Kooperation: Zur Zusammenarbeit von Ingenieur und Architekt 9783034610568, 9783034607933

Ein neuer Blick auf die enge Zusammenarbeit

322 103 18MB

German Pages 284 Year 2011

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Table of contents :
Zum Buch
Vorwort
Neugieriges Grenzgängertum
A. Theorie
Technik als Ausdrucksmittel im 19. Jahrhundert Architekten und Ingenieure im Dialog
Wegbereiter und Projektionsfläche Vereinnahmung des Ingenieurs im Neuen Bauen
Die Kultur der Konstruktion-Einige Beispiele der letzten 50 Jahre zu einer bemerkenswerten Entwicklung
Tragwerkskonzeption und Raumgestaltung Zum Verhältnis zwischen Architekt und Ingenieur
B. Recherche
Das Zusammenspiel technischer und architektonischer Aspekte am Beispiel des Palazzo della Regione in Trento (I) des Architekten Adalberto Libera und des Ingenieurs Sergio Musmeci
Neue Wege für Holztragwerke. Das Forschungslabor IBOIS an der EPF Lausanne
Tetto gigantesco - andersgroßes Dach Hintergründe einer Recherche
Modellfotos
C. Praxis
Deviationen
Struktur und Raum
Jeder das Seine
Ein Annäherungsprozess
Über das Entwerfen von Tragwerken
Architektonische Akupunkturen an der Autobahn A16 Transjurane
Spielräume - Spielregeln
Wechselseitige Offenlegung und Selbstvergewisserung
Starke Strukturen
Metadialog
D. Lehre
Tragwerkswissenschaft und Tragwerkslehre
Kunst und Wissenschaft
Konstruieren als Wissenschaft
Die Konstruktion formt Material zu Raum
Programm und Tragstruktur
Autoren und Interviewpartner
Literaturliste
Bildnachweis
Dank
Impressum
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Kooperation: Zur Zusammenarbeit von Ingenieur und Architekt
 9783034610568, 9783034607933

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Aita Flury (Hg.)

Kooperation. Zur Zusammenarbeit von Ingenieur und Architekt

05  Andrea Wiegelmann  Zum Buch 07  Elisabeth Boesch  Vorwort 09  Aita Flury  Neugieriges Grenzgängertum

A

  Theorie 19 Marco Pogacnik 



33 Christoph Wieser Wegbereiter und Projektionsfläche Vereinnahmung des Ingenieurs im Neuen Bauen

Die Kultur der Konstruktion Einige Beispiele der letzten 50 Jahre zu einer bemerkenswerten Entwicklung

57  Christoph Baumberger

Das Zusammenspiel technischer und architektonischer Aspekte am Beispiel des Palazzo della Regione in Trento (I) des Architekten Adalberto Libera und des Ingenieurs Sergio Musmeci

91 Yves Weinand Neue Wege für Holztragwerke Das Forschungslabor IBOIS an der EPF Lausanne

41 Christian Penzel

Recherche 75 Jürg Conzett 

Technik als Ausdrucksmittel im 19. Jahrhundert Architekten und Ingenieure im Dialog



B

Tragwerkskonzeption und Raumgestaltung Zum Verhältnis zwischen Architekt und Ingenieur

2

103 Aita Flury und Jürg Conzett Tetto gigantesco – andersgroßes Dach Hintergründe einer Recherche

114 Modellfotos

C

  Praxis

208 Metadialog

D

  Lehre

133 Markus Peter

243 Joseph Schwartz 

Deviationen



139 Andreas Hagmann

249 Christoph Wieser





Struktur und Raum

Tragwerkswissenschaft und Tragwerkslehre

Kunst und Wissenschaft

147 Mike Schlaich 

257 Mario Monotti





Jeder das Seine

153 Roger Boltshauser, Aita Flury und Jürg Conzett

Konstruieren als Wissenschaft

263 Paul Kahlfeldt

Die Konstruktion formt Material zu Raum

Ein Annäherungsprozess

161 Stefan Polónyi

269 Roger Boltshauser, Aita Flury und Jürg Conzett  





Über das Entwerfen von Tragwerken

169 Renato Salvi Architektonische Akupunkturen an der Autobahn A16 Transjurane

175 Elisabeth und Martin Boesch, Carlo Galmarini, Urs B. Roth und Judit Solt  Spielräume – Spielregeln

Programm und Tragstruktur

274 Autoren und Interviewpartner 277 Literaturliste 279 Bildnachweis 283 Dank 284 Impressum

185 Adolf Krischanitz und Aita Flury Wechselseitige Offenlegung und Selbstvergewisserung

193 Heinrich Schnetzer, Aurelio Muttoni, Joseph Schwartz und Aita Flury  Starke Strukturen

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Zum Buch Andrea Wiegelmann

„Wir haben ein grundsätzlich falsches Rollenverständnis,… wenn wir die Berufsbilder des Architekten und des Bauingenieurs wie üblich so definieren, dass der eine für die Gestaltung (und die Konstruktion) und der andere für die Statik (und die Technik) zuständig ist. … was die Verantwortungsbereiche absteckt, ist die Aufgabenstellung, die Unterschiedlichkeit „ihrer“ Bauwerke. Der Architekt formt Objekte, die einen komplexen menschlichen Bedarf unmittelbar befriedigen sollen und deshalb multifunktional sind. Er bildet Räume, die von Menschen benutzt werden. … Der Ingenieur hingegen formt Objekte, die in „nur“ mittelbarem Bezug zum Menschen stehen. Sie dienen einem einzelnen, ganz speziellen Zweck, sind relativ groß oder schlank, so dass sich ihre Form oder Gestalt aus der Forderung ableitet, Belastungen zu widerstehen. Die Objekte des Ingenieurs im engeren Sinn sind Tragwerke. …“1 Eine treffende Beschreibung zur Unterscheidung der Aufgabenfelder von Ingenieur und Architekt liefert auf diese Weise Jörg Schlaich2. Obwohl beide Disziplinen an ein und demselben Bauwerk arbeiten, sind ihre Blickwinkel doch verschieden. Es bedarf der Neugier auf den anderen, Interesse an seiner Arbeit, seinem Denken, eine Bereitschaft, sich auf seine Sprache einzulassen, um das Nebeneinander der Disziplinen in eine fruchtbare und nachhaltige Zusammenarbeit zu überführen. Dies ist, und das spiegeln die Beiträge in diesem Buch wider, nicht zuletzt entscheidend für die ganzheitliche Betrachtung und Realisierung von Gebäuden. Gelingt es, die Begeisterung der Architekten für ihren Entwurf, die gestalterisch-räumliche Umsetzung, zu der Begeisterung der Ingenieure für das Tragwerk in Beziehung zu setzen, können Gebäude entstehen, die dazu geeignet sind, das Bauen an sich ein Stück weiter zu denken. Man kann, wie Aita Flury in ihrer Einführung andeutet und u.a. Christoph Baumberger in seinem Beitrag ausführt, die Zusammenarbeit, die Kooperation zwischen Ingenieur und Architekt als Beitrag zur Baukultur begreifen. Peter Rice3 geht noch weiter, indem er das Innovationspotenzial, das in diesem Miteinander liegt, zum humanistischen Prinzip erhebt. Dieses Buch bietet nicht nur einen Einblick in die vielschichtige Beziehung der beiden Professionen, es führt von der historischen Analyse und der theoretischen Annäherung über die Untersuchung von Teilaspekten, wie etwa der Beziehung von Tragwerk und Raum oder der anschaulichen Reflexionen einzelner Akteure zum Prozess des Entwerfens und Bauens, hin zur Vorstellung von Ansätzen dazu, das Rüstzeug für zukünftige Kooperationen den Architekten in der Ausbildung an die Hand zu geben. Wie vielfältig und komplex, wie aufreibend und gleichzeitig inspirierend die Kooperation zwischen Architekt und Ingenieur sein kann, davon vermittelt dieses Buch einen umfassenden Eindruck. Wenn es ermutigt, sich eben darauf einzulassen, dann ist viel erreicht.

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1

Jörg Schlaich in: Klaus D. Weiß: Von Gerkan, Marg und Partner. Unter großen Dächern, Wiesbaden 2004

2

Jörg Schlaich, emeritierter Professor an der Universität Stuttgart und Mitinhaber des Ingenieurbüros Schlaich Bergermann und Partner

3

Peter Rice (1935–92), irischer Ingenieur, gründete 1977 mit Renzo Piano L’Atelier Piano & Rice

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Vorwort Elisabeth Boesch

2006 zeigte das „Architektur Forum Zürich“, damals noch in den Kellerräumen eines Altstadthauses, eine kleine, feine Ausstellung, die einige Architekten und Ingenieure aus der Schweiz zu ihrer Zusammenarbeit über die Grenzen der Disziplinen hinweg befragte. Die Ausstellung „Dialog der Konstrukteure“ – wohltuend uneitel – konzentrierte sich auf die Aussagen der Ingenieure und Architekten in Zeichnung, Modell, Bild und Wort und verzichtete auf ein Inszenierungsspektakel, das den Blick auf den Inhalt verstellt hätte. In meiner Funktion als Vizepräsidentin des Bundes Schweizer Architekten (BSA) wurde ich in das Steuerungsgremium delegiert, das für die von der Schweizerischen Botschaft in Berlin initiierte Plattform „Baukunst im Dialog“ Vorschläge für Ausstellungen und Veranstaltungen erarbeiten und deren Umsetzung begleiten sollte. So lag es für mich als langjährige Mitstreiterin des Architektur Forums Zürich auf der Hand, die Ausstellung „Dialog der Konstrukteure“ vorzuschlagen in der Absicht, sie in einer erweiterten Form neu aufzulegen. Der Dialog – im Titel der Ausstellung wie im Titel der Plattform präsent – sollte sich auf verschiedenen Ebenen abspielen: innerhalb der beiden Disziplinen, zwischen den Disziplinen, zwischen Laien, Studierenden und Fachleuten, zwischen den Berufsverbänden, über die Landesgrenzen hinweg. Die Ausstellung wurde im Frühjahr 2010 im DAZ, dem Deutschen Architektur Zentrum in Berlin, realisiert und war ein großer Erfolg, nicht zuletzt wegen der zwei prominent besetzten Symposien, die ihren Niederschlag in einer kleinen Publikation fanden. Diese ist nun in erweiterter Form neu aufgelegt und erscheint im Herbst 2011, rechtzeitig zu einem weiteren Symposium zur Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur, das dieses Mal an der ETH Zürich stattfindet. Mein Dank gilt Aita Flury, die mit Hartnäckigkeit und großem Engagement dieses Buch überhaupt erst möglich gemacht hat, meinen Kollegen im Zentralvorstand des BSA, der Gesellschaft für Ingenieurbaukunst und dem Departement Architektur der ETH Zürich für ihre ideelle und finanzielle Unterstützung des Projekts.

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Neugieriges Grenzgängertum Aita Flury

„Et sur la sphère de l’architecte apparaît un reflet d’ingénieurie: le reflet de la connaissance des lois physiques. Et sur la sphère de l’ingénieur apparaît, de l’autre côté, un reflet d’architecture: le reflet des problèmes humains.“

Le Corbusier

„Das Widerstreben ist die Form der Kraft.“

Nietzsche

In der 500 Seiten starken Forschungsarbeit „Architect and Engineer. A Study In Sibling Rivalry“1 formt der Autor Andrew Saint die Schlussfolgerung seiner ausführlichen, architekturhistorischen Forschung zum Verhältnis von Architekt und Ingenieur um drei Fragen herum: Die Frage nach der einstigen Ununterscheidbarkeit der beiden Disziplinen bejaht er für den Zeitraum zwischen 1400 und 1750. In dieser Epoche hing die Bezeichnung Architekt oder Ingenieur vor allem mit den jeweiligen Projekttypen und ihren zugehörigen Hierarchien bzw. Institutionen (König, Militär, Kirche etc.) zusammen. Die Unterscheidung bezog sich aber weder auf verschiedene Bautechniken, -konstruktionen noch auf unterschiedliche Entwurfsfähigkeiten. Die Frage nach dem Wann und dem Warum der darauffolgenden Separierung der Berufsstände legt Saint, wie gängig, in die Periode zwischen 1750 und 1900. Die kontinuierliche Nachfrage des 19. Jh. nach neuen Bau- und Konstruktionstypen, das Aufkommen neuer Materialien und ihre nun wissenschaftliche Berechnung führten zwangsläufig zu unterschiedlichen Fähigkeiten und damit zu einer Spezialisierung. Diese ist gemäß Autor aber eher zu einem späteren als früheren Zeitpunkt anzusiedeln. Als Antwort auf die Frage nach der Relation der beiden Disziplinen im 20. Jh. diagnostiziert er eine Wiedervereinigung: Diese gründe auf dem Bedürfnis, der Tendenz der professionellen Fragmentierung und dem damit einhergehenden Mangel an Einheit und Ganzheit – wofür das 19. Jh. gerne kritisiert wird – entgegenzuwirken. Im 20. Jh. arbeiten Ingenieur und Architekt, die nun mit jeweils unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet sind, an den gleichen Projekten. Als gängigstes Modell entwickelt sich dabei eine Form der Zusammenarbeit, in welcher der beratende Ingenieur dem fragenden Architekten zu einem von Letzterem gewählten Zeitpunkt antwortet. Dieses durchaus dialektische Verhältnis steht nach Saint heute, am Eingang des 21. Jh., auf der Kippe: Der Ingenieur verschwindet in einer Masse von gleichwertigen Beratern, Fachplanern und Subunternehmern

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Andrew Saint, Architect and Engineer. A Study in Sibling Rivalry, Yale University Press, New Haven and London 2007

und/oder lässt sich in einer auf Kunstobjekte und mediale Symbolik ausgerichteten Welt aus dem Vernunftstempel zerren und vom Architekten für die vorgegebene Form instrumentalisieren. Die Konklusion einer anderen Publikation an den Anfang des vorliegenden Buches zu stellen, mag ungewöhnlich erscheinen, doch bietet das knappe Résumé die ideale Verortung für die vorliegende Materialsammlung zur gegenwärtigen Zusammenarbeit zwischen Ingenieur und Architekt. In den letzten zweihundert Jahren Baugeschichte ist das Verhältnis zwischen den beiden Disziplinen und ihre gegenseitige Einflussnahme stets kontrovers diskutiert worden. Heute scheinen wir in der Tat an einem Punkt angekommen zu sein, wo der „Grund der Form“ wenig konstruktiv ist, wo Raum unbekümmert von der Wirklichkeit der Konstruktion gebildet wird. Als Folge davon sieht der Architekten-Künstler den Ingenieur oft wirklich als reinen Dienstleister, der die kalkulatorischen Instrumente liefert, als Mittel zum Zweck, der eine ästhetische Absicht umsetzen, baubar machen kann. Entgegen dieser weit verbreiteten Ansicht zielte die 2006 im Architekturforum Zürich lancierte Ausstellung „Dialog der Konstrukteure“ darauf ab, zu zeigen, dass das Rollenverständnis zwischen Architekt und Ingenieur durchaus inspirierter sein kann. Den Nährboden für diese Hypothese bildeten einige Bauwerke, die in den vorangegangen 15 Jahren in der Schweiz entstanden – oder gerade im Entstehen waren – und die ihre Kraft gerade aus der Affirmation einer Entwicklungsnähe zwischen Architekt und Ingenieur zu beziehen schienen. Das Kuratorium dieser Ausstellung bedeutete für mich einen Sprung ins Dunkle. Mein Zugang zum Thema war intuitiv und autobiografisch geprägt und basierte vorerst weniger auf theoretischen Studien als vielmehr auf den eigenen Erfahrungen bezüglich Grenzen und Potenzial der Zusammenarbeit aus meiner praktischen Arbeit als Architektin. Geprägt von „Lehrjahren“ bei und von der Kooperation mit einigen an der Ausstellung Beteiligten, war meine Perspektive auf das Thema zweifellos gerichtet. Die Ausstellung erschien mir als Möglichkeit, anhand einiger mehr oder weniger bekannten Bauwerke zu zeigen, dass die Anstrengungen einer produktiven Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur oft im Verborgenen bleiben und das intellektuelle Erkennen ihres Mehrwerts einer Art „zweiten Sehens“ bedarf. Es handelte sich um Projekte, bei denen die Architekten- und Ingenieurautoren Technik entwerferisch anders besprechen wollten, als diese in Offensichtlichkeit zur Schau zu stellen. Ihre Strategien gründeten auf konstruktiver Subtilität und verzichteten auf schnelle Lesbarkeit – gerade dadurch wirkten sie nachhaltig auf unsere „sinnliche Intelligenz“ ein. In den Projekten schimmerte eine Balance auf zwischen den Möglichkeiten des konstruktiven Entdeckens und der gleichzeitigen räumlichen Sicherheit der Entwerfer. Die Resultate waren offensichtlich Abbilder von dialogischen Verhältnissen zwischen den zwei Disziplinen und einer neuen Kultur des Konstruierens, die auf einer eindrücklichen Hartnäckigkeit und Geschicklichkeit im gemeinsamen Entwickeln gründete. Als wichtige Basis dafür entpuppte sich die Interpretation der Bauaufgabe als eine von Ingenieur und Architekt zusammen konzipierte Problemstellung, sozusagen ein freiwilliger Zwang

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Neugieriges Grenzgängertum

zu gemeinsamen Schnittstellen. Am evidentesten trat dies bei Platten-ScheibenKonstruktionen in Erscheinung, denn stärker als jedes andere Tragwerk sind diese in sich raumbildend, d.h., Primär-Konstruktion und Raum sind unweigerlich miteinander verschränkt. Der deutsche Architekt Fred Angerer hatte solchen Flächentragwerken bereits in den Sechzigerjahren die bemerkenswerte Publikation „Bauen mit tragenden Flächen“ gewidmet: Angerer war von den großen gestalterischen Möglichkeiten solcher Flächensysteme überzeugt und untersuchte Aspekte zur konsequenten Gestaltung solcher Bauten, indem er die konstruktiven Gegebenheiten der Systeme analysierte. An lapidaren und elementaren Grundstellungen von Scheiben zeigte er auf, wie diese im Zusammenhang und nur im Zusammenwirken statisch funktionieren, und beschäftigte sich dann mit den daraus folgenden Gestaltungsproblemen: „Die fehlenden Raumseiten bringen architektonisch schwerwiegende Konsequenzen. An die Stelle des allseits umschlossenen Raums tritt die Raumandeutung, statt einer strengen Begrenzung einzelner Räume fließen diese ineinander. Das Raumgefühl wandelt sich.“2 Diese Art von Tragwerk führt also zu einer neuen räumlichen Verteilung von offen und zu, von schwer und leicht. Räumlich und statisch interessant werden diese Systeme in ihrer Entwicklung über mehrere Geschosse: Indem sie als brückenähnliche Konstruktionen entwickelt werden können (die Obergeschosse überspannen z.B. das Erdgeschoss stützenfrei), eignen sie sich dazu, Räume mit großen Spannweiten mit darüberliegenden, kleinerteiligen Raumstrukturen zu kombinieren. Das Tragverhalten der verschiedenen Elemente bleibt optisch interpretierbar und ist nicht auf den ersten Blick klar, sodass den Systemen etwas mehrfach Lesbares und Uneindeutiges aneignet. Ihr ambiguer Ausdruck oszilliert zwischen dem Ingeniösen und dem Architektonischen, was den für beide Seiten reichlichen Findungsstoff gleichsam schön illustriert.

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Fred Angerer, Bauen mit tragenden Flächen. Konstruktion und Gestaltung, Georg D.W. Callwey, München 1960, S. 61

Titelblatt und S. 57 Fred Angerer, Bauen mit tragenden Flächen. Konstruktion und Gestaltung, Georg D.W. Callwey, München 1960

3 Aita Flury, Dialog der Konstrukteure, Niggli Verlag, Sulgen 2010

Da dieses Grenzgebiet zwischen Architektur und Bauingenieurwissenschaft die paritätische, „intime Kollaboration“ par excellence zeigte, wurde es zu einem wichtigen Ausgangspunkt und Eckpfeiler für die Ausstellung. Die Spurensuche nach den Bedingungen, Möglichkeiten und den Grenzen dieses Dialoges führte natürlich aber auch zu aufgelösteren, hybrideren Strukturen und zu hierarchischeren Verhältnissen der Zusammenarbeit: Modelle, in denen der Ingenieur auf die architektonische Idee einwirkt, indem er den prioritären Einfall des Architekten umdeutet, umwandelt oder die Konstruktion in ein architektonisches Bild „einarbeitet“. Die Ausstellung war insgesamt als dialogische Plattform konzipiert, die in der Beschreibung unterschiedlicher Stile des Dialogs die Möglichkeit einschloss, diese weiterzuführen. Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, hatte dem Format anlässlich seiner Ausstellungseröffnungsrede eine „unzeitgemäße Hartnäckigkeit“ attestiert. Dies hat sich insofern bewahrheitet, als dass die Tafeln und Modelle ihren Weg durch die gesamte Schweizer Hochschullandschaft fanden und in diesen Kontexten zahlreiche Rahmenveranstaltungen mit Vorträgen und Diskussionen zwischen Praktikern aus beiden Disziplinen stattfanden. Die Textbeiträge der Ausstellung wurden in der Publikation „Dialog der Konstrukteure“3 dem interessierten deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht, eine Veranstaltungsfolge mit nach vorn offener Bewegung war in Gang gesetzt worden. Schließlich war es der Bund Schweizer Architekten (BSA), der die Pflege dieses öffentlichen Diskurses zwischen den Disziplinen nachhaltig fördern und ihm einen neuen Impuls geben wollte: Durch das persönliche Engagement der Vizepräsidentin Elisabeth Boesch fand die erweiterte Ausstellung „Dialog der Konstrukteure“ als Schlussveranstaltung der Plattform „Baukunst im Dialog“ im Frühling 2010 den Weg ins Deutsche Architekturzentrum (DAZ) in Berlin. Anlässlich der beiden in diesem Rahmen veranstalteten Symposien mit internationaler Besetzung entstanden weitere, neue Textbeiträge und Interviews, die dann als aktuelle Positions- und Basispapiere vorerst in einem Katalog im Eigenverlag zusammengestellt wurden. Diese Essays und Gesprächsformen umkreisten die Themenkomplexe der praktischen Zusammenarbeit aufs Neue, sei es in Wettbewerben oder in der konkreten Praxis. Das Spektrum wurde durch Beiträge über Ausbildungskonzepte an diversen Hochschulen und Forschungsthemen erweitert. Die hier vorliegende Publikation basiert grundsätzlich auf diesen Berliner Beiträgen, wurde nun aber nochmals um einige Essays mit geschichtlicher/theoretischer Perspektive ergänzt: die Aufsätze, die das Verhältnis zwischen den Disziplinen innerhalb bestimmter, vergangener Epochen beleuchten, schaffen die Verbindung der Reflexion der zeitgenössischen Praxis mit dem historisch Situierten. Alle Beiträge stammen (mit Ausnahme des Beitrags des Philosophen Christoph Baumberger) von Praktikern (Architekten und Ingenieuren) oder Lehrenden in den beiden Disziplinen. Die Materialsammlung gründet immer noch auf der anfänglichen Idee, die Rede zum Thema vor allem den Bauenden mit ihren verschiedenen Erfahrungen zu überlassen und so eine fruchtbare Mischung verschiedener Sichtweisen abzubilden. Neue persönliche Begegnungen, vor allem auch die sich engagie-

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Neugieriges Grenzgängertum

Le Corbusiers Skizze „Les Constructeurs“, die er wie folgt erklärt: „Im Schema ist die Domäne des Ingenieurs als gestreifte Fläche angelegt, währenddem die Domäne des Architekten gepunktet dargestellt wird. Unterhalb dieses symbolischen Zeichens von Synthese verzahnen sich die 10 Finger zweier Hände miteinander, horizontal auf gleicher Höhe, geschwisterlich, beide solidarisch damit beschäftigt, das Equipment der Technikgesellschaft zu realisieren. Das ist das Zeichen der Konstrukteure.“ In: Science et Vie, 1960

renden Verbände und Institutionen haben den Kreis der Involvierten aufgeweitet: Als vereinigendes Prinzip ist der Anspruch geblieben, dass jeder Text eigens im Zusammenhang mit dem „Dialog der Konstrukteure“ verfasst wurde und Aussagen zur Kooperation zwischen den Disziplinen herausgeschält werden sollten. Die Sammlung ist keine Aufarbeitung der Konstruktionsgeschichte, sondern vielmehr ein Lesebuch, das mittels der darin versammelten Beispiele Inspiration für eine ertragsreiche Kooperation sein will und so über ein reines Abbilden der momentanen Situation hinauswirken kann. Bereits die Ausstellung hatte gezeigt, dass niemand ernsthaft die Separierung der zwei Disziplinen in Frage stellt. Die Prämissen einer produktiven Zusammenarbeit beinhalten dementsprechend keine Kompetenzverschiebungen innerhalb der zwei Berufsfelder, sondern beruhen vielmehr auf der Vorstellung des „engen Nebeneinanders“. Eine ertragreiche, nachbarschaftliche Zusammenarbeit wird aber nur unter der Voraussetzung einer gemeinsamen Sprache möglich, diese wiederum setzt ein gegenseitiges Interesse (dem Wissen folgt) und eine Empathie für das Problem des anderen voraus. Wirkliche Neugier, wie die Dinge gemacht sind, fehlt heute vielen Architekten. Vielleicht ist das Näherrücken an das „Machen“ auch nicht immer nur förderlich; schließlich war auch ein Genie wie Le Corbusier, der zwar lautstark und medial wirksam die Übernahme der Architektur durch die Ingenieure proklamierte, schlussendlich mehr an der Ingenieursbaukunst als Idee denn an der Realität der Konstruktion selber interessiert: Den „Technikpfad“ zu weit hinunterzugehen, kann im Extremfall den Verlust an architektonischer Freiheit mit sich bringen. Für den am Grenzgängertum interessierten Architekten aber kann der Diskurs mit dem sowohl statisch als räumlich sensiblen Ingenieur die Bandbreite der Themen neu eröffnen und die eigene Logik des Denkens und Entwer-

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Bruno Reichlin, Technisches Denken, Denktechniken, in: Alexander von Vegesack (Hg.), Jean Prouvé. Die Poetik des technischen Objekts, Vitra Design Stiftung GmbH, Weil am Rhein 2006, S. 32

fens erweitern. Dabei wird das gegenseitige Verständnis für die jeweils andere Interessenslage wachsen – als Beispiel seien die idiosynkratischen „Elixiere der Berauschung“ angeführt: Während der Architekt vor allem am Ausdruck, am direkt Sicht- und Erfahrbaren des fertigen Werks interessiert ist, schlägt das Herz des Ingenieurs genauso für das Verborgene, nicht direkt Wahrnehmbare. Der Ingenieur freut sich – provokativ formuliert – am vollendeten Objekt nicht mehr als am intelligenten Prozess des Herstellens, des Aufbaus, an den akrobatischen Arbeitsbedingungen der Baustelle selber. Ihn beflügelt die Konzeption des Bauablaufes, die Darstellung der Phasen eines Gebäudes oder einer Kunstbaute oder, poetisch formuliert: die technisch-konstruktive Narration des Bauvorgangs 4. Deshalb ist

Dachstuhl der reformierten Kirche Wädenswil (1764–1767) der Brüder Grubenmann. Der Dachstuhl überspannt als kühnes Brückenbauwerk einen Raum von 38 m × 20 m.

Kirchenraum der reformierten Kirche Wädenswil. Die ingeniösen Anstrengungen für diese Raumwirkung sind komplett weggespiegelt.

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Neugieriges Grenzgängertum

es auch im vollendeten Bauwerk schlussendlich von sekundärer Bedeutung, ob die statischen Anstrengungen, die konstruktiven Schönheiten verborgen bleiben, wie sich am Beispiel der reformierten Kirche Wädenswil (1764–1767) der Baumeister Grubenmann schön illustrieren lässt: Im Inneren eines äußerlich unscheinbaren und einfachen Gebäudes eröffnet sich ein eindrücklicher, auf räumliche Wirkung angelegter Kirchenraum. Ein stützenfreier Raum von 38 m × 20 m wird von einem flachen, weißen Kirchenhimmel mit Stuckapplikationen überspannt. Der Himmel ist abstrakt und atektonisch. Er gibt keinerlei Hinweise auf die verborgenen, ingeniösen Anstrengungen, die dafür notwendig waren und sich über mehrere darüberliegende Stockwerke entwickeln. Der Wahrnehmung des Kirchgängers ist die Kühnheit des Tragwerks, das auf der strukturellen Logik von Brückenbauten gründet, komplett entzogen – das Himmelreich des Ingenieurs aber steckt im verborgenen, nicht erfahrbaren Dachraum. Die Zersplitterung der Erfahrung, das Aufsprengen des Wissens in viele autonome Disziplinen mit ihren jeweils eigenen Sprachen, konkret die Auftrennung von entwerferischer und technisch-konstruktiver Planung sind heute Tatsachen, die den Sinn für das Ganze bei den Beteiligten mehr und mehr verloren gehen lassen. Die Förderung einer aktiven Kooperation, einer Arbeit im Team und die Kultivierung eines Zusammenklangs der verschiedenen Kompetenzen sind deshalb von größter Wichtigkeit. Die Voraussetzung dafür ist ein achtsames, neugieriges beinahe faustisches Grenzgängertum: Der Architekt findet den Schlüssel zu einem fruchtbaren Dialog, wenn er selber wieder mehr zum Konstrukteur, zum Bauenden mit einem ausgeprägten konstruktiven Verständnis wird. Der Ingenieur auf der anderen Seite wird die Auseinandersetzung neu aufladen, wenn er seine „sensibilità statica“ (Nervi) mit einer räumlichen Empfindsamkeit kombinieren kann: Dann wird er dem „subjektiven“ Entwerfen des Architekten in einer ingeniös-selbstbewussten Haltung entgegentreten, Ideen hinterfragen, steigern oder neu formulieren. Er wird gleichsam wie der Architekt zum Autor, was die Ökonomie der Aufmerksamkeit verschieben und das Verhältnis der Zusammenarbeit neu bestimmen wird.

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Theorie Marco Pogacnik widerlegt anhand eines vom Architekten Richard Lucae im 19. Jh. angeregten Diskurses und anhand einer vom Ingenieur Franz Reuleaux entwickelten visuellen Theorie das Missverständnis, die historisierenden Bauteile an Ingenieurkonstruktionen als hohle Maske und Eklektizismus zu brandmarken. Dass die Bauwerke auf ihre Raumwirkung hin angelegt sind, lässt vielmehr auf eine tief in einer klassischen und historischen Bildung verwurzelten visuelle Kultur des Ingenieurs schließen. Christoph Wieser geht der Frage nach dem Rollenbild des Ingenieurs im Neuen Bauen der 1920er Jahre in Deutschland nach. Entgegen der gängigen Architekturtheorie, die heute meist die Vorherrschaft der visuellen Rhetorik über einen nur minimalen bautechnologischen Beitrag betont, führt er anhand ausgewählter Beispiele die Relevanz der funktionellen Moderne als Versuchslabor für konstruktive, bauprozessorientierte Fragen aus. Christian Penzel beleuchtet anhand ausgewählter Beispiele des 20. Jh. unterschiedliche Strategien der Durchdringung von Formfragen und Bautechnik und kristallisiert darin die paradigmatischen Entwicklungslinien heraus. Es wird aufgezeigt, wie veränderte architektonische Interessen neue konstruktive Ansätze befeuern und wie diese in der Ingenieurswissenschaft selbst an Bedeutung erlangen, um von dort wieder auf räumliche Fragen zurückzuwirken. Christoph Baumberger nähert sich als Philosoph der Frage nach den unterschiedlichen Kommunikationsformen zwischen Ingenieur und Architekt an. Die Modalitäten der Zusammenarbeit vergleicht er anhand der drei Modelle Monolog, Selbstgespräch und Dialog. Letzteren identifiziert er als zwingende Voraussetzung für eine Baukultur, die sich weder als Verpackungskunst noch als exzessive Konstruktionskunst versteht, sondern Raum und Tragwerk gleichsam miteinander zu verschränken sucht.

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Technik als Ausdrucksmittel im 19. Jahrhundert – Architekten und Ingenieure im Dialog Marco Pogacnik

Innerhalb weniger Jahre, am Ende der Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts, wurden in Berlin Kopfbahnhöfe einer neuen Generation gebaut, die eine lebhafte Diskussion unter den Mitgliedern des Architekten-Vereins zu Berlin auslösen sollten.1 Zu jener Zeit waren Architekten und Ingenieure noch keine zwei getrennten Körperschaften; die Diskussion entfachte sich somit unter Fachleuten, die sich als demselben Verein zugehörige Kollegen verstanden. Beim Studium der Fachzeitschriften „Deutsche Bauzeitung“ und „Zeitschrift für Bauwesen“2 der 1860er-Jahre wird klar, wie vielfältig und anregend die damalige Auseinandersetzung innerhalb des Vereins war. Technischen Details wurde dabei die gleiche Aufmerksamkeit wie grundlegenden historischen Fragen geschenkt, alle Themen wurden mit der gleichen Sorgfalt diskutiert. Hier wurden Vorträge über römische Bauten in Trier, Wasserwege in Frankreich, über Warmwasserheizung, über die Anordnung von Nietverbindungen und pompejanische Wanddekoration gehalten. Gleichzeitig wurden Fragen beantwortet, beispielsweise zur ungleichmäßigen Belastung von flachgewölbten Brücken, wie man bei Hochwasser die Mauern eines Wehres gegen Hinterspülung schützt, oder ob bei Ostseehäfen trockene den schwimmenden Docks vorzuziehen seien. Architekten und Ingenieure nahmen mit gleichem Interesse an der Diskussion dieser Fragen teil; das letzte Wort zu formalen Themen hatten meist die Architekten, das zu technischen Fragestellungen die Ingenieure. Unter Ersteren sind Richard Lucae, Hermann Blankenstein, Martin Gropius, Carl Schwatlo, August Ort, Friedrich Hitzig und Friedrich Adler zu erwähnen, bei Letzteren trat Johann Wilhelm Schwedler häufig in Erscheinung. Die Berliner Architekturschule wirkte noch sehr einheitlich und sammelte sich in der Obhut des Schinkelschen Erbes. Das Werk Karl Boettichers über die „Tektonik der Hellenen“3 lieferte eine Sprache, eine Systematik, die der Generation

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1

Über die hier analysierten Bahnhöfe siehe Ulrich Krings, Bahnhofsarchitektur, München 1985

2

Beide Zeitschriften waren unter der Mitwirkung des Architekten-Vereins Berlins veröffentlicht.

3 Karl Boetticher, Die Tektonik der Hellenen, Potsdam 1852

4 Martin Gropius, Die Provinzial-Irren-Anstalt in Eberswalde, in: Zeitschrift für Bauwesen XIX 1869, S. 185

5 Richard Lucae, Über die Macht des Raumes in der Baukunst, in: Zeitschrift für Bauwesen XIX (1869), S. 294–306, Id., Über die ästhetische Ausbildung der Eisen-Constructionen, besonders in ihrer Anwendung bei Räumen von bedeutender Spannweite, in: Zeitschrift für Bauwesen XX 1870, S. 532–546

der nach-Schinkelschen Architekten den Eindruck vermittelte, auf dem richtigen Weg zu sein, um die als tief empfundene Kluft zwischen Technik und Gestaltung überbrücken zu können. Wie der Architekt Martin Gropius – der Erbauer des bekannten Kunstgewerbemuseums in Berlin – in einem 1869 veröffentlichten Aufsatz feststellte, fühlten sich die Architekten jener Zeit „auf fremde Hülfe angewiesen“, wenn es darum ging, den technischen Fragen eine ansprechende Form zu geben. Gropius unterschied in einer sehr originellen Weise zwischen dem Mathematiker und dem Techniker; er erkannte dem Ersteren das Vermögen zu, eine Idee einheitlich ausdrücken zu können, sprach aber dem Zweiten die gleiche Fähigkeit dazu ab. Die Technik als solche bedeutet am Bau immer Unvollkommenheit: „Wenn man nun bei bedeutenden Bauten die Mitwirkung der Kunst überhaupt beansprucht, so wird man ihr auch dasselbe Recht einräumen müssen, was sie in allen großen Kunstepochen ausgeübt hat, das Recht, die Bedürfnisformen künstlerisch umzugestalten oder, wenn dies unmöglich ist, dieselben durch ausdrucksvolle Kunstformen zu verkleiden.“4 Gropius machte somit einen entscheidenden Schritt. Auf der einen Seite wurde zwischen Ingenieurwissenschaft und Technik unterschieden, auf der anderen wurde die Verkleidung als ein berechtigter Weg betrachtet, um die notwendige Einheitlichkeit der Ausdrucksform erreichen zu können. Nach Gropius stehen also Architekt und Ingenieur vor dem gleichen Problem: der technischen Unvollkommenheit einen einheitlichen Ausdruck zu geben. Der Architekt versucht, dieses Ziel mit Bezug auf die lange Tradition seiner Disziplin (die Säulenordnungen, die klassische Ornamentik usw.) zu meistern, der Ingenieur unter Zuhilfenahme der Mathematik. Wie Gropius sehr treffend bemerkte, war sich der Architekt im 19. Jahrhundert immer mehr bewusst, „auf fremde Hülfe angewiesen“ zu sein. Seitdem das über Jahrhunderte gültige theoretische Konstrukt der Säulenordnungen aufgelöst worden war, reichten seine Kenntnisse nicht mehr. Bötticher, Semper, Hübsch gehören zu den bedeutendsten Theoretikern, die den Versuch unternahmen, eine neue Lehre zu begründen, die der Herausforderung der Technik gewachsen wäre. Ihre Systematik konnte erst in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts auf die Probe gestellt werden, und die anfangs erwähnte Debatte über die Berliner Bahnhofsbauten gehört zu diesem historischen Kapitel. Auslöser jener Auseinandersetzung waren zwei im Jahr 1869 vom Berliner Architekten Richard Lucae gehaltene Vorträge: Über die Macht des Raumes und Über die ästhetische Ausbildung der Eisen-Constructionen, besonders in ihrer Anwendung bei Räumen von bedeutender Spannweite.5 Richard Lucae spielte in der nach-Schinkelschen Berliner Architekturszene eine bedeutende Rolle: er war lange Jahre Direktor der Bauakademie und Erbauer der nachfolgenden Institution, der Technischen Hochschule in Charlottenburg (heute die Technische Universität Berlin). Lucaes Hauptanliegen war die Würdigung der konstruktiven Kühnheit und der künstlerischen Großartigkeit der neuen Bahnhöfe, und er wollte das Publikum (nicht nur das fachliche) dazu bewegen, in diesen Bauten die Keime einer neuen

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Architekten und Ingenieure im Dialog  A

Schönheit zu erkennen. Nach seiner Auffassung ist die Raumwirkung die Hauptsache. Lucae schreibt, dass die Faktoren, von deren Wirkung „die Macht des Raumes in der Baukunst“ abhängig ist, folgende sind: „… die Form und das Licht. Zur Form tritt … der Maßstab und neben dem Licht erscheint … die Farbe. Den Styl habe ich absichtlich nicht genannt, weil er für die Raumwirkung nach meiner Meinung einzig insofern eine Rolle spielt, als er die vier obengenannten Kräfte in ihrer Machtstellung so oder so gegeneinander verschieben kann.“ Der Architekt, sagt Lucae, soll bei der Definition des Raumes anfangen: ob er Wohnlichkeit, Festlichkeit, Ernst oder Lustbarkeit vermitteln solle. Die „Stylfrage“ (also die Frage nach dem historischen Architektur-Kleid) betrachtete er als nebensächlich. Erst nachdem die Raumwirkung bestimmt worden sei, solle das konstruktive Gerüst erdacht werden. Von Gottfried Semper bis zu Adolf Loos bedeutete dies die Vorherrschaft des Prinzips der Bekleidung. Wie aber soll ein Tragwerk be- oder verkleidet werden? Bedeutet dies gar ein Verbrechen, einen Verstoß gegen die Prinzipien der Tektonik? Heute noch wird keine Rücksicht darauf genommen, dass sich im 19. Jahrhundert zwei entgegengesetzte Auffassungen über Tektonik konfrontierten: Boetticher versus Semper. Boetticher definierte das Verhältnis zwischen Kunst- und Kernform als Widerspiegelung. Die dekorative Hülse sollte das Analogon des konstruktiven Gerüstes sein. Semper sprach dagegen von der Bekleidung als einer Maske: Gerüst und Bekleidung stünden nicht in einer unmittelbaren Beziehung. Lucae – ebenso wie der vorher erwähnte Martin Gropius – teilte die letztere Auffassung, daher schrieb er in seinem Aufsatz: „Denn so paradox es im ersten Augenblick klingen mag, man kann die Decke nur zeigen, wenn man sie mehr oder wenig versteckt. Ich meine, wie man bei der raumumschließenden Wand, die gleich der Decke als ein Ganzes erscheinen soll, die einzelnen Steine, aus welchen wir dieselbe zusammensetzen müssen, dem Auge durch einen gefärbten Putz entzieht, ähnlich wird eine Decke eine desto vollkommnere Decke, wenn sie uns als Einheit erscheint. Außerdem proclamirt die Tektonik es durchaus nicht als einen Grundsatz, dass man die Construction und das Material zeigen solle; davon weiß sie nichts.“6 „Die reine mathematische Construction ist eben so wenig eine fertige Leistung der Kunst, als der menschliche Körper mit seinen offen liegenden Muskeln und Bändern, oder gar nur sein Gerippe ein lebensfähiges Geschöpf der Natur ist …“7 Diese Prinzipien von Lucae kann man in einem damals sehr bekannten, vom Architekten und Schinkel-Schüler Friedrich Hitzig entworfenen Bau als verkörpert betrachten, der Berliner Börse. Die große Halle des Baus war mit einer flachgewölbten Decke nach oben begrenzt. Aus den Konstruktionszeichnungen kann man ganz genau den Arbeitsvorgang des Architekten nachvollziehen: Zuerst wurde von ihm die Raumwirkung definiert, eine Funktion, die hier von den schön verzierten Gurten und der dazwischen liegenden, kassettierten Decke übernommen wird. Danach wurde die Frage gelöst, wie die ganze Decke getragen werden sollte. Dieser Schritt wird in der linken Hälfte der Zeichnung des Sichelbinders dokumentiert.

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6

Lucae, Über die ästhetische Ausbildung der Eisen-Constructionen, S. 539

7

Ibid., S. 533

Die Berliner Börse von Friedrich Hitzig

Bei einer genaueren Analyse der Konstruktionszeichnungen wird schnell ersichtlich, dass der eiserne, links abgebildete Sichelträger als solcher nicht tragfähig ist. Der obere Gurt scheint sehr dünn zu sein, und der untere Gurt steht sehr hoch, sodass die Verbindung zum Gelenk nicht als voll ausgebildet erscheint. Diese Art der Gestaltung deutet darauf hin, dass die dekorative Ausfachung nicht einfach aufgehängt war, sondern dass sie einen wichtigen Beitrag zur Stabilität der ganzen Konstruktion leisten sollte. Ohne aufgehängtes Dekor wäre der Sichelbinder nicht vollständig tragfähig gewesen. Dieses Prinzip wurde von Semper sehr eingehend in seinem Werk „Der Stil“ beschrieben, im Rahmen seiner Beschäftigung mit dem Thema der Hohlkörper. Der Hohlkörper oder das Tubularsystem wurde von Semper als das älteste baukonstruktive Prinzip dargestellt, das den Architekten zur Verfügung stand, um Formen (Rad, Stuhl, Gebälk oder Säule) zu bilden. Dokumentiert wurde es von Semper anhand des Systems der Korrugation, des Faltens einer blechernen Fläche. Damit wurde eine Bauweise entwickelt, die sehr effizient war, indem mit der geringsten Masse die beste Tragfähigkeit erreicht werden konnte. Das wird von Semper nicht erwähnt, aber es scheint ganz klar zu sein, dass hinter seiner Betrachtung der Hohlkörperkonstruktion bei den Assyrern und anderen mesopotamischen Völkern eigentlich sein Interesse für die Leistungen der damaligen zeitgenössischen Architektur und Ingenieurwissenschaft stand, wie beispielsweise

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die 1850 für den Eisenbahnverkehr eröffnete Britanniabrücke in Wales. Die Ikone der Architektur des 19. Jahrhunderts ist die Gusssäule, ein Hohlkörper. Als ein solcher Hohlkörper ist eben auch der untere Gurt unseres Sichelbinders ausgebildet, und semperianisch bedeutet das eine Auflösung des Kernes und eine Vorherrschaft der Hülse. Das Ornament braucht nicht die Struktur abzubilden, nachzuahmen. Das Ornament wird Struktur selbst. Der zweite Vortrag von Lucae ist der Gestaltung von Brücken und Bahnhofshallen gewidmet. Das Hauptaugenmerk Lucaes richtete sich auf drei Bahnhofsgebäude, die fast gleichzeitig in Berlin um die Jahre 1866–69 erbaut wurden: Görlitzer Bahnhof, Ostbahnhof und Niederschlesisch-Märkischer Bahnhof. Die Hallen wiesen eine lichte Weite von 36 bis 37 Metern auf und waren entweder mit Sichelbindern oder mit dreigelenkigen Fachwerk-Bögen bedeckt. Nur wenige Jahre später, Anfang der Siebzigerjahre, wurden auch die ersten vollwandigen Blechbinder als Zweioder Dreigelenk-Bögen eingeführt, wie beim Berliner Potsdamer Bahnhof. Zwei dieser Bahnhofsbauten entstanden unter Mitarbeit des Ingenieurs Johann Wilhelm Schwedler. Während beim Görlitzer und beim Niederschlesischen Bahnhof Sichelbinder benutzt wurden, führte Schwedler bei dem Ostbahnhof einen dreigelenkigen Fachwerkbogen aus. Diese konstruktive Neuerung sollte eine dritte Generation von Bahnhöfen vorwegnehmen, als deren beste Repräsentation der Anhalter Bahnhof mit einer Hallenspannweite von 62,5 Metern zu nennen wäre. Bei den hier betrachteten Bahnhöfen wurden Tragwerke benutzt, die mit den wenige Jahre zuvor grafisch wie analytisch formulierten Methoden der jungen Baustatik recht gut zu modellieren waren 8 – im Gegensatz zu den ersten, teilweise gewagten Eisen-Tragwerken, die 30 Jahre davor von Architekten entworfen wurden, ohne dass diese sich auf bewährte Berechnungsmethoden hätten stützen können. Man kann auf die Werke der Architekten Heinrich Hübsch (seine eiserne Bedachung für ein Theater), Georg Moller und seine Kuppel für den Mainzer Dom oder die Brücken Friedrich Laves hinweisen. Was aber Lucae bei unseren Bahnhöfen beschäftigt, sind nicht die technischen Errungenschaften der Ingenieurwissenschaft, sondern die Möglichkeit, solche bedeutenden Bauwerke formal, unter dem Standpunkt der avanciertesten ästhetischen Massstäbe zu betrachten. Die damalige Wahrnehmung solcher Bauten war nicht gerade sehr günstig. Denken wir daran, dass der bedeutende, vom Architekten-Verein zu Berlin 1877 herausgegebene Band Berlin und seine Bauten die Bahnhöfe unter dem Kapitel der Eisenbahnen einordnete, während Kirchen und Monumentalbauten im Allgemeinen unter dem Begriff Hochbau zusammengefasst wurden. Es ist Lucaes Verdienst, den Bahnhöfen diejenige architektonische Würde verliehen zu haben, die ihnen eigentlich gebührt. Das beinhaltete auch, sie mit besonderer Rücksicht auf ihre Silhouette, Beleuchtung, Deckenkonstruktion und Raumwirkung wahrzunehmen. Architekten des Görlitzer Bahnhofs waren August Orth mit der Görlitzer Eisenbahnverwaltung. Schmiedeeiserne Sichelbinder mit je einem festen und einem beweglichen Rollen-Lager charakterisierten die Dachkonstruktion. Das flachbogige Ton-

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8

J. W. Schwedler, Theorie der Brueckenbalkensysteme, in: Zeitschrift für Bauwesen I 1851, S. 114 ff; 162 ff; 265 ff

Der Görlitzer Bahnhof von August Orth Görlitzer Bahnhof, Sicht der Perronhalle aus dem inneren Hof

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nendach öffnete sich in einer durchlaufenden Scheitellaterne von 7,5 Meter Breite und zwei schmalen Glasstreifen je 1,5 Meter breit unmittelbar über der Kämpferzone. Die Lichtverteilung beurteilte Lucae als besonders ungünstig, da sie in drei Streifen gespalten war. Der Niederschlesische Bahnhof wurde vom Architekten Eduard Römer mit Schwedler als Ingenieur errichtet. Jede Sichel bestand aus einem stärkeren, polygonalen, aus einzelnen Gitterträgern zusammengesetzten Obergurt sowie aus einem zugankerähnlichen, gleichfalls gebrochenen Untergurt. Die 54 Dachbinder lagen auf einer Höhe von 15,8 Meter. Das eine Auflager war fest, das andere als bewegliches Rollenlager konstruiert, die Joche waren 3,77 Meter breit. Das einheitliche mittlere Oberlicht bestand aus treppenförmig gelegten Rohglasplatten. Die Lichtführung ist dadurch sehr einheitlich gehalten, aber die Sichelbinder, die bereits sehr filigran ausgeführt wurden, erscheinen durch das Gegenlicht noch dünner. Wenn man sich nicht in der Mitte des Raumes befand, verursachte die perspektivische Verkürzung ein Gewirr von Linien, die Lucae als unbefriedigend empfand. Im Allgemeinen habe man, so Lucae, bei den in Diskussion stehenden Bahnhöfen „weniger mit einer Decke, als mit einem Dache zu tun. Ein Dach ist aber noch lange keine Decke“. Architektonisch betrachtet soll die Decke und nicht das Dach den Raum nach oben begrenzen, und deren Elemente sollen symbolhaft das Thema des Schwebens interpretieren: als aufgehängter Teppich, der von Wand zu Wand gespannt ist. Unter diesem Gesichtspunkt wurde, so konstatierte Lucae, eine bessere Wirkung bei dem von Adolf Lohse und Schwedler errichteten Ostbahnhof erreicht, weil hier die Binder gekuppelt wurden. Sowohl Auflager- wie Scheitelpunkt waren als Gelenke ausgebildet. Schwedler hatte hier zum ersten Mal seine zukunftweisende Konstruktionsart, den Dreigelenkbogen-Binder, anwenden können. Die räumliche Wirkung solcher Binder bewertete Lucae sehr positiv, da durch ihre Wiederholung eine bestimmte Rhythmik entstehen konnte. Die Reaktion der betroffenen Architekten, August Orth, Carl Schwatlo, Eduard Römer und Hermann Ende, war keine positive, und selbst Schwedler bewies kein Verständnis gegenüber der Problematik einer besseren Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren. Er meldete sich mit der kategorischen Aussage zu Wort, dass: „die Constructionsform über der Kunstform stehe. … Die Constructionsform sei das Resultat der Wissenschaft, sie ist die Wahrheit am Bau-Objecte. Die Einbildungskraft darf sich an dieser Wahrheit nicht vergreifen.“9 Der Versuch von Lucae, Architekt und Ingenieur einander näher zu bringen, schien damals also gescheitert zu sein. Bei einer näheren Betrachtung der verschiedenen Argumente kann man trotzdem die Beobachtung machen, dass der damalige Ingenieur selbst eine nicht zu unterschätzende visuelle Kultur besaß. Das bekundet uns beispielsweise die Detailtafel zum Sichelbinder des Görlitzer Bahnhofs. Was uns diese Tafel im beigefügten Text über die technischen Details hinaus mitteilt, ist, dass Tektonik für den damaligen Architekten eine Art Semiologie des Konstruierens bedeutete: Das Tragwerk wurde als ein redendes und erzählendes bauliches

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9

J.W. Schwedler, Diskussionsbeitrag bei der Versammlung des Architekten-Vereins zu Berlin am 16. Dezember 1869, in: Zeitschrift für Bauwesen XX 1870, S. 545

Der Niederschlesisch-Märkische Bahnhof von Eduard Römer und Johann Wilhelm Schwedler Niederschlesisch-Märkischer Bahnhof, Sicht aus der Seite der Zugseinfahrt

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Der Ostbahnhof von Adolf Lohse und Johann Wilhelm Schwedler, Dreigelenkbogen-Binder Ostbahnhof, Sicht der Perronhalle

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10 Ein schönes Beispiel dazu findet sich bei Carl Schwatlo, Eisen-Konstruktion. Über die Anwendung, die baukünstlerische Berechtigung und Ausbildungsfähigkeit der Eisen-Konstruktionen in Bezug auf den Baustyl der Gegenwart, in: Rombergs Zeitschrift für praktische Baukunst 30 1870, S. 19–34

11

August Orth, Der Bahnhof der Berlin-Görlitzer Eisenbahn zu Berlin, in: Zeitschrift für Bauwesen XXII 1872, S. 547–552

12

August Orth, Der Bahnhof der Berlin-Görlitzer Eisenbahn zu Berlin, in: Zeitschrift für Bauwesen 1872, S. 547–552

Element verstanden. Was die Franzosen im 18. Jahrhundert die „architecture parlante“ nannten, hätte man jetzt als eine Art „construction parlante“ bezeichnen können.10 Auf dem genannten Blatt waren die Details 17 bis 26 für die Realisierung bestimmt, aber zugunsten einer rascheren Ausführung wurden die rechts liegenden Details gebaut. Aus dem Bericht von August Orth, dem ausführenden Architekten, kann man Folgendes entnehmen: „Der ursprüngliche Entwurf der Construction … enthielt für die obere Gurtung gusseiserne in der Mitte elliptische Säulen. … Die Construction ist für beide Projecte gleich, nur war es bei der ersteren wegen der verschiedenen Wärmeexpansion von Guss- und Schmiedeeisen nöthig, die einzelnen Constructionstheile charnierartig zusammenzusetzen. Die diagonale Aussteifung je eines Binderpaares gestattet dieses ohne Gefahr und ausserdem ist die Montirung eines solchen Binders ausserordentlich einfach, indem die einzelnen Gelenke durch gusseiserne Charnierbolzen mit übergeschobenen durch Keile befestigten Kappen verbunden werden. … Fig 23 zeigt ein Glied der oberen Gurtung, worin die in der Längenrichtung punktirten Linien die inneren Drucklinien bei Eigengewicht der Construction und bei voller Belastung angeben.“11 Ein Hauptmerkmal der Gestaltung des Tragwerks ist die hohe Differenzierung der verschiedenen Teile, die den gesamten Organismus bilden. Nicht nur formal, sondern auch materiell, indem man zwischen Schmiede- oder Gusseisen, Blech oder Hohlkörpern, Stäben oder stählernen Drahtseilen unterschied, wurden die verschiedenen Glieder so ausgebildet, dass ihre statische Funktion nicht nur konstruktiv erfüllt, sondern auch expressiv wirken konnte. August Orth fasste seine ganze Skepsis gegenüber Lucaes Versuch, Architekt und Ingenieur zu versöhnen, mit folgenden Worten zusammen: „Die Halle des Berlin-Görlitzer Bahnhofes hat Veranlassung gegeben, die Frage über die ideal-monumentale Gestaltung derartiger Hallen … in den Verhandlungen des Architektenvereins zu besprechen, und verdankt ein Aufsatz von Lucae … diesen Verhandlungen seinen Ursprung. Dieselben haben positiv wenig Resultat gehabt. Dem Urtheile des Verfassers nach bleiben auch die später ausgeführten so wie fast sämmtliche existierende Hallen in diesem Sinne weit hinter dem zurück, was sich technisch und künstlerisch erreichen liesse. Der Verfasser hat sich selbst bei der Berlin-Görlitzer Bahnhofshalle diese Aufgabe nicht gestellt … weil der Architekt über die Mittel des Bauherrn wohl ohne Wissen und Willen desselben nicht disponieren kann.“12 Als Pragmatiker wollte Orth die von Lucae angefangene Diskussion nicht auf einer abstrakten Ebene weiterführen, sondern in Relation zu den damaligen ökonomischen Verhältnissen bringen. Auf jeden Fall handelte es sich nicht um einen Gegensatz oder Widerspruch zwischen Architekt und Ingenieur, sondern – im Gegenteil – um den Hinweis auf gemeinsame Verbindlichkeiten dem Bauherrn gegenüber. Die Frage des Verhältnisses zwischen Konstruktion und Form scheint in der Realität weniger zu divergieren, als wenn sie nur auf theoretischer Ebene analysiert wird. Man sollte also damit aufhören, die Architektur des 19. Jahrhunderts als historistische Schnörkelei zu betrachten, die von bewusstlosen Architekten als hohle Spielerei betrieben wurde. Ebenfalls sollte man

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mit dem Vorurteil aufräumen, dass die Ingenieure als kühle Rechner ihre baulichen Konstruktionen selber nicht gestalterisch oder formal gesehen hätten. Ein gutes Beispiel dafür ist der Ingenieur Franz Reuleaux, der Begründer der Technischen Kinematik in Berlin. Er wirkte zunächst in Zürich an der ETH, dann in Berlin an der Gewerbeakademie und anschließend an der Königlichen Technischen Hochschule. Was uns am theoretischen Werk dieses Ingenieurs interessiert, ist ein

Seiten aus: Franz Reuleaux, Über den Maschinenbaustil, Braunschweig 1862

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13 Franz Reuleaux, Über den Maschinenbaustil. Ein Beitrag zur Begründung einer Formenlehre für den Maschinenbau, Braunschweig, 1862

kleines Handbuch, das er 1862 bei Vieweg veröffentlichte. Das Buch ist „Über den Maschinenbaustil“ betitelt und trägt den Untertitel „Ein Beitrag zur Begründung einer Formenlehre für den Maschinenbau.“ Reuleaux erkannte „das geistige Wesen der von dem Gefühl oder Geschmack des Constructeurs frei zu wählenden Formen“, und entsprechend versuchte er eine Lehre für die Gestaltung von technischen Geräten zu entwickeln, denen bis dahin, weil sie reine Gebrauchsgegenstände waren, keine Beachtung geschenkt worden war. Darin steckt als Keim der Gedanke einer Industrieproduktereform im Sinne des Werkbundes und später des Bauhauses. „Der selbständige Maschinenconstructeur schafft in sehr vielen Fällen vollständig frei, ja er kann sich diesem Freischaffen und dessen Folgen gar nicht einmal entziehen, denn unzählige Mal muss er eine Wahl treffen zwischen der gebogenen und geraden Linie, dem Hohlkörper und dem massiven Stück, dem Drehungskörper und dem Prisma, wo ihm beides gleich gute Dienste leisten kann; und unwillkürlich giebt jeder demzufolge seinen Constructionen einen gewissen Ausdruck, einen gewissen Stempel mit, der die Auffassung des Entwerfenden verräth.“13 Auch Semper und seine Konzeption des Stils wird von Reuleaux zitiert, als Beispiel einer Formenlehre, die sich als „praktische Ästhetik“ verstand. „Aeusserst lehrreich bleibt aber für den Maschinenbau die Baukunst. Sie liefert uns manchmal völlig vorbereitete Formen für unsere Zwecke in Gebälken, Gurtungen, Säulen, usf … die wir aber dennoch nicht blind übertragen dürfen. … Fuss und Capitäl erhöhen also das Verständnis der Säule als eines stehenden und tragenden Baugliedes.“ Nach Reuleaux soll der Maschinenbauer seine Aufmerksamkeit der Aufgabe der Gestaltung widmen, und damit verfährt er nicht viel anders als der Architekt: wie man einen Anfang oder Ansatz bildet oder einen Übergang, die Einteilung eines Elementes oder deren Gliederung, die Verbindung und schließlich den Abschluss eines einzelnen Elementes wie auch eines Gegenstandes. In dem Buch von Reuleaux häufen sich die Tafeln, durch welche er diese enge Beziehung zwischen Maschinenbau und Baukunst versinnbildlicht. Eine solche Funktion wird von der Baukunst selbst bei der Aufgabenlösung zur Gestaltung einer Rippe erfüllt, deren Linie Reuleaux als parabolische Umhüllungslinie definierte und welche er im Profil des Echinus eines dorischen Capitäls sowie des Trochilus einer attischen Basis in der griechischen Baukunst wiederfand. Im 20. Jahrhundert hatten Architekten wie Le Corbusier und Walter Gropius oder Kunsthistoriker wie Sigfried Giedion die Ingenieure des 19. Jahrhunderts zu den echten Pionieren einer Modernität erklärt, denen es gelungen war, Tradition und Geschichte mit Erfolg aus der Kunst des Konstruierens zu verbannen. Die Werke der Ingenieure wurden zum Vorbild und zur Quelle für ein Gestalten, das sich nur nach Material, Funktion und Ökonomie richtete. Inzwischen wissen wir, dass diese Vorstellung falsch und trügerisch ist. Wäre die Kultivierung des Visuellen für den Ingenieur des 19. Jahrhunderts nicht so tief in einer klassischen und historisch gewachsenen Erziehung verwurzelt, so wäre eine noch heutige Würdigung seiner grandiosen Leistungen gar nicht denkbar.

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Wegbereiter und Projektionsfläche: Vereinnahmung des Ingenieurs im Neuen Bauen Christoph Wieser

Sachlichkeit ist das geistige Werkzeug, mit dem die Pioniere der Moderne die auf Stilfragen fokussierte historistische Architektur des 19. Jahrhunderts überwinden wollten. Hermann Muthesius, der als einer der Ersten Sachlichkeit in Zusammenhang mit Architektur verwendete, schrieb bereits 1902 davon, dass die „ästhetische Vorwärtsbewegung (…) nur in Richtung des streng Sachlichen, der Beseitigung von lediglich angehefteten Schmuckformen und der Bildung nach den jedesmaligen Erfordernissen des Zweckes gesucht werden“ könne.1 Damit einher ging die Überzeugung, der Grundriss müsse beim Entwerfen wieder im Vordergrund stehen, nicht mehr die Gestaltung der Fassaden. Stilfragen sollten durch Sachfragen abgelöst werden: „Statt der äusserlichen Formulierung ist ein inneres Erfassen des neuen baukünstlerischen Problems vonnöten: Geist an Stelle der Formel, ein künstlerisches Durchdenken der Grundform von vornherein, kein nachträgliches Schmücken“, wie sich Walter Gropius 1913 ausdrückte.2 Aus diesem Zitat geht deutlich hervor, dass Sachlichkeit nicht auf einen ästhetischen Imperativ beschränkt blieb, sondern eine geistige Haltung voraussetzte, die den modernen Architekten, ja den modernen Menschen schlechthin auszeichnen sollte. Sachlichkeit statt Überschwang 3 lautete in den 1920er-Jahren die Devise und prägte die Architektur ebenso wie die anderen Künste und Lebensbereiche, vom Sport bis zur Art des Sprechens: „In der Mitteilung verlangt man den Ausdruck knapp, plastisch, ohne Sentiment. Aneinandergereihte gute Bemerkungen, die wie Stoff einer vergangenen Bildung wirken, gelten nicht. Man verwirft Umständlichkeit der Worte und fordert Konstruktion des Gedankens, will nicht Gerede, sondern Schlichtheit.“4 Mit diesen Sätzen beschrieb der deutsche Philosoph Karl Jaspers den damals herrschenden Zeitgeist „dieser technischen Welt“.

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1

Hermann Muthesius, Stilarchitektur und Baukunst. Wandlungen der Architektur im XIX. Jahrhundert und ihr heutiger Standpunkt, Mühlheim/Ruhr: K. Schimmelpfeng 1902, S. 51

2

Walter Gropius, Die Entwicklung moderner Industriebaukunst, in: Deutscher Werkbund (Hrsg.), Die Kunst in Industrie und Handel (Deutscher Werkbund Jahrbuch 1913), Jena: Eugen Diderichs 1913, S. 19

3 „Sachlichkeit versus Überschwang“ lautet eine Kapitelüberschrift in: Hans Ulrich Gumbrecht, 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, Frankfurt am Main 2001, S. 337–344

4

Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, Leipzig: Walter de Grundter & Co. 1932, S. 26

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So war es kein Wunder, dass die Architekten des Neuen Bauens den Ingenieur, der seine Gedanken ebenso konstruiert wie Maschinen und Bauten, zu ihrem Vorbild erhoben. Eine Folge dieser Denkweise war eine radikal veränderte Berufsauffassung: Aus dem Künstlerarchitekten des 19. Jahrhunderts sollte ein Organisator werden, der vollkommen rational arbeitete – wie ein Ingenieur, der Vernunft und Sachlichkeit höher gewichtet als subjektives Empfinden. Mit der Fokussierung auf konstruktive Aspekte verknüpft war wohl auch der Wunsch, Kunst und Wissenschaft einander wieder anzunähern, wie dies vor 1800 der Fall war. Zweckbauten gehören zur Architektur  Der Begriff des Neuen Bauens, der um 1920 in Deutschland eingeführt wurde, ist programmatisch zu verstehen: Der Ballast der Stilarchitektur sollte zugunsten einer grundlegenden Erneuerung der Baukunst abgeworfen werden. Die Rückkehr zu den Wurzeln des Berufs – deshalb „Bauen“ an Stelle von „Architektur“ – sollte mithelfen, den Blick wieder für das Wesentliche zu schärfen, das in einer möglichst zweckmäßigen Organisation des Grundrisses und nicht länger in der Applizierung historischer Stilelemente gesehen wurde. Deshalb suchten und fanden die Protagonisten des Neuen Bauens die Vorbilder für ihre Vision in den Ingenieur- und Zweckbauten, die bis anhin nicht zur Architektur gezählt wurden, da sie in der Regel „nur“ ihren Zweck zu erfüllen und keinerlei repräsentativen Ansprüchen zu genügen hatten. Symptomatisch dafür gab Adolf Behne seiner aufschlussreichen Darstellung der neuen Bewegung von 1926 den Titel „Der moderne Zweckbau“. Die scheinbar unbewusst, allein aus dem Zweck abgeleiteten Formen der Ingenieurbauten adelten in den Augen der Architekten auch deren Schöpfer: Der Ingenieur wurde zum Inbegriff des Neuen Menschen stilisiert, zum Tatmenschen, der sachlich, nüchtern und vollkommen rational seine Entscheidungen trifft, der die Technik beherrscht und sie zu seinen Zwecken einzusetzen weiß. Frei vom kulturellen Überbau überkommener Stilkonventionen, den die Architekten erst mühsam abschütteln mussten, handelt er instinktiv richtig: „Die Ingenieure sind gesund und männlich, aktiv und nützlich, moralisch und fröhlich. Die Architekten sind enttäuscht und untätig, schwatzhaft oder griesgrämig. Warum? Weil sie bald überhaupt nichts mehr zu tun haben werden. Wir haben kein Geld mehr dafür, historische Erinnerungen aufzuwärmen. Wir müssen uns dringend von allem säubern. Die Ingenieure sorgen dafür, sie werden bauen.“5 Diese Sätze aus Le Corbusiers „Vers une architecture“ von 1923 sind symptomatisch für die damalige Verklärung des Ingenieurs, dessen einseitige Charakterisierung mehr über eigene Wunschvorstellungen verrät, als sie der Realität entspricht. Muthesius hatte schon 1913 den Mythos des „unbewusst“ gestaltenden Ingenieurs entzaubert: „Auch für den Ingenieur führen viele Wege nach Rom; die Richtungen, in denen er auch rein mathematisch eine Aufgabe verfolgt, können von Anfang an ganz verschiedene und sehr mannigfaltige sein. Es liegt nahe, diejenige zu wählen, die ausser der Statik auch dem Auge gerecht wird.“6 Im selben Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, aus dem Muthesius’ obiges Zitat stammt, unternahm Walter Gropius als einer der Ersten den Versuch einer historischen Verankerung

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Vorbildhafte Eleganz von Ingenieurbauwerken: Sigfried Giedion publizierte dieses Bild der Galerie des Machines der Weltausstellung in Paris 1889 in „Bauen in Frankreich“ (1928) und abermals in „Space, Time and Architecture“ (1941). Ingenieur Victor Contamin Architekt Charles-LouisFerdinand Dutert

5

Le Corbusier, Vers une architecture, 1923. Zitiert nach: Derselbe, Ausblick auf eine Architektur (Bauwelt Fundamente Band 2), Braunschweig: Friedrich Vieweg & Sohn, Nachdruck der 4. Auflage 1985, S. 31

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Hermann Muthesius, „Das Formproblem im Ingenieurbau“, in: Deutscher Werkbund (Hrsg.), Die Kunst in Industrie und Handel (Deutscher Werkbund Jahrbuch 1913), Jena: Eugen Diderichs 1913, S. 31

Bootshaus von 1861 mit Gusseisenskelett in den Naval Dockyards von Sheerness

der modernen Architektur unter Beiziehung von Ingenieurbauten und anderen der „Functional Tradition“. Nach dem Zweiten Weltkrieg griff J.M. Richards in der „Architectural Review“ dieses Thema erneut auf und publizierte als früheste Beispiele solcher Art englische Industriebauten des 18. Jahrhunderts, Prototypen von Skelettbauten mit Bandfenstern beispielsweise. Im Gegensatz zu den 1920er-Jahren erfolgte die Auseinandersetzung nun in einem gelasseneren Ton, vom Wert dieser Bauten für die Architektur musste niemand mehr überzeugt werden.

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Hannes Meyer, bauen, in: bauhaus, 1928, Nr. 2, S. 13

Rationalisierung des Bauens  Ordnung ist ein weiterer zentraler Begriff des Neuen Bauens, in dem sich die gesuchte Nähe zum technischen Denken des Ingenieurs widerspiegelt. Dabei ging es nicht nur um die Herstellung architektonischer Ordnung, etwa über eine einfache Strukturierung des Gebäudes oder funktional begründete Einteilung der Grundrisse – Eigenschaften, die beileibe nicht auf moderne Gebäude beschränkt sind. Vielmehr sollten auch der Entwurfs-, der Produktionsund der Bauprozess einer rationalen Systematik und Methodik unterworfen werden. Von diesen Maßnahmen versprach man sich insbesondere eine Verbilligung des Bauens, was angesichts der herrschenden Wohnungsnot im Anschluss an den Ersten Weltkrieg höchste Priorität hatte. Angestrebt wurde eine umfassende Rationalisierung des Bauens; die Architektur sollte ihren künstlerisch-individualistischen Anspruch aufgeben und zu einer exakten Wissenschaft umgeformt werden. Das brachte, wie erwähnt, eine Neudefinition der Berufsrolle mit sich: „der architekt?… war künstler und wird spezialist der organisation!“7, schrieb Hannes Meyer 1928. Dieser Absicht stand das in hohem Maße handwerklich geprägte Bauwesen gegenüber, weshalb dessen Industrialisierung mit Hilfe des Taylorismus vorangetrieben werden sollte. Frederick Winslow Taylor entwickelte um 1910 ein System zur

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Walter Gropius, Bauhaussiedlung Dessau-Törten 1926. Konstruktionsaufbau der Serienhäuser, Herstellung der Schlackenbetonsteine vor Ort und Plan fürdie Einrichtung der Baustelle

Alexander Klein, Arbeitsschema zur systematischen Grundrissbildung von Kleinwohnungen um 1928

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8 J. J. P. Oud, Siedlung „Kiefhoek“ in Rotterdam, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nummer 10, Berlin 11. März 1931, S. 149

9 Sigfried Giedion, Space Time and Architecture 1941. Zitiert nach: Derselbe, Raum, Zeit, Architektur, Zürich München: Artemis, 3. Auflage 1984, S. 159

wissenschaftlichen Betriebsführung, bei der die Arbeitsschritte zunächst analysiert und dann sowohl der Arbeitsablauf als auch die Handgriffe der Arbeiter und die benötigten Werkzeuge optimiert werden, ohne die Arbeiter zu überanstrengen. Henry Ford übertrug diese Methode auf die Autoproduktion, weshalb sich J.J.P. Oud bei der Beschreibung seiner Wohnsiedlung Kiefhoek in Rotterdam (1925–30) auf ihn beruft: „Es wurde versucht, die Aufgabe zu lösen, ähnlich wie Ford seine Wagen preiswert und gut macht: möglichst wirtschaftliche Ausnutzung von Raum und Material, praktische Konstruktion und Arbeitsweise. Ein Wohn-Ford.“8 Walter Gropius ging noch einen Schritt weiter und wendete bei der Wohnsiedlung in Dessau-Törten (1926-28) das tayloristische System sowie Fords Methode der Fließbandproduktion auf beinahe wörtliche Weise an: Er verlegte die Fabrik zur Herstellung der Elemente auf das Baugelände und zog die in zwei parallelen Reihen angeordneten Reihenhäuser, in Etappen unterteilt, schrittweise hoch. Das Vorhaben wurde durch einen minutiös ausgearbeiteten Terminplan im Voraus bis ins kleinste Detail festgelegt. Die Auslegeordnung der Werkstoffe auf der Baustelle entsprach dem Bauablauf; ebenso verwies ihre symbolhafte Wirkung auf Gropius‘ Absicht, den rationalen Anspruch seiner Architektur bereits während des Bauens bildhaft zum Ausdruck zu bringen. Mathematisch-naturwissenschaftlicher Methodik und vor allem ihrer Darstellungsweisen wie Tabellen, Schemazeichnungen und Listen bediente sich auch Hannes Meyer – etwa bei der Wettbewerbsabgabe für die Petersschule in Basel 1926. Ähnlich wie beispielsweise Rem Koolhaas heute verwendete er solche Elemente als grafische Mittel ebenso wie als Nachweise einer analytisch-reflexiven Entwurfsarbeit. Eine umfassende Rationalisierung konnte sich damals nicht durchsetzen und zielt auch am Wesen von Architektur vorbei. Für Sigfried Giedion ist es den Architekten aber „nach einem Jahrhundert des Ringens gelungen (…), die Ingenieurstechnik einzuholen und vielleicht mehr zu fordern, als der Ingenieur manchmal geben kann.“ Dann folgen Sätze, die den Weg zusammenfassen, den das Neue Bauen von den Anfängen bis zur Niederschrift von „Space, Time and Architecture“ im Jahr 1941 zurückgelegt hatte und die weiterhin gültig sind: „Neue Aufgaben erwarten heute die Architektur. Sie muss auch andere als rein rationale oder rein praktische Bedürfnisse befriedigen. Eine wirklich lebendige Architektur muss auch die nicht bewussten, emotionellen Bedürfnisse befriedigen, die tief in unserer Zeit verankert sind.“9 Damit verlor auch der Ingenieur seine Vorbildfunktion für die sich wandelnde Moderne. Nachbemerkung  Rückblickend fällt auf, wie stark von bedeutenden Exponenten des Neuen Bauens die technische Seite der Architektur betont, die formalen Aspekte dagegen als unwichtig beiseite geschoben wurden. Diese Feststellung bezieht sich in erster Linie auf die schriftlichen Quellen, die trotz ihres sachlichen Anspruchs oft einen deutlich spürbaren propagandistischen Unterton enthalten. Bekanntlich sprechen die Bauten eine andere Sprache; rücken sie ins Blickfeld, so wird deutlich, wie wichtig die Einführung eines neuen Formenvokabulars war. Es greift aber zu kurz, die formalen Anleihen an Ingenieurbauten und technische

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Wegbereiter und Projektionsfläche  A

Objekte – man denke an die verbreitete Schiffs- und Maschinenmetapher – als allein gestalterisch motiviert zu verstehen. Der Symbolgehalt solcher Formen wurde gezielt als Ausdruck des Maschinenzeitalters eingesetzt. Gleichzeitig verweist er auf die großen Anstrengungen, die damals unternommen wurden, die Architektur auch bezüglich Planung und Herstellung zu modernisieren. Der Börsencrash vom Oktober 1929 und die darauf folgende Weltwirtschaftskrise setzten diesen Bemühungen ein jähes Ende. In der Nachkriegszeit wurden sie erneut aufgegriffen und – mit den bekannten Folgen – in großem Stil umgesetzt.

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Die Kultur der Konstruktion – einige Beispiele der letzten 50 Jahre zu einer bemerkenswerten Entwicklung Christian Penzel

„Die Technik fragt nicht in erster Linie nach dem, was ist, sondern nach dem, was sein kann. In diesem Sinne hat jede wahrhaft technische Leistung den Charakter des Ent-deckens als eines Auf-deckens: es wird damit ein an sich bestehender Sachverhalt aus der Region des Möglichen gewissermaßen herausgezogen und in die des Wirklichen verpflanzt.“

Ernst Cassirer, Form und Technik, 1930

Die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur scheint auf den ersten Blick immer dann von Interesse, wenn in einem Entwurf außerordentliche konstruktive Mittel oder Methoden zur Anwendung gelangen. Die Entwicklung der technischen Voraussetzung obliegt dabei zunächst dem Ingenieur, der die konstruktiven Strukturen – vermeintlich unabhängig von gestalterischer Einflussnahme – aus der inneren Notwendigkeit von Material und Aufgabe heraus erfindet und sie in eigenständigen Ingenieurbauten zur Anschauung bringt. Inspiriert von diesen Bauten, versuchen die Architekten, die damit einhergehenden Möglichkeiten in Struktur und Bild zu nutzen und sich für ihre Zwecke anzueignen. Seit Beginn der Industrialisierung, seit der beeindruckenden Erscheinung der ersten großen technischen Bauten wird in einem kontinuierlichen Prozess der Übernahme und der Überformung wird auf diese Weise unsere Vorstellung des Gebauten vom technisch Machbaren immer wieder modifiziert. Neue Positionen in der Architektur werden vom Motor des technischen Fortschritts generiert, auf der steten Suche nach einer kulturellen Aneignung des darin enthaltenen formalen Potenzials.1

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1

Diverse Veröffentlichungen, beginnend unter anderem mit: Le Corbusier, Vers une architecture, Paris 1923; Werner Lindner, Die Ingenieurbauten in ihrer guten Gestaltung, Berlin 1923; Erich Mendelsohn, Amerika – Bilderbuch eines Architekten, Berlin 1926

Diese nahe liegende Beobachtung lässt sich bei genauerer Betrachtung aber vielleicht auch umkehren und hätte die zunächst unerwartete These zur Konsequenz, dass gewisse Errungenschaften im Bereich von Konstruktion und Technik erst unter der Bedingung eines veränderten kulturellen Umfeldes denkbar werden. Der technischen Leistung läge somit stets auch eine gestalterische Haltung zugrunde, ohne die sie nicht Wirklichkeit werden könnte. Ein Blick zurück auf einige dieser Wechselfälle mag dabei manche der heutigen Fragestellungen erhellen und ein paar grundsätzliche Muster in der Beziehung von Ingenieur und Architekt offenlegen.

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Zur Genese der Mies’schen Grammatik siehe: Colin Rowe, Neoklassizismus und moderne Architektur in: Die Mathematik der idealen Villa, Basel Berlin Boston, 1998; Phyllis Lambert, Learning a Language in: Phyllis Lambert, Mies in America, New York 2001

3

Zur neueren Rezeption von Mies’ Minimalismus siehe: Detlef Mertins,The Presence of Mies, New York 1994

Universelle Systeme – Mies van der Rohe, Fazlur Khan und die Ordnung des Rasters  Wie kaum ein anderes Büro repräsentieren Skidmore, Owings & Merill (SOM) mit ihren Werken die Entwicklung der amerikanischen und internationalen Geschäftsarchitektur der Nachkriegszeit. Auf wirtschaftlich höchst erfolgreiche Art haben sie die Grundsätze des International Style und die Errungenschaften einiger bedeutender, in die USA emigrierter Bauhausmitglieder, wie Gropius, Hilberseimer und Mies van der Rohe, adaptiert und in großem Umfang in Bauten übersetzt. Die hohe gestalterische Homogenität, die diesen Aufschwung begleitete, beruhte auf der bindenden Kraft eines modernen Kanons, an dessen Bildung diese Architekten maßgeblich beteiligt waren. Die Phänomene der Rationalisierung und des Seriellen, die das Einsetzen der Massenfabrikation begleiteten, wurden dabei zum Ausdruck der Zeit erklärt und künstlerisch mit den Prinzipien formaler Abstraktion interpretiert. Die Ästhetik der modernen Technik wurde in Form einer klassisch anmutenden Reinheit und Ordnung symbolisch überhöht und adaptiert. Eine der wichtigsten und wohl folgenreichsten konstruktiven Neuerungen dieser Zeit war die Einführung des Skelettbaus und mit ihm die Unterscheidung von tragenden und trennenden Elementen. Vor allem Mies van der Rohe hat mit seiner kontinuierlichen Arbeit an der Erscheinung des tragenden Gerüstes, an der Form seiner strukturellen Glieder, an ihrer Stellung im Ganzen und an ihrer Beziehung zur Hülle das architektonische Potenzial dieser neuen Bautechnik grundlegend ausgelotet. Mit der formalen Aneignung des Doppel-T-Profils hat er schließlich auch den entscheidenden Nachweis dafür geliefert, dass sich Produkte der industriellen Technik – die aus den Walzwerken stammenden Halbzeuge – durchaus für eine Architektursprache eignen, die zeitgenössisch ist, aber gleichwohl dem klassischen Erbe der Architektur verbunden bleibt.2 Mies’ Minimalismus, wie er bei den Hochhäusern in Chicago und New York in reifer Form sichtbar wird, manifestiert sich außer in den sorgfältigen Details und den präzisen Proportionen primär in der Multiplikation gleicher Elemente im Rhythmus der Struktur.3 Die Skelettbauten bilden dabei einfache Prismen, die sich ohne Vor- und Rücksprünge über die ganze Höhe entwickeln. Das in der Fassade entweder unmittelbar oder in Form von Subteilungen zur Erscheinung gebrachte Raster repräsentiert dabei die innere Struktur. Die zur Schau gestellte konstruktive Notwendigkeit wird also übergeordnet zum Symbol einer rationalen Architektur. Solchermaßen eignete sich das Raster mit einigen Vereinfachungen – und unter Verzicht auf allzu genaue Einhaltung antiker

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Die Kultur der Konstruktion  A

Lake Shore Drive Apartments von Mies van der Rohe

Lake Shore Drive Apartments, Ausbildung der Vorhangfassade

Regeln, wie sie für Mies verbindlich waren – hervorragend zur Vervielfältigung und zur Bewältigung einer breit angelegten Produktion von Gebäuden.4 Doch trotz ihrer strukturellen Einfachheit waren diese Skelette technisch nur vermeintlich optimiert und boten nun ihrerseits Spielraum für einige außergewöhnliche statische Entwicklungen. In einer Serie von Projekten erarbeitet der Ingenieur Fazlur Khan bei SOM eine Reihe neuartiger Gebäudetypen, die den Forderungen nach zunehmender Höhe und größerer Wirtschaftlichkeit genügen sollen. Nach der Art ihres Tragverhaltens sind ihre Systeme benannt in outrigger, tube, tube-in-tube und diagonalized tube.5 Neu an ihnen ist die Aktivierung der Fassade für die Gebäudeaussteifung, eine Aufgabe, die bis dahin durch innere Kerne und Stockwerksrahmen übernommen worden war und die die Höhe physisch und ökonomisch auf etwa 50 Stockwerke beschränkt hatte. Mit den tube-Systemen kann diese Schwelle nun auf eine Höhe von bis zu 250 m angehoben werden. Dieser entscheidende Schritt wurde durch eine nur geringfügige Modifikation der ohnehin schon vorhandenen Fassadenstruktur erreicht: Das Grid aus relativ eng stehenden Pfosten und Brüstungselementen wird

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4 Stanley Tigerman, Mies van der Rohe und seine Anhängerschaft oder der amerikanische Architekturtext und seine Lesbarkeit in: Heinrich Klotz, Mies van der Rohe – Vorbild und Vermächtnis, Stuttgart 1987

5

Zu den tube-Systemen siehe: Werner Sobek, Fazlur Khan in: Beiträge zur Geschichte des Ingenieurwesens 9, Lehrstuhl Prof. Eberhard Schunck, TU München WS 97/98 und Mir M. Ali, Art of the Skyscraper – The Genius of Fazlur Khan, New York 2001

Höhen für statische Systeme von Stahlkonstruktionen (oben) und Betonkonstruktionen (unten)

Entwicklung des tubePrinzips aus der geschlossenen Umfassungswand zum Stützen-Träger-Verbund

jetzt biegesteif ausgebildet und die Fassade damit über die gesamte Höhe als große Scheibe wirksam. Die vier Gebäudeseiten bilden schließlich im Verbund eine Röhre, die den Horizontallasten als großer Kragarm entgegenwirken kann. Das erste Gebäude dieser Art ist das DeWitt-Chestnut Apartment Building (1961– 64) von SOM unter der technischen Leitung von Fazlur Khan. Die statische Wirkung als tube wird hier durch ein Gitter aus Stahlbeton gewährleistet, das das 43 Stockwerke hohe Gebäude ohne Mitwirkung innerer Kerne aussteift. Bei konventioneller Ausführung wären nur etwa 28 Stockwerke möglich gewesen – so hoch wie die in unmittelbarer Nachbarschaft stehenden Lake Shore Drive Buildings (1949–51). Bei diesen ersten, von Mies konzipierten Hochhäusern befindet sich der äußere Teil der Struktur ebenfalls in der Ebene der Fassade. Die tragenden Stahlprofile müssen jedoch zur Brandsicherheit ummantelt werden, und die relativ weiten Stützenabstände erfordern eine zusätzliche Konstruktionsebene, mit der die umhüllende Verglasung gehalten werden kann. Dem statischen Primärraster werden in einer vertikalen Subteilung die berühmten Doppel-T-Träger als Fenstersprossen und Repräsentanten der wahren, wegen der brandsicheren Umkleidung aber unsichtbaren Tragstruktur vorgeblendet. Das Bemerkenswerte ist nun, dass Khan das enge Rasterbild nicht als Veranschaulichung und Abstraktion dahinter liegender technischer Tatsachen benutzt – wie es von Mies intendiert war –, sondern zurücktransformiert und daraus wieder eine tatsächliche Funktion auf technischer Ebene generiert. Die Fensterteilung wird einfach in eine Ebene mit der Struktur gebracht und dort statisch aktiviert. Wie weit hier der sprachlich-grammatikalische Gehalt – die Erbschaft von Mies – als formaler Reflex präsent bleibt, zeigt sich in der Ausbildung der Gebäudeecke. Durch die negative Ausbildung wiederholt sie Mies’ berühmte Lösung, obwohl

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Die Kultur der Konstruktion  A

hier die konstruktiven Gegebenheiten genau andersherum liegen. Es handelt sich eben nicht um eine vorgeblendete Fassade, deren Ecken an die Achsmaße der dahinter liegenden Tragstruktur gebunden sind – wie es Mies verdeutlichen wollte –, sondern um einen tube, dessen Ecken richtigerweise positiv sein müssten, zumal sie aufgrund des sogenannten Shear-Lag-Effektes überproportional beansprucht werden. In diesem kleinen Unterschied zeigt sich umgekehrt aber auch das große Maß an Übereinstimmung der formalen Mittel, das die Bauten trotz einer vollkommenen Metamorphose des Tragsystems miteinander verbindet. In beiden Fällen erscheint das Raster als das primäre, gestaltbildende Element; bei Mies entsteht es aus der Unterteilung der Hauptachsen, um mit Hilfe der aufgesetzten Träger das Thema der Vorhangfassade ausspielen zu können; bei Khan erhält es seinerseits wieder eine bedeutsame statische Rolle. Einzig ein Detail macht das DeWitt-Chestnut Apartment Building dann doch als Ingenieurbau kenntlich: Die Stärke der Pfosten und Riegel nimmt nach oben hin ab und macht so die Wirkung des Gebäudeschaftes als Kragträger deutlich. Daran zeigt sich schließlich auch die veränderte Logik DeWitt-Chestnut Apartment Building, Veranschaulichung des Shear-Lag-Effektes

DeWitt-Chestnut Apartment Building, SOM

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Eine gute Zusammenstellung findet sich in: The Structural Architecture of Chicago, Process Architecture N° 102, 1992

7

Paul Valéry, Eupalinos oder der Architekt, Frankfurt 1973 (Original: Eupalinos ou l’Architecte, 1924)

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Buckminster Fuller, zitiert in Reyner Banham, Die Revolution der Architektur – Theorie und Gestaltung im ersten Maschinenzeitalter, Reinbek bei Hamburg 1964, S. 274 9

Eine Zusammenfassung des Einflusses Buckminster Fullers auf die englische Technologiebewegung findet sich in: Carsten Krohn, Buckminster Fuller und die Architekten, Berlin 2004

solcher Bauten, deren Systeme nun nicht mehr im Sinne einer klassischen Tektonik auf den Abtrag der Vertikallasten ausgerichtet sind – wie das Mies’sche Skelett –, sondern vor allem auf die mit zunehmender Höhe stark anwachsenden Windlasten. Die Entwicklung der tube-Konstruktionen ist in dieser Hinsicht eine entscheidende Voraussetzung für den Vorstoß zu bis dahin undenkbaren Gebäudehöhen.6 Dass die Revolutionierung einer ganzen Gebäudetypologie dabei keine größeren, gestalterischen Konsequenzen nach sich zieht, liegt vor allem an den gleichgerichteten Interessen von Architekten und Ingenieuren, die sich im Primat von Rationalität und Ökonomie treffen. Selbst formal bedeutsame Änderungen wie die äußeren Diagonalverstrebungen der diagonalized tube, wie sie erstmals beim Hancock Tower (1970) auftauchen, werden in den Kanon des modernen Rasters und der eleganten Form integriert. Die angewandte Methodik auf architektonischer und auf konstruktiver Ebene bleibt dabei vor allem deduktiv, aus der abstrakten Analyse einer zumeist generell verstandenen Problemstellung entsteht die Form gewissermaßen als allgemeingültige Ableitung. Die Resultate beanspruchen als Typen eine mehr oder weniger universelle Geltung, die sich als Antwort auf die Herausforderungen der Zeit verstehen und sich in vielfacher Wiederholung zum Aufbau der modernen Welt eignen sollen. Der gebaute Ausdruck bleibt trotz vorhandener Variationen abstrakt-modern, gewissermaßen überindividuell, und gibt sich damit der Anonymität einer auf physischen Gesetzen beruhenden Wissenschaft verbunden. Dahinter erscheint der Architekt als Schöpfer, der – wie Valéry ihn charakterisiert – als Demiurg mit seinen Rastern und Systemen die Welt in eine höhere Ordnung überführt.7 Der formale Kanon, und das gilt es hier festzuhalten, geht dabei der konstruktiven Entwicklung voraus, die strukturellen Elemente der Second Chicago School sind entwickelt, bevor die Ingenieure sich ihrer bemächtigen und mit ihnen die modernsten und höchsten Gebäude der Zeit errichten. Individuelle Inszenierung — Renzo Piano, Richard Rogers, Peter Rice und das Drama der Konstruktion  Der amerikanische Ingenieur und Erfinder Buckminster Fuller wendet sich mit seiner Polemik an der zeitgenössischen Baukultur nun explizit gegen diesen skizzierten Vorgang der Verschmelzung, bei dem die moderne Technik in einen bestehenden architektonischen Kanon integriert werden soll und damit ihre Autonomie verliert.8 Alle Bemühungen der Architekten dahingehend werden von ihm als Versuche gewertet, ein überkommenes System der Form und Gestalt aufrechtzuerhalten und die eigentliche, auf steter Mutation und Erneuerung beruhende Kraft der Technologie nicht anzuerkennen. Aufgegriffen und öffentlichkeitswirksam übersetzt wird diese Kritik durch die Technologiebewegung der 60er-Jahre, vor allem von Architekten wie Cedric Price und der Gruppe Archigram, die mit ihren Visionen von in steter Veränderung befindlichen, technoiden Gebäudestrukturen das Bild einer im klassischen Sinne abgeschlossenen Gestalt grundlegend in Frage stellen.9 Das wichtigste gebaute Manifest, das aus dieser Euphorie hervorgeht, ist das Cen-

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tre Pompidou oder Beaubourg (1971–77) von Renzo Piano und Richard Rogers. Die Kulturmaschine im Zentrum von Paris ist ein multifunktionales Gebäude, das seine äußeres Erscheinungsbild vor allem aus der Idee der Architekten ableitet, ein vollkommen flexibles Gebäude zu erschaffen, eine Art frei bespielbares Gestell.10 An beliebiger Stelle des Gebäudes soll jede der vielfältigen Nutzungen denkbar sein, um sich das Innenleben in steter Veränderung vorstellen zu können. In der Konsequenz bedeutet dies die Kumulation maximaler Anforderungen: ein riesiger, mehrgeschossiger Bau, der im Inneren keine einzige Stütze aufweist – um große Ausstellungen ungehindert einrichten zu können – und dessen Tragstruktur sich an jedem Punkt zur Aufnahme der Schwerlast einer Bibliothek eignen muss. Diese Vorgabe führt schließlich zu einer vollständigen „Umstülpung“ des Gebäudes, bei der alle gewohnten „Innereien“ nach außen gekehrt werden – von der Konstruktion über die technische Versorgung bis zur Erschließung –, um eine vollkommen gereinigte Grundfläche zu erhalten, frei von jeglicher baulichen Konditionierung. Die dafür erforderliche Spannweite von knapp 45 Metern wird von einer Reihe von drei Meter hohen Fachwerkträgern bewältigt, die an ein außenliegendes, statisches Gerüst gehängt sind. Dieses Gerüst stellt als Repräsentant der Idee nun die eigentliche visuelle Botschaft des Gebäudes dar. Seine Wirkung bezieht es aus der vollkommenen Zerlegung der Konstruktion in einzelne Glieder, von denen jedes eine ganz bestimmte Funktion übernimmt. Rohre als Stützen für die Druckkräfte, Stangen vertikal und diagonal für die Zugkräfte und als prominentestes Bauteil die so genannten Gerberetten, speziell geformte Trägerelemente für die Lastübertragung. Die Gerberetten (sie verdanken ihren Namen dem Gerberträger) leiten die inneren Lasten aus den Fachwerkträgern dank ihrer gelenkigen Lagerung momentenfrei in die sehr schlanken Stützen, die sich nicht in der Ebene der Fassade, sondern, der Reinheit des Konzeptes wegen, vor ihr befinden – auch das eine ziemlich aufwendige Lösung für ein selbst gemachtes Problem. Für die einfache Lastabtragung und Aussteifung des prismatischen Baukörpers – eine Aufgabe, die gewöhnlicherweise in einer Ebene bewältigt werden kann – wird von den Architekten also ein mehrere Meter tiefes Konstrukt erstellt. Im Zentrum dieser Anordnung steht eben jene gusseiserne Gerberette, eine Erfindung des Ingenieurs Peter Rice. Das kunstvoll gestaltete Stück Stahl zur Lastvermittlung zwischen Träger, Stütze und äußerer Zugverspannung bietet maßgeschneiderte Detailanschlüsse und fügt sich in seiner Form dem anzunehmenden Kräfteverlauf. Der didaktische Gehalt dieser Veranschaulichung findet seine Entsprechung im Ausdruck der Materialisierung. Erstmals seit dem Siegeszug der Walzprofile wird hier wieder Gussstahl in großem Maßstab zur Konstruktion im Hochbau eingesetzt. Rice sucht damit explizit eine Verbindung zu den historischen Ingenieurbauten des 19. Jahrhunderts.11 Mit der Vorstellung von dem Taktilen in der Konstruktion geht es Rice aber nicht nur um den materiellen Ausdruck, sondern im Kern um eine Individualisierung der Form, die den Geist ihres Erschaffers wie ein Signum repräsentiert.12 Die erkennbare Handschrift des Gestalters soll dem lesenden Betrachter die maschinell gefertigten Komponenten nahe bringen.

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10

Zu Aufbau und Statik des Centre Pompidou siehe: Renzo Piano, Mein Architektur-Logbuch, OstfildernRuit 1997 und Peter Rice, Beaubourg in: Peter Rice, An Engineer Imagines, London 1994

Centre Pompidou, Renzo Piano, Richard Rogers und Peter Rice

11

Peter Rice, Beaubourg in: Peter Rice, An Engineer Imagines, London 1994, S. 29 f

12

Peter Rice, The Role of the Engineer, in: Peter Rice, An Engineer Imagines, London 1994, S. 78 ff

Centre Pompidou, Konstruktionsschichten

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Centre Pompidou, Verhältnis von Gerberette, Drehlager, Stütze, Zug- und Aussteifungselementen Centre Pompidou, Gerberetten im Gusswerk

Centre Pompidou, Verhältnis von Träger, Gerberette, Stütze und Zugband

Während Mies’ Bemühung genau darin bestanden hatte, dem anonymen Industrieerzeugnis eine kulturelle Bedeutung abzuringen, meidet Rice normierte und alltägliche Produkte wie die Endlosprofile des Doppel-T-Trägers und besteht auf der individuellen Form des Gussteils. Der Ingenieur profiliert sich gegen das Diktat industrieller Halbzeuge mit der virtuosen Ausnutzung der Baustoffe, sein formender Gedanke stellt die menschliche Aneignung des Materials mit Hilfe der Technik dar. Innovation wird so zu einem humanistischen Prinzip erhoben. Der serielle Einsatz von sichtbar gesteckten und geschraubten Eisenteilen entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, erinnert er doch zugleich an den Kristallpalast von Paxton, einen Schlüsselbau der Moderne, der wie kein zweiter die Auseinandersetzung der Architektur mit den neuen Möglichkeiten des Zweckbaus erzwungen hat. Erst hundert Jahre später, so scheint es, ist die Zeit gekommen, in der sich sein technischer, untektonischer Ausdruck – nun allerdings versehen mit einer Spur von materieller Romantik und Sehnsucht nach der einfachen Mechanik – für die Repräsentation eines der wichtigsten Kulturbauten des zwanzigsten Jahrhunderts eignet. Gegenüber der Ordnung von Mies liegt die entscheidende Verschiebung nun darin, die Technik nicht mehr mit genuin architektonischen Mitteln zu repräsentieren, sondern die untransformierte Technologie möglichst unmittelbar zur Anschauung zu bringen. In diesem Sinne ist die Gerberette auch nicht mehr unbedingt als ein der Stabilität verpflichtetes, tektonisches Bauteil zu begreifen, sondern weist viel mehr den Charakter einer Maschinenkomponente auf. Durch ihre dynamische Form, die herausgefrästen Gelenke und gesteckten Achsen weckt sie eher die Assoziation mit dem Bild eines Kipphebels, und tatsächlich beruht ein nicht unbeträchtliches Maß ihrer Wirkung auf der möglichen Bewegung, die durch allerlei Vorkehrungen aber verhindert wird und optisch ein labiles Gleichgewicht entstehen lässt.

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13

Peter Rice, Instabile Strukturen in: Arch+ Nr 124/125, 1994

Piano und Rogers inszenieren mit diesen Mitteln das Drama einer Konstruktion als Balanceakt – die Überhöhung und die Ausbeutung der Technologie als Bild. Dies deckt sich umgekehrt mit Rice’ Intention, die konstruktiven Verhältnisse so weit zu überzeichnen, bis aus ihnen ein Schauspiel der Kraftflüsse entsteht, eine Aufführung zur Unterhaltung der Betrachter. Wie Regisseure heben die Entwerfer dabei gewisse Details und Verbindungen hervor und unterdrücken andere, um ein genau kalkuliertes Bild an der Grenze zur Instabilität zu kreieren.13 Der gekonnten Handschrift des Ingenieurs fällt dabei eine entscheidende Rolle zu. Seine Suggestivkraft und seine Individualität tragen wesentlichen Anteil an einer Architektur, die als High-Tech-und neuerdings auch Bio-Tech-Bewegung bis heute formal damit operiert, immer neue Gebäudetechnologien zu Brands zu transformieren. Aber wichtiger noch als die Erhebung der Technik zum Fetisch wiegt wohl die damit einhergehende Auflösung gewohnter tektonischer Beziehungen. Das klassische Streben nach Ruhe und Festigkeit als Widerstand gegen die Schwerkraft, in der Frühmoderne nur kurz unterbrochen von Experimenten ihrer symbolischen Überwindung, wird nun ersetzt durch das genau konstruierte Spiel zur Unterhaltung oder Irritation des Betrachters. Die Versuchung, im Kampf um Aufmerksamkeit eine solche Art Schauspiel zu inszenieren und sie mit der Kunst des Ingenieurs zu veredeln, gehört seither zum festen Repertoire der Architektur. Partielle Collagen — Rem Koolhaas, Cecil Balmond und das informelle Flickwerk  Peter Rice hat in der Folge mit verschiedenen Neuerungen in der Verbindungstechnik und beim Materialeinsatz, so unter anderem mit seinen Forschungen zum structural glazing, die Grenze des Konstruierbaren beträchtlich erweitert. Trotz der offensichtlichen Lust an der Inszenierung bleibt Rice dabei einer Ingenieurtra-

ZKM Karlsruhe, Rem Koolhaas – OMA, Schnittmodell, Schnittschema

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Die Kultur der Konstruktion  A

dition verbunden, die sich der Optimierung der Mittel verpflichtet fühlt und die Schönheit eines Gedankens in der Form eines geschlossenen und harmonischen Systems repräsentiert sieht. Mit der Strategie des informal stellt Cecil Balmond, der Rice als führender Ingenieur bei Ove Arup wenig später folgt, nun genau jenen Kern der Ingenieurtradition zur Disposition.14 Ähnlich wie Rem Koolhaas auf formaler Ebene geht es Balmond im strukturellen Bereich dabei um eine grundlegende Revision des rationalistischen Reflexes der Moderne. In den Entwürfen für die Bibliotheken von Paris (1992–93) und für das Medienzentrum ZKM in Karlsruhe (1989) experimentieren sie zusammen mit dem Ziel, die Zwänge regelmäßiger und vermeintlich optimierter Systeme zu überwinden und sich aus der Logik von Raster und Wiederholung zu befreien. So ist das ZKM, ein gestapelter Hybrid mit unterschiedlichen Nutzungen, als polemische Abrechnung mit Beaubourg zu verstehen.15 Die Gebäudetypologie ist dabei weitgehend identisch: Eine äußere Schicht, die als Erschließungszone und zur Abtragung der Vertikallasten dient, umgibt die großen, innenliegenden Räume mit den Hauptnutzungen. Die riesigen Fachwerkträger von Beaubourg, die entsprechend viel Luftraum in jedem der Geschosse beanspruchen, werden hier aber durch die in dieser Hinsicht viel effizienteren, geschosshohen Vierendeelträger ersetzt, die jedes zweite Stockwerk durch vertikale, biegesteife Verbindungen von Boden und Decke als Träger wirken lassen. So ist zwar nur die Hälfte der Geschosse tatsächlich stützenfrei, das Volumen dafür aber uneingeschränkt nutzbar. Doch Effizienz bildet nur vordergründig das Ziel. Koolhaas und Balmond geht es im Weiteren vor allem um die Eliminierung einer erkennbaren und dominanten Struktur. Um gar nicht erst die Idee von Einheitlichkeit aufkommen zu lassen, werden die Vierendeelträger zum Teil wieder durch Fachwerkträger ersetzt, zum Teil mit Einzelstützen verstärkt und die einzelnen Glieder jedes dieser Träger formal unterschiedlich ausgebildet – von der aufgelösten Strebenstruktur über Doppel-TProfile bis hin zu vollwandigen Rohrquerschnitten. Lustvoll werden diese Elemente gemischt und damit die Ablesbarkeit ihrer genauen Funktion, auf die Rice bei seinem Konzept zwingend angewiesen war, bewusst untergraben. Das kunstvoll geformte Detail, das in sehniger oder bulliger Form einen visuellen Eindruck von Art und Stärke der wirkenden Kräfte wiedergeben soll, wird hier ersetzt durch eine Reihe von Ad-hoc-Lösungen. Balmond setzt seine Haltung dabei explizit von der High-Tech-Architektur ab, indem

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ZKM Karlsruhe Abgrenzung Vierendeelsystem (ZKM) zu Fachwerkträger (Beaubourg) ZKM Karlsruhe, Skizze unregelmässiges Vierendeelsystem Skizze unreines Vierendeelsystem durch Kombination mit geschlossenen Wänden und Fachwerkdiagonalen sowie Variation der Vertikalstreben (ZKM)

14

Cecil Balmond, informal, Berlin London New York 2002

15 Zum Aufbau und der Statik des ZKM siehe: Rem Koolhaas, Bruce Mau, S, M, L, XL, New York 1995, S. 666 ff

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Musik als Quelle der Inspiration – ein Gespräch mit Cecil Balmond in: Detail Nr 12, 2005

17

18

Cecil Balmond, informal, Berlin London New York 2002, S. 109 f

Cecil Balmond, Informelles Konstruieren in: Arch+ Nr 117, 1993

er die Eleganz von deren elaborierten Details zwar anerkennt, das Wesen der Repetition und die Vielzahl der Strukturglieder aber als formales Problem deklariert.16 An Stelle des geschlossenen Systems, eine erkennbare Ordnung aufeinander bezogener Teile, setzt er die offene Collage von lose verbundenen Strukturfragmenten. In einem Zuge wird damit nicht nur die didaktische Vermittlung von Stabilität verworfen, sondern zugleich auch die ordnende Wirkung einer auf Gleichmaß beruhenden Gebäudestruktur eliminiert. Die Absetzung richtet sich also nicht nur vordergründig gegen die High-Tech-Architektur, sondern vielmehr gegen den gesamten modernen Kanon einer abstrakten Ratio, die sich in geometrischen Ordnungen und strukturellen Hierarchien ausdrückt und bei Mies zu einem Höhepunkt gefunden hatte. Das Konzept des informal folgt dagegen einer Reihe vage definierter Generatoren – local, hybrid und juxtaposition –, die bereits auf der Ebene des Tragwerkes zur Auflösung einer eindeutigen Ordnung führen sollen. Primat hat danach das lokale Ereignis vor der universellen Lösung (local), die Überlagerung vor der Eindeutigkeit (hybrid) und die Parallelität von Ordnungen vor der Singularität eines Systems (juxtaposition).17 Diese Methodik erlaubt in erster Instanz, strukturelle Interventionen relativ frei zu kombinieren. So weist die Rotterdamer Kunsthal (1987–92), eines der frühen Projekte in Zusammenarbeit mit Rem Koolhaas, in ihren einzelnen Segmenten jeweils unterschiedliche Tragwerke auf, die je nach Programm differieren und häufig unrein zusammengesetzt erscheinen.18 Stützen

Kunsthal, Rem Koolhaas - OMA Unterer Ausstellungsraum mit irregulär gesetzten Baumstützen Schema der unterschiedlichen Tragsysteme

Auditorium und Cafeteria mit Schrägstützen

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unterschiedlicher Form und Dimension, Scheiben, schräge Ebenen und Fachwerke werden dabei konstruktiv miteinander verbunden, ohne dass sich eine bestimmte konstruktive Gesamtordnung einstellt. Dem entgegen bilden die Subordnungen so etwas wie eine Pluralität disparater Glieder, die in Zonen des Überganges immer neue Unregelmäßigkeiten produzieren. Die Fragmente des Tragwerkes, wie zum Beispiel der große Aussteifungsbogen im Dach, bleiben dabei wie bei einer Collage immer als einzelne Interventionen im Spannungszustand zwischen Autonomie und Einbettung ins Gesamte. In der Manier des Bricoleur, den Claude Lévi-Strauss als Gegenpart zum Ingenieur etabliert hat19, werden die konstruktiven Elemente wie Fundstücke aus einem imaginären Repertoire entnommen, je nach Aufgabe ausgewählt und zusammengesetzt. Den statischen Herausforderungen begegnet Balmond nicht mit Erfindungen spezifisch entwickelter Lösungen, wie das bei der Gerberette der Fall ist, sondern mit mehr oder weniger vorhandenen und allgemein bekannten Mitteln. Die Tragwerksfragmente stellen so weder eine besondere Innovation dar, noch intendieren sie eine didaktische Vermittlung ihrer genauen Funktion. Balmond bricht sowohl mit der Verpflichtung zur Ablesbarkeit als auch mit der Optimierungslogik einer Ingenieursethik, die ihren Ehrgeiz auf die Reduktion der Dimensionen und die Minimierung des Materialeinsatzes richtet. Auf die Eleganz von Rice’s Hybridstrukturen, wie er sie unter anderem für den IBM Pavillon (1980–84) entwickelt hat – fein bearbeitete und tailliert geschnittene Hölzer, die durch aufwendig geformte, polierte Stahlknoten mit tiefgezogenen Polycarbonatprismen zu einer selbsttragenden, tonnenförmigen Gebäudehülle verbunden werden 20 –, antwortet Balmond mit dem ad hoc gebastelten System aus Brettern, gebogenen Rundeisen, Walzprofilen und Trapezblechen als Dachkonstruktion für die Congrexpo in Lille (1990–94).21 Sowohl im Maßstab der Systeme als auch auf der Ebene der Detaillierung gelingt es Balmond damit, auf sehr pragmatische und direkte Weise auf die unterschiedlichen Gegebenheiten und Anforderungen einzugehen. Die eigentliche Leistung besteht also paradoxerweise in der Tatsache, die Suche nach der optimalen Lösung aufzugeben, um sich auf einen Prozess des Findens einzulassen, an dessen Ende partielle Lösungen mit beschränkter Tragweite stehen. Die Integration von Störungen, Zufälligkeiten und dissonanten Elementen erzeugt dann statt einem elaborierten Maßwerk – Rice nannte stets die Gotik als Referenz 22 – mehr eine Art von kunstvollem Flickwerk. In Opposition zur übersteigerten Eloquenz setzt Balmond auf die formale Ausbeutung seines Pragmatismus, ein Desinteresse an der „guten Form“ zugunsten einer Verwendung vorgefundener Elemente und Systeme. Der Drang nach formender Gestaltung, wie er bei Rice so vordergründig wird, scheint zwar auf den ersten Blick deutlich gemildert, tritt aber bei genauerer Betrachtung auf anderem Niveau und in weitaus bedeutenderem Umfang wieder in Erscheinung: Indem die Ordnung des Rasters eliminiert und so eine übergeordnete Struktur zerstört wird, erhält der ganze Prozess der Planung eine zunehmende Dynamik, bei der architektonische Elemente und statische Glieder immer weniger voneinander zu unterscheiden sind. Die Bildung von Tragwerken in Form von lokalen

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19 Claude Lévi-Strauss, Das wilde Denken, Frankfurt am Main 1968

20

Peter Rice, Glass and Polycarbonate in: Peter Rice, An Engineer Imagines, London 1994

21

Cecil Balmond, Congrexpo – oder „das Ei“ in Lille in: Arch+ Nr 124/125, 1994

22

Peter Rice, Sydney, in: Peter Rice, An Engineer Imagines, London 1994, S. 63

IBM Pavillon, Peter Rice, Verhältnis von Zug- und Druckelementen aus Holz und den zwischenliegenden, mittragenden Polycarbonatschalen Congrexpo Lille, Cecil Balmond, Verbund von Walzstahl, Bewehrungseisen und geleimtem Brett zu Deckenträger

23 Einige Fragen zum Streitpunkt der Urheberschaft sind thematisiert in: Jennifer Kabat, The Informalist, Wired Nr 9.04, 2001

Zentren, deren Rhythmisierung zu Teilordnungen und das Orchestrieren von Zonen der Überschneidung sind zugleich in räumlicher als auch in konzeptioneller Hinsicht höchst folgenreiche Operationen. Durch den Verzicht auf eine allzu deutliche Erkennbarkeit seines rechnerischen Wirkens und somit die Camouflage seiner Instrumente gelingt dem Ingenieur unter der Tarnkappe des Bricoleurs somit eine erhebliche Ausdehnung seines Einflusses, bis weit in das Kompetenzgebiet des Architekten hinein.23 Nicht unerwartet kann hier die Frage nach der Autorenschaft zwischen Ingenieur und Architekt nur noch sehr unscharf beantwortet werden. Was SOM mit spekulativen Höhen- und Dimensionssprüngen gewährten, Piano und Rogers mit ihrer Fokussierung auf die Technologie beförderten, setzt Koolhaas mit seiner Manier der surrealistischen Montage fort: Sie alle schaffen auf der architektonischen Ebene Möglichkeiten, die eine komplementäre Reaktion im konstruktiven Denken geradezu herauszufordern scheinen – kongeniale Antworten, die sich bis hin zur Verselbstständigung und zum eigenständigen Auftritt des Ingenieurs verdichten. Epilog  Die drei genannten Fälle mögen hier paradigmatisch für Entwicklungen in der Architektur stehen, bei denen sich der formale Ausdruck und die konstruktive Ausbildung auf besondere Weise verbinden. Eine erste Annahme wäre, dass die Beiträge in ihren beiden Disziplinen – der künstlerischen wie der technischen – eine autonome Leistung darstellen, die jeweils auch in ihren jeweiligen Kategorien zu messen wäre. Grundsätzlich ist die Entwicklung einer architektonischen Vorstellung etwas anderes als die Erarbeitung konstruktiver Techniken und Methoden. Aber trotzdem scheinen sich in beiden Disziplinen wesentliche Entwicklungsschritte auf ähnliche Weise in Zyklen der Abstoßung und der Neuinterpretation zu vollziehen.

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Die Kultur der Konstruktion  A

Dass damit entgegen aller Vermutungen die Ingenieurskunst sich nicht im wissenschaftlichen Sinne eines linearen und steten Erkenntniszuwachses entwickelt, sondern ebenso den wechselnden Positionen ihrer Protagonisten und den Bedingungen einer kulturellen Situation unterworfen ist, folgt aus dieser Beobachtung. Demnach wäre es also keineswegs so, wie häufig angenommen, dass der Ingenieur dem Architekten nur die Werkzeuge zur Verfügung stellt. Vielmehr führen offensichtlich erst gewisse Verschiebungen in der architektonischen Kultur zu neuen Ansätzen in der Kunst, eine Konstruktion zu denken, und damit zu Leistungen, die schließlich auf dem Gebiet der Technik eine eigenständige Bedeutung erlangen. Von dort wirken sie anschließend wieder zurück auf die Architektur, die ihrerseits stets bereit ist, sich dem formalen Potenzial der neuen Erkenntnisse zu bemächtigen. Der Fortschritt der angewandten Wissenschaft scheint also weniger autonom als gemeinhin angenommen und das Abhängigkeitsverhältnis der beiden Disziplinen um einiges komplexer als erwartet.

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Tragwerkskonzeption und Raumgestaltung – zum Verhältnis zwischen Architekt und Bauingenieur Christoph Baumberger

Der Beruf des Baumeisters hat sich im Zuge der technischen Entwicklungen der Industrialisierung in zwei berufliche Disziplinen ausdifferenziert: die des Architekten im modernen Sinn und jene des Bauingenieurs. Seither stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Architekt und Bauingenieur und der Art ihrer Zusammenarbeit. Unterschiedliche Antworten wurden in der Architekturtheorie propagiert und von der Baupraxis exemplifiziert. In diesem Beitrag unterscheide ich modellhaft den Monolog des Architekten oder des Ingenieurs, das Selbstgespräch des Ingenieur-Architekten und den Dialog zwischen Architekt und Ingenieur als egalitären Partnern. Für das dritte Modell, das im Fokus der Aufmerksamkeit steht, charakterisiere ich die Methode der Zusammenarbeit genauer und diskutiere mit Scheiben-Platten- und Fachwerkkonstruktionen zwei Bauweisen, die nach der vorgestellten Methode verlangen. Ausgehend von einer Klärung des Begriffs der Tektonik untersuche ich abschließend, ob bezüglich der diskutierten Bauwerke von einer „neuen Kultur des Tektonischen“ gesprochen werden kann. Monolog – der Ingenieur im Dienst des Architekten und der sich als Architekt gebärdende Ingenieur  Dieses erste Modell wird selten postuliert, dafür umso häufiger praktiziert. Je nachdem, wer das Sagen hat, tritt es in zwei Ausprägungen auf. Nach der einen werden die Zuständigkeitsbereiche des Architekten und des Bauingenieurs möglichst sauber getrennt, die Schnittstellen ihrer Zusammenarbeit klar definiert und auf ein Minimum reduziert. Der Architekt entwirft das Bauwerk, der Ingenieur berechnet das projektierte Tragwerk. Die Arbeit des Ingenieurs beschränkt sich auf einen Aspekt der ausführungstechnischen Bearbeitung des architektonischen Entwurfs. Er ist damit einfach einer der mit fortschreitender

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Ausdifferenzierung immer zahlreicher werdenden Spezialisten, die für die Realisierung eines Projekts hinzugezogen werden. Sein Vorgehen ist im Wesentlichen deduktiv: Die Anwendung eines der bekannten statischen Systeme auf die vorgesehene Tragstruktur ergibt deren Dimensionierung und Armierung. Der konzeptionelle Teil seiner Arbeit beschränkt sich darauf, die Dimensionierung möglichst filigran und kostengünstig vorzunehmen und den Form- und Raumvorstellungen des Architekten ohne viel Nachfragen zur Realisation zu verhelfen. Mit dieser subordinierenden Abgrenzung des berechnenden Ingenieurs vom entwerfenden Architekten gehen typischerweise die Abgrenzungen des Ingenieurs als Techniker vom Architekten als Künstler und des Ingenieurs als Konstrukteur vom Architekten als Gestalter einher. Die Arbeit des Technikers oder Konstrukteurs, heißt es, unterliegt ausschließlich funktionalen und zweckrationalen Bedingungen, die des Künstlers oder Gestalters auch ästhetischen und symbolischen. Weil die Baukunst keine freie Kunst ist, hat sie die Bedingungen der Bautechnik, respektive der Konstruktion (wie auch die der Funktion und des Materials) zu berücksichtigen. Aber diese, so geht der Gedanke weiter, fungieren nur als einschränkende Bedingungen für den Gestaltungswillen oder das Kunstwollen. Man wird in diesem Modell der Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur unschwer den üblichen Fall erkennen. Nicht nur die große Masse des Gebauten, sondern auch jene weiten Teile der avancierten Architektur, bei der die Form unabhängig von der konstruktiven Logik oder gar gegen sie entwickelt wird, sind dem skizzierten Modell zuzurechnen. Dieses wird durch die Tatsache unterstützt, dass sich Tragstruktur und Fassadengestaltung mit der Einführung des Skelettbaus auseinander entwickelt haben. Umgekehrt fördert das skizzierte Modell wiederum diese Auseinanderentwicklung, da sie es erlaubt, den Zuständigkeitsbereichen des Architekten und des Ingenieurs verschiedene Komponenten des Bauwerks zuzuordnen. Während der Ingenieur nach rein funktionalen und zweckrationalen Kriterien das Tragwerk bearbeitet, fokussiert der Architekt – wie Jean Nouvel beim Kölnturm – in seinem Entwurf tendenziell die Bekleidung, die primär ästhetischen und symbolischen Kriterien zu genügen hat. Indifferenz zwischen Tragwerk und Bekleidung nach dem Modell von Robert Venturis Konzept des dekorierten Schuppens ist dabei nur der paradigmatische Fall. Die Bekleidung kann auch auf das Tragwerk Bezug nehmen, indem sie es durch den curtain wall teilweise erscheinen lässt, eine analoge Struktur zeigt, es andeutet, vortäuscht oder maskiert. Natürlich haben sich Ingenieure nicht auf das bloße Durchrechnen der architektonischen Entwürfe beschränkt, sondern neue Konstruktionskonzepte entwickelt. Aber ihre Zusammenarbeit mit den Architekten fällt solange unter das erste Modell, wie die technischen Innovationen nicht aktiv in die Form- und Raumgestaltung des Architekten eingreifen. Sei es, weil sie sich auf das hinter der architektonischen Form verborgene Tragwerk beschränken, sei es, weil sie – wie beim Actelion Headquarter in Allschwil von Herzog & de Meuron mit Schnetzer Puskas Ingenieure – allein dazu dienen, die expressive Geste der Architekten zu realisieren. In diesem Fall resultiert die Form nicht aus einer Auseinandersetzung mit der Logik der Konst-

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Actelion Headquarter Allschwil, 2007–2010 Architekt Herzog & de Meuron, Basel Ingenieur WGG Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel

ruktion. Vielmehr wird nach konstruktiven Möglichkeiten gesucht, die unabhängig davon entworfene Form zu realisieren. Solange das der Fall ist, haben wir es mit einem Monolog des Architekten zu tun. Anstatt eines egalitären Gesprächspartners für den Entwurfsprozess ist der Bauingenieur ein Spezialist, dessen Dienstleistung für einen wohldefinierten Bereich des ganzen Planungs- und Bauprozesses hinzugezogen wird, um den Monolog des Architekten zu ermöglichen. Eine solche Separierung ist weder der Nutzung des architektonischen Potenzials neuer Konstruktionskonzepte noch der Optimierung dieser Konzepte im Hinblick auf ihre architektonischen Möglichkeiten förderlich. Sie mag zwar den Planungsaufwand reduzieren und insbesondere an den Ingenieur geringere Anforderungen stellen. Aber gerade damit wird auch ein Optimierungspotenzial vergeudet, was sich auf die Baukosten wie auf die Qualität negativ auswirken kann. Ähnlich verhält sich die Situation bei der zweiten Ausprägung des skizzierten Modells: dem Monolog des Ingenieurs, der kaum weniger verbreitet und im Tiefbau der übliche Fall ist. Aber während in der ersten Ausprägung der Architekt den Ingenieur als Spezialisten hinzuzieht – und heute auch hinzuziehen muss –, verzichtet der Ingenieur in der zweiten Ausprägung ganz auf den Architekten. Wenn er die Form allein aus konstruktiven, ökonomischen und Nutzungsanforderungen, also allein nach zweckrationalen und funktionalen Kriterien zu entwickeln meint, unterliegt er einer Illusion, da immer ein Gestaltungsspielraum bleibt. Und wenn er diesen aktiv zu nutzen sucht, indem er auch ästhetische und symbolische Kriterien in seinen Entwicklungsprozess einbezieht und sich selbst als Architekt versucht, sind die Resultate oft genug unbedarft. Selbstgespräch – der Ausnahmefall der Ingenieur-Architekten  In wenigen Fällen vereinigt eine Person in sich den Bauingenieur und den Architekten. Die Monologe des Technikers und des Künstlers, des Konstrukteurs und des Gestalters verweben sich bei den großen Ingenieur-Architekten wie Pier Luigi Nervi, Félix Candela, Eduardo Torroja, Frei Otto und Santiago Calatrava zum Selbstgespräch. Ihr Gestalten ist ein Konstruieren: Die architektonische Form wird aus den Prinzipi-

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Palazzetto dello Sport, Rom 1956–1958 Architekt Marcello Piacentini Ingenieur Pier Luigi Nervi Schnitt Außenansicht

1 Stefan Polónyi, Die Tragkonstruktion als architektonische Dominante, in: Hans Kollhoff, Über Tektonik in der Baukunst. Braunschweig: Vieweg 1993, S. 26–37, hier S. 31

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Für diese Obsession, vor allem aber für die Suche nach den Residuen des Schweren vgl. Joseph Hanimann, Vom Schweren. Ein geheimes Thema der Moderne. München: Hanser 1999

en der Konstruktion entwickelt, und in den paradigmatischen Werken besteht sie im Tragwerk selbst. Aber damit hat nicht nur die Form auch zweckrationalen Kriterien zu genügen, sondern die Konstruktion auch ästhetischen und symbolischen. Ihr Konstruieren ist daher umgekehrt auch ein Gestalten: Formvorstellungen leiten die Entwicklung der Konstruktion, und zumeist wird diese über das konstruktiv Notwendige (und oft über das ökonomisch Günstige und funktional Erforderliche) hinaus getrieben, um eine spektakuläre Gestalt zu generieren, die in expressiver Überzeichnung den Kräfteverlauf inszeniert und häufig einen ornamentalen oder dekorativen Charakter annimmt. Diese Tendenz zur Überhöhung der konstruktiven Struktur im Dienst des künstlerischen Ausdrucks geht bei den großen IngenieurArchitekten in der Regel aber nur so weit, dass das Tragverhalten noch interpretierbar (wenn auch nicht unbedingt direkt ablesbar) bleibt. So sind die Strebepfeiler bei Nervis Palazzetto dello Sport in Rom statisch interpretierbar, obwohl sie, wie Stefan Polónyi bemerkt, entfallen könnten, wenn man an der Traufe einen Zugring angeordnet hätte.1 Die überhöhte Darstellung des Tragverhaltens geht oft mit einem Hang zu organischen Formen einher. Bei manchen Bauwerken von Calatrava werden diese in surrealistischer Weise verfremdet und in zoomorphe Gestalten verwandelt. Sowohl in der Tradition derjenigen Architekten, die für das Primat der Konstruktion plädierten und sich dabei wie Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc typischerweise auf die Gotik beriefen, als auch im Geist der Ingenieure, deren Ehrgeiz sich immer darauf richtete, mit Hilfe der Wissenschaft der Statik bei einer Maximierung der Dimensionen den Materialaufwand der Konstruktion zu minimieren, zeigen die typischen Bauten der Ingenieur-Architekten zudem eine Tendenz zur Auflösung der Masse und zu immer filigraneren Konstruktionen. Damit folgen sie einer uralten Obsession: das Objekt leichter wirken zu lassen, als es tatsächlich ist.2 Wird diese Haltung ins Extrem getrieben, kann sie in Konflikt geraten mit der eigentlichen Aufgabe der Architektur: der Körpergestaltung und Raumumschließung. Dialog — der Architekt und der Ingenieur als egalitäre Gesprächspartner Im Zuge zunehmender Spezialisierung müssen Ingenieur-Architekten, wie immer ihre Werke im Einzelnen zu beurteilen sind, die Ausnahme bleiben. Die Separierung von Architekt und Ingenieur vergibt sich dagegen die Möglichkeit einer gegenseitigen Befruchtung. Schon früh wurde deshalb eine enge Zusammenarbeit

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zwischen Architekt und Ingenieur als zwei gleichwertigen Partnern gefordert. So schrieb Peter Behrens in seinem Vortrag „Kunst und Technik“ von 1910: „Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich ein besonderer Beruf, den man mit Ingenieur-Architekt bezeichnen kann, ausbilden wird, vielmehr glaube ich, dass die Zukunft ein enges Nebeneinander von Künstler und Ingenieur nötig macht. Dabei soll weder der Baukünstler noch der Ingenieur der Untergeordnete vom andern sein.“3 Weder ein Monolog des einen oder des anderen noch ein Selbstgespräch des Ingenieur-Architekten mit sich wird in diesem dritten Modell angestrebt, sondern ein Dialog zwischen zwei Spezialisten mit verschiedenen Sichtweisen auf dasselbe: das Bauen. Im dialogischen Projektierungsprozess werden die beiden Sichtweisen, in deren Fokus im Fall des Architekten die Raumgestaltung und im Fall des Ingenieurs die Tragwerkskonzeption liegen mag, kombiniert und miteinander in – allenfalls spannungsvollen – Einklang gebracht. Die raumgestalterischen Ideen und Materialvorstellungen des Architekten geben dem Ingenieur Ausgangspunkte und Hinweise für die Entwicklung und die Ausarbeitung der Tragstruktur; und die dreidimensional gedachte tragstrukturelle Konzeption des Ingenieurs greift wiederum in die Raumgestaltung und die Materialwahl des Architekten ein. Der Dialog zwischen Architekt und Ingenieur wird oftmals auf einer vom Architekten vorgeschlagenen Gebäudestruktur aufbauen. Ein überzeugendes Beispiel dafür, wie eine solche Struktur in verschiedene statische Konzeptionen umgesetzt werden kann, die umgekehrt wiederum den räumlichen Aufbau des Bauwerks und die mit ihm verbundene Raumempfindung verändern, liefert der Ingenieurwettbewerb, den die Architekten Jüngling und Hagmann für das Verwaltungsgebäude der Würth Holding in Chur durchführten. Jürg Conzetts Vorschlag, der auf der Idee eines Hängewerks basiert, führt zu einer Betonung der vertikalen Gliederung und damit einem fast gotischen Raumgefühl. Der realisierte Vorschlag von Hans Rigendinger, der mit geschossweise angeordneten Rahmen operiert, führt zu einem horizontal gegliederten Aufbau und damit einem eher klassizistisch geprägten Raumgefühl. Solche Ingenieurwettbewerbe könnten ein Mittel sein, die bekannten Muster von Arbeitsvergaben nach dem Prinzip des billigsten Honorars zu durchbrechen und der planungsintensiven Art der Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur im Dienst der Qualität eine Chance zu geben.4

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Zitiert nach Fritz Neumeyer, Quellentexte zur Architekturtheorie. München: Prestel 2002, S. 349–359 hier S. 355

Projekt Conzett und Projekt Rigendinger: Ingenieurwettbewerb für das Verwaltungsgebäude Würth International, Chur 2002 Architekt Jüngling & Hagmann Architekten, Chur Ingenieur Jürg Conzett, Chur: Hängewerk Ingenieur Hans Rigendinger, Chur: geschossweise angeordnete Rahmen (realisiert) 4

Vgl. Andreas Hagmann, Struktur und Raum, im selben Band, S. 143–45

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Die Abduktion, resp. der Schluss auf die beste Erklärung spielt in der gegenwärtigen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie eine wichtige Rolle; vgl. z.B. Thomas Bartelborth, Begründungsstrategien. Ein Weg durch die analytische Erkenntnistheorie. Berlin: Akademie Verlag 1996, S. 138–148

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Zur Klärung des Funktionsbegriffs (am Beispiel der Museumsarchitektur) vgl. Christoph Baumberger, Kunst aktiviert Kunst. Ein Framework für eine funktionale Analyse der Museumsarchitektur, in: Julian Nida-Rümelin; Jakob Steinbrenner, Kontextarchitektur. Ostfildern, Hatje Cantz 2010, S. 49–76

Eine Logik zur Entwicklung von Konstruktions-Hypothesen  Während das Verfahren des Ingenieurs beim ersten Modell im paradigmatischen Fall ein deduktives ist, kann das für das dritte Modell nicht mehr gelten. Der Ingenieur hat in dem skizzierten Projektierungsprozess nicht bloß die Dimensionierung, die Armierung usw. zu berechnen, indem er ein statisches System auf das projektierte Tragwerk anwendet. Vielmehr geht es darum, das Tragwerk selbst zu entwickeln. Das Verfahren dazu lässt sich über eine Abwandlung der Schlussweise der Abduktion beschreiben. Als „Abduktion“ bezeichnet man den Schluss auf die beste Erklärung für das Vorliegen bestimmter Tatsachen. Ausgehend davon, dass eine Hypothese die Tatsachen am besten erklärt, schließt man auf die Wahrheit dieser Hypothese.5 Ein Detektiv schließt, dass der Butler der Mörder ist, weil dies die Indizien am besten erklärt; ein Arzt diagnostiziert diejenige Krankheit, welche die Symptome des Patienten am besten erklärt. Da die Konklusion einer Abduktion über das hinausgeht, was in den Prämissen enthalten ist, folgt sie nur mit Wahrscheinlichkeit. Dass der Butler der Mörder ist, kann die beste verfügbare Erklärung der Indizien und dennoch falsch sein; die Diagnose des Arztes kann falsch sein, auch wenn sie die beste verfügbare Erklärung der Symptome ist. Die Abduktion ist deshalb ein erkenntniserweiternder, nicht-deduktiver Schluss. Sie gehört mit der Induktion zur logic of discovery. Aber während Induktionen typischerweise Generalisierungen liefern, liefern Abduktionen Erklärungen. Im ersten Fall lautet die Handlungsanweisung „Sammle möglichst viele Beobachtungen und generalisiere dann!“, im zweiten Fall „Überlege, was die vorliegenden Tatsachen erklären könnte, vergleiche die Erklärungen und wähle die beste!“. Beim Verfahren des Ingenieurs nach dem dialogischen Modell handelt es sich um eine Abwandlung der Abduktion, weil sein Beitrag zur Projektierung weniger in der Erklärung bestimmter Daten besteht als vielmehr in der Entwicklung von Konstruktionshypothesen unter bestimmten Bedingungen, die sich unter anderem aus raumgestalterischen Ideen und Materialvorstellungen des Architekten sowie aus Nutzungsanforderungen und Funktionen ergeben.6 Ausgehend von solchen Bedingungen schließt der Ingenieur auf eine Konstruktionshypothese (Tragwerkskonzeption), indem er zeigt, dass sie die Ausgangsbedingungen unter der Anwendung eines geeigneten statischen Systems am besten zu erfüllen ermöglicht. Die Konstruktionshypothese wirkt dann wieder auf die Raumgestaltung des Architekten ein, was zu Modifikationen der Ausgangsbedingungen führen kann, die wiederum eine Anpassung der Tragwerkskonzeption zur Folge haben können. Die Tragwerkskonzeption des Ingenieurs erfüllt die Ausgangsbedingungen dann am besten, wenn sie sich mit den raumgestalterischen Vorstellungen des Architekten zu einem homogenen Ganzen verbindet. Die Tragstruktur unterstützt nun die architektonische Idee; und die architektonische Gestalt bringt die Tragstruktur zur Geltung, was aber keinesfalls ein simples Präsentieren des Tragwerks implizieren muss. Für ein vereinfachtes Beispiel kann die Forderung nach einem großen stützenfreien Raum unter Stockwerken mit kleineren Raumeinheiten als Ausgangsbedingung be-

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trachtet werden. Beim Wohn- und Geschäftshaus am Ottoplatz in Chur von Jüngling und Hagmann Architekten mit dem Ingenieur Jürg Conzett ist der geforderte stützenfreie Raum eine öffentliche Erdgeschosszone, beim Volta-Schulhaus in Basel von Miller und Maranta Architekten, ebenfalls mit Jürg Conzett, eine Turnhalle und beim Wohnhaus an der Forsterstraße in Zürich von Christian Kerez mit dem Ingenieur Joseph Schwartz eine Tiefgarage.7 Die Forderung kann nun unter der Anwendung von aus dem Brückenbau stammenden statischen Systemen in idealer Weise erfüllt werden, wenn man als Tragwerk einen kastenartigen Verbund vorgespannter Betonscheiben und -platten vorsieht.8 Das Beispiel ist vereinfacht, weil natürlich jeweils viele weitere und in den drei Projekten unterschiedliche Ausgangsbedingungen zu berücksichtigen waren und der Tragwerksvorschlag nur der erste Schritt einer komplexen gegenseitigen Abstimmung von Tragwerkskonzeption und architektonischer Idee ist, die in den drei Projekten zu ganz unterschiedlichen Resultaten geführt hat.

Volta Schulhaus, Basel 1997–2000 Architekt Miller & Maranta, Basel Ingenieur Jürg Conzett, Chur

Scheiben-Platten- und Fachwerkkonstruktionen  Viele der zeitgenössischen Bauten, die aus einer engen Kooperation zwischen Architekten und Ingenieuren als egalitären Partnern hervorgingen, führen die Tendenz zur Auflösung der Masse, zu immer leichteren Konstruktionen, mehr Transparenz und Flexibilität weiter und verwenden daher Filigran- und im typischen Fall Skelettbauweisen. Oftmals setzen sie zudem die Tendenz zur Dekoration der Bauwerke mit nicht notwendigen Konstruktionen (ergänzt um überdimensionierte technische Gebäudeausrüstungen) fort und radikalisieren sie insofern gegenüber den Bauten der Ingenieur-Architekten, als einzelne Elemente dieser Konstruktionen oftmals nicht mehr als tragend interpretiert werden können. Erinnert sei an Werke von Renzo Piano mit dem Ingenieur Peter Rice (die Christian Penzel in seinem Beitrag diskutiert) sowie an Beispiele der sogenannten light tech architecture. Bauwerke wie das Wohn- und Geschäftshaus am Ottoplatz und das Haus Kerez folgen keiner der beiden Tendenzen. Sie zeichnen sich gerade dadurch aus, dass ihre massiven, mit vorgespannten Betonscheiben und -platten operierenden Konstruktionen eine Alternative zum Skelettbausystem aufzeigen. Diese Alternative führt erstens zu einer Aufhebung der Trennung zwischen strukturbildendem Tragwerk

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Im Fall des Wohn- und Geschäftshauses am Ottoplatz und beim Voltaschulhaus erscheint diese Forderung sinnvoll: Bei ersterem waren die Nutzerbedürfnisse für das Erdgeschoss in der Planungsphase noch unbekannt, und Turnhallen sollten nicht von Stützen durchsetzt sein. Beim Haus Kerez kommt sie dagegen einer bloß sportlichen Vorgabe gefährlich nahe. Jürg Conzett beschreibt die Idee solcher Konstruktionen, die er auf Robert Maillart zurückführt, in: Tragende Scheiben im Hochbau (Werk, Bauen + Wohnen 9 (1997), S. 34–39) und in: Bemerkungen zu räumlichen Scheibensystemen (Schweizer Ingenieur und Architekt 26 (2000), S. 4–8)

Wohnhaus Forsterstraße, Zürich 2003 Architekt Christian Kerez, Zürich Ingenieur Joseph Schwartz, Zug Strukturmodell Außenansicht

und raumgliedernden Elementen. Die Konstruktion fungiert nicht als Dekoration, die den Bauten einen konstruktiven oder technischen Ausdruck verleihen soll, sondern als raumbildendes System. Anders als beim Skelettbau sind damit im Konstruktionsprinzip von Scheiben und Platten klare Schnittstellen in der Arbeit zwischen Architekt und Ingenieur gar nicht möglich. Zweitens ergibt sich aus der Alternative eine andere Art von Flexibilität. Während das Skelett für alle Geschosse die gleiche Rastereinteilung vorgibt, lässt das Scheibensystem stockwerkweise unterschiedliche Grundrisse zu, deren Flexibilitätsgrad an die verschiedenen Nutzungen angepasst ist. So erlaubt es die brückenähnliche Konstruktion der beiden Bauten, bei der die Obergeschosse das Erd- resp. das Parkgeschoss wie eine Brücke überspannen, über großen stützenfreien Flächen kleinteiligere Raumstrukturen unterzubringen. Da deren Wände aber Teile des Tragwerks sind, wird in diesen Geschossen die Flexibilität im Sinn der Verschiebbarkeit der Trennwände zugunsten klar definierter Räume aufgegeben. Zudem wird bei beiden Bauten die Idee der stockwerkweise verschiedenen Grundrisse nicht auf den Schnitt übertragen und in Richtung Raumplan weiterentwickelt. Die rundum vorkragenden Geschossdecken des Hauses Kerez machen diese Einschränkung besonders augenfällig. Drittens ist das Tragverhalten der verschiedenen Elemente der Konstruktion, wie

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noch zu zeigen sein wird, durchweg interpretierbar, wenn auch keineswegs auf den ersten Blick ablesbar. Viertens schließlich wirkt die Scheiben-Platten-Konstruktion auch der Tendenz zu immer filigraneren und transparenteren Strukturen entgegen und begünstigt ein spannungsvolleres Verhältnis zwischen Gewicht und Leichtigkeit, Abgeschlossenheit und Offenheit. So lastet die Masse der oberen Geschosse beim Wohn- und Geschäftshaus am Ottoplatz beunruhigend über dem offen gehaltenen stützenlosen Erdgeschoss, dessen Verglasung, was den Eindruck noch verstärkt, leicht zurückversetzt ist. Und beim Haus Kerez steht das Gewicht der tragenden Betonscheiben und -platten in einem harten Kontrast zur Leichtigkeit und Transparenz der fast umlaufenden geschosshohen Fensterflächen, die zwischen die Deckenund Wandstirnen eingelassen sind und damit hinter die Betonstruktur zurücktreten. Durch sie ist zudem die Komposition der schweren Betonscheiben im Inneren andeutungsweise zu sehen, überspielt vom tanzenden Grün der sich auf dem Glas spiegelnden Blätter. In den letzten Jahren hat sich das Interesse von der massiven Scheiben-PlattenBauweise auf leichtere Fachwerkkonstruktionen verschoben. Sowohl bei der Erweiterung der Graubündner Kantonalbank in Chur von Jüngling und Hagmann mit Hans Rigendinger (vgl. S. 145) wie auch beim Schulhaus Leutschenbach in Zürich von Christian Kerez mit Joseph Schwartz (vgl. S. 194–197) ist das Tragwerk aus teilweise mehrgeschossigen Fachwerkträgern aufgebaut. Diese Träger, die die Kundenhalle im Erdgeschoss der Kantonalbank überspannen und beim Schulhaus Leutschenbach übereinander gestapelt sind, bilden wie die Betonscheiben beim Gebäude am Ottoplatz und dem Haus an der Forsterstraße eine brückenähnliche und raumhaltige Konstruktion. Wie bei den Vorgängerbauten gibt es keine strikte Wohn- und Geschäftshaus Ottoplatz, Chur 1999 Architekt Jüngling & Hagmann Architekten, Chur Ingenieur Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur

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Trennung zwischen strukturbildendem Tragwerk und raumgliedernden Elementen. Weil aber die massiven Wandscheiben in eine Reihe von Fachwerkstreben aufgelöst wurden, sind das Verhältnis von Wand und Öffnung innerhalb der Tragelemente und damit auch die Beziehung von Tragwerk und Raum ambiger als bei den früheren Bauten. Die Auflösung der Wandscheiben wird betont, da beim Schulhaus Leutschenbach die Innenwände aus Profilit ausgebildet und bei der Graubündner Kantonalbank die Verglasungsebene vom Fachwerk getrennt sind. Statisch funktioniert das Fachwerk bei beiden Bauten als Wand; optisch ist es aber zugleich eine Öffnung. Damit hat das Pendel nicht nur erneut Richtung filigranere und transparentere Strukturen umgeschlagen. Zumindest beim Schulhaus Leutschenbach, wo das Fachwerk mit großem technischem Aufwand teilweise in den Außenbereich verlegt wurde, macht sich auch wieder die Tendenz bemerkbar, die Konstruktion als strukturelles Ornament einzusetzen, das dem Bau einen konstruktiven Ausdruck verleiht; wobei jedoch die Elemente der Konstruktion wie bei den Bauten der Ingenieur-Architekten statisch interpretierbar sind.

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So zum Beispiel bei Ulrich Pfammatter, In die Zukunft gebaut. Bautechnik und Kulturgeschichte von der Industriellen Revolution bis heute. München: Prestel 2005, S. 152 10

Vgl. Nikolaus Pevsner et al. Lexikon der Weltarchitektur. München: Prestel 31992, S. 630. Kenneth Frampton hat manchmal einen sehr viel weiteren (und wohl zu weiten) Begriff im Blick, nach dem die Tektonik als „Poetik der Konstruktion“ ganz allgemein das „poetische Ausdrucksvermögen“ von Struktur und Konstruktion betrifft (Grundlagen der Architektur. Studien zur Kultur des Tektonischen. München: Oktagon 1993, S. 1 f.) 11

Hans Kollhoff: Der Mythos der Konstruktion und das Architektonische, in: ders. Über Tektonik in der Baukunst (Anm. 1), S. 9–25; hier S. 17

Tektonik – eine Abgrenzung von den Neotektonikern  Wenn es um die Übereinstimmung von Tragwerk und Form und die Interpretierbarkeit des Tragverhaltens geht, wird oft der Begriff der Tektonik ins Spiel gebracht. Wohl weil die diskutierten Bauwerke sich durch eine solche Übereinstimmung und Interpretierbarkeit auszeichnen, wurde im Zusammenhang mit ihnen und insbesondere mit ScheibenPlatten-Konstruktionen von einer „neuen Kultur des Tektonischen“ gesprochen.9 Der Ausdruck „Tektonik“, der – wie fast jeder grundlegende Begriff der Architekturtheorie – meist mehr zur Propagierung bestimmter architektonischer Haltungen als zur Beschreibung von Bauwerken dient, stammt aus der Zimmermannskunst. Das zeigt sich noch bei Gottfried Semper, der in Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten „Tektonik“ für Holzkonstruktionen und „Stereotomie“ für Steinkonstruktionen verwendet. Im Anschluss daran wird der Ausdruck manchmal für Filigran- oder Skelettbauten im Gegensatz zu Massivbauten reserviert (auch wenn es massive Holzkonstruktionen wie den Strickbau gibt). In der Regel wird er aber im Anschluss an Böttichers Tektonik der Hellenen auf das Bauen im Allgemeinen übertragen. Nach einer Standarddefinition, die Böttichers Ideen aufgreift, bezeichnet „Tektonik“ die Lehre vom Zusammenfügen starrer Einzelteile zu einem Bauwerk, das auf eine Übereinstimmung von Form und Konstruktion abzielt.10 Er vereint damit, wie Hans Kollhoff bemerkt, „die anscheinend widersprüchlichen Paare Erscheinung und Konstruktion, Kunst und Technik.“ 11 Ein Bauwerk gilt entsprechend als tektonisch, wenn seine Einzelteile zusammengefügt sind, und zwar in einer solchen Weise, dass Form und Konstruktion übereinstimmen. Ich nenne die erste Bedingung „Fügungsbedingung“ und die zweite „Übereinstimmungsbedingung“. Natürlich hängt alles davon ab, wie die beiden Bedingungen verstanden werden. Um zu klären, ob im Zusammenhang mit Bauwerken wie den diskutierten Scheiben-Platten-Konstruktionen von einer „neuen Kultur des Tektonischen“ gesprochen werden kann, soll eine letzte Abgrenzung versucht werden: die von den

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Vertretern einer Rehabilitierung des Tektonischen im Berliner Prinzipienstreit der 1990er-Jahre.12 Die hinter ihrem anschaulichen Bild verborgene Konstruktion  Die Neotektoniker gehen davon aus, dass mit der Durchsetzung der Skelettbauweise die Trennung von Konstruktion und Bekleidung unwiederbringlich vollzogen ist. „Die Architektur der Bekleidung“, schreibt Hans Kollhoff, „ist eine Tatsache.“13 Nun ist aber, wie Fritz Neumeyer meint, „Konstruktion tendenziell nicht tektonisch. Die Konstruktionen moderner Ingenieure haben dazu geführt, dass das Tektonische aufgehoben wird, dass sie unser Gefühl irritieren.“14 Diese Einschätzung ist nicht verwunderlich, wenn an der Fügungsbedingung in irgendeiner Form festgehalten wird. Denn zumindest monolithische Stahlbetonkonstruktionen werden nicht gefügt; höchstens werden, wie Stefan Polónyi anmerkt,15 nichttragende Teile an sie angefügt. Die angestrebte Rehabilitierung des Tektonischen vollzieht sich deshalb nicht auf der Ebene des Tragwerks, sondern auf der Ebene der Bekleidung. Um das irritierte Gefühl zu beruhigen, wird die Bekleidung typischerweise (wie bei Hans Kollhoffs Hochhaus am Potsdamer Platz) nach dem Muster strukturiert, welches ein Paradigma für das architektonische Fügen von Teilen abgibt: das Fügen von Steinen zu einem massiven Mauerwerk (das nach Semper gerade nicht tektonisch, sondern stereotomisch ist). Der Begriff der Tektonik zielt damit nicht auf die „Konstruktion selbst als technische Realität“, sondern auf das anschauliche „Bild der Konstruktion“16 ; ihr „Ziel ist nicht die Visualisierung der Konstruktion an sich, sondern das an sie Erinnernde.“17 Das Bild ist aber in der Regel ein fiktionales und die Erinnerung (trotz der auf Adolf Loos zurückgehenden Metapher von der Bekleidung als Haut, welche die Konstruktion weder zur Schau stelle noch zudecke) eine nicht an das Tragwerk hinter der Bekleidung, sondern an Konstruktionen, wie sie einmal waren. Denn das tatsächliche Tragwerk ist im Fall einer monolithischen Betonkonstruktion überhaupt nicht gefügt und im Fall einer Stahlkonstruktion anders gefügt als die Bekleidung. Zudem täuschen diese Versuche, das Tektonische zu rehabilitieren, Massivität mehr vor, als sie real auszuführen, da hinter diesen „Steintapeten“, deren Fugen sehr oft die Struktur von tragenden Steinkonstruktionen imitieren, minimal kalkulierte Beton- oder Stahlskelette den ganzen Baukörper tragen. Es geschieht also eine kuriose Umkehrung der alten Obsession: statt leichter soll das Objekt nun plötzlich schwerer wirken, als es ist. All dies Vortäuschen aber tut dem tektonischen Charakter solcher Bauwerke offenbar keinen Abbruch. Im Gegenteil, denn „Baukunst muss“, so Fritz Neumeyer, „nicht konstruktiv ehrlich sein, sondern einen Schein des ehrlich Konstruierten erzeugen. Die Magie, die hierfür nötig ist, bezeichnet die Kunst der Tektonik.“18 Was heißt das nun für die Übereinstimmung von Form und Konstruktion, auf die das Zusammenfügen von Einzelteilen nach der Standarddefinition von „Tektonik“ doch abzielt? Mit der Trennung zwischen Tragwerk und Verkleidung haben sich Konstruktion und Form auseinander entwickelt. Ihre Übereinstimmung besteht darin, dass die Form als anschauliches Bild der oder Erinnerung an die Konstruktion

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12

Zentrale Texte zu dieser Debatte darüber, ob geschichteter Stein architektonisch noch ein Kriterium und ob er real oder nur als Fassadenverkleidung zu schichten sei, finden sich in Gert Kähler, Einfach schwierig. Eine deutsche Architekturdebatte. Braunschweig: Vieweg 1995.

13

Hans Kollhoff, Der Mythos der Konstruktion (Anm. 11), S. 11

14

Diskussion, in: Kollhoff, Über Tektonik in der Baukunst (Anm. 1), S. 126–135, hier S. 130

15

Stefan Polónyi, Die Tragkonstruktion (Anm. 1), S. 26

16 Fritz Neumeyer, Tektonik: Das Schauspiel der Objektivität und die Wahrheit des Architekturschauspiels, in: Kollhoff, Über Tektonik in der Baukunst (Anm. 2), S. 55–77; hier S. 62. Ich verwende im Folgenden Neumeyers Ausdruck „Bild der Konstruktion“, auch wenn es sich bei dem, was er bezeichnet, natürlich nicht um Bilder im eigentlichen Sinn handelt. 17

Hans Kollhoff, Der Mythos der Konstruktion (Anm. 11), S. 15

18

Fritz Neumeyer, Tektonik (Anm. 16), S. 63

Hochhaus am Potsdamer Platz, Berlin 1998–2000, Hans Kollhoff

19 Eine andere Tektonikauffassung, die sich bei Eduard Sekler findet, baut die Anschaulichkeits- oder Ausdrucksbedingung in die Übereinstimmungsbedingung ein. Ein Bauwerk gilt demnach als tektonisch, wenn es aus Einzelteilen zusammengefügt ist und seine Konstruktion und deren Kräfte-verlauf anschaulich macht oder ausdrückt (Struktur, Konstruktion und Tektonik, in: Gyorgy Kepes (Hg.), Struktur in Kunst und Wissenschaft. Brüssel: La Conaissance 1967, 89–96). 20 Die Fassade von Kollhoffs Hochhaus am Potsdamer Platz ist gerade nicht aus Steinen gefügt, sondern aus gegossenen Fassadenelementen mit eingelegten Klinkersteinen. Das Bauwerk versucht diesen Eindruck aber zu vermeiden und suggeriert, dass die Fassade aus Klinkersteinen gefügt sei. 21

Fritz Neumeyer bleibt in seiner Bestimmung vage: „Der Kern des Begriffs Tektonik bezieht sich auf das geheimnisvolle Verhältnis zwischen der Fügbarkeit und der Anschaubarkeit der Dinge und betrifft den Zusammenhang zwischen der Ordnung eines Gebauten und der Struktur unserer Wahrnehmung“ (Tektonik (Anm. 16), S. 55).

fungiert. Weil das Bild aber fiktional und die Erinnerung, wie oben erwähnt, eine nicht an die hinter der Bekleidung verborgene Konstruktion ist, entpuppt sich die Übereinstimmung als eine scheinbare. Die fraglichen Bauten genügen damit der Übereinstimmungsbedingung nicht. Wohl deshalb lassen Hans Kollhoff und Fritz Neumeyer diese Bedingung in ihren Bestimmungen der Tektonik weg. Zumindest der zweite scheint sie durch etwas wie eine „Anschaulichkeitsbedingung“19 zu ersetzen. Zudem beziehen sie die Fügungsbedingung auf die Strukturierung der äußeren Form, was bei ihnen heißt: der Bekleidung. Ein Bauwerk gilt als tektonisch, wenn seine Bekleidung zumindest vorgibt, aus Einzelteilen zusammengefügt zu sein,20 und zwar in einer solchen Weise, dass sie ein anschauliches Bild einer Konstruktion liefert, das auch fiktional sein kann.21 Wie die Übereinstimmung von Konstruktion und Form erweist sich auch die zumindest von Hans Kollhoff dennoch angestrebte Einheit von Technik und Kunst als scheinbare: Während das Tragwerk im Wesentlichen Sache des Ingenieurs ist und der Bautechnik zugerechnet werden kann, da es allein funktionalen und zweckrationalen Kriterien zu genügen hat, steht die Bekleidung, die in erster Linie ästhetische und symbolische Kriterien erfüllen soll, als die Domäne des Architekten im Mittelpunkt der Baukunst. Das skizzierte Verständnis von Tektonik, das einem Großteil dessen zugrunde liegt, was die Vertreter der Rehabilitierung der Tektonik im Berliner Prinzipienstreit propagiert und realisiert haben, fällt damit unter das erste Modell des Verhältnisses zwischen Architekt und Ingenieur. Der intendierte Dialog entpuppt sich als Monolog. Die von unseren Sehgewohnheiten verstellte Konstruktion  Die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur, die Bauten wie dem Wohn- und Geschäftshaus am Ottoplatz oder dem Haus Kerez zugrunde liegen, gehören dagegen zum dritten Modell. Die Trennung von Tragwerk und Bekleidung, von der die Neotektoniker ausgehen, ist bei diesen Bauten aufgehoben. Ihre Form besteht wie bei den paradigmatischen Werken der Ingenieur-Architekten im Tragwerk selbst, oder dieses bildet zumindest einen wesentlichen Teil ihrer Form. Aber anders als die Werke der Ingenieur-Architekten verzichten sie auf eine spektakuläre Darstellung der Kräfteflüsse. Weder eine expressiv überhöhte Inszenierung des Tragverhaltens noch ein anschauliches Bild der Konstruktion wird also angestrebt. Das Verhältnis

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zwischen den konstruktiven Eigenschaften, die das Tragverhalten betreffen, und ihrer Wahrnehmbarkeit ist bei ihnen vertrackter. Betrachten wir noch einmal das Wohn- und Geschäftshaus am Ottoplatz. Einerseits ist die Tragkonstruktion nicht von einer Verkleidung verhüllt. Die Elemente, die tragend aussehen, und nur sie, tragen auch (die Einbauten sind als große Möbel mit runden Kanten in die Primärstruktur hineingestellt); und die tragenden Elemente sind grundsätzlich sichtbar. Andererseits aber ist das Tragverhalten der sichtbaren Konstruktion keineswegs leicht zu erkennen. Die raffinierte und ambitionierte Tragwerkkonzeption wird in der lapidaren Art, wie das Bauwerk dasteht, nicht zur Schau gestellt. Die Verwendung von vorgespannten Betonscheiben und -platten unterstützt diese Ambivalenz, denn die Scheiben und Platten sind zwar sichtbar, aber die Vorspannkabel, die für ihre statische Funktion wesentlich sind, bleiben verborgen wie die übliche Armierung auch. So wird man kaum auf Anhieb erkennen, dass die versetzt positionierten schmalen Betonscheiben eine Art Gitterträger darstellen, indem sie in den Diagonalen mittels rautenförmig angeordneter Vorspannkabel miteinander verbunden sind. Auch wird einem nicht ohne Weiteres auffallen, dass sich die Öffnungen zwischen den Betonscheiben aus den sich kreuzenden Spannkabeln ergeben. Aber man fragt sich allenfalls, wie dieses stützenfreie, verglaste Erdgeschoss möglich ist; und vielleicht wird man bemerken, dass die Betonscheiben geschossweise versetzt angeordnet sind, sodass die starke vertikale Betonung von einer Diagonalausrichtung überlagert wird. Solche Hinweise können eine leise Verblüffung bewirken, die sich auf unsere Erfahrung mit dem Bauwerk auswirkt; und sie können einen dazu bewegen, sich genauer mit dem zugrunde liegenden Tragwerkskonzept zu befassen und nach dessen verborgenen Elementen zu forschen. Handelt es sich beim Gebäude am Ottoplatz nun um ein tektonisches Bauwerk? Kann es als Beleg für eine „neue Kultur des Tektonischen“ dienen? Die folgenden Überlegungen sprechen dagegen. Auch wenn es die Übereinstimmungsbedingung erfüllt, da die Form weitgehend im Tragwerk selbst besteht, verletzt es erstens die Fügungsbedingung der Standarddefinition und verhält sich also gerade gegensätzlich zu typischen Bauwerken der Neotektoniker. Während man die Fassade des Bauwerks, für die vorfabrizierte Betonscheiben verwendet wurden, allenfalls noch als aus Einzelteilen zusammengefügt bezeichnen kann, scheint das für den Rest des Tragwerks, der (wie das ganze Tragwerk des Hauses Kerez) eine monolithische Stahlbetonkonstruktion ist, nicht mehr der Fall zu sein. Zweitens verletzt das Bauwerk die Anschaulichkeitsbedingung der Neotektoniker, da seine Form gerade nicht ein anschauliches Bild der Konstruktion liefert. Nun könnte man natürlich versuchen, den Begriff des Zusammengefügten so stark auszuweiten, dass alle Arten von Konstruktionen, auch monolithische Stahlbetontragwerke, darunter fallen. Damit vollzöge man die zum Ausweg von Hans Kollhoff und Fritz Neumeyer komplementäre Strategie: man behielte die Übereinstimmungsbedingung bei und gäbe de facto die Fügungsbedingung auf. Aber während das Ergebnis ihrer Strategie noch immer ein Tektonikbegriff ist, weil an

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Wohn- und Geschäftshaus Ottoplatz, Chur 1999 Architekt Jüngling & Hagmann Architekten, Chur Ingenieur Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur Konzeptskizze Architekt und Ingenieur Spannungsfelder

die Stelle der Übereinstimmungsbedingung die Anschaulichkeitsbedingung tritt, würde mit dieser zweiten Strategie die Frage nach dem Tektonischen durch die allgemeinere Frage nach dem Verhältnis von Konstruktion und Form ersetzt. Hält man dagegen an der Fügungsbedingung fest und kombiniert sie mit der Anschaulichkeitsbedingung, so wird klar: Sie kann nicht so weit verstanden werden, dass unser Bauwerk sie erfüllt. Denn weil die Anschaulichkeit oder „Lesbarkeit“ des Bildes als wichtiger für den tektonischen Charakter eines Bauwerks eingeschätzt wird als der Bezug auf die tatsächliche Konstruktion, orientiert sich das für dieses Bild relevante Fügen typischerweise am paradigmatischen Fügen von Steinen zu einem Mauerwerk. Dieses ist anschaulich, „lesbar“: Wir sind es gewohnt. Aber gerade diese Gewohnheit könnte mitverantwortlich dafür sein, dass wir das Tragverhalten von Konstruktionen mit vorgespannten Scheiben und Platten nicht oder nur schwer „lesen“ können. Das Tragwerk des Wohn- und Geschäftshauses am Ottoplatz ist zwar nicht hinter einer Verkleidung verborgen, aber die Wahrnehmbarkeit des Tragverhaltens ist von unseren Sehgewohnheiten verstellt. Und Bauwerke, die man als „typisch tektonisch“ bezeichnet, scheinen gerade diese Sehgewohnheiten zu perpetuieren.

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Dialog der Konstrukteure  Die diskutierten Bauwerke – und natürlich nicht nur sie – zeigen einerseits Alternativen auf zur Kunst der monologisierenden Architekten; sei es die dekorative Verpackungskunst, die oft im Dienst des Branding auf die werbewirksame oder kommunikative Hülle setzt, sei es die konservative Verkleidungskunst, die im Dienst der steinernern Stadt und der Lesbarkeit der Fassaden auf ein anschauliches Bild der Konstruktion abzielt. Sie zeigen andererseits Alternativen zur exzessiven Konstruktionskunst der Ingenieur-Architekten auf, die häufig auch im Dienst der Vorführung technischer Möglichkeiten auf eine expressiv überhöhte Inszenierung des Tragverhaltens aus ist. Die Alternativen bauen auf eine enge Partnerschaft zwischen Architekt und Ingenieur. Massive Scheiben-PlattenKonstruktionen unterscheiden sich von anderen Bemühungen in dieselbe Richtung dadurch, dass sie weder die Tendenz zu immer filigraneren Tragsystemen und immer mehr Transparenz und Flexibilität noch die Tendenz zur Dekoration des Bauwerks mit nicht notwendigen Konstruktionen fortführen. Sie veranstalten vielmehr ein spannungsvolles Spiel zwischen dem Leichten und Transparenten und dem Schweren und Opaken, ermöglichen eine angepasste Flexibilität mit wohl definierten Räumen und konzipieren das Tragwerk als raumbildendes System. Fachwerkkonstruktionen, wie sie gegenwärtig en vogue sind, folgen dagegen der ersten Tendenz teilweise wieder; und zumindest manche von ihnen setzen die Konstruktion zugleich als strukturelles Ornament ein. Aber auch bei ihnen gibt es keine strikte Trennung zwischen strukturbildendem Tragwerk und raumgliedernden Elementen. Die Entwicklung des Tragwerks und die Raumgestaltung gehen damit ineinander über, und die Zuständigkeitsbereiche des Bauingenieurs und des Architekten sind nicht mehr sauber voneinander zu trennen. Beide arbeiten an der Konstruktion: der eine primär vom Gesichtspunkt der Tragwerkskonzeption, der andere primär vom Gesichtspunkt der Raumbildung aus. Ihr Dialog ist ein Dialog der Konstrukteure.

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Recherche Jürg Conzett forscht dem Zusammenspiel technischer und architektonischer Aspekte am Beispiel des Palazzo della Regione in Trento (I) des Architekten Adalberto Libera und des Ingenieurs Sergio Musmeci nach. Er versucht die Verschmelzung unterschiedlicher Einflüsse der beiden Seiten in ihrer entwerferischen Zusammenarbeit – ein kaum umkehrbarer Vorgang – zu entschlüsseln, indem er sich den verschiedenen Entwurfsschritten über kreative Konstruktionshypothesen annähert. Yves Weinand zeigt, wie am IBOIS Forschungslabor der EPF Lausanne das Potenzial der vernachlässigten Eigenschaften des Materials Holz erforscht wird, um neue, raumbildende Tragsysteme zu entwickeln. In einer engen Verbindung von Lehre und Forschung wird mit großmaßstäblichen Strukturen aus kleinen, sich wiederholenden Einheiten und textilen, gewobenen Techniken experimentiert. Formuliertes Ziel ist die Erweiterung des Repertoires von freieren Formen ohne die traditionellen Werte von Holzkonstruktionen aus den Augen zu verlieren. Aita Flury untersuchte im Rahmen einer Forschung über „Das schräge Dach“ die Wechselwirkung von Tragwerk und Raum am neuen Sitz der Società Ippica Torinese (S.I.T.) in Nichelino/ Turin (1958/1959) der Architekten Gabetti e Isola und des Ingenieurs Giuseppe Raineri. Ein dialogischer Teil der Recherche in Form eines E-Mail-Verkehrs „uncut“ zwischen der Architektin und dem beigezogenen Ingenieur Jürg Conzett illustriert, wie dadurch die Analyse konstruktiv tiefgründiger, aber auch „much more amusing“ ausgefallen ist.

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Das Zusammenspiel technischer und architektonischer Aspekte am Beispiel des Palazzo della Regione in Trento (I) des Architekten Adalberto Libera und des Ingenieurs Sergio Musmeci Jürg Conzett

Es handelt sich um die Zusammenfassung eines Referats, das am 2. Dezember 2005 an einer Tagung über den Palazzo della Regione gehalten wurde. Die Beiträge dieser Tagung wurden im Buch „Il palazzo della regione di Trento di Adalberto Libera e Sergio Musmeci“, Trento, Nicolodi, 2007, hrsg. von Marco Pogacnik, in Italienisch publiziert. Ich danke Herrn Marco Pogacnik für die freundliche Erlaubnis, verschiedene Originaldokumente aus dem Archiv Libera für diesen Beitrag verwenden zu dürfen.

Der Palazzo della Regione wurde 1964 fertiggestellt und besteht aus drei Trakten, nämlich dem Edificio Assessorati mit seinen charakteristischen „Baumstützen“, der Sala Consiliare als funktionell begründete Kegelschale und der Giunta mit ihrer gewaltigen Spannweite. Gemeinsam ist allen drei Gebäudeteilen der elementare, sozusagen physisch spürbare Ausdruck von Kraftwirkungen. Dieser stimmt

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Luftbild des Palazzo della Regione in Trento. Links das Edificio Assessorati, vorn die Giunta, dahinter die Sala Consiliare, rechts das ältere Grand Hotel Trento.

jedoch nicht unbedingt mit den wahren Verhältnissen überein, ihm eignet nichts Didaktisches; vielmehr suchen Libera und Musmeci nach einer Übersteigerung der wirklichen Statik. Mich interessieren an diesem Bauwerk zwei Themen: einerseits das Verhältnis von „rechnerischer Stabilität“ zu „dargestellter Stabilität“ (wie es Gropius formulierte), andererseits der Einfluss der Arbeit Musmecis auf die Form des Palazzo. Edificio Assessorati – die Dramatik der Stützung  Das Gebäude der Assessorati ist ein Betonskelettbau. Die Geometrie der Obergeschosse zeigt einen rautenförmigen Raster von ca. 6 × 6 m. Im Erdgeschoss wird der Stützenabstand verdoppelt. Die Abfangung der oberen Stützen geschieht über je vier flach geneigte Streben (25 bis 30 Grad beträgt der Winkel zur Horizontalen), die aus der untenliegenden Stütze „wachsen“ und an ihren Enden die Lasten der darüber liegenden Stützen aufnehmen. Hier lässt sich ein erstes Mal eine Art bewusster Täuschung der Wahrnehmung des Betrachters durch die Entwerfer verfolgen. Im Plan (vgl. Plan 106B) der Längsfassade besitzen die untenliegenden Hauptstützen einen Anzug, sie werden gegen den Boden hin schmaler. Ein vertikales Tragelement, das zu seinem unteren Auflager hin schmaler wird, ist statisch nur sinnvoll als Teil eines Rahmens, als Bauteil, das an seinem Fuß (unter anderem) eine Horizontalkraft aufnehmen muss, die in ihm ein Biegemoment erzeugt, das nach oben zunimmt. Solche zunächst labil erscheinende Konstruktionsteile, die ein biegesteifes Material voraussetzen, werden ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert zu einem Erkennungszeichen „moderner“ Ingenieurskunst (der Bogen des Viaduc du Garabit, die Fußgelenke der Pariser Galerie des Machines 1889, später dann die Binderfüße an der AEG Turbinenhalle, noch später Maillarts DreigelenkHohlkastenbrücken, schließlich sehr viele Arbeiten von Prouvé). Wesentlich ist, dass solche Elemente immer nur Teil einer Konstruktion sein können, sie sind für ihre Stabilität auf weitere Konstruktionsteile angewiesen, die häufig symmetrisch dazu angeordnet sind (etwa bei einem Bogen), aber auch eine ganz andere Form aufweisen können (etwa eine Pendelstütze unter einem Halbrahmen). Also: Der Rahmenstiel steht nie für sich allein. Wenn nun Libera und Musmeci die Hauptstütze mit Anzug als Rahmenstiel ausbil-

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den, müssen sie diesen Teil (das heißt, die Hauptstütze und die daran anschließenden vier Streben) mit den ihm benachbarten Stützen-Streben auf irgendeine Weise verbinden. Dazu bräuchte es Rippen entlang der Decke über dem Erdgeschoss, oder zumindest eine verstärkte Deckenplatte (vgl. Skizze 1). Man stelle sich diese Konstruktion bildlich vor – und plötzlich verlöre der Anblick der Streben seine entscheidende Spannung. Denn die glatt durchlaufende Decke negiert ihre statische Wirkung (nämlich die, die oberen Enden der Streben zusammenzubinden) und erweckt im Betrachter das Gefühl, die Stützen der Obergeschosse stünden auf Kragarmen, die Streben würden in erster Linie auf Biegung beansprucht und nicht, wie tatsächlich, auf Druck. Bei genauerer Betrachtung erkennen wir sogar, dass Rippen entlang der Decke sehr wohl vorhanden sind, jedoch unsichtbar, auf der Oberseite der Deckenplatten, als Überzüge (vgl. Plan 110B). Diese für den Bodenleger eher hinderliche Anordnung muss also bewusst unter Inkaufnahme ihrer Nachteile gewählt worden sein, und die einzig stichhaltige Begründung dafür ist eben: Die Deckenuntersicht soll glatt sein. Nun würde diese visuelle Unterdrückung der statischen Wirkung der Decke für die dargestellte Stabilität durch zugespitzte Hauptstützen teilweise wieder aufgehoben; die Labilität des Rahmenstiels wäre ein untrüglicher Hinweis dafür, dass – wenn nicht in der Decke, dann darüber – ein stabilisierendes Element die einzelnen Vierbeiner verbinden müsste. Dieses Wissen würde aber auch die Empfin-

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Innenraum des Edificio Assessorati. Die glatte, ununterbrochen durchlaufende Decke erscheint nicht als Teil der Primärkonstruktion und erweckt dadurch den Eindruck, die schrägen Stützen seien auskragende Konsolen.

Plan 103: Grundriss Erdgeschoss des Edificio Assessorati. Der Stützenraster der oberen Geschosse wird hier verdoppelt. Plan 106: Früher Fassadenplan des Edificio Assessorati. Die Erdgeschoss-Stützen besitzen hier noch einen Anzug. Skizze 1: Statische Wirkung einer nach unten zugespitzten Stütze – sie ist nur als Teil eines Rahmens sinnvoll. Skizze 2: Stütze mit konstantem Querschitt

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Das Zusammenspiel technischer und architektonischer Aspekte   B

Plan 110: Spätere Schnittzeichnung des Edificio Assessorati. Die Stützen besitzen nun einen konstanten Querschnitt und wirken dadurch mehr als selbstständige Elemente. Die Decken besitzen Rippen, die die schrägen Stützenköpfe zusammenfassen. Diese Rippen sind aber unsichtbar auf der oberen Seite der Decken angeordnet.

dung (das gesuchte und einkalkulierte Missverständnis) der auskragenden Arme zunichtemachen. Rein formal betrachtet ein einleuchtendes Motiv (die elegante Zuspitzung der vier Streben/Arme findet ihre Entsprechung, auf den Kopf gestellt, in der Hauptstütze), denn dieses Wissen würde die statische Dramatik schwächen, und deshalb, meine ich, wurde schließlich die Ausführung der vertikalen Stützenbereiche mit zylindrischem, konstantem Querschnitt gewählt. Sala Consiliare – Logik der Form  Die Sala Consiliare ruht auf vier Stützen, die ihre Lasten auf Pfahlfundationen abgeben. Im Untergeschoss ist zwischen diese Stützen ein (wegen des weichen Baugrunds freitragender) runder Tambour gespannt. Die regelmäßig im oberen Drittel der Trägerhöhe platzierten Öffnungen sind in der Art eines Vierendeel-Trägers in den Ecken dreieckförmig verstärkt. Die einzelnen Geschosse werden von Betondecken getragen, die seitlich über die Stützen auskragen. Die größten Auskragungen in den beiden Ecken gegen die Giunta werden durch Rippen verstärkt, die diagonal von den Stützen zu den Ecken zielen und nach außen an Höhe verlieren. Der Ratsaal selbst besteht aus einer 30 cm starken Kegelstumpfschale, die an den vier Hauptpfeilern und einem kreisförmigen Wandträger aufgehängt ist. Als Zugang zum Saal von der Giunta her dienen zwei brückenartige Platten, die in Ausschnitte der Kegelschale münden. Der Umgang mit diesen Ausschnitten ist ein Beispiel für die gute Koordination

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Plan 304: Schnitt durch die Sala Consiliare

Sala Consiliare im Rohbau Statisches Prinzip der Sala Consiliare

zwischen Tragwerk und Raumorganisation, für die Qualität der Zusammenarbeit Libera - Musmeci. Dies zeigt sich an der Behandlung der Rippen, die die genannten Ausschnitte umfassen. Die oberste Decke, die den oberen Rand der Kegelschale umgibt, dient als äußeres Dach. An die Stelle der Unterzüge, die die Ecken der tieferen Geschossdecken tragen, treten hier Überzüge; die Rippen wechseln ihre Lage bezüglich der Decke. Die Überzüge werden auf diesem Geschoss nach innen fortgesetzt. Diese inneren Überzüge führen dem angeschnittenen Rand der Schale entlang nach unten; sie bilden dabei Randverstärkung und Brüstung in einem. Das Gebäude der Sala Consiliare ist von einer unmittelbar einleuchtenden und unzweideutigen konstruktiven Logik. Darin liegt seine hohe Qualität. Dass man sich länger und intensiver mit Assessorati und Giunta beschäftigt, hat seinen Grund darin, dass sie mehr Fragen aufwerfen, dass sie problematischer sind. Giunta – die Schwierigkeiten der Interpretation Spina Centrale   Die Giunta ist statisch ein einfacher Balken mit beidseitigen Auskragungen. Zwei Auflager unter der Mittelachse stützen das Gebäude. Die Spann-

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weite beträgt 40 m, die beiden Auskragungen messen in der Achse des Gebäudes je 14 m. Wichtigstes tragendes Element ist die Spina Centrale, die einzige innere Wand, die das ganze Gebäude in Längsrichtung durchzieht und die direkt auf den beiden Pfeilern ruht. In einer frühen Fassung des Projekts ist sie von je zwei Öffnungen pro Feld durchbrochen und bildet einen zweigeschossigen Vierendeel-Träger. Die Auflager zwischen Boden und Gebäudeuntersicht bestehen hier noch aus sehr starken Wandscheiben in der Längsrichtung, flankiert von zwei leicht schräggestellten runden Stützen, die bis unter das Dach durchlaufen und das Gebäude gegen horizontale oder asymmetrische Krafteinwirkungen stabilisieren. Die Spina Centrale in dieser zweigeschossigen Vierendeel-Form hätte konstruktiv erhebliche Probleme verursacht, die horizontalen Rahmenteile hätten in der Nähe der Auflager sehr stark bewehrt werden müssen. Es ist anzunehmen, dass Libera und Musmeci in der jetzt folgenden Phase des Projekts über die Anordnung der Durchbrüche intensiv diskutieren. Zu diesem Zweck zeichnet Musmeci die Hauptspannungstrajektorien der Spina unter der Annahme einer vollen Wand ohne Löcher. Man kann sich nun fragen, ob dieses Diagramm das zeigt, was ist, oder ob es das zeigt, was sein soll. Gewiss besitzt das Blatt den Charakter einer Freihandzeichnung und muss nicht pingelig auf seine Korrektheit überprüft werden, aber es ist dennoch so, dass die Trajektorien eines Doppel-T-Trägers, wie ihn die Spina Centrale darstellt, ein Trajektorienfeld erwarten lassen, das über die gesamte Wand etwa unter 45 Grad zur Horizontalen geneigt wäre. Es ist deshalb gut möglich, dass hier mitspielt, was Musmeci von A.G.M. Michell (1870–1959) aufgenommen hat: die methodische Suche nach der Konstruktion mit minimalem Gewicht. Die „Mitchell-Figur“ für ein rechteckig begrenztes, mit einer konstanten verteilten Last versehenes Feld, das einseitig eingespannt ist, entspricht nämlich einer sich kreuzenden Schar von Zykloiden. Eigentlich lässt Musmecis Zeichnung der Spannungstrajektorien viel eher an diese Michell-Figur denken als an das „korrekte“ Bild der Trajektorien des Doppel-T-Trägers. Wir dürfen also annehmen, dass es sich um die Illustration eines Idealzustandes handelt, eines Kraftflusses, der möglichst wenig gestört werden sollte. In diese Strömung werden nun die Öffnungen wie Inseln platziert, die den Fluss möglichst wenig stören sollen. Der nun folgende Plan zeigt deutlich diese stromlinienförmige Anpassung. Platzierung und Form der Öffnungen sind direkte Folgen der Denkweise Musmecis, die an Michells Figuren geschult wurde. Ein anderer Ingenieur wäre beispielsweise, von den 45-Grad-Trajektorien ausgehend, zu einer stärker an einem Fachwerk orientierten Anordnung von Öffnungen gelangt (vgl. z.B. die Fassaden des Gebäudes am Ottoplatz, Jüngling & Hagmann Architekten). Die Konstruktionen Musmecis zeigen hingegen häufig ausgreifende, zusammenfassende Linien, die auch technisch der Suche nach minimaler Masse entsprechen, selbst da, wo der entsprechende Arbeitsaufwand hoch ist (Ponte sul Basento a Potenza, der Entwurf eines spiralförmigen Wolkenkratzers) –, dagegen steht der zweigeschossige Vierendeelträger des Entwurfs von 1956 dem Fachwerkbau viel näher; denn beim Vierendeel-Träger wie beim Fachwerk handelt es sich um eine

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Früher Grundriss des zweiten Obergeschosses der Giunta. Gut sichtbar ist die Spina Centrale

Früher Längsschnitt durch die Giunta. Die Spina Centrale ist noch eine Art Vierendeel-Träger

Dazugehöriger Querschnitt

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Musmecis Zeichnung der Hauptspannungstrajektorien der Spina Centrale

„Michell-Figur“ für ein rechteckig begrenztes, gleichmäßig belastetes Feld, das an seiner rechten Seite eingespannt ist

Mit einem Scheibenprogramm konstruierte Hauptspannungstrajektorien des Stegs eines DoppelT-Querschnitts

Plan 208: Überarbeiteter Längsschnitt der Giunta

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Addition ähnlicher Elemente, ein Konstruktionssystem, das vorwiegend aus der Suche nach rationalisierten Baubläufen entwickelt wurde. Stirnfassade  In der Nordfassade der Assessorati blickt uns eine Art Insekt entgegen: die Stirnseite der Giunta (vgl. Plan 106). Unterschiedlich gekrümmte Formen und unterschiedlich strukturierte (schraffierte) Flächen werden präsentiert. Markantes Motiv ist der „Bauch“ des unteren Randes des ersten Obergeschosses – eine Linie, die bis in den fertigen Bau unverändert beibehalten wird. Von dieser nach unten durchhängenden Figur angeregt, denkt man in einer ersten Lesung, das erste Obergeschoss hänge an einem dahinterliegenden T-förmigen Gestell (vgl. oberste Skizze S. 87). Die weich einspringenden inneren Ausrundungen der „Hänger“, die angeschrägten Außenecken, die leicht gekurvten Kanten der Umfassungen der sechs Fenster, all dies unterstützt die Vorstellung einer zugbeanspruchten elastischen Membran weiter. Auch die angedeutete horizontale Schichtung der Fassade des ersten Obergeschosses könnte in diese Richtung weisen; die Mauersteine als statisch passive Elemente, schlaff in einem sie umfassenden Seil liegend. Im Gegensatz dazu suggeriert die vertikale Schalung des oberen T-Balkens Widerstandskraft und Spannung, ähnlich wie die radial orientierten Steine eines Bogens oder die aufgestellten Ziegel eines Fenstersturzes. Dieser Balken würde dann auf dem mittleren Pfeiler ruhen, der seinerseits seine Kraft durch das erste Obergeschoss hindurch (oder hinter dem ersten Obergeschoss) in den zentralen Teil der Sockelkonstruktion weitergäbe; in einen Sockel, dessen Mittelteil durch rahmenartig verbundene, seitliche schräge Streben wirkungsvoll stabilisiert würde. Doch schon meldet sich eine kritische Stimme: Ist die Form des oberen Querträgers für diese Funktion nicht falsch? Müsste sie, wenn schon, nicht eine geradlinige Unterkante besitzen, sodass die Trägerhöhe dem Verlauf der Biegemomente unter einer konzentrierten Last am Trägerende entsprechen würde? Ist also der Träger für die Vorstellung des hängenden ersten Obergeschosses zu gestreckt, zu flach? Kehren wir also die Verhältnisse um, gehen wir davon aus, der Querträger liege an seinen Enden auf; aus den „Hängern“ würden neu „Hörner“, die aus dem ersten Obergeschoss wachsen, und zwischen diese Hörner sei der Träger „gesteckt“; eine Lesart, die durch die am rechten Ende des Trägers ? stark gezeichnete getreppte Fuge unterstützt wird (vgl. mittlere Skizze S.87). Neu würde also der Dachträger durch die seitlichen Hörner mitgetragen und durch sie vor allem auch gegen Umkippen des nunmehr vergleichsweise wacklig erscheinenden Mittelpfeilers seitlich gehalten (als Druckpfeiler erscheinen die Hörner in ihrem unteren Querschnitt stärker als der Mittelpfeiler). In Umkehrung der ersten Leseart würde nun das erste Obergeschoss zu einem beidseits auskragenden Träger, der also das Dach an drei Punkten stützt. Als Gesamtkonzept bestünde die Giunta nun einfach aus drei übereinandergeschichteten Teilen: Sockel – Erdgeschoss – Dach. Die Ausdrucksfunktion der „gemauerten“ Oberfläche des ersten Obergeschoss hätte sich ebenfalls verwandelt: Statt statischer Passivität würde es nun erst recht Kraft und Widerstand verkörpern, so wie die traditionelle Rustizierung des Sockelgeschosses

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dem Gebäude eine Art Panzerung verleiht. Aber auch diese zweite Interpretation lässt Zweifel aufkommen. Sind dafür die Formen des ersten Obergeschosses nicht etwas zu weich geschwungen? Und ist die Voute des Dachträgers jetzt nicht viel zu groß? Der Umriss eines an drei Punkten lagernden Trägers in bewehrtem Beton ist einem vertraut, er weist normalerweise eine kürzere und niedrigere Höhenverstärkung auf. Auch die Entwerfer scheinen diese Widersprüche als unbefriedigend empfunden zu haben, denn sie haben die Fassade später in wichtigen Teilen umgeformt. In den Ausführungsplänen von 1960 finden wir die definitive Fassung der Konstruktion der Giunta. Die vorher besprochene Zweideutigkeit der Stirnfassade ist nun geklärt: oben schwebt ein beidseits auskragender Dachträger. Die in der Mitte zweifach geknickte Unterkante des Trägers verweist auf eine von hier ins Gebäude hineinlaufende, rechteckige tragende Rippe, eine Art Wirbelsäule des Daches. Diese eine zentrale Rippe ist weder in der Lage, den Dachträger gegen Verdrehen zu halten, noch ihn gegen seitliches Verschieben zu sichern (gehen wir davon aus, dass die Dachfläche nicht als statisch wirkende Scheibe betrachtet wird, analog der Erdgeschossdecke der Assessorati). Diese vertikale wie horizontale Stabilisierung übernimmt das eine „Horn“, das aus dem ersten Obergeschoss herauswächst (vgl. untere Skizze S. 87). Im Normalfall, unter symmetrisch verteilter Dachlast, hat es nichts zu tragen, darauf weist auch die symmetrische, nun mit dem effektiven Momentenverlauf vollständig übereinstimmende Dachträgerform. Die stabilisierende Wirkung tritt vielmehr erst bei einer Störung des symmetrischen Gleichgewichts in Aktion. Die Stabilisatoren können schlank und scheinbar elastisch ausgebildet sein, denn die auftretenden Stabilisierungskräfte sind gering. Aber auch die geringen horizontalen Kräfte rechtfertigen eine Verdickung zum Auflager über dem ersten Obergeschoss hin, denn hier sind die Biegemomente am größten. Das erste Obergeschoss bildet einen steifen Kasten. Er hält sich unabhängig vom Dach. Seine Verbindung zum Dach ist – nochmals – rein stabilisierend und, was die Größe der Kräfte angeht, untergeordnet. Das erste Obergeschoss ist rustiziert. Das elliptische Paraboloid zwei Achsen weiter hinten ist auch rustiziert. Die beiden Bauteile berühren sich zwar nicht direkt, treten über ihr Oberflächenbild jedoch in eine enge Beziehung. Die geschweiften Flächen des Paraboloids verweisen auf verborgene Konstruktionsteile, die, sozusagen dem Schwung der Fläche folgend, Mittelpfeiler und Kasten miteinander verbinden. Der Kasten ruht auf dem Mittelpfeiler. Worauf ruht das Dach? Zwei glatte runde Stützen stehen seitlich des Mittelpfeilers und zielen genau auf den Schwerpunkt der unsichtbaren, aber in der Dachträgerform präsenten Längsrippe. Das Dach ruht auf den Schrägstützen, sagt uns die Stirnfassade. Entsprechend der geringeren Last des Daches können die Schrägstützen auch geringer dimensioniert sein. Eine bis jetzt durchwegs logische Erklärung der Ausbildung der einzelnen Teile. Die zweigeschossige Spina Centrale ist kein Ausdrucksthema des Gebäudeäußeren, ihr Anblick wird unterdrückt. Unter der rustizierten Stirnfassade befindet sich eine zurückgesetzte glatte Fläche. In der diagonalen Sicht gibt sie sich als Träger zu erkennen, und zwar als Träger in

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gebauchter Form. Wenn wir vorhin den Umriss des Dachträgers als eindeutigen Hinweis auf die in ihm vorgehenden Beanspruchungen gelesen haben, müssen wir, in gleicher Konsequenz, diesen Träger als von Ende zu Ende spannend auffassen. Die Decke unter dem ersten Obergeschoss ruht auf diesem Träger, der seinerseits an dem von den rustizierten Außenwänden gebildeten Kasten des ersten Obergeschosses hängt. Unterstützt wird diese Sicht dadurch, dass der Träger der Stirnseite von der längslaufenden Deckenverstärkung deutlich abgesetzt ist. Auch ein Blick auf die rückwärtsliegende Längsfassade der Giunta bestätigt diese Sicht, frei spannt sich die rustizierte Fläche über die ganze Länge. Auch die Behandlung der beiden Öffnungen zur Sala Consiliare zeigt, dass die Rustizierung als Hinweis auf ein statisch wirksames Element benutzt wird. Zur Piazza Dante zurückgekehrt, können wir den bildhaft wirksamen statischen Aufbau als Ganzes erkennen: den frei tragenden Kasten, im Innern unsichtbar mit den paraboloiden Pfeilern verbunden. Diese unsichtbare Verbindung wird durch die plattenförmige Figur an der Deckenuntersicht, die die Pfeilergruppen umfasst, aber nirgends kraftschlüssig an die Außenwände gelangt, angedeutet. An den Kasten sind von unten die Deckenträger gehängt, die ganze Deckenbreite überspannend (die Kräfte gelangen von der Decke über die Träger zu den Außenwänden und von da zu den Paraboloiden; sie beschreiben dabei eine Art Wirbel). Auf der Seite der Piazza Dante reiten die Stabilisatoren des Dachs auf der oberen Kastenkante. Ihrer Funktion entsprechend, enden sie kurz vor der unteren Längskante des Kastens. Diese läuft ungebrochen über die ganze 72 m lange Fassade durch und betont damit abermals den Charakter des Kastens als ein einziges starkes Gebilde. Darüber liegt die Dachkonstruktion mit ihrer Längsrippe, die sich auf die beiden A-förmigen Böcke stützt (vgl. Skizze S. 88). Palazzo della Regione in Trento, Baustellenfoto: im Vordergrund die Giunta, links das Edificio Assessorati

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Drei Versionen, wie die Stirnfassade der Giunta gelesen werden könnte

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Versuch einer zusammenfassenden Interpretation der „dargestellten Stabilität“ der Giunta

Dies ist eine mögliche Leseart, und nicht die einzige. Spätestens nach dem Besuch des Innern wird man die wichtige Funktion der im ersten Obergeschoss quer zur Spina auskragenden Vierendeel-Rahmen erkennen. Dann werden die Rippen der Untersicht und die vorspringenden Stabilisatoren der Fassade Piazza Dante zu Kanten einer statisch tragenden Wandscheibe. Das Detail an der unteren Kastenkante, wo die abgeschrägte Fläche der Stabilisatoren bündig mit der Stirn der Deckenuntersichtsrippen liegt, lässt diesen Zusammenhang ja erahnen. Dass die konstruktive „Wahrheit“ dann aber wesentlich simpler mit einer umlaufend vorspringenden Wand ausgedrückt hätte werden können, zeigt wiederum, dass es den Entwerfern keineswegs darum ging. Dem Wissen um die tatsächliche Tragwirkung überlagert sich die vorgestellte Tragwirkung. Das Zusammenwirken verschiedener Wahrnehmungsarten erzeugt eine Art Klang – und dieser Klang fasziniert.

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Neue Wege für Holztragwerke Das Forschungslabor IBOIS an der EPF Lausanne Yves Weinand

Das IBOIS  Die in den letzten zwei Jahrhunderten bestehende Vorherrschaft von zunächst Stahl, später dann Stahlbeton, in der Forschung und der Praxis der Bauingenieurwissenschaft und Werkstoffkunde hat dazu geführt, dass eine große Forschungslücke in Bezug auf Holz als Konstruktionsmaterial entstanden ist. Das intuitive Wissen von Zimmerleuten und unseren beruflichen Vorgängern ist verloren gegangen, seit sich im 18. Jahrhundert der Beruf des Ingénieur des Ponts et Chaussées (Bauingenieur) entwickelt hat, der Holz nicht als Baumaterial nutzt, weil er ihm a priori einen geringeren Stellenwert zuweist als Stahl und Beton. Mein duales Profil als Architekt und Bauingenieur ermöglicht es mir, den Fokus auf die interdisziplinären Aspekte des Bauentwurfs zu richten, und so Synergien zu entwickeln. Da ich wegweisende Forschungsarbeit sowohl in der Baustatik als auch in der Konstruktion durchgeführt habe, unterscheidet sich meine Sichtweise einiger Phänomene deutlich von der Perspektive der meisten Theoretiker oder Praktiker, die nur auf eines dieser beiden Gebiete spezialisiert sind. Durch meine singuläre Position als jemand, der aktiv in der Praxis und in der Forschung tätig ist und beides auch lehrt, hat meine breite Erfahrung mir ein Gleichgewicht ermöglicht, in welchem von den Architekten beanspruchte Werte wie Subjektivität und Ästhetik einem umfassenden baustatischen und technischem Wissen gleichwertig gegenüber stehen, wodurch diese Werte eher verstärkt als abgeschwächt werden. Meine Forschungsarbeit konzentriert sich auf technische, konstruktive, werkstoffbezogene und baustatische Aspekte – die, mit einigen Ausnahmen seit Leonardo da Vincis Zeit, von Architekten auf der Suche nach Verwirklichung ihrer ästhetischen Ansprüche allzu sehr vernachlässigt oder delegiert worden sind. Sie berücksichtigt unzählige grundlegende Verknüpfungen zwischen Kunst und Wissenschaft ebenso wie die spezifischen Zwänge der beobachteten Phänomene und deren

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konkreter Umsetzung. Auswirkungen des Maßstabs werden im Bereich der strukturellen Analyse für die Baukonstruktion häufig einfach ignoriert. Mein Ansatz nimmt die mechanischen Anforderungen von Form/Struktur als Attribute wahr, die nur im Rahmen des geometrisch skalierten Phänomens, von dem sie abhängig sind, volle Bedeutung und Sinn erlangen können. Ich betrachte die Entstehung der digitalen Darstellung von Architektur als unschätzbares Werkzeug, das jedoch nur eingesetzt werden kann, um die Integration von Struktur, Form und Material innerhalb unseres Entwurfsbegriffs zu stärken, wenn die physische Realität jedes beobachteten Phänomens als Gesichtspunkt von größter Bedeutung behandelt wird, sodass Form, Raum und Struktur miteinander verknüpft werden. Forschung in Architektur und Bauingenieurwissenschaft  Die architektonischen Forschungs-, Kompositions-, Produktions- und sogar Konstruktionsprozesse bleiben eng verknüpft mit den persönlichen Entwurfsprozessen des einzelnen Architekten, und die Ausdrucksfreiheit des Architekten als Künstler wird per definitionem als inhärenter Bestandteil des kreativen Prozesses respektiert. Dieser epistemologische Rahmen macht die architektonische Forschung andersartig und schwer akzeptierbar für Disziplinen, die primär in der Kultur der Technik oder der Gesellschaftswissenschaften verwurzelt sind. Im Allgemeinen zielt die Forschung in der Architektur nicht primär darauf ab, der angewandten Technik Geltung zu verschaffen. Wahrhaft interdisziplinäre Forschungsansätze, die die Architektur mit der Bauingenieurwissenschaft verknüpfen, sind nach wie vor wenig verbreitet. Technische Gesichtspunkte werden sehr häufig als quasi neutrales Wissen betrachtet, das den ursprünglichen kreativen Entwurfsprozess eines einzelnen Architekten nicht in einer festgelegten Weise beeinflusst oder beeinflussen sollte. Technische Verfahren, Bauausführungsverfahren und schließlich Gesichtspunkte der Baustatik und der Bautechnik gelten in manchen Fällen fast als unwillkommene Faktoren. Häufig werden diese angeblich neutralen technischen Aspekte erst in einem späteren Stadium des Entwurfsprozesses berücksichtigt, wodurch die wirklich interdisziplinäre und fundamentale Qualität aufs Spiel gesetzt wird, die solche Forschungsansätze verfolgen könnten. Selbst einige gefeierte, ikonenhafte Bauwerke, wie z. B. das Guggenheim-Museum in Bilbao von Frank O. Gehry oder das Olympiastadion in Peking von Herzog & de Meuron, zeigen, wie der Formalismus das bautechnische Konzept zu einer zweitrangigen Frage degradiert. Tragwerke und die elementaren Bestandteile größerer integraler Einheiten wie Balken, Stützpfeiler und Bauelemente müssen in erster Linie robust sein, um ihre tragende Qualität zu erlangen. Unsere heutige Gesellschaft assoziiert große Ingenieurbauten nicht mit Begriffen wie „Textil“ oder „Holz“. Für die meisten Menschen verbindet sich mit dem Begriff „Textil“ die Vorstellung der Weichheit, was mit dem allgemeinen Kontext von Bauwerken unvereinbar erscheint. Der Begriff „Textil“ umfasst zwar eine Vielzahl verschiedener Anwendungen und Interpretationen, es hat jedoch bislang keine Versuche gegeben, seine Eigenschaften und Herstellungstechniken auf den Bereich der Holzkonstruktion zu übertragen. Doch

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Neue Wege für Holztragwerke   B

mit der Strategie, textilähnliche (gewobene oder geflochtene) Holzstrukturen zu verwenden, lässt sich die faserige, von Natur aus flexible Beschaffenheit des Holzes, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten als Einschränkung wahrgenommen wurde, nutzen und in einen konstruktiven Vorteil umkehren. Die Entwicklung von Holzkonstruktionen, welche auf textile Strukturen aufbauen, artikuliert sowohl eine Vision der Zukunft als auch ein Verständnis der Vergangenheit. Sie ist von der Vision des Bauens als einem integrierten Entwurfsprozess inspiriert, in dem Aspekte des Handwerks, der Technik, der Ästhetik und der Baustatik zusammenkommen, wie dies vor der Zeit der Aufklärung der Fall war – nur dass dieses Mal technische Verfahren und Werkzeuge der heutigen Zeit zur Anwendung kommen. Das zur Diskussion stehende Rohmaterial besitzt von Natur aus Eigenschaften (wie z. B. Glätte), die auch die von Architekten gesuchten ästhetischen und konzeptionellen Qualitäten bieten können. Die neu entstehenden digitalen Entwurfswerkzeuge für Architektur und die Art und Weise, in der digitale Zeichenprogramme nun als Instrumente für das Begreifen von Architektur gesehen werden, haben den Weg für breitere Anwendungen der digitalen Technik eröffnet, einschließlich technischer Anwendungen: Technische Aspekte können ins Entwurfswerkzeug eingebettet werden. Technische Fortschritte, die heute in Reichweite liegen, ermöglichen die Integration textiler Grundprinzipien, textiler Technologien und Fertigungssysteme auf eine Weise, die noch vor einigen Jahren undenkbar war. Die Umweltargumente, die für eine stärkere Nutzung des (erneuerbaren) Rohstoffs Holz sprechen, sind unbestreitbar. Das wachsende gesellschaftliche Bewusstsein für die dringende Notwendigkeit, nachhaltige Baumaterialien zu verwenden, ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Faktor für die zurückkehrende wirtschaftliche Bedeutung der Holzbauweise geworden. Umweltaspekte tragen dazu bei, die legitime Nutzung von Holz in den Bauwerken unserer Städte wieder einzuführen oder zu festigen, und zwar in einem Ausmaß, das über viele Jahrhunderte nicht vorhanden war. Wir entdecken erst jetzt, dass viele Techniken, vom Reibschweißen bis zum Stricken, Weben und sogar Origami, auch auf Holzkonstruktionen anwendbar sind. Die Arbeit meiner eigenen Gruppe zeigt gegenwärtig bereits, dass die Anwendung solcher Verfahren den Umfang der technischen und ästhetischen Attribute von Holz radikal erweitern kann. Diese Verfahren ermöglichen uns, Holzerzeugnisse zu entwickeln, die für neuartige Zwecke geeignet sind, weil unsere Gesellschaft kulturell und ökonomisch an einem Punkt angelangt ist, an dem sie Holz als Baumaterial uneingeschränkt zu akzeptieren bereit ist. Wir sehen signifikante Vorteile in der Anwendung solcher Techniken voraus, weil durch sie der Bau großer, frei geformter Konstruktionen aus kleinen, sich wiederholenden Einheiten erleichtert werden dürfte – und dadurch öffnet sich der Weg zu einer stärkeren Nutzung von Schnittholz wie auch von recycelten Holzerzeugnissen als hochwertigen Baumaterialien. Die allmähliche Ablösung von Holz durch Stahl und Beton, die sich in den letzten zweihundert Jahren vollzogen hat, hat nicht dazu beigetragen, neue und zeitgemäße Anwendungen von Holzkonstruktionen unter architektonischer und bautech-

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Eine Forschungsrichtung des IBOIS ist die Entwicklung von geflochtenen Strukturen. Ausgehend von bestehenden Prinzipien des Flechtens wird ein Maßstabsprung vorgenommen, um dieselben Prinzipien im Maßstab von Gebäuden oder Tragwerken zur Anwendung zu bringen. Hier ist die Beschreibung von globalen Geometriemustern notwendig. Markus Hudert beschreibt anhand von Zeichnungen solche möglichen Geometrien. Der hier dargestellte Fügungsprozess des Textilmoduls lässt eine mechanisch komplexe Situation entstehen. Das Modul besitzt Eigenspannungen, die durch die Fügung entstehen und teilweise sich selbst abbauen (Relaxation). Das Tragsystem reagiert durch Formveränderung auf das Angreifen äußerer Lasten und wirkt somit als interaktives System indem es die Eigensteifigkeit in reeller Zeit anpasst. Der Werkstoff Holz scheint auf Grund seiner Verformbarkeit (wir arbeiten im Bereiche großer Verformungen) besonders geeignet.

nischer Perspektive zu fördern. Erst wenn man sich mit Holz intensiver befasst, als dies üblicherweise bei seiner alltäglichen Verwendung im Hochbau der Fall ist, zeigt es seine überraschend enge Verbindung mit Textilmaterialien und sein enormes Potenzial für die Anwendung textiler Techniken. Holz kann als weiches wie auch als viskoses Material mit glatten Eigenschaften klassifiziert werden. Es hat einen „Fluss“, fast wie ein flüssiges Material. Holz besteht grundsätzlich aus unzähligen Zellulosefasern. Diese glatten Fasern sind biegsam und ermöglichen Kurvenformen. Diese Eigenschaften bewirken, dass großmaßstäblich verwobene flexible Holztragwerke in Bezug auf ihre Stabilität gegenüber seismischen Erschütterungen, extremen Windverhältnissen oder Schneelasten außergewöhnlich leistungsfähig sein dürften. Das Potenzial, das Holzkonstruktionen mit Webstruktur im Hochbau besitzen, um das Einsturzrisiko von Tragwerken bei solchen Herausforderungen erheblich zu senken, ist bisher noch nicht systematisch untersucht worden. Auf einer breiteren Ebene werden die vom Labor IBOIS durchgeführten Untersuchungen dazu beitragen, ein tieferes Verständnis räumlicher Strukturen im Allgemeinen entstehen zu lassen und neue Präzedenzfälle für die kooperative Interaktion zwischen Architekten und Bauingenieuren bei der Analyse dieser Strukturen zu schaffen. Fallstudie 1: Textilmodul-Anwendungen  Die hier gezeigten empirischen Modelle sind von Markus Hudert am IBOIS entwickelt worden. Anfangs verwendet er Zeichnungen, um Flechtmuster zu generieren. In diesem Fall haben die ersten Zeichnungen ein sehr interessantes Konstruktionsmodul hervorgebracht. Auch wenn dieser erste Ansatz geometrische Formen steuert, enthüllt er doch neben seinen formalen Qualitäten erstaunliche strukturelle Aspekte. Diese Konstruktion gewinnt an statischer Höhe, wenn sie belastet wird. Sie ist also eine selbst reagierende Konstruktion, und die zentrale Frage lautet daher: Nachdem wir beobachtet haben, dass diese spezifische Konstruktion an statischer Höhe gewinnt, wenn sie sich unter experimentellen Bedingungen mit zunehmender

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Neue Wege für Holztragwerke   B

Das Textilmodul wurde in dieser Form ebenfalls von Markus Hudert entwickelt und stellt eine doppelte Frage. Welche mechanischen Eigenschaften besitzt dieses Modul? Welche plastischen und raumbildenden Qualitäten sind ihm abzugewinnen? In der Verbindung entsteht hier ein vielschichtiger und vielversprechender Ansatz von grundsätzlicher Neuheit, der sowohl aus bauingenieurmäßiger Sicht als auch aus architektonischer Sicht untersucht werden kann.

Die Wiederholung des Basismoduls lässt Bogen- oder Gewölbetragwerke neuer Natur entstehen. Aus mechanischer Sicht entstehen hier hybride Konstruktionen, die teilweise von Eigenspannungen beansprucht bleiben. Die Untersuchung dieser Konstruktionen im Bereich grosser Verformungen und nicht linearer Systeme ist derzeit ein am IBOIS verfolgtes Unterfangen.

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Die beiden Hauptwebrichtungen werden aus Holzplatten unterschiedlicher Längen angefertigt. Die Kontinuität dieser Platten kann in zusammengesetzten Systemen gewährleistet werden. Unser besonderes Interesse gilt der geometrischen Situation an den Überlagerungspunkten. An diesen Kreuzungspunkten besteht ebenfalls die Möglichkeit, eine dritte Konstruktionsachse einzurichten, die hilft, die Platten miteinander zu verbinden sowie eine Steifigkeit im Raum zu erreichen.

Die Proportionen der Platten spielen eine wesentliche Rolle bei der Ausbildung des Textilmoduls. Eine filigrane Ausrichtung wird hier in der Versuchshalle der EPFL getestet. Numerische Ergebnisse und Testergebnisse werden verglichen.

Kontaktpunkte und Randbedingungen der Konstruktion sind geometrisch und mechanisch zu erfassen. Zu den einzelnen Prototypen werden unterschiedliche Auflagerund Verbindungsbedingungen entworfen und gebaut. Die Art der Ausbildung bestimmt direkt den Eigenspannungszustand, aber ebenfalls die Art und Weise, wie das Flechtwerk „weitergeflochten“ werden kann.

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Belastung verformt, können wir dann davon ausgehen, dass sie im Falle extremer Belastung, wie z.B. einem Sturm oder Erdbeben, ihre Disposition und ihre Festigkeit ausreichend anpasst, um solchen extremen Belastungen standzuhalten? Insbesondere ist Forschungsarbeit bezüglich der Anfangsspannung großer Verformungen und des nicht linearen Verhaltens notwendig. Fallstudie 2: Experimentelles Gewölbe mit Überlappung  Auf der Basis dieser geometrischen Formen wurde eine aus planen Elementen bestehende Gewölbekonstruktion in digitaler Form definiert. Dieses Gewölbe, das anfangs aus einer ganzen Reihe von Elementen unterschiedlicher Größe bestand, wurde anschließend so umgearbeitet, dass es nun nur noch zwei verschiedene, sich überlappende Grundelemente verwendet. Diese Arbeit erscheint vielversprechend, weil sie den Weg zur Beantwortung folgender Detailfragen aufzeigt: Wie sollten die überlappenden Verbindungen in großem Maßstab gebaut werden? Hinter dieser Frage verbirgt sich noch eine tiefer gehende Frage bezüglich dieser Webstruktur: Da das globale Modell direkt vom lokalen Verhalten und mechanischen Modell dieser Verbindung abhängt, wie sollte diese Konstruktion dimensioniert werden? Letzten Endes führt die Interaktion zwischen dem Globalen und dem Lokalen zu Fragen der Machbarkeit solcher großmaßstäblicher Konstruktionen und deren potenzieller Anwendung (oder auch nicht). Ebenso ist klar geworden, dass die Beziehung zwischen dem Globalen und dem Lokalen nur über die Planung der Verbindungsdetails erfolgreich gesteuert werden kann. Somit kommt der hier erörterten Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren ebenfalls entscheidende Bedeutung zu, weil diese bei der Definition der Verbindungsdetails interagieren müssen.

Das Prinzip des Flechtens wurde auf eine Bogenbrücke von 85 m Spannweite angewendet. Vier flachliegende rechteckige Bogenquerschnitte aus Brettschichtholz überschneiden sich und unterstützen sich somit gegenseitig. Die Knicklänge jedes einzelnen Bogens wird hiermit stark verringert. Durch diese besondere geometrische Disposition entsteht ein Raum auf der Brücke.

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Fallstudie 3: Aussichtsturm  Steve Cherpillod hat einen Turm entwickelt, der nur aus einem einzigen, höchst spezifischen Holzmodul besteht. Seine Steuerung der allgemeinen Geometrie und der globalen Form dieses Turms ermöglichte ihm, diese Komplexität zu „reduzieren“ und jenes Grundmodul zu definieren. Wieder ist sein erster Ansatz ein geometrisches Verständnis der Interaktion zwischen Treppe und Turm, welches ein sehr altes, verführerisches Thema ist. Nachdem er die räumlichen und funktionalen Anforderungen einer Treppe verstanden und sie erfolgreich in Beziehung zu den Konstruktionsanforderungen eines Turms gesetzt hatte, gelang ihm die Synthese dieser beiden Hauptaspekte des hier gezeigten Entwurfs, indem er das Grundmodul steuerte. Weitere Konstruktionsanalysen haben gezeigt, dass dieses Modul Gegenstand ausführlicher Diskussionen über seine Stabilität und die weitere Entwicklung des Turmes insgesamt sein wird. Schlussfolgerung  Diese Forschung unterliegt nicht den Zwängen der unmittelbaren praktischen Anwendung. Das Labor IBOIS verwendet Zeit und Energie darauf, unbekannte Wege zu erkunden, die nicht direkt den Anforderungen der Umsetzbarkeit oder Effizienz ausgesetzt sind, wie sie in den Ingenieurwissenschaften bestehen. Wir führen unsere Forschungsarbeit frei von den realen Zwängen oder Anforderungen durch, denen ein Bauwerk entsprechen müsste. Die hier beschriebene Forschung kann als potenziell anwendbar auf die Architektur und die Bauingenieurwissenschaft aufgefasst werden.

Masoud Sistaninia modalisiert die Geometrie unter Berücksichtigung der erforderlichen hohen Verformungen und mithilfe des Finiten-Elemente-Programms Abaqus. Da sich der verformte Zustand geometrisch sehr vom unverformten Zustand unterscheidet, ist eine grundsätzliche Bedingung der Baustatik nicht mehr respektiert.

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Bei der Entwicklung der Geometrien sind beide Hilfsmittel Pläne – wie Ansichten, Schnitte und Axonometrien – und auch digitale und physische Modelle von Wichtigkeit.

Modellansicht einer parametrisierten Bogenkonstruktion, welche aus einer Vielzahl von Facetten besteht. Der Einschiebwinkel einer Facette zur nächsten kann beliebig eingestellt werden. Dieser Winkel beeinflusst die globale Geometrie, aber ebenfalls die lokale Knotenausbildung. Bastien Thorel entwickelte diese Struktur im Rahmen einer Übung des Atelier Weinand.

Eine weitere Variante, als Kartonmodell ausgebildet. Der Entwurfsprozess wird iterativ gesteuert.

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a tower for paléo festival a tower for paléo festival

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plan plan rezétage type plan étage type

plan plan étage plate-forme type plan plate-forme

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Neue Wege für Holztragwerke â•… B 80.0

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position de la marche

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Alle Abbildungen auf dieser Doppelseite: Ein 35â•›m hoher Turm wurde von Steve Cherpillod im Rahmen des Ateliers Weinand entworfen. Das Tragwerk des Turmes und die eingebettete Treppenkonstruktion bilden ein Ganzes. Das Basiselement wurde rund 300 Mal eingesetzt. Die ingenieurmässige Betrachtung des Turmes hat ergeben, dass die Treppenstufe eine wichtige Verbindung und Aussteifung dieses Basiselement darstellt. In der weiteren Entwicklung des Turmes muss dieses Element optimiert werden.

0 .06

variation du module

développement du projet a tower for paléo festival

6.00 m 2.00 m

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dimension du module

schéma assemblage

schéma assemblage

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a tower for paléo festival

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Tetto gigantesco – andersgroßes Dach. Hintergründe einer Recherche Aita Flury und Jürg Conzett

Der folgende E-Mail-Diskurs erfolgte im Rahmen einer Recherche für einen Beitrag zur Forschungsarbeit „Das schräge Dach“ an der ZHAW in Winterthur. 1

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Von: Aita Flury [mailto:[email protected]] Gesendet: Freitag, 8. August 2007 12:15 An: Conzett Bronzini Gartmann AG; Jürg Conzett [mailto:[email protected]] Betreff: „gusci“ etc. Lieber Jürg, anbei schicke ich Dir den Text, den der Ingenieur Giuseppe Raineri 1958 zum Tragwerk und zur Konstruktion des Reitschulgebäudes für die Società Ippica Torinese (S.I.T.) in Nichelino, Torino verfasst hat. Wie gesagt, ich untersuche das Gebäude im Zusammenhang mit einer Forschungsarbeit über „Das schräge Dach“ am Zentrum Konstruktives Entwerfen der ZHAW in Winterthur. Meine Übersetzung hat den Atem einer Lateinübung, ich bitte Dich die „poetisch-syntaktischen“ Komponenten nicht zu beachten, sondern vielmehr den Text auf seine Aussagen und Sinnhaftigkeit hin zu prüfen. Das architektonische Faszinosum ist diese alles miteinander verbindende, gigantische Überdachung, die alles unter einem Dach vereinigt – der Text von Raineri ist für mich allerdings äusserst kryptisch; ich glaube, es liegt nicht nur an meiner Übersetzung … Kannst Du mir verständlich machen, was hier die zentralen strukturell-konstruktiven Absichten gewesen sein könnten??? Herzlichen Dank im Voraus! Aita

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Der finale Text von Aita Flury „Tetto gigantesco – andersgroßes Dach. Der neue Sitz der Società Ippica Torinese (S.I.T.) in Nichelino/ Turin, 1958/59 von Gabetti e Isola, Architetti, und Giuseppe Raineri, Ingegnere“ ist publiziert in: Das schräge Dach. Ein Architekturhandbuch, hrsg. von Barbara Burrenâ•›/â•›Martin Tschanzâ•›/ Christa Vogtâ•›/â•›ZHAW Zentrum Konstruktives Entwerfen, Niggli-Verlag, Sulgen 2008

Deutsche Übersetzung (Aita Flury mit Korrekturen von Jürg Conzett) des italienischen Textes vom Ingenieur Giuseppe Raineri zum Tragwerk des neuen Sitzes der Società Ippica Torinese (S.I.T.) in Nichelino/Turin, 1958

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Am 09.08.2007 um 22:22 schrieb Jürg Conzett: Liebe Aita, der Text ist schon im Original eher „frei“ - soll man ihn nun inkl. Unschärfen übersetzen oder nicht? Ich empfehle Dir, Dich weitgehend vom Original zu lösen, weil Präzision in diesem Fall nicht sehr viel bringt, das Ganze allenfalls auch zusammenzufassen und schwer verständliche Teile wegzulassen. Im Prinzip sagt er: Das Faltwerk aus Hourdis mit Überbeton ist nicht viel schwerer als eine reine (stetig gekrümmte) Betonschale, aber steifer und funktioniert deshalb trotz der kantigen Formen ebenso gut. Das Faltwerk aus ebenen Flächen ist gegenüber der Schale einfacher herzustellen und kann in seinen Rippen evtl. durch vorgespannte Bewehrungen oder Kabel so ergänzt werden, dass es wirtschaftlich auf Bruch dimensioniert werden kann und sich trotzdem nicht zu sehr verformt. Ich hoffe, das sei verständlicher … Gute Nacht Jürg Von: Aita Flury [mailto:[email protected]] Gesendet: Freitag, 10. August 2007 15:49 An: Conzett Bronzini Gartmann AG; Jürg Conzett [mailto:[email protected]] Betreff: Re:Re: „gusci“ etc. Lieber Jürg, vielen herzlichen Dank - ich weiss es zu schätzen und kann mir vorstellen, dass Dich das auch Zeit gekostet hat! Ein paar vermeidbare „lapsi” sind mir schon passiert - die sicherlich schon Klarheit gebracht hätten (ich hoffe, mein maestro d’italiano verzeiht mir…) - aber um den grossen Teil Deiner statischen Interpretation und Übersetzung bin ich unendlich dankbar. Es wäre mir echt unmöglich gewesen zusammenzufassen, worum es hier genau geht. Es bleiben für mich folgende Fragen offen: Liebe Aita, ich schreibe einfach in den Text hinein: 1.  Seite 1, 2. Abschnitt, letzter Satz: Bezieht sich das nun wirklich auf das übliche Bauwesen und nicht auf den aktuellen Bau von G+I? Oder heisst das, dass eben die gewöhnlichen Bauweisen auf kurze Spannweiten ausgelegt sind, aber wo bliebe dann wieder der Zusammenhang zum vorhergehenden Satz? „Die Tragwerke des üblichen Bauwesens (die gebräuchlichen Tragwerke, die konventionellen Tragwerke) wurden indessen für diejenigen Bauteile des Werks verwendet, die kurze Spannweiten aufweisen.“ So erscheint es logisch, als Gegensatz zu den neu gedachten Grossformen. Das ist das wirklich Interessante an diesem Bau, dass die unkonventionelle Grossform aus Flächentragwerken mit

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„normalen“ Bausystemen wie Hourdisdecken realisiert wird, und dass das kostengünstig ist, leuchtet mir ein. 2.  Seite 2, zweite Zeile: „Das Fachwerk ist auf einfachste Weise aufgebaut, indem die unteren Knoten des Fachwerks (besser: die Untergurtknoten) aus durchbohrten, metallischen Zylindern bestehen, in denen (durch die) die Rundeisen des unteren Gurtes und der Diagonalen laufen (durchgesteckt sind).“ Was hat das für eine Bedeutung? 3.  Zum Faltwerk: Es ist mir nicht klar, wie das System dieser Gurte zwischen den Hourdis-Platten funktioniert: Ist das eine Art Skelettbau, der sich polygonal neigt? Ja! Wo gibt es diese Gurte und wo nicht? Sie entstehen sozusagen natürlich aus den Änderungen der Geometrie. Dort, wo die Scheiben gegeneinander stoßen, gibt es einfach lokal mehr Beton = ein „Gurt“. In einem Querschnitt (derjenige, der mit den Details garniert ist) bilden diese Gurte schwarze Flecken. 4.  Zum Verhältnis zwischen Stützen und ihren unterschiedlichen Achsmassen (ca. 6,75 m längs und 4,75 m quer). Haben nur die Stützen tragende Funktion oder auch die Wände (ich denke, dass die Aussenwände nicht tragen, aber wahrscheinlich die inneren Wände auf den beiden Kurzseiten, oder?). Das unterschiedliche Achsmass muss irgendwie aus geometrischen Gründen zustande gekommen sein und ist statisch nur insofern relevant, als bei kürzeren Abständen die Kräfte pro Stütze entsprechend geringer werden. Ich meine, dieser Entscheid hat hier keine statische Begründung. Ob die Wände tragen oder nicht, ist nicht ersichtlich. Vom Schnittplan mit den Bewehrungen her habe ich das Gefühl eher nicht – logischerweise müssten sie dann gemauert sein –, erkennst Du das irgendwo? Für die Hypothese nichttragender Wände sprechen auch die horizontalen Riegel auf halber Höhe entlang der Stirnseite – weshalb braucht es die sonst? (Der Architekt heisst ja nicht Adalberto Libera …). 5.  Ausserdem: Warum gibt es nur zwei solche „Binder-Fachwerke“? Und vor allem: wie hätte man diese vermeiden können? Das ist die grosse Frage. Ich meine a prima vista, sie wären vermeidbar gewesen, wenn man den Mittelteil des Daches als „polygonales Tonnengewölbe“ verstanden hätte und dessen Horizontalschub über die aussen liegenden Dachflächen aufgenommen hätte. Dann wäre es aber nötig gewesen, den ganzen Horizontalschub bei den Stirnwänden zusammenzufassen, da die Dachflächen ja nicht mit Strebepfeilern in den Baugrund abgestützt sind – man hätte die beiden Dachflächen aussen herum „zusammenbinden“ müssen. Dieses Zusammenbinden erfolgt jetzt auf direktere Art und ist sicher eine pragmatische Lösung. Aber nicht the only one aus allen Möglichkeiten. Ist die Aufteilung des Eckgrats in eine Dreiecksfläche für Dich (aus Tragwerkssicht) nun verständlicher, oder ist das Deiner

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Meinung nach rein formal? Beides. Grundsätzlich bringt jede Kante eine Versteifung ins Faltwerk, bedeutet andererseits eine Komplikation. Was heisst „Randstörungen der winkelförmigen Kanten“ eliminieren? Das ist Slang. Man stellt sich in erster Näherung die Scheiben unendlich dünn vor, also ohne Platten-Biegemomente (Momente aus Lasten rechtwinklig zur Plattenebene, die das Element aus der Ebene verformen). Bei Unstetigkeiten in Schalen oder Kanten in Faltwerken treten lokal Biegemomente auf (eine anschaulichere Erklärung wäre: Man stellt sich die Ebenen mit Scharnieren verbunden vor, tatsächlich stimmt das aber nicht und deshalb gibt es speziell nahe der Kanten Biegemomente) und diese Biegemomente nennt man „Randstörungen“. Lass „winkelförmig“ vor Kanten weg. Dass der Smusso die Randstörung vermindere, kann durchaus behauptet werden (die Verifikation nähme etwas Zeit in Anspruch …), genau weiss ich das nicht. Die Bestimmung der Randstörungen ist eine mathematisch virtuose Aufgabe, die auch nie so richtig real kontrolliert werden kann, glaube ich. 6.  Die äusseren Streben, die einer allfälligen Schubüberschreitung entgegenwirken sollen – hätte man das auch anders lösen können? Ich frage mich nämlich, ob das tatsächlich einer architektonischen Absicht entsprochen hat. Könnte man das als „gotisches“ Element interpretieren? Ja. Übriges siehe oben. Es ist eine eigenwillige Kombination von nicht bis zum Boden geführten Strebepfeilern (die eben durch die unteren Dachscheiben und deren stirnseitiges Zusammenbinden stabilisiert sind (das Zusammenbinden siehst Du plausibel im grossen Bewehrungsplan, wo die 6 d = 14 Eisen diagonal die Dachflächen halten)) und einem eher konventionellen Fachwerkbindersystem. Das heisst, die Pfeiler hätten statisch auch vertikal stehen können, als ein Extrem, oder das Ganze hätte eben als reines Faltwerk ohne Fachwerke getragen, dann wäre aber die Bewehrung wesentlich stärker geworden und hätte Platzprobleme verursacht. Nehmen wir das Fachwerk als Kompromiss? Andererseits bringt es eine gewisse fragile Note ins ganze Innere, weist sozusagen auf das Problem des Horizontalschubs hin. Da ich überlagerte Systeme grundsätzlich spannend finde, beginne ich jetzt auch den Innenraum zu mögen, so wie er ist. Was ich mir räumlich vorstellen könnte, ist, dass sie die „Grate“ weiter überhöhen, betonen wollten und diese Streben dafür instrumentalisiert haben. 7.  Was sind „einachsig gekrümmte Translationsflächen“? Kimbell Art Museum: Nimm eine Zykloiden-Kurve und verschiebe sie aus ihrer Ebene, dann entsteht die Schale als Translationsfläche. Wenn die Verschiebung geradlinig erfolgt, ist die Schale einachsig gekrümmt, d.h, man kann sie abwickeln. 8.  Was hat es mit diesen Randbalken auf sich, was ist das Problem ihrer Biegelinien, allfällige Randbalken müssen sich logischerweise gleich verformen wie die an sie anschliessenden Schalen. Dies bewirkt, je nachdem, wieder eine

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„Randstörung“. Bei der „schwangeren Auster“ in Berlin (Stubbins) führten diese Randstörungen zu Rissen, die via Korrosion schliesslich die Schale teilweise einstürzen liessen. Die Vorspannung kann Randbalken vorverformen, sodass sie besser „passen“ und damit die Randstörungen kleiner werden. Alles eine Angelegenheit für Spezialisten! Wo befinden sie sich bei der S.I.T., auf der äussersten Stützenreihe? Ja, z.B.. Prinzipiell ist jeder „Gurt“ auch ein Randbalken. Der Text ist hier propagandistisch und behauptet schöne Sachen, die man gerne in Diagrammen usw. quantifiziert sähe. Ein klarer Bezug zum SIT kann nicht hergestellt werden. Was ist die „Limitierung der Projektierenden“, wenn diese nein, die Randbalken die gleiche Biegelinie aufweisen müssen? Das heisst in deutscher Sprache, dass nicht alles geht. Ich nehme an, das hat dann Einfluss auf die Spannweiten? Of course. 9.  Wie ist ein „flächenerzeugender Radius“ definiert? Kann denn nicht jeder Radius Flächen erzeugen, mal steiler, mal abgeflachter? Ja, aber je grösser der Radius (je flacher der Bogen), desto höher die Spannungen und desto grösser die Knick- oder Beulgefahr. Hier wäre die Hourdisdecke mit ihren verborgenen Rippen und der dadurch vergrösserten Steifigkeit tatsächlich günstiger. Sonst bräuchte es eben Rippen oder muschelförmige Ausbildung der Schalen (UNESCO Paris von Esquillan), um das Knicken zu beherrschen. Die Variabilität des Radius müsste dabei nicht extra erwähnt werden. 10.  Kann man feststellen, dass das eine sehr hybride Konstruktion ist? Nicht wahnsinnig „hybrid“, aber ein bisschen schon. Was heisst das schon? Etwa gleich viel wie das Ausgleichen der Randstörung … Ich würde die wirklich interessante Besonderheit so formulieren: Es ist 1. eine Kombination eines Faltwerks mit zwei Fachwerken. 2. Die Ausbildung der ebenen Flächen als Hourdisdecken. Sie scheinen ja so sehr den Bauprozess und die „mangelnde Intelligenz“ der Bauarbeiter berücksichtigen zu wollen, aber als Gesamtpaket scheint die Konstruktion doch sehr delikat und von einer genauen Ausführung abzuhängen, oder nicht? Die Hourdisdecken scheinen mir gut baubar. Und was das Kräftespiel angeht, kann man immerhin am Fachwerk „schräubeln“. Die Konstruktion ist also justierbar, das ergibt schon Sinn. 11.  In welchem Verhältnis würdest Du Formwillen und konstruktiv-technische Anstrengungen zueinander sehen? Eine ziemlich hochstehende Koordinationsarbeit. 12.  Ich plane keine Wiedergabe des Textes - allenfalls einzelne Ausschnitte - mir geht es vor allem darum, selber eine Vorstellung zu bekommen, inwiefern das Ganze für die Zeit revolutionär, innovativ oder einfach geschickt war. Insofern würde mich nun natürlich Deine Meinung interessieren: Ich nehme an, dass das, was Du als Zusammenfassung der Tragwerksidee formuliert hast, so auch nach mei-

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ner Fragerunde grundsätzlich immer noch stimmt? Ja. Was vernachlässigt eine solche Argumentation allenfalls? Die unbekannten Probleme, die vielleicht im Lauf der Zeit aufgetreten sind (Risse? Verformungen?). Wie ist das Ganze in der „Gusci-Geschichte“ einzuordnen, vielleicht im Vergleich zu einem Nervi? Das Tragwerk ist in dieser Ausbildung einzigartig, soviel ich weiss. Neu und geschickt gleichzeitig als „Ausbildung eines Flächentragwerks mit einfachen Mitteln“. In Trento hat ein Referent seinerzeit gesagt, Nervi und seine italienischen Kollegen seien theoretisch als Ingenieure Weltspitze gewesen, hätten gleichzeitig aber mit vergleichsweise sehr simplen Bauprozessen gearbeitet. Dem Text fehlt, wie gesagt, einfach die konkrete Illustration seiner statisch-konstruktiven Behauptungen, was etwas misstrauisch macht. Die grundsätzlichen Überlegungen leuchten rasch ein. Dagegen sind die Randstörungs- und Translationsgeschichten nicht greifbar. Ich würde sie höchstens in Anführungszeichen übersetzen, im Sinne von „… behaupten die Autoren“. 13.  Du schreibst, dass ein Faltwerk aus Hourdis und Beton trotz der kantigen Form ebenso gut funktioniert wie eine Schale - muss ich daraus schliessen, dass die Architekten also das „geschliffene“ Bild zuerst im Kopf hatten und Raineri sich dann überlegt hat, wie man jetzt am Besten ein kantiges Faltwerk konstruiert? Nein, die rein statische Idealform mit minimalem Material ist die kontinuierlich gekrümmte Fläche (Musmeci). Praktisch teuer auszuführen. Die „message“ der S.I.T.: Eine eckige Form braucht wenig mehr Material als eine Schale, wenn sie gerippt ist. Die Rippung ist mit Hourdis sehr einfach zu bewerkstelligen (bei billigen Hourdislegern in Italien - das macht die S.I.T.-Ökonomie etwas zeitbedingt). Ich stelle mir den Entwurfsprozess ähnlich dem Voltaschulhaus vor: Ingenieur Raineri wird irgendwann gesagt haben: Baut das Dach aus ebenen Elementen zusammen! Oder Raineri hat die innere Geometrie des Mittelteils ziemlich selbständig entwickelt und G+I haben ihm fasziniert über die Schultern geblickt … Es könnte durchaus eine Ingenieur-Antwort auf eine Raumorganisation gewesen sein. Räumlich interessant ist dabei ja auch, dass Innenraumgeometrie und Baukörperabwicklung aussen nicht übereinstimmen. Ausserdem empfinde ich den gewölbeartigen Eindruck in der Manege als den prägnantesten: die Neigung der Ebenen untereinander ist so gering, dass der räumliche Eindruck eben wirklich schalenartig ist. Das Schöne daran ist, dass der Raum so zu einem allseitigen Abschluss kommt. Das kombinierte System und die „smussi“ erlauben eine ziemlich grosse Freiheit, meine ich, sodass vielleicht von G+I ziemlich lange daran herumgeschliffen werden konnte. OK! - mehr frag ich jetzt nicht mehr, sonst wird es Dir dann irgendwann noch zu viel … Eigentlich wollte ich nicht so viel schreiben, aber es ist tatsächlich ein äusserst packendes „piece“ - und erschreckt mich etwas, dass ich sowas nicht gekannt habe - also melde Dich ruhig weiter mit derartigen Fund-

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stücken (übrigens auch in den Ansichtskarten, nochmals herzlichen Dank!). Ich glaube umgekehrt, dass diese Konstruktion sehr prinzipiell beschrieben werden kann und dies eigentlich genügt (mangels eben exakter VerhaltensAngaben). Vielleicht erlaubt dir diese Bemerkung ein erholsames Wochenende. Per il momento - ti ringrazio tanto! Aita Liebe Grüsse Jürg

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Tetto gigantesco – andersgroßes Dach  B

Alle Abbildungen auf dieser Doppelseite: Der neue Sitz der Società Ippica Torinese (S.I.T.) in Nichelino/Turin, 1958/1959 Architekt Gabetti e Isola Architetti, Turin Ingenieur Giuseppe Raineri, Turin

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Wohnhaus Forsterstrasse, Zürich 2003 Architekt  Christian Kerez, Zürich Ingenieur  Dr. Schwartz Consulting, Zug Modell  Dr. Schwartz Consulting

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Boots Factory, Beeston Nottingham 1932 Ingenieur-Architekt Sir Owen Williams, London Modell HTW Chur, SS 2009 Studenten: Michael Krähenmann, Lukas Mürner

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Saal Elbphilharmonie Hamburg, im Bau Architekt Herzog & de Meuron, Basel Ingenieur WGG Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel Modell WGG Schnetzer Puskas

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Graubündner Kantonalbank, Chur 2006 Architekt Jüngling & Hagmann Architekten, Chur Ingenieur Hans Rigendinger, Chur Modell Jüngling & Hagmann Architekten

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Hardturm-Stadion Zürich Kranzeck, Projekt Architekt Meili Peter Architekten, Zürich Ingenieur Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur Modell Conzett Bronzini Gartmann

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Wohn- und Geschäftshaus Ottoplatz, Chur 1999 Architekt Jüngling & Hagmann Architekten, Chur Ingenieur Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur Modell HTW Chur, SS 2009 Studenten: Valentin Alig, Davide Fogliada

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Centre Georges Pompidou, Paris 1976 Architekt Renzo Piano, Richard Rogers Ingenieur Peter Rice Modell HTW Chur, SS 2009 Student: Beni Signer

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Turnhalle Mülimatt, Brugg 2010 Architekt Livio und Eloisa Vacchini, Locarno Ingenieur Fürst Laffranchi Ingenieure, Wolfswil Modell Studio Vacchini

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Praxis Markus Peter plädiert dafür, die Spezialisierung des Denkens nicht grundsätzlich zu beklagen – in der logischen Konsequenz hat er sich als Architekt die ingenieurwissenschaftliche Denkweise selber angeeignet, wie die sprachliche Färbung seines Beitrags schön zeigt. Andreas Hagmann stellt dar, wie auch bei kleineren Bauaufgaben die architektonische Konzeption den Eigenschaften von Tragwerk und Konstruktion genügend Spielraum für eigene, ingeniöse Forschungsfelder lassen kann. Mike Schlaich versteht jeden Entwurf als einen Prototypen, der vom Bauingenieur die Arbeit als Generalist verlangt und für den er objekt- und werkstoffübergreifend ganzheitlich kompetent und verantwortlich ist. Jürg Conzett, Roger Boltshauser und Aita Flury illustrieren an einem kleinen Projekt den gegenseitigen Annäherungsprozess, in dem die Verschränkung von Lastabtragung und Wahrnehmungsabsicht ausgehandelt wird. Stefan Polónyi gibt in seiner ihm eigenen Generosität gegenüber der künstlerischen Form Einblick in die Praxis des Brückenbaus und wartet mit oft überraschenden formalen Gesten auf. Renato Salvi berichtet anhand seiner Arbeit an der A16 Transjurane über die räumlichen Probleme, die eine Einbettung einer Autostraße und ihrer konstituierenden Elemente in hügeligem Gebiet mit sich bringt. In drei Interviews nehmen Adolf Krischanitz, Heinrich Schnetzer, Aurelio Muttoni, Joseph Schwartz und Carlo Galmarini, Urs B. Roth, Martin und Elisabeth Boesch zum Themenkomplex der Kooperation Stellung.

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Deviationen Markus Peter

Der Dialog zwischen Bauingenieuren und Architekten beruht nicht unwesentlich auf dem gegenseitig zugeschriebenen Verhalten und Rollenverständnis. Doch nicht so sehr die Dichotomie von Ästhetik und Ingenieurbauwerk, wie sie in den Debatten am Ende des 19. Jahrhunderts zum Ausdruck kam, oder die Ausstoßung der Ingenieure aus der Architektur bei den Neotektonikern ist gegenwärtig Anlass zur Beunruhigung. Vielmehr liegt diese Beunruhigung zunehmend im Wissen darüber, dass die Verfolgung eigener Interessen in den beiden Disziplinen sich nicht zwangsläufig überlagern und dass eine Innovation in dem einen Medium nicht gleichzeitig im andern etwas offenzulegen hat. Der daraus sich ergebende Aufruf zum Dialog, zur gemeinsamen Ausbildung, kritisiert den hohen Grad der Spezialisierung, ja denunziert die monologische Dimension der Ingenieurwissenschaften. Doch da nun einmal die Spezialisierung des wissenschaftlichen Denkens notwendigerweise auf einer soliden, allgemeinen szientifischen Bildung aufbaut, welche gerade die Spezialisierung bedingt, muss man sich wundern, dass die wissenschaftliche Spezialisierung so leicht, so andauernd als Verstümmelung des Denkens denunziert wird. Zumindest müssen derartige Urteile, seien sie nun von einem Großen dieser Erde, wie Goethe, oder von Kleinbürgern ausgesprochen, uns durch ihre Wirkungslosigkeit verblüffen. Die Wissenschaft verfolgt, wie Gaston Bachelard es formuliert, „unbehelligt ihren Weg.“ 1 1.  In den Arbeiten der Neunzigerjahre zielten unsere Entwurfsstrategien auf ein In-Beziehung-Setzen von Tragwerk und Raum. Weniger Raster, Serie und Ordnung bildeten das Ziel als die Suche nach Spannungsübertragungen vom Tragwerk auf den umhüllenden und durchdringenden Raum selber. So haben wir beispielsweise in Murau (A) die Holzkonstruktion – fast wie eine selbsttragende Karosserie – als monolithischen Körper behandelt, dessen untere und obere Flanschaussteifung Dach und Boden der Brücke tragen. In unmittelbarer Nähe zum Tragwerksentwurf haben wir mit Manipulationen an den statischen Elementen der Platten und Scheiben den eigentlichen Brückenraum geschaffen. Das Tragwerk liegt nicht, wie Hermann Czech es beschreibt,2 unter oder neben dem Bewegungsraum, der den Benutzer über den Fluss führt, sondern in diesem Raum. Das statische Prinzip des einfeldrigen Vierendeel-Trägers, ein statisches Rahmentragwerk ohne Diagonale, erlaubte sowohl die liegende Öffnung in der Mitte als auch die versetzte Anordnung der seitlichen Scheiben. Der Träger selber ist zusammengesetzt aus zwei vertikalen, scheibenartigen Hohlkästen – die „Schubscheiben“ aus Dreischichtplatten – und einem massiven Ober- und Untergurt aus Brettschichtholz, die nur durch die

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Gaston Bachelard, Epistemologie, Frankfurt a. M. 1993, S.162

2

Hermann Czech, Ungefähre Hauptrichtung, in: Marcel Meili/Markus Peter 1987–2008, Zürich 2008, S. 435

Mursteg Murau, 1993–1995 Architekt Meili Peter Architekten, Zürich Ingenieur Branger & Ingenieure, Chur

entwerferische Figur zusammengefasst sind, sodass die Brücke als ein plastisch geformtes, homogenes und raumschaffendes Stück Holz eingesetzt wird. Diese einfache architektonische Experimentalanordnung kann aber im technischen Sinne nur angemessen gedacht werden, wenn sie selber das Produkt eines Vereinfachungsprozesses darstellt. Im Gegensatz zur cartesianischen Illusion anfänglich klarer und distinktiver Ideen ist das Einfache zwangsläufig das Produkt eines Reinigungsprozesses gegenüber konstruktiven Verunklärungen. Erst die einfachen wie auch leistungsfähigen Verbindungen aus duktilen Stahldübeln und Gewindestangen, die zwischen Gurtungen und Schubscheiben enorme Schubkräfte übertragen, erlaubten die gedankliche Annahme einer weitgehend homogenen Kraftübertragung. Diese simple Verbindungstechnologie ergab durch das seitliche Anschlagen an die Gurte eine große Auflagerfläche über den Widerlagern, was sich zur Stabilisierung des Einfeldrahmens gegen Umkippen als hilfreich erwies. Andererseits verlangte die konstruktive Entscheidung für einen einzigen Zentralträger torsionssteife Gurtungen, die dementsprechend voluminös ausfallen mussten. Die bullige Dimension der Gurte ergab sich also aus der Form des Brückenquerschnitts; sie war aber nun auch ohne Weiteres in der Lage, beträchtliche Biegebeanspruchungen in der Längsrichtung aufzunehmen, und erlaubte die zentrale Öffnung des gigantischen Fensters. Seitlich halten die versetzt angeordneten Schubscheiben durch ihre diagonale Stellung mit den horizontalen Flächen des Bodens und der Decke den Raum und erinnern an minimalistische Raumexperimente der frühen Moderne. Die Experimente dieser Zeit, die vornehmlich in neuen Anwendungsgebieten oder veränderten Materialtechnologien angesiedelt waren, wichen dem stabförmigen, in keiner Weise raumdeterminierenden Stahl weitgehend aus. In diesem Sinne sind die Perrondächer am Hauptbahnhof Zürich ausgeführt, bei denen die feine Stahlfachwerkkonstruktion der Dachträger durch ein Holzrost von unten geschlossen wurde. Allein die Architektur und die Technik selber sind befähigt, ihre eigenen Grenzen zu ziehen. Für das ingenieurwissenschaftliche Feld heißt allerdings eine Grenze zu ziehen bereits, sie zu überschreiten. Die wissenschaftliche Grenze ist nicht so sehr eine Barriere als ein Bereich besonders aktiver Gedanken, eine Zone der Assimilierung.

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Deviationen C

2.  Unser Interesse an der Wucht großer Formen und die Tatsache der Rabiatheit der Programme veränderten unsere Entwürfe und verschoben die Experimente in Bereiche mit heterogenen und teilweise auch hybriden Tragwerksformen. Der Fakt, dass die Geometrie von Fußballstadien weitgehend bestimmt ist durch die Logik der Tribünengeometrie und des Tragwerkes der Dachkonstruktion, verändert die Ordnungen der multifunktionalen Konglomerate, wie sie fast allen neuen Stadionprojekten in der Schweiz eigen sind. Die Dimension der „großen Form“, entstanden aus der urbanen Topografie, folgt nicht mehr radial seriellen Prinzipien normaler Stadionentwürfe. Die beabsichtigte Nacktheit des Tribünenkörpers erinnert zwar an große Stadien, bei denen sich die formale Geste als direktes Zeichen ihres Inhalts exponiert, weist aber eine ganz andere Entstehung der Form auf. Die Form mit ihren riesigen Auskragungen nähert sich einem idealen Pentagon an. Die brückenartigen Kragträger dieser Tribüne sind neben und in eine konventionelle Platten-Stützen-Konstruktion gestellt. Sie berühren sich zwar, durchdringen sich sogar und geben auch Kräfte aufeinander ab, bleiben in ihrer Struktur und mathematischen Modellierung aber autonom. Die eigentliche Konstruktion des Kranzes des Stadions Zürich besteht aus einzelnen, im Grundriss geradlinigen Trägerstützen, die wie Waagebalken auf den Kranzpfeilern stehen, wegen ihrer unterschiedlich langen Auskragungen jedoch nicht für sich alleine ausbalanciert werden können. Das Umkippen der Trägerstücke wird durch die Last der angrenzenden Trägerstücke verhindert, welche die kurzen Hebelarme nach unten drücken und damit ein Gleichgewicht schaffen. Der Kranz ruht zusätzlich auf den Schrägstützen, die Teile der Tribünenträger sind. Wegen deren schräger Lage werden zwar die Biegemomente der vertikalen Ebene stark reduziert, dafür entsteht jedoch Biegung in der horizontalen Ebene des Kranzes. Die

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Stadion Zürich, Projekt 2000 –2009 Architekt Meili Peter Architekten, Zürich Ingenieur Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur / Basler & Hoffmann Ingenieure, Basel

3

Gemeint ist damit einerseits der rechnerische Aufwand für das hybride Tragwerk, auf welches verschiedenste Kräfte und damit auch verschiedene Kräfteanalyseverfahren einwirkten: Dies erforderte einen gigantischen Aufwand in einer CADModellierung, und die Konsequenzen einer noch so kleinen Veränderung, beispielsweise einer Treppenverbreiterung in einem Pfeiler, waren selbst für die Ingenieure nicht voraussehbar und bedingten wochenlange Rechenarbeit am Computer. Vom Aufwand abgesehen, ist damit auch die innere Stabilität des Modellierungssystems selber gemeint, das immer einen etwas prekären Zustand hatte, im Gegensatz zu einem einfachen oder zumindest einfacheren Rechenmodell für einen Vierendeelträger.

Hohlkastenkonstruktion, welche die Inkorporation einer Reihe von Funktionen wie Logen und Skyboxen erlaubt, kann diese Biegung erheblich einfacher aufnehmen als eine ausschließlich vertikale Biegung, die bei einem Verzicht auf die Schrägstützen entstanden wäre. Die enorme Torsionssteifigkeit dieses begehbaren Kastenprofils erlaubt eine zusätzliche Einspannung der Stahlfachwerkträger des Daches, die den Momenten entgegenwirken, die durch die schrägen Stützen und das punktförmige Eckauflager entstehen. Die ungeheuer aufwendigen rechnerischen Modellierungen für die Dimensionierung dieses hybriden Bauwerks erforderten eine maximale Disziplin in Bezug auf Veränderung und somit eine Unterdrückung eigener „origineller“ Beiträge: Wir sahen uns mit einem ingenieurwissenschaftlichen Denken konfrontiert, das nicht so einfach die Dauerhaftigkeit und den Zusammenhang einer Existenz gefunden hatte.3 3.  Der Entwurf für ein Aussichtsrestaurant an einem Ort von spektakulärer Schönheit bedingte einen noch tiefergreifenden Umbau des epistemologischen Feldes der Ingenieurwissenschaft. Eine solche mechanische Anlage ist weit über das Technische hinaus ein bedeutender Schritt im Umbau der Berge: Sie ersetzt die Idee der Berghütte, welche eine Verschmelzung mit der Landschaft sucht, durch eine Panorama-Wahrnehmungsmaschine. Uns faszinierte die großartige Casa Girasole von Alfredo Invernizzi, in der sowohl das drehende, winkelförmige Haus den Blick in die Landschaft filmisch in Szene setzt als auch die Gestalt des Gebäudes selbst in der Landschaft bewegt wird. Weil das Restaurant azentrisch aufgelagert ist, führt die Drehbewegung den Körper in unterschiedlich weiten Ausladungen in die Land-

Drehrestaurant Hoher Kasten, Appenzell 2004–2005 Architekt Meili Peter Architekten, Zürich Ingenieur Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur

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Deviationen C

schaft hinaus. In umgekehrter Richtung, von der Landschaft aus, wird das Berghaus wie eine mechanische Skulptur wahrgenommen, die ihre Form dauernd verändert. Vielleicht zeigt sich an diesem Projekt eine der Stärken des vielkritisierten deduktiven Theorieaufbaus in der Ingenieurwissenschaft, wurden doch mit dem System der sich im 18. Jahrhundert entfaltenden theoretischen Mechanik alle diejenigen technischen Objekte prinzipiell beherrschbar, deren physikalisches Verhalten vornehmlich durch die Gesetze der Mechanik determiniert sind. Die eigentliche Drehmechanik sollte im Innern auf dem zylindrischen Erschließungsturm angeordnet werden. Die Ausbildung des Tragwerks musste zwingend eine stabilisierende Funktion auf die einwirkenden Kräfte übernehmen, um eine einheitliche Antriebsmöglichkeit zu gewähren. Neben den ungleich verteilten Wind-, Nutz- und Schneelasten musste zudem noch der gegenüber der Drehachse asymmetrische Grundriss des obersten Restaurantgeschosses in die Ausbalancierung mit aufgenommen werden. Aus diesem Grund weist das drehbare Auflager einen möglichst großen Durchmesser auf und liegt möglichst weit oben. Für den Schwerpunkt der drehenden Masse war umgekehrt eine möglichst tiefe Lage erwünscht. Erst nach längerem Variantenstudium zeichnete sich eine Lösung ab, welche die Stabilisierung des beweglichen Teils durch die Eigenlast der Konstruktion gewährleistete. Dadurch erübrigten sich die aufwendigen Sicherungen der beweglichen Lager gegen abhebende Sogkräfte. Das weit auskragende Dach, an dem auch der Restaurantboden aufgehängt ist, wird von einer Schar radialer, schiefer Holzstreben gestützt, die am äußeren Rand durch eine Art Zugring zusammengehalten werden. Die Dachfläche selber ist eine dünne, vorgespannte Betonscheibe, welche die Zugkräfte als Membran aufnimmt. Der eigentliche Drehmechanismus befindet sich auf der Decke des Betonzylinders und benötigt damit seitlich nur noch eine Führung mittels Rollen zur Distanzsicherung. Nach ersten Versuchen, das drehbare Gestell in der alten Tradition der Mechanik von Eisenbahnwaggons und anderen beweglichen Maschinen, wie etwa Hebewerken aus Stahl, auszubilden, erwies sich eine Lösung aus unterschiedlichen Bauteilen und insbesondere das Zusammensetzen aus unterschiedlichen Materialien als leistungsfähiger. Dazu musste die vorgefasste Meinung, die Konstruktion sei in einem einzigen Material und vor allem als Leichtbau zu gestalten, umgestoßen werden. Hier zeigte sich, dass, wie George Canguilhelm unermüdlich betont, die Probleme nicht notwendigerweise auf dem Terrain entstehen, auf dem sie ihre Lösung finden.

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Struktur und Raum Andreas Hagmann

Als erste Annäherung an das Thema eignet sich die Betrachtung einer Säule im Wohnbereich der 1936 im Doldertal (Zürich) erbauten Appartementhäuser der Architekten Alfred Roth, Emil Roth und Marcel Breuer. Im Wohnraum irritiert eine einzelne Säule, die in unmittelbarer Nähe zu einer den Raum bestimmenden Wandscheibe liegt. Bei einem Massivbau – als welcher das Gebäude wohl zuerst in Erscheinung tritt – könnten die Kräfte problemlos von dieser Wandscheibe aufgenommen werden. Dennoch erscheint die Säule nicht überflüssig. Sie funktioniert als räumliche Gliederung und setzt, zusammen mit der Wandschotte und der erkerartig ausgestülpten Glasfront, den Raum unter Spannung, gibt ihm Halt. In horizontaler Richtung setzt die Säule zusammen mit der Lobby eine räumlich erfahrbare Achse längs durch das ganze Gebäude fest, in der Vertikalen leistet sie zudem die Überleitung zur freigespielten Säulenhalle des Sockelgeschosses. Erfährt man schließlich, dass das Tragwerk der Appartementhäuser als Stahlskelett ausgebildet ist, eröffnet sich nicht nur eine räumliche, sondern auch eine konstruktive Relevanz. Das Beispiel bestätigt einerseits die Vorstellung vom Gebäude als einem „kunstvoll“ zusammengesetzten Organismus aus Material, Konstruktion und raumbildendem Tragwerk. Es zeigt gleichzeitig aber auch, dass sich der „Dialog der Konstrukteure“ nicht nur bei weit gespannten Strukturen auszahlt. Der Dialog zwischen den Disziplinen kann durchaus im bescheideneren Rahmen, bei kleineren Bauaufgaben oder auch einzelnen Bauteilen, wie etwa einer Fassade, gewinnbringend sein. Gegenseitiges Interesse als Voraussetzung  Die ersten Erfahrungen einer engeren konzeptionellen Zusammenarbeit ergaben sich für uns zusammen mit dem Ingenieur Jürg Conzett 1990: Für den Neubau der Hochschule für Technik und Wirtschaft wurde ein multifunktionales, flexibel unterteilbares Auditorium (ca. 900 m2) Doldertal „Essnische“ Doldertalhäuser Zürich, Wohnbereich Die Doldertalhäuser sind umfassend dokumentiert in: Arthur Rüegg, Ein Hauptwerk des Neuen Bauens in Zürich. Die Doldertalhäuser 1932–1936, Katalog gta 1996

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Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW, Chur 1993 Ein geschosshoher Trägerrost überspannt das frei unterteilbare Auditorium. Architekt Jüngling & mann Architekten Chur Ingenieur Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur

mit einem geschosshohen, vorgespannten und raumbildenden Trägerrost überspannt. Dabei zeigte sich rasch, dass ein Dialog dann fruchtbar wird, wenn ein gegenseitiges Interesse dafür vorhanden ist, die räumlichen und technischen Projektvoraussetzungen der jeweils anderen Seite verstehen zu wollen. Beispielsweise lernten wir an diesem Bau verstehen, dass bei weit gespannten Strukturen Tragwerksverformungen entstehen können, die den Fortgang auf der Baustelle beeinflussen und sich massiv auf den Innenausbau auswirken können. In einem kontinuierlichen Miteinander lernten wir begreifen, dass die ingenieurtechnische Bearbeitung nicht nur von sogenannten „funktionalen“ Aspekten geprägt ist, sondern auch ein für die Raumbildung zentrales Entwurfsmoment sein kann. In einer solchen Strategie verbindet sich die Leistung des statischen Konzeptes mit den architektonischen Vorstellungen zu einem homogenen Ganzen. Gleichzeitig lässt aber die architektonische Konzeption den Eigenschaften des Tragwerkes ihren Raum und respektiert die eigengesetzlichen Grenzen und Forschungsfelder des Ingenieurs. Referenzsysteme, auch beim Ingenieur  Ein weiteres Beispiel, das einer solchen Haltung entspringt, ist die Schulanlage Mastrils, die sich als gestufter Baukörper in der Falllinie mit einem steilen Berghang verklammert. Naturgemäß gehen bei terrassenartig gestuften Bauten Decken in Dächer über, und es ist naheliegend, beide aus demselben Material herzustellen und sie gleichzeitig als Gliederungs- und Fügungsprinzip über die ganze Anlage nutzen zu können. Die Dächer bestehen deshalb in jedem Geschoss aus flach geneigten Betonplatten. Das asymmetrische Satteldach der Sporthalle ergibt sich aus der gemeinsamen Firstlinie des Baukörpers, aber auch aus der Logik der innenräumlichen Entwick-

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Struktur und Raum  C

lung: Die Asymmetrie macht eine konventionelle Konstruktion mit untenliegenden Zugstangen praktisch unmöglich. Mehrere gescheiterte Versuche zeigten, dass deren Anordnung auch in Form von Unterzügen zu einem Bruch der innenräumlichen Entwicklung der gesamten Anlage geführt hätte. Allmählich wurde die Vorstellung eines vorgespannten Faltwerks entwickelt, das trotz der flachen Neigung zu einem erstaunlich leistungsfähigen und kostengünstigen Tragwerk führte. Jede Dachhälfte weist parabelförmig geführte Spannkabel auf, die beim Spannvorgang schräg nach oben gerichtete Umlenkkräfte erzeugen. Diese Kräfte verhindern eine Verschiebung der Dachflächen in ihrer Ebene und stützen damit den First. Das ganze Tragwerk kann somit als ein in sich steifer Körper auf ein konventionelles Backsteinmauerwerk gelegt werden. Interessant ist dabei, dass Jürg Conzett den Ausgangspunkt für ein solches Tragwerk in einer historischen Analogie sieht, nämlich in einer Grubenmannkirche aus dem 18. Jahrhundert. Nicht nur Architekten, sondern auch Ingenieure können also von einem geschichtlichen Hintergrund und dessen Assoziationsketten geprägt sein! Während im Inneren die Raumfolgen als Backstein-Sichtmauerwerk entwickelt wurden, lag für die Außenschale auf Grund der hangseitig komplizierten Sockelund Terrainanschlüsse die Umsetzung in Beton nahe. Dazu wurde eine haptisch „weichere“ Oberflächenerscheinung aus einem porösen Stampfbeton gesucht. Da dieser Beton – leicht wasserdurchlässig – nicht armiert werden konnte, wurde die Fortführung der Deckenschichtung zu einem äußeren Korsett, das einerseits die Schichtung der Gebäudegeschosse thematisiert, gleichzeitig aber auch die Standfestigkeit der Stampfbetonfüllungen garantiert. Somit kann ein Dialog zwischen den Disziplinen nicht nur in Form „starker Strukturen“ mit großen Spannweiten, sondern durchaus auch im „erzählerischen“ Rahmen eines beschaulichen Landschulhauses alltagstauglich und dementsprechend gewinnbringend sein. Potenziale und Defizite von Platten-Scheiben-Tragwerken, Fachwerk- und Rahmenkonstruktionen  Im Folgenden sollen noch drei Projekte kommentiert werden, deren Tragwerke unterschiedliche Ingenieure entwickelten.1 Das Tragwerk des Verwaltungsgebäudes Würth entstand aus einem Wettbewerb

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1

Die Konzeption des Tragwerkes für das Bürogebäude am Ottoplatz erfolgte zusammen mit Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure in Chur. Die Tragwerke von Würth International und der Graubündner Kantonalbank wurden mit dem Ingenieurbüro Hans Rigendinger in Chur entwickelt.

Schulhaus, Mastrils 1995 Betonkorsett als Fassadengliederung. Ein flaches, asymmetrisches Faltwerk überspannt die Sporthalle. Architekt Jüngling & Hagmann Architekten, Chur Ingenieur Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur

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Struktur und Raum  C

unter drei Ingenieuren. Dabei wurden – räumlich und konstruktiv gesehen – zum Teil diametral entgegengesetzte Entwurfsansätze vorgeschlagen. In unserem Büro werden Ingenieure im Architekturwettbewerb meist nur am Rande einbezogen. Dies entspricht einer pragmatischen Haltung, wird doch aktuell bei vielen Wettbewerben für die beigezogenen Fachplaner keine Garantie für die Weiterbearbeitung ihrer Vorschläge abgegeben. Der Einbezug des Ingenieurs erfolgt damit erst in der darauffolgenden Vorprojektphase. Damit baut der Dialog auf einer vom Architekten vorgängig vorgeschlagenen Gebäudestruktur auf. Eine solche Struktur kann natürlich oftmals in verschiedenen statischen Konzeptionen umgesetzt werden, die umgekehrt wiederum den räumlichen Aufbau des Bauwerkes verändern. Diese Zusammenarbeit kann funktionieren, sofern Architekten und Ingenieure beidseitig die Entwicklung von Tragwerk und Raum als gemeinsames Weitergehen im Entwurf und nicht bloß als mechanische Umsetzung einer gegebenen Entwurfsidee begreifen. Tatsache ist aber leider auch, dass die Zusammenarbeit im Sinne kontinuierlich agierender Seilschaften zwischen Ingenieuren und Architekten im Falle von reinen Honorarkonkurrenzen zum Luxus verkommt, was wiederum dazu führt, dass in der gängigen Praxis des freien Marktes deren Innovationskraft entscheidend geschwächt wird. Der Ingenieurwettbewerb kann zum geeigneten Instrument werden, um das Muster der Arbeitsvergaben nach dem Prinzip des billigsten Honorars zu durchbrechen und so dem „Dialog der Konstrukteure“ eine Chance zu geben. Die drei vergleichend dargestellten Tragwerke des Bürogebäudes, des Verwaltungsgebäudes Würth am Ottoplatz und der Graubündner Kantonalbank verweisen auf die typischen Problemstellungen von Geschäfts- und Verwaltungsbauten: ein komplexes Raumprogramm mit unterschiedlichsten Anforderungen an Raumgrößen und der Wunsch nach Flexibilität. Dabei wird das meist öffentliche Erdgeschoss als möglichst offenes Geschoss interpretiert, das gleichzeitig die Überleitung in die stark definierte Struktur der unterirdischen Parkierungsgeschosse leisten muss. Das Tragwerk des Gebäudes am Ottoplatz besteht aus einem kastenartigen Verbund vorgespannter Betonplatten und Scheiben und bietet damit eine Alternative zum gängigen Skelettbausystem: Das Erdgeschoss wird in einem spannungsvollen Verhältnis von Masse und Öffnung brückenartig überspannt. Es besteht keine Trennung zwischen strukturbildendem Tragwerk und raumbildenden Böden, Wänden und Decken. Damit ist keine klare Schnittstelle in der Arbeit von Architekt und Ingenieur mehr möglich. Die schachbrettartige Anordnung der Öffnungen ist nicht Ornament, sondern vom Tragverhalten bestimmt, das zwar nicht auf den ersten Blick abgelesen werden kann, aber anhand der Vorstellung eines Rautenfachwerks in den geschlossenen Wandteilen interpretierbar wird. Die Erweiterung der Graubündner Kantonalbank ist räumlich-strukturell von verwandten Problemen bestimmt: Auf der Ebene des architektonischen Bildes thematisiert der Baukörper gestufte Gewächshäuser, die städtebaulich zur benachbarten barocken Parkanlage vermitteln. Auch im Inneren wurde deshalb eine stärkere Auflösung der räumlichen Struktur verfolgt: Das Erdgeschoss wurde mittels teilweise

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Wohn- und Geschäftshaus Ottoplatz, Chur 1999 Die Obergeschosse überspannen als steife Kästen über 20–30 m die Öffnungen im Erdgeschoss als mehrgeschossiges Scheiben-PlattenSystem. Architekt Jüngling & Hagmann Architekten, Chur Ingenieur Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur

Verwaltungsgebäude Würth International, Chur 2002 Geschossweise angeordnete Rahmen bilden eine horizontal gegliederte Raumstruktur. Architekt Jüngling & Hagmann Architekten, Chur Ingenieur Hans Rigendinger, Chur

Graubündner Kantonalbank, Chur 2006 Ein mehrgeschossiger Fachwerkträger überspannt die Kundenhalle im Erdgeschoss. Architekt Jüngling & Hagmann Architekten, Chur Ingenieur Hans Rigendinger, Chur

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mehrgeschossiger Fachwerkträger überspannt, sodass die Kundenhalle über mehrere Tragwerksschichten hin in räumlicher Beziehung zum Park steht. Wie beim Bürogebäude am Ottoplatz handelt es sich um eine raumhaltige, brückenähnliche Konstruktion. Dennoch ist die Beziehung von Tragwerk und Raum ambivalent, was sich unter anderem in der vom Fachwerk separierten Verglasungsebene zeigt. Der möglichen Gefahr, dass der Raum dadurch zu unruhig wird, wurde versucht mittels massiv ausgebildeter Brüstungsbänder der Galerien entgegenzuwirken. Konstruktiv erweist sich das zum Teil auf mehrgeschossigen Fachwerkträgern aufbauende Tragwerk in der horizontalen und in der vertikalen Richtung als äußert flexibel und ist auch im Bauablauf und von den Kosten her sehr effizient. Im Gegensatz zum Scheiben-Platten-System entfallen die langen Untersprießungszeiten, welche den weiteren Bauablauf je nach Situation enorm behindern. Beim Verwaltungsgebäude Würth setzte sich in oben erwähntem Ingenieurwettbewerb schlussendlich eine zunächst eher konventionell anmutende Lösung aus mehreren, geschossweise angeordneten, vorgespannten Rahmen durch. Der Vorschlag einer expressiveren Tragwerkstruktur, die aus einem in die Höhe strebenden und den Raum stark gliedernden Hängewerk bestanden hätte, wurde verworfen. Diese Entscheidung wurde zugunsten eines stärker in sich ruhenden Raumgefühls, das sich aus der horizontalen Gliederung der weit gespannten Rahmen entwickelt, getroffen. Es zeigte sich hier überraschenderweise, dass die geschossweise Integration dieser Rahmen in ein Gesamttragwerk räumlich und konstruktiv einem einzigen, mehrere Stockwerke inkorporierenden Träger je nach Situation ebenbürtig sein kann. Zudem konnte so die Vorspannung auf wenige Bauteile der einzelnen Träger reduziert werden – dort, wo sie als selbstverständlich empfunden werden. Die oft intensive Anwendung der Vorspannung erscheint uns als Achillesferse von Scheiben-Platten-Konstruktionen. Es ist kaum vorstellbar, wie lückenhaft die Dokumentenlage von Bauwerken meist bereits eine Generation später ist. Dies kann allenfalls die Flexibilität bei späteren Gebäudeanpassungen und -sanierungen erschweren und wird uns bei intensiv vorgespannten Konstruktionen künftig vermehrt beschäftigen.

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Jeder das Seine Mike Schlaich

Die Geschichte des Fortschritts im Bauwesen ist auch die Geschichte der Werkstoffe. Eisen, Stahl, Stahlbeton haben jeweils Revolutionen mit ganz neuen Tragwerken ausgelöst. Dazu gehört aber auch die Geschichte der Entwicklung neuer Technologien. So hat erst die Entdeckung des Prinzips der Vorspannung den Spannbeton, hochfeste Schraubverbindungen sowie komplexe Seil- und Membrantragwerke ermöglicht. Gleiches gilt für die Entwicklung neuer Fügetechniken, die zu den heute so weit verbreiteten Verbundwerkstoffen führten. Vollends offensichtlich geworden ist der Einfluss neuer Technologien, seitdem die digitale Datenverarbeitung im Bauwesen Einzug gehalten hat. Manche Tragwerke sind seit diesem „Wendepunkt im Bauen“– wir entwerfen, berechnen, konstruieren, fertigen und montieren heute in einer geschlossenen Prozesskette computerunterstützt – überhaupt erst möglich geworden. Verantwortung und Grenzen  Der Bauingenieur ist allein zunächst für die Bauwerke zuständig, bei denen das Tragwerk wesentlichen Anteil am Ganzen hat, typischerweise Brücken und weitgespannte Dächer. Der Beruf des Bauingenieurs ist herausragend, weil er, wie wenige andere, technisch-wissenschaftliches Können eng mit kreativem Schaffen verbindet und weil praktisch jeder Entwurf, ganz anders als in anderen Ingenieurdisziplinen, Prototyp bleibt. Der Bauingenieur trägt eine große Verantwortung, weil bereits einzelne Versäumnisse katastrophale Folgen haben können. Er ist darüber hinaus als „civil engineer“ für die gesamte gebaute Infrastruktur, die Energie- und Wasserversorgung, den Verkehr auf Straßen, Gleisen und Flüssen mit Tunneln, Brücken und Kanälen zuständig. Bei „seinen“ Projekten ist der Bauingenieur natürlich für den Entwurf zuständig. Wer es am besten kann, soll das Team führen. Es ist ein grobes Missverständnis, anzunehmen, der Architekt sei stets für die Gestalt und der Ingenieur nur für die Statik zuständig. Jeder ist in seinem Bereich ganzheitlich verantwortlich, also auch für die Gestaltung. Die Bauingenieure müssen hierzu lernen, ihre Grenzen zu erkennen, zu erweitern, niederzureißen. Sie müssen sich rechtzeitig Unterstützung ins Team holen, wenn gestalterische Fragen sie überfordern. Sie müssen frühzeitig im Entwerfen und Konstruieren, und nicht nur im Berechnen und Dimensionieren, ausgebildet werden. Sonst werden sie das schlechte Image vom fantasielosen Statiker nicht los – das außerhalb Deutschlands übrigens gar nicht so schlecht ist. So ist in Spanien der „ingeniero de canales y puertos“ angesehen wie bei uns ein Arzt oder Rechtsanwalt. Aber auch in Deutschland tut sich mittlerweile einiges. Von Stuttgart bis Dort-

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mund, von Berlin bis Hamburg wird heute bei den Bauingenieuren Entwerfen und Konstruieren gelehrt. Kreative Köpfe, ernstzunehmende Partner im Planungsteam werden ausgebildet. Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass im Hochbau neben den Architekten die Bauphysiker und die Gebäudetechniker immer wichtiger werden. Um ganzheitliche Qualität erreichen zu können, müssen auch sie von Anfang an ins Planungsteam eingebunden werden.

1 Man vergleiche Alfred Messels Kaufhaus Wertheim in Berlin mit dem kürzlich am Alexanderplatz gebauten neuen Kaufhaus.

Sunderland Strategic Transport Corridor, New Wear Bridge, 2003 Einhüftige, selbstverankerte Hängebrücke mit Glasskulptur auf den Rückhalteseilen Architekt Gehry Partners LLP, Los Angeles Ingenieur Schlaich Bergermann und Partner, Beratende Ingenieure im Bauwesen, Stuttgart

Kompetenzverluste  Wir Bauingenieure wünschen uns Architekten, die diese Ziele teilen. Leider trifft man aber immer wieder auf Architekten, bei denen vom einst so vielseitigen Baumeister nicht viel übrig ist, weil sie zu viele Kompetenzen abgegeben haben. Damit ist nicht nur fehlendes Verständnis für das Tragwerk und dessen Umsetzung gemeint. Auch Themen wie Schall, Wärme, Feuchtigkeit sind an die Bauphysik delegiert, die technische Ausrüstung übernimmt der Haustechniker, den Innenausbau ein Szenograf, für den Ablauf von Planung und Bau gibt es Projektsteuerer und für die Ausschreibung „quantity surveyors“. Was übrig bleibt, treibt hilflos in einer Suppe von 3-D-Blasen. Der Architekt läuft Gefahr, zum Bildchenmaler des Investors zu verkommen. Aus Wertheim wird Alexa.1 Zum Glück ist das nicht die Regel, und gelegentlich kommen wir im Team dem Gesamtkunstwerk nahe. Ob das Ergebnis dann Leicht- oder Massivbau ist, hängt vom Kontext ab und dieser von den örtlichen Randbedingungen und natürlich auch vom gestalterischen Wunsch des Bauherren und der Planer. Wenn Schallschutz dominiert, ergibt Leichtbau keinen Sinn, und für große Spannweiten wäre Massivbau der falsche Ansatz. Die Suche nach dem Neuen  In unserem Ingenieurbüro sind wir immer auf der Suche nach Neuem. Mit jedem Projekt versuchen wir, einen kleinen Schritt nach vorn zu gehen, uns weiterzuentwickeln. So bleiben die Aufgaben interessant und wir am Fortschritt im Bauwesen beteiligt. Wir bearbeiten Projekte des Hochbaus

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und des Brückenbaus, weitgespannte Dächer und Anlagen zur Gewinnung solarer Energie. Wir versuchen den Bauingenieur als Generalisten zu leben. So kann es durchaus passieren, dass ein Ingenieur, der gerade eine Schrägseilbrücke bearbeitet hat, als nächstes ein Glasdach zur Aufgabe bekommt. Das ist zwar anstrengend, weil man sich in ein neues Thema einarbeiten muss, aber dafür gibt es keine durch Wiederholung ausgelöste Langeweile und Demotivation. Der Reibungsverlust bleibt gering, weil im Team immer wenigstens einer die jeweils nötige Erfahrung mitbringt. Unser objekt- und werkstoffübergreifendes Arbeiten setzt interessante Synergien frei. So verwenden wir beispielsweise unsere ursprünglich im Hochbau gesammelte Erfahrung mit Stahlguss heute auch regelmäßig im Brückenbau, genauso wie wir seilgestützte Dächer entwerfen, die wie Brücken tragen. Leichtbau – aktiv und wandelbar  Selbst wenn nun das Ergebnis des Entwurfsprozesses nicht immer Leichtbauten sind, so kommen sie doch in unserer Arbeit recht häufig vor. Dies erstaunt nicht, weil wir Bauingenieure prinzipiell versuchen, mit einem Minimum an Material ein Maximum an Wirkung zu erzielen und Leichtbauten aus ästhetischen und ökologischen Gründen überzeugend zeitgemäß sind: Leichtbauten zeigen den Lastabtrag auf natürliche Weise – wir haben gerne, was wir verstehen. Leichtigkeit wird mit Eleganz assoziiert, und je leichter und transparenter ein Tragwerk ist, desto weniger versperrt es die Sicht – wir fühlen uns nicht bedroht. Leichte Bauten sind arbeitsintensiv und per Definition ressourcenschonend. Bauen mit qualifizierten Arbeitskräften und mit geringem Materialverbrauch erlaubt Nachhaltigkeit. Leichtbau ist nichts Neues, und wir stellen uns die Frage, wie und wohin er sich weiterentwickeln wird. Eine Richtung ist sicher die der aktiven und wandelbaren Tragwerke, weil andere Industrien zeigen, dass auf diese Weise Sicherheit, Komfort und Energieverbrauch verbessert werden können. Neue (Mikrosystem-)Technologien, wie sie in der Automobilindustrie schon erfolgreich eingeführt sind, und bionische Prinzipien, wie wir sie beispielsweise von Nanooberflächen kennen, wer-

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Sunderland Strategic Transport Corridor, New Wear Bridge, 2003 Blick auf die „loop cables“ und die Glasskulptur Architekt Gehry Partners LLP, Los Angeles Ingenieur Schlaich Bergermann und Partner, Beratende Ingenieure im Bauwesen, Stuttgart

den sicher auch das leichte Bauen weiterbringen und dafür sorgen, dass unsere Tragwerke aktiv, wandelbar, smart, intelligent, autonom oder adaptiv werden. So wird hoffentlich auch die Forderung nach Nachhaltigkeit und Verbrauchsreduktion im Bauen an Bedrohlichkeit verlieren. Anstelle von bauphysikalisch begründeten, dickwandigen „Kisten“ mit schießschartengroßen Fenstern kann Neues und Interessantes entstehen. Wettbewerbe bieten eine gute Möglichkeit, dieses Potenzial für Fortschritt auszuloten und die Zusammenarbeit im Team von Architekten und Ingenieuren zu üben. Als Beispiele seien die zur Zeit (2010) laufenden Wettbewerbe der IBA Hamburg zu den Themen „smart materials“ und „smart houses“ genannt, bei denen die Teams konkret aufgefordert sind, sich mit diesen Fragen rund um neue Materialien und neue Technologien auseinanderzusetzen. Landmarke und Effizienz  Als ausgesprochen stimulierend und lehrreich habe ich auch einen Brückenwettbewerb in Erinnerung, den wir 2003/2004 mit Frank O. Gehry machen durften. Für den Entwurf einer Brücke in Sunderland, Nordengland, trafen wir uns zu einem zweitägigen „workshop“ in Gehrys Büro in Santa Monica, USA. Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Welten, wir skizzierten und Gehry faltete, wir dachten an das effiziente Brückentragwerk und Gehry an die Landmarke, führte zu einem außergewöhnlich fruchtbaren Dialog und einem Resultat, das sich, wenn auch nie gebaut, wirklich sehen lassen kann. Eine einhüftige und selbstverankerte Hängebrücke spannt rund 300 m weit über den River Wear. Neuartig sind die Schlaufenseile, die im Bereich des Mastes zum Überbau geführt werden und so zu kurzen Hängern und einem effizienten Tragwerk führen. Die Rückhalteseile, die landseitig den Mast stabilisieren, bilden gleichzeitig das Tragwerk für

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eine rund 100 m hohe Glasskulptur, die die Flussquerung von weitem erkennen lässt und an die Tradition der Glasherstellung in Sunderland erinnern soll. Bei diesem Wettbewerb ist aus dem Dialog der Konstrukteure ein formal und technisch anspruchsvoller Entwurf entstanden. Diese Kultur des Dialogs müssen wir pflegen. Er ist sinnvoll und erfolgversprechend, wenn er von Neugierde, Respekt und Diskussionsbereitschaft geprägt ist.

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Ein Annäherungsprozess Roger Boltshauser, Aita Flury und Jürg Conzett

Projekt für ein neues Badehaus für das Hotel Tamina in Bad Ragaz 2009.  Das Fallbeispiel zeigt den Dialog zwischen Architekt und Ingenieur als das Zusammenkommen der zwei Disziplinen in Form eines gegenseitigen Annährungsprozesses. Der Ansatz geht davon aus, dass die Dominanz der einen über die andere Disziplin meistens einem Bauwerk als Ganzes abträglich ist. Ziel soll vielmehr eine maximale Übereinstimmung programmatischer, funktionaler Ansprüche, statischer und technischer Bedingungen und Möglichkeiten mit den räumlichen Absichten, der Raumstimmung, sein. Für die Darstellung einer derartigen Findung scheint aufgrund der Überschaubarkeit ein kleines Objekt wie das neue Badehaus für das Hotel Tamina in Bad Ragaz geeignet. Wahrnehmungsstatik  Als Prämisse sei vorausgeschickt, dass dargestellte optische Solidität und Stabilität nicht zwingend mit rechnerischer Solidität und Stabilität übereinstimmen müssen. Beispielsweise ist der schlankste mögliche Querschnitt einer Stütze nicht immer die räumlich optimale Setzung. Kraftübertragungen von Stützen auf Platten werden heute in den Deckenkonstruktionen oft mit aufwendigen Armierungen kaschiert. Bei zu dünnen Stützenproportionen kann aber der optische Eindruck eines Durchstanzproblems entstehen. So sind die Säulenreihen griechischer Tempel nicht das Resultat rein statischer Überlegungen zur Lastabtragung. Vielmehr sind sie als Synthese einer Auslotung zwischen Statik, Proportionen und räumlicher Wirkung insgesamt zu sehen. An solchen Bauwerken scheint ein „Dialog der Konstrukteure“ auf höchstem Niveau auf, und sie eröffnen, dass nur das gegenseitige Abwägen zwischen effektiver (rechnerischer) Statik und Raum zu einem überzeugenden Gesamten führen. Raum(stimmungs)bericht  Beim Entwurf für das neue Badehaus und Hamam Tamina in Bad Ragaz stand zunächst nicht ein konkretes statisches Konzept im Vordergrund. Startpunkt war vielmehr eine räumliche Idee, die eine bestimmte Atmosphäre der Badelandschaft verfolgte. Bei den im Raum stehenden Vor-Bildern und Referenzsystemen handelte es sich allesamt um archaische oder mindestens historische Konstruktionen, viele davon vernakuläre Architekturen, gebaut ohne Architekt und ohne Ingenieur (vgl. Bernhard Rudofsky, Architecture without architects). Schnell schien klar zu sein, dass es sich um einen einfachen Massivbau mit partiellen Kuppelgewölben handeln sollte. Im Verlauf des Entwurfsprozesses verdichteten sich aber die räumlich-architektonischen Vorstellungen und wurden zunehmend anspruchsvoller, was vor allem im Bereich der Dach- und Kuppelkonstruktion zu statischen Herausforderungen führte.

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Die gesetzlichen Bestimmungen waren als Ausgangslage für den Entwurf insofern spannend, als dass die Mantellinie des oberirdischen Volumens unausweichlich definiert war und deshalb ein erheblicher Anteil der Badewelt im Untergeschoss realisiert werden musste. Als Entwurfsidee schälte sich daraus eine Abfolge von Raumsequenzen heraus, die nach oben hin zunehmend großzügiger und heller werden. Der Badende wird durch die unterirdische Hamam-Landschaft bis hin zum „Badesaal“ im 1. Obergeschoss durch und an das Licht geführt. Ist der Gast dorthin aufgestiegen, bildet das eigentliche Thermenbad als durch Form, Höhe und Belichtungsqualität erhabener Raum den Höhepunkt der Anlage. Seine dreiseitige Fassung mit massiven Mauern garantiert genügend große Intimität und Ruhe, dass dieser Raum auf der vierten Längsseite komplett geöffnet werden kann. Die Verglasung ermöglicht „das Schwimmen in den Baumkronen“ und soll absenkbar sein, sodass dieses Raumgefühl in den Sommermonaten als Loggiabad noch überhöht wird. Um dem dynamischen Sog und der Gegenlichtsituation der großen Verglasung entgegenzuwirken, muss der Raum aber gleichzeitig „im Schnitt“ gehalten werden: Ziel war eine sternartige Kuppelkonstruktion, die eine diaphane Lichtstimmung produzieren und den Raum entschleunigen würde. Diese beschriebenen Ansprüche an den obersten Raum generierten eine neue statische Herausforderung. Der Baukörper als Massivbau wurde in seiner Grundstruktur nicht in Frage gestellt, die Vorstellung einer sternförmigen Doppelkuppel in Kombinationen mit der offenen, versenkbaren Fensterkonstruktion war aber, statisch gesehen, ohne aufwendige Unterzugskonstruktionen kaum lösbar. Dazu kamen Belüftungsanforderungen und Kondenswasserprobleme der Dachverglasung, nicht zuletzt auch der Kostendruck. Strukturkonzept  Die lapidare als auch „congeniale“ statische Idee zu dieser Problemstellung war die Entwicklung zweier diagonal angeordneter Kreuzunterzüge. Das Bestechende liegt darin, dass die Unterzugkonstruktionen im Bereich der Fenster als Kragarme funktionieren, die in der Mittelachse auf den von Wand zu Wand gespannten Diagonalrippen aufliegen. Dieses Diagrid-System leistet ein stützenfreies Überspannen des Fensterbereichs, was der räumlichen Absicht nach heftiger Öffnung sehr entspricht. Die kreuzartig angeordneten Unterzüge ermöglichen zudem in effizienter Weise die Reduktion der Spannweiten der Glasbausteinelemente. In die Rippenhohlräume sind die großen Lüftungskanäle integriert, was eine Erhöhung des Umfangs der Rippenunterzüge zur Folge hat. Die Diagonalen treten dadurch massiver in Erscheinung und entsprechen somit wiederum den räumlichen Absichten: Die statisch überdimensionierten Stern-Figuren tarieren den Raum aus und setzen in der Geste des „hier und dort“ Orte (vgl. Wolfgang Meisenheimer, Das Denken des Leibes und der Architektonische Raum). Es sind genau diese zentrierenden, ruhenden Momente, die auch den angeführten Kuppeln der anonymen Architekturen eigen sind. Trotz „moderner“, konstruktiver Verflachung der Decke kann so das gestische, abstrakte Bild der Referenzen transponiert werden, ohne in einer überkommenen Analogie verhaftet zu sein.

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Ein Annäherungsprozess  C

Statikbericht  Der folgende Bericht des Ingenieurs hält nüchtern fest, was nach einem intensiven Dialog aus statischer Sicht erarbeitet worden ist: „Das Tragwerk des unterirdischen Verbindungsbaus und des neuen Badehauses besteht aus Wänden und Decken in Stahlbeton. Als Fundation dient eine Bodenplatte. Die Aufnahme der vertikalen und horizontalen Einwirkungen (Erdbeben) bietet dank der kleinen Spannweiten und der in genügender Anzahl vorhandenen Wandscheiben keine besonderen Probleme. Die Dachplatte weist bei den Fensteröffnungen größere Spannweiten auf, da hier keine Stützen möglich sind. Hier werden die Glasbaustein-Betonelemente durch diagonal verlaufende Rippen verstärkt. Die Träger b-b und c-c sind einfache Balken und liegen jeweils an ihren beiden Enden auf tragenden Wänden. Die Träger a-a und d-d balancieren auf den anderen beiden Trägern. Sie liegen in den Punkten B und C auf und kragen gegen den Punkt A aus. Deshalb braucht der Punkt A nicht unterstützt zu werden. Die Wandauflager der Träger a-a und d-d erhalten lediglich geringe aufwärts oder abwärts gerichtete Kräfte, wenn diese Träger asymmetrisch belastet sind. Diese Rippen können gleichzeitig die Lüftungsinstallationen aufnehmen, indem die Kanäle einfach einbetoniert werden; die Wände der Rippen werden nur durch punktuelle Auslässe durchstoßen. Die diagonalen Rippen ermöglichen eine Materialersparnis, weil die Stärke der darüber liegenden Glasbaustein-Betonelemente gering gehalten werden kann.“ Epilog  Dieses Beispiel zeigt, dass der „Dialog der Konstrukteure“, ohne in einer vorgefassten Strategie zu verharren, auch bei kleineren Aufgaben Lösungen bringen kann, die sowohl statisch als auch räumlich ertragreich sind. Der pragmatische Statikbericht zum Schluss lässt fast vergessen, was für ein anspruchsvoller Findungsprozess, welches Geben und Nehmen gemeinsam durchgangen werden muss. Darin schimmert auch die Unterschiedlichkeit der Interessenslagen durch, ohne vergessen zu lassen, dass die Fruchtbarkeit dieses Dialogs von einem gewissen Maß an Grundkonsens abhängt. Der „Dialog der Konstrukteure“ ist ein gemeinsames Bestreben und Ziel, das heute nicht selbstverständlich ist, das zu missen aber unvorstellbar wäre.

Referenzen Badehaus Hotel Tamina, Bad Ragaz, Projekt 2009

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Badehaus Hotel Tamina, Bad Ragaz, Projekt 2009 Architekt ARGE Boltshauser & Flury Architekten, Zürich Ingenieur Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur

Die Träger b-b und c-c sind einfache Balken und liegen jeweils an ihren beiden Enden auf tragenden Wänden. Die Träger a-a und d-d balancieren auf den anderen beiden Trägern. Sie liegen in den Punkten B und C auf und kragen gegen den Punkt A aus. Deshalb braucht der Punkt A nicht unterstützt zu werden. Die Wandauflager der Träger a-a und d-d erhalten lediglich geringe aufwärts oder abwärts gerichtete Kräfte, wenn diese Träger asymmetrisch belastet sind.

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Abbildungen beide Seiten: Badehaus Hotel Tamina, Bad Ragaz, Projekt 2009 Architekt ARGE Boltshauser & Flury Architekten, Zürich Ingenieur Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur

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Über das Entwerfen von Tragwerken Stefan Polónyi

Die Baukunst entsteht in der Regel unter Mitwirkung des Ingenieurs, des Tragwerksplaners. Er ermöglicht die Realisierung der Vorstellungen des Architekten, er veredelt die architektonische Idee durch eine konsequente Tragwirkung des Bauwerks, entwickelt zusammen mit dem Architekten das Kunstobjekt. Nachfolgend wird über diese Zusammenarbeit zwischen Architekt (HOAI: Objektplaner) und Ingenieur (HOAI: Tragwerksplaner) berichtet. Es wäre falsch, dabei von Kompetenzbereichen zu sprechen; vielmehr handelt es sich um unterschiedliche Sichtweisen, die nicht zu Gegensätzen führen, sondern sich ergänzen. Auch sind die Tätigkeitsfelder bei der Konzipierung eines Bauwerks nicht abgegrenzt, sie werden erst bei der Dokumentation getrennt. Die gedeihlichste Zusammenarbeit hat dann stattgefunden, wenn man zum Schluss gar nicht weiß, von wem welcher Gedanke in den Entwurf eingeflossen ist – man fragt auch nicht danach: Es ist eine gemeinsame Komposition. Um solchen Kompositionen den Weg zu erleichtern, gibt die nachfolgende Betrachtung einige Beispiele. Die Tragwerksplanung besteht nicht aus der Adaption der in der Lehre der Statik gelernten Systeme. Da wir mit Hilfe von Computerprogrammen das Tragverhalten von allen Gebilden analysieren können, brauchen wir uns nicht an den statischen Systemen festzuklammern. Sie dienen uns zur Orientierung. Wir sind in der Lage, bei logischer Führung der inneren Kräfte neue Kompositionen, bisher nicht bekannte Formen, zu entwickeln. Die Aufgabe ist nicht das Tragwerk, sondern die raumabgrenzende Fläche bzw. die Plattform für den Verkehr. Daher stellt sich die Frage: Wie muss die Fläche gestaltet/ausgebildet sein, was ist vorhanden und was muss hinzugefügt werden, damit sie in der Lage ist, die auf sie wirkenden Kräfte/ Lasten zu tragen? Es versteht sich, dass die Form den Nutzungsansprüchen und den architektonischen Vorstellungen entsprechen muss. Abgrenzung des Raumes 1  Tragwerk und Raumbegrenzung sind eine Einheit: Unter dieser Prämisse werden Formen bevorzugt aus dem Repertoire der geometrischen Flächen gewählt. Da bieten sich Kugelschalen als Kuppeln an, Zylinderschalen auch als balkenartige Schalen (alte Markthalle Frankfurt) oder als verglaste Gitterschalen, wie beispielsweise die Galleria Messe Frankfurt. Hier wollte O. M. Ungers eine kassettierte Struktur, daher sind die Bögen und Längsstäbe aus Brettschichtholz und die Diagonalen, die für die Gitterschalen-Wirkung sorgen, aus Stahl-Rundstäben. Regelflächen, die gerade Erzeugende haben, wie z. B. die

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Literatur zum Thema findet sich in: S. Polónyi/ W. Walochnik, Architektur und Tragwerk, Ernst & Sohn, Berlin 2003

Kirche St. Suitbert, Essen-Überruhr 1965 J. Lehmbrock/S. Polónyi Kirche St. Pius X., Krefeld-Gartenstadt 1967 J. Lehmbrock/S. Polónyi/ R. v. Kalmar

hyperbolischen Paraboloide, sind statisch sowie herstellungstechnisch günstig und bieten interessante gestalterische Möglichkeiten. Die Form ist freilich stets abhängig von den Eigenschaften der verwendeten Baustoffe und Bauverfahren. Die Schale der Sankt-Suitbert-Kirche in Essen-Überruhr ist 5 cm dick (im Randbereich 6 cm) und überspannt 38 m. Sie ist auf einer Bretterschalung mit Spritzbetonverfahren hergestellt. In den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts waren die hyperbolischen Paraboloid-Schalen, nicht zuletzt durch den Einfluss von Felix Candela, gefragt. Sie können auch aus Brettern gebildet werden, wobei sie nicht in der Erzeugenden-, sondern in die Hauptkrümmungsrichtungen verlegt werden. Das Dach der Kirche St. Pius X. in Krefeld-Gartenstadt ist aus vier dreilagigen Bretterschalen zusammengesetzt. Aus ein- oder zweilagigen Trapezblechen können Regelflächen, hyperbolische Paraboloide oder Konoide, wie das Dach des Nederlands Dans Theaters in Den Haag, gebildet werden. Hier hat Rem Koolhaas den Grundriss und die Raumhöhen vorbestimmt. Für das Auditoriumsdach wünschte er eine bewegte Form. Mein Vorschlag war das Konoid mit Verweis auf das Dach des Pfarrhauses und Kindergartens der Sagrada Familia in Barcelona von Antoni Gaudí. Nur diesmal nicht aus flachen Ziegeln, sondern aus verzerrtem Trapezblech. Koolhaas akzeptierte. Auf der Suche nach neuen, interessanten und logischen Formen kann man dieselben unter dem Aspekt der Minimierung des Materialaufwands suchen. Das geht durch weitestgehende Vermeidung von Biegebeanspruchungen. Hier gibt uns die

Nederlands Dans Theater, Den Haag 1987 Rem Koolhaas-OMA/ S. Polónyi und H. Fink

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Über das Entwerfen von Tragwerken  C

Kirche St. Paulus, Neuss-Weckhofen 1967 Fritz u. Christian Schaller/ S. Polónyi/R. v. Kalmar

Seifenhaut ein Beispiel. In die Sprache der Statik umgesetzt heißt das: Es ist die Form für die vorgegebenen Randbedingungen zu ermitteln, in der unter dominanter Belastung die Spannung in jedem Punkt und in jeder Richtung konstant ist. Das sind die hautartigen Schalen, bei denen die Form experimentell oder/und rechnerisch ermittelt wird. Beim Keramion in Frechen wünschte Peter Neufert eine Töpferform für das Keramikmuseum. Ich zeigte ihm eine Studie mit einer hautartigen Schale, die wir für eine Flugabfertigungshalle mit 120 m Durchmesser erstellt hatten. Er griff die Idee sofort auf, bestimmte die Lagerungspunkte, die Lage des Außenrandes sowie die Anschlussstelle des Oberlichtes – der Entwurf stand in einer halben Stunde. Die vertikalen Koordinaten der Fläche aus der „idealen“ Spannungsbedingung haben wir errechnet. Mit der Ringvorspannung des Randes wurde erreicht, dass in der Schale nur Druckspannungen auftreten (wenn eine hautartige Schale nur Zugbeanspruchungen hat, handelt es sich um eine Membrane). Wie die Kirche St. Paulus in Neuss-Weckhoven zeigt, kann die Fläche auch durch Falten stabilisiert werden. Der Pastor wünschte eine lange Kirche, deren Größe war vorgegeben. Fritz Schaller wollte diesmal eine hohe Kirche bauen. Damit war die Großform bestimmt, und es stellte sich die Frage, wie die Fläche stabilisiert werden sollte. Die Antwort lautete: durch Faltung, indem die Fläche aus Dreiecken gebildet wurde. Die Arbeit an der Gestalt und das Einfügen des indirekten Oblichtes erforderte eine intensive Zusammenarbeit mit Fritz und Christian Schaller. Möglicherweise waren wir dabei von einigen Bildern von Lyonel Feininger inspiriert. Die Dicke der Stahlbetonplatten beträgt 7 cm. Für die zentrale Glashalle der Neuen Messe Leipzig war im ersten Anlauf eine Konstruktion mit Fachwerkbögen und Pfetten vorgesehen, die trotz eleganter Aus-

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Keramion, Frechen 1971 P. Neufert/S. Polónyi/ R. v. Kalmar

bildung der Tragwerke nicht überzeugen konnte. Durch die Mitwirkung von Ian Ritchie entstand die zylindrische Gitterschale mit 80 m Spannweite, die gegen Ausbeulen alle 25 m mit einer seilverspannten Verstrebung stabilisiert wurde. Diese Beulaussteifung ist die architektonische Dominante der Halle. Eine raumbegrenzende Fläche kann gegen Beulen mit Rippen stabilisiert werden, die zum Zusammenfügen der möglichst großen transportablen Elemente erforderlich sind. Die Kugeln der deutschen Industrieausstellung 1971 in São Paulo/ Brasilien wurden aus 3 mm dicken Glasfaserpolyester-Schalenelementen zusammenmontiert. Die Aufkantungen der Blechtafeln der einseitig gekrümmten Translationsschale der Sankt-Antony-Hütte in Oberhausen bilden die Aussteifungsrippen an der Unter- und der Oberseite der Fläche. In die Frage „Was ist vorhanden?“ können auch Elemente der technischen Gebäudeausrüstung einbezogen werden, wie zum Beispiel die Lüftungskanäle bei der Schalterhalle der Dresdner Bank in Düsseldorf. Die Architekten hatten erst ein Raumstabwerk vorgesehen. Als klar war, welche Klimakanäle im Stabwerk untergebracht werden sollen, schlug ich vor, das Raumstabwerk wegzulassen. Die Klimakanäle wurden in die Richtung der kleineren Spannweiten gelegt, erhielten dickere Wandungen und wurden, wo erforderlich, unterspannt. Plattformen für den Verkehr – Brücken   Brücken sind Kunstobjekte in der Landschaft, in der Ortschaft, in der Stadt, Landmarken, Orientierungspunkte, vergleichbar den Kirchen. Eine Brücke ist ein räumliches Objekt und nicht einfach die Addition von ebenen Systemen. Bei der Planung von Brücken gilt auch das Prinzip, dass das Ziel nicht das Tragwerk selber ist, sondern die Fläche für den Verkehr. Die Frage lautet: Wie muss die Pavillon für die Deutsche Industrie-Ausstellung, São Paulo 1971 G. Lippsmeier/S. Polónyi/ R. v. Kalmar

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Über das Entwerfen von Tragwerken  C

Fahrbahnplatte ausgebildet werden bzw. was muss hinzugefügt werden, um die Spannweite zu überbrücken? Die Antwort kann dann z. B. ein Rohrbogen sein, von dem der Steg abgehängt wird. Von der LEG (Landesentwicklungsgesellschaft) in Dortmund war ich zur Beratung für eine Brücke für den Erinpark in Castrop-Rauxel eingeladen worden. An der Besprechung nahmen ungefähr zehn Leute teil. Ich skizzierte etwa dreißig verschiedene Lösungen schön systematisch auf Skizzenpapier: zuerst Holz, dann Stahlbeton, schließlich Stahl. Wir waren uns darüber einig, dass eine Brücke im Ruhrgebiet aus Stahl sein muss. Stahlbeton kommt für Fußgängerbrücken wegen des ungünstigen Verhältnisses von Verkehrslast zu Eigengewicht eher nicht in Frage. Ich dachte an Elemente, die für die Industrielandschaft charakteristisch sind. Ich kam auf das Rohr. Wie wäre es, wenn wir das Rohr so bögen wie Norbert Kricke und Ursula Sax bei ihren Skulpturen und daraus die Haupttragkonstruktion bildeten? Eine meiner Skizzen hat der Architekt Peter Freudenthal aufgegriffen und mit mir das Rohr in den Skizzen weitergebogen. Über die große Spannweite haben wir den Steg vom Bogen abgehängt, ihn an den anderen Stellen auf die Rohrschlange aufgelegt. Peter Freudenthal wurde mutig: Wie wäre es, wenn die Rohrschlange auch einmal über den Steg geführt würde? Warum denn nicht? Die Begeisterung der Mitdenker war groß. Nur eine Dame, die eben das benachbarte Bürohaus plante, bezeichnete unseren Vorschlag als „kranken Wurm“. Seitdem heißt die Brücke bei uns so – ein neuer Brückentyp war geboren: eine kalligrafische Minimal Art. Einen schmalen Steg soll man nicht von zwei Bögen abhängen; sie stehen dann zu nah zueinander. Bei der Erin-Brücke steht ein Bogen in der Mitte des Steges. Das sieht recht interessant aus, stört aber auch etwas. Bei den Brücken über die Terneddenstraße und über die Emscher haben wir den Bogen in eine Ebene angeordnet, die klinogonal, das heißt im schiefen Winkel zur Stegachse, steht. So entstand ein interessantes räumliches Gebilde. Der Landschaftsplaner Wedig Pridik hatte bei der Bundesgartenschau 1997 in Gelsenkirchen die Hauptachse der Straße in 45° zur Achse des Rhein-Herne-Kanals vorgesehen. Die Länge der Brücke beträgt 110 m. Sie ist von zwei asymmetrischen Bögen, die in zur Kanal-Achse rechtwinkligen Ebenen angeordnet sind, abgespannt. Die Spannweite der Bögen beträgt 79 m, deren Abstand zueinander 32 m. Der Scheitel der Bögen liegt jeweils über dem Steg. Die Bogenachse ist so gewählt, dass der Bogen bei Volllast keine Biegemomente bekommt.

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Kassenhalle der Dresdner Bank Düsseldorf 1985 Kraemer, Sieverts und Partner/Schiel Possekel/ S. Polónyi und H. Fink Überdachung Industriemuseum St. Antony, Oberhausen 2010 F. Ahlbrecht/Schülke Wiesmann

Erin-Brücke, Castrop-Rauxel 1995 LEG, P. Freudenthal/Polónyi & Partner

Rhein-Herne-Kanal-Brücke, Nordsternpark Gelsenkirchen 1996, Feldmeier + Wrede/ Polónyi & Partner

Brücke über die Mülheimer Strasse, Oberhausen 1998 Polónyi & Partner

Tiergarten-Brücke über die Mulde, Dessau 2000 Kister Scheithauer Gross/ S. Polónyi

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Über das Entwerfen von Tragwerken  C

Über dem kreisförmig geführten Gehweg über die Mülheimer Straße in Oberhausen spannt sich ein Stahlrohrbogen in der vertikalen Ebene und wechselt die Seite. Die Hängestäbe sind nicht parallel geführt, deren Achsen haben über dem Scheitel eine gemeinsame Transversale. Die Bogenform ergibt sich aus der Bedingung, dass unter dominanter Belastung der Bogen biegungsfrei sein soll. Die höher angesetzten Endhängestäbe geben das erforderliche Gehwegprofil frei. Der Bogen wirkt dynamischer als eine Parabel oder ein Kreis. Über die Mulde in Dessau führt der Gehweg in einem Kreisbogen zum Tiergarten. In einer schrägen Ebene neigt sich der Bogen über den Steg. Der Steg ist vom Bogen abgehängt und stabilisiert gleichzeitig den Bogen. Der Stegträger ist ein tragflächenförmiger Hohlkasten, der an beiden Enden fest eingespannt ist; die Temperaturverformung findet also im Krümmungsradius statt. Bei all diesen Brücken lagen meine Skizzen als Entwurfsgrundlage vor. Mit den Architekten diskutierten wir über Proportionen, Details, Ausbildung der Auflager, der Widerlager, der Geländer, über die Farbgebung und Beleuchtung. Die zwei parallel verlaufenden, sinusförmigen Stahlrohre, die die Bewegung an der Brücke symbolisieren und eine 50 cm dicke Stahlbeton-Fahrbahnplatte der Brücke Ripshorster Straße in Oberhausen tragen, entstanden hingegen ohne Dialog mit einem Architekten.

Brücke Ripshorster Straße, Oberhausen 2006 S. Polónyi mit Schülke Wiesmann

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Die Autobahn A16 Transjurane: Architektonische Akupunkturen Renato Salvi

Die Autobahn A16, die Transjurane, ist eines der letzten Teilstücke, die es in der Schweiz noch zu planen und bauen gibt. Sie führt vom Anschluss Choindez in der Nähe von Moutier bis an die französische Grenze bei Boncourt und entstand aus dem politischen Wunsch, den neuen, 1979 geschaffenen Kanton Jura mit dem Rest der Schweiz zu verbinden. Mit dem 1988 schweizweit unter den Architekten ausgeschriebenen Wettbewerb entschied man sich für eine neuartige Vorgehensweise. Nach dem Vorbild des Kantons Tessin, der in den 1970er-Jahren seine Kunstbauten dem Architekten Rino Tami anvertraute, suchte man einen Architekten, der die fünfzig Kilometer Autobahn mit ihren zahlreichen Kunstbauten und Portalen in die Landschaft zu integrieren wusste. Mehr als vierzig Prozent dieser Strecke verlaufen unterirdisch. Als Sieger des Wettbewerbs zusammen mit Flora Ruchat-Roncati – wir haben die Sektionen 4, 5 und 6 zwischen Delsberg und Pruntrut (1988/1998) bearbeitet – bin ich immer noch täglich damit beschäftigt. Eine Autobahn als zeitgemäßer Trumpf  In unseren Gesellschaften beschäftigt sich die Kunst erst seit ungefähr zweihundert Jahren mit der Landschaft. Eine relativ kurze Zeit, verglichen mit Ländern wie China, die in ihrer Malerei die inneren Kräfte einer Landschaft auszudrücken und aufzuzeigen versuchen und nicht deren Autobahn A16, Abschnitt 2, Passage Supérieur Grands Champs Architekt Renato Salvi, Delémont Ingenieur IJA, M.Jobin SA, Delémont

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reelles Aussehen. Der Begriff Landschaft ist in erster Linie ein kultureller. Es ist interessant, festzustellen, dass der Ingenieur praktisch nie von Landschaft spricht, sondern ausschließlich von Umwelt. Er hat also eine rein quantitative Vorstellung (Typ der Flora, der Fauna, Luftqualität, diverse Kompensationen …), die seinem kartesischen Denken näher steht. Architekten und Ingenieure werden sich aber mit der Landschaft, in der sie sich weiterentwickeln, auseinandersetzen müssen, sei diese nun ländlich, peripher oder städtisch. Mit welchen Instrumenten, welchem technischen Wissen, welchem kulturellen Rucksack, mit welchen Emotionen werden sie ihr begegnen? Jeder Schöpfungsakt tut einem vorhandenen Zustand Gewalt an (D. de Rougemont), und zumindest in dieser Gewalt sind sich Ingenieur und Architekt gleich.

Autobahn A16, Abschnitte 4-5-6, Vieilles Forges, Stützmauern Architekt Renato Salvi/ Flora Ruchat-Roncati, Delémont/Zürich Ingenieur GGT, Porrentruy

Linienführung Von Beginn weg erwiesen sich die Beziehungen zwischen Ingenieuren und Architekt als schwierig und angespannt. Die vom Ingenieur festgelegte Linienführung konnte nicht in Frage gestellt werden. Dadurch fielen gewisse Möglichkeiten außer Betracht, was teilweise zu unglücklichen, unangemessenen Lösungen führte. Die Festlegung des Straßenverlaufs ist tatsächlich entscheidend, er ist bestimmend für die Auswirkungen, welche die Autobahn auf die Landschaft hat. Eine seitliche Verschiebung um einige Meter am Fuße eines Hügels hätte zum Beispiel weithin sichtbare Stützmauern erübrigt, die sich nur schwer in die Landschaft integrieren lassen, da sie ja nur sehr rudimentär ausgestaltet werden. Ihre zufällige Geometrie und ihre Bauweise machen sie zu Objekten, deren Erscheinungsbild nicht kontrollierbar ist und folglich dem Ort nicht gerecht wird. Eine Versetzung der Fahrbahnen im Querschnitt hätte ein subtileres Einfügen in den Hang ermöglicht.

Auswirkungen der Linienführung auf die Landschaft

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Die Autobahn A16 Transjurane  C

Autobahn A16, Abschnitte 4-5-6, Russelin Nord (Gripons) Architekt Renato Salvi/Flora Ruchat-Roncati, Delémont/ Zürich Ingenieur GGT, Porrentruy Autobahn A16, Abschnitte 4-5-6, Terri Sud (Gripons) Architekt Renato Salvi / Flora Ruchat-Roncati, Delémont/Zürich Ingenieur IJA, Delémont/ Porrentruy

Wunden  Selbstverständlich ist der Entwurf einer Lüftungszentrale oder einer Kunstbaute entscheidend; die riesigen Wunden, die ihre Ausführung hinterlassen, treten während den ersten Studien jedoch oft in den Hintergrund, obwohl nur eine präzise Positionierung des Werks (eines Portals, einer Brücke, Stützmauer, Böschung usw. …) im Gelände, in das es zu stehen kommt, über seine Verträglichkeit mit dem Standort Auskunft gibt. Dieser Moment, in dem die Ausgangshypothese vor Ort überprüft wird, ist der Augenblick der Wahrheit schlechthin. Das Hinterfüllen der Bauten, bei dem die Naht zwischen dem Werk und der Landschaft entsteht, sollte integraler Bestandteil der Überlegungen sein. Viel zu oft noch wird dieser Punkt offen gelassen und erst gelöst, wenn das Werk fertiggestellt ist. So kommt es zu unvorhergesehenen, schlecht kontrollierten Lösungen, die in puncto Integration oft unakzeptabel sind. Durch eine besonders sorgfältig ausgewählte Bepflanzung können die Wunden in der Landschaft mit der Zeit vertuscht werden. Überlegungen zu vier Portalen  Mit der Zeit ermöglichte die Partnerschaft mit dem Ingenieur das Entwickeln von Lösungen, die der konstruktiven Essenz immer näher kamen, ohne dass dabei die ästhetischen Aspekte verloren gingen. Die Portale von les Gripons  Zwei Portale ergänzen den Anschluss von les Gripons in der Nähe von St. Ursanne. Konzipiert als eine Abfolge von gebauten Ebenen, Fronten und Schichten, mehr oder weniger stark versetzt und strukturiert, zeugen die Zentralen des Tunnels von Mont Terri Süd und des Tunnels Russelin Nord vor allem von der Denkweise eines Architekten. Die rechteckigen, unterirdischen Zentralen, die vom Ingenieur bereits in einem frühen Stadium entworfen wurden, entsprechen mit ihrer totalen Geschlossenheit nicht dem im Endzustand gewünschten Erscheinungsbild. Die Welt unter Terrain gehört dem Ingenieur, die sichtbare dem Architekten.

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Portal von l’Oiselier  Das Portal von l’Oiselier im Westen von Pruntrut ist betont volumetrisch, seine Ausdruckskraft ist stärker, und es ist enger verbunden mit der Denkweise des Ingenieurs. Die statisch erforderlichen Mauerstärken sind integraler Bestandteil des Entwurfs, des Grundkonzepts, und verleihen dem Bauwerk durch diese Materialität eine stärkere, weniger zerbrechliche Präsenz als bei den früheren Portalen. Zahlreiche Probleme konnten mit einer einzigen Form gelöst werden, die dank ihrer Funktionalität auch kohärent ist. Der Versatz ersetzt die klassische Trennwand zwischen den Tunnels. Die seitlichen Stützmauern erfüllen nicht nur ihre statische Funktion, das Zurückhalten der Erde, sie schaffen zusätzlich bei der Ein- und Ausfahrt des Tunnels einen fließenden Übergang. Portal von Courrendlin Nord  Bei diesem im Entstehen begriffenen Portal ist der Bezug Ingenieur-Architekt noch enger. Der Schnitt durch den gedeckten Teil ist geprägt vom abgeschrägten Tunnelgewölbe (den Spickeln), das die Normal- und Querkräfte aufnimmt, die durch das Gewicht der Erde entstehen. Dieses Thema wird im Portal wieder aufgenommen und als eine logische Folge weiter entwickelt, Autobahn A16, Abschnitt 3, Banné ouest (Oiselier) Architekt Renato Salvi, Delémont Ingenieur IJA, M. Jobin SA, Delémont

Autobahn A16, Abschnitt 8, Portal von Choindez Nord Architekt Renato Salvi, Delémont Ingenieur GETUC (Groupe d’étude Tunnel de Choindez), Delémont/Porrentruy

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Die Autobahn A16 Transjurane  C

sodass sich auf der A16 zum ersten Mal ein Übergang vom Tunnelquerschnitt (der in diesem Fall nicht kreisförmig ist) zur geometrischen Form des Portals ergibt. Aus der ingenieurtechnischen Strenge und einer formalen Kontinuität entsteht eine Form, ein Portal, in völliger Übereinstimmung mit der Welt des Ingenieurs und derjenigen des Architekten. Bei den früheren Werken, da verdeckte nur der Schlagschatten – an sich ein einfacher Kunstgriff – den schwierigen Übergang zwischen dem kreisförmigen Schnitt durch den Tunnel und der geradlinigen Geometrie der Portale. Portal du Voyeboeuf  Das Suchen nach einer gemeinsamen Sprache für beide Parteien äußerte sich in einem geduldigen Planen mit Karton, Papiermaché und viel Ausdauer. Mit der Zeit gesellte sich die strenge ingenieurtechnische Seite hinzu. Allerdings nicht nur, denn der Ingenieur musste seine Gewohnheiten ablegen und verstehen, dass jedes Detail, auch das allerkleinste, integraler Bestandteil des Werks ist. Bei der komplexen Geometrie des Portals von Voyeboeuf mussten zusätzlich die Auflager des Viadukts, das direkt ins Portal führt, studiert werden.

Autobahn A16, Abschnitt 3, Portal von Voyeboeuf Architekt Renato Salvi, Delémont Ingenieur IJA, M.Jobin SA, Delémont

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Spielräume–Spielregeln Elisabeth und Martin Boesch, Carlo Galmarini, Urs B. Roth und Judit Solt

Das von Judit Solt geführte Interview mit den Architekten Elisabeth und Martin Boesch, dem Bauingenieur Carlo Galmarini und dem Geometrieingenieur Urs B. Roth fand am 13.5.2011 statt.

Judit Solt  Ein Team bestehend aus Architekten, Bauingenieur und Geometrieingenieur ist ungewöhnlich – schon deswegen, weil „Geometrieingenieur“ kein gängiger Beruf ist, sondern eine Tätigkeit, die sich auf das Lösen mathematischer und insbesondere geometrischer Probleme konzentriert.1 Ihr arbeitet nun schon das zweite Mal in dieser Konstellation zusammen. Wie ist es dazu gekommen? Architekten­  Carlo Galmarini haben wir beim Entwurf des Pavillons „OUI!“ an der EXPO.02 kennen gelernt. An diesem Werk war Urs B. Roth noch nicht beteiligt, aber die nicht alltägliche Geometrie des einen Gebäudeteiles hat uns damals schon beschäftigt. Es handelte sich um einen Wald von Stützen, die ein dünnes Dach tragen. Die Unordnung der Stützen ist nur eine scheinbare: Die Setzung und die Farbigkeit der Stützen gehorchten einem System, das zwar keinen mathematischen Regeln folgte, aber sehr wohl einer eigenen Geometrie verpflichtet war. Die Stützen waren nach räumlichen, empirisch entwickelten Parametern angeordnet. So standen die Stützen im ersten Abschnitt sehr locker und verdichteten sich danach zu einem undurchsichtigen Wald. Es hätte vermutlich eine Vielzahl von Stützenstellungen gegeben, die unseren Kriterien ähnlich gut entsprochen hätten – aber noch viele mehr, die sie nicht erfüllt hätten. Der Ingenieur hat sich vom Fehlen eines Rasters nicht beirren lassen. Er hat sich auf unseren scheinbar zufälligen Stützenwald eingelassen, ihm seine Kriterien überlagert, uns seine Spielregeln mitgeteilt und uns korrigiert, wenn eine Stütze aus statischen Gründen anders platziert oder dicker sein musste. Diese Zusammenarbeit zur Ermittlung des räumlichstatischen Wirkens war ergiebig. Nachträglich wurden wir häufig gefragt, ob wir den Pavillon gemeinsam mit einem Künstler entworfen hätten. Bauingenieur  „Form follows function“ haben wir alle tausendfach gehört. Aber eine Aufgabe wirklich zu begreifen heißt, sie von vielen Seiten anzuschauen und alle ihre Funktionen zu verstehen, unter anderem auch die Tragfunktion. Beim Expo-Pavillon sollten 9 Meter hohe Stützen ein möglichst dünnes Dach tragen, wobei der Bau am Ufer des Neuenburger Sees zum Teil starken Winden standhalten musste. Die Tragfunktion hatte daher verschiedene Implikationen. Es bestand eine Beziehung zwischen der Stärke des Daches und dem Rhythmus der Stützen: Je

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Judit Solt, Kein Mensch wartete auf mich!, in: TEC21 – Zeitschrift für Architektur, Ingenieurwesen und Umwelt 7/2010. Zürich: Verlags-AG der akademischen technischen Vereine 2010, S. 12–13

Expo.02 Pavillon „Oui“, 2002 Architekten E.  Architekten, Zürich Ingenieur Walt + Bauingenieure, Zürich

größer die Lichtungen im Stützenwald, desto dicker das Dach. Aber auch zwischen den unterschiedlichen Dicken der Baumstämme gab es eine Wechselwirkung, weil sie in der Summe der Windbeanspruchung widerstehen mussten. Die Stützen erfüllten dabei unterschiedliche Aufgaben: Unter Windbeanspruchung hielten die dicken das Dach, die dünnen dagegen hängten sich daran. Die dicken waren wie Baumstämme, nur im Boden verwurzelt; die dünnen mussten auch oben stabilisiert werden. js  Beim Wettbewerb für die Erweiterung des Orientalischen Seminars und die Abteilung Indologie des Indogermanischen Seminars der Universität Zürich habt ihr wieder zusammengearbeitet. Auch hier galt es, eine auf den ersten Blick chaotische Form statisch und gestalterisch in den Griff zu bekommen – diesmal mit Hilfe von Urs B. Roth. Architekten  Neben kleineren Ertüchtigungen am Altbau, einer 1863 vermutlich von Leonhard Zeugheer errichteten Villa, bestand die Aufgabe darin, eine unterirdische Bibliothek zu bauen. Entgegen den Vorgaben im Wettbewerbsprogramm haben wir diese unter der Vorfahrt auf der Bergseite angeordnet. Dies hatte den Vorteil, dass der Garten erhalten blieb und gleichzeitig die innere Wegführung schlüssig gelöst werden konnte. Es bedeutete aber auch, dass der Bau dem Hangdruck widerstehen und dem Wurzelwerk zweier alter Bäume ausweichen musste. Die Reaktion auf die Gegebenheiten des Terrains bildeten sich im Grundriss ab. Schon in der Wettbewerbsphase hatten wir den Wunsch, auch der Decke ein Relief zu geben; zudem sollte sie ungerichtet sein, stützenfrei und wie ein Himmel über dem Raum ruhen sowie einen formalen Bezug zu Orient und Islam haben. Das Referenzbild für unsere Vorstellung einer geometrisch-räumlichen Behandlung der Deckenfläche bildete eine Zeichnung von Sol LeWitt. Weil der Raum ziemlich groß war und sich unter der Vorfahrt befand, auf der auch Lastwagen zirkulierten, musste die Decke vorgespannt sein. Den Verlauf der Vorspannkabel galt es ins Relief zu integrieren. Umgekehrt sollte dessen Form auch statisch begründet sein. Wir wollten kein willkürliches Muster, sondern eine echte Geometrie, in der alle Vorgaben – Ungerichtetheit, Stützenfreiheit, topografische und formale Bezüge, Statik – zu

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Continuous Forms and Color, 1988 Gouache on Paper, Sol LeWitt Umbau Villa Rämistraße 66 für das Institut für Islamwissenschaften, Universität Zürich, Projekt 2004 Architekten E. & M. Boesch Architekten, Zürich Ingenieur Walt + Galmarini AG Bauingenieure, Zürich Geometrieingenieur Urs B. Roth, Zürich Deckenrelief der unterirdischen Bibliothek Axonometrie der unterirdischen Bibliothek Grundriss Untergeschoss

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einem Ganzen verschmelzen. Damit sind wir an Grenzen gestoßen und haben den Geometrieingenieur beigezogen. Geometrieingenieur  Eine unglaublich schöne Aufgabe: eine stützenfreie, strukturierte Decke, unter der historische islamische Schriften lagern! Wer sich mit Geometrie beschäftigt, kennt die Raffinesse der orientalischen Muster. Eine Anleihe aus diesem Kulturraum für das Relief kam für mich nicht in Frage. Vielmehr wollte ich als Westeuropäer, der sich mit Geometrie beschäftigt, etwas Neues kreieren, das von der Stimmung her diesen orientalischen Himmel wiedergibt. Als die Architekten mir den Grundriss zeigten, war meine erste Frage: Muss es genau diese Form sein? Ich wusste, dass die Außenwand um die Wurzelstöcke der Bäume herum verlaufen musste; ich wollte nur etwas Spielraum, um das Muster so zu entwickeln, dass es auch an den Rändern aufgeht. Die Architekten waren einverstanden unter der Bedingung, dass die Abweichung klein blieb. Meinen ersten Vorschlag nannte ich Berg und Tal. Er bestand aus versteckten flachen Pyramiden, die sich überlagert haben, dazwischen lagen tiefe Täler. Der Bauingenieur hat einen Blick darauf geworfen und sofort Nein gesagt. Die Spannkabel hätten im Zickzack verlaufen müssen, was nicht geht. Architekten  Spannkabel sind normalerweise gerade … Bauingenieur  … genauer: Sie sind meistens nur vertikal gebogen. Geometrieingenieur  Aber ein Muster, das die geraden Linien der Spannkabel aufgenommen hätte, wäre auch gerichtet gewesen. Der Ingenieur hat eine Lösung vorgeschlagen, bei der die Spannkabel horizontal leicht geknickt sind, wie ein flaches S. Ein ganz wenig verwinkeln ist offenbar möglich, aber ohne scharfe Kanten, und vor allem nicht in der Mitte des Raumes, wo die Spannkabel am tiefsten hängen. Da habe ich begriffen, dass ich andersherum denken und von den flachen S der Spannkabel ausgehen muss, um das Muster für das Relief zu finden. Gleichzeitig wollten die Architekten aber nicht, dass man lauter Schlangenlinien sieht, wenn man es anschaut. So bin ich auf das Polyeder-Pattern gekommen. Es enthält zwar die Schlangenlinien, aber der Clou ist, dass man sie nicht beachtet: Das Auge ist abgelenkt, es fokussiert auf die Felder anstatt auf die Ränder. Um zu überprüfen, ob die Grate dick genug waren, um die Spannkabel aufzunehmen, habe ich einen horizontalen Schnitt durch die Schalung gezeichnet. Das Bild erinnert an ein Flussbett, aus dem große Steine ragen, zwischen den Steinen fließt das Wasser – die Zwischenräume wären tatsächlich groß genug gewesen, um die Spannkabel aufzunehmen. Bauingenieur  Der Geometrieingenieur hat verstanden, dass man eine weitgespannte Decke, die hohe Belastungen aushalten muss, vernünftigerweise auflöst. Bei einem rechteckigen Grundriss hätte man eine Hourdis- oder eine Unterzugsde-

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cke gewählt. In diesem Fall fließen die Kräfte aufgrund der Form des Raumes dynamischer. Um zu einer wirklich guten Lösung zu kommen, mussten die statischen Funktionen klar sein. Die Architekten und der Geometrie-Spezialist wollten verstehen, was es mit der Tragfunktion auf sich hat. Letztlich ist die Form der Tragfunktion gefolgt: Es ist sinnvoll, das Gewicht zwischen den Rippen der Decke auszudünnen – nur sind es nicht ganz gewöhnliche Rippen … Architekten   Das Muster mit den Polyedern hat zwar eine grobe Ausrichtung, enthält aber weder Geraden noch Unterzüge. In den Graten, wo die meiste Masse ist, konnten die Spannkabel angeordnet werden. Außer den Spannkabeln musste auch die übrige Armierung untergebracht werden. Die Vorstellung, dass jemand für diese komplizierte Form einen Armierungsplan zeichnen und auf der Baustelle die Eisen platzieren sollte, schien uns schwerfällig. Machbar ist vieles, aber musste das sein? Der Vorschlag des Bauingenieurs, Stahlfaserbeton einzusetzen, führte schließlich zu einer Lösung, die von der Idee bis zur Realisierung äußerst elegant gewesen wäre. js  Beim Bau der neuen Treppen für die frisch sanierte Hardbrücke in Zürich bildet ihr wieder ein Team. Hier kommen gleich zwei verschiedene geometrische Systeme und sehr besondere statische Anforderungen zusammen … Architekten  Wir haben uns Treppenläufe aus Beton vorgestellt, die elegant bewegt wirken, die sich sozusagen schwungvoll vom Turm her abwickeln. Es sollten keine Wendeltreppen sein, auf denen man sich im Kreis bewegt. Unten greift unsere Treppe ausladend in den Stadtraum aus, nach oben zur Brücke hin verengt sich der Radius, sie schmiegt sich an den Liftturm. Anfangs wurde die Umsetzung dieser gestalterischen Vorgaben von den damaligen Statikern als nicht realisierbar abgelehnt. Stützen unter dem Treppenlauf oder Einhängeträger, welche die Bewegungen der Brücke aufgenommen hätten, schienen unumgänglich. Der neu hinzugekommene Bauingenieur schlug vor, sie auskragend zu bauen. Damit war das Konstruktionsprinzip geklärt. Bleibt die Form – eine Art Spirale, die sich auch in der dritten Dimension bewegt. Die Verkehrsingenieure sprachen von Klothoiden. Wir kannten das Wort gar nicht … Es gab zwei Hauptschwierigkeiten. Erstens: Die Treppe steht im öffentlichen Raum, also muss sie neben hohen gestalterischen Standards auch allen Sicherheitsvorgaben genügen. Weil sie keine Podeste hat, muss sie bequem sein wie eine Prachttreppe in einem Palast; dazu unterhaltsarm, robust und dauerhaft. Nichts weniger als die perfekte Treppe! Zweitens: Wie beschreibt man diese Klothoide, und wie baut man sie? Geometrieingenieur  Eine Klothoide ist eine Kurve, deren Radius sich linear vergrößert und verkleinert. Im Straßenbau wird sie oft gebraucht, doch für eine Treppe gibt es Besseres. Die logarithmische Spirale, die in der Natur zum Beispiel bei Nautilusschnecken vorkommt, hat alle nötigen Eigenschaften. Ihr Radius

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verändert sich nicht nur kontinuierlich, sie hat zusätzlich auch eine innere Logik, die eine schöne Lösung des Treppenproblems ermöglicht. Jede Radiale, die man vom Zentrum einer logarithmischen Spirale aus zieht, schneidet jede Wicklung im gleichen Winkel. Dieser konstante Winkel bestimmt die Form der Spirale, und die Spirale selbst wird einer geometrischen Folge entsprechend immer im gleichen Faktor größer. Ausgewählt habe ich eine ganz besondere, die so genannte sich selbst generierende logarithmische Spirale. Es ist diejenige logarithmische Spirale, deren Tangente die nächste Wicklung orthogonal schneidet. Die Radialen werden zur Schalungsrichtung der Unterseite. Dieser Grundgeometrie musste eine zweite Geometrie überlagert werden. Das Treppenverhältnis verlangt unbedingt ein Gleichmaß, keine Progression. Daraus entstand eine antilogarithmische lineare Teilung der Kurve. Architekten  Die Schalung der Untersicht besteht aus lauter gleichen, schmalen Brettern, die das Schichten in die Höhe veranschaulichen. Der Schalungsbauer wäre zwar in der Lage gewesen, eine glatte Schalung herzustellen, doch wollten wir die versteckte Geometrie physisch zum Ausdruck bringen. Geometrieingenieur  Die Überlagerung von zwei Richtungen für Ober- und Unterseite der Treppe hat eine weitere Folge: Im Schnitt ergibt sich eine Verjüngung nach außen. Das ist statisch sinnvoll, weil es sich um einen Kragarm handelt; die größten Drehmomente sind auf der Innenseite. Und auch in Bezug auf die Ästhetik ist das sinnvoll, denn die Treppe sollte möglichst leicht erscheinen. Die innere Logik der gewählten Geometrie stimmt mit jener der Treppe überein. Bauingenieur  Aufgrund der bildlichen Vorstellung der Architekten war klar, dass die Treppe wie eine Feder tragen sollte und Torsionssteifigkeit braucht. Die Treppenstufen liegen auf auskragenden Winkeln und sind darum bei der inneren Wange am stärksten. Die architektonische Idee, die statische Funktion und die mathematische Form kommen zur Deckung. js  Ihr habt den Anspruch, die verschiedenen Aspekte eines Projekts so zu verzahnen, dass sie ohne einander nicht denkbar sind. Sowohl bei der Bibliothek als auch bei der Treppe ist dieses Korrespondieren nachvollziehbar. Dennoch vermeidet ihr jede didaktische Geste. Der Betrachter kann beispielsweise den Kräfteverlauf in der Bibliotheksdecke ablesen, wenn er das wünscht, aber die Erkenntnis drängt sich nicht auf. Und was die Nautilusschnecke betrifft … Architekten  Plakative Darstellungen interessieren uns nicht, die Zusammenhänge sollten in einer subtilen Art verständlich sein. Schließlich müssen Bauten auch ohne Erklärungen der Projektverfasser wirken, gleichsam subkutan, und sich bei genauem Hinsehen von selbst entschlüsseln.

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Treppenaufgänge Hardbrücke, Zürich 2011 Grundriss mit Überlagerung von Auf- und Untersicht. Jede Radiale vom Zentrum einer logarithmischen Spirale schneidet die Wicklungen im gleichen Winkel. Bei der sich selbst generierenden logarithmischen Spirale ist dieser Winkel orthogonal.

Beispiel für eine logarithmische Spirale in der Natur: Nautilusschnecke Logarithmische Spirale k = 4,78936902918 × 10-3 Antialgorithmische Teilung 17 / 26 / 40 Gute Annäherung an a = 1,53886204679

Treppenaufgänge Hardbrücke, Zürich 2011 Architekten E. & M. Boesch Architekten, Zürich Ingenieur Walt+Galmarini AG Bauingenieure, Zürich Geometrieingenieur Urs B. Roth, Zürich

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Treppenaufgänge Hardbrücke, Zürich Querschnitt Treppenlauf

Geometrieingenieur  Manches bleibt naturgemäß unsichtbar. Die Spannkabel in der Bibliotheksdecke sieht man im fertigen Bau nicht, man kann lediglich ablesen, wo sie vernünftigerweise verlaufen sollten. Die mathematischen Gesetzmäßigkeiten des Deckenreliefs interessieren die meisten Besucher nicht, aber ein Mathematiker kann sie anhand der vorhandenen Indizien rekonstruieren, inklusive Proportionalsystem. js   Im Nachhinein klingt das alles ganz selbstverständlich. Dass die Bibliothek auf den Hangdruck und die Bäume im Park reagiert, dass der Aufbau der Decke statischen Gesetzen gehorcht, dass das Muster mit dem Inhalt der Bibliothek zu tun hat und die Grate mit dem Verlauf der Spannkabel übereinstimmen – natürlich. Dass eine Treppe im öffentlichen Raum einladend, sicher und bequem ist, dass die Herstellung der Schalung und die Anordnung der Stufen dem gleichen geometrischen Prinzip gehorchen – wie sollte es anders sein? Doch in dieser Einfachheit steckt viel intellektuelle Leistung. Die Projekte sind unglaublich verdichtet, jede Einzelheit ist mehrfach mit Bedeutung und Funktion besetzt. Architekten  Das Wort Verdichtung ist treffend. Was wir gemeinsam suchen, ist die „solution élégante“. Oder wie es bei Le Corbusier heißt: „très difficile, mais satisfaction de l’esprit“. Das macht uns Freude, die Schwierigkeit muss am Ende nicht ersichtlich sein. Geometrieingenieur  Die zwei sich überlagernden geometrischen Ordnungen der Treppen haben uns unendlich viel Arbeit gekostet. Welcher Passant nimmt sie schon wahr? Wenn das Ergebnis so selbstverständlich daherkommt, ist das doch perfekt. Wir kennen das Geheimnis, wir müssen es nicht herausposaunen … Bauingenieur  Schöne Projekte entstehen immer gleich: Man versucht, eine Aufgabe in allen Funktionen zu begreifen, und entwickelt Regeln, die möglichst viele dieser Funktionen auf einmal wahrnehmen.

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js  Diese Verdichtung bedingt ein partnerschaftliches Zusammenwirken zwischen Architekten und Ingenieuren. Ihr sucht die „verständige Einmischung“, wie ihr sie nennt, in euren jeweiligen Kompetenzbereich. Wie muss man sich eure Zusammenarbeit vorstellen? Ist sie so konfliktfrei wie das Ergebnis? Architekten  Die Arbeit in dieser Konstellation ist anregend. Die Federführung liegt zwar bei uns Architekten, aber wir sind offen für jeden klugen Input. Und wenn einer unter uns erklärt, weshalb etwas nicht geht, dann soll das Unmögliche nicht erzwungen werden. Sturheit blockiert. Geometrieingenieur  Wichtig ist, dass jeder seinen eigenen Aufgabenbereich hat. Wir ergänzen uns gut. Bauingenieur  Konfliktfreiheit ist wichtig. Wenn die Arbeit im Team Freude macht, funktioniert die Interaktion, jeder reagiert auf den anderen. Dann ist es auch egal, von wem welches Argument kommt – meist hat ohnehin keiner von Anfang an die endgültige Idee. Manchmal entsteht eine komplizenhafte Freude am gemeinsamen Werk. Bei den Hardbrücke-Treppen zum Beispiel kragt der Steg, der von der Treppe auf die Brücke führt, einem Sprungbrett ähnlich 7 Meter aus. Er muss elastisch genug sein, um sich den beträchtlichen Bewegungen der Brücke anzupassen. Wir finden es besonders schön, dass unser Steg, unser dünnes Kragärmchen, einen winzigen Beitrag zur Stabilisierung der Brücke leistet: Senkt sich die Brücke, zieht der Steg sie ein ganz klein wenig hoch, hebt sie sich, drückt der Steg sie ein ganz klein wenig hinunter. Architekten  Mit Idealisierungen sollte man vorsichtig sein – aber es ist eine äußerst befriedigende und effiziente Art zu arbeiten!

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Wechselseitige Offenlegung und Selbstvergewisserung Adolf Krischanitz und Aita Flury

Mit dem Erweiterungsbau für das Museum Rietberg in Zürich und dem Laborgebäude auf dem Novartis Campus in Basel hat Adolf Krischanitz in der Schweiz zwei Projekte realisiert, die unter anderem durch kräftige strukturelle Elemente auffallen.

Aita Flury (af)  Im Zusammenhang mit der Ausstellung „Dialog der Konstrukteure“ würde mich ein Kommentar von dir, aus Architektensicht, zur Wechselwirkung zwischen Form und Konstruktion als auch zu den Begriffen Innovation und Risiko interessieren. Adolf Krischanitz (ak)  Die Wechselwirkung zwischen Form und Konstruktion ist, treibt man es auf die Spitze, ebenso schwer diagnostizierbar wie die Wechselwirkung zwischen Form und Funktion. Wahrscheinlich gibt es die Konstruktion, abgelöst von der Form so nicht, ist doch bereits die Auswahl dieser eine Formentscheidung. Bei dreidimensionalen Raumkonzepten führt die Generierung von Raum via Form-Konstruktion zu ganz integralen Gebilden, die eine Separierung in die Bereiche gestalteter und/oder konstruktiver Komponenten nahezu verunmöglichen. Das Verhältnis des „Konstruktiven“ zum „Gestalterischen“ ist weder eindeutig noch gleichbleibend. Indem der architektonischen Konstruktion eine gewisse „Leibbezogenheit“ (Wolfgang Meisenheimer) innewohnt, können Maßstäblichkeit, Duktus, Rhythmus, Gestus bis hin zur Übertragung psychischer Komponenten durchaus bestimmende Faktoren sein, deren Bedeutung und Aktualität sich immer wieder zyklisch verändern, jedoch das zentrale Anliegen des raumbildenden Gedankens im Fokus behalten. Das Spiel der Entgrenzung kann also sowohl zu Innovation führen, als es auch jenes Risiko enthält, den Gegenstand der Betrachtung, die Generierung des Raumes, als zentrales Anliegen zu verlieren. af  Du bearbeitest mit deinem Büro Projekte in China, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Gibt es für dich landesspezifische, trennscharf eruierbare Unterschiede in der Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur? Und falls ja, welcher Natur sind sie und welchen Bedingungen entspringen sie?

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ak  Es gibt zwischen diesen Ländern traditionell bedingt durchaus Unterschiede in der Kultur des Konstruierens, die sich in der Regel zwischen dem Versuch einer ungebrochenen Fortsetzung einer Tradition und andererseits dem Versuch, diese zu überwinden, bewegen. Man muss allerdings sagen, dass die integralen Momente einer permanenten, synchronen Anstrengung in der Findung der konstruktiven Form in der Schweiz am fruchtbarsten sind, was sich auf eine iterative, sich lange fortgeschriebene Kulturpraxis zurückführen lässt. China ist diesbezüglich im Umbruch und im Moment noch zu sehr gespalten zwischen der erratischen Präsenz seiner Geschichte und den fragwürdigen Begehrlichkeiten aus dem Westen. Die Lern- und die Kritikfähigkeit steigen jedoch exponentiell. af  Bei deinem Erweiterungsbau für das Rietberg Museum in Zürich ermöglicht ein raffiniertes System von spezifischen Scheibenstellungen die im Grundriss scheinbar lapidaren, aber für den Raumplan und die Abtragung der extremen Deckenlasten unabdingbaren Setzungen. Auch die nach unten gesteigerte Raumdimension ist ein Resultat dieses Tragwerkskonzepts, das als geschossübergreifend wirksames und komplementäres Tragsystem von Decken und Wänden funktioniert und dessen Prinzipien aus dem Brückenbau abgeleitet sind. Die enormen technischen Anstrengungen im Schnitt bleiben räumlich, aber hintergründig, es scheint sich nicht um die Absicht nach einer Sichtbarmachung eines Prinzips oder nach dessen eindeutiger Erfahrbarkeit zu handeln. ak  Das mit Basler + Partner Ingenieure (Zürich) entwickelte konstruktive System mit hintergründiger Wirkung geht von einem nicht-spektakulären, im Grunde jedoch radikalen Ansatz aus, und zwar die raumgenerativen und die konstruktiven Möglichkeiten über zwei unterschiedliche Geschosse miteinander zu verschränken. Die Diskretion dieser Maßnahme liegt vor allem in der geschossübergreifenden „mehrfältigen“ Wirkungsweise und der Unmöglichkeit der schnellen Erstellung einer Diagnose desjenigen Betrachters, der sich innerhalb von nur einem Geschoss

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Pläne beide Seiten: Museum Rietberg, Zürich 2007 Architekt ARGE Krischanitz/Grazioli, Zürich Ingenieur Ernst Basler + Partner AG, Zürich

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befindet. Die daraus resultierenden großen, stützenfreien Raumfelder in beiden Tiefgeschossen generieren zwei jeweils komplementäre Raumkomponenten, die synchron sowohl das Konstruktive als auch das Raumbildende in sich tragen. In einem Museum bedeutet konstruktive Diskretion letztlich, ohne Ablenkung dem ausgestellten Artefakt die größte Aufmerksamkeit zu schenken.

af  Im Interview mit den drei Ingenieuren Aurelio Muttoni, Heinrich Schnetzer und Joseph Schwartz (werk, bauen + wohnen 5|2009) habe ich nach Assoziationen, die die Ingenieure mit „starken Strukturen“ verbinden, gefragt. Knapp resümiert sahen die Ingenieure die Werte in spürbaren, aber keineswegs plakativen Tragwerken, im Potenzial der Erfüllung unterschiedlichster Bedingungen durch das Tragwerk oder aber in der Herausforderung durch Dimensionen, Spannweiten und in der leiblichen Spürbarkeit der Maße. Welche Vorstellungen verbindest du mit starken Strukturen? ak  Die sogenannten „starken Strukturen“ besetzen natürlich wesentliche Anteile im ikonoplastischen Apparat der jeweiligen Architektur und sind als zentrale Faktoren durchaus zu Recht am Umverteilungsprozess der Aufmerksamkeitspotenziale beteiligt. Eine Strategie auf gleicher Augenhöhe in der Zusammenarbeit zwischen Ingenieur und Architekt kann in der gemeinsamen Suche nach einer bestimmten konstruktiven Idee liegen, die gleichsam als gestalterisch verfügbares Potenzial, falls sie raum- und konstruktionssprachlich (noch) nicht verbraucht ist, zur Disposition gestellt wird. Diese interaktiv zu entwickelnde Idee ist gleichermaßen abstrakt wie auch konkret und stellt eine „Findung“ dar, deren konstruktions- als auch gestaltgenerierende Möglichkeit die „integral ordnenden Strukturen“ nachhaltig bestimmen kann. Idealerweise geben sich Architekt und Ingenieur dem Spiel in welchselseitiger Offenlegung und Selbstvergewisserung hin, wobei es vorerst ausschliesslich um die richtigen Fragestellungen geht. Diese müssen ausführlich und ausreichend genau gestellt sein, damit beide schließlich im Laufe eines längeren Austausches an Abstimmungen zu Gewissheiten gelangen, die in das konkrete Spiel zwischen Raumvorstellung und Formfindung einbezogen werden können. af  In deinem neuen Buch „Architektur ist der Unterschied zwischen Architektur“ taucht mehrmals der Aspekt der Strukturierung des Raumprogrammes, die Dividierung und die Modulierung der Fragestellung vor dem eigentlichen entwerferischen Akt auf. Wenn man beim Novartis Campus Laborgebäude den Blick auf den Grundriss richtet, fällt eine Schar von raumbildenden Schächten auf, die den Fußabdruck dominieren; Louis Kahns Medical Research Towers in Philadelphia schimmern als Referenz durch. Inwiefern hat die „Interpretation des Programmes“ für dich mit starken Strukturen zu tun? Und mit welchen Worten würdest du die Chronologie der Zusammenarbeit zwischen Ingenieur und Architekt erfassen?

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Forschungslabor Novartis Campus, Basel 2008 Architekt Krischanitz und Frank Architekten Berlin/Zürich Bauingenieur Ernst Basler + Partner AG, Zürich

ak  Speziell der Fußabdruck für unser Laborgebäude bei Novartis wurde zwischen Architekt, Ingenieur und Laborplaner entwickelt und ist somit das Forschungslabor Novartis Campus Basel, Grundriss 2. OG, M 1:333 kulturell beseelte Muster einer konstruktiv-technisch-raumbildenden Anstrengung. Die konstruktiven und infrastrukturellen Elemente sind nun unverblümt ohne Sublimierungseffekt als technische, raumbildende, starke Struktur in das Gebäudegefäß eingebracht und über das zentrale Atrium als „Edelschacht“ noch einmal ikonografisch gefasst. Die Frage nach der Chronologie eines diskursiven Prozesses beruht letztlich auf der Vorstellung eines prioritären Einfalls von einem der beiden Proponenten – Architekt oder Ingenieur. Nach meinen Erfahrungen in der gemeinsamen architektonischen Entwurfsarbeit mit unterschiedlichsten Partnern – wie zum Beispiel Künstlern, Handwerkern, auch Bauherren und eben Ingenieuren – ist weniger die Frage, wer wann den entscheidenden Einfall hatte; vielmehr ist in weiterer Folge wichtig, diesen Einfall in eine architektonische Idee umzuwandeln. Es ist also wichtig, den Prozess solange als möglich offen zu halten, die Einfälle zu sammeln, zu bewerten, um letztlich die richtige Entscheidung bzw. Auswahl zu treffen. Ich sehe sehr oft in Studentenarbeiten beste Einfälle, die mangels Übersicht und Erfahrung aber oft nicht als solche erkannt und nicht zu einer architektonischen Idee ausgebaut werden: Hier setzt dann die Verantwortung des Lehrers ein. Nachdem der Architekt meistens die gesamtkulturelle Letztverantwortung übernimmt, wird in der Regel er entscheiden – ohne dass man daraus in jedem Fall seine prioritäre Rolle festmachen kann –, in welcher Weise die technische Konstruktion eingesetzt wird und welchen Stellenwert sie in der Gesamtabstimmung innerhalb des letztlich architektonischen Werkes einnehmen wird. Zum anderen kann ich mir vorstellen, dass dies bei bestimmten technisch ambitiösen Bauwerken wie Brücken, Produktionshallen und dergleichen in umgekehrter Weise gehandhabt wird – bis hin zu der Möglichkeit, als Architekt ein ingenieurmäßig durchgebildetes Vorprojekt gleichsam im Nachgang „umzuwandeln“. Diese Wandlung mit

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unterschiedlicher Gestaltungstiefe kann bei hohen Ansprüchen allerdings diejenige Sublimierungsenergie freisetzen, mit deren Hilfe sich die Entwurfsarbeit von allen funktionellen und technischen Vorgaben emanzipiert und erst damit zur eigenständigen architektonischen Idee wird. af  Zuletzt interessiert mich der Aspekt des „Symmetrischen“, der in vielen deiner Projekte auftaucht. Basieren diese symmetrischen Grundrissanlagen auf der Semper’schen Idee, dass jede natürliche Form drei Momente hat: also Symmetrie in der Horizontalen, Proportion in der Vertikalen und Richtung in der Tiefe? Was schließlich auch Ausdruck struktureller Gleichgewichtsbedingungen sein kann. ak  Symmetrie ist Ebenmaß oder Gleichmaß, ebenso wie auch die Anwendung bestimmter Kongruenzeigenschaften von Flächen und Körpern und damit auch architektonischen Räumen. Abgesehen davon, dass bestimmte Tendenzen der Moderne in der Anwendung der Symmetrie gewisse historische Relikte sahen, wie die Verdoppelung als Spiegelungsgleiche (Bedeutungsverstärkung) oder durch eine Betonung der Mittelzone eine Hierarchisierung (Ordnungsaufbau). Nachdem uns trotz der Versuche weder die moderne Architektur noch die moderne Kunst den Ordnungsverzicht beschert haben, sind nun auch diese klassischen Gestaltungsmittel wieder im Spiel. Die katharsischen Ambitionen der Moderne und ihre gegenteiligen historischen Ambitionen davor erlauben nun eine entspannte Indienststellung der Symmetrie als Ordnungsprinzip, wie diese bereits im menschlichen Körper angelegt ist.

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Starke Strukturen Heinrich Schnetzer, Aurelio Muttoni, Joseph Schwartz und Aita Flury

Das Gespräch wurde am 22. Januar 2009 geführt und erschien erstmals unter dem Titel: „Tragwerk und Raum. Die Ingenieure Aurelio Muttoni, Heinrich Schnetzer und Joseph Schwartz im Gespräch mit der Architektin Aita Flury.“ In: werk, bauen + wohnen 5|2009, S. 40–47. Die vorliegende Publikation zeigt eine erweiterte Fassung des Gesprächs unter Einschluss des Themas Wettbewerbe.

In den separierten und spezialisierten Berufsfeldern von Ingenieur und Architekt verlangt eine produktive Zusammenarbeit nach einer gemeinsamen Sprache. Das Gespräch nähert sich aktuellen Herausforderungen und Interessen des Ingenieurs im Hochbau an und versucht aufgelösten Konstruktionen, Diagonalen und „starken Strukturen“ auf die Spur zu kommen. Aita Flury (af)  Die Ausstellung „Dialog der Konstrukteure“ vor drei Jahren im Architekturforum Zürich hat die aktuelle Zusammenarbeit von Ingenieur und Architekt in der Schweiz thematisiert. Ihr wart alle drei in der einen oder anderen Form an dieser Ausstellung beteiligt, vertreten mit eigenen Projekten oder einer theoretischen Forschungsarbeit. Für das heutige Gespräch habe ich euch gebeten, je ein Projekt mitzubringen, das Aspekte illustriert, welche euch als Ingenieure im Hochbaubereich interessieren. Heinrich Schnetzer (hs)  Die Anforderungen in diesem Bereich sind heute sehr umfangreich, was zu einem großen Abstimmungsbedarf zwischen den Disziplinen führt. Die Gesamtheit der Randbedingungen an das Tragwerk, die es in enger Zusammenarbeit mit dem Architekten zu entwickeln und im Entwurfsprozess zu schärfen gilt, verlangt vom Ingenieur eine konzeptionelle und konstruktive Einarbeitung des Tragwerks in das Gesamtkonzept. Mich fasziniert dieses Herausschälen und Umsetzen eines Tragsystems aus einer architektonischen Idee. Das Konzept für das Actelion Headquarter in Allschwil ist das Resultat einer Entwicklung, die wir über mehrere Projekte hinweg zusammen mit Herzog & de Meuron weitergetrieben haben. Die fünf Obergeschosse bestehen aus sogenannten „Office Beams“ (Büroriegel): Hohlkastenträger werden als Raumkörper mit teilweise großen Auskragungen übereinander gestapelt. Diese garantieren die für den Bürobau notwendige innere Flexibilität. Bei den in der Fassadenebene liegenden Stahlfachwerkträgern handelt es sich um eine Kombination zwischen Fachwerk- und Vierendeelträgern („Fachwerkdeel-Träger“). Wir meinen, bei der Auslotung des technisch Möglichen an den Grenzen des Machbaren angekommen zu sein, wobei anzumerken ist, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch zwingend sinnvoll sein muss. Im Hochbau hat in den letzten Jahren

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eine stark beschleunigte Entwicklung stattgefunden, die Ähnlichkeiten zur Entwicklung im Finanz- und Bankensystem zeigt und durchaus zu hinterfragen ist. Aurelio Muttoni (am)  Das Interesse liegt immer in der Erzielung eines Fortschritts, gerade auch innerhalb alter und bekannter Themen. Dabei war es in unserem Beruf immer schon so, dass Entwicklungen in den Zeiten stattfanden, in denen neue Fragen der anderen Disziplinen zu uns kamen. Der Komplexitätsanstieg durch vielschichtigere Randbedingungen ließ unsere Tätigkeit im Hochbau in den letzten zwanzig Jahren viel interessanter werden. Zentral ist dabei die Qualität der Zusammenarbeit mit dem Architekten. Wie bei jedem Entwurf mit Livio Vacchini bildeten auch beim Wettbewerbsprojekt für das Stadthaus in Nizza analytische Überlegungen die Grundlage. Die Randbedingung, dass Nizza in einem seismisch aktiven Gebiet liegt, war für mich von größter Wichtigkeit. Daraus haben wir ein Tragsystem entwickelt, das auf der Idee einer Erdbebenisolierung basiert. Dafür eignet sich am besten ein geschlossenes Tragwerk, das auf wenigen Punkten gelagert wird. In diesem Fall war diese technische Folgerung absolut kongruent zum architektonischen Projekt, das, aus anderen Gründen, zu einem ähnlichen Fazit gekommen war: ein städtisches Haus mit einem möglichst freien Erdgeschoss. Wenn die Überlegungen technischer und architektonischer Natur zum gleichen Schluss führen, handelt es sich um den Idealfall einer Zusammenarbeit zwischen Ingenieur und Architekt. Joseph Schwartz (js)  Die Zusammenarbeit mit den Architekten ist für mich auch zentral. Allerdings gibt es nur wenige Architekten, mit denen ein fruchtbarer Dialog von Konzeptionsbeginn an möglich ist. Innerhalb dieses Dialogs ist essenziell, dass beide Seiten ein reziprokes Verständnis, ein Gefühl dafür entwickeln können, was einer Projektidee von der jeweils anderen Seite zugrunde liegt. Der Ingenieur muss die architektonische Absicht verstehen, um gezielt Lösungen zu konzipieren, die diese Absicht unterstützen. Im Gegenzug muss der Architekt die Grenzen des Ingenieurs spüren und diese auch als Potenzial des Weitergehens begreifen. Im Idealfall schaukeln sich architektonische und technische Vorstellungen gegenseitig hoch, und der Entwurf wird dadurch verbessert. Der andere entscheidende Punkt ist für mich das Interesse für die Ausführung selbst: Wie wird ein Konzept in etwas real Gebautes umgesetzt? Man sollte nicht bei der Konzeption stehen bleiben, sondern auch die Ausführung selber betreuen. Das schließt beispielsweise auch die Kommunikation mit dem Polier ein, der sich, wenn er miteinbezogen wird, durchaus auch für eine komplizierte, aber ausgeklügelte Lösung begeistern lässt. am  Das ist eine wichtige Bemerkung. Etwas tiefgründig gut Konzipiertes beinhaltet auch elegante Ausführungslösungen. js  Gleichzeitig zeichnet sich eine gute Ausführungslösung dadurch aus, dass die statischen Probleme im Moment der Ausführung überhaupt nicht präsent sind.

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af  Bleiben wir noch bei der Konzeption und dem konkreten Beispiel, das du, Joseph, mitgebracht hast: das Schulhaus Leutschenbach in Zürich von Christian Kerez und Dir. js  Beim Schulhaus Leutschenbach ging es darum, durch Stapelung der einzelnen Nutzungen eine möglichst kleine Grundrissfläche zu belegen. Die eher introvertierten Nutzungen, nämlich die Klassenzimmer im ersten bis zum dritten Obergeschoss und die Turnhalle im fünften Obergeschoss, sind in Fachwerkträger eingebettet, welche dank ihrer Auskragungen vollständig offene Zwischengeschosse generieren: das Erdgeschoss und das vierte Obergeschoss mit ihren öffentlichen Nutzungen. Bei der Weiterentwicklung des Projektes wurden in der Bauprojektphase gemeinsam zwei Entscheidungen mit gewaltiger Tragweite getroffen: Einerseits wurden die tragenden Fachwerke der Fassaden aus gestalterischen Gründen in den Außenbereich verschoben. Weiter wurden die Decken, welche ursprünglich als leichte Stahl-Beton-Verbunddecken konzipiert waren, zur Optimierung der räumlichen Wirkung in massiver Bauweise ausgeführt. Dank des neu entwickelten Recycling-Leichtbetons konnten die Lasten unter Kontrolle gebracht werden. af  Diagonalen und aufgelöste Konstruktionen   Zwei der drei mitgebrachten Projekte führen interpretierte oder weiterentwickelte Fachwerkkonstruktionen vor: Tragwerke mit aufgelösten Querschnitten scheinen im Hochbau zurzeit en vogue zu sein. Die Möglichkeit der mehrgeschossigen Verwendung und die brückenähnlichen Dimensionen dieser Systeme sind Eigenschaften, die wir auch von Scheiben-Platten-Systemen kennen. Von den dortigen klaren Verhältnissen zwischen „offen“ und „zu“ hat sich das architektonische Interesse offensichtlich auf aufgelöste Konstruktionen hin verlagert, die eine Ambiguität von Öffnung und Wand innerhalb des gleichen Tragwerkelementes anstreben und optisch zwischen Stabilität und Leichtigkeit balancieren. Auffällig ist vor allem die Aufhebung der Horizontal-Vertikal-Partitur und die Dynamisierung und die Ornamentierung über Diagonalen. In einem Fall kommen die Fachwerke gar in den Außenraum zu liegen, wofür auf einer bautechnischen und bauphysikalischen Ebene große Anstrengungen in Kauf genommen werden. Es gibt deshalb die Vermutung, dass die Architekten solche Tragwerke heute als strukturell-konstruktive Ornamente zur Einlösung formaler Absichten instrumentalisieren. Oder welche konstruktiven Potenziale stecken aus eurer Sicht darin? js  Bis heute hat mich noch kein Architekt zu einer Fachwerklösung ermuntert. Vielmehr ist meistens eine dezidierte Abwehrhaltung vorhanden, wenn der Ingenieur Diagonalen vorschlägt. Meiner Meinung nach hat diesbezüglich kein Wandel stattgefunden; vielmehr fragen die Architekten meistens gleich, ob nicht auch Vierendeel-Träger möglich wären. Dass ein statisches, diagonales Element im Raum oder in der Fassade zum architektonischen Thema wird, ist nicht der Normalfall,

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Actelion Headquarter, Allschwil 2007–2010 Architekt Herzog & de Meuron, Basel Ingenieur WGG Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel

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auch wenn das eine oder andere aktuelle Beispiel dies demonstriert. hs  Das Tragwerk an sich ist, gekoppelt an ein Interesse an großen Spannweiten, in den letzten zwanzig Jahren wieder vermehrt zu einem architektonischen Thema geworden. Scheiben, Fachwerk- oder Vierendeel-Träger gehen als unweigerliche Konsequenzen damit einher. js  Dazu kommt ein neuer architektonischer Trend zur Dreidimensionalität: Raumkonzeptionen, bei denen nicht alles brav übereinander liegt und die deshalb dreidimensionale Lösungsfindungen provozieren. af  Eurer Meinung nach ist also keine eigentliche Tendenz zu aufgelösten Konstruktionen hin feststellbar, sondern primär interessieren große Spannweiten und dreidimensionale Gebilde, die man mit unterschiedlichen Systemen umsetzen kann. Tatsache ist aber doch, dass Platten-Scheiben-Konzepte eher der jüngeren Vergangenheit angehören. hs  Platten-Scheiben-Konzepten haftet immer eine gewisse Nutzungseinschränkung an, die, in anderer Form, eben auch Diagonalen anhaftet. Zum Thema Fachwerk möchte ich ergänzen, dass dieses in engem Zusammenhang zum Baustoff Stahl gesehen werden muss. Komplexe Strukturen mit einem extremen Raumaufbau können nur noch in Stahlkonstruktionen realisiert werden, da diese einen großen Vorfertigungsgrad erlauben, zeit- und gewichtsparend sind. af  Beim Schulhaus Leutschenbach wurden die voutenartigen Verbreiterungen bei den Fachwerkknoten vermieden, indem die Dimensionierung der einzelnen Elemente und Materialstärken optimiert wurden. Diejenigen Eigenschaften, die das Fachwerk als Konstruktion auszeichnen, werden dadurch weggespiegelt. js  Die Vouten-Optimierung stand vor allem unter dem Gesichtspunkt von Herstellungs- und Kostenüberlegungen, war aber natürlich auch vom Wunsch nach Klarheit in der Struktur geprägt. Einzig das gewünschte architektonische Erscheinungsbild hat auch dazu geführt, dass die Struktur außen liegt. Ein Fachwerk hinter Glas bleibt in der Wahrnehmung immer etwas anderes als ein Fachwerk vor einer Glashaut. Mit dem Ziel vor Augen, das Gebäude mittels einer vereinheitlichenden Struktur von außen optisch zu verstärken, war es schließlich eine gemeinsame Entscheidung von Architekt und Ingenieur, diese Herausforderung anzunehmen. hs  Beim Projekt für Prada Tokio, das wir gemeinsam mit Herzog & de Meuron realisiert haben, wurden Fassadenhaut und Tragstruktur miteinander fusioniert. Auch in diesem Fall ging es ausschließlich um die Erzeugung eines bestimmten archi-

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tektonischen Ausdrucks, wofür ebenfalls einige Anstrengungen in Kauf genommen worden sind. af  Integration des Gesamttragwerks   Der Wettbewerbsbeitrag für Nizza basiert auf einem architektonisch radikal anders gelagerten Ansatz. In diesem Projekt werden über die Fassadenebene Monumentalität, Eindeutigkeit, Raster, Ordnung, Masse und Tiefe erzeugt. Die Fassade beansprucht klar die erste, strukturelle Rolle und trennt das Außen radikal vom Innen. Neben dieser Andersartigkeit gibt es aber eine markante Parallele zum Schulhaus Leutschenbach: Die Idee einer Reduktion der Tragstruktur-Auflager im Erdgeschoss auf ein Minimum. Architektonisch gesehen treten die Erdgeschosse beide Male als gepresste Räume in Erscheinung, die das Primat des durchfließenden Bodens (Stadt oder Land) betonen, über dem der Baukörper mehr oder minder schwebt. Handelt es sich dabei nicht um einen statischen Kraftakt? js  Meiner Meinung nach handelt es sich nicht um extreme, technische Anstrengungen: Wir reden von Auskragungen im Verhältnis 1:1 und von Tragstrukturkosten, die durchaus in einem üblichen Rahmen liegen. af  Solche Konstruktionen verkörpern aber nicht gerade die einfachste Art und Weise der Kraftableitung und der energetischen Optimierung der Gebäudehülle, oder? am  Das kann man nicht generalisieren. Spannweiten müssen immer relativ zur statischen Höhe, d.h. zur Tragwerkshöhe gesehen werden. Wenn uns also die ganze Gebäudehöhe zur Verfügung steht, können wir praktisch jede Spannweite mit wenigen Mitteln realisieren. js  Der Materialaufwand beispielsweise ist in solchen Systemen wirklich kein Thema. Wenn wir eine gewisse Fragilität solcher Systeme lokalisieren wollen, dann am ehesten bei der Baustelle selber, zum Beispiel in Form der ewig dauernden Untersprießungen. Tatsache ist sicher auch, dass die Effizienz solch komplexer Systeme davon abhängt, wie clever diese von Grund auf angelegt sind. am  Meiner Meinung nach ist es einfacher und logischer, dass man die Tragkonstruktion von großen Spannweiten, sozusagen die „Konsole“, ins Gesamttragwerk integriert und nicht auf eine Platte oder ein Geschoss reduziert, wie wir es von den Tischkonstruktionen der 50er- und 60er-Jahre her kennen. Das waren keine einfacheren Konstruktionen, die außerdem einen großen Platzverlust mit sich brachten. af  Chronologie der Handlung  Ihr seid euch also einig, dass mittels klug konzipierter Tragwerke, die als Systeme jeweils die Gesamtheit des Gebäudes um-

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fassen, relativ unaufwendig Geschosse freigespielt werden können. Kehren wir von den konkreten Konzepten nochmals auf die Ebene der Zusammenarbeit Ingenieur und Architekt zurück. Das Rollenverständnis zwischen Architekt und Ingenieur ist ja immer auch eine Frage der Chronologie der Handlung. Heinrich, du sprichst von einer konzeptionellen und konstruktiven Einarbeitung des Tragwerks in ein Gesamtkonzept. Im Zusammenhang mit dem Schulhaus Leutschenbach wird die Tätigkeit des Ingenieurs als Umdeutungsprozess beschrieben, bei dem aus dem architektonischen Vorprojekt, der Arbeit des „Bastlers“, ein konstruktives Konzept, das Werk des Ingenieurs entwickelt wird.1 In einem solchen Verständnis ist der Ingenieur für die Anpassung der Konstruktion an die Bedingungen, die das architektonische Konzept schafft, zuständig. Jürg Conzett wiederum plädiert in einem Artikel dafür, dass bei primär städtebaulich-architektonischen Fragestellungen Bauingenieurwettbewerbe erst im Anschluss an den erfolgten Architekturwettbewerb durchgeführt werden können – dies unter den Voraussetzungen, dass das ausgewählte architektonische Konzept ein sinnvolles Tragwerk überhaupt ermöglicht, und im Bewusstsein dafür, dass in solchen Verfahren Rückwirkungen aus dem Tragwerk auf das architektonische Konzept von Bauherrschaft und Architekten eine gewisse Offenheit verlangen.2 Insgesamt scheinen alle Standpunkte kein konstruktives Primat in Betrachtung zu ziehen. Ist der Typus des Ingenieur-Architekten, wie ihn z.B. Pier Luigi Nervi darstellte, der von eigenen Form- und Wirkungsvorstellungen geleitet wird und wechselseitig als Konstrukteur und Unternehmer die architektonische Form aus den Prinzipien von Konstruktion und Bauweise entwickelt, heute eine anachronistische Vorstellung? am  Im Gegensatz zu Nervi liegt es mir fern, alles beherrschen zu wollen. Abbildungen von Nervis Projekte haben durchaus ihre Faszination; diejenigen Gebäude, die ich aber in Realität gesehen habe, haben mich aber nicht überzeugt. Es handelt sich zwar immer um sehr schöne Tragwerke, die dann aber als Bauwerke oft nicht besonders gut funktioniert haben. Bei Nervi sind die Tragwerke derart wichtig, dass die anderen Aspekte unterdrückt werden, aber Architektur ist doch viel mehr als ein Tragwerk! af  Von Nervi abgesehen, denken wir z.B. an Felix Candela oder Eduardo Torroja: Gibt es denn eurer Meinung nach niemanden, der beide Seiten, die Architektur und die Konstruktion, in Personalunion in Einklang bringen konnte oder kann? hs  Heute sind die Anforderungen im Hochbau derart komplex geworden, dass ich mir nicht zutrauen würde, alle Eigenschaften, die ein Gebäude erfüllen muss, selber abdecken zu können. Ich sehe mich als Fachplaner, der das Verständnis für die

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Tibor Joanelly, Der Bau befragt das Universum, in: Conflicts Politics Construction Privacy Obsession. Material on the Work of Christian Kerez, Ostfildern 2008, S. 136–137

2 Jürg Conzett, Bauingenieurwettbewerbe im Hochbau, in: TEC21 15/2007

Nizza Stadthaus Wettbewerb Verwaltungszentrum, Nizza 1999–2001 Architekt Livio Vacchini, Locarno Ingenieur Grignoli Muttoni Partner, Studio d’ingegneria SA, Lugano

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Konstruktion und die Statik hat und diese Aspekte in ein Projekt einbringen kann. am  Deshalb ist Teamarbeit die einzige Lösung. js  Der Architekt ist heute viel stärker auf die Fachplaner angewiesen, es braucht ein Team von mindestens fünf kompetenten Leuten. Es ist also tatsächlich schwierig, jemanden zu nennen, der in einem Menschenleben, in einer kurzen Schaffenszeit alleine beide Seiten optimal synthetisieren konnte. am  Ich stelle zudem grundsätzlich in Frage, dass die technische Komponente dominant werden soll. af  Meine Frage zielt hauptsächlich darauf ab, zu verstehen, ob ihr wirklich damit einverstanden und glücklich seid, dass die primäre Setzung vom Architekten kommt und der Ingenieur dann an zweiter Stelle etwas „einarbeitet“. js  Einarbeiten ist aus meiner Sicht der falsche Begriff. Wir können einen essenziellen Beitrag leisten, und zwar auch schon bei der primären Setzung. Leider handelt es sich dabei immer noch um die Ausnahmefälle; für mich sind aber ganz klar diese anzustreben. Ich lehne schon seit Jahren Anfragen ab, bei denen bereits ein Wettbewerb gewonnen oder ein Projekt schon ein Stück weit entwickelt worden ist, ohne dass ich daran selber beteiligt gewesen bin. Das ist natürlich eine Haltungsfrage – im Gegenzug nehme ich dafür die Mühen der äußerst zeitaufwendigen Architektur-Wettbewerbe auf mich. hs  Zum Thema Wettbewerb vertrete ich die gleiche Haltung. Man gewinnt oder verliert einen Wettbewerb als Team, in welchem man diesen Dialog von Anfang an zusammen geführt hat. af  Tatsache ist ja aber leider auch, dass es nach wie vor Wettbewerbe gibt, bei denen die Ingenieure oder andere Fachplaner zwar von Anfang an mitinvestieren, nachher aber beispielsweise aus Honorargründen auf der Strecke bleiben. js  Für mich ist der Fall klar: Wenn ich als Ingenieur innerhalb eines Teams einen Wettbewerb gewinne und diesen Auftrag nachher nicht erhalte, dann waren es die Architekten nicht wert, dieses Projekt mit ihnen zusammen zu entwickeln. Meine Erfahrung zeigt, dass der Architekt sich durchaus dafür einsetzen kann, dass der von Anfang an involvierte Ingenieur im Boot bleiben kann. af  Starke Strukturen  Verlassen wir die Wettbewerbsebene und kommen zu den Assoziationen, die mit dem Titel des wbw5-2009-Heftes „Starke Strukturen“ aufkommen. Aus architektonischer Sicht reicht das Spektrum von raumbildender Statik im Gebäudeinnern über die Fokussierung der äußeren

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3 Tibor Joanelly, Der Bau befragt das Universum, in: Conflicts Politics Construction Privacy Obsession. Material on the Work of Christian Kerez, Ostfildern 2008, S. 136 –137

Form als skulpturales Gebilde bis hin zu Tragwerken, die den Baukörper durchdringen und die Fassade als tiefen und plastischen Übergang interpretieren. Als Extremform können zudem „integral ordnende Strukturen“3 ausgemacht werden, die gleichermaßen auf Inneres und Äußeres abzielen. Alle Strategien setzen andere Hierarchien, z.B. innenräumliche Flexibilität oder Veränderbarkeit, außenräumlich: städtebauliche Angemessenheit oder Reaktionsfähigkeit etc. Welche Vorstellungen verbindet der Ingenieur mit starken Strukturen? am  Seit jeher faszinieren mich Tragwerke, die raffiniert sind in dem Sinne, dass sie eine gewisse Präsenz haben, aber man nicht sofort begreift, wie das Tragwerk funktioniert. Als Beispiele dafür würde ich die Resultate der Zusammenarbeit zwischen Louis Kahn und dem Ingenieur Auguste E. Komendant oder auch zwischen Oscar Niemeyer und dem Ingenieur Joaquim Cardoso anführen. Die Tragwerke sind spürbar, aber keineswegs plakativ sichtbar: Man erkennt nicht auf Anhieb, wie sie tragen. Darin steckt eine Art positive Ambiguität, etwas Geheimnisvolles, aber auch die Stärke der Bescheidenheit. af  Das Projekt für das Stadthaus in Nizza trägt auf einer architektonischen Ebene eher abstrakte, symbolisch-metaphorische Züge. Zeigt das Tragwerk denn diese subtilen Eigenschaften, die du erwähnst? am  Meiner Meinung nach ja, denn es handelt sich um eine tragende Fassade, die aber mehr ist als ein reines Tragwerk. Als Ingenieure hatten wir am Schluss alle Dimensionierungen optimiert und waren dabei zu weit gegangen, sodass die Fassade zu sehr Tragwerk wurde. Die Architekten haben diese dann nochmals überarbeitet, oder sagen wir zurückgearbeitet. Aus optischen Gründen dimensionierten sie gewisse Elemente stärker, obwohl sie, statisch gesehen, eigentlich weniger beansprucht waren. Diese architektonischen Maßnahmen haben die Fassaden gestärkt und setzen sie von einem reinen Tragwerkskonzept ab. hs  Die Antwort darauf, was eine starke Struktur ist, hat sicherlich einerseits mit der Frage nach dem Darstellungsgrad der Tragwirkung zu tun. Diese soll zwar zur Darstellung gebracht werden, aber, wie Aurelio sagt, nicht in einer offensichtlichen, trivialen Weise, sondern in Form gewisser überraschender Momente. Ein gutes Beispiel dafür ist das geknickte Bahnhofsdach von Maillart in Chiasso, bei dem man die Unterspannung nicht auf den ersten Blick begreift. Eine starke Struktur ist für mich aber vor allem auch mit Vielschichtigkeit konnotiert, im Sinne, dass sie unterschiedliche Bedingungen elegant erfüllen kann. Neben ihrer Tragfunktion muss sie räumlichen und nutzungsmäßigen Anforderungen gerecht werden können. Sie vereinigt statische Effizienz, einen intelligenten Herstellungsprozess und saubere Detaillösungen. Unter diesen Prämissen kann auch eine verkleidete Struktur als stark empfunden werden.

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Schulhaus Leutschenbach, Zürich 2009 Architekt Christian Kerez, Zürich Ingenieur Dr. Schwartz Consulting, Zug/dsp Ingenieure, Greifensee

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js  Aurelios Bemerkung über das Geheimnisvolle gefällt mir auch. Darin steckt etwas Akademisches, aber gleichzeitig auch etwas Metaphysisches. Dazu kommt der wichtige Aspekt der Dimensionen: Ich war immer schon vom Brückenbau fasziniert: Wenn man unter einer Brücke steht, sind die Herausforderung der Dimensionen, der Spannweiten und der Masse leiblich spürbar! Das sind die Kernpunkte, die mich bei Strukturen immer emotional stark bewegen. Insbesondere der Aspekt der Masse ist im Zusammenhang mit der Kraft einer Struktur zentral. Diese wird umso stärker, je reiner die Materialisierung ist, deshalb assoziiere ich z.B. verkleidete Tragwerke nicht mit starken Strukturen. am  Es gibt starke Strukturen, die wahnsinnig einfach, rein, ja vielleicht monolithisch sind. Auf der anderen Seite gibt es auch filigrane, leichte Konstruktionen, denen ich ebenfalls das Attribut der Stärke zusprechen würde. js  Wenn wir über die Reinheit von Tragstrukturen sprechen, ist eine Forderung, die für mich immer wichtiger wird, dass, mindestens in einem minimalen Ausmaß, die Form irgendwo mit den inneren Kräften übereinstimmen, in Einklang stehen muss. Ich war da früher weniger pedantisch, stelle aber fest, dass mir das mit den Jahren umso wichtiger scheint. am   Ich stimme Dir zu, dass dies bis zu einer gewissen Grenze oder Größenordnung unbedingt der Fall sein sollte. Überschreitet man diese Schwelle aber, kann das Ganze ins Triviale kippen. Wenn das so in Erscheinung tritt, als ob verschiedene Tragwerke, also primäre, sekundäre und weitere, überlagert worden wären, kann das eine Struktur schwächen. Ich empfinde ein Tragwerk meist als stark, wenn es sich dabei vor allem um eine primäre Struktur handelt. hs  Beim Olympiastadion von Herzog & de Meuron in Peking handelt es sich ja um ein Tragwerk, das genau dieses Verwischen von reinen Strukturen anpeilt. Die Struktur erfüllt hier das Kriterium, das wir vorhin angesprochen haben: nämlich dass nicht auf den ersten Blick offensichtlich wird, wie sie trägt. am  Bei diesem Projekt reden wir aus meiner Sicht über ein schönes Bild, nicht aber von einer starken Struktur im Sinne eines starken Tragwerks. Die Tatsache, dass es sich überhaupt noch um eine Struktur handelt, ist sozusagen zur Nebensache verkommen. js  Das Tragwerk des Olympiastadions ist weder thematisiert, noch ist es effizient. af  Tragwerk und Raum  Die Struktur des Olympiastadions in Peking hat aus räumlicher Sicht die Stärke, dass sie eine adäquate Durchlässigkeit ins Innere hinein ermöglicht, das Gebäude mit seinem Umraum verzahnt wird. Zum Schluss möchte ich gerne nochmals an die Fragestellung der Ausstellung

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anknüpfen: Wie seht ihr das Verhältnis zwischen Raum und Tragwerk? Und wo steckt ein Verbesserungspotenzial im Bereich des Dialogs zwischen Ingenieur und Architekt? js  Ein Hauptproblem scheint mir wirklich der Punkt, dass die Sprachen des Ingenieurs und des Architekten in keiner Weise deckungsgleich sind. Wir sind in unserem Denken oft sehr technisch und sehr physikalisch und beschreiben die Dinge mit Modellen, ohne selber abschließend zu verstehen, was dahinter steckt. Andererseits bleibt der Begriff „Raum“ für die meisten Ingenieure sehr abstrakt, und es fehlt ihnen an räumlichem Vorstellungsvermögen. Gleichzeitig mangelt es den Architekten oft an Verständnis für elementare Tragwirkungen. am  Das Systemdenken der Ingenieure ist in diesem Sinne wirklich kein Beitrag für einen fruchtbaren Dialog mit den Architekten. Wie Joseph sagt, sind die Ingenieure oft auf Modelle, auf analytisches Denken fixiert und versäumen die Entwicklung eines Gespürs für räumliche Absichten. hs  Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass die Architekten genauso analytisch

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Palazzetto dello Sport, Rom 1956–1958 Ingenieur Pier Luigi Nervi, Rom

denken wie der Ingenieur; sie fokussieren einfach andere Parameter. Was mich aber schon länger interessieren würde, sind die Gründe dafür, warum die Ausführung von den Architekten oft gerne ausgeblendet wird. Meines Erachtens wird der Ausführung von der Entwurfsseite her zu wenig Gewicht beigemessen. af  Offensichtlich bilden Architekten, die man als Konstrukteure, also als Bauende mit einem ausgeprägten konstruktiven Verständnis bezeichnen kann, gerade innerhalb einer international agierenden Szene eine verschwindende Minderheit. Zum einen ist die Auftrennung von entwerferischer und technisch-konstruktiver Planung vermehrt ein fait accompli, das durch die heutigen Komplexitäten des Bauprozesses bedingt ist. Dazu kommt, dass architektonische Strategien vielfach von einer abstrakten Idee ausgehen, die die Herstellung von Bildern, Objekten oder Jumbo-Ornamenten fokussiert, und dass der „Grund der Form“ dann wenig konstruktiv ist. js 

Diese Tendenz ist heute leider nicht nur an der ETH feststellbar, sondern auch an den Architekturabteilungen der Fachhochschulen. am  Insgesamt ist das aber doch keine wirklich neue Entwicklung: Sie zeichnet sich seit 200 Jahren, seit der Auftrennung der Berufe in das Ingenieurwesen und die Architektur, kontinuierlich ab. hs  Die Vorstellungen der Architekten untergingen in den letzten zwanzig Jahren schon nochmals einer entscheidenden Wende. Im Entwurf wird heute vielfach das Herstellen von dreidimensionalen Bildern am Computer forciert, welche die Entwerfenden aber selber umzusetzen nicht mehr in der Lage sind. Sie kommen mit der Erwartung zum Ingenieur, dass dieser ihre Entwürfe baubar macht. js  Du meinst, dass wenn das konstruktive Handwerk der Architekten besser wäre, auch ihre Entwürfe anders aussehen würden? hs  Ich meine damit eher, dass die Architekten eine Chance vergeben, wenn sie sich selber aus mangelndem Verständnis für die Konstruktion der Umsetzungskontrolle berauben. Wenn der Architekt die Konstruktionskompetenz komplett abgibt, wird er zum (entwerfenden) Dienstleister, der seine Führungsfunktion, seine Teamleitungsfunktion aufgibt.

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The engineer as a hero

Isambard Kingdom Brunel

META-DI Eine persönliche Collage von Aita Flury

Der „Dialog der Konstrukteure“ ist die Kultivierung unterstützter Gespräche zwischen zwei geschwisterlichen Disziplinen mit unterschiedlicher Perspektivierung. Er ist eine fortgeführte Suche nach dem Verstehen, ein permanentes Befragen der Positionen, eine kontinuierliche, das Thema vielfach einkreisende Konversationskette. In unserer zeitgenössischen Kultur ist die allgemeine Separierung der Wörter von den Dingen oder der Theorie von der Praxis eine Quelle des Bruchs und der Störung.

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Da scheint es etwas in der Arbeit des Ingenieurs zu geben, das das Reden – sogar sinnvolles Reden – unterdrückt. Das ist einerseits gut, kann aber zu weit gehen. Der Ingenieur sollte sein Licht nicht unter den Scheffel stellen und erwarten, dass die Welt ihm seiner stillen Arbeit wegen dankt. Die Welt ist zu beschäftigt …, um Ingenieurbaukunst zu studieren, und würde vielleicht an der Ingenieursarbeit interessierter werden, wenn die Ingenieure sich die Zeit nehmen würden, die Dinge zu erklären.

IALOG

John Galbraith

Ach wissen Sie, die Ingenieure sollten sich einfach nicht schlechter machen, als sie sind! Der Meta-Dialog deutet in informeller, subjektiver Weise mögliche Durchdringungen von Schichten der Vergangenheit und der Gegenwart an, überlagert visuell Wahrgenommenes mit sprachlich Geformtem und lässt beides sich gegenseitig neu bestimmen. Denn Bauwerke erhalten ihre Bedeutungen in der Baukunst einerseits aus einer gebauten Wirklichkeit, andererseits aus der Logik des herrschenden Diskurses. Nur wenn die Kollaboration zwischen Architekt und Ingenieur von ihrer stummen Existenz in einen besprochenen Zustand übergeht, wird auch die Aneignung durch die Gesellschaft möglich. Und, der Ingenieur tritt auf und setzt sich in Szene.

Peter Marti

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KRITIK

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211 Illustrationen: Barbara Wiskemann, Zürich

Reden wir doch mal über die moralische Komponente des Schaffens.

Mario Monotti

Jürg Conzett

Die Bedeutung des Wortes Entwurf habe ich erst nach dem Studium gelernt – bei meiner Arbeit im Architekturbüro Zumthor.

Paul Kahlfeldt

Gleichgewichtsbedingung Mxa=Mxgxsin(ψ) Bewegungsgleichung d 2/dt2=g/Lsin(ψ) ……………………

BABYLON Konstrukteure im Dialog Der Unterschied zwischen statisch unbestimmten und statisch überbestimmten Systemen?

Christoph Wieser

Aita Flury

Und was ist nun bitteschön der räumliche Mehrwert?

Mario Monotti

Joseph Schwarz

Und sie unterscheiden sich eben tatsächlich, die Mentalitäten von Architekten und Ingenieuren – ihre berufliche Sozialisierung ist einfach anders …

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Die Diskussion ist nicht gefährlicher als das Leben selbst …

Durch die Spezifikation der Plattenrandbedingung bestimmt der Architekt das Gleichgewichtsproblem der Platte.

Adolf Krischanitz

Paul Kahlfeldt

Adolf Krischanitz

Carlo Galmarini

Die integralen Momente einer permanenten synchronen Anstrengung in der Findung der konstruktiven Form sind in der Schweiz sicherlich sehr fruchtbar.

Die Welt kann man einteilen in Zug und Druck – Referenzen brauche ich nicht, um zu entwerfen.

Mike Schlaich

Ich hab nichts dagegen, wenn die räumlichen Anliegen durch die Interpretation der Tragwerkskonzepte formatiert werden.

Wir sind immer auf der Suche nach Neuem. Dass dabei meistens Leichtbauten hervorkommen, hängt natürlich damit zusammen, dass wir nach einem Minimum an Gewicht suchen.

Joseph Schwarz

Ueli Brauen Die Entwicklung im Hochbau in den letzten Jahren ist stark beschleunigt und zeigt durchaus Ähnlichkeiten zur Entwicklung im Finanz- und Bankensystem.

Ich kenne durchaus Ingenieure, die mit Referenzen arbeiten. Aber a propos Geschichte: Diese ganzen Vorspannungsgeschichten sind gerade bezüglich Dokumentation doch heikel.

Hans Kollhoff

Andreas Hagmann Die Ingenieure haben doch keine Ahnung von Städtebau und Geschichte – oder? Das Ingeniöse brauchen wir Neotektoniker doch gar nicht.

Heinrich Schnetzer

Markus Peter

Die wissenschaftliche Spezialisierung kann man nicht einfach leichtfertig als Verstümmelung des Denkens begreifen.

Symposien DAZ Berlin, 18. März 2010 und 21. April 2010

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Auf jeden Fall ist das Unterrichten der eigenen Disziplin in der anderen Disziplin ein optimales Modell für diejenigen, die wirklich zusammenarbeiten wollen.

Kahn war sehr lernbegierig und wollte alles bezüglich Verbindungen, Transport, Aufrichten, Dampferhärtung und genereller Wirtschaftlichkeit von Präfabrikationssystemen im Vergleich zu Standardbauweisen erfahren.

Architekt? Ingenieur? Warum sich darüber streiten? Es handelt sich ums Bauen. Was man aber wirklich gleich dazu bemerken muss, ist, dass der Architekt zwangsläufig auch Ingenieur sein muss; ohne das kann er vom Bauen keine wirklich durchsetzbare Idee haben.

August E. Komendant

Heute spricht man viel von Interdisziplinarität; ich bin aber der Meinung, dass es auch eine Kunst der eigenen Disziplin gibt und dass man erst diese pflegen muss. Unser Berufsstand sollte in der Lage sein, seine Probleme selber zu lösen! Jean Prouvé Decision Tree vo

n Frank Newby

Zwischen der Tätigkeit des Architekten und des Ingenieurs gibt es keine Abgrenzung, sondern eine weit ineinander greifende Verflechtung. Daher wünsche ich bei den Bildunterschriften keine Zuordnung zu Berufsgruppen. Die Hagia Sophia ist von Anthemios von Tralles (Freizeitmathematiker) und Isidor von Milet (Bildhauer) gebaut, es wäre doch verwegen, Letzteren zum Architekten und den anderen zum Ingenieur zu ernennen. Stefan Polónyi

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Jürg Conzett

Dass der Begriff des Dialogs oder des Teamworks allein noch kein Programm ist, zeigen die qualitativ sehr unterschiedlichen Produkte, die unter diesem Label entwickelt werden. Die Interdisziplinarität als Slogan für einen Mehrwert generierenden Dialog zwischen der Architektur und ihren benachbarten Disziplinen gehört heute für viele Institutionen, Firmen oder Verbände zum eigentlichen Marketing-Vokabular, scheint aber bei genauer Betrachtung in vielen Fällen über die Proklamationsstufe hinaus wenig produktiv zu sein. Auf der technisch-konstruktiven Ebene zeigt sich eines der Hauptprobleme der heutigen Architekturproduktion im großen Spezialistentum: Die fortschreitende Aufsprengung des Wissens in viele autonome Disziplinen hat zu einer eigentlichen Zersplitterung der Erfahrung geführt, die sich in immer differenzierteren Fachterminologien manifestiert. Konstruktionskompetenz heute ist zudem an eine steigende Menge stets wechselnder Marktprodukte gekoppelt. Ein nicht-hierarchischer Ansatz kann leicht in die Irre führen, indem er eine Art Umkehrung der Kausalität in der entwerferischen Logik zur Folge hat. So ist die Wechselwirkung von Tragwerk, Konstruktion, Raum und Form auf der Ebene des Zusammenwirkens von Architektur und Technik offensichtlich – gleichzeitig scheint indes auch klar, dass der Tragwerksingenieur seine Konstruktionshypothesen erst unter gewissen Bedingungen, die auch räumlicher Natur sind, entwickeln kann. Die Hauptvoraussetzung für eine produktive Zusammenarbeit in den heute eindeutig separierten und spezialisierten Disziplinen von Ingenieur und Architekt im Sinne eines „Dialogs der Konstrukteure“ verlangt nach einer gemeinsamen Sprache und einer kritischen Analyse hinsichtlich Hierarchie, Chronologie und Kausalität.

DIALOG? 215

Wilhelm Ritter

Arthur Vierendeel George Stephenson

Robert Maillart Othmar H. Amman

Eugène Freyssinet

Heinz Hossdorf

Carl Culmann

Ove Arup

Konrad Wachsmann

Sir Jack Zunz

Frank Newby Der Berufsethos der Bauingenieure ist heute schwach ausgeprägt. Dafür wird oft die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung der intellektuellen Leistung verantwortlich gemacht. Sicher, die Wichtigkeit ihrer Rolle ist der Öffentlichkeit nicht klar, im Gegensatz zur Architektur sehen sie sich aber auch weniger mit dem Problem konfrontiert, dass ihr Berufsstand an sich durch Generalplaner, Fertighausbauer oder private „Bricolage“ ausgehebelt wird: Im Gegensatz zu den vermeintlich reinen Geschmacksfragen der Architektur kann der Ingenieur immerhin kalkulieren, was der Laie selber nicht zu beherrschen glaubt. Trotzdem sind – und zwar abgesehen vom Stararchitektenkult, der sich in den letzten 2 Jahrzehnten herausgebildet hat – innerhalb der Fachschaft selber die in ihrer jeweiligen Zeit herausragenden Architekten, deren Leistungen und Werke bekannt und mit anerkennender Präsenz versehen. Gerade die zeitgenössischen Architekturstudentengenerationen zeigen eine wieder entflammte Lust nach dem Studium der Meister, ihrer Werke und Anstrengungen – denn das digitale Rauschen ist langweilig geworden. Gleichzeitig wird allgemein und in der Felix Samuely

Buckminster Fuller

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Auguste E. Komendant

Eladio Dieste

Peter Rice

Heinz Isler

Pierre Lardy

IDENTITÄT Pier Luigi Nervi

Isambard Kingdom Brunel

Felix Candela

Disziplin selber ein Mangel an Kenntnis der Ingenieur-Persönlichkeiten und ihrer Leistungen diagnostiziert: Dieser rührt daher, dass ihre Arbeit und Beiträge meist keinen gleichwertigen Eingang in den Architekturdiskurs gefunden haben und weniger besungen sind, was nicht nur der fehlenden technischen Kompetenz der Kritiker selber als ebenso dem Mangel an Identifikationsfiguren zuzuschreiben ist. Neu treten nun die Ingenieure, wie die Architekten, als Individuen in Erscheinung und kommunizieren proaktiv* den Zusammenhang mit ihren Werken, die sie entworfen haben. Sie vermitteln, was sie tun und wie sie gesehen werden wollen: Engineering kann glamourös, aufregend, sexy sein – allein die Macht der Dimensionen! Die Beiträge werden mehr und tiefgründiger erkannt und nicht mehr dem Architekten (allein) zugeschrieben, denn der Ingenieur hat die Kommunikation als weitere Kernkompetenz akzeptiert – er propagandiert seine Figur und ist aus seiner Anonymität herausgetreten. Dann wird sich auch die Antwort auf die Frage erhellen, wieso diejenigen Ingenieure, welche die Architekten bewundern, nicht unbedingt diejenigen sind, die die Ingenieure selber bewundern.

Emily Roebling

*„proaktiv“ nach Architektenart bedeutet beispielsweise die Zusendung eingängiger Werkdokumentationen an einschlägige Fachzeitschriften zwecks Publikation oder aber Ausstellungen, Monografien etc., die ein größeres Publikum erreichen.

Gustave Eiffel

Edoardo Torroja

217

Fazlur R. Khan

Für Fuller war die Geschichte zugunsten der Natur abzulehnen … Fuller schaute die Konstruktion nur als einen Spezialfall von Interaktion zwischen Natur und Mensch an …

Unsere intellektuelle Arbeit und Neugier hat sich heute um ein erschreckendes Maß auf das Lesen und Anwenden der allzu vielen Normen reduziert. Viele Ingenieure haben ein verkrampftes Verhältnis zur eigenen Herkunft und allgemein Unkenntnis und Inkompetenz in kulturellen Fragen. (2010)

Kenneth Frampton

Eugen Brühwiler Für jede professionelle Aktivität … gibt es zwei grundlegende Bedingungen: Wissen und Inspiration. Wissen ist die Summe von Wahrheit oder Fakten, die über die Zeiten angehäuft und systematisiert wurden; Inspiration führt zu Gedanken, Empfindung und Seele und leitet oder kontrolliert die Handlung. Wissen ohne Inspiration ist tot. Inspiration ohne Wissen wird dekadent und unglaubwürdig.

Die architektonische Tradition ist es, die dem Entwerfer, Künstler, Architekt oder Ingenieur die Kraft der Antizipation gibt, von der der Schöpfer weiß, was bleiben wird, wenn er kreiert.

Ein ambitionierter Ingenieur hätte sich an keinem besseren Ort befinden können als im Chicago der späten 50er-, frühen 60er-Jahre. Die Trennung von Ingenieur und Architekt war auch dort präsent, wurde aber durch die fortdauernde Anerkennung und Wertschätzung des kulturellen Erbes der Stadt ausgeglichen, in welchem Struktur und Architektur als Partner angeschaut wurden.

Es bringt weiter, sich zu wiederholen, wenn es der Fall ist.

Fazlur R. Khan

August E. Komendant 218

Peter Handke

Yasmin Sabina Khan

TRADITION Was heute in der Ausbildung der Ingenieure fehlt, ist das Fach der Ingenieursbaukunstgeschichte, damit der angehende Ingenieur sich in der heutigen Zeit verorten und auch den Zustand der Veränderungen in seiner Spezialisierung beurteilen kann. (1988)

Viele zentrale Konzepte im Werk meines Vaters – wie z.B. die Wahrnehmung eines Gebäudes als vertikale Auskragung oder die Verwertung der Geometrie einer Struktur, um den Horizontalkräften entgegenzuwirken – wurden erst viel später wieder hervorgehoben. Verständlicherweise muss sich jede Generation durch eine eigene Argumentationskette hindurcharbeiten, bevor sie weiter gehen kann, um doch andere Strukturprinzipien zu entdecken. Der Typ ist in seinen Wurzeln eine Art von Konstellation, und Ingenieursarbeit ist notwendigerweise typologisch.

Spezifische Antworten auf spezifische Probleme können im Laufe der Zeit allgemeine Antworten auf allgemeine Probleme hervorbringen, und diese allgemeinen, aus einer ganzen Folge von spezifischen Lösungen abgeleiteten allgemeinen Antworten sind es, die letztlich zur Entwicklung einer neuen Architektursprache führen können.

Frank Newby

Es gibt, traditionell bedingt, durchaus unterschiedliche Kulturen des Konstruierens, die sich in der Regel zwischen dem Versuch einer ungebrochenen Fortsetzung einer Tradition und andererseits dem Versuch, diese zu überwinden, bewegen.

Es gibt nichts, das aus dem Nichts entsteht.

Guy Nordenson Denys Lasdun

Quatremère De Quincy 219

Adolf Krischanitz

Die Impulse, die zu innovativen Leistungen in der Ingenieurbaukunst führen, sind ebenso zahlreich und kreativ wie die dafür eingesetzten Methoden. Innovation kann im Zusammenhang stehen mit neuen strukturellen Erfindungen (z.B. die Einführung des Gelenks als Schlüssel zum Durchbruch zur Leichtigkeit). Innovation kann durch die Bedürfnisse neuer Funktionen (neue Bautypen wie Bahnhöfe oder heute CO2-freie Städte) oder neue giganteske Maßstäbe (Höhenrausch und die damit verbundenen Schwingungsthematiken) befeuert werden. Innovation beinhaltet die Entwicklung neuer Materialien (z.B. einst Stahl, Beton) oder aber Technologietransfers (z.B. Ferrocemento oder die Gerberette). Neues Material oder neue Herausforderungen bringen also neue Formen. In-

novation betrifft aber auch die Bauprozesse oder Realisierungsfragen selber, bestimmt die Berechnungs- oder Entwurfsmethoden, erzeugt Regelfindungen und damit Qualitätssicherung – spezifisch festgelegte Grenzen in den Normen können allerdings gleichzeitig die strukturelle Weiterentwicklung behindern. Konstruktive Innovation führt auch – nicht nur – aus ökonomischen Aspekten zu neuen Erscheinungsformen. Strukturelle Innovation ist ohne Erfahrung nicht denkbar. Ein architektonischer Paradigmenwechsel gründet oft in einer Ingenieurleistung (z.B. structural glazing), die als Reaktion aus einem bestimmten architektonischen Anliegen heraus entwickelt wurde (z.B. Auflösung des Raums). Von einem Material ausgehend können und müssen strukturell räumliche Kon-

INNOVATION

Epistemologie?

Es gab große Diskussionen darüber, welcher Ingenieur denn nun eigentlich das „tube-system“ erfunden hatte, und einige Ingenieursnamen wurden in diesem Zusammenhang genannt. Mir scheint, dass das eine Idee war, die aus den Bedürfnissen der Realisierung entsprang, und deshalb ist es gar nicht unwahrscheinlich, dass mehrere Ingenieure mehr oder weniger gleichzeitig auf diese Idee kamen. Auf jeden Fall nehme ich weder Urheberschaft in Anspruch noch streite diese ab, weil ich daran glaube, dass Ideen vielmehr Geschöpfe ihrer Zeit als von Individuen sind.

220

Leslie E. Robertson

Die heutigen digitalen Entwürfe und Herstellungsmethoden haben alle Bemühungen von Konrad Wachsmann, Buckminster Fuller, Max Mengeringhausen, Frei Otto und anderen obsolet gemacht. … Hoffentlich repräsentiert unser Dach für die DG Bank in Berlin (Architekt Frank Gehry) eine neue Freiheit in Entwurf und Fabrikation, aber diese Freiheit darf nicht missbraucht werden, sonst endet es im Chaos. Die frühere Disziplin, die uns durch die manuelle Herstellung auferlegt war, sollte durch mentale Selbstdisziplin ersetzt werden.

Jörg Schlaich

sequenzen, also auch stimmungsmäßige Qualitäten erforscht werden. Denn nicht jede technische Innovation ist auch zwingend ein räumlicher Beitrag. Gleichzeitig sind technische Aspekte kein neutrales Wissensset, das am Schluss beigefügt werden kann. Inwiefern es sich hierbei um ein Dilemma oder eine Befruchtung in der Forschung der beiden Disziplinen handelt – die szientistische „reine“ Forschung der Ingenieure und die freiere, „angewandte“ Forschung der Architekten – hängt wohl vor allem von den forschenden Persönlichkeiten und ihrem Verständnis für die jeweils andere Disziplin ab.

Unsere Ingenieurstätigkeit ist nicht mit einem stilistischen Zugang verknüpft. Sie sucht nach Antworten, ermutigt aber auch adäquate Innovation. Diese kann auf verschiedenen Stufen gefunden werden, ob dies nun z.B. Straßenbau in Drittweltländern ist, der darauf aus ist, möglichst wenig Maschinen und dafür möglichst viele ungelernte Arbeitskräfte einzusetzen, ob es der Gebrauch von Material in unvertrauter Weise ist, ob es sich um den Einsatz von neuem Material handelt … oder um die Unterfangung einer fünfhundertjährigen Kathedrale. Innovation ist nicht an einen Stil gebunden, sie kommt von einem nachforschenden „open mind“, der nach der angemessensten Lösung trachtet.

Als Kind dachte Müller, er wüsste alles Wissenswerte. Dies war nicht der Fall – war er doch ein Kind –, jedoch durchaus vorstellbar.

Gyorgy Kepes

Robert Emmerson 221

Unsere medial vermittelte Kultur hat in den letzten zwanzig Jahren einen neuen formalen Strukturalismus hervorgebracht, der auf schnelle, inflationäre Sichtbarkeit und unmittelbare Wiedererkennbarkeit ausgerichtet ist. In der neuen Zeichenhaftigkeit treten Gebäude als Jumbo-Ornamente in Erscheinung – die Megastructure eines Stadions evoziert heute Bilder eines Schwimmrings, Autoreifens oder Nests. Gebäude werden zu Objekten, zu Dingen, abstrakte oder figürliche Muster scheinen von Material und Maßstab unabhängig auf jeglichen Körper übertragbar zu sein. Solche „living structures“ stellen sich in den Dienst von plakativen Brandingge-

… ein strukturelles System, das, weil es ein Stil ist, nur von einem Architekten kommen kann.

Frank Newby 222

danken und sind ikonografischen, symbolbehafteten Bildsprachen unterworfen: Der Ingenieur entwickelt die adäquate Funktionsstruktur, um die „Skulptur“, das Objekt, das Bildermalen des Architekten zu ermöglichen. Diese Hegemonie der Zeichen führt nicht nur zu einer eigentlichen Negierung des Raumes (was für eine Skulptur legitim ist, aber diese eben von einem architektonischen Raum unterscheidet: Innere und äußere Form stehen nicht in sinnstiftender Beziehung zueinander), sondern auch werden durch solches „Design“ die Ingenieure in die Irre geführt: Damit einher geht meist der Verlust des Rationalen, des Ökonomischen, des strukturell Sinnfälligen – die

Die beständigen Tugenden von Strukturen, die wir suchen, hängen von ihrer Form ab. Durch ihre Form sind sie stabil, nicht durch eine komische Materialakkumulation. Aus einer intellektuellen Perspektive gibt es nichts Nobleres und Eleganteres als Beständigkeit durch Form. Wenn das erreicht ist, braucht es nichts anderes, um ästhetische Verantwortung einzuführen.

Eladio Dieste

technische Ausreizung passiert ohne die Hinterfragung der räumlichen Artikulation. Auch der Eiffelturm hatte symbolhafte Kraft. Trotzdem unterscheidet er sich wesentlich von heutigen strukturellen Icons, da er gleichzeitig durchaus auch eine ingeniöse Glanzleistung darstellte, die Berechnungen auf Proportion und Eleganz abzielten.

Andrew Saint

…aber jetzt war die Beziehung zwischen Architektur und Struktur in Gefahr, etwas von ihrer dialektischen Disziplin zu verlieren. In einer kunstbesessenen Welt hat der Architekt den Ingenieur aus dem Vernunftstempel herausgezerrt und ihn zur Verehrung des Kunsttempels gezwungen.

Ich bin auch ein Haus.

Duck (House)

Jahrelang haben sie behauptet, ich sei selber ein Haus – und plötzlich stellen sie mir dieses Riesennest hin?

SYMBOL 223

Die Moral der Zukunft wird anders sein als die von heute, die von heute ist anders als die von gestern. STRUKTUR + MORAL = Die Frage nach der Beziehung zwischen Kunst und Technik = Die Frage des Drucks der Konstruktion auf den Raum und inwiefern dieser vom Architekten akzeptiert wird = Die Frage des Dramas von Lasten und Tragen = Überzeugungskraft des Raumes (der Form) über die Logik eines konstruktiven Prinzips = Die Frage nach der Diktatur der Schwerkraft und wie eng diese gesehen wird = Die Frage nach der Ehrlichkeit des Ausdrucks der tragenden Eigenschaften

Das ist eine gute Frage. Die Elemente und ihre Formen wie auch die Struktur, die sie bilden, kommen so logisch aus den architektonischen Anforderungen heraus, dass Struktur und Gebäude nicht separiert werden können – das eine entwickelt das andere.

Lou, schätzst du dein Medical Research Laboratory Gebäude als architektonischen oder als strukturellen Erfolg ein?

der strukturellen Teile = Die Frage nach der Reinheit der Konstruktion = Die Frage nach dem Geheimnisvollen und dem Offenbaren, Ablesbaren = Die Frage nach der visuellen Rhetorik und der Logik der Form = Die Frage nach der konstruktiven Ethik Die Vorherrschaft der Form (wo bleibt der Raum?) über die Materie, die Konstruktion oder vice versa ist die zentrale und stets neu beantwortete Frage in der Debatte zwischen Ingenieur und Architekt.

… die Vorstellung, dass es von besonderem architektonischen Wert sei, die Konstruktion sichtbar zu machen, ist meiner Meinung nach erwiesenermaßen irrig. Die derzeit herrschende moralische Einstellung in Bezug auf die Konstruktion ist etwas ziemlich Neues. Die Griechen waren weit weniger eindeutig, was das betrifft. In dubio pro Raum.

Eero Saarinen

Louis Kahn

224

Roger Boltshauser

Denys Lasdun

Bei Freyssinets Hangars von Orly ist in Anbetracht ihrer Funktion und ihres Kontextes kein Versuch gemacht worden, diese in Kunst zu verwandeln. Der Bogen und seine Kettenlinien- oder Parabelform wurden nicht zerstört – man sieht deren Zweck sofort. … Aber ist das Architektur? Nein! Noch nicht! Das ist das Werk eines großartigen Ingenieurs, nicht eines Architekten.

Manche Leute sind davon überzeugt, dass Architektur aus der Mode kommen und durch Technik ersetzt werden wird. Solche Überzeugung basiert nicht auf klarem Denken. Das Gegenteil passiert. Wo immer Technologie ihre wirkliche Erfüllung erreicht, transzendiert sie in Architektur.

Mies van Der Rohe

Auguste Perret

MORAL

Die griechische Säule trägt nicht, weil sie muss, sondern weil sie will. Max Raphael

Die Hongkong and Shanghai Bank wurde durch ihr architektonisches Bild sehr bekannt und steht gleichzeitig auch für technische Innovation. Fakt ist aber, dass entgegen ihrem optischen technischen Ausdruck strukturelle Bedeutung den architektonischen Absichten klar untergeordnet worden ist. Die gebaute Lösung basiert etwa gleich stark auf funktionalen wie auf ästhetischen Ansprüchen.

Sir Jack Zunz

Mich faszinieren Tragwerke, die raffiniert sind in dem Sinne, dass sie eine gewisse Präsenz haben, aber man nicht sofort begreift, wie das Tragwerk funktioniert.

Aurelio Muttoni 225

Jedes Brückenbauwerk ist ein räumliches Objekt in der Landschaft, das neue Grenzen setzt, den Raum strukturiert und rhythmisiert und in einem bestimmten Verhältnis zum Kontext steht. Der Brückenbau ist dementsprechend kein ausschließlich technisches Problem, sondern genauso wie eine Hochbaute eine städtebauliche, räumliche Auseinandersetzung mit dem Ort, der Zeit und dem Material. Die Gestalt einer Brücke ist wesentlich von ihrem Verhältnis zwischen Tragwerk und Verkehrsfläche geprägt. Die Faktoren Machbarkeit, Dauerhaftigkeit und

Wirtschaftlichkeit wirken mit drückender Kraft auf den Entwurf ein, exponentiell heftiger als bei einem Hochbau. Der planerische Spielraum ist enger und ohne Kenntnis der Wirkungsweisen nicht auslotbar, was der zur „Gestaltung“ beigezogene Architekt unvermittelt zu spüren bekommt. Die Anzahl der von Architekten mitbeeinflussten Brücken steigt stetig – bis heute aber scheinen die eindrücklichsten Brücken tatsächlich reine Ingenieurbaukunstwerke zu sein. Die Spannweite der Architektenbeiträge reicht von einer Fokussierung auf sekundäre Elemente

VON UFER ZU U BRIDGING THE Auszug aus dem Jurybericht Wettbewerb Negrellisteg, Zürich 2011 9. Schlussfolgerungen Die Aufgabe war anspruchsvoll: In der zentralen stadträumlichen Lage des Negrellistegs forderte der Wettbewerb ein Bauwerk, das höchsten funktionalen und gestalterischen Ansprüchen genügt. Es galt, unter wirtschaftlichen Bedingungen eine sichere und dauerhafte Brückenkonstruktion zu finden, die unter Bahnbetrieb erstellt werden kann. Weiter musste auf das denkmalpflegerisch wertvolle Zentralstellwerk Rücksicht genommen werden. Als besonders schwierige Frage erwies sich die funktionelle und städtebauliche Gestaltung der Zufahrtsrampen. Alle diese Aspekte konnten von den Teilnehmenden unterschiedlich gewichtet werden, und entsprechend vielfältig ist auch die Palette der Lösungsvorschläge, die der Wettbewerb hervorgebracht hat. Bei einigen Beiträgen ist ein Ungleichgewicht zwischen architektonischer und ingenieurmäßiger Durcharbeitung festzustellen. Technisch weit entwickelte Vorschläge scheiterten an funktionellen und städtebaulichen Mängeln. Umgekehrt erschienen einzelne Tragwerke etwas vorschnellen bildlichen oder skulpturalen Ansprüchen untergeordnet, was in diesen Fällen zu wenig effizienten und nicht immer schlüssigen Konstruktionsvorschlägen führte. Die Jury tendierte in ihrer Beurteilung dazu, Schwächen im Tragwerk eher als korrigierbar zu bewerten als Unzulänglichkeiten in der städtebaulichen Anordnung; in der Entscheidungshierarchie stand aus diesem Grund die Frage nach der Linienführung der Brücke und ihrer Zugänge und Zufahrten vor der Frage nach dem Tragwerk. Diese Haltung soll nicht als mangelndes Interesse an Fragen der Tragwerksgestaltung missverstanden werden; sie gründet vielmehr auf der Einsicht, dass für eine Brücke der richtige Standort und die richtige Einbindung in die Umgebung notwendige Voraussetzungen sind, auf denen sich ein guter Tragwerksentwurf überhaupt erst aufbauen lässt. Das Ziel, sowohl architektonisch wie ingenieurmäßig überzeugende Lösungen zu finden, war schwierig zu erreichen. Das Siegerprojekt fasziniert durch Großzügigkeit, technische Innovation und Kühnheit. Seine Umsetzung wird eine interessante Entwicklungsarbeit bedingen, die zu wertvollen Erfahrungen führen wird. Der derart realisierte Negrellisteg wird eine starke Ausstrahlungskraft besitzen und Zürich mit einem unverwechselbaren Brückenbauwerk bereichern. 226

wie Geländer, Beleuchtungskörper etc. bis hin zu, in den umgekehrten Fällen, Tendenzen zur Überstülpung bildlicher, zeichenhafter Themen, die wenig strukturell sind und schließlich die Brückengestalt unvorteilhaft dominieren. Der Architekt kann für den Ingenieur innerhalb eines Brückenentwurfes nur zum valablen Berater werden, wenn er selber ein solides elementares Verständnis und Wissbegier über die Bindungen zwischen Konstruktion und Form in großem Maßstab mitbringt. Auch muss er willens sein, Realität erleiden zu können, das heißt: dazu

UFER E GAP

Die aktuelle Tendenz in Richtung banaler Brückenbau, sogar bei prestigeträchtigen Projekten, führt dazu, dass Architekten, meist sogenannte Stararchitekten über die Ingenieure gestellt werden. Diese Architekten, die den Brückenbau nur als Hobby oder Marktnische betrachten, glauben daran, dass sie Brücken entwerfen können, obwohl sie keinerlei strukturelles Wissen haben. Behörden, das Volk und dummerweise sogar die Ingenieure selber glauben das.

Christian Menn

bereit sein, räumliche Aspekte unter harten Rahmenbedingungen zu schärfen – dies wird ihn davor schützen, mit eigenen originellen Einfällen ins Dekorative abzugleiten. Schlussendlich aber ist gerade bei Brückenentwürfen im urbanen Kontext die Frage, die Aushandlung der Gewichtung von städtebaulichen und konstruktiven Kriterien zentral, wie sich nicht nur an Otto Wagners Wiener Stadtbahn zeigen lässt, sondern auch der aktuelle Wettbewerb für den Negrellisteg Zürich 2011 (vgl. unten) schön demonstriert.

Leider haben viele erst kürzlich entworfenen Brücken Formen, die von Architekten entworfen wurden, aber wie wir in diesen Kapiteln (des Buches „The Art of Structural Design – A Swiss Legacy“) zeigen werden, sind die besten Brücken reine Ingenieurentwürfe …

David P. Billington 227

Die Erdoberfläche, wie wir sie heute vorfinden, ist das Resultat fortwährender gradueller Adaption und Mutation. Die tiefstgreifende Modulation der Landschaft und ihre fortschreitende Urbanisierung hat in den letzten zweihundert Jahren stattgefunden – der Zeitraum, der auch massiv von Ingenieurproduktionen geprägt ist. Innert kürzester Zeit entstanden in großen, territorialen Unterfangen gigantische Erschließungsnetzwerke, die sehr wahrscheinlich für längere Zeit in ihrem Ausmaß nicht überboten werden und als exklusives Werk unserer Epoche in die Geschichte eingehen werden: in Europa beispielsweise hat der Autostraßenbau in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts angefangen und ist zu großen Teilen bis zum Ende des 20. Jh. beendet worden. Die Einbettung einer Autostraße, gerade in einem bergigen Gebiet, wie es der alpine Raum darstellt, bringt neben den ökonomischen und Komfort-Ansprüchen eine

Reihe formaler Fragestellungen mit sich: Gerade die primäre Setzung der Linienführung ist konstituierend für das Mass an topografischer Sensibilität, in welcher die diversen, involvierten Elemente entwickelt werden können. Wo wird welcher Typ von Kunstbaute eingesetzt, wie deren Einfügung in die Landschaft gelöst, welcher Umgang mit Massen(Gelände)verschiebungen wird entwickelt, wie werden die Strategien für die Anschlussbauwerke konzipiert? Obwohl die ökonomische Bedeutung der gesamten Infrastruktur (die auch zu einer nationalen Belastung werden kann, wie es die morbide Infrastruktur der USA zeigt) allein schon Abbild ihrer Wichtigkeit ist, sind die räumlichen, visuellen Auswirkungen, die von ihrer Qualität abhängen, den meisten Laien und Architekten, oft aber auch den Ingenieuren selber wenig bewusst. Im Fokus des Interesses

INFRA Der Staat, der einerseits vorsieht, durch Gesetze, Reglemente und Ortsbildkommissionen z.B. den Bau eines kleinen Ferienhauses zu kontrollieren, lässt auf der anderen Seite zu, dass Interventionen von großem Umfang und Bedeutung (Straßenbau, Autobahnen, Wasserbecken, Hafenanlagen, Eindämmungen...) ohne eine valable ästhetische Kontrolle verwirklicht werden. Rino Tami

228

stehen – wenn überhaupt – einzelne heroische Werke aus der Königsdisziplin des Brückenbaus, bei denen die Ingenieurleistung offensichtlich ist und direkt ausstrahlt. Zu oft werden Tunnel, Stützmauern, Unterführungen etc. als Objekte zweiter, „inferiorer“ Kategorie behandelt und dem vulgären Utilitarismus überlassen: gerade aber die in diesen Bereichen zwingende Standardisierung als auch die Integration industrieller Produkte erfordern in der Überlagerung mit den Bedingungen des spezifischen Kontextes ein großes gestalterisches Vermögen. Wenn der Ingenieur für diese Möglichkeiten sensibilisiert ist, wird die Wichtigkeit seiner aktiven Hauptrolle in der alltäglichen, strukturellen Transformation ausstrahlen – dies wird auch die Wahrnehmung und Wertschätzung der Öffentlichkeit dafür ändern.

According to th e U.S. Departm ent of Transpor on, more than tati25 % of Americ a‘ s nearly 600,00 bridges need si 0 gnificant repair s or are burden with more traf ed fic than they w ere designed to carry. According to th e Federal Highw ay Administrat approximately ion, a third of Amer ic a‘s major roadways are in su bstandard cond ition - a significa factor in a thir nt d of the more th an 43,000 traf fatalities in the fi c United States ea ch year. The Te Transportation xas Institute estim ates that traffi jams caused by c insufficient infr astructure was 4 billion hours te of commuters‘ tim e and nearly 3 billion gallons of gasoline a ye ar. The Associat of State Dam Sa ion fety Officials ha s found that th number of dam e s in the United States that coul fail has grown d 134% since 19 99 to 3,346, an more than 1,30 d 0 of those are co nsidered „highzard“ - meaning hathat their colla pse would thre lives. More than at en a third of all da m failures or ne failures since 18 ar 74 have happen ed in just the last decade. Ac cording to the U. S. Environmental Protection Agen cy, aging sewer systems spill an estimated 1.26 trillion gallons of untreated se every sing le ye wage ar, resulting in an estimated 50 billion dollars in .6 cleanup costs. http://theecon miccollapseblog. ocom/archives/ americas-crum infrastructure bling-

STRUKTUR Rino

229

Ta m i ,

S. 12

4

PLASTIZITÄTS INFARKT oder neuer Exoskelettismus*?

* Exoskelett = Stützstruktur für einen Organismus, die eine stabile äußere Hülle um diesen bildet.

Es sind diese Gelegenheiten, wenn die Tragstruktur außen liegt und mehr Aufgaben hat als einfach Lasten zu tragen, welche die Kollaboration Ingenieur/Architekt grundlegend werden lassen. ... Architekten und Ingenieure müssen mehr über Management- und Konstruktionsmethoden lernen, wenn sie ihre Positionen im Entwurfsteam nicht an Energie-Konstruktions-Berater und Baubarkeits-Experten abgeben wollen.

Bis in die Siebzigerjahre des 20. Jh. hinein konnten Mehrkosten, die im Falle von größeren strukturellen Fassadenanteilen entstanden, darüber kompensiert werden, dass die Hülle weniger kostete. Bei solchen außenliegenden Tragwerken war der Beitrag des Ingenieurs klar ersichtlich und erforderte gestalterische Fähigkeiten vor allem in der Ausbildung der Verbindungen. Veränderte energetische Anforderungen und damit einhergehend andere Konstruktions- und Herstellungsmethoden haben zu neuen Verhältnissen zwischen Tragstruktur, Raum und Verkleidung geführt und damit zu anderen räumlich-plastischen Eigenschaften. Daraus folgen räumliche Widersprüche und Zwiespältigkeiten und gleichzeitig immer neue Höhepunkte konstruktiver Machbarkeit. Die Zeit kann in ihren konstruktiven Entwicklungen nicht aufgehalten werden, für die momentan daraus folgenden Konsequenzen großen Ausmaßes sind wir aber noch wenig sensibilisiert. Tatsache ist, dass die Tragstruktur und damit der Struktur-Ingenieur aus dem öffentlichen Raum immer mehr verdrängt wird und das Feld den Etui-Designern (Architekt und Fassadenplaner) überlassen wird. Sind wir demnach wieder beim Bahnhof-Arrangement des 19. Jh. angekommen, bei dem der Ingenieur die großen Spannweiten der Innenräume bewältigte und der Architekt die Fassade stylte? Mit der fortschreitenden Sanierung der meisten strukturell-plastischen Gebäude aus der zweiten Hälfte des 20. Jh. werden auch die letzten verzahnenden Spuren verwischt – die Welt verflacht, sie verliert an Tiefe. Vereinzelt tauchen als Gegenstrategien neue Exoskelettismen auf, deren Realisierung große konstruktive Anstrengungen mit sich bringen und den Diskurs um das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag stets von neuem befeuert.

Frank Newby

Ein Fachwerk hinter Glas bleibt in der Wahrnehmung immer etwas anderes als ein Fachwerk vor einer Glashaut.

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Joseph Schwartz

Die ingenieurtechnische Denkmalpflege ist ein Thema, das stetig an Wichtigkeit gewinnt. Wichtigste Voraussetzung für das „Erhalten“ ist das Begreifen davon, wie das Bestehende funktioniert. Der Begriff der „Rekonstruktion“ geht für den Ingenieur mit der Debatte um die Authentizität einer Konstruktion einher – vor allem mit der Frage, in welchem Maße zum Erhalt heutige Techniken angewendet werden können und sollen. Wie werden traditionelle Handwerkstechniken mit heutigen Ingenieurtechniken verzahnt? Zur Beantwortung dieser Fragen muss der Ingenieur nicht nur ein gutes Verständnis dafür haben, wie früher Kräfte in den Boden eingeleitet wurden, sondern auch welche Bedeutung die Konstruktion zu ihrer Zeit und in ihrer Benutzung hatte. Welche Wirkung war überhaupt erwünscht? Wie geht man allenfalls mit technisch bedeutungslosen Teilen um, die aber einer bestimmten Wirkung, einem bestimmten Ausdruck dienten? Um die Bedeutung einer historischen Konstruktion zu entschlüsseln, braucht es detektivische Fähigkeiten, und es stellt sich die Frage, wo die dafür notwendige Bildung vermittelt wird. Ob für den Ingenieur oder für den Architekten: Jeder Eingriff in eine bestehende Substanz ist eine heikle Gratwanderung zwischen dem Erhalt der Kenntlichkeit der Vergangenheit und dem „Dafür-neu-Erfinden“.

AMNESIE Transformation

Es geht um den Konflikt zwischen dem Willen, den originalen Denkmalbestand nicht durch rekonstruierende Teile zu komprimittieren und dem Wunsch, den Denkmalbestand durch die zu erneuernden Teile in seiner Wirkung nicht zu schmälern. Das ist ein Konflikt, den es schon lange gibt - die Differenz zwischen der zeitgenössischen Architektur und dem älteren Denkmalbestand hat bis heute ein unvereinbares Ausmass angenommen.

Roger Diener

231

Eine Vielzahl von Ingenieuren versteht die Herausforderungen innerhalb eines Entwurfs von architektonischen Präferenzen unabhängig und sieht damit keinen Widerspruch in der Tatsache, dass sie Beiträge an ganz unterschiedliche architektonische Haltungen leisten. Die Haltung des Architekten wird sozusagen als weitere Rahmenbedingung zum Bedingungsgefüge, in die anfängliche „Problemmatrix“ integriert, ohne das Endziel zu hinterfragen. Indes scheint für den Ingenieur die Entwicklung einer Haltung nicht weniger wichtig und möglich zu sein

Eigentlich weiß man nicht viel über das Verhältnis der Architekten zu den Ingenieuren, und umgekehrt. Es ist ein Verhältnis im Verborgenen. Wer wann welche Idee hatte, im Prozess des Planens und Bauens, dringt nur selten an die Öffentlichkeit. Im Zweifelsfall steht medial der Architekt im Vordergrund. Der Ingenieur hat bestenfalls die Vision vom kreativen Himmel auf den Boden der Realität gebracht.

Die Ingenieure sollten von den Architekten lernen und die unverwechselbare, individuelle Haltung von Projektverfassern einnehmen.

Peter Marti

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Dietmar Steiner

als für den Architekten. Der Ingenieur ist in einem Entwurfsteam maßgeblich vertreten und kann (oft besser als der Architekt) die Konsequenzen abschätzen – er kann seine Meinung proaktiv einbringen, denn schließlich hat er die strukturellen, ökonomischen Kompetenzen und kann das Bildermalen des Architekten mindestens hinterfragen. Gerade in seinen Kollaborationen mit den Architekten kann er seine kulturelle, räumliche Informiertheit schärfen, sein Know-How steigern und als Ingenieur-Architekt die Architekten neu herausfordern.

Ich wünsche mir Ingenieure, die weniger bescheiden sind: Sie müssen mich auch auf meinem Gebiet provozieren.

Marcel Meili

Es braucht eine beträchtliche Zeit, bevor ein Einzelner alleine eine komplette und einfache Meisterschaft über die architektonische und die ingeniöse Technik erreichen kann. Der Ingenieur und der Architekt haben einen langen Weg vor sich, bevor ihre separaten Rollen von einem Menschen allein gespielt werden können.

Owen Williams

CHAMÄLEON FAKTOR

Der Architekt ist kein Dienstleister.

Ich habe mich oft gefragt, wie ich gleichermaßen glücklich mit einer Vielzahl von ganz verschiedenen Architekten zusammen arbeiten kann. Es kommt sogar oft vor, dass ich an einem Tag mit zwei oder drei Architekten zusammen arbeite, die untereinander große Mühe hätten, ihre unterschiedlichen architektonischen Vorstellungen zu akzeptieren. ... Für einen Ingenieur kann die Herausforderung eines Entwurfs von den Präferenzen des Architekten unabhängig sein, und in jedem Fall kann ein nützlicher Beitrag gefunden werden.

Die Frage, was heute gute Architektur ist, ist offener als je zuvor. Heute gibt es keine Regeln. Die Fülle der architektonischen Stile zeitigt deren Protagonisten als auch deren Kritiker. „Anything goes“ – die Leute sind verunsichert ... Das zeigt auch das Dilemma, in welchem wir Ingenieure uns befinden. Was ist richtig, was ist sensibel, wann fallen wir „Wildnis“ zum Opfer oder lassen uns in sie hinein verführen?

Jack Zunz Valerio Olgiati

Peter Rice 233

RISIKO In einer Sitzung über das CCTVGebäude hörte ich einem von Balmonds Ingenieuren zu, der ohne Ironie oder erkennbares Zaudern beschrieb, dass die Begegnung und schließlich der Zusammenschluss der geneigten Stahlstrukturen auf 200 m Höhe – die wegen ihrer relativen Positionen auf der Erde unterschiedlichen Mengen von Sonnenaufwärmung ausgesetzt sind – nur in der Morgendämmerung stattfinden konnten, wenn sie während der Nacht genug abgekühlt wären und die Wahrscheinlichkeit damit groß, dass sie die gleichen Temperaturen aufweisen würden. Ich war freudig erregt und entsetzt angesichts des bloßen Frevels des Problems, das wir ihnen gesetzt hatten. Warum sagen die nie NEIN? Im Gegensatz zur Architektur, die verworren Unsicherheit und Risiko in die Arme schließt, ist das Ingenieurwesen durch das Vermeiden möglicher/sicherer Risiken definiert. Die Ereignisse vom 11. September waren verheerend. Wir wussten, dass das Empire State Building 1945 von einem Mitchell-Bomber getroffen worden war, und entwarfen das WTC gegen einen möglichen Aufprall einer 707; der Entwurf war auf eine tief und langsam fliegende 707 ausgelegt. Die 767er, die in die Gebäude prallten, waren etwas schwerer, und vor allem flogen sie mit maximaler Geschwindigkeit, sodass signifikant mehr Energie auf die Gebäude einwirkte, als wir antizipiert hatten.

Rem Koolhaas

234

Leslie E. Robertson

Am Anfang der Zivilisationsgeschichte ging es um die Eindämmung von Natur-Risiken. Blieben die Bedrohungen bis in die vorindustrielle Welt hinein natürlicher Art, haben wir es heute zunehmend mit selbst erzeugten Risiken zu tun, die uns zur Einrichtung auf einem hohen Gefährdungsrisiko zwingen. Die Lösungsansätze dafür werden in vielerlei Ingenieurleistungen gesucht. Der Bauingenieur muss die Antworten auf die Fragen nach der Notwendigkeit bezüglich Material, Mechanik, Struktur und System liefern. Die Vorhersehung des Verhaltens der Konstruktion ist wichtiger Bestandteil seiner heiklen Mission. Er bewegt sich dabei auf einer Gratwanderung, die einerseits von überdimensionierten Ernstfällen ausgeht: Die Konstruktionen müssen der Frage nach dem jeweils größtmöglichen Risiko, das jederzeit oder in angenommenen Zeitabständen (300-jährige Lawine, 100-jähriges Hochwasser, 200-jähriges Erdbeben etc.) eintreffen könnten, standhalten. Er muss also einleuchtende Risikobilder kreieren können und innerhalb seiner Voraussagen Vorschläge über mögliche Abwendungen machen. Der Ingenieur ist dazu verpflichtet, den Architekten davon abzuhalten, über den Rand zu gehen. Gleichzeitig muss er ihm aber auch bis an den Rand folgen können oder gar dazu auffordern, dahin zu gehen. Insgesamt ist die Kalkulierbarkeit des Risikos immer relativ, das Risiko stets ein imaginäres, die Objektivierung des Risikos von einer intuitiven und spekulativen Dimension: Experiment und Risiko sind ein Zwillingspaar. Wie weit schließlich gegangen wird, wie weit die Technik gedehnt wird, wie weit man sich finanziell aus dem Fenster lehnt – der Ingenieur trägt der Gesellschaft gegenüber das Risiko, die Verantwortung dafür, dass eine Struktur nicht kollabiert. Diese Last wird aber erst im Ernstfall überhaupt wahrgenommen, denn das moralische Risiko für die Erscheinung eines Gebäudes, ob dieses als schön oder hässlich empfunden wird und dementsprechend Erfolg oder Niederlage damit einhergeht, wird stets dem (Star-)Architekten zugeschrieben.

Das höchste Ge bäude der Welt steht an einer Stelle, die für den Bau eines Wolkenkratzer s eigentlich un ge eig net ist. Denn Taiwan liegt an der Na ht ste lle zwischen der Eu rasischen und der Philippinischen Platte und ist da mit für Erdbeben präd estiniert. Doch trotz Erdb ebengefährdung und trotz der Taifu ne, die mitunter mehrmals im Jahr mit Ge schwindigkeite n von bis zu 250 km/h über die Insel wü ten, glaubt Chefarc hitekt Chung Pi ng Wa nd an die Standfesti gkeit des Turm s. Selbst wenn ganz Taipe h in sich zusamm enfallen sollte, da von ist er felse nf es t überzeugt, werd e dieses Hochha us stehenbleiben. Georg Küffner

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August E.Komendant Hans-Jürgen Heinrichs

Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass die Architekten genauso analytisch denken wie der Ingenieur; sie fokussieren einfach andere Parameter.

Diese Idee einer sich herausbildenden Form ist eine Sache, die mich wirklich fasziniert: von einem willkürlichen Start aus, wie passiert es? Es passiert durch Kontrolle und kontinuierliche Rückkopplung. Nehmen wir die Springerfigur beim Schach. Es ist ein zwei-eins-Zufallszug. Es sieht zufällig aus, aber wo auch immer auf dem Schachbrett man startet, bekommt man im Verlaufe eines Spiels diese Muster, eine Art von Gleichgewicht. Wenn man an einem anderen Ort auf dem Schachbrett startet, kriegt man ein anderes Muster.

Louis Kahn lehrte die Studenten, dass die erste Aufgabe eines Architekten nach Auftrags- und Programmerhalt darin besteht, das Programm zu ändern, nicht es zu erfüllen zu suchen, sondern es in das Gebiet der Architektur zu verschieben.

Wahrheit und Irrtum stehen bei Entwürfen, die den Rahmen des wissenschaftlich Abgesicherten sprengen, bei visionär und künstlerisch mitbestimmten Konzepten in einem anderen, nicht kontradiktorischen, sondern komplementären Verhältnis.

Cecil Balmond

* „Wicked problems“ als Begriff stammt ursprünglich vom Philosophen Karl Popper und wurde von Horst Rittel, Professor an der Hochschule für Gestaltung in Ulm in den Sechzigerjahren als Zugang zu einer Entwurfsmethodologie verwendet. 1992 nimmt Richard Buchanan den Begriff in seinem Aufsatz „Wicked Problems in Design Thinking“ (Design Issues, Volume 8, Number 2, 1992, p. 5–22) wieder auf, und stellt darin die Hypothese auf, dass jeder Entwerfer ein persönliches Set von Aufstellungen hat, die durch Erfahrung entwickelt und geprüft sind. Die Erfindungskraft eines Entwerfers liegt in einer natürlichen oder kultivierten, kunstvollen Fähigkeit jederzeit auf diese Aufstellungen zurück greifen zu können, um diese auf eine neue Situation hin anzuwenden oder Aspekte der Situation zu entdecken, die den Entwurf beeinflussen.

Heinrich Schnetzer 236

WICKED

Der Begriff „Entwurf“ ist nicht scharf, sondern spekulativer Natur. Nirgends wird die Unterschiedlichkeit der Sichtweisen beider Disziplinen evidenter als in der Betrachtung ihrer Argumentationsweisen und den daraus folgenden Entscheidungsketten in einem Entwurfsprozess. Das Fach „Entwurf“ wird dem Ingenieur oft in Form linearer Entwurfsmodelle vermittelt, da darin ein logisches Verstehen eines Entwurfsprozesses gesehen wird. Das Vorgehen besteht darin, in einer ersten analytischen Phase möglichst umfassend alle Elemente des Entwurfsproblems zu definieren, dazu auch alle Anforderungen, die eine erfolgreiche Lösung haben muss (Wirtschaftlichkeit, Tragfähigkeit, Nachhaltigkeit etc.) Die Aspekte reduzieren sich dabei meist auf fassbare, numerische „hard facts“, werden in schriftlicher Form (Matrizen) abgehandelt und bleiben als mehr oder minder neutrales Set im Raum stehen. Eine individuelle, partikuläre Sichtweise der Aufgabe und eine Sensibilisierung für räumliche Aspekte werden wenig gefördert noch erwartet. In einer zweiten, synthetischen Phase sollen dann die verschiedenen Anforderungen miteinander kombiniert und gegeneinander abgewogen werden, um so zum finalen Entwurfsprodukt zu kommen. Diese Methode krankt an der suggerierten Linearität der Phasen 1 und 2 (Analyse und Entscheidungsfindung), weil sie die Tatsache vernachlässigt, dass entwerferische Probleme ein großes Maß an Unbestimmtheit in sich tragen und geprägt sind von in sich widersprüchlichen Anforderungen, dass es sich um sogenannte „verhexte Probleme“ handelt. Diese können nicht linear aufgelöst werden, sondern erfordern vielmehr partikuläre Sichtweisen, subjektive innere Bilder, Stellungnahmen. Diese produzieren Konsequenzen und setzen Entscheidungskaskaden in Gang. Jedes Entwurfsproblem ist also einzigartig und sein Zugang von Individualität geprägt – keine analytische Liste kann demnach die auszuführenden Operationen abschließend definieren. Entwurfsprobleme führen nie zu richtigen oder zu falschen Lösungen, sondern zu besseren oder schlechteren. Diese durch Un- oder Überbestimmtheit der Entwurfsprobleme produzierte Komplexität und die Vielzahl alternativer Sichtweisen zu einem Aspekt wird dem Architekturstudenten vom ersten Tag an eingeschrieben: in einem fast reziproken Verhältnis zum Ingenieur ist der angehende Architekt mit den gegensätzlichen Realitäten konfrontiert und wird darauf getrimmt, diese in ein Zusammenspiel zu bringen. Dafür muss er möglichst individuelle Sichtweisen einnehmen und partikuläre geistige „Ideen“ entwickeln. Der Architekturstudent wird dazu erzogen, komplexe Problemstellungen zu reduzieren, mitunter mit Inkaufnahme dessen, dass konkrete physische oder programmatische Aspekte sogenannte objektive Kriterien zugunsten eines „Konzeptes“, für die „Idee“ vernachlässigt werden. Krankt der „szientistische“ Entwurfszugang der Ingenieure an der unmöglichen Linearität und dem Hang nach abgeschlossenen Sequenzen, erstaunen auf der anderen Seite die Argumentationsmuster der Architekten oft genauso, wenn diese jeglicher kollektiven und universalen humanistischen Grundlagen beraubt sind und ihre Berauschtheit ausschließlich aus der Sphäre des rein Privaten, Subjektiven und Intuitiven beziehen.

Problems* 237

OPENING Jedes Projekt, jede Kooperation ist eine Möglichkeit, neue Sachen daraus zu lernen. Voraussetzung dafür ist die Empathie für das Problem der anderen Disziplin und die Bereitschaft des gegenseitigen Einbindens in den jeweiligen Gestaltungsprozess. Der Architekt ist an einem Ingenieur interessiert, der ein Interesse und Verständnis für räumliche Fragen zeigt. Dieses hat er sich gleich wie der Architekt erworben: empirisch, über seine eigenen menschlichen Grunderfahrungen, die auf elementaren Wahrnehmungsempfindungen basieren und ihn für das menschliche Verhalten sensibilisiert haben. Dies ermöglicht dem Ingenieur, die anfänglich fragilen räumlichen Entwurfsansätze des Architekten nicht zu zerstören, sondern diese weiter zu entwickeln. Das heißt, er ist in der Lage, für eine auf eine bestimmte Wirkung hin beschriebene Raumatmosphäre strukturelle Möglichkeiten wie Materialien vorzuschlagen. Räumliche Grundideen (z. B. schützender Raum, Aussichtsraum, vibrierender Raum etc.) kann er aufnehmen und in eine neue, strukturelle Problemstellung umformulieren, ohne dass diese von zentralen architektonischen Momenten wegführt. Er hat ein Gefühl für die inneren Kräfte und ein tiefes strukturelles Verständnis, das sich dadurch auszeichnet, wie meisterhaft er dreidimensionale Strukturen denken und entwickeln kann. Er bringt das notwendige technische und praktische Verständnis mit und bleibt im Dialog zwischen Architekt und Ingenieur idealerweise – ohne Ängstlichkeit – die rationale und vernünftige Stimme. Äußert aber dieser gleiche Ingenieur, der also ein „Insider“ ist, umgekehrt sein tiefes Unbehagen über einen entwerferischen Ansatz, dann ist meist etwas grundsätzlich im Argen, und die Argumente sind vom Architekten ernstzunehmen. Der Ingenieur, der vom Nützlichen her kommt und ein funktionales und materielles Verständnis hat, spürt, ob das Gebäude seiner Aufgabe gerecht wird, ob also z. B. das Verhältnis von Öffnung und Schließung stimmig ist oder ob ein Material etwas leisten oder nicht leisten kann, ob ein Material in seiner vollen Wirkungsweise zum Tragen kommt etc. Der Ingenieur sollte also vom Architekten Hellhörigkeit für die „Wehen der Konstruktion“, tektonische, konstruktive Empfindsamkeit erwarten können. Im Ausnahmefall ist der Architekt nicht nur kein technischer Analphabet, sondern hat selber auch die volle Kenntnis des Kraftflusses in allen drei Dimensionen des Gebäudes, bis hin zur Einleitung in die Erde. Das Niveau des gemeinsamen Produktes hängt – ähnlich wie beim Schachspiel der Beziehungsreichtum der Züge – von der Interpretationsintelligenz der zwei Spieler ab.

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Bibliografie METADIALOG John Galbraith: John Galbraith: Engineer and Educator, S. 113 BABYLON Symposien im DAZ Berlin, 18. März 2010/21. April 2010 DIALOG? August E. Komendant: 18 years with Louis Kahn, S. 186 _ August E. Komendant: 18 years with Louis Kahn, S. 5 _ Jean Prouvé: World Architecture: Journal of the International Academy of Architecture, Issue 31-32, 1994 p. 67 _ Jürg Conzett: TEC 21 17/18 2008 S. 15 _ Stefan Polónyi: E-Mail von Stefan Polónyi an Aita Flury 23.02.2011 IDENTITÄT TRADITION Kenneth Frampton: Casabella 542-543/1988, S. 119 _ Peter Handke: Ein Jahr aus der Nacht gesprochen, S. 24 _ August E. Komendant: 18 years with Louis Kahn, S. 161 _ August E. Komendant: 18 years with Louis Kahn, S. 173 _ Fazlur R. Khan/ Yasmin Sabina Khan: Engineering Architecture. The Vision of Fazlur R. Khan, S. 59 _ Fazlur R. Khan/Yasmin Sabina Khan: Engineering Architecture. The Vision of Fazlur R. Khan, S.12 _ Denys Lasdun: Denys Lasdun. Architektur Stadt Landschaft, S. 218 _ Adolf Krischanitz: Symposien im DAZ Berlin, 18. März 2010/21. April 2010 _ Frank Newby: Casabella 542–543/1988, S. 120 _ Guy Nordenson: Seven Structural Engineers – The Felix Candela Lectures, S. 23 _ Eugen Brühwiler: TEC 21 45/2010, S. 49 _ Quatremère De Quincy: Motto: de Quincy 1832 INNOVATION Leslie E. Robertson: Seven Structural Engineers – The Felix Candela Lectures, S. 69 _ Robert Emmerson: Casabella 542–543/1988, S. 121 _ György Kepes: Struktur in Kunst und Wissenschaft, S. IX _ Jörg Schlaich: Seven Structural Engineers – The Felix Candela Lectures, S. 144/145 SYMBOL Frank Newby: Casabella 542–543/1988, S. 121 _ Eladio Dieste: Eladio Dieste – Innovation in Structural Art, S. 187 _ Andrew Saint: Architect and Engineer – A Sibling Rivalry, S. 491 MORAL Denys Lasdun: Denys Lasdun. Architektur Stadt Landschaft, S. 208 _ Eero Saarinen: 18 years with Louis Kahn, S. 19 _ Louis Kahn: 18 years with Louis Kahn, S. 19 _ Roger Boltshauser: Immer _ Auguste Perret: Les Frères Perret, S. 22/109 _ Sir Jack Zunz: Structural Engineering – History and Development, S. 67 _ Aurelio Muttoni: Starke Strukturen – wbw 5/2009, S. 44 _ Max Raphael: Max Raphael– Tempel, Kirchen und Figuren, S. 183 _ Mies van der Rohe: Architectural Education at ITT 1938–1978, S. 62 VON UFER ZU UFER BRIDGING THE GAP Christian Menn: Seven Structural Engineers – The Felix Candela Lectures, S. 126 _ David P. Billington: The Art of Structural Design – A Swiss Legacy, S. 13 INFRA-STRUKTUR Rino Tami: Rino Tami, S. 122 PLASTIZITÄTSINFARKT ODER NEUER EXOSKELETTISMUS Frank Newby: Casabella 542-543/1988, S. 120-121 _ Joseph Schwartz: Starke Strukturen – wbw 5/2009, S. 43 AMNESIE TRANSFORMATION Roger Diener: Das Prinzip Rekonstruktion, S. 257 CHAMÄLEONFAKTOR Sir Jack Zunz: Structural Engineering – History and Development S. 67/72 _ Marcel Meili: TEC 21 3–4/2011, S. 34 _ Valerio Olgiati: TEC 21 51–52/2011, S. 34 _Peter Rice: Peter Rice – An Engineer Imagines, S. 145/147 _ Dietmar Steiner: Dialog der Konstrukteure, S. 17 _ Peter Marti: TEC 21 3–4/2011, S. 34 _ Owen Williams: British Engineers Export Journal July 1924, S. 30 RISIKO Rem Koolhaas: Content, S. 515 _ Rem Koolhaas: Content, S. 498 _ Leslie E. Robertson: Seven Structural Engineers – The Felix Candela Lectures, S. 73 _ Georg Küffner: Ingenieurbaukunst in Deutschland Jahrbuch 2005/2006, S. 58 WICKED PROBLEMS* VERHEXTE PROBLEME Cecil Balmond: Seven Structural Engineers – The Felix Candela Lectures, S.57 _ Heinrich Schnetzer: Starke Strukturen – wbw 5/2009, S. 44 _ August E. Komendant: 18 years with Louis Kahn, S. 185 _ Hans-Jürgen Heinrichs: Max Raphael – Tempel Kirchen und Figuren, S.10 OPENING

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Lehre Joseph Schwartz sieht in der Tragwerksausbildung von Architekturstudenten an der ETH Zürich die Förderung eines intuitiven Verständnisses für eine Struktur als prioritär an. Anstatt auf analytische Berechnungsmethoden setzt er auf die Anschaulichkeit der Methode, wie sie beispielsweise die grafische Statik bietet: Die Visualisierung innerer Kräfte erhellt den Zusammenhang zwischen der Form und der Beanspruchung der Tragelemente. Christoph Wieser sieht im interdisziplinären Studienmodell der ZHAW Winterthur den Grundstein für eine gesamtheitliche Betrachtung von räumlichen und technischen Fragen. Das synchrone Entwurfsmodell sensibilisiert Ingenieur- und Architekturstudenten ganzheitlich für die Wechselwirkung verschiedener Maßstabsebenen, Form- und Konstruktionsaspekte. Mario Monotti legt dar, wie der Statikunterricht für Architekten an der USI Mendrisio darauf abzielt, die Kompetenz zur Auswahl plausibler statischer und geometrischer Randbedingungen einer Tragstruktur zu erlangen. Die Kraftabtragungsanalyse und daraus folgende Bemessungsmodelle können zur Erfindung räumlich effizienter Strukturen führen. Paul Kahlfeldt zeigt am „Dortmunder Modell Bauwesen“ wie im gemeinsamen Ausbildungskonzept für Architekten und Ingenieure die Vermittlung eines konstruktiven Grundwissens eine zentrale Rolle spielt ohne die Frage nach dem Raum zu vernachlässigen. Jürg Conzett, Roger Boltshauser und Aita Flury führen mittels einer Studentenanalyse die Sensibilisierung in der Architekturausbildung für eine produktive Überlagerung von Programm und Tragwerk vor.

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Tragwerkswissenschaft und Tragwerkslehre Joseph Schwartz

Geschichtliches  Die vorwiegend im 19. Jahrhundert entwickelten, auf der Elastizitätstheorie basierenden analytischen Berechnungsmethoden der Ingenieure ermöglichten die Projektierung und Ausführung von immer komplizierter werdenden Bauwerken. Die Ingenieure erhielten mit der Elastizitätstheorie ein von Mathematikern und Physikern entwickeltes geschlossenes Berechnungsmodell, das die Zusammenhänge zwischen Last, Spannung und Verformung für ein idealisiertes, linear elastisches Verhalten mathematisch formuliert. Dadurch wurde die Disziplin der Ingenieure, im Gegensatz zu derjenigen der Architektur, auf eine solide naturwissenschaftliche Basis gestellt. Gleichzeitig begannen sich aber bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Wehen der Spaltung zwischen den Bauberufen Architekt und Ingenieur bemerkbar zu machen. Einerseits förderten die stets komplizierter werdenden Bauweisen ein getrenntes Arbeiten der beiden Disziplinen, andererseits hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts gezeigt, dass die hervorragenden wissenschaftlichen Werkzeuge der Ingenieure nicht nur Vorteile, sondern erhebliche Risiken für die generelle Entwicklung des Ingenieurberufs aufweisen, bedingt durch das Wissenschaftsverständnis, auf dem die Berechnungsmethoden beruhen. Die Entwicklung der klassischen analytischen Statik – basierend auf den exakten Naturwissenschaften – ist ein Produkt der deduktiven, rationalen Denkweise. Das induktive Wissensverständnis geriet im Verlauf dieser Entwicklung mehr und mehr in den Hintergrund.1 Im Gegenzug fanden stets gegenläufige Bewegungen statt, die nicht die analytischen Berechnungsmethoden, sondern wesentlich anschaulichere Methoden in den Vordergrund stellten. Zu erwähnen ist beispielsweise die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte grafische Statik. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Plastizitätstheorie ausgearbeitet, die nicht, wie die Elastizitätstheorie, das Verhalten eines Tragwerkes im Gebrauchszustand, sondern dessen Tragwiderstand unter Berücksichtigung des plastischen Materialverhaltens untersucht. Insbesondere die Anwendung des statischen Grenzwertsatzes der Plastizitätstheorie (vgl. Abbildung „Stahlbetonträger nach Thürlimann et al., 1989“) ermöglicht die Visualisierung der inneren Kräfte mit Hilfe von Fachwerkmodellen und Spannungsfeldern.2 Das zur Perfektion weiterentwickelte Verfahren stellte die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts vorgeschlagenen grafischen Lösungsansätze (vgl. Abbildung „Stahlbetonträger nach Mörsch 1929“) 3 auf eine solide theoretische Basis.

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1 Stefan Polónyi, Revision des Wissenschaftsverständnißes, Festschrift des Fachbereiches Architektur der Gesamthochschule/Universität Kassel zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Prof. Dipl. Ing. E.h. Stefan Polónyi, Februar 1986 2 Muttoni, A., Schwartz, J. und Thürlimann, B., Bemessung von Betontragwerken mit Spannungsfeldern, Birkhäuser Verlag, Basel 1997 3

Mörsch, E., Der Eisenbetonbau, seine Theorie und Anwendung, 6. Auflage, Konrad Wittwer Verlag, Stuttgart 1929

Stahlbetonträger nach Mörsch, 1929

Stahlbetonträger nach Thürlimann et al., 1989

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Tragwerkswissenschaft und Tragwerkslehre  D

Problemfeld  Die auf der Plastizitätstheorie basierenden Gleichgewichtslösungen, die teilweise auf induktiven Ansätzen basieren, haben den großen Vorteil, dank der Visualisierung der inneren Kräfte den Zusammenhang zwischen der Form und der Beanspruchung der Tragelemente zu veranschaulichen. Die entsprechende Berechnungsmethode eignet sich – im Gegensatz zu den elastischen Berechnungsverfahren – hervorragend für den kreativen Tragwerksentwurf sowie für die konstruktive Durchbildung der Tragelemente. Ihre Anwendung setzt aber entwerferisches Denken voraus. Genau hier scheint ein wunder Punkt zu liegen. Insbesondere den Ingenieuren fällt es außerordentlich schwer, kreativen Tragwerksentwurf zu betreiben. Verfolgt man aber die herausragenden Arbeiten der großen Ingenieure der letzten Jahrhunderte, so stellt man unweigerlich fest, dass diese Ingenieure sich allesamt dadurch auszeichnen, sich nicht auf die rechnerische Bearbeitung der statischen Probleme beschränkt zu haben, sondern die Denkweise des sorgfältigen Verfolgens der inneren Kräfte intuitiv anwandten (vgl. Abbildung „Pier Luigi Nervi, Stadion Giovanni Berta, Florenz 1932“), was ihnen ihr kreatives Wirken überhaupt erst ermöglichte. Die auf der Elastizitätstheorie basierenden wissenschaftlichen Hilfsmittel haben im Verlauf des 20. Jahrhunderts einen Komplexitätsgrad erreicht, der die Bauingenieure immer häufiger in ihrer anspruchsvollen Aufgabe überfordert. Die überaus wertvollen Werkzeuge der klassischen, analytischen Statik bieten dagegen vielen Ingenieuren einen Schutzwall, hinter dem sie sich verstecken können. Statische Berechnungen werden dem konzeptionellen Denken gegenüber bevorzugt – ein Vorgehen, das dem kreativen Wirken im Wege steht. Die Einführung der elektronischen Rechenmittel in den Achtzigerjahren, die heute immer noch weitgehend auf linear elastischen Modellen beruhen, hat dieser negativen Entwicklung weiteren Auftrieb gegeben. An vielen Schulen wird versucht, die Architekturstudierenden mit Hilfe einer vereinfachten Tragwerkslehre für Bauingenieure auszubilden. Als Motivation für dieses Vorgehen mögen das Näherbringen der technischen Sprache sowie der Arbeitsweise der Bauingenieure gelten. Dieses Vorgehen erweist sich jedoch als wenig erfolgversprechend, weil der komprimierte Stoff einerseits schwierig zu verstehen und andererseits vor allem für Tragwerksanalyse und kaum für Tragwerksentwurf geeignet ist. In diesem Umstand scheint eine der Hauptursachen der unbefriedigenden Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren in der Praxis zu gründen. Lösungsansätze  Ein guter Tragwerksentwurf erfolgt auf der konzeptionellen Ebene, und die Berechnung steht in der Konzeptphase im Hintergrund. Wäre das diesbezügliche Bewusstsein bei den Bauingenieuren stärker ausgeprägt, so würden sie vermehrt auf einfache Hand- und Kopfrechnungen zurückgreifen, was ihnen die nötige Zeit zum Denken geben und Zugang zum kreativen Wirken öffnen könnte. Insbesondere in der Konzeptphase ist es für den Ingenieur unumgänglich, vermehrt in inneren Kräften zu denken, die Tragwerksform in Einklang mit diesen Kräften

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Stadion Giovanni Berta, Florenz 1932 Ingenieur-Architekt Pier Luigi Nervi, Rom

zu bringen und vor allem auch die Möglichkeiten der räumlichen Tragwirkung auszuschöpfen. Die qualitative Beurteilung der Kräfte auf der Basis einer induktiven Vorgehensweise wie beispielsweise der grafischen Statik bedarf keiner exakten Berechnung, sondern lediglich Übung und Gefühl. Dieses Vorgehen ist auch für den Architekten verständlich und eine gute Basis für die Zusammenarbeit. Diese Betrachtungsweise fördern wir an unserem Lehrstuhl zur Ausbildung der Architekturstudierenden, indem wir uns auf die grafische Tragwerkslehre beschränken und vollständig auf die Behandlung der analytischen Statik verzichten. Die Abbildungen des Experiments mit Seilkräften und des Pavillons in Lissabon von Álvaro Siza dokumentieren exemplarisch den Zugang in der Ausbildung der Architekturstudierenden an der ETH Zürich zum Thema der Seil- und Membrantragwerke. Ein sinngemäßer Kurs wäre auch in den ersten Semestern des Bauingenieurstudiums sehr zweckdienlich, vorgeschaltet vor der analytischen Behandlung der Tragwerke. Für eine fruchtbare Zusammenarbeit von Ingenieur und Architekt ist das Sich-Öffnen für die andere Disziplin unumgänglich. Hier sind Vorurteile abzubauen, gegenseitiges Verständnis aufzubauen und somit eine Vertrauensbasis zu schaffen. Eine gemeinsame Sprache ist zu lernen, als unabdingbare Voraussetzung für einen engen Dialog zwischen Architekt und Ingenieur. Die erfolgreiche Zusammenarbeit von Ingenieur und Architekt setzt ferner Vertrauen als Grundlage für eine tragende zwischenmenschliche Beziehung voraus, dazu gegenseitige soziale Achtung, eine fundierte fachliche Ausbildung und interdisziplinäres Verständnis. Es ist unerlässlich, das entsprechende Bewusstsein bereits während der Hochschulausbildung aufzubauen, damit die Absolventen die Hochschule nicht als zwar gut ausgebildete, in ihrem benachbarten Fachbereich aber ungebildete Menschen verlassen. Es geht somit um die Vermittlung einer Kultur, die bei akademisch Ausgebildeten eigentlich vorausgesetzt werden müsste. Das Bewusstsein dafür, dass neben dem technischen und architektonischen auch noch ein ethischer und ein gesellschaftlicher Auftrag zu erfüllen ist, gilt es mit allen Mitteln

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Tragwerkswissenschaft und Tragwerkslehre  D

zu stärken. Auf diese Kultur kann der Dialog zwischen Architekten und Bauingenieuren aufbauen – eine Kultur, welche die Entwicklung von Entwürfen ermöglicht, bei denen statische und gestalterische Belange ineinander übergehen. Pavillon in Lissabon, Álvaro Siza Aus: Schwartz, J., Unterlagen zu den Vorlesungen Tragwerksentwurf I-III, 2008 und 2009

Experiment mit Seilkräften. Workshop mit Studierenden des 1. Jahreskurses am Departement Architektur der ETH Zürich.

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Kunst und Wissenschaft Christoph Wieser

Ergänzendes Miteinander von Architekt und Bauingenieur am Zentrum Konstruktives Entwerfen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur

Die Zusammenarbeit von Architekt und Bauingenieur ist in der Praxis Alltag, in der Ausbildung wird sie selten geübt: Die Studiengänge für diese Berufe gehen seit langem getrennte Wege, und obwohl Architekturstudierende Einblick in die Tragwerkslehre erhalten, angehende Bauingenieure kleinere Entwurfsaufgaben bewältigen, bleibt den meisten die Denk- und Arbeitsweise der anderen Fachrichtung eher fremd. Die zunehmende Spezialisierung im Bauwesen treibt die Berufsgattungen weiter auseinander. Vonnöten wäre eine enge, partnerschaftliche Zusammenarbeit, denn Kernform und Kunstform bilden eine Einheit, wie Karl Bötticher 1844 betonte.1 Ein Bauwerk ohne Tragwerk ist nicht denkbar. Das statisch notwendige Gerüst wird erst zu Architektur, wenn es ein räumliches Gefüge aufnimmt, wenn Räume definiert, materialisiert und zueinander in Beziehung gesetzt werden, wenn sie Form und Ausdruck annehmen. Am Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur pflegen wir den Dialog der Konstrukteure: Im ersten Studienjahr werden zwei ganztägige Module von Architektur- und Bauingenieurstudierenden gemeinsam besucht, unterrichtet von Dozierendenteams beider Richtungen. Im Studiengang Architektur spielen auch in den folgenden Semestern Fragen des Tragwerks eine wichtige Rolle, insbesondere im Entwurf und den Modulen, die von der Lehr- und Forschungseinheit Zentrum Konstruktives Entwerfen (ZKE) angeboten werden, einem der beiden Schwerpunkte 2 des Studiengangs. Die Teams sind interdisziplinär zusammengesetzt und die Dozierenden der separat geführten Studiengänge wie in einem Gefäß vereint. Im Folgenden wird die Zusammenarbeit von Architekt und Bauingenieur am ZKE im Bereich der Lehre näher beleuchtet. Rollenmodelle  Das Zentrum Konstruktives Entwerfen ZKE versteht sich als Kompetenzzentrum für „Baukunst heute“. Die von uns propagierte Aktualisierung des klassischen Begriffs der Baukunst verweist auf dessen ungebrochene Relevanz: Er benennt den Anspruch, gestalterisch-kulturelle und technisch-ökonomische Fragen gesamtheitlich zu betrachten. Die Rolle der Architekten und Architektinnen verstehen wir weiterhin in einem generalistischen Sinn. Sie sind als Entwerfende

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1

Karl Bötticher, Die Tektonik der Hellenen, Potsdam 1844; auszugsweise abgedruckt in: Werner Oechslin, Stilhülse und Kern, Zürich/Berlin: gta/ Ernst & Sohn 1994, S. 181

2

Beim anderen Schwerpunkt, dem Zentrum Urban Landscape, steht die Lektüre von Stadt und Siedlung im Vordergrund.

3

Vgl. Christoph Wieser, Vom Aussenseiter zum Vorbild. Die Rolle des Ingenieurs in der Ideologie des Neuen Bauens, in: Dialog der Konstrukteure, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Architekturforum Zürich, Mai 2006, S. 23–28

4

Per Olaf Fjeld, Sverre Fehn. The Thought of Construction, New York: Rizzoli 1983, S. 44

und Koordinierende tätig und entwickeln die Prämissen des Bauens vor dem Hintergrund heutiger Normen und Anforderungen in Teamarbeit weiter. Welchen Beitrag sollen dazu die Bauingenieure und Bauingenieurinnen leisten? Wie erfolgt die Zusammenarbeit in der Lehre? Eines ist gewiss: Die Mentalitäten von Architekturstudierenden unterscheiden sich von denjenigen ihrer Kollegen und Kolleginnen des Studiengangs Bauingenieurwesen. Die berufliche Sozialisierung verläuft anders, was sich etwa in den unterschiedlichen Arbeitszeiten äußert, und selbstverständlich liegen die Interessenschwerpunkte anderswo. Damit diese Kulturen einander befruchten, braucht es die Bereitschaft, sich auf das Tun und Denken der anderen einzulassen, braucht es den Willen, etwas zu lernen, das der eigenen Arbeit vielleicht nur mittelbar zu gute kommt. Weil beim Gegenüber das Verständnis – nur schon was Sprachregelungen betrifft – nicht vorausgesetzt werden kann, muss der eigene Standpunkt besser erklärt werden als innerhalb der Profession. Bauingenieure gelten als präzise Denker und kühle Rechner, wurden zu Beginn der Moderne von avantgardistisch eingestellten Architekten zum Inbegriff des Neuen Menschen hochstilisiert, der sachlich, nüchtern und vollkommen rational arbeitet.3 Gleichzeitig verkörperten die Ingenieure für diese Architekten „Edle Wilde“ im Sinne Jean-Jacques Rousseaus, weil sie frei vom kulturellen Überbau scheinbar unbewusst – sozusagen instinktiv – zeitgemäß handelten. Diese krude Vermischung rationaler und irrationaler Aspekte zu einem Idealbild mag heute befremden, sie verweist aber auf einen wichtigen Punkt: Auch Ingenieure müssen ein „Gefühl“ für die Problematik entwickeln, finden Gefallen an „schönen“ und „eleganten“ Lösungen, müssen Konsequenzen „abschätzen“ können und brauchen eine gute „Intuition“ – alles Attribute, die gerne Architekten zugeschrieben werden. Umgekehrt entwerfen Architektinnen und Architekten selbstverständlich nicht einfach aus dem hohlen Bauch heraus. Das Erarbeiten überzeugender Lösungen bedarf einer großen Portion Hartnäckigkeit, Selbstkritik und eines klaren Verstandes. Per Olaf Fjeld schreibt in seinem Buch über den norwegischen Architekten Sverre Fehn, Konstruktion sei der Ausdruck logischen Denkens.4 So wie die Konstruktion als Mittel zur gedanklichen Schärfung eines Entwurfs herangezogen werden kann, hilft auch die Präzision der Ingenieurdenkweise, dem Bauwerk eine nachvollziehbare Logik zu verleihen. In der Lehre zeigt sich dies etwa darin, dass oft mit dem Entwurf etwas im Argen liegt, wenn die Tragstruktur unklar ist. Mit anderen Worten: Wenn beide, also Architektur- und Bauingenieurdozierende, mit ihrem spezifischen Hintergrund die Entwürfe der Studierenden begutachten, werden sozusagen beide Seiten der Münze berücksichtigt. Dieses ergänzende Miteinander fordert von allen Beteiligten viel – nicht zuletzt Toleranz – und beinhaltet auch die Möglichkeit des Scheiterns, denn Differenzen sind zahlreich und können nicht wegdiskutiert werden. Am ZKE versuchen wir über die Zusammensetzung der Dozierendenteams und die Wahl der Semesteraufgabe, den unterschiedlichen Ansprüchen und Bedingungen der Studienrichtungen im Spannungsfeld von „arts“ und „science“ gerecht zu werden. In den vom ZKE an-

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Kunst und Wissenschaft

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Modul „Grundlagen Konstruktives Entwerfen“ im 1. Studienjahr Analytische Übung: Objekte aus Natur, Bauwesen und Alltag werden untersucht mit dem Ziel, die übergeordnete Absicht für dessen Aufbau zu finden. Dazu wird die Wirkungsweise des formerhaltenden Gerüsts (Tragwerk) im Wechselspiel mit den übrigen Aufgaben eines Objekts (Funktion, Form) analysiert und dokumentiert – hier anhand eines Schachtelhalmes. A-Doz. Frank Mayer, I-Doz. Daniel Meyer; A-Stud. Reto Bleiker, Alessandra Kanne; I-Stud. Lars Thaler, Valentino Tesic; Herbstsemester 2009/2010

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gebotenen Lehrveranstaltungen manifestiert sich der interdisziplinäre Ansatz vielleicht am deutlichsten im Modul „Grundlagen Konstruktives Entwerfen“ im ersten Studienjahr und in den beiden Modulen „Constructive Project“ und „Constructive Research“ auf Masterstufe.

Modul „Grundlagen Konstruktives Entwerfen“ im 1. Studienjahr Entwerferische Übung: Konstruktion eines einfachen, architektonisch und technisch durchdachten Tragwerkes. Im Zentrum steht das Verhältnis von Tragwerk und Raum, von Konstruktion und Form. Bei der Aufgabe, unterirdische Räume mit natürlicher Belichtung und minimalen Schutz vor Wind und Wetter zu entwerfen, spielen Fragen des Tiefbaus eine entscheidende Rolle. A-Doz. Frank Mayer, I-Doz. Bruno Patt; A-Stud. Patric Barben, Nina Jud; I-Stud. Roger Straub; Herbstsemester 2008/2009

„Grundlagen Konstruktives Entwerfen“ im 1. Studienjahr  Annähernd hundert Studierende besuchen jeweils im ersten Studiensemester das ganztägige Modul „Grundlagen Konstruktives Entwerfen“. Zwei Drittel davon sind angehende Architekten und Architektinnen, ein Drittel Bauingenieure und Bauingenieurinnen. Das Dozententeam besteht je hälftig aus Bauingenieuren und Architekten. Im Zentrum steht das Verhältnis von Tragwerk und Raum, von Konstruktion und Form. Die Vorlesungen ebenso wie die Begleitung der beiden Übungen analytischer und entwerferischer Ausrichtung werden durch Dozententeams beider Fachrichtungen geleistet. Die Studierenden arbeiten ebenfalls in gemischten Gruppen. Der empirische Ansatz des Lehrens und Lernens baut darauf, dass die Erfahrung durch Beobachtung und Experiment eine verlässliche Quelle der Erkenntnis darstellt, die zum Verständnis der Ganzheit führt. Die didaktische Konzeption des Moduls orientiert sich nicht an der arbeitsteiligen Praxiswirklichkeit der Zusammenarbeit von Architekten und Bauingenieuren. Vielmehr sollen die notwendigen Fundamente für eine spätere Zusammenarbeit als gleichwertige Partner gelegt werden, die es erlaubt, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. „Constructive Research“ im Masterstudium  Im Modul „Constructive Research“ auf Masterstufe, das pro Woche einen Tag beansprucht und von je einem Architektur- und Bauingenieurdozierenden geleitet wird, wird das Verständnis für die Abhängigkeit von Materialität, Konstruktion und formalem Ausdruck in der Architektur vertieft. Ausgehend von bekannten konstruktiven Konzepten wird das Verhältnis zwischen Bauweise, Tragwerk und Formgebung kritisch hinterfragt, in der Absicht, Ansätze für innovative Konstruktionsweisen oder neuartige Materialanwendungen zu entdecken. Die Studierenden erwerben mittels analytischer Arbeit die Fähigkeit, Baukonstruktionen konzeptionell zu erfassen und zu beschreiben. Erkenntnisse aus der Recherche dienen als Fundus für die weitere Arbeit, bei der

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Kunst und Wissenschaft  D

Modul „Constructive Research“ im Master Das strukturelle Potenzial von Blech wurde im zeitgenössischen Kontext bislang kaum untersucht. Eine handwerkliche Arbeit in der Werkstatt dient als Basis für die Suche nach innovativen Konstruktions- und Anwendungweisen. Für einen Pavillon werden gegeneinander verdrehte Trapezbleche zu steifen Platten verbunden und durch zylindrische Elemente aus verdrehten Blechstreifen auseinandergehalten. A-Doz. Alexis Ringli, Katharina Stehrenberger, I-Doz. Reto Bonomo; A-Stud. Stephan Flühler, Andreas Pfister; Herbstsemester 2008/2009

in entwerferischen Fallstudien nach eigenständigen Anwendungen der entdeckten Prinzipien gesucht wird. Je nach Semesterthema liegt der Fokus auf strukturellen oder materialspezifischen Fragen, wird das Tragverhalten untersucht oder die statischen Eigenschaften von Baustoffen auf ihr Innovationspotenzial hin überprüft. Die Aufgabenstellung fordert keine finalen Projektarbeiten, im Vordergrund stehen vielmehr neugierige Recherche und experimentelles Konstruieren. Das Modul ist als vermittelndes Gefäß zwischen Lehre und Forschung angelegt: Teilaspekte aus der Forschung am Zentrum Konstruktives Entwerfen werden aufgegriffen und im Rahmen der Lehre bearbeitet. Die Studierenden erweitern dabei ihre vertraute Arbeitsweise um Elemente der analytischen Forschungstätigkeit; Ergebnisse aus den Semesterarbeiten wiederum fließen in die Forschung zurück. „Constructive Project“ im Masterstudium  Zwei Tage pro Woche wird im Master-Studio die Aneignung einer fundierten Entwurfskompetenz zur Entwicklung und Umsetzung von komplexen architektonisch-konstruktiven Konzepten geübt. Dem Konstruktiven Entwerfen wird eine zentrale Stellung zugewiesen; technische,

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Modul Master-Studio „Constructive Project“ Das Produktionsgebäude für einen Steinbruch mit heterogenen Nutzungen ist zu einem lang gezogenen Baukörper in Holzelementbauweise verdichtet. Die Anforderung, einen stützenlosen Raum mit Kranbahn zu projektieren, wird zum räumlich-konstruktiven Katalysator des Entwurfs: Ein geschosshoher VierendeelTräger überspannt in Querrichtung die ganze Breite des Baukörpers. A-Doz. Astrid Staufer, Beat Waeber, I-Doz. Daniel Meyer; A-Stud. Patric Furrer; Herbstsemester 2006/2007

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Kunst und Wissenschaft  D

räumliche, baustoffliche, kulturelle und tragwerksspezifische Aspekte gehören zu dessen Facetten. Die Methode des Kurses unterscheidet sich vom üblichen didaktischen Aufbau durch die Postulierung eines synchronen Entwurfsverfahrens. Im Gegensatz zum linearen Entwurfsprozess, welcher sich durch einen schrittweisen Ablauf vom großen Maßstab zum kleinen auszeichnet, soll durch die parallele Bearbeitung unterschiedlicher Maßstabsebenen, Themen und Entwurfsaspekte der forschende Ansatz betont und mit der Gleichzeitigkeit von analytischem, bildhaftem und konstruktivem Zugang einzelne Teilbereiche als Katalysator für andere fruchtbar gemacht werden. Die Methode erlaubt es, trotz der Kürze des Semesters auch große Bauaufgaben konstruktiv zu bearbeiten, indem beispielsweise die Tragstruktur oder die Materialisierung im Verhältnis zum architektonischen Ausdruck als Schwerpunkte herausgegriffen und vertieft bearbeitet werden. Dank der Laborsituation des Entwurfsunterrichts, der Fragestellungen thematisiert und nichtklassische Projekte entwickelt, kann der im realen Bauwesen oft sehr kleine Spielraum, vorgegeben durch Baugesetze, Kosten sowie Ansprüche an die Funktionalität und konstruktiven Realitäten, erweitert werden. Damit öffnet sich ein Feld, das zur Weiterentwicklung der Baukunst genutzt werden kann. Hier setzen auch die Thesis-Arbeiten an, bei denen die Studierenden selbstständig und in Absprache mit dem ZKE eine Fragestellung entwickeln, die sie dann anhand eines exemplarischen, forschend-analytischen Entwurfes ausloten. Konstruktion als Entwurfsgenerator  Der gemeinsame Modulbesuch von Architektur- und Bauingenieurstudierenden im ersten Jahr und die Zusammenarbeit von Architektur- und Bauingenieurdozierenden ist nicht das Resultat einer „Zwangsehe“ oder eines didaktischen Experiments. Vielmehr verleihen wir damit unserer Überzeugung Ausdruck, dass wir Konstruktion als Entwurfsgenerator nutzen können. Voraussetzung dazu ist ein umfassendes Verständnis für die räumlich-architektonischen wie technisch-konstruktiven, für die kulturellen wie materiellen Bedingungen des Bauens – was angesichts der heutigen Bilderflut in der Architektur oft verloren geht. Die Betonung des Konstruktiven am Studiengang Architektur der ZHAW hat Tradition. Robert Rittmeyer, Partner im Winterthurer Architekturbüro Rittmeyer + Furrer, das in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Bauten von überregionaler Bedeutung schuf, unterrichtete von 1899 bis 1933 an der Schule für Bautechniker, wie unser Departement damals hieß. In einem Brief an die Aufsichtskommission des Technikums schrieb er im Februar 1903: „Nach Programm und Zweck der Schule spielt […] nicht die äußere Formgebung, sondern die constructive Durchbildung der Pläne die größte Rolle und es werden die Schüler hierin, soweit es ohne Zeitvertrödelei möglich ist, zur Selbständigkeit angehalten.“5 Daran hat sich im Grundsatz nichts geändert. Die italienische Renaissance, die damals Übungsfeld und Stilvorbild war, hat schon lange ausgedient. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Architekt und Bauingenieur aber streben wir weiterhin an – allen Schwierigkeiten zum Trotz.

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5 Brief an den Präsidenten der Aufsichtskommission des Technikums Herrn Regierungsrat A. Locher, Zürich. Verfasst im Februar 1903 von Robert Rittmeyer, unterzeichnet von den Lehrern der Bauabteilung. Quelle: Staatsarchiv des Kantons Zürich, Akten Technikum U 113.

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Konstruieren als Wissenschaft Mario Monotti

Die Ingenieure werden in einer analytischen Denkweise, die auf mechanischen Prinzipien basiert, ausgebildet: Tägliche Aufgabenstellungen werden von der Realität abstrahiert und mit rationalen und empirischen Methoden erklärt und quantifiziert. Andererseits gründet der didaktische Weg der Architekten vorwiegend auf geistigen und kulturellen Bildern: Auf der Suche nach optimalen Raumbeziehungen werden alltägliche Programme mit dem jeweiligen Kontext in Beziehung gesetzt. Offensichtlich sind die Schwächen der beiden Disziplinen schon in der Ausbildung vorgespurt. Die Ersten beherrschen die „Regeln des Bauens“ ohne Bezug zum Kontext und zum Programm, den Zweiten fehlen die Mittel, um die räumlichen Konzepte zu konkretisieren. „Darstellung der Plattentragwirkung als raumerzeugendes Element“ heißt ein Thema, das an der Accademia di Architettura in Mendrisio die Grundlage des didaktischen Weges bildet. Mit diesem Beispiel lässt sich die Bedeutung des Dialoges der Konstrukteure gut zur Diskussion bringen. Gedankenbeispiel: Die Analyse der Platte  Als Hauptbestandteil eines Tragwerks repräsentiert eine Platte eine optimale gedankliche Plattform für den Ingenieur als auch für den Architekten. Erstaunlicherweise wird dieses Bauelement nur selten als Entwurfsobjekt erkannt. Grund für diese Eignung ist die statische Redundanz, die durch mehrere Gleichgewichtszustände die Unabhängigkeit der Gestaltung und der Bemessung ermöglicht. Bereits bei diesen Randbedingungen wird die Wichtigkeit des Dialogs zwischen den Disziplinen und der Grundlagen der Tragwerkslehre ersichtlich. Das Denkmodell geht von der Analyse der Plattentragwirkung und der Interpretation des daraus folgenden Bemessungsmodells in eine räumliche Struktur von großer Effizienz über. Die Betrachtung aus der Sicht des Bauingenieurs  Die Tragwirkung einer Struktur wird aus der Betrachtung des Kräfteflusses ermittelt. In der Platte erfolgt die Lastabtragung aufgrund der Querkräfte. Aus der Analyse dieser Größen, das heißt der Formulierung des vertikalen Gleichgewichts an einem infinitesimalen Element, stellt man fest, dass die Kraftabtragung in der Platte nur in einer bestimmten Richtung, nämlich der Hauptrichtung, erfolgt. Wie bei einem Balken verlangt der Kräftefluss eine Momentenänderung senkrecht zur Lastabtragungsrichtung, wel-

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che durch die Variation der beiden Hauptmomente eindeutig definiert ist. Die Trajektorien der Lastabtragung und der Hauptmomente bestimmen die Plattenredundanz. Für die Kraftabtragung in einer Platte wird eine Aufteilung dieser Struktur in eine Sandwichkonstruktion vorgeschlagen, wobei dem Kern die Schubbeanspruchung zugewiesen wird, während die Sandwichdeckel die Momentenwiderstände sicherstellen. Diese Modellvorstellung ist die Grundlage der Plattenbemessung. Die Prinzipien des Kräfteflusses und der Bemessung beziehen sich auf ein Plattenelement, ohne Rücksicht auf das Umfeld. Der Einfluss des Architekten   Durch die Spezifikation der Plattenrandbedingungen bestimmt der Architekt das Gleichgewichtsproblem der Platte. Die Lastabtragung von einem Plattenelement zum andern bis zu den Auflagern wird durch die Integration der Gleichgewichtsbeziehungen gelöst. In mathematischer Hinsicht begrenzen die Randbedingungen die Auswahl der Hauptspannungstrajektorien und bestimmen den Wert der Hauptspannungen entlang der Spannungsbahnen. Im praktischen Sinn definieren die Randbedingungen die statische Aufgabe der Struktur, nämlich den Fluss der Kräfte bis zu den Auflagern. Auch wenn beinahe jede Auswahl der Randbedingungen einen Gleichgewichtszustand ermöglicht, beeinträchtigt eine ungünstige Auslegung der Randbedingungen die Effizienz und das Tragverhalten der Struktur. Dialog der Konstrukteure  Gehen wir von der Kraftabtragungsanalyse und dem daraus folgenden Bemessungsmodell der Platte aus, so führt eine Maßstabsänderung des Sandwichmodells, indem dieses auf eine Stockwerkshöhe hochskaliert wird, zur Erfindung einer räumlichen Struktur von großer Effizienz: Die Vergrößerung der statischen Höhe um einen Faktor 100 bewirkt eine Zuwachsmöglichkeit der Spannweite um einen Faktor 10. Aus der Maßstabsänderung der Tragstruktur wird die Aufgabenstellung der Konstrukteure neu definiert. Der Fluss der Kräfte erfolgt im nutzbaren Raum, und die Organisation des Sandwichkerns, des Raums, beteiligt sowohl den Ingenieur als auch den Architekten. Analog zur Darstellung der Schubtrajektorien als Raumaufteilungselemente führt die Auflösung der Hauptmomententrajektorien in den Sandwichdeckeln zu einer engeren Beziehung zwischen Form und Tragwirkung in Schalenstrukturen. Fazit  Die mechanischen Prinzipien und die Raumorganisationsfreiheit stellen die nötigen Instrumente dar, um gleichzeitig die Baudisziplin in Ingenieurwesen und Architektur aufzuteilen als auch beide in den Konstrukteurtätigkeiten wieder zu vereinen. In der Tat können gute mechanische Kenntnisse auch zu Notlösungen führen, während die Raumorganisationsfreiheit die Grundlage für die Definition eines zweckmäßigen und optimalen statischen Systems darstellt. Wesentlich ist die Feststellung, dass die Tragwerksanalyse beide Gebiete umfasst: Die Tragwerkseigenschaften und die Innovationen sind aus dem Dialog zwischen den Konstrukteuren zu eruieren.

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Entwicklung einer Sandwichstruktur, Wettbewerb Neubau Naturmuseum St. Gallen, 2009 Ingenieur Mario Monotti, Minusio Architekt Francesco Buzzi, Locarno

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Tragwerkslehre in Mendrisio   Die Universität in Mendrisio bietet ausschließlich die Ausbildung zum Architekten an. Diese wird einerseits theoretisch in Form historisch-humanistischer und technisch-wissenschaftlicher Vorlesungen vermittelt und andererseits als praktische Tätigkeit in Form von Semesterprojekten im Entwurfsatelier geübt. Die theoretische Ausbildung baut auf ausgewählten Vorlesungen während der sechs Semester des Bachelorstudiums und einem Angebot von Wahlfächern in den folgenden drei Semestern des Masterstudiums auf. Die Tragwerkslehre wird im Bachelorstudium mittels einer Vorlesung pro Semester unterrichtet. Ziel des Kurses ist die Vermittlung der statischen Grundlagen sowie der Entwurfskompetenzen im konstruktiven Bereich. Das bedeutet die wissenschaftliche Beschreibung der konstruktiven Aufgabenstellung in ihrem Komplex. Beziehen wir uns auf das Gedankenbeispiel mit der Platte, so handelt es sich um die Erlangung der Kompetenz zur Auswahl plausibler statischer und geometrischer Randbedingungen der Tragstruktur. Die ersten zwei Semester dienen als Einführung. Die Tragstrukturen werden durch die progressive Beherrschung der Geometrie, durch die Analyse des Kräfteflusses mit Hilfe der grafischen Statik als auch unter besonderer Beachtung von Bau- und Effizienzparametern vorgestellt. Unter dem Titel „Die Tragstrukturen der Gebäude“ setzt der dritte Semesterkurs die Einführungsvorlesungen anhand der Übertragung der Entwurfskriterien auf komplexe Tragstrukturen fort. Einzelne Tragelemente werden in einem stabilen System zusammengesetzt, und die erforderlichen Bauabmessungen werden durch eine Grenzanalyse bestimmt. In den oberen Semestern (viertes bis sechstes Semester) werden die Baumaterialien Stahlbeton, Stahl und Holz eingehend behandelt. Im Mittelpunkt stehen die Auswirkungen der verschiedenen Materialien auf die Bemessungsprinzipien sowie die materialspezifischen Abläufe und die spezifischen Bauanforderungen. Das Entwurfsatelier steht ab Beginn des Studiums im Mittelpunkt des didaktischen Wegs des Unterrichts und hat die Umsetzung der theoretischen Ausbildung in die projektierende Tätigkeit zum Ziel. Es handelt sich um die Abwicklung konkreter Projekte in kleinen Arbeitsgruppen (ca. 25 Studenten) unter Leitung der Entwurfsprofessoren mit ihren Assistentenequipen und unter Miteinbezug der lehrbeauftragten Professoren als laufende Unterstützung und in den Zwischen- und Schlusspräsentationen. Die Ateliers stellen eine dauernde experimentelle Forschung dar, deren Erkenntnisse die Schulbegeisterung und die Vorlesungshinhalte stetig fördern. In Bezug auf die Studentenbegeisterung kann der Entwurf der Tragstruktur wie das Schneidern eines Anzuges angesehen werden. Effizienz, Eleganz und Abstimmung mit den allgemeinen Zielen kann Neugierde verursachen und als Mitteilung in die Arbeitsgruppen hineingetragen werden. Die Bedürfnisformulierungen der Ateliertätigkeit sind die Grundlagen des offenen Programminhalts der Mastervorlesungen, welche die Grundkenntnisse des Bachelorstudiums durch die Faszination der Leistungen der Konstrukteure ergänzen. Die Ausbildung ist auf das fünfjährige Studium begrenzt, sollte aber das ganze Leben nachhaltig weiterwirken. Als Startpunkt des selbstständigen Aufbaus einer Konstrukteur-Kultur sind die

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Masterstudenten seit kurzem zur Abfassung von zwei theoretischen Arbeiten verpflichtet. Identität und Werkzeuge der Konstrukteure  Eine Tragwerksprofessur an einer Architekturschule ist eine privilegierte Position, um die Identität und die Werkzeuge der Konstrukteure durch eine Forschungstätigkeit zu stärken. Anstelle einer Ingenieur- und Architektenforschung, die sich auf ausführliche numerische Analysen einzelner konstruktiver Details bzw. auf die Definition von wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen konzentriert, sollten die Gedanken des „Konstrukteurs“ vielmehr die Resultate der zwei Vorgehensweisen verbinden, Überblick schaffen und Probleme mittels pragmatischer Strategien umgehen. Die Kraft der Philosophie des „Konstrukteurs“ ist im dargestellten Gedankenbeispiel der Platte erkennbar: Erst eine bewusste Organisation eines Tragwerks kann zu einer Erhöhung der Spannweite durch eine Sandwichkonstruktion führen.

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Die Konstruktion formt Material zu Raum Paul Kahlfeldt

An der Technischen Universität Dortmund lehren und forschen die Bauingenieure und Architekten seit der Gründung der Hochschule Anfang der Siebzigerjahre in einer gemeinsamen Fakultät. Den Studenten beider Studiengänge wird in gemeinsamen Vorlesungen, Übungen und Seminaren das Grundwissen in Bau- und Tragkonstruktion, Baugeschichte, Bauökonomie und Bauphysik vermittelt. Einen zentralen Schwerpunkt der Ausbildung bilden drei Projekte, die nach differenzierter Komplexität in den Studienverlauf integriert sind und den jeweiligen Abschluss einer Ausbildungseinheit bilden. Zweierpaare, jeweils gebildet aus einem Ingenieur- und einem Architekturstudenten, bearbeiten gemeinsam ein Entwurfsprojekt von der konzeptionellen Idee bis zur konstruktiven Durcharbeitung der Details. Das Projekt 1 im 3. Semester beinhaltet ein kleines Haus, das Projekt 2 im 5. Semester ein mehrgeschossiges Büro- oder Wohngebäude und das Projekt 3 im 7. Semester eine komplexe Aufgabe wie zum Beispiel eine Brücke, ein Hochhaus oder eine Konversion. Die Projekte konzipiert und betreut jeweils ein Architekturund ein Ingenieur-Lehrstuhl. Weitere Lehrstühle wie Gebäudetechnik, Bauphysik, Baustoffkunde und Bauwirtschaft sind integriert und bedienen den Anspruch einer möglichst realitätsnahen Ausbildung. Zwei Themen bestimmen die Projektarbeit: Erstens erhalten die Studenten eine möglichst konkrete und umfassende Kenntnis konstruktiver Belange. Wissensvermittlung und Anwendungsorientierung stehen im Vordergrund. Zweitens werden die wechselseitigen Einflüsse auf den Entwurf und die konzeptionelle Idee thematisiert. Besondere Beachtung finden die gestalterische Umsetzung der Konstruktion und ihre baukünstlerische Bedeutung für den architektonischen Raum. Die gemeinsame Bearbeitung dient einem frühzeitigen Respektieren der verschiedenen Belange und deren Integration in ein schlüssiges Gesamtwerk. Wiedervereinigung von Architekt und Ingenieur  Bereits bei der Gründung des „Dortmunder Modells“ – einer gemeinsamen Ausbildung von Architekten und Ingenieuren – bestand der Wunsch, die seit der Trennung und Spezialisierung der Aufgabenbereiche im 19. Jahrhundert festzustellende Distanz und damit verbundene Isolierung der Berufe aufzuheben, um die notwendige Einheit von Konstruktion und baukünstlerischer Bedeutung wieder herzustellen. Dieser Ansatz wird bis heute als notwendig erkannt und intensiv weiter verfolgt. So bildet die gemeinsa-

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Chorwölbung des St. Veits-Dom Prag, 1385 Architekt Peter Parler

me Ausbildung auch den zentralen Inhalt der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge an der TU Dortmund. Die inhaltliche Positionierung und die theoretischen Grundlagen unterliegen angesichts der sich beständig verändernden Anforderungen einer sich wandelnden Betrachtung und einer damit verbundenen Neudefinition des jeweiligen Selbstverständnisses von Architekt und Ingenieur. Über das Modische hinaus zum Sinnhaften  Basis und unverzichtbares Fundament einer zeitgemäßen Ausbildung bleibt die Vermittlung des konstruktiven Grundwissens für sämtliche Bereiche des Bauwesens. Die experimentelle Erforschung neuer Konstruktionsmethoden und die Anwendungsmöglichkeiten neuer Materialkomponenten sind selbstverständlicher Bestandteil der Übungen, wobei deren Notwendigkeit, Sinnhaftigkeit und architektonische Bedeutung über einen modischen Originalitätsanspruch hinaus thematisiert werden. Angesichts einer gefühlten Wahrnehmung, dass beim heutigen Bauen scheinbar keinerlei Beschränkungen mehr existieren und jede noch so absurde Idee irgendwie realisierbar wirkt, werden die Beurteilungskriterien auf die Frage nach dem Architektonischen konzentriert. Die wechselseitige Debatte bezieht sich nicht auf die Durchführbarkeit eventuell spektakulärer Konstruktionsmethoden, sondern auf den tatsächlich räumlich zu erwartenden Mehrwert. Spätestens nach Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ ergibt sich bei den Naturwissenschaften eine moralische Komponente des Schaffens. Den mathematischen Verlockungen eines unnatürlichen Lastabtrages nur um seiner selbst willen muss Paroli geboten werden: „Es funktioniert, aber es gehört sich nicht!“ tDas Beziehen einer präzisen Position erscheint heute dringend notwendig, denn ohne eine Klarstellung der Absichten ist weder eine produktive Zusammenarbeit zwischen Ingenieur und Architekt vorstellbar noch eine angemessene Ausbildung mit eindeutigen Inhalten erreichbar. Die Problematik berührt das traditionelle Rollenverständnis und die immer noch übliche Bewertung der Leistungen. Die „Vernaturwissenschaftlichung“ der Welt seit dem 19. Jahrhundert erforderte offensichtlich auch im Bauwesen die Spezialisierung von und Arbeitsteilung zwischen Architekt und Ingenieur. Die Einschätzung der Ergebnisse und Resultate erfolgt bei Architekten, Ingenieuren und insbesondere bei Kunsthistorikern bis heute nach den gleichen, im frühen 20. Jahrhundert festgelegten Regeln und Sichtweisen: dass aus den nur in Eisen und Glas errichteten Bahnhofshallen und Ausstellungsbauten bereits eine vermeintlich neue Zeit hervorschimmert und die von den Architekten gestalteten Fassaden und Empfangsgebäude in einem zu überwindenden formalen Historismus verharren. Diese Klassifizierung und Wertung zählt mit zu den Gründungstheorien eines den technischen Möglichkeiten huldigenden Selbstverständnisses, obwohl sich heute gerade in der öffentlichen, also nicht fachspezifischen Meinung ein deutlicher Wandel abzeichnet. Der intellektuellen Vergötterung einer abstrahierenden Reduzierung zum gestalterischen Nichts und einer formalen

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Die Konstruktion formt Material zu Raum  D

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Minimalisierung aller Belange steht ein Verlangen nach bildhaftem Verständnis und angemessener Bedeutung gegenüber. Bei den romantischen Traditionalisten der Zunft, die in den scheinbaren Vereinfachungen ein endlich erreichtes und für immer gültiges Ziel festgeschrieben haben wollen, lassen sich durch ihren von der „Moderne“ eingestellten und beschränkten Betrachtungswinkel auf Architektur und Konstruktion zwei Überzeugungen erkennen: 1.  Als baugeschichtlich und kunsthistorisch bedeutsam gelten für das 19. Jahrhundert hauptsächlich die Ingenieurleistungen. Sie sind Wegbereiter einer „Moderne“, die auf baukünstlerische Fragen wenig oder keine Rücksicht zu nehmen brauchte und „ehrliche“, weil gezeigte, Konstruktionen hervorbrachte. Die Tragelemente sind auf das mathematisch Notwendige reduziert, und das verwendete Material genügt sich selbst. Neben den teilweise unbestritten beeindruckenden Räumen verarmte darin jedoch das architektonische Detail zum konstruktiven Ornament, und der Konstruktionsraum reduzierte sich zum bauphysikalischen Diagramm. Die Huldigung der funktionalen Form ehrt den Ingenieur, und eine technische Lösung allein wird seitdem bereits als Gestaltung missverstanden. So bleibt dem Architekten heute nur noch das Künstlergehabe, und als Ausbildungsstätten dienen die technischen Universitäten. 2.  Das alltägliche Bauen, der Zweckbau ohne architektonische Bedeutung, ob Industriebau oder das übliche Wohnhaus, hat jegliche handwerklichen und regionalen Konventionen eingebüßt und folgt rein merkantilen, funktionalen und technischen Erfordernissen. Die massenhafte Verbreitung beeinträchtigt das Erscheinungsbild der Städte und der Landschaften, und so kommt der Ruf nach gefälliger Gestaltung auf. Die Kompetenz dafür wiederum wird dem Architekten zugeschrieben, und er bekommt die Aufgabe, eigentlich selbstverständliche und bewährte Konstruktionslösungen gestalterisch zu „überhöhen“. Das ursprünglich handwerkliche, heute ingeniöse Detail wird zum „Kunstwerk“ – und dadurch oftmals zum Bauschaden. Konstruktion als integraler Bestandteil  Aus den Betrachtungen folgt die Konsequenz, dass Architektur erneut als Baukunst, als kulturelle und intellektuelle Leistung innerhalb des normalen Bauens zu verstehen ist. Bedeutung entsteht nur, wenn alle Belange gleichberechtigte Berücksichtigung finden. Weder die Konstruktion noch die Form oder die Technik haben das Recht, die architektonische Gestalt, also den Raum zu dominieren. Dieser bleibt das Resultat einer durch die Konstruktion materialisierten Idee. Die Konstruktion ist also architektonisch notwendig und muss entsprechend „richtig“ sein, nicht zwangsläufig sichtbar oder technisch ehrlich. In der Erkenntnis der Unverzichtbarkeit liegt auch das konstruktive Verständnis und die gestaltgebende Darstellung der Konstruktion begründet. Dieser Bedeutung entsprechend, ist die Konstruktion integraler und nicht singulä-

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rer Bestandteil einer tatsächlich gemeinsam gefundenen Lösung. Im Ergebnis wirkt diese Komplexität bestechend einfach, so wie das ein gotischer Domchor oder die Nationalgalerie von Mies van der Rohe tun. Hier gilt es anzuknüpfen und dieses Selbstverständnis wieder zu lernen.

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Decke der Neuen Nationalgalerie Berlin, 1968 Architekt Mies van der Rohe

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Programm und Tragstruktur Roger Boltshauser, Aita Flury und Jürg Conzett

Auszug aus dem Semesterprogramm SS 2009, Departement Bau + Gestaltung, HTW Chur. DozentInnen für Entwurf: Roger Boltshauser, Aita Flury, Maurus Frei, Andreas Hagmann. Begleitung Tragwerk: Jürg Conzett

Phase I – Analyse  „A building is like a human, an architect has the opportunity of creating life. The way the knuckles and joints come together make each hand interesting and beautiful. In a building these details should not be put in a mitten and hidden. Space is architectural, when the evidence of how it is made is seen and comprehended.“ „One day I visited the site during the erection of the prefabricated frame of the building. The cranes 200’ boom picked up 25 ton members and swung them into place like matchsticks moved by the hand. I resented the garishly painted crane, this monster which humiliated my building to be out of scale. I watched the crane go through its many movements calculating how many more days this ‚thing‘ was to dominate the site and the building before a flattering photograph of the building could be made. Now I am glad of this experience because it made me aware of the meaning of the crane in design, for it is merely the extension of the arm like a hammer.“

Louis I. Kahn 1

Der Entwurfsaufgabe für ein neues Stadthotel in Chur nähern wir uns über eine Analyse, die Projekte mit Tragwerkswechseln untersucht. Den zu analysierenden Entwürfen ist gemeinsam, dass sie in der einen oder anderen Weise die Grenzen des Hochbaus auszuloten versuchen. Dafür werden unterschiedliche Tragsysteme und Konstruktionsmethoden herangezogen, die spezifische Raumwirkungen mit sich bringen. Die Gründe für die Anwendung von geschossübergreifenden Tragwerken mit brückenähnlichen Dimensionen sind meist durch die Raumprogramme selber oder andere, situationsspezifische Randbedingungen hervorgerufen, die nach stützenfreien Räumen und damit großen Spannweiten verlangen. Ob es sich dabei um Platten-Scheiben-Konzepte, aufgelöste Fachwerkkonstruktionen, Vierendeel-Träger, Hängekonstruktionen oder spezielle Deckenlösungen handelt: Bei allen Beispielen dreht es sich um Projekte, bei denen die Architekten (oder IngenieurArchitekten!) den Druck der konstruktiven Struktur auf den Raum akzeptierten. In den letzten zwanzig Jahren sind ein vermehrtes architektonisches Interesse an großen Spannweiten und ein neuer Trend zur Dreidimensionalität von Tragwerken

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Aus: Louis Kahn. Complete work 1935 –74, Hrsg. Heinz Ronner, Sharad Jhaveri, Alessandro Vasella, Institute for history and theory of architecture, The Swiss Federal Institute of Technology Zürich, Birkhäuser Verlag Basel und Stuttgart 1977, S.116

Alle Abbildungen: Boots Factory extensions in Beeston/Nottingham, 1935–38 Ingenieur-Architekt Owen Williams, London Modell: Studenten der HTW Chur, Michael Krähenmann, Lukas Mürner

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feststellbar. Im Gegensatz zur Vielzahl der hier aufgeführten Beispiele laufen heutige Anstrengungen oft darauf hinaus, primär skulpturale Gebilde mit großen Auskragungen zu produzieren oder aber Bilder/Ornamente/Dinge aus einem anderen Maßstabsbereich einzulösen (vgl. Kapitel „Ornament und Material“ und „Synthetisch“ in: Elementares zum Raum, Aita Flury und Roger Boltshauser). Im Gegenzug besteht das Faszinosum unserer ausgewählten Analysebeispiele darin, dass diese Entwürfe oft Ergebnis einer Abwägung der einzigartigen Nutzung der Räume sind. Die Entwerfer versuchen, auf ein spezielles Raumprogramm einzugehen, indem sie es mittels überraschender Tragwerksideen neu interpretieren. Dabei wirkt sich oft das Verhältnis und Verständnis von „dienenden Räumen“ zu „bedienten Räumen“ aus und diversifiziert die Konstruktionen. In vielen Fällen kommt ein besonderes Augenmerk auf die spezielle Koordination zwischen Struktursystem und Installationensystem hinzu, aber auch das Bewusstsein um die Schönheit der Ausführung und der Baustelle (vgl. Louis Kahn oben!). Auszug einer Abgabe. Studenten: Michael Krähenmann, Lukas Mürner Das Projekt für das neue Gebäude der Boots-Factory zur Herstellung, Lagerung und Verteilung von „Dry Goods“ im englischen Beeston stammt aus der Feder des Ingenieur-Architekten Sir Owen Williams und wurde zwischen 1935 und 1938 realisiert. Das Programm (der Produktionsablauf) verlangte nach drei verschiedenen Zonen (1. Anlieferung, Lagerung / 2. Herstellung der Medikamente / 3. Verpackung, Auslieferung), was im Entwurf zu einer spezifischen Volumetrie führte. Die Auslade- und Annahme-Docks, das Sortieren von rohem Material und die vorbereitenden Arbeiten sind in zwei seitlichen, eingeschossigen Gebäudeflügeln untergebracht, die an ein fünfgeschossiges Gebäude angedockt sind. In Letzterem werden die Materialien mit dem Lift ins oberste Geschoss transportiert und finden während des Herstellungsprozesses über Fallrohre wieder den Weg nach unten. Das dazugehörende Tragwerk ist interessant, da es in überraschender Art und Weise die Grundbedingungen der Produktion akzeptiert und überhöht. Die Struktur des hohen Gebäudeteils besteht aus Flachdecken und expressivgeometrisierten Pilzstützen, die in zwei Reihen die gesamte Länge des Gebäudes durchqueren. Besonders bemerkenswert ist die Struktur der Dächer über den eingeschossigen Hallen: Diese bestehen aus wuchtigen, Z-förmigen Trägern, die zu einer Kassettendecke zusammengegossen sind, die eine Belichtung von oben ermöglicht. An seinen Enden kragt das Gitterwerk 9 m bzw. 15 m aus, sodass für die Entlade- und Beladedocks stützenfreie Räume möglich werden. Räumlich beeindruckend ist vor allem die Schnittstelle des Deckentragwerks mit der Fassadenflucht des fünfgeschossigen Gebäudes (vgl. Modell Detailaufnahme): Damit bei einer Auskragung von 15 m die Stützenfreiheit auch in dieser Zone haltbar ist, sind die Z-förmigen Träger in diesem Übergangsbereich an „Beton-Tubes“ aufgehängt, welche kaminartig und scheinbar an der Fassade klebend außen kräftig in Erscheinung treten. In Tat und Wahrheit sind sie an außenliegenden Dachträgern suspendiert, die selber wiederum auf der Flachdecken-Pilzstützenstruktur aufliegen.

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Boots Factory extensions in Beeston/Nottingham, 1935–38 Ingenieur-Architekt Owen Williams, London Modell: Studenten der HTW Chur, Michael Krähenmann, Lukas Mürner

Die vertikalen „Hänger“ sind zudem als Hohlkasten ausgebildet: Nebst ihrem plastisch-räumlichen Potenzial werden sie als lüftungsführende Elemente genutzt (vgl. Louis Kahn, Philadelphia Medical Research Towers!). Mit der Absicht einer spezifischen Raumqualität an einer bestimmten Stelle werden die Kräfte von unten nach oben und wieder nach unten „spazierengeführt“ – praktisch als direktes Abbild des Produktionsprozesses. Das Tragwerk selbst wird für die Mantellinie des Gebäudes raumbildend – was allerdings bei den heutigen energetischen Anforderungen schwer umsetzbar ist.

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Autoren und Interviewpartner Christoph Baumberger ist Senior Research Fellow am Institut für Umweltentscheidungen der ETH Zürich und Mitglied des Ethik-Zentrums der Universität Zürich. 2001–2006 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Universität Zürich, 2003–2005 Dozent an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich, 2004 Gastdozent an der F+F Schule für Kunst und Mediendesign. 2005–2009 unterrichtete er im Rahmen des Master of Advanced Studies in Applied Ethics. 2009 Promotion mit der Arbeit Gebaute Zeichen. Eine Symboltheorie der Architektur. Frankfurt a. M., Ontos 2010. Elisabeth Boesch, Studium der Architektur an der ETH Zürich, Architekturbüro gemeinsam mit Martin Boesch in Zürich mit den Schwerpunkten Bauen im Bestand und Weiterbauen. Gastprofessur für Entwurf an der EPF Lausanne, langjähriges Vorstandsmitglied Architekturforum Zürich. Regelmäßige Jurytätigkeit und Beratertätigkeit in Stadtbildkommissionen und in der Natur- und Heimatschutzkommission des Kantons Zürich, Vizepräsidentin des BSA Schweiz. Martin Boesch, Studium der Architektur an der ETH Zürich, Architekturbüro gemeinsam mit Elisabeth Boesch in Zürich mit den Schwerpunkten Bauen im Bestand und Weiterbauen. Gastprofessuren an der ETH Lausanne, HfbK Hamburg, ETH Zürich, Institut d‘Architecture Université de Genève (1997 bis zur Schließung des Institutes 2007). Sutor-Professur HafenCity Universität Hamburg. Professur an der Accademia di Architettura Mendrisio USI.

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Roger Boltshauser ist Inhaber des Büros Boltshauser Architekten in Zürich. Das Büro beschäftigt rund 30 MitarbeiterInnen und realisiert Projekte im Bereich Schul-, Wohnungs- und Verwaltungsbauten. Einen Forschungsschwerpunkt der praktischen Tätigkeit bildet zudem der Lehmbau, so z.B. das Wohnhaus Rauch in Schlins, das in Zusammenarbeit mit dem Lehmbaupionier Martin Rauch realisiert wurde. 2004 bis 2010 Dozent für Entwurf an der HTW Chur und am Chur Institute of Architecture.

Carlo Galmarini, 1977 Dipl.-Bauing. ETH, 1977–1985 Max Walt AG, seit 1985 Walt + Galmarini AG. Auswahl Bauten: EFH Hürzeler Erlenbach mit Peter Märkli, Logistikzentrum CocaCola Dietlikon mit Matteo Thun, „Oui“ Expo 02 mit L. & M. Boesch, Hallenstadion Zürich mit Pfister Schiess Tropeano, Park Hyatt Zürich mit Meili Peter, Stadion Letzigrund Zürich mit Bétrix & Consolascio, Primetower Zürich mit Gigon Guyer, Kehrichtverbrennungsanlage Bern mit Graber Pulver, Toni Areal Zürich mit em2n.

Jürg Conzett ist Teilhaber des Ingenieurbüros Conzett Bronzini Gartmann AG in Chur. Das Büro beschäftigt 20 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und befasst sich mit Aufgaben des Brückenbaus und des Hochbaus. Dabei spielt der Umgang mit bestehenden Konstruktionen eine wichtige Rolle. 2010 kuratierte Jürg Conzett den Schweizer Beitrag „Landschaft und Kunstbauten“ für die Biennale in Venedig.

Andreas Hagmann führt zusammen mit Dieter Jüngling seit 1990 ein Architekturbüro in Chur. Die ausgeführten Projekte stammen überwiegend aus Wettbewerbseingaben und Studienaufträgen. Die Aufgaben sind breit gefächert und umfassen neben Schul-, Wohnungs- und Verwaltungsbauten auch Banken, eine Kaserne und ein Museum. Die Bauten sind oftmals durch Konzepte und Raumnutzungen mit großen, stützenfreien Räumen gekennzeichnet. In letzter Zeit wurden zudem verschiedene Restaurierungen denkmalgeschützter Gebäude und größere Sanierungsprojekte bearbeitet.

Aita Flury ist Kuratorin der Ausstellung „Dialog der Konstrukteure. Zur Zusammenarbeit von Ingenieur und Architekt in der Schweiz“. 2006–2010 Dozentin für Entwurf und Architekturtheorie an der HTW und am Chur Institute of Architecture. Selbstständige Tätigkeit als Architektin, u.a. in Zusammenarbeit mit Roger Boltshauser. Daneben Publikationen, Ausstellungen und Symposien zu architektonischen Fragestellungen. Bücher: Elementares zum Raum. Roger Boltshauser Werke, Springer Verlag, Wien 2009, Dialog der Konstrukteure, Niggli Verlag, Sulgen 2010.

Paul Kahlfeldt, Ausbildung zum Bauund Möbeltischler, Studium der Architektur an der TU Berlin, Architekturbüro gemeinsam mit Petra Kahlfeldt, Lehrstuhl für Baukonstruktion III an der TU Kaiserslautern, Promotion an der TU Delft über den Einfluss konstruktiver Prinzipien des Backsteinbaus auf die architektonische Gestaltung. Derzeit: Lehrstuhl für Grundlagen und Theorie der Baukonstruktion an der TU Dortmund.

Adolf Krischanitz ist ein international tätiger Architekt mit Büros in Wien und Zürich. Neben Wohn-, Bildungs- und Laborbauten, wie etwa einem Forschungslabor am Novartis Campus in Basel, realisierte er zahlreiche Bauten für Kunst und Kultur, beispielsweise den Umbau der Wiener Secession, den Bau der Temporären Kunsthalle Berlin sowie Zu- und Umbauten des Museums Rietberg in Zürich und des 20er Hauses in Wien. Adolf Krischanitz ist Mitbegründer der Zeitschrift UMBAU und Professor für Stadterneuerung und Entwerfen an der Universität der Künste Berlin. Neuste Publikation: Adolf Krischanitz, Architektur ist der Unterschied zwischen Architektur, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2010. Mario Monotti ist ordentlicher Professor für Tragwerkslehre an der Accademia di Architettura in Mendrisio und Inhaber des Ingenieurbüros Studio d’ingegneria Dott. Ing. M. Monotti mit Sitz in Minusio. 1999 Diplom als Bauingenieur, 2004 Promotion bei Prof. Dr. P. Marti, ETH Zürich. 2004– 2006 Mitarbeit in der Firma dsp Ingenieure & Planer AG in Greifensee, unter anderem Bemessung der Tragkonstruktion der Schulanlage Leutschenbach in Zürich von Architekt Christian Kerez. 2007 Gründung des eigenen Ingenieurbüros, seither Teilnahme am Dialog zwischen Ingenieur und Architekt in Form von Teamwettbewerben. Aurelio Muttoni ist Bauingenieur und seit 2000 Professor für Tragwerkslehre an der EPF Lausanne. Er beschäftigt sich mit der Forschung im Massivbau sowie mit der Ausbildung der Bauingenieurstudenten im konstruktiven Ingenieurbau und mit der Tragwerkslehre für die Architekturstudenten. Von 1996 bis 2000 Professor für Tragwerkslehre an der Accademia di Architettura in Mendrisio. Als Bauingenieur hat er langjährige Erfahrung in der Projektierung von Kunstbauten, und er hat mit zahlreichen Architekten als Tragwerksplaner zusammengearbeitet.

Christian Penzel studierte Industrial Design und Architektur in Hamburg und Berlin. Von 2003 bis 2008 war er Oberassistent am Lehrstuhl für Architektur und Konstruktion an der ETH Zürich bei Markus Peter und Peter Märkli mit Schwerpunkt in Forschung und wissenschaftlicher Arbeit. Seit 2004 betreibt er ein eigenes Architekturbüro in Zürich und, zusammen mit dem Bauingenieur Martin Valier, ein Büro für Architektur und Ingenieurswesen in Zürich und Chur. Im Rahmen dieser Kooperation werden verschiedene anspruchsvolle Bauvorhaben entwickelt und realisiert, bei denen der engen Verbindung von Tragwerk, Konstruktion und Entwurf eine tragende Rolle zukommt. Daneben Tätigkeit als Diplomexperte an der Hochschule Luzern und als freier Autor für Fachzeitschriften. Markus Peter ist Teilhaber des Architekturbüros Marcel Meili Markus Peter Architekten, das seit 1987 besteht. Die ersten Bauten realisierte das Büro im Jahr 1993, daneben wurden viele Studien und experimentelle Projekte verfasst. Neben den Architekturprojekten haben im Verlaufe der Zeit städtebauliche Entwürfe und großmaßstäbliche Arbeiten eine ebenso wichtige Rolle eingenommen. Die Aufgaben umfassen eine große Breite von Programmen, da keine Spezialisierung angestrebt wird. Marcel Meili ist seit 1999 Professor für Architektur am ETH Studio Basel, Markus Peter ist Professor für Architektur und Konstruktion an der ETH Zürich. Marco Pogacnik ist seit 1998 Professor für Architekturgeschichte an der Università IUAV Venezia und hat an der Fachhochschule Potsdam, der TU Graz sowie an den Universitäten Dortmund und Innsbruck gelehrt. Er leitet bei der Architekturfakultät in Venedig eine Forschungsgruppe zum Thema der Verhältnisse zwischen Architektur und Ingenieurwissenschaft (www.iuav.it/artecostruire). Seine Forschungsthemen sind der Moderne in einem historischen Rahmen zwischen

18. und 20. Jahrhundert gewidmet. Im Moment arbeitet er an einer NationalForschung über die italienische Architektur der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Stefan Polónyi führt seit 1957 ein Ingenieurbüro mit diversen Partnern. 1965–1973 ordentlicher Professor für Tragwerkslehre an der TU Berlin. 1973–1995 Professor für Tragkonstruktionen an der Universität Dortmund. Mitbegründer der Fakultät für Bauwesen und des Dortmunder Modells Bauwesen. 1985 Dr. Ing. E.h. Universität Kassel, 1990 Dr. h.c. TU Budapest, 1999 Dr.-Ing. E.h. TU Berlin. Mitglied der Akademie der Künste. 2007 externes Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Auszeichnungen u. a.: Médaille de la Recherche et de la Technique (Académie d’Architecture, Paris) 1993, Großer DAI-Preis 1998. Urs B. Roth ist dipl. Architekt ETH. Nach dem Studium war er Assistent von Heinz Ronner und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der ETH Zürich, wo er den Nachlass seines Vaters Emil Roth betreute. Von 1979 bis 1992 eigenes Architekturbüro mit Xaver Nauer. Seit 1991 arbeitet er als Geometrie-Ingenieur im Auftrag von Architektur- und Ingenieurbüros, seit 1981 ist er Dozent für Raum und geometrisch-konstruktives Gestalten an der ZHDK. Renato Salvi hat nach dem Diplom an der ETH Zürich 1981 in Rom an der Sapienza Kurse über das Restaurieren von historischen Bauten besucht. Als Assistent bei Flora Ruchat an der ETH Zürich gewann er 1988 mit ihr den Wettbewerb für die Autobahn La Transjurane und gründete dazu eine Arbeitsgemeinschaft (1988–1998). 1998 eröffnete er in Delsberg sein eigenes Büro Salvi Architecture. Als Folge seiner Assistenz bei Professor Vincent Mangeat an der EPF Lausanne war er 1999 bis 2000 Gastprofessor am Lehrstuhl Cluster der Universität in Barcelona, wo er zusammen

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mit Professor Aurelio Muttoni den Kurs für Tragwerke und Architektur leitete. Mike Schlaich ist seit 1999 Partner bei Schlaich Bergermann und Partner, Beratende Ingenieure im Bauwesen, Stuttgart, Berlin und New York, und seit 2004 Professor für Entwerfen und Konstruieren am Institut für Bauingenieurwesen der Technischen Universität Berlin. Studium des Bauingenieurwesens an der Universität Stuttgart und an der ETH Zürich, Promotion an der ETHZ 1989 bei den Professoren Anderheggen und Thürlimann. Heinrich Schnetzer diplomierte 1988 an der ETH Zürich. Danach Assistenztätigkeit bei Prof. Dr. C. Menn, zwischen 1997 und 2000 Promotion bei Prof. Dr. Peter Marti an der ETH Zürich. Seit 1993 Teilhaber des Ingenieurbüros WGG Schnetzer Puskas AG in Basel. Das Tätigkeitsgebiet liegt im Brückenbau und im konstruktiven Hochbau, sowohl im Massiv- als auch im Stahlbau. Als Bauingenieur hat er langjährige Erfahrungen in der Erarbeitung von komplexen Tragwerkskonzepten. Joseph Schwartz ist seit Februar 2008 ordentlicher Professor für Tragwerksentwurf am Departement Architektur der ETH Zürich. 1981 Diplom in der Abteilung für Bauingenieurwesen der ETH Zürich und 1989 Promotion bei Bruno Thürlimann. 1989–1999 diverse Lehraufträge an verschiedenen schweizerischen Fachhochschulen. 2001–2008 Dozent an der Fachhochschule Zentralschweiz. 1991–2001 als Mitinhaber eines Ingenieurbüros in Zug verantwortlich für die Projektierung und Ausführung diverser Brücken- und Hochbauprojekte. Seit 2002 eigenes Ingenieurbüro mit Sitz in Zug. Joseph Schwartz ist Präsident der Fachgruppe für Brückenbau und Hochbau und Präsident der Kommission SIA 266 Mauerwerk.

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Judit Solt, Studium der Architektur an der ETH Zürich. Seit 1998 freie Architekturkritikerin und Fachjournalistin, zahlreiche Publikationen in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern sowie Beiträge an Tagungen und Veranstaltungsreihen. 2000–2007 Redakteurin der Zeitschrift archithese. 2004–2007 Dozentin für Architekturkritik an der ETH Zürich, 2007– 2008 Dozentin für Architekturtheorie an der HTW Chur. Seit Oktober 2007 Chefredakteurin von TEC21 – Fachzeitschrift für Architektur, Ingenieurwesen und Umwelt. Yves Weinand ist Architekt und Ingenieur und Gründer des Büros Bureau d’Etudes Weinand in Lüttich (Belgien). Seit 2004 ist er Professor und Vorsteher des IBOIS Forschungslabors für Holzkonstruktionen an der EPF Lausanne. Er leitet dort ein interdisziplinäres Team aus Architekten, Ingenieuren, Mathematikern und Computerspezialisten, die in den Gebieten von Holzrippenschalen, gefalteten und gewobenen Holzstrukturen forschen. Aktuell arbeitet er an Projekten wie der Eisbahn in Lüttich und dem Parlamentsgebäude in Lausanne, bei denen Holz als Tragwerksstruktur eingesetzt wird. Andrea Wiegelmann ist Redakteurin, Autorin und Journalistin für Architektur, Design und Fotografie, Büchermacherin. Seit 1996 freie journalistische Tätigkeit, als ausgebildete Architektin war Andrea Wiegelmann von 2002 bis 2007 Redakteurin der Architekturzeitschrift DETAIL und von 2007 bis 2011 Editor im Birkhäuser Verlag. Sie schreibt als freie Journalistin und Autorin für zahlreiche Magazine (u.a. für Bauwelt, form, archithese und architektur aktuell, german architects) wie Publikationen. Intensive Beschäftigung mit japanischer Architektur, Baukultur, Städtebau, Landschaftsplanung und Fotografie.

Christoph Wieser ist Leiter des Zentrums Konstruktives Entwerfen ZKE am Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der Zürcher Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in Winterthur. Architekturstudium an der ETH Zürich und Lausanne, Nachdiplom in Geschichte und Theorie der Architektur am Institut gta, ETH Zürich. 1997–2003 Assistent an der ETH Zürich, 2005 Promotion und Lehrauftrag ebenda. Seit 2006 Dozent im Masterstudiengang Architektur der ZHAW in Winterthur, seit 2009 Leiter ZKE. 2003–2009 Redakteur der Zeitschrift werk, bauen + wohnen, zahlreiche Publikationen und Vorträge.

Literaturliste Architects + Engineers = Structures Ivan Margolius, Wiley-Academy, Chichester, 2002 ISBN 0-471-49825-4 Bauen mit tragenden Flächen Fred Angerer, Georg D. Callwey, München, 1960 Architektur & Tragwerk Stefan Polónyi und Wolfgang Walochnik, Ernst und Sohn, Berlin 2003 ISBN 3-433-01769-7 Mit zaghafter Konsequenz. Aufsätze und Vorträge zum Tragwerksentwurf, 1961–1987 Stefan Polónyi, Vieweg, Braunschweig, 1987 ISBN 3-528-08781-1 Architektur und technisches Denken Daidalos Band 18, Bertelsmann, Gütersloh, 1985 18 years with architect Louis I. Kahn August E. Komendant, Aloray, Englewood, 1975 ISBN 0-913690-06-6 An engineer imagines / Peter Rice Peter Rice, Artemis, London 1994 ISBN 1-874056-21-8 Structure as space: engineering and architecture in the works of Jürg Conzett and his partners Mohsen Mostafavi, AA Publications, London 2006 ISBN 1-902902-01-7

Die Geschichte der Ingenieurbaukunst aus dem Geist des Humanismus Paulgerd Jesberg, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1996 ISBN 3-421-03078-2 Light, Wind and Structure The Mystery of the Master Builders Robert Mark, The MIT Press Cambridge, Mass., London, 1990 ISBN 0-262-13246-X (HB), 0-262-63158-X (PB) Pier Luigi Nervi: Dai primi brevetti al Palazzo delle Esposizioni di Torino 1917–1948 Claudio Greco, Quart, Luzern 2008 ISBN 978-3-907631-46-1 Costruire Correttamente Caratteristiche e Possibilità delle Strutture Cementizie Armate Pier Luigi Nervi, Editore Ulrico Hoepli, Milano, 1965 Scienza o Arte del Costruire? Caratteristiche e Possibilità del Cemento Armato. Introduzione di Aldo Rossi Pier Luigi Nervi, Città Studi Edizioni, Milano, 1997 ISBN 88-251-7203-6 Strukturformen der modernen Architektur Curt Siegel, Verlag Georg D.W. Callwey, München, 1960 Structures or why things don‘t fall down J.E. Gordon, Penguin Books Ltd, London, 1978 ISBN 0-306-81283-5

L‘Art des Structures Une Introduction au Fonctionnement des Structures en Architecture Aurelio Muttoni, Presses Polytechniques et Universitaires Romandes, Lausanne, 2005 ISBN 2-88074-554-3 L‘Architecture et les Ingénieurs Deux Siècles de Réalisations Sylvie Deswarte et Bertrand Lemoine, Le Moniteur, Paris, 1997 ISBN 2.281.19099.4 Logik der Form E. Torroja, Georg D.W. Callwey, München, 1961 L‘Art de l‘Ingénieur Constructeur Entrepreneur Inventeur Antoine Picon, Le Moniteur Centre Georges Pompidou, ADAGP, Paris, 1997 ISBN 2-85850-911-5 Sergio Musmeci Organicità di Forme e Forze nello Spazio Manfredi Nicoletti, TestoImmagine, Torino, 1999 ISBN 88-86498-64-0 Structural Engineering: History and development R.J.W. Milne, E & FN SPON, London, 1997 ISBN 0 419 20170 X ARUPS on Engineering David Dunster, Ernst & Sohn, Berlin, 1996 ISBN 3-433-02637-8

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The Art of the Structural Engineer Bill Addis, Artemis, London, 1994 ISBN 1874 056 41 2 Grenzüberschreitungen im Entwurf Departement Architektur der ETH Zürich Andreas Tönnemann, gta Verlag, Zürich, 2007 ISBN 978-3-85676-213-1 Casabella 542–543; Numero doppio dedicato all’architettura della nuova ingegneria International Architectural Review, Electa, Milano 1988 Engineering Architecture. The Vision of Fazlur R. Khan Yasmin Sabina Khan, W.W. Norton & Company, New York, London 2004 ISBN 0-393-73107-3 Architect and Engineer. A Study in Sibling Rivalry Andrew Saint, Yale University Press, New Haven 2007 ISBN 978-0-300-12443-9 Geschichte der Baustatik Karl Eugen Kurrer, Ernst & Sohn, Berlin 2002 ISBN 3-433-01641-0

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Bildnachweis Flury Aita 01 Seite 11 unten links, Fred Angerer, Bauen mit tragenden Flächen. Konstruktion und Gestaltung, Georg D. W. Callwey, München 1960 02 Seite 11 unten rechts, ebd., S. 57 03 Seite 13 oben rechts, Science et Vie, 1960 04 Seite 14 Mitte, Josef Killer, Die Werke der Baumeister Grubenmann, Dietikon, 1998, S. 127 05 Seite 14 unten, Kantonales Hochbauamt Zürich Pogacnik Marco 01 Seite 22 oben, Zeitschrift für Bauwesen, 1865, aus: ETH-Bibliothek Zürich, Alte Drucke 02 Seite 23 oben, Zeitschrift für Bauwesen, 1872, aus: ebd. 03 Seite 23 unten, Janos Frecot und Helmut Geisert, Berlin in frühen Photographien 1857–1913, München, 1984 04 Seite 26 oben, Zeitschrift für Bauwesen, 1870, aus: ETH-Bibliothek, Alte Drucke 05 Seite 26 unten, Janos Frecot und Helmut Geisert, Berlin in frühen Photographien 1857–1913, München, 1984 06 Seite 27 oben, Zeitschrift für Bauwesen, 1870, aus: ETH-Bibliothek, Alte Drucke 07 Seite 27 unten, Janos Frecot und Helmut Geisert, Berlin in frühen Photographien 1857–1913, München, 1984 08 Seite 29 Mitte, Franz Reuleaux, Über den Maschinenbaustil, Vieweg, 1862, Deutsches Museum München 09 Seite 29 unten, ebd.

Wieser Christoph 01 Seite 34, Sigfried Giedion, Bauen in Frankreich, Leipzig Berlin 1928 02 Seite 36 oben, J. M. Richards, The Functional Tradition, London 1958 03 Seite 37 oben links, Fritz Block, Probleme des Bauens, Potsdam 1928 04 Seite 37 oben rechts, ebd. 05 Seite 37 Mitte rechts, ebd. 06 Seite 37 Mitte links, ebd. Penzel Christian 01 Seite 43 oben links, Peter Carter, Mies van der Rohe at Work, London, 1999, S. 118 02 Seite 43 oben rechts, Phyllis Lambert, Mies van der Rohe in America, Montréal, 2001, S. 376 03 Seite 43 Mitte, ebd., S. 386, 4.214 04 Seite 44 oben links, Yasmin Sabina Khan, Engineering Architecture, The vision of Fazlur Khan, New York, 2004, S. 91 05 Seite 44 oben rechts, Mir M. Ali, Art of the Skyscraper, The Genius of Fazlur Khan, New York, 2001, S. 55 06 Seite 45 unten links, Yasmin Sabina Khan, Engineering Architecture, The vision of Fazlur Khan, New York 2004, S. 84 07 Seite 45 Mitte, ebd., S. 97 08 Seite 45 unten rechts, Architectural Record, vol. 139, 1966, S. 161 09 Seite 47 Marginalie,Christian Penzel 10 Seite 48 Peter Rice, An Engineer Imagines, London, 1994, S. 43 11 Seite 49 oben rechts, ebd., S. 32 12 Seite 49, oben links,ebd., S. 32 13, Seite 49, Mitte, ebd., S. 116 14 Seite 50 unten links, Rem Koolhaas, Bruce Mau, S, M, L, XL, New York 1995, S. 694 15 Seite 50 unten rechts, ebd., S. 674 16 Seite 50 unten links, el croquis 53+79, 1998, S. 89

17 Seite 51 oben von links nach rechts, Rem Koolhaas, Bruce Mau, S, M, L, XL, New York 1995, S. 677 18 Seite 52 unten, obere Abb., el croquis 53+79, 1998, S. 224 19 Seite 52 unten, untere Abb., ebd. 20 Seite 52 unten rechts, Arch+ 117, 1993 21 Seite 54 oben links, Peter Rice, An Engineer Imagines, Zürich 1994, S. 108 22 Seite 54 oben rechts, Cecil Balmond, informal, München, 2002, S. 286 Baumberger Christoph 01 Seite 59 oben, Aita Flury, Zürich 02 Seite 60 oben, Process Architecture 23 (1981) S. 69 03 Seite 60 oben, Marginalie, Process Architecture 23 (1981), S. 64 04 Seite 61 unten links, Jürg Conzett, Chur 05 Seite 61 unten rechts, Hans Rigendinger, Chur 06 Seite 63 oben links, Ruedi Walti, Basel 07 Seite 63 oben rechts, Miller & Maranta, Basel 08 Seite 64 oben, Christian Kerez, Zürich 09 Seite 64 Marginalie, Christian Kerez, Zürich 10 Seite 65 unten, Ralph Feiner, Malans 11 Seite 68 oben, Hans Kollhoff/Helga Timmermann, Projecten voor Berlijn, Antwerpen 1994 12 Seite 70 oben, Jüngling & Hagmann Architekten, Chur, Conzett Bronzini Gartmann Ingenieure, Chur

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Conzett Jürg Alle Bilder und Pläne stammen aus dem Archiv Adalberto Libera und wurden freundlicherweise von Marco Pogacnik zur Verfügung gestellt, alle Skizzen stammen von Jürg Conzett. Weinand Yves 01 Seite 94 oben links, Markus Hudert, IBOIS, EPF Lausanne 02 Seite 94 oben rechts, IBOIS EPF Lausanne 03 Seite 95 oben rechts, Markus Hudert, IBOIS, EPF Lausanne 04 Seite 95 Mitte bis unten, IBOIS, EPF Lausanne 05 Seite 96 oben und Mitte, ebd. 06 Seite 96 Mitte unten, ebd. 07 Seite 96 unten, ebd. 08 Seite 97 unten, ebd. 09 Seite 98 unten, Masoud Sistaninia, IBOIS, EPF Lausanne 10 Seite 99 oben, IBOIS, EPF Lausanne 11 Seite 99 Mitte, Bastien Thorel, IBOIS, EPF Lausanne 12 Seite 99 unten, Bastien Thorel, IBOIS, EPF Lausanne 13 Seiten 100 und 101, Steve Cherpillod, IBOIS, EPF Lausanne Flury/Conzett 01 Seiten 104 –113, Archiv Gabetti e Isola, Turin Modellfotos Aita Flury, Zürich Peter Markus 01 Seite 134 oben links, Meili Peter Architekten, Zürich 02 Seite 134 oben rechts, Heinrich Helfenstein, Zürich 03 Seite 135 unten, Meili Peter Architekten, Zürich 04 Seite 136 unten, Heinrich Helfenstein, Zürich

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Hagmann Andreas 01 Seite 139 oben, Arthur Rüegg, Ein Hauptwerk des Neuen Bauens in Zürich. Die Doldertalhäuser 1932– 1936, Katalog gta 1996, S. 101 02 Seite 140, Stefan Schenk, Lüen 03 Seite 141 unten links, Stefan Schenk, Lüen 04 Seite 141 unten rechts, Stefan Schenk, Lüen 05 Seite 142, Ralph Feiner, Malans 06 Seite 144 oben, Ralph Feiner, Malans 07 Seite 144 unten, Ralph Feiner, Malans Schlaich Mike 01+02 Seiten 148 und 149, Gehry Partners LLP Los Angeles, Schlaich Bergermann und Partner Stuttgart 03 Seite 150, Schlaich Bergermann und Partner, Stuttgart Boltshauser/Flury/Conzett 01 Seite 155 unten links und rechts, Bernard Rudofsky, Architecture Without Architects, New York 1964, S. 152, S. 154 02 Seite 156 Jürg Conzett, Chur 03 Seite 157 ARGE Boltshauser Flury, Zürich 04 Seiten 158 und 159 ARGE Boltshauser Flury, Zürich Polónyi Stefan 01 Seite 162 Mitte links, Archiv Polónyi, Köln 02 Seite 162 Mitte rechts, ebd. 03 Seite 162 unten, ebd. 04 Seite 163 oben und obere Marginalie, E. Wittmann, Köln 05 Seite 163 Marginalie, Archiv Polónyi, Köln 06 Seite 164 unten, ebd. 07 Seite 165 oben links, J. Wiesmann, Dortmund 08 Seite 165 oben rechts, Archiv Polónyi, Köln 09 Seite 166 ganz oben, ebd. 10 Seite 166 Mitte links und rechts, Stadt Gelsenkirchen

11 Seite 166 unten, Archiv Polónyi, Köln 12 Seite 166 ganz unten, D. Münzberg, Bielefeld 13 Seite 167, G. Schülke, Dortmund Salvi Renato 01 Seite 169, Aita Flury, Zürich 02 Seite 170 unten links, Aita Flury, Zürich 03 Seite 170 rechts, Renato Salvi, Delsberg 04 Seite 171 oben links und rechts, Thomas Jantscher, Colombier 05 Seite 172 oben links, Yves André, St-Aubin 06 Seite 172 oben rechts, Renato Salvi, Delsberg 07 Seite 172 Mitte links, rechts und unten, ebd. 08 Seite 173, ebd. Boesch/Galmarini/Roth/Solt 01 Seite 176, M. Boesch, Zürich 02 Seite 177 oben, Mitte und unten, E. & M. Boesch Architekten, Zürich 03 Marginalie, Sol LeWitt Drawings 1958–1992 Ausstellungskatalog Haags Gemeentemuseum, 1992 04 Seite 181 oben links, E. & M. Boesch Architekten, Zürich 05 Seite 181 oben rechts, Urs B. Roth, Zürich 06 Seite 181 Mitte links, www.physicstogo.org 07 Seite 181 Mitte rechts, Urs B. Roth, Zürich 08 Seite 181 unten, E. & M. Boesch Architekten, Zürich 09 Seite 182, E. & M. Boesch Architekten, Zürich Krischanitz/Flury Alle Pläne Krischanitz und Frank Architekten, Zürich, Berlin

Bildnachweis

Schnetzer/Schwartz/Muttoni/Flury 01 Seite 196 oben, WGG Schnetzer Puskas, Basel 02 Seite 196 unten links, Aita Flury, Zürich 03 Seite 196 unten rechts, WGG Schnetzer Puskas, Basel 04 Seite 200 alle Abbildungen Studio Vacchini, Locarno 05 Seite 203 oben und unten, Caspar Schärer, Zürich 06 Marginalie, Aita Flury, Zürich 07 Seite 205, Aita Flury, Zürich

Kahlfeldt Paul 01 Seite 265, Archiv Kahlfeldt Architekten 02 Seite 267, ebd. Conzett/Boltshauser/Flury 01 S. 270 oben, Archiv Boots Pure Drugs Company Ltd., London 02 S. 270 Mitte, Michael Krähenmann, Chur, Lukas Mürner, Zürich 03 S. 270 unten, Archiv Boots Pure Drugs Company Ltd., London 04 Seite 272, Michael Krähenmann, Chur, Lukas Mürner, Zürich

Flury Aita Collage Konzept und Inhalt: Aita Flury, Zürich Grafische Umsetzung: gut&schön, Zürich Schwartz Joseph 01 Seite 244 oben, E. Mörsch : Der Eisenbetonbau, 6. Auflage, 1. Band, 2. Hälfte, Stuttgart 1929 S. 161 02 Seite 244 Mitte, A. Muttoni, J. Schwartz, B. Thürlimann, Design of Concrete Structure with Stress Fields, Basel 1997, S. 42 03 Seite 246, Claudio Greco, Pier Luigi Nervi, Luzern 2008, S. 103 04 Seite 247 oben, Bauen mit Beton, Ausgabe 2002/03, Verband der Schweizerischen Zementindustrie, Bern, S. 42f. 05 Seite 247 Mitte, Joseph Schwartz et al.: Tragwerksentwurf III, Skript zu den Vorlesungen. Lehrstuhl für Tragwerksentwurf ETH Zürich 2009, S. 31 06 Seite 247 unten, Archiv Lehrstuhl für Tragwerksentwurf ETH Zürich Wieser Christoph Seiten 251–254, alle Bildrechte ZHAW Monotti Mario 01 Seite 259, Studio Buzzi&Buzzi, Locarno

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Dank Die vorliegende Publikation versteht sich als diskursiver Beitrag zum Thema. Die darin versammelten Beiträge sind hauptsächlich als Positions- und Basispapiere im Zusammenhang mit den beiden Symposien im Rahmen der Ausstellung „Dialog der Konstrukteure“ im DAZ, Berlin 2010 entstanden. Unschätzbare Dienste zum Werden dieser Publikation haben alle AutorInnen geleistet: Für die inspirierenden Besprechungen und Begegnungen und die entwickelten Textbeiträge allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön! Die vorliegende Form des Buches und dessen Übersetzung ins Englische wurden nur durch die großzügige finanzielle Unterstützung der am „Dialog der Konstrukteure“ interessierten Institutionen, Vereine und privaten Sponsoren möglich – ihnen allen sei dafür an dieser Stelle sehr herzlich gedankt!

Gesellschaft für Ingenieurbaukunst

Thomas Glanzmann GmbH Beratung im Bauwesen

Walt+Galmarini AG

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Impressum Konzept: Aita Flury, Zürich Lektorat: Solveig Stritzke, Freiburg Projektkoordination: Andrea Wiegelmann Layout, Covergestaltung und Satz: gut&schön, Zürich Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dieses Buch ist auch in englischer Sprache erschienen (ISBN 978-3-0346-0794-0). © 2012 Birkhäuser GmbH, Basel Postfach, 4002 Basel, Schweiz Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Printed in Spain ISBN 978-3-0346-0793-3 9 8 7 6 5 4 3 2 1

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www.birkhauser.com