Kopenhagen und das deutsche Element [Reprint 2022 ed.] 9783112680001


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German Pages 70 [140] Year 1944

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Table of contents :
Vorwort
INHALT
Verzeichnis der Bilder, Karten, Pläne und graphischen Veranschaulichungen
Einleitung
Geographische und historische Grundlagen für die Entstehung Kopenhagens
Die Hauptstädte des Nordens
Die Städte am Sund
Die Mobilisierung des Oresunds als Lebens- und Verkehrsader
Kopenhagens Werden — ein Spiegel der Epochen der dänischen Geschichte
Gründung der Stadt im Zeitalter der Waldemare: Bischof Absalon
Erhebung Kopenhagens zur Hauptstadt: Erich von Pommern
Kopenhagen in der Renaissance: Christian IV.
Die Residenzstadt im Zeichen des Absolutismus
Die Periode des Pietismus: Jahre der Stagnation
Kopenhagen in der Welt der Aufklärung
An der Wende der Zeiten: Jahre der Not
Kopenhagen im Zeitalter der Industrie und der Technik: Die moderne Stadt
Das deutsche Blut in der dänischen Hauptstadt
Wesen und Temperament des Kopenhageners
Die Einwanderung deutscher Menschen im Mittelalter
Die Deutschen im Zeitalter der Reformation und der Renaissance
Das Deutschtum im Zeitalter des Absolutismus
Die Blütezeit deutschen Lebens- und Kultureinflusses in der Aufklärung
Das Deutschtum im 19. und 20. Jahrhundert
Kopenhagen als Erlebnis
Fahrt durch den Hafen
Gang durch die Straßen
Die Melodie der Stadt
Literatur-Verzeichnis
Statistische Unterlagen für die graphischen Veranschaulichungen
Personen- und Ortsverzeichnis
Obersichtskarte von Dänemark
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Kopenhagen und das deutsche Element [Reprint 2022 ed.]
 9783112680001

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UND DAS DEUTSCHE EIEMENT 'VON KUJAT »¿RINü.

KURT DÜRINQ

KOPENH AC/EN U N D D A S DEUTSCHE E L E M E N T

DEM DEUTSCHEN SOLDATEN IN D Ä N E M A R K

KWRT

DÜRINQ

KOPENHAQEN

U N D DAS DEUTSCHE ELEMENT M I T 42 BILDERN, K A R T E N , P L Ä N E N

UND

GRAPHISCHEN VERANSCHAULICHUNQEN

FRIEDERICHSEN, DE Q R U Y T E R & CO., H A M B L / R Q Q. E. C. Q A D F O R L A Q , K O P E N H A Q E N 1943

A l l e Rechte vorbehalten C o p y r i g h t 1943 by Friederichsen, d e Gruyter & Co., H a m b u r g Printed in G e r m a n y

Druck von Gustav A . Schmidt,

Hamburg

Klischees von Albert Bauer & S ö h n e , H a m b u r g

VORWORT Zu verschiedenen Malen hat in den Jahren des Friedens der Verfasser auf Studienreisen das dänische Land durchwandert. Hier an den Südküsten Seelands wurde er vom Ausbruch des Krieges überrascht. Das Schicksal des Soldaten hat ihn dann nach Beendigung des Feldzuges im Westen nach Kopenhagen geführt. In der Stadt am Sund entstand in den Stunden, die der Dienst freiließ, aus früher gesammelten und neu erarbeiteten Materialien und Aufzeichnungen die Niederschrift zum vorliegenden Buch. Der ursprüngliche Plan einer eingehenden stadtgeographischen Uotersuchung wurde ebenso wie die Absicht, den gesamten im Manuskript vorhandenen wissenschaftlichen Quellenapparat zu veröffentlichen, fallengelassen, als es sich erwies, daß ein breiterer-Leserkreis, insbesondere aus den Reihen der Kameraden, zu erwarten sei. über die Bezirke der Wissenschaft hinaus wendet die Arbeit sich daher in erster Linie an sie, die seit dem 9. April 1940 hier auf der Wacht stehen und mit Eifer sich um ein Verständnis des Landes und seiner Menschen bemühen. Ihnen ist das Buch gewidmet. Es hätte ohne das liebenswürdige, stets bereite Entgegenkommen zahlreicher öffentlicher und privater Stellen nicht geschrieben werden können. Ihnen allen, insbesondere der Königlichen Bibliothek, dem Geodätischen Institut und dem Stadtarchiv in Kopenhagen sowie dem Universitätsbund in Marburg, der durch wiederholte großzügige Unterstützungen die Reisen der Vorkriegszeit ermöglichte, sei daher auch an dieser Stelle aus aufrichtigem Herzen gedankt. Nur auf Grund der Opferbereitschaft von Druckerei und Verlag aber hat dem in einer Zeit größter welthistorischer Entscheidungen erscheinenden Buch eine Ausstattung gegeben werden können, die des Gegenstandes, der schönen Hauptstadt Dänemarks und ihrer Menschen, würdig ist. Der Verfasser.

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INHALT Seite

Vorwort

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Verzeichnis der Bilder, Karten, Pläne und graphischen Veranschaulichungen Einleitung

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Geographische und historische Grundlagen für die Entstehung Kopenhagens Die Hauptstädte des Nordens . . . . . . . Die Städte am Sund . Die Mobilisierung des öresunds als Lebens- und Verkehrsader

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Kopenhagens W e r d e n — ein Spiegel der Epochen der dänischen Geschichte Gründung der Stadt im Zeitalter der W a l d e m a r e : Bischof Absalon . 13 Erhebung Kopenhagens zur Hauptstadt: Erich von Pommern . . . 18 Kopenhagen in der Renaissance: Christian IV. . . 2 0 Die Residenzstadt im Zeichen des Absolutismus . . . . . 29 Die Periode des Pietismus: Jahre der Stagnation . . . . . 35 Kopenhagen in der W e l t der Aufklärung . . . . . . 41 An der W e n d e der Zeiten: Jahre der Not . . . . . . 46 Kopenhagen im Zeitalter der Industrie und der Technik: Die moderne Stadt 49 Das deutsche Blut in der dänischen Hauptstadt Wesen und Temperament des Kopenhageners . . . . . Die Einwanderung deutscher Menschen im Mittelalter . Die Deutschen im Zeitalter der Reformation und der Renaissance . Das Deutschtum im Zeitalter des Absolutismus . . . . . Die Blütezeit deutschen Lebens- und Kultureinflusses in der Aufklärung Das Deutschtum im 19. und 20. Jahrhundert Kopenhagen als Erlebnis Fahrt durch den Hafen G a n g durch die Straßen Die Melodie der Stadt

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65 . 6 7 71 76 . 86 93 99 101 104

Literatur-Verzeichnis

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Statistische Unterlagen für die graphischen Veranschaulichungen

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Personen- und Ortsverzeichnis

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VERZEICHNIS DER BILDER, KARTEN, PLÄNE UND QRAPHISCHEN VERANSCHAULICHUNQEN Seite

Ansicht von Kopenhagen im Jahre 1611 von Johannes W i e k . VIII Abb. 1: Bevölkerungsbewegung der skandinavischen Hauptstädte 1769—1940 4 „ 2: Das Gelände von Kopenhagen um 1200 . . . . . . 8 „ 3: Blick von der Stormbrücke auf den Fischereihafen an Nybrogade und Gammelstrand . . . . . . . . . . . 17 „ 4: Kopenhagen um 1620 . . . . . . . . . 23 „ 5-, Christian IV. (1577—16481 24 „ 6: Kopenhagen um 1650 . . . . . . . . . 26 „ 7: Hausreihe im Nyboder-Viertel . . . . . . . . 27 „ 8: Amagertorv im Zuge der Hauptverkehrsstraße der Altstadt des Strög 29 „ 9: Kopenhagen um 1700 . . . . . . . . . 33 „ 10: Blick von der Nyhavn-Brücke auf den Nyhavn . . . . . 34 „ 1 1 : Kopenhagen im Jahre 1728 . . . . . . . . 36 „ 12: Kopenhagen im Jahre 1757 . . . . . . . . 38 „ 13: Die Marmorbrücke über den Frederiksholm-Kanal .40 „ 14: Die Kolonnaden von Amalienborg . . . . . . . 44 „ 15: Kopenhagen im Jahre 1795 . . . . . . . . 45 „ 16: Kopenhagen im Jahre 1850 . . . . . . . . 54 „ 17: Bevölkerungsbewegungen von Kopenhagen, Frederiksberg und Genthofte-Kommune . . . . . . . . . . 55 „ 18: Berufliche Gliederung der Bevölkerung 1930 . 57 „ 19: Kopenhagen im Jahre 1888 . . . . . . . . 58 „ 20: Bevölkerungsdichte in den einzelnen Stadtteilen pro ha 1901—1939 60 „ '21: Anzahl der 1938 vom Zoll- und vom Freihafen von und nach fremden Staaten ein- und ausgehenden Schiffe . . . . . . 61 „ 22: Torvegade in Christianshavn, Mietskasernen der jüngsten Jahre neben dem alten Zollhaus . 63 „ 23: Geburtsländer der Kopenhagener Bevölkerung außerh. Dänemarks 1930 66 „ 24: Christopher Walkendorf (1525—1601) 73 „ 25: Peter Schumacher Graf von Griffenfeld (1625—1699) . . . . 74 „ 26: Hans Schock (1609—1676) 78 „ 27: Heinrich Rüse Baron Rysensteen (1624—1679) 79 „ 28: Adam Gottlob Moltke (1710—1792) 85 „ 29: Johann Hartwig Ernst Bernstorff (1712—1772) 86 „ 30: Christian Detlev Friedrich Reventlow (1748—1827) . . . . 89 „ 31: Andreas Peter Bernsdorff (1735—1797) 91 „ 32: Hans Christopher Georg Hedemann (1792—1859) . . . . 95 Plan von Kopenhagen . . . . . . . . . 98 „ 33: Blick von der Havnegade auf die Börse 100 „ 34: Blick von der Höjbro auf den Fischereihafen und den Gammelstrand . 101 „ 35: Fischmarkt am Gammelstrand 102 „ 36: Reiterstandbild Friedrichs V. auf dem Amalienborg-Platz 103 „ 37: Bronzestatue der kleinen Gunver im Rosenborg-Park 106 „ 38: Ganymed mit dem Adler des Jupiter . . . . . . . 108 „ 39: Anzahl der Eheschließungen und der Lebendgeborenen .111 Übersichtskarte von Dänemark . . . . . . . . . 127

VII

EIN LEITUNQ Städte sind Schöpfungen der Kraft und des Geistes der Menschen. Sie unterstehen daher in Wachstum und Aussehen dessen großen Wandlungen durch die Geschichte. Die rassische Struktur der Bevölkerung spiegelt sich in ihnen ebenso wider wie die weltanschaulichen Epochen oder die Zeiten wirtschaftlicher Not und Blüte. Die mittelalterliche Stadt ist eine Schöpfung mittelalterlichen Lebenswillens und damit in Aufbau und Inhalt durch ihn bedingt. Die Zeitalter der Renaissance, der Aufklärung, der Technik — sie alle haben das Gesicht der Städte geprägt und es in ihrem Sinne umgestaltet. Weltanschauung und Stadtbild stehen in allerengsten Beziehungen zueinander. Städte sind Geschöpfe des Landes, aus dem sie erwuchsen. Sie tragen dessen Geist, und die Luft des heimatlichen Raumes ist auch in ihnen lebendig. Selbst in den Metropolen eines Staates, durch die das Leben der Welt flutet, bleibt sie überall spürbar. Kopenhagen ist ein Kind des dänischen Landes und kann so wenig losgelöst von ihm verstanden werden, wie Hamburg vom niedersächsischen, Berlin vom brandenburgpreußischen, Wien vom österreichischen Raum. Städte sind an den Raum gebunden. Der aber kann in seiner Bedeutung entscheidenden Wandlungen unterliegen. Mit der Entdeckung Amerikas und des Seeweges nach Ostindien rückt Venedig in den Schatten der Weltgeschichte,- die Impulse einer neuen Zeit kommen Sevilla, Amsterdam und London zugute. Die alte Krönungsstadt Drontheim hat als Hauptstadt des Landes im Zuge der politischen Verbindung Norwegens mit Dänemark Oslo weichen müssen. Die Lage im Raum ist nicht zu allen Zeiten gleichwertig. Geschichtliche Vorgänge bedingen zuweilen tiefgreifende Veränderungen ihrer Bedeutung. Auch Städte sind den Gesetzen des Lebens unterworfen. Zu ihrer geschichtlichen Stunde werden sie an ihrem geographischen Ort geboren. Gang der Geschichte und Lage im Raum lassen sie wachsen und aufblühen. Sie gehen zugrunde, wenn die historischen Ereignisse es bedingen oder die Lage im Raum entsprechenden Umwertungen unterliegt: Söborg und Slangerup im Nordosten Seelands sind dafür Beispiele. Das eine verschwand, als durch die Grafenfehde (1534/36) das alte Königsschloß in Trümmer sank und die Bucht verschlammte, an der es lag. Das andere verzichtete auf seine Rechte als Stadt (1809) und fiel in die Reihe der i 1

Dörfer zurück, als im Wechsel der Zeiten die Bedeutung der alten Wege, denen es einst seine Entstehung verdankte, erloschen war, und Handel und Verkehr an andere, günstiger gelegene Orte sich hinüber gezogen hatten. Wenn, die Bedeutung des Raumes sich ändert oder die Ereignisse der Geschichte sich gegen ihr Leben wenden, können auch Städte vergehen. Städte sind Wohn- und Wirkungsstätten des Menschen. Dessen Macht hat sie geschaffen, dessen Kraft und Wille sind das Unterpfand ihres Lebens. Der Herzschlag des Blutes, anders immer im andersrassigen Volk, pocht und pulst in ihren Mauern. Er ist es, der Wien und Berlin, Paris und Moskau, jedem die besondere, ihm eigentümliche Luft verleiht. Denn wichtig sind die Gegebenheiten des Raumes, wichtig die Erscheinungen der Zeit. Beiden aber gibt erst der Mensch ihren Sinn. Er gestaltet den Raum nach seinem Bilde, und die Zeit wird durch ihn zur Geschichte. Vieles ist wunderbar, das größte Wunder aber der Mensch.

QEOQRAPHISCHE U N D HISTORISCHE QRUNDLAQEN FÜR DIE ENTSTEHUNQ KOPENHAQENS

Die Hauptstädte des Nordens Es gibt heute drei Städte im Norden mit275000 und mehr Einwohnern: Kopenhagen, Stockholm, Oslo. Aber Kopenhagen ist die größte unter ihnen (1940: 890 130, Stockholm 1940: 583 621, Oslo 1940: 275 000 Einwohner). Nur Kopenhagen hatte schon 1801 die 100000-Grenze überschritten. Oslo war damals ein kleines Städtchen, nicht größer als heute Korsör auf Seeland oder Nyborg auf Fünen (9 500 Einwohner). In Stockholm dagegen lebten 1801 bereits 75 517 Menschen. Noch um die Mitte des Jahrhunderts hatten das eine die 50000-Grenze, das andere die 100000-Grenze nicht erreicht (Oslo 1855: 42000, Stockholm 93000 Einwohner) . Kopenhagens Bevölkerung war damals auf 130000 angestiegen. Die Gründe für den Größenunterschied und die Verschiedenartigkeit in der Entwicklung sind mannigfacher Art; die wichtigsten sind historischpolitischer und geographisch-wirtschaftlicher Natur. Norwegen war von 1397 bis 1814 ein Bestandteil des dänischen Reiches, kein selbständiges Staatswesen. Seine Geschicke wurden über vier Jahrhunderte lang von Kopenhagen, dann aber nahezu ein Jahrhundert von Stockholm aus gelenkt; von 1814 bis 1905 war es ein Bestandteil Schwedens. Erst seit 1905 ist Oslo der Sitz einer selbständigen Regierung. Es ist verständlich, daß es als die jüngste zugleich die kleinste der drei nordischen Hauptstädte geblieben ist, indes Kopenhagen auf der alten Vormachtstellung des Staates seine führende Stellung als Stadt begründete und hielt. Denn der Aufstieg Schwedens zur Großmacht geschah zu einer Zeit, in der Dänemark bereits eine reiche, an territorialen wie kulturellen Leistungen große Geschichte hinter sich hatte. Die Natur des Landes hat den norwegischen Raum in zahlreiche kleine, in sich abgeschlossene Lebenskammern aufgespalten. Sie stehen untereinander und mit der Hauptstadt zu Lande entweder in gar keiner oder in nur sehr lockerer Verkehrsverbindung. Stavanger, Bergen, Drontheim waren stets ein Ausdruck der starken, natürlichen Aufsplitterung, Oslo daher niemals die überragende Zentrale des gesamtnorwegischen Raumes.

Stockholm ist die Hauptstadt des bei weitem flächengrößten der drei nordischen Staaten. Auch die Bevölkerungszahl Schwedens ist mit rund 6 % Millionen (1938) mehr als doppelt so groß wie die Norwegens (1938 rund 3 Millionen) und fast doppelt so groß wie die Dänemarks (1940 rund 3,8 Mill.). Wenn trotzdem seine Hauptstadt erheblich weniger Einwohner hat, als die des flächenkleinsten der drei nordischen Staaten, so ist das in erster Linie in der geographischen Lage dieser

Abb. 1: Bevölkerungsbewegung der skandinavischen Hauptstädte 1769—1940 Nach den dänischen, schwedischen und norwegischen amtl. Statistiken

Oslo liegt im innersten Winkel des tief ins Land eingreifenden Fjords. Die großen Schiffahrtslinien der Ost- und Nordsee ziehen weit draußen vor dessen Ausgang vorüber. Nur wer Ladung für den Süden des Landes zu löschen hat, steuert Oslo an; die übrigen Landschaftskammern dieses Staates versorgen sich durch direkte Seeverbindungen zumeist selbst. Stockholm liegt in einer anderen geographischen Welt. Sein Blick fällt nicht auf eine der bedeutendsten Wasserstraßen der Erde. Sein natürlicher Lebensraum ist die Ostsee. Und steht es als Hauptstadt eines Landes auch mit der Welt in ständiger und engster Verbindung, so ist es in Wachstum und Größe doch an seine natürlichen Gegebenheiten gebunden. Durch die Schärenwelt vor seinen Toren ziehen seine Schiffe in erster Linie zu den Randstaaten der Ostsee hinüber, besonders in die Häfen des Reichs. Erhebliche Teile des Überseehandels haben Göteborg, das durch ihn groß geworden ist, aber auch Malmö an sich gezogen. Die Aufgliederung in in sich abgeschlossene Lebenskammern ist

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weit geringer als in Norwegen. Wenn auch weite Entfernungen, riesige Wälder, große dünn besiedelte Gebiete, Berge und Ströme dem entgegenstehen, im Ganzen gesehen ist Stockholm doch in wesentlich stärkerem Maße Hauptstadt und Metropole des gesamten Landes. In der Größe seiner Einwohnerzahlen spiegelt sich das wider. Die geographische Lage ist es, durch die Kopenhagen seit Anbeginn gegenüber allen anderen Städten des Nordens bevorzugt ist. Es ist die wichtigste Übergangsstätte nach dem einst dänischen Schonen und damit vom Kontinent nach dem Norden, und zugleich der Schlüssel zwischen Ost- und Nordsee. Günstig wie nur wenige Orte der Welt liegt es an einer der wichtigsten Verkehrsstraßen der Erde. London, Gibraltar, Konstantinopel, Suez, Singapur sind, was ihre Lage anbetrifft, mit Kopenhagen verwandt. Denn von den drei die Ost- mit der Westsee verbindenden Wasserwegen ist der Sund der von Natur günstigste. Die Belte sind infolge der zahlreichen Untiefen und der schmalen und gewundenen Fahrrinne schwer zu durchsegeln. Der Verkehr, der durch sie hindurchgeht, hat daher zu allen Zeiten nicht viel bedeutet. Das spiegelt sich auch in Charakter und Größe der an ihnen und am Sund erwachsenen Siedlungen wider. Den Städtepaaren am öresund (Kopenhagen-Malmö, Helsingör-Helsingborg, Landskrona-Köge) sind die des kleinen Beltes (Fredericia, Middelfart, Kolding, Hadersleben, Assens) und die des großen Beltes (Kerteminde-Kalundborg, Nyborg-Korsör, SvendborgSkaelskör) in keiner Weise zu vergleichen. Sie alle zusammen haben heute nicht so viel Einwohner (rd. 110000) wie das eine Malmö (rd. 120000 Einw.), und dieses Malmö verfügt nur über rd. V6 der Bevölkerung Kopenhagens. Die Städte am Sund Die Ufer des Sundes sind hüben und drüben einander merkwürdig ähnlich. Das eine ist fast wie das Spiegelbild des anderen. Wo sie einander aber nicht ähneln, gerade da liegt der für den Gang der Geschichte so entscheidende Hafen Kopenhagen. Eingang und Ausgang des Sundes sind von Höhen flankiert, am Eingang auf schwedischer, am Ausgang auf seeländischer Seite. Die Trias-Jura-Scholle bei Heisingborg bricht ebenso wie die Kreidescholle von Stevns Klint steil gegen die Ufer ab. Nur auf schwedischer Seite ist sie von alters her von einer Burg gekrönt; nur hier sind die Ufer breit genug für die Anlage einer Siedlung und den Bau eines Hafens: Hier ist Heisingborg erwachsen. Es ist das zugleich die Stelle, an der beide Küsten sich am meisten nähern (3,9 km, das ist etwa V 7 der Entfernung zwischen Kopenhagen und Malmö). Hier liegt daher die von der Natur 5

gegebene Überfahrtsstätte über den Sund. So erwuchs durch den Fährverkehr zwischen den beiden wichtigsten Positionen des alten dänischen Reiches, Schonen und Seeland, auch auf seeländischer Seite allmählich eine Siedlung, Helsingör. Auch sie hat, wie drüben Heisingborg, im Schutz einer alten Burganlage, der Flyndernborg, gestanden. Die Uferverhältnisse sind hier wesentlich ungünstiger als auf schwedischer Seite und das Hinterland ist reich an Wäldern, aber arm an Äckern und Siedlungen. Daß die hier entstehende Stadt dennoch das alte, vor den Toren eines fruchtbaren, früh besiedelten Hinterlandes liegende Heisingborg erreichen und schließlich in den Schatten stellen konnte, hat historische Gründe. Hier ist die Stelle, von der aus die dänischen Könige Jahrhunderte lang den Sundzoll erhoben haben. Eingang und Ausgang des Sundes sind auf der anderen Seite die einzigen Stellen, an denen durch Strom- und Wellenschlag von der offenen See her ständig das Land vermehrt wird. Auf dem dadurch gebildeten Haken bei Helsingör bewacht die sagenumrauschte Kronborg die Einfahrt, eine der an geschichtlichen Erinnerungen reichsten unter den Burgen des Nordens. An der Ausfahrt hat, wiederum auf der Gegenseite, die See die Dünenwelt von Skanör und Falsterbo geschaffen. Es ist das die Stelle, an der die Küsten Schonens am eigenwilligsten nach Westen vorspringen. Keiner, der heute durch die Einsamkeit der von Wasservögeln und Möwen belebten Sandfelder wandert, ahnt etwas von der in der Geschichte der Ostsee einzigartigen Bedeutung, die diese stillen Ufer einmal gehabt haben. Sie waren das Zentrum der Heringsfischerei durch Jahrhunderte. Die Geschichte der Städte am Sund ist ohne die Kenntnis der Rolle, die einst die Dünenwelt von Skanör und Falsterbo gespielt hat, gar nicht verständlich. Zwischen Eingang und Ausgang schwingen die Küsten hüben und drüben sich in breiten, offenen Buchten dahin. In ihrem Innern sind auf der einen Seite Malmö, auf der anderen Köge entstanden, das eine an der Mündung eines kleinen Flusses, das andere am Südrand der Lommabucht, von den Hansen einst nach der Form des alten Hafens „Ellbogen" genannt. Die Blütezeit Köges liegt in vergangenen Jahrhunderten,- durch die Entwicklung des benachbarten Kopenhagens zur Hauptstadt des Reiches ist es in den Schatten gestellt worden. Malmö dagegen hat als Fährpartner Kopenhagens und als Hafen eines reichen Hinterlandes immer eine größere Rolle gespielt. Aus der Blüte des wirtschaftlichen Lebens hat es schon zur Zeit der Heringsfischerei seinen Nutzen zu ziehen verstanden. Es hat Zeiten gegeben, in denen es die erste unter den 6

Handelsstädten am öresund gewesen ¡st. Das alte Malmö hat dabei ursprünglich ein Stück landeinwärts gelegen, ebenso wie übrigens das alte Köge („Gammelköge"), das im Laufe des 14. Jahrhunderts an die Mündung seines Flusses verlegt wurde; in derselben Zeit, um die Mitte des 14. Jahrhunderts, wird Malmö als „Ober-Malmö" genannt. Sein Hafen, „Nieder-Malmö", war der alte Fischerort Skalperup: Die Stadt ist also aus zwei Zellen zusammengewachsen, eine Erscheinung, wie wir sie auch bei ihrem Partner jenseits des Sundes, bei Kopenhagen, kennenlernen werden. Malmös Aufschwung ist dann vor allem an den Aufstieg des schwedischen Staates gebunden. Es ist neben Göteborg das große Tor Schwedens in die Welt geworden. Was die Natur hier an günstigen Hafenverhältnissen versagt hat, hat der Mensch durch künstliche Bauten zu ersetzen verstanden. W o die Buchten des Sundes weit in die See hinausschwingen, liegt Landskrona auf schwedischer, Dragör auf seeländischer Seite. Das eine ist im Schutz einer kleinen, ihm vorgelagerten Insel gegründet worden. Seine natürlichen Hafenverhältnisse waren günstig, aber vom Festland trennte es ursprünglich ein breiter Sumpfgürtel. Ihn durch einen festen Damm zu überqueren, ist erst von einer späteren Zeit unternommen worden. Landskrona ist die jüngste unter den Städten am Sund, seine Anlage ebenso bezeichnend für die Bedeutung, die dieses Fahrwasser damals gewonnen hatte, wie für die schöpferische Kraft der Zeit, die es schuf. Dragör liegt nicht im Schutze, sondern an der offenen Flanke einer Insel, des dem größeren Seeland vorgelagerten Amager. Es ist dem Spiel von Wind und Wellen ohne Deckung preisgegeben. Dennoch hat es, ohne allerdings Stadtrechte erlangt zu haben, in den Zeiten, in denen auf dem Gegenufer Skanör und Falsterbo in Blüte standen, eine hervorragende Rolle gespielt. Die Hanse ist daran maßgeblich beteiligt gewesen. Auch Dragörs Entwicklung ist dann durch die Nähe Kopenhagens unterbunden worden. Dessen Lage ist einzigartig im Sund. Zwischen Seeland und Amager hat die Natur in der zwischen beiden Inseln nach Südwesten verlaufenden Wasserstraße einen geräumigen, vortrefflich geschützten Hafen geschaffen. Die Tiefe hat zuerst überall genügt (2 bis 3 m), ist später durch den Eingriff des Menschen laufend vergrößert worden und hat daher zu keiner Zeit der Schiffahrt ernsthafte Schwierigkeiten bereitet. Die Ufer aus Geschiebesand und Lehm sind fest und flach und dennoch hoch genug, um die Wohnstätten vor Hochwasser zu sichern. Das Land steigt etwa parallel zum Strand nur langsam an,- die 6-Meter-Linie wird im Bereich des alten bäuerlichen Siedlungskerns gerade überschritten.

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Wenig nordwärts davon liegen die höchsten Erhebungen um 8 m. Dann aber fällt das Gelände zu einer sumpfigen, im ganzen von Nordnordost nach Südsüdwest sich erstreckenden Niederung ab, die ein kleiner Bach, der spätere St. Jörgensbach, durchzog,- er mündete im Südwesten der alten Stadt in den Seeland von Amager trennenden Arm des Sundes. Diese Niederung ist es, die einst als Stauweiher, dann zu der bekannten die Stadt begrenzenden Seenlinie ausgebaut worden ist.

Abb. 2: Das Gelände von Kopenhagen um 1200 Auf Grund von Karten und Messungen ausgearbeitet von Oberst H. U. R a m s i n g. Aus: Trap, Beskrivelse af Danmark, Bd. I (gez. von E. S c h m i d , Stuttgart).

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Auf den Bereich dieser Siedlung zielte ferner einer der wichtigsten alten Wege Seelands, die Straße von Roskilde; an ihm waren Markt und Thingstätte Kopenhagens erwachsen. An seinem Auslauf scheint nicht nur die Fähre nach Amager, sondern auch eine der Überfahrtstätten nach Schonen gelegen zu haben. Die Siedlung, die hier heranwuchs, hatte also im Kleinen wie im Großen alle natürlichen Vorzüge für sich. Am wichtigsten Tor zwischen Ost- und Westmeer, dem Sund, gab es keinen günstigeren Hafenplatz. Hier mündete eine der großen West-Ost-Verbindungen durch das alte Dänemark, der Handelsweg von Roskilde über den Sund nach Schonen. Die geographische Lage konnte also schon damals vorteilhafter kaum gedacht werden. Aber auch die Ortslage, unmittelbar an der geschützten Bucht, in nur wenig bewegtem Gelände, auf festem Baugrund, gegen das Inselinnere im Nordwesten durch die Sumpfniederung gedeckt, war zur Anlage einer Siedlung vortrefflich geeignet. Kein Zufall, daß im Bereich der Stadt und seiner unmittelbaren Umgebung eine ganze Reihe von Funden vorgeschichtlicher Denkmäler zutage gefördert worden ist.

Die Mobilisierung des öresundes als Lebens- und Verkehrsader Daß die günstige Lage aber auch wirklich ausgenutzt wurde, daß hier eine Stadt, eben Kopenhagen, entstand, aufblühte und zur ersten des Nordens wurde, hat keine geographischen, sondern geschichtliche Gründe. „Kopenhagen" heißt „Köbmandshavn", das ist „Kaufmannshafen" (mit „ H a g " = Wald hat der Name nichts zu tun). Erst als der Sund zu einer Handelsstraße wurde, als seine Wasser sich mit Schiffen belebten, als zwischen den Ländern der Ost- und der Nordsee der Austausch der Waren zu vollziehen sich begann, waren die Voraussetzungen dafür gegeben, daß die geographische Möglichkeit historische Wirklichkeit werden konnte. Solange der Sund keine besondere Rolle für Handel, Verkehr und Wirtschaft spielte, lag daher auch der Schwerpunkt des Landes anderswo, und zwar bezeichnenderweise im Zentrum der alten Hügelgräberlandschaft, im dichtesten Siedlungsgebiet der Bronzezeit, im innersten Winkel des tief eingreifenden Fjords, in Roskilde. Roskilde war ein alter religiöser und damit zugleich politischer Mittelpunkt des Landes. Als Harald Blauzahn 985 hier die erste Kirche errichtete, wurden auch an dieser Stelle lediglich uralte germanische Traditionen wieder auf-

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g e n o m m e n und f o r t g e f ü h r t . 1020 ist Roskilde d a n n Bischofssitz g e w o r d e n , z u einer Zeit, in d e r uns d i e Geschichte v o n K o p e n h a g e n noch kein W o r t , nicht e i n m a l d e n N a m e n nennt. H i e r h a b e n d i e dänischen Könige bis ins 15. J a h r h u n d e r t hinein residiert, und d e r D o m , ihre und ihrer Enkel e h r w ü r d i g e G r a b s t ä t t e , ist bis heute eines d e r a n Erinnerungen reichsten B a u d e n k m ä l e r des Landes. Roskilde entsprach auf d e r a n d e r e n Seite des Sundes Lund, w i e dieses in fruchtbarer, seit vorgeschichtlichen Zeiten dicht besiedelter Landschaft g e l e g e n und Kultstätte des G e r m a n e n t u m s . Fast ein J a h r h u n d e r t nach der Erhebung Roskildes z u m Bischofssitz w u r d e Lund zur S t a d t des Erzbischofs und d a m i t z u m kirchlichen V o r o r t des g e s a m t e n N o r d e n s (1104). V o n diesen alten Z e n t r e n b e g a n n seit u n g e f ä h r 1100 d a s Schwergewicht des Lebens sich mehr u n d mehr a n d i e Küsten z u verschieben, von Lund nach M a l m ö , v o n Roskilde nach K o p e n h a g e n . Es ist d a s d e r Ausdruck für d e n Eintritt in eine neue Zeit, in d e r H a n d e l u n d W i r t s c h a f t eine in diesem U m f a n g u n d in dieser Intensität bis d a h i n u n b e k a n n t e Rolle z u spielen b e g a n n e n . Seit rund 1100 nämlich erschienen auf ihren Z ü g e n alljährlich im südlichen Teil des Sundes zwischen S k a n ö r - F a l s t e r b o u n d d e r Insel A m a g e r g e w a l t i g e Heringsschwärme. V o n ihrer G r ö ß e sind d i e Berichte voll, d i e aus jenen Zeiten auf uns g e k o m m e n sind. So schreibt d e r dänische Mönch Saxo G r a m m a t i c u s (j-1216): „ Z w i s c h e n S e e l a n d u n d Schonen verengt sich d a s M e e r z u einem Sund, in d e m d i e Fischer jedes Jahr g e w a l t i g e Fänge z u machen p f l e g e n . Denn d e r g a n z e Sund ist voll v o n Heringen, so d a ß d i e F a h r z e u g e z e i t w e i l i g festsitzen u n d k a u m mit d e n Rudern v o r w ä r t s z u b e w e g e n sind. D a n n h a b e n d i e Fischer w e d e r N e t z e noch H a k e n n ö t i g , s o n d e r n k ö n n e n d i e Fische mit d e n b l o ß e n H ä n d e n f a n g e n . " (Bd. I, S. 57.) Das Zentrum dieser Heringsfischerei u n d d e r Treffpunkt d e r B o o t e w a r e n d i e Ufer v o n S k a n ö r u n d Falsterbo. Alljährlich v o n A u s g a n g Juli bis A n f a n g O k t o b e r w a r e n sie b e l a g e r t v o n Schiffen, d i e v o n d e n Küstenplätzen d e r O s t - u n d N o r d s e e hier z u s a m m e n k a m e n . Zu d e n v o r w i e g e n d dänischen Fischern gesellten sich d i e H ä n d l e r u n d Kaufleute der Hanse, z u b e i d e n d i e H a n d w e r k e r . Aus Lüneburg k a m auf lübischen Booten das Salz z u m K o n s e r v i e r e n ; flandrische Kaufleute t r a f e n sich mit denen Lübecks, W i s m a r s u n d d e r S t ä d t e d e r Ostsee bis hinauf nach Reval. N a c h d e m lübischen Schiffahrtsregister v o n 1368 segelten d a m a l s e t w a y 4 aller v o n Lübeck a u s l a u f e n d e n Schiffe hierher, u n d in d e r Blütezeit sind allherbstlich viele T a u s e n d e a n diesen Küsten versammelt g e w e s e n ; einer d e r wichtigsten Stapel- u n d U m s c h l a g p l ä t z e zwischen O s t

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und West war hier entstanden. Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts hinein hat die Schonenfischerei für Dänemark eine außerordentliche Rolle gespielt. Dann begannen die Heringsschwärme auszubleiben. Die Nordsee wurde fortan das große Fischereigebiet und Amsterdam, wie ein Sprichwort sagt, jetzt auf Heringen erbaut. Diese Sundfischerei ist die eine geschichtliche Voraussetzung für die Verdichtung des Lebens an den Küsten in Form konzentrierter Ansiedlungen des Menschen gewesen. Denn von Falsterbo-Skanör aus strahlte das Leben auch an andere Orte hinüber. Der Handel von Dragör hat zeitweise dem von Falsterbo-Skanör nicht viel nachgestanden. Und Malmö und Köge, Praestö und Kopenhagen verdanken der Heringsfischerei und dem damit verbundenen Kaufmanns- und Handwerkerleben ihre ersten entscheidenden Impulse. Arnold von Lübeck 1212) gibt in seiner „Chronica Slavorum" eine anschauliche Schilderung über die Auswirkungen der Heringsfischerei auf die dänische Bevölkerung an den Ufern des Sundes: „Während sie sonst an Kleidung allen Seeleuten glichen, da sie, am Meere wohnend, immer mit Schiffen zu tun haben, so kleiden sie sich jetzt nicht nur in Scharlach, in buntes und graues Pelzwerk, sondern auch in Purpur und feine Leinwand. Alle sind nämlich sehr reich durch den Fischfang, der alljährlich in Schonen angestellt wird. Zu diesem eilen von allen rings umher wohnenden Völkern die Kaufleute herbei und bringen Gold, Silber und alle sonstigen Kostbarkeiten und kaufen ihnen die Heringe ab, welche sie umsonst von Gottes reich spendender Güte empfangen, wobei die Kaufleute noch um feilen Handels willen ihr Bestes, ja bisweilen ihr Leben durch Schiffbruch verlieren." (3. Buch, Kap. 5, S.78.) Zugleich aber scheint in diese Jahre ein anderes, für Entstehung und Leben der Städte überaus wichtiges Ereignis zu fallen. Wir sind darüber leider nur sehr mangelhaft unterrichtet. Es hat aber den Anschein, als ob gerade jetzt die kleinen Fahrzeuge, einst flach genug gebaut, um überall leicht an Land gezogen werden zu können, durch größere ersetzt zu werden beginnen. Ihr Tiefgang zwingt sie zum Aufsuchen von vor Wind und Wellenschlag geschützten Ankerplätzen. Die SchifFfahrt wird damit auf ganz bestimmte Hafenorte als Rast- und Ruheplätze ausgerichtet. Diese aber werden zugleich die Zentren des Handwerker- und Kaufmannslebens. Im Zusammenhang mit der Verbesserung der Schiffstypen erfolgt wenig später das dritte entscheidende Ereignis. Seit Ende des 13. Jahrhunderts kommt allmählich die Fahrt um Skagen herum auf, die sogenannte Ummelandfahrt. Die Holländer haben sie begonnen; sie wollten damit der Kontrolle und dem Zoll von Lübeck und Schleswig entgehen. 11

Denn wer bis dahin aus der Nordsee in die Ostsee wollte, segelte elbeoder eideraufwärts nach Hamburg oder Tönning. Von dort wurden die Waren zu Land nach Lübeck oder Schleswig verfrachtet, um dann zu Schiff weiterzugehen. Um das lästige Umladen zu vermeiden, und als Schlag gegen die Ummelandfahrt hat Lübeck später den ersten NordOstsee-Kanal, den Stecknitz-Kanal, gebaut (seit 1390); er hat die Bedeutung des Seeweges um Skagen jedoch nicht mehr zu beeinträchtigen vermocht. Für die Rolle, die, in schärfstem Wettbewerb zur Hanse, die Holländer in der Schiffahrt damals zu spielen begannen, sind die Namen, ein Zeugnis, die sie den Gewässern auf ihrem Weg gegeben und die sich bis heute erhalten haben: Skagerak — Kattegat — Holländerdyb — Drogden. Erst durch sie und erst seit dem 17. Jahrhundert ist ferner die „Westsee" zur „Nordsee" geworden. Die Holländer haben ihre Schiffe nicht nur zur Versorgung ihrer bereits damals stark industrialisierten Provinzen (flandrische Tuche!) mit den Fischen des Sundes auf Fahrt geschickt. Der Handel mit Massengütern, mit Korn und Holz aus den Küstenländern der Ostsee und dem Salz von den Ufern südlich der Loiremündung (dem sogenannten Baiensalz), war inzwischen hinzugekommen. Alle diese Ereignisse haben damals den Wassern zwischen Seeland und Schonen als Handels- und Verkehrsstraße Leben gegeben. Zwar lagen Heimat- und Bestimmungsorte der Schiffe außerhalb des Sundes an den Küsten der Nord- bzw. Ostsee; nur die Heringsfischerei war nach wie vor in den Gewässern zwischen Schonen und Amager konzentriert. Inzwischen aber waren an ihren Ufern die Städte entstanden. Unter ihnen hat Kopenhagen von vornherein eine besondere Rolle gespielt.

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KOPENHAQENS WERDEN EIN SPIEQEL DER E P O C H E N DER D Ä N I S C H E N QESCHICHTE

Gründung der Stadt im Zeitalter der Waldemare: Bischof Absalon Als Kopenhagen zum erstenmal in der Geschichte erwähnt wird, und zwar in der isländischen Knytlinga-Sage, wird es als Not- und Zufluchtshafen der in der Seeschlacht bei Aarhus besiegten dänischen Flotte Svend Estridsens genannt (1043). Das ist bezeichnend! In dem einzigen großräumigen, vor Sturm und Wellen geschützten Naturhafen am Sund suchten die geschlagenen Schiffe Schutz. Die Siedlung von Fischern, die hier, klein und wenig bedeutend vorerst noch, am seeländischen Ufer Amager gegenüber lag, ist nur der eine Kern der späteren Stadt gewesen, wenn auch der, der dem Ganzen den Namen gegeben hat: Havn. Der andere lag ein Stück landein, ein kleines Dörfchen von Bauern. Es scheint trotzdem nicht ganz ohne, wenngleich auch nur örtliche, Bedeutung gewesen zu sein; in ihm lag, etwa am heutigen Gammeltorv, dem damaligen Dorfteich, der Thingplatz des Stövnaes Herred, zu dem es gehörte; dieses hat ungefähr dasselbe Gebiet umschlossen wie das heutige Sokkelund Herred. Das Bauerndörfchen mit der Gerichtstätte für das Herred ( = Bezirk), und die nahegelegene Fischersiedlung am Strand, das also sind die Urzellen, aus denen die Stadt einmal erwachsen sollte. Aufschwung und Entwicklung dieser bis dahin kleinen Siedlung fallen in eine Zeit, die zu den größten der dänischen Geschichte gerechnet werden muß, in die Zeit der Waldemare (1157—1241). Es ist das das Jahrhundert, das durch den Sieg Waldemars I. auf der Grathe Heide südlich Viborg eingeleitet wurde (1157). Durch ihn hat eine Periode langwieriger innerer Kämpfe ihren Abschluß gefunden. Waldemar I. ist unter dem Beinamen „der Große" in die Geschichte eingegangen (1157—1182). Er, der mit Heinrich dem Löwen verbündet war, wie seine beiden Söhne, Knud VI. (1182—1202) und Waldemar II. (1202—1241), sind darüber hinaus als Bezwinger der Wenden (seit jenen Tagen führt der König in seinen Titeln u. a. die Bezeichnung „König der Wenden"), als Schöpfer eines weitgespannten Ostsee-Imperiums und als geschickte und mannhafte Vertreter ihrer Ansprüche gegenüber den deutschen 13

Kaisern im Herzen aller Dänen unsterblich geworden. Waldemar II., dem „Siegreichen", hat Kaiser Friedrich II. alles Land jenseits von Elbe und Eide, also Holstein, Lauenburg, Mecklenburg und Vorpommern, offiziell überlassen (1214). Nach dem einst in der Wikingerperiode von Sven Gabelbart begonnen, von dessen Sohn Knud dem Großen (f 1035) vollendeten Nordseeimperium ist dies die zweite gewaltige Reichsgründung der Dänen gewesen; sie umschloß die Küstenländer der Ostsee von der Eider bis nach Estland. Damals, so berichtet die Sage, ist in der Schlacht vor Reval, das Waldemar II. errichtet hat, der „Danebrog" als Kreuzfahne vom Himmel gefallen (1219). Es ist das zugleich eine Zeit unerhörter Entfaltung der Kräfte auf allen Gebieten des Lebens gewesen, des unerschütterlichen Bündnisses zwischen Königtum, Kirche und Adel, und daher eine Periode innerer Kraft und äußerer Macht, in der in Dänemark das mittelalterliche Lebensgefühl seine erste und schönste Blüte erreichte. In der Zeit der Waldemare sind die weitaus meisten Kirchen im Lande entstanden, ein imponierender Ausdruck des Lebens- und Schöpfungswillens der geistlichen Macht jener Tage. Die erste große Rodungsperiode fällt in diese Jahre, und die Kultivierung weiterStrecken brachen Landes. Damals sind zahlreiche neue Dörfer gegründet worden; viele der heute auf -thorp, -strup, -trup endenden Siedlungen entstammen jener Zeit, die meisten der -röd, -ryd, -holt, nicht wenige der -böl und -ager-Orte. Es ist eine Epoche des Ausbaues des Landes, die zwar schon früher, etwa um 1000 beginnt, jetzt aber ihren Höhepunkt erreicht. Es entstehen die Klöster und mit ihnen Wassermühlen, Fischteiche, Mustergüter. Damals kommt die Kenntnis des Ziegels nach Dänemark, der seit den Tagen Waldemars I. für die Architektur des Nordens eine so bedeutende Rolle spielen sollte. Damals schrieb Svend Aggesön die erste Geschichte des dänischen Reiches (um 1185), und der große Sammler der dänischen Heldensagen, Saxo Grammaticus, lebte in dieser Zeit (f 1216). Wenige Jahre nach seinem Tod hat die Blüte dänischer Macht auf dem Schlachtfeld von Bornhöved ein jähes Ende gefunden. Es ist kein Zufall, daß diese Periode der Entfaltung höchster schöpferischer Kräfte auf allen Gebieten des Lebens zugleich die Zeit ist, in der ringsum im Lande die Städte geboren werden. Der Aufschwung, den auch die Wirtschaft in diesen Jahrzehnten zu nehmen begann (Ochsenund Pferdeexport), hat ihre Entstehung begünstigt, aber nicht verursacht. Denn auch ihr Aufschwung ist nur eines unter vielen Zeichen der Entfesselung der Lebensenergien überhaupt. Weitaus die meisten Städte sind damals entstanden, fast zur gleichen historischen Stunde wie im Reich, ein Zeugnis für die innere Verbundenheit des dänischen mit dem

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großen deutschen Raum. Die Zeit der Blüte mittelalterlichen Lebens hier und in Dänemark ist die gleiche. Die Jahrzehnte der Waldemare umfassen die Herrschaftsjahre von Kaiser Friedrich Barbarossa (1152—1190) bis zu Friedrich II. (1215—1250). Als einer der hervorragendsten Männer jener Zeit, als Freund und Berater Waldemars I. und Knud VI., als Kriegsherr und Geistlicher zugleich, wird immer Absalon, der Bischof von Roskilde (seit 1157) und spätere Erzbischof von Lund (seit 1177)), genannt werden (1128—1201). Er ist.es gewesen, der damals zum eigentlichen Gründer Kopenhagens geworden ist. Er hat die Bedeutung des Sundes und der strategisch hervorragenden Lage Kopenhagens an ihm weitblickend und klar erkannt. Der Schutz der Schiffahrt und die Abwehr der immer wieder die Küsten verheerenden slawischen Seeräuber ließen von hier aus am wirkungsvollsten sich durchführen. So errichtet er, vom König auf Grund seiner Verdienste mit dem Gebiet der späteren Stadt beschenkt, 1167 auf dem kleinen Strandholm die erste Burg. Den beiden Urzellen, dem Bauernort und dem Wohnplatz der Fischer, stellt er damit den dritten Siedlungskern, eine neue entscheidende Kraftquelle künftiger Entwicklung, an die Seite. Nur wenige Mauerreste sind heute davon in den unterirdischen Gewölben des ¡etzigen Christiansborg-Schlosses erhalten. Damals aber schrieb Saxo: „Dieses sein geringes Wirken wurde dem Lande zum großen Schutz; denn die Seeräuber wagten nicht mehr, dort in der Nähe zu ankern, und die Bewohner des Landes konnten nun sicher in den umliegenden Fahrwassern fahren." (Bd. II, S. 269.) Auch die den Siedlungskomplex von Dorf, Hafen und Burg umschließende Wallanlage scheint bereits von Absalon angelegt worden zu sein; kurz vorher hatten Lund (1133), Roskilde (1148) und Viborg (1150) ihre ersten Befestigungen erhalten. Aber auch der Bau der Burg auf Strandholm war kein einmaliges Ereignis in jenen Jahren. Im ganzen dänischen Land sind damals zur Aufrichtung und zum Schutz der Ostseeherrschaft an den strategisch wichtigsten Punkten Verteidigungsanlagen errichtet worden, die meisten in den Jahren der Regierung Waldemars des Großen, alle aus dem neuen Baustoff, dem Ziegel: In jener Zeit ist das gewaltige Danewerk, das bereits von König Göttrik, dem Gegner Karls des Großen, gegen den Einbruch über die Landbrücke von Süden her errichtet worden war, erneuert, ist die Burg auf Sprogö zur Deckung des Großen Belts, die Taarnborg bei Korsör und auf der Gegenseite auf Fünen die Nyborg, ist die Kaiundborg an der Überfahrtstätte nach Jütland, die Vordingborg zum Schutz der Ruhequartiere der königlichen Ostseeflotte und ihrer Ausgangsstellung zu den Kriegszügen gegen die Wenden gebaut worden. 15

Die Anlage der Burg am Sund ist also nur ein Glied in der Kette weitschauender und planvoller Maßnahmen Waldemars gewesen. W i e überall, so wurde auch hier durch ihren Bau die Bedeutung der Lage des Ortes dokumentiert, an dem sie entstand. Ihrer Existenz aber wohnte eine ausgesprochen städtebildende Kraft inne. W o in jenen frühen Tagen Burgen errichtet worden sind, sind, bis auf wenige Ausnahmen, um sie herum auch Städte entstanden. Der Umfang Kopenhagens, wie ihn wahrscheinlich schon Absalon durch Wall und Graben festgelegt hat, ist im großen und ganzen Jahrhunderte hindurch nicht verändert worden. Von der Westseite des heutigen Kongens Nytorv lief die Mauer etwa im Zuge der ¡etzigen Vingaardstraede am damaligen Ufer entlang,- ihm folgte sie über die Innenseite von Gammelstrand zur heutigen Vestervoldgade, wo der Vartov die Südwest-Ecke, der Jarmersturm die Nordwest-Ecke der Stadt bezeichnet; im Zuge der Vester- und Nörrevoldgade und der Gothersgade zog sie dann zum Kongens Nytorv hinüber. Der Stadtkomplex ist auf dieser Seite, etwa zwischen Köbmager- und Gothersgade, zunächst versumpft gewesen. Er hat auch gegen die Ufer hin einen anderen Verlauf gehabt. Die glatte Küstenlinie von heute ist ein Produkt unermüdlicher Arbeit durch viele Jahrhunderte. Wasser und Land grenzten weiter landeinwärts und, den vom Eingriff des Menschen noch freien Verhältnissen entsprechend, in wesentlich unregelmäßigerem Zug aneinander. Ihn zu rekonstruieren, ist eine ebenso interessante wie schwierige Aufgabe gewesen. Sie ist auf Grund langjähriger sorgfältigster Beobachtungen, Grabungen und Messungen von Ramsing gelöst worden. Der Straßenname „Dybensgade", nahe der dem Schutzheiligen der Seefahrer geweihten Nikolaikirche, hat die Erinnerung an den ehemaligen Meeresarm zwischen Seeland und Bremerholm bewahrt. Das „Gamlebodedyb", das heißt „das Tief bei den alten Buden" ( = den Verkaufshäusern der Kaufleute), das später zum „Gammelstrand" wurde, scheint der alte Mittelpunkt für das Schiffahrts-, Fischer- und Handelsleben gewesen zu sein. Es ist, umspült vom modernen Leben der Großstadt, der Fischereihafen Kopenhagens bis heute geblieben. Das Gelände zwischen Löngangsstraede und Langebro war vom Kallebodstrand überschwemmt; Strandstraede und Amaliegade bezeichneten ungefähr den weiteren Verlauf der alten Küstenlinie, und von der Faergegade an der Stelle des heutigen Höjbroplatzes ging die Fähre nach Amager hinüber. 16

Abb. 3: Blick von der Stormbrücke auf den Fischereihafen an Nybrogade und Gammelstrand. Rechts das Thorwaldsen-Museum, im Hintergrund Kirchturm von St. Nicolai.

Vor den Ufern aber lag eine ganze Reihe kleiner, flacher Inseln; die beiden größten waren Amager unmittelbar vorgelagert. Die eine, Refshalen, sollte später einen Teil von Christianshavn tragen; die andere, Plantholm, wuchs mit Amager zusammen. Ihnen entsprachen auf seeIqndischer Seite Strandholm und Bremerholm. Strandholm war die Insel der Burg und mit dem Festland durch eine Plankenbrücke verbunden; über dem kleineren Skarnholm an seiner Seite liegt heute das Thorwaldsen-Museum. Bremerholm hat nach den Buden und Handelsplätzen deutscher Kaufleute seinen Namen; auf ihm ist später u. a. die Holmenskirche errichtet worden. Gleichzeitig mit dem Bau von W a l l und Graben hat, wie es scheint, bereits Absalon durch die Anlage eines Mühlendammes quer über den Lauf des St. Jörgenbaches den St. Jörgenssee aufstauen lassen; es war der erste Schritt zur Schaffung des Seengürtels quer durch die heutige Stadt. 1167 wird Havn als Dorf, 1171 als urbs erwähnt; in den Jahren dazwischen dürfte es also zur Stadt erhoben worden sein. Es hat in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bereits vier Kirchen gehabt; die älteste war dem Hl. Clemens geweiht. Sie hat in der Nähe des Westertores an der heutigen Frederiksberggade gelegen; bei Ausschachtungs-

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arbeiten sind hier unter Nr. 25 Reste davon gefunden worden. Unserer Frauen, St. Nikolai und St. Petri sind ihr gefolgt; die Schnelligkeit, mit der die Entwicklung des städtischen Lebens in diesen Jahrzehnten sich vollzog, spiegelt sich darin wider. Durch die Angaben des sogenannten Waidemarschen Erdbuches können wir uns für die Mitte des 13. Jahrhunderts eine ungefähre Vorstellung von der relativen Größe Kopenhagens machen. Mit 640 Besitzungen ist Roskilde damals die weitaus bedeutendste Stadt gewesen; ihm folgten mit nur 320 Naestved, mit 264 Kaiundborg und Kopenhagen mit 224; die nächst kleinere der seeländischen Städte, Slagelse, hatte nur 144 Besitzungen. Zu Absalons Zeiten hat die Stadt auch ihren Namen erhalten. Saxo Grammaticus ist es gewesen, der an Stelle des bloßen „Havn" zum erstenmal von „Kobmandshavn" („portus mercatorum") spricht. Kobmandshavn ist der „Hafen der Kaufleute" und zwar der fremden Kaufleute. Diese aber waren, wie wir wissen, fast ausschließlich deutscher Herkunft, in erster Linie aus Wismar, Stralsund und Stettin, dann aber auch aus den übrigen Städten der Hanse, aus Lübeck, Kolberg, Anklam usw. Deutschen Kaufleuten also verdankt die Stadt ihren Namen; ihnen verdankt sie zu einem guten Teil auch den ersten großen Aufschwung, den sie genommen hat. Im Zuge der heutigen Vimmelskafte, auf der Nordseite des Amagertorv und deröstergade hatten sie ihre Quartiere. Die Vimmelskafte, bis heute die Lebensader der Stadt, hieß damals „Tyskemanngade", Straße der Deutschen; als solche wird sie 1498 zum letztenmal genannt.

Erhebung Kopenhagens zur Hauptstadt: Erich von Pommern Zum zweitenmal werden die engen Beziehungen, die zwischen dem kulturellen und politischen Leben der Zeit und dem Leben der Städte bestehen, in aller Deutlichkeit sichtbar unter Erich von Pommern (1412 bis 1439). Erich von Pommern war der Großneffe der Königin Margarethe (1375—1412), die durch kluge Staatsverträge die drei nordischen Staaten, Dänemark, Schweden und Norwegen, in Personalunion aneinander zu binden verstanden hatte (Kalmarer Union 1397). Es ist das nach dem Nordseeimperium Knuds des Großen und dem Ostseeimperium der Waldemare die dritte und letzte großräumige Reichsschöpfung der Dänen gewesen, die größte des damaligen Europas. 18

König Erich war ein Deutscher von Geburt, und als solcher lenkte er, in Fortsetzung der Bemühungen Margarethes, die politischen Kräfte Dänemarks nicht mehr in Richtung auf die Beherrschung der deutschen Ostseeküsten, wie einst die Waldemare. Der Festigung des jungen Verbandes der nordischen Reiche galt vielmehr seine politische Arbeit. In dieser neuen Einheit mußte naturgemäß der Sund als Brücke zwischen der dänischen Hauptinsel und den schonenschen Provinzen, sowie als Schiffahrtsweg zu den Gliedern der Union im Norden, eine gesteigerte Bedeutung erlangen. Dazu kam, daß er in dieser Zeit durch den wachsenden Handels- und Schiffsverkehr für das wirtschaftliche Leben bereits von größter Wichtigkeit geworden war. Die Fahrt um Skagen hatte den Weg über Lübeck oder Schleswig weitgehend ersetzt. Erich von Pommern hat aus diesen Tatsachen die Konsequenzen gezogen und den Sund gewissermaßen zum Zentrum seines Reiches gemacht. Kein Zufall daher, daß er es war, der den bisherigen Besitzern, den Bischöfen von Roskilde, endgültig Burg und Stadt von Kopenhagen abnahm und es zur Residenz erhob (1416). Die Stadt hatte im Zuge der ständigen Auseinandersetzungen Dänemarks, besonders mit der Hanse, schwere Zeiten hinter sich. 1249 war sie von den Streitkräften Lübecks, 1259 von Fürst Jaromir von Rügen, 1348 wieder von den Hansestädten erobert worden. Es ist ein Zeichen für die Stärke ihrer natürlichen Lebensgrundlagen, daß ihre Existenz dadurch nicht in Frage gestellt werden konnte. An der Stelle, an der einst Jaromir in die Stadt eindrang, ist später der Jarmersturm errichtet worden; um seine Reste flutet heute der Verkehr des modernen Kopenhagen über den gleichnamigen Platz. Kein Zufall ferner, daß auf des Königs Initiative hin auf der anderen Seite des Sundes Landskrona gegründet und mit Stadtrechten versehen wird (1413). Kein Zufall, daß Erich von Pommern an der alten öberfahrtstätte bei Helsingör an Stelle der Flynderborg die Burg örekrog errichtet, die Vorgängerin der Kronborg; daß er das alte Helsingör verlegt und näher am Strand und schöner wieder aufbauen läßt; daß er diesem Helsingör, ebenso wie Malmö, neue und wichtige Privilegien verleiht und endlich in Helsingör den Sundzoll einführt (1426). Jahrhundertelang hat die Stadt aus dieser Einrichtung ihren Nutzen gezogen. Sie war es, die den dänischen Königen die Möglichkeit gab, aus den von allen die Enge passierenden Schiffen erhobenen Einnahmen in der Folgezeit jene herrlichen Schlösser zu errichten, die noch heute zu den Zierden des dänischen Landes gehören. Daß der große Gegenspieler Dänemarks, die Hanse, die Einführung des Sundzolles nicht unwidersprochen hinnahm, ist selbstverständlich. Sie hat in den Zeiten ihrer Blüte eine Ausnahmestellung durchzusetzen vermocht. Als ihre Macht

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jedoch dahinschwand, mußte sie, der gefährliche Gegner von ehedem, höhere Besteuerungen sich gefallen lassen als andere Länder, insbesondere die Holländer. Aber auch Schweden hat erbittert und mit wechselndem Erfolg um die Befreiung vom Sundzoll gerungen. Der Kampf um seine Aufrechterhaltung ist zu einem wesentlichen Inhalt der dänischen Geschichte geworden. Es ist somit auch kein Zufall, daß Erich von Pommern es war, der, wie bisher kein anderer Herrscher, für die Interessen des dänischen Handelslebens und der dänischen Kaufmannschaft tatkräftig sich einsetzte. Er hat u. a. bestimmt, daß in Zukunft der Handel ein Privileg der Städte zu sein und auf dem Land zu unterbleiben habe. Kopenhagen ist 1422 mit neuen Privilegien ausgestattet und unter Erich von Pommern zur Lieblingsresidenz und damit zum Mittelpunkt des Reiches geworden, das die nordischen Staaten umschloß. Erichs Nachfolger, Christoffer von Bayern (1439—48), hat es dann offiziell zur Residenz erhoben. Seine Burg wurde nach den veränderten Gesetzen der Zeit ergänzt und ausgebaut und an der Stelle der jetzigen Universität der Bischofssitz errichtet. In den Kellergewölben des Konsistorialgebäudes sind die letzten spärlichen Reste der ehemaligen kirchlichen Residenz zu sehen. Der absalonische Mauerring aber ist noch an keiner Stelle gesprengt worden. Eine ungefähre Vorstellung von der Größe der Stadt können wir uns für die Regierungszeit Margarethes machen. Damals sind auf Anordnung des Bischofs sämtliche bürgerlichen Besitzungen Kopenhagens gezählt und mit den Namen der Eigentümer in das „Grundbuch von Stadt und Burg Kopenhagen" aufgenommen worden (1377). Es ist dies das älteste Dokument, das uns bis ins einzelne gehende Aufschlüsse über die Bebauungsverhältnisse gibt; auf seinen Angaben fußend, hat Ramsing einen genauen Plan der damaligen Stadt entworfen. Die Zahl der Besitzungen hat rund 560 betragen. Es kann daraus auf eine Einwohnerzahl von etwa 3500 Menschen geschlossen werden. Selbst wenn wir annehmen müssen, daß das Waidemarsche Grundbuch aus der Mitte des 13. Jahrhunderts nicht den gesamten Bestand an Häusern enthält, ist das Wachstum Kopenhagens seit jener Zeit doch beträchtlich. Die Zahl der Besitzungen scheint sich etwa verdoppelt zu haben.

KOPENHAGEN IN DER RENAISSANCE: CHRISTIAN IV. Als das Jahrhundert Erichs von Pommern zu Ende geht, ist eine Welt neu entdeckt: AmerikaI Wenige Jahre später steht das Abendland in der gewaltigsten religiösen Revolution seit dem Ringen des Christentums mit der germanischen Götterwelt. Aus den Tiefen der Menschenseele 20

steigen in diesen Jahrzehnten neue Erkenntnisse größten Ausmaßes empor: Reformation, Humanismus, Renaissance. Sie im einzelnen aufzuzeigen, ist hier nicht der Ort. Leben und Wirken eines Tycho Brahe (f 1601), des Begründers der modernen Astronomie, ist ebenso ein Ausdruck für die neue Ausrichtung des Menschen zu Himmel und Erde, wie das Geschichtswerk des damaligen Reichskanzlers Arild Hvitfeldt („Danmarks Riges Kronike", 1595—1603), die erste quellenkritische Geschichte Dänemarks, oder die Herausgabe der ersten dänischen Volksliedersammlung durch Anders Sörensen Vedel („Et hundrede udvalgte danske Viser"). Die Revolution des Geistes aber spielt sich nicht im luftleeren Raum ab. Sie ist nur eine Erscheinungsform des Lebens überhaupt und daher begleitet von der Revolution des materiellen Daseins. Auch sie ist von einem Ausmaß gewesen, über das wir heute nur noch schwer uns eine Vorstellung machen können. Die Einfuhr der Gold- und Silberschätze des neu entdeckten Amerika hat zur Umwälzung der wirtschaftlichen Struktur Europas geführt. An Stelle der Naturalien als mittelalterliches Tauschobjekt tritt das Geld. Es beginnt das Zeitalter des sogenannten Frühkapitalismus (etwa 1540 bis 1640). In seinem Gefolge erfahren Handel und Wandel einen Aufschwung wie nie zuvor. Die Ausfuhr von Korn, Ochsen und Pferden, dem Hauptreichtum des Landes, steigt seit etwa 1580 gewaltig an. Die wirtschaftliche Blüte kommt zum erstenmal in der Geschichte in reichem Maße dem Dänentum selber zugute. Die Zeiten der Hanse als der schärfsten Konkurrenz durch Jahrhunderte sind vorbei. Zwar hat unter Führung seines Freiheitshelden Gustav Wasa, und unterstützt durch die Hilfe Lübecks, Schweden sich aus der Union herauszureißen und seine Selbständigkeit zu ertrotzen vermocht (1523). Die Blütezeit dänischen Lebens ist davon nur wenig berührt worden; die Provinzen jenseits des Sundes blieben in Händen des Mutterlandes. Die Holländer aber, jetzt die Hauptabnehmer der Produkte, bedienen sich weitgehend des dänischen Kaufmannes als Zwischenhändler zwischen sich und den Produzenten. Die dänische Schiffahrt hat gerade davon den größten Vorteil gehabt. An der Zahl der alljährlich die Enge zwischen Helsingör und Heisingborg passierenden Fahrzeuge wird das deutlich. Wie die Sundzolllisten zeigen, waren es 1537—46 aus dem Königreich und aus Schleswig durchschnittlich nicht mehr als 10, 1550—60 bereits 70, 1561—1570 aber gegen 4001 Die Zahl ist auch weiterhin angestiegen; 1635 ist die 500-, 1647 die 600-Grenze erreicht worden. Etwa y 3 aller Schiffe stellte dabei Kopenhagen, ihm folgten Malmö und Helsingör, die Städte am Sund; erst an vierter Stelle kam damals Flensburg. Der Aufstieg Dänemarks 21

zur Handelsmacht drückt sich in diesen nüchternen Zahlen aus. Es hat dennoch weit gegen die Niederlande zurückstehen müssen: 1528 durchfuhren 543 niederländische Schiffe den Sund; 1563 waren es 2892! In demselben Maße aber, in dem der niederländische Handel wuchs, ist der der Hansestädte gesunken. Deren Schiffe folgten nach Ausweis der Sundzollisten in dem Jahrhundert zwischen 1557 und 1657 nach denen der Niederländer und der Dänen erst an dritter Stelle. Der Aufschwung des wirtschaftlichen Lebens ist neben der Kaufmannschaft vor allem dem Adel und dem Großbauerntum zugute gekommen. In dieser Zeit hat sich auf dem Lande endgültig die soziale Struktur verfestigt, die bereits seit der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts angelegt und erst durch die nächstfolgende große geistige Revolution, die Aufklärung, hinweggefegt worden ist. Königtum, Kirche und Adel beseitigten damals auf Kosten des Bauerntums ihren Streubesitz und schufen sich große zusammenhängende Gutskomplexe. Das Ansteigen der Kornpreise, das bis in die 50er Jahre des 17. Jahrhunderts anhielt und bedeutende Gewinne abwarf, übte dabei einen starken Anreiz aus. Die weiten W a l d bezirke des Königs stammen zu einem großen Teil aus jener Zeit. So befanden sich um 1500 über 30 % des dänischen Bodens in Händen der Kirche, mehr als 25 % in denen der Krone, zwischen 25 und 30 % in denen des Adels. Bestellt aber wurde der überwiegende Teil dieser Gebiete weiterhin durch die alten Kräfte, die gegen Leistung von Frondiensten, Abgaben und Steuern aller Art nun als sogenannte Zinsbauern auf den ihnen in „Feste" überlassenen Ländereien arbeiteten. Mit dem Besitz, der ihnen genommen worden war, hatten sie zugleich die persönliche Freiheit verloren. Auf der einen Seite stehen so jene stolzen und schönen Herrenhäuser, im Anfang, bis etwa 1560, noch mit starken Anklängen an den mittelalterlichen Burgenstil (Gisselfeld 1547, Borreby 1556), später in dem der Renaissance errichtet (Lövenborg 1630), die noch heute Schmuckstücke der dänischen Landschaft darstellen und einen Eindruck von der Kraft und dem Selbstgefühl des Adels jener Zeit vermitteln; mindestens 130 dänische Herrensitze sind in den Jahren zwischen 1575 und 1660 errichtet worden. Sie alle werden überstrahlt von den wundervollen Renaissancebauten der Könige: Kronborg, Rosenborg, Frederiksborg. Auf der anderen Seite sind damals zahllose alte Bauernhöfe niedergelegt worden und eingegangen. Ihre Bewohner wurden um die Gutshöfe herum angesiedelt und als Hörige in Dienst genommen. Nur noch etwa 6 % aller Höfe des Landes befanden sich um 1560 im Besitz der Bauern selbst. W e r aber selbständig blieb, war dennoch nicht frei; zu schwer lagen Lasten und Abgaben aller Art auf ihm. 22

A b b . 4 : Kopenhagen um 1620 Aus: Bruun, Danmark, Land og Folk, Bd. II, Bog. 3 (gez. von E. S c h m i d , Stuttgart).

Es ist klar, daß eine derartige Revolution am Leben der Städte nicht spurlos vorübergehen konnte. An den Wandlungen in Aufbau und Aussehen der Hauptstadt kann im Gegenteil die Größe der geistigen Umwälzungen in aller Deutlichkeit ermessen werden. Denn auch die Städte sind Spiegelbilder des Geistes ihrer Zeit. Die Reformation hat das Mönchstum beseitigt; Klöster und andere Gebäude der Kirche sind weltlichen Institutionen überwiesen worden. Besonders die Universität, die 1479 von dem ersten König aus deutschem Geschlecht gegründet worden war (also etwa gleichzeitig mit Greifswald, 1456)), hat ihren Nutzen daraus gezogen. Zwar ist Kopenhagen im Vergleich zu anderen Städten, wie etwa Roskilde, Lund, Odense u. a., immer arm an geistlichen Einrichtungen gewesen. Es war die Stadt des

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Abb. 5: Christian IV. 11577—1648) Gemälde von A b r a h a m W u c h t e r s 1638 (Photographie nach der Restaurierung 1941), Original im national-historischen Museum im Frederiksborger Schloß (Inventar-Nr. 2501)

Königs und der Kaufleute, keine kirchliche Stadt, wenngleich es ein Bischof war, der einst ihr das Leben gab. So besaß es, als die Lehre Luthers in den Norden kam, immer noch nur seine alten vier Kirchen. Die älteste, die St.-Clemens-Kirche, ist in den Stürmen der Reformation zugrunde gegangen. Die übrigen haben sich unter manchen, zum Teil entscheidenden Veränderungen durch die Wechselfälle der Geschichte bis heute erhalten. In den folgenden Jahrzehnten hat man an Schloß und Stadt viel und unermüdlich gebaut. Damals ist das „ D y b " aufgefüllt worden; Bremerholm wurde dadurch landfest. Auf ihm entstand die erste dänische Kriegswerft. Der Turm, der heute die Nikolaikirche ziert, ist dem im Jahre 1582 errichteten nachgebildet. Der Höhepunkt der stadtgestaltenden Aktivität aber fällt in die Regierungszeit Christians IV. (1588—1648), des letzten und vielleicht markantesten Vertreters der Renaissance auf dem dänischen Thron. Christian IV. war ein Mann, wenig glücklich in seinen politischen und militärischen Unternehmungen, aber von unermüdlicher Tatkraft und erstaunlichem kulturellen Gestaltungswillen. Sein Eingreifen in den dreißigjährigen Krieg endete mit der Niederlage bei Lutter am Barenberg durch Tilly, sein Kampf gegen die Schweden mit dem Verlust wichtigster Provinzen [Jämtland, Härjedalen, Holland, Gotland und ösel, 1645). Die führende Stellung in der Ostsee hat Dänemark unter ihm verloren; an seine Stelle ist Schweden getreten. Auch die gegeneinander stehenden Kräfte des Volkes in Adel, Bürgerschaft und Bauerntum zusammenzuschweißen, ist ihm nicht gelungen. Seine Maßnahmen in Gesetzgebung und Verwaltung aber waren glücklicher. Handel und Gewerbe hat er, getragen von merkantilistischen Ideen, ein sicheres Fundament zu schaffen und zu Blüte und Ansehen zu bringen versucht. Er hat 1602 den Islandhandel für Kopenhagen, Malmö und Helsingör zu monopolisieren sich bemüht. Unter seiner Regierung sind 1616 die ostindische, 1619 die isländische, 1622 die grönländische, 1625 die westindische, 1636 die guineisch-afrikanische und im gleichen Jahr die Ostsee-Kompagnie gegründet worden. Groß ist die Zahl der von ihm ins Leben gerufenen „Manufakturen" gewesen, der Seidenindustrie, der Pulver-, Ol- und Kupfermühlen, der Zuckerraffinerien. Ein besonderer Erfolg war diesen Neugründungen nicht beschieden. Auch die Bemühungen, durch Verordnungen die einheimischen Erzeugnisse gegen die ausländische Konkurrenz zu schützen, haben daran nichts zu ändern vermocht (Handwerkerverordnungen von 1621 und 1622). Die große Zeit des Manufakturwesens sollte erst später beginnen (seit Christian VI.).

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A b b . 6: Kopenhagen um 1650 Aus: Bruun, Danmark, Land o g Folk, Bd. II, Bog. 3 (gez. von E. S c h m i d , Stuttgart).

Christians unermüdliche Wirksamkeit in Verbindung mit seiner menschlichen Liebenswürdigkeit und persönlichen Tapferkeit hat ihn trotz oder vielleicht gerade wegen der mannigfachen Fehlschläge, insbesondere seiner Mißerfolge im Krieg, zum volkstümlichsten unter den dänischen Königen werden lassen. Er ist es, dessen Gestalt in der dänischen Nationalhymne fortlebt: „Kong Christian stod ved höjen Mast i Rög og Damp." Die Folgen seiner Schaffensfreude und seines Gestaltungswillens sind für den Ausbau und die Ausgestaltung der Hauptstadt gewaltige gewesen. Er ist nicht zu Unrecht der zweite Gründer Kopenhagens genannt worden. Erst unter ihm hat die Stadt ihren Gürtel gesprengt; voll gewaltigen Lebenswillens wächst sie jetzt, nach viereinhalb Jahrhun26

derten, zum erstenmal über ihre alten W ä l l e und Gräben hinaus und vergrößert damit ihren Umfang um das Doppelte. Ihre mächtigste Ausweitung hat den Sund zum Ziel. Hier entsteht unmittelbar vor dem Ufer zum Schutz der Hafeneinfahrt die St. Annaschanze an Stelle der späteren Zitadelle. Sie wird durch Bastionen mit der alten Stadt verbunden. Darüber hinaus sind die gesamten Befestigungsanlagen einer durchgreifenden Modernisierung im Sinne der Renaissance unterzogen worden. Von der Westkante der Schanze läuft die neue Stadtgrenze nun entlang der heutigen Qstervoldgade zum alten Nörreport an der Gothersgade. Hier entsteht 1608—1616 Schloß Rosenborg, inmitten seiner Parkanlagen bis heute ein Schmuckstück Kopenhagens. Zwischen ihm und der Schanze wachsen als Wohnviertel der Matrosen die Nyboder empor, ein Viertel, das mit seinen niedrigen, fortlaufenden Reihenhäusern trotz mancherlei Umbauten als ein geschlossenes Dokument des damaligen Bauwillens bis auf den heutigen Tag sich erhalten hat.

Abb. 7: Hausreihe im Nyboder-Viertel. Die alten, von Christian IV. seit 1631 errichteten Gebäude für die Matrosen der Flotte sind in den Jahren 1886—93 umgebaut und aufgestockt worden; nur die hier abgebildete Front in der St.-Pauls-Gade ist in unverändertem Zustand erhalten geblieben.

Die andere große Ausweitung des Stadtbereiches ist nicht weniger vom Verteidigungswillen beseelt; sie ist gegen Amager hin erfolgt. Hier entsteht auf dem diesem vorgelagerten Refshalen in unmittelbarer

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Nachbarschaft des alten Kopenhagen und zur Verstärkung des Hafenschutzes eine völlig neue Inselstadt, die Festung Christianshavn; sie hat 1639 Stadtrechte erhalten. Christianshavn ist nicht die einzige Gründung dieses Königs. Christian IV. war es, der auch Sorö Stadtrechte verlieh (1637); der Glückstadt an der Elbe erbaut hat, um den Handel Hamburgs, vor allem mit Island, zu treffen (1616); der im östlichen Schonen Kristiansstad und Christianopel, in Norwegen Christiania, das heutige Oslo (1624), und Christiansund (1641) errichten ließ. Es gibt keinen Fürsten, der in dieser zweiten großen Städtegründungsperiode der abendländischen Welt ähnlich vielen Städten das Leben geschenkt hat. Alle diese Gründungen sind nach dem gleichen Prinzip und im gleichen Stil erfolgt, weil sie dem gleichen Geist entstammen; typische Renaissancestädte, klar durchdacht und abgezirkelt in der Anlage und damit in krassem Gegensatz zu den winkligen, unregelmäßigen Stadtbildern des Mittelalters. Am Unterschied zwischen Kopenhagens Altstadt und Christianshavn tritt dieser Unterschied der Welten deutlich in Erscheinung. Die breite Torvgade ist die Mittelachse von Christianshavn; parallel bzw. rechtwinklig zu ihr verlaufen die übrigen Straßen. Zwischen den Häuserreihen liegen die Kanäle; sie geben der von W a l l und Graben und starken Bastionen umschlossenen Stadt ihr holländisches Gepräge. Christianshavn ist mit Amager durch einen festen Damm, mit Schloßholm durch eine Brücke, die Knippelsbro, verbunden worden (1620). Im Angesicht des Schlosses entsteht auf aufgeschüttetem Boden die Börse, eines der schönsten Bauwerke der Renaissance in Dänemark (1619—23). Durch großzügige Anlandungsarbeiten sind die Grenzen zwischen Wasser und Land manchen Veränderungen unterworfen worden. Durch sie wurde u. a. die Schloßinsel vergrößert und mitSkarnholm verbunden. Von den hier errichteten Befestigungsanlagen ist die Eckbastion als königliches Brauhaus bis heute erhalten (1618). In seiner Nähe entstehen das Zeughaus und der Provianthof (1598—1602); beide begrenzen jetzt den Garten der königlichen Bibliothek. Er liegt an der Stelle des alten Hafenbassins, das damals ausgehoben worden ist, und in dem die Schiffe der Kriegsflotte ihre Ausrüstung erhielten. Aber auch die alte Stadt ist von dem Gestaltungswillen derZeit erfaßt worden. König, Adel und Bürgerschaft sind gleichermaßen die Träger der Initiative gewesen. Holmens- und Trinitatiskirche sind damals geschaffen; ebenso der charakteristische Runde Turm, in dem eines der ersten Observatorien Europas errichtet wurde. Es ensteht im Winkel zwischen Köbmagergade und Kannikestraede die Regens als Freiwohnung für bedürftige Studenten und zwischen Köbmagergade und 28

Pilestraede für die deutschen Seidenweber die Silkegade. Von den zahlreichen bürgerlichen Bauten jener Tage ist nur der schöne zweigieblige Renaissancebau auf dem Amagertorv erhalten. Zur Verstärkung des Schutzes der Stadt gegen das Landinnere hin sind damals die Seen, der Peblinge-, der Sortedams- und der Lersee angelegt und der alte, im Laufe der Zeiten ausgetrocknete St. Jörgenssee wieder mit Wasser gefüllt worden.

Abb. 8: A m a g e r t o r v im Zuge der Hauptverkehrsstraße der Altstadt, des Strög, mit dem Renaissancehaus des d a m a l i g e n Bürgermeisters Mathias Hansen von 1616, dem ältesten Privatgebäude der Stadt. Rechts d a v o n das Haus der bekannten Bingund Gröndahl'schen Porzellanfabrik. Vorne der Storchenbrunnen, errichtet 1894 nach Zeichnungen von E. Petersen, die Storchfiguren von V. Bissing.

Die Residenzstadt im Zeichen des Absolutismus Als Christian IV. stirbt, geht das Zeitalter der Renaissance seinem Ende zu. Eine neue W e l t ist im Werden. Sie steht im Zeichen der Alleinherrschaft des Königs. Christians Sohn, Friedrich III. (1648—70), w a r für Dänemark ihr Vollstrecker. Er ist es gewesen, der die politischen Wirren durch den Staatsstreich von 1660 beendet und allen Widerständen, vor allem von Seiten des Adels, zum Trotz die gesamte Macht in seiner Hand vereinigt hat. Das alte Wahlreich wurde durch ihn in einen absolutistischen Staat umgewandelt, in dem unter völliger Befreiung von ständischer Mitwirkung der König niemandem als Gott allein verantwortlich

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blieb. Durch die lex regia, das Königsgesetz, wurde diese neue Regierungsform 1665 auch staatsrechtlich festgelegt. Die militärischen Unternehmungen, in die dieser Staat sich einließ, haben den gewünschten Erfolg nicht gehabt. Im Krieg gegen Karl X. waren die Provinzen östlich des Sundes und damit die Schlüsselstellung an dieser überaus wichtigen Wasserstraße verloren gegangen. Kopenhagen hat damals seine schwerste Belagerung über sich ergehen lassen müssen (1658). Sie mit Tapferkeit ertragen und sich nicht ergeben zu haben, wird immer ein Ruhmesblatt in seiner Geschichte bleiben. Das Verlorene zurückzugewinnen, haben Friedrichs Nachfolger (Christian V., 1670—99, Friedrich IV. 1699—1730) vergebens versucht. Das Eingreifen in den Nordischen Krieg hat dem Land nicht Schonen, sondern Schleswig und damit den Keim zu neuen Verwicklungen gebracht (1720). Die gesamten innerstaatlichen Verhältnisse aber unterliegen fortan der absolutistischen Ausrichtung. Kein Zufall, daß gerade damals der Danebrog-Orden gestiftet wird (1671). Wenig später erscheint das „Danske Lov Christians V." (1683), ein einheitliches Gesetzwerk, gültig für beide Glieder des Reiches, Dänemark und Norwegen, in Inhalt und Form ein vollgültiger Ausdruck selbstherrscherlichen Denkens. In demselben Jahre erhält das Land ein einheitliches System der Maße und Gewichte. Auf Grund einer allgemeinen Vermessung und Abschätzung des Landbesitzes werden 1664 Steuern und Abgaben neu geregelt. Die Ergebnisse sind durch eine Wiederholung der Vermessung überprüft und durch die Matrikel von 1688 ergänzt und verbessert worden. In ihr ist für alle agrar- und siedlungshistorischen Untersuchungen ein Quellenwerk erster Ordnung erhalten. Die damaligen Arbeiten sind die Grundlage für die Steuereinschätzung des ländlichen Besitzes bis 1840 geblieben. Die sozialen Verhältnisse auf dem Lande aber haben eine grundsätzliche Umwertung nicht erfahren; das Bauerntum ist aus seinen drückenden Verhältnissen nicht befreit worden, die Zahl der selbständigen bäuerlichen Eigenbesitzer im Gegenteil von 6 % im Jahre 1650 auf 4 % im Jahre 1750 weiter zurückgegangen. Die ländliche Bevölkerung lebte in den kümmerlichsten und gedrücktesten Verhältnissen. W i r haben darüber eine Fülle eindrucksvoller und erschütternder Berichte. Seit 1660 sind außerdem die Kornpreise mit nur kurzen Unterbrechungen ständig im Sinken. Die rückläufige Bewegung hat bis in die 30er Jahre des 18. Jahrhunderts angehalten. Die schwierige ökonomische Situation, in die, verstärkt durch die hohen Abgaben, die Landwirtschaft

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dadurch geriet, hat zu zahlreichen Wechseln im Besitz der Herrenhöfe geführt. Durch sie und durch das Aussterben mancher Geschlechter ist zwischen 1650 und 1750 die Zahl der alten Adelssitze von 131 auf 65 zurückgegangen. Viele von ihnen sind der Krone zugefallen. So ist durch die Einführung des Absolutismus die politische Macht des alten Adels, durch die ungünstige finanzielle Entwicklung der Landwirtschaft seine wirtschaftliche Kraft gebrochen worden. Langsam steigen in die führenden Stellen des Staates in zunehmendem Maße bürgerliche Elemente empor. Ein neuer Amtsadel, zum größten Teil deutschen Blutes, ist im Entstehen. Er hat 1671 durch Christian V. seine Privilegien empfangen. Damals ist die Einrichtung der Grafschaften und Baronien erfolgt (je nach der Größe des zugehörigen Landbesitzes), die bis in die neueste Zeit sich erhalten hat (1919). Die Aufmerksamkeit der Regierung erstreckte sich jedoch nicht so sehr auf die Verhältnisse des Landes. Sie war in erster Linie auf das städtische Leben gerichtet; dessen wirtschaftlicher Stärkung galten ihre hervorragendsten Bemühungen. Sie sind durchweg in merkantilistischem Geist erfolgt. Verbote und Anregungen, Zuschüsse und Privilegien werden in reicher Fülle erlassen. Sie alle haben das Ziel, Handel und Wirtschaft mit allen nur möglichen Mitteln von zentraler Stelle aus zu lenken und zu heben. Jetzt beginnt die Zeit der zielbewußten Industriepolitik. Durch strenge Überwachung der erlassenen Einfuhrverbote glückt es seit den Tagen Christians VI., die einheimischen Manufakturen anzuregen und zur Blüte zu bringen. Bei ihrer Gründung und Entwicklung haben Menschen deutschen Blutes eine entscheidende Rolle gespielt. Bis in das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts ist diese merkantilistische Protektionspolitik mit Nachdruck durchgeführt worden. In diesem Geist wird das Zollgesetz von 1651 erlassen; es ist verschiedentlich erneuert und ergänzt worden (1672,1682). In diesem Geist wird als Regulator des Handels- und Wirtschaftslebens das Handelskollegium gegründet (1668). Es werden die von Christian IV. gestiftete isländische Gesellschaft erneuert (1662), eine neue ostindische Kompagnie ins Leben gerufen und St. Thomas und St. Jean als Kolonien in Besitz genommen (1671). 1672 entsteht die guineische Kompagnie; Teile der Guineaküste kommen in dänische Hand. Die Bemühungen sind jedoch ausschließlich der Hauptstadt zugute gekommen. Ihre Sonderstellung wird durch eine Reihe von Privilegien gekennzeichnet, die sämtlich auf Kosten der übrigen Städte des Landes verliehen worden sind. Kopenhagen ist als einzige Stadt der Doppelmonarchie zur freien Reichsstadt erhoben worden (1658); es hat das 31

Stapelrecht für Seeland (1661) und schließlich das Reichsprivileg für Salz, Wein, Branntwein und Tabak erhalten (1726); ganz Dänemark und Norwegen waren danach angehalten, ihren Bedarf an diesen Waren in Kopenhagen zu decken. Wenn diese Vorschriften auch nie streng befolgt worden sind, so haben sie ihre Wirkung auf die Metropole des Reiches nicht verfehlt. Kopenhagen wird in diesen Jahrzehnten zum strahlenden Zentrum von Herrschern, die im Glanz ihrer Hauptstadt ihre eigene Bedeutung widerzuspiegeln sich bemühen. Es ist „des Königs Stadt", die zum Sitz fast aller damals gegründeten Fabriken, Manufakturen, Handelsgesellschaften usw. wird. Hier entstehen die Eisenmanufakturen, die Seifensiedereien, die Ölmühlen, die Ziegeleien usw. jener Zeit. Die Ausfuhr Kopenhagens ist trotz aller Anstrengungen nicht erheblich gewesen. Um so bedeutender war die Wareneinfuhr. Sie ist mit großen Gewinnen von hier aus über des „Königs Reiche und Länder" verteilt worden. So kam es, daß die Zolleinnahmen von Kopenhagen im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts sich verdoppelt haben. Auch die Zahl der hier beheimateten Schiffe war ständig im Steigen. Die Handelsflotte der Stadt bestand 1635 aus 88 Fahrzeugen; 1678 waren es 116, 1704 aber 2081 Eine gewaltige Zunahme also im Laufe von nur einer Generationl Damals (1704) hatte Helsingör überhaupt nur ein einziges, für Überseefahrten bestimmtes Schiff und nur 12 Fahrzeuge für den Verkehr innerhalb von Ost- und Nordsee. Helsingör aber hat unter den Städten des Landes immer eine besondere Rolle gespielt. Wenn es |etzt trotzdem nur über eine derart geringe Anzahl von Schiffen verfügt, so ist das für die damalige Lage der Städtewelt überhaupt bezeichnend. Wie der König politisch zum Alleinherrscher geworden ist, so ist es „seine" Stadt auf dem Gebiet von Handel und Wirtschaft. Ihr Wachstum ist auf Kosten der übrigen Städte, ja des ganzen Landes erfolgt. In ihr konzentriert sich das wirtschaftliche Leben des Doppelreiches. Hier ist die Zentrale für Heer und Flotte, der Sitz der Beamtenschaft, die Residenz des Königs, überall sonst in Stadt und Land liegt das Leben in tiefem Dornröschenschlaf. Die Berichte jener Tage sind voll von entsprechenden Darstellungen, überaus treffend hat eine spätere Zeit das Kopenhagen dieser Periode den „Blutigel am Staatskörper" genannt. Das wird in aller Deutlichkeit sichtbar in den Einwohnerzahlen. Für die Regierungszeit König Hans' (1481—1513), in der Kopenhagen zum Kriegshafen wird, ist sie auf etwa 10 000 berechnet worden. Sie ist bis 1629 auf etwa 25000, 1650 auf 30 000, 1669 auf 31 000 angestiegen. Seitdem wächst sie in einem für die damalige Zeit erstaunlichem Tempo. 1679 hat Kopenhagen 42 000, 1689 60 000,1699 62 000, 1710 70 000 Ein32

wohner. In nur 40 Jahren hat sich seine Bevölkerung mehr als verdoppelt. Helsingör und Aalborg aber, damals die nächst größten Städte Dänemarks, haben 1710 jede nicht einmal 5000 Einwohner.

A b b . 9 : Kopenhagen um 1700 Aus: Bruun, Danmark, Land og Folk, Bd. II, Bog.3 (gez. von E. S c h m i d , Stuttgart).

Das Dreifache also der Menschen, die um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert in Kopenhagen gelebt haben, mußte jetzt in der Stadt untergebracht werden. Sie haben zum größten Teil in dem von Christian IV. neu in den Befestigungsring einbezogenen Gebieten zwischen Gothersgade und St. Annaschanze Platz gefunden. Hier beginnt Kopenhagen in den ihm damals gegebenen Rahmen hineinzuwachsen; um Dronningens Tvaergade, Borgergade, Store Kongensgade und Bredgade (damals Norgesgade) setzt die regelmäßige Bebauung zuerst an. 3 33

Ein neues Wohnviertel, das Frederiksholmquartier, entsteht ferner zwischen Schloß und Westerwall; große Strecken sind hier durch Anlandungs- und Auffüllungsarbeiten aus den flachen Wassern neu gewonnen worden. Zwischen dem neuen Viertel und Schloßholm wird der Frederiksholmkanal ausgehoben. In der gleichen Zeit hat Kopenhagen seine erste Straßenbeleuchtung erhalten. Für die Reinlichkeit der Straßen ergehen Anordnungen, und die ersten Rinnsteine werden angelegt. Außerhalb der Wälle an dem W e g nach Roskilde wachsen damals die Anfänge von Frederiksberg empor. 1651 werden hier durch den König flämische Bauern aus Amager angesiedelt. 1699—1704 entsteht Schloß Frederiksberg. In diesen Jahrzehnten hat die Küstenlinie im Wesentlichen die Form erhalten, die sie heute noch aufweist. Das Bollwerk zwischen St. Annaplatz und Zitadelle ist damals gebaut und derNyhavn angelegt worden (1671/1673)

Abb. 10: Blick von der Nyhavn-Brücke auf den Nyhavn und die ihn begleitende Front der alten Häuser in Richtung auf Kongens-Nytorv. Im Hintergrund das Gebäude der Großen Nordischen Telegraphen-Gesellschaft.

1674 wird Christianshavn eingemeindet und nördlich von ihm Christiansholm aufgefüllt. Zwischen Amager und der Stadt entsteht die Langebro, die zweite Brücke über den Hafen (1688); beide, Langebro und Knippelsbro, sind bis heute die einzigen Verbindungswege zwischen Seeland und Amager geblieben.

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Auch die Befestigungsanlagen rings um die Stadt und um Christianshavn sind damals ausgebaut und verstärkt worden. Zum Schutz der Hafeneinfahrt entstehen auf versenkten Schiffen die Batterien von Trekroner und Prövesten (1713). Groß ist die Zahl der öffentlichen und privaten Gebäude, die in diesen Jahrzehnten emporwachsen. 1670 wird Kongens Nytorv planiert und gepflastert. In seiner Mitte ist 1688 das Reiterstandbild Christian V. enthüllt worden, die erste Statue auf einem öffentlichen Platz in dieser an Denkmälern heute so reichen Stadt. Zu seinen Seiten enstehen das Gyldenlövesche Palais (1671—73, jetzt Charlottenborg), das Niels Juelsche Palais (1683—88, jetzt Thott's Palais) und an Stelle des Hotel d'Angleterre das Palais des Großkanzlers Graf Ahlefeldt, an Stelle des Magazin du Nord das des Admiral Bjelke. Das Gebäude, in dem heute das Reichsarchiv untergebracht ist, ist damals erbaut worden (1673), ebenso das Admiralitätsgebäude bei der Holmenskirche (1704) und das rote Kanzleigebäude auf Schloßholm (1721). Auch die reformierte Kirche (1689), die Freiserkirche (1696) und die Garnisonkirche (1706) entstammen dieser Zeit. Alle diese Bauten zeigen nicht mehr den reichen und lebensfrohen Stil der Renaissance; das nüchterne, symmetrische niederländische Barock ist an dessen Stelle getreten. Es gibt auch den kleineren Wohnhäusern das Gesicht. Eine königliche Verordnung von 1683 bestimmt, daß die Unregelmäßigkeiten im Hausbau in Zukunft zu unterbleiben haben; an Stelle der alten Fachwerkhäuser hätten glatte Fassadengebäude mit eng sitzenden Fenstern zu treten. Die Mehrzahl der neuen Wohnhäuser ist dennoch wieder aus Fachwerk und zweistöckig errichtet worden. Wenn somit das Gesetz auch nur sehr großzügig befolgt wurde, so ist seine Existenz doch bezeichnend: Der Geist der Zeit hat in der Regelmäßigkeit und Strenge absolutistischen Empfindens seine sichtbarste Ausprägung gefunden. Er gibt dem Leben des Staates wie der Stadt das Gesicht. Er hat auch den Stil der Häuser zu bestimmen sich bemüht. Die Periode des Pietismus: Jahre der Stagnation Mitten in diese rapide Entwicklung der Hauptstadt fällt eine Reihe von Ereignissen, die für ihr Leben die schwerwiegendsten Folgen haben sollten: Von Juni 1711 bis Februar 1712 wütet in Kopenhagen die Pest; ihr sind gegen 22 000 Menschen zum Opfer gefallen, bei einer Gesamtbevölkerung von rund 70 000 Einwohnern also fast y 3 l Drei Jahre später raffen die Pocken erneut 760 Menschen dahin. Dann aber ist 1728 die Stadt durch ein Riesenfeuer verwüstet worden. Von insgesamt 35

Abb. 11 = Kopenhagen im Jahre 1728 mit dem durch den Brand zerstörten Stadtteil (durch dunklere Zeichnung hervorgehoben). Original von Joachim H a s s i n g im Stadtarchiv Kopenhagen.

4160 Häusern wurden nicht weniger als 1670 zerstört. Der schönste Teil des alten Kopenhagen ist damals in Schutt und Asche gesunken. Die Vernichtung materieller Werte hat sich in Verbindung mit der kurz zuvor erfolgten Schwächung der Volkskraft verheerend ausgewirkt. Die finanziellen Möglichkeiten reichten für den sofortigen Wiederaufbau nicht aus. Lange Jahre der Depression sind auf den Brand gefolgt. Man hat sie mit den alten Methoden des Merkantilismus zu überwinden versucht. Zur Förderung des Wiederaufbaues ist 1731 eine Brandkasse, zur Überwachung und Hebung des Erwerbslebens 1735 das „GeneralLandes - Ökonomie- und Handelskollegium", zur Unterstützung von Handel und Industrie 1736 eine eigene Bank gegründet worden. Deutsche Fabrikanten, Ingenieure, Handwerker und Kaufleute werden in verstärktem Umfang ins Land gerufen. Woll- und Seidenmanufaktur erhalten neue und weitgehende Unterstützungen. Die Erfolge, die man sich von diesen Bemühungen versprach, sind ausgeblieben. 1732 wurden nicht weniger als 4000 Bettler in der Stadt gezählt, und es ist wie ein Symbol, daß die Börse bis 1745 verfallen dalag. 36

In diese Epoche fällt die Einführung der Leibeigenschaft (1733) und damit die traurigste Zeit des dänischen Bauerntums. Das sogenannte „Schollenband" ist besonders auf den Inseln von verheerenden Folgen gewesen. Die Bevölkerungsschicht, die einst der Stolz und das Rückgrat des Staates war und seine unerschöpfliche Kraftquelle, ist zur armseligsten des Landes geworden. Auch den Handelsunternehmungen fehlte der alte Schwung. W o h l ist 1732 an Stelle der alten ostindischen die asiatische Kompagnie gegründet worden; die westindisch - guinesische Kompagnie hat 1733 St. Croix von Frankreich durch Kauf erworben. Das quirlende, pochende Leben aber, das in den vergangenen Jahrzehnten im Hafen herrschte, ist vorbei. Die Anstrengungen, es wieder in G a n g zu bringen, sind vergebens gewesen. Daran hat auch die Tatsache nichts zu ändern vermocht, d a ß die Zeit von militärischen Aktionen frei war. Im Nordischen Krieg haben zum letztenmal dänische Soldaten im Felde gestanden. Auf ihn ist für das Land eine lange Periode des Friedens gefolgt. Sie umfaßt das Jahrhundert, in dem nicht nur Preußen, sondern auch England, Frankreich und USA., ihre entscheidendsten Kriege geführt haben. Die wirtschaftliche Depression ist eine Folge des gedrückten und schwunglosen Geistes der Zeit gewesen. Nicht im Brand der Stadt oder im Kapitalmangel, sondern im Mangel an Kraft, an Willen und Zähigkeit muß ihre letzte Ursache gesucht werden. Im biologischen Ablauf des Lebens ist auf ein Zeitalter unerhörter Energien eine Periode der Ruhe und der Sammlung gefolgt. Sie hat ihren vielleicht markantesten Ausdruck in der religiösen Bewegung des Pietismus gefunden. Dieser Staatspietismus war es, der in seiner Farblosigkeit der Zeit das G e p r ä g e gab. Mit ihm legt sich über das Land eine schwere, ernste Luft, in der die naturgeborenen Kräfte, in der auch der Wille, die Schwierigkeiten des äußeren Lebens zu meistern, koste es, was es wolle, keinen rechten Raum finden. So wird u. a. durch die Sabbathverordnung von 1735 das Versäumen des sonntäglichen Kirchg a n g s unter Strafe gestellt; es werden Feiern und Tanz, Lustbarkeiten, Spiel und Theater verboten und die uralten Bräuche am Johannisabend untersagt, weil sie die Sitten verdürben. Erst mit der Überwindung des Lebensgefühles, das im Pietismus sich dokumentierte, ist die Bahn frei geworden für eine neue Welt und eine neue Entwicklung. Der Regierungsantritt Friedrichs V. (1746) ist als ihr Beginn mit Jubel begrüßt worden.

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Auch für diese Periode ist das sichtbarste Zeichen für die innere und cußere Situation der Stadt die Bevölkerungsbewegung. In den sechs Jahrzehnten von 1650 bis 1710 war die Einwohnerzahl Kopenhagens von 30000 auf 70000 angewachsen. In den folgenden sechs Jahrzehnten, von 1710 bis 1769 vermehrt sie sich nur von 70 000 auf 92 000 (in dieser Zahl ist das Militär mit eingeschlossen!). In den bewegten Jahren von 1678 bis 1704 war die Zahl der in Kopenhagen beheimateten Schiffe von 116 auf 208 gestiegen. 1747 aber besitzt die Stadt nur noch 1151 Jahrzehntelang hat, wie gesagt, Kopenhagen wirtschaftlich sich nicht zu erholen, baulich die Schäden des großen Brandes nicht zu überwinden vermocht. Zum ersten Male in seiner Geschichte werden damals Klagen über die Verunreinigung, ja über die stellenweise Unbefahrbarkeit des Hafens laut. W o in dieser Zeit größere Bauvorhaben in Angriff genommen werden, steht in den meisten Fällen die Initiative von König, Adel oder Beamtenschaft dahinter. Das Bürgertum tritt demgegenüber in demselben Maße zurück, wie Handel und Wirtschaft, die Quellen ihres Reichtums, stagnieren.

Abb. 12: Kopenhagen im Jahre 1757 Aus: Christian Gedde's Kort, Kopenhagen 1940. Original im Stadtarchiv Kopenhagen.

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Bezeichnend für diese Verhältnisse ist das Schicksal des Amalienborgquartieres. Hier war ursprünglich das Handels- und Geschäftsviertel der Stadt vorgesehen. Der Plan ist nicht zur Ausführung gelangt. Statt dessen entsteht hier aus Anlaß des 300jährigen Regierungsjubiläums des Königshauses (1748) das Regierungsviertel. Seinen Mittelpunkt bildet der herrliche achteckige Platz von Amalienborg, das seinen Namen nach der Gemahlin Friedrichs V. (1746—66], Sophie Amalie, erhalten hat. In seiner Mitte wird 1768 die bronzene Reiterstatue Friedrichs V. enthüllt. Zu seinen Seiten aber wachsen zwischen 1754 und 1760 die stolzen Adelspaläste empor, die später vom König erworben und zu seinem und seiner Familie Wohnsitz umgestaltet worden sind. Damals wurden die prachtvollen Palais errichtet, die bis heute diesem Viertel seinen besonderen Charakter verleihen: Das Gebäude der jetzigen englischen Botschaft (früher Lindencrone'sches Palais), das Hotel Phönix (früher Desmiferes-Palais), das Moltkesche und das Bernstorffsche Palais, das Kunstindustriemuseum (früher Berckentins-Palais) und andere. Damals ist auch der Bau der großen Marmorkirche begonnen worden, ohne aber zu Ende geführt zu werden; er wurde 1770 eingestellt. 100 Jahre hat er dann als Ruine dagelegen. 1731—45 wird Christiansborg neu aufgebaut; die Reitbahn mit den sie begrenzenden Gebäuden und Bogengängen und die Marmorbrücke über den Frederiksholmkanal mit den schönen Rokokopavillons zu seiner Seite stammen aus jener Zeit. Auf der anderen Seite des Kanals erhält das Prinzenpalais, das jetzige Nationalmuseum, sein neues Gesicht. Die Silhouette der Stadt ist durch eine Reihe charakteristischer Bauten belebt und verschönt worden. 1744 entsteht der Turm der Frauenkirche, 1752 der der Erlöserkirche mit dem äußeren Schneckengang und der Christusfigur über der vergoldeten Kuppel. 1755 wird in Christianshavn die Friedrichskirche erbaut (erst 1901 in Christianskirche umbenannt); ihr Turm stammt aus dem Jahre 1769, der der Petrikirche aus dem Jahre 1757. In dieser Zeit ist auch die Hauptwache auf Nyholm mit ihrem durch die Königskrone abgeschlossenen Turm errichtet worden (1748). Die großen Bauwerke dieser Epoche tragen bis in die 60er Jahre die Züge des Barock oder des Rokoko. Daneben aber stehen in zahllosen Fällen schmucklos und klein die bürgerlichen Wohnhäuser; hier hat der Fachwerkbau am längsten sich erhalten. Trotz aller Proteste und Verfügungen von Seiten der Leiter der Baukommissionen werden diese Gebäude infolge der Wohnungsnot bis zu vier und fünf Etagen aufgestockt. Die sozialen Unterschiede traten damals auch im Hausbau wesentlich schärfer in Erscheinung als heute.

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Schließlich aber kommt nach dem Brand von 1728 zum erstenmal in größerem Umfang ein neuer Typ auf, in wesentlichen Zügen der königlichen Verfügung von 1683, nun aber in ganz anderem Maße dem Geist der Zeit entsprechend: das schmucklose, in seiner Regelmäßigkeit nüchterne, drei und vier Stockwerke und oft noch eine Giebelwohnung umfassende Hochhaus. Früher bewohnte im allgemeinen jede Familie ihr eigenes Heim. Jetzt aber muß in diesen aus einem anderen Lebensgefühl geborenen Großherbergen auch ein anderes Lebensgefühl lebendig werden. Der W e g zur Mietskaserne und zur Vermassung des Lebens kündigt sich an.

Abb. 13: Die Marmorbrücke über den Frederiksholm - Kanal mit den Rokoko-Pavillons von Nie. Eigtved. Im Hintergrund über den Bogengängen der Reitbahn die Kuppel der Schloßkirche; darüber der Turm der Nicolaikirche.

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Kopenhagen in der Welt der Aufklärung Die Passivität, unter der die Welt im Zeichen des Pietismus gestanden hat, ist um die Jahrhundertmitte überwunden worden. Eine Welt voller Dynamik und Gestaltungswillen tritt an ihre Stelle. Sie stellt den gesamten Bestand des Lebens zur Diskussion und formt ihn, je länger je mehr, nach ihrem Geiste um. Mit Fragen und Forschen, Umstürzen und Aufbauen beginnt das Zeitalter der Aufklärung. Die Frage nach der bestmöglichen Staatsform wird im Anschluß an Montesquieu's „De l'esprit des lois" (1748] aufgerollt; zum erstenmal ist die absolutistische Regierungsform ernstlich debattiert worden. Das auf Monopole und Privilegien gestützte System des Merkantilismus wird durch den Liberalismus in seinen Grundlagen erschüttert; der Gedanke der freien Wirtschaft bricht sich Bahn. Zwar hat das 1752 gegründete „Landes-Ökonomie- und Handelskollegium" unter Bernslorffs Leitung zunächst noch nach den alten Grundsätzen gearbeitet. Dann aber sind Handel und Wirtschaft den Ideen der Zeit entsprechend sehr schnell umgestaltet worden. 1786 wurde der Islandhandel freigegeben, 1792 der Guineahandel, 1793 das Auflagerecht für eingeführte Waren in den Seestädten des Landes. Schritt für Schritt wird das Monopolwesen abgebaut. Das Zollgesetz von 1797 hat dann den Merkantilismus praktisch beendet. Mehr und mehr kommt man jetzt zu der Erkenntnis, daß die Landwirtschaft die Grundlage für den Staat und damit auch für das Gedeihen von Handel und Wirtschaft darstellt. Die Frage nach dem „allgemeinen Besten" bewegt die Gemüter. Das riesige Gebiet der Agrarprobleme wird damit aufgegriffen und nach der sozialen wie nach der technischen Seite hin diskutiert. Den Reformen, die jetzt in Angriff genommen werden, kommt die Marktlage der landwirtschaftlichen Produkte entgegen. Die Preise ziehen seit den 30er Jahren derart an, daß bereits kurz nach der Mitte des Jahrhunderts der Erwerb von Land als sicherste Kapitalsgrundlage gilt; von 1788—1805 sind die Preise für Korn um ca. 50 %, die für Fleisch und Butter um 35 bis 40 % angestiegen. Mit den Neuerungen haben einzelne Großgrundbesitzer begonnen; sie haben auf ihren Gütern die ersten umwälzenden Reformen durchgeführt. Die Namen Adam Gottlob Moltke, Johann Hartwig Ernst Bernstorff, Graf Christian Reventlow, Graf Stolberg, Königin Sophie Magdalene werden als Bahnbrecher immer mit Ehrfurcht genannt werden. 41

1757 ist die „Landwesenkommission" gegründet worden; unter Moltkes Führung sollte sie die allgemeine Durchführung der Reformen vorbereiten. Sie ist 1767 als „Generallandwesenkommission" erneuert worden; Moltke blieb auch in ihr der Führer. Auf Reventlows Initiative hin ist dann 1784 die „Kleine landwirtschaftliche Kommission" eingerichtet worden; sie sollte für die Krongüter in Nordseeland die Reformen zur Durchführung bringen. Zwei Jahre später (1786) hat die „Große landwirtschaftliche Kommission" unter Reventlows und Colbjörnsens Führung ihre Arbeit begonnen. Die Bemühungen haben in einer ganzen Reihe einschneidender Gesetze ihre Krönung gefunden; ihr wichtigstes ist die 1788 verfügte Aufhebung der Leibeigenschaft. Die Folgen der Reformen waren gewaltige. Ihre in verhältnismäßig wenigen Jahren erfolgte Durchführung erscheint uns heute als die großartigste Leistung jener an Umgestaltungen so reichen Zeit. Jeder Besitzer hat sein Land geschlossen und als Eigentum zugesprochen erhalten. An Stelle der Dorfgemeinschaft ist die Summe der Individuen, an Stelle des Flurzwanges die freie Wirtschaft getreten. Der Bauer verläßt das Dorf und baut inmitten seiner Besitzungen seinen Hof neu auf. Das gesamte Landschaftsbild hat ein völlig neues Gesicht erhalten. Die Frage nach dem größtmöglichen Nutzen aller Einrichtungen wird über alle Bindungen an die Tradition hinweg mit einem Nachdruck gestellt wie nie zuvor. In diesem Geist wird der Betrieb von Land- und Forstwirtschaft wissenschaftlich zu durchleuchten und zu verbessern versucht. Neue Anbaumethoden, neue Fruchtfolgen, neue Geräte, neue Futter- und Düngemittel werden eingeführt. Damals beginnt die Verbesserung des Bodens durch das Mergeln; damals erscheinen Kartoffeln und Klee auf den dänischen Äckern. Alle diese Neuerungen sind wie die Aufhebung der Leibeigenschaft oder die Verkündung der Druck- (1770) und der Pressefreiheit (1799) oder das Verbot des Handels mit Negersklaven (1803) gleichermaßen Folgen einer neuen Einstellung des Menschen zu Welt und Leben. Dieses Zeitalter aber ist für Dänemark zugleich eine Periode des Friedens gewesen. Der Durchführung der Reformen ist das zugute gekommen. Während auf dem Festland und in Übersee gewaltige politische Umwandlungen sich vollziehen, kann Dänemark seinen friedlichen Aufgaben leben. Die militärischen Verwicklungen der Weltmächte haben seinem Handel und seiner Wirtschaft zur Blüte verholfen. Im Verlauf des englisch-französischen Kolonialkrieges (1755—63), des Siebenjährigen Krieges (1756—63), des amerikanischen Freiheitskrieges und des damit verbundenen englisch-französischen Seekrieges (1776 42

bis 1783), s o w i e endlich d e r französischen Revolutionskriege schaltet sich D ä n e m a r k s Schiffahrt in d i e entstehenden Lücken ein, u n d H a n d e l u n d W i r t s c h a f t e r l e b e n einen g e w a l t i g e n A u f s c h w u n g . Die Geschäftsv e r b i n d u n g e n mit Asien u n d W e s t - u n d O s t i n d i e n , der H a n d e l mit Oberseeischen Produkten, i n s b e s o n d e r e mit K o l o n i a l w a r e n , w e r d e n z u reichen V e r d i e n s t q u e l l e n des Landes-. Die s o g e n a n n t e „ g l ä n z e n d e H a n d e l s p e r i o d e " hat b e g o n n e n . K o p e n h a g e n ist in diesen Jahren z u e i n e m d e r g r ö ß t e n S t a p e l p l ä t z e d e r W e l t g e w o r d e n . V o n d e n L a g e r h ä u s e r n a m Sund w e r d e n N o r d u n d g r o ß e Teile v o n O s t e u r o p a v e r s o r g t . Luxuswaren aller A r t strömen in d i e S t a d t ; G e s c h ä f t e u n d W o h n h ä u s e r schmücken sich mit W e r k e n u n d W a r e n f r e m d e r Erdteile u n d f e r n e r Länder. 1747 w a r e n in K o p e n h a g e n nur 115, 1760 bereits w i e d e r 233 Schiffe b e h e i m a t e t . Kein Zufall, d a ß aus dieser Zeit d i e älteste uns e r h a l t e n e S e e k a r t e des H a f e n s mit g e n a u e n T i e f e n a n g a b e n stammt (1794). Diese Jahre h a b e n auch in d i e Stille d e r ü b r i g e n S t ä d t e des Landes z u m erstenmal w i e d e r B e w e g u n g g e b r a c h t . A n d e m g e w a l t i g e n V o r s p r u n g K o p e n h a g e n s a b e r hat d a s nichts z u ä n d e r n vermocht. 1760 bis 1770 k a m e n a n Z o l l e i n n a h m e n jährlich insgesamt g e g e n 2 5 0 0 0 0 Rdlr. ein, d a v o n aus K o p e n h a g e n allein 2 0 0 0 0 0 ; sämtliche ü b r i g e n Städte des Landes brachten also nur i/-> des Betrages d e r H a u p t s t a d t auf. D a m a l s w a r es d e r N a t i o n a l ö k o n o m Christian M e r t f e l d , d e r d i e Stadt d e n „ B l u t i g e l a m dänischen S t a a t s k ö r p e r " g e n a n n t hat (1771). Es ist erstaunlich, d a ß b e i a l l e d e m d i e B e v ö l k e r u n g in dieser Periode nur sehr l a n g s a m g e w a c h s e n ist. Als d i e erste offizielle V o l k s z ä h l u n g s t a t t f a n d (1769), h a t K o p e n h a g e n , einschließlich seiner G a r n i s o n , 9 2 5 7 1 Einwohner. Die Z a h l ist bis 1801 auf 100 975 E i n w o h n e r a n g e s t i e g e n ; eine Z ä h l u n g v o n 1787 hatte nur 9 0 000 E i n w o h n e r e r g e b e n . D e m entspricht das Gesicht d e r S t a d t ; neue W o h n v i e r t e l sind nirgends entstanden. A b e r a m H a f e n w a c h s e n Pack- u n d Lagerhäuser e m p o r , u n d d i e Kaufmannschaft errichtet a l l e n t h a l b e n neue u n d schöne G e b ä u d e . D a m a l s entsteht in Christianshavn d a s g r o ß e Packhaus d e r asiatischen K o m p a g n i e (1751) u n d w e n i g s p ä t e r w i r d d i e A n l a g e des neuen Seeforts T r e k r o n e r b e g o n n e n (1787). A m meisten ist im A m a l i e n b o r g - V i e r t e l g e b a u t w o r d e n . D a r ü b e r w u r d e bereits im v o r i g e n A b schnitt gesprochen. Es hat jetzt seine w e i t e r e A u s g e s t a l t u n g e r h a l t e n ; 1783/85 sind hier d i e K r o n p r i n z e n - , 1800 d i e Kronprinzessinstraße entstanden. Das W i r k e n des Baumeisters H a r s d o r f f fällt in diese Z e i t ; er w a r es, d e r d i e K o l o n n a d e n v o n A m a l i e n b o r g errichtet hat, n a c h d e m dieses zur

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königlichen Wohnung geworden war. Von ihm stammt auch das Gebäude auf Kongens Nytorv, in dem heute verschiedene Staatsinstitutionen untergebracht sind 11780); es ist damals sein eigenes Wohnhaus gewesen. Harsdorff hat das Gebäude der Landmandsbank in der Holmenskanalstraße und das der Löwen-Apotheke am Amagertorv (Nr. 33) gebaut (1799), sowie eine Reihe von Lagerhäusern in der Toldbodgade: Das Kieler (1769), das westindische (1781), das blaue Packhaus (1781). Damals sind das Erichsen-Palais auf Kongens Nytorv (jetzt Handelsbank) und das Ostsee-Lagerhaus (jetzt Korntrockenmagazin) errichtet worden. Auch die Numerierung der Häuser ist in dieser Zeit erstmalig durchgeführt worden (1771).

Abb. 14: Die Kolonnaden von Amalienborg, erbaut 1794 von Harsdorff. Im Hintergrund die Reiterstatue Friedrichs V.

Mitten in diese Jahre aufblühenden Lebens fällt 1794 der Brand des unter Christian VI. errichteten Christiansborg-Schlosses. Er wurde zum Anlaß für den Ankauf der vier Adelspaläste von Amalienborg durch den König und zu ihrer Einrichtung als Königssitz. Im Jahr darauf verwüstete der zweite Riesenbrand die Stadt. In drei Tagen ist ein Viertel Kopenhagens zerstört worden. Das Feuer, das auf Gammelholm begann, hat vernichtet, was 1728 von der alten Stadt verschont geblieben war. 909 Häuser sind damals vollständig, 74 zum Teil ein Raub der Flammen geworden; auch die alte Nicolaikirche, die als einzige der alten Kirchen 1728 unbeschädigt geblieben war, ist ihnen jetzt zum Opfer gefallen. 44

KIOBK.VHAVV.

Abb. 15: Kopenhagen im Jahre 1795 mit dem durch den Brand zerstörten Stadtteil (durch dunklere Zeichnung hervorgehoben). Original im Stadtarchiv Kopenhagen.

Wie anders aber steht man nun der Katastrophe gegenüber als 1728! Unverzüglich und mit zäher Energie sind Stadt und Regierung an den Wiederaufbau gegangen; er ist in wenigen Jahren durchgeführt worden. Größer und umfangreicher stehen Geschäfts- und Lagerhäuser wieder auf; palastartige Kaufmannsgebäude wachsen empor. Zwischen 1795 und 1800 werden nicht weniger als 1132 Privathäuser neu gebaut. Der Stil, in dem vor allem die repräsentativen Gebäude entstehen, ist durch klare Linienführung, durch klassisch gefärbte, dekorative Details, durch Pilaster, Säulen und Gesimse charakterisiert; er wird in der Baugeschichte als Neuklassizismus bezeichnet. Etwa in den 60er Jahren hat er den Barockstil abgelöst. Die große Mehrzahl der Wohnhäuser aber hat den Charakter, den diese nach dem Brand 1728 anzunehmen begonnen hatten, nicht verändert; sie hat sich in demselben Sinn weiter entwickelt: Fassadenhäuser, schmucklos und nüchtern, Fenster neben Fenster, wachsen sie in die Höhe. Der mehr auf das Nützliche als auf Schönheit gerichtete Geist der Zeit kommt dem entgegen. Die vierstöckige Mietskaserne ist geboren. 45

Das Straßennetz in dem verwüsteten Teil der Stadt hat auch nach diesem Brand wesentliche Veränderungen nicht erfahren. Hier und da sind die Straßenzüge erweitert oder verbreitert worden. Nicht mehr bebaut wurden die engen Fluchten der Höjbro- und der Faergestraße; an ihrer Stelle ist der Höjbro-Platz entstanden. Damals sind auch der Gammel- und der Nytorv miteinander zu einem Platz verbunden worden. Vor den Mauern der Stadt an der alten Straße nach Roskilde aber wird 1797 das erste bürgerliche Monument Kopenhagens errichtet: die Freiheitssäulei Das ist bezeichnend! Zur Erinnerung an die Aufhebung der Leibeigenschaft entstanden, ist sie heute auf der verkehrsreichen Vesterbrogade vor dem Hauptbahnhof das stolze Symbol eines Geistes, der die Zeit neu gestaltete und dem Volk den Weg in eine bessere Zukunft freigab.

An der Wende der Zeiten: Jahre der Not Trotz des Riesenbrandes von 1795 tritt Kopenhagen als blühende Handelsstadt in das neue Jahrhundert ein. In seinen Mauern herrscht emsiges Schaffen und Treiben, und seine Schiffe verkehren auf allen Meeren der Welt. Da wird nach fast einem Jahrhundert des Friedens auch Dänemark in den Strudel militärischer Aktionen gerissen, der Europa überflutete. 1801 beschlagnahmt England im Zuge der Auseinandersetzungen mit Napoleon mitten im Frieden sämtliche in englischen Häfen befindlichen Schiffe, besetzt die dänischen Kolonien in Westindien und überfällt vor Kopenhagen die dänische Flotte. Wenig später bombardieren, immer noch mitten im Frieden, englische Truppen die Hauptstadt und führen den gesamten dänischen Schiffspark — 17 Linienschiffe, 12 Fregatten, 8 Briggs und mehrere kleinere Fahrzeuge, alle mit voller Ausrüstung — mit sich fort. Seitdem steht das Land an Frankreichs Seite in offenem Krieg. Als er beendet ist, hat Dänemark Norwegen an Schweden, Helgoland an England verloren (1814). Die Ereignisse dieser Jahre sind in ihren Wirkungen verheerend gewesen. Die völlige Unterbindung aller Handelsbeziehungen, eine Folge des Raubes seiner Flotte sowie der englischen Blockade, hat das Land an den Rand des Abgrunds geführt. Norwegen löst seine Handelsverbindungen vom alten Mutterland, und die Warenvermittlung im Ostseeraum entgleitet den dänischen Händen. Binnen weniger Jahre sind die 46

Finanzen ruiniert, den ständig wachsenden Ausgaben stehen ständig fallende Einnahmen gegenüber; wilde Börsenspekulationen verwirren die Lage. Kaperei und Schmuggel treten an Stelle eines geordneten Handelslebens. 1813 muß schließlich der Staatsbankerott erklärt werden. Das ist der Augenblick, in dem der Jude triumphiert; 1814 werden ihm die Bürgerrechte zugesprochen! In den Jahren 1816—20 gehen gegen 250 Kopenhagener Firmen konkursl Auch die alte asiatische Kompagnie verliert ihren wirtschaftlichen Halt und muß 1843 aufgelöst werden. Das Land hat sich von dieser Katastrophe lange nicht erholen können. Als der Krieg zu Ende ist, liegt der Hafen seiner Hauptstadt verödet. Hamburg und Bremen haben Kopenhagens Erbe übernommen. Sie haben auch den größten Teil des inländischen dänischen Handels an sich gezogen. Es ist berechnet worden, daß auf 50 Artikel, die damals eingeführt wurden, nur einer entfällt, der von der Produktionsstätte aus direkt nach Kopenhagen kommt. Bis in die 30er Jahre hat dieser lähmende Zustand in Handel und Wandel angehalten. Dennoch fallen in diese Zeit zwei Ereignisse von epochaler Bedeutung: 1819 verläßt das erste dänische Dampfschiff auf der Fahrt nach Kiel den Hafen von Kopenhagen; 1821 baut der Industrielle Johann Christian Drewsen in die Papierfabrik von Strandmölle die erste Dampfmaschine, 1829 die erste fertige Papiermaschine ein; in demselben Jahr wird im heutigen Universitätsgebäude in der Studiestraede die Polytechnische Lehranstalt eröffnet: Das industrielle Zeitalter ist geborenI Auf der anderen Seite sind diese Jahre der Not Jahre stärkster nationaler Selbstbesinnung. Sie hat in zahlreichen dichterischen Werken ihren Niederschlag gefunden. Damals schrieb Adam Oehlenschläger seine „Nordischen Gedichte"; als junger Mann hatte er von der Küste aus die Schlacht zwischen der dänischen und der englischen Flotte verfolgt. Von ihm stammt das im Kampf der Parteien von heute zum zweiten Nationallied gewordene „Der er et yndigt Land". Damals beginnt Grundtvig, der Schöpfer der dänischen Volkshochschulen, der Rufer und Mahner zur nationalen Selbstbesinnung, seine Tätigkeit; das Wort „Folkeaand", das dem von Jahn etwa gleichzeitig geschaffenen „Volkstum" entspricht, hat er geprägt. Damals schreibt Ingemann seine Gesänge und seit den 20er Jahren, auf Grundtvigs Anregungen hin, seine vaterländischen Romane: In den Jahren tiefster nationaler Not hat die dänische Seele ihre schönsten Lieder gesungen. Es ist klar, daß diese Zeit der Sorgen und Entbehrungen auch dem Leben der Stadt ihren Stempel aufgedrückt hat. Überseehandel und 47

Warenvermittlung, die Quellen einstigen Reichtums, sind dahin. Was eingeführt wird, dient lediglich dem bescheidenen eigenen Bedarf. Handelshäuser und Stapelplätze liegen verödet, alte und angesehene Kaufmannsfirmen sind bankerott. Kopenhagen ist wieder zur ersten Provinzstadt Dänemarks geworden. Nicht Wirtschaft und Industrie geben ihm, wie einst in der „glänzenden Handelsperiode", das Gepräge, sondern Hof, Militär und Beamtenschaft; sie halten die Stadt am Leben. Nur langsam werden so die Schäden beseitigt, die die Vergangenheit gerissen hat. Das dreitägige Bombardement durch die Engländer hatte in Kopenhagen den dritten und letzten Riesenbrand seiner Geschichte hervorgerufen. Die Universität, der alte Turm der Frauenkirche und das ganze umliegende Viertel sind ihm zum Opfer gefallen: 290 Häuser innerhalb der Wälle lagen völlig, 239 zum Teil zerstört; 731 haben Beschädigungen durch die Beschießung selbst davongetragen. Auch die deutsche St. Petrikirche hatte schwer gelitten. Ein Zwölftel der Stadt war vernichtet. Der Wiederaufbau ist nur sehr stockend vor sich gegangen. Noch 1830 traf man auf Trümmer, die dem Brand entstammten. Was gebaut wurde, war vielfach schlecht; denn es mußte billig und daher mit minderwertigem Material gebaut werden. Dabei war die Wohnungsnot groß; Bodenkammern und Kellerräume werden zu Wohnstätten, und die Häuser wachsen weiter in die Höhe. Die geringe Bautätigkeit hat diese Entwicklung begünstigt; denn die Bevölkerung nimmt, wenn auch langsam, weiter zu. Von 100 975 im Jahre 1801 ist sie, als die nächsten amtlichen Zählungen durchgeführt werden, 1834 auf 119000, 1840 auf 120 819 gestiegen. Auch den öffentlichen Gebäuden merkt man die Sparsamkeit an, die bei ihrer Errichtung maßgebend war. Das Rathaus, das damals auf dem Nytorv errichtet wurde, ist in der herben Schlichtheit seiner Linienführung ein eindrucksvolles Denkmal jener Zeit. Erst 1828 konnte der Wiederaufbau des Schlosses, erst 1829 der der Frauenkirche beendet werden. In unmittelbarer Nachbarschaft zu dem nach dem Brand von 1728 entstandenen Kohlenmarkt werden jetzt der Hauserplatz mit der Hauserstraße (1810—1811), wenig später die Suhmsstraße geschaffen (1817). Damals ist die Wasserversorgung der privaten Initiative entzogen und der Stadtverwaltung unterstellt worden. Der Lersee wird als Reservoir in Gebrauch genommen, und an der Westseite des St.-Jörgens- und Peblingesees entstehen die Promenaden.

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Kopenhagen im Zeitalter der Industrie und der Technik: Die moderne Stadt

Es ist von eigentümlichem Reiz zu verfolgen, wie nach Jahren schwerster Depression Dänemark auch jetzt zu neuem Aufschwung sich emporreißt. Der Sturz, den es 1807—1814 erlebt, ist vielleicht der tiefste in seiner an Wechselfällen reichen Geschichte gewesen, sein wirtschaftlicher Aufstieg seit den 30er Jahren aber sicher der großartigste, den das Land je gesehen hat. Man kann sagen, die günstigen Zeitumstände, die sich jetzt herausbilden, hätten ihn hervorgerufen. Denn nicht nur Dänemark hat diesen steilen Weg zur Höhe genommen; die ganze abendländische Welt ist ihn gegangen. Aber die Zeitumstände fallen nicht vom Himmel; sie werden vom Menschen gemacht. In ihm, nicht in dem, was er geschaffen hat, müssen daher die letzten Gründe gesucht werden. Was den Menschen dieser Zeit kennzeichnet, ist die Stärke seines Lebens- und Gestaltungswillens, seine unerschöpfliche Vitalität und die nicht erlahmende Kraft des Willens und des Geistes. Die Richtung, in der diese Kräfte sich auswirken, ist in ihren Grundzügen durch die vorangegangene Entwicklung bestimmt. Denn jedes Ereignis ist ein Ergebnis und eine Ursache zugleich und daher nicht willkürlich und zufällig, sondern die folgerichtige Fortsetzung eines einmal begonnenen Ablaufs und der Beginn eines neuen Geschehens. So hat das geistige und materielle Leben des 19. Jahrhunderts seine Wurzeln in den Ideen des 18. Jahrhunderts, die Gewalt aber, mit der es sich vollzieht, das atemberaubende Tempo in der Kraft der entfesselten Lebensenergien. Sie tritt am unmittelbarsten in Erscheinung in der Geb'urtenkraft des Menschen selbst. Die Zunahme der Bevölkerung seit den 30er Jahren ist das sichtbarste Dokument einer Vitalität, die sich auch auf allen anderen Gebieten des Daseins auswirkt. Die Einwohnerzahl Dänemarks hat sich, ungeachtet der vielen Auswanderer, in der Zeit von 1840 bis 1940 verdreifacht (1840 = 1 289 075; 1940 = 3 844312 Einwohner).

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Diese Entwicklung w ä r e nicht möglich g e w e s e n , w e n n nicht z u gleicher Zeit eine u n g e h e u r e S t e i g e r u n g d e r wirtschaftlichen M ö g l i c h k e i t e n erfolgt w ä r e ; durch sie erst sind d i e ernährungstechnischen G r u n d l a g e n für die s t ä n d i g w a c h s e n d e B e v ö l k e r u n g geschaffen und sichergestellt w o r d e n . Diese a b e r b e r u h t w e i t g e h e n d auf d e r jetzt e r f o l g e n d e n Industrialisierung der W e l t . Auch D ä n e m a r k u n d mit ihm seine H a u p t s t a d t sind d a v o n e r f a ß t w o r d e n . 1843 w i r d in K o p e n h a g e n d i e Schiffswerft und M a s c h i n e n f a b r i k Burmeister & W a i n g e g r ü n d e t ; es ist heute das g r ö ß t e d e r a r t i g e Unternehmen D ä n e m a r k s ; 1847 entstehen d i e C a r l s b e r g - B r a u e r e i e n , 1853 d i e Bing- & G r ö n d a h l s c h e P o r z e l l a n f a b r i k , S c h ö p f u n g e n , d i e w e i t über d i e G r e n z e n des Landes b e k a n n t sind. Eine Fülle a n d e r e r industrieller Betriebe sind ihnen im Laufe d e r Jahre g e f o l g t . Das Fehlen aller natürlichen Rohstoffe im Lande selber, w i e Eisen, Kohle, ö l usw., ist durch eine geschickte W i r t s c h a f t s f ü h r u n g ausgeglichen w o r d e n : Die Freihandelspolitik hat nicht nur d i e Einfuhr industrieller Fertigwaren, sondern auch d e r einschlägigen Rohstoffe g e w a l t i g g e f ö r d e r t . Denn auch d e r H a n d e l erlebt, g e t r a g e n v o n d e n Ideen des Liberalismus, eine Entwicklung w i e nie z u v o r . Das merkantilistische System ist gesprengt, a n d i e Stelle d e r Protektion d i e Initiative des Einzelnen getreten. 1839 w i r d d e r C h i n a h a n d e l f r e i g e g e b e n , 1851 ein Freilager im K o p e n h a g e n e r H a f e n eingerichtet; es w a r d e r erste Schritt z u m Freihafen. 1857 e r f o l g t d i e A u f h e b u n g des Zunftwesens und d i e Verk ü n d u n g d e r G e w e r b e f r e i h e i t . Die a l t e n Bannmeilen um d i e S t ä d t e verschwinden, d e m H a n d w e r k e r t u m öffnet sich d a m i t auch d a s Land. Das ist zugleich d i e Sterbestunde d e r Hausindustrie. In d a s s e l b e Jahr fällt nach fast 4 y 2 h u n d e r t j ä h r i g e r Geschichte d i e Beseitigung des Sundzolles. „ D a s freie Spiel d e r K r ä f t e " hat b e g o n n e n . I n n e r h a l b kurzer Zeit steht auch D ä n e m a r k im Zeichen d e r W e l t w i r t s c h a f t und des W e l t verkehrs. Auch das V e r k e h r s w e s e n b e k o m m t in dieser Zeit ein v ö l l i g neues Gesicht. Die M a s c h i n e tritt je l ä n g e r je mehr d i e Herrschaft an. D a m p f und Motorschiffe lösen d e n Segler a b ; 1847 f ä h r t d i e erste Eisenbahn in D ä n e m a r k v o n K o p e n h a g e n nach Roskilde. W e n i g s p ä t e r w i r d d e r erste T e l e g r a p h in Betrieb g e n o m m e n ( K o p e n h a g e n — H a m b u r g , 1854). 1866 entsteht d i e „ V e r e i n i g t e Dampfschiffahrtsgesellschaft", im gleichen Jahr d i e Aktiengesellschaft d e r K o p e n h a g e n e r S t r a ß e n b a h n . K a p i t a l k o n z e n t r a t i o n e n g r o ß e n Stils e r m ö g l i c h e n d e n A u f b a u immer neuer U n t e r n e h m u n g e n ; d a s Zeitalter des Hochkapitalismus hat begonnen. 1857 w i r d d i e Privatbank g e g r ü n d e t , 1871 d i e L a n d m a n b a n k ,

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1873 die Handelsbank. 1872 entsteht die Aktiengesellschaft der dänischen Cigorienfabriken, 1873 die der Tuborg-Fabriken, 1874 die von Crome & Goldschmidt: Der moderne Kapitalismus ist geboren; in ihm treibt das Judentum sein dunkles Spiel. Gestützt auf seine alten Traditionen entwickelt Dänemark seine moderne Schiffahrt; das kleine Land wird zu einer der geachtetsten Nationen auf den Weltmeeren. Besonders die Frachtfahrt bringt der Wirtschaft große Gewinne. Dänemark hat kurz vor Ausbruch des Krieges unter allen europäischen Staaten den höchsten Umsatz pro Kopf der Bevölkerung und damit einen besonders hohen Lebensstandard gehabt. Sein Schiffspark geht heute weit über den eigenen Bedarf hinaus,- es ist damit in gefährlicher Weise abhängig von der Lage des gesamten Welthandels und damit der Weltpolitik. Das ist auf dem Gebiet der Landwirtschaft nicht anders. Dänemarks Entwicklung aus dem Zeitalter der Leibeigenschaft zum agrarischen Musterstaat der Erde ist innerhalb kaum eines kurzen Jahrhunderts erfolgt; es muß das als eines der großartigsten Kapitel dänischer Leistungskraft und -fähigkeit bezeichnet werden. Seit den großen Reformen zu Ausgang des 18. Jahrhunderts ist die Hebung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Landbevölkerung das ständige Bemühen des Staates gewesen. Es ist von großen Erfolgen gekrönt worden. Allein in den 50er Jahren sind gegen 2000 neue Höfe und etwa 27000 neue Häusleranwesen errichtet worden. Die landwirtschaftliche Bevölkerung Dänemarks gehört kulturell zu den ersten der Erde. Aber auch hier ist zur gleichen Zeit das Problem des ländlichen Proletariats entstanden. Man hat es durch Aufteilung des Bodens, insbesondere des Großgrundbesitzes, und durch Schaffung von Kleinbetrieben zu lösen versucht. Der Großgrundbesitz ist dadurch mehr und mehr der Auflösung verfallen, das Lehnswesen, das einst der Absolutismus geschaffen hatte (1671), durch die Bodengesetze von 1919 aufgehoben worden. In den ersten drei Jahrzehnten seit der Jahrhundertwende sind mit Hilfe von Staatskrediten gegen 16 000 neue Häuslerstellen entstanden. Dem Betrieb der Höfe sind die wissenschaftlichen und technischen Entdeckungen in reicher Fülle zugute gekommen. Neue Geräte und landwirtschaftliche Maschinen, rationellere Anbaumethoden, künstliche Düngemittel, verbessertes Saatgut (1872 beginnt der Zuckerrübenanbau) haben zu früher nie für möglich gehaltenen Steigerungen der Erträge geführt. Die Gründung der Volks- und Landwirtschaftsschulen (1858 Kgl. Veterinär- und Landwirtschaftsschule), später des Genossenschafts4' 51

wesens (1882 die erste Genossenschaftsmeierei, 1887 die erste Genossenschaftsschlächterei) haben viel dazu beigetragen. Sie sind in Aufbau und Betrieb typisch dänische Schöpfungen, durch ihre hervorragenden Leistungen aber vorbildlich für zahlreiche Staaten der Welt geworden. Die Überschwemmung des europäischen Marktes mit überseeischem und russischem Getreide in den 80er Jahren hat die radikale Umstellung von intensivstem Ackerbau zu intensiv betriebener Viehwirtschaft zur Folge gehabt. Sie in kürzester Frist erfolgreich durchgeführt und damit die Landwirtschaft vor einer Katastrophe größten Ausmaßes bewahrt zu haben, wird in der Geschichte des dänischen Wirtschaftslebens stets ein besonderes Ruhmesblatt sein. Diese intensiv betriebene Viehzucht mit der auf ihr aufgebauten Veredelungsindustrie ist seitdem zu der entscheidenden Wirtschaftsform des Staates entwickelt worden. Auf ihrem reibungslosen Funktionieren beruht der Wohlstand des Landes. Es ist jedoch nur garantiert, solange die Einfuhr von Kraftfuttermitteln aus Übersee intakt ist. Daß dabei die Bevölkerung dieses Agrarlandes auf den Bezug ausländischen Brotgetreides angewiesen ist, macht die Krisenfestigkeit der dänischen Wirtschaft doppelt problematisch. Der Geist aber, der das Gesicht der Zeit bestimmt, tritt im politischen Leben besonders deutlich in Erscheinung. Die kosmopolitischen Ideen des ausgehenden 18. Jahrhunderts sind von den nationalstaatlichen abgelöst worden. Die Wirksamkeit Herders, Klopstocks und der deutschen Romantik ist für diesen Wandel von entscheidender Bedeutung gewesen. Er hat vor allem für die Völker vor den deutschen Ostgrenzen die weittragendsten politischen Folgen gehabt. In Dänemark aber ist erst unter dem Einfluß dieser Ideen, in Verbindung mit den demokratischliberalen westlicher Prägung, die schleswig-holsteinische Frage zu einem brennenden politischen Problem geworden. Auch die Revolutionsbewegung der 30er Jahre hat nach Dänemark übergegriffen. Das Volk ist zum Bewußtsein seiner eigenen Kraft erwacht; es verlangt, an der Regierung des Landes beteiligt zu werden. Seine Forderungen sind 1849 erfüllt worden. Neben den König tritt der vom Volk gewählte Reichstag. Das Ende des Absolutismus ist gekommen; der Parlamentarismus beginnt seinen Weg. Freiheit von allen Bindungen ist die Parole der Zeit. Das Jahr, das die Aufhebung des Sundzolls und die Verkündung der Gewerbefreiheit bringt, bringt zugleich die Abschaffung des Taufzwangs, bringt die Gleichberechtigung der Frau auf dem Gebiet von Eherecht und Mün52

digkeit. Dänemark aber treibt in den Wirbeln des Parteilebens durch das Jahrhundert. Das Judentum hat auch dabei auflösend und zersetzend seine Hand im Spiel; unter Führung von Georg Brandes wird es zum Manager der sogenannten modernen Ideen, in Wahrheit aber zum Totengräber des dänisch-nordischen Geistes. Von besonderer Bedeutung ist in diesen Jahrzehnten die außenpolitische Entwicklung. Die alten historischen Gegensätze zu Schweden sind beseitigt; der Verlust uralten dänischen Volks- und Staatsbodens in Schonen ist verwunden. Schweden wird zum Bruderland Dänemarks. Auch die Abtretung Norwegens aus dem Staatsverband wird als schicksalhafte Notwendigkeit hingenommen und allmählich verschmerzt. Die skandinavische Bewegung, die jetzt entsteht, sucht eine möglichst enge kulturelle und politische Verbindung der drei bluts- und geistesverwandten nordischen Völker zu verwirklichen. überraschend schnell aber ist vor allem das schändliche Spiel Englands vergessen worden, dem die Jahre schlimmster nationaler Demütigung, dem der Raub der Flotte und damit, in Verbindung mit der Blockade, der Staatsbankerott, dem der Verlust Norwegens und damit seiner Machtstellung überhaupt zuzuschreiben sind. Die politischen Ideen sind in den ßann wirtschaftlicher Interessen geraten. Das unsichtbare England beginnt in Form von Kapital und Propaganda sein raffiniertes Spiel. England, der Hauptabnehmer dänischer Produkte, der Herr über die Börsen der Erde, wird Dänemarks Freund. Statt dessen richten sich die politischen Inspirationen gegen den Süden. Die schleswig-holsteinische Frage spitzt sich zu. Die Spannungen erfahren 1848—50 ihre erste, 1864 ihre entscheidende Auslösung; das umstrittene Land geht verloren. Dänemark hat darum seinen letzten Krieg geführt. Die Politik ist seitdem völlig in das Fahrwasser der Wirtschaft geraten. Der Weltkrieg hat scheinbar dem neutralen Land, in Wirklichkeit jedoch nur seinen Kapital- und Börsenschiebern materielle Verdienste gebracht. Unter Nichtachtung des Vorwaffenstillstandvertrages vom 5. Oktober 1918, nach dem Mächten, die nicht am Kriege teilgenommen hatten, auch nicht die Teilnahme an der Regelung des Friedens zustand, ist im Jahre 1920 Nordschleswig wieder dänisch geworden. Als am 9. April 1940 deutsche Truppen das Land besetzen, steht sein wirtschaftliches und kulturelles Leben auf hoher Stufe. Das Regiment liegt seit langen Jahren in den Händen der sozialdemokratischen Partei; sie bestimmt mit Hilfe der Presse den Geist, in dem die Politik geführt und Welt und Leben gesehen werden. Die Wehrmacht aber befindet

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sich in einem derart kümmerlichen Zustand, wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Die Umwälzungen, die das Leben des Einzelnen wie der Gesamtheit durch alle diese in Kürze skizzierten Ereignisse erfahren haben, sind von gewaltigstem Ausmaß gewesen. Daß sie eine tiefgreifende Umgestaltung auch des Landschaftsbildes zur Folge hatten, ist nur zu verständlich. Der Raum des Bauern ist davon ebenso betroffen worden wie die städtische Siedlung. Denn auch sie ist ein eindrucksvolles Zeugnis des Lebens und des Geistes einer Zeit. So erscheinen in Kopenhagen, wie durch einen Brennspiegel geworfen, die treibenden Kräfte dieser Periode Form geworden in Aufbau und Umfang, in Gesicht und Gehalt der Stadt.

Abb. 16: Kopenhagen im Jahre 1850 Aus: Bruun, Danmark, Land og Folk, Bd. II, Bog. 3 (gez. von E . S c h m i d , Stuttgart).

Kopenhagen hat in dieser Epoche sehr schnell die Vorherrschaft Hamburgs auf dem dänischen Markt zu brechen und sich wieder zum Mittelpunkt Nordeuropas aufzuschwingen vermocht. Noch um die Mitte des Jahrhunderts ist es vorwiegend eine Stadt des Hofes, der Beamten, der Soldaten und des Kleinhandels gewesen. Seitdem konzentrieren sich in ihm in moderner Machtfülle Kapital und Industrie, Handel und Gewerbe, Wirtschaft und Verkehr des ganzen Landes. Kopenhagen wächst sich zur Weltstadt mit erdumspannenden Beziehungen aus. Es ist daher kein Zufall, sondern ein Ausdruck der alle Grenzen sprengenden Kraft der Zeit, wenn jetzt die alte Demarkationslinie fällt (1852). Sie wird zunächst aus der Gegend der heutigen Falkonerallöe und des Jagdweges an die Innenseite der Seen zurückverlegt. Das Gelände zwischen ihr und den alten Wällen sollte als Glacis weiterhin frei bleiben. Jenseits der Seen aber werden der Bebauung keine Schranken mehr gesetzt. Die Wirkung dieses Gesetzes ist eine ungeheure gewesen. Als ob ein lang aufgestautes Wasser endlich freie Bahn erhält, so strömt die Stadt in die ihr neu geöffneten Flächen über. Dieses gigantische Wachstum im einzelnen zu verfolgen, liegt nicht im Plan der Arbeit; nur einige charakteristische Züge sollen hier aufgezeigt werden.

Abb. 17

Der Aufbau des neuen Kopenhagen beginnt entlang der Außenufer der Seen vom Nörrebro- bis hinüber zum Vesterbro-Viertel; er erfaßt außerhalb des Stadtbereiches in gleicher Weise Frederiksberg und die Sundbyer auf Amager. In raschem Tempo vollzieht sich hier die Errichtung neuer Wohnstätten. Das Gewimmel der Häuser greift mit 55

gierigen Armen ins flache Land. W o gestern noch Kornfelder wogten, stehen heute, grau und seelenlos, die Komplexe der Mietskasernen. So sind vor allem Kopenhagen und Frederiksberg geradezu aufeinander zugejagt. 1855 hat Frederiksberg 4342 Einwohner; kurz vor der Jahrhundertwende ist die 50 000-, gegen Ende des Weltkrieges die 100000-Grenze überschritten; 1940 wohnen in ihm 113 208 Menschen. Die Stadt ist verwaltungsmäßig selbständig geblieben, baulich aber von Kopenhagen rings umschlossen und mit ihm zu einem einzigen großen Häuserkomplex zusammengewachsen. Ihr entspricht, was die Selbständigkeit in der Verwaltung angeht, die Gentofte Kommune (Gentofte, Hellerup, Skovshoved, Ordrup); beide bilden heute Teile von Groß-Kopenhagen. Ihr Bild aber weist sehr verschiedenartige Züge auf. Frederiksberg wird, ungeachtet seiner Villenviertel, auf weiten Strecken von der Mietskaserne beherrscht; Schloß und Park bilden in ihr Oasen des Friedens und der Stille. Die Gentofte Kommune hat einen aufgelockerteren Charakter. Ihr fehlen, besonders entlang des Strandweges, Mietskasernenkomplexe nicht, aber ausgedehnte Villenviertel geben ihr ihr eigentliches Gesicht. Die lockere Bebauung zeigt ein Vergleich der Einwohnerzahlen mit der Flächengröße: In Frederiksberg wohnen heute auf 870 ha 113208, in der Gentofte Kommune auf 2538 ha nur 76457 Menschen. Dieser Unterschied im Stadtbild ist weitgehend begründet im Unterschied der Zeit, in der die Hauptbebauung durchgeführt wurde. In Frederiksberg hat sie sehr früh und sehr intensiv begonnen, in der Gentofte Kommune dagegen erst, als das Ideal des Eigenhauses sich bereits durchgesetzt hatte. 1855 haben in der Gentofte Kommune nur 3291 Menschen gelebt, also nicht viel weniger als in Frederiksberg. Bis zur Jahrhundertwende ist die Zahl auf nur 14 470 (1901), bis 1911 auf 24691 angewachsen. Die große Steigerung beginnt erst nach dem Weltkrieg; heute wohnen hier, wie gesagt, 76457 Menschen I Es sind also in erster Linie die beiden letzten Jahrzehnte, die diesem Teil des heutigen Groß-Kopenhagen ihren Stempel aufgedrückt haben. Das 19. Jahrhundert und das beginnende 20. Jahrhundert kennzeichnet die Mietskaserne; die Zeit nach dem großen Krieg hat sie nicht überwunden, aber das Eigenheim neben sie gestellt. Frederiksberg und Gentofte Kommune haben verwaltungsmäßig ihre Selbständigkeit bewahrt. Frederiksberg ist heute nach Kopenhagen die größte Stadt Dänemarks, obwohl es baulich nur einen Teil der Hauptstadt darstellt; der Fremde kann nirgends erkennen, wann er die Grenzen zwischen beiden überschritten hat. Andere Glieder der heutigen Stadt sind kurz nach der Jahrhundertwende eingemeindet worden: 56

Brönshöj und Valby 1901, die beiden Sundby auf Amager 1902, Tuborg Vang 1907. Es sind das seit der Eingemeindung von Christianshavn im Jahre 1674 die ersten Vergrößerungen des städtischen Areals gewesen; der Flächeninhalt Kopenhagens ist durch sie verdreifacht worden. Berufliche Gliederung

der

Bevölkerung

1930 Landwirtschaft,

Landwirtschaft, Gärtnerei usw. Q6 Anderweitige u. unbekannte Beruft.

Gärtnerei usw. Cß

.Anderweitige und unbekannte

Frederiksberg.

Kopenhagen Landwirtschaft,

Gärtnerei usw.

, Anderweitige a. unbekannte Beruft

Gentofte-Kommune.

Abb. 18

57

Das Gesetz von 1852 hat den Festungscharakter der Stadt praktisch beseitigt. Es war daher nur folgerichtig, wenn auch die letzten Reste der Demarkationslinie und damit von W a l l und Graben aufgegeben wurden. Das ist 1867 geschehen. Damit ist auch der Gürtel zwischen Innen- und Außenstadt für die Bebauung frei geworden. Regierung und Stadtverwaltung aber haben aus den Erfahrungen der vorangegangenen Jahre gelernt; sie haben das Gelände der wilden Spekulation einzelner oder von Aktiengesellschaften entzogen und seine Ausgestaltung selbst betrieben. Es hat daher einen wesentlich anderen Charakter erhalten.

Abb. 19: Kopenhagen im Jahre 1888 Aus: Bruun, Danmark, Land og Folk, Bd. II, Bog. 3 (gez. von E. S c h m i d , Stuttgart).

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1872 wird mit dem Schleifen der Wälle begonnen; auf dem alten Festungsterrain entstehen seitdem die sogenannten Wallquartiere. Sie bilden einen entscheidenden Zug im Aufbau der heutigen Stadt. In ihrem Bereich liegen der Rathausplatz mit dem neuen Rathaus (1905), der Hauptbahnhof (1911) und, teils in Tunnel, teils in offenen Schächten, die Bahnkörper zum österport; in ihrem Bereich verlaufen die breitesten Straßen, der Vesterboulevard, die Vester-, Nörre- und östervoldgade; hier erstrecken sich die Parks und Grünanlagen mit ihren stillen, von Wasservögeln belebten Seen, den Resten des alten Grabens: Tivoli, Örsted-Park, Botanischer Garten, östre Anlaeg. Auch innerhalb der Wälle ist die Bevölkerungszahl zunächst angestiegen. 1860 wohnten hier V3 mehr Menschen als 1801. Sie unterzubringen war nur möglich geworden durch Errichtung höherer Gebäude; das vierstöckige Mietshaus mit Mansarde und oft genug auch mit Kellerwohnung hat das alte Fachwerkhaus endgültig verdrängt. Seit 1860 ist dann besonders im Nyboder- und Gammelholm-Viertel (zwischen Kongens Nytorv, Nyhavn, Hafen und Holmenskanal) viel gebaut worden. Die der Flotte gehörigen Einrichtungen wurden seit 1859 nach Nyholm überführt, Gammelholm damit zur Bebauung freigegeben. Sie ist 1877 so gut wie abgeschlossen gewesen. Damals ist auch der alte Holmens-Kanal verschwunden (1864); an seine Stelle ist die gleichnamige Straße getreten. Von den in der Altstadt neu entstehenden Gebäuden sind zwei zu weithin sichtbaren Wahrzeichen Kopenhagens geworden: Die Frederikskirche bei Amalienborg mit ihrer mächtigen kupferverkleideten Kuppel (1894), und das neue Christiansborg, dessen stolzer, mit dreifachen goldenen Kronen geschmückter Turm zu den schönsten Zierden dieser türmereichen Stadt gehört (1928). Der charakteristische Zug im Leben der Altstadt aber ist, etwa seit der Jahrhundertwende, der ständige Rückgang ihrer Bevölkerung. In der Altstadt, in Christianshavn und in den Wallquartieren lebten 1901 152722 Menschen; 1911 waren es nur noch 127 785, 1921 = 128 812, 1930: 116 222, 1935= 106 496, 1939: 102 276. Es ist dies heute also, einschließlich der Wallquartiere, etwa die gleiche Zahl, die die Stadt 1801, und zwar ohne die Wallquartiere, beherbergte. Dieser Rückgang vollzieht sich in derselben Zeit, in der sich die Bevölkerung von GroßKopenhagen mehr als verdoppelt (1901 = 491 276, 1940 = 1 021 499). Die Altstadt ist zur City, zum Büro- und Geschäftsviertel geworden; die Wohnbezirke des Kopenhageners liegen außerhalb der einstigen Mauern.

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Bevölkerungsdichte

in den 1901

einzelnen

Stadtteilen

pro

ha

-1939

Abb. 20 Gewaltig sind die Veränderungen, die der Hafen erlebt hat. Seit der Anlage der Refshale-Insel nördlich von Christianshavn (1868), dem Bau des Freihafens (1894), der in Verbindung mit ihm errichteten Langelinie (1895) und der Fährstelle nach Malmö (1895), den Hafenanlagen an der Islandsbrücke (1920) bis zum Neubau der Knippelsbro (1937) ist hier Jahr für Jahr gebaut, verbessert und wieder gebaut worden. Neue Wasserbecken und Kaianlagen, Lagerhäuser und Fabriken, Docks und Kräne wachsen empor, unermüdlich nimmt die Arbeit an diesem für die Stadt seit ihrem Entstehen entscheidenden Abschnitt ihren Fortgang. Der Hafen wird zum Zentrum der großen Schiffswerften und Fabrikanlagen (Burmeister & Wain, Zuckerraffinerie Phönix, Sojakuchenfabrik, General Motors, Ford, Örsted-Werk u. a.), zum Lebensnerv der Riesenstadt, in dem Schiffsverkehr und Bahnanlagen in mannigfacher Weise sich verzahnen. Denn auch das Verkehrswesen hat einen Ausbau erfahren, wie er vordem nie für möglich gehalten worden wäre. Ein engmaschiges Netz von Straßenbahnen, ergänzt durch Autobus und Eisenbahn, ist über die ganze Stadt bis in ihre fernsten Viertel gelegt worden. Auf seiner

60

Sooo A b b . 21

sooo

Anzahl der 1938 vom Lotb und vom Freihafen

4-000

von und nach fremden Staaten ern^jewei/s d/'e erste SSute) und ausgehenden(= diezwerte sSu/e) Schiffe. Sooo

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$x> ZSÖ Scht/eden Deutsch- Großbr. Mvwe Holbnd Finnkind Dornig Fbten Belgien fand sen Existenz beruht weitgehend das reibungslose Funktionieren des verwickelten Geschäfts- und Verwaltungslebens. Ohne seine Einrichtung hätte vor allem das Wachstum der Stadt in ihren Außenbezirken nie in dem Maße erfolgen können, wie es seit dem Weltkrieg geschehen ist. 61

Die aufgelockerte Bauweise des Eigenheims setzt die Möglichkeit schneller und sicherer Verkehrsverbindungen zwischen Arbeitsplatz und Wohnstätte voraus; beide aber sind in den letzten Jahrzehnten weiter und weiter auseinandergerückt. Dänemark verfügt dabei über ein geradezu charakteristisches Verkehrsmittel; es ist, in Prozenten seiner Einwohner, das an Fahrrädern reichste Land der Welt! In Kopenhagen allein gibt es etwa y 2 Million! Der Vater radelt zur Arbeit, die Mutter zu Einkauf und Besuch, das Kind zur Schule, sie alle in die schöne Umgebung, am liebsten zum Baden an den Strand von Klampenborg, Amager oder der Kögebucht. Die Stadt ist nach Geschäfts- und Büroschluß von Radfahrern erfüllt, und hat der Krieg das Auto weitgehend aus dem Straßenbild vertrieben, das Fahrrad beherrscht es nunmehr souverän! So lehrt erst die Kenntnis der Entwicklung durch die Jahrhunderte den Aufbau der Stadt von heute recht verstehen. Ihr Herz ist der Hafen; er hat sie groß und reich werden lassen und sie mit den Weiten der Welt in engste Verbindung gebracht. Sein ständig flutendes Leben ist der Garant für ihre Blüte. Zu seinen Seiten ruht die alte Stadt, hier das Kopenhagen Absalons mit seinen immer noch winkligen, engen Straßen und Gassen und dem bunten Nebeneinander niedriger und hoher, junger und alter Gebäude, das emsige Geschäftsviertel, überschattet vom mächtigen Christiansborg, im neuen Gewand der Erbe vielhundertjähriger Traditionen. Neben ihm steht das Kopenhagen Christians IV. und seiner Nachfolger, straffer im Aufbau, geradliniger in der Form, Geschäfts- und zugleich Regierungs- und Wohnviertel, mit dem stolzen Amalienborg in seiner Mitte, unter dem Wahrzeichen der gewaltigen Kuppel der Frederikskirche, trotz vielerlei Umgestaltungen immer noch umweht vom Geist der Renaissance und des Absolutismus, die einst es schufen. Drüben vom anderen Ufer des Hafens grüßt unter den Türmen der Frelser- und der Christianskirche die Bruderstadt Christianshavn herüber, geboren aus der Gestaltungskraft der Renaissance, klar gegliedert, durchzogen von den stillen Wassern seiner Kanäle, allen Veränderungen der Zeiten zum Trotz ein Bild von fast holländischem Gepräge. Hüben wie drüben schließt das Festungsgebiet das alte Kopenhagen ab. Es ist zwischen Christianshavn und Amager mit W a l l und Bastionen und dem Ring der Wasser noch weitgehend intakt; auf der anderen Seite hat die neue Zeit es in ihren Bann gerissen. Aber breite Straßenzüge und Plätze, Grünanlagen und Seen markieren auch hier unmißverständlich ihren früheren Verlauf. 62

Abb. 22: Torvegade in Christianshavn. Mietskasernen der jüngsten Jahre neben dem alten Zollhaus. Darüber der Treppenturm der Frelser - Kirche,vorne lks. Meilenstein mit dem dreitürm. Stadtwappen Kopenhagens.

Dahinter beginnt mit geradlinigen Straßenfluchten und weiten Mietskasernenkomplexen die moderne Stadt. Auf dem an Industriewerken reichen Amager stößt sie fast unmittelbar gegen das flache Land; aber ein Saum niedriger Eigenhäuser schaltet sich dazwischen. Auf Seeland unterbricht das düstere Einerlei der hohen Wohngebäude zum erstenmal der breite, schöne Ring der alten Seen. Dahinter wogt von neuem das Meer der Häuser. In seiner Massierung vielleicht das eindringlichste Dokument der Zeit, die es schuf, der Jahre rasenden Aufbaus, atemloser Arbeit, der Herrschaft von Geld und Maschine. Noch einmal lockert, mehrfach unterbrochen, ein Gürtel von Grünfläken diese düstere Welt auf: die Schloßanlagen von Frederiksberg, der Assistenzfriedhof und der Faelled-Park. Kurz danach verliert sich der massive Stadtkomplex langsam in die hellere Welt der Villen und Sommerhäuser der jüngsten Jahrzehnte. Ein neuer Geist hat in ihnen sich seine ersten baulichen Zeugnisse geschaffen. Das Grün der Gärten liegt über ihr, und zwischen Natur und Menschenherzen sind die Verbindungen wieder enger und fester geworden. Der Himmel wölbt sich sichtbar über diesen Wohnbezirken,

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und der Glanz der Sterne verliert sich nicht in den Schächten der Hinterhäuser.. Am weitesten folgen diese jüngsten Siedlungen den großen Verkehrsadern, den Bahnlinien und den Ausfallstraßen, die aus dem wirbelnden Leben der Hauptstadt den kleineren Zentren des Landes zustreben. Von ihnen sind die über Kongens Lyngby nach Hilleröd, die über Frederiksberg nach Roskilde und endlich die Strandstraße nach Köge als die wichtigsten heute zu Reichsstraßen geworden. Die landschaftlich schönste aber begleitet die dänische Riviera, die Ufer des Sundes. Hier ziehen sich über Skovshoved und Klampenborg hinaus auch die Villen am weitesten in die Ferne. Mit ihren Vorposten haben sie, wenn auch des öfteren von Flächen grünen Landes, von Feldern, Wald und Wiesen unterbrochen, das an geschichtlichen Erinnerungen reiche Helsingör erreicht.

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D A S DEUTSCHE BLUT IN DER D Ä N I S C H E N H A U P T S T A D T

Wesen und Temperament des Kopenhageners Der Mensch, der auf den Inseln wohnt, ist beweglicher und wendiger eis der Jüte; sie beide aber übertrifft der Kopenhagener. Das erklärt sich nur zum Teil aus Milieu und Landschaft. Der jütische Raum, die große Barre gegen die Nordsee, ist herber als das übrige Dänemark. Seine Böden im Westen sind wenig ergiebig. W e r auf ihnen leben will, wird wortkarg wie der Mensch der Heide oder der Geest bei uns. Der Osten des Landes ist fruchtbarer, seine Oberfläche hügeliger und von Buchenwäldern durchsetzt. Aber die Stürme der Nordsee brausen darüber hin, und mit der strengeren Landschaft an seiner Seite bleibt er mit tausend Fäden eng verbunden. Die Schwere des Blutes ist hier zwar gelockert, aber nicht überwunden. Die Inselwelt der Beltsee hat einen anderen Charakter. W o die Gezeiten fehlen und der Donner der Brandung, wo das unberechenbare Spiel des „blanken Hans" nicht hinreicht, da lebt auch der Mensch aufgeschlossener und leichter sein Leben. Hier gibt es keine „Jammerbucht", wie drüben vor den Ufern zwischen Skarreklit und Hirtshals, überall auf diesen Inseln ist das Wasser sehr nahe; sein friedlicher Rhythmus lebt zugleich bewegt und heiter im Blut ihrer Menschen. Er schwingt auch durch die große Stadt am Sund. Sie ist ohne das leichte, weiche Spiel der Wellen an ihre Kais nicht denkbar, und in ihre fernsten Viertel tragen die Möwen die Erinnerung an die See. Dann aber wirbeln in Kopenhagen Arbeit und Vergnügen, Handel und Verkehr, Fahrrad und Autobus, Straßen- und Eisenbahn die Menschen tagaus, tagein durcheinander. Im ständigen engen Bei- und Gegeneinander schleifen Härten und Kanten sich ab, und wie in allen großen Städten der Erde wird aus dem Zusammenleben vieler eine größere Beweglichkeit im G a n g , im Temperament, im Geist geboren. Aber Milieu und Landschaft sind nur das eine Element, aus dem Charakter und Wesen der Menschen ihren Ursprung nehmen. Das andere ist das Blut. Das ist schon bei den Danen und Jüten sehr verwandt gewesen. Beides waren eng miteinander verbundene Glieder derselben germani-

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sehen Familie. Erst im Laufe einer reichen Geschichte haben sich manche Nuancierungen herausgebildet. Am stärksten ist davon die Hauptstadt betroffen worden. Sie ist zum Schmelztigel des Blutes aus allen dänischen Gauen geworden. Der Kellner im Hotel ist in Jütland geboren, das Zimmermädchen auf Fünen, der Schaffner auf Laaland, der Schutzmann auf Falster. Unentwegt seit Jahrhunderten ist bestes Blut aus allen dänischen Landschaften in Kopenhagen durcheinandergewirbelt, vermischt und umgeschmolzen worden, am stärksten in den Zeiten des gewaltigen Wachstums der Stadt seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Nach der Statistik waren im Jahre 1930 von den 771 168 Einwohnern Groß-Kopenhagens in Nordjütland 104391 geboren, in Südjütland ( = Nordschleswig) 5437, auf den Inselndes Landes 184351. Nicht umsonst wird Kopenhagen lächelnd die größte Stadt Jütlands genannt, und ein anderes Scherzwort will wissen, der echte Kopenhagener sei in Kaiundborg geboren.

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Dazu aber kommt seit langem der Zustrom des Blutes aus fremden Staaten. Nach der amtlichen Statistik stammten von der Bevölkerung Groß-Kopenhagens 1930 39 960 Menschen aus Gebieten außerhalb der dänischen Grenzen, davon 37 366 aus Europa. Von diesen waren 17 547 in Schweden geboren,9365 in Deutschland, 3510 in Norwegen, 1530 in Rußland, 1066 in Großbritannien und Irland. Aus außereuropäischen Ländern stammten insgesamt 2594Menschen; von ihnen waren 1117 aus USA. nach Kopenhagen gekommen. Die Einwanderung ist also erheblich, am stärksten aus den Provinzen jenseits des Sundes. Noch immer r.eist der Malmöer, wenn er nach Kopenhagen fährt, in „des Königs Stadt", wie einst, als Schonen noch ein Bestandteil des dänischen Reiches war; und der Bewohner von Lund bezeichnet gelegentlich heute noch scherzhaft Kopenhagen als Hauptstadt Südschwedens. Nicht gering sind auch die Beiträge, die andere Staaten an Lebenssubstanz jetzt und in der Vergangenheit beigesteuert haben: Aber weitaus das meiste Blut ist im Laufe der Jahrhunderte aus dem Süden gekommen, aus dem deutschen Raum. Ohne dem sind die dänische Geschichte, die dänische Kultur und vor allem auch der dänische Mensch, insbesondere der der Hauptstadt, gar nicht zu denken. Der Kopenhagener ist das Produkt der Mischung von Lebensströmen aus allen dänischen Gauen während vieler Jahrhunderte; dieses aber wiederum ist auf das stärkste durchsetzt und aufgelockert vom Blut der Menschen anderer Völker, insbesondere des deutschen. Gerade dieses Ineinander scheint es zu sein, das das schwerere dänische Temperament im Kopenhagener durchglüht und beschwingt hat, das ihn spannungsreicher und elastischer hat werden lassen. Vielleicht ist das auch eine der Ursachen dafür, daß trotz des kleinräumigen dänischen Landes gerade er zum Träger der Initiative im Norden, zum Vermittler von Handel und Wirtschaft geworden ist, erfindungsreicher und diplomatischer als die Welt um ihn herum, wendiger im Auftreten, aber auch eleganter und heiterer im Leben.

Die Einwanderung deutscher Menschen im Mittelalter Die Höhepunkte dieses Zustromes deutschen Blutes sind an die Hochzeiten des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens des Landes und damit an die Blüteperioden seiner Hauptstadt nicht gebunden. Gerade in den Schwächeperioden des Staates hat Kopenhagen aus einer verstärkten deutschen Einwanderung immer wieder neue Kräfte gezogen. Die ersten Wellen sind schon früh, noch vor der Entstehung der Städte, ins Land geströmt. Sie waren zunächst getragen von den Kräften, die

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die Christianisierung Dänemarks durchführten. Diese ist von Hamburg aus erfolgt (Erzbistum Hamburg gegründet 831); an dessen Stelle ist später Bremen getreten. Erst mit der Errichtung des Erzbistums Lund (1104) hat der Norden seine kirchliche Selbständigkeit und damit seine Freiheit von der geistlichen und personellen Betreuung des Südens erlangt. Ein Abebben der Einwanderung deutscher Priester und Kleriker war das Ergebnis. Neue Wellen deutschen Blutes haben dann im Gefolge der engen kulturellen und wirtschaftlichen Bindungen vor allem Ritter und Kaufmannschaft nach Dänemark geführt. Die Einwanderungen sind begünstigt worden durch die einheimischen Großen, die an deutschen Fürstenund Kaiserhöfen ihre Erziehung und Ausbildung genossen hatten (wie z. B. Knud Laward, f 1131, am Hofe Lothars von Supplinburg). Dieser Zustrom hat unter den Waldemaren vorübergehend eine Schwächung erfahren. Es ist das eine Folge des unter dem Eindruck der politischen Großmachtstellung erstarkten dänischen Selbstgefühls gewesen. Mit dem Zerfall des Ostseeimperiums und der inneren Auflösung des Staates nach Waldemar II. Tod aber zog das deutsche Element wieder ungehemmt und zahlreich ins Land, ein gewaltiger Ausdruck der Lebenskraft des Volkes, das dem Norden viele seiner besten Söhne und Töchter schenken und zugleich die riesigen Gebiete des Ostens mit seinem Leben und seiner Kultur zu erfüllen vermochte. Nach den Forschungen von Erslev sind die Menschen, die damals auf Seeland sich niederließen, hauptsächlich aus dem pommerschen, mecklenburgischen und sächsischen Raum gekommen. Sie haben auf den südlichen Inseln, vor allem auf Falster und Laaland, sich die Hände gereicht mit denen, die im holsteinischen ihre Heimat hatten. Die Schöpferin des politischen Zusammenschlusses der drei nordischen Staaten, Königin Margarethe (1375—1412), hatte deutsches Blut in den Adern, und deutsche Edelleute waren tonangebend in ihrer Umgebung. Sie haben die höchsten Stellen innegehabt, waren reich begütert und gehörten durch Amt und Ansehen zu den führenden Kreisen des Landes. Kopenhagen aber ist überhaupt erst durch einen Deutschen, durch Erich von Pommern (1412—1439), zur Lieblingsresidenz, durch seinen deutschen Nachfolger Christoffer von Bayern (1439—1448) zur offiziellen Hauptstadt geworden. Die Einwanderung hat unter Erich von Pommern nachgelassen; der einheimische Adel wußte sich wieder stärker zur Geltung zu bringen. Die Zahl deutscher Ritter in dänischen Diensten ist dennoch bedeutend gewesen. Des Königs Vertrauter war der Deutsche Vike von Vitzen; die

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Krummendieck, die Hardenberg, die Hvitfeld, die Walkendorf und viele andere für die dänische Geschichte bedeutende Geschlechter sind damals ins Land gekommen. Die für die Einwanderung in die Städte weitaus bedeutendste Bewegung aber ist von der Hanse ausgegangen. Schon früh hat die Sundfischerei deren Fahrzeuge in die dänischen Gewässer geführt. Die Siedlungen Schonens und Seelands (Dragör, Köge, Roskilde, Naestved u. a.) sind von den Kaufleuten und Handwerkern der norddeutschen, wie auch der holländischen Städte rege besucht worden. Als Seßhafte (sogenannte „Lieger"] oder als während der Marktzeiten vorübergehend Ansässige (sogenannte „Gäste") haben sie von Anfang an eine bedeutende Rolle gespielt. Kopenhagen hat nach deutschen Kaufleuten seinen Namen erhalten; wir haben in anderem Zusammenhang bereits davon gesprochen. Der „Bremerholm" und die „Tyskemanngade", die erst sehr viel später in „Vimmelskafte" umbenannt wurde, sind Zeugnisse für die frühe Einwanderung aus dem Süden. Bremerholm ist vermutlich während der ¡ährlichen Marktzeit vom 24. August bis 9. Oktober den Händlern dieser Stadt als Verkaufsstätte vorbehalten gewesen. Für die Jahre 1280 und 1303 ist die Ansiedlung von Stralsundern in Kopenhagen urkundlich nachzuweisen. Die Vertreter der Hanse hatten auch hier, besonders zur Zeit der Heririgsfischerei, Sonderrechte aller Art. So haben die Kaufleute aus Lübeck 1340, die aus Kampen, Stavorn und Harderwyk 1341 Privilegien erhalten. In der heutigen Knabro- und Badstuestraede war das Wohnviertel der deutschen Schuhmacher. Kaufleute und Handwerker haben sich in der „Bruderschaft der deutschen Kompagnie zu Kopenhagen" (oder „Dreifaltigkeitsgilde"] zusammengeschlossen. Ihr Haus lag seit 1490 auf der Südseite des Amagertorvs; ihre Satzungen, gegeben von „de Koplüde van der Wysmer und van deme Sunde ( = Stralsund] und van Stettyn und vort alle de gemeyne Kopman uth den dudeschen Steden to Copenhaven", stammen aus dem Jahr 1382; damals war die Gilde bereits sicher 30 Jahre älter. Sie gehört damit zu den ältesten des Landes überhaupt. In den Händen ihrer Mitglieder befand sich fast der ganze Handel Kopenhagens (vgl. auch Nielsen, Bd. 4, S. 292). Daneben gab es hier wie in anderen Städten rein deutsche Handwerkergilden, so z. B. die der Goldschmiede, deren Beliebung 1429 gegeben ist. Aber auch im dänischen Gildenwesen haben Menschen deutschen Blutes eine hervorragende Rolle gespielt. Ein Zeichen für ihren Einfluß war auch die Einrichtung des sogenannten „Rosenhofes",

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einer Vergnügungsstätte, nach der ein ganzes Stadtviertel benannt war, und dessen Vorbilder gleichen Namens in Hamburg, Lübeck, Rostock, Wismar u. a. lagen. Die Architektur der Kirchen ist in Material (Backstein) und Stil (Gotik) ein eindrucksvolles Zeugnis für die künstlerische Gestaltungskraft des niederdeutschen Raumes ebenso wie für die enge personelle Verbindung der Künstler und Handwerker beider Gebiete. Die Stadtrechte jener Zeit beschäftigen sich immer wieder ausführlich mit den Rechten und Pflichten der Fremden. Die Bürgerschaft hat bereits damals, wie auch Ramsing betont (Bd. 1,148), „ein starkes deutsches und holländisches Kolorit" gehabt. Durch die Einwanderer aber wurden, nach den Untersuchungen des dänischen Historikers Erslev, in den Städten „deutsche Sitten eingeführt und dem gesamten Handelsleben ein starker Stoß voran gegeben". Eine erste zuverlässige Angabe über den zahlenmäßigen Anteil deutscher Menschen an der Kopenhagener Bevölkerung verdanken wir dem Grundbuch von Kopenhagen vom Jahre 1377 (Abdruck bei Ramsing). Die darin aufgeführten Namen der Bürger der Stadt lassen erkennen, daß wenigstens 11% der Bewohner aus dem übrigen Dänemark stammen. Wenigstens 20 % aber sind mit Sicherheit deutscher Herkunft und zwar vorwiegend aus dem norddeutschen und dem westfälischen Raum (Lübeck, Greifswald, Stralsund, Putbus, Lütjenburg [Holst.], Grevesmühlen [Meckl.], Brandenburg, Recklinghausen, Soest u. a.). Der segensreiche Einfluß dieser engen und intensiven Beziehungen, die bereits in der Frühzeit ihrer Geschichte die Stadt am Sund mit der deutschen Welt verbanden, und auf fast alle Gebiete des Lebens sich auswirkten, ist auch von dänischen Historikern anerkannt und gewürdigt worden (vgl. z. B. La Cour., Bd. I, S. 262). Der Adel, von starken deutschen Elementen durchsetzt, hat nach Erich von Pommern wiederum einen Deutschen, Christoffer von Bayern, zum König gewählt (1439—1448). Dessen Nachfolger, Christian I. von Oldenburg (1448—1481), ist der Gründer der in einer Nebenlinie heute noch herrschenden Dynastie geworden. Er hat 1460 auch die Regierung in den Herzogtümern Schleswig und Holstein übernommen. Der deutsche und der dänische Siedlungsraum sind dadurch unmittelbar miteinander in Verbindung getreten. Für die Einwanderung, insbesondere des Adels, ist das von größter Bedeutung geworden. Auf den Lehrstühlen der von Christian I. gegründeten Universität haben seit Anbeginn Wissenschaftler deutscher Herkunft eine hervorragende Rolle gespielt. Seit jenen Tagen also sitzen Fürsten deutscher Abstammung und deutschen Blutes auf dem dänischen Thron. Mit ihnen und zu einem 70

guten Teil durch sie hat sich eine langsame, aber um so wirkungsvollere Durchdringung des Landes und besonders seiner Hauptstadt mit deutschen Elementen vollzogen, in Adel und Bürgerschaft, am Hof und im Heer, im Kaufmanns- und Handwerkerstand eine in diesem Umfang und in dieser Tiefe vielleicht einzigartige Synthese des Blutes zweier Völker.

Die Deutschen im Zeitalter der Reformation und der Renaissance Der nächste große Zustrom deutschen Blutes fällt in die Reformation; durch die aus Deutschland in den Norden getragene geistige Bewegung des Humanismus wird er verstärkt; seinen vorläufigen Höchststand erreicht er in der Blütezeit der Renaissance, der Kultur- und damit der Stadtentwicklung entsprechend unter Christian IV. Im Zuge dieser langanhaltenden intensiven Einwanderungen haben Wissenschaft und Kunst, Handel, Verkehr und Gewerbe die stärksten Impulse, die Kopenhagener Bevölkerung einen im einzelnen schwer zu fassenden, im ganzen gesehen aber gewaltigen weiteren Zuschuß deutschen Blutes erhalten. 1519 ist Amager von Flamen besiedelt worden. Deren Heimat sind die Gebiete nördlich von Amsterdam, die Ufer der Zuidersee, die Gegenden von Edam und Monikendam und die Insel Marken gewesen. Christian II. (1513—23) war es, der sie ins Land gerufen hat. Sie sollten aus den fruchtbaren Böden der Insel die Versorgung der wachsenden Hauptstadt mit Gemüse und Blumen, mit Butter, Käse und anderem sicherstellen. Sie haben ihre Aufgabe vorbildlich gelöst, sind zu Lehrmeistern ihrer dänischen Umgebung geworden und haben Amager sein kulturlandschaftliches Gesicht gegeben. Die Nachbarn glichen sich ihnen an, und lange Zeit hat die Insel in Tracht und Sprache, bis heute in Straßen- und Familiennamen flämische Züge bewahrt. Christians Nachfolger, Friedrich I. (1523—33), lebte und dachte als Deutscher; Deutsche, insbesondere Holsteiner, bildeten seine Umgebung. Von ihnen ist Wolfgang von Utenhof Kanzler, Reinolt von Heidersdorf Oberbefehlshaber der deutschen Landsknechte gewesen. Männer wie Heinrich Schulte, Kaspar Fuchs, Georg Caspar haben neben einem Detlev Reventlow, Melchior Rantzau in Diplomatie und Verwaltung einen hervorragenden Namen gehabt. 1520 waren Martin Reinhard, 1521 Matthias Gabler als Prediger des neuen Glaubens in die Stadt am Sund gekommen. Als dann unter Christian III. (1534—59) 1536 die Reformation eingeführt wird, ist Luthers Mitarbeiter Johann Bugenhagen die treibende Kraft gewesen. In diesen Jahren hat Dänemark in der Grafenfehde die letzte große 71

Auseinandersetzung mit der Hanse erlebt (1533—36); damals haben ein Johann und Daniel Rantzau als Heerführer in dänischen Diensten gestanden. Die Hanse hat seitdem an politischer und wirtschaftlicher Macht mehr und mehr verloren. Lange Zeit ist sie, allen handelspolitischen und kriegerischen Auseinandersetzungen zum Trotz, die entscheidende Trägerin der Beziehungen zwischen den Städten und Kopenhagen gewesen. Die Verbindungen sind auch jetzt nicht abgerissen; auf den durch sie einst eröffneten Bahnen ist auch in Zukunft der Austausch ihrer Menschen ungebrochen weiter gegangen. Wenige Jahrzehnte nach der Grafenfehde erhellen zwei von Friedrich II. (1559—88) erlassene Verfügungen schlaglichtartig die Stärke der deutschen Einwanderung (1572). In der einen wird bestimmt, daß die fremden (das sind die deutschen!) Zuzügler künftighin vor Bürgerschaft und Rat der Stadt den Treueid abzuleisten, in der zweiten, daß sie auch beim Rentmeister des Schlosses sich zu melden hätten. So erheblich ist die Einwanderung geworden, daß eine Kontrolle sich nötig erweist. Die Dänen haben den ständigen Zustrom, besonders der Handwerker, oft beklagt und sich deswegen verschiedentlich an die Regierung gewandt. Von einer bewußten nationalen Opposition aber kann für diese Zeit noch keine Rede sein. Die Deutschen stellten Kraft und Können vorbehaltlos dem Land zur Verfügung, das sie zur zweiten Heimat erwählt hatten, und die Könige haben die Einwanderung wertvoller Kräfte aus so nahe verwandtem Blut nicht unterbunden. So ist, um aus der Fülle der Beispiele nur einige herauszugreifen, Markus Heß der einflußreichste unter den Kaufleuten zur Zeit Friedrichs II. und 1565 bis 1589 Bürgermeister der Stadt gewesen; Hauptmann Hans von Hamburg war Führer der Bürgerwehr, Paul Fechtl Münzmeister. Matthias Sittert aus Lübeck hat damals die erste Färberei in Dänemark gegründet, und von dem Rentmeister Christoph Walkendorf stammt die Anregung zum Bau des schönen Renaissanceturmes von St. Nicolai (1582). Gerade Walkendorf ist durch sein Wirken für Leben und Gesicht Kopenhagens von größter Bedeutung gewesen. Die Deutschen haben in diesen Jahren in der St. Clarakirche ihr erstes offizielles Gotteshaus erhalten (1575). Wenig später ist ihnen statt dessen die St. Petrikirche überlassen worden (1585). Sie ist durch die Stürme der Zeiten die deutsche Kirche bis heute geblieben. Damals wurde auch den Deutschen in Helsingör ein eigenes Gotteshaus übergeben, die St. Marienkirche (1576). Hier hat der Flame Hans von 72

Abb. 24: Chrisfopher W a l k e n d o r f

(1525—1601]

Reichshofmeister, Rentmeister, Mitglied der Vormundschaftsregierung während der Minderjährigkeit Christians

IV.

Kopie von Knud Larsen, O r i g i n a l im national-historischen Museum im Frederiksborg-Schloß

(Inventar N r . 1202)

Paeschen den Bau des stolzesten aller nordischen Renaissanceschlösser begonnen, der Kronborg; ein Flame war es, Anthonis van Opbergen, der ihn vollendete (1574—85). Hans von Paeschen hat auch Schloß Frederiksborg bei Hilleröd geschaffen. Unter Friedrichs II. Nachfolger, Christian IV. (1588—1648), hat die Einwanderung aus dem Süden, insbesondere auch aus den Niederlanden, neue Antriebe erhalten. Der König war umgeben von deutschen Ratgebern; der Holsteiner Christian Pentz war sein Vertrauter, sein

Kanzler der Mecklenburger Detlev Reventlow (seit 1632), sein Obersekretär der Braunschweiger Friedrich Günther (seit 1621), sein Zeugmeister der Oberst Zernichow. Christian IV. hat sich nach dem Vorbild der norddeutschen Fürsten jener Zeit unermüdlich um die Förderung von Handel, Handwerk und Gewerbe als der Quellen des Wohlstandes eines Landes bemüht. Z u diesem Zweck hat er zahllose Niederdeutsche aus allen Berufen nach Kopenhagen gezogen und ihnen wichtige Steuerprivilegien zugestanden: Hopfenpflanzer, Bierbrauer, Olmüller, Flachsbleicher, Gießer, Schiffszimmerleute usw. Deutsche haben die Seidenzucht, Deutsche die Seifensiederindustrie (Hans Röper, 1621 eingewandert), Deutsche die Perlenstickerei, das Kürschnergewerbe, die Textilindustrie gegründet und weiter entwickelt. 1623 wurde die St. Petrikirche vergrößert, um für die niederländischen Seidenweber Platz z u schaffen.

Abb. 25.- Peter Schumacher G r a f von G r i f f e n f e l d ( 1 6 2 5 — 1 6 9 9 ) , G r o ß k a n z l e r . Gemälde von Abraham Wuchters, O r i g i n a l im national-historischen Museum im Frederiksborg-Schloß (Inventar N r . 757)

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ü b e r w i e g e n d deutscher Herkunft w a r e n die A p o t h e k e r , die Ärzte, d i e S c h n e i d e r d e r S t a d t . D e r a n g e s e h e n e H a n d e l mit R h e i n w e i n e n l a g fast g a n z in d e u t s c h e n H ä n d e n . D e r V a t e r d e s s p ä t e r e n Reichskanzlers Peter S c h u m a c h e r , d e r w e g e n s e i n e r V e r d i e n s t e als G r a f G r i f f e n f e l d in d e n A d e l s s t a n d e r h o b e n w u r d e , w a r d e r 1630 a u s B e r g e d o r f b e i H a m burg e i n g e w a n d e r t e W e i n h ä n d l e r Joachim Schumacher, der Direktor d e r O s t i n d i s c h e n K o m p a g n i e seit 1618 u n d s p ä t e r a u c h d e r G r ö n l ä n d i s c h e n K o m p a g n i e d e r H a m b u r g e r J o h a n n B r a e m , dessen G e schlecht u r s p r ü n g l i c h a u s d e n N i e d e r l a n d e n s t a m m t , d e r erste G o u v e r n e u r v o n T r a n k e b a r R o l a n d C r a p p e , d e r Leiter d e r e r s t e n d ä n i s c h e n N a v i g a t i o n s s c h u l e d e r a u s E n k h u i z e n e i n g e w a n d e r t e Joris C a r o l u s . J o a c h i m M o l t k e u n d M e l c h i o r M a r t z a n e r h i e l t e n 1634 für d i e H e r a u s g a b e d e u t s c h e r u n d d ä n i s c h e r W o c h e n b l ä t t e r d a s erste Z e i t u n g s p r i v i l e g in D ä n e m a r k . H a n s H o p richtete d i e erste Ö l m ü h l e a u f C h r i s t i a n s h a v n e i n ; er ist d e r V a t e r d e s A d m i r a l H o p p e . J a n Etters a u s H e r z o g e n b u s c h gründete eine Färberei und die „Strandmölle", Christoph von der H e y d e eine Zuckerraffinerie, Matthias G r u n d m a n n eine Glasbläserei u s w . G e r a d e d i e K a u f m a n n s c h a f t ist in d i e s e r Z e i t d u r c h z a h l r e i c h e Deutsche, M ä n n e r mit w e i t e m Blick u n d g r ö ß t e r T a t k r a f t b e r e i c h e r t worden. D e u t s c h e s i n d als Künstler u n d H a n d w e r k e r a n d e n z a h l r e i c h e n B a u t e n des K ö n i g s b e s c h ä f t i g t g e w e s e n . C h r i s t i a n s h a v n ist nach d e n Plänen des Ingenieurs J o h a n n Semp a n g e l e g t w o r d e n ; der Baumeister v o n Schloß R o s e n b o r g w a r d e r F l a m e W i l l u m C o r n e l i s ; d i e Börse s t a m m t von d e n Brüdern Lorenz und Franz v a n Stenwinkel und von H e r m a n n •Rollefink, ihr D r a c h e n t u r m v o n L u d w i g H e i d e r i t t e r , d e r „ R u n d e T u r m " an der Trinitatiskirche von Hans Stenwinkel, die Holmenskirche von L e o n h a r d Blaes. D e r b e r ü h m t e K o m p o n i s t H e i n r i c h Schütz w a r Leiter d e r k ö n i g l i c h e n K a p e l l e in K o p e n h a g e n ; er k a m 1634 ins L a n d . D e r g e w i ß nicht v o r e i n g e n o m m e n e d ä n i s c h e H i s t o r i k e r La C o u r s c h r e i b t ü b e r d i e Z e i t : „ D a s g a n z e K u n s t l e b e n , d a s in d i e s e (glücklichen J a h r e ' g e h ö r t e , w u r d e v o n A u s l ä n d e r n g e t r a g e n . D a s g a l t für d i e A r c h i t e k t u r ( m a n k a n n in erster Linie d i e Familie S t e n w i n k e l nennen) w i e f ü r d a s K u n s t h a n d w e r k ( C a s p a r Finke), für d i e M a l e r e i ( K a r e l v a n M a n d e r , G e r r i t C o r n e l i s z , J a c o b v a n D o o r d t , Pieter Isaacsz) u n d für d i e M u s i k (John D o w l a n d , M e l c h i o r Schild, H e i n r i c h S c h ü t z ) . " (Bd. II, Seite 28.) Die Knippelsbro trägt nach d e m deutschen Ratsmann Hans Knip ihren N a m e n . D e u t s c h e s a ß e n in d e n n e u e r r i c h t e t e n H a n d e l s k o m p a n i e n a n f ü h r e n d e n Stellen. D a s 1618 g e g r ü n d e t e C h r i s t i a n s h a v n w a r z u e i n e m g r o ß e n Teil v o n D e u t s c h e n , b e s o n d e r s F l a m e n , b e w o h n t ; in d e r 1640

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geweihten Frelser-Kirche wurde deutsch und dänisch gepredigt. Im 16. und 17. Jahrhundert nannte man in Holland Helsingör wegen der zahlreichen dort ansässigen Landsleute „Klein Amsterdam". Groß war die Zahl der ihres Glaubens wegen vertriebenen Deutschen, die in Kopenhagen Aufnahme fanden, so z. B. die Reformierten Konrad Hauser, Reinhold Iselin, Abraham Schneider aus der Schweiz, die Duntzfeldt, d e C o n i n g k , von Heemert aus Holland und viele andere, groß auch die Zahl der deutschen Studenten, die während des Dreißigjährigen Krieges hier studierten. Lag doch nach dem Frieden von Lübeck (1629) Dänemark wie eine Insel des Friedens vor den Toren des von Kriegswirren zerrissenen deutschen Reiches. Fürwahr, ein gewaltiges Ineinander des Blutes und des Schaffens zweier Völker! Charakteristisch ist das W o r t , das 1642 Stephanius in einem Brief schrieb: „Ich weiß wahrlich nicht, welcher Stern den Deutschen in dieser Zeit so viel günstigen W i n d zugeführt hat und zumal, während die Dänen auf der äußersten Bank sitzen müssen!" (vgl. Bobe, S. 16). W i e ein Symbol wirkt die in deutscher Sprache geschriebene Aufschrift auf dem schmiedeeisernen Grabgitter an der Königsgruft Christians IV. im Dom zu Roskilde: „MEISTER CASPAR BIN ICH G E N A N N T , MEINER ARBEIT BIN ICH BEKANNT."

Das Deutschtum im Zeitalter des Absolutismus Der Strom deutschen Blutes ist auch nach Christians Tod anhaltend und ungebrochen weitergegangen. Die absolutistischen Herrscher haben ihm alle Bahnen geöffnet. Durch sie ist er zu einer Stärke angeschwollen wie nie zuvor, ü b e r ein Jahrhundert lang bestimmt er in ständig wachsendem Maße das bevölkerungspolitische Gesicht Kopenhagens. Ja, eine Zeitlang schien es, als sollte hier die dänische W e l t völlig in ihm versinken und die Stadt in Kultur und Sitte zu einer deutschen werden. Erst der Durchbruch zum Nationalbewußtsein hat diese Periode zum Abschluß gebracht. Hof, Adel und Heer sind dabei der eine große Magnet gewesen; der andere, nicht minder starke, w a r die Bürgerschaft, waren Kaufleute und Gewerbetreibende, Handwerker und Industrielle. Aus dem Raum jenseits der Ostsee stammten die Königinnen. Die höchsten Stellen des Staates wurden von Deutschen besetzt. Die absolutistische Regierungsform ist gegen den Widerstand des alten, um seine Privilegien besorgten dänischen Adels durchgesetzt w o r d e n ; an dessen Stelle traten Geschlechter aus deutschem Blut, die frei und durch keine Traditionen 76

gebunden den Herrschern sich zur Verfügung stellten. Von seiten des einheimischen Bürgertums wurden immer wieder Klagen über die Überfremdung laut. Macht und Geltung hatte, was deutsch war, denn es hatte meist auch das größere Können. Friedrich III. (1648—70) war mit einer braunschweigisch - lüneburgischen Prinzessin, Sophie Amalie, verheiratet. Aus Holstein waren die Ahlefeld gekommen. Sie haben ebenso wie die von Ahrenstorff während des Dreißigjährigen Krieges und in den Schwedenkriegen ihrer neuen Heimat hohe Offiziere gestellt. Der Balte Dietrich Reinking war Kanzler, Joachim Gersdorf Reichshofmeister, Theodor Lente aus Osnabrück Kammerschreiber, der Hannoveraner Gabel Geheimrat und Statthalter und eine der einflußreichsten Persönlichkeiten im Staate. In dem 1660 gegründeten Staatskollegium waren mehr als die Hälfte der Mitglieder deutscher Herkunft. Der dänische Adel hatte das Regiment aus den Händen verloren,- er stand abseits, indes deutsche Geschlechter ihn ersetzten. Das Offizierkorps des stehenden Heeres, das nun geschaffen wurde, rekrutierte sich weitgehend aus Deutschen,- deutschen Blutes war auch die Mehrzahl der Söldner. Ein Hans Schack, ein Eberstein, ein Pfalzgraf Philipp von Sulzbach, Johann und Hans Jakob Arnoldt, Jobst und Henrik Schölten, Michael Christoph von Schnitter und viele andere waren hohe Offiziere, der Schlesier Paul Tscherning, 1660 Mitglied des Kriegskollegiums, Generalauditeur der dänischen Armee. Generalmajor Fuchs verteidigte 1659 Christianshavn gegen die Schweden; Vizeadmiral Ivar Hoppe nahm 1677 an der Schlacht in der Kögebucht teil. Die Listen der wehrhaften Männer der Stadt, die bei der Belagerung Kopenhagens1659 angelegt wurden, sind reich an deutschen Familiennamen. Unter den Kompanieführern, die damals durch den König persönlich ausgezeichnet wurden, waren vier deutsche Bürger. Auch Dänemark hat lange mit vorwiegend deutschen Männern seine Schlachten geschlagen. Die Kirchenbücher, die für die deutsche und dänische Garnison getrennt geführt wurden, sind eine historische Quelle vön unschätzbarem W e r t ; sie zeigen das Übergewicht des deutschen Elements in Heer und Flotte; es blieb auch in der Folgezeit ständig erhalten. Dem Bürgertum sind in diesen Jahren besonders aus Mecklenburg, Pommern und Brandenburg neue Kräfte zugeströmt. 1653' kamen 50 vertriebene Tuchmacherfamilien aus Böhmen nach Kopenhagen. Von den 14 Aldermännern der Zünfte waren die Hälfte deutschen Blutes [Reichsdeutsche und Holländer). Die Satzungen der Innungen jener Zeit sind in deutscher Sprache abgefaßt. In den 1660 gestifteten Rat der 32 vornehmsten Bürger der Stadt wurden zahlreiche Deutsche gewählt.

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A b b . 26: Hans Schack (1609 — 1676), Graf, Feldmarschall und Reichsfeldherr. Leitete die Verteidigung Kopenhagens während der Belagerung und g e w a n n 1659 die entscheidende Schlacht bei N y b o r g . Gemälde von A b r a h a m W u c h t e r s , O r i g i n a l im national-historischen Museum im Frederiksborg-Schloß (Inventar Nr. 823)

Zwischen 1651 und 1655 sind ein Zehntel aller Kinder Kopenhagens in der deutschen St.-Petri-Kirche getauft worden. Die dänischen Geistlichen führten Beschwerde darüber (1662), d a ß ihre Kirchspiele täglich sich verringerten, d a viele Familien infolge ihrer Verschwägerung den deutschen Kirchengemeinden beiträten. Die Petri-Kirche ist in dieser Zeit geradezu zur Hof- und Beamtenkirche g e w o r d e n ; rechnete doch der Hof sich selber als zur deutschen Gemeinde gehörig.

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Abb. 27: Heinrich Rüse Baron Rysensteen, 1624—1679 General, Oberinspekteur des Festungswesens. Marmorbüste von Bartholomäus Eggers, O r i g i n a l im national-histor. Museum im Frederiksborg-Schloß.

(Inventar N r . 2782.)

Damals ist durch Flamen aus Amager der Grundstock zum heutigen Frederiksberg gelegt worden (1651). Heinrich Rüse hat die St.-AnnaSchanze zur Zitadelle umgebaut (1662—64); unter seiner Leitung ist das gesamte Befestigungssystem von Kopenhagen und Christianshavn erneuert worden. Die Bebauung des Frederiksholmviertels zwischen Schloß und Westerwall ist nach seinen Plänen erfolgt, ebenso die des Quartiers nordöstlich von Kongens Nytorv. Heinrich Rüse ist übrigens auch der Schöpfer der Festung Friedrichsort bei Kiel (1665—67), so wie es ein Deutscher war, Gottfred Hoffmann, der die Pläne für die Festung Frede-

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ricia entworfen hat (1650). Von Hans Wiedewelt stammen die meisten der palastartigen Gebäude im Frederiksholmviertel, von Jürgen Scheffel aus Berg die Trinitatis-Kirche (1656). Die Ny-Vestergade hieß nach dem Kaufmann Vigandt Michelbecher lange Zeit „Vigandtsgade". Ein Deutscher, Paul Klingenberg, hat als Generalpostmeister das Postwesen organisiert [seit 1653), ein Deutscher, Graf Griffenfeld, das dänische Königsgesetz, die sogenannte lex regia, ausgearbeitet (1665); der neue Staatsaufbau hat dadurch erst seine rechtliche Fundierung erhalten. Die dänische Königskrone, das Machtsymbol der absolutistischen Herrscher, ist von dem Deutschen Paul Kurtz geschmiedet (1665—1670). Auf den Lehrstühlen der Universität saßen Männer deutscher Herkunft, und deutsche Studenten waren in der Stadt in großer Zahl als Hauslehrer und Erzieher tätig. Die Bevölkerungszunahme Kopenhagens in jenen Jahrzehnten ist zu einem guten Teil der deutschen Einwanderung zu danken. Die Kirchenbücher geben dafür den eindeutigen Beweis. „Die dänische Bürgerstadt von 1659 ist zur halbdeutschen Residenz- und Garnisonsstadt der absolutistischen Könige geworden" (Christensen, in Bruun, Bd. II, S. 105). Sie ist es auch unter Christian V. (1670—99) geblieben. Um die Jahrhundertwende gab es im dänischen Heer überhaupt nur noch 136 dänische oder norwegische Offiziere gegen 410 deutsche. Deutsch geborene Generäle führten die Armee; sie bildeten die ständige Begleitung des Königs. Zu dessen engster Umgebung gehörten die mecklenburgischen Edelleute Knuth und Hahn; der Schlesier Wiglas von Schindel war Oberhofmeister, H. O. v. Winterfeld Oberhofmarschall. In den Händen des Holsteiners Fr. Ahlefeld, des Süddeutschen Konrad Biermann und des Schleswigers Thomas Jessen lag die Führung der Außenpolitik des Staates. Von den alten Adelsgeschlechtern Mecklenburgs haben die von der Lühe nicht weniger als 46, die von Vieregg über 40, die von Pentz 16 Offiziere gestellt (vgl. Bobe, S. 43). Deutsch ist die Unterrichtssprache auf der von Christian V. in Kopenhagen gegründeten Landkadettakademie. 1690 wird die St.-Petri-Gemeinde zum erstenmal als „Hoch- und niederdeutsche Gemeinde" bezeichnet: Das Gefühl der Zugehörigkeit der Flamen zum deutschen Lebensbereich war also noch durchaus lebendig. Für die eingewanderten deutschen und französischen Kalvinisten ist damals die deutsch-französische reformierte Kirche gebaut worden (1699). Der Holsteiner Heinrich von Stöcken hat die Anregung zur Vermessung und Taxierung des Landes gegeben; das Ergebnis, die Matrikel von 1688, ist, wie bereits erwähnt, die Grundlage für die Besteuerung bis 1840 gewesen.

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Der königliche Buchhändler Daniel Paulli aus Rostock hat als erster eine deutsche und zwei dänische Zeitungen gegründet; er ist der Vater der Journalistik in Dänemark genannt worden. Johann Gottfried Becker war Hof- und Reiseapotheker des Königs; Kapitän Motzmann hat Christiansholm angelegt (1674), der Flame Ivert Jansen die Pläne zur Bebauung von Bremerholm geschaffen; er ist auch der Architekt von Charlottenborg auf Kongens Nytorv. Die Frelser-Kirche ist nach den Zeichnungen Lambert von Hävens errichtet; in Klaus Rasch erhielt Kopenhagen seinen ersten Polizeimeister (1682). Kort Adeler wurde 1670 zum Direktor der Ostindischen Kompagnie, Hermann Gerding 1686 zum Branddirektor ernannt; sein Nachfolger war Gotfred Fuchs. Die Luststätten am Sund, wie Christiansholm und Sölyst, sind von den Holländern M. Fabritius und I. Freuchen gegründet worden (um 1690). Andreas Wolf bekam 1672 das Recht, eine Luntenspinnerei für Heer und Flotte, Christian Werner aus Lübeck das Privileg, eine Wollmanufaktur einzurichten (1683). Die dänischen Schneidergesellen beschweren sich 1684 über das übermütige und herablassende Benehmen der deutschen Schneidergesellen, die die dänischen nicht für voll ansehen. Die Aldermänner der 1688 gestifteten Innung der Seiden-, Woll- und Leinwandkrämer, der angesehensten jener Zeit, bekleiden die Vertrauensämter der deutschen Gemeinde. Sie haben „noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihre Antrittsrede auf deutsch" gehalten (vgl. Handwörterbuch fürGrenzund Auslanddeutschtum, II, 2, S. 85). Der Kommission zur Einschränkung der Staatsausgaben gehören 1688 an: Graf Konrad Reventlow, Hans Schack, Admiral Span, Oberrentmeister Brandt, Oberst Laurids Munck, Klaus Rasch, Bürgermeister Cosmus Bornemann, Hans Jensen Stampe, Thomas Jensen Dobbelsten, Klaus Büssing und Jens Riber. Deutsche am Hof, Deutsche im Heer, Deutsche als Künstler und Beamte, im Handel, Gewerbe und Handwerk — das ist das Bild, das die Hauptstadt bietet. In diesem geschichtlichen Augenblick aber begehrt zum erstenmal der dänische Geist gegen die Überfremdung auf. Damals entsteht von Laurids Kok das schöne „Danmarks dejligst Vang og Vaenge". Und eine Instruktion von 1670 bestimmt, daß in Zukunft die Regierungsschreiben an solche ausländischen Mächte, die mit Dänemark in ihrer eigenen Sprache in Schriftverkehr stehen, in dänischer, nicht wie bisher in deutscher Sprache auszustellen seien. .Von einer Befolgung dieser Verfügung ist jedoch keine Rede gewesen: Deutsch bleibt die Sprache des Hofes, des Heeres, der Gesellschaft; deutsche Brocken beginnen selbst die Sprache des Volkes zu durchsetzen. Der Barockdichter Thomas Kingo, Sohn eines schottischen Vaters, schreibt in den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts: „Ihre Majestät machen viele 81

von denen schamrot, die das Brot des Vaterlandes vielleicht 30 Jahre lang in Ihrer Majestät Dienst gegessen haben und doch nicht 30 dänische Worte haben lernen wollen." Friedrich V. (1699—1730) war, als er die Regierung antrat, mit der Prinzessin Luise von Mecklenburg-Güstrow verheiratet; 1703 verband er sich zur linken Hand mit der Tochter des preußischen Gesandten, Elisabeth Helene von Vieregg; nach deren Tod hatte er ein Liebesverhältnis mit Charlotte Helene von Schindel; 1712 heiratete er, wieder zur Linken, die Tochter des verstorbenen Großkanzlers Anna Sophie Reventlow — eine Aufzählung, die nicht nur wegen der höfischen Sitten jener Zeit von kulturgeschichtlichem Interesse ist: alle Frauen waren deutschen Blutes! Der König stand der dänischen Sprache fremd gegenüber; deutsch ist die Hof- und Regierungssprache. Der Hofprediger F. I. Lütkens hat nach fünfjährigem Aufenthalt in Kopenhagen noch kein W o r t dänisch verstanden! Es beginnt die Verdeutschung dänischer Familiennamen. Mehr und mehr gilt es auch in den Kreisen des Bürgertums für fein, die Sprache mit deutschen Brocken zu würzen, und das zu einer Zeit, in der der Deutsche in der Heimat seine Muttersprache an das Französische verriet! Unter Friedrich V. ist der in Mecklenburg geborene Johann Georg von Holstein Staatsminister geworden; er hat die Politik des Landes während des Nordischen Krieges maßgeblich bestimmt. Die Durchführung der Bauvorhaben lag zu einem großen Teil in Händen deutscher Künstler, Architekten und Handwerker; nur einige wenige Namen können in diesem Zusammenhang genannt werden. Schloß Frederiksberg ist unter dem Generalbaumeister von Platen durch die Architekten Brandenburg und I. C. Ernst gebaut worden (1704—1709), das rote Kanzleigebäude von I. C. Ernst (1716—1721), das Thott'sche Palais von Hans Wiedewelt (1688), das Holsteinsche Palais von V. von Eickstedt. Der 1724 ins Land gerufene Oldenburger Ulrich Röhl hat die Wanderdünen von Tibirke und damit die verheerende Sandflucht zum Stehen gebracht. Eine Eingabe vom 26.2.1703 über die Unsicherheit der Handelsschiffahrt ist unterschrieben von L.Kreyer, V. Edinger,M.Abestee, I.Würger, Henrik Höjer, Steffen Lindemann, A. Lehn, A. Kellingnusen und Lüder Stiefken! 1721 führen die dänischen Schiffer darüber Beschwerde, daß die Kaufleute der Stadt mit Vorliebe sich fremder Schiffer bedienen. Die ausländischen, d. h. die deutschen, Handwerksgesellen erhalten in dieser Zeit das Recht, sich ohne Lehrbrief in Dänemark niederzulassen (1705). Der Strom deutscher Menschen ist besonders in den Jahren nach der Pest (1712) gewaltig angeschwollen. Nur 2 0 % von denen, die 1711 bis 1720 das Bürgerrecht erwarben, waren geborene Kopenhagener; 82

2 3 % stammten aus Jütland, 16% von den Inseln, 10% aus den alten dänischen Provinzen östlich des Sundes; 22% der Bürger der Stadt aber hatten ihre Heimat im deutschen Raum. Dazu kam ferner die große Zahl der militärischen und zivilen Beamten deutscher Herkunft, kam die Menge der deutschen Soldaten und der deutschen Handwerker, von denen „die Residenzstadt wimmelte" (Nielsen, Bd. VI, S. 161). Und doch ist es zuletzt nicht die Zahl, die entscheidet: Am Hof und im Heer ebenso wie in der Bürgerschaft war es das deutsche Element, das den Ton angab. So sind durch die Einwanderung dieser Jahre die Verluste an Menschen sehr schnell wieder ausgeglichen worden; schon 1728 war die alte Volkszahl von 1710 wieder erreicht. Als dann das Riesenfeuer Kopenhagen verheerte, war Daniel Preisler Brandmeister der Stadt. Wir besitzen eine Anzahl von Schilderungen ausländischer Reisender aus jener Zeit über die Rolle, die das Deutschtum damals in Dänemark gespielt hat. Sie alle sind darin einig, daß vor allem die Könige die Einwanderung immer wieder entscheidend gefördert haben, so daß die Deutschen weit mehr als % des Hofes ausmachen; einer der kennzeichnendsten Züge im Leben der Hauptstadt aber sei es, daß sie auch innerhalb der Bürgerschaft das durchaus tonangebende Element darstellen (vgl. u. a. den Engländer Molesworth 1692 oder den Franzosen Lacombe de la Vrigny). Es ist kein Zufall, daß gerade in diesen Jahren zum anderenmal der dänische Geist seine Stimme erhebt, eindringlicher als je zuvor. Der große Rufer zur nationalen Selbstbesinnung steht auf: HolbergI 1723 wird für seine Komödien in der Grönnegade die erste dänische Bühne eröffnet. 1729 schreibt er: „Die dänische Sprache hat in sich selbst wahrhaftig große Tugenden und ist besonders geeignet zur Poesie, weshalb die irren, welche die dänische Sprache so gering schätzen." Aber wie ein Menschenalter zuvor die Mahnungen eines Thomas Kingo verhallt waren, so ist auch jetzt die Zeit noch nicht reif. Die Saat, die Holberg säte, sollte erst später aufgehen. Die Stunde der Dänen war noch nicht gekommen. So wechseln die Menschen, aber die Welt, aus der sie stammen, ist die gleiche. Es ändern sich Gesicht und Namen, aber unverändert durch die Jahrzehnte bleibt der Geist, der über der Stadt liegt, der deutsche. Ihm wird Untertan in ständig wachsendem Maße auch die einheimische, die dänische Welt. Unter den beiden jetzt folgenden Regenten erreicht die Einwanderung und damit der deutsche Einfluß auf Staat und Leben, Kultur und Wirtschaft in Dänemark seinen Höhepunkt. Christians VI. (1730—46) Gattin ist die Prinzessin Sophie Magdalene von Brandenburg-Kulmbach; Carolina Erdmuthe von Carlowitz ist Hof83

fräulein der Königin, ihr Bruder Offizier im dänischen Heer. Zum engsten Kreis des Königs gehören der Mecklenburger Berckentin, der Hofprediger Blume, der Baron Wilhelm von Sölenthal. Dieser ist seit 1731, Christian Ernst von Beulwitz seit 1738 Hofmeister des Kronprinzen Friedrich. Herzog Carl Christian Erdmann von Württemberg-Oels steht als General in dänischem Dienst (seit 1736), der brandenburgischkulmbachsche Oberst Johann Christoph von Reitzenstein ist Hofmarschall (seit 1738), Carl Adolf von Plessen Oberkammerherr, sein Bruder Christian Ludwig von Plessen Leiter des Finanzwesens. Männer wie Chr. von Berckentin, Baron von Dehn, I. H. E. von Bernstorff u. a. sind Mitglieder des Geheimen Etats-Conseils. Der Hof- und Staatskalender nennt aus dieser Zeit eine Unmenge von Namen deutscher Herkunft. Etwa zwei Drittel aller dänischen Grafschaften und Baronien sind in Händen deutscher Geschlechter: Wohin man in Hof, Adel und Beamtenschaft sich wendet, stößt man auf deutschblütige Menschen. Ähnlich ist das Bild innerhalb des Heeres! „Den vorwiegend aus Deutschen bestehenden geworbenen Regimentern gegenüber bedeutete die Landmiliz nicht allzuviel. Die geworbenen Ausländer mußten nach den Reskripten von 1740 und 1742 entweder dänisch oder deutsch verstehen . . . , in den Wachtlokalen Kopenhagens hörte man fast nur deutsche Lieder und die deutsche Sprache." (Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums Bd. II, 2, S. 83/84.) Deutscher Herkunft ist die Mehrzahl der Diplomaten. Der Leiter der Außenpolitik, Johann Sigismund Schulin, stammt aus Prichsenstadt bei Ansbach (f 1750). Des Königs Vetter, Graf Christian Ernst von StolbergWernigerode, hält sich wiederholt in Kopenhagen auf; er wird durch seine gleiche religiöse Gesinnung — Pietistl — Jahre hindurch Christians unentbehrlicher Ratgeber in allen wichtigen kirchlichen und politischen Entscheidungen. Durch ihn sind neue Wellen deutscher Menschen, besonders aus dem Adel und der Geistlichkeit, ins Land gekommen. Ist doch der König eifrig bemüht, seinen Staat nach pietistischen Grundsätzen aufzubauen. Sein Lehrer ist neben dem Mecklenburger I. E. B. von Holstein der Mecklenburger I.W.Schröder gewesen; als Oberhofmeister steht der Mecklenburger Graf Johann Ludwig Holstein in seinen Diensten. Als diesem 1734 die Leitung der deutschen Kanzlei übertragen wurde, schrieb er noch kein einwandfreies Dänisch. Die pietistischen Grafen Isenburg, Reuß und Lynar sind damals nach Kopenhagen gekommen, ebenso die Prediger Johann August Seydlitz und Adam Ludwig Giese aus Wernigerode und der Württemberger Eberhard David Häuber, der Arzt Johann Samuel Carl und zahlreiche andere Männer der Kirche, des Staates, der freien Berufe usw. Auch Graf Zinzendorf hat für kurze Zeit die dänische Hauptstadt besucht (1731). 84

Wieder werden Deutsche zur Förderung von Handel und Wandel ins Land gerufen. Von ihnen organisiert Johann Georg von Langen die Forstwirtschaft; durch ihn erst sind die Rottanne, die Edeltanne, die Lärche in Dänemark eingeführt worden. Damals trat Ludwig von Kahlen in den dänischen Heeresdienst ein; er ist zum Bahnbrecher der Heidekultur geworden. Der Generalbaumeister E. D. Häusser ist der Schöpfer von Christiansborg (1731—45); von Marcus Tucher stammt die Reitbahn mit den Bogengängen. Graf Johann Ludwig Holstein, seit 1734 Leiter der deutschen Kanzlei, erbaut Ledreborg bei Roskilde, einen der schönsten Herrenhöfe des Hochbarocks. Der Baumeister Caspar Friedrich Harsdorff wird damals geboren (1735); sein Vater war aus Nürnberg eingewandert.

Abb. 28: Adam Gottlob Moltke, 1710—1792 Graf, Geheimer Staatsminister, Oberhofmarschall. Gemälde von C.G.Pilo, Original im national-histor. Museum im Frederiksborg-Schloß. (Inventar Nr. 59.)

Die Blütezeit deutschen Lebens- und Kultureinflusses in der Aufklärung Unentwegt durch die Zeiten sind deutsche Menschen den gleichen Weg gegangen. Blut ist zu Blut gekommen; es ist heimisch geworden in der schönen Stadt am Sund, und tausendfältig hat es sich mit dänischem vermischt. Das Bewußtsein seiner Herkunft ist dabei in zahllosen Fällen verlorengegangen. Nun ist es schwer, ja vielleicht unmöglich geworden, den deutschen Anteil in Umfang und Stärke zu ermessen und von dem zu trennen, mit dem er sich verband. Kopenhagen ist blutlich zu einer dänisch-deutschen Stadt geworden.

A b b . 29: Johann H a r t w i g Ernst Bernstorff, 1712—1772 G r a f , Geheimer Staatsminister, Außenminister 1751—1770. Marmorbüste von J. W i e d e w e l t 1776. O r i g i n a l im national-histor. Museum im Frederiksborg-Schloß. (Inventar Nr. 855.)

Unentwegt seit Jahrzehnten hat der deutsche Geist an der Gestaltung des Lebens gearbeitet. Kein Gebiet des vielgliedrigen Daseins, um das er nicht gekreist hätte, das er in stetem Bemühen nicht zu durchglühen bestrebt gewesen wäre. Kopenhagen ist kulturell fast zu einer deutschen Stadt geworden. Ein geborener Mecklenburger, der Vertraute Friedrichs V. (1746—66), der Hofmarschall Adam Gottlob Moltke, wird jetzt der eigentliche Regent des Landes, Graf Johann Hartwig Ernst Bernstorff durch ihn zum Nachfolger Schulins bestimmt; auch er entstammte einem alten mecklenburgischen Geschlecht. Die Namen Moltke und Bernstorff sind mit den Jahren der Blüte Dänemarks in der Aufklärung für immer untrennbar verbunden. Sie sind es auch mit der Blüte der deutschen Kultur in Kopenhagen. Die Zeit der Wirksamkeit beider Männer ist das „Augusteische Zeitalter Dänemarks" genannt worden. Die Äußerungen deutschen Lebens auch nur annähernd zu umreißen, ist in diesem Rahmen völlig unmöglich. Es hieße, eine umfassende Geschichte jener Jahrzehnte überhaupt schreiben; sie ist für den literarhistorischen Sektor von Leopold Magon in seinem die Klopstock-Periode umfassenden Werk gegeben worden. Beamte, Künstler, Gelehrte, Industrielle, Handwerker, Kaufleute strömen in die Stadt am Sund. Damals ist für die Deutschen in Christianshavn die Friedrichs-Kirche gebaut worden (1759). Der Coburger Johann Just von Berger ist königlicher Hofmedicus, der Mecklenburger Christian August Berckentin dänischer Minister, der Pommer Heinrich Carl Schimmelmann aus Demmin Leiter des dänischen Finanzwesens, sein Sohn, Graf Ernst Schimmelmann, später Finanzminister. Der Mecklenburger Ernst Heinrich Berling hat 1748/49 die „Berlingske Tidende" gegründet, ein Deutscher, der Botaniker Georg Christian Oeder, der Verfasser der bekannten „Flora Danica", durch seine Schrift über die Möglichkeit, den Bauern Freiheit und Eigentum zu verschaffen, für die Agrarreform Bedeutendes geleistet. Diese ist fast ausschließlich der Aktivität deutscher Menschen zu danken. Auf den Gütern des Grafen Christian Günther Stolberg, später (1763) auf denen des älteren Bernstorff, sind die ersten praktischen Versuche unternommen worden. Sie haben in der Flurbereinigung sowie, unter Ablösung der Frondienste durch die Erbpacht, in der.Übertragung von Grund und Boden an die Bauern ihre Krönung gefunden. Für die allgemeine Durchführung der Agrarreform von seiten des Staates sind diese privaten Maßnahmen von entscheidender Bedeutung gewesen. Jetzt kommt in demselben Jahr, in dem Voltaire Berlin betritt, durch Vermittlung Bernstorffs Klopstock nach Kopenhagen (1751). In dieser

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Stadt mit deutschem Gepräge wird ihm durch ein Staatsstipendium die Möglichkeit gegeben, seinen „Messias" zu vollenden. Zwanzig Jahre hat er mit kurzen Unterbrechungen in Kopenhagen gelebt, das geistige Oberhaupt der Deutschen, durch Persönlichkeit und Werk von größtem Einfluß aber auch auf die Wiedergeburt der nordischen Götterlehre, der Heldendichtung, des dänischen Altertums und des Volksliedes und schließlich auf das Heimfinden der dänischen Seele zu sich selbst (Ewald, Gerstenberg, Oehlenschläger). Klopstock hat zahlreiche Deutsche nach sich gezogen. Kurz nach seinem Eintreffen in der Stadt am Sund folgte ihm sein Freund Johann Andreas Cramer als Hofprediger nach (1753). Matthias Claudius hat sich in seinem Kreis aufgehalten (1764). Zu den Gründern der „Gesellschaft zur Förderung der schönen und nützlichen Wissenschaften" gehörten u. a. Adolf Gotthard Carstens und Carl Friedrich Kramer. Seit 1763 war Johann Heinrich Schlegel Sekretär der „Gesellschaft". Er ist der Verfasser einer zweibändigen „Geschichte der dänischen Könige aus dem oldenburgischen Stamme" (1769—77). Sie alle standen zu Klopstock in engen Beziehungen. Der bekannte Geograph Anton Friedrich Büsching, der Schöpfer der „Neuen Erdbeschreibung" und zahlreicher anderer Werke, war Deutscher von Geburt, der Schriftsteller der Bernstorff- und der GuldbergPeriode, Peder Frederik Suhm, Sohn eines deutschblütigen Vaters. Der Dichter Johann Elias Schlegel wirkte als Professor an der Akademie in Sorö (1748/49), ebenso der Pädagoge I.B.Basedow (1753—61). Damals kam der deutsche Oberbergrat und Nationalökonom I. von Justi ins Land (1757), der die Vorschläge zur Besiedlung der jütischen Heidegebiete ausarbeitete. Enge Verbindungen bestanden zwischen Kopenhagen und der jungen Universität Göttingen; zahlreiche Dänen haben damals dort studiert. Die berühmte Arabien-Expedition von Carsten Niebuhr wurde 1761 auf Befehl und auf Kosten Friedrichs V. durchgeführt, die wissenschaftlichen Anregungen dazu kamen jedoch aus Göttingen, von Johann David Michaelis; Carsten Niebuhr selber war deutschen Blutes. Der spätere dänische Historiker Rönning hat diese Zeit, die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts, mit folgenden Worten charakterisiert: „Wohin man sich in Dänemarks Hauptstadt wendet, wimmelt es von fremden Gesichtern und Namen. Man findet sie unter den Handwerkern, unter den Fabrikanten, als Schöngeister, im gesellschaftlichen Leben, in den Uniformen des Heeres, auf den Kathedern der Universität und auf den Ministersesseln. Und fast alle diese fremden Gesichter zeigen einen bestimmten Typus und reden eine bestimmte Sprache: Deutschi"

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Bernstorff ist am 15. September 1770 durch den Leibarzt Christians VII. (1766—1808), Johann Friedrich Struensee (geb. 1737 in Halle), gestürzt worden. Dessen betont deutsches Wesen und Auftreten hat ihm den Haß des Dänentums eingetragen. Durch die Schroffheit und Rücksichtslosigkeit seiner im Sinne der extremen Aufklärung durchgeführten Regierungsmaßnahmen ist die Ablehnung verstärkt worden. Die Antastbarkeit seiner privaten Lebensführung — er war der Liebhaber der Königin — kam hinzu: Ein Jahr nach Bernstorffs Sturz ist Struensee einer Verschwörung des Adels erlegen und hingerichtet worden. Aber auch die ihn stürzten, waren in der Mehrzahl deutscher Herkunft (Graf Schack-Rantzau-Ascheberg, General Eickstedt, Oberst Koller u. a.), sein Beichtvater der Prediger an der St.-Petrikirche, der Lübecker Balthasar Münster. An Struensees Stelle tritt jetzt Ole Guldberg, der Erzieher des Kronprinzen. Für den geistesschwachen König wird er, der Nationaldäne und Deutschenfeind, der Leiter der dänischen Politik: Die erste hartnäckige politische Reaktion, der Rückschlag gegen die in vollem Gang befindliche friedliche Eindeutschung des dänischen Lebens, ist erfolgt. In diesen Jahren fällt in einem Schauspiel des deutschblütigen Johann Ewald das W o r t : „Deutsch ist ein Gift fürs Land, all' unser Verdruß ist deutsch!" Dänisch wird wieder die Sprache von Hof und Regierung; die Berufung deutscher Gelehrter, Schriftsteller, Künstler, Handwerker usw. unterbleibt. Das dänische Kommando wird eingeführt (1772), die „Dänische Literaturgesellschaft" gegründet (1775). Eine königliche Verfügung bestimmt, daß „alles, ausgenommen, was unsere deutschen Provinzen angeht, in Zukunft in dänischer Sprache nachgesucht, behandelt, vorgetragen und ausgefertigt werden soll". Das sichtbarste Dokument des neuen Geistes ist die Verordnung über das sogenannte Indigenatsrecht von 1776; nach ihr dürfen in Ämter und Ehrenstellen nur noch Inländer berufen werden oder wenigstens solche, die den Inländern gleichzusetzen sind. Der Zustrom deutschen Blutes ist durch diese Maßnahmen zwar nicht unterbunden, aber doch zurückgedämmt worden; ein erstes, wenn auch zahlenmäßig noch unbedeutendes Abwandern setzt ein. Der Staatsmann Bernstorff und der Dichter Klopstock haben in engen persönlichen Beziehungen zu einander gestanden. Als Bernstorff jetzt das Land verläßt, gehen mit ihm u. a. auch Klopstock und Cramer. Das Deutschtum Kopenhagens hat damit in dem einen seinen gesellschaftlichen, im anderen seinen geistigen Mittelpunkt verloren. Aber der Schaffensdrang der zahllos im Lande verbleibenden deutschen Kräfte hat nicht beeinträchtigt werden können. Von einem Deutschen, um wieder nur ein

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Abb. 30: Christian Detlev Friedrich Reventlow, 1748—1827 Graf, Geheimer Staatsminister; Bahnbrecher der Bauernbefreiung. Gemälde von Chr. Albert Jensen 1833. O r i g i n a l im national-histor. Museum im Frederiksborg-Schloß. (Inventar N r . 812.)

Beispiel für viele zu nennen, dem Chemiker Franz Heinrich Müller, ist damals die königliche Porzellanfabrik gegründet worden (1775); deutsche Künstler waren es, die sie durch ihr Wirken berühmt gemacht haben (A. C. Luplau, J . C . B a y e r , F.A.Schlegel]. Deutsche haben, wie wir bereits hörten, auf ihren Gütern mit den Agrarreformen begonnen, sich für die geistige und materielle Hebung des Bauernstandes eingesetzt und schließlich als erste im Land die Leibeigenschaft beseitigt (Graf Stolberg, J. H. E. Bernstorff, Adam Gottlob Moltke). Im dänischen Heer aber standen im Jahre 1772 bei einer Gesamtstärke von 12681 Mann 3551 Dänen, 1813 Norweger, 1134 andere Ausländer und 7183 Deutsche! Der Kronprinz selber war es, der 1784 seinen langjährigen Erzieher stürzte und an Guldbergs Stelle den jüngeren Bernstorff, Andreas Peter,

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Abb. 31: Andreas Peter Bernstorff, 1735—1797 Graf, Geheimer Staatsminister. Leiter der dänischen Außenpolitik im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Gemälde von Jens Juel, O r i g i n a l im national-histor. Museum im Frederiksborg-Schloß.

(Inventar N r . 2635.)

z u r Führung des Staates berief. Dieser ist bereits seit 1773 das Zentrum der deutschen Adelskreise gewesen; jetzt hat bis z u seinem T o d im Jahre 1797 die Regierung in seinen Händen gelegen. Unter seiner Leitung sind die großen Reformen jener Zeit, die Umgestaltung von Leben und Staat im Sinne der Aufklärung durchgeführt worden. Sie haben ihre Krönung in der allgemeinen Bauernbefreiung gefunden (1786—88). Bernstorff ist durch sie zum Vater des heutigen Bauerntums geworden. Darüber hinaus ist durch seine Maßnahmen die moderne dänische Kulturlandschaft überhaupt erst geschaffen worden. Sie ist ohne Kenntnis der Bernstorffschen Reformen gar nicht zu verstehen. W i r haben davon in anderem Zusammenhang bereits gesprochen.

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Zu Bernstorffs engsten Mitarbeitern gehörten u. a. Graf Ernst Schimmelmann (Leiter des Finanzwesens), Graf Christian Detlev Reventlow (Chef der Rentekammer) und der Holsteiner A. G. Carstens (Chef der Deutschen Kanzlei). Zum letztenmal lag trotz der beginnenden nationalen Spannungen die Führung des Gesamtstaates in deutschen Händen. Unter Bernstorff ist der Hannoveraner G. W . Brüel zum Forstinspektor für die Waldanlage in den Heidegebieten Jütlands ernannt worden; erst durch ihn sind die dänischen Aufforstungsarbeiten in Schwung gekommen. Der Architekt Harsdorff hat damals seine berühmten Bauwerke in der Hauptstadt geschaffen, zahlreiche Privathäuser und Paläste, vor allem die schönen Kolonnaden von Amalienborg. Der Rostocker Christian Konstantin Brun, der Flensburger Chr. Rönnenkamp, der Schleswiger A. Buntzen waren Kaufleute großen Formats mit weltumspannenden Beziehungen. Johann Olfert Fischer kämpfte 1801 auf der Rhede von Kopenhagen als Vizeadmiral gegen die Engländer. Zwei Jahre später wird auf Eingreifen des Finanzministers Graf Ernst Schimmelmann der Sklavenhandel abgeschafft (1803). Nach den Verhandlungsprotokollen der Zunftkommission von 1794 gab es damals in den 34 Zünften insgesamt gegen 1500 ausländische, d.h. überwiegend deutsche Gesellen! Aus der Zahl der Bürgerbriefe, die im Laufe der Jahrzehnte ausgestellt und von Olsen bearbeitet und herausgegeben worden sind, kann eine ungefähre Vorstellung von der Stärke der deutschen Einwanderung gewonnen werden. So ist für das Jahrhundert von 1699—1797 der deutsche Anteil an der Kopenhagener Bevölkerung auf mindestens 22 % errechnet worden, eine Zahl, in der alle diejenigen nicht einbezogen sind, die ohne die Bürgerrechte zu erwerben, in dieser Stadt gelebt haben (Adlige, Beamte, Literaten, Studenten, Handwerksgesellen u.a.). Als Bernstorff stirbt, haben die Deutschen in Kopenhagen nicht weniger als sieben Geistliche: Zwei an der St. Petrikirche, zwei an der reformierten, zwei an der Garnison-, einen an der Friedrichskirche und den Hofprediger. Und doch ist die Zeit höchster Blüte des Deutschtums zugleich eine Zeit höchster tragischer Spannungen. Ein Deutscher, Struensee, stürzte den Deutschen Bernstorff, aber freigemacht wurde dadurch der Weg für den schärfsten Gegner des Deutschtums, für Guldberg. Und als 1784 der jüngere Bernstorff die Regierung übernimmt, stellt sich ihm als Führer der antideutschen Bewegung, der auch Guldberg angehörte, der jüngere Moltke entgegen. Die Väter standen zusammen und kämpften Schulter an Schulter für eine schönere Zukunft der neuen Heimat; die Söhne sind zu erbitterten Feinden geworden. Auch hier ist das Hildebrand-Schicksal Wirklichkeit, das einst mit Armin und Marbod anhub

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und den Weg unserer Geschichte durch die Jahrhunderte begleitet. Immer und immer wieder haben Deutsche gegen Deutsche gestanden, auf den Schlachtfeldern der Erde, als Soldaten, Heerführer, Diplomaten und schließlich selbst als Könige ihrer Völker, überall in der Welt ist deutsches Leben in verschwenderischer Fülle im Dienst fremder Interessen geopfert worden. Das gilt auch für die friedlichen Bezirke des kulturellen Lebens und in viel zu wenig bekanntem Umfang auch für Dänemark. Hier fällt in die Jahre höchster deutscher Entfaltung die Besinnung des Dänentums auf die eigene Volkspersönlichkeit. Angeregt und gefördert aber wurde diese wiederum fast ausschließlich durch Deutsche oder deutschstämmige Menschen. Wie seit Herder bis zur Romantik im Osten der alten Reichsgrenzen die Völker zum Bewußtsein ihrer selbst, ihrer geschichtlichen Vergangenheit, ihres Eigenlebens und ihrer Zukunft geführt wurden, so hat auch das Nationalgefühl der Dänen seine entscheidenden Antriebe von Süden her empfangen. Hier wie dort hat sich die Entwicklung schließlich gegen das Land gewandt, das in so verschwenderischem Maße mit dem Reichtum an Menschen und Ideen Europa befruchtet hat. Damals ist von dem Literarhistoriker Rahbek das Wort geprägt worden, daß in Kopenhagen „jeder mit der deutschen Sprache geboren werde wie mit der Erbsünde". Ist doch Johann Ewald, der Erneuerer der dänischen Dichtung aus dem Geiste Klopstocks, der Schöpfer der dänischen Nationalhymne, in Schleswig geboren und deutscher Abstammung, ebenso wie Wilhelm von Gerstenberg oder wie Adam Oehlenschläger, der Schöpfer von „Der er et yndigt Land"; Henrik Steffens' Vater war Holsteiner, seine Mutter Dänin; in Severin Ingemann floß deutsches Blut. Menschen deutscher Herkunft haben die dänische Malerei (Eckersberg), die dänische Musik (der Schlesier Johann Ernst Hartmann, der Lüneburger Joh. Abr. P. Schulz, der Lübecker F. L. Knutsen, der Altonaer Christoph E. F. Weyse, der Hannoveraner Daniel Fr. Kuhlau), die dänische Bildhauerei (Josef Wiedewelt), die dänische Schauspielkunst (Fr. Schwarz) geschaffen bzw. weiter entwickelt. Deutsche waren es, die die dänische Nationalhymne schließlich auch vertont haben (Kuhlau und Hartmann). Das Deutschtum im 19. und 20. Jahrhundert Mit dem Tode Bernstorffs (1797) beginnt auch im politischen Leben die nationaldänische Bewegung sich allmählich durchzusetzen. Sie ist jetzt unterbaut und getragen von den nach Selbstgestaltung ringenden Kräften der dänischen Seele. Politik und Geistesleben erweisen somit wiederum in einem für die Geschichte beider Völker entscheidenden Augenblick ihre innige gegenseitige Verbundenheit. 93

Für das Deutschtum a b e r b e g i n n t jetzt d i e rückläufige B e w e g u n g . Das B o m b a r d e m e n t d e r H a u p t s t a d t durch d i e E n g l ä n d e r (1807) hat seine wirtschaftliche Kraft erschüttert; d i e Existenz d e r deutschen G e m e i n d e ist d a d u r c h u n d durch d i e n a c h f o l g e n d e n Jahre d e r Z e r r ü t t u n g des Staates schwer b e d r o h t g e w e s e n . Den vereinten A n s t r e n g u n g e n ist schließlich ihre Erhaltung g e l u n g e n . Bis z u r A u f h e b u n g d e r Deutschen Kanzlei im Jahre 1848 h a b e n v o r w i e g e n d d e r e n Beamte ihr Rückgrat gebildet. A b e r schon 1811 ist nach fast 3 0 0 j ä h r i g e r T r a d i t i o n in Store M a g l e b y auf A m a g e r d i e deutsche Sprache in Kirche und Schule a b g e s c h a f f t w o r d e n . 1819 w i r d d e r deutsche G o t t e s d i e n s t in d e r G a r n i s o n k i r c h e eingestellt; d i e Friedrichskirche in Christianshavn ist jetzt das G o t t e s h a u s für d i e g e s a m t e G a r n i s o n K o p e n h a g e n s . 1866 hört er auch hier auf. 1886 verfällt d i e deutsche G e m e i n d e z u Christianshavn d e r A u f l ö s u n g . 1824 schreibt I n g e m a n n unter d e m Eindruck d e r e r w a c h e n d e n W e l t : „ W a s D ä n e m a r k einst w a r , k a n n es w i e d e r w e r d e n I Jetzt ist d e r V ä t e r Geist a m L e b e n I " 1825 w i r d d i e nordische Oldskrifts-Gesellschaft, 1827 die dänische Kunstvereinigung g e g r ü n d e t . G r u n d t v i g , d e r Schöpfer des W o r t e s „ F o l k e a a n d " , b e g i n n t sein W i r k e n : Die S a a t H o l b e r g s ist a u f gegangen. Die antideutsche B e w e g u n g erreicht in d e n Jahren d e r n a t i o n a l e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g b e i d e r V ö l k e r 1848—64 ihren H ö h e p u n k t . Ein Teil der Deutschen hat sich d a m a l s in d i e a l t e H e i m a t , besonders nach Kiel, z u r ü c k g e w a n d t . W a s im Lande b l i e b , ist w e i t g e h e n d umgeschmolzen und in Sprache, Kultur u n d G e s i n n u n g in w e n i g e n Jahren danisiert w o r d e n . N u r d i e St.-Petri-Gemeinde u n d d a m i t d e r ä u ß e r e Rahmen für das Deutschtum k o n n t e e r h a l t e n w e r d e n . N u n a b e r nach d e m Bruch d e r alten deutschen T r a d i t i o n i n n e r h a l b d e r Regierung, b i l d e t e w i e d e r , w i e einst z u A n f a n g d e r Entwicklung, d i e Kaufmannschaft d a s Fundament. Das e h e d e m Kultur und W i r t s c h a f t K o p e n h a g e n s b e s t i m m e n d e Deutschtum ist zur K o l o n i e z u s a m m e n g e s c h m o l z e n . A b e r d i e im dänischen Raum und aus deutsch-dänischem Blut g e b o r e n e n g r o ß e n Ideen eines germanisch-dänischen Menschentums, d i e d e n Beginn des J a h r h u n d e r t s durchleuchten u n d ihm inmitten d e r n a t i o nalen Schmach u n d N o t d i e W e i h e g e g e b e n h a b e n , sind d a m a l s bereits überschattet v o n d e n I d e o l o g i e n des W e s t e n s , v o n D e m o k r a t i e u n d Parlamentarismus. Diese sind es, d i e auch in d e r Folgezeit d e n W e g der dänischen Geschichte bestimmen. Immer seltener klingt durch sie hindurch in Kunst o d e r Leben d a s Lied des dänischen Herzens, mitten in d e n b e t ä u b e n d e n K l ä n g e n einer w e s e n s f r e m d e n G e i s t e s w e l t e r g r e i f e n d in seiner Tiefe u n d W a h r h a f t i g k e i t .

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Die Nachwirkungen des deutschen Kultureinflusses und die Leistungen deutschblütiger Menschen aber sind auch jetzt nicht zu übersehen. Bis in die Mitte des Jahrhunderts sind die Conduite-Listen der dänischen Armee fast ausschließlich in deutscher Sprache geschrieben, noch 1864 etwa die Hälfte aller in der Ordre de Bataille genannten Offiziersnamen deutsche Namen. Die Generale des Schleswig - Krieges wie Schleppegrell, Hedemann, Bülow, Max Müller sind deutscher Abstammung. Der in Parchim in Mecklenburg geborene spätere Generalfeldmarschall Graf Helmuth von Moltke hat im Landkadettenhaus zu Kopenhagen seine erste soldatische Ausbildung erhalten. 1819 ist er Offizier der dänischen Armee geworden.

Abb. 32: Hans Christopher Georg Hedemann, 1792—1859 Generalleutnant, Oberbefehlshaber des dänischen Heeres 1848. Gemälde von Wilhelm Rosenstand 1890. Original im national-historischen Museum im Frederiksborg-Schloß. (Inventar Nr. 523.)

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Das Hotel d'Angleterre ist von Gottfried Rau als Hotel eingerichtet worden (1800). Ein Deutscher, Hans H. Baumgarten, hat den Grundstock zur größten Maschinenfabrik und Schiffswerft Dänemarks gelegt, der A/S. Burmeister & W a i n (1843). Der Gründer der bekannten Universitätsbuchhandlung Reitzel war der Deutsche Carl Andreas Reitzel (f 1853). Noch 1856 erscheint in deutscher Sprache ein „Löblicher Handwerks-Gebrauch- und Gewohnheit der Schornsteinfeger-Gesellen" in Kopenhagen. Nach dem Brand von Christiansborg 1884 wurde der Architekt Theophilus Hansen aus Wien zum Wiederaufbau des Schlosses ins Land gerufen. Die Glyptothek ist von Professor H. Kampmann, der Hauptbahnhof, das Zentralpostamt, der Güterbahnhof von Architekt Professor Wenck, das Post- und Telegraphengebäude von I. Th. Zeltner, die Nationalbank von I. D. Heroldt, das Warenhaus lllum von E. Blichfeldt, die Langelinie von Hammerich erbaut worden. Der Gebäudekomplex des Frederiksberg-Hospitals stammt von H. Meyer, die Lurenbläser am Rathausplatz von Siegfried Wagner, das Gebäude des Obervormundschaftsgerichts von Fritz Schlegel; der Turm der Nicolaikirche ist auf Kosten des Département-Chefs Rentzmann errichtet. Die Aufzählung ließe sich beliebig verlängern; Vertreter aller Berufe könnten sie ergänzen. Die Kraft des Blutes ist wirksam, wenn das Bekenntnis zum Deutschtum auch verlorengeht. Gerade die Schnelligkeit aber, mit der der Umschmelzungsprozeß sich hier vollzog, muß als Zeugnis für die tiefe Artverwandtschaft beider Völker angesehen werden. Wohin wir heute in Kopenhagen uns wenden, stoßen wir auf deutsche Namen. Dabei handelt es sich, wie gesagt, vorwiegend um Geschlechter, die inzwischen völlig danisiert sind, wie es auch in Dänemark „ein häufig wiederkehrendes Phänomen . . . ist, daß Kinder von Eingewanderten von einem besonders wachen und kräftigen Nationalgefühl ergriffen werden, wenn sie mit der dänischen Kultur in Berührung kommen" (Fabricius). Nach wie vor sind die Heiraten über die Grenze hinweg keine Seltenheit. Louis von Kohl erwähnt in seinem schönen Buch „Das dänische Schicksal", daß sich unter den in Kraaks „Blaa Bog" aufgeführten Biographien von rund 3000 berühmten Dänen etwa 40 % deutsche Namen befinden, ungeachtet der vielen inzwischen danisierten wie z. B. Kroyer aus Krüger (Kohl, S. 52). Es wird die Aufgabe künftiger Forschungen sein, durch sorgfältige Spezialuntersuchungen unter Auswertung der Kirchenbücher, des Aktenmaterials der Archive sowie des umfangreichen Schrifttums ein genaueres

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Bild über die Größe des deutschen Blutanteils an der Kopenhagener Bevölkerung in den einzelnen Epochen der Geschichte zu gewinnen, als es hier zu geben möglich war. Die etwa 3000 Reichsdeutschen, die heute in dieser Stadt leben, haben dabei wenig Bedeutung. Nicht die Staatszugehörigkeit, sondern das Blut ist es, von dem hier gesprochen wurde. Politisch haben beide Völker früh begonnen, ihre eigenen Wege zu gehen. Ihre Söhne und Töchter aber haben zu allen Zeiten unbekümmert um staatliche Grenzen zueinander gefunden. Ja, es scheint, als wäre gerade dieses Ineinander der beiden Blutströme besonders segensreich geworden. Groß ist zu allen Zeiten der befruchtende Einfluß der Einwanderer, groß der Anteil deutscher Namen unter den führenden Männern des Landes. Das ist auch von den dänischen Gelehrten immer wieder freimütig anerkannt worden. Aus den Spannungen, in die das Leben durch das Aufeinandertreffen von Norden und Süden versetzt wurde, ist, so scheint es, die Fülle der Leistungen geboren worden. Aus ihr geboren sind zu einem guten Teil auch Temperament und Wesen des Kopenhageners, dieses zähen und zugleich weichen, lebensvollen, leichtsinnig-unverwüstlichen, liebenswürdigen Menschen der schönsten Stadt im Norden. Mit einer Innigkeit und Tiefe haben sich hier zwei Völker miteinander verbunden, wie selten in der Geschichte. Denn auch die deutsche Welt ist an Menschen und Menschenleistungen aus dem kleinen Nachbarland in reichem Maße beschenkt worden. Schon durch unsere Kinderträume ist mit leisem Klingen die dänische Welt gegangen: Andersens Märchen! Dieser aus Dänemark kommenden Befruchtung deutschen Lebens muß besonders gedacht werden. Sie in ihrer Vielfalt und Tiefe aufzuzeigen, ist eine Aufgabe, die einmal in Angriff genommen werden muß. Sie anzupacken, lag nicht im Plan dieses Buches, so wenig wie es die Absicht war, den Einflüssen nachzugehen, die die Stadt aus anderen Quellen (Hugenotten usw.) empfangen hat. Nur die eine, uns am nächsten liegende, die deutsche Welt hat ihre Berücksichtigung erfahren. Denn es schien uns, als sei es nach langen Jahrhunderten der Nichtbeachtung an der Zeit und ein schönes Recht der heute Lebenden, den Wegen der Geschlechter nachzugehen, die vor uns waren und ihrer Arbeit und Leistung in Ehrfurcht uns zu erinnern, auch und gerade wenn sie fremden Staaten zugute gekommen sind. Deren Kraft und Bedeutung wird dadurch in nichts beeinträchtigt. Im Gegenteil: Nur mit Dankbarkeit und Liebe können wir aus unserer großen Heimat über die Grenzen sehen auf die stille, schöne Welt an Sund und Belt, die bei aller Eigengesetzlichkeit mehr deutsches Blut und deutsches Leben in sich trägt, als wir ahnen.

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KOPENHAQEN A L S ERLEBNIS Fahrt durch den Hafen Da liegt sie vor uns im flimmernden Morgendunst, ausgebreitet über die flachen Ufer ihrer Inseln, die Stadt der Türme, ein Bild von seltenem Zauber, wohl vergleichbar mit den Städten der Hanse, Lübeck oder Stralsund, größer zwar in ihren Ausmaßen, aber wie diese voller Geheimnisse einer vielhundertjährigen Geschichte zu Wasser und zu Land. Langsam läuft das Schiff aus dem Sund durch den Kronlöb zwischen den mächtigen Wellenbrechern von Trekroner und Stubbesund in den Außenhafen ein. Ein feiner, schmaler Saum liegt fern im Dunst die Küste von Schonen. Steuerbord leuchten die weißen Zylinder der Tankanlagen auf; zwischen ihnen öffnet sich die Einfahrt zum Freihafen. Dann begleitet Kopenhagens schönste Promenade, die Langelinie, den Kurs des Schiffes bis zu den Grünanlagen des Kastells, über dem die historische Mühle ihre Flügel in den sonnendurchfluteten Himmel reckt. Backbord ist inzwischen der andere Wächter des Hafens, Trekroner, vorübergezogen; trutzig stehen seine massigen Mauern über den Wassern. Und schon hallt von der an Kränen und Masten reichen Werft von Burmeister & Wain auf Refshalen in dumpfen Schlägen der Lärm der Arbeit herüber. Jetzt taucht Nyholm, taucht mit ihrem kronengezierten leuchtenden Turm die Hauptwache auf. Dahinter steht der massige Bau des alten Mastkrans, eine Seemarke der Schiffahrt von heute. In seiner Höhe laufen wir durch den Bomlöb in den Binnenhafen ein. Backbord gleitet der Lagerplatz der dänischen Flotte vorüber; Torpedoboote liegen vor Anker; die alte Kreuzfahne flattert im Morgenwind. Dahinter hämmert und dröhnt es in den Docks der Kriegswerft. Die flachen Gebäude des Arsenals erscheinen. Dann beginnt auf Christiansholm und Christianshavn die Stadt der Lagerplätze, der Packund Stapelhäuser, der Mietskasernen und Fabriken, über dieser quirlenden, pochenden Welt der Arbeit steht strahlend im Glanz der Sonne der goldene Treppenturm der Frelser-Kirche. Langsam ziehen inzwischen steuerbord, wechselnd in Umfang und Höhe, die Speicher und Lagergebäude der Friedrichsstadt vorüber. Die Eckpaläste Amalienenborgs werden für einen Augenblick sichtbar, über Türmen und Dächern thront die gewaltige Kuppel der Marmor-Kirche.

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Und schon wachsen die Kaianlagen der Kvaesthusbro mit ihren Dampfern nach Jütland, nach Aalborg, Fredericia und Aarhus, uns entgegen. Da öffnet sich quer zum Kurs der Nyhavn. Ein Bild emsigen Hafenlebens rollt sich vor uns ab. Kleine Frachter aus der benachbarten Inselwelt löschen ihre Ladung; Berge von Kisten und Säcken liegen am Straßenkai; Karren und W a g e n knattern über das Pflaster, und schweigend durch die Jahrhunderte schauen die Fronten der alten Häuser hernieder. Die Bilder verschwinden; andere erscheinen. Vor der eintönigen Havnegade liegen das Fährschiff nach Malmö, wenig weiter die Dampfer nach Bornholm zur Abfahrt bereit. Da teilen sich die W e g e . Breit und gelassen steht die Einfahrt zum Holmenskanal offen. Die Fassade der Börse zittert leise im dunklen Spiegel der Wasser,- über sie mächtig und stolz, ragt die gewaltige Christiansborg empor; um ihren leuchtenden Kronenturm spielen die Feuer der Sonne.

Abb. 33: Blick von der Havnegade auf die Börse (erbaut 1619—1640 im niederländischen Renaissance-Stil) und auf Christiansborg mit seinem 125m hohen Turm. Im Kanal Treibeis (Anfang April 1941).

Die Fronten verschieben sich; wir gleiten vorüber. Die Knippelsbro öffnet ihre massigen Flügel und gibt die Durchfahrt frei. An den neuen Ufern des alten Schloßholm entlang geht die Fahrt. Vor den Mauern 100

von Christiansborg liegt jetzt die Königliche Bibliothek, quer über die alte Einfahrt zum Kriegshafen Christians IV. Dort ruht unter seinem tiefgezogenen Ziegeldach das alte Brauhaus. Dann fliegt unter den Gewölben der Langebro hindurch der Blick in den Südhafen, den Industriehafen der Stadt. W i r aber wenden den W e g zurück. Fabriken liegen greifbar nahe auf Christianshavn. Noch einmal zieht Schloßholm, noch einmal die Knippelsbro vorüber. Dann stößt mit leichtem Ruck das Schiff ans Straßenquai der Havnegade. Die Brücke zittert leise unter unserem Schritt. W i r stehen an Land. Kopenhagen nimmt uns auf.

Gang durch die Straßen Da liegen sie wieder offen vor uns, die alten Straßen durch die vertraute Stadt. Wunderbar leuchtet die Sonne im Patinagrün der Dächer der Börse. Umrauscht vom Verkehr träumt wie lange schon die Holmenskirche ihren Traum. Und wieder stehen wir im Schatten des mächtigen Christiansborg auf der weiten Reitbahn des Schlosses: Immer geht zuerst vom Hafen, dem einen, zum Schloß, dem anderen Lebensnerv der Stadt der W e g I Voller Erinnerungen vieler Jahrhunderte ist diese Stätte; gewaltig in seinen Ausmaßen ruht vor uns der neue Bau.

Abb. 34: Blick von der Höjbro auf den Fischereihafen und den Gammelstrand. Im Hintergrund der Rathausturm.

Dann trägt aus der W e l t der Könige zwischen den Rokokopavillons die Marmorbrücke uns ins Werktagsleben zurück. Drüben steht mit den Schätzen des dänischen Bodens und der dänischen Geschichte reich beladen das alte Prinzenpalais. Aber nur wenige Schritte weiter — und unter dem Kreischen der Möwen singt über den Fischmarkt die Gegenwart ihr nüchtern-schönes Arbeitslied. Ein paar Gassen und Straßen, ein Hinüber und Herüber, Hotels, die hohe Säule der Lurenbläser: W i r sind auf dem Rathausplatz. W e n n das Grün der Verkehrsampel die Bahn freigibt, spült eine W e l l e von Straßenbahnen und Autos über die Dämme; Schwärme von Radfahrern treiben in ihr mit, ein verwirrendes Spiel; das moderne Kopenhagen umgibt uns. SeineTürme werfen die Schatten über den geräumigen Platz. Ein W a g e n mit Smörrebröd, einer Spezialität der Stadt, steht am Rand; sein Konkurrent mit heißen Wiener Würstchen hält neben ihm. Inmitten des rauschenden, lärmenden Lebens hocken in einer W o l k e von Tauben und Möven ein paar Kinder mit Futterkörnern in den Händen. Vom Rathausturm läutet das Glockenspiel über die Stadt.

Abb. 35: Fischmarkt am Gammelstrand.

Dann treiben wir im Gewühl die enge, gewundene Hauptstraße, den Strög, hinunter; man hat sie nicht zu Unrecht die Friedrichstraße Kopenhagens genannt. Aus den Fensterläden strahlen Reichtum und Eleganz einer kultivierten Stadt uns entgegen. Von Zeit zu Zeit staut sich die Menge vor den neuesten prunkvollen Auslagen. Menschen in gepflegten

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Garderoben stehen um dich herum; eine Wolke von Parfüm zieht vorüber. Von der Straßenecke kommt der Schrei des Zeitungsverkäufers. W i e eine Insel des Friedens liegt die Heilige-Geist-Kirche in dieser geschäftigen Welt. Auf ihrem stillen Friedhof steht die Bronzestatue des Todes, der der gebrochenen Mutter das Kind entführt. Dann öffnet sich Kongens Nytorv, der Grenzplatz zweier Welten innerhalb der alten Stadt. Aus den Hallen des vornehmsten Hotels, des Hotel d'Angleterre, klingt Tanzmusik. Wieder jagt über die Straßen der Wirbel der Autos, Straßenbahnen, Fahrräder. Um die Reiterstatue Christians V. halten Ulmen die Wacht. Das weiße Kreuz im roten Feld, der Danebrog, leuchtet über der mächtigen Kuppel des Königlichen Theaters. Die Torflügel von Charlottenborg stehen offen; die Räume sind mit Gemälden einer Kunstausstellung gefüllt. Eine Schiffssirene heult auf. Die schöne Front der Häuser am Nyhavn spiegelt sich im Wasser. W i r wandern durch die Straßen, über denen die verhaltene Stille alter Paläste liegt. An den Eingängen prangen die Schilder fremder Gesandtschaften und großer Firmen. Lautlos gleitet ein Auto vorüber. Unter den Kolonnaden von Amalienborg hallt dumpf der Schritt der Posten. W i r gehen vorbei: Die Weite des schönen Platzes liegt vor uns.

Abb. 36: Reiterstandbild Friedrichs V. auf dem Amalienborg-Platz; errichtet 1771 nach einem Modell des Franzosen J. F. J . S a l l y .

Im

Hintergrund

das alte Levetzau'sche Palais, jetzt königliche Residenz, mit der Königsstandarte.

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Da kommen fernher die Klänge von Marschmusik uns entgegen: die neue Wache zieht auf! Im Schmuck der mächtigen Bärenmützen, des leuchtend roten Rockes der Festtage über der dunkelblauen Hose wirkt sie vor den stolzen Palästen wie ein Märchenbild aus alten Tagen, über der Residenz flattert die Königsstandarte. Hoch in den Lüften spielen die weißen Flocken der kreisenden Möwen.

Die Melodie der Stadt Da kommt sie wieder, die Frage, die schon so manches Mai uns beschäftigt hat: W a s ist es, das dieser Stadt den eigentümlichen Reiz verleiht, das ihr Gesicht uns so vertraut, ihre Luft uns so lieb macht? Woher rührt der Zauber Kopenhagens? Die Antwort ist gewiß nicht in ein paar nüchterne Worte zu pressen. Viele einzelne Töne hat die Stadt am Sund gemeinsam mit anderen Städten, vor allem des Ostseebereichs. Mancher eigene, oft ganz unscheinbare, aber nur ihr eigentümliche kommt hinzu. Ihrer aller seltsam zarter und doch so eigenwilliger Zusammenklang ist nur in Kopenhagen Wirklichkeit; er erst verdichtet sich wunderbar zu der für diese Stadt charakteristischen Melodie. Vergangenheit und Gegenwart, wie liegen sie hier so nah beieinander! Aus der Welt um Schloßholm führen die Wege in die Stadt Christians IV. und der absolutistischen Herrscher zwischen Marmorkirche und Rosenborg. Dicht dahinter beginnen, schmucklos und nüchtern, die Wohnkasernen des 19. Jahrhunderts. Zwischen ihnen und den Wäldern des Tiergartens von Jaegersborg stehen die Villenviertel der letzten Jahrzehnte. Wer vom Prinzenpalais über Triangeln nach Hellerup wandert, wandert von Zeitalter zu Zeitalter durch die Geschichte! Immer wieder von neuem reizvoll ist das enge Beieinander von Großstadt und Idylle. Dicht neben den Ufern des rollenden Verkehrs ruhen Inseln echt kleinstädtischen Lebens. Im Rosengarten der Königlichen Bibliothek, auf den Wällen von Christianshavn, im Kastell — wer spürt hier die unmittelbare Nähe einer Millionenstadt? Wie aus einer anderen Welt scheinen die Nyboder an den Rand der Mietskasernen verpflanzt zu sein. Ein Schimmer von Poesie liegt über vielen kleinen Straßenzügen und Häusern. Hier hat Andersen seine Märchen geträumt. Das Idyllische dänischen Lebens ist aus seiner Hauptstadt nicht verschwunden. Und doch ist sie nicht nur die größte Skandinaviens, sondern im Verhältnis zur Einwohnerzahl des Landes die größte von ganz Europa: VA der Bevölkerung des Staates ist hier zu Hause! Ihr Werdegang aber

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ist z u g l e i c h d i e L e i d e n s g e s c h i c h t e a l l e r ü b r i g e n S t ä d t e D ä n e m a r k s , g a n z b e s o n d e r s d e r s e e l ä n d i s c h e n ! H i e r h a t in i h r e m S c h a t t e n nicht e i n e e i n z i g e sich u n g e s t ö r t u n d f r e i e n t f a l t e n k ö n n e n . D i e g r ö ß t e v o n i h n e n ist i m m e r noch H e l s i n g ö r ; es h a t einschließlich s e i n e r V o r s t ä d t e noch nicht e i n m a l 3 0 0 0 0 E i n w o h n e r (1940 = 2 7 8 9 3 ) ! Im g a n z e n L a n d ist nur v o n A a r h u s d i e 100 0 0 0 - G r e n z e ü b e r s c h r i t t e n w o r d e n (1940 = 1 2 7 3 6 6 E i n w o h n e r ) . A u ß e r ihm g i b t es nur noch z w e i S t ä d t e mit m e h r als 5 0 0 0 0 E i n w o h n e r n : O d e n s e a u f Fünen (1940 = 9 9 031 E.) u n d A a l b o r g (1940 = 7 4 6 8 1 E.). Es l i e g t e i n e t i e f e W a h r h e i t in d e m W o r t : K o p e n h a g e n ist „ d i e " S t a d t D ä n e m a r k s ; a l l e s a n d e r e ist P r o v i n z . W i e e i n B l u t i g e l h a t es j a h r h u n d e r t e l a n g a m K ö r p e r d e s S t a a t e s g e s e s s e n ; mit H a n d e l u n d W i r t s c h a f t h a t es a u s d e m L a n d u n e r s ä t t l i c h a u c h d i e M e n schen in sich e i n g e s o g e n . Für s e i n e n C h a r a k t e r ist d a s nicht o h n e F o l g e n g e b l i e b e n . Bei a l l e r w e l t s t ä d t i s c h e n I n t e r n a t i o n a l i t ä t h a t es e t w a s U r s p r ü n g l i c h e s , b ä u e r l i c h G e s u n d e s sich b e w a h r t . D a s Idyllische im S t a d t b i l d ist im H e r z e n s e i n e r M e n s c h e n z u t i e f s t v e r w u r z e l t . D a ist w e i t e r d a s w u n d e r b a r e Z u s a m m e n s p i e l v o n W a s s e r u n d L a n d , nicht nur im Bereich d e s v i e l g l i e d r i g e n H a f e n s , s o n d e r n bis w e i t in d i e S t a d t h i n e i n . W o d u a u c h w a n d e r s t , ü b e r a l l bist d u d e m W a s s e r n a h e . Im d i c h t e s t e n V e r k e h r d e s S t r ö g f ä l l t ü b e r d e n B l u m e n m a r k t a m H ö j b r o Platz d e r Blick a u f d i e Brücke a m G a m m e l s t r a n d . D u g e h s t d u r c h d i e W e l t der Mietskasernen und G e s c h ä f t s g e b ä u d e a m Nörrebro,- plötzlich l i e g t v o r d i r d i e w e i t e Fläche d e s P e b l i n g e - S e e s . A u s d e m H ä u s e r w i r b e l u m d i e U n i v e r s i t ä t z i e h t es dich v o r d i e T o r e d e s Ö r s t e d t - P a r k s ; in seiner M i t t e stehst d u a m U f e r v o r n e u e n P a r a d i e s e n d e r W a s s e r v ö g e l . W e i t d r i n n e n in B i s p e b j e r g umschließt v o n d e n H ö h e n d e r G r u n d t v i g s k i r c h e dein A u g e den Silberglanz des Sundes. U n d d a z w i s c h e n s p r ü h t im S o n n e n s c h e i n d e r P e r l e n r e g e n d e r S p r i n g brunnen: Der Drachenbrunnen v o r d e m Rathaus, der Storchenbrunnen a u f A m a g e r t o r v , d i e s c h ö n e B r u n n e n s c h a l e C h r i s t i a n s IV. a u f G a m m e l torv, auf deren W a s s e r n a m G e b u r t s t a g des Königs die g o l d e n e n Äpfel springen, der mächtige G e f i o n b r u n n e n a m Beginn der Langelinie, jeder e i n z e l n e v o n i h n e n a u c h als K u n s t w e r k s e h e n s w e r t u n d ein Schmuck d e r Stadt! I m m e r e n d e n d i e W e g e e i n m a l a m W a s s e r . K o p e n h a g e n ist a u c h d a r i n nur e i n S p i e g e l d e s d ä n i s c h e n Landes. Eine W e l t d e r Inseln ist dieses Reich, u n d selbst im g r o ß r ä u m i g e n J ü t l a n d ist d i e See v o n d e n weitesten O r t e n kaum eine T a g e s w a n d e r u n g weit entfernt. U b e r d i e S t a d t hin w e h t d i e S a l z b r i s e v o m S u n d . In ihrer Frische b e stimmt sie d a s k l i m a t i s c h e Bild a u f d a s s t ä r k s t e mit. I m m e r ist e t w a s K r ä f t i g e s in d e r Luft. W e r a u s F a b r i k o d e r G e s c h ä f t ins Freie tritt, w i r d v o n ihm u m f a n g e n . U n d ü b e r d e n f e r n s t e n B e z i r k e n liegt d e r schrille

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Schrei der Möwen. Von wunderbarer Helligkeit sind während der Sommermonate die Nächte dieser Stadt! Ein Abglanz des Tages spielt in sie hinüber! In majestätischer Pracht wölbt der Sternenhimmel sich über dem schlafenden Häusermeer. Da ist weiter der eigentümlich intime Zusammenklang von königlicher und bürgerlicher Welt! Palast und Wohnviertel der Werktätigen sind keine feindlichen Brüder. Die königlichen Gärten stehen dem Volke offen. Schloß Rosenborg hütet die Kostbarkeiten der Herrscher des Landes und gibt sie der Besichtigung frei; Schloß Frederiksberg ist zur Offiziersschule, das Prinzenpalais zum dänischen Nationalmuseum geworden. Die Stille des Platzes von Amalienborg steht im eigentümlichen Kontrast zur geschäftigen Welt der benachbarten St. Kongensgade und des

Abb. 37: Bronzestatue der kleinen Gunver im Rosenborg-Park. (Nach einer Romanze von E w a l d ; Statue von T h . Stein.)

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H a f e n s ; a b e r d e m V e r k e h r ist er nicht verschlossen. W e n n d e r K ö n i g a l l m o r g e n d l i c h u n d o h n e B e g l e i t u n g d u r c h d i e S t r a ß e n reitet, ist d a s m e h r als e i n e Ä u ß e r l i c h k e i t . D a s R e i t e r s t a n d b i l d Friedrichs VII. v o r C h r i s t i a n s b o r g t r ä g t d i e Inschrift: „ D e s V o l k e s Liebe, m e i n e S t ä r k e ! " V o n k e i n e r Seite d e r d ä n i s c h e n P a r t e i e n w e l t ist je g e g e n d a s ä l t e s t e K ö n i g t u m E u r o p a s ernstlich r e b e l l i e r t w o r d e n . D i e M o n a r c h i e t h r o n t nicht in u n n a h b a r e n H ö h e n ; d a s B ü r g e r t u m e m p f i n d e t sie nicht als e i n e f r e m d e W e l t , s o n d e r n als d i e w ü r d e v o l l s t e R e p r ä s e n t a t i o n d e s S t a a t e s . A b e r a u c h d a s A r b e i t e r t u m ist v e r b ü r g e r licht, d e r k l a s s e n b e w u ß t e P r o l e t a r i e r , w i e w i r ihn b e i uns k e n n e n g e l e r n t h a b e n , e i n e u n b e k a n n t e Erscheinung. D e r d ä n i s c h e M e n s c h n e i g t nicht z u E x t r e m e n , a u c h nicht im p o l i t i s c h e n . D a s r a d i k a l e , b e d i n g u n g s l o s e V o r s t o ß e n z u l e t z t e n E n t s c h e i d u n g e n ist ihm nicht g e m ä ß . W e d e r d a s L a n d noch seine S ö h n e s i n d v o n d ä m o n i s c h e r W u c h t . Es g i b t k e i n e n d ä n i s c h e n Faust, u n d Peer G y n t ist a u f d ä n i s c h e m B o d e n e b e n s o und e n k b a r w i e G ö s t a Berling. A b e r durch die Geschichte klingen die M e l o d i e n z a h l l o s e r Lieder u n d G e s ä n g e ü b e r d a s h e i t e r e , f l a c h e Land. S e l t e n ist e i n e S t a d t so reich w i e K o p e n h a g e n a n S i n n b i l d e r n k ö n i g lichen u n d z u g l e i c h b ü r g e r l i c h e n Lebens. T h o r w a l d s e n ist in K o p e n h a g e n g e b o r e n (1768), u n d in d e r B i l d h a u e r e i h a t d a s D ä n e n t u m b e s o n d e r s e i n d r i n g l i c h um S e l b s t g e s t a l t u n g g e r u n g e n . V o n d e r S t a t u e C h r i s t i a n s IV. a n d e n N y b o d e r n bis z u d e r C h r i s t i a n s IX. a u f d e r R e i t b a h n v o n Schloßh o l m — w e l c h e Fülle v o n D e n k m ä l e r n d e r K ö n i g e a u f P a r k a n l a g e n u n d Plätzen! D a n e b e n a b e r s i n d schier u n ü b e r s e h b a r d i e S t a n d b i l d e r v o n M ä n n e r n d e s A d e l s u n d d e s B ü r g e r t u m s als D a n k - u n d M a h n m a l e ü b e r d i e S t a d t v e r t e i l t . A m A n f a n g d i e s e r Reihe steht nicht a u s Z u f a l l d i e Freiheitssäule a u f d e r Brücke v o r d e m H a u p t b a h n h o f ; d i e „ d a n k b a r e n B ü r g e r " h a b e n sie 1797 z u r E r i n n e r u n g a n d i e B a u e r n b e f r e i u n g errichtet. A u f sie s i n d , b e s o n d e r s seit d e r M i t t e d e s v o r i g e n J a h r h u n d e r t s , d i e z a h l l o s e n Stat u e n d e r G r o ß e n d e s L a n d e s a u s d e n B e r e i c h e n d e r Politik u n d d e r Kunst, d e r W i r t s c h a f t u n d d e r W i s s e n s c h a f t g e f o l g t . A u f d e m H ö j b r o Platz steht stolz g e g e n S c h l o ß h o l m r e i t e n d , d e r G r ü n d e r d e r S t a d t , d e r Bischof A b s a l o n , - g e b i e t e r i s c h w e i s t N i e l s Juels in H o l m e n s k a n a l g e g e n K o n g e n s N y t o r v ; in d e r Stille d e s H o f e s d e r H o l m e n s k i r c h e , in d e r e n G r a b k a p e l l e s e i n e u n d N i e l s Juels G e b e i n e r u h e n , blickt T o r d e n s k j o l d uns e n t g e g e n ; v o r d e m E i n g a n g z u m k ö n i g l i c h e n T h e a t e r sitzen H o l b e r g u n d O e h l e n s c h l ä g e r , im Park v o n R o s e n b o r g A n d e r s e n , d e r M ä r c h e n fürst. H i e r steht a u c h , ein P r o d u k t d e s P a r t e i e n g e i s t e s , b r e i t s p u r i g d e r ehemalige Redakteur der „Politiken", der Vertreter der „Radikalen" ( d i e e t w a u n s e r e r f r ü h e r e n S t a a t s p a r t e i entspricht) V i g g o H ö r u p , w ä h -

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rend am Gammelstrand, als wäre sie nur einen Augenblick beiseite getreten, die steinerne Fischverkäuferin auf ihre rastlos tätigen Schwestern herniederschaut. Ist es nicht ein Ausdruck des Schönheitswillens der Dänen und zugleich ihres Reichtums, daß daneben eine Fülle antiker Nachbildungen, allegorischer Darstellungen und Figuren der heimischen Märchen- und Sagenwelt, meist aus Bronze, das Stadtbild bereichern? Die Groteske vor der Glyptothek, die W a l k ü r e vor dem Kastell, die entzückende Mädchenstatue der kleinen Gunver im Rosenborggarten, der alte Fischer in der Strandstraede, der den Knaben im Flötenspiel unterweist — hätte man sie in anderen Ländern nicht längst in Museen z u r Aufstellung gebracht? Eine der anmutigsten, die Meerjungfrau auf der Langenlinie, ist geradezu zum Sinnbild der Stadt, ja in ihrer zarten Verträumtheit zum Sinnbild der dänischen Seele geworden! Nüchterne Erkenntnis der Wirklichkeit und idealisierende Verklärung des Lebens sind in der W e l t dieser Statuen eine wunderbare Vereinigung eingegangen. In ihrer Gegensätzlichkeit und in ihrer Verbindung stellen sie aber zugleich einen bezeichnenden Zug im Dasein des Kopenhageners überhaupt dar. Das Wesen dieser Stadt ist die Arbeit. Daß trotzdem darüber der Glanz des Traumes und der Versonnenheit liegt, macht sie uns be-

Abb. 38: Ganymed mit dem Adler des Jupiter. M a r m o r - W e r k von T h o r w a l d s e n (1817).

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Thorwaldsen-Museum.

sonders lieb. Patinagrün ist die Farbe Kopenhagens; sie leuchtet von Dächern und Türmen ebenso wie aus den Auslagen der Geschäfte in allen Abwandlungen uns entgegen. Nirgends im Norden stehen soviele Gemälde zum Kauf aus wie hier; Kunstausstellungen sind an der Tagesordnung. Groß ist die Zahl der Museen, Galerien und Sammlungen. Das Thorwaldsen-Museum auf Schloßholm, die Glyptothek, die Hirschsprung'sche Sammlung sind weltbekannt. Ihre Säle bergen Schätze von seltener Schönheit. Im Nationalmuseum ersteht aus Funden und Sammlungen von der Steinzeit an die reiche und bewegte Geschichte des Landes vor unseren Augen. Und daneben rollt der Donner der Arbeit unermüdlich über die Stadt. Ihr Aufstieg aus den Tiefen des Sturzes zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ist nicht von allein gekommen. Mit wieviel Mühe und Schweiß, abec zugleich mit welch' klugem Abwägen und blitzschnellem Ausnutzen aller sich bietenden wirtschaftlichen Möglichkeiten ist er erkauft worden. Das gänzliche Fehlen der im Zeitalter der Industrie und der Technik lebenswichtigen Grundstoffe im dänischen Boden, wie Eisen, Kohle und ö l , hat nur durch doppelt intensive Arbeits-, Planungs- und Organisationsleistung ersetzt werden können. Das blühende Leben Kopenhagens ist bitter und schwer erkämpft worden. Aber die Freude am Dasein hat das nicht zu beeinträchtigen vermocht. W i e Nüchternheit und Poesie, so sind auch Arbeit und Vergnügen die innigste Vereinigung eingegangen. Kopenhagen ist bei aller Betriebsamkeit eine heitere und beschwingte Stadt. Der Jütländer von den Ufern der Westsee ist verschlossen, wortkarg und ernst; in Kopenhagen wird er schnell vom rauschenden, wirbelnden Leben erfaßt und geformt. Seine Härten schleifen sich ab, Schritt und Geist werden wendiger, und seine Fäuste lernen rascher zuzupacken. W e r in die Hauptstadt kommt, kommt in eine Welt ständiger wechselnder Bewegung, und die Lebensfreude stellt an seinem Weg. Hier wird viel und schwer gearbeitet und nichts geschenkt; aber es wird auch gern und gründlich gefeiert. Es gibt dafür keinen sinnfälligeren Ausdruck als Tivoli, im Grün der Bäume und unter dem Sternenhimmel, der weltbekannte, niemals leere Vergnügungspark Kopenhagens. Unmittelbar und pochend spürt man hier, wie sonst vielleicht nirgends, den Herzschlag dieser lebensvollen Stadt. W i e hier, so kommen auch in der National-Scala Freude am Essen und Trinken, am gegenseitigen Beieinander und ah Musik, Tanz und Darbietungen aller Art gleichermaßen auf ihre Rechnung. In die Weite des rauchigen Saales aber zaubert der Kopenhagener künstlich die Zeichen seiner Liebe und seiner Sehnsucht: Den Baum und die Wiese und den fernen Blick auf die vertrauten Schlösser Frederiksborg und Rosenborg. 109

Im Café Bristol tönen aus dem Lautsprecher die Melodien moderner Tänze, aber über die Wände ziehen in verhaltenen Farben die Märchengestalten Andersens. Die Speisekarten der Restaurants sind an Mannigfaltigkeit und Länge, die einzelnen Gerichte an Schmackhaftigkeit und Güte kaum zu übertreffen. Die Kinos der Innenstadt sind meist lange vor Beginn der Spielzeit ausverkauft; das Theater hat über mangelnden Besuch nicht zu klagen. Die Kopenhagener Küche, die Kopenhagener Backkunst sind weltberühmt. Und ist es nicht auch ein Ausdruck der Freude am Lebensgenuß, daß neben den Cafés und Restaurants bis weit in die Nacht hinein ausgerechnet die zahlreichen Schokoladenläden geöffnet sind? Und nicht zuletzt: Ist nicht auch die Frau hier leichter, heiterer, lächelnder als bei uns, untadelig als Hausfrau und Mutter der Kinder, und dennoch aufgeschlossener für die Freuden, die das Leben bietet? Hier gibt es keine falsche Prüderie; das Natürliche wird natürlich gesehen und getan. Die Radfahrerin zupft nicht ständig an ihren Röcken, um doch nur vergebens die Knie den Blicken zu verbergen. Das Mädchen ist sich seiner Anmut bewußt; es unterstreicht sie freimütig, es verdeckt sie nicht. Im Sport und im Alltag steht es ebenbürtig und tapfer neben dem Kameraden, dem Mann; im Büro nicht anders als in den sommerlichen Zelten an den Ufern der weiten See. Eine Dänin, Ragnhild Hveger, ist die Schwimmkönigin der Welt; Helsingör ist ihre Heimat. Inge Sörensen, ihre Rivalin, stammt aus Skovshoved, einem nördlichen Vorort Kopenhagens. Dem oberflächlichen Beobachter erscheint die Stadt leicht als mondän, und sie ist im Grunde doch so bürgerlich; sie wirkt vielleicht raffiniert und ist doch so harmlos und so fröhlich naiv; sie gibt sich als international und ist doch echt dänisch. Zwar haben die westlichen Ideologien seit langem Dänemark überfremdet und sein Leben verseucht. Das Judentum hat dabei eine besondere Rolle gespielt, der Kapitalismus hier eine seiner Hochburgen errichtet. Die Parteien zerren am Körper des Staates, und die Sozialdemokratie bestimmt seine politische Ausrichtung. Ihre Sprache ist es, nicht die der dänischen Seele, wenn die hohen Ausgaben für Kosmetika aller Art nicht gestoppt werden, auf der anderen Seite aber als der politischen Weisheit letzter Schluß verkündet wird: W o z u Wehrmacht? Dänemark ist zu klein, um in heutigen Zeiten überhaupt jemals im Krieg bestehen zu können! Es hat auf jeden Fall sich neutral zu verhalten und daher: Weg mit den überflüssigen Ausgaben für Heer und Flotte! Der Kampf um die National-Hymne („Kong Christian" oder „Der er et yndigt Land") ist eine Parteienangelegenheit, nicht eine Sache ur-

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dänischer Gesinnung! Das Heroische ist der Knechtschaft einer materialistischen Welt verfallen, die nivelliert, was die Natur gestaltet, und Schemen an die Stelle blutlicher Nuancierungen setzt. Die Arbeitslosigkeit hat in Kopenhagen erschütternde Ausmaße angenommen; aber weitschauende und radikale Maßnahmen, sie zu beseitigen, bleiben aus. In Hafen- und Arbeitervierteln triffst du auf die traurigen Bilder herumlungernder Männer, wie wir sie aus den dunklen Zeiten der Jahre nach Versailles aus unserer Heimat kennen. In der Ö d e materialistischer Weltanschauung, nicht im dänischen Herzen begründet ist der erschreckende Geburtenrückgang Kopenhagens. Auch gegen ihn ist niemals ernstlich angegangen worden, soviel man darüber auch geschrieben hat. Selten ist eine Stadt so reich an Fahrrädern und so arm an Kinderwagen wie die dänische Hauptstadt! Die Zahl der Ehescheidungen ist erstaunlich hoch, eine Folge der armseligen Auffassung vom Sinn des Lebens und der Ehe in weiten Kreisen der Bevölkerung.

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Abb. 39: Anzahl der Eheschließungen und der Lebendgeborenen auf 1000 Einwohner in Kopenhagen, Frederiksberg und Gentofte-Kommune im Durchschnitt der Fünferjahre 1881/5—1930/5.

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Die krassen Formen individualistischer Haltung, denen man auf Schritt und Tritt begegnet, sind nicht im dänischen Wesen begründet, sondern in der undänischen Erziehung. Es ist eine Verkennung der arteigenen Mentalität, das ständige Pochen auf persönliche Freiheiten und Rechte, auf Selbständigkeit und Unabhängigkeit als in ihr begründet zu bezeichnen. Das dänische Gemeinschaftsgefühl hat vielmehr im Genossenschaftswesen einen ewig gültigen Ausdruck gefunden, jener großartigen, auf freiwilliger Unterordnung des einzelnen unter die Gesetze des Ganzen beruhenden Organisation des Wirtschaftslebens, die so segensreich für die Heimat, so vorbildlich für das Ausland geworden ist. Ein Spiegelbild des verworrenen Lebens sind die Zeitungen. Eine parteipolitische Presse unter kapitalistischer Regie bearbeitet tagaus, tagein die öffentliche Meinung. Die entscheidenden Aktienbesitzer sind hier, wie in zahlreichen anderen Betrieben, zumeist Juden. Große, weitschauende Ideen politischer Zielsetzung sucht man vergebens in ihren Blättern. Mit dem Geist und den Maßstäben eines versinkenden Zeitalters ist aber der gewaltigen Neuordnung der Welt nicht gerecht zu werden. Am Morgen des 9. April ist mehr geschehen, als die Besetzung eines Landes durch fremde Truppen. Ein Staat ist durch die Vollstrecker letzter geschichtlicher Urteile zu geistigen und politischen Entscheidungen allergrößten Ausmaßes aufgerufen worden. Er vermag ihnen nicht mehr auszuweichen, und wie sie ausfallen werden, kann angesichts der Neugestaltung des Erdballes nicht zweifelhaft sein. Man hat gelegentlich von Degeneration des dänischen Volkes und besonders des Kopenhageners gesprochen. Davon kann keine Rede sein. Was darauf hindeuten könnte, ist nichts als die Auswirkung einer gesinnungsmäßigen und politischen Situation, die überwunden werden wird. Damit werden auch deren Folgen entfallen, so wie das Judentum einmal aus den lebenswichtigen Betrieben, aus Presse, Bankhäusern, Fabriken usw. verschwinden wird, in die es sich seit Jahrzehnten festgefressen hat. Die Einwohnerschaft Kopenhagens ergänzt sich laufend aus dem ewigen Lebensquell der Völker, dem heimischen Bauerntum. Dessen Söhne und Töchter bilden auch heute noch die tragende Substanz der Hauptstadt. W o h l erfahren ihre Lebensgewohnheiten hier manche Wandlungen, die Gesundheit und Stärke des Blutes aber bleibt unverändert. Dessen Degeneration ist durch nichts zu belegen, ebenso wenig, wie die der Teile der Bevölkerung, die einst aus deutschen Landen in den Norden kamen. Der schöpferische Wille des Menschen dieser Stadt ist ungebrochen wie die Kraft ihrer Herzen und ihrer Hände. Dänemarks Geschichte der letzten 300 Jahre ist von Tragik umwittert. Der ständig fortschreitende machtmäßige Niedergang, der seit den 112

Tagen Christians IV. das Land betroffen hat, hat verhängnisvolle politische Folgen gehabt. Er ist das Ergebnis der Entwicklung der europäischen Staatenwelt. Inmitten der großräumigen, zahlenmäßig überlegenen Völker seiner Umgebung hat das kleine Dänemark von vornherein einen schweren Stand gehabt. Mit Degeneration seiner Menschen haben diese Ereignisse nichts zu tun. Das dänische und das deutsche Volk sind als Angehörige der gleichen Rasse auf das engste miteinander verwandt; starke Ströme deutschen Blutes haben sich darüber hinaus unmittelbar in die dänische Hauptstadt ergossen. Diese ist in ständiger engster Beziehung zum deutschen Raum entstanden und gewachsen. Zu ihrer Ausgestaltung hat die Arbeit deutscher Menschen jahrhundertelang beigetragen. Der Reiz ihrer Lage, die Nähe der See, der Zauber einer reichen Geschichte kommen hinzu: Kopenhagen ist uns keine verschlossene Welt. Wir gehen durch die Hauptstadt eines fremden Staates und fühlen uns doch heimatlich berührt. Etwas im tiefsten uns Verwandtes liegt in der Luft, und selbst ihre Eigenarten sprechen uns an und sind uns vertraut. Kopenhagen ist an einer Stelle erwachsen, die von Natur in jeder Weise begünstigt ist: Im Bereich der Welt germanischen Menschentums, am Tor zwischen zwei der bedeutendsten Meere des Erdballs, am Schnittpunkt von Straßen, die zu den wichtigsten Europas gehören. Beidem, seiner Lage am Sund und im Lebensraum der tüchtigsten Rasse verdankt es Wachstum und Bedeutung und nicht zuletzt die jedesmalige Wiederauferstehung zu neuer Blüte nach den Zeiten der Depression des Staates. Beides ist auch in Zukunft der sicherste Garant für ihr Leben. Denn gerade für Dänemark ist die geographische Lage in besonders eindrucksvoller Weise zum Schicksal geworden. Es zu meistern, mit all den Problemen, die daraus sich ergeben, wird immer sein höchstes Ziel sein müssen. Kopenhagen aber werden in einem neuen, größeren Europa, dessen Umrisse aus dem Wirbel der Zeit sich bereits abzuheben beginnen, Aufgaben gestellt sein, deren Umfang und Größe heute kaum erst zu ahnen sindl

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Kobenhavn og Frederiksberg. Fjerde Omarbejdede Udgave. Kabenhavn 1929.

Statistische Unterlagen für die graphischen Veranschaulichungen Danmarks Statistik = Statistisk Tabelvaerk. Folketaellingen i Kongeriget Danmark. Udgivet af det Statistiske Departement. (Erscheint seit 1901.) Danmarks Statistik Danmarks Staiistik = Statistik Aarbog. (Erscheint seit 1896.)

Udgivet

af det statistiske

Departement.

Danmarks Statistik = Statistiske Efterretninger. Udgivet af det statistiske Departement. (Erscheint seit 1908.) Danmarks Statistik = Statistiske Tabelvaerk. Udgivet af Statens Statistiske Bureau. Gerade Nummern = Danmarks Vareindförsel og -udförsel; ungerade Nummern = Danmarks Handelsflaade og Skibsfart. (Erscheint seit 1852/4.) Dcnmarks Statistik = Statistiske Meddelser. Udgivet af Statens Statistiske Bureau. (Erscheint seit 1852.) Statistik Aarbog

for K 0 b e n h a v n , Fredericsberg og Gentofte Ko'mmune. Udgivet af Kobenhavns Statistiske Kontor. (Erscheint seit 1919.)

Tabelvaerk

til Kabenhavns Statistik: a) Tabellarisk Fremstilling af Ejendoms-Beboelses og Husleje—Forholdene; b) Tabellarisk Fremstilling af Befolknings Fordeling. Udgivet ved Kgbenhavns Kommunalbestyrelses Foranstaltning. Paa Grundlag af Folketaellingen. Erscheint seit 1880; seit 1916 als Statistisk Maanedsskrift. Udgivet af Kobenhavns Statistiske Kontor.

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1801

82 086 104 109

1835

1845

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1860

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