmkritik in dieser Zeit eingedrungen, wie einige Schlagworte exemplarisch kenntlich machen. Die „totale Mechanisierung der Fabrik- und Ämterwelt“ und die „zur Ware erniedrigten Menschen“ waren solche Anleihen; Wilfried Berghahn adaptierte „verwaltetes und reglementiertes Dasein“ sowie „Abhängigkeit und Überorganisation“.48 Kotulla machte neue Gräben sozialer Distinktion aus, die sich anhand von Konsum- und Freizeitverhalten bildeten. Dieses entwickele sich zu einer weiteren kapitalistischen Ausbeutungsform gerade der „Masse der jugendlichen Arbeiter, die Fabrik und Büro mit aller Macht zu vergessen trachten, sobald sie sie verlassen haben, ohne zu erkennen, daß sie im Genuß von Kino und Schlager nur anderen Industriezweigen, und diesmal freiwillig, sich ausliefern.“49 Die konformistisch restaurierte Nachkriegsgesellschaft spiegelte sich für die Filmkritik selbstverständlich im Film wider. Enno Patalas entwickelte in mehreren Artikeln dieser Phase eine „Krisenthese“, der zufolge beispielsweise US-amerikanische Filme aus der Weltwirtschaftskrise oder die neorealistischen Filme während des italienischen Zusammenbruchs um 1945 weitaus interessanter seien als die zeitgenössischen Produktionen, da „nämlich Krisensituationen der künstlerischen Be44 Patalas: Hollywoods Antwort (F, Nr. 1, 1958), S. 39; ders.: Hollywoods zornige junge Männer, in: magnum, Nr. 17, April 1958, S. 58–62, hier S. 62. 45 Benno Klapp: Die schrecklichen Kinder von New York, in: film 56, Nr. 1, 1956, S. 47 f., hier S. 48. 46 Kuhlbrodt: Die Katze auf dem heißen Blechdach (Filmkritik, Nr. 4, 1959), S. 96. 47 Vgl. Theodor Kotulla: Zum Selbstverständnis der Filmkritik, in: Filmkritik, Nr. 12, 1966, S. 706–709, hier S. 706. 48 Vgl. Gregor/Kotulla/Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1, 1956), S. 3; Berghahn: Reservate in Zelluloid (Frankfurter Hefte, Nr. 6, 1958), S. 428 und 433; Enno Patalas: Fenster ohne Vorhang (No Down Payment), in: Filmkritik, Nr. 1, 1958, S. 17. 49 Theodor Kotulla: Die Frühreifen, in: Filmkritik, Nr. 11, 1957, S. 176; vgl. auch ders.: Warum sind sie gegen uns (Filmkritik, Nr. 1, 1959), S. 9.

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tätigung dieses Mediums günstiger sind als Zeiten der Konsolidierung und Sicherheit“, in denen die „Kruste der offiziellen Kultur“ nicht beschädigt sei und somit die Freisetzung von „Energien“ blockiere.50 Im Umkehrschluss der „Krisenthese“ boten für Patalas und Kollegen die Erzeugnisse des Filmjahres 1955 das Bild der in Selbstzufriedenheit befangenen westlichen Welt. Die Neigung zur Versöhnung des Unversöhnbaren, der Hang zur kleinbürgerlichen Idylle und zum Abseitigen, die bequeme Ablenkung des öffentlichen Interesses auf Sonderfälle oder den asiatischen Weltfeind: sie spiegeln gleichermaßen das herrschende Dilemma, das in der künstlerischen Bedeutungslosigkeit auch der ernsthaften Filme seinen Ausdruck findet.51

Auf der Linie des „Kulturindustrie“-Kapitels aus der Dialektik der Aufklärung lag die Filmkritik auch mit der Kritik an der Position des anspruchsvollen, auch experimentellen Films in der Filmindustrie und in der Gesellschaft. Adorno und Horkheimer sahen Klassenschranken durch die Abtrennung „ernster“ von „leichter“ Kunst perpetuiert.52 Das symbolisierte für die Filmkritik-Mitarbeiter die pseudo-subversive Position des Avantgarde-Films nicht nur der Bundesrepublik, der in einem isolierten Bereich genossen werde, und so als „Alibi für die Industrie“ und „selbstgenügsame[s] Experiment“ folgenlos für die publikumswirksamen Produktionen bleibe: „wenn sich erst diese zwei Filmtypen durchgesetzt haben – der reine Kunstfilm für die ‚Anspruchsvollen‘ und der Konsumfilm für die ‚Massen‘ –, braucht die Industrie keine Kritik mehr zu fürchten.“53 In die Verurteilung der kapitalistischen Gesellschaften der zweiten Nachweltkriegszeit durch die Filmkritik war die Bundesrepublik eingeschlossen. Wie auch im italienischen Beispiel sahen die Kritiker zudem noch nationale Spezifika, zusätzliche Defizite und Kritikpunkte in ihrer heimischen Gesellschaft, auf die sie bisweilen mit noch stärkerer Verbitterung und Aggressivität eingingen und die in Rückblicken der Gruppe Jahrzehnte später weiterhin mit Attributen wie „Mief“ und „reaktionäre[r] Zustand“ belegt wurden.54 Zeitgenössisch beklagten sie eine „Atmosphäre der fetten Selbstgefälligkeit“ in der Bundesrepublik.55 Nach einer Phase der „Minderwertigkeitsgefühle“ und Verunsicherung in der unmittelbaren Nachkriegszeit seien die Westdeutschen wieder zu einem ungesunden Selbstvertrauen gekommen. Als Basis dafür diente ihr „Wirtschaftswunder“, das schon in den 1950er Jahren breite Bevölkerungskreise erreichte, und in Verbindung damit die Verdrängung allen vorherigen Nachkriegselends und ohnehin aller Verstrickung 50 Vgl. Enno Patalas: Kunst im Präsens. Der Durchbruch des italienischen Neorealismus, in: Der Monat 8 (1955), Nr. 87, S. 73–80, hier S. 73; ähnlich noch ders.: Der französische Film auf neuen Wegen, in: Neue Deutsche Hefte 6 (1960), Nr. 67, S. 1045–1052, zum Beispiel S. 1045. 51 Gregor/Kotulla/Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1956), S. 2. 52 Vgl. Adorno/Horkheimer: Amusement und Kulturindustrie (Filmkritik, Nr. 2, 1957), S. 17. 53 „Avantgarde“ oder „Experimentalfilm“?, in: Filmkritik, Nr. 5, 1957, S. 65 f., hier S. 66; vgl. auch Ulrich Gregor: Maya, in: Filmkritik, Nr. 2, 1958, S. 32–35, hier S. 35; ders.: Der deutsche Film zwischen Scylla und Charybdis, in: Neue Deutsche Hefte 6 (1959), Nr. 62, S. 564–566, hier S. 566. 54 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 67; Dietrich Kuhlbrodt: Eine klug genutzte Gelegenheit, in: Eue/ Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit, S. 176 f., hier S. 177. 55 Vgl. Patalas: Das gibt’s nur einmal (film 56, Nr. 1, 1956), S. 50.

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und Verbrechen im Nationalsozialismus.56 Enno Patalas’ „Krisenthese“ zu Film und Gesellschaft fand auch ihre Anwendung auf die deutsche Geschichte, verbunden mit Kritik und gleichzeitig mit einem hoffnungsvollen, noch vagen Appell an den Aufbruch aus der Erstarrung: Das Absterben der revolutionären Hoffnungen, die Paralyse der demokratischen Aktivitäten und die Verdeckung der sozialen Spannungen unter trügerischer Prosperität bedeuteten stets auch den Niedergang der Filmkunst in Deutschland, die ihnen ihre Impulse verdankte. Nur von ihrem Erwachen, von ihrer Erkenntnis, vom Nonkonformismus der Unzufriedenen ist letztlich deren Renaissance zu erhoffen.57

Bis zu diesem fernen Wunschziel von Patalas fanden die Kritiker allerdings noch Konformismus und Eskapismus vor, wohin sie nur blickten. Besonders Patalas mokierte sich immer wieder über den Massengeschmack des „Neo-Biedermeier“58 und fand schon in einer sehr frühen Veröffentlichung im Rahmen eines Filmseminars von Walter Hagemann in hundert Erscheinungen des täglichen Lebens, vom Fußballtoto bis zur Magazinflut, […] Anzeichen dafür, daß eine große Zahl das rechte Verhältnis zur Wirklichkeit verloren hat. Der Geschmack beweist ebenfalls eine bedauerliche Wirklichkeitsflucht in der Rückwendung zu einem totgeglaubten Geschmack von vorgestern. Die schnörkeligen Rüschenmuster der Kaffeegeschirre, die Möbel im Stil der Gründerjahre, die museal bestimmte Architektur, die Beliebtheit, der sie sich erfreuen, zeugen von einem erschreckenden Mangel an wirklich zeitgemäßem Geschmack.59

Die Konsumenten dieser populären Unterhaltungskultur, die sie so ausgiebig kritisierten und sezierten, verorteten die Filmpublizisten großenteils im „Kleinbürgertum“. Diese „Kleinbürger“ trafen die aggressivsten Verdikte in der Filmkritik, sie erschienen mehr oder weniger verantwortlich für den miserablen Zustand der internationalen Filmproduktion dieser Jahre, wurden in den Heften regelmäßig als „politisch zurückgeblieben“, „verantwortungslos“ oder gar „unmenschlich“ attackiert.60 Obwohl die Kritiker Rock’n’Roll recht rigoros verurteilten, darin nicht mehr als „Stumpfsinn“ und „Rummel“ um einen „blöd blinzelnden Star“ und dessen Publikum als „verpickelte hillbilly-boys mit viel zu großen Mädchen, Riesenbabys mit Pfannkuchengesichtern“ sahen,61 sich in puncto Jazz kenntnisreicher präsentierten und damit symptomatisch für die Haltung großer Teile der akademischen

56 Vgl. beispielsweise Patalas: Autorität und Revolte (Frankfurter Hefte, Nr. 1, 1956), S. 27. 57 Enno Patalas: Von Caligari bis Canaris. Autorität und Revolte im deutschen Film, in: film 56, Nr. 2, 1956, S. 56–60 und 63–66, hier S. 66. 58 Vgl. Enno Patalas: Schmutziger Engel, in: Filmkritik, Nr. 8, 1958, S. 174; ders.: Der liebe Augustin, in: Filmkritik, Nr. 3, 1960, S. 71. 59 Enno Patalas: Vom deutschen Nachkriegsfilm, in: Walter Hagemann (Hg.): Filmstudien. Beiträge des Filmseminars im Institut für Publizistik an der Universität Münster, Bd. 1, Emsdetten 1952, S. 13–28, hier S. 27 f. 60 Vgl. Gregor/Kotulla/Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1, 1956), S. 2; Gregor: Zwischen Tradition und Revolte (F, Nr. 3, 1958), S. 259; ders. / Enno Patalas: Die Angst vor der Gewalt (Der 10. Mai), in: Filmkritik, Nr. 8, 1958, S. 165 f., hier S. 165. 61 Vgl. Schlagerpiraten (The Girl Can’t Help It), in: Filmkritik, Nr. 4, 1957, S. 60 f.

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Jugend der zweiten Hälfte der 1950er Jahre standen,62 nahmen sie ihn schließlich doch gegen biedere, eben „kleinbürgerliche“ Vorverurteilungen in Filmen und Gesellschaft der Bundesrepublik in Schutz: „So einfach machte es sich noch kaum ein Halbstarkenfilm, um der herrschenden Moral (Lederjacken sind potentielle Gesellschaftsfeinde) entgegenzukommen.“63 Der Zirkel um die Filmkritik fusionierte die oben referierte Kritik am autoritätshörigen und absentistischen Politikverständnis in bundesdeutschen Filmen mit Spitzen gegen die Exponenten einer nach dem gleichen Muster empfundenen Politik und politischen Kultur im Land und gerierte sich so als oppositionelle Kulturzeitschrift in der Adenauer-Ära.64 „In Westdeutschland? Ja, das waren die Adenauer-Jahre und Adenauer war sozusagen unser Feind,“ erinnerte sich Ulrich Gregor.65 Patalas war 1949 tief enttäuscht gewesen, als „statt des Kriegs- und KZ-Krüppels Schumacher [der] unverwüstliche […] Greis Adenauer als Gallionsfigur“66 gewählt wurde. Dementsprechend wurde der Bundeskanzler in der Zeitschrift in Karikaturen gezeigt oder, gemeinsam mit Hans Albers, als „leutselig“ und „bieder-familiär“ verspottet.67 Problematischer seien aber die Implikationen eines Films wie Stresemann, der durch hartnäckige Parallelisierungen der historischen Figur mit dem aktuellen Politiker des Letzteren „Mythos“ und „Autorität“ untermauere.68 Mit großer Empfindlichkeit registrierten die Redakteure Subtexte in westdeutschen Filmen, die nach ihrem Dafürhalten Oppositionspolitiker und parlamentarische Arbeit diskreditierten, mit dem Effekt, den neben anderen Josef von Bákys Die ideale Frau zeigen könne: „Die Schleichwerbung für antidemokratische Gesinnung in diesem Film dürfte sich denn auch den Regierungsparteien bei der nächsten Bundestagswahl bezahlt machen.“69 Überzeugt vom demokratischen Austausch von Argumenten,70 verfolgte die Filmkritik mit all diesen Hinweisen und Polemiken ein Ideal: Ihr schwebte ein mündiger, kritischer, rational und verantwortungsbewusst handelnder Zuschauer und Staatsbürger vor. Deshalb sollten Filme nicht durch apolitische Ideologie untergraben, dass ihr Publikum seine Funktion in der neu eingerichteten Demokratie ausfülle und die Bürger nicht als ihre „Statisten“, sondern als ihre „Träger“ darstel62 Vgl. Uta G. Poiger: Jazz, Rock, and Rebels. Cold War Politics and American Culture in a Divided Germany, Berkeley/Los Angeles/London 2000, S. 137–167; Vgl. Kaspar Maase: Establishing Cultural Democracy. Youth, „Americanization“, and the Irresistible Rise of Popular Culture, in: Hanna Schissler (Hg.): The Miracle Years. A Cultural History of West Germany, 1949–1968, Princeton 2001, S. 428–450, hier S. 441–443. 63 Ulrich Gregor: … und noch frech dazu!, in: Filmkritik, Nr. 3, 1960, S. 69. 64 Vgl. Lenssen: Der Streit, S. 66; Schenk: Politische Linke versus Ästhetische Linke, S. 51; Gerhard Bliersbach: So grün war die Heide … Der deutsche Nachkriegsfilm in neuer Sicht, Weinheim 1985, S. 26. 65 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 66 Patalas: Schluchsee, S. 67. 67 Vgl. Gregor: Der Greifer (Filmkritik, Nr. 5, 1958); für eine Karikatur etwa Filmkritik, Nr. 1, 1958, S. 24. 68 Vgl. Stresemann (Filmkritik, Nr. 3, 1957), S. 42. 69 Dietrich Kuhlbrodt: Die ideale Frau, in: Filmkritik, Nr. 10, 1959, S. 266; vgl. auch Enno Patalas: Bomben auf Monte Carlo, in: Filmkritik, Nr. 5, 1960, S. 133; Theodor Kotulla: Sturm im Wasserglas, in: Filmkritik, Nr. 6, 1960, S. 165 70 Vgl. Enno Patalas: Marie Octobre (Marie Octobre), in: Filmkritik, Nr. 8, 1959, S. 214.

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len.71 Mit dieser Zusammenfassung der Absichten, die sich aus den vielen gesellschaftskritischen Beiträgen in der Filmkritik herauslesen lassen, kann ein Bogen zurück zur Gesellschaftskritik und Polemik in der Cinema Nuovo geschlagen werden. Bei allem Pathos zu Aufbruch oder Widerstand gegen die Feinde dieses Aufbruchs zeigte sich unter den italienischen Kritikern auch immer wieder eine Präferenz von intellektuellem, rationalem Handeln, das zum Beispiel dem „Irrationalismus“ in Federico Fellinis Filmen gegenübergestellt wurde.72 Gerade Renzo Renzi zielte mit seiner Kritik ja auf die antidemokratischen Umtriebe erst des Faschismus und nun der Christdemokratie ab. Sein Ideal war, wie das der Filmkritik-Gruppe, die Verbreitung von politischem Gemeinschaftsgefühl, öffentlicher Verantwortung und demokratischer Diskussionskultur: Essere nello Stato significa avere il senso della partecipazione a un lavoro comune, anche attraverso la polemica, soprattutto attraverso di essa. L’esigenza è tanto piú sentita dopo l’esperienza fallimentare di una dittatura che ha lasciato in larghissimi strati sociali il desiderio di ‚provare la libertà‘, discutendo appassionatamente le azioni dei governanti e dei ceti dirigenti.73

Die folgende Untersuchung, inwieweit die Redaktionen der Cinema Nuovo und der Filmkritik versuchten, ihre gesellschaftskritischen und demokratischen Ansprüche zu verbreiten und umzusetzen, gliedert sich zweckmäßiger Weise in die Frage nach dem Auftreten gegenüber und dem Kontakt mit Lesern und Filmpublikum und die Spurensuche nach Kontakten und Handlungen außerhalb der direkten filmkulturellen Belange. 4.1.4 Erziehungsarbeit. Die Zeitschriften, ihre Leser und das Publikum Sowohl die italienischen als auch die bundesdeutschen Kritiker camouflierten ihre pädagogischen Ambitionen gegenüber ihren Lesern und allgemein dem Kinopublikum nicht. Insgesamt wirkten dabei die Mitarbeiter der Filmkritik distanzierter und intellektualistischer als die teils pragmatischeren Autoren der Cinema Nuovo. Jene zeigten sich in der Tradition Gramscis nahbarer für das „popolo“, das sie in den „discorso“ über den filmischen Realismus, den es voranzutreiben galt, einbinden wollten. Das unterstrichen die entsprechenden Begriffe, die schon im ersten Editorial allgegenwärtig waren, oder auch die Integration der Zuschauer in den pathetischen Aufruf zur Verteidigung des antifaschistischen Realismus.74 Verschiedene Rubriken in der Zeitschrift beförderten den Austausch der Redaktion mit Lesern und Publikum, beziehungsweise waren allein diesem gewidmet: die abgedruckten, teils direkt beantworteten, gelegentlich kontrovers diskutierten „Lettere al direttore“, die Aufforderung zur Einsendung von Alltagsbeobachtungen und Filmideen in den „Contributi al neorealismo“, der „Parlatorio“, in dem Leser gezielt Fragen an ein71 Vgl. Patalas: Furcht vor der Verantwortung (Neue Deutsche Hefte, Nr. 6, 1954), S. 461; Stresemann (Filmkritik, Nr. 3, 1957), S. 42. 72 Vgl. Aristarco: La strada (Cinema Nuovo, Nr. 46, 1954), S. 312. 73 Renzi: Fine del maccartismo (Cinema Nuovo, Nr. 53, 1955), S. 147. 74 Vgl. Continuare il discorso (Cinema Nuovo, Nr. 1, 1952); Più che una bandiera (Cinema Nuovo, Nr. 26, 1953).

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zelne Mitarbeiter oder an Regisseure und sonstige Filmexperten stellen konnten, und besonders die „Colloqui con i lettori“ zur Klärung auch der praktischsten Fragen, auf die unter dem Pseudonym „Nostromo“ reagiert wurde. Hier wurde um Verständnis für unterschiedliche Kenntnisstände und Lernprozesse unter den Lesern geworben: Una rivista è letta da gente diversa, e anche quella di lettore è in qualche modo una carriera come le altre coi suoi inizi e i suoi progressi, e le sue fortune variabili; lettori si comincia in qualche modo a esserlo e poi un po’ per volta si diventa magari dei buoni lettori, con tutte le annesse prerogative. Voglio dire che come lettori siamo stati tutti dei principianti, una volta, e tutto il resto è venuto dopo e gradualmente.75

Die Rolle als publizistischer Anwalt der weniger einflussreichen und vermögenden Bevölkerungsteile, des Filmpublikums aus diesen Reihen und vieler eigener Leser, die „forse più politicizzato che cinefilo, forse più frequentatore di librerie che di sale cinematografiche, forse più interessato ad aprire gli occhi sul mondo che sullo schermo“76 waren, bediente die Cinema Nuovo in gelegentlichen Beiträgen, die Sozialreportagen ähnelten. Dabei drehten sich die kritischen Berichte zumeist darum, dass es durch unverhältnismäßige Eintrittspreise oder filmkulturelle Unterversorgung in der italienischen Provinz breiten Kreisen kaum möglich sei, die protegierten Werke des kritischen Realismus zu sehen.77 Auch hierbei wurde der Süden des Landes mit seiner dürftigen kulturellen Infrastruktur bedacht.78 Die „volksnahe“ Pädagogik und Ausrichtung in der Cinema Nuovo hatte allerdings bisweilen ihre Grenzen und konnte in paternalistische Belehrung umschlagen. Zwei Fälle können als Muster für diesen Umschlag herangezogen werden. Als in Mailand nach einer Vorführung von Comencinis Pane, amore e fantasia Urteile aus dem Publikum eingeholt wurden, zeigte sich, dass viele Zuschauer daraus die Lehre zogen, mit wenig glücklich werden zu können – somit eben jene geschönte Version von Armut aufnahmen, die Aristarco in der Zeitschrift dem Film vorgehalten hatte.79 Dementsprechend wurden die Publikumsstimmen kommentiert: „Una morale che respingiamo assolutamente, nei termini in cui è formulata e in rapporto al film che dovrebbe fornirne la prova.“80 Noch schärfere Töne schlug Renzo Renzi in einer Antwort auf eine Zuschrift an. Ein Leser teilte seinen kritischen Bericht über einseitige Dokumentationen zugunsten der DC-Regierung nicht, denn diese habe die darin beschriebenen Dinge schließlich geleistet oder werde dies noch tun. Dieser Leser erkenne nun einfach nicht, dass in den Filmen lediglich ein Standpunkt apodiktisch und undemokratisch wiedergegeben werde. Er sei der ideale Bürger für Regime und Diktaturen und offensichtlich bereit für die Herrschaft einer Einheitspartei – „Egli ha già riconosciuto un padrone e vuole stare tranquillo.“81 75 Colloqui con i lettori, in: Cinema Nuovo, Nr. 27, 15. 1. 1954, S. 32. 76 Pellizzari: Il cinema pensato, S. 518. 77 Vgl. Giuseppe Grieco: Se avessi mille lire conoscerei Calvero, in: Cinema Nuovo, Nr. 3, 15. 1. 1953, S. 51 f.; Giulio Cattivelli: Niente rosario, in: Cinema Nuovo, Nr. 17, 15. 8. 1953, S. 126. 78 Vgl. Saverio Vollaro: Hanno dieci ore di vita, in: Cinema Nuovo, Nr. 8, 1. 4. 1953, S. 198. 79 Vgl. Kapitel 3.3.1. 80 G. D.: Romanesco a Coney Island, in: Cinema Nuovo, Nr. 30, 1. 3. 1954, S. 125. 81 Lettere al direttore, in: Cinema Nuovo, Nr. 15, 15. 7. 1953, S. 33.

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Zu solchen direkten Konfrontationen kam es in der Filmkritik nicht, weil der konstante Austausch mit Lesern und Publikum, der in der Cinema Nuovo kultiviert wurde, bis in die 1960er Jahre hinein zumindest im Blatt selbst fast keine Rolle spielte.82 Die Redaktion wirkte wie erwähnt insgesamt distanzierter und geschlossener, und bisweilen „zirkelhaft“ oder „kunstrichterlich“.83 Pädagogische Absichten hegte die Gruppe aber gleichermaßen – darin ihren Altersgenossen in anderen Medien und Redaktionen nicht unähnlich84 – und wollte sie vor allem durch die Texte in der Zeitschrift umsetzen. Ulrich Gregor beschrieb das in der Rückschau: „wir hatten den intelligenten Filmzuschauer eigentlich im Visier, von dem wir meinten, den wird es geben, oder wenn es ihn nicht gibt, dann müssen wir ihn halt erziehen“, um der „Unterentwicklung des Bewusstseins“ beim Publikum entgegenzuwirken.85 Aus einem seiner damaligen Beiträge für die Neuen Deutschen Hefte wird das Verständnis von der Rolle der Intellektuellen in der Gesellschaft ersichtlich, diese „kann und sollte nicht darin bestehen, guten Gewissens die Existenz eines Filmgenres zu rechtfertigen, dessen einzige Aufgabe es ist, die Menschen von der Monotonie ihrer Arbeit durch ‚Unterhaltung‘ abzulenken“.86 In den „Kunstformen“ gedacht, die Jost Hermand für die Kulturgeschichte der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik differenziert hat,87 peilte der Filmkritik-Stab eine „kritisch-engagierte“ Kunst an, die allerdings darum gerungen habe, überhaupt ein angestammtes Publikum für ihr Prinzip „Hohe Kunst für jedermann“ zu finden oder zu erzeugen.88 Aus ihrer intellektuellen Warte heraus richtete die Zeitschrift ihre polemischen Spitzen gegen die Exponenten und besonders auch die Konsumenten der konkurrierenden Kunstformen. Weiter oben zeigte sich bereits die Kritik besonders an den „Kleinbürgern“, die mit dem Massenpublikum der seichten Unterhaltungskultur identifiziert wurden, und auch an den vermeintlich leeren Abstraktionen und Experimenten der modernistischen Avantgarde. Bürgerlich-humanistischen Rezipienten wiederum, die sich dem, ihrem Verständnis nach, wichtigen Aufbruch der gesellschaftskritischen modernen Kunst verschlossen, hielten die Autoren der Filmkritik beispielsweise anlässlich eines Films über Vincent van Gogh entgegen: „Unversehens wurde van Gogh im nachhinein zum Gegenspieler der Moderne, die mit ihm begann, zum Platzhalter dessen, was er in Wahrheit überwunden hatte. Die ‚Sonnenblumen‘ wurden zum Alibi derer, die von ‚Guernica‘ nichts wissen wollten.“89

In den wenigen Ausgaben der film 56 hatte es immerhin die Rubrik „Meinung und Gegenmeinung“ mit Leserzuschriften oder Zitaten aus der sonstigen Presse gegeben, in der Filmkritik wurden nur sehr vereinzelt Leserbriefe wiedergegeben. 83 Vgl. Lenssen: Der Streit, S. 70. 84 Vgl. von Hodenberg: Konsens und Krise, S. 280. 85 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 86 Gregor: Scylla und Charybdis (Neue Deutsche Hefte, Nr. 62, 1959), S. 566. 87 Vgl. für einen knappen Überblick Jost Hermand: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945–1965, München 1986, S. 13. 88 Vgl. ebd., S. 561–563. 89 Ein Leben in Leidenschaft (Lust For Life), in: Filmkritik, Nr. 6, 1957, S. 86–88, hier S. 87.

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4.1.5 Links – unabhängig? Positionen und Verbindungen der Filmkritiker Beide Zeitschriften waren, wie ausführlich belegt worden ist, eminent politisiert in ihren Beiträgen. Politische Aktivitäten entfalteten die meisten ihrer Mitarbeiter aber eher über publizistische und intellektuelle Kontakte und lediglich teilweise über Mitarbeit in gesellschaftskritischen Organisationen. Die Redaktionen standen weder geschlossen hinter einer politischen Partei noch wurden sie von einer solchen auffällig gefördert und unterstützt. Die Cinema Nuovo war nicht exklusiv parteigebunden; neben einigen Mitarbeitern, die Verbindungen zur kommunistischen Partei pflegten, war beispielsweise Luigi Chiarini Sozialist im PSI und bezeichnete sich ein Autor wie Massimo Olmi als „engagierter“ und antifaschistischer Katholik.90 Aus dem Kreis um die Filmkritik war neben anderen Enno Patalas zwischenzeitlich in der SPD und im SDS aktiv,91 wie weiter unten noch ausgeleuchtet wird, doch die Mehrzahl der parteiskeptischen Redakteure ist vermutlich treffender durch Ulrich Gregors Erinnerung repräsentiert: Leute haben gesagt, ich soll doch in eine politische Partei eintreten und dort dafür sorgen, dass Veränderungen kommen, aber ich wollte nicht in die SPD eintreten, weil […] ich dachte, das muss nicht sein, und so eine Arbeit in einer politischen Partei, das ist mir nicht so interessant, ich interessiere mich mehr für Filme und möchte mit Filmen irgendwas bewegen. Und ich dachte also in unserem Rahmen, was wir tun können, das machen wir natürlich, und unser Rahmen ist ein publizistischer Rahmen im Grunde, oder auch Erziehungsarbeit.92

Die Haltung insbesondere zu den Kommunisten des PCI stellte für die italienischen Kritiker ein Thema dar, mit dem sie sich fortdauernd beschäftigten. Übereinstimmung herrschte in der Opposition und Empörung gegen die christdemokratische Regierung und in etlichen kulturpolitischen Belangen,93 doch scheint Guido Aristarco insgesamt eine unabhängige linksgerichtete Position der Zeitschrift bevorzugt zu haben. Er sah seine eigene politische Reflektion und Positionierung als noch nicht abgeschlossen an und gelegentlich distanzierte sich die Redaktion verhältnismäßig deutlich vom organisierten Kommunismus.94 Aus Briefwechseln zwischen wesentlichen Mitarbeitern der Cinema Nuovo lässt sich schließen, inwiefern es zu redaktionsinternen Differenzen über den Umgang mit kommunistischen Vertretern und Ansichten kam. Renzo Renzi reagierte einige Male empfindlich auf für ihn zu kommunistische Nuancen in Beiträgen des Blattes. Seine Schreiben sind bei Weitem nicht vollständig überliefert, aber die Antworten der Kollegen legen dies nahe. Aristarco flocht in 90 Vgl. Luigi Chiarini: I grimaldelli degli pseudocritici, in: Cinema Nuovo, Nr. 107, 15. 5. 1957, S. 306 f., hier S. 306; Massimo Olmi: L’obiettivo dei ribelli puntato sulla Gran Bretagna, in: Cinema Nuovo, Nr. 110, 1. 7. 1957, S. 10 f., hier S. 11. Ebenso Ajello: Intellettuali, S. 211; Bragaglia: Critica e critiche, S. 96. 91 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 61 und 64. 92 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 93 Vgl. Lucia: Intellettuali, S. 318. 94 Vgl. Aristarco: Esame di coscienza (Cinema Nuovo, Nr. 46, 1954), S. 290; Paternalismo e censura, in: Cinema Nuovo, Nr. 4, 1. 2. 1953, S. 71; Una guerra educata, in: Cinema Nuovo, Nr. 18, 1. 9. 1953, S. 135.

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seine Briefe gelegentlich humorvolle Sticheleien gegen Renzis Antikommunismus ein, doch in manchen Passagen setzten sich die Verfasser der Briefe auch ernsthafter mit der Frage auseinander. Aristarco beschwichtigte seinen Mitarbeiter: „Non vorrei che la tua posizione […] avesse paura di confondersi con quella dei comunisti. […] Non creiamoci davvero dei complessi. Se talvolta siamo o sembriamo piu comunisti dei comunisti, vuol dire che siamo dentro la realtà.“95 Der Abdruck von unterschiedlichen politischen, aber auch filmkritischen Positionen spreche doch überhaupt für „la nostra assoluta indipendenza“.96 Andere Redakteure um Michele Gandin versuchten ebenfalls, Renzi zu einem unbefangeneren Umgang mit kommunistischen Autoren zu bewegen, wie ein Brief zeigt: Credo anch’io con Kezich che tu sia un po’ ‚ossessionato‘ dai comunisti. […] Non sono in sostanza più diabolici degli altri. Si tratta di saperli affrontare a viso aperto e con fermezza: alla fine ci si accorge che con i migliori si può andare molto più d’accordo che con i migliori democristiani o socialdemocratici.97

Die Gefahren einer zu wenig linksgerichteten und zu kompromissbereiten politischen Haltung beschwor Gandin dann 1956 in einem Brief an Renzi aus Paris, in dem er als abschreckendes Beispiel die französische sozialistische Partei und ihre außenpolitischen Verstrickungen anführte, „che ha il potere e si comporta come si comporta in Tunisia, Algeria e Suez“.98 Renzi selbst polemisierte bekanntlich stark gegen die als autoritär eingestufte Regierungsführung der DC. Nicht minder scharf urteilte er aber eben über die Politik im sowjetischen Einflussbereich und ihre italienischen Apologeten. In einem Brief an Cesare Zavattini kam es zu einem wahren Ausbruch der politischen Frustration und Indignation. Im November 1956, nach den Ereignissen am Suez-Kanal sowie in Ungarn und Polen, war Renzi zermürbt von der festgefahrenen Bipolarität der Weltpolitik. Das wie gehabt „kolonialistische“ Gebaren Frankreichs und Englands schockiere ihn weniger als die Interventionen der Sowjetunion, l’implicito colonialismo dei russi ed i metodi medioevali da essi adoperati per puntellare la baracca traballante di un autentico impero del capitalismo di stato sovietico, dove i carri armati contano assai più della volontà popolare, con l’alibi della reazione, che c’è, ma che non può servire a fare del fascismo a rovescio.

Die ideologische Unfreiheit, die Renzi dem sowjetischen System in seinem Brief zuschrieb, erkannte er im Kleinen wieder im „partito comunista italiano, dove tutte le posizioni degli intellettuali che vogliono continuare il loro mestiere, quello di pensare, non trovano eco nella base perchè sono stati creati ingranaggi capaci soltanto di neutralizzarli o di adoperarli nei casi decisi dagli astuti burocrati“.99 95 Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 8. 1. 1953, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 2. 96 Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 31. 3. 1955, ebd., Corrispondenza, Aristarco, Guido – 3. 97 Michele Gandin an Renzo Renzi, Rom, 22. 1. 1953, ebd., Epistolario, Gandin, Michele (1). 98 Michele Gandin an Renzo Renzi, Paris, November 1956, ebd., Epistolario, Gandin, Michele (2). 99 Renzo Renzi an Cesare Zavattini, Bologna, 28. 11. 1956, ebd., Corrispondenza, Zavattini, Cesare – 2.

4.1 Cinema Nuovo, Filmkritik und Gesellschaftskritik

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Er vertrat auch in der Zeitschrift tendenziell linksdemokratische und linksliberale Auffassungen, die weniger auf vorgefertigte Ideologien kapitalistischen, katholischen oder kommunistischen Charakters als auf die Deliberation der öffentlichen Angelegenheiten durch politisch verantwortungsbewusste Staatsbürger abzielten. Publizistisch lässt sich dies wie folgt verorten: Renzi sympathisierte mit und unterhielt Kontakte zur Wochenzeitschrift Il Mondo, an die sich auch Aristarco nach seiner Entlassung bei der Cinema gewandt hatte und die vom gleichen Verleger unterstützt wurde, bei dem anfangs die Cinema Nuovo erschien.100 Hier artikulierten sich die italienischen „terzaforzisti“, denen wie Renzi vorschwebte, einen dritten politischen Weg zwischen dem konservativen und dem linken Lager, mit dem sie allerdings eher in Kontakt standen, zu beschreiten.101 Guido Aristarco versprach Renzi in einem weiteren Brief bezüglich der Ausrichtung des gemeinsamen Zeitschriftenprojekts: „I liberali avranno ampio spazio su Cinema Nuovo, e in particolare quelli del Mondo.“102 Mit ihren mehr oder weniger linksgerichteten, regierungskritischen und antifaschistisch konnotierten Überzeugungen, die sich auch in einer zwischenzeitlichen Kooperation mit dem jungen und innovativen Verlag Feltrinelli103 niederschlugen, verkörperten die italienischen Journalisten um die Cinema Nuovo in den 1950er Jahren einen Bestandteil der weit verzweigten, publizistisch sehr produktiven „Intellektuellenkreise, die zumindest innerhalb der Linken die politischen Lager übergriffen,“104 und lassen sich auf diese Weise im gesellschaftlichen Nonkonformismus des Landes kontextualisieren. Die gesellschaftskritische und nonkonformistische Kontextualisierung der Filmkritik und ihrer wesentlichen Autoren kann über die Untersuchung von über die eigenen Blätter hinausreichenden publizistischen Aktivitäten, über die Mitwirkung in mehr oder weniger politisch operierenden Organisationen und über die Ausleuchtung von Kontakten der Redaktion zum kritischen Intellektuellenmilieu in der Bundesrepublik der 1950er Jahre angegangen werden. Mehrere der regelmäßigen Autoren der Filmkritik schrieben teils seit dem ersten Drittel dieses Jahrzehnts Artikel für die Frankfurter Hefte, die den Begriff und Vorwurf der „Restauration“, den auch die Filmkritik gegen die Politik und Gesellschaft der Adenauer-Epoche richtete, breiter bekannt machten.105 Den Kontakt zu Eugen Kogon, der die Monatsschrift gemeinsam mit Walter Dirks verantwortete, knüpfte beispielsweise Enno Patalas bei einem Filmclubtreffen in Bad Ems. Kogon leitete dort eine Diskussion, in der Patalas seine Thesen von „Autorität und Revolte im deutschen Film“ vorstellte, und übernahm diesen Beitrag schließlich für sein Heft.106 Die Kontaktan100 Vgl. Renzi: Laici e cattolici (Cinema Nuovo, Nr. 61, 1955), S. 448; Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 5. 11. 1952, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 1. 101 Vgl. Ajello: Intellettuali, S. 273–285; Lucia: Intellettuali, S. 148–165. 102 Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 5. 6. 1954, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 4. 103 Vgl. dazu auch Bernardi: Gli anni del centrismo, S. 13. 104 Kroll: Kommunistische Intellektuelle, S. 481. 105 Vgl. Axel Schildt / Detlef Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart, Bonn 2009, S. 138. 106 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 68.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur

bahnung im folgenden Beispiel lässt sich nicht mehr rekonstruieren, es sei in Bezug auf journalistische Aktivitäten aber darauf verwiesen, dass Ulrich Gregor in dieser Zeit als Korrespondent für die phasenweise sehr erfolgreiche, auf dem linken Flügel der Sozialdemokratie angesiedelte Andere Zeitung fungierte.107 Als Kinder der Jahrgänge um 1930 können die Mitarbeiter der Filmkritik den Journalisten der „45er“-Generation zugerechnet werden, von denen Christina von Hodenberg herausgearbeitet hat, wie sie gegen den „Konsensjournalismus“ ihrer älteren Kollegen aufbegehrten.108 Dass sie dabei nicht selten von einer Kritik an dem Verhalten ihrer redaktionsinternen Antagonisten in der NS-Zeit und generell an dem der „Mitläufer“ absahen, trennte sie vermutlich von dem in diesem Punkt schärfer agierenden Kreis der Filmkritik, wie die Untersuchung von dessen Rückblick auf Nationalsozialismus und seine Bewältigung noch zeigen wird. Nichtsdestotrotz hatten die Filmkritiker durch ihre auch in Tageszeitungen platzierten Gedankengänge daran Anteil, dass sich schon zu Beginn der langen 1960er Jahre „ein stabiles Lager von kritischen Journalisten in den Massenmedien gebildet hatte.“109 Dieses Lager beeinflusste zunehmend Organisationen, die über die Pressearbeit hinausreichten, wie der von Journalisten beförderte, liberale Richtungswechsel der deutschen Dependance des Congress for Cultural Freedom unterstrich. Als einen der Akteure dieses Umschwungs nennt von Hodenberg – eine weitere Querverbindung – den damaligen Filmkritik-Rezensenten Rolf Becker.110 Noch deutlicher nonkonformistisch, und mit keinem redaktionsinternen Ringen wie bei vielen Tageszeitungen verbunden, agierten einige schnell erfolgreiche Neugründungen auf dem Zeitschriftenmarkt des zweiten westdeutschen Nachkriegsjahrzehnts. Axel Schildt meint etwa konkret und pardon, wenn er schreibt: „Im Aufstieg befanden sich nämlich alle Medien, die auf eine Diskussion der gesellschaftlichen und politischen Zustände drangen und als oppositionell, linksliberal oder links wahrgenommen wurden.“ So sei – von Hodenbergs Beobachtungen vergleichbar – ein „Netzwerk intellektueller Foren und Medien, von Radioredaktionen, wöchentlich und monatlich erscheinenden Druckerzeugnissen, Verlagen und Buchreihen […] bis hin zum politischen Dokumentationstheater“ entstanden, das „eine linksliberale und sozialkritische Politisierung der literarischen Intelligenz“ befördert habe.111 Schon während seines Studienaufenthalts in Paris berichtete Ulrich Gregor von dort für den konkret-Vorläufer, den Studentenkurier.112 Ebenso schrieb er, wie auch Enno Patalas, für die konkret selbst. Überliefert ist ein Münchner Treffen von Patalas mit der konkret-Mitarbeiterin und Aktivistin der Bewegung „Kampf dem Atomtod“ Erika Runge, auf der Autorenliste der konkret firmierten 107 Vgl. auch Kapitel 6.4.1; zur Anderen Zeitung vgl. Gregor Kritidis: Linkssozialistische Opposition in der Ära Adenauer. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Hannover 2008, S. 284–308. 108 Vgl. von Hodenberg: Konsens und Krise, S. 267–275. 109 Ebd., S. 289. 110 Vgl. ebd., S. 259 f. 111 Schildt: Von der Kampagne, S. 135 f. 112 Vgl. Wolfgang Kraushaar: Die Protest-Chronik 1949–1959. Eine illustrierte Geschichte von Bewegung, Widerstand und Utopie, Bd. 2: 1953–1956, Hamburg 1996, S. 1326 f.

4.1 Cinema Nuovo, Filmkritik und Gesellschaftskritik

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aus dem Filmkritik-Kreis der frühen Jahre zudem noch Theodor Kotulla, Dietrich Kuhlbrodt und Reinold E. Thiel.113 Sie alle trugen mit ihren Filmartikeln dazu bei, dass Studentenkurier und konkret bald große Verbreitung und hohes, insbesondere kulturjournalistisches Ansehen genossen.114 Die konkret, insgeheim aus DDR-Quellen finanziell und redaktionell unterstützt, stand mit einer weiteren Institution der Opposition gegen die unionsgeführten Regierungen in einem bis zum Ausschluss führenden, spannungsreichen Verhältnis – mit dem SDS, der selbst komplizierte und letztlich zur Unvereinbarkeit führende Beziehungen zu seiner Mutterpartei SPD unterhielt.115 Politische Aktivität „links der SPD“ erwies sich als schwierig, wenn nicht existenziell problematisch, was mit Gerhard Schoenberner mindestens ein Redakteur der Filmkritik selbst erfuhr. Patalas war seit seiner aktiveren Zeit unmittelbar nach Kriegsende dem SDS nur noch lose verbunden, referierte aber beispielsweise bei einem von dessen Seminaren in Offenbach 1959 über „Soziale Leitbilder im deutschen Nachkriegsfilm“.116 Schoenberner nahm dagegen eine deutlich wichtigere Rolle im Studentenbund ein. Als Student der Politologie, Germanistik und Theaterwissenschaften an der FU in Berlin wirkte er lange Jahre an der SDS-Zeitschrift Unser Standpunkt mit, zwischenzeitlich als Chefredakteur. Nachdem er zuvor bereits im Beirat des SDSBundesvorstands agiert hatte, wurde er für 1955/56 schließlich sogar zu dessen zweiten Vorsitzenden gewählt.117 Anlässlich eines Symposiums erinnerte sich der Kritiker, der Anfang der 1960er gegen die von der SPD verordnete Einstellung des Standpunkts protestierte,118 an die linke Heimatlosigkeit und Schutzlosigkeit, die in Westdeutschland aus den Konflikten und wachsenden Unverträglichkeiten mit der sozialdemokratischen Partei resultierten. Es habe die Gefahr bestanden, „ein Objekt der Observierung durch den Verfassungsschutz“ zu werden. Schoenberner veranschaulichte mit Episoden aus seinem Studium, wie restriktiv bisweilen auf die Anknüpfung an marxistisch inspirierte Theoretiker, die auch die Filmkritik vornahm, reagiert wurde:

113 Vgl. Bettina Röhl: So macht Kommunismus Spaß! Ulrike Meinhof, Klaus Rainer Röhl und die Akte konkret, Hamburg 2006, S. 209 und 332; sowie das Autorenverzeichnis bei Frederik Obermaier: Sex, Kommerz und Revolution. Vom Aufstieg und Untergang der Zeitschrift „konkret“ (1957–1973), Marburg 2011, S. 210–227. 114 Vgl. Röhl: Kommunismus, S. 95 und 310. 115 Vgl. dazu ausführlich: Willy Albrecht: Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). Vom parteikonformen Studentenverband zum Repräsentanten der Neuen Linken, Bonn 1994, S. 318–443; Tilman P. Fichter / Siegward Lönnendonker: Kleine Geschichte des SDS. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von Helmut Schmidt bis Rudi Dutschke, Bonn 2008, S. 81–114; dies.: Dutschkes Deutschland. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund, die nationale Frage und die DDR-Kritik von links. Eine deutschlandpolitische Streitschrift mit Dokumenten von Michael Mauke bis Rudi Dutschke, 2. Aufl., Essen 2011, S. 64–77. 116 Vgl. Wolfgang Kraushaar: Die Protest-Chronik 1949–1959. Eine illustrierte Geschichte von Bewegung, Widerstand und Utopie, Bd. 3: 1957–1959, Hamburg 1996, S. 2186. 117 Vgl. zu diesen Angaben Albrecht: SDS, S. 193, 206 und 226 f.; Fichter/Lönnendonker: Dutschkes Deutschland, S. 132. 118 Vgl. Albrecht: SDS, S. 365.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur erinnere ich mich an ein germanistisches Seminar, wo wir im Zusammenhang mit dem Zerbrochenen Krug Lukács zitiert haben. Die Erwähnung von Georg Lukács war eigentlich so ungefähr dasselbe, als hätte man dies four-letter-word öffentlich ausgesprochen, und um einen herum entstand ein eisiges Schweigen. Oder wenn man einmal in einer Arbeit für die Leistungsprüfung die Auseinandersetzung mit Brecht, der damals mit seinen klassischen Inszenierungen in Ost-Berlin eine große Rolle gespielt hat, darstellte, führte das dazu, daß man das Stipendium entzogen bekam etc. etc.119

Neben den Verbindungen zu konkret oder dem SDS ergaben sich für die FilmkritikGruppe Berührungspunkte zu gesellschaftskritischen Intellektuellenmilieus über ein „Frankfurter Netzwerk“, das sich aus Vertretern der dortigen überregionalen Tageszeitungen, den Frankfurter Heften und Mitarbeitern, Schülern oder Anhängern des an der Universität angesiedelten Instituts für Sozialforschung zusammensetzte.120 Schriftverkehr von Enno Patalas mit Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer belegt, dass die jungen Kritiker nicht nur deren Konzepte verarbeiteten, sondern wenigstens sporadisch direkten Austausch mit ihren theoretischen Vorbildern unterhielten. Patalas und Adorno schrieben sich einige Male zwischen 1956 und 1958, da der Filmkritiker wiederholt um die Erlaubnis zum Abdruck des „Kulturindustrie“-Kapitels in zunächst der film 56, dann der Filmkritik und schließlich der F nachsuchte. Adorno bestärkte Patalas und die Redaktion in diesen Briefen in ihrer Arbeit. Sein Lob, „daß ich Ihre Zeitschrift sehr interessant und lebendig finde“,121 wurde in der film 56 stolz wiedergegeben. Der „bescheidene […] und etwas improvisatorische […] Charakter“ der Filmkritik selbst „macht sie mir sympathisch“,122 so dass die Texte der Gruppe insgesamt Adorno zufolge vermehrte Aufmerksamkeit verdienten: Mein Eindruck von Ihrer filmtheoretischen und filmkritischen Tätigkeit – und auch der Ihrer Mitarbeiter – ist ausgezeichnet. Ich wünschte nur, diese Dinge fänden eine weitere Verbreitung und würden nicht von jener Art von Filmjournalistik unterdrückt, die bestenfalls nur unfreiwillige Reklame ist, und meist freiwillige.123

Mögen diese Formulierungen auch den Geboten der Höflichkeit geschuldet sein, so bedeuteten sie gleichermaßen doch eine wichtige Aufwertung für die jungen Publizisten. Relevanten Zuspruch erhielten Patalas und seine Mitstreiter zudem von ihrem filmtheoretischen Mentor Kracauer, der sich Mitte der 1950er Jahre aus New York meldete, nachdem er einen englischen Abdruck von Patalas’ „Furcht vor der Verantwortung“ aus den Neuen Deutschen Heften in die Hände bekommen hatte. Kracauer war „stark beeindruckt […] von Ihrer glaenzenden Analyse des deutschen Nachkriegsfilms […]. Es gibt nur wenige die dieser Art von Deutung faehig 119 Zitiert nach Siegward Lönnendonker (Hg.): Linksintellektueller Aufbruch zwischen „Kulturrevolution“ und „kultureller Zerstörung“. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) in der Nachkriegsgeschichte (1946–1969). Dokumentation eines Symposiums, Opladen/Wiesbaden 1998, S. 81 f. 120 Vgl. von Hodenberg: Konsens und Krise, S. 288. 121 Theodor W. Adorno an Enno Patalas, Frankfurt/Main, 27. 1. 1956, Theodor W. Adorno Archiv, Frankfurt/Main, Br 1120 Patalas, Enno. 122 Theodor W. Adorno an Enno Patalas, Frankfurt/Main, 5. 9. 1957, ebd.. 123 Theodor W. Adorno an Enno Patalas, Frankfurt/Main, 23. 12. 1958, ebd..

4.1 Cinema Nuovo, Filmkritik und Gesellschaftskritik

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sind.“124 Aus der zügigen Antwort des Gelobten entwickelte sich ein freundliches briefliches Zwiegespräch, in loser Folge über die anschließenden Jahre verteilt, in dem sich die beiden Filmexperten teils seitenlang über die mangelhafte Rezeption des Caligari-Buchs in Deutschland und über diverse Publikations- und Filmforschungsprojekte austauschten. Während Kracauer bereits seit Längerem an seiner Theory of Film arbeitete, plante Patalas eine umfangreichere Übertragung der Kracauerschen Analysen aus der Weimarer in die zweite Nachkriegszeit und berichtete von seinem Dissertationsvorhaben am Lehrstuhl von Walter Hagemann, in dem er sich mit dem Film im Nationalsozialismus befassen wollte. Es existierten im Herbst 1955 zudem schon Vorstellungen von der film 56. Interessant ist, wie Patalas das Zeitschriftenprojekt motivierte und dabei nicht zuletzt auch internationale Anleihen im Sinne einer möglichen „Europäisierung“ der Filmkultur durchscheinen ließ: Ich bin jetzt im Hinblick auf das Zustandekommen der Zeitschrift doch recht optimistisch, denn es gibt unter der Oberfläche der Selbstzufriedenheit im Zeichen des ‚deutschen Wirtschaftswunders‘ doch eine weitverbreitete Malaise, gerade bei der studentischen Jugend, die wir ansprechen wollen. Dies und das wachsende Interesse am Film würde, glaube ich, eine nonkonformistische Filmzeitschrift – im Stil des Pariser ‚Positif‘ – tragen.125

Als die film 56 dann existierte und Kracauer per Post zuging, erntete die Redaktion erneut ein Lob ihres Vordenkers. Zwar mahnte er im Brief eine gleichberechtigte Berücksichtigung von filmästhetischen gegenüber soziologischen Urteilsprinzipien an, habe sich aber „ueber den Geist gefreut […]. Dies ist ein frischer Auftakt; and it sets the right tune.“ So war ein Artikel über den Neorealismus von Patalas „sehr gut und interessant“ und Berghahns weiter oben behandelter „MacArthur und die Zivilisten“ „ein sehr brillianter Interpretationsversuch“. Kracauer ermunterte: „Und halten Sie die Klingen scharf.“126 Nachdem sich die Dissertationspläne von Patalas im Konflikt mit Hagemann in Münster zerschlagen hatten, bot Kracauer ihm Hilfe und die Vermittlung von Forschungskontakten in das „Frankfurter Netzwerk“ an: „Koennen Sie nicht an einer anderen Universitaet auf Grund des Materials das Sie schon haben den Doktor machen? Wie waere es mit Frankfurt? Ich koennte dort Horkheimer und Adorno davon sprechen?“127 Aufgrund der regen anderweitigen Publikationstätigkeiten des Kritikers Patalas kam es dazu nicht mehr. Der Kontakt hielt noch ein wenig weiter an und mündete etwa in einem persönlichen Treffen während einer der gelegentlichen Europareisen Kracauers, beim Filmfestival in Venedig 1958.128 Die gemeinsame Abneigung gegen die politischen und sozialen Implikationen vieler westdeutscher Filme führte die Filmkritik-Mitarbeiter mit weiteren Akteuren 124 Siegfried Kracauer an Enno Patalas, New York, 3. 9. 1955, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005818. Vgl. zu diesem Briefwechsel Johannes von Moltke: 2 February 1956: In Letter to Enno Patalas, Siegfried Kracauer Advocates a Socio-Aesthetic Approach to Film, in: Kapczynski/Richardson (Hg.): A New History, S. 359–364. 125 Enno Patalas an Siegfried Kracauer, Münster, 19. 9. 1955, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005955. 126 Siegfried Kracauer an Enno Patalas, New York, 12. 2. 1956, ebd., MPF A: Kracauer, Nr. 005818. 127 Siegfried Kracauer an Enno Patalas, New York, 5. 7. 1956, ebd. 128 Vgl. Siegfried Kracauer an Enno Patalas, New York, 1. 10. 1958, ebd.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur

aus dem Umfeld der Frankfurter Schule zusammen. Karl Markus Michel war ein solcher Autor, der vereinzelt für die Filmkritik schrieb oder mit seinem Verriss von Helmut Käutners Hauptmann von Köpenick zitiert wurde.129 Das freundschaftliche Verhältnis von Wilfried Berghahn und auch Günter Rohrbach zu Jürgen Habermas ist bereits geschildert worden.130 Auffällig ist die nahezu deckungsgleiche Argumentation in der oben ausführlich gewürdigten Rezension der Filmkritik zu Alfred Brauns Stresemann und einem wenige Wochen danach in den Frankfurter Heften erschienenen Beitrag Habermas’ zum gleichen Film. Habermas beobachtete ebenfalls die Verzeichnung von Politik als Angelegenheit zwischen starken Führungspersönlichkeiten, die sentimentalen Einstreuungen, oberflächlichen historischen Darstellungen und eine tagespolitische Ausbeutung des Filmstoffs, „als sich die bonner Wahlkampfstrategen von der Parallele Stresemann – Adenauer einiges versprachen.“131 Vereint in der Kritik an der Innen- und Außenpolitik der UnionsRegierung fanden schließlich selbst Enno Patalas und – nach dessen Wende zum „gesamtdeutschen“ Dissidenten – Walter Hagemann wieder zusammen, wie der Kritiker im Brief an Siegfried Kracauer beschrieb: „mit Hagemann, von dem ich vor zwei Jahren in Unfrieden geschieden war, habe ich mich inzwischen versöhnt, d. h. er hat einen Linksrutsch durchgemacht und mich seiner Sympathie für meine Kritiken versichert.“132 Die beschriebenen intellektuellen und oppositionellen Querverbindungen, die die Kreise um die Cinema Nuovo in Italien und die Filmkritik in der Bundesrepublik Deutschland unterhielten, unterstreichen deren Status als fest integrierte, aus der filmkulturellen Perspektive wirkende Größen eines wachsenden Klimas der Resistenz gegen die christdemokratischen Regierungen in den beiden Ländern und die konservativ gefärbten Mentalitäten, von denen diese profitierten und die sie durch ihre politische Praxis wiederum verstärkten oder teils überhaupt erst erzeugten. 4.2 AUFKLÄRUNG STATT VERKLÄRUNG. DIE KRITIKER, DIE VERGANGENHEIT UND DIE FILME DARÜBER Für die Position als nonkonformistische und gesellschaftskritische Filmkritiker, die die Zirkel um die Cinema Nuovo und die Filmkritik in den 1950er Jahren einnahmen, spielte die konfrontative, teils polemische Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit in den jeweiligen Ländern eine wichtige Rolle, wie in den vorherigen Abschnitten bereits immer wieder deutlich geworden ist. Es kann nun im Folgenden noch weiter differenziert werden, welchen Umgang mit dem Faschis129 Vgl. Ulrich Gregor: Berlinale 1957, in: Filmkritik, Nr. 8, 1957, S. 113 f. 130 Vgl. ebenfalls Ungureit: Das Widerständige, S. 12; Karsten Witte: „Die Augen wollen sich nicht zu jeder Zeit schließen“. Die Zeitschrift „Filmkritik“ und Junger Deutscher Film 1960– 1970, in: Medium 15 (1985), Nr. 11/12, S. 90–94, hier S. 91. 131 Jürgen Habermas: Der biographische Schleier. Bei Gelegenheit des Stresemann-Films notiert, in: Frankfurter Hefte 12 (1957), Nr. 5, S. 357–360, hier S. 358. 132 Enno Patalas an Siegfried Kracauer, München, 21. 7. 1958, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005955.

4.2 Aufklärung statt Verklärung

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mus, dem Nationalsozialismus oder dem vorangegangenen Kriegsgeschehen die Filmkritiker propagierten. Ein in diesem Kapitel näher betrachteter Vorgang aus Italien zeigt, dass diese Positionierung nicht unproblematisch war und sogar erhebliche juristische Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Als Mitglieder der Nachfolgegesellschaften der früheren „Achsenmächte“ können die beiden Kritikergruppen in diesem Kontext in weiten Teilen gemeinsam diskutiert werden, auch wenn mit der deutschen Teilung oder dem komplexeren Kriegsende in Italien in beiden Fällen noch spezifische Faktoren auf die Erinnerungskultur und Vergangenheitsbewältigung einwirkten. Die Argumente, mit denen auf eine in beiden Ländern eher zögerliche und tabuisierende Behandlung der jüngsten Geschichte reagiert wurde, lassen sich aber durchaus vergleichen. Dass die wichtigsten Vertreter der Cinema Nuovo etwa zehn Jahre älter waren als ihre Kollegen von der Filmkritik, unterstreicht die Gemeinsamkeit der mehr oder weniger zwangsläufigen Sozialisation in den Strukturen der Diktaturen. Im deutschen Fall hatte der Zusammenbruch des Nationalsozialismus einen bei vielen Vertretern der „45er“-Generation beobachtbaren Drang zur Abgrenzung, aber auch zur Erforschung, zur Folge. Die kritische Position zur NS-Vergangenheit und ihrer Behandlung belegen für die Filmkritik ihre Kontakte zu Emigranten und Remigranten aus der Frankfurter Schule und ihre Nähe zu den Kulturzeitschriften der Bundesrepublik, die eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung von hochrangigen NS-Funktionären hatten.133 Für den italienischen Fall ist das Resistenza-Pathos als augenfälligster Bezug auf die faschistische Vergangenheit thematisiert worden. Unter dieser Übertragung der Resistenza in die erste italienische Republik fanden sich die Kritiker zusammen, wenngleich ihre Wege zu dieser Haltung teilweise voneinander abwichen. Neben Kritikern wie Guido Aristarco oder Glauco Viazzi, die auf frühe antifaschistische Positionen und Aktionen verweisen konnten, schrieben in der Cinema Nuovo ja auch Renzo Renzi, der in seinen Erinnerungen gar nicht erst vorgab, antifaschistische Heldentaten vollbracht zu haben, und der deutlich ältere Luigi Chiarini, der als Filmfunktionär und -journalist an rassistischer Publizistik beteiligt gewesen war, sich letztlich aber doch vom Faschismus lossagte und in dessen letzten Jahren zunehmend Freiräume in der Filmarbeit nutzte oder selbst schuf.134 Der Diskussion über Faschismus, Resistenza und den Zweiten Weltkrieg verbunden, und ohne Parallele im westdeutschen Fallbeispiel der Filmkritik, erschien in den geschichtspolitischen Stellungnahmen in der Cinema Nuovo gelegentlich 133 Vgl. Lutz Hachmeister: Einleitung. Das Problem des Elite-Journalismus, in: ders. / Friedemann Siering (Hg.): Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945, München 2002, S. 7–34, hier S. 10. 134 Für Aristarco und Renzi vgl. Kapitel 2.1; für Viazzi vgl. Brunetta: Storia, Bd. 2, S. 96; für Chiarini ebd., S. 216 f., und Francesco Pitassio: „Was mache ich hier?“. Max Neufeld, Alida Valli und die italienische Filmkomödie der 1930er Jahre, in: Francesco Bono / Johannes Roschlau (Redaktion): Tenöre, Touristen, Gastarbeiter. Deutsch-italienische Filmbeziehungen, München 2011, S. 69–79, hier S. 73 f. Zu solchen Intellektuellenbiographien von rechts nach links vgl. auch Mirella Serri: Sorvegliati speciali. Gli intellettuali spiati dai gendarmi (1945–1980), Mailand 2012, S. 80 f.; dies.: I redenti. Gli intellettuali che vissero due volte. 1938–1948, 3. Aufl., Mailand 2012.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur

eine weiter zurückliegende Phase der italienischen Geschichte, die Einigungsbewegung des Risorgimento im 19. Jahrhundert, als wichtiger Ankerpunkt. Auch anhand des Risorgimento zeigten sich in den Texten die Ansprüche der Zeitschrift an die Aufklärungsarbeit realistischen Filmschaffens, die Kritik an der gängigen historischen Deutung und die eigenen linksgerichteten, „volksnahen“ Standpunkte. Schon im Faschismus hatten die Kritiker aus der nonkonformistischen Nische um die Cinema Alessandro Blasettis in den frühen 1930er Jahren entstandenen Historienfilm 1860 als hoffnungsvollen Vorboten des Realismus interpretiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg diskutierten der Kreis um die Cinema Nuovo und die ihm gleichgesinnten Kritiker und Leser das Verhältnis von Risorgimento und Film nun unter zwei wesentlichen Gesichtspunkten. Erstens strebten sie einen Bruch mit der eindimensionalen Feier glorreicher Staatsmänner und Kriegsherren der Mitte des 19. Jahrhunderts an. Die Instrumente zu einem solchen Perspektivenwechsel sollte wie gehabt der filmische Realismus offerieren: „Ridurre i fatti a dimensioni umane, scorgere dietro il lusso degli affreschi celebrativi la viva e complessa realtà dell’avvenimento storico, questo insomma sarebbe il compito di un cinema realista che voglia raccontare, mettiamo, i fatti del Risorgimento senza tradirli“.135 Giorgio Moscon nannte es ein „diseroicizzare“ des Risorgimento, das er so einer „aneddotica nazionalista“ entreißen wollte.136 Ein Leser der Cinema Nuovo, Giorgio Falcidia, ergänzte dieses Verlangen nach einer problembewussteren Darstellung der italienischen Einigungsgeschichte in seinem Beitrag mit der Kritik, diese sei bisher oftmals als „risibile ambientazione per stucchevoli storie sentimentali-avventurose“ missbraucht worden.137 Die Betonung der problematischen Facetten des Risorgimento führt zum zweiten Gesichtspunkt seiner Deutung in der Cinema Nuovo. Von Gramsci inspiriert, wurde es in einem Kontext mit der Resistenza gedacht – interpretiert nicht nur als nationaler Befreiungskampf, sondern auch im Hinblick auf demokratische, republikanische oder gar revolutionäre Initiativen aus dem „popolo“, die entweder von aristokratischen Kräften ausgebremst worden seien oder deren Errungenschaften nun in den 1950er Jahren erneut, diesmal von autoritär-klerikaler Seite, bedroht würden. In einem Leserbrief betonte Guido Gerosa, der ebenfalls als Filmkritiker tätig war, die Verbindung des „Geistes“ von Risorgimento und Resistenza und appellierte pathetisch an „quel patrimonio ideale che espresse l’immediato dopoguerra: lo spirito risorgimentale e popolare, la Costituzione repubblicana, il fervore di vita della nostra arte realistica.“138 Identifikationsmöglichkeiten zwischen Risorgimento und Resistenza bot für die Cinema Nuovo auch ihr Idealtyp des kritischen Realismus, Luchino Viscontis Senso. Die vergleichbaren sozialen Konflikte symbolisierten sich für ihre Mitarbeiter in den konfliktreichen Beziehungen zwischen dem antihabsburgischen Untergrundkämpfer Ussoni, dargestellt vom

135 Aus der Vorbemerkung zu Giorgio Falcidia: Tutta ancora da raccontare la storia degli italiani, in: Cinema Nuovo, Nr. 28, 1. 2. 1954, S. 40 f., hier S. 40. 136 Vgl. Moscon: Una marsigliese (Cinema Nuovo, Nr. 32, 1954), S. 170. 137 Falcidia: Tutta ancora da raccontare (Cinema Nuovo, Nr. 28, 1954), S. 40. 138 Lettere al direttore, in: Cinema Nuovo, Nr. 26, 31. 12. 1953, S. 385.

4.2 Aufklärung statt Verklärung

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populären Schauspieler Massimo Girotti, der konventionellen italienischen Armee und einem venezianischen „collaborazionista“.139 4.2.1 Faschismus und Nationalsozialismus Die wesentlichen Themen in Bezug auf Faschismus und Nationalsozialismus, die im Umkreis der Cinema Nuovo und der Filmkritik immer wieder kritisch aufgebracht wurden, waren die personelle oder mentalitätsgeschichtliche Kontinuität zu den beiden Diktaturen nach 1945 und die mangelhafte Aufarbeitung und analytische Durchdringung dieser Vergangenheit. Aus den verschiedensten Beiträgen in den Zeitschriften lassen sich Befremden und Empörung darüber herauslesen, von früheren Größen der Regime und belasteten ehemaligen Parteifunktionären und Gewalttätern umgeben zu sein. Die Sorge der italienischen Kritiker angesichts der ungenierten Präsenz von „vecchi arnesi del fascismo“ ist schon zitiert worden.140 Diese Kritik an der Kontinuität zum „ventennio nero“ war eine der Facetten der Gesellschaftskritik in der Cinema Nuovo, die entweder direkt mit der als autoritär empfundenen politischen Kultur der DC-Regierung verbunden oder ihr als zusätzliche Problematik an die Seite gestellt wurde. Besonders Renzo Renzi echauffierte sich wie gesehen ja über den Regierungsstil und die Diskussionskultur unter der Vorherrschaft der Christdemokratie und sparte dabei nicht mit Parallelisierungen zum Faschismus: „si dice che il fascismo è morto, mentre è vivissimo, oltre che nelle forze economiche che già lo determinarono, anche nel costume e nella mentalità che ci ha lasciato in pegno“.141 Gerade die den Faschismus begünstigenden ökonomischen Machtstrukturen seien also weiterhin existent und einen Aufbruch aus diesen Strukturen erwartete Renzi kaum vom „ceto dominante conservatore e clericale“, denn dann würde sich zeigen „che le sue relazioni col passato sono piú strette di quanto vorrebbe farci credere.“142 Unbegründet waren diese Vorwürfe angesichts der relativ reibungslosen Eingliederung von „uomini chiave del regime“ beispielsweise in die Polizeibehörden und Geheimdienste der Nachkriegsrepublik, „quasi senza nemmeno cambiare sedia o scrivania“,143 nicht. Filme wie Canzoni di mezzo secolo waren für Guido Aristarco und seine Kollegen in dieser Hinsicht ohnehin indiskutabel, weil hoffnungslos nostalgisch und verharmlosend.144 Bestätigt sahen sie sich in ihrer Sorge vor dem fortdauernden Einfluss hochrangiger Faschisten auch durch die Vorgänge um Luigi Zampas Film Anni facili. Der Regisseur nahm darin die Seilschaften von Altfaschisten, die sich 139 Vgl. Aristarco: I leoni fischiati (Cinema Nuovo, Nr. 43, 1954), S. 169 f. Zum Risorgimento im italienischen Film dieser Jahre vgl. zudem Giovanni Spagnoletti: Perspektiven auf das Risorgimento und die Resistenza. Der italienische Film, in: Rainer Rother (Hg.): Mythen der Nationen: Völker im Film, München/Berlin 1998, S. 150–167, hier S. 154–157. 140 Vgl. Paladini: Non riescono (Cinema Nuovo, Nr. 23, 1953), S. 301. 141 Renzi: Fine del maccartismo (Cinema Nuovo, Nr. 53, 1955), S. 146. 142 Renzo Renzi: La testa dall’altra parte, in: Cinema Nuovo, Nr. 131, 15. 5. 1958, S. 309 f., hier S. 309. 143 Serri: Sorvegliati speciali, S. 10. 144 Vgl. Kapitel 3.3.1.

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etwa in der römischen Bürokratie geschäftliche Vorteile zuschanzten, ins Visier. In einem Editorial im Anschluss an das venezianische Filmfestival von 1953 wurde zunächst registriert, wie die Zuschauer in der preiswerten Vorstellung im Freien „si divertirono, applaudirono, condivisero lo sdegno degli autori del film verso i ritorni fascisti e la corruzione della burocrazia“. Das gehobene Publikum habe anders reagiert: „La gente in smoking s’era sentita offesa.“ Das Editorial schilderte, wie aus missbilligendem Gemurmel allmählich handfeste Argumente und Initiativen erwachsen seien, auf die Verbreitung des Films einzuwirken: „che il pubblico va difeso e che il film contribuiva alla corruzione della gioventú poiché rappresentava una realtà sporca. Incredibile ma vero.“145 Die Autoren der Cinema Nuovo sahen sich somit genötigt, diese mutige Anklage gegen Altfaschisten zu verteidigen und die Leser zum Widerstand gegen die befürchteten Boykottmaßnahmen aufzurufen. Tatsächlich litt Zampas Film in der Folge an den angekündigten filmpolitischen Maßnahmen wie Schnittauflagen und verzögerter Exportfreigabe.146 Für den Filmkritik-Kreis waren die Vorwürfe der Kontinuität zum Nationalsozialismus wie für die Cinema Nuovo eine wichtige Facette ihrer Gesellschaftskritik in der Bundesrepublik, die sich auf die konformistische Wohlstandssättigung unter der autoritären Kanzlerfigur Adenauer fokussierte. Die Kritiker beobachteten um sich herum ein „neue[s] kollektive[s] Selbstvertrauen auf der Grundlage verdrängter Erinnerungen und wiederhergestellten Obrigkeitsdenkens.“147 Ulrich Gregor erinnerte sich an die Regierungsjahre Adenauers mit dem Hinweis auf „eben auch gewisse Kontinuitäten aus der Nazizeit, dass er den Staatssekretär Globke hatte, der die Rassegesetze kommentiert hat, solche Dinge, das fanden wir also entsetzlich und empörend.“148 Auch Heinz Ungureit erwähnte im Rückblick die „Restaurationsstimmung der Republik“: der „nachbarliche Täter oder der in der eigenen Familie wurde gnädig aufgenommen“; am Münsteraner Institut für Publizistik habe sich das bemerkbar gemacht, indem sich Walter Hagemann, der sich als Anhänger des Zentrums „zwar honorig durch Nazismus und Krieg gemogelt“ hatte, „sich auch mit anfälligeren Geistern, denen angesichts ihrer Vielzahl kaum auszuweichen war“, umgeben habe.149 Bereits zeitgenössisch stimmten Enno Patalas und Siegfried Kracauer darin überein, dass es vom Caligari-Buch mit seiner Verknüpfung des deutschen Filmschaffens und des Aufstiegs der Nationalsozialisten weiterhin keine deutschsprachige Ausgabe gebe, weil es „eben an empfindlichen Stellen bei Allzuvielen“ rühre.150 Patalas rezensierte 1958 einen westdeutschen Dokumentarfilm über die Nürnberger Prozesse. Erstmals gelinge darin eine deutliche „Denunziation“ des 145 La battaglia di Arcinazzo (Cinema Nuovo, Nr. 19, 1953). 146 Vgl. Cefalonia, in: Cinema Nuovo, Nr. 110, 1. 7. 1957, S. 5 und 7. Für die Schwierigkeiten, sich in dieser Zeit in Italien filmisch mit dem Faschismus auseinanderzusetzen, und das Beispiel Zampas vgl. Zinni: Fascisti di celluloide, S. 43–69. 147 Gregor/Kotulla/Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1, 1956), S. 8. 148 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 149 Ungureit: Das Widerständige, S. 9. 150 Vgl. Enno Patalas an Siegfried Kracauer, Münster, 19. 9. 1955, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005955; Siegfried Kracauer an Enno Patalas, New York, 12. 10. 1955, ebd., MPF A: Kracauer, Nr. 005818.

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Nationalsozialismus – erreicht beispielsweise durch kontrastierende Montagen von Aufnahmen aus dem Prozess mit Propagandamaterial aus der NS-Zeit – und nicht die in der Bundesrepublik übliche „Beschönigung“ und „Beschwichtigung“. Allerdings fokussiere sich die Dokumentation zu sehr auf die prominenten Angeklagten als vermeintlich einzige Verantwortliche und ignoriere so die Präsenz der zahlreichen einschlägig Belasteten in den 1950er Jahren: „hier wäre der Hinweis auf die Zinds und Eiseles und manch anderen Stillen im Lande angebrachter gewesen.“151 Der Filmkritiker spielte mit den Namen auf einen antisemitisch ausfälligen Studienrat und einen recht leichtfertig rehabilitierten KZ-Arzt an. In den Kinoprogrammen Westdeutschlands machte sich für die FilmkritikRedakteure der Fortbestand nationalsozialistischen Gedankenguts deutlich bemerkbar. Eindeutig konnotierte Spielfilme aus der NS-Produktion seien von „politisch Gestrigen“ wieder in die Zirkulation eingebracht worden, ohne dabei auf nennenswerten Widerstand von Seiten der Freiwilligen Selbstkontrolle zu treffen.152 Schlimmer noch, machte die Gruppe auch dezidierte „Neo-Nazi-Filme“ aus, in denen der demokratische Aufbau nach Kriegsende verspottet oder der Einsatz der deutschen Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg auf empörende Weise verherrlicht werde: „daß es in dieser Bundesrepublik bereits wieder möglich ist, einen offenkundigen Nazi-Film zu machen, ihn durch die Zensur zu bekommen und mit Steuerermäßigung aufzuführen. – So wird täglich in westdeutschen Filmtheatern der Mord an Federico Garcia Lorca wiederholt.“153 Beide Zeitschriftenredaktionen prangerten die mit der Kontinuität über 1945 hinweg zusammenhängende, dürftige Auseinandersetzung mit Faschismus und Nationalsozialismus in ihren Gesellschaften an. Inwiefern sie selbst zu einer genaueren Analyse der Diktaturen, ihrer Ursprünge und Auswirkungen beitrugen, unterschied sich graduell, auch entlang einiger bereits aus vorherigen Abschnitten bekann ter Arbeitsweisen der jeweiligen Kritikergruppen. Die Mitarbeiter der Filmkritik arbeiteten sich in gewohnt ideologiekritischer Manier an den bundesdeutschen Filmen ab, die sich im Themenkreis des Nationalsozialismus bewegten, und kamen nebenbei zu einigen grundlegenderen Interpretationen von dessen Entwicklung und Nachwirkung. Die Autoren der Cinema Nuovo leisteten eher indirekt historiographische Interpretationsarbeit zum Faschismus, wenn sie, ebenfalls wie gehabt, potenzielle Themen für realistische Filmprojekte aufbrachten und so versuchten, mit Filmschaffenden und auch Lesern und Publikum in einen „discorso“ zu gelangen. Dass in der Filmkritik somit etwas klarere Analysen der Vergangenheit zu finden waren, hängt mit der zeitlich versetzten Entstehungsgeschichte der Zeitschriften zusammen, die es den westdeutschen Kritikern ermöglichte, in etwa ein halbes Jahrzehnt später doch schon gereiftere Einblicke zu formulieren. Zudem fixierten sich viele der Mitarbeiter der Cinema Nuovo in für die italienische 151 Enno Patalas: Wieder aufgerollt: Der Nürnberger Prozeß, in: Filmkritik, Nr. 8, 1958, S. 174. 152 Vgl. Gerhard Schoenberner: Hat die Filmselbstkontrolle versagt?, in: Filmkritik, Nr. 9, 1957, S. 129 f. 153 Enno Patalas: Ein Nazi-Film, in: film 56, Nr. 2, 1956, S. 100; vgl. dazu auch Gregor/Kotulla/ Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1, 1956), S. 8; Schoenberner: Hat die Filmselbstkontrolle versagt (Filmkritik, Nr. 9, 1957).

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Linke dieser Jahre nicht untypischer Weise auf den Antifaschismus der Resistenza, setzten also noch stärker auf positive Identifikation als auf negative Ausleuchtung und Abgrenzung. Die Erinnerungskultur in der jungen Republik war in der ersten Hälfte der 1950er Jahre bereits stark gespalten, spätestens seit die antifaschistische Einheitsregierung der direkten Nachkriegszeit zerbrochen war und sich 1948 der christdemokratisch geführte Block durchgesetzt hatte. In dessen Gedenken an die Resistenza und ihr Schlüsseldatum des 25. April 1945 dominierten nun antikommunistische Appelle. Die Linke hielt bei ihren Jubiläumsfeiern mit der Anmahnung verratener Ideale der Resistenza dagegen,154 wie es weiter oben bereits aus der Cinema Nuovo und ihrem Widerstandspathos referiert worden ist. Die in der Zeitschrift vorgenommene Einordnung der Resistenza in eine Traditionslinie mit dem Risorgimento diente der geschichtspolitischen Nobilitierung gerade ihrer linksgerichteten, sozialkritischen Facetten. Die italienischen Linken und die mit ihr sympathisierenden Filmjournalisten schrieben der Resistenza eine eminente historische und zeitgenössische Bedeutung zu, in wie üblich pathetischen, euphorischen Formulierungen. Luigi Chiarini beispielsweise verband mit der Resistenza hehre politische Ziele und Erwartungen: „Moto popolare la Resistenza che non tende alla conquista di una libertà astratta, ma a quella libertà che è di ognuno e di tutti e che solo può ottenersi eliminando le ingiustizie sociali e passando nelle mani del popolo il governo del paese.“155 Von der Schilderung der demütigenden Behandlung einer unverheirateten Frau in dem spanischen Film Calle Mayor beeindruckt, erinnerte die Schriftstellerin Anna Garofalo in einem Gastbeitrag in der Cinema Nuovo daran, wie die Resistenza zur Emanzipation der italienischen Frau aus einer ähnlich traditionalistischen und untergeordneten Rolle beigetragen habe. Sie stellte sich einen heilsamen Export nach Spanien vor: „Auguriamo alla Spagna e alle mille Isabelle una Resistenza e una lotta di Liberazione vittoriose.“156 Regelmäßig wurde in Beiträgen auf Ikonen der Widerstandsbewegung wie Giaime Pintor und auf Briefsammlungen von zum Tode verurteilten Partisanen rekurriert. Die Resistenza habe mehr oder weniger das ganze Land erfasst und zukünftige, sehnlichst erwartete Filmprojekte dazu sollten sich von den Lettere dei condannati a morte della Resistenza italiana inspirieren lassen.157 Große Erfolgsaussichten hatten solche Filmpläne nicht, da in der auch erinnerungspolitisch aufgeladenen Atmosphäre im ersten Jahrzehnt der italienischen Republik Widerstandsfilme pauschal unter Kommunismusverdacht gerieten und bürokratisch zumeist ausgebremst wurden.158 154 Vgl. Ina Brandt: Memoria, Politica, Polemica. Der 25. April in der italienischen Erinnerungskultur, in: Petra Terhoeven (Hg.): Italien, Blicke. Neue Perspektiven der italienischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 2010, S. 235–256, hier S. 244; auch Filippo Focardi: La guerra della memoria. La Resistenza nel dibattito politico italiano dal 1945 a oggi, Rom/Bari 2005. 155 Zitat nach Edgardo Pavesi: I nostri classici hanno appena dieci anni, in: Cinema Nuovo, Nr. 43, 25. 9. 1954, S. 194. 156 Anna Garofalo: Isabella nella Spagna d’oggi, in: Cinema Nuovo, Nr. 110, 1. 7. 1957, S. 27. 157 Vgl. Il cinema e la Resistenza (Cinema Nuovo, Nr. 57, 1955); Luigi Pestalozza: Un documento di civiltà, in: Cinema Nuovo, Nr. 3, 15. 1. 1953, S. 38; Guido Aristarco: Il postino di Cain diventò italiano, in: Cinema Nuovo, Nr. 24, 1. 12. 1953, S. 343–348, hier S. 343. 158 Vgl. Spagnoletti: Perspektiven, S. 162; Ghigi: La memoria inquieta, S. 104–109.

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Unverdrossen lancierte die Cinema Nuovo allerdings weiter nicht nur Filmideen über die Resistenza, sondern auch zum Faschismus. Hier wird schließlich zumindest indirekt deutlich, wo die Kritiker Ansätze kritischer Ausleuchtung der jüngsten italienischen Geschichte sahen. Der Leser Falcidia merkte an, dass der Faschismus im Schulunterricht nahezu keine Rolle spiele. Angesichts dieses gravierenden Mangels müsse erst recht das realistische italienische Kino einspringen und beispielsweise Aufklärungsarbeit zur faschistischen Zeitschrift Difesa della razza oder zur regimekonformen Architektur leisten. Falcidia schwebten weitere, tagespolitisch heikle Fragen als Grundlagen von Filmprojekten vor – die Verbindung von katholischer Kirche und faschistischer Herrschaft betreffend: E non potrebbe qualche regista sinceramente cattolico puntualizzare qualche aspetto dell’inevitabile confusione di coscienze causata dalla pratica e ufficiale convivenza, per oltre vent’anni, della Chiesa cattolica con un regime le cui dottrine contrastavano cosí profondamente allo spirito del cristianesimo: tanto da essere teoricamente condannate dalla Chiesa stessa?159

Große Hoffnungen setzte Falcidia in Carlo Lizzanis Film Cronache di poveri amanti, der im Florenz zur Zeit der ersten Konsolidierung des Faschismus, Mitte der 1920er Jahre, angesiedelt wurde. Bekanntlich schätzte Guido Aristarco diesen Film als seltenen, daher umso wichtigeren Schritt „di superamento della cronaca per la storia“. Ernüchtert musste er allerdings ebenso feststellen, dass essentielle Aspekte nicht nur des Florentiner Faschismus – Aristarco listete neben anderen die „complicità“ des Klerus und „le false neutralità dei borghesi“ auf – sich einem Zuschauer mit geringem Vorwissen kaum erschlössen, was einmal mehr an filmpolitisch erwirkten Zugeständnissen liege.160 Für eine intensive Aufarbeitung des Faschismus machte sich zu guter Letzt Renzo Renzi stark. In seiner außerhalb wie auch innerhalb der Redaktion unkonventionellen Denkweise entdeckte er dabei neben den von seinen Kollegen attackierten filmpolitischen Restriktionen und den personellen Verbindungen zum faschistischen Erbe, die er in gleicher Weise kritisierte, einen weiteren Grund für eine unvollständige Faschismusdiskussion. Renzi zufolge verstellten die „vecchi antifascisti“ denjenigen den Zugang in ihre Kreise und Debatten, die sich erst spät von ihrer faschistischen Sozialisation gelöst hatten.161 Darunter zählte er ja sich selbst und betrachtete es als einen Bestandteil der historischen Auseinandersetzung, auch die Entwicklung, die er und andere schon im Faschismus aktive Kritiker genommen hatten, zu berücksichtigen. „Del resto, io stesso ho fornito, in passato, chiari documenti a mia eterna umiliazione“,162 bekannte er und wollte mit seinem eigenen Beispiel die Diskussion von einer simplen Schuldzuweisung wegführen zu einem komplexen Verständnis des Faschismus, der es schließlich geschafft habe, weit in die Gesellschaft hineinzuwirken und sich in ihr zu verankern. Daraus müssten Leh-

159 Falcidia: Tutta ancora da raccontare (Cinema Nuovo, Nr. 28, 1954), S. 41. 160 Vgl. Aristarco: Cronache di poveri amanti (Cinema Nuovo, Nr. 34, 1954), S. 249 und 251. 161 Vgl. Renzi: La testa (Cinema Nuovo, Nr. 131, 1958). 162 Renzo Renzi: Un mito: Epifania e Quaresima, in: Cinema Nuovo, Nr. 129, 15. 4. 1958, S. 233– 239, hier S. 237.

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ren gezogen werden, besonders im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr in den nachfolgenden Generationen.163 Ulrich Gregor diagnostizierte der Bundesrepublik in vergleichbarer Weise, dass eine konsequente, so dringend angeratene „Klärung“ der „vergrabenen oder vergessenen Schuldkomplexe der deutschen Kinogänger […] noch nicht vollzogen wurde.“164 Der Zweite Weltkrieg wurde in deutschen und internationalen Spielfilmen schon bald in den 1950er Jahren wieder ausführlich thematisiert und die Reaktion der Filmkritik und der Cinema Nuovo wird im Anschluss noch näher skizziert. Der Nationalsozialismus selbst als Ursache der verheerenden Kriegshandlungen sickerte bis auf Ausnahmen allerdings erst langsam, zum Ende des Jahrzehnts, in die bundesdeutsche Filmproduktion ein. In der Filmkritik wurde solchen Filmen in der bekannten Art und Weise begegnet: Scharfe Ideologiekritik traf die von vornherein als fehlkonstruiert und damit hoffnungslos angesehenen Durchschnittsfilme, doch auch bei ambitionierteren und differenzierteren Projekten sparte die Redaktion nicht mit Hinweisen auf historische Fehlinterpretationen oder die missverständliche Vermittlung der angestrebten Botschaften. Ein Beispiel für die äußerst missglückte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im bundesrepublikanischen Filmschaffen war für Enno Patalas Kurt Hoffmanns Satire Wir Wunderkinder von 1958, die stellvertretend stehe für kaum mehr störende und schmerzende Spitzen in ruhigen und komfortablen Zeiten, die „den Satten [bekommt] wie der Rollmops nach reichlichem Sektgenuß.“ Der Film folgt dem Leben zweier Deutscher bis in die Nachkriegszeit, gezeigt wird dabei ein stets erfolgreicher Karrierist, der seinem „idealistischen“ Gegenpart sowohl in der NS-Zeit als auch nach dem Weltkrieg privat und geschäftlich den Rang abläuft. Für Patalas war fatal, dass Hoffmann den „Nazismus zu einer Angelegenheit des individuellen Charakters“ mache – der von Natur aus „schlechte“ Mensch, ein auf den eigenen Vorteil bedachter Opportunist, werde automatisch ein Nazi-Anhänger, der „Gute“ natürlich nicht. Die Möglichkeit einer selbstständigen politischen Entscheidung, eine wesentliche Kategorie für den Filmkritik-Kreis, werde so unterschlagen. Darüber hinaus präsentiere der Film den „Guten“ anstatt als antifaschistischen Aktivisten als „politischen Abstinenzler“, was abermals der „Ideologie des Unpolitischen“ Vorschub leiste. Der miserable Eindruck des Films wurde für den Kritiker durch eine Verzeichnung der Weimarer Zeit, die unter der Hand von den Nationalsozialisten geprägte Argumente aufnehme, und durch unangebrachte Scherze komplettiert. Patalas echauffierte sich über Sätze wie: „eine Fahrt ins Blaue und schon ist alles Braune vergessen!“165 Vielversprechender war, wiederum für Enno Patalas, Nachts, wenn der Teufel kam, in dem der Remigrant Robert Siodmak eine Massenmordserie im Nationalsozialismus thematisierte. Der Film sei formal sehr gelungen und „zunächst eine 163 Vgl. Renzi: La testa (Cinema Nuovo, Nr. 131, 1958), S. 310. 164 Ulrich Gregor: Lissy, in: Filmkritik, Nr. 3, 1958, S. 52–55, hier S. 52. 165 Alle Zitate aus Enno Patalas: Wir Wunderkinder, in: Filmkritik, Nr. 10, 1958, S. 220. Vgl. zum Film auch Andreas Blödorn: „Wir Wunderkinder“. Filmische Selbstbilder vom deutschen „Wirtschaftswunder“ der 1950er-1960er Jahre, in: Martin Nies (Hg.): Deutsche Selbstbilder in den Medien. Film – 1945 bis zur Gegenwart, Marburg 2012, S. 83–108, hier S. 87–94.

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unmißverständliche Lektion über den Unrechtscharakter des NS-Staates“, da er die unterschiedlichen „Parteitypen“ präzise treffe. Aber auch in Siodmaks Darstellung fand Patalas einen wesentlichen Missstand. Deutschland erscheine hier als zu fast gleichen Teilen geschieden in ausgewiesene, unbelehrbare Nationalsozialisten und in „heimliche Widerstandskämpfer“, die die verbrecherischen Taten sabotierten. Patalas schrieb sich in Rage, dass es so ja gerade nicht gewesen sei, die meisten Ritterkreuzträger desertierten eben nicht, Millionen Juden und politisch Verdächtige wurden eben doch von der Gestapo geholt, ohne daß eine ‚Frau Lehmann‘ sie versteckte oder ein ‚Dr. Schleffien‘ sie deckte. Es gab keine ‚Verschwörung aller anständigen Deutschen‘ gegen das Regime!

Bei aller klaren Anklage gegen die Brutalität des Nationalsozialismus biete Nachts, wenn der Teufel kam somit durch die Hintertür den „Normalbürgern“, den „kleinen Pg.s“, Ausflüchte und Alibis an.166 Die geschichtspolitische Stoßrichtung der Filmkritik war eindeutig: Ihre Spitzen und Attacken zielten auf die gesellschaftlichen Gruppen unterhalb der vermeintlich losgelösten nationalsozialistischen Führercliquen und Eliten. Wichtig waren den Mitarbeitern der Zeitschrift Tabubrüche zur Rolle der Wirtschaftsgrößen beim Aufschwung der NSDAP, wie sie Erwin Leiser in seiner Dokumentation Mein Kampf geleistet habe.167 Insbesondere zielten sie aber auf die breite Masse der Bevölkerung ab, auf die „Kleinbürger“, die „Mitläufer“ und die Autoritätshörigen. Diese sollten sich nicht aus der Verantwortung für den Nationalsozialismus stehlen, auf die „Kollektiv-Unschuld der Deutschen“ oder den „einsamen Dämon Hitler“ berufen.168 Der Nationalsozialismus sei kein „Betriebsunfall“ in der deutschen Geschichte gewesen, nicht das viel zitierte, unabwendbare „Schicksal“. Die Titelmetapher des westdeutschen Kriegsfilms Haie und kleine Fische von Frank Wisbar aufgreifend, verdeutlichte Patalas, dass die Vormacht der Ersteren ja von der Zustimmung der Letzteren abhängig sei.169 Diese Einsicht müsse den katastrophalen Tendenzen in der deutschen Geschichte und Gesellschaft entgegenstellt werden: Der Nazismus wird zur ‚Episode‘, zu einem Fehltritt, während er doch nur der letzte Schritt auf dem Wege des deutschen Nationalsozialismus, Militarismus und Antisemitismus, des Untertanendenkens und der Autoritätsgläubigkeit war. So entfällt schließlich für den Zuschauer die Notwendigkeit, für sein aktuelles Handeln die Konsequenzen zu ziehen.170

Mit der personellen und sozialpsychologischen Kontinuität zum Nationalsozialismus und der Verdrängung der Verstrickung großer Bevölkerungskreise darin brachten die Filmkritik-Autoren Defizite in der bundesdeutschen Vergangenheitsbewältigung der 1950er Jahre auf den Punkt, die von der Forschung weitgehend bestätigt werden. Die von der Adenauer-Regierung vertretene, relativ großzügige 166 Vgl. Enno Patalas: Nachts, wenn der Teufel kam, in: Filmkritik, Nr. 10, 1957, S. 155. 167 Vgl. Enno Patalas: Mein Kampf, in: Filmkritik, Nr. 8, 1960, S. 230. 168 Vgl. Dietrich Kuhlbrodt: Der Fuchs von Paris, in: Filmkritik, Nr. 1, 1958, S. 22; Theodor Kotulla: Hunde, wollt ihr ewig leben?, in: Filmkritik, Nr. 5, 1959, S. 117 f., hier S. 118. 169 Vgl. Enno Patalas: Haie und kleine Fische, in: Filmkritik, Nr. 11, 1957, S. 175. 170 Enno Patalas: Der europäische Widerstand im Film, in: Deutsche Rundschau 81 (1955), Nr. 7, S. 700–708, hier S. 705.

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Integration auch von hochrangigen NS-Belasteten, zu der im „Frankfurter Netzwerk“ beispielsweise die mit Filmkritik-Mitarbeitern bekannten Eugen Kogon und Walter Dirks von den Frankfurter Heften Alternativen diskutierten, pflanzte Überreste von „antidemokratische[n] Mentalitäten sowie obrigkeitsstaatliche[n] Strukturen“ in die Republik fort.171 Philipp Gassert nennt neben der Eingliederung der vormaligen, mehr oder weniger überzeugten Nationalsozialisten die demonstrative Abgrenzung vom NS-Staat in der öffentlichen Diskussion, die häufig mit der Selbstbeschreibung als Opfer der Ereignisse und der „wirklichen Nazis“ einhergegangen sei, und eine gleichzeitig eher stockende Entschädigung der Leidtragenden der Gewaltherrschaft und Kriegsführung.172 Die Filmkritik kann eingereiht werden in die frühen Stimmen, die die Tabuisierung der schlimmsten Facetten der jüngsten Vergangenheit durchbrechen wollten,173 und dies, wie gesehen, durchaus „politisch konstruktiv gemeint“.174 Als unabhängige Filmpublizisten in ihrer anfangs kleinen Fachzeitschrift waren sie zunächst freier in ihren Attacken gerade auf die zahllosen „Mitläufer“ und ihr Auskommen in der Nachkriegszeit als ihre Journalistenkollegen und Generationsgenossen in größeren Redaktionen, die von diesen Personengruppen beruflich stärker abhingen und sich auf andere Kritikpunkte konzentrierten.175 Gänzlich gefeit vor solch vorsichtiger Zurückhaltung im Umgang mit der NS-Vergangenheit von Kollegen und Vorgesetzten waren aber auch die jungen Filmkritiker nicht. Heinz Ungureits Erinnerung an die Spurensuche in Hagemanns Institut für Publizistik bestätigte das: Wir suchten in Archiven nach den mit Nazi-Vokabular und -Ideologie gespickten Erstausgaben mancher später retuschierter ‚Wiederauflagen‘ wissenschaftlicher Werke. Man konnte mit etwas Eifer sehr fündig werden. Wer etwas entdeckt hatte, erzählte es eher flüsternd als laut auftrumpfend weiter. Der schlesische Flüchtling Theo Kotulla hatte ebenso wie ich als Ruhrgebietler sein Studiengeld zeitweise mit Bergarbeit unter Tage verdient, da wollte man sich nicht unnötig in die Nesseln setzen …176

Noch zögerlicher als die Zustimmung zum Nationalsozialismus und die Präsenz vieler seiner engagiertesten Anhänger wurde in der Bundesrepublik der 1950er Jahre der Judenmord thematisiert, der erst Jahrzehnte später vollständig im öffent171 Vgl. Claudia Fröhlich: Rückkehr zur Demokratie – Wandel der politischen Kultur in der Bundesrepublik, in: Peter Reichel / Harald Schmid / Peter Steinbach (Hg.): Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung, München 2009, S. 105– 126, hier S. 108 f. und 114. 172 Vgl. Philipp Gassert: Zwischen „Beschweigen“ und „Bewältigen“. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Ära Adenauer, in: Hochgeschwender (Hg.): Epoche im Widerspruch, S. 183–205, hier S. 190 f. und 196. 173 Vgl. ebd., S. 196. „[Y]oung film critics and filmmakers began exposing these holdovers“, heißt es dazu bei Fehrenbach: Cinema in Democratizing Germany, S. 258. Die entgegengesetzte Annahme eines „permanenten Thematisierungsdrucks“ der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik unterstützt beispielsweise Birthe Kundrus: „Vergangenheitsbewältigungen“. Dimensionen des Falles Veit Harlan, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 55 (2004), S. 68– 82, hier S. 81. 174 Fröhlich: Rückkehr zur Demokratie, S. 119. 175 Vgl. von Hodenberg: Konsens und Krise, S. 267 und 270. 176 Ungureit: Das Widerständige, S. 9 f.

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lichen Bewusstsein und der Erinnerungskultur angekommen sein sollte. Die Filmkritik-Gruppe versuchte, sich kritisch an die Geschichte und die Aufarbeitung von Antisemitismus und Konzentrationslagern heranzutasten. Bei Ulrich Gregor setzte spätestens nach seiner Rückkehr vom Studium in Paris die Reflektion darüber ein, als er an der Freien Universität in Berlin die Gelegenheit hatte, Kopien von Veit Harlans Jud Süß zu sichten: ein Film, den ich bis dahin auch nicht kannte, aber das war auch schon ein sehr prägendes Erlebnis, weil es eben zu tun hatte mit deutscher Geschichte und Holocaust und peu à peu schälte sich im Bewusstsein heraus, was eigentlich alles passiert ist. Und welche Mechanismen der Propaganda hier von den Nazis angewendet wurden. Das waren Dinge, die mich interessierten und eigentlich dann auch weiter immer verfolgt haben und beschäftigt haben.177

Bestürzung und größtenteils beklommene Zurückhaltung charakterisierten die nicht namentlich gekennzeichnete Rezension von Alain Resnais’ Dokumentarfilm Nuit et brouillard. Der französische Regisseur fasste darin drastische Originalaufnahmen aus befreiten Konzentrationslagern mit späteren, in Farbe gehaltenen Aufnahmen aus Auschwitz unter einem eindrücklichen Kommentar von Jean Cayrol, der selbst in einem Lager gewesen war, zusammen. Der Rezensent assoziierte den Film und seinen Kommentar mit dem SS-Staat Eugen Kogons, der ebenfalls ein KZ überlebt und daraus Grauenvolles zu berichten hatte. In der Rezension wollte er weitgehend von einer genauen Inspektion des Films absehen, so deutlich schien er ihn getroffen zu haben, denn hier lüstern und ausgiebig ‚ästhetischen‘ Finessen nachzugehen, hieße die Opfer verhöhnen. Mit Aufnahmen, bei deren Anblick man sich bleich und verzweifelt immer wieder fragt: Wie ist so etwas möglich?, ‚spielt‘ man nicht. Man tut voller Scham, was man zu tun hat – und nichts weiter.178

Aus der Beklommenheit heraus schloss der Autor allerdings doch noch mit einer kritischen Andeutung. Zeitgleich lief in der Bundesrepublik recht erfolgreich eine Theateradaption des Tagebuchs von Anne Frank, was den Kritiker darauf brachte, dass erst Resnais’ Dokumentation, sofern sie denn in den Kinos laufe, zeigen könne, ob es das Interesse am unbequemen Thema oder doch nur der „Backfisch-Wirbel“ um die Protagonistin sei, die die Zuschauer so zahlreich anlockten; „Denn die Geschichte der Anne Frank geht weiter, wenn der Theatervorhang gefallen ist. Sie endet erst in den Gasöfen von ‚Nuit et Brouillard‘.“179 Wenige Jahre später, 1959, hatte sich Hollywood des Theaterstücks angenommen und der Film von George Stevens lief auch in Westdeutschland an. Für Theodor Kotulla konnte aus einer solchen „kulturindustriell vorgeformten Bühnenfassung“180 ohnehin nichts Erhellendes mehr folgen. Gerhard Schoenberner teilte diese Auffassung und setzte sich in den Frankfurter Heften ausgiebig mit The Diary of Anne Frank auseinander. Vom „unwürdigen Reklamerummel“ an missfiel Schoenberner 177 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 178 Nacht und Nebel (Nuit et Brouillard), in: Filmkritik, Nr. 2, 1957, S. 24 f., hier S. 25. 179 Ebd. 180 Theodor Kotulla: Das Tagebuch der Anne Frank (The Diary of Anne Frank), in: Filmkritik, Nr. 8, 1959, S. 220 f., hier S. 221.

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dieser Film. Stevens greife unpassender Weise auf „Situationskomik“, eine „lovestory“ und „herkömmliche Spannungselemente“ zurück, so dass der Film „seine Herkunft aus Hollywood keinen Augenblick verleugnen kann.“181 Durch diese Elemente, durch sentimentale oder pathetische Musikbegleitung und dadurch, dass der Regisseur verhältnismäßig unhinterfragt die begrenzte Sichtweise der jugendlichen Tagebuchautorin auf die mit ihr ausharrenden Personen und die brenzlige Lage übernehme, werde die Tragweite des Themas der Judenverfolgung nur selten wirklich deutlich. Stevens verzichte auf die Außenwelt und auf einen Ausblick, den er Schoenberner zufolge hätte leisten können, da er selbst an Aufnahmen von befreiten Konzentrationslagern beteiligt gewesen war und für den Film ausführliche Recherchen angestellt habe – „In seinen Film ist von alledem wenig eingegangen.“182 Die zu seichte Behandlung des Themas war für Schoenberner nur ein Aspekt. Bereits in der Buchvorlage sah er darüber hinaus den symptomatischen Erfolg dieser vermeintlich heiklen Thematik in der bundesdeutschen Öffentlichkeit angelegt. Im Kern drehe sich das Tagebuch eher um die Extremsituation einer Familie und das Heranwachsen der Verfasserin als um die düstere Geschichte des Judenmords. Das treffe auf die sozialpsychologische Disposition der Nachkriegsgesellschaft: So bezieht der best-seller tatsächlich seine stärksten Wirkungen aus einem Umstand, der mit der Judenverfolgung nur sehr wenig zu tun hat. Ein in unserem Lande erstaunlich ausgebildetes Talent, sich nicht angesprochen zu fühlen, wenn man gemeint ist, und peinlichen Situationen auszuweichen, indem man ihnen eine denkbar harmlose Wendung gibt, und brennendes Interesse für Sekundärfragen entwickelt, um die es nicht geht, tut dabei ein übriges.183

Die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Judenmords bleibe so von gravierenden Wissenslücken und Verdrängung behindert. Bezeichnend sei, dass vermieden wurde, Nuit et brouillard als Beiprogramm des Anne Frank-Films zu zeigen: „von einem Jungmädchentagebuch läßt sich das Publikum gern rühren, aber vom System der Gaskammern will es nichts wissen.“184 Gerhard Schoenberner und seine Kollegen fanden somit herbe Worte für die Rezeption der Geschichte von Anne Frank in der Bundesrepublik. Womöglich wurde ihr Eindruck der Verharmlosung noch dadurch verstärkt, dass dem Film in der deutschen Fassung anscheinend Hinweise auf den Tod Anne Franks und vieler ihrer Verwandter im Konzentrationslager fehlten185 – was ihren Zorn andererseits noch begründeter erscheinen lässt. 4.2.2 Krieg im Film, Krieg und Film Die Diskussionen über den Zweiten Weltkrieg und seine Rolle in Film und Gesellschaft der 1950er Jahre, die die Cinema Nuovo und die Filmkritik führten oder sogar anstießen, überschnitten sich in Teilen mit den dargestellten Beiträgen zum 181 Gerhard Schoenberner: Vom Tagebuch zum Film. Das Schicksal der Anne Frank, in: Frankfurter Hefte 14 (1959), Nr. 12, S. 912–915, hier S. 913 f. 182 Ebd., S. 914 f. 183 Ebd., S. 913. 184 Ebd., S. 915. 185 Vgl. Frank-Burkhard Habel: Zerschnittene Filme. Zensur im Kino, Leipzig 2003, S. 101.

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Faschismus und Nationalsozialismus. Auch zwischen den Argumentationsgängen in Italien und der Bundesrepublik Deutschland gab es Parallelen. Die filmhistorische Ausgangslage war vergleichbar. In beiden Republiken wurden in größerer Zahl Kriegsfilme gedreht oder importiert und etliche Exemplare liefen mit gutem oder sehr gutem Erfolg in den Kinos. Auffällig und aussagekräftig sind dabei gerade die Daten aus Westdeutschland. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts fanden sich zahlreiche einheimische, britische oder US-amerikanische Kriegsfilme unter den Jahresbesten, in der Kinosaison 1957/58 beispielsweise fünf unter den erfolgreichsten zehn, mit The Bridge on the River Kwai auf dem ersten Rang.186 Im Vergleich dazu fielen in Italien die Erfolge von Kriegs- und Militärfilmen noch moderat aus. Beträchtliche Erlöse spielten aber auch hier etwa die Filme des Genrespezialisten Duilio Coletti ein.187 Von Coletti erwarteten die Kritiker der Mailänder Zeitschrift kaum etwas anderes als einen „hurrapatriotischen“, „nostalgischen“ und „militaristischen“ Film wie Wanda, la peccatrice.188 Besorgt sahen sie insgesamt einen Boom „nationalistischer“ Kriegsfilme, flankiert auch von entsprechenden Artikeln in Illustrierten.189 Unter den Autoren der Cinema Nuovo setzte sich gerade Renzo Renzi engagiert mit dem Thema auseinander. Auf einem Kongress über den Neorealismus in Parma Ende 1953 hielt er ein Referat, in dem er gründlich das Verhältnis vom Zweiten Weltkrieg, der italienischen Nachkriegsgesellschaft und dem neorealistischen Filmschaffen beleuchtete. Der Beitrag wurde ein Vierteljahr später in Luigi Chiarinis Rivista del cinema italiano abgedruckt, obwohl er, wie aus einem Briefwechsel der beiden Journalisten hervorgeht, Renzi und auch Michele Gandin wohl zu scharf für eine Veröffentlichung erschien. Chiarini konnte ihn aber, unterstützt von Guido Aristarco, vom Gegenteil überzeugen.190 In seinem Vortrag prangerte Renzi die seiner Ansicht nach in Italien zementierten Kriegsmythen an. Krieg werde als unausweichlich dargestellt, die Verteidigung und Verherrlichung der „patria“ mache Fragen, ob es sich um sinnlose Aggression oder verbrecherische Kriegshandlungen handele, unmöglich. Zweifel würden ferner durch eine quasi-religiöse Überhöhung des Kriegs ausgebremst. Die Opfer der Gefallenen, die Opferbereitschaft des einzelnen Soldaten, verhinderten jede Kritik an den Motiven, „poiché la morte ha reso inviolabili le loro azioni.“ Renzi wollte diesen erinnerungskulturellen und -politischen Schutzpanzer um den Krieg durchbrechen und fand dafür eindringliche Worte: „Bisogna vincere l’apparato religioso che la circonda. Gli eroismi, i sacrifici, i morti non possono essere la barriera mistica che si pone davanti al ragionamento: proprio perché il ragionamento serve ad evitare nuovi lutti, nuove sciagure, o almeno a renderli meno probabili.“ Medium für eine kritische Diskussion des Krieges mit dem Ziel der Beendigung aller Kriegsgelüste könne eben der Filmrealismus sein, wenn es denn gelinge, für ihn 186 Vgl. Garncarz: Hollywood in Germany, S. 202 f. 187 Vgl. De Giusti (Hg.): Storia, S. 644 f. 188 Vgl. Wanda la peccatrice (Cinema Nuovo, Nr. 13, 1953). 189 Vgl. Attualità del film antifascista (Cinema Nuovo, Nr. 55, 1955). 190 Vgl. Luigi Chiarini an Renzo Renzi, Rom, 27. 1. 1954 und 5. 2. 1954, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Epistolario, Chiarini, Luigi.

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„la libertà“ zu erkämpfen, worauf Renzis Argumentation einmal mehr hinauslief. „[L]a nostra libera ricerca“ bedeute einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu „la pace perché serve ad abbattere i pericolosi miti della guerra“.191 Rund ein Jahr nach der Veröffentlichung des Vortrags waren die Mode der Kriegsfilme und ihre Auswirkungen auf die italienische Gesellschaft für Renzo Renzi weiter so virulent, dass er in der Cinema Nuovo einen Artikel zum Thema nachschob. Er sezierte darin einige aktuelle Filme, darunter mit La grande speranza wiederum ein Werk Colettis. Die Produktionen griffen lediglich einzelne Heldenepisoden heraus. Doch habe Italien im Zweiten Weltkrieg überwiegend Niederlagen erfahren und Renzi fragte, ob die Reflektion nach Niederlagen, etwa über die Ursachen und Fehler des Krieges, nicht in fruchtbarer Weise über die Vieles verdeckenden Triumphe der Sieger hinausreiche. Reflektionshilfe beim schwierigen Übergang vom Faschismus zur Demokratie leisteten die Filme nicht, die auf jegliche historische Kontextualisierung des Kriegsgeschehens verzichteten, dieses „apparentemente librati fuori dal tempo e dallo spazio, cioè fuori dal preciso quadro storico“ zeigten. Sie propagierten nur blinden Gehorsam und Pflichterfüllung – „esaltano il dovere per il dovere, l’obbedienza per l’obbedienza, il sacrifico per il sacrificio“192 –, was gefährlich sei, da in Italien auf diese Weise nur opportunistische und untertänige Bürger heranerzogen würden. Leerstelle blieben die Erlebnisse aus dem „mondo reale“ des Krieges, die Grausamkeiten und Verzweiflung, die sich einfache Soldaten noch immer erzählten.193 Wie seine Kollegen angesichts der faschistischen Vergangenheit lancierte als Konsequenz daraus auch Renzi mögliche Filmthemen, die dem Krieg in der Rückschau gerechter werden sollten. Dazu gehörten für ihn die selbst erlebte Kriegsgefangenschaft in Deutschland,194 und die Ereignisse von „Cefalonia“, deren Verfilmung „possiede tutti gli elementi per il discorso completo e nuovo che si dovrebbe fare.“195 Beim Waffenstillstand mit den Alliierten im September 1943 war die griechische Insel Kefalonia noch unter italienischer Kontrolle. Nach einer Abstimmung entschied eine gesamte Division, sich der obligatorischen Entwaffnung durch die deutsche Armee im Kampf zu widersetzen. Nach der baldigen Niederlage verübten die deutschen Truppen ein Massaker unter ihren vormaligen Bündnispartnern, Tausende Offiziere und Soldaten wurden erschossen. „Cefalonia“ fungierte für die italienische Linke in der Nachkriegszeit als ein wesentlicher Grundstein der Resistenza, auch für Renzi als „primo atto di un antifascismo“.196 Diese Deutung war – dem politischen und erinnerungskulturellen Klima der Zeit entsprechend – keineswegs unumstritten, da zum Beispiel Angehörige des Militärs eher auf die Verpflichtung der Soldaten gegenüber dem italienischen König und ihren politisch neutralen

191 Alle Zitate nach De Giusti (Hg.): Storia, S. 621–624. 192 Renzo Renzi: La guerra contro la storia, in: Cinema Nuovo, Nr. 57, 25. 4. 1955, S. 291 f., hier S. 291. 193 Vgl. ebd., S. 292. 194 Vgl. Renzi: Impopolarità (Cinema Nuovo, Nr. 82, 1956), S. 279. 195 Renzi: La guerra (Cinema Nuovo, Nr. 57, 1955), S. 292. 196 Ebd.

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Patriotismus abhoben.197 Als es 1957 zu einer militärgerichtlichen Auseinandersetzung darum kam, ob die Überlebenden der Divisione Acqui als „Rebellen“ geächtet werden sollten, schaltete sich die Redaktion der Cinema Nuovo entrüstet darüber „che cioè questo sia possibile in una repubblica nata dalla Resistenza“ in die Debatten ein, wertete die Vorgänge als Rückkehr zum Faschismus und erneuerte die Forderung nach einer kritischen filmischen Aufarbeitung der Ereignisse.198 Auch wenn die deutsche Geschichte der 1930er und 1940er Jahre keine nennenswerte Resistenza oder Partisanenaufstände vorweisen konnte, wurde das bundesdeutsche Filmtabu Krieg und Nationalsozialismus Enno Patalas zufolge anfangs vor allem durch „Widerstandsfilme“, die Henry Hathaways US-amerikanische, versöhnlich gehaltene Geschichte des Generals Erwin Rommel, The Desert Fox, inspiriert habe, überwunden. Historisch und didaktisch unpassend, seien beispielsweise Alfred Weidenmanns Canaris oder Helmut Käutners Des Teufels General wie ihr US-amerikanischer Vorläufer überwiegend in höheren militärischen Rängen angesetzt gewesen. Dies habe zu sachlichen Verdrehungen geführt. Der Admiral Wilhelm Canaris tauge trotz seiner späten Opposition gegen den Nationalsozialismus gar nicht als Widerstandsidol, befand Patalas: „Er war ein konservativer Bürger, dem religiöse Erziehung und Veranlagung ein autoritäres Regime auf religiöser Grundlage als wünschenswert erscheinen ließen.“199 Neben der Auswahl von zweifelhaften historischen Persönlichkeiten für die Filme zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus monierte Patalas in einem gemeinsamen Beitrag mit Ulrich Gregor und Theodor Kotulla noch grundsätzliche Defizite in ihrer Anlage und dadurch hervorgerufene gesellschaftliche Effekte. Wieder schüfen Canaris und vergleichbare Genreproduktionen nur ungebrochene Heldenfiguren. Dadurch, dass diese nahezu durchgehend hohe Offiziere waren, werde die Identifikation des Durchschnittszuschauers, der kein ranghoher Militär gewesen war, mit dem Widerstand gegen die NS-Herrschaft erschwert. Wie es Renzi in Italien beobachtete, so blieb für den Filmkritik-Kreis in der Bundesrepublik die Reflektion durch den Filmkonsumenten aus – sowohl, was das eigene Verhalten in der Diktatur anbelange als auch im Hinblick auf neue Untertanenmentalitäten, die es eigentlich zu bekämpfen gelte: So weiß der Zuschauer im Parkett: er ist nicht gemeint. […] Im Effekt wirken so die vorgeblich anti-autoritären Filme als Konservierungsmittel für die noch bei Allzuvielen herrschenden autoritären Neigungen. […] es entfällt für den Zuschauer die Notwendigkeit, für sein aktuelles Handeln die Konsequenzen zu ziehen und den Anfängen neu sich formierenden Autoritätsdenkens zu wehren.200

Der aus zahlreichen Texten der Filmkritik bereits bekannte Vorwurf der historischen und zeitgenössischen Autoritätshörigkeit war nur einer aus einem ganzen

197 Zum Ereignis und seiner Nachwirkung vgl. Gian Enrico Rusconi: Deutschland – Italien. Italien – Deutschland. Geschichte einer schwierigen Beziehung von Bismarck bis zu Berlusconi, Paderborn 2006, S. 311–315. 198 Vgl. Cefalonia (Cinema Nuovo, Nr. 110, 1957), S. 7. 199 Patalas: Der europäische Widerstand (Deutsche Rundschau, Nr., 7, 1955), S. 706. 200 Gregor/Kotulla/Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1, 1956), S. 7.

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Bündel an Kritikpunkten, mit denen die Redaktion dem für sie „beängstigenden“201 Anstieg von westdeutschen Kriegsfilmen und verwandten Produktionen begegnete. Rührseligkeit sei schon Canaris beigemischt worden und Käutners typische Schwäche, das Geschehen im Bemühen um die vage konturierten „guten Gefühle“ zu emotionalisieren, habe die Aussage von Zuckmayers Stück Des Teufels General hinreichend verwässert.202 Eine gravierendere Verzerrung des Kriegsgräuels bedeuteten in der Folge die „billigste[n] Rühreffekte“, „billigste […] KlamaukKomik“, „verklemmte […] Strumpfband-Erotik“ und die „übelste […] KommißMentalität“, die Pauls Mays Filmreihe 08/15 kennzeichneten, mit der die für die jungen Kritiker so unselige „Militär-Groteske“ eine Hochphase einläutete.203 Den unbedarft komödiantischen Zugang warf die Kritikergruppe also neben Filmen zum nationalsozialistischen Alltag, wie bei Kurt Hoffmanns Wir Wunderkinder gesehen, ebenso denjenigen, die die Kriegshandlungen thematisierten, vor, wie sich in Rolf Beckers Verärgerung über den Arzt von Stalingrad erkennen lässt: „Die Leistung, selbst das Thema Stalingrad mit Humor, Sex und sogar mit etwas Eleganz ‚aufzulockern‘, kann man wahrlich nur fassungslos bestaunen. […] das ist in hohem Maße skandalös.“204 Ursachenforschung zum Nationalsozialismus suchten die Kritiker in den westdeutschen Filmen insgesamt fast vergeblich, dementsprechend vermittelten für sie auch die Kriegsfilme keine tiefgründigen historischen oder politischen Einsichten.205 Ähnlich wie Renzo Renzi in der Cinema Nuovo eine mangelnde historische Kontextualisierung der italienischen Kriegsfilme bemängelte, sahen sie sie im luftleeren Raum spielen. Frank Wisbar habe mit Nacht fiel über Gotenhafen wohl den Gipfel der „Entpolitisierung des Zweiten Weltkriegs“ erreicht, so wenig werde die NS-Geschichte mit ihm in Verbindung gebracht – „eine NSDAP ist in diesem Film schlankweg abwesend; vergebens wird man auf ein einziges ‚Heil Hitler!‘ warten.“206 Anstatt historische Aufklärung und Einordnung zu leisten, beförderten viele westdeutsche Kriegsfilme nur die ohnehin schon in Gesellschaft und Öffentlichkeit festgesetzten Legenden und militaristischen Denkstrukturen. Besonders aggressiv reagierte zum Beispiel Dietrich Kuhlbrodt auf weitere Werke des 08/15-Regisseurs May, der hartnäckig die „weiße Weste“ der „achsoanständigen“ Wehrmacht herausstellen wolle.207 Bezeichnend genug kritisierten Mays und andere Filme nicht den vom nationalsozialistischen Deutschland ausgelösten Krieg an sich, sondern nur die deutsche Kriegsführung, die mit einer anderen Taktik angeblich hätte siegreich sein können.208 Bereits aus dem italienischen Beispiel bekannt ist schließlich der Kritikpunkt, die Filme propagierten nur eine dumpfe 201 Ebd., S. 6. 202 Vgl. Patalas: Der europäische Widerstand (Deutsche Rundschau, Nr. 7, 1955), S. 706 f. 203 Gregor/Kotulla/Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1, 1956), S. 7. 204 Rolf Becker: Der Arzt von Stalingrad, in: Filmkritik, Nr. 3, 1958, S. 62. 205 Vgl. zum Beispiel Kotulla: Hunde (Filmkritik, Nr. 5, 1959). 206 Theodor Kotulla: Nacht fiel über Gotenhafen, in: Filmkritik, Nr. 4, 1960, S. 101 f., hier S. 102. 207 Vgl. Kuhlbrodt: Fuchs von Paris (Filmkritik, Nr. 1, 1958); ders.: Soldatensender Calais, in: Filmkritik, Nr. 10, 1960, S. 291. 208 Vgl. Kuhlbrodt: Fuchs von Paris (Filmkritik, Nr. 1, 1958); Enno Patalas: Er ging an meiner Seite, in: Filmkritik, Nr. 7, 1958, S. 156.

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Soldatenmoral vom Durchhalten und Gehorchen.209 Der Krieg gelte in Wisbars Haie und kleine Fische, wie auch in etlichen Importen aus Großbritannien und den USA, geschichtsvergessen nur als „Chance der Bewährung“ für die Tapferkeit und Männlichkeit der Soldaten.210 Überhaupt stießen gerade auch die amerikanischen und britischen Kriegsfilme in der Filmkritik auf eine vielstimmige Ablehnung. Ihre makellose Herstellung verführte die Autoren zum zynischen Kommentar, „die Luftkampfszenen würden Hermann Göring begeistert haben.“211 Ideologiekritisch schwerer wog neben solchen Polemiken eine Analyse, die Alfred Weidenmanns deutsch-spanische Co-Produktion Der Stern von Afrika traf, aber insbesondere wiederum die angelsächsischen Filme etwa zu Fliegerangriffen, zum See- oder zum U-Boot-Krieg.212 Darin erschienen die Kampfhandlungen – abermals verharmlosend – als im Zeichen von Fairness und sportlichem Wettkampf geführte Duelle zwischen von der einfachen Truppe abgehobenen „Aristokraten“ oder „Stars“ der Armeen, bekannten Luftwaffenoffizieren beispielsweise. Die möglicherweise katastrophalen Folgen eines solchen Kriegsverständnisses brachte Enno Patalas in seiner Rezension zum britischen Film The One That Got Away, 1957/58 äußerst erfolgreich,213 auf den Punkt – die mahnende Erinnerung an die antisemitischen Verbrechen in der deutschen Geschichte eingeschlossen: Man kann sich unschwer vorstellen, wie schon jetzt in der Vorstellung jugendlicher Kinogänger, die keine eigenen Erinnerungen an den Krieg mehr haben, dieser sich darstellt: als die letzte große Chance zu abenteuerlicher Bewährung, als die faire Auseinandersetzung tapferer Individuen allein zum Zwecke der Selbstbestätigung. Hitler, Konzentrationslager, Gestapo, Judenverfolgungen müssen ihnen, wenn überhaupt, als leidige, aber durchaus nebensächliche Beigaben erscheinen.214

Für die häufig harsch urteilenden jungen Filmkritiker gab es gelegentlich – und zumeist mit Einschränkungen – aber doch Ausnahmen und Lichtblicke unter den Kriegsfilmen, die in der Bundesrepublik liefen beziehungsweise hergestellt wurden.215 Ausführlich widmete sich Patalas der zweiten Regiearbeit des Schauspielers Bernhard Wicki, der Manfred Gregors Roman Die Brücke adaptiert hatte, damit einen Großteil der Kritik beeindruckte und in der Spielzeit 1959/60 die drittmeisten Zuschauer verzeichnete.216 Im Film werden jugendliche Einwohner einer deutschen Kleinstadt in den letzten Kriegswochen in der verzweifelten, kopflosen Abwehrschlacht gegen die US Army buchstäblich verheizt. Nur ein Junge überlebt, höchst traumatisiert von den Gewalttaten, deren Zeuge er wurde oder die er 209 Vgl. Kotulla: Hunde (Filmkritik, Nr. 5, 1959), S. 118. 210 Vgl. Patalas: Haie und kleine Fische (Filmkritik, Nr. 11, 1957). 211 Der Engel mit den blutigen Flügeln (Battle Hymn), in: Filmkritik, Nr. 4, 1957, S. 57. 212 Vgl. als Auswahl Gerhard Schoenberner: Der Stern von Afrika, in: Filmkritik, Nr. 9, 1957, S. 143; Panzerschiff Graf Spee (The Battle of the River Plate), in: Filmkritik, Nr. 5, 1957, S. 74; Enno Patalas: Duell im Atlantik (The Enemy Below), in: Filmkritik, Nr. 4, 1958, S. 94. 213 Vgl. Garncarz: Hollywood in Germany, S. 202. 214 Enno Patalas: Einer kam durch (The One That Got Away), in: Filmkritik, Nr. 2, 1958, S. 40 f., hier S. 41. 215 Vgl. Patalas: Westfront 1918 (Filmkritik, Nr. 1, 1958). 216 Vgl. Garncarz: Hollywood in Germany, S. 203.

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selbst verübte. Patalas lobte, dass nun wirklich einmal das Kriegsgrauen realistisch und ohne sonderliche Schonung des Publikums ausgebreitet werde: „Szenen wie die vom Verbrennen des deutschen Zivilisten oder vom grausamen Sterben des Amerikaners sah man in ähnlicher Drastik nie im deutschen Film, unmißverständlich dementieren sie bis ins letzte die Vorstellung vom heroischen Soldatentod.“ Die betont nüchtern-objektive Montage und Einstellungsgestaltung Wickis und seines Kameramanns unterstrichen dies eindrucksvoll, nur äußerst selten verfalle das Team in „Raffinessen“.217 Verdienstvoll sei in der langen Einführung die Darstellung der Vorgeschichten und Motive der Jugendlichen und anderer Einwohner der Stadt. Doch – kam Patalas zu den entscheidenden Mängeln von Wickis Film – blieben diese Einzelgeschichten ein oberflächliches Mosaik, ohne Rückkoppelung an die deutsche Makrogeschichte. Flankiert von relativierenden Wendungen zum Militärwesen an sich, mache sich am Ende doch wieder der Eindruck vom Krieg als „Schicksal“ und allen Beteiligten als „Opfer“ breit: Wohl zeigt die historische Exposition, welche Motive die einzelnen Jungen zu ihrem selbstmörderischen Verhalten veranlassen konnten, aber diese Motive bleiben privat und zufällig. Die allgemeineren Gründe für den Fanatismus eines Teils der deutschen Jugend von 1945 bleiben außerhalb der Diskussion. […] So gewinnt der Krieg letztenendes doch, wieder einmal, den Charakter eines unentrinnbaren Fatums, an dem niemand schuld war und das niemand verhindern konnte.218

Vorbilder für gelungene, angemessen kritische und realistische Kriegs- und Widerstandsfilme suchte sich die Filmkritik-Redaktion einmal mehr im Ausland, Enno Patalas beispielsweise in der Durchbruchsphase des Filmrealismus in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre. Zunächst nannte er Anatole Litvaks Decision Before Dawn, der durch den Verzicht auf eine überfrachtete Dramaturgie, seine Gliederung in aussagekräftige, dem tatsächlichen Geschehen entsprechende Episoden und die einer Dokumentation ähnelnde Optik bestochen habe. Die Aufzählung dieser Vorzüge lief für Patalas wiederum auf das einschlägige Filmideal dieser Kritikergruppe hinaus, denn in Decision Before Dawn herrsche „derselbe Realismus der direkten Aussage wie in ‚Paisa‘“, Roberto Rossellinis Klassiker aus seiner neorealistischen Hochphase. Mit der Adaption von „Haltung“ und „Stil“ dieser Filme, befand Patalas 1955, gelänge auch dem deutschen Film „die Mobilisierung der besseren Einsicht und des Verantwortungsgefühls.“219 In umgekehrter Richtung verfingen die deutschen Kriegsfilme, wie die meisten aller möglichen anderen Genres allerdings auch, in Italien und der dortigen Gruppe um die Cinema Nuovo kaum. Der dritte Teil von Paul Mays 08/15 schaffte es immerhin einmal in die Rezensionsspalten der Zeitschrift, wo ebenfalls auf die dürftige historische Kontextualisierung der Handlung und die geringe Problematisierung des Nationalsozialismus hingewiesen wurde. Die vorteilhafte Zeichnung des deutschen Militärs interpretierte der Rezensent als einen durchschaubaren Legitimationsversuch der Wiederbewaffnung in der Bundesrepublik.220 217 Alle Zitate aus Enno Patalas: Die Brücke, in: Filmkritik, Nr. 12, 1959, S. 315–317, hier S. 316. 218 Ebd., S. 317. 219 Patalas: Der europäische Widerstand (Deutsche Rundschau, Nr. 7, 1955), S. 708. 220 08/15, in: Cinema Nuovo, Nr. 69, 25. 10. 1955, S. 316.

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Diese Deutung der Welle an westdeutschen Kriegsfilmen im Zusammenhang mit der Rüstungspolitik und den Westbindungsbestrebungen der Adenauer-Regierung ist in der deutschsprachigen filmhistorischen Literatur, mit kleineren Nuancierungen, gängig.221 Hier waren es die italienischen Kritiker, die hellsichtig schon zeitgenössisch einen solchen Zusammenhang benannten, wenngleich dies keine sehr abwegige Schlussfolgerung darstellte. Der Publizistenkreis um die Filmkritik stellte ebenso, wie mit seinen Analysen des Nationalsozialismus, bereits frühzeitig Kriegs- und Militärmythen in Frage, die in der Forschungsliteratur aufgegriffen und vielfach entkräftet worden sind. Zur Wirkungsgeschichte der Filmkritik gehört es eben auch, zentrale Interpretationspfade mit angelegt zu haben, so dass der westdeutschen Erinnerungskultur und der von ihr geprägten Filmproduktion immer noch Schicksalsglaube, die Verharmlosung der Kampfhandlungen, der Mangel an politisch-historischer Einsicht, die Eigenwahrnehmung in einer überzeichneten Opferrolle und ein befangen positives Wehrmachtsbild attestiert werden.222 Gerade die frühzeitige Thematisierung und die Vehemenz der Vorwürfe an die vorherrschende Erinnerungskultur und Vergangenheitspolitik waren es, die die Journalisten von der Filmkritik und der Cinema Nuovo über reine Filmfragen hinaus als Gesellschaftskritiker und Nonkonformisten profilierten und qualifizierten. Zum Abschluss dieses Abschnitts zeigt ein Fallbeispiel aus Italien stellvertretend mindestens für die Kritiker aus diesem Land noch einmal die Wucht, die Debatten um und Gegenreaktionen auf die unbequemen Vorstöße entfalten konnten. Die darin enthaltene filmpolitische Auseinandersetzung bildet gleichzeitig ein Verbindungsstück zu den im Fortgang dieses Kapitels weiter ausgeleuchteten Konflikten, Polemiken und Diskussionen, die die Filmkritiker auf diesem Terrain suchten. 4.2.3 „Vilipendio alle Forze Armate“. Der Fall „L’armata s’agapò“ Die kritische Haltung zur italienischen Vergangenheit und die damit zusammenhängenden Themenvorschläge für Filmproduktionen in der Cinema Nuovo konnten für ihre Autoren ein juristisches und polizeiliches Risiko bedeuten. Insbesondere Renzo Renzi musste das wissen, ebenso sein Direktor Guido Aristarco. Dieses Risikobewusstsein war etwa in Renzis zögerlichem Einverständnis zur Veröffentlichung seines Vortrags beim Neorealismuskongress in Parma offenbar geworden. In späteren Jahren spielte er weiter darauf an, welche Folgen kritische Filme nach sich ziehen 221 Vgl. etwa Uka: Modernisierung, S. 84; von Hugo: Beobachten, bürgen und zensieren, S. 67. 222 Vgl. neben anderen Uka: Modernisierung, S. 84; Irmgard Wilharm: Filme mit Botschaft und kollektive Mentalitäten in der frühen Bundesrepublik, in: Karsten Rudolph / Christl Wickert (Hg.): Geschichte als Möglichkeit. Über die Chancen von Demokratie. Festschrift für Helga Grebing, Essen 1995, S. 290–306, hier S. 306; dies.: Filmwirtschaft, Filmpolitik und der „Publikumsgeschmack“ im Westdeutschland der Nachkriegszeit, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 267–290, hier S. 290; Sven Kramer: Wiederkehr und Verwandlung der Vergangenheit im deutschen Film, in: Reichel/Schmid/Steinbach (Hg.): Der Nationalsozialismus, S. 283– 299, hier S. 288 f.

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konnten: „in Italia film di questo genere non sono permessi e nemmeno immaginabili, pena il rischio di essere arrestati per vilipendio della polizia e delle Forze armate.“223 Die bittere Erfahrung, für eine Filmidee inhaftiert zu werden, hatten Renzi und Aristarco nämlich selbst gemacht. Im Herbst 1953 veröffentlichte Aristarco in der Zeitschrift ein Treatment Renzis über den italienischen Griechenlandfeldzug. In der Folge wurden sie, die noch als Reservisten, „militari in congedo“, eingestuft wurden, verhaftet, in die Festung von Peschiera del Garda verbracht, vor einem Militärtribunal des „vilipendio alle Forze Armate“ – der Herabwürdigung der Streitkräfte – angeklagt, schuldig gesprochen und zu Bewährungsstrafen verurteilt. Der Vorgang wird häufig als einschlägiges Beispiel für film- und medienpolitische Konflikte in der Zeit des „centrismo“ herangezogen.224 Er kann sehr plastisch nicht nur vermittels der engagierten Begleitung durch die verbliebene Redaktion der Cinema Nuovo, sondern auch über einige bilanzierende Veröffentlichungen rekonstruiert werden. Aristarco und Renzi dokumentierten den Fall in einem Buch225 und Letzterer schilderte seine Erlebnisse noch in einer Artikelserie für die linke Wochenzeitschrift Il Contemporaneo. Womit hatte Renzi diesen Eklat ausgelöst? Anfang Februar 1953 erschien in der Cinema Nuovo in der Rubrik „Proposte per film“ ein Beitrag von Renzi, in dem er eine Filmidee vorstellte mit dem italienisch-griechischen Titel „L’armata s’agapò“, was in etwa mit „die Armee ‚ich liebe dich‘“ zu übersetzen ist, einem ironischen Beinamen der italienischen Soldaten in dem besetzten Gebiet. Als Motivation erschien hier die von Renzi bereits bekannte Ablehnung der heroischen Verzeichnung des Kriegsgeschehens durch viele italienische Filme. Zudem wollte der Verfasser, der selbst im Krieg in Griechenland gewesen war, mit einer differenzierten Darstellung dieser Besatzungszeit den historischen Diskurs in Gang bringen und versöhnliche Signale in Richtung der geschundenen griechischen Bevölkerung aussenden: „Il film, dedicato alla nostra occupazione in Grecia, potrebbe essere un esame di coscienza, una condanna della guerra e insieme un atto di fratellanza verso un popolo come quello greco, nei confronti del quale abbiamo molti debiti.“226 Renzi schwebte für den Film eine Kombination aus tragischen, erschütternden Elementen und Zügen der Groteske und Farce vor. Tragisch sei schon der Ausgangspunkt des Krieges gewesen, angesichts der Überforderung der wenig schlagkräftigen italienischen Armee mit den imperialen und bellizistischen Fantasien Mussolinis und seines engen Zirkels. Nur das Eingreifen der deutschen Truppen habe den am griechischen Widerstand scheiternden Italienern überhaupt dazu verholfen, als Besatzungsmacht auftreten zu können, „a recitare la parte dei vincitori, senza avere vinto“. Diese „nostra situazione di falsi vincitori“ habe sich in der Besatzungszeit bisweilen ins Absurde gesteigert. Für die klimatischen und topographischen Bedingungen äußerst inadäquat ausgestattet, hielten sich laut Renzi ganze Heeresabteilungen mit eigenem Gartenbau, Kaninchenzucht oder einem blühenden Schwarzmarkt mit der örtlichen Bevölkerung über Wasser. Insbesondere hätten sich etliche 223 Renzi: Fine del maccartismo (Cinema Nuovo, Nr. 53, 1955), S. 146. 224 Vgl. als nur ein Beispiel Spagnoletti: Perspektiven, S. 162. 225 Vgl. Dall’Arcadia a Peschiera. Il processo s’agapò, Bari 1954. 226 Renzo Renzi: L’armata s’agapò, in: Cinema Nuovo, Nr. 4, 1. 2. 1953, S. 73–75, hier S. 73.

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Soldaten und Offiziere, vom seltsamen Kontrast zwischen dem imperialen Gehabe der höchsten Ränge einerseits und der mangelhaften Ausrüstung andererseits überfordert und desillusioniert, in den exzessiven, klischeehaften „gallismo“ – am ehesten mit „Gockelhaftigkeit“ übersetzt – geflüchtet. Die grotesken Passagen des Filmkonzepts bestanden für Renzi hauptsächlich in diesem „gallismo“, den er mit zahlreichen Anekdoten veranschaulichte und von dem auch der Spitzname der italienischen „armata s’agapò“ herrührte. Etliche Armeeangehörige hatten mit griechischen Frauen angebandelt. Renzi berichtete von nächtlichen Ausflügen, Affären, mit den knappen Nahrungsmitteln erkauften Liebesdiensten und einer rasanten Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten unter den italienischen Soldaten. Höhere Offiziere sollen ganze Bordelle kontrolliert haben, die bei deren Versetzung mit umgezogen seien. Die Besatzer seien dadurch sehr anfällig für die Gegenspionage der englischen Kriegsgegner geworden, mit Hilfe von „le sue mille Mata Hari“.227 Renzi wollte sich aber nicht nur über diese bizarren Entwicklungen mokieren und richtete die Aufmerksamkeit seines Filmsujets im Anschluss wieder auf die dramatischen Facetten der Kriegsjahre. Die geknechtete und zunehmend ausgehungerte griechische Bevölkerung wehrte sich immer stärker und verwickelte die Besatzer in Partisanenkämpfe. Auf Anschläge und Sabotage folgten italienische Vergeltungsmaßnahmen, auch wenn Renzi betonte, dass diese nicht mit der gleichen Brutalität wie bei den Deutschen vollzogen wurden: „Benché non abbiamo quasi mai seguito l’esempio barbaricamente terroristico dei tedeschi, ogni tanto si fucilava qualche ostaggio, per rappresaglia ad attentati contro di noi da parte degli ‚andartes‘. Ricordo due fucilazioni.“ Die Moral in der italienischen Armee hätte sich allmählich dem Tiefpunkt angenähert. Gerade weil die Urlaubsanträge vieler Soldaten verschlampt oder ignoriert wurden, häuften sich Ausraster und Schießereien in den eigenen Reihen, und Renzi erinnerte sich an acht Suizide in kurzer Zeit innerhalb des Gebiets, in dem er eingesetzt war. Der Griechenlandfeldzug ging in der italienischen Kapitulation unter, wie Renzi blieben viele Soldaten desorientiert und ernüchtert zurück. Auch hier erwähnte er noch den vergeblichen und nicht sehr ausgeprägten Widerstand gegen die Entwaffnung und die anschließende Odyssee vieler Kriegsgefangener durch die deutsch besetzten Gebiete. Renzi beschloss sein Treatment: „La nostra generazione deve parlare di queste cose.“228 Zunächst schlug dieser Entwurf Renzis keine allzu großen Wellen in der italienischen Öffentlichkeit. Bestätigt wurde er aber beispielsweise vom Drehbuchautoren Ugo Pirro, der in einem Brief an die Cinema Nuovo auf sehr ähnliche Texte und Ideen zum Griechenlandkrieg verwies. Die beiden Autoren waren sich darin einig, dass diese Überschneidungen die Dringlichkeit und Glaubwürdigkeit des Themas unterstrichen. Darüber hinaus sahen sie beide darin den Anlass einer grundsätzlichen Diskussion über den angeblichen Stoffmangel im italienischen Film, eine viel zitierte „crisi di soggetti“, und ob diese Krise nicht vielmehr in der filmpolitischen Blockade vieler solcher Vorschläge begründet liege.229 In der Zwischenzeit hatte allerdings ein pensionierter General Renzis „Armata s’agapò“ zur Anzeige 227 Für all diese Aspekte vgl. ebd., S. 74. 228 Alle Zitate und Aspekte ebd., S. 75. 229 Vgl. Lettere al direttore, in: Cinema Nuovo, Nr. 7, 15. 3. 1953, S. 161.

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gebracht,230 die Diskussion nahm bald noch grundsätzlichere und polemischere Züge an. Morgens am 10. September 1953 wurde Guido Aristarco, der Veröffentlichung des als „vilipendio“ inkriminierten Textes beschuldigt, in Mailand festgenommen, ohne dass er noch seine Brille holen und seine Familie informieren konnte, wie in der Cinema Nuovo empört festgestellt wurde.231 Ähnlich abrupt wurde Renzo Renzi in Bologna auf eine Wache gebeten und schließlich über Verona in die Festung am Gardasee transportiert, wo er wie Aristarco die Haftzeit bis zum Prozess verbrachte.232 Bis zu den ersten Verhören mussten sie, zermürbt von der Isolation, in Einzelhaft warten. Renzi quälte sich nachts bei eingeschaltetem Licht mit Schamgefühlen, der Beklemmung in der Zelle und haderte mit den Vorwürfen: „Ma come potranno non capire che l’attacco è diretto al fascismo e non ai soldati che esso aveva posto nella condizione di aggressione?“233 Auch nach den ersten Hafttagen, nach denen die beiden Angeklagten erstmals miteinander sprechen konnten, litt Aristarco unter wesentlich strengeren Haftbedingungen als Renzi. Er war kein Offizier, sondern Feldwebel gewesen und musste sich daher eine Zelle mit mehreren anderen Soldaten teilen, Putzdienste erbringen und Einschränkungen bei den Mahlzeiten oder beim Briefverkehr hinnehmen. Renzi hingegen war ja eingestandenermaßen in der Jugend von Kriegsbegeisterung erfasst worden, hatte es daher immerhin zum Leutnant und damit zu einem „ufficiale inferiore“ gebracht, was ihm nun eine verhältnismäßig privilegierte Haft ermöglichte.234 Bald durften sich beide mit Einverständnis des Kommandanten der Gefängnisbibliothek annehmen, die sie neu ordneten und mit von befreundeten Verlegern geschickten Büchern auffüllten. Renzi sammelte in Gesprächen die Lebensgeschichten von anderen Häftlingen, aus denen er später im Contemporaneo berichtete, und die Kritiker nahmen an den Filmvorführungen in der Festung teil.235 Außerhalb der Festung hatte der Fall längst eine Woge der Empörung und der Solidarität ausgelöst. Die Cinema Nuovo erschien weiter, und hier bündelte etwa der damalige Verleger Antonio Pellizzari in kämpferischen Texten die Stimmung und führte lange Listen der Unterstützer auf. Auf diesen Listen erschienen selbstverständlich regelmäßige Autoren der Cinema Nuovo selbst wie Luigi Chiarini, Giorgio Moscon oder Glauco Viazzi, dazu zahlreiche bekannte Kritiker von anderen Zeitschriften und Zeitungen mit großer Reichweite. Von den Regisseuren meldeten sich beispielsweise Vittorio De Sica, Carlo Lizzani und Alberto Lattuada entrüstet zu Wort, der Drehbuchautor Cesare Zavattini prägte den Slogan: „Arrestateci tutti, ma noi proseguiremo per la nostra strada!“ Solidaritätsbekundungen gin230 Vgl. Serri: Sorvegliati speciali, S. 68. 231 Vgl. Antonio Pellizzari: Le minacce non servono più, in: Cinema Nuovo, Nr. 19, 15. 9. 1953, S. 161. 232 Vgl. Renzo Renzi: In fortezza. Diario di Peschiera (I), in: Il Contemporaneo, Nr. 42, 22. 10. 1955, S. 1. 233 Ebd. 234 Vgl. Renzo Renzi: Soldati in biblioteca. Diario di Peschiera (II), in: Il Contemporaneo, Nr. 43, 29. 10. 1955, S. 10 f. 235 Vgl. ebd.; Renzo Renzi: Eserciti di ieri e di oggi. Diario di Peschiera (III), in: Il Contemporaneo, Nr. 44, 5. 11. 1955, S. 10.

4.2 Aufklärung statt Verklärung

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gen auch aus anderen Künsten und Ressorts ein, so etwa vom Schriftsteller Curzio Malaparte, von Paolo Grassi und Giorgio Strehler vom Mailänder Piccolo Teatro oder dem Verleger Giulio Einaudi, dazu von Anwälten, Filmclubs, Presseverbänden und in Form von zahllosen Leserzuschriften.236 Eine knappe Woche nach der Verhaftung berief der einflussreiche Circolo romano del cinema eine Konferenz ein. Auf einer Abbildung sind unter den Vorsitzenden auf dem Podium neben vielen Filmpublizisten auch die Regisseure Federico Fellini, Michelangelo Antonioni und Luigi Zampa zu erkennen. Aus der Sitzung heraus entstanden ein Solidaritätskomitee für Aristarco und Renzi und eine Stellungnahme, mit der der Circolo und die Anwesenden denuncia a tutta l’opinione pubblica la gravità del sopruso compiuto ai danni dei due giornalisti arrestati, sopruso che non colpisce soltanto il cinema e l’arte d’Italia, ma la democrazia stessa, la quale non può tollerare che venga aperta alcuna breccia nel suo sistema, nelle sue istituzioni, nella sua prassi di libertà e di giustizia.

In der Cinema Nuovo wurde genau und kritisch vermerkt, welche Journalisten die wenigen Ausnahmen bei dieser Welle der Solidarität bildeten. Der katholische Kritiker Gian Luigi Rondi habe sich beispielsweise mit dem Verweis auf apolitische Neutralität und darauf, dass er nicht fertiggestellte Filmprojekte nicht bespreche, herausgeredet.237 In vergleichbarer Weise hatten die Redakteure in der vorangegangenen Ausgabe den ebenfalls aufgebrachten oder zumindest besorgten Stimmen aus der linken, liberalen, republikanischen und sogar Teilen der christdemokratischen Presse die Zufriedenheit gegenübergestellt, die im neofaschistischen Secolo d’Italia über die Verhaftung geäußert wurde.238 Gegen solche neofaschistischen Stimmen, gegen faschistische Nostalgie und Überbleibsel in Politik, Justiz und Verwaltung, die sie mit diesem Fall einmal mehr ans Licht geführt sah, wandte sich in einem sehr pathetischen Kommentar auch die Redaktion der Turiner Rassegna del film um Fernaldo Di Giammatteo, verbunden mit dem Aufruf, baldmöglichst Renzis Filmidee umzusetzen und mit den Mythen zum Griechenlandkrieg aufzuräumen: „dicendo la verità sui responsabili della sconfitta.“239 Der Vorgang um Aristarco und Renzi fand über die italienischen Grenzen hinaus in Filmpresse und Filmschaffen Widerhall. Die Verantwortlichen der Cahiers du cinéma berichteten unter dem Zavattini aufgreifenden Titel „Arrêteznous tous“ von der „incroyable arrestation“ von Renzi und „notre confrère italien Guido Aristarco“, die sie mit den von McCarthy initiierten Maßnahmen in den USA in Verbindung brachten. Es folgte ein Abdruck von Renzis „L’Armata s’agapò“, das würdevoll, selbsterklärend und keineswegs als blindwütig beleidigend für die italienische Armee zu verstehen sei: „Le texte que nous allons présenter à nos lecteurs se défend tout seul. Il n’est blessant pour l’Armée Italienne que dans la mesure où 236 Vgl. insbesondere Solidarietà di tutti, in: Cinema Nuovo, Nr. 19, 15. 9. 1953, S. 161 f.; Ancora solidarietà, in: Cinema Nuovo, Nr. 21, 15. 10. 1953, S. 226.; Colloqui con i lettori, in: Cinema Nuovo, Nr. 23, 15. 11. 1953, S. 320. 237 Vgl., auch für das Zitat, Tutti insieme gli antifascisti nella protesta per Renzi e Aristarco, in: Cinema Nuovo, Nr. 20, 1. 10. 1953, S. 200 f. 238 Vgl. Soddisfatti solo i fascisti, in: Cinema Nuovo, Nr. 19, 15. 9. 1953, S. 162. 239 Ed ora facciamo il film, in: Rassegna del film, Nr. 18, 1953, S. 1 f., hier S. 2.

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l’armée italienne a partagé les responsabilités de Mussolini.“ Selbst Aristarcos einstiger Widersacher bei der Cinema, Adriano Baracco, habe doch für ihn in diesem Konflikt Partei ergriffen.240 Sehr zur Freude und Erleichterung selbst der anderen, an dem Fall unbeteiligten Häftlinge drangen diese Pressestimmen und Kampagnen allmählich bis in die Festung von Peschiera vor.241 Unterstützung erfuhren Aristarco und Renzi nun verstärkt auch durch persönliche Briefe in die Haft. Dem Direktor der Cinema Nuovo schrieben zahlreiche Kritikerkollegen, es meldeten sich frühere Weggefährten aus der Armeezeit oder aus längst vergangenen Diskussionsrunden.242 Aus Frankreich kam die erwähnte Unterstützung aus der Presse, aber auch direkte briefliche Ermunterung an Aristarco, von den Kritikern Georges Sadoul und Michel Dorsday oder der Konservatorin der Cinémathèque française, Lotte Eisner, und sogar in Übersee löste seine Festnahme Anteilnahme und Unverständnis aus, was sich aus einem Brief Siegfried Kracauers243 und einem Schreiben des New Yorker Korrespondenten der Cinema Nuovo, Giorgio Fenin, ersehen lässt: „Alcuni colleghi a New York non sono addirittura in grado di comprendere che esistano sistemi i quali possano permettere la messa in arresto di un giornalista e critico.“244 Neben anderen Filmjournalisten bemühten sich gerade Giovan Battista Cavallaro und Michele Gandin, den internierten Renzo Renzi aufzumuntern. Cavallaro hatte zuvor schon Renzis Mutter Hilfe angeboten und versprochen, persönliche Kontakte nach Rom zur Intervention zu nutzen. Renzi selbst fächerte er detailliert die breite Unterstützung, die die beiden außerhalb der Festung in den verschiedensten italienischen Städten erfuhren, auf, und dass selbst ein Kirchenvertreter nichts am Filmentwurf auszusetzen gehabt habe.245 Wie Cavallaro versuchte Gandin, Renzi zu Ruhe und Besonnenheit zu ermahnen und ihn mit der Erinnerung an die gemeinsam überstandene Kriegsgefangenschaft zum Durchhalten zu motivieren: E l’importante è che tu stia tranquillo su tutto e che quindi tu accetti con serenità questo periodo di solitudine: fanne una esperienza positiva, di arricchimento, morale e spirituale. Ma sono parole superflue: ne abbiamo a sufficienza parlato nei due anni di campo di concentramento passati insieme in Germania.246

Gerührt und geehrt registrierte Renzi die Solidarität aus Filmwesen und Filmkritik, die auch Luchino Visconti und sein Team einschloss, das in der Nähe von Peschiera del Garda gerade mit Dreharbeiten für Senso beschäftigt war: 240 Vgl. „Arrêtez-nous tous“ (L’Affaire Aristarco-Renzi), in: Cahiers du Cinéma, Nr. 28, November 1953, S. 2 f. 241 Vgl. Renzi: Soldati (Il Contemporaneo, Nr. 43, 1955). 242 Dies zeigt ein sehr umfangreicher Ordner in der Cineteca di Bologna, Fondo Guido Aristarco, 746 E5. 243 Vgl. Siegfried Kracauer an Guido Aristarco, New York, 7. 2. 1954, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005776. Kracauer schrieb darin: „I often thought of you with the most vivid sympathy because of the ordeal you had to undergo.“ 244 Giorgio N. Fenin an Guido Aristarco, New York, 30. 9. 1953, Cineteca di Bologna, Fondo Guido Aristarco, 746 E5. 245 Vgl. Giovan Battista Cavallaro an Renzo Renzi, Bologna, 10. 9. 1953, 20. 9. 1953 und 22. 9. 1953, ebd., Archivio Renzo Renzi, Epistolario, Cavallaro, Giovan Battista (1). 246 Michele Gandin an Renzo Renzi, Rom, 19. 9. 1953, ebd., Epistolario, Gandin, Michele (1).

4.2 Aufklärung statt Verklärung

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I primi giorni, sempre solo, mi sentivo abbandonato dal mondo. Finché una sera un soldato mi portò, all’improvviso, un gran pacco contenente dolci, frutta, baci di cioccolata, biscotti e sigarette: coi saluti di Visconti e di Girotti. […] Era venuto alla fortezza, accompagnato da alcuni collaboratori, ed aveva tentato di vederci. Non ci era riuscito. Ma, allora, di fuori si erano accorti del nostro arresto, se persino Visconti si era mosso! Dovrò dire che mi venne voglia di piangere?247

Die Solidaritätskampagne für Aristarco und Renzi bekam sehr bald einen politischen Überbau, der gerade auf der Versammlung des römischen Circolo del cinema derart dominierte, dass Michele Gandin noch einmal auf den eigentlichen Zweck der Zusammenkunft, die Befreiung der Kritikerkollegen, hinweisen musste.248 Die Texte, die in der Cinema Nuovo den Vorgang begleiteten, bedienten sich der von der Gruppe bekannten Resistenza-Rhetorik, wenn zum Beispiel der Bericht über die römische Veranstaltung mit „Tutti insieme gli antifascisti“ überschrieben war.249 Die Kritik und Besorgnis in den Stellungnahmen der Zeitschrift wie auch in vielen anderen Pressestimmen und in etlichen Briefen an die Angeklagten richtete sich gegen die drastische Einschränkung der Pressefreiheit. Die harschen Maßnahmen gegen eine unversöhnliche Betrachtung der faschistischen Kriegsführung in Griechenland wurden zudem politisch verortet als eine gefährliche Demonstration des reaktionären, philofaschistischen Flügels der DC in einer Phase der instabilen Regierungsbildung Mitte des Jahres 1953. Der Kritiker Giulio Cesare Castello hoffte, dass den Hardlinern der DC diese Repression wie ein „Boomerang“ letztlich schaden könnte.250 In der Verknüpfung von politischen und juristischen Aspekten nahmen die meisten kritischen Stimmen vor allem Anstoß an der Persistenz des faschistischen Militärrechts, nach dem Renzi und Aristarco belangt wurden, was ihnen gegenüber einem zivilrechtlichen Verfahren Nachteile bereitete: Die Strafen fielen höher aus und sie mussten trotz des eher harmlosen Delikts die Wochen bis zum Prozess vollständig in der Festungshaft ausharren.251 In der Veröffentlichung zum Fall „L’Armata s’agapò“ sezierte der antifaschistische Rechtsprofessor Piero Calamandrei später die politisch-juristische Konstellation. Das faschistische Militärrecht von 1941 war tatsächlich noch in Kraft und wurde in diesem Fall zudem besonders offensiv ausgelegt, da es auch für die beiden Reservisten angewendet wurde – den Prinzipien der republikanischen Verfassung eigentlich zuwiderlaufend.252 Dies sah Calamandrei aber als politisch gewollt an, da schließlich das Verteidigungs- und das Justizministerium die Anklage und den Arrest zugelassen hätten. Er bettete dies in den politisch-historischen Kontext der frühen 1950er Jahre wie folgt ein: 247 Renzi: In fortezza (Il Contemporaneo, Nr. 42, 1955). 248 Vgl. Giovan Battista Cavallaro an Renzo Renzi, Bologna, 20. 9. 1953, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Epistolario, Cavallaro, Giovan Battista (1). 249 Vgl. Tutti insieme (Cinema Nuovo, Nr. 20, 1953); Pellizzari: Le minacce (Cinema Nuovo, Nr. 19, 1953). 250 Giulio Cesare Castello an Renzo Renzi, Genua, 10. 10. 1953, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Epistolario, Castello, Giulio Cesare. 251 Vgl. Renzi: Eserciti (Il Contemporaneo, Nr. 44, 1955). 252 Vgl. Piero Calamandrei: Gli aspetti giuridico-costituzionali del processo, in: Dall’Arcadia a Peschiera, S. 3–31, hier besonders S. 5–8.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur Questo è un episodio tipico di quel clima di disfattismo costituzionale che ha asfissiato in questi ultimi anni la vita politica italiana: di questa tendenza accomodante volta a dissimulare il significato della crisi storica che è costata al popolo italiano tanto sangue e tanto dolore, a evitare in tutti i modi, perfino colla censura cinematografica, che si dica male del fascismo e che si faccia sapere ai giovanissimi ignari quale fu il suo vero volto; a far credere che il passaggio dal fascismo alla Repubblica non sia stato altro che un cambiamento superficiale di emblemi e di etichette, al disotto del quale possano continuare a intrigare e a prosperare, senza sostanziali fratture, le stesse connivenze e gli stessi conformismi.253

Im Prozess gegen Aristarco und Renzi, der Anfang Oktober 1953 vor einem Militärtribunal in Mailand stattfand,254 basierte die Strategie der Verteidigung zunächst auch erstens darauf, die Zuständigkeit des Militärgerichts und die mit dem Vorwurf klammheimlich unterstellte Kontinuität zwischen den faschistischen und den aktuellen italienischen Streitkräften in Frage zu stellen. Zweitens versicherten die beiden Filmkritiker in ihren Anhörungen, dass der Text keineswegs mit diskreditierender Intention verfasst und veröffentlicht worden war, sondern, wie von Renzi darin formuliert, eine kritische Bestandsaufnahme und eine versöhnliche Geste in Richtung Griechenlands darstellen sollte. Drittens sollten zudem einige Zeugen die Glaubwürdigkeit der Anekdoten und Kritikpunkte im Filmtreatment untermauern. Die Zeugen, darunter die Kritikerkollegen Michele Gandin und Antonello Trombadori, bestätigten beispielsweise die Suizide, die Geiselerschießungen und die zahlreichen Affären mit griechischen Frauen. Das Gericht hatte die Zuständigkeitsfrage abgeschmettert und die Anklage bot ihrerseits als Zeugen überwiegend höherrangige Militärs auf, die die Vorwürfe in Renzis Skizze abstritten oder deutlich abschwächten. So kam der Ankläger, ein Brigadegeneral, in seinem Plädoyer zur Überzeugung, dass Renzi aus persönlicher Enttäuschung und fehlgeleitet von seinen Lektüren sich des „vilipendio“ schuldig gemacht und Aristarco sich aktiv und wissentlich an der Verbreitung beteiligt habe. Bei der Zurückweisung der einzelnen Kritikpunkte in Renzis Text griff der General anscheinend auf einige fragwürdige Argumentationsgänge zurück, die – dem Bericht in der Cinema Nuovo zufolge – im Publikum Unmut erzeugten.255 Die griechischen Frauen hätten sich, wenn überhaupt, den italienischen Soldaten nicht aus Zwang oder Not hingegeben, sondern aus sündiger Gewohnheit. Erschießungen hätten besonders Kriminelle getroffen, so dass die italienische Armee der griechischen Bevölkerung sogar noch hilfreiche Dienste geleistet hätte. Vergeblich appellierte einer der Verteidiger noch einmal an die Kritikfähigkeit und die Lernbereitschaft der italienischen Armee und Gesellschaft: L’esercito non è composto da superuomini, ma da uomini. L’esercito siamo noi, è il popolo con le sue virtù e i suoi difetti. Dove è mai scritto che un popolo non possa piegarsi sulle sue sciagure e riflettere? Non si può mettere in galera chi si sforza di narrare la sua sofferenza con l’intento di educare, affinché gli errori che furono causa di questa sofferenza non si ripetano.256

253 Ebd., S. 30. 254 Zum Prozessverlauf vgl. Una proposta di film e un processo, in: Dall’Arcadia a Peschiera, S. 35–57, hier S. 46–57; Cronaca del processo, in: Cinema Nuovo, Nr. 21, 15. 10. 1953, S. 225 f. 255 Vgl. Cronaca del processo (Cinema Nuovo, Nr. 21, 1953). 256 Ebd., S. 226.

4.3 Die Zeitschriften im filmpolitischen Klima Italiens und Westdeutschlands

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Guido Aristarco und Renzo Renzi wurden allerdings für schuldig gesprochen und zu Bewährungsstrafen von einem knappen halben Jahr verurteilt, Renzi zudem im militärischen Rang degradiert. Sofort wurde Revision eingelegt mit dem in der Cinema Nuovo erklärten Ziel, die Persistenz der faschistischen Militärrechtsprechung zu beseitigen.257 Das Verfahren zog sich einige Jahre ohne großen Erfolg hin.258 Renzi blieb dabei, dass etliche weitere Erinnerungen aus dem Griechenlandkrieg sein Filmprojekt stützten,259 musste aber vorsichtiger mit diesem Thema umgehen. Der Fall „L’Armata s’agapò“ wurde zur hilfreichen Argumentationsgrundlage bei ähnlichen Vorgängen260 und stand symbolisch für eine lagerübergreifende Opposition gegen allzu repressives juristisches Vorgehen,261 auch wenn eine Bestrafung der Kritiker nicht hatte abgewendet werden können. Der öffentliche Aufschrei wird aber zumindest ein wenig dazu beigetragen haben, dass nach einigen Jahren diese Fortdauer faschistischer Rechtsprechung aufgehoben wurde.262 4.3 DIE ZEITSCHRIFTEN IM FILMPOLITISCHEN KLIMA ITALIENS UND WESTDEUTSCHLANDS Die italienischen und westdeutschen Filmkritiker zeichneten sich neben der soeben behandelten Haltung zur Vergangenheit und Vergangenheitsbewältigung ihrer Länder auch durch ihre Haltung zur heimischen Filmpolitik und Filmwirtschaft als Gesellschaftskritiker und Nonkonformisten aus. Dies ist zwischen den Zeilen bereits wiederholt angeklungen – etwa in der Empörung der italienischen Redakteure gegen filmpolitische Maßnahmen und besonders im Eklat um Renzo Renzis Filmidee zum Griechenlandkrieg als einem Extrembeispiel solcher Konflikte. Für beide Länder und Zeitschriften sollen nun die Reizthemen und Kontroversen um Filmpolitik und ihre Rolle in der Filmkultur näher beleuchtet werden. Eine vollständige Rekonstruktion der entsprechenden Debatten dieser Epoche ist hier selbstredend nicht zu leisten, vielmehr soll nun zumindest skizzenhaft und exemplarisch ein Einblick vermittelt werden, in welchem filmpolitischen oder, spezifischer, filmwirtschaftspolitischen Klima die Zeitschriften entstanden und agierten. Prägnante Kritikpunkte und Polemiken, in die sie verwickelt waren oder die sie sogar initiierten, werden nachgezeichnet; je nach Quellenlage ist dabei eine Rückkoppelung zwischen filmpolitischer Überlieferung und Schwerpunkten der Kritikergruppen möglich, zudem ein Rückbezug auf bereits in vorangegangenen Kapiteln vorgestellte Filmbeispiele und ihre Rezeption durch die Redaktionen. 257 Vgl. Motivi di un ricorso, in: Cinema Nuovo, Nr. 22, 1. 11. 1953, S. 263. 258 Vgl. die Briefe von Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 21. 10. 1954 und 17. 2. 1955, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 3. 259 Vgl. Lettere al direttore, in: Cinema Nuovo, Nr. 23, 15. 11. 1953, S. 289. 260 Vgl. Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 7. 3. 1955, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 3. 261 Vgl. Ajello: Intellettuali, S. 296–302; Kroll: Kommunistische Intellektuelle, S. 482. 262 Vgl. Nicola Tranfaglia: Presse und politisches System in Italien nach 1945, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 68 (1988), S. 484–508, hier S. 493 f.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur

Empörung, Protest und Polemik, die aus vielen ihrer Äußerungen sprachen, und die argumentativen Stoßrichtungen der Kritikergruppen gegen Filmzensur und anderweitig eingeschränkte künstlerische Freiheit lassen sie als vergleichbar erscheinen. Dennoch ist es aus zwei Gründen ratsamer, die beiden Länderbeispiele zunächst separat vorzustellen – allerdings immer wieder mit vergleichenden Querverweisen gespickt. Durch ihre in den 1950er Jahren bereits länger zurückreichende Berufserfahrung und die Einblicke einiger Redaktionsmitglieder in die Prozeduren und Hürden des Filmschaffens erschienen in der Cinema Nuovo detailliertere und regelmäßigere Auseinandersetzungen mit Filmpolitik als in der Filmkritik, deren Mitarbeiter jünger waren und zunächst aus einer Außenperspektive punktuelle Kritik an den entsprechenden Institutionen in der Bundesrepublik übten. Darüber hinaus wiesen die Filmpolitik in Italien und in Westdeutschland jeweils eigene Spezifika auf, die eine konsequente gemeinsame Erörterung der um sie entfachten Diskussionen erschweren. In Italien war die filmpolitische Zuständigkeit relativ eindeutig geregelt und fokussierte sich in den „sottosegretari dello spettacolo“ der christdemokratisch geführten Regierungen. Giulio Andreotti exerzierte durch seine Ausgestaltung des Amtes vor, was ihm in dieser und vergleichbarer Funktion bis Mitte 1958 seine Parteigenossen Teodoro Bubbio, Giuseppe Ermini, Giovanni Ponti, Oscar Luigi Scalfaro, Giuseppe Brusasca und Raffaele Resta als Ansprechpartner oder eben Reizfiguren nachtaten. Hinzu kamen die sehr präsenten filmkulturellen Einrichtungen und Bestrebungen der katholischen Kirche als weiterer Reibungspunkt. In der Bundesrepublik Deutschland waren die Zuständigkeiten und damit auch die Angriffsflächen für filmpolitische Kritik undeutlicher. Jürgen Kniep konstatiert angesichts der zahlreichen involvierten Ministerien und sonstigen Regierungsstellen: „Beim Film aber wollten sehr viele Stellen mitreden und jeweils eigene Ziele erreichen […]. Von einer gezielten Filmpolitik konnte kaum die Rede sein“, die mit einer hohen „Selbstverständlichkeit“ angestrengten Kontrollmaßnahmen und Einflussnahmen seien zuweilen „unkoordiniert und ineffektiv“ geblieben.263 Zusammengefasst verkörperte gerade die westdeutsche Filmpolitik der 1950er Jahre, in Ansätzen auch die italienische, eine Mischung aus filmischem Protektionismus und Patriotismus einerseits, latent moralisierender oder moralistischer Kritik an „der Industrie“ oder „dem Publikum“ andererseits. Aus der Sicht der strengen Autoren der Filmkritik hatten ihre Akteure und die maßgeblichen Vertreter der Filmwirtschaft dabei ohnehin viel zu geringe Qualifikationen und zu niedrige Ansprüche. Der Einstieg in die folgenden Skizzen zum filmwirtschaftspolitischen Klima der beiden Länder führt jeweils über ein Beispiel prägnanter Äußerungen von mit Film befassten Politikern: Aus Italien kommt zunächst Giulio Andreotti selbst zu Wort, aus Westdeutschland der langjährige Familienminister der CDU, Franz- Josef Wuermeling. Anschließend entfalten sich die weiteren Rundgänge durch die Filmkulturen und ihre nonkonformistischen Exponenten in beiden Ländern. Im Anschluss werden die filmpolitischen Belange und die über Filmfragen hinaus gesellschaftskritische und unkonventionelle Haltung der Filmpublizisten noch einmal 263 Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 102 und 109.

4.3 Die Zeitschriften im filmpolitischen Klima Italiens und Westdeutschlands

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eindrücklich vereint, wenn es nämlich um ihren Umgang und Kontakt mit dem Kino der Ostblockstaaten gehen wird. 4.3.1 Die filmpolitischen Konfliktfelder des Kreises um die Cinema Nuovo Der Unterstaatssekretär Andreotti veröffentlichte im Februar 1952 in der DC-Wochenzeitung Libertas einen Artikel, auf den immer wieder, auch in der Forschungsliteratur, angespielt wurde, da er symbolisch die filmpolitische Grundstimmung in Italien insbesondere gegenüber der neorealistischen Filmschule bündelte. In seinem Beitrag befasste er sich mit Vittorio De Sicas damals aktuellstem Film Umberto D., der den tristen Alltag eines notleidenden und einsamen alten Mannes schildert. De Sica und seine neorealistischen Kollegen seien mit ihren Filmen der Nachkriegszeit zu Weltruhm gelangt, wovon auch das italienische Kino insgesamt profitiert habe. Daraus, dass jedes neue Werk dieser Regisseure besondere Beachtung finde, leitete Andreotti aber auch eine besondere Verantwortung ab. Zwar habe sich De Sica dankenswerter Weise vom Kommunismus distanziert, Andreotti hielt es aber nicht für akzeptabel und der „sozialen Verantwortung“ des bekannten Filmemachers entsprechend, soziales Elend überzubetonen.264 Der Filmpolitiker zählte die gesammelten deprimierenden Tatsachen und Episoden aus Umberto D. auf und kam im Folgenden immer wieder auf den fehlenden, aber notwendigen Optimismus und die erforderliche Perspektive auf die Überwindung der Armut zurück. Bei aller angebrachten Kritik entstehe andernfalls weltweit ein falsches Bild Italiens, das Hilfsorganisationen und die solide Sozialgesetzgebung ausklammere – wie es in der bekanntesten Passage des Artikels hieß: E se è vero che il male si può combattere anche mettendone duramente a nudo gli aspetti più crudi, è pur vero che se nel mondo si sarà indotti – erroneamente – a ritenere che quella di Umberto D. è l’Italia della metà del secolo ventesimo, De Sica avrà reso un pessimo servigio alla sua patria, che è anche la patria di Don Bosco, del Forlanini e di una progredita legislazione sociale.265

Filmpolitisch empfindsame Leser konnten Andreottis wiederholte Forderung von „Optimismus“ oder „Ausgewogenheit“ als die erwartete Absage an Sozialkritik interpretieren. Er bedachte eine von De Sica angekündigte Italienrundreise auf der Suche nach neuen Filmstoffen mit der Hoffnung auf eine solche „optimistische“ Themenwahl und beschloss den Text mit einer recht selbstbewussten Zusammenfassung seiner Ansprüche und der „Pflichten“ des prominenten Regisseurs: „Ci sembra che il ruolo mondiale dal nostro regista meritatamente acquistato dia a noi il diritto di richiederlo e a lui il dovere di perseguirlo.“266 Andreottis Artikel erschien vor der Gründung der Cinema Nuovo, aber Guido Aristarco und seine späteren Mitstreiter positionierten sich bereits vor der Existenz ihrer eigenen Zeitschrift kritisch gegenüber den Äußerungen des „sottosegretario“, 264 Zitiert nach De Giusti (Hg.): Storia, S. 563. 265 Ebd., S. 564. 266 Ebd.

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was ja dazu beitrug, dass sie in der Cinema-Redaktion unter Druck gerieten und sich ein neues Wirkungsfeld schaffen mussten. In der Cinema antwortete Aristarco in einer Notiz unter seiner Rezension von Umberto D. auf Andreotti. Dessen Sorge, der Film und ähnliche Werke könnten das italienische Ansehen in der Welt beschädigen, erinnerte Aristarco auf unangenehme Weise an das metaphorische Schlagwort der „panni sporchi“, der schmutzigen Wäsche, die lieber im Verborgenen zuhause gewaschen werden solle. Als Privatmeinung Andreottis störe dies nicht weiter, sollten sich dahinter aber mehr oder weniger offizielle „Ratschläge“ von katholischer beziehungsweise christdemokratischer Seite verbergen, schätzte Aristarco dies als „schwerwiegend“ und „alarmierend“ ein.267 Wie der Kritiker einige Wochen später an seinen Kollegen Renzo Renzi schrieb, bescherte ihm dieser Kommentar Ärger und leitete bereits das Ende seiner Tätigkeit für die Cinema ein: „ha suscitato quasi un finimondo. […] La nostra rivista dà fastidio, e non poco.“268 Die regelmäßigen Polemiken gegen das filmpolitische „System“ mit all seinen Facetten, das Andreotti und seine diversen Nachfolger verwalteten, setzten sich ab Ende 1952 unter eigener redaktioneller Verantwortung in der Cinema Nuovo fort. Der DC-Politiker hatte in seiner Amtszeit von 1947 bis 1953 dieses „System“ aufgebaut und stabilisiert, mit dem Ziel, „assicurare al governo il controllo ideologico della cinematografia nazionale attraverso un complesso meccanismo burocratico ed economico“.269 Dieser „Mechanismus“, diese „Architektur“ Andreottis bündelten die zentralen Funktionen und Gremien der Kontrolle und Förderung des italienischen Films unter der Aufsicht des jeweiligen „sottosegretario“ im Ufficio centrale di cinematografia, bald in die Direzione generale dello spettacolo umgewandelt. Hier wurden beispielsweise die Unbedenklichkeit – „nulla osta“ – für italienische Produktionen und eingeführte ausländische Filme erteilt und gegebenenfalls durch Modifikationen am vorgelegten Material erwirkt, die verpflichtende Projektion einheimischer Filme überwacht oder die begehrten Prämien auf die Einspielergebnisse festgelegt und zugeteilt. Die Direzione steuerte die Kreditvergabe für Filmprojekte durch die staatliche Banca Nazionale del Lavoro – bei politisch missliebigen Antragsstellern war es möglich und üblich, dass Kredite ausblieben oder Prämien nur reduziert ausgeschüttet wurden.270 Die italienische Filmwirtschaft profitierte von den leichten protektionistischen Eingriffen und dem großzügigen Prämiensystem. Ab 1949 schwang sie sich für ein halbes Jahrzehnt zu einer der weltweit produktivsten Kinematografien auf. Die anschließende Krise der Jahre 1954 und 1955 zeigte allerdings umso deutlicher die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung. Das Filmgesetz, das etwa die Prämienvergabe beinhaltete, lief aus und wurde in mühsamen politischen Diskussionen 267 Vgl. Aristarco: Umberto D. (Cinema, Nr. 80, 1952), S. 84. 268 Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 14. 3. 1952, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 1. 269 Corsi: Con qualche dollaro, S. 46; zum Folgenden und den zitierten Begriffen, wenn nicht anders gekennzeichnet, vgl. auch ebd., S. 50 f. Für den entsprechenden Gesetzestext von 1949 vgl. De Giusti (Hg.): Storia, S. 557–563. 270 Vgl. Franco Vigni: Censura a largo spettro, in: De Giusti (Hg.): Storia, S. 64–79, hier S. 71; ders.: Buon costume e pubblica morale, in: Bernardi (Hg.): Storia, S. 65–74, hier S. 69.

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zunächst nur schleppend und kurzfristig verlängert. Die unsichere Aussicht auf weitere Zuschüsse lähmte viele Projekte, so dass die Zahl der hergestellten italienischen Filme stark abstürzte und etliche Firmen zu Grunde gingen. Erst ein neues, nur marginal abgewandeltes Gesetz von 1956, das für den Rest der 1950er Jahre Bestand haben sollte, löste die Krise auf – angesichts des gleichzeitigen Abschwungs der US-Filmwirtschaft sorgte der erneute Boom sogar dafür, dass die italienische Industrie für einige Zeit die erfolgreichste überhaupt wurde.271 Das von der Cinema Nuovo präferierte realistische Kino profitierte wie erwähnt kaum von den christdemokratischen Filmkonjunkturmaßnahmen, vielmehr dienten diese eher dazu, die Strömung einzudämmen. Die tendenziell linksgerichteten, realistisch inspirierten Filmschaffenden und ihre Kritikersympathisanten versuchten zwar, jede Gesetzesvakanz für rettende Initiativen zu nutzen, hatten aber nur zu einem frühen Zeitpunkt einen starken Bündnispartner gehabt. Angesichts der sehr starken Schwemme amerikanischer Filme auf den italienischen Markt schlossen sie sich 1949 mit dem Filmwirtschaftsverband ANICA zu einer „difesa del cinema italiano“ zusammen. Noch Jahre später wurden die Kundgebungen in Rom, auf denen viele Prominente des erfolgreichen italienischen Nachkriegskinos agitierten, beschworen. Als die ANICA-Funktionäre im Zuge dieser Proteste aber ihre Wünsche nach Prämien und verpflichtender Spielzeit für italienische Filme erfüllt sahen, sagten sie sich bald wieder vom Kampf für den Neorealismus los und konzentrierten sich auf die Produktion von Kassenschlagern. Für die gesellschaftskritischen Filmschaffenden war der Verband mit seiner taktischen Flexibilität ohnehin kein ideologisch zuverlässiger Kooperationspartner.272 Sie standen somit konstant vor dem Problem, zum Schutz ihrer realistischen Produktionen etwa vor der massenhaften Einfuhr von US-Filmen auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein, sich gleichzeitig dadurch aber den staatlichen Kontrollorganen stärker auszuliefern.273 Die Kritikergruppe um die Cinema Nuovo versuchte, sich diesem Dilemma zu entziehen, rang um Freiräume von staatlicher Kontrolle im Rahmen der staatlichen Förderung und war zumeist eher auf der Suche nach unabhängigen Produktionsformen. Mit eher allgemeinen Fragen zum Gesamtbild der italienischen Filmpolitik setzten sich die Autoren der Cinema Nuovo entlang der filmwirtschaftlichen Konjunkturlinien auseinander, das heißt, sowohl in der verhältnismäßig stabilen Phase unter Andreotti als auch in der Krise des auslaufenden Filmgesetzes. Weiter unten werden noch Detailaspekte des filmpolitischen Klimas in Italien und ihre Diskussion in der Zeitschrift beleuchtet – die Zensur, das Dokumentarfilmwesen und die Wochenschauen sowie schließlich die Filmarbeit der katholischen Kirche. Für die grundsätzliche Haltung der Gruppe zu Filmpolitik und Filmwirtschaft empfehlen sich zunächst hauptsächlich ihre Editorials als Quellen. Hier kommentierten sie einzelne Handlungen oder Aussagen der verantwortlichen Filmpolitiker, suchten 271 Vgl. Corsi: Con qualche dollaro, S. 53 f. und 65 f.; dies.: La ripresa produttiva, in: De Giusti (Hg.): Storia, S. 143–161, hier S. 160; Alberto Farassino: Produttori e autori della produzione, in: Bernardi (Hg.): Storia, S. 407–430, hier S. 407 f. 272 Vgl. Corsi: Con qualche dollaro, S: 38–45; dies.: La ripresa, S. 143 und 148; Mauro Morbidelli: La contesa politica sul cinema, in: De Giusti (Hg.): Storia, S. 53–63, hier S. 59. 273 Vgl. Corsi: Con qualche dollaro, S. 58.

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über offene Briefe oder Interviews den direkten Austausch mit christdemokratischen Repräsentanten oder räumten bisweilen diese publizistische Bühne für den Abdruck von Verlautbarungen des filmpolitisch sehr aktiven, kämpferischen Circolo del cinema aus Rom frei. Die Position der Cinema Nuovo zum „System“ Andreottis zeigte anschaulich ein Satz aus dem Editorial der vierten Ausgabe vom Februar 1953, in dem einmal mehr auch die politische und kulturelle Situation in Spanien als abschreckendes Szenario evoziert wurde: „è chiaro che il paternalismo sottilmente poliziesco (nonostante le affermazioni contrarie) dell’on. Andreotti, libero di manifestarsi senza opposizione, porterebbe anche noi alla situazione della Spagna, che vanta la peggiore cinematografia del mondo.“274 Einer der Nachfolger Andreottis wurde 1955 in einem Editorial mit einem Faschismusvergleich konfrontiert. Bei einer Pressekonferenz hatte der „sottosegretario“ Scalfaro seine Ansprüche an das Kino formuliert. Es solle im Wesentlichen der Unterhaltung, der Förderung des viel zitierten „Optimismus“ und der Entspannung nach harten Arbeitstagen dienen, ein Übermaß an sozialer Kritik vermieden werden. In einem dreiteiligen Moralkodex für das italienische Kino forderte er dazu auf, die „patria“, die Religion und religiöse Gefühle, zudem die Familienmoral vor Kritik, Herabsetzung oder Spott zu schützen.275 Für den oder die Verfasser des Editorials in der Cinema Nuovo war dieser konservative Dreiklang ein dramatischer Rückschritt auf das Filmverständnis berüchtigter faschistischer Filmfunktionäre.276 Tonfall und Frequenz der filmpolitischen Einlassungen von Seiten der Mailänder Zeitschrift verstärkten sich zwangsläufig in der italienischen Kinokrise zur Mitte des Jahrzehnts, den „ore drammatiche del cinema italiano“.277 Als im Frühjahr 1954 diese Krise mit stornierten Filmprojekten und ausbleibenden Finanzhilfen der Banken einsetzte, machten die Mitarbeiter der Cinema Nuovo dafür nicht nur die entmutigende Perspektive des auslaufenden Filmgesetzes verantwortlich, sondern auch ein filmpolitisch geschürtes Klima der Verunsicherung unter den Produzenten. Angestachelt von der „konformistischen“ Presse habe sich eine Panik vor einer angeblichen „roten“ Unterwanderung des italienischen Films entwickelt, auf die die Filmfunktionäre mit einer weiteren Verschärfung der Förderkriterien reagiert hätten; „Hexenjäger“ mit „schwarzen Listen“ gingen nun also auch im italienischen Film um.278 Der Kreis um die Cinema Nuovo intervenierte auf verschiedenen Kanälen279 und schaltete sich wiederholt mit detaillierten Analysen und Kommentaren in die zähen Diskussionen um die Verlängerung oder Neugestaltung der Filmgesetzge274 Paternalismo e censura (Cinema Nuovo, Nr. 4, 1953). 275 Zitiert nach Claudia Giordani: Antologia 1953–1999, in: Tatti Sanguineti (Hg.): Italia taglia, Mailand 1999, S. 21–146, hier S. 61 f. 276 Vgl. Il cinema e la Resistenza (Cinema Nuovo, Nr. 57, 1955). 277 Vgl. Le ore drammatiche del cinema italiano, in: Cinema Nuovo, Nr. 35, 15. 5. 1954, S. 264–268. 278 Vgl. Destinazione Spagna (Cinema Nuovo, Nr. 33, 1954). Ebenso Corsi: Con qualche dollaro, S. 42, Anmerkung 9. 279 Vgl. Opinioni sulla crisi, in: Cinema Nuovo, Nr. 34, 1. 5. 1954, S. 231; Domande all’on. Ponti, in: Cinema Nuovo, Nr. 44, 10. 10. 1954, S. 207.

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bung ein. Ein Gesetzesvorstoß des „sottosegretario“ Ponti beispielsweise löse zwar einige finanzielle Streitfragen, doch blieben die Zensurmechanismen unangetastet und verschärfe sich in ihm nur noch die politische Kontrolle über die Verteilung der Ressourcen.280 Die Zustimmung galt dagegen einem eigens abgedruckten Manifest des Circolo romano, in dem abermals das filmpolitische Abwürgen des Neorealismus beklagt und in der aktuellen Gesetzesdebatte darauf gedrängt wurde, die Filmfragen vom Zugriff der dem Ministerpräsidenten zugeordneten „sottosegretari“ und ihrer Direzione generale zu befreien und stattdessen einer wirklich demokratischen Kontrolle durch das Parlament zu unterstellen.281 Dass auf der Suche nach Ressourcen und Unterstützung für die sehnlichst erwarteten realistischen Filme von staatlicher Hand keine große Hilfe zu erwarten war, war also längst bekannt, auch in den Reihen der Cinema Nuovo. Im Bemühen um Produktionsstabilität hallte aber auch bei den Autoren der Cinema Nuovo der Bruch der Allianz des linken Filmschaffens mit den Filmwirtschaftsvertretern und damit einhergehend die Kritik an der „Industrie“ nach. Zu aufgesplittert in Einzelsparten mit jeweils sehr eigenen Interessenschwerpunkten erschien sie ohnehin, in jeder Phase der Filmkonjunktur. Politisch unzuverlässig oder zu angepasst wirkte beispielsweise die ANICA in der Diskussion um die Einführung einer Kommission zur „autocensura“ der italienischen Filmwirtschaft auf die Zeitschrift, schließlich kämen die ins Spiel gebrachten Personalvorschläge doch wieder nur aus einer einschlägigen ideologischen Richtung.282 In der Tat war die ANICA in ihrem Spitzenpersonal konservativ geprägt durch Mitglieder der DC oder auch etliche Veteranen aus den Strukturen der faschistischen Filmwirtschaft.283 Strategisch lieferten sich die Wirtschaftsvertreter in den Augen der Kritikergruppe zu sehr der staatlichen Unterstützung aus. Der Autor eines Editorials bemühte im Plädoyer für die stärkere Unabhängigkeit der Filmproduktion sogar die biblische Metapher des Linsengerichts: „Non si ceda insomma tutto per la mania dell’oro: fin dai tempi della Bibbia la rinuncia alla primogenitura per un piatto di lenticchie non si è dimostrata un affare conveniente.“284 Gegen Zensur und Vorzensur Eines der beherrschenden filmpolitischen Themen in der Cinema Nuovo war die in verschiedenen Stufen aufgebaute Filmzensur. Nach offizieller Auslegung der Rechtslage existierte eine Zensur in Italien eigentlich nicht; im Filmgesetz von 1949 fiel der Begriff jedenfalls nicht und die Verfassung der ersten Republik gewährte in verschiedenen Artikeln die Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Meinungsäu280 Vgl. Conclusioni, in: Cinema Nuovo, Nr. 64, 10. 8. 1955, S. 106. 281 Vgl. Manifesto del cinema italiano, in: Cinema Nuovo, Nr. 58, 10. 5. 1955, S. 327 f. 282 Zu diesen Kritikpunkten vgl. Cultura contro cultura?, in: Cinema Nuovo, Nr. 35, 15. 5. 1954, S. 263; Il cinema italiano disturba, in: Cinema Nuovo, Nr. 52, 10. 2. 1955, S. 87; Callisto Cosulich: La censura dai due piedi, in: Cinema Nuovo, Nr. 118, 15. 11. 1957, S. 248 f., hier S. 249. 283 Vgl. Corsi: Con qualche dollaro, S. 38 und 48. 284 Il cinema italiano disturba (Cinema Nuovo, Nr. 52, 1955).

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ßerung, sofern dabei nicht öffentliche Moral und Anstand oder die Prinzipien der Verfassung verletzt würden. Im Februar 1954 rekapitulierte Stelio Martini in der Zeitschrift allerdings anschaulich aus einem juristischen Vortrag beim römischen Circolo del cinema, dass mit der Commissione di revisione cinematografica, die unter der Aufsicht des „sottosegretario dello spettacolo“ alle Filme freizugeben hatte, de facto doch ein zensurähnlicher Apparat wirkte. Entscheidend seien einige Verordnungen und Formulierungen in der Nachkriegszeit gewesen, so auch im Gesetz von 1949: Diese bestätigten, dass die formale Grundlage der Filmkontrolle in Italien weiterhin eine Regelung von 1923 sein sollte – eine Regelung also aus faschistischen Zeiten. Diese sah einen relativ schwammigen Kriterienkatalog und großen Spielraum bei der Frage vor, welche Filme das existenzielle „nulla osta“ erhalten konnten. Die letzte Entscheidung darüber, so gab Martini den Referenten wieder, liege beim politisch Verantwortlichen, in den 1950er Jahren damit beim „sottosegretario“. Um eine Abfuhr eines bereits fertiggestellten Films zu vermeiden, versuchten die Produzenten nun, beim „sottosegretario“ auszuloten, wie die Chancen bestimmter Themen und Filmteams stünden. Aufgrund der Vielzahl der Anfragen landeten sie dabei zumeist bei untergeordneten Beamten der Filmpolitik, die wiederum vorsichtig gegenüber ihrem Vorgesetzten seien und umso strengere Vorgaben machten. In einer weiteren Verkettung führten diese unklaren Kriterien für Martini zu immer harmloseren und unverbindlicheren Filmprojekten: „La catena delle conseguenze non finisce qui poichè essa coinvolge, come è noto, altri campi, e cioè quelli dell’autocensura dei produttori stessi, dei soggettisti, degli sceneggiatori, dei registi“.285 Um Prämienzahlungen auf die Einspielergebnisse zu erhalten, mussten die Antragssteller ohnehin die Filmideen und auch Personallisten prüfen lassen, nach einer Verschärfung der Richtlinien durch den „sottosegretario“ Scalfaro galt dies für das komplette Drehbuch des geplanten Films.286 Wenn zudem die Filmpolitiker Andreotti, Ermini oder Scalfaro bei unerwünschten Filmen aktiv in den Freigabeprozess eingriffen oder die Direzione generale eine wirtschaftlich ruinöse Verzögerungstaktik anwendete, was ihr auf Grundlage der Regelungen durchaus möglich war, konnte sich insgesamt ein großer filmpolitischer und -ökonomischer Druck aus dem „Mechanismus“ Andreottis heraus entfalten. Reformansätze, die nur Details wie die Zusammensetzung der Kommissionen betrafen, waren daher für die Cinema Nuovo irrelevant. Ihre Vertreter schlossen sich den Forderungen des Circolo romano und seiner Eingabe an das italienische Parlament an, die Filmkontrolle der Intransparenz der Kommissionen und „sottosegretari“ zu entziehen und die Überwachung des Jugendschutzes, der öffentlichen Moral und der Verfassungstreue in die Hände der Judikative zu legen.287

285 Zitat und all diese Aspekte aus Stelio Martini: Non c’è ma si vede, in: Cinema Nuovo, Nr. 29, 15. 2. 1954, S. 82 f. 286 Vgl. De Giusti (Hg.): Storia, S. 559; Corsi: Con qualche dollaro, S. 54. 287 Mozione al Parlamento, in: Cinema Nuovo, Nr. 28, 1. 2. 1954, S. 39; eingehend mit den genannten Facetten der Filmpolitik befasste sich besonders auch Cosulich: La censura (Cinema Nuovo, Nr. 118, 1957), S. 248.

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Die Auswirkungen der tatsächlichen Zensur und Vorzensur waren gerade für die Filmprojekte aus dem realistisch geprägten Umfeld erheblich, wurden von der Cinema Nuovo konstant beklagt und lassen sich im Folgenden anhand einiger für die Kritikergruppe besonders wichtiger Filmbeispiele und Persönlichkeiten nachzeichnen. Luchino Viscontis Senso galt insbesondere Chefredakteur Guido Aristarco ja als Musterfilm des Realismus nach Georg Lukács – zumindest das, was letztlich von ihm noch vorgeführt werden durfte.288 Der Film war auf den verschiedenen Wegen der Vorzensur bearbeitet worden – im Rahmen der aus etlichen „consigli“ aus Beamtenkreisen bestehenden „unsichtbaren Zensur“289 – und musste zur Freigabe durch die Revisionskommission schließlich noch weitere Schnittauflagen erfüllen. Für die Cinema Nuovo rekonstruierte Umberto Lisi Anfang 1955 den Weg des Films durch die Instanzen der Zensur. Um die Premiere des Films in Venedig herum schaltete sich mehrfach das italienische Verteidigungsministerium ein und erreichte die Streichung einer Szene, in der die italienische Armee die Hilfe der freien Widerstandskämpfer schlichtweg ablehnt.290 Von Seiten der Commissione di revisione drohten zunächst weitere zwanzig Schnitte, die Produktionsfirma konnte mit ihrem Widerstand allerdings erreichen, dass im Wesentlichen nur noch einige Kuss- und Liebesszenen herausgenommen oder abgeändert wurden sowie eine Anspielung auf italienische Frauen, die sich mit österreichischen Soldaten eingelassen hatten.291 Angesichts der gesammelten Modifikationen zürnte Visconti dennoch, wie Lisi in der Cinema Nuovo zitierte: Perché, a esempio, tagliare mezza scena d’amore e lasciare l’altra metà? Perché tagliare a caso un certo numero di baci? […] Perché, infine, impedire che si accenni – anche di sfuggita – a un aspetto documentato della storia del nostro Risorgimento, ai rapporti cioè che esistevano fra l’ufficialità piemontese e i corpi dei volontari? Dovremo dunque mentire sempre? […] Accettando questo principio non ci sarà piú una sola censura, ma tante censure per quanti sono i ministeri.

Lisi wies noch einmal auf die unklaren Kriterien der Filmkontrolle hin, da es in Italien zur gleichen Zeit beispielsweise US-amerikanische Filme gebe, die deutlich freizügigere und auch autoritätskritischere Passagen beinhalteten. Er warf die Frage auf, „come possono soggettisti, sceneggiatori, registi e produttori ideare e realizzare i loro film […] se la censura continuerà a decidere in base a criteri tanto mutevoli, arbitrari e contraddittori?“292 Die untergründig wirkende Vorzensur oder die daraufhin in die Filmwirtschaft eingesickerte Selbstzensur waren anhand etlicher weiterer Filme Thema in der Cinema Nuovo. Der Regisseur Alberto Lattuada berichtete beispielsweise in der Zeitschrift von Dreharbeiten in der Basilikata im Süden Italiens und von „la censura, che oggi si esercita largamente in forma preventiva“ und die im Film nicht das 288 Für die Kürzungshinweise vgl. Aristarco: I leoni fischiati (Cinema Nuovo, Nr. 43, 1954), S. 170; ders.: Senso (Cinema Nuovo, Nr. 52, 1955), S. 112. 289 Vgl. Vigni: Censura a largo spettro, S. 68. 290 Vgl. Vigni: Buon costume, S. 71. 291 Vgl. die Datenbank des Projekts Italia taglia, http://www.italiataglia.it/search/1944_2000, scheda 10838. 292 Umberto Lisi: Paura della storia, in: Cinema Nuovo, Nr. 52, 10. 2. 1955, S. 88.

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soziale Elend und die Verzweiflung der örtlichen Bevölkerung, die ihn bestürzt und berührt hätten, übrig ließe, sondern nur malerische Landschaftsaufnahmen.293 Im Editorial der Ausgabe 14 zählte die Redaktion weitere Filmprojekte auf, die in den Fängen der Vorzensur hängen geblieben waren. Michelangelo Antonioni scheiterte mit einem Film über die Entstehung des Faschismus in der norditalienischen Provinz, Vittorio De Sica mit einer Liebesgeschichte zwischen einem neapolitanischen Mädchen und einem afroamerikanischen Soldaten und Giuseppe De Santis mit einem Entwurf über kalabrische Bauern und Landarbeiter, mit Noi che facciamo crescere il grano.294 Überhaupt war der mit der Cinema Nuovo gut bekannte De Santis als Mitglied des PCI ein besonders eindrückliches Beispiel filmpolitischer Blockaden. In einer Rezension wurde das traurige Misslingen seines Un marito per Anna Zaccheo auf seine politische Aktivität zurückgeführt und „qualcuno ha deciso che i comunisti devono avere la vita difficile.“ Statt Noi che facciamo crescere il grano blieben ihm also solche öden Stoffe, die er sichtlich lustlos abarbeite.295 Er blickte später auf seine gerade durch Andreotti erwirkte Außenseiterposition zurück – und auch sein Regiekollege Elio Petri erinnerte sich: „Prendiamo un De Santis, ad esempio; il fatto che fosse cosí esposto politicamente pesava molto sulla sua vita professionale.“296 Mit all den Hindernissen, die schon vor der Entscheidung über das „nulla osta“ warteten, waren die Filmpublizisten um die Cinema Nuovo bestens vertraut, da beispielsweise Renzo Renzi sich mit Regisseuren über Drehbücher und Filmideen austauschte. In den Briefen, die er von Filmemachern erhielt, finden sich anschauliche Erfahrungen mit dem filmpolitischen Parcours, den es zu absolvieren galt. Carlo Lizzani etwa schilderte ihm 1951, dass sich nicht jeder Regisseur alles erlauben könne und brachte dabei ebenfalls den Fall De Santis auf: Tu sai che certe cose sono permesse a certi registi, come per es. Germi, ma quando se ne interessa un regista comunista si sparge l’allarme e alla fine (vedi il caso De Santis col suo film sulla Calabria) pressioni e ‚suggerimenti‘ di ogni genere finiscono per scoraggiare anche il produttore più spregiudicato.297

Aus dem gleichen Jahr ist ein Eindruck Michelangelo Antonionis vom notwendigen Antichambrieren in Rom überliefert: Von dort schrieb er, er habe seit einigen Tagen „colloqui con quelli del Ministero; colloqui privatissimi, naturalmente. Voglio essere sicuro prima di presentare la cosa ufficialmente.“298 Es schien sich um das oben erwähnte Filmprojekt zur Anfangszeit des Faschismus zu handeln, wobei 293 Vgl. Alberto Lattuada: Ho lasciato Matera senza Matera, in: Cinema Nuovo, Nr. 5, 15. 2. 1953, S. 108 f. 294 Vgl. Il salario della paura (Cinema Nuovo, Nr. 14, 1953). Zu einigen der Filme vgl. auch Vigni: Censura a largo spettro, S. 68 f. 295 Vgl. Un marito per Anna Zaccheo, in: Cinema Nuovo, Nr. 20, 1. 10. 1953, S. 219. 296 Zitiert nach Franca Faldini / Goffredo Fofi (Hg.): L’avventurosa storia del cinema italiano raccontata dai suoi protagonisti 1935–1959, Mailand 1979, S. 216 f. 297 Carlo Lizzani an Renzo Renzi, Rom, 29. 8. 1951, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Epistolario, Lizzani, Carlo. 298 Michelangelo Antonioni an Renzo Renzi, Rom, 20. 1. 1951, ebd., Corrispondenza, Antonioni, Michelangelo – 1.

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knapp einen Monat später nach anfänglichem Optimismus doch Widerstände auftraten: „pare che tutto derivi da un ordine di Andreotti, secondo il quale io dovrei essere particolarmente seguito …“299 Auch die Zensur nach der Vorzensur, die so eigentlich nicht benannt werden sollte, die Arbeit der Commissione di revisione, fand über Senso hinaus Widerhall in der Filmzeitschrift Aristarcos. Die Kommission entschied auch über die Ausfuhrerlaubnis der italienischen Produktionen. Wie von der Cinema Nuovo beklagt, wurde diese etwa dem geschätzten Lizzani-Film Cronache di poveri amanti versagt.300 In den Unterlagen der Kommission weist eine handschriftliche Ergänzung auf dem Bescheid darauf hin: „richiamo l’attenzione sulla necessità che tale film non vada all’estero.“301 Der Unmut der Kritiker über die Behandlung von Luigi Zampas Anni facili von 1953 ist bereits in einem vorherigen Abschnitt geschildert worden.302 Wie aus den Kommissionspapieren hervorgeht, sollte dem Film in einer ersten Diskussion selbst die Freigabe für den heimischen Markt verweigert werden, da sich einige Funktionäre unter anderem an Szenen mit Geheimabsprachen zwischen Beamten und Politikern störten. Die Schnittauflagen wurden letztlich aber noch deutlich gelockert, auf einige Anzüglichkeiten und außenpolitisch brisante Anspielungen zum Konflikt um Triest begrenzt, und Anni facili konnte in Italien laufen. Bis in die späten 1950er Jahre blieb es aber beim Exportverbot aufgrund der angenommenen Rufschädigung Italiens; die Kommission „esprime parere contrario all’esportazione del film stesso in quanto esso può ingenerare all’Estero errati e dannosi apprezzamenti sul Nostro Paese.“303 Immer wieder wurden, wie bei Luchino Viscontis Bellissima, religiöse Anspielungen eliminiert und empfindlich trafen die kritisch gemeinten Filme stets auch die Verbote für die besonders kinointeressierten Zuschauer unter 16 Jahre, da sie den Absatzmarkt deutlich einschränkten. Unter den für die Kritikergruppe besonders relevanten Filmen waren dies neben vielen anderen Senso, Amore in città, Cronache di poveri amanti, Umberto D. oder auch die meisten Filme Antonionis. Die Kommission goss weiteres Wasser auf die Kritikermühlen der Cinema Nuovo, indem von ihr attackierte Filme wie Pane, amore e fantasia oder De Sicas USKooperation Stazione Termini weder Schnittauflagen noch Alterseinschränkungen ausgesetzt waren.304 Das Gesamtbild eines abzulehnenden Apparats rundet der Blick auf die in der Cinema Nuovo für diverse Gesellschaftsbereiche angeprangerte personelle Kontinuität zum Faschismus ab. Die zuständigen Institutionen waren durchsetzt von früheren Funktionsträgern des Regimes wie zum Beispiel dem Vorsitzenden der Direzione generale dello spettacolo, Nicola Pirro.305 Aus den Erinnerungen Mario Monicellis geht hervor, dass dies nicht nur der Zeitschrift filmisch und ideologisch gleichgesinnten Regisseuren unangenehm auffiel: 299 Michelangelo Antonioni an Renzo Renzi, Rom, 24. 2. 1951, ebd. 300 Vgl. Attualità del film antifascista (Cinema Nuovo, Nr. 55, 1955). 301 Datenbank Italia taglia, scheda 9106. 302 Vgl. Kapitel 4.2.1. 303 Datenbank Italia taglia, scheda 8584. 304 Vgl. für alle genannten Filme die entsprechenden Dokumente in der Datenbank Italia taglia. 305 Vgl. Vigni: Censura a largo spettro, S. 64; ders.: Buon costume, S. 69.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur Insomma, al Ministero dello spettacolo c’era una mentalità, un modo di guardare le cose, assolutamente fascista. Del resto il fatto non sorprende perché, con il crollo del fascismo, il Ministero della Cultura Popolare si era trasformato quasi di sana pianta in Ministero dello spettacolo, con gli stessi uomini, gli stessi capodivisione, la stessa ottica. Di conseguenza la mentalità era rimasta quella fascista e i tabú pressoché identici.306

Dokumentarfilme und Wochenschauen – politisch einseitig und ästhetisch minderwertig? Die Dokumentar- und Kurzfilme und die Wochenschauen in den italienischen Kinos – „documentari“, „cortometraggi“ und „cinegiornali“ – waren ein weiteres Feld, auf dem die Autoren der Cinema Nuovo eine fehlgeleitete Filmwirtschaftspolitik und politische Einflussnahme ausmachten. Gerade hinsichtlich der „documentari“ hatten sie dabei einschlägige persönliche Erfahrungen gesammelt. Zu dieser Zeit gab es nämlich, nicht nur im Milieu der linksgerichteten Filmpublizisten, sondern etwa auch unter katholisch geprägten Kritikern, viele personelle Überschneidungen zwischen Filmpresse und Dokumentar- und Kurzfilmschaffen. Aus dem Kreis um die Cinema Nuovo waren auf diesem Feld beispielsweise Renzo Renzi, Michele Gandin und Corrado Terzi sehr aktiv. Beide hier behandelten Bereiche, die Produktion von Dokumentar- und Kurzfilmen sowie die der Wochenschauen, wiesen in den 1950er Jahren in Italien deutliche Merkmale eines Oligopols beziehungsweise Monopols auf. Die staatliche Unterstützung von Dokumentarfilmen durch Prämien war anteilig an die Einnahmen der Spielfilme gekoppelt, in deren Vorprogramm sie verpflichtend gezeigt wurden. Strengere Qualitätskriterien wurden an sie nicht angelegt und so entwickelte sich für einige wenige Produktionsfirmen mit gutem politischen Draht nach Rom ein lukratives Geschäft, da für eher geringen Aufwand und verhältnismäßig uninspirierte, seriell heruntergedrehte Filme sichere Einkünfte winkten. Für unabhängige, kleinere Dokumentarfilmteams gab es kaum einen Markt. Mitte des Jahrzehnts wurden Qualitätsprämien eingeführt, allerdings gleichzeitig die automatische Koppelung an Spielfilmvorführungen aufgehoben, so dass es auf andere Weise schwierig blieb, überhaupt eine Abspielplattform für unbequemere Stoffe und Werke zu finden.307 Der Markt der Wochenschauen wurde klar von der Reihe La Settimana Incom beherrscht. Deren Muttergesellschaft INCOM stand unter der Leitung des christdemokratischen Senatoren Teresio Guglielmone, der mit seinen Kontakten und seinem Einfluss auf filmpolitische Regelungen allzu starke Konkurrenten auf Abstand halten und der Settimana dauerhaft garantierte Prämien und Einkünfte ermöglichen konnte.308 306 Zitiert nach Faldini/Fofi: L’avventurosa storia, S. 222. 307 Vgl. Marco Bertozzi: Il cinema documentario, in: De Giusti (Hg.): Storia, S. 289–305, hier S. 294; Roberto Nepoti: L’età d’oro del documentario, in: Bernardi (Hg.): Storia, S. 185–194, hier S. 185 f. 308 Vgl. Augusto Sainati: La cronaca filmata, in: De Giusti (Hg.): Storia, S. 93–102, hier S. 93 f.; ders.: Cinegiornali e identità nazionale, in: Bernardi (Hg.): Storia, S. 399–404, hier S. 399 f.

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Zunächst, noch zu ihren Zeiten bei der Cinema, setzten sich Guido Aristarco und seine Mitstreiter zumeist mit konkreten, politisch selektiven Entscheidungen zu Dokumentarfilmen auseinander, in ihrer eigenen Zeitschrift dann verstärkt auch mit dem Hintergrund, mit den filmwirtschaftlichen Ungleichgewichten und den gesetzlichen Mängeln. Wie die Kritik an Giulio Andreottis Äußerungen gehörten einige Vorstöße auf dem Gebiet des Dokumentarfilms zu den Beiträgen, die Aristarco in der Cinema ins Abseits manövrierten. Er verantwortete im Sommer 1952 eine kleine Notiz zur „Woche des italienischen Films“ in London. Es sei doch auffällig, dass nicht nur zu dieser Veranstaltung hauptsächlich Kurzfilme der christdemokratischen Sympathisanten Vittorio Sala, Gian Luigi Rondi oder Antonio Petrucci geschickt werden, während zum Beispiel Renzo Renzis Film Fidanzate di carta außen vor bleibe.309 Es folgte ein erboster Anruf aus Rom bei seinem Vorgesetzten Adriano Baracco. Aristarco erwartete sich ebenso von einem weiteren Beitrag „non poche noie, che sono però pronto a sostenere.“310 Und so erschien im August 1952 ein längerer Text Renzis in der Cinema, der nicht mit Einblicken in die filmpolitischen Hürden des kritischen Dokumentarfilms geizte und damit eine der letzten Handlungen der beiden Kritiker als Mitarbeiter der Zeitschrift darstellte. Renzi berichtete im Artikel über seinen Film Quando il Po è dolce. Dieser war eine Art Sozialenquete über die extrem rückständige Region des Podeltas, die im Auftrag einer Bologneser Entwicklungsbehörde begonnen worden war. Renzi war vor Ort auf Menschen getroffen, die dicht gedrängt in einfachsten Hütten ohne Trinkwasserversorgung hausten und sich von illegalem Fischfang ernährten. Er schilderte im Bericht die Isolation von den nächsten befestigten Siedlungen, die mühsame Anpassung an die Gezeiten des Flusses, die vormodernen und teils inzestuösen Familienverhältnisse der Deltabewohner.311 Obwohl dies alles nur stark abgemildert in die Dokumentation eingegangen und mit der Perspektive eines Strukturprogramms abgeschlossen worden sei, wurde der Film für das Festival von Venedig abgelehnt; er sei „deprimierend“ und „verunglimpfe die Nation“. Wie Renzi erfuhr, habe in der ablehnenden Kommission angeblich ein hochrangiger Funktionär aus faschistischen Zeiten gesessen. Mit seinen Kollegen ließ er nicht von der Sache ab und es gelang ihnen, ein Gespräch mit einem jungen Beamten der Ministerialbürokratie zu vereinbaren, um sich zu ihrer Dokumentation beraten zu lassen. Der Beamte habe zunächst nur wieder den „Optimismus“ und die „christliche Hoffnung“ nach Andreotti bemüht. Quando il Po è dolce habe er schließlich als künstlerisch sehr bedeutend gelobt, der Film müsse aber, da er von Armut erzähle, als kommunistisch eingestuft werden. Verblüfft und hilflos blieb das Filmteam zurück: „Era la prima volta che Cavallaro ed io sentivamo dire che la miseria in sé e per sé è comunista: infatti non avevamo mai saputo che la miseria fosse una ideologia.“ Für Renzi zeigte sich am Beispiel seines Dokumentarfilms das gesamte Problem der politisch einschlägig motivierten Filmbürokratie unterhalb Andreottis: 309 Vgl. Rider’s indigest (Cinema, Nr. 89, 1952). 310 Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 5. 8. 1952, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 1. 311 Vgl. Renzo Renzi: Quando il Po è dolce, in: Cinema, Nr. 92, 15. 8. 1952, S. 62–64 und terza di copertina, hier S. 62–64.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur Ma è certo che, almeno in Italia, questa specie di ‚sottogoverno‘ rappresentato dalla burocrazia centrale, esercita un peso non trascurabile, specialmente nelle cose della cultura. Infatti provvedimenti scandalosi, minacce, proibizioni, sono spesso iniziative private di funzionari i quali creano un clima particolare.312

Konsterniert holte er im Text noch weiter aus und fühlte sich an totalitaristische Propaganda faschistischer, aber auch sowjetischer Prägung erinnert, die vor den Bürgern positive Fakten aufblähe und alles Negative ausblende.313 Die Kollegen aus der Cinema Nuovo griffen Renzo Renzi und anderen, die sie als ausgegrenzte und benachteiligte Dokumentarfilmer sahen, später immer wieder publizistisch unter die Arme. Wieder bemängelte Guido Aristarco anlässlich des Festivals von Cannes im Mai 1953, dass die Konformisten Sala und Petrucci etwa Renzis Werken vorgezogen werden.314 Luigi Chiarini kombinierte in einer seiner Kolumnen Grundsatzkritik am filmpolitischen Rahmen des italienischen Dokumentarfilms mit weiterer filmkritischer Hilfestellung für Renzi, Michele Gandin oder auch die späteren Spielfilmregisseure Francesco Maselli, Florestano Vancini und Valerio Zurlini, die auf diesem Feld erste Schritte wagten. Sie alle hätten sich in ihren Filmen mit ihrem Sinn für die alltägliche Wirklichkeit und dem Drang, sie zu durchdringen und zu verstehen, bereits bestens für seine bevorzugte Spielart des Realismus qualifiziert. Doch würden sie eben durch die gesetzlich legitimierte „speculazione“, die das Prämiensystem im Dokumentarfilm ausgelöst habe, ausgebremst.315 Im Editorial der darauffolgenden Ausgabe knöpfte sich die Redaktion die Oligopole oder Monopole bei den Wochenschauen und den Dokumentarfilmen vor, die die Freiheit dramatisch einschränkten und in vergleichbarer Weise angetrieben seien von „comuni interessi di difesa conservatrice.“316 Besonders im italienischen Parlamentswahlkampf von 1953 spitzte sich die auf den Dokumentarfilm und die Wochenschauen bezogene Polemik in der Cinema Nuovo zu. Denn plötzlich häuften sich in ihren Augen die auffällig regierungsfreundlichen Beiträge, die die Kinozuschauer in den unterschiedlichen Formaten berieselten. Oreste Del Buono stellte fest: „E’ cominciata la marea dei cortometraggi preelettorali: piú del solito – il che potrebbe parere persino impossibile – vengono decantate le realizzazioni del regime.“317 Nicht nur Del Buono kritisierte die Mischung aus politischer Einseitigkeit und geringer filmischer Qualität, die die eilig angefertigten Streifen aufwiesen. Franco Zannino stimmte ein und verwies auf einen drastischen Vergleich des kommunistischen französischen Kritikers Georges Sadoul, der die Wochenschauen seines Heimatlandes so engmaschig kontrolliert sah wie den Völkischen Beobachter unter Joseph Goebbels. Die Lage der italienischen Wochenschauen mit ihrer treuen und gehorsamen Settimana Incom sei leider kaum anders. Zannino bemühte sich um eine Stilkritik und sezierte im Artikel vor 312 Beide Zitate ebd., S. 64. 313 Vgl. ebd., terza di copertina. 314 Vgl. Aristarco: In un festival (Cinema Nuovo, Nr. 10, 1953), S. 281. 315 Vgl. Luigi Chiarini: Le amarezze del documentarista, in: Cinema Nuovo, Nr. 7, 15. 3. 1953, S. 178. 316 La voce del silenzio, in: Cinema Nuovo, Nr. 8, 1. 4. 1953, S. 199. 317 Oreste Del Buono: I cortometraggi, in: Cinema Nuovo, Nr. 10, 1. 5. 1953, S. 284.

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allem die immer gleiche, harmlose Zusammensetzung der einzelnen Folgen aus Erfolgsmeldungen der Regierung und Elementen der Zerstreuung wie Gesellschaftsnachrichten, folkloristischen Szenen, Kuriositäten oder Sportereignissen, dazu einem Kommentar voller unverbindlicher Wortspiele und Witzchen.318 Nach dem Wahlkampf hob Renzo Renzi noch einmal auf den seiner Meinung nach sehr antidemokratischen Charakter auch vieler Dokumentarfilme ab. Sicher sei es möglich, einfach nur Bebilderungen der Regierungserrungenschaften aneinanderzureihen – „Ma noi sappiamo che manca chi ci racconti il non fatto, il fatto male, il fatto ingiustamente.“ Wie zu schlimmsten faschistischen Zeiten dekretierten die Filme „Wahrheiten“ von der Leinwand herab. Sie schüfen keine Gesprächsgrundlage für den von Renzi so geschätzten argumentativen Austausch mündiger Bürger, deren Intelligenz somit massive „Gewalt“ angetan werde. Im Zentrum stünden die tatkräftigen Regierungsvertreter, wie Renzi bemerkte, oftmals in heldenhafter Pose von unten aufgenommen: „Perché questa è l’arte dei funzionari che vogliono sentirsi eroi“. Diese Wochenschauen und Dokumentarfilme empfand der Kritiker im Wortsinne als undemokratisch, denn die Politiker führten durch sie vor, dass ihnen „non importa nulla della gente, del popolo per il quale hanno operato e che è sempre il protagonista vero.“319 Es waren gerade diese beobachteten Befangenheiten, die die Gruppe um die Cinema Nuovo immer wieder in Richtung einer Neugestaltung der Dokumentarfilmgesetzgebung intervenieren ließen – durch offene Briefe an Giulio Andreotti oder ein Editorial, das forderte, den „scandalo dei documentari“ und die „speculazione“ zu beenden und dieses Genre endlich seinen gedachten Zwecken zuzuführen: einen Bildungsauftrag für das breite Kinopublikum zu erfüllen und gleichzeitig talentiertes Personal für das italienische Kino zu entdecken und zu fördern.320 Cinema Nuovo und die katholische Filmarbeit Wer im Italien der 1950er Jahre einen Spiel- oder Dokumentarfilm drehte und auf breite Resonanz sowie gute Einspielergebnisse hoffte, musste nach dem beschriebenen filmpolitischen Parcours durch bürokratische Kontrolle und Förderungssysteme eine weitere Hürde und weitere Einschränkungen fürchten: die langen Arme der kirchlichen Filmarbeit, die ebenfalls Einfluss auf die endgültige Form und den Erfolg der Produktionen nehmen konnten. Dies lief insbesondere über das Centro Cattolico Cinematografico (CCC) mit seinen wöchentlichen Empfehlungen zu allen kursierenden Filmen, ob sie etwa „per tutti“, nur für „adulti“ oder im Zweifelsfall gar „escluso per tutti“ eingestuft wurden. Diese Ratschläge hingen in nahezu allen Kirchen Italiens aus und strahlten von dort in die Gemeinden und gerade in 318 Vgl. Franco Zannino: Attenzione! Sul binario 1 arriva la nuova Italia, in: Cinema Nuovo, Nr. 12, 1. 6. 1953, S. 347 f. 319 Renzo Renzi: L’arte dei funzionari, in: Cinema Nuovo, Nr. 13, 15. 6. 1953, S. 382 f. Zur Schaffung von „consenso“ in den „cinegiornali“ vgl. auch Sainati: La cronaca filmata. 320 Vgl. Michele Gandin: Lettera aperta all’on. Andreotti, in: Cinema Nuovo, Nr. 1, 15. 12. 1952, S. 20; Lo scandalo dei documentari, in: Cinema Nuovo, Nr. 23, 15. 11. 1953, S. 295.

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die gemeindeeigenen Kinosäle hinein. Ursächlich für abratende Urteile waren oft freizügige Szenen, aber der CCC protegierte prinzipiell auch das gesellschaftliche und politische „Establishment“, setzte sich also für Ehe- und Familienmoral ein und wandte sich gegen allzu negative Zeichnungen von Politik und Alltag in Ita lien.321 Bisweilen wurden die Urteile des CCC auf der Gemeindeebene nach eigenen Zensurschwerpunkten umgesetzt oder noch ergänzt, wie zum Beispiel der Publizist Goffredo Fofi aus seiner Jugend in einem Dorf in Umbrien erzählte. Als Ministrant verfolgte er, wie der Priester die Filme für die Projektionen bearbeitete und dabei, wie andernorts seine Kollegen, teils nach Gutdünken waltete: Era una censura vaticana, ‚pacelliana‘ potremo chiamarla. Erano i preti che decidevano cosa e come mostrare. I preti a livello nazionale con le Guide del Centro Cattolico e i preti a livello locale, di paese, che ci potevano aggiungere di loro qualche casualità, qualche bizzarria, qualche mania privata.322

Die Kritiker um die Cinema Nuovo setzten sich in vielfältiger Weise regelmäßig mit diesem filmkulturpolitischen Nebenstrang auseinander. Thematisiert wurden der CCC und weitere Facetten der kirchlichen Filmarbeit immer wieder en passant in Editorials und sonstigen Beiträgen und besonders drei Autoren der Zeitschrift widmeten sich ihm in unterschiedlichen Formaten. In den ersten fünf Jahren des Bestehens gab es gelegentlich Berichte von Lino Del Fra über katholische Filmkonferenzen, Carlo Falconi verfasste eine mehrteilige Serie über verschiedenste Fragen von Kirche und Film und aus Rom brachten einige Kolumnen von Enrico Rossetti Einblicke hinter die Kulissen des Vatikans und der christdemokratischen Filmpolitik. Es gab in der Zeitschrift grundsätzliche, allgemein gehaltene Kritik und Polemik mit Blick auf die katholische Kirche und ihre Kultur- und Filmarbeit. Grundsätzlich wurde beispielsweise Cecilia Mangini, die eine „inerzia religiosa“ ausmachte und damit die Blindheit und Hilflosigkeit des Klerus in kulturellen Fragen sowie dessen häufige Kunst- und Intellektuellenfeindschaft treffen wollte.323 Grundsätzlichere Töne nahm auch die Reaktion Carlo Falconis auf die Enzyklika Miranda prorsus von 1957 an. Papst Pius XII. befasste sich darin mit den modernen Massenmedien Radio, Kino und dem zunehmend verbreiteten Fernsehen. Er bestätigte die aus früheren Enzykliken und Verlautbarungen bekannte Notwendigkeit, Medienangebote im Sinne der katholischen Kirche und durch die entsprechenden Institutionen vorab für die Gläubigen zu überprüfen. Wie in weiteren Ansprachen zur Mitte des Jahrzehnts zeigte sich zudem in Miranda prorsus der päpstliche Anspruch, nicht mehr nur defensiv über Empfehlungen und Verbote zu reagieren, sondern aktiv die zeitgemäßen Kommunikationsmittel für die Verbreitung der katholischen Botschaften zu nutzen.324 In seinem Text für die Cinema Nuovo störte sich Falconi zunächst 321 Vgl. Livio Fantina: I giudizi del CCC, in: De Giusti (Hg.): Storia, S. 80–92, hier S. 80 f. und 85–91. 322 Zitiert nach Giordani: Antologia, S. 81. 323 Vgl. Cecilia Mangini: Neorealismo e marxismo, in: Cinema Nuovo, Nr. 68, 10. 10. 1955, S. 265–267, hier S. 266. 324 Vgl. Raffaele De Berti: Dalla Vigilanti cura al film ideale, in: Ruggero Eugeni / Dario E. Viganò (Hg.): Attraverso lo schermo. Cinema e cultura cattolica in Italia, Bd. 2: Dagli anni Trenta agli anni Sessanta, Rom 2006, S. 79–100, hier S. 100.

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am ersten Teil der Enzyklika. Aus diesen allgemeinen Überlegungen las er heraus, dass Pius XII. für den Katholizismus unter allen Religionen und Weltanschauungen die alleinige, weil einzig göttliche Wahrheit reklamierte, der ein privilegierter Zugang zu Massenmedien gewährt werden solle. Allerdings, so erwiderte der Kritiker in liberaler Argumentation, non è affatto compito dei ‚pubblici poteri‘ esaminare le lettere credenziali delle varie Chiese e decidere se, e in qual misura, la verità sia in una piuttosto che nell’altra; mentre è loro dovere assicurare il rispetto della verità presente in ciascuna e quindi il garantire egualmente i diritti di ogni religione alla diffusione della propria verità.325

Die im Folgenden in der Enzyklika transportierten Moralvorstellungen unterstrichen für Falconi ohnehin nur weiter die katholische „pedagogia del nascondere“, die das Publikum zur braven Herde degradiere. Beunruhigender schätzte er die offensive Ausrichtung der Schrift ein, die, statt nur an die Gläubigen, an alle Filmschaffenden appelliere und die katholischen Organisationen animiere, selbst etwa im Filmwesen aktiv zu werden. Falconi witterte Einschüchterungen im Zeichen der hier einmal mehr zitierten „spagnolizzazione dell’Italia“.326 Die konkrete Kritik der Mailänder Redaktion an der katholischen Filmarbeit drehte sich vielfach um die Rolle des Centro Cattolico Cinematografico. Callisto Cosulich zitierte Stimmen, der CCC sei die eigentliche Zensur, und Statistiken, dass seine Verbote für unter 16-jährige den Filmen bis zu 30 % Einnahmeeinbußen bescheren könnten.327 Überlegungen, eigene Produktionsfirmen aufzuziehen und direkt auf dem Filmmarkt aktiv zu werden, habe die katholische Filmstelle zwar verworfen – aber schlicht, weil die indirekte Teilnahme über Kontrollen und Bewertungen deutlich erfolgversprechender sei. Gerade das Zusammenspiel zwischen dem CCC und dem Verband der katholischen Kinobetreiber ACEC mit seinen tausenden Spielstätten entfaltete, wie Falconi und auch Lino Del Fra skizzierten, eine enorme Definitionsmacht im italienischen Film: „Escludere un film dal vasto circuito cattolico significa […] un danno non indifferente che spaventa la produzione e la spinge all’autocensura.“328 Del Fra zeigte sich auch anlässlich eines Kongresses in Varese kritisch gegenüber Einzelaspekten der katholischen Filmkultur. Die Veranstaltung im Herbst 1954 befasste sich aus christlicher Perspektive mit dem Neorealismus und war als eine Replik auf die gesellschaftskritische Konferenz in Parma im Vorjahr, bei der neben anderen Renzo Renzi gesprochen hatte, gedacht. Der Autor bemängelte das Realismusbild der meisten Vortragenden; die Theologen oder katholisch inspirierten Philosophen aus dem In- und Ausland nähmen eine „deformante prospettiva“ ein und verlören sich in Metaphysik oder soziologisch unbefriedigenden Individualismen

325 Carlo Falconi: 6.000 parole per una resa a discrezione, in: Cinema Nuovo, Nr. 116, 15. 10. 1957, S. 195 f., hier S. 195. 326 Ebd., S. 196. 327 Vgl. Cosulich: La censura (Cinema Nuovo, Nr. 118, 1957), S. 249. 328 Lino Del Fra: Chiedono che i film vengano battezzati, in: Cinema Nuovo, Nr. 16, 1. 8. 1953, S. 87 f., hier S. 87; vgl. auch Carlo Falconi: Cinquemila sale con l’angelo custode, in: Cinema Nuovo, Nr. 38, 1. 7. 1954, S. 362–364.

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und Existenzialismen.329 Insgesamt hatte Del Fra viel Spott für die Organisation in Varese übrig. Der zur Eröffnung angerufene Segen Gottes habe angesichts der „assoluta assenza di dialogo“ auch nicht zu den gewünschten produktiven Diskussionen und zu nennenswerten Ergebnissen beitragen können, zumal die Präsenz christdemokratischer Filmpolitiker die Teilnehmer sicher weiter gehemmt habe.330 Die Experten für katholische Filmarbeit in der Cinema Nuovo widmeten sich ihr auch so ausführlich, um teils genüsslich, teils hoffnungsvoll, interne Widersprüche und Konflikte aufzuspüren. Beim Neorealismuskongress in Varese habe ein französischer Schriftsteller mit seiner Kritik an der Filmzensur immerhin Momente verblüffter Stille, anschließend scharfe Widerrede ausgelöst. Beim gleichen Kongress war Lino Del Fra allerdings zudem sehr enttäuscht, dass die in der katholischen Filmarbeit durchaus vorhandenen jungen, unabhängigen und kritischen Geister, die „giovani turchi“, „stumm wie Fische“ geblieben seien, und nicht einer von ihnen einmal den Versuch vorgebracht habe, das italienische Kino in einem gesellschaftlichen Zusammenhang zu interpretieren.331 Divergenzen beobachtete Del Fra gleichermaßen im Kontext mit der katholischen Filmclubbewegung der Cineforum, die der belgische Dominikanerpater Félix Morlion in Italien installiert hatte und in der ein liberalerer und fortschrittlicher Zugang zum Medium vorherrschte.332 Zu guter Letzt waren es besonders die römischen Berichte von Enrico Rossetti, die die innerkatholischen Strukturen und Konflikte aufdecken sollten. Exemplarisch für Reform und Gegenreaktion war dabei die Aufregung um einige freizügigere Plakate für französische und italienische Filme. Der „sottosegretario“ Brusasca hatte in der Spielzeit 1956/57 eine etwas laxere Freigabepraxis für Filmwerbung und auch für Filme selbst etabliert. Befeuert durch strenge Papstreden schlug die konservative Filmpolitik aber bald zurück. Die Pressechefs der beteiligten Filmfirmen wurden wegen „pubblicazioni oscene“ juristisch belangt und Brusasca geriet unter politischen Druck, der dafür sorgte, dass er nicht mehr lange amtierte: Ora, proprio per questa dimostrata larghezza di vedute, l’on. Brusasca è stato posto sotto accusa, e dagli stessi uomini del suo partito, con alla testa, piú secco di tutti, un ministro in carica, l’on. Andreotti, che evidentemente non vuole rinunciare alla sua antica posizione di regolatore del cinema nazionale.333

Rossetti zeichnete nun in zwei Beiträgen das Bild eines intriganten Sumpfes in der DC und im Vatikan, der wesentlich verantwortlich für diesen repressiven Umschlag gewesen sei. Hinter dem Druck auf Brusasca hätten personalpolitische Differenzen mit Andreotti gestanden, hinter der umfangreichen Kampagne gegen die Filmplakate und die Verantwortlichen aus der Filmwirtschaft ein aufstiegswilliger Kleriker,

329 Vgl. Lino Del Fra: Battezzata a Varese la poetica dei teologi, in: Cinema Nuovo, Nr. 44, 10. 10. 1954, S. 211–213, hier S. 212. 330 Vgl. ebd., S. 211. 331 Vgl. ebd., S. 212 f. 332 Vgl. Del Fra: Chiedono (Cinema Nuovo, Nr. 16, 1953). Zur katholischen Filmclubbewegung vgl. beispielsweise De Berti: Vigilanti cura, S. 92–95. 333 Enrico Rossetti: Brusasca sotto processo, in: Cinema Nuovo, Nr. 104, 1. 4. 1957, S. 198.

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der das Missfallen des Papstes an der Werbung für Poveri ma belli taktisch ausnutzen wollte.334 Das Ergebnis dieser Manöver bedauerte Rossetti und mit ihm die gesamte Redaktion, denn es habe zuvor Hoffnung gegeben, „che la censura poteva liberarsi via via dei tanti tabú da cui era vincolata, e divenire degna di un paese moderno democratico tollerante“.335 Es war eben die Hoffnung auf eine Liberalisierung der filmpolitischen Strukturen mit ihrem Zusammenspiel zwischen christdemokratischen Funktionären und katholischen Organisationen, die die Gruppe um die Cinema Nuovo nach Bruchstellen in der kirchlichen Filmkultur suchen ließ. Des Weiteren fügte sich die Suche nach Ansprechpartnern auch auf katholischer Seite in die allgemeine Ausrichtung der Zeitschrift. Der Direktor Aristarco war zwar linksgerichtet und filmtheoretisch bisweilen dogmatisch eingestellt, doch versuchte er, sich nicht an konkrete parteipolitische Positionen etwa des italienischen Kommunismus zu ketten, und ließ Vielstimmigkeit und unorthodoxe Meinungen in seiner Publikation zumindest bis zu einem gewissen Ausmaß gewähren. So sah Lino Del Fra auch in der Praxis der katholischen Cineforum die Potenziale eines fruchtbaren Austausches, einer „reale dialettica culturale che in Italia troppo spesso manca“,336 liegen. Der ohnehin unkonventionelle und undogmatische Kritiker Renzi bedauerte, dass sich die Kirche in Italien obsessiv auf die Eliminierung des Neorealismus gestürzt habe, anstatt die thematischen Gemeinsamkeiten zwischen der Filmschule und dem Katholizismus zu erkennen und als Gesprächsgrundlage zu nutzen.337 4.3.2 Das westdeutsche filmpolitische Klima zur Entstehungszeit der Filmkritik In der Einführung zu diesem Kapitel ist die bundesdeutsche Filmwirtschaftspolitik bereits ansatzweise als ein recht diffuses und kompliziertes Untersuchungsfeld vorgestellt worden. In der unklaren sektoralen Zuständigkeit rangen regelmäßig verschiedene politische Stellen um eine Balance zwischen Protektionismus und Filmpatriotismus, die den westdeutschen Film insbesondere gegenüber den schier endlosen, erfolgreichen US-Importen stärken sollten, und Möglichkeiten des kontrollierenden Zugriffs auf die durch die Förderung entstehenden Werke nach „sittlichen“ oder auch „staatspolitischen“ Kriterien. Bei Gelegenheit wurden die filmpolitischen Schritte und Verlautbarungen der Adenauer-Regierungen durch die anderen Parteien zur Profilierung genutzt und standen ebenso unter konstanter Beobachtung durch die lobbyistischen Organisationen und die Branchenblätter der Filmwirtschaft. Orientierungspisten in die zeitgenössischen Debatten, in die Positionen und Interessenskonstellationen lassen sich anhand einiger Ereignisse von 1954 le334 Vgl. ebd. und ders.: Chi sta dietro a Miss Spogliarello?, in: Cinema Nuovo, Nr. 109, 15. 6. 1957, S. 358 f. 335 Rossetti: Brusasca (Cinema Nuovo, Nr. 104, 1957). 336 Del Fra: Chiedono (Cinema Nuovo, Nr. 16, 1953), S. 87. 337 Vgl. Renzi: Laici e cattolici (Cinema Nuovo, Nr. 61, 1955), S. 448; ähnliches in Paternalismo e censura (Cinema Nuovo, Nr. 4, 1953).

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gen: Auf eine Ansprache des christdemokratischen Familienministers Franz-Josef Wuermeling folgte eine größere „Filmdebatte“ im deutschen Bundestag und beides wurde durch die Filmwirtschaft ausführlich kommentiert. Filmfragen wurden in den 1950er Jahren einige Male im Bundestag, zumeist anlässlich von Details und kleineren Vorgängen, verhandelt. Hier aber ließen sich alle Parteien einmal ausführlicher zu verschiedenen Aspekten des Films ein, was einen übersichtlichen Einstieg in das filmpolitische Klima in den Jahren, in denen sich die Gruppe um die Filmkritik zu formieren begann, ermöglicht. Ende Januar 1954 sprach Franz-Josef Wuermeling im Düsseldorfer Landtag vor Familienverbänden zum Thema „Familie und Film“. In seiner Rede bezeichnete er einen großen Teil der Durchschnittsfilme als schädlich für Ehe, Familie und die Geschlechterbeziehungen in Deutschland. Zu viele Filme überbetonten „das Erotische“ der Beziehungen, bagatellisierten eheliche Untreue und dazu kämen noch „Frauenhelden, auf vornehm frisierte Prostitution – wer kennt nicht diese immer wiederkehrenden, jeden gesund denkenden Menschen anwidernden Themen von Filmen!“ Wuermeling sah sein Ideal der Ehe und dessen Grundwerte – „ernstliches“ Ringen um „die Erfüllung der Treupflicht“, „Opferbereitschaft für den anderen Teil, geduldiges Ertragen und Verzeihen der Schwächen des anderen“ – gefährdet. Zwar gestand er dem westdeutschen Filmschaffen zu, dass es zuletzt auch einige sehr sehenswerte und anständige Werke hervorgebracht habe. Doch die Mehrzahl der Produktionen hätte gerade auf die jugendlichen Kinobesucher einen verheerenden Einfluss, wozu der Minister Umfragen anführte, die Filmschauspieler als Vorbilder im realen Leben von Zuschauerinnen auswiesen. Die Verharmlosung von Seitensprüngen und die unrealistisch wohlhabenden Milieus, die in den deutschen Filmen grassierten, könnten Jugendlichen doch nur den tatsächlich anspruchsvolleren Ehealltag verleiden: Wie groß muß die Enttäuschung eines jungen Mädchens und eines jungen Mannes sein, wenn sie die Wirklichkeit des Ehe- und Familienlebens kennenlernen! […] Alles, was hier an aufopfernder Liebe, an harter Mühe und Arbeit von einer jungen Familie verlangt wird, muß diesen jungen Menschen als eine Last vorkommen, die ihnen ein unbarmherziges Schicksal aufgebürdet hat.338

Als Konsequenz aus seiner Kritik äußerte Wuermeling Verständnis für Forderungen, die Vergabe von Filmbürgschaften und ähnliche Förderungsmaßnahmen verstärkt an „staatspolitische Gesichtspunkte“ zu knüpfen. Einer Zensur mochte er dabei nicht das Wort reden, sondern hatte einen anderen Ansatz – der CDU-Politiker appellierte etwa an die versammelten Verbandsvertreter, selbst einzugreifen, und auch an die Filmwirtschaft, die von ihm befürchtete Erosion von Ehe und Familie als Grundlage „unserer abendländischen Gesellschaftsordnung“ aufzuhalten: Wenn in der Demokratie der Staatsbürger der Träger des Staates ist, dann hat er das Recht und die Pflicht, allem entgegenzutreten, was seinem Staate die Existenzgrundlagen entzieht. Nicht Staatszensur, sondern Volkszensur unseres kulturellen Lebens! Sie gilt es heute im Rahmen unserer Rechtsordnung zu mobilisieren.339

338 Alle Zitate aus Franz-Josef Wuermeling: Familie und Film, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 23, 4. 2. 1954, S. 185 f., hier S. 185. 339 Ebd., S. 186.

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Wuermeling unterhielt offensichtlich ein schwieriges Verhältnis zum Medium Film und vertraute bei seiner Rettungsmission der bundesdeutschen Ehen und Familien anscheinend eher dem jungen Fernsehen, das er „als Mittel, die Familienmitglieder aus dem Kino zurück an den häuslichen Ofen zu ziehen“ bezeichnete, wie ihn der Spiegel im gleichen Jahr zitierte.340 Als die Düsseldorfer Rede bekannter geworden war, die SPD-Fraktion darauf mit einer parlamentarischen Anfrage unter anderem zu Wuermelings Konzept der „Volkszensur“ reagierte und anschließend auch in einem Antrag der Unionsfraktion die Forderung nach „staatspolitischen“ Förderkriterien auftauchte, war im April 1954 die Zeit für eine größere „Filmdebatte“ des Bundestags gekommen.341 Der Familienminister bezog darin aus verschiedenen Richtungen scharfe Kritik für seinen Vorstoß. Zunächst sprach Ernst Paul von der SPD und wies den CDU-Politiker darauf hin, dass die filmwirtschaftliche Auswertung auch unangenehmer Themen nun einmal dem Kapitalismus, in dem „man aus Dreck Gold preßt“, entspreche, den dessen Partei ja unterstütze. Wuermeling hege ausgehend vom Film „Bestrebungen […] dunkler, sehr dunkler Art“, die Abschaffung der künstlerischen Freiheit. Das Abprüfen von „staatspolitischen“ Kriterien erinnerte Paul an die Prädikate der NS-Zeit und er proklamierte abschließend: Wir erklären: Zensur bleibt Zensur, auch wenn man das Wörtchen ‚Volks‘ voransetzt. Wir wenden uns gegen die Tendenz, die in den Äußerungen des Herrn Bundesfamilienministers zum Ausdruck kommt. Wir wenden uns gegen die Kulturreaktion, die darin anklingt. […] Hände weg vom deutschen Film und von der deutschen Kultur!342

Sein Fraktionskollege Heinz Kühn unterstellte Wuermeling, Institutionen wie das Bürgschaftssystem und die Freiwillige Selbstkontrolle mit religiösen Prinzipien und Vertretern unterwandern zu wollen und verwahrte sich gegen jede „Versuche einer Verkirchlichung unseres geistigen Lebens“.343 In eine ähnliche Kerbe schlug selbst die an der Regierung beteiligte FDP, in Person des Abgeordneten Erich Mende. Mende beklagte an zahlreichen lokalen Beispielen das Heranwachsen einer kirchlichen „Nebenzensur“, die teils über die verfassungsgemäßen Möglichkeiten hinausreiche und wandte sich zudem gegen den Antrag der Fraktion des Koalitionspartners zu Bürgschaftskriterien, gegen „gewisse Vorstellungen […] in der Mitte dieses Hauses“.344 Für Wuermeling sprang demgegenüber neben anderen Unionsabgeordneten Innenminister Gerhard Schröder in die Bresche. Wenn auch der Begriff der „Volkszensur“ womöglich missverständlich gewählt sei, so könne doch versichert werden, dass sich alle filmpolitischen Maßnahmen und Gedankengänge stets im Rahmen

340 Personalien, in: Der Spiegel, Nr. 34, 18. 8. 1954, S. 25. 341 Neben den Fragen der Filmkontrolle wurden auch etliche weitere, hier ausgeklammerte Aspekte wie der Umgang mit dem UFA-Vermögen behandelt. 342 Alle Zitate aus Redebeitrag Ernst Paul, 22. Sitzung, 2. 4. 1954, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages. 2. Wahlperiode 1953, Bonn 1954, S. 749–751. 343 Redebeitrag Heinz Kühn, ebd., S. 764. 344 Redebeitrag Erich Mende, ebd., S. 778–781.

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des grundgesetzlichen Zensurverbots bewegten.345 Grundsätzlich verteidigte Wuermelings Fraktion die Kontrollambitionen im Film, wie ein langjähriges Mitglied der Bundestagsausschüsse für Kultur oder Medien, Paul Bausch, näher begründete. Die Industrie produziere eben regelmäßig Untragbares, was eine entsprechende „Schreckenskammer“ bei der FSK problemlos belege. Dazu fehlten Teilen des Publikums verlässliche Urteilsmaßstäbe zur Qualität von Filmen. Darüber hinaus führte Bausch ein drittes Argument an, das aus der transnationalen Perspektive dieser Studie aufhorchen lässt: „Wohin schrankenlose Freiheit führt, das sieht man doch in Italien, wo nach verläßlichen Angaben von 14 führenden Filmproduzenten 4 eingeschriebene Mitglieder der kommunistischen Partei sind und 4 weitere zu ihren Mitläufern gehören.“346 Die bisher zitierten Äußerungen christdemokratischer westdeutscher Politiker zeigen damit Ähnlichkeiten mit ihren italienischen Gesinnungsgenossen; vergleichbare Konfliktfelder prägten die Auseinandersetzungen: die Furcht vor einer „roten“ Unterwanderung des Filmwesens etwa, dazu die Verteidigung von Prinzipien der Ehe- und Familienmoral, wie sie in Italien beispielsweise der „sottosegretario“ Scalfaro beschworen hatte. Familienminister Wuermeling nahm im Übrigen ebenfalls aktiv an der „Filmdebatte“ des Bundestags teil. Er versuchte, mit Passagen aus Schillers Don Carlos die Angriffe abzuwehren, was eher zu Tumulten, Zwischenrufen und weiterer Kritik führte.347 Über die Diskussion des Klerikalisierungsbegriffs und recht kleinteilige Streitigkeiten, ob der Minister von kirchlichen Kreisen verübte Stinkbombenangriffe auf missliebige Filmvorführungen befürwortet hatte oder nicht,348 faserte die Debatte allmählich ohne konkrete Resultate aus, Detailfragen wurden in die entsprechenden Ausschüsse weitergereicht. Für das filmpolitische Klima der Bundesrepublik der 1950er Jahre sind die angeführten Kritikpunkte an der Industrie, die Moralvorstellungen einflussreicher Filmpolitiker und die Kontrollabsichten – unter Berücksichtigung des dagegen aufgetretenen, parlamentarischen Widerstands – aufschlussreich. Ein Blick auf konstruktive Einlassungen, auf filmwirtschaftspolitische Ziele oder Ansprüche in den Beiträgen der „Filmdebatte“ des Bundestags fördert weitere Charakteristika dieses Klimas zutage. Der bereits mehrfach angeführte Filmpatriotismus ist dabei zu beobachten, dazu eine Vagheit in Bezug auf filmische Fragen, die auf die wenig tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Medium hindeutet. Richard Muckermann von der CDU brachte die Haltung seiner Partei auf den Punkt: „Die Bedrohung durch den ausländischen Film ist besorgniserregend. […] Wir brauchen den guten deutschen Film auch fürs Ausland. Er kostet viel Geld, zieht aber das Augenmerk des Auslands wieder stärker auf die deutsche Filmproduktion insgesamt.“349 Hinter die Forderung nach größerer Wettbewerbsfähigkeit des westdeutschen Kinos

345 Vgl. Redebeitrag Gerhard Schröder, ebd., S. 751; Redebeitrag Richard Muckermann, ebd., S. 758. 346 Zitat und die genannten Punkte aus Redebeitrag Paul Bausch, ebd., S. 770–773. 347 Vgl. ebd., beispielsweise S. 764–769. 348 Vgl. ebd., etwa S. 787, 789 f. und 792. 349 Redebeitrag Richard Muckermann, ebd., S. 757.

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stellten sich auch die Sozialdemokraten,350 wobei es Heinz Kühn argumentativ so wendete, dass ihr gerade die klerikal geprägte Filmkontrolle im Weg stehe.351 Doch wie sollten diese wettbewerbsfähigen Filme aussehen, welche Filme schwebten den mit Film beschäftigten Abgeordneten vor? Selten gingen die Aussagen hier über den „guten“ Film Muckermanns hinaus, es herrschte eben die vage Idee der „Förderung des guten, des hochwertigen Filmes“ vor.352 Ein wenig tiefer ließ Paul Bausch zum Abschluss seines Debattenbeitrags im Bundestag blicken. Grundzüge seines Filmverständnisses wurden offenbar und lassen in transnationaler Perspektive und in christdemokratischer Eintracht am Rande die ständigen Forderungen Andreottis nach „Optimismus“ und die Scalfaros nach „Zerstreuung“ durchschimmern: Unser Volk will den guten Film. Es will reine Entspannung, es will Ablenkung, es will heitere Unterhaltung. Es erwartet aber vom Film noch mehr. […] Unser Volk erwartet aber vom Film, daß er echte, konstruktive Antworten auf die großen brennenden Probleme des menschlichen Gemeinschaftslebens unserer Zeit gibt. […] Der deutsche Film wird dann eine Quelle der Kraft und der Ermutigung für unser Volk werden.353

Auf die Rede von Franz-Josef Wuermeling und die Bundestagsdebatte reagierten die Interessenvertreter der Filmwirtschaftssparten mit der absehbaren, wenig ausdifferenzierten Lobbystrategie, wie in den filmblättern, dem Film-Echo oder der Filmwoche nachzulesen war. Die Filmindustrie verwahrte sich stets gegen Kritik an ihren Erzeugnissen und jegliche Kontrollabsichten, die über die von ihr organisierte Selbstkontrolle hinausreichen sollten. Dazu kam eine permanente Agitation besonders der Kinobetreiber gegen die Vergnügungssteuer. Förderprogramme und ihr wohlgesonnene Ressorts oder Politiker waren natürlich eher willkommen. Dementsprechend waren in der Berichterstattung der Branchenblätter zu den Vorgängen im Frühjahr 1954 die Rollen vergeben. Familienminister Wuermeling erschien hier als „der Überflüssige“ und als „Sonntagsredner“, dessen Filmkompetenz angezweifelt wurde.354 Der Wirtschaftsverband SPIO schmetterte die „in hohem Maße unsachlichen und darüber hinaus in ihrer Verallgemeinerung diffamierenden Äußerungen“ ab.355 Wuermelings Auftritt im Bundestag könne „selbst bei Anlage überobjektiven Bemühens nur als sehr dünn bezeichnet werden.“356 Bei Ulrich Grahlmann von der Filmwoche blieb zudem noch Misstrauen in den Minister und seine vermuteten eigentlichen Absichten in der Filmpolitik: Warum also die Forderung nach staatspolitischen Gesichtspunkten, wenn man in der Debatte nur mit Selbstverständlichkeiten operieren konnte? Dr. Würmelings offensichtliches Herumgehen um diesen bedeutsamen Kernpunkt läßt den Verdacht nicht weichen, daß er und sein 350 Vgl. zum Beispiel Redebeitrag Hellmut Kalbitzer, ebd., S. 753. 351 Vgl. Redebeitrag Heinz Kühn, ebd., S. 763 352 Redebeitrag Ernst Paul, ebd., S. 750. 353 Redebeitrag Paul Bausch, ebd., S. 775. 354 Vgl. Wuermeling will „Bundes-Familien-Rat“ zusammentrommeln, in: filmblätter, Nr. 6, 12. 2. 1954, S. 155 und 158. 355 Horst Axtmann: SPIO antwortet Bundesfamilienminister, in: Film-Echo, Nr. 7, 13. 2. 1954, S. 163. 356 Horst Axtmann: Sechs Stunden Film im Bundestag, in: Film-Echo, Nr. 15, 10. 4. 1954, S. 371 f., hier S. 372.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur Ministerium sich doch sehr bald auf allen möglichen Wegen in die Gestaltung deutscher Filme einzumischen versuchen werden.357

Für die Branchenpresse hatte sich in der Debatte der Wert der FSK eindrucksvoll bestätigt. Liberale und auch sozialdemokratische Redner kamen in den Berichten besonders gut weg, da sie sich, wie beispielsweise der SPD-Abgeordnete Kühn, gegen weiterführende Restriktionen und Instanzen ausgesprochen hatten. Exemplarisch dafür freute sich Horst Axtmann, der Chefredakteur des Film-Echos, in seinem Kommentar darüber, „daß man in den angesprochenen Kreisen nunmehr darüber Bescheid weiß, wie genau derart profilierte Parlamentarier wie Dr. Mende über diesen sehr dunklen Punkt in der jungen deutschen Demokratie orientiert sind.“358 Dieses Muster aus filmpolitischem Vorstoß und filmwirtschaftlicher Abwehrreaktion wiederholte sich in den 1950er Jahren in Westdeutschland immer wieder.359 Als prägnantes Beispiel können noch die Berliner Filmfestspiele von 1958 herangezogen werden, da sich die an diesem Punkt entzündete Debatte zusätzlich, weiter unten, in der Filmkritik spiegeln lässt. Gerhard Schröder als Innenminister sollte anlässlich der Berlinale die Verleihung der jährlichen Deutschen Filmpreise mit einer Ansprache einleiten. Die Gremien seien aber nicht in der Lage gewesen, für alle zu verteilenden Preise würdige Empfänger ausfindig zu machen. Das Mengenverhältnis zwischen Durchschnittsware und Spitzenfilm stimmte für Schröder nicht, ebenso nicht der Höhenunterschied zwischen Gipfel und Ebene. Ach, wäre es nur immer eine kultivierte Ebene, wohin der Filmtheaterbesucher geführt wird, fände er beim Abstieg zwischen Höhe und Tal zuweilen ein ‚Wirtshaus im Spessart‘ und befände er sich nicht allzuoft unversehens in einer Niederung, bar jeden erfreulichen Anblicks.360

Schröder forderte abschließend Mut, Tatkraft und Aufbruch zu anspruchsvolleren Projekten von der Filmwirtschaft ein. Diese reagierte gereizt, da die ministerielle Kritik vor Festpublikum vorgetragen wurde. Außerdem erschien sie – das sollte ein Verweis auf etliche prädikatisierte deutsche Filme untermauern – „uns auch sachlich ungerecht“: Sicherlich steht dem Minister wie jedermann ein Recht auf Kritik zu – aber eine ‚Standpauke‘ […] vom preisenden Podium und vor dem festlichen Forum, fand falsche Zeit und falschen Ort. […] Unsere Offiziellen sollen davon abkommen, unsere Produktion als ‚Dummen August‘ zu behandeln.361

357 Ulrich Grahlmann: Trotz versöhnlicher Atmosphäre offene Fragen, in: Filmwoche, Nr. 14, 10. 4. 1954, S. 299. 358 Horst Axtmann: Vorder- und Hintergründiges, in: Film-Echo, Nr. 15, 10. 4. 1954, S. 372; vgl. auch Die große Filmdebatte im Deutschen Bundestag, in: Filmwoche, Nr. 14, 10. 4. 1954, S. 299. 359 Vgl. Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 87–90. 360 Ansprache des Bundesministers des Innern, Dr. Gerhard Schröder, bei der Verleihung der Deutschen Filmpreise 1958, Deutsche Kinemathek, Berlin, Berlinale-Archiv, WB 1958 1/2, Schlussbericht, Anlage 2, S. 25–28, hier S. 26. 361 R. S.: Misere, in: filmblätter, Nr. 27, 4. 7. 1958, S. 853; R. S.: Was die 8. Berlinale brachte …, in: filmblätter, Nr. 28, 11. 7. 1958, S. 893.

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Wie reagierte die junge Kritikergruppe um film 56, Filmkritik und F auf diese Gemengelage aus bundesdeutscher Filmpolitik und Filmwirtschaft? Zu Beginn ihres filmpublizistischen Schaffens verfügte sie bei weitem noch nicht über die vielfältigen Kontakte und Erfahrungen der italienischen Kritiker, die ihre Kenntnisse über die Vorgänge hinter den Kulissen beispielsweise des Dokumentarfilmwesens oder der katholischen Filmarbeit regelmäßig in die Polemiken einfließen ließen. Es blieb zunächst bei punktuellen Stellungnahmen oder Anspielungen zur Filmwirtschaftspolitik, diese fielen aber gewohnt pointiert aus. Seit Beginn der 1960er Jahre schaltete sich die Filmkritik dann deutlich ausführlicher und damit der Cinema Nuovo vergleichbarer in diese Belange ein, was weiter unten noch Thema sein wird. In den 1950er Jahren gab es verstreute Beiträge, teils allgemeine Einschätzungen des Politikfeldes, teils Spitzen gerade gegen die FSK, die FBW und die Filmbearbeitungen von filmindustrieller Seite. Enno Patalas mokierte sich 1954 in einem seiner ersten Artikel für die Neuen Deutschen Hefte über Kulturpolitiker und auch über die Bundestagsdebatte; im Text zielte er nicht so sehr auf die Ansichten und Absichten Wuermelings ab, sondern darauf, dass Vertreter aller politischen Couleurs die „mediokre einheimische Produktion“ trotz allem wieder recht milde behandelten, einzelne, von Patalas verschmähte Filme mit den üblichen, unverbindlichen „Feuilleton-Vokabeln“ zu Meisterwerken überhöhten.362 Die oben erwähnte Vergabe der Deutschen Filmpreise im Rahmen des Berliner Festivals diente Ulrich Gregor in zwei aufeinanderfolgen Jahren als Aufhänger für kritische Betrachtungen zur Lage des westdeutschen Films und besonders seines institutionellen Rahmens. In seinem Filmkritik-Editorial vom August 1957 war es neben anderen Entscheidungen die Kür von Alfred Brauns Stresemann, die zu einer düsteren Skizze des Zusammenspiels von Politik, Filmwesen und Publikum der Bundesrepublik führte: Die Institution des Bundesfilmpreises dient, wie alle ‚akademischen‘ Preise, lediglich zur Auszeichnung dessen, was seinen Weg, von den geltenden Überzeugungen sanktioniert, auch ohnehin machen würde. Das wirklich Neue, das Provokative, das Vorwärtsweisende paßt dagegen schlecht in die Optik einer festbestallten, staatserhaltenden Filmbewertung. Daß dieses Neue freilich in den allermeisten Fällen gar nicht erst an die Bildfläche kommt, ist nur die andere Seite desselben Problems.363

1958 verfolgte Ulrich Gregor in Berlin die Schelte des Ministers Schröder und die folgende Empörung der Filmbranche, der er in der F zwischen den Zeilen die Berechtigung und Glaubwürdigkeit absprach. Schröders Kritik begrüßte der Kritiker im Bericht, fragte sich aber, weshalb dann dennoch mit Nachts, wenn der Teufel kam von Robert Siodmak ein von der Filmkritik kritisch gesehener Film mit Preisen geradezu überschüttet wurde und weshalb gerade eine bekannte Heimatfilmproduzentin einen symbolisch wichtigen Preis in Empfang nehmen durfte.364 Für den Filmkritik-Kreis lag insgesamt in der unklaren Ordnung der politischen Zuständigkeiten und Fördermaßnahmen doch noch eine letzte Hoffnung für unkonventio362 Vgl. Patalas: Furcht vor der Verantwortung (Neue Deutsche Hefte, Nr. 6, 1954), S. 458. 363 Gregor: Berlinale 1957 (Filmkritik, Nr. 8, 1957), S. 114. 364 Vgl. Ulrich Gregor: Berlin: Im Westen nichts Neues, in: F, Nr. 3, 1958, S. 314–320, hier S. 315 f.

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nelles Filmschaffen. Das ging etwa aus einer Rezension zu einer Studie über die Filmwirtschaft hervor. Der Autor des Buches machte sich für eine zentral gesteuerte „Qualitätspolitik“ zur Förderung des bundesdeutschen Films stark. Der FilmkritikRezensent widersprach, sah er eben gerade „im organisatorischen Chaos“ letzte, wenn auch kleine Schlupflöcher des Nonkonformismus.365 Dementsprechend skeptisch wurde in der Gruppe die Neukonzentration der UFA Ende der 1950er Jahre gesehen. In einem Beitrag für die F verwies F. M. Bonnet auf Verbindungen der Unternehmensgruppe in die Großindustrie und zur Deutschen Bank. Seine Deutung der Neugründung war einschlägig für den Blick dieser Kritiker auf Kontinuitäten der deutschen Geschichte: „So liegt gewiß die Vermutung nahe, daß die neuen Herren der UFA im Film das gleiche Instrument sehen, wie einstmals der kaiserliche General, der deutschnationale Parteiführer und der NS-Propagandaminister: Die Meinungsbildung breiter Volksmassen in die gewünschte Richtung zu lenken.“366 FSK und FBW, Politik und Industrie: Dilettantismus und Ignoranz allenthalben? Indem sich die Autoren der Filmkritik die Freiwillige Selbstkontrolle immer wieder publizistisch vornahmen, trafen sie mit ihren Attacken gleichzeitig Filmpolitik und Filmwirtschaft, da diese Institution auf dem Zusammenspiel von Akteuren aus beiden Bereichen beruhte. Für die Filmkritik war die FSK ein naheliegendes, wenngleich nicht immer leicht greifbares Angriffsziel. Insgesamt überwogen in den Gremien der FSK angesichts der entsandten politischen Vertreter konservative Ansichten und in dieser Richtung fielen häufig die Freigaben oder etwaige Modifikationsauflagen für die gesichteten Filme aus.367 Abgesehen davon, dass die Urteile der Einrichtung beim Kinogang offensichtlich wurden im Hinblick auf Altersgrenzen, waren ihr Zustandekommen und ihre Begründungen für die Öffentlichkeit wenig transparent. Ihre Kritiker in der neu begründeten Filmzeitschrift mussten sich also zunächst an den publizierten allgemeinen Grundsätzen der FSK und den Ergebnissen ihrer Prüfungen abarbeiten und konnten sich weniger mit den internen Vorgängen auseinandersetzen. Die Selbstkontrolle der Filmwirtschaft geriet in der Filmkritik unter den Verdacht allzu prüder Sexualmoral, wenn durch grob gesetzte Schnitte der Filmfluss immer da ins Stocken geriet, „wo es ernst wird.“368 Andererseits beanstandete beispielsweise Enno Patalas zu großzügige Freigaben für Jugendliche – so geschehen bei The One That Got Away oder Never So Few, die er als verharmlosende, militaristische oder gar rassistische Kriegsfilme einschätzte.369 Zum Jahresbeginn 1958 365 Vgl. Filmliteratur, in: Filmkritik, Nr. 4, 1957, S. 64. 366 F. M. Bonnet: Die Auferstehung der UFA, in: F, Nr. 2, 1958, S. 192–196, hier S. 196. 367 Vgl. Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 163 und 165. 368 Enno Patalas: Wollen Sie mit mir tanzen? (Voulez vous danser avec moi?), in: Filmkritik, Nr. 2, 1960, S. 47. 369 Vgl. Patalas: Einer kam durch (Filmkritik, Nr. 2, 1958); ders.: Wenn das Blut kocht (Never So Few), in: Filmkritik, Nr. 6, 1960, S. 186.

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formulierte die Redaktion eine längere Liste „frommer Wünsche“, darunter „mehr Prinzipientreue und politische Weisheit bei der Selbstkontrolle“.370 Was genau damit gemeint war, führte besonders Gerhard Schoenberner differenziert aus. In der Filmkritik, in der F und auch in der sozialdemokratischen Zeitschrift Die neue Gesellschaft veröffentlichte er ab 1957 eine Reihe von Beiträgen zur Filmkontrolle in der Bundesrepublik. Diese möge zwar, schrieb Schoenberner, auf dem Gebiet der Moral und Sittlichkeit halbwegs funktionieren und – bei allem Spott in der Filmkritik – den Normen und Meinungen der Filmkonsumenten einigermaßen entsprechen. In gesellschaftspolitischen Fragen agiere sie aber zahnlos. Schoenberner empfand es als gravierend, wie viele eindeutig konnotierte Produktionen aus der NS-Zeit problemlos die FSK-Schranken passierten und noch mehr, wie viele aktuelle Filme ohne Beanstandungen nationalistisches, antidemokratisches und die deutsche Vergangenheit verklärendes Gedankengut verbreiten könnten.371 Der Kritiker wollte gegen Filme wie Solange du lebst, Unternehmen Edelweiß oder Der Stern von Afrika und ihre ungenierte Verbreitung vorgehen. Wie so oft in dieser Autorengruppe koppelte er dieses Engagement dabei an den gesellschaftlichen und historischen Kontext: So wäre es wahrscheinlich auch naiv, dieses Phänomen isoliert sehen und dagegen angehen zu wollen, das ohne den allgemeinen, gesellschaftlichen Zusammenhang weder begriffen noch wirksam bekämpft werden kann. Aber da es kaum weniger naiv wäre, auf allgemeine Veränderungen zu warten, müssen sich die Demokraten in diesem Lande auf dem Gebiet des Films wie auf allen anderen über die zweckmäßigste und sinnvollste Handhabung der vorhandenen Instrumentarien verständigen, um jene Tendenzen einzuschränken, die gerade im Film so virulent werden, weil sie über ihn wieder auf den allgemeinen Prozeß zurückwirken.372

Schoenberner schwebte gar nicht vor, die FSK abzuschaffen oder ihr komplett neue Grundsätze zu verschreiben, sondern er plädierte nur für die konsequente Anwendung der bestehenden Richtlinien. Dazu stellte er einen umfangreichen Katalog an ergänzenden Erklärungen zu diesen Richtlinien auf, deren exakte Umsetzung nun deutlich mehr Filmstellen herausfiltern könnte. Es kann hier aufgrund des Umfangs von Schoenberners Vorschlägen nur exemplarisch wiedergegeben werden, inwieweit er die vagen Prüfkriterien der FSK verstärken wollte. Er präzisierte zum Beispiel noch einmal, worin die „Verfälschung geschichtlicher Tatsachen“ am Beispiel der jüngeren deutschen Vergangenheit liegen könnte und sortierte unter „Förderung nationalsozialistischer Tendenzen“ die unterschwellige Verharmlosung und das Verschweigen des Nationalsozialismus sowie die auch indirekte Diffamierung seiner Widersacher ein.373 Schoenberner meinte abschließend: Auf diese Lesart sollten sich Demokraten einigen können. Natürlich wäre damit allein noch nicht viel erreicht, aber wenigstens den begrifflichen Unklarheiten und einer intellektuell unredlichen Argumentation, die sich auf sie stützt, würde so ein Ende gemacht. Wenn die Aufgabe der FSK heute politisch bestimmt ist, muß man auch Mittel und Wege finden, die sie in die Lage versetzen, ihr demokratisches Wächteramt in Unabhängigkeit und Verantwortung frei zu erfüllen und nicht nur den Buchstaben, sondern auch den Geist des Grundgesetzes entschie370 Fromme Wünsche, in: Filmkritik, Nr. 1, 1958, o. S. 371 Vgl. etwa Schoenberner: Hat die Filmselbstkontrolle versagt (Filmkritik, Nr. 9, 1957). 372 Gerhard Schoenberner: Neue Grundsätze für die FSK?, in: F, Nr. 1, 1958, S. 82–89, hier S. 83 f. 373 Vgl. ebd., S. 87 f.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur dener vor jenen Bedrohungen zu schützen, denen es immer mehr ausgesetzt sein wird, wenn wir nicht bereit sind, ihn zu verteidigen. Die FSK braucht keine neuen ‚Grundsätze‘, weil die alten nicht mehr ausreichen oder überholt wären, aber Grundsätze muß sie haben, denn ohne sie würde sie sich als Institution selbst ad absurdum führen.374

Mit ihrer Kritik an der Freiwilligen Selbstkontrolle – und an der Filmbewertung der Länder – nahm die junge Redaktion, wie Jürgen Kniep betont, in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik eine Vorreiterrolle ein.375 Die Institution war ansonsten in der westdeutschen Öffentlichkeit weitgehend akzeptiert und erst ab der Wende zu den 1960er Jahren mehrten sich in anderen Medien die Sinnfragen zur Filmkontrolle oder Debatten zu ihrer konkreten Ausgestaltung.376 Bis dahin entzündeten sich Kontroversen um die FSK und die Beteiligung der Politik abgesehen von der Filmkritik zumeist auf einer anderen Schiene. Abermals zeigte sich das sensible filmkulturelle Verhältnis von Filmpolitik und Filmwirtschaft. Letztere wollte ja im Wesentlichen unbehelligt durch direkte staatliche Kontrolle, allerdings unterstützt durch staatliche Gelder und Maßnahmen, weiter vor sich hin werkeln. Auf kritische Einwürfe beispielsweise der konservativen Minister Wuermeling und Schröder wurde, wie gesehen, empfindlich und scharf reagiert. Nun nominierte die Politik auch Vertreter für die FSK-Gremien, was besonders im Fall von Theo Fürstenau zu einigen Polemiken führte. Der Publizist und Filmclubaktivist wurde vom Bund zur FSK entsandt und vertrat einen hochkulturellen, bildungsbürgerlichen Anspruch an Filme.377 Fürstenau formulierte in dieser Zeit wiederholt harte Attacken auf den westdeutschen Filmproduktionsdurchschnitt. 1956 kam er als Sachverständiger in dem von Paul Bausch geleiteten Bundestagsausschuss für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films zu Wort und wurde sehr deutlich in seiner Forderung nach offiziellem Widerstand gegen manche Filme und die darin verbreiteten Muster und Ansichten: Ich meine die Verlogenheit des sozialen Milieus. Sekretärinnen leben in Filmen wie Ministerialdirektoren. Ich bedaure es aufs tiefste, daß solche Filme in der Öffentlichkeit nicht kompromittiert werden von Institutionen, die dazu berufen sind. Eine solche Institution ist nach meiner Ansicht der Bundestag. […] Der deutsche Film ist ja gar nicht erotisch. Das ist doch das senile Gestammel lendenlahmer Greise. […] Der deutsche Film ist nicht erotisch. Er ist höchstens in einer unerträglichen Weise ehrpusselig.378

1958 wehrte er sich mit anderen Delegierten im FSK-Ausschuss gegen Rolf Thieles Das Mädchen Rosemarie – nicht, wie die Rezensenten der Filmkritik, aufgrund der unkonkreten und alibihaften Gesellschaftskritik, sondern da der Film die bundesdeutschen Unternehmer in ein schlechtes Licht rücke und zudem moralisch verwerflich zur Prostitution animiere.379 Innerhalb der FSK überstimmt, legte er kurz 374 Ebd., S. 88 f. 375 Vgl. Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 110 und 128. 376 Vgl. ebd., S. 87 und 124. 377 Vgl. ebd., S. 148. 378 Stenographisches Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für Jugendfragen mit dem Ausschuss für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films am 3. 12. 1956, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestags, Berlin, 3117 A 2/10, Protokoll 42. 379 Vgl. Die notwendige Klarheit, in: Der Spiegel, Nr. 38, 17. 9. 1958, S. 58 f., hier S. 58.

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darauf in einem Vortrag beim jährlichen Filmclubtreffen mit harter Generalkritik am deutschen Film nach: „Die ohne Geist, Witz und Lebenseinsicht konzipierte Schablone möge absatzfähig bleiben, das ist der Wunsch deutscher Filmproduzenten, die irgendwelchen Aufwand an Ueberlegung und künstlerischer Bemühung nicht schätzen.“380 Bei nicht wenigen mit Film befassten Politikern und Beamten der 1950er Jahre kamen diese Vorstöße Fürstenaus gut an. Franz-Josef Wuermeling ließ einen Auszug aus dem „bedeutsamen“ Vortrag in der Unionsfraktion zirkulieren und auch im Innenministerium wurden im Rückblick seine Aktivitäten und Positionen geschätzt.381 Die Filmwirtschaftspresse, insbesondere die Kommentatoren der Westberliner filmblätter antworteten auf die „Pauschalverdammung“ durch „Mr. Antifilm“ Fürstenau wiederum in beleidigtem Ton, teils mit unverhältnismäßig drastischen Parallelisierungen. Das deutsche Kino bringe immer wieder hervorragende Werke hervor, und dies trotz der häufig niedrigen und wenig motivierenden Ansprüche des Publikums. Fürstenau übersehe dies alles und sei daher ein denkbar ungeeigneter FSK-Vertreter – der Autor untermauerte dies mit einem gewagten historischen Vergleich: Ein Mann, der grundsätzlich so gallebitter über den Film und seine Probleme denkt und schreibt, kann doch wohl nicht der Abgesandte des Bundes in der FSK sein. […] Die gallebittere Sprache des Doktors erinnert bisweilen an jene des beinahe vergessenen ‚kleinen Doktors‘, des ‚tausendjährigen‘ Filmdiktators.382

Als eine stärker wirtschaftspolitisch geprägte Hürde im Filmschaffen der frühen Bundesrepublik wirkte die von den Ländern organisierte Filmbewertungsstelle. Ihre begehrten Prädikate „wertvoll“ und „besonders wertvoll“ entschieden über Steuervergünstigungen der Aufführungen und damit über eine mit hoher Wahrscheinlichkeit größere Verbreitung der Produktionen. Ähnlich wie bei der FSK waren bei der FBW allenfalls die Ergebnisse für die Öffentlichkeit transparent, weniger die Beratungsprozesse in den Ausschüssen und die detaillierten Begründungen der Entscheidungen. Die Bewertungsstelle veröffentlichte 1958 eine Broschüre zur genaueren Erläuterung ihrer Prinzipien und Arbeitsweisen – doch die Ausführungen des dort aktiven Saarbrücker Philosophieprofessors Hermann Krings erschienen insgesamt weiter als recht vage und allgemein gehaltene Zeilen zu verschiedenen „Bildarten“ oder „Formen der Bewertung“. Immerhin hielt Krings darin einige Grundwerte fest, die gerade auch Filme transportieren sollten, wie die „Freiheit und Würde der Person“, die „Kardinaltugenden: Gerechtigkeit, Tapferkeit, Klugheit und Maß“, dazu die Achtung vor der Religion und dem religiösen Verhalten. Stoffe, die diese Grundtatsachen und Geltungen im Menschendasein mißachten, werden nicht als wertvoll beurteilt werden 380 Theo Fürstenau: Der Kinobesucher darf nicht behelligt werden. Anmerkungen zur Situation des deutschen Films, in: filmforum 7 (1958), Nr. 11, S. 2. 381 Vgl. Franz-Josef Wuermeling an die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, Bonn, 25. 11. 1958, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/485; Fuchs, Bundesinnenministerium, an Hendrik van Dam, Zentralrat der Juden in Deutschland, Bonn, 11. 5. 1961, Bundesarchiv, Koblenz, B 106/903. Ebenso Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 148. 382 Alle Zitate aus Gerhard Roger: Der kleine Doktor, in: filmblätter, Nr. 9, 28. 2. 1958, S. 231; Felix König: Mr. Antifilm, in: filmblätter, Nr. 49, 5. 12. 1958, S. 1419.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur können. Stoffe, die sie nicht verletzen, können Grundlage eines wertvollen Films sein. […] wenngleich die Beurteilung des Films negativ ausfallen muß, wenn die Form dem Stoff nicht Genüge tut.383

Die in diesem Sinne gefällten Urteile der FBW waren wie die FSK-Entscheidungen bereits in den Anfangsjahren der Zeitschrift vielfach Zielscheibe scharfer Polemik in der Filmkritik. Gerade die Prädikate im Zusammenspiel mit umstrittenen Freigaben durch die FSK erzürnten die Kritiker. Gab die FSK in den Augen der Filmkritik-Gruppe beispielsweise Kriegsfilme viel zu leichtfertig frei, stellten die Steuererleichterungen durch die FBW noch eine – negative – Krönung der Angelegenheit dar. Die für Enno Patalas verklärende Darstellung des Spanischen Bürgerkriegs in Solange du lebst hätte gar nicht freigegeben werden dürfen und wer sie als „wertvoll“ einstufe, sei „ohnehin längst von allen guten Geistern verlassen“.384 Bei The One That Got Away ärgerte er sich ja über die Zulassung für Jugendliche und im Anschluss über die „Bewertungsstelle, die der langen Kette eklatanter Fehlentscheidungen mit der Prädikatisierung des Films ein weiteres Dokument der Dummheit anfügte.“385 Günter Rohrbach unterstellte die großzügige Vergabe von Prädikaten aus überzogener Scheu und Rücksicht vor politisch heiklen Themen wie der Konstituierung des israelischen Staates.386 Häufig waren es zudem die Kenntnislosigkeit und die filmästhetisch und -historisch als unausgewogen wahrgenommenen Maßstäbe der Filmbewerter, die die Angriffe der Filmkritik-Redakteure auslösten. Zum Beispiel sah Patalas in zwei wieder aufgeführten, frühen ChaplinFilmen Meisterwerke, die nur die „totale[…] Blindheit“ der FBW habe verkennen können. Patalas konstatierte fassungslos, dass diese Filme mit dem Prädikat „wertvoll“ auf der gleichen Stufe wie etwa die Reihe der Trapp-Familie stünden, einer der geschmähten deutschen Filme, Der Jugendrichter, gleichzeitig ein „besonders wertvoll“ zugesprochen bekommen habe.387 Wenn die Kritiker die Maßnahmen der Filmpolitik, die mittelmäßigen Projekte der Filmindustrie oder die Konflikte zwischen diesen Sektoren kommentierten, präsentierten sie sich als von der verbreiteten Inkompetenz und Ignoranz konsternierte Cineasten, die etwa in Filmstudien im Ausland zu Experten geschult worden waren. Die häufigen Dilettantismusvorwürfe betrafen gerade einige filmwirtschaftliche Etappen, die importierte Filme neben der FSK und der FBW auf ihrem Weg in die bundesdeutschen Kinos noch absolvieren mussten. Denn auch die Synchronisation durch die Verleihfirmen und die dort oder durch die Kinobetreiber selbst vorgenommenen Bearbeitungen der Filmlängen oder Formate konnten die Produktionen noch wesentlich verändern. Bereits zu Zeiten der film 56 empfahl Theodor Kotulla, der deutschen Synchronisation von Viscontis Senso einen „Grand Prix für Instinkt-

383 Zitiert nach Steffen Wolf (Hg.): 50 Jahre FBW – 50 Jahre Filmgeschichte. Filmbewertung 1951–2001, Wiesbaden 2001, S. 33. 384 Patalas: Ein Nazi-Film (film 56, Nr. 2, 1956). 385 Patalas: Einer kam durch (Filmkritik, Nr. 2, 1958), S. 41. 386 Vgl. Günter Rohrbach: Der Gehetzte (The Juggler), in: Filmkritik, Nr. 12, 1960, S. 363. 387 Vgl. Enno Patalas: Die Chaplin-Revue (A Dog’s Life, The Pilgrim), in: Filmkritik, Nr. 6, 1960, S. 187 f., hier S. 188.

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losigkeit“ zu verleihen.388 Enno Patalas bemerkte, dass Verleiher stillschweigend KZ-Szenen unterschlugen und bekundete seinen „Schmerz“ ob der „Barbarei“, der „empörenden“ und wiederum „instinktlosen“ Form, in der Chaplin-Fragmente zu einem abendfüllenden Programm für das westdeutsche Publikum zusammengemischt worden seien.389 Für die kritischen Cineasten waren diese Eingriffe dramatische Verletzungen hochkultureller Güter. Um die Ausmaße zu verdeutlichen und damit auch dem Medium Film ein höheres Ansehen in der Bundesrepublik zu verschaffen, zogen sie Vergleiche zu anderen Kunstformen. Zum Ende der 1950er Jahre veränderten beispielsweise Kinobetreiber immer wieder durch improvisierte technische Maßnahmen das Bildformat von Filmen, vom Normalformat zum damals als modern erachteten Breitwandformat. Den Filmen fehlten so allerdings häufig elementare Bildausschnitte. Dazu regte die Filmkritik an, doch einmal Romane zu verlegen, denen auf jeder Seite die obersten und untersten Zeilen fehlten.390 Verbreitet waren zudem deutliche Kürzungen der Filmlängen, um die eng getakteten Spieltermine in den Kinos einzuhalten. Auffälligerweise, so Patalas, treffe dies besonders die geschätzten, meist recht langen italienischen Meisterwerke, während verzichtbare US-amerikanische Großproduktionen die Uhrzeiten sprengen dürften. Dass auch solche Praktiken von der Filmbewertung unbeanstandet blieben, brachte er in seiner cineastischen Polemik auf den Punkt: „Man stelle sich vor, daß Romane nurmehr in Novellenlänge publiziert oder Symphonien auf Standardformate festgelegt würden! Nur den kunstfeindlichen Jobbern der Filmverleihbranche ist jeder Übergriff erlaubt, und die FBW gibt ihren Segen – will sagen: ihr ‚besonders wertvoll‘ dazu!“391 Die nonkonformistische Position der Cinema Nuovo im filmpolitischen Klima Italiens setzte sich neben der Agitation gegen alle möglichen Formen der Filmzensur und die filmwirtschaftliche Gesamtlage auch aus Kritik an unverbindlichen Dokumentarfilmen und Wochenschauen sowie besonders am Einfluss der katholischen Kirche zusammen. Im Fall der Filmkritik tauchten diese Aspekte ebenfalls auf, doch wie insgesamt auf dem Feld der Filmpolitik noch in begrenztem Ausmaß, solange die Zeitschrift noch nicht als prominentestes Kritikerorgan etabliert war. Gegen die oberflächlichen Kinowochenschauen sprachen sich die Westdeutschen aber schon früh aus und wünschten sich zu Jahresbeginn 1958 stattdessen „informative Kurzfilme über soziale und politische Themen“.392 Dazu passend erschienen in der Filmkritik und in der F Auszüge aus einem Rundfunkbeitrag Hans Magnus Enzensbergers; darin erstellte er eine Typologie der Wochenschaumeldungen und kritisierte ähnlich wie die Autoren der Cinema Nuovo die Fokussierung auf Sensa388 Kotulla: Geist des Widerstands (film 56, Nr. 3, 1956), S. 150. 389 Vgl. Enno Patalas: Die jungen Löwen (The Young Lions), in: Filmkritik, Nr. 5, 1958, S. 110– 112, hier S. 112; ders.: Das waren noch Zeiten (Shoulder Arms, A Day’s Pleasure, Pay Day, The Pilgrim), in: Filmkritik, Nr. 11, 1957, S. 165. 390 Postscriptum, in: Filmkritik, Nr. 5, 1960, S. 160. 391 Enno Patalas: Diebe habens schwer (I Soliti ignoti), in: Filmkritik, Nr. 2, 1960, S. 43–45, hier S. 45. 392 Fromme Wünsche (Filmkritik, Nr. 1, 1958).

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tionen und Kuriositäten sowie das entweder regierungshörige oder gleich komplett eskapistische Politikverständnis.393 Die Einflussmöglichkeiten der beiden großen Kirchen der Bundesrepublik waren den Kritikern bestens vertraut. Ulrich Gregor notierte in den Neuen Deutschen Heften die Reichweite des katholischen Filmdiensts und des evangelischen Filmbeobachters, des Weiteren die mitgliederstarke katholische Filmliga.394 Augenfällig war, dass sich kirchliche Stellen, die eigens für Filmfragen zuständig waren, regelmäßig in Kinodebatten einschalteten, und dabei, wie auch der Spiegel bemerkte, die Einspielergebnisse mit ihren Empfehlungen oder Protesten wie im Falle von Das Mädchen Rosemarie durchaus beeinflussen konnten.395 Wie den zuständigen Politikern wurde den Kirchenvertretern anlässlich des Berliner Filmfestivals Gelegenheit zur Rede gegeben und dies nutzten sie regelmäßig, um das Medium in ihrem Sinne zu deuten. Besonders markant geschah dies Anfang Juli 1960. Der Filmbeauftragte der evangelischen Kirche, Pfarrer Werner Hess, richtete in seinem letzten Amtsjahr noch einmal eine äußerst harsche Rede an die versammelten Exponenten des Filmwesens. In vielen zeitgenössischen Filmen sah er zwar formal interessante Entwicklungen, allerdings auch „den absoluten Nihilismus“ und „die sittliche und geistige Totaldemontage“. Seine Kirche sei gefordert, die Filmkonsumenten davor zu schützen, dass weiter „seelisches Gift“ und „Lüge[n]“ verbreitet werden könnten, „kleine Kulturgangster und Geschäftemacher […] ungehindert die Brunnen verseuchen dürfen“. Hess forderte von der Industrie Filme, die „helfen, den Menschen von heute etwas glücklicher zu machen, ihm etwas Lebensmut zu geben und ihm von jenem letzten sittlichen Empfinden etwas zu sagen, ohne das auf die Dauer weder ein einzelner Mensch noch ein Volk wird bestehen können.“396 Für die Katholiken sprach der Berliner Bischof Julius Kardinal Döpfner in einer Messe weniger scharf, wendete sich aber ebenfalls gegen „Nihilismus“ und „Niveausenkung“ und plädierte, ganz wie die christdemokratischen Politiker Italiens und der Bundesrepublik, ein Film „darf nicht nur im Bösen wühlen, sondern muß glaubhaft zeigen, daß, wo Schatten dunkel fallen, niemals das erhellende Licht fehlt.“397 Die gesellschaftskritischen Filmjournalisten reagierten auf diese Stimmungen zum Beispiel mit Spitzen über die vermeintlichen Geschmacksverirrungen und Fehlentscheidungen auf der katholischen „Jahresbestliste“ an Filmen.398 Beim US-Film Full of Life kam im Zusammenhang mit religiösen Prinzipien wieder einmal die FBW zur Sprache und geriet ins Visier der Filmkritik. Der Film hat ein 393 Vgl. Hans Magnus Enzensberger: Das Weltbild der Wochenschau, in: Filmkritik, Nr. 7, 1957, S. 97 f.; ders.: Die Welt als Scherbenhaufen. Eine Anatomie der Wochenschau, in: F, Nr. 2, 1958, S. 166–178. 394 Vgl. Gregor: Soziologie des Films (Neue Deutsche Hefte, Nr. 65, 1959), S. 845 f. 395 Vgl. Des Wunders liebstes Kind, in: Der Spiegel, Nr. 18, 30. 4. 1958, S. 50–52, hier S. 52. 396 Alle Zitate aus der Ansprache von Pfarrer Werner Hess, dem Filmbeauftragten der evangelischen Kirche in Deutschland, anläßlich eines Empfangs von Bischof D. Dr. Otto Dibelius für die Gäste der Berliner Filmfestspiele am 1. Juli 1960, Deutsche Kinemathek, Berlin, BerlinaleArchiv, WB 1960 1/3, Schlussbericht, Anlage 7, S. 75–77. 397 Ansprache Sr. Eminenz des Hochwürdigsten Herrn Julius Kardinal Döpfner in der Missa für die Filmschaffenden am 3. Juli 1960 in Berlin, ebd., Anlage 8, S. 78 f., hier S. 79. 398 Vgl. Enno Patalas: Noch einmal „Marcelino“, in: film 56, Nr. 2, 1956, S. 54 f., hier S. 54.

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Happy End im kirchlichen Sinne: Ein junges Ehepaar in finanziellen Schwierigkeiten söhnt sich mit der Familie des Mannes aus und übernimmt nach anfänglicher Distanzierung wieder den katholischen Wertekanon und Lebenswandel. Enno Patalas konnte nachvollziehen, dass der Film auf der „Jahresbestliste“ landete, dass diese Wendung allerdings zudem mit dem FBW-Prädikat „besonders wertvoll“ bedacht wurde, war seiner Ansicht nach „ein eindeutiger Akt konfessioneller Bevormundung.“399 Die Filmkritik im Kontrast zum offiziellen Filmgeschmack: Fallbeispiele Wie weit der Filmkritik-Kreis und die offizielle Filmkultur im filmpolitischen Klima der Bundesrepublik der 1950er Jahre auseinanderlagen, kann abschließend noch an einigen Fallbeispielen veranschaulicht werden – an teils für die Filmkritik in ihrer Positionierung sehr relevanten und bereits vorgestellten Filmen. Dabei wird der Kontrast deutlich, ohne dass es in allen Fällen überhaupt zu einer direkten Konfrontation oder Polemik durch die Vertreter der Zeitschrift kam. Es geht vielmehr um Differenzen in den Urteilen zu Filmen oder den allgemeinen Herangehensweisen an Filmprojekte. Bei der Berlinale 1960 hielt anstelle des Innenministers Schröder dessen Staatssekretär Georg Anders eine kurze Eröffnungsrede zur Verleihung der Deutschen Filmpreise. Wie gehabt sparte er dabei nicht mit Kritik am eher mäßigen westdeutschen Filmschaffen, nicht ohne sich aber gleichzeitig darüber zu beklagen, dass einige gesellschaftskritische Filme der letzten Zeit durch unzulässige Verallgemeinerungen das politische System der Bundesrepublik insgesamt diskreditierten. Anders kritisierte zudem, dass Filme zur nationalsozialistischen Vergangenheit sich zumeist auf Einzelpersonen und deren Diffamierung konzentrierten und nicht „zugleich das diktatorische System als solches dar[…]stellen. Neben den Funktionären der Diktatur ist es vor allem die Diktatur als Institution, die auf den unheilvollen Weg geführt hat.“400 Den Ansichten der Filmkritik-Autoren, die auf die Aktivierung der Verantwortung, der Gewissensüberprüfung und damit auch des Widerstands jedes einzelnen Mitläufers abzielten, stand ein solch abstrakt gehaltener Ansatz im Geschichtsverständnis beinahe diametral gegenüber. Zwei Jahre zuvor hatte Anders’ vorgesetzter Minister beim gleichen Anlass seiner Generalkritik auch einige Beispiele für gelungene deutsche Filme an die Seite gestellt.401 Die versammelte Filmwirtschaft solle sich doch neben anderen am Wirtshaus im Spessart, am Hauptmann von Köpenick oder an Nachts auf den Straßen orientieren. Waren gerade diese Filme aus der Sicht der Filmkritik nicht unverbindliche Schwänke, kaum 399 Enno Patalas: Alle Sehnsucht dieser Welt (Full of Life), in: Filmkritik, Nr. 11, 1957, S. 171. 400 Ansprache von Staatssekretär Dr. Georg Anders anläßlich der Verleihung der Deutschen Filmpreise 1960 am 26. Juni 1960 in Berlin, Deutsche Kinemathek, Berlin, Berlinale-Archiv, WB 1960 1/3, Schlussbericht, Anlage 1, S. 40 f., hier S. 41. 401 Vgl. Ansprache des Bundesministers des Innern, Dr. Gerhard Schröder, bei der Verleihung der Deutschen Filmpreise 1958, ebd., WB 1958 1/2, Schlussbericht, Anlage 2, S. 25–28, hier S. 26 f.

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der Rede wert, und nur „sentimental“ abgerundete, „formalistische“ Spielereien? Schröder brachte als Vorbild auch Canaris auf und war damit nicht allein. Paul Bausch von der CDU bezeichnete Alfred Weidenmanns Film im Bundestagsausschuss als einen „der besten Filme der letzten Zeit“402 und die Filmbewertungsstelle bedachte diese „Spitzenleistung“ einstimmig mit dem Prädikat „besonders wertvoll“.403 Für die Filmkritik-Mitarbeiter aber transportierte dieser Film doch gerade die Fehler einer undifferenzierten Heldenverehrung und Autoritätsgläubigkeit in die bundesrepublikanische Nachkriegszeit. Bei Canaris erwirkten das Auswärtige Amt und die Freiwillige Selbstkontrolle die Eliminierung von Originalaufnahmen zu Hitlers Einzug in Österreich, um Irritationen bei der Filmausfuhr zu umgehen.404 Gerade auswärtige Kulturpolitiker intervenierten in der Adenauer-Ära regelmäßig in Filmprojekten und prüften gründlich ihre Rezeption im Ausland, stets aus Sorge um das Ansehen und die Außenwirkung der Bundesrepublik. Der Themenkomplex der westdeutschen auswärtigen Filmangelegenheiten wird auch weiter unten noch im Zusammenhang mit der Filmproduktion des Ostblocks und mit den internationalen Filmfestivals diskutiert. Er ist das Pendant zur oben beschriebenen italienischen Filmpolitik der strengen Vergabe von Ausfuhrerlaubnissen für gesellschaftskritische Filme und zur konstanten Furcht vor der Ausbreitung von „panni sporchi“ vor aller Welt, die die italienische Reputation beschädigen könnten. Die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts versuchte beispielsweise 1959, in die Herstellung des Dokumentarfilms Begegnung mit Deutschland einzugreifen, der vom Bundespresseamt gefördert wurde und für die Auslandsrepräsentation vorgesehen war. In der Absicht, „mit diesem Film eine möglichst gute Figur im Ausland [zu] machen“, richtete der Filmreferent des Außenministeriums, Franz Rowas, verschiedene Schreiben an das Presseamt. Die nationalsozialistische Vergangenheit sollte in geringerem Umfang thematisiert werden, für Rowas und seine Ministeriumskollegen „sollten die Hinweise auf das Dritte Reich (z. B. 20. Juli) herausgeschnitten werden. Die Szene in der Münchner Universität (Geschwister Scholl) wurde als ausreichende Erwähnung dieser Epoche angesehen.“ Das Bundespresseamt wiederum wollte auf die Änderungswünsche nicht mehr eingehen, verwies auf das Höchstprädikat durch die FBW und sah die beanstandeten Passagen der Dokumentation als Beleg dafür an, „daß sich das heutige Deutschland eindeutig von den damaligen Untaten und Verbrechen distanziert.“405 Diese beiden voneinander abweichenden filmpolitischen Meinungen kontrastierte noch die Haltung der Filmkritik-Gruppe. Ulrich Gregor besprach den „gefälligen“, „nichtssagenden“ 402 Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films am 16. 1. 1956, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestags, Berlin, 3117 A 2/10, Protokoll 31. 403 Vgl. Wolf (Hg.): 50 Jahre FBW, S. 145. 404 Vgl. Habel: Zerschnittene Filme, S. 24. 405 Zitate aus einer Notiz des Auswärtigen Amts, o. O., 18. 3. 1959, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/637; Franz Rowas, Auswärtiges Amt, an Kurt Betz, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn, 12. 8. 1959, ebd.; Dr. Six, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, an die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts, Bonn, 23. 11. 1959, ebd.

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Film, der alle Deutschlandklischees versammle und wohl gerade deshalb prädikatisiert und im Ausland herumgereicht worden sei. Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit reichte ihm dabei keineswegs aus, er empfand sie vielmehr als „verlogen“, „so, wenn in Nürnberg – nach ausgiebiger Zurschaustellung von bunten Kirchenfiguren – die Erinnerung an die nazistische Vergangenheit der Stadt mit dem leichtfertigen Satz verscheucht wird, diese Zeit sei nun vorüber. (Bezeichnend: der Name Hitlers fällt im ganzen Film kein einziges Mal!)“406 Mit der NS-Vergangenheit befasste sich eine weitere Dokumentation, Erwin Leisers Mein Kampf aus dem Folgejahr 1960. Enno Patalas sah hier ja einen wichtigen, angedeuteten Tabubruch in Bezug auf die Rolle der Großindustrie beim Aufstieg der Nationalsozialisten, wobei ihm insgesamt die gesellschafts- und politikgeschichtlichen Hintergründe zu undeutlich blieben.407 Patalas’ Eindruck könnte damit zusammenhängen, dass auch bei Leisers Film Diplomaten und Kulturpolitiker mitredeten. Da Leiser nach Schweden emigriert war und die Dokumentation dort mitproduziert wurde, hatte die bundesdeutsche Botschaft in Stockholm schon sehr früh Einsicht. Der Botschafter Hans-Ulrich von Marchtaler berichtete nach Bonn, er habe Leiser von eindeutigen Parallelisierungen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg abbringen können; weiter vermeldete er: „Herr Leiser sagte ferner zu, eine Filmszene über ein Zusammentreffen Hitlers mit Vertretern der deutschen Industrie im Düsseldorfer Park-Hotel herauszuschneiden, da auch ihm Zweifel an der Echtheit dieser Aufnahmen gekommen seien.“ Für den Diplomaten war nun – in einer auffälligen Hierarchisierung der historischen Opfer – sichergestellt, dass in adäquater Weise geschildert werde, „wie das Hitler-Regime unter der Oberfläche eines scheinbar politischen und militärischen Aufstieges Verbrechen grössten Ausmasses an dem eigenen Volk und an der Menschheit begangen hat.“ Wie aus einem Rundschreiben des Auswärtigen Amts hervorgeht, wurde der Regisseur darüber hinaus davon abgebracht, den Film mit Bildern der antisemitischen Vorfälle in der Bundesrepublik von 1959 zu eröffnen.408 Weitere politische Stellen versuchten bei Filmprojekten Einfluss zu nehmen – nicht nur, was die internationale Repräsentation Westdeutschlands betraf, sondern auch mit der innerdeutschen Strahlkraft im Hinterkopf. Der Blick fällt hierbei erneut auf die Filmbiografie Stresemann, für die Filmkritik das Musterbeispiel schlechthin für autoritäre Personenzeichnung, die Negation demokratischer Partizipation und geschickte tagespolitische Ausschlachtung historischer Vorgänge. Der Film war in jedem Fall politisch gewollt. So drang Paul Bausch als Ausschussvorsitzender im Bundestag auf eine Empfehlung, die restlichen Bürgschaftsmittel für dieses Projekt freizugeben und reagierte enttäuscht, als die SPD-Mitglieder skeptisch blieben.409 406 Ulrich Gregor: Begegnung mit Deutschland, in: Filmkritik, Nr. 12, 1959, S. 321. 407 Vgl. Patalas: Mein Kampf (Filmkritik, Nr. 8, 1960). 408 Hans-Ulrich von Marchtaler an das Auswärtige Amt, Stockholm, 11. 4. 1960, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/668; vgl. zudem Runderlass an sämtliche diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen im Ausland, Bonn, 15. 10. 1960, ebd. 409 Vgl. Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films am 16. 1. 1956, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestags, Berlin, 3117 A 2/10, Protokoll 31.

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Die Mittel wurden schließlich auch so gebilligt; die Protokolle des Bürgschaftsbeirats zeigen, dass das Drehbuch immer wieder umgearbeitet werden musste und es darüber zu Personalwechseln beim Filmteam kam, da gerade die politischen Berater auf einigen Nuancen beharrten. Früh klagte der Produzent über Druck aus dem Innenministerium, was gezeigt werden dürfe, und was nicht. Aufzeichnungen aus dem Bundespresseamt zeigen, dass diese Stelle Stresemann als Untermauerung von Adenauers Westbindung gestalten wollte – worüber sie penibel wachte: „An der Fertigstellung des Films ‚Stresemann‘ ist das Haus aus politischen Gründen interessiert. […] Die Fortführungen der Arbeiten am Drehbuch werden von Abt. V überwacht. Es ist dafür Sorge getragen, dass im Film die vom Amt vertretene politische Linie zum Ausdruck kommt.“ Diese Linie wurde durchgesetzt und im Amt wurde frohlockt über „eine betont regierungsfreundliche Note. Der SPD wird der Film schwer im Magen liegen.“410 Der Rezensent der Filmkritik beklagte diese Einflussnahme,411 die ihm bekannt war, da sich auch der Spiegel dieses Falls angenommen hatte und die Filmzeitschrift hier einmal nicht als alleiniger Vorreiter auftreten musste. Das Magazin hatte auf drei Seiten von der langwierigen Entstehungsgeschichte und den diversen politischen Bedenken berichtet und die Abrechnung des frustriert zurückgetretenen, ursprünglich vorgesehenen Regisseurs Ludwig Berger zitiert: Solange man in Bonn der Meinung ist, daß die Finanzierung eines Films der Regierung das Recht gibt, ohne Rücksicht auf die historische Wahrheit und ihre künstlerische Gestaltung zu bestimmen, was gesagt und was nicht gesagt werden darf, kann von einer geistigen Entnazifizierung kaum die Rede sein.412

Bei aller Aufregung der Filmkritik und aller Einschränkung der künstlerischen Freiheit des Filmteams gehört zum Fall Stresemann zu guter Letzt allerdings ebenso der Hinweis, dass das Werk kein großer Kassenerfolg geworden ist und die politischen Ambitionen in diesem Fall wohl eher im Nichts verliefen. Er zeigt aber, wie sich die junge Kritikergruppe als strenger Beobachter aller eingrenzenden Maßnahmen profilierte und sich damit wie ihre italienischen Gesinnungsgenossen allem Konformismus in Filmpolitik und Filmwirtschaft entgegenstellte. Wachsamkeit und Opposition waren in beiden Ländern noch einmal besonders gefragt, wenn Kontakte mit und Einfuhren aus dem sowjetischen Einflussbereich verhandelt wurden. 4.3.3 Nonkonformismus in zwei Richtungen. Die Zeitschriften und der osteuropäische Film Die Frage des Ostblocks und seines Kinos kann nun, anders als zuvor die der nationalen Filmpolitiken, die doch einige strukturelle Unterschiede aufwiesen, wieder gemeinsam für beide Länder und Zeitschriftenbeispiele diskutiert werden. Zwar ist hier mit einem Überhang auf Seiten der Filmkritik zu rechnen, da die 410 Diese Zitate und Vorgänge finden sich im Bundesarchiv, Koblenz, B 145/43. 411 Vgl. Stresemann (Filmkritik, Nr. 3, 1957), S. 42. 412 Zitiert nach Weisungen aus Bonn, in: Der Spiegel, Nr. 5, 30. 1. 1957, S. 43–45, hier S. 45.

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weltweite Blockkonfrontation sich in der deutschen Teilung besonders manifestierte und einen entsprechenden Umfang auch an filmpolitischem Quellenmaterial hervorgebracht hat – so, wie im anderen Fall die Auseinandersetzung der italienischen Kritiker mit der katholischen Kirche umfangreicher zu behandeln war. Insgesamt jedoch sind die Grundzüge für beide Kritikergruppen gut vergleichbar: Wenn es in diesem größeren Abschnitt stets um den Nonkonformismus der Filmkritiker geht, ist er in der Frage des osteuropäischen Kinos genau genommen in zwei Richtungen zu beobachten. Beide Zeitschriftenredaktionen positionierten sich in ihren Heimatländern im Kalten Krieg auf unorthodoxe Weise – sie wandten sich gegen politische Einseitigkeit, gegen eine allzu pauschale Verdammung der Staaten des sowjetischen Blocks und ihrer kulturellen, besonders filmischen, Erzeugnisse. Gleichzeitig waren sie darum bemüht, sich auch von der anderen Partei des Kalten Kriegs nicht widerspruchslos vereinnahmen zu lassen. Die Abgrenzungsversuche fielen zwischen Italien und der Bundesrepublik Deutschland ein wenig unterschiedlich aus. Die Mitarbeiter der Cinema Nuovo kreisten dabei im Wesentlichen um die bereits aus anderen Kapiteln bekannte inneritalienische Frage der Haltung zum PCI und seine in einigen Phasen sehr sowjettreuen kulturpolitischen Direktiven. In der Bundesrepublik gab es links von der Filmkritik nur noch wenige Verteidiger der osteuropäischen Kultur und Kulturpolitik. Diesem Kritikerkreis ging es also vielmehr darum, im deutsch-deutschen Verhältnis nicht unkritisch als vorbehaltlose Apologeten der DDR aufzutreten. Mit einer verbindenden Zwischenpassage, die den deutschen Regisseur Wolfgang Staudte behandelt, werden nun der pro-östliche und der ost-kritische Nonkonformismus in der italienischen und der westdeutschen Redaktion beleuchtet. Einerseits: Verteidigung bis hin zur Verehrung Ihre Rolle als Fürsprecher der sozialistischen Staaten Osteuropas füllten die Mitarbeiter der Cinema Nuovo und der Filmkritik in verschiedenen Formen aus. Dazu gehörte erstens die Kritik an der Darstellung des Ostens in westlichen Filmproduktionen. Im Rahmen ihrer vielfältigen Kritik an den filmpolitischen Verhältnissen in Italien und der Bundesrepublik zielten die Autoren zweitens noch einmal gesondert auf Restriktionen ab, die die Filme des Ostblocks betrafen. Drittens propagierten sie oft eine allgemeine Aufgeschlossenheit gegenüber diesen Kinematographien, die sich in positiven Rezensionen oder in vielen Reisen und Berichten äußerte und die die Zeitschriften von anderen Kritikergruppen abhob. Inwiefern sich die linksgerichteten Kritiker gegen die Verunglimpfung des Ostblocks und verzerrte Geschichtsbilder wandten, ist weiter oben anhand einiger USStreifen gezeigt worden: Zum Beispiel bemängelten die Rezensenten der Cinema Nuovo in der McCarthy-Ära häufig die platte „propaganda antisovietica“ durch Regisseure wie Elia Kazan oder Delmer Daves.413 Für die Filmkritik war etwa War and Peace nach Leo Tolstoi durch Auslassungen oder Überbetonungen einzelner 413 Vgl. Kapitel 3.3.3.

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Passagen antisowjetisch konnotiert.414 Einheimischen Produktionen, die den Blick nach Osten richteten, warfen die Kritiker oft eine abschätzige Einfallslosigkeit vor. „Das nennt Käutner Sowjetzonenatmosphäre“, kritisierte Wilfried Berghahn die Stereotypen zum Familienalltag in der DDR, die der Regisseur in Himmel ohne Sterne bediene.415 Als völlig unbrauchbar und tendenziös stufte Enno Patalas 1957 Ungarn in Flammen ein, eine Dokumentation zum dortigen Aufstand im Jahr zuvor. Aus dem Film sprächen „Chauvinismus“ und der „beschränkte Patriotismus von Horthy-Veteranen“ und durch diese reaktionäre Tönung werde die berechtigte innersozialistische Kritik der an der Erhebung beteiligten Bevölkerungsgruppen uminterpretiert oder in den Hintergrund gedrängt: Es ist klar, daß durch patriotisch-restauratives Gerede nicht der geringste Aufschluß über die Hintergründe des ungarischen Aufstandes gegeben wird, weniger noch: der Aufstand wird in eine Perspektive gerückt, die das Anliegen der aufständischen Studenten und Arbeiter ausgesprochen kompromittiert.416

Dazu seien Herkunft und Zusammenhang der Bilder vielfach unklar, das Vorprogramm von erschreckender Belanglosigkeit – und dies alles sei von der FBW mit „besonders wertvoll“ geadelt worden. In filmpolitischer Hinsicht waren die wesentlichen Kritikpunkte der Cinema Nuovo und der Filmkritik die magere Einfuhr osteuropäischer Filme in den laufenden Kinospielbetrieb in Italien und Westdeutschland, zudem ihre geringe Präsenz bei Filmfestivals in der westlichen Hemisphäre. In der Mailänder Zeitschrift wurde beispielsweise 1953 mehrmals bemängelt, dass sowjetische Filme nur sehr selten das „visto“ der Zensur bekämen, sie scheiterten oftmals am „atteggiamento antiliberale della nostra censura“.417 Guido Aristarco störte die stiefmütterliche Behandlung der wenigen Ausnahmen in unterklassigen Kinos und dass es sich dabei oft nur um das harmlose Mittelmaß der sowjetischen Produktion handele: „Non solo le poche opere che di tale cinema è possibile vedere vengono relegate in sale di seconda o di terza visione, ma non sempre sembra che siano tra le più significative prodotte dall’URSS nel dopoguerra.“418 Die Forschung und weitere Quellenfunde stützen die Kritik der Cinema Nuovo, dass es für sowjetische und sonstige osteuropäische Filme gerade im ersten Nachkriegsjahrzehnt nahezu unmöglich war, das filmpolitische Nadelöhr zum italienischen Absatzmarkt zu passieren. In den fünf Jahren ab 1949 erlangten gerade einmal sieben Filme aus der Sowjetunion ein permanentes „nulla osta“, knapp 20 konnten immerhin vorübergehend vorgeführt werden.419 Einem plakativ stalinistischen Heldenepos wie Padenije Berlina erteilte die Commissione di revisione cinematografica ohnehin, „per motivi di ordine pubblico“, keine Abspielgenehmigung. Doch auch ein weniger verfänglicher Film, Kubanskie 414 Vgl. Krieg und Frieden (War and Peace, Guerra e Pace), in: Filmkritik, Nr. 4, 1957, S. 54–56, hier S. 56. 415 Berghahn: Romeo und Julia (film 56, Nr. 1, 1956), S. 41. 416 Enno Patalas: Ungarn in Flammen, in: Filmkritik, Nr. 7, 1957, S. 104 f., hier S. 104. 417 I cosacchi del Kuban (Kubanskie Kazaki), in: Cinema Nuovo, Nr. 12, 1. 6. 1953, S. 345. 418 Guido Aristarco: Un treno va in oriente (Poest idet na Vostok), in: Cinema Nuovo, Nr. 5, 15. 2. 1953, S. 121 f., hier S. 121. 419 Vgl. Vigni: Censura a largo spettro, S. 74.

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kazaki, erhielt sie erst, als – wiederum zur Wahrung der „öffentlichen Ordnung“ – Anspielungen auf den „Genossen Stalin“ herausgeschnitten worden waren.420 Ob es an den Filmen aus dem Ostblock selbst lag oder daran, dass sie aufgrund der Einfuhrbedingungen kaum in die Sehgewohnheiten der Zuschauer eingingen, ist unklar – insgesamt erzielten sie jedenfalls beim Großteil des italienischen Kinopublikums keine nennenswerte Beliebtheit.421 Und wenn in Phasen der Entspannung des Kalten Kriegs Aussicht auf einen intensivierten Filmaustausch bestand, drohten Hindernisse anderer Natur. Der Filmwirtschaftsverband ANICA strebte ein italienisch-russisches Austauschabkommen an, dessen offizielle Ratifizierung sich allerdings merklich verzögerte. Lino Del Fra vermutete dahinter Druck von Filmindustriellen und Politikern aus den USA, die die italienische Konkurrenz bei der Erschließung möglicher internationaler Absatzmärkte fürchteten.422 Ulrich Gregor brachte im Mai 1958 stellvertretend für die gesamte Gruppe um die Filmkritik das Problem bei Einfuhr und Studium osteuropäischer Filme in der Bundesrepublik auf den Punkt: Er setzte am Rande seiner Besprechung einer sowjetischen Adaption von Don Quichotte eine Spitze gegen den Interministeriellen Ausschuss für Ost/West-Filmfragen. Zum Ende der 1950er Jahre hatten zumindest die Festivals von Cannes und Venedig ihre Zurückhaltung bei der Einladung von sozialistischen Staaten, die weiter unten noch genauer beleuchtet wird, aufgegeben. Nach Gregor habe der Ausschuss in dieser Situation daher also doch einige russische Filme zugelassen, selbstverständlich aber nur solche mit unproblematischem politischen Inhalt.423 Der Interministerielle Ausschuss, in dem seit Anfang 1953 Referenten diverser Bundesministerien über die Einfuhr von Filmen aus dem kommunistischen Machtbereich entschieden, ist neben anderen von Stephan Buchloh in seiner Entstehung und Funktionsweise rekonstruiert worden,424 so dass hier nicht seine gesamte Wirkungsgeschichte aus der ohnehin ein wenig diffusen Überlieferung nachgezeichnet werden muss. Zum Verständnis von Gregors Kritik verhilft es aber, noch kurz seine Aktivitäten und weitere Facetten des filmpolitischen Klimas in dieser Phase der deutschen Teilung zu erörtern. Auf jedes Ausschussmitglied und jede einzelne Sitzung dieses Gremiums passen die zugespitzten Etiketten, die Buchloh findet – „konspirative Geheimdienstmentalität“ oder „Arroganz der Macht“425 –, vermutlich nicht, denn letztlich wurde 420 Vgl. Datenbank Italia taglia, schede 59192 und 4602. 421 Vgl. Lucia: Intellettuali, S. 111; Marc Lazar: The Cold War Culture of the French and Italian Communist Parties, in: Hans Krabbendam / Giles Scott-Smith (Hg.): The Cultural Cold War in Western Europa 1945–1960, London 2003, S. 213–224, hier S. 222. 422 Vgl. Lino Del Fra: La cortina di marche da bollo, in: Cinema Nuovo, Nr. 38, 1. 7. 1954, S. 368 und 380, hier S. 380. 423 Vgl. Ulrich Gregor: Don Quichotte (Don Kichot), in: Filmkritik, Nr. 5, 1958, S. 97–100, hier S. 97. Zu den „Frommen Wünschen“ im ersten Heft 1958 hatte die Redaktion schon zuvor die „Liquidation“ des Ausschusses gezählt. 424 Vgl. von Hugo: Beobachten, bürgen und zensieren; Stephan Buchloh: „Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich“. Zensur in der Ära Adenauer als Spiegel des gesellschaftlichen Klimas, Frankfurt/Main 2002, S. 219–235; Andreas Kötzing: Zensur von DEFA-Filmen in der Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 59 (2009), Nr. 1–2, S. 33–39. 425 Buchloh: Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich, S. 233 und 235.

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die deutliche Mehrheit der gesichteten Filme vom Ausschuss doch durchgewinkt. Es zeigt sich zudem zwischen den Zeilen der überlieferten Ausschussunterlagen, dass er keineswegs durchgehend einstimmige Urteile und homogene Haltungen versammelte: Tendenziell vertraten das Innenministerium oder das Bundesamt für Verfassungsschutz, das anfangs beteiligt war, zumeist die harten politischen Linien der Einfuhrbestimmungen, während das Wirtschaftsministerium sich bisweilen großzügiger im Sinne eines regen Filmhandels zeigte.426 Doch in der Tat arbeitete der Interministerielle Ausschuss höchst intransparent, von parlamentarischer Kontrolle losgelöst – und in den 1950er Jahren auf unklarer gesetzlicher Grundlage, so dass ein Verstoß gegen das Zensurverbot des Grundgesetzes, als der die Einfuhrsperren gedeutet werden konnten, mit juristischen Hilfskonstruktionen dementiert werden musste.427 Immer wieder erwirkte der Ausschuss harte Einschnitte, gerade bei Filmen aus der DDR. Der DEFA-Spielfilm Berlin – Ecke Schönhauser, eigentlich ein relativ gesellschaftskritisches und realistisch angehauchtes Werk, erhielt über Jahre hinweg keine Zulassung: Wesentlich für die ablehnende Stellungnahme war, daß er in seiner kommunistischen Tendenz Institutionen der Bundesrepublik (z. B. die Notaufnahmelager) verächtlich macht und die Verhältnisse nicht wahrheitsgetreu schildert. Weiter werden Freiheitsberaubungen als im Westen übliche Delikte dargestellt.428

An einer DEFA-Dokumentation über Polizeiarbeit in der DDR zeigten sich die unterschiedlich scharfen Prinzipien der an der Entscheidungsfindung beteiligten Institutionen. Hier waren einmal das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen und das Bundespresseamt für ein vollständiges Verbot, „da der Film nach Auffassung dieser Häuser geeignet sei, für die als Instrument der Unterdrückung der Freiheit bekannte Volkspolizei Propaganda zu machen“, wobei sich aber das Innenministerium mit einer Freigabe unter folgenden Auflagen durchsetzte: „Es sollte im Vorspann das Volkspolizeigebäude nicht gezeigt werden und am Schluß des Streifens sollten die gesprochenen Worte ‚die Volkspolizei zum Aufbau und der Sicherheit der DDR beiträgt‘ gestrichen werden.“429 Der Interministerielle Ausschuss und die beteiligten Ministerien zeigten sich trotz des im Vergleich überschaubaren Zuschauerkreises ebenso unnachgiebig gegenüber den Filmclubs und filminteressierten Universitätsinstituten.430 Dies erklärt die Vertrautheit Ulrich Gregors und seiner Kollegen mit den Maßnahmen und ihre 426 Über solche unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen bereits in der Anfangszeit des Ausschusses geben die Unterlagen im Bundesarchiv, Koblenz, und hier besonders B 102/34486, Aufschluss. 427 Vgl. Kötzing: Kultur- und Filmpolitik, S. 40. 428 Kurzbericht Nr. 15/58 über die Sitzung des Interministeriellen Ausschusses für Ost/West-Filmfragen am 6. 10. 1958 in Bonn, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/467. 429 Kurzprotokoll Nr. 17/59 über die Sitzung des Interministeriellen Ausschusses für Ost/WestFilmfragen am 25. August 1959 im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, ebd., B 95/636. 430 Vgl. beispielsweise Bundesinnenministerium an den Verband der deutschen Film-Clubs e. V., Bonn, 26. 11. 1952, Bundesarchiv, Koblenz, B 106/903; Kurzprotokoll über die Sitzung des Ausschusses am 28.7.56 im BPA, Bonn, 30. 7. 1956, ebd., B 102/34486.

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Kritik an diesen Einschränkungen. Die Filmkritik war neben dem Spiegel431 zunächst eine der wenigen westdeutschen Pressestimmen, die den Ausschuss namentlich nannten und öffentlich kritisierten. Sie war damit Bestandteil einer allmählich wachsenden, noch untergründig köchelnden Opposition gegen diese Filmpolitik. Das Unbehagen am Ausschuss, seinem Einfluss und seinen Entscheidungen speiste sich aus unterschiedlichen Richtungen. Die Handelsabsichten einiger Sparten der Filmwirtschaft hemmte das umständliche und unabwägbare Procedere der interministeriellen Filmprüfung erheblich und so empörte sich beispielsweise ein Filmverleiher gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium: Glaubt denn in Bonn irgendjemand, dass das Ansehen eines solchen Films dem Unterzeichneten oder ein paar Filmleuten schaden könnte? […] Die Bonner Stellen scheinen ein ausserordentlich geringes Vertrauen zu der politischen Überzeugung der westdeutschen Bürger zu haben, wenn sie glauben, Filme zuerst zensieren zu müssen, ehe wir sie sehen dürfen!432

Gelegentlich kamen sich in der Frage der osteuropäischen Filme zudem die Freiwillige Selbstkontrolle und der Interministerielle Ausschuss ins Gehege; aus diesem Kompetenzgerangel erwuchs letzterem Gremium nicht mehr filmwirtschaftlicher, sondern politischer Widerspruch. Im Ausschuss wurde 1956 bekannt, dass einer der wenigen SPD-Vertreter in der FSK, ein Abgeordneter des Hessischen Landtags, eine Feststellungsklage anstrebte, um die unklare Gesetzeslage zu thematisieren.433 Die SPD hatte das Thema nun auf der Rechnung und richtete auch im Bundestag Fragen an die Regierung zur Zusammensetzung, Funktion und insbesondere rechtlichen Legitimation des Ausschusses. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard antwortete im Februar 1957 im Plenum, zentral sei auf der Grundlage des Strafgesetzbuches und mit Blick auf das im Vorjahr vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochene Verbot der KPD der Schutz vor der Verbringung verfassungsfeindlicher Erzeugnisse in die Bundesrepublik. Auf die berechtigte Nachfrage seitens der SPD, ob der Ausschuss nicht bereits deutlich vor dem KPD-Urteil 1956 aktiv gewesen sei, wich Erhard aus, er könne „diese Frage datumsmäßig exakt nicht beantworten“ und wiegelte weitere Kritik damit ab, dass sich der Ausschuss bewährt habe.434 Die Ausschussmitglieder zeigten sich missmutig gegenüber Medienanfragen und den wenigen Presseberichten, die ihre Arbeit behandelten;435 ihre abweisende Öffentlichkeitsarbeit, das gesamte Wirken dieses Ausschusses, schließlich Erhards Rechtfertigungen und Ausweichen fügen sich in das Gesamtbild der mit dem Ostblock befassten westdeutschen Film- und Kulturpolitik. Es herrschte ein Klima des Abwiegelns und des Argwohns vor, das etwa der Filmkritik auf Dauer 431 Vgl. Blinklicht durch den Vorhang, in: Der Spiegel, Nr. 3, 12. 1. 1955, S. 36–38, hier S. 37. 432 Martin Ulner, IMAGO Filmvertrieb, an das Bundeswirtschaftsministerium, München, 7. 2. 1957, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/467. 433 Vgl. Kurzprotokoll über die Sitzung des Ausschusses am 29./30.10.56 im BPA, Bonn, 30. 10. 1956, Bundesarchiv, Koblenz, B 102/34486. 434 Vgl. Redebeitrag Ludwig Erhard, 189. Sitzung, 1. 2. 1957, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages. 2. Wahlperiode 1953, Bonn 1957, S. 10748. 435 Vgl. zum Beispiel Kurzprotokoll über die Sitzung des Ausschusses am 12.11.56 im BPA, Bonn, 13. 11. 1956, Bundesarchiv, Koblenz, B 102/34486; Kurzprotokoll über die Sitzung des Ausschusses am 26.11.56 im BPA, Bonn, 28. 11. 1956, ebd.

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nicht verborgen blieb und von ihr immer wieder attackiert wurde. Dieses ostfeindliche Klima in der inneren Kulturpolitik kann wie ein Mosaik durch weitere kleine Einzelbeobachtungen ergänzt werden. Es war ein Klima, in dem einer der äußerst raren, dezidiert kommunistisch eingestellten westdeutschen Filmjournalisten, der auch für DDR-Organe schrieb, niemals die Gelegenheit bekommen sollte, Hintergrundgespräche mit Filmpolitikern zu führen. Albert Schneider, der in München die Deutsche Film-Korrespondenz herausgab, trat in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wiederholt an verschiedene Ministerien mit Rechercheanfragen heran und erhielt jeweils Absagen oder gar keine Antworten.436 Nach einem erneuten Anlauf Schneiders notierte der Filmreferent des Auswärtigen Amts, Franz Rowas, seinen Vorgesetzten: Der Absender ist alter Kommunist und wird nicht nur von meinen Kollegen in den Bundesministerien, sondern auch von der Filmwirtschaft gemieden, da er abgesehen von seiner polit. Überzeugung auch persönlich suspekt ist. Er vertritt den Film der SBZ (Defa) in München. Deshalb glaube ich, daß man ihm auch weiterhin ausweichen sollte.

Ein anderer, anonymer Bearbeiter der Anfrage ergänzte handschriftlich: „Richtig Bitte ablehnend antworten“.437 In den filmpolitischen Kreisen der Bundesrepublik herrschte ein Klima, in dem vor Filmprojekten teils Gesinnungsprüfungen und entsprechende Erkundigungen angestrengt wurden. Der bereits erwähnte FSK-Funktionär und Publizist Theo Fürstenau wusste in einem solchen Fall beispielsweise über den Regisseur Georg Wilhelm Pabst zu berichten, dass dieser Ende der 1920er Jahre zu einer Kommunistengruppe um Bertolt Brecht gehört und zwischenzeitlich den sozialistischen Realismus vertreten habe.438 Und es war ein Klima, in dem bei der Berlinale 1956 ein örtlicher Senator der Schauspielerin Henny Porten den Händedruck verweigerte, da sie zuvor in einem DEFA-Film mitgewirkt hatte.439 Angesichts dieser Empfindlichkeiten und der aufgeheizten innerdeutschen Stimmung verwundert es wenig, dass es noch sehr lange – bis zur Mitte der 1970er Jahre sogar – dauern sollte, bis Filme aus der DDR und aus der Sowjetunion bei den Berliner Filmfestspielen gezeigt werden konnten – was ja ebenfalls ein filmpolitischer Kritikpunkt der Filmkritik und ihrer italienischen Kollegen von der Cinema Nuovo war. In Venedig, wie auch in Cannes, waren osteuropäische Filme Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre nur äußerst sporadisch vertreten und erst ab Mitte des Jahrzehnts wieder regelmäßige Teilnehmer. Beim italienischen Festival fehlte beispielsweise die Sowjetunion von 1948 bis 1952 komplett. Schon Anfang 1951, zu Zeiten seiner Mitarbeit an der Cinema, kritisierte Renzo Renzi, die Filme des Ostblocks seien auf dem italienischen Markt „oggi vergognosamente assenti“ und dass das Fehlen der knappen Hälfte der Welt den venezianischen Festspielen

436 Vgl. Kurzprotokoll über die Sitzung des Ausschusses am 26. 11. 56 im BPA, Bonn, 28. 11. 1956, ebd.; vgl. auch verschiedene Schreiben im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/485. 437 Albert Schneider an Dieter Sattler, Auswärtiges Amt, München, 28. 10. 1960, ebd., B 95/667. 438 Vgl. Theo Fürstenau an Dr. Lüders, Bundesinnenministerium, Wiesbaden, 18. 6. 1954, Bundesarchiv, Koblenz, B 106/897. 439 Vgl. Personalien, in: Der Spiegel, Nr. 27, 4. 7. 1956, S. 48.

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merklich schade.440 Anlässlich von Cannes 1953 bemerkte Aristarco später in der Cinema Nuovo, dass ohne eine „internazionalità piena“, die im Austausch und auch in der Konkurrenz zwischen den Filmerzeugnissen aus den beiden politischen Blöcken bestehen sollte, die Festivals uninteressant und im Wesentlichen Forum für Klatsch und Tratsch blieben.441 In dieser Lesart disqualifizierte sich die Berlinale noch über einen viel längeren Zeitraum selbst. So etwa 1957, als Luigi Fossati seinen Bericht aus Westberlin gleich mit Kritik daran eröffnete, dass keine sowjetischen Filme eingeladen worden waren, und im weiteren Verlauf des Textes zudem die Ausblendung des DDRKinos anprangerte als eine „politica di barriere culturali assurda e dannosa, il Festival ha ignorato quei film che si producono – di là d’un confine artificioso che taglia a metà la città – a pochi chilometri di distanza.“442 Die Filmkritik-Autoren teilten diese Monita. Ulrich Gregor überzeugten in Venedig 1957 insbesondere polnische und ungarische Produktionen – wie es fast immer der Fall sei bei solchen Veranstaltungen, „außer natürlich auf der ‚Berlinale‘, wo die Ostproduktion als nicht vorhanden gilt“. 1958 erneuerte er in der F seine Kritik am Berliner „Tabu jeglicher Beziehungen zum Osten“ und im gleichen Jahr fehlte ihm in Cannes doch noch eine Filmnation, diesmal aus Fernost: „Ausgeschlossen blieb leider nach wie vor ein so wichtiges Filmland wie das kommunistische China.“443 Die Angriffe der italienischen und westdeutschen Kritiker zielten auf die Festivaladministrationen und die in die Vorbereitung eingebundenen Kulturpolitiker und Diplomaten. Soweit es zuverlässig nachzuzeichnen ist, war die Nichtteilnahme der Ostblockstaaten aber häufig das Resultat einer deutlich komplizierteren Verhandlungslage, insgesamt eher einer Mischung aus Ablehnung, Misstrauen und Taktieren auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Stefano Pisu hat beispielsweise die Beziehungen zwischen dem Festival von Venedig und der Sowjetunion im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg untersucht. Demnach sagten in mehreren Jahren die zuständigen sowjetischen Stellen von sich aus die Teilnahme ab, da sie über wenig vorzeigbare Filme zu verfügen meinten. Überdies unterstellten sie, gegenüber den USA im Programm quantitativ benachteiligt zu werden und dass die Festivaljury vom transatlantischen Feind unterwandert sei. Gänzlich Unrecht hatten die Osteuropäer mit ihrem Misstrauen allerdings nicht, denn Pisu zeigt, dass zwischen italienischen und US-amerikanischen Vertretern tatsächlich enger Austausch über die Festivalregularien herrschte. Die Polemik der Gruppe um die Cinema Nuovo bestätigten des Weiteren Festivaljahre wie 1951 und 1952, in denen vor allem das italienische Innenministerium unter Mario Scelba gegen die russische Teilnahme votierte, um den kommunistischen Gästen aus dem Ausland und ihren Sympathisanten im Inland keine öffentliche Plattform zu bieten. Ab dem Tod 440 Vgl. Renzo Renzi: Passaporto per Karlovy Vary, in: Cinema, Nr. 55, 1. 2. 1951, S. 29. 441 Vgl. Aristarco: In un festival (Cinema Nuovo, Nr. 10, 1953), S. 282. 442 Luigi Fossati: 140 chilometri di pellicola, in: Cinema Nuovo, Nr. 111, 15. 7. 1957, S. 40 f., hier S. 41. 443 Zitate aus Ulrich Gregor: Venedig 1957, in: Filmkritik, Nr. 10, 1957, S. 145 f., hier S. 145; ders.: Im Westen nichts Neues (F, Nr. 3, 1958), S. 319; ders.: Cannes: Unter kommerziellen Vorzeichen, in: F, Nr. 3, 1958, S. 300–306, hier S. 300.

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Stalins 1953 entspannte sich die Lage in Venedig, beide Seiten waren nun eher zu Zugeständnissen bereit und die Sowjetunion beschickte fortan regelmäßig das Festival.444 Für die Bundesrepublik und die Berlinale geben neben anderen Quellen die Überlieferungen aus verschiedenen Ministerien einen Einblick in das diplomatische Gezerre um die Teilnahme des sowjetischen Einflussbereichs. Anfangs völlig unvorstellbar, kam mit der Aufnahme zwischenstaatlicher Beziehungen zwischen BRD und UdSSR Bewegung in diese Frage, die in Westdeutschland und Westberlin verschiedene Stimmen befeuerten. Ab 1957 wiesen zum Beispiel SPD-Politiker auf den für das Festival und seine Einladungspraxis verpflichtenden Charakter der diplomatischen Beziehungen hin.445 Teile der Filmwirtschaft hielten eine Einladung der Sowjetunion für ein Zeichen westlicher Souveränität und Liberalität446 – und waren insgeheim sicher auch möglichen neuen Geschäftskontakten nicht abgeneigt. Zudem brachte Joachim Tiburtius, der Westberliner Senator für Volksbildung, regelmäßig die östliche Beteiligung auf; ihm war daran gelegen, dass die heimischen Filmfestspiele mit der Konkurrenz aus Cannes und Venedig als wirkliche Weltbühne mithalten konnten und dass die Westhälfte der Stadt weltweit Anerkennung fand und im Gedächtnis blieb. Doch 1957 erhielten seine Pläne eine vom Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts überbrachte, politisch motivierte Abfuhr: Das Ergebnis ist die Feststellung, dass das Auswärtige Amt ebenso wie die anderen beteiligten Bundesministerien es nach wie vor als Hauptaufgabe der Berliner Filmfestspiele ansieht, eine Dokumentation der freien Welt gegenüber dem Osten zu sein. Das Auswärtige Amt hält es daher nicht für angezeigt, die ursprüngliche Bestimmung der Filmfestspiele durch eine Einladung der Sowjetunion abzuändern, sondern ist der Meinung, dass die Filmfestspiele nur solange ihren eigentlichen Sinn erfüllen, als sie ihrer ursprünglichen Zielsetzung treubleiben, was eine Beschränkung der Teilnehmer auf die Länder der freien Welt zur Folge haben muss.447

1958 erging nach längeren Diskussionen eine Einladung nach Moskau, die allerdings sehr kurzfristig ankam und nicht mehr beantwortet wurde.448 Auch in den Folgejahren war die Berlinale konstant gefährdet, in die Mühlen der Geopolitik zu geraten. So beispielsweise Anfang 1960, als das sowjetische Außenministerium rigoros die Annahme der Einladung verweigerte: Die erwähnte Note kann nicht zur Prüfung durch die entsprechenden sowjetischen Organisationen entgegengenommen werden, da Westberlin niemals Bestandteil des Staatsgebiets der Bundesrepublik Deutschland gewesen ist noch ist, nicht von Organen der Bundesregierung verwaltet werden kann und sich die Zuständigkeit der Behörden der Bundesrepublik Deutschland nicht auf es erstrecken.

444 Vgl. Pisu: Stalin a Venezia, S. 191–223. 445 Vgl. Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films am 3. 4. 1957, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestags, Berlin, 3117 A 2/10, Protokoll 48; Antrag der SPD-Fraktion, Drucksache 271, 11. 3. 1958, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, Anlagen, Bonn 1958. 446 Vgl. Hans Capito: Die Russen kommen, in: filmblätter, Nr. 7, 14. 2. 1958, S. 163. 447 Heinz Trützschler von Falkenstein, Auswärtiges Amt, an Joachim Tiburtius, Senator für Volksbildung Berlin, Bonn, 6. 5. 1957, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/460. 448 Für 1958 vgl. den umfangreichen Schriftverkehr ebd., B 95/461.

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Daraufhin kamen Delegierte etlicher Ministerien darin überein, andere Ostblockstaaten gar nicht erst für Berlin zu nominieren.449 Der geschilderte Widerwillen und die Empfindlichkeiten runden das Bild des filmpolitischen Klimas weiter ab, in dem das Wirken der Filmkritik in diesem Abschnitt kontextualisiert werden soll. So wie Argwohn in der Innenpolitik vorherrschte, wenn es um die Behandlung von Akteuren mit Ostkontakten oder -sympathien ging, so agierte die auswärtige Kulturpolitik nicht nur in der ständigen, bereits skizzierten Absicht, das internationale Ansehen der Bundesrepublik aufrecht zu erhalten, sondern auch im ständigen Modus der globalen Systemkonkurrenz. Regelmäßig sondierte das Auswärtige Amt über die Botschaften, wie etwa agitatorische DEFA-Spielfilme oder -Dokumentationen in den jeweiligen Ländern aufgenommen wurden, um gegebenenfalls diplomatisch gegenzusteuern.450 Die Interessen und Maßnahmen der westdeutschen Außenpolitik tangierten dabei auch auf den ersten Blick abwegige Filmgenres und das filmhistorische Erbe Deutschlands. Mehrmals kam aus einem Konsulat in Indien die besorgte Rückmeldung, dass ein Kinderfilmfestival im damaligen Bombay deutlich von Osteuropa dominiert und ausgenutzt werde: Die Ostblock-Staaten haben, wie im Vorjahr, die Kinderfilm-Festspiele geschickt für ihre Werbearbeit zu benutzen verstanden. […] Das alles andere als pro-kommunistische ehrenamtliche Festspiel-Komitee, überlastet und der Linie des geringsten Widerstandes folgend, bediente sich mit Freuden dieser Erleichterung seiner Vorarbeit. So erklärt sich der breite Raum, den in dem Programm die Filme der kommunistischen Staaten einnahmen.

Da es „bedauerlich [wäre], wenn die Bundesrepublik in dieser Beziehung wieder einmal ins Hintertreffen geriete“, forderten die Beamten vor Ort wiederholt eine qualifizierte Beschickung der Veranstaltung an.451 Das Auswärtige Amt sah sich auch gezwungen, Kopien von bedeutenden Filmwerken gerade der Weimarer Zeit anfertigen zu lassen und offensiver im Namen der Bundesrepublik im Ausland einzusetzen. Das Wiesbadener Institut für Filmkunde hatte nämlich auf „die besondere Aktivität des staatlichen Filmarchivs der sowjetisch besetzten Zone im Ausland“ hingewiesen und gewarnt, daß die sogenannte DDR mit Hilfe ihrer großzügigen Mittel als einzige Hüterin des deutschen filmkünstlerischen Erbes in Erscheinung tritt. Normalerweise bietet das Filmarchiv der Zone großzügig die Ausleihe von filmgeschichtlich interessanten Filmen der Vergangenheit an und verbindet damit die Vorführung von neuen DEFA-Filmen, die im allgemeinen eine starke kommunistische Tendenz enthalten.452

Auf dieses angespannte Klima im Zeichen des Kalten Kriegs reagierten die Cinema Nuovo und die Filmkritik mit der geschilderten Kritik an verzerrten Darstellungen oder filmpolitischen Einschränkungen. Die Zeitschriften kontrastierten es darüber hinaus mit ihrer demonstrativen Offenheit gegenüber osteuropäischem Filmschaf449 Note des sowjetischen Außenministeriums an die Botschaft der Bundesrepublik, Moskau, 27. 1. 1960, ebd., B 95/689; vgl. auch einen Vermerk des Bundesinnenministeriums, Bonn, 15. 2. 1960, ebd. 450 Vgl. zum Beispiel die Rundschreiben zu den Filmen Ein Tagebuch für Anne Frank und Unternehmen Teutonenschwert, ebd., B 95/470, B 95/487, B 95/637 und B 95/961. 451 Generalkonsulat Bombay an das Auswärtige Amt, 14. 2. 1956 und 7. 7. 1956, ebd., B 95/458. 452 Aufzeichnung Franz Rowas, Auswärtiges Amt, o. O., 6. 1. 1958, ebd., B 95/485.

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fen, mit ihrem Kenntnisreichtum und mit dem ständigen Anmahnen einer möglichst unbefangenen Sachlichkeit in filmischen und politischen Fragen; hinzu kamen immer wieder ausnehmend positive Urteile zu Filmen, ganzen Filmschulen oder einzelnen Regisseuren. Um in der Cinema Nuovo in gleichem Umfang über osteuropäische Filme zu berichten wie etwa über das italienische Kino, reichten die Kontakte über die Blockgrenzen hinweg nicht aus, und der Schwerpunkt der Zeitschrift lag ja doch auf inneritalienischen Realismusdebatten. Aber Guido Aristarco und seine Mitarbeiter versuchten ihre Leser halbwegs kontinuierlich mit Informationen aus diesem Teil des Kontinents zu versorgen; immerhin führten sie mit Jaroslav Broz einen Korrespondenten in der Tschechoslowakei und brachten beispielsweise auch Berichte über Reisen in die Sowjetunion.453 Der Grat zwischen Information und Provokation war in Italien offensichtlich schmal. Anlässlich des Todes von Josef Stalin im März 1953 veröffentlichte die Redaktion unkommentiert Textauszüge des Diktators und einiger sowjetischer Regisseure, um das stalinistische Filmverständnis zu illustrieren. Ein Leser erregte sich darüber, fragte in einer Zuschrift nach dem Zweck dieses vermeintlichen Nekrologs und des Abdrucks dieser Propaganda.454 Aristarco selbst ließ es sich Jahre später nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass über die Ungarnkrise nicht vom Westen verursachte Problemfelder der Geopolitik in Guatemala, Algerien oder Indochina vergessen werden sollten.455 Zumeist bezogen sich die Forderungen nach ausgewogenem, sachlichem Austausch anstelle starren Blockdenkens aber auf filmische Fragen. Der frühen Argumentation Renzis folgend, widmete sich zum Beispiel ein Editorial der Cinema Nuovo dem venezianischen Festival und sprach sich gegen die vorschnelle „denigrazione“ der Filme aus dem Ostblock aus, die nur aus ihrer Herkunft abgeleitet werde. Hier müsste es doch möglich sein, eine Diskussion „educata“ zu führen, und gemeinsam Fragen nach der Vergleichbarkeit der Ausdrucksformen und Stilmittel in West und Ost, nach wechselseitigen Einflüssen und auch nach Differenzierungen zwischen den einzelnen Kinematographien Osteuropas abzuarbeiten.456 Häufig waren es gerade die Beiträge aus dem Osten, die, wenn sie einmal dabei waren, die Kritiker der Cinema Nuovo begeisterten, so Tommaso Chiaretti 1953 in Venedig: „Nessuno che non sia viziato d’oscurantismo potrà negare che, senza la partecipazione che v’è stata dell’Unione Sovietica e dei paesi di nuova democrazia al festival, la Mostra di Venezia sarebbe naufragata.“457 Insbesondere Luigi Chiarini schwärmte für den – ebenfalls 1953 – verstorbenen sowjetischen Filmemacher und Theoretiker Wsewolod Pudowkin und den „umanesimo del lavoro“, der aus dessen 453 Vgl. Enrico Emanuelli: Lo sguardo era fisso su Stalin quarantenne, in: Cinema Nuovo, Nr. 3, 15. 1. 1953, S. 41 f.; ders.: L’autorità politica vuole conflitti umani, in: Cinema Nuovo, Nr. 4, 1. 2. 1953, S. 76 f. 454 Vgl. Stalin preferiva Ciapaiev, in: Cinema Nuovo, Nr. 7, 15. 3. 1953, S. 166; Lettere al direttore, in: Cinema Nuovo, Nr. 12, 1. 6. 1953, S. 321. 455 Vgl. Guido Aristarco: Responsabilità della cultura, in: Cinema Nuovo, Nr. 99, 1. 2. 1957, S. 37. 456 Vgl. Una guerra educata (Cinema Nuovo, Nr. 18, 1953). 457 Tommaso Chiaretti: Lo smoking delle coscienze, in: Cinema Nuovo, Nr. 19, 15. 9. 1953, S. 179 f., hier S. 179.

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Wassili Bortnikow spreche. Chiarini zeigte sich enttäuscht darüber, dass der Film, der als posthumer Beitrag in Pudowkins Todesjahr in Venedig präsentiert wurde, dort von vielen Kollegen sehr kühl aufgenommen und von der Jury bei der Preisvergabe übergangen wurde.458 Nicht zuletzt war das sowjetische Kino auf einer eher theoretischen Ebene, bei der Herausbildung einer eigenen, realistisch geprägten Filmauffassung, für diesen Kritikerkreis von Relevanz. Aus einem Editorial, das gleichzeitig als Nachruf auf Pudowkin fungierte, geht hervor, dass der Einfluss des russischen Theoretikers bis in die faschistische Zeit zurückreichte. Pudowkins wenige, mehr oder weniger heimlich kursierenden Schriften hatten die jungen kritischen Cineasten damals als Ansporn für eine erste Absetzbewegung vom filmtheoretisch dominanten Idealismus genommen: „Pudovkin non diceva solo montaggio, forbici, immagini, creazione. Le parole-chiave, le parole-pilota di quel suo eccitante discorso erano anche sopra tutto tesi, società, arte collettiva, realismo.“459 Das Editorial wünschte sich dementsprechend auch für die nachfaschistische Zeit eine viel größere Verbreitung der Texte Pudowkins. Guido Aristarco entdeckte zudem in einer Gorki-Verfilmung von Mark Donskoi Anregungen für den von ihm angestrebten „passaggio dal neorealismo al realismo.“460 Die Nachwuchskritiker um die Filmkritik wähnten Osteuropa und seine kulturellen wie filmischen Erzeugnisse in der westdeutschen Wahrnehmung blockiert von Ignoranz, Einseitigkeit oder Oberflächlichkeit, gegen die sie erst einmal anschreiben zu müssen meinten. Sie zielten auf Fehldeutungen der wenigen eingeführten Filme ab, dazu auf vermeintliche Details, die für sie vielsagend waren: dass FSK, FBW und Filmverleiher nie die Originaltitel sowjetischer Werke verzeichneten, aber stets die der noch so unterdurchschnittlichen US-amerikanischen Importe, oder dass bei internationalen Co-Produktionen die Beteiligung der DEFA und des in der DDR aktiven Filmkomponisten Hanns Eisler unterschlagen wurde.461 Kontrapunkte setzte die Gruppe, indem sie bei verschiedenen Filmen dezidiert auf die gelungene musikalische Untermalung durch Eisler hinwies und sowohl in der Filmkritik als auch in der F Auszüge aus dessen Schriften abdruckte.462 Bei Dokumentarfilmen störten sie sich an konservativ-reaktionärer Parteilichkeit, wie oben bei Ungarn in Flammen gesehen. Diese Produktionen konnten aber auch aus anderen Gründen nutzlos sein. Enno Patalas rezensierte Wir sahen mit unseren Augen: Rußland heute – der Film scheitere daran, ein einigermaßen aktuelles und „objektives“ Bild der sowjetischen 458 Vgl. Luigi Chiarini: I trattori di Pudovkin, in: Cinema Nuovo, Nr. 22, 1. 11. 1953, S. 264; ders.: I falsi leoni, in: Cinema Nuovo, Nr. 65, 25. 8. 1955, S. 131 f., hier S. 132. Vgl. dazu auch Pisu: Stalin a Venezia, S. 233–235. 459 Omaggio a Pudovkin, in: Cinema Nuovo, Nr. 16, 1. 8. 1953, S. 71. 460 Aristarco: Il tetto del festival (Cinema Nuovo, Nr. 83, 1956), S. 301. 461 Für diese Vorhaltungen vgl. Postscriptum, in: Filmkritik, Nr. 12, 1960, S. 368; Enno Patalas: Hexenjagd (Les Sorcières de Salem, Die Hexen von Salem), in: Filmkritik, Nr. 6, 1958, S. 128 f., hier S. 129. 462 Vgl. Ulrich Gregor: Bel Ami (Bel Ami), in: Filmkritik, Nr. 12, 1957, S. 189; Enno Patalas: Herr Puntila und sein Knecht Matti, in: Filmkritik, Nr. 12, 1960, S. 350–352, hier S. 352; Hanns Eisler: Funktion der Filmmusik, in: Filmkritik, Nr. 12, 1957, S. 177 f.; ders.: Komposition für den Film, in: F, Nr. 1, 1958, S. 41–55.

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Gesellschaft in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zu zeichnen. Ein zweifacher Filter habe nur Unverbindlichkeit, „ein freundlich-buntes Allerlei“,463 übriggelassen. Zweifelsohne hatten sowjetische Stellen die Bild- und Themenauswahl gesteuert; der Spiegel berichtete wiederholt darüber.464 Doch Patalas vermisste auch beim westdeutschen Filmteam ein strukturiertes Erkenntnisinteresse, so dass nur eine touristische Aneinanderreihung lauter aus den Autos heraus aufgenommener Landschaften oder Straßenszenen herauskomme. Er beschloss seine Kritik mit einer Szene aus der Dokumentation: „Am Schluß des Films fragt der Sprecher beim Anblick der vorm Kreml-Mausoleum wartenden Besucherschlangen: ‚Was mögen diese Menschen denken?‘ Seine Antwort lautet prompt: ‚Wir wissen es nicht.‘ Will es denn jemand wissen? Fragt denn jemand?“465 Die Filmkritik-Gruppe wollte es wissen. Die deutsche und europäische Teilung konnten sie als Einzelpersonen zwar nicht ohne Weiteres aufheben, aber schon in ihrer frühesten Kritikertätigkeit waren sie ganz praktisch darum bemüht, „das nationale Spaltungsirresein“466 zumindest in Teilen und kurzzeitig zu unterlaufen oder auszuhebeln. 1952 erschien in den Frankfurter Heften ein in dieser Hinsicht aufschlussreicher Bericht Wilfried Berghahns, der sich Theaterfestspielen auf beiden Seiten des geteilten Berlins widmete. Berghahn streute im Text immer wieder kleine atmosphärische Beobachtungen ein, stellte beispielsweise Beschreibungen des Kurfürstendamms und des Alexanderplatzes gegenüber. Als besonders interessant und deutlich niveauvoller als die Westberliner Darbietungen empfand der Kritiker in der Bilanz die Arbeit Bertolt Brechts, obwohl diese Feststellung sicher politisch brisant sei: „Und man muß sich leider wieder einmal auf kulturpolitisches Glatteis begeben, wenn man der Chronistenpflicht Genüge tut und bekennt: Das war wesentlich präziseres und durchdachteres Theater, als es heute in Westberlin gemacht wird.“467 In der Folgezeit blieb Berghahn in dieser Kulturzeitschrift ein Experte für Brecht, mit gelegentlichen Besprechungen von Aufführungen oder Editionen. Und es blieb für ihn beim Ost-West-Gefälle zugunsten des sozialistischen Originals, wenn er beispielsweise zu einer westdeutschen Interpretation von Galileo Galilei nachfragte, ob „es nicht doch angebracht wäre, sich ein paar Inszenierungen im Theater am Schiffbauerdamm anzusehen, ehe man Brecht spielt?“468 Die Bewunderung für manche Ergebnisse des ostdeutschen Kulturschaffens im Spannungsfeld der politischen Gesamtlage brachte Berghahn ebenfalls in seinem Fachgebiet Film zum Ausdruck, anlässlich von Wolfgang Staudtes Untertan, den 463 Enno Patalas: Wir sahen mit unseren Augen: Rußland heute, in: Filmkritik, Nr. 9, 1957, S. 141 f., hier S. 141. 464 Vgl. Mit unseren Augen, in: Der Spiegel, Nr. 23, 6. 6. 1956, S. 41 f.; Das Schaufenster, in: Der Spiegel, Nr. 33, 14. 8. 1957, S. 48–50. 465 Patalas: Rußland heute (Filmkritik, Nr. 9, 1957), S. 142. 466 Enno Patalas: Ausstellungen in München und Ost-Berlin. Film – museumsreif, in: magnum, Nr. 18, Juni 1958, S. 64 f., hier S. 64. 467 Wilfried Berghahn: Theater ohne Konzeption. Bemerkungen zu den Berliner Festwochen 1952, in: Frankfurter Hefte 7 (1952), Nr. 11, S. 880–884, hier S. 883. 468 Wilfried Berghahn: Die Parabel vom armen G. G., in: Frankfurter Hefte 10 (1955), Nr. 6, S. 449 f., hier S. 450.

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er, abermals in den Frankfurter Heften, trotz aller problematischen Umstände als ein „Meisterwerk“ bezeichnete: Das ist gewiß eine höchst anstößige und wenig dankbare Feststellung, denn sie wird zu Unbehagen bei den kulturellen Kreuzfahrern führen, Entrüstung im nationalen Lager provozieren und im ostberliner Propagandaministerium Beifall finden. Eine schiefe Situation! Man muß das in Kauf nehmen.469

Es ging den jungen Kritikern in ihren Aktivitäten darum, so viele Filme der DEFA wie möglich in Westdeutschland zugänglich zu machen und diese unvoreingenommen, aber nicht unkritisch zu diskutieren. Berghahns späterer Filmkritik-Kollege Reinold E. Thiel organisierte in Schriftwechseln mit dem Bundeswirtschaftsministerium für den gemeinsamen studentischen Filmclub in Bonn Vorführungsfreigaben;470 auf einer dieser Veranstaltungen referierte Berghahn zum Thema „Der Agitationsfilm der DEFA“, wie ein Bericht im Innenministerium vermerkte471 – diese Behörden waren an den Vorgängen und dortigen Äußerungen selbstverständlich interessiert. Ein überzeugter Grenzgänger zwischen West und Ost war aus dem Kreis um die Filmkritik besonders noch Ulrich Gregor. Schon als Abiturient hatte er sich mit einem weiteren späteren Filmkritik-Autoren, Dietrich Kuhlbrodt, Schallplatten mit FDJ-Liedern nach Hamburg mitgebracht.472 Mitte der 1950er Jahre, nach seinem Aufenthalt in Paris, entschied er sich bewusst für die Freie Universität in Westberlin als Studienort, „das war doch sehr interessant, die Mauer gab’s ja noch nicht zu dem Zeitpunkt, und da konnte man sehen, was also im anderen Teil Deutschlands eigentlich passiert und wie da die Stimmung ist und was in den Zeitungen steht“. Regelmäßig fuhr er über die Sektorengrenze in den Ostteil der Stadt, manchmal unerlaubterweise in die restliche DDR. Gregor knüpfte Kontakte zu einem Ostberliner studentischen Diskussionskreis, der sich über Politik, Kultur und Ästhetik austauschte und bald aufgrund systemkritischer Eingaben massive Repressalien erfuhr. Diese Besuche und auch seine Zugreise zu einem internationalen Studententreffen in Moskau 1956 verstand Gregor als ein innen- und außenpolitisches Zeichen: Aber wir meinten, wir müssen dem herrschenden Antikommunismus entgegenwirken und wir müssen ein anderes Bild der Sowjetunion zeigen und schließlich haben wir dieses Land angegriffen und verwüstet und da müssen wir vielleicht wieder was gutmachen und dürfen nicht mit dem platten Antikommunismus jetzt wiederkommen.473

Einige der Filmkritik-Autoren wurden durch diese Offenheit und die gelegentlichen Studienreisen zu guten Kennern des osteuropäischen Films, die ihre Erkenntnisse nicht nur in den eigenen Publikationen verbreiteten. Reinold E. Thiel skizzierte in der F den Weg des tschechoslowakischen Kinos durch die verschiedenen aus Moskau vorgegebenen kulturpolitischen Phasen, schrieb 1959 gewissermaßen fachfremd aber auch einen ausführlichen Artikel über das sowjetische Bildungswesen

469 Berghahn: Deutschenspiegel (Frankfurter Hefte, Nr. 9, 1952), S. 712. 470 Vgl. verschiedene Schreiben aus den Jahren 1954 und 1955, Bundesarchiv, Koblenz, B 102/34486. 471 Vgl. Bundesinnenministerium, Bericht über die Filmveranstaltung am 16. 12. 1955, ebd., B 106/987. 472 Vgl. Kuhlbrodt: Das Kuhlbrodtbuch, S. 15 f. 473 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor.

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für die Frankfurter Hefte.474 Ulrich Gregor protokollierte für die Zeitschrift der Filmclubs, das filmforum, immer wieder aktuelle Entwicklungen bei der DEFA475 und analysierte in den Neuen Deutschen Heften die Entwicklung des sowjetischen Filmschaffens unter Stalin und nach seinem Tod bis zum Ende der 1950er Jahre. Über „Tendenz und Tendenzen im östlichen Film“ sprach Wilfried Berghahn bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen und veröffentlichte daraus einige Passagen im filmforum. Gregor und Berghahn zeigten in ihren Beiträgen, wie sich die osteuropäischen Filmemacher nach dem Kollektivismus und den eindimensionalen Heldenfiguren in Stalinismus und Sozialistischem Realismus nun häufig „privaten“ und „unpolitischen“ Themen widmeten, beispielsweise Liebesgeschichten. Daraus hätten viele westliche Kritiker bereits auf eine allgemeine politische Erosion im Ostblock geschlossen – insbesondere für Russland voreilig, so Gregor und Berghahn, da an irgendeinem Punkt auch die neueren sowjetischen Filme, wie kritisch sie sich auch immer geben, mit der sowjetischen Wirklichkeit letztlich einverstanden sind. […] der fundamentale Optimismus der sowjetischen Filme beweist doch, daß ein Hauptpfeiler des ‚sozialistischen Realismus‘, nämlich das Einverständnis mit der Welt und der Glaube an die verheißungsvolle Zukunft, durchaus noch intakt ist.476

Trotz dieser Einschränkungen waren die jungen gesellschaftskritischen Filmkritiker fasziniert von der Alltagsbeobachtung und der formalen Gestaltung vieler dieser differenzierteren, neueren Filme aus Osteuropa und sahen bei diesen wie ihre italienischen Kollegen Vorzüge, die nur wenige westliche Werke aufweisen könnten.477 Ein Lob für aktuelle polnische oder ungarische Filme war dabei fast schon selbstverständlich, so für Zoltán Fábris Hannibál tanár úr, dem Enno Patalas eine bemerkenswert ideologiekritische Darstellung attestierte.478 Unter den sowjetischen Importen stach für Gregor Letjat shurawli von Michail Kalatosow – in der Bundesrepublik als Wenn die Kraniche ziehen bekannt – hervor. Die Geschichte einer jungen Frau, die auf ihren freiwillig im Zweiten Weltkrieg kämpfenden Verlobten wartet, war, abgesehen von einer Dokumentation über den Moskauer Staatszirkus, der einzige Film aus dem Ostblock, der es in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre unter die zehn beliebtesten Filme einer westdeutschen Spielzeit schaffte.479 Auch wenn die meisten Kritiker und Zuschauer Kalatosows Film einmal mehr verkürzt interpretiert hätten, überzeugte er selbst den strengen Filmkritik-Rezensenten mit 474 Vgl. Reinold E. Thiel: Neubeginn im tschechoslowakischen Film, in: F, Nr. 2, 1958, S. 212– 220; ders.: Die ideologische Entwicklung der sowjetischen Erziehung. Lernen, lernen, lernen …, in: Frankfurter Hefte 14, Nr. 6 (1959), S. 401–415. 475 Vgl. zum Beispiel Ulrich Gregor: Grundakkord ist die „Parteilichkeit“. Anmerkung zu drei neuen Filmen aus der DEFA-Produktion, in: filmforum 8 (1959), Nr. 6, S. 2; ders.: Zwischen Ideologie und Unterhaltung. Anmerkungen zu einigen Filmen der neuen DEFA-Produktion, in: filmforum 9 (1960), Nr. 3, S. 7. 476 Gregor: Der sowjetische Film im Zeichen des Tauwetters (Neue Deutsche Hefte, Nr. 47, 1958), S. 244. 477 Vgl. auch Wilfried Berghahn: Tendenz und Tendenzen im östlichen Film, in: filmforum 8 (1959), Nr. 4, S. 5. 478 Vgl. Enno Patalas: Professor Hannibal (Hannibal tanar ur), in: Filmkritik, Nr. 2, 1960, S. 51– 54, hier S. 53. 479 Vgl. Garncarz: Hollywood in Germany, S. 202 f.

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seinem Drehbuch, den von der Kameraarbeit „bewundernswert“ unterstützten Charakterzeichnungen und einigem ideologischen Mut im Detail. Maßgeblich für Gregors Begeisterung war vor allen anderen Aspekten die Wiederbelebung filmischer Mittel, die im westlichen Filmgeschäft schon lange weitgehend ignoriert würden: Zur künstlerischen Leistung wird er durch das Fehlen jeder Nuance der Künstlichkeit, der formalen Verkrampfung, des Brillierenwollens um jeden Preis, den Verzicht darauf, die Zuschauer durch ‚Unerhörtes‘ zu überwältigen, wie man es von den westlichen ‚Spitzenfilmen‘ gewohnt ist. In den ‚Kranichen‘ wird etwas spürbar, dessen uns der Film, seit dem Verfall des Neorealismus, entwöhnt hat: die Dynamik und die Tiefe ‚normalen‘ menschlichen Erlebens.480

Gregor fusionierte hier also zur Abgrenzung vom westlichen „Mainstream“ das italienische realistische Vorbild mit aktueller Filmkunst aus dem feindlichen Lager, wenngleich auch die Kraniche für ein prinzipielles Einverständnis mit den erstarrten Hierarchien der sowjetischen Gesellschaft stünden. Im Wirken des DDR-Regisseurs Konrad Wolf fand der Filmkritik-Kreis weitere Aspekte, die er in der zeitgenössischen westdeutschen Filmproduktion vermisste. Wolf hatte 1957 mit Lissy einen Exilroman der 1930er Jahre verfilmt, der die Verlockungen des sozialen Aufstiegs einer Kleinbürger- und Mitläuferfamilie im Nationalsozialismus behandelt. Hier sei nun endlich einmal die soziologische Leerstelle der Historien- und Kriegsfilme aus der Bundesrepublik aufgefüllt worden – und gleichzeitig die der DEFA-Produktionen über die NS-Zeit, die sich zumeist auf tapfere Proletarierfiguren konzentriert hätten. Ulrich Gregor lobte an Wolf, dass er „sinnvoll zwischen dem Privaten und dem Politischen, dem Einzelnen und dem Allgemeinen“ vermittele, dies formal exzellent untermauere durch Kontrastmontagen und an Eisler erinnernde Filmmusik.481 Im Jahr darauf entstand unter Wolfs Regie eine ostdeutsch-bulgarische Co-Produktion. In Sterne erkennt ein deutscher Besatzungsoffizier in Bulgarien erst durch Gespräche und eine Liebesbeziehung mit einer griechischen Jüdin, die am Ende des Films allerdings nicht mehr vor der Deportation nach Auschwitz gerettet werden kann, die Konsequenzen seiner willenlosen Einreihung in die NS-Maschinerie. Er entschließt sich letztlich, den bulgarischen Widerstand zu unterstützen. Sterne überzeugte Gregor wie auch Lissy durch die präzise und realistische Zeichnung der Figuren und die filmische Unterfütterung der Kerngedanken: Auch sonst stehen in diesem Film – wie es überhaupt das Kennzeichen der Filme Konrad Wolfs ist – formale Bemühungen auf besonders intelligente Weise im Dienst der thematischen Aussage. Niemals hat man es mit einer scheinbar sich selbst überlassenen Virtuosität der Kamera zu tun, wie manche Kritiker meinten.482

Das Werk erlaube Rückschlüsse, die der Filmkritik-Kreis bei vergleichbaren westdeutschen Filmen, aus denen „man beruhigt nach Hause geht“, frustriert vermisste, denn „gerade indem Konrad Wolf einen ‚Unentschiedenen‘, zwischen den Fronten Stehenden zu seinem Helden macht, ihn in Konflikt mit der Wirklichkeit bringt und 480 Ulrich Gregor: Wenn die Kraniche ziehen (Letjat Jurawly), in: Filmkritik, Nr. 7, 1958, S. 141– 143, hier S. 143. 481 Vgl. Gregor: Lissy (Filmkritik, Nr. 3, 1958), S. 55. 482 Ulrich Gregor: Sterne, in: Filmkritik, Nr. 6, 1960, S. 166–170, hier S. 169.

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zur Entscheidung nötigt, zwingt er dem Zuschauer die Frage nach seinem eigenen Verhalten auf.“483 Der Kritiker Gregor verteidigte Wolfs Film in seiner Besprechung gegen die Beurteilung und Behandlung im Westen. Einige seiner Kollegen verbaten sich die Erkenntnisse des Films aus östlicher Himmelsrichtung – doch „wie kann die Richtigkeit eines historischen Urteils abhängig von dem Ort sein, an dem es ausgesprochen wird?“ Gravierend war aber besonders, dass der Schluss des Films mit der Hinwendung des Offiziers zur Widerstandsbewegung in den bundesrepublikanischen Kinos fehlte. Dieser Eingriff, so Gregor, beeinträchtige die „objektive […] Gesamttendenz des Werkes: die Bewußtseinsentwicklung des Helden vom politischen Abstinenzler zum bewußt und verantwortungsvoll handelnden Menschen wird um ihr entscheidendes Stück verkürzt.“484 Zwei Ausgaben später hatte die Redaktion die Hintergründe dieser Kürzung recherchiert. Anders als von Gregor vermutet, handelte es sich nicht um ein präventives Ausweichen des Verleihs vor möglichen Protesten der Soldatenverbände. Der tatsächliche Vorgang gab der Kritik an den Institutionen der Filmkontrolle allerdings ebenfalls weitere Nahrung. Die Ausschüsse der Filmbewertungsstelle hatten den Wegfall der Passage als Bedingung für die Prädikatisierung genannt; „Zur Begründung heißt es in dem Bescheid der FBW lediglich, es werde ‚mit dieser Begegnung (zwischen dem Deutschen und einem Partisanen) eine ganz verwirrende Problematik zum Schluß noch eingeführt‘!“485 Zwischen Ost und West: Wolfgang Staudte und die Filmkritik Wie vermutlich kein zweiter deutschsprachiger Regisseur der ersten Jahrzehnte nach 1945 steht Wolfgang Staudte mit seinem Werk und Wirken symbolisch dafür, dass auch Filmschaffende bei dem Versuch, die Blockgrenzen außer Kraft zu setzen, sehr leicht Gefahr liefen, in der deutsch-deutschen Kulturpolitik aufgerieben zu werden. Zugleich war Staudte – das hat Wilfried Berghahns Lob für seine DEFA-Verfilmung von Heinrich Manns Roman Der Untertan gezeigt – für die Gruppe um die Filmkritik Hoffnungsträger eines hochwertigen deutschen Kinos, das kritisch mit Vergangenheit und Gegenwart umgehen und sich dabei nicht groß um die oft von Angst und Misstrauen erfüllte innerdeutsche Filmpolitik scheren sollte. Die folgende Skizze zu Staudtes Schaffen und seiner Rezeption durch die jungen Kritiker bietet sich so als ergänzender Zwischenschritt in diesem Abschnitt an, als Verbindung vom Einerseits der Verteidigung des östlichen Kinos zum Andererseits der differenzierten und kritischen Auseinandersetzung damit, die sowohl die Cinema Nuovo als auch die Filmkritik führten. Nachdem gerade im westdeutschen Beispiel bereits distanzierende Zwischentöne zum sowjetischen Film und seinem Gesellschaftsbild und auch zur offiziellen Filmkultur der DDR anklangen, wird der Fall Staudte noch deutlicher zeigen, dass die Zustände und Erzeugnisse der sozialistischen Staaten keineswegs nur unreflektiert gefeiert wurden. 483 Ebd., S. 170. 484 Ebd. Vgl. dazu Habel: Zerschnittene Filme, S. 99. 485 Postscriptum, in: Filmkritik, Nr. 8, 1960, S. 252.

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Wolfgang Staudte kann als bewusster, dezidierter „Grenzgänger“ zwischen dem Filmwesen in der Bundesrepublik und in der DDR eingestuft werden, er kultivierte dies auch öffentlich und „legte Wert darauf, als ein gesamtdeutscher Regisseur zu gelten.“486 Er hatte sehr bald ab 1945 mit Die Mörder sind unter uns und Rotation für die DEFA wichtige Werke des Nachkriegsfilms hergestellt, sich parallel dazu aber immer offen für Projekte in den westlichen Zonen und dann in der BRD gezeigt. Diese Praxis Staudtes führte schon zu Beginn der 1950er Jahre zu einer öffentlichkeitswirksamen Eskalation. Mit Hilfe von Aufzeichnungen des beteiligten Produzenten rekonstruierte beispielsweise der Spiegel minutiös die Vorgänge um das Filmprojekt Gift im Zoo. Staudte war als Regisseur für diesen westdeutschen Krimi vorgesehen, die Finanzierung sollte das Bundesbürgschaftsprogramm gewährleisten. An dieser Stelle schaltete sich das Bonner Innenministerium ein, dem Staudte zu ostfreundlich für eine solche finanzielle Unterstützung war. Die Beamten forderten seine öffentliche Lossagung von der DEFA, begleitet von einem „antikommunistischen“ Artikel und idealerweise einem solchen Film. Der Regiekandidat lehnte empört ab und wurde daraufhin von Hans Müller ersetzt, der Gift im Zoo vollendete.487 Staudte zürnte in einem Brief an einen Bekannten aus dem Filmgeschäft: Nach meinem Ausscheiden aus dem Camera-Film bin ich in das Räderwerk einer politischen Polemik geraten, aus dem mich allein die Reise Pastor Niemöllers nach Moskau gerettet hat. Denn die Tatsache, daß ein Vertreter der Kirche erst nach Moskau fährt und dann nach Amerika, ist noch unvorstellbarer als die Tatsache, daß ein deutscher Filmregisseur in ganz Deutschland Filme machen will. Manchmal scheint es mir als sei es gleichgültig, welche Partei in Deutschland regiert. Immer wieder ist es ein spießbürgerlicher Absolutismus, der der inneren Gestaltung unseres geschundenen Landes den Stempel aufdrücken wird.488

In einem ihrer ersten Editorials griff die Redaktion der Filmkritik Jahre später diesen und andere Fälle auf und erzählte voller Anteilnahme die „Staudte-Story, ein gesamtdeutsches Märchen“ nach. Mit seinen kritischen Filmideen sei er im Westen immer wieder auf Ignoranz und Ablehnung gestoßen, zunächst bei den zuständigen alliierten Kontrollorganen, dann bei bundesdeutschen Filmfirmen, die etwa vom Untertan Abstand nahmen, und schließlich gekrönt von der Bürgschaftsaffäre. Dies habe Staudte wiederholt zur DEFA getrieben, wobei ihm auch dort beharrlich in die Filmarbeit hineingeredet worden sei. Eingriffe und Einschränkungen entdeckte die Filmkritik somit in beiden deutschen Staaten, zusammengefasst war Staudtes Werdegang für sie eine Kettenreaktion von verpaßten Gelegenheiten, politischen Dummheiten und autoritären Anmaßungen auf beiden Seiten des ‚Eisernen Vorhangs‘. Es ist eine Geschichte, bei der Bundesminister, pankower Funktionäre und westdeutsche Wirtschaftsbosse einander die Stichworte gegeben haben, und die so recht geeignet ist, zu zeigen, wie und wo im und am deutschen 486 Ulrike Weckel: Begrenzte Spielräume: Wolfgang Staudtes Filme und deren Rezeption im Kalten Krieg, in: Thomas Lindenberger (Hg.): Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen, Köln 2006, S. 25–47, hier S. 26 f. 487 Vgl. Des Müllers Lust, in: Der Spiegel, Nr. 50, 12. 12. 1951, S. 34–37. 488 Wolfgang Staudte an Erich Kröhnke, Berlin, 29. 2. 1952, Deutsche Kinemathek, Berlin, Wolfgang Staudte-Archiv, 4.3–80/48–0 Gift im Zoo-2.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur Film manipuliert wurde – und noch wird: wie wenig auch hierzulande von einer Freiheit des künstlerischen Ausdrucks im Film die Rede sein kann.489

Zu diesem Zeitpunkt war Staudte für den Kritikerkreis ein elementarer Filmkünstler, der in etlichen Nebensätzen als positive Vergleichsgröße und Lichtblick des westdeutschen Films hervorgehoben wurde – und in ähnlicher Weise auch durch Berghahns Freund Jürgen Habermas in den Frankfurter Heften.490 Enno Patalas hatte sich schon als junger Student bei verschiedenen Filmclubtreffen mit dem Regisseur unterhalten und suchte später, mit den eigenen Zeitschriften im Rücken, wieder den Gesprächskontakt.491 Rotation war laut dem Kritiker lange Zeit der einzige Film, „der das ‚Dritte Reich‘ wirklich künstlerisch in den Griff bekommt“.492 Das „Meisterwerk“ war dann ja Berghahn zufolge Der Untertan und dieses Urteil wurde im ersten Jahrgang der Filmkritik in einer anonymen Rezension noch einmal bekräftigt. Filmtechnisch höchst versiert zeige Staudte in bissigen satirischen Szenen die verheerende deutsche Tradition der Autoritätshörigkeit und der Mitläufer auf. Der Verfasser verteidigte Staudte gegen die Einwände und Hindernisse, die dem Film in Ost- und Westdeutschland begegneten, wobei er ein Zitat aus der Kritik Adornos an einer früheren Adaption Heinrich Manns einbaute: „Die Einen wünschten sich ein plattes Klassenkampfdrama, die Anderen genau jenen ‚selbstgerecht versöhnlichen Humor‘, mit dem ‚Der blaue Engel‘ die Denunziation entschärfte.“493 Dass der bereits 1951 entstandene Untertan erst im Frühjahr 1957 regulär in die Kinos der Bundesrepublik kam, spricht Bände und dafür, dass sich die maßgeblichen filmpolitischen Institutionen des Landes von den Spitzen Manns und Staudtes getroffen fühlten. Tatsächlich steuerten sie in bewährter Manier sowohl innen- als auch außenpolitisch gegen. Die Botschaft in Australien versuchte beispielsweise, für ein Festival in Melbourne den Untertan durch die hastige Anmeldung und Untertitelung von Käutners Hauptmann von Köpenick auszustechen, da insgesamt nur ein deutschsprachiger Film gezeigt werden sollte. Einmal mehr wurde auf die auch auf dem fünften Kontinent starke Konkurrenz durch günstig zur Verfügung gestellte Filme aus dem Ostblock hingewiesen.494 In der Bundesrepublik selbst sperrte sich die FSK lange Zeit sogar gegen eine exklusive Vorführung nur in studentischen Filmclubs, der Interministerielle Ausschuss hatte den Film ohnehin schon mehrfach abgelehnt. Als der öffentliche Druck zunahm, den Untertan doch einmal zuzulassen, kam er schließlich mit dem Hinweis im Vorspann heraus, das Gezeigte stelle nur eine Ausnahme in der deutschen Geschichte dar, und in manchen Kinos lief er ohne die Schlusssätze, die einen Gegenwartsbezug herstellten.495 489 Die Staudte-Story, ein gesamtdeutsches Märchen, in: Filmkritik, Nr. 3, 1957, S. 33 f., hier S. 33. 490 Vgl. Habermas: Der biographische Schleier (Frankfurter Hefte, Nr. 5, 1957), S. 360. 491 Vgl. Enno Patalas an Wolfgang Staudte, München, 28. 9. 1956, Deutsche Kinemathek, Berlin, Wolfgang Staudte-Archiv, 4.3–80/48–2 Patalas, Enno. 492 Patalas: Der europäische Widerstand (Deutsche Rundschau, Nr. 7, 1955), S. 704. 493 Der Untertan, in: Filmkritik, Nr. 5, 1957, S. 67–69, hier S. 68 f. 494 Vgl. den Schriftwechsel von 1957 im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/459. 495 Zu diesen Entwicklungen vgl. etwa Kurzprotokoll über die Sitzung des Ausschusses am 7. 2. 1956 im Bonner Büro der Deutschen Revisions- und Treuhand AG, Bonn, 7. 2. 1956, Bun-

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Wilfried Berghahn hatte ein Schlupfloch gefunden, um den Film schon so früh sehen und rezensieren zu können.496 Seine späteren Redaktionskollegen schufen sich diese Schlupflöcher teils selbst. Patalas und seine Kommilitonen an der Universität in Münster schickten die Kopie des Untertan einfach innerhalb der Frist von 24 Stunden, in der sie in Bonn hätte zur Prüfung vorliegen müssen, wieder mit dem Zug zurück in die DDR.497 Ulrich Gregor beschaffte den Film für den Club in Hamburg, „eine Kopie zirkulierte irgendwo und wir hatten diesen Film gezeigt, das war [ein] großes Ereignis, und ich dachte, das ist gewissermaßen ein politischer Akt, diesen Film zu zeigen, unter Bedingungen des Verbots praktisch.“498 Für seine von den westdeutschen Kritikern geschätzten gesamtdeutschen Regieambitionen fand der Filmemacher gleichermaßen in der Cinema Nuovo eine Plattform, als er 1957 während einer Italienreise in Rom ein Interview mit Callisto Cosulich führte. Er verweigerte sich darin der „künstlichen“ Teilung und einer unumstößlichen Positionierung. Cosulich sympathisierte damit, dass sein Interviewpartner im geopolitischen „manicheismo“ nicht zu einem „poeta di corte“, gleich auf welcher Seite, geworden sei, wobei aber durch Pendelei und Kompromisse das lebhafte Engagement eines „poeta civile“ auch abgeschliffen werde.499 Die Begeisterung der Filmkritik-Gruppe für Wolfgang Staudtes Arbeit setzte sich nicht bruchlos fort, nachdem er ab Mitte der 1950er Jahre nun doch nur noch im Westen Deutschlands drehte. Rose Bernd erschien ihnen noch einigermaßen interessant. Als Staudte in der Folgezeit allerdings einige Streifen für die neu formierte UFA vorlegte, sank die Beziehung zwischen Regisseur und Kritikern auf einen Tiefpunkt. Filme wie Madeleine und der Legionär oder Kanonen-Serenade bezeichneten Letztere als „Bagatellisierung“500 des Algerienkonflikts oder des Zweiten Weltkriegs und Enno Patalas stellte enttäuscht fest, dass „der scharfe Kritiker unserer politischen Nationaluntugenden […] unter der Sonne der westlichen Prosperität binnen zwei Jahren zum freundlich-versöhnlichen Schwankregisseur geworden“ sei.501 Nach dieser kommerziell und künstlerisch nicht sehr erfolgreichen Zwischenphase besann sich Staudte 1959 und 1960 noch einmal auf sein ursprüngliches gesellschaftskritisches Verfahren und nahm mit Rosen für den Staatsanwalt und Kirmes die Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Bundesrepublik ins Visier.502 Der titelgebende Staatsanwalt wird im Film als aberwitziger Reaktionär karikiert, er ist ein NS-belasteter Karrierejurist, der sich schließlich durch einen groben Versprecher ins Abseits manövriert und abtreten muss. Während der Dreharbeiten desarchiv, Koblenz, B 102/34486; Plädoyer für den Untertan, in: Der Spiegel, Nr. 47, 21. 11. 1956, S. 59–61. Zudem Weckel: Begrenzte Spielräume, S. 32–34; Habel: Zerschnittene Filme, S. 102. 496 Vgl. Berghahn: Deutschenspiegel (Frankfurter Hefte, Nr. 9, 1952), S. 712. 497 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 68. 498 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 499 Vgl. Callisto Cosulich: Staudte regista delle due Germanie, in: Cinema Nuovo, Nr. 107, 15. 5. 1957, S. 308 f., hier S. 309. 500 Enno Patalas: Madeleine und der Legionär, in: Filmkritik, Nr. 3, 1958, S. 63. 501 Enno Patalas: Kanonen-Serenade, in: Filmkritik, Nr. 9, 1958, S. 195. 502 Vgl. zu diesen beiden Filmen auch Weckel: Begrenzte Spielräume, S. 35–45.

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hatte die Produktionsfirma wiederholt auf Entschärfungen gedrängt und einige Freizügigkeiten eingebracht, die Staudte aber akzeptierte: „Meinetwegen – der nackte Popo als politisches Agitationsmittel.“503 In seiner Rezension rechnete Patalas in der Filmkritik diese Einflüsse heraus und war mit dem Resultat weitgehend zufrieden. Gerade in den Nebenfiguren zeige sich die lang ersehnte Abrechnung mit den „Opportunisten“ und der kümmerlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus und auch eine schlüssige Nebengeschichte trage den seit langen Jahren ersten westdeutschen Film mit, „bei dem das Vergnügen an der brillanten Form zusammenfällt mit der Lust an der Einsicht, die er vermittelt.“ Gleichwohl schwäche die überzeichnete Figur des Staatsanwalts die Aussage ein wenig ab und noch konsequenter, der Realität in der Bundesrepublik angemessener, wäre es für den Kritiker gewesen, wenn „der Ex-Blutrichter im Amt geblieben wäre!“504 Kirmes zeigte für die Filmkritik dann wieder die vorherigen Ermüdungserscheinungen von Staudtes Gesellschaftskritik, Theodor Kotulla bemängelte flache Klischees und eine unglaubwürdige Anlage der Geschichte.505 Andererseits: Differenzierung bis hin zur Distanz Als in einem Editorial zum venezianischen Filmfestival in der Cinema Nuovo von einer Diskussion „educata“, einer sachlichen Gegenüberstellung der westlichen und östlichen Kinematographien die Rede war, zielte die Kritik einerseits auf die pauschale „denigrazione“ des Ostblockfilms – doch andererseits ging es eben auch um dessen simple „apologia“ von links, denn einige italienische Zeitungen und Kritiker hätten „la tendenza a badare piuttosto alla propaganda di esso che alla critica“ und verteilten eilfertig überzogene „superlativi“. Aus dieser abwägenden Perspektive sei es aber doch eindeutig, dass „apologia e denigrazione accontentano soltanto gli sciocchi.“506 Die Mehrzahl der Mitarbeiter verzichtete dementsprechend auf die allzu parteiliche Deutung und sparte es sich, wie Guido Aristarco bei einem der seltenen sowjetischen Importe, nicht, „schematismo“ und „ottimismo forzato“ zu diagnostizieren.507 Bei aller Faszination für Brecht, Wolf, Kalatosow oder den Staudte der DEFA sahen die Autoren der Filmkritik in ähnlicher Weise von reiner Apologie ab. Wilfried Berghahn bezeichnete es bei Klaus Mann und anderen Intellektuellen als gespenstisch, daß man einen Polizeistaat hassen kann und bereit ist, für den anderen Entschuldigungen zu finden, weil eine verheißungsvolle Botschaft vom Neuen Menschen, die dort verkündet wurde, so anzieht, daß sogar an ihrer mörderischen Entartung noch ein Hoffnungsschimmer haften bleibt,508 503 Zitiert nach Die Mörder sind über uns, in: Der Spiegel, Nr. 36, 2. 9. 1959, S. 72 f., hier S. 72. 504 Enno Patalas: Rosen für den Staatsanwalt, in: Filmkritik, Nr. 11, 1959, S. 291–293, hier S. 293. 505 Vgl. Theodor Kotulla: Kirmes, in: Filmkritik, Nr. 8, 1960, S. 227–229, hier S. 228. 506 Una guerra educata (Cinema Nuovo, Nr. 18, 1953). 507 Aristarco: Un treno va in oriente (Cinema Nuovo, Nr. 5, 1953), S. 121. 508 Wilfried Berghahn: Auf der Suche nach dem Kollektiv, in: Frankfurter Hefte 7 (1952), Nr. 11, S. 893–895, hier S. 894.

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und klopfte in seiner Filmclubarbeit ja stets auch die DEFA-Produktionen ideologiekritisch auf Widersprüche und Propaganda ab.509 Für Ulrich Gregor gehörten zu den verbreiteten Fehlinterpretationen des osteuropäischen Films die „undifferenzierten Lobeshymnen stalinistischer Filmkritiker auf alles, was aus der Sowjetunion kam“.510 Selbstverständlich wurden eben dort auch Agitationsfilme „von einer fatalen patriotischen Tendenz“ und Kino für „Spießerseelen“511 abgedreht. Differenzierung und Distanz in östlicher Himmelsrichtung schafften die Kreise um die Cinema Nuovo und die Filmkritik darüber hinaus in jeweils eigenen, spezifischen Debatten und Konflikten. Wie erwähnt drehten sich die Diskussionen unter den italienischen Film- und Gesellschaftskritikern insbesondere ab dem Schlüsseljahr 1956 um den eigenen Umgang mit dem sowjetischen Einflussbereich, seinen Filmen und seinen italienischen Anhängern und mündeten in einer Art Selbstfindungsdebatte der beteiligten Autoren. Ihre Kollegen von der Filmkritik rieben sich vor allem in vielfältiger Form an Filmschaffen und Institutionen der DDR. Wie sich zeigen wird, überschneiden sich dabei bisweilen die Untersuchungsebenen und ein dreieckiger Abgleich zwischen Filmkritik, Cinema Nuovo und DDR-Film wird möglich. 1956 war insofern ein Schlüsseljahr des Umbruchs nicht nur für die italienische Linke, als es nach der ernüchternden Entstalinisierung auf dem XX. Parteitag der KPdSU noch zu weiteren, massiven Unruhen innerhalb des Ostblocks kam. In außenpolitischer Treue unterstützte die Führung des PCI die Niederschlagung der Aufstände, beispielsweise den Einsatz sowjetischer Truppen in Ungarn. Viele kommunistisch geprägte Intellektuelle distanzierten sich daraufhin allmählich von den Dogmen des PCI, der eigenen stalinistischen Vergangenheit, der unerschütterlichen Solidarität mit der Sowjetunion und auch von der kommunistischen Kulturpolitik; Ausdruck dieser weltanschaulichen Veränderungsdynamik war beispielsweise ein schnell bekannt gewordenes Manifesto dei 101 italienischer Intellektueller, das besonders auf die Haltung in der Ungarn-Frage abzielte.512 Die Cinema Nuovo war Vorreiterin im filmkulturellen Segment dieser linksgerichteten Neubesinnung.513 In ihren Reihen hatte es stets engagierte Verteidiger etwa von Pudowkins Werk gegeben und hier schrieb mit Glauco Viazzi, der eigentlich Jusik Agrafian hieß und aus Armenien kam, ein „filosovietico“. Doch fanden sich unter den Autoren fast nie die überzeugten Stalinisten und Dogmatiker des sozialistischen Realismus und zeigte sich weiter oben bereits die regelmäßige Differenzierung der Urteile zum osteuropäischen Film, so dass eine solche Überprüfung der Kritikermaßstäbe eigentlich eher auf kommunistische Blätter wie die Unità 509 Zu entnehmen beispielsweise aus Bundesinnenministerium, Bericht über die Filmveranstaltung am 16.12.55, Bundesarchiv, Koblenz, B 106/987. 510 Gregor: Der sowjetische Film im Zeichen des Tauwetters (Neue Deutsche Hefte, Nr. 47, 1958), S. 237. 511 Zitate aus Ulrich Gregor: Ilja Murometz (Ilja Muromez), in: Filmkritik, Nr. 3, 1960, S. 79; Dietrich Kuhlbrodt: … und alles verweht der Schnee, in: Filmkritik, Nr. 8, 1959, S. 225. 512 Zur Entwicklung um 1956 vgl. Gundle: Between Hollywood and Moscow, S. 82–86; Francesco Barbagallo: Classe, nazione, democrazia: la sinistra in Italia dal 1944 al 1956, in: Studi Storici 33 (1992), S. 479–498, hier S. 496–498. 513 Vgl. Dario Consiglio: Il PCI e la costruzione di una cultura di massa. Letteratura, cinema e musica in Italia (1956–1964), Mailand 2005, S. 203.

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oder den Calendario del popolo zugetroffen hätte.514 Angesichts der expliziten Kritik Renzo Renzis am organisierten Kommunismus515 und der relativen Meinungsvielfalt in Aristarcos Zeitschrift war es dann aber folgerichtig genau dieser Autor, der in genau dieser Publikation im Juni 1956 eine beinahe zwei Jahre andauernde Debatte mit dem Titel „Sciolti dal Giuramento“ lostrat. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgten auch die westdeutschen Kritiker um Ulrich Gregor diese „sehr, sehr interessante Artikelserie“.516 „Sciolti dal Giuramento“, das heißt: befreit oder losgelöst vom Schwur – mit diesem Aufsatztitel spielte Renzi auf Micheil Tschiaurelis Film Kljatwa an, neben Padenije Berlina eines der zentralen Werke des stalinistischen Personenkults. 1956 hatte sich neben anderen die sowjetische Literaturnaja Gaseta im Zuge der Entmythologisierung Stalins von diesen Filmen distanziert. Den Impuls aus dem Osten nahm Renzi zum Anlass, ein „riesame“ der Filme und besonders der Haltung der linken italienischen Kritiker dazu anzumahnen. Der dreiseitige Beitrag war eine einzige Fundamentalkritik. Nicht nur hätten kommunistische Filmjournalisten über einen viel zu langen Zeitraum die sowjetischen Staatsfilme stur verteidigt, sondern auch noch zur erstrebenswerten Richtschnur erkoren. Die Kritikermaßstäbe seien völlig durcheinandergeraten, so dass es letztlich kaum mehr möglich gewesen sei, tatsächliche Qualität zu identifizieren und Filmschaffenden sinnvolle, konstruktive Rückmeldungen zu geben. Selbst die Kritiker der Mitte und der Rechten hätten sich im Kontrast dazu gelegentlich differenzierte oder gar negative Urteile zu den ihnen ideologisch genehmen Werken erlaubt und insgesamt habe sich die Linke in der italienischen Kultur isoliert und Dialogmöglichkeiten verbaut.517 Das einfache Massenpublikum habe sich weniger beeinflussbar und unabhängiger gezeigt als viele Kritiker, die in der Summe kunstferne Propaganda betrieben hätten: „Quando, per ragioni di propaganda, si rinuncia alla critica e si dà luogo all’apologia, la cultura perde uno dei suoi caratteri, quindi diventa, fra l’altro, inefficiente propaganda.“518 Als Erster meldete sich darauf Paolo Gobetti, langjähriger Filmkritiker für die Turiner Ausgabe der Unità, mit einer fulminant zerknirschten Selbstkritik zu Wort, die er bald danach noch mit einem zweiten Beitrag ergänzte. Im ersten Text bekannte Gobetti: Non è facile, credetemi, rileggere oggi certe frasi che si vorrebbe non aver scritto. […] Dimenticavamo che dire la verità è rivoluzionario, è il primo dovere di un comunista, perché dalla verità nulla ha da temere il marxismo. […] Difendevamo a parole la libertà dell’artista, ma eravamo poi pronti a imbrigliarne la fantasia creatrice proponendogli e imponendogli rigidi schemi che ben poco avevano del marxismo a cui si richiamavano.519

514 Vgl. Fink: Per una stelletta, S. 357–359. 515 Vgl. Kapitel 4.1.5. 516 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 517 Vgl. Renzo Renzi: Sciolti dal „Giuramento“, in: Cinema Nuovo, Nr. 84, 10. 6. 1956, S. 340– 342, insbesondere S. 340 f. 518 Ebd., S. 340. 519 Paolo Gobetti: Confessioni di un critico comunista, in: Cinema Nuovo, Nr. 95, 1. 12. 1956, S. 306 f., hier S. 306.

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Gobetti verstand die Diskussion als Ansporn für eine liberalisierende Reform des italienischen Marxismus. Zwar noch vage und schlagwortartig, aber immerhin entschlossen, aus der Engstirnigkeit der jüngeren Vergangenheit zu lernen, schrieb er davon, dass „il ritorno all’indagine veramente marxista della realtà, la libera attività di ricerca, la negazione di qualsiasi retorica, possono aprire la porta a una nuova fioritura della cultura e del cinema.“520 Die Kritik am stupiden Nacheifern Moskaus und seiner eindimensionalen Filme teilten in der Folge in der Zeitschrift neben anderen noch Callisto Cosulich, Giovanni Vento, Cecilia Mangini521 und Riccardo Redi. Redi verwies dabei auf einen der kulturtheoretischen Vordenker vieler Autoren der Cinema Nuovo, auf Georg Lukács, der bereits 1936, beispielsweise im Aufsatz „Erzählen oder beschreiben?“, Schematismus und erzählerische Mängel des sozialistischen Realismus aufgedeckt habe.522 Renzi und Gobetti stießen allerdings auch auf Einwände. Es zeigte sich, dass die Debatte nicht so einfach zu führen und die eigene Kritikervergangenheit nicht ohne weiteres abzustreifen war. Luigi Chiarini und Glauco Viazzi verwiesen darauf, dass es schon lange unter Linken und Marxisten ambivalente Urteile und differenzierte Meinungen gegeben habe. Vittorio Spinazzola gab zu bedenken, dass gerade der massive filmpolitische Druck durch die Christdemokraten und den Klerus zu Abschottung und überzogenen Rezensionen geführt haben könne.523 Andere Autoren widersprachen deutlicher. Libero Solaroli sah die verdienstvolle linke Kritik zu pauschal abgestraft.524 Äußerst brüsk reagierte Umberto Barbaro auf die Vorwürfe, ein einschlägiger und prominenter „filosovietico“ der italienischen Filmkultur der Nachkriegszeit. Er kanzelte die Anmerkungen Renzis und anderer rigoros ab, unterstellte vermeintliche sachliche Fehler und beharrte auf seiner Wertschätzung für den Schwur.525 In seinem selbstkritischen Rundumschlag hatte sich Paolo Gobetti auch die Filmpolitik der italienischen kommunistischen Partei vorgenommen und sie als abgehoben und starrsinnig gegeißelt. Auf bezeichnende Weise sei eine Kooperative zur Finanzierung eigener Filme nach wenigen Versuchen gescheitert. Massimo Mida und Giovanni Vento teilten diese Enttäuschung aus ihren eigenen Erfahrungen mit

520 Ebd., S. 307; vgl. auch Paolo Gobetti: Ragioni di una confessione, in: Cinema Nuovo, Nr. 100, 15. 2. 1957, S. 84–86 und 95. 521 Vgl. Callisto Cosulich: Il rapporto G, in: Cinema Nuovo, Nr. 100, 15. 2. 1957, S. 82 f.; Giovanni Vento: Il colloquio con la realtà, in: Cinema Nuovo, Nr. 111, 15. 7. 1957, S. 51 f.; Cecilia Mangini: False interpretazioni del realismo, in: Cinema Nuovo, Nr. 112, 15. 8. 1957, S. 84 f. 522 Vgl. Riccardo Redi: Attualità di Lukács, in: Cinema Nuovo, Nr. 104, 1. 4. 1957, S. 203 f., hier S. 204. 523 Vgl. Luigi Chiarini: I grimaldelli (Cinema Nuovo, Nr. 107, 1957), S. 307; Glauco Viazzi: Sciolti dal giuramento, in: Cinema Nuovo, Nr. 125, 15. 2. 1958, S. 117–119; Vittorio Spinazzola: Sciolti dal giuramento, in: Cinema Nuovo, Nr. 126, 1. 3. 1958, S. 149–151, hier S. 149 f. 524 Vgl. Libero Solaroli: Sciolti dal giuramento, in: Cinema Nuovo, Nr. 120–121, 15. 12. 1957, S. 335. 525 Vgl. Umberto Barbaro: Zero in profitto e zero in condotta, in: Cinema Nuovo, Nr. 117, 1. 11. 1957, S. 227 f. Zum Hintergrund Barbaros vgl. Fink: Per una stelletta, S. 359; Brunetta: Storia, Bd. 3, S. 379–382.

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der Filmkooperative und mit der Kulturbürokratie des PCI.526 Es entstanden aussagekräftige sprachliche Bilder: Der Marxismus habe „bisogno di un’aria nuova“, in Bewegung und Partei „occorre discutere, allargare il dibattito, aprire porte e finestre, cambiare l’aria.“527 Dieser Nebenarm der Artikelreihe „Sciolti dal Giuramento“ frischte alte Frustrationen über die offensichtlich nachlässige Behandlung des italienischen realistischen Kinos durch die kommunistische Partei wieder auf. Regisseure wie Giuseppe De Santis und Carlo Lizzani beklagten jedenfalls auch andernorts häufiger, nicht genügend unterstützt worden zu sein, sei es ideell, sei es durch den Aufbau konkurrenzfähiger Produktions- und Distributionsstrukturen.528 Die „Sciolti“-Debatte faserte mit der Zeit ein wenig ziellos in verschiedenen Strängen aus, einige von Guido Aristarco zur Teilnahme eingeladene externe Kritiker äußerten ihren Verdruss über die Abnutzung des Themas.529 Der Direktor Aristarco selbst enthielt sich in der inhaltlichen Auseinandersetzung vollständig und moderierte nur gelegentlich und sehr zurückgenommen, was ihm teils kritisch angelastet wurde.530 Es war Renzo Renzi vorbehalten, den letzten Text der Serie beizusteuern. Renzi schrieb kein wirkliches Fazit und es ist fraglich, ob diese vielstimmige, langanhaltende Debatte überhaupt auf einen Nenner gebracht werden konnte. Ihr Initiator ging in seinem Beitrag zunächst noch kleinteilig auf die letzten Antworten zur Behandlung des sowjetischen Kinos ein, spannte dann aber einen größeren Bogen und thematisierte hier die eigenen „Belastungen“ mit der Vergangenheit als Kritiker im Faschismus. Als ein Resultat der Diskussion erschien also wieder einmal die für Renzi typische, linksliberale Abkehr von ideologischem Dogma jeder Färbung, besonders von politisch verbohrter Kultur und Kulturkritik. Trotz aller Missverständnisse und Polemiken im Detail versicherte sich der Kreis um die Cinema Nuovo in diesen Jahren seiner relativen Offenheit und befreiten sich die Kritiker, die es meinten, nötig zu haben, von Ballast aus den umkämpften Zeiten zum Anfang des Jahrzehnts. Der Blick richtete sich auf marxistische Erneuerung und auch Renzi deutete ganz zum Abschluss Interesse am sowjetischen Filmaufbruch dieser Jahre an, der ja ebenfalls die Mitarbeiter der Filmkritik hoffnungsvoll stimmte.531 Bei weitem nicht jeder Film und Regisseur der DEFA reichte im Urteil der Filmkritik an Konrad Wolf und seine zitierten Werke oder Wolfgangs Staudtes Frühwerk heran. Ganz im Gegenteil, gehörten doch zu der differenzierten Haltung der Kritikergruppe im innerdeutschen Kalten Krieg neben dem demonstrativen Lob 526 Vgl. Gobetti: Confessioni (Cinema Nuovo, Nr. 95, 1956), S. 306; Vento: Il colloquio con la realtà (Cinema Nuovo, Nr. 111, 1957), S. 51; Massimo Mida: Perché sono morte le cooperative, in: Cinema Nuovo, Nr. 104, 1. 4. 1957, S. 202 f. 527 Zitate aus Mida: Perché sono morte le cooperative (Cinema Nuovo, Nr. 104, 1957), S. 203; Franco Valobra: Pifferi e torri d’avorio, in: Cinema Nuovo, Nr. 122, 1. 1. 1958, S. 20 f., hier S. 21. 528 Vgl. Faldini/Fofi: L’avventurosa storia, S. 218 und 265. 529 Vgl. Gino Visentini: Sciolti dal giuramento, in: Cinema Nuovo, Nr. 120–121, 15. 12. 1957, S. 334; Giulio Cesare Castello: Un bersaglio di comodo, in: Cinema Nuovo, Nr. 122, 1. 1. 1958, S. 21. 530 Vgl. Spinazzola: Sciolti dal giuramento (Cinema Nuovo, Nr. 126, 1958), S. 149 f. 531 Vgl. Renzi: Epifania e Quaresima (Cinema Nuovo, Nr. 129, 1958).

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auch strenge Maßstäbe für DDR-Filme, tendenziell noch strenger als für solche aus dem sowjetischen oder aus anderen osteuropäischen Staaten. Für die film 56 verriss Peter Hanke einen der Filme Kurt Maetzigs über Ernst Thälmann. Führer seiner Klasse sei ein spannungsarm erzähltes, geschichtsklitterndes Machwerk mit überdeutlichen pädagogischen Absichten. Hanke war bestürzt, dass ein solcher, auch formal schwacher Film in der DDR offensichtlich großen Anklang beim Publikum finde.532 Im Augustheft der Filmkritik des Jahrgangs 1958 gab es eine aufgrund der kargen Einfuhr seltene Reihe von Rezensionen zu DEFA-Filmen, Theodor Kotulla, Reinold E. Thiel und Ulrich Gregor teilten sich darin die Kritikerarbeit. Abermals fielen die Bewertungen überwiegend bezeichnend schlecht aus, es fanden sich Schlagworte wie „aufgesetzte Agitation“ und es war die Rede von einer „Kastration Balzacs“ in einer ostdeutschen Literaturadaption.533 Durch diese ideologiekritische Widerspenstigkeit gerieten einige der FilmkritikAutoren im Verlauf der 1950er Jahre in Auseinandersetzungen mit DDR-Medien oder sogar existenzgefährdend ins Visier der dortigen Behörden. Von der Zerschlagung des oben erwähnten Ostberliner Gesprächskreises war Ulrich Gregor zwar weniger betroffen als seine Mitdiskutanten jenseits der Sektorengrenze, die sich mit konstruktiven Reformvorschlägen an die Parteiinstanzen gewandt hatten. Das stellte sich als naiv und fatal heraus, sie wurden teils für sehr lange Zeit inhaftiert. Doch auch Gregor hielt es nach einem rechtzeitig erfolgten Hinweis für besser, die DDR eine Weile zu meiden und bemerkte noch Jahre später, dass das Ministerium für Staatssicherheit bestens über seine Beteiligung an dem Kreis informiert war.534 Die Spielfilme der DEFA in dieser Zeit waren häufig tages- und geschichtspolitisch einseitig, in ihren Dokumentationen konzentrierte sie sich bevorzugt darauf, Politiker, Beamte und Personen des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik mit ihrer Verstrickung in den Nationalsozialismus und in Kriegsverbrechen zu belasten.535 Kritische Einwände dazu wurden einigen Kollegen Gregors zum publizistischen Verhängnis in Ostdeutschland. Wilfried Berghahn hatte sich auch in einem Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung skeptisch gegenüber der „Agitation auf der Leinwand“ geäußert; die DDR-Fachzeitschrift Deutsche Filmkunst antwortete mit einer längeren Polemik auf den Artikel. Berghahn schreibe „fragwürdig“, „blasiert“, „scheinbar sachlich“ und nur wenig trenne ihn von den üblichen westdeutschen „Hetzjournalisten“, schließlich versuche er, „zwischen die Beziehungen der deutschen Filmkunst in Ost- und Westdeutschland einen neuen Keil zu treiben.“536 Dass Enno Patalas die Vorwürfe der erheblichen NS-Belastung, die in der Dokumentation Unternehmen Teutonenschwert gegen den Bundeswehrgeneral Hans Speidel erhoben wurden, in Teilen für nicht überzeugend oder Fälschungen hielt, brachte ihm 1958/59 einen bedrückend festgefahrenen Briefwechsel mit der Deutschen Filmkunst ein, den diese Zeitschrift in Auszügen unter dem Titel „Wo steht Herr Patalas wirklich?“ veröffentlichte. Ihr Mitarbeiter Klaus Lippert suggerierte 532 Vgl. Peter Hanke: Pankower Legende, in: film 56, Nr. 2, 1956, S. 94 und 97 f. 533 Vgl. die Rezensionen in Filmkritik, Nr. 8, 1958, S. 175–178. 534 Information aus dem Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 535 Vgl. Kramer: Wiederkehr und Verwandlung, S. 290 f. 536 G. W. Georg: „Agitation“ auf der Leinwand?, in: Deutsche Filmkunst 3 (1955), Nr. 2, S. 70 f.

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im ersten Schreiben, sein westdeutscher Adressat hege Sympathien für alte Nationalsozialisten, was Patalas im Antwortbrief als „glatte Unverschämtheit“ zurückwies. Lippert beharrte darauf, dass der Filmkritik-Autor „offen Partei für den völkerrechtlich Kriminellen Speidel ergriffen“ habe, woraufhin dieser entgegnete, dass daraus noch keineswegs Sympathien abzuleiten seien: „Seit wann muß man jemandes Freund sein, um ihn nicht gleich für einen Mörder zu halten?“ Im Übrigen habe er, so Patalas, im selben, inkriminierten Artikel die „alten Krieger in Bonn“ attackiert. Der ostdeutsche Filmjournalist deutete dies aber völlig anders. Wie im Brief zuvor erörterte er, neben seinen Vorwürfen an Patalas, die aktuellen Entwicklungen der NATO und der westdeutschen Außenpolitik. Indem vermeintlich kritische Geister die Aufklärungsarbeit und die Enthüllungen der DEFA diskreditierten, trügen sie als eine Art Feigenblatt die aggressive westliche Politik mit. Lippert schrieb: Mit Ihrer Kritik geben Sie ein treffendes Beispiel, wie man die Öffentlichkeit verwirrt, sie von der Erkenntnis, der Aktion zur Rettung ihrer bedrohten Existenz abhält und damit ihren Weg in ein neues Unglück ebnet. Gerade das entspricht der Rolle, die man der ‚Opposition‘ und ihren Publizisten von Bonn aus zugedacht hat, um die in der Tat unter der westdeutschen Bevölkerung weit verbreiteten echten oppositionellen Strömungen abzufangen und zu lähmen.537

Eine Antwort Patalas’ darauf ist nicht mehr übermittelt. Wesentlich gravierender als diese Polemiken in der Deutschen Filmkunst waren die Erfahrungen, die der Filmpublizist und -historiker Gero Gandert in der DDR machen musste. Auch wenn Gandert lediglich einmal im Impressum der Filmkritik erschien und nach eigener Aussage keinen Text für die Zeitschrift schrieb,538 können er und sein Fall dem Dunstkreis dieser Kritikergruppe zugerechnet werden, da er mit einigen ihrer Mitglieder gut bekannt beziehungsweise befreundet war und in verschiedener Form zusammenarbeitete. Gandert wurde in Görlitz geboren – wie Enno Patalas im Jahr 1929 – und studierte nach vorherigen Anläufen in Hamburg und München seit der ersten Hälfte der 1950er Jahre Publizistik an der Freien Universität in Berlin. Wie einige Mitarbeiter der Filmkritik wurde er Mitglied in SDS und SPD; wie diese widmete er sich bald weniger dem kontinuierlichen Studium als filmjournalistischen Tätigkeiten. Gandert erwarb sich durch regelmäßige Grenzgänge und Recherchereisen den Ruf eines „Ostfilm-Spezialisten“, er rezensierte zum Beispiel DEFA-Filme für diverse westdeutsche Rundfunkanstalten, berichtete von Festivals in Osteuropa und deckte für den Spiegel filmpolitische Eingriffe in der DDR auf.539 Auf Einladung von SPD-Abgeordneten referierte er im Sommer 1957 im Bundestagsausschuss für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films über die Festspiele in Karlovy Vary und den zeitgenössischen DDR-Film. Er schilderte Vertuschungen, Propaganda und erneute stalinistische Einschläge, wies aber auch auf die „faire“ Jury hin und riet zu deutsch-deutschen Co-Produktionen.540 Hier wie in 537 Wo steht Herr Patalas wirklich?, in: Deutsche Filmkunst 7 (1959), Nr. 3, S. 84 f. 538 Aus einem E-Mailwechsel des Verfassers mit Gero Gandert im September 2013. 539 Vgl. Frank Ulrich Döge: Gero Gandert – Filmjournalist und -historiker, Sammler, in: CineGraph. Lexikon zum deutschsprachigen Film, Lg. 49, o. J., B 1–13, hier B 1–4. 540 Vgl. Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films am 21. 6. 1957, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestags, Berlin, 3117 A 2/10, Protokoll 51.

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seinen sonstigen Beiträgen argumentierte Gandert also zumeist ausgewogen kritisch in beide Richtungen der gespaltenen Welt, nach Westen und nach Osten. Im Rahmen der Berlinale 1958 etwa schnitt er bei einer Diskussionsveranstaltung mit dem Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Ernst Lemmer, die heikle Frage der Festivaleinladungen an: Da Israel ohne die Grundlage diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik teilnehmen könne, wäre es „doch schön“, wenn dies auch für Polen gälte.541 Gandert verschonte die Kulturpolitik der DDR ebenfalls nicht. Die ostdeutschen Beiträge für die Kurzfilmtage in Oberhausen 1958 wurden kurzfristig zurückgezogen, was er vor Ort vehement kritisierte: Man sollte das hier mit aller gebotenen Schärfe aussprechen: Wenn ein Teilstaat, unter welchem Vorwand auch immer, seine für Oberhausen gemeldeten Filme zurückzieht, so bestärkt das nur den Verdacht, dass diesem Teilstaat an einer Verständigung mit seinem nächsten Nachbarn nur wenig gelegen ist.542

Diese und weitere kritische Wortmeldungen mobilisierten das MfS und seine brutalen Methoden gegen Gandert. Er wurde bereits seit Längerem beschattet und schließlich in der Folge des Festivals in Karlovy Vary, ebenfalls 1958, in Ostberlin verhaftet.543 Enno Patalas hatte eigentlich gemeinsam mit Gandert in der F über die Festspiele berichten wollen. Diese Lücke und ihre Ursache schockierten ihn – seine Zeilen dazu werden hier ausführlich zitiert, da sie die Haltung des Kritikerkreises zur deutsch-deutschen Problematik insgesamt sehr treffend abbilden: Gandert war kein Scharfmacher. Er hat beispielsweise die Aufführung des Defa-Films ‚Lissy‘ in der westberliner ‚Filmbühne am Steinplatz‘, deren Programm er gestaltete, durchgesetzt, und auf der Pressekonferenz der westberliner Filmfestspiele hat er sich gegen die Ausschließung der Ostblockstaaten gewandt. Wenn er andererseits an undemokratischen Tendenzen in der sowjetzonalen Filmpolitik scharfe Kritik geübt hat, so nie aus prinzipiellem Übelwollen, sondern aus der Besorgnis eines politischen Beobachters, für den das Experiment der ‚DDR‘ immer noch gewisse Hoffnungen offenläßt, sei es auch nur auf begrenzten Sektoren wie dem der Filmkunst. Seine Verurteilung würde die Politiker der Stärke bei uns viel weniger treffen als uns, die wir eine Zeit lang wieder an die Möglichkeit eines Dialogs mit dem Osten geglaubt haben.544

Vertreter der Filmkritik initiierten beim Filmclubtreffen in Bad Ems einen Brief der westdeutschen Filmjournalisten, der den ostdeutschen Presseverband aufforderte, sich für Ganderts Freilassung zu engagieren.545 Alle Hilfe kam zu spät; Gero Gandert wurde aufgrund angeblicher Kontakte zum Ministerium für gesamtdeutsche Fragen wegen „Spionage in Tateinheit mit staatsgefährdender Hetze in einem schweren Fall“ zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt, die Revision wurde abgeschmettert und er kam erst im Juni 1961 wieder frei.546 541 Vgl. Beste Tendenz = keine Tendenz, in: filmblätter, Nr. 28, 11. 7. 1958, S. 899 f., hier S. 900. 542 Abschrift „Gero Gandert, Berlin, zum tschechoslowakischen Programm am 12. Februar um 20.00 Uhr“, Deutsche Kinemathek, Berlin, Festivalarchive, Oberhausen 1958. 543 Vgl. Döge: Gandert, B 4 f.; Kötzing: Kultur- und Filmpolitik, S. 118 und 296. 544 Enno Patalas: Karlsbad: Zwei zu eins für die Scharfmacher, in: F, Nr. 3, 1958, S. 320–325, hier S. 325. 545 Vgl. Protest gegen Gero Ganderts Verhaftung, in: Filmkritik, Nr. 11, 1958, o. S. Zudem Döge: Gandert, B5. 546 Vgl. Döge: Gandert, B6.

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Vermutlich fehlten solche direkten, schmerzhaften Erfahrungen mit Ostdeutschland und es überwog die latente, linke Abneigung gegen die Adenauer-Republik, so dass in der Cinema Nuovo gerade die DDR-Filmproduktion in diesen Jahren vergleichsweise milde beurteilt wurde. Im Ergebnis seines mehrteiligen Artikels zum Kino der beiden deutschen Staaten denunzierte Giorgio Signorini zwar die gröbste stalinistische Agitation, „gli esempi estremi, ove allo schema ideologico piú o meno risibile si accoppia una sterminata mancanza di talento“, aber beispielsweise die Thälmann-Reihe galt ihm als relativ vernünftiges, fortschrittliches „lavoro che non è lecito ignorare.“547 Guido Aristarco verschrieb sich Slatan Dudows Kriegs- und Widerstandsfilm Stärker als die Nacht, im Text unterfüttert mit Zitaten des DDRKulturpolitikers Alexander Abusch. Anders als in vergleichbaren westdeutschen Filmen werde der Nationalsozialismus hier klar und ohne Ausflüchte dargestellt und ein „besseres Deutschland“ verkörpert: „l’esame di coscienza, la confessione di Dudow e Stern fanno amare di amore profondo la parte migliore di quella Germania che, nella memoria dei popoli, resta come una drammatica immagine del regno di Hitler.“548 Für Enno Patalas herrschte in Stärker als die Nacht allerdings nur „die Monotonie des gesprochenen Leitartikels, der Schematismus des ‚typischen Charakters‘ und des vorgeschriebenen Handlungsablaufs.“549 Zumindest ansatzweise verkehrten sich hier einmal die Rollen zwischen der Cinema Nuovo und der Filmkritik. Sonst dankbare Empfänger für nicht nur realismustheoretische Anregungen aus Italien, setzten die in der innerdeutschen Auseinandersetzung geschulten FilmkritikAutoren nun bei ihren Kollegen dezente publizistische Gegenakzente. Insbesondere ein Artikel Ulrich Gregors in der Cinema Nuovo ist hervorzuheben, über den „culto del passato“ der DEFA. Die bekannte Kritik an nuancenarmen Filmen aus der DDR – gleichgültig, ob zu historischen oder aktuellen Themen – und der engen filmpolitischen Überwachung verknüpfte er mit der ebenso bekannten Hoffnung auf Liberalisierung im Osten, die sich aus kleinen Anzeichen der Lockerung speiste.550 Obwohl es vielleicht gelegentlich gegenseitiger Nachhilfe bedurfte, verband die Kritikergruppen von Cinema Nuovo und Filmkritik die zumeist abwägende Position zwischen den Fronten des Kalten Kriegs. Diese konnte wie gesehen zu Isolation oder Bedrängnis führen; sie qualifiziert die Kritiker wie ihre in diesem größeren Abschnitt bereits geschilderte Gesellschaftskritik, Vergangenheitsbewältigung und ihr filmpolitischer Aktivismus zu frühen Nonkonformisten in den Gesellschaften ihrer Heimatländer.

547 Giorgio Signorini: Schierati con la polizia popolare, in: Cinema Nuovo, Nr. 92, 15. 10. 1956, S. 210 f., hier S. 211. 548 Aristarco: Deutschland (Cinema Nuovo, Nr. 64, 1955), S. 90. 549 Patalas: Der europäische Widerstand (Deutsche Rundschau, Nr. 7, 1955), S. 704. 550 Vgl. Ulrich Gregor: Il culto del passato, in: Cinema Nuovo, Nr. 112, 15. 8. 1957, S. 82 f.

4.4 Cinema Nuovo und Filmkritik in den Filmkulturen ihrer Länder

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4.4 CINEMA NUOVO UND FILMKRITIK IN DEN FILMKULTUREN IHRER LÄNDER. BILANZ ZUM ENDE DER 1950ER JAHRE Bevor die Cinema Nuovo und die Filmkritik in ihrer Entwicklung in den 1960er Jahren weiterverfolgt werden, wird an dieser Stelle in einer vorübergehenden Bestandsaufnahme gefragt, welche Position, welche Kontakte und Konflikte die Kritikergruppen vor dem Übergang in dieses Jahrzehnt in den Filmkulturen ihrer Länder hatten – dies insbesondere auf ihr eigentliches Kernmetier, die Filmpresse, bezogen. Nicht durchgehend, aber an vielen Stellen ist dabei wiederum eine Rückkoppelung an Kernelemente des Nonkonformismus der Kritikergruppen möglich; so ergeben sich Abgleiche zwischen ihren Haltungen und denen ihrer Kritikerkollegen in Fragen wie der Vergangenheit der Länder, der Ausmaße von Gesellschaftskritik, der Filmpolitik und des Umgangs mit dem kommunistischen Osteuropa und seinen Kulturgütern. Wie bereits häufiger zuvor ist es in dieser Bestandsaufnahme sinnvoller, die Zeitschriftenbeispiele für Italien und Westdeutschland weitgehend separat darzustellen. Zu spezifisch erscheinen die Verortungen in der jeweiligen Filmkultur, als dass sich eine übersichtliche Zusammenfassung bewerkstelligen ließe. Die zeitlich versetzte Entstehung der Zeitschriften und ihrer Trägerkreise bringt mit sich, dass es für die Cinema Nuovo in weiten Teilen der 1950er Jahre eher um die Verteidigung eines bereits zuvor erworbenen Status ging, während die Gruppe um die film 56, die Filmkritik und die F noch um Emanzipation von der etablierten Filmkritik und Filmkultur rang. Hinzu kommen die bereits mehrfach angeschnittenen Unterschiede zwischen den beiden Filmkulturen. Die unterentwickelte Filmkultur in der Bundesrepublik kann kaum parallel mit der deutlich fortgeschrittenen und schon wieder kleinteilig ausdifferenzierten und entlang der politischen Bruchlinien des Landes polarisierten Filmkultur in Italien diskutiert werden. 4.4.1 Umtriebig und unbequem. Die Kritiker um die Cinema Nuovo Die Gründer und Autoren der Cinema Nuovo waren umtriebig und vielseitig engagiert, an zahlreichen Initiativen und Projekten in Filmkultur und Filmwesen Italiens teils maßgeblich beteiligt. Die Verbindungen, die beispielsweise der Chefredakteur Guido Aristarco zu anderen filmkulturellen Akteuren wie Kritikern oder Regisseuren unterhielt, changierten zumeist zwischen zwei Prägungen, die bereits immer wieder verdeutlicht worden sind. Bisweilen praktizierte die Cinema Nuovo einen recht demonstrativen Meinungspluralismus:551 Auf ihren Seiten kamen auch differenzierende oder abweichende Stimmen zum Ausdruck und keine strikte Parteilinie sollte ausschließlich repräsentiert werden. Nur so war es möglich, die umfassende, offene Debatte „Sciolti dal Giuramento“ zum Verhältnis zum sowjetischen Kino zu führen, und nur so konnte die Hoffnung auf einen Dialog mit weniger verbohrten 551 Vgl. Brunetta: Storia, Bd. 3, S. 402.

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Vertretern der katholischen Filmarbeit geäußert werden. Doch andererseits legte gerade Aristarco etwa in Bezug auf realismustheoretische Fragen eine sehr dogmatische Haltung an den Tag und viele Redaktionsvertreter gingen auch in der Filmpolitik auf einen kaum beirrbaren Konfrontationskurs. In der weltanschaulich relativ festgefahrenen italienischen Filmkultur kam es immer wieder zum Zusammenstoß nahezu prinzipiell unvereinbarer Standpunkte. Etliche der folgenden Beispiele vom Wirken der Cinema Nuovo in der Filmkultur allgemein und der Filmpublizistik im Besonderen spiegeln die Bandbreite zwischen Pluralismus und konfrontativem Dogmatismus wider. Das Personal der Zeitschrift unterhielt enge Verbindungen mit den Circoli del cinema. Das zeigte sich ja an Abdrucken von Verlautbarungen des Circolo romano oder dessen führender Rolle in der Solidaritätskampagne nach Aristarcos und Renzo Renzis Verhaftung 1953. Trotz in dieser Angelegenheit großzügigen Zugeständnissen des Unterstaatssekretärs Giulio Andreotti waren die Circoli in den 1950er Jahren regelmäßig von einschränkenden Eingriffen durch untergeordnete Filmbeamte oder Initiativen von christdemokratischen Abgeordneten bedroht. Der einflussreiche, weil öffentlichkeitswirksam agierende und von Filmprominenz unterstützte Filmclubverband wurde zudem durch Organisationen wie die Azione Cattolica infiltriert, so dass es schon 1951 zu einer „scissione“ in die eher linke FICC und die eher konservative UICC kam.552 Auch dieses Segment der italienischen Filmkultur war somit umkämpft. Die Cinema Nuovo assistierte der FICC mit der Forderung nach einer rechtlichen Statusklärung der Circoli und veröffentlichte in den „Lettere al direttore“ Klagen des Clubs in Piacenza, dass Flugblätter beschlagnahmt, Mitglieder beschattet und nach ihren politischen Einstellungen ausgefragt worden seien.553 Die Beziehungen zwischen der Kritikergruppe und vielen Regisseuren oder sonstigen Filmschaffenden waren kompliziert, nicht zuletzt weil etliche Autoren – und hier federführend Guido Aristarco – penibel überwachten, ob die realistischen Prinzipien der Zeitschrift umgesetzt wurden, und im Zweifelsfall scharfe Kritik formulierten. Nach dem Motto des ersten Editorials, „Continuare il discorso“, gab die Redaktion aber allen Angesprochenen auch Raum für eigene Beiträge oder Widerspruch zu den Urteilen. Äußerungen von Giuseppe De Santis, Luciano Emmer und die regelmäßige Beteiligung Cesare Zavattinis sind schon herangezogen worden. Ein gleichgesinnter Regisseur, der in der Cinema Nuovo publizierte, war Carlo Lizzani, was seine Ansprache beim Neorealismuskongress in Parma unterstrich, in der er von großen gesellschaftlichen Umbrüchen in der Nachkriegszeit auf die notwendigen Anpassungen des Filmrealismus schloss.554 Dissens ließen die Kritiker 552 Zu diesen Konflikten vgl. Virgilio Tosi: I circoli del cinema, in: De Giusti (Hg.): Storia, S. 188– 200, hier S. 194–197. 553 Vgl. Circoli e censura, in: Cinema Nuovo, Nr. 12, 1. 6. 1953, S. 327 f.; Lettere al direttore, in: Cinema Nuovo, Nr. 29, 15. 2. 1954, S. 65. 554 Lizzani trug zum Beispiel vor: „A chi propugna una poetica realista bisogna dire con chiarezza che è ora di fare un passo avanti. Riprendere in mano i testi, cioè rivedere i film di questo dopo guerra e vedere ciò che in essi è propriamente realistico e ciò che è cascame naturalistico, piatto verismo, folklore, o indubbia predisposizione verso poetiche lontane dal realismo“ – zitiert nach De Giusti (Hg.): Storia, S. 618.

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demgegenüber zu, als zum Beispiel Vittorio De Sica seinen Film Stazione Termini verteidigen durfte, der doch markante realistische Elemente enthalten habe und nicht ausschließlich „evasione“ offeriere.555 Michelangelo Antonioni, der angebliche „intellektualistische“ „Psychologisierer“, argumentierte gegen diese Zuschreibungen, dass sich auch aus zwischenmenschlichen Konstellationen und individuellen Reaktionen Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Umgebung ziehen ließen.556 Selbst einige direkte Angriffe auf die Zeitschrift vom oft gescholtenen Federico Fellini, die er noch Jahrzehnte später wiederholte557 und die Aristarcos Programm des „passaggio dal neorealismo al realismo“ ausblendeten, erschienen in der Cinema Nuovo als Auszug aus einem Interview mit der US-amerikanischen Film Culture: Hanno definito La strada, – han definito me – un traditore del neorealismo. In Italia è molto difficile trovare critiche oneste e obiettive sui registi. Ci sono troppi interessi particolari. […] Penso che quelli di Cinema Nuovo sono in parte responsabili di quello che lei chiama la nostra incertezza. Invece di comprendere che il neorealismo era un punto di partenza, essi lo hanno assunto come un fine, come un’età d’oro.558

Über mögliche Meinungsverschiedenheiten hinweg unterhielt beispielsweise Renzo Renzi regen Briefverkehr mit Regisseuren und Filmschaffenden – zitiert wurde schon aus Schreiben von Lizzani und Zavattini. Mit dem Filmschriftsteller plante Renzi eine Zeit lang enthusiastisch, seine Recherchen im Podelta für weitere Projekte zu nutzen.559 Neben seiner Dokumentarfilmarbeit tauschte er sich mit vielen Ansprechpartnern über Ideen oder konkrete Drehbücher für Spielfilme aus, auch wenn die Projekte oft an Zeit- oder Geldmangel oder filmpolitischen Hürden scheiterten. In seinem Nachlass finden sich dazu Briefwechsel mit neben anderen Antonioni, De Sica, Fellini oder Luchino Visconti. Renzis Briefkontakt mit den Regisseuren drehte sich zudem häufig um die Buchreihe Dal soggetto al film, die er für einen Bologneser Verlag verantwortete und die die Entstehung ausgewählter Filme mit Dokumenten und Begleittexten nachzeichnete. Die wesentlichen Mitarbeiter der Cinema Nuovo waren also über die Zeitschrift selbst und sonstige Magazine oder Zeitungen hinaus publizistisch aktiv. Aristarco hatte bereits zu Beginn der 1950er Jahre eine üppige Abhandlung zur Geschichte der Filmtheorie vorgelegt, Storia delle teoriche del film, die er zur Untermauerung seiner idealismuskritischen „revisione critica“ und, gerade in späteren Auflagen, zur Demonstration des kritischen Realismus nach Georg Lukács nutzte.560 555 Vgl. Vittorio De Sica: Mi sono fermato alla Stazione Termini, in: Cinema Nuovo, Nr. 3, 15. 1. 1953, S. 47. 556 Vgl. Stelio Martini: La Signora senza camelie non offende il cinema italiano, in: Cinema Nuovo, Nr. 6, 1. 3. 1953, S. 146 f., hier S. 147. 557 Vgl. Fellini über Fellini. Ein intimes Gespräch mit Giovanni Grazzini. Aus dem Italienischen von Renate Heimbucher, Zürich 1993, S. 88. 558 Fellini a Film Culture, in: Cinema Nuovo, Nr. 118, 15. 11. 1957, S. 262. 559 Zavattini schwebte für eine gemeinsame investigative Reise in die Region vor, „vederlo non a volo d’uccello ma passando un giorno intero in un paese per esempio, un altro giorno in un altro paese, parlando con molta gente“ – vgl. Cesare Zavattini an Renzo Renzi, Rom, 6. 10. 1952, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Zavattini, Cesare – 1. 560 Vgl. Guido Aristarco: Storia delle teoriche del film, Turin 1951.

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In ihrem eigentlichen Tagesgeschäft, der Filmkritik, hatten die Autoren der linksgerichteten Mailänder Zeitschrift nicht in allen Einzelaspekten, aber häufig gerade in grundsätzlichen Fragen im Vergleich zu den wesentlichen Vertretern der verschiedenen Sparten des Filmjournalismus abweichende Ansichten. Filmkritiker aus den nicht konfessionell geführten Tages- und Wochenzeitungen, aus der katholisch geprägten Presse und aus den Fachzeitschriften waren formal unter dem Dach des nationalen Berufsverbandes, des Sindacato nazionale giornalisti cinematografici, vereint. Inhaltlich offenbarte sich auf den Tagungen des Sindacato anlässlich der Filmfestspiele in Venedig zumeist die Inkommensurabilität der filmischen und filmpolitischen Standpunkte der Teilnehmer. 1952, noch in der Cinema, berichtete Renzo Renzi vom Kongress. Dort habe Ugo Casiraghi, einer der Filmexperten der kommunistischen Unità, ein langes und überzeugendes Referat über die politisch-bürokratischen Hindernisse im italienischen Filmwesen gehalten, das laut Renzi in seiner Sachlichkeit und parteipolitischen Zurückhaltung auch einem liberalen Vertreter zur Ehre gereicht hätte. Doch die Versammlung verzichtete demonstrativ auf eine Diskussion dieses Beitrags: „Ci fu chi sostenne, fuori del Congresso, che Casiraghi aveva introdotto argomenti politici in una discussione ‚estetica‘, e che pertanto era uscito dal tema“ – für Renzi eine absurde Argumentation, gegen die er sich in einem Kommuniqué mit weiteren Kritikern, darunter den späteren Autoren der Cinema Nuovo Tullio Kezich und Callisto Cosulich, ausgesprochen hatte. Er bilanzierte die undemokratische Konstitution des Kritikerverbandes, noch dazu argumentative Defizite der filmpolitischen Gegenseite und – einer seiner gängigen Vorwürfe dieser Jahre – faschistische Überhänge: „Il fatto che non si sia risposto a Casiraghi induce a pensare che non si avessero argomenti da contrapporgli. […] e che l’educazione fascista agisce ancora in larga misura nel nostro costume civile.“561 1953 schilderte Giulio Cattivelli in der Cinema Nuovo in vergleichbarer Weise, wie beim Kongress in Venedig die Referenten von „sinistra“, „destra“ und „centro“ starr aneinander vorbei geredet hätten. Es sei eine weitere Veranstaltung gewesen, von der bereits im Vorfeld klar gewesen sei, „che voti, mozioni e pronunciamenti sono destinati a rimanere lettera morta.“562 Unter den Tages- und Wochenzeitungen gab es für die Cinema Nuovo ihrer gesellschaftskritischen Ausrichtung gemäß noch die meisten Anknüpfungspunkte beim sozialistischen Avanti oder der kommunistischen Unità, den größten Dissens gab es mit dem christdemokratischen Popolo oder dem neofaschistischen Secolo d’Italia. Diese parteinahen Zeitungen von PSI, PCI, DC oder MSI betrieben ohnehin eine politisch aufgeladene, polarisierte Filmkritik.563 Weniger schrill schrieben viele Kritiker parteiloser Tageszeitungen und illustrierter Wochenblätter; da diese aber überwiegend konservativ oder industriefreundlich geprägt waren, fiel dement561 Renzo Renzi: Il congresso non si diverte, in: Cinema, Nr. 94, 15. 9. 1952, S. 143–145, hier S. 145. 562 Giulio Cattivelli: Sui circoli del cinema l’ombra di Starace, in: Cinema Nuovo, Nr. 19, 15. 9. 1953, S. 191. 563 Vgl. Pierotti/Rossi/Vitella: Il cinema nei quotidiani, S. 536–539; Emanuela Martini / Roberto Escobar: Il cinema in tre giornali politici degli anni ’50, in: Materiali sul cinema italiano degli anni ’50, S. 95–106, hier S. 102–106.

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sprechend auch die Filmberichterstattung eher „tradizionale“ und angepasst aus.564 In der Rückschau zugespitzt war es für Giuseppe De Santis gerade die „grande stampa italiana di informazione con alla testa il ‚Corriere della Sera‘, il ‚Messaggero‘, il ‚Tempo‘ e altri giornali“ gewesen, die den Neorealismus bekämpft und diskreditiert hatte.565 Die Cinema Nuovo versuchte allerdings, diese Filmredaktionen in ihren „discorso“ einzubinden, etwa, als Guido Aristarco neben anderen Journalisten von La Stampa und vom Giornale d’Italia einlud, sich an der Debatte „Sciolti dal Giuramento“ zu beteiligen. In dieser und anderen Umfragen, zudem bei einer vergleichenden Durchsicht der Rezensionen zu zentralen Filmen in der Entwicklung der Cinema Nuovo, wurden gelegentliche Konkordanzen mit den Meinungen der Kritiker von Tages- und Wochenzeitungen deutlich, insbesondere aber auch filmkulturelle Kontraste. Eine mehrteilige Umfrage, in der Tom Granich und Michele Gandin die Arbeitsprinzipien und filmkulturellen Haltungen von Mailänder und Römer Filmkritikern ausloteten, zeigte, dass viele Befragte sich, wenn überhaupt, nur vorsichtig skeptisch zu Zensur und Filmpolitik äußerten und dass Aristarcos „revisione critica“ hin zu einer soziologisch fundierten Filmbesprechung unter diesen Kollegen kaum verfing.566 Dieses Meinungsbild bestätigte eine weitere Umfrage, die Aufführungsverbote für einige Circoli del cinema betreffend: Während der Marxist Casiraghi in deutlichen Worten opponierte, vermied zum Beispiel Arturo Lanocita vom Corriere della sera eine klare Stellungnahme.567 Am US-amerikanischen A Face in the Crowd bemängelte Guido Aristarco in der Cinema Nuovo, dass er nur Alibikritik an Kultur und Medien seines Entstehungslandes übe; dazu destillierte der Kritiker aus Elia Kazans Film ein statisches und elitäres Gesellschaftsverständnis heraus.568 Das klang bei vielen Kritikern ganz anders, sie schrieben von einem „film coraggiosissimo e interessante“, einem „film potente“ oder von dem „più grande film di denunzia che sia stato fatto negli Stati Uniti dopo l’indimenticabile ‚Citizen Kane‘ di Orson Welles.“569 Schlüsselfilme für die Auseinandersetzung von Aristarcos Kritikerkreis mit dem italienischen Realismus der Nachkriegszeit waren Senso und Il tetto: Viscontis Film als Prototyp des kritischen Realismus, das Werk De Sicas und Zavattinis als Beispiel für die naturalistische Stagnation des Neorealismus. Bisweilen tauchten ähnliche Urteile in den Besprechungen durch andere Publikationen auf, doch auch hier lässt sich gerade der Kontrast zur Cinema Nuovo illustrieren. Ein Großteil der beim Quellenstudium konsultierten Kritiker lobte Senso, wenn überhaupt, nicht für die inhaltliche Dimension, sondern für formal-ästhetische Aspekte; auffällig oft wurde der politische 564 Vgl. Pierotti/Rossi/Vitella: Il cinema nei quotidiani, S. 531–536. 565 Zitiert nach Faldini/Fofi (Hg.): L’avventurosa storia, S. 223. 566 Die Umfrage erschien in den Ausgaben 5 f., 13 f. und 23 der Cinema Nuovo. Zur Zensur fielen etwa die Antworten von Angelo Solmi (Ausgabe 5), Natal Mario Lugaro (Ausgabe 6) oder Ermanno Contini (Ausgabe 23) nur zurückhaltend aus. Die Frage nach der „revisione critica“ verstanden die meisten Umfrageteilnehmer nicht einmal – zum Beispiel Filippo Sacchi (Ausgabe 13). 567 Vgl. Circoli e censura (Cinema Nuovo, Nr. 12, 1953). 568 Vgl. Aristarco: Un volto (Cinema Nuovo, Nr. 125, 1958). 569 Zitate aus Rotosei, 21. 2. 1958; Settimo Giorno, 6. 7. 1958; Il Giorno, 25. 1. 1958.

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Impetus Viscontis, die Assoziation von Risorgimento und Resistenza, ausgeblendet oder als aufgestülpte Debatte zurückgewiesen, wie etwa durch die illustrierte Wochenzeitung des gleichnamigen „cinegiornale“, die Settimana Incom: arriva al pubblico preceduto da una serie di polemiche nelle quali quasi mai si è fatto questione di arte, ma troppo spesso e con soverchia leggerezza, di politica. […] Si è finito così per scatenare una battaglia di idee attorno ad un’opera tra le più formaliste, elaborate ed aristocratiche nella storia del cinema italiano. Visconti stesso, la sua intelligenza, il suo gusto, non meritano valutazioni così lontane dall’essenza della sua arte e del suo temperamento.570

Il tetto wiederum schien kaum mehr Kritiker durch anklagenden Neorealismus zu provozieren, vielmehr wurde der Film überwiegend versöhnlich interpretiert und fand Gefallen,571 wozu laut Aristarco ja gerade seine überholte Machart mit wenig tiefgründigen, nur kleinteiligen Alltagsbeobachtungen beigetragen hatte. Im Rahmen der andauernden Auseinandersetzungen mit der katholischen Filmarbeit verstrickte sich die Redaktion der Cinema Nuovo zwangsläufig auch immer wieder in Konflikte mit deren publizistischem Flügel. Ständiger Antagonist und Zielscheibe von Spitzen war der katholische Kritiker Gian Luigi Rondi. Er war es, dessen Enthaltung bei der Solidaritätskampagne für Aristarco und Renzi vermerkt wurde, und dessen Kurzfilme, obgleich von fragwürdiger Qualität, stets denjenigen von kritischeren Geistern vorgezogen und auf der internationalen Bühne präsentiert wurden.572 Gerne strichen die Autoren der Zeitschrift zudem Rondis Mitarbeit in diversen christdemokratischen Publikationen heraus, als treues Sprachrohr der Kultur- und Filmpolitik von Giulio Andreotti, der Mitte der 1950er Jahre nicht mehr „sottosegretario dello spettacolo“, sondern zum Finanzminister aufgestiegen war.573 Rondi schrieb einige Verrisse zu Senso, dem er überzogene Dramatisierung attestierte und darüber hinaus einen geschichtspolitischen Irrweg vorwarf.574 In der oben erwähnten Kritikerumfrage der Cinema Nuovo verteidigte Rondi die Strukturen von Filmförderung und Zensur, genauso wie sein Kollege vom DC-nahen Popolo, Vittorio Sala.575 Das Hauptorgan der katholischen Filmpublizistik, für das auch Gian Luigi Rondi arbeitete, war die Rivista del Cinematografo, die vom Centro Cattolico Cinematografico und der katholischen Kinobetreibervereinigung ACEC getragen wurde, regelmäßig die Verlautbarungen des Papstes zum Film abdruckte und in den 1950er Jahren eine strikt antikommunistische und antineorealistische Linie ver570 La Settimana Incom, 12. 2. 1955; ähnlich zum Beispiel auch L’Europeo, 5. 2. 1955; Oggi, 10. 2. 1955. 571 Vgl. neben anderen La Stampa, 30. 9. 1956; Epoca, 21. 10. 1956. 572 Vgl. Tutti insieme (Cinema Nuovo, Nr. 20, 1953); Del Buono: I cortometraggi (Cinema Nuovo, Nr. 10, 1953). 573 Vgl. Rossetti: Brusasca (Cinema Nuovo, Nr. 104, 1957); Cosulich: La censura (Cinema Nuovo, Nr. 118, 1957). 574 Rondi formulierte in La Discussione, 6. 2. 1955, „che la loro concezione ‚classista‘ del Risorgimento non è molto accettabile o, comunque, non ha neanche il più piccolo riferimento con quella della Guerra di Liberazione.“ Ähnlich ders. in der Rivista del Cinematografo, Nr. 2, 1955. 575 Vgl. Il successo di un film dipende anche da loro, in: Cinema Nuovo, Nr. 23, 15. 11. 1953, S. 298–300, hier S. 300.

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folgte.576 Mit dieser Rivista tauschte die Cinema Nuovo zum Beispiel 1953 einige bissige Editorials und Artikel aus. Die katholischen Kritiker sprangen Andreotti bei: Diesem hatte die Cinema Nuovo einen „paternalismo sottilmente poliziesco“ vorgeworfen, gleichzeitig aber auch die Frage nach inhaltlichen Anknüpfungspunkten zwischen neorealistischer und christdemokratischer Filmkultur aufgeworfen.577 Den zweiten Punkt außer Acht gelassen, antwortete nun also die Rivista del Cinematografo, wer das sowjetische Staatskino verfechte, könne kaum die – ihrer Ansicht nach berechtigten – filmpolitischen Maßnahmen in Italien kritisieren. Die Cinema Nuovo wiederum konterte, verärgert über die durchschaubare Taktik, jegliche Kritik an Andreotti als nicht ernstzunehmenden Kommunismus abzutun, und über die Scheuklappen der katholischen Filmkultur, die Dialogmöglichkeiten zu Gunsten von religiösen Dogmen verkenne: invece di trovare una iniziativa vera, di aprire le menti alla ricerca, alle innovazioni coraggiose raccolte nelle aspirazioni profonde degli animi, si accontenta di fare lo sgambetto, in maniera superficiale e ridicola (ma soprattutto odiosa), a tutti gli impegni generosi che non seguano alcune grossolane norme catechistiche.578

Unter den wichtigsten italienischen Filmfachzeitschriften der 1950er Jahre fanden sich für den Kreis um die Cinema Nuovo einige sympathisierende Autoren oder ganze verbündete Blätter, mit relevanten filmpublizistischen Stimmen unterhielt er aber auch belastete Verhältnisse, die sich teils zu wahren Fehden auswuchsen. Das galt besonders für die Cinema und die Bianco e Nero, nachdem Guido Aristarco und Luigi Chiarini dort unrühmlich entlassen worden waren. Aristarco verfolgte nach seiner Absetzung argwöhnisch, welche Kritiker ihm die Treue hielten und zur neu gegründeten Cinema Nuovo mitkamen, und welche konservativen katholischen Autoren nun vermehrt in der alten Cinema auftauchten.579 Diese Zeitschrift verlor aber allmählich an Bedeutung, die Ausgaben nach Aristarco gerieten „più uniformi e prudenti“.580 Editorials betonten die politische Äquidistanz nach links und rechts, doch wirkte dieser Neutralismus wenig inspirierend, sondern in der kämpferischen italienischen Filmpublizistik auffällig kraftlos und unverbindlich. Der gemäßigte Katholik Giulio Cesare Castello, der mit vielen Autoren der Cinema Nuovo in Kontakt stand, versuchte sich daher 1954 an einem Neubeginn der schwächelnden Cinema und wollte dafür gerade auch diese Kritiker als Mitarbeiter gewinnen. Aristarco bangte einige Wochen des Überredens und Verhandelns, denn gerade mit seinem früheren Arbeitgeber wollte er seine Mitarbeiter nicht teilen oder sie gar an diese Zeitschrift verlieren. Schließlich konnte er in den meisten Fällen zufrieden an Renzi melden: „Martini, Cosulich, Del Fra, Paladini, Viazzi, 576 Vgl. Bragaglia: Critica e critiche, S. 148 f.; Marco Muscolino: La „Rivista del Cinematografo“ dalla nascita al 1968, in: Eugeni/Viganò (Hg.): Attraverso lo schermo, S. 181–196, hier S. 189–193. 577 Vgl. Paternalismo e censura (Cinema Nuovo, Nr. 4, 1953). 578 La cultura dei dispetti, in: Cinema Nuovo, Nr. 9, 15. 4. 1953, S. 231 f., hier S. 232; zum Abschluss der Polemik vgl. La parte dell’agnello, in: Cinema Nuovo, Nr. 16, 1. 8. 1953, S. 88. 579 Vgl. Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 10. 10. 1952, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 1. 580 Bragaglia: Critica e critiche, S. 83.

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Puccini ed altri sono rimasti con noi. […] Ci siamo inoltre procurati la collaborazione di Bonicelli. Di Giammatteo non darà nulla a Cinema: ma sarà con noi! Anche questo è importante.“581 Die Cinema sollte weiterhin keinen nennenswerten Erfolg mehr haben; nach einem erneuten Leitungswechsel hin zu Pasquale Ojetti nahm sie noch einmal wieder deutlich konservativere Positionen ein, um letztlich 1956 ihr Erscheinen einzustellen.582 Schärfere Polemik blühte der Cinema Nuovo eine Zeit lang von der Zeitschrift des Centro Sperimentale di Cinematografia, von der Bianco e Nero. Unter der Führung von Giuseppe Sala verfocht sie zwischen 1952 und 1956 einen sehr konservativen politischen Katholizismus,583 der sie zu einigen Attacken auf den früheren Chefredakteur Chiarini und eines seiner neuen Wirkungsfelder, eben die Cinema Nuovo, verleitete. Autoren der Bianco e Nero hielten Chiarini ausgiebig seine Aktivitäten und Äußerungen aus der faschistischen Zeit vor.584 Die Zeitschrift veröffentlichte zudem eine Abrechnung mit Chiarini, Aristarco und allgemein dem gesellschaftskritischen Filmverständnis der Cinema Nuovo und ihres Kreises. Diese wirkten grundlegend filmschädlich, da sie sich dem Medium in ihrer thematischen Verworrenheit eigentlich eher am Rande widmeten, und dabei nur verbohrt einen „realismo obbligato, programmatico, pregiudiziale“ predigten. Der Verfasser warnte davor, dass viele junge Leser der Cinema Nuovo der wahren Filmkunst verloren gehen könnten: „Se, in ogni caso, una preoccupazione ci domina, è questa: che alcuni pseudocritici possano creare perniciosissime confusioni, sopratutto nei giovani, il campo piú facilmente coltivabile.“585 Den Gegnern der Cinema Nuovo schloss sich gelegentlich noch die Zeitschrift Filmcritica von Edoardo Bruno an, die in den 1950er Jahren lange keinen festen filmkulturellen Standpunkt fand und ihr Heil dann offensichtlich in einigen Angriffen auf die einflussreiche Mailänder Zeitschrift suchte.586 So wurde Aristarcos Gruppe auch hier als linksdogmatisch kritisiert und die Selbstkritik der Debatte „Sciolti dal Giuramento“ hätte Bruno zufolge gleich die gesamte, marxistisch imprägnierte „revisione critica“ ins Visier nehmen sollen.587 Gleichzeitig konnte in der Filmcritica allerdings auch der überzeugte Kommunist Umberto Barbaro weiter gegen „Sciolti dal Giuramento“ wettern und den Sinn dieser Diskussion aus einer

581 Zitate aus den Briefen von Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 1. 6. 1954 und 5. 6. 1954, ebd., Corrispondenza, Aristarco, Guido – 4. 582 Vgl. Bragaglia: Critica e critiche, S. 86 f. 583 Vgl. ebd., S. 69; Pellizzari: Il cinema pensato, S. 521. 584 Vgl. Film e moschetto, Chiarini perfetto, in: Bianco e Nero, Nr. 5–6, 1956, S. 138–142. 585 Fabio Rinaudo: L’importanza di esser franchi, in: Bianco e Nero, Nr. 11–12, 1954, S. 129–136, hier S. 131 und 133; mit ähnlichen Spitzen auch Giuseppe Sala: Il cinema italiano in quest’ora: una crisi culturale, in: Bianco e Nero, Nr. 4, 1956, S. 3–12, hier S. 11. 586 Vgl. Bragaglia: Critica e critiche, S. 123; Pellizzari: Il cinema pensato, S. 522; zur Geschichte der Zeitschrift zudem Fabio Segatori: L’avventura estetica. „Filmcritica“ 1950–1995, Mailand 1996. 587 Vgl. Renato Giani: La stampa cinematografica e „certa stampa“, in: Filmcritica, Nr. 49, 1959, S. 203–219, hier S. 209; Edoardo Bruno: Questioni di stile, in: Filmcritica, Nr. 59, 1956, S. 123–125.

4.4 Cinema Nuovo und Filmkritik in den Filmkulturen ihrer Länder

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sowjetfreundlichen Perspektive anzweifeln – nicht ohne dabei Renzo Renzi in sehr persönlicher und gehässiger Weise anzugehen.588 Unterstützung gegen manche Anfeindung und dazu publizistisches Obdach fanden Guido Aristarco und Mitstreiter dagegen bei der Anfang 1952 von Fernaldo Di Giammatteo begründeten Rassegna del film, die sich an den Themen und den filmpolitischen Schwerpunkten der Circoli del cinema orientierte. In der Rassegna richtete sich ein Editorial – wie später gegen die Verhaftungen im Fall „L’armata s’agapò“– gegen die Entlassungen Chiarinis und Aristarcos, dabei besonders gegen das passive Verhalten des Kritikerverbandes: „Era un elementare dovere del sindacato prendere posizione contro quelli ‚allontanamenti‘ […]. Il sindacato, invece, ha taciuto.“589 Aristarco bedankte sich in der Zeitschrift dafür, dass er hier nach seiner Entlassung bei der Cinema zunächst weiter publizieren konnte.590 In der Folge herrschte ein reger Austausch an Beiträgern zwischen seiner und Di Giammatteos Zeitschrift. Di Giammatteo vertrat konsequent die Position des „liberaldemocraticismo“ im „terzo polo“, mit klarem antifaschistischen Einschlag und einer Absage an den politischen Konformismus unter Katholiken und unter Kommunisten.591 Seine Publikation bestand nicht lange, nur bis 1954 – und zu diesem Zeitpunkt zerbrach auch die filmkritische Freundschaft zu Aristarco. Vermutlich lag es zu einem großen Teil an den unterschiedlichen politischen Auffassungen, daran, dass sich Di Giammatteo nicht auf die marxistischen Implikationen der „revisione critica“ und der Storia delle teoriche del film einlassen wollte. Aristarco sah sich unsachlich kritisiert und sein Buch nicht ausreichend gewürdigt.592 In solchen Fällen zeigte sich bisweilen sein aufbrausendes Temperament, er reagierte dann empfindlich und wenig kompromissbereit in Filmfragen. Dies galt ebenso innerhalb der Redaktion der Cinema Nuovo und mit einem Blick auf die interne Verfassung der Kritikergruppe schließt nun diese Bestandsaufnahme zum Ende der 1950er Jahre. Einen Einblick in die Entwicklung des Kreises vermittelt einmal mehr die Briefsammlung aus dem Nachlass Renzo Renzis. Renzi unterhielt mit vielen Gruppenmitgliedern regen Kontakt, fungierte als kommunikatives Relais und als Pendeldiplomat bei Konflikten. Einen solchen scheint es zwischen Aristarco und Tullio Kezich gegeben zu haben; der Bruch war, wie Kezich an Renzi schrieb, nach einem „unerfreulichen Briefwechsel“ nicht mehr abzuwenden, so dass er 1954 mit verbitterten Worten aus der Zeitschrift ausstieg: la mia situazione è molto diversa, in quanto da cinque o sei mesi (dopo uno spiacevole carteggio con Aristarco) non collaboro più a ‚Cinema Nuovo‘ e non ho più occasione di vedere Guido. […] Per parte mia, mi considero fuori da ogni guerra di religione ed estraneo alle beghe

588 Vgl. Umberto Barbaro: Il segreto di Pulcinella, in: Filmcritica, Nr. 59, 1956, S. 142–144. 589 La procedura del silenzio, in: Rassegna del film, Nr. 10, 1953, S. 1 f., hier S. 1. 590 Vgl. Guido Aristarco: Rossellini Germi Fellini. Delusioni e speranze del cinema italiano, in: Rassegna del film, Nr. 8, 1952, S. 8–10, hier S. 8. 591 Vgl. Bragaglia: Critica e critiche, S. 144 f.; Pellizzari: Il cinema pensato, S. 523. Dazu auch Fernaldo Di Giammatteo: Riflessioni sul conformismo, in: Rassegna del film, Nr. 8, 1952, S. 3–7; ders.: Hanno paura del non conformismo, in: Rassegna del film, Nr. 18, 1953, S. 3–7. 592 Vgl. Aristarco: Esame di coscienza (Cinema Nuovo, Nr. 46, 1954), S. 288 f.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur personali fra Castello e Aristarco, fra Aristarco e Di Giammatteo, fra Di Giammatteo e Chiarini eccetera eccetera. Scusa l’espressione: me ne frego.593

Kezich erklärte sich im Zuge dessen bereit, für Castellos neu aufgelegte Cinema zu schreiben, auch wenn Renzi und Michele Gandin versuchten, ihn davon abzubringen.594 Diese beiden Kritiker widerstanden den Abwerbeversuchen. Allerdings stimmte auch Gandin über Jahre hinweg in etlichen Details der Zeitschriftengestaltung und -ausrichtung nicht mit dem Chefredakteur Aristarco überein und schließlich hatten sich in dieser Beziehung ebenfalls zu viele Missverständnisse und Kränkungen angehäuft.595 Anfang 1957 beklagte sich Gandin, „che è inutile e assurdo pensare di modificare il suo carattere […] e l’ho sempre difeso contro tutti: ma certo che ogni tanto ne fa una grossa e occorre dirglielo,“ räumte ein, er selbst könne nur schwer „diventare un altro“ und verschwand allmählich aus der Cinema Nuovo.596 Renzi und Aristarco aber blieben einander loyal und setzten die Zusammenarbeit in der Zeitschrift noch lange Zeit fort. Sie verbanden neben anderem das Ringen um ein kritisches italienisches Kino, für eine Liberalisierung von Filmpolitik und Filmkultur ihres Landes und auch die Erfahrung, gemeinsam eine Inhaftierung und einen Prozess überstanden zu haben. Doch da sie in Nuancen wiederholt voneinander abwichen – etwa in der Frage nach der genauen Ausprägung des italienischen Realismus oder dem exakten Verhältnis zum organisierten Kommunismus –, trieb ihr Zusammenwirken den Meinungspluralismus in der Cinema Nuovo auf die Spitze und symbolisiert neben der nach außen gerichteten Streitbarkeit die zweite oben genannte Facette dieses Kritikerorgans.597 Renzi verfasste im Vorlauf zu „Sciolti dal Giuramento“ bereits einen ähnlich selbstreflexiven Artikel, in dem er sich mit allgemeinen Kritikermaßstäben auseinandersetzte. Zusammengefasst warnte er vor einer reinen „critica-manifesto“ und plädierte für eine Abkehr von rigorosen ideologischen Schemata in der Filmkritik, die vielfach den komplexen Werken und Künstlern nicht gerecht werden könnten. Exemplarisch regte er Neubewertungen von Fellinis Filmen oder von Edward Dmytryks The Caine Mutiny an und schloss: Di fronte a una realtà complessa bisogna usare una complessità di strumenti. Il rudimentale sociologismo – secondo schemi fissati una volta per sempre, che vogliono violentare la realtà – non basta; non solo, ma esso è pericoloso perché […] può portare a una sorta di trozkismo culturale che determina una nuova evasione – quella dalle opere e dagli autori – proprio da parte di chi ha in programma di rifiutare tutte le evasioni.598

593 Tullio Kezich an Renzo Renzi, Mailand, 7. 6. 1954, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Epistolario, Kezich, Tullio (1). 594 Vgl. Michele Gandin an Renzo Renzi, Rom, 1. 6. 1954, ebd., Epistolario, Gandin, Michele (1). 595 Vgl. beispielsweise die Briefe von Michele Gandin an Renzo Renzi, Rom, 21. 3. 1953 und 22. 1. 1954, ebd. 596 Michele Gandin an Renzo Renzi, Rom 7. 1. 1957, ebd., Epistolario, Gandin, Michele (2). 597 Vgl. zu dieser, zumindest versuchten, Offenheit etwa Aristarco: Responsabilità della cultura (Cinema Nuovo, Nr. 99, 1957). Zu Renzis Rolle auch Brunetta: Storia, Bd. 3, S. 391. 598 Renzo Renzi: La costruzione dell’orologio, in: Cinema Nuovo, Nr. 58, 10. 5. 1955, S. 345–347, hier S. 347.

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Aristarco bemerkte in seinen Briefen durchaus, dass diese Kritik gerade auf ihn gemünzt war, druckte sie aber dennoch und versprach sich von derartigen Debatten einen publizistischen Vorteil, soprattutto per chiarire le idee tra di noi e per dimostrare la nostra assoluta indipendenza. Lasciamo che la giustizia e la rivista del CCC si meraviglino di questa nostra libertà. La loro meraviglia è molto sintomatica. […] Importa la base comune del nostro lavoro, l’amicizia e la reciproca stima che ci lega. E’ raro trovare persone e amici come te.599

Das Changieren zwischen Meinungsvielfalt und polemischer Konfrontation, dazu die im Vergleich ungemein kenntnisreichen und thematisch breit gefächerten Beiträge, sorgten dafür, dass die Cinema Nuovo auch Ende der 1950er Jahre eine anerkannte Größe in der italienischen Filmkultur blieb – ob nun als Gegner, an dem sich andere Kritiker rieben, oder als reizvoller Anlaufpunkt für Filmjournalistennachwuchs, der die Belegschaft an der Schwelle zum Folgejahrzehnt erfrischte. Das Ende der Cinema oder der Rassegna del film zeigten jedoch, dass der Absatzmarkt für Filmfachzeitschriften problematisch war und selbst Aristarcos etablierte Publikation hatte regelmäßig finanzielle Schwierigkeiten, wie aus seinen Briefen an Renzo Renzi und auch an Siegfried Kracauer hervorgeht.600 Ein Formatwechsel wurde erforderlich, um den Übergang in die 1960er Jahre zu bewerkstelligen. 4.4.2 Jahre der Emanzipation. Die Filmkritik bis 1960 Als junge Nonkonformisten grenzten sich die Gründer der film 56 und der Filmkritik in allen möglichen Sparten der westdeutschen Filmkultur von den vorherrschenden Meinungen und Persönlichkeiten ab. Dazu gehörten die eingehende Kritik an den Filmerzeugnissen selbst oder die Opposition zur konservativen Filmpolitik. Diese Passage wird zum Einstieg ihre Absetzbewegungen in ihrem Berufsfeld, der Filmpublizistik in all ihren Facetten, zeigen, zudem, wie sich die Kritiker mit den Filmschaffenden selbst auseinandersetzten und zum Abschluss die Emanzipation der Filmkritik-Gruppe von der Filmclubbewegung und ihrem Verbandsorgan filmforum. Die Filmkritik eröffnete in ihrem allerersten Editorial „Anstelle eines Programms“ ja gleich mit einer deutlichen Absage an die „gängige Filmkritik“, an ihre bekanntesten und einflussreichsten Kollegen und besonders die „Feuilletonisten“ unter ihnen. Ihren harmlosen Wortspielen, den subjektiven und assoziativen Texten sowie der opportunistischen Orientierung an Publikum und Leserschaft „verdanken Sie-wissen-schon-wer ihre relative Popularität.“601 Genaue Namen folgten im Editorial nicht, dafür stellten der oder die Verfasser das bereits erörterte Gegenkon599 Zitate aus den Briefen von Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 31. 3. 1955 und 25. 5. 1955, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 3 und 5. 600 Vgl. Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 1. 3. 1957, ebd., Corrispondenza, Aristarco, Guido – 6; ders. an Siegfried Kracauer, Mailand, 7. 5. 1958, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005845. 601 Anstelle eines Programms (Filmkritik, Nr. 1, 1957), S. 1.

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zept auf. Auf wen sich „Sie-wissen-schon-wer“ aber zuvorderst bezog, zeigte die Erinnerung von Ulrich Gregor: „Und diesen Gunter Groll fanden wir auch ganz furchtbar, weil das war eine Art, Film zu betrachten, also wirklich, das widersprach ganz unseren Maximen, denn wir wollten den Film eben auch im sozialen und politischen Kontext sehen“.602 Grolls filmpublizistisches Wirken ging bis in die Zeit des Nationalsozialismus zurück, in der er eine Dissertation zum Film vorgelegt, sich als Journalist aber nicht gravierend belastet und disqualifiziert hatte.603 Er wurde nach 1945 der viel gelesene Filmkritiker der Süddeutschen Zeitung. Hier zeigte er sich als weitgehend unpolitischer und nicht „soziologisch“ interessierter Filmschwärmer, der seine verspielt-essayistischen Rezensionen zudem noch in einigen Sammelbänden verwertete. Dass seine Herangehensweise den jungen Ideologiekritikern gänzlich zuwiderlief, lässt sich schon zeitgenössisch belegen, in einer anonymen Besprechung von Magie des Films und Lichter und Schatten.604 Enno Patalas verknüpfte diese und „Anstelle eines Programms“ schließlich im Herbst 1957 zu einem Beitrag für die Frankfurter Hefte. Er sezierte darin, was bei genauem Hinsehen eigentlich an Kernaussagen in Grolls Rezensionen übrigbleibe – nahezu nichts: „Nicht der geringste Aufschluß wird über einen Film und seine Struktur gegeben. Lediglich ein allgemeinster Eindruck in kostbare Vokabeln gefaßt.“605 Einigen neorealistischen Meisterwerken De Sicas und Zavattinis könne der routinierte Kollege nur bescheinigen, dass sie „gut“ seien, sie aber nicht filmhistorisch in die Bewegung einordnen und genauer erläutern. Groll erzeuge in seinen Texten ein „System von Scheinbedeutsamkeit […], das unter dem Gewicht formaler Brillanz alles erdrückt, was sich zu so unerläßlicher Filmkritik ausbilden könnte.“606 Der Verriss von Grolls Sammelbänden geriet so harsch, dass die Redaktion der Frankfurter Hefte noch eine Notiz hinzufügte, derzufolge Patalas’ Rezension „uns der Arbeit Gunter Grolls nicht in allem gerecht zu werden scheint.“607 Die Filmkritik-Gruppe baute in den 1950er Jahren ständig Spitzen gegen Groll und andere etablierte Kollegen in ihre Texte ein, um sich als qualifizierter und zeitgemäßer herauszustellen. Groll, dazu neben anderen Friedrich Luft, der für die Welt schrieb, und Klaus Hebecker, der den Pressedienst Film-Telegramm betrieb und auf diese Weise große Verbreitung erreichte, stilisierten etwa Helmut Käutner überzogen zum deutschen Meisterregisseur und hätten so Anteil am undifferenzierten „Käutner-Kult“ in der Bundesrepublik.608 Groll und Hebecker erschienen in der Filmkritik als besonders plumpe und abschreckende Beispiele der westdeutschen 602 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 603 Vgl. Paul Hoser: Vom provinziellen Lizenzblatt zur „New York Times von Bayern“. Die Anfänge der „Süddeutschen Zeitung“, in: Hachmeister/Siering (Hg.): Die Herren Journalisten, S. 121–145, hier S. 134–137; zu Grolls Wirken insgesamt Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, S. 141–145. 604 Vgl. Filmliteratur (Filmkritik, Nr. 5, 1957). 605 Enno Patalas: Trotzdem: Elend der Filmkritik, in: Frankfurter Hefte 12 (1957), Nr. 9, S. 653– 655, hier S. 653. 606 Ebd., S. 654. 607 Ebd., S. 655. 608 Vgl. Enno Patalas: Der Schinderhannes, in: Filmkritik, Nr. 1, 1959, S. 5 f., hier S. 6; ders.: Zu jung (The Restless Years), in: Filmkritik, Nr. 1, 1959, S. 26 f., hier S. 26.

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Pressereaktion auf Wolfgang Staudtes Untertan.609 Insgesamt mangele es allzu vielen westdeutschen Filmkritikern an elementaren Sachkenntnissen610 und sie gingen überwiegend allzu milde und nachsichtig mit dem heimischen Filmschaffen um, „längst verzweifelt auf der Suche nach etwas Lobenswertem im deutschen Film“.611 Ein Unwort der deutschen Filmkultur war für die Autoren der Filmkritik das „Menschliche“, als Symbol für die zumeist nur vage definierten Ansprüche an Filme und den Rückzug auf private, apolitische Themenfelder.612 Es war, um den Kontrast zur gängigen Filmpublizistik zu unterstreichen, gerade dieses „Menschliche“, genauer „die menschliche Substanz“, für die sich Karl Sabel als Vertreter der Filmjournalisten im Bürgschaftsbeirat verwandte, damit Stresemann ein förderungswürdiger und erfolgreicher Film werden könne.613 Wie ihre Pendants von der Cinema Nuovo sich abseits des italienischen Sindacato der „critici cinematografici“ hielten, standen auch die Mitarbeiter der Filmkritik überwiegend in kritischer Distanz zu den offiziellen Strukturen der Filmkritiker in der Bundesrepublik. Diese fanden sich in der Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten zusammen, die auch eigene Publikationen erstellte, zum Beispiel ab dem Ende der 1950er Jahre ein Jahrbuch der Filmkritik mit ausgewählten Rezensionen zahlreicher Kritiker.614 Die politischen Kontakte der Arbeitsgemeinschaft widersprachen der skeptischen Position der Filmkritik. Der Vorstand des Kritikerverbands korrespondierte beispielsweise mit dem Bundespresseamt. Gemeinsam beteiligten sich diese Institutionen an Ränkespielen auf internationaler Ebene; sie versuchten, der Bundesrepublik eine günstige Position im globalen Kritikerverband zu verschaffen oder die Berliner Filmfestspiele durch zusätzliche Preisverleihungen in der Konkurrenz zu Cannes und Venedig aufzuwerten. Zufrieden berichtete Bert Markus von den Düsseldorfer Nachrichten 1955 als Vorstand der AG nach Bonn über die Erfolge dieser diplomatischen Initiativen und den Zuspruch für seine Organisation: „Für die Arbeitsgemeinschaft wirkt sich das bereits jetzt dahin aus, daß bisher noch fernstehende namhafte Kollegen aus Berlin und dem ganzen Reich an die Arbeitsgemeinschaft mit der Bitte um Aufnahme herantreten.“615 Schriftwechseln der Folgezeit ist zu entnehmen, dass das Presseamt die Arbeitsgemeinschaft jährlich mit mehreren Tausend Mark unterstützte – im Gegenzug überprüften und

609 Vgl. Der Untertan (Filmkritik, Nr. 5, 1957), S. 69. 610 Vgl. Enno Patalas: Fünf auf einen Streich (Rock-a-Bye-Baby), in: Filmkritik, Nr. 4, 1959, S. 103. 611 Berghahn: Romeo und Julia (film 56, Nr. 1, 1956), S. 40; ähnlich auch Becker: Versuche (Der Monat, Nr. 130, 1959), S. 71. 612 Vgl. zum Beispiel Berghahn: Romeo und Julia (film 56, Nr. 1, 1956), S. 42; Der Untertan (Filmkritik, Nr. 5, 1957), S. 67. 613 Vgl. Kurzbericht über die 6. Beiratssitzung am 5. Mai 1956 in den Räumen der Bürgschaftsgesellschaft für Filmkredite mbH, Frankfurt am Main, Bundesarchiv, Koblenz, B 145/43. 614 Vgl. die erste Folge: Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten e. V. (Hg.): Jahrbuch der Filmkritik, Emsdetten 1959. 615 Bert Markus an Kurt Betz, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Düsseldorf, 20. 7. 1955, Bundesarchiv, Koblenz, B 145/22.

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kommentierten die Beamten, wie sich die Kritiker im gemeinschaftseigenen Informationsdienst über brisante Themen wie den Kriegsfilm äußerten.616 Das Modell einer schlichten Dichotomie zwischen der Filmkritik und der restlichen Filmpublizistik Westdeutschlands würde Letzterer aber historiographisch nicht gerecht. Es ist schwierig, ein vollständiges Bild dieser diffusen, nicht sehr professionalisierten Filmpresselandschaft der 1950er Jahre zu zeichnen. Einige Beobachtungen können die Szenerie aber zumindest ansatzweise ordnen und Quellenbeispiele veranschaulichen Unterschiede in der Filmbeurteilung. Das Auftreten des Filmkritik-Kreises symbolisierte auch einen Generationskonflikt unter den Filmkritikern. Die jungen Nonkonformisten kamen bekanntlich aus den Jahrgängen um 1930, waren demnach in ihrer kämpferischen Emanzipationsphase noch keine 30 Jahre alt. Demgegenüber waren die meisten der in diesem Abschnitt bereits erwähnten anderen Kritiker teils deutlich älter: Karl Sabel war 1899 geboren, Bert Markus 1910, Friedrich Luft 1911 und Gunter Groll 1914. Junge Journalisten störten sich etwa am militärischen Habitus, den ältere Kritiker wie Georg Ramseger von der Welt zur Schau stellten.617 Die größte Reibung herrschte zwischen der Filmkritik und Kritikern überregionaler Zeitungen, die sich auf Politikfreiheit und vagen Ästhetizismus zurückzogen, oder solchen Autoren in ohnehin konservativ gefärbten Blättern und in den viel gelesenen Regionalzeitungen. Es war zum Beispiel ein Münchner Boulevardblatt, das die film 56 als „verstiegenes“ Projekt „sogenannter Cineasten“ bespöttelte.618 Im katholischen Echo der Zeit und in den Westfälischen Nachrichten attackierte ein Autor die film 56 als „Sturm- und Drangprodukt einer schlecht verdauten Pubertät“ oder als studentischen „Tummelplatz für antikirchliche Komplexe und linksverklemmte Unausgegorenheiten“.619 Eine respektvolle Koexistenz pflegte die Filmkritik-Gruppe mit dem Kritikerintellektuellen Karl Korn620 von der Frankfurter Allgemeinen oder der Exzentrikerin Karena Niehoff621 vom Westberliner Tagesspiegel, die auf unterschiedlichen Argumentationspfaden beide etwa zu ähnlich negativen Kritiken von Rolf Thieles Mädchen Rosemarie kamen.622 In die Polemiken der Filmkritik gegen das vorherrschende Filmangebot stimmten nun gelegentlich auch jüngere Kollegen wie Hans616 Diese Schriftwechsel finden sich sämtlich ebd., B 145/2767. 617 Vgl. von Hodenberg: Konsens und Krise, S. 267 f. 618 Zitiert nach dem Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 619 Zitiert nach Meinung und Gegenmeinung, in: film 56, Nr. 2, 1956, S. 103 f.; Meinung und Gegenmeinung, in: film 56, Nr. 3, 1956, S. 155 f. 620 Vgl. Marcus M. Payk: Der Geist der Demokratie. Intellektuelle Orientierungsversuche im Feuilleton der frühen Bundesrepublik: Karl Korn und Peter de Mendelssohn, München 2008; ders.: Opportunismus, Kritik und Selbstbehauptung. Der Journalist Karl Korn zwischen den dreißiger und den sechziger Jahren, in: Alexander Gallus / Axel Schildt (Hg.): Rückblickend in die Zukunft. Politische Öffentlichkeit und intellektuelle Positionen in Deutschland um 1950 und um 1930, Göttingen 2011, S. 147–163; Friedemann Siering: Zeitung für Deutschland. Die Gründergeneration der „Frankfurter Allgemeinen“, in: ders./Hachmeister: Die Herren Journalisten, S. 35–86, hier S. 61–65. 621 Vgl. Karena Niehoff: Feuilletonistin und Kritikerin. Mit Aufsätzen und Kritiken von Karena Niehoff und einem Essay von Jörg Becker, München 2006. 622 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 8. 1958; Der Tagesspiegel, 3. 9. 1958.

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Dieter Roos oder Manfred Delling ein, die bei der Süddeutschen Zeitung beziehungsweise der Welt einstiegen. Es gab zudem noch die Filmrubrik in der Anderen Zeitung und den unerschütterlichen, DDR-freundlichen Kommunisten Albert Schneider, der für die linksgerichtete Deutsche Woche berichtete.623 Die ideologiekritische Schärfe bei gleichzeitiger, vielfach im Ausland erworbener, profunder Filmkenntnis erreichten im Vergleich zur Filmkritik aber kein anderer Kritiker und keine andere Kritikergruppe. Die Bandbreite filmkritischen Schaffens zwischen Abgrenzung und Anpassung und das Verhältnis zur neuen Filmkritik bringen Zitate von Volker Baer zum Ausdruck, wiederum einem Vertreter des Jahrgangs 1930, der zunächst in Hannover und anschließend beim Tagesspiegel als Filmredakteur arbeitete. Zu Gunter Groll erinnerte er sich: In München gab es einen beliebten, weithin populären Kritiker namens Gunter Groll, der seine Rezensionen in Kapitel einteilte wie Alfred Kerr seine Theaterkritiken, und der jedes Kapitel mit einer Pointe abschloss. Viele junge Kollegen glaubten, genau so schreiben zu müssen; sie fingen an zu ‚grollen‘. Davor wollte ich mich fernhalten, um langsam einen eigenen Stil zu finden.

Und zur Filmkritik selbst: „Es wäre damals auch noch nicht möglich gewesen, die Kriterien der ‚Filmkritik‘ auf einer solchen Filmseite umzusetzen. Später, in Berlin, wurde die ‚Filmkritik‘ für mich sehr wichtig. Sie war teils anregend, teils zum Widerspruch provozierend.“624 Ideologiekritische Gegenpositionen waren trotz der aufkommenden Sympathien für die junge Kritikerriege weiter geboten. Rezensionssammlungen zu für die Filmkritik heiklen Filmgruppen wie Kriegsfilmen, westdeutschen „Spitzenproduktionen“ oder Importen aus dem Ostblock fördern Mehrheiten für Positionen zutage, die dem geschilderten filmpolitischen Klima in der Bundesrepublik entsprachen. Anders als Enno Patalas in der Filmkritik bemängelten die meisten Rezensenten beim britischen Film The One That Got Away nämlich nicht, dass dieser den Zweiten Weltkrieg zu einem sportlichen Duell makelloser Heldenfiguren verharmlose; vielmehr zeigte sich eine ganze Reihe von Kritikern spürbar erleichtert über die britische „Fairneß“ in der Zeichnung des deutschen Protagonisten.625 In der westdeutschen Filmproduktion standen ja Harald Brauns Herrscher ohne Krone und Alfred Brauns Stresemann der Filmkritik zufolge exemplarisch für verzerrte Geschichtsschreibung und autoritäre politische Wunschbilder. Diese Kritik fand sich in der sonstigen Tages- und Wochenpresse nur in wenigen Fällen, viele Journalisten lobten den Herrscher ohne Krone einfach nur als „schön gemacht“626 und erkoren, wie das Wiesbadener Tagblatt, „den interessanten und dramatisch 623 Zu Schneider vgl. Kapitel 4.3.3; zur Deutschen Woche Thomas Kroll: Linksnationale Intellektuelle in der frühen Bundesrepublik Deutschland zwischen Antikommunismus und Stalinismus. Der Kreis um die „Deutsche Woche“, in: Gallus/Schildt: Rückblickend in die Zukunft, S. 432–455. 624 Zitate aus Ralf Schenk: Ein gelernter Berliner. Volker Baer im Gespräch, in: ders. (Hg.): Worte/ Widerworte. Volker Baer. Texte zum Film 1959–2007, Marburg 2009, S. 17–41, hier S. 21. 625 Vgl. zum Beispiel Hannoversche Presse, 21. 12. 1957; Hamburger Abendblatt, 21./22. 12. 1957; Münchner Merkur, 16. 1. 1958. 626 Vgl. etwa Die Welt, 19. 1. 1957, und Gunter Groll in der Süddeutschen Zeitung, 22. 1. 1957.

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wirkungsvollen Stoff zu einer Spitzenleistung deutscher Filmproduktion […]. Der Film hält die Zuschauer bis zum Schluß in Spannung und kann als ein filmisches Kunstwerk bezeichnet werden.“627 Stresemann wünschten etliche Kritiker einen großen Publikumserfolg und weite Verbreitung gerade in Schulen.628 Gunter Groll sah hier keine Anhaltspunkte für politische Einflussnahme: „Souverän widerlegt dieser Film die durch seine Bonner Bürgschaft genährten Gerüchte, man habe hier einen geschickten Wahl- und Propaganda-Film inszeniert. Es stimmt nicht. Dieser ‚Stresemann‘ ist kein ‚Stresenauer‘, wie ihn ein voreiliger Witz genannt hat.“629 Das ist insofern bemerkenswert, als im internen Schriftverkehr im Bundespresseamt selbst von Eingriffen und Überwachung der Filmherstellung die Rede gewesen war.630 Schließlich stießen osteuropäische Filme wie die Kraniche von Michail Kalatosow und Konrad Wolfs Sterne in der westdeutschen Filmpublizistik auf deutlich weniger Gegenliebe als in der Filmkritik. Kritiker warnten vor „diesen trojanischen Kranichen des Kremls“,631 denn sie fürchteten die Aufweichung des strikten Antikommunismus durch einen solchen unerwartet verträglichen Film. Den Unwillen, sich aus der DDR Ereignisse aus Krieg und Nationalsozialismus erzählen zu lassen, brachte angesichts von Sterne der Mannheimer Morgen stellvertretend für zahlreiche ähnliche Stimmen auf den Punkt: „ein seltsames und beklemmendes Gefühl: das erschütternde Schicksal von verfolgten Menschen in einer entmenschten Zeit mußte ausgerechnet unter einem Herrschaftssystem gestaltet werden, das heute noch die menschliche Freiheit und Würde mißachtet.“632 In den 1950er Jahren suchten die Autoren der Filmkritik zudem immer wieder die Konfrontation mit der konfessionellen Filmfachpresse, was sich größtenteils in publizistischem Widerspruch zu den als bieder dargestellten Urteilen des katholischen Filmdiensts äußerte.633 Der Filmdienst war doch sehr stark auf die Verteidigung des christlichen Einflusses in der Gesellschaft fixiert sowie auf die Wahrung von Moral und Sittlichkeit, die in der Zeitschrift durch die diversen Empfehlungsstufen für die katholischen Zuschauer und Leser angestrebt wurde. Heraus kamen zumeist konservativ gefärbte Rezensionen, die mit den Urteilskategorien der Filmkritik natürlich nichts gemein hatten.634 Für den Filmdienst war The One That Got Away „kein Kriegs- und Militärfilm, sondern eine abenteuerliche Fluchtchronik, 627 Wiesbadener Tagblatt, 19. 1. 1957. 628 Vgl. als Auswahl Die Welt, 14. 1. 1957; Stuttgarter Nachrichten, 15. 1. 1957; Westdeutsche Zeitung, 19. 1. 1957. 629 Süddeutsche Zeitung, 26./27. 1. 1957. 630 Vgl. Kapitel 4.3.2. 631 Wiesbadener Kurier, 18. 11. 1958. 632 Mannheimer Morgen, 30. 4. 1960. 633 Vgl. Enno Patalas: Mädchen ohne Mitgift (The Catered Affair), in: Filmkritik, Nr. 8, 1957, S. 117; ders.: Ein Fremder in meinen Armen (A Stranger in my Arms), in: Filmkritik, Nr. 9, 1959, S. 257. 634 Auch wenn dem Filmdienst innovative und moderne Einflüsse in der westdeutschen Filmkultur zugeschrieben werden durch Thomas Schatten: Geschichte der katholischen Zeitschrift „filmdienst“, Düsseldorf 1999, S. 81 und 89; abweichend urteilt, neben anderen, Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, S. 251 f.

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die man auch Jugendlichen gern empfiehlt.“635 Unbehagen und Existenzängste bereitete ihm dagegen Staudtes Untertan mit seinen „Schmutzspritzern“, „trockenen Agitationskommentaren“ und der trotz formaler Brillanz herausschälbaren „sowjetisch aufgehetzte[n] Tendenz“ – „Dem Gewissen des Christen sollte nicht entgehen, daß dieses Pamphlet in versteckter Doppelzüngigkeit bereits religionsfeindliche Ziele ansteuert.“636 Etwas weniger greifbar für Polemiken, weil weniger monolithisch, war in dieser Phase die evangelische Filmpublizistik. Ihr Hauptorgan, der Evangelische FilmBeobachter, erscheint bei der prüfenden Durchsicht der Jahrgänge der 1950er Jahre durchaus ambivalent. Die Zeitschrift pflegte zwar einen konservativen Grundton, hob gerade die von der Filmkritik besonders kritisierten Filme Der Hauptmann von Köpenick und Stresemann als Monatsbeste hervor und huldigte als eine Art Hausregisseur gerade dem für die Jungkritiker „autoritätsverherrlichenden“ Harald Braun, der „eine Ausnahmeerscheinung im Bereich des deutschen Films“ darstelle.637 Der Film-Beobachter prangerte aber auch immer wieder den plumpen Militarismus in den westdeutschen Kinos an und verurteilte bereits verhältnismäßig früh die Aktivitäten des Interministeriellen Ausschusses für Ost/West-Filmfragen.638 Zudem gab es unter evangelischer Federführung noch Kirche und Film, eine zwar auflagenschwache und äußerst improvisiert angefertigte Zeitschrift, die aber doch filmkulturelle Relevanz erwarb. Denn in diesem Blatt wurden unter anderen filmpolitische Themen noch um ein Vielfaches liberaler als im Film-Beobachter verhandelt und es tauchten nicht konfessionell engagierte Autoren wie Enno Patalas auf.639 Von dieser Seite erfuhr die junge Kritikergruppe schon zu Anfang ihres selbstständigen Wirkens Unterstützung, als der Gründer von Kirche und Film, Dietmar Schmidt, an die film 56 von seiner Hoffnung schrieb, „daß Sie sich in Ihrer mutigen publizistischen Arbeit nicht einschüchtern lassen.“640 Der Filmkritik-Zirkel sagte sich von der dominanten Filmkultur der Bundesrepublik der 1950er Jahre des Weiteren dadurch los, dass er die erfolgreichen und populären Regisseure attackierte. Wie bereits geschildert sezierten die Journalisten deren Filme selbst und die wiederkehrenden ideologischen Muster etwa bei Helmut Käutner oder Harald Braun, richteten den Fokus aber auch auf die Biographien der Regieprominenz. Die personelle Kontinuität zum Nationalsozialismus war in allen an der Filmherstellung beteiligten Berufsgruppen beträchtlich.641 Die Kriti635 Filmdienst, 21. 12. 1957. 636 Filmdienst, 15. 5. 1953. 637 Werner Heß: Harald Braun, in: Evangelischer Film-Beobachter, Nr. 41, 8. 10. 1960, S. 531 f., hier S. 531. 638 Vgl. Ohne Kommentar, in: Evangelischer Film-Beobachter, Nr. 17, 24. 4. 1958, S. 197; Also doch Staatszensur!, in: Evangelischer Film-Beobachter, Nr. 37, 12. 9. 1957, S. 417 f. Zur Einschätzung auch Anne Kathrin Quaas: Evangelische Filmpublizistik 1948–1968. Beispiel für das kulturpolitische Engagement der evangelischen Kirche in der Nachkriegszeit, Erlangen 2007, S. 86. 639 Vgl. Quaas: Evangelische Filmpublizistik, S. 116 f.; Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, S. 254. 640 Meinung und Gegenmeinung (film 56, Nr. 3, 1956), S. 155. 641 Vgl. Wilharm: Filmwirtschaft, Filmpolitik und der „Publikumsgeschmack“, S. 270 f.

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kergruppe prangerte dies in Bezug auf die gesamte Gesellschaft und ihre Funktionsträger an, und sie prangerte es in Bezug auf das Filmwesen an. Gelegentlich gingen diese Bereiche ineinander über; so zum Beispiel, als Enno Patalas einen Leserbrief an den Spiegel verfasste und darin noch einmal unterstrich, wie tief der Film Die Entlassung von NS-Ideologie durchtränkt gewesen war.642 Das Drehbuch hatte in den 1940er Jahren Felix von Eckardt geschrieben, der nun 1957 Regierungssprecher für Konrad Adenauer, später noch Staatssekretär und Bundestagsabgeordneter der CDU war. In der Filmkritik erschienen regelmäßig solche Hinweise. Regisseur und Produzent vom für die Zeitschrift in jeder Hinsicht fragwürdigen Stresemann, Alfred Braun und Heinrich Jonen, hatten in der NS-Zeit an eindeutigen Werken Anteil gehabt, dem Canaris-Regisseur Alfred Weidenmann wurde seine Vergangenheit als „HJ-Filmbeauftragter“ nachgetragen.643 Weitere Schöpfer von „Manifestationen des herrschenden Ungeists“ ab 1933, die in der Bundesrepublik wieder Filme drehten, listete Patalas mit Wolfgang Liebeneiner, dem Regisseur der Entlassung, und Gustav Ucicky auf.644 In diese Reihe gehörte auch Veit Harlan. Harlan war durch Jud Süß und Kolberg eigentlich gründlich diskreditiert, galt formal allerdings als entlastet. Er drängte zurück in die Öffentlichkeit, stellte seine früheren Hetzfilme dabei als Resultat massiven politischen Drucks durch die NS-Funktionäre um Joseph Goebbels dar und drehte ab 1950 wieder Filme.645 Dabei sollte er bald mit der jungen Kritikergeneration kollidieren. Enno Patalas referierte beim Filmclubtreffen 1955 über „Autorität und Revolte“ in Geschichte und Gegenwart des deutschen Films und zeigte dazu exemplarisch Harlans Der große König aus der Kriegszeit. Harlan wehrte sich in Briefen an den Clubverband und trug so den Konflikt in das filmforum. Er beharrte auf seiner Zwangslage im Nationalsozialismus und beklagte Vorverurteilungen und berufliche Ausgrenzung in der Nachkriegszeit.646 Die Filmkritik blieb aufmerksamer Beobachter des zurückgekehrten Regisseurs und seiner neuen Erzeugnisse. Stellvertretend für die intensive Auseinandersetzung mit Harlan und seinem Werdegang war Patalas’ Rezension von Anders als du und ich. Dieser war im Vorfeld stark umstritten, da er das Tabuthema Homosexualität behandelte. Im Ergebnis geriet 642 Vgl. Der Spiegel, Nr. 8, 20. 2. 1957, S. 3. 643 Vgl. Stresemann (Filmkritik, Nr. 3, 1957), S. 41; Enno Patalas: Solange das Herz schlägt, in: Filmkritik, Nr. 2, 1959, S. 37. 644 Vgl. Enno Patalas: Die Wendeltreppe (The Spiral Staircase), in: Filmkritik, Nr. 6, 1959, S. 166 f., hier S. 166. Zu Liebeneiner Irina Scheidgen: Nachkriegskarrieren II: Der Fall Liebeneiner, in: Segeberg (Hg.): Mediale Mobilmachung III, S. 91–118. 645 Aus der reichlichen Literatur zu Veit Harlan vgl. zum Beispiel Kundrus: Vergangenheitsbewältigungen; Wolfgang Kraushaar: Der Kampf gegen den „Jud-Süß“-Regisseur Veit Harlan. „Ein Meilenstein in der Grundrechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts“, in: Mittelweg 36, 4 (1995), Nr. 6, S. 4–33; Jörg Bochow: Die Filme von Veit Harlan vor und nach 1945, in: Ursula Heukenkamp (Hg.): Schuld und Sühne? Kriegserlebnis und Kriegsdeutung in deutschen Medien der Nachkriegszeit (1946–1961), Bd. 1, Amsterdam/Atlanta 2001, S. 297–307; Hans Krah: Nachkriegskarrieren I: Der Fall Harlan, in: Segeberg (Hg.): Mediale Mobilmachung III, S. 63–90. 646 Vgl. Johannes Eckardt: Joseph Goebbels und Veit Harlan. Ein Beitrag zur Geschichte des Films im „Dritten Reich“, in: filmforum 5 (1955), Nr. 3, S. 4.

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der Film, anscheinend verstärkt durch Änderungsvorschläge der FSK,647 zu einem eindeutigen Pamphlet, in dem ein junger Mann zur „richtigen“ Neigung zurückgebracht wird. Patalas stieß sich an der Homophobie etlicher Details, zielte aber insbesondere auf typische Aspekte in Harlans Ausdrucksweisen und Stoffen ab. Für einen überzeugten, ideologisch argumentierenden Nationalsozialisten sei er – allerdings nicht weniger gefährlich – viel zu irrational, verfangen in „verquollene[r] Blut- und Instinktmystik“ und „unreife[m] Emotionalismus“: „Veit Harlans Opus ist geschlossen und unteilbar. Eine gerade Linie führt von der frühen Halbe-Adaption ‚Jugend‘ über ‚Jud Süß‘ und ‚Der große König‘ zu ‚Hanna Amon‘ und ‚Anders als du und ich‘: die Linie präfaschistischer Geistfeindschaft.“648 Charakteristisch dafür, wie die Gründer der Filmkritik im Verlauf der 1950er Jahre der herkömmlichen westdeutschen Filmkultur entwuchsen, ist auch ihre Kritik an der schmalen Sparte der filmhistorischen und -wissenschaftlichen Literatur dieser Zeit649 und ist zu guter Letzt ihr Verhältnis zur Filmclubbewegung und ihrem Verbandsorgan, der Zeitschrift filmforum. Der Filmclubfunktionär und Universitätsprofessor Walter Hagemann hatte ja gerade die Münsteraner Fraktion der Gruppe an die niveauvolle Beschäftigung mit dem Medium und an die internationalen Filmtreffen herangeführt und auch die späteren Gruppenmitglieder, die in Bonn, Hamburg, in Westberlin oder in Frankreich studierten, übten das filmpublizistische Handwerk wesentlich im filmforum ein. Auch die bildungsbürgerlichen Filmclubs wetterten gegen die lieblosen Massenproduktionen und den Kitsch aus der Filmindustrie der deutschen Nachkriegszeit. Beide Seiten zogen sich später noch den gleichen Zorn der Branchenpresse, die ihre Produkte verunglimpft sah, zu, das filmforum als nörgelnde Kunstrichter, die Filmkritik als Experten für „Mißmut“ „im Schatten Adornos“.650 Doch ein Blick in die frühen Jahrgänge des 1951 initiierten filmforums und die ersten Beiträge der Filmkritik-Gruppe darin klärt, weshalb die Verbindung nicht allzu lange anhalten sollte. Die Kritiker um Enno Patalas und Ulrich Gregor nahmen ja schon im filmforum bald kein Blatt mehr vor den Mund und teilten ideologiekritisch gegen westdeutsche Filme aus. Die meisten anderen Autoren in der Zeitschrift formulierten demgegenüber zaghafter, lehnten politische Tendenzen in Film und Filmdebatten ab und verschrieben sich ästhetischen Betrachtungen;651 andere, wie der leitende Filmclubfunktionär Johannes Eckardt, vermengten Vagheit mit Pathos: Jede reformierende und revoltierende Avantgarde der Kunst wird, wenn sie sich nicht im luftleeren Raum abstrakter Konstruktion verzehren will, eine solche innere Bindung an ewige Kräfte des künstlerisch Schöpferischen in sich lebendig erhalten müssen. Dann aber wird sie

647 Vgl. Habel: Zerschnittene Filme, S. 21 f.; Stefan Volk: Skandalfilme. Cineastische Aufreger gestern und heute, Marburg 2011, S. 110–119. 648 Enno Patalas: Anders als du und ich (§ 175), in: Filmkritik, Nr. 12, 1957, S. 191. 649 Vgl. etwa Wilfried Berghahn: Bemühungen um den Film, in: Merkur 13 (1959), Nr. 133, S. 294–298. 650 Vgl. E. H.: Die Sache mit der „Filmkunst“, in: Film-Echo, Nr. 85, 22. 10. 1958, S. 1506. 651 Als Beispiele für diese Haltungen vgl. Walter Hagemann: Die Tendenz und das Kunstwerk, in: filmforum 1 (1951), Nr. 3, S. 1 f.; Wilmont Haacke: Prinzipien der Filmkritik, in: filmforum 1 (1951), Nr. 3, S. 5.

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4 Die Zeitschriften als Exponenten nonkonformistischer Filmkultur auch, und wenn sie jahrelang einsam dornenvolle Wege gehen muß, letzten Endes etwas schaffen, das der echten künstlerischen Leistung nützlich ist.652

Das filmforum war jahrelang auf finanzielle Unterstützung aus Bonn angewiesen und bot sich daher als filmpolitisches Sprachrohr an, wie Briefe Hagemanns und Notizen aus dem Bundespresseamt demonstrieren: „Prof. Hagemann ist bereit, eine Gegenleistung in der Form zu übernehmen, daß das Blatt in Zukunft filmpolitische Belange der Bundesregierung vertritt.“653 Die Ansprüche des Amts betrafen auch Theo Fürstenau, der für die Zeitschrift arbeitete: „Ich bitte auch darum, daß Sie Herrn Fürstenau kurz empfangen, damit wir ihm mit mehr Nachdruck unsere publizistischen Wünsche mitteilen können.“654 Diesem Klima gemäß gehörte das filmforum zu jener Filmpublizistik, die für die späteren Filmkritik-Autoren viel zu genügsam mit dem bundesdeutschen Filmschaffen umging, zum Beispiel den Hauptmann von Köpenick als „Frühlingserwachen“ rühmte.655 Also suchten sie sich eine eigene Plattform und begleiteten die Filmclubbewegung fortan als kritische Opposition, wofür es gelegentlich sogar Zustimmung aus der Tagespresse gab.656 Für die jungen Kritiker hatte sich in den Filmclubs der „Mief der Adenauer-Zeit“ festgesetzt.657 Ihnen reichte es nicht mehr, sich an den französischen Klassikern Les enfants du paradis oder Orphée zu ergötzen und in gesellschaftlich abgehobener, ästhetisierender Intellektualität zu parlieren.658 1957 kommentierten Enno Patalas in der Filmkritik und Wilfried Berghahn in den Frankfurter Heften die Filmtreffen in Bad Ems, skizzierten die „Filmclubs im Plüschfauteuil“ und den „Kurbetrieb“ einer bequem gewordenen Institution. Unisono kritisierten sie die eher zufällige Programmgestaltung sowie die mangelnden Diskussionen zu wichtigen Filmkunstwerken. Patalas führte zudem noch die „Unverbindlichkeit“ des filmforums als weiteres Krisensymptom in einer Zeit an, in der sich die Filmclubs zwischen dem kommerziellen Kinobetrieb, den Filmkunsttheatern und dem aufkommenden Fernsehen offensichtlich nicht mehr über ihre eigene Rolle im Klaren waren.659 652 Johannes Eckardt: Avantgarde: Das heißt Vorhut!, in: filmforum 1 (1951), Nr. 1, S. 1–3, hier S. 1 f. 653 Notiz auf dem Brief von Walter Hagemann an Kurt Betz, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Münster, 19. 12. 1951, Bundesarchiv, Koblenz, B 145/1784; für einen ähnlichen Tenor vgl. noch den Brief von Walter Hagemann an Dr. Six, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Münster, 29. 4. 1957, ebd. 654 Notiz auf dem Brief von Theo Fürstenau an Kurt Betz, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Münster, 20. 1. 1953, ebd.. 655 Vgl. Dieter Krusche: Der Hauptmann von Köpenick. Ein Frühlingserwachen der deutschen Filmkunst?, in: filmforum 5 (1956), Nr. 12, S. 6. 656 Vgl. Nürnberger Nachrichten, 20. 10. 1955; Die Welt, 19. 10. 1957. Zudem Fehrenbach: Cinema in Democratizing Germany, S. 169–210. 657 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 67. 658 So geschildert im Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. Der Kritiker zielte auch auf die deutschen Filmclubs ab in: Der Film und die Intellektuellen, in: magnum, Nr. 24, Juni 1959, S. 56– 58, hier S. 56. 659 Vgl. Enno Patalas: Filmclubs im Plüschfauteuil, in: Filmkritik, Nr. 11, 1957, S. 161 f.; Wilfried Berghahn: Kurbetrieb?, in: Frankfurter Hefte 12 (1957), Nr. 3, S. 209 f.

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Die Redaktion des filmforums und damit die zentralen Protagonisten des Filmclubverbands reagierten auf den jugendlichen Widerspruch immer empfindlicher, nachdem dieser sich in der film 56 und der Filmkritik versammelt hatte.660 Schon das erste Projekt wurde im filmforum recht kritisch bewertet: Es ist das Recht der Jugend, aus der Reihe zu tanzen. Hier handelt es sich aber um Erwachsene, auch im intellektuellen Sinne. […] Man muß sie mit einer Skala für Erwachsene messen. Und da dürften sie so lange Untergröße bleiben, wie es ihnen nicht gelingt, um des rechten Wägens willen hin und wieder einen Gag rechtzeitig abzuführen, bevor er noch den Gedankenorganismus vergiftet. […] Ihnen ist sicherlich ‚links‘ der Ort, ‚wo das Herz sitzt‘. Die Frage ist nur, ob der Destruktion eine Konzeption zu neuer Synthese gegenübersteht, was man mit gutem Gewissen vorerst verneinen darf.661

Gewiss, das Nebenprojekt der Filmkritik-Gruppe, die F, wurde deutlich wohlwollender begrüßt.662 Aber am Ende der 1950er Jahre häuften sich im filmforum die Spitzen gegen konkurrierende Kritikerschulen, die nicht nur, doch gerade auch gegen die Filmkritik gerichtet waren. Sie richteten sich gegen zu ostfreundliche Kritiker oder gegen eine „Avantgarde des Nonkonformismus“ um Wolfgang Staudte und seine Anhänger. Theo Fürstenau schrieb 1960 gegen die Fixierung vieler Kritiker auf Inhalt und Ideologie der Filme an.663 Im Herbst des gleichen Jahres reichten die Mittel dann endgültig nicht mehr, um die Filmclubzeitschrift weiter zu führen, die Septemberausgabe war die letzte. Das letzte Editorial wandte sich noch einmal gegen einen „allgemeinen Uebelstand der deutschen Filmkritik“, nämlich „daß mehr ideologisch als ästhetisch argumentiert wird.“664 Das filmforum beendete mit diesem Gruß an seine früheren Schüler sein „fleißiges und langweiliges Leben“.665 Alternativen zur erlahmenden Filmclubbewegung hatte sich der FilmkritikKreis publizistisch selbst geschaffen oder, was Diskussionsforen und Filmvorführungen betrifft, bereits gesucht. Berührungspunkte mit den im Hintergrund aktiven filmpolitischen Instanzen der Bundesrepublik schloss dies weiter nicht aus. Attraktiver als die Filmclubbewegung selbst wirkte für die universitär geprägten Kritiker eine Zeit lang eine ihrer Untergruppen, die Filmarbeitsgemeinschaft an den deutschen Hochschulen. Die FIAG richtete relativ unvoreingenommen Tagungen beispielsweise zum sowjetischen Kino aus666 und half ja der kurzlebigen film 56 beim Vertrieb. Ein Fund in der Überlieferung des Bundesinnenministeriums legt

660 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 67. 661 H. B. S.: Avantgarde – etwas anachronistisch. Eine kritische Stellungnahme zu der neuen Zeitschrift „film 56“, in: filmforum 5 (1956), Nr. 6, S. 2. 662 Vgl. Hannes Schmidt: Eine neue Zeitschrift – „Film 58“. Zwei interessante Hefte wurden bisher ausgeliefert, in: filmforum 7 (1958), Nr. 10, S. 5. 663 Für die genannten Spitzen vgl. G. L.: Die anderen Konformisten, in: filmforum 6 (1957), Nr. 12, S. 1; G. L.: Ideologisches, in: filmforum 8 (1959), Nr. 12, S. 1; Theo Fürstenau: Moral und Ideologien in der deutschen Filmkritik, in: filmforum 9 (1960), Nr. 2, S. 2. 664 Vorläufig, in: filmforum 9 (1960), Nr. 9, S. 1. 665 Von Thüna: Filmzeitschriften, S. 256. 666 Vgl. das Lob von Enno Patalas: Ein Blick hinter den Vorhang. Erste studentische Arbeitstagung über den Sowjetfilm, in: filmforum 4 (1955), Nr. 7, S. 5.

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allerdings nahe, dass auch diese AG ihre Programmpläne zur Prüfung vorlegte – vorlegen musste?667 Eine Nische in der bundesrepublikanischen Filmkultur und ein Forum für den Austausch mit weiteren Opponenten des dominanten Filmwesens waren für die Kritikergruppe die Anfang der 1950er Jahre gegründeten Kultur-, Dokumentaroder Kurzfilmfestivals in Mannheim und besonders in Oberhausen.668 Die Veranstaltung in Oberhausen, aus der Volkshochschulbewegung hervorgegangen, stach insofern heraus, als demonstrativ versucht wurde, „Wege zum Nachbarn“ zu erschließen, das heißt, gerade osteuropäische Beiträge und Beiträger einzuladen und ins Gespräch einzubinden.669 Die Mitarbeiter der Filmkritik lockte dies an und vor allen Enno Patalas, Wilfried Berghahn und Theodor Kotulla waren hier regelmäßig anwesend und als Vortragende aktiv. Patalas und Berghahn führten zum Beispiel 1958 ein Podiumsgespräch über „Leitbilder“ im Kulturfilm, an dessen Ende protokolliert wurde: „Man war sich einig, dass nicht die Emigration zu den Fischen und Käfern und alten Burgen den deutschen Kulturfilm fördern kann, sondern nur die redliche Bereitschaft, unserm Alltag ins Gesicht zu blicken.“670 Gleichgesinnte Gesellschaftskritiker fanden sie in Oberhausen etwa im Leiter des Festivals. Hilmar Hoffmann, mit Jahrgang 1925 nur ein wenig älter als die Autoren der Filmkritik, klang in seinen Memoiren beim Rückblick auf das erste Jahrzehnt der Bundesrepublik nahezu deckungsgleich in der Kritik an Überresten aus der NS-Zeit und am allgemeinen, nicht nur filmpolitischen Klima: Unter der Dunstglocke eines reaktionär-politischen Klimas der Adenauer-Ära trieb eine diffuse Linksfurcht merkwürdige Blüten. Die entsprechende Tönung regierungsamtlicher Reden und Bulletins erregten zwar ebenso den Widerspruch von Intellektuellen und Künstlern wie die Legion publizistischer Rechtsausleger, aber angesichts der politischen Apathie einer ‚Keine Experimente‘-Mentalität blieb er viel zu lange ergebnislos.671

667 Vgl. Gerd Albrecht, FIAG, an Dr. Scheidemann, Bundesinnenministerium, Bonn, 16. 12. 1959, Bundesarchiv, Koblenz, B 106/895. 668 Für Mannheim vgl. Michael Kötz / Günter Minas: Zeitgeist mit Eigensinn. Eine Filmfestivalgeschichte zum 50. Geburtstag des „Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg“, Mannheim 2001; für Oberhausen zum Beispiel Internationale Kurzfilmtage Oberhausen gGmbH (Hg.): Kurz und klein. 50 Jahre Internationale Kurzfilmtage Oberhausen, Redaktion: Klaus Behnken, Ostfildern-Ruit 2004. Entstehungsgeschichte, Bedeutung und politischer Kontext des Festivals in Oberhausen und auch in Mannheim wurden gründlich und anschaulich erschlossen durch Kötzing: Kultur- und Filmpolitik, beispielsweise S. 66–85, 103–151 und 237–300. 669 Vgl. Hilmar Hoffmann: Die aufmüpfigen Filmfestspiele. Kurzfilmtage Oberhausen, in: JanPieter Barbian / Ludger Heid (Hg.): Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen 1946–1996, Essen 1997, S. 502–506. 670 Dieses Zitat und die weiteren Hinweise auf die Aktivitäten der Kritiker bei den Kurzfilmtagen finden sich in den verschiedenen, entsprechenden Programmheften und Protokollen in der Deutschen Kinemathek, Berlin, Festivalarchive, zum Beispiel Oberhausen 1958. 671 Hilmar Hoffmann: Ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten. Erinnerungen, Hamburg 1999, S. 26 f.

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Die kritische Haltung des Sozialdemokraten Hoffmann, seine Gästeliste und Programmgestaltung provozierten erwartbare filmpolitische Reaktionen aus Bonn. Das Innenministerium verständigte andere Ressorts darüber, „daß bei den Westdeutschen Kurzfilmtagen Oberhausen versucht wird, mit Hilfe des nach außen hin unverfänglichen Mittels ‚Film‘ Außenpolitik auf eigene Faust zu machen“ und gewährte dem Festival und der Kommune über lange Jahre keine finanziellen Zuschüsse.672 Immer wieder von solchen Hindernissen tangiert und in die beschriebenen filmkulturellen Kontroversen verwickelt, hatte sich der Kreis der Filmkritik mit dem Abschluss des Jahrzehnts, um 1960 herum, in seiner Nische eingerichtet. Anerkennung und Zustimmung besonders unter den jungen, gleichaltrigen Kollegen wog langsam die Ablehnung und teils herablassenden Reaktionen aus der herkömmlichen Filmpublizistik auf. Kulturzeitschriften druckten die Texte dieser Journalisten schon länger; explizites Lob wie vom Monat, in dem 1955 bedauert wurde, „daß man in Deutschland diese Avantgardisten in den Instituten für Publizistik und nicht in den Studios findet“,673 war noch eine Ausnahme, sollte sich aber in den Folgejahren häufen. Verbreitung und Auflage der Filmkritik waren 1960 mittlerweile stabil genug, um in Umfang und Format zu expandieren. Ausgehend von Leserwünschen und getragen von zustimmenden Umfrageergebnissen kündigte sich zum Jahresbeginn 1961 eine gewandelte Filmkritik an.

672 Schreiben des Bundesinnenministeriums an weitere Ministerien sowie das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn, 25. 2. 1959, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/637; vgl. auch Bundesinnenministerium an den Oberstadtdirektor der Stadt Oberhausen, Bonn, 18. 12. 1957, ebd., B 95/470. 673 Hier bezogen auf Enno Patalas in Der Monat 8 (1955), Nr. 87, S. 94.

5 CINEMA NUOVO, FILMKRITIK UND DIE 1960ER JAHRE In den 1960er Jahren waren Italien und die Bundesrepublik Deutschland endgültig fest in die internationalen Strukturen der „westlichen“ Welt eingebunden, als Mitglieder von NATO und EWG. Der Mauerbau von 1961 besiegelte für längere Zeit die innerdeutsche Abschottung, nachdem sich die Berlinfrage für einige Jahre noch einmal zugespitzt hatte. Innenpolitisch veränderte sich in beiden Ländern auf den ersten Blick nicht viel. Weiterhin führten sämtliche Regierungen die Christdemokraten an, die DC hier und die Unionsparteien dort, letztere sogar noch unter demselben Bundeskanzler wie seit 1949. Die DC hatte aber schon ab Mitte der 1950er Jahre Mühe gehabt, ihre Mehrheiten zu verteidigen und war oft auf kleinere Parteien aus dem liberalen, republikanischen, sozialdemokratischen, manchmal selbst dem neofaschistischen oder monarchistischen Spektrum angewiesen. Nach vielen wackligen Konstruktionen stand eine grundsätzliche Öffnung der Partei zur Debatte – nach rechts, oder auch nach links, wo sich die Sozialisten des PSI seit den osteuropäischen Entwicklungen von 1956 zunehmend pragmatischer zeigten. Ein Vorstoß Fernando Tambronis zur Regierung mit dem neofaschistischen MSI ging 1960 in massiven antifaschistischen Protesten unter und nach weiteren Jahren voller politischer Provisorien vollzog sich schließlich 1963 die „apertura a sinistra“, es entstand unter der Federführung von Aldo Moro (DC) und Pietro Nenni (PSI) die erste Regierung des „centro-sinistra“. Konrad Adenauer konnte von 1957 bis 1961 noch allein mit CDU und CSU regieren, die wirtschaftliche Stabilität, der klare Westkurs und die zeitgeistnahe Kampagne des „Keine Experimente“ hatten der Union die absolute Mehrheit eingebracht. An der Wende zum neuen Jahrzehnt war der Kanzler allerdings mit bald 90 Jahren zunehmend in Nachfolgedebatten verstrickt; einer steigenden Zahl von Kritikern aus Politik und Öffentlichkeit agierte er in der Berlinkrise zu desinteressiert, in Medienkonflikten um das zweite deutsche Fernsehprogramm oder die „Spiegel-Affäre“ dagegen zu autoritär. Die SPD legte 1959 im Godesberger Programm den programmatischen Marxismus ab, bewegte sich in Richtung der politischen Mitte und gewann ab 1961 an Wählerstimmen. Die Christdemokraten mussten nun wieder mit der FDP koalieren. Adenauer trat 1963 ab, es folgten eine eher glücklose Amtszeit von Ludwig Erhard, dann schon eine Große Koalition unter Kurt Kiesinger, bis 1969 mit dem Wahlsieg Willy Brandts eine längere Phase sozialliberaler Regierungen einsetzte. Gerade Italien erlebte von 1958 bis 1963 ein fulminantes „miracolo economico“: Konsum und Wachstumsraten schnellten nach oben, das Land näherte seine Wirtschaftsdaten an diejenigen der ebenfalls boomenden west- und nordeuropäischen Staaten an. Die Bundesrepublik bewegte sich weiter auf Höchstniveau und benötigte zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsleistung millionenfache Zuwanderung von Arbeitsmigranten, vorwiegend aus Südeuropa. Während die DC zu Zeiten

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von De Gasperi oder Scelba nicht nur in kulturpolitischen Fragen bisweilen äußerst repressiv vorgegangen war, zeigten sich nun einflussreiche Parteivertreter offen für eine Zusammenarbeit mit den Sozialisten und strebten dabei einschneidende Reformen zum Beispiel in der Wirtschafts- und der Bildungspolitik an. Zudem fiel exakt in die Hochphase des „miracolo economico“ das Pontifikat von Johannes XXIII., das – nach der eher konservativen Amtsführung von Pius XII. – Reformen und eine weniger starke Einmischung in die Tagespolitik brachte. Doch Probleme und Konfliktpotenziale, die die gesellschaftskritischen Kritikergruppen um die Cinema Nuovo und die Filmkritik aufgriffen, verschwanden nicht vollends. In Italien war der Wirtschaftsaufschwung wieder einmal regional ungleich verteilt, viele Ortschaften des Südens litten sehr stark unter der Binnenmigration und der Auswanderung in andere europäische Länder. Die Migranten aus dem Süden gerieten in den Wirtschafts- und Industriezentren Norditaliens in heftige Konkurrenz auf den zu langsam nachwachsenden Wohnungsmärkten. Insgesamt stiegen in der westlichen Hemisphäre die Konsumansprüche und die ersten Konjunkturdellen der 1960er Jahre sorgten so für größere Irritationen und Perspektivängste. Gleichzeitig verlief die Liberalisierung der Gesellschaft vielerorts holprig, mit antiliberalen Rückschlägen in Politik, Bürokratie oder Sicherheitsbehörden. Am Horizont zeichneten sich nicht nur in Italien und der Bundesrepublik schon früh die Studentenproteste um 1968 ab. Konflikte über Lebensstile und Moralvorstellungen, Verärgerung über den NATO-Partner USA und seine geopolitischen Interventionen vermengten sich bald mit genuin studentischen Konfliktfeldern an den überlasteten und veralteten Universitäten.1 Die Kinokultur in Westeuropa und auch in den USA war ab 1960 mit deutlich schwierigeren Bedingungen konfrontiert als noch in weiten Teilen der 1950er Jahre. Überall entzogen das sehr schnell expandierende Fernsehen und das variantenreichere Freizeitangebot den Kinos millionenfach die angestammten Besucher. Gerade die älteren Zuschauer aus den Mittelschichten konsumierten die leichte Unterhaltung nun lieber daheim.2 In Frankreich und stärker noch in Großbritannien brachen die Verkaufszahlen der Kinokarten von der Mitte der 1950er Jahre bis zur Mitte der 1960er Jahre gravierend ein. Selbst die Filmindustrie des weltweiten Marktführers, das System der „Majors“ in Hollywood, schwächelte – die Konkurrenz des Fernsehens und einige kartell- und arbeitsrechtliche Entscheidungen bewirkten, dass die US-amerikanische Filmproduktion in geringerem Ausmaß auf die europäischen Märkte gelangte.3 Diese Lücke nutzten das italienische und das westdeutsche Filmwesen auf unterschiedliche Weise. Die italienische Filmkultur florierte und erlebte in den 1960er 1 2 3

Für diesen Überblick vgl. wiederum die bereits in Kapitel 1.2 in den Anmerkungen angeführten Darstellungen. Vgl. Hake: Film in Deutschland, S. 204; Mariagrazia Fanchi: Das italienische Filmpublikum der 1960er Jahre, in: Thomas Koebner / Irmbert Schenk (Hg.): Das goldene Zeitalter des italienischen Films. Die 1960er Jahre, München 2008, S. 50–63, hier S. 56 f. Vgl., auch zum Folgenden, David Forgacs: Modernisierungsängste. Die italienische Gesellschaft und die Medien in den 1960er Jahren, in: Koebner/Schenk (Hg.): Das goldene Zeitalter, S. 21–38, hier S. 28–31.

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Jahren ihr „golden age“. Zwar sanken auch hier die Zuschauerzahlen, aber die drastischen Einbrüche verzögerten sich noch bis in die 1980er Jahre. Italienische Filme waren in dieser Zeit sowohl auf dem nationalen als auch auf dem internationalen Markt erfolgreich, da sie hier wie dort die verschiedensten Ansprüche passgenau bedienten. Der Neorealismus war in den 1950er Jahren ja allmählich ausgelaufen. Dafür entstand nun eine ganze Reihe von vielschichtigen und aufwändigen Werken auf dem Zenit prominenter Regisseure, die weltweit gefeiert und mit Preisen dekoriert wurden. Signifikant für diesen italienischen Autorenfilm ist gerade das Jahr 1960, in dem Federico Fellinis La dolce vita, Michelangelo Antonionis L’avventura und Rocco e i suoi fratelli von Luchino Visconti herauskamen.4 Auf dem Neorealismus aufbauend debütierten zudem etliche jüngere Regisseure mit oftmals sozialkritisch angelegten Filmen zur italienischen Gegenwart an der Wende zu den „langen 1960er Jahren“, neben anderen Francesco Rosi, Ermanno Olmi und auch Pier Paolo Pasolini.5 Der Großteil des Kinopublikums, auch im Ausland, vergnügte sich demgegenüber mit dem von verhältnismäßig niedrigen Herstellungspreisen profitierenden italienischen Genrefilm: Erfolgreich waren beispielsweise wieder die „Sandalenfilme“ mit ihren antik angehauchten Schauplätzen und Abenteuergeschichten, Komödien und Horrorfilme oder ab Mitte der 1960er Jahre die „Spaghetti-Western“, die die in den USA verödete Filmgattung neu interpretierten.6 Im Vergleich dazu schlug die westdeutsche Filmbranche aus der Krise Hollywoods kaum einen Nutzen. Die Bundesrepublik ist vielmehr ein typischer Fall der sinkenden statistischen Werte. Auf die Rekordzahl an verkauften Eintrittskarten von 1956, circa 817 Millionen, folgten zu Beginn der 1960er Jahre nur noch eine knappe halbe Milliarde, zur Mitte des Jahrzehnts weniger als 300 Millionen und 1969 nur noch etwa 180 Millionen. Während sich die Zahl der TV-Geräte in Westdeutschland binnen weniger Jahre verzehnfachte, wurden immer weniger Kinofilme produziert und einige namhafte Firmen wie der UFA-Komplex stellten den Betrieb ein.7 Die Filme aus der Bundesrepublik waren schon in den 1950er Jahren international nur wenig angesehen gewesen und am Übergang zum Folgejahrzehnt gelang es auch den renommierteren Vertretern des deutschen „Spitzenfilms“ immer seltener, aus dem Trott der Standardware herauszustechen und im In- und Ausland Aufsehen zu erregen. Die Moden der Heimat-, Kriegs- und Ferienfilme waren vorübergegangen, Kassenerfolge waren nun bis weit in die 1960er Jahre noch die umfangreichen Filmserien nach Edgar Wallace oder Karl May.8 In der allgemeinen Kritik am deutschen Film und der Niedergangsstimmung, die zunehmend die Kulturpolitik und die Presse erfassten, zeichneten sich aber auch junge Initiativen 4 5 6 7

8

Vgl. Bondanella: History, S. 259–305. Vgl. ebd., S. 217–258; Brunetta: History, S. 212–243; Barattoni: Italian Post-Neorealist Cinema. Vgl. Bondanella: History, neben anderen S. 159–216; Brunetta: History: 198–212. Für die Daten vgl. die bereits in Kapitel 3.3 zitierten filmstatistischen Taschenbücher. Zudem Hake: Film in Deutschland, S. 202–205; Walter Uka: Abschied von gestern: Avantgarde, Revolte, Mainstream. Der bundesdeutsche Film in den sechziger Jahren, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der sechziger Jahre, München 2003, S. 195–212, hier S. 201 f. Vgl. Uka: Abschied von gestern, S. 209; Norbert Grob: Film der Sechziger Jahre. Abschied von den Eltern, in: Jacobsen/Kaes/Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films, S. 211–248.

5.1 Auf dem Weg in die 1960er Jahre. Format, Personal – Umbrüche?

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der Erneuerung ab. Auf dem Kurzfilmfestival traten Nachwuchsregisseure mit einem Oberhausener Manifest an die Öffentlichkeit – aus ihrer Kritik und ihren Vorschlägen entwickelte sich mit einigen Anlaufschwierigkeiten und nach jahrelangen filmpolitischen Debatten ein Junger Deutscher Film, in den 1970er Jahren dann der Neue Deutsche Film.9 5.1 AUF DEM WEG IN DIE 1960ER JAHRE. FORMAT, PERSONAL – UMBRÜCHE? Zum Ende der 1950er Jahre hatte sich angedeutet, dass die Cinema Nuovo nicht mehr lange im Rhythmus von zwei Wochen erscheinen konnte. Das hochwertig produzierte Filmmagazin mit seiner aufwändigen Gestaltung und reichhaltigen Bebilderung war der Konkurrenz auf dem italienischen Zeitschriftenmarkt in dieser Form nicht mehr gewachsen. Im Juni 1958 kündigte die Cinema Nuovo ihren Lesern in einem Editorial den baldigen Formatwechsel an. Darin erklärte die Redaktion die Umstellung insbesondere damit, dass der zweiwöchige Erscheinungsrhythmus überholt sei, da mittlerweile etliche Illustrierte jede Woche Filmthemen in welcher Form auch immer aufgriffen und so die Aktualität der Cinema Nuovo überboten. Das einst mit der Cinema in den 1930er Jahren etablierte Format habe sich überlebt.10 Für Guido Aristarco, der Chefredakteur blieb, folgten wieder einige komplizierte Wochen, in denen er sich beispielsweise mit Renzo Renzi regelmäßig über die Probleme beim Verlags- und Rhythmuswechsel austauschte.11 In seinen Briefen an Siegfried Kracauer, der von New York aus die Entwicklung der Cinema Nuovo mit großer Sympathie verfolgte, trauerte er der alten, vierzehntägigen Zeitschrift nach, zeigte sich aber gleichzeitig motiviert vor dem Umbruch, „con entusiasmo a una rivista che esce una volta ogni due mesi“, zumal er sich bereits „assicurato un buon numero di ottimi collaboratori“ habe – dabei zählte er weiter auch auf gelegentliche Beiträge Kracauers.12 In dem erwähnten Editorial vom Juni 1958 hatte die Kritikergruppe ihren Lesern versprochen: Pur mantenendo un carattere vivo, e non aridamente accademico, cercheremo di fare una rivista seria, nella quale la saggistica abbia un posto preminente e una prospettiva piú ampia di quella permessa dal quindicinale, e dove anche le altre forme di spettacolo, come la televisione e il teatro, siano oggetto di una maggiore attenzione. Intendiamo insomma portare avanti quell’inserimento del cinema nel mondo della cultura che abbiamo iniziato tanti anni fa.13 9 10 11 12 13

Vgl. Uka: Abschied von gestern, S. 207–209; Hake: Film in Deutschland, S. 249–265; Thomas Elsaesser: Der Neue Deutsche Film. Von den Anfängen bis zu den neunziger Jahren, München 1994. Vgl. Guido Aristarco: Ai lettori, in: Cinema Nuovo, Nr. 133, 15.–30. 6. 1958, S. 357 f., hier S. 357. Vgl. zum Beispiel Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 26. 5. 1958, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 6. Vgl. Guido Aristarco an Siegfried Kracauer, Mailand, 10. 7. 1958, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005845. Aristarco: Ai lettori (Cinema Nuovo, Nr. 133, 1958), S. 358.

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Die Cinema Nuovo wurde ein „bimestrale di cultura“, erschien also alle zwei Monate und widmete sich noch stärker auch anderen Medien und Kunstformen, um dem schon in ihrer Frühzeit angemahnten breiten Kulturverständnis und der Integration des Kinos darin, aufbauend auf Antonio Gramsci und Georg Lukács, weiter Rechnung zu tragen.14 Die Zeitschrift hatte nun ein kleineres Heftchenformat und wies eine reduzierte Optik auf, ohne Bebilderung und mit einer moderneren Typographie und Seitengestaltung. Klassische Rubriken wurden in der Cinema Nuovo bewahrt, so etwa die „Lettere al direttore“, die „Colloqui con i lettori“ und die Kurznachrichten und Glossen aus dem Filmwesen. Rezensionen unter „Il mestiere del critico“ mit den einstufenden „stellette“ gab es selbstverständlich weiterhin, wobei sich hier Aristarco mit der Zeit zurücknahm und die Kritiken oft seinen Kollegen überließ, die nun auch nicht mehr anonym schrieben, sondern namentlich unter den Besprechungen genannt wurden. Insgesamt überwogen jetzt aber gerade in den Heftabschnitten „Attualità e dibattiti“ und „Saggi e studi“ Grundsatzdiskussionen oder grundlegende Aufsätze, die sich vermehrt filmtheoretischen und -historischen Themenkomplexen zuwandten, zumeist unterfüttert mit dem Abdruck von „Documenti“, zum Beispiel Auszügen aus Drehbüchern oder Filmtreatments. Die Cinema Nuovo pflegte in den aktualitätsbezogenen Rubriken und Beiträgen weiter den kämpferischen Duktus, der aus den 1950er Jahren bekannt war, geriet insgesamt aber etwas akademischer. Aristarco war in den Folgejahren mit der Ausgestaltung und den Absatzzahlen überwiegend zufrieden, das erneuerte Projekt hielt auf dem weiter sensiblen italienischen Filmpressemarkt gut mit.15 Frühere Weggefährten wie Michele Gandin und Tullio Kezich hatten sich zwar im Dissens mit Aristarco weitgehend aus der Redaktionsgruppe zurückgezogen, sonst aber wirkte an der Cinema Nuovo auch in den 1960er Jahren der weitläufige Mitarbeiterkreis der ersten Zeit mit, neben anderen publizierten hier weiter Luigi Chiarini, Callisto Cosulich, Vittorio Spinazzola oder Giulio Cattivelli. Der 1925 geborene Paolo Gobetti, der sich intensiv an der selbstkritischen Debatte „Sciolti dal giuramento“ beteiligt hatte, stieß endgültig zur Gruppe dazu. Gobetti war ein knappes halbes Jahrzehnt jünger als Aristarco und Renzi und überhaupt verjüngte sich die Gruppe in dieser Phase weiter. Kritiker wie Guido Fink, Adelio Ferrero und Lorenzo Pellizzari waren Mitte oder Ende der 1930er Jahre geboren und demnach bei ihren ersten Arbeiten für die Cinema Nuovo nur knapp über 20 Jahre alt.16 Diese und andere Neuzugänge rekrutierte überwiegend Guido Aristarco für die Zeitschrift – er knüpfte die Kontakte über die Universitäten, die Filmclubs und über Lokalzeitungen, und gelegentlich auch über die zahlreichen

14 Zur Umstellung der Zeitschrift vgl. Bragaglia: Critica e critiche, S. 97; Lorenzo Pellizzari: Le nuove forme tra critica e ideologia, in: Giorgio De Vincenti (Hg.): Storia del cinema italiano, Bd. 10: 1960/1964, Venedig 2001, S. 551–567, hier S. 557. 15 Vgl. Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 4. 6. 1959 und 21. 3. 1961, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 7 und 8. 16 Fink und Ferrero wurden 1935 geboren, Pellizzari 1938. Vgl. dazu Guido Aristarco: Prefazione, in: ders. (Hg.): Il mestiere del critico. Schede dei piú importanti film italiani e stranieri: 1958–1961, Mailand 1962, S. V–XIV, hier S. XIV.

5.1 Auf dem Weg in die 1960er Jahre. Format, Personal – Umbrüche?

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Leserzuschriften.17 Franco Valobra, Jahrgang 1924, wurde von Aristarco auch an Renzi und dessen Verleger als „persona intelligente e onesta“18 weiterempfohlen und hatte wie Ferrero schon 1953 Solidaritätsschreiben an die Verhafteten im Fall „L’armata s’agapò“ gerichtet.19 Fink hatte sich damals ebenfalls für Aristarco und Renzi engagiert, unter lokalen Kritikerkollegen mobilisiert und in Briefen „tutta la mia modesta, insignificante, ma sincera solidarietà“ ausgedrückt und tauchte im gleichen Jahr erstmals in der Cinema Nuovo auf – als aufmerksamer Leser, der aus Ferrara Kürzungen an Filmen vermeldete.20 Die Filmkritik nahm um 1960 im Vergleich zur Cinema Nuovo eine aufholende Entwicklung. Etliche Leserzuschriften ergaben das Meinungsbild, dass die Zeitschrift sich von dem reinen Rezensionsblatt, das sie mit wenigen Ausnahmen ab 1957 verkörpert hatte, zu mehr Ausführlichkeit und Aktualität hin entwickeln sollte; und Umfragen zeigten, dass die bisherigen Abonnenten und sonstigen Käufer in der deutlichen Mehrzahl auch bereit waren, dafür höhere Preise zu zahlen. So öffnete die Redaktion ab der Januarausgabe von 1961 die etwas hermetische Struktur der Zeitschrift und entwickelte wieder ein vielfältiges Filmmagazin, wie es in ihrer kurzen Existenz bereits die film 56 gewesen war. Den Mittelteil der nun umfangreicheren Zeitschrift bildeten die obligatorischen Filmkritiken mit dem bewährten Punktesystem. Zur Heftmitte gehörte fortan eine Bilderstrecke zu den Filmen oder sonstigen Themen der Ausgabe. Am Heftende gab es wieder regelmäßige Buchbesprechungen, dazu Pressespiegel, redaktionsinterne Meldungen und gelegentliche Leserbeiträge. Ausführlich und interessant geriet nun aber insbesondere der erste Abschnitt der Filmkritik: Hier erschienen in jeder Ausgabe Kommentare der Redaktionsmitglieder oder externer Autoren, die sich beispielsweise sehr oft mit aktuellen filmpolitischen Ereignissen auseinandersetzten. An die Kommentarspalten schlossen sich längere Artikel an: grundlegende Essays, Porträts von Regisseuren, Interviews, Auszüge aus Filmtexten, Festivalberichte auch von kleineren Veranstaltungen und regelmäßige Korrespondenzen von Gastautoren aus dem europäischen Ausland oder aus vermeintlich abgelegenen Filmländern wie Indien und Argentinien. Nach drei Jahrgängen in diesem erweiterten Format meinte die Redaktion der Filmkritik Ende 1963, in der Bundesrepublik mittlerweile ein gestiegenes Interesse an Filmkunst und Filmkultur feststellen zu können und kündigte eine neuerliche Überarbeitung der Heftgestaltung an: „Die neue Form gestattet es ihr, als Kulturzeitschrift und kulturpolitisches Organ aufzutreten und diese Funktionen auch wirklich zu erfüllen.“21 1964 blieb der Rezensionsteil bestehen, darüber hinaus wurde die gewünschte Aktualität noch weiter gepflegt durch Kurzmeldungen, Diskussionsforen und Leserreaktionen in der Rubrik „Magazin“ und gleichzeitig mit 17 Vgl. Bragaglia: Critica e critiche, S. 98, Pellizzari: Le nuove forme, S. 557. 18 Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 27. 2. 1958, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 6. 19 Die Briefe finden sich ebd., Fondo Guido Aristarco, 746 E5. 20 Vgl. Guido Fink an die Cinema Nuovo, Ferrara, 9. 10. 1953, ebd.; Colloqui con i lettori, in: Cinema Nuovo, Nr. 17, 15. 8. 1953, S. 128. 21 Postscriptum, in: Filmkritik, Nr. 12, 1963, S. 587 f., hier S. 587.

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„Perspektiven“ ein Bereich für längere Grundsatzbeiträge nicht nur zum Medium Film geschaffen. Die Filmkritik erschien durch Diskussionsbeiträge und kritische Äußerungen externer Publizisten sowie dadurch, dass sie divergierende Meinungen und Konzepte innerhalb der Redaktion deutlicher zum Vorschein kommen ließ, nun noch weniger als ein „Kampfblatt“ einer eingeschworenen Equipe. Ihre Entwicklung führte sie also in knapp zehn Jahren von einer simpel gestalteten Rezensionszeitschrift zu einem immer elaborierteren Filmkulturmagazin. Das aus den 1950er Jahren bekannte Sextett aus Enno Patalas, Wilfried Berghahn, Ulrich Gregor, Theodor Kotulla, Dietrich Kuhlbrodt und Reinold E. Thiel bildete auch mit dem neuen Zeitschriftenformat ab 1961 den Kern der Filmkritik. Anfang des Jahres kam dauerhaft Heinz Ungureit hinzu, der wie Patalas und Kotulla in Münster Publizistik studiert hatte und gleichzeitig als Filmredakteur der Frankfurter Rundschau arbeitete.22 Nach seiner Zeit beim Fernsehen in BadenBaden zog Berghahn nach München und übernahm mit Patalas die Leitung der kleinen Redaktion.23 Sein früher Tod nach längerer Krankheit war im September 1964 ein schwerer Verlust für die Gruppe; betroffen versuchte sich Patalas an einem Nachruf: Ich kann in Wilfrieds Tod keinen Sinn sehen. Er ist kein Abschluß, sondern ein jäher Einschnitt, der mir wie ein tückischer, gemeiner Anschlag erscheint. […] Wir alle können uns unsere Arbeit, unser Leben bis in unsere private Existenz nicht ohne seine Gegenwart denken – bis zur Stunde ist er darin mit seinen Worten, seinen Gesten lebendig. Man verzeihe mir deshalb, wenn mir die Formulierung würdevoller Trauer nicht gelingt.24

Im Verlauf der ersten Hälfte der 1960er Jahre erweiterte sich der Kreis der ständigen Mitarbeiter der Filmkritik – ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien nur einige Zugänge kurz porträtiert. Beispielsweise begann auch Patalas’ Ehefrau Frieda Grafe, die 1934 geboren war, für die Zeitschrift zu schreiben. Sie hatte unter anderem in Münster Germanistik studiert. Hans Stempel und Martin Ripkens, Jahrgang 1924 beziehungsweise ebenfalls 1934, die in Düsseldorf als Paar zusammenlebten, verfassten immer wieder gemeinsam längere Aufsätze für die Filmkritik, nachdem sie als Redakteure der konservativen Deutschen Volkszeitung stetig unbeliebter geworden waren.25 1963 erschien in der Zeitschrift erstmals ein Text von Uwe Nettelbeck; zwei Jahre später mokierte er sich in den autobiographischen Notizen der Filmkritik selbstironisch über seine verunglückte Schul- und Universitätslaufbahn und war da schon insbesondere durch seine gleichzeitige Arbeit für die Zeit ein populärer, äußerst streitbarer Film- und Kulturkritiker in der Bundesrepublik. Die Gruppe verjüngte sich nicht nur mit Nettelbeck – weitere Kritiker, die um 1940 geboren worden waren, debütierten, etwa Helmut Färber und Herbert Linder, die über

22

Für diese und die folgenden biographischen Angaben vgl., wenn nicht anders vermerkt, Lebensläufe (Filmkritik, Nr. 4, 1965). 23 Vgl. Postscriptum (Filmkritik, Nr. 2, 1961). 24 Patalas: Wilfried Berghahn (Filmkritik, Nr. 10, 1964). 25 Ihre gemeinsame Autobiografie ist Martin Ripkens / Hans Stempel: Das Glück ist kein Haustier. Eine Lebensreise, 2. Aufl., München 2001.

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die Jugendfilmclubs sozialisiert wurden und bereits in jungen Jahren das Festival in Oberhausen besuchten,26 oder der spätere Regisseur Rudolf Thome. In den folgenden Abschnitten werden die zentralen Facetten der gesellschaftskritischen und nonkonformistischen Publizistenarbeit, die die Cinema Nuovo und die Filmkritik auszeichneten, in die 1960er Jahre hinein verfolgt. Für die 1950er Jahre sind diese Facetten der Kritikerarbeit als ein Grundstock der gesamten Studie teils sehr detailliert aufgeschlüsselt und ausgebreitet worden. Im Fortgang der Arbeit wird es demgegenüber immer wieder vorkommen, dass einige dieser Punkte deutlich knapper oder in einer weniger symmetrischen Gewichtung zwischen den beiden Fallbeispielen abgehandelt werden. Im italienischen Fall der Cinema Nuovo kamen in den 1960er Jahren nicht mehr gleich viele neue Aspekte, die eine eingehende Ausführung erzwingen, hinzu. Wesentliche Problemfelder der italienischen Filmkultur, die für die 1950er Jahre eine üppige Überlieferung generiert hatten, klangen in der Ära des „centro-sinistra“ merklich ab – gerade die filmpolitischen Konflikte. Mit dem Formatwechsel ab 1958 zog sich die Gruppe ja ohnehin ein wenig aus der tagesaktuellen Polemik zurück. In der Literatur werden die 1960er Jahre der Cinema Nuovo insgesamt relativ kritisch beurteilt; es muss nicht unbedingt harsch und allgemein von einer „sclerosi“ gesprochen werden,27 allerdings verbiss sich gerade der Chefredakteur Guido Aristarco in seine filmkritischen Prinzipien, was gelegentlich Redundanz erzeugte. Im Unterschied dazu blühte die Filmkritik ab Anfang der 1960er Jahre ja erst richtig auf, begünstigt durch die Erweiterung des Formats und beispielsweise die Einführung der Kommentarspalten. Allein diese Rubrik produzierte schier endloses, sehr aussagekräftiges Quellenmaterial, das aus Gründen des Umfangs nur ansatzweise und in Schlaglichtern gewürdigt werden kann. Aus dieser Entwicklung wird sich im Folgenden immer wieder ein Überhang an Ausführungen und Beispielen zugunsten der westdeutschen Fallstudie ergeben. Die Fallstudien werden, wiederum aufgrund der jeweils spezifischen filmtheoretischen Mischungsverhältnisse, filmpolitischen Konstellationen und filmkulturellen Gegebenheiten nun überwiegend separat, aber mit Querverweisen diskutiert. Beide Kritikerkreise blieben die streitlustigen Nonkonformisten, hatten sich in den 1960er Jahren aber auch verstärkt mit junger, ebenfalls linksgerichteter Konkurrenz auseinanderzusetzen und gerieten zur Zeit der Protestbewegungen um 1968 selbst unter Legitimations- und Innovationsdruck – insbesondere die Filmkritik. Dies stand bisweilen in direktem Zusammenhang mit substanziellen filmkritischen Identitäts- und Grundlagendebatten, die auf internationaler Ebene gerade die linke Filmkultur dieser Jahre prägten und maßgeblich von den Filmen der französischen Nouvelle Vague ausgelöst wurden. In der Gruppe um die Filmkritik führte die Behandlung der neueren französischen Filme gar zu einem Richtungsstreit und einer 26 Färber, Jahrgang 1937, findet sich auf der Oberhausener Gästeliste des Jahres 1959 und Linder, Jahrgang 1941, auf der des Jahres 1961 – vgl. Deutsche Kinemathek, Berlin, Festivalarchive, Oberhausen 1959 und Oberhausen 1961/2. 27 Für Begriff und Diagnose vgl. Gian Piero Brunetta: Storia del cinema italiano, Bd. 4: Dal miracolo economico agli anni novanta 1960–1993, 2. Aufl., Rom 1993, S. 123; ähnliche Zwischentöne bei Pellizzari: Le nuove forme, S. 557–559.

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Spaltung des Mitarbeiterstabs. Diese Entwicklungen werden zunächst angedeutet, um dann später in dem Kapitel, das die transnationale Dimension dieser Studie und der untersuchten Filmpublizistik dezidierter würdigt, im internationalen Kontext analysiert zu werden. 5.2 THEORIE UND FILMKRITISCHE PRAXIS 5.2.1 Cinema Nuovo – Kontinuität des kritischen Realismus In den auslaufenden 1950er Jahren, zum Beispiel im Editorial der letzten Ausgabe im alten Format, zeichnete sich bereits ab, dass für die Cinema Nuovo ihr Vorhaben des „inserimento del cinema nel mondo della cultura“ noch lange bestehen sollte.28 Das damit verbundene soziologisch und marxistisch beeinflusste Verständnis von Kunst und Kultur, das die Kritiker um Guido Aristarco aus der kritischen italienischen Denktradition und aus dem Werk von Georg Lukács abgeleitet hatten, und Lukács’ kritischer Realismus blieben für ein weiteres Jahrzehnt die grundlegende filmkritische Richtschnur. An der Wende zu den 1960er Jahren brachte Aristarco seine Storia delle teoriche del film neu heraus. Im aktualisierten Vorwort wiederholte er die Notwendigkeit der Abkehr vom Idealismus als ästhetischem Urteilssystem und betonte erneut die elementare Wichtigkeit der Lehren Lukács’ für das Verständnis des italienischen Neorealismus und seiner Nachfolgewerke, etwa mit der Differenzierung in die unzureichende naturalistische „cronaca“ und die angestrebte „storia“ des kritischen Realismus.29 Etliche Notizen, Nebensätze und Kommentare beharrten auf dem Modell und Vorbild dieses kritischen Realismus, unterstrichen, „che noi non lo riteniamo esaurito quale metodo d’indagine, ma ancora attuale e sempre valido.“30 Über diese ständigen Bekräftigungen hinaus kam Georg Lukács jetzt höchst selbst in der Cinema Nuovo zu Wort. Ihre Redaktion druckte einen Briefwechsel zwischen ihm und einem seiner philosophischen Schüler ab, in dem sie sich über Filmfragen austauschten.31 Daraus entstand ein wiederum von der Cinema Nuovo veröffentlichter, kurzer Meinungsaustausch des ungarischen Philosophen mit dem kommunistischen Kritiker Umberto Barbaro, der die beiden im Antiidealismus vereint, aber in der Frage der Technik in der Kunst polemisch entzweit zeigte. Die Kernpassage in Lukács’ Antwort brachte noch einmal sein für die Mailänder Zeitschrift so zentrales, soziologisches und realistisches Kunstverständnis auf den Punkt:

28 Aristarco: Ai lettori (Cinema Nuovo, Nr. 133, 1958), S. 358. 29 Vgl. den Vorabauszug in der Zeitschrift – Guido Aristarco: Il magistero di Lukács nella nostra esperienza critica, in: Cinema Nuovo, Nr. 140, Juli/August 1959, S. 309–312, hier S. 310 f. 30 Cinema Nuovo, Nr. 152, Juli/August 1961, S. 298. 31 Vgl. Georg Lukács / István Mészáros: Sui problemi estetici del cinematografo, in: Cinema Nuovo, Nr. 135, September/Oktober 1958, S. 128–137.

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Michelangelo, dal punto di vista tecnico, poteva fare tutto quello che voleva. La problematica della sua attività scaturiva dalle grandi contraddizioni sociali e ideologiche della sua epoca e dal suo proprio atteggiamento artistico nel tentativo di venirne a capo, di trovare una forma artistica adeguata per il possente, contraddittorio contenuto dei problemi del tempo, per l’adeguato rispecchiamento artistico della realtà.32

Charakteristisch und exemplarisch für die fortgesetzte Anwendung des kritischen Realismus etwa auf das gleichwohl veränderte italienische Kino standen Aristarcos Rezensionen der großen Erfolge des Jahres 1960, von Fellinis La dolce vita, Viscontis Rocco e i suoi fratelli und Antonionis L’avventura, den er zusammen mit dem Folgewerk La notte besprach. Fellini und Antonioni brachen mit den konventionellen Erzähl- und Sehgewohnheiten nicht nur des italienischen Films und verzichteten größtenteils auf lineare Handlungsverläufe und klärende Schlusssequenzen. In Fellinis Film tingelt ein Gesellschaftsreporter zumeist teilnahmslos und unentschlossen durch das gehobene römische Nachtleben; Antonioni zeigte bevorzugt in langen, fast menschenleeren Einstellungen kriselnde Paare aus dem gesetzten Bürgertum. Visconti präsentierte weniger experimentell, dafür breit angelegt und in schonungsloser Drastik ein Familienpanorama, die Schwierigkeiten einer süditalienischen Familie, in Mailand in Zeiten des Wirtschaftsbooms Fuß zu fassen. Guido Aristarco bestückte seine Kritik von Federico Fellinis La dolce vita wie gehabt mit reichlichen Querverweisen auf die Literatur- und Philosophiegeschichte. In der Grundstimmung des Films meinte er immerhin eine an Kierkegaard gemahnende Kritik am Christentum im Allgemeinen und am Katholizismus im Besonderen auszumachen.33 Das sei ebenso begrüßenswert wie Fellinis über den frühen Neorealismus hinausgehender „spirito documentaristico“, der eine ganze Reihe von zeitgenössischen Missständen zumindest zur Sprache bringe, beispielsweise Korruption und moralischen Verfall der Oberschicht, platten Wunderglauben im einfachen Volk oder Starkult und skrupellose Sensationspresse.34 Der Kritiker konzedierte vier „stellette“ – „eccellente“ –, setzte diese aber wegen grundlegender Bedenken in Klammern. Die Rezension war auf der anderen Seite nämlich gespickt mit Vokabular aus der literaturwissenschaftlichen Denkschule Lukács’, mit den Gegensatzpaaren „beschreiben“ und „erzählen“, „naturalistisch“ und „realistisch“ oder „neozoliano“ und „neobalzacchiano“. Und letztlich gelinge es dem „irrationalen“ Fellini erneut nicht, in die gesellschaftlich-historische Tiefe zu gehen, die Hintergründe der Übelstände auszuleuchten – „e il movimento storico finisce con l’essere un movimento della superficie“.35 Michelangelo Antonionis Filme entsprachen Aristarcos Ansicht nach eher dem modernen Roman Marcel Prousts oder James Joyces und nicht den realistischen Klassikern. Antonioni verzichte auf präzise abgezirkelte Handlungsgeflechte und konzentriere sich stattdessen auf die Ausleuchtung der Psyche seiner Protagonis32 33 34 35

Georg Lukács: Diavolo azzurro o diavolo giallo?, in: Cinema Nuovo, Nr. 154, November/Dezember 1961, S. 500–505, hier S. 504. Vgl. Guido Aristarco: La dolce vita, in: Cinema Nuovo, Nr. 143, Januar/Februar 1960, S. 39– 44, hier vor allen S. 40. Vgl. ebd., S. 42. Ebd., S. 39 und 41 f.

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ten – in L’avventura und La notte ziele dies auf Sprachlosigkeit und Beziehungsunfähigkeit in der modernen bürgerlichen Welt. Dem Regisseur gelinge es meisterhaft und formal vollendet, diese auf individuelles, subjektives Erleben beschränkten Schilderungen zumindest durch gelegentliche realistische Einsprengsel in konkretere historische und gesellschaftliche Kontexte zu bringen – auch wenn die Grundanlage der Filme das Risiko mit sich bringe, in Abstraktion und Naturalismus zu verfallen: Antonioni, che innegabilmente appartiene alla razza dei grandi creatori d’immagini, raggiunge qui un perfetto accordo tra la descrizione esterna e la descrizione dei sentimenti, il mutare di essi, un equilibrio e unità tra gli ambienti e le anime […] Sia pure nella tendenza naturalistica, simbolica ed allegorica cui questi due film, piú che altri suoi, soggiacciono […], Antonioni dimostra cosí di saper cosa sia l’arte.36

Vier „stellette“ vergab Guido Aristarco für beide Filme, ein fünftes Sternchen in Klammern signalisierte die vom Kritiker geäußerte Hoffnung auf künftige gesellschaftlich relevantere Aussagen und Figurenzeichnungen des Filmemachers: „e non è da escludere che Antonioni operi, e piú presto di quanto si possa pensare, un qualche ribaltamento, che in una realtà meno circoscritta, piú oggettiva e dialettica, egli scopra un carattere, una tendenza che proprio il conformismo combatte e che noi vorremmo accentuare e favorire.“37 Luchino Visconti blieb wie in den 1950er Jahren der bewunderte Regisseur Aristarcos und der Cinema Nuovo. Rocco e i suoi fratelli heimste als „capolavoro“ die Höchstzahl von fünf „stellette“ ein. Wie Senso erschien auch die Geschichte einer Mutter von fünf Söhnen als Perfektion des italienischen Filmrealismus. Die differenziert und „typisch“ gezeichneten Protagonisten wiesen sämtlich ein nachvollziehbares und historisch verankertes „Woher“ und „Wohin“ auf, eine Entwicklung, die beispielsweise die finalen Sätze des zweitjüngsten Sohnes Ciro folgerichtig erscheinen lasse, der in seinem Aufstieg von der unterentwickelten ländlichen Region zum Industriearbeiter in Mailand den Indikator einer möglichen „mondo migliore“ erkennt. Visconti könne die Probleme Süditaliens und der massiven Binnenmigration nicht mit einem Film lösen, allerdings wertvolle Einsichten vermitteln.38 Damit erfülle er die zentralen didaktischen Aufgaben des von der Cinema Nuovo verfochtenen Kinos: È proprio con film come Rocco […] che lo spettatore capisce che il flusso della realtà continua anche dopo la parola fine, e che il film lo ha messo in mezzo a quel flusso non attraverso un semplice processo di immedesimazione, ma anche e soprattutto attraverso un esame critico dei rapporti strutturali entro i quali si articola la vita reale degli uomini.39

Rocco e i suoi fratelli wurde für einige Jahre der neue Leitfilm der Kritikergruppe. In einer internen Umfrage über die „migliori dell’anno“ wählten neben anderen 36 37 38 39

Guido Aristarco: Cronache di una crisi e forme strutturali dell’anima, in: Cinema Nuovo, Nr. 149, Januar/Februar 1961, S. 42–52, hier S. 51. Ebd. Vgl. Guido Aristarco: Una storia italiana. Rocco e i suoi fratelli, in: Cinema Nuovo, Nr. 148, November/Dezember 1960, S. 521–529, hier besonders S. 525–527. Ebd., S. 529.

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Mitarbeitern Giulio Cattivelli, Guido Fink und Lorenzo Pellizzari Viscontis Werk auf den ersten Platz, die Leser der Zeitschrift im Übrigen auch.40 Wie seit Mitte der 1950er Jahre, als beispielsweise Luigi Chiarinis abweichendes Verständnis vom Filmrealismus nicht mehr weiter diskutiert wurde, fungierte die Redaktion noch lange Zeit als weitgehend geschlossenes Ensemble zur Propagierung des kritischen Realismus. Die jüngeren Neuzugänge unter den Kritikern übernahmen diese Position zunächst anstandslos oder übertrafen die Denkweise Aristarcos sogar, wie Pellizzari auch mit Blick auf sich selbst erinnerte: „qualche volta si mostrano addirittura più realisti del re“.41 Die Rezensionen von Fellinis, Antonionis und Viscontis Filmen fielen sehr umfangreich aus und insgesamt widmeten sich die Autoren der Cinema Nuovo weiterhin am häufigsten der einheimischen Filmproduktion. Immer noch war es dabei für die italienischen Regisseure nicht leicht, den strengen Ansprüchen der Gruppe zu genügen. Roberto Rossellini, in den Anfangsjahren der Zeitschrift für seine vermeintliche Abkehr vom Neorealismus stark angegriffen, kehrte um die Wende zu den 1960er Jahren mit einigen, durchaus von Kritik und Festivals gewürdigten,42 Filmen zu den emotional und politisch aufgeladenen Themenfeldern des Risorgimento einerseits und des Zweiten Weltkriegs und Widerstands andererseits zurück. Überzeugen konnte er mit Beiträgen wie Era notte a Roma Kritiker wie Pellizzari jedoch nicht. Vorhersehbar und langweilig, kitschig und pathetisch, noch dazu nachlässig angefertigt, interpretiere Rossellinis Film die Resistenza zu allem Überfluss zu einer katholischen Errungenschaft um.43 Keine ungeteilte Zustimmung fanden zudem die zahlreichen italienischen Regiedebütanten dieser Jahre, die von Kritik und Öffentlichkeit zumeist freundlich als belebendes Element der heimischen Kinematographie aufgenommen wurden. Die jungen Regisseure griffen ebenfalls häufig Stoffe aus den Zeiten von Faschismus, Weltkrieg, Widerstand und Lagerhaft auf, andere thematisierten den Süden des Landes und hier etwa die Bedrohung durch die Mafia. Adelio Ferrero stellte in seinem ersten längeren Beitrag für die Cinema Nuovo fest, dass viele junge Regisseure ihre großen Ankündigungen kaum umgesetzt und nur weitgehend schematische Ergebnisse erzielt hätten, während wenigstens Francesco Rosi in La sfida eine präzise, realistische Darstellung Neapels und des Einflusses der Camorra gelungen sei.44 Ende 1960 untersuchte Guido Aristarco in einer Sammelrezension die filmische Auseinandersetzung Valerio Zurlinis, Florestano Vancinis und Gillo Pontecorvos mit verschiedenen Facetten der Kriegsjahre. Bei allen gelungenen Passagen und Beobachtungen blieben diese Regisseure für den streng realistischen Kritiker doch bei der Schilderung von Einzelschicksalen, der vagen persönlichen 40 Vgl. I migliori dell’anno, in: Cinema Nuovo, Nr. 150, März/April 1961, S. 162 f. 41 Pellizzari: Le nuove forme, S. 557. 42 Vgl. Giorgio De Vincenti: Die Jahre des Vertrauens. Das „Engagement“ im italienischen Kino der 1960er Jahre, in: Koebner/Schenk (Hg.): Das goldene Zeitalter, S. 39–49, hier S. 45 f. 43 Vgl. Lorenzo Pellizzari: Era notte a Roma, in: Cinema Nuovo, Nr. 149, Januar/Februar 1961, S. 56 f. 44 Vgl. Adelio Ferrero: Velleità e risultati dei giovani registi italiani, in: Cinema Nuovo, Nr. 137, Januar/Februar 1959, S. 42–44, hier S. 43 f.

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Erinnerung oder verwässernden Liebesgeschichten hängen und schafften keine objektive, rationale Aufarbeitung.45 Deutlich vielversprechender als viele Kollegen ihrer Generation erschienen Aristarco die Brüder Paolo und Vittorio Taviani, die gemeinsam mit Valentino Orsini Un uomo da bruciare, einen Spielfilm über einen ermordeten sizilianischen Gewerkschafter, gedreht hatten. Er begrüßte als Antwort auf viele moderne, subjektiv und individuell gehaltene Filme ihren ritorno stilisticamente ragguardevole al realismo critico, alla costruzione del personaggio, in un momento in cui tutto sembra sommerso nel maremagno dell’alienazione, e si riduce l’uomo in frammenti, lo si dissolve nelle forme suggestive – e tutto sommato, spesso comode – dell’incomunicabilità.46

Die mit dem kritischen Realismus einhergehenden Bewertungskriterien der gründlichen, rationalen Durchdringung der Filmstoffe und der ideologischen Stimmigkeit wendeten Aristarcos Mitarbeiter wie in den 1950er Jahren auf Filme aller Gattungen und Provenienz an. Einen profunden sozialen Kontext der Handlung vermisste Adelio Ferrero bei Vittorio De Sicas I sequestrati di Altona ebenso wie Paolo Gobetti bei Michail Kalatosows Letjat shurawli. Für Franco Valobra vernachlässigte George Stevens in The Diary of Anne Frank zugunsten von Gefühlsseligkeit oder „suspense“ die obligatorische Entwicklung „typischer“ Charaktere nach Lukács’ Maximen. Und wiederum Ferrero griff 1961 einen aus dem vorangegangenen Jahrzehnt geläufigen Vorwurf gerade an angelsächsische Filme auf, als er Guy Greens The Angry Silence sein faschistoides Verständnis der Masse als dumpf folgende Herde oder irrational wütender Mob ankreidete.47 Die Gruppe um die Cinema Nuovo verstand sich selbst als größtenteils gleichgesinnte „équipe“ an Kritikern, wie Guido Aristarco programmatisch noch einmal verdeutlichte, als er 1962 eine Sammlung von wichtigen Rezensionen aus der Zeitschrift der letzten Jahre herausgab. Ihre Autoren, hier in seinem Vorwort in der dritten Person beschrieben, begnügten sich eben nicht wie so viele zeitgenössische Regisseure mit der verzagten, individuell oder abstrakt gehaltenen Darstellung der modischen Problemdiagnosen, etwa der „Versachlichung“ der menschlichen Beziehungen, sondern wollten gegen die gesellschaftlichen Missstände weiter aufbegehren, mit Filmen und Kritiken Auswege aus ihnen aufzeigen: „pensano che occorra insorgerle contro, smascherandola e non adeguandovisi. […] Non domandano se essa non debba essere rappresentata; domandano solo: bisogna fermarsi qui?“ Wieder einmal rekurrierte Aristarco in diesem Zusammenhang auf das Vorbild Antonio 45 Vgl. Guido Aristarco: La lunga notte. Zurlini Vancini Pontecorvo, in: Cinema Nuovo, Nr. 147, September/Oktober 1960, S. 448–455. 46 Guido Aristarco: La resistibile ascesa all’avventura dell’eclisse, in: Cinema Nuovo, Nr. 160, November/Dezember 1962, S. 425–427, hier S. 427. 47 Für diese Urteile und Diagnosen vgl. der Reihenfolge nach Adelio Ferrero: I sequestrati di Altona, in: Cinema Nuovo, Nr. 160, November/Dezember 1962, S. 461–463, hier S. 642; Paolo Gobetti: Quando volano le cicogne (Letjat zhuravli), in: Cinema Nuovo, Nr. 137, Januar/Februar 1959, S. 65 f., hier S. 65; Franco Valobra: Il diario di Anna Frank (The diary of Anne Frank), in: Cinema Nuovo, Nr. 141, September/Oktober 1959, S. 451 f., hier S. 452; Adelio Ferrero: La tortura del silenzio (The angry silence), in: Cinema Nuovo, Nr. 152, Juli/August 1961, S. 335.

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Gramscis und dessen Aufruf zum Kampf für eine „nuova cultura“.48 Die Anlehnung an Gramsci und Lukács, das Plädoyer für diese antiidealistische, marxistische, gesellschaftlich engagierte Filmkritik bündelte er schließlich noch einmal 1965 in seiner Schrift Il dissolvimento della ragione.49 Der um diese Prinzipien versammelte Kritikerzirkel zog zur zweiten Hälfte der 1960er Jahre in einem Editorial eine ermüdete, pessimistische Bilanz der Kinokultur Italiens. Den zu Beginn des Jahrzehnts ausgerufenen „nuovo corso“ von Rossellini und seinen Nachfolgern mit der abermaligen Hinwendung zu Krieg und Resistenza lehnten sie weiter ab. In der Zwischenzeit hätte sich darüber hinaus noch trotz seiner verschiedenen Krisen das US-amerikanische Großkino immer stärker in das italienische Filmschaffen eingeschlichen – verstört und verärgert blickten die Autoren auf die einheimischen Variationen des Monumentalfilms und des Westerns und darauf, dass diese Filme genauso wie die neu aufkommende Reihe um James Bond in Italien so erfolgreich liefen.50 Federico Fellini hatte sich mit 8 ½ wie gehabt als „autore impressionistico“, der „quando deve scendere in profondità, raramente vi riesce“, erwiesen.51 Und Luchino Visconti hatte mit seinem neuen Werk zum Risorgimento – Il gattopardo nach dem Roman von Giuseppe Tomasi di Lampedusa – die hohen Erwartungen Guido Aristarcos enttäuscht, da er anders als in Senso deutlich weniger Sympathien für die revolutionären Kämpfer und kaum Spitzen gegen Kollaboration und Reaktion eingeflochten habe: Qui, invece, vedi nel Risorgimento un fenomeno inutile e del tutto negativo, una completa ‚bancarotta‘. […] In Senso tu solidarizzavi, e inequivocabilmente, con il conte Ussoni che, aperto a una realtà veramente nuova, autentico garibaldino, non era della risma né di Salina né di Tancredi Falconeri. Ed io continuo a credere che in te ci sia Ussoni, anche se dal tuo ultimo film non si direbbe.52

So blieb nur eine düstere Diagnose des italienischen Kinos zur Mitte des Jahres 1966: Per il cinema italiano, infatti, questi ultimi anni si collocano sotto il segno degli appuntamenti mancati, delle promesse non mantenute, del ripiegamento e della delusione. […] Ai tempi del neorealismo esisteva un grande distacco – e anche una frattura – fra gli autori del neorealismo e la produzione di consumo, in verità molto provinciale. Ora tale distacco è andato sempre più diminuendo.53

48 Aristarco: Prefazione, S. XI f. 49 Vgl. Alberto Boschi: La riflessione e il dibattito teorico: dal contenuto alla forma (e ritorno), in: Gianni Canova (Hg.): Storia del cinema italiano, Bd. 11: 1965/1969, Venedig 2002, S. 489– 507, hier S. 499–501; Leonardo Gandini: L’editoria cinematografica, in: ebd., S. 508–519, hier S. 514 f. 50 Vgl. Resa al labirinto o sfida al labirinto?, in: Cinema Nuovo, Nr. 182, Juli/August 1966, S. 246–253, hier besonders S. 247 f. Zu den statistischen Werten vgl. etwa De Vincenti (Hg.): Storia, S. 662. 51 Guido Aristarco: Il Gattopardo e il telepata, in: Cinema Nuovo, Nr, 162, März/April 1963, S. 123–128, hier S. 126 und 128. 52 Ebd., S. 125. 53 Resa al labirinto (Cinema Nuovo, Nr. 182, 1966), S. 246 f.

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5.2.2 Filmkritik – Ideologiekritik, Realismus und ein Paradigmenwechsel Die filmtheoretische Programmatik der Kritikergruppe um die Filmkritik setzte sich seit ihren frühesten Publikationen aus verschiedenen gesellschaftskritisch konnotierten Bestandteilen zusammen. Einerseits fusionierten die jungen Filmjournalisten die Methode der Ideologiekritik im Sinne von Siegfried Kracauers These vom Film als „Spiegel der Gesellschaft“ mit der Kritik an der manipulativen und hochpolitischen „Kulturindustrie“ nach Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zu einem dialektischen, stets zu hinterfragenden Verhältnis vom Medium Film und der ihn umgebenden Gesellschaft. Als Idealvorstellung eines aufgeklärten und aufklärenden Kinos importierten die Kritiker zudem andererseits das Konzept des kritischen Realismus in der Tradition Georg Lukács’ aus Italien, von Guido Aristarcos Cinema Nuovo. Diese filmkritischen Koordinaten blieben in der westdeutschen Zeitschrift zunächst auch noch in den 1960er Jahren maßgeblich – bis sich, ausgehend von Enno Patalas und einigen neu hinzugekommenen Mitarbeitern, Zweifel an den alten Konzepten einschlichen und die Gruppe spätestens zur Mitte des Jahrzehnts in eine programmatische Spaltung geriet. 1961 trat sie noch sehr geschlossen auf und Patalas und Wilfried Berghahn erläuterten noch einmal sehr klar die Vorstellungen der Filmkritik.54 Ihr Text erschien unter der Frage „Gibt es eine linke Kritik?“ und war inspiriert von einer zeitgenössischen internationalen Kritikerdebatte sowie von Bertolt Brechts Forderung aus dem „Dreigroschenprozeß“, auch und gerade „die gesellschaftliche Funktion des Films“ in die Filmbesprechung einzubeziehen.55 In der Kernpassage von Patalas’ und Berghahns Aufsatz fanden sich in Tabellenform und mit eindeutiger Stoßrichtung die „herkömmliche, alte“ und die „geforderte, neue Kritik“56 einander gegenübergestellt. Die „alte“ Kritik des – wie es in den ersten Jahren der Filmkritik stets hieß – „Impressionismus“ oder „Feuilletonismus“ identifiziere sich vorbehaltlos mit dem besprochenen Film, sei dabei aber nur in der Lage, „manifeste“ Aussagen zu erfassen und ohnehin in einem alibihaften Snobismus auf vermeintlich „künstlerische“ Filme fixiert. Die „neue“ Kritik hingegen stehe „dem Film fordernd gegenüber“, prüfe ihn auch auf „latente“ Botschaften, und nehme „jeden“ Film in diese Methodik auf. Während die „alte“ Kritik ein „autonomes Kunstwerk“ und „unabhängige“ Regisseure propagiere, verstehe die „neue“ die Produktionen als „Ausdruck der Zeitströmungen“ und erwarte „bewusste“, mitdenkende Filmemacher. Die „alte“ Kritik sei im Wesentlichen auf formale Aspekte geeicht, die „neue“, so bekannten Patalas und Berghahn, „interessiert sich mehr für die Aussage als die Form“; da letztere aber ein „Aspekt der Aussage“ sei, wurde somit eine reine Inhaltsfixierung in der Programmatik der Filmkritik vermieden. Zum Abschluss stand der Gegensatz, dass die „alte“ Kritik nur den Film kritisiere, die „neue“ aber „kritisiert die Gesellschaft, aus der der Film hervorgeht.“ Zur Einordnung des Texts in der Filmkritik von 1961 vgl. Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, S. 169 f. und 184. 55 Vgl. Wilfried Berghahn / Enno Patalas: Gibt es eine linke Kritik?, in: Filmkritik, Nr. 3, 1961, S. 131–135, hier S. 131–133. 56 Alle folgenden Zitate ebd., S. 133 f. 54

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Die Autoren der Filmkritik kultivierten weiter ihre soziologische, gesellschaftlich ausgerichtete Interpretation ihres Metiers – in den Filmbesprechungen selbst, in etlichen Nebensätzen sonstiger Beiträge und wiederum in einigen ausführlichen Grundsatzartikeln zur Methodik der Kultur- und Filmkritik. Auf den Spuren der Kritischen Theorie und Kracauers oszillierte Wilfried Berghahn wie gehabt in seinem Verständnis von der Beziehung zwischen Film und Gesellschaft. Als er erneut auf das Hollywood-Kino und dabei zum Beispiel auf die mannigfachen Implikationen des „Westerners“ und des „Gangsters“ zu sprechen kam, lag sein Fokus wieder auf der Leitbildkonstruktion durch die Filmindustrie und die flankierenden politischen Kontrollmechanismen.57 In einer anderen Erörterung der „Traumfabrik“ Film klang allerdings stärker der „Spiegel“-Effekt Kracauers durch: Auch korrumpierte Federn protokollieren noch, mit Fehlern zwar und für den flüchtigen Betrachter beinah unleserlich, was der Zeitgeist ihnen diktiert. Die industriellen Träume, die aus den Kinos dampfen, sind deshalb keine Produkte der Willkür. Wenn der Kritiker sie auch mit Recht als Machwerk inferiorer Phantasie anprangert, sollte der Analytiker sie doch zu schätzen wissen, denn die Traumfabrik bestätigt ihre Kunden nicht nur, sie verrät sie auch.58

Der Kritiker müsse diese Erzeugnisse stets auf sozialen Kontext und Prägung abklopfen, andernfalls seien etwa die häufig geführten Vergleichsdiskussionen des internationalen Filmschaffens vollkommen sinnlos.59 Berghahn erweiterte sein soziologisches und sozialpsychologisches Untersuchungsfeld in diesen Jahren auf interessante Weise: In einem Aufsatz für die Frankfurter Hefte befasste er sich mit Schlagermusik, las aus Texten von Freddy Quinn untergründige Verunsicherung in der Gesellschaft heraus und konstatierte zur Verwertbarkeit populärkultureller Phänomene für sozialkritische Analysen: „Wer Schlager analysiert, stößt Schritt für Schritt an Unzufriedenheit und Einsamkeit. Schlagergeschichte ist Sozialgeschichte, auch wenn es vielen nicht gefällt.“60 Eine historiographische Relation bemühte auch Enno Patalas: „Die Geschichte des Films ist ein Dialog mit der Geschichte der Gesellschaft.“61 Die Mitarbeiter der Filmkritik hatten ja schon immer zeitgenössische Analysen mit filmhistorischen Betrachtungen zu ihrer Version von „Sozialgeschichte“ verarbeitet – Anfang der 1960er Jahre umso mehr, da Patalas und Ulrich Gregor gemeinsam an einer umfangreichen Filmgeschichte schrieben.62 So erörterte Gregor in der Zeitschrift die „Probleme des Filmhistorikers“ – „Filmgeschichte muß immer zugleich auch allgemeine Kulturgeschichte sein oder sich doch zumindest an dieser orientieren, nur

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Vgl. Wilfried Berghahn: Das Gesellschaftsbild des amerikanischen Films, in: Filmkritik, Nr. 3, 1962, S. 99–107. 58 Wilfried Berghahn: Der Realismus der Traumfabrik, in: Filmkritik, Nr. 9, 1961, S. 418–422, hier S. 422. 59 Vgl. Wilfried Berghahn: Von der Ungleichheit des Gleichzeitigen, in: Filmkritik, Nr. 1, 1963, S. 5–9, hier S. 7 und 9. 60 Wilfried Berghahn: In der Fremde. Sozial-psychologische Notizen zum deutschen Schlager, in: Frankfurter Hefte 17 (1962), Nr. 3, S. 193–202, hier S. 202. 61 Enno Patalas: Dialog mit der Geschichte, in: Filmkritik, Nr. 2, 1961, S. 68–71, hier S. 68. 62 Vgl. Ulrich Gregor / Enno Patalas: Geschichte des Films, Gütersloh 1962.

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so findet sie ihre Legitimation.“63 Filmästhetische Kategorien waren in der Programmatik von 1961 ein wenig nachrangig behandelt worden, die beiden Filmhistoriker wollten aber auch über ihre Untersuchung zu sozialhistorischer Erkenntnis gelangen.64 Die Verbindung formaler und inhaltlicher Aspekte war für die Filmkritik mithin auf der analytischen Ebene wichtig – und ebenso auf der normativen Ebene des idealen Filmschaffens, denn „wie selten ein Film als Kunstwerk gelang, der die Gesellschaft ignorierte, [so] ist kein Film ohne äußerste Anstrengung der Form der Gesellschaft beigekommen.“65 Die Idealfunktion des Films, ob Spielfilm oder Dokumentarfilm, blieb auch nach 1960 für die Kritikergruppe, „dazu bei[zu]tragen, die Welt durch Einsicht und Vernunft zu verändern und zu verbessern.“66 Und die ideale Filmgattung, diese Aufgabe zu erfüllen, blieb für die Autoren der Filmkritik, wie Ulrich Gregor oder Theodor Kotulla anhand von Luchino Viscontis Rocco e i suoi fratelli verdeutlichten, der kritische Realismus, bevorzugt derjenige italienischer Herkunft.67 Aus den beibehaltenen ideologiekritischen und realistischen Präferenzen der Filmkritik-Redaktion ergab sich in der Praxis zwangsläufig ihre fortgesetzte Geringschätzung für die meisten Filme aus der westdeutschen Produktion – beziehungsweise für die immer geringere Anzahl an Filmen, die in diesen Jahren der ökonomischen und künstlerischen Krise überhaupt noch übrig blieb, und die nicht von vornherein größtenteils von der Gruppe ignoriert wurde, wie die Filmserien nach Edgar Wallace oder Karl May. Filmhistorisch maßen die Autoren der Filmkritik ihren Landsleuten keine große Bedeutung zu, was sich in Patalas’ und Gregors Geschichte des Films daran zeigte, dass der Film der Bundesrepublik nur in einem vergleichsweise winzigen Abschnitt skizziert wurde.68 Die jungen „Oberhausener“ Filmemacher werden an dieser Stelle noch ausgespart, da das Verhältnis zwischen den Kritikern und den Erneuerern des deutschen Films weiter unten genauer behandelt wird. Anfang der 1960er Jahre versuchten sich die etablierten Firmen, sofern sie noch existierten, und die namhaften Regisseure weiter daran, wieder einmal auch international anerkannte Werke herzustellen. Zusammenfassend widmete sich Theodor Kotulla 1962 in den Frankfurter Heften neben anderen Bernhard Wicki und Helmut Käutner, sezierte streng ihre aktuellen Filme und deren „Stereotypen“ 63 Ulrich Gregor: Probleme des Filmhistorikers, in: Filmkritik, Nr. 5, 1962, S. 194–198, hier S. 196. 64 Vgl. ebd., S. 198. 65 Patalas: Dialog mit der Geschichte (Filmkritik, Nr. 2, 1961), S. 68. 66 Uwe Nettelbeck: Alvorada – Aufbruch in Brasilien / Notabene Mezzogiorno, in: Filmkritik, Nr. 1, 1964, S. 27 f., hier S. 28. 67 Vgl. Theodor Kotulla: Rocco und seine Brüder (Rocco e i suoi fratelli), in: Filmkritik, Nr. 6, 1961, S. 306–311; Ulrich Gregor: Fünfzehn Jahre nach „Paisa“, in: Filmkritik, Nr. 7, 1961, S. 324–329, hier S. 328 f. 68 Vgl. Gregor/Patalas: Geschichte des Films, S. 377–379. Zur Kritik der Gruppe am westdeutschen Film dieser Jahre und dem filmhistorischen Einfluss dieser Haltung vgl. Thomas Brandlmeier: Altherrenexzesse unerwünscht. Helmut Käutner, Rudolf Jugert und die Zeitschrift Filmkritik, in: Johannes Roschlau (Redaktion): Im Zeichen der Krise. Das Kino der frühen 1960er Jahre, München 2013, S. 11–22.

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und folgerte auch für die „minderbegabten“ Regisseure des Landes wie Kurt Hoffmann oder Rolf Thiele: Das zentrale Merkmal des westdeutschen Films ist sein apologetischer Charakter. Das heißt: statt den schlechten Seiten der Realität kritisch zu Leibe zu rücken, werden sie gerechtfertigt. Statt das Gewissen des Betrachters wachzurütteln, wird es beruhigt. Statt den Verstand anzusprechen, werden planlos Gefühle mobilisiert. Statt zu verfremden, wird wohlfeile Identifizierung geboten.69

Aufbauend auf dieser für die Gruppe repräsentativen Grundsatzkritik trafen den bundesdeutschen Film in diesen Jahren weiter die aus der Anfangszeit der Zeitschrift eingeübten harschen Kurzverrisse und die ideologiekritischen Detailvorwürfe. Drastisch war zum Beispiel das Verdikt über einen Republikfluchtfilm von Will Tremper: „Dieser Film ist die kapitalste Mißgeburt, die sich der deutsche Film im letzten Jahrzehnt geleistet hat.“70 Es gab in den Augen der Filmkritik immer noch zu viele Filme wie Kurt Hoffmanns Adaption von Die Ehe des Herrn Mississippi, die auf ärgerliche Weise das „politische Abstinenzlertum“ beförderten.71 Und auch Heinz Rühmann drehte weiter Filme, „die Verkörperung unseres nationalen Mythos, den angestammten Schnuckelplatz kleinbürgerlicher Beschränktheit zu finden und die Wonnen selbstzufriedener Resignation zu kosten.“ In Max, der Taschendieb ergänzten sich einmal mehr die trostlosen inhaltlichen Tendenzen mit den formalen Defiziten: „Schlafmützig latscht das Opus durch die Gegend. Umständlich-altmodisch ist Einstellung um Einstellung, Schuß um Gegenschuß aneinandergeklebt.“72 Am Beispiel der Rezeption des US-amerikanischen Films der 1960er Jahre durch die Filmkritik zeigt sich, dass die Neuzugänge der Redaktion Kriterien und Diktion ihrer dienstälteren Kollegen schnell verinnerlicht hatten und der Kreis gerade im Hinblick auf solche international erfolgreichen Großproduktionen noch geschlossen wirkte. Wieder wurden auch am US-Kino Autoritätskult und aggressiver Patriotismus bemängelt.73 Martin Ripkens schrieb vom Bescheidenheitszwang als dem „kategorische[n] Imperativ der Kulturindustrie“ und Günter Rohrbach kritisierte an Breakfast at Tiffany’s: „Der Nonkonformismus hingegen bleibt gut verpackt und wird nur zum Naschen herumgereicht. Wie gehabt.“74 Ein besonders wortgewaltiger Autor war Uwe Nettelbeck; er identifizierte 1965 in einer längeren, scharfzüngig formulierten Analyse das Western-Genre mit rechtsgerichteter Politik in den USA75 und sprach dabei den meisten Kollegen aus der Seele. Wie die Gesellschaftskritiker um die Cinema Nuovo reagierte auch der Kreis um die Filmkritik 69 70 71 72 73 74 75

Theodor Kotulla: Zum Gesellschaftsbild des Films der Bundesrepublik, in: Frankfurter Hefte 17 (1962), Nr. 6, S. 401–407, hier S. 405. Theodor Kotulla: Flucht nach Berlin, in: Filmkritik, Nr. 4, 1961, S. 200. Vgl. Ulrich Gregor: Die Ehe des Herrn Mississippi, in: Filmkritik, Nr. 8, 1961, S. 404 f., hier S. 405. Beide Zitate aus Dietrich Kuhlbrodt: Max der Taschendieb, in: Filmkritik, Nr. 4, 1962, S. 185 f. Vgl. Enno Patalas: Hatari! (Hatari!), in: Filmkritik, Nr. 1, 1963, S. 38 f., hier S. 38. Zitate aus Martin Ripkens: Aschenblödel (Cinderfella), in: Filmkritik, Nr. 10, 1961, S. 508 f., hier S. 509; Günter Rohrbach: Frühstück bei Tiffany (Breakfast at Tiffany’s), in: Filmkritik, Nr. 2, 1962, S. 85 f., hier S. 86. Vgl. Uwe Nettelbeck: Der Western und die amerikanische Rechte. John Wayne als Beispiel, in: Filmkritik, Nr. 5, 1965, S. 250–258 und 298 f.

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mehr oder weniger fassungslos auf den Erfolg der aus Großbritannien kommenden Filme um James Bond. Nettelbeck empfand die „Freude am lizensierten Mord“ als „nicht ganz gesund“, Dietrich Kuhlbrodt entwickelte gar faschistische Horrorszenarien.76 Die Filmkritik war somit auch in den 1960er Jahren eine dezidiert linksgerichtete Zeitschrift, was sich im Folgenden noch an ihrer latenten oder manifesten Gesellschaftskritik, ihren filmpolitischen Polemiken und im Kontrast zu vielen sonstigen Akteuren der westdeutschen Filmkultur zeigen wird. In der ersten Hälfte des Jahrzehnts waren aber die geschilderte Ideologiekritik und der kritische Realismus westeuropäischer Prägung nicht mehr unumstritten, es zeichneten sich Differenzen in der Redaktion ab. 1961 stellte Enno Patalas anhand von Saturday Night and Sunday Morning den jungen britischen Filmrealismus infrage, seine „mimetische Abschilderung und ‚Verdichtung‘ der Realität“, stattdessen bevorzugte er eine filmische „Distanzierung“ von der Wirklichkeit.77 In der folgenden Ausgabe stellte seine Frau Frieda Grafe Gemeinsamkeiten zwischen der modernen Literatur dieser Jahre und aktuellen Filmen zum Beispiel von Alain Resnais und Michelangelo Antonioni fest und als besonders markant nahm sie die Auflösung der klassischen realistischen Erzählform wahr: „Weder der zeitgenössische Romanautor noch der Regisseur fühlen sich als allwissende Erzähler, die von einem erhöhten Punkt aus ein abgeschlossenes Stück Leben überschauen.“78 Zwei Jahre später bemerkte wiederum ihr Mann Patalas in der Neuen Rundschau zwei einschneidende, parallele Entwicklungen der Filmgeschichte am Anfang der 1960er Jahre. Das Fernsehen habe dem Kino insbesondere das Publikum für die seichte Unterhaltung und den „kulturindustriellen“ Filmkonsum streitig gemacht, übriggeblieben sei vielerorts ein kleineres, aber enthusiastisches und kenntnisreiches „Filmpublikum“ mit Hang zur anspruchsvollen „Filmkunst“.79 Filmisch sei „der fromme Glaube an den alleinseligmachenden Realismus zerronnen“: „Die Zuneigung der Kritiker von heute gilt den Filmen, deren Stil und Struktur nicht Gewißheit simuliert, sondern Zweifel stiftet.“80 Das Ehepaar traf diese Feststellungen nicht in der Enttäuschung darüber, dass das ursprüngliche Programm der Filmkritik also womöglich Veränderungen unterworfen werden müsse. Sie beobachteten dies mit Offenheit, Sympathie und Interesse; um sie herum bildete sich ein Kreis an jüngeren Autoren der Zeitschrift, die nun doch stärker auf formale Strukturen der Filme als auf die impliziten oder expliziten Aussagen achten wollten, und für die zudem ein wichtiges Kriterium wurde, ob die Werke auf ihre mediale Konstruktion oder „Gemachtheit“ verwiesen. Offensichtlich ging diese Entwicklung, die sich Mitte bis Ende der 1960er Jahre zu 76 Vgl. Uwe Nettelbeck: Goldfinger (Goldfinger), in: Filmkritik, Nr. 2, 1965, S. 88 f., hier S. 89; Dietrich Kuhlbrodt: James Bond – Liebesgrüße aus Moskau (From Russia With Love), in: Filmkritik, Nr. 5, 1964, S. 254 f., hier S. 255. 77 Vgl. Enno Patalas: Samstagnacht bis Sonntagmorgen (Saturday Night and Sunday Morning), in: Filmkritik, Nr. 4, 1961, S. 198 f., hier S. 199. 78 Frieda Grafe: Vom naiven zum sentimentalischen Film, in: Filmkritik, Nr. 5, 1961, S. 227–231, hier S. 231. 79 Vgl. Enno Patalas: Die Krise des Films – die Chance der Filmkunst, in: Die Neue Rundschau 74 (1963), S. 118–127, hier S. 118–120. 80 Ebd., S. 121.

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einem spaltenden Prinzipienstreit in der Filmkritik auswuchs, auf Einflüsse aus dem jungen französischen Kino und der dortigen Filmpublizistik zurück. Diese filmkritische Akzentverschiebung war, wie auch das Beispiel der Cinema Nuovo zeigen wird, ein internationales, zumindest westeuropäisches Phänomen, das besonders die linke Filmkritik herausforderte. Wenig überraschend sorgten etliche eher kryptische Rezensionen für Irritationen unter den Ideologiekritikern – etwa diejenigen von Helmut Färber, der solcherart formulierte: „Zeichenhaftigkeit – hier dialektische Entsprechung der Immanenz – eignet durchweg dem Film und seinem Geschehen. Sie nimmt ihm das Geschlossene, macht ihn bezogen, verhüllt die Bedeutungen.“81 1966 konstatierte Enno Patalas: „Die nur soziologisch orientierte Filmkritik faßt heute die wichtigen Filme nicht mehr. […] Mit den besten Filmen der Nouvelle Vague vor allem ist die Forderung nach einer ästhetischen Methode für die Filmkritik unabweisbar geworden“, und rief damit eine „Ästhetische Linke“ aus.82 Über diese allmähliche Neuorientierung von Teilen der Kritikergruppe wurde ihre Bindung an den einstigen filmtheoretischen Mentor Siegfried Kracauer loser, Patalas stand aber immerhin weiter in gelegentlichem Briefkontakt mit Theodor W. Adorno. Noch der bewährten ideologiekritischen Methode verhaftet, fand seine und Ulrich Gregors Filmgeschichte allerdings keine Zustimmung bei den kritischen Theoretikern, die sich darüber knapp austauschten. Adorno nannte die Monographie „miserabel“ und hielt es für überflüssig, der ohnehin redundanten „Geschichte der Kulturindustrie“ eine solch umfangreiche Abhandlung zu widmen. „Patalas meint es äußerst gut, ist aber kein sehr starker Denker“,83 schrieb er, was Kracauer, dem schon der Ansatz dieser Filmgeschichte zu umfassend und daher sinnlos erschien, ähnlich formulierte: „Doch Patalas meint es gut in seinen Filmkritiken, nur ist er nicht eben feinnervig.“84 Kracauers eigenes, in langen Jahren abgefasstes Werk zur Theorie des Films erschien in der Bundesrepublik erst 1964. Darin befasste er sich auch mit der gesellschaftlichen Funktion des Mediums und nahm eine realistische Position ein: „Filme sind sich selber treu, wenn sie physische Realität wiedergeben und enthüllen.“85 Er vertrat einen sehr unmittelbaren Realismus, der an den italienischen Neorealismus 81 Helmut Färber: Elektra (Electra), in: Filmkritik, Nr. 4, 1963, S. 192–194, hier S. 194. Im Verhältnis zu anderen Mitarbeitern der Zeitschrift wirkten auch Färbers Texte zu einigen japanischen Filmen esoterisch und rätselhaft, zum Beispiel zu Miyamoto Musashi: „viele seiner Bilder haften nicht an den Ereignissen, die sie zeigen, sie gehen in ihnen nicht auf und fügen dadurch etwas hinzu, was die Ereignisse für den Betrachter verwandelt, eine Art von Bildschönheit, die die Härte des Geschehens nicht mildert, sondern in einer seltsamen Weise sichtbar macht, daß, was da geschieht, nicht das Einzige ist.“ – ders.: Samurai (Miyamoto Musashi), in: Filmkritik, Nr. 8, 1965, S. 458 f., hier S. 459. 82 Enno Patalas: Plädoyer für die Ästhetische Linke. Zum Selbstverständnis der „Filmkritik“ II, in: Filmkritik, Nr. 7, 1966, S. 403–407, hier S. 406. 83 Theodor W. Adorno an Siegfried Kracauer, Frankfurt/Main, 7. 12. 1962, in: ders.: Briefe und Briefwechsel, hg. vom Theodor W. Adorno Archiv, Bd. 7: Theodor W. Adorno. Siegfried Kracauer. Briefwechsel 1923–1966, hg. von Wolfgang Schopf, Frankfurt/Main 2008, S. 567. 84 Siegfried Kracauer an Theodor W. Adorno, New York, 10. 12. 1962, in: Adorno: Briefe und Briefwechsel, Bd. 7, S. 569. 85 Siegfried Kracauer: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit [1960, dt. 1964]. Vom Verfasser revidierte Übersetzung von Friedrich Walter und Ruth Zellschan, hg. von

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etwa von Umberto D. anknüpfen und mit aufklärerischem Impetus versehen sein sollte.86 In der im Umbruch befindlichen Filmkritik verfing dieser Realismus zur Mitte der 1960er Jahre nicht mehr,87 das Buch wurde zumindest in der Zeitschrift zunächst nicht eingehender besprochen.88 Patalas’ Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung89 war schon deutlich von seiner „Ästhetischen Linken“ geprägt und verstimmte Kracauer, der sich bei Adorno beklagte, der Kritiker folge „einfach der heutigen anti-realistischen Mode“.90 5.3 ZWISCHEN „NEOKAPITALISMUS“ UND 1968. DIE KRITIKER IN DER GESELLSCHAFT DER 1960ER JAHRE Gesellschaftskritik erschien in der Cinema Nuovo der 1960er Jahre wie im Jahrzehnt zuvor immer wieder in Nebensätzen oder kleineren Andeutungen, die ein wenig ausdifferenziertes Unbehagen zum Ausdruck brachten, wenn zum Beispiel Lorenzo Pellizzari eine Rezension mit dem Hinweis auf „questo clima di conformismo“ einleitete.91 Während es für die Zeitschrift in der ersten Nachkriegsdekade dabei aber insgesamt mit der sozialen Ungerechtigkeit, der Vernachlässigung Süditaliens und der straffen, konservativen Regierungsführung der DC noch konkretere Angriffspunkte gegeben hatte, machte sich nun – wie in weiteren westeuropäischen Ländern – zusehends das Bewusstsein einer veränderten Zeit und verschobener Konfliktlinien bemerkbar. Guido Aristarco teilte ja die zu dieser Zeit nicht nur in Italien gängige Formel der „alienazione“ des modernen menschlichen Daseins, wollte sich nur nicht so passiv und fatalistisch in diese Diagnose fügen, wie es in seinen Augen zu viele Regisseure taten.92 Im Vokabular Aristarcos und seiner Kritiker wiederholten sich einige vage Schlagwörter in dem Versuch, einer neuen Epoche der Nachkriegszeit Konturen zu verleihen. Der Chefredakteur wollte das ästhetische Instrumentarium Lukács’ auf folgende Phänomene anwenden: „La bomba atomica, il neocapitalismo, la crisi del movimento operaio sono oggi il nuovo contesto storico del quale l’arte e la critica non possono non tener conto.“93 Renzo

86 87 88 89 90 91 92 93

Karsten Witte, Frankfurt/Main 1985, S. 11. Vgl. zu diesem Werk Johannes von Moltke: The Curious Humanist. Siegfried Kracauer in America, Oakland 2016, S. 148–185. Vgl. besonders den Epilog des Werks, Kracauer: Theorie des Films, S. 371–402. Zum Werk auch Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, S. 131–135. Unbelegt bleibt die gegenteilige Feststellung bei Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, S. 131. Vgl. Patalas: Siegfried Kracauer (Filmkritik, Nr. 1, 1967). Vgl. Enno Patalas: Der Philosoph vor der Leinwand. Siegfried Kracauers „Theorie des Films“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. 4. 1965. Siegfried Kracauer an Theodor W. Adorno, New York, 11. 5. 1965, in: Adorno: Briefe und Briefwechsel, Bd. 7, S. 704. Lorenzo Pellizzari: Notte e nebbia (Nuit et brouillard), in: Cinema Nuovo, Nr. 145, Mai/Juni 1960, S. 236 f., hier S. 236. Vgl. Aristarco: Prefazione, S. XI. Guido Aristarco: Il Kaiser non ha di che vestirsi, in: Cinema Nuovo, Nr. 169, Mai/Juni 1964, S. 169–172, hier S. 172.

5.3 Zwischen „Neokapitalismus“ und 1968

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Renzi registrierte „questo nuovo tempo del neocapitalismo e del centro-sinistra, che chiude certamente il dopoguerra e che prepara un mondo ancora inafferrabile“, und kritisierte „questa ‚belle époque‘ del miracolo economico, ancora piú falsa della precedente“.94 Hinter diesen Stichpunkten schimmern einschneidende Veränderungen in der sozialen Topographie Italiens durch. Gerade in Städten wie Mailand lockerte sich der althergebrachte Antagonismus zwischen wohlhabendem Bürgertum und revolutionsaffinem Proletariat und es wuchs, auch vor dem Hintergrund der millionenfachen Migration aus dem Süden, die Schicht der Angestellten aus dem Verwaltungs- oder Dienstleistungssektor. Mit „neocapitalismo“ meinten die Autoren der Cinema Nuovo auch die gesteigerten Konsummöglichkeiten dieser Gruppe, die alte Verteilungskonflikte zumindest auf bescheidenem Niveau ausglich. Die traditionellen Träger der politischen Opposition, die Parteien der alten Arbeiterbewegung, mussten sich umorientieren – ohnehin schon gewandelt durch die Selbstfindungskrise des internationalen Kommunismus seit 1956. Ein Teil dieses politischen Flügels, die italienischen Sozialisten, bewegte sich jetzt ja auf die Mitte des Spektrums zu und bildete die Regierungen des „centro-sinistra“ mit. Diese Entwicklungen mögen Faktoren gewesen sein, die zum diffusen Unbehagen der Kritikergruppe beitrugen. Renzi äußerte jedenfalls ansatzweise Verständnis für die eher resignative tagespolitische Haltung Luchino Viscontis im Gattopardo – denn seien nicht viele ökonomische Ansprüche der Linken mittlerweile erfüllt oder gar übertroffen worden, während ideelle Ziele des liberalen, gleichberechtigten Zusammenlebens ins Hintertreffen geraten waren und somit ihre alten Verfechter in einer philosophischen Sinnkrise zurückblieben?95 Renzi sah den Sozialismus in einer Art „midlife crisis“ gefangen.96 Der Kreis um die Filmkritik hatte bereits in den 1950er Jahren sein Unbehagen in der Gesellschaft des Wirtschaftsaufschwungs formuliert, hatte Enge und Zwänge, Konformismus und Anpassung kritisiert. Das bundesdeutsche und „westliche“ Wirtschaftswachstum setzte sich nach 1960 zunächst kaum gebrochen fort, und so auch das Unbehagen der Filmkritiker. Die gröbsten sozialen Probleme waren beseitigt, für Enno Patalas war nun der „einzige […] Mißstand der Zustand der Gesellschaft“ selbst und das, was sie „dem Individuum antut“.97 Analog zum diffusen Schlagwort der „alienazione“ bei der Cinema Nuovo kursierte in der Filmkritik als Diagnose der modernen Zeit der Entfremdungsbegriff,98 er klang eben94 95 96

97 98

Zitate aus Renzo Renzi: La „mezza età“ del socialismo?, in: Cinema Nuovo, Nr. 162, März/ April 1963, S. 112–115, hier S. 114; ders.: Luchino Visconti morte o resurrezione?, in: Cinema Nuovo, Nr. 167, Januar/Februar 1964, S. 17–30, hier S. 29. Vgl. Renzi: Luchino Visconti (Cinema Nuovo, Nr. 167, 1964), besonders S. 26 f. und 29. Vgl. Renzi: La mezza età (Cinema Nuovo, Nr. 162, 1963), S. 115; dazu auch noch ders.: Condizione della vita socialismo e tragedia, in: Cinema Nuovo, Nr. 166, November/Dezember 1963, S. 436–439. Zum italienischen Kommunismus in dieser Phase vgl. zum Beispiel Gundle: Between Hollywood and Moscow, S. 114–118. Patalas: Dialog mit der Geschichte (Filmkritik, Nr. 2, 1961), S. 71. Vgl. Ulrich Gregor: Michelangelo Antonioni, in: Filmkritik, Nr. 2, 1961, S. 83–87, hier S. 83; Wilfried Berghahn: Ciro und seine Brüder, in: Filmkritik, Nr. 7, 1961, S. 363–365, hier S. 365;

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falls sehr deutlich in Wilfried Berghahns Schlageraufsatz an.99 Hans Stempel und Martin Ripkens schrieben in mehreren Texten von „Stagnation“ und bürgerlicher Unzufriedenheit trotz materieller Sorgenfreiheit.100 Für eine Filmzeitschrift sehr auffällig brachte Theodor Kotulla die transnational ausgerichtete Enttäuschung der Gruppe über die Abkehr von kollektiven Utopien auf den Punkt: Auf die unmittelbaren Nachkriegsjahre, in denen in Westeuropa, aber nicht nur hier, der freie Sozialismus seine großen Möglichkeiten hatte, folgte die schrittweise Restauration alter bürgerlicher Kräfte mit der Tendenz zur Einparteienstaat-Demokratie, in der dem Einzelnen immer weniger Mitverantwortung verbleibt und er sich, ‚entlohnt‘ durch steigenden Wohlstand, auf sich selbst zurückzieht.101

Er und seine Kollegen nahmen den „Neokapitalismus“, den ihre italienischen Pendants zur Mitte der 1960er Jahre ausmachten, in dieser Zeit nicht in den Mund, aber setzten sich in vergleichbarer Weise mit den gesteigerten Konsummöglichkeiten der meisten Bevölkerungsteile auseinander. Uwe Nettelbeck sah in den früheren Arbeiterschichten mittlerweile eher entpolitisierte Kleinbürger „mit dem Spatzen in der Hand“, selbst die Gewerkschaften zielten nur noch auf Nuancen der Kaufkraftsteigerung und hätten die „Taube auf dem Dach vergessen“: „Der kapitalistische Apparat hat sich verfeinert, die Fronten sind abstrakter geworden.“102 Kotulla zufolge präsentierte sich die Ungerechtigkeit des Kapitalismus nur in anderer Form: Das heißt: die bürgerliche Gesellschaft war eine Klassengesellschaft und die heutige – bleiben wir in unserem Gesichtskreis – in Westeuropa ist es ebenfalls. Natürlich ist an der Oberfläche einiges anders geworden: der Proletarier hungert heute nicht mehr; er fährt vielleicht sogar mit einem Auto zur Arbeitsstelle; er hat das Bewußtsein, Ausgebeuteter zu sein, weitgehend eingebüßt (und damit freilich nur eine falsche Sicht seiner Situation entwickelt); aber er ist heute – und das ist der entscheidende Punkt – genauso besitzlos wie in der ‚bürgerlichen Gesellschaft‘. Die ungleiche Verteilung des Besitzes hat sich gerade ‚seit dem letzten Krieg‘ noch verschlimmert.103

Den Redakteuren der Cinema Nuovo gelangen ähnlich griffige Stellungnahmen, wenn sie die italienische Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit konfrontierten. Am Beispiel Roberto Rossellinis ist bereits angedeutet worden, wie penibel die Kritiker auf die filmische Auslegung der italienischen Geschichte achteten. Die vergangenheitspolitische Polemik der Gruppe kreiste um das Risorgimento, das nicht nur als ein von oben gesteuertes Werk weniger Heldenfiguren dargestellt werden sollte,104 besonders aber weiter um die faschistische Zeit und dabei gerade den antifaschistischen Widerstand. Rossellini traf dabei nicht nur mit Era notte a Roma den falschen Martin Ripkens / Hans Stempel: Rien ne va plus, in: Filmkritik, Nr. 12, 1961, S. 563–567, hier S. 567. 99 Vgl. Berghahn: In der Fremde (Frankfurter Hefte, Nr. 3, 1962), S. 196. 100 Vgl. Ripkens/Stempel: Rien ne va plus (Filmkritik, Nr. 12, 1961); dies.: Ingmar Bergman, in: Filmkritik, Nr. 9, 1962, S. 400–406, hier S. 400. 101 Theodor Kotulla: Der Rückzug aufs Individuum, in: Filmkritik, Nr. 1, 1961, S. 6–10, hier S. 8. 102 Uwe Nettelbeck: Die Peitsche im Genick (I Compagni), in: Filmkritik, Nr. 12, 1964, S. 644 f., hier S. 644. 103 Diskussion, in: Filmkritik, Nr. 11, 1965, S. 641 f., hier S. 642. 104 Vgl. Guido Aristarco: Risorgimento senza film, in: Cinema Nuovo, Nr. 151, Mai/Juni 1961, S. 203–205, hier S. 205.

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Ton. Vito Pandolfi empörte sich auch angesichts von Il generale Della Rovere über die christdemokratisch-versöhnliche Darstellung der Resistenza, die ihn als früheren Partisanen persönlich vor den Kopf stieß.105 Die Kritiker wollten die Resistenza weiterhin nicht reduziert auf die letzten Kriegsjahre verstanden wissen, sondern sie als kritische Grundhaltung auch in die italienische Republik tragen. Widerstand leisten significa ‚dire di no‘, no al conformismo, no alla violenza, no all’oppressione e alla dittattura di classe, resistere significa ‚non mollare‘ e tener fede alla verità e alla propria dignità di uomini. D’altra parte […] si potrebbe chiedere […] che cosa è davvero il fascismo, e se, comunque, esso è davvero morto il 25 aprile 1945.106

Hier tauchte wieder die Frage nach dem Fortbestehen faschistischer Tendenzen in der italienischen Gegenwart auf. Anlass zu diesen Überlegungen waren etwa die „fatti di Genova“, wo im Sommer 1960 die Proteste gegen Tambronis Versuch einer Rechtsregierung besonders stark gewesen und besonders gewaltsam beantwortet worden waren. Aristarco knüpfte wie in den Hochphasen der Polemik gegen die DCPolitik in den 1950er Jahren eine Verbindung zwischen aktuellen Ereignissen, dem Erbe der Resistenza und dem realistischen Kino: „Anche il nostro cinema migliore, strettamente legato come i fatti di Genova ai valori emersi con la Resistenza […] è stato ed è tuttora, per ‚motivi di ordine pubblico‘, avversato e contrastato.“107 Eindrücklich war zudem die vom Tagesgeschehen provozierte Evokation der faschistischen und nationalsozialistischen Vergangenheit durch den Juristen und Widerstandsveteranen Domenico Riccardo Peretti Griva als Gastautor der Cinema Nuovo. Der christdemokratische Bürgermeister Roms hatte mit dem Hinweis auf die befriedete öffentliche Stimmung Gedenkfeiern zur Resistenza als unnötig erachtet. Da nun bereits wieder Hakenkreuzschmierereien in Deutschland und auch in Italien aufgetaucht seien, fragte der Autor, ob der Politiker dies unter „pacificazione, ormai conclusa“ verstehe und schilderte zur Mahnung seine beklemmenden Eindrücke als Mitglied einer internationalen Besucherdelegation in Auschwitz.108 Die Annäherung zwischen Sozialisten und Christdemokraten brachte in Italien einen erinnerungskulturellen Umbruch mit sich. Nach der jahrelang getrennten, kontroversen Erinnerung an Kriegsende und Widerstand hielten mit dem „centrosinistra“ die „antifaschistische Einheitsrhetorik“ und eine „vergleichsweise konfliktarme und selbstzufriedene Festkultur“ Einzug. Die gemeinsamen Errungenschaften der verschiedenen Bestandteile dieser „Resistenza tricolore“ wurden betont und die deutlich weiterreichenden sozialpolitischen Ambitionen der vormaligen „Resistenza rossa“ gerieten endgültig in den Hintergrund.109 Diesen sah sich ja die Gruppe um die Cinema Nuovo weiter verpflichtet und dass für sie das Attribut „centro105 Vgl. Vito Pandolfi: La difesa dei privilegi, in: Cinema Nuovo, Nr. 142, November/Dezember 1959, S. 486 f., hier S. 486. 106 Franco Valobra: Film e resistenza, in: Cinema Nuovo, Nr. 141, September/Oktober 1959, S. 465. 107 Guido Aristarco: Da Polverelli all’on. Tupini, in: Cinema Nuovo, Nr. 146, Juli/August 1960, S. 326. 108 Vgl. Domenico Riccardo Peretti Griva: Il ritorno delle svastiche, in: Cinema Nuovo, Nr. 142, Januar/Februar 1960, S. 7–9. 109 Vgl., auch für die Zitate, Brandt: Memoria, Politica, Polemica, S. 244 f.

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sinistra“ eher einer Schmähung gleichkam,110 lag auch in dieser geschichtspolitischen Schwerpunktverlagerung begründet. So bilanzierte sie in ihrem ernüchterten Editorial von 1966 die Krise der Arbeiterbewegung auch mit der Kompromissbereitschaft der Sozialisten, nicht nur in erinnerungskultureller Hinsicht: la prosecuzione del ‚dialogo‘ con una cultura ufficiale e accademica, genericamente democratica e antifascista, ma in realtà legata in modo organico, per storia e vocazione, agli interessi e ai programmi della classe dominante: una cultura il cui approdo piú ‚avanzato‘ è una posizione retorico-celebrativa o nostalgico-idilliaca nei confronti di una Resistenza svuotata delle sue implicazioni problematiche e, piú o meno consapevolmente, strumentalizzata per eluderne il discorso nell’oggi.111

Aristarco und Kollegen sahen in der Mitte-Links-Regierung der 1960er Jahre keine demokratische Errungenschaft, sondern nur die Persistenz der seit ehedem herrschenden sozialen Gruppen an der Macht, sie verwahrten sich daher auch gegen deren „einbalsamierte“ Variante der Resistenza.112 An dieser Stelle ergibt sich eine wesentliche Verbindung zu den zumeist studentisch geprägten, jungen Gesellschaftskritikern und Nonkonformisten, die auch in Italien seit der ersten Hälfte des Jahrzehnts vernehmlicher wurden und deren „Neue Linke“ um 1968 herum öffentlichkeitswirksam auftrumpfte. Die Beschwörung einer „Resistenza incompiuta“ gehörte ebenfalls zu ihren gängigen Argumentationsmustern.113 Wenngleich der Kreis der Cinema Nuovo, auch aus Altersgründen, kein zentraler Akteur in den Studentenprotesten dieser Jahre war, gab es nicht nur in dieser Hinsicht starke Überschneidungen – gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem und die christdemokratische Dominanz schrieb er schon lange Zeit an, die Position der Filmpublizisten bewegte sich zwischen der Rolle der Vorreiter und der Sympathisanten der 1968er. In jedem Fall teilten sie, wie Aristarcos marxistische Publikation von 1965 in einigen Passagen deutlich unterstrich, die revolutionäre Sehnsucht nach fundamentaler gesellschaftlicher Veränderung: „wir wollen nicht noch einmal und endgültig die ‚Revolution‘ verpassen, um dann für immer die Vernunft zu verachten.“114 In der Hochphase der Protestbewegung in Italien, zwischen 1967 und 1969, machte sich die Cinema Nuovo deren verschiedene Themen und Anliegen regelmäßig zu eigen. Wie an etlichen italienischen Schulen und Universitäten eskalierten an der römischen Filmhochschule die Proteste gegen erstarrte Strukturen und Lehrformen in Demonstrationen, Streiks und Besetzungen. Die Kritiker solidarisierten sich mit einem Telegramm an den zuständigen Minister und publizierten Berichte der opponierenden Studenten.115 Sie zeigten sich zudem fasziniert von der Verknüp110 Vgl. Lorenzo Pellizzari: Le forbici apoetiche, in: Cinema Nuovo, Nr. 157, Mai/Juni 1962, S. 184 f., hier S. 185. 111 Resa al labirinto (Cinema Nuovo, Nr. 182, 1966), S. 251. 112 Vgl. ebd., S. 249. 113 Vgl. Luisa Passerini: Autobiography of a Generation. Italy, 1968, Hanover 1996; Stuart Hilwig: „Are you calling me a fascist?“ A Contribution to the Oral History of the 1968 Italian Student Rebellion, in: Journal of Contemporary History 36 (2001), S. 581–597. 114 Aristarco: Marx, S. 87. 115 Vgl. Lotta contro il sistema al Centro sperimentale, in: Cinema Nuovo, Nr. 192, März/April 1968, S. 92–95.

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fung der westeuropäischen Proteste mit den zahlreichen revolutionären und antikolonialistischen Konflikten in der „Dritten Welt“ dieser Jahre – so beispielsweise in einem Gruß an den ermordeten Che Guevara oder anhand von Loin du Vietnam, einem Filmpamphlet französischer Regisseure gegen die Kriegsführung der USA, das darüber hinaus eine Verbindung zu den Aufständen der Afroamerikaner herstellte.116 Verglichen mit den französischen Filmaktivisten fehle in Italien ein elaboriertes „cinema politico rivoluzionario“; als Ausnahme unterstützte die Cinema Nuovo die Arbeit der Brüder Taviani und Valentino Orsinis.117 Orsini hatte sich für Dreharbeiten zwischenzeitlich unter Befreiungskämpfer in Guinea-Bissau gemischt und kehrte nun, befreit von der „visione eurocentrica“, mit einem justierten Verständnis des westlichen Bürgers zurück, das er in der Cinema Nuovo erläuterte: Oggi invece subisce un continuo processo di declassamento e si trova ridotto a oggetto che consuma gli oggetti che produce. A questo punto direi che fra la condizione dell’uomo europeo e quello dei paesi sottosviluppati, pur tenendo conto delle diversità storiche, non esiste una sostanziale differenza.118

Zumindest rhetorisch platzierte sich die Kritikergruppe um Guido Aristarco abseits aller etablierten Strukturen und Kompromissbereitschaft innerhalb des italienischen Filmwesens. Anschaulich zeigt dies zum Abschluss das venezianische Filmfestival des Jahres 1968. Seit fünf Jahren leitete der Sozialist – und langjährige Autor der Cinema Nuovo – Luigi Chiarini das Festival. Durch Standfestigkeit gegenüber vielen Einmischungsversuchen aus Politik und Filmwirtschaft war es ihm über die Jahre gelungen, die Reputation der Mostra aufzufrischen und viele bedeutende Werke und Filmemacher anzulocken.119 1968 geriet aber das Grundprinzip des Festivals als Wettbewerb und Handelsplatz mit einer vorgegebenen Jury und Regularien, die noch aus der faschistischen Zeit herrührten, in den Strudel des nonkonformistischen Aufbegehrens. Kritische Filmschaffende um Pier Paolo Pasolini und Cesare Zavattini forderten, unterstützt von studentischen Demonstranten, das Festival in die Hände der Filmautoren selbst zu legen und vom Industrieeinfluss zu befreien. Chiarini wollte diesen Kritikern ursprünglich ein Forum einräumen, optierte unter dem Druck der lokalen Politik und Tourismusbranche aber schließlich für die ordnungsgemäße Durchführung des Festivals. Auf chaotische Versammlungen, Protestzüge und Blockaden folgte dadurch heftige polizeiliche Repression. Die Mostra wurde immer wieder von Gewalt überschattet, denn auch Anwohner und neofaschistische Schläger gingen rigoros gegen die linksgerichteten Störer vor und selbst Filmschaffende blieben dabei nicht 116 Vgl. Esemplarità di Guevara, in: Cinema Nuovo, Nr. 189, September/Oktober 1967, S. 331; Adelio Ferrero: Necessità di creare un Vietnam in noi stessi, in: Cinema Nuovo, Nr. 193, Mai/ Juni 1968, S. 170–173. 117 Vgl. La rivoluzione e i manichei di ritorno, in: Cinema Nuovo, Nr. 191, Januar/Februar 1968, S. 6 f., hier S. 7. Zur Verbindung von 1968 und Kino in Italien vgl. Giovanni Spagnoletti: C’è ma non si vede: il Sessantotto nel cinema italiano, in: Canova (Hg.): Storia, S. 366–376; ders.: 1968 und das italienische Kino, in: Koebner/Schenk (Hg.): Das goldene Zeitalter, S. 494–504. 118 Valentino Orsini: Ipotesi ideologica aperta nell’esplosione della bomba H, in: Cinema Nuovo, Nr. 189, September/Oktober 1967, S. 328–331, hier S. 328 f. 119 Vgl. Brunetta: Storia, Bd. 4, S. 44–46.

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unversehrt. Es war die letzte Ausgabe unter der Leitung Chiarinis, der isoliert zurückblieb.120 Die Vertreter der Cinema Nuovo hatten die von Polizisten gesicherten Vorführungen von vornherein boykottiert, nur an den lebhaften Diskussionen teilgenommen und bald das Festival geschlossen mit einer Protestnote verlassen.121 In einem bitteren offenen Brief brach Guido Aristarco für die Gruppe mit Chiarini. Dieser habe den sozialen Wandel und die veränderte Stimmung in der Gesellschaft verpasst und sich im Konflikt um das Festival nicht klar genug positioniert – wie Lukács lehre, sei die Vorstellung vom unabhängigen Intellektuellen nur eine fatale Illusion. Die Kritiker lasteten ihrem früheren Mitarbeiter insbesondere den Polizeieinsatz an: „E tu hai fatto intervenire la polizia. Hai opposto la forza agli argomenti e alle idee. Non ha dunque del tutto torto Pasolini quando ti qualifica ‚funzionario borbonico‘.“122 Neben der zitierten Fundamentalkritik an den westlichen Gesellschaften im „Wirtschaftswunder“ ertönten aus den Reihen der Filmkritik weitere Vorwürfe, die ein wenig spezifischer auf die bundesdeutsche Gegenwart der 1960er Jahre bezogen waren, und die – parallel zum italienischen Fallbeispiel – zur Interpretation dieser Kritikergruppe als einer der nonkonformistischen Wegbereiter der Protestbewegungen vor und um 1968 führen. Viele der folgenden Aspekte verbanden jedenfalls die Filmkritiker und die 1968er miteinander. Ein wichtiger Punkt der innerdeutschen Polemik blieb für die Filmkritik die Aufarbeitung von Krieg und Nationalsozialismus in der Bundesrepublik, im Film selbst und in Politik, Öffentlichkeit und privatem Raum. Reinold E. Thiel rekapitulierte noch einmal „Acht Typen des Kriegsfilms“, darunter die bekannten Vorwürfe des Heldenkults und der Apologie des Militärs in westdeutschen oder angelsächsischen Filmen.123 Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit kam in Westdeutschland ab etwa 1960 in kleinen Schritten voran: Zwar lebten und arbeiteten zahlreiche hochrangige Verantwortliche immer noch unbehelligt weiter und Entschädigungszahlungen blieben ein heikles Thema, doch erreichten immerhin erste Prozesse gegen Mittäter des Judenmords und andere Kriegsverbrecher breitere Resonanz und gelang es gerade dem Fernsehen gelegentlich, mit Dokumentationen zu Krieg und Nationalsozialismus aufzuwühlen

120 Vgl. ebd., S. 46 f.; aus zeitlicher Nähe bieten einen Eindruck von den turbulenten Ereignissen Flavia Paulon: La Dogaressa contestata. La favolosa storia della Mostra di Venezia: dalle regine alla contestazione, Venedig 1971, S. 122–128; die Auszüge aus Presseberichten in Canova (Hg.): Storia, S. 598–604; auch Ans Mutterherz, in: Der Spiegel, Nr. 37, 9. 9. 1968, S. 160 f. 121 Erklärung vom 31. 8. 1968: „A questo punto la rivista, che fin dal primo giorno si era astenuta dalle proiezioni, […] e che era presente solo nella misura in cui sembravano possibili determinate forme di effettivo colloquio critico, venute a mancare queste, ancora una volta in seguito ad imposizioni e divieti autoritari, decide di abbandonare la Mostra.“ – abgedruckt in Cinema Nuovo, Nr. 195, September/Oktober 1968, S. 330. 122 Guido Aristarco: Amicizie pericolose e antagonisti scomodi, in: Cinema Nuovo, Nr. 195, September/Oktober 1968, S. 328–331, hier S. 330. Zu diesem Konflikt vgl. auch Lorenzo Pellizzari: La critica: mediazioni, variazioni e lacerazioni sul campo, in: Canova (Hg.): Storia, S. 471–488, hier S. 479. 123 Vgl. Reinold E. Thiel: Acht Typen des Kriegsfilms, in: Filmkritik, Nr. 11, 1961, S. 514–519.

5.3 Zwischen „Neokapitalismus“ und 1968

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und Aufarbeitung voranzutreiben.124 Die Autoren der Filmkritik zählten zu den kritischen Stimmen gegen Vergessen und Verschweigen, derer es weiter bedurfte. Ihre Analysen kreisten um Kontinuitäten und Parallelen in der deutschen Geschichte seit dem Kaiserreich. Seien es „autoritäre Muster“, die sich problemlos in NS- wie in BRD-Filmen nachweisen ließen, oder die Fortdauer der „autoritären Persönlichkeit“ Adornos, die sich, wie Thiel meinte, nur hinter demokratischen Praktiken verberge.125 Dietrich Kuhlbrodt sah den wunden Punkt der deutschen Demokratiegeschichte im traditionellen Gehorsamsprinzip: „Die Nazis brauchten nichts anderes zu tun, als auf ihre Ideologie die formalistische preußische Pflichtethik aufzupfropfen.“ Die „bonner Demokratie“ empfand er als noch zu instabil, um gegen die Rückkehr der missbrauchsanfälligen „Pflichtethik“ gefeit zu sein.126 Der Filmkritik-Kreis wollte der vermuteten, potenziellen Gefährdung der republikanischen Nachkriegsordnung nicht tatenlos zusehen. Enno Patalas regte an, Filme aus nationalsozialistischer Produktion zu abschreckenden Lehrprogrammen zusammenzustellen, wenn schon die Freiwillige Selbstkontrolle bei ihrer Aufgabe versage, diese einschlägigen Dokumente aus dem Verkehr zu ziehen.127 Sein Kollege Kuhlbrodt attackierte massiv einen Publizisten der Welt, der sich anhand einer Dokumentation über Adolf Hitler über die Darstellung von dessen Verbindungen zur Großindustrie beschwert und auf der Vergleichbarkeit von NS und DDR insistiert hatte: wie er schreibt und was er schreibt, hätte er auch vor 30 Jahren schreiben können […]. Verhängnisvoll baut sich hier eine Situation auf, die einst einen Hitler zu erzeugen half. Der Film ‚Das Leben von Adolf Hitler‘ dient dazu, diesen fatalen Trend rechtzeitig zu erkennen. Wir sind nicht der Meinung, daß Walter Görlitz – er sah diesen Film – sich in Zukunft damit herausreden kann, er habe deswegen die historische Unwahrheit gesagt, da auch ‚die Anderen‘ verderbliche Einflüsse gehabt hätten.128

Der Jurist Kuhlbrodt, in diesen Jahren Teilnehmer an Demonstrationen gegen die atomare Rüstung, zog aus seinen Beobachtungen und Befürchtungen auch berufliche Konsequenzen und arbeitete später lange Zeit als Staatsanwalt in Hamburg und insbesondere in Ludwigsburg an der Verfolgung von NS-Verbrechen.129 124 Zu diesen erinnerungskulturellen Entwicklungen in der Bundesrepublik vgl. zum Beispiel Schildt/Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte, S. 208–211; Philipp Gassert / Alan E. Steinweis: Introduction, in: dies. (Hg.): Coping with the Nazi past. West German Debates on Nazism and Generational Conflict, 1955–1975, New York/Oxford 2006, S. 1–10; Konrad H. Jarausch: Critical Memory and Civil Society. The Impact of the 1960s on German Debates about the Past, in: ebd., S. 11–30; Habbo Knoch: The Return of the Images. Photographs of Nazi Crimes and the West German Public in the „Long 1960s“, in: ebd., S. 31–49. Zur Rolle von Film und Fernsehen dabei Kramer: Wiederkehr und Verwandlung, S. 293 f. 125 Vgl. Helmut Regel: Autoritäre Muster, in: Filmkritik, Nr. 11, 1966, S. 643–653, beispielsweise S. 653; Reinold E. Thiel: Herrenpartie, in: Filmkritik, Nr. 4, 1964, S. 189 f., hier S. 190. 126 Zitate aus Dietrich Kuhlbrodt: Der alte und der junge König, in: Filmkritik, Nr. 2, 1961, S. 110– 113, hier S. 113. 127 Vgl. Enno Patalas: Zeigt Nazifilme!, in: Filmkritik, Nr. 9, 1963, S. 401. 128 Dietrich Kuhlbrodt: Das Leben von Adolf Hitler, in: Filmkritik, Nr. 10, 1961, S. 486 f., hier S. 487. 129 Vgl. Dietrich Kuhlbrodt: DEFA-Film in Oberhausen – Rückblick auf fünfzig Jahre, in: apropos: Film 2005. Das 6. Jahrbuch der DEFA-Stiftung. Redaktion: Ralf Schenk / Erika Richter /

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An direkten tagespolitischen Initiativen in Westdeutschland beteiligte sich die Zeitschrift selten – hier sei lediglich auf Gerhard Schoenberner verwiesen, der in den 1960er Jahren zwar nicht mehr oft für die Filmkritik schrieb, aber gerade mit ihren Berliner Mitstreitern noch eng verbunden war. Er wirkte an einer Publikation mit, in der Martin Walser 1961 im Wahlkampf der ausklingenden Ära Adenauer kritische Schriftsteller wie Günter Grass, Hans Werner Richter oder Siegfried Lenz versammelte. Es ging um Die Alternative zur Regierung der CDU und eine kaum verhohlene Aufforderung zur Wahl der SPD. Schoenberner sinnierte darin über die „Zerstörung der Demokratie“. Statt dem Antisemitismus diene mittlerweile der Antikommunismus als Vehikel für undemokratische, repressive Maßnahmen. Seine Sichtweise klang düster und im Nachhinein offensichtlich zu pessimistisch: In anderen Ländern plädiert man für die Praxis der Regierungsablösung, um die Demokratie in Fluß zu halten und die Opposition nicht zu radikalisieren. Die Bundesrepublik braucht eine neue Regierung, weil es sonst in wenigen Jahren keine Opposition mehr geben wird und die Demokratie aus innerer Lebensschwäche zu bestehen aufhört.130

Die Autoren der Filmkritik transportierten ihr Unbehagen in der Bundesrepublik durch das Hadern mit dem verbreiteten Dogma der apolitischen Kunst ohne „Tendenz“ oder kritisierten die Darstellung der deutschen Teilung, in der der Mauerbau als „Naturkatastrophe“ gedeutet werde und eine differenzierte Auseinandersetzung in beiden Staaten durch „Klischees und Tabus vernagelt“ sei.131 Zudem begegneten die Kritiker den weiterhin eher prüden Moralvorstellungen der deutschen Gesellschaft amüsiert, aber auch polemisch. Mitte des Jahrzehnts erregten einige freizügige „Schwedenfilme“ öffentlichen Anstoß, zum Beispiel wurde Tystnaden von Ingmar Bergman mit damals ungewohnt expliziten Liebes- und Masturbationsszenen zum Skandal. Die konservative Presse griff diese Passagen an, Gegenbewegungen wie die „Aktion Saubere Leinwand“ formierten sich.132 Für die Filmkritik las Rainer Heynig den Aufruhr so – wenngleich Tystnaden etwas überraschend ohne jede Schnittauflage in den Kinos laufen durfte: Im Wertkonflikt um Das Schweigen blieb gegenüber der liberalen Moralauffassung einer Minderheit das vorherrschende antiquierte Moralsystem der Mittelschichten Sieger. Zwar gelang es diesem Moralsystem nicht, die Aufführung des Bergman-Films zu unterdrücken oder Schnittauflagen durchzusetzen, aber mit Hilfe der ideologisch gleichgerichteten Feuilletonkritik der Tagespresse das Filmpublikum so zu beeinflussen, daß der Film mit Langeweile oder Verwirrung, mit Empörung oder schlechtem Gewissen gesehen wurde.133 Claus Löser, Berlin 2005, S. 106–118, hier S. 106 und 108; dazu ebenso etliche Passagen in ders.: Das Kuhlbrodtbuch. 130 Gerhard Schoenberner: Zerstörung der Demokratie, in: Martin Walser (Hg.): Die Alternative oder brauchen wir eine neue Regierung?, Reinbek 1961, S. 137–145, hier S. 145. Vgl. dazu auch von Hodenberg: Konsens und Krise, S. 276. 131 Zitate aus Günter Rohrbach: Stadt ohne Mitleid, in: Filmkritik, Nr. 5, 1961, S. 250 f., hier S. 251; Reinold E. Thiel: Geliebte Genossin, in: Filmkritik, Nr. 3, 1962, S. 139 f., hier S. 140; Ulrich Gregor: Frage 7 (Question 7), in: Filmkritik, Nr. 9, 1961, S. 459 f., hier S. 460. 132 Vgl. Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 129–142. 133 Rainer Heynig: Bergmans „Schweigen“ und unsere Tabus, in: Filmkritik, Nr. 2, 1965, S. 99– 102, hier S. 102; ähnlich Heinz Ungureit: Saubere Bürgeraktionen, in: Filmkritik, Nr. 5, 1965, S. 249.

5.3 Zwischen „Neokapitalismus“ und 1968

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Im Hinblick auf das gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik der 1960er Jahre und mit den darin entstandenen Protestbewegungen im Hinterkopf lohnt sich noch einmal ein Blick auf die Texte, die Hans Stempel und Martin Ripkens für die Filmzeitschrift verfassten. Veranschaulicht mit Filmbeispielen diagnostizierten sie Enge und Ängste im Leben der gesetzten Bürger.134 Ripkens störte gerade der Konformismus der Jugend, er trauerte anscheinend der ungestümen Auflehnung, die in den 1950er Jahren mit den „Halbstarken“ assoziiert wurde, hinterher: „Der Alltag der jungen Leute kennt keine Revolten, keine Ekstasen mehr, den Beatles und anderen gemanagten Sensationen zum Trotz.“135 Gesellschaftliche Zwänge machte das Autorenduo auch an der Rolle der Frau und dem Frauenbild aktueller Filme fest: Trotz theoretischer, etwa gesetzlich vielfach schon hergestellter Gleichberechtigung behandelten viele Männer Frauen weiter als „sexuelle Gattung“ oder als „Attribut“ ohne Mitspracherecht in der Partnerschaft und im öffentlichen Leben – mit dieser Ungleichbehandlung hatten sich ihre Kollegen in der Filmkritik bereits in den Jahren zuvor auseinandergesetzt.136 Stempel und Ripkens waren aber noch empfindsamer für gesellschaftliche Rollenzuschreibungen und die Probleme sexueller Selbstbestimmung. Als homosexuelles Paar, das seine Beziehung nicht durchgehend verheimlichte, hatten sie bittere Marginalisierungserfahrungen im Berufsleben oder bei der Wohnungssuche sammeln müssen.137 Da die hochschulpolitischen Anliegen und auch die geopolitischen Kampagnen der studentischen Protestbewegung für die Filmkritik kaum eine Rolle spielten, war es wesentlich die hier wiedergegebene Kritik an der Unfreiheit der Lebensstile, die die Filmjournalisten als Vorreiter und Gleichgesinnte mit den jüngeren Aktivisten verband. Retrospektiv zog Dietrich Kuhlbrodt eine Verbindungslinie vom kritischen Cineastenmilieu, das sich um das Festival in Oberhausen versammelte, zur Studentenbewegung138 und Günter Rohrbach unterstrich die Wichtigkeit dieses Protests und der Liberalisierungstendenzen: Genauso wie ich es immer wieder ignorant finde, wenn heute gegen die ‚68er‘ geschimpft wird. Das war ein irrsinnig wichtiger Impuls in der Gesellschaft, auch wenn es danach Entwicklungen gegeben hat, die man im Nachhinein kritisch sehen musste. Aber was da aufgebrochen ist, darüber macht man sich heute gar keine Vorstellung mehr.139

Ulrich Gregor erinnerte sich daran, dass er im Rahmen von Filmvorführungen, die er mit Westberliner Mitstreitern organisierte, neben anderen auf Rudi Dutschke traf und ordnete sich selbst als Sympathisanten ein.140 Im Jahr 1968 selbst gerieten die 134 Vgl. Martin Ripkens / Hans Stempel: Die Eingeschlossenen. Zur Topographie des Bürgers, in: Filmkritik, Nr. 2, 1964, S. 60–66. 135 Martin Ripkens: Die Zeit der Anpassung oder Die Erben James Deans, in: Filmkritik, Nr. 7, 1964, S. 340–343, hier S. 341. 136 Vgl. Martin Ripkens / Hans Stempel: Immer Ärger mit Eva, in: Filmkritik, Nr. 11, 1962, S. 492–497, hier S. 494 und 496; Die liebe Familie (Filmkritik, Nr. 4, 1957); Enno Patalas: Die Liebe gehört mir (La Garçonne), in: Filmkritik, Nr. 7, 1958, S. 155. 137 Vgl. Ripkens/Stempel: Das Glück ist kein Haustier, S. 20 f. und 103–106. 138 Vgl. Kuhlbrodt: DEFA-Film in Oberhausen, S. 107. 139 Eue/Gass: Auf diesem Niveau, S. 275. 140 Aus dem Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor.

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als „bürgerlich“ oder „kommerziell“ angefeindeten internationalen Filmfestivals nicht nur im Falle Venedigs in den Fokus der außerparlamentarischen Oppositionen und da die westdeutsche Kritikergruppe diese Vorwürfe größtenteils ohnehin schon lange formulierte, ergab sich ein weiterer Anknüpfungspunkt. Frieda Grafe berichtete etwa in einem Brief vom Festival in Cannes, das in diesem Jahr genau in die Phase der heftigsten Pariser Straßenkämpfe fiel: „In Cannes haben wir richtig Revolution gemacht. […] Und unter Godards Schlachtruf: das Kino denen, die es machen! wurde der große Saal besetzt.“141 Enno Patalas sympathisierte mit den protestierenden französischen Filmschaffenden, die Gesellschaftskritik und filmpolitische Streitfragen fusionierten und schließlich den Abbruch des Festivals erzwangen, und er kritisierte den „Polizei- und Pöbelterror“ sowie Chiarinis autoritäre Vorgehensweise, die das venezianische Pendant geprägt und letztlich verdorben hätten.142 Das Beispiel der Berlinale von 1968 zeigt aber, wie unübersichtlich die Konfliktlinien bisweilen verliefen. Die Mitarbeiter der Filmkritik hatten sich mittlerweile als kenntnisreiche Publizisten in der bundesdeutschen Filmkultur etablieren können, wenn auch eindeutig an ihrem linken Rand positioniert. Damit gerieten sie aber genauso wie die innovativen „Oberhausener“ Regisseure in den Verdacht des „Establishments“ durch die noch jüngeren, radikaleren Vertreter der Protestbewegung, etwa an der Berliner Filmhochschule.143 Beim Festival flogen Eier, die auch Enno Patalas und den Filmemacher Alexander Kluge trafen – als „linke Reaktionäre“ treffen sollten.144 Das kritische, linksgerichtete Milieu war also gespalten – ein typischer Kontrast dieser Jahre, in denen die schon längere Zeit opponierenden Intellektuellen durchaus Schwierigkeiten mit den radikaleren Ansichten und Protestformen der neuen Generation an Nonkonformisten hatten.145 In Ulrich Gre141 Frieda Grafe an Josef von Sternberg, München, 28. 5. 1968, Deutsche Kinemathek, Berlin, Enno Patalas-Archiv, 4.3–09/01 Patalas. 142 Vgl. Enno Patalas: Ein Ende ohne Schrecken, in: Filmkritik, Nr. 7, 1968, S. 476 f.; ders.: Tod in Venedig, in: Filmkritik, Nr. 10, 1968, S. 672 f. Zu Cannes 1968 und den Konsequenzen vgl. Loredana Latil: Le Festival de Cannes sur la scène internationale, Paris 2005, S. 224–244. 143 Vgl. Thomas Brandlmeier: Filmtheorie und Kinokultur. Zeitgeschichte und filmtheoretische Debatten, in: Werner Petermann / Ralph Thomas (Hg.): Kino-Fronten. 20 Jahre ’68 und das Kino, München 1988, S. 50–74. 144 Vgl. Schenk: Ein gelernter Berliner, S. 36; Wolfgang Jacobsen: Berlinale. Internationale Filmfestspiele Berlin, Berlin 1990, S. 155. Zeitgenössisch dazu: Feier mit Leiche, in: Der Spiegel, Nr. 27, 1. 7. 1968, S. 94; zudem die Bilanz des Filmkritik-Autoren Peter W. Jansen: Ein Jahr Kinorebellion, in: Merkur 22 (1968), Nr. 248, S. 1135–1147. Patalas blickte in der Filmkritik kurz darauf zerknirscht und selbstkritisch auf seine gescheiterten Reform- und Vermittlungsversuche zurück: „So glaubte ich, mit einem Feuilletonbeitrag hinreichend auf Notwendigkeit und Möglichkeit einer Veränderung von außen – durch Filmmacher, Kritiker und das fortgeschrittene Publikum, insbesondere Studenten und Schüler – hingewiesen zu haben. Es erwies sich, daß schon der Umstand, daß dieser Vorstoß im Alleingang erfolgte – obendrein in der Zeit –, genügte, diese Initiative in den Augen vieler Studenten zu diskreditieren.“ – ders.: Die Lehren eines Fehlschlags, in: Filmkritik, Nr. 8, 1968, S. 539. 145 Vgl. Thomas Kroll / Tilman Reitz: Zeithistorische und wissenssoziologische Zugänge zu den Intellektuellen der 1960er und 1970er Jahre, in: dies. (Hg.): Intellektuelle in der Bundesrepublik Deutschland. Verschiebungen im politischen Feld der 1960er und 1970er Jahre, Göttingen

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gors rückblickende Worte gefasst zeigen sich die konkreten Auswirkungen dieser unterschiedlichen Herangehensweisen, trotz aller ursprünglichen Sympathien und gemeinsamen Stoßrichtungen: andererseits bildeten sich 68 sogenannte ad hoc-Gruppen, denen waren wir nicht links genug und die haben versucht, unsere Veranstaltung zu stören und überhaupt das Ganze an sich zu reißen und haben uns in eine ziemlich schwere Krisensituation gebracht, weil die Veranstaltungen wurden laufend gestört und das war wie in der chinesischen Kulturrevolution. Wir haben schließlich unsere Arbeit ’ne Zeit lang unterbrochen, weil wir konnten so nicht weitermachen, es wurde ständig das Mikrofon weggerissen.146

Wie sich weiter unten noch etwa im Zusammenhang mit dem Richtungsstreit der Filmkritik, der gerade in diese Phase traf, zeigen wird, drohte es den nonkonformistischen Filmjournalisten wie ihren italienischen Pendants, auf der linken Seite des Kritikerspektrums überholt zu werden. 5.4 FILMPOLITIK 5.4.1 Cinema Nuovo – eine letzte Hochphase der Zensur und der Polemik Nachdem sich der filmpolitische Furor der Cinema Nuovo in den 1950er Jahren häufig auf die „sottosegretari dello spettacolo“ in der Tradition Giulio Andreottis gerichtet hatte, erwuchsen dem italienischen Filmwesen durch einen veränderten Ressortzuschnitt am Ende des Jahrzehnts neue Anlaufstellen und Streitpartner. Fortan gab es ein Ministro del turismo e dello spettacolo und als damit für Film zuständige Minister fungierten in den frühen 1960er Jahren die Christdemokraten Umberto Tupini und Alberto Folchi, die eindeutig den konservativeren Strömungen ihrer Partei angehörten.147 Die Autoren der Cinema Nuovo beschäftigten sich auch in den 1960er Jahren in filmpolitischer Hinsicht mit der generellen Lage des italienischen Filmschaffens, dazu detaillierter mit der noch weiter grassierenden Zensurproblematik und mit der katholischen Filmarbeit. Der Umgang mit den Filmen Osteuropas, der einige Jahre ein gesondertes filmpolitisches Problemfeld dargestellt hatte, spielte zumindest auf den Seiten dieser Zeitschrift keine erwähnenswerte Rolle mehr. Zum Gesamtbild der nationalen Filmpolitik äußerten sie sich weiter kritisch, etwa angesichts der fortgesetzt kurzfristigen, behelfsmäßigen Verlängerung des alten Filmgesetzes aus den ersten Nachkriegsjahren mit all seinen missbrauchsanfälligen Finanzierungsmechanismen und Zugeständnissen an die Filmwirtschaft.148 Die Cinema Nuovo führte den Konfrontationskurs der 1950er Jahre notgedrungen fort. Es erschienen beispielsweise Auszüge aus einem Vortrag über „Cinema e tv nella 2013, S. 7–18, hier S. 10; Ingrid Gilcher-Holtey: Konkurrenz um den „wahren“ Intellektuellen. Intellektuelle Rollenverständnisse aus zeithistorischer Sicht, in: ebd., S. 41–52, hier S. 48–52. 146 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 147 Vgl. Franco Vigni: La censura, in: De Vincenti (Hg.): Storia, S. 516–528, hier S. 516 f. 148 Vgl. beispielsweise Callisto Cosulich: Governo, partiti e l’operazione legge, in: Cinema Nuovo, Nr. 142, November/Dezember 1959, S. 520–522.

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società italiana“, den Luigi Chiarini bei einem Kongress kritischer Intellektueller in Rom gehalten hatte. Chiarini konstatierte, dass es immer noch erhebliche Hindernisse für ein freies, unabhängiges Kino gebe, dass „il potere politico-burocratico sembra non intenda diminuire la sua influenza sul cinema.“149 Mindestens genauso bedenklich sei die Lage des Fernsehens, das immer beliebter werde, aber durch die politische Kontrolle kaum seinem – von Chiarini erwünschten – Bildungsauftrag nachkommen könne, denn: Oggi la tv da noi vive in regime di monopolio (praticamente statale): […] Il monopolio cosí come è esercitato oggi ne fa uno strumento governativo (praticamente del partito al governo) paralizzato da un conformismo che impedisce di trattare, sia pure sfiorandoli, i problemi piú vivi, sotto ogni riguardo, che interessano il paese.150

Als Umberto Tupini sein Ministeramt antrat, bat ihn neben anderen Roberto Rossellini in einem offenen Brief um eine filmfreundlichere, liberalere Finanzierungspolitik – dieses Schreiben war selbst in der Rossellini nicht sehr zugeneigten Cinema Nuovo nachzulesen.151 Tupini legte sein Amt jedoch anders aus und löste damit die Empörung der Zeitschrift und der gleichgesinnten Filmkünstler aus. Anlässlich von La dolce vita und ähnlichen Filmen schrieb der Minister 1960 an den italienischen Filmwirtschaftsverband, beklagte sich über zunehmende Erotisierung und Pornographie, die er, selbst bei anderslautenden Kommissionsurteilen, nicht mehr freigeben werde. Als konkrete Drohung konnte aufgefasst werden, wenn er schrieb: „Questo sistema della ricerca di soggetti malsani e scandalosi deve cessare; […] a partire da questo momento, sarò severissimo in materia di censura“. Pier Paolo Pasolini geriet darob in „Angst“ vor „persecuzioni politiche“, Luchino Visconti zeigte sich „bestürzt“ und an den faschistischen Filmfunktionär Gaetano Polverelli erinnert. Diese Analogie nahm Guido Aristarco in seinem Kommentar zu Tupini bereitwillig auf.152 Erst im „centro-sinistra“ bemühte sich der sozialistische Minister Achille Corona um eine grundlegende Neujustierung der italienischen Filmpolitik und dazu im Vorfeld des Gesetzgebungsprozesses um ein weites Diskussionsteilnehmerfeld. Obwohl viele innovative Ansätze letztlich wiederum in den parteipolitischen Aushandlungen versickerten, brachte das Gesetz von 1965 doch mehr Mitsprachemöglichkeiten für Filmschaffende, substanziellere Förderung für künstlerisch ambitionierte Projekte und Organisationen wie die Filmclubs und insgesamt großzügigen ökonomischen Schutz für die einheimische Produktion.153 Giuseppe Ferrara erkannte diese Fortschritte in der Zeitschrift an, äußerte sich aber gleichzeitig ent149 Luigi Chiarini: Cinema e tv nella società italiana, in: Cinema Nuovo, Nr. 146, Juli/August 1960, S. 317–324, hier S. 321. 150 Ebd., S. 322 f. 151 Vgl. Roberto Rossellini: Responsabilità del Governo passate e presenti, in: Cinema Nuovo, Nr. 141, September/Oktober 1959, S. 412–414. 152 Für Tupinis Brief, die Reaktionen darauf und Aristarcos Kommentar vgl. Aristarco: Da Polverelli (Cinema Nuovo, Nr. 146, 1960). 153 Zur Diskussion um das Vorhaben und zum Gesetz selbst vgl. Brunetta: Storia, Bd. 4, S. 29–32; Mino Argentieri: Il cinema nell’Italia del centrosinistra, in: De Vincenti (Hg.): Storia, S. 173– 190, hier S. 186–189; Mario Gallo: Lo Stato: il dibattito sulla legge, in: ebd., S. 535–548, hier

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täuscht darüber, dass trotz sozialistischer Federführung einige hartnäckige christdemokratische Abgeordnete wieder politisch nutzbare Hürden in die Filmförderung hatten einschleusen können.154 Als wesentlicher Faktor der italienischen Filmpolitik verursachte die Zensurfrage zu Beginn der 1960er Jahre noch einmal heftige öffentliche Kontroversen. Erfolgsgefährdend und daher umstritten waren die Freigaben erst ab 16 Jahren, die zum Beispiel die von Aristarco besprochenen Filme der Regisseure Vancini und Pontecorvo trafen.155 Das Jahr 1960 und die bereits diskutierten Schlüsselfilme – La dolce vita, L’avventura und Rocco e i suoi fratelli – waren symptomatisch für die Eingriffe in die Filmzirkulation und die darum entstandenen Polemiken. Am Beispiel der Filme Antonionis und Viscontis zeigte sich, dass sich in dieser Zeit die Zensurinstrumente der italienischen Politik und Bürokratie veränderten.156 Selbst wenn die zuständigen Revisionskommissionen keine gravierenden Änderungen und schon gar kein Verbot angemahnt hatten, schritten nun gelegentlich Staatsanwälte ein, beschlagnahmten Filme und erwirkten so ein lokales, wenn nicht überregionales Aufführungsverbot. Antonionis L’avventura durfte eigentlich ohne weitere Schnitte gezeigt werden, nur nicht vor Minderjährigen.157 Dennoch wurde er für kurze Zeit von einem Mailänder Staatsanwalt wegen „Laszivität“ aus dem Verkehr gezogen, bis sich die Produktionsfirma zu Kürzungen bereit zeigte.158 Viscontis Familiendrama traf es noch härter: Ohnehin nicht für Zuschauer unter 16 Jahren freigegeben, mussten von vornherein noch Gewalt- und Liebesszenen modifiziert werden.159 Nach der Mailänder Premiere wurde schließlich wiederum der dortige Staatsanwalt aktiv und drohte im Oktober 1960, das Werk wegen seiner „Obszönität“ und der „Verletzung des Schamgefühls“ zu beschlagnahmen. Um in den folgenden, langwierigen Verhandlungen über die einzelnen Szenen Druck auszuüben, ließ er vorübergehend schon einmal die entsprechenden Passagen der Filmkopien schwärzen und setzte sich schließlich mit den Kürzungsforderungen durch.160 Gerade bei Rocco e i suoi fratelli vermengten sich offensichtlich die Verfechtung von Moral und Sittlichkeit und dezidiert politische Motive. Giulio Andreotti, damals Verteidigungsminister, ließ sich in der Olympiastadt Rom im Wahlkampf jedenfalls wie folgt vernehmen: „Noi preferiamo la gioventù delle Olimpiadi a quella, tanto cara ai comunisti, di Rocco e i suoi fratelli.“161 Die Redaktion der Cinema Nuovo protestierte gegen diese „campagna che è il segno di un’involuzione politica e sociale“ mit einer Chronik der vorangegangenen Wochen, in der sie die

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S. 542–548; Flavio De Bernardinis: 1965: la legge sul cinema, in: Canova (Hg.): Storia, S. 379–396, hier S. 379–389. Vgl. Giuseppe Ferrara: La legge equivoca, in: Cinema Nuovo, Nr. 173, Januar/Februar 1965, S. 40–42. Vgl. Datenbank Italia taglia, für La lunga notte del ’43 scheda 22577, für Kapò scheda 24672. Zum Folgenden vgl. Vigni: La censura, S. 516–523. Vgl. Datenbank Italia taglia, scheda 22053. Vgl. Vigni: La censura, S. 518. Vgl. Datenbank Italia taglia, scheda 22583. Vgl. Claudia Giordani / Giacomo Manzoli / Roy Menarini: Avventure censorie 1955–1958, in: Sanguineti (Hg.): Italia taglia, S. 147–235, hier S. 171–180. Zitiert nach Vigni: La censura, S. 519.

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schärfsten Maßnahmen und die konservativsten Stellungnahmen der Offiziellen, darunter die Äußerung Andreottis, versammelte.162 Mit der Zeit klang die Zensurproblematik, zumindest für diese Zeitschrift, allerdings ab. 1962 trat ein neues Zensurgesetz in Kraft, das immerhin eine bessere Repräsentation der Filmvertreter gegenüber den staatlichen Delegierten in den Kommissionen gewährleistete.163 Das Gesetz fußte weiterhin auf dem faschistischen Vorläufer von 1923 und auf dem schwammigen Kriterium des „buon costume“; Regisseure wie Pasolini hatten daher immer wieder unter Einschränkungen zu leiden. Es zeigte sich aber ebenso, dass diese vage Grundlage im allmählichen Wandel der italienischen Gesellschaft über die Jahre zu einer liberaleren Freigabepraxis führte.164 Die katholische Filmarbeit in Italien nahm in den 1960er Jahren eine ähnliche Entwicklung wie die Filmpolitik des Landes und die sie umkreisenden Debatten. Einem neuerlichen Zenit der Konfrontation um 1960 folgten langsam einsickernde Tendenzen der Liberalisierung, Modernisierung und Entspannung – wenn auch mit Rückschritten und sei es hier im Wesentlichen nur an der Rezeption der Cinema Nuovo gemessen. Tatsächlich verschafften sich allmählich aber diejenigen Vertreter beispielsweise der katholischen Filmclubbewegung der Cineforum mehr Gehör und Spielraum, die bereits im Jahrzehnt zuvor an offeneren Filmdiskussionen und gründlicheren Analysen des Mediums interessiert gewesen waren. Es entstanden die gleichnamige Zeitschrift Cineforum und viele weitere, nicht mehr dogmatisch religiöse Publikationsprojekte und Foren – beflügelt vom Zweiten Vatikanischen Konzil.165 Selbst die Rivista del Cinematografo stellte sich um 1968 herum auf den Gesellschaftswandel in Italien ein.166 Zunächst, in den ersten Jahren der umformierten Cinema Nuovo, hatte sich dieser Eindruck allerdings noch keineswegs durchgesetzt. Ihre Redakteure und die der Rivista del Cinematografo stichelten weiter gegeneinander, gegen die unheilbaren, unverbesserlichen „Laizisten“ beziehungsweise „Frömmler“.167 Für Mitarbeiter wie Franco Calderone war die „pseudo cultura dei cineforum“ lediglich ein Indiz für die immer noch straffe Kontrolle durch den Klerus.168 Solche Stellungnahmen basierten zu der Zeit vermutlich noch wesentlich auf der Beobachtung des Falls La dolce vita, des Umgangs der Kirche mit Federico Fellinis spektakulärem und populärem Werk. In öffentlichen Diskussionsrunden und Artikeln hatte ein Zirkel um ein jesuitisches Kulturzentrum in Mailand den Film für seine progressive Ästhetik gelobt und ferner die Fragen aufgeworfen, ob nicht die 162 Vgl. Giorno dopo giorno stillicidio della censura, in: Cinema Nuovo, Nr. 148, November/Dezember 1960, S. 508–514, das Zitat auf S. 508. 163 Vgl. für den Gesetzestext De Vincenti (Hg.): Storia, S. 644–646. 164 Vgl. Vigni: La censura, S. 523–527; zum neuen Zensurgesetz auch Brunetta: Storia, Bd. 4, S. 32–37; Argentieri: Il cinema, S. 183–186. 165 Vgl. Pellizzari: Le nuove forme, S. 553 f.; Guido Michelone: Cattolici e cinema, in: De Vincenti (Hg.): Storia, S. 505–515. 166 Vgl. Bragaglia: Critica e critiche, S. 150; Muscolino: La Rivista del Cinematografo, S. 193–196. 167 Cinema Nuovo, Nr. 136, November/Dezember 1958, S. 203. 168 Vgl. Franco Calderone: La pseudo cultura dei cineforum, in: Cinema Nuovo, Nr. 151, Mai/Juni 1961, S. 219–224.

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Ziellosigkeit und Dekadenz der Protagonisten Anknüpfungspunkte für eine dezidiert christliche Sinngebung in der modernen Gesellschaft sein könnten, ob darüber hinaus nicht auch Fellinis Kritik am simplen Volksglauben aufgenommen werden könne. Bei der Zeitung des Heiligen Stuhls, dem Osservatore Romano, stieß La dolce vita hingegen auf blanke Ablehnung, sie verdammte den Film in einer nachhaltigen Kampagne in Bausch und Bogen für seine gotteslästerlichen Szenen und seine Amoral. Katholische Publikationen, die zuvor differenziert geurteilt hatten, wurden auf diese ablehnende Linie gebracht, das Centro Cattolico Cinematografico verhängte das Verdikt „escluso per tutti“ und die Mailänder Abweichler wie der Pater Nazareno Taddei wurden von ihren Funktionen entbunden.169 In der Cinema Nuovo zerpflückte Renzo Renzi diese Reaktion auf La dolce vita. Gerade die massive Anfeindung des Films durch die katholische Presse habe doch erst die Neugier geweckt und ihm den Publikumserfolg beschert. Renzi entdeckte in der katholischen Bevormundung abermals, wie in vielen seiner Beiträge, eine Kontinuität zur politischen Kultur des Faschismus: „Il fascismo è la piú perfetta immagine politica di questo tipo di paternalismo, che disprezza le masse, che non le vuole adulte, che le concepisce bambine, perché solo convincendole della loro inferiorità e impreparazione, le può manovrare a suo agio, proclamandosi necessario.“170 Aristarco machte in den zahlreichen Fällen wie diesem eine „sessuofobia“ in Politik, Justiz und Gesellschaft aus. Eine weitere Gemeinsamkeit mit den Anliegen der „Neuen Linken“ ergab sich also an diesem Punkt, als er zu einer Diskussion über ein unverkrampfteres Verhältnis zur Sexualität anregte, darüber „se non sia giunto il momento anche per l’Italia di una riforma sessuale: di sottoporre cioè […] la morale sessuale tradizionale a un coraggioso vaglio critico.“171 Wie erwähnt verloren aber die Polemiken gegen die katholische Gemeinde und ihren Einfluss im Verlauf der 1960er Jahre an Umfang in der Cinema Nuovo. 5.4.2 Filmkritik gegen das „Komplott der Leisetreter“ Im Vergleich mit der Cinema Nuovo holte die Filmkritik in dieser Zeit, was die Auseinandersetzung mit allen Facetten der einheimischen Filmpolitik anbelangt, überhaupt erst einmal auf. Nach den vielen kleineren Spitzen und den nur indirekt nachweisbaren Kontrasten mit dem offiziellen Filmgeschmack der 1950er Jahre wurden die Beiträge mit dem neuen Format der Zeitschrift immer fundierter. Insgesamt verschlechterte sich ja – nicht zuletzt befördert durch die frühzeitigen Vorwürfe dieser Kritikergruppe – das öffentliche Ansehen wichtiger filmkultureller Institutionen, so dass die Bereitschaft der verschiedensten Medien, Informationen zu diesem Themenkomplex zu sammeln, ebenso stieg wie gleichzeitig die Reputa169 Vgl. zu diesem Fall ausführlich Tomaso Subini: Il caso de La dolce vita, in: Eugeni/Viganò (Hg.): Attraverso lo schermo, S. 239–255. 170 Renzo Renzi: Paradossi di una reazione, in: Cinema Nuovo, Nr. 145, Mai/Juni 1960, S. 203 f., hier S. 204. 171 Guido Aristarco: Sequestri sessuofobia e riforma sessuale, in: Cinema Nuovo, Nr. 149, Januar/ Februar 1961, S. 7–9, hier S. 9.

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tion und Vernetzung der Filmkritik und somit ihre Möglichkeit, auch an interne Materialien zu gelangen. Kontinuierlich erhielt die Redaktion nun neue publizistische Munition für ihren Kampf gegen die immer noch vielfältigen Einschränkungen des freien Filmschaffens, die Enno Patalas als „Komplott der Leisetreter“ bezeichnete und in gewohnter Manier gesellschaftlich verortete: Filmselbstkontrolle, Interministerieller Ausschuß, Verleiher usw. sind sich einig ebenso in ihrer politischen Leisetreterei und ihrem moralischen Muckertum wie in ihrer Respektlosigkeit dem Kunstwerk gegenüber. Ihre Haltung ist so recht die des deutschen Kleinbürgers dieser Jahre, der übermütig auf seinem Anspruch besteht, durch nichts in seiner Selbstgefälligkeit beunruhigt zu werden.172

Der FSK, der Filmbewertungsstelle, den Kontrollmechanismen gegenüber osteuropäischen Filmen oder den jeweils aktuellen Vorstößen von Kulturpolitikern und Filmwirtschaft widmeten sich die Autoren regelmäßig und streiften dabei immer wieder sprachliche und juristische Feinheiten, bisweilen sogar staatsrechtliche Grundsatzdiskussionen. Hinzu kamen Gesamtdarstellungen des filmpolitischen Geflechts in der Bundesrepublik173 und dessen erste kleine Historiographie: Heinz Ungureit zeichnete Anfang 1964 beispielsweise die Entwicklung der Bundesbürgschaften oder der Filmpreise nach, legte die Verbindungen wichtiger Akteure in die NS-Zeit frei und verfolgte die „allgemeine Beruhigungs- und Gefälligkeitslinie“ im „deutschen Spitzenfilm“ bis in die unmittelbare Gegenwart.174 Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft war weiterhin ein wesentliches Ärgernis des Kritikerkreises. Sie lasse auf der einen Seite allzu leichtfertig Filmbestände aus dem Nationalsozialismus oder „Gewaltverherrlichung“ und „totalitäre Sprache“ passieren.175 Auf der anderen Seite blockiere sie ebenso leichtfertig sowjetische Filme und spiele sich durch überzogene Streichungen von Kraftausdrücken zum „Nachtwärter des bundesbürgerlichen Burgfriedens“ und des „sittlichen Empfindens“ auf.176 Die Einseitigkeit der FSK illustrierte für die Kritiker gerade die Behandlung einer westdeutschen Dokumentation über Die Diktatoren der zeitgenössischen Welt. In dieser wurde deutliche Kritik an der Sowjetunion und an Fidel Castros Kuba geäußert, während als Freigabebedingung Szenen, die den ausschweifenden Lebensstil der Familie Francos in Spanien zeigten, herausgenommen werden mussten.177 Immerhin, beobachtete Enno Patalas, gab es einige Fälle, in denen Filme nach Anrufung des Rechtsausschusses, des dritten und letzten Gre172 Enno Patalas: Das Komplott der Leisetreter, in: Filmkritik, Nr. 8, 1963, S. 354 f., hier S. 354. 173 Vgl. Reinold E. Thiel: Obrigkeitszensur und Gruppenzensur, in: Filmkritik, Nr. 2, 1964, S. 67–72. 174 Vgl. Heinz Ungureit: Filmpolitik in der Bundesrepublik, in: Filmkritik, Nr. 1, 1964, S. 9–16. 175 Für die Filme aus der NS-Zeit vgl. etwa Enno Patalas: Gemeinnützig?, in: Filmkritik, Nr. 12, 1962, S. 537; die Zitate aus Uwe Nettelbeck: 100 000 Dollar in der Sonne (Cent mille Dollars aus soleil), in: Filmkritik, Nr. 11, 1964, S. 588. 176 Enno Patalas: FSK auf Schleichpfaden, in: Filmkritik, Nr. 2, 1961, S. 67; zum Umgang mit sowjetischen Filmen vgl. Heinz Ungureit: Russische Wälder staatsgefährdend?, in: Filmkritik, Nr. 2, 1961, S. 66 f. 177 Vgl. Enno Patalas: Nochmals: Politische Zensur, in: Filmkritik, Nr. 5, 1961, S. 225. Zum Film auch Habel: Zerschnittene Filme, S. 26.

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miums der FSK, doch noch zugelassen wurden. Dieser Irrweg durch die Instanzen zeige zwar die Zweifelhaftigkeit der Konstruktion, sollte aber durch Filmfirmen und kritische Öffentlichkeit häufiger strategisch genutzt werden: Wenn ein Verleih dazu nicht ohne weiteres bereit ist, muß er in der Öffentlichkeit auf seine Verantwortung seinem Publikum gegenüber hingewiesen werden. […] ‚Es gibt noch den Rechtsausschuß‘: dieser Satz muß zur Parole der filminteressierten Öffentlichkeit werden, wann immer sich wieder der zensorale Übermut der biebricher Dunkelmänner meldet.178

Es waren darüber hinaus nicht nur Kürzungen oder Blockaden durch die FSK selbst, die die Filmkritik empörten. Sie machte etwa darauf aufmerksam, dass bereits vor der Prüfung durch die Selbstkontrolle Vertreter der katholischen Filmarbeit beim Verleih Schnitte an Luis Buñuels Viridiana erwirkt hatten, oder dass die Verleiher Rocco e i suoi fratelli für den deutschen Markt eigenmächtig strafften.179 Die wenigsten Filmbesucher bemerkten Veränderungen an importierten Werken, die Rezensenten der Filmkritik aber waren durch regelmäßige Auslandsreisen und gute Kenntnisse des internationalen Filmschaffens in der Lage, Vergleiche anzustellen und Eingriffe aufzudecken.180 Ein weiterer prägnanter Fall war dabei Michelangelo Antonionis L’avventura. Bei der Präsentation der deutschen Fassung in München fehlte gegenüber der Premierenversion von Cannes eine knappe Dreiviertelstunde. Ein Verleihmitarbeiter verwies auf die Vertriebsschwierigkeiten von überlangen Filmen in der Bundesrepublik und sicherte sich mit dem für die Kritiker überraschenden Hinweis ab, die Kürzungen seien nach Gesprächen mit dem Regisseur einvernehmlich vorgenommen worden. Wilfried Berghahn wurde stutzig, recherchierte diese Behauptung nach und traf auf den empörten Antonioni: „Wir haben Antonioni in Rom gefragt. Die Tatsache, daß sein Film in Deutschland gekürzt worden ist, war ihm vollkommen unbekannt. Sie überraschte ihn aufs unangenehmste.“ Ebenso verärgert beschuldigte der Kritiker den Verleih der Lüge, die Skeptiker „mundtot“ und zu „professionellen Nörglern“ machen solle – was zunächst geglückt sei, da zum Beispiel der Spiegel die Version des Verleihvertreters in einen Artikel übernommen habe.181 Zum „Komplott der Leisetreter“ gehörte für die Filmkritik zudem die Filmbewertungsstelle der Länder, die auch in den 1960er Jahren über ihre Prädikate und die daran gebundene Steuerbefreiung erheblichen Einfluss auf den Erfolg der Produktionen hatte. Aus den Vorjahren blieben der FBW die Vorwürfe der Filmkritik erhalten, sie prädikatisiere noch jede „Apotheose der Macht“, bewerte Militarismus so milde, als sei sie „bereits vom bonner Verteidigungsministerium unterwandert“, und sei ohnehin nicht mit großer Sachkenntnis beschlagen.182 Die Polemiken der 178 Enno Patalas: Was ist diese FSK wert?, in: Filmkritik, Nr. 12, 1963, S. 545. 179 Vgl. Wolf Götz: Schneiden für die Kirche, in: Filmkritik, Nr. 1, 1962, S. 1; Enno Patalas: Schneiden für Deutschland, in: Filmkritik, Nr. 6, 1961, S. 273. Für Viridiana vgl. Habel: Zerschnitte Filme, S. 103 f. 180 Vgl. Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 147. 181 Vgl. Wilfried Berghahn: Gekürzt und gelogen, in: Filmkritik, Nr. 2, 1962, S. 50; Michelangelos Torso, in: Der Spiegel, Nr. 13, 22. 3. 1961, S. 94 und 96. 182 Die Zitate aus Enno Patalas: Der Präsident (Le Président), in: Filmkritik, Nr. 9, 1961, S. 443 f.; Günter Rohrbach: Alamo (Alamo), in: Filmkritik, Nr. 4, 1961, S. 222; für die grundsätzlichen

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Zeitschrift gegen die Bewertungsstelle bekamen aber noch eine neue Qualität, da ihre Autoren nach 1960 häufiger Aussagen oder Unterlagen aus dem Inneren der Institution in die Hände bekamen und darauf dezidierter eingehen konnten. Wie erwähnt häufte sich die öffentliche Kritik an den als willkürlich empfundenen Urteilen der FBW, woraufhin sich ihr Vorsitzender in einem Leserbrief an den Spiegel ein wenig hilflos verteidigte, die Filmpresse sei doch ebenso widersprüchlich und müsse doch selbst erst einmal Maßstäbe zum Richten über Filme entwickeln.183 Wilfried Berghahn nahm dies teils ironisch, teils kritisch in einem Kommentar auf und riet der FBW dazu, sich vom unpolitischen Kunstverständnis zu lösen, die vergangenen Urteile selbstkritisch abzuwägen – und vielleicht einmal genauer in der Filmkritik nachzulesen, wie kohärente Urteilsbildung vor sich gehe.184 In dieser Zeit lag ihm auch ein Bescheid der FBW vor. Hans Rolf Strobels und Heinz Tichawskys Dokumentarfilm Notizen aus dem Altmühltal über die eklatante Rückständigkeit und politische Vernachlässigung dieser Gegend war kein Prädikat zuerkannt worden, da „einige Gesetze des menschlichen Taktes verletzt wurden“;185 er war somit wirtschaftlich faktisch ruiniert. Abschnitt für Abschnitt sezierte Berghahn in der Filmkritik das Dokument, entlarvte den üppigen Gebrauch der nebulösen Vokabel des „Menschlichen“ und wie das Gutachten die Kritik durch den Film in eine abzulehnende Diffamierung der örtlichen Bevölkerung umdeutete und zur Ablenkung immer wieder auf die gelungene formale Gestaltung abhob: Wer so schreibt, ist das schlechte Gewissen in Person. Wir wollen deshalb den Verfasser dieses Ablehnungsbescheids nicht verschweigen. Er heißt Heinz Beckmann und ist Redakteur beim ‚Rheinischen Merkur‘. Aber man braucht das nicht zu wissen, um sich über die politische Himmelsrichtung klar zu sein, aus der die Ablehnung kommt. Diese ‚gewisse‘ Achtung vor dem Menschlichen fordert man immer dann, wenn etwas unbequem ist.186

Als Heinz Ungureit einige Monate später die zehnjährige Jubiläumsfeier der Filmbewertungsstelle besichtigte, fiel ihm ebenfalls die allgegenwärtige, alles verschleiernde Floskel des „Menschlichen“ auf. Keiner der Vertreter der FBW, die er dort sprach, sei empfänglich für die Kritik an der Prädikatisierung autoritätsverherrlichender Filme gewesen und keiner habe Notizen aus dem Altmühltal überhaupt einmal angesehen.187

Zweifel an der FBW vgl. noch Enno Patalas: Filmbewertung, in: Filmkritik, Nr. 10, 1966, S. 545. 183 Vgl. Maßstäbe gesucht, in: Der Spiegel, Nr. 19, 3. 5. 1961, S. 81–83; Leserbrief von Gerhard Prager, in: Der Spiegel, Nr. 24, 7. 6. 1961, S. 8 f. 184 Vgl. Wilfried Berghahn: Krücken für die FBW, in: Filmkritik, Nr. 7, 1961, S. 321 f. 185 Zitiert nach Wilfried Berghahn: „Eine gewisse Achtung vor dem Menschlichen …“, in: Filmkritik, Nr. 6, 1961, S. 274–277, hier S. 275. 186 Ebd., S. 277. 187 Vgl. Heinz Ungureit: Das „Menschliche“ und die FBW, in: Filmkritik, Nr. 12, 1961, S. 562.

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Ambivalenz in Richtung Osten Als Themengebiet, auf dem sich in anschaulicher Weise der allgemeine, gesellschaftliche Nonkonformismus und die filmpolitische Konfrontationshaltung miteinander vermengten, ist für die Filmkritik der Anfangszeit – in einer Parallele zur Cinema Nuovo der 1950er Jahre – der Film Osteuropas geschildert worden. Für die italienischen Kritiker war dieses Thema im folgenden Jahrzehnt ja weniger relevant. Sie hatten mit „Sciolti dal giuramento“ ihre gründliche Selbstfindungsdebatte nach den antistalinistischen Enthüllungen hinter sich gebracht; international, und damit auch in Italien, hatte der Mauerbau 1961 für eine relative Entspannung des Systemkonflikts gesorgt; längst hatten sich die italienische Öffentlichkeit und Filmkultur mit der gelegentlichen Präsenz Osteuropas in ihren Kinoprogrammen oder bei den einheimischen Festivals arrangiert. Eine vergleichbare Entwicklung kann für die Bundesrepublik nicht festgestellt werden. Die Berliner Mauer hatte die deutsche Teilung symbolisch und praktisch dramatisiert, stellvertretend zeigten dies einige nach ihrer Errichtung entstandenen Filme über die Flucht aus der DDR, zum Beispiel Durchbruch Lok 234 oder Verspätung in Marienborn. Das Muster eines Nonkonformismus in beide Richtungen des Kalten Kriegs kann für die Filmkritik dabei beibehalten und die Untersuchung der filmpolitischen Kritikpunkte wieder darin eingebettet werden. Genauso wie die Kritiker sentimentale, oberflächliche Zeichnungen der innerdeutschen Spaltung und verzerrende Darstellungen des Ostens in westlichen Filmen ablehnten, verwahrten sie sich gegen platte Propaganda insbesondere aus der DDR und prüften, inwieweit außerfilmische Belange in die Werke eingesickert waren.188 Als die DDR-Führung Mitte der 1960er Jahre wieder einmal einen repressiveren Kurs gegenüber Künstlern einschlug,189 traf eine Verbotswelle auch Filme und Ulrich Gregor witterte hinter dem „Parteivokabular“ die „alte Spießerforderung“ nach „positiven“ Botschaften.190 Er berichtete von Behinderungen bei der Reise ins benachbarte Ostberlin und die Filmkritik protestierte, als 1964 – wie im Falle Gero Ganderts 1958 – mit Heinz Kersten ein Autor aus dem erweiterten Umfeld der Zeitschrift auf der Durchreise in der DDR wegen angeblicher Spionage verhaftet wurde.191 Kersten hatte in dieser Zeit auch in der Filmkritik kunstferne Parteifunktionäre als maßgeblichen Missstand des Filmschaffens in der DDR hervorgehoben.192 Wieder wurden die Mitglieder des Kritikerzirkels kaum gerechtfertigt als „Kalte Krieger“ drangsaliert, denn tatsächlich standen sie dem Kino Osteuropas weiterhin deutlich aufgeschlossener und differenzierter gegenüber als die meisten 188 Vgl. zum Beispiel Ulrich Gregor: Leute mit Flügeln / Professor Mamlock, in: Filmkritik, Nr. 9, 1961, S. 449–453. 189 Vgl. dazu etwa Horst Claus: DEFA – State, Studio, Style, Identity, in: Bergfelder/Carter/Göktürk (Hg.): The German Cinema Book, S. 139–147; Andreas Kötzing / Ralf Schenk (Hg.): Verbotene Utopie. Die SED, die DEFA und das 11. Plenum, Berlin 2015. 190 Ulrich Gregor: Perspektiven, in: Filmkritik, Nr. 2, 1966, S. 103. 191 Vgl. Ulrich Gregor: Defa-Filme – ohne Zynismus, in: Filmkritik, Nr. 3, 1965, S. 159–161, hier S. 159; zu Kersten eine Notiz in Filmkritik, Nr. 6, 1964, S. 282. 192 Vgl. Heinz Kersten: Deutscher Film im Osten – Filmpolitik in der DDR, in: Filmkritik, Nr. 6, 1964, S. 284–291, hier S. 291.

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ihrer westdeutschen Journalistenkollegen. In Kerstens Texten war neben der Kritik an der Filmpolitik der DDR auch deutliche Wertschätzung für die ostdeutschen Filme zu lesen: In welcher westdeutschen Produktion sind schon einmal einfache Menschen, gar Arbeiter als Handlungsträger und ein realistisch gezeichnetes Alltagsmilieu zu finden? Im Gegensatz zur bundesdeutschen Traumfabrik zeigt der ostdeutsche Film den Menschen in Beziehung zur Gesellschaft (hat darüber freilich lange Zeit seine Individualität vergessen) und weicht den Problemen von Gegenwart und Vergangenheit nicht aus (stellt sie allerdings oft einseitig interpretiert und verzerrt dar).193

Insbesondere auch ungarische oder polnische Filme galten den Kritikern als Meisterwerke, die tiefschürfende Erkenntnisse vermittelten und vor engstirnigen Kulturpolitikern in Ost und West geschützt werden müssten.194 Sie reisten trotz aller Strapazen und Schikanen weiter in den Osten, um sich ein direkteres Bild der Filmproduktion zu verschaffen. Soweit es in dem engen Rahmen möglich war, inspirierte ihre Zeitschrift sogar zaghafte Versuche der alternativen Filmpublizistik wie Fred Gehlers ostdeutsche Film.195 Die Vertreter der Filmkritik saßen im Kalten Krieg „zwischen den Stühlen“, das ambivalente Verhältnis etwa zur DDR untermalt eine Anekdote Ulrich Gregors über ein Gespräch am Rande des Leipziger Dokumentarfilmfestivals: mit einem hohen DDR-Funktionär kamen wir ins Gespräch und der sagte: Ja, so wie Sie denken und was Sie fühlen und was Sie tun, Sie gehören doch eigentlich zu uns, kommen Sie doch in unser Land, wagen Sie den Sprung! […] Und dann haben wir gesagt, das ist ja eine interessante Idee, und da müssen wir drüber nachdenken, aber wir würden natürlich gerne bestimmte Dinge auch weiterhin tun können, zum Beispiel, dass wir an jedem Morgen die Zeitungen unserer Wahl lesen können. Und da sagt er, ja, das sind bürgerliche Privilegien, die müssen Sie wahrscheinlich aufgeben. So wurde nichts daraus, aus dem Sprung.196

Die mit bewusster Offenheit und reflektierter Sympathie verbundene, ambivalente Haltung drängte die Filmkritik im filmpolitischen Diskussionsklima der Bundesrepublik auch in den 1960er Jahren unweigerlich in die Rolle der Verteidiger der östlichen Filmkultur. Es war dies weiter ein Klima des Argwohns und der verbissenen Systemkonkurrenz, die noch in den Nebenbereichen der nationalen und internationalen Filmpolitik ausgetragen wurde. Der Filmreferent des Bundesinnenministeriums sprach sich beispielsweise gegen die Einrichtung einer Filmhochschule in Westberlin aus. Angesichts der Nähe zur vergleichbaren Institution der DDR fürchtete er einen kostspieligen Überbietungswettbewerb, bei dem er den potenziellen Bewerbern aus der „Dritten Welt“ eine wenig schmeichelhafte, stereotype Rolle zuschrieb: 193 Ebd., S. 290 f. 194 Vgl. exemplarisch Helmut Färber: Eroica – Polen 44 (Eroica), in: Filmkritik, Nr. 6, 1964, S. 301–303, besonders S. 303. 195 Vgl. „Ich war nicht subversiv“. Ralf Schenk im Gespräch mit Fred Gehler, in: Ingeborg Pietzsch / Ralf Schenk (Hg.): Schlagt ihn tot, den Hund … Film- und Theaterkritiker erinnern sich, Berlin 2004, S. 39–58, hier S. 41 und 46; zu dieser Zeitschrift vgl. Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, S. 237. 196 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor.

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An der Babelsberger Filmhochschule erhalten die Studenten eine vierjährige Ausbildung; sie sind im Internat untergebracht, erhalten freie Verpflegung und reichliche Stipendien neben freier ärztlicher Betreuung und freiem Filmbesuch in Ost-Berlin, Babelsberg, Potsdam usw. […] Die bekannte Mentalität zahlreicher Studenten aus den Entwicklungsländern dürfte indessen in vielen Fällen dazu führen, daß die sowjetzonalen Bequemlichkeiten vorgezogen werden.197

Das wesentliche Kontrollinstrument der bundesrepublikanischen Behörden gegenüber osteuropäischen Filmen blieb der weitgehend intransparent wirkende Interministerielle Ausschuss für Ost/West-Filmfragen und diese Konstruktion attackierte der Kreis der Filmkritik nun permanent, bis in juristische Feinheiten hinein. Diese Filmeinfuhrkontrolle geschah seit den frühen 1950er Jahren auf unklarer gesetzlicher Grundlage und die Bundesregierung wollte sie 1961 mit dem „Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote“ solider absichern. Formal wurde im Gesetz das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft eingeschaltet, doch faktisch entschied weiter der Ausschuss darüber, welche Filme aus Osteuropa als verfassungsgefährdend am Import gehindert wurden – zumal die Freiwillige Selbstkontrolle eine solche beratende Funktion abgelehnt hatte.198 Das interministerielle Gremium verfuhr weiter in der bekannten Haltung, wie die umfangreichen Sitzungsprotokolle zeigen. So musste aus einer rumänischen Dokumentation der Satz „Die Arbeit hat den Menschen geschaffen, sagt Friedrich Engels“ entfernt werden und so erschienen dem Ausschuss die polnischen Kurzfilme ‚An der Danziger Bucht‘, ‚Ermelland‘ und ‚Swinemünde‘ […] für eine Freigabe nicht geeignet, da in den Begleittexten die ehemals deutschen Gebiete als polnische Gebiete beschrieben werden. Hierin sieht der Ausschuß eine bewußte historische Verfälschung der deutschen Geschichte, die völkerverhetzend wirkt.

In einem weiteren Beispiel habe eine sowjetische Adaption von Gullivers Reisen eindeutig „kommunistisch-klassenkämpferische Tendenzen“ enthalten und durfte nicht in der Bundesrepublik gezeigt werden.199 Selbst Details wurden analysiert und symbolisch aufgeladen: 1965 berichtete der Spiegel über eine Sitzung, bei der Vertriebenenfunktionäre zu einer Dokumentation über das zeitgenössische Polen zu Rate gezogen wurden – sie lobten ausdrücklich, dass im Film das Gemüse dürftiger aussehe als zu der Zeit, in der die Gebiete noch deutsch gewesen waren.200 Die bisweilen bizarre Ausschusspraxis war für die Filmkritik ein wesentlicher, zu bekämpfender Faktor im „Komplott der Leisetreter“ der bundesdeutschen Filmkultur. Immer wieder prangerten ihre Redakteure einzelne, doch einmal durchgesickerte Entscheidungen an, etwa historische Verfremdungen durch Schnitteingriffe oder politische Einseitigkeit: Weshalb scheiterten etwa propagandistische Filme aus Nordvietnam am Ausschuss, während vergleichbare südvietnamesische Mach197 Regierungsdirektor Fuchs an den Bundesinnenminister, Bonn, 21. 3. 1961, Bundesarchiv, Koblenz, B 106/96648. 198 Vgl. Redebeitrag Walter Löhr, 142. Sitzung, 8. 2. 1961, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, Bonn 1961, S. 8108 f. Zusammengefasst auch bei Kötzing: Kulturund Filmpolitik, S. 40. 199 Zitate aus den Kurzprotokollen der Sitzungen am 6. 4. 1961, 2. 11. 1961 und 15. 11. 1961, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/960. 200 Vgl. Erfreulich kleine Rüben, in: Der Spiegel, Nr. 11, 10. 3. 1965, S. 83.

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werke nach Deutschland kommen dürften?201 Diese Ungleichbehandlung nahm Reinold E. Thiel in einen umfangreichen Artikel für die Zeit auf, darin rührte er aber besonders an die juristischen Grundlagen dieser Kontrollpraxis.202 Er und seine Kollegen in der Filmkritik argumentierten detailliert, dass der Ausschuss den osteuropäischen Filmen allzu voreilig den Kunstcharakter aberkenne, der prinzipiell vor Zensur schütze. Die Filmvorführungen wurden in der Konsequenz als zu verbietende Meinungsäußerungen behandelt, doch die Umstände dieser Meinungsäußerungen seien nur ungenau bewertet worden. Darüber hinaus sei es mit Blick auf die Gewaltenteilung fragwürdig, dass Glieder der Exekutive eigenmächtig, ohne Hinzuziehung der Judikative, des Verfassungsgerichts, über die Verfassungstreue der Erzeugnisse entschieden. Wie im Fall des Rechtsausschusses der FSK präsentierte die Kritikergruppe hier eine Gegenstrategie, die ihrem Verständnis des mündigen, kritischen Staatsbürgers entsprach: In einer solchen Lage – da staatliche Instanzen sich der Kontrolle durch die Öffentlichkeit zu entziehen suchen – muß sich auch die Presse anderer Mittel als nur publizistischer bedienen, zumal hier im besonderen Rechte verletzt werden, ohne die eine freie Presse nicht denkbar ist. […] Die Öffentlichkeit darf dem verfassungswidrigen Treiben der bonner Film-Mafia nicht länger tatenlos zusehen. Die Sache gehört vor den Kadi.203

Durch sein Jurastudium war Dietrich Kuhlbrodt innerhalb des Kritikerzirkels besonders qualifiziert für derartige Beiträge und Argumentationen. Und in der Tat hatte ihn die empfundene Benachteiligung des DDR-Films anlässlich des Oberhausener Kurzfilmfestivals zu einer höchst provokanten Abschlussarbeit verleitet, in der er internationale Rechtsgrundsätze auf das Recht der DDR anwendete und damit diesen Staat als eigenständig und anerkennenswert einstufte.204 Er war insbesondere in Bezug auf das innerdeutsche Verhältnis ein nonkonformistischer, streitbarer Autor rechtswissenschaftlicher Texte.205 Sein damit zusammenhängendes Engagement gegen den Interministeriellen Ausschuss münzte er neben den Beiträgen für die Filmkritik auch in Recherchen für den Freien Sender Berlin um, der die Ergebnisse allerdings nach dem persönlichen Vorsprechen eines Innenstaatssekretärs deutlich abmilderte.206 Schon Thiels Zeit-Artikel hatte den Ausschuss aufgewühlt und bis ins Kanzleramt hinein wurden die ständigen Angriffe von „linksintellektuellen Filmkritikern“ registriert.207 Wesentlich von der Filmkritik vorangetrieben, 201 Vgl. Uwe Nettelbeck: Filmzensur, in: Filmkritik, Nr. 7, 1963, S. 306; Heinz Ungureit: Einseitige Zensur, in: Filmkritik, Nr. 5, 1963, S. 209 f. 202 Vgl. Reinold E. Thiel: Zensur aus dem Hinterhalt – wie lange noch?, in: Die Zeit, 30. 8. 1963; zum Folgenden auch ders.: Gesetzliche Zensur?, in: Filmkritik, Nr. 12, 1963, S. 546; Dietrich Kuhlbrodt: Bundeszensurbehörde, in: Filmkritik, Nr. 3, 1961, S. 130; ders.: Mit der Zensur leben?, in: Filmkritik, Nr. 8, 1965, S. 430–434. 203 Karsten Peters: Es gibt noch Richter …, in: Filmkritik, Nr. 11, 1963, S. 497 f., hier S. 498. 204 Vgl. Kuhlbrodt: DEFA-Film in Oberhausen, S. 106 und 108. 205 Vgl. etwa Dietrich Kuhlbrodt: Interessendissertation, in: Frankfurter Hefte 16 (1961), Nr. 9, S. 639 f. 206 Vgl. Kuhlbrodt: DEFA-Film in Oberhausen, S. 107. 207 Vgl. Bundeswirtschaftsministerium an die Mitglieder des Ausschusses, Bonn, 4. 9. 1963, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/960; das Zitat aus einem Vermerk aus dem Bundeskanzleramt, Bonn, 25. 8. 1965, Bundesarchiv, Koblenz, B 136/5901.

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stieg der öffentliche Druck weiter, bis der Interministerielle Ausschuss, vermutlich zur Zeit der Großen Koalition, mehr oder weniger stillschweigend seine Tätigkeit einstellte.208 Filmkrise, Filmwirtschaft und politische Filmförderung Die Abwärtsspirale der westdeutschen Filmproduktion beschleunigte sich in der ersten Hälfte der 1960er Jahre immer weiter. Sie setzte sich neben anderen Faktoren aus sinkenden Zuschauer- und Produktionszahlen, aus regelmäßigen Firmenkonkursen und einer weiterhin kläglichen Resonanz in der internationalen Filmkultur zusammen. Mittlerweile rückten selbst lange Zeit milde gestimmte Filmjournalisten und Kulturpolitiker von der bundesdeutschen Filmbranche ab und die öffentliche Kritik, die vom Filmkritik-Kreis seit seiner Entstehung unaufhörlich geäußert wurde, nahm zu. Eine symbolische Eskalation fand schon bei der Berlinale von 1961 statt, als der Kritiker der Welt, Georg Ramseger, für die Jury des Bundesfilmpreises mit scharfen Worten verkündete, es habe sich in diesem Jahr kein auszeichnungswürdiger deutscher Spielfilm gefunden.209 Auf Krise und Kritik reagierte die Filmwirtschaft in der schon für die 1950er Jahre eingehend skizzierten, empfindlichen Art und Weise. In der Branchenpresse und sonstigen Beiträgen formulierte sie Forderungen einerseits und Empörung andererseits. Die Abschaffung der Vergnügungssteuer wurde, zum Beispiel flankiert durch den prominenten Regisseur Helmut Käutner, als wesentliche Lösung der Krise eingefordert.210 Die Nichtverleihung des Filmpreises sei ein „Skandal“,211 der Produzentenverband beklagte, es werde bei uns keine Gelegenheit ausgelassen, um den inländischen Film herabzusetzen. Wenn man sich schon außerstande glaubte, in diesem Jahr einen deutschen Film als Leistung von internationalem Rang auszuzeichnen, dann sei es jedoch unverständlich, daß man auch das Vorhandensein von überdurchschnittlichen Leistungen negiert habe.212

Die Bundesregierung, und dabei federführend das Innenministerium unter Gerhard Schröder und seinem Nachfolger Hermann Höcherl, reagierte auf den schlechten Zustand der einheimischen Filmproduktion mit verschiedenen Prämienprogrammen213 und darüber hinaus waren die zuständigen Ministerien und Bundestagsausschüsse einen Großteil der 1960er Jahre mit der Ausarbeitung eines langersehnten 208 Zur weiteren Entwicklung des Ausschusses vgl. Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 103 f.; Kötzing: Kultur- und Filmpolitik, S. 39 f. 209 Vgl. Uka: Abschied von gestern, S. 205; Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, S. 150. Für die Rede Ramsegers vgl. Deutsche Kinemathek, Berlin, Berlinale-Archiv, WB 1961 1/3, Informationsbericht. 210 Vgl. Helmut Käutners Appell an die Vernunft, in: filmblätter, Nr. 15, 15. 4. 1961, S. 283 f. 211 Ein Skandal!, in: filmblätter, Nr. 26 a, 29. 6. 1961, S. 595. 212 Zitiert nach Deutsche Kinemathek, Berlin, Berlinale-Archiv, WB 1961 1/3, Informationsbericht, S. 52. 213 Vgl. beispielsweise Bericht der Bundesregierung über die Situation der Filmwirtschaft, Drucksache 366, 25. 4. 1962, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 4. Wahlperiode, Anlagen, Bonn 1962; Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik am 28. 11. 1962, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestags, Berlin, 3117 A 4/8, Protokoll 14.

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5 Cinema Nuovo, Filmkritik und die 1960er Jahre

Filmfördergesetzes beschäftigt. Beide filmpolitischen Vorgänge wurden von der Filmkritik gewohnt konfrontativ begleitet. Die lukrativen Spielfilmprämien sollten bereits gelaufene Werke belohnen und deren Hersteller ermutigen, neue Filmprojekte anzugehen, um die westdeutsche Produktion in Gang zu halten. Problematisch aus Sicht der Gegner des Programms war die Entscheidungsfindung zur Prämienvergabe, denn sie oblag einem wenig transparenten Ausschuss, in dem abermals die Vertreter der Ministerialbürokratie und auch der FBW und der FSK überwogen. Eine Anfrage der SPD im Bundestag hinsichtlich der „Vielseitigkeit und Ausgewogenheit“ des Prämienausschusses wiegelte Höcherl ab.214 Wenig überraschend setzte auch der Kreis um die Filmkritik in vielen Kommentaren besonders beim Auswahlmodus an. Es profitierten bei dieser einschlägigen Zusammensetzung und dem konformistischen Filmverständnis des Gremiums ja doch nur die „Mittelmäßigkeit“, die „Bankrotteure“ und die „Altherren-Riege“ aus Produzenten und Regisseuren, die die Misere durch ihre uninspirierte Arbeit selbst befördert hätten. Angesichts solcher Kommissionen aus „Zensoren, Beamte[n] und Berufskatholiken, allesamt erklärte Anhänger der derzeitigen Regierungspartei“, überraschte die Gruppe nicht, dass etwa bei den in der Zwischenzeit zusätzlich eingeführten Drehbuchprämien nahezu keine Einsendungen der jungen „Oberhausener“ bedacht wurden.215 In einem längeren Artikel trieb schließlich Heinz Ungureit die Kritik an der personellen Zusammensetzung des Prämienausschusses weiter und zeigte Mitglied für Mitglied die einseitige Gewichtung zugunsten „der bonner Linie“ auf. Nur zwei Abgeordneten von SPD und FDP und einem Zeit-Redakteur sei überhaupt Aufbegehren in den Ausschussdiskussionen zuzutrauen: Geht es um Streitfälle, wann ein ‚politischer Propagandafilm‘ vorliegt oder wann ‚auf das sittliche und religiöse Empfinden nicht angemessene Rücksicht‘ genommen ist, so darf man Widerspruch bestenfalls von Peter Jacobs, Siegfried Zoglmann und René Drommert erwarten. Drei Viertel der Mitglieder werden sich schnell einigen.216

Ungureit zählte diese Mehrheit auf, neben anderen den FBW- und FSK-Funktionär Theo Fürstenau – „er fördert lieber das Unverfängliche anstatt Zeitkritisches“ –, Heinz Beckmann von der FBW, dem weiter sein Gutachten zu Notizen aus dem Altmühltal nachgetragen wurde, und Franz Rowas aus dem Auswärtigen Amt, der ständig durch Eingriffe auf internationaler Ebene auffalle. Weitere Vertreter, aus den Ministerien und der Unionsfraktion, von der Branchenpresse und katholischen Verbänden, zählten ebenfalls kaum „zu den besonders verständnisvollen Freunden moderner Filmkunst“. Ungureits Text endete mit einem sehnsüchtigen Blick nach Frankreich, wo ein ähnliches Gremium mit namhaften Intellektuellen wie Marguerite Duras und Raymond Queneau besetzt worden sei.217 214 Vgl. Redebeitrag Hermann Höcherl, 7. Sitzung, 7. 12. 1961, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 4. Wahlperiode, Bonn 1962, S. 131. 215 Diese Zitate und Kritikpunkte sämtlich aus Wilfried Berghahn: Vier Millionen, in: Filmkritik, Nr. 3, 1961, S. 129 f.; Enno Patalas: Prämien für die Braven, in: Filmkritik, Nr. 10, 1961, S. 465; ders.: Zwei Millionen für die Bankrotteure, in: Filmkritik, Nr. 1, 1963, S. 2 f. 216 Heinz Ungureit: Zur Förderung berufen, in: Filmkritik, Nr. 4, 1963, S. 169–172, hier S. 170 f. 217 Vgl. ebd., S. 171 f.

5.4 Filmpolitik

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In den langwierigen Diskussionen über ein Gesetz zur Filmfinanzierung meldeten die Vertreter der unterschiedlichen Filmwirtschaftssparten regelmäßig lautstark ihre Ansprüche an und kamen beispielsweise in den Sitzungen der Bundestagsausschüsse ausgiebig zu Wort. Gerade die Produzenten plädierten dabei zumeist schlicht für weitgehend bedingungslose Finanzzuschüsse.218 „Freiheit“, von kontrollierenden Maßnahmen oder eben von der Vergnügungssteuer und sonstigen ökonomischen Sorgen, sollte der Ausweg aus der Filmkrise sein. Die Industrierepräsentanten scheuten sich nicht, die deutsche Teilung in diese Argumentationsstrategie einzubauen. Der Präsident ihrer „Spitzenorganisation“ verwies in seiner Ansprache zum Berliner Festival von 1963 wiederholt auf die Unfreiheit jenseits von Mauer und Grenze und zog daraus auch folgende Schlüsse: Gerade im Interesse einer von fremden Einflüssen freien Filmproduktion sollten wir daher auch an dieser Stelle mit allem Nachdruck unsere Forderung wiederholen, dem Film überall eine wirtschaftliche Basis zu schaffen, die ihn unabhängig von solchen fremden Einflüssen macht, die wir gerade unter dem Gesichtspunkt der Freiheit nicht gern sehen möchten.219

Im Raum stand die Einrichtung eines „Filmwirtschaftsfonds“, aus dem, angelehnt an die jeweiligen Einspielergebnisse, Gelder ausgeschüttet werden sollten. Die Filmkritik befürchtete ein „Anti-Kulturgesetz“, das wieder die marktgängigen, aber seichten Produktionen bevorteile und aufgrund der Gremienzusammensetzung der Industrie sehr gelegen komme.220 Enno Patalas nahm selbst an einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss teil – anschließend berichtete er frustriert über die herablassende Jovialität des zuständigen CDU-Abgeordneten Berthold Martin und dessen auffällige Nähe zu den Interessenvertretern der Filmindustrie.221 1967 kam schließlich das Gesetz und mit ihm die noch heute operierende Filmförderungsanstalt. Tatsächlich begünstigte die Konstruktion zunächst überwiegend die populären Lehrer- oder Sexkomödien, sehr zum Unmut der nonkonformistischen Filmemacher um Alexander Kluge. Ihre Hoffnungen auf den deutschen Autorenfilm belebte seit 1965 immerhin das aus Bundesmitteln gespeiste Kuratorium Junger Deutscher Film, in dessen Auswahlausschuss auch Ulrich Gregor von der Filmkritik mitwirkte.222

218 Vgl. zum Beispiel Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik am 20. 6. 1963, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestags, Berlin, 3117 A 4/8, Protokoll 20. 219 Ansprache des Präsidenten der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, Dr. Wolf Schwarz, anläßlich der Eröffnung der XIII. Internationalen Filmfestspiele am Freitag, dem 21. Juni 1963, im Zoo-Palast, Deutsche Kinemathek, Berlin, Berlinale-Archiv, WB 1963 1/3, Informationsbericht, S. 79 f., hier S. 80. 220 Vgl. Enno Patalas: Keine Filmkunst im Fernsehen – Folgen des Martin-Gesetzes, in: Filmkritik, Nr. 3, 1964, S. 115; zum Gesetz vgl. außerdem ders.: Interessenwirtschaft statt Kulturpolitik, in: Filmkritik, Nr. 4, 1963, S. 153–155; ders.: Schlachtfest, in: Filmkritik, Nr. 7, 1963, S. 305 f.; ders.: Winkelzüge, in: Filmkritik, Nr. 2, 1964, S. 59. 221 Vgl. Wilfried Berghahn / Enno Patalas: Oberhausener Stenogramm, in: Filmkritik, Nr. 3, 1964, S. 153–158, hier S. 156 f. 222 Vgl. Enno Patalas: Wird das Kuratorium den deutschen Film kurieren?, in: Filmkritik, Nr. 9, 1965, S. 489. Zur geschilderten Entwicklung der Filmwirtschaftspolitik vgl. Grob: Film der Sechziger Jahre, S. 232 und 237 f.; Uka: Abschied von gestern, S. 202 f.

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5 Cinema Nuovo, Filmkritik und die 1960er Jahre

5.5 DIE POSITION IN DER FILMKULTUR 5.5.1 Cinema Nuovo, weiter umtriebig und unbequem – und in Bedrängnis? Die Kritiker um die Cinema Nuovo sind als umtriebige und unbequeme Akteure der italienischen Filmkultur der 1950er Jahre beschrieben worden. Dass die Bereitschaft zur Konfrontation und Polemik auch in der Folgezeit nahezu ungebrochen war, hat der zusammenfassende Blick auf die Stellungnahmen Guido Aristarcos und der relativ geschlossenen und jungen „équipe“, die sich um ihn formiert hatte, verdeutlicht. Nicht nur, aber gerade an einem zentralen Duo der Kritikergruppe, an Aristarco und Renzo Renzi, lässt sich zudem verfolgen, dass weiterhin auch abweichende Meinungen und Haltungen diskutiert und veröffentlicht werden sollten, und dass dieser Kreis auf vielfältige Weise im italienischen Filmwesen vernetzt blieb. Durch ihre guten Kontakte, beispielsweise durch Renzis Arbeit an seiner erfolgreichen Filmbuchreihe,223 waren sie stets auf dem Laufenden über die aktuellen Filmprojekte der wichtigsten einheimischen Regisseure. Renzi erhielt von seinem Autorenkollegen Tullio Kezich oder von Federico Fellini selbst Einblick in die Dreharbeiten zu La dolce vita, und Michelangelo Antonioni berichtete ihm direkt von den Liparischen Inseln über die strapaziösen Arbeitsbedingungen bei L’avventura.224 Aristarco ahnte schon früh etwas von der späteren Relevanz von Luchino Viscontis Rocco e i suoi fratelli: „Ho già letto il trattamento di Rocco e non mi sembra male. […] Ho parlato a lungo con Visconti, e penso che Rocco possa diventare un film molto importante. Luchino è entusiasta del suo nuovo film.“225 Er pflegte über die Regisseure hinaus italienweit ausgiebige Briefkontakte mit Kritikern und sonstigen Autoren oder mit Filmclubs.226 Wie seit der Nachkriegszeit fertigte Renzo Renzi weiter Dokumentarfilme an, zum Beispiel präsentierte er 1965 in La buona stagione eine unorthodoxe Deutung der Resistenza mit dem Fokus auf ihre sozialrevolutionären Ausleger – ähnlich, wie die vormals aktiveren Mitstreiter der Zeitschrift, Lino Del Fra, Cecilia Mangini oder Michele Gandin, sich mit diesem Thema oder der Kontinuität des Faschismus in der italienischen Gegenwart auseinandersetzten. Diese Werke wurden einmal mehr von konservativen Politikern geschmäht, wenn nicht in ihrer Verbreitung oder schon bei der Herstellung behindert.227 Bei ihren Filmen oder verschiedenen Buchprojekten folgten Renzi und Aristarco ihren politischen und künstlerischen Überzeugungen, waren aus existenziel223 Vgl. Gandini: L’editoria cinematografica, S. 516 f. 224 Vgl. Tullio Kezich an Renzo Renzi, Mailand, 24. 4. 1959, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Epistolario, Kezich, Tullio (2); Federico Fellini an Renzo Renzi, Rom, 30. 3. 1959 und 10. 8. 1959, ebd., Corrispondenza, Fellini, Federico – 1. „Davvero, freddo e fame“, hieß es in einem Brief von Michelangelo Antonioni an Renzo Renzi, Panarea, vermutlich Oktober 1959, ebd., Corrispondenza, Antonioni, Michelangelo – 1. 225 Zitate aus den Briefen von Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 16. 10. 1959 und 9. 11. 1959, ebd., Corrispondenza, Aristarco, Guido – 7. 226 Vgl. exemplarisch die Briefsammlung ebd., Fondo Guido Aristarco, 274 A3. 227 Vgl. Roberto Nepoti: Documentari, cinegiornali e cinema non fiction, in: De Vincenti (Hg.): Storia, S. 207–219, hier S. 211–215.

5.5 Die Position in der Filmkultur

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len Gründen aber auch zu einer hohen publizistischen Aktivität gezwungen. Die Cinema Nuovo lief nach der Formatumstellung gut und war eine anerkannte Größe der Filmpresse. Doch bei aller Resonanz und intellektueller Wertschätzung: Die Auflagen von, soweit überhaupt rekonstruierbar, einigen Tausend Exemplaren228 reichten selbst im kinobegeisterten Italien nicht aus, um den Journalisten der Filmzeitschriften ökonomische Sicherheit zu gewährleisten. In den Korrespondenzen Renzo Renzis und Guido Aristarcos aus den 1950er und 1960er Jahren finden sich laufend Hinweise auf die prekäre Lage der Filmpublizisten, selbst der Drehbuchautor Cesare Zavattini musste zwischenzeitlich nebenbei in einem Verlag arbeiten.229 Neben den aufwändigen Recherchen für seine Dokumentationen produzierte Renzi kleinere Beiträge für das Fernsehen, Aristarco schrieb inzwischen auch für die Stampa.230 Es waren Rückschläge, wenn durch Meinungsverschiedenheiten mit den Regisseuren die lukrativen Buchprojekte scheiterten;231 oder aber, als Aristarco lange Zeit vergeblich darauf hoffte, in der universitären Lehre Fuß zu fassen und am Ende der 1960er Jahre frustriert bilanzierte: „Il 1968 è stato il peggiore anno della mia vita, soprattutto dal punto di vista economico. E non ho ancora avuto una chiamata dall’Università.“232 Im nächsten Jahrzehnt gelang es ihm aber schließlich, eine der ersten Professuren für Filmwissenschaft in Italien zu besetzen. Die Briefwechsel zwischen den beiden wichtigen Protagonisten der Cinema Nuovo waren angesichts dieser latenten Probleme immer wieder von Klagen über Erschöpfung geprägt. Renzo Renzi litt beispielsweise 1961 an dem, was heutzutage „Burnout“ genannt würde. Anschließend assoziierte er in einem sehr persönlichen und offenen Artikel in der Zeitschrift die Sinnsuche und Selbstfindung der Hauptfigur in Fellinis 8 ½ mit seiner eigenen psychischen Krise.233 Fellini, mit dem er als dessen erster Biograph verbunden war, hatte versucht, ihn aufzubauen – wobei zweifelhaft bleibt, ob die Methoden tatsächlich hilfreich waren, zu denen der Regisseur in einem Herrenwitzchen riet: „Vedrai che incontrerai una bella culona (come capitò a me) che metterà a posto tutto. Terapicamente più efficace di qualunque psicanalista.“234 „[M]i dispiace che tu abbia dovuto interrompere il lavoro per un grave esaurimento nervoso. Anch’io, come sai, non mi sento bene, e temo di mettermi a letto, un giorno o l’altro. Certo non conduciamo una vita ‚tranquilla‘. Ma bisogna andare avanti“, versuchte auch Aristarco, seinen Kollegen zu trösten 228 Vgl. Pellizzari: Le nuove forme, S. 552. 229 Vgl. Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 14. 11. 1958, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 7. 230 Zu den Dokumentarfilmen vgl. zum Beispiel Michele Gandin an Renzo Renzi, Rom, 7. 5. 1964, ebd., Epistolario, Gandin, Michele (3); zur Arbeit im Fernsehen Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 15. 5. 1962, ebd., Corrispondenza, Aristarco, Guido – 8. Zu Aristarcos neuer Tätigkeit vgl. Pellizzari: La critica, S. 478. 231 Vgl. Renzo Renzi an Michelangelo Antonioni, ohne Ort, 11. 3. 1967, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Antonioni, Michelangelo – 2; Guido Aristarco an Renzo Renzi, Genua, 31. 3. 1967, ebd., Corrispondenza, Aristarco, Guido – 10. 232 Guido Aristarco an Renzo Renzi, Genua, 14. 1. 1969, ebd. 233 Vgl. Renzi: Mezza età (Cinema Nuovo, Nr. 162, 1963), besonders S. 112 und 114. 234 Federico Fellini an Renzo Renzi, Rom, 13. 9. 1961, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Fellini, Federico – 1.

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5 Cinema Nuovo, Filmkritik und die 1960er Jahre

und lud ihn zu einer „Luftveränderung“ nach Mailand ein.235 In diesen Krisenphasen zeigten sich die Kritiker einander solidarisch und behielten ihre Zusammenarbeit in der Zeitschrift nach Möglichkeit bei – obwohl sie wie in den 1950er Jahren nicht immer einer filmkritischen Meinung waren und Renzi als demonstrativ unabhängiger Autor das strenge Realismuskonzept Aristarcos weiter hinterfragte. Schon Jahre zuvor hatte er Fellinis Schaffen nicht so schlecht bewertet und empfand nun dessen vermeintlichen „Naturalismus“ in 8 ½ ebenso wie Luchino Viscontis politische Implikationen im Gattopardo nicht als dramatische Verfehlungen, vielmehr kokettierte Renzi in der Cinema Nuovo ein wenig mit dem Dogmatismus Aristarcos und ihren Auseinandersetzungen.236 Redaktionsintern sah sich der Chefredakteur somit immer wieder zur Reflektion seines Lukács’schen Realismus gedrängt. Nach außen verstrickte sich die streitlustige Kritikergruppe die gesamten 1960er Jahre über ebenfalls in etliche, nicht selten grundsätzliche Debatten mit anderen Publizisten und Publikationen. Einige frühere Rivalitäten waren aber längst abgeklungen: Die Cinema existierte schon lange nicht mehr, die Bianco e Nero war nach ihrer politisch konfrontativen, konservativen Phase wieder zur unaufgeregten, gründlichen Filmanalyse zurückgekehrt.237 Umberto Barbaro, einer der unbeirrtesten Verfechter des sozialistischen Realismus sowjetischer Prägung, der dadurch immer wieder mit der politisch unabhängigeren Cinema Nuovo aneinandergeraten war, war bereits 1959 verstorben. Guido Aristarco widmete ihm einen respektvollen Nachruf, thematisierte allerdings gleichzeitig die Polemiken und abweichenden filmtheoretischen Dogmen.238 Zwischen den Urteilen der gesellschaftskritischen Autorengruppe und denen der konservativen, christlichen oder wirtschaftsnahen Tages-, Wochen- und Fachpresse herrschten weiter häufig die offensichtlichen Diskrepanzen. Das belegt der Blick auf die gesammelten Rezensionen zu einigen prominenten italienischen Filmen dieser Epoche. Ganz abgesehen von den geschilderten Sittlichkeitskampagnen und moralisierenden Zensurmaßnahmen gegen etliche Werke, die in Teilen der Presse verteidigt und weitergeführt wurden: Bei La dolce vita etwa beschäftigte sich Aristarco in seiner Rezension ja überwiegend mit dem unzureichenden Realismus Fellinis. So war er einerseits kaum bereit, von einem „capolavoro“ zu sprechen wie der Corriere lombardo und andere Stimmen,239 andererseits teilte er schon gar nicht die Sorgen einer verzerrten Repräsentation, die etwa der Corriere d’informazione empört vorbrachte: „Le porcherie di pochi degenerati diventano così il costume di tutta una classe e all’estero si dirà, un po’ ridendo e un po’ schifati: ‚Questa è l’Italia‘.“240 Bei 235 Zitate aus den Briefen von Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 14. 4. 1961 und 26. 9. 1961, ebd., Corrispondenza, Aristarco, Guido – 8. 236 Vgl. Renzi: Luchino Visconti (Cinema Nuovo, Nr. 167, 1964), S. 29 f. 237 Vgl. Bragaglia: Critica e critiche, S. 69 f.; Pellizzari: Le nuove forme, S. 559 f. 238 Vgl. Guido Aristarco: Umberto Barbaro e i „brucatori d’erba“, in: Cinema Nuovo, Nr. 138, März/April 1959, S. 100 f. 239 Vgl. Corriere lombardo, 6. 2. 1960, sowie weitere Pressestimmen in der Cineteca di Bologna, Fondo Padre Nazareno Taddei, Schede, La dolce vita. 240 Corriere d’informazione, 6. 2. 1960; zum insgesamt stark gespaltenen Presseecho auf den Film vgl. Marino Biondi: La dolce vita, echi dalla stampa, in: Antonio Maraldi / Eugenia Paulicelli (Hg.): 1960, un anno in Italia tra cultura e spettacolo, Cesena 2010, S. 103–110.

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Rocco e i suoi fratelli stießen vielen Kommentatoren die drastischen Szenen einer Vergewaltigung und eines Mordes als maßlos, „exzessiv“, als „in parecchi punti degenerato nel cattivo gusto fino alla nausea“ auf.241 Dabei, so schrieb es Aristarco auch für La Stampa, ergäben sich diese Szenen doch zwangsläufig aus dem realistisch gezeichneten Kontext und zwängen den Zuschauer zu einer notwendigen Reflektion.242 In typischer Weise wichen zudem die Reaktionen auf Ermanno Olmis Il posto voneinander ab. Der Film schildert den ersehnten Einstieg eines sehr jungen Absolventen aus der Mailänder Peripherie in einen festen Bürojob. Der Cinema Nuovo geschah dies zu „vage“, Paolo Gobetti vermisste eine mutige, von Details abstrahierende Analyse des Angestelltendaseins im Kapitalismus.243 Konservative Kritiker, angeführt von der katholischen Rivista del Cinematografo, priesen aber gerade die „menschliche“, vermeintlich apolitische Einfühlung in dieses Einzelschicksal und dessen vorbildliche Bescheidenheit an: Olmi non segue la via battuta tristamente da tutti con la rappresentazione di un’orgia di vizio, di fango, di scandali per documentare le piaghe che affliggono l’umanità: mostra, invece, il modello sano e positivo cui ispirarsi per vivere civilmente e dignitosamente secondo le regole antiche e certe che, se rinnegate, portano l’individuo al fallimento e all’angoscia, la società al caos e all’anarchia.244

Gemeinsamkeiten fanden die Kritiker um Aristarco eher mit den Kollegen von der Presse der linken Parteien: Der sozialistische Avanti und die kommunistische Unità lobten Rocco e i suoi fratelli ebenfalls in höchsten Tönen und attackierten seine filmpolitischen Hindernisse.245 Die Kulturpolitik und das Feuilleton der Kommunisten befanden sich seit der Krise von 1956 und ihren intellektuellen Folgen weiter im Wandel und in einigen Grundsatzdebatten verfangen. Jüngere Publizisten und Funktionäre nahmen Abstand vom eher geringen Engagement der Partei in der Filmproduktion und -förderung und suchten nach Möglichkeiten eines kritischen, neuen, von der Industrie unabhängigen Kinos in Italien. Die jungen kommunistischen Filmkritiker aus diesen Kreisen öffneten sich in ihren Beiträgen für die verschiedenen „neuen Wellen“ des internationalen Films und deren modernisierte Filmsprache – im Dissens zu einigen Veteranen des sozialistischen Realismus, die noch einflussreiche Positionen in den parteinahen Kulturzeitschriften wie der Vie Nuove besetzten.246

241 Zitat aus L’Italia, 16. 10. 1960; vgl. auch Giornale del mattino, 7. 9. 1960; Corriere della sera, 16. 10. 1960; L’Europeo, 6. 11. 1960. 242 Vgl. La Stampa, 22. 11. 1960; Aristarco: Una storia italiana (Cinema Nuovo, Nr. 148, 1960), S. 528. 243 Vgl. Resa al labirinto (Cinema Nuovo, Nr. 182, 1966), S. 249; Paolo Gobetti: Tra gli esiliati opere ragguardevoli, in: Cinema Nuovo, Nr. 153, September/Oktober 1961, S. 408–415, hier S. 410 f. 244 Rivista del Cinematografo, September/Oktober 1961; ähnlich zudem Il Tempo, 21. 10. 1961; Scena illustrata, Dezember 1961. 245 Vgl. Avanti, 16. 10. 1960; L’Unità, 16. 10. 1960 und 29. 10. 1960. 246 Zu diesen Debatten vgl. Consiglio: PCI, S. 212–246.

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5 Cinema Nuovo, Filmkritik und die 1960er Jahre

Die Redaktion der Cinema Nuovo nahm seit den frühen 1960er Jahren verstärkt eine so genannte „critica del gusto“ ins Visier, ob sie nun in Zeitungen oder in Magazinen praktiziert werde. Diese urteile zufällig, subjektiv, aus der Laune heraus über die besprochenen Filme; sie sei „impressionistica“ – ein aus der Filmkritik bestens bekannter Angriffspunkt. Ihr fehlten ein kulturtheoretisches Gerüst und klare Urteilskriterien, wohingegen der Kreis der Cinema Nuovo mit dem kritischen Realismus über eine solide „metodologia critica“ verfüge.247 Stellvertretend für die „critica del gusto“ attackierte Adelio Ferrero in der Zeitschrift den Filmjournalisten Morando Morandini. Morandini, 1924 geboren, schrieb schon seit jungen Jahren regelmäßig beispielsweise für La Notte in Mailand. Dabei war er häufiger zu ähnlichen Urteilen wie die Cinema Nuovo gekommen, wenn es etwa darum ging, dass Vittorio De Sicas Neorealismus mit Il tetto in die Jahre gekommen sei.248 Mit der Zeit ließ er sich – auch in seiner eigenen, kurzlebigen Zeitschrift Schermi249 – von französischen Regisseuren und Kritikern inspirieren und fokussierte sich verstärkt auf stilistische und ästhetische Fragen. La dolce vita war für ihn vor allem ein formales Meisterwerk und in einer Zeit, in der viele Kritiker kaum Formulierungen und Kategorien für Michelangelo Antonionis modernen, lakonischen Stil fanden, lobte und erklärte er, „che un film può anche non raccontare una storia dove i fatti siano organizzati lungo una solida e coerente parabola drammatica“, und dass der Regisseur mit La notte seine „maturità“ erreicht habe.250 1962 hatte Morandini nun in der Stasera einen US-amerikanischen Kriegsfilm mit Begeisterung und literarischen Vergleichen überhäuft, zur Empörung von Ferrero. An Morandinis Rezension zeige sich beispielhaft, wie improvisiert, „dilettantesca“ und auch politisch unbedarft die „critica del gusto“ sei.251 Zwischen den Zeilen zeigte sich sowohl in der Kontroverse mit Morandini als auch in den erwähnten Sticheleien Renzo Renzis, dass das Prinzip des kritischen Realismus nach Georg Lukács, das Guido Aristarco und seine gleichgesinnten Mitarbeiter in die veränderte italienische Filmkultur der 1960er Jahre weitertrugen, auch in dieser Zeit aus verschiedenen Richtungen umstritten war. Wie gehabt ließ Aristarco diesen Grundsatzdiskussionen zumindest einen begrenzten Raum in der Zeitschrift. Oreste del Buono, Mitglied des erweiterten Autorenkreises, regte gemeinsam mit Tommaso Giglio 1961, knapp zehn Jahre nach Aristarcos „revisione critica“, eine „verifica critica“ an, ob denn der „realismo critico“ noch zeitgemäß und dem gegenwärtigen Filmschaffen angemessen sei.252 Giglio formulierte konkrete Einwände gegen den traditionellen kritischen Realismus der Cinema Nuovo. Seine Verfechter hätten sich zu sehr auf die Inhalte und Botschaften der Filme be247 Vgl. Aristarco: Prefazione, S. IX f. 248 Vgl. La Notte, 11. 5. 1956. 249 Vgl. Pellizzari: Le nuove forme, S. 560. 250 Vgl. La Notte, 6. 2. 1960; Zitat aus La Notte, 25. 1. 1961. 251 Vgl. Adelio Ferrero: Parossismo di un „critico“, in: Cinema Nuovo, Nr. 160, November/Dezember 1962, S. 428 f. 252 Vgl. Oreste Del Buono / Tommaso Giglio: Dalla „revisione“ alla „verifica critica“, in: Cinema Nuovo, Nr. 152, Juli/August 1961, S. 297 f.

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schränkt, so dass er ein mittlerweile abgestumpftes Analyseinstrument sei: „Il criterio dei realisti d’oggi è volgare proprio perché non mira all’essenza dell’opera, all’analisi della sua integrità, ma preferisce la via di comodo di giudicare in base alla ‚visione del mondo‘ che vi è espressa letteralmente“.253 Giglio wollte ebenfalls formal-ästhetische Aspekte wieder stärker beachten, um den Kunstwerken in ihrem „dialektischen“ Zusammenspiel zwischen Form und Inhalt gerechter zu werden.254 Dass Aristarco demgegenüber immer wieder auf der ungebrochenen Verwendbarkeit des kritischen Realismus beharrte, führte Gian Piero Brunetta zu seiner Diagnose der „sclerosi“ der Cinema Nuovo in den 1960er Jahren, die früher oder später zum Ausstieg vieler langjähriger Mitstreiter und auch der zwischenzeitlichen Neuzugänge geführt habe.255 Der Gründer der Zeitschrift hielt ihr Erscheinen jedoch, neben seinen weiteren Tätigkeiten als Publizist und seiner universitären Lehre, bis zu seinem Tod 1996 aufrecht. 30 Jahre zuvor war der kritische Realismus als filmkritisches Konzept jedenfalls deutlich in die Defensive geraten. In den Chor seiner Gegner stimmte abermals auch die alte Konkurrenz von der Filmcritica ein.256 Kritik an der Maxime der Cinema Nuovo kam bald zudem von einer neuen Fraktion unter den italienischen Filmkritikern, aus Richtung der Cinema 60. Diese Debatten um die Aktualität des kritischen Realismus der Cinema Nuovo hingen wie im deutschen Fallbeispiel eng zusammen mit dem filmtheoretischen Paradigmenwechsel, der nicht nur unter den Kritikern Italiens wesentlich durch Einflüsse aus Frankreich, aus dem Umfeld der Nouvelle Vague, ausgelöst wurde. Die Cinema 60 wurde im namensgebenden Jahr von einer Gruppe kommunistischer Kritiker um Mino Argentieri, Tommaso Chiaretti und Spartaco Cilento gegründet, die sich aber deutlich abseits der Parteilinie bewegten.257 Die Texte in dem anfangs noch schmalen, in geringer Auflage gedruckten Heftchen richteten sich in kämpferischer, aggressiver Sprache gegen die italienische Filmpolitik und ihre einschränkenden Maßnahmen, gegen die Zensur, gegen das „verfaulte“ italienische Filmwesen – und verbanden diesen Protest mit dem antifaschistischen Widerstand zum Beispiel des Sommers 1960.258 Die Redaktion der Cinema 60 vertrat anfangs ebenfalls den filmischen Realismus, obgleich in einer weniger dogmatischen und klar umrissenen Form.259 Die skizzierten Anliegen dieser Neugründung verbanden sie somit eigentlich eindeutig mit der etablierten Cinema Nuovo – die später so heftig entflammten Konflikte um die spezifisch filmkritische Ausrichtung spielten sich demnach vorwiegend innerhalb der Linken der italienischen Filmkultur ab. 253 Oreste Del Buono / Tommaso Giglio: „Verifica critica“ e analisi dialettica, in: Cinema Nuovo, Nr. 154, November/Dezember 1961, S. 516–520, hier S. 517. 254 Vgl. ebd., S. 518. 255 Vgl. Brunetta: Storia, Bd. 4, S. 122–124; auch Pellizzari: Le nuove forme, S. 557; ders.: La critica, S. 478 f. 256 Vgl. Elio Mercuri: Discussione sul cinema, in: Filmcritica, Nr. 117, 1962, S. 69–71, hier S. 70 f.; zur Reaktion darauf vgl. Rider’s indigest, in: Cinema Nuovo, Nr. 156, März/April 1962, S. 133 f. 257 Zur Gründung und Entwicklung der Zeitschrift vgl. zum Beispiel Bragaglia: Critica e critiche, S. 100 f.; Brunetta: Storia, Bd. 4, S. 125–127; Pellizzari: Le nuove forme, S. 554 f. 258 Vgl. exemplarisch für diese Punkte Editorial, in: Cinema 60, Nr. 2, 1960, S. 3 f. 259 Vgl. Editorial, in: Cinema 60, Nr. 1, 1960, S. 1.

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5 Cinema Nuovo, Filmkritik und die 1960er Jahre

Erste Indikatoren für diese filmkritischen Reibungen fanden sich bald. Die Cinema 60 hob die beispielhafte Vergangenheitsanalyse und den Widerstandsgeist von Florestano Vancinis La lunga notte del ’43 hervor, während der Regisseur für die Cinema Nuovo eine zu individualistisch beschränkte Perspektive eingenommen hatte.260 Zu einem wichtigen Anlaufpunkt für einige Mitarbeiter der Cinema 60 entwickelte sich ein Festival in Porretta Terme im Bologneser Umland.261 Die „Mostra internazionale del cinema libero“ war 1960 als unkonventionelle Alternative zum mondänen und offiziösen Filmfestival von Venedig initiiert worden. Lorenzo Pellizzari bemängelte an ihrer zweiten Ausgabe die schlechte Vorbereitung und Organisation,262 das desinteressierte Auftreten von Jurymitgliedern, und spekulierte über den Einfluss eines christdemokratischen Abgeordneten auf die Veranstaltung. Ein verstimmter Austausch von Redaktionsnotizen entwickelte sich, in dem Pellizzari noch versuchte, auf die grundsätzlich geteilten gesellschaftspolitischen Ansichten abzuheben: „Credo ancora, per esempio, nella possibilità di un dialogo concreto, in una lotta unitaria – ma tutta di sinistra, quella vera, senza concessioni – per la pace, la libertà e una democrazia effettiva.“263 Hinzu kamen schließlich Ansätze von Konflikten zwischen den Kritikergenerationen. Ohne dass er Namen nannte, meinte Renzo Renzi 1961 gerade Autoren der Cinema 60 und der Filmcritica, als er sich über eine „rivolta dei minori“ erregte und junge Kollegen dazu aufforderte, einmal selbst ihre Konzepte und Präferenzen darzulegen. Denn er nahm zusehends – oftmals vulgär formulierte – Attacken auf die Pioniere des Neorealismus und Realismus sowie zum Beispiel auf die Cinema Nuovo wahr und empfand diese als fehlgeleitet und undankbar: „Altra era la nostra rivolta, quando ci si ribellava ai padri che avevano fatto il fascismo e il cinema dei ‚telefoni bianchi‘. Stavolta, invece, ci si ribella contro gli uomini che, nel dopoguerra, tutti assieme, hanno fatto il miglior cinema del mondo.“264 Einer der Leser, deren Reaktionen auf Renzis Beitrag abgedruckt wurden, verwies auf den aktiven Antifaschismus in beiden Generationen der Linken und die von beiden empfundenen Ungerechtigkeiten des italienischen Wirtschaftswunders265 – damit konturierte er wesentliche Verbindungsachsen zwischen dieser Kritikergruppe und den jugendlichen und studentischen Protestbewegungen des Jahrzehnts, die trotz aller filmkritischer Dissonanzen immer wieder zu beobachten waren. 260 Vgl. Renato Sitti: Florestano Vancini. La fine di una lunga notte, in: Cinema 60, Nr. 5, 1960, S. 20 f.; für die Position der Cinema Nuovo Kapitel 5.2.1. 261 Vgl. Renzo Renzi / Giampaolo Testa: Vent’anni dopo, in: Vittorio Boarini / Pietro Bonfiglioli (Hg.): La mostra internazionale del cinema libero (1960–1980), Venedig 1981, S. 11–24, hier zum Beispiel S. 15. 262 Dass er diese Kritik nicht exklusiv hatte, zeigt ein Brief des kommunistischen Kritikers Ugo Casiraghi an Renzo Renzi, Mailand, 8. 8. 1960, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Epistolario, Casiraghi, Ugo. 263 Lorenzo Pellizzari: I veri equivoci e i falsi fucili, in: Cinema Nuovo, Nr. 161, Januar/Februar 1963, S. 3 f., hier S. 4. 264 Renzo Renzi: La rivolta dei minori, in: Cinema Nuovo, Nr. 154, November/Dezember 1961, S. 494. 265 Vgl. Giovani in rivolta e verifica critica, in: Cinema Nuovo, Nr. 156, März/April 1962, S. 120– 125, hier S. 125.

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5.5.2 Die omnipräsenten „Obercinéasten“ der Filmkritik Die ersten Schaffensjahre des Kreises um die Filmkritik sind als Jahre der Emanzipation von der vorherrschenden Filmkultur in der Bundesrepublik beschrieben worden. Ab Anfang der 1960er Jahre gewann die Kritikergruppe mit ihrem nun offener gestalteten Blatt deutlich an Präsenz und Einfluss in eben jener Filmkultur. Zusammengefasst war die Filmkritik in diesem Jahrzehnt, wie in der Filmpolitik oder gegenüber dem kommerziellen Filmschaffen, weiter um die kämpferische Abgrenzung von vielen Kritikern der auflagenstarken Tages- und Wochenpresse, von industrienahen oder konfessionell geprägten Publikationen und von sonstigen etablierten Größen des einheimischen Filmwesens bemüht. Ihre Autoren trafen aber mit ihrer nonkonformistischen, gesellschaftskritischen Grundhaltung unter Filmkennern in einer allmählich veränderten Gesellschaft auch auf mehr Anerkennung und Übereinstimmung – am Rande ist bereits deutlich geworden, dass sie dadurch wiederum vermehrt Gefahr liefen, von radikaleren, jüngeren Stimmen ins Visier genommen und selbst im „Establishment“ verortet zu werden. Die vielschichtige Rolle der Filmkritik in der Kulturgeschichte der Bundesrepublik dieser Jahre soll nun aufgefächert werden. Zum Abschluss dieses Abschnitts wird das Verhältnis dieser Kritiker mit den Vertretern des Oberhausener Manifests und dem aufkommenden jungen deutschen Kino gesondert gewürdigt. Denn hier können noch einmal typische Aspekte der Filmkritik der 1960er Jahre herausgearbeitet und kontextualisiert werden: ihr engagiertes Streiten für eine alternative Filmkultur, ihre häufig noch stark ausgeprägte ideologiekritische Sperrigkeit und Anspruchshaltung und die sich einschleichenden Differenzen in der filmkritischen Ausrichtung. Von der Filmclubbewegung hatte sich der Kreis um die Filmkritik bereits in den ersten Ausgaben der eigenen Zeitschrift losgesagt. Bevor sich der deutsche Filmclubverband 1970 gänzlich auflöste und nach und nach in der Bewegung der kommunalen Kinos aufging,266 versuchten seine führenden Vertreter noch eine Zeit lang, ihre jährlichen Treffen durch eine Fusion mit dem Mannheimer Festival im Gespräch zu halten. Die Autoren der Filmkritik trauerten den Anfängen dieser Treffen, auf denen sie selbst initiiert worden waren, hinterher und begleiteten die neuen Ansätze zwar kritisch, aber ebenso hoffnungsvoll, dass nicht nur der „Klüngel bundesdeutscher Verleihpresse-Veteranen“ die Veranstaltungen dominieren werde.267 Doch bald sahen die Kritiker diese Hoffnungen schon wieder enttäuscht und bemängelten weiterhin die Konzeptlosigkeit und geringe Diskussionsfreude im Verband und auf den Treffen.268 Überdies befürwortete Heinz Ungureit die Enthüllung der NS-Vergangenheit des langjährigen Verbandsvorsitzenden Johannes Eckardt, der 1962 in der Folge sein Amt abgeben musste.269

266 Vgl. Paech: Die Schule der Zuschauer, S. 227. 267 Enno Patalas: Eine Chance für die Filmclubs, in: Filmkritik, Nr. 4, 1961, S. 177. 268 Vgl. Enno Patalas: Eine Chance wurde vertan, in: Filmkritik, Nr. 11, 1961, S. 513; Filmclubs mit Programm?, in: Filmkritik, Nr. 8, 1962, S. 386–388. 269 Vgl. Heinz Ungureit: Filmclubs ohne Programm, in: Filmkritik, Nr. 5, 1962, S. 193; retrospektiv dazu Patalas: Schluchsee, S. 64.

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Gunter Groll, dem viele der Attacken auf den „Feuilletonismus“ und den „Impressionismus“ in der westdeutschen Filmkritikerszene der 1950er Jahre gegolten hatten, schied im Folgejahrzehnt allmählich aus dem filmpublizistischen Tagesgeschäft aus. Die Gruppe der Filmkritik fand dennoch genug Kollegen aus der Tagesund Wochenpresse, an denen sie sich reiben konnte. Zwei Kritiker der Welt wurden beispielsweise für die mangelhafte Filmkultur in der Bundesrepublik mitverantwortlich gemacht, da sie die erheblichen Kürzungen an Antonionis L’avventura in ihren Rezensionen begrüßt hatten: „Und da wundern wir uns, daß es nicht gelingt, den deutschen Verleihern Achtung vor dem künstlerischen Werk beizubringen! Es scheint wirklich so zu sein, daß die Filmkritik bei uns ein gerüttelt Maß an Mitschuld für die unordentlichen Zustände in unserer Filmindustrie trägt.“270 1962 und 1963 brachte die Filmkritik eine ganze Serie über die deutsche Filmpublizistik, in der verschiedene Autoren mit den Illustrierten oder der Boulevardpresse abrechneten, Ulrich Gregor die „Oberflächlichkeit“ in der Berichterstattung von der Berlinale geißelte und Reinold E. Thiel an einem Filmbeispiel die „Unselbständigkeit der meisten deutschen Kritiker“ illustrierte, die überwiegend voneinander abschrieben.271 Im von der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Filmjournalisten herausgegebenen Jahrbuch der Filmkritik erschienen zwar auch Besprechungen aus der Filmkritik, ihre Redaktion machte sich aber gerne und regelmäßig über die darin enthaltenen Rezensionen von Kollegen lustig.272 Der Vorstand der AG stand weiter in Kontakt mit dem Bundespresseamt: Das Amt förderte die AG jährlich mit vierstelligen Summen und holte von dort im Gegenzug gelegentlich Informationen über die Entwicklungen in den internationalen Kritikergremien oder über Filmfirmen ein.273 Kritische Mitglieder wie Enno Patalas stießen mit ihren Vorschlägen in der Arbeitsgemeinschaft wiederholt auf Widerstand.274 Das latent konfrontative Klima und der schwelende Generationskonflikt in der bundesrepublikanischen Filmpresse basierten neben den jahrelangen Polemiken der Filmkritik auch auf einer Aktion jüngerer Kritiker, an der diese Zeitschrift maßgeblich beteiligt gewesen war. Seit einigen Jahren vergaben renommierte Filmjournalisten, von einer Illustrierten organisiert, den „Preis der deutschen Filmkritik“ und 1961 kürten sie Das Spukschloß im Spessart von Kurt Hoffmann zum besten Film. Diese Auszeichnung wurde mit einem „Preis der jungen Filmkritik“ gekontert, die denselben Film zur „schlechtesten Leistung“ des Jahres wählte. Wie ein Pressespiegel in der Filmkritik verdeutlichte, reagierten die „Altkritiker“ und auch die Branchenzeitschriften empfindlich, zu le270 Postscriptum, in: Filmkritik, Nr. 4, 1961, S. 223. 271 Die zitierten Schlagworte aus Ulrich Gregor: Die Berlinale im Spiegel der berliner Presse, in: Filmkritik, Nr. 8, 1962, S. 346–349, hier S. 346; Reinold E. Thiel: Applaus ist ansteckend, in: Filmkritik, Nr. 12, 1963, S. 551–554, hier S. 554; vgl. zudem Joe Hembus: Der Film und die deutschen Illustrierten, in: Filmkritik, Nr. 4, 1962, S. 158–160; Karl-Heinz Krüger: Der Film und die deutsche Boulevardpresse, in: Filmkritik, Nr. 5, 1962, S. 205–207. 272 Vgl. zum Beispiel Filmbibliothek, in: Filmkritik, Nr. 1, 1963, S. 47 f., hier S. 47. 273 Vgl. die umfangreichen Schriftwechsel zu diesen Fragen im Bundesarchiv, Koblenz, B 145/ 2767 und B 145/4548. 274 Vgl. Berghahn/Patalas: Oberhausener Stenogramm (Filmkritik, Nr. 3, 1964), S. 153.

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sen war beispielsweise von „Ruppigkeit“, „Herabwürdigung“ oder „arrogante[r] Anmaßung“ durch „Halbstarke“.275 Nicht nur die Serie über die deutsche Filmpublizistik, an der Gastautoren beteiligt waren, zeigte, dass die Redaktion der Filmkritik nun weniger als hermetische Clique arbeitete. Beim „Preis der jungen Filmkritik“ hatte sie mit anderen jüngeren, ebenso wenig „impressionistischen“ Kritikern kooperiert, von denen etwa Michael Lentz von der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung oder Hans-Dieter Roos von der Süddeutschen Zeitung vereinzelt Gastbeiträge verfassten.276 Die Filmkritik gab sich zumindest in begrenztem Rahmen offener für divergierende Auffassungen und Kritik an ihrer Rezensionspraxis. 1964 begann eine Serie „Kritik an der Filmkritik“ mit einem Text von Manfred Delling, einem der Filmredakteure der Welt. Delling störte sich zunächst am Stil der Filmkritik, der er „Verklemmung“, „Sprachsünden“ und Humorlosigkeit unterstellte.277 Er teilte das „marxistische“ Konzept dieser Kritiker nicht; für einige gesellschaftskritische Punkte, die die Zeitschrift vorbrachte, hatte er Verständnis, warf der Kritikergruppe insgesamt aber vor, Inhalte und Tendenzen der Filme zu überbetonen, wenn nicht gleich selbst zu konstruieren: Die verständliche, ja notwendige Gereiztheit der linken Kritik darüber, daß unsere Gesellschaft die Auseinandersetzung mit dem Faschismus verdrängt, verführt sie dazu, faschistische Situationen zu erfinden und zu einem Streit mit Phantomen aufzufordern. […] Die konventionelle Kritik ignoriert oder billigt ständig die unterschwelligen politischen Manipulationen des Konsumfilms, die linke Kritik läuft Gefahr, sie zu erfinden. Um ihren Thesen Nachdruck zu verleihen, geben sich ihre Schüler gerne omnipotent. Zweifel an ihrer Konfession werden für Schwäche erklärt.278

Dieser Kritiker der Filmkritik stand stellvertretend für Publizisten, die die Zeitschrift als „zu links“ attackierten und von dieser wiederum als mehr oder weniger „rechts“ angegriffen wurden. Dellings Wirken steht zudem stellvertretend für eine neue, wenngleich nur relativ kurz andauernde Entwicklung der westdeutschen Filmpublizistik der 1960er Jahre. Nach dem Eingehen des filmforums 1960 hatte die Filmkritik – abgesehen von den konfessionellen Filmratgebern und der Branchenpresse – für mehrere Jahre keine nennenswerte Konkurrenz auf dem Gebiet der Filmfachzeitschriften. Schließlich erwuchs ihr aber mit dem Filmstudio ein zwischenzeitlicher Rivale, der sie aus einer linkeren Position heraus kritisierte, wie weiter unten genauer beleuchtet wird. Und es gab seit 1963 die Zeitschrift Film, für die Manfred Delling neben der Welt arbeitete. Die Film kam als ein ambitioniertes Projekt auf den Markt: 10.000 Hefte betrug die Auflage der ersten Ausgabe, an der modern und aufwändig gestalteten, reich bebilderten Zeitschrift war neben anderen

275 Wie wichtig ist Kurt Hoffmann?, in: Filmkritik, Nr. 5, 1961, S. 270 f.; vgl. auch Theodor Kotulla: Der zweite Preis, in: Filmkritik, Nr. 5, 1961, S. 225 f.; Jung-deutsch, in: Der Spiegel, Nr. 16, 12. 4. 1961, S. 84–86. 276 Zu Roos vgl. Enno Patalas: Nachruf, in: Filmkritik, Nr. 1, 1966, S. 51. 277 Vgl. Manfred Delling: Kritik an der „Filmkritik“ (I), in: Filmkritik, Nr. 3, 1964, S. 158–161, vor allen S. 159 und 161. 278 Ebd., S. 160 f.

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auch Hans-Dieter Roos beteiligt.279 Die Redaktion war keiner klaren Ausrichtung verpflichtet, vielmehr war die stark fluktuierende Autorenschaft in Weltanschauung und Filmgeschmack relativ breit gefächert. Der Kreis der Filmkritik begrüßte die „liberale“ Neuerscheinung auf dem „Grundstück rechts“ von sich selbst ein wenig skeptisch.280 Uwe Nettelbeck stellte die Zeitschriften in der Zeit einander gegenüber: Die Filmkritik habe den „Vorteil der klaren Linie, moralisch, intellektuell und politisch“, wohingegen das Kritikerstelldichein in Film […] eine gewisse Undurchsichtigkeit mit sich [bringt]. Die Niveauunterschiede der einzelnen Beiträge sind frappant. […] Film hat die Chance, durch die eine oder andere Konzession sich eine breite und gemischte Leserschaft zu verschaffen. Film kann Filmkritik weder ablösen noch überflüssig machen, nur ergänzen.281

Nach wenigen Ausgaben zeichnete sich ab, dass die hohen Absatzziele der Film nicht erreicht wurden und nach einem Verlagswechsel und Differenzen schied Roos schon 1965 wieder aus, wofür Enno Patalas in der Filmkritik insbesondere den neuen Verleger kritisierte.282 Seine Redakteure verteidigten daraufhin ihre Offenheit auch für den Konsumfilm und verweigerten sich einer weltanschaulichen Festlegung, wie sie die Filmkritik vornehme: „Diese Zeitschrift gibt nichts darauf, sich mit nachdrücklicher Eitelkeit als ein Blatt ‚linker Kritik‘ (was immer das noch sein mag: links) zu definieren“, weiter sollten hier „ausdrücklich […] Meinungen verschiedener Couleur und mehrerlei Richtung zu Worte kommen.“283 Die Zeitschrift – nun als film mit verändertem Schriftzug – profilierte sich anschließend als entschiedenes Sprachrohr des Jungen Deutschen Films284 und Gegner des Filmgesetzes von 1967, hielt sich letztlich aber nur noch bis 1969. Die katholische und die evangelische Filmarbeit und damit die entsprechende konfessionelle Filmpresse waren in den 1960er Jahren zunehmend zerrissen zwischen liberaleren Strömungen einerseits und weiterhin rigiden Moralvorstellungen und grimmiger Kalter Kriegsführung andererseits. Erstere registrierten die Mitarbeiter der Filmkritik aufmerksam und gesprächsbereit, letztere führten wiederum zu einigen publizistischen Konfliktfällen. Die evangelische Filmpublizistik hatte schon länger – insbesondere durch die Zeitschrift Kirche und Film – einige fortschrittliche Ansätze aufgewiesen. Der Evangelische Film-Beobachter erkannte nun die Modernität und Relevanz von Michelangelo Antonionis La notte an und sympathisierte in der deutschen Filmkrise eher mit den Unterzeichnern des Oberhausener Manifests als mit den „Herkömmlichen und Abgewirtschafteten“ der Filmindustrie.285 In der aufgelockerten Redaktion des katholischen Filmdiensts trafen zum 279 Zum Auftakt der Zeitschrift vgl. Tollkühne Erscheinung, in: Der Spiegel, Nr. 19, 8. 5. 1963, S. 96. 280 Vgl. Postscriptum, in: Filmkritik, Nr. 5, 1963, S. 256. 281 Uwe Nettelbeck: Film und Filmkritik sind besser als der deutsche Film. Eine alte und eine neue Zeitschrift, in: Die Zeit, 28. 6. 1963. 282 Vgl. Enno Patalas: Epitaph for an Enemy, in: Filmkritik, Nr. 4, 1965, S. 235. 283 Ernst Wendt: In der Sache film, in: film, Nr. 5, 1965, S. 1. 284 Vgl. Witte: Die Augen, S. 91. 285 Vgl. „Die Nacht“ („La notte“), in: Evangelischer Film-Beobachter, Nr. 41, 14. 10. 1961, S. 523; Zitat aus Wer bezahlt den nächsten Film? Rückblick auf das Bonner „Filmforum“, in: Evange-

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Beispiel Hans Stempel und Martin Ripkens auf Filmkenner, mit denen sie gerne und gut zusammenarbeiteten.286 Tatsächlich hatten sich sowohl die katholische als auch die evangelischen Zeitschriften auch deutlich aufgeschlossener mit dem damaligen Skandalfilm Tystnaden auseinandergesetzt als viele Politiker oder die Aktivisten der „Sauberen Leinwand“.287 Gleichzeitig gab es Ausschläge in die konservative Richtung. Der Filmdienst verurteilte Werke wie La dolce vita, analog zur Mehrheit der katholischen Presse Italiens, harsch als „optisches Unheil großen Ausmaßes“ und Verletzung der „Menschenwürde“ des Publikums.288 Der Evangelische Film-Beobachter legte Wert auf „antiöstliche Repräsentation“289 und auch der Filmdienst reagierte scharf auf den filmischen „Ostwind“, der auf den kleineren Filmfestivals wehe.290 Gerade in Fragen des Ost-West-Konflikts entwickelten sich Polemiken mit der Filmkritik. Ihre Autoren hatten die katholische Filmarbeit schon länger im Verdacht, durch Interventionen bei Verleihfirmen oder den verschiedenen Kontrollinstanzen Filmvorführungen zu sabotieren – zum Beispiel beim polnischen Film Matka Joanna od aniolow, der einen Exorzismus im Frankreich des 17. Jahrhunderts kirchenkritisch schildert.291 Der film­dienst, wie er sich mittlerweile schrieb, wies diese Manipulationsvorwürfe energisch zurück, auch wenn es sich bei dem Film um ein „raffiniertes antireligiöses Machwerk“ handele, das Katholiken verständlicher Weise abstoße.292 Enno Patalas sah die Zeitschrift daraufhin nach einer liberalen Phase wieder „in den Stil eines Diözesanpressestellenleiters […] verfallen, der tut, als sei er der Heilige Vater persönlich und spräche ex cathedra.“293 Der Evangelische Film-Beobachter feierte 1961 – wie die deutliche Mehrheit der westdeutschen Filmkritiker – Question 7, einen US-amerikanischen Film über die Behandlung der evangelischen Kirche in der DDR, überschwänglich als zwar formal nicht sonderlich gelungene, aber aufrüttelnde Dokumentation von Unterdrückung und Unfreiheit: „Auch wenn er in Amerika entstand, so spürt man doch, wo die Hersteller mit dem Herzen waren. Dankbar nehmen wir diesen Film entgegen wie ein Geschenk vor allem für unsere Jugend.“294 Nur eine innerevangelische Minderheit um die Kirche und Film empfand Question 7 – wie die Filmkritik295 – lischer Film-Beobachter, Nr. 22, 2. 6. 1962, S. 241–243, hier S. 242; ähnlich auch Eva Krause: Filmstunde Null?, in: Evangelischer Film-Beobachter, Nr. 14, 7. 4. 1962, S. 153 f. 286 Vgl. Ripkens/Stempel: Das Glück ist kein Haustier, S. 80–83; zur Entwicklung des Filmdiensts auch Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, S. 252. 287 Vgl. Schatten: Geschichte, S. 132; Quaas: Evangelische Filmpublizistik, S. 477–515. 288 Enttäuschung über Fellini, in: Filmdienst, Nr. 28, 6. 7. 1960, S. 225 f., hier S. 226. 289 Wer bezahlt den nächsten Film (Evangelischer-Film-Beobachter, Nr. 22, 1962), S. 243. 290 Vgl. USE: Kommunistische „Dokumentar“-Propaganda, in: Filmdienst, Nr. 3/4, 11. 1. 1961, S. 21 f. 291 Vgl. Götz: Schneiden für die Kirche (Filmkritik, Nr. 1, 1962); Karsten Peters: Unerwünschte Johanna, in: Filmkritik, Nr. 8, 1962, S. 337 f. 292 Vgl. „Mutter Johanna“ – Legende und Wirklichkeit, in: film-dienst, Nr. 22, 3. 6. 1964, o. S. 293 Enno Patalas: Die unheilige Johanna, der heilige film-dienst und wir, in: Filmkritik, Nr. 7, 1964, S. 388. 294 Evangelischer Film-Beobachter, 15. 7. 1961 – diese und weitere Pressestimmen im Deutschen Filminstitut, Textarchiv, Frankfurt/Main. 295 Vgl. Gregor: Frage 7 (Filmkritik, Nr. 9, 1961).

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als viel zu einseitig; diese erwirkte aber, dass der Film von der Jury der evangelischen Filmgilde nicht zum „Monatsbesten“ gekürt wurde. Innerhalb und außerhalb der evangelischen Kirche wurde diese Entscheidung massiv angegriffen.296 Patalas verteidigte sie in der Filmkritik und beobachtete: Hier geht es nicht länger um theologische oder kirchenpolitische Fragen. Männer, die sich ein unabhängiges Urteil bewahrt haben, sollen mundtot gemacht werden. Weil die Juroren nicht bereit waren, publikumswirksam vorgetragenen Antikommunismus für einen hinreichenden Ernennungsgrund zu halten, werden sie diffamiert. Wer nicht bereit ist, im Chor der Kalten Krieger mitzubrüllen, dem soll der Mund gestopft werden.297

Den zornigen Vorwurf Uwe Nettelbecks, „antihuman“ die „Unterdrückung“ des Menschen zu verteidigen, handelte sich der Film-Beobachter schließlich noch ein, als er – sehr ähnlich wie kirchennahe Kritiker in Italien – den Protagonisten von Ermanno Olmis Il posto als Vorbild an Bescheidenheit für jugendliche Berufsanfänger herausstellte.298 Im Zuge solcher Kontroversen und dadurch, dass die Filmkritik-Autoren ihr Betätigungsfeld kontinuierlich über die reine Kritikerarbeit hinaus erweiterten, etablierte sich die Gruppe als fester, unbequemer Bestandteil der westdeutschen Filmkultur. Die Auflage erreichte in den 1960er Jahren zwischen 5.000 und 10.000 Exemplare299 – das war eine verhältnismäßig große Reichweite für eine derartige Publikation, aber wie bei ihren italienischen Kollegen sicherte das Schreiben für die eigene Zeitschrift allein nicht die Existenz. Zu den zahlreichen Beiträgen dieser Kritiker in Kulturzeitschriften und in der Tagespresse kamen daher beispielsweise noch die regelmäßigen Rezensionen von Enno Patalas oder Theodor Kotulla in der Zeit hinzu. Die Filmgeschichte von Patalas und Ulrich Gregor blieb nicht die einzige Buchpublikation des Kreises, Patalas gab auch eine Reihe von Drehbuchtexten heraus und verfasste eine Sozialgeschichte der Stars und Gregor veröffentlichte Wie sie filmen, eine Sammlung von Interviews mit bekannten Regisseuren.300 Gregor hielt Filmseminare am Institut für Publizistik der Freien Universität in Berlin und produzierte Filmsendungen für Radio und Fernsehen.301 Günter Rohrbach begann, für das WDR-Fernsehen zu arbeiten302 – wie überhaupt die allmählich ausgebauten Filmredaktionen in ARD, ZDF und den dritten Programmen in diesem Jahrzehnt eine typische berufliche Station für viele Kritiker, nicht nur aus der Filmkritik, wurden.303 Ein weiteres Tätigkeitsfeld erschlossen Ripkens und Stempel, die, wie kurz-

296 Vgl. Quaas: Evangelische Filmpublizistik, S. 450–476. 297 Enno Patalas: „Narren“ – wer?, in: Filmkritik, Nr. 12, 1961, S. 561. 298 Vgl. Uwe Nettelbeck: Il Posto – Der Job, in: Frankfurter Hefte 19 (1964), Nr. 10, S. 740–746, hier S. 744. 299 Vgl. Lenssen: Der Streit, S. 72. 300 Vgl. Enno Patalas: Sozialgeschichte der Stars, Hamburg 1963; Ulrich Gregor (Hg.): Wie sie filmen. Fünfzehn Gespräche mit Regisseuren der Gegenwart, Gütersloh 1966. 301 Aus dem Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 302 Vgl. Netenjakob: Beharrlichkeit und Fortune, S. 73. 303 Dies zeigt etwa ein Blick auf die Entwicklung der Kurzbiographien der Autoren in den verschiedenen Jahrbüchern der Filmkritik.

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zeitig auch Patalas und Wilfried Berghahn, als Kundschafter und Einkäufer für den aufstrebenden Filmhändler Leo Kirch arbeiteten.304 Für ihre vielfältige Arbeit und die deutlichen Stellungnahmen ernteten die Kritiker nun häufiger Anerkennung und Zustimmung; nicht zuletzt zeigte sich dieser Reputationsgewinn bei der Anteilnahme an Berghahns frühem Tod305 und nicht zufällig wurde Patalas im Bundestagsausschuss zur aktuellen Filmpolitik wenigstens als Sachverständiger angehört. Die bundesdeutsche Filmmisere wurde mittlerweile, vorangetrieben durch die Dauerpolemik der Filmkritik, von breiteren Kreisen diskutiert und so erschienen auch Abrechnungsschriften der Journalisten Walther Schmieding und Joe Hembus, von denen gerade Hembus’ Titel Der deutsche Film kann gar nicht besser sein zum geflügelten Wort wurde. Die Diagnosen und Vorwürfe deckten sich, Filmkritik-Autoren schrieben freundliche Rezensionen über Hembus’ Buch und druckten Auszüge aus Schmiedings Kunst oder Kasse ab.306 Umgekehrt erschienen sie in den Büchern als Hoffnungsträger deutscher Filmkultur, als „junge Kritiker-Generation, die der Generation der Rezensions-Altmeister weit überlegen ist.“307 In den 1960er Jahren hoben auch die Schriftsteller Alfred Andersch und Heinz von Cramer die Filmkritik lobend hervor, die Buchprojekte ihrer Mitarbeiter bekamen gute Besprechungen und die Frankfurter Hefte griffen zum Beispiel für eine Serie zur Filmzensur auf etliche Artikel aus der Zeitschrift zurück.308 Das Festival von Oberhausen war für die Filmkritik weiter eine wichtige Veranstaltung, da die über die Bundesrepublik verstreuten Mitarbeiter hier einmal halbwegs vollzählig konferieren konnten.309 Beim Festival selbst übten sie diverse relevante Funktionen aus – als Jurymitglieder, Referenten oder Autoren für das Programmheft.310 Die Kurzfilmtage waren über weite Strecken der 1960er Jahre filmpolitisch abermals heftig umstritten. In der Folge des Mauerbaus ging es um die von den Veranstaltern stets angestrebte Teilnahme der Ostblockstaaten und unter Bun304 Vgl. Ripkens/Stempel: Das Glück ist kein Haustier, S. 117–121. 305 Vgl. Einer der Besten (Filmkritik, Nr. 11, 1964). 306 Vgl. Filmliteratur, in: Filmkritik, Nr. 10, 1961, S. 512; Martin Ripkens: Polemische Elegie, in: Frankfurter Hefte 17 (1962), Nr. 5, S. 349 f.; Walther Schmieding: Das Regime der Manager, in: Filmkritik, Nr. 1, 1962, S. 2–6. 307 Joe Hembus: Der deutsche Film kann gar nicht besser sein, Bremen 1961, S. 163. Vgl. ähnlich Walther Schmieding: Kunst oder Kasse. Der Ärger mit dem deutschen Film, Hamburg 1961, S. 16 f. 308 Vgl. Alfred Andersch: Das Kino der Autoren, in: Merkur 15 (1961), Nr. 158, S. 332–348, hier S. 332; Heinz von Cramer: Wer zahlt – darf tanzen. Versuch einer kritischen Biographie des deutschen Films, in: Hans Werner Richter (Hg.): Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz 1962. Sechsunddreißig Beiträge deutscher Wissenschaftler, Schriftsteller und Publizisten, München 1962, S. 517–542, hier S. 535; Lothar Hack: Erweiterung des Linnéschen Systems, in: Frankfurter Hefte 19 (1964), Nr. 7, S. 513–516; ders.: Filmzensur in der Bundesrepublik. II. Die Gouvernante, in: Frankfurter Hefte 19 (1964), Nr. 11, S. 785–792; Volker Baer: Wie sie filmen – fünfzehn Gespräche mit Regisseuren der Gegenwart (Hg. Ulrich Gregor), in: Neue Deutsche Hefte 13 (1966), Nr. 112, S. 196–198. 309 Vgl. Berghahn/Patalas: Oberhausener Stenogramm (Filmkritik, Nr. 3, 1964), S. 157. 310 Vgl. exemplarisch für die vielfältigen Aktivitäten der Kritiker die dortigen Berichte und Protokolle der Jahre 1961–1963, Deutsche Kinemathek, Berlin, Festivalarchive, Oberhausen.

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desinnenminister Höcherl eskalierte schließlich der Streit zwischen der Stadt, der Festivalleitung und den Bundespolitikern um die zumeist ausbleibenden Zuschüsse für die Veranstaltung, die der Minister öffentlich als „Rotes Festival“ abqualifizierte.311 Die Kritiker um Enno Patalas waren in die aufgewühlten Diskussionen und Pressekonferenzen vor Ort teils direkt involviert,312 bis das Klima zwischen Bonn und Oberhausen sich mit Bildung der Großen Koalition langsam entspannte. Auf einem weiteren Feld machten sich Mitarbeiter der Filmkritik um den Ausbau der deutschen Filmkultur mit kritischem Impetus verdient. Es war nicht nur Reinold E. Thiel, der das Fehlen eines Filmarchivs nach französischem oder italienischem Vorbild beklagte.313 Dazu passte, dass der Regisseur Gerhard Lamprecht seine private Filmsammlung veräußern und der öffentlichen Hand zur professionellen Konservierung übergeben wollte. Nach langen Debatten314 über die Finanzierung und Organisationsstruktur entstand daraus schließlich 1963 die Deutsche Kinemathek in Westberlin. Um es nicht bei der reinen Archivierung zu belassen, engagierten sich neben Filmschaffenden und anderen Kritikern Thiel, Ulrich Gregor und Gero Gandert in einem Verein, den „Freunden der Deutschen Kinemathek“. Sie veranstalteten regelmäßig Filmvorführungen aus den Beständen der Kinemathek, zum Unwillen des Bundesinnenministeriums nicht selten „mit einseitiger Tendenz.“315 Da Gregor immer wieder nach Ostberlin fuhr, um für die „Freunde“ und ihr Programm Filme aus den osteuropäischen Staaten zu sichten, geriet er zwischenzeitlich sogar unter die Beobachtung des Verfassungsschutzes.316 Trotz mancher Hindernisse und chronischer Unterfinanzierung gedieh diese maßgeblich von Filmkritik-Autoren vorangetriebene Filmkulturarbeit. Aus den Filmreihen entwickelte sich mit dem „Arsenal“ ein frühes Programmkino, das heute noch im selben Haus wie die Kinemathek in Berlin existiert.317 Zudem sprangen die Filmexperten in einer gravierenden Krise der Berlinale um 1970 ein, als der Wettbewerb und die Organisationsform durch Proteste und Skandale zutiefst diskreditiert waren. Seither gibt es als – mittlerweile eine unter mehreren – Nebenreihe das Internationale Forum des jungen Films.318 Als Sprecher und Leiter des Forums war Ulrich Gregor über Jahrzehnte Mitglied der Leitung der Berlinale, und viele seiner früheren Kritikerkollegen besetzten ebenfalls für lange Zeit, als es die 311 Zu diesen Konflikten vgl. ausführlich Kötzing: Kultur- und Filmpolitik, S. 153–181 und 251–266. 312 Vgl. Deutsche Kinemathek, Berlin, Festivalarchive, Oberhausen 1965, Bericht 1965, S. 130. 313 Vgl. Reinold E. Thiel: Eine deutsche Filmothek?, in: Filmkritik, Nr. 4, 1961, S. 178. 314 Thiel schrieb dazu: „Was inzwischen an Intrigen, Spiegelfechtereien, Verhandlungen vor und hinter den Kulissen sich abgespielt hat, würde Stoff für ein Sittenbild der deutschen Kulturbürokratie abgeben.“ – ders.: Wozu haben wir eine Kinemathek?, in: Filmkritik, Nr. 3, 1963, S. 97 f., hier S. 97. 315 Undatierter Vermerk aus dem Bundesinnenministerium, Bundesarchiv, Koblenz, B 106/96648. 316 Geschildert im Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 317 Vgl. Uka: Abschied von gestern, S. 203 f.; zu Kommunalen Kinos und Programmkinos auch Schildt/Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte, S. 329. 318 Vgl. Freunde der Deutschen Kinemathek (Hg.): Zwischen Barrikade und Elfenbeinturm. Zur Geschichte des unabhängigen Kinos. 30 Jahre Internationales Forum des Jungen Films, Redaktion: Nicolaus Schröder, Berlin 2000.

5.5 Die Position in der Filmkultur

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Filmkritik längst schon nicht mehr in der hier beschriebenen Form gab, einflussreiche Positionen in der westdeutschen Filmkultur. Enno Patalas wurde Direktor des Münchner Filmmuseums und brachte etliche Stummfilme neu heraus, Heinz Ungureit und Günter Rohrbach arbeiteten in der Filmproduktion für Fernsehen oder Kino und Theodor Kotulla wechselte zur Regie, überwiegend von Fernsehproduktionen.319 Durch solche Erfolge, und schon durch die Etablierung in der ersten Hälfte der 1960er Jahre, wurde die Gruppe um die Filmkritik allerdings angreifbarer, für ihre konservativen Widerstreiter und besonders für andere gesellschaftskritische Spötter oder noch linker gesinnte Filmpublizisten. Mit in dieser Zeit sehr häufigen Zitaten aus ihren Texten wurde die Filmkritik beispielsweise zu einer wichtigen Referenzgröße im Spiegel, im mokanten Grundton des Magazins setzte es aber auch immer wieder kleine Spitzen: Die Filmkritik firmierte hier als „Hausblatt der deutschen Filmästheten“ oder „hochgestochene […] Cinéasten-Fibel“ und Enno Patalas war der „Obercinéast“.320 Aus einem einfachen Programmheftchen des Filmclubs an der Frankfurter Universität entwickelte sich mit dem Filmstudio zur Mitte der 1960er Jahre eine zwischenzeitlich auch überregional relevante Zeitschrift mit dezidiert linksgerichteten Autoren, die teils in den Lehrveranstaltungen von Adorno und Horkheimer geschult worden waren.321 Diese jungen linken Kritiker teilten grundsätzlich einige Anliegen mit ihren etwas erfahreneren Pendants von der Filmkritik. Darunter fiel das Interesse am vorbehaltlosen Kontakt mit dem ostdeutschen Filmschaffen. Die Redaktion des Filmstudios war zum Beispiel 1963 und 1964 in größerer Zahl bei der Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche vertreten als die Filmkritik. Dort tauschte sie sich angeregt mit den Organisatoren des Festivals und weiteren Akteuren der östlichen Filmkultur aus und verteidigte die Veranstaltung gegen ihre schlechte Reputation im Westen.322 Im Filmstudio gab es ebenfalls scharfe Kritik an der christlichen Filmpresse und die Zeitschrift verschonte die auch von der Filmkritik angegriffene „konventionelle Filmkritik“ nicht323 – im Gegenteil, sie trat sogar einen Skandal um Erwin Goelz, den bekannten Kritiker der Stuttgarter Zeitung, los.324 Ausgangs319 Vgl. Witte: Die Augen, S. 91. 320 Zitate aus: Aus hohler Hand, in: Der Spiegel, Nr. 19, 8. 5. 1963, S. 92–95, hier S. 94; Betrug + Reue + Schwur, in: Der Spiegel, Nr. 30, 24. 7. 1963, S. 62–66, hier S. 62; Wilde Früh-Ehe, in: Der Spiegel, Nr. 6, 31. 1. 1966, S. 84–87, hier S. 87. 321 Vgl. Witte: Die Augen, S. 90; von Thüna: Filmzeitschriften, S. 257. 322 Vgl. die Programmpläne, Teilnehmerlisten und Berichte aus diesen Jahren im Bundesarchiv, Berlin, neben anderen DR 1/8889, DR 1/15779 und DR 1/15780. Dazu auch Wolfgang Vogel: Holpriger Weg zum Nachbarn. Die X. Westdeutschen Kurzfilmtage in Oberhausen, in: Filmstudio, Nr. 42, 10. 3. 1964, S. 4–6, hier S. 4; Hanns Fischer: Filme der Welt – Für den Frieden der Welt, in: Filmstudio, Nr. 42, 10. 3. 1964, S. 7–9, hier S. 9. 323 Vgl. Wolfram Schütte: Dogmatik und Filmkritik. Katholischer Filmdienst. Evangelischer Filmbeobachter, in: Filmstudio, Nr. 34, 1962, S. 8 f.; Peter H. Schröder: Kritik I. Zur Position der konventionellen Filmkritik, in: Filmstudio, Nr. 37, 1. 11. 1962, S. 13–19. 324 Zum Folgenden vgl. Herbert Spaich: Stuttgarter Realitäten, in: Erwin Goelz alias Frank Maraun. Filmkritiker. Mit Texten von Erwin Goelz alias Frank Maraun, Essays von Rolf Aurich und Herbert Spaich, München 2006, S. 79–91, hier S. 84–90.

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punkt war eine Pressekampagne eher konservativer Kritiker gegen italienische Filme, die als Verunglimpfung der Bundesrepublik wahrgenommen wurden. Der linke Kritikernachwuchs widersprach, Filmstudio-Autoren strengten Recherchen an und fanden Filmbesprechungen, die Goelz in der NS-Zeit unter anderem Namen geschrieben hatte und die eindeutig antisemitisch gefärbt waren. Mit etwas Verzögerung geriet Goelz anlässlich des Mannheimer Festivals 1963 unter Druck, auch Filmkritik-Autoren griffen den Fall auf. Der Belastete leugnete seine Texte nicht, versuchte aber im Filmstudio, seine frühere Tätigkeit zu rechtfertigen: Wenn ich auf der einen Seite so getan habe, als ob ich mitmache, so habe ich auf der anderen Seite ganz und gar nicht mitgemacht. Was man Ihnen auch sagen mag: es gibt – wenn man alleinsteht, und ich stand damals immer allein – für einen, der sich nicht im Keller vergraben, sondern tätig bleiben will, keine andere Taktik in einer Diktatur. […] Wenn heute nun junge Journalisten eine geistige Betätigung oder eine politische Aufgabe darin sehen, mich immer wieder mit dem Schlamm der Pfütze zu bewerfen, durch die ich damals im Unwetter, wie man es wohl nennen kann, gehen mußte, so habe ich das eben zu tragen.325

Die Filmstudio-Redaktion blieb unerbittlich, da sie Goelz’ Wirken im Nationalsozialismus mit seiner aktuellen Kritikerarbeit in Zusammenhang setzte: Nur lassen wir uns nicht täuschen über den Herkunftsort des Schlammes – um in seiner Terminologie zu bleiben –, den er heute gegen ‚die Italiener‘ wirft. Der kommt nämlich aus der faschistischen Pfütze, durch die Herr Maraun ‚gehen mußte‘. Wir sagen: an seiner heutigen Argumentation ist seine vergangene zu erkennen. […] Da werden wir ein Licht aufstecken und es nicht unter den Scheffel stellen. Denn, daß jeder verantwortlich ist für das, was er tut – damals, heute und zukünftig –, daran werden wir festhalten.326

Erwin Goelz war als Kritiker in Verruf geraten, bis auf Arbeiten für den Rundfunk zog er sich zurück. Trotz einiger filmkultureller oder gesellschaftspolitischer Überschneidungen wendeten sich Mitarbeiter des Filmstudios schon früh auch gegen die Filmkritik. Diese wurde von Wolfram Schütte, als sie sich ab 1964 stärker als „Kulturzeitschrift“ positionieren wollte, für ihr vermeintlich selbstverliebtes, überhebliches Auftreten kritisiert. „Jetzt ist man eine Kulturzeitschrift, ein Mann von Welt quasi“, spottete Schütte; die Filmkritik habe sich „nun ein selbstgerechtes Podest [ge]zimmert, von dem herab sich trefflich dekretieren läßt.“327 Die filmkritischen Einwände gegen die Prinzipien der Filmkritik waren zunächst nicht immer leicht nachzuvollziehen. Wolfgang Vogel steuerte eine Folge der Serie „Kritik an der Filmkritik“ bei. Dabei vermisste er in der Filmkritik konstruktive Ansätze, „Utopien“, die über die simple Negation der herkömmlichen Kritik hinausgingen.328 Die Filmkritik war für Vogel bei Weitem nicht linksgerichtet genug, insofern sie Kracauers im Kern „bürgerliche“ „Spiegel-These“ unhinterfragt adaptiere:

325 Erwin Goelz: Eine Erwiderung, in: Filmstudio, Nr. 43, 10. 5. 1964, S. 4–7, hier S. 4 und 7. 326 Anmerkung, in: Filmstudio, Nr. 43, 10. 5. 1964, S. 7 f., hier S. 8. 327 Wolfram Schütte: Verteidigung der Kultur auf 17 × 24 cm, in: Filmstudio, Nr. 42, 10. 3. 1964, S. 10. 328 Vgl. Wolfgang Vogel: Kritik an der „Filmkritik“ (II), in: Filmkritik, Nr. 6, 1964, S. 326–328, hier gerade S. 328; zuvor schon ders.: Kritik II. Marginalien zur Position der linken Filmkritik, in: Filmstudio, Nr. 38, 10. 2. 1963, S. 28–31, besonders S. 31.

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Solange aber Gesellschaft nicht differenziert wird, solange also die Kritik nicht erklärt, in wessen Händen sich die Filmproduktion befindet, solange der Filmautor a priori als idealistischer Außenseiter angesehen wird, der nicht einmal von seinen Produzenten abhängig ist, ist Filmkritik, so links sie sich selbst glaubt, rechts.329

Die weiter oben demonstrierte Differenzierung der Kracauerschen Vorlage durch den Kreis der Filmkritik, die beispielsweise durch das Konzept der „Kulturindustrie“ erfolgte, hatte Vogel offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Die Konflikte zwischen Filmstudio und Filmkritik wurden im Zuge des Richtungsstreits der letzteren greifbarer. Die Redaktion des Filmstudios schlug sich darin auf die Seite der Skeptiker der Nouvelle Vague und der „Ästhetischen Linken“. Sie unterstellte Enno Patalas, er habe Wilfried Berghahn in der Filmkritik-Gruppe marginalisiert und ihn dort herausdrängen wollen, was Patalas nur amüsiert abperlen ließ.330 Nach 1968 erschien aus dem Umfeld des Filmstudios und des linken Flügels der film noch einmal eine sehr polemische Abrechnung mit der Filmkritik, wiederum insbesondere mit Patalas und seiner neuen filmkritischen Ausrichtung. Die Gruppe wurde darin wieder als elitär, als wirtschaftlich nicht so unabhängig und „nichtkommerziell“ wie behauptet und als nur alibihaft mit den Protestbewegungen verbunden dargestellt.331 Die Filmkritik und die „Oberhausener“ Am 28. Februar 1962 hielt eine Gruppe von jüngeren Filmschaffenden – überwiegend um die 30 Jahre alt und überwiegend als Regisseure, aber auch als Kameraleute, Filmkomponisten oder Schauspieler tätig – bei den Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen eine Pressekonferenz ab. Eines ihrer Mitglieder verlas das Oberhausener Manifest, andere stellten die Pläne der Gruppe vor, den bundesdeutschen Film wiederzubeleben.332 Das Manifest begrüßte die tiefe Krise dieser Kinematographie als Möglichkeit des umfassenden Neuanfangs und verwies selbstbewusst auf die zahlreichen Erfolge und Preise für Kurzfilme, die die Gruppe in den letzten Jahren eingeheimst habe. Daraus leiteten sie ihr Rollenverständnis ab, das sie in die längst berühmt gewordenen Schlüsselsätze des Manifests fassten: Wir erklären unseren Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen. Dieser neue Film braucht neue Freiheiten. […] Wir haben von der Produktion des neuen deutschen Films kon-

329 Vogel: Kritik an der Filmkritik (Filmkritik, Nr. 6, 1964), S. 327. 330 Vgl. Wolfram Schütte / F. W. Vöbel: Abschied von gestern. Enno P., in: Filmstudio, Nr. 51, 1. 10. 1966, S. 18–25, hier im Wesentlichen S. 18 f.; Enno Patalas: Mord und Totschlag, in: Filmkritik, Nr. 2, 1967, S. 115. 331 Vgl. Franz Schöler: 17 × 24. Materialien zum Verständnis der Zeitschrift „Filmkritik“, Hamburg 1969, exemplarisch S. 7–11. 332 Umfassende Untersuchung und Kontextualisierung des Manifests bei Krischan Koch: Die Bedeutung des „Oberhausener Manifests“ für die Filmentwicklung in der BRD, Frankfurt/Main 1985; eine vielschichtige Dokumentation zum 50-jährigen Jubiläum bieten Eue/Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit; eine kurze Abhandlung in Kötzing: Kultur- und Filmpolitik, S. 173–176.

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5 Cinema Nuovo, Filmkritik und die 1960er Jahre krete geistige, formale und wirtschaftliche Vorstellungen. Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken zu tragen. Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.333

Die aus heutiger Sicht bekanntesten Unterzeichner der kurzen, aber prägnanten Erklärung waren etwa die Regisseure Alexander Kluge, Edgar Reitz, Peter Schamoni und Haro Senft. Diese „Oberhausener“ und der Kreis um die Filmkritik waren auf den ersten Blick natürliche Verbündete in der Opposition gegen die politischen und wirtschaftlichen Strukturen des westdeutschen Films und seine immer dürftigeren Erzeugnisse. Bereits früh und für lange Zeit galt den Kritikern nicht mehr fliehen von dem Unterzeichner Herbert Vesely als einziges vielversprechendes Experiment jüngerer deutscher Filmemacher.334 Hans Rolf Strobel und Heinz Tichawsky waren ebenfalls Unterzeichner und wurden ja von der Kritikergruppe für ihre Dokumentationen wie Notizen aus dem Altmühltal geschätzt und verteidigt; Strobel hatte schon der film 56 in einer Zuschrift Mut zugesprochen.335 Etliche Querverbindungen zwischen den Gruppen ergaben sich schließlich insbesondere, seit Enno Patalas und später auch Theodor Kotulla und Wilfried Berghahn in München lebten – dort wirkten auch die meisten der trotzdem als „Oberhausener“ zusammengefassten Filmschaffenden. Anfangs kam Patalas in München bei Peter Schamoni unter, später wohnte er zwischenzeitlich mit Herbert Vesely zusammen.336 In einer knapp viertelstündigen Dokumentation für das Südwestfernsehen, in der sich Vesely unter dem Titel Menschen im Espresso mit der veränderten Cafékultur in Deutschland beschäftigte, übernahm Patalas eine Statistenrolle – der Kommentartext des Films stammte von Berghahn.337 Detten Schleiermacher, dessen Name sich ebenfalls unter dem Oberhausener Manifest fand, half bei der grafischen Gestaltung ihrer Publikationen mit.338 Patalas freundete sich zudem mit Alexander Kluge an, der ihn persönlich mit Theodor W. Adorno bekannt machte, nachdem mit dem Kritischen Theoretiker zuvor schon ein Briefkontakt bestanden hatte.339 In München beteiligte sich Patalas zumindest am Rande an DOC 59, einem Zusammenschluss von Dokumentarfil-

333 Zitiert nach Eue/Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit, S. 15. 334 Vgl. nicht mehr fliehen, in: Filmkritik, Nr. 1, 1957, S. 14 f. 335 Vgl. Meinung und Gegenmeinung (film 56, Nr. 2, 1956), S. 103; rückblickend Ulrich Gregor: Stationen eines Festivals. Drei Dezennien der Internationalen Filmwoche Mannheim, in: Internationale Filmwoche Mannheim (Hg.): 30 Jahre Internationale Filmwoche Mannheim 1952– 1981. Dokumentation, o. O./J., S. 26–45, hier S. 32. 336 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 69; Peter Nau: Kleiner Beitrag zu einer Topografie des Jungen deutschen Films, in: Eue/Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit, S. 216–221, hier S. 218. 337 Vgl. Dario Marchiori: Les signataires du „Manifeste“ d’Oberhausen entre alignement et contestation (1958–1965), in: Christin Niemeyer / Ulrich Pfeil (Hg.): Der deutsche Film im Kalten Krieg. Mit einem Vorwort von Hans Helmut Prinzler, Brüssel u. a. 2014, S. 231–248, hier S. 237. 338 Vgl. Patalas: Zwei Millionen für die Bankrotteure (Filmkritik, Nr. 1, 1963), S. 2. 339 Vgl. Theodor W. Adorno an Siegfried Kracauer, Frankfurt/Main, 22. 10. 1962, in: ders.: Briefe und Briefwechsel, Bd. 7, S. 552.

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mern, darunter vielen späteren Vertretern des Oberhausener Manifests.340 Schließlich liefen in der Stadt weitere filmkulturelle Fäden zusammen: Patalas lernte hier Joe Hembus kennen, der ihm Volker Schlöndorff vorstellte. Schlöndorff war kein „Oberhausener“, aber seinerseits gerade um den Einstieg ins Filmschaffen bemüht. Die Filmkritik protegierte seinen ersten Kurzfilm gegenüber der FSK und in der Zeitschrift berichtete er als damaliger Regieassistent von den Dreharbeiten mit Alain Resnais.341 Der später sehr erfolgreiche Regisseur bilanzierte zum Verhältnis zwischen den kritischen Regisseuren und den oppositionellen Filmkritikern: „Die intellektuelle Vorarbeit des Oberhausener Manifests hatten wahrscheinlich Enno Patalas und seine Mitstreiter geleistet. Die Filmkritik war mehr als eine Zeitschrift, es war ‚ein heimliches Seminar für Ästhetik und Politik‘, wie einmal gesagt wurde.“342 Diesen zahlreichen Verbindungen zwischen den Gruppierungen entsprechend reagierte die Filmkritik zunächst aufgeschlossen und positiv auf die Oberhausener Vorgänge von 1962. Patalas schrieb von einer „Chance“, die etwa der Vorschlag und das Versprechen der 26 Unterzeichner des Manifests bedeuteten, eine eigene Stiftung zu gründen, die aus Bundesmitteln mit der vergleichsweise moderaten Summe von fünf Millionen Mark ausgestattet werden sollte, um daraus zehn Spielfilme herzustellen.343 Der Kritiker verfiel darüber nicht in blinde Euphorie: „Gewiß bietet dieses Projekt keine Patentlösung für die künstlerische Misere des deutschen Films. […] Andererseits könnte das münchner Projekt allein bereits bewirken, daß die latent vorhandenen Talente sich manifestieren.“344 Zufrieden berichtete er einige Wochen später, dass die jungen Filmemacher bei einem „Bonner Filmforum“ mit Filmpolitikern und Wirtschaftsvertretern einen überzeugenden Auftritt gehabt hätten.345 Reinold E. Thiel beobachtete erwartungsfroh Annäherungsversuche zwischen einigen „Oberhausenern“ und Schriftstellern der „Gruppe 47“.346 Es gab keineswegs nur in der Filmkritik eine positive filmpublizistische Resonanz auf die

340 Vgl. Ralph Eue / Kristin Schwidop: Der Spielfilm war für uns nur ein Feld unter anderen. Ein Gespräch mit Haro Senft, in: Eue/Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit, S. 263–269, hier S. 264. Zu DOC 59 vgl. zudem Fernand Jung: Das Kino der frühen Jahre. Herbert Vesely und die Filmavantgarde der Bundesrepublik, in: Hoffmann/Schobert (Hg.): Zwischen Gestern und Morgen, S. 318–337; Michael Wedel: Fremde Heimat. Zur Poetik des Dokumentarischen bei Syberberg, Kluge, Reitz und Bitomsky, in: ders. / Malte Hagener / Johann N. Schmidt (Hg.): Die Spur durch den Spiegel. Der Film in der Kultur der Moderne, Berlin 2004, S. 303–319; ders.: Genealogie einer Bewegung. Die DOC-59-Gruppe und die Anfänge des Neuen deutschen Films, in: Eue/Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit, S. 161–167. 341 Vgl. Enno Patalas: Politische Zensur, in: Filmkritik, Nr. 1, 1961, S. 1 f.; Volker Schlöndorff: Alain Resnais’ neuer Film, in: Filmkritik, Nr. 5, 1961, S. 236–238. 342 Volker Schlöndorff: Lob des guten Handwerks, in: Eue/Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit, S. 207–209, hier S. 207. 343 Vgl. Enno Patalas: Die Chance, in: Filmkritik, Nr. 4, 1962, S. 146–150, hier vor allen S. 147 f. 344 Ebd., S. 149 f. 345 Vgl. Enno Patalas: Filmpolitik wird Kulturpolitik, in: Filmkritik, Nr. 6, 1962, S. 241 f. 346 Vgl. Reinold E. Thiel: Literatur – Hoffnung für den Film?, in: Filmkritik, Nr. 12, 1962, S. 538– 542. Dazu auch Till Greite: Der oratorische Diskurs und die Krise des Films. Wie die Gruppe 47 auf die Oberhausener traf, in: Eue/Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit, S. 194–200.

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5 Cinema Nuovo, Filmkritik und die 1960er Jahre

Oberhausener Initiative, doch insgesamt fiel das Presseecho in der Bundesrepublik sehr gemischt aus, da neben Hoffnung auch Skepsis oder Herablassung und Spott über die jungen Regisseure gängige Reaktionen waren.347 Insbesondere die Branchenpresse der Filmwirtschaft tat sich, wenig überraschend, durch Ablehnung oder Ignoranz hervor. In ihrer Berichterstattung vom „Bonner Filmforum“ beispielsweise konzentrierten sich die Blätter auf die Beiträge und Forderungen der Wirtschaft, von einigen eher gönnerhaft formulierten Sätzen zu Alexander Kluge und seinen Kollegen abgesehen.348 Gegenüber dem Manifest rechtfertigten die inzwischen fusionierten Film-Echo und Filmwoche „Papas Kino“ als das für die angestrebten künstlerisch hochwertigen Produktionen notwendige „Fundament“ an „breit geschichtete[r] und gut gemachte[r] Ware Film“349 – und zweifelten darüber hinaus die bisherigen filmischen Leistungen der Unterzeichner an: In dieser Hinsicht haben die Rebellen in Oberhausen keine überzeugende Talentprobe abgelegt. Nach ihrer flammenden Kritik am Bestehenden zeigten sie sich äußerst störrisch, als man wagte, ihre bisherigen eigenen Werke zu kritisieren. Mehr noch, den erstaunten Beobachtern bot sich hochfahrende Unbedingtheit und ein Hang zur Gewaltsamkeit. Das sind schlechte Vorzeichen. Gar nicht zu reden von der illusionistischen Forderung auf fünf Millionen (blanko), einem echten Lieschen-Müller-Wunschtraum. Die Rebellen haben, klarer Fall, zuviel schlechte Filme gesehen.350

Die „Oberhausener“ hatten jetzt das Problem, dass ihr Manifest und ihre Kampagne zu früh kamen, um in eine „neue Welle“ an Filmen nach internationalem Vorbild eingebettet zu sein. Die filmpolitischen Strukturreformen, von denen die jungen Regisseure mit einer Reihe von Filmen profitieren sollten, ließen noch auf sich warten.351 So mussten sich auch wohlmeinende Kritiker zunächst weiter mit wenigen Ausnahmen oder dem Kurzfilmgenre beschäftigen. Dies verkomplizierte das Verhältnis zwischen den ambitionierten Filmemachern und der Filmkritik. Denn die Werke enttäuschten die ideologiekritischen Journalisten. Herbert Vesely hatte Das Brot der frühen Jahre von Heinrich Böll verfilmt und war damit in Cannes 1962, 347 Vgl. zeitgenössisch Das Oberhausener Manifest und die deutsche Presse, in: Filmkritik, Nr. 4, 1962, S. 190–192. Zudem Stefan Ripplinger: Gebt ihnen fünf Millionen! Das Oberhausener Manifest in der deutschsprachigen Presse, in: Eue/Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit, S. 183–187; Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, S. 165–168. 348 Vgl. beispielsweise kle: Rasche Staatshilfe befürwortet. Überwiegend qualifizierte Diskussion im Bonner Film-Forum, in: Film-Echo/Filmwoche, Nr. 39/40, 19. 5. 1962, S. 8 und 11. So auch der Hinweis auf die „Oberhausener Gruppe“, „die in dem jungen Juristen Dr. Kluge einen wirklich klugen, gewandten Redner fanden, der ihre nicht ungeschickten, wenn auch frappierend selbstsicheren Thesen und Wünsche vertrat“, bei Ingeborg Donati: „Filmforum“ im Bundeshaus: Seid verschlungen Millionen, in: filmblätter, Nr. 20, 19. 5. 1962, S. 411 f. und 423 f., hier S. 412. 349 Lügen wir uns doch nicht selber in die Taschen. Ohne „Papas Kino“ kann der künstlerische Film nicht leben, in: Film-Echo/Filmwoche, Nr. 21/22, 17. 3. 1962, S. 10. 350 Edmund Luft: Papas Kinder zwischen Traum und Wirklichkeit, in: Film-Echo/Filmwoche, Nr. 19, 7. 3. 1962, S. 3. 351 Vgl. Malte Hagener: Eine neue Welle ohne Filme? Das Oberhausener Manifest und die Nouvelle Vague, in: Eue/Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit, S. 225–230.

5.5 Die Position in der Filmkultur

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nach dem zeitgenössischen Stimmungsbild, durchgefallen.352 Viele westdeutsche Kritiker belächelten die hohen Ambitionen Veselys, der auf Resnais’ Werke abgezielt, aber nur Langeweile erzeugt habe.353 In Günter Rohrbachs Besprechung für die Filmkritik fanden sich die einschlägigen ideologiekritischen Einwände: Vesely überflute das Publikum mit formalistischen „Kameragags“, habe eine „Anfälligkeit für Oberflächenreize“ und Bölls Geschichte völlig aus ihrem sozialen Kontext herausabstrahiert.354 Rohrbach zog ein fast entschuldigendes, zerknirschtes Fazit zum ersten größeren Film eines „Oberhauseners“: „Veselys Mißerfolg wird nirgends mehr bedauert als in dieser Zeitschrift. Dennoch hat es keinen Sinn, die Augen davor zu verschließen. Vielleicht liegt es einfach daran, daß eine ‚Neue Welle‘ eben eine alte voraussetzt. Und wo hätten wir diese?“355 Noch wesentlich rigoroser urteilte Wilfried Berghahn im April 1963 über die aktuellen Kurzfilme aus der „Münchner Schule“. Ihre Hersteller seien offensichtlich fixiert auf und fasziniert von moderner Architektur, Mode oder Werbung, so klischeehaft häufig kämen diese visuellen Elemente in ihren Filmen vor. Berghahn sah in diesen Kurzfilmen kaum mehr als optische Spielereien, vermisste darin das Interesse für historische Entwicklungsprozesse der bundesrepublikanischen Gegenwart und sozialkritischen Tiefgang – sein Schlussabsatz fiel daher nahezu vernichtend aus: Hoffnung auf den neuen deutschen Film? – Das wird davon abhängen, was man vom zukünftigen deutschen Film erwartet. Die Fortsetzung seines traditionellen Irrationalismus? Huldigungen an den schönen Schein der bestehenden Welt? Hermetische Konstruktionen im Glashaus? Gelegentlich eine dunkle Ahnung von Vergänglichkeit, die auf das Gefühl wirkt? Schöne Bilder? – Wenn man das erwartet, wird man durch die münchener Gruppe kaum enttäuscht werden.356

Das waren Irritationen zwischen den „Oberhausenern“ und der Filmkritik. Für die „Münchner Schule“ antwortete Hans Loeper mit dem Vorwurf des gedanklichen Schematismus, der die Kritiker unempfänglich für Filmkunst mache.357 Heinz Ungureit beschwerte sich anlässlich eines weiteren Films von Vesely wiederum über den „oberflächlichen Magazin-Look“ dieser Regisseure: „Man möchte endlich einmal erfahren, was mit diesen Teenagern und Twens, die ständig dekorativ durch Glas und in Cafés aufgenommen werden, wirklich los ist.“358 In der Zwischenzeit setzten Alexander Kluge und seine Mitstreiter nicht nur auf öffentlichkeitswirk-

352 Vgl. „Das Brot der frühen Jahre“ in der pariser Kritik, in: Filmkritik, Nr. 6, 1962, S. 286–288. 353 Vgl. die Artikelsammlung zum Film im Deutschen Filminstitut, Textarchiv, Frankfurt/Main. 354 Vgl. Günter Rohrbach: Das Brot der frühen Jahre, in: Filmkritik, Nr. 6, 1962, S. 262–264, hier S. 263. 355 Ebd., S. 264. Jahrzehnte später nannte er diese Diskrepanz zwischen den ideologischen Ansprüchen, der Sympathie für die jungen Regisseure und ihren tatsächlichen Erzeugnissen den „Spaltungspilz in mir selber“ – vgl. Eue/Gass: Auf diesem Niveau, S. 271. 356 Wilfried Berghahn: Ansichten einer Gruppe, in: Filmkritik, Nr. 4, 1963, S. 154–162, hier S. 162. 357 Vgl. Hans Loeper: Die „Münchner Schule“ – ein Phantom?, in: Filmkritik, Nr. 6, 1963, S. 301– 304. Auch Eue/Schwidop: Der Spielfilm, S. 267. 358 Heinz Ungureit: Sie fanden ihren Weg, in: Filmkritik, Nr. 1, 1964, S. 31.

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5 Cinema Nuovo, Filmkritik und die 1960er Jahre

same Aktionen und Ankündigungen, sondern traten auch in langwierige Verhandlungen mit filmpolitischen Akteuren ein, die schließlich in der Begründung des Kuratoriums Junger Deutscher Film mündeten.359 Enno Patalas stieg in die Detaildebatten seines Freundes Kluge ein,360 doch nicht alle Mitglieder des Kritikerkreises begrüßten, Dietrich Kuhlbrodts Erinnerung zufolge, die Gesprächsbereitschaft der Filmemacher gegenüber den so lange angefeindeten Bonner Institutionen.361 Nach Beginn der systematischeren Förderung erzielte der Junge Deutsche Film ab 1966 beispielsweise mit Kluges Abschied von gestern oder Schlöndorffs Der junge Törless einige große Erfolge, auch auf internationalen Filmfestivals. Die Rezeption dieser verspäteten „neuen Welle“ im westdeutschen Film war zu diesem Zeitpunkt in der Filmkritik bereits vom anschwellenden Richtungsstreit überlagert und lässt sich nicht mehr ohne weiteres auf einen Nenner bringen. Patalas thematisierte in einer dem Jungen Deutschen Film gewidmeten Ausgabe die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Regisseuren und Kritikern, wollte aber dennoch streng und sachlich richten.362 Sein filmkritisches Augenmerk hatte sich da bereits auf die „ästhetische Modernität“363 verlagert, was ja keineswegs geschlossen von seinen Redaktionskollegen übernommen wurde.364 Die Kreise um die Cinema Nuovo und die Filmkritik befanden sich am Ende der 1960er Jahre in einer etwas paradoxen Lage. Im Zuge der Protestbewegungen waren eine ganze Reihe von Kritikpunkten, die die Filmjournalisten seit mindestens einem Jahrzehnt schon ausführlich ausgebreitet hatten, endgültig und öffentlichkeitswirksam zur Entfaltung gekommen. Die Kritiker sympathisierten mit den jüngeren Demonstranten und beteiligten sich publizistisch weiter am Kampf gegen überkommene Moral und Konventionen. Spezifisch filmkritisch litten die Gruppen aber an deutlichen Abnutzungs- oder Auflösungserscheinungen. Kritischer Realismus und klassische Ideologiekritik galten jüngeren Kritikern als ähnlich überkommen, im Fall der Filmkritik spielte sich dieser Konflikt gleich in der Redaktion selbst ab und spaltete diese auf – sie geriet schließlich selbst in den Verdacht des „Establishments“. Die transnationale Komponente dieses Wandels und besonders die transnationale Fundierung und Färbung des langjährigen Nonkonformismus der Kritikergruppen werden nun zusammenfassend vorgestellt.

359 Zur Strategie Kluges vgl. Knut Hickethier: Zu den ökonomischen Bedingungen des deutschen Autorenfilms. Eine Skizze, in: Hagener/Schmidt/Wedel (Hg.): Die Spur durch den Spiegel, S. 226–234, hier S. 228–230. 360 Vgl. etwa Enno Patalas: Die Chance (II), in: Filmkritik, Nr. 11, 1963, S. 500–504. 361 Vgl. Kuhlbrodt: Eine klug genutzte Gelegenheit, S. 177. 362 Vgl. den Brief von Enno Patalas in Filmkritik, Nr. 2, 1966, o. S. 363 Enno Patalas: Perspektiven, in: Filmkritik, Nr. 1, 1966, S. 43. 364 Für die auch durch den Richtungsstreit abweichenden Auffassungen zu den jüngeren deutschen Filmen vgl. an dieser Stelle nur als ein Beispiel Uwe Nettelbeck / Reinold E. Thiel: Schonzeit für Füchse, in: Filmkritik, Nr. 8, 1966, S. 443–446.

6 FILMKRITIK UND FILMKULTUR – WESTEUROPÄISCH UND TRANSNATIONAL In allen vorangegangenen Abschnitten sind in der Darstellung des italienischen Fallbeispiels der Cinema Nuovo und des westdeutschen Falls der Filmkritik die transnationalen Aspekte und Fragestellungen dieser Studie bereits zumindest zwischen den Zeilen angeklungen. Die unterschiedlichen Facetten des gesellschaftspolitischen und filmkulturellen Nonkonformismus, den die Kritikergruppen propagierten, sind bisweilen für beide Länder und Zeitschriften in einem Zusammenhang diskutiert worden, um Gemeinsamkeiten oder Einflussströme aufzuzeigen. Und auch wenn die spezifischen nationalen Konstellationen in der Filmkultur eine separate Darstellung erforderlich machten, sind immer wieder Quervergleiche gezogen und Adaptionen, Vorbildrollen und weitere Bezüge herausgestrichen worden. In diesem Kapitel soll nun noch einmal dezidiert dieser transnationale Dreiklang aus Vergleich, Transfer und Verflechtung ausgeleuchtet werden. 6.1 TRANSNATIONALE PRÄGUNGEN IN DER GESCHICHTE DER FILMKRITIK Nur selten haben die Mitarbeiter der Filmkritik in ihrer alltäglichen journalistischen Arbeit explizit ihre internationalen Inspirationsquellen aufgelistet, zumeist sind die Vorbilder ausländischer Filmschulen sowie die adaptierten Kriterienkataloge und filmtheoretischen Grundlagen eher implizit in ihre auf diese Weise „europäisierten“ Texte eingeflossen. Eine erste Spurensuche unter den gelegentlichen ausdrücklichen Referenzen gibt aber bereits einen Einblick in die Transferbiographie der Zeitschrift und ihres Mitarbeiterkerns. Ein knappes halbes Jahrhundert nach seiner Studienzeit am Münsteraner Institut für Publizistik erachtete Enno Patalas weniger die Lehrveranstaltungen und Schriften Walter Hagemanns als wichtig für sein filmkulturelles und -theoretisches Heranwachsen und Lernen, sondern seine Lektüren in der gut ausgestatteten Bibliothek; neben der Cinema Nuovo zählte er in seinem Rückblick noch die Positif, die Cahiers du cinéma, die Sight and Sound und die US-amerikanische Film Culture auf.1 1955 hatte er Siegfried Kracauer eine „nonkonformistische Filmzeitschrift“ nach dem Vorbild der Positif angekündigt,2 woraus dann die film 56 wurde, und als die Filmkritik selbst schon einige Jahre bestand, beriefen sich ihre Autoren weiterhin auf die angeführten internationalen Zeitschriften – zum Beispiel, als Wilfried Berghahn sich spöttisch mit der Inkompe1 2

Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 64. Vgl. Enno Patalas an Siegfried Kracauer, Münster, 19. 9. 1955, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005955.

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6 Filmkritik und Filmkultur – westeuropäisch und transnational

tenz der Filmbewertungsstelle auseinandersetzte: „Sprachkundigen Mitgliedern der FBW seien außerdem die Zeitschriften ‚Sight and Sound‘, ‚Film Culture‘, ‚Cahiers du Cinema‘, und ‚Cinema nuovo‘ ans Herz gelegt. Ihre Lektüre wird auf die Dauer nicht ohne Folgen für das Selbstbewußtsein bleiben.“3 Eine kurze Redaktionsnotiz aus der F, die einen Bericht über Stanley Kubrick einleitete, illustriert, wie sich die Gruppe über konkrete filmkritische Fragen hinaus in eine Art Internationale aufbegehrender Cineasten und anderer Kulturschaffender einzureihen gedachte, wie sie ungeachtet vereinzelter künstlerischer Differenzen ein nicht nur auf das Medium Film fixiertes Rollenmodell gefunden hatte: Kubrick gehört, wie die jungen englischen Dramatiker, wie die jungen polnischen und ungarischen Lyriker, wie einzelne junge russische Schriftsteller, wie – um aus der Filmwelt nur einige repräsentative Namen zu nennen – der Engländer Lindsay Anderson, der Spanier Bardem, der Franzose Alain Resnais, der Pole Andrzey Munk, der Italiener Francesco Maselli (und schließlich wie unsere Freunde aus den Redaktionen von ‚Film Culture‘, ‚Sight and Sound‘, ‚Positif‘ usw.) – wie sie alle gehört Stanley Kubrick zur Generation der ‚Angry Young Men‘, die, aufgewachsen bereits im Angesicht einer restaurierten bürgerlichen Gesellschaft, von einem Gefühl der Malaise erfüllt sind und denen unsere Sympathie gehört, auch wenn sich ihr Oppositionsgeist in einer Weise artikuliert, die wir für unzureichend halten.4

Obwohl beispielsweise die Cinema Nuovo in dieser Stellungnahme gar nicht erwähnt wurde, kamen die entscheidenden Impulse in den Transferbiographien des Filmkritik-Kreises ohne Zweifel aus den romanischen Filmländern. Zusammengefasst beeinflusste das italienische Beispiel diese Filmkritiker insbesondere filmisch und filmkritisch, also im Hinblick auf das Filmideal und die kritischen Maßstäbe, während sich aus Frankreich insbesondere der filmkulturelle Habitus und die dortige filmkulturelle Infrastruktur in die Transferbiographien einprägten. Ulrich Gregor zeigte 1959 in einem Beitrag für die Kulturzeitschrift magnum seine Begeisterung für die Rolle der Intellektuellen in diesen Ländern und für ihr Verhältnis zum Film. Das seit Jahrhunderten elitäre Kunst- und Kulturverständnis in Deutschland blockiere weiter eine anspruchsvolle Auseinandersetzung nicht nur mit dem Massenmedium Kino, „in den romanischen Ländern dagegen ist Kultur selbstverständlich eine Angelegenheit der Vielen; Künstler und Intellektuelle suchen weit eher die soziale Resonanz als bei uns.“5 Bewundernd blickte Gregor auf die streitbare Präsenz kritischer Intellektueller in französischen und italienischen Massenmedien und insbesondere aus der Entwicklung des Neorealismus und der begleitenden Debatten leitete er ein weiteres Rollenvorbild für seine kritische Arbeit ab: „Italienische Kritiker formulierten ihren Standpunkt mit den Worten, es gelte, die Filmkritik zur allgemeinen Kulturkritik zu machen. In diese Perspektive sollte sich jede ernsthafte Beschäftigung mit dem Film heute stellen.“6

3 4 5 6

Berghahn: Krücken (Filmkritik, Nr. 7, 1961), S. 321. Vorspann zu Franz-Josef Spieker: Stanley Kubrick, Jahrgang 28, in: Film 58, Nr. 1, 1958, S. 113–117, hier S. 113 f. Gregor: Der Film und die Intellektuellen (magnum, Nr. 24, 1959), S. 57. Ebd., S. 58.

6.1 Transnationale Prägungen in der Geschichte der Filmkritik

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6.1.1 Das italienische Modell Zu keiner Filmschule hat sich die Gruppe um die Filmkritik in den 1950er Jahren so häufig und vehement bekannt wie zum italienischen Realismus. Günter Rohrbach bilanzierte: „Wir waren geprägt vom Neorealismus.“7 Der Rekurs auf die neorealistische Phase beinhaltete in diesen Jahren für die Autoren der Filmkritik stets die Hoffnung auf einen nur ansatzweise mit dem Aufbruch des italienischen Nachkriegsfilms vergleichbaren Neubeginn des westdeutschen Filmschaffens, bisweilen auch verzweifelte Klagen über das Ausbleiben einer solchen Wende.8 Ulrich Gregor erinnerte sich, dass „unser Ideal […] der italienische Neorealismus [war] und solche Filme haben wir uns gewünscht“9 – gewünscht, allgemein solche Werke in deutschen Kinos zu sehen und eben gleichermaßen, dass solche Werke in der Bundesrepublik selbst hergestellt werden können. Lange Texte der Kritiker mit vielsagenden Titeln drehten sich über die Jahre hinweg immer wieder um diese italienische Filmschule. In einem seiner ersten größeren Artikel für eine Kulturzeitschrift rekonstruierte Enno Patalas 1955 im Monat unter „Kunst im Präsens“ akkurat den „Durchbruch des italienischen Neorealismus“.10 Er zeigte einer breiteren Leserschaft die Anfänge realistischen Filmschaffens schon in faschistischen Zeiten auf, porträtierte die wesentlichen Regisseure und Werke des Neorealismus in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre und zitierte dabei ausgiebig aus Cesare Zavattinis „Alcune idee sul cinema“, die er zuvor selbst für das filmforum übersetzt hatte.11 1958 überprüfte Gregor unter „Neorealismus – Ende oder Anfang?“ den aktuellen Stand der Filmbewegung in Italien, die er drei Jahre später mit noch einmal größerem Abstand erneut filmhistorisch rekapitulierte.12 Der Neorealismus, der in Italien längst durch den beschriebenen filmpolitischen Druck abgewürgt worden war, wurde nun von seinen westdeutschen Anhängern, wie in Italien selbst, nur noch als eng abgesteckter Ausgangspunkt weitläufigerer filmhistorischer Entwicklungen differenziert, hatte aber zum Beispiel für Wilfried Berghahn zu Beginn der 1960er Jahre weiter einen unverrückbaren Wert in der Filmgeschichte. Dort allein sei das „Alltagsgesicht unserer Welt“ unverzerrt gezeigt worden, und bei aller Kritik an den nachfolgenden Werken des Regisseurs widmete Berghahn Vittorio de Sica in einem Porträt für die Filmkritik diese Zeilen der Bewunderung: „Durch ihn vor allen anderen ist die Aufmerksamkeit für den Mitmenschen zum Kriterium der Redlichkeit in der Filmkunst geworden. Alle, die nach ihm kommen, solange Beispiele verpflichten, sollten wissen, daß sie seine Schüler sind.“13 7 8 9 10 11 12

Eue/Gass: Auf diesem Niveau, S. 270; vgl. auch Patalas: Schluchsee, S. 69. Vgl. Becker: Versuche (Der Monat, Nr. 130, 1959), S. 70 f. Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. Vgl. Patalas: Kunst im Präsens (Der Monat, Nr. 87, 1955). Vgl. Cesare Zavattini: Einige Gedanken über den Film, in: filmforum 3 (1953), Nr. 3, S. 3 f. Vgl. Gregor: Neorealismus (F, Nr. 1, 1958); ders.: Fünfzehn Jahre nach Paisa (Filmkritik, Nr. 7, 1961). 13 Zitate aus Wilfried Berghahn: Domestizierte Sozialkritik, in: Merkur 15 (1961), Nr. 161, S. 693–695, hier S. 695; ders.: Vittorio de Sica, in: Filmkritik, Nr. 7, 1962, S. 300–304, hier S. 303.

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6 Filmkritik und Filmkultur – westeuropäisch und transnational

Inwieweit der italienische Filmrealismus als Vergleichsgröße und Prüfstein in der Filmkritik regelmäßig beispielsweise auf US-amerikanische Filme, Produktionen aus dem Ostblock oder auch auf die westdeutschen „Problem“- und „Halbstarken“-Filme angewendet wurde, ist in den vorherigen Kapiteln immer wieder gezeigt worden.14 Die Kritiker verrissen insbesondere einheimische Filme öfters in knappen, drastischen Worten; dass es ihnen aber in vielen Besprechungen auch um konstruktives Durchdenken der gesehenen Filme ging und der italienische Realismus nicht nur dem rasch abqualifizierenden Vergleich diente, lässt sich anhand von Berghahns bereits mehrfach zitierter Rezension zu Helmut Käutners Himmel ohne Sterne veranschaulichen. Das Drama von der innerdeutschen Grenze war Berghahn zu „sentimental“, vom tatsächlichen Konflikt der deutschen Teilung und seinen Konsequenzen lenkten eine Liebeshandlung und reißerische Szenen ab. Zum Abschluss seiner Kritik warf Berghahn einfache, sachliche Fragen auf, die sich ihm eigentlich zu den Figuren im Film, den Veränderungen in ihrem Leben und ihrem Umgang mit der Grenzsituation aufgedrängt hätten. Bezeichnend für seine filmkritische Herangehensweise und ihre transnationale Prägung ist die Passage, mit der er seinen alternativen Fragenkatalog einleitete: Man überlege sich einmal, wie diese Geschichte wohl in Wirklichkeit abgelaufen wäre und wie ein neorealistischer Regisseur sie einzufangen versucht hätte. Sicherlich viel undramatischer, viel weniger ‚tragisch‘, aber gesellschaftlich konkret. Die Kolportage wäre entbehrlich geworden.15

Die Kritiker hatten profunde Kenntnisse des italienischen Realismus erworben und auf dieser Grundlage rangen sie als seine Lobbyisten um die Verbreitung und Verteidigung dieser Filmschule – in ihren Augen war das angesichts vieler Vorbehalte und der filmpolitischen und filmwirtschaftlichen Hindernisse im Herkunftsland und in der Bundesrepublik bitter nötig. Enno Patalas beschloss seinen Artikel im Monat mit dem Hinweis auf das filmpolitische Abschnüren des Neorealismus in Italien, das filmhistorisch zudem kein Einzelfall sei: So ist eine Situation entstanden, wie sie in ähnlicher Weise schon der deutsche, der französische und der amerikanische Film in ihrer fünfzigjährigen Geschichte erlebt haben: einer Elite ausgezeichneter und verantwortungsbewußter Autoren und Regisseure, die um eine kritische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit bemüht sind, steht ein restaurativer Apparat gegenüber, der eine Beunruhigung der öffentlichen Meinung mehr fürchtet, als die Gefahren, die sich aus einer Unterdrückung der Meinungsfreiheit auf einem Sektor der Publizistik ergeben.16

Wiederholt griffen Patalas und seine Kollegen die aus den Polemiken der Cinema Nuovo bekannten filmpolitischen Eklats und Eingriffe in Italien kritisch in ihrer eigenen Zeitschrift auf, beispielsweise die Bedrohung durch Ausfuhrverbote, die ständigen Behinderungen von Luchino Viscontis Arbeit oder die neuerlichen Streitfälle im Jahr 1960, die weiter oben genauer beschrieben worden sind.17 14 15 16 17

Vgl. neben anderen Kapitel 3.2.2 und 4.3.3. Berghahn: Romeo und Julia (film 56, Nr. 1, 1956), S. 42. Patalas: Kunst im Präsens (Der Monat, Nr. 87, 1955), S. 80. Vgl. Liebe in der Stadt (Amore in città), in: Filmkritik, Nr. 6, 1957, S. 94–96, hier besonders S. 94; Enno Patalas: Ossessione – … von Liebe besessen (Ossessione), in: Filmkritik, Nr. 9,

6.1 Transnationale Prägungen in der Geschichte der Filmkritik

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Gelangten italienische realistische Filme, in welcher Version auch immer, schließlich nach Westdeutschland, stießen sie keineswegs durchgehend auf die Sympathie und das Interesse, das ihnen von der Filmkritik entgegengebracht wurde. Francesco Bono hat herausgearbeitet, dass Kürzungen italienischer Werke gerade bei westdeutschen Filmjournalisten durchaus akzeptiert waren und dass sie auch deswegen nicht nur auf die Filmselbstkontrolle oder die Filmbewertung, sondern auch auf die Eigeninitiative der Verleihfirmen, die marktgängige Produkte anbieten wollten, zurückgeführt werden müssen.18 Auf den Fall von Michelangelo Antonionis L’avventura und seine Diskussion in der Filmkritik ist hingewiesen worden,19 Viscontis Rocco e i suoi fratelli war ein weiteres Filmbeispiel, von dem in der Bundesrepublik etliche Minuten verloren gegangen waren.20 Die Redaktion der Filmkritik beschrieb dieses Nadelöhr aus italienischer Filmpolitik und westdeutschen Kontrollmechanismen und Firmenpraktiken bereits in ihrem Editorial im April 1957. Ihr Abgleich mit einer Liste der wichtigsten italienischen Nachkriegsfilme, die dortige Kritiker erstellt hatten, ergab, dass nahezu alle hierzulande noch unbekannt oder nicht in der kompletten Fassung gelaufen waren, darunter Roberto Rossellinis Roma città aperta und Paisà.21 Die Kritiker bemängelten an weiteren Beispielen die „Barbarei“ der Kürzungen von vermeintlich langweiligen, überflüssigen Szenen. Hinzu komme, dass häufig Passagen mit deutschen Gewalttaten im Zweiten Weltkrieg herausgeschnitten worden seien. Die Urheber solcher Eingriffe seien nicht immer feststellbar, der Effekt sei in jedem Fall fatal: Mehrfach wurden Filme absichtsvoll verfälscht, um nationalistische oder selbst nazistische Relikte in den Gemütern der Zuschauer nicht zu verletzen. […] Sicher ist oft politisches Ressentiment im Spiel – oder Rücksichtnahme auf vermutete Ressentiments beim Publikum, bestimmt aber auch viel schlichte Unkenntnis, Verständnislosigkeit und mangelndes Interesse beim deutschen Verleiher. Aber auch die Beschränktheit gehört ja ins System.

Für die Filmkritik war es letztlich auch nicht überraschend, dass die abermals als „restaurativ“ bezeichneten Maßnahmen gerade die geschätzten italienischen Filme trafen, da „hier die konsequentesten Aussagen zur aktuellen gesellschaftlichen Realität zu finden sind.“22 Auf diejenigen italienischen Filme aller Sparten, die in die Bundesrepublik gelangten, reagierten die Mitarbeiter der Filmkritik sehr eng entlang der Leitlinien, die sie von ihren dortigen Vorbildern um die Cinema Nuovo übernommen hatten. In gleicher Weise lakonisch und ablehnend besprachen sie die Welle der italienischen Monumentalfilme, kanzelten konventionelle Unterhaltungsfilme als „Dutzendprodukt“ oder „tief unterm vertretbaren Intelligenzminimum“ ab und kritisierten den

18 19 20 21 22

1959, S. 236–240, hier S. 236 f.; ders.: Im Schatten der Zensur. Der italienische Film 1960, in: Filmkritik, Nr. 1, 1961, S. 17–24. Vgl. Francesco Bono: „Kein berühmter Film, sondern ein Torso“. Die Eingriffe westdeutscher Verleiher in das Werk Luchino Viscontis, in: Filmblatt 20 (Winter 2015/16), Nr. 58/59, S. 3–21. Vgl. Kapitel 5.4.2. Vgl. Bono: Kein berühmter Film, S. 14–18. Zeitgenössisch: Ungekürzt gekürzt, in: Der Spiegel, Nr. 19, 3. 5. 1961, S. 81–83. Vgl. Verstümmelt, verboten, vergessen, in: Filmkritik, Nr. 4, 1957, S. 49 f., hier S. 49. Alle Zitate ebd., S. 50.

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6 Filmkritik und Filmkultur – westeuropäisch und transnational

konservativen Militarismus der Kriegsfilme von Duilio Coletti.23 Das filmische Ideal der jungen Westdeutschen war ja gerade in ihren Anfangsjahren der kritische Realismus, den insbesondere Guido Aristarco als Fortentwicklung des Nachkriegsneorealismus propagierte. Auf diesen Spuren hob Enno Patalas an Carlo Lizzanis Cronache di poveri amanti hervor, dass „[auf] eine überaus glückliche Weise […] das Schicksal zweier Liebender mit dem kollektiven Geschehen verbunden“ werde und lobte nach denselben Gesichtspunkten Viscontis Senso.24 Zu Anfang der Studie hat die Untersuchung der Rezension, die Theodor Kotulla für die film 56 über Viscontis Historienfilm schrieb, und von Ulrich Gregors Zwischenbilanz zum italienischen Realismus aus der F zu Tage gefördert, wie weit das Paradigma der italienischen Pendants in die Kritikersprache der Westdeutschen eingegangen war und nun als „das Fruchtbarste“ der Realismuskonzepte verteidigt und weiterverbreitet wurde.25 Die Zitate von Aristarco oder anderen Autoren der Cinema Nuovo, die beispielsweise Kotulla und Gregor in die Texte einbauten, zeigen, dass ihre Adaption des italienischen kritischen Realismus auf regelmäßigen, aktuellen Lektüren seiner Verfechter basierte.26 Das zeigt zudem die Bewunderung, die Renzo Renzis Filmbuchreihe und Aristarcos Storia delle teoriche del film in der Filmkritik, aus dem deutschen filmkulturellen Ödland hinaus, entgegengebracht wurde.27 Die auf Georg Lukács zurückgehende Richtschnur dominierte in der bundesrepublikanischen Kritikergruppe kaum eingeschränkt bis nach 1960, bis die französische Nouvelle Vague oder auch die Filme Michelangelo Antonionis zu einer allmählichen Neudiskussion des realistischen Paradigmas führten. Die Lesart der Cinema Nuovo hatte die Rezeption des italienischen Filmschaffens durch die Filmkritik tief eingefärbt, was sich auch an der Einschätzung wesentlicher Regisseure der 1950er Jahre verdeutlichen lässt. Nicht nur durch Senso galt Luchino Visconti als der Meister des kritischen Realismus; sein über 15 Jahre alter Film Ossessione brachte Enno Patalas als Frühwerk noch 1959 zum Schwärmen und Rocco e i suoi fratelli galt ja den meisten Redaktionsmitgliedern als ein weiterer Höhepunkt.28 Die Dostojewski-Adaption Le notti bianche wurde, wie in der

23 Zitate aus Enno Patalas: … und zu leicht befunden (Morte di un amico), in: Filmkritik, Nr. 7, 1960, S. 209; ders.: Die große Schau (Botta e riposta), in: Filmkritik, Nr. 2, 1958, S. 42. Zu den Monumentalfilmen vgl. etwa Reinold E. Thiel: Herkules erobert Atlantis (Ercole alla conquista di Atlantide), in: Filmkritik, Nr. 3, 1962, S. 138; zu Coletti als Beispiele Theodor Kotulla: London ruft Nordpol (Londra chiama Polo Nord), in: Filmkritik, Nr. 9, 1957, S. 142; Heimweh, Stacheldraht und gute Kameraden, in: Filmkritik, Nr. 8, 1958, S. 178. 24 Vgl. Patalas: Der europäische Widerstand (Deutsche Rundschau, Nr. 7, 1955), S. 703. 25 Vgl. Kapitel 3.2.2. 26 Vgl. Kotulla: Geist des Widerstands (film 56, Nr. 3, 1956), S. 146; Gregor: Neorealismus (F, Nr. 1, 1958), neben anderen S. 92–96. 27 Vgl. Filmliteratur, in: Filmkritik, Nr. 8, 1961, S. 416; Filmliteratur, in: Filmkritik, Nr. 12, 1961, S. 602–604, hier S. 603 f. 28 Vgl. Patalas: Ossessione (Filmkritik, Nr. 9, 1959), S. 239 f.; zur Rezeption von Rocco vgl. Kapitel 5.2.2 – auch wenn Wilfried Berghahn das Gesellschaftsbild Viscontis und die Deutung der italienischen Binnenmigration für etwas überholt hielt – vgl. ders.: Ciro und seine Brüder (Filmkritik, Nr. 7, 1961).

6.1 Transnationale Prägungen in der Geschichte der Filmkritik

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Cinema Nuovo von Aristarco, als nur kurzes, wenn auch irritierendes Abweichen vom Realismus gewertet.29 Die Meinungen des Filmkritik-Kreises zu den Vertretern des italienischen Filmrealismus standen nicht selten in deutlichem Kontrast zu den Urteilen ihrer Landsleute in der Filmpresse. Während Theodor Kotulla bei Senso deutlich auf die Kürzungen und Verzerrungen in Italien und die weiter verfälschende Synchronisation in der Bundesrepublik hinwies,30 empfanden andere Kritiker das, was vom ursprünglichen Werk in der deutschen Fassung noch übrigblieb, als „Edelkitsch“, „Schauerromanze“ oder „Seelenknatsch“.31 Ihnen blieb offensichtlich verborgen, dass die zeithistorische Relevanz, die Visconti seinem Film eigentlich gegeben hatte, nur durch mehrfache Bearbeitung hinter der Liebesgeschichte zurückfiel;32 Rezensionen wie die der Welt offenbarten ohnehin ein eher geringes Verständnis für die Problematik: „Um diesen Film ‚Sehnsucht‘ soll allerhand Skandal gewesen sein. Er wurde in Italien […] x-mal verboten und umgeschnitten. Sieht man ihn, wenigstens in der deutschen Fassung, an, so begreift man den Lärm nicht. Es ist alles ganz konventionell“.33 Ulrich Gregor teilte bei Vittorio de Sicas und Cesare Zavattinis Il tetto die Auffassung der Cinema Nuovo, dass der Film in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre ein wenig veraltet und bei der naturalistischen Betrachtungsweise stehen geblieben sei – und beschwor wie das italienische Vorbild die von Lukács’ Begrifflichkeiten abgeleitete Weiterentwicklung des Filmschaffens: „Diesen fragmentarischen Charakter des Geschehens, den Stil der filmischen Chronik zu überwinden, von der Methode des ‚Beschreibens‘ zu der des ‚Erzählens‘ zu gelangen, ist die Forderung, an der sich der Neorealismus heute zu messen hat.“34 Kaum etwas lag Gregor ferner als, wie durchaus verbreitet unter seinen Kollegen der deutschen Filmpresse, den Film als versöhnlichen, apolitischen Appell an das „Menschliche“ und als christliche Anrufung von Glaube, Liebe und Hoffnung zu interpretieren.35 Für die linksgerichteten Kritiker in Italien und Deutschland war es der an der Oberfläche verharrende Stil de Sicas und Zavattinis, der solche Deutungen überhaupt erst ermöglichte. In Guido Aristarcos Zeitschrift war besonders Roberto Rossellini attackiert worden, da er sich nach seinen neorealistischen Meisterwerken in einem katholisch angehauchten Konformismus verloren habe – fortan, seit Filmen wie Stromboli und Europa ’51, konnte er es der Redaktion mit keinem seiner Projekte mehr Recht 29 Vgl. Guido Aristarco: Perché è l’invitto, in: Cinema Nuovo, Nr. 114–115, 15. 9. 1957, S. 138– 141 und 168; Ulrich Gregor: Weiße Nächte (Le notti bianche), in: Filmkritik, Nr. 1, 1958, S. 7–9. 30 Vgl. Kotulla: Geist des Widerstands (film 56, Nr. 3, 1956), S. 145 f. und 150. 31 Zitate aus Rheinische Post, 3. 3. 1956; Badische Zeitung, 14. 3. 1956; Filmdienst, 1. 3. 1956. 32 Vgl. Habel: Zerschnittene Filme, S. 96; dazu und zur entsprechenden Rezeption in Deutschland Bono: Kein berühmter Film, S. 5–8 und 12 f. 33 Die Welt, 15. 2. 1956. 34 Ulrich Gregor: Das Dach (Il Tetto), in: Filmkritik, Nr. 4, 1958, S. 73–77, hier S. 77. 35 Vgl. exemplarisch für diese verbreiteten Deutungen Der Mittag, 28. 1. 1958; Kölnische Rundschau, 17. 5. 1958; Echo der Zeit, 1. 6. 1958; Münchner Merkur, 1. 7. 1958.

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machen. Die Gruppe um die Filmkritik übernahm auch diese Haltung, Enno Patalas schrieb im Monat über Rossellini: Jeder dieser Filme bildet eine merkwürdige Mischung aus dramaturgischem Ungeschick, brillanter Detailbeobachtung und einem konfusen Messianismus. […] Aber die Behandlung der neuen Themen forderte eine kritische Haltung, die der emphatischen Rossellinis genau entgegengesetzt war, eine Kenntnis gesellschaftlicher Zusammenhänge, eine Fähigkeit zur Analyse, die ihm abgingen.36

Die Diagnosen im „Fall Rossellini“, die mit der Annahme, dessen Stil erfasse die im wirtschaftlichen Aufschwung gewandelte, moderne Gesellschaft nicht mehr, einmal mehr auf den Antagonismus zwischen Naturalismus und kritischem Realismus hinausliefen, wiederholten Patalas und Kollegen danach noch etliche Male.37 Ein letztes anschauliches Beispiel für die Prägung der Filmkritik durch die italienische Kritikerschule ist das Werk Federico Fellinis. Vor allen anderen kritisierte ihn Aristarco als einen Regisseur, der hauptsächlich autobiographische Erlebnisse verarbeite und auf dieser Grundlage nur zu oberflächlichen, irrationalen und gesellschaftsfernen Stimmungsbildern gelange. Renzo Renzi nahm immer wieder einzelne Filme Fellinis gegen diese Pauschalkritik in Schutz und auch in der Filmkritik wurden die gesellschaftskritischen Passagen und Potenziale von Il bidone oder I vitelloni gewürdigt.38 Insgesamt aber entsprachen die Skepsis und die Kritikpunkte der westdeutschen Filmpublizisten gegenüber Fellinis Opus denjenigen ihrer italienischen Vorreiter. Theodor Kotulla verfasste für die F eine äußerst umfangreiche Studie über den Filmemacher. Es gebe in dessen Filmen gewiss sehr treffende Schilderungen der „Tauschgesellschaft“ und ihrer Auswirkungen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, doch ergäben sich diese zumeist eher als beiläufige Produkte aus Fellinis Drang der persönlich gehaltenen Erzählung. Kotulla fehlte ein Überbau und eine theoretische Durchdringung der Welt, die mehr biete als die ahistorische Interpretation eines „Franziskanismus“, mit dem Fellini in dieser Zeit in seinen öffentlichen Verlautbarungen kokettierte.39 In den Neuen Deutschen Heften berief sich Ulrich Gregor ausdrücklich auf Fellinis linke Kritiker in Italien,40 auch er störte sich an „Irrationalismus“ und „Mystizismus“ des Regisseurs.41 Den ersten Neorealisten, blickte Gregor zurück, 36 Patalas: Kunst im Präsens (Der Monat, Nr. 87, 1955), S. 76. 37 Vgl. Patalas: Dialog mit der Geschichte (Filmkritik, Nr. 2, 1961), S. 70; ders.: Der falsche General (Il Generale della Rovere), in: Filmkritik, Nr. 6, 1960, S. 178–180, hier S. 179 f.; Gregor: Fünfzehn Jahre nach Paisa (Filmkritik, Nr. 7, 1961), S. 325 f. 38 Vgl. Theodor Kotulla: Il Bidone (Il Bidone), in: Filmkritik, Nr. 10, 1957, S. 147–149; ders.: Die Müßiggänger (I Vitelloni), in: Filmkritik, Nr. 12, 1960, S. 364–366. 39 Vgl. Kotulla: Die Antwort des Mönchs (F, Nr. 2, 1958), S. 154 f. und 157–159. 40 Vgl. Ulrich Gregor: Die Fellini-Legende, in: Neue Deutsche Hefte 4 (1958), Nr. 44, S. 1141– 1144, hier S. 1141. 41 Gregor versuchte folgendermaßen, Fellinis Defizite auf den Punkt zu bringen: „bei Fellini sind die Dinge ‚von vornherein‘ mit der Eigenschaft des Poetischen ausgestattet – sie wird ihnen nicht erst durchs Geschehen zuteil. Die Unverbindlichkeit dieser Art von intuitivem Lyrismus tritt mit jedem neuen Film Fellinis deutlicher zutage. Seine Ästhetik ist eigentlich ohne Zusammenhang: da ist wohl die Poetik des einsamen Menschen – aber das Einzelne tritt nicht in Beziehung zu ihr, lebt nicht in der Wirklichkeit des Geschehens, sondern wird sofort absorbiert,

6.1 Transnationale Prägungen in der Geschichte der Filmkritik

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sei es noch darum gegangen, „den Autobiographismus, die subjektivistische Einschränkung der Wirklichkeit zu überwinden. Daß offenbar nicht mehr ihre, sondern Fellinis Kunst heute Chancen hat, mag nachdenklich stimmen.“42 1960 überzeugte schließlich der auch in Deutschland viel diskutierte Film La dolce vita die Mitarbeiter der Filmkritik ebenso wenig wie ihre italienischen Kollegen von der Cinema Nuovo. Patalas und wiederum Gregor zufolge verzettelte sich Fellini in seiner Ausmalung der römischen Oberschicht in „Details“ und vernachlässigte dabei „Ursachen“ und „Motive“, beispielsweise die Mechanismen des Boulevardjournalismus.43 Gregor fasste die mit Aristarco und seinen Mitstreitern übereinstimmende Position zu La dolce vita pointiert zusammen: Im Grunde ist ‚La dolce vita‘ gar kein gesellschaftskritisches Werk. Die Intention des Films bleibt unentschieden, zweideutig: einerseits werden gewisse Aspekte modernen Lebens kräftig karikiert, ja angegriffen […]. Andererseits sieht Fellini die Repräsentanten des ‚süßen Lebens‘ mit Milde: keinen von ihnen trifft Schuld oder Verantwortung; ob und woran sie leiden, bleibt unklar; ihr Dasein wird porträtiert, ohne daß ein Akzent der Bitterkeit, der Revolte spürbar würde.44

6.1.2 Die Filmkritik im deutsch-italienischen „Filmkrieg“ In den frühen Klagen der Filmkritik über die schleppende Verbreitung der Meisterwerke des realistischen italienischen Kinos in Westdeutschland deutete sich bereits ein Konfliktthema an, das in der ersten Hälfte der 1960er Jahre zwischenzeitlich für eine gereizte Stimmung in der hiesigen Öffentlichkeit sorgte und im Boulevardjargon zum „Filmkrieg“ zwischen Italien und Deutschland stilisiert wurde: Es ging um die Darstellung des brutalen Vorgehens von Angehörigen der Wehrmacht, SS oder Gestapo in den letzten Kriegsjahren, in denen die vorherigen „Achsenmächte“ sich nun in einigen Regionen als Gegner bekämpft hatten. Als prominenter Fall war Roberto Rossellinis Roma città aperta bereits 1950 in einem ersten Anlauf an der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft gescheitert. Die FSK hatte den Film mit dem Hinweis nicht freigegeben, dass die Folterszenen mit den deutschen Besatzern die aufkommende internationale Versöhnung und Kooperation belasten müssten. Erst 1961 kam Roma città aperta regulär in die bundesdeutschen Kinos – mit abgewandelter Synchronisation und einem abschwächenden Vorspann.45 Rossellini widmete sich um 1960 in mehreren Filmen und nicht ohne nationalen und

auf sich selbst gestellt, wird zum symbolischen Schema, zur Legende, zum Mythos.“ – ebd., S. 1144. 42 Ebd. 43 Vgl. Enno Patalas: Das süße Leben (La Dolce vita), in: Filmkritik, Nr. 7, 1960, S. 197–200, hier S. 199 f.; ders.: Entrüstung, konsumierbar gemacht, in: Frankfurter Hefte 15 (1960), Nr. 8, S. 592–594; Ulrich Gregor: Fellini – der Film als Gesellschaftskritik, in: Neue Deutsche Hefte 7 (1960), Nr. 74, S. 540–544, hier S. 543. 44 Gregor: Fellini (Neue Deutsche Hefte, Nr. 74, 1960), S. 542. 45 Vgl. Habel: Zerschnittene Filme, S. 84; Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 164–166. Zeitgenössisch: Offene Stadt, in: Der Spiegel, Nr. 9, 22. 2. 1961, S. 72 f.

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internationalen Erfolg wieder verstärkt den letzten Kriegsjahren und damit zwangsläufig erneut der deutschen Präsenz in Italien.46 Der Kreis der Filmkritik reagierte gelassen auf die Darstellung der Deutschen in diesen neueren Werken des neorealistischen Pioniers. Enno Patalas berichtete von einer Diskussion unter den deutschen Festivalgästen in Venedig, ob Il generale Della Rovere eine antideutsche Irritation sei. Für den Kritiker war er deutschenkritisch, und dies berechtigterweise: Allerdings zeigt der Film die Deutschen so, wie sie die Italiener und einige andere Völker kennengelernt haben: als eine Polizeimacht, die zumal im letzten Kriegsjahr mit rigoroser Härte zugriff. Nicht die SS – auf die auch deutsche Filme gern alle Schuld abwälzen – erscheint als der Widersacher, sondern die Deutschen. Der Film ist freilich gegen die Deutschen – so wie sie sich, zumindest repräsentativ, damals gezeigt haben.47

Ulrich Gregor bezog sich nicht nur auf italienische Filme, als er den in der Bundesrepublik ansteigenden Vorwürfen der „Hetze“ gegen Deutsche widersprach. Die nachgewiesenen Taten im Zweiten Weltkrieg ließen doch eigentlich nur Scham und Demut zu und „[w]ir haben kein Recht, uns zu erregen, wenn in einem italienischen oder sowjetischen Film deutsche Soldaten der Hitlerarmee als brutal und grausam geschildert werden“.48 Die Häufung der vermeintlich oder tatsächlich deutschfeindlichen Kriegs- und Widerstandsfilme rief um 1960 die ohnehin empfindlich auf das internationale Ansehen der Bundesrepublik und den deutsch-deutschen Wettbewerb bedachten auswärtigen Kulturpolitiker und weitere Diplomaten auf den Plan. Manfred Klaiber, der Botschafter der Bundesrepublik in Rom, warnte das Auswärtige Amt bereits 1958 vor einigen in Italien populären, importierten Spielfilmen, deren Kriegsdarstellungen „anti-deutsche Gefühle“ wecken könnten, und versuchte sich an einer publizistischen Gegenstrategie: Das beste Mittel solchen die öffentliche Meinung vergiftenden Filmen wirksam zu begegnen, scheint mir die Herstellung guter deutscher Filme mit internationalem Niveau zu sein, die zu den Problemen des 3. Reiches und des 2. Weltkrieges in eindeutiger Form Stellung nehmen und die durch Hervorheben jener deutschen Menschen, die sich nicht dem Nazi-Regime fügten, die Idee der Kollektiv-Schuld und solcher anti-deutschen Tendenzen zurückweisen.49

Der westdeutsche Botschafter in Griechenland zeigte sich verärgert, dass offizielle italienische Stellen Filme wie Rossellinis Il generale Della Rovere beim Auslandsvertrieb unterstützten und forderte Bonn auf, „diese Vorgänge einmal grundsätzlich im Rahmen der NATO zur Sprache [zu] bringen […], damit die amtliche Förderung von derartigen Kriegsfilmen endlich aufhört.“50

46

Vgl. Alfons Maria Arns: Das Trauma des „Nazismo“. Roberto Rossellini und Deutschland, in: Bono/Roschlau (Redaktion): Tenöre, Touristen, Gastarbeiter, S. 93–106. 47 Patalas: Der falsche General (Filmkritik, Nr. 6, 1960), S. 180. 48 Ulrich Gregor: Antideutsche Welle?, in: Filmkritik, Nr. 8, 1961, S. 369. 49 Manfred Klaiber an das Auswärtige Amt, Rom, 23. 5. 1958, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/518. 50 Gebhard Seelos an das Auswärtige Amt, Athen, 22. 12. 1959, ebd.

6.1 Transnationale Prägungen in der Geschichte der Filmkritik

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Von Manfred Klaiber sind in der Frage der deutschfeindlichen Filme etliche Schreiben aus Rom überliefert, darunter findet sich ein langer Bericht, der im Kontext der deutsch-italienischen Filmbeziehungen in der ersten Hälfte der 1960er Jahre eine Schlüsselquelle darstellt. Der Brief an das Auswärtige Amt aus dem März 1961 ist bemerkenswert, da er die Sorgen und Interessen der bundesdeutschen Kulturpolitik in Italien, die Einschätzungen der Diplomaten vor Ort und ihre filmpolitischen Strategien in relativ unverblümter Sprache offenlegte. Klaiber beklagte eine wahre Welle von problematischen Filmen in und aus Italien, allein 16 listete er im Anhang des Berichts auf. Ausgelöst von Rossellinis neueren Filmen zum Zweiten Weltkrieg werde als Erfolgsrezept stets, wenn ein „Bösewicht“ in der Handlung vorgesehen sei, eine deutsche Figur eingeführt. Der Botschafter befürchtete: „Die Vertrauensbasis des einfachen Italieners zum Deutschen, dessen noch gar nicht so weit zurückliegende Schandtaten ihm immer wieder gezeigt werden, wird dadurch unterhöhlt“, die filmische Angelegenheit werde so „zu einem Politikum.“ Dieses Filmschema nutze sich aktuell nicht ab, begründete Klaiber auf pauschale Weise, weil „das italienische Publikum in weiten Kreisen eine sozusagen angeborene Freude am optischen Genuß von Grausamkeiten hegt und daher der Kriegs- und KZ-Szenen nicht so leicht überdrüssig wird.“ Zur weiteren Begründung dieser deutschfeindlichen Filmwelle bediente sich Klaiber eines älteren Schreckbilds des italienischen Filmschaffens, das schon 1954 in der „Filmdebatte“ des Bundestags vorgebracht worden war. „[E]twa Dreiviertel“ der maßgeblichen italienischen Filmemacher seien linksgerichtet und arbeiteten in die Filme über die Kriegsjahre nun ihre „Vorbehalte“ gegenüber der antikommunistischen Bundesrepublik ein – allerdings angesichts des hohen Niveaus des italienischen Filmwesens in vollendeter künstlerischer Qualität. Gewiss behandelten die neueren italienischen Filme auch die eigene faschistische Vergangenheit, doch in der Häufung träfen die Zerrbilder eben insbesondere die Deutschen, „um so mehr, als das Bild des heutigen deutschen Menschen kaum in irgendwelchen Filmwerken gegenübergestellt wird.“ Wie gedachte Klaiber nun, diesem Deutschenbild entgegenzuwirken? Auf Zensureingriffe hinzuwirken, schien ihm nicht ratsam angesichts des durch die ständigen Diskussionen in Italien „zensurempfindlichen“ Klimas; noch dazu unterstellte der Diplomat den zuständigen Beamten, sich in Erwartung der möglichen „apertura a sinistra“ politisch nicht mehr festlegen zu wollen, um ihre Karrieren nicht zu gefährden. Ferner sei offizieller diplomatischer Protest bisher zumeist nur in öffentlichen Fehlschlägen gemündet. Stattdessen setzte Klaiber auf diskrete Gespräche im Vorfeld, um beispielsweise die italienischen Produzenten mit dem Verweis auf deutsche Beteiligungen am Film oder Verwertungsmöglichkeiten des Films zu Modifikationen zu bewegen. Insgesamt schwebte ihm eine engere internationale Kooperation vor, die er auch als politisches und inhaltliches Steuerungsinstrument des Filmschaffens verstanden wissen wollte: „durch die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Filmpolitik, durch Koproduktionen und engere Verflechtung der nationalen Filmwirtschaften, die nicht primär unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen werden sollte.“ Er richtete abschließend das Versprechen an Bonn, weiter „die verantwortlichen italienischen Stellen auf den verschiedensten

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Ebenen immer wieder darauf hinzuweisen, für wie bedeutsam wir die psychologischen und damit auf die Dauer gesehen politischen Nebenwirkungen des Films halten und mit welcher Aufmerksamkeit wir sie verfolgen.“51 Im Sinne dieses Schreibens agierten Manfred Klaiber und seine Kollegen in Italien in den Folgejahren, bis die Debatte um die deutschfeindlichen Filme zur Mitte der 1960er Jahre wieder abebbte. Sie meldeten dazu, erstens, regelmäßig Auffälligkeiten nach Bonn, die sie bei Veranstaltungen oder aktuellen Filmprojekten in Italien ausmachten. Mit Sorge beobachteten sie etwa die Aktivitäten des Centro Thomas Mann, eines von der DDR unterstützten Kulturinstituts, das auch internationale Filme über die NS-Zeit zeigte und bei den zahlreichen Kommunisten unter den italienischen Intellektuellen gefährlich populär sei.52 1964 drehten sich die Berichte aus den Vertretungen um Italiani brava gente, einen Kriegsfilm von einem Freund der Cinema Nuovo, Giuseppe De Santis, der hier eine Dichotomie zwischen deutschen und italienischen Soldaten aufbaue, und um den Dokumentarfilm Gott mit uns des Kritikers Fernaldo Di Giammatteo, der die Wehrmacht und die noch junge Bundeswehr thematisierte. Zu letzterem Film meldete das Generalkonsulat in Genua die empörte Ankündigung eines Münchner Touristen, daß er seinen Urlaub in Italien aus Verärgerung und Angst sofort abbrechen und nach Frankreich fahren werde. Er sagte, der italienische Filmbesucher müsse einen solchen Haß auf alle Deutschen bekommen, daß er sich in seiner persönlichen Sicherheit bedroht fühle. Ein anderer deutscher Anrufer äußerte sich ähnlich.53

Die Auslandsposten der Bundesrepublik schlugen parallel zu den besorgten Meldungen, zweitens, Strategien des Umgangs mit diesen Filmen vor oder strengten vor Ort selbst Gegenmaßnahmen an. Bei Italiani brava gente empfehle es sich, die Diskussion in Deutschland von vornherein abzudämpfen, um die potenzielle Wirkung seiner Thesen auszuhebeln: „Es sollte daher alles versucht werden, um zu vermeiden, dass der Film durch polemische Behandlung in der deutschen Öffentlichkeit eine Bedeutung gewinnt, die er sich trotz künstlerischer Qualitäten aufgrund seiner vereinfachenden Schwarz-Weiß-Malerei selbst abspricht.“54 Einen weiteren Hebel entdeckte Klaiber im engen Austausch mit dem Auswärtigen Amt darin, dass für die Spiel- oder Dokumentarfilme dieser Jahre häufig in Italien beschlagnahmtes Filmmaterial aus nationalsozialistischen Wochenschauen genutzt wurde. In Fühlungnahme mit der Firma, die die Rechte daran verwaltete, gelang es den Diplomaten gelegentlich, in den Entstehungsprozess der Filme einzugreifen – der Botschafter regte dabei auch einstweilige Verfügungen oder Pfändungen an, um kompromittierende Szenen zu verhindern. Das Auswärtige Amt erinnerte 51 Alle Zitate aus Manfred Klaiber an das Auswärtige Amt, Rom, 8. 3. 1961, Bundesarchiv, Koblenz, B 106/903. 52 Vgl. Botschaft Rom an das Auswärtige Amt, 1. 3. 1962, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin B 95/852. Zum Centro Thomas Mann vgl. auch Andrea Hindrichs: „Teutonen“ in Arkadien. Deutsche auswärtige Kulturpolitik und Kulturvermittlung in Italien von 1949–1970 zwischen Steuerungsversuch und dem Wunsch nach Anerkennung, München 2010, S. 217–233. 53 Generalkonsulat Genua an das Auswärtige Amt, 20. 8. 1964, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/1034. 54 Botschaft Rom an das Auswärtige Amt, 30. 9. 1964, ebd.

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seine Gesandten noch daran, unabhängig vom Bildmaterial auch die Dialoge und Kommentartexte zu überprüfen.55 Die Hochphase des „Filmkriegs“ um die „anti-deutschen“ Werke aus Italien setzte Ende 1962 ein: Fast zeitgleich standen Import und Synchronisation von Vittorio de Sicas I sequestrati di Altona und Nanni Loys Le quattro giornate di Napoli an. De Sica verfilmte damit Jean-Paul Sartres Theaterstück Les séquestrés d’Altona, in dem einige Szenen das unbekümmerte Übergehen der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik und die Verstrickungen von Unternehmen wie Krupp und Mercedes aufspießten. Loys Film schilderte den neapolitanischen Aufstand gegen die deutschen Besatzer aus dem Jahr 1943. Der Interessenvertreter der westdeutschen Filmwirtschaft in Italien meldete als einer der Ersten aus Rom die „beiden großen gefährlichen Filme, die auf uns zukommen“ und hatte sich offensichtlich schon mit dem Diplomaten Klaiber über mögliche Schritte ausgetauscht: „Der Botschafter meinte hierzu, das einzig wirksame Mittel, das auch in Italien Eindruck machen würde, wäre ein Eingreifen der F. S. K. bzw. eine Nichtfreigabe.“56 Als nach der italienischen Premiere von Le quattro giornate di Napoli in der Bundesrepublik bekannt wurde, dass hier einmal mehr deutsche Brutalität dargestellt werde, häuften sich die empörten Kommentare in der Presse und die Forderungen, auf politischer oder ökonomischer Ebene zu intervenieren.57 Bei I sequestrati di Altona sorgte für medialen Unmut, dass der Regisseur eine Opernszene in Ostberlin aufgenommen hatte und nach den Dreharbeiten in der italienischen Presse mit kritischen Kommentaren zur westdeutschen Vergangenheitsbewältigung zitiert wurde. In dieser Stimmung des „Filmkriegs“ wurde Loys Werk schließlich nur nach einem langen Weg durch die Instanzen der Freiwilligen Selbstkontrolle freigegeben, De Sicas Sartre-Verfilmung fehlten in der westdeutschen Version einige der brisanten Passagen.58 Wie weiter oben skizziert war zu diesem Zeitpunkt allerdings die Rolle der FSK und anderer Kontrollinstanzen in der Öffentlichkeit nicht mehr unumstritten. Älteren Kritikern und konservativen Publikationen stand der Protest zumeist jüngerer Journalisten gegen die Eingriffe zum Beispiel an I sequestrati di Altona gegenüber, nachdem die entsprechenden FSK-Unterlagen in die Presse gelangt waren. Ein Nebenprodukt dieses deutsch-italienischen „Filmkriegs“ war ja auch die Enthüllung der NS-Vergangenheit des Stuttgarter Kritikers Erwin Goelz.59

55 Vgl. Manfred Klaiber an das Auswärtige Amt, Rom, 19. 11. 1962, 30. 1. 1963 und 7. 3. 1963, Bundesarchiv, Koblenz, B 106/25332; Franz Rowas an die Botschaft Rom, Bonn, 11. 3. 1963, ebd. 56 O. E. Rock, Export-Union der Deutschen Filmindustrie e. V., an Dr. Schwarz, Export-Union der Deutschen Filmindustrie e. V., Rom, 8. 10. 1962, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/852. 57 Für damalige Pressestimmen vgl. Für und Wider „Die vier Tage von Neapel“, in: Film-Echo/ Filmwoche, Nr. 99, 12. 12. 1962, S. 8; Ganz große Helden, in: Der Spiegel, Nr. 50, 12. 12. 1962, S. 95–99. 58 Vgl. Michael Töteberg: „Hetzpropaganda in ostzonalem Jargon“? I sequestrati di Altona und die FSK, in: Bono/Roschlau (Redaktion): Tenöre, Touristen, Gastarbeiter, S. 107–117; Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 166–168. 59 Vgl. Kapitel 5.5.2.

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Für die Filmkritik positionierte sich Heinz Ungureit eindeutig, als er in Kommentaren den Umgang mit den beiden italienischen Filmen attackierte.60 Aus dem Kreis der Filmkritik war insbesondere Ulrich Gregor in diese Konflikte verwickelt. Er reiste gerade im Auftrag des Goethe-Instituts mit Vorträgen und Filmvorführungen durch Italien und Tunesien und sah eher zufällig bei einer Veranstaltung in Neapel Loys Quattro giornate. In der Filmkritik berichtete er danach von einem peinliche[n] und beschämende[n] Schauspiel: Im Beisein von Überlebenden des antifaschistischen Aufstands von Neapel, im Beisein von Hinterbliebenen der Gefallenen wurde die Darstellung des ‚Stern‘ verlesen, derzufolge jener Aufstand überhaupt nur eine Auseinandersetzung ‚zwischen Huren und Zuhältern‘ gewesen sei.61

Der Film zeige durchaus auch „sympathische Deutsche“ und im Übrigen seien seine Schwächen in der Diskussion in Neapel ausdrücklich zur Sprache gekommen. Gregor differenzierte sein Urteil: Neben der Kritik an den deutschen Reaktionen zeigte er die geringe künstlerische Qualität des Werks auf, beispielsweise die sentimentale und pathetische Zeichnung der Widerstandskämpfer. Der Film vernachlässige zudem die inneritalienischen Auseinandersetzungen der faschistischen Spätphase und betone die spontane „Resistenza tricolore“ gegenüber der langfristig angelegten, sozialrevolutionären „Resistenza rossa“ – ein Kritikpunkt, der in der Cinema Nuovo ebenfalls auf Le quattro giornate di Napoli bezogen wurde.62 In seinem Artikel aus Italien ging der Kritiker anschließend noch auf De Sicas Sequestrati ein, den er für überzeugender hielt und gegen „jene gereizten Wutausbrüche“ aus Deutschland verteidigte: „Die kritischen Anmerkungen zur deutschen Gegenwart wirken keineswegs aufgesetzt und beleidigend, sondern sind stets auf den Erlebnisinhalt des Dramas und die psychologische Situation des Protagonisten bezogen.“63 Bei der Veranstaltung in Neapel wurde Ulrich Gregor als deutscher Vortragsreisender erkannt und um eine Stellungnahme zum Film und zur Diskussion in der Bundesrepublik gebeten.64 Er distanzierte sich von den Aussagen im Stern und neonazistischen Strömungen, was die linke Zeitung Paese sera allerdings fälschlich als deutlich pauschalere und rigorosere Abrechnung Gregors zitierte. Über dpa-Berichte gelangte Gregors Auftritt nach Westdeutschland und die Reise und das Goethe-Institut gerieten in die Kritik – diese Geschehnisse illustrieren noch einmal mustergültig die konträren Auffassungen der kritischen Filmpublizisten und der Kulturpolitiker und Diplomaten. Die bundesdeutsche Filmindustrie und das Auswärtige Amt in Bonn waren verärgert darüber, dass „ausgerechnet bei den heutigen gespannten deutsch-italienischen Filmbeziehungen“ Gregor im Ausland über den deutschen Film referierte und zuvor schon der ähnlich gestimmte junge Kritiker der Süddeutschen Zeitung, Hans-Dieter Roos, in gleichem Auftrag nach Westafrika gereist war: 60

Vgl. Heinz Ungureit: Geheimzensur?, in: Filmkritik, Nr. 8, 1963, S. 353 f.; ders.: Der Übermut des Zensors, in: Filmkritik, Nr. 10, 1963, S. 449 f. 61 Ulrich Gregor: Wer schadet dem deutschen Ansehen?, in: Filmkritik, Nr. 2, 1963, S. 57–60, hier S. 57. 62 Vgl. ebd., S. 58 f.; Resa al labirinto (Cinema Nuovo, Nr. 182, 1966), S. 248 f. 63 Gregor: Wer schadet dem deutschen Ansehen (Filmkritik, Nr. 2, 1963), S. 60. 64 Diese Eindrücke der Reise entnommen aus dem Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor.

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Es war bereits anlässlich der Filmreise von Herrn Hans-Dieter Roos durch Afrika die Frage aufgetaucht, ob es Sinn habe, die aus einer innerdeutschen Polemik zwischen den konservativen Filmkräften und den sog. Oberhausenern, die sich etwas voreilig für die künstlerische Rettung des deutschen Films stark machen, entstandenen Argumente und Schlagworte einem uneingeweihten ausländischen Kreis vorzusetzen. Für die kulturelle Haltung der Bundesrepublik kann dies nur nachteilig sein.65

Nach Beschwerden aus den Botschaften bemängelte das Auswärtige Amt die Auswahl und Vorführung einiger kontroverser Dokumentationen aus dem Umfeld des Oberhausener Manifests, darunter Notizen aus dem Altmühltal. Ein Vertreter des Goethe-Instituts richtete daraufhin ein langes Verteidigungsschreiben an das Ministerium. Er verwies darauf, dass Gregor in Italien verzerrt wiedergegeben worden war. An seiner Kompetenz für diese Reise könne kein Zweifel bestehen angesichts seiner kontinuierlichen Arbeit für renommierte Tages- und Wochenzeitungen, seiner Auftritte in Fernsehsendungen und seiner kürzlich veröffentlichten Filmgeschichte. Gregor sei der einzig verfügbare Filmexperte mit ausreichenden Italienischkenntnissen gewesen und habe die Filme und die allgemeine Lage des westdeutschen Filmwesens ausgewogen besprochen.66 Der Kritiker selbst erinnerte sich an Interventionen des Botschafters in Tunis – und an das allgemeine Konfliktpotenzial seiner Auslandsreise: in Genua geriet ich in eine Kontroverse mit einem deutschen Diplomaten und da ging es um das Verhalten der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, insbesondere im Osten. Und da sind wir derartig aneinandergeraten, ich habe irgendwas gesagt, was den Mann zutiefst beleidigt hat. […] ich glaube, er hat sogar gesagt, Sie sind ja nicht satisfaktionsfähig, sonst würde ich Sie zum Duell fordern.67

6.1.3 Alternative Modelle? Französische und angelsächsische Filmkultur Die oben zitierten Nennungen der gesellschaftskritischen Filmzeitschriften aus Großbritannien und den USA durch die Filmkritik zeigen, dass ihre Redaktion sich auch den Kritikergruppen um die Sight and Sound und um die Film Culture verbunden fühlte; angesichts des weniger dichten Beziehungsgeflechts mit den angelsächsischen Ländern soll an dieser Stelle jedoch ein knapperer Überblick zu diesen Publikationen als zu den italienischen und französischen Zeitschriften genügen. Die Sight and Sound existierte bereits seit den frühen 1930er Jahren und wurde bald nach ihrer Gründung am British Film Institute angesiedelt. Seit der Wende zu den 1950er Jahren wurde sie von einer Gruppe junger Kritiker geprägt, die sich größtenteils in Oxford kennengelernt hatten. Die maßgeblichen Persönlichkeiten – Lindsay Anderson, Gavin Lambert oder Penelope Houston – hatten sich in den Jahren zuvor bereits mit Sequence an einer nonkonformistischen Zeitschrift versucht, bevor sie diesen Impetus nun in die damals vierteljährliche Publikation des BFI 65 Aufzeichnung durch Franz Rowas, Bonn, 13. 12. 1962, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/852. 66 Vgl. Dr. W. Köpke an das Auswärtige Amt, München, 21. 2. 1963, ebd. 67 Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor.

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trugen. Zunächst leitete Lambert deren Redaktion, ab Mitte der 1950er Jahre und für mehrere Jahrzehnte übernahm schließlich Houston.68 Eines der bekanntesten und meistzitierten Dokumente aus der Sight and Sound dieser Jahre ist ein Plädoyer Lindsay Andersons mit dem Titel „Stand up! Stand up!“. Anderson sezierte 1956 Auszüge aus der zeitgenössischen Filmkritik, etwa aus der Times und dem Observer, um zwei wesentliche Punkte herauszustellen. Es erschien ihm angesichts der Texte einiger Kritikerkollegen weiterhin notwendig, gegen eine „thoughtless denigration of the cinema“ anzuschreiben, die das Medium nur als populäres Geschäft behandle.69 Gleichzeitig beklagte er den bereits aus Italien und der Bundesrepublik bekannten „impressionism“ etlicher Kritiker, die sich hinter unverbindlichen Wortwitzen und unsystematischen filmästhetischen Meinungsäußerungen verschanzten.70 Anderson hingegen ging es um die gesellschaftliche Verankerung des Films und um sozialkritisches Bewusstsein und Engagement, um „commitment“: The cinema is not apart from all this; nor is it something to be denigrated or patronised. It is a vital and significant medium, and all of us who concern ourselves with it automatically take on an equivalent responsibility. And in so far as film criticism is being written here and now, and deals with an art intimately related to the society in which we live, it cannot escape its wider commitments.71

Anderson hatte das gesellschaftskritische „commitment“ vorgegeben und dementsprechend war in dieser Zeit der Blick auf das einheimische und das internationale Filmschaffen eingefärbt. Auch die Sight and Sound druckte Cesare Zavattinis „Alcune idee sul cinema“ in der Übersetzung ab und berichtete mit Bedauern vom politisch beschleunigten Niedergang des italienischen Neorealismus.72 Wiederholt protestierten ihre Mitarbeiter gegen die „cinematic butchery“ von Zensur und Kürzungen, etwa bei Importen aus dem Ausland.73 Penelope Houston erneuerte schließlich 1960 in „The critical question“ die Diskussion über den Status und die Aussichten engagierter Filmkritik. Für sie stand das „commitment“ Andersons weiterhin außer Frage. Jedoch offenbarten sich in ihrem Text Ermüdungserscheinungen im Verhältnis von jungen Gesellschaftskritikern und der organisierten Linken der Labour Party. Schon Andersons „Stand up! Stand up!“ hatte gezeigt, dass die Euphorie über die Wahlerfolge von Labour in der Nachkriegszeit der Enttäuschung über die uninspirierte Erstarrung der Partei gewichen war.74 Im britischen Dualismus aus Labour und Tories siedelte Houston jedenfalls kritisches Engagement eher bei einem mehr oder weniger linken „liberalism“ an.75 In den Ohren kontinentaleuropäischer linker 68 69

Vgl. Jörg Helbig: Geschichte des britischen Films, Stuttgart 1999, S. 203 f. Vgl. Lindsay Anderson: Stand up! Stand up!, in: Sight and Sound, Nr. 2, Herbst 1956, S. 63– 69, hier S. 66. 70 Vgl. ebd., S. 67. 71 Ebd., S. 69. 72 Vgl. Cesare Zavattini: Some ideas on the cinema, in: Sight and Sound, Nr. 2, Oktober–Dezember 1953, S. 64–69; Gavin Lambert: The signs of predicament, in: Sight and Sound, Nr. 3, Januar–März 1955, S. 147–151 und 166. 73 Vgl. John Gillett: Cut and come again!, in: Sight and Sound, Nr. 5, Sommer 1958, S. 258–260. 74 Vgl. Penelope Houston: The critical question, in: Sight and Sound, Nr. 4, Herbst 1960, S. 160– 165, hier S. 161 f.; Anderson: Stand up (Sight and Sound, Nr. 2, 1956), S. 67 f. 75 Vgl. Houston: The critical question (Sight and Sound, Nr. 4, 1960), S. 165.

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Kritiker mag diese Terminologie zunächst gewöhnungsbedürftig geklungen haben, dahinter verbarg sich allerdings die gleiche organisatorische Heimatlosigkeit und bewusste Unabhängigkeit auf dem linken Flügel, die auch die meisten Mitarbeiter der Cinema Nuovo oder der Filmkritik auszeichnete. Film Culture, eine ähnlich ausgerichtete Zeitschrift, hatte es in der durch McCarthy konservativ geprägten US-amerikanischen Filmkultur noch einmal ungleich schwerer, zu bestehen. Das Magazin war Mitte der 1950er Jahre von einem Kreis um den ursprünglich aus Litauen stammenden Schriftsteller und Regisseur Jonas Mekas und seinen Bruder initiiert worden und erschien teils nur unregelmäßig und unter größten Mühen. Siegfried Kracauer beschrieb in einem Brief an Enno Patalas die New Yorker Gruppe als junge Leute, die fuehlen, dass mit dem Film, und wahrscheinlich der Welt, etwas nicht in Ordnung ist und daher eine Zeitschrift gegruendet haben, die dem Uebel abhelfen soll. Geld haben sie keines, und das Publikum ist gering. Sie leben von Nummer zu Nummer, und wie lange die Sache weitergeht, kann niemand voraussehen.76

Patalas’ Redaktion bewarb die Film Culture als „vorzüglich“.77 Zusammengefasst dienten die Sight and Sound und die Film Culture in der Transferbiographie der Filmkritik aber eher der Bestätigung und des Austauschs vergleichbarer Ansichten. Anders als im Fall der Referenzgrößen Italien und auch Frankreich bezogen die westdeutschen Publizisten aus Großbritannien und den USA nicht auf diese einschneidende Weise ihre filmischen Ideale und filmkritischen Argumentationsmuster oder nutzten sie die dortige filmkulturelle Infrastruktur zur Initiation. Es fehlte dazu in den 1950er Jahren schlichtweg auch an filmhistorischen Innovationen aus dem „kulturindustriellen“, zunehmend krisenhaften Hollywood und dem überwiegend mit Komödien oder beschönigenden Kriegsfilmen assoziierten britischen Filmwesen. Eingangs ist schon mit Zitaten untermauert worden, wie wichtig die Aufenthalte in Paris während des Studiums für Ulrich Gregor, Dietrich Kuhlbrodt oder Günter Rohrbach und deren Transferbiographie waren, da die filmkulturell Unterversorgten hier Bildungslücken sowohl bei aktuellen Werken als auch bei Filmklassikern schließen konnten und in der Folge weniger an der Universität als in den Pariser Kinos oder der Cinémathèque zu finden waren. Enno Patalas hob ergänzend die Bedeutung der ersten Filmclubtreffen und den dortigen französischen Einfluss hervor: „ohne die Initiative der kulturellen Instanzen der damaligen französischen Hochkommission, des rührigen Albert Tanguy vor allem, gäbe es heute vermutlich – unter anderem – keine ‚Filmkritik‘.“78 Auch bei später zur Filmkritik gestoßenen Mitarbeitern findet sich dieses biographische Detail der filmkulturellen Sozialisation. Frieda Grafes Auslandsstudium in Paris verlief ähnlich wie das Gregors und der anderen, mit „systematische[m] Kinobesuch, begünstigt durch die

76 Siegfried Kracauer an Enno Patalas, New York, 12. 10. 1955, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005818. 77 Mitteilungen, in: film 56, Nr. 1, 1956, S. 52. 78 Patalas: Filmclubs im Plüschfauteuil (Filmkritik, Nr. 11, 1957), S. 161.

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Tatsache, daß die Universität im Kinoviertel liegt.“79 Martin Ripkens und Hans Stempel erlebten die Filmabende in den kleinen Kinos im Quartier Latin auf ihren immer häufigeren Parisreisen als „unsere wahre Universität“.80 Wie zum italienischen Film gab es in den Zeitschriften des Kreises ähnlich häufig ähnlich ausführliche Berichte aus Frankreich – Briefe für die film 56, als Gregor noch in Paris lebte, seine „Sozialgeschichte des französischen Films“ oder ein Überblick über die dortige Dokumentarfilmszene für die F, ganz zu schweigen von Patalas’ späteren Einführungen zur Nouvelle Vague.81 Die französische Filmkultur der 1950er Jahre weist im historischen Vergleich nicht wenige Parallelen zur italienischen Lage auf. Durch die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg und unter dem Vichy-Regime war Frankreich, wie Italien, jahrelang vom internationalen Filmmarkt isoliert gewesen. Ab 1944 folgte dann die nachgeholte Flutung der französischen Spielstätten mit den US-amerikanischen Produktionen der letzten Zeit – zur Freude des entwöhnten Publikums und der gut daran verdienenden Kinobesitzer und zum Leidwesen der einheimischen Filmschaffenden. Etwas Ausgewogenheit brachte ein Quotierungssystem und zusätzlich wurde die neuerliche, intensive Förderung des französischen Films aufgenommen. Das Aufgabenbündel aus finanziellen Zuschüssen, Umverteilung, Filmkontrolle und aus Filmausbildung und Berufszulassung lief beim staatlichen Centre National de la cinématographie zusammen. Das französische Kino war ähnlich erfolgreich wie das der italienischen Nachbarn, auch wenn es in dieser Phase keine markante filmhistorische Innovation wie den Neorealismus hervorbrachte. Doch waren beispielsweise die aufwändig inszenierten Verfilmungen der Klassiker der französischen Literatur durchaus geeignet für den Export und die Repräsentation bei internationalen Filmfestivals.82 Zugleich florierte die Filmpublizistik mit einem aus der Sicht der deutschen Besucher schier unerschöpflichem Repertoire an Zeitschriften und Buchprojekten und einer regelmäßigen Diskussion von Filmthemen in der Tages- und Wochenpresse. Die französische Filmpresse war dabei – wiederum wie ihr italienisches Pendant – entlang einiger weltanschaulicher oder filmkritischer Konfliktlinien fragmentiert, das Panorama reichte vom Kommunismus bis zum konservativen Katholizismus. Unter den bekannteren Fachzeitschriften nahmen die Organe der boomenden Film-

79 Lebensläufe (Filmkritik, Nr. 4, 1965), S. 236. 80 Ripkens/Stempel: Das Glück ist kein Haustier, S. 25. 81 Vgl. Ulrich Gregor: „Poeten“ und „Engagierte“ im französischen Dokumentarfilm, in: F, Nr. 2, 1958, S. 204–212; Patalas: Der französische Film auf neuen Wegen (Neue Deutsche Hefte, Nr. 67, 1960); ders.: Die Sagans von heute drehen Filme, in: magnum, Nr. 32, Oktober 1960, S. 60–62. 82 Vgl. Jan Pehrke: Wie das Kino zum zweiten Mal erfunden wurde. Eine kleine Geschichte der französischen Nachkriegs-Cinephilie, in: Blimp 29 (1994), S. 22–30, hier S. 25 f.; Jean-Pierre Jeancolas: Un cinéma peut en cacher un autre, in: Philippe Gumplowicz / Jean-Claude Klein (Hg.): Paris 1944–1954. Artistes, intellectuels, publics: la culture comme enjeu, Paris 1995, S. 81–95, hier S. 81–89; Simon Frisch: Mythos Nouvelle Vague. Wie das Kino in Frankreich neu erfunden wurde, 2. Aufl., Marburg 2011, S. 57–59.

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clubbewegung wie die cinéma83 die Position der Mitte ein, indem sie Autoren aus vielen Lagern zu Wort kommen ließen und sich ausgiebig auch technischen, wirtschaftlichen und statistischen Fragen widmeten.84 Die größte Strahlkraft über die Grenzen Frankreichs hinaus besaßen hingegen die miteinander rivalisierenden Cahiers du cinéma und Positif. Gerade die Entwicklung der Cahiers du cinéma ist bereits ausführlicher geschildert worden,85 so dass an dieser Stelle statt einer gründlichen Rekonstruktion ihres Wirkens in den 1950er Jahren einige Schlaglichter genügen sollen. Im Frühjahr 1951 kam die erste Ausgabe dieser international vermutlich bekanntesten Zeitschrift der Filmgeschichte heraus und sie existiert bis heute fort. Wesentliche Gründungsmitglieder kannten sich bereits aus der Arbeit für die Revue du cinéma, die Jean George Auriol nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebt hatte. Diese Revue hatte nicht lange Bestand und Auriol verstarb früh bei einem Autounfall, doch die kurze Zeit hatte gereicht, um Ende der 1940er Jahre eine sogenannte Nouvelle Critique in der französischen Filmkultur zu begründen. Die kommunistische und die konservative Filmpresse Frankreichs hatten in der Nachkriegszeit, befördert durch den Überfluss an US-Filmimporten, einen antiamerikanischen Filmpatriotismus gemeinsam. Trotz aller politischen Differenzen schätzten sie die US-Filme auf ähnliche Weise gering, hielten die französischen Werke der Stummfilm- und Zwischenkriegszeit hoch und deuteten Film überwiegend als der Literatur anverwandtes, auf die Vermittlung von Inhalten ausgerichtetes Medium. Einflussreich waren hierbei beispielsweise die kommunistischen Écran français und Lettres françaises mit dem bekannten Kritiker Georges Sadoul. Für die Nouvelle Critique setzte sich demgegenüber etwa der linke Katholik André Bazin dafür ein, auch die amerikanischen Filme filmästhetisch und filmhistorisch zu würdigen. Die Nouvelle Critique wollte den Film publizistisch endgültig als eigenständige „septième art“ etablieren; dazu gehörte, Filmregisseure weniger als Handwerker, Techniker und Adapteure zu verstehen, sondern als Autoren mit einer eigenen, genuin filmischen Ausdrucksweise – wie sie Alexandre Astruc mit seinem Bild von der „caméra-stylo“ evoziert hatte.86 Als neue Plattform für diese filmkritische Schule gründete Bazin, unterstützt von den Kritikern Jacques Doniol-Valcroze und Joseph-Marie Lo Duca und einem weitläufigen Autorenkreis, die elegant gestalteten und reichlich bebilderten Cahiers du cinéma. Die Redaktion pflegte eine breitgefächerte Cinephilie, die sich 83 Die Zeitschrift erschien seit Ende 1954, mit jeweils aktualisiertem Jahreszusatz als cinéma 55, cinéma 56 und so fort. 84 Vgl. Frisch: Mythos Nouvelle Vague, S. 101 f.; Yann Darré: Histoire sociale du cinéma français, Paris 2000, S. 75; Richard Neupert: A History of the French New Wave Cinema, 2. Aufl., Madison 2007, S. 34 f. 85 Vgl. etwa Antoine de Baecque: Les Cahiers du cinéma. Histoire d’une revue, Bd. 1: A l’assaut du cinéma 1951–1959 / Bd. 2: Cinéma, tours detours 1959–1981, Paris 1991; Emilie Bickerton: Adieu to Cahiers. Life Cycle of a Cinema Journal, in: New Left Review 42 (2006), S. 69–97; dies.: Eine kurze Geschichte der Cahiers du cinéma. Aus dem Englischen von Markus Rautzenberg, Zürich 2010. 86 Zu Vorgeschichte und Kontext der Gründung der Cahiers du cinéma vgl. zum Beispiel Neupert: French New Wave Cinema, S. 26–28; Bickerton: Geschichte, S. 33–38; Frisch: Mythos Nouvelle Vague, S. 102 f. und 136–139.

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in allen erdenklichen Artikel- und Textformaten, Beiträgen zu den unterschiedlichsten Filmthemen und insbesondere anfangs im Nebeneinander von durchaus abweichenden Anschauungen und Geschmäckern niederschlug.87 Bazin setzte hier seine Studien zur „mise en scène“ fort: In anspruchsvollen, teils sehr theoretischen und abstrakten Texten analysierte er filmische Stilmittel wie die Tiefenschärfe und die Plansequenz und postulierte die Filmgeschichte als Dialektik der unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten des Mediums.88 Neben solchen gründlichen formalen Analysen ließ er aber auch Filmjournalisten zu Wort kommen, die den Fokus eher auf Filminhalte und Sozialkritik legten. Der Kommunist Sadoul konnte hier in Festivalberichten ungebremst von politisch stark gefärbten Werken der DEFA schwärmen.89 Weniger parteidogmatisch, doch ebenfalls aus einer linken Perspektive, schrieb in seinen Beiträgen der regelmäßige Mitarbeiter Pierre Kast. Er hatte sich in der Kriegszeit an Aktionen der Résistance beteiligt und forderte nun auch in dieser Zeitschrift gesellschaftskritischere Filme und den Abbau ihrer filmpolitischen und -wirtschaftlichen Hindernisse.90 Die Ausrichtung und die Außenwirkung der Cahiers du cinéma wurden nach den facettenreichen Anfangsjahren zunehmend von einer wortgewaltigen, streitlustigen Gruppe junger Kritiker, den „jeunes turcs“, geprägt. Diese „jeunes turcs“ firmierten damals auch unter dem Namen „école Schérer“ – nach Maurice Schérer, der mit knapp 30 Jahren der Älteste und zunächst der Wortführer dieser Schule war und anschließend unter dem Pseudonym Eric Rohmer weiterschrieb und Filme drehte. Rohmer und seine Mitstreiter kannten Bazin und dessen Redaktionskollegen bereits aus der Filmclubarbeit. Damals hatte er einige kaum zwanzigjährige, obsessive Kinogänger in der kurzlebigen Gazette du cinéma versammelt, und so begannen Kritiker wie François Truffaut, Jean-Luc Godard, Jacques Rivette und Claude Chabrol mit ihm bei den einflussreichen Pariser Cahiers mitzuwirken.91 Sie alle waren am Ende des Jahrzehnts die prägenden Figuren der filmischen Nouvelle Vague; dass sie selbst ehrgeizig und voller eigener Ideen ins Regiefach strebten, ist längst in diese frühen Jahre zurückverfolgt worden und ihre kontroversen filmpublizistischen Beiträge wurden daher mit Recht auch als Karrierestrategie der Erregung von Aufmerksamkeit und der Abkürzung in Frankreich streng reglementierter Qualifikationswege gewertet.92 Die „école Schérer“ sorgte mit ihren oft demonstrativ apolitischen, schwärmerischen und impulsiven, nicht selten rätselhaften und in hochgestochenem Franzö87 Vgl. Neupert: French New Wave Cinema, S. 29 f.; Frisch: Mythos Nouvelle Vague, S. 150–153. 88 Vgl. André Bazin: Pour en finir avec la profondeur du champ, in: Cahiers du cinéma, Nr. 1, April 1951, S. 17–23; als erweiterte Fassung ders.: Die Entwicklung der Filmsprache, in: ders.: Was ist Film?, hg. von Robert Fischer, Berlin 2004, S. 90–109. 89 Vgl. Georges Sadoul: Petite chronique du Festival inconnu (Karlovy Vary, Juillet 1954), in: Cahiers du cinema, Nr. 40, November 1954, S. 26–35. 90 Vgl. Pierre Kast: Des confitures pour un gendarme. Remarques sur le dandysme et l’exercice du cinéma, in: Cahiers du cinéma, Nr. 2, Mai 1951, S. 36–44. Zu Biographie und Weltanschauung Kasts vgl. Bickerton: Adieu to Cahiers, S. 72; Michel Marie: La nouvelle vague. Une école artistique, Paris 2007, S. 31. 91 Vgl. Neupert: French New Wave Cinema, S. 26. 92 Vgl. Darré: Histoire sociale, S. 77 f. und 80.

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sisch abgefassten Texten für Aufsehen und Irritation in der heimischen Filmpresse.93 Auch André Bazin propagierte seine bevorzugten „auteurs“ mit Regisseuren wie Orson Welles, Jean Renoir und Roberto Rossellini, die in seinen Augen so selten wie möglich auf die Montage des klassischen Kinos zurückgriffen. Die „jeunes turcs“ radikalisierten diese Praxis noch in einer „politique des auteurs“, einer klaren Scheidung in „auteurs“ und Nicht-„auteurs“. Regisseure, die ihnen subjektiv zusagten und in deren Schaffen sie eine typische Handschrift in der „mise en scène“ zu entdecken meinten, erhoben sie in den Status von „auteurs“, deren jeder Film den Rang eines Meisterwerks habe. Provokant war die Auswahl im Kontext der französischen Filmkultur der 1950er Jahre: Alfred Hitchcock, Howard Hawks oder Nicholas Ray galten eher als Schöpfer solider Unterhaltung angelsächsischen Zuschnitts, bis die jungen Kritiker der Cahiers du cinéma sie zu filmhistorischen Ikonen stilisierten.94 Rohmer schwärmte über Hitchcocks The Lady Vanishes: Non, Hitchcock n’est pas seulement un très habile technicien […] mais un des plus originaux et profonds auteurs de toute l’histoire du cinéma. D’autres ont choisi d’autres voies, celles des demi-teintes et de la vraisemblance. Mais si le goût de l’extraordinaire n’est pas la garantie du génie, faut-il en conclure qu’il soit avec lui incompatible? J’irai plus loin: c’est l’invraisemblance même de la donnée qui donne aux détails de la facture cet accent de vérité qui, en Hitchcock, à tout moment me délecte.95

Rivette pries das „Génie de Howard Hawks“ an, immer wieder wurden die auserkorenen Regisseure mit der Kunst Bachs, Dostojewskis oder Corneilles verglichen,96 Rohmer sah in Hollywood „das Athen oder Florenz der Gegenwart“97 und Truffaut schrieb Lobeshymnen auch auf Filme der US-amerikanischen B-Serie: „Un scénario ingénieux et d’une belle rigueur, une mise en scène davantage qu’honorable, le visage de Gloria Graham et cette rue de Frisco dont la pente est si rude, prestiges d’un cinéma qui nous prouve chaque semaine qu’il est le plus grand du monde.“98 Im Sinne der „politique des auteurs“ und ihres spezifischen Blicks auf das US-Kino folgten in diesen Jahren in den Cahiers eine Reihe von ausführlichen Interviews und Sonderausgaben zu den bevorzugten Regisseuren. Eine zusätzliche polemische Note im publizistischen Wirken verlieh der Zeitschrift die Agitation der „jeunes turcs“ gegen das französische Qualitätskino, die „Tradition de la qualité“ mit ihren dezent nonkonformistischen und kritischen Literaturverfilmungen. Gegen diese Gruppe von Filmen gab es zahlreiche Spitzen in den Cahiers du cinéma, exemplarisch ist aber vor allen François Truffauts Abrech93

Zu den folgenden Charakteristika vgl. Neupert: French New Wave Cinema, S. 28–32; Bickerton: Geschichte, S. 38–45; Frisch: Mythos Nouvelle Vague, S. 154–171. 94 Zu diesen „Kampagnen“ vgl. Frisch: Mythos Nouvelle Vague, S. 166–170. 95 Maurice Schérer: Le soupçon, in: Cahiers du cinéma, Nr. 12, Mai 1952, S. 63–66, hier S. 65. 96 Vgl. Jacques Rivette: Génie de Howard Hawks, in: Cahiers du cinéma, Nr. 23, Mai 1953, S. 16–23, hier S. 22; weitere solcher Vergleiche bei Jean-Luc Godard (als Hans Lucas): Suprématie du sujet, in: Cahiers du cinéma, Nr. 10, März 1952, S. 59–61, hier S. 60; Jacques Rivette: L’art de la fugue, in: Cahiers du cinéma, Nr. 26, August/September 1953, S. 49–52, hier S. 50. 97 Frisch: Mythos Nouvelle Vague, S. 171. 98 François Truffaut: Les extrèmes me touchent, in: Cahiers du cinéma, Nr. 21, März 1953, S. 61– 63, hier S. 63; ähnlich auch ders.: De A jusqu’à Z, in: Cahiers du cinéma, Nr. 24, Juni 1953, S. 53–55; ders.: Terre année zéro, in: Cahiers du cinéma, Nr. 25, Juli 1953, S. 55 f.

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nungsschrift „Une certaine tendance du cinéma français“ berühmt geworden.99 In diesem Artikel knöpfte sich Truffaut insbesondere die seiner Ansicht nach viel zu dominante Rolle der Drehbuchautoren bei der Entstehung der französischen Spitzenfilme vor, garniert mit beispielhaften Auszügen aus Literaturadaptionen und Fotos der attackierten Filmschaffenden. Szenaristen wie dem Duo Jean Aurenche und Pierre Bost fehle es dramatisch an Gespür und Wertschätzung für das Medium Film – sie unterteilten die Romanvorlagen willkürlich in verfilmbare und nicht verfilmbare Passagen, erfänden bei Bedarf Szenen dazu und den Regisseuren wie Claude Autant-Lara oder Jean Delannoy bliebe nur die simple Umsetzung des Drehbuchs: „Lorsqu’ils remettent leur scénario, le film est fait; le metteur en scène, à leurs yeux, est le monsieur qui met des cadrages là-dessus … et c’est vrai, hélas!“100 Truffaut störte sich zudem an dem gesellschaftskritischen Unterton dieser Filme, der ihm alibihaft und „bourgeois“ vorkam.101 Als Kontrast zur Praxis der „Tradition de la qualité“ forcierte der Kritiker, auch als Idealbild seiner eigenen Regiepläne, die Kreation eines Films aus einer Hand, aus der des wahren „auteurs“. Er nannte als Vorbilder Jean Renoir, Robert Bresson, Jean Cocteau, Jacques Becker, Abel Gance, Max Ophüls, Jacques Tati, Roger Leenhardt; ce sont pourtant des cinéastes français et il se trouve […] que ce sont des auteurs qui écrivent souvent leur dialogue et quelques-uns inventent eux-mêmes les histoires qu’ils mettent en scène.

Für Truffaut waren die „Tradition de la qualité“ und sein „cinéma d’auteurs“ unvereinbare Zeitgenossen.102 André Bazin oder Jacques Doniol-Valcroze bemühten sich immer wieder, in ihrer Zeitschrift diese Polemiken zu moderieren. Bazin teilte auch keineswegs die Verehrung für Hitchcock oder Hawks und sah die Gefahren einer allzu engstirnigen „politique des auteurs“.103 Gleichwohl ließen die Leiter in ihrem liberalen, cinephilen Redaktionsverständnis diese Beiträge zu: „Mais parce qu’en dépit de tout ce qui peut irriter certains d’entre nous, et des divergences qui les opposent à ces jeunes Turcs, nous tenons en effet leur opinion pour respectable et féconde. […] Ils parlent de ce qu’ils connaissent et il y a toujours profit à écouter les spécialistes.“104 Die Linie der „école Schérer“ setzte sich ab Mitte der 1950er Jahre in den Cahiers durch und so fanden etwa die Hymnen auf das amerikanische B-Kino in den Texten der nach einer Spielstätte benannten „MacMahonisten“ noch einmal eine deutliche Zuspitzung. Ermöglicht wurde dies auch durch den Aufstieg Rohmers in die Chefredaktion. Rohmer war nachgerückt, als André Bazin Ende 1958 mit gerade einmal 40 Jahren, von einer langen, chronischen Tuberkulose entkräftet, starb. 99 100 101 102 103 104

Rekonstruktion der Vorgeschichte und Kontextualisierung des Artikels bei de Baecque: Les Cahiers, Bd. 1, S. 89–104; Marie: La nouvelle vague, S. 31–34; Frisch: Mythos Nouvelle Vague, S. 63–86. François Truffaut: Une certaine tendance du cinéma français, in: Cahiers du cinéma, Nr. 31, Januar 1954, S. 15–29, hier S. 25. Vgl. ebd., S. 21 und 27 f. Zitat und Schlussfolgerung ebd., S. 26. Vgl. Frisch: Mythos Nouvelle Vague, S. 173 f. André Bazin: Comment peut-on être Hitchcocko-Hawksien?, in: Cahiers du cinéma, Nr. 44, Februar 1955, S. 17 f.

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Im Vergleich zu den bald etablierten Cahiers du cinéma hatte die ursprünglich in Lyon gegründete Positif in den 1950er Jahren immer wieder mit Finanzierungsschwierigkeiten zu kämpfen und erschien, auch nachdem sich die Redaktion nach Paris verlagert hatte, bisweilen nur unregelmäßig.105 Das Magazin entstand 1952 auf Initiative einer Gruppe von Studenten um Bernard Chardère, die in ihrer „Présentation“ dezidiert vom Ziel der „décentralisation“ der französischen Filmkultur schrieben,106 wobei sich dieser Anspruch aus verlegerischen Gründen schon nach wenigen Jahren mit dem Umzug in die Hauptstadt erübrigen sollte. Mit der Zeit fand sich ein halbwegs konstanter Kreis von unorthodox und undogmatisch linken Autoren um die Positif zusammen, darunter die nicht mit dem PCF verbandelten Kommunisten Raymond Borde und Paul-Louis Thirard sowie Ado Kyrou und Robert Benayoun, die vom Surrealismus beeinflusst waren. Dementsprechend fusionierten diese französischen Kritiker wie ihre internationalen Kollegen etwa von der Cinema Nuovo, der Sight and Sound oder auch der Filmkritik ihr gesellschaftskritisches Engagement mit ihrer Filmbetrachtung. Es erschien ihnen „fort étrange de concevoir une ‚esthétique pure‘ obligatoirement non engagée, gratuite, désincarnée …“107 Trotz der anfangs noch geringen Auflage und der gelegentlichen ökonomischen Probleme gelang es ihnen, mit ihren oft bissigen und spöttischen Texten publizistische Polemiken zu provozieren – beispielsweise mit dem katholischen Kritiker Henri Agel, der die Rezension eines Films von Luis Buñuel als „infantilisme spirituel“ und „athéisme de quatre sous“ angriff.108 In der Positif trafen sich Antiklerikalismus und Antikolonialismus, oft direkt verbunden mit Stellungnahmen zu filmpolitischen Konfliktfeldern. Den Kritikern ging es in der Rubrik „Les infortunes de la liberté“ neben anderen Themen um den Einfluss des Centre Catholique du Cinéma bei der Filmfreigabe und der finanziell wichtigen Zirkulation in den kleinen Lokalkinos – ein aus Italien bestens bekannter Streitpunkt.109 Weitere Folgen der „Infortunes“ befassten sich mit den Eingriffen und Hindernissen bei der Maupassant-Verfilmung Bel Ami, die vor dem Hintergrund des Algerienkonflikts einige politisch unliebsame Anspielungen auf die Kolonialzeit aufwies.110 Als 1960 französische Intellektuelle ein Manifest des 121 veröffentlichten, das sich gegen den Algerienkrieg und für das Recht auf Militärdienstverweigerung aussprach, gehörten folgerichtig zu den Unterzeichnern aus dem Zirkel um die Positif Borde und Benayoun, zudem Eric Losfeld und Louis Seguin.111

105 Zu Entstehung, Entwicklung und Ausrichtung der Positif vgl. Neupert: French New Wave Cinema, S. 32 f.; Ulrich von Thüna: 40 Jahre „Positif“, in: epd Film 9/1992, S. 8; besonders auch Thierry Frémaux: L’Aventure cinéphilique de Positif 1952–1989, in: Vingtième Siècle, Nr. 23, Juli-September 1989, S. 21–33. 106 Vgl. Pourquoi nous combattrons. Présentation, in: Positif, Nr. 1, Mai 1952, S. 1 f., hier S. 1. 107 Réalismes, in: Positif, Nr. 5, ohne Datum, S. 1. 108 Vgl. Positif a-t-il une Ame?, in: Positif, Nr. 11, September/Oktober 1954, S. 82–84, hier S. 82. 109 Vgl. Les infortunes de la liberté, in: Positif, Nr. 12, November/Dezember 1954, S. 81–85, hier S. 81. 110 Vgl. Les infortunes de la liberté, in: Positif, Nr. 13, März/April 1955, S. 74–84, hier S. 74 f.; Les infortunes de la liberté, in: Positif, Nr. 14–15, November 1955, S. 174–195, hier S. 174–176. 111 Vgl. Frémaux: L’Aventure, S. 25; Bickerton: Adieu to Cahiers, S. 78.

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Im gleichen Jahr frischte die Kritikerin Michèle Firk in einer Artikelserie für die Positif die Diskussion zum Verhältnis von Politik und Kino auf. Filmjournalisten, die diese Bereiche auseinanderhielten, nahm sie nicht ernst: „Donc pour un certain nombre de gens, le cinéma est une chose, la politique en est une autre. Ce sont eux aussi qui affirment non sans vanité que: ‚-moi je ne lis pas les journaux‘; et: ‚-moi, vous savez … la politique ne m’intéresse pas … je n’ai sur les événements aucune opinion‘ …“112 Firk interessierten technische und ästhetische Fragen der Filmsprache nur insoweit, als sie eben dazu dienten, Inhalte auszudrücken und Botschaften zu vermitteln.113 Ihr weiterer Werdegang ist ein Extrembeispiel für das gesellschaftspolitische Engagement dieses Kritikerkreises. Schon in Paris unterstützte sie die algerischen Befreiungskämpfer ideell und logistisch. Im Verlauf der 1960er Jahre reiste Firk häufiger durch Mittelamerika und beteiligte sich schließlich 1968 in Guatemala an der Entführung des US-Botschafters durch revolutionäre Guerilla. Bevor sie verhaftet und verhört worden konnte, beging sie dort Selbstmord.114 Die Positif widmete ihr einen Nachruf, der ihren Tod in gravitätischen Worten mit den geopolitischen Brennpunkten dieser Jahre assoziierte: Michèle a suivi l’example du Che. Pas plus que lui elle n’est morte pour nous offrir un alibi heroique mais elle nous montre le chemin. La lutte commune est immense et permanente. Le combat se déroule partout. En disant que Positif essaiera d’être digne d’elle, nous ne sommes pas si grandiloquents qu’il semblerait: elle était loin de négliger le rôle que, dans sa zone, peut jouer la critique de cinéma.115

In den 1950er Jahren entwickelte sich rasch eine filmpublizistische Fehde zwischen den nonkonformistischen Linken der Positif und den überwiegend apolitischen Ästheten der Cahiers du cinéma, wobei es einige wenige Kritiker wie Pierre Kast gab, die zwischenzeitlich in beiden Magazinen Beiträge veröffentlichten.116 Die Autoren der Positif schätzten die meisten Arbeiten Claude Autant-Laras und teilten daher nicht seine Aburteilung als antiquierter Vertreter der von François Truffaut geschmähten „Tradition de la qualité“.117 Noch weniger Verständnis brachte die linke Redaktion für die Hollywood-Begeisterung der Cahiers auf. Sie veröffentlichte eine Gegenschrift zu den „überschätzten“ Regisseuren wie Hawks oder Ray, deren Adressat schon in den ersten Absätzen deutlich wurde: Certaine critique prouve ainsi son goût des synthèses diffuses et du jugement impressioniste; elle témoigne de son mépris pour toute analyse en termes de cinéma et, dirait-on, d’une puberté

112 Michèle Firk: Le cinéma et la politique. Sur la critique, in: Positif, Nr. 33, April 1960, S. 9–11, hier S. 9. 113 Vgl. Michèle Firk: Cinéma et politique. Sur l’engagement et la condition sociale du réalisateur, in: Positif, Nr. 34, Mai 1960, S. 34–38, hier S. 38. 114 Vgl. Frémaux: L’Aventure, S. 31. 115 Michèle Firk, in: Positif, Nr. 97, Sommer 1968, o. S. 116 Zur „guerre des revues“ vgl. Darré: Histoire sociale, S. 76 f.; ferner: Frémaux: L’Aventure, S. 27–30; Bickerton: Geschichte, S. 45 f.; Colin Crisp: The Classic French Cinema, 1930–1960, Bloomington 1993, S. 249; Susan Hayward: French National Cinema, London 1993, S. 141–145. 117 Vgl. Frémaux: L’Aventure, S. 23 und 28.

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difficile. Son style, maladroitement précieux, est surtout destiné à donner au lecteur naif un sentiment d’inferiorité.118

Die Autoren des Texts prüften nach und nach die wichtigsten Filme der von den Cahiers bewunderten Regisseur – nicht nur das Beispiel des über viele Jahre in den USA tätigen Fritz Lang zeige, wie fragwürdig es sei, auf der Grundlage alter Erfolge das Prädikat „auteur“ zu verleihen und jeden neuen Film dementsprechend zu würdigen.119 Keiner dieser Filmemacher sei „un maître“, ihre herausragenden Filme seien Ausnahmen – was die Positif nicht einmal als pauschale Absage an das USKino verstanden wissen wollte: „On fait toujours du Cinéma en Amérique, mais ce ne sonst plus ces messieurs qui le font.“120 Die Mitarbeiter der Zeitschrift lasen bei Eric Rohmer den Vorwurf heraus, bei allen Polemiken doch auffällig häufig die Urteile der Cahiers du cinéma nachzuahmen und distanzierten sich daraufhin noch einmal deutlich von deren „politique des auteurs“: „Ce concept-là nous est étranger.“121 Ein Jahr nach André Bazins Tod hieß es in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift als kleine, weitere Provokation: „Ce numéro n’est pas dédié à André Bazin.“122 Die Kontrahenten von den Cahiers du cinéma beschwerten sich regelmäßig über derartige „verächtliche“ Unhöflichkeiten. Der Antiklerikalismus der PositifMitarbeiter war ihnen zu engstirnig und ein Ausdruck profunder Unbildung.123 Anfang 1958 schlug auch Truffaut publizistisch zurück und wie scharf er attackieren konnte, hatten ja längst „Une certaine tendance“ und andere Artikel gezeigt. Die Positif versammelte für ihn selbstgewisse Rechthaber. Er unterstellte der Kritikergruppe Antiintellektualismus und verglich sie mit dem Auftreten einer zeitgenössischen populistischen Bewegung Frankreichs: „On retrouve cette dualité instinctintelligence, avec suprématie du premier sur la seconde, dans presque tous les discours de Pierre Poujade“.124 Schließlich verhöhnte Truffaut die Gesellschaftskritik von Filmkritikern wie Ado Kyrou: Qu’est-ce qu’elle t’as fait cette époque, mon vieux Kyrou, hein? On t’as fait des misères? Après quoi en as-tu? Les congés payés, le progrès social, le parlant ou quoi? Tu as du mal à vivre et à aimer? […] Et notre époque, ton époque, fiche lui la paix, sèche tes larmes et va te promener avec une camera! Et les intellectuels, hein? Les intellectuels, mon vieux Kyrou, qu’est-ce qu’ils t’ont fait ceux-là?125

Die Sympathien der Filmkritik-Gruppe, deren Mitglieder ja die französische Filmkultur und Filmpresse genau verfolgten, lagen in diesem Zeitschriftenstreit in den 1950er Jahren recht deutlich und wenig überraschend bei den linksgerichteten 118 Quelques réalisateurs trop admirés. Lang – Ray – Cukor. Preminger – Hathaway. Hawks – Mankiewicz, in: Positif, Nr. 11, September/Oktober 1954, S. 49–59, hier S. 49. 119 Vgl. ebd., S. 56. 120 Ebd., S. 59. 121 Pour essayer d’en finir, in: Positif, Nr. 20, Januar 1957, S. 2 f., hier S. 3. 122 Notiz im Einband von Positif, Nr. 31, November 1959. 123 Vgl. Editorial, in: Cahiers du cinéma, Nr. 55, Januar 1956, S. 3–5, hier S. 5; François Weyergans: Livres du Cinéma, in: Cahiers du cinéma, Nr. 121, Juli 1961, S. 60. 124 François Truffaut: Positif: Copie 0, in: Cahiers du cinéma, Nr. 79, Januar 1958, S. 60–62, hier S. 61. 125 Ebd., S. 62.

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Gesinnungsgenossen der Positif, kaum bei den „von uns als rechts angesehenen“ Cahiers du cinéma.126 Ulrich Gregor skizzierte für das filmforum die wichtigsten französischen Magazine und stellte dabei die „interessante“ Filmclubzeitschrift cinéma und die ebenfalls „interessante“, weil „betont nonkonformistische“ Positif den „zum Aesthetizismus neigenden, alteingesessenen“ Cahiers gegenüber.127 Die westdeutschen Kritiker waren empfänglich für die gesellschaftskritischen Passagen in Autant-Laras Filmen und die Arbeit seiner von den Cahiers so angefeindeten Szenaristen Aurenche und Bost.128 Der Positif vergleichbare Kritik traf die katholisch inspirierte Interpretation des Neorealismus durch Henri Agel und die aktuellen Ausprägungen der französischen Filmpolitik, die wiederholt gerade am prägnanten Beispiel von Bel Ami referiert wurden.129 Dagegen verfing das „auteur“-Konzept der Cahiers du cinéma in der Filmkritik zunächst überhaupt nicht. Gregor etwa kritisierte Elena et les hommes von Jean Renoir sehr stark für das „unverbindliche[…] Virtuosentum“ und den „Konventionalismus, der in Handlung, Personen und Dekor des Films sich äußert“, nicht ohne sich darüber verwundert zu zeigen, dass André Bazin auch hier das „Genie“ des Regisseurs erkannt habe.130 Schließlich ist Theodor Kotullas langer Aufsatz über Fellini in der F am Rande auch ein interessantes Beispiel für die filmkulturelle Bildungshistorie dieser Publizisten im Spannungsfeld aus zumeist europäischen – vor allen italienischen und französischen – Einflüssen und der Aufnahme der deutschsprachigen Theorietradition. Mit Fellinis italienischen Kritikern zeigte Kotulla ja die Mängel an soziologischer Tiefe und Verankerung in dessen Werken auf. In einer eingeschobenen Passage setzte er sich zudem kurz mit der Rezeption des Regisseurs in Frankreich auseinander, besonders mit Bazins Faszination für La strada. Der westdeutsche Kritiker griff dabei auf Walter Benjamins zu dieser Zeit in Deutschland noch kaum bekannten Aufsatz über „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ zurück, um Bazin und seinem Schwärmen einen veralteten Kunstbegriff nachzuweisen, der die moderne Technik und ihre sozialen Implikationen ausblende: „Für ihn weist sich ein Film dann erst als Kunstwerk aus, wenn er an ihm jene traditionelle kultische Aura nachweisen zu können glaubt.“ Kotulla empfand diesen „Anachronismus“ Bazins als potenziell „restaurativ“, ganz im Gegensatz zu der kritischeren Beurteilung Fellinis durch den PositifGründer Bernard Chardère.131 126 So erinnerte sich Enno Patalas stellvertretend für die Haltung seines Münsteraner Freundeskreises, vgl. ders.: Schluchsee, S. 64. 127 Ulrich Gregor: Auszeichnung des schlechten Films. Kleine Pariser Filmchronik, in: filmforum 4 (1955), Nr. 10, S. 5. 128 Vgl. Gregor/Kotulla/Patalas: Panorama 1955 (film 56, Nr. 1, 1956), S. 4 f.; Ulrich Gregor: Zwei Mann, ein Schwein und die Nacht von Paris (La traversée de Paris), in: Filmkritik, Nr. 7, 1957, S. 99–101, hier S. 100. 129 Vgl. Gregor: Bel Ami (Filmkritik, Nr. 12, 1957); ders.: Sozialistisch und transzendent gesehen. Variationen über die neorealistische Filmtradition, in: filmforum 5 (1956), Nr. 8, S. 8; ders.: Brief aus Paris, in: film 56, Nr. 3, 1956, S. 107–111, hier S. 110. 130 Vgl. Ulrich Gregor: Weiße Margeriten (Elena et les hommes), in: Filmkritik, Nr. 1, 1959, S. 20 f. 131 Vgl. Kotulla: Die Antwort des Mönchs (F, Nr. 2, 1958), S. 140–144, die Zitate S. 143 f.

6.2 Einbahnstraßen und Asymmetrien in der europäischen Filmkultur

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Die hochentwickelte Filmnation Frankreich versorgte den Kreis um die Filmkritik in dieser Zeit vor allem mit einem exemplarischen cineastischen Habitus und sorgte im Fall der Positif für Anregung und Bestätigung des gesellschaftskritischen Programms. Insgesamt jedoch fand sich aus dieser Richtung keine filmische und filmtheoretische Inspiration, die dem Einfluss des italienischen Realismus auf die Filmkritik der 1950er und frühen 1960er Jahre vergleichbar war. Die durchschnittlichen Konsumfilme, die aus Frankreich in die Bundesrepublik kamen, wurden wie diejenigen anderer Provenienz kurz und knapp, zum Beispiel als „geschwätzig“, verrissen.132 Doch auch die anspruchsvolleren Filme stießen auf keine derart breite Zustimmung wie der Neorealismus und seine Folgewerke; Ulrich Gregor zitierte Guido Aristarcos Beschwerden über das „mangelnde neue Empfinden für die Realität im französischen Film“.133 Trotz gelegentlicher Sympathien für Filme und Regisseure dominierte in der Filmkritik der pauschale Eindruck eines eher eskapistischen, resignativen Pessimismus in Frankreichs Kulturschaffen, einer „gesellschaftsfeindliche[n], imgrunde anarchistische[n] Vorstellungswelt, in der die französische Literatur und der französische Film seit langem leben.“134 6.2 EINBAHNSTRASSEN UND ASYMMETRIEN IN DER EUROPÄISCHEN FILMKULTUR Nach der Vorstellung wichtiger Akteure und Publikationen der französischen Filmkultur der 1950er Jahre und der wiederholten Rekonstruktion der internationalen Einflüsse auf die Arbeit der Gruppe um die Filmkritik drängen sich an dieser Stelle einige ergänzende Blicke und Quervergleiche auf, um die Transnationalität der europäischen Filmkritik und Filmkultur weiter zu konturieren. Der Blick richtet sich zum einen auf die transnationalen Aspekte in der Geschichte der Cinema Nuovo: Inwieweit wurden in Guido Aristarcos Redaktion internationale Strömungen in Film, Filmkritik und Filmtheorie wahr- und aufgenommen – und wie war es insbesondere um das Verhältnis der italienischen Kritikergruppe zu den Vertretern des französischen Filmwesens bestellt? Zum anderen ist die in dieser Arbeit etliche Male festgestellte Unterlegenheit der westdeutschen Filmkultur exakter zu bestimmen, indem die Blickrichtung umgekehrt und ihre Rezeption in Italien und Frankreich, nicht mehr nur ihre verzagte Deskription im Inland, untersucht wird. Die Cinema Nuovo wartete bekanntlich mit einem sehr breiten Spektrum an Filmartikeln aus aller Welt auf – regelmäßig erschienen Nachrichten der Korrespondenten aus den wichtigsten Staaten Europas und aus Übersee, immer wieder Reiseberichte und Analysen zum aktuellen und vergangenen Filmschaffen, sei es aus den USA, der Sowjetunion oder anderen Himmelsrichtungen. Diese Diffusionsleistung der Zeitschrift ist nicht zu unterschätzen. Ihrem Leserkreis wurden etwa in den Diskussionsforen oder den zahlreichen Gastbeiträgen auch filmkulturelle Zugänge 132 Vgl. etwa Der Modekönig (Le Couturier de ces dames), in: Filmkritik, Nr. 3, 1957, S. 44. 133 Gregor: Brief aus Paris (film 56, Nr. 3, 1956), S. 108. 134 Enno Patalas: Wilde Früchte (Fruits sauvages), in: Filmkritik, Nr. 5, 1958, S. 106 f., hier S. 107; vgl. auch Berghahn: Reservate in Zelluloid (Frankfurter Hefte, Nr. 6, 1958), S. 432.

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präsentiert, die – sowohl bezogen auf die inneritalienischen Debatten als auch auf die Rezeption ausländischer Werke und Texte – nicht mit dem kritischen Realismus der Redaktionsleitung übereinstimmten. Die Kernüberzeugungen der Kerngruppe um die Cinema Nuovo und insbesondere die Aristarcos blieben gleichwohl für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, unerschüttert. So ist hier schon einmal bilanzierend von einer eher vordergründigen Transnationalität oder von einer relativ geringen Permeabilität für filmische Kulturtransfers auszugehen. Filmkritische Denkweisen aus dem Ausland setzten sich nicht nachweisbar in der Autorengruppe fest, die Rezeptionslinse des Realismusmodells nach Georg Lukács dominierte. Streng genommen basierten das Realismuskonzept Aristarcos und die Schule des Neorealismus ebenfalls auf filmischen Kulturtransfers, die nur eben noch weiter zurücklagen, in den 1930er und 1940er Jahren. Lukács’ kritischer Realismus wurde aus der marxistischen Tradition Mitteleuropas adaptiert und mit einheimischen Überlieferungen von De Sanctis und Gramsci fusioniert; und für die Frühphase des italienischen Filmrealismus unter dem Faschismus standen ausdrücklich auch US-amerikanische Literatur und Luchino Viscontis Erfahrungen als Assistent bei Jean Renoir Pate.135 Die Urteile zum französischen Kino fielen in der Cinema Nuovo häufiger reserviert und kritisch aus. Glauco Viazzi war zum Beispiel ein entschiedener Kritiker des „nicht besonders originellen“ „konformistisch nonkonformistischen“ Experimentalfilms der Surrealisten und der Lettristen.136 Aldo Paladini vermisste in den aktuellen anspruchsvollen Filmen aus Frankreich Gespür und Interesse für die „realtà della vita“, was er sich in einem Interview von Jean-Paul Sartre bestätigen ließ.137 Dafür, wie die linken italienischen Kritiker die ausländische Filmpublizistik einschätzten, sind die Folgen der Rubrik „Le riviste“ ein hilfreicher Indikator. Wechselnde Mitarbeiter stellten hier aktuelle Ausgaben einheimischer oder ausländischer Filmzeitschriften vor. In den Cahiers du cinéma gab es im Übrigen eine ähnliche Rubrik unter dem Namen „Revue des revues“ und auch die Positif und die britische Sight and Sound gaben ab und an vergleichbare Überblicke. In „Le riviste“ war Mitte 1956 ein großes Lob von Paolo Gobetti für die US-amerikanische Film Culture zu lesen, denn gerade deren Rezensionen zeigten den „spirito“ der Cinema Nuovo – abgesehen allerdings von einem positiven Urteil zu Fellinis La strada, das „ci lascia piuttosto perplessi.“138 In „Le riviste“ war zudem immer wieder zu lesen, dass die Autoren der Cinema Nuovo die Positif für das weitaus interessantere französische Filmmagazin hielten, trotz des ein wenig gönnerhaft festgestellten jugendlichen und stürmischen Auftretens.139 Die beiden linksgerichteten Kritikergruppen stimmten in vielen wichtigen 135 Vgl. Aristarco: Il postino di Cain (Cinema Nuovo, Nr. 24, 1953), S. 344 f. 136 Vgl. Viazzi: Si chiama Poucette (Cinema Nuovo, Nr. 6, 1953); ders.: Vogliono lo stupefacente, in: Cinema Nuovo, Nr. 31, 15. 3. 1954, S. 149 f. 137 Vgl. Aldo Paladini: C’è speranza per il cinema francese?, in: Cinema Nuovo, Nr. 7, 15. 3. 1953, S. 182 f., hier S. 183; ders.: Il neorealismo non è pessimista, in: Cinema Nuovo, Nr. 42, 1. 9. 1954, S. 152–154, hier S. 154. 138 Paolo Gobetti: Le riviste, in: Cinema Nuovo, Nr. 84, 10. 6. 1956, S. 349. 139 Vgl. Tullio Kezich: Le riviste. Le fidanzate di celluloide, in: Cinema Nuovo, Nr. 29, 15. 2. 1954, S. 93; Corrado Terzi: Le riviste. Dalla Francia al Giappone, in: Cinema Nuovo, Nr. 47,

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Punkten überein. Die Positif sympathisierte mit realistischen Regisseuren aus Italien und urteilte: „Le cinéma italien est et reste le premier d’Europe“, von dem zu hoffen sei, dass mehr seiner Meisterwerke in Frankreich zu sehen sein werden.140 Eine Zeitschriftenschau der Positif schätzte die Cinema Nuovo als kämpferisches Organ des Realismus und mokierte sich über die „unfreiwillige Komik“ der christdemokratischen Filmbesprechung in der Bianco e Nero.141 Zum Ende der 1950er Jahre intensivierten sich Austausch und Zusammenarbeit zwischen der Cinema Nuovo und der Positif weiter – die personellen Verflechtungen im linken europäischen Filmjournalismus werden unten noch genauer aufgeschlüsselt. Die ideelle, grenzüberschreitende Verbindung zwischen den Zirkeln illustriert vorab der Tod Michèle Firks. Gobetti widmete der Kritikerin und Aktivistin, die er von vielen Festivals und gemeinsamer Filmarbeit kannte, in der Cinema Nuovo einen ausführlichen und persönlichen Nachruf, der ihr Vorbild unterstreichen sollte: „ha in un certo senso realizzato quella che è l’aspirazione piú alta per tanti di noi: la coerenza rivoluzionaria. Una coerenza che tanto spesso ci sfugge, per paura, per pigrizia, per conformismo, per stanchezza, per incertezza, per mancanza di fantasia, o per distrazione.“142 In den ersten Jahren der Cinema Nuovo gab es zunächst einen relativ regen Austausch an Gastbeiträgen und guten Kontakt mit den Cahiers du cinéma, die zu dieser Zeit noch nicht so stark von den „jeunes turcs“ dominiert wurden. André Bazin publizierte in Aristarcos Zeitschrift eine Reihe von Artikeln, beispielsweise über Charlie Chaplin und Jacques Tati. Der redaktionelle Austausch wurde gerade durch die mehrsprachigen Kritiker mit italienischen Wurzeln wie Joseph-Marie Lo Duca und Nino Frank begünstigt, die in den Cahiers über das italienische Kino berichteten und in der Cinema Nuovo die Lage in Frankreich deuteten.143 Louis Marcorelles verglich in einer „Revue des revues“ die italienische Zeitschrift, durchaus anerkennend gemeint, mit dem Écran français der Nachkriegszeit144 und die Pariser Kritiker zeigten sich ja solidarisch, als Aristarco und Renzo Renzi für das Treatment zum Griechenlandkrieg inhaftiert und angeklagt wurden.145 Auf der anderen Seite deuteten die verschiedenen Mitarbeiter der Cinema Nuovo bereits früh ihre Zweifel an Stil und Schwerpunkten der Cahiers an, deren Texte ihnen oft formalistisch, unverständlich und abgehoben erschienen. Tullio Kezich beschrieb dies als einen „tono fra allusivo e distratto che spesso interpone

25. 11. 1954, S. 356; Umberto Lisi: Riviste di cinema, in: Cinema Nuovo, Nr. 103, 15. 3. 1957, S. 189. 140 Vgl. Réalismes (Positif, Nr. 5); das Zitat aus Bilan critique d’un an de cinéma, in: Positif, Nr. 13, März/April 1955, S. 1–20, hier S. 12 f. 141 Vgl. Quelques revues étrangères, in: Positif, Nr. 14–15, November 1955, S. 204–220, hier S. 213–215 und 218 f. 142 Paolo Gobetti: Ricordo di Michèle Firk, in: Cinema Nuovo, Nr. 196, November/Dezember 1968, S. 438–440, hier S. 438. 143 Vgl. Jean-Louis Leutrat / Suzanne Liandrat-Guigues: Il cinema italiano visto dalla Francia, in: Bertetto (Hg.): Storia, S. 492–504, hier S. 493. 144 Vgl. Revue des revues, in: Cahiers du cinéma, Nr. 69, März 1957, S. 59–61, hier S. 61. 145 Vgl. Kapitel 4.2.3.

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un diaframma fra le loro intelligenti premure e l’interesse dei lettori.“146 Nicht nachvollziehbar war für die italienischen Gesellschaftskritiker auch die Bewunderung, die Alfred Hitchcock in den Cahiers du cinéma erfuhr. Die Verklärung des Regisseurs von Filmen wie Dial M for Murder zum Meister, Künstler oder Poeten war für sie ein „[g]uaio grosso“ und Guido Fink konnte nicht wiedererkennen, was die Pariser „Eiferer“ alles an Themenkomplexen in Psycho hineininterpretierten.147 Die Irritation über manche Texte in den Cahiers war eine Gemeinsamkeit der linken Filmpublizistik etlicher europäischer Länder, wie neben der Cinema Nuovo weiter oben schon die französische Konkurrenz der Positif und die Filmkritik gezeigt haben. Gleiches lässt sich für Großbritannien beobachten: Lindsay Anderson bedauerte in der Sight and Sound, die Cahiers seien „almost completely taken over by the covey of bright young things whose eccentric enthusiasms […] have already sadly impaired its reputation.“ Anderson fragte sich: „Can absurdity go further?“, angesichts der Parallelisierungen Hitchcocks mit Dostojewski, Balzac oder Shakespeare. Die Rezeption des Regisseurs bleibe verkürzt, da seine frühen britischen Filme unterschlagen werden. Auch daraus folgerte er abschließend: „One is driven to the conclusion, paradoxically, that these critics are not really interested in Hitchcock at all. They are above all interested in themselves.“148 Claude Chabrol amüsierte sich im Gegenzug über die britische Kritik: „lire le français lui donne-t-il mal à la tête?“149 Das Verhältnis zwischen der Cinema Nuovo und den Cahiers du cinéma – verkörpert gerade durch den Kontakt von Aristarco und Bazin – kühlte darüber hinaus allmählich ab, da es einen Dissens in der Beurteilung des Oeuvres von Roberto Rossellini gab. Bazin schätzte den Neorealismus und Rossellinis Filme sehr, hatte dazu allerdings einen abweichenden, phänomenologisch genannten Zugang. Er legte vor allem Wert auf die genaue formale Analyse der Stilmittel, beispielsweise der reduzierten Montage, mit denen Rossellini die Wirklichkeit so unverstellt wie möglich erfahrbar mache. Sein Realismusverständnis war deutlich religiös eingefärbt, wenn es ihm darum ging, „das Geheimnis einer filmischen Erzählform wiederzufinden, die alles ausdrücken kann, ohne die Welt zu zerstückeln, und den Sinn hinter den Dingen und Lebewesen herauszuarbeiten vermag, ohne deren natürliche Einheit zu zerstören.“150 Daher gab es für ihn, anders als für Aristarco und seine 146 Kezich: Le riviste (Cinema Nuovo, Nr. 29, 1954); Corrado Terzi zählte auf: „l’astrattezza e l’estetismo, l’aristocratico distacco dalle faccende di ogni giorno, dai problemi vivi del nostro tempo“ – ders.: Vita difficile, in: Cinema Nuovo, Nr. 35, 15. 5. 1954, S. 286; vgl. zudem Umberto Lisi: Riviste di cinema (Cinema Nuovo, Nr. 103); ders.: Riviste di cinema, in: Cinema Nuovo, Nr. 114–115, 15. 9. 1957, S. 174 f. 147 Vgl. Il delitto perfetto, in: Cinema Nuovo, Nr. 48, 10. 12. 1954, S. 395; Guido Fink: Psyco (Psycho), in: Cinema Nuovo, Nr. 149, Januar/Februar 1961, S. 57 f., hier S. 58. 148 Lindsay Anderson: Positif / Cahiers du cinéma, in: Sight and Sound, Nr. 3, Januar–März 1955, S. 161; ähnlich zuvor bereits ders.: French critical writing, in: Sight and Sound, Nr. 2, Oktober– Dezember 1954, S. 105. 149 Claude Chabrol: Revue des revues, in: Cahiers du cinéma, Nr. 45, März 1955, S. 61. 150 Bazin: Entwicklung der Filmsprache, S. 106 f. Vgl. dazu auch Bickerton: Geschichte, S. 35; Jörn Glasenapp: Die Schonung der Realität. Anmerkungen zu Bazins Neorealismus, in: Borsò/ Öhlschläger/Perrone Capano (Hg.): Realismus nach den europäischen Avantgarden, S. 163–

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Mitstreiter, gar keinen Bruch in Rossellinis Schaffen und kein Absinken in konservative Unverbindlichkeit – in einem in der Cinema Nuovo publizierten Brief an deren Chefredakteur verteidigte er 1955 die jüngsten Filme des Regisseurs und sprach sich bewusst gegen die Aufladung des Neorealismus mit politischen oder gesellschaftlichen Fragen aus.151 Rossellini war unter den „auteurs“ der Cahiers du cinéma folgerichtig einer der ersten, mit denen ein ausführliches Interview geführt wurde. Maurice Schérer alias Eric Rohmer und François Truffaut zeigten sich darin als kenntnisreiche Bewunderer und Mitleidende, als Rossellini sich über die scharfen Kritiken in seiner Heimat beklagte. Rohmer hatte sich bereits ein Dutzend Ausgaben zuvor anhand von Europa ’51 für die spiritualistische Interpretation stark gemacht.152 Auf diese Deutungen und direkt auf Bazins Brief reagierte in der Cinema Nuovo für die Gruppe Aldo Paladini, der noch einmal die bekannten Kritikpunkte referierte, darunter den Vorwurf an Rossellini, nur noch unstrukturiert und unkritisch oberflächliche Beobachtungen und Skizzen aneinander zu reihen.153 Als Bazin 1958 starb, gedachten die italienischen Kritiker respektvoll „il nostro amico“ und betonten seine filmkritischen Verdienste,154 allerdings war die Kooperation über solch fundamentalen Widersprüchen doch loser geworden. Mit den „jeunes turcs“ der Cahiers du cinéma fanden sie erst recht keine Diskussionsbasis, was sich später auch deutlich in der brüsken Ablehnung ihrer filmischen Nouvelle Vague zeigen sollte. Die transnationalen Rezeptionsströme in der europäischen Filmkultur verliefen vielfältig und keineswegs konfliktfrei. Gleichzeitig gab es dabei in den 1950er Jahren auch einen blinden Fleck in der Reihe der traditionellen Filmländer, der von allen hier behandelten Kritikergruppen als solcher wahrgenommen und kritisiert wurde: das deutsche, insbesondere das westdeutsche Kino der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte. Den Kommentatoren der Cinema Nuovo zufolge sprach gegen einen gemeinsamen westeuropäischen Filmproduktionspool besonders die Befürchtung, dann nur noch aus „Traumfabriken“ wie in der Bundesrepublik versorgt zu werden.155 Über die weltanschaulichen und filmkulturellen Lagergrenzen hinweg ernteten beispielsweise die westdeutschen Festivalbeiträge dieser Jahre zumeist nur eine schwache Resonanz in den Fachzeitschriften. Guido Aristarco arbeitete sich in seiner Zeitschrift überwiegend auf der inhaltlichen Ebene an Rolf Thieles Das Mädchen Rosemarie ab, der 1958 in Venedig lief und für den Kritiker die Gefah-

187; Gustav Falke: Neorealismus im italienischen Film, in: Zeitschrift für Ideengeschichte, Nr. VII/2, 2013, S. 21–34, hier vor allen S. 22 f. 151 Vgl. André Bazin: Difesa di Rossellini, in: Cinema Nuovo, Nr. 65, 25. 8. 1955, S. 147–149. 152 Vgl. Maurice Schérer / François Truffaut: Entretien avec Roberto Rossellini, in: Cahiers du cinéma, Nr. 37, Juli 1954, S. 1–13, hier etwa S. 2; Maurice Schérer: Génie du christianisme, in: Cahiers du cinéma, Nr. 25, Juli 1953, S. 44–46, besonders S. 46. 153 Vgl. Aldo Paladini: Il caso Rossellini, in: Cinema Nuovo, Nr. 69, 25. 10. 1955, S. 306–308. Dazu Döge: Pro- und antifaschistischer Neorealismus, S. 194–198. 154 Vgl. Cinema Nuovo, Nr. 136, November/Dezember 1958, S. 206. 155 Vgl. Il gioco del pool, in: Cinema Nuovo, Nr. 15, 15. 7. 1953, S. 39 f., hier S. 40.

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renpotenziale des Industriekapitalismus zu sehr herunterspielte.156 Jacques DoniolValcroze störte hauptsächlich der äußerst „unmoderne“ Stil des Films, im Jahr darauf regte Helden von Franz Peter Wirth in den Cahiers du cinéma die Diskussion an, ob auf derartige Enttäuschungen, „une banale comédie“, nicht von vornherein verzichtet werden sollte, um das Programm – in diesem Fall in Cannes – zu straffen.157 Für die Positif setzte Chris Marker recht bald den Ton in der Diskussion zum deutschen Film. Er besuchte 1954 das Filmclubtreffen in Bad Ems und sah sich zudem im regulären Spielbetrieb der Kinos um. Er berichtete von Filmen, die den Operetten der UFA-Zeit verdächtig ähnelten – sie seien nicht nur misslungen, sondern auch noch auf altmodische Weise misslungen.158 Fortan wurde der deutsche Film in der Positif für lange Zeit kaum mehr behandelt. Die Kritik am schwachen Niveau der meisten westdeutschen Filme wurde international von Zeit zu Zeit mit Kritik und Sorgen wegen der als mangelhaft erachteten Vergangenheitsbewältigung angereichert. Das sprach etwa aus einer Rezension, die Jacques Siclier von den Cahiers über einen Teil der Filmreihe 08/15 verfasste, und in der er eine Renaissance des ungenierten deutschen Militarismus befürchtete: „Le nazisme? Cela n’a jamais existé. La satire peut avoir de saines vertus. Celle-ci, hélas, est fausse et l’on voit très bien pourquoi.“159 Der Cinema Nuovo galt die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Bundesrepublik ohnehin als unzureichend, nicht zuletzt im Vergleich zur DDR. Den Fragebögen zur Entnazifizierung gleich hätten auch viele Regisseure bald nach Kriegsende einige nachdenklichere Filme gedreht, um mit diesem Alibi anschließend unbelastet und ohne tiefere Analysen des eigenen und des kollektiven Gewissens weiterarbeiten zu können.160 Dieser Sichtweise folgten noch zwei Filmbesprechungen Guido Finks zu Beginn der 1960er Jahre. Die Brücke von Bernhard Wicki stelle keine kritische Selbstanalyse und Ursachenforschung dar, sondern zelebriere über Umwege doch wieder das heldenhafte Sterben der jugendlichen Protagonisten. Wolfgang Staudtes Kirmes erinnerte den Kritiker schließlich wiederum an gängige Geschichtsmythen in Deutschland: „Hitler, visto come semplice paranoico, piovuto dal cielo, o dall’inferno, a reggere le sorti del Reich.“161 156 Vgl. Guido Aristarco: Film in concorso, in: Cinema Nuovo, Nr. 135, September/Oktober 1958, S. 138–153, hier S. 150 f. Als nur ein Beispiel für einen harschen Verriss der bundesdeutschen Filme und Festivalbeiträge auch aus der katholischen und konservativen Filmpublizistik vgl. Nino Ghelli: I film in concorso, in: Bianco e Nero, Nr. 8, 1954, S. 7–32, hier S. 29. 157 Vgl. Jacques Doniol-Valcroze / François Truffaut: Venise 1958, in: Cahiers du cinéma, Nr. 88, Oktober 1958, S. 38–43, hier S. 40; Cannes 1959, in: Cahiers du cinéma, Nr. 96, Juni 1959, S. 38–50, hier S. 38. 158 Vgl. Chris Marker: Adieu au cinéma allemand?, in: Positif, Nr. 12, November/Dezember 1954, S. 66–71, hier S. 67 f. Das prägnante Zitat lautet: „Ce qui est grave, ce n’est pas que le film soit mauvais, nous en avons vu d’autres. C’est qu’il soit mauvais comme un mauvais film de 1935, et pas comme un mauvais film de 1954.“ – ebd., S. 68. 159 Jacques Siclier: Nazisme? Connais pas, in: Cahiers du cinéma, Nr. 59, Mai 1956, S. 50. 160 Vgl. Aristarco: Deutschland (Cinema Nuovo, Nr. 64, 1955); Giorgio Signorini: Fragebogen del cinema tedesco, in: Cinema Nuovo, Nr. 86, 10. 7. 1956, S. 7 f. 161 Guido Fink: Storia di un disertore (Kirmes), in: Cinema Nuovo, Nr. 155, Januar/Februar 1962, S. 45; vgl. zudem ders.: Il ponte (Die Brücke), in: Cinema Nuovo, Nr. 146, Juli/August 1960, S. 339 f.

6.3 Die Nouvelle Vague als Herausforderung

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Die Reputation des westdeutschen Films befand sich in einem ungünstigen, abschüssigen Kreislauf. Durch Nationalsozialismus und Krieg war deutschsprachiges Kulturschaffen in vielen Ländern so gründlich diskreditiert, dass den neueren filmischen Erzeugnissen nach 1945 nur wenig Geduld und Interesse entgegengebracht wurde – und diese fielen dann auch noch aus vielerlei Gründen gegenüber den innovativen Filmschulen Europas und der restlichen Welt ab. Der Eindruck verstärkte sich in cineastischen Kreisen dadurch, dass die vorgestellten Zeitschriften und Kritikergruppen häufig deutschsprachige Autoren als Kronzeugen und Berichterstatter zu Wort kommen ließen, die dem deutschen Film kaum mehr etwas abgewinnen konnten. Es war der Emigrant Siegfried Kracauer, der der Cinema Nuovo zum Beispiel die wirkungslose Gesellschaftskritik von Das Mädchen Rosemarie bestätigte; und es war die Emigrantin Lotte Eisner, als Konservatorin in Paris an der Cinémathèque française beschäftigt, die in den Cahiers du cinéma über die rückständige Dürre der Filmkultur in der Bundesrepublik berichtete.162 Die Gruppe um die Filmkritik nahm als Opposition des westdeutschen Filmschaffens diese kritischen Stimmen bereitwillig auf und verbreitete sie in ihrer Zeitschrift. Sie zitierte Verrisse aus Arts oder Films and Filming163 und gerne auch, wenn François Truffaut im Interview mit den Cahiers urteilte, dass „augenblicklich in Deutschland gar nichts [klappt]“.164 Später übernahmen Enno Patalas und einige seiner Kollegen, als sie nach und nach in die Netzwerke der internationalen Filmkultur hineingewachsen waren, selbst die Rolle der kritischen Deutschlandkorrespondenten für italienische oder französische Leserkreise. 6.3 DIE NOUVELLE VAGUE ALS HERAUSFORDERUNG. UMBRÜCHE IN DER LINKEN EUROPÄISCHEN FILMKULTUR Knapp zehn Jahre nach der Hochphase des italienischen Neorealismus entfachte die französische Nouvelle Vague eine ähnliche Dynamik und erregte ähnliches Aufsehen in der internationalen Filmkritik und im internationalen Filmschaffen. Die Reaktionen insbesondere der vorgestellten linksgerichteten Cineasten werden im Folgenden in einem überwiegend perzeptions- und transfergeschichtlich gehaltenen Rundblick ausgebreitet und gegebenenfalls miteinander in Beziehung gesetzt. Die Nouvelle Vague ist wie der Neorealismus in ausführlichen Darstellungen untersucht worden,165 so dass hier einige einführende Eckdaten genügen mögen. Wie die italienische Filmschule der unmittelbaren Nachkriegszeit ist die französische „Neue Welle“ zeitlich und personell unterschiedlich weit gefasst worden. Markant waren 162 Vgl. Siegfried Kracauer: Rosemarie e le Mercedes, in: Cinema Nuovo, Nr. 139, Mai/Juni 1959, S. 204; Lotte Eisner: Lettre de Bad Ems, in: Cahiers du cinéma, Nr. 41, Dezember 1954, S. 21– 23, hier S. 21; Livres de cinéma, in: Cahiers du cinéma, Nr. 45, März 1955, S. 56–60, hier S. 60. 163 Vgl. Filmkritik, Nr. 1, 1960, S. 31; Filmkritik, Nr. 3, 1960, S. 96. 164 François Truffaut: Die Erfahrungen der Neuen Welle, in: Filmkritik, Nr. 2, 1963, S. 52–56, hier S. 56. 165 Vgl. als Auswahl eben Marie: La nouvelle vague; Neupert: French New Wave Cinema; Frisch: Mythos Nouvelle Vague.

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allerdings gerade die Jahre von 1958 bis 1960, in denen die früheren Kritiker Claude Chabrol, François Truffaut und Jean-Luc Godard mit ihren ersten Spielfilmen bei Festivals, vielen Kritikern und auch beim Publikum große Erfolge erzielten. Ihre Werke waren eigentlich sehr unterschiedlich ausgefallen – die sorgfältigen, autobiographisch geprägten Erzählungen über Jugendliche und junge Erwachsene von Chabrol und Truffaut wie Le beau Serge, Les cousins und Les quatre cent coups standen neben Godards lakonischer Kleingangstergeschichte A bout de souffle. In diesem wie in seinen zahlreichen weiteren Filmen der nächsten Jahre irritierte Godard die Sehgewohnheiten mit Blicken und Ansprachen der Schauspieler in die Kamera, scheinbaren Anschlussfehlern und elliptischen Montagen, die die teils simplen Beziehungsgeschichten deutlich überlagerten. Zur gemeinsamen Wahrnehmung als Nouvelle Vague vereinten sie eher Hintergrund und Entstehungsgeschichte: Als Kritiker profiliert, geschult durch ausufernde Filmstudien, drängten nun junge Regisseure an den traditionellen Karrierewegen des französischen Films vorbei in die Kinoöffentlichkeit und versorgten diese, teils mit einfachsten finanziellen und technischen Mitteln, mit frischer und jünger wirkenden Stoffen. Zeitgenössisch wurde die Nouvelle Vague bisweilen großzügig auf einige Dutzend Regiedebütanten taxiert; aus der Riege der Cahiers du cinéma drehten nun auch Eric Rohmer, Jacques Doniol-Valcroze oder Jacques Rivette Filme, hinzugerechnet wurden aber auch Regisseure ohne Vergangenheit im Filmjournalismus wie etwa Louis Malle. Während vor allen die ersten Werke der Nouvelle Vague in Frankreich recht erfolgreich liefen und die gute internationale Resonanz dem Filmpatriotismus vieler einheimischer Kritiker schmeichelte, transportierte die Gruppe um die Positif die filmkritische Antipathie, die zwischen ihr und den Cahiers du cinéma gepflegt wurde, auf die Filme selbst und besprach sie zumeist vernichtend.166 Zum Beispiel erschien im Herbst 1959 der Abdruck eines Redaktionsgesprächs, in dem sich die Mitarbeiter demonstrativ unbeeindruckt über die filmischen Innovationen der Nouvelle Vague zeigten, die ja nur einen Abklatsch des Neorealismus darstelle.167 Eine Ausgabe zuvor nahm sich Michèle Firk die beiden ersten Filme Chabrols, Le beau Serge und Les cousins, vor. Der Jungregisseur zeige stilistisch nicht viel mehr als hochtrabende Ambitionen, seinen Idolen Hitchcock und Hawks nachzueifern: „prétention n’est pas oeuvre“.168 Weiter störte sich die Kritikerin an Szenen aus Les cousins, in denen die studentischen Protagonisten Parolen und Gesten des Nationalsozialismus imitieren – was sie für Verharmlosung, wenn nicht sogar für verkappte Sympathie der als rechtslastig angegriffenen „jeunes turcs“ hielt: „Goebbels, la Gestapo, le racisme, l’antisémitisme, toutes les formes de lâcheté, le mythe du surhomme et de l’esclave, Chabrol décrit avec tendresse un monde qu’il a l’air de bien connaître, mais au fait, que nous aussi connaissons bien … Jeune Nation, Nazisme, ça vous dit quelque chose?“169 Firk attackierte schließlich auch Georges 166 Vgl. Frémaux: L’Aventure, S. 28 f.; Marie: La nouvelle vague, S. 43; Neupert: French New Wave Cinema, S. 33 f.; Frisch: Mythos Nouvelle Vague, S. 35. 167 Vgl. Quoi de neuf?, in: Positif, Nr. 31, November 1959, S. 1–16. 168 Michèle Firk: Les Cousinets, in: Positif, Nr. 30, Juli 1959, S. 58–60, hier S. 59. 169 Ebd., S. 60.

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Sadoul, da dieser als prominenter linker Kritiker, für sie unverständlich, die Nouvelle Vague in seinen Texten anpries.170 Diese Polemiken auch gegenüber ihrer Regietätigkeit blieben Godard, Chabrol und Kollegen noch etliche Jahre erhalten. Für die Cahiers du cinéma hatte das Aufkommen der Nouvelle Vague erhebliche Konsequenzen und die Zeitschrift sollte sich im Verlauf der 1960er Jahre noch stark verändern. Nahezu zeitgleich mit dem Tod der wichtigen Gründerfigur André Bazin leerte sich die Redaktion weiter, da nun einige der bekanntesten Mitarbeiter mit ihren eigenen Filmprojekten beschäftigt waren und nur noch unregelmäßig Beiträge beisteuerten. Unter Eric Rohmers Leitung blieben die Cahiers einem ästhetisierenden, überzeitlichen Filmkunstbegriff verhaftet, wobei gleichzeitig toleriert wurde, dass aus dem Zirkel der „MacMahonisten“ selbst politisch fragwürdigste US-Importe gefeiert wurden. Die Zeitschrift fand zudem aufgrund der persönlichen Verbindungen zu ihren Schöpfern keinen eindeutigen, unbefangenen Zugang zu den Filmen der Nouvelle Vague. So türmten sich in ihrem Umfeld die Wünsche auf, näher auf aktuelle filmische Entwicklungen einzugehen und, beispielsweise im Falle des Algerienkriegs, nun doch kritisch zu gesellschaftlichen und politischen Themen Stellung zu beziehen. In einem „Putsch“ einer Gruppe um Jacques Rivette wurde Rohmer 1963 abgesetzt und nach einigen Jahren der Neuorientierung und weiteren Neubesetzungen mischten sich die jetzt maoistisch beeinflussten, „roten“ Cahiers aktiv in die filmischen und außerfilmischen Konflikte um 1968 ein.171 Politisch mittlerweile im gleichen Lager vereint, kam es zwischen den arg gewandelten Cahiers und der Positif aber weiter zu Differenzen um Nuancen der Ausrichtung und zu Sticheleien im Detail.172 Außerhalb des Ursprungslandes der Nouvelle Vague folgten viele linksgerichtete Kritiker der skeptischen, wenn nicht ablehnenden Haltung gegenüber diesen Filmen, die die Positif vorexerziert hatte. In der Filmkritik waren beispielsweise noch 1963 ein Brief des Kritikers José Francisco Aranda aus Spanien, der nebenbei „den Amoralismus und den Formalismus […], der viele der jungen Franzosen kennzeichnet“,173 aburteilte, und das folgende Verdikt des Briten Lindsay Anderson zu lesen: „Ihre Brillanz scheint sie zu Oberflächlichkeit und modischer Eleganz zu verführen. […] Trotz ihrer Verachtung für künstlerische Konventionen gelingt es ihren Filmen nicht, wirklich zu beunruhigen.“174 Besonders in Italien und Westdeutschland führte die Rezeption der Nouvelle Vague wie erwähnt zu erbitterten Grundsatzdiskussionen und zu tiefen Sinnkrisen in der linken Filmpresse, die im Folgenden noch in ihren länderspezifischen Verläufen nachgezeichnet werden – schließlich handelte es sich in Italien eher um einen Konflikt der Gruppe Aristarcos mit anderen linken Kritikerkreisen, während in der Bundesrepublik der Riss mitten durch die bis dahin einzig nennenswerte linke Filmzeitschrift gehen sollte. 170 Vgl. Firk: Sur la critique (Positif, Nr. 33, 1960), S. 11. 171 Vgl. Bickerton: Geschichte, S. 49–59 und 69–86. 172 Vgl. Frémaux: L’Aventure, S. 29 f. 173 José Francisco Aranda: Der Tod eines Ministers, in: Filmkritik, Nr. 6, 1963, S. 258–263, hier S. 261. 174 Lindsay Anderson: Das Einmalige und das Repräsentative, in: Filmkritik, Nr. 10, 1963, S. 451– 455, hier S. 451 f.

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International besehen vermengten sich in den Polemiken häufig die Wahrnehmung der filmkritischen Arbeit der „jeunes turcs“ und die ihres späteren Filmschaffens, es gab – besonders in Italien – wenig differenzierende Zwischenpositionen. Kritiker, die die Ansichten der Cahiers du cinéma nicht geteilt hatten, lehnten nun auch die Filme ihrer früheren Mitarbeiter ab. Umgekehrt folgte auf den Versuch, möglichst umfänglich die Schreibweisen und filmkritischen Maßstäbe dieses Flügels der französischen Filmpublizistik zu adaptieren, die bedingungslose Feier der Nouvelle Vague als das Nonplusultra des modernen Filmschaffens. Die Debatten hatten teils Züge eines Generationenkonflikts. Jüngere Nachrücker in der Filmkritik oder neu gegründete Zeitschriften in Italien zeigten sich empfänglicher für den eher formalistischen Zugang der Cahiers-Schule und auch in Großbritannien fühlten sich die Vertreter des engagierten, gesellschaftskritischen Filmideals herausgefordert, wie Penelope Houstons Reaktion auf ein studentisches Magazin in der Sight and Sound untermauerte: The gap between my own Oxford generation, the initiators of Sequence, and the present group of Oxford critics is only twelve years or so. But those of us who grew up during the war […] and whose attitudes to the cinema were being formulated at the time of the neo-realist experiment, of the general outburst of wartime and post-war realism, are not easily inclined to divorce art and morality or art and society in our minds. […] Criticism ought to be a perpetual questioning of values, a subjection of opinions and standards to pressure. And the weakness of the Cahiers du Cinéma school, both in its own country and among its exponents here, seems to be that it barely admits of experience which does not take place in the cinema. Its criticism too easily becomes shop talk for the initiated.175

Zum Entstehungs- und Rezeptionskontext der Cahiers du cinéma und der Nouvelle Vague gehörte nicht zuletzt auch die von Frankreich ausgehende intellektuelle Hochkonjunktur von Strukturalismus und Zeichentheorie.176 Jean-Luc Godard hatte zum Beispiel schon früh das entsprechende Vokabular, „[l]e signifiant et le signifié“, in eine seiner Hitchcock-Rezensionen eingebaut.177 In Westdeutschland spielte der Transfer dieser Konzepte Jahre später, wie sich zeigen wird, im Richtungsstreit der Filmkritik eine wichtige Rolle. In Italien entfaltete sich durch Übersetzungen zentraler Werke, durch Gastauftritte des französischen Filmtheoretikers Christian Metz oder durch die Beiträge von Umberto Eco und auch Pier Paolo Paso lini allmählich die Disziplin der Filmsemiotik.178 In der Cinema Nuovo zeichnete sich die kritische Haltung zur Nouvelle Vague sehr bald und deutlich ab. Giulio Cattivelli berichtete 1959 äußerst unbeeindruckt aus Cannes, von der Ausgabe des Festivals, die nicht nur durch Truffauts Debütfilm als früher Höhepunkt des jungen und modernen französischen Films gilt. Cattivelli bezog in seine Kritik an Gesellschaftsferne und Individualismus dieser Filme noch Alain Resnais’ ersten Spielfilm Hiroshima mon amour mit seinem „eccesso di fumisteria letteraria“ ein, obwohl dieser einen anderen Karriereweg genommen und 175 Houston: The critical question (Sight and Sound, Nr. 4, 1960), S. 164. 176 Zu diesem Zusammenhang vgl. etwa Neupert: French New Wave Cinema, S. 20–24. 177 Godard (Hans Lucas): Suprématie du sujet (Cahiers du cinéma, Nr. 10, 1952), S. 59. 178 Vgl. Brunetta: Storia, Bd. 4, S. 101–111; Boschi: La riflessione, S. 489–499; Anita Trivelli: Editoria cinematografica, in: De Vincenti (Hg.): Storia, S. 568–580, hier S. 571–574.

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keine engen Verbindungen zur Cahiers-Gruppe hatte.179 Guido Aristarco äußerte, wie Michèle Firk in der Positif, sein Unverständnis über den Enthusiasmus des Kommunisten Sadoul gegenüber der Nouvelle Vague.180 Reihum und in rascher Folge rezensierten nun seine jungen Redaktionskollegen deren wichtigste erste Erzeugnisse. Franco Valobra begann seine Besprechung von Truffauts Les quatre cent coups mit einer Generalkritik: ci si rende sempre piú conto di quanto vacua, inconsistente, priva di saldi princípi ideologici o anche morali, sia questa cosiddetta scuola. Nessuno dei film che abbiamo visto fino a oggi si salva da un vuoto che il gioco intellettualistico e formalistico delle belle immagini o dei dialoghi talvolta quasi ‚cantati‘ non riesce a nascondere.181

Der Film selbst behandle die Probleme des Jugendlichen Antoine in zu beschränkter Perspektive, die Handlungen der Protagonisten erschienen oft unbegründet. Guido Fink bemängelte neben anderen Aspekten den moralisierenden Schluss von Chabrols Les cousins182 und kurz darauf urteilte Ugo Finetti über Godard und sein Une femme est une femme: „È evidente che non si tratta piú di cinema della realtà, ma di una pseudorealtà. […] La vita dei personaggi è, come si è detto, un seguito di gags“.183 Die italienischen Kritiker brachten die neuen französischen Filme immer wieder in einen Zusammenhang mit der dortigen politischen Entwicklung und der Regierung Charles de Gaulles, die sie für gefährlich und autoritär hielten: ein abstrakter, rätselhafter Film wie L’année dernière à Marienbad von Alain Resnais symbolisiere die Resignation im Gaullismus, dem wiederum die „jeunes turcs“ viel zu unbekümmert und unbedarft gegenüberträten.184 Dabei wurde in der Cinema Nuovo kaum berücksichtigt und diskutiert, dass die französische Zensur auch in Godards Filmen kleinere Eingriffe vornahm und Le petit soldat, der auf den Algerienkrieg anspielte, zeitweilig komplett verbot,185 und so schrieb Lorenzo Pellizzari im gleichen Tenor über A bout de souffle: „Considerata anche superficialmente l’attuale situazione francese, la ‚rivolta‘ di Fino all’ultimo respiro è quindi poco piú di uno sberleffo, un atto di opaca e rinunciataria derisione.“186

179 Vgl. Giulio Cattivelli: Cannes, in: Cinema Nuovo, Nr. 139, Mai/Juni 1959, S. 238–241, Zitat S. 240. 180 Vgl. Anmerkung in Cinema Nuovo, Nr. 142, November/Dezember 1959, S. 519. 181 Franco Valobra: I 400 colpi (Les quatre cents coups), in: Cinema Nuovo, Nr. 141, September/ Oktober 1959, S. 457 f., hier S. 457. 182 Vgl. Guido Fink: I cugini (Les cousins), in: Cinema Nuovo, Nr. 151, Mai/Juni 1961, S. 240 f., hier S. 240. 183 Ugo Finetti: La donna è donna (Une femme est une femme), in: Cinema Nuovo, Nr. 154, November/Dezember 1961, S. 538 f., hier S. 539. 184 Vgl. Guido Aristarco: Senza passato né prospettive l’„oro“ di Marienbad, in: Cinema Nuovo, Nr. 153, September/Oktober 1961, S. 391–407; außerdem Renzo Renzis Bemerkungen in den Lettere al direttore, in: Cinema Nuovo, Nr. 143, Januar/Februar 1960, S. 3–6, hier S. 5. 185 Vgl. den Hinweis, allerdings abermals mit Kritik am Film selbst verbunden, bei Finetti: La donna (Cinema Nuovo, Nr. 154, 1961), S. 538. 186 Lorenzo Pellizzari: Fino all’ultimo respiro (A bout de souffle), in: Cinema Nuovo, Nr. 149, Januar/Februar 1961, S. 60 f., hier S. 61.

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Die stichprobenartige Untersuchung von Reaktionen der italienischen Tagesund Wochenpresse auf die wichtigsten frühen Filme der Nouvelle Vague ergibt fast naturgemäß ein vielfältiges und diffuses, von Film zu Film und Regisseur zu Regisseur im Detail schwankendes Meinungsbild, das an dieser Stelle zweckmäßigerweise nicht allzu ausführlich nachempfunden werden muss. Insgesamt jedoch zeigten sich viele italienische Kritiker aufgeschlossener und interessierter gegenüber diesen Werken und fanden Kriterien und Urteile der Cinema Nuovo nur wenig Übereinstimmung. Ihr kritischer Realismus stand, wie bereits häufiger illustriert, der Meinung der konservativen und katholisch geprägten Blätter unvereinbar gegenüber. Diese lehnten die Nouvelle Vague-Filme bisweilen zwar ebenso ab, allerdings aus einer ganz anderen Warte – auf der Grundlage der Wertungen des Centro Cattolico Cinematografico, die aus sittlich-moralischen Gründen zum Beispiel A bout de souffle und Les cousins für „escluso“ erklärten und Les quatre cent coups nur für „adulti“ gestatteten. Entsprechend hielt etwa L’Italia Godards Debüt seine „assoluta negatività morale […], tutto immerso in una soffocante atmosfera di noncuranza dei principi, di erotismo, di brutalità“ vor.187 Auf der anderen Seite stimmte die Cinema Nuovo nicht mit dem Lob überein, das die bürgerliche und liberale Filmkritik an die Nouvelle Vague verteilte und das sich beispielsweise in den Rezensionen ausdrückte, die Arturo Lanocita für den Corriere della sera und Leo Pestelli für La Stampa verfassten.188 Noch größerer Überschwang strömte aus den Filmseiten von La Notte, die Morando Morandini betreute. Dort war zu A bout de souffle zu lesen: „è un film che i nostri sceneggiatori, i nostri registi con istanze sociali dovrebbero vedere dieci volte. Per imparare come s’inventa un dialogo, come si guidano gli attori.“189 Selbst der sozialistische Avanti und die kommunistische Unità in Person des Kritikers Ugo Casiraghi äußerten sich positiv zu Filmen der Nouvelle Vague. Es deuteten sich ein Paradigmenwechsel und ein neuerlicher Prinzipienstreit in der Fachpresse und insbesondere der linken italienischen Filmkritik an. Dass Adelio Ferrero in der Cinema Nuovo Morandini für seine angebliche „critica del gusto“ schmähte, bezog sich ja insbesondere darauf, dass dieser die Kriterien und Präferenzen der Cahiers du cinéma oder der Arts unreflektiert in den italienischen Kontext übernehme.190 Auch die Zeitschrift Filmcritica sympathisierte mit der Nouvelle Vague und adaptierte filmkritisch und -theoretisch den Stil der Cahiers mit dem verstärkten Fokus auf die Filmsprache ausgewählter Regisseure.191 Hier setzten wiederum gerade junge Neuzugänge diese Akzente, etwa Adriano Aprà mit einem wohlwollenden Gruppenporträt der Autoren der Cahiers, in dem er deren abstrakte Schreibweisen und in Italien gewöhnungsbedürftigen Positionen erläuterte und verteidigte.192 Aprà schaltete sich zudem in die von Renzo Renzi für 187 L’Italia, 7. 10. 1960. 188 Vgl. die Rezensionen dieser Kritiker zu den genannten Filmen der Nouvelle Vague in der Cineteca di Bologna, Fondo Padre Nazareno Taddei, schede. 189 La Notte, 7. 10. 1960. 190 Vgl. Ferrero: Parossismo (Cinema Nuovo, Nr. 160, 1962), vor allen S. 428. 191 Vgl. Pellizzari: Il cinema pensato, S. 522; ders.: Le nuove forme, S. 555 f. 192 Vgl. Adriano Aprà: Il „gruppo“ Cahiers du cinéma 1951–1960, in: Filmcritica, Nr. 103–104, November/Dezember 1960, S. 758–765.

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die Cinema Nuovo ausgelöste Debatte um das Auftreten der jüngeren Kritikergeneration ein. Er kritisierte die Inhaltsfixierung zum Beispiel in Guido Aristarcos Gruppe und sprach sich, mit dem strukturalistischen Wortschatz der „significanti“ und „significati“ bewehrt, für eine „riaffermazione di un’analisi tecnico-linguistica“ aus. Diese bedeute eine Rückkehr des von den Realisten verdrängten Konzept des „specifico filmico“ und Aprà versprach sich davon filmische Neuentdeckungen: „È alla luce di una nuova concezione dello specifico filmico che vanno affrontato certe opere o certi autori troppo spesso trascurati se non addirittura dimenticati“; seine Aufzählung umfasste neben anderen gerade die für die Cinema Nuovo so provokanten, favorisierten Regisseure der „jeunes turcs“ – Hawks, Ray, Hitchcock und auch Rossellini.193 Innerhalb der italienischen Linken spitzte sich der Konflikt um die moderne Filmsprache und die filmkritische Methodik – abermals auch generationell bedingt – nicht zuletzt zwischen Vertretern der Cinema 60 wie Mino Argentieri und den kritischen Realisten der Cinema Nuovo zu. Die römischen Nachwuchskritiker verwiesen ebenfalls auf die geringe Auseinandersetzung mit dem „linguaggio“ der Filme und auf die Versteifung auf Georg Lukács’ Maximen in Aristarcos Kritikerzirkel. Es ging ihnen um die Nouvelle Vague, aber auch um aktuelle Werke von Michelangelo Antonioni oder Ingmar Bergman, wenn sie darüber hinaus der Cinema Nuovo vorwarfen, die Darstellung von Gefühlen und Stimmungen als Elemente der Gesellschaftskritik zu ignorieren und sich nur auf rationale Soziologie zu beschränken.194 Aristarco reklamierte für die Cinema Nuovo, den formalen, künstlerischen Wert der Filme Antonionis oder Bergmans durchaus zu würdigen, vermisste aber tatsächlich die über die resignative, individuelle Psychologie hinausgehenden Analysen und die konstruktive Gesellschaftskritik. Er fasste den Dissens mit der jüngeren Kritikerkonkurrenz zusammen: L’autentico motivo di dissenso tra noi e Cinema 60 (e altri gruppi) ci sembra dunque essere non sul piano del linguaggio ma su quello della lotta per una nuova cultura. È difficile comprendere come categorie psicologiche quali rabbia, disgusto, disperazione ed eccitamento, anche quando siano stati d’animo protestatari, possano rientrare nel quadro di un’opposizione all’ideologia borghese, o del neocapitalismo, dal momento che l’avanguardia, escludendo in genere ogni alternative, affermando cioè che nulla l’uomo può fare per cambiare il mondo, lo lascia appunto com’è: ed è quanto il neocapitalismo desidera.195

Der innerlinke Konflikt eskalierte bei einer Kritikerkonferenz in Porretta Terme im Herbst 1963. Neben anderen trug Guido Aristarco dort vor und forderte wie so oft, die „avanguardie“ wie die Nouvelle Vague nicht zu verabsolutieren und den kritischen Realismus nicht ad acta zu legen. Aus den leicht verschämten Rückblicken auf die Veranstaltung ist nicht herauszulesen, an welchem Punkt genau die Diskussion darüber ausartete, es kam jedoch zu Zwischenrufen, Beleidigungen und sogar

193 Zitate aus Giovani in rivolta (Cinema Nuovo, Nr. 156, 1962), S. 123 f. 194 Diese Vorwürfe der Gegenseite finden sich zum Beispiel gebündelt wiedergegeben bei Aristarco: Il Kaiser (Cinema Nuovo, Nr. 169, 1964), S. 169 f. 195 Ebd., S. 171.

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Handgemengen.196 Aristarco schrieb frustriert an Renzi über die „scorrettezze di gran parte dei congressisti nei miei riguardi“ und rätselte, welche Motive hinter dieser „Kampagne“ gegen ihn stecken könnten.197 Die Cinema Nuovo blieb jedenfalls bei ihrer häufig vorgetragenen Kritik, dass etwa die Nouvelle Vague nur ein verkürzter, weil einseitig formalistischer Rückgriff auf die russischen Filmavantgarden der 1920er Jahre sei,198 und leitete daraus wiederum ein eigenes Programm der sozial- und ideologiekritischen Analyse ab: In effetti il nostro sforzo era ed è teso a indagare ‚le basi ideologiche‘ dell’avanguardia, senza negarle cittadinanza artistica, ma demistificando la dicotomia fra tradizione e avanguardia stessa e mettendo in luce il nesso fra questa, nelle sue forme ideologicamente negative, e la decadenza.199

Für einige Jahre mieden sich die verbliebenen Realisten und die Filmlinguisten unter den italienischen Kritikern – Letztere versammelten sich beispielsweise in kurzlebigen Zeitschriften wie der Cinema & Film.200 Erst spät und zaghaft setzte sich die Cinema Nuovo auf ihren Seiten mit der Filmsemiotik auseinander201 und erst nachdem er um 1968 eine Reihe von politischen Protestfilmen drehte, fand auch Jean-Luc Godard Anerkennung in der Zeitschrift,202 die noch für Jahrzehnte, bis sie mit Aristarcos Tod 1996 eingestellt wurde, den kritischen Realismus propagierte. Auf die Mitarbeiter der Filmkritik übte die Nouvelle Vague Faszination durch ihren „Spirit“203 der Erneuerung eines in die Jahre gekommenen Filmwesens aus. Nicht nur die französische Entwicklung war den Kritikern ein mögliches Vorbild für die sehnsüchtig erwartete „neue Welle“ im stagnierenden westdeutschen Film um 1960. Als Modell galt ihnen zudem das britische Free Cinema, in dem sich auch Filmkritiker wie Gavin Lambert und Lindsay Anderson von der Sight and Sound über erste Schritte im Dokumentarfilm zu gesellschaftskritischen, realistischen Spielfilmen vortasteten.204 Die Filmkritik zeigte ebenso Sympathie für „das lebendige Zentrum der unabhängigen, hollywood-feindlichen Aktivitäten des ame-

196 Zum Vorlauf, Verlauf und Nachklang der Konferenz vgl. Lino Micciché: Uno scontro d’altri tempi. Critica e cinema oggi, in Italia (9–12 settembre 1963), in: Boarini/Bonfiglioli (Hg.): La mostra internazionale del cinema libero, S. 143–157. 197 Zitat aus Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 20. 9. 1963, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 9; vgl. zudem ders. an Renzo Renzi, Mailand, 5. 6. 1964 und 13. 6. 1964, ebd. 198 Vgl. Aristarco: Una storia italiana (Cinema Nuovo, Nr. 148, 1960), S. 523; Pellizzari: Fino all’ultimo respiro (Cinema Nuovo, Nr. 149, 1961), S. 60; Finetti: La donna (Cinema Nuovo, Nr. 154, 1961), S. 539. 199 Resa al labirinto (Cinema Nuovo, Nr. 182, 1966), S. 250. 200 Vgl. Micciché: Uno scontro, S. 152 f.; Boschi: La riflessione, S. 504 f.; Pellizzari: La critica, S. 473–475. 201 Vgl. Boschi: La riflessione, S. 495. 202 Vgl. Ferrero: Necessità di creare (Cinema Nuovo, Nr. 193, 1968), S. 172. 203 So nannte es im Nachhinein Kuhlbrodt: Eine klug genutzte Gelegenheit, S. 177. 204 Vgl. Helbig: Geschichte des britischen Films, S. 203–206; als Beispiel für den Blick der Filmkritik nach Großbritannien Dietrich Kuhlbrodt: Der Komödiant (The Entertainer), in: Filmkritik, Nr. 3, 1961, S. 166–168, hier S. 168.

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rikanischen Films“,205 das sich um die Film Culture der Brüder Mekas entwickelte. Im Frühjahr 1961 veröffentlichte die westdeutsche Zeitschrift beispielsweise einen forschen Artikel von Jonas Mekas über die anvisierte Revolution des US-Kinos aus dem Untergrund heraus206 und Ende des Jahres erfreute sich Theodor Kotulla in seiner Rezension an den realistischen Impulsen von John Cassavetes’ Shadows, abermals mit dem Blick für filmischen Erneuerungsbedarf jenseits und diesseits des Atlantiks: „Der offizielle amerikanische Film ist in einer Impotenz erstarrt wie vielleicht nur noch der deutsche.“207 Zur ansteigenden Krisendebatte über den Film der Bundesrepublik gehörte der frustrierte Abgleich mit dem jungen ausländischen Filmschaffen nicht nur in der Filmkritik dazu. Der Spiegel beklagte immer wieder die hoffnungslose Provinzialität und das Ausbleiben „neuer Wellen“ hierzulande; gleichzeitig spöttelten seine Autoren aber in bekannt ironischer Manier über die „dem modephilosophischen Jargon der Nachkriegsjahre angepaßte[…] Sprache“ und den „snobistischschrullige[n]“ Stil der Cahiers du cinéma und prognostizierten der Nouvelle Vague lediglich eine kurze Lebensdauer.208 Das filmforum setzte eindeutiger auf das französische Vorbild und auch Joe Hembus sah in seiner Abrechnug Der deutsche Film kann gar nicht besser sein den Ausweg aus der Misere darin, der üppigen Filmkultur und dem „auteur“-Konzept des Nachbarlandes nachzueifern.209 Wie in Italien ergab sich in der westdeutschen Filmpresse insgesamt ein an dieser Stelle kaum auf einen klaren Nenner zu bringendes Meinungsbild zu den ersten Importen der Nouvelle Vague. Die Stimmen schwankten zwischen der fast einhelligen Bewunderung für Les quatre cent coups und dessen „menschliche Bedeutsamkeit“ oder „Menschenliebe“210 oder für das „schöne“ „Kunstwerk“211 Les cousins einerseits und der Entrüstung über Freizügigkeit und Sittenverfall andererseits, die gerade A bout de souffle betraf und die diese Sätze aus der Nordsee-Zeitung auf den Punkt brachten: „Das Reiben zweier Körper erzeugt Hitze, aber noch nicht unbedingt Kunst. Das kann man wohl als Merksatz nehmen für die meisten Filme der sogenannten neuen Welle“.212 Der Kreis der Filmkritik machte sich bekanntlich weder das impressionistische Schwärmen für Filme noch die konservative Moralkritik 205 Enno Patalas: Der kleine Flüchtling (The Little Fugitive), in: Filmkritik, Nr. 5, 1960, S. 146– 149, hier S. 147. 206 Vgl. Jonas Mekas: Rebellen gegen Hollywood, in: Filmkritik, Nr. 4, 1961, S. 179–184. 207 Theodor Kotulla: Schatten (Shadows), in: Filmkritik, Nr. 12, 1961, S. 596–599, hier S. 599. 208 Vgl. Die Frühreifen, in: Der Spiegel, Nr. 7, 10. 2. 1960, S. 44–55, hier S. 45 f. und 55. 209 Vgl. Das Filmische muß neu entdeckt werden, in: filmforum 8 (1959), Nr. 9, S. 1; Hembus: Der deutsche Film, beispielsweise S. 36–46, 86 f. und 143–145. 210 Stellvertretende Zitate aus Die Zeit, 8. 1. 1960; Münstersche Zeitung, 13. 2. 1960. 211 Exemplarische Zitate aus Der Mittag, 20. 10. 1959; Berliner Morgenpost, 9. 12. 1959. 212 Nordsee-Zeitung, 14. 9. 1960 – in einer Rezension zu Hiroshima mon amour. Zu A bout de souffle vgl. ähnlich Donaukurier, 14. 7. 1960, oder dieses Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 6. 8. 1960: „Wir sind der jungen Leinwandverbrecher und ihrer Mischung aus Brutalität, Mozartmusik und Understatement-Pathos müde. Und gar so zeittypisch und ergreifend erscheinen uns die jungen Mädchen nicht, die in melancholischem Stolz die beachtliche Zahl ihrer Bettgenossen überschlagen. Die poetisierten Ueber- und Abtreibungen sind durch ihre Häufung zu unoriginell geworden, in ihrer Sicht zu begrenzt, substantiell zu mager, um uns als Kunstwerke voll überzeugen zu können.“

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zu eigen und nahm daher zunächst eine differenzierte, durchaus skeptische Position zu den Filmen der Nouvelle Vague selbst ein – ihre unkonventionelle Entstehungsgeschichte überzeugte sie eher als ihre Stile und Inhalte. Auffällig ist, dass die jungen westdeutschen Kritiker das junge französische Kino besonders anfangs sehr eng entlang der vorwiegend aus Italien adaptierten Prüfkriterien des Filmrealismus beurteilten. In ihren Rezensionen suchten sie förmlich nach realistischen Elementen der Nouvelle Vague – und fanden Realismus im Sinne von Authentizität, Wahrhaftigkeit, präziser Milieuschilderung und Beobachtungsgabe. „Alles macht den Eindruck unbedingter Gegenwärtigkeit. […] Wie man sich bewegt, wie man blickt, wie man artikuliert: das ist 1959, und zwar nicht, wie bei unseren Hoffmann, Vohrer usw., Schauspielschule von 1959, sondern Straße, Hörsaal, Büro, Kaffeehaus von 1959“,213 schrieb Enno Patalas über Les cousins und ähnliche Vorzüge hoben er oder Ulrich Gregor und Theodor Kotulla bei A bout de souffle hervor.214 Es fehle der Nouvelle Vague allerdings an der nächsten Entwicklungsstufe des kritischen Realismus, an der Verknüpfung der treffenden Details mit durchdringenderen Gesellschaftsanalysen. Patalas fragte, ob Truffaut über das abrupte Krisenerlebnis des Jugendlichen in Les quatre cent coups hinausgelangen und Konformismus und Eintönigkeit darstellen könne.215 Chabrol klassifizierte er mit dem einschlägigen Begriffspaar nach Lukács „eher als milieusicherer und sensibler Schilderer denn als Erzähler.“216 Zusammenfassend münzte er sein Fazit zu Godards Debütspielfilm auch auf dessen Regie- und Kritikerkollegen: ein Film der kleinen Ideen, dem ‚die Idee‘ fehlt. […] Wie ‚Les 400 coups‘ und ‚Les Cousins‘ ist ‚A bout de souffle‘ ein Film ohne Stil, der die Kenntnis aller Stile verrät, ein Film ohne Perspektive, der mit allen Perspektiven jongliert. […] Aber wie jene registriert auch er nur und interpretiert nicht, zeigt nur und entwickelt nicht. Die Wahl eines melodramatischen Rahmens ist hier wie bei Chabrol das sicherste Indiz der Unsicherheit.217

Durch seine aufwühlenden Dokumentarfilme wie Guernica oder Nuit et brouillard genoss Alain Resnais als Vertreter der Pariser „rive gauche“ bei der Filmkritik demgegenüber einen deutlichen Sympathievorschuss: Hiroshima mon amour galt als bahnbrechend modernes Meisterwerk, das eine private Liebesgeschichte eindrücklich mit der kollektiven Erinnerung an Kriegsgräuel verband und zudem, so Gregor, „ein filmisches Äquivalent zur Erzähltechnik des inneren Monologs“ entwickelte.218 213 Enno Patalas: Schrei wenn du kannst (Les Cousins), in: Filmkritik, Nr. 9, 1959, S. 241–244, hier S. 242 f. 214 Vgl. Enno Patalas: Außer Atem (A bout de souffle), in: Filmkritik, Nr. 6, 1960, S. 171–175, hier S. 174; Gregor: Fellini (Neue Deutsche Hefte, Nr. 74, 1960), S. 543 f.; Kotulla: Zum Gesellschaftsbild (Frankfurter Hefte, Nr. 6, 1962), S. 406. 215 Vgl. Enno Patalas: Sie küßten und sie schlugen ihn (Les quatre cents coups), in: Filmkritik, Nr. 10, 1959, S. 269–272, hier besonders S. 272. 216 Patalas: Schrei wenn du kannst (Filmkritik, Nr. 9, 1959), S. 243. 217 Patalas: Außer Atem (Filmkritik, Nr. 6, 1960), S. 175. 218 Ulrich Gregor: Hiroshima, mon amour, in: Neue Deutsche Hefte 7 (1960), Nr. 71, S. 275–278, hier S. 276; vgl. auch Ripkens/Stempel: Rien ne va plus (Filmkritik, Nr. 12, 1961), S. 566; Enno Patalas: Hiroshima, meine Liebe (Hiroshima, mon amour), in: Filmkritik, Nr. 4, 1960, S. 105–109; ders.: Ende und Anfang der Filmkunst, in: Frankfurter Hefte 15 (1960), Nr. 6, S. 427–432.

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Mit dem „Niemandsland“ in L’année dernière à Marienbad langweilte er die Kritiker jedoch.219 Mit den nachfolgenden Filmen der Regisseure der Nouvelle Vague drifteten die Meinungen in der Filmkritik allmählich auseinander. Ulrich Gregor kritisierte beispielsweise, analog zur Cinema Nuovo, Jean-Luc Godards „krampfhaft“ erfindungsreichen Une femme est une femme, der „eher in die Sackgasse des Manierismus, der filmischen Sekten-Bildung zu führen“ drohe.220 Weiter oben ist bereits angedeutet worden, wie sich im Kontrast dazu ein Teil der Redaktion um Enno Patalas und Frieda Grafe nach und nach vom „alleinseligmachenden Realismus“ löste.221 Patalas interpretierte mit wachsender Begeisterung die Zwischentitel und andere Stilmittel Godards als hoch aktuelle, filmische Umsetzung von Brechts Verfremdungsprinzip.222 Grafe störte sich bei Godards Vivre sa vie nicht mehr an der apolitischen Haltung, die dem Regisseur ständig vorgeworfen wurde, sondern interessierte sich hauptsächlich für die formale Gestaltung und hierbei dafür, wie er wörtliche und filmische Zitate neu miteinander kombinierte.223 Nachdem sich die filmkritischen Paradigmen über einige Jahrgänge der Zeitschrift hinweg eher unterschwellig und nur bei einigen Gruppen von Filmen aufgespalten hatten, thematisierte Wilfried Berghahn erstmals explizit die jüngsten Entwicklungen, als er Anfang 1964 die Serie „Zum Selbstverständnis“ der Filmkritik eröffnete. Im Anschluss an einige selbstkritische Rückblicke auf die Praxis der Gruppe in den 1950er Jahren und an die Anerkennung der Nouvelle Vague als belebendes Element des internationalen Films kam er auf seinen Kernpunkt: eine kritische Prüfung der Nouvelle Vague vor dem Hintergrund der Euphorie, die sie bei einigen seiner Redaktionskollegen ausgelöst hatte. Berghahn hielt etwa Godard und Chabrol nach nun mehreren Filmen für überschätzt und machte hier ein grundsätzliches Problem der Kritikerpraxis aus: ich meine, daß die Filmkritik sich in den letzten Jahren allzusehr von formalen Erfindungen hat bestechen lassen und die Prüfung der (auf gewiß neue und interessante Weise dargestellten) Inhalte zu kurz gekommen ist. […] Das könnte nicht nur dazu führen, daß den flinken Talenten, die nichts zu sagen haben, außer, daß sie entschlossen sind, es interessant zu sagen, allzuviel Kredit eingeräumt wird, sondern auch noch jene unterschätzt werden, denen eine unzweideutige Wahrheit auf den Nägeln brennt, die sie unzweideutig aussprechen müssen, zum Beispiel einige junge Italiener.224

219 Vgl. Ripkens/Stempel: Rien ne va plus (Filmkritik, Nr. 12, 1961), S. 566; Theodor Kotulla: Letztes Jahr in Marienbad (L’année dernière à Marienbad), in: Filmkritik, Nr. 11, 1961, S. 548– 552, hier S. 551. 220 Ulrich Gregor: Eine Frau ist eine Frau (Une femme est une femme), in: Filmkritik, Nr. 9, 1961, S. 440 f., hier S. 441. 221 Patalas: Die Krise des Films (Die Neue Rundschau, 1963), S. 121. 222 Vgl. ebd., S. 124; auch Enno Patalas: Die Dreigroschenoper, in: Filmkritik, Nr. 4, 1963, S. 178– 180, hier S. 178. 223 Vgl. Frieda Grafe: Die Geschichte der Nana S. (Vivre sa Vie), in: Filmkritik, Nr. 11, 1962, S. 511–516, hier S. 515 f. 224 Wilfried Berghahn: Zum Selbstverständnis der „Filmkritik“, in: Filmkritik, Nr. 1, 1964, S. 4–8, hier S. 8.

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Tatsächlich speiste ein Flügel der Filmkritik sein Filmverständnis weiterhin großenteils aus dem italienischen Kino, emanzipierte sich dabei allerdings zusehends vom in den 1960er Jahren immer enger gefassten kritischen Realismus der Cinema Nuovo unter Guido Aristarco. Michelangelo Antonioni leistete diesen Kritikern zufolge neben der „Absage an traditionelle Regeln filmischen Erzählens“ eben auch wertvolle Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und „des auf Restauration und Anpassung bedachten Bewußtseins“.225 Mit den jungen, unkonventionellen Realisten gingen die westdeutschen Rezensenten ebenfalls weniger streng ins Gericht als ihre italienischen Vorbilder, wie nicht nur die äußerst positiven Artikel Uwe Nettelbecks oder Reinold E. Thiels zu Ermanno Olmis Il posto zeigten.226 Da Wilfried Berghahn schon 1964 verstarb, wurde die Grundsatzdiskussion über das „Selbstverständnis“ der Filmkritik zunächst nicht explizit weitergeführt. Doch zwischen den Zeilen und in den einzelnen Filmbesprechungen brach sich die veränderte Denkweise der Gruppe um Patalas immer stärker Bahn und die filmkritischen Differenzen wuchsen sich nun zum viel beschriebenen Richtungsstreit in der Geschichte der Zeitschrift aus, der eine sogenannte „Politische Linke“ der sogenannten „Ästhetischen Linken“ gegenüberstellte.227 Das neue filmkritische Programm der „Ästhetischen Linken“ sprach in der Filmkritik besonders ab dem Jahrgang 1965 aus jedem Text, den Patalas, Grafe oder Helmut Färber und Herbert Linder zu den aktuellen Filmen Godards, Truffauts oder auch Agnès Vardas verfassten – eine kleine Auswahl zentraler Rezensionen dürfte daher an dieser Stelle ausreichen, um die Schwerpunkte dieser Kritikerfraktion zu veranschaulichen. Die „Ästhetische Linke“ verweigerte sich nicht der Kritik an der modernen kapitalistischen Gesellschaft, die die Filmkritik seit ihren Anfängen geprägt hatte, pflegte gegenüber dem kritischen Realismus mit seinem Anspruch der klaren Analysen und eindeutigen Positionierungen allerdings ein offenes, fragmentiertes, von subjektiver Wahrnehmung gefiltertes Verständnis der gesellschaftlichen Realität. Sie schätzte, wie Patalas in seiner Rezension zu Jean-Luc Godards Pierrot le fou, nun Filme, die durch den Verzicht auf klassische Erzählstrukturen diese selektive Wahrnehmung nachempfanden: Hier vollends gibt der Autor nicht mehr vor, einen kompletten Entwurf von Welt, eingefangen in den Definitionen eines Werks, zu präsentieren, sondern spiegelt sich das Fragmentarische

225 Vgl. stellvertretend für die Rezeption Antonionis das Porträt durch Gregor: Michelangelo Antonioni (Filmkritik, Nr. 2, 1961), die Zitate S. 83. 226 Vgl. Nettelbeck: Il Posto (Frankfurter Hefte, Nr. 10, 1964); Reinold E. Thiel: Der Job (Il Posto), in: Filmkritik, Nr. 11, 1964, S. 581–583; ebenso Ulrich Gregor: Trauen Sie Alfredo einen Mord zu? (L’Assassino), in: Filmkritik, Nr. 2, 1963, S. 83–86; Theodor Kotulla: Wer erschoß Salvatore G.? (Salvatore Giuliano), in: Filmkritik, Nr. 7, 1963, S. 337–340. 227 Vgl. die Rekonstruktion des Konflikts bei Lenssen: Der Streit; Irmbert Schenk: Politische Linke versus Ästhetische Linke; Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, S. 183–188. Diese Entwicklung zur Mitte des Jahrzehnts steht zudem im Mittelpunkt in Kessen: Ästhetische Linke und politische Linke, Kessen argumentiert allerdings recht einseitig gegen die „Apodiktik“ der „Politischen Linken“ – vgl. ebd., beispielsweise S. 71 und 139.

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und Vorläufige seiner wie jeder ehrlichen Erfahrung unserer Wirklichkeit in seiner Kunst, macht er sie dieser zum Gegenstand.228

Wenn die gesellschaftliche Realität so vermittelt und fragmentiert sei, sollten die Filme diese auch so widerspiegeln. Die „Ästhetische Linke“ bemühte dazu regelmäßig das Schlagwort vom „Metafilm“:229 Indem Filme oder Filmherstellung im Film selbst gezeigt werden, die Darstellung mit Ansprachen in die Kamera oder bewussten technischen Fehlern durchbrochen wird oder Zitate und Versatzstücke entgegen des linearen Handlungsverlaufs aneinander montiert werden, sollte ein unhinterfragter Filmkonsum vermeintlich eindeutiger Botschaften unterbunden werden. Die konkrete Abkehr vom Filmrealismus zeigte sich beispielsweise an diversen Stellen in Patalas’ Aufsatz über Les carabiniers, einen Kriegsfilm von Godard: Die ‚realistischen‘ Kriegsfilme huldigen dem Krieg, indem sie vorgeben, objektiv ihn abzubilden. Sie tun, als sei die Einstellung einer explodierenden Granate vergleichbar einer explodierenden Granate. Weniger, daß sie die explodierende Granate zeigen, ist ihnen zum Vorwurf zu machen, als vielmehr, daß sie nicht zeigen, daß sie nur zeigen, wie die Granate explodiert.230

Gerade mit der Aktivierung des medienbewussten, selbstständigen Zuschauers befasste sich auch ein äußerst umfangreicher Artikel Herbert Linders, wiederum über Godard. Linder sah den „Zustand des gesteigerten Wachseins“ des Publikums, den Godard durch seine Regietechnik ermöglicht habe: Godard sieht, daß Inhalte nicht losgelöst von ihrer Darstellung vorhanden sind, und außerhalb des Aktes ihrer Aufnahme. Dies ist der Sinn seiner dauernden Allusionen an Darstellungsund Aufnahmeweisen des Films, die weit mehr als Späße unter Eingeweihten sind. In ihnen erforscht er das Medium, in dem er arbeitet, zeigt es, probiert es aus oder bringt es einfach ins Bewußtsein, sich und seinen Zuschauern.231

Das neue Filmverständnis der „Ästhetischen Linken“ war erkennbar vom auch in den Cahiers du cinéma kultivierten Strukturalismus232 und der aufkommenden Filmsemiotik beeinflusst.233 Nach den Mustern eines Teils der französischen Filmpublizistik und Filmtheorie wurden nicht nur die Werke der Nouvelle Vague selbst rezipiert. Auch die „Ästhetische Linke“ entdeckte Howard Hawks jenseits 228 Enno Patalas: Elf Uhr nachts (Pierrot le Fou), in: Filmkritik, Nr. 2, 1966, S. 83–85, hier S. 83; vgl. auch Frieda Grafe: Die Außenseiterbande (Bande à part), in: Filmkritik, Nr. 2, 1965, S. 79 f., hier S. 80. 229 Vgl. Grafe: Außenseiterbande (Filmkritik, Nr. 2, 1965), S. 80; Helmut Färber: Die Verachtung (Le Mépris), in: Filmkritik, Nr. 3, 1965, S. 141–143, hier S. 143. 230 Enno Patalas: Godards Film vom Kriege, in: Filmkritik, Nr. 5, 1965, S. 259–262, hier S. 261. 231 Herbert Linder: Godard – Instinkt und Reflexion, in: Filmkritik, Nr. 3, 1966, S. 125–138, hier S. 132 f.; zum „aktiven“ Zuschauer vgl. zudem Grafe: Außenseiterbande (Filmkritik, Nr. 2, 1965), S. 80; dies.: Alain Resnais’ praktische Filme, in: Filmkritik, Nr. 6, 1966, S. 343–353, hier S. 353. 232 Vgl. Bickerton: Geschichte, S. 59–61. 233 Patalas etwa formulierte zu La peau douce von François Truffaut noch ein wenig ungelenk: „Nicht Gegenstände erfaßt die Kamera, sondern Lichtimpulse in der Form von Zeichen; derart erfaßt sie diese, daß sie nicht mehr als mit sich identisch erscheinen, sondern als Bilder ihrer selbst. Jede Einstellung ist das Zeichen eines Zeichens.“ – ders.: Die süße Haut (La Peau douce), in: Filmkritik, Nr. 2, 1965, S. 81 f., hier S. 82.

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von linker Kulturkritik neu234 und nahm die beispielweise in Italien und Frankreich diskutierte Renaissance der russischen Formalisten der 1920er Jahre auf,235 die, so Enno Patalas, mit ihrer „Auffassung von Kunst, die deren Aufgabe darin sieht, nicht die Realität wiederzugeben, sondern ihre Wahrnehmung zu aktivieren“, aktueller denn je seien.236 Die veränderten Maßstäbe und Kriterien betrafen ebenso das junge italienische Kino237 oder die ersten größeren Erfolge der „Oberhausener“, wie die Besprechung von Alexander Kluges Abschied von gestern verdeutlichte: Deutschland ist in diesem Film gegenwärtig in Gesichtern, Landschaften, Musik, Sprache, Häusern, gegenwärtig nicht als eine abgeschlossene Vorstellung, sondern als eine Realität, die mit hundert ungeschliffenen Kanten und Spitzen hineinragt in den Film, der sie erst sichtbar macht. Der Film breitet vor dem Zuschauer keine Landkarte aus, er schickt ihn auf eine Entdeckungsreise.238

Zu den filmkritischen Pflöcken, die dieser Teil der Redaktion nun nahezu permanent einschlug, gehörten ferner Spitzen gegen die Verfechter der traditionellen Ideologiekritik und des kritischen Realismus, die in der Filmkritik ja auch noch schrieben. Patalas bezeichnete Il posto von Ermanno Olmi als „altmodisch“, kritisierte die „höhere […] Warte des Aufgeklärten, wie das die lukácsianisch-neorealistische Doktrin verlangt“ als abgehoben und überkommen und fragte anlässlich von Pierrot le fou: Muß man immer noch betonen, daß Godards formale Verfahrensweisen alles andere sind als eitle Spielerei? Als solche können sie nur einem Betrachter erscheinen, der es nicht gelernt hat, Formen mit Inhalten zusammenzusehen, der sich angewöhnt hat, nur über diese zu urteilen und jene nur zu genießen.239

Die „Politische Linke“ in der Zeitschrift um Ulrich Gregor und Theodor Kotulla nutzte in diesen Jahren zunächst besonders die Rubrik „Diskussion“, um Widerspruch gegen die in ihren Augen unzulässige, naive Überhöhung der Filmexperimente Godards oder Vardas zu erheben. Varda arbeitete beispielsweise in Le bonheur mit der Bildsprache und mit Zitaten aus der Reklame und der Massenpresse. Dass ihr die „Ästhetische Linke“ dies als ironische Kritik an Konsum und Populärkultur auslegte, konnte Gregor nicht nachvollziehen – vielmehr hatte er den Eindruck, Varda reflektiere die Versprechen der Werbung nicht ausreichend, da sie 234 Vgl. Enno Patalas: Leoparden küßt man nicht (Bringing Up Baby), in: Filmkritik, Nr. 4, 1966, S. 209 f., hier S. 209; ders.: Aktualität der Formalisten, in: Filmkritik, Nr. 10, 1966, S. 583–586, hier S. 586; Herbert Linder: Rote Linie 7000 (Red Line 7000), in: Filmkritik, Nr. 10, 1966, S. 570 f., hier S. 570. 235 Für Italien vgl. die Ausführungen oben in diesem Kapitel; für Frankreich vgl. Sylvia Harvey: May ’68 and Film Culture, London 1980. 236 Patalas: Aktualität der Formalisten (Filmkritik, Nr. 10, 1966), S. 584. 237 Vgl. beispielsweise Frieda Grafe: La Commare secca (La Commare secca), in: Filmkritik, Nr. 6, 1966, S. 332–334. 238 Enno Patalas: Abschied von gestern (Anita G.), in: Filmkritik, Nr. 11, 1966, S. 623–625, hier S. 625. 239 Patalas: Elf Uhr nachts (Filmkritik, Nr. 2, 1966), S. 85; die vorherigen Zitate aus Diskussion, in: Filmkritik, Nr. 12, 1964, S. 652; Enno Patalas: Mamma Roma (Mamma Roma), in: Filmkritik, Nr. 9, 1966, S. 510–512, hier S. 512.

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ihnen selbst aufgesessen sei.240 Für Irritationen sorgte der Paradigmenwechsel einiger Mitarbeiter darüber hinaus offensichtlich unter den Lesern der Filmkritik; Patalas als hauptverantwortlicher Redakteur scheute sich aber nicht, regelmäßig äußerst kritische Leserbriefe im Tenor der folgenden Auszüge abzudrucken: Herr Patalas ist besonders erfolgreich darin, seinen persönlichen (aber keineswegs guten) Stil Ihrer Zeitschrift zu oktroyieren. […] Bis Ende 1964 gab es in der Person Wilfried Berghahns ein Gegengewicht durch dessen (wenigstens teilweise) ernsthafte, sachlichere, einfach bessere Kritiken; […] Also bleibt denn ein Kritikerensemble unter der Regie von Patalas bestehen, das weiterhin überheblich, unsachlich, oft platt, oft tendenziös ‚kritisiert‘. Ich möchte mit Wirkung vom 1. Januar 1966 die Filmkritik abbestellen, da ich Patalens formalistisch-rechtsorientierte Position nicht mehr länger akzeptiere, das Godard-Geschwätz nicht ertrage und es leid bin, immer noch auf eine theoretische Begründung des Positionswechsels zu warten.241

Die nicht nur von diesem Leser vermisste, dezidierte Grundsatzdebatte setzte im Juli 1966 endlich ein, als Enno Patalas sein „Plädoyer“ für die „Ästhetische Linke“ in der Zeitschrift veröffentlichte, aus dem weiter oben bereits zitiert worden ist, dass angesichts der Nouvelle Vague „die Forderung nach einer ästhetischen Methode der Filmkritik unabweisbar geworden“ sei.242 Patalas blickte in seinem Beitrag auf das bisherige Wirken der Filmkritik zurück und bemängelte, dass fast durchgehend die Untersuchung der „sozialen und politischen Leitbilder“ den Vorrang vor der Analyse der ebenfalls im allerersten Editorial genannten „ästhetischen Strukturen und Bauformen“ gehabt habe und die althergebrachte Methodik der Zeitschrift erstarrt sei.243 Erneut versprach er sich von der „Ästhetischen Linken“ die Abkehr von vorgefertigten und aufgestülpten Ansichten in den Filmen und ihren Interpretationen, stattdessen die ergebnisoffenere Schärfung des Blicks für die Entstehung und die Stilmittel von Filmen – in Patalas’ Worten aus der zentralen Passage des „Plädoyers“: Eine solchermaßen ästhetisch engagierte Kritik hat nicht so sehr die fertigen Ideen des Werkes in ihre Sprache zu übersetzen und auch nicht die in ihm angelegten Bedeutungen auszuformulieren, sondern den Blick des Betrachters freizulegen von fermentierten Auffassungen, die ihm den Zugang verstellen, und durch Vertiefung in die Struktur des Werkes seinen objektiven Gehalt zu erkennen und zu aktivieren – oder lahmzulegen, je nach der erkannten Richtung. Indem die ästhetische Kritik nicht so sehr den ablösbaren Bedeutungen nachspürt als den Regeln, nach denen neue Bedeutungen ausgelöst werden, und den Richtungen, die diese nehmen, indem sie nicht so sehr daran interessiert ist, jene Bedeutungen zu formulieren, als vielmehr daran, den Prozeß zu aktivieren, der zu neuen Bedeutungen führt, ist sie auch politisch jenen voraus, die im Film Bestätigungen für ihre politischen und sonstigen Einsichten, und seien es die progressivsten, suchen. Sie will das Bewußtsein des Lesers nicht auf den ‚Stand‘ des eigenen bringen, sondern den Prozeß der Bewußtseinsbildung beleben.244

240 Vgl. Diskussion, in: Filmkritik, Nr. 1, 1966, S. 33–38, hier S. 33–35. 241 Aus den Leserbriefseiten in Filmkritik, Nr. 7, 1965, S. 419, und Filmkritik, Nr. 11, 1965, S. 659. 242 Patalas: Plädoyer für die Ästhetische Linke (Filmkritik, Nr. 7, 1966), S. 406. 243 Vgl. ebd., überwiegend S. 404–406. 244 Ebd., S. 407.

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Ein Vierteljahr später antwortete in der damit wiederbelebten Reihe zum „Selbstverständnis“ der Filmkritik zunächst Ulrich Gregor auf Patalas’ „Plädoyer“. Er teilte keineswegs die Ansicht, dass in den zurückliegenden Jahrgängen der Zeitschrift die Form der Filme, wenn überhaupt, nur vom Inhalt losgelöst und ihm untergeordnet erörtert worden sei. Ihr Zusammenspiel sei durchaus, etwa anhand der Meisterwerke des Neorealismus, erkannt und erläutert worden. Dies vorausgeschoben, warnte Gregor nun davor, die Nouvelle Vague pauschal zu überschätzen und die soziale Bedingtheit ihrer wie aller Kunst zu vernachlässigen: Solche neuen Ausdrucksformen können die Kritik in dem, was sie fordert, wofür sie sich einsetzt, nicht unbeeinflußt lassen. Jedoch bringen sie keinen Bankrott früherer Erkenntnisse mit sich. Zu diesen Erkenntnissen gehört etwa die Einsicht über den Zusammenhang von Kunst und Gesellschaft, dem nachzufragen auch in einer Kritik über einen Nouvelle Vague Film nicht verboten sein sollte; dazu gehört die aus dieser Einsicht entwickelte ideologiekritische Methode, die auch heute noch mit Erfolg auf viele Filme angewendet werden kann.245

Gregor hatte dies selbst Mitte 1966 vorgeführt – und dabei den gleichen Ansatz verfolgt, die Nouvelle Vague einer soziologischen Filmanalyse zu unterziehen, der auch in der Cinema Nuovo als Antwort auf diese Filmschule postuliert wurde.246 In seinem Diskussionbeitrag zu Godards Pierrot le fou hatte er neben anderen Aspekten ideologiekritisch Eskapismus, Irrationalismus und ein „passiv-vegetatives Frauenideal“ bei Godard aufgespürt.247 Frieda Grafe äußerte sich in derselben Ausgabe wie Ulrich Gregor zum „Selbstverständnis“ der Filmkritik, wobei sie abermals die erstarrte Herangehensweise der „Politischen Linken“ kritisierte und forderte, die Kritik müsse sich gerade sprachlich an das moderne Filmschaffen annähern und von der engen Verwandtschaft zur Literaturkritik lösen.248 Anschließend antwortete mit Theodor Kotulla wieder ein Skeptiker der „Ästhetischen Linken“. Er rekonstruierte die jüngste Entwicklung der Filmkritik und brachte die neue Kritikerschule – erstmals ausdrücklich in der Zeitschrift – mit der Entdeckung und Adaption des französischen Strukturalismus zusammen.249 Dieser habe der gesamten deutschen Filmpublizistik, konzedierte Kotulla, interessante „neue Aspekte erschlossen“, doch gleichzeitig wiederholte er Gregors Vorwurf der „bedenklichen ideologiekritischen Askese“ der „Ästhetischen Linken“.250 Kotulla unterstellte ihr, sich so sehr auf die komplexe Machart zum Beispiel der Filme Godards zu konzentrieren, dass sie hier ideologische Facetten für vernachlässigbar hielt. Er schloss mit einem eigenen Plädoyer, einer reflektierten Verteidigung der klassischen Ideologiekritik: Wir sind allesamt irgendwo Ideologen, Produzierer und Nachbeter von Ideologie. […] Worauf es ankommt, ist: sich dessen ununterbrochen bewußt zu sein. […] Wenn die ‚Ästhetische Linke‘ glaubt, hier weniger gefährdet zu sein als die andere filmkritische Linke, ergibt sie 245 Diskussion: Zum Selbstverständnis der Filmkritik, in: Filmkritik, Nr. 10, 1966, S. 587–589, hier S. 588. 246 Vgl. Resa al labirinto (Cinema Nuovo, Nr. 182, 1966), S. 250. 247 Vgl. Diskussion, in: Filmkritik, Nr. 6, 1966, S. 336–338, hier S. 337 f. 248 Vgl. Diskussion: Zum Selbstverständnis der Filmkritik (Filmkritik, Nr. 10, 1966), S. 588 f. 249 Vgl. Kotulla: Zum Selbstverständnis der Filmkritik (Filmkritik, Nr. 12, 1966), S. 707. 250 Ebd., S. 708.

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sich einem gefährlich verschleierten Blick auf die Dinge um uns, auf den Film sowohl als auf die gesamte übrige Realität. Man könnte aus den Filmen Godards (sowie aus den Texten der ‚Ästhetischen Linken‘) mehr an Ideologie herauspräparieren als diese sich träumen läßt. Schließlich hat man das ja, als ‚soziologischer‘ Kritiker, jahrelang geübt; in der Filmkritik jetzt ein Jahrzehnt genau. Und ich meine, es ist an der Zeit, daß dies geschehe.251

Die Debatte in der Zeitschrift selbst klang mit letzten Beiträgen 1967 allmählich aus, als Helmut Färber und Herbert Linder die „Ästhetische Linke“ in teils sehr scharfen Formulierungen verteidigten und Dietrich Kuhlbrodt versuchte, zwischen den beiden Kritikerkonzepten zu vermitteln.252 Beide Denkschulen existierten noch einige Jahre in der gemeinsamen Redaktion nebeneinander her. Weiterhin schrieben Leser an die Zeitschrift: „bei ihnen in der redaktion laufen entsetzlich versnobte leute rum, zum beispiel herbert linder […]; leben sie wohl, seien sie froh, daß es leute wie ulrich gregor um sie herum gibt; und einiges für ungut.“253 Von der zwischenzeitlichen Konkurrenz der Filmkritik im Segment der westdeutschen Filmzeitschriften unterstützte das Filmstudio mit spitzen Formulierungen die „Politische Linke“ gegen die „Ästhetische Linke“, zumal dort schon zuvor der Assoziation von Brecht und Godard wenig abgewonnen worden war.254 Die film reagierte eher unbeeindruckt und verständnislos auf die Dichotomie, die sich im Richtungsstreit der Filmkritik aufgetan hatte.255 Die Verwerfungen dieses Richtungsstreits waren auf Dauer nicht mehr zu beheben, der Konflikt äußerte sich immer wieder in den verschiedensten Bereichen. Theodor Kotulla stellte 1968 seinen ersten eigenen Spielfilm, Bis zum Happy-End, fertig. Der sozialkritische Film missfiel Enno Patalas und seinen Mitstreitern der „Ästhetischen Linken“ mit ihrem veränderten Blick nun völlig. Aus einem Brief Frieda Grafes ist die Verbitterung herauszulesen, die mittlerweile in der Kritikergruppe herrschte: Der Film ist allerdings so geworden, daß Kracauer sich im Grab herumdrehen könnte: besserwisserische Pseudo-Soziologie, mit völlig toten Bildern. Es gibt eine ganze Clique in der Filmkritik, die dieses Machwerk nun über Seiten feiern möchte, daß der Enno schon geneigt ist, die Redaktion der Seiten einfach abzugeben. Das Schisma in der Zeitschrift, das seit langem da war – und an dem viele mir die Schuld geben –, ist jetzt nicht mehr zu überdecken.256

Bald darauf erklärten Gregor und Kotulla, und mit ihnen neben weiteren Mitarbeitern Heinz Ungureit, Martin Ripkens und Hans Stempel, beim Festival in Oberhausen ihren Ausstieg aus der Filmkritik.257 Es rückten einmal mehr neue, jüngere Autoren nach, darunter der spätere Regisseur Wim Wenders. In der Filmkritik kam die Schule der „Münchner Sensibilisten“ auf, die das „Kritiker-Ich“ kultivierte, das 251 Ebd., S. 709. 252 Vgl. Diskussion: Zum Selbstverständnis der Filmkritik, in: Filmkritik, Nr. 4, 1967, S. 226–234. 253 Leserbriefseite in Filmkritik, Nr. 10, 1967, S. 598. 254 Vgl. Schütte/Vöbel: Abschied von gestern (Filmstudio, Nr. 51, 1966); Dietlind Reck: Brecht und Godard, in: Filmstudio, Nr. 46, 1. 5. 1965, S. 19–21. 255 Vgl. Ernst Wendt: Eine Kritik ist eine Kritik ist eine Kritik. Zur Diskussion um ästhetische Linke und linke Ästhetik – und zum eigenen Selbstverständnis, in: film, Nr. 1, 1967, S. 1 und 4. 256 Frieda Grafe an Josef von Sternberg, München, 17. 10. 1968, Deutsche Kinemathek, Berlin, Enno Patalas-Archiv, 4.3–09/01 Patalas. 257 Vgl. die zeitnahe Entgegnung von Enno Patalas: Profil und Profit, in: Filmkritik, Nr. 6, 1969, S. 353–355. Auch Witte: Die Augen, S. 93.

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heißt, in sehr persönlich und subjektiv gehaltenen Texten ihre Erfahrungen beim Filmbesuch beschrieb, ohne in gewohntem Ausmaß formale Aspekte oder gesellschaftliche Implikationen der Werke zu diskutieren. Gleichzeitig wurde Patalas’ Position in der Zeitschrift im Zuge der Umwandlung in eine Kooperative geschwächt und nach nur wenigen Jahren verließ auch er die Filmkritik.258 In wechselnder Ausrichtung und Besetzung und mit allmählich sinkender Bedeutung existierte sie noch bis 1984 fort. Wie in Italien hatte das Aufkommen der französischen Nouvelle Vague in der Filmkultur Westdeutschlands einen einschneidenden Effekt, den der immensen theoretischen und praktischen Herausforderung ihres linken Flügels. Durch einen Kulturtransfer – die Aneignung filmischer und filmkritischer Prinzipien aus dem Nachbarland – entstand eine letztlich spaltende Diskussionsdynamik in der Zeitschrift, die sich zum wichtigsten Fachmagazin der Bundesrepublik aufgeschwungen hatte. Das Festhalten der Nouvelle Vague als international wahrgenommenes Phänomen, das in den verschiedenen nationalen Beispielen dieser Studie nachgezeichnet worden ist, ist an diesem Punkt relevanter als ein Urteil darüber, welche Seite im Richtungsstreit der Filmkritik im Recht lag beziehungsweise diese Auseinandersetzung als Sieger beendet hat. Beide Fraktionen trieb dieser Impuls von außen und der Dissens über seine Verwertung zu anspruchsvollen Stellungnahmen, in denen die westdeutsche Filmkultur in einem weiteren Schritt zum Niveau ihrer europäischen Nachbarn aufschloss und wichtige Fragen der modernen Kulturtheorie zumindest in Ansätzen streifte. In einem letzten Abschnitt dieses Kapitels, das sich mit der transnationalen Dimension der linken europäischen Filmkultur der ersten Jahrzehnte nach 1945 befasst, wird sich der Fokus nun noch einmal von der Ebene der Rezeption und des eher abstrakten Austauschs verlagern auf die Untersuchung der praktischen Möglichkeiten und Bedingungen von internationalen filmkritischen Transfers und Verflechtungen. 6.4 PLATTFORMEN UND FORMEN FILMKRITISCHER VERFLECHTUNG Die grundierende Erzählung des gesamten Großkapitels und damit auch dieses Unterabschnitts ist das allmähliche Hereinwachsen – oder, im Sinne der Untersuchungsanlage: die allmähliche Verflechtung – der Publizistengruppe um die Filmkritik in ein internationales Netzwerk mehr oder weniger linksgerichteter Filmkritiker und sonstiger Filmexperten oder Filmschaffenden. Ihre facettenreiche inhaltliche Annäherung an die Vorbilder zum Beispiel aus den nahe gelegenen westeuropäischen Staaten ist nicht zuletzt in den vorangegangenen Abschnitten gründlich anhand der Lektüren und Filmstudien, der Referenzen und Adaptionen seitens der 258 Vgl. Witte: Die Augen, S. 93 f.; Brandlmeier: Filmtheorie und Kinokultur, S. 56; Schenk: Politische Linke versus Ästhetische Linke, S. 65–68. Bisweilen ist diese Entwicklung der Filmkritik als Parallele oder Exempel für das Auseinanderdriften der 1968er Bewegung in der Bundesrepublik gedeutet worden – vgl. Bliersbach: So grün, S. 31; Brandlmeier: Filmtheorie und Kinokultur, S. 55.

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Filmkritik ausgeleuchtet worden. Nun soll es um die praktischen Wege gehen, auf denen transnationale Verflechtung erreicht werden konnte und wurde, bevor die konkreten Ausprägungen filmkritischer Verflechtungen und Netzwerke vorgestellt werden. Einige Wege der ersten und vorsichtigen internationalen Fühlungnahme sind hier wiederholt beschrieben oder zumindest angedeutet worden – wie etwa das Auslandsstudium einiger Filmkritik-Autoren. Auch der Kontakt, den Ulrich Gregor später zu einem kritischen Ostberliner Gesprächskreis pflegte, rührte hier her: In Paris hatte er französische Studenten mit Verbindungen in die DDR und zum von dort geförderten Centre Henri Heine kennengelernt, die ihn an die entsprechenden Berliner Adressen vermittelten.259 Ebenso ist der Einfluss der internationalen Gäste der Filmclubtreffen der frühen 1950er Jahre auf Enno Patalas und seine Kommilitonen aus Münster geschildert worden. Gerade Chris Marker wurde Patalas dort bald zum Freund und Vorbild oder, wie er es rückblickend ausdrückte, zum „arbiter elegantiarum“. Marker lud Patalas zu einem Studententreffen nach Paris ein und machte ihn dort schon 1950 mit Alain Resnais bekannt;260 als der Kritiker und Regisseur selbst für die Positif aus Bad Ems berichtete, formulierte er seine Diagnose der westdeutschen Filmkrise ausdrücklich „au nom surtout de l’existence d’une génération de jeunes cinéastes et de jeunes critiques qui respirent le même air que nous“ – womit die späteren Gründer der Filmkritik gemeint gewesen sein dürften.261 Als naheliegende Plattform für Austausch und Verflechtung in der internationalen Filmkultur sind demnach die größeren und kleineren Filmfestivals anzusehen. In der Tat bestätigt sich diese Annahme beispielsweise anhand einer Randbemerkung aus dem Briefwechsel, den Enno Patalas mit seinem filmkritischen Mentor Siegfried Kracauer unterhielt. Hier ist herauszulesen, dass der aufstrebende Filmkritiker spätestens 1955 beim Festival in Locarno erstmals persönlich mit Guido Aristarco von der Cinema Nuovo zusammentraf.262 Obwohl sich noch etliche Forschungslücken auftun, ist es an dieser Stelle der Studie nicht zweckmäßig, die Geschichte der wichtigsten internationalen Filmfestivals ausführlich zu rekonstruieren. Stets mit Blick auf die Haltung und Rolle der vorgestellten Kritikergruppen um die Filmkritik oder die Cinema Nuovo ist es aber erhellend, im Folgenden zumindest in groben Zügen die Charakteristika und besonders die Debattengeschichten einiger bekannter und einflussreicher Festivals der 1950er und 1960er Jahre nachzuzeichnen. Diese Skizzen halten die Fragen präsent, inwieweit sich die einzelnen Festivals als Austauschplattformen der Filmkultur und Filmkritik im Allgemeinen eigneten und wie sie im Besonderen von deren linken Flügeln eingeschätzt und genutzt wurden. Eine insgesamt ambivalente Position vieler kritischer Publizisten zu den internationalen Filmfestivals kann bereits vorweggenommen werden. Gerade der Kreis um die Filmkritik war dringend auf diese Anlaufpunkte angewiesen, um die filmkulturellen Defizite in der Bundesrepublik auszugleichen und Kontakte zu knüpfen. 259 Aus dem Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 260 Vgl. Patalas: Schluchsee, S. 65. 261 Marker: Adieu au cinéma allemand (Positif, Nr. 12, 1954), S. 67. 262 Vgl. Enno Patalas an Siegfried Kracauer, Münster, 4. 2. 1956, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005955.

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In der gewohnt nonkonformistischen Haltung waren diese Gruppe und ihre Pendants aus anderen Ländern allerdings stets zu scharfer Kritik und Opposition zu den Veranstaltungen bereit. Denn die prominenten Filmfestivals der ersten Nachkriegsjahrzehnte boten durchaus Angriffsflächen und Diskussionsstoff; sie befanden sich durchweg in einem Spannungsfeld aus nationalen Empfindlichkeiten und Eingriffen, der oben bereits in diesen Zusammenhang eingeführten Systemkonkurrenz des Kalten Krieges, Kontroversen um die Modalitäten der Einladungen oder der Wettbewerbe, und der Konkurrenz, die die Festivals untereinander um die attraktivsten Gäste und Filme austrugen. Zur Veranschaulichung solcher Spannungsverhältnisse dienen einige Schlaglichter auf die Entwicklung und Diskussionen insbesondere in den Ländern, die im Mittelpunkt dieser Studie stehen – auf die Berlinale und die venezianische Mostra, ergänzt durch Fallbeispiele aus dem Kontext des dritten der noch heute wichtigsten Festivals, demjenigen von Cannes. Relevant für den internationalen Kritikeraustausch erwiesen sich weitere Festivals, die zumindest noch knapp einbezogen werden: die Filmschau der neutralen Schweiz in Locarno und schließlich die osteuropäischen Festivals in Moskau, Karlovy Vary oder Leipzig. 6.4.1 Festivals Die Berlinale entstand 1951 als durchaus politisch gemeinter Akzent in einem der symbolischen Brennpunkte des Kalten Kriegs.263 Lange Zeit prägte das Schlagwort vom „Schaufenster der freien Welt“ die offizielle Rhetorik des Festivals. Bei dessen erster Ausgabe meldete sich der Westberliner Bürgermeister Ernst Reuter in seinem Grußwort von der „Insel der Freiheit und Unabhängigkeit“264 und auch einer seiner Nachfolger, Willy Brandt, unterstrich in seinen Wortbeiträgen stets die Prinzipien des freien kulturellen Austauschs und die Zugehörigkeit zu Westdeutschland.265 Zumeist stimmten die Ambitionen der Bundespolitiker einerseits und des lokalen Senats und des langjährigen Festspielleiters Alfred Bauer andererseits problemlos überein: Ein hochklassiges Festival mit möglichst breiter internationaler Beteiligung sollte die beste Werbung für die Bundesrepublik und ihre Exklave sein. Die Berlinale hatte in den 1950er Jahren, in denen etliche neue Filmfestivals gegründet wurden, zunächst Mühe, den prestigeträchtigen A-Status zu erlangen und rang nun jährlich um die interessantesten Beiträge aus den prominenten Filmländern.266 Daneben setzte ihre Leitung eben darauf, eine Vielzahl eher unbekannter Filmnationen, insbesondere unter den noch jungen Staaten, zu rekrutieren – wie die 263 Vgl. Marijke de Valck: Film Festivals. From European Geopolitics to Global Cinephilia, Amsterdam 2007, S. 45–62. 264 Zitiert nach Deutsche Kinemathek, Berlin, Berlinale-Archiv, WB 1951, IFB-Programm, Nr. 1, S. 3. 265 Vgl. etwa Erklärungen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Willy Brandt, zur politischen Situation Berlins anläßlich eines Empfangs der zu den Filmfestspielen in Berlin anwesenden internationalen Presse, ebd., WB 1959 1/3, Schlussbericht, S. 68 f. 266 Vgl. Jacobsen: Berlinale, zum Beispiel S. 71 und 73–75. Zur Veranschaulichung auch Alfred Bauer an Franz Rowas, Auswärtiges Amt, Berlin, 8. 11. 1957, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/461.

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oben thematisierte, konsequente Ausblendung des osteuropäischen Films geschah dies unter den Vorzeichen der Blockkonfrontation und in stetem Austausch mit der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik. Die Diplomaten vor Ort übermittelten im Vorfeld hinter den Kulissen regelmäßig Nominierungsvorschläge, woraufhin das Auswärtige Amt versuchte, auf die Einladungspraxis des Westberliner Festivals Einfluss zu nehmen. 1962 gelang es etwa der westdeutschen Botschaft in Jakarta, noch sehr kurzfristig einen indonesischen Kriegsfilm im Programm der Berlinale unterzubringen – mit einem telegraphisch festgehaltenen Nebeneffekt: „Offizielle indonesische Beteiligung Karlsbad unterbleibt nach ständigem Drängen Informationsreferent jetzt völlig.“267 Weitere Schreiben zweier Auslandsvertretungen aus den frühen 1960er Jahren zeigen, dass die geopolitischen Hintergedanken zur Berlinale gleichermaßen auf Nordeuropa und Südasien angewendet wurden. Der Stockholmer Botschafter berichtete zufrieden: Dr. Idestam-Almquist, der auch von den Oststaaten sehr umworben wird, hat durch seine Deutschlandreise einen umfassenden Einblick in das deutsche Filmschaffen erhalten, den Beitrag der Berliner Filmfestspiele zur Schaffung besserer Filme anerkannt und für die besondere Lage der Stadt Berlin großes Verständnis gezeigt.268

Ähnliches versprach sich die Botschaft in Neu-Delhi von der Einladung eines indischen Politikers für die Festspiele von 1963: Sham Nath ist ein typischer Vertreter der Kongreßpartei, der zwar innenpolitisch wohl auf festem Boden steht, außenpolitisch aber schwankt und es mit niemanden verderben will. Auf der anderen Seite ist er nicht böswillig und auch empfänglich für Eindrücke, die ihn in unserem Sinne beeinflussen können.269

Um ihre zehnte Ausgabe herum hatten sich die Berliner Filmfestspiele formal endgültig unter die großen internationalen Festivals eingereiht, als einer der wichtigsten Filmhandelsplätze im Spieljahr etabliert und lockten nun stets zumindest einige prominente Namen des ausländischen Filmschaffens an. Die Sichtweisen in der deutschen Presse hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits eingependelt. Die durch einige strenge Stimmen differenzierte Zustimmung in den Zeitungen Westdeutschlands gehörte ebenso dazu wie die gelegentliche Entrüstung über Teenager auf Autogrammjagd und freizügige Starlets, die lokalpatriotische Begeisterung der Westberliner Presse blieb ebenso konstant wie die begleitende Polemik aus der DDR; 1960 unterstrich zum Beispiel die Berliner Morgenpost die „geachtete Position“ der Berlinale, die Der Tag politisch korrekt einordnete: So wird die Berlinale von vielen, die sie Jahr für Jahr besuchen und sie unterstützen, als eindrucksvolle Demonstration für die Freiheit verstanden – und so sollte sie auch von jenen verstanden werden, die immer noch Tränen darüber vergießen, daß die Sowjetunion und ihre Satelliten nicht eingeladen werden.

267 Botschaft Jakarta (Djakarta) an das Auswärtige Amt, 8. 6. 1962, ebd., B 95/777. 268 Hans-Ulrich von Marchtaler an das Auswärtige Amt, Stockholm, 19. 7. 1960, ebd., B 95/690. 269 Botschaft Neu-Delhi an das Auswärtige Amt, 30. 5. 1962, ebd., B 95/777. In den überlieferten Unterlagen des Auswärtigen Amts finden sich noch etliche derartige Erörterungen, beispielsweise über mögliche Gäste aus Ägypten, Tunesien oder dem Irak.

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Knapp zwei Wochen später bilanzierte hingegen Der Morgen aus dem Ostteil der Stadt, dass die „Frontstadt Westberlin […] wieder einmal ihre Filmfestspiele von der traurigen Gestalt gehabt“ habe und blickte bereits freudig auf das kommende Festival von Karlovy Vary, denn dort „werden echte Filmfestspiele veranstaltet, dort geht es wirklich um die Filmkunst, um die Verständigung aller Völker und aller gutgesinnten Menschen dieser Welt.“270 In der Filmkritik gehörten Festivalberichte erst ab der gründlichen Umgestaltung 1961 zum festen Programm, doch es wurde bereits früher deutlich, dass ihre Autoren mit der Ausrichtung und der Atmosphäre der Berlinale fremdelten.271 Für die Neuen Deutschen Hefte verfasste Ulrich Gregor 1958 eine kurze Analyse des gesamten internationalen Festivalbetriebs, die auch schon viele Kritikpunkte der Gruppe an der Berliner Veranstaltung aus den Folgejahren beinhaltete. Insgesamt leide die Qualität der Festivals daran, dass es mittlerweile schlicht zu viele von ihnen gebe und ohnehin kaum mehr erwähnenswerte – das hieß für Gregor: gesellschaftskritische – Filme gedreht und dort präsentiert würden. Bei fast allen Festspielen hätten kommerzielle Interessen und die damit zusammenhängende Fixierung auf Stars und gesellschaftliche Anlässe die Überhand gegenüber der konzentrierten und kompetenten Diskussion von Filmkunst gewonnen.272 Diesen Vorwurf münzte der Kritiker besonders auf die Berlinale, die die Entwicklung stark vorangetrieben habe und bei der er mit dem Bemühen um eine offizielle Akkreditierung als Vertreter der Filmfachpresse gescheitert war: So werden beispielsweise auf den Berliner Filmfestspielen bedeutende Summen für den Besuch prominenter Stars und Persönlichkeiten ausgegeben – sogar die Mannequin-Begleiterin von Curd Jürgens war zu Kost und Logis nach Berlin eingeladen! –, während man die Journalisten nach der Auflagenhöhe der von ihnen vertretenen Zeitungen ‚einstuft‘, wobei die Reporter der Boulevardpresse und der Illustrierten naturgemäß an der Spitze der Wichtigkeitsskala stehen, indes man die Kritiker der unabhängigen – und daher auflagenschwächeren! – Kulturpresse (und sogar der Filmzeitschriften!) als ungebetene Eindringlinge betrachtet.273

Von dieser zugeteilten und bisweilen auch selbst gewählten Randposition aus begutachteten die Autoren der Zeitschrift die Berlinale gerade in den 1960er Jahren immer kritischer. Gregor in der Filmkritik und Heinz Ungureit in der Frankfurter Rundschau attackierten die nationalistischen und revanchistischen Zwischenrufe bei einem niederländischen Film, die 1961 weitgehend unwidersprochen und unkommentiert blieben,274 bemängelt wurden die krampfhafte Ausweitung der Teilnehmerländer und weiterhin die Abwesenheit des Ostblocks,275 und allmählich wurden beispielsweise Enno Patalas’ Beiträge zu blankem Spott – da sich die 270 Zitate aus Berliner Morgenpost, 7. 7. 1960; Der Tag, 24. 6. 1960; Der Morgen, 10. 7. 1960. 271 Vgl. zum Beispiel Gregor: Berlinale 1957 (Filmkritik, Nr. 8, 1957). 272 Vgl. Ulrich Gregor: Misere der Filmfestivals, in: Neue Deutsche Hefte 5 (1958), Nr. 50, S. 573–576, hier besonders S. 574 f. 273 Ebd., S. 576; dies berichtete Gregor auch im Zeitzeugengespräch. 274 Vgl. Gregor: Antideutsche Welle (Filmkritik, Nr. 8, 1961); Frankfurter Rundschau, 5. 7. 1961. 275 Vgl. Ulrich Gregor: „Berlinale“ zwischen Politik und Rummel, in: Filmkritik, Nr. 8, 1961, S. 382–384; hier S. 382; ders. / Reinold E. Thiel: Messe vor der Mauer, in: Filmkritik, Nr. 7, 1962, S. 291–296, hier S. 291 f.

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Branchenpresse über die negative Resonanz der Berlinale beschwert hatte, könne sie doch in das Bourtanger Moor verlegt werden, um die „Miesmacher und Kritikaster“ loszuwerden.276 Nicht nur in den Augen der Filmkritik-Autoren reihte sich mittlerweile eine misslungene und altmodische Berlinale an die andere, da der Auswahlmodus und die Veranstaltungsformen die aktuellen Trends im internationalen Filmschaffen nicht mehr erfassten.277 Doch erst nach den beschriebenen Tumulten von 1968 und 1970 modernisierten sich die Berliner Filmfestspiele unter aktiver Mitarbeit Ulrich Gregors und Anderer im Internationalen Forum des jungen Films. Bei den anspruchsvollen, kritischen Zeitschriftenredaktionen des europäischen Auslands, die hier porträtiert worden sind, hatte die Berlinale einen ähnlich schweren Stand wie bei der Filmkritik. Stellvertretend auch für die Haltung der Cinema Nuovo oder der Positif fasste David Robinson 1958 in der Sight and Sound das Hauptproblem der Berliner Festspiele aus Sicht gerade der linksgerichteten Kritiker zusammen: „For a festival which only represented one half of the world, the selection was not bad; but Berlin will continue to be the lame runner among the international festivals until it can overcome its political discriminations.“278 Die fehlende „autolimitazione“ der Festivalleitung bei der Einladungspraxis in anderen Weltregionen als Osteuropa führte zum Beispiel bei den Korrespondenten der Cinema Nuovo oder der Cahiers du cinéma zu Verdruss und Langeweile angesichts der filmisch wenig interessanten Rundreisen „[d]alla Grecia ad Hong Kong, e poi alla Norvegia e all’Argentina“.279 In anderen Texten zur Berlinale kamen deutlich herbere Vorbehalte zur Sprache – etwa, als die Cinema Nuovo postulierte, von „una Germania che fu nazista, che del nazismo è nostalgica“, könnten ohnehin weder filmische noch sonstige Innovationen ausgehen,280 oder als Jean Douchet von den Cahiers das Festivalumfeld anprangerte: „Tandis que Furstendamstrasse est bien l’endroit le plus laid et le plus triste du monde. A l’image de la ville moderne que l’on a reconstruite sur les ruines de l’ancienne.“281 Diese Geringschätzung der Berlinale komplettiert die geschilderte schwache Reputation, die das westdeutsche Filmwesen insbesondere in der linken internationalen Filmkultur dieser Jahre hatte. Als Konsequenz schied die Berliner Veranstaltung als Treffpunkt der Gruppe um die Filmkritik mit ihren filmkritischen und gesellschaftskritischen Vorbildern lange Zeit aus: Sie selbst agierte dort nur am Rande und erschien erst spät auf den offiziellen Gästelisten, und die genannten ausländischen Publikationen schickten nur selten prominente Vertreter. Ein Jahr nach seiner zitierten Kritik amüsierte sich Douchet, dass er in der Folge nicht mehr akkreditiert worden sei und sich so immerhin den „cauchemar de cette ville fantôme“ 276 Vgl. Enno Patalas: Das Ei des Kolumbus, in: Filmkritik, Nr. 9, 1964, S. 497. 277 Vgl. Jacobsen: Berlinale, neben anderen S. 99 und 114 f. 278 David Robinson: The festivals. Berlin, in: Sight and Sound, Nr. 6, Herbst 1958, S. 287 f., hier S. 288. 279 Zitate aus Fossati: 140 chilometri (Cinema Nuovo, Nr. 111, 1957), S. 40; ders.: I fratelli di Maddalena, in: Cinema Nuovo, Nr. 40, 1. 8. 1954, S. 71 f., hier S. 71. Vgl. zudem Gli altri festival, in: Cinema Nuovo, Nr. 147, September/Oktober 1960, S. 442 f., hier S. 442; Jean Douchet: Festivals. Berlin, in: Cahiers du cinéma, Nr. 110, August 1960, S. 48–51, hier S. 49. 280 Premi e festival, in: Cinema Nuovo, Nr. 111, 15. 7. 1957, S. 37. 281 Douchet: Festivals. Berlin (Cahiers du cinéma, Nr. 110, 1960), S. 48.

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erspart habe.282 Jedes Jahr reisten selbstverständlich und unabhängig davon zahlreiche internationale Filmkritiker und sonstige Journalisten zu den Festspielen nach Westberlin; die Übersichten der formal registrierten Teilnehmer zeigen aber, dass gerade unter den Stammgästen ein Übergewicht auf den Vertretern namhafter, etablierter und zumeist eher konservativer Publikationen lag. Kritische Cineasten wie Luigi Chiarini, Fernaldo Di Giammatteo oder Marcel Martin von der französischen cinéma fanden sich nur sporadisch auf den Listen, regelmäßig kamen dagegen christdemokratisch geprägte Publizisten wie Alberto Pesce und Gian Luigi Rondi aus Italien oder Charles Ford aus Frankreich, zudem Guglielmo Biraghi vom Messaggero, Jean de Baroncelli von Le Monde, France Roche von France-soir und Harold Myers vom US-amerikanischen Branchenblatt Variety.283 Die alljährliche Mostra von Venedig genoss gerade in den 1950er Jahren ungleich größere Anerkennung. Schon 1932 begründet, galt sie als altehrwürdig und als Ort konzentrierter, strenger Anschauung von Filmkunst, an dem bereits früh Retrospektiven zusammengestellt wurden, während Cannes und Berlin eher als Umschlagplätze der Filmindustrie wahrgenommen wurden und gerade ersteres Festival betont glamouröse und spektakuläre Bilder produzierte.284 Die Geschicke der Mostra prägten in diesen Jahren als Leiter wechselnde Vertreter der unterschiedlichen konservativen beziehungsweise christdemokratischen Strömungen,285 besonders Antonio Petrucci, bis 1953, und Floris Luigi Ammannati, von 1956 bis 1959. Wie andernorts gab es in Venedig stets Diskussionen um die Auswahl der Teilnehmerländer und Filme – die Frage der Beteiligung Osteuropas ist oben wie für die Berlinale bereits skizziert worden –, ebenso um die Preisentscheidungen der Jurys. Nachdem die Praxis der „scatola chiusa“, bei der die Filmauswahl ohne Bedingungen den Entsendeländern überlassen wurde, zum Beispiel 1954 für Kritik am Programm gesorgt hatte,286 erntete einer der nachfolgenden Festivalleiter für seine „formula Ammannati“ überwiegend Zustimmung, da er die Einladungen einer eigenen venezianischen Auswahlkommission übertrug.287 Die Kritiker von der Cinema Nuovo schätzten die Mostra allein aus lokalpatriotischen Gründen als um ein Vielfaches relevanter und niveauvoller als etwa die Berlinale ein, verfolgten das Festival aber schon seit der Ära Petrucci mit der für sie charakteristischen kritischen Distanz.288 Ihre regelmäßigen Polemiken galten hauptsächlich den engen Verbindungen zwischen der DC-Regierung in Rom und 282 Petit Journal du Cinéma, in: Cahiers du cinéma, Nr. 122, August 1961, S. 44–46, hier S. 45. 283 Die jährlichen Gästelisten finden sich in den Schluss- beziehungsweise Informationsberichten der Festivalleitung in der Deutschen Kinemathek, Berlin, Berlinale-Archiv. 284 Vgl. Jungen: Hollywood in Cannes, S. 102 f.; Vanessa R. Schwartz: It’s So French! Hollywood, Paris, and the Making of Cosmopolitan Film Culture, Chicago/London 2007, S. 96 f. Zur Charakterisierung der Festivals auch Cannes 1957, in: Filmkritik, Nr. 6, 1957, S. 81 f., hier S. 81. 285 Vgl. die Erinnerungen von Paulon: La Dogaressa contestata, S. 78–104. 286 Vgl. etwa Il Mattino, 9. 9. 1954. 287 Vgl. die Pressestimmen zum Beispiel des Jahres 1958 im Archivio Storico delle Arti Contemporanee, Venedig, Ritagli Stampa. 288 Aristarco nannte Petrucci in frühen Briefen an Renzi bereits einen „maleducato“ und „imbecille“ – vgl. Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 16. 2. 1951 und 27. 2. 1951, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 1.

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der Festivaladministration sowie den künstlerischen Folgen daraus. Tatsächlich nutzte Giulio Andreotti in seiner Zeit als „sottosegretario dello spettacolo“ die Mostra gerne als Bühne der politischen Profilierung und besetzte Schlüsselposten mit christdemokratischen Vertrauten. So war ein langjähriger katholischer Antagonist der Cinema Nuovo, Gian Luigi Rondi, häufig in den Kommissionen oder Jurys von Venedig vertreten.289 Das Festival wartete aus Sicht der verschiedenen Autoren der Zeitschrift lediglich passiv auf die Direktiven aus der Hauptstadt und fügte sich dem „regime clericale“.290 Immer wieder mahnte die Gruppe die rechtzeitige, transparente und ausgewogene Besetzung der Jury an.291 Da aber allzu viele fachfremde, konformistische Bürokraten und Politiker über die bedeutsamen Preise des Festivals entschieden,292 kam es immer wieder zu für die Cinema Nuovo empörenden Resultaten wie 1954, als Luchino Viscontis Senso verschmäht wurde.293 Linke Kritiker fühlten sich von der konstruktiven Mitwirkung an den Festspielen ausgeschlossen, es gebe „alcuni critici (tra i quali in primo piano tu e Aristarco) che non sono mai scelti per Venezia“, schrieb Ugo Casiraghi von der kommunistischen Unità an Renzo Renzi.294 Nicht nur aus Sicht der linken Filmpresse geriet die Mostra in eine schwere Krise, als für ihre Ausgabe von 1960 der bisherige, respektierte Leiter Ammannati durch Emilio Lonero, einen kaum bekannten und unerfahrenen Funktionär des Centro Cattolico Cinematografico, ersetzt wurde.295 Callisto Cosulich nannte die überraschende Entscheidung einen „[c]olpo di mano“ des zuständigen Ministers Tupini;296 die Festivalberichterstattung seiner Redaktionskollegen und auch vieler sonstiger Kritiker geriet zum völligen Verriss. Lonero wurden die misslungene Programmgestaltung gerade der Retrospektive und sonstigen Nebenreihen und dazu etliche organisatorische Defizite angelastet. Zum Abschluss sorgte zudem die offizielle Preisverleihung für einen Eklat mit wütenden Protesten des Publikums, als Le passage du Rhin, ein seichter und versöhnlicher Film, den Goldenen Löwen des Festivals gewann und wiederum Visconti, in diesem Jahr mit Rocco e i suoi fratelli, ausgestochen wurde.297 Für Lonero blieb es bei diesem einjährigen Vorsitz 289 Vgl. Pisu: Stalin a Venezia, S. 188–190 und 249. 290 Vgl. Chiarini: Anche le mostre (Cinema Nuovo, Nr. 17, 1953); Giovan Battista Cavallaro: Festival della burocrazia, in: Cinema Nuovo, Nr. 19, 15. 9. 1953, S. 178. 291 Vgl. Venezia maggiorenne, in: Cinema Nuovo, Nr. 17, 15. 8. 1953, S. 103; auch Venezia esperti e giuria, in: Cinema Nuovo, Nr. 5, 15. 2. 1953, S. 103. 292 Zur Kritik an den Jurys vgl. auch Chiaretti: Lo smoking (Cinema Nuovo, Nr. 19, 1953), S. 180; Chiarini: I falsi leoni (Cinema Nuovo, Nr. 65, 1955), S. 131. 293 Für die Proteste dagegen vgl. etwa Aristarco: I leoni fischiati (Cinema Nuovo, Nr. 43, 1954), S. 167; Chiarini: I falsi leoni (Cinema Nuovo, Nr. 65, 1955), S. 132. 294 Ugo Casiraghi an Renzo Renzi, Mailand, 8. 8. 1960, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Epistolario, Casiraghi, Ugo; dieser Vorwurf der Nichtberücksichtigung auch bei Cavallaro: Festival della burocrazia (Cinema Nuovo, Nr. 19, 1953). 295 Zu Loneros kurzer Amtszeit vgl. Paulon: La Dogaressa contestata, S. 105–107; Brunetta: Storia, Bd. 4, S. 44. 296 Callisto Cosulich: Al di là di Lonero, in: Cinema Nuovo, Nr. 144, März/April 1960, S. 104 f., hier S. 104. 297 Vgl. Cinema Nuovo, Nr. 147, September/Oktober 1960, S. 400; Giulio Cattivelli: Non valeva neppure una Messa, in: Cinema Nuovo, Nr. 147, September/Oktober 1960, S. 417–419; Be-

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der Mostra und nach zwei ruhigeren Jahren des Übergangs unter dem Filmjournalisten Domenico Meccoli298 übernahm Luigi Chiarini die Leitung. Er setzte noch stärker auf Unabhängigkeit und die Expertise von kritischen Cineasten – Guido Aristarco war mehrmals an der Jury oder der Filmauswahl beteiligt und die Cinema Nuovo unterstützte Chiarini in seinem Ringen mit der Filmindustrie und der lokalen Tourismuslobby, bis es allerdings zum oben geschilderten Bruch im chaotischen Festivaljahr 1968 kam. Ungeachtet der zahlreichen Konflikte und Eingriffe in der Geschichte der Mostra war für die Filmkritik auch in Bezug auf die Durchführung eines Filmfestivals das Vorbild in dieser Phase ein italienisches. Schon die Vorabselektion im Sinne der „formula Ammannati“ hatte Ulrich Gregor in seinem Festivalüberblick lobend hervorgehoben.299 In den Folgejahren blieben die Auswahlkriterien oder Sonderreihen Venedigs attraktiv, das italienische Modell war ein „Festival mit Grundsätzen“ oder ein „Festival (fast) comme il faut“300 und als besonders beispielhaft auch für die Berlinale galt 1964 die Einbindung von Aristarco und weiteren Filmkritikern, dieweil „Schauspieler und andere Repräsentationsfiguren“ nicht mehr in der Jury vertreten seien.301 Die auswärtigen Kulturpolitiker der Bundesrepublik Deutschland agierten im Vorfeld der Festivals von Venedig und auch Cannes ähnlich nervös wie hinter den Kulissen der Berlinale, stets in Sorge um das internationale Ansehen des Landes und seine angemessene filmische Repräsentation. Vielfach hatten die Festivalsatzungen Klauseln, die die Teilnehmerländer davor bewahren sollten, in den Beiträgen attackiert oder verunglimpft zu werden, und gerade in den 1950er Jahren nutzten die verschiedenen Delegationen diese Passus häufiger, um unliebsame Eindrücke von der internationalen Bühne zu entfernen. In Venedig sorgte 1955 die US-Botschafterin in Italien, Clare Booth Luce, für Aufruhr, als sie die Absetzung von Blackboard Jungle von Richard Brooks erzwang, der Gewalt und Disziplinlosigkeit in einer amerikanischen Schule thematisierte.302 In Cannes war besonders die Ausgabe von 1956 turbulent, als etliche Nationen, aus Ost und West, um den Rückzug von Filmen baten oder gebeten wurden.303 Aus den Jahren 1956, 1958 und 1959 in Cannes und Venedig illustrieren im Folgenden drei Beispielfilme die Stoßrichtungen, Denkweisen und Kontroversen um die westdeutsche Kulturpolitik, und dass diese Festspiele zu Recht nicht nur als unbefangene Austauschplattform von Cineasten und Filmhändlern, sondern auch als Schauplatz kulturdiplomatischer Auseinandersetzungen angesehen wurden: Der historischen Kontextualisierung richte zu den Tumulten in Edmund Luft: Venedig in der Krise, in: Filmwoche / Der neue Film, Nr. 38, 17. 9. 1960, S. 6; Nackedei im Walde, in: Der Spiegel, Nr. 46, 9. 11. 1960, S. 85–89. 298 Vgl. Paulon: La Dogaressa contestata, S. 107–110. Das Urteil der Cinema Nuovo klang bereits 1961 deutlich versöhnlicher, vgl. Giulio Cattivelli: Una Mostra interlocutoria e distensiva, in: Cinema Nuovo, Nr. 153, September/Oktober 1961, S. 426–429. 299 Vgl. Gregor: Misere der Filmfestivals (Neue Deutsche Hefte, Nr. 50, 1958), S. 576. 300 Vgl. Ulrich Gregor: Festival mit Grundsätzen, in: Filmkritik, Nr. 10, 1961, S. 477–480; Enno Patalas: Ein Festival (fast) comme il faut, in: Filmkritik, Nr. 10, 1963, S. 459–464. 301 Kleine Anregung für die Berlinale!, in: Filmkritik, Nr. 5, 1964, S. 273. 302 Vgl. Paulon: La Dogaressa contestata, S. 80 und 97. 303 Vgl. Latil: Le Festival de Cannes, S. 121–130.

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von Nuit et brouillard von Alain Resnais, Rolf Thieles Das Mädchen Rosemarie und Sterne von Konrad Wolf, die bereits an verschiedenen Stellen erfolgt ist, wird in diesem Atemzug eine weitere Dimension hinzugefügt. 1956 war die Bundesrepublik in Cannes sowohl unter den sanktionierten als auch unter den protestierenden Filmnationen. Sie war einerseits vom Festival gebeten worden, nicht mit Helmut Käutners Himmel ohne Sterne und dem heiklen Thema der deutschen Teilung anzutreten, und versuchte andererseits, die Vorführung der Dokumentation Nuit et brouillard über die Konzentrationslager zu verhindern.304 Verärgert darüber, dass Käutners Film schließlich nicht und Resnais’ Film doch lief, reiste die westdeutsche Delegation vom Festival ab. Dieses Manöver, das maßgeblich auf das Auswärtige Amt zurückzuführen war, entwickelte sich in der internationalen und nationalen Wahrnehmung zum Fehlschlag. Es stieß in Frankreich auf Unverständnis, Empörung oder Spott, dass sich die Vertreter der Bundesrepublik von einer solch differenzierten Dokumentation, „qui prend toujours le légitime soin de distinguer les nazis en tant que tels et les Allemands“, belastet und angegriffen sahen.305 Auch die Mehrzahl der westdeutschen Journalisten beurteilte das diplomatische Einschreiten sehr kritisch.306 Die Filmkritik gab es 1956 noch nicht und ihre späteren Mitarbeiter waren in diesem Jahr nicht zur Berichterstattung in Cannes, retrospektiv stuften sie die Vorgänge aber wiederholt als „skandalös“ oder „unbegreiflich“ und „ungeheuerlich“ ein.307 In dieser überwiegend kritischen Stimmung hatte die Bundesregierung in Person eines Staatssekretärs aus dem Innenministerium im Nachgang große Mühe, gegen die bohrenden Fragen der SPD und etliche Zwischenrufe im Bundestag die Position zu rechtfertigen, dass Filmfestspiele für die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit ein ungeeigneter Rahmen seien.308 Der lokale Senat und die Leitung der Berlinale distanzierten sich von dieser Haltung und Nuit et brouillard war dort an drei Tagen Anfang Juli 1956 zu sehen.309 Laut Lorenzo Pellizzari wurde die Dokumentation im selben Jahr auch in Venedig in einer von der Cinema Nuovo organisierten Sondervorführung gezeigt.310

304 Zu diesen Verwicklungen vgl. ausführlich Ewout van der Knaap: „Nacht und Nebel“. Gedächtnis des Holocaust und internationale Wirkungsgeschichte, Göttingen 2008, S. 61–124; Sylvie Lindeperg: „Nacht und Nebel“. Ein Film in der Geschichte, Berlin 2010, S. 198–219. 305 Henry Magnan: Les mauvais diplomates de Cannes, in: Le Monde, 8./9. 4. 1956; vgl. auch Nur noch Kirmes, in: Der Spiegel, Nr. 18, 2. 5. 1956, S. 50 f. Lindeperg zitiert André Bazins Interpretation, dass Deutschlands „Vorsicht eher einem Geständnis gleichkommt als einer Empfindlichkeit“ und Resnais’ lapidaren Kommentar, „er habe gar nicht gewusst, dass die Nazi-Regierung beim Festival in Cannes vertreten sei.“ – vgl. Lindeperg: Nacht und Nebel, S. 203 f. 306 Vgl. als Auswahl Die Zeit, 19. 4. 1956; Frankfurter Rundschau, 23. 4. 1956; Münchner Merkur, 30. 3. 1957. 307 Nacht und Nebel (Filmkritik, Nr. 2, 1957); Ulrich Gregor: Der Kinobesucher und das „nationale Gefühl“. Verräterische Proteste gegen italienische Filme, in: Die Zeit, 22. 2. 1963. 308 Vgl. Redebeitrag Hans Ritter von Lex, 140. Sitzung, 18. 4. 1956, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages. 2. Wahlperiode 1953, Bonn 1956, S. 7205. 309 Vgl. Jacobsen: Berlinale, S. 67 f.; Lindeperg: Nacht und Nebel, S. 224. 310 Vgl. Pellizzari: Notte e nebbia (Cinema Nuovo, Nr. 145, 1960), S. 236.

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Zwei Jahre später, vor dem Festival in Venedig 1958, befürchtete das Auswärtige Amt nicht von einem ausländischen Film, sondern von Rolf Thieles als westdeutscher Beitrag auserkorener Satire Das Mädchen Rosemarie, eine Rufschädigung der Bundesrepublik.311 Wie im Vorfeld der größeren Filmfestivals üblich, prüfte in Bonn eine von den Filmreferenten verschiedener Ministerien initiierte Auswahlkommission, welche bundesdeutschen Produktionen zur Teilnahme nominiert beziehungsweise den Auswahlgremien vor Ort vorgeschlagen werden sollten. 1958 kam dabei lange kein Ergebnis zustande, gemäß der strengen „formula Ammannati“ lehnten die Vertreter der Mostra zum Beispiel Der Arzt von Stalingrad oder Kanonen-Serenade als ungenügend ab.312 Direkt über die Produktionsfirma wurde schließlich in Venedig Das Mädchen Rosemarie angeboten und von der Kommission als qualitativ angemessenes Werk in das Programm aufgenommen. Diese Auswahl missfiel dem Auswärtigen Amt, Minister Heinrich von Brentano schrieb an die Vertretung in Rom und weitere Stellen: Obwohl zu Beginn des Films ausgesprochen wird, man habe den Fall Nitribitt lediglich als Einzelschicksal darstellen wollen, bleibt der Eindruck bestehen, dass mit dem filmischen Geschehen eben nicht ein Einzelfall, sondern eine allgemein gültige Charakterisierung des heutigen Lebens in der Bundesrepublik gegeben werden sollte, und zwar in Form einer Darstellung, in der Wirtschaft, Politik und moralischer Abstieg in einer fast als notwendig angesehenen unheilvollen Verquickung gezeigt werden.

Die Botschaft sollte in Venedig gegen den Film protestieren und gleichzeitig schickte das Auswärtige Amt eine Verbalnote an die italienische Botschaft in Bonn, er sei „geeignet, die Bundesrepublik zu diskreditieren.“313 Der Einspruch durch den Botschafter Manfred Klaiber erfolgte nur wenige Tage vor der Eröffnung der Festspiele und der anvisierten Vorführung von Das Mädchen Rosemarie. Mit dem Hinweis, dass qua Satzung allein die Auswahlkommission entscheiden könne und der Film gegen keine sonstigen Auflagen verstoße, ließ der Senator Giovanni Ponti, der als Präsident der Biennale der Mostra übergeordnet war, den Protest ablaufen.314 Franz Rowas, Filmreferent im Auswärtigen Amt, hatte dies bereits verärgert vorausgesehen, es sei aber völlig unglaubwürdig, da es erfahrungsgemäss selbst unter noch grösseren Schwierigkeiten möglich wäre, einen ins Programm aufgenommenen Film wieder abzusetzen. […] Wenn deshalb von italienischer Seite behauptet wird, dass man ‚beim besten Willen‘ auf den Film ‚Das Mädchen Rosemarie‘ nicht verzichten könne, so deutet dies eindeutig auf fehlenden guten Willen hin.315 311 Vgl. auch Kniep: Keine Jugendfreigabe, S. 107–110; Volk: Skandalfilme, S. 120–124. 312 Vgl. Dieter Sattler, Kulturreferent der Botschaft, an Franz Rowas, Auswärtiges Amt, Rom, 3. 4. 1958 und 6. 6. 1958, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/465. 313 Heinrich von Brentano an die Botschaft Rom, Bonn, 12. 8. 1958, ebd.; Verbalnote des Auswärtigen Amts an die italienische Botschaft, Bonn, 13. 8. 1958, ebd. 314 Zum Vorgang vgl. Manfred Klaiber an Giovanni Ponti, Rom, 18. 8. 1958, Archivio Storico delle Arti Contemporanee, Venedig, Cinema 104 (b. 104); Floris Luigi Ammannati an die Direzione Generale Relazioni Culturali con l’Estero, Venedig, 19. 8. 1958, ebd.; Giovanni Ponti an Manfred Klaiber, o. O., 20. 8. 1958, ebd. 315 Aufzeichnung durch Franz Rowas, Bonn, 18. 8. 1958, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/465.

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Der Film wurde gezeigt und einmal mehr nahm aus Protest keine offizielle Delegation Westdeutschlands an einem Festival teil. Anlässlich von Nuit et brouillard hatte es die französische Presse verblüfft, dass die Denunziation der NS-Verbrechen auf die Bundesrepublik bezogen wurde, und nun empfanden viele italienische Journalisten Das Mädchen Rosemarie als interessant, aber keineswegs schädlich für das westdeutsche Ansehen.316 Ponti legte Klaiber in seiner Antwort nahe, dass es gerade in Italien mit seiner kritischen Filmproduktion kein Makel sei, unbequeme Wahrheiten und Ereignisse aufzugreifen: nonostante la crudezza della vicenda narrata, non sembra che la sua presentazione in Italia, patria riconosciuta di quella particolare forma di espressione cinematografica nota sotto il nome di ‚neorealismo‘, possa danneggiare la reputazione tedesca e dare un’idea completamente falsa delle condizioni sociali e morali della nuova Repubblica Federale Tedesca.317

Dass Selbstkritik als „beste Propaganda für die Bundesrepublik“ wirken könne, meldete in dieser Zeit auch die Londoner Botschaft nach der Berlinale, bei der Wolfgang Staudtes Kirmes gelaufen war.318 Doch die Beamten und Diplomaten um Rowas folgten „mit famosem Ungeschick“, wie es Heinz Ungureit rückblickend in der Filmkritik bezeichnete,319 ihrem Interventionskurs. Dieser brachte dem Auswärtigen Amt in der Nachlese der Mostra von 1958 sogar regierungsinterne Kritik ein. Im Innenministerium listete der Filmreferent die strategischen Fehlentscheidungen auf. Statt des plumpen und aufsehenerregenden Vorstoßes durch die Botschaft hätte er auf ein Gespräch zwischen Alfred Bauer von der Berlinale und dessen venezianischen Kollegen gesetzt, den Umstand, dass der betreffende Filmverleih noch Schulden aus dem Bürgschaftsprogramm hatte, als Druckmittel genutzt und sich gegebenenfalls auf eine knappe Distanzierung vom Film beschränkt. So aber könne die Filmwirtschaft auch dank der einhelligen Kritik an den Maßnahmen in der Presse320 einen „Sieg über den Staat“ zelebrieren und sei die Position der Filmpolitik in den aktuellen Streitfragen geschwächt. Der Referent zeigte im Schreiben unverhohlen seinen Missmut: die innenpolitischen Weiterungen sind von einer Tragweite, die das Auswärtige Amt offenbar allein nicht übersehen kann. Es darf daran erinnert werden, daß ähnliche Ungeschicklichkeiten bei den seinerzeitigen Bemühungen um die Absetzung des Films ‚Nacht und Nebel‘ […] ebenfalls zu höchst unerwünschten politischen Auswirkungen geführt haben.321

Im Fall von Konrad Wolfs Sterne störte sich das Auswärtige Amt, als der Film 1959 in Cannes präsentiert wurde, wiederum am Beitrag eines anderen Landes – das nach seiner Auffassung gar nicht hätte teilnehmen dürfen. Argwöhnisch beobachteten 316 Vgl. zum Beispiel Corriere d’informazione, 26. 8. 1958; Corriere della sera, 26. 8. 1958; Il Resto del Carlino, 26. 8. 1958. 317 Ponti an Klaiber (20. 8. 1958). 318 Vgl. Botschaft London an das Auswärtige Amt, 11. 8. 1960, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/690. 319 Ungureit: Zur Förderung berufen (Filmkritik, Nr. 4, 1963), S. 172. 320 Vgl. etwa Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 16. 8. 1958; Süddeutsche Zeitung, 18. 8. 1958; Mannheimer Morgen, 23. 8. 1958. 321 Referent Fuchs an den Bundesinnenminister, Bonn, 18. 9. 1958, Bundesarchiv, Koblenz, B 106/895.

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die zuständigen Beamten und Diplomaten in diesen Jahren, wie sich die Festivaldirektionen gegenüber dem Filmschaffen der DDR verhielten und dass zum Beispiel aus Cannes gelegentlich inoffizielle Einladungen nach Ostdeutschland ergingen. 1957 hatte sich sogar der Staatssekretär Walter Hallstein in die Diskussion eingeschaltet und so gelang es zwischenzeitlich, Filme aus der DDR zumindest aus dem offiziellen Wettbewerb zu drängen und nur als Filme der DEFA zu etikettieren.322 Sterne war überwiegend eine Produktion der DEFA, doch die Beteiligung einiger Akteure und Ressourcen ermöglichte 1959 die offizielle Teilnahme als Beitrag Bulgariens. Franz Rowas berichtete empört, dass eine Abmachung gebrochen worden sei und im Vorspann nun doch dezidiert die DDR als präsentierender Staat genannt wurde.323 Noch in den Vorbereitungen auf die nächste Festivalsaison wurde dieser Vorfall nachgetragen und ein Schreiben mit mahnenden Worten an die französische Botschaft in Bonn gerichtet: Das AA erinnert mit Nachdruck daran, dass von französischer Seite die Zusicherung gegeben worden war, bei einer Teilnahme von Filmen aus der sowjetisch besetzten Zone nur die Produktionsfirma DEFA-Film in Erscheinung treten und Filme aus deren Produktion nur ausserhalb des Wettbewerbs teilnehmen zu lassen. Das AA wäre dankbar, wenn Vorsorge getroffen würde, dass die früher in dieser Beziehung getroffene Absprache in Zukunft genau eingehalten wird.324

Insgesamt verstrickte sich das Auswärtige Amt zudem immer wieder in kleinere Konflikte mit den Verantwortlichen der verschiedenen internationalen Festspiele, weil seine Vertreter die Bundesrepublik ungerecht behandelt sahen, wenn ihre Filme abgelehnt wurden. Über diese Klagen aus der Filmpolitik oder der Filmwirtschaft ließ sich die Filmkritik gerne sarkastisch aus.325 Das Auswärtige Amt empfand auch, dass die Bundesrepublik in den Jurys von Cannes oder Venedig unterrepräsentiert sei, was die seltenen Erfolge zum Teil erkläre.326 Um einen ständigen westdeutschen Sitz in diesen Jurys zu erzwingen, hielten die auswärtigen 322 Zu den Diskussionen und dem Verlauf von Cannes 1957 vgl. die Schriftwechsel im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/463. Dort findet sich auch, was Hallstein am 20. 3. 1957 an die westdeutsche Botschaft in Paris schrieb: „Die Auffassung, dass die französische Regierung keinen entscheidenden Einfluss auf die Durchführung der Filmfestspiele habe und deshalb die Beschlüsse des Festspielkomitees hinnehmen müsse, kann nicht geteilt werden. Sie wird durch die Tatsache widerlegt, dass die Veranstaltung unter dem Protektorat des französischen Aussenministeriums steht und dass die Einreise von Vertretern der DEFA von der Erteilung der Visen durch französische Regierungsstellen abhängig ist. Ich bitte auch dies zum Ausdruck zu bringen und zu erklären, dass sich die Bundesregierung zu ihrem grossen Bedauern gezwungen sehen würde, den Filmfestspielen fernzubleiben, falls keine klarere Differenzierung der Beteiligung der DEFA gegenüber der der Bundesrepublik herbeigeführt und insbesondere ihre offizielle Teilnahme am Wettbewerb nicht rückgängig gemacht wird.“ 323 Vgl. Bericht von Franz Rowas, Bonn, 6. 8. 1959, ebd., B 95/635. 324 Verbalnote des Auswärtigen Amts an die französische Botschaft, Bonn, 25. 1. 1960, ebd., B 95/691. 325 Als für Venedig 1961 neben anderen Filmen Der Teufel spielte Balalaika abgelehnt wurde, karikierte Enno Patalas die Reaktionen: „Wie denn?! Die vierzehn besten Filme der Welt sollen gezeigt werden, und darunter soll kein deutscher sein? […] Hier sind die sattsam bekannten linksintellektuellen Elemente am Werk, die sich dazu versteigen, uns den Nationalsozialismus zur Last zu legen!“ – ders.: Rache für Venedig, in: Filmkritik, Nr. 9, 1961, S. 417. 326 Vgl. Bericht von Franz Rowas (6. 8. 1959); Verbalnote des Auswärtigen Amts (25. 1. 1960).

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Kulturpolitiker die Leitung der Berlinale an, demonstrativ auf Franzosen oder Italiener in ihrer Jury zu verzichten. Mehrfach drohte das Innenministerium damit, die finanzielle Förderung der Berliner Festspiele mit dieser Bedingung zu verknüpfen. Der Senat und die Festivalleitung ignorierten diese Eingriffe allerdings größtenteils, da sie die Bedeutung ihrer Veranstaltung nicht durch einen solchen Verzicht auf Experten aus anerkannten Filmländern schmälern wollten.327 Neben den drei großen „westlichen“ Festivals hatten sich auch die größten schweizerischen Festspiele in Locarno im Filmkalender dieser Jahre einen festen Platz gesichert. Den westdeutschen Filmpolitikern waren Veranstaltungen dieser Kategorie oft eher ein Dorn im Auge, da es nicht immer gelang, auch dort noch akzeptable Filme in die Konkurrenz zu schicken. Zudem kritisierten sie regelmäßig, dass die schweizerische Neutralität in Locarno sehr großzügig zugunsten Osteuropas ausgelegt werde, das überproportional viele Produktionen im Programm habe.328 Die Branchenpresse stimmte darin überein, besonders 1961 schoss sich Horst Axtmann, der Chefredakteur des Film-Echos, auf den Festspielleiter Vinicio Beretta, eine „Linksdrall-Berühmtheit“, ein.329 Er habe „den Ostwind in das herrliche Ticino-Tal“ geblasen – bedauerlicher Weise, denn: Die landschaftliche Kulisse des Tessiner Kantons, mehr noch die betonte Ostzurückhaltung der Schweiz, passen zu derart kulturbolschewistischem Firlefanz überhaupt nicht. Solcher Zustand bereitet dem Musterland und Ferienparadies keine Ehre. […] Weshalb lassen sie auch nur den Hauch eines Verdachtes zu, daß unter ihren Augen politische Tendenzen östlicher Herkunft exerziert werden?330

Kulturpolitisch noch weitaus heikler waren aber ohne Frage die Festivals im sowjetischen Einflussbereich selbst. Zunächst, sehr bald nach dem Zweiten Weltkrieg, war Karlovy Vary hier der wichtigste Anlaufpunkt. Wiederholt gab es Klagen aus den Reihen der Cinema Nuovo und gleichgesinnter Kritiker, dass etwa durch Verschleppung in der italienischen Verwaltung die Reise in die Tschechoslowakei unmöglich gemacht und dieser Filmaustausch mit dem Osten vereitelt worden sei.331 Für das Auswärtige Amt und andere bundesdeutsche Ministerien war eine offizielle Delegation in Karlovy Vary oder beim Mitte der 1950er Jahre entstandenen Dokumentarfilmfestival in Leipzig ohnehin ausgeschlossen und darüber hinaus war diesen Stellen stets daran gelegen, dass nur wenige sonstige Gäste aus der Bun-

327 Zu dieser besonders 1961 virulenten Frage vgl. die diversen Schreiben im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/775 und B 95/776. 328 Vgl. beispielsweise Aufzeichnung des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Bonn, 17. 7. 1959, Bundesarchiv, Koblenz, B 145/22; Aufzeichnung durch Franz Rowas, Auswärtiges Amt, Bonn, 2. 8. 1960, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/952. 329 Horst Axtmann (als Axel): Wissen Sie, was FIPRESCI heißt?, in: Film-Echo, Nr. 73, 13. 9. 1961, S. 1052; auch ders.: Die Offensive der Ost-Filme, in: Film-Echo, Nr. 70, 2. 9. 1961, S. 1008. 330 Horst Axtmann: In Locarno weht Ostwind. Zum dritten Male festgestellt, in: Film-Echo, Nr. 59–60, 29. 7. 1961, S. 861. 331 Vgl. Renzi: Passaporto per Karlovy Vary (Cinema, Nr. 55, 1951); Ugo Casiraghi an Renzo Renzi, Mailand, 3. 8. 1954, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Epistolario, Casiraghi, Ugo; Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 9. 7. 1956, ebd., Corrispondenza, Aristarco, Guido – 5.

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desrepublik dort teilnahmen.332 Gänzlich vermeiden ließ sich das nicht, da zum Beispiel Vertreter der Filmwirtschaft hier auch von ökonomischen Interessen angetrieben wurden. Ab 1959 bemühte sich die Sowjetunion, die Festivaltradition in Moskau wiederzubeleben, in von nun an abwechselnder Ausrichtung mit Karlovy Vary. Zum Moskauer Festival lief wiederum ein umfangreicher Schriftwechsel in der bundesdeutschen Kulturdiplomatie an. Es ging gerade in der Hochphase der Berlinkrise Anfang der 1960er Jahre darum, auch ohne offizielle Beteiligung die Kontrolle über symbolische Punkte des Festivals zu bewahren – diese Leistung traute das Auswärtige Amt dem Exportverband der Filmindustrie oder unabhängig anreisenden Filmschaffenden nicht zu.333 In enger Absprache mit der Botschaft in Moskau gelang dagegen zum Beispiel 1963 eine geschickte Konstruktion, so dass der Gesandte zufrieden berichtete: Unsere Entscheidung, unter Ausnutzung der in Artikel VIII des Reglements gebotenen Möglichkeit, mit einer offiziellen ‚Delegation der Filmindustrie der Bundesrepublik Deutschland‘ teilzunehmen und dadurch die sowjetischen Versuche zu vereiteln, eine selbständige Beteiligung ‚West-Berlins‘ zu konstruieren, hat sich als richtig erwiesen. […] Mit Hilfe der offiziell bei dem Festivalkomitee akkreditierten Delegation konnte das politische Spiel der Sowjets, ihre 3-Staaten-These in praxi zu demonstrieren, durchkreuzt werden, während andernfalls keinerlei Handhabe für einen offiziellen Protest gewesen wäre.334

Ermüdet von den ständigen filmfernen Ränkespielen, von der Inflation an Festivals als wirtschaftlichen und politischen Prestigeprojekten, von der damit zusammenhängenden permanenten Klage, es gebe zu wenig interessante Filme auf diesen Veranstaltungen, machte sich in der Filmkritik ab Mitte der 1960er Jahre besonders Enno Patalas Gedanken über eine grundlegende Reform des Festivalbetriebs. Im Kontext dieses Kapitels zur transnationalen Dimension der kritischen Filmkultur und der Frage nach ihrer „Europäisierung“ ist seine Vorstellung eines „E-Festivals“ herauszustreichen, das die „nationale Beschränktheit“ der aktuellen Modi aufbrechen sollte. Patalas war der Ansicht, ein im Halbjahresrhythmus ausgetragenes „Europa-Festival des internationalen Films“ genüge, um die zeitgenössische Filmproduktion widerzuspiegeln. Die „drei großen EWG-Länder“ könnten sich mit Cannes, Venedig und Berlin bei der Austragung abwechseln, eine „europäische Behörde“ des Festivals würde strikt auf qualifiziertes Personal und Programm achten.335

332 Vgl. etwa einen Schriftwechsel zwischen den beteiligten Ministerien aus dem Jahr 1960, Bundesarchiv, Koblenz, B 145/22. Nicht nur das im Folgenden zitierte Innenministerium sah in diesen Reisen das Risiko politischer Rückschläge im Kalten Krieg: „Nach meinen Erkenntnissen dürften wir in allen diesen Fällen mehr oder minder hereinfallen, ohne dabei besondere Gewinne auf den Fachgebieten zu erzielen, indem wir erhebliche Verluste durch die kommunistische Infiltration auf politischem Gebiet erleiden. Man darf niemals vergessen, daß vom Osten her alles und jedes den politischen Zwecken unterworfen wird.“ – Schreiben im Bundesinnenministerium, Bonn, 6. 10. 1955, ebd., B 106/897. 333 Vgl. Franz Rowas, Filmreferent, an die Botschaft Moskau, Bonn, 10. 3. 1961, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, B 95/969. 334 Botschaft Moskau an das Auswärtige Amt, 1. 8. 1963, ebd. 335 Vgl. Enno Patalas: Das E-Festival, in: Filmkritik, Nr. 10, 1965, S. 549.

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Mit dieser Utopie im Hinterkopf musste Patalas wie seine deutschen und internationalen Kollegen aber vorerst noch mit dem herkömmlichen Festivalbetrieb vorliebnehmen und diesen trotz der beschriebenen Defizite, Einschränkungen und Eingriffe als filmkulturelle Austauschplattform nutzen. Die Quellenlage im Hinblick auf explizite Informationen zu Aktion und Interaktion von Filmkritikern etwa bei den drei großen „westlichen“ Anlässen ist leider schwierig, die Festivalberichte bestehen bis heute nicht selten aus allgemeinen Einschätzungen der Veranstaltung und einer Reihe von Einzelrezensionen. Es gilt, auch was die 1950er und 1960er Jahre anbelangt, aufmerksam zu lesen und aus vielen kleineren Randbemerkungen und der zumeist spröden offiziellen Festivalüberlieferung Hinweise auf Kontakte und Verflechtungen zusammenzutragen. Ulrich Gregor schilderte in seiner allgemeinen Festivalanalyse kurz die Gruppendynamik unter den anwesenden Filmkritikern, die sich nicht nur auf der Berlinale zeige, und in der sich „Clans“ bildeten, die sich als „Ästheten“, „Spiritualisten“ oder „Engagierte“ um das jeweilige Filmverständnis versammelten.336 Wenn für diese „Clans“ die Berlinale wieder einmal als zu langweilig erschien, suchten sie sich in der geteilten Stadt gerne andere filmische Informationsquellen. In der Zeit vor dem Mauerbau luden die Filmverbände der DDR stets genau zur Festivalzeit zu Filmschauen in Ostberlin ein, die, wie zum Beispiel Heinz Ungureit 1961 in der Frankfurter Rundschau skizzierte, durchaus erfolgreich liefen: „Und fast alle kamen, die Kollegen aus der Schweiz und aus Schweden, aus Italien und aus Frankreich, aus den Vereinigten Staaten und aus England. Das Büfett war denkbar üppig, die Weine erlesen und die Gesprächspartner freundlich und aller Kritik aufgeschlossen.“337 Die Mitarbeiter der Filmkritik wurden bereits in den frühen Jahren der Zeitschrift zu Stammgästen bei den beiden großen ausländischen Festivals in Cannes und Venedig. Das aus der Einleitung bekannte Zitat von Louis Marcorelles, der sich in seiner „Revue des revues“ für die Cahiers du cinéma mit der gerade gegründeten F beschäftigte, gibt darüber Aufschluss. Enno Patalas wurde hier als „figure familière des festivaliers“ eingeführt, seine neue Zeitschrift arbeite im Übrigen „assez dans la ligne de Cinema Nuovo“.338 Wie Berlin wurden Cannes und Venedig zur Festivalzeit von Journalisten überlaufen, wobei ein Großteil dieser Gäste den Boulevard oder die Illustrierten und nicht die Filmfachpresse repräsentierte. In Cannes steigerte sich die Zahl der anwesenden Journalisten von 300 im Jahr 1951 auf ungefähr 800 im Jahr 1963, in den Unterlagen in Venedig findet sich bereits für 1956 die Zahl von 1046 „giornalisti“ allein aus dem Ausland.339 Für die Ausgabe der italienischen Filmfestspiele von 1958, die hier als Stichprobe dient, waren – neben vielen aus dieser Studie bereits bekannten, etwa französischen Kritikern – Patalas und Gregor akkreditiert und ausweislich der offiziellen Registrierungskarten reiste Ersterer nicht nur für die Filmkritik, sondern auch für die konkret an, Letzterer auch 336 Vgl. Gregor: Misere der Filmfestivals (Neue Deutsche Hefte, Nr. 50, 1958), S. 575. 337 Frankfurter Rundschau, 4. 7. 1961. Zu diesen Einladungen in den Osten vgl. auch Jacobsen: Berlinale, S. 87; Kötzing: Kultur- und Filmpolitik, S. 49 f. 338 Marcorelles: Revue des revues (Cahiers du cinéma, Nr. 94, 1959). 339 Für Cannes vgl. Schwartz: It’s So French, S. 73; für Venedig vgl. Bericht des Pressebüros, 12. 9. 1956, Archivio Storico delle Arti Contemporanee, Venedig, Ufficio Stampa 38 (b. 038).

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für die linke Andere Zeitung. Einer Liste zufolge nahmen die beiden Vertreter an einem organisierten Ausflug auf die Insel Torcello in der Lagune von Venedig teil, gemeinsam mit Guido Aristarco und Morando Morandini, mit Bernard Chardère von der Positif oder auch mit Will Wehling vom Oberhausener Festival und dem Berlinaleleiter Alfred Bauer.340 Solche Spuren von Kontakten und Gesprächsmöglichkeiten finden sich für Cannes zum Beispiel in Rückblicken von Gregor; 1959 lernte er dort Konrad Wolf kennen, als er ihn nach der Vorführung von Sterne ansprach.341 Als transnationale Kontaktplattformen sind zudem die Aktivitäten der prominenten Filmzeitschriften Frankreichs oder Italiens bei den Festspielen nicht außer Acht zu lassen. Der Kreis um die Cahiers veranstaltete regelmäßig ein „déjeuner“, das Kritiker und Filmschaffende zusammenbrachte – 1960 habe es beispielsweise anregende Unterhaltungen mit Roberto Rossellini oder Luis Buñuel gegeben.342 Die Cinema Nuovo war in Venedig regelmäßig mit einer großen Zahl von Autoren vertreten, zumeist aber ohne Renzo Renzi, dem der Termindruck der dichten Programme und die krampfhafte Suche nach Neuentdeckungen nur wenig zusagten.343 In Absprache mit Floris Luigi Ammannati durfte die Zeitschrift am Rande des Festivals einige Jahre lang einen eigenen „Premio Cinema Nuovo“ vergeben344 und ohne hin veröffentlichte sie zu diesem Anlass jährlich Umfragen unter ihren Mitarbeitern und befreundeten ausländischen Journalisten. Daran beteiligten sich beispielsweise André Bazin und Georges Sadoul aus Frankreich, Gavin Lambert von der britischen Sight and Sound und in mehreren Jahren Ulrich Gregor.345 Die Redaktion richtete in Venedig auch Empfänge aus: Bilder des „cocktails“ von 1956 zeigten in der Zeitschrift neben anderen die Regisseure Luchino Visconti, John Grierson oder René Clément und den Verleger Giangiacomo Feltrinelli im Gespräch, dazu einige sowjetische Filmschaffende.346 Die Gruppe um die Filmkritik suchte, wann immer es ihr möglich war, gerade auch außerhalb der drei dominanten Festivals nach Austausch mit Filmemachern oder Kritikern. Enno Patalas harrte bei einer Konferenz der Filmjournalisten in Düsseldorf bis in die Nacht aus, um endlich ungestört und tiefgründig mit Max Ophüls diskutieren zu können,347 Wilfried Berghahn empfand eine Begegnung mit

340 Vgl. die Unterlagen ebd., Ufficio Stampa 13 (b. 013) und Cinema 98 (b. 098). 341 Vgl. Jürgen Haase: Die politische Forum-Sektion. Ulrich und Erika Gregor im Gespräch, in: ders. (Hg.): Zwischen uns die Mauer. DEFA-Filme auf der Berlinale, Berlin 2010, S. 90–104, hier S. 95. 342 Vgl. Petit Journal du Cinéma, in: Cahiers du cinéma, Nr. 109, Juli 1960, S. 40–42, hier S. 40 f. 343 Vgl., in diesem Fall als Glosse aufbereitet, Renzo Renzi: Il critico rampante, in: Cinema Nuovo, Nr. 113, 1. 9. 1957, S. 105 f. und 124. 344 Vgl. Floris Luigi Ammannati an Guido Aristarco, Venedig, 17. 6. 1958, Archivio Storico delle Arti Contemporanee, Venedig, Cinema 111 (b. 111); ders. an Guido Aristarco, Venedig, 29. 5. 1959, Cineteca di Bologna, Fondo Guido Aristarco, 187 B2. 345 Vgl. Il nostro referendum, in: Cinema Nuovo, Nr. 114–115, 15. 9. 1957, S. 145; Il verdetto della giuria, in: Cinema Nuovo, Nr. 135, September/Oktober 1958, S. 163 f., hier S. 164. 346 Vgl. Il cocktail di Cinema Nuovo, in: Cinema Nuovo, Nr. 90–91, 1. 10. 1956, S. 160 f. 347 Vgl. Enno Patalas: Hofgarten-Gespräch, in: film 56, Nr. 2, 1956, S. 55.

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dem polnischen Regisseur Andrzej Munk als wohltuende Abwechslung zum westdeutschen Filmwesen: Wir haben Munk in Bad Ems bei einer Tagung der deutschen Filmclubs kennengelernt. Es war im Herbst 1957. Er saß an einem Tisch und hörte den Gesprächen über Filme zu, die andere führten. Er verstand ein wenig Deutsch; gelegentlich ließ er sich etwas übersetzen. Er legte überhaupt keinen Wert darauf, in den Mittelpunkt zu rücken, der ihm eigentlich angestanden hätte. Er war Gast, und er wollte nur zuhören. Man dachte unwillkürlich daran, wie die meisten deutschen Regisseure sich wohl verhalten hätten, die damals schon längst kein Interesse mehr an der Meinung ihres Publikums zeigten.348

In der kritischen Filmpublizistik Westeuropas galten Abstecher zu den kleineren Festivalbühnen ohnehin als lohnenswert, da sie als ungezwungener wahrgenommen wurden. Guido Aristarco schätzte an Locarno die im Vergleich legeren Umgangsformen und besonders die Unbefangenheit gegenüber dem osteuropäischen Film,349 während Tullio Kezich mit gastronomischen Argumenten versuchte, Renzo Renzi aus seiner Festivalreserve zu locken: „Hai mica occasione di capitare a Locarno durante il festival? Sarebbe magnifico poter bere insieme qualche litro di birra al Gambrinus.“350 Als löbliches Gegenmodell zur mondänen Szenerie in Cannes oder Venedig galten insbesondere die tschechoslowakischen Festspiele von Karlovy Vary. Hier – so hieß es in der Positif – gebe es kein Statusdenken, weder „Eitelkeiten“ noch „Tricksereien“, und zeige sich nebenbei die klare Überlegenheit des östlichen Kinos.351 In der Sight and Sound schwärmte John Gillett 1958 von der „opportunity for international encounters hardly possible elsewhere“ und einer interessanten Podiumsdiskussion mit Cesare Zavattini und Giuseppe De Santis.352 Trotz gelegentlicher Visaschwierigkeiten war hier auch Guido Aristarco öfters zu Gast. 1961 saß er in der Jury des Festivals, im Jahr darauf meinte Konrad Wolf neben dem sowjetischen und dem bundesdeutschen Regisseur vermutlich den Kritiker, als er aus Karlovy Vary an die Filmverwaltung der DDR von „persönlichen Gesprächen mit Tschuchrai, Wicki, Arristerko“ berichtete.353 Das osteuropäische Festival war dabei allerdings stets besonders anfällig für die aktuellen Ausschläge des Kalten Kriegs, wie verschiedene Reportagen von Enno Patalas verdeutlichen. Die Ausgabe von 1958 sah er nämlich, anders als sein soeben genannter britischer Kollege, als unangenehm an im Vergleich zur entspannten Atmosphäre der Vor348 Wilfried Berghahn: In memoriam Andrzej Munk, in: Filmkritik, Nr. 11, 1961, S. 526–528, hier S. 526. 349 Vgl. Aristarco: I mobbisti (Cinema Nuovo, Nr. 15, 1953), S. 58; ders.: Deutschland (Cinema Nuovo, Nr. 64, 1955), S. 87. 350 Tullio Kezich an Renzo Renzi, Mailand, 27. 6. 1955, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Epistolario, Kezich, Tullio (1). 351 Vgl. Raymond Borde: Karlovy-Vary: Du nouveau à l’Est, in: Positif, Nr. 25–26, 1957, S. 27– 32, hier S. 27 und 32. 352 Vgl. John Gillett: The festivals. Karlovy Vary, in: Sight and Sound, Nr. 6, Herbst 1958, S. 286 f., hier S. 286. 353 Vgl. die Auflistung Aristarcos in der Cineteca di Bologna, Fondo Guido Aristarco, 504 D4. Das Zitat stammt aus Wolfs Bericht über die Teilnahme an den 13. Internationalen Filmfestspielen in Karlovy Vary vom 9. bis 24. 6. 1962, Akademie der Künste, Berlin, Konrad Wolf Archiv, Nr. 2238.

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jahre. Aus der Sitzordnung, den Redebeiträgen und der Preisvergabe las er „einen bedenklichen Rückfall […] in die böse Verstocktheit des Kalten Krieges“ heraus.354 1962 war das Klima dort wieder besser und der Kritiker beschrieb abermals alle Vorzüge von Karlovy Vary: Anders als Venedig, Cannes und Berlin, die repräsentationsbeflissenen Film-(kunst-)messen, ist Karlsbad ein Diskussionsfestival. Alle Teilnehmer sind in vier benachbarten Hotels untergebracht; alle speisen gemeinsam, wenn auch an national getrennten Tischen; die alltäglichen Mitternachtsempfänge kennen keine Privilegien: jeder Teilnehmer wird eingeladen. Kein Portier, kein Agent schirmt die Großen ab gegen neugierige Frager. Gelegenheit zu Unterhaltungen bietet sich allenthalben. […] Das sind keine Pressekonferenzen, wie man sie von den anderen Festivals kennt […]; hier muß sich ein Regisseur vor hundert Zuhörern scharfe Kritik gefallen lassen und seine Arbeit rechtfertigen.355

In der ersten Hälfte der 1960er Jahre gewann schließlich noch das Dokumentarund Kurzfilmfestival in Leipzig an Zulauf von Cineasten aus Westeuropa. Nachdem zwei frühere Autoren der Cinema Nuovo, Cecilia Mangini und ihr Ehemann Lino Del Fra, dort 1962 mit einem Film über den italienischen Faschismus reüssierten, kehrten sie auch in den Jahren danach nach Ostdeutschland zurück. 1963 trafen sie zum Beispiel auf die Filmkritik-Mitarbeiter Enno Patalas und Heinz Ungureit, 1964 auf Ungureit und Ulrich Gregor und in beiden Jahren war zudem Chris Marker anwesend.356 6.4.2 Filmkultur vernetzt. Gastbeiträge und Briefe, Reisen und Besuche Durch die Festivals und andere Gelegenheiten verknüpfte sich der Kreis um die Filmkritik immer enger mit einem Netzwerk kritischer Filmkultur in Europa und darüber hinaus, mit einem besonderen Akzent auf einer Dreiecksbeziehung zwischen Italien, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, die sich in Freundschaften oder dem regen Austausch von Artikeln manifestierte. Seit seiner Pariser Zeit war Ulrich Gregor gut mit Pierre Billard von der Filmclubzeitschrift cinéma bekannt und platzierte gelegentlich Beiträge in der Positif.357 Die cinéma und die Positif waren ihrerseits Bestandteil eines allmählichen Linksschwenks der Frankreichkontakte und -korrespondenten der italienischen Cinema Nuovo: Nach anfänglich enger Verbindung zu verschiedenen Autoren der Cahiers du cinéma wie André Bazin berichtete für eine Weile zumeist Pierre Billard für die Mailänder Zeitschrift aus dem Nachbarland, der wiederum von Paul-Louis Thirard von der Positif abgelöst wurde. Billard schrieb um 1956 zum Beispiel über das Festival in Cannes, im Gegenzug erschienen in der cinéma längere Analysen zum italienischen Filmwesen aus den Reihen der Cinema Nuovo, von Guido Aristarco 354 Patalas: Karlsbad: Zwei zu eins für die Scharfmacher (F, Nr. 3, 1958), S. 325. 355 Enno Patalas: Dieses Jahr in Karlsbad, in: Filmkritik, Nr. 7, 1962, S. 297–299, hier S. 297. 356 Vgl. die Gästelisten und Programme aus den einzelnen Festivaljahren im Bundesarchiv, Berlin, DR 1/4272, DR 1/8889 und DR 1/15780. 357 Über Billard berichtete Ulrich Gregor im Zeitzeugengespräch. Vgl. als Artikelbeispiel Ulrich Gregor: Filmforum, in: Positif, Nr. 14–15, November 1955, S. 207 f.

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oder Cecilia Mangini.358 Aus dieser Zeit stammt eine für die Untersuchungsanlage dieser Studie bemerkenswerte Passage von Billard über das Verhältnis von Filmkritik und Filmschaffen und die Beziehung zwischen Italien und Frankreich, die explizit wie selten die transnationale filmkulturelle Verflechtung formulierte: Questa vigilante e simpatica attenzione, il continuo riferirsi alle migliori opere del neorealismo per giudicare i film francesi costituiscono una forma d’influenza indiretta che non è da trascurarsi. Citando ad esempio Zavattini, De Sica, Visconti, De Santis, Fellini o Antonioni, i nostri critici determinano negli artisti nostrani, al di là di un’irritazione passeggera, una riflessione che rende piú profonda l’influenza specifica delle opere stesse. E’ in questo senso che la critica cinematografica francese ha contribuito – per lo piú inconsciamente – ad una maggior compenetrazione tra i cinema nazionali dei due rispettivi paesi.359

In den Folgejahren orientierte sich die Redaktion der Cinema Nuovo schließlich eher in Richtung der gleichermaßen gesellschaftskritischen Positif. Für sie schrieb Aristarco etwa über Luchino Visconti, in umgekehrter Richtung skizzierte PaulLouis Thirard die französische Filmpresselandschaft, mit kleinen Seitenhieben gegen das elitäre Gebaren der Cahiers und das fade Bemühen der cinéma „di non allarmare nessuno“.360 Die Positif unterstützte ihren italienischen Freund publizistisch in einer Auseinandersetzung mit ihrem langjährigen katholischen Rivalen Henri Agel, nachdem dieser offensichtlich für eine eigene, französischsprachige Publikation weite Teile von Aristarcos Storia delle teoriche del film plagiiert hatte.361 Das französisch-italienisch-westdeutsche Dreieck überwiegend nonkonformistischer Filmkultur schloss sich spätestens, als ab 1961 in der neu gestalteten Filmkritik Gastkorrespondenzen von Marcel Martin aus dem Umfeld der cinéma und Ado Kyrou aus dem Umfeld der Positif erschienen.362 Mit Guido Aristarco war Ulrich Gregor zu diesem Zeitpunkt schon länger gut befreundet – zu seinen Festivalreisen nach Venedig gehörte ein Besuch in Mailand häufig dazu.363 Der italienische Kritiker schilderte der Filmkritik in Briefen die aktuellen Entwicklungen des Filmschaffens in seiner Heimat und Gregor firmierte lange Zeit als Berlinkorrespondent der Cinema Nuovo, der beispielsweise von einem irritierenden Auftritt Jean-Luc Godards bei der Berlinale von 1961 berichtete.364 Aus dem Zirkel um die Filmkritik war neben Gregor auch Enno Patalas bereits sehr früh auf dem interna358 Vgl. als Beispiele Cecilia Mangini: Il Circolo Romano del Cinéma, in: cinéma 55, Nr. 2, Dezember 1954, S. 7–11; Guido Aristarco: Bilan italien, in: cinéma 55, Nr. 3, Januar 1955, S. 15–22. 359 Pierre Billard: Il cinema italiano, enfant cheri della critica e del pubblico francese, in: Cinema Nuovo, Nr. 80, 10. 4. 1956, S. 206. 360 Vgl. Guido Aristarco: Luchino Visconti, in: Positif, Nr. 28, April 1958, S. 2–8; Paul-Louis Thirard: Disagi e limiti della critica francese, in: Cinema Nuovo, Nr. 155, Januar/Februar 1962, S. 24–31, hier S. 30. 361 Vgl. Positif, Nr. 28, April 1958, S. 37 f.; Guido Aristarco an Renzo Renzi, Mailand, 9. 12. 1958, Cineteca di Bologna, Archivio Renzo Renzi, Corrispondenza, Aristarco, Guido – 7. 362 Vgl. Marcel Martin: Das Ende der „Neuen Welle“?, in: Filmkritik, Nr. 2, 1961, S. 72–76; Ado Kyrou: „Papas Kino“ und Neue Welle in Griechenland, in: Filmkritik, Nr. 9, 1962, S. 396–399. 363 Aus dem Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 364 Vgl. exemplarisch Guido Aristarco: Vergangenheit im Zwielicht, in: Filmkritik, Nr. 1, 1961, S. 16 und 25–29; Ulrich Gregor: Berlino, in: Cinema Nuovo, Nr. 154, November/Dezember 1961, S. 532–535, hier S. 534.

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tionalen publizistischen Parkett aktiv. Eine Fassung seiner grundlegenden Ideologiekritik am westdeutschen Kino für die Film Culture hatte ja den Briefwechsel mit Siegfried Kracauer ausgelöst;365 Patalas veröffentlichte seine Thesen vom „conformisme politique“, von der „mentalità collettiva coerente alla restaurazione sociale e politica“ und der „tendency towards scarcely disguised expressions of admiration for Nazism“ zudem in der cinéma, der Cinema Nuovo und der Sight and Sound.366 Die filmkulturellen Kontakte, die etwa zu diesem Artikelaustausch führten, wurden bei Reisen und Besuchen auch außerhalb des regulären Festivalbetriebs angebahnt oder aufgefrischt. Einige zeitlich in den 1950er und 1960er Jahren breit gestreute Beispiele zeigen einmal mehr den ungleichen Entwicklungsstand der europäischen Filmkulturen: Reisten italienische Protagonisten nach Deutschland, waren sie von wissbegierigen Cineasten umschwärmte Experten – die Reisen ins europäische Ausland waren für die bundesdeutschen Kritiker beinahe überfordernde Studienfahrten von unschätzbarem Wert. Guido Aristarco war bereits 1951 und 1953 für Vorträge und Diskussionen in Heidelberg und Göttingen gewesen – ob unter den wenigen jungen Gesprächspartnern „i quali hanno una coscienza realistica e guardano ai loro problemi con spirito critico e libero“, die er hervorhob, spätere Autoren der Filmkritik waren, ist nicht zu rekonstruieren.367 1961 kam der Chefredakteur der Cinema Nuovo wiederum für einen Vortrag in die Bundesrepublik und die Veranstaltung an der Universität in Kiel war auch ein willkommener Anlass für ein neuerliches Treffen mit Ulrich Gregor.368 Doch insgesamt zeigte sich Aristarco in seinen Berichten über diese Reisen wenig begeistert vom westdeutschen Film und der hiesigen Gesellschaft, vielmehr frustriert vom Desinteresse an den kritischen neorealistischen Klassikern und der mangelhaften Vergangenheitsbewältigung, die er diesem Teil Deutschlands ja ohnehin stetig vorwarf.369 Eine nahezu konträre Stimmung vermittelten die Reiseberichte der Mitarbeiter der Filmkritik, angefangen mit einem Atelierbesuch von Enno Patalas bei Max Ophüls’ Dreharbeiten in Boulogne-Billancourt.370 Als Wilfried Berghahn 1961 mit einem Fernsehteam nach Italien reiste, erschien dies auch in seinem Text für die Filmkritik wieder einmal als das gelobte Land des reichhaltigen und hochwertigen Filmschaffens: es stellte sich heraus, daß der letzte Programmpunkt, die neuen Regisseure, bereits mehr als ein halbes Dutzend Mal abendfüllend war. Daß ich geglaubt hatte, ein paar Stichproben würden genügen, erwies sich als typische Fehleinschätzung eines Deutschen, der, in seinem eigenen

365 Vgl. Kapitel 4.1.5. 366 Vgl. Enno Patalas: A propos du Dernier Pont. Tendances actuelles du cinéma allemand, in: cinéma 55, Nr. 4, März 1955, S. 56–59, hier S. 56; ders.: 08/15, in: Cinema Nuovo, Nr. 73, 25. 12. 1955, S. 453 f., hier S. 454; ders.: The German waste land, in: Sight and Sound, Nr. 1, Sommer 1956, S. 24–27, hier S. 27. 367 Aristarco: I mobbisti (Cinema Nuovo, Nr. 15, 1953), S. 58. 368 Vgl. Ulrich Gregor: Filmclubs an den Universitäten, in: Filmkritik, Nr. 7, 1962, S. 289 f. 369 Vgl. Guido Aristarco: Tedeschi al cinema. I film della Guerra nazista, in: La Stampa, 20. 7. 1961. 370 Vgl. Enno Patalas: Kolportage mit doppeltem Boden. Max Ophüls’ Meisterwerk „Madame de …“, in: Antares, Nr. 2, 1955, S. 82–84.

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Lande beinahe jeglicher Hoffnung auf junge Talente entwöhnt, hinterrücks zu vergessen beginnt, daß es glücklichere Nationen gibt.371

Ähnliche Begeisterung ob der Vielfalt und Produktivität des italienischen Kinos übermittelte 1965 Theodor Kotulla von einer Romreise, mittlerweile schon in stärkerer Sympathie zur Cinema 60, „deren Mitarbeitern man sich nach den ersten Sätzen bereits, auf englisch oder in Übersetzung, kollegial verbunden weiß“.372 In der internationalen Filmkultur der ersten Nachkriegsjahrzehnte hatte sich ein Netzwerk nicht nur aus kritischen Filmjournalisten, sondern auch aus mehr oder weniger linksgerichteten Filmhistorikern und -theoretikern gebildet, in dem viele der hier vorgestellten Akteure eine wichtige Rolle als Knotenpunkte spielten. Häufig waren die Protagonisten dieser transnationalen kritischen Filmdiskussion Emigranten und – erzwungene – Kosmopoliten. Der Briefwechsel zwischen Guido Aristarco und Siegfried Kracauer ist dafür exemplarisch und bietet etliche Anhaltspunkte. Die beiden Autoren halfen sich gegenseitig dabei, ihre Bücher in den USA beziehungsweise in Italien herauszubringen: Kracauer vermittelte Aristarco den britischen Regisseur und Filmhistoriker Paul Rotha als Kontakt, um für die Storia delle teoriche del film den Einstieg in den angelsächsischen Markt zu finden, Aristarco begleitete die Publikationen von From Caligari to Hitler und besonders von Kracauers Theory of Film in Italien, für die er die Einleitung verfasste und die sein Redaktionskollege Paolo Gobetti übersetzt hatte.373 In den Briefen war häufiger von einem „common friend“ oder „comune amico“ die Rede, was sich auf Treffen und Gespräche mit dem Filmkünstler Hans Richter oder dem Kunsttheoretiker Rudolf Arnheim bezog, die bei ihrer Flucht vor dem Nationalsozialismus schließlich in den USA gelandet waren. Aristarco berichtete Kracauer etwa 1955 aus Venedig und Mailand: „Abbiamo parlato di lei con molta simpatia anche con Richter, chi è stato qui a Milano a trovarmi. Chissà che un giorno non ci si possa trovare tutti insieme?“374 Bald darauf sollte sich dieser Wunsch erfüllen, denn Kracauer kam bei einer Europareise auch in Mailand vorbei und besuchte die Redaktion der Cinema Nuovo, was in der Zeitschrift durch ein Foto dokumentiert wurde.375 1958 plante Kracauer eine neuerliche Europatour um das Festival von Venedig herum, die offizielle Einladung dazu organisierte ihm Guido Aristarco.376 371 Wilfried Berghahn: Die Ernte des Neorealismus, in: Filmkritik, Nr. 12, 1961, S. 572–576, hier S. 572. 372 Theodor Kotulla: Das Erbe Rossellinis, in: Filmkritik, Nr. 6, 1965, S. 351–355, hier S. 351. 373 Vgl. etwa Siegfried Kracauer an Guido Aristarco, New York, 7. 2. 1954, 7. 5. 1954 und 30. 3. 1963, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005776; in umgekehrter Richtung zum Beispiel Guido Aristarco an Siegfried Kracauer, Mailand, 3. 3. 1954, ebd., MPF A: Kracauer, Nr. 005845. 374 Guido Aristarco an Siegfried Kracauer, Mailand, 17. 10. 1955, ebd.; vgl. weiter ders. an Siegfried Kracauer, Mailand, 9. 6. 1959, ebd.; Siegfried Kracauer an Guido Aristarco, New York, 28. 8. 1955, ebd., MPF A: Kracauer, Nr. 005776. 375 Vgl. Cinema Nuovo, Nr. 92, 15. 10. 1956, S. 200. Das Foto wurde noch einmal aufgegriffen von Guido Aristarco: Siegfried Kracauer e la Germania di Weimar, in: Cinema Nuovo, Nr. 294, April 1985, S. 5 f., hier S. 6. 376 Vgl. etliche Briefe der beiden aus der ersten Hälfte des Jahres 1958, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005776 und 005845; Floris Luigi Ammannati an

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Die Zusammensetzung dieses Netzwerks kritischer Filmkultur ließ sich schon 1952 sehr gut in der Sight and Sound erkennen, als deren Redaktion eine Umfrage unter Filmkennern zu den besten Filmen aller Zeiten durchführte. Lindsay Anderson und Gavin Lambert nahmen als Initiatoren selbstverständlich teil, daneben stimmten zum Beispiel Aristarco, Arnheim, Kracauer und Rotha ab, zudem André Bazin und mit Lotte Eisner eine weitere Cineastin, die in den 1930er Jahren aus Deutschland geflohen war.377 Eisner arbeitete nun in Frankreich. Dort liefen viele der Kontaktfäden bei Georges Sadoul zusammen; mit der Cinema Nuovo war er ja ohnehin verbunden und aus seinem Nachlass sind neben vielen anderen beispielsweise auch Briefwechsel mit Cesare Zavattini, Luchino Visconti und wiederum Siegfried Kracauer überliefert. Sadouls Beispiel zeigt zudem, dass das Netzwerk wenigstens symbolisch eingriff, wenn seinen Mitgliedern Schwierigkeiten oder Gefahr drohten – nicht nur im Falle der Verhaftung von Aristarco und Renzi.378 Der gesellschaftskritische Regisseur Juan Antonio Bardem wurde in Spanien Anfang 1956 verhaftet, weil er mit Studentenprotesten in Madrid in Verbindung gebracht wurde. Daraufhin verschickte Sadoul Rundbriefe an seine Bekannten im In- und Ausland mit der Bitte um öffentlichkeitswirksame Aufrufe zur Befreiung Bardems, der aber ohnehin bald darauf aus der Haft entlassen wurde. Aus London meldete Lindsay Anderson einen Brief an die Times, in der Bundesrepublik war der als Kommunist verschmähte Filmjournalist Albert Schneider Sadouls Ansprechpartner; Sadoul versuchte zudem, an Filmsets zu agitieren, und aus Italien übermittelten Zavattini oder Alberto Lattuada die medialen Aktivitäten, auch der Cinema Nuovo.379 Aristarcos Zeitschrift erklärte, dass sie sich „associa alla protesta dei colleghi francesi, esprimendo la propria particolare simpatia a Bardem, con il quale ebbe occasione di avere ripetuti contatti personali“ und würdigte den Filmemacher in der folgenden Ausgabe mit mehreren Seiten Berichterstattung, darunter einem kurzen Porträt durch Pierre Billard.380 Die Autoren der Filmkritik wuchsen allmählich in diese Zirkel kritischer Filmexperten hinein. Neben den zahlreichen Kontakten zu Kritikern sind etwa die Briefe, die Enno Patalas mit Siegfried Kracauer über Jahre hinweg austauschte, immer wieder herangezogen worden. 1958 kam es bei der Mostra in Venedig nicht nur zum Treffen der westdeutschen Kritiker mit Aristarco und Kollegen, sondern endlich auch zur persönlichen Begegnung mit Kracauer, auf die alle Beteiligten später gerne zurückblickten. Kracauer bat Patalas hinterher um nochmalige Grüße an Ulrich Gregor und Benno Klapp: „Ich hatte viel Freude an unseren Gespraechen Siegfried Kracauer, Venedig, 28. 4. 1958, Archivio Storico delle Arti Contemporanee, Venedig, Cinema 111 (b. 111). 377 Vgl. As the critics like it, in: Sight and Sound, Nr. 2, Oktober-Dezember 1952, S. 58–60. 378 In diesem Fall waren ja beispielsweise Briefe von Sadoul und Eisner nach Italien ergangen, vgl. Kapitel 4.2.3. 379 Vgl. Cinémathèque française, Bibliothèque du film, Correspondance Georges Sadoul, GS.C 022–042. 380 Zitat aus L’arresto di Bardem, in: Cinema Nuovo, Nr. 77, 25. 2. 1956, S. 99; vgl. zudem Pierre Billard: Puerta del sol, in: Cinema Nuovo, Nr. 78, 10. 3. 1956, S. 141.

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in Venedig.“381 Gregor kannte Lotte Eisner bereits aus seiner Zeit als Gaststudent in Paris von etlichen Besuchen in der Cinémathèque française. Mit Jay Leyda lernte er einen weiteren Filmhistoriker kennen, der politisch zum Weltbürgertum gezwungen wurde – der US-Amerikaner war als Kommunist diskreditiert und lebte lange Jahre in China und in Ostberlin.382 Überhaupt erschienen in der Filmkritik gerade Anfang der 1960er Jahre immer wieder Gastbeiträge von einst emigrierten Protagonisten der kritischen Filmkultur wie Jonas Mekas, Robert Vas oder Gideon Bachmann.383 Die junge westdeutsche Kritikergruppe hatte den Anschluss an die niveauvolle, internationale Auseinandersetzung mit dem Medium Kino in langen Lehrjahren gesucht und nun allmählich gefunden. Sie verband dies, wie in dieser Studie stets mitschwang, mit der Suche nach unpopulären, kritischen Gesellschaftsdiagnosen. Der Rückgriff auf die Texte von Emigranten, gerade auch der Vertreter der Frankfurter Schule, die in der Bundesrepublik noch häufig mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen hatten, gehört zu dieser Haltung der Filmpublizisten – es war der Wunsch, die vielen Lücken zu schließen, die der Nationalsozialismus und in ihren Augen auch die provinzielle Mentalität der Bundesrepublik in die Geschichte des deutschen Kulturschaffens und seiner internationalen Verbindungen und Verflechtungen gerissen hatten.

381 Siegfried Kracauer an Enno Patalas, New York, 1. 10. 1958, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar, MPF A: Kracauer, Nr. 005818; zum Treffen vgl. auch Patalas: Siegfried Kracauer. 382 Berichtet im Zeitzeugengespräch mit Ulrich Gregor. 383 Vgl. als Beispiele Robert Vas: Warten auf Anderson, in: Filmkritik, Nr. 1, 1963, S. 13–16; Gideon Bachmann: Ungarns Film zwischen Frost und Tauwetter, in: Filmkritik, Nr. 3, 1963, S. 106–109.

7 SCHLUSSBETRACHTUNG Bevor sich in Italien und der Bundesrepublik Deutschland – wie in anderen „westlichen“ Ländern auch – die Studenten- und Jugendproteste in der Zeit um 1968 so weit zuspitzten, dass dieses Datum als Chiffre für revolutionäre Stimmung und den gesellschaftskritischen Umschwung der Nachkriegszeit in die kollektive Erinnerung eingeprägt wurde, haben nach einhelliger Forschungsmeinung schon länger, mindestens seit den ausklingenden 1950er Jahren, kritische, nonkonformistische Strömungen und Gruppierungen untergründig an dieser „Neuen Linken“ mitgewirkt und ihrem symbolischen Durchbruch den Boden bereitet. In dieser Arbeit ging es wesentlich darum, die Filmkritikerzirkel um die Zeitschriften Cinema Nuovo und Filmkritik anhand einer Vielzahl von debatten-, kultur- und gesellschaftsgeschichtlichen Themenkomplexen als Trägergruppen und Antriebskräfte dieser langfristigen „Fundamentalliberalisierungen“ einzuordnen und vorzustellen. Parallel dazu wurde das Wirken der Filmpublizisten – insbesondere entlang einer hier so bezeichneten Transferbiographie der Filmkritik und ihrer einzelnen, maßgeblichen Mitarbeiter – in seinen transnationalen Dimensionen ausgeleuchtet, indem immer wieder Vergleiche gezogen und darüber hinaus Einflüsse, Kulturtransfers und vielschichtige personelle und ideelle Verflechtungen in der internationalen Filmkultur der ersten Jahrzehnte nach 1945 herausgearbeitet wurden. Dem kritischen Impetus der Filmjournalisten ist zunächst lebensgeschichtlich und in den Prinzipien und theoretischen Grundlagen ihrer Filmkritikerarbeit nachgespürt worden. Der Kern der Redaktion der Cinema Nuovo war Anfang der 1920er Jahre geboren und somit zwangsläufig in den faschistischen Massenorganisationen sozialisiert worden. Film und Filmkritik waren für den späteren Chefredakteur Guido Aristarco und andere Mitarbeiter schon früh Vehikel, sich gegen soziale Ungleichheiten und ihre geschönte filmische Darstellung im Faschismus aufzulehnen, und schließlich auch ein Anstoß, die Resistenza der letzten Kriegsjahre zu unterstützen. Andere Autoren wie Renzo Renzi verkörperten in der späteren Redaktion die einst ungeduldig auf den radikalen Umbau der Gesellschaft wartenden Jungfaschisten, die sich desillusioniert am Ende von Diktatur und Krieg nach links wandten. Mit diesen unterschiedlichen Vorgeschichten fanden sich die Kritiker als leidenschaftliche Unterstützer des gesellschaftskritischen Neorealismus der 1940er Jahre zusammen, der bereits unter dem Faschismus mit Vorbildern im französischen Film und der US-amerikanischen Literatur gekeimt hatte. Doch der Neorealismus und seine linksgerichteten Sympathisanten in der hochentwickelten italienischen Filmkultur störten die christdemokratischen Entscheidungsträger, die sich 1948 durchsetzten und die filmische Strömung nach und nach eindämmten. Von früheren Posten vertrieben, gründeten die Kritiker 1952 die Cinema Nuovo; diese Zeitschrift vertrat die Abkehr von der gesellschaftlich entrückten Ästhetik des italienischen Idealismus, hin zur „neuen Kultur“ nach Antonio Gramsci und

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zum sozialkritischen Filmrealismus, bevorzugt in der soziologisch-marxistischen Tradition Georg Lukács’. Die Gründer der Filmkritik sowie der kurzlebigen film 56 und F waren ein knappes Jahrzehnt jünger als die italienischen Filmkritiker und somit wiederum in den Strukturen des Nationalsozialismus aufgewachsen. Sie waren recht typische Vertreter der „45er“-Generation, die das Kriegsende bewusst miterlebten und nun im zerstörten und besetzten Deutschland vor einer ideellen Leerstelle standen. Hier setzte ihre Transferbiographie ein, denn in der durch den Nationalsozialismus und die Konkurrenz der DDR verkümmerten, verunsicherten Filmkultur Westdeutschlands waren es vor allen ausländische Erzeugnisse, die den Studenten neue Sichtweisen und Orientierung vermittelten – etwa in der von den Besatzungsmächten aufgezogenen Filmclubbewegung, in den verfügbaren italienischen, französischen oder britischen Filmzeitschriften und bald während erster filmischer Entdeckungsreisen oder dem Auslandsstudium. Sie entwickelten über die Jahre eine internationalisierte Filmkultur; diese war gerade durch starke romanische Einflüsse vorwiegend eine „europäisierte“ Filmkultur im Kontrast zur an vielen Punkten amerikanisierten Populärkultur der Bundesrepublik. Nach erster filmjournalistischer Bewährung in Kulturzeitschriften oder dem Filmcluborgan folgte 1957 die eigenständige Filmkritik. Die Jungkritiker adaptierten den kritischen Realismus ihrer italienischen Vorbilder und kombinierten diesen Anspruch mit Lektüren sozialkritischer deutschsprachiger Autoren aus Zwischenkriegszeit und Exil. Siegfried Kracauers Modell schärfte ihren Blick für Mentalitäten, Ideologien und Gesellschaftsdiagnosen, die sich in Gestaltung und Inhalten von Filmen und anderen Kulturgütern ablesen ließen, die Kritische Theorie der Frankfurter Schule verwies auf manipulative Tendenzen und politische Effekte der „Kulturindustrie“. Auf dieser Basis war die Kritikerpraxis der Cinema Nuovo und der Filmkritik sehr ähnlich. Ihr Umgang mit dem heimischen und dem US-amerikanischen Kino hat in der Analyse vergleichbare Muster zutage gefördert. Mit den meisten Großproduktionen und Kassenschlagern auf den jeweiligen nationalen Filmmärkten – mit Monumental- und Abenteuerfilmen, italienischen Komödien im Lokalkolorit, mit Heimat- und Ferienfilmen oder Musikrevuen, mit Western, Krimiserien oder in späteren Jahren der James Bond-Reihe – gaben sich die Kritiker ohnehin kaum ab. Den strengen Hütern des kritischen Realismus von der Cinema Nuovo erfüllte kaum ein Werk der als dauerhaft kriselnd empfundenen italienischen Produktion die hohen Ansprüche, in der Bundesrepublik attestierten die Ideologiekritiker von der Filmkritik einem Großteil des Rezensierten qualitative Defizite und die Beförderung von Autoritätshörigkeit, politischer Passivität und dem biederen Rückzug ins Private. Das Hollywood-Kino war durch die McCarthy-Jahre in den Augen der italienischen und westdeutschen Kritiker als systemkonform und allenfalls pseudokritisch diskreditiert, ganz zu schweigen von den Ausfälligkeiten des Kalten Kriegs, die sie hier beobachteten. Wie aufgezeigt wurde, waren es aber – im Gegensatz zum Urteil der meisten zeitgenössischen Kollegen aus der Fach- und Tagespresse – bei beiden Gruppen gerade auch Filmprojekte mit höheren kritischen Ambitionen, die streng und oft abschlägig bewertet wurden, da Details oder Grundannahmen ihren Vorstellungen von gesellschaftskritischer Filmkunst nicht genügten; so im Falle der

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neueren Filme neorealistischer Pioniere wie Vittorio De Sica oder Roberto Rossellini, der „Problemfilme“ und Satiren in Westdeutschland oder der „hard boiled“ Filme aus den USA. Zur nonkonformistischen Filmpublizistik und Polemik gehörte für die Cinema Nuovo und die Filmkritik seit den Anfängen in den 1950er Jahren das in beiden Ländern heikle Feld der Filmpolitik. In Italien galten die Attacken dem „System“ Giulio Andreottis und seiner Nachfolger als „sottosegretari dello spettacolo“, die mit den verschiedensten Instrumenten der Filmförderung und Filmkontrolle versuchten, eine politisch und sittlich-moralisch genehme Filmproduktion zu schmieden. Aus eigenen praktischen Erfahrungen im Filmgeschäft und regem Austausch mit Filmschaffenden entstanden viele Berichte des Kreises um die Cinema Nuovo, in denen anschaulich die unausgewogenen Urteile von Kommissionen, die inoffizielle Vorzensur der Filmbeamten, die politisch einseitigen Dokumentarfilme oder Wochenschauen und schließlich auch der Einfluss der katholischen Kirche mit den Filmempfehlungen des Centro Cattolico Cinematografico, den Verlautbarungen des Papstes und dem weitverzweigten Netz der Gemeindekinos skizziert und angeprangert wurden. Nach einer weiteren Welle staatsanwaltlicher und kirchlicher Eingriffe zum Beispiel in Michelangelo Antonionis Filme oder Federico Fellinis La dolce vita um 1960 entspannten sich die filmpolitischen Konflikte in Italien durch offenere Kommissionen, Förderprogramme und auch die allgemein gute Konjunktur des Kinos und den Linksschwenk der Regierung in den Folgejahren allmählich. Für die Filmkritik sind etliche Differenzen mit dem filmwirtschaftspolitischen Klima der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre illustriert worden. Immer wieder beharkten sich dort die auf den eigenen Vorteil bedachten Lobbyisten der Filmwirtschaft mit den oft in unklarer Zuständigkeit durcheinander agierenden Politikern und Beamten aus den verschiedensten Bundes- und Landesministerien. Die Kritikergruppe verurteilte die unkreative Selbstgefälligkeit der Filmindustrie, den konservativen Filmgeschmack der Kulturpolitiker und das Zusammenspiel dieser Sektoren in den für die Filmkritik nicht selten skandalösen Entscheidungen der FSK oder der FBW gleichermaßen; hinzu kamen Polemiken gegen die Resultate der Bundesbürgschaftsprogramme und Filmprojekte etwa des Bundespresseamts oder des Auswärtigen Amts und gegen die moralisierenden Wortmeldungen der katholischen und evangelischen Kirche Westdeutschlands. In den 1960er Jahren erhielten die Redakteure der Filmkritik zunehmend genauere Einblicke etwa in die internen Vorgänge der Filmbewertungsstelle oder die Filmgesetzgebung, mit der auf die verschärfte Krise des bundesrepublikanischen Filmschaffens reagiert werden sollte, so dass ihre publizistischen Angriffe noch einmal an Schlagkraft gewannen. Über die verschiedenen Abschnitte der Studie hinweg haben einige Schlüsselfilme exemplarisch die Anliegen und die Kritikerpraxis der beiden Zeitschriftenredaktionen veranschaulicht. Für die Cinema Nuovo war lange Jahre Senso von Luchino Visconti die Vollendung des kritischen Realismus, ein filmischer historischer „Roman“, der die privaten Geschicke der Protagonisten in überzeugender, tiefgehender Weise mit den historischen Entwicklungen der italienischen Einigungsbewegung verbinde und auch aktuelle Deutungen der Resistenza einstreue. Es war zudem gerade Viscontis Film, der durch die Revisionskommission und die

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vorherige Einflussnahme verschiedener Ministerien zusammengestrichen und zur Empörung der linken Kritiker etwa bei den Festspielen von Venedig 1954 trotz überschaubarer Konkurrenz übergangen wurde. In den 1960er Jahren kam Viscontis Familiendrama Rocco e i suoi fratelli diese Rolle in der Cinema Nuovo zu, ein wiederum filmpolitisch bedrängter Film. Insbesondere Senso zeigte auch die transnationale, gerade italienische Prägung der Filmkritik-Gruppe, denn der Film wurde in nahezu identischen Formulierungen als Filmideal gepriesen und die gekürzte, verzerrend synchronisierte Fassung für die Bundesrepublik wurde dementsprechend scharf kritisiert. Die Filmbiographie Stresemann war 1957 für die westdeutsche Kritikergruppe ein besonders eindrückliches Beispiel für die fragwürdige Darstellung von Politik und Geschichte in einheimischen Produktionen. Tatsächlich ist in dieser Arbeit rekonstruiert worden, wie Stresemann nach den tagespolitischen Interessen von Konrad Adenauers Regierung gestaltet worden ist. Gleichzeitig verpufften diese Maßnahmen vor allem in der erfolglosen Auslandsverwertung, was den geringen Stellenwert des westdeutschen Films dieser Jahrzehnte zusätzlich unterstrich. Spätestens an der Wende zu den 1960er Jahren waren beide Kritikerkreise in ihren Heimatländern als umtriebige und unbequeme Akteure in Filmpublizistik und Filmkultur verankert. Die Mitarbeiter der Cinema Nuovo waren gut vernetzt mit Filmschaffenden oder den Circoli del cinema, zudem durch über die Zeitschrift hinausgehende Publikationen stets in den wichtigen Filmdebatten präsent. Ihre kenntnisreichen Artikel, die Konfrontationsbereitschaft gegenüber der konventionelleren Filmpresse und das gleichzeitige Bemühen um interne Meinungsvielfalt lockten zunächst auch jüngere Filmjournalisten als gleichgesinnte Neuzugänge an. In den 1960er Jahren erstarrte der kritische Realismus allerdings angesichts neuerer filmhistorischer Entwicklungen zum redundant vorgetragenen Dogma. International waren die maßgeblichen Autoren des italienischen Filmmagazins bereits seit Beginn der 1950er Jahre bestens in ein kritisches Netzwerk von Filmpublizisten, -theoretikern und -historikern integriert – dies belegten die zitierten Briefwechsel etwa mit Siegfried Kracauer und Georges Sadoul, dazu der Austausch von Artikeln und Besuchen mit anderen linken Filmkritikern aus West- und Südeuropa und die Auftritte auf Filmfestivals. Die Gruppe um die Filmkritik emanzipierte sich bald von der erlahmenden Filmclubbewegung, dem „Mainstream“ unter Filmjournalisten und Filmschaffenden und erlangte Präsenz in anderen Medienformaten und durch eigene filmkulturelle Initiativen wie etwa an der Westberliner Kinemathek, so dass ihr beispielsweise der Regisseur Volker Schlöndorff im Rückblick zuschrieb, die „intellektuelle Vorarbeit“ für den Aufbruch des bundesdeutschen Films mit dem Oberhausener Manifest von 1962 geleistet zu haben. Die wachsende Resonanz dieser Filmkritiker ging stets einher mit dem Fortschreiten ihrer Transferbiographie: Lektüren auch der französischen Positif oder der britischen Sight and Sound bestärkten sie in ihrer gesellschaftskritisch engagierten Filmkonzeption und der Agitation gegen Filmzensur aller Art, sie wurden zu Verbreitern und Verteidigern etwa der italienischen Filme in Westdeutschland und zu regelmäßigen Gästen auf den verschiedenen internationalen Filmfestivals. Es folgten gute Freundschaften zu Filmpublizisten und die

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Einbindung in das Netzwerk kritischer Filmkultur. Die Filmfestivals blieben aber stets eine problematische Austauschplattform für die vorgestellten Kritiker; sie waren häufig Bühne empfindlicher auswärtiger Kulturpolitik nicht nur der Bundesrepublik, deren Diplomaten mit Interventionen gegen Nuit et brouillard oder Das Mädchen Rosemarie Aufsehen und auch Unverständnis erregten. Den mondäneren Großfestivals in Venedig, Cannes oder Westberlin zogen die linken Kritiker von Cinema Nuovo und Filmkritik regelmäßig kleinere, unprätentiöse Veranstaltungen in Locarno, Karlovy Vary oder in Oberhausen vor, doch gerade auch diese mussten mit filmpolitischen Eingriffen rechnen. Im gesamten Untersuchungszeitraum bezogen die Filmjournalisten regelmäßig zu Themenfeldern Stellung, die über die Grenzen ihres Mediums und Metiers hinausgingen, was ebenfalls zu ihrem Status als bekannte nonkonformistische Kritiker beitrug. Die Gesellschaftskritik in der Cinema Nuovo drehte sich anfangs noch um Armut und Ungerechtigkeit in der italienischen Nachkriegszeit, dann um den repressiven Politikstil der christdemokratischen Regierungen und die Vernachlässigung des „mezzogiorno“. Schließlich bemängelten ihre Mitarbeiter ab Ende der 1950er Jahre – wie das Pendant der Filmkritik – den besinnungslosen Konsum, die „Entfremdung“ und den konformistischen Zwang der Lebensstile im „Neokapitalismus“. Seit je her ging es beiden Gruppen stattdessen ja um mündige, kritische, rational diskutierende Filmzuschauer und Staatsbürger in der Demokratie, die sie durch aufklärende Filme und ihre begleitende filmkritische Arbeit heranerziehen wollten. Als außerfilmisches Sujet, das aber zumeist an Beispielfilmen und Filmschaffenden verhandelt wurde, tauchte in den Magazinen zudem die Vergangenheit beider Länder mit Faschismus, Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg auf. Unisono wandten sie sich gegen die personelle Kontinuität und die verkürzte Aufarbeitung der Diktaturen; gegen die Diskreditierung des linken Flügels der Resistenza, gegen die Ausreden der „Mitläufer“ und den Heldenkult der als sportlicher Wettkampf inszenierten Kriegsfilme. Ein Filmvorschlag Guido Aristarcos und Renzo Renzis, der mit Mythen des italienischen Griechenlandkriegs aufräumen sollte, endete 1953 mit der Verhaftung und Verurteilung der beiden Reservisten nach altem faschistischen Militärrecht, das erst Jahre später außer Kraft gesetzt wurde. Zu guter Letzt verschmolzen die filmpolitischen Angriffspunkte und der geopolitische Nonkonformismus der beiden Kritikergruppen in der Frage des osteuropäischen Kinos. Hier bemühten sie sich um eine differenzierte und reflektierte Zwischenposition. Auf der einen Seite verweigerten sie die alarmistische Ausgrenzung zum Beispiel sowjetischer Filmkunst im laufenden Spielbetrieb und auf westlichen Festivals – sie übten etwa im deutschen Fall schon sehr früh Kritik am intransparenten Interministeriellen Ausschuss für Ost/West-Filmfragen, hoben die Qualitäten dieser Filmschulen hervor und pflegten Kontakte auch in die DDR. Auf der anderen Seite distanzierten sich die Kritiker von folgsamen Parteigängern des Stalinismus und von Repressionen und filmischer Propaganda im sowjetischen Einflussbereich, was beispielsweise Mitarbeitern der Filmkritik wiederholt harsche Gegenrede und sogar Verhaftungen und Gefängnisstrafen in der DDR einbrachte.

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Dieses Bündel an filmischen und außerfilmischen Konfliktthemen und Stoßrichtungen qualifiziert die Filmkritiker um die Cinema Nuovo und die Filmkritik im Sinne der Arbeitshypothese dieser Studie zu Vorläufern der 1968er Bewegungen ihrer Länder und zu kulturgeschichtlichen Trägergruppen des langfristigen, liberalisierenden Gesellschaftswandels. Sie schufen durch ihre spezifische Form der Filmkritik bereits weit im Voraus Räume nonkonformistischen, kritischen Denkens und Handelns, brachen politische und gesellschaftliche Tabus auf und mussten dafür immer wieder Entbehrungen und Rückschläge hinnehmen. Nun, zum Ende der 1960er Jahre, verbanden sie viele national und international angesiedelte Kritikpunkte mit den Jugend- und Studentenprotesten; sie äußerten auch direkte Sympathie und Solidarität, etwa mit den Streiks an der italienischen Filmhochschule oder den Demonstrationen, die die großen Filmfestivals des Jahres 1968 ins Taumeln brachten. Und doch gerieten sie, die klar vor dem Zweiten Weltkrieg geboren waren und sich allmählich in ihren filmkulturellen Nischen eingerichtet hatten, in die Kritik noch jüngerer, noch radikaler agierender und argumentierender Protestierender. Die Vertreter der Cinema Nuovo und der Filmkritik waren in der Rolle einer Zwischengeneration gelandet, die sich schon lange an den Funktionsträgern der vergangenen Diktaturen und der Nachkriegsrepubliken gerieben hatte, aber nun den erst in den 1940er Jahren geborenen 1968ern bereits als zu etabliert galt. Solche Stilfragen des politischen Protests überschnitten sich nämlich zeitlich mit spezifisch filmkritischen und -theoretischen Differenzen. Sie markierten etwa den letzten großen Umbruch in der Transferbiographie der Filmkritik, die ihre filmkulturelle und gesellschaftskritische Dynamik wesentlich aus dem italienischen Vorbild gespeist hatte, und beschäftigten die gesamte linke Filmkultur Westeuropas in dieser Zeit. Ausgelöst durch die Rezeption der französischen Nouvelle Vague und der Cahiers du cinéma kam es zu einer transnationalen, strukturalistischen und zeichentheoretischen Volte der Filmpublizistik; im Zuge dessen galten die Cinema Nuovo und die Filmkritik jüngeren Gruppen um die Cinema 60 oder das Filmstudio jetzt als veraltet und rückwärtsgewandt beziehungsweise als abgehoben und snobistisch. In dieser Studie sind die Geschicke der Filmpublizisten um die Cinema Nuovo und die Filmkritik in den 1950er und 1960er Jahren ausgiebig rekonstruiert und in den Filmkulturen und den Gesellschaften Italiens und Westdeutschlands historisch kontextualisiert worden. Eine zukünftige Erweiterung oder Ergänzung dieser Untersuchung gesellschaftskritischer Filmpresse ist auf verschiedenen Ebenen denkbar. Zwar sind ansatzweise auch Zeitschriften aus Großbritannien und den USA vorgestellt und einbezogen worden und wurde im Kapitel zur transnationalen Dimension der Studienobjekte die französische Filmkultur als privilegierte Vergleichs- und Referenzgröße eingebracht, doch musste dies in begrenztem Rahmen geschehen angesichts des umfangreichen Quellenmaterials. Intensive Studien etwa zur Geschichte der Sight and Sound oder der Positif mit vergleichbarem transnationalen Einschlag und gesellschaftshistorischen Bezug stehen beispielsweise noch aus, ebenso Untersuchungen, die kleinere Filmländer des westlichen, nördlichen oder südlichen Europas dieser Jahrzehnte vergleichs-, transfer- und verflechtungsgeschichtlich einbeziehen. Neben solchen möglichen regionalen Erweiterungen ist

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7 Schlussbetrachtung

eine zeitliche Ausdehnung des Untersuchungszeitraums vorstellbar, die die geschilderten Entwicklungen in die 1970er Jahre oder darüber hinaus weiterverfolgt und nach Langzeitwirkungen dieses Durchbruchs kritischer (Film-)Kultur fragt, nach Ausdifferenzierungen, gesellschaftlichen Reaktionen oder Stagnationen. Schließlich könnte ein Abgleich mit anderen Kunstformen oder Medien die Kulturgeschichte der hier behandelten Länder oder gar des gesamten europäischen Raums nach 1945 auf reizvolle Weise weiter ausleuchten. Zunächst wäre nach vergleichbarer kritischer Intellektualität etwa in der populären Musik oder im hier nur am Rande gestreiften, neu aufgekommenen Fernsehen zu fragen; sodann nach ähnlichen internationalen, gesellschaftskritischen Netzwerken und Einflussströmungen, Asymmetrien oder Nachholbewegungen in diesen Sektoren und in der Literatur, Malerei und weiteren Künsten; anschließend nach Verbindungen der in dieser Arbeit diskutierten nonkonformistischen Netzwerke von Filmkritikern, Filmtheoretikern und Filmhistorikern in diese Segmente, nach Schnittmengen, Austausch und Intermedialität. All diese Punkte münden in der Frage nach weiteren Zwischenbereichen oder Mischformen von Hochkultur, kritischer Intellektualität und Populärkultur und ihren Effekten für die Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der „westlichen“ Welt nach dem Zweiten Weltkrieg.

8 ANHANG 8.1 QUELLENVERZEICHNIS 8.1.1 Ungedruckte Quellen – Archive Deutsche Kinemathek, Berlin

Pressearchiv: Ausschnittsammlung Festivalarchive: Sammlungen zu Berlin, Leipzig, Oberhausen Nachlassarchiv: Sammlungen Enno Patalas, Wolfgang Staudte

Cineteca di Bologna

Fondo Guido Aristarco Fondo Renzo Renzi Fondo Padre Nazareno Taddei

Textarchiv des Deutschen Filminstituts, Frankfurt am Main Ausschnittsammlung

Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar Nachlass Siegfried Kracauer

Archiv der Akademie der Künste, Berlin

Walter Benjamin Archiv: hier Zugriff auf die Briefsammlung aus dem Theodor W. Adorno Archiv, Frankfurt am Main Helmut Käutner Archiv Konrad Wolf Archiv

Archivio Storico delle Arti Contemporanee, Venedig Bestände Cinema, Ritagli Stampa, Ufficio Stampa

Cinémathèque française, Bibliothèque du film, Paris Correspondance Georges Sadoul

Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin B 95 (Kunst, Film, Rundfunk)

Bundesarchiv, Berlin und Koblenz

B 102 (Bundesministerium für Wirtschaft) B 106 (Bundesministerium des Innern) B 136 (Bundeskanzleramt) B 137 (Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen) B 145 (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung) DR 1 (Ministerium für Kultur der DDR)

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Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestags, Berlin

3117 (Bundestagsausschüsse für Kulturpolitik; für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films; für Kulturpolitik und Publizistik)

Italia taglia – Progetto di ricerca sulla censura cinematografica in Italia Banca dati della revisione cinematografica (http://www.italiataglia.it/bancadati)

8.1.2 Zeitzeugen Gero Gandert, Berlin (E-Mailwechsel im September 2013) Ulrich Gregor, Berlin (Zeitzeugengespräch am 25. 6. 2012)

8.1.3 Gedruckte Quellen Zeitschriften und Zeitungen (Zeiträume der mit vollständigen Titelangaben zitierten Beiträge) Antares (1955) Bianco e Nero (1954–1956) Cahiers du cinéma (1951–1961) Cinema (1950–1952) cinéma (1954 f.) Cinema 60 (1960) Cinema Nuovo (1952–1985) Il Contemporaneo (1955) Deutsche Filmkunst (1955–1959) Deutsche Rundschau (1955) Evangelischer Film-Beobachter (1957–1962) F (1958) film (1965–1967) film 56 (1956) filmblätter (1954–1962) Filmcritica (1956–1962) Filmdienst (1960–1964) Film-Echo (1954–1961) und Film-Echo / Filmwoche (1962) filmforum (1951–1960) Filmkritik (1957–1969) Filmstudio (1962–1966) Filmwoche (1954) und Filmwoche / Der neue Film (1960) Frankfurter Allgemeine Zeitung (1965) Frankfurter Hefte (1952–1964) magnum (1958–1960) Merkur (1959–1968) Der Monat (1948–1959) Le Monde (1956) Neue Deutsche Hefte (1954–1966) Die Neue Rundschau (1963) Positif (1952–1968)

8.1 Quellenverzeichnis

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Rassegna del film (1952 f.) Sight and Sound (1952–1960) Der Spiegel (1951–1968) La Stampa (1961) Die Zeit (1963)

Sonstige gedruckte Quellen Adorno, Theodor W.: Briefe und Briefwechsel, hg. vom Theodor W. Adorno Archiv, Bd. 7: Theodor W. Adorno. Siegfried Kracauer. Briefwechsel 1923–1966, hg. von Wolfgang Schopf, Frankfurt/Main 2008. Adorno, Theodor W. / Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1947], 17. Aufl., Frankfurt/Main 2008. Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten e. V. (Hg.): Jahrbuch der Filmkritik, Emsdetten 1959. Aristarco, Guido: Storia delle teoriche del film, Turin 1951. Aristarco, Guido: Prefazione, in: ders. (Hg.): Il mestiere del critico. Schede dei piú importanti film italiani e stranieri: 1958–1961, Mailand 1962, S. V–XIV. Aristarco, Guido: Marx, das Kino und die Kritik des Films. Mit einem Vorwort von Georg Lukács. Aus dem Italienischen von Andrea Spingler und Maja Pflug, München 1981. Bazin, André: Die Entwicklung der Filmsprache [1951–1955], in: ders.: Was ist Film?, hg. von Robert Fischer, Berlin 2004, S. 90–109. Calamandrei, Piero: Gli aspetti giuridico-costituzionali del processo, in: Dall’Arcadia a Peschiera. Il processo s’agapò, Bari 1954, S. 3–31. Chiarini, Luigi: Il film nella battaglia delle idee, Mailand 1954. Cramer, Heinz von: Wer zahlt – darf tanzen. Versuch einer kritischen Biographie des deutschen Films, in: Hans Werner Richter (Hg.): Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz 1962. Sechsunddreißig Beiträge deutscher Wissenschaftler, Schriftsteller und Publizisten, München 1962, S. 517–542. Dall’Arcadia a Peschiera. Il processo s’agapò, Bari 1954. Grafe, Frieda / Enno Patalas: Im Off. Filmartikel, München 1974. Gramsci, Antonio: Marxismus und Kultur. Ideologie, Alltag, Literatur, hg. und aus dem Italienischen übertragen von Sabine Kebir. Mit einem Nachwort von Giuliano Manacorda, 3. Aufl., Hamburg 1991. Gregor, Ulrich (Hg.): Wie sie filmen. Fünfzehn Gespräche mit Regisseuren der Gegenwart, Gütersloh 1966. Gregor, Ulrich: Nachwort zur Neuauflage 1973, in: ders. / Enno Patalas: Geschichte des Films, München/Gütersloh/Wien 1973, S. 525–529. Gregor, Ulrich / Enno Patalas: Geschichte des Films, Gütersloh 1962. Groll, Gunter: Die Kunst der Filmkritik. 110 Filmkritiken, neu gelesen. Mit einem Vorwort von David Steinitz, Marburg 2015. Haacke, Wilmont: Aspekte und Probleme der Filmkritik, Gütersloh 1962. Hembus, Joe: Der deutsche Film kann gar nicht besser sein, Bremen 1961. Kracauer, Siegfried: Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino [1928], in: ders.: Das Ornament der Masse. Essays, Frankfurt/Main 1963, S. 279–294. Kracauer, Siegfried: Über die Aufgabe des Filmkritikers [1932], in: ders.: Kino. Essays, Studien, Glossen zum Film, hg. von Karsten Witte, Frankfurt/Main 1974, S. 9–11. Kracauer, Siegfried: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit [1960, dt. 1964]. Vom Verfasser revidierte Übersetzung von Friedrich Walter und Ruth Zellschan, hg. von Karsten Witte, Frankfurt/Main 1985.

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8.3 Personenregister

413

8.3 PERSONENREGISTER Um das Register nicht zu umfangreich und unübersichtlich zu gestalten, sind nicht alle im Text erwähnten Personen erfasst worden. Aufgeführt werden im Folgenden die wesentlichen Mitarbeiter der behandelten Filmzeitschriften sowie Personen, die mehrfach erwähnt werden und/oder als besonders relevant für das Themenfeld und seinen historischen Kontext einzuschätzen sind. Auf die Erwähnungen der Kritiker Guido Aristarco, Ulrich Gregor, Enno Patalas und Renzo Renzi wurde verzichtet, da sie in sehr vielen Kapiteln und dort oft durchgehend erscheinen. A Adenauer, Konrad – 17, 42, 119, 125, 130, 134, 139, 149, 175, 190, 192, 220, 238, 240, 242, 244, 272, 389 Adorno, Theodor W. – 27, 64, 66–69, 71–72, 74, 77, 100, 102, 116–117, 128–129, 210, 239, 258, 263–264, 271, 305, 308 Agel, Henri – 335, 338, 381 Albers, Hans – 94, 119 Ammannati, Floris Luigi – 368–370, 372, 378 Anderson, Lindsay – 314, 327–328, 342, 347, 352, 384 Andreotti, Giulio – 158–162, 164, 166–167, 169, 171, 174, 179, 222, 226–227, 275, 277–278, 369, 388 Antonioni, Michelangelo – 88, 153, 166–167, 223, 246, 253–255, 262, 277, 281, 290, 294, 298, 300, 317–318, 351, 356, 381, 388 Aprà, Adriano – 350–351 Argentieri, Mino – 295, 351 Arnheim, Rudolf – 383–384 Aurenche, Jean – 334, 338 Autant-Lara, Claude – 334, 336, 338 Axtmann, Horst – 180, 375 B Baracco, Adriano – 36–37, 154, 169 Barbaro, Umberto – 36, 215, 228, 252, 292 Bardem, Juan Antonio – 314, 384 Bauer, Alfred – 364, 373, 378 Bausch, Paul – 178–179, 184, 190–191 Bazin, André – 41, 331–334, 337–338, 341–343, 347, 371, 378, 380, 384 Becker, Rolf – 64, 91, 96–97, 103, 109, 126, 146 Beckmann, Heinz – 282, 288 Benjamin, Walter – 27, 66–67, 69, 77, 338 Berghahn, Wilfried – 37–38, 40–43, 64, 66, 71, 73–75, 78, 93, 95, 105, 116, 129–130, 194, 204–206, 208, 210–212, 217, 240, 242, 250, 258–259, 266, 281–282, 303, 307–308, 311, 313, 315–316, 355–356, 359, 378, 382

Bergman, Ingmar – 272, 351 Billard, Pierre – 380–381, 384 Bost, Pierre – 334, 338 Brandt, Willy – 244, 364 Braun, Alfred – 94, 130, 181, 235, 238 Braun, Harald – 93, 235, 237 Brecht, Bertolt – 66–67, 128, 198, 204, 212, 258, 355, 361 Brooks, Richard – 104, 106, 370 Bruno, Edoardo – 228 Brusasca, Giuseppe – 158, 174 Buñuel, Luis – 281, 335, 378 C Calamandrei, Piero – 155 Casiraghi, Ugo – 224–225, 350, 369 Castello, Giulio Cesare – 155, 227, 230 Cattivelli, Giulio – 224, 248, 255, 348 Cavallaro, Giovan Battista – 77, 105, 154, 169 Chabrol, Claude – 332, 342, 346–347, 349, 354–355 Chaplin, Charlie – 63, 99, 186–187, 341 Chardère, Bernard – 335, 338, 378 Chiaretti, Tommaso – 202, 295 Chiarini, Luigi – 33, 36, 44, 52–53, 56–58, 61–62, 85, 108, 113, 123, 131, 136, 143, 152, 170, 202–203, 215, 227–230, 248, 255, 269–270, 274, 276, 368, 370 Coletti, Duilio – 143–144, 318 Comencini, Luigi – 60, 85–86, 121 Cosulich, Callisto – 33, 111, 173, 211, 215, 224, 227, 248, 369 Croce, Benedetto – 46–47, 50 D Daves, Delmer – 102, 193 De Gasperi, Alcide – 17, 245 Del Buono, Oreste – 33, 170, 294 Del Fra, Lino – 33, 62, 86, 89, 172–175, 195, 290, 380 Delling, Manfred – 235, 299 De Sanctis, Francesco – 50–51, 340 De Santis, Giuseppe – 51, 166, 225, 324, 381

414

8 Anhang

De Sica, Vittorio – 13, 53, 55, 83, 86–87, 100, 152, 159, 166–167, 223, 225, 232, 256, 294, 319, 325–326, 381 Di Giammatteo, Fernaldo – 153, 228–230, 324, 368 Dirks, Walter – 125, 140 Dmytryk, Edward – 99, 102, 106, 230 Doniol-Valcroze, Jacques – 331, 334, 344, 346 Dorsday, Michel – 154 Douchet, Jean – 367 E Eckardt, Johannes – 239, 297 Eisler, Hanns – 203, 207 Eisner, Lotte – 145, 345, 384–385 Emmer, Luciano – 114, 222 Enzensberger, Hans Magnus – 187 Erhard, Ludwig – 197, 244 Ermini, Giuseppe – 158, 164 F Färber, Helmut – 250, 263, 356, 361 Falcidia, Giorgio – 132, 137 Falconi, Carlo – 172–173 Fellini, Federico – 66, 88–90, 120, 153, 223, 230, 246, 253, 255, 257, 278–279, 290–292, 320–321, 338, 340, 381, 388 Fenin, Giorgio N. – 98, 154 Ferrero, Adelio – 248–249, 255–256, 294, 350 Finetti, Ugo – 349 Fink, Guido – 35, 248–249, 255, 342, 344, 349 Firk, Michèle – 336, 341, 346, 349 Fossati, Luigi – 199 Frank, Anne – 141–142 Frank, Nino – 341 Fürstenau, Theo – 184–185, 198, 240–241, 288 G Gandert, Gero – 64, 218–219, 283, 304 Gandin, Michele – 33, 54, 109, 124, 143, 154–156, 168, 170, 225, 230, 248, 290 Gehler, Fred – 284 Germi, Pietro – 88, 166 Giglio, Tommaso – 294–295 Girotti, Massimo – 133, 155 Gobetti, Paolo – 214–215, 248, 256, 293, 340–341, 383 Godard, Jean-Luc – 274, 332, 346–350, 352, 354–361, 381 Goebbels, Joseph – 39, 170, 238, 346 Goelz, Erwin – 305–306, 325 Gora, Claudio – 59, 84–85

Grafe, Frieda – 250, 262, 274, 329, 355–356, 360–361 Gramsci, Antonio – 24, 27, 45–46, 48–52, 58, 61, 79, 108, 120, 132, 248, 257, 340, 386 Granich, Tom – 33, 225 Grieco, Giuseppe – 33, 108, 111 Groll, Gunter – 232, 234–236, 298 Guevara, Che – 269, 336 H Habermas, Jürgen – 12, 40, 130, 210 Hagemann, Walter – 32, 40, 42, 118, 129–130, 134, 140, 239–240, 313 Harlan, Veit – 141, 238–239 Hawks, Howard – 333–334, 336, 346, 351, 357 Hembus, Joe – 303, 309, 353 Hitchcock, Alfred – 98, 333–334, 342, 346, 348, 351 Hitler, Adolf – 39, 139, 146–147, 190–191, 220, 271, 322, 344 Höcherl, Hermann – 287–288, 304 Hoffmann, Hilmar – 242–243 Hoffmann, Kurt – 138, 146, 261, 298, 354 Horkheimer, Max – 27, 66–69, 71–72, 74, 77, 100, 102, 116–117, 129, 258, 305 Houston, Penelope – 327–328, 348 K Käutner, Helmut – 28, 75, 93, 95, 130, 145–146, 194, 210, 232, 237, 260, 287, 316, 371 Kalatosow, Michail – 206, 212, 236, 256 Kast, Pierre – 99, 332, 336 Kazan, Elia – 99, 102, 104–105, 193, 225 Kersten, Heinz – 283–284 Kezich, Tullio – 33, 54, 111, 124, 224, 229–230, 248, 290, 341, 379 Klaiber, Manfred – 322–325, 372–373 Klapp, Benno – 40–41, 63–64, 116, 384 Kluge, Alexander – 274, 289, 308, 310–312, 358 Kogon, Eugen – 125, 140–141 Korn, Karl – 234 Kotulla, Theodor – 37–38, 40–41, 64, 66–68, 71, 78, 90–91, 103, 105, 115–116, 127, 140–141, 145, 186, 212, 217, 242, 250, 260, 266, 302, 305, 308, 318–320, 338, 353–354, 358, 360–361, 383 Kracauer, Siegfried – 27–28, 66–72, 74, 76–77, 99, 112, 115, 128–130, 134, 154, 231, 247, 258–259, 263–264, 306–307, 313, 329, 345, 361, 363, 382–384, 387, 389

8.3 Personenregister Kubrick, Stanley – 78, 103, 314 Kühn, Heinz – 177, 179–180 Kuhlbrodt, Dietrich – 37–38, 40, 42, 64, 106, 116, 127, 146, 205, 250, 262, 271, 273, 286, 312, 329, 361 Kyrou, Ado – 335, 337, 381 L Lambert, Gavin – 327–328, 352, 378, 384 Lanocita, Arturo – 225, 350 Lattuada, Alberto – 152, 165, 384 Leiser, Erwin – 139, 191 Liebeneiner, Wolfgang – 94, 238 Linder, Herbert – 250, 356–357, 361 Lizzani, Carlo – 61, 137, 152, 166–167, 216, 222–223, 318 Lo Duca, Joseph-Marie – 100, 331, 341 Loy, Nanni – 325–326 Luft, Friedrich – 232, 234 Lukács, Georg – 24, 27, 48, 52, 56, 58–62, 78–79, 83, 85, 89–90, 92, 108, 128, 165, 215, 223, 248, 252–253, 256–258, 264, 270, 292, 294, 318–319, 340, 351, 354, 358, 387 Lumet, Sidney – 75, 104, 106 M Mangini, Cecilia – 172, 215, 290, 380–381 Marcorelles, Louis – 11–12, 341, 377 Marker, Chris – 344, 363, 380 Markus, Bert – 233–234 Martin, Marcel – 368, 381 Martini, Stelio – 164, 227 Maselli, Francesco – 170, 314 May, Paul – 146, 148 McCarthy, Joseph – 99, 102–103, 153, 193, 329, 387 Mekas, Jonas – 329, 353, 385 Mende, Erich – 177, 180 Michel, Karl Markus – 64, 130 Monicelli, Mario – 84, 167 Morandini, Morando – 294, 350, 378 Moscon, Giorgio – 50, 132, 152 Mucchi, Gabriele – 55, 62 Muckermann, Richard – 178–179 Munk, Andrzej – 314, 379 Mussolini, Benito – 17, 34–35, 112, 150, 154 N Nettelbeck, Uwe – 250, 261–262, 266, 300, 302, 356 Niehoff, Karena – 234 Nitribitt, Rosemarie – 96–97, 372

415

O Olmi, Ermanno – 246, 293, 302, 356, 358 Ophüls, Max – 334, 378, 382 Orsini, Valentino – 256, 269 P Paladini, Aldo – 112, 227, 340, 343 Pasolini, Pier Paolo – 246, 269–270, 276, 278 Pellizzari, Lorenzo – 248, 255, 264, 296, 349, 371 Petrucci, Antonio – 169–170, 368 Pius XII. – 172–173, 245 Pontecorvo, Gillo – 255, 277 Ponti, Giovanni – 158, 163, 372–373 Pudowkin, Wsewolod – 202–203, 213 R Rabenalt, Arthur Maria – 96–97 Ramseger, Georg – 234, 287 Ray, Nicholas – 104, 333, 336, 351 Renoir, Jean – 333–334, 338, 340 Resnais, Alain – 141, 262, 309, 311, 314, 348–349, 354, 363, 371 Ripkens, Martin – 250, 261, 266, 273, 301–302, 330, 361 Rivette, Jacques – 332–333, 346–347 Rohmer, Eric – 332–334, 337, 343, 346–347 Rohrbach, Günter – 37–38, 40–41, 64, 130, 186, 261, 273, 302, 305, 311, 315, 329 Rondi, Gian Luigi – 153, 169, 226, 368–369 Roos, Hans-Dieter – 235, 299–300, 326–327 Rosi, Francesco – 246, 255 Rossellini, Roberto – 13, 87–88, 148, 255, 257, 266, 276, 317, 319–323, 333, 342–343, 351, 378, 388 Rossetti, Enrico – 172, 174–175 Rotha, Paul – 383–384 Rowas, Franz – 190, 198, 288, 372–374 Rühmann, Heinz – 94, 261 S Sabel, Karl – 233–234 Sadoul, Georges – 28, 154, 170, 331–332, 347, 349, 378, 384, 389 Sala, Giuseppe – 36, 228 Sala, Vittorio – 169–170, 226 Sardi, Francesco – 86, 109 Sartre, Jean-Paul – 325, 340 Scalfaro, Oscar Luigi – 158, 162, 164, 178–179 Scelba, Mario – 199, 245 Schleiermacher, Detten – 308 Schlöndorff, Volker – 309, 312, 389

416

8 Anhang

Schmidt, Dietmar – 237 Schmieding, Walther – 303 Schneider, Albert – 198, 235, 384 Schoenberner, Gerhard – 64, 101, 127, 141–142, 183, 272 Schröder, Gerhard – 177, 180–181, 184, 189–190, 287 Schütte, Wolfram – 306 Signorini, Giorgio – 77, 220 Siodmak, Robert – 138–139, 181 Speidel, Hans – 217–218 Spinazzola, Vittorio – 33, 215, 248 Stalin, Josef – 195, 200, 202, 206, 214 Staudte, Wolfgang – 25, 28, 75, 96, 193, 204, 208–212, 216, 233, 237, 241, 344, 373 Stempel, Hans – 250, 266, 273, 301–302, 330, 361 Stevens, George – 141–142, 256 Strobel, Hans Rolf – 282, 308 T Taddei, Nazareno – 279 Tambroni, Fernando – 244, 267 Tati, Jacques – 334, 341 Taviani, Paolo – 256, 269 Taviani, Vittorio – 256, 269 Terzi, Corrado – 76, 168, 342 Thiel, Reinold E. – 37–38, 40, 64, 95, 127, 205, 217, 250, 270–271, 286, 298, 304, 309, 356 Thiele, Rolf – 92, 96–97, 184, 234, 261, 343, 371–372 Thirard, Paul-Louis – 335, 380–381 Tichawsky, Heinz – 282, 308 Togliatti, Palmiro – 46, 48–49 Trombadori, Antonello – 156 Truffaut, François – 332–334, 336–337, 343, 345–346, 348–349, 354, 356 Tupini, Umberto – 275–276, 369

U Ucicky, Gustav – 91, 238 Ungureit, Heinz – 37–40, 42, 134, 140, 250, 280, 282, 288, 297, 305, 311, 326, 361, 366, 373, 377, 380 V Valobra, Franco – 249, 256, 349 Vancini, Florestano – 170, 255, 277, 296 Varda, Agnès – 356, 358 Vesely, Herbert – 308, 310–311 Viazzi, Glauco – 33, 114, 131, 152, 213, 215, 227, 340 Visconti, Luchino – 13, 35, 48, 51, 53, 57, 60–61, 78–79, 83, 85–86, 105, 111, 132, 154–155, 165, 167, 186, 223, 225–226, 246, 253–255, 257, 260, 265, 276–277, 290, 292, 316–319, 340, 369, 378, 381, 384, 388–389 Vogel, Wolfgang – 306–307 W Warshow, Robert – 73–74 Weidenmann, Alfred – 145, 147, 190, 238 Welles, Orson – 99, 225, 333 Wicki, Bernhard – 78, 147–148, 260, 344, 379 Wisbar, Frank – 139, 146–147 Wolf, Konrad – 28, 207–208, 212, 216, 236, 371, 373, 378–379 Wuermeling, Franz-Josef – 158, 176–179, 181, 184–185 Z Zampa, Luigi – 133–134, 153, 167 Zavattini, Cesare – 45, 52–56, 58, 60, 86–88, 95, 100, 109, 111, 124, 152–153, 222–223, 225, 232, 269, 291, 315, 319, 328, 379, 381, 384 Zinnemann, Fred – 73, 104 Zurlini, Valerio – 170, 255

8.4 Filmregister

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8.4 FILMREGISTER 08/15, Regie: Paul May, Bundesrepublik Deutschland 1954 f. – 146, 148, 344 1860, Regie: Alessandro Blasetti, Italien 1934 – 132 20.000 Leagues Under the Sea (20.000 Meilen unter dem Meer), Regie: Richard Fleischer, USA 1954 – 81 8 ½ (Achteinhalb), Federico Fellini, IT/FR 1963 – 257, 291–292 A bout de souffle (Außer Atem), Jean-Luc Godard, FR 1960 – 346, 349–350, 353–354 Abschied von gestern, Alexander Kluge, BRD 1966 – 312, 358 Amore in città (Liebe in der Stadt), Michelangelo Antonioni / Federico Fellini / Alberto Lattuada / Carlo Lizzani / Dino Risi / Cesare Zavattini / Francesco Maselli, IT 1953 – 55, 60, 95, 109, 167 Anders als du und ich, Veit Harlan, BRD 1957 – 238–239 The Angry Silence (Zorniges Schweigen), Guy Green, GB 1960 – 256 L’année dernière à Marienbad (Letztes Jahr in Marienbad), Alain Resnais, FR/IT 1961 – 349, 355 Anni facili, Luigi Zampa, IT 1953 – 133, 167 Der Arzt von Stalingrad, Géza von Radványi, BRD 1958 – 146, 372 L’avventura (Die mit der Liebe spielen), Michelangelo Antonioni, IT/FR 1960 – 246, 253–254, 277, 281, 290, 298, 317 I bambini ci guardano, Vittorio De Sica, IT 1944 – 53 Le beau Serge (Die Enttäuschten), Claude Chabrol, FR 1958 – 346 Begegnung mit Deutschland, Günther Schnabel, BRD 1959 – 190 Bel Ami (Bel Ami, der Frauenheld von Paris), Louis Daquin, AT/FR/DDR 1955 – 335, 338 Bellissima (Bellissima), Luchino Visconti, IT 1951 – 167 Ben-Hur (Ben Hur), William Wyler, USA 1959 – 101 Berlin – Ecke Schönhauser, Gerhard Klein, DDR 1957 – 196 Il bidone (Die Schwindler), Federico Fellini, IT/FR 1955 – 89, 320 Bis zum Happy-End, Theodor Kotulla, BRD 1968 – 361

Blackboard Jungle (Die Saat der Gewalt), Richard Brooks, USA 1955 – 370 Le bonheur (Das Glück aus dem Blickwinkel des Mannes), Agnès Varda, FR 1965 – 358 Breakfast at Tiffany’s (Frühstück bei Tiffany), Blake Edwards, USA 1961 – 261 The Bridge on the River Kwai (Die Brücke am Kwai), David Lean, GB/USA 1957 – 143 Il brigante di Tacca del Lupo (Der Rebell von Tacca del Lupo), Pietro Germi, IT 1952 – 88 Das Brot der frühen Jahre, Herbert Vesely, BRD 1962 – 310 Die Brücke, Bernhard Wicki, BRD 1959 – 147, 344 La buona stagione, Renzo Renzi, IT 1965 – 290 Das Cabinet des Dr. Caligari, Robert Wiene, DE 1920 – 69 The Caine Mutiny (Die Caine war ihr Schicksal), Edward Dmytryk, USA 1954 – 106, 230 Calle Mayor (Hauptstraße), Juan Antonio Bardem, ES/FR 1956 – 136 Canaris, Alfred Weidenmann, BRD 1954 – 145–146, 190, 238 Canzoni di mezzo secolo, Domenico Paolella, IT 1954 – 84, 133 Les carabiniers (Die Karabinieri), Jean-Luc Godard, FR/IT 1963 – 357 Cat on a Hot Tin Roof (Die Katze auf dem heißen Blechdach), Richard Brooks, USA 1958 – 106 Les cousins (Schrei, wenn du kannst), Claude Chabrol, FR 1959 – 346, 349–350, 353–354 Cronache di poveri amanti (Chronik armer Liebesleute), Carlo Lizzani, IT 1954 – 61, 137, 167, 318 Death of a Salesman (Der Tod eines Handlungsreisenden), Laslo Benedek, USA 1951 – 78, 105 Decision Before Dawn (Entscheidung vor Morgengrauen), Anatole Litvak, USA 1951 – 148 The Desert Fox (Rommel, der Wüstenfuchs), Henry Hathaway, USA 1951 – 145 Des Teufels General, Helmut Käutner, BRD 1955 – 145–146

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8 Anhang

Dial M for Murder (Bei Anruf Mord), Alfred Hitchcock, USA 1954 – 342 The Diary of Anne Frank (Das Tagebuch der Anne Frank), George Stevens, USA 1959 – 141, 256 Die Diktatoren, Félix Podmaniczky, BRD 1961 – 280 La dolce vita (Das süße Leben), Federico Fellini, IT/FR 1960 – 246, 253, 276–279, 290, 292, 294, 301, 321, 388 Due soldi di speranza (Für zwei Groschen Hoffnung), Renato Castellani, IT 1952 – 87 Durchbruch Lok 234, Frank Wisbar, BRD 1963 – 283 Die Ehe des Herrn Mississippi, Kurt Hoffmann, BRD/CH 1961 – 261 Elena et les hommes (Weiße Margeriten), Jean Renoir, FR/IT 1956 – 338 Les enfants du paradis (Kinder des Olymp), Marcel Carné, FR 1945 – 39, 240 Die Entlassung, Wolfgang Liebeneiner, DE 1942 – 238 Era notte a Roma (Es war Nacht in Rom), Roberto Rossellini, IT/FR 1960 – 255, 266 Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse, Kurt Maetzig, DDR 1955 – 217 Europa ’51 (Europa 51), Roberto Rossellini, IT 1952 – 88, 319, 343 A Face in the Crowd (Ein Gesicht in der Menge), Elia Kazan, USA 1957 – 225 Febbre di vivere (Die Lust des Bösen), Claudio Gora, IT 1953 – 59, 84 Une femme est une femme (Eine Frau ist eine Frau), Jean-Luc Godard, FR/IT 1961 – 349, 355 Fidanzate di carta, Renzo Renzi, IT 1951 – 169 Freddy, die Gitarre und das Meer, Wolfgang Schleif, BRD 1959 – 81 Full of Life (Alle Sehnsucht dieser Welt), Richard Quine, USA 1956 – 188 Il gattopardo (Der Leopard), Luchino Visconti, IT/FR 1963 – 257, 265, 292 Geliebtes Leben, Rolf Thiele, BRD 1953 – 92 Gelosia, Pietro Germi, IT 1953 – 88 Il generale Della Rovere (Der falsche General), Roberto Rossellini, IT/FR 1959 – 267, 322 Gentlemen Prefer Blondes (Blondinen bevorzugt), Howard Hawks, USA 1953 – 101 Gift im Zoo, Hans Müller, BRD 1952 – 209

Giovanna d’Arco al rogo, Roberto Rossellini, IT/FR 1954 – 88 The Girl Who Had Everything (Ein verwöhntes Biest), Richard Thorpe, USA 1953 – 102 Giuseppe Verdi (Verdi, ein Leben in Melodien), Raffaello Matarazzo, IT 1953 – 81 Glücksritter, Arthur Maria Rabenalt, BRD 1957 – 96–97 Gott mit uns, Fernaldo Di Giammatteo, IT 1964 – 324 La grande speranza (Die große Hoffnung), Duilio Coletti, IT 1955 – 144 Der Greifer, Eugen York, BRD 1958 – 94 Der große König, Veit Harlan, DE 1942 – 238–239 Guernica, Alain Resnais, FR 1951 – 354 Haie und kleine Fische, Frank Wisbar, BRD 1957 – 139, 147 Hanna Amon, Veit Harlan, BRD 1951 – 139 Hannibál tanár úr (Professor Hannibal), Zoltán Fábri, HU 1957 – 206 Der Hauptmann von Köpenick, Helmut Käutner, BRD 1956 – 130, 189, 210, 237, 240 Helden, Franz Peter Wirth, BRD 1958 – 344 Herrscher ohne Krone, Harald Braun, BRD 1957 – 93, 235 High Noon (Zwölf Uhr mittags), Fred Zinnemann, USA 1952 – 73 Himmel ohne Sterne, Helmut Käutner, BRD 1955 – 93, 95, 194, 316, 371 Hiroshima mon amour (Hiroshima, mon amour), Alain Resnais, FR/JP 1959 – 348, 354 Hotel Adlon, Josef von Báky, BRD 1955 – 92, 94 Die ideale Frau, Josef von Báky, BRD 1959 – 119 Le infedeli (Untreue), Mario Monicelli / Steno, FR/IT 1953 – 84–85 Invasion of the Body Snatchers (Die Dämonischen), Don Siegel, USA 1956 – 103 Italiani brava gente, Giuseppe De Santis, IT 1965 – 324 Jonas, Ottomar Domnick, BRD 1957 – 79 Jud Süß, Veit Harlan, DE 1940 – 141, 238–239 Jugend, Veit Harlan, DE 1938 – 239 Der Jugendrichter, Paul Verhoeven, BRD 1960 – 186 Der junge Törless, Volker Schlöndorff, BRD/FR 1966 – 312

8.4 Filmregister Jungle Cat (Wilde Katzen), James Algar, USA 1959 – 101 Kanonen-Serenade / Pezzo, capopezzo e capitano, Wolfgang Staudte, IT/BRD 1958 – 211, 372 Killer’s Kiss (Der Tiger von New York), Stanley Kubrick, USA 1955 – 103 Kirmes, Wolfgang Staudte, BRD/FR 1960 – 211–212, 344, 373 Kljatwa (Der Schwur), Micheil Tschiaureli, SU 1946 – 214–215 Königin Luise, Wolfgang Liebeneiner, BRD 1957 – 94 Kolberg, Veit Harlan, DE 1945 – 238 Kubanskie kazaki (Kubankosaken), Iwan Pyrjew, SU 1950 – 194 Ladri di biciclette (Fahrraddiebe), Vittorio De Sica, IT 1948 – 13, 53–54, 86 The Lady Vanishes (Eine Dame verschwindet), Alfred Hitchcock, GB 1938 – 333 Letjat shurawli (Wenn die Kraniche ziehen), Michail Kalatosow, SU 1957 – 206–207, 236, 256 Die Letzten werden die Ersten sein, Rolf Hansen, BRD 1957 – 91 Liane, das Mädchen aus dem Urwald, Eduard von Borsody, BRD 1956 – 81 Limelight (Rampenlicht), Charles Chaplin, USA 1952 – 63 Lissy, Konrad Wolf, DDR 1957 – 207, 219 Loin du Vietnam (Fern von Vietnam), Jean-Luc Godard / Joris Ivens / William Klein / Claude Lelouch / Chris Marker / Alain Resnais, FR 1967 – 269 Lovely to Look At (Männer machen Mode), Mervyn LeRoy, USA 1952 – 100 La lunga notte del ’43 (Die Nacht von Ferrara), Florestano Vancini, IT/FR 1960 – 296 Madeleine und der Legionär, Wolfgang Staudte, BRD 1958 – 211 Das Mädchen Rosemarie, Rolf Thiele, BRD 1958 – 96–97, 184, 188, 234, 343, 345, 371–373, 390 Das Mädchen vom Moorhof, Gustav Ucicky, BRD 1958 – 91 Man on a Tightrope (Der Mann auf dem Drahtseil), Elia Kazan, USA/BRD 1953 – 102 Un marito per Anna Zaccheo (Fluch der Schönheit), Giuseppe De Santis, IT 1953 – 166

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Marjorie Morningstar (Die Liebe der Marjorie Morningstar), Irving Rapper, USA 1958 – 101 Matka Joanna od aniolow (Mutter Johanna von den Engeln), Jerzy Kawalerowicz, PL 1961 – 301 Max, der Taschendieb, Imo Moszkowicz, BRD 1962 – 261 Mein Kampf / Den blodiga tiden, Erwin Leiser, SE/BRD 1960 – 139, 191 Mein Schulfreund, Robert Siodmak, BRD 1960 – 94 Menschen im Espresso, Herbert Vesely, BRD 1958 – 308 Miyamoto Musashi (Samurai), Hiroshi Inagaki, JP 1954 – 263 Die Mörder sind unter uns, Wolfgang Staudte, DE 1946 – 209 Nacht fiel über Gotenhafen, Frank Wisbar, BRD 1960 – 146 Nachts auf den Straßen, Rudolf Jugert, BRD 1952 – 75, 189 Nachtschwester Ingeborg, Géza von Cziffra, BRD 1958 – 91 Nachts, wenn der Teufel kam, Robert Siodmak, BRD 1957 – 138–139, 181 The Naked and the Dead (Die Nackten und die Toten), Raoul Walsh, USA 1958 – 101 Never So Few (Wenn das Blut kocht), John Sturges, USA 1959 – 182 nicht mehr fliehen, Herbert Vesely, BRD 1955 – 308 Notizen aus dem Altmühltal, Hans Rolf Strobel / Heinrich Tichawsky, BRD 1961 – 282, 288, 308, 327 La notte (Die Nacht), Michelangelo Antonioni, IT/FR 1961 – 253–254, 294, 300 Le notti bianche (Weiße Nächte), Luchino Visconti, IT/FR 1957 – 318 Nuit et brouillard (Nacht und Nebel), Alain Resnais, FR 1956 – 141–142, 354, 371, 373, 390 The One That Got Away (Einer kam durch), Roy Baker, GB 1957 – 147, 182, 186, 235–236 On the Waterfront (Die Faust im Nacken), Elia Kazan, USA 1954 – 78, 105–106 Operation Secret (Der tote Zeuge), Lewis Seiler, USA 1952 – 103 L’oro di Napoli (Das Gold von Neapel), Vittorio De Sica, IT 1954 – 87 Orphée (Orpheus), Jean Cocteau, FR 1950 – 39, 240

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8 Anhang

Ossessione (Besessenheit), Luchino Visconti, IT 1943 – 35, 60, 318 Padenije Berlina (Der Fall von Berlin), Micheil Tschiaureli, SU 1950 – 194, 214 Paisà (Paisà), Roberto Rossellini, IT 1946 – 13, 87–88, 317 Pane, amore e fantasia (Brot, Liebe und Fantasie), Luigi Comencini, IT 1953 – 60, 85–86, 109, 121, 167 Le passage du Rhin (Jenseits des Rheins), André Cayatte, IT/FR/BRD 1960 – 369 La paura (Angst), Roberto Rossellini, BRD/IT 1954 – 88 La peau douce (Die süße Haut), François Truffaut, FR 1964 – 357 Le petit soldat (Der kleine Soldat), Jean-Luc Godard, FR 1963 – 349 Pierrot le fou (Elf Uhr nachts), Jean-Luc Godard, FR/IT 1965 – 356, 358, 360 Il posto (Il Posto – Der Job), Ermanno Olmi, IT 1961 – 293, 302, 356, 358 Poveri ma belli (Ich lass’ mich nicht verführen), Dino Risi, IT/FR 1957 – 175 Psycho (Psycho), Alfred Hitchcock, USA 1960 – 342 Quando il Po è dolce, Renzo Renzi, IT 1951 – 169 Les quatre cent coups (Sie küßten und sie schlugen ihn), François Truffaut, FR 1959 – 346, 349–350, 353–354 Le quattro giornate di Napoli (Die vier Tage von Neapel), Nanni Loy, IT 1962 – 325–326 Question 7 (Frage 7), Stuart Rosenberg, USA/BRD 1961 – 301 Raintree County (Das Land des Regenbaums), Edward Dmytryk, USA 1957 – 102 Der Rest ist Schweigen, Helmut Käutner, BRD 1959 – 95 Rocco e i suoi fratelli (Rocco und seine Brüder), Luchino Visconti, IT/FR 1960 – 246, 253–254, 260, 277, 281, 290, 293, 317–318, 369, 389 Roma città aperta (Rom, offene Stadt), Roberto Rossellini, IT 1945 – 13, 87, 317, 321 Rose Bernd, Wolfgang Staudte, BRD 1957 – 75, 211 Rosen für den Staatsanwalt, Wolfgang Staudte, BRD 1959 – 211 Rotation, Wolfgang Staudte, DDR 1949 – 209–210

Saturday Night and Sunday Morning (Samstagnacht bis Sonntagmorgen), Karel Reisz, GB 1960 – 262 Lo sceicco bianco (Die bittere Liebe), Federico Fellini, IT 1952 – 89 Sciuscià (Schuhputzer), Vittorio De Sica, IT 1946 – 53 Senso (Sehnsucht), Luchino Visconti, IT 1954 – 51, 57, 61–62, 78–79, 83, 85–86, 132, 154, 165, 167, 186, 225–226, 254, 257, 318–319, 369, 388–389 I sequestrati di Altona (Die Eingeschlossenen von Altona), Vittorio De Sica, IT/FR 1962 – 256, 325–326 La sfida, Francesco Rosi, IT/ES 1958 – 255 Shadows (Schatten), John Cassavetes, USA 1959 – 353 Sissi, Ernst Marischka, AT 1955–1957 – 91 The Snows of Kilimanjaro (Schnee am Kilimandscharo), Henry King, USA 1952 – 100 Solange du lebst, Harald Reinl, BRD 1955 – 183, 186 Das Spukschloß im Spessart, Kurt Hoffmann, BRD 1960 – 298 Stärker als die Nacht, Slatan Dudow, DDR 1954 – 220 Stazione Termini (Rom, Station Termini), Vittorio De Sica, IT/USA 1953 – 55, 83, 100, 167, 223 Steel Town, George Sherman, USA 1952 – 101 Sterne, Konrad Wolf, DDR/BG 1959 – 207, 236, 371, 373–374, 378 Der Stern von Afrika, Alfred Weidenmann, BRD/ES 1957 – 147, 183 La strada (Das Lied der Straße), Federico Fellini, IT 1954 – 89, 223, 338, 340 Stresemann, Alfred Braun, BRD 1957 – 94–95, 119, 130, 181, 191–192, 233, 235–238, 389 Stromboli (Stromboli), Roberto Rossellini, IT/USA 1950 – 88, 319 Die Sünderin, Willi Forst, BRD 1951 – 40 Ein Tagebuch für Anne Frank, Joachim Hellwig, DDR 1959 – 201 La terra trema (Die Erde bebt), Luchino Visconti, IT 1948 – 13, 48, 61, 86, 111 Il tetto (Das Dach), Vittorio De Sica, IT 1956 – 55, 83, 225–226, 294, 319 Der Teufel spielte Balalaika, Leopold Lahola, BRD 1961 – 374 Die Trapp-Familie, Wolfgang Liebeneiner, BRD 1956 – 81, 186

8.4 Filmregister Twelve Angry Men (Die zwölf Geschworenen), Sidney Lumet, USA 1957 – 75, 104 Tystnaden (Das Schweigen), Ingmar Bergman, SE 1963 – 272, 301 Ulisse (Die Fahrten des Odysseus), Mario Camerini, IT/FR/USA 1954 – 81 Umberto D. (Umberto D.), Vittorio De Sica, IT 1952 – 13, 53–54, 159–160, 167, 264 Und ewig singen die Wälder, Paul May, AT 1959 – 81 Ungarn in Flammen, BRD 1957 – 194, 203 Unternehmen Edelweiß, Heinz Paul, BRD 1954 – 183 Unternehmen Teutonenschwert, Andrew Thorndike / Annelie Thorndike, DDR 1958 – 201, 217 Der Untertan, Wolfgang Staudte, DDR 1951 – 75, 204, 208–211, 233, 237 Un uomo da bruciare (Gebrandmarkt), Valentino Orsini / Paolo Taviani / Vittorio Taviani, IT 1962 – 256 Verspätung in Marienborn, Rolf Hädrich, FR/IT/BRD 1963 – 283 Viaggio in Italia (Liebe ist stärker), Roberto Rossellini, IT/FR 1954 – 88

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Viridiana (Viridiana), Luis Buñuel, ES/MX 1961 – 281 I vitelloni (Die Müßiggänger), Federico Fellini, IT/FR 1953 – 89, 320 Vivre sa vie (Die Geschichte der Nana S.), Jean-Luc Godard, FR 1962 – 355 Wanda, la peccatrice (Es begann auf der Straße), Duilio Coletti, IT/FR 1952 – 143 War and Peace (Krieg und Frieden), King Vidor, USA/IT 1956 – 81, 193 Wassili Bortnikow (Drei Menschen), Wsewolod Pudowkin, SU 1953 – 203 Wie ein Sturmwind, Falk Harnack, BRD 1957 – 92 Wild River (Wilder Strom), Elia Kazan, USA 1960 – 105 Das Wirtshaus im Spessart, Kurt Hoffmann, BRD 1958 – 180, 189 Wir sahen mit unseren Augen: Rußland heute, BRD 1957 – 203 Wir Wunderkinder, Kurt Hoffmann, BRD 1958 – 138, 146

studien zur modernen geschichte

Herausgegeben von Gabriele Clemens, Markus Friedrich, Frank Golczewski, Ulrich Mücke, Angelika Schaser, Claudia Schnurmann und Jürgen Zimmerer.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0178–8310

38. Ted Kaminski Polish Publicists and Prussian Politics The Polish Press in Poznan during the Neue Kurs of Chancellor Leo von Caprivi 1890–1894 1988. VIII, 286 S., kt. ISBN 978-3-515-04948-1 39. Ralph Uhlig Die Interparlamentarische Union 1889–1914 Friedenssicherungsbemühungen im Zeitalter des Imperialismus 1988. XII, 991 S., kt. ISBN 978-3-515-05095-1 40. Camilla Dawletschin-Linder Die Türkei und Ägypten in der Weltwirtschaftskrise 1929–1933 1989. XVIII, 187 S., kt. ISBN 978-3-515-05261-0 41. Michael Wala Winning the Peace Amerikanische Außenpolitik und der Council on Foreign Relations, 1945–1950 1990. 331 S., kt. ISBN 978-3-515-05334-1 42. Eckhard Trox Militärischer Konservativismus Kriegervereine und „Militärpartei“ in Preußen zwischen 1815 und 1848/49 1990. 347 S., kt. ISBN 978-3-515-05614-4 43. Jeanette Choisi Wurzeln und Strukturen des Zypernkonfliktes 1878 bis 1990 Ideologischer Nationalismus und Machtbehauptung im Kalkül konkurrierender Eliten 1993. 435 S. mit 7 Abb., 12 Ktn., 22 Tab., kt. ISBN 978-3-515-06054-7

44. Lothar Dittmer Beamtenkonservativismus und Modernisierung Untersuchungen zur Vorgeschichte der Konservativen Partei in Preußen 1810–1848/49 1992. 453 S., kt. ISBN 978-3-515-06045-5 45. Andreas Brinck Die deutsche Auswanderungswelle in die britischen Kolonien Nordamerikas um die Mitte des 18. Jahrhunderts 1993. 295 S., kt., ISBN 978-3-515-06071-4 46. Eckard Michels Das Deutsche Institut in Paris 1940–1944 Ein Beitrag zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen und zur auswärtigen Kulturpolitik des Dritten Reiches 1993. IV, 291 S., kt. ISBN 978-3-515-06381-4 47. Peter Alexander Zervakis Justice for Greece Der Einfluß einer gräkoamerikanischen Interessengruppe auf die Außenpolitik der USA gegenüber Griechenland, 1945–1947 1994. VII, 279 S., kt. ISBN 978-3-515-06268-8 48. Astrid Ringe Konkurrenten in Europa Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland. Deutsch-britische Wirtschaftsbeziehungen 1949–1957 1996. VII, 536 S., kt. ISBN 978-3-515-06852-9 49. Silke Hensel Die Entstehung des Föderalismus in Mexiko Die politische Elite Oaxacas zwischen Stadt, Region und Staat, 1786–1835 1997. 493 S. mit 4 Ktn., 14 Tab., kt. ISBN 978-3-515-06943-4

50. Ulrich Mücke Der Partido Civil in Peru, 1871–1879 Zur Geschichte politischer Parteien und Repräsentation in Lateinamerika 1998. 384 S. mit 7 Graph., 29 Tab., kt. ISBN 978-3-515-07240-3 51. Christian-Georg Schuppe Der andere Droysen Neue Aspekte seiner Theorie der Geschichtswissenschaft 1998. 109 S., kt. ISBN 978-3-515-07391-2 52. Olaf Stieglitz 100 Percent American Boys Disziplinierungsdiskurse und Ideologie im Civilian Conservation Corps, 1933–1942 1999. 251 S., kt. ISBN 978-3-515-07403-2 53. Torsten Szobries Sprachliche Aspekte des nation-building in Mazedonien Die kommunistische Presse in Vardar-Mazedonien (1940–1943) 1999. 251 S., kt. ISBN 978-3-515-07622-7 54. Peer Schmidt Spanische Universalmonarchie oder „teutsche Libertet“ Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges 2001. 529 S. mit 32 Abb., geb. ISBN 978-3-515-07833-7 55. Ursula Heimann Liberalismus, ethnische Vielfalt und Nation Zum Wandel des Indio-Begriffs in der liberalen Presse in Mexiko, 1821–1876 2002. 285 S. mit 9 Graph., 1 Kt., kt. ISBN 978-3-515-07769-9 56. Barbara Dufner Den Himmel fest im Blick Eine wissenschaftliche Biographie über den Astro-Optiker Bernhard Schmidt 2002. 339 S. mit 39 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08097-2 57. Claudia Becker-Döring Die Außenbeziehungen der Europä­ ischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl von 1952–1960: Die Anfänge einer europäischen Außenpolitik? Die Beziehungen der Hohen Behörde zu Drittstaaten unter besonderer Berücksichtigung Großbritanniens 2003. 387 S., kt. ISBN 978-3-515-08319-5

58. Enrique Otte Von Bankiers und Kaufleuten, Räten, Reedern und Piraten, Hintermännern und Strohmännern Aufsätze zur atlantischen Expansion Spaniens. Hg. v. Günter Vollmer und Horst Pietschmann 2004. 338 S. mit 7 Abb., kt. ISBB 978-3-515-07889-4 59. Jens Meyer-Aurich Wahlen, Parlamente und Eliten­ konflikte: Die Entstehung der ersten politischen Parteien in Paraguay, 1869–1904 Ein Beitrag zur Geschichte politischer Organisation in Lateinamerika 2006. 367 S. mit 12 Abb., 3 Tab., kt. ISBN 978-3-515-08838-1 60. Arnd Herrmann Kriseninstrument WEU Die Westeuropäische Union (WEU) in der EG-Erweiterungskrise 1963–1970 2015. 257 S., kt. ISBN 978-3-515-10995-6 61. Valentin Katzer « L’Algérie, c’est la France » Die französische Nordafrikapolitik zwischen Anspruch und Realität (1946–1962) 2016. 429 S. mit 2 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11353-3 62. Marleen von Bargen Anna Siemsen (1882–1951) und die Zukunft Europas Politische Konzepte zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik 2017. 459 S., kt. ISBN 978-3-515-11516-2 63. Gabriele Clemens The Quest for Europeanization / Die Suche nach Europäisierung Interdisciplinary Perspectives on a Multiple Process / Ein komplexer Prozess in interdisziplinärer Perspektive 2017. 256 S. mit 5 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11636-7 64. Christoph Johannes Ploß Die „New Commonwealth Society“ Ein Ideen-Laboratorium für den supranationalen europäischen Integrationsprozess 2017. 376 S., kt. ISBN 978-3-515-11798-2

In den 1950er Jahren entstanden in Italien und in der Bundesrepublik Deutschland mit der Cinema Nuovo und der Filmkritik zwei linksgerichtete Filmzeitschriften. Vom Marxismus und der Kritischen Theorie geprägt, schrieben hier junge Filmkritiker gegen den filmischen „Mainstream“, gegen die Filmpolitik und die Filmindustrie ihrer Länder an. Anhand des Films, aber auch weit darüber hinaus, übten sie scharfzüngige Gesellschaftskritik: Sie nahmen die christdemokratische Regierungspraxis ins Visier, attackierten konservative Mentalitäten und die lückenhafte Vergangenheitsbe-

ISBN 978-3-515-12125-5

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wältigung und positionierten sich im Kalten Krieg so unabhängig wie nur möglich. Lukas Schaefer zeichnet die thematischen und personellen Anknüpfungspunkte dieser Kritikerzirkel an die westeuropäischen „Neuen Linken“ nach und weist sie so als eines der Vorläuferphänomene von „1968“ aus. Die Filmkritik erscheint zudem als ein Musterbeispiel für eine „europäisierte“ Filmkultur. Ihre Anleihen aus dem Ausland belebten die deutsche Filmpresse maßgeblich, wodurch die Journalisten allmählich in ein internationales Netzwerk kritischer Filmautoren hineinwuchsen.

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