Konzert-Szenen: Bewegung, Performance, Medien. Musik zwischen performativer Expansion und medialer Integration 1950–2000 9783515103978

Wandlungen der kompositorischen Ideen und der Aufführungspraxis neuer Musik haben in den letzten Jahrzehnten die traditi

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German Pages 413 [418] Year 2013

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Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
1. IDEAL UND PROBLEM DER IMMOBILITÄT
2. KONZEPTE VON BEWEGUNG IN FORM UND RAUM
2.1 KLANG ALS BEWEGUNG UND FORM
2.2 KLANGPRODUKTION UND FORMGENERIERUNG
2.3 KLANGKOMPOSITION ALS KOMPONIERTE BEWEGUNG UND FORM
2.4 FORM IN BEWEGUNG – FORM ALS PROZESS
2.5 RAUM UND KLANGBEWEGUNG – RÄUMLICHKEIT UND VERRÄUMLICHUNG
3. SICHTBARE MUSIK – KONZERTPODIUM ALS BÜHNE
3.1 KLANGPRODUKTION ALS ZEIT-RAUM-FELD
3.2 FORM- UND STRUKTURBILDUNG DURCH BEWEGUNG IM RAUM
3.3 AKTION UND SZENE – THEATER DER MUSIK
4. PRÄSENTATION UND INSZENIERUNG VON KLANG
4.1 PERFORMANCE BIS INSTALLATION
4.2 KLANGEXPEDITIONEN UND SCHAU-STÜCKE
4.3 WANDELKONZERTE UND KLANGSITUATIONEN – AKTIVIERUNG DES PUBLIKUMS
ABKÜRZUNGEN
LITERATURVERZEICHNIS
PERSONENREGISTER
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Konzert-Szenen: Bewegung, Performance, Medien. Musik zwischen performativer Expansion und medialer Integration 1950–2000
 9783515103978

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Christa Brüstle Konzert-Szenen

Bei hef te zu m A rc h iv f ü r Mu si k w i s sen sc ha f t herausgegeben von Albrecht Riethmüller in Verbindung mit Ludwig Finscher, Frank Hentschel, Hans-Joachim Hinrichsen, Birgit Lodes, Anne Shreffler und Wolfram Steinbeck Band 73

Christa Brüstle

Konzert-Szenen Bewegung, Performance, Medien. Musik zwischen performativer Expansion und medialer Integration 1950–2000

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2013 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10397-8

VORWORT In der Musik der letzten Jahrzehnte hat die Aufführungs- und Rezeptionssituation eine nahezu beispiellose Diversifikation erfahren, wovon in den traditionellen Konzerthäusern nur verhältnismäßig wenig spürbar geworden ist. Aber auch dort werden mitunter Musiker im Raum verteilt oder in Bewegung versetzt, auch dort gibt es manchmal „Konzertszenen“ zu erleben, auch dort wird gelegentlich die Aufführung und Präsentation von Musik, etwa durch Videoprojektionen, in ein anderes Licht getaucht. In der vorliegenden Arbeit wird den Veränderungen der Aufführungs- und Rezeptionssituation von Musik – in einer Konzentration auf die neue, artifizielle Musik etwa seit 1950 bis zur Gegenwart – nachgegangen. Die Arbeit wurde im Sommersemester 2007 am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin als Habilitationsschrift angenommen. Für den Druck wurde sie überarbeitet und erheblich gekürzt, daher wurden auch die Abbildungen entfernt. Aktuellere Literatur konnte nicht berücksichtigt werden. In der Darstellung werden durch mannigfache Beispiele stets Fenster geöffnet, die Feststellungen und Beschreibungen von Entwicklungen und Tendenzen zu konkretisieren vermögen. Die Beispiele hätten sich leicht vervielfältigen oder durch Alternativen ersetzen lassen. Daher beansprucht ihre Auswahl weder Vollständigkeit noch Objektivität, sondern ist hauptsächlich der Intention verpflichtet, sich anhand einzelner Werke und Projekte ausführlicheren Diskussionen bestimmter Themen widmen zu können. Bei der Heranziehung von aktuellem Anschauungsmaterial wurde auf das vielfältige Musik- und Kulturleben in Berlin zurückgegriffen, weil es aus nächster Nähe beobachtet werden konnte. Die männliche Schreibweise kann sich stets ebenfalls auf weibliche Personen beziehen. Die Forschungen zu diesem Thema wurden mir durch die Unterstützung von Professor Dr. Albrecht Riethmüller und durch die Mitarbeit im Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ an der Freien Universität Berlin ermöglicht. Mein Dank für einen außerordentlich fruchtbaren interdisziplinären Austausch gilt daher auch der ehemaligen Sprecherin des Sonderforschungsbereichs, Professor Dr. Erika Fischer-Lichte, ferner allen ehemaligen Kollegen und Kolleginnen, namentlich Professor Dr. Gunter Gebauer, Professor Dr. Clemens Risi und Dr. Sabine Schouten. Für ihre kollegiale Unterstützung danke ich weiterhin John C. Arthur, Professor Dr. Christoph von Blumröder, Professor Dr. Sabine Feißt, Beate Jorek, Dr. Thomas Röder, Ute Safrin, Professor Dr. Søren Møller Sørensen und Dr. Eckhard Weber. Ferner danke ich herzlich meinen Eltern und Geschwistern; unendlich dankbar bin ich Sabine Brüstle für die Herstellung der Druckvorlage.

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Vorwort

Mein Dank für viele Informationen und Diskussionen gilt darüber hinaus allen Komponisten, Musikern, Kollegen und Freunden, mit denen ich mich in den letzten Jahren ausgetauscht habe, darunter Carola Bauckholt, David Behrman, Johannes Brunner & Raimund Ritz, Thomas Bruns, Professor Dr. Nicholas Cook, Tobias Dutschke, Gerald Eckert, Professor Dr. Sabine Fabo, Professor Orm Finnendahl, Professor Dr. Golo Föllmer, Jürg Frey, Julia Gerlach, Thomas Gerwin, Dr. Don Gillespie, Robin Hayward, Folkmar Hein, Hans-Joachim Hespos, Michael Hirsch, Robin Hoffmann, Ralf Hoyer, Michael Iber, Shintaro Imai, Professor Mauricio Kagel, Christian Kesten, Dr. Jin Hyun Kim, Georg Klein, Professor Dr. Werner Klüppelholz, Hans Peter Kuhn, Dr. Laura Kuhn, Professor Ron Kuivila, Professor Dr. Martina Leeker, PD Dr. Michael Maier, Benoît Maubrey, Ian Mitchell, Meredith Monk, Silvia Ocougne, Helmut Oehring, Professor Daniel Ott, Professor Dr. Günter Peters, Professor Dr. Matthias Rebstock, Josef Anton Riedl, Ana Maria Rodriguez, Eckhard Roelcke, Professor James Rouvelle, Professor Dr. Sabine Sanio, Professor Dieter Schnebel, Professor Dr. Holger Schulze, Stephanie Schwarz, Martina Seeber, Professor Dr. Uwe Seifert, Dr. Charlotte Seither, Normisa Pereira da Silva, Erwin Stache, Gerhard Stäbler, Susanne Stelzenbach, Professor Dr. h.c. Karlheinz Stockhausen, Volker Straebel, Professor Dr. Martin Supper, Professor Manos Tsangaris, Professor Dr. Christian Utz und vielen anderen, die mir verzeihen mögen, dass ich hier die Namensliste nicht ungebührlich verlängern kann. Folgenden Institutionen und ihren Mitarbeitern bin ich für ihre Unterstützung, Auskunft und Hilfestellungen sehr zu Dank verpflichtet: der Paul Sacher Stiftung, Basel, namentlich den Kuratoren Matthias Kassel, PD Dr. Ulrich Mosch und Robert Piencikowski sowie den Bibliothekarinnen Michèle Noirjean-Linder und Evelyne Diendorf, ferner Johanna Blask; dem Archiv der Universal Edition Wien, besonders Elisabeth Bezdicek; dem Internationalen Musikinstitut Darmstadt (Wilhelm Schlüter); dem Getty Research Institute for the History of Art and Humanities, Los Angeles; dem Archiv der New York Public Library und der Akademie der Künste, Berlin, ferner dem Stockhausen-Archiv (Kathinka Pasveer) sowie der Staatsgalerie Stuttgart (Dr. Ina Conzen). Ich danke ebenfalls den Archiven des NDR, WDR und BR sowie den Verlagen Edition Peters (Frankfurt a. M./New York), Ricordi (München) sowie Schott (Mainz); darüber hinaus Dank an Luca Trisciani sowie den Mitarbeitern des Musikwissenschaftlichen Seminars der Freien Universität Berlin. Dem Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort danke ich für die Unterstützung durch einen Druckkostenzuschuss.

Christa Brüstle

Graz, im Dezember 2012

INHALTSVERZEICHNIS Einleitung .........................................................................................................

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1. Ideal und Problem der Immobilität ..............................................................

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2. Konzepte von Bewegung in Form und Raum ............................................. 2.1 Klang als Bewegung und Form ........................................................... 2.2 Klangproduktion und Formgenerierung ............................................. 2.3 Klangkomposition als komponierte Bewegung und Form ................. 2.4 Form in Bewegung – Form als Prozess............................................... 2.5 Raum und Klangbewegung – Räumlichkeit und Verräumlichung ...... 2.5.1 Raumforme(l)n: Erweiterung kompositorischer und innermusikalischer „Spielräume“ ............................................. 2.5.2 Klangraum und Klang als Raum ............................................... 2.5.3 Raumklang/Raumakustik ......................................................... 2.5.4 Klangbewegung im Raum ........................................................

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne ............................................ 3.1 Klangproduktion als Zeit-Raum-Feld ................................................. 3.1.1 „Aktionszeit“ und „Klangzeit“ I: Kompositionen für Klavier .. 3.1.2 „Aktionszeit“ und „Klangzeit“ II: Kompositionen für Schlagzeug ....................................................................... 3.2 Form- und Strukturbildung durch Bewegung im Raum ...................... 3.2.1 Musikalische Gesten und ihre Rolle in Luciano Berios Circles ....................................................................................... 3.2.2 Theater des Absoluten: Domaines von Pierre Boulez ............... 3.2.3 Prozesse der Musik: Wanderungen in Dieter Schnebels OPXE ΣTPA .................................................................... 3.3 Aktion und Szene – Theater der Musik ............................................... 3.3.1 „Instrumentales Theater“: Mauricio Kagels Prämissen ............ 3.3.2 Grundlagen des „Integralen Theaters“ bei Hans-Joachim Hespos ......................................................................................

57 59 60

4. Präsentation und Inszenierung von Klang ................................................... 4.1 Performance bis Installation ............................................................... 4.1.1 Performance und „Musikperformance“ .................................... 4.1.2 „expanded performance“ .......................................................... 4.1.3 Installation Art – Environment – Klanginstallation .................. 4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke ................................................ 4.2.1 Körper als Instrument ...............................................................

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75 88 89 96 107 121 123 151 171 174 176 184 193 200 203

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Inhaltsverzeichnis

4.2.1.1 „Naturkörper“ ............................................................. 4.2.1.2 Obszöne Körper – Provokation und Protest ................ 4.2.1.3 Bodypercussion ........................................................... 4.2.1.4 Risiko .......................................................................... 4.2.2 Instrumente: Klangkörper zwischen Experiment und Transformation ..................................................................................... 4.2.2.1 Klangexpeditionen mit akustischen Instrumenten ....... 4.2.2.2 Live-Elektronik: Instrumente und Medien – Medien als Instrumente .......................................................... 4.2.2.3 Materialdispositionen: Hybridisierung im Konzert ..... 4.3 Wandelkonzerte und Klangsituationen – Aktivierung des Publikums ........................................................... 4.3.1 Publikum in Bewegung – „Anti-Rituale“ ................................. 4.3.2 Interaktion in Konzert und Klangkunst ..................................... 4.3.3 Musik mit Bild – Videokonzerte ...............................................

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Abkürzungen .................................................................................................... 365 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 367 Personenregister................................................................................................ 405

EINLEITUNG Konzertbesucher nehmen bis heute an einem sozio-kulturellen Ereignis teil und vollziehen Praktiken der Musikrezeption, die – mit weit zurückreichenden Vorformen – inzwischen gut 200 Jahre alt sind: Menschen versammeln sich, sie begeben sich an einen bestimmten Ort, um nichts anderes zu tun, als Musik zu hören. Im traditionellen Konzert zeigt sich ein ritualisiertes Zusammenkommen der Beteiligten, das in seinem Ablauf auf die reine Hörhaltung zugeschnitten ist. Erst nach dem Schluss eines Werks und insbesondere am Ende des Konzerts sind ganz bestimmte Aktivitäten zugelassen und erwünscht.1 „Ein kümmerlicher Rest von körperlicher Entladung hat sich [...] in unseren Konzerten erhalten. Das Beifallsklatschen wird als Dank für die Ausführenden dargebracht, ein chaotischer, kurzer Lärm für einen wohlorganisierten, langen.“2 In der Regel findet diese Zusammenkunft von Musikhörern in Räumen statt, die sowohl den Vorgang der Musikaufführung als auch das Verhalten des Publikums befördern. Zwar sind in manchen Metropolen Konzertsäle heute in große Center for the Performing Arts integriert, die Innenausstattung von Konzerträumen wurde in den letzten Jahrzehnten in vielfacher Hinsicht modernisiert und perfektioniert, all dies ändert jedoch im Grunde genommen wenig daran, dass Konzertsäle beinahe „performativen Museen“ gleichen, in denen mehr oder weniger bekannte, repräsentative Werke auf- und vorgeführt werden.3 Diese zuletzt genannte Konstellation, die Tatsache, dass musikalische Werke im Konzert im Moment der Aufführung nicht nur reproduziert, sondern auch präsentiert und aktualisiert werden, birgt aber auch ein unschätzbares Potential für neue musikalische Erfahrungen. Dabei beschränkt sich der Aktualisierungsprozess keineswegs nur auf die Darbietung und Rezeption eines musikalischen Werks, sondern auf die gesamte Aufführungs- und Konzertsituation. Selten ist man sich vermutlich dessen bewusst, dass ein Konzertbesuch die Aufführung eines sozio-kulturellen Rituals beziehungsweise einer „cultural performance“ darstellt, die vielschichtige konventionalisierte Aktions- und Interaktionsmuster aufruft, aber im Prinzip wandelbar ist. Daher ist der Entwurf einer Idealsituation „Konzert“ als „Hauptform bürgerlicher Musikkultur“ und als „Verwirklichungsort ‚musikalischer Autonomie‘“, als Konzert im „emphatischen Sinn“4, zwar eine an der gewachsenen Konzertsituation orientierte und für unseren Zusammenhang hilfreiche konzeptuelle Folie, ist jedoch auch eine Abstraktion, die nur durch die Verklammerung eines bestimmten Werkkanons mit der ideellen Aufladung von 1 2 3 4

Vgl. H.-W. Heister, Das Konzert. Theorie einer Kulturform. E. Canetti, Masse und Macht, Bd. 1, S. 36. Vgl. H.-W. Heister, Geldloses Geschenk und archaisches Zeremoniell. Der Konzert-Beifall als Honorar- und Aktivitätsform. Vgl. L. Goehr, The Imaginary Museum of Musical Works; Verf., Konzertsaal als „performatives Museum“? H.-W. Heister, Das Konzert. Theorie einer Kulturform, Bd. 1, S. 25, 32.

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Einleitung

„musikalischer Autonomie“ und mit der Annahme der Hegemonie „musikalischer Autonomie“ extrahiert werden konnte. Vor diesem Hintergrund ließ sich eine Verfallsgeschichte des Konzerts – insbesondere für das 20. Jahrhundert – schreiben, die viele musikhistorische Darstellungen prägt, die sich aber bereits bei einem etwas anderen musikhistorischen und -ästhetischen Ansatz als einseitige Erzählung erweist. Ein Perspektivenwechsel, der in den Blick nimmt, dass die Musikproduktion und Musikpräsentation sowie die Rezeption von Musik immer alle Sinne einbezieht, dass selbst eine bewusste Wahrnehmungsselektion von unbewusst einfließenden Faktoren tangiert wird, lässt überdeutlich werden, dass das Ideal „musikalischer Autonomie“ nicht zwingend die Geschichte des Konzerts prägen sollte. Denn so gesehen scheinen die „außermusikalischen“ Rahmenbedingungen des Musiklebens und -erlebens auch beinahe „außermusikwissenschaftliche“ Themenbereiche zu sein. Es stellt sich die Frage, wie sich die Palette „außermusikalischer“ Faktoren zusammensetzt und wie sie sich auf die Musik, auf den Kompositionsprozess sowie auf die Produktion und Rezeption von Musik auswirkt. Die Palette ist, streng genommen, umfangreich: Architektur, Raum und Raumausstattung, Inszenierung eines Konzerts, Art der Präsentation von Instrumenten und Körpern sowie Körperaktivitäten, physische sowie psychische Befindlichkeiten der Beteiligten (Disposition, Alter, Geschlecht, Bildung, Einstellung zur Musik etc.), gesellschaftliche und ästhetische Normen und Tendenzen, Vorstellungen und Erwartungen des Publikums.5 Dabei können beispielsweise aktive und passive Erlebensebenen beziehungsweise verschiedene Grade und Formen von Aktivität im Konzert unterschieden werden. Den Raum wird der Konzertbesucher zumeist passiv erleben, auch die Musiker können zwar verschiedene Plätze einnehmen, doch die Architektur eines Raums werden sie nicht verändern können. Im Normalfall hat ein Architekt die Räume geschaffen, manchmal allerdings unter Beratung von Musikern.6 Pianisten haben in der Regel flexibel zu sein, sie stellen sich im Konzert auf das zur Verfügung stehende Instrument ein, sie sind in diesem Falle in einer anderen Art aktiv als Interpreten, die ständig das eigene Instrument benutzen können. Alle Musiker werden jedoch auf den Raum beziehungsweise auf die akustischen Verhältnisse im Raum eingehen, wobei dies wiederum in einer gewohnten Umgebung anders verlaufen wird als in Räumen, in denen man wenig spielt oder noch nie gespielt hat. Erscheint der Zuhörer passiv, so wird sich der Einwand erheben lassen, dass er die Musik keineswegs passiv erleben soll. „Passives Erleben“ wurde häufig mit Genuss und emotionaler Hingebung verknüpft.7 Ist damit die Erlebenswelt des Einzelnen angesprochen, so gilt es ferner, auch auf seine Interaktion mit anderen Beteiligten hinzuweisen und intersubjektive Faktoren zu berücksichtigen. 5

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Vgl. dazu H. W. Schwab, Konzert. Öffentliche Musikdarbietung vom 17. bis 19. Jahrhundert; W. Salmen, Das Konzert. Eine Kulturgeschichte, sowie ders., Gartenmusik. Musik – Tanz – Konversation im Freien. Vgl. H.-U. Glogau, Der Konzertsaal. Zur Struktur alter und neuer Konzerthäuser; vgl. M. Forsyth, Buildings for Music, dt. als Bauwerke für Musik. Vgl. A. Riethmüller, Musikästhetik und musikalischer Genuß.

Einleitung

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Während einer Musikaufführung wird dem Zuhörer/Zuschauer die Kooperation der Musiker auf dem Podium vorgeführt, andere Beziehungen sind weniger sichtbar, etwa mögliche Absprachen von Komponist und Dirigent, das Verhältnis Komponist – Publikum über das Medium „Musik“ oder die fast unmerkliche Interaktion von Platznachbarn, die sich (nicht) sehen oder riechen können.8 Wenn man sich demnach vergegenwärtigt, dass Musikaufführungen ein multisensoriales, „ganzheitliches Erlebnis“ bieten, dass sich aber ein bestimmter situativer Rahmen mit all seinen behavioristischen Implikationen entwickelt hat, um dieses Erlebnis auf den Vorgang „Musik hören“ zu konzentrieren, so wird deutlich, dass es bei der Betrachtung von Er- und Ausweitungen der Konzertsituation in der zeitgenössischen Musik, die in der vorliegenden Arbeit im Zentrum stehen, nicht darum gehen kann, Nebensächliches der Musik selbst vorzuziehen. Vielmehr ist beabsichtigt zu zeigen, welche kommunikative Kraft und welche „multimedialen“ Anknüpfungspunkte die Musik selbst besitzt, welche Anforderungen sie aus sich heraus an den ganzen Menschen, an seine ganze Aufmerksamkeit sowie an seine soziale Handlungsfähigkeit stellt. Vermittelt wird diese Kraft letztlich im Aufführungsprozess, und eben ganz gewiss nicht nur akustisch: „Wer Musik hören will, der möchte eben etwas sehen, und zwar wie die Musik, die er vernehmen will, exekutiert wird.“9 Das Konzertpodium ist eine Sonderform der Bühne. Die Darbietung von Musik zeigt Gemeinsamkeiten mit dem Theater, wozu auch die Co-Präsenz von agierenden Künstlern und Zuschauern beziehungsweise Zuhörern gehört.10 Betrachtet man allerdings das Theater und das Konzert als „kulturelle Systeme“ und Theater als konstituiert durch „eine Person A, welche X präsentiert, während S zuschaut“11, so wird augenfällig, dass die Parallele zwischen Konzert-Bühne und Theater nur bedingt zu ziehen ist, dass vor allem der Musiker als Akteur keine Rolle im Sinne der Theaterrolle spielt, sondern das tut, was er ist.12 Die Musiker präsentieren sich und ihr Können, sie spielen nicht „Musiker“, sie geben nicht vor zu musizieren, sie sind, was sie tun. Aus soziologischer Sicht nehmen allerdings auch Musiker Rollen ein, Rollen innerhalb des musikalischen Produktionssystems und innerhalb der musikalischen Institutionen. Sie „verkörpern“ die Rolle des Spielmanns, des Hofmusikers, des Opernsängers, des Orchestermusikers, aber auch des

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Die Ansteckung zu bestimmten Tätigkeiten gehört ebenfalls in diesen Kontext, vgl. dazu H. Böll, Husten im Konzert. 9 R. Stephan, Sichtbare Musik, S. 301. 10 Diese Co-Präsenz war jedoch lange Zeit situativ nicht festgelegt, weder gab es bestimmte Platzordnungen für das Publikum noch eine Hervorhebung der Musiker auf einer Bühne, vgl. H. W. Schwab, Konzert. Öffentliche Musikdarbietung vom 17. bis 19. Jahrhundert, sowie W. Salmen, Das Konzert. Vgl. auch O. Schreiber, Orchester und Orchesterpraxis in Deutschland zwischen 1780 und 1850. Zu den Anfängen öffentlicher Konzerte vgl. H. A. Scott, London’s Earliest Public Concerts, und ders., London’s First Concert Room, sowie M. Tilmouth, Some Early London Concerts and Music Clubs, 1670-1720. 11 E. Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters 1. Das System der theatralischen Zeichen, S. 16, diese Definition geht zurück auf E. Bentley, The Life of the Drama. 12 Vgl. hierzu G. Langer, Die Rolle in Gesellschaft und Theater.

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Einleitung

Virtuosen.13 Zur sozialen Rolle des Musikers gehört es, Musik zu machen und diese vor Publikum zu präsentieren. Sofern diese Tätigkeit institutionell und funktional eingebunden ist, verlangt sie allerdings mehr, als nur Musik zu produzieren: bestimmte Kleidung wird erwartet, bestimmte Interaktionsformen werden vorausgesetzt, das „Spiel“ sollte unbedingt mitgespielt werden. Mit Erving Goffman zu sprechen, der „Rahmen“ – das heißt ein „festgelegtes situiertes Aktivitätssystem“ – erfordert die Einhaltung bestimmter „Spielregeln“, um aufrecht erhalten werden zu können.14 Damit werden verschiedene Spielbegriffe ins Spiel gebracht: spielen als „Verkörperung“ einer Rolle, spielen als Handlung im Rahmen des Rollenspiels, aber auch Spiel als Aufführung und Aufführung als Spiel sowie Spiel als spielerisches Handeln mit Gegenständen und Medien der Aufführung. Es stellt sich die Frage, welches „Spiel“ auf dem Konzertpodium stattfindet, hauptsächlich im Vergleich mit dem „Spiel“ des Theaters und im Vergleich mit der Auffassung von Spiel in anderen darstellenden Künsten, aber auch beispielsweise im Vergleich mit Spielen im Sport.15 Im Zentrum steht insofern die Frage nach dem hör- und sichtbaren, vor Publikum gezeigten Musik-Spiel beziehungsweise nach der Performativität des (öffentlichen) Musizierens. Sicherlich besteht ein gemeinsamer Aspekt der obengenannten „Spielfelder“ zunächst darin, dass sie als weithin zweckfreie, dem Alltag enthobene Tätigkeits- und Erfahrungsbereiche gelten, auch wenn ihnen häufig bestimmte Funktionen (Bildung, Politisierung, Gemeinschaftsstiftung, Moralisierung) in der Gesellschaft zugewiesen werden. Die Vorstellung Schillers, dass der „Spieltrieb“ eine ideale Vermittlung von Praxis und Theorie, damit einen idealen Frei-Raum schaffe, der Kultur und Zivilisation bedinge beziehungsweise zur Entfaltung bringe, auch diese Vorstellung vom „Reiche des Spiels und des Scheins“ gehört vermutlich noch immer zu den Gemeinsamkeiten der verschiedenen Künste, nicht nur der darstellenden.16 Jedoch ist damit eher der „wesenhafte“ oder ontologische Spielbegriff angesprochen, der noch für Huizinga, Gadamer oder Caillois im Vordergrund steht: das Kunst-Spiel als „game“, das Wesen und die Bestimmung des Spiels, weniger das Spielen im Sinne von „play“.17 Bei Huizinga ist die Tatsache, dass in manchen Sprachen Musizieren, das „Umgehen mit Musikinstrumenten Spielen genannt wird, und zwar einerseits im Arabischen, andererseits in den germanischen und einigen slawischen Sprachen, 13 Siehe W. Salmen, Beruf: Musiker. Verachtet, vergöttert, vermarktet. Zur „Verkörperung“ G. Langer: „Die Verkörperung besagt, daß das Individuum sich verbindet mit der in einer gegebenen Situation erforderlichen Gestalt. Um sich mit den Partnern verständigen zu können, muß es Verhaltensweisen annehmen, die eine Interaktion ermöglichen“ (S. 10). Vgl. Verkörperung (= Theatralität, Bd. 2). 14 Vgl. E. Goffmann, Interaktionsrituale, S. 30. 15 Vgl. dazu G. Gebauer u. Chr. Wulf, Spiel, Ritual, Geste. 16 Vgl. F. Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Zu Schillers Spieltheorie vgl. I. Heidemann, Philosophische Theorien des Spiels; vgl. auch C. Allemann, Über das Spiel. Die Spieltheorien. Menschenspiel und Tierspiel. Vgl. auch Chr. Schmidt, Komposition und Spiel. Zu Iannis Xenakis, insb. S. 214ff., sowie R. Sonderegger, Für eine Ästhetik des Spiels. Hermeneutik, Dekonstruktion und der Eigensinn der Kunst. 17 Vgl. H.-G. Gadamer, Die Aktualität des Schönen; R. Caillois, Les jeux et les hommes.

Einleitung

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außerdem auch im Französischen“, lediglich ein „äußerliches Kennzeichen für die tief im Psychologischen verwurzelte Wesensbeziehung [...], die den Zusammenhang zwischen Spiel und Musik bestimmt“.18 Demzufolge wird der „innere Zusammenhang“ betont, das heißt die Vorstellung eines archaischen, kultischen „Gesamtkunstwerks“, das eine „höhere Form“ von Spiel ausgeprägt habe. Musik vermittle daher (noch immer) das Gefühl eines „heiligen Spiels“, und in der Verschmelzung der Empfindung des Schönen und der Weihe gehe „der Gegensatz Spiel und Ernst unter“.19 Es muss kaum betont werden, dass Huizinga hier gängige, mindestens seit dem 19. Jahrhundert vorherrschende musikphilosophische beziehungsweise musikästhetische und -historische Denkweisen rezipiert (Hegel, Schopenhauer, Wagner, Bloch), die bis in seine Zeit hinein bewirkten, dass Musik, selbstverständlich „ernste Musik“, fast als Religionsersatz diente, jedenfalls nicht als vergnügliches Spiel galt. In seiner „Wertung der Musik“ hält Huizinga jedoch fest: „Außerhalb der religiösen Funktion wird dann die Musik hauptsächlich als ein edler Zeitvertreib und als eine bewunderungswürdige Kunstfertigkeit gewertet, oder lediglich als fröhliches Vergnügen. [...] Die anerkannte Funktion der Musik ist von jeher die eines edlen sozialen Spiels gewesen, bei dem oftmals die staunenerregende Leistung besonderer Fertigkeit als das Wesentlichste betrachtet wird. [...] Die heutigen Konzertsitten mit ihrer vollkommenen, weihevollen Stille und mit der magischen Ehrerbietung für den Dirigenten sind jungen Datums.“20 Musik als Spiel ist also einerseits ein „heiliges Spiel“, zugehörig zum Kult, Bestandteil von Ritualen, selbst ein Kult, ein Ritual. Andererseits ist Musik als Spiel ein soziales Spiel und ein Spiel im Sinne der Darstellung von körperlichem Tun, von körperlicher Leistung. Damit gerät Musik beziehungsweise das Musikmachen und die Darbietung der Musikproduktion auch in die Nähe von Gymnastik oder Akrobatik.21 Diese musikalischen Spiel-Konzepte schließen jedenfalls aus, dass Musikmachen ein So-tun-als-ob-Vorgang ist. Auf dem Konzertpodium als Bühne wird also das Erzeugen von Musik nicht „gespielt“ im Sinne von „vorgetäuscht“, sondern eine besondere Art des Musizierens wird vorgeführt. Der Aspekt des Vorführens, des Sehen-Lassens des Spiels als Solo- oder Ensemble-Spiel, den das traditionelle Konzert allerdings mit dem Theater und der Aufführung von sportlichen Spielen gemeinsam hat, dieser Aspekt wird in der Rezeption eines Konzerts zugunsten des Hörbaren zurückgestellt. Nicht der Prozess und die körperlich sichtbaren Handlungen sind wichtig, sondern das Ergebnis, nicht in erster Linie das Spielen als körperliches Tun, sondern das „höhere Spiel“ („game“). In diesem Bereich liegen nun auch die Hauptunterschiede beispielsweise zum traditionell verstandenen Schauspiel oder zum „dramatischen Theater“, sofern das Spielsystem „Theater“ und 18 J. Huizinga, Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, S. 173. 19 Ebda., S. 174. Vgl. dazu auch G. Peters, Heiliger Ernst im Spiel. Studien zur Musik von Karlheinz Stockhausen. 20 J. Huizinga, Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, S. 178f. 21 Aristoteles hat dies bereits im achten Buch seiner Politik thematisiert, wobei er zwischen der Ablehnung von Virtuosität und der therapeutischen Wirkung des musikalischen Spiels abwägt, vgl. Aristoteles, Politik, 1337a–1342b.

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Einleitung

„Theatervorstellung“ mit anderen Inhalten spielt, mit einer theaterspezifischen „Aneignung und Zuweisung von Bedeutungen durch bewegliche Handlungen mit vielfach funktionalisierten Zeichenträgern, deren jeweilige Bedeutung erst im konkreten sinnlichen Handeln des Spielenden mit diesen Zeichenträgern entsteht.“22 Das „Entzifferungsspiel“ Musik wartet mit anderen Elementen auf, es ist „der Ton, und ihre spezifische Erscheinungsweise, das Tönen, wodurch sich die Sonderstellung der Musik in Hinsicht sowohl des Spiels als auch der ästhetischen Identifikation begründet. Denn [...] wie kein anderes Element künstlerischer Formung bedarf der begriffs- und gegenstandslose Ton, um Sinnträger zu werden, der Tonumgebung, des Eingebundenseins in eine Tonkonstellation, die die Sinndefinition stiftet. Die tönende Form ist in dem Spezifischen ihres Daseins ein dem sinnlichen Wahrnehmen dargebotenes bedeutungsträchtiges Definitionsspiel, das, um ästhetisch verstanden zu werden, das Mitspielen erheischt und im Mitspielen die ästhetische Identifikation zur Folge hat.“23 In diesem Rahmen ist schließlich der Musiker traditionell in einer untergeordneten Position, er ist ausführendes Organ oder ein Medium, dessen man sich bedient.24 Der Musiker sollte sich einerseits „ganz dem Charakter des Werks unterwerfen und nur ein gehorchendes Organ sein“, er sollte andererseits aber „nicht zum bloßen Handwerker heruntersinken“, sondern der „ausübende Künstler“ hat Hegel zufolge „das Werk im Sinne und Geist des Komponisten seelenvoll zu beleben“.25 Es tritt hinzu, dass diese „Indienstnahme“ der Musiker ebenso wie ihre Arbeit, ihre körperliche Übung und Leistung sowie Leistungssteigerung und Virtuosität bei einer Aufführung nicht ins Bewusstsein kommen sollen. Arbeit soll als Spiel erscheinen.26 Wie im Theater, wie im Sport oder Tanz ist herkömmlich die hintere Bühne von der Vorderbühne getrennt, auch wenn es graduelle Unterschiede gibt, die Anstrengungen sehen zu lassen. Eine Probe wird vom Ernstfall unterschieden, oder es wird ein anderer situativer Aufführungsrahmen angesetzt (zum Beispiel „öffentliche Generalprobe“, „Demonstration“, „Lecture Performance“).27 Auch verschiedene Formen und Möglichkeiten der Publikumsbeteiligung werden in den einzelnen Künsten und ihren Aufführungsformen sowie deren Transfor22 K. Schwind, Theater im Spiel – Spiel im Theater, S. 430. Im übrigen versucht sich Schwind vom „dramatischen Theater“ und seinen Voraussetzungen weitgehend zu lösen, vor allem das Spiel zwischen Rolle, Körper und Figur und die Spieler-Zuschauer-Beziehung in den Vordergrund zu stellen, jedoch geht er von Theater als einem allgemein verstandenen „kulturellen System“ aus, in dem „Wahrnehmungsformen und Bedeutungserzeugungen in komplexer Weise ereignishaft und sinnlich reflektiert, inszeniert und kommuniziert werden“ (ebenda, S. 419). 23 H. H. Eggebrecht, Musik verstehen, S. 110f. 24 Vgl. dazu W. Suppan, Der musizierende Mensch. Eine Anthropologie der Musik. 25 G. W. F. Hegel: Werke XV, Vorlesungen über die Ästhetik III, S. 219. 26 Vgl. H.-W. Heister, Das Konzert. Theorie einer Kulturform, Bd. 1, S. 215–218. Vgl. auch A. Riethmüller, Die Verdächtigung des Virtuosen – Zwischen Midas von Akragas und Herbert von Karajan. 27 Vgl. dazu E. Goffman, Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. Goffman analysiert die Änderungen von situativen Rahmen als „Rahmentransformationen“.

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mationen unterschiedlich eingestuft. Man sieht in der „ästhetischen Identifikation“, im „Aufgehen des Subjekts im Objekt“, das „Mitspielen des musikalischen Definitionsspiels, des Spiels der Sinnstiftungen, in dem das Für-sich-Sein der Musik beschlossen liegt.“28 Wird ein Seitenblick auf das Theater geworfen, so setzte sich dort allmählich die Erkenntnis durch, dass der Zuschauer „prinzipiell immer für sich und unabhängig von den Bedeutungszuweisungen der anderen Mitspieler bestimmen“ kann, „welche Bedeutungen er im Spielen konstituiert sieht, indem er jeweils einen für ‚seine‘ Wahrnehmung relevanten Rahmen setzt [...] Daraus ergibt sich eine merkwürdige Konsequenz der spieltheoretischen Beschäftigung mit Theater, die bezeichnenderweise von ganz unterschiedlichen Seiten mit unterschiedlichen, jedoch nur im jeweiligen Denksystem gültigen Begründungen gezogen worden ist: der ‚eigentliche‘ Spieler im Theater wäre danach nicht der Schauspieler, sondern der Zuschauer“.29 Ob der Zuhörer der „eigentliche Spieler“ in der Musik ist, dies ist eine von vielen Fragen, denen in der vorliegenden Studie über Veränderungen der Konzertsituation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachgegangen wird. Die beschriebenen Hauptelemente und Strukturen des traditionellen öffentlichen Konzerts bilden dabei eine Folie, vor deren Hintergrund die Neuerungen sichtbar gemacht werden können. Viele Wandlungen des Konzerts entstanden zudem als Reflexionen des Konzertrituals. Ergaben sich bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mannigfache Veränderungen der Musik, die auch ihre Präsentation betrafen, so kam es insbesondere seit den 1960er Jahren zu einer regelrechten Welle von Aus- und Erweiterungen der Konzertsituation. Aus heutiger Sicht sind verschiedene aufführungspraktische Wandlungen wie etwa die Verbindung von Musik und Theater oder die Nutzung unterschiedlicher Medien in Konzerten und Musiktheaterprojekten als selbstverständliche Arbeitsmittel zu bezeichnen. Diese Perspektive löst ältere musikwissenschaftliche Positionen ab, in denen die Tendenz zu Verbindungen von Musik und Szene hauptsächlich als postserielle Erscheinung der Musik in Europa gedeutet wurde, so etwa in der Arbeit von Reinhard Josef Sacher, Musik als Theater. Tendenzen zur Grenzüberschreitung in der Musik von 1958 bis 1968 (Regensburg 1985), der gleichwohl erste grundlegende Einblicke in diese Entwicklungen zu verdanken sind. Der historische Rückblick erfolgt nicht in der Konzentration auf eine Region, auf ein Land oder auf eine Institution, sondern es wird angestrebt, internationale Entwicklungen gleichberechtigt zu behandeln. Damit sollen sich Vergleiche von neuen Aufführungskonzepten ergeben, die nicht mehr von direkt oder indirekt in der Musikliteratur vorhandenen Polarisierungen bestimmt sind, sei es die Entgegensetzung von „seriell“ und „experimentell“ oder die Hervorhebung und Kontrastierung einzelner Komponistenpersönlichkeiten, obwohl dies in der Gesamtanlage der Arbeit methodisch integriert ist und sich manchmal nicht vermeiden lässt, um bestimmte Sachverhalte zu verdeutlichen.

28 H. H. Eggebrecht, Musik verstehen, S. 109. 29 K. Schwind, Theater im Spiel – Spiel im Theater, S. 432. Vgl. auch E. Fischer-Lichte, Die Entdeckung des Zuschauers.

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Es wird von der These ausgegangen, dass in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren in der Musik eine Phase der sowohl innermusikalischen wie auch aufführungspraktischen „Immobilität“ überwunden werden musste, dies nicht nur in der europäischen „seriellen“ Musik, sondern auch in der amerikanischen „experimentellen“ Musik. Durch neue Formkonzepte sowie durch die Entwicklung von Raummusik hat sich dieser „Stillstand“ allmählich aufgelöst. In die „Wiederentdeckung“ von Bewegung in der Musik, die insofern (in Europa) nicht allein auf den Einfluss von Cage zurückgeführt werden kann, mischten sich verschiedene theatrale Elemente, eine Betonung des Körpers, die sich auch zu Performances ausprägte, der experimentelle Umgang mit der Stimme und mit Instrumenten und die Integration von elektro-akustischen sowie visuellen Medien. Die zentrale Problemstellung der Arbeit bezieht sich demnach auf die Auswirkungen der „Verfransung der Künste“ (Th. W. Adorno) auf die konventionelle Konzertsituation und auf den Musikbegriff.30 Dabei wird allerdings die „Verflüssigung“ der Grenzen zwischen den Kunstgattungen nicht mehr als gefahrvolle Gratwanderung betrachtet, sondern als gegenseitige Bereicherung. Es steht auch nicht mehr der „Paragone der Künste“ im Zentrum der Betrachtung, sondern künstlerische Praktiken und ihre Wirkungen, die migrativ in verschiedene Kontexte einfließen können. Bei einer „Liquisierung“ der musikalischen Praktiken und Aufführungskonzepte wird es jedoch außerordentlich wichtig, die einzelnen Versatzstücke genau zu kennen. Daher stellen sich Fragen zu den Übergängen der Kunstgattungen neu: Wie und wodurch entsteht aus Musik Theater? Wie ändert sich die Rezeptionshaltung des Publikums gegenüber Musik und Klang bei einer Konzertinszenierung oder bei einer Klanginstallation? Welche Rolle erhalten die elektro-akustischen und visuellen Medien in einer Konzertsituation? Wie ändert sich dabei das Verhältnis zu Körpern und Instrumenten? Der Einsatz von Medien in der Live-Elektronik und Computermusik wird bislang überwiegend in Spezialstudien zu elektro-akustischer Musik oder zur Computertechnik sowie Computerprogrammen und ihren Anwendungen behandelt. In der vorliegenden Arbeit findet hauptsächlich die Frage Berücksichtigung, welche neuen Techniken sich wie auf die Aufführung und Aufführungssituation auswirken. Ferner ändert sich durch den Einsatz der Medien die Funktion der menschlichen Körper und traditionellen akustischen Instrumente als Klangproduzenten. Ist der Computer ein Musikinstrument und, wenn ja, wie und wodurch? Können in computergestützten interaktiven Musikprojekten tatsächlich die Maschinen selbständig neue Musik generieren? Wird das Publikum aus den Prozessen ausgeschlossen oder durch welche Maßnahmen am Geschehen beteiligt? Im Gegensatz zu einer grundsätzlichen Abgrenzung des traditionellen Musikbegriffs und der konventionellen Konzertsituation von Tendenzen zu Verbindungen von Musik und Szene oder von „experimenteller Musik“ oder selbst von „Klangkunst“ ist es mir wichtig, auch hier Gemeinsamkeiten zu betonen. Denn zum einen führten gerade die Verbindungen von Musik und Szene etwa im „Instru30 Siehe Th. W. Adorno, Über einige Relationen zwischen Musik und Malerei; Die Kunst und die Künste.

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mentalen Theater“ (Kagel), in einer „sichtbaren“ oder in einer „gestischen Musik“ (Schnebel) dem Publikum dezidiert konventionelle musikalische Praktiken vor Augen, das heißt, das Konzert wurde als „cultural performance“ verdeutlicht. Darüber hinaus wirft etwa die „gestische Musik“ von Schnebel zentral die Frage auf, wie sich der Musikbegriff auf „reine“ Körperbewegungen anwenden lässt. Zum anderen können „experimentelle“ musikalische Aufführungskonzepte nicht als musikhistorische „Fremdkörper“ betrachtet werden, sondern sie lassen mikroskopische Blicke auf die Eigenart der musikalischen Aufführung beziehungsweise jeder aktuellen Aufführungssituation zu. Glenn Gould hat sie einmal treffend so umschrieben: „the ideal way to go about making a performance [...] is to assume that when you begin, you don’t quite know what it is about. You only come to know as you proceed“.31 Bei der „Klangkunst“ zeigt sich ferner überdeutlich, dass in der Musik mit einem besonderen „Material“ gearbeitet wird; die „Klangkunst“ kann dafür neu sensibilisieren. Bei der Beschreibung und Kommentierung der Grenzerweiterungen beziehungsweise Grenzüberschreitungen in Aufführungskonzepten zeitgenössischer Musik zum Theater, zur Performance-, Installations- und Medienkunst ist eine weitere Zielsetzung maßgebend: Vermittelt sich in der historischen Darstellung der kompositorischen „musikalischen Avantgarde“ seither eine Fortschrittsgläubigkeit, die dafür sorgte, dass viele zeitgenössische Tendenzen in der Musik quasi in einem exklusiven Ghetto verblieben sind und daher auch unweigerlich mit „postmodernen Tendenzen“ in Kollision kommen mussten, wird in der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an Andreas Ballstaedt (Wege zur Neuen Musik, 2003) die Auffassung vertreten, dass es sinnvoll ist, die neue Musik als pluralistische Erscheinung positiv zu bewerten. Es wird ferner methodisch ein musikwissenschaftlicher Paradigmenwechsel angestrebt, der eine perspektivische Verlagerung vom „Werk“ zur „Aufführung“ mit sich bringt. Diese Verschiebung der Perspektive bedeutet eine Hinwendung zur musikalischen Praxis, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kompositionsund produktionsästhetisch stetig an Gewicht zunahm, aber in musikwissenschaftlichen Abhandlungen eher zurückgesetzt wurde, weil ihre Akzentuierung beispielsweise den „Werkbegriff“ aufzulösen drohte.32 Inzwischen hat sich jedoch gezeigt, dass gerade die Untersuchung der Aufführungspraxis vielen „Werken“ der neuen Musik gerecht wird.33 Die vorliegende Studie kann sich zwar nur an eine „Theorie der Praxis“, wie sie etwa in der Soziologie ausgearbeitet wurde, anlehnen.34 Doch sie soll einen Beitrag dazu leisten, die Wechselwirkungen zwischen Komposition und instrumental- oder vokaltechnischen sowie weiteren künstlerischen Praktiken zu verfolgen, die sicherlich nicht nur in der Musik der letzten Jahrzehnte von großer Bedeutung waren. 31 The Glenn Gould Reader, S. 287. Vgl. N. Cook, Analysing Performance and Performing Analysis. 32 Vgl. C. Dahlhaus, Über den Zerfall des musikalischen Werkbegriffs. 33 Vgl. etwa H.-Chr. Müller, Zur Theorie und Praxis indeterminierter Musik; vgl. auch S. Feißt, Der Begriff ‚Improvisation’ in der neuen Musik. 34 Vgl. P. Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis.

1. IDEAL UND PROBLEM DER IMMOBILITÄT Obwohl es bereits im 19. Jahrhundert Konzerte gab, bei denen es hingenommen und sogar begrüßt wurde, dass die sichtbare, visuell vermittelte Wahrnehmung des Aufführungsvorgangs fehlte1, stellte die Darbietung von elektroakustischer „Lautsprechermusik“ in den 1950er Jahren, bei der ebenfalls keine agierenden Instrumentalisten oder Sänger mehr zu beobachten waren, ein Skandalon dar. Die „turbulenten Szenen“, von denen Heinz-Klaus Metzger 1956 berichtete, als unter anderem Stockhausens Gesang der Jünglinge uraufgeführt wurde, bezogen sich nicht nur auf die Irritation, die die Sprachbehandlung in diesem Stück ausgelöst hatte, sondern auch auf die Aufführungssituation: „Dem Publikum mag man zugute halten, daß ein Konzertsaal, dessen Podium ausnahmsweise gar nicht dafür eingerichtet ist, von Musikern besetzt zu sein, den Aspekt des Ungewöhnlichen bietet: ein Saal, der vielmehr allseits mit Lautsprechern versehen ist, die die früher von ‚Instrumenten‘ wahrgenommene Funktion der Schallquelle erfüllen. Ist das dann noch ein Konzert, ist das nicht so gut wie Radiohören?“2 Radiohören war es nicht, wie der Autor feststellte, sondern es handelte sich um die Wahrnehmung ganz neuer „Konzertsaalmusik“. Stockhausen hatte das Stück gerade nicht „radiophonisch“ komponiert, sondern bereits Musik für den Raum konzipiert.3 Tatsächlich war jedoch die frühe elektroakustische Musik „Rundfunkmusik“, nicht nur auf Grund ihrer Produktions-, sondern vor allem auch auf Grund ihrer Rezeptionsbedingungen.4 Musik aus Lautsprechern war bereits gewohnheitsmäßig gesendete Musik des Rundfunks. Daneben kannte das Publikum solcherart präsentierte Klänge zumeist aus dem Kino, und hier waren sie eng an die visuelle Ebene geknüpft. Letzteres fehlte der elektroakustischen Musik allein aus ästhetischen Gründen: ihre Pioniere setzten sie ab von „angewandter“ oder gar bildevozierender Musik. So entstand beispielsweise die „Lautsprechermusik“ der französischen musique concrète zwar aus aufgezeichneten Klängen und Geräuschen, doch Montage- und andere Verarbeitungstechniken sollten ihren „anekdotischen Charakter“ aufheben.5 Und die elektronische Musik Kölner Provenienz zehrte vom Nimbus „absoluter“ Musik, beanspruchte einen gewissen Reinheitsgrad, den nicht nur die Technik und das produzierte beziehungsweise verwendete Klangmaterial, sondern

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Vgl. die Berichte über Telefon- oder Grammophonkonzerte sowie Konzerte mit „unsichtbarem Orchester“ in H. W. Schwab, Konzert. Öffentliche Musikdarbietung vom 17. bis 19. Jahrhundert, S. 186f., 190–193. H.-K. Metzger, Neue Musik im Kölner Funkhaus. Vgl. K. Stockhausen, Aktuelles. ,Gesang der Jünglinge‘: Vorgeschichte, S. 56. Vgl. H. H. Stuckenschmidt, Einschränkung des Musikerlebnisses auf das Auditive. Vgl. P. Schaeffer, Musique Concrète. Von den Pariser Anfängen um 1948 bis zur elektroakustischen Musik heute, S. 21ff.; vgl. auch 50 Jahre musique concrète. Dokumentation zu den Inventionen 1998.

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auch das kompositionsästhetische Ideal einer seriellen „musique pure“ verbürgen sollte.6 Doch vergegenwärtigen wir uns zunächst die Situation des Hörens von Musik, vermittelt durch das Radio. Auch sie hatte bereits eine Tradition, dem Lautsprecher war längst der Trichter des Grammophons vorausgegangen.7 Die Hörhaltung hatte sich am neuen Medium Radio zwar etwas verändert, es blieben jedoch mindestens zwei situativ und soziologisch bedeutsame Aspekte weitgehend dieselben: zum einen blieb das Radio das Medium des privaten, häuslichen Rahmens, zum anderen erhielt sich die Funktion des unterhaltenden Massenmediums.8 Eine Kunst aus dem Radio zu entwickeln, also Radio-Kunst, Kunst mit dem Radio, mit den Mitteln des Radios zu produzieren, bedeutete eine spezielle Hör-Kunst zu erarbeiten, die in erster Linie mit den psycho-physischen Bedingungen des Hörens und mit der Imagination der Hörer rechnete.9 Hörspiele, in die häufig Musik, Klänge, Geräusche integriert werden, sind das wohl bekannteste hier zu nennende Genre, das sich bezeichnenderweise in den Nachkriegsjahren großer Beliebtheit erfreute und parallel dazu vielfach – auch von Komponisten – experimentell genutzt wurde. In Amerika erfreute sich das Hörspiel bereits in den 1930er Jahren großer Beliebtheit.10 Die Präsentation von elektroakustischer Musik, die als „Lautsprechermusik“ nun auch vor Publikum vorgeführt wurde, und die dabei auftretenden oder vorhandenen Hörerwartungen und Hörhaltungen waren demnach kaum zur Deckung zu bringen. Im Konzertsaal war das Publikum daran gewöhnt, die Entstehung der Musik visuell verfolgen zu können; Radiokunst, „l’art de l’absence“, war verbunden mit Imagination und Assoziation, die Erwartungen richteten sich auf ein „imaginäres Theater“.11 Die elektroakustische und „elektronische Musik“ der 1950er Jahre verweigerte nun beides.12 Zumindest in der Anfangsphase legten ihre Vertreter den Schwerpunkt auf eine Ästhetik des Technisch-Technologischen und auf eine Phänomeno-

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Vgl. A. Ruschkowski, Elektronische Klänge und musikalische Entdeckungen, S. 216ff.; vgl. auch R. Stephan, Art. Serielle Musik. 7 Das „Prinzip reiner, nicht personal vermittelter Klanglichkeit“ war hier „technisch längst verwirklicht“ (H.-W. Heister, Das Konzert. Theorie einer Kulturform, Bd. 2, S. 510). 8 „Von Anfang an hat der Rundfunk nahezu alle bestehenden Institutionen, die irgend etwas mit der Verbreitung von Sprech- und Singbarem zu tun hatten, imitiert [...]“, siehe B. Brecht, Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks, S. 552. 9 Vgl. R. Arnheim, Rundfunk als Hörkunst; vgl. auch H. Schwitzke, Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte. 10 Vgl. Radio-Kultur und Hörkunst. Zwischen Avantgarde und Popularkultur 1923–2001. 11 Vgl. F. Knilli, Das Schallspiel. Ein Modell, in: Deutsche Lautsprecher/Versuche zu einer Semiotik des Radios, S. 44–72. 12 „Elektronische Musik“ wird hier insbesondere als Bezeichnung für die elektroakustische Musik Stockhausens beziehungsweise für elektroakustische Musik „der sogenannten Kölner Schule in den 1950er Jahren“ verwendet, vgl. dazu M. Supper, Elektroakustische Musik und Computermusik, S. 158; „Elektroakustik“ fungiert als Oberbegriff für elektronische Musik, Live-Elektronik, Tape Music, musique concrète sowie Teile der Computermusik (siehe ebenda).

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logie, die den Ton, den Klang zu Musik erklärte.13 In seinem Kommentar zu den „berühmten“ sieben Stücken elektronischer Musik, die am 19. Oktober 1954 der Öffentlichkeit vorgestellt worden waren, schrieb Herbert Eimert: „Neuartig bei dieser Vorführung war nicht nur die Musik, sondern auch ihre Vermittlung durch den Lautsprecher. Dem Ohr mochte sich plötzlich die Gewissheit auftun, daß es sich nicht mehr mit der gewohnten musikalischen Reportage zu befassen hatte, sondern mit einem Adäquaten, das der tönenden Lautsprecherkugel auf bestürzende und rätselhafte Weise angemessen war.“14 Bereits ein Jahr zuvor, beim Kölner Neuen Musikfest im Mai 1953, als die ersten Proben elektronischer Musik das Publikum in „ziemliche Aufregung“ versetzt hatten, wurde dies betont. Dort konnten die Zuhörer die klangliche Wirkung der Anfänge elektronischer Musik aus Köln noch unmittelbar mit Beispielen der musique concrète vergleichen, bevor im Oktober desselben Jahres der Skandal um Pierre Schaeffers Orphee 53 die Lager trennte.15 Vom Hörer wurde im Falle der „elektronischen Stücke“ gewissermaßen verlangt, sich gegen die „Irreführung durch assoziatives oder naturalistisches Hören“16 zu wehren, zur Abschirmung, so empfahl damals ein Berichterstatter, sollten die „Erforscher der elektronischen Musik [...] eine Art Filter konstruieren, der, dem Hörer in Form einer Haube übers Gehirn gestülpt, die Assoziationen zurückhält und nur den ‚reinen‘ Klang durchläßt“.17 Zur Absenz des klangproduzierenden menschlichen Körpers sollte im Kontext der elektroakustischen Musik demnach die Abwesenheit von Klängen treten, die man auf (vorstellbare) Körperbewegungen hätte zurückführen können.18 Die einzige „Körper“-Bewegung, die vorhanden war, die der Lautsprechermembran, konnte man im Konzertsaal nicht oder vermutlich nur in Ausnahmefällen beobachten.19 Auf der Seite des Hörers sollten ferner Assoziationen zu den Klängen ver-

13 Vgl. dazu G. Borio, New Technology. New Techniques: The Aesthetics of Electronic Music in the 1950’s. 14 H. Eimert, Die sieben Stücke, S. 8. Vgl. W. Friedländer, Debüt der elektronischen Musik. Zur ersten Konzertvorführung im Nordwestdeutschen Rundfunk, Köln. Es handelte sich um folgende Stücke: Karlheinz Stockhausen, Studie I und Studie II, Herbert Eimert, Glockenspiel und Etüde über Tongemische, Karel Goeyvaerts, Komposition Nr. 5 für reine Töne, Henri Pousseur, Seismogramme sowie Paul Gredinger, Formanten I und II. Vgl. die Dokumentation der Stücke: BV Haast Records CD 9106, Early Electronic Music (Acousmatrix 6; Cologne WDR), Amsterdam o. J. 15 Vgl. J. Häusler, Spiegel der Neuen Musik: Donaueschingen, S. 154–157. 16 K. H. Ruppel, Die Spieldose der elektronischen Musik. Eindrücke vom Kölner Neuen Musikfest 1953. 17 Ebenda. 18 Denis Smalley bezeichnete dies als „remote surrogacy“, vgl. ders., The Listening Imagination. Listening in the Electroacoustic Era, S. 524. 19 „Der Lautsprecher ist das eigentliche ‚Instrument‘ der elektronischen Musik“ (H. U. Humpert, Elektronische Musik. Geschichte – Technik – Kompositionen, S. 59). Später, etwa in François Bayles 1973/74 entwickeltem Lautsprecherorchester (Acousmonium), wurden Lautsprecher auch ohne Verdeckung aufgestellt, „damit man die Membranen quasi lebendig vibrieren sieht“, vgl. Elektroakustische Musik, S. 202.

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mieden oder unterdrückt werden – dies gelang offenbar nur bedingt –, und emotionale „Bewegtheit“ des Publikums gab es im Grunde nur als Empörung, Protest oder lautstarke Ablehnung beziehungsweise Befürwortung des akustischen Angebots. Es ist daher kaum erstaunlich, dass die Entstehung und Präsentation von elektroakustischer und elektronischer Musik als Tendenz zur Enthumanisierung der Musik und zur „Denaturierung“ der Klangwelt aufgefasst und – insbesondere durch kulturkonservative Autoren – heftig attackiert wurde.20 Sollte sich der Hörer also auf den Klang, auf die ästhetische Qualität von Schall selbst konzentrieren? Reduzierte sich die „Botschaft“ dieser Musik (im Sinne McLuhans) auf den Umgang mit den Medien, auf ihre Funktion, auf das Ergebnis ihrer Anwendung?21 Dies dürfte nicht eindeutig zu beantworten sein, denn einerseits stellten elektronisch gewonnene oder synthetisch hergestellte Klänge in der Tat neue perzeptive Erfahrungen, neue „sinnliche Reize“ dar.22 Andererseits erhoben die Komponisten „elektroakustischer/elektronischer Musik“ den Anspruch, artifiziell gestaltete Klänge und Kompositionen zu Gehör zu bringen, und damit konnte nicht die Präsentation von Klangmaterial oder Klangexperimenten gemeint sein. Bekanntlich gab es für einige Komponisten den Ausweg, die serielle Kompositionsweise aufzugreifen, um mit dem neuen Material generativ zu arbeiten beziehungsweise die Klänge selbst zu „komponieren“. Die Übernahme des seriellen Verfahrens stellte einerseits ein kompositionstechnisches und -ästhetisches Fundament bereit. Andererseits schien diese Verbindung von elektronischer Musik und serieller Methode (zumindest in der Anfangsphase) auch Probleme lösen zu können, die sich allmählich bei der Aufführung von seriellen Instrumentalkompositionen bemerkbar gemacht hatten. Die Musiker waren offenbar zum Teil nicht mehr in der Lage, das auszuführen, was notiert war, und die Komponisten, etwa Boulez oder Stockhausen, betrachteten dies als „Störfaktor“ der Umsetzung ihrer kompositorischen Vorstellungen. Pierre Boulez hat in seinem vielzitierten Aufsatz über die Anfänge der elektronischen Musik „À la limite du pays fertile“ festgehalten, dass die Komponisten damals tatsächlich ein Musikdenken realisierten, das in seinen Konsequenzen die instrumentalen Mittel überstiegen habe; dabei hat er selbst allerdings zugleich deutlich gemacht, dass dies nicht dazu führen dürfe, die Instrumentalmusik auszublenden.23 Karlheinz Stockhausen kam damals zu einem ähnlichen Ergebnis: „zu Beginn habe ich äußerst extrem den Standpunkt vertreten, es sei aus mit der Instrumentalmusik. Nach zwei Jahren Arbeit habe ich gesehen, daß die elektronische Musik ihre eigenen Grenzen hat und die Instrumentalmusik ihre eigenen Grenzen hat und daß ich in dieser Weise weiter gehen werde, daß ich versuche, diese Grenzen in der Übertragung von Methoden oder Vorstellungen, die für den einen Bereich gelten, in den

20 W. Riezler etwa verglich 1953 diese Tendenzen mit der „Gefährdung der Menschheit [...] durch die Atombombe“, siehe ders., Die Musik, S. 75. Vgl. auch F. Blume, Was ist Musik? 21 Vgl. M. McLuhan, Understanding Media. 22 Vgl. dazu insb. die Ausführungen Werner Meyer-Epplers, in E. Ungeheuer, Wie die elektronische Musik „erfunden“ wurde..., speziell S. 138. 23 Vgl. P. Boulez, An der Grenze des Fruchtlandes.

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anderen Bereich niemals zu überschreiten [...] Das funktionelle Denken in den getrennten Bereichen der Medien fordert ein getrenntes Verfahren der Methode in der Komposition.“24 Mit der Übernahme des seriellen Verfahrens in den Produktionsprozess der elektronischen Musik hoffte man vor allem darauf, den Bereich der Klangkomposition beziehungsweise Klangsynthese einem rationalen Ordnungsprinzip unterwerfen zu können. Die „Unberechenbarkeit“ der herkömmlichen instrumentalen oder stimmlichen Klangfarben hinsichtlich ihrer „Ordnung“ im Kontext von Reihenbildungen schien aufhebbar und „beherrschbar“ geworden zu sein. „Wir gingen auf das Element zurück, das aller klanglichen Vielfalt zugrunde liegt; auf die reine Schwingung, die man elektrisch erzeugen kann, und die man ‚Sinuston‘ nennt. Jeder existierende Klang, jedes Geräusch ist ein Gemisch solcher Sinustöne – wir sagen ein Spektrum. Anzahl-, Intervall- und Lautstärkeverhältnisse solcher Sinustöne machen die Eigenart jedes Spektrums aus. Sie bestimmen die Klangfarbe. Und so war zum erstenmal die Möglichkeit gegeben, in einer Musik die Klangfarben im wirklichen Sinne des Wortes zu komponieren, das heißt aus Elementen zusammenzusetzen, und so das universelle Strukturprinzip einer Musik auch in den Klangproportionen wirksam werden zu lassen.“25 Es war jedoch nicht nur die Präformation des gegebenen Klangmaterials, die (kurzzeitig) zur Ablehnung von Instrumental- und Vokalmusik geführt hatte. Vor dem Hintergrund des traditionellen Verständnisses von Musikaufführung im Sinne einer notengetreuen klanglichen Realisation der Partitur gab es beispielsweise auch erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung rhythmischer Angaben.26 Pierre Boulez hat dies am Beispiel des ersten Buches seiner Structures pour deux pianos dargelegt: „In der ersten Niederschrift, die man nie zu sehen bekam [...], häuften sich Kombinationen wie 24:25 oder 27:28, das heißt Werte, die so nahe beieinander liegen, daß man sie unmöglich exakt realisieren kann. Für die Instrumentalmusik war das Problem einfach falsch gestellt. Das Verfahren hat seine Berechtigung bei Tonbandmusik, denn hier kann man die Proportionen, die man haben will, in Zentimetern schneiden [...] Der Interpret dagegen bräuchte, um das Verhältnis 28:27 spielen zu können, in seinem Gehirn einen Präzisionsmechanismus, damit ein Irrtum ausgeschlossen wäre“.27

24 Aussage in einer Diskussion, u.d.T. Kompositorische Möglichkeiten der elektronischen Musik (1956) abgedruckt in: Darmstadt-Dokumente I, S. 98. Vgl. dazu Stockhausens Äußerungen, zit. in: H. Sabbe, Die Einheit der Stockhausen-Zeit..., S. 49ff. (vgl. ebenda Briefe an Karel Goeyvaerts von 1953/54, in denen Stockhausen u.a. darlegt, dass auch die elektronische Musik von Interpreten abhängig ist). 25 Vgl. K. Stockhausen, Arbeitsbericht 1953: Die Entstehung der Elektronischen Musik (Zitat S. 42) sowie Zur Situation des Metiers (Klangkomposition). Vgl. dazu auch M. Supper, Elektroakustische Musik und Computermusik, S. 27–62 (zu Klangfarbe und Klangsynthese). 26 Vor diesem Problem hatte bereits Henry Cowell gestanden, der sich in den frühen 1930er Jahren deshalb von Leon Theremin ein sogenanntes „Rhythmicon“ bauen ließ, vgl. dazu M. Schedel, Anticipating interactivity. Henry Cowell and the Rhythmicon. 27 Vgl. P. Boulez, Wille und Zufall, S. 76f. Vgl. auch die Partitur der Structures (premier livre), Universal Edition, UE 12267, London 1955.

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Die von Boulez angesprochene „erste Niederschrift“ ist vermutlich die „Vorreinschrift“ benannte Frühfassung des Livre 1 von Structures, die in der Paul Sacher Stiftung Basel in der Sammlung Pierre Boulez aufbewahrt wird. Sie ist folgendermaßen datiert: 1a (benannt „Monuments à la limite du pays fertile“) mit 24. April 1951, 1b mit 17. Mai 1952, 1c mit 3. April 1952. Diese „Vorreinschrift“ hat keine Taktangaben beziehungsweise Taktwechsel. Boulez notierte sich in der Handschrift über den beiden Notensystemen für die zwei Klaviere Beträge, mit denen er die 1/32tel auszählte. Der Vergleich des ersten Taktes von 1b der Partitur im zweiten Klavier mit der Handschrift (erste Note mit Pausen) zeigt in nuce beispielhaft das Vereinfachungsverfahren in der Partitur: aus der Anordnung von Viertelpause (8 Zweiunddreißigstel), punktierte Sechzehntel-Pause (3 Zweiunddreißigstel), gespielte Sechzehntel (2 Zweiunddreißigstel) und doppelpunktierte Achtel-Pause (7 Zweiunddreißigstel), das heißt aus 8 : 3 : 2 : 7 in der Handschrift werden in der Partitur Viertelpause (8 Zweiunddreißigstel), punktierte Sechzehntel-Pause (3 Zweiunddreißigstel), gespielte Zweiunddreißigstel und Achtel-Pause (4 Zweiunddreißigstel), also 8 : 3 : 1 : 4 (beziehungsweise 8 : 4 : 4, passend zur 5/4tel Anordnung in diesem Takt). Ähnlich wie Boulez mit den Structures erging es Stockhausen mit den KontraPunkten, die 1953 durch Hermann Scherchen uraufgeführt worden waren. „Die hochkomplizierte Rhythmik und schnell wechselnde Dynamik der seriellen Musik traf damals meist noch auf ungenügend vorbereitete Interpreten, und die Proben der ‚Kontra-Punkte‘ waren ein Kapitel für sich.“28 Daneben gehörten Tempo, Dynamik, Spielweise (Anschlagstechnik, Agogik) eines Interpreten ebenfalls zu den „unberechenbaren“ psycho-physiologischen Ebenen einer Aufführung. Dies alles einem einheitlichen ordnenden Prinzip zu unterstellen erwies sich zwar gerade im Vergleich zu den Möglichkeiten, die die elektronischen Mittel versprachen, als utopische Vorstellung, von Interesse ist aber, wie sich die Einlösung dieses Ideals auf die Aufführung respektive Interpretation ausgewirkt hätte beziehungsweise welches Ziel im Blick auf die Art der klanglichen Wiedergabe bestanden hatte. Tatsächlich wurde dabei eine Vorstellung entwickelt, die sich der elektronischen Klangproduktion annäherte. Die Musiker sollten lediglich eine neutrale, in vieler Hinsicht „stillgelegte“ klangliche Umsetzung des Notierten garantieren. „Within the extremes of totally organized music a preoccupation with detail seemed, on first appearance at any rate, to allow little opportunity for flexibility of interpretation and to offer, on the contrary, only insuperable roadblocks to a satisfactory realization“.29 Der Begriff ‚Interpretation‘ ist möglicherweise auf diesen Vorgang kaum mehr anzuwenden. Pierre Boulez als einer der prominentesten Komponisten, die den Versuch unternommen hatten, einen „Nullpunkt“30 sowohl der Schreibweise als auch der „Außenwirkung“ zu finden und dabei zunächst auch die „Geste des Interpreten“ zu leugnen, war sich dieser Problematik bewusst.31 In Erinnerung 28 M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 89. Vgl. dazu H. Scherchen, Stockhausen und die Zeit. Zur Geschichte einer Geschichte. 29 L. Stein, The Performer’s Point of View, S. 43. 30 Pierre Boulez bezog sich auf R. Barthes, Le degré zéro de l’écriture. 31 Vgl. P. Boulez, Wille und Zufall, S. 61–69, und ders., Musikdenken heute 2, S. 40ff, sowie

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an die Entstehung der Structures fasste er zusammen: „ich wollte aus meinem Vokabular absolut jede Spur des Überkommenen tilgen, ob das nun die Figuren oder Phrasen, oder die Entwicklungen und die Form betraf“.32 Die Unterdrückung der „Möglichkeit einer expressiven oder spektakulären Geste“ lag für Boulez beispielsweise in der Neutralisierung der Dynamik; mittels einer „punktuellen Dynamik“ wurde der „gestische Zusammenhalt, als den man Dynamik immer begriffen hatte“, zerbrochen: es entstand der „Eindruck einer unerhörten Zerstäubung der Kontinuität“.33 Klar erscheint hier die (gewollte) Konsequenz aus der Konzentration auf das einzelne Klangereignis, womit in dieser frühen Phase der seriellen Musik bekanntlich – über den Aspekt der Dynamik hinaus – die Konzentration auf den Ton und seine serielle „Determination“ gemeint war. Indem (zumindest ideell) die Frage nach der zeitlichen Dimension ausgeklammert und im Resultat der „punktuellen Technik“34 eine „kontinuierliche Diskontinuität“ angestrebt wurde, näherten sich die Komponisten der Idee beziehungsweise dem Ideal einer „stehenbleibenden“ oder „statischen“ Musik.35 Damit war auch die Suche nach einer „Höreinstellung“ verknüpft, bei der die unwillkürlichen perzeptiven Vorgänge beispielweise der Gruppierung oder Hierarchisierung von Klängen und die durch Erinnerung und Erwartung in der Wahrnehmung hergestellten Bezüge ausgeblendet sein sollten. Stockhausen hat dies als „meditatives Hören“ bezeichnet: „Man hält sich in der Musik auf, man bedarf nicht des Voraufgegangenen oder Folgenden, um das einzelne Anwesende (den einzelnen Ton) wahrzunehmen.“36 Damit war eine Haltung höchster Konzentration und Aufmerksamkeit gefordert, die man bereits im 19. Jahrhundert mit der Unterdrückung von Bewegung und zugleich mit einem Akt der Filterung und des Vergessens in Verbindung brachte.37 Im Kontext dieser angestrebten Negierung von Bewegung stellte nun die menschliche Klangerzeugung ebenfalls ein „Hindernis“ dar. Denn wie sollte „Statik“ entstehen ohne „statische“ Klänge? Die Instrumente verkörperten eine „gleichsam chaotische Klangwelt“, ihr Spiel höchste Individualität, „Lebendigkeit“, eine eigene Morphologie, nicht etwa exakte Berechenbarkeit. Eine „pure Zeitstruktur“ hingegen, wie sie sich beispielsweise damals Karel Goeyvaerts vorders., Leitlinien. Gedankengänge eines Komponisten, S. 121. 32 Über die Notwendigkeit einer ästhetischen Orientierung, S. 40. 33 Ebenda, S. 44. Bereits in Polyphonie X gibt es Boulez zufolge nichts, was die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Instrumente selbst berücksichtigt, „die Instrumentalgruppen sind nur wegen ihres abstrakten Kombinationswertes gewählt“ (vgl. Wille und Zufall, S. 65). Dynamik und Spielart erfahren hier noch keine selbständige serielle Behandlung, sondern sie gehören zur Differenzierung der „Klangkomplexe“ (vgl. P. Boulez, Möglichkeiten, S. 40–44). Vgl. W. Strinz, „Que d’interférences à provoquer...“. Bemerkungen zur Kompositionstechnik in Pierre Boulez’ Polyphonie X pour 18 instruments. 34 Vgl. dazu H. H. Eggebrecht, Art. Punktuelle Musik. 35 Vgl. K. Stockhausen, Situation des Handwerks, S. 17–23; H. Sabbe, Die Einheit der Stockhausen-Zeit..., S. 16f., sowie Im Zenit der Moderne, Bd. 1, S. 299ff. 36 K. Stockhausen, Situation des Handwerks, S. 21. Carl Dahlhaus sprach in diesem Zusammenhang von einer „mystischen ‚Entformung‘“, vgl. Form in der Neuen Musik, S. 42. 37 Vgl. dazu J. Crary, Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur, S. 39ff.

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stellte, war geknüpft an die „unbedingte Reinheit des Klangmaterials“, und „dieses Material wurde durch elektronische Generatoren bereitgestellt, die reine, regelmäßige und in der Intensität kontrollierbare Schwingungen in Verbindung mit Lautsprechern hörbar machen.“38 Auch die „Reinheit“ des Klangmaterials war demnach mit der Vorstellung von „konstanten“, „statischen“ Klängen verknüpft.39 Eine weitere Erwartung der Künstler, die mit der Entwicklung und Komposition elektronischer Musik verbunden war, bezieht sich aber nun auch auf die Vermittlung von Mikro- und Makrostruktur, auf die Herstellung einer neuen Verbindung von seriellen Prinzipien und der Ebene der Wahrnehmung. Da sich eine Diskrepanz nicht nur zwischen komponierten beziehungsweise notierten Klangereignissen und ihrer Ausführung, sondern auch zwischen der kompositorischen Anwendung von seriellen Prinzipien und ihrer (Durch)-Hörbarkeit ergeben hatte, entstand die Hoffnung, durch eine plastische Formung des klanglichen Resultats in der elektronischen Musik die Perzeptibilität von komplexen Zusammenhängen in der Zeit zu erhöhen.40 Es ging um „die seltsame Dialektik einer nie dagewesenen Bedeutung des Einzeltons und einer übergeordneten formalen Vorstellung, in der die Einzeltöne zu kollektiven Tonscharen und damit zu musikalischen Gestalten zusammengeschlossen werden.“41 Gewonnen an der Ausarbeitung seiner elektronischen Studie II, die ursprünglich „Bewegungen“ genannt werden sollte, hat Stockhausen diese Erkenntnis, die bereits auf „statistische Formkriterien“ verweist, in seinem Arbeitsbericht 1953 sogar mit Boulez’ Structures in Verbindung gebracht, ein Werk, das insbesondere auf Grund seines ersten Teils als Paradigma „punktueller Musik“ eingestuft wurde. Sollte also in der elektronischen Musik auch zu einer idealen Synthese von Statik und Statistik, das heißt zu einer neuen „Raum-Zeit“ gefunden werden? Aus kompositorischer Sicht war dies sicherlich ein wichtiges Ziel, das sich später wieder auf die Instrumentalmusik übertragen ließ.42 Die Hörer allerdings scheinen diese Synthese nur in Ausnahmefällen erfahren zu haben. So kommentierte der bereits zuvor zitierte Berichterstatter, der im übrigen rät, Kritik zurückzustellen, solange es an Hörerfahrung mangelt: „Das Komponieren entspricht einem statistischen Verfahren. Es werden nicht mehr, wie in der traditionellen Musik (zu der in diesem Zusammenhang auch die gesamte Moderne gehört) musikalische Gestalten geprägt und in sinnvollen und hörbaren Zusammenhang gebracht, sondern der Komponist erzeugt die musikalische Form

38 K. Goeyvaerts, Das elektronische Klangmaterial, S. 15f. (der Autor nimmt gegen Ende seines Beitrags auch selbstkritisch Stellung zu diesen Idealvorstellungen). 39 Vgl. H. Sabbe, Die Einheit der Stockhausen-Zeit..., S. 41ff. 40 Vgl. dazu U. Mosch, Wahrnehmungsweisen serieller Musik; ders., Musikalisches Hören serieller Musik. 41 K. Stockhausen, Arbeitsbericht 1953: Die Entstehung der Elektronischen Musik, S. 44. 42 Vgl. dazu K. Stockhausen, Von Webern zu Debussy. Bemerkungen zur statistischen Form. Die Zusammensetzung und Mischung von „Tonpunkten“ zu Klangfarben führte zu einer neuen Wahrnehmung der klanglichen Phänomene im zeitlichen Ablauf, die wie eine Textur aufgefasst werden konnten (mit mehr oder weniger losen oder dichten Ereignisfolgen, Bewegungen, die von der Tonhöhe abhängig waren, Lautstärkefeldern, Geschwindigkeitsgraden, Klangfarbenmutation); es wird die Entwicklung der „Gruppen-Form“ bei Stockhausen vorbereitet.

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gemäß dem Charakter des Materials, das er gebraucht. Er geht dem Wachsen und Schwinden der Klänge nach und zwingt es unter mathematische Gesetze.“ Und er fragt weiter: „Kann das statistische Verfahren [...] im Ernst als Komposition bezeichnet werden? Wozu die komplizierten mathematischen Operationen zur Organisation der Materie, wenn diese als solche vom Ohr nicht wahrgenommen wird?“43 Was also hat sich stattdessen bei der Rezeption elektronischer Musik in den Vordergrund geschoben? Es sei ein anderer Hörer zitiert, dem damals nachhaltig „Gehör“ geschenkt wurde, zum Ärgernis mancher junger Musikenthusiasten auch von Vertretern des reaktionären Lagers: Für Theodor W. Adorno lag der Vergleich mit „Farbtonmusik“ nahe, im Kontext seiner Kritik am „Altern der Neuen Musik“ (April 1954) deutete er bereits an, dass für ihn die Konsequenz der Unternehmungen, aus dem „Ordnungsschema“ des Materials die Komposition zur Erscheinung zu bringen, vergleichbar sei damit, „die Palette zum Bild“ zu machen.44 „Was aber heute im Namen punktueller Musik und integraler Rationalisierung sich zuträgt, ist der Farbtonmusik und alldem nur allzu verwandt: Vernarrtheit ins Material bei Blindheit gegen das, was daraus gebildet wird, resultierend aus der Fiktion, das Material rede selber“.45 Ähnlich hatte sich Adorno in der Philosophie der neuen Musik über Schönbergs „Zwölftontechnik“ geäußert. Dort heißt es: „Die Musik wird zum Resultat der Prozesse, denen ihr Material unterworfen ward und die sie nicht selber sichtbar werden lässt. So wird sie statisch. Man darf die Zwölftontechnik nicht als eine ‚Kompositionstechnik‘, etwa wie die des Impressionismus, missverstehen. Alle Versuche, sie als solche zu nutzen, führen ins Absurde. Eher ist sie einer Anordnung der Farben auf der Palette zu vergleichen als dem Malen eines Bildes.“46 Weder die Auseinandersetzung um das „Altern der Neuen Musik“ noch die Verankerung der Debatte bei Adornos Philosophie der neuen Musik über Schönberg und Strawinsky kann an dieser Stelle näher ausgeführt werden. Einige Punkte allerdings seien für unseren Zusammenhang hervorgehoben: Adorno brachte die Farbpalette ins Spiel – in Verbindung mit der „Zwölftonmusik“ sowie in Verbindung mit der „punktuellen“ Musik. Damit verknüpfte sich für ihn Statik. Farben seien jedoch auch bei Debussy und Strawinsky zu berücksichtigen, „das Gehör muss sich umschulen, um Debussy richtig wahrzunehmen, nicht als einen Prozeß mit Stauung und Auslösung, sondern als ein Nebeneinander von Farben und Flächen, wie auf einem Bild. Die Sukzession exponiert bloß, was dem Sinne nach simultan ist: so wandert der Blick über die Leinwand.“47 Zitieren wir noch Adornos Sicht auf eine Synthese: „Aber man vermag es recht wohl sich vorzustellen, daß einmal die entfremdeten, zusammenmontierten, tonalen Akkorde Strawinskys und die Folge der Zwölftonklänge, deren Verbindungsdrähte gleichsam auf Geheiß des Systems durchgeschnitten sind, gar nicht so verschieden klingen werden, wie sie heute sich ausnehmen [...] Bei beiden droht die Musik im 43 44 45 46 47

W. Friedländer, Debüt der elektronischen Musik. Th. W. Adorno, Das Altern der Neuen Musik, S. 150. Ebenda, S. 146. Th. W. Adorno, Philosophie der neuen Musik, S. 63. Ebenda, S. 172.

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Raum zu erstarren.“48 Immobilität ist demnach eng an räumliche Vorstellungen gebunden. Eine Äußerung wie die folgende von Dieter Schnebel mag schlaglichtartig beleuchten, dass Adornos Thesen in diesem Zusammenhang übernommen wurden: „Die ersten Werke, die Schönberg in der neuen Technik [Zwölftontechnik] schrieb, entfalten sie in fast didaktischen Modellen. Die zuvor so bewegliche und farbige expressive Musik gerät zu stählernen Gebilden.“49 Doch gerade dieser Ausgangspunkt sorgte dafür, dass Bewegung in der Musik neu in Gang gesetzt werden konnte, wie in den nachfolgenden Ausführungen über „Form“ und „Raum“ zu zeigen sein wird. Es seien hier nochmals die unterschiedlichen Faktoren zusammengefasst, die Statik und Stillstand in den genannten Beispielen der neuen Musik der frühen 1950er Jahre ausmachen ließen: zum einen wurde mit der Entstehung von „Lautsprechermusik“ die sichtbare Bewegung auf dem Konzertpodium sowie selbst die Imagination von klangerzeugenden Bewegungen entzogen; zum anderen sollten in einer quasi mechanischen Umsetzung des Notierten vor allem Ausdrucksgesten der Musiker unterbunden werden; drittens war bereits auf der kompositorischen Ebene „Statik“ in verschiedener Hinsicht ein Ideal, zum Beispiel in Zusammenhang mit dem Streben nach einer „puren Zeitstruktur“ und „klanglichen Reinheit“. Schließlich war die Komposition von Klangfarben mit einer flächenhaften und räumlichen Vorstellung verbunden, die gewissermaßen die Zeit und damit „Bewegung“ in der Zeit suspendierte.

48 Ebenda, S. 71. 49 D. Schnebel, Dynamik in der Neuen Musik seit Schönberg (1954–55), S. 36.

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2. KONZEPTE VON BEWEGUNG IN FORM UND RAUM Zwei theoretische Anstöße im Blick auf eine neue Beschäftigung mit Bewegung in der Musik seien vorab wenigstens kurz beleuchtet, bevor auf die Veränderungen der sichtbaren Bewegungen im Rahmen einer Konzertsituation eingegangen wird. Erstens geht es um neue Konzepte des Zusammenhangs von Form und Bewegung. Zweitens wird Bewegung in der Musik in Verbindung mit „Raum” ins Blickfeld genommen. „Raum in der Musik“ wurde nun, in der Musik der 1950er Jahre, zum entscheidenden Faktor, um die musikalischen Verläufe in der Zeit sowohl neu zu begründen als auch auf neue Weise wahrnehmbar zu machen.1 2.1 KLANG ALS BEWEGUNG UND FORM Klang selbst ist Bewegung und verläuft in der Zeit. Insofern können akustische Phänomene formal wahrgenommen werden. Die „Formierung“ ist dann in erster Linie von verschiedenen Hörpositionen, von perzeptiven und psychologischen Faktoren der Klangwahrnehmung abhängig. Die äußeren Bedingungen dafür, die situative Rahmung, der Raum, die Inszenierung der Klangpräsentation, wirken sich auf die Wahrnehmung und somit auf die „Formierungsprozesse“ aus. Inzwischen ist dies als Rezeptionshaltung beispielsweise gegenüber Klanginstallationen vertraut.2 La Monte Young, Initialfigur des Minimalismus in Amerika, arbeitet beispielsweise in seiner Musik mit lang gehaltenen Tönen oder „installierten“ Sinustönen („drones“), mit endlos sich wiederholenden rhythmischen oder melodischen Figuren. Klänge werden als „Naturphänomene“ präsentiert, ihre physikalisch-akustischen Eigenschaften in einen ästhetischen Kontext gestellt. Die Erfahrung der viszeralen und psychologischen Wirkung von Schallphänomenen ist also ein „natürlicher Vorgang“, der sich in einem bestimmten „environment“ abspielt.3 Die Klänge werden in einem dynamischen Wahrnehmungsprozess individuell aufgenommen, wobei dieser die Entstehung von temporalen Abschnitten einschließt, etwa durch Veränderungen der Position im Raum oder durch unterschiedliche psychophysische Phasen der Wahrnehmung. Der Rezipient reagiert auf die Inszenierung der Klänge, wird durch die Inszenierung gelenkt, geht etwa durch

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Vgl. zur damaligen Erschließung von Musik im Raum insb. G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, sowie M. A. Harley (alias Trochimczyk), Space and Spazialisation in Contemporary Music. Zu neuen Aspekten von Musik und Zeit vgl. E.-M. Houben, Die Aufhebung der Zeit. Vgl. dazu B. Barthelmes, Der Hörer als Phänomenologe. Neue Hörsituationen nach 1945. Vgl. Sound and Light: La Monte Young, Marian Zazeela.

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2. Konzepte von Bewegung in Form und Raum

verschiedene Räume, entscheidet jedoch selbst, zu welcher Zeit dies geschieht.4 La Monte Youngs Konzept von „getting inside a sound“ impliziert allerdings nicht allein die Erfahrung von Bewegung und Veränderung. Gleichzeitig nimmt man die „stehenden Klänge“ als unwandelbar und stationär wahr, als „natürliche“ Umgebungen, die von daher auch keinen Beginn und kein Ende markieren (können), als einen klanglichen „Zustand“.5 Man ist geneigt, von „unendlicher Form“ zu sprechen, womit Stockhausen seine „Moment-Form“ gleichgesetzt hat.6 Der Formbegriff war in der Musik allerdings immer problematisch, hat man es doch mit einem Material zu tun, das nicht eigentlich materiell genannt werden kann.7 Daher sind perzeptive Formierungsprozesse von Klang als Bewegung eher plausibel zu machen, wenn sie durch ein geeignetes Medium verdeutlicht oder „materialisiert“ werden. Dies geschieht bereits bei der Hörbarmachung oder Verstärkung von Resonanzen, sobald also ein Aspekt der Wirkung von Schall herausgestellt wird. Auch durch eine Visualisierung der Vorgänge ist dies zu erreichen, womit sich der Komponist Alvin Lucier beschäftigt hat. In seinem Stück The Queen of the South (1972) beispielsweise bilden sich auf Platten, die durch Klang in Schwingungen versetzt werden und mit feinem Streugut bedeckt sind, ChladniFiguren aus. Lucier ist in diesem Stück nicht an der Fixierung solcher Figuren interessiert, sondern die Aufführenden, die die Klänge im Konzert erzeugen, folgen vorrangig den Veränderungen und Wandlungen der entstehenden Muster.8 In weiteren Stücken, die „seeing sound“ gewidmet sind, setzt Lucier Flammen oder schallempfindliches Licht ein. Bei den Tyndall Orchestrations (1976) sind es durch Schall angeregte oder veränderte Formen von Flammen, die die Aufführungssituation bestimmen. Sowohl für die Arbeit mit den Chladni-Figuren als auch mit den Flammen gilt, dass hier unmittelbar die Wirkung von Schall sichtbar gemacht wird. Die Gestaltung der Medien hängt von den Klangaktionen ab, und aus ihrer Prozessualität ergeben sich zeitliche Strukturierungen, die formal erlebt werden können.

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Vgl. zu La Monte Youngs Klangpräsentation auch M. Nyman, Experimental Music. Cage and Beyond, S. 142f.; vgl. auch E. A. Lippman, Spatial Perception and Physical Location as Factors in Music, S. 28ff. Vgl. Yves Kleins Symphonie monoton-silence (UA am 9. März 1960 in Paris), vgl. T. Kellein, Intermediäre Tendenzen nach 1945, S. 442; J. D. Kramer, The Time of Music, S. 210f. Vgl. K. Stockhausen, Momentform. Neue Zusammenhänge zwischen Aufführungsdauer, Werkdauer und Moment, sowie ders., Erfindung und Entdeckung. Ein Beitrag zur FormGenese. Vgl. A. Riethmüller, „Stoff der Musik ist Klang und Körperbewegung“; vgl. auch ders., Die Musik als Abbild der Realität. Zur dialektischen Widerspiegelungstheorie in der Ästhetik, insb. S. 39–43. Vgl. Verf. Klang sehen – Konzepte audiovisueller Kunst in der neuen Musik.

2.2 Klangproduktion und Formgenerierung

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2.2 KLANGPRODUKTION UND FORMGENERIERUNG In einer „Klangumgebung“ ist das Erleben von Abfolgen, von Abschnitten oder Segmenten also primär eine Erfahrung des Hörers oder Besuchers. Anders gestaltet sich die Situation bei der Integration von Musikern, die die Klänge herstellen oder variieren. Von besonderem Interesse ist hier eine Formauffassung, die der Komponist Earle Brown beschrieben hat: „this is the possibility of form as a function of people acting directly in response to a described environment of potential.“9 Mit „environment of potential“ hatte Brown einen breitgefächerten Komplex im Auge, „a chain of cause and effect extending from the original conception of the work, through the graphic representation as ‚score‘, to performance realization as actual sound.“10 Form beschreibt er in diesem Kontext als „manifestation of the disposition of elements“ und „result of activity in relation to a ‚labyrinth of implications‘ rather than as a fixed configuration.“11 Das von Brown exponierte Anliegen, das er mit anderen Komponisten „indeterminierter Musik“ teilt, besteht in der Neu- oder Umbewertung der Aufführungssituation.12 Angeregt von Modellen der Jazz-Improvisation begriff er den spielerischen Ablauf als Entstehung und Gestaltung von Form, als einen „forming process“, ohne dass eine Form vorgegeben wäre.13 Die Aktionen und Interaktionen der Musiker fasste er als „synergetische“ Zeitgestaltung auf, die bei jeder Aufführung neu herauszufordern ist – „synergism is defined as: Cooperative action of discrete agencies such that the total effect is greater than the sum of the two effects taken independently“.14 Um dies zu erreichen, entwickelte er spezielle „graphic notations“ und „graphic scores“, die in verschiedener Hinsicht das Konzept von „Offenheit“ und „Mobilität“ des Aufführungsprozesses bedingen.15 Der Notentext wird nicht mehr reproduziert, sondern ist ein „Agent“ der jeweiligen Musikproduktion, er hat in erster Linie „stimulierende Funktion“.16 Brown ging es „um die Möglichkeiten eines Notationssystems zur Hervorbringung einer auralen Welt, die sich der 9 E. Brown, in: Form in der Neuen Musik, S. 57. 10 Ebenda. 11 Ebenda, S. 58, 61. Vgl. P. L. Quist, Indeterminate Form in the Work of Earle Brown: „Brown’s concept of Form cannot be separated from the other elements of the composing-performing process, because he considers the materials he presents to contain many possible forms rather than a single inevitable one. The forms which arise from the given material are suggested to the individual performer (or conductor) and are dependent upon the reactions provoked. This is the ‚labyrinth‘ effect Brown mentions often in his writing“ (S. 31). 12 Vgl. R. Zierolf, Indeterminacy in musical form. 13 E. Brown, in: Form in der Neuen Musik, S. 62. 14 Ebenda, S. 59. 15 Vgl. U. Rausch, Grenzgänge. Musik und Bildende Kunst im New York der 50er Jahre, S. 87. 16 Vgl. H.-Chr. Müller, Zur Theorie und Praxis indeterminierter Musik, S. 209. „Brown’s interest in indeterminacy is best understood as a means of stimulating – ‚provoking‘ is Brown’s preferred term – situations of indeterminacy in performance, in other words, improvisation“ (siehe J. Holzaepfel, David Tudor and the performance of American experimental music, 1950–1959, S. 92).

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2. Konzepte von Bewegung in Form und Raum

traditionellen Notation und Analyse entzieht und eine Aufführungs-‚Realität‘ schafft, die es zuvor nicht gab.“17 Die formale Offenheit und das Konzept der „offenen Form“ verfolgte Brown bereits Anfang der 1950er Jahre, bevor sie insbesondere durch Umberto Ecos Opera aperta (1962) im literatur- und kunsthistorischen Diskurs aufgegriffen wurden. Die Vorstellung von „Form als Prozess“, die sich bei John Cage Ende der 1950er und in den 1960er Jahren durchsetzte – als er unter anderem sein Konzept von „indeterminacy“ entwickelte –, hat bei ihm einen anderen Ankerpunkt, der ihn nicht nur in formaler Hinsicht beeinflusste: Edgard Varèse. Von ihm übernahm Cage nicht nur das Verständnis von Komposition als „organization of sound“, sondern Varèses Auffassung von Form hinterließ ebenfalls Spuren. 1959 hatte Varèse erklärt: „Form is a result – the result of a process [...] There is an idea, the basis of an internal structure, expanded and split into different shapes or groups of sound constantly changing in shape, direction, and speed, attracted and repulsed by various forces. The form of the work is the consequence of this interaction.“18 Den Prozess allerdings (kompositorisch) zu steuern oder den performativen Vollzug von den Neigungen und Eigenheiten der Interpreten abhängig zu machen, dies lehnte Cage – im Gegensatz zu Brown – allmählich ganz ab.19 Cage stellte die Schaffung eines musikalischen „Objekts“ dem (unvorherzusehenden) Prozess der Aufführung gegenüber; dabei geriet auch die Rezeption neu ins Blickfeld: „[...] the process has to be seen as subjective to each individual […] people realize that they themselves are doing their experience, and that it’s not being done to them.“20 Diese Erfahrung geht (auch) bei Cage auf die sichtbare Aktion als Klangquelle zurück. Es entsteht demnach eine „temporale Textur“, die als Form wahrgenommen werden kann: „Phrases occur as parts of the music which ‚hang together‘ through the consistency of a gestural or timbral type. Alternately, silence or some distinctive articulating event will provide demarcation.“21 Allerdings wird bei vielen Cage-Aufführungen die Aufmerksamkeit dezentralisiert und das Ideal der Beobachtung oder des Nachvollzugs eines Geschehens durchkreuzt. Ein zweiter Aspekt, der in diesem Kontext betont wurde, ist die Erfahrung von Präsenz, von Ereignissen oder Aktionen, die nichts repräsentieren, sondern für sich genommen „ästhetisch“ rezipiert werden. „Nonteological music has only its present, but no past and no future. It simply is. Its purpose, according to Cage, is to be perceived, not to communicate.“22 Allerdings sind auch in diesem Fall die 17 E. Brown, Notation und Ausführung Neuer Musik, S. 65. 18 E. Varèse, The Liberation of Sound, S. 203. Vgl. J. Cage, Composition as Process und Edgard Varèse; vgl. auch J. Strawn, The Intégrales of Edgard Varèse. Space, Mass, Element, and Form. 19 Vgl. dazu insb. D. A. Campana, Form and Structure in the Music of John Cage, S. 110ff.; vgl. auch S. Feißt, „I have been most of my life with a chip on my shoulder against improvisation“ – Zur Bedeutung der Improvisation im Schaffen von John Cage. 20 Interview with Roger Reynolds, S. 50. 21 J. Lochhead, Performance Practice in the Indeterminate Works of John Cage, S. 239. Vgl. dazu auch D. P. Miller, The Shapes of Indeterminacy. John Cage’s Variations I und Variations II. 22 J. D. Kramer, The Time of Music, S. 384.

2.2 Klangproduktion und Formgenerierung

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Ereignisse nicht einfach vorhanden, sondern sie werden produziert und in ihrem „Erscheinen“ ästhetisch wahrgenommen. Dies impliziert aber Temporalität, und gerade dadurch wird das besondere Augenmerk auf die Art und Weise der Aktionen, Gebärden, Gesten, auf die besondere Weise der Hervorbringung und/oder Aufnahme von Phänomenen gelegt (das Wahrnehmen der eigenen Wahrnehmung eingeschlossen).23 Von Form spricht Cage in diesem Zusammenhang als „morphology of a continuity“24, zudem als „expressive content“.25 Beides wird nun den Aufführenden überlassen. Was sich ereignet und wie es sich ereignet resultiert aus ihrer Beschäftigung mit Cages kompositorischem Konzept und den dazugehörigen Partituren als Spielvorlagen oder „tools“. Der Komponist kann die Ergebnisse dieser Arbeitsschritte weder vorhersehen noch kontrollieren. Für Heinz-Klaus Metzger hatte dies zwei Konsequenzen: Zum einen sah er in Cages Vorgehen die Unterwanderung oder das Unterlaufen von Form als „Abhandlung von Prioritätsverhältnissen in der Zeit“, das heißt, die Abläufe im performativen Prozess seien als gleichrangig zu betrachten, es gäbe keine bestimmte Reihenfolge oder etwa Hervorhebungen von Ereignissen, zum Beispiel durch (geplante) Wiederholungen.26 Dies sei der traditionellen Formauffassung entgegengesetzt, obgleich, wie Metzger anhand von Schönberg (und Adorno) herleitet, das, „was immer in traditioneller Musik Form hieß, schon dahin wollte.“27 Die zweite Konsequenz aus Cages „Freisetzung der Aktion“ liege darin, dass die Vorgänge auf dem Konzertpodium auch als sichtbare, als theatrale Ereignisse ins Bewusstsein kommen, womit „Ansätze zu einem neuen Musiktheater“ verbunden seien.28 Stockhausen hat in seinem Vortrag Musik und Graphik ebenfalls auf diese Dimension hingewiesen. Die „Aktion selbst [wird] zum Vehikel des Klangs; Hören und Sehen fallen zusammen, gehörte Vorgänge werden als unmittelbare Folge der agierten verstanden. Hier liegen Ansatzpunkte zum wirklichen musikalischen Theater, zum Kunst-Theater [...], daß nichts außerhalb seiner selbst bedeutet.“29 In bezug auf „Form“ ging Stockhausen in diesem Text allerdings nicht auf die Abläufe während der Aufführung ein, sondern ausgehend von neuen Verhältnissen zwischen Notentext beziehungsweise -bild und Klang konzentrierte er sich hauptsächlich auf die „Vieldeutigkeit“ von Form.

23 Vgl. dazu M. Seel, Ästhetik des Erscheinens. 24 Vgl. auch Cages Kommentare zu „form“, „content“, „structure“, „process“ 1962: „I imagine that when I used the word ‚form‘ then, that I meant what I later called ‚structure‘ (the divisibility of a whole into parts). Later I used ‚form‘ in the same sense that people generally use the word ‚content‘[…] Now I don’t bother to use the word form, since I am involved in making processes, the nature of which I don’t foresee“, in: Interview with Roger Reynolds, S. 49f. 25 Cage: „everything is expressive“; „Then the sounds the performer makes should be free of intention in order to allow them […] to be fully expressive“ (ebenda, S. 48/49). 26 H.-K. Metzger, John Cage oder Die freigelassene Musik, S. 8, 15. 27 Ebenda, S. 15. 28 Ebenda, S. 17, vgl. dazu auch H.-K. Metzger, Instrumentales Theater [1970]. 29 K. Stockhausen, Musik und Graphik, S. 185.

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2. Konzepte von Bewegung in Form und Raum

2.3 KLANGKOMPOSITION ALS KOMPONIERTE BEWEGUNG UND FORM „Die entstehende Form ist in Gefahr, von dem Plan klanglicher Zusammenhänge zu einem der motorischen Betätigungen degradiert zu werden, degradiert insofern, als Aktionen ursprünglich nur dazu bestimmt waren, den Klang hervorzubringen. Für den Interpreten wird nun der motorische Aspekt der Klangproduktion, für die Zuhörerschaft das visuelle Erlebnis [...] wichtiger als die – nebenbei – erzeugte Musik.“30 Diese Befürchtungen György Ligetis, die er in seinem ersten Aufsatz über musikalische Form (1960) allerdings nur in einer Fußnote zum Ausdruck brachte, gehören unter anderem bereits zu den Reflexionen über „indeterminierte“ Musik, wie sie Cage vorgestellt hatte. Sie stehen aber auch in Zusammenhang mit Ligetis kritischer Beobachtung des seriellen Komponierens. Die „Statik“ der seriellen Musik durch eine Prise „Aktionismus“ (oder „Indetermination“) aufzufrischen, half in Ligetis Augen nicht darüber hinweg, das grundsätzliche Problem des Auseinanderfallens von kompositorischer Konstruktion und klanglichem Resultat zu beheben.31 In seinem zweiten Grundsatzreferat zum Thema „Form“ bei den Darmstädter Ferienkursen 1965, als dann auch eine „Krise der Form“32 allgemein beklagt wurde, hat Ligeti zwar seine oben genannten Befürchtungen nochmals ausgesprochen, nun aber auch eine Lösung des Problems vorgeschlagen. Durch eine Verlagerung der kompositorischen Methode sei es möglich, „über Form als Intendiertes wieder zu verfügen“, nicht das kompositorische (serielle) Verfahren sei gegeben und primär, sondern „die Konzeption der Totalität der Form, die Imagination der erklingenden Musik.“ Ligeti hat daraus den Schluss gezogen, dass sich dann die kompositorische Methode „dem im voraus projizierten musikalischen Ergebnis“ anschmiegen würde.33 Seine Ausgangspunkte waren im Grunde genommen die klanglichen Resultate des frühen seriellen Komponierens und zugleich die klanglichen Resultate der aleatorischen und indeterminierten Musik, die sich, wie insbesondere Cage demonstriert hatte, letztlich sehr ähnlich sein konnten.34 Bekanntlich hat Ligeti seine „Klangkompositionen“ – das elektronische Stück Artikulation (1958) und die beiden Orchesterstücke Apparations (1958/59) und Atmosphères (1961) stehen am Beginn – als Gestaltung, Kombination, Verwebung von klanglichen „Zuständen“ („Materialzuständen“) aufgefasst.35

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G. Ligeti, Wandlungen der musikalischen Form, S. 12f., Fußnote 27. Vgl. U. Dibelius, Ligeti. Eine Monographie in Essays, S. 21. Vgl. Th. W. Adorno, o.T., in: Form in der Neuen Musik, S. 21. G. Ligeti, o.T., in: Form in der Neuen Musik, S. 35. Vgl. den Hinweis auf Ligetis Bezug zu Adorno bei M. Zenck, Auswirkungen einer ‚musique informelle‘ auf die neue Musik. Zu Theodor W. Adornos Formvorstellung. 34 G. Ligeti, Wandlungen der musikalischen Form, S. 9: „Die Gleichgültigkeit solcher Strukturen, Resultat aus Zufallsmanipulationen, ist eng verwandt der Gleichgültigkeit automatischer Erzeugnisse in der früheren seriellen Musik.“ Vgl. dazu auch M. Grant, Serial Music, Serial Aesthetics, S. 131f., 179. Vgl. auch M. Kunkel, „Wandlungen der musikalischen Form“. Über György Ligetis Formartikulation. 35 Vgl. G. Ligeti, Wandlungen der musikalischen Form, S. 14.

2.4 Form in Bewegung – Form als Prozess

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Nicht nur die Verwendung von „stofflichen“ Eigenschaften bestimmter Klänge, sondern die Herstellung beziehungsweise Komposition klanglicher Konsistenzen und deren Metamorphosen wurden für Ligeti maßgebend. Es ging ihm um die Schaffung von Texturen – aus verschiedenen klanglichen Dichten, aus Klangfarbenabstufungen und -wechsel – die, wie Ligeti sich bewusst war, durchaus Assoziationen zu „Visuellem und Ertastbarem“ hervorzurufen in der Lage waren.36 Wie er erläuterte, entwickelte sich diese Arbeitsweise aus seinen Erfahrungen mit elektronischer Musik, in der er die „Aufeinanderwirkung von ‚Aggregatzuständen‘“ und die „Permeabilität“ verschiedener Klangtypen hatte erproben können.37 Die komponierte, kompositorisch bestimmte Klangentstehung in der Zeit schließt aber nun auch das ein, was Ligeti – wie es scheint – etwas zurückgesetzt hatte, nämlich die Klangproduktion. Seine Vorgaben, gewisse „Klangzustände“ und ihre Wandlungen zu realisieren, zeugen davon, dass er die instrumentaltechnische Praxis akribisch auslotete. Die sichtbaren Bewegungen und Aktionen der Musiker stehen zwar im Dienst der vorgesehenen „Klangtypen“, sie sind jedoch nicht minder aktionale und visuelle Ereignisfelder, die den Kompositionen eingeschrieben werden.38 2.4 FORM IN BEWEGUNG – FORM ALS PROZESS Ausgehend von vorgängigen kompositorischen, konstruktiven Intentionen kam es ebenfalls zu Veränderungen in der Notation, in den Partituren, die mit neuen Formvorstellungen verbunden waren. Der traditionelle Notentext, der formale „Stabilität“ und Identität verbürgen konnte und sollte, wurde in Bewegung gesetzt. Diese Integration von Mobilität, von Zofia Lissa auch „Aleatorik der Form“39 genannt, hatte in der Tat andere Voraussetzungen als die Konzentration auf KlangBewegungen oder Klang-Aktionen. Hier gingen die Komponisten vom Modell des schriftlich fixierten „Werks“ aus, in das zum Beispiel, wie bei Boulez, mehrere Schichten, optionale Verlaufsstränge oder vertauschbare Teile eingelassen wurden. Das, was seither die „Gestalt“ eines Musikwerks und seine formale Einheit im linearen Ablauf materialisierte und repräsentierte, das wurde selbst mehrdeutig und variabel.40 Wobei klar ist, dass auch der traditionelle Notentext, so sehr er nach und

36 Ebenda. Auch die Assoziation von „Landschaft“ entsteht, vgl. E.-M. Houben, Die Aufhebung der Zeit, S. 47f. 37 G. Ligeti, Wandlungen der musikalischen Form, S. 14f. 38 Vgl. dazu R. Stephan, György Ligeti: Konzert für Violoncello und Orchester, S. 277, 279; vgl. auch H. Lachenmann, Klangtypen der Neuen Musik, und D. Schnebel, Sichtbare Musik, S. 311. 39 Z. Lissa, Über das Wesen des Musikwerkes, S. 176. 40 Es werden grundlegende Überlegungen zur Funktion der Partitur in Frage gestellt, etwa Nelson Goodmans Feststellung: „A score, whether or not ever used as a guide for a performance, has as a primary function the authoritative identification of a work from performance to performance“ (in ders., Languages of Art, S. 128). Vgl. dazu auch W. Seidel, Werk und Werkbegriff in der Musikgeschichte, S. 133–152.

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2. Konzepte von Bewegung in Form und Raum

nach differenziert wurde, stets unbestimmte, das heißt zu interpretierende Ebenen enthielt.41 Mehrere Aspekte ließen sich in diesem Zusammenhang für kompositionstechnische und -ästhetische Orientierungen fruchtbar machen. Zum einen boten bestimmte literarische Vorbilder (etwa James Joyce oder Stéphane Mallarmé) in ihrem Oeuvre Beispiele für den selbstreflexiven Umgang mit dem Medium „Text“, dessen Materialität dadurch ins Bewusstsein kam (sowohl in bezug auf Schrift, Typographie, Layout, der Anordnung von Absätzen und Kapiteln als auch in bezug auf die Gestalt oder den Umfang einer Abhandlung oder eines Buches).42 Zweitens konnte das Aufbrechen der linearen Erzählstruktur und die Schaffung von komplexen, mehrschichtigen Beziehungsnetzen für die Idee eines musikalischen Labyrinths mit mehreren Ausführungswegen, austauschbaren oder reversiblen Teilen sowie offenem Beginn und Schluss nutzbar gemacht werden.43 Drittens bildete die Literatur deshalb ein wichtiger Anhaltspunkt, weil es hier bereits gelungen war, ein ästhetisches Konzept, in dem große Flexibilität mit künstlerischer Kontrolle über ein neues „Universum“ verbunden wurde, in ein „notiertes“ Werk umzusetzen. Damit war also das Werk und/oder der Werkbegriff nicht in Frage gestellt. „Das Werk ändert sein Gesetz nicht wirklich; man gibt ihm eine gewisse Beweglichkeit, aber seine Bedeutung wandelt sich dadurch nicht, ja nicht einmal grundlegend der Höreindruck, den man von ihm hat.“44 Einer der bedeutendsten Aspekte der produktionsästhetischen Einführung von Beweglichkeit oder Flexibilität war die Integration von Zufall.45 Für Pierre Boulez bestand der „labyrinthische Bau“ seiner Dritten Klaviersonate (1955–57, 1963, Uraufführung am 29. September 1957 in Darmstadt bei einem Konzert der Kranichsteiner Musikgesellschaft46) in einem Werk, das „aufgrund sehr präziser Vorkehrungen eine gewisse Anzahl möglicher Fahrbahnen“ bietet, „wobei der Zufall die Rolle der Weichenstellung spielt, die sich erst im letzten Augenblick auslöst.“47 Der Interpret hat sich demnach für die Auswahl, Zusammenstellung und 41 „Musikalisch umfasst das Gebiet des Aleatorischen alles, was nicht ‚in den Noten‘ steht“, schrieb Werner Meyer-Eppler in Statistische und psychologische Klangprobleme, S. 22. Vgl. dazu auch E. Ungeheuer, A la recherche du son trouvé. Unterwegs zu einer musikalischen Hörkunde. 42 Vgl. D. Jameux, L’Expérience Mallarmé; M. Breatnach, Boulez and Mallarmé. A Study in Poetic Influence; H. R. Zeller, Mallarmé und das serielle Denken. 43 Vgl. zur räumlichen „abstrakten Bewegungsfigur“ Labyrinth auch G. Brandstetter, TanzLektüren, S. 319f. Zu variablen Werkkonzepten im Theater, vgl. etwa P. Pörtner, Spontanes Theater. Erfahrungen, Konzepte. 44 P. Boulez, Wille und Zufall, S. 93. 45 Vgl. K. Stockhausen, Erfindung und Entdeckung. Ein Beitrag zur Form-Genese. Vgl. dazu auch H. Schulze, Das Aleatorische Spiel. Erkundung und Anwendung der nichtintentionalen Werkgenese im 20. Jahrhundert. 46 Vgl. Im Zenit der Moderne, Bd. 2, S. 209f. 47 P. Boulez, Zu meiner dritten Klaviersonate, S. 167. Vgl. dazu den von Boulez gelegentlich erwähnten Roman Der Zeitplan von Michel Butor (frz. L’Emploi du Temps), 1956 in Frankreich und 1960 erstmals in deutscher Sprache erschienen. Butors Protagonist Revel kämpft gegen die Gefahren der Tristesse in einer englischen Stadt, indem er den hermeti-

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Abfolge bestimmter Teile und Partien der Klaviersonate zu entscheiden, bevor er eine Version aufführt. Seine „Beweglichkeit“ besteht darin, die vom Komponisten angebotenen Wege und Pfade zu nutzen und sich der „Lenkung“ der Zeichen anzuvertrauen. Der „Zufall“ ist in Boulez’ Werk an Entscheidungen geknüpft, die Zufälliges gleichzeitig ausschließen, „what a performer meets in the Third Piano Sonata is ‚choice‘, not ‚chance‘: the former demands informed and carefully considered decisions (within controlled boundaries) and allows the performer to become more involved in the creative musical process.“48 Für Boulez bedeutete die Einführung des „gelenkten Zufalls“ – auf verschiedenen Ebenen –, Komposition und Zufall zu „versöhnen“ oder den „reinen Zufall“ zu „absorbieren“.49 Die Form beziehungsweise die Formung, die zeitliche und klangliche Gestaltung des Werks – und anderer „mobiler“ oder „vieldeutiger“ Werke mit festgelegten Optionen – wurde also in Aufführungen jeweils von den Entscheidungen der Interpreten abhängig gemacht. Das „Werk“ verlangt hier keine „Kopie“, sondern stellt eine kartographische Handlungsbasis dar, ein rhizomatisches Modell.50 Karlheinz Stockhausens vielzitiertes Klavierstück XI (1956, Uraufführung am 22. April 1957 in New York, Erstaufführung in Europa am 28. Juli 1957 in Darmstadt) gilt als Pendant zur Troisième sonate von Boulez, obwohl die beiden Werke nur partiell vergleichbar sind.51 Zwar ist den Interpreten auch bei Stockhausen die Auswahl und Anordnung von ausformulierten „Werkteilen“ überlassen, die Partitur jedoch – eine großformatige Seite – kann nicht bewegt, gewendet oder flexibel genutzt werden. Dafür ist die Aufführungssituation zugespitzt: die Pianisten sollen keine Entscheidungen über den Ablauf des Stücks treffen, sondern die Auswahl und Abfolge der Teile oder Gruppen dem Zufall des Augenblicks überlassen. „Der Spieler schaut absichtslos auf den Papierbogen und beginnt mit irgend einer zuerst gesehenen Gruppe“, setzt das Spiel auf diese Weise fort, wobei „mit der Bezeichnung ‚absichtslos von Gruppe zu Gruppe weiterschauen‘[...] gemeint [ist], daß der Spieler niemals bestimmte Gruppen miteinander verbinden oder einzelne auslassen will.“52 Im Gegensatz zu Boulez können bei Stockhausen Partien wiederholt werden, ihre Abfolge ist nicht durch „Wegweiser“ oder durch eine zyklische Anordnung vorgegeben. Die 19 Gruppen des Klavier-

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schen Bau des städtischen Raums mit eigenem „Dasein“, mit der eignen Lauf- und Lebenskraft zu durchstoßen versucht. W. G. Harbinson, Performer Indeterminacy and Boulez’s Third Sonata, S. 20. Vgl. P. Boulez, Alea, S. 104ff., vgl. dazu auch M. Stahnke, Beelzebuboulez. Über eine romantische Kategorie der Dritten Klaviersonate, sowie S. Feißt, Der Begriff ‚Improvisation‘ in der neuen Musik, S. 73–76. Vgl. dazu G. Deleuze, F. Guattari, Rhizome. Introduction. „Wir sagen, daß genetische Achse und Tiefenstruktur in erster Linie Prinzipien der Kopie sind und deshalb unendlich reproduzierbar [...] Wenn die Karte der Kopie entgegengesetzt ist, so deshalb, weil sie ganz und gar dem Experiment als Eingriff in die Wirklichkeit zugewandt ist [...] Die Karte ist offen, sie kann in allen ihren Dimensionen verbunden, demontiert und umgekehrt werden, sie ist ständig modifizierbar“ (S. 20f.). Beide Werke entstehen fast parallel, vgl. dazu K. Stockhausen, Vieldeutige Form, S. 248f. Partiturvorwort, K. Stockhausen, Nr. 7 Klavierstück XI, UE 12654, Wien 1957, 61979.

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stücks XI werden aber „miteinander zur Großform verknüpft und beeinflussen sich dabei unmittelbar: die jeweils gegenwärtige, augenblicklich gewählte Gruppe bestimmt zeitlich und räumlich den Charakter der ihr folgenden; Kontinuität entsteht erst im Augenblick einer Interpretation und nur dann“.53 In Mauricio Kagels Transicion II für Klavier, Schlagzeug und zwei Tonbänder (entstanden von November 1958 bis Juni 1959) ist die „Beweglichkeit“ auf die physische Beschaffenheit der Partitur ausgedehnt (Uraufführung am 29. August 1959 in Darmstadt). Dieter Schnebel bezeichnete das Stück als „Kagels europäisches opus 1“.54 Dafür bedeutete Transicion II gleich in doppelter Hinsicht eine Novität. Kagel hatte die neuen Tendenzen der variablen Notation und musikalischen Graphik aufgegriffen und zugleich ein frühes live-elektronisches Stück geschaffen.55 Grundsätzlich können die 21 Abschnitte des Stücks, bestehend aus 9 sogenannten A-Strukturen, 7 B-Strukturen und 5 C-Strukturen, für jede Aufführung neu zusammengestellt werden. Die Bedingungen beziehungsweise Einschränkungen der Auswahl und Zusammenstellung erläuterte Kagel in einem ausführlichen Partiturvorwort.56 So soll jede Aufführungsversion ca. 10 Minuten dauern und jeweils mit einer A- oder C-Struktur beginnen und mit einer B- oder C-Struktur enden. Die Strukturen unterscheiden sich in ihrer graduell abgestuften graphischen und aufführungspraktischen Variabilität beziehungsweise Invariabilität sowie in ihren unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten mit Tonbandaufnahmen und -wiedergaben. Alle C-Strukturen beispielsweise können bei der Aufführung direkt mitgeschnitten werden, und diese Aufnahmen werden (in bearbeiteter Form) im Verlauf der Aufführung wieder abgespielt.57 „Während die Interpreten immer die Gegenwart erfüllen, schaffen sie gleichzeitig Fragmente für die Zukunft, welche, auf Tonband aufgenommen, die Vergangenheit bilden, wenn sie später von Lautsprechern im Saal zu Gehör gebracht werden.“58 Mit Zyklus für einen Schlagzeuger (1959 datiert, Uraufführung am 25. August 1959 in Darmstadt) hatte auch Stockhausen die Entwicklung seiner „vieldeutigen Formen“ durch eine variabel zu benutzende Partitur fortgesetzt und gleichzeitig eine „Einheit“ herzustellen versucht.59 In Zyklus sind 16 „beschriebene Blätter [...] seitlich an einer Spirale befestigt; es gibt keinen Anfang und kein Ende; der Spieler kann mit irgendeiner Seite beginnen, spielt dann aber in der gegebenen Reihen-

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K. Stockhausen, Kommentar zu Nr. 7: Klavierstück XI (1956), S. 69. D. Schnebel, Mauricio Kagel. Musik, Theater, Film, S. 26. Vgl. M. Kagel, Zur neuen musikalischen Graphik. Siehe M. Kagel, Transicion II, UE 13 809, London 1963, Partiturvorwort S. 2–4. Das Verfahren, während der Aufführung Bandaufnahmen zu machen und diese Aufnahmen wieder abzuspielen, nannte man ‚performed tape‘, siehe M. Supper, Elektroakustische Musik und Computermusik, S. 15. 58 M. Kagel, „Transición II“ für Klavier, Schlagzeug und zwei Tonbänder (Radiosendung, WDR Nachtprogramm, 22. Oktober 1959), für die Überlassung des Typoskripts sei Mauricio Kagel herzlichst gedankt. Vgl. auch M. Rebstock, Komposition zwischen Musik und Theater, S. 125–127. 59 Stockhausen kommentierte Kagels Transición II und Zyklus im Rahmen seines Vortrags Musik und Graphik, vgl. dazu Im Zenit der Moderne, Bd. 2, S. 245–256.

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folge einen Zyklus.“60 Mit Zyklus hatte Stockhausen – wie Kagel – nicht nur die Idee einer tatsächlich flexibel zu bewegenden Partitur umgesetzt, sondern das Werk zeigte auch in der Notation neue Tendenzen, beispielsweise eine Anpassung der Zeichengestaltung an die variable Lesart (Spiralbindung links, Spiralbindung rechts). Weder „die Symbole für die einzelnen Instrumente noch die Schallvorgänge durften nach Umdrehen des Blattes ihre semantischen und graphischen Qualitäten einbüßen. In der Tat sind fast alle Symbole für Schlaginstrumente um ihre horizontale Achse symmetrisch.“61 Zudem ist die Notation von Zyklus eine überwiegend graphische Darstellung der klanglichen Realisation, eine sehr genau fixierte Aktions- oder Klangschrift, die den musikalischen Verlauf, Ereignisfolgen und -dichte, Tonhöhen, Intensitäten, Artikulation der Klangproduktion graphisch visualisiert. Sicherlich ist es unangebracht, bei diesen auf das Verhältnis von Komposition und Aufführung bezogenen Veränderungen in der neuen Musik ab Mitte der 1950er Jahre die Bedeutung und den Einfluss von John Cage herabzusetzen. Doch im Blick auf „offene“ und „vieldeutige Form“ nahmen Komponisten auch andere Anregungen auf, vor allem aus der Literatur und „kinetischen Kunst“. Cage wirkte auf die Vorstellung von „Form als Prozess“ vor allem wie ein Katalysator, und zwar nicht in erster Linie deshalb, weil der „Zufall“ in die kompositorische Poetik Eingang fand, sondern primär auf Grund der neuen Fokussierung des Aufführungsprozesses beziehungsweise der neuen, mitschöpferischen Rolle der Interpreten.62 Außerdem begannen die Komponisten und Interpreten mit anderen Formvorstellungen zu arbeiten (zum Beispiel mit der Form des Labyrinths, der Spirale, des Rhizoms, der Prozesse). Auch an den Rezipienten ist im Grunde genommen die Erwartung herangetragen worden, das musikalische Geschehen auf andere, neue Vorstellungen von Form zu beziehen. Darauf hatte Theodor W. Adorno in seinem Vortrag Vers une musique informelle aufmerksam gemacht, mit dem er aus seiner Sicht einen Beitrag zur Bewältigung der „Krise der Form“ zu leisten versuchte.63 Cage hat Adorno zufolge die Aufgabe, die erstrebenswerte Komposition einer musique informelle, noch nicht gelöst, da er seinen Hörern und Zuschauern lediglich vorsetze, was und wie sie im Alltag wahrnehmen. Zudem würden sich „Cage, und sicherlich viele seiner Schüler [...] mit der abstrakten Negation in Sèancen [begnügen], von denen Fäden sich spinnen zu Steiner, zur Eurhythmie, zur lebensreformerischen Sekte.“64 Daneben kritisierte Adorno die hier nicht mehr als Antikunst oder Antikultur aufzufassende, sondern als neo-dadaistische, ins Ästhetische, vielleicht auch Vergnügliche gewendete Präsentation von Aktionen. Allerdings nähere sich Cage in einem Punkt der informellen Musik: im „Protest gegen die sture Komplizität von Musik mit Naturbeherrschung.“65

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K. Stockhausen, Kommentar zu Nr. 9 Zyklus für einen Schlagzeuger (1959), S. 73. E. Karkoschka, Das Schriftbild der Neuen Musik, S. 155. Vgl. auch R. Oehlschlägel, Avantgardist, Scharlatan, Klassiker. Th. W. Adorno, Vers une musique informelle (1961). Ebenda, S. 534. Ebenda.

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2. Konzepte von Bewegung in Form und Raum

Indem Cage jedoch die Natur nicht nur nicht zu beherrschen bestrebt sei, sondern sie auch nicht kompositorisch neu gestalte, sondern sie schlicht und einfach nur präsentiere, sei das Ergebnis eine vorgetäuschte Unmittelbarkeit, die keinen Ausweg biete. 2.5 RAUM UND KLANGBEWEGUNG – RÄUMLICHKEIT UND VERRÄUMLICHUNG Raumanalogien in der Musik haben bezogen auf Form Tradition, wobei bestimmte tektonische und architektonische Schemata herangezogen wurden. Das Bild dieser formalen „Musik-Gebäude“ und damit die Vorstellung von Bewegungen in ihnen unterlag allerdings Veränderungen, die entscheidend von der Auffassung der Zeit (in der Musik) abhängig waren.66 Dabei ist die Entwicklung neuer Zeit- und Raum-begriffe in Philosophie und Phänomenologie, vor allem auch in Zusammenhang mit neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, zu berücksichtigen.67 Die Aufmerksamkeit verlagerte sich seit Ende des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Entdeckung der Möglichkeit nicht-euklidischer Geometrien hin zu einer Systematik des „erlebten Raums“. Man begann, „von verschiedener Seite her die Grundlage des Anschauungsraumes, nämlich das Raumerlebnis und die Raumerfahrung, zum Gegenstand einer eigenständigen Forschung zu machen.“68 So galt zunehmend: „Wollen wir das primäre Raumerleben darstellen, so müssen wir uns von dem Raumbegriff der Physik und der Mathematik unabhängig machen.“69 ‚Raum‘ und ‚Räumlichkeit‘ entwickelten sich allmählich auch in der Musikästhetik zu neuen Reflexionsfeldern. Nach dem Raum-Zeit-Kongress der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 1930 in Hamburg, bei dem das Thema „Musik und Raum“ diskutiert wurde, hat ein Kommentator beispielsweise festgehalten: „Wir erkennen nach all dem, daß wir, um die Tonmannigfaltigkeit räumlich abzubilden, zu einem hochkomplizierten, vieldimensionalen und vor allem inhomogenen, mit der modernen Physik zu sprechen, ‚gekrümmten‘, nicht-euklidischen Raum greifen müssen.“70 Die Musik habe sich vor allem durch die stärkere Betonung von Klangfarben und damit auch von fast „körperlichen“ Klangeigenschaften wie Dichte oder Gewicht sowie durch das Verlassen traditioneller Tonraumbegrenzungen verändert.71 Ein weiterer Faktor trat hinzu, der in diesem Bericht nicht erwähnt wird, jedoch bei dem Kongress angesprochen wurde: dies war die „Verräumlichung“ der Zeit durch Immobilität, die Vorstellung der

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Vgl. A. Briner, Der Wandel der Musik als Zeit-Kunst. Vgl. A. Gosztonyi, Der Raum. Geschichte seiner Probleme in Philosophie und Wissenschaften Ebenda, Bd. 1, S. 472. Vgl. auch O. F. Bollnow, Mensch und Raum. E. Straus, Die Formen des Räumlichen. Ihre Bedeutung für die Motorik und die Wahrnehmung, S. 142. 70 S. F. Nadel, Zum Begriff des musikalischen Raumes, S. 331. Vgl. W. Riezler, Das neue Raumgefühl in bildender Kunst und Musik und H. Mersmann, Zeit und Musik. 71 Vgl. dazu H. H. Dräger, Begriff des Tonkörpers.

2.5 Raum und Klangbewegung

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Öffnung eines neuen „Zeit-Raums“ durch klangliche Statik.72 Zu verweisen war etwa auf Wagners Rheingold-Vorspiel, Bruckners Finalsatz-Apotheosen oder auf Debussys „unendliche“ Klangflächen, man hätte auch auf Charles Ives und seine Meditation über The Unanswered Question (1906) rekurrieren können, wäre dieses Stück damals bereits bekannt gewesen (es wurde erst 1946 uraufgeführt). Mit dem Stillstand von Bewegung im Sinne von gehaltenen Tönen oder Zusammenklängen oder mit ständigen Wiederholungen, die einen Einhalt von Bewegung suggerieren, entstand eine Verräumlichung der Zeit, die zu einer eigenen, selbständigen musikalischen Gestaltungsebene avancierte.73 Befasst man sich mit Arnold Schönbergs kompositorischem Raumbegriff, so wird deutlich, dass er danach gestrebt hatte, eine neue Basis für musikalische „Logik“ und für die Begründung von klanglichen Gestalt-Abfolgen zu entwickeln.74 Albert Jakobik ging davon aus, dass „schon der jüngere Schönberg – lange vor der Konzeption der Reihentechnik – ganz unabweislich eine andere Tonraum-Vorstellung zusammen mit einer anderen Vorstellung kontinuierlich ablaufender Zeit-Momente gehabt haben muß [...] Musikalische Zeit, sich zunächst im Stufengang verkörpernd, wird zusammengeklappt zur Vorstellung eines gewissermaßen statischen und totalen Tonraumes, der die im alten Tonraum entferntest liegenden Örter gleichzeitig umfasst [...] hiernach wäre Schönberg der Komponist, der es versucht, von einer neuen, statischen, stationären, gewissermaßen zeitlosen Tonraumvorstellung aus zu komponieren.“75 Neben den innermusikalischen Veränderungen im Blick auf räumliche Vorstellungen haben etwa Aleksandr Skrjabin oder Ivan Wyschnegradsky in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Visionen für ein multimodales neues Raumerlebnis entworfen, mit Pendants hauptsächlich in neuen Kunst- und Theaterformen.76 Für Edgard Varèse (und nach ihm auch für John Cage) gehörte „Raum“ zu jener Kategorie, die zu einer „liberation of sound“ beitragen konnte, wobei er sich von der Idee der Befreiung der Musik inspirieren ließ, die Ferruccio Busoni in seinem Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst erträumt hatte.77 Ist für Varèse „Raum“ einerseits eine innermusikalische Dimension, eine Metapher der „qualitativen Einheit der Vertikalen und der Horizontalen“, die (wie bei Schönberg) „an die Stelle der komplementären Polarität von Melodik und funktionaler

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Vgl. auch M. Harley, Space and Spatialization in Contemporary Music, S. 48ff. Vgl. dazu J. D. Kramer, The Time of Music, S. 43ff. Vgl. dazu R. Stephan, Der musikalische Gedanke bei Schönberg. A. Jakobik, Arnold Schönberg. Die verräumlichte Zeit, S. 16–18. Vgl. auch R. Busch, Über die horizontale und vertikale Darstellung musikalischer Gedanken und den musikalischen Raum. Vgl. ferner M. Hansen, Arnold Schönberg. Ein Konzept der Moderne, S. 137–153, sowie M. Sichardt, Musikalische Sprache – musikalischer Raum. Zur Strukturierung der musikalischen Zeit in der Musik Arnold Schönbergs. 76 Vgl. B. Barthelmes, Raum und Klang. Das musikalische und theoretische Schaffen Ivan Wyschnegradskys, und dies., Raum, Ort, gelebter Raum, Raumkonzepte in der Musik. 77 Zum Verhältnis Varèse – Busoni vgl. auch J. Stenzl, Busonis Sohn: Zur Genese von Varèses Musikästhetik, sowie A. Riethmüller, „Melodie“ bei Edgard Varèse? Zwischen Offrandes und Hyperprism.

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2. Konzepte von Bewegung in Form und Raum

Kadenz“78 tritt, und eine formale sowie expressive Kategorie, so kann jedoch angenommen werden, dass Varèse sich auch auf (raum)akustische Gegebenheiten bezieht. „But when you listen to music do you ever stop to realize that you are being subjected to a physical phenomenon? Not until the air between the listener’s ear and the instrument has been disturbed does music occur.“79 Ein weiteres Modell von „spatial music“ vertrat mit seinen Werken seit Anfang der 1950er Jahre Henry Brant. Sein Ausgangpunkt war die grundlegende Tatsache, dass Musik, um überhaupt realisiert werden zu können, einen Aufführungsraum benötigt. „All music is space music. You need a place to put the players and their instruments, a place for the sound to vibrate and to reach the ear. This is scarcely arguable – space is a fundamental musical fact. Remove space, and you have neither tempo, rhythm, nor tone quality.“80 Dies führte Brant dazu „to use the space itself as an expressive musical resource.“81 Der Komponist – in Europa nahezu unbekannt, in Amerika eine Ikone der „experimentellen Musik“ – hat daran immer festgehalten: „All music is space music. Every piece of music is situated in some space where it’s being played and it couldn’t be played otherwise. There has to be a space for you to play your trumpet and a place for me out in the audience to hear it and for the sound waves to move and space for them to reverberate in the hall.“82

Brants „spatiale Musik“ ist für die Verteilung im Raum komponiert. Es ist eine in der Nachfolge von Charles Ives stehende komplexe Musik aus mehreren voneinander unabhängigen musikalischen, stilistischen Schichten, die die horizontal sowie je nach Möglichkeit auch vertikal im Raum verteilten und/oder in Bewegung gesetzten Solisten oder Ensembles separat klanglich umsetzen.83 In der seriellen Musik – in der Nachfolge von Schönberg, aber vor allem auch in einer eigenen Rezeption und Uminterpretation der Werke Weberns – zeigte sich eine weitere Variante des Verständnisses der Verbindung von Musik und Raum.

78 D. A. Nanz, Edgard Varèse. Die Orchesterwerke, S. 411 (vgl. dort Kapitel III). 79 E. Varèse, Music as an Art-Science (1939), S. 199. Varèse soll einmal zu Morton Feldman gesagt haben: „make sure you think about the time it speaks from the stage to out there“, siehe M. Feldman, Essays, S. 156. Für Feldman galt dies als Lektion in Orchestration. 80 Interview with Henry Brant in: Soundpieces. Interviews With American Composers, S. 60. 81 Ebenda. Vgl. auch H. Brant, Space as an Essential Aspect of Musical Composition. Vgl. auch M. A. Harley, Space and Spatialization in Contemporary Music, S. 232–268 (mit ausführlichen Werkbesprechungen). 82 M. Sheridan, F. J. Oteri, Spaced out with Henry Brant (Henry Brant in conversation with Frank J. Oteri, October 2, 2002), www.newmusicbox.org/45/interview_brant.pdf (ges. 30.12.2012); aufschlussreich sind auch zwei Filme mit und über Henry Brant, zum einen Henry Brant: On the nature of music, produziert von Michael Marton, Shushan, NY © 1984, sowie Trajectory: A silent film for Henry Brant, produziert von Frank Diamand, Amsterdam ©1995, in denen Brant seine Thesen zu Raummusik darlegt (mit Ausschnitten aus Aufführungen). Die Filme sind in der Sammlung Henry Brant in der Paul Sacher Stiftung Basel. 83 Die Raumprojekte von Benedict Mason können parallel dazu betrachtet werden, vgl. R. Toop, Forschung, Formung, Fantasie. Der britische Komponist Benedict Mason.

2.5 Raum und Klangbewegung

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Hier ging es nun zunächst um die Schaffung und Ausweitung von konstruktiven, systematischen kompositorischen „Bewegungsräumen“, die es erlaubten, den architektonischen Raum und seine Orte zu integrieren.84 Gisela Nauck zufolge liegt „in dieser Verräumlichung einschließlich der damit verbundenen neuen Situation musikalischer Rezeption [...] die eingelöste Utopie der seriellen Methode begründet.“85 2.5.1 Raumforme(l)n: Erweiterung kompositorischer und innermusikalischer „Spielräume“ Innermusikalische Räumlichkeit hat sich auch nach der Aufgabe der Dur-MollTonalität an Tonqualitäten/Tonhöhen festmachen lassen. Ihr „Beziehungsgefüge“ (R. Stephan) änderte sich zwar, etwa in der Zwölftonmusik, aber die grundsätzliche Arbeit mit distinkten Tonhöhen (Tonstufen, Intervallen) erlaubte eine musikalische „Gestaltbildung“, die von der Vorstellung eines neuen konstruktiven Raums, erweitert im Sinne eines umfassenden Geflechts von horizontalen, vertikalen (und diagonalen) Tonbeziehungen, ausging.86 Das Ideal eines „absoluten“ Raums, in dem man sich kompositorisch nach allen Richtungen bewegen konnte und der sich in den Werken spiegelt, verfolgten unter neuen Prämissen auch die Komponisten der seriellen Musik. „Die in der Schönberg-Schule noch zentrale Vorstellung einer sprachähnlichen musikalischen Syntax weicht dem Formbegriff eines statischen Ganzen, eines abstrakten Raums, in dem die einzelnen Elemente nach vordefinierten Regeln ihren Platz einnehmen. Diese Vorstellung bündelt sich im Begriff der ‚Struktur‘.“87 Die Komponisten dehnten die Serialisierung der Klangdimensionen aus, erweiterten (homogenisierten) das Beziehungsnetz so, dass dieses selbst gewissermaßen Strukturen eines Werks bereithielt. Dies hatte zur Konsequenz: „Serial music is not linear, that is, there is not a logical process of events, rather a field of relations.“88 Der zeitliche Verlauf wird als „statisch“ empfunden – hier sei an das erste Kapitel erinnert –, Ereignisse in der Zeit wirken gleichförmig, vielleicht auch beliebig, es gibt nur virtuellen Zusammenhang und Bewegung in einem abstrakten, nicht wahrnehmbaren Beziehungsgeflecht. „Absolute space is in fact not extension but the abstract condition for the existence and motion of material objects.“89 Bestimmte räumliche Vorstellungen, Strukturen oder „Raumformen“, die sich prozessual in der Zeit entfalten, jedoch eine symmetrische oder zyklische „Geschlossenheit“ aufweisen, können als Medien verstanden werden, die die Dar84 Vgl. zu den Anfängen der „seriellen“ Webern-Rezeption I. Kovács, Wege zum musikalischen Strukturalismus; vgl. auch G. Schubert, Zur Rezeption der Musik Anton von Weberns. 85 G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 36. 86 Vgl. dazu R. Stephan, Der musikalische Gedanke bei Schönberg. Zu „diagonalen“ Beziehungen vgl. H.-K. Metzger, Webern und Schönberg, sowie P. Boulez, Musikdenken heute 1, S. 99ff. 87 I. Kovács, Wege zum musikalischen Strukturalismus, S. 82. 88 M.J. Grant, Serial Music. Serial Aesthetics, S. 158. 89 M. D. Akhundov, Conceptions of Space and Time. Sources, Evolution, Directions, S. 113.

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2. Konzepte von Bewegung in Form und Raum

stellung solcher ungerichteten Beziehungsgeflechte erlauben. Anzuführen sind beispielsweise Spiegelungen oder Kreuzungsvorgänge, Kreisformen wie die Spirale, aber auch die Vorstellung von einem Kristall, von einem Prisma, von einem Kaleidoskop oder von einem Mobile, die hauptsächlich in der Musik Weberns modellhaft vorgebildet schienen.90 Ferner sind in den Raum projizierte gemusterte oder mosaikartige Flächen denkbar, die wie abstrakte Landschaften durchquert werden können. Die Nähe zur Malerei etwa von Paul Klee wird greifbar, dessen Werk bekanntlich für einige Komponisten (etwa für Boulez) auch maßgebend wurde.91 Goeyvaerts, Stockhausen oder Boulez benutzten zu Anfang ihrer seriellen kompositorischen Arbeit Spiegelungen und Kreuzungsstrukturen sowohl auf der satztechnischen Mikro- wie auf der formalen Makroebene, wobei die Sonate für zwei Klaviere von Goeyvaerts, komponiert im Winter 1950/51, das Vorbild gab für Stockhausens Kreuzspiel (entstanden im Herbst 1951) und vielleicht auch Einfluss nahm auf Boulez’ zweite Fassung von Polyphony X (Frühjahr 1951) und Structures I für zwei Klaviere (Frühjahr 1951/Frühjahr 1952).92 Das Diagonalkreuz, wie Kreuzfiguren überhaupt, vereinigt bezeichnenderweise Offenheit – beide Enden „kommen aus dem Unbegrenzten und ziehen auch dorthin weiter“ – mit der Geschlossenheit einer symmetrischen Gestalt.93 Auf dem Weg zu einer Homogenisierung der seriellen Organisation der verschiedenen Klangbereiche nimmt Boulez’ Polyphonie X eine Zwischenposition ein. Als er mit der Komposition des Stücks unter dem Titel Polyphonies begann, hatte Boulez bei Olivier Messiaen studiert, beschäftigte sich seit längerem mit der Zwölftonmethode und stand in regelmäßigem Austausch mit John Cage.94 In der dreiteiligen zweiten Fassung der Polyphonien, die unter dem Titel Polyphonie X bekannt wurde (uraufgeführt in Donaueschingen am 6. Oktober 1951 und dann vom Komponisten zurückgezogen), hat Boulez in erster Linie die Instrumentation reduziert, geblieben sind 18 Stimmen in sieben Gruppen (1: Piccoloflöte, Kleine Klarinette, Englischhorn; 2: Oboe, Bassklarinette; 3: Flöte, Fagott; 4: Tromba piccola, Altsaxophon, Horn, Posaune; 5: Violine I, Cello I; 6: Violine II, Cello II; 7: Bratsche I, 90 Vgl. R. Köhler, Der Kristall als ästhetische Idee. Köhler hebt die Idee der Kristallisation hervor, offen bleibt die Frage nach dem Kristall als Raum. Vgl. dazu auch D. Schnebel, Anleitung zum Hören (Weberns op. 27). 91 Vgl. M. J. Grant, Serial Music. Serial Aesthetics, S. 34–38. Vgl. dazu P. F. Stacey, Boulez and the Modern Concept, sowie insb. M. Bandur, Aesthetics of Total Serialism. Contemporary Research from Music to Architecture, S. 51ff. 92 Vgl. dazu H. Sabbe, Die Einheit der Stockhausen-Zeit...; vgl. auch R. Toop, Messiaen/ Goeyvaerts, Fano/Stockhausen, Boulez. Vgl. zu Stockhausens Kreuzspiel Chr. v. Blumröder, Die Grundlegung der Musik Karlheinz Stockhausens, S. 44–69. Vgl. ferner W. Strinz, „Que d’interférences à provoquer...“. Bemerkungen zur Kompositionstechnik in Pierre Boulez’ Polyphonie X pour 18 instruments. Vgl. dazu H. Sabbe, Goeyvaerts and the Beginnings of ‚Punctual‘ Serialism and Electronic Music, S. 71 (es scheint keine direkte Verbindung zwischen Goeyvaerts und Boulez gegeben zu haben). 93 Siehe I. Riedel, Formen. Kreis, Kreuz, Dreieck. Quadrat, Spirale, S. 41. 94 Datierung: 1. Fassung 1949/50, 2. Fassung 1951. Vgl. Interview mit Dominique Jameux zu Polyphonie X, Structures for two pianos and Poésie pour pouvoir.

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Bratsche II, Kontrabass).95 Beruht Polyphonien im Anfangsstadium der Arbeit mit Tonhöhen und Dauern „auf dem Austausch zwischen Reihen und Rhythmen“ sowie „den möglichen Transformationen der einfachen Reihen und Vielfachrhythmen oder den vielfachen Reihen und Einfachrhythmen“ und auf dem ständigen Wechsel der Instrumentalgruppen, so kommt mit der zweiten Fassung ein neuer Aspekt des Wechsels oder der „Überkreuzung“ hinzu, der die Reihenableitung und -zusammensetzung und damit auch die Erzeugung der Klang-Komplexe (Aggregate) betrifft. Während Boulez mit Polyphonie X (und dessen Vorstufe Polyphonien) befasst war, erprobte Cage die ersten Zufallsverfahren im Concerto for Prepared Piano (Sommer 1950 bis Anfang 1951) und den Sixteen Dances für Merce Cunningham (1950–51).96 Er begann die Aufeinanderfolge von Klängen nicht mehr von einer „Stimme“ oder von melodischen Patterns lenken zu lassen, sondern sein „Material“ auf einem „Schachbrett“, einem „magischen Quadrat“ anzuordnen, auf dem man „Züge“ vornehmen und somit Klangfolgen erzeugen konnte, die keinen Zusammenhang aufweisen (obwohl zufällig erscheinende Melodien akzeptiert oder unterstrichen wurden).97 Obwohl sich Cage in verschiedener Hinsicht durch die Zufallsverfahren „entlastet“ fühlte, und obwohl er davon ausging, einen neuen Handlungsspielraum erobert zu haben, stellte er fest, „daß, obwohl in der Metamorphosenidee Bewegung angelegt ist, jeder Satz eher wie ein Standfoto wirkt und nicht wie ein Film.“ Auch bei den Sixteen Dances, deren Komposition vor dem dritten Satz des Klavierkonzerts eingeschoben wurde, ergab sich ein ähnliches Resultat: „Nach jedem Paar Tänze verschwinden 8 Elemente und werden durch 8 neue ersetzt, so daß die Klänge am Ende des Abends ganz andere sind als am Anfang. Doch an jedem Punkt stellt sich die Situation als statisch dar.“98 Um größere Mobilität innerhalb seines neu entdeckten Verfahrens mit den Zahlenquadraten zu erreichen, dehnte Cage das Verfahren in Music of Changes (1951) nicht nur auf die einzelnen Klangparameter aus, sondern ließ auch die Faktoren „Unbeweglichkeit“ und „Beweglichkeit“ durch Münzwurf und I Ching entscheiden.99 Auch Boulez strebte danach, einen „Raum“ zu komponieren, der aus voneinander unabhängigen Klangereignissen bestehen sollte. Dafür entwarf er Zahlenquadrate, in denen Reihen von Tonhöhen durch Zahlen repräsentiert werden, die 95 Vgl. dazu die Erläuterungen von Boulez in seinem Text Möglichkeiten. 96 Vgl. zu Vorstufen M. Erdmann, Untersuchungen zum Gesamtwerk von John Cage, S. 4–6, 39ff. 97 Vgl. Pierre Boulez, John Cage. Der Briefwechsel, S. 102ff. (Brief von Cage an Boulez, 22. Mai 1951). Vgl. J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 63. 98 Pierre Boulez, John Cage. Der Briefwechsel, S. 105 (Brief von Cage an Boulez, 22. Mai 1951). „Die Grundidee ist, daß jedes Ding es selbst ist, daß seine Verhältnisse mit anderen Dingen auf natürliche Weise entstehen und nicht durch irgendeine Abstraktion des ‚Künstlers‘ geschaffen werden“ (S. 108). 99 Vgl. ebenda S. 106: „unbeweglich = fortbestehend mit der Möglichkeit zur Wiederholung; beweglich = verschwindet nach einmaliger Anwendung, ein neuer Klang nimmt seinen Platz auf der Tafel ein“.

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sich nicht mehr auf die Qualität der Töne rückführen ließen, sondern das Erscheinen innerhalb einer aufgestellten Reihe anzeigen. „Die Symbolisierung der Töne durch Zahlen soll also der einheitlichen Handhabung aller Dimensionen dienen, für die vergleichbare, als chromatisch deklarierte Skalen aufgestellt werden.“100 Wie Boulez in einem Brief an Cage im August 1951 im weiteren erklärt, ergibt sich aus seinem Verfahren generell die Konsequenz, einerseits dem Automatismus der Reihen folgen, andererseits willkürliche andere Steuerungsmechanismen in das System einbringen zu können. Er strebte ebenfalls danach, innerhalb des Systems Statik und Mobilität zu verbinden beziehungsweise die Beweglichkeit optimal auszudehnen.101 Dies hatte Boulez in den Structures I a,b,c für zwei Klaviere entfaltet.102 Offenbar unabhängig von Boulez und Cage entwickelte ein anderer MessiaenSchüler, Karel Goeyvaerts, ebenfalls das Ideal einer in sich ruhenden, statischen Raum-Zeit-Struktur, er „hatte [es] sich zur Aufgabe gemacht, die ‚transzendente Wahrheit‘, das Eine, Unbeweglich-Unveränderliche zu hypostasieren und es in die Zeit, in den Zeit-Raum zu projizieren.“103 Kompositionstechnisch griff Goeyvaerts (noch vor Boulez) in seiner Sonate Nummer 1 für zwei Klaviere (komponiert 1950/51, uraufgeführt 1951 in Paris) auf Messiaens „Schlüsselwerk“ Mode de valeurs et d’intensités und auf Weberns Klaviervariationen op. 27 zurück.104 Er ordnete Tonhöhen, Lautstärkegrade (Intensität), Dauern und Anschlagsarten in Reihen an, denen eine symmetrische Zahlenfolge (mit „Zentralwerten“) zugeordnet wird, die ihre Kombinierbarkeit fundieren.105 Die Zahl sieben steht im Mittelpunkt der Reihenbildung, die Sonate für zwei Klaviere besteht aus vier Teilen, wobei der zweite Teil vom dritten Teil und der erste vom vierten Teil rückläufig wiederholt wird.106 Wichtig war Goeyvaerts jeweils die Schaffung von Mittelachsen, die 100 P. Decroupet, Rätsel der Zahlenquadrate. Funktion und Permutation in der seriellen Musik von Boulez und Stockhausen, S. 25. 101 Vgl. I. Kovács, Wege zum musikalischen Strukturalismus, S. 190. Vgl. Pierre Boulez, John Cage. Der Briefwechsel, S.110–115. 102 Vgl. P. Decroupet, Rätsel der Zahlenquadrate. Funktion und Permutation in der seriellen Musik von Boulez und Stockhausen. Vgl. dazu György Ligetis erste ausführliche Analyse Pierre Boulez. Entscheidung und Automatik in der Structures Ia. Vgl. zur Entstehung und Wirkungsgeschichte dieser Analyse R. Piencikowski, Inschriften. Ligeti – Xenakis – Boulez, sowie die folgende Bemerkung Piencikowskis: „In den Structures geht es ihm [Boulez] wohl, wie in den Kompositionen der Jahre davor, um einen homogenen Klangraum, darum, daß man die Reihe nicht thematisch hört, daß man sie nicht als Linie verfolgt. Deshalb wählte er diese Zickzack-Verläufe, damit man nicht der Linie folgt, sondern der Verteilung (répartition)“ (S. 19). 103 H. Sabbe, Die Einheit der Stockhausen-Zeit..., S. 58. Vgl. auch M. Delaere, The Projection in Time and Space of a Basic Idea Generating Structure. Vgl. auch I. Misch, Zur Kompositionstechnik Karlheinz Stockhausens: GRUPPEN für 3 Orchester (1955–1957), S. 10–15. Vgl. auch K. Goeyvaerts, Damals und heute. Vortrag und Gespräch bei den Darmstädter Ferienkursen 1988. 104 Die Variationen für Klavier op. 27 galten als Ankerpunkt für die damalige WebernRezeption. Vgl. Im Zenit der Moderne, Bd. 1, S. 229–266. Vgl. auch D. Schnebel, Anleitung zum Hören (Weberns op. 27). 105 Vgl. H. Sabbe, Die Einheit der Stockhausen-Zeit..., S. 9f.

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Kreuzungsvorgänge geradezu natürlich herausfordern. Man kann davon ausgehen, dass seine Reaktion auf Messiaen und seine Idee der „totalen Serialisierung“ der erste wichtige Schritt auf diesem Gebiet war, der aber, insbesondere nach einer Aburteilung Adornos, musikgeschichtlich ins Abseits geraten ist.107 Stockhausen, der sich mit Goeyvaerts seit 1951 regelmäßig über seine kompositorischen Schritte ausgetauscht hat, bewunderte seine Idee, mochte ihm aber nur teilweise folgen. Er schrieb ihm Ende 1952 (11. Dezember), als er in Paris seine „konkrete Etüde“ fertigstellte: „Ich möchte Dich doch daran erinnern, daß gewiß nichts vollkommen homogen, vollkommen statisch, daß nichts außer der Zeit sein wird auf dieser Welt (...) Das existentielle Homogen-Sein ist nicht einmal in der Stille, viel weniger bei einem Klang zu erreichen.“108 Stockhausen hatte mit seinem Kreuzspiel (ursprünglich als Mosaike geplant) auf Goeyvaerts Vorbild reagiert.109 Bereits im August 1951, ein Monat nach den Ferienkursen in Darmstadt, beschreibt er Goeyvaerts den formalen Plan seiner neuen Komposition, die zunächst für Singstimme und Klavier konzipiert war. In drei Stadien hatte er Kreuzungsvorgänge vorgesehen, die sich vor allem auf Tonhöhen (Lagen) und Klangfarben beziehen.110 Im Gegensatz zu Goeyvaerts (und Boulez) komponierte Stockhausen keinen statischen „Aufenthaltsraum“, in dem Bewegung indifferent erscheint, sondern einen prozessualen Verlauf. Dabei ging der Komponist von „Orten“ oder „Polen“ im „Ton- oder Klangraum“ aus, bewegte sich gewissermaßen auch von Ort zu Ort und setzte sich ebensolche Orte oder Pole wieder zum Ziel der Bewegungen. Stockhausen nutzte „bereits in diesem frühen Stadium die der Kreuzform [...] inhärente Ton-Bewegung des SichKreuzens als Realisierungsmodell.“111 Die Wahrnehmung des Prozesses wird durch die Aufstellung des Ensembles unterstützt, Nauck zufolge werden „die Werkidee und damit der intendierte Kompositionsraum [...] in den (Bühnen)Raum projiziert.“112 Man möchte fast sagen: ‚trotzdem‘ wurde Kreuzspiel als Paradigma der seriellen „statischen“ und – wie sie bekanntlich von Herbert Eimert betitelt wurde –, „punktuellen“ Musik betrachtet.113

106 Vgl. H. Sabbe, Goeyvaerts and the Beginnings of ‚Punctual‘ Serialism and Electronic Music. 107 Vgl. ebenda, S. 55–94. Adorno hielt die Sonate von Goeyvaerts „für reinen Galimathias“, wie er 1957 Heinz-Klaus Metzger gegenüber berichtet, vgl. Metzgers Musik wozu. Literatur zu Noten, S. 96. Vgl. auch M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 59f. 108 Zit. nach H. Sabbe, Die Einheit der Stockhausen-Zeit..., S. 60. 109 Inwiefern die endgültige Fassung des Werks auch mit der Rezeption von Boulez’ Polyphonie X in Zusammenhang steht, dessen Uraufführung am 6. Oktober 1951 in Donaueschingen stattgefunden hatte, muss einstweilen offen bleiben. Boulez und Stockhausen hatten sich Anfang März 1952 kennen gelernt, als das Kreuzspiel bereits beendet war. 110 K. Stockhausen, Kreuzspiel (1951) für Oboe, Baßklarinette, Klavier und Schlagzeug, S. 11f.; vgl. auch Chr. v. Blumröder, Die Grundlegung der Musik Karlheinz Stockhausens, S. 56ff. 111 G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 176. 112 Ebenda. 113 Vgl. dazu H. H. Eggebrecht, Art. Punktuelle Musik.

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Fraglich ist allerdings, inwieweit Kreuzspiel direkt als Vorstadium von Stockhausens Raum-Musik gedeutet werden kann, denn einerseits hat er Aufführungsanweisungen für das Stück erst 1960 in die dritte Auflage der Partitur aufgenommen114, und andererseits führte er, wie Nauck darlegt, „das Konzept einer Musik im Raum einzig auf die Entwicklung der elektronischen Musik und der damit notwendig gewordenen Lautsprecherverteilung zurück.“115 Durch Stockhausens Werkzählung entsteht der Eindruck, dass Kreuzspiel ein Vor- oder Durchgangsstadium bedeutet, das der Komponist in einigen nachfolgenden Werken, Formel und Spiel für Orchester, Schlagquartett für Klavier und 3 x 2 Pauken sowie Punkte für Orchester weiterführt, um erst in Kontra-Punkte einen regelrechten Anfang zu setzen.116 In Kontra-Punkte für 10 Instrumente (1952/1953), uraufgeführt in Köln am 26. Mai 1953, wird ein zielgerichteter musikalischer Prozess auskomponiert, der durch Bewegungen von Tönen hauptsächlich in verschiedenen Oktavlagen und Klangfarbenbereichen strukturiert ist, sich aber auch in Dynamik und Dauernanordnung abspielt sowie von einer „Ausdehnung“ der „Tonorte“ selbst zu Gruppen getragen wird.117 2.5.2 Klangraum und Klang als Raum Mit der Konzentration auf das akustische, physikalische Element „Ton“ beziehungsweise „Klang“ und auf dessen „Klangatome“ stellte sich der Wunsch ein, dieses „Material“ von innen heraus genauer kennen zu lernen. Für Stockhausen beispielsweise lag in der Exploration des mikroskopischen „Klangraums“ als einer „verborgenen Klangwelt“ eine außerordentliche Faszination, die nur in der Vorstellung, aus den isolierten „Bausteinen“ ein eigenes, rational begründetes, selbstbestimmtes Universum zu schaffen, überboten werden konnte.118 Orientierung boten unter anderem (für Stockhausen schon seit 1952) die Forschungen Werner Meyer-Epplers zur elektronischen Klangerzeugung an der Universität Bonn.119 Die Idee der „Reinheit“ des zu verwendenden Tonmaterials, das eine möglichst rational durchstrukturierte neue „kristalline“ Klangwelt garantieren sollte, musste jedoch bald relativiert werden. Denn war es zunächst einmal bereits schwierig, Sinustöne zu erzeugen, und wurden Sinustöne selbst als Klänge („eine Verstärkung der ‚rauschenden‘ Elektronenbewegung“) erkannt, so ergaben sich

114 Vgl. dazu Chr. v. Blumröder, Die Grundlegung der Musik Karlheinz Stockhausens, S. 161. 115 G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 61 (Fußnote 35). 116 Näher erläutert bei Chr. v. Blumröder, Die Grundlegung der Musik Karlheinz Stockhausens, S. 79f. 117 Vgl. K. Stockhausen, Nr. 1 Kontra-Punkte für 10 Instrumente (1953), S. 20f. Vgl. dazu D. Schnebel, ‚Kontra-Punkte‘ oder ‚Morphologie der musikalischen Zeit‘. 118 Vgl. H. Sabbe, Die Einheit der Stockhausen-Zeit..., S. 44f. 119 Vgl. dazu E. Ungeheuer, Wie die elektronische Musik ‚erfunden‘ wurde... Vgl. auch M. Custodis, Die soziale Isolation der neuen Musik. Zum Kölner Musikleben nach 1945, S. 59ff. Vgl. auch W. Meyer-Eppler, Die elektrischen Instrumente und neue Tendenzen der elektroakustischen Klanggestaltung.

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weitere Probleme, als die elektronische Erzeugung von Sinustönen gelungen war und als diese zu neuen Klängen zusammengesetzt werden sollten.120 Die „Verschmelzung“ der Teiltöne (also ein eher hörphysiologischer und hörpsychologischer Faktor) stellte eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit dar, die dazu führte, dass bei der Klangsynthese alle klanglichen Dimensionen aufeinander abgestimmt werden mussten. Zudem war ein Ausgleich von wahrnehmbaren „Klangstufen“ notwendig, so beispielsweise in Stockhausens Studie II durch Verhallung. Die Erfassung des mikroskopischen Klangraums stellt sich also nicht als Entdeckung eines „reinen, anorganischen Baustoffs“ dar, der als Rohmaterial verwendet werden konnte. Sogar Goeyvaerts, der „tote“ und „reine“ statische Klänge zum Ideal erhoben hatte, besann sich. „Am Ende seines Aufsatzes in dem programmatischen ersten Heft der Zeitschrift die Reihe über elektronische Musik sprach Goeyvaerts eine fundamentale Erkenntnis aus, die der praktische Umgang mit der Klangsynthese gelehrt hatte. Klang ist Bewegung und es waren insbesondere Formen kontinuierlicher Bewegung, fließende Übergänge – symbolisiert im Glissando –, die im elektronischen Studio in den nächsten Jahren [ca. von 1953 aus gerechnet] erprobt werden sollten.“121 Konnte mit elektronischen Mitteln tatsächlich der vertikale „Klangraum“ bis zu den äußersten Grenzen der Hörbarkeit, wozu auch die dynamischen Grenzen zählten, im Prinzip (stufenlos) erreicht und genutzt werden, so ermöglichte die elektronische Klangproduktion auch das genauere Eingehen auf die Zeitlichkeit eines Klangs (Ein- und Ausschwingvorgang sowie Dauer). Auch der ‚Zeit-Raum‘ wurde bis an die Grenzen der Ununterscheidbarkeit von Dauern ausgelotet. Mit der Frage der Wahrnehmung von Veränderungen aber war unmittelbar die Frage nach Bewegung verknüpft. Spätestens an dieser Schnittstelle war der Komponist serieller Musik demnach aufgerufen, die Hörerposition sowie die Perspektive der Interpreten zu berücksichtigen. „Es ist also nicht mehr die ‚Verfahrenswahrheit‘, die zählt, sondern die einzig gültige musikalische Wahrheit: die der akustischen Wahrnehmung.“122 Der zeitliche Verlauf einer Komposition konnte Stockhausen zufolge als „Zeitklang“ oder (abhängig vom Formantspektrum) als „Zeitgeräusch“ gesehen werden (analog zur „Klangfarbe“ oder zum Geräusch). Die Ausführung der temporalen Strukturen auf Instrumenten konnte jedoch nicht in gleichem Maße exakt sein wie ihre elektronische

120 K. Stockhausen, Zur Situation des Metiers (Klangkomposition), S. 53. Darüber hinaus schrieb Stockhausen in einem Brief vom 10. Mai 1953 an Goeyvaerts: „ ... jeder Apparat wird ja wieder von Menschen bedient und eingestellt. Und dabei gibt es keine Normen. Es ist bspw. noch zuverlässiger, selbst für elektronische Klänge p oder f anzugeben, als 15 und 45 db, denn gerade die letzteren Zahlen sind unglaublich relativ und hängen von dem Konstrukteur des jeweiligen Magnetophons, von der Größe des Raumes, von der Besetzung des Saales, von der Aufstellung des Lautsprechers, von den Schwankungen der Stromstöße in der Leitung etc. etc. ab“ (H. Sabbe, Die Einheit der Stockhausen-Zeit..., S. 50). 121 P. Decroupet u. E. Ungeheuer, Karel Goeyvaerts und die serielle Tonbandmusik, S. 118. Vgl. K. Goeyvaerts, Das elektronische Klangmaterial, S. 14–16. 122 K. Goeyvaerts, Das elektronische Klangmaterial, S. 16, vgl. auch K. Stockhausen, Struktur und Erlebniszeit.

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Realisierung. Daher hat Stockhausen dann approximative Spiel-Felder in die zeitliche Disponierung der Kompositionen einbezogen, die statistisch verteilt sein können. Aus den „Aktionsdauern“ (Dauer der Aktionen der Interpreten) ergeben sich dafür mehr oder weniger kalkulierbare Größen („Feldgrößen“), die auch Dauern für Pausen einschließen und zu Gruppen zusammengeschlossen oder in Teilfelder aufgefächert werden können. Daraus resultiert eine Möglichkeit des Changierens zwischen „gemessener Quantenzeit“ und „erlebter Feldzeit“.123 Dauern ließen sich in Klang- und Aktionszeit auffächern. Über den „Umweg“ der elektronischen Musik ergab sich demnach – sofern wir für den Moment bei Stockhausen bleiben – die serielle Erfassung der Zeitdimension von Klang und Stille, und zwar von instrumental beziehungsweise vokal produziertem Klang/Stille einschließlich der Ein- und Ausschwingvorgänge. Auch die temporale Dimension wurde als Qualität des „Klangraums“ seriell komponierbar. „In der Simultaneität von Polymetrik, aleatorischen Zeitmaßen und Polytempi verräumlicht sich Zeit.“124 2.5.3 Raumklang/Raumakustik Raumakustische Gegebenheiten wurden in den 1950er Jahren zunächst vor allem von der theoretischen (physikalischen, akustischen und tontechnischen) Klangforschung untersucht, nachdem sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die Studien zur Raumakustik und Wahrnehmung von Schall im Raum (räumliches Hören) vermehrt hatten und insbesondere mit dem Aufkommen elektronischer Schallaufnahme, -wiedergabe und -verstärkung in der Rundfunk- und Tonfilmtechnik die notwendige Berücksichtigung raumakustischer Faktoren verbunden war.125 Hatte man in den 1920er Jahren das binaurale Hören erforscht, so war es in den 1940er und 1950er Jahren – vor allem ausgehend von der Tonfilmtechnik – die Stereophonie, die Simulation der Raumwirkung von Schall, die die Ton- und

123 K. Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht..., S. 135. „Während sich bisher die Aktion des Spielens – und Hörens – an den in Dauern gemessenen Zeitproportionen zu orientieren hatte, entstehen nun zum Teil erst die Zeitproportionen in der Aktion. Mit anderen Worten: konnte man bisher in der Musik die komponierten Zeitverhältnisse aus der Partitur unabhängig von der klanglichen Realisation entnehmen, und wurde die ‚Richtigkeit‘ einer klanglichen Zeitrealisation an der Zeitnotation der Partitur geprüft, so gibt in einer Feldkomposition die Partitur dort, wo die Aktion notiert ist, überhaupt keinen Aufschluß über die Maße der Zeitproportionen, sondern diese entstehen immer erst im Augenblick der klanglichen Verwirklichung, beim Spielen. Die ‚Richtigkeit‘ der Zeitverwirklichung wird im letzteren Fall an sich selber geprüft; ob nämlich die Aktionszeiten im Augenblick des Spielens in einem organischen Verhältnis zu den hervorzubringenden Klangzeiten stehen“ (ebenda, S. 136). Vgl. auch P. Beyer, Regelwerk und Theorie serieller Musik in Karlheinz Stockhausens GRUPPEN für 3 Orchester. 124 G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 194. 125 Vgl. W. C. Sabine, Collected Papers on Acoustics; J. Engl, Raum- und Bauakustik; L. Cremer, Die wissenschaftlichen Grundlagen der Raumakustik; Gravesano. Musik – Raumgestaltung – Elektroakustik; F. Winckel, Phänomene des musikalischen Hörens, S. 55–67 (Raum). Vgl. ders., Klangwelt unter der Lupe, S. 46ff.

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Studiotechniker beschäftigte.126 Robert Beyer, der von Gisela Nauck herausgestellte Visionär einer neuen Raum-Musik, verband damit früh Möglichkeiten der „Formung des Klangbildes“ im Raum.127 Auch Komponisten begannen sich damit zu befassen, spätestens in Überlegungen zur adäquaten Wiedergabe ihrer „Lautsprechermusik“ und vor allem, als der Aufführungsraum kompositorisch integriert wurde. „Schon im Herbst [1954] hatte Stockhausen an Pousseur geschrieben, daß Stereophonie nun die große Aufgabe sei, die vor ihnen liege.“128 Für Stockhausen gab dann im Dezember 1954 die Aufführung von Edgard Varèses Déserts, bei der er die Wiedergabe des Tonbandes aussteuerte, einen weiteren Impuls. „Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser 8. Dezember einen ersten Anstoß für die stereophone Verbindung von elektronischer Musik und Orchester, wie es in der ursprünglichen Version der Gruppen geplant war, gegeben hat.“129 Doch bereits in Paris Anfang der 1950er Jahre mussten Stockhausen und Boulez mit den Problemen und Möglichkeiten einer räumlich gestalteten Wiedergabe von „Lautsprechermusik“ konfrontiert worden sein. „On July 6th [1951], an experimental performance at the Théâtre de l’Empire offered in a ‚spatialized‘ form due to the ‚relief stand‘ designed by Jacques Poullin, the Symphonie pour un Homme Seul as well as another joint composition by Pierre Henry and Pierre Schaeffer, Toute la Lyre, a ‚concrete opera‘ derived from the Orpheus myth.“130 Es gab demnach in den elektroakustischen Arbeits- und Forschungsbereichen verschiedene Ansätze 126 Vgl. E. Nick u. M. Ulner, Art. Filmmusik, insb. Sp. 198–202; die Prozesse der Schallübertragung bei Film und Rundfunk erforderten sehr früh ein Team von professionellen Tontechnikern für die Handhabung von Mikrophon, Mischpult und Lautsprecher, damals eine „Tonmannschaft“ genannt (Sp. 201), eine Vorstufe der heutigen Klangregisseure. Vgl. zur Filmtechnik auch J. G. Cordonnier, Stereophonische Klangwiedergabe und filmtechnische Klangaufnahme; dort Hinweise auf die seit Anfang der 1930er Jahre in Amerika durchgeführten raumstereophonischen Experimente etwa von H. Fletcher (Bell Laboratories), J.C. Steinberg und W.B. Snow, seit 1939 durch K. de Boer (vgl. Philips Revue) sowie auf Forschungen in Frankreich Mitte der 1940er Jahre. 1932 hatte Leopold Stokowski die erste Stereoschallplatte aufgenommen; 1933 fand in Amerika erstmals eine StereoKonzertübertragung (Telefontechnik) zwischen Philadelphia und Washington D.C. statt. 127 Vgl. G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 55–60, insb. S. 59. 128 M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 108. 129 Ebenda. 1954 wurde zudem das elektroakustische Institut Hermann Scherchens in Gravesano eröffnet, in dem die Gestaltung und neue Techniken der Schallaufzeichnung und -wiedergabe – gerade auch die Technik der Stereophonie – zu den zentralen Aufgaben gehörten. Vgl. dazu A. Moles u. F. Trautwein, Das elektroakustische Institut Hermann Scherchen in Gravesano. Vgl. auch R. Vermeulen, Stereophonie und Stereonachhall, sowie P. Bellac, Der Stereophoner. Ein neues Raumtonverfahren. 130 Pierre Schaeffer. Itinéraires d’un chercheur/A Career in Research, S. 48. Vgl. dazu auch M. Harley, Space and Spatialization in Contemporary Music, S. 128: „Here, music acquired a spatial form which could be either static or kinematic (‚statique ou cinématique‘), with sounds presented on various planes or outlining different trajectories. This was, according to the program notes for this concert, the first attempt at sound projection in three dimensions.“ Vgl. dazu auch J. Poullin, Musique Concrète. Aufnahmetechnik bei der Verarbeitung von Klangmaterial und neuer musikalischer Formen. Boulez weist in Musikdenken heute 1, S. 58, darauf hin, dass er die Aufführungen wahrgenommen und selbst Versuche in diese Richtung unternommen hat.

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und Interessengebiete, von denen aus „Raumklang“ und räumliche Wirkungen von Klang thematisiert wurden. 2.5.4 Klangbewegung im Raum Welche Ziele wurden nun damals mit der kompositorischen Integration nicht nur von einer räumlichen Verteilung von Klang beziehungsweise Klangquellen im Raum, sondern von Klangbewegungen im Aufführungsraum verbunden? Bewirkte einerseits die örtliche spezifische Positionierung und Separierung von Instrumentalisten bei Stockhausen, aber auch beispielsweise bei Dieter Schnebel131, die Hervorhebung einzelner Klangereignisse und gleichzeitig eine erhöhte Transparenz der Struktur – unter anderen Vorzeichen auch in den Werken von Cage –, so stellten andererseits Klangbewegungen im Raum gewisse Kohärenzen her, geplante und unvorhergesehene. Dies konnte verschieden genutzt werden: prozessuale oder gerichtete Verläufe werden verdeutlicht oder sogar zur Funktion dieser Bewegungen, Raum wird durch sie erst geschaffen. Abhängig von den „Akteuren“ und der Art der Bewegungen entstehen zudem Morphologien, Gestalten oder „Erlebnisqualitäten“ – um einen Ausdruck Stockhausens aus dem Zusammenhang der „Gruppen-Form-Genese“ zu benutzen.132 Abgesehen von den Möglichkeiten, durch Bewegungen im Raum Komponenten zu verbinden beziehungsweise einen Zusammenhang wahrnehmbar zu machen, also eine „Gestalt“ hervorzubringen, kann letztere auch einen gestischen Charakter haben beziehungsweise zeichenhaft aufgefasst werden. In Stockhausens Gesang der Jünglinge (erste Aufführung am 30. Mai 1956 in Köln) und in den Gruppen für drei Orchester (Uraufführung am 24. März 1958 in Köln), die entstehungsgeschichtlich miteinander verschränkt sind, werden Möglichkeiten einer „funktionellen Raummusik“ entwickelt.133 „Richtung und Bewegung der Klänge im Raum [werden] funktionell in die Komposition“ einbezogen.134 Der Komponist legte dar, dass dadurch in erster Linie die „Statik“ der frühen seriellen Musik überwunden werden konnte.135 Den Gesang der Jünglinge kommentierte Stockhausen so: „In dieser Komposition wird die Schallrichtung und die Bewegung der Klänge im Raum erstmalig vom Musiker gestaltet und als eine neue Dimension für das musikalische Erlebnis erschlossen. Der ‚Gesang der Jünglinge‘ ist nämlich für 5 Lautsprechergruppen komponiert, die rings um die Hörer im Raum verteilt sein sollen. Von welcher Seite, von wievielen Lautspre131 Vgl. G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 131–154. Vgl. dazu auch G. Nauck, Dieter Schnebel, S. 114–117 („Ästhetischer Standort: Morphologie von Zeit und Raum“). 132 Vgl. dazu I. Misch, Zur Kompositionstechnik Karlheinz Stockhausens: GRUPPEN für 3 Orchester (1955–1957), S. 42–46. 133 Vgl. P. Decroupet, Gravitationsfeld ‚Gruppen‘. Zur Verschränkung der Werke ‚Gesang der Jünglinge‘, ‚Gruppen‘ und ‚Zeitmasze‘. 134 K. Stockhausen, Elektronische und instrumentale Musik, S. 150. 135 K. Stockhausen, Musik im Raum, S. 154. Vgl. G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 195ff.

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chern zugleich, ob mit Links- oder Rechtsdrehung, teilweise starr und teilweise beweglich die Klänge und Klanggruppen in den Raum gestrahlt werden, das alles wird für dieses Werk maßgeblich.“136 Damit sollte eingelöst werden, dass die „polyphone Strukturvorstellung“ der Komposition „nach einer entsprechenden Projektion in den Raum“ verlangt.137 Es kann in diesem Rahmen nur grob auf die „polyphone Struktur“ des Gesangs der Jünglinge eingegangen werden.138 Eine ihrer Ebenen bildet bekanntlich das „Klangkontinuum“ aus gesungenen und elektronisch erzeugten Tönen in sechs zusammenhängenden formbildenden Texturen (A–F), die unter anderem an die Verständlichkeit des Textes gekoppelt sind.139 Die sieben Verständlichkeitsgrade, die Stockhausen ansetzt, werden überwiegend mit dem Eindruck von Räumlichkeit (Abstufungen Nähe – Ferne, Eindruck von klanglichem Vorder- und Hintergrund) verbunden, der hauptsächlich durch die Anordnung verschiedener Lautstärkegrade entsteht, aber auch an die unterschiedliche Deformation von Schallspektren gebunden ist.140 Klangbewegung im Raum bedeutet also hier in erster Linie ein Wechsel von Raumeindrücken und die imaginäre Hör-Erfahrung von Nähe und Ferne beziehungsweise von Annäherung und Entfernung, von deutlichem bis undeutlichem (oder undeutlichem bis deutlichem) Sprachverständnis als prozessuale Verläufe. Diese Erfahrung musste allerdings nicht an den Wechsel des Projektionsortes gebunden sein.141 Der Wechsel von einem Lautsprecher zum anderen, das heißt die Erzeugung von gelenkten Klangbewegungen im Raum konnte aber solche Eindrücke unterstützen. Die Klangbewegungen von Ort zu Ort stellen Verbindungen her (etwa zwischen „Impulsschwärmen“, Frequenzbändern oder Lautartikulationen) und unterstützen daher auch die Polyphonie der verschiedenen Gestalt-, Tempo- und Klangschichten.142

136 K. Stockhausen, Nr. 8 Gesang der Jünglinge (1956), S. 49f. 137 K. Stockhausen, Aktuelles. ‚Gesang der Jünglinge‘: Vorgeschichte, S. 56. 138 Vgl. dazu insb. R. Toop, Stockhausen’s Electronic Works. Sketches and Work-Sheets from 1952–1967, der sich auf Quellen des Kompositionsprozesses und der ‚Realisationspartitur‘ des Gesangs stützt, die als Faksimile-Ausgabe ediert wurden (Stockhausen-Verlag Kürten 2001). Vgl. auch P. Decroupet u. E. Ungeheuer, Through the Sensory Looking-Glass. The Aesthetics and Serial Foundations of ‚Gesang der Jünglinge‘. 139 Vgl. zum Unterschied zwischen „Textur“ und „Struktur“ S. Heikinheimo, The Electronic Music of Karlheinz Stockhausen. Studies on the Esthetical and Formal Problems of its First Phase, S. 72f. 140 Vgl. dazu K. Stockhausen, Musik im Raum, S. 164f.: „Je entfernter der Schall erzeugt wird, um so öfter werden die Schallschwingungen reflektiert, und die ankommende Schwingung ist mehr oder weniger stark amplitudenmoduliert; das Spektrum ist deformierter. Dieses Entfernungshören beruht also vor allem auf dem Unterschied mehr oder weniger stark deformierter Schallspektren“ (ebenda, S. 165). Vgl. auch K. Stockhausen, Musik und Sprache III, S. 61f. Vgl. auch Gesang der Jünglinge. Faksimile-Edition 2001, Realisationspartituren (S. 77–110), dynamische Angaben. 141 Vgl. ebenda, S. 102ff. (Formteil F). 142 Vgl. dazu P. Decroupet u. E. Ungeheuer, Through the Sensory Looking-Glass: The Aesthetics and Serial Foundations of of ‚Gesang der Jünglinge‘. Da die Faksimile-Ausgabe des Stockhausen-Verlags keinen kritischen Quellenkommentar bietet, ergibt sich weiterer Forschungs-

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2. Konzepte von Bewegung in Form und Raum

Eine zweite, oben bereits angesprochene Begründung für die Einführung der Verteilung von Klangquellen im Raum war die Möglichkeit, verschiedene kompositorische Schichten transparent zu machen. Dies betrifft im Gesang der Jünglinge Gruppen von Tönen und Geräuschen (unter anderem Sinustonkomplexe, Impulskomplexe, Laute und Silben, Rauschen, einzelne Impulse und Impulsscharen, Akkorde)143, aber zugleich auch „Zeitspektren“. „Die Einbindung seriell organisierter Zeitschichten in die kompositorische Struktur sollte für ihn [Stockhausen] zur wichtigsten Voraussetzung für die Entwicklung einer Konzeption des musikalisches Raumes werden.“144 Dies galt nun insbesondere auch in den Gruppen für drei Orchester, in denen vor allem die Überlagerung verschiedener Tempi instrumental umzusetzen war. Klangbewegungen im Raum bildeten im Kontrast zur räumlichen Separierung der drei Orchester (links, Mitte, rechts im Aufführungsraum) wiederum Kohärenzen aus, sie trugen in Gruppen gleichzeitig zu einer Dynamisierung des Geschehens bei, vor allem in den sogenannten ‚Einschüben‘, wenn alle drei Orchester gemeinsame Tempi annehmen, und wenn Beschleunigungen und Verlangsamungen als gerichtete „Massenbewegungen“ erscheinen.145 Daneben war beabsichtigt, „Tongruppen im Raum von einem Klangkörper zum anderen wandern zu lassen, gleichzeitig einander ähnliche Klangstrukturen aufzuteilen; jedes Orchester sollte den anderen zurufen, Antwort oder Echo geben können.“146 Pierre Boulez hat in seiner (zurückgezogenen) Raummusik Poésie pour pouvoir (Uraufführung in Donaueschingen am 19. Oktober 1958) Instrumentalmusik und Elektronik zusammengebracht. Poésie pour pouvoir erscheint wie eine Vereinigung von Stockhausens Gesang der Jünglinge und Gruppen.147 Gruppen musste Boulez, als Dirigent eines der drei Orchester bei der Uraufführung, genau kennen gelernt haben. In seinem eigenen Raummusikprojekt Poésie pour pouvoir waren ebenfalls drei Orchester im Raum verteilt, die von Lautsprechern umringt

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bedarf. Zu fragen wäre u.a., inwiefern sich bereits Stockhausens Beschäftigung mit räumlicher Klangdarstellung (vgl. Faksimile-Ausgabe S. 287) auf Pierre Schaeffers dreidimensionaler Abbildung eines Klangereignisses (mit den drei Koordinaten Lautstärke, Frequenz und Dauer bzw. Zeit) bezieht, vgl. dazu J. Poullin, Musique Concrète. Aufnahmetechnik bei der Verarbeitung von Klangmaterial und neuer musikalischer Formen, S. 116. Vgl. K. Stockhausen, Musik und Sprache III, in: ders., Texte Bd. 2, S. 64f. G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 209. Vgl. dazu auch „Wille zur Form und Wille zum Abenteuer“ (K. Stockhausen im Gespräch mit Rudolf Frisius, 8. Januar 1978), S. 337f. „Und so habe ich damals komplexe Klänge aufgebaut, in deren Zeitschichten unheimlich viele Splitter verteilt waren – bestimmte Geräusch-Komponenten mit Vokal-Komponenten, Einzeltöne mit Akkorden gemischt“ (ebenda, S. 338). Vgl. G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 219ff. Nauck unterscheidet (S. 225) melodische Bewegung, komplexere musikalische Fortschreitung („Klangfarbenmelodien“), Wechsel von dynamischen Klangfeldern zwischen den Orchestern und melodische Bewegung von Tonpunkten und Motiven vor dem Hintergrund eines Klangfeldes im Raum. K. Stockhausen, Musik im Raum, S. 156. P. Boulez, An der Grenze des Fruchtlandes, S. 79, 91. Zur Distanzierung von Boulez gegenüber Stockhausens Arbeit mit Sinustönen vgl. J. Peyser, Boulez. Composer, Conductor, Enigma, S. 108.

2.5 Raum und Klangbewegung

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wurden (Text/Sprache bildet den Part des Zuspielbandes, das Gedicht Je rame von Henri Michaux aus dessen Poèmes pour pouvoir).148 In Musikdenken heute 1 hatte sich Boulez über den Einsatz von Klangbewegung im Raum so ausgesprochen: „Wer die Stereophonie nur oberflächlich anwendet, beschwört die Wonnen des Cineramas; das heißt: er bezieht sich auf eine ziemlich geringwertige, äußerliche (anekdotische) Vorstellung des Raumes. Der Raum ist keineswegs die tönende Autorennbahn, zu der man ihn degradieren möchte; er wäre eher ein Potential für polyphone Verteilung, Exponent der Anordnung von Strukturen.“149

Gisela Nauck hat hervorgehoben, dass es Boulez in Poésie pour pouvoir „um die Lösung von kompositionsästhetischen Problemen ging, die für sein eigenes Schaffen typisch waren wie das Verhältnis von Visuellem und Akustischem, Individuellem und Kollektivem, um die Notwendigkeit einer neuen Form oder den Zusammenhang von Tonraum und Struktur.“150 Boulez hat die „Raumfigur“ der Spirale – „Toposformel der Metamorphose“151 – als Ausgangspunkt genommen, um sowohl die grundlegenden Reihen zu erstellen als auch den permutativen Umgang mit diesem „Material“ zu steuern. Zuletzt wird auch die klangliche Projektion in den Aufführungsraum spiralartig angelegt, die Orchester sollen gestaffelt in verschiedenen Höhen (30 cm, 60 cm, 1 m) auf Podien sitzen, und die Klangbewegungen sollen in der Drehung des mittigen, zentral über dem Publikum angebrachten Lautsprechers gipfeln. Angesichts der Chronologie von Gruppen und Poésie pour pouvoir ist es gut denkbar, dass Boulez angetreten war, Visionen Stockhausens vorwegzunehmen, die dieser am Ende seines Textes über Musik im Raum festgehalten hat: „Über die Einbeziehung des dreidimensionalen Raumes mit den Orientierungen ‚oben‘ und ‚unten‘ lassen sich zur Zeit noch keine Angaben machen, da wir keinerlei Erfahrungen auf musikalischem Gebiet innerhalb dieser Dimensionen machen konnten. Es müsste für solche Versuche ein rundum mit Lautsprechern versehener Kugelraum vorhanden sein, von dem schon mehrfach die Rede war.“152 Bekanntlich konnte Stockhausen erst im Kugelauditorium der Weltausstellung in Osaka 1970 seine bin dahin entwickelten Vorstellungen realisieren.153 Strebte Stockhausen und eingeschränkt auch Boulez danach, den „Tonort“ beziehungsweise die Orte des Erklingens im Raum als serielle Dimensionen zu erschließen und sie aus ihrer Einbettung in den „seriellen kompositorischen Raum“ heraus artifiziell zu kontrollieren und zu bestimmen, so gab es auch andere Möglichkeiten und andere Intentionen, Klang im Raum zu inszenieren, die eben148 Vgl. die Abbildungen der Skizzen bei G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 96–100. Vgl. dazu auch Interview mit D. Jameux zu Polyphonie X, Structures for two pianos and Poésie pour povoir, S. 201. 149 P. Boulez, Musikdenken heute 1, S. 18, vgl. auch S. 58ff. 150 G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 91. 151 G. Brandstetter, Tanz-Lektüren, S. 325. 152 K. Stockhausen, Musik im Raum, S. 175. 153 Vgl. dazu K. Stockhausen, Osaka-Projekt. Kugelauditorium EXPO 70. Vgl. dazu auch P. Sigel [Sigl], Raum-Klang-Impressionen. Der deutsche Beitrag auf der Expo70 in Osaka.

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2. Konzepte von Bewegung in Form und Raum

falls in den 1950er Jahren weiterentwickelt wurden. Varèses Idee einer „sound projection“, die auch auf die Komponisten serieller und elektroakustischer Musik einwirkte, wie Gisela Nauck154 dargelegt hat, wurde von ihm selbst jedoch eher mit Entwürfen zu Multimedia-Projekten verbunden, die er nach Plänen für die Zusammenbringung von Musik und Film oder Theater schließlich mit seinem achtminütigen Poème électronique im Philips Pavillon bei der EXPO 1958 wenigstens teilweise umsetzen konnte.155 Festzuhalten ist, dass die kompositorischen, musikalischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert eine neue Berücksichtung der Aspekte von Raum und Räumlichkeit mit sich brachten, wobei sowohl an den kompositorischen „Spielraum“ als auch an Raum im Sinne der musikalischen Form oder im Sinne des Raums eines Werkes gedacht werden kann. Die Erweiterung der Vorstellungen von Raum in der Musik begannen sich auch auf den Aufführungsraum zu beziehen, und damit wurde zudem das räumliche Hören, die Wahrnehmung von Musik im Raum ins Zentrum des Interesses gerückt. Mit der Einführung elektroakustischer Technik konnte dieser Bereich, sei es im Film, sei es in der Konzertmusik, erkundet und immer differenzierter ausgelotet werden. Vollends zeigte die Schwerpunktverlagerung auf „Klangbewegung im Raum“, dass, stärker als zuvor, auch der visuelle Bereich der Wahrnehmung sowie affektive Reaktionen des Publikums angesprochen werden konnten oder sollten. Denn die räumliche Wahrnehmung von Klang und vor allem die Verfolgung von wechselnden „Tonorten“ schließt beispielsweise auch eine Bewegung der Augen, des Kopfes, des Körpers fast zwingend ein.156 Der räumlichen „Dynamisierung“ von Musik folgte bald darauf auch die räumliche Mobilität von Musikern und Publikum. Die „Wiedereinführung“ von Bewegung in der Musik war demnach hauptsächlich von innermusikalischen räumlichen Vorstellungen und von Klangprojektionen in den Aufführungsraum getragen, die nicht zuletzt eine verstärkte Theatralisierung der Konzertsituation bewirkten.

154 Vgl. Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 50–55. Vgl. dazu auch M. Harley, Space and Spatialization in Contemporary Music, S. 119–132. 155 Zu Varèses Plänen vgl. D. A. Nanz, Edgard Varèse. Die Orchesterwerke, S. 427ff. (Pläne von The One All Alone/L’Astronome, Espace, bis hin zu Déserts, ursprünglich eine Kombination von Musik und Film). Zur EXPO 1958 und zum Philips Pavillon vgl. Space calculated in seconds. The Philips Pavilion, Le Corbusier, Edgard Varèse. Vgl. auch P. Bienz, Le Corbusier und die Musik. 156 Vgl. E. A. Lippman, Spatial Perception and Physical Location as Factors in Music.

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3. SICHTBARE MUSIK – KONZERTPODIUM ALS BÜHNE Die Aufführungssituation von Musik hat sich in den 1960er Jahren erheblich gewandelt, wurde selbst als Theater thematisiert oder (aus den verschiedensten Gründen) mit Elementen des Theaters verknüpft. Man hat dafür in erster Linie den Einfluss von John Cage geltend gemacht, vor allem nach seinen Beiträgen zu den Ferienkursen in Darmstadt 1958. Dieter Schnebel bezeichnete ihn in diesem Zusammenhang als Katalysator eines „Befreiungsprozesses.“1 Doch ebenso wenig wie Cage hauptsächlich für die „Aleatorik“ verantwortlich war (und wenn, dann geschah dies bereits seit 1954 oder sogar noch eher), ist es angebracht, ihn allein für die Theatralisierung der Konzertsituation zuständig zu erklären.2 Die Tendenz zur Ausweitung des künstlerischen Spiel- und Handlungsraums, die bis in den Bereich der Präsentation und Aufführung reichen sollte und somit (auch) das Publikum mit neuartigen „Bewegungen“ konfrontierte, ist zum Beispiel nur mit einem kurzen Seitenblick auf die Entwicklung „kinetischer Kunst“ schlaglichtartig noch auf ganz andere Weise zu belegen.3 Auch bei Happenings und Fluxus-Events, die man etwa um Assemblages, Environmental Theater oder Living Theater erweitern könnte, wird zwar Cage in der Regel ebenfalls als „Urvater“ angeführt, aus seinem Untitled Event jedoch die ganze Bandbreite der neuen performativen Entwicklungen der 1960er Jahre abzuleiten, verengt nicht nur die Musik-, sondern auch die Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts auf einen merkwürdig schmalen Pfad. Es sei nur, erstens, daran erinnert, dass dem Untitled Event (Sommer 1952) beispielsweise Water Music vorausging (Mai 1952) und 4’33’’ etwa zeitgleich stattfand (August 1952).4 Zweitens war damals weder die Tragweite dieser Stücke für die Entwicklung von Happening und Fluxus sowie Performance Art noch ihre spätere „legendäre“ Bedeutung für das Oeuvre Cages abzusehen.5 Zudem hat sich Cage offenbar auf Theaterkon1 2 3

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D. Schnebel, Die kochende Materie der Musik, S. 143. Vgl. M. Kesting, Musikalisierung des Theaters – Theatralisierung der Musik. Vgl. dazu F. Popper, Origins and development of Kinetic Art; G. Brett, Kinetic Art; H.-J. Buderer, Kinetische Kunst. Frank Popper hat sechs Motivationen für den künstlerischen Einbezug von Bewegung aufgezählt: 1) Darstellung/Repräsentation von Bewegung, 2) Einflussnahme der Körperbewegungen des Künstlers bei der Produktion auf das Werk und seine Struktur, 3) Wirkungen auf das Auge des Betrachters und dessen Bewegungen, 4) Verbindungen zwischen den Künsten, 5) Verbindungen von physiologischen, psychologischen sowie biologischen Bewegungen zur Kunst, 6) „reale“ Bewegung von Kunstwerken (vgl. Einleitung). Vgl. auch Sehen um zu Hören. Objekte und Konzerte zur visuellen Musik der 60er Jahre. Vgl. dazu W. Fetterman, John Cage’s Theatre Pieces. Notations and Performances. Ebenda, S. 69ff., 97ff., „the importance of the 1952 untitled event at Black Mountain College has become a part of legend, but the significance of this performance was not appreciated at the time“ (S. 104). Ebenso wichtig war die Aufführung von Saties Le Piège de Meduse am 14. August 1948 am Black Mountain College, vgl. M. E. Harris, The Arts at Black Mountain

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

zepte von Bauhaus-Künstlern (etwa Laszlo Moholy-Nagy) und von Antonin Artaud gestützt.6 Dieter Schnebel hat in seinem grundlegenden Text Sichtbare Musik (1966/68) die Gründe für die Veränderungen im Bereich der Musik erheblich ausgeweitet, Cages Rolle zwar betont, jedoch weitere Punkte angeführt: die Erweiterung des Schlagzeugs im Orchester oder – wie bei Varèse – als Orchester; rasche Taktwechsel in Partituren, die das Dirigieren zu einem eigenen Schauspiel werden lassen („schwere gymnastische Übungen“), graphische Partituren, Raummusik, auskomponierte Gestik, die sichtbaren Aktionen der Klangerzeugung und Interaktion der Spieler als Theater oder „Dadaisierung“ der Musik; Sprache und Stimme als theatrale Elemente.7 Rudolf Stephan fasste zusammen: „Erst als die Schallquellen beweglich wurden, sei es nun, daß Lautsprecher rotierten oder Musiker auf dem Podium ihren Platz wechselten, wurde aus der Darbietung eine Art Schauspiel, das über das einer gewöhnlichen Interpretation hinausging. Als die Komponisten sich vom Ideal der strengen Serialität abzuwenden begannen, also nicht mehr nur immanente Beziehungen erstrebten, sondern auch Beziehungen zu Dingen außerhalb des Tonsatzes, ja vielfach der Tonsatz selbst nicht mehr eindeutig auskomponiert erschien, sondern weitgehend das Ergebnis der Interpretation blieb, wurden Fragen der Sichtbarkeit der Interpretation und mithin der ‚musikalischen Szene‘ bedeutungsvoll, da ja erst durch die Sichtbarkeit der Produktion das Produzierte als sinnvoll aufgefaßt werden konnte.“8

Dies trifft nun, wie oben bereits erwähnt, nur zum Teil zu (und hauptsächlich auf die Komponisten Darmstädter Provenienz). Relativiert wird diese Sicht beispielsweise dadurch, dass es auch in Amerika Komponisten serieller Musik gab (etwa Milton Babbitt), deren Entwicklung anders verlief, und dadurch, dass die Abwendung von der Serialität nicht der einzige Grund war, die Aufführungssituation von Musik zu verändern. Die serielle Musik hielt im übrigen bereits gut sichtbare Effekte bereit, wie am Beispiel von Boulez und Stockhausen gezeigt weden konnte. Eine wichtige Rolle spielten auch individuelle Interessen an Literatur, Theater, Film, Tanz, (kinetischer) Kunst, naturwissenschaftlichen und sozialen „Bewegungen“ oder die Beschäftigung mit Fragen der Wahrnehmungspsychologie, um nur einige relevante Themen zu nennen, die auf das kompositorische Schaffen Einfluss nahmen. Außerdem stand hinter den performativen Veränderungen auf dem Konzertpodium auch der Wunsch, das traditionelle Konzertritual aufzubrechen, ob aus kompositorischen und aufführungspraktischen Gründen, ob aus anti-romantischer, anti-bürgerlicher Protesthaltung (wie in den

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College, S. 154–156, sowie M. Erdmann, Untersuchungen zum Gesamtwerk von John Cage, S. 93ff; vgl. auch Your Private Sky. R. Buckminster Fuller – Design als Kunst einer Wissenschaft, S. 32 u. 322f. Vgl. dazu V. Straebel, „What I hope is that the Europeans will become more American“. Gegenseitige Einflüsse von Europa und Nordamerika in der Geschichte der Musikperformance. Vgl. auch M. Kirby, Happenings. An Anthology. Vgl. auch S. Pawelke, Einflüsse der Bauhausbühne in den USA, S. 110f. Vgl. D. Schnebel, Sichtbare Musik, S. 310–332. R. Stephan, Sichtbare Musik, S. 305.

3.1 Klangproduktion als Zeit-Raum-Feld

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1968er Jahren), auf Grund der Suche nach neuen spirituellen Erfahrungen oder um aus Hörerlebnissen (wieder) „Events“ zu machen. Es ist klar, dass das Spielen von Instrumenten, das Dirigieren, die Aufführung von Musik vor Publikum immer Bewegung einschloss und einschließt. Doch selten waren die Musiker und der Dirigent im Raum mobil, gingen von einem Ort zum anderen, bewegten sich gar in mehreren Räumen, führt man sich das traditionelle Konzert vor Augen. Bei „Gebrauchsmusik“ – etwa barocker Tafelmusik oder der Unterhaltung durch nächtliche Ständchen, ganz abgesehen von Marschmusik – waren und sind jedoch Bewegungen der Musiker durchaus selbstverständlich, sie beschränkten sich oft nicht nur auf den Wohnort oder Arbeitsplatz, sondern konnten sich auf grenzüberschreitende Wanderschaften ausdehnen. Andere Bewegungen im Ensemble oder Orchester wurden notwendig, als sich das Instrumentarium auszuweiten begann und Musiker mehrere, aus Platzgründen und Gründen der Klangverteilung entfernt voneinander stehende Instrumente zu bedienen hatten, etwa im Schlagzeug. Hier wird in den Proben zumeist eine regelrechte Choreographie einstudiert.9 In der Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts traten Bewegungen der Musiker hinzu – und nicht nur der Musiker, sondern zum Teil auch des Publikums –, die nicht mehr allein funktional zur Spielsituation gehörten oder praktisch erfordert wurden, sondern die auch den Verlauf eines Werks mitentschieden, die insofern integraler Bestandteil der Komposition bildeten, die mitkomponiert wurden. Die „mobile Form“ (einer Partitur) konnte beispielsweise auf die Mobilität der am Konzert Beteiligten ausgeweitet werden. Damit war die Visualisierung von musikalischen Strukturen verknüpft. Ferner ließen sich die Form oder Formidee eines Stücks auf verschiedene Bewegungsverläufe gründen. Zugleich konnten formale Anlagen aber auch mit Bewegungen zur Musik verbunden werden, die vom Tanz nur allzu gut bekannt waren. 3.1 KLANGPRODUKTION ALS ZEIT-RAUM-FELD Sowohl Körperbewegungen als auch Klangbewegungen im Raum mussten letztlich darauf aufmerksam machen, dass ihre Dauer nicht exakt vorherzusehen war oder geplant werden konnte. Es wurde bereits gezeigt, dass – noch bevor Musik im Raum oder Raummusik thematisiert wurde – eine Interessenverlagerung auf musikalische „Aktionszeit“ stattgefunden hat, auf die Dauer, die zur Erzeugung und Entfaltung von Klängen und Klangverbindungen benötigt wird, gerade auf die nur approximativ zu bestimmende Dauer von sichtbaren menschlichen Bewegungen und Handlungen. Stockhausen hat damit beispielsweise „die mehr oder weniger lang dauernde Armbewegung des Pianisten von einer tiefen zu einer hohen

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Vgl. zur Musik für Schlagzeug im 20. Jahrhundert R. Smith Brindle, Contemporary Percussion; J.-C. François, Percussion et musique contemporaine; J. Mowitt, Percussion. Drumming, Beating, Striking.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

Lage“ bezeichnet.10 Boulez unterschied zwischen „pulsierender“ oder „geriffelter Zeit“ und „amorpher“ oder „glatter Zeit“, womit er ebenfalls den Unterschied von „gezählter Zeit“ oder gemessener Zeit (Pulsschlag als kleinste Einheit oder Stopuhr als Maßinstrument) und einer individuellen Ablaufzeit hervorhob. Die „amorphe“ oder „glatte Zeit“ ist die, „deren Kontrolle sich dem Interpreten entzieht.“11 Im Theater und in der Theaterwissenschaft ergab sich etwa parallel dazu die Scheidung zwischen „symbolic time“ und „event-time“.12 Die allmähliche kompositorische Hervorhebung der „Aktionszeit“ ist sicherlich der akustischen Klangforschung ebenso verpflichtet wie einem Hang zur „lokalen Indisziplin“ oder der Idee von einer „Befreiung des Klangs“. Zudem lag nach den ersten Erfahrungen mit elektronischer Musik die Einsicht vor, dass Klang eben doch nicht ohne Bewegung – auch nicht ohne Körperbewegung – gedacht werden kann (auch in der Imagination gehören Klang und Bewegung zusammen). Ferner wurden Randbezirke des stimmlichen und instrumentalen Spiels experimentell ausgelotet oder Aufführungssituationen als soziale Interaktionsräume und psychologische „Versuchsstationen“ erprobt – wie sich bei Schnebel zeigen lässt –, in denen es auf ihren prozessualen Verlauf ankam, aus dem sich (erst) Dauernstrukturen ergaben. Die zeitliche Struktur einer Aufführung wurde unterschiedlich, sozusagen lokal oder global von den Aktionen der Beteiligten und ihren individuellen, ungeplanten (vielleicht auch nicht planbaren) und unvorhersagbaren Aktionsdauern bestimmt. 3.1.1 „Aktionszeit“ und „Klangzeit“ I: Kompositionen für Klavier Für Stockhausen stand die Einbindung der „Aktionsdauer“ in Zusammenhang mit seinen theoretischen Überlegungen zu einer neuen Erfassung musikalischer Zeit und zur Gestaltung einer neuen (Zeit)Morphologie in der Musik um 1954 bis 1956 („Gruppen-Form-Genese“ und Genese „variabler Formen“), zum Teil gleichzeitig mit und nach der Entstehung der ersten elektronischen Kompositionen.13 Parallel zur Einbeziehung von statistischen Kompositionskriterien führte Stockhausen temporale „Feldgrößen“ ein, die an das „Handeln“ und an das „Erleben“ gebunden sind, das heißt „erlebte Feldzeiten“, die man auf einzelne „Feldgrößen“, aber auch auf Gruppen von „Feldgrößen“ beziehen kann. In sich können die „Feldgrößen“ seriell gestaffelt werden, gewissermaßen nach ihrem Ausmaß an temporaler Flexibilität oder Dehnbarkeit. Es ergibt sich dann etwa eine Abstufung von: „1. exakt metronomisch gemessene Dauern, 2. Feldgrößen erster Ordnung in den kleinen Noten, 3. Feldgrößen zweiter Ordnung (und weiterer) in den Anschlags-

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Siehe K. Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht..., S. 132. P. Boulez, Musikdenken heute 1, S. 81. Vgl. dazu R. Schechner, Performance Theory, S. 7. Vgl. Chr. von Blumröder, Art. Gruppe, Gruppenkomposition. Der Begriff der „Gruppe“ taucht bei Stockhausen mit wechselnden Bedeutungsnuancen seit 1952 auf. Vgl. K. Stockhausen, Erfindung und Entdeckung. Ein Beitrag zur Form-Genese, S. 232, 237.

3.1 Klangproduktion als Zeit-Raum-Feld

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arten usw.“.14 Stockhausen führt ein weiteres Beispiel für „Aktionszeit“ an, das die Bläser betrifft: „Gehen wir davon aus, daß ein Holzbläser nicht beliebig lang mit einem Atem blasen kann. Abgesehen von den physiologischen Bedingungen hängt die Atemdauer von der Lage, der Dichte, der Intensität der Töne ab, die mit einem Atem zu spielen sind. Je tiefere, je lautere und je weniger ausgehaltene Töne zu spielen sind, um so kürzer wird die Atemdauer. Schreibt man als Tempovorschrift ‚so langsam wie möglich‘, so ist damit gemeint, eine Gruppe von Einzeldauern auf eine möglichst große Gesamtdauer zu verteilen, die von der Atemdauer abhängt. Die Atemlänge wäre bestimmend für die Gruppenfelder“.15

Eine Folge dieser Überlegungen ist die Komposition völlig instrumentenspezifischer Stücke, wie in diesem Zusammenhang Stockhausens Zeitmasze für Oboe, Flöte, Englisch-Horn, Klarinette und Fagott (1955/56), das man dem Komponisten zufolge nicht für andere Instrumente einrichten könne.16 Eine andere Konsequenz bestand darin – und dies geschah nicht im Umfeld von John Cage 1958 in Darmstadt, sondern hauptsächlich durch die Auftritte von Cage und David Tudor 1954 in Donaueschingen und Köln –, die „Freiheit des Interpreten“ mitzubedenken, das heißt aus dem Einbezug von „Aktionsdauern“ resultierte auch die Möglichkeit, mit der Anlage verschiedener interpretatorischer „Freiheitsgrade“ zu komponieren. Diese wurden als neues kompositorisches Material erschlossen. Damit konnte sich der Komponist auch Klarheit verschaffen über die konzeptionelle, notationstechnische und aufführungsstrategische Basis und Bandbreite von „Freiheitsgraden“. Doch das ist nur ein Teilaspekt dieser Entwicklungen. Von großer Bedeutung ist ein zweiter Punkt: durch das Hinzutreten von „Aktionszeiten“, durch „ein spontan reagierendes Hervorbringen von Zeit“, tritt die Notation in den Hintergrund, die Aufführung wird prominent. „Während sich bisher die Aktion des Spielens – und Hörens – an den in Dauern gemessenen Zeitproportionen zu orientieren hatte, entstehen nun zum Teil erst die Zeitproportionen in der Aktion. Mit anderen Worten: konnte man bisher in der Musik die komponierten Zeitverhältnisse aus der Partitur unabhängig von der klanglichen Realisation entnehmen, und wurde die ‚Richtigkeit‘ einer klanglichen Zeitrealisation an der Zeitnotation der Partitur geprüft, so gibt in einer Feldkomposition die Partitur dort, wo die Aktion notiert ist, überhaupt keinen Aufschluß über die Maße der Zeitproportionen, sondern diese entstehen immer erst im Augenblick der klanglichen Verwirklichung, beim Spielen.“17

Zu ergänzen ist, dass sich der zeitliche Ablauf auch für die Zuhörer aus ihrer jeweiligen Wahrnehmung der Situation ergibt. Dazu zählt nun nicht allein die Rezeption der klanglichen, sondern auch der visuellen Ebene. Sofern es sich um Live-Aktionen von Musikern handelt, sind Klang und sichtbare KörperBewegungen einschließlich Bewegungen von Instrumenten oder Instrumenten14 K. Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht..., S. 132. Weitere Schlüsseltexte von Stockhausen sind Von Webern zu Debussy. Bemerkungen zur statistischen Form sowie Struktur und Erlebniszeit. 15 K. Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht..., S. 133. 16 Vgl. Kommentar dazu in Stockhausen, Texte, Bd. 2, S. 46–48. 17 K. Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht..., S. 136.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

teilen nicht zu trennen. An der musikhistorischen Marke des Einbezugs von „Aktionszeit“ wird die fundamentale Konstellation von Klang und sichtbarer Bewegung insofern nicht nur bewusst, sondern sie wird kompositorisches Material. Stockhausen hat allerdings die Bedeutung der visuellen Ebene in diesem Zusammenhang nicht explizit berücksichtigt. Cage hingegen war klar: der Fokus auf die „Aktionszeit“ bedeutete, Musik als Theater aufzufassen, und zwar Theater schlicht als sichtbares und hörbares Geschehen. Mit der Einbindung von „Aktionszeit“ bei Stockhausen ist vor allem der zweite Zyklus seiner Klavierstücke Nr. V bis X und das bereits besprochene Klavierstück XI verknüpft.18 Die Entstehung dieser Stücke ab Ende 1953/Anfang 1954 bedeutete sowohl eine kritische Auseinandersetzung mit den ersten elektronischen Stücken als auch mit den Eindrücken, die Cages Werke (mindestens seit 1952, vor allem Music of Changes) und der Pianist David Tudor in Köln hinterlassen haben. Cage und Tudor hatten am 19. Oktober 1954 in einem Konzert, bei dem Stockhausens Studie I und Studie II uraufgeführt wurden, zuvor neue Klaviermusik amerikanischer Komponisten zu Gehör gebracht. „Tudor war ein Pianist, wie er Stockhausen vorher noch nicht begegnet war. Er hatte schon vor dem Konzert einige Tage bei Stockhausen verbracht und ihm Klavierwerke der Cage-Gruppe vorgespielt: Teile aus ‚Music of Changes‘, ein Stück von Christian Wolff für präpariertes Klavier sowie Morton Feldmans ‚Intersection III‘“.19 Wie Tudor mitteilte, war Stockhausen von seinen Anschlagsarten, die er für Music of Changes entwickelt hatte, und von den Clustern in Feldmans Stück fasziniert.20 Es ist übrigens kaum vorstellbar, dass sich in diesem Zusammenhang nicht auch ein Gespräch über Henry Cowell und dessen Clustertechniken ergeben hat, und vermutlich haben Tudor und Cage bei dieser Gelegenheit Stockhausen auch über Cowells New Musical Resources (verfasst 1916–1918, erstmals erschienen 1930) unterrichtet.21 Jedenfalls könnte sich Stockhausen im Umfeld seines Aufsatzes ...wie die Zeit vergeht... in Cowells Schrift vertieft haben.22 18 Vgl. R. Toop, Stockhausen’s other Piano Pieces. Vgl. auch H. Henck, Karlheinz Stockhausens Klavierstück X; R. Frisius, Zeichnung – Modell – Grenzüberschreitung. Klavierstück XIII im Kontext von Stockhausens Klavierwerk; Karlheinz Stockhausen in Weingarten 1992. Vortrag zu seinen frühen Klavierstücken. 19 M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 107. Cages Music of Changes von 1951, Feldmans Intersection III von 1953, Wolffs For Prepared Piano: Four Pieces (1951); Tudor hatte auf der Europatournee 1954 auch Wolffs For Piano I (1952) und For Piano II (1953) im Repertoire. 20 M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 108. Vgl. dazu J. Holzaepfel, David Tudor and the performance of American experimental music, 1950–1959, S. 62ff. „In addition to simple clusters, Tudor’s realization of Intersection 3 frequently uses cluster-types which are pitch-specific […] For notating simple chromatic, black-key, and white-key clusters, Tudor employs the earlier cluster notation of Cowell […] Tudor extends Cowell’s notation in order to notate combinations of cluster-types […] Intersection 3 marked the first instance in which Tudor prepared a work for performance by writing out his own performance material“ (S. 65, 67, 78). 21 Vgl. die 1996 erschienene Neuausgabe von New Musical Resources. 22 Der Zusammenhang von Tonhöhe und Dauernorganisation über die Frequenz findet sich bereits bei Cowell ausformuliert, vgl. ebenda S. 45ff. Cowell entdeckte diesen Zusammenhang

3.1 Klangproduktion als Zeit-Raum-Feld

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Cowell hat Cluster als „natürliche“ Einheiten betrachtet, die auf einer Auswahl von Obertönen beruhen, die ein „Grundton“ bereithält.23 Sie stellen eine Ausweitung und Färbung des Tons dar und können als Einheit melodisch eingesetzt, aber auch vertikal, harmonisch in Kombination gebraucht, aus kleineren Einheiten zusammengesetzt oder in kleinere Einheiten geteilt werden. Cowell betont in seiner Erklärung der „tone-clusters“, dass sie auf Grund ihrer klanglichen Reichhaltigkeit „Raum“ benötigen, womit vorrangig Zeit und Raum zur akustischen Klangentfaltung gemeint ist. Für ihn stand die aufführungspraktische Komponente nicht im Vordergrund, doch mit der Forderung nach „Raum“ für Cluster ist sicherlich auch der Gedanke an Bewegungsraum und Bewegungszeit für die Interpreten verbunden. Das Spiel mit der ganzen Hand, mit dem Vorderarm oder mit dem ganzen Arm, mit beiden Armen usw., benötigt spieltechnischen „Zeit-Raum“. „Cowell’s piano music retains the physical presence of a new musical terrain […] Aiming for the exact keys with the tips of your elbows, with both forearms, or alternately with one while the other hand outlines a chromatic or pentatonic melody, requires a physical co-ordination quite extended beyond the finger/forearm specialization of conventional piano technique. The whole body is involved, and a choreography is implied from the score in which the torso must bob and weave with great efficieny and control to sustain musical flow.“24

Es ist klar, dass diese sichtbare Komponente nicht zu unterschätzen ist. Der „grobe“ Umgang mit dem Flügel verändert auch den Blick auf die traditionelle Klavierpraxis. Dem Klangbild der Cluster steht ihre gewissermaßen unkoordinierte, an Kleinkinder erinnernde, oder auch martialische, eher an den Umgang mit Maschinen erinnernde Art der Produktion gegenüber, eine Folge zwar der Klaviertechniken des 19. Jahrhunderts, dennoch die Vermittlung einer gewandelten Virtuosenästhetik der Moderne.25 Was Stockhausen gleichfalls fasziniert hatte, waren die Anschlagstechniken in Cages Music of Changes und ein Stück für präpariertes Klavier von Christian Wolff. Wolffs Stück For Prepared Piano (1951) kann möglicherweise als Vorläufer von Stockhausens Klavierstück XI gelten, denn es besteht aus „four more or less one minute pieces [...] in which the continuity of composition was not usually um 1916 durch Diskussionen mit Russell Varian, vgl. dazu S. Johnson, „Worlds of Ideas“. The Music of Henry Cowell. Vgl. H. Weisgall, The Music of Henry Cowell, S. 487, Anm. 3: „In 1959 Karlheinz Stockhausen told Cowell that after he and his colleagues had been working with this idea for some time, he was astonished to have Cowell’s book called to his attention by a young composer from Argentina.“ Sollte Stockhausen von Cowell tatsächlich erst durch Mauricio Kagel erfahren haben? Vgl. M. Kassel, Trommeln für die neue Musik. Das Basler Schlagzeugensemble, S. 59. 23 Vgl. W. Grünzweig, Art. Cluster. Vgl. auch H. Henck, Klaviercluster. Geschichte, Theorie und Praxis einer Klanggestalt. 24 Komponist und Pianist Chris Brown, Performer’s Notes, S. 4. Vgl. dazu H. Weisgall, The Music of Henry Cowell, S. 484–507, und insb. M. Hicks, Cowell’s Clusters. 25 Das Cluster-Spiel mit Fäusten erinnert auch an das Spiel eines Carillons oder von frühen Orgeln. In den Kontext einer „Virtuosenästhetik der Moderne“ deshalb, weil es sich um eine exzeptionelle Kompetenz handelt in einem Feld, das für die „Tonkunst“ nicht relevant erschien. Vgl. auch H. Henck, Klaviercluster. Geschichte, Theorie und Praxis einer Klanggestalt, S. 24ff.

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linear, that is, for example, might have proceeded from measure 1 to measure 5 to 9 to 13 then 14 to 10 to 6 to 2 to 3, et cetera, that is, going vertically down and up instead of horizontally, the final horizontal continuity which is heard emerging more or less without calculation or exact intent.“26 Mit Cages Music of Changes von 1951 – nicht aufgeführt im Kölner Konzert 1954, sondern dort erst 1956 und wahrscheinlich auch erst 1956 in Darmstadt im Rahmen von Tudors Kursen – war der Pianist Tudor gewissermaßen symbiotisch verwachsen. Stockhausen kannte die Besonderheiten des Werks gut, denn Boulez hatte es mit Begeisterung aufgenommen und befreundete Komponisten darüber informiert, und Cage hatte Stockhausen eine Partiturkopie zukommen lassen (vermutlich Ende 1952 oder Anfang 1953).27 Folgende Hauptelemente in den vier Teilen von Music of Changes konnten besondere Aufmerksamkeit geweckt haben: „The sounds used are sonorities of various complexity and not just simple single pitches. Cage categorized these sounds as single notes, intervals (two-note sounds), aggregates (chords), and ‚constellations‘ (more complex arrangements of notes, flourishes, chords, and trills). Although the piano is not prepared, a number of unusual timbral effects are used. Tones are produced by plucking the strings of the piano, by muting the strings with the finger, and by using various sticks or beaters on the strings. In some sounds, keys are depressed silently (notated as diamond-shaped notes) while others are struck sharply, creating resonances by sympathetic vibration. The sound charts also include noises produced on or in the piano, such as by slamming the keyboard lid. In some sounds, the use of the sustaining pedal is indicated as an integral part of the sound.“28

Zu den klanglichen Elementen traten innerhalb der Teile von Music of Changes klare Abschnitte mit verschiedenen Tempi, die jedoch durch Beschleunigung oder Verlangsamung flexibel gehalten werden – eine Dimension, die Stockhausen im zweiten Zyklus seiner Klavierstücke aufgegriffen hat, wie später zu zeigen sein wird.29 Das ungewöhnliche Spiel mit dem Instrument schloss also auch viele „außerordentliche“ Körperbewegungen und Handlungen ein – Aufstehen, sich über die Klaviatur beugen, sich von der Klaviatur entfernen usw. – „Keine Musik, um

26 Chr. Wolff, Cues. Writings & Conversation/Hinweise. Schriften und Gespräche, S. 484. Vgl. auch P. N. Wilson, Stockhausen, der Epigone? Karlheinz Stockhausen und die amerikanische Avantgarde. Wilson deutete Feldmans Klavierstück Intermission 6 (1953) als Vorläufer von Stockhausens Klavierstück XI, obwohl Stockhausen dieses Stück eigenen Angaben zufolge nicht kannte (vgl. ebenda S. 7) und Tudor im Gespräch mit Stockhausen auch nicht über dieses Stück gesprochen hat, vgl. S. Claren, Neither, S. 277. 27 Vgl. Pierre Boulez, John Cage. Der Briefwechsel, S. 149f. (Brief von Boulez an Cage vom 1. Oktober 1952, hier deutet Boulez an, dass Stockhausen Briefkontakt mit Cage aufgenommen hat). Vgl. dazu P. Decroupet, First scetches of reality / Fragmente zu Stockhausen („Klavierstück VI“), S. 115f. 28 J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 79. Vgl. zu den Aufführungsdaten Tudors J. Holzaepfel, David Tudor and the performance of American experimental music, 1950–1959, S. 336. 29 Vgl. zu Cages Vorgehen ders., Composition. To describe the Process of Composition Used in Music of Changes and Imaginary Landscape No. 4.

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die Augen zu schließen“, hat Dieter Schnebel auch über Cages Auftritt mit dem präparierten Klavier in Donaueschingen 1954 festgehalten.30 Stockhausen kommentierte seine Klavierstücke V–X folgendermaßen: „Es geht darum, die ganz eigenen nur instrumentalen Bedingungen auf ein Maximum ihrer Wirksamkeit in der seriellen Struktur zu bringen [...] Instrumentalkomposition neben elektronischer Komposition: das führt zu einer ungeahnt neuen Funktion des Instrumentalisten. Seine für ihn typischen Kriterien der Klangverwirklichung werden zu Reihen-Faktoren der Komposition. Die Skala der Approximationsgrade, entsprechend den Maßgrößen der Notation, wird zu einer der formbildenden Qualitäten. ‚Präzision‘ wird in ihrer Relativität durch neue Notationsweisen gesteuert. Empfindungs-Maßeinheiten – im Gegensatz zu den mechanischen Maßeinheiten bei der elektronischen Komposition – werden zu Reihenkomponenten. Die Zufallskriterien in Relation zu notierten Zeichen werden – durch die Wahl der verschiedenen Zeichen in Hinsicht auf die psychischen Reaktionen des Spielenden – gelenkt und bekommen strukturellen Sinn zur Klärung des musikalischen Zusammenhangs: Unsicherheitsrelationen als Formqualitäten!“31

Kam es somit Stockhausen einerseits darauf an, die individuelle „Aktionsdauer“ der Klangproduktion und der Klänge zu berücksichtigen, so legte er andererseits den Schwerpunkt auf deren Beherrschbarkeit und Gestaltung innerhalb seines kompositorischen Systems. Parallel dazu ging er auf die perzeptive beziehungsweise wahrnehmungsästhetische Ebene ein und hatte sich bereits während der Komposition der Klavierstücke I–IV und der elektronischen Studie I mit mathematischen und möglicherweise auch gestalttheoretischen Grundlagen von Gruppenbildungen befasst. „Stockhausen richtet das kompositorische Hauptaugenmerk nicht länger – wie in der vorangegangenen punktuellen Musik – auf die genaue, absolute Bestimmung des Einzeltons, sondern vielmehr auf die Gestaltung umfassenderer, relativer Wahrnehmungsqualitäten, die beim Hören das interne mus. Detail überwiegen.“32 Gruppierungsmechanismen sind vorwiegend aus dem visuellen Bereich bekannt. Man unterscheidet hier zwischen einem wirkenden „Prinzip der Nähe“ (gleiche, dicht beieinanderliegende Elemente werden als Einheit betrachtet), dem „Prinzip der guten Gestalt“ oder „Prinzip der Kontinuität“ (Elemente mit der gleichen Bewegungsrichtung oder Tendenz bilden eine Einheit), dem „Prinzip der Ähnlichkeit“ (ähnliche Größen, Farben, Dichten usw. werden als Einheit wahrgenommen) und dem „Prinzip der Geschlossenheit“ (Formen können als Einheit wahrgenommen werden, auch wenn sie nicht vollständig sichtbar sind).33 Vergleichbare Mechanismen gelten auch für den hörbaren

30 D. Schnebel, Sichtbare Musik, S. 310. 31 K. Stockhausen, Nr. 4 Klavierstücke V–X (1954), S. 44 (Beilage zum Programmheft der Darmstädter Ferienkurse 1955). UA der Klavierstücke VI–VIII am 1. Juni 1955 in Darmstadt durch Marcelle Mercenier, vgl. dazu M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 109–111. 32 Vgl. dazu Chr. v. Blumröder, Art. Gruppe, Gruppenkomposition, S. 7ff., Zitat S. 8. 33 Vgl. M. Wertheimer, Untersuchungen zur Lehre von der Gestalt. Vgl. auch I. Rock, Wahrnehmung. Vom visuellen Reiz zum Sehen und Erkennen; siehe auch M. Spitzer, Musik im Kopf, S. 126.

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Bereich und wurden in den letzten Jahren intensiv erforscht.34 Ein weiterer Effekt ist von grundlegender Bedeutung: die Geschwindigkeit, das Tempo der Abfolge von Ereignissen. Relativ zum Kontext werden beispielsweise rascher aufeinanderfolgende Töne als Einheit wahrgenommen. Kleinere Einheiten können zu größeren zusammengefasst werden, sofern eine Verbindung hergestellt werden kann, die erinnerbar ist. Man glaubte einige Zeit, diese Ebene in der frühen seriellen Musik vor allem durch hohe Kontraste zwischen den Ereignissen (extrem weite Tonabstände, keine Wiederholungen, dynamische, klangliche Kontraste) weitgehend ausblenden zu können. Stockhausen hat dies im Sinne der oben angesprochenen Konstellation von Klang und Bewegung so gedeutet: es gab „wirklich so große und unvorhersehbare Sprünge, daß man als Mithörer herumgeworfen wird in einem musikalischen Raum, den man noch nie erlebt hat. Intervalle hört man ja mit, man bewegt sich mit den Tönen.“35 Der Komponist hat in der Analyse seines Klavierstücks I (1952/53) im Nachhinein dargelegt – 1955, als es ihm wichtig war –, dass Gruppierungen selbstverständlich erscheinen. Gruppen, „übergeordnete Erlebnisqualitäten“, zeigten sich in diesem Zusammenhang für ihn in einer gemeinsamen Bewegungsrichtung, in verwandten Lautstärken und Dauern, in einem Clustering durch Halten des Pedals und/oder raschen Bewegungsgeschwindigkeiten, in der Anzahl der Anschläge beziehungsweise Töne in einer Gruppe und in der Lagenverteilung. Gruppen können sich in einem größeren Zusammenhang gegen andere Gruppen absetzen, wenn übergeordnete Tempi wirksam sind. Pausen können Gruppen trennen, es gibt aber auch die Möglichkeit, Gruppen durch Haltetöne oder eine Legatobindung von Tönen zu überbrücken. Auch ein Ereignis ohne Bewegung, ein liegender, gehaltener Ton kann eine Gruppe sein. Korrespondenzen von Gruppen „in der Art der strukturellen Elementverbindung“ sind möglich, wobei die Entsprechung von Gruppen graduell unterschiedlich ist (abhängig von ihrer Wiedererkennbarkeit). Der Komponist geht dabei nicht von der Vorstellung von Variationen aus, sondern von der Idee der Transformation einzelner Gestalten unter einem einheitlichen Prinzip.36 Im folgenden sei Stockhausens Ausführungen am Beispiel seines Klavierstücks V nachgegangen und dies mit der Frage nach dem Stellenwert der sichtbaren Ebene der Ereignisse verknüpft, die sich zunächst noch nicht auf der Wahrnehmungsebene der Zuhörer stellt, sondern insbesondere für die Interpreten und deren Partiturstudium. Die Erkennung der „Gruppen“ hängt entscheidend vom visuellen Eindruck der Notation ab, wie Stockhausen in seiner Analyse des Klavierstücks I demonstrierte. (Es geht mir in diesem Zusammenhang also um die Aufführungs- und Wahrnehmungssituation des Stücks, so dass die zugrundelie34 Grundlegend dazu A. S. Bregman, Auditory Scene Analysis. The Perceptual Organization of Sound. Zu mathematischen und informationstheoretischen Aspekten von Gruppierung vgl. Chr. v. Blumröder, Art. Gruppe, Gruppenkomposition, S. 6f. 35 Karlheinz Stockhausen in Weingarten 1992. Vortrag zu seinen frühen Klavierstücken, S. 13. 36 K. Stockhausen, Gruppenkomposition: Klavierstück I (Anleitung zum Hören), S. 63–74. Die Verwerfung der Idee von Variation zeigte sich bereit in Situation des Handwerks (Kriterien der punktuellen Musik), S. 20f.

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gende generative Reihentechnik nicht einbezogen werden muss. Damit soll deren Bedeutung für das Werk nicht geleugnet werden. Es sei schlicht eine andere Ebene in den Vordergrund gestellt, so, wie es Stockhausen selbst für seine Analyse des Klavierstück I als „Anleitung zum Hören“ unternommen hat.) Klavierstück V wurde Ende 1953/Anfang 1954 begonnen und zwischen Januar und Juni 1954 umgearbeitet.37 „Klavierstück V was drastically revised: the gracenote groups were repositioned in less flamboyantly diverse registers, and the end product was used as a background for a completely new set of superimposed figurations whose construction and proportions rest on series completely alien to those used for the ‚background‘.“38 Bei der Aufführung des Klavierstücks V gibt es keine „außergewöhnlichen“ sichtbaren Bewegungen, es wird nicht in den Saiten oder direkt auf den Saiten gespielt, es gibt keine Bewegungen, die eine Loslösung von der Klaviatur erfordern, es gibt auch keine notierten Cluster. Die sichtbare Ebene ist zunächst einmal allein dadurch strukturiert, dass es Phasen der Klangproduktion und Pausen-Phasen gibt. Das ist sicherlich auch im Hinblick auf traditionelle Klaviermusik nichts Exzeptionelles. Doch der Kontext oder die „Sprache“ der seriellen Musik bedingt eine andere Funktion von Pausen, sie sind Dauern von Stille, die wie Töne oder Tongruppen in ein Verhältnis gesetzt sind. Sie alternieren mit den Klangereignissen als gleichberechtigte Zeitstrecken. Daher ist ihr Verhältnis zu den klanglichen Ereignissen ein wichtiger Faktor der zeitlichen Strukturierung eines Stücks.39 „Auf einem der vielen Wege zu dieser Musik [zu den Klavierstücken I–IV] möge man einmal besonders darauf achten, wann und wie Pausen komponiert sind, wie verschieden lang und wie verschieden still man sie empfindet – je nach dem, ob laute oder leise Klänge, ob dichte oder lockere Tongruppen vor und nach der Pause zu hören sind.“40

Wie gestaltet sich dies im Klavierstück V? Das Werk teilt sich in sechs Abschnitte („Felder“) durch sechs Tempi (Achtel = 80 – 90 – 71 – 113,5 – 101 – 63,5).41 Innerhalb dieser Felder sind die Tempi vielfach durch Ritardandi oder Accelerandi 37 Für Informationen und für ihre Unterstützung danke ich herzlich Karlheinz Stockhausen, Kathinka Pasveer, Elisabeth Bezdicek (Universal Edition Wien), Robert Piencikowski (Paul Sacher Institut Basel) sowie Luca Trisciani (Bern), der über die Klavierstücke arbeitet. Vgl. zur ersten Fassung R. Pereira, Le Klavierstück V de Karlheinz Stockhausen. 38 R. Toop, Stockhausen’s other Piano Pieces, S. 349. 39 Anzuknüpfen wäre an U. Mosch, Wahrnehmungsweisen serieller Musik, sowie ders., Musikalisches Hören serieller Musik. Untersuchungen am Beispiel von Pierre Boulez’ Le Marteau sans maître. Einen besonderen Stellenwert erhielt diese Ebene in der Musik Morton Feldmans. Dessen Einfluss auf die serielle Musik wäre in einer grundlegenden Studie noch zu eruieren. Vgl. dazu S. Claren, Neither, S. 56. 40 Zit. nach dem Programmheft von „Wien modern 1989“ (Archiv der Universal Edition Wien). 41 In den Klavierstücken I–IV wurde die temporale Ebene eines Stücks vom kleinsten zu spielenden Zeitwert bestimmt. Die Zahl sechs spielt für den Zyklus der 6 Klavierstücke V–X eine wichtige Rolle, die auch die Reihenstruktur und -ableitungen betrifft, vgl. dazu R. Toop, Stockhausen’s other Piano Pieces. Die Festlegung der Tempi in der oben angegebenen Reihenfolge (laut Partitur) erfolgte erst nach der Umarbeitung des Stücks (Schreiben von Luca Trisciani an die Verf. vom 24. Juni 2005).

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gedehnt oder gestaucht, so dass schnelle oder langsame Tonfolgen sowie kurze oder längere Pausen immer relativ zu diesen Angaben verstanden werden müssen.42 Daraus ergeben sich „Bewegungsformen der Zeitschwankung“ (zunehmende, konstante und abnehmende Geschwindigkeit).43 Eine kurze Pause von einem Sechzehntel oder Zweiunddreißigstel kann etwa im letzten Abschnitt unter einem Ritardando zu einer relativ langen Pause werden, bei der Angabe von Accelerando molto wird sie kaum mehr wahrnehmbar. Dasselbe gilt für die einzelnen Gruppen von Klangereignissen und für einzelne Teile innerhalb solcher Gruppierungen. Beispielsweise werden in der Mitte des fünften Abschnitts (Achtel = 101) und ganz am Schluss des letzten Abschnitts (Achtel = 63,5) Klangkomplexe und einzelne Töne durch länger werdende Pausen voneinander getrennt, doch die Passagen unterliegen immer wieder Beschleunigungen, so dass die isolierten Klangereignisse kurz und flüchtig erscheinen Es gibt andere Stellen, bei denen durch Pausen getrennte Klangkombinationen dominant sind, die eine davon verschiedene Wirkung hervorrufen, beispielsweise das Ende des zweiten Abschnitts (Achtel = 90): hier bleibt zunächst das Grundtempo, um dann in ein auskomponiertes Ritardando überzugehen (mit einem ausklingenden Halteton). Klangstrukturell genau umgekehrt funktioniert der Beginn des vierten, kurzen mittleren Abschnitts (Achtel = 113,5): ausgehend von Einzeltönen wird gewissermaßen ein Cluster aufgebaut, der sich im „rit. molto“ und gehaltenem Pedal entfalten kann (ähnlich bereits zu Beginn des Stücks in höherer Lage). Klanglich entsteht demnach die Wirkung von Clustern. Lassen sich im Klavierstück V durchaus ähnliche, vergleichbare Klangstrukturen erkennen, so erscheinen sie jedoch stets in einem anderen „Habitus“, ähnliche Gesten (oder Gruppen) werden immer auf unterschiedliche Art kommuniziert. Zur Relativierung der Ereignisse dient nicht nur die Variabilität der Tempi, sondern dienen auch weitere spieltechnische Aspekte, die für die Klavierstücke ab Nr. V maßgebend geworden sind, vor allem eine differenzierte Nutzung des Pedals sowie die Einführung von „kleinen Noten“ oder „Nebennoten“, die in den Partituren – also visuell und klanglich – einen Hintergrund-Vordergrund-Effekt ausbilden.44 Diese „kleinen Noten“ sind unabhängig von den Temposchwankungen und stets „so schnell wir möglich“ auszuführen. „Sie sind genau so wichtig wie große Noten; sie sollen deutlich artikuliert, nicht quasi arpeggiert sein. Darum müssen sie in den tieferen Lagen langsamer als in den höheren gespielt werden. Die verschieden großen Intervallsprünge in den Gruppen kleiner Noten sollen eine Differenzierung der effektiven Einsatzabstände bewirken (nicht egalisieren).“45 Es kommen in Klavierstück V nicht mehr als sechs zusammenhängende 42 Stockhausen hat die agogischen Angaben erst während der Umarbeitung des Stücks eingefügt (Schreiben von Luca Trisciani an die Verf. vom 24. Juni 2005). 43 Vgl. K. Stockhausen, Von Webern zu Debussy, S. 82. 44 P. Decroupet, First scetches of reality / Fragmente zu Stockhausen („Klavierstück VI“), S. 116: „In den ersten Skizzen Stockhausens zu den Klavierstücken V–X finden sich neben seriellen Quadraten, die die Grundlage für die verschiedenen Parameter stellen sollen, Aufzeichnungen zur Verteilung von kleinen Noten, um strukturelle Haupttöne herum.“ 45 Partitur des Klavierstücks V, Vorwort, Universal Edition Nr. 13675 a LW, London 1965.

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„kleine Noten“ vor, Gruppen von „kleinen Noten“ können vor eine Hauptnote, nach einer Hauptnote oder parallel mit ihr gesetzt sein (jeweils mit oder ohne Pedal). „Gruppen kleiner Noten zwischen senkrecht gestrichelten Linien [...] unterbrechen das vorgeschriebene Tempo.“46 Zu den Schwankungen der vorgegebenen Tempi tritt demnach ein „Unregelmäßigkeitsfaktor“ hinzu, der völlig von der Kompetenz und Virtuosität der Interpreten abhängig ist. Gerade bei Klangkomplexen, die durch Pausen isoliert sind, ist gut zu hören, „wie manchmal ein Zentralton angeschlagen wird mit einer sehr schnellen Gruppe von kleinen Trabanten um sich herum, durchs Pedal gehalten als Färbung dieses Zentraltones [...] Eine spezifische Farbe tönt einen solchen Kopf oder Kern eines Klanggebildes durch die Intervalle der ineinanderklingenden Töne.“47 Die „Nebennoten“ beeinflussen zudem die Dauer der Hauptnoten. In einer undatierten handschriftlichen Notiz haben sich folgende Hinweise dazu im Nachlass von David Tudor erhalten: „If there is a success of more than one grace note […] so the duration of the group interrupts the accurately measured continuum of time of the normally written notes. The duration wh. is dependent on the speed and the [bigness] of the group of little notes, pushes itself in between the counted durations. The differently big skips & intervals in the groups of little notes are [sufficient ?] to produce the effect of natural differenciation of the effectivity of the real duration of the little notes. Tempo superimposition – to be understood so, that in superimposed faster & slower tempi with defined limits and underneath not so important of these changes of tempo are contained in relative value. The begin. speed of an under unstability change of time depends then on the up & down of the (superimposed) [curve ?] of time. So for ins. a superimposed rit. & an underimposed accel. they don’t [anubilate ?] each other but the sup. rit. [curve ?] indicates which starting speed the underimposed tempo comes in.“48

Beeinflussen die Temposchwankungen des Stücks die Wirkung der einzelnen Gruppen – aus Einzeltönen mit Nebennoten wird durch Ritardando gewissermaßen eine Schlussgeste, durch Accelerando entstehen kurze und flüchtige Klangmomente –, so sind diese Unterschiede auch durch die Bewegungen des Interpreten visuell nachvollziehbar. Zudem sind die Gruppen durch die Aktivitätsgrade des Spielers zu unterscheiden, die sich gemessen am vorgegebenen Tempo ebenfalls immer in einem anderen Licht zeigen. Die Aktivitätsgrade sind etwa folgendermaßen zu staffeln: Das Stück ist in dieser Partitur mit dem Datum 1954 bezeichnet. Es ist David Tudor gewidmet und war ein Kompositionsauftrag der Stadt Darmstadt. 46 Ebenda. 47 Karlheinz Stockhausen in Weingarten 1992. Vortrag zu seinen frühen Klavierstücken, S. 13. 48 David Tudor Collection, 980039, Box Nr. 4, Stockhausen, Piano Pieces V–VIII, Getty Research Institute for the History of Art and the Humanities, Los Angeles. David Tudor hat Klavierstück V in einem Konzert am 15. Dezember 1954 erstmals in New York aufgeführt. Vgl. dazu J. Holzaepfel, David Tudor and the performance of American experimental music, 1950–1959, S. 353–355, vgl. auch ders., Reminiscences of a Twentieth-Century Pianist. An Interview with David Tudor, S. 630f. Marcelle Mercenier hat laut P. Decroupet, First scetches of reality / Fragmente zu Stockhausen („Klavierstück VI“), S. 115, „das bereits revidierte Klavierstück V“ am 21. August 1954 in Darmstadt gespielt (zur Revision vgl. ebenda S. 124).

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a) einzelne kurze Noten (ohne Pedal, Sechzehntel, letzter Abschnitt, kommt nur einmal vor), b) einzelne lange Noten (ohne Pedal, nach Beginn des dritten Abschnitts), c) einzelne lange Noten (mit rechtem Pedal oder Halbpedal, ohne und mit einigen Nebennoten), d) Einzelnoten mit einzelnen Nebennoten oder einer Gruppe von Nebennoten (ohne Pedal, mit Halbpedal oder ganzem Pedal), e) mehrere Einzelnoten mit einzelnen Nebennoten oder Gruppen von Nebennoten (ohne Pedal, mit Halbpedal oder ganzem Pedal), f) kurze oder längere Zusammenstellung („Intervalle“, „Akkorde“, „Konstellationen“) von gerichteten Einzelnoten mit einzelnen Nebennoten oder Gruppen von Nebennoten (ohne Pedal, mit Halbpedal oder ganzem Pedal) bis Clusterwirkung (Gesten aufwärts, abwärts), g) kurze oder längere Zusammenstellung („Intervalle“, „Akkorde“, „Konstellationen“) von ungerichteten Einzelnoten und Zusammenklänge mit einzelnen Nebennoten oder Gruppen von Nebennoten (ohne Pedal, mit Halbpedal oder ganzem Pedal) und ohne oder mit einem „Orgelpunkt“ in verschiedenen Lagen. Abhängig von den Tempi verändern sich die Charakteristika der Gruppen, obwohl in Klavierstück V auch Korrespondenzen entstehen. Aber „das Nachhören, Erkennen von Gestalten ist in dieser Musik gefordert, nicht das Wiedererkennen [...] es werden Gebilde geformt, die einmalig sind. Man muß innerlich sehr schnell registrieren, aufnehmen wie ein Magnetophon, damit man ein Ereignis möglichst nicht verliert. So geht man auch gefühlsmäßig sehr schnell durch Veränderungen hindurch.“49 Die Transformation der einzelnen Gruppen ist aber nun entscheidend durch ihre „Aktionsdauer“ bestimmt, die von der individuellen Spielweise der Interpreten abhängt. Das elastische „Korsett“ der Tempi und Tempoänderungen integriert die persönlichen Spielmöglichkeiten und Spielkompetenzen. Die „Aktionsdauer“ ist zudem auf die Dauer der „Klang-Aktionen“ ausgedehnt, das heißt auf die Klangentstehung, -entfaltung und -beendigung (also auch auf Ein- und Ausschwingvorgänge), die neben der Spielgeschwindigkeit maßgeblich durch Dynamik, Lage, Anschlag und Pedaleinsatz gestaltet sind. Im Klavierstück V ist diese Ebene allerdings auskomponiert, es findet sich nur eine einzige Fermate (im dritten Tempo-Abschnitt), durch die ein Klangkomplex frei ausklingen kann. In allen anderen Fällen bieten die Pausen in diesem Sinne „Hörraume“, die sich vergrößern im langsamen Tempo mit entsprechend längeren Pausen vor und nach einem Klangereignis. Ein „Hineinlauschen in Klänge und Klangkomplexe“, ein Hineinhorchen in den Klang „wie in einen Körper“, das hat Stockhausen in den Klavierstücken VI–X und XI weiterverfolgt und zunehmend auch die temporale Ebene dafür geöffnet.50 Vgl. dazu auch Karlheinz Stockhausen bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt 1951–1996. Dokumente und Briefe (Briefe von M. Mercenier und D. Tudor). 49 Karlheinz Stockhausen in Weingarten 1992. Vortrag zu seinen frühen Klavierstücken, S. 14f. 50 Ebenda, S. 14.

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Stockhausens Arbeit mit „Aktionsdauern“ sei Cages Umgang mit dieser genuin performativen Dimension zur Seite gestellt. Seit (etwa) Music of Changes (1951) prägte sich bei Cage bekanntlich die Tendenz zur Schwerpunktverlagerung auf Resultate aus Aktionen aus, die nicht mehr in der Notation vorgegeben waren. Er reduzierte die Vorgaben beziehungsweise erhöhte ihre Unbestimmtheit und überließ so die endgültige Gestaltung des musikalischen Ablaufs zunehmend den Aufführenden. Water Music (entstanden im Frühjahr 1952, uraufgeführt am 2. Mai 1952 an der New School for Social Research, New York) kann als erstes Beispiel dieser Phase bezeichnet werden, das sogleich auch als erstes „theatre piece“ rezipiert wurde.51 In ihm sind allerdings nur zwei Komponenten indeterminiert, das heißt nicht exakt festgelegt: erstens die Frequenzen des integrierten Radios, zweitens die Präparation des Klaviers.52 Im Sommer/Herbst 1952 folgten das sogenannte „untitled event“ sowie 4’33’’, die – bezogen auf ihre Aufführungssituationen – geradezu als extreme Kontraste gegenüber der Music of Changes betrachtet werden können. Cages damalige verstärkte Hinwendung zur Aktionsebene der Aufführung, zur Aufführungssituation und zu den Tätigkeiten der Interpreten ist sicherlich in spezifischer Weise dadurch geprägt worden, dass er selbst kontinuierlich zu den Interpreten seiner Werke gehörte.53 Jedoch begann Anfang der 1950er Jahre auch seine Kooperation mit David Tudor, die diese Tendenz ungemein befördern sollte. Was das Duo Cage/Tudor unter anderem so eng verband, war ein ausgeprägtes Bewusstsein für ihre „natürliche“ Bühnenpräsenz, die sich bei Aufführungen unter anderem in der völligen Konzentration auf die Ausübung ihrer Handlungen zeigte.54 Die zunehmende Unbestimmtheit in den Partituren führte dazu, dass nun jede Aufführung nicht nur Interpretation, sondern in zunehmenden Maß Komposition wurde, nicht Variante, sondern Neukomposition eines Stücks, „composition as process“. Dieser Prozess bildete eine besondere Herausforderung für David Tudor, der einen neuen Zugang zur Aufführungssituation über Antonin Artauds Schriften gefunden hatte.55 James Pritchett hat dargelegt, dass Cage in diesem Zusammenhang Spielvorlagen entwickelte, die als „tools“ zu betrachten sind, „works which do not describe events in either a determinate or an indeterminate way, but which instead present 51 Vgl. W. Fetterman, John Cages Theatre Pieces. Notations and Performances, S. 25ff.; vgl. auch J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 89. Cage verwies im Hinblick auf den Beginn indeterminierter Kompositionen auf die „time-length-pieces“ (um 1954), siehe J. Cage, Gedanken eines progressiven Musikers, S. 25. 52 W. Fetterman, John Cages Theatre Pieces. Notations and Performances, S. 31. 53 Vgl. ebda., S. 189ff. 54 Vgl. dazu Verf./C. Risi, Aufführungsanalyse und -interpretation. Positionen und Fragen der „Performance Studies“ aus musik- und theaterwissenschaftlicher Sicht. 55 Vgl. dazu J. Holzaepfel, David Tudor and the performance of American experimental music, 1950–1959, S. 34–37. Bekanntlich wurden auch andere Komponisten durch den „TudorFaktor“ zu neuen Notations- und Aufführungsformen angeregt, Holzaepfel geht nicht nur auf die Kooperation zwischen Cage und Tudor ein, sondern behandelt auch die Zusammenarbeit mit Morton Feldman, Earle Brown und Christian Wolff. Vgl. auch ders., Reminiscences of a Twentieth-Century Pianist. An Interview with David Tudor, sowie ders., Cage and Tudor.

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a procedure by which to ‚create‘ any number of such descriptions or scores.“56 Der Komponist bleibt zwar „Erfinder“ und „designer of compositional systems“, der kompositorische Prozess allerdings wird den Interpreten überlassen, und „the work itself exists solely as a process“.57 Die Aufführung dieses Prozesses, wird sie als Endprodukt desselben begriffen, unterscheidet sich prinzipiell nicht von einer traditionellen Musikaufführung: dargeboten werden die kompositorisch-interpretatorisch getroffenen Entscheidungen und Festlegungen der Aufführenden (für die jeweilige Aufführung). Jedoch ist diese Schlussfolgerung in verschiedener Hinsicht problematisch. Für Cage bildeten (jedenfalls ideell und schaffensökonomisch) Komposition, Aufführung und Rezeption getrennte Bereiche58, und David Tudor begnügte sich nicht damit, Puzzles zusammenzufügen und zu präsentieren, sondern er schaffte sich Räume für kreative Invarianzen, nahm Herausforderungen eines Stücks auch mehrmals an und begriff sein Instrument als experimentelles Tätigkeitsfeld für Klangaktionen mit unvorhergesehenen Ergebnissen.59 Dahinter stand allerdings nicht nur die Erfahrung mit Dauern von Aktionen, sondern auch mit Aktionen in bestimmten Dauern. In Water Music hatte Cage erstmals Dauern in Minuten und Sekunden angegeben und damit vom Spieler verlangt, Bewegungen und Handlungen in einer ganz bestimmten Zeit auszuführen. Die Pianistin Margaret Leng Tan hat beschrieben, dass daraus eine sehr ökonomische „Choreographie“ der Ausführung resultiert: „For instance, pouring water [at 4.4875 and 5.4525 in the score] is not as easy as it seems. The first time you have to pour fast and the second time slower. I first practiced it with a stopwatch at the kitchen sink […] By working this way I discovered that the reason Cage asks the performer to use a stop-watch, and the reason that he has occurrences at a quarter or threequarters of a second, is because it forces you to move very rhythmically, and very precisely.“60

Cage hat damals also das erreicht, was die Komponisten sich in der frühen seriellen Phase erhofft hatten, eine Präzision, die bislang in der Musik unbekannt war. Dies gilt bereits für Music of Changes, wie Herbert Henck darlegte: „Der Interpret hat sich an einen kaum je zuvor so exakt bezeichneten Text zu halten, dessen Genese aus Zufallsprozeduren allein noch an solchen Stellen sichtbar bleiben mag, wo die Überlagerung bestimmter Vorschriften zur manuellen Unspielbarkeit führt.“61

56 J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 126. 57 Ebenda, S. 128. Vgl. auch J. Lochhead, Performance Practice in the Indeterminate Works of John Cage. 58 Vgl. J. Cage, Experimental Music: Doctrine, S. 15, in einem fiktiven Dialog lautet die Frage „I have noticed that you write durations that are beyond the possibility of performance“, darauf die Antwort: „Composing’s one thing, performing’s another, listening’s a third. What can they have to do with one another?“ 59 Vgl. J. Holzaepfel, David Tudor and the performance of American experimental music, 1950–1959; ders., Reminiscences of a Twentieth-Century Pianist. An Interview with David Tudor, sowie ders., Cage and Tudor. 60 Zit. nach W. Fetterman, John Cages Theatre Pieces. Notations and Performances, S. 28. 61 H. Henck, John Cage „Music of Changes“, S. 5.

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Die messbare Zeit wurde zur musikalischen Zeit oder die musikalische Zeit war auch die messbare Zeit; insofern ist die Ausführung nicht mehr relativ zu einem Puls, der in ganz verschiedenen Tempi gedacht werden konnte, die Ausführung orientiert sich auch nicht mehr an Bewegungen oder Handlungen anderer. Dauern von Klangereignissen sind nicht mehr relational zu anderen Dauern gesetzt.62 Die Grundlage der mit der Stopuhr gemessenen Zeit übertrug Cage auch auf die Notation. Abgemessene Räume oder Abstände auf dem Papier entsprachen einer Zeiteinheit und konnten für Tempoänderungen entsprechend variiert werden.63 Grundsätzlich zeigt sich demnach bei Stockhausen und Cage ein konträres Verfahren, das mit einem unterschiedlichen Verständnis von „musikalischer Zeit“ einhergeht und nicht nur Stockhausen, sondern auch Boulez in Gegensatz zu Cage brachte. Ein Vergleich aus der Welt der Bilder sei herangezogen. Boulez und Stockhausen hatten im Prinzip zunächst Klang-Photographien generiert, deren „Weitertransport“ das serielle System bedingte. Mit der Entdeckung der „Aktionszeit“ wird bewusst, dass die Klangbilder selbst bewegt sind, dass sie auf Grund ihres Materials keine stillgestellten Photographien sein können, und ferner, dass dieses Material und die daraus erstellten Bilder nicht nur Zeitphänomene sind, sondern auch temporalen Eigengesetzlichkeiten unterliegen. Für Cage hingegen ist sozusagen der Film (als „Realzeit“) bereits vorhanden, auf diesen Film werden nun Ereignisse projiziert, „throwing sound into silence“.64 4’33’’ ist hierin sicherlich ein Extrem, denn hier hat Cage auf das natürliche „Rauschen“ des Films gesetzt. Man könnte insofern aus medienästhetischer Sicht Boulez und Stockhausen als zum Film gehörend, Cage als frühen Videokünstler bezeichnen.65 Cage überlässt die Gestaltung des Audiovisuellen dem Zufall, gibt lediglich Komponenten dieser Gestaltung vage vor oder zeigt letztlich das, was momentan „auf dem Film ist“ (4’33’’) oder „auf den Film kommt“ (0’00’’ „In a situation provided with maximum amplification [no feedback], perform a disciplined action“). Interessant wird infolgedessen die Rahmung und Inszenierung der Präsentation seines Films.66

62 Vgl. auch M. Erdmann, Untersuchungen zum Gesamtwerk von John Cage, S. 65ff. 63 Eine Aufteilung des horizontalen Verlaufs auf dem Notenpapier konnte auch einem Grundschlag gelten, wie in Music of Changes (eine Viertel ist 2,5 cm lang; in der gedruckten Partitur ist der Grundwert allerdings nur 2 cm lang, dies liegt an der Verkleinerung der Partituren, siehe Peters Edition 6256, 6257, 6258, 6259), vgl. dazu H. Henck, John Cages „Music of Changes“. Praktische Erfahrungen, S. 115–122. Dass Cage dazu übergegangen ist, graphisch Minuten und Sekunden festzulegen, steht in Zusammenhang mit der Entwicklung graphischer Partituren bei Morton Feldman sowie mit der Aufführungspraxis von Tudor, „who had solved the rhythmic difficulties of Music of Changes by calculating the duration of each phrase in seconds and then using a stopwatch in performance“ (J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 102). Vgl. auch S. Claren, Neither. Die Musik Morton Feldmans, S. 47ff.; vgl. auch W. Klüppelholz, Schlüsselwerke der experimentellen Musik. „Music of Changes“ von John Cage. 64 Vgl. J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 74. 65 Vgl. zur Videoästhetik die Studie von Y. Spielmann, Video. Das reflexive Medium. 66 Vgl. W. Fetterman, John Cages Theatre Pieces. Notations and Performances, S. 84–90.

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Damit rückte die Aufführungssituation beziehungsweise der unmittelbare Vorgang der Aufführung in den Vordergrund, ganz so, wie sich Cage die Konsequenz von „indeterminacy“ in bezug auf „performance“ vorstellte: „The performer therefore simply does what is to be done, not splitting his mind in two [conscious, unconscious], not separating it from his body, which is kept ready for direct and instantaneous contact with his instrument.“ Es entstehe kein „object in time [...] nothing therefore is accomplished by such a performance“, im besten Fall gäbe es keinen Beginn, kein Ende, sondern nur einen dem äußeren Konzertrahmen angepassten Verlauf.67 In einem unbestimmten „Zeit-Raum“ finden KlangEreignisse statt, die für sich stehen: „Sounds will then arise from actions, which will then arise from their own centers rather than as motor or psychological effects of other actions and sounds in the environment.“68 Cages Weiterentwicklung von „indeterminacy“ zielte darauf ab, den kompositorischen Einfluss völlig zurückzunehmen und die Gestaltung des Werks den Interpreten zu überlassen: „the composer ‚undetermines‘ the traditional process by which a performer reads a notation and produces sound successions determined by a composer. Instead the composer ‚determines‘ a set of rules by which a performer may produce notational symbols which regulate sound production.“69 Insofern lässt sich vom Schriftbild seiner damaligen Werke auch zusehends weniger auf das klangliche Resultat schließen beziehungsweise der Ablauf einer Aufführung findet kein Pendant im Notentext (allenfalls in Aufführungstexten einzelner Interpreten, die als Quellen in vieler Hinsicht noch zu erschließen beziehungsweise als Quellen zunächst einmal zu entdecken und zu würdigen sind). Als Beispiele können etwa die Serie der Variations seit Ende der 1950er Jahre angeführt werden, in denen Transparente mit Linien, Punkten oder Kreisen (etwa in den Variations I von 1958, Variations II von 1960, Variations III von 1962/63, Variations IV von 1963) als „tools“ fungieren.70 Die graphischen Elemente sind mehr oder weniger „definiert“ oder sollen für eine Aufführung definiert werden, so etwa Punkte für die Anzahl oder Komplexität von Klängen (Variations I) und Linien für die Parameter Dauer, Frequenz, Obertonstruktur von Klängen (also Klangfarbe), Amplitude, das Erscheinen von Klangereignissen innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens und die Komplexität oder Überlagerung von Ereignissen („structure of events“). Völlig offen bleiben hingegen die Mittel der Klangproduktion und die Zusammensetzung der Aufführenden. Was nun wann und wie im performativen Prozess geschieht, wird zwar durch die Spieler zuvor festgelegt, muss jedoch keineswegs ausnotiert oder Schritt für Schritt determiniert sein, sondern kann m. E. sogar als Improvisationsvorlage dienen.71 Die Bandbreite der erst im Aufführungsverlauf sich konkretisierenden Klang-Aktionen beziehungsweise der bis zum letzten Moment offen 67 J. Cage, Indeterminacy, S. 39. 68 Ebenda. 69 J. Lochhead, Performance Practice in the Indeterminate Works of John Cage, S. 234. Vgl. auch M. Erdmann, Untersuchungen zum Gesamtwerk von John Cage, S. 50ff. 70 Transparente auch bei Fontana Mix (1958), Music Walk (1958), Cartridge Music (1960). 71 Vgl. H.-Chr. Müller, Zur Theorie und Praxis indeterminierter Musik, S. 112–147, zu verschiedenen Aufführungsversionen von Variations I.

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gehaltenen und nicht vorhersehbaren Ereignisse kann insofern je nach Aufführungsversion stark differieren. Es ist aber auch möglich, durch bestimmte Lesarten der Graphiken einen genaueren Ablauf der Geschehnisse auszumachen und bestimmte Klangereignisse weitgehend vorherzusehen, wenigstens als Interpret oder Interpretin.72 Cages damalige Konzepte wurden in den vergangenen Jahrzehnten zum Teil sehr kontrovers beurteilt, er galt den einen als Revolutionär, anderen hingegen als Scharlatan, als Künstler, den es nicht ernst zu nehmen lohnt.73 Wer sich je praktisch auf ihn eingelassen hat im Sinne wenigstens eines Versuchs, eine Aufführung gerade der indeterminierten Stücke zu realisieren oder allein Schritte, die dahin führen (könnten), gedanklich durchzuspielen, der wird sich vermutlich gegenüber Cage abwägend verhalten. Cage hat allerdings die gängigen Hierarchien des praktischen Musiklebens durchbrochen, und das wird ihm vor allem von denjenigen nachgetragen, die diese „alten Ordnungen“ zur Durchsetzung ihrer eigenen Ziele benötigen. 3.1.2 „Aktionszeit“ und „Klangzeit“ II: Kompositionen für Schlagzeug Hatte sich Stockhausen mit der Konfrontation von messbarer Zeit und einer den Spielern individuell überlassenen „Aktionszeit“ auseinandergesetzt, hatte auf der anderen Seite Cage allmählich nur zeitliche Rahmen festgelegt oder festlegen lassen, denen die Dauern der Abläufe angepasst werden sollten beziehungsweise in denen bestimmte Geschehnisse stattfinden sollten, so haben andere Komponisten im Anschluss an diese Entwicklungen und in Fortsetzung der Arbeiten mit elektronischen Klanguntersuchungs- und -bearbeitungsverfahren damit begonnen, Klangphänomene selbst als „eigenzeitliche“ Verläufe zu begreifen. Das bedeutete, sich nicht nur der Spielweise einzelner Instrumente und den Kompetenzen von Musikern, sondern auch Klangeigenschaften von unterschiedlichen Instrumenten beziehungsweise den akustischen Eigenheiten von „Klingendem“ zu widmen. Es bedeutete daher, die Klangproduktion mikroskopisch zu beobachten oder sich die akustischen Verläufe (auch) als visuelle Formen zu verdeutlichen sowie mikroskopische (lokale) und makroskopische (globale) Verläufe in Beziehung zueinander zu setzen. Dies hat beispielsweise Helmut Lachenmann in seinem Aufsatz Klangtypen der Neuen Musik dargelegt, in dem er an den Anfang stellt, dass „heute die unmittelbar empirisch-akustische Klang-Erfahrung zwar nicht in den Mittelpunkt, aber doch an den Schlüsselpunkt des musikalischen Erlebnisses gerückt“ sei.74 Lachenmann unterschied „Klang als Zustand einerseits und Klang als Prozess andererseits, anders gesagt: Klang als beliebig lange, in ihrer Dauer von außen her zu begrenzende Gleichzeitigkeit, und Klang als zeitlich aus sich

72 Ebenda, S. 127. Vgl. auch Verf./C. Risi, Aufführungsanalyse und -interpretation. Positionen und Fragen der „Performance Studies“ aus musik- und theaterwissenschaftlicher Sicht. 73 Vgl. dazu A. Riethmüller, Wie über den Komponisten John Cage reden? 74 H. Lachenmann, Klangtypen in der Neuen Musik, S. 1.

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selbst heraus begrenzter charakteristischer Verlauf.“75 Dem charakteristischen Verlauf eines Klangs – oder mehrerer, zusammengesetzter Klänge – entspricht ein „sukzessiver Abtast-Prozeß“ beim Hören. Klänge sind daher Formen in Zeit, und ihre Zusammensetzung ergibt eine übergeordnete Form – Lachenmann nennt dies „Struktur-Klang“ oder „Klang-Struktur“ und vergleicht sie mit einem von Stockhausen so genannten „Zeitgeräusch“ –, mit einer „Eigenzeit“, die aus der „Polyphonie von Anordnungen“ hervorgeht. „Form wird so erfahren als ein einziger überdimensionaler Klang, dessen Zusammensetzung wir beim Hören von Teilklang zu Teilklang abtasten, um uns auf diese Weise Rechenschaft zu geben von einer unsere bloß simultane Erfahrung übersteigenden Klangvorstellung.“76 Lachenmanns Erörterungen der Eigen-Zeiten der „Klangtypen“ sei im folgenden am Beispiel seines Stücks Interieur I (1965/66, uraufgeführt 1967 in Santa Fe) für einen Schlagzeugsolisten nachgegangen. In seinem Werkkommentar hierzu erläutert der Komponist: „Die Form ergibt sich dabei als mehrschichtiger Abtastprozeß von überlagerten An-Ordnungen und daraus resultierenden Beziehungen. Klang und Gestus werden dadurch auf doppelte Weise charakteristisch als abstrakt gliedernde Komponente von strukturellen Gebilden einerseits und als deren Resultat und expressives Produkt andererseits.“77

Das Schlagzeugstück – in der Nachfolge von Stockhausens Zyklus, doch formal und bezogen auf die Notation in 16 Abschnitten festgelegt und zeitlich, bis auf einen Wechsel zu einer Tempoangabe in Abschnitt 8, nach Sekunden eingeteilt – fordert auf verschiedenen Ebenen das Bewusstsein für die „Eigenzeiten“ der Instrumente und deren Klanglichkeit. Die Instrumente selbst, Triangeln, Becken, Hi-Hat, Sizzle-Becken, kleines und großes Tamtam, Almglocken, Temple-Blocks, Bongos, Tomtom, Pedal-Pauke, Vibraphon, Marimbaphon und Cymbales antiques zeigen zunächst einmal unterschiedliches Klang-„Verhalten“. Idiophone aus Holz, mit ihrem kurzen trockenen Klang fast ohne Nachhall, stehen beispielsweise im Gegensatz zu Idiophonen aus Metall, die ihren Klang allmählich entwickeln und lange ausschwingen. Instrumente mit Fell-Membranen variieren vor allem in ihrem Klangcharakter nach Helligkeit und Dämpfung, selbst das Spielen am Rand oder in der Mitte eines Fells zeigt auf Grund der Spannungsdifferenz diesen Unterschied. Verschiedene Resonanzkörper der Instrumente tragen zu ihrer Charakteristik ebenso bei wie das unterschiedliche Bau-Material, ihre Formen, ihre Bauweise, ihre Größe, ihre Zusätze (zum Beispiel mitschwingende Saiten), ganz abgesehen von einer eigenen Stimmung (Tonhöhe) eines Instruments. Hinzu

75 Ebenda. 76 Ebenda, S. 20, vgl. auch S. 18. An anderer Stelle führt Lachenmann aus, dass für ihn Klang „als Produkt nicht nur seiner mikrozeitlichen (also inneren Schwingungsverhältnisse), sondern auch seiner makrozeitlichen (also äußeren rhythmischen) Organisation, das heißt zugleich als Zustand und als Prozeß“ zu begreifen sei, und dass der Klangbegriff, „verstanden als mittels Schalldruck artikulierte Zeit“ in direkter Beziehung stehe zum Formbegriff (vgl. H. Lachenmann, Vier Grundbestimmungen des Musikhörens, S. 57). 77 H. Lachenmann, Intérieur I für einen Schlagzeugsolisten (1965/66), S. 375.

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kommen die verschiedenen Spielweisen, die unterschiedlichen Schlägel und Anschlagstechniken. In Lachenmanns Stück wird beispielweise angegeben, wann mit rechter oder linker Hand zu schlagen ist, wann mit den Schlägeln auf bestimmte Weise gestrichen wird (kreis- oder achterförmig, oder vertikal), wann ohne Druck „tremolo gescharrt“ wird; es gibt harte Schlägel (aus Horn), weiche Schlägel, Trommelstöcke, lange Metallnadel, Jazzbesen und Tamtamschlägel, wobei die Form der Notenköpfe in der Partitur (offen, geschlossen) nicht den Rhythmus betrifft, sondern der Nutzung der unterschiedlichen Schlägel gilt. Die Dauern der Klangereignisse – „Aktionsdauern“ und „Klangdauern“ – ergeben sich aus dem Verhältnis der vorhandenen Anzahl der Noten (der zu spielenden Noten inklusive Tremolo, Triller usw.) zum angegebenen Zeitraum. „Die rhythmische Gestaltung der Aktionen ergibt sich einerseits aus der graphischen Anordnung innerhalb der – approximativ angegebenen – Sekundendauer der Abschnitte, andererseits aus der – vom Spieler auszunutzenden [ – ] Eigenzeit der Instrumente, die bei der Gestaltung der notierten Klangverbindungen eine wesentliche und unvorhersehbare Rolle spielen.“78 Zur „Aktionsdauer“ gehört in diesem Fall nicht nur der zeitliche Aufwand, die Instrumente zu spielen, sondern auch zum Beispiel die Wechsel der Schlägel und der Ortswechsel des Musikers zwischen rechts, links und Mitte mit je einer Instrumentengruppe. „Alle Schlägelwechsel möglichst unauffällig. Beim Einstudieren gehört das Üben der Schlägelwechsel mit dazu!“79 Die Partitur, bestehend aus einzelnen, losen Seiten, ist auf die verschiedenen Standorte zu verteilen und enthält genaue Angaben zum Wechsel der Standorte beziehungsweise Instrumentengruppe.80 Allerdings – und das ist nun eine zusätzliche Schwierigkeit und der Clou des Stücks – ist es nicht gesagt, dass man sich auf einer Seite oder in der Mitte befindet und die angegebenen Abschnitte tatsächlich nur auf dieser Seite zu spielen sind. Es wird verlangt, dass die Interpreten sich auf eine Seite konzentrieren, aber Instrumente aus den anderen Gruppen und Standorten einzubeziehen in der Lage sind. Das geschieht in allen Abschnitten bis auf eine Ausnahme im vorletzten Abschnitt, und wenn der Standort in der Mitte vorgegeben ist, so wird sowohl nach rechts und links gespielt. Der globale Verlauf der Ortswechsel des Musikers stellt sich folgendermaßen dar: Rechts, Mitte, Links, Mitte, Links, Mitte, Links, Mitte, Links, Mitte, Links, Mitte, Rechts, Mitte, Rechts, Mitte. Die „Aktionsdauer“ bezieht sich daher auch auf die räumliche Bewegungsorganisation, die beispielsweise in Luciano Berios Circles für Stimme, Schlagzeug und Harfe vorgebildet worden war (eine ausführliche Besprechung von Circles findet sich im nachfolgenden Unterkapitel). Lachenmann hat am Beispiel von Interieur I im oben angeführten Zitat auf die Verbindung von Klang und Gestus hingewiesen. Es wird dabei zunächst von

78 Partitur von Interieur I, edition modern, München 1967, Vorwort. 79 Ebenda. 80 Rechts: Cymbales antiques, Marimbaphon, Pauke, großes Tamtam; Mitte: Bongos, Sizzle-Becken, Becken, Almglocken, Temple-Blocks, Tomtoms, kleines Tamtam, HiHat; links: Vibraphon, Triangeln.

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Gestus als „unit of motion“ – „motion“ als Körperbewegung – ausgegangen.81 Obwohl Gestus oder Geste in der Musik mindestens auf drei Ebenen diskutiert werden kann, ist es gerade am Beispiel von Schlagzeugmusik, die in der Regel ein körperliches Multi Tasking erfordert, sinnvoll, sich zunächst auf die erste Ebene von Körperbewegung und Motorik zu konzentrieren.82 Zumal genau dieser Bereich bei Studien zu „musical performance“ häufig unterbelichtet bleibt, vielleicht um zu vermeiden, dass der Körper nur als Bewegungsmechanismus gesehen wird, der einem bestimmten Leistungsprinzip unterliegt. Zurecht gilt jedoch: „The body is not just a source of sensory input and a mechanism for effecting output: it is far more intimately bound up with our whole response to music – perceptual and motor – and needs to be recognised as having a far more central role than a simple generative model would suggest. A wide range of other factors, including the possibilities of the instrument, the acoustics of the performing environment, the nature of the audience, the mood and intentions of the performer, and even the performance ideology espoused […] will contribute the result“.83

Am Beispiel von Lachenmanns Schlagzeugstück nun kann aber gezeigt werden, dass gerade der Bereich der körperlichen Motorik und Mobilität essentiell ist, denn daraus resultieren die klangliche Differenzierung und die „Klang-Gesten“ unmittelbar. Ihr expressiver Gehalt geht auf die äußerste Konzentration auf die klangliche Gestaltung zurück. Expressivität ist hier keine Begleiterscheinung aus rezeptiver emotionaler Bewegtheit (Zusatzbewegung mit dem Kopf und Körper), sondern ergibt sich vielmehr aus der gleichzeitig produktiven wie perzeptiven und selbst-bewussten Haltung der Spieler, aus dem Lauschen auf die klanglichen Phänomene und Ereignisse, die man selbst hervorbringt und doch – bezogen auf die Instrumente – nur zum Teil exakt kontrollieren kann. Selbst bei genauer Körper-, Bewegungs- und produktiver Kontrolle kann das Resultat ein „Ereignis“ sein, das die Erwartungen übersteigt. „Das Ereignis, wiewohl ein Gemachtes, ist doch kein Machbares. Geplant, ist es gleichwohl nichts Planbares; konstruiert, ist es dennoch nichts Konstruierbares. Es schafft sich, vollbringt sich.“84 Es lassen sich im Blick auf körperliche Aktionen in Lachenmanns Stück drei Betrachtungsfelder ausmachen: erstens der Umgang mit den einzelnen Instrumenten; zweitens

81 P. Shove u. B. H. Repp, Musical Motion and Performance. Theoretical and Empirical Perspectives, S. 60. 82 Zu musikalischen Gesten siehe F. Delalande, Le Geste, outil d’analyse: quelques enseignements d’une recherche sur la gestique de Glenn Gould. Delalande bestimmt drei Arten von Gesten, erstens „geste effecteur“ als notwendige, mechanische Bewegung zur Klangproduktion, zweitens „geste accompagnateur“ als musikbegleitende, ausdrucksvolle Bewegungen des ganzen Körpers und drittens „geste figuré“ oder „mental gestures“ als Vorstellung von Bewegungen bei der Klangerzeugung und bei musikalischen Verläufen (letzteres v.a. aus der Hörerperspektive). 83 E. Clarke u. J. Davidson, The Body in Performance, S. 76. Gerade in dieser Studie zeigt sich jedoch eine Konzentration auf musikalische expressive (Begleit-)Gesten, als sei die Motorik des Spielers nicht die Basis, sondern nur Hintergrund der Aufführung. 84 D. Mersch, Ereignis und Aura, S. 234.

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das Multi Tasking, die Koordination von Bewegungen; drittens die Klang- und Formgestaltung, die Schaffung von Kontinuität und Kohärenz. Jedes einzelne Instrument erfordert eine besondere Handhabung, um Tonhöhen, Lautstärke oder Intensität, Klangdauer und Klang(farbe) zu erzeugen und zu variieren. Nicht immer agieren unmittelbar die Hände oder nur die Hände und Arme (beziehungsweise Arm, Hand, Handballen, Faust, flache Hand, Finger usw.) – abgesehen davon, dass immer der ganze Körper mitbeteiligt ist –, sondern oft auch ihre Extensionen oder Vermittler, zum Beispiel verschiedene Arten von Schlägel, Stöcken, Hammer, Besen, Bogen usw., oder auch die Füße, wenn beispielsweise bei der Pauke die Tonhöhe über ein Pedal verändert oder beim Hi-Hat über ein Pedal die Lautstärke und Klangfarbe beeinflusst wird. Das heißt, die Produktion verschiedener Klangkomponenten kann nicht auf eine einheitliche Körpertechnik zurückgeführt werden. Es soll damit, wie angedeutet, nicht eine Trennung dieser Körperteile vom gesamten Einsatz des Körpers unternommen werden, sondern nur deutlich herausgestellt, welche verschiedenen produktiven Mittel und Techniken notwendig sind. Beim Spiel auf Marimbaphon und Vibraphon werden die Tonhöhen und Klangfarbe überwiegend mit Händen, Armen und Schlägel erzeugt, die Tondauer kann mit einem Pedal verändert werden, beim Vibraphon wird zusätzlich die Klangfarbe durch Tremolo verändert. Glocken oder Triangel werden beispielsweise mit Schlägeln oder Metallnadeln angeschlagen, aber mit den Händen oder Armen abgedämpft. Die Liste von unterschiedlichen Instrumenten und ihren verschiedenen Spieltechniken, wobei nun spezielle Klangbereiche überhaupt noch nicht erwähnt wurden, ließe sich lange fortsetzen.85 Es sei demnach festgehalten, dass selbst beim Spiel einzelner Instrumente und einzelner Töne die Eigenzeiten des Klangs und der Klangentwicklung sowie die Aktionsdauer zusammenwirken. Später wird darauf zurückzukommen sein, was es bedeutet, dass diese Dauern auf keinen Grundpuls bezogen sind, sondern bis auf eine Passage nur zeitliche Rahmen haben. Die Verbindung von Klangdauer und Aktionsdauer gilt auch für den Bereich des Multi Tasking. Bereits einzelne Instrumente erfordern, wie oben angesprochen, eine Koordination mehrerer Bewegungen von unterschiedlichen Teilen des körperlichen Bewegungsapparates.86 Das Agieren in verschiedenen räumlichen Bereichen kommt hinzu: innerhalb einer Instrumentengruppe, die nahe beieinandersteht, aber auch zwischen weiter entfernten Instrumenten links und rechts vom eigentlichen Spielort. Lachenmanns Interieur I ist geradezu eine spezielle Herausforderung für diese Aktionen. Es sei an den Beginn erinnert: das Spiel von Marimbaphon (rechts) mit verschiedenen Schlägeln wird kombiniert mit Pauke und dadurch mit dem Einsatz der Füße (Pedal der Pauke) links neben dem 85 Vgl. G. Avgerinos, Handbuch der Schlag- und Effektinstrumente; W. Gieseler, L. Lombardi, R.-D. Weyer, Instrumentation in der Musik des 20. Jahrhunderts. Akustik – Instrumente – Zusammenwirken, zu den Schlaginstrumenten S. 108–116. 86 Der Gleichgewichtssinn, das visuelle perzeptive System sowie die motorischen Systeme wirken bei der Kontrolle von Bewegungen zusammen, vgl. zu dieser komplexen Synergie von psycho-neuro-muskulären Prozessen Movement Control and Balance in Earthbound Movements.

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Marimbaphon, dazu kommen einzelne Schläge auf Tomtom, kleines Tamtam, Almglocke und Becken mit unterschiedlichen Schlägeln, wobei sich die Spieler dafür in verschiedene Entfernungen nach links (also zur Mitte) zu drehen haben. Im langen zentralen zehnten Abschnitt (Anschluss 9), der von der Mitte aus gespielt wird, ergeben sich solche Kombinationen und die Notwendigkeit zu Koordinationen nach links und rechts. Es sei eine Passage daraus beschrieben (Blatt 9), „Calmissimo (misterioso)“: - gleichzeitig ein Schlag auf die Bongos (p sf) Mitte rechts und ein schnell gezogenes Reiben an einem Glockenkörper (crescendo bis forte) mittig im Aktionsraum - ein ‚stick rim-shot‘ auf die Tomtoms (sehr lauter Akzent ff), gleich anschließend ein Schlag im Pianissimo, danach Pauke mit Glissandi und Marimbaphon (ein Schlag mit der Hand im ppp), ganz rechts vom eigentlichen Spielfeld - beschleunigend danach eine Kombination aus Schlag auf Tomtoms (p), schnelles Entlangziehen an einer Glocke (f und decrescendo), sowie rechts davon großes Tamtam (crescendo) und parallel dazu ein Schlag auf dem Marimbaphon, anschließend auf der Pauke „einen Kreis oder eine Acht auf dem Fell beschreiben“ (cresc. bis forte und decresc.) - zurück zur Mitte, Reiben auf Rand und Fell eines Tomtoms (sfp decresc.) sowie danach „springen lassen“ auf dem zweiten Tomtom - Bongo, Becken und Almglocke hintereinander Einsätze mit Reiben an den Instrumentenkörpern (Mitte), anschließend Wendung nach rechts zur Pauke (Reiben) und zum Marimbaphon (auf den Stäben wird locker an den Rändern gerieben), ein Handschlag auf die Pauke (ppp), Saltando auf einer Glocke und Schlag auf Bongo links davon - Reiben auf Marimbaphonstäben rechts, dann mit der Hand auf dem Paukenfell kreisen, zugleich ein Reiben auf einer Glocke und auf einem Tomtom links davon. Das Spiel auf einem Instrument, aber auch vor allem auf verschiedenen Instrumenten in räumlicher Aufstellung – wie hier gezeigt werden konnte – erfordert eine Art Choreographie, die zum letzten Betrachtungsfeld hinführt, denn sie ermöglicht schließlich die optimale Erzeugung von Klangkontinuität und Kohärenz der Bewegungen zu Körper- und Klang-Gesten.87 Die Ebene der Klang- und Formgestaltung sowie der Schaffung von Kontinuität und Kohärenz ist in Lachenmanns Stück zunächst grundsätzlich geprägt durch die Einteilung der Abschnitte in Sekundeneinheiten als zeitliche Rahmen für bestimmte Aktionen und Aktions- beziehungsweise Klangzusammenhänge. In Abschnitt 8 gibt es eine Unterbrechung dieser Anordnung, indem eine Tempoangabe (Viertel = ca. 52) und rhythmische Notation als Orientierung 87 Vorbildhaft ist die Aufnahme des Stücks mit Christian Dierstein, siehe CD Helmut Lachenmann 3, Solo Pieces, Ensemble Recherche und Helmut Lachenmann, Auvidis Montaigne, MO 782075, von 1995.

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für die temporale Abfolge des Geschehens beigegeben werden. Doch vergegenwärtigen wir uns zunächst die Konsequenzen aus der Einteilung nach Sekunden. Ohne eine weitere Angabe heißt dies zuerst einmal, dass eine bestimmte Anzahl von Klängen, die in der Notation vorgegeben sind, in einem Rahmen beispielsweise von drei oder sechs Sekunden gespielt werden soll. Da die Klänge – wie oben dargestellt wurde – eine ganze Reihe von zum Teil komplexen Produktionsweisen voraussetzen, ist es daher zugleich notwendig, sämtliche Bewegungen, Aktionen und ihre Koordination auf diesen zeitlichen Rahmen abzustimmen. Dazu gehört ferner darauf zu achten, die „Eigenzeiten“ der Instrumente „unterzubringen“. Insofern bilden die Klänge selbst und ihre Verläufe innerhalb eines Zeitrahmens bereits „Klang-Gesten“ aus, ein Klang am Ende eines vorgegebenen Zeitraums kann beispielsweise angeschlagen werden und verklingen, so dass ein „natürliches“ Decrescendo entsteht. Solche Klang-Gesten oder Klangtypen nannte Lachenmann „Kadenz-Klang“ oder „Klang-Kadenz“.88 Es handelt sich dabei um einen Klangtyp, „der sich dadurch kennzeichnet, daß er sich, auf natürliche oder künstliche Weise, in einem Zuge auf- und/oder abbaut und in solchem Prozeß seine Charakteristik entwickelt.“89 Eine Variante dieser Klanggeste ist nach Lachenmann ein „Impulsklang“, „sein Ausschwingvorgang besteht aus einem natürlichen Nachhall“.90 Resultiert der sukzessive Verlauf und Zusammenhang einzelner Klänge oder Klanggruppen als Klanggesten völlig auf dem klanglichen Resultat aus den verschiedenen körperlichen Aktionen, die quasi das Klangverhalten der Instrumente anregen und mehr oder weniger steuern (können), so ergeben sich andere Zusammenhänge aus der Kombination von Instrumenten beziehungsweise Klängen oder Klangfarben, der Übernahme oder Fortsetzung von dynamischen oder temporalen Verläufen oder der Koordination von gleichzeitigen Impulsen.91 Ist die rhythmische Gestaltung in diesem Stück zu einem überwiegenden Teil der zeitlichen Organisation des Spielers und den Klangverläufen überlassen, so gibt es, wie oben erwähnt, eine Passage mit rhythmischen Vorgaben. Diese Passage in Abschnitt 8 (Anschluss 7) bildet für die Interpreten einen Kontrast in der Hinsicht, dass die Konzentration auf die Klanggestaltung zugunsten der mehr oder weniger exakten rhythmischen Ausführung zurückgestellt wird oder werden kann. Dass dies aber nicht geschehen soll, sondern eine Zusammenführung von Klangbewusstsein und rhythmischem Arbeiten gemeint ist, zeigen die in der 88 Vgl. H. Lachenmann, Klangtypen in der Neuen Musik, S. 2. 89 Ebenda, S. 3. 90 Ebenda. Hier verweist Lachenmann auf Interieur I, Blatt 16, Anschlag und Ausklang von Tamtam und Vibraphon. 91 Die Bedeutung der raum-zeitlichen Organisation und Koordination von Körperbewegungen beim Musizieren auf einem oder mehreren Instrumenten kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn sie steht auch in Zusammenhang mit kognitiven Prozessen. „Instead of viewing the spatiomotor component in musical cognition as a lower-level process through which auditory images are translated into sound patterns called music, it may be better to treat auditory and spatiomotor modes of musical cognition as of potentially equal importance“ (J. Baily, Music Structure and Human Movement, S. 237–258, Zitat S. 257).

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Notation weiterhin klaren Anweisungen für die Klanggestaltung und ihre Zusammenhänge. Wenn man davon ausgeht, dass in der zeitgenössischen Schlagzeugmusik, insbesondere in der solistischen Perkussionsmusik, eine gewisse Choreographie und ein hohes Maß an Zeitmanagement perfektioniert werden musste, so liegt dies also auch daran, dass sich die Instrumente und ihre Behandlung verändert haben. Bei einer zusätzlichen Erweiterung des Instrumentariums ist dessen klingende „Eigenzeit“ und sind die spezifischen, auch melodischen Klangverläufe Ausgangspunkte geworden, die die Aufgabe stellen, die motorischen und mentalen Fähigkeiten der Perkussionisten nicht nur auf den Rhythmus zu richten, sondern eine überaus hohe Klangsensibilität zu entwickeln.92 „Der Schlagzeuger heute ist ein Klanggestalter.“93 In der neuen Musik gibt es weitere Varianten des Umgangs mit „Aktionsdauern“ und „Eigenzeiten“ von Instrumenten. Daher erscheint es sinnvoll, im folgenden einen Kontrast zu den bislang erläuterten Beispielen aufzuzeigen. Zeigte Interieur I insgesamt eine Reihe von längeren und kürzeren „diskreten“ Bewegungs- und Klangeinheiten, so steht vor dem Hintergrund anderer kompositorischer Konzepte eher die Globalstruktur eines Werks im Vordergrund. Ihr werden die Aktionsdauern und die klanglichen Details untergeordnet. „Klanglichkeit“ ist dabei nicht sekundär, entsteht aber aus einem kontinuierlichen Ineinanderwirken von motorischen und klanglichen Abläufen. Ob nun regelmäßig oder nicht, ob kontinuierlich gleichförmig oder kontinuierlich verändert, es stellt in der neuen Musik einen anderen Zugang zu „Aktionszeiten“ und klanglichen „Eigenzeiten“ dar, wenn es darum geht, diese dem globalen Geschehen unterzuordnen, sie gerade nicht in ihrer Variabilität und Flexibilität zu sondieren und herauszustellen, sondern sie (vor)gegebenen Rhythmen, die eine Gesamtstruktur ausprägen, maximal anzupassen. Ein Beispiel dafür sind die Kompositionen von Iannis Xenakis. Im folgenden soll die Konzentration auf Xenakis’ Einstellung zu und Umgang mit temporalen Strukturen liegen, um dessen Umgang mit „Aktionszeit“ und „Klangzeit“ ins Blickfeld nehmen zu können. Herauslösen lässt sich der zeitliche Aspekt unter anderem anhand von Xenakis’ Auffassung von Zeit als „lexicographic time“ = „the lexicographictemporal succession of the points M“, wobei „point M“ eine Klangeinheit („sonic entity“) darstellt, die definiert ist in einem „multidimensional space“ von Klangfarbe, Tonhöhe, Intensität oder Dynamik und Dauer, und die aus vielen mikrostrukturellen Elementen von Klang besteht.94 Zeit ist für Xenakis ein Zeit-Raum, 92 Die Schlagzeugerin Evelyn Glennie hat beispielsweise über 600 Instrumente angesammelt, die Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky berichtet ebenfalls von enormen Raumproblemen, um alle Instrumente unterbringen und damit gut proben zu können, vgl. dazu Chr. Wagner, Die Resonanz des Holzes. Evelyn Glennie und Robyn Schulkowsky – zwei Schlagwerkerinnen der neuen Musik. Vgl. auch A. Heidenreich, Mit dem Schlagzeug durch Raum und Zeit. Perkussives in der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. 93 Schlagzeuger Rainer Römer, Mitglied des Ensemble Modern seit 1984 und seit 2004 Professor für Schlagzeug an der Frankfurter Musikhochschule, im Gespräch mit Achim Heidenreich, in: Neue Zeitschrift für Musik 166, März/April 2005, S. 34. 94 Vgl. I. Xenakis, Free Stochastic Music, S. 9, 23.

3.1 Klangproduktion als Zeit-Raum-Feld

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der angefüllt werden kann: „time is treated as a pre-existing, empty shell having predetermined and finite dimensions and waiting to be filled by sonic events; time exists apart from the events that fill it.“95 Bei den Überlegungen zu statistischen Verteilungen von Dauern, wie sie von Xenakis im Rahmen seiner Entwicklung einer „stochastischen Musik“ angestellt wurden, war es dem Komponisten zum einen wichtig darauf zu verweisen, dass es in der Natur rhythmische Verläufe gibt, zum Beispiel Regen oder der Gesang von Zikaden, die unter statistischen Kriterien betrachtet werden können. Es gibt bei solchen temporalen Phänomenen keinen Puls und kein Metrum, die der Verteilung der einzelnen Klangereignisse zugrunde liegen oder zugrunde gelegt werden können, sondern es lassen sich Aussagen über die Dichte oder über die relative Gleichmäßigkeit des Geschehens treffen, wenn ein Ausschnitt oder der Gesamtablauf global betrachtet wird (ein „Pulsieren“ kann es daher durchaus geben).96 Dabei sind die Kontraste, die durch Veränderungen entstehen, entscheidend. Xenakis stellte sich die Frage: „The study of the variation of rhythm poses the problem of knowing what the limit of total asymmetry is, and of the consequent complete disruption of causality among durations.“97 Da die Kausalität oder die Wahrnehmung von Zusammenhang oder von einer gewissen Ordnung von Dauern entscheidend vom Kontext („correlation coefficient“) abhängt, also von der Wahrnehmung eines Bezugs des Vorhergegangenen zum Folgenden oder der Erinnerung und Erwartung, kann mit der ganzen Bandbreite von korrelativen Dauernbezügen bis hin zu völliger Zusammenhangslosigkeit gearbeitet werden. Xenakis hat diese Bandbreite als Feld für statistische Operationen aufgefasst. Die Verteilung von (unterschiedlichen) Dauern wird bei einer Komposition demzufolge zu einer zeitlichen Matrix. An die Stelle von Thematik oder tonaler Harmonik treten andere formbildende Elemente: „Als Neuerrungenschaft vertritt deren Funktion der Bezug des individuell in seinen Parametern definierten Klanges zu seiner Umgebung: als Element einer Klangschar (aus ähnlichen Elementen mit übergeordneter Charakterisierung), als Element eines Aggregats (aus disparaten Elementen), oder als (relativ) isoliertes Einzelelement ‚punktueller‘, stark ausgedünnter Verläufe.“ Diese Bereiche sind nicht starr voneinander abgegrenzt, sondern können in „Überlagerungen und Umwandlungen auftreten“.98 In der Aufführung sah der Komponist dann eine „sonic realization of the program“.99 Es gibt in diesem Modell von Komposition und Aufführung demnach keine Freiheiten für die Musiker, das gewünschte Resultat einer „Klangwolke“ oder bewegten „Klangmasse“ kann nur entstehen, 95 E. R. Flint, An Investigation of Real Time as Evidenced by the Structural and Formal Multiplicities in Iannis Xenakis’ Psappha, S. 199. 96 Vgl. dazu P. Böttinger, Zeitgestaltung. Die kompositorische Bewältigung rhythmischer und formaler Probleme im Werk von Iannis Xenakis. 97 I. Xenakis, Free Stochastic Music, S. 9. 98 P. Böttinger, Zeitgestaltung. Die kompositorische Bewältigung rhythmischer und formaler Probleme im Werk von Iannis Xenakis, S. 44. 99 I. Xenakis, Free Stochastic Music, S. 22. Kompositorisch scheinbar weit von Xenakis entfernt hat – dies sei hier am Rande bemerkt – Morton Feldman die Aufführung seiner ausnotierten Musik ebenfalls als Realisation betrachtet, nicht als Interpretation.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

wenn agogische Variabilität unterbunden ist. Doch – und dies ist eine Paradoxie der „stochastischen Musik“ – die Musik kann klingen, als sei das, was gespielt wird, völlig ohne rhythmische Vorgaben: größtmögliche Diskontinuität oder größtmögliche Entropie kann auch eine Verabredung in der improvisierten Musik sein. Dies interessierte Xenakis allerdings nicht.100 Im Gegenteil: „Ich will, daß man meine Werke nach der Partitur spielt, im vorgegebenen Tempo und auf akkurate Weise [...] Um die technischen Schwierigkeiten zu meistern, muß der Interpret sich allerdings selbst vollkommen unter Kontrolle haben. Die Technik ist nicht nur eine Frage der Muskeln, sondern auch der Nerven.“101 Die rhythmischen Programme, die Xenakis in dieser Form umsetzen lässt, sind jedoch vom Klanggeschehen beziehungsweise von Klangphänomenen weniger weit entfernt, als es den Anschein hat. Dadurch, dass sich der Komponist bei zeitstrukturierenden Setzungen in der Musik an temporalen Strukturen von Naturphänomenen beziehungsweise – ganz pythagoreisch – an ihnen zugrundeliegenden oder davon abgeleiteten mathematischen und physikalischen Regeln (zum Beispiel Wahrscheinlichkeitsberechnungen, statistische Erhebungen) orientiert hat beziehungsweise diese zu kompositorischen Grundlagen erklärte, ist die Rückbindung an klangliche, akustische Phänomene und Gegebenheiten – sofern diese zu Phänomenen unserer terrestrischen Natur und Physik gehören – vorhanden. Von daher kann seine Aussage „Musik existiert im wesentlichen außerhalb der Zeit. Die Zeit dient der Musik nur dazu, sich in ihr klanglich zu verwirklichen“ ebenfalls keine radikale Trennung zwischen rationalen Operationen und klanglicher, akustischer Ebene bedeuten.102 Xenakis hat die Sicht auf „Musik außerhalb der Zeit“ und „Musik innerhalb der Zeit“ folgendermaßen ergänzt: „Alles, was wir denken, befindet sich zwangsläufig schon außerhalb der Zeit, denn es bleibt in unserem Gedächtnis; daher vergeht es nicht mit der Zeit (es sei denn, wir vergessen es). Wir können den Fluß der Zeit nicht aufhalten, aber wir nehmen ihn wahr; und diese Wahrnehmung von Zeit ist der Zeit schon enthoben. Vorstellungen wie ‚Zeitintervall‘ oder ‚Ordnungsstruktur‘ befinden sich in unserem Geist, sie vergehen nicht.“103

Vor dem Hintergrund der eben zitierten Aussagen Xenakis’ zum Verhältnis von Zeit und Musik sollen im folgenden weitere Aspekte des Umgangs mit „Aktions-“ und 100 Xenakis verwarf Improvisation, weil er der Meinung war, dass die Musiker zu konditioniert seien und sich von ihren Spielpraktiken und stilistischen Gewohnheiten leiten ließen. Zudem war er gegen die Abgabe der kompositorischen Verantwortung an die Spieler (siehe I. Xenakis, Free Stochastic Music, S. 38). Vgl. dazu auch S. Feißt, Der Begriff ‚Improvisation‘ in der neuen Musik, S. 94. 101 B. A. Varga, Gespräche mit Iannis Xenakis, S. 65 (aus dem Gespräch von 1980). 102 Ebenda, S. 82. Vgl. zu den Vorstellungen von „outside-time“ und „inside-time“ bei Xenakis auch E. R. Flint, An Investigation of Real Time as Evidenced by the Structural and Formal Multiplicities in Iannis Xenakis’ Psappha, S. 23ff. 103 B. A. Varga, Gespräche mit Iannis Xenakis, S. 82. „According to Xenakis, outside-time structures are defined as isolated sonic events (sounds) that are distinguished by specific quantifiable characteristics of frequency, intensity, and duration and which exist without regard to any temporal scheme […] Temporal structures, on the other hand, are structures of rhythmic organization, while inside-time structures are resultant structures, products of a oneto-one mapping of the outside-time structures to the temporal structures. In other words, the

3.1 Klangproduktion als Zeit-Raum-Feld

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„Klangdauer“ anhand von Psappha (1975) für Schlagzeug solo erläutert werden.104 Um es gleich vorwegzunehmen: Aktionsdauer und Klangdauer sind hier kaum von Interesse beziehungsweise die Wechsel von Klangfarbe – es gibt 16 verschiedene „Stimmen“ in sechs Instrumentalgruppen –, Artikulation oder Tempo werden ausschließlich als formale Marker benutzt. Xenakis bezeichnete Psappha als „purely rhythmical composition“.105 Im Vordergrund steht die rhythmische Gesamtstruktur des Stücks, die ihre hochartifizielle Anlage durch Akzentsetzungen und -verschiebungen erhält. A und B bezeichnen Instrumentalgruppen von jeweils drei Registern; insgesamt können sechs Instrumentalgruppen zusammengestellt werden (A, B und C aus Fell- und Holzinstrumenten, D, E und F aus Metallinstrumenten) mit jeweils drei unterschiedlichen Registern (A=„aigu“, B=„medium“ und C=„graves“ beziehungsweise D=„moyen“, E=„neutre“ und F=„trés aigu“). „In Psappha [...] bringen die Akzente mehrere Schichten rhythmischer Muster hervor, die einander überlagert sind – und doch handelt es sich um nur einen Ausführenden. Freilich stellt es den Schlagzeuger vor eine ziemlich schwierige Aufgabe.“106 Die Kontrolle und Konzentration des Spielers bezieht sich demnach hier nicht auf verschiedene Klangtypen oder die freie, aber disziplinierte Einpassung einer Handlung in einen bestimmten zeitlichen Rahmen, sondern auf die Unterdrückung von freiem „Klangspiel“ und Agogik. Wie in der indischen oder afrikanischen Musik gehen diese Elemente in die Realisation von gespielten rhythmischen Strukturen ein, die zu nur gehörten „inherent patterns“ führen. „Motional patterns or rhythms“ sind in diesem Fall von „sonic patterns or rhythms“ zu unterscheiden.107 In Psappha entwarf Xenakis eine „outside-time structure“ durch seine um 1962 entwickelte Siebtheorie. „Die Siebtheorie hilft bei der Auswahl und Anordnung von Punkten auf einer Geraden. Die Gerade kann für jede Klangeigenschaft stehen, die eine Ordnungsstruktur besitzt – Zeit[-dauer], Tonhöhe, Lautstärke und/oder Dichte und Grad der Geordnetheit, wenn wir mit Wolken von Ereignissen arbeiten [...] Von allen möglichen Punkten auf der Geraden erlauben wir nur einigen, tatsächlich zu erscheinen. Das ist der Grund, warum ich diese Methode ein ‚Sieb‘ nenne.“108 Die abstrakte, für Psappha entworfene „rhythmische Matrix“ bildet die Basis für die wahrnehmbaren Abläufe und Muster.

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discrete sonic events are now ordered by and distributed according to a specific temporal scheme, and unique relationships among successive events are now firmly established. Comparisons regarding relative highness or lowness of pitch, the relative length of duration, and relative degrees of intensity are now possible at the level of inside-time structures“ (E. R. Flint, An Investigation of Real Time as Evidenced by the Structural and Formal Multiplicities in Iannis Xenakis’ Psappha, S. 57). Vgl. auch R. Frisius, Xenakis und das Schlagzeug. S. Emmerson, Xenakis talks to Simon Emmerson, S. 24. B. A. Varga, Gespräche mit Iannis Xenakis, S. 139. Vgl. J. Baily, Music Structure and Human Movement, S. 237–258. B. A. Varga, Gespräche mit Iannis Xenakis, S. 92f.; Xenakis fasste die Siebtechnik in erster Linie als eine Konstruktion von Skalen auf, vgl. ebenda S. 185. Vgl. dazu auch E. R.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne „In Psappha Xenakis offers the listener […] a variety of qualities in the guise of three abstract complementary temporal structures. These are logical constructs that are manifested at varying velocities by the surface rhythmic activity and woven into a complex and highly integrated nexus of temporal forms of expanding and diminishing magnitudes. These temporal forms, in turn, constitute rhythmic formations and are defined morphologically by measurable changes in the magnitudes of three types of density afforded by the surface rhythmic activity: a) instrument density, b) attack density, and c) simultaneous attack density. Two additional temporal forms are defined by the comparative degrees of continuity and discontinuity of the surface rhythmic activity itself and the absolute degrees of continuity and discontinuity of the surface rhythmic activity in relation to the continuum of time.“109

Die Großform des Stücks besteht aus zwei Teilen, die in Abschnitte A und B (I) und C-E (II) gegliedert sind. Im ersten Teil dominieren Fell- und Holzinstrumente, im zweiten treten Metallinstrumente (bei 1238) hinzu. Die Abschnitte A-E sind jeweils in Sektionen unterschiedlicher rhythmischer Aktivität eingeteilt, die hauptsächlich durch das Vorhandensein von Pausen und von der Dichte beziehungsweise vom Wechsel oder von der Gleichzeitigkeit beteiligter Instrumente in den Instrumentalgruppen abhängen.110 In „Psappha, the rhythmic patterns are created by means of an additive process that at once defines its own immediate, yet changing, temporal boundaries while allowing for great freedom and fluidity of movement; these patterns, in turn, generate an ever-expanding temporal unit. This additive process entails the adjoining of sonic impulses of relative long and short quantities, the precise time interval values of which were generated as outside-time structures with the aid of simple sieves.“111 Wechsel oder Übergänge zu bestimmten Registern sowie die Zu- oder Abnahme der Klangdichte und eine Erhöhung oder Ausdünnung der rhythmischen Aktivität bilden formale Marker beziehungsweise die Gestaltung von formalen Abschnitten. Obwohl Xenakis die exakte Umsetzung des rhythmischen Programms gefordert hat und damit – wie bereits ausgeführt wurde – die Eigenzeiten von Aktionen und Bewegungen des Interpreten sowie von individuellen Klängen unberücksichtigt bleiben sollten, so gibt es doch mindestens drei Ebenen, die diese Vorstellung durchkreuzen. Erstens sind die mikrorhythmischen „Freiheiten“ beziehungsweise die unvermeidbaren, rational kaum fassbaren Unregelmäßigen menschlichen Tuns zu berücksichtigen. Letztere werden mit Automaten und Präzisionswerkzeugen immer „konkurrieren“ und entspringen beispielsweise in der südamerikanischen Tanzmusik einem „Rhythmusgefühl“, das den „groove“ unterstützt.112 Zweitens

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Flint, An Investigation of Real Time as Evidenced by the Structural and Formal Multiplicities in Iannis Xenakis’ Psappha, S. 39ff. Ebenda, S. 52. Vgl. auch S. Emmerson, Xenakis talks to Simon Emmerson. Gliederung nach E. Flint, S. 53: A1 (0–525), A2 (525–745), B (745–1000), C1 (1000–1205), C2 (1205–1411), C3 (1411–1614), C4 (1614–1723), D1 (1723–2023), D2 (2023–2175), E (2175–2397). E. R. Flint, An Investigation of Real Time as Evidenced by the Structural and Formal Multiplicities in Iannis Xenakis’ Psappha, S. 223. Vgl. dazu Chr. Gerischer, Mikrorhythmische Interaktion in afro-brasilianischen Rhythmen – Zum Verständnis von Groove-Phänomenen.

3.1 Klangproduktion als Zeit-Raum-Feld

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können die Instrumente der 16 Klanggruppen aus einem von Xenakis beigegebenen Katalog ausgewählt werden. Sie sollen bestimmte Register oder Lagen vertreten, sind also nicht eindeutig festgelegt. Obwohl dadurch der Eindruck entsteht, dass die Spielweise der einzelnen Instrumente und ihr Klangverhalten in der Komposition irrelevant ist, konterkarieren dies andere Faktoren, beispielsweise die Anweisungen zur Artikulation der Akzente. Hier können verschiedene Verfahren angewandt werden, die individuellen zeitlichen Bedingungen ihrer Ausführung unterworfen sind.113 Drittens sorgen die Akzentsetzungen, die verschiedene Metren und rhythmische Gruppierungen ausbilden, ebenfalls dafür, dass eine gewisse Agogik entsteht, insbesondere dann, wenn sich Metren durch die Zusammensetzung von Stimmen in bestimmten Geschwindigkeiten und mit bestimmten wahrnehmbaren Tonhöhen ausbilden. Hier gelten Regeln der „sequential integration [...] In this phenomenon the auditory system is grouping tones that are similar to one another in preference to grouping tones that follow one another immediately in time.“114 Die Gruppierungseffekte sind also nicht explizit notiert, doch sie bilden einen elementaren Faktor der Wahrnehmung des Stücks. Durch die unterschiedlichen Betonungen entstehen zunächst Längen und Kürzen, die metrische Einheiten hörbar werden lassen. Dadurch, dass sich Metren und rhythmische Gruppierungen sodann häufig ändern und nicht auf Kontinuität angelegt sind, geschieht zudem im Hörprozess eine ständige Uminterpretation von Hebungen und Senkungen. Der Interpret kann sich darauf vorbereiten und Verzögerungen in der Phase der Einstudierung entgegenwirken, doch der Hörer wird von den raschen Wechseln der Metren überrascht und benötigt eine gewisse Reaktionszeit, um sich auf neue Gruppierungen einzustellen. Auch daraus entstehen temporale Abweichungen und Unregelmäßigkeiten, die eine eigene mikrorhythmische Elastizität des Stücks ausbilden. Eine weitere Komplikation evozieren die in verschiedenen Tempi gespielten Passagen mit mehreren Stimmen beziehungsweise mehreren Tonhöhenbereichen. Bei hoher rhythmischer Aktivität kommt es zu „stream segregation“, dann nimmt man Rhythmen einzelner Stimmen wahr. In gemäßigten Tempi entstehen hingegen (bei gleicher Schlagfolge) Melodien, die – wie zu Beginn – eigene rhythmische Sequenzen ausbilden. „The metric structure is but one of three temporal structures employed by Xenakis in the composition of Psappha. Yet, the metric structure as a whole – and its fundamental rhythmic unit (the iambic foot) in particular – is pervasive, serving as the single most audibly unifying rhythmic device of the entire composition, and frequently serving to establish purely temporal relationships in coordination with other spatially defined structures […] Additionally, because of the additive nature of the metric structure, the temporal unit is constantly evolving and expanding.“115 113 Laut Anweisungen in der Partitur (Editions Salabert, Paris 1976, EAS 17346): 1) intensité plus forte, 2) changement brusque de timbre, 3) changement brusque de poids, 4) ajout brusque d’un autre son et le jouer simultanément avec celui du temps non accentué, 5) combinaison simultanée des significations précédentes. 114 A. S. Bregman, Auditory Scene Analysis. The Perceptual Organization of Sound, S. 47. 115 E. R. Flint, An Investigation of Real Time as Evidenced by the Structural and Formal

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

Die Eigenzeiten von „Klang“ und „Aktion“ sind demnach in solchen Strukturen angelegt, wirken sich jedoch erst im Wahrnehmungsprozess aus. Xenakis hat insofern mit Mechanismen und Regeln der Perzeption genauso „gerechnet“, wie er zuvor seine Skalenmatrix „berechnet“ und kalkuliert hat. 3.2 FORM- UND STRUKTURBILDUNG DURCH BEWEGUNG IM RAUM „Mit Hilfe ihrer Bewegungen nehmen Handelnde gleichsam Abdrücke von der Welt, formen diese zugleich und machen sie zu einem Teil von sich selbst. In der umgekehrten Richtung wird das Subjekt bei dieser Aktivität von der Umwelt ergriffen und seinerseits von dieser geformt. Das Grundprinzip dieser Welterzeugung im gegenseitigen Austausch ist die Bewegung, die sowohl die Plastizität des Körpers als auch die Formbarkeit der Umwelt ausnutzt [...] Sie [die Bewegung] produziert gegenseitig bewirkte Verbindungen und Veränderungen – ein gemeinsames Spiel, das Beteiligung verlangt und die Teilnehmer nicht unverändert lässt. Im Medium der Bewegung nehmen Menschen an den Welten anderer teil und werden selber Teil ihrer Gesellschaft.“116

Was hier aus anthropologischer Perspektive treffend zusammengefasst ist, stellt einen idealen gedanklichen Hintergrund für die Behandlung von sichtbaren Bewegungen in der Musik dar, insbesondere für die Konzert-Musik der 1950er und 1960er Jahre, in der Bewegungen von Musikern oder Publikum im oder durch den Aufführungsraum neuartig waren. Sichtbare Bewegungen dienen als raumgreifende und raumschaffende Prozesse, Gänge, Wanderungen, die gewissermaßen die Ordnung und das „Labyrinth“ eines Raums, im übertragenen Sinne auch des Raums eines künstlerischen Werks, konstituieren und darstellen können, und sie dienen in der Regel auch als zwischenmenschliche Kontaktaufnahmen, als Handlungen, die insofern Reaktionen herausfordern und Interaktionen anstoßen. Dies gilt insbesondere für Bewegungen, deren Bedeutung sich in Form einer Geste gefestigt hat. Sie bilden zeitliche Strukturen aus, sorgen für Zäsuren, für eine Beschleunigung oder Retardation des Geschehens, für Kontrastbildungen oder Varianten und Wandlungen von Übergängen. Diese zeitlichen und räumlichen Strukturierungsmöglichkeiten boten und bieten viele Ansatzpunkte, die Idee eines musikalischen Formverlaufs zu entwerfen. Damit konnte auch ein Beitrag zur Lösung des „Problems der Form“ geleistet werden.

Multiplicities in Iannis Xenakis’ Psappha, S. 283f.; vgl. dazu A. S. Bregman, Auditory Scene Analysis. The Perceptual Organization of Sound, S. 54ff. 116 G. Gebauer u. Chr. Wulf, Spiel, Ritual, Geste. Mimetisches Handeln in der sozialen Welt, S. 24. Vgl. auch G. Gebauer, Ordnung und Erinnerung. Menschliche Bewegung in der Perspektive der historischen Anthropologie.

3.2 Form- und Strukturbildung duch Bewegung im Raum

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3.2.1 Musikalische Gesten und ihre Rolle in Luciano Berios Circles Luciano Berios Circles (uraufgeführt 1960 in Tanglewood) gehört zu den prominentesten Stücken, die aus einer neuen Beschäftigung mit Sprache und Stimme resultierten.117 Hier stehen sich auf dem Konzertpodium eine weibliche Singstimme und zwei Schlagzeugbatterien gegenüber.118 Die Mitte wird durch eine Harfe vertreten. Die Sängerin befindet sich zunächst vorn in der Mitte des Konzertpodiums, während die beiden Schlagzeuggruppen hinten rechts und links aufgestellt sind, zwischen ihnen ist die Harfe positioniert. In einem Akt des „spacing“ wird ein musikalischer und zugleich sozialer Handlungsraum geschaffen.119 Die Sängerin bewegt sich im Verlauf des Stücks nach hinten und gelangt an die Seite der Harfe. Scheinbar hat man es mit einer einfachen Anordnung zu tun, doch der zweimalige Ortswechsel der Sängerin ist funktional mit einem musikalischen Prozess verbunden, der aus der Sängerin/Stimme ein Element des Schlagzeugs werden lässt. Das Schlagzeug seinerseits nimmt Qualitäten der Stimme auf. Henri Pousseur hat die Wechselwirkung so umschrieben: „Die reinen Tonhöhen der Harfe und des Vibraphons, der Röhrenglocken, der Celesta und des Glockenspiels verbinden sich vor allem mit den mehr musikalischen, gewohnteren und melodischeren Aspekten des Gesanges, um, vom Gesichtspunkt der Sprache aus, vor allem den Bereich der Vokale auszuweiten. Dagegen ist das dominierende Schlagzeug, ebenso wie andere Geräuschinstrumente, hier als eine monumentale Intensivierung der Konsonanten und ihrer rhythmischen Impulse verwandt geworden. Geräusch und Ton, Vokale und Konsonanten werden dadurch noch stärker einander verbunden, da sie den gleichen strukturellen Einheiten dienen, gleiche rhythmisch-dynamische, wortähnliche Gebilde darstellen, so daß schliesslich eine ganze Reihe mehrdeutiger Typisierungen entstehen, die weder der einen noch der anderen Kategorie ausschliesslich angehören.“120

Wie David Osmond-Smith dargestellt hat, ist dieser Verlauf in mannigfache „circular processes“ eingebettet, die vor allem durch eine Art Reprise und Rückläufigkeit der Ausgangssituation ausgelöst werden.121 Berio erläuterte dies in einem Gespräch: „In this piece I had tried to develop criteria of repetition that would involve all aspects of the composition; in fact in Circles everything repeats, 117 Stockhausen im Gesang der Jünglinge, Luigi Nono im Canto sospeso (1955/56) oder in den Cori di Didone (1958), Boulez in Les Marteau sans Maître (1953/55), Kagel in Anagrama (1957/58) – um nur einige Werke zu nennen – hatten sich mit Sprache und Stimme befasst. Vgl. K. Stockhausen, Musik und Sprache, S. 57–81; vgl. auch W. Klüppelholz, Sprache als Musik. Studien zur Vokalkomposition seit 1956; P. Atinello, The Interpretation of Chaos. A Critical Analysis of Meaning in European Avant-Garde Vocal Music, 1958–68. 118 Circles entstand 1960 im Auftrag der Fromm Foundation und ist Olga Koussevitzky gewid met. Der Komponist verwendete als Grundlage drei Texte des amerikanischen Dichters Edward Estlin Cummings (1894–1962) aus dem Band Collected Poems 1923–1954; vgl. die Partitur, Circles, UE 13231, London 1961. 119 Zum Vorgang des „spacing“ vgl. M. Löw, Raumsoziologie, S. 158ff. 120 H. Pousseur, Berio und das Wort (1967), Quelle: Universal Edition Wien (Archiv). 121 Vgl. D. Osmond-Smith, Berio, S. 69ff.

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and everything tends to turn back on itself, (including Cumming’s poems, naturally), whilst certain particular periodic characteristics tend to reverberate and to propagate themselves throughout the entire work.“122 Doch die Bewegung der Sängerin auf dem Podium beginnt nicht mit der „Reprise“, sondern die (mehr als nur) räumliche Annäherung der Stimme an das Schlagzeug hat bereits zuvor eingesetzt. Die Rückläufigkeit der Ereignisse geschieht bereits unter anderen Bedingungen, die Stimme knüpft zwar an ihre solistische Ausgangsbasis an, steht aber bereits im Bann der Kommunikation mit den Artikulationen der beiden reich ausgestatteten Schlagzeuggruppen. Die Kombination von Stimme, Harfe und Schlagzeug war zwar um 1960 kein völlig neues Konzept – Boulez hatte in Le marteau sans maître (1952–1955) Altstimme mit Altflöte, Gitarre, Vibraphon, Xylorimba, Schlagzeug und Bratsche zusammengebracht, in Improvisation I, II sur Mallarmé (1957) Harfe, Vibraphon, Röhrenglocken und Schlagzeug, Klavier und Celesta mit dem Sopran verbunden –, doch generell gesehen besteht zwischen Stimme und Schlagzeug die größtmöglichste Distanz. Die Stimme artikuliert stufenlose Tonhöhenveränderungen in einem großen Umfang, das Schlagzeug hat sich erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts allmählich zu einem halbwegs „melodischen Instrument“ entwickelt. Die Stimme kann rhythmisch frei fließen, ist an den Sprachfluss gebunden, das Schlagzeug diente hingegen lange Zeit ausschließlich als Taktgeber und Rhythmusinstrument vor dem Hintergrund regelmäßiger Metren (zumindest im europäisch-westlichen musikalischen Kontext).123 Die Stimme gilt als „beseeltes Ausdrucksmittel“, das Schlagzeug wurde häufig als rein motorisches Element behandelt. Wie also ist eine „Verständigung“ zwischen diesen beiden Klangwelten möglich? Berios Circles gibt ein anschauliches Beispiel für eine solche Annäherung und Verflechtung. Den Anfang bildet der schlichte und rhythmisch relativ frei von Stimme und Harfe dargebotene Vortrag des ersten von drei Gedichten E. E. Cummings’ („stinging“). Die beiden Schlagzeuggruppen können offenbar in diese Zwiesprache nicht eingreifen. Sie kommen erst nach diesem „Duett“ ins Spiel, werden mit der Harfe instrumental zusammengebracht, wobei die Stimme in dieser Passage schweigt, doch die Sängerin die Rolle einer rhythmischen Koordinatorin erhält, sie gibt mit sichtbaren Handzeichen und Claves-Schlägen das Tempo an, sie wird zur Mitspielerin als Dirigentin, die offenbar für das Zusammenspiel der Instrumente (im Gegensatz zur Kombination von Stimme und Harfe) an dieser Stelle notwendig erscheint. Doch diese soziale und musikalische Rollenverteilung hält nicht an. Die beiden Schlagzeuggruppen und die Harfe „entwinden“ sich der Stabführung der Dirigentin (Partitur, S. 8f.), auf diese Weise scheitert ihr Versuch, Teil der instrumentalen Ensemblegemeinschaft zu werden. In der Fortsetzung (zweites Gedicht „riverly is a flower“, Partitur, S. 9f.) bleibt die Verbindung zwischen Harfe und Schlagzeug bestimmend, jedoch greifen Harfe 122 Luciano Berio. Two Interviews, with Rossana Dalmonte and Bálint András Varga, S. 125. 123 Vgl. dazu M. Brech, Rhythmus und Metrum in der Perkussionsmusik.

3.2 Form- und Strukturbildung duch Bewegung im Raum

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und Schlagzeug einzelne Töne der Stimme auf und umspielen sie filigran, so dass sich die Stimme quasi auf einem klanglichen Teppich von Harfe und Schlagzeug (zumeist im Vordergrund: Marimbaphon und Xylophon) bewegt. Doch es wäre zu kurz gegriffen, nur von einer „Zusammenstellung“ auszugehen. „The text [...] is matched by a more syllabic vocal setting that incorporates other vocal timbres into what is still basically a cantabile line, set against a background of trills and flurries from harp and pitched wood. But these trills are in fact an echo of the many fricatives in the text, notably the initial /r/s of ‚riverly‘ and ‚rosily‘. Nor do instruments merely echo the voice.“124 „Stimme mit Begleitung“ steht demnach zu Beginn im Vordergrund. Dieser Zusammenhang beginnt sich jedoch am Ende des zweiten Gedichts in kontrapunktische, lineare, dann punktuelle Strukturen aufzulösen, die in offene Felder von Tongruppen münden, deren Zeitorganisation nur approximativ angegeben ist.125 In diese Felder tritt die Stimme mit dem dritten Gedicht („n[o]w“) ein. Sie bietet dem Umfeld nun erneut Orientierung, allerdings nicht mehr primär als Taktgeberin (ohne Text) oder Ankerpunkt durch ihren Tonhöhenvorrat, sondern zunehmend durch Akzente im Zeitverlauf, die von einzelnen Worten oder Silben oder von konsonantischen und geräuschhaften Bestandteilen ausgehen, die vom Schlagzeug aufgegriffen werden.126 Eine gegenseitige „Abfärbung“ und Interaktion zwischen Stimme und Schlagzeug wird im weiteren Verlauf intensiviert, der Text allmählich in Phoneme zerlegt, in lautliche Elemente, die einen Umschlag von Text- oder Wortartikulation in Sprach- und Sprechklang ohne semantische Rückbindung nach sich ziehen (Partitur, S. 27f.), der im Schlagzeug unterstützt wird.127 Höhepunkt dieses Prozesses bildet die Reduzierung der Stimme auf eine Wiederholung kurzer Konsonantenfolgen, Verschlusslauten (tktktktktk), die damit verbunden ist, dass sich die Sängerin dem Schlagzeug mit dem ganzen Körper zuwendet und sich auf halbem Wege annähert. Es finden an diesem Ort schließlich gemeinsame Aktionen statt, indem sich Sängerin und Schlagzeuger mit wood und glass chimes „verständigen“. Berio erläuterte seine Arbeit mit Sprache, Text und Musik in Circles so: „In did not write a piece for solo voice with instrumental accompaniment, but rather one where there is a very strong connection between the phonetic quality of the text and the musical texture. The poems generate or determine innumerable musical events and the vocal part often seems to be generated by the instrumental ones. That is how I was able to explore the intrinsic quality of the poetry […] I grouped the instruments

124 D. Osmond-Smith, Berio, S. 68. 125 Vgl. dazu K. Boehmer, Zur Theorie der offenen Form in der neuen Musik, S. 103–110. 126 Norbert Dreßen machte darauf aufmerksam, dass sich auf die Veränderung im dritten Teil von Circles Roland Barthes Unterscheidung von „Phäno-Gesang“ und „Geno-Gesang“ anwenden lässt, vgl. N. Dreßen Sprache und Musik bei Luciano Berio. Untersuchungen zu seinen Vokalkompositionen, S. 77. 127 Wie N. Dreßen in Sprache und Musik bei Luciano Berio ausgeführt hat, spielt auch hier die Textstruktur eine Rolle: „das dritte Gedicht weist [...] eine Fülle von Satzzeichen auf, durch die Cummings in die Worteinheiten selbst eingreift. Er verschiebt die Wortgrenze und nimmt teilweise Buchstabenverstellungen vor“ (S. 63f.).

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around the text, reflecting the phonetic families so that the sound is sometimes short-circuited and explodes.“128 Nach dem ersten Standortwechsel, in einer neuen Umgebung, greift die Sängerin/Stimme auf ihre Ausgangsbasis, die Melodie mit Harfenbegleitung zurück (sie ist auch der Harfe ein Stück nähergerückt). Doch nun ist die Verbindung mit dem Schlagzeug bereits hergestellt und irreversibel; ein punktuelles Ton- und Wortfeld (Partitur, S. 33) wird von allen drei Klangebenen gemeinsam gestaltet. Damit ist der zweite Standortwechsel in die Mitte neben die Harfe eingeleitet. Dort findet ein instrumentaler und stimmlicher Austausch zwischen den drei Partien statt, der sich sogar mit einer rhythmischen „Disziplinierung“ verbindet (Partitur, S. 35). In regelmäßigen, wiederholten Tonkombinationen werden zudem die klanglichen (sanglichen) Komponenten der Schlaginstrumente betont, gebunden an die Rückerinnerung an das erste Gedicht („stinging“). Diese Tendenz zur Transformation beider Klangebenen setzt sich fort. Die instrumentale Begleitung der Stimme wird selbst „stimmhaft“, während die Textartikulation in ein langes Melisma übergeht („dream-s“).129 „Even visually, Berio plays with circular forms, setting the percussionists into frantic gyrations around their instruments in III [Mittelteil], requiring the singer to move a half circle from her initial position in front of the instrumentalists until she is absorbed into the ensemble, and in the last few bars asking the second percussionist to trace circles in the air with a clapcymbal [S. 38].“130 Osmond-Smith verweist zurecht auf die Bewegungen der Schlagzeuger, die – ähnlich wie im Zyklus Stockhausens – eigene Räume ausbilden. Ferner sind die Texte, die Gedichte, als semantische Einheiten zu betrachten, die die Form maßgeblich prägen.131 Im Programmheft der Uraufführung von Circles empfahl Berio dem Publikum, „man solle dem Stück ‚zuhören wie einem Theaterstück und zusehen wie einer Musik‘“.132 Dies zielt genau auf den oben erwähnten Austausch und die Interaktion zwischen ganz verschiedenen Klangebenen. „Der Hörer wird weniger denn je in die Lage gebracht werden, die Augen zu schließen, um sich musikalischen Träumen hinzugeben: die Situation selber wird ihn dazu aufrufen, an der Aktion zu partizipieren. Deren Sinn wird intelligibel nur, wenn er die unvorhersehbaren Transformationen und Vervielfältigungen der Vokal- und Instrumentalklänge durch ihre verschiedenen praktischen Manifestationen hindurch verfolgt und der mehr oder minder effektiven Rolle einer auch sichtbaren Aktion der Interpreten Rechnung trägt.“133 Die zu sehenden Bewegungen der Protagonisten strukturieren in der Tat das Geschehen. Die zweimalige räumliche Annäherung der

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Luciano Berio. Two Interviews, with Rossana Dalmonte and Bálint András Varga, S. 144. Vgl. P. Schnaus, Anmerkungen zu Luciano Berios „Circles“. D. Osmond-Smith, Berio, S. 69. Vgl. W. Konold, Musik zwischen Sprache und Aktion. Einige Aspekte zum Schaffen von Luciano Berio; vgl. dazu auch N. Dreßen, Sprache und Musik bei Luciano Berio, S. 65–85. 132 W. Konold, Musik zwischen Sprache und Aktion. Einige Aspekte zum Schaffen von Luciano Berio, S. 455. 133 L. Berio, Musik und Dichtung – eine Erfahrung, S. 44.

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Sängerin/Stimme an das Schlagzeug, die man nicht nur hört, sondern auch visuell nachvollziehen kann, ist Teil der prozessualen Formentfaltung. Die Bewegungen im Raum markieren die Form, und sie deuten die Form zugleich.134 Die proxemischen Bewegungen der Sängerin erscheinen im Prinzip als Endpunkte, Höhepunkte oder Lösungen innerer Spannungen und Aktionen.135 Berios Arbeit mit Aktionsformen der Stimme hatte bekanntlich eine Vorgeschichte, die bereits theatrale Elemente einschloss, vor allem durch die Kooperation mit Cathy Berberian seit Anfang der 1950er Jahre.136 Zudem hat er sich in Verbindung mit einer Theorie der Gesten gerade für kulturelle Ausdrucksformen der Stimme interessiert.137 Die Stimme – als Vermittlung und Präsentationsform von Körper und Sprache – ist mit Bewegung unmittelbar verknüpft, sie entsteht durch Bewegung im Körper und wird beim Sprechen und Singen mit Körperbewegungen verbunden, die häufig gestischen Charakter haben.138 Insofern sind der stimmlichen Artikulation szenische Elemente inhärent, die in der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts ihren angestammten Kontext von Oper und Lied nicht verlassen, aber doch enorm ausgedehnt haben. Dabei spielte die Annäherung und Verquickung bis hin zur „Vertauschung“ von Stimme und einem ihr „fremden“ Instrument eine außerordentlich wichtige Rolle. Historisch gewachsene, sozio-kulturell konventionalisierte Gesten des Gesangs und des Sprechens werden durch die Kontrastierung mit „fremden“ instrumentalen Gesten hervorgehoben, durch die gegenseitige Annäherung von Stimme und Instrument ergeben sich jedoch auch Erweiterungen und „Kommentare“, die schließlich in der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts zur Ausbildung neuer Gesten geführt haben. Luciano Berio war genau von diesen Prozessen fasziniert, nicht zuletzt durch den Austausch mit dem Freund Umberto Eco. Blicken wir im folgenden auf einzelne Ausschnitte der Circles, die solche Momente der Verbindung von Körperbewegung, Stimme und Instrument beziehungsweise speziell der Schlagzeuggruppen vor Augen und Ohren führen. Damit lässt sich die Strukturbildung im satztechnischen, innermusikalischen Bereich beleuchten. Das Duo von Stimme und Harfe zu Beginn ist fast völlig vom Aussingen 134 Zum Vergleich sei der Zusammenhang von Bewegung und Form in der kinetischen Kunst angesprochen. „Der Vorgang der Bewegung dient der Hervorbringung einer plastischen Form und dem Setzen seiner lebendigen Wirklichkeit durch die Bewegung. Die Seinsverfassung eines solchen Körpers (virtuelles Volumen) bietet neue Möglichkeiten der gestalterischen Einflussnahme und der Formenmodifikation plastischer Gebilde. Der plastische, gestaltete Körper ist so zu verstehen als das Akzidens des räumlichen Bewegungsverhaltens der Materie“ (H.-J. Buderer, Kinetische Kunst. Konzeptionen von Bewegung und Raum, S. 14). 135 Zu Proxemik vgl. E.T. Hall, Proxemics. the study of man’s spatial relations. 136 Vgl. Werkliste in D. Osmond-Smith, Berio, S. 125ff. 137 Vgl. L. Berio, Du geste et de Piazza Carità; vgl. dazu N. Dreßen, Sprache und Musik bei Luciano Berio, S. 16–37. Vgl. zu Musik und Gebärde auch F. Nietzsche, Gebärde und Sprache. 138 Vgl. A. Riethmüller, Zum vokalen Prinzip in der Musikgeschichte; vgl. auch K.-H. Göttert, Geschichte der Stimme; R. Meyer-Kalkus, Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert; H. Finter, Stimmkörperbilder. Ursprungsmythen der Stimme und ihre Dramatisierung auf der Bühne.

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auf lang gehaltenen Vokalen bestimmt:„stin-ging gol(d) swar(ms) u-pon the spires(rs) [...]“ Die Harfe erweist sich nicht nur als „Begleitinstrument“, das einige stützende Zusammenklänge, Motive und Einzeltöne unterlegt, sondern die vokale Artikulation, die mit langem Atem gehaltenen Vokale mit kaum hörbaren konsonantischen Abschlüssen finden im Vibrieren und Ausschwingen der Harfensaiten ihr Pendant (Berio schreibt der Harfe vor „lascia vibrare sempre“139). Bedenkt man, dass Sängerin und Harfe an dieser Stelle noch räumlich getrennt voneinander agieren, so ergibt sich dadurch eine eigene raumüberbrückende Kontaktaufnahme der beiden Klangebenen; die Klänge nur sind es, die sich an dieser Stelle im Raum bewegen und verweben können. Beide Klanggesten sind also, abgesehen von der lautmalerischen Komponente, auf Raumresonanz angelegt. Ein ganz anderes Bild ergibt sich im Mittelteil, in dem sich allmählich Konsonanten in den Vordergrund schieben (Partitur, S. 25ff.). Zu den kurzen, syllabisch abwechselnd gesungenen und gesprochenen Tonfolgen und Sprüngen werden wenig resonante, ebenfalls kurz zum Klingen gebrachte Schlaginstrumente herangezogen, die demnach keine große Distanz überwinden können, aber Konsonanten als rhythmische, zeitliche Akzente hervortreten lassen, indem sich geräuschhafte, klanglich in Stimme und Instrumenten ähnliche Komponenten überlagern und gegenseitig verstärken. Diese Koordination wird im Mittelteil des Stücks stetig zu steigern versucht, bis sich das Bemühen um „Verständigung“ gewissermaßen in einen ersten Ortswechsel der Sängerin verlängert. Im Gehen tastet sie mit ihren Lauten (tktktktktk) nicht nur die Resonanz des Schlagzeugs aus, das prompt reagiert, sondern sie durchmisst mit dieser wiederholten Aktion auch die Zeit, die die Bewegung erfordert (Partitur, S. 28). Die zeitliche Struktur des Stücks ist demnach eine Anordnung von Dauern, die auf „Anrufung“ und „Resonanz“ beruhen. Mit James Gibson sind diese Situationen sehr gut folgendermaßen zu beschreiben: „Man muß also wahrnehmen, um sich fortzubewegen; zugleich muß man sich weiterbewegen, um alles genau wahrzunehmen.“140 Da die Transformation der Stimme zu einem Teil des Schlagensembles mit „ungewöhnlichen“ Bewegungen der Sängerin verknüpft wurde, stellt sich die Frage, ob die Wandlung des Schlagzeugs zu einem vokalen Klangraum ebenfalls mit außerordentlichen Körperbewegungen der Interpreten verbunden sein sollte. Da die beiden Schlagzeuggruppen kreisförmig angelegt sind, stehen Registerwechsel immer mit der Zurücklegung bestimmter Wegstrecken in Zusammenhang. An entscheidenden Stellen werden sie funktional auch zur räumlichen „Verlängerung“ oder „Ergänzung“ der Stimme eingesetzt, so etwa am Ende des ersten Teils (Partitur, S. 7), wenn der Schlusskonsonant ‚s‘ durch Sandblock und Maracas gewissermaßen nach hinten transportiert wird.141 Nach Ende ihres ersten Zusammenspiels mit der Harfe wechseln dann beispielsweise beide Schlagzeuger in die gleiche Richtung (vom Publikum aus gesehen von rechts nach links) von den Holz139 Vgl. Partitur, Circles, S. 2. 140 J. J. Gibson, Wahrnehmung und Umwelt. Der ökologische Ansatz in der visuellen Wahrnehmung, S. 240. 141 Vgl. N. Dreßen, Sprache und Musik bei Luciano Berio, S. 68f.

3.2 Form- und Strukturbildung duch Bewegung im Raum

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zu den Fellinstrumenten, um mit dem Einsatz der Stimme allerdings zunächst an Marimbaphon und Xylophon abzugeben, das heißt, sich in kürzester Zeit wieder der Ausgangsposition zuzuwenden. Dieser Wechsel wiederholt sich – eine Visualisierung der Umspielungen der Stimme –, bis am Ende des zweiten Gedichts SLaute in den Vordergrund treten. Das Schlagzeug reagiert darauf mit der Wendung zum Metall, in den hohen Diskantbereich der Zimbeln. Beide Schlagzeuginterpreten rücken damit eine weitere Stufe (vom Publikum aus gesehen) nach links. Die Wiederholung dieser Passage (Partitur, S. 16) bezieht Celesta und Glockenspiel ein, die erneut eine Drehung nach links, auf die nächste Position, erfordern. Damit hat sich das Schlagzeug klanglich der Stimme angenähert (sly / slim / gods / stare), doch räumlich am weitesten von ihr entfernt. Der Beginn des dritten Teils ist durch die Mischung aus Fell- und Metallinstrumenten geprägt, die Spieler stehen am vorderen Rand ihres Kreises, der Sängerin zugewandt. Ihr Einsatz „n(o)w“ wird durch das Tamburo basco vorbereitet (Mitte von Schlagzeug 2). Zunehmend erfolgen nun die Ortswechsel der Schlagzeuger im engeren Rahmen der einzelnen Instrumentenfamilien, in denen Schritt für Schritt eine Annäherung an die phonetische Ebene der Sprache/Stimme erfolgt. Ein Tutti der Schlagzeuggruppen (Partitur, S. 24) bringt einen Wirbel nach allen Seiten. Anschließend kommt die Einkreisung, Annäherung und Imitation der Singstimme fast ihrer Instrumentierung gleich, und die Stimme ihrerseits übernimmt Spielfiguren des Schlagzeugs (Partitur, S. 25–27). Zum Abschluss des Mittelteils (Partitur, S. 30) sind den beiden Schlagzeuginterpreten gegenläufige Runden vorgeschrieben (Schlagzeug 1 nach links, Schlagzeug 2 nach rechts). Der zweite Positionswechsel der Sängerin (Partitur, S. 34) ist mit dem Ende der Wiederholung des zweiten Gedichts („stare“) und mit dem Beginn der Wiederaufnahme des ersten Gedichts („stinging“) verbunden. Mit Fingerzimbeln hält sie dabei Kontakt unter anderem zu Celesta, Glockenspiel, Triangel, Glasglocken (vgl. Partitur, S. 16). Allmählich verengt sich der Klangradius des Schlagzeugs wieder auf Marimbaphon und Vibraphon, bis zum Abschluss „singende“ Glocken in das Melisma einstimmen. Damit befinden sich jedoch die beiden Schlagzeuginterpreten an den äußersten Rändern ihrer Anordnung (Schlagzeug 1 Glocken links außen; Schlagzeug 2 Vibraphon rechts außen). Harfe und Stimme sind nun tatsächlich „Mittelpunkt“ des Ensembles, gleichzeitig Ver-Mittlung zwischen den unteschiedlichen Klangbereichen. Die Stimme wird gewissermaßen zu einem „universalen“ Instrument transformiert, ein Anliegen, das Berio auch in vielen anderen Werken beschäftigen sollte. Zum Abschluss der Betrachtung von Circles sei ein weiterer Aspekt angesprochen, der eher den genuin szenischen oder theatralen Bereich betrifft. Als Hauptakteure des Stücks wurde zum einen die Stimme, zum anderen die Sängerin, zum einen das Schlagzeug, zum anderen die Schlagzeuginterpreten erklärt. Dabei ist eine Personifizierung von Stimme oder Schlagzeug nicht unüblich und die Ineinssetzung von Interpret und Instrument durchaus plausibel. Jedoch ist bei näherer Betrachtung eine Differenzierung zwischen den Interpreten als körperlich Handelnde in einem sozialen Kontext einerseits und als klangerzeugende körperlich Handelnde im musikalischen Kontext andererseits vorzunehmen.

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In Circles verweben sich nicht nur Stimme und Schlagzeug, sondern die Sängerin rückt den Schlagzeuggruppen und der Harfe auch körperlich näher. Dabei wird die Einheit von Körper und Stimme betont, obwohl die Stimme dem Körper vorauseilen oder ihm nachfolgen, also auch vom Körper getrennt „agieren“ kann (klanglich oder artikulatorisch kann eine Annäherung stattgefunden haben, bevor der Körper dies in Angriff nimmt und einen Ortswechsel vollzieht; und der Körper kann sich genähert haben, die Stimme wird dies aber klanglich oder artikulatorisch erst später tun; ganz abgesehen davon, dass der Körper als Produzent der Klänge immer beteiligt ist). In Berios Stück wird aber nicht nur hervorgehoben, dass Stimme und Körper einen Bewegungsprozess mit gleichem Ziel ausführen, sondern die Sängerin versteht sich auch als Teil der sozialen Interaktion im Ensemble, als kammermusikalisches Ensemblemitglied, das zum Beispiel Tempi angibt oder Einsätze mit einer Geste anzeigt und initiiert. Gerade dass dies nur bedingt hingenommen wird, zeigt jedoch auch, dass damit die Sängerin ihre Vorrangstellung als Solistin eingebüßt hat und einer kammermusikalischen „Anpassung“ unterliegt. Durch die Bewegungen hat die Sängerin demzufolge auch ihren sozialen Raum und den des Ensembles verändert. Die Verständigung mit Schlagzeug und Harfe ist aber keineswegs „degradierend“, sondern hebt die Sängerin auf eine neue Stufe ihrer stimmlichen Virtuosität. 3.2.2 Theater des Absoluten: Domaines von Pierre Boulez In einem Interview aus den 1970er Jahren erklärte Pierre Boulez im Kontext von Erläuterungen zu Poésie pour pouvoir: „I, personally, have never been much of a believer in taped music played in a concert hall. I have always been painfully embarrassed by the resemblance to a crematorium ceremony, and found the absence of action a redhibitory vice.“142 Andererseits war Boulez – im Gegensatz zu Berio – sehr skeptisch gegenüber ungewöhnlichen Bewegungen auf dem Konzertpodium. Bewegliche Klangquellen – sofern es sich um Instrumentalisten und Sänger handelt – betrachtete er 1960 als ein ästhetisches Problem: „Im Augenblick ist wahrscheinlich nur das Theater imstande, all die Gesten zu rechtfertigen, die eine bewegliche Klangquelle voraussetzt; nicht aber ein theatralisiertes Konzert – es liefert letzten Endes doch nur verschämtes Theater und ist überdies noch unbelastet von jeglicher literarischen und dramatischen Qualität [...] die Erfahrungen der jüngsten Zeit haben mich völlig davon überzeugt, daß jede Gestikulation sofort die Aufmerksamkeit zum Erliegen bringt, die man auf die Strukturen selbst lenken sollte; sie zeitigt ein Resultat, das dem erstrebten zuwiderläuft – die Klang-Gestikulation ruft übrigens dieselben Effekte hervor.“143 142 Vgl. Interview mit D. Jameux zu Polyphonie X, Structures for two pianos and Poésie pour povoir, S. 201. 143 P. Boulez, Musikdenken heute 1, S. 61. Boulez hatte keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen Theater (vgl. seine Arbeit mit Madeleine Renaud und Jean-Louis Barrault), er wünschte sich aber offenbar „ein Theater, bei dem Wort, Ton und Farbe durch die Geste miteinander verschmolzen werden. Von dieser Konzeption gibt uns das Nô-Theater eine bewundernswerte traditionelle Formel (daß ich das Nô-Theater zum Vergleich heranziehe, besagt, wie sehr ich

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Es scheint so, als ob Boulez wenig später aus dem zuletzt Gesagten Konsequenzen ziehen wollte. Mit seinem mehrfach über- und bearbeiteten Werk Domaines, das er 1959/1960 zu komponieren begann und zunächst als Solo-Stück für Klarinette herausbrachte, hat er die Interpreten als „bewegliche Klangquellen“ aufs Podium gebracht.144 Seine Begründung dafür ist gerade vor dem Hintergrund der oben zitierten Aussage von besonderer Bedeutung: „Die Bahn, die er [der Klarinettist auf dem Konzertpodium] beschreibt, ist auch die Bahn der Musik: die Großform und alle Stimmhefte enthalten sechs Strukturen. Der Solist verdeutlicht also durch seine Gegenwart die sechs Strukturen, die er zu spielen hat. Es gibt kein Mittel, die Gesamtstruktur besser hervorzuheben, als durch den sichtbaren Gang des Solisten; aber dieser Gang ist lediglich eine geographische Verdeutlichung dessen, was sich in der Partitur ereignet. Man könnte die Solopartie auch von einem festen Platz aus spielen, das ergäbe jedoch eine falsche Perspektive des Stückes, das von dem eindeutigen Willen bestimmt ist, seine verschiedenen Komponenten gegeneinander abzuheben.“145

Da die Funktion der Bewegungen des Interpreten bei den späteren Versionen von Domaines eine Änderung erfährt, weil zur Klarinette ein Ensemble hinzutritt, sei zunächst auf die Fassung für das Soloinstrument eingegangen, wobei auf die gedruckte Stimme für Solo-Klarinette zurückgegriffen wird – um das Prinzip zu erläutern und weil sie zugänglich ist –, obwohl die erste Solo-Fassung von Domaines nur bedingt mit dieser Ausgabe vergleichbar ist.146 Es ist nicht ganz nachzuvollziehen, weshalb Boulez am 20. September 1968 in Ulm das Stück zunächst für Soloklarinette vorstellte, doch es scheint ein Kompromiss gewesen zu sein, um die bereits im Ulmer Programm angekündigte Uraufführung einer „Kantate für Bariton“ (vgl. erste, verworfene Version von Cummings ist der Dichter von 1968) zu ersetzen.147 Offenbar sollte der Titel von Domaines zunächst „Concert“ lauten, wobei dies vermutlich darauf zurückgeht, dass bereits in den Skizzen zu dieser ersten Fassung der (auch aufführungspraktische) Plan für eine Kombination von Klarinette solo mit verschiedenen Instrumentalensembles ersichtlich ist. Angedeutet ist bereits hier die Abstufung verschiedener klangfarblichen „Dichtegrade“, die für die Ensembles der zweiten und dritten Fassung maßgebend wird, allerdings

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mich bei meiner Vorstellung von der Beweglichkeit der Klangquellen gegen jede Gestikulation [nicht Geste] sträube“ (ebenda). Vgl. dazu M. Zenck, Antonin Artaud – Pierre Boulez – Wolfgang Rihm. Zur Re- und Transritualität im europäischen Musiktheater. In der Sammlung Pierre Boulez der Paul Sacher Stiftung, Basel (Mappe H, Dossier 6a) befinden sich verschiedene Skizzen und Entwürfe zur ersten Fassung von Domaines mit einem Hinweis darauf, dass der Anfang für dieses Projekt vom 9. April 1959 datiert (erstes Skizzenblatt; ein weiteres Datum: Oktober 1961). P. Boulez, Wille und Zufall, S. 99f. Vgl. Partitur, Pierre Boulez, Domaines pour clarinette avec ou sans orchestre, clarinette seul, UE 14503, London 1970. Vgl. dazu I. Mitchell, Towards a Beginning. Thoughts Leading to an Interpretation of Domaines for Solo Clarinet by Pierre Boulez. Ian Mitchell danke ich hiermit herzlich für die Zusendung seines Textes vor Druck und für den Austausch über Domaines. Sammlung Pierre Boulez der Paul Sacher Stiftung, Basel (Mappe H, Dossier 5/4), Programm auf Mikrofilm 139–0376 bis 139–0378.

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zu Anfang nur in fünf, nicht in sechs Gruppen, einschließlich Klarinette solo (5/4/3/2/1, umgesetzt durch: Flöte, Violine, Bratsche, Cello, Harfe/Posaunenquartett/Oboe, Horn, Clavecin oder Gitarre/zwei Klaviere/ Klarinette solo).148 Die „Großform“ des Stücks beziehungsweise der Solo-Klarinettenstimme (und später der Fassung mit Ensembles) besteht aus sechs sogenannten Cahiers (A, B, C, D, E, F), denen jeweils zwei Teile zugeordnet sind (Original, Miroir).149 Beide Teile, Original und Miroir, enthalten jeweils sechs, in verschiedener Reihenfolge spielbare Abschnitte.150 Die Abschnitte der Teile ‚Miroir‘ stellen tatsächlich Spiegelformen der Abläufe der Abschnitte ‚Original‘ dar, wobei es sich, wie Boulez in einem Interview erklärte, nicht immer um eine Lesart rückwärts handelt (nicht immer um Krebsgänge): „Das ist nur bei A so einfach. In den anderen Heften kommen Variationsprozesse dazu, und zwar geht das bis zur totalen Variation.“151 Bei einer Aufführung werden sechs Notenpulte auf dem Podium verteilt, auf denen die Cahiers A-F abgelegt sind. Die Interpreten können sich frei für die Reihenfolge ihrer Ausführung entscheiden, man spielt zuerst alle sechs ‚Original‘-Teile und setzt dann mit den Spiegelungen, ebenfalls in freier Reihenfolge, fort. Die „Wanderung“ des Spielenden gibt also einen Hinweis darauf, dass er oder sie verschiedene Teile des Werks spielt, und für welche Anordnung der Cahiers er/sie sich entschieden hat. Sofern das Publikum die Partitur kennt, kann es diese hörend auch genau nachvollziehen. Ohne dieses Vorwissen sind allerdings nur die Gänge zwischen den Pulten und damit auch die Klangverteilung im Raum maßgebend. Bei der Uraufführung des Stücks 1968 in Ulm wurde offenbar in erster Linie auch genau davon ausgegangen, wie ein Bericht belegt: „Die Demonstrationsübungen für Solo-Klarinette sehen den Solisten [Hans Deinzer] an sechs über das ganze Podium verteilten Pulten abwechselnd sechs Themengruppen und sechs Spiegelungen blasen, wobei es darauf ankommt, die verschiedene Postierung im Raum als Klangfaktor wahrzunehmen, gewissermaßen als Stereoeffekt in voller Lebensgröße.“152 In einem anderen Bericht, der zum Vergleich zitiert sei, wird dar148 Mikrofilm 139–0387, Paul Sacher Stiftung, Basel. 149 In der Sammlung Pierre Boulez der Paul Sacher Stiftung, Basel (Mappe H, Dossier 6a/5, 6a/6 und 6a/7) sind zur ersten Fassung erhalten ein (schwer lesbares) Skizzenblatt (139–0409), eine Abschrift eines Entwurfs (4 Seiten, A-F original und A-F rétrograde, die sechs Teile von A-F jeweils graphisch verschieden angeordnet, klingend notiert, z.T. mit Vortragsbezeichnungen, Mikrofilm 139–0411 bis 139–0414) und eine Tintenreinschrift (5 Seiten, transponierend notiert, ohne Vortragsbezeichnungen, ohne explizite Angaben der Cahiers A-F, doch jeweils gleiche graphische Anordnung der sechs Gruppen von A-F in „original“, MF 139–0416 = Titelseite, 139–0417 bis 139–0420), die mit unterschiedlicher Deutlichkeit als Vorstufen der gedruckten Stimme für Solo-Klarinette zu erkennen sind. Erst allmählich scheint sich eine klare räumliche Verteilung der jeweils sechs Teile von Original und Miroir (oder, wie es in der Abschrift heißt: rétrograde) auf dem Papier entwickelt zu haben. 150 In Plänen zur Instrumentierung von Domaines (Sammlung Pierre Boulez, Mappe H, Dossier 6a/3, Paul Sacher Stiftung, Basel, MF 139–0398) wird eine Verschränkung von „Original“ und „Miroir“ mit „Exposé“ und „Expansion“ angedeutet. 151 Gespräch mit Josef Häusler, Donaueschinger Musiktage 1969 (Programm), Quelle: Archiv der Universal Edition Wien. 152 K. Schumann, Bach erscheint den Urenkeln. Eine Boulez-Uraufführung im Rahmen der ‚Ulmer Konzerte‘.

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gelegt: „Äußerlich ergibt die räumliche Auseinanderbreitung eine Art abstraktes Instrumental-Ballett (das jeden Choreographen zur weiteren Ausdeutung reizen müsste). Die Idee der räumlich fixierten musikalischen ‚Domaines‘ erweist sich als durchaus objektiv darstellbar; fast wundert man sich, daß diese Möglichkeit einer räumlichen Strukturierung von Musik bisher ziemlich unbeachtet geblieben ist. Offenbar meint Boulez hier etwas anderes als Stockhausens ausgedehnte Versuche mit einer stereophonen, festen oder mobilen, Klangverteilung, wenngleich man vermuten darf, daß dieser Boulezsche Einfall zu den Arbeiten Stockhausens in irgend einer Beziehung steht.“153 Zunächst sollen die Domaines von Boulez nach weiteren Kriterien für den Zusammenhang von Form, Struktur und sichtbarer Bewegung befragt werden. Ein Element, das Boulez in seinem Gespräch mit Célestin Deliège in Wille und Zufall nur angesprochen hat, ist die „Bahn der Musik“, die der Klarinettist beschreibt. Damit ist nichts anderes gemeint als der „Gang durchs Werk“, den Boulez spätestens seit Marteau sans Maître (1953/55) vielschichtiger anlegt und einem Labyrinth nachbildet, um mit der „‚Einbahnstraßen‘-Form“ zu brechen.154 Die „Verräumlichung der Lektüre“, ein Vorgehen, das Boulez vor allem aus der Rezeption Mallarmés abgeleitet hat – und das bereits im Kontext der „offenen Form“ angesprochen wurde – wird nun mit Domaines in den Aufführungsraum ausgedehnt.155 Dabei gelangt allerdings nur die „Großform“ in den sichtbaren Bereich, das heißt der Wechsel zwischen den Orten, an denen sich die „Vertiefung“ in die Lektüre ergibt, die durch weitere Verästelungen und spezifische, von Boulez vorgegebene Konstellationen der sechs Abschnitte der Teile ‚Original‘ und ‚Miroir‘ ausgelöst wird. Die sechs Abschnitte können jeweils in einer Auswahl von zwei Lesarten und Artikulationen gespielt werden, wobei die Lesart des ‚Original‘ nicht der Lesart des ‚Miroir‘ entsprechen soll. Die Komplexität des Lektüre- und Spielvorgangs ist demnach selbst in der Solo-Fassung wesentlich höher, als dies die „einfachen“ Bewegungen auf dem Podium vermuten lassen. Zudem kann nicht von der Präsentation einer Original- und Spiegelversion ausgegangen werden – wie dies Boulez’ Aussagen suggerieren –, sondern von zwei Varianten, die innermusikalisch, kompositorisch, strukturell auf Spiegelungen (Krebs und Varianten) basieren. Dies sei an einem Beispiel erläutert. In Cahier A stehen folgende Lesarten zur Auswahl: 153 F. Hommel, Bach, Boulez und dazwischen die Donau. Alte und neueste Musik bei den ‚Ulmer Konzerten‘. 154 Vgl. P. Boulez, Sprechen, Singen, Spielen, S. 140. Auf dem ersten Skizzenblatt zur ersten Fassung von Domaines (Mappe H, Dossier 6a) mit den Datierungen 9. April 1959 und Oktober 1961 befindet sich auch der lapidare Zusatz (unterstrichen): Labyrinthe (Mikrofilm 139–0387). 155 Die „Verräumlichung der Lektüre“ bei Mallarmé ist vor allem in Zusammenhang mit dessen Poem Un coup de dés jamais n’abolira le hasard diskutiert worden. Vgl. S. Mallarmé, Sämtliche Dichtungen, S. 222. Vgl. ferner P. Gilbert Lewis, The Aesthetics of Stéphane Mallarmé in Relation to His Public; V. A. La Charité, The Dynamics of Space. Mallarmé’s Un coup de dés jamais n’abolira le hazard; M. L. Shaw, Performance in the Texts of Mallarmé. The Passage from Art to Ritual; R. Pearson, Unfolding Mallarmé. The Development of a Poetic Art; Mallarmé in the Twentieth Century.

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Cahier A: ‚Original‘

Cahier A: ‚Miroir‘

(A)

(B)

Soll nun beim ersten Vortrag des ‚Original‘ die Lesart (A) gewählt werden, so bildet die zweite Lesart in ‚Miroir‘ (B) nicht die Spiegelungen der sechs notierten und zu spielenden Strukturen ab (ihr Spiegelverhältnis wird damit zu einer virtuellen, gewissermaßen hinter oder unter der Realisierung liegenden Beziehung). Wollte man die Spiegelungen (Krebsgänge) abbilden, dann würde auf (A) eine andere Anordnung (B’) folgen: ‚Original‘

‚Miroir‘

(A)

(B’)

Es sind demnach Spiegelstrukturen zwischen den Anordnungen auf den Blättern beziehungsweise in den Cahiers vorhanden, doch sie sind nicht einheitlich notiert beziehungsweise nicht einheitlich räumlich auf dem Papier dargestellt.156 Das heißt, allein der visuelle Eindruck der Notation ergibt eine weitere Stufe der Vielschichtigkeit des Werks, die ebenfalls mit der Vorstellung von Original und Spiegelung verbunden ist. Auf Boulez trifft durchaus ein Kommentar zu, der die Mallarmé-Lektüre zum Gegenstand hat: „Entsprechend hat man sich die ideale Lektüre so vorzustellen, daß sie nicht einsinnig dem Hin und Her der aneinandergereihten Zeilen folgt, sondern daß sie das gesamte Gedicht immer wieder dreht und wendet, dabei stets neue Fluchtpunkte, neue Horizonte innerhalb des Textes entdeckt, um dann am Höhepunkt des Zuwachses an semantischer Komplexität das Nichts eines intentionslosen Raumes zu ahnen“.157 Der Rezipient, der Zuhörer, ist damit bei Boulez ebenfalls als „Leser“ eines komplexen „Buchs“ gefordert. Doch kann er eine hörende „Lektüre“ im Sinne eines „analytischen Hörens“ solcher Tiefenstrukturen leisten? „For there is a very real sense in which the experience of reading Mallarmé’s poetry is comparable to that of listening to modern music […] Like Mallarmé’s reader, Boulez’s listener is 156 Die Quellen zu Domaines in der Sammlung Boulez der Paul Sacher Stiftung, Basel zeigen, dass die Entscheidung für das unterschiedliche Angebot der Les- bzw. Spielarten lange nicht feststand und Boulez mehrere Varianten in Skizzen „ausprobierte“. 157 Vgl. J. Hauck, Nachwort zu S. Mallarmé, Sämtliche Dichtungen, S. 324.

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confronted with an elaborate and endlessly unravellable hyper-structure which has the initial impact of something chaotic and totally lacking in order, yet makes huge intellectual and emotional demands on him.“158 Es stellt sich demnach die Frage, ob die Einführung der „Spaziergänge auf der Bühne“ in Domaines tatsächlich der Verdeutlichung der Werkstruktur dienen kann oder nicht vielmehr eine weitere Ebene des Labyrinths darstellt, die Boulez (an der „Außenseite“ des Werks) für den Zuschauer eingerichtet hat.159 Es ist aufschlussreich, auch im Blick auf die Ebene der Aufführung und Inszenierung des Stücks, Boulez’Anlehnung an die Poetik und Ästhetik Mallarmés mitzubedenken. 1957 hatte Jacques Scherer die Textsammlung Le ‚Livre‘ de Mallarmé veröffentlicht.160 Boulez war von dieser Publikation außerordentlich beeindruckt, obwohl ihn die Visionen Mallarmés bereits in den späten 1940er Jahren beschäftigt hatten. Scherers Zusammenstellung „was for me – I use the word in the strongest possible sense – a revelation. I found that all my intentions and all the aims I had set out to achieve as a result [of reading] ‚Un Coup de dés‘ coincided with the very objectives that Mallarmé had pursued and formulated but which he never had time to carry through to completion.“161 Mallarmés Entwürfe, die Scherer herausgebracht hat, zeigen nun nicht nur eine Vision des von Mallarmé in die Zukunft projizierten „Livre“ – über das der Schriftsteller noch zu Lebzeiten wenigstens in Andeutungen reflektiert hatte162 –, sondern die Publikation von Scherer zeigte auch, dass und wie Mallarmé sich Aufführungen des „Livre“ oder vielmehr seiner Teile vorstellte. Sie gehören zu Mallarmés Visionen eines fast religiösen, spirituellen Theater-Rituals, eines auch von Wagner beeinflussten, gottesdienstähnlichen Gesamtkunstwerks im Sinne eines „Theater des Absoluten“. Dies war von der Idee eines „Théâtre imaginaire“ mitbestimmt, mit dem Mallarmé bereits die private Lektüre des Buchs verglich.163 Dessen öffentlich produzierte Aufführungen sollten in sogenannten „séances“ präsentiert werden, die man sich als halbprivate Lesungen vor einem exklusiven Publikum vorstellen kann. Die Hauptfigur dabei ist der „opérateur“, der quasi die Inszenierung der Aufführung leitet und selbst vorträgt. „The purpose of the séances, or ‚lectures‘, is to reveal the mathematical foundation of the Book, to show through its all-encompassing symmetry that it is not a product of ‚le hasard‘[…]

158 M. Breatnach, Boulez and Mallarmé. A Study in Poetic Influence, S. 66. 159 Vgl. F. Kafka, Der Bau (1923/24), Boulez hat auf diese Erzählung von Kafka im Kontext der Dritten Klaviersonate verwiesen. Es geht darin um: das Spiel mit den Vorstellungen von beobachten und beobachtet werden; sich dem „Außen“ und dem außen Seienden zu nähern, ohne davon tangiert zu werden; nur Teile preisgeben, Täuschungsmanöver mit dem Eingang und mit Gängen, die blind sind. 160 Vgl. J. Scherer, Le ‚Livre‘ de Mallarmé. 161 M. Breatnach, Boulez and Mallarmé. A Study in Poetic Influence, S. 81, zit nach Points de repère, S. 155f. Vgl. zum Einfluss der Vorstellung eines ‚Livre‘ auch T. Bösche, A propos du Livre pour quatuor, S. 91–111 (insb. S. 111 Fußnoten). 162 Vgl. insb. S. Mallarmé, Le Livre, instrument spirituel; vgl. Stéphane Mallarmé. Kritische Schriften, S. 254–263, 369f. 163 Vgl. J. Scherer, Le ‚Livre‘ de Mallarmé, S. 25ff., über Mallarmés Métaphysique du théâtre.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne The opérateur accomplishes this by performing various permutations of the text, before an audience of twenty-four ‚assistants‘ who are themselves symmetrically arranged in either eight ‚triple places‘ or six ‚double places‘ on either side of an auditorium. He changes the order of the distribution of the feuillets in a ‚meuble de laque‘ containing six open vertical slots and reads the fragments in two different ways as if to demonstrate their perfect congruity and that of the text as a whole […] Every fragment of the work is read twice […] Every text is presented through two different readings in a double séance […] Each double séance lasts two hours, consisting of a preliminary 15-minute waiting period, a 15-minute intermission, and two 45-minute reading periods, in which the opérateur directs his attention toward either half of the audience. Two double séances are given in one day.“164

Auch wenn die Inszenierung einer solchen „Lesung“ nur aus den Andeutungen und Bruchstücken des „Livre“ rekonstruiert werden kann, so ist doch das bei Mallarmé offenbar angelegte Spiel mit strukturellen Symmetrien und Spiegelungen durchaus eine Anregung, die Boulez offenbar gerade in Domaines aufgenommen und umgesetzt hat.165 Abgesehen davon, dass Umkehrungen, Spiegelungen oder Chiasmen bereits integrale Elemente des Serialismus darstellen beziehungsweise bereits auf der Ebene des Materials (Beweglichkeit des Materials, Arbeit mit Permutationen166 ) genutzt werden, so hat Boulez in seinem „Livre“ Domaines diese Beweglichkeit – offenbar wie Mallarmé – sehr stark an die Gegenüberstellung von „Doppelfiguren“, vielleicht im Sinne von virtuellen, räumlich projizierten Vexierbildern, gebunden. Bei Mallarmé, dessen Livre-Fragmente eine Reihe von Diagrammen enthalten, die mit Dualismen arbeiten – Boulez’ Graphiken seiner Spielanleitungen in Domaines damit zu vergleichen, ist erhellend –, scheint dies nicht zu einer klar wahrnehmbaren Struktur geführt zu haben: „The many permutations in these diagrams suggest that neither their terms nor their interrelations can be fixed. Although the structures convey symmetry, they also appear unstable and fortuitous, subject to almost any alteration. Thus, the overall effect of the diagrams is to express the impossibility of establishing a definitive order or of ridding order of its inherent disorder. The diagrams appear to illustrate Mallarmé’s belief that absolute order and disorder are, finally, one and the same thing.“167 Man kann die Aufführung von Domaines mit einer Aufführung im Sinne des „Livre“ von Mallarmé vergleichen. Aus einer solchen Aufführung ergibt sich folgendes (die Worte, die Mallarmé gelten, können auf Boulez übertragen werden): „These séances have three major purposes. One is to animate the text [...] A second is to

164 M. L. Shaw, Performance in the Texts of Mallarmé. The Passage from Art to Ritual, S. 192. Vgl. J. Scherer, Le ‚Livre‘ de Mallarmé, S. 75–107. „Les séances de lecture et d’interprétation du Livre reposent d’abord sur un principe musical“ (S. 75), wie eine Symphonie („polyphonique“, mit einer „technique de répétitions“, S. 76f.). 165 Vgl. J. Scherer, Le ‚Livre‘ de Mallarmé, S. 155ff.; eine Zweiteilung liegt bereits in der grundlegenden Annahme der Zusammensetzung des Theaters aus „drame“ und „mystère“. 166 Für Domaines scheint die Reihenstruktur aus Weberns op. 27 maßgebend gewesen zu sein, laut Skizzen in der Sammlung Pierre Boulez der Paul Sacher Stiftung, Basel (Mappe H, Dossier 6a/2). 167 M. L. Shaw, Performance in the Texts of Mallarmé. The Passage from Art to Ritual, S. 193.

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demonstrate the absolute principle of identity-in-difference by juxtaposing and equating every aspect of the text to itself. Finally, the séances authenticate, or validate, the truth of this demonstration through the presence of witnesses“.168 Bleibt in der ersten Fassung von Domaines der Solist in seiner Funktion als „Leser“ und Interpret der Partitur Teil der hermetischen Werkstruktur, die sich nur scheinbar gegenüber dem Hörer, der „nur“ hört und sieht, öffnet, so hat Boulez in seinen weiteren Fassungen des Stücks diese Anlage zwar nicht grundlegend abgeändert, auf der performativen Ebene aber etwas transparenter gestaltet – gleichwohl kam es ihm selbst eher auf eine Steigerung der Perspektivenvielfalt an (die Uraufführung der Fassung für Klarinette und 21 Instrumente fand am 20. Dezember 1968 in Brüssel statt). Die Solopartie wird in einen akustischen und visuell wahrnehmbaren Dialog mit einem Ensemble gebracht, wobei aber die Zwiesprache streng geregelt wird.169 In der Partitur gibt Boulez vor: „Mit Orchester spielt der Klarinettist zuerst die sechs ‚cahiers‘ des Original in der von ihm entschiedenen losen Reihenfolge. Nach jedem ‚cahier‘ spielt die entsprechende Instrumentalgruppe die Sequenz Original. Am Schluss der sechsten Sequenz des Original wird durch eine vom Dirigenten ad lib. gewählte Instrumentengruppe auf die Sequenz Spiegel übergegangen. Auf diese Weise werden die sechs Sequenzen und die sechs ‚cahiers‘ Spiegel gespielt.“170 Die sechs Cahiers sind nun instrumental, das heißt in sechs Klangfarben und gleichzeitig sechs Dichtegrade definiert: (A) Posaunenquartett, (B) Streichsextett, (C) Duett aus Marimbaphon und Kontrabass, (D) Quintett aus Flöte, Saxophon, Fagott, Trompete, Harfe, (E) Trio aus Oboe, Horn, Gitarre, (F) Bassklarinette.171 Boulez unterschied drei „homogene“ Gruppen (Bassklarinette, Posaunenquartett, Streichsextett = A, B, F) und drei „inhomogene“ Gruppen (C, D, E). Nach der solistischen Passage folgt ein „Echo“ – aus dem angesteuerten und dadurch in Gang gesetzten Instrumentalensemble oder von der Bassklarinette (als tiefes Register-Echo oder „Schatten“ der Soloklarinette). Die Solisten wählen die Reihenfolge der ‚cahiers‘ beliebig aus und bestimmen durch den Gang zum jeweiligen Ensemble ihr „Echo“. Bei der Umkehrung bestimmt der Dirigent die Reihenfolge, und die Instrumentalgruppen spielen laut Boulez ein „Vorecho“, das dem Solo-Teil vorausgeht. „Dadurch lenkt der Klarinettist den ersten Teil; den zweiten aber lenkt der Dirigent. Hat am Anfang der Solist die Gruppe ‚gerufen‘, so ‚ruft‘ ihn im zweiten Teil die Gruppe. Das ist das Verhältnis von Echo und Vorecho, von Wirkung und Gegen168 Ebenda, S. 224. 169 In der ursprünglichen Version des Stücks scheint nicht der Dialog zwischen Klarinette und verschiedenen Ensembles im Vordergrund gestanden zu haben, sondern ein räumlich strukturierter „Austausch“ zwischen Publikum und fünf Ensembles einschließlich der SoloKlarinette. 170 Zit aus dem Vorwort, Pierre Boulez, Domaines pour clarinette avec ou sans orchestre, UE 14 503 (©1970). 171 Im Vorwort der Partitur steht für (D) das Trio, für (E) das Quintett, wobei dies offenbar ein Versehen ist. Aus den erhaltenen Quellen ist nicht zu eruieren, wann aus den geplanten fünf Instrumentalgruppen sechs Gruppierungen wurden und wann die sechs Instrumentalgruppen den Cahiers zugeteilt wurden, vielleicht erst endgültig nach der Entscheidung für die erste Soloversion (als die Soloklarinette als Part der Ensembles ausgeklammert werden musste).

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wirkung [...] Wenn das Soloinstrument geendet hat, bleibt die Musik in der Gruppe erhalten. Und im zweiten Teil, wo alles umgekehrt ist, folgt der Kern hinterher.“172 Auf die Abwechslung von Solo und Ensemble geht Boulez zufolge die Konzeption des Stücks als „Antiphonie“ zurück.173 Die Instrumentalgruppen (A-F) sollen – in beliebiger Reihenfolge – kreisförmig um den Dirigenten herum angeordnet werden, je nach Anordnung werden bestimmte Orte im Raum mit einer Klangfarbe oder mit einer Klangfarbenkombination besetzt. Der sichtbare Dialog zwischen Klarinette und Ensemblegruppen wurde als Novität aufgenommen. Zitieren wir einige Stimmen zu Aufführungen der neuen Fassung(en) von Domaines.174 In der Besprechung der Uraufführung 1968 in Brüssel heißt es: „La création de Domaines pour clarinette et six petits groupes d’instruments a montré un visage de Boulez très différent et sans doute assez neuf. C’est tout autre chose qu’un concerto: le clarinettiste choisit l’ordre qu’il veut pour jouer les six cahiers placés sur des pupitres séparés devant six petits groupes d’instrumentistes dispersés en arc de cercle“.175 In Donaueschingen gab es 1969 für das Publikum eine weitere Überraschung: „In der Mitte [der Stadthalle Saal B] war ein Podium aufgebaut, auf dem kreisförmig einundzwanzig Musiker Platz nahmen. Zwischen ihnen bewegten sich der Dirigent Pierre Boulez und sein Solist Walter Boeykens, um ‚Domaines‘ für Klarinette und etliche Instrumente zum erstenmal in Deutschland aufzuführen. Wir Hörer mussten stehen, ringsum, irgendwo – wir hätten auch herumlaufen können; doch die Musik von Boulez ließ das nicht zu, weil sie viel zu diffizil und kammermusikartig ist und deshalb intensiv, in Ruhe, im Sitzen gehört sein will. Boulez hat da falsch kalkuliert.“176 Neben Berios Sinfonia, die im Anschluss an Domaines in Donaueschingen uraufgeführt wurde, konnte das Wandern bei Boulez nicht bestehen. „Die Klangquelle wurde damit ja nicht mobil, wie Boulez das wollte, auch dadurch nicht, daß der Klarinettensolist herumspazierte und Boulez mal diese und mal jene

172 Gespräch mit Josef Häusler, Donaueschinger Musiktage 1969 (Programm), S. 11. Man findet den Aspekt des Schattens und Echos auch bei Morton Feldman; gemeint sind „Resonanzen“, bei Feldman „spelling“ genannt, vgl. dazu S. Claren, Neither, S. 100f. 173 Gespräch mit Josef Häusler, Donaueschinger Musiktage 1969 (Programm), S. 11. Vgl. auch die Rolle von ‚Prä-Echos‘ in Pli selon Pli, insb. in Don (Zitate, die auf die zukünftige Entwicklung verweisen), siehe dazu M. Breatnach, Boulez and Mallarmé. A Study in Poetic Influence, S. 99. 174 Die Solofassung, datiert mit 1961–1968, hat Boulez verworfen, später aber im Stück Dialogue de l’ombre double für Klarinette und Tonband 1982–1985 wieder aufgegriffen. Vgl. dazu R. Piencikowski, Une ‚musique de la cruauté‘? A propos de ‚Dialogue de l’ombre double‘ de Pierre Boulez. Die zweite Fassung von Domaines (1968) für Klarinette und 6 Instrumentengruppen wurde ebenfalls verworfen. Die Uraufführungen der Solofassung und der ersten Ensemblefassung lagen 1968 nur 2 Monate auseinander. Die dritte Fassung (1969), ebenfalls für Klarinette und 6 Instrumentengruppen, ließ Boulez gelten. Sie wurde vermutlich in Donaueschingen 1969 aufgeführt und ist als Partitur leihweise erhältlich (UE 14999, © 1970). Eine vierte Fassung, datiert 1982, blieb unvollendet. Vgl. dazu Pierre Boulez. Musikmanuskripte, S. 9. 175 Le Monde, 4. Januar 1969. 176 W. Schwinger, Im Stehen zu hören. Werke von Berio, Boulez und Kagel.

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Gruppe des kleinen Orchesters dirigierte. Traditionelle Aufstellung im konventionellen Saal hätte garantiert die gleiche Wirkung. Die ‚Domaines‘ hatten wir in der Fassung für Klarinette allein übrigens schon bei ihrer Uraufführung in Ulm gehört: Streng strukturierte Virtuosenstückchen in originaler und gespiegelter Gestalt, effektvolle, aber doch etwas magere Kost. Jetzt sind sie etwas üppiger ausstaffiert, mit reizvollen Echovarianten der Orchestergruppen, in manchmal beinahe lustigem Wechselspiel zwischen dem Solisten [...] und den anderen [...] Aber im Stehen wurde es einem zu lang. Unruhe kam auf, und das bedeutet den Tod für solche nuancenreiche Musik.“177 Zunächst einmal ist klar, dass „die Klarinette“ bei ihren Wanderungen nicht mehr nur sich selbst und die eigene Spiegelung vorfindet, sondern an verschiedenen Orten auf mehr oder weniger „Fremdes“ trifft, das Antwort gibt oder Antworten verlangt, in dem sich „die Klarinette“ spiegelt oder in dem sie gespiegelt wird. Die Gänge des Solo-Instrumentalisten auf der Konzertbühne deuten damit nicht mehr nur quasi an der Oberfläche an, dass das Werk verschiedene Pfade bietet, die in der Aufführung durchquert werden (können), sie zeigen vielmehr auch auf, dass unterschiedliche Wege mit jeweils anderen Umgebungen und anderen Zielen verbunden sind.178 Die „Animation“ des Textes wird gesteigert. Im monochromen Spiel der Klarinette blieb diese Dimension – wie in einem einfarbigen, farblosen oder transparenten Labyrinth – auf die Grundstrukturen der Teile und den Grundriss der Karte bezogen. Das Wechselspiel zwischen Klarinette und Instrumentalgruppen gibt diesem Grundriss eine gewisse Plastizität und führt zu einer verstärkten Individualisierung der Zielpunkte, die gleichwohl von den Grundstrukturen und von dem Spiel der Klarinette ausgehen. Boulez selbst war später „überhaupt nicht zufrieden [...] mit dem ständigen Alternieren zwischen den Einwürfen des Solisten und den Passagen der Gruppen“, wie er im Gespräch mit Célestin Deliège (1976) darlegte. Er gab sich für eine neue Fassung das Ziel einer „komplexere[n] Struktur“ sowie von „mehr Zusammenhang“ und eines „Perspektivenspiel[s] [...], das auch die nichtbeschäftigten Gruppen einbezieht.“179 Die dargestellten Bezüge zwischen Soloklarinette und ihren Echos zeigen auf, dass eine weitere Vertiefung der Lektüre in Domaines möglich und notwendig ist, die den Instrumentalisten und analysierenden Leser herausfordert. Es werden ständig weitere „Gänge“ im Labyrinth angelegt, die einen „tiefen Bau“ erahnen lassen, ohne dass dies je vollständig an der „Oberfläche“ zutage treten würde.180 An der hörbaren „Oberfläche“ zeigen sich jedoch mannigfaltige motivische, rhythmische und artikulatorische Beziehungen und Verbindungen, die durch die Bewegung 177 Ebenda. Domaines rangierte auch später zwischen „one of Boulez’s most immediately attractive pieces“, vgl. D. Murray, Music Projects/London, und „one of Boulez’s most suspect works“ vgl. A. Clement, Music Projects. 178 Vgl. M. Butor, Der Zeitplan; am Beispiel der labyrinthischen Stadt, die stets andere Perspektiven bietet, an bestimmten Orten neue Betrachtungs- oder Begehungsräume eröffnet (Bilder, Gebäude, Begegnungen mit Menschen, Romane, Filme etc.), wird Boulez’ Arbeitsweise deutlicher. Vgl. auch M. Schmitz-Emans, Labyrinthbücher als Spielanleitungen. 179 Vgl. P. Boulez, Wille und Zufall, S. 100f. Dies führte zur Arbeit an der vierten Fassung. 180 Das Labyrinth, der Bau, der große Stadtplan etc. sind Modelle von Räumen, die auch

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des Solisten zur einen oder anderen Instrumentalgruppe „angezeigt“ oder angedeutet werden, – deiktische, selbstreferentielle Akte, Bewegungen auf dem Konzertpodium, die das Stück nicht interpretieren oder auf das Stück verweisen, sondern es vollziehen. Das „Wahrnehmungsfeld“ dieser Bewegungs-Akte wird allerdings in dialogische Kontexte eingebettet, die ihnen folgen oder vorausgehen.181 In der Solofassung handelt es sich um einen Dialog zwischen „original“ und „miroir“, um einen Dialog mit sich selbst, obwohl es keine unmittelbare Zwiesprache gibt, sondern eine „Spiegelung“ oder „Antiphonie“ auf Distanz. Die „Dialoge“ in dieser Form, als Spiegelungen wie in einem Kaleidoskop oder in einem Kabinett der Echos (wo ist das Original, wo die Spiegelung, wo der Ursprung, wo die Folge?), werden über die Gänge des Instrumentalisten zwar als Bühnengeschehen nach außen gekehrt, sie sind jedoch primär Außenseite eines „virtuellen“ oder „absoluten Theaters“ der Musik. Es ist ein „inneres Theater“ der konstruierten Beziehungen von Reihen, Gruppen, Teilen, Blättern oder Heften, das in hörbaren Motivbeziehungen, Spiel- und Klanggesten, rhythmischen, melodischen Anklängen und Echos oder Vorechos nach außen tritt. Das „Theatergeschehen“ auf dem Konzertpodium ist jedoch wenig mehr als die Anzeige der Kapitel. In der Literatur kann man sich ein „virtuelles Theater“ vorstellen als „the externalization of internal and energetic optical phenomena in the physical space of textual representation“.182 In der Musik werden Spiegelungen, Vorstellungen von Symmetrien etc. – also optische Phänomene – in den kompositorisch abstrakten, textuellen und akustischen Raum projiziert, den der Aufführungsraum oder die Konzertbühne verlängert, in dem weitere Bewegungen möglich sind. Doch diese Bewegungen muten an wie verschiedene Erscheinungen an „Öffnungen des Baus“ – die sichtbaren Bewegungen sollen bezeugt werden (vom Spieler und vom Publikum) –, um zu demonstrieren, dass im Inneren etwas geschieht, oder um zu verschleiern, dass sich eine Welt dahinter verbirgt, die in sich ruht, die mit sich selbst „spielt“, die weder ihren Schöpfer noch ihren Interpreten „preisgibt“.183 phantastische Raumvorstellungen einschließen, an denen es zwar Orte gibt, die aber auch Nicht-Orte oder virtuelle Verweilplätze darstellen können, vgl. etwa Jorge Luis Borges’ Erzählung Die Bibliothek von Babel (1941) aus dem Band Ficciones (erste Ausgabe 1944); Borges’ „Bibliothek“ ist aus sechseckigen Galerien zusammengesetzt, die sich endlos ausweiten. Dem Erzähler zufolge behaupten die „Idealisten“, dass „die sechseckigen Säle eine notwendige Form des absoluten Raumes seien“, zit. aus Borges, Fiktionen. Erzählungen 1939–1944, S. 68. Bezeichnenderweise hat sich Borges mit dieser Erzählung (auch) auf Kafka bezogen, vgl. S. 179. 181 Zum „Wahrnehmungsfeld“ deiktischer Akte vgl. die am Beispiel mediävistischer Texte entwickelten Thesen von Horst Wenzel, „wan die vrumen liute sint/ unde suln sin spigel dem chint“. Zum Verhältnis von Zeigen und Wahrnehmen im Welschen Gast des Thomasin von Zerclaere. 182 Vgl. dazu E. Gould, Virtual Theater. From Diderot to Mallarmé. 183 Theater wird zu einer Metapher, die für „inneres Spiel“ steht, das nach Bühnengeschehen „verlangen“ kann, vgl. dazu ebenda S. 141 (über das „virtuelle Theater“ Mallarmés), ein „Theater/ Drama der Subjektivität“ in der Literatur, das in der Musik weitere Abstraktion erfährt (Subjektivität wird gerade bei Boulez in hochkomplexer Konstruktivität und zugleich Verschleierung dieser Konstruktivität verborgen).

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3.2.3 Prozesse der Musik: Wanderungen in Dieter Schnebels OPXE ΣTPA Hatte sich Boulez im Vorfeld der Domaines nicht nur kritisch über „bewegliche Klangquellen“ und „theatralische Konzerte“, sondern auch gegen die Oper und zeitgenössisches Musiktheater (vor allem gegen Henze) ausgesprochen, so hat sich Dieter Schnebel beinahe von Beginn an mit dem Konzertpodium als Bühne auseinandergesetzt.184 Insofern war für ihn auch die sichtbare Bewegung von Musikern im und durch den Raum während des Spiels bereits früh integraler kompositorischer Bestandteil seiner Musik. Der Grund dafür ist nicht nur die unmittelbare Verbindung von Körperbewegung und Klangerzeugung, auf die es Schnebel ankam, sondern auch seine Tendenz zur möglichst umfassenden Ver-Deutlichung seiner Musik, ein Anliegen, das den Maximen von Boulez diametral gegenübersteht. Am Beispiel von Schnebels Raummusik OPXEΣTPA (Orchestra) für mobile Musiker von 1974–1977 (uraufgeführt am 20. Januar 1978 in Köln) sei der Thematik der sichtbaren Bewegung von Musikern auf dem Konzertpodium unter den eben genannten Gesichtspunkten nachgegangen. Orchestra ist zwar ein Stück, das Schnebel bereits unter seine „Produktionsprozesse“ und als „psychologische“ Herausforderung an das traditionelle Orchester komponiert hat – in einer Zeit des kulturpolitischen Engagements –, aber dieser chronologische Schritt in die 1970er Jahre soll und kann auch mit der Frage nach den Wurzeln des „Bewegungsprinzips“ bei Schnebel verknüpft werden.185 Wie Gisela Nauck gezeigt hat, geht der Komponist zunächst von der Isolierung der Klangereignisse im Raum aus, doch „durch die Priorität von Tonpunkt und Klangfarbe [...] wird der Raum zu einem neuen Medium für Gestaltung und Zusammenhang: für Klang‚wanderungen‘ und Farbmelodien, für Klangfarbenprozesse, Tonballungen und Ausdünnung – als statistischen Vorstellungen – oder simultane Raumakkorde.“186 Die Konzentration auf die Phänomene „Ton“ und „Klang“ beziehungsweise auf das „Klingende“ verankert Schnebel (wie andere Komponisten in dieser Zeit) primär bei Anton Webern, unter anderem, weil Webern es verstanden habe, die Musik „wie ein Seismograph“ aufzufassen und aufzuzeichnen: „seine Art zu schaffen ist rezeptiv und selektiv“, das heißt am „Leben“ der Klänge selbst orientiert.187 Klänge und Stille bilden nach Schnebel eigene „Formen“, eigene „Gesten“ aus, die gewissermaßen dem Nichts entwachsen; dies wird einer an Ernst Bloch angelehnten metaphysischen Erscheinung, einer „Epiphanie“ der Klänge abgelauscht. „Jeder Ton ist mit unendlicher Zärtlichkeit empfunden und gehört. Die Epiphanie 184 Zu Boulez Invektiven gegen modernes Musiktheater vgl. das berühmte Interview von 1967 „Sprengt die Opernhäuser in die Luft“. Spiegel-Gespräch mit dem französischen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez. 185 Vgl. grundlegend G. Nauck, Dieter Schnebel, S. 204–215. 186 G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 137, 139. 187 Vgl. D. Schnebel, Anleitung zum Hören (Weberns op. 27), S. 156f., sowie ders., Konzept über Webern, S. 49. Vgl. zur Webern-Rezeption auch die Reihe 2 (1955) über Anton Webern, sowie G. Schubert, Zur Rezeption der Musik Anton von Weberns, sowie Chr. von Blumröder, Webern und die serielle Musik, und G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 65–80.

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eines jeden einzelnen Tones wird erlebt. Jeder Ton fasst in der Musik Weberns eine Welt in sich, ja, in den einzelnen Tönen liegt seine Welt.“188 Definiert wird der Ton über seine Farbe, sowohl über seine individuelle Klangfarbe als auch seine Klangcharakteristik, die durch den Kontext bestimmt wird. Insofern werden Schnebel zufolge bei Webern kontrapunktische Satztechnik und „monistische Form“ (nicht die Form des Kontrasts, sondern die Form des „Werdens“) sowie im Spätwerk der Klang selbst als „Formungsbildung(en)“ – „Werden und Vergehen des Klingens“ – richtungweisend.189 Dass Klänge nicht nur „erscheinen“, sondern gemacht, produziert werden, zumal verschiedene Klangfarben oder die Formung eines Klangverlaufs, ist gewissermaßen die Reversseite dieses Denkens. Das wird bereits deutlich in Schnebels Eigeninterpretation seines frühen Versuchs Analysis für Saiteninstrumente und Schlagzeug (1953), wenn er schreibt: „Die Farbverläufe [in dem Stück] sind oft prozeßhaft (vom Griffbrett zum Steg hin streichen, ein übertriebenes Vibrato in ein non vibrato überführen usw.).“190 Es wird in diesem Zusammenhang auch klar, dass es notwendig ist, diese produktiven Prozesse sogleich in eine entsprechende „Aktionsschrift“ zu fassen beziehungsweise detaillierte spieltechnische Anweisungen beizugeben. Und Schnebels zweiter Versuch, seine Stücke für Streichquartett (1954–55), sieht auf Grund der einzeln ausformulierten Klangprozesse auch eine räumliche Trennung der Spieler vor, die die Erzeugung und Wahrnehmung der einzelnen Klangverläufe optimieren soll. Dies wird in Compositio für Orchester 1955/56 fortgeführt und erweitert.191 Die Isolation der Klänge im Raum ist insofern einerseits eine Verdeutlichung der formalen, prozessualen musikalischen Ereignisse durch den Bau einer klanglichen Plastik im Raum, andererseits ist sie auch dem Willen geschuldet, den einzelnen Klängen und Verläufen eigene Zeit und eigenen Raum zu geben, unabhängig von ihrer Einbettung in den Gesamtablauf. Töne, Klänge als „Zeit-Punkte“ bilden nicht nur eine temporale Konzentration, sondern sie nehmen als „aufleuchtende Blitze“ auch Raum ein. Klangereignisse zwischen den „Zeit-Punkten“, also „Zeitabläufe“, sind strukturierte Bewegungen, die räumlich (als Bewegungen im Raum) gedacht werden können.192 Daran bindet sich auch die Vorstellung der Emanzipation von musikalischen Gesten, die Schnebel in seiner Dissertation über Schönberg entwickelte. Webern erscheint in diesem Kontext ebenfalls als Kulminationspunkt, in dessen Musik die „Gesten“ nicht nur emanzipiert, sondern „objektiviert“, das heißt von jeglichen „Resten“ expressionistischer Haltung „befreit“ seien. Gesten blei188 D. Schnebel, Anleitung zum Hören (Weberns op. 27), S. 161. Zum Einfluss Blochs auf Schnebel vgl. G. Borio, Musikalische Avantgarde um 1960. Entwurf einer Theorie der informellen Musik, S. 115–117. 189 Ebenda, S. 169f. 190 D. Schnebel, Analysis (1953) für Saiteninstrumente und Schlagzeug, S. 171. Vgl. dazu auch G. Borio, Schnebels Weg vom seriellen Denken zur informellen Musik. 191 Vgl. G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 139–143. 192 Vgl. dazu D. Schnebel, Form in Formen von Zeit: Compositio. Für Schnebel gliedert sich die „musikalische Zeit“ in „Zeit-Punkte“ (Übergang von Stille zu Klang oder von Klang zu Stille) und „Zeitabläufe“ (im Sinne von Abständen zwischen den Zeitpunkten): „in den

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ben als musikalische „Gebilde“ oder „Gestalten“ wahrnehmbar, die einen kompositorischen „Zeit-Raum“ ausprägen, eine „Morphologie der Gestalten“ schaffen, die auch den Aufführungsraum strukturiert.193 Diese Vorstellungen Schnebels werden für seine weitere kompositorische Arbeit elementar, auch wenn er sich von den frühen abstrakten seriellen Modellen und konstruierter musikalischer Architektonik abwendet und Klangprozessen zuneigt, die ganz vom Körper, von körperlichen Produktionsbedingungen und Gesten des (körperlichen) Musikmachens abhängig sind. Bei Schnebel setzt sich (nach der Erfahrung des „Nullpunkts“ Webern) durch, „in der Klangmaterie ein gesellschaftlich Präformiertes“ zu sehen, das heißt vor allem, die Musik nicht als ein formelhaftes, abstraktes Gebilde zu betrachten, das keine Adressaten hat.194 Im Gegenteil, durch die unmittelbare Ansprache des Körpers versuchte Schnebel eine kommunikative Ebene zu erreichen, die die Konstruktion verdeckt und die Abstraktion annulliert. Sichtbare Bewegungen auf der Konzertbühne, sichtbare Gänge durch den Raum dienen nicht nur der Schaffung einer Klangtopologie, die auch durch eine Verteilung von Musikern im Raum stattfinden kann, sondern die Bewegungen von Interpreten demonstrieren auch einen spezifischen Zeitverlauf, sie „kosten“ Zeit, sie „verbrauchen“ Zeit, sie können in verschiedenen Tempi vollzogen werden und daher auch verschieden dichte Abläufe oder Komplexe ausbilden. Können sich Klänge wie Körper im Raum bewegen, so können umgekehrt Körper wie Klänge behandelt werden; sich bewegende Körper können daher Klangbewegungen (im Raum) „imitieren“ und dadurch visualisieren. Solche Bewegungen müssen nicht ursächlich an Bewegungen und Gesten der Klangproduktion gekoppelt sein. Sondern sie können unabhängig davon Zeitstrukturen in einem Werk verdeutlichen, sie geradezu abbilden oder „übersetzen“, sie können gewissermaßen als „Verkörperung“ des Klanggeschehens betrachtet werden.195 Wann und wodurch Schnebel im einzelnen zur Einbeziehung von „mobilen Musikern“ gelangt ist und Bewegungen der Interpreten im Raum mitkomponiert hat, ist im Nachhinein nicht leicht zu rekonstruieren. Die ersten Projekte dieser Art entstanden 1959, raum-zeit y und Das Urteil (nach F. Kafka) mit Vorstufen in den Teilen von Für Stimmen (...Missa est), die seit 1956 im Entstehen waren.196 Schnebel selbst hat die verschiedenen Einflüsse und Entwicklungen in seinem bereits erwähnten Text Sichtbare Musik 1966 zusammengefasst: 1950, die Auf-

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Zeit-Punkten und Zeitabläufen inkarniert sich Zeit als stehende und bewegte“ (S. 239). Zu den Elementen von „bewegter Zeit“ zählt Schnebel auch die Richtungsänderung von Zeit (Umkehrungen, Spiegelsymmetrien von Dauern, die selbstverständlich die Zeit nicht umkehren, aber den Eindruck von Rückläufigkeit erwecken) und die Variabilität von Tempi gleichzeitig spielender Musiker (wie in Stockhausens Zeitmasze). D. Schnebel, Komponierter Gestus im Werk Arnold Schönbergs, S. 193f. Vgl. dazu G. Borio, Musikalische Avantgarde um 1960. Entwurf einer Theorie der informellen Musik, S. 118. Zur Erfahrung von Webern als „Nullpunkt“ vgl. auch D. Schnebel, Die Tradition des Fortschritts und der Fortschritt der Tradition. Ein Erfahrungsbericht. Schnebel hat dies auch als Bearbeitungsebene von traditioneller Musik erkannt, beispielsweise in seinen Bach-Contrapuncti (1972–76) für Stimmen. Hier wandern die Sänger im Raum und setzen drei Stücke aus Bachs Kunst der Fuge in „Raummusik“ um. G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 145ff.

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führung von Edgard Varèses Ionisation für 13 Schlagzeuger („statt des gewohnten kultivierten Instrumentalspiels sah man hier die Musiker dreinschlagen“), 1951, die Uraufführung von Boulez’ Polyphonie X in Donaueschingen („der Dirigent fuchtelte ungewöhnliche Taktwechsel“, das Spiel der Instrumentalisten erinnerte „an schwere gymnastische Übungen“), 1954, der Auftritt von John Cage und David Tudor in Donaueschingen mit dem präparierten Klavier („Derlei war zu sehen und reizte den Blick. Keine Musik, um die Augen zu schließen“), 1956, David Tudor präsentiert Cages Water Music, dann 1957 Stockhausens Klavierstück XI, 1958 die Raummusik von Stockhausen – und Cages Klavierkonzert.197 Daraus ergibt sich keine Systematik der Einführung von Bewegung auf der Konzertbühne – die Schnebel auch nicht vorrangig im Auge hatte –, jedoch ist es sinnvoll, die Liste (die teilweise auf Schnebels eigenen Konzerterfahrungen beruht) mit seinen theoretischen Äußerungen zu verknüpfen. Edgard Varèse und Anton Webern, Cage und Debussy, Boulez und Tudor – aus solchen Zusammenstellungen, die musikhistorisch und musiktheoretisch bislang kaum untersucht wurden, resultiert nicht mehr ausschließlich die Ableitung von Bewegung aus den Gesten bei Schönberg und Webern, oder die Herleitung der statistischen Klangverteilung von Stockhausen, oder die Konzentration auf körperliche musikalische Produktionsprozesse auf Grund von Cage alleine. Als Beobachter der Konzertszene und Konzertszenen hat Schnebel diese gerade beispielsweise an Boulez hervorgehoben, der seinerseits zu Anfang der 1950er Jahre versuchte – wie bereits dargestellt wurde –, den „unkontrollierbaren Faktor“ Körper zu negieren. Das „Schockerlebnis“ der Ionisation, das Befremden durch die Präsentation der „roh materialen Musik“ (vor der intensiven Beschäftigung mit Webern) hat Schnebel in seinen Erinnerungen an diese Aufführung hervorgehoben.198 Erst später habe er ihre „Wärme“, eine Wärme „aus der Materie“ entdeckt: „In der Tat wird den Menschen, zumal den Bläsern, oft Äußerstes abverlangt: die Klänge herauszupressen, ja herauszuschleudern. Gerade dies aber weist zurück auf den menschlichen Ursprung der heißen Klänge – Ausdruck als ein Aus-sich-heraus-Drücken, zugleich physische Kraftleistung wie psychisches Sich-Verausgaben.“199 Diese direkte Verbindung von Körper und Klang ist es, der Schnebel auch in seinen Werken nachgeht. „In solcher Körperlichkeit aber wird eine archaische Schicht von Musik wieder lebendig: als Klänge noch Wesen bedeuteten, welche den Menschen direkt angingen. Und zugleich gewinnt Musik eine neue Qualität, nämlich körperlich dreidimensionalen, ja überhaupt mehrdimensionalen Ausdruck.“200 Als Konzertbeobachter hat Schnebel zu Anfang der 1950er Jahre auch die szenische Komponente des Musikmachens auf neue Art erlebt, die sichtbaren Aktionen, die die 197 Vortrag 1966 bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, erweiterte Fassung (1968) abgedruckt in Denkbare Musik, S. 310–335. 198 Schnebel besuchte 1950 das Konzert Varèses in Darmstadt, vgl. D. Schnebel, Der körperliche Klang – Zu Edgard Varèse und seiner Musik. Erfahrungen mit Webern (über Partituren) erfolgten offenbar erst ab 1952, vgl. dazu G. Nauck, Dieter Schnebel, S. 44; 1952 entstand auch Schnebels Analyse von Weberns op. 27. 199 D. Schnebel, Der körperliche Klang – Zu Edgard Varèse und seiner Musik, S. 6f. 200 Ebenda, S. 10.

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Wahrnehmung der akustischen Ebene gerade dann stark beeinflussen, wenn sie einerseits als direkte Ursache „fremder Klänge“ aufgefasst werden, wenn sie andererseits aber auch isoliert vom Klanggeschehen hervortreten, wenn sie sich (plötzlich) als Bewegungen und körperliche Gesten, als selbständige theatrale Elemente in den Vordergrund schieben (wie Schnebel offenbar am Beispiel von Boulez und am Beispiel von Cage erfahren hat).201 Als weiterer Aspekt der Einführung von sichtbaren Bewegungen der Akteure im Raum gilt bei Schnebel sicherlich auch das, was man mit „Erweiterung des Materials“ benannt hat.202 Neben den ersten Stücken für Instrumentalensemble befasste er sich früh mit dem Ausdrucksbereich von Stimme und klanglichen Dimensionen von Sprache, und er gewann daraus auch ein experimentelles Feld für die Öffnung serieller Arbeitsweisen (noch ganz jenseits der „Experimente“ von Cage). Schönbergs und Weberns Vokalmusik dürften zunächst Ankerpunkte gewesen sein – neben Varèses Ionisation wurde 1950 in Darmstadt auch Schönbergs Überlebender aus Warschau erstmals in Deutschland aufgeführt, und 1951 präsentierte man dort bekanntlich Der Tanz um das goldene Kalb aus Moses und Aaron, 1952 Pierrot Lunaire, 1953 die Ode to Napoelon Buonaparte. Von Anton Webern wurden in Darmstadt 1951 Fünf Canons nach lateinischen Texten (für Sopran, Klarinette, Bassklarinette) op. 16 erstmals aufgeführt, 1952 Vier Lieder op. 12, 1953 (zum 70. Geburtstag Weberns) unter anderem Fünf Lieder op. 3, Drei Gesänge op. 23, die Aufführungen von Kammermusik nahmen (in Darmstadt) erst zum 10. Todestag 1955 zu.203 Es sei nur daran erinnert, dass auch Boulez gerade durch Schönbergs Pierrot sowohl im Hinblick auf den Umgang mit Stimme/ Sprache als auch in bezug auf die räumliche Anordnung der Musiker auf dem Konzertpodium (im Umfeld von Le Marteau sans maître) entscheidende Anregungen erhielt.204 Bei Schnebel ließe sich der Einfluss von Schönberg sicherlich über den gesamten Text seiner Dissertation verfolgen, der jedoch nur teilweise und bearbeitet in Denkbare Musik abgedruckt ist. Seinem Inhaltsverzeichnis zufolge behandelt Schnebel in seiner Dissertation beispielsweise den „Gestus des Unbewussten“ am Beispiel von Pierrot Lunaire ebenso wie er ein kurzes Kapitel mit Gebet über Musik betitelt und hier offenbar Schönbergs De profundis bespricht.205 Einen „gestischen Komplex“ erklärt Schnebel am Beispiel des Anfangs von Schönbergs Überlebender aus Warschau: „Die kompositorische Idee a priori: eine aufstrebende Bewegung zu einem flimmernden Klang wird von einer

201 Vgl. dazu D. Schnebel, Sehen oder/und Hören. An- und Aussichten einiger neuer Entwicklungen in Oper, Theater und Film, insb. S. 229 der Hinweis auf den Einfluss des „parametrale[n] Denken[s] der seriellen Musik“ auf die Herstellung neuer Beziehungen von Klang und Bild (neue Definition ihrer Beziehungen durch serielle Verfahren, die den traditionellen Klang-Bild-Kombinationen produktiv entgegengesetzt werden können). 202 Vgl. dazu D. Schnebel, Das musikalische Material – Verhältnisse und Aktionen. 203 Schnebel konnte 1953 nicht in Darmstadt sein, laut G. Nauck, Dieter Schnebel, S. 59. Vgl. Im Zenit der Moderne, Bd. 3, Programme der Darmstädter Ferienkurse. 204 Vgl. P. Boulez, Sprechen, Singen Spielen sowie Über den Sprechgesang. 205 Vgl. die Inhaltsübersicht bei G. Nauck, Dieter Schnebel, S. 60f.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

in einen tiefen Klang abstürzenden Geste kontrapunktiert, ist gleichsam ohne Rücksicht auf die Töne konzipiert.“206 Die kompositorische Beschäftigung mit Stimme/Sprache gab Impulse für die Beweglichkeit der Musiker oder Vokalisten auf dem Konzertpodium. Schnebels :! (Madrasha II) für 3 Chorgruppen (begonnen 1958) aus Für Stimmen (... Missa est) beispielsweise ist eine Komposition aus Prozessen der Hervorbringung von Lauten. Die Produktion von Vokalen wird etwa durch verschiedene Zungenstellungen, Lippenstellungen und ihre Koordination, durch Nasalierung, Lateralisierung, das Pressen und Knarren von Lauten, Repetitionen, Verbindungen von Phonemen, von Konsonanten durch verschiedene Artikulationsarten, Mundstellung, Übergänge zwischen stimmlosen und stimmhaften Lauten, rhythmischen und dynamischen Veränderungen bestimmt. „Aus dem Anfangsmaterial der Gottesnamen und Preisungsformeln wuchern alsbald ereignisreiche Lautiervorgänge. Einzelne Vokale und Konsonanten entfalten sich zu Prozessen, die sich gegenseitig anstecken und dergestalt immer neue Laute oder Artikulationsphänomene hervorbringen.“207 Die unterschiedlichen Arten der Erzeugung von Lauten bilden expressive Punkte, Linien und Felder aus, die im Aufführungsraum positioniert, durch den Raum geführt oder im Raum aufgebaut und in den Raum projiziert werden. Nicht immer ist dies mit Bewegungen der Chöre oder einzelner Vokalisten durch den Raum verbunden, zum Teil „wandern“ die Klänge, indem Artikulationen weitergegeben werden („Schallrichtung jedes Vokalisten zunächst zum Vorgänger, dann zu dem, der den betreffenden Musikverlauf weiterführt“, T. 26–30). Bewegungen im Raum haben eine besondere Funktion und/oder fallen mit dem „Ausbruch“ von Ausdruck zusammen, beispielsweise T. 108 bis 113 die Kulmination in einem „Geschrei“, die mit dem Gang aller Sänger nach vorne an die Rampe verbunden ist. Die Bewegungen der Sänger im Raum sind auch zum Schluss, bei dem sich die drei Chöre zu zwei Kreisen formieren, mit einer nach außen gerichteten Geste „wie ein Schrei“ (enger Kreis, „Schall nach oben“) verknüpft.208 Die Bewegungen der Chöre im Raum unterstützen jedoch nicht nur die daraus resultierenden expressiven Gesten, sondern sie tragen auch zu einer Komposition „plastischer Verläufe“ bei: „der musikalische Charakter äußert sich mehrdimensional, unter anderem in räumlicher Ausprägung. Es gibt sozusagen dicke Klangprozesse im Raum, aber auch dünne, auseinandergezogene Klänge und ebenso konzentrierte Klanghäufungen; es gibt kontinuierliche Wanderungen oder auch sprunghafte Raumverläufe von Klängen.“209 206 D. Schnebel, Komponierter Gestus im Werk Arnold Schönbergs, S. 189. Vgl. auch D. Schnebel, Sprache – hin und zurück (Neue Chormusik). Diese Dimension fehlt seltsamerweise ganz in der ansonsten instruktiven Arbeit von S. Heilgendorff, Experimentelle Inszenierung von Sprache und Musik. Vgl. auch W. Klüppelholz, Sprache und Musik. 207 Siehe Schnebels Werkbeschreibung des Stücks in Dieter Schnebel (= Musik-Konzepte 16), S. 121. 208 Vgl. :! (Madrasha II) für 3 Chorgruppen (1958/64 67–68), Partitur, ED 6457, Mainz 1973. Vgl. auch P. Faltin, Ästhetisierung der Sprache. Dargestellt an Dieter Schnebels Madrasha II; C. Raab, Sprachkomposition in Dieter Schnebels :!(madrasha II). 209 :! (Madrasha II), Hinweise zur räumlichen Gestaltung vgl. Vorwort der Partitur.

3.2 Form- und Strukturbildung duch Bewegung im Raum

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Schnebel beschreibt sein Chorstück als Klangkomposition, die nach statistischen Kriterien, nach der statistischen Verteilung von Klängen ausgerichtet ist.210 Aus den einzelnen Lauterzeugungsprozessen entstehen bei Schnebel verschiedene „Klangkonsistenzen“, deren Eigenschaften jedoch nur bedingt vorhersehbar sind. Sie rangieren von „geschlossener nicht veränderbarer Form“ (höchst genaue Reproduktion) bis hin zu „gänzlich offene Form“ (stark improvisierende Wiedergabe des Notierten), wobei der Komponist in der Bearbeitung des Stücks aus den 1960er Jahren genau diese Dimension nochmals verstärkt hat. Ein ähnliches Verfahren prägt Orchestra, wie im Anschluss zu zeigen sein wird. Hier wird ebenfalls nochmals näher auf den Aspekt der Körperlichkeit von Klang einzugehen sein, der die Planung „plastischer Verläufe“ entscheidend mitbestimmt. OPXEΣTPA (Orchestra) (1974–1977) hat Schnebel innerhalb seines Schaffens als dritten Teil seiner sogenannten „Produktionsprozesse“ konzipiert.211 Den ersten Teil bilden die Maulwerke (1968–1974), den zweiten Teil die HandwerkeBlaswerke (1977) und den vierten Teil Körper-Sprache (1979–1980). Orchestra, zusammen mit dem dazugehörenden Anhang Thanatos-Eros (1979), nimmt in dieser Werkgruppe eine Sonderstellung ein. Während die Teile eins, zwei und vier unmittelbar – wie es die Titel andeuten – von Artikulationen des menschlichen Stimmorgans und menschlichen Körpers ausgehen, ist diese Ebene nur ein Teilaspekt von Orchestra. „Diese ‚Symphonische Utopie für mobile Musiker‘ intendiert einen sinfonischen Aufführungsprozess in Entfaltung emotionaler Gehalte und unter Einbeziehung des Raums, wobei das organische Zusammenspiel des Klangkörpers Orchester zum Zuge kommen sollte.“212 Körperliche Artikulationen sind also keinesfalls ausgeblendet, aber im Vordergrund steht der ganze „Klangkörper“ eines Orchesters. Dessen sichtbare Bewegungen im Raum betreffen sowohl die kommunikativen „inneren“ Vorgänge der Musiker und unter den Musikern (als Orchestergemeinschaft) als auch das Ritual eines Konzerts beziehungsweise das rituelle Handeln eines Orchesters. Zugleich geschehen räumliche Ausdehnungen und Kontraktionen dieser Klangeinheit, die das Orchester als (elastischen) „Körper“ explizit werden lassen. Im Vorwort der Partitur lauten Schnebels Angaben zur „räumlichen Ausformung der Musik, welche die Bewegung im Raum erfordert“: „das Verlassen des gewohnten, gewissermaßen Deckung gewährenden gemeinsamen Podiums, das 210 Vgl. dazu D. Schnebel, ...Brouillards. Tendenzen bei Debussy. 211 „In der Musik dieser Reihe handelt es sich nicht so sehr um Werke als um musikalische Produktionsvorgänge, wo auch die Vorstadien des Einzeln-Übens, des Gemeinsam-Erarbeitens wichtig sind, und das aufführbare Stück lediglich ein – überholbares – Stadium bedeutet. Das hat seinen Grund darin, daß die Komposition in den körperlichen Vorgängen der vokalen oder instrumentalen Klangerzeugung ansetzt und auch oder ebenso im Miteinander-Handeln mit seinen vielen inneren und äußeren Momenten – ganz wörtlich im Zusammen-Spiel. Demnach wird nicht so sehr das tönende Resultat als der Prozeß seiner Hervorbringung notiert, und die Musik entsteht direkt aus Organbewegungen“ (Dieter Schnebel [= Musik-Konzepte 16], S. 128). 212 Dieter Schnebel (= Musik-Konzepte 16), S. 129. Eine Partitur von Orchestra (Kopie einer Reinschrift) ist beim Verlag Schott zur Ansicht ausleihbar (Mainz 1978), mit ausführlichem Vorwort und Raumplan (S. II–IX).

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

Hinausgehen in den Raum, das Sich-Zerstreuen in isolierte Klangquellen, das SichZusammentun zu Ensembles, den Rückzug zum Podium, seis geregelt oder ungeregelt, mit Musik unterwegs oder keiner – was alles im übrigen das Auswendigspielen einbezieht, wie auch das Inwendigspielen zu seinem Recht kommt.“213 Der Komponist betont damit die Veränderungen des sozialen Gefüges „Orchester“ und die Veränderungen, die die Ver-Ortung des Orchesters auf dem Konzertpodium betreffen; die Bewegungen dienen demzufolge in erster Linie diesen Wandlungen. Dies geht zurück auf Schnebels Grundintentionen, die er mit diesem Stück verfolgte: „ein Lernprozess für Musiker in Richtung innere und äußere Beweglichkeit“ sowie „ein symphonischer Aufführungsprozess in Entfaltung emotionaler Gehalte und unter Einbeziehung des Raums“.214 Diese Absichten standen in Zusammenhang mit folgenden quasi orchesterpädagogischen Zielen: gewonnen werden sollte „der direktere Umgang mit dem Klang“, „die Erfahrung anderer Formen des Musikmachens“, „die Entfaltung eigenproduktiven Handelns“ und „die Steigerung einer allseitigen Aktions- und Reaktionsfähigkeit“.215 Federico Fellini hat in seinem Film Prova d’Orchestra (1978/79) mit einem feinen Gespür für die politische Dimension der Revolution eines Orchesters sicherlich auf solche und ähnliche Tendenzen der neuen Musik reagiert. Alle Musiker lehnen sich in diesem Film in einer chaotischen Szene gegen die Autorität des Dirigenten und gegen die traditionellen Rollenverteilungen auf. Dass die „Revolution“ allerdings jäh unterbrochen wird und sich die Musiker wieder ihren Aufgaben hingeben, sich der „Macht der Musik“ (und ihres Dirigenten) ergeben, resultiert aus einer massiven Bedrohung von außen, die deutlich macht, welche Werte auf dem Spiel stehen.216 In Schnebels Orchestra spielen sich die Bewegungen der Musiker im Aufführungsraum in 21 „Phasen“ oder „Passagen“ ab, die der Komponist als Katalog von Szenen vorgegeben hat. Die einzelnen Szenen tragen sprechende Titel, beispielsweise der Anfang „Ein-Klang“, die zweite Szene „Aufbrüche“, die vierte Szene „Rufe“ oder die letzte Szene „Ausklang“.217 Die einzelnen Phasen setzen sich jeweils aus notierten Klängen und verbalen Anweisungen zusammen, die mit Anweisungen zum temporalen Verlauf sowie einer Graphik der räumlichen Anordnungen kombiniert sind. „Alle Musiker haben das gleiche particellartige Material. Jede Nummer von OPXEΣTPA trägt eine Überschrift, welche Art und Charakter der Musik kennzeichnet; sie möge sorgfältig beachtet werden. Oben

213 Ebenda, S. III. 214 Ebenda, S. II. 215 Zit. nach dem achtseitigen Exposé des Stücks, das sich in den Skizzenmappen zu Orchestra (Sammlung Schnebel, Paul Sacher Stiftung, Basel) befindet. Zu den kulturpolitischen und pädagogischen Intentionen des Werks (und den damit verbundenen Problemen) vgl. auch D. Schnebel, Erfahrungen mit „Orchestra“, sowie G. Nauck, Dieter Schnebel, S. 204–215. 216 Vgl. F. Fellini, Prova d’Orchestra, Rom 1978/79, mit Musik von Nino Rota. 217 (1) Ein-Klang, (2) Aufbrüche, (3) Zusammen (Phantasien), (4) Rufe, (6) Opfer, (7) Kanon (Wallungen), (9) Sternmarsch, (10) Natur, (11) Strahlenklang – Klangstrahlen, (12) Technologie, (13) Kehraus, (15) Fuge (Zuckungen), (16) Trauermusik, (18) Weitergeben, (19) Auseinander (Materien), (20) Trommeln, (21) Ausklang. Phasen 5, 8, 14, 17 hat Schnebel „aussortiert“ (sie befinden sich nicht in der Partitur).

3.2 Form- und Strukturbildung duch Bewegung im Raum

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rechts auf der zweiten Seite sind jeweils die räumlichen Positionen notiert. In der Regel werden Tonlisten und rhythmisch dynamische Modelle gegeben, die in jeder Phase verschieden auszuführen sind. Hierfür gibt es verbale Anweisungen. Für die transponierenden Instrumente sind die Tonlisten in Klammern extra aufgezeichnet.“218 Schnebel hat diese Phasen in sechs „Prozessen der Musik“ sowie durch die Ausdifferenzierung von Klangparameter (im Sinne der Aufstellung und Skalierung ihrer Eigenschaften) vorbereitet beziehungsweise vorstrukturiert. Diese „Vorbereitung“ setzt sich insofern aus der Analyse von Klang(produktions)verläufen und gleichzeitig aus der Imagination verschiedener Prozesse und ihrer Koppelung zusammen. Bevor der Komponist demnach selbst bestimmte neue Szenen erfand, konzipierte und setzte, hatte er sich einen umfangreichen Katalog von Bewegungsund Handlungsdimensionen angelegt, und zwar häufig zwischen Grenzen des Möglichen oder zwischen Extremen.219 Die Erstellung des „Materials“ umfasst sehr viel mehr als die reihenmäßige Erfassung von Tonhöhe, Tondauer, Artikulation und Klangfarbe: vor allem wird auch die Form, der Verlauf (Struktur) sowie die Art der Realisation einer Partitur in den Materialkatalog einbezogen. Die sechs „Prozesse der Musik“ beziehen sich auf folgende Dimensionen, die sich, wie aus folgender Tabelle ersichtlich wird, überschneiden können:220 I „Verläufe“

fixiert, auskomponiert, ausnotiert zum Teil auskomponiert, fixiert

variable Verläufe

Ausgangsverläufe Mitteverläufe Zielverläufe ungefähr vorkomponiert modellhaft vorkomponiert

einige freie Verläufe, weniger komponiert, als in Funktion und Ausdruck charakterisiert

218 Partitur, Vorwort, S. IX. 219 Vgl. dazu die Parameterfelder und den Strukturkatalog für Glossolalie bei S. Heilgendorff, Experimentelle Inszenierung von Sprache und Musik, S. 181. 220 Die Aufstellung erfolgt nach den Angaben im Exposé des Stücks und Skizzen zu Orchestra (Sammlung Schnebel, Paul Sacher Stiftung, Basel).

116 II Material

3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

polyparametral monoparametral Umfärbungsprozesse eines Tons oder Klang durch einzelne oder mehrere Instrumente Melodisierungsprozesse wie oben Rhythmisierungsprozesse Dynamisierungsprozesse

III Raum

für Tutti weniger umfängliche Kollektive kleinere Ensembles

IV Aufführungscharakter

einzelne Spieler dichte Verläufe lose Verläufe weit auseinander mittlere Entfernung nahe beieinander rasch, aufgeregte Geschwindigkeit langsam, fast unmerklich unbewegliche Haltung starr, aggressives Spiel natürliche Haltung starke körperliche Bewegung lustbetontes Spiel neutrale Arbeit Spiel unter Widerständen

V Beziehungen der Ausführenden untereinander

VI Übergeordnete Gestaltung

gleichartige ungleichartige gleichartige ungleichartige

Spiel für sich

in einer Richtung spielen gruppenorientiertes Spiel in herkömmlicher Weise dirigiert kontrapunktisch dirigiert mehr gesteuert als dirigiert in Gang gebracht überhaupt nicht dirigiert

meditatives Spiel ins Spiel hineinlegen virtuos weil schwierig, unangenehm ohne auf die anderen zu achten Ausrichtung der Reaktionen Kooperation Dirigieren ist gleich Ausführung Ausführung entspricht nicht dem Dirigierten

von Ausführenden gestaltet

3.2 Form- und Strukturbildung duch Bewegung im Raum

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Durch die verschiedenen Situationen, in denen die Prozesse eingebettet sind, ergeben sich auch verschiedene Funktionen der Bewegungen der Musiker im Raum. Dienen sie der prozessualen Vereinzelung der Musiker, so beispielsweise gleichzeitig der Ausdünnung der Klangverteilung oder dem Übergang in eine starre, unbewegliche Haltung. Die Bewegungen im Raum sind also nicht eindimensional angelegt, sondern sind stets Teil eines Gesamtverlaufs. Dies sei durch einige Beispiele aus Orchestra erläutert: Nach dem „Ein-Klang“ zu Beginn, bei dem die Musiker an den Außenseiten des Aufführungsorts (und teilweise außerhalb) positioniert sind, setzen sich die Spieler in der zweiten Phase „Aufbrüche“ in Bewegung, dabei ändern sie stets ihre Schallrichtung, „die Ereignisse sollten jeweils an verschiedenen Orten auftreten“.221 Dies ist verbunden mit a) der Gruppenbildung von Streichern, b) der Bildung einer aperiodischen Zeitstruktur von durchschnittlich geringer Dichte (Ereignisse setzen zu beliebigen Zeitpunkten ein), c) der Vereinzelung von Klangereignissen, d) vielen verschiedenartigen Geräuschen. In der neunten Phase „Sternmarsch“ findet eine Bewegung aus den Rändern zur Saalmitte (Orchesterpodium) statt, das mit dem Abspielen von Märschen und Improvisationen über Marschrhythmen verknüpft ist. Hier wird demnach eine traditionelle Verbindung von Musik und Bewegung, marschierende Musiker, aufgegriffen, quasi zitiert in die Collage der Stücke von Orchestra eingefügt und in den Kontext einer Raummusik eingeflochten, die die Orchestersituation, das Orchester als Institution thematisiert. Dies wird auch am Schluss von „Sternmarsch“ deutlich, wenn sich alle Ensembles auf dem Podium einem monotonen Marschrhythmus unterzuordnen haben, dem letztlich ein Zusammenbruch folgt, der nur durch die Trompeten und Posaunen „aufbrüllend“ übertönt wird. Die Bewegung im Raum ist auch hier vieldimensional, zwar funktional, jedoch nicht nur in einer Hinsicht. Sie ist soziohistorischer Teil von Märschen, sie zentriert allmählich Klang und Rhythmus, sie ist Teil eines zielgerichteten Verlaufs (auch dynamisch, mit Höhepunkt und Abschluss), einer gewissermaßen gewaltsamen Vereinigung der Musiker auf dem Podium, die mit einem Aufschrei (der Niederlage?) beendet wird. Ein weiteres Beispiel findet sich gleich im Anschluss (Phase 10), in dem das martialische Marschieren durch weitläufiges „naturhaftes“, natürliches Wandern im Raum kontrastiert wird. Die Musiker bewegen sich in unterschiedlichen Abständen und mit Pausen aus der Mitte zu Positionen auf sternförmig vorgestellten Bahnen, die bereits für die folgende Phase relevant sind. Erneut werden die Bewegungen szenisch (akustisch und theatral) aufgeladen, man hört Naturtöne und Naturinstrumente (z.B. Herdenglocken), und zum Schluss hin werden Passagen aus Wagners Götterdämmerung (Beginn der zweiten Szene des zweiten Akts, „Sonnenaufgangsmusik“) gespielt beziehungsweise zitiert. Die Bewegung der Musiker im Raum ist wiederum multifunktional, dient mehreren Ebenen: sie ist schlicht eine Bewegung zu bestimmten Orten oder Plätzen im Raum, sie ermöglicht das Spielen von Klängen an bestimmten, wechselnden Orten, womit sich (für den Zuhörer) die Lautstärke und Klangfarbe ändert, schließlich ist die zielgerich221 Partitur, Phase 2/3.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

tete Bewegung der Musiker im Raum eine Vorbereitung auf die nächste Nummer, bedingt daher auch den Kontext, so, wie sie von der vorhergehenden Phase eingeleitet wurde. Die folgende Passage Nr. 11 „Strahlenklang – Klangstrahlen“ wird nun auch von den strahlenförmig angeordneten Musikern gestaltet. Eine Übersicht über die Bewegungsformen der Musiker im Raum kann die Dynamik, die sich aus den Konzentrationen und Verteilungen ergibt, veranschaulichen: (1) „Ein-Klang“: Verteilung der Musiker an den Randpositionen im Aufführungsraum (2) „Aufbrüche“: Bewegungen am Platz, Übergang zu (3) (3) „Zusammen (Phantasien)“: Formation zu Quartetten, Quintetten, Trios an den Rändern (4) „Rufe“: Streicher rücken zusammen, Blechbläser gehen auseinander222 (6) „Opfer“: alle Musiker auf dem Podium in der üblichen Sitzordnung oder nur ein Teil der Spieler auf dem Podium, alle anderen stehen in Reihen vor dem Podium (7) „Kanon“: alle auf dem Podium, einige Musiker Drehungen um sich selbst223 (9) „Sternmarsch“: einige Musiker auf dem Zentralpodium, alle anderen an den Rändern, während der Phase gehen alle sternförmig auf das Podium (10) „Natur“: sternförmige Verteilung der Musiker im Raum (11) „Strahlenklang – Klangstrahlen“: sternförmige Aufstellung im Raum (12) „Technologie“: Auflösung der sternförmigen Aufstellung, alle gehen in Zeitlupe zum Podium in der Mitte (13) „Kehraus“: in Gruppen vom Podium sich entfernen, zwischen dem Publikum in Kurven nach außen an die Saalränder gehen, introvertiert, Aktionen werden langsamer, unbeweglich stehen bleiben224 (15) „Fuge“: Musiker gehen ungeregelt, unauffällig wieder zurück zum Podium, Vorbereitung von (16) (16) „Trauermusik“: alle auf dem Podium in üblicher Orchesteraufstellung oder in Blöcken225 (18) „Weitergeben“: Streicher bilden eine Art Ellipse im Raum, Klangweitergabe im Kreis (19) „Auseinander (Materien)“: regellose Verteilung und Aufstellung aller Musiker im Raum

222 Phase (5) o.T., den Skizzen zufolge Bewegungen der Holzbläser, langsame Drehungen (Skizzen in der Sammlung Schnebel, Paul Sacher Stiftung, Basel). Zwischen (4) und (6) Bewegung in die Raummitte nicht definiert. 223 Phase (8) o.T., den Skizzen zufolge größere Ensembles, Formationen im Raum unterwegs (Skizzen PSS). Zwischen (7) und (9) Bewegung zu den Rändern nicht genau definiert. 224 Phase (14) o.T., den Skizzen zufolge größere Ensembles, Bewegungen von hinten nach vorn, oben und unten im Raum (Skizzen PSS). Zwischen (13) und (15) Übergang vorhanden. 225 Phase (17) o.T., den Skizzen zufolge Auseinandergehen von Gruppen, sternförmig zu den Rändern des Raums, Drehungen (Skizzen PSS). Zwischen (16) und (18) ist die Aufstellung nicht definiert.

3.2 Form- und Strukturbildung duch Bewegung im Raum

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(20) „Trommeln“: ortsfeste Instrumente auf dem Podium (z.B. Schlagzeug), alle anderen Musiker regellos im Raum verteilt (21) „Ausklang“: alle Musiker regellos im Raum verteilt, auch außerhalb des Raums. Eine kurze Reflexion über die unterschiedliche Bedeutung von Bewegung kann an dieser Stelle Schnebels Orchestra-Phasen beleuchten. Die Körperbewegung als Funktion vereinigt physiologische und psychologische Aspekte. Weil sie mit Intentionen oder mit Zielen verbunden ist, impliziert sie bestimmte Arten und Eigenschaften des Sich-Bewegens, die mit Verhalten gekoppelt sind. „Der physikalische Gesichtspunkt bietet keine Einsicht in die Eigenart der menschlichen Bewegung und Haltung [...]; das Wahrgenommene [lässt sich] nicht angemessen als Ortsveränderung von Körperteilen beschreiben [...]; spricht man [...] von Gehen, Stehen, Warten, Herannahen, Stolpern, Sich-fangen, Begrüßen, usw., so fasst man Bewegung und Haltung schon als Formen des Verhaltens auf [...] Es werden von uns also keine Bewegungen sondern sich irgendwo bewegende Menschen wahrgenommen.“226 Man hat sich also bei Bewegungen von Körpern im Raum in bestimmten Situationen, zumal in Alltagssituationen, immer auf eine Mehrfachperspektive von Bewegung einzustellen. Durch eine Dekonstruktion oder Analyse dieser Komplexität – auch im Sinne einer „Psychoanalyse“ – sind Situationen anderer ebenso wie eigene Verhaltensweisen im Detail erklärbar. Von dieser Basis aus lassen sich neue Situationen oder Szenen bilden, die in der Kunst wie kommunikative und sozio-politische „Versuchsstationen“ angelegt werden können.227 Bewegung als Funktion sei: „wenn wir den Bewegungsvorgang selbst auf das darin angestrebte und ebenfalls der Beobachtung zugängliche Ziel beziehen.“ Dabei kann es sich um eine „instrumentelle Bewegung“ (Veränderung der materiellen Umwelt), um eine „symbolische Funktion“ von Bewegung (Gesten, die eine kommunikative Bedeutung haben), um die „soziale Funktion“ des Sich-Bewegens (im Sinne der Realisierung mitmenschlicher Beziehungen) oder um eine „‚sensible‘ Funktion“ (der Herstellung oder Erhaltung des Selbstgefühls) handeln.228 Im Kontext der Musik und im speziellen, hier vorliegenden Fall des Musizierens im Ensemble oder Orchester spielen diese Dimensionen stets eine grundlegende Rolle, wenngleich sich hier über Jahrhunderte hinweg besondere Verhaltens- und Bewegungsstrukturen ausgebildet und tradiert haben.229 Durch ihre Erweiterung im Zuge der Einführung von Verteilungen und Bewegungen der Musiker im Raum 226 F. J. J. Buytendijk, Allgemeine Theorie der menschlichen Haltung und Bewegung, S. 3f., zit. nach J. Funke-Wieneke, Handlung, Funktion, Dialog, Symbol, S. 89. 227 In den 1960/70er Jahren scheint die Schaffung von „Versuchsituationen“ in der Kunst maßgebend gewesen zu sein, mit Cage und Beuys wurde klar, dass man die Realität auf die Bühne bringen kann; heute werden soziale, politische, institutionelle Situationen als Kunst praktiziert, vgl. dazu KontextKunst. 228 Vgl. J. Funke-Wieneke, Handlung, Funktion, Dialog, Symbol, S. 90–93. 229 Orchestermusiker wurden und werden noch immer in erster Linie dazu ausgebildet, „als Funktionäre in einer arbeitsteiligen, geschlossenen Körperschaft [...] das abzuspielen, was in den Noten vorgeschrieben ist, und sie mussten [müssen] dazu bereit sein, sich in eine nach

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

werden die traditionellen Funktionen von Bewegungen beim Musizieren explizit, demonstriert, nach außen gekehrt, und es werden neue Funktionen von Bewegung – insbesondere für die integrale Raummusik – erschlossen. Letztere erstrecken sich auch auf den Dialog mit dem Publikum, das in die Bewegungen eingeschlossen werden kann, wie bereits Schnebels 1959 konzipiertes Werk Das Urteil (nach F. Kafka) zeigte.230 Wie aus der Zusammenstellung der 21 Phasen in Schnebels Orchestra ersichtlich wird, ergibt sich aus den Bewegungen der Musiker im Raum „Form“. Es ergeben sich mehr oder weniger zusammenhängende zeitliche Formationen und abgerundete Prozesse, die schließlich in eine übergeordnete Einheit münden. Dies sei als ein erster Hauptpunkt der Einführung von zuvor nicht üblichen sichtbaren Bewegungen auf dem Konzertpodium hervorgehoben: sie verhalfen entscheidend dazu, das „Problem der Form“ zu bewältigen, und zwar auf ganz verschiedenen Wegen. Die visuell nachvollziehbaren Veränderungen im Raum sind markante Zäsuren, die sofort wahrgenommen werden.231 Dabei wird die Aufmerksamkeit auf die Veränderungen, aber auch auf das gelenkt, was wie „unterwegs“ passiert, und auf das, was wie am nächsten Ort geschieht. Insofern vereinigen sich hier eine „zunächst leere aber aktiv-wartende Wachsamkeit oder das erst von einem äußeren Reiz geschaffene sozusagen aufgezwungene Aufmerken“ mit „Formen von Aufmerksamkeit, die mit Formen von Konzentration eine Schnittmenge bilden [...] Die Abweichung im zeitlichen Verlauf kann eine Reihe von Aufmerksamkeitsobjekten oder gar -auslösern erzeugen“ (wobei allerdings die Objekthaftigkeit von Klängen fraglich ist).232 Da einzelne visuell und akustisch voneinander abgehobene Abschnitte, auch wenn sie strategisch so angelegt sind, dass sie ineinander übergehen, eine eigene mehr oder weniger geschlossene Form bilden, einen eigenen Ablauf oder Prozess mit merkbarem Beginn und Ende, kann man innerhalb der großformalen Abschnitte kleinere Einheiten ausmachen. Auch sie bilden eine zeitliche Struktur oder einen rhythmischen Verlauf aus. Letztlich lässt sich diese Partikularisierung bis zu einzelnen Klangstrukturen verfolgen.

Instrumenten, Lagen, Konzertmeistern, Solisten, Stimmführern und Nichtsolisten gegliederten Gruppe zu integrieren [...] Man wollte für den erhabene Gefühle weckenden Gesamteindruck ‚Präzisions-Mann[sic!]schaften‘ (Hans Heinz Stuckenschmidt) [...] zur Verfügung haben, die nur dann durch die sie leitenden Herren volles Lob erhielten, wenn sie sich ‚ideal im Parieren‘ (Hans von Bülow) jedem Wink anpassten“ (W. Salmen, Beruf: Musiker. Verachtet, vergöttert, vermarktet. Eine Sozialgeschichte in Bildern, S. 77f.). 230 Vgl. dazu G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 155ff. 231 „Außerordentlich sensibel sind unsere Wahrnehmungssysteme für Bewegungen: wenn sich etwas in unserem Gesichtsfeld verändert, wird es bei genügender Helligkeit und Größe auch dann entdeckt, wenn die Änderung innerhalb von nur wenigen Tausendstel Sekunden geschah [...] Auch sehr langsame Bewegungen können gut entdeckt werden, besonders dann, wenn sie scheinbar auf uns zukommen (d.h. in der Größe beziehungsweise in der Lautstärke anwachsen)“ (R. Guski, Wahrnehmung. Eine Einführung in die Psychologie der menschlichen Informationsaufnahme, S. 17). 232 Vgl. W. Seitter, Aufmerksamkeitskorrelate auf der Ebene der Erscheinungen, S. 171, 176. Vgl. dazu auch B. Waldenfels, Phänomenologie der Aufmerksamkeit.

3.3 Aktion und Szene – Theater der Musik

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Zu den kinetischen und proxemischen, auf die Bewegung und Verteilung im Raum bezogenen Aspekten, die den Ablauf „formen“, treten bei Orchestra auch soziale und emotionale Erscheinungen, die vor allem auf der produktiven Seite das Geschehen strukturieren. Schnebel strebte nach einer „Ausweitung in den Raum – Klangquellen weit entfernt voneinander, eng zusammengeschlossen, nur auf einer Seite oder auf mehreren“ und zugleich nach sozialen und emotionalen Implikationen dieser Konstellationen: „vertraute Kommunikation, wenn die Musiker sich nahe sind, quasi Rufe ins Weite, wenn sie über größere Strecken hinweg miteinander Verbindungen herstellen; Erlebnisse des Auseinandergehens, des Zusammenkommens zu gemeinsamer Aktion.“233 Die „Einnahme“ und Nutzung des Aufführungsraums als ein integraler kompositorischer Bestandteil bezieht sich also nicht nur auf kompositorisch-musikalische, sondern besonders auch auf orchesterspezifische Handlungsspielräume. Die Konstellationen der Instrumentenoder Klangfarbengruppen zueinander, die Verhältnisse einzelner Instrumente, von kleinem zu großem Ensemble, von Dirigent zu Orchester und von Publikum zum Orchester werden mitkomponiert, aber nicht in allen Fällen exakt festgelegt. Es handelt sich quasi um eine in Teilen graduell abgestufte „offene Form“, die auch Formierungen auf der Basis von Aktionszeiten der Musiker einschließt, auf der Basis von Abläufen, die nicht exakt geplant und durchstrukturiert sind (siehe auch die Abstufungen in der Liste „Prozesse der Musik“). Schnebels Bezugnahme auf das Orchesterrepertoire und seine Einblendungen von Versatzstücken der Musikgeschichte, sein damals bereits begonnenes „forschendes Durchziehen des historischen Terrains“, können in diesem Rahmen nicht thematisiert werden.234 Doch es ist klar, dass in Orchestra unter anderem der große Kontrast zwischen der traditionellen Aufführungssituation auf der Basis des traditionellen Partiturspiels und den graduellen Abstufungen der Loslösung von der Notation bis hin zu improvisatorischen Teilen eine elementare Rolle spielt. Sie tragen ebenfalls zur formalen Strukturierung bei, lenken jedoch die Aufmerksamkeit auch auf die individuellen Artikulationen der Musiker. Eine Ausweitung der performativen Ebene, in der die Musikproduktion vollends umfassend thematisiert wurde, hatte inzwischen bereits in der Entwicklung von instrumentalem Musiktheater oder einem „Theater der Musik“ stattgefunden. In diesem Zusammenhang traten Mobilisierungstendenzen zur Musik hinzu, die den Konzertrahmen überschritten, obwohl sie sich gerade auf dessen Regeln und Rituale bezogen. 3.3 AKTION UND SZENE – THEATER DER MUSIK In den Kontext von Aktion, Szene und Theater gehören Bewegungen aller Art. Sie können als Zeichen behandelt werden, die sich auf bestimmte kulturelle Codes oder Systeme beziehen, sie können aber auch als selbstreferentielle, nur auf sich 233 Partitur, Vorwort, S. IV. 234 D. Schnebel, Die Tradition des Fortschritts und der Fortschritt der Tradition. Ein Erfahrungsbericht, S. 18.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

und ihre Präsenz beruhende Abläufe angelegt sein. Dies ist davon abhängig, welche Vorstellungen von Theater in Anwendung kommen. „I would simply say that theatre is something which engages both the eye and the ear. The two public senses are seeing and hearing: the senses of taste, touch, and odor are more proper to intimate, non-public, situations. The reason I want to make my definition of theatre that simple is so one could view everyday life itself as theatre.“235 Dieser Theaterbegriff von John Cage unterscheidet sich erheblich von folgendem, der für ein traditionelles Theaterverständnis steht: „Theater, reduziert auf seine minimalen Voraussetzungen, bedarf […] einer Person A, welche X präsentiert, während S zuschaut“, wobei ein Schauspieler (Person A) X darstellt beziehungsweise eine Rolle spielt oder verkörpert.236 Bei der Thematisierung von Elementen des Theaters in der Musik und gar von einem „Theater der Musik“ in den 1960er Jahren ist daher der jeweilige Begriff von Theater in die Überlegungen einzubeziehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch Komponisten, die sich mit szenischem Geschehen auf dem Konzertpodium beschäftigt haben, verschiedene Auffassungen von Theater reflektierten. Die neue Musik seit den 1950er Jahren hat, wie bereits gezeigt wurde, allein ausgehend von der traditionellen Konstellation Komposition – Notation – Realisation so viele „augenfällige“ Neuerungen mit sich gebracht, dass nicht eigens eine „Theatralisierung“ der Musik forciert zu werden brauchte. Ferner gab es bereits Kompositionen, in denen sichtbare Bewegungen der Musiker oder des Publikums im Raum zu integralen Bestandteilen gehörten. „Musik als Theater“ im Sinne der oben zitierten traditionellen Auffassung von Theater zielt in eine andere Richtung: Aspekte wie Verkörperung einer Rolle, Darstellung eines Dramas oder das So-TunAls-Ob erhalten Vorrang. „Das Theater bildet die Kultur ab, insofern seine Zeichen die Zeichen, die von den verschiedenen kulturellen Systemen hergestellt werden, bedeuten. Es stellt damit die Kultur dem distanzierten und distanzierenden Bewußtsein gegenüber, insofern die theatralischen Zeichen nur in bezug auf den Zuschauer hervorgebracht werden. Entsprechend spaltet sich im Theater die Kultur auf in diejenigen, die sie darstellen, und diejenigen, die sie betrachten.“237 Für „Musik als Theater“, „Konzert als Theater“ oder für ein „Theater der Musik“ bedeutet dies in erster Linie, die eigenen Zeichen, die Zeichen des kulturellen Systems „Musik“ als theatralische Zeichen zu verstehen, das heißt eine Distanzierung zu diesem System zu errichten (ein Musiker spielt einen Musiker, ein Konzertpodium wird zu einer Kulisse, die Instrumente zu Requisiten). Gleichzeitig gehören zum repräsentativen, „dramatischen“, konventionellen Theaterbegriff „die Kategorien ‚Nachahmung‘ und ‚Handlung‘, sowie die gleichsam automatische Zusammengehörigkeit beider“; und das „dramatische Theater steht unter der Vorherrschaft des Textes.“238 Sicherlich kommt die Oper als Musikgenre diesem Theatermodell am nächsten. Ein davon verschiedenes „Theater der Musik“ auf 235 236 237 238

M. Kirby, R. Schechner, An Interview with John Cage, S. 50. E. Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters 1, S. 16. Ebenda, S. 19. H.-T. Lehmann, Postdramatisches Theater, S. 20f.

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dem Konzertpodium kann als Nachahmung und Erzählung von der Musik, von ihrer Entstehung und ihren Rahmenbedingungen verstanden werden. Dieses „Drama“ ergibt sich also aus den kulturellen Systemen „Musik“, „Konzert“ oder „Musikproduktion und Musikpräsentation“ und deren Subsystemen. Die Hauptmomente einer klassischen Theaterauffassung einerseits und Cages Theaterdefinition andererseits können als Eckpfeiler für eine „Theatralisierung der Musik“ im Sinne einer Verbindung von Konzertsituation und Theater betrachtet werden, wie sie sich seit den 1950er Jahren in der neuen Musik abzeichnete.239 Grob zusammengefasst sind diese Entwicklungen Teil der allgemeinen Tendenz, das repräsentative Theater hinter sich zu lassen und Elemente in den Vordergrund zu stellen, die heute zu einem „postdramatischen Theater“ gezählt werden. Dies wird beschrieben als „ein Theater der Zustände und szenisch dynamischer Gebilde“ und umfasst Theaterformen jenseits von vorgeschriebenen Handlungen und narrativen Strukturen wie zum Beispiel Improvisationen, Performances oder experimentelles Theater.240 Die Bandbreite von Theaterauffassungen, die sich zwischen den genannten Eckpfeilern eröffnet und bis heute relevant ist, lässt es jedoch nicht zu, einen zwingenden historischen Weg zu einem „postdramatischen Theater“ in der Musik zu konstruieren. Eher zeigt die kompositorische Beschäftigung mit Aktion und Szene auf dem Konzertpodium, dass und wie Zwischenformen (zwischen Theater und Musik) entstanden sind, um letztlich gerade das kulturelle System „Musik“ einschließlich seiner Geschichte als Hauptelemente neu herauszustellen. Dies wird im folgenden anhand von Beispielen aus den Werken von Mauricio Kagel und Hans-Joachim Hespos erläutert, mit denen zwei unterschiedliche, fast gegensätzliche Modelle der Verbindung von Musik und Theater diskutiert werden. 3.3.1 „Instrumentales Theater“: Mauricio Kagels Prämissen Wie Mauricio Kagel zu seinem sogenannten „Instrumentalen Theater“ fand, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.241 Es ist aber davon auszugehen, dass er sich sehr früh für grenzüberschreitende Aspekte zwischen einzelnen Kunstgattungen interessierte. Hatte er doch unmittelbar vor seinem DAAD-Stipendium, das ihn 1957 nach Deutschland brachte, in Buenos Aires als Korrepetitor und Studienleiter am 239 Zu Auffassungen von „Theatralität“ vgl. E. Fischer-Lichte, Theater als kulturelles Modell. 240 Vgl. dazu H.-T. Lehmann, Postdramatisches Theater, S. 113ff., Zitat S. 114. 241 Bei einer Diskussion (Kolloquium der Musikbiennale Chemnitz 2001) berief sich Kagel auf eine Anregung durch den Theaterkritiker und -theoretiker Siegfried Melchinger, vgl. ders., Theater der Gegenwart, S. 204–206. Melchinger verweist auf das „instrumentale Theater“ des Intendanten und Regisseurs Gustav Rudolf Sellner. Dessen Modell eines „instrumentalen Theaters“ – „die Reduzierung des Menschen auf seine Funktion als Instrument“ (Melchinger S. 204f.) – stimmt zwar mit Kagels nicht überein, der Begriff jedoch war offenbar gefunden. Zu Sellner in Darmstadt vgl. I. Kovács, Der Darmstädter Kongreß „Neue Musik – Neue Szene“ 1966. Heinz-Klaus Metzger reklamierte die Findung des Begriffs „instrumentales Theater“, den er 1958 für Werke von Cage prägte, für sich, vgl. ders., Instrumentales Theater [1970].

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argentinischen Staatstheater Teatro Colón gearbeitet.242 Zudem befasste er sich – neben der (neuen) Musik und Komposition – ebenfalls bereits in Argentinien mit Literatur, Philosophie, Ethnologie, Religionswissenschaft, Film, Fotographie sowie mit elektro-akustischen Experimenten und mit der Visualisierung von Klang, beispielsweise im musikalischen Beleuchtungsspiel Música para la Torre (1953/54).243 Vielleicht auch nicht unerheblich ist die Anregung zu einem Aufenthalt in Europa durch Pierre Boulez, der als musikalischer Leiter am Theater von Jean-Louis Barrault und Madeleine Renaud tätig war (1946/1947–1957) und mit der Truppe im Sommer 1950, 1954 und 1956 Südamerika bereiste. Kagel erinnert sich, dass er nach den Produktionen von Barrault/Renaud „süchtig war“ und als Statist angeheuert wurde.244 Barrault war ein Schüler des Begründers einer neuen Mimenschule Etienne Decroux.245 Zudem war er mit Antonin Artaud befreundet. „Barrault entwickelte in langen nächtlichen Gesprächen mit Artaud einige Grundlinien seiner ‚Reflexionen über das Theater‘, die ganz von der schauspielerischen Praxis bestimmt sind. Der Versuch eines ‚Traktates über die theatralische Alchimie‘ geht aus von dem Satz: ‚Das Theater ist die Kunst des menschlichen Daseins im Raume‘. Die schauspielerische Kunst basiert auf der Kunst der Diktion und der Geste. Die Wortkunst der Bühne ist die Gestaltung des Sprechens [...] Barrault systematisiert die Atemtechnik des Schauspielers als wesentlichstes Gestaltungsprinzip. Vom Atem über den Schrei und die Artikulation entsteht das sprechende Wort. Barrault versteht den Schauspieler als Instrument des totalen Theaters.“246

Da Kagel ursprünglich einen Studienaufenthalt in Paris geplant hatte, ist davon auszugehen, dass er sich gerade mit der neueren französischen Theaterkultur intensiv beschäftigt hat. So berichtet er etwa, dass er bereits 1948 Antonin Artauds Texte zum „Theater der Grausamkeit“ gelesen habe.247 In Deutschland fand Kagel eine Situation vor, in der sich die Arbeit mit seriellen Verfahren bereits verändert hatte, beispielsweise zugunsten einer experimentellen Suche nach neuem musikalischen Material – vor allem im Bereich Musik und Sprache – sowie zugunsten von neuen Konzeptionen für Musik im Raum.248 1958 kam John Cage nach Darmstadt (Anfang September 1958), Köln (Aufführung des Concert for Piano and Orchestra am 19. September 1958) und Düsseldorf 242 Vgl. auch M. Rebstock, Komposition zwischen Musik und Theater, S. 48. 243 Vgl. Kagel. Dialoge, Monologe, S. 253f.; J. Allende-Blin, Mauricio Kagel und ‚Anagrama‘; D. Schnebel, Mauricio Kagel. Musik Theater Film, S. 9f.; M. Rebstock, Komposition zwischen Musik und Theater, S. 57–61. 244 Vgl. Kagel. Dialoge, Monologe, S. 38–40. Kagels Erinnerung, er habe Boulez in diesem Zusammenhang 1952 kennengelernt, muss bezweifelt werden, denn 1952 reiste die Truppe nur nach Kanada, Nordamerika und Mexiko. Vgl. J.-L. Barrault, Erinnerungen für morgen, S. 267, 273, 275, 277, 279f. Vgl. dazu auch Pierre Boulez, John Cage. Der Briefwechsel, S. 141 (Brief von Boulez an Cage, Dezember 1951) und S. 167 (Brief von Boulez an Cage, Juli 1954, „diesmal auch Buenos Aires“). 245 Vgl. dazu K. G. Simon, Pantomime. Ursprung, Wesen und Möglichkeiten. 246 P. Pörtner, Experiment Theater, S. 75f.; vgl. auch J.-L. Barrault, Reflexions sur le Théâtre. 247 Kagel. Dialoge, Monologe, S. 212. 248 Vgl. R. Frisius, Musik als Grenzüberschreitung. Mauricio Kagel bei den Ferienkursen.

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(14. Oktober 1958, Music Walk, Galerie 22). Seine Stücke zeigten nicht nur neue Präsentationsformen von Musik, sondern fielen auch mit den Anfängen einer performativen Gegenkultur in halböffentlichen, subkulturellen Happenings zusammen.249 Alternativen zu den institutionell gebundenen Aufführungsformen bildeten sich zudem damals auch außerhalb der üblichen Theaterpraxis in Werkstattbühnen und Experimentalstudios aus.250 Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit Cage, die sich bereits in Transition II niederschlug, wurde für Kagel nun ebenfalls zu einem wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur bewussten kompositorischen Integration theatraler Elemente der Musik. Zudem beschäftigten den Komponisten auch weiterhin neue Entwicklungen des Theaters – ohne dass bis heute genauere Kenntnisse über mögliche direkte Einflüsse vorliegen. Er selbst betonte: „Denn ohne Bewusstsein von dem, was auf dem Gebiet des Sprechtheaters und der Sprachregie in letzter Zeit geleistet wurde, ist kein neues Musiktheater möglich.“252 Kagel hat sich für Happenings und Fluxusevents interessiert, gemeinsam mit seiner Frau zum Teil an Aufführungen von Werken La Monte Youngs, George Brechts, John Cages teilgenommen und daraus Anregungen abgeleitet – auch wenn diese Aufführungen nicht dezidiert unter den Schlagworten „Happening“ oder „Fluxus“ geführt wurden, sondern zunächst als „Neodada“ auftauchten.253

249 Vgl. Im Zenit der Moderne, Bd. 2, S. 231–240; Jürgen Becker und Wolf Vostell listen folgende Veranstaltungen 1958: Happening von Allan Kaprow (New Brunswick, N.J., New York); Das Theater ist das Ereignis auf der Straße von Vostell (Paris); Audio-Visual Group von Dick Higgins u. Al Hansen (New York); Erstes Konzert von 7 Bildern von Jean Tinguely (Paris); Manifestation du Vide von Yves Klein (Paris); Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur (Galerie Parnass, Wuppertal); Ausstellung DADA. Dokumente einer Bewegung (Düsseldorf, Sept./Okt. 1958). Vgl. dazu Happenings. Fluxus. Pop-Art. Noveau Réalisme, S. 36f. Vgl. auch Die 60er Jahre. Kölns Weg zur Kunstmetropole, sowie M. Kesting, Happenings. Analyse eines Symptoms. Zu Kagels erster Begegnung mit Cage in Köln vgl. O. Tomek, Ein Brief, S. 85. In Köln stellte, um dies zu ergänzen, Daniel Spoerri 1961 erstmals die „Nouveaux Réalistes“ vor, vgl. H. E. Violand-Hobi, Daniel Spoerri. Biographie und Werk, S. 36. 250 Vgl. E. Wendt, Außerhalb der Theaterpraxis; vgl. dazu auch I.-M. Paepke, Durchbrochene Theaterkonventionen bei Veranstaltungen der Experimenta in Frankfurt am Main (in diesem Rahmen wurde auch Kagel aufgeführt). Vgl. das Kapitel Experimentelles Musiktheater, in: Carla Henius, Schnebel, Nono, Schönberg oder Die wirkliche und die erdachte Musik. Essays und Autobiographisches, S. 23–77. 251 Vgl. M. Kagel, Über J.C. (1968); vgl. auch B. Zuber, Theatrale Aktionen in und mit Musik. Zum Handlungs- und Rollenbegriff in John Cages und Mauricio Kagels Musiktheater. 252 M. Kagel, Neuer Raum – Neue Musik. Gedanken zum Instrumentalen Theater (1966), S. 120. 253 Vgl. M. Bauermeister, Dokumentation. intermedial, kontrovers, experimentell, S. 25, 28 (Aufführungen 1960 bei Bauermeister: u.a. La Monte Young, Poem for Chairs, Tables, Benches, etc., George Brecht, Card-Piece for Voice). Erst mit dem Fluxus-Fest in Wiesbaden 1962 wurde der Titel „Fluxus“ zu einem Schlagwort (vgl. zuvor „Neodada in der Musik“, Kammerspiele Düsseldorf, 16. Juni 1962). Vgl. J. Noller, Fluxus und die Musik der sechziger Jahre. Über vernachlässigte Aspekte am Beispiel Kagels und Stockhausens. Vgl. Kagels Statement in: Fluxus. Aspekte eines Phänomens, S. 223–225, in dem er betont, er „gehöre zu den ersten, die sich Fluxus verweigert haben“ (S. 223). Zu diskutieren wäre freilich, weshalb

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Bei eigenen Erkundungen einer Verbindung von Musik und Theater ging es Kagel um die „Theatralisierung des Instrumentalspiels“, um Variationen des „schauspielerischen Musizierens“ und darum, „das Spiel von Instrumenten mit einer schauspielerischen Darstellung auf der Bühne eins werden zu lassen“. Dabei sollte der Interpret, der Musiker, noch keineswegs zum Schauspieler mutieren, „er verkörpert keinen besonderen Theatertypus, sondern nur die Rolle eines spielenden Interpreten; seine Aufmerksamkeit bleibt der Musik gewidmet“.254 Die Hervorhebung von „Schauspiel“, „Verkörperung einer Rolle“ und „Bühnengeschehen“ deutet auf einen eher konventionellen Theaterbegriff hin. Der Musiker war dazu aufgefordert, nicht nur den Notentext zu realisieren, sondern auch einen Aktionstext umzusetzen. Dadurch, so lautete Kagels These, wird die Ausführung von Musik sowie die Musikerzeugung in einem Ensemble „psychologisiert“ und „individualisiert“, wobei sich dies vor allem auf eine intensivere und grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden Text (Notentext und Aktionstext) sowie auf eine besondere Aufmerksamkeit für den Zusammenhang zwischen körperlichen Aktionen und Klang bezieht.255 Kagel verstand „Instrumentales Theater“ ausdrücklich als Theatralisierung von Kammermusik. Sollte Kagels Theaterbegriff eher der traditionellen Auffassung von Theater als Schauspiel und Drama entsprechen, so hat er sich dennoch beim Einsatz der Mittel und Techniken, mit denen er auf der Bühne arbeitete, an vielen Neuerungen des zeitgenössischen Theaterbetriebs orientiert. Man denke an die Verwendung verschiedener Medien oder an die offene, flexible, aber reduzierte Behandlung des Raums. Kagel verband im „Instrumentalen Theater“ seine Orientierung an Tendenzen des modernen Theaters mit Grundlagen der neuen Musik, wobei dies auch zu einer Distanzierung oder Verfremdung von aktuellen musikalischen Aufführungspraktiken führen sollte. Die Schlüsselwerke hierfür sind das „kammermusikalische Theaterstück in einem Akt“ Sur Scène (1959/60) und Sonant (1960/....) für Gitarre, Kontrabass, Harfe und Fellinstrumente. Sonant wird in den ersten Äußerungen zum „Instrumentalen Theater“ als Beispiel herangezogen.256 In Sonant werden die von Kagel dargelegten Vorstellungen des „Instrumentalen Theaters“ auch exemplarisch umgesetzt, wohingegen Sur Scène eher ein „musikalisiertes Theaterstück“ oder narrativ strukturiertes „Musiktheater“ ist. Dies hat im wesentlichen damit zu tun, dass

Kagel sich in der Ausstellung als Fluxus-Künstler aufnehmen ließ und präsentierte, siehe ebenda S. 119–121, 249. Die Verbindungen zu Künstlern wie Robert Filliou, Diter Rot, Joseph Beuys, Stefan Wewerka oder Bazon Brock, die zum Teil direkt zur Fluxus-Bewegung gehörten, hat Kagel in Ludwig van (1970) aufgegriffen, als eine kritische Auseinandersetzung mit der Beethoven-Rezeption eine gemeinsame Arbeitsgrundlage schuf. 254 M. Kagel, Über das instrumentale Theater, bis auf den Schluss identisch mit einem gleichnamigen Hörfunkbeitrag vom November 1960, NDR Hamburg (MU 7495/1). Vgl. K.-H. Zarius, TRANSICION. 255 M. Kagel, Über das instrumentale Theater; vgl. auch ders., Neuer Raum – Neue Musik. Gedanken zum Instrumentalen Theater. 256 Sonant wurde am 1. Februar 1961 in Paris uraufgeführt, Sur Scène erst am 6. Mai 1962 in Bremen.

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Sur Scène als Persiflage eines Vortrags über Musik aufgefasst werden kann. Kagel selbst deutete in einem Kommentar: „Ein musikprofessor-ähnlicher Sprecher hält einen Vortrag, der etwa mit dem Arbeitstitel ‚Die Musik in Europa nach dem zweiten Weltkrieg‘ zu versehen wäre. Aneinandergereiht ergeben die Gedanken dieses Vortrags einen Text, der sowohl an Kritiker wie an Interpreten, an Hörerbriefe, Programmerklärungen von Komponisten und vielleicht auch an tiefergründige Aufsätze musikwissenschaftlicher Art erinnert. Die Handlung des Stückes wird so durch den Text bestimmt, dessen scheinbare Unsinnigkeit den weitgehenden Veränderungen in der Haltung des Sprechers – vor allem bemerkbar in der Modulation seiner Stimme – zu verdanken ist.“257

Was das Publikum damals offenbar nicht wusste oder nicht wissen konnte: Die Komposition beruht zum großen Teil auf einer ausgeklügelten Zusammenstellung von Zitaten aus Zitaten – Kagel schöpfte hauptsächlich aus Nicolas Slonimskys Lexicon of Musical Invective (New York 1953) –, unter ihnen Ausfälle gegen Kritiker (zum Beispiel von Beethoven) oder Kritik an Komponisten (Brahms oder Schönberg).258 Sie bildeten die Hauptgrundlage für die Sprecherpartie, von der die Aktionen eines Mimen, eines Sängers und von drei Instrumentalisten gesteuert werden. Die Verständigung der Akteure ist – wie bei Kammermusik (ohne Dirigent) – an viele nonverbale Zeichen gebunden; regelmäßig werden gemeinsame Einsätze verlangt, das Zusammen-Agieren ist zeitlich genau festgelegt.259 Auf diese Weise disponiert und dargestellt wird jedoch eine Szenerie, die zeigt, dass die gemeinsamen Aktionen keine kohärente „Aussage“ hervorbringen. „Alles wirkt zufällig, beziehungslos und ist doch wie die Nummer eines Clowns minuziös einstudiert.“260 Und „die scheinbare Unabhängigkeit aller Mitwirkenden auf 257 Programmblätter des Opernhauses Köln, Ausgabe 15. Juni 1963, anlässlich der Aufführung von Sur Scène 1963 in Köln, enthalten in der Sammlung Mauricio Kagel der Paul Sacher Stiftung, Basel. 258 Unterlagen zu den Quellen des Sprechertextes von Sur Scène befinden sich in der Sammlung Mauricio Kagel (Paul Sacher Stiftung, Basel). Weitere Zitate aus J. Handschin, Der Toncharakter. Eine Einführung in die Tonpsychologie, E. Ermatinger, Bildhafte Musik. Entwurf einer Lehre von der musikalischen Darstellungskunst, Zeitschriftenartikel und vermutlich H. Riemann, Grundlinien der Musikästhetik. Zur Sprachkomposition des Werkes vgl. E. Roelcke, Mauricio Kagel und das instrumentale Theater, M. Rebstock, „Die Resultate widersprachen meinem Instinkt: gerade das wollte ich...“ Zum Kompositionsprozess im Instrumentalen Theater, sowie ders., Analyse im Musiktheater – Diskussion interdisziplinärer Ansätze. 259 Vgl. Partitur von Sur Scène, Henry Litolff’s Verlag/C.F.Peters, Frankfurt, London, New York 1963. Dazu gehört eine eigene Partitur für die drei Instrumentalisten sowie ein Sängerparticell (Aufführungsmaterialien, erhältlich auf Anfrage beim Verlag), die jedoch vor allem im zweiten Teil des Stücks von der gedruckten Fassung abweichen und Vorstufen davon zu sein scheinen. In der Instrumentalistenpartitur war offenbar ein Dirigent/Regisseur vorgesehen (zunächst kein Mime) sowie drei oder vier Sprecher in verschiedenen Stimmlagen und drei oder vier Instrumentalisten. Das Schlagzeug hatte der Instrumentalpartitur zufolge ursprünglich einen größeren Umfang (u.a. Watergongs, Pfeifen, Sirenen, Alltagsgegenstände). 260 U. Dibelius, Bayerischer Rundfunk, Sendung 6. Dezember 1962 (Rundfunkbeitrag zu Sur Scène, nach einer weiteren Aufführung des Stücks Ende Nov. 1962 im Werkraumtheater der Münchner Kammerspiele), Quelle: Sammlung Mauricio Kagel, Paul Sacher Stiftung, Basel.

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der Bühne [...] gehört zu der Grundvorstellung dieser ‚mise en scène‘“.261 Die Erzeugung von „Non-Sense“ sollte ein Mittel des „Instrumentalen Theaters“ sein, sich auf die Musik, auf das Zusammenspiel der Aktionen, Bewegungen, Gesten konzentrieren zu können.262 Insbesondere die Einführung eines Mimen, offenbar jedoch nicht von Beginn eingeplant, entsprach diesem Ziel. Nach der Entwicklung einer neuen Mimenkunst durch Decroux und dessen Schüler Barrault und Marcel Marceau hat sich damit Kagel an den Theaterpraktiken der französischen Theateravantgarde der 1950er Jahre orientiert. Das theatrale Geschehen auf der Bühne wird zudem gewissermaßen gedoppelt und kommentiert durch die Einspielung von vorproduzierten und optional während der Aufführung aufgenommenen Passagen des Stücks (vgl. Transicion II).263 Dieses Element ist demnach von der zeitgenössischen Kompositions- und Musikpraxis – und von Kagels eigener, aktueller Arbeit – abgeleitet. Das Mittel der Einspielung von Tonaufnahmen als Kommentar oder distanzierende Doppelung – quasi in der Funktion des Chors – wurde auch im Theater eingesetzt. 264 „Der erste Schritt, Kammermusik richtig zu spielen, ist, zu lernen, nicht sich aufzuspielen, sondern zurückzutreten.“265 Adorno hat Merkmale „authentischer Kammermusik“ zusammengefasst, die den traditionellen Rahmen bilden, der als Hintergrund für Kagels „kammermusikalisches Theaterstück“ mitgedacht werden kann. „Wer Kammermusik richtig darstellt, bringt zugleich die Komposition als ein Werdendes nochmals hervor und bildet ihr ideales Publikum, das noch ihre geheimste Regung mitvollzieht.“266 Diese „Regel“ leitete Adorno aus der Privatheit und Intimität von Kammermusik ab, die ursprünglich nicht ins Repertoire des öffentlichen Konzertlebens gehörte. Kammermusik sei die „Musik der Innerlichkeit“. Die Betonung des Produktionsprozesses von Kammermusik zielt auf die Autonomie und das „zweckfreie ästhetische An sich“ des Spielens. Es sei ein „Gespräch“, ein „Wettkampf“, bei dem jedoch nicht das Ergebnis, sondern gerade das musikalisch sinnvolle Ineinandergreifen der Stimmen den Vorrang habe. Ein Topos bildet zudem, „unter denen, die sich musikalisch dünken [...], die Kammer261 Partitur von Sur Scène, S. 42. 262 Inwieweit Kagel vom Begriff des „Non-sens“ etwa bei Jean Tardieu angeregt wurde, ist bislang nur in Ansätzen untersucht. Vgl. M. Schwarz, Musikanaloge Idee und Struktur im französischen Theater, und M. Kesting, Musikalisierung des Theaters – Theatralisierung der Musik; vgl. auch F. Leinen, Sprachphilosophische und sprachspielerische Gratwanderungen mit Jean Tardieu. 263 Ausgang von der Tonbandkomposition Transicion I (1958). 264 Vgl. P. Pörtner, Spontanes Theater. Erfahrungen, Konzepte, S. 47ff. Es sei etwa an Laszlo Moholy-Nagys Totaltheater-Entwurf am Bauhaus erinnert, zu dem auch Lautsprechereinspielungen gehörten, vgl. D. Scheper, Das Triadische Ballett und die Bauhausbühne, S. 100–107. Vgl. auch Daniel Spoerris Adaption seiner „Fallenbilder“ in dem Theaterstück Ja, Mama, das machen wir!, UA 14. Oktober 1962 in Ulm: hier wird zunächst eine Küchenszene gespielt und auf Tonband aufgenommen. Im zweiten Teil wird das Band abgespielt und von den Schauspielern kommentiert (H. E. Violand-Hobi, Daniel Spoerri. Biographie und Werk, S. 26). 265 Th. W. Adorno, Kammermusik, S. 109. 266 Ebenda, S. 107.

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musik sei die höchste musikalische Gattung.“267 Die Exklusivität von Kammermusik führt Adorno auf ihre bis in die „innersten Zellen“ durchgebildete Struktur und „Durchorganisation“ zurück, die vor allem der Reduktion ihrer Mittel zu danken sei. Kagel hat sich demnach bei seinem „kammermusikalischen Theaterstück“ auf ein Genre gestützt und gestürzt, das am allerwenigsten mit Theater in Verbindung zu bringen war. Aus diesem Genre Theater im Sinne eines Schauspiels (oder gar einer Persiflage) zu machen, kam einem Affront auch innerhalb der Neuen-Musik-Szene gleich. Aber mit Sur Scène war vermutlich genau dies beabsichtigt – anders noch als beispielsweise in den Theaterstücken von Jean Tardieu, in denen die Übertragung von (kammer)musikalischen Prinzipien auf das Theater in erster Linie von bestimmten Formvorstellungen ausging.268 Im folgenden sei zunächst am Beispiel von Sur Scène herausgefiltert, wie Kagel den „Rahmen“ von Kammermusik zu Theater transformiert hat. Mit Situationen und ihren „Rahmungen“ oder „Interpretationsschemata“ sowie mit deren Transformationen hat sich der amerikanische Soziologe Erving Goffman in den 1960er und 1970er Jahren befasst.269 Er sah soziale Rahmen als Definitionen (und Elemente) einer Situation sowie als Teilwelten der Wirklichkeit.270 Diese „liefern einen Verständnishintergrund für Ereignisse, an denen Wille, Ziel und steuerndes Eingreifen einer Intelligenz, eines Lebewesens, in erster Linie des Menschen, beteiligt sind“271 Goffman kommentierte: „der Handelnde ist [dabei] ‚Maßstäben‘ unterworfen, sozialer Beurteilung seiner Handlung auf Grund ihrer Aufrichtigkeit, Wirksamkeit, Sparsamkeit, Ungefährlichkeit, Eleganz, ihres Takts, guten Geschmacks usw. Die Folgen lösen ständig Korrekturen aus, am deutlichsten, wenn die Handlung unerwartet blockiert oder in eine andere Richtung gelenkt wird, so dass besondere Korrekturbemühungen nötig werden. Es kommen Motive 267 Ebenda, Zitate S. 109f., 118. Vgl. auch H.-W. Heister, Das Konzert, Bd. 1, S. 66–70. 268 Vgl. M. Schwarz, Musikanaloge Idee und Struktur im französischen Theater, S. 33ff., 59ff. Conversation-sinfonietta stellt eine „im Rundfunk übertragene Live-Aufnahme“ dar. Der Rundfunksprecher führt eine „symphonie vocale“ auf. Die Bühne zeigt „sechs im Halbkreis plazierte Stühle, ein Dirigentenpodest, Notenständer sowie zwei Mikrophone [...] Indem die für eine Musikaufführung erforderlichen Materialien, die üblicherweise lediglich als Begleitphänomene wahrgenommen werden, nun als theatralische Requisiten in den Blick gerückt werden [...], treten sie nicht nur als bedeutsam sondern zugleich auch als verfremdet in Erscheinung“ (S. 34). In La Sonate et les trois Messieurs ou comment parler musique hat Tardieu „musikalische Strukturprinzipien mit den Mitteln der verbalen Sprache“ wiedergegeben (S. 81). L’A.B.C. de notre vie. Poème à jouer ist die theatralische Umsetzung eines Solokonzerts (S. 83ff.). 269 Vgl. E. Goffman, Rahmen-Analyse. Der „Organisationsgrad“ von Rahmen liegt zwischen einem „System von Gegenständen, Postulaten und Regeln“ und einer „Gestalt“, die zu einem „Verstehen“ führt und eine Perspektive liefert (S. 31). Die Theorie der „Rahmen“ geht zurück auf G. Bateson, A Theory of Play and Phantasy. 270 E. Goffman, Rahmen-Analyse, S. 19. 271 Ebenda, S. 32. Auch wenn Goffmans Theorien kritisiert wurden, weil seine Systematik und Methodik nicht ausgefeilt erschien, bieten seine Darlegungen eine Fülle von Anregungen. Zur Kritik an Goffmann vgl. I. Craib, Erving Goffman: Frame Analysis; zu einer klärenden Diskussion vgl. J. Verhoeven, Goffman’s frame analysis and modern micro-sociological paradigms. Vgl. auch H. Willems, Rahmen und Habitus.

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und Absichten ins Spiel, deren Unterstellung die Auswahl eines der möglichen sozialen Rahmen erleichtert.“272 Goffman unterscheidet Handlungen von Ereignissen, die zumeist als emergente Erscheinungen auf „natürliche Rahmen“ (physikalische oder biologische Grundlagen) zurückzuführen seien.273 Doch da er davon ausgeht, dass in sozialen Situationen stets mehrere Rahmen wirksam sind, finden in ihnen Handlungen und Ereignisse sowie auch Handlungen als Ereignisse (zum Beispiel unerklärliche, erstaunliche oder zufällige Vorgänge) statt. Wie durch die Äußerungen von Adorno vermittelt wird, stellen Konzerte im allgemeinen und Kammermusik im besonderen „Teilwelten der Wirklichkeit“ dar, die neben sozialen Komponenten auch ästhetische, kulturelle und kulturethische Grundsätze und Diskurse implizieren. Kagel hat diese Elemente von Kammermusik analysiert und in einer parodistischen Reflexion dem Publikum wie in einem Spiegel vorgesetzt. Darin liegt ihre noch näher zu erläuternde Transformation in Theater. Sur Scène zeigt allerdings eine Mischform: einerseits findet tatsächlich „Kammermusik“ (kammermusikalische Interaktionen und Musik) statt, andererseits steht die Situation eines Redners vor Augen. Einer Analyse oder „Dekonstruktion“ von Handlungszusammenhängen folgte bei Kagel – auch in den anschließenden Werken, die vom „Instrumentalen Theater“ ausgingen –, stets eine neue Zusammensetzung der Elemente und daher auch eine in unterschiedlichsten Werkkonzeptionen stattfindende „Rekonstruktion“, in der mit dem analysierten, „archivierten“ Material gearbeitet wird.274 Darin lassen sich Theaterspielregeln Barraults wiederfinden, beispielsweise seine Aufforderung zu intensiven Beobachtungsübungen. Dies bedeutet Barrault zufolge einerseits, eine möglichst detaillierte Beschreibung eines Gegenstandes oder einer Person anzufertigen, andererseits sich subjektiv, interpretativ in den Zustand des beobachteten Gegenstandes (das Beispiel bei Barrault: ein Zündholz) oder der beobachteten Person einzufühlen. „Wagen Sie sich dann an Ihre Zeitgenossen heran und zerlegen Sie sie zu ihrem Spaß, nehmen Sie sie auf die gleiche Art auseinander. Diese Beobachtungsübungen werden Ihnen wertvolles Material für Ihre zukünftige

272 E. Goffman, Rahmen-Analyse, S. 32. Goffman hat sich nicht nur dem Funktionieren sozialer Interaktion gewidmet, sondern auch ihrer Transformation („Modulationen“): spielerische Nachahmung, Ernst und Spiel (So-tun-als-ob), Sport (Wettkampf), Zeremonien, Proben, Simulationen, Vorführungen (Sonderausführungen), Täuschungen, Theatralisierung (Theaterrahmen), Medialisierung, Verhalten außerhalb des Rahmens sowie Transformationen von bereits transformierten Situationen. 273 „Natürliche Rahmen identifizieren Ereignisse, die als nicht gerichtet, nicht orientiert, nicht belebt, nicht geleitet, ‚rein physikalisch‘ gesehen werden; man führt sie vollständig, von Anfang bis Ende, auf ‚natürliche‘ Ursachen zurück. Man sieht keinen Willen, keine Absicht als Ursache am Werke, keinen Handelnden, der ständig auf das Ergebnis Einfluß nimmt“ (E. Goffman, Rahmen-Analyse, S. 31). 274 Die Beobachtung und Katalogisierung von Erfahrungen ist aus dem Surrealismus bekannt. „Die Surrealisten nahmen an, dass sich die unbewussten Zustände erst im Zustand ihrer büromäßigen Archivierung zu beobachtbaren Objekten der Wahrnehmung formieren können“, vgl. S. Spieker, Die Ablagekur, oder: Wo Es war, soll Archiv werden. Die historische Avantgarde im Zeitalter des Büros, S. 121.

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Arbeit liefern.“275 Denn erst aus der genauen Beobachtung, so fährt Barrault fort, ergibt sich auch die Kunst der Nachahmung.276 Zur Annährung an Kagels Transformation von Kammermusik in Theater sollen einige Thesen Goffmans dienen, auch wenn sie erweitert und modifiziert werden müssten, um den spezifischen Transformationsprozess von „Musikaufführung“ in „Theateraufführung“ sowie Kagels Theaterauffassung genau zu treffen. Goffman hat acht „Transkriptionsmethoden“ (oder „Modulationen“) aufgelistet, die in seinen Augen für eine Umwandlung eines Alltagsgeschehens in ein Theatergeschehen bedeutsam sind.277 Er geht dabei von seinem subjektiven Verständnis „typischer“ Merkmale von Theater aus, um den Unterschied zwischen Alltagssituationen und Theatersituationen deutlich zu machen.278 Zu berücksichtigen ist allerdings Kagels Ausgangssituation: es ist der Alltag der Musiker, des konventionellen Konzertlebens und des Publikums, und es ist der Umstand, dass eine „Konzertaufführung“ bereits eine dem everyday life enthobene „Aufführungssituation“ darstellt. Dasselbe gilt für einen öffentlichen Vortrag, dessen situative Grundlagen mitzubedenken sind. RAUM. Goffman bezieht sich erstens auf den Raum: „Die räumlichen Grenzen der Bühne setzen die dargestellte Welt scharf und willkürlich vom übrigen Raume ab.“279 In Kagels Sur Scène ist der Raum des Konzertpodiums in ein Kammertheater gewandelt, das heißt, der Ausgangspunkt dieser Uminterpretation ist bereits eine kulturell bedingte räumliche Abgrenzung „vom übrigen Raum“. Das Podium ist bereits eine Bühne, zwar ohne Vorhang, aber „die nackte Bühne per se bietet genügend Anregung.“280 Der Raum in Sur Scène ist ein leerer Raum, „kein Bühnendekor, nur einige (schwarze) Vorhänge und kahle Wände.“281 Damit treten die Protagonisten in Schwarz-Weiß-Kontrasten hervor. Auch Barrault schätzte das „kahle“ Bühnenbild – „der Rundhorizont oder das Aushängen mit Vorhängen“ –, obwohl er bemerkte: „Prospekt und Vorhänge haben bereits ihren Charakter. Wie es keine unpersönliche Maske gibt, so gibt es auch keine unpersönlichen Vorhänge. Sogar Schwarz ist persönlich.“282 Der „existentialistische“ Bühnenraum schließt demnach die Figuren ein: ein Sprecher im schwarzen Anzug (mit Brille), ein Mime im schwarzen Trikot (eventuell mit grau geschminktem Gesicht), ein Sänger (Bass) im schwarzen Anzug, drei Instrumentalisten im Frack. Scheinbar ist es eine abgegrenzte Welt. Doch Goffmans Theaterbegriff reicht für Kagels Theateradaption nur 275 J.-L. Barrault, Betrachtungen über das Theater (1949), S. 62. 276 Die Einflüsse auf Kagel sind sicherlich nicht auf die Theaterarbeit von Barrault zu reduzieren, jedoch findet sich hier ein wichtiger Ankerpunkt, der bislang in der Literatur unberücksichtigt blieb. 277 E. Goffman, Rahmen-Analyse, 159ff. 278 Während Goffman in seinen frühen Schriften (so in The Presentation of Self in Everyday Life, 1956) das Alltagsleben als Theater interpretiert, betont er in Rahmen-Analyse die Unterschiede zwischen Theater und Alltagswelt. Vgl. dazu P. Manning, Drama as Life. 279 E. Goffman, Rahmen-Analyse, S. 159. 280 M. Kagel, Über das instrumentale Theater, o. S. 281 Vgl. Partitur von Sur Scène. 282 J.-L. Barrault, Betrachtungen über das Theater (1949), S. 98.

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bedingt. Denn in den 1950er und 1960er Jahren wurde allmählich angestrebt, das Publikum in die Bühnensituation einzubeziehen. Im Falle von Sur Scène geschieht dies indirekt. Der Mime „vertritt“ im ersten Teil des Stücks gewissermaßen das Publikum: er benimmt sich wie ein Zuschauer, hört dem Sprecher aufmerksam zu, langweilt sich, kommentiert den Sprecher gestisch. Dies funktioniert so lange, bis er das anwesende Publikum im Zuschauerraum entdeckt (Partitur, S. 12). Er nimmt den Kontakt mit den Zuschauern auf und erfährt sich als Beobachteter. Ein zweites Mittel, den Bühnenraum zu öffnen, sind die Lautsprecher im Saal, die im Gegensatz zu den auf der Bühne versteckten Lautsprechern aufgenommene Passagen als Raummusik erklingen lassen. Ein drittes Moment kommt hinzu: zwischen erstem und zweitem Teil des Stücks sind alle Akteure von der Bühne abgegangen, nur ein Verfolge-Scheinwerfer bleibt übrig, der wie ein großes Auge seine Blicke über den leeren Bühnenraum schweifen lässt und auch den Zuschauerraum streift. RAUM IM RAUM. Goffman gibt zweitens zu bedenken, wie sich Innenräume traditionell auf der Theaterbühne präsentieren: ohne Decke und mit nur drei Wänden. Es entsteht die Frage, ob das kammermusikalische Konzertpodium in Kagels Stück als solches im Theaterraum bestehen bleibt oder wie es sich als Raum im Raum verändert. Mit dem Auftritt von Musikern in Frack ist eine Konzertsituation vorherzusehen oder zu erwarten. Das Musikertrio setzt diese in Szene: der Auftritt wird vorbereitet, das Einspielen und Üben geschieht auf der Bühne, eine Partitur wird mitgebracht, Verbeugungen finden statt. Das Konzertritual wird daher auf der Bühne vollzogen. Doch es verläuft zugleich in einer gebrochenen Art und Weise: das Üben und Proben verschiebt die Hinterbühne auf die Vorderbühne, und die Musiker spielen überwiegend nicht miteinander, sondern auf Kommando des Sprechers. Auch der Sänger und der Mime lassen Konzertsituationen auf der Bühne aufscheinen: der Sänger ahmt einmal die Positur eines „Kammersängers“ nach (Partitur, S. 13), der Mime spielt einen Dirigenten, der ein Orchester leitet (Partitur, S. 16). Ein „Konzert-Raum im Raum“ bietet auch die Einspielung von Metapiece (Mimetics) 1961 für Klavier (Partitur, S. 13).283 BLICKE. Goffman geht drittens darauf ein, dass bei Gesprächen auf der Theaterbühne tendenziell eine Öffnung gegen das Publikum bestehe und damit wenig Face-to-face-Kommunikation stattfinde. Der Ausgangspunkt „Kammermusik“ und speziell Quartettspiel ist jedoch eine Kommunikationssituation, die ganz auf direktem Blickkontakt der Musiker beruht. Blicke spielen auch in Kagels Transformation dieser Situation eine entscheidende Rolle, aber als inszenierte Blicke, die auf ihre Wahrnehmung durch das Publikum angelegt sind. So ist der Blickkontakt unter den Spielern sowie zwischen Spielern und Publikum eines der wichtigsten Elemente in Sur Scène, das insgesamt das Stück auch als (theatrale) Kammermusik ausweist, indem „natürliche“ Praktiken des kammermusikalischen Zusammenspiels auf die Aktionen aller Mitwirkenden ausgeweitet sind. Da der Sprecher stets das „Stichwort“ liefert, gilt ihm die besondere Aufmerksamkeit.

283 Vgl. dazu D. Schnebel, Mauricio Kagel. Musik Theater Film, S. 86–90.

3.3 Aktion und Szene – Theater der Musik

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Doch die Blickkontakte müssen nicht eigens vorgegeben sein.284 Die Musiker sind im übrigen nur an wenigen Stellen explizit dazu aufgefordert, den Sprecher anzusehen oder ihn zu beobachten (Partitur, S. 8, 10, 12, 22). Dabei zeigen sie eher Verwirrung und Ratlosigkeit als den Willen oder die Klarsicht zur Orientierung und Kooperation. Anders gibt sich die Ebene der Blickkontakte zwischen dem Sänger, dem Mimen und dem Sprecher. Hier sind Reihen von unterschiedlichen Blick- und Beobachtungsarten, Sehweisen und Blickwanderungen vorhanden. Geht man vom Sprecher aus, so lassen sich etwa folgende Varianten aufzählen: ins Publikum blicken, zu den Mitspielern blicken, kühl beobachten, fixieren, ausdruckslos schauen, Blicke in unterschiedlicher Geschwindigkeit oder Heftigkeit hin und her gehen lassen, plötzlich einen Mitspieler anschauen, scharf beobachten, Blick auf die Manuskriptseiten (nah und fern), einen Mitspieler nicht aus den Augen verlieren, Wand ansehen (sehr nah). Es wird deutlich, dass Kagel in diesem Zusammenhang die Beobachtung der Beobachtung und des Sehens/Blickens als Analyse aufgefasst hat, um die einzelnen Blickvarianten in bestimmten Situationen und Zusammenhängen des Stücks zur Geltung zu bringen. Durch die Blickweise allein entsteht eine Beziehung zwischen den Spielern sowie zwischen den Spielern und dem Publikum. Dabei gehört die Strategie der Blicklenkung zu den Techniken, Handlungszusammenhänge zu suggerieren. „Es geht bei Kagel – im Gegensatz zu Cage – fast nie um zweckfreie Handlungen, sondern um vorgetäuschte Zweckmäßigkeit und scheinbar psychologisch motivierte Handlungen [...] Schein und Irritation funktionieren nur, wenn zunächst Erwartungen aufgebaut werden, die sich dann als Täuschung herausstellen.“285 Um dies näher zu erläutern, sei auf die Partie des Sängers eingegangen. Der Sänger steht in einer Konkurrenzsituation zum Sprecher. Diesem fällt die Hauptrolle zu, wodurch sich eine gespannte Beziehung zwischen diesen beiden Figuren ergibt. Im ersten Teil des Stücks kommt es zu einer Art Verbrüderungsszene (Partitur, S. 11, Sänger lässt sich vom Sprecher unterhaken und schunkelt mit ihm), doch im zweiten Teil bewirkt die Annäherung des Sängers an den Sprecher eine Verfolgungsjagd (Partitur, S. 20–22).286 So sind Blicke des Sängers: ab und zu den Sprecher ansehen, nicht zum Sprecher blicken, plötzlich den Sprecher anschauen (der ihn ebenfalls plötzlich ansieht), den Sprecher anschauen, auf den Sprecher zugehen (ohne ihn aus den Augen zu lassen), bis ihre Stirne sich berühren, zorniger Ausdruck, zwischen den Akteuren hin- und herblicken, den 284 Dadurch entsteht in Sur Scène ein wahrzunehmendes eigentümliches Ineinandergehen von inszenierter Interaktion und von nicht-inszenierten, notwendigen Handlungen des Musikmachens. 285 M. Rebstock, „Die Resultate widersprachen meinem Instinkt: gerade das wollte ich...“ Zum Kompositionsprozess im Instrumentalen Theater, S. 33f. 286 Im Sängerparticell (Aufführungsmaterial), das offenbar eine Vorstufe der gedruckten Partitur darstellt, findet man weder die „Verbrüderungsszene“ noch die „Verfolgungsjagd“, daher kann vermutet werden, dass sich die Dramatik zwischen Sänger und Sprecher im Kompositionsverlauf erst allmählich herauskristallisiert hat. Während im Sängerparticell die Anweisung für den Sänger lautet: „Allmählich den Stuhl verlassen und sich auf der Bühne bewegen“ (S. 13), ist die „Verfolgungsjagd“ im Handexemplar der Uraufführung (Sammlung Mauricio Kagel, Paul Sacher Stiftung, Basel) genau vorgezeichnet.

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Sprecher anstaunen, verschiedene Formen des Betrachtens von Requisiten und Instrumenten anwenden (Partitur, S. 14), beobachten, erkennen, aufblicken, bemerken, durchdringen, fernblicken.287 In der zweiten Hälfte des Stücks nähert sich der Sänger dem Sprecher und beäugt ihn aufmerksam aus kurzer Distanz, wobei dies die oben erwähnte Gegenreaktion auslöst. Die einzelnen Blickweisen sind zumeist in bestimmte Bewegungen und Situationen eingebunden, können aber auch quasi für sich stehen (so etwa das Betrachten der Instrumente und Requisiten oder der Wände im zweiten Teil des Stücks). Dies wird vor allem in der Partie des Mimen deutlich, dessen Blicke allesamt „sprechend“ sind. Für Barrault bedeutete Pantomime „Körper-Sprache“, eine spontane, klare und augenblicksgebundene „stumme Sprache“.288 Auch der Mime nimmt beispielsweise einen Gegenstand zum Anlass, ihn gründlich zu untersuchen: das Pult des Sprechers (Partitur, S. 14). Doch bei dieser Gelegenheit schließt der Mime seine Augen, er betrachtet den Gegenstand nicht, sondern er „lauscht“ seinen Tönen sowie denen der Manuskripte und mimt schließlich verschiedene Vortragsarten. Barrault legte großen Wert auf den Gegenstand, das Requisit, mit dem man auf der Bühne arbeitet: „Wer den der Szene und dem Verhältnis zu sich selbst entsprechenden Gegenstand [...] gefunden hat, kann seinen jeweiligen Benehmensstadien eine wirkungsvolle Dichte verleihen [...] Menschen und Gegenstände spielen miteinander – die Menschen spielen Dinge und die Dinge spielen Menschen.“289 WECHSEL DER AUFMERKSAMKEIT. Eine ähnliche Konstellation ergibt sich aus Goffmans viertem Punkt, unter dem er die herausgehobene Stellung der jeweils auf der Bühne agierenden Person bespricht. In der Kammermusik besteht die Hauptsache im gemeinsamen Spiel, obwohl verschiedene Stimmen abwechselnd hervortreten können. Dies hat Kagel dahingehend gewandelt, dass eine Abwechslung von Musik, Text, Sprechen, Bewegungen, Gebärden und Gesten vollzogen wird. In diesem Sinn ist das „Instrumentale Theater“ ein „totales Theater“, wie es Barrault in Anlehnung an Artaud aufgefasst hat: es ist ein „wahrhaftiges Theater“, in dem „das menschliche Wesen [...] das notwendige und ausreichende Mittel“ ist. „Es entsteht ein Gesamttheater, wenn der Autor die Quellen dieses menschlichen Wesens voll und ganz ausschöpft. Man könnte also sagen, das totale Theater verwende die ganze Palette des menschlichen Wesens [...] Im totalen Theater werden also der Fuß des Menschen, seine Hand, seine Brust, sein Unterleib, sein Atem, seine Schreie, seine Stimme, seine Augen, der Ausdruck seine[s] Halses, die Wendungen seiner Wirbelsäule, seiner Glottis usw. vom Autor bis zum Äußersten nutzbar gemacht. Alle Möglichkeiten seines mimischen Reichtums werden ausgeschöpft; sie sind ebenso unbegrenzt wie die gewaltigen Schönheiten seines Wortes. Er seufzt, er artikuliert, er spricht, er schreit, er singt, immer im vollen Einklang mit seinen 287 Im Sängerparticell lautet die Anmerkung (S. 7f.): „(z.B. plötzlich zwei oder drei Mitwirkende abwechselnd schnell anschauen, als ob ‚etwas‘ passieren würde.) Es handelt sich sowohl darum, die Zuschauer irrezuführen, um auf psychologische ‚Spannungen‘ hinzuweisen, die gar nicht vorhanden sind, als auch die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich selbst zu lenken und indirekt auf die übrigen Mitwirkenden (da die Zuschauer manchmal den Blick des Sängers begleiten werden).“ 288 Vgl. J.-L. Barrault, Betrachtungen über das Theater (1949), S. 77f. 289 Ebenda, S. 64, 94.

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tiefsten Regungen, seinem Blick, den leichten Bewegungen seiner Finger, den Beugungen seines Rückens, im Einklang mit seinen Füßen, mit seinen Sprüngen, seinem Tanzen. Mit wachsendem Rhythmus schwingt und bewegt er sich, um zur Glut, zur Flamme zu werden.“290

Indessen handelt es sich bei Sur Scéne nicht nur um die Transformation von Kammermusik, sondern auch um die eines Vortrags. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt auf der Partie des Sprechers. Fast alle Aktionen geschehen auf seine „Stichworte“ hin. Erst wenn der Sprecher eine Aktion veranlasst, kann sich die Aufmerksamkeit auch auf einen anderen Bühnenakteur richten. Von dieser Anordnung gibt es verschiedene herausragende Ausnahmen. Eine Ausnahme besteht darin, dass der Sprecher pausiert und die anderen Akteure hervortreten: lange Pause (Partitur, S. 8), der Sprecher hört sich konzentriert die Musik an291 ; lange Pause (Partitur, S. 10), 12 gleiche Celestatöne erklingen; lange Pause (Partitur, S. 12), der Sänger setzt sich mit dem Rücken zum Podium auf die Orgelbank, der Mime „flirtet“ mit dem Publikum. Eine andere Ausnahme, die einen starken Kontrast einbringt, sind Aktionen im Tutti: sehr lange Pause (Partitur, S. 13), alle verharren in einer Position; alle bewegen sich danach frei im Raum (Partitur, S. 14). Sänger, Mime, Sprecher bewegen sich bei ihren Auftritten im zweiten Teil zunächst alle dicht an den Wänden entlang (Partitur, S. 19). Zudem ergeben sich „Ablenkungen“ vom Sprecher durch gemeinsame Aktionen anderer Spieler. Der Sänger dreht sich beispielsweise zu Beginn seines Auftritts während des Singens nach genau angegebenen Instruktionen auf einem Drehstuhl und spielt mit dem Mimen ein kurzes „Dreh-Duo“.292 Hier hat Kagel eine Grundidee seines „Instrumentalen Theaters“ umgesetzt, die noch im späteren Staatstheater (1971) wichtig war: „Die Einbeziehung der Bewegung ist auch als eine Form der Verknüpfung vom musikalischen mit dem wirklichen Raum zu betrachten; ein auf dem Podium herumspazierendes Blechbläserensemble, das durch ständige Bewegung mehrdimensionale Dynamik hervorbringt, wäre ein Beispiel dafür. Die Grundidee ist, die Klangquelle in einen Veränderungszustand zu versetzen: drehen, flattern, gleiten, anstoßen, turnen, wandeln, rücken, schieben; kurzum, alles wäre berechtigt, wenn dadurch der Klang dynamisch und rhythmisch beeinflusst werden kann, und auch, wenn als Resultat dieser Aktionen Klang erzeugt wird.“293 290 Ebenda, S. 89f. Barraults Auffassung von „totalem Theater“ wurde ausführlich zitiert, weil Kagel sich später (1966) in Darmstadt demonstrativ gegen ein „totales Theater“ ausgesprochen hat, das jedoch von Barrault unterschieden werden muss. Vgl. M. Kagel, Neuer Raum – Neue Musik. Gedanken zum Instrumentalen Theater, S. 115ff. Auch Barrault bezog Stellung gegen „totales Theater“ im Sinne eines künstlich gemachten Gesamtkunstwerks. Kagel wandte sich gegen „totales Musiktheater“ und zielte auf die zeitgenössische Opernproduktion. Vgl. dazu I. Kovács, Instrumentales Theater, S. 334f., sowie dies., Der Darmstädter Kongreß „Neue Musik – Neue Szene“ 1966. Kagel benutzte jedoch den Ausdruck „totale Komposition“, der Barraults Auffassungen nahekommt. Vgl. H. Pauli, Für wen komponieren Sie eigentlich?, S. 90. 291 Kagel schrieb hier für den Sprecher eine „Hamlet“-Haltung vor, die ihn als besonderen Zuhörer ausweist. 292 Sängerparticell (S. 1f.). 293 M. Kagel, Über das instrumentale Theater; vgl. auch den Bewegungsplan bei E. Roelcke, Instrumentales Theater. Anmerkungen zu Mauricio Kagels ‚Match‘ und ‚Sur scène‘, S. 232.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

Hauptfaktor in diesem Zusammenspiel der Akteure und für die Frage des Hervortretens einzelner Aktionen, einzelner Personen oder Gegenstände ist die Lenkung der Aufmerksamkeit, die bestimmte Momente des Aufmerkens veranlasst.294 Sie kann bei einem Auftritt oder Abtritt, bei einem Einsatz oder nach einer Pause dafür sorgen, dass andere Aspekte in den Hintergrund treten (die Lenkung der Aufmerksamkeit ist auch eine Ablenkungsstrategie). Es resultiert ein kammermusikalischer Wechsel von führender Stimme oder führenden Stimmen und Begleitung, gewissermaßen eine „durchbrochene Arbeit“. Wichtig ist dabei nicht nur die gegenseitige Abhängigkeit der Spieler, sondern auch ihre zeitweilige Selbständigkeit. Der Mime wendet sich beispielsweise vom Sprecher ab und dem Publikum zu (Partitur, S. 12). Sein „Flirt“ mit dem Publikum ist zeitlich nicht exakt an den Sprecher gebunden, er übt sich in verschiedenen Arten des Lachens. Er wendet sich dem Sprecher wieder zu (Partitur, S. 13). Dabei zieht er sich imaginär an einem Seil zum Rednerpult, geht „gegen den Wind“. Bei der Anweisung zu diesen Gesten hat sich Kagel genau an einige bei Karl Günter Simon, Pantomime. Ursprung, Wesen und Möglichkeiten enthaltene Beispiele für „malende Gesten“ (Gehen, Seilziehen) orientiert. Auf einem Notizzettel bei den Quellen zu Sur Scène findet sich die Auflistung von Gesten, die Simon behandelt hat: 1) ausdrückende Gesten (mime subjectif), 2) malende Gesten (mime objectiv), 3) abstrakte (sinnleere) Gesten, 4) symbolische (konventionelle) Gesten.295 Am Schluss von Sur Scène, als der Mime zum zweiten Mal im zweiten Teil auftritt, beendet er sein Spiel mit „klassischen Pantomimenstücken“ (u.a. Schmetterlinge fangen, Gewichte heben). Der Mime scheint sich demnach zum Schluss völlig vom Sprecher zu lösen. Sein Schluss gleicht dem Abgang des Sängers, der ausgewählte Sängerrollen aus Opern aneinanderreiht.296 Sänger und Mime ziehen demnach die Aufmerksamkeit auf sich, weil sie teilweise (aber ebenso scheinbar wie der Sprecher) zusammenhängende, „sinnvolle“ Handlungen oder Äußerungen erkennen lassen. KOMMUNIKATION MIT DEM PUBLIKUM. Goffmans fünfter Punkt behandelt die Kommunikationssituation zwischen den agierenden Personen auf der Bühne und dem Publikum. Im Theater warte man Goffman zufolge Reaktionen des Publikums auf Bühneneffekte ab, man gibt beispielsweise Zeit für einen Szenenapplaus. „So wird die Reaktion des Publikums systematisch in das Spiel auf der Bühne eingebaut.“297 In der Kammermusik, die auf den intimen Nachvollzug der Musik ausgerichtet ist, sind solche Äußerungen des Publikums weder passend noch üblich. Kagel bringt sie auf eine besondere Weise in seinem Stück ein. Der Mime vertritt im ersten Teil gewissermaßen das Publikum und reagiert stell294 Vgl. dazu B. Waldenfels, Phänomenologie der Aufmerksamkeit, S. 65ff. 295 Vgl. K. G. Simon, Pantomime. Ursprung, Wesen und Möglichkeiten, S. 56. Diese Liste geht aus von der Vorstellung von „mime pur“ der Schule von Decroux: „Verzicht auf alles Spektakuläre, asketische Arbeit an dem Ziel, den Körper bewusst zu beherrschen. Der ‚mime pur‘ arbeitet deshalb fast nackt, den Gesichtsausdruck hinter der Maske verborgen“ (ebenda). 296 Der Sänger soll sich bspw. an Leporello (Ende des II. Akts) oder Don Giovanni, 1. Akt, 1. Verwandlung (vor Don Giovannis Haus) orientieren (zur Auswahl stehen u.a. Rollen aus Don Giovanni, Figaro, Zauberflöte). 297 E. Goffman, Rahmen-Analyse, S. 161.

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vertretend auf den Sprecher (so kann sich das Publikum über das Double amüsieren.) Auch der Sänger ist von der Sprecherpartie abhängig und verfängt sich daher in einer Konkurrenzsituation mit dem Sprecher. Die Musiker agieren ebenfalls überwiegend als Begleitung des Sprechers. Von daher gibt es wenige Momente, in denen ein Protagonist allein Raum erhält. Herausragende Momente sind demnach diejenigen, in denen zum Beispiel alle Akteure gemeinsam dasselbe tun, eine gemeinsame Pause oder gemeinsame Bewegungen haben (wie etwa S. 13f., Partitur). Oder die besonderen Momente bestehen in einer Separierung: gleichzeitige, autonome Abläufe, die kontrapunktisch wirken. SITUATION. Der sechste Aspekt betrifft die Frage, wie im Theater das Publikum ins Geschehen eingebunden wird, um die Illusion des Spiels aufrechtzuerhalten. Dabei handelt es sich beispielsweise um „beiseite Gesprochenes, Selbstgespräche, mehr Fragen als gewöhnlich, Selbstbekenntnisse, vertrauliche Mitteilungen“.298 Zu diesem Aspekt der Aufrechterhaltung der Theatersituation ist einmal mehr die Voraussetzung wichtig, dass Kagel die Gesamtsituation als „Vortrag“ angelegt hat. Woher die Texte nun auch immer stammen, das Ganze kann als Persiflage eines „musikprofessor-ähnlichen Vortrags über ‚Die Musik in Europa nach dem zweiten Weltkrieg‘“ interpretiert werden. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wie die Situation bekräftigt und bestätigt wird, und welche Momente nicht unmittelbar zu einer solchen Situation zählen. Dass Kagel einen „Vortrag“ auf die Bühne gebracht hat, bedeutet, dass er alltägliche Erfahrungen, einen Teil „seiner Wirklichkeit“ zu Theater transformiert hat. Teilweise mag dies von Cages Theaterbegriff beeinflusst sein, das Leben zur Bühne zu machen oder Kunst und Leben zu verquicken, aber der Einfluss von Cage trifft nicht den Kern.299 Wiederum kann eher Barrault als Anker herangezogen werden. Barrault betrachtete das Theater als Möglichkeit, das Leben als Spiel zu verdoppeln, als Schatten, als Traum, in dem das reale Leben zwar eine Rolle spielt, in dem aber auch vom realen Leben Abstand genommen werde. Er beschwor damit die elementare, uralte Form des Theaters als Spiel und Ritus. „Das Leben auf dem Theater ist ein Wachzustand geträumten Lebens.“300 Vor diesem Hintergrund lassen sich viele Grundideen Kagels verstehen, im „Instrumentalen Theater“ ein oder das „Theater der Musik“ auf die Bühne zu bringen, aber auch Theatermittel als Musik zu inszenieren.301 Konzentriert man sich auf die Situation des „Vortrags“, die in Sur Scène den Hauptantrieb darstellt, so lassen sich viele Momente ausmachen, die diese Situation inszenatorisch bestätigen. Ein Sprecher mit einem Vortragsmanuskript 298 Ebenda, S. 162f. 299 Zu den grundlegenden Unterschieden zwischen Cage und Kagel vgl. B. Zuber, Theatrale Aktion in und mit Musik: Zum Handlungs- und Rollenbegriff in John Cages und Mauricio Kagels Musiktheater. 300 Vgl. J.-L. Barrault, Betrachtungen über das Theater (1949), S. 10. 301 Vgl. dazu beispielsweise Match für zwei Celli und einen Schlagzeuger: diesem Stück liegt Kagel zufolge eine Traumsequenz zugrunde, die vermutlich auf W. Gombrowicz, Die Tagebücher, Bd. 1: 1953–56, S. 57, zurückgeht. Vgl. auch Camera obscura (1965) für Lichtquellen mit Darstellern und Himmelsmechanik (1965), eine Komposition mit Bühnenbildern, siehe D. Schnebel, Mauricio Kagel. Musik Theater Film, S. 169–175.

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am Rednerpult, bei seinem Auftritt wird die Bühne heller beleuchtet, die Saalbeleuchtung erlischt. Das Rednerpult ist Ausgangs- und Endpunkt von Bewegungen. Die Gesten und Vortragsweisen orientieren sich an rhetorischen Modellen, freie Rede wechselt mit vorgelesenen Passagen, in verschiedenen rednerüblichen Weisen wird das Publikum – zu dem auch die Mitspieler zählen – angesprochen. Zur Situation eines „Vortrags“ gehört aber beispielsweise nicht die Hinwendung zu einer bestimmten Person aus der Umgebung oder aus dem Publikum, mit der sich der Vortragende unterhakt und schunkelt (Partitur, S. 11, zwischen Sprecher und Sänger). Diese Szene ist dem inszenierten, spannungsreichen Verhältnis zwischen Sprecher und Sänger zuzurechnen, das sich in der Verfolgungsjagd der beiden fortsetzt. Ein zweites Moment, in dem sich der Sprecher aus seiner Rolle entfernt oder zu entfernen scheint, obwohl der „Vortrag“ fortgesetzt wird, ist seine Betätigung als „Orchesterwart“ (Partitur, S. 22). „Bis Ende des Stückes sammelt er alle Partituren der drei Spieler ein“, so lautet die Anweisung von Kagel. Diese Konstellation gehört zur Präsentation von gleichzeitigen Situationen, die von der „Hauptrolle“ ablenken sollen. Kagel hat in einer Notiz zur Vorbereitung eines Vortrags in Stockholm 1963 (Vermerk: 9. XI. ´63) die „formalen Prinzipien“ des Stücks festgehalten: visuelle und akustische Ablenkung sowie die Multiplizität von Situationen, die keine gerichtete Tendenz aufweisen; Aufbau von „ScheinHandlungen“ mit wirklichen Situationen; Instrumentalisten als Akteure.302 In diesem Zusammenhang hat Kagel ebenfalls notiert, dass der Mime hauptsächlich für die Ablenkung zuständig sei. Ein zusätzliches „Ablenkungs- und Täuschungsmanöver“ stellen auch die Einspielungen von Textpassagen dar (vor allem im zweiten Teil des Stücks). MUSIKER ODER SCHAUSPIELER. Goffmans siebter Punkt betrifft den Sprechton oder Sprechduktus der Schauspieler, der sich von einer normalen Unterhaltung unterscheide. In Kagels Stück sind diesbezüglich die Aktionen der Musiker und das Agieren des Sprechers gesondert in Betracht zu ziehen. Inwiefern unterscheiden sich die Musikeraktionen von konventionellem kammermusikalischen Spiel? Inwiefern erhält der Sprecher (Schauspieler) einen Sonderstatus? Goffman geht davon aus, dass sich bei der Transformation von Alltagshandlungen in Theater der Sprechton oder Sprechduktus ändere. In Kagels Sur Scène wird der Vortrag nicht nur in Theaterstimme – deklamierend oder entsprechend deutlich und bühnenmäßig intoniert – gesprochen, sondern musikalisch moduliert, in Lautstärke, Geschwindigkeit und Tonhöhe beziehungsweise Lage bestimmt und dadurch als „Sprachmelodie“ vorgezeichnet.303 Es ist klar, dass sich allein aus die302 Quellen zu Sur Scène in der Sammlung Mauricio Kagel, Paul Sacher Stiftung, Basel (Mappe mit „allgemeinen Unterlagen“). In dieser Notiz hält Kagel ebenfalls fest: „Notwendigkeit eines instrumentalen (bzw. erweiterten) Theaters als legitime Form von gewissen theatralischen Tendenzen heutiger instrumentaler Musik“. Vgl. auch M. Rebstock, „Die Resultate widersprachen meinem Instinkt: gerade das wollte ich...“ Zum Kompositionsprozess im Instrumentalen Theater, S. 33f. 303 Eine Ähnlichkeit zu Tardieus Behandlung des Radiosprechers in Conversation-sinfonietta ist kaum von der Hand zu weisen, vgl. dazu M. Schwarz, Musikanaloge Idee und Struktur im französischen Theater, S. 37.

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sem Grund eine Konkurrenz zum Sänger ergibt, dem seinerseits lange Zeit nicht erlaubt wird zu singen, sondern der den Sprecher stimmlich zu unterstützen oder zu imitieren hat. Der Text des Sprechers besteht zwar aus überwiegend verständlichen, doch durchgehend unsinnigen oder nur scheinbar Sinn vermittelnden Sätzen und Phrasen; seine Intonation und seine Aussagen werden durch Verfremdungen der Aussprache überzogen, die häufig dazu führen, dass der Sinn der Worte rekonstruiert werden muss. Kagel setzte also darauf, dass das Publikum nicht nur versuchen wird, das auf der ersten Ebene Gehörte zu verstehen, sondern auch aus mehr oder weniger unverständlichem Material eine sinnvolle Aussage „herauszulesen“. Im Verlauf des Stücks, sofern klar wird, dass hier ein Vortrag „gespielt“ wird und es auf den Sinn des Gesprochenen nur bedingt ankommt, kann sodann ein Wechsel zwischen der Wahrnehmung und dem „Verstehen“ des Textes und der Wahrnehmung des Gesprochenen als Musik erfolgen. Letzteres hatte Kagel bereits in Anagrama, dem vorangegangenen Werk mit Sprechchor (von 1957–58) erprobt, dessen Textbehandlung er in Sur Scène aufgriff.304 Über Anagrama hat nun Kagel selbst einen Vortrag verfasst und gehalten – sein erster großer Auftritt als Theoretiker in Darmstadt, so dass ihn die Situation eines Vortragenden auch persönlich beschäftigt haben wird.305 Wie verhält es sich mit den Aktionen der Musiker? Spielen sie Kammermusik auf der Bühne? Imitieren sie Kammermusik auf der Bühne? Spielen die Musiker sich selbst? Schaffen sie insofern Distanz zu ihrem Tun, verfremden sie es, treiben sie Spaß, tun sie nur so, als spielten sie ihre Instrumente? Das sind Kernfragen des „Instrumentalen Theaters“, sofern das Musikmachen selbst betroffen ist. Die Musiker spielen zunächst einmal „mit“, sie agieren in erster Linie auf Stichworte des Sprechers, dem Sänger ähnlich. Dabei produzieren sie zumeist einzelne Cluster, Akkorde oder Töne, die die Sprecheraktionen begleiten oder kommentieren. Davon gibt es signifikante Ausnahmen, die das „kammermusikalische Spiel“ zwischen Sprecher und Musiker unterbrechen oder unterminieren. Zum Beispiel erklingen in der langen Pause des Sprechers auf Seite 10 zwölf gleiche Celestatöne, die in den Rahmen akustischer Zeitanzeige gehören. Sie durchbrechen gewissermaßen die „Theaterzeit“ und verweisen auf die chronometrische Zeit der Pause.306 In der Passage der Bewegung im Tutti (Partitur, S. 14ff.) lösen sich die Musiker vom Sprecher und spielen auf allen Instrumenten (zwei kleine Flügel, Celesta, Cembalo, Orgelpositiv oder elektrisches Harmonium, Glockenspiel, ein Satz Röhrenglocken, ein Satz Zymbeln, drei freihängende Metall- oder Kupferfolien, ein Schellenbündel, zwei Sistra, drei Triangel, drei hängende Becken, drei Tamburin, drei Paar Bongos, eine große Trommel, zwei Kastagnetten). Dabei gehen die Musiker langsam und variieren im Tempo, wie Schlafwandler; ihre 304 Vgl. dazu W. Klüppelholz, Sprache als Musik; M. Kassel, Ein Fundament im Turm zu Babel. Ein weiterer Versuch, Anagrama zu lesen. 305 Vgl. M. Kagel, Behandlung von Wort und Stimme. Über Anagrama für vier Sänger, Sprechchor und Kammerensemble, 1957–58, überarb. Fassung in Im Zenit der Moderne, Bd. 3, S. 354–367. 306 Die Pause ist in der Instrumentalpartitur zwar vorgegeben, nicht aber die zwölf gleichen Celestatöne.

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Körper- und Armbewegungen sollen irreal wirken.307 Im zweiten Teil des Stücks werden die Klangproduktionen der Musiker durch Tonbandeinspielung von aufgenommenen Passagen „unterwandert“. Es beginnen „Täuschungsmanöver“, indem die Einspielungen aus den nicht sichtbaren Bühnenlautsprechern mit Live-Klängen kombiniert werden (Partitur, S. 20, S. 21f., S. 22).308 Die Musiker finden jedoch nach einiger Verwirrung die Orientierung wieder und richten sich am Ende erneut an den Stichworten des Sprechers aus, der sich schließlich als „Orchesterwart“ betätigt. Die Musiker spielen demnach in Sur Scène „mit“, sie sind Teil der gleichzeitigen Aktionen und des Sprechervortrags, und sie „beherrschen“ ihr Instrumentarium, das von den Nicht-Musikern allenfalls neugierig betrachtet oder ausprobiert wird. GESAMTGESCHEHEN. Während man in einer Alltagssituation selektiv verfahre, so legt Goffman in seiner achten These dar, richte sich die Aufmerksamkeit im Theater auf das Gesamtgeschehen, jedenfalls gehe man davon aus, dass im Theater alle Komponenten bedeutungsvoll seien. Im Konzert wird traditionell das Hören bevorzugt. Kagel hat also mit seinem „Instrumentalen Theater“ das Konzertpodium als Erlebnisraum für alle Sinne erschlossen. Besonders wichtig erschien Kagel die Bewegung der Musiker, die als „wesentliches Merkmal der Unterscheidung vom statischen Charakter einer normalen musikalischen Aufführung“ anzusehen sei.309 Einige Details, die zeigen, in welcher Hinsicht Kagel die Konzert-Szene erweiterte, sind hervorzuheben. Die Situation der Musiker bei einer Aufführung ist normalerweise eine Vorführung ihres Könnens, bei der sie weder üben noch proben. Diese zuletztgenannten Verrichtungen gehören auf die „Hinterbühne“, die Kagel in Sur Scène nach vorne holt. Der erste Auftritt gebührt einem der drei Musiker, der sich einspielt und das „Üben“ erst allmählich beendet, als der Sprecher bereits seinen Vortrag begonnen hat. Der Auftritt des zweiten Musikers (Partitur, S. 3) wird während des weiteren Verlaufs des Vortrags in ein Verbeugungsritual gewandelt. Der dritte Musiker tritt unscheinbar auf (Partitur, S. 4) und beginnt zunächst einmal zu üben. Alle drei Musiker nehmen plötzlich ihre Partituren von den Pulten (Partitur, S. 12) und bringen Eintragungen an, als seien sie mitten in einer Probe.310 Kagel hat also die Situationen der Musikpraxis genau analysiert, um mit den daraus resultierenden Versatzstücken als Material arbeiten zu können. Bei ihm treffen die Beobachtungsgabe eines Theaterexperten und die 307 In der Instrumentalpartitur (S. 11) wird darauf hingewiesen, dass hier „die angegebene ‚Instrumentierung‘ der Akkorde – mit Ausnahme der Schlagzeuginstrumente unbestimmter Tonhöhe – [...] unverbindlich“ ist; „dagegen muss die Takteinteilung und Rhythmuswechsel der verschiedenen Klangfarben genau realisiert werden. Das Sprechertempo (Seiten 12–15 des Vortragstextes) ergibt die Gesamtdauer des Musiktextes bis der ‚Sprecher‘ zum Pult zurückgekehrt ist. Die Dauer jedes Taktes wird proportional zur Gesamtdauer sein.“ Für die Instrumentalisten ist ursprünglich „Üben“ vorgeschrieben (keine Bewegung im Raum). 308 Die Dramaturgie dieser Passage ist in der Instrumentalpartitur (noch) nicht ausgearbeitet, ebenso wenig wie beispielsweise der genaue Verlauf des Schlusses des ersten Teils. 309 M. Kagel, Über das instrumentale Theater. 310 Ursprünglich laut Instrumentalpartitur nicht vorgesehen.

3.3 Aktion und Szene – Theater der Musik

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Satztechnik eines Komponisten zusammen, um neue Perspektiven auf die Wirklichkeit zu synthetisieren. „Für mich ist Wirklichkeit, und das ist einer der Punkte, wo ich mich von Fluxus unterscheide, die Wirklichkeit des Musiklebens, weil ich dort unerhörte Krusten sah, Konflikte und Beziehungen zwischen uns allen, Rezepienten und Produzenten, so dass diese Wirklichkeit für mich ein Abbild der Wirklichkeit ist, die ich meine. Komponisten brauchen das Musikleben als Humus, und das ist mein Sprachrohr. Ich sehe mich als Sprachrohr veränderter Aussagen über das Musikleben und gleichzeitig sehe ich das Musikleben als Sprachrohr meiner Phantasie [...] Ich versuche immer wieder aus konkretem Material Phantastisches zu formulieren, und dafür brauche ich konkrete Ansichten über die Vergangenheit und über die Gegenwart. Konkrete Ansichten, um diesen ganz bestimmten Schritt zu vollziehen, in Richtung auf eine Phantastik, die ein Teil meiner Wirklichkeit und der meiner Zuschauer und Zuhörer ist.“311

Doch wie verhält es sich, wenn „kammermusikalisches Theater“ nicht an einer außermusikalischen Situation – wie etwa an einem akademischen Vortrag – festgemacht werden kann? Im folgenden sei die Besprechung von Sonant angeschlossen, das Stück, das vermutlich den ersten Vorstellungen eines „Instrumentalen Theaters“ näherstand als Sur Scène. „‚Sonant‘ für Harfe, spanische und elektrische Gitarre, Kontrabaß und Schlaginstrumente (nur Membraphone), 1960/... komponiert, ist das erste Beispiel für eine Gattung, die ich ‚Instrumentales Theater‘ nenne. Die Musiker reden in ihrer Muttersprache und summen während der Aufführung vor sich hin. Die verwendeten Texte sind Erklärungen und Anmerkungen zu der Methode, bestimmte Klänge zu erzeugen, sowie mehr oder weniger zwanglose Kommentare über andere Themen. Es ist ein mit formalen und technischen Widersprüchen gespicktes Werk, das auch durch die Situationen, in denen die Ausführenden zu spielen gezwungen sind, eine Verzerrung gewisser Aufführungsgestik aufweist. Die sich auf diese Weise ergebende Klangbeschaffenheit ist der erwarteten gerade entgegengesetzt als Folge der durch die Notation einer unwirklichen Komplexität hervorgerufenen psychologischen Spannungen.“312

Zu eruieren ist hier insbesondere der Umgang mit den Instrumenten sowie der für das „Instrumentale Theater“ sich ergebende Zusammenhang von Aktionszeit, Bewegung und Klang. Sonant ist ein „offenes, mobiles“ Stück, das Kagel auch werkgenetisch für unabgeschlossen gehalten hat. Insofern steht es Transicion II nahe.313 Mit seinen zehn variabel zusammenstellbaren Sätzen und seinem üppigen Apparat an Spielanweisungen und Anmerkungen sowie seinen graphischen Anteilen im Notentext zeigt es zudem eine große Nähe zu Werken von Cage, Feldman, Stockhausen und Boulez. Sicherlich hat sich Kagel auch von La Monte 311 Fluxus. Aspekte eines Phänomens, S. 224f. 312 M. Kagel, Fünf Antworten auf fünf Fragen, S. 309. Bei den Quellen zu Sur Scène in der Sammlung Mauricio Kagel, Paul Sacher Stiftung, Basel, befindet sich die Skizzierung einer „Musique de scène“ (für Klavier), in der das Prinzip „kommentierte Klangerzeugung“ bereits ausformuliert wurde (datiert: 24. November 1959). 313 Kagel hielt bei den Darmstädter Ferienkursen 1964 einen Vortrag über „Zeitartikulation in ‚Sonant‘ und ‚Transición II‘“, vgl. Im Zenit der Moderne, Bd. 3, S. 626.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

Young inspirieren lassen, dessen „Aufforderungen zur Bewegung“ oder „Aufforderungen zum Spiel“ – wie Kagel bemerkte – „bezaubernden Klang“ hervorbrachten.314 In Sonant spielt die ungewöhnliche Gruppierung Gitarre, Harfe, Kontrabass und ein von den Interpreten selbstgewähltes Ensemble von 21 Fellinstrumenten zusammen.315 Die allgemeine Lautstärke des Spiels ist „möglichst leise“. Die spanische Gitarre soll Kagel zufolge als lautestes Instrument des Ensembles gelten, an dem sich die anderen zu orientieren haben. Es gibt also mehr zu sehen als zu hören. Kagel schreibt in der Partitur zudem vor: „Nur wenn der Instrumentalklang – durch Verwendung elektroakustischer Klangverzerrer und anderer besonderer Geräte – bis zur Unkenntlichkeit verändert werden kann, wäre die Einbeziehung von Lautsprechern bei einer Aufführung wünschenswert. Die Lautsprecher sollen vom Publikum aus nicht sichtbar sein.“316 Kagel beschäftigte vor allem der Zusammenhang und die Trennung der sichtbaren Musikproduktion mit bzw. von dem resultierenden Klang. Spätestens mit der Einführung von elektroakustischen Medien war dies zu einem kompositorischen Arbeitsfeld geworden. Doch auch das Genre „Kammermusik“ stellte dieses Thema. Es sei in diesem Zusammenhang nochmals Adorno zitiert, der davon ausging, dass Kammermusik beim Spiel ohnehin nur „wiederholt“ werde: „Der Grund ist, dass die Spieler, im doppelten Sinn, eben bloß spielen. In Wahrheit ist jener Produktionsprozess in dem Gebilde vergegenständlicht, das sie nur noch wiederholen, in der Komposition; die Aktivität ward zum reinen, der Selbsterhaltung entronnenen Tun.“ Diese Sphäre der Kammermusik trage den Aufführungsprozess: „Große Kammermusikspieler, die im Geheimnis der Gattung sind, neigen dazu, so sehr auf den anderen zu hören, dass sie den eigenen Part nur markieren. Als Konsequenz ihrer Praxis kündigt das Verstummen, der Übergang der Musik ins lautlose Lesen sich an, Fluchtpunkt aller Vergeistigung von Musik.“317 Es sei dahingestellt, ob Kagel diese Passage aus Adornos Abhandlung kannte. In Sonant hat der Komponist Teile (optional) vorgesehen, in denen die Musiker die instrumentale Realisation ihrer Partie mimen beziehungsweise die „zum Spiel des Musiktextes notwendigen Bewegungen exakt nachahmen“ sollen.318 Die Nachahmung, das So-tun-als-ob, gehört jedoch auch – wie bereits oben dargestellt wurde – elementar zum Bereich des Theaters. Insofern 314 M. Kagel, Über das instrumentale Theater; Kagel hatte in Venedig eine Aufführung von La Monte Youngs Poem für Tische und Bänke erlebt, offenbar bevor er selbst an einer Aufführung des Stücks beteiligt war, vgl. M. Bauermeister, Dokumentation. intermedial, kontrovers, experimentell, S. 25, S. 28. 315 Kagel scheint u.a. durch einen Kurs über Harfe angeregt worden zu sein, den Boulez 1960 in Darmstadt angeboten hatte (vgl. Im Zenit der Moderne, Bd. 3, S. 602) und an dem Kagel aktiv teilnahm, vgl. die Abbildung in P. Boulez, Musikdenken heute 2, S. 55. 316 Partiturvorwort, Partitur von Sonant (1960/....), Henry Litolff’s Verlag/C.F. Peters, Frankfurt, London, New York 1964, EP 5972. 317 Th. W. Adorno, Kammermusik, S. 109f. 318 Angaben in der Partitur von Sonant, dies betrifft die Teile Marquez le jeu und Pièce touchée, pièce jouée. Vgl. dazu W. Bruck, ¡Zupfmusik! Marginalien zu ‚Sonant (1960/...)‘. Bereits in Transicion II (und in Sur Scène) ist bei der Tonbandwiedergabe einer Passage ihre mimische Nachahmung möglich.

3.3 Aktion und Szene – Theater der Musik

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ist die jeweilige Einstellung zu „Nachahmung“ von Bedeutung. In oder mit Kammermusik – und dies scheint Kagel sehr klar geworden zu sein – lässt sich diese Dualität von „Vergeistigung“ und „Theater“ exemplarisch herausarbeiten und bespielen.319 Die zehn Sätze von Sonant sind folgendermaßen zusammenzusetzen: alternativ zum Anfang „Faites votre jeu I“ oder „Faites votre jeu II“, zum Schluss „Fin I“, „Fin II/Invitation au jeu, voix“, „Fin III (plein)“ oder „Fin IV (demiplein)“ (mehrere „Faites votre jeu“- oder „Fin“-Sätze können in einer Fassung vorkommen, in beliebiger Reihenfolge) . Es sollen mindestens fünf Sätze gespielt werden, wobei folgende weitere Sätze zur Auswahl stehen: „Marquez le jeu (à trois)“, „Pièce touchée, pièce jouée“, „Pièce de résistance“, „(Rien) ne va plus“. Zwei gleichnamige Sätze sollen nicht hintereinander gespielt werden, eine Aufführungsdauer von mindestens 15 Minuten sei zu erreichen. Alle Sätze sind attacca zu spielen.320 Ein Instrumentalist spielt spanische beziehungsweise elektrische Gitarre, zwei Perkussionisten sind für das Schlagzeug vorgesehen (neben den Spielern für Harfe und Kontrabass). Im folgenden seien die Sätze beschrieben und ihre aufführungspraktischen Dimensionen diskutiert. „Faites votre jeu I“ (Stimmenpartitur): die Stimmen für spanische Gitarre, Harfe und Kontrabass, die nicht in einer Partitur zusammengefasst sind und auch als Solo-Stücke Geltung haben, sind temporal in Sekundenabschnitte gegliedert, die mit Abschnitten F in unbestimmter Dauer durchsetzt sind. Es ergibt sich eine zeitliche Gliederung, die einerseits die Spielhandlungen auf die Sekundenabschnitte festlegt – die Problematik solcher Anweisungen wurde bereits im Zusammenhang mit Lachenmanns Interieur I diskutiert –, andererseits eine freie Gestaltung erlaubt, in der die „Aktionszeit“ oder die „Anschlagsform und/oder Art der Klangartikulation“ maßgebend ist. Der Kontrabassist gibt das Zeichen zum gemeinsamen Beginn, die Instrumentalisten setzen gleichzeitig ein, spielen dann jedoch unabhängig voneinander weiter. Kagel gibt in den Spielanweisungen vor, dass idealerweise der Kontrabassist das Spiel beendet, der in den letzten Takten sein Instrument mit beiden Händen reibt und mit offenen Händen anschlägt. Der Part des Schlagzeugs (I, II) besteht aus Passagen, in denen Aktionen auf Instrumenten exakt notiert sind, und anderen Abschnitten, in denen Handlungen mit Worten vorgeschrieben werden, etwa im ersten Abschnitt von Schlagzeug I: „Große Aktivität: Zuerst alle Schlegel und sonstige Objekte auf verschiedene Schlaginstrumente fallen lassen [p] und dann jeden Schlegel auf ein anderes Fell legen (Nebengeräusche nicht vermeiden). Schließlich die Felle räumen.“ Im letzten Abschnitt wird verlangt: „Noch einige kräftige Anschläge. Husten. Einzelne Worte (die sich auf das Spiel beziehen) mit normaler Lautstärke sprechen. Ab und zu: Felle reiben, kratzen.“321 319 Zu den ersten Werken Kagels gehörte Kammermusik, so Variaciones para quarteto mixto (1950–52) und das Sexteto de Cuerdas (entstanden 1953, rev. 1957). Der Komponist hat in seinem Streichquartett I/II (1965–67) das kammermusikalische Spiel als „Theater der Musik“ fortgesetzt. 320 Vgl. Partiturvorwort von Sonant. 321 Vgl. Partitur, Faites votre jeu I, Schlagzeugpart.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass man in Sonant nicht gänzlich, aber doch weitgehend mit einem anderen Theaterbegriff als in Sur Scène konfrontiert ist. Er scheint Cages Theaterauffassung näherzukommen, auch wenn der fundamentale Unterschied vorliegt, dass Kagel die Aktionen der Spieler vorschreibt. Das „Theater“ geht in Sonant von den gleichberechtigten hör- und sichtbaren Aktionen der Spieler aus, zu denen auch Husten und Nebengeräusche zählen. Kagels Basis ist wiederum das Metier der Musiker, er hat dieses genau beobachtet und „zerlegt“, bevor er es wieder so „komponierte“, dass Komik (auch Tragikomik), Ironie und Vergnügen resultieren konnten, das heißt eine diese Effekte auslösende Distanzierung zum Geschehen möglich wurde. Kagel konzipierte „das Modell einer musiktheatralen Interaktion [...] von Grund auf neu, indem er einerseits klangliche, bildliche, auch sprachliche und vor allem körperliche Ausdrucksgesten nicht nur als Medien der Kommunikation grundsätzlich beibehält, sondern diese bereits im Stadium der Niederschrift als gesonderte Elemente und als Material regelrecht komponiert und strukturiert. Jede notwendige instrumentelle Körperbewegung der Musiker erhält zugleich den Status eines theatralen Handelns.“322 Kagel hatte jedoch nicht nur die Konzertsituation und Musikproduktion im Auge, sondern auch die menschlichen, nur allzumenschlichen Begleiterscheinungen und „Nebengeräusche“, die allen Praktikern gut vertraut sein dürften. Der Komponist schöpfte in seinem „Instrumentalen Theater“ das Material aus der Vermischung von Lebens- und Kunstsphäre beziehungsweise vor allem aus der Vermischung von Elementen des privaten Musiker-Lebens (vielleicht auch Komponistendaseins) mit dessen professionellen Ausformungen und Anforderungen auf dem Konzertpodium. Hier sind verschiedene Ebenen von „Rollenspielen“ vorhanden, die auszunutzen, zu brechen, zu verfremden oder direkt zu zeigen waren, und mit denen Kagel im Spannungsfeld zwischen Dekonstruktion und Re-Komposition arbeiten konnte. „Ich liebe es, Missverständnisse und Widersprüche zu beobachten, in meiner Umgebung, im Kunstbetrieb, im Leben. Und ich liebe es fast noch mehr, solche Missverständnisse und Widersprüche zu komponieren.“323 Die weiteren Sätze von Kagels Sonant seien beschrieben. „Faites votre jeu II“: die in Partitur notierten Stimmen von elektrischer Gitarre, Harfe, Kontrabass und Schlagzeug I sowie Schlagzeug II weisen eine ähnliche Form wie „Faites votre jeu I“ auf. Alle Instrumentalisten setzen gleichzeitig ein, spielen dann aber unabhängig voneinander weiter. In diesem Satz ist die Gesamtdauer auf drei Minuten festgelegt. Die beiden Schlagzeugparts bestehen aus Improvisationen mit verschiedenen Anweisungen. Die erste Schlagzeugstimme improvisiert zunächst mit festgelegten (relativen) Tonhöhen, dann mit festgelegten Dauern, mit festgelegtem Verlauf der Aktivität, mit obligaten Aktionen (wie „Aufstellung der Instrumente verbessern“, „Schlegel ordnen“, „Instrumente stimmen“, „stumm üben“) und zum Schluss mit festgelegtem Wechsel der Schlägel. Schlagzeug II improvisiert zunächst an den Gehäusen (im Ablauf festgelegt), dann mit festgelegten Anschlags- und Artikulationsformen, es folgt „totale Improvisation“ ohne Vorgaben, 322 B. Zuber, Theatrale Aktionen in und mit Musik, S. 206. 323 Kagel in H. Pauli, Für wen komponieren Sie eigentlich?, S. 93.

3.3 Aktion und Szene – Theater der Musik

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danach Improvisation mit festgelegten Lautstärken und zum Schluss mit festgelegtem agogischen Verlauf. Gitarre, Harfe und Kontrabass spielen in einer fast unüberschaubaren Bandbreite von Aktionen einschließlich Clustern, Glissandi, die Gitarre wird zeitweilig wie eine Hawaiigitarre auf dem Schoß bearbeitet. Die Dauern sind relativ, aber zumeist nach der ausnotierten Vorlage zu spielen, doch die Harfenstimme weist auch eine graphisch notierte Passage auf, die an Stockhausens Zyklus erinnert. Die Graphiken der beiden Schlagzeugstimmen zeigen ebenfalls nicht nur Ähnlichkeiten mit der Partitur von Zyklus, sondern auch mit graphischen Partituren von Feldman und Cage. Dabei wird auch der „Aktionismus“ der Stücke visualisiert. „Marquez le jeu (à trois)“: dieser Satz mit spanischer Gitarre, Harfe und Kontrabass kann „virtuell“ vorgetragen werden. Dabei mimen die Musiker ihr Spiel, wobei jedoch immer ein Spieler (abwechselnd) „real“ musizieren soll. Das Täuschungsmanöver ist Absicht, kann jedoch auch als Vorführung der besonderen Versunkenheit in das kammermusikalische Spiel betrachtet werden. Es gibt zunächst kein bestimmtes Zeitmaß oder Tempo, der Satz soll „mit großer Ruhe“ vorgetragen werden. Bei Takt 29 wählen sich Gitarre und Kontrabass ein Tempo, während die Harfe unabhängig einsetzt und weiterspielt. „Pièce touchée, pièce jouée“: der Satz für elektrische Gitarre, Harfe, Kontrabass und zwei Schlagzeugparts kann – wie „Marquez le jeu“ – virtuell gespielt werden, doch die Spielregeln sind verschärft. „Alle Aktionen müssen möglichst nahe an den Saiten oder Fellen der Instrumente ausgeführt werden. Wenn aus Versehen oder vor Anstrengung bei der Durchführung dieser Bewegungen ein Klang hervorgebracht wird, so muss der Musiker jene Note oder Akkord (mit vorgeschriebener Dauer) spielen, die unmittelbar vor dem soeben erzeugten Klang angegeben ist. Die ‚verlorene‘ Zeit soll durch Beschleunigung bei der Lektüre des nachfolgenden Musiktextes eingeholt werden.“324 Es ist klar, dass dadurch jeglicher Zusammenhang ad absurdum geführt wird. Dazuhin erscheint die temporale Anlage des Satzes wie eine Persiflage von Stockhausens Zeitmasze. Denn Klang- und Aktionszeiten je Stimme ergeben sich in „Pièce touchée, pièce jouée“ individuell aus zufälligen Ereignissen und aus den vermeintlich determinierten Strafmaßnahmen für die Erzeugung unerwünschter Klänge. Da die unterschiedlichen Dauern der einzelnen Abschnitte dieses Satzes in Sekunden festgelegt sind, definieren sich alle Notenwerte relativ zu diesen Angaben. Das heißt, die „Strafmaßnahmen“ in diesem Spiel sind äußerst kompliziert auszuführen, weil kein übergeordnetes einheitliches Tempo vorhanden ist. Ferner geben die Musiker abwechselnd ihren Mitspielern Einsatzzeichen an bestimmten Positionen, so dass auch darauf geachtet werden muss. Es ist bezeichnend, dass Kagel in den Partituranweisungen empfiehlt: „Um allgemeine Panik bei der Aufführung zu vermeiden [Hervorhebung d. A.], wird mindestens ein Spieler (nicht immer derselbe, sondern besser fortwährend abwechselnd) seine Partie in ‚realer‘ Interpretation ausführen.“325 324 Vgl. immer Partitur zu Sonant, Spielanweisungen und Kommentare. 325 Ebenda, Spielanweisungen zu „Pièce touchée, pièce jouée“.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

„Pièce de résistance“: der Satz besteht aus Abschnitten, in denen sich die Musiker gegenseitig unterbrechen oder das Weiterspielen signalisieren. Hierzu „bedienen“ sie sich auch des Schlagzeugs. Die erste Unterbrechung durch die Gitarre beispielsweise (ein Schlag des Gitarristen auf einem Fellinstrument) führt zum Anhalten von Harfe, Kontrabass und Schlagzeug II. Schlagzeug I spielt dagegen weiter. Auf Zeichen der Harfe kann fortgesetzt werden. Die nächste Unterbrechung unternimmt der Kontrabass-Spieler auf dem Schlagzeug. Die gegenseitigen Unterbrechungen führen zur Ausschaltung erstens des Schlagzeugs II, sodann zu einer Pause des Kontrabass-Spielers und des Schlagzeug I, dann des Gitarristen, danach setzt nochmals der Kontrabass sowie Schlagzeug II aus, danach beide Schlagzeuger. Erst der letzte Abschnitt wird gemeinsam bestritten. Da Gitarre, Harfe und Kontrabass überwiegend Akkorde in sehr weiter Lage zu spielen haben und diese nicht immer als solche spielbar sind, können sie in Arpeggien aufgelöst werden. „Folglich wird die rhythmische Gestaltung, ja der musikalische Gestus insgesamt wesentlich von der Schwierigkeit der Realisation, vom Widerstand, den die Akkorde ihrer Ausführung entgegensetzen, mitbestimmt werden.“326 Es ist ferner ein ständiger Wechsel von Verlangsamung und Beschleunigung der Ausführung vorgeschrieben. Insgesamt entsteht demnach ein hochvirtuoses Stück, das die Spieler zu überfordern droht. Die Anweisungen von Kagel sehen zudem vor, dass das Instrumentalspiel durch vokale Aktionen (Summen, Pfeifen, Singen) verdoppelt oder ergänzt werden kann. So beenden die Musiker den Satz mit einem Auf-Schrei, in dem sich die Überforderung und der Widerstand artikuliert. „(Rien) ne va plus“: dieser Satz wird ad libitum mit einer Gesamtdauer von 90 Sekunden in das Geschehen eingebracht und besteht in der verbalen Anweisung, dass die Musiker sich hier vom Notentext „befreien“ und ihre „Ablehnung“ zum Ausdruck bringen können. Der Satz soll nicht im Konzertprogramm ausgewiesen werden. Damit hat sich Kagel nochmals als Kenner nicht nur beispielsweise der Graphiken von Feldman und Cage, sondern vor allem auch der Aktivitäten von La Monte Young ausgewiesen. Ihn konnte Kagel 1959 kennengelernt haben, als La Monte Young mit einem Stipendium am Kompositionsseminar Stockhausens in Darmstadt teilnahm.327 Der Satz „(rien) ne va plus“ ist auch eine kompositorische Adaption von Stücken aus der Fluxusbewegung („word pieces“), die Kagel – wie bereits angesprochen wurde – zum Teil aktiv mitverfolgte.328 Die Schlusssätze von Sonant seien ebenfalls kurz erläutert. „Fin I“: der Satz ist semigraphisch notiert für elektrische Gitarre, Harfe, Kontrabass und zwei Schlagzeugparts. Die Tonhöhen von Gitarre, Harfe und Kontrabass sind jeweils in drei Register eingeteilt und werden approximativ nach tiefer, mittlerer und hoher 326 W. Bruck, ¡Zupfmusik! Marginalien zu ‚Sonant (1960/...)‘, S. 134. 327 Vgl. dazu H. Flynt, La Monte Young in New York, 1960–62, S. 49. 328 In der Fluxusbewegung gab es viele „word pieces“, die nur aus einigen Anweisungen bestanden. Es wurden zum Teil auch Stücke angekündigt, die unmerklich aufgeführt wurden (etwa La Monte Youngs An invisible poem sent to Terry Jennings for him to perform, Februar 1960, vgl. dazu H. Flynt, La Monte Young in New York, 1960–62, S. 56). La Monte Young publizierte seine „word pieces“ in An Anthology.

3.3 Aktion und Szene – Theater der Musik

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Lage eingestuft. Einzelne Spielaktionen werden durch Vokalartikulationen (mit geschlossenem Mund auf „mm“) begleitet. Doch die Aktionen dieses Satzes sind nicht nur auf das klangliche Resultat angelegt. Abwechselnd dirigieren sich die Musiker gegenseitig (zunächst Schlagzeug II, dann Harfe, Gitarre, Harfe, Kontrabass, Schlagzeug II). Die Situation endet mit einem Hervortreten der stimmlichen Äußerungen der Spieler (Gitarre: sehr hoch pfeifen; Harfe: sprechen mit geschlossenem Mund; Kontrabass: sehr tiefe Töne „pizzicato“ mit geschlossenem Mund; Schlagzeug I: flüstern; Schlagzeug II: murmeln), die bei allen Musikern mit Handlungen des Schreibens kombiniert werden. Temporal ist der Satz zunächst nach Abschnitten von unterschiedlichen Schlag- oder Takteinheiten angeordnet, den Schluss bestimmt ein Abschnitt in 7 und ein Abschnitt in 32 Sekunden (mit einer Unterbrechung von „großer Aktion“). „Fin II/Invitation au jeu, voix“: für alle Instrumente liegen hier unterschiedliche Vokal- oder Textpartituren vor, die zum Teil für sich (Kleinbuchstaben), zum Teil laut (Großbuchstaben) gelesen werden. Der Text gibt Spielaktionen vor, kommentiert jedoch auch das Spiel der anderen und wirkt wie ein Drehbuch (ähnlich dem Prinzip von Sur Scène). Die einzelnen Abschnitte der Stimmen sind durch jeweils individuelle Dauernangaben in Sekunden strukturiert. Einen Vortrag als Musik zu lesen und sich dabei auf das Vorgelesene zu beziehen und/oder das Gelesene als Aktionsanweisung zu befolgen und/oder völlig unabhängig davon Parallelhandlungen vorzunehmen, verweist auf die Auftritte von Cage und vor allem auf dessen als Musik strukturierte und präsentierte Vorträge, die nicht nur in Darmstadt für Aufmerksamkeit sorgten.329 Kagel hat mit den Textpartituren in diesem Satz von Sonant allerdings die Aktionen nur bedingt dem Zufall überlassen. Die Verbalpartituren beziehen sich auf eigene Handlungen des jeweiligen Lesers, aber auch auf diejenigen der Mitspieler. Dabei ist der Text von einem „Regisseur“ vorgegeben. Mag demnach die temporale Struktur, das Agieren innerhalb einer bestimmten Dauer auf Konzepte von Cage zurückgehen, so kann die Anlage des Textes einschließlich der Anweisungen von Dynamik und Tempo in Sonant auch ihren Anker im französischen zeitgenössischen Theater haben, etwa in den Stücken von Jean Tardieu.330 In Kagels Schluss-Satz wird jedoch nicht nur über Musik geredet, sondern es werden permanent die Klänge erzeugt, deren Produktion benannt, verlangt, verhandelt oder kommentiert wird. Es sei der Anfang des Satzes zitiert: Der Gitarrist wird in seiner Partitur angewiesen, mit dem Spiel zu beginnen und dabei den anderen Mitspielern den Einsatz mit der Hand anzuzeigen. Diese Anweisung liest er laut vor und vollzieht die Handlung: „ZUNÄCHST GEBEN SIE BITTE EIN ZEICHEN AN DIE ANDEREN

329 Vgl. J. Cage, Composition as Process. Im ersten Vortrag Changes hatte sich Cage an der temporalen Struktur von Music of Changes orientiert, in den Pausen des Vortrags erklangen die entsprechenden Passagen aus dem Werk. Im dritten Vortrag Communication ist keine Zeitstruktur vorgeschrieben, doch Cage legte vor einer Aufführung eine solche fest. Dazuhin ermittelte er durch Zufallsverfahren Stellen, an denen er sich eine Zigarette anzünden konnte (vgl. S. 18, 41). 330 Vgl. M. Schwarz, Musikanaloge Idee und Struktur im französischen Theater.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

SPIELER, UM IHR MITWIRKEN ZU SICHERN, UND DANN FÜHREN SIE [...]“331

Parallel heißt es in der Stimme der Harfe, auch dies wird gelesen und umgesetzt: „Der Herr Gitarrist hat Ihnen ein Zeichen gegeben, um Sie zum Spiel aufzufordern. ALSO, UM IHN ZU BEFRIEDIEGEN, MÜSSEN SIE SPIELEN ODER SO TUN ALS OB.“ Im Kontrabass wird gleichzeitig gelesen und danach gehandelt: „Sie können beginnen, der Herr Gitarrist hat Ihnen ein Zeichen gegeben. Spielen Sie bitte zwei pizzicati – molto vibrato – auf der V. Saite im Abstand einer kleinen None [...]“ Schlagzeug I: „Achten Sie auf den Gitarristen, er wird Ihnen ein Zeichen für den Beginn Ihres Spieles geben.“ Schlagzeug II: „IHR KOLLEGE, DER GITARRIST, FORDERT SIE ZUM SPIEL AUF. MAN WIRD SICH ZUNÄCHST FRAGEN, OB DIE FREUDE AM TROMMELN NICHT NUR AUS DEM BEDÜRFNIS ENTSTANDEN IST, DEN RHYTHMUS ZU SCHLAGEN, SONDERN AUCH UM IRGENDWIE AN DER ALLGEMEINEN GESTIKULATION TEILZUNEHMEN [...]“332

Das gleichzeitige Lesen und Agieren strukturiert demnach den jeweiligen Abschnitt einer Stimme auf ungewöhnliche Weise. „Die Geschwindigkeit, mit der der Spieler den vorgeschriebenen Text lesen [...] und vorlesen [...] wird, bestimmt die Dauer der musikalischen Ereignisse und die manuellen Aktionen“.333 Die „Aktionszeit“ und „Klangstrukturen“ sind von den Lesevorgängen abhängig. „Man liest also, und die Lesezeit bedingt zugleich die Dauer der akustischen Ereignisse. Pausen werden meistens durch Kommentare zum Spiel oder zu anderen Bereichen, – eine Art Anschauungs-Gymnastik – gebildet, und die manuellen Aktionen sowie der Leserhythmus werden dem Kontext angepasst, wie ein Wesen, das sich grundsätzlich von der Situation unabhängig und multilabil verhält. Der Text koordiniert die Aktivität, sei es, dass er sie in einen Rückkopplungs-Zustand versetzt – indem zum Beispiel die verschiedenen Tempi des schauspielartigen Musizierens durch ständige Beeinflussung variiert werden –, sei es durch Vorlesen, das durch genaue Lesezeiten [...] festgesetzt ist.“334

„Fin III (plein)“ oder „Fin IV (demiplein)“: die beiden Sätze bestehen erneut aus verbalen Anweisungen, sie liegen nicht in Partiturform oder als Stimmenpartituren vor, sondern können ebenfalls als Spielaktionen von drei Minuten Dauer eingebracht werden, und zwar als Collagen aus allen Partien von Sonant. Die Sätze unterscheiden sich darin, dass in „Fin III“ bei den ausgewählten Fragmenten der Notentext genau befolgt werden soll, in „Fin IV“ kann der Spieler dreimal davon abweichen (innerhalb von höchstens zwei Takten). Mit Sonant liegt ein Werk vor, das zum Genre Kammermusik gehört, keine andere Situation (ein akademischer Vortrag etwa) ist grundlegend damit verknüpft. Das Tun der Musiker verweist nicht zeichenhaft auf das System „Kammermusik“, sondern das System ist installiert. Die Musiker spielen Kammermusik, aber unter besonderen Bedingungen, die der Komponist inszenatorisch vorgegeben hat.335 Er 331 Vgl. Partitur von Sonant, „Fin II/Invitation au jeu, voix“, Stimmen-Partitur der elektrischen Gitarre, Beginn. 332 Partitur, Sonant. 333 Partitur, Sonant, Vorwort, S. 5. 334 M. Kagel, Über das instrumentale Theater. 335 „Klang, seiner stilistischen und textlichen Nebenbedeutungen entkleidet, bleibt immer

3.3 Aktion und Szene – Theater der Musik

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hat sich nicht nur die Musik erdacht, sondern ein Konglomerat von hör- und sichtbaren (Inter)Aktionen der Spieler, die zum Teil in andere situative Momente hineinragen oder hineingleiten (können). Das bedingt sicherlich teilweise ihre Komik. Dazuhin steht die überbordende Aktivität der Musiker in völligem Gegensatz zum klanglichen Resultat.336 Eine tragikomische Konstellation entsteht: der enorme Aufwand an körperlicher Energie, der vor allem zu sehen ist, führt ins Leere (die Dynamik ist „heruntergeschraubt“, als hätte man ein Riesenorchester auf „pianissimo“ gestellt).337. Das Stück verlangt demnach die Absicht, Kammermusik zu spielen, und zugleich die ständige Überlegung, ob und wie man diese Aufgabe bewältigen kann. Das heißt, die (professionelle) Rolle von Kammermusikern im Ensemble, aber auch das individuelle Selbstverständnis der Musiker als Musiker wird herausgefordert. So sind die Musiker in Sonant alle auf ihre Instrumente spezialisiert, sollen sich aber auch zum Teil als Sänger, Sprecher oder an einem ihnen fremden Instrument profilieren. Sie erleben ihre Spezialisierung dadurch möglicherweise nicht nur aus der Distanz, sondern auch als Manko, sich selbst zudem als Musiker, die den Anforderungen des Komponisten (in diesem speziellen Fall und auf Anhieb) nicht entsprechen können. Sie werden auf ihre individuelle Person und auf ihr Verhalten jenseits ihrer professionellen und spezialisierten Rolle im Ensemble zurückgeworfen.338 Dies trägt zur wiederholt von Kagel angesprochenen Psychologisierung der Musiker bei: „Bei Stücken dagegen, in denen zu den Noten ein Aktionsgerüst hinzugefügt worden ist, wird die Mitwirkung psychologisiert, und man erwartet vom Musiker eine vom Individuellen her geprägte Interpretation [...] Das Neue Musiktheater [...] ist gekennzeichnet durch einen Kundendienst der realistischen, konkreten Einstellung zum Material. Es handelt sich hauptsächlich um eine Musikalisierung von interpretativen Erscheinungsformen und der Beziehung der Spieler zueinander. Hier wird nicht vorgetäuscht, nicht beschrieben und kaum erzählt. Es wird versucht, die Individualität des (Musiker)-Darstellers zu fördern, um die Individualität des Rezipierenden zu aktivieren.“339

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eines meiner Lieblingsthemen [...] Es ist der vom Komponisten selbst erfundene Klang, der mich interessiert, Klang, der als ausschlaggebendes Material eines Werkes gelten kann und deswegen nach besonderen Prämissen komponiert worden ist“, siehe M. Kagel, Fünf Antworten auf fünf Fragen, S. 308. Vgl. dazu W. Bruck, ¡Zupfmusik! Marginalien zu ‚Sonant (1960/...)‘, S. 131. Vgl. dazu auch K.-H. Zarius, Danse Macabre. Einige Gedanken zu Kagels Komik, sowie ders., Szenische Komposition – komponierte Szene, S. 590. Einige Jahre später hat Kagel dieses Prinzip in Pas de cinq auf Schauspieler angewandt, die sich auf hindernisreichen Gehwegen und Podesten bewegen und dabei Musik produzieren. Vgl. dazu von der Verf. Wandelszenen bei Kagel – Thesen zum Theater der Musik. In Pas de cinq sind die rhythmischen Gangarten mit Figuren oder Rollen wie Offizier, Alter Mann, Dandy, Blinder, Kranker (steifes Bein) verbunden, wie Kagel auf einem Notizzettel in den Quellen zu dem Werk vermerkte (Sammlung Mauricio Kagel, Paul Sacher Stiftung, Basel). Vgl. auch J. Rothkamm, Rhythmische Synchronizität zwischen Musik und Choreographie. M. Kagel, Neuer Raum – Neue Musik. Gedanken zum Instrumentalen Theater, S. 122, 124f. Vgl. auch S. Sarkisjan, Instrumentales Theater bei Mauricio Kagel und anderen Komponisten.

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Eine zweite Distanzierungsmöglichkeit geht von Unzufriedenheiten mit einer Rolle oder vom Widerstand gegen eine Rolle aus. In solchen Situationen beginne man beispielsweise zu übertreiben oder die ganze Angelegenheit als Scherz oder Spaß aufzuführen, subversiv die Situation zu unterminieren (vorstellbar in „Pièce de résistance“).340 Es gilt jedoch: „Thus, the person who mutters, jokes, or responds with sarcasm to what is happening in the situation is nevertheless going along with the prevailing definition of the situation – with whatever bad spirit.“341 Dann bleibe schließlich nur noch, die Rolle ganz abzulegen und aus der Situation auszusteigen, wie es die Musiker im Satz „(rien) ne va plus“ tun können. Zur problematischen Situation und Interaktion der Musiker, die sich in der Rolle der Ausführenden von Kagels Partituren und zugleich in der Herausforderung ihrer Rollen als Kammermusiker sehen müssen, treten die ent- und getäuschten Erwartungen und Reaktionen des Publikums hinzu. Das Publikum damals ging davon aus, eine „ernste“ Aufführung neuer Musik, keine Vorführung distanzierender Haltungen zu erleben. Man war – insbesondere nach Erfahrungen mit Vorträgen Adornos oder Äußerungen und Werken Stockhausens – auf eine musikästhetisch und theoretisch reflektierte, auch wissenschaftlich sich gebende Untermauerung von Kompositionen eingestellt, nicht auf eine Musik, die diese Dimension in Persiflagen aufgriff und bearbeitete. Kagel selbst distanzierte sich mit den Stücken des „Instrumentalen Theaters“ also auch von den zeitgenössischen Erwartungen an seine eigene Rolle eines Komponisten neuer Musik.342 Kagel integrierte in Sonant konventionelle und graphische Notation, offene Form, Aleatorik, Improvisation und Musik nach einem Anleitungstext für Aktionen in einem bestimmten oder unbestimmten Zeitraum, damit alle damals virulenten Grundlagen, die die Bandbreite von determinierter bis hin zu freier Aktionszeit und Klanggestaltung – alle Instrumente orientieren sich in Sonant am Klangverlauf der Gitarre343 – ermöglichen konnten. Zugleich war mit der Integration dieser aufführungspraktischen Varianten auch ihre jeweilige Problematik thematisiert, demonstriert oder als Spiel im Spiel eingebracht. Durch die Schwerpunktverlagerung auf die Aktionen der Spieler und durch die Trennung von Aktion und

340 Kagel hatte sicherlich erlebt, dass Musiker neue Musik nicht immer freiwillig aufführen und dann genau solche ablehnenden Verhaltensmuster zeigen, zum Beispiel bei der Aufführung von Cages Concert for Piano. 341 E. Goffman, Role Distance, S. 40. 342 Kagel konnte die Szene in Deutschland oder New York aus der Distanz analysieren, und dies für seine Arbeit nutzbar machen. Diesem „analysierenden“ und enzyklopädischen Vorgehen kam das serielle kompositorische Denken entgegen, obwohl sich Kagel offiziell rasch davon distanzierte. Vgl. beispielsweise die Arbeitstabelle für Gitarre in Kagel. Dialoge, Monologe, S. 244f. Vgl. auch R. Schulz, Die Gesetze des Alltäglichen. Zur Konzeption des musikalischen Materials bei Mauricio Kagel; S. Borris, Kagel – der unbequeme Nonkonformist. 343 „Alle Instrumente verstärken spezifische Charakteristika des Gitarrenspiels; die Harfe als riesige Leersaitengitarre ebenso wie der Kontrabaß, der, ausgiebigst in der Pizzikatotechnik traktiert, die tiefen Regionen arrondiert; die Fellinstrumente heben die ohnehin deutlich ausgeprägten geräuschhaften und perkussiven Komponenten des Gitarrenspiels hervor“, W. Bruck, ¡Zupfmusik! Marginalien zu ‚Sonant (1960/...)‘, S. 130.

3.3 Aktion und Szene – Theater der Musik

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klanglichem Resultat trat darüber hinaus der visuelle Bereich in den Vordergrund. Es wurde klar, dass Musik so sehr mit dem Sehen ihrer Produktion in Verbindung stand, dass sie auf Grund der Beobachtung von entsprechenden Handlungen klanglich vorgestellt, imaginiert werden konnte.344 Dies war auch als Theatralisierung der kammermusikalischen Sublimierung aufzufassen. Zwei Aspekte lassen sich in einem kurzen Fazit hervorheben. Zum einen wird deutlich, dass in Kagels Stücken – unabhängig von einem bestimmten Theaterbegriff – die visuelle Ebene der Aufführung als integrales kompositorisches Element behandelt wird. Während im traditionellen Konzert das, was man sieht, im Prinzip beiläufiges Ergebnis der Realisation eines musikalischen Werks darstellt, bestimmt Kagel auch die Aktionen und Szenen, aus denen Musik hervorgeht oder in denen Musik entsteht. Zum anderen zeigen die Stücke, dass der Komponist gerade das Zusammenwirken von körperlichen Aktionen und klanglichen Resultaten – auch in widersprüchlichen Situationen – thematisiert. Jedes Stück erhält somit eine eigene Konstellation von visueller und akustischer Ebene. Dadurch hört man in der Tat weniger, wenn man nur die Musik hört.345 3.3.2 Grundlagen des „Integralen Theaters“ bei Hans-Joachim Hespos Im Anschluss an Kagel sei hier nicht mit Schnebel, Stockhausen, Ligeti oder nochmals Cage fortgefahren, obwohl diese in ihren Anfängen, Musik, Bewegung, Raum und Szene kompositorisch zu bearbeiten, zeitlich eng zusammenliegen und sich zwischen ihnen – wie bereits mehrfach gezeigt wurde – mannigfaltige Bezüge herstellen lassen. Es erscheint mir stattdessen sinnvoller, Kagel einen Kontrast gegenüberzustellen, der für die Verbindung von Konzert und Theater weitere Perspektiven eröffnet. Mit den Werken von Hans-Joachim Hespos kommt ein Theaterbegriff ins Spiel, der zwischen der traditionellen Theaterauffassung und dem Theatermodell von Cage angesiedelt ist. Im Zentrum des Interesses steht bei Hespos nicht die kritische Thematisierung der Konzertsituation oder die Reflexion des Konzertrituals als Theater, sondern die strategische Steuerung von Aufführungsbedingungen durch ungewöhnliche Anweisungen in den Partituren und die damit zusammenhängende veränderte Arbeit mit Musiker- und Instrumentenkörpern, die die Musik- und Klangwahrnehmung auf eine besondere Weise beeinflussen. Dies bedingt auch die Erfahrbarmachung von Oppositionen und Ambivalenzen zwischen einem kulturell und professionell determinierten sowie künstlerisch 344 Die daraus resultierende Erwartungshaltung konnte unterlaufen werden. Die Imagination von Klängen ausgehend von Körperbewegungen stand der Imagination von Musik beim Lesen von Partituren gegenüber. Während Adorno den ersten Bereich verwarf, formulierte er, dass „das Verstehen neuer Musik überhaupt weitgehend eins ist mit der gelungenen Imagination: was man sich beim Lesen ganz genau, wie es erklingen würde, vorstellen kann, auch während es nicht erklingt, das hat man meist musikalisch kapiert“, vgl. Anweisungen zum Hören neuer Musik, S. 205. Ohne traditionelle Partituren wird die Imagination, auf die Adorno verweist, schwierig oder unmöglich. 345 Vgl. dazu R. Stephan, Sichtbare Musik, S. 305.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

wie Material formbaren Körper (auch Instrumentenkörper) und dem „phänomenalen Leib“ (dem „natürlichen“ oder „nackten“ Körper).346 Hans-Joachim Hespos ist bis heute ein umstrittener Komponist – ein „Outsider in der Kompositionsszene“ – , vielleicht deshalb, weil es ihm noch immer gelingt, das Publikum radikal zu provozieren.347 Die szenischen Werke von Hespos zu thematisieren, bedeutet zeitlich in die 1970er und 1980er Jahre zu wechseln. Bei ihm steht der Umgang mit Aktion und Szene nicht mehr im Zeichen einer Neuentdeckung von theatralen Aktionen auf dem Konzertpodium, sondern bereits einer – wenn man mit Worten jonglieren möchte: „postseriellen“ im Übergang zur „postmodernen“ – pluralistischen Öffnung der Neuen-Musik-Szene. In dieser Phase ist beispielsweise auch der kompositorische Rückgriff auf die Musikgeschichte oder der Bezug auf soziale und politische Themen wieder aktuell geworden. Vor allem aber hat sich auch eine Veränderung im Umgang mit dem „Material“ der Musik und mit der temporalen Ebene und Strukturierung von Kunst vollzogen, mit der die „Erlebniszeit“ in den Vordergrund rückte.348 Allgemein gilt spot (1979) für Sopran, Mezzosopran, Tenor, Bass, gemischten Chor und Orchester als Beginn der szenisch konzipierten Werke von Hespos, ein „fragment eines aufbruchs zum integralen theater“.349 Solisten und Chor tragen in spot „Ganz-Körper-Masken“, sie haben keine eindeutigen fixierten Rollen und vermitteln äußerste, entsetzte Sprachlosigkeit. Das Publikum wird mit grellen Lichtaktionen („spot“) konfrontiert und sieht sich einem „fürchterlichen Ort“ ausgesetzt. Der Bühnenraum ist „von oben bis unten angefüllt mit stellagem gerümpel“, in das sich der Chor hineinbewegt und zunehmend in ein „steigerndes gerangel von existentieller bedrohlichkeit“ verfällt.350 Bereits vor der Entstehung von spot „blitzt in vielen Werken immer wieder Szenisches auf“.351 Dies betrifft auch bei Hespos vor allem die sichtbaren Bewegungen des Musikmachens, die in einer großen Bandbreite der Erzeugung von verschiedenen Varianten von Stille oder Bewegungslosigkeit bis hin zum gewalttätigen Ausbruch, dem schieren energetischen Bersten ausgelotet werden. So etwa in der Mitte des Ensemblestücks dschen – das erregende ist wie eine offene schale (1968), in dem die Streicher (sechs Violinen, drei Bratschen, zwei Celli und 346 Vgl. zu diesen Unterscheidungen E. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 129ff., sowie H.-T. Lehmann, Postdramatisches Theater, S. 361ff, insb. S. 388 („ästhetischer versus realer Körper“). 347 So noch bei der Uraufführung seiner Oper iOPAL (Regie: Anna Viebrock) am 30. April 2005 an der Staatsoper Hannover. Vgl. S. Mahlke, Warten und wandern. Anna Viebrock trifft an der Oper Hannover auf Hans-Joachim Hespos, S. 24. Zit. bei N. Schalz, offenes materialfeld. faszination ALLtag, S. 3. 348 Vgl. dazu Zeit. Die vierte Dimension in der Kunst. 349 Vgl. E.-M. Houben, hespos. eine monographie, S. 220f. spot wurde durch eine Pressemeldung über Bangkok angeregt, in der über die Nutzung ermordeter Babys für den Drogenschmuggel berichtet wurde. 350 Anmerkungen zur Partitur von spot, Delmenhorst, 1979, H 007 E. 351 E.-M. Houben, hespos. eine monographie, S. 214, siehe auch S. 220ff. Vgl. auch U. SchalzLaurenze, Erinnerung an die Zeichen der Zukunft – jetzt. Beobachtungen an den szenischen Arbeiten von Hespos.

3.3 Aktion und Szene – Theater der Musik

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ein Kontrabass) aus einem „sehr ruhig“ zu einem „kaum ausspielen – transparente schichtigkeit erstreben“ übergehen und eine weitere Zurücknahme gefordert ist: „die saiten sind so gut abzudecken, dass lediglich reines bogengeräusch nicht aber tonhöhen wahrnehmbar werden“, und schließlich die Klänge „kaum mehr als angedeutet“ gespielt werden sollen. Abgesetzt durch Pausen durchzucken die Passage jedoch immer wieder gemeinsame, geräuschhafte Aktionen in „fffz“.352 Neben den Gesten des Musikmachens sind es zum Teil auch ungewöhnliche Instrumente – zum Beispiel entlegene Bestandteile einer Instrumentenfamilie – oder ungewöhnliche Besetzungen von Stücken, die bereits Szenisches im Sinne von besonderen visuellen Eindrücken auf dem Konzertpodium hervorbringen. Der Komposition spot ging zudem die Beschäftigung mit Oskar Schlemmers Triadischem Ballett voraus.353 Hespos schrieb im Auftrag der Akademie der Künste Berlin Musik zu einer choreographischen Neufassung des Balletts von Gerhard Bohner, die 1977 bei den Berliner Festwochen erstmals aufgeführt wurde.354 Mit Oskar Schlemmer habe er sich schon seit 20 Jahren befasst, so berichtete der Komponist 1978 in einem Statement gegenüber Fred K. Prieberg.355 Worauf Hespos noch heute im Gespräch wiederholt hinweist, ist der Aspekt der „Abstraktion“, der ihn an Schlemmer zentral interessiert hat.356 Dieser Gesichtspunkt steht im Verständnis Schlemmers für den Gegensatz zum Natürlichen, im Blick auf das Theater für die Künstlichkeit, Mechanisierung und Typisierung einer Figur und für die Anpassung des „natürlichen“ Menschen an den abstrakten, kubischen Raum. Ferner beschreibt Schlemmer Abstraktion als „Loslösung der Teile von einem bestehenden Ganzen, um diese für sich ad absurdum zu führen oder aber zu ihrem Höchstmaß zu steigern“ und als „Verallgemeinerung und Zusammenfassung, um in großem Umriss ein neues Ganzes zu bilden.“357 Für Schlemmer war die Entwicklung der Abstraktion in der Kunst, aber auch die Kontrastierung von Natürlichkeit und Künstlichkeit von großer Bedeutung. Ein „sehr gewichtiges Phänomen bedeutet das In-Beziehung-Setzen des natürlichen ‚nack352 Vgl. Partitur von dschen – das erregende ist wie eine offene schale, für Tenor/Baritonsaxophon und Streichorchester, 1968 edition modern münchen, 1991 hespos, ganderkesee, HE 05, S. 6–10. Hespos benutzt Kleinschreibung, die bei Zitaten oder Titeln beibehalten wird. 353 Das Triadische Ballett wurde am 30. September 1922 im Kleinen Haus des Württembergischen Landestheaters Stuttgart uraufgeführt. Schlemmer bevorzugte – um dies nur zu erwähnen – ebenfalls Kleinschreibung. Vgl. J. Noller, Klang / Bewegung. Musik und Tanz im modernen Gesamtkunstwerk. 354 Die für ein Instrumentalensemble komponierte Begleitmusik von Hespos wurde als Tonband realisiert, vgl. D. Scheper, Das Triadische Ballett und die Bauhausbühne, S. 287. Vgl. Oskar Schlemmer – Das Triadische Ballett (= Dokumentation 5). Vgl. auch U. Schalz-Laurenze, Erinnerung an die Zeichen der Zukunft – jetzt. Beobachtungen an den szenischen Arbeiten von Hespos, S. 36f. 355 Vgl. E.-M. Houben, hespos. eine monographie, S. 168; hespos – statements zu fragen von fred k. prieberg. zur ursendung „Das triadische Ballett“, Sendemanuskript, Hessischer Rundfunk, 2. Programm, Frankfurt a. M., 10. Januar 1978, AdK, Berlin, Hespos-Archiv. 356 Gespräch Hans-Joachim Hespos, Autorin, 4. November 2005, Berlin. 357 O. Schlemmer, Mensch und Kunstfigur (1925), S. 142.

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ten‘ Menschen zur abstrakten Figur, die beide aus dieser Gegenüberstellung eine Steigerung der Besonderheit ihres Wesens erfahren.“358 Desgleichen bedeutete die Herausforderung der Mechanisierung letztlich die „Erkenntnis des Unmechanisierbaren.“359 Diese Schlussfolgerung geht nicht zuletzt auf die Diskrepanz zwischen marionettenartigen Bewegungen und den Behinderungen von Körperbewegungen zurück, die durch Schlemmers Bühnenkostüme entstanden. Für Hespos entwickelten sich insbesondere solche Widersprüchlichkeiten, die sich aus Bewegungseinschränkungen oder psychologischem Druck ergeben, zu provokatorischen Arbeits- und Rezeptionsfeldern für Interpreten und Publikum sowie nicht zuletzt für ihn selbst als Komponist. Was heißt bei oder für Hespos „integrales Theater“? Von welcher Theaterauffassung geht er aus? Eine Gemeinsamkeit mit Kagel – um dies vorwegzuschicken – besteht darin, dass auch Hespos in der Regel Partituren schreibt und so den Interpreten genau vorgibt, welche Aktionen auszuführen sind. Dazu gehören in den Partituren elementar verbale Anweisungen, die sich nicht nur auf Aktionen im Raum oder auf die Verwendung von Requisiten beziehen, sondern direkte, besondere Spielanweisungen, Bewegungsanweisungen und Verhaltensinstruktionen für die Interpreten sind und häufig auch imaginäre „Klangbilder“ oder „Klanggestalten“ ergeben. Die Partituren von Hespos rücken den Interpreten geradezu auf den Leib. Sie tragen nicht nur zu einer Psychologisierung der Spieler bei, sondern sie fordern die Ausführenden auch körperlich heraus und bringen sie oft in Extremsituationen.360 Vom Saxophonisten in dschen, um dieses Beispiel nochmals heranzuziehen, werden etwa folgende Artikulationen verlangt: „kreischend gezogen“, „hart – hohl gespuckt“, „brutal gezogenes frullato“ (quasi prustende Flatterzunge), „gestammelt“, „sehr aggressiv“, „wie weggedrückt“.361 Die verbalen Spielanweisungen hat Hespos in seinen Werken zunehmend mit eigenen Wortschöpfungen angereichert, die zeigen, dass der Komponist die Eigendynamik zu nutzen versteht, die aus dieser Konstellation von Anweisungen und Klangimagination, Einfühlung und expressiver körperlicher Bemühung oder (Über)358 Ebenda, S. 154. Vgl. ebenda S. 106f., Die beiden Pathetiker. Werkzeichnung. Schlemmer bezog sich auch auf Heinrich von Kleists Aufsatz Über das Marionettentheater (1810), in dem die Vorzüge der künstlichen Puppen dargestellt werden: ihre graziösen Bewegungen gehen aus den Gesetzen der Schwerkraft hervor, sie werden nicht durch menschliche Willensanstrengungen oder Zur-Schau-Stellung gebrochen. 359 O. Schlemmer, Mensch und Kunstfigur (1925), S. 142. Vgl. auch G. Brandstetter, TanzLektüren, S. 353–365. 360 Eine Liste von „Extremwerken“ (E-Mail am 11. November 2005 vom Komponisten) enthält folgende Stücke: -Z... () (1969), palimpsest (1970), monod (eine verzehrung,... verschwebst) (1974), pleuk (1975), ch[Fermate über h]e (1975), Z/dor (1977), nai (1979), ohrenatmer ein szenisches ereignis (1981), seiltanz szenisches abenteuer (1982), mini mal! (1982), taff – zeitwinde für orchester (1985/86), donaia (1986), decay ... pendelmesse – lichtraumszene für stimmen und multimusiker (1987–89), fulaar (1989), air (1992), kriZ (1993), pAp thermodynamisches ritual (1994), kammerszene – mirli – (1995), duOH (1995), joie (1996), OP! (1996), jets (1996, elektronische musik), überRASCH (1998), ANJOL (2000), kette (2001), kaleidoskopes luftsilber (2001), stitch (2002), vierig+ (2002), spil... 361 Vgl. Partitur von dschen, Saxophonstimme.

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Anstrengung resultiert.362 Aktionen, Bewegungen und Gesten der Klang- beziehungsweise Musikproduktion ergeben bei Hespos besondere szenische Momente. Der Komponist erklärte dies am Beispiel von prestunissimo (1981), „sieben zeilen“ für Viola, Violoncello und Kontrabass, ein Trio, das gleich zu Beginn ungewöhnliche Spielhaltungen verlangt, die das Publikum spontan zum Lachen bringen: „Dabei steht in der Partitur bspw. für den Bratscher nichts anderes, er möge mit dem Bogen haargenau auf den Steg schlagen. Und wenn er das tun will, dann kann er das nicht in üblicher Streicherhaltung machen. Weil er sonst die Saiten trifft, entweder vorm Steg, nach dem Steg. Er trifft auf jeden Fall eher den Saitenklang als den Stegklang. Also muss er etwa den Bogen in Aufstrichposition weit hinter dem rechten Ohr ansetzen, um dann tatsächlich mit der Bogenspitze die Bogenhaare auf dem Steg aufzuschlagen. Und durch solch eine klangerzeugende Geste wird natürlich ein Bild geschaffen, das traditioneller Quartett- oder Streichermusik ziemlich quer ins Auge steht. Und das war der Lacher. Und so geht’s eigentlich das ganze Stück hindurch. Es werden auf die unterschiedlichste Art und Weise Klänge erzeugt. Nur die Musiker dabei anzusehen, ist oftmals so herzerfrischend lustig, dass das ein musiktheatralisches und sehr vergnügliches Stück geworden ist. Obwohl es alles andere meint, als reines Vergnügen.“363

Es ist Theater im Sinne von Cage, das die Gleichzeitigkeit von Sehen und Hören betont, doch liegt ihm im Unterschied zu Cages Produktionsästhetik eine ausgefeilte und umfassende kompositorische strategische Steuerung zugrunde. „Was Hespos ‚die Präzision der Interpretationsanweisungen‘ nennt, ist eine hochkomplexe und poetische Angelegenheit, schließt unbewusste oder halbbewusste Dimensionen ein und zielt auf surreale Qualitäten wie die Verbindung des weit Auseinanderliegenden oder die Aktualisierung von erotischen und sexuellen Potenzen. Die Partituren werden zum Bild einer spannungsreichen graphischen Notierung, die die Gewaltsamkeit des Getriebenseins und Treibens in den Reihungen und Häufungen der Wortmontagen festhält.“364 Hespos sieht in der Umsetzung seiner Partituren eine Freisetzung von Energie, die sich zuvor in der kompositorischen Beschäftigung und Arbeit mit dem musikalischen Material verdichtet hatte und die Hespos zufolge in die Niederschrift der Musik einfließt. „Man könnte sagen, die Energie, die man selbst angereichert und verdichtet hat, hat sich übertragen auf das Werk und kann wieder frei werden in der Aufführung, mit guten Musikern für die offenen Ohren des Publikums. Das ist ein Energietransport. Komponieren heißt einen Energietransfer tun.“365 Grundsätze seines Musiktheaters beschreibt Hespos folgendermaßen: „die gesten des musikmachens sind szenische, sie erschaffen eigene räume – Zeiten, werden so adaptive transparenzen voller unzusammenhang, eine andere und neue art der wahrnehmung wird not362 Vgl. L. Baucke, Der Musik auf’s Maul geschaut. 363 Hespos im Gespräch mit Roland Wächter und Thomas Meier (22. November 1986), S. 135f. Vgl. prestunissimo, delmenhorst 1981, H 016 E. 364 B. Alms, Bilder … Partituren. Gemeinschaftsausstellung zum Jubiläum. Max Herrmann ... Hans-Joachim Hespos. 25 Jahre ... neue musik in delmenhorst am 11.11.1994, S. 20f. 365 Hespos im Gespräch mit Roland Wächter und Thomas Meier (22. November 1986), S. 128.

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wendig. unzusammenhang löst sich auf in transparenz, kippt um in allumfassenden zusammenhang, der alles mit allem in beziehung setzt. musikalische freiheit wird erweitert im erlebnis ‚jederzeit‘, ‚jetzt‘ – in jedem augenblick ‚jederzeit‘, ‚jetzt‘ – wird lebendigkeit selbstbestimmend erlebt“.366 Diese Stellungnahme sei zum Ausgangspunkt einer näheren Betrachtung der szenischen Arbeitsweise von Hespos genommen. Es wurden bereits im Zusammenhang mit Lachenmanns Interieur I und Berios Circles verschiedene Gesten der Musikproduktion angesprochen. Bei Hespos geht es um Körper- und Ausdrucksgesten sowie „instrumentale“ Gesten besonderer Art, weil sie unter Druck, unter Spannung entstehen. Ihnen liegt – zunächst in der Instrumentalmusik, dann auch in den musiktheatralen Werken – keine Absicht zur Distanzierung vom eigenen Tun im Sinne einer kritischen Analyse oder Situation von So-tun-als-ob zugrunde, sondern im Gegenteil, eine möglichst vollständige Identifikation, ein völliges Sich-Einlassen auf die kompositorischen Forderungen. Aus dieser „risikofreudigen“ Haltung der Interpreten resultieren unvorhergesehene Bewegungen, Körperhaltungen, Klänge, und eine direkte Ansprache des Publikums. Dazu erläuterte Hespos: „Mich interessieren diese Fast-Identifikationen. D.h. es muss auch für den Musiker anfangen, ein Wagnis zu sein, Musik zu machen [...] Wenn man Musik erzeugt, macht man etwas durch und muss sich in diesen zum Teil sehr gefährlichen Prozess einlassen. Und wenn diese Distanz sehr eng geworden ist, zwischen dem Ausführenden und dem Werk, dann verringert sich auch die Distanz zum Publikum. Und so etwas wird unmittelbar wahrgenommen als Ereignis.“367 Gesten der Musikproduktion erzeugen visuelle „Gestalten“, sukzessiv nachvollziehbare und erinnerbare Bewegungszusammenhänge und -einheiten, die Vorstellungs- und Erinnerungsraum, aber auch sichtbar „realen“ Raum einnehmen. Diese Raumnahme benötigt eine gewisse Dauer. Hespos’ Strategie, den Interpreten „unter Druck“ zu bringen, setzt auch dort an. Schränkt man den gewöhnlichen Körperraum ein oder beschneidet man die Zeit eines bestimmten Vorgangs, ohne in seinem intendiertem Tun nachzulassen, dann emergieren Resultate voller Energie, auch wenn sie am beabsichtigten Ergebnis knapp vorbeigehen oder übers Ziel hinausschiessen (in OP! sind beispielsweise die Füße der FRAUEN „zu kurzem schritt gebunden“, in Seiltanz schweißt sich ein Schlagzeuger aus einem Öltank: „extreme ausbruchattacken von katastrophaler erschrecknis“368). Genau darauf legt es Hespos an: auf solche energetischen Momente, die Risiken implizieren. Sie entspringen auch häufig aus widersprüchlichen und kaum oder rätselhaft zu realisierenden Aufführungs- oder Spielanweisungen, etwa in Seiltanz „quer zur Zeit“ (Altsaxophon) oder „von werfelnder begrauung“ (Klarinette).369 Die 366 musik + szene. künstlerische ausdrucksformen im werk von h.–j. hespos (1998), S. 47. 367 Hespos im Gespräch mit Roland Wächter und Thomas Meier (22. November 1986), S. 129. 368 Werkkommentar zu OP!, S. 205; Partitur Seiltanz szenisches abenteuer, für Bläser, Kontrabass, Schlagzeug, Spieler und Dirigent, 1982 hespos, delmenhorst, H 019 E, S. 6. Vgl. G. Nauck, OP! = Hinauf? Begehbare Video-Szene von Hans-Joachim Hespos. 369 Partitur Seiltanz szenisches abenteuer, S. 1, 17. Vgl. U. Schalz-Laurenze, Erinnerung an die Zeichen der Zukunft – jetzt. Beobachtungen an den szenischen Arbeiten von Hespos, S. 36–39.

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Herausforderung „interpretativer Entscheidungen“ hat Hespos auch anhand von folgenden Spielanweisungen dargestellt: „z.B.: rasche impulsfolge – zeitdauer 4’’ – tempobezeichnung ‚ruhig‘ – z.B.: gestreckter klang – zeitdauer 12’’ – tempobezeichnung ‚hektisch‘ – z.B.: anweisung: metallisch gekreischt – lautstärkebezeichnung ppp – etc. (aus zeitschnitte)“.370 Hespos kommentiert das zuletzt zitierte Beispiel in einem Gespräch: „Das ist möglich, ich habe es gehört. Es muss ein Weg interpretativ gesucht werden, um etwa dorthin zu kommen, was der Konzeption oder dem inneren Ohr – meiner inneren Hörvorstellung – nahekommt, was sich von dorther interpretativ übersetzen lässt.“371 Die Zeichen und verbalen Anweisungen in den Partituren, die einzelnen Abschnitten und Momenten gelten, werden den globalen Tempo- oder Verlaufsangaben übergeordnet, sofern keine anderen Bedingungen vorgegeben sind. Seinen Partituren hat Hespos folgenden Kommentar beigegeben: „die bewegende ursache des zeitlichen ablaufes bei musikalischen gestalten ist höchst komplex, ist gestaltspezifisch vielfältig unbestimmt und somit nicht eindeutig fixierbar. 1. die sekundenangaben der einzelnen abschnitte gelten nur relativ. 2. die proportionen der graphischen längen in der partitur entsprechen annähernd dem verhältnis des zeitlichen ablaufes.“372 Raum und Zeit der Gesten des Musikmachens sind nicht abhängig von der gemessenen, chronologischen Zeit – diese dient allenfalls als Orientierung –, sondern abhängig von der individuellen Spielweise eines Interpreten und von dessen Persönlichkeit (von dessen Widerstand, Einsatz- und Risikobereitschaft, An- oder Entspannung, besonderen Kompetenzen etc.) sowie von der Widerständigkeit eines Instruments gegenüber „unmöglichen“ Spielinstruktionen. Kagel hat die Konventionen übertrieben, persifliert, parodiert, in andere Rahmungen versetzt. Hespos ignoriert oder verletzt die Konventionen von vornherein.373 Neben der Akustik und vor allem Psychoakustik interessierte sich Hespos von Beginn an für Instrumente, Instrumentenbau und Klangerzeugung, die er als Ausgangspunkte und wichtigste Aspekte für seine kompositorische Arbeit im Sinne von „Reibung am Material“ bezeichnet.374

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Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erforschte man die Auswirkung von bestimmten Bewegungseinschränkungen und stellte beispielsweise fest, dass die „Ganzheitlichkeit der Bewegung [...] gefährdet [ist], wenn die Bewegung erheblich verlangsamt wird“ (vgl. E. Lippert, Unterscheidungsempfindlichkeit bei motorischen Gestaltbildungen des Armes, S. 73). [musikstudio – junge komponisten stellen sich vor] (1971), S. 60. Die Beispiele beziehen sich auf das Streichtrio zeitschnitte, vgl. Partitur, Edition Modern 1971, hespos, Ganderkesee 1991, HE 13, S. 2. Gespräch mit Hans Kumpf (1975), S. 95. Vgl. E.-M. Houben, hespos. eine monographie, S. 324. Die Hinweise zur Partitur und Zeichenerklärungen für Instrumente sind im Eigenverlag von Hespos erhältlich. Vgl. dazu „Ich komponiere mit der eigenen Überraschung“. Hans-Joachim Hespos im Gespräch mit Reinhard Oehlschlägel. Vgl. Hespos im Gespräch mit Roland Wächter und Thomas Meier (22. November 1986), S. 128f.; Hespos erwähnt beiläufig die für ihn wichtige Lektüre von W. Baumeister, Das Unbekannte in der Kunst (1947). Für Baumeister ist die Realisierung einer künstlerischen Vision eng mit der Arbeit am „Widerstand des Materials“ verbunden (S. 157).

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In der szenischen Musik werden laut Hespos die für die Instrumentalmusik geltenden Grundsätze erweitert. „Musik ist ja weit mehr als nur das bloße Tönen oder Geräusch oder Impuls. Das ist all das, was sich an Schwingungen weitergibt über die Luft oder auch über die Imagination. Und dazu kann alles dienen, was als Schwingung, als Vibration wahrgenommen wird. [neue Kategorien sind einzubringen:] Verhältnis Raum – Zeit – Bewegung – Erlebnisfelder. Das alles sind Dinge, die sind komponierbar, die können einem erweiterten Ausdruck förderlich sein.“375 Produktion und Rezeption von Musik und Klang bleiben in Hespos’ Musiktheater grundlegend. „Daß meine Kompositionen in den letzten Jahren das Szenische immer mehr mit einbezogen haben, nicht nur in Werken für die Szene selbst, für Bühne, Oper, Ballett, sondern dass sie auch in kammermusikalischen, symphonischen Bereichen mehr und mehr szenische Momente bekommen, meint einfach, dass die Komposition hier nicht die Musik verlässt, sondern die Musik ausweitet in Richtung der Gebärde, des Zeichens, der Bewegung.“376 Dabei sind zwar Geschichten, Bilder, skurrile Begebenheiten oder Alltagserlebnisse inhaltliche Anregungspunkte oder Auslöser für szenische Vorstellungen und Abläufe, doch sie bleiben zumeist unterhalb der Oberfläche. Die Bilder erhalten Zusammenhang erst wieder durch die Rezeption, in der individuell erbrachten Synthese aus Erlebnis und Interpretation. Die Zeichen dieses Theaters wirken „durch den Entzug des Signifizierens [...] das Theater artikuliert durch die Art seiner Semiose eine die Wahrnehmung betreffende These.“377 Als Beispiel für solche Grundzüge des „postdramatischen Theaters“ bei Hespos sei auf Black Beauty (1993) für eine Trommlerin, eine Schauspielerin, einen Tänzer, einen „Mann für vieles“, Licht und Projektionen (Gesamtdauer: 60 Minuten) verwiesen. „KEINE geschichten, eher wegführen in unvorstellbares.“378 Die Figuren, ihre bewegten Bilder und die Projektionen sind parataktisch im Raum verteilt, sie agieren unabhängig voneinander, mit Ausnahme von vier Generalpausen, von Hespos sogenannte „fürchterliche starrStillen“. Die Trommlerin, erhöht auf einem Podest, spielt eine kleine, schwarze Trommel mit Schnarrsaiten, „sehr flach, sehr hoch, sehr giftig, mit ‚heißen‘ sticks“ und ist „gekleidet in lederweiß“. Ihre verschiedenen rhythmischen Artikulationsanweisungen kann sie am Beginn „zu unterschiedlichen gestalten zerlesen“. Ihr furioses Einsetzen mit dynamischem An- und Abschwellen klingt aus in vierfachem Piano („auch stumme fortsetzungen..“). Hespos gibt vor: „zu rasselig schurrenden a t e m - b l o c k s zusammenziehen – rauschGEraun – jede gleichmäßigkeit stören durch unerwartetes gebreak, flatterschnitte, anorganische verwerfungen . eigenart von zeitRAUSCH ! von anbeginn schattengleich durchsetzt von schweren [...] QUERPAUSEN.“379 Auch musikalisch sollen keine Zusammenhänge entstehen. Die Trommlerin auf dem Podest verbürgt die mit ihr gegebene 375 376 377 378

Hespos im Gespräch mit Ute Schalz-Laurenze (Februar 1985), S. 115. Hespos im Gespräch mit Hanne Stricker (April 1987), S. 163. Vgl. H.-T. Lehmann, Postdramatisches Theater, S. 140. Partitur, Black Beauty, 1993 hespos, ganderkesee, H 065 E, S. 2. UA Black Beauty 1995, Luxembourg (Eröffnungsprogramm Europäische Hauptstadt), vgl. A. u. G. Wagner, 14. Januar 1995: Gare de Luxembourg „Black Beauty“. Die Zuhörer in der Bahnhofshalle: ratlos. 379 Partitur, Black Beauty, S. 6.

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und durch sie zentrierte Produktion der Klänge wie eine Ikone. Der temporale Rausch oder Taumel, den sie wieder aufnimmt und intensiviert, endet mit einem scharfen „fellKill platzriß“. Die Schauspielerin (fraul) „mit querphantasie, in langschwarz, Unperson mit Unding (BündelgePlack)“ verliert sich umgekehrt in einem „endlosen Verheddern“ mit ihrem Gegenstand, der kein „Ding“ sein soll, nachdem sie sich zu Beginn heftig und stumm mehrmals gegen eine Wand geworfen hatte und „surrealen imaginationen“ nachhing.380 Sie „zeratmet sich“ nach Schreien am Ende „irdendwo abseitig“.381 Der Tänzer (coq) ist ein „traumtänzer-aberwitz, ein wohltemperierter duftkörper“ mit einer langen Krachlatte, die Hespos häufig als markantes Klangrequisit einsetzt, um Stille zu erzeugen (nach einem überlauten Knall). Der Tänzer agiert zunächst gelassen, blickt fasziniert in imaginäre Schaufenster oder bunte Jahrmarktsherrlichkeiten, ist „in anderer wirklichkeit“. Ab dem zweiten Drittel bricht er in plötzliche wilde Tollheiten aus, in ein Wüten gegen sich selbst „bis zum erbrechen, zur erschöpfung“.382 Sein Krachen mit der Latte gellt in den Ohren. Der „Mann für vieles“ (Arbeiter) agiert an allen Stellen, kontrolliert, repariert, ist mit der Technik, mit dem Licht, mit den Requisiten im Raum, mit dem „Gelegenheitsklavier“ beschäftigt: „in planvollem selbstverständnis entsteht ein scheinbar heilloser ablauf von unglaublichem durcheinander an unstimmigkeit.“383 Dabei könnte am Ende dieser „Gelegenheitsarbeiter“, den man bei einer Aufführung nicht sofort als Mitwirkenden einstufen kann, der Garant dafür sein, dass das Band der ruckenden, wackelnden, plötzlich auf- und abtauchenden Bilder und Szenen durchläuft (auch wenn er während der Aufführung unter anderem mit einem Kurzschluss zu kämpfen hat). Im „postdramatischen Theater“, so zeichnet es Hans-Thies Lehmann, kommt es darauf an – wie in Freuds psychoanalytischer Haltung einer „gleichschwebenden Aufmerksamkeit“ – „nicht sofort zu verstehen. Vielmehr muß die Wahrnehmung dafür offen bleiben, an völlig unerwarteten Stellen Verbindungen, Korrespondenzen und Aufschlüsse zu erwarten, die das früher Gesagte in ganz anderem Licht erscheinen lassen. So bleibt die Bedeutung prinzipiell – aufgeschoben. Gerade das Nebensächliche und Insignifikante wird genau registriert, weil es in seinem unmittelbaren Nicht-Bedeuten sich als signifikant für den Diskurs des Analysanden erweisen kann. In solcher Weise wird der Zuschauer des postdramatischen Theaters nicht zur sofortigen Instant-Verarbeitung veranlasst, sondern zum aufschiebenden Speichern der Sinneseindrücke“.384

Der Zuschauer kann die Eindrücke zwar nicht in einem Augenblick verarbeiten, doch seine gespannte Aufmerksamkeit – auch wenn sie selektiv oder fragmenta380 Bei einer Aufführung am 17. März in Berlin 1999 (17. musik-biennale) agierte die Schauspielerin mit einem langen Gewickel aus transparenter Plane. 381 Partitur, Black Beauty, S. 2. 382 Ebenda, S. 3. 383 Ebenda, S. 4. 384 H.-T. Lehmann, Postdramatisches Theater, S. 148f. Vgl. auch ders, Ästhetik. Eine Kolumne: Über die Wünschbarkeit einer Kunst des Nichtverstehens.

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risch ist – gilt dem gegenwärtigen Geschehen. Sich dem aktuellen Tun völlig zuwenden, das fordert Hespos ebenfalls von den Interpreten/ Akteuren. Dazu trägt seine Strategie bei, sie unter „Druck“ zu setzen. Selbst im Alltag ist beispielsweise die Wirkung einer körperlichen Einschränkung oder eines zeitlichen Engpasses bekannt, die dazu führt, dass man Bewegungen sehr genau überlegen oder sehr umsichtig ausführen sollte, weil sich sonst in einem unachtsamen Moment unangenehme oder unglückliche Verläufe eines Tuns ergeben könnten. Das auf jeden auszuführenden Akt konzentrierte Bewusstsein ist zwingend. Mit dieser Prämisse arbeitet Hespos. Dabei wird die Gegenwart des Tuns oder Erlebens als subjektiv empfundene Zeitspanne zu einer von der chronologischen Zeit völlig losgelösten, komprimier- oder dehnbaren temporalen Ebene. Die „Spannweite der Gegenwart ist abhängig von der ‚Anstrengung‘, ‚Aufmerksamkeit‘ aufzuwenden und auszudehnen.“385 Der zeitliche Verlauf im szenischen Konzertstück ANJOL für Dirigent und improvisierendes Saxophon (2000) – „.. offener ort, da wo schrecken und wunder hausen ..“ – wird beispielsweise zunächst von einem Akteur als Dirigent und seinen einmal hektisch, einmal in Zeitlupe ausgeführten Dirigier- und Pianistengesten (ohne klanglichen Gegenpart) und seiner daneben gelegentlich in die Stille und Stille zurücklassenden knallenden „Krachlatte“ bestimmt.386 Nach sechs Minuten schiebt sich allmählich das Saxophon in den Vordergrund, zunächst nur durch das sicht- und hörbare Auflösen einer gequälten, am Boden zusammengekrümmten Körperhaltung des Musikers: „[3 Minuten] wie festgesaugt am instrument sich in seitenlage am boden zäh in den raum schiebend, wobei zuweilen leises instrumentenschurren blechblitzend aufkreischt [...dann, ebenfalls in 3 Minuten] verlässt die bodenlage und steht über mühevolle zwischenpositionen in unterschiedlichen verharrungen allmählich auf, begibt sich in extreme raumfernen, wo hartklingende materialien am boden verstreut liegen (stahlrohrabschnitte, kettenstücke, schurrklöter-roll-glas, metall, steine,...), die beim durchlaufen unwillkürlich (schwach, heftig) angestoßen werden.“387 In diesem „Raum – Zeit – Bewegungs- und Erlebnisfeld“ verbindet sich Interpretation (der Notation) mit der Präsentation völlig situationsabhängiger körperlicher Befindlichkeiten und Aktionen, die ihre eigene Ablaufzeit beanspruchen, so dass, wie Thomas Steiert die Grundzüge des „integralen Theaters“ von Hespos umrissen hat, „innerhalb eines Situationsrahmens eine dynamische, nicht absolut definite Struktur von Ereignissen“ entsteht.388 Die Zeitebene des Saxophons ist zu Beginn nur von den eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten und „Körper385 E.-M. Houben (mit Bezug auf Henri Bergson), Die Aufhebung der Zeit, S. 33f. Vgl. dazu auch J. Crary, Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur, S. 252ff., „‚Aufmerksamkeit auf das Leben‘ ist für Bergson in Materie und Gedächtnis [1896] das hervorragende menschliche Vermögen: dasjenige, das statt der tristen Redundanzen der Vorstellung die Einmaligkeit anzuschauen erlaubt“ (S. 257). 386 Vgl. H.-J. Hespos, ANJOL für dirigent stefan eder und improvisierendes baritonsaxophon, Partitur, Ganderkesee/Heiligendamm 2000, H 124 E. 387 Partitur ANJOL, Saxophonstimme. 388 T. Steiert, Die Konzeption des Integralen Theaters, S. 266.

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rhythmen“ des Spielers bedingt. Erst in seinem allmählich erreichten „aufrechten Gang“ entstehen zunächst einzelne, voneinander durch Pausen separierte, längere und kürzere Geräusch-Klangkomplexe (aus Materialfeldern). In der Schlusspassage zeigt sich die Tendenz zu melodisch und rhythmisch modellierten Klangverläufen (mit bestimmten Tonhöhen, auf Notenlinien notiert): „schier endlos, schwankend unbewegt ruhig“. Doch die Konzentration liegt nicht auf der Produktion einer kohärenten Linie. Vielmehr ist jeder Ton oder Klangkomplex der Saxophonmelodie ein temporales „Individuum“, ein „dramatisches Ereignis“, auch in der Artikulation von aneinandergereihten, ausgehaltenen oder fortgesetzten Klängen (Hespos’ „Un-Zusammenhang“).389 Dies resultiert aus einem klangphänomenologischen Ansatz (ähnlich wie bei Lachenmann), der die differenzierte, analytische Beachtung und kompositorische Bearbeitung von Ein- und Ausschwingvorgängen sowie von Klang-Zuständen oder „Modulationsvorgängen“ initiierte. Zudem regte der Ausgangspunkt „Klangphänomenologie“ verschiedene Arten der Erzeugung von Stille an. „durch orientierung an den phänomenen des musikalischen materials selbst werden in meine musik jene imponderablen kategorien gestaltend und formbildend einbezogen [...] die art und weise wie klang einschwingt, sich ausbildet und endlich verklingt, doch auch wie klänge im sukzessiven und simultanen zueinander sich entfalten sollen, ist hier [in meinen Partituren] auskomponiert und notiert“.390 Betrachten wir eine „Klanggeste“ der Saxophonstimme: Es ist ein Geräusch-Klangkomplex in sfffz aus folgenden Bestandteilen, die im Prinzip alle gleichzeitig umgesetzt werden sollen (in einer Sekunde): eine Art knarrend überblasenes Frullato, ein Überblasen nach oben ohne bestimmte Tonhöhen, das Blatt mit den Zähnen derart quetschen, dass ein hoch durchdringendes Kreischen entsteht, so tief wie möglich spielen, die Artikulationen sind „schleuder“, „splitter“, „rissig“, gliss“ [glissando?], die Beschreibung lautet „HACKzerblasene schroffBLOCs ohne erkennbare tonhöhen schreistumpfBRÜLL“. Die Graphik des Spiel- und Klangkomplexes zeigt darüber hinaus deutlicher, als Worte es können, dass beinahe eine kleine Explosion, eine sehr kurze Entladung von Energie stattfinden soll.391 Hespos betont „nicht den formalen Aspekt des Begriffes [Gestalt], also Gestalt als Ganzheit, sondern den Aspekt des Gestaltens selbst.“392 Dem Beispiel ist zu entnehmen, dass es Hespos in der Tat darum geht, die volle Aufmerksamkeit auf das aktuelle Geschehen zu richten, obwohl ein übergeordneter „Verlaufsplan“ sowohl für die Figur des Dirigenten als auch für den Saxophonisten vorhanden ist. Der Auf- und Abtritt des „Dirigenten“ und seine gemimten Handlungen sind vorgegeben, der Akteur kann sich zwar eine individuelle Anordnung der Verläufe zusammenstellen, doch sein Erscheinen und sein Abgang sind festgelegt. Davon ist auch zunächst die Wahrnehmung des Saxophonisten abhängig, obwohl keine di389 390 391 392

Gespräch mit Michael Peschko (26. April 1988, Köln), S. 167. [musikstudio – junge komponisten stellen sich vor] (1971), S. 58f. Partitur ANJOL, Saxophonstimme (Seite 1). T. Steiert, Die Konzeption des Integralen Theaters, S. 265.

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rekte Interaktionen zwischen diesen beiden Spielern stattfinden. Die Anwesenheit des Saxophonisten, der zu Beginn in gekrümmter Haltung am Boden liegt, wird zunächst zugunsten des wild agierenden „Dirigenten“ vernachlässigt, zwar registriert, aber in der Wahrnehmung zurückgestellt. Gegen Ende verblasst der „Dirigent“ zur Nebenfigur, während die Saxophonlinie ausgestaltet wird, so dass der „Dirigent“ kaum merklich, aber zu einem in der Partitur vorgegebenen Zeitpunkt gegen Ende der Saxophonmelodie, die Szene verlässt. Insofern ist der Verlauf des Stücks in seiner globalen Struktur als beinahe symmetrische, sich im Geschehen und in bezug auf die Aufmerksamkeit überkreuzende Einheit zu rezipieren. Doch die lokalen Ereignisse in diesem Werk sind auf ihre aktuelle Wahrnehmung angelegt. Das heißt, weder sind kohärente, gut memorierbare Abschnitte in einer gewissen „logischen“ oder plausiblen Folge aneinandergefügt noch ergibt sich daraus die Möglichkeit, Verläufe zu antizipieren. Dies betrifft sowohl die Versatzstücke aus Musizier- und Dirigiergesten als auch die Artikulationen des Saxophons. Eine gerichtete Erwartung wird verhindert, sie bleibt stets offen. Hespos rechnet hierbei mit der Wahrnehmung von akustischen „Gestalten“ innerhalb der sogenannten „Präsenzzeit“, die Kognitionswissenschaftler und Psychologen etwa mit drei oder bis zu sieben, manchmal auch acht bis zwölf Sekunden angeben. Sie wird beschrieben als „the time interval, a few seconds in length, in which we experience the flow of events as being simultaneously available to perceptual or cognitive analysis.“393 Die „subjektive Gegenwart“ als Dauer der „Präsenzzeit“ ist daher in der Tat nur grob einzugrenzen, sie wird vor allem auch davon beeinflusst, welche Ereignisse als gleichzeitig oder aufeinanderfolgend, jedoch zusammengehörig aufgefasst werden.394 „The contents of a present are simultaneously available and are as such continuously open for restructuring; that is, the information contained in it is open to revision under different cognitive (or at least higher order) interpretive hypotheses.“395 Dies ist zudem abhängig von mnemotechnischen Voraussetzungen, so gilt etwa eine Begrenzung für die Aufnahme von Melodietönen: „memory for an unfamiliar melody will not be accurate

393 J. A. Michon, The Making of the Present, S. 90. 394 Vgl. dazu E. Pöppel, Gegenwart – psychologisch gesehen. Pöppel stellt dar, dass die Zusammenfassung von Einzelereignissen zu Wahrnehmungsgestalten – ein „Integrationsmechanismus“, der auf die „Ereignisidentifikation“ folgt – in einer „Drei-Sekunden-Segmentierung des Erlebens“ vor sich geht. Die „subjektive Gegenwart“ sei daher ein „Drei-SekundenFenster in der Zeit“ (S. 1252f.). 395 J. A. Michon, The Making of the Present, S. 92; vgl. auch D. Clarke, Structural, cognitive and semiotic aspects of the musical present. Vgl. L. W. Stern, Psychische Präsenzzeit. „Das innerhalb einer gewissen Zeitstrecke sich abspielende psychische Geschehen kann unter Umständen einen einheitlichen zusammenhängenden Bewusstseinsakt bilden unbeschadet der Ungleichzeitigkeit der einzelnen Teile. – Die Zeitstrecke, über welche sich ein solcher psychischer Akt zu erstrecken vermag, nenne ich seine Präsenzzeit [...] Der unmittelbaren Wahrnehmung ist eben ‚Gegenwart‘ etwas Anderes als der logischen Abstraktion, nicht der mathematische Punkt, nicht die bloße Grenze zwischen dem Vergangenen und Kommenden, sondern eine, wenn auch kleine, so doch positive und endliche Zeitstrecke“ (S. 326f., S. 334).

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for melodies longer than 10 notes“.396 Bereits L. William Stern betonte, dass kein Generalwert für die Präsenzzeit zu geben sei, aber ein „Optimalwert“: „sei es, dass dieser subjektiv als angenehmster Zeitwert erscheint [...], sei es, dass er objektiv die günstigsten Bedingungen zur Entfaltung des Bewusstseinsaktes bietet [...] Der Optimalwert ist in hohem Maße abhängig von dem Inhalt des Bewusstseinsaktes.“397 In der Betonung des Augenblicks und der Konzentration auf die „JetztZeit“ gehen bei Hespos kompositorische Zielsetzungen, multisensoriale, kognitive und psychische Wahrnehmungsmechanismen in der Gegenwart anzusprechen, und philosophische Vorstellungen des „Gegenwärtigseins“ ineinander über (auf die philosophische Ebene wird unten eingegangen). Die Unvorhersagbarkeit und Offenheit des Geschehens während der Aufführung ist beabsichtigt, obwohl die Notation eine temporale Struktur aufweist und sehr differenzierte Spielinstruktionen enthält. Hespos bewegt sich auch hier zwischen Extremen: einerseits werden die Aufführungsanweisungen sehr genau festgelegt, andererseits sind die tatsächlichen Aufführungsverläufe gerade auf Grund der umfassenden Determination der Aufführungsanweisungen nicht mehr prognostizierbar. Ob ein Farb-Tremolo, ein Überblasen, eine „Wegblende“, eine Klanggestalt im Bereich „schwach hörbar“, einen ins Nichts verschwindenden Klang oder ein resonantes Brummen – die Zeitangaben und Proportionen der graphischen Längen in der Partitur von ANJOL entsprechen, wie oben angedeutet wurde, nur annähernd dem Verhältnis des temporalen Ablaufs einer Aufführung.398 Stockhausen hatte einst formuliert, als er Feldgrößen in die Dauernstruktur einführte (und man könnte seine Aussage noch auf die Abläufe bei Hespos übertragen): „die Dauer ist nicht gequantelt; die Proportionen werden im Grad ihrer Fluktuation unmittelbar erlebt und nicht mehr an einem effektiv vorhandenen oder in den Zeitablauf hineinempfundenen Zählmaß verglichen.“399 Klang als Resultat von Körperbewegungen und Gesten der Musikproduktion beziehungsweise die unmittelbare Verbindung von Aktion und Klang ergeben demzufolge in ihrem zeitlichen Verlauf – und vor allem in ihrem gleichzeitigen Verlauf – vielschichtige Strukturen, zu denen die Erlebnisoder Auffassungszeit hinzutritt.400 Dabei können die Gestaltung von Körperbewegungen und Klang sowie Bewegungen im und durch den Raum der individuellen Zeitauffassung oder dem subjektiven Zeitgefühl des Rezipienten entgegenkommen, aber auch widersprechen. Die Eigenwilligkeit der Handlungen und 396 W. L. Berz, Working Memory in Music. A Theoretical Model, Zitat S. 354, nach R. G. Pembrook, Interference of the transcription process and other selected variables on perception and memory during melodic dictation. 397 L. W. Stern, Psychische Präsenzzeit, S. 343. 398 Hespos über „Zeit“ im Gespräch mit Michael Peschko (26. April 1988, Köln): „Zeit bedeutet die Chance, sich ein mehr oder weniger langes Intervall all seinen Möglichkeiten nach zu entwickeln. Kennenzulernen, auszuweiten, sich zu reduzieren, zu komprimieren, Wesentliches zu erfahren, verrücktzuspielen. Alles Mögliche zu machen. Den ganzen Farbtopf, den wir, oder der wir selber sind, mit dem einfach mal in alle Gegenden zu spritzen und vielleicht sehr interessante Zeichen zu malen“ (S. 175). 399 K. Stockhausen, „...wie die Zeit vergeht...“, S. 132. 400 Vgl. H. H. Eggebrecht, Musik als Zeit, S. 13.

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Ereignisse, die nicht vorherzuplanen sind und damit Irritation und Überraschungen sowohl für den Komponisten als auch für den Interpreten und Zuschauer auslösen können, ist – wie oben bereits besprochen wurde –, bei Hespos intendiert. „in meiner musik ereignen sich komplexe gestaltentwicklungen, die von detail zu detail, von einem moment zum nächst umfassenden immer aufs neue sich entscheidend legitimieren müssen. das eine bringt unter angestrengtheit und voller risiko erst das nächste hervor, das wiederum nur ist, weil drittes daraus werden kann; – gleichsam genetische prozesse, – mit all meiner intensiven, ungesicherten hoffnung auf das ‚ermöglichende‘.“401

Eine „integrale Inszenierung“ ziele darauf ab, „wahrnehmungssinne des hörens, sehens, riechens, schmeckens, tastens, denkempfindens komplex anzuregen“.402 Insofern ist eine ganzheitliche Ansprache der an der Aufführung Beteiligten einschließlich des Publikums beabsichtigt. „meine partituren sagen HALLO zu jedermann ... HALLO in dem sinne von: hören sie es..bemerken sie es..können wir uns verständigen..sind wir miteinander in kontakt ... geraten wir in austausch/in aufregung ZU-ein-ander ... – leben wir mitEinAnder ?!“403 Die Idee der „Gänzlichung“ von Erfahrungen wurde durch den philosophischen Schriftsteller Jean Gebser angeregt, in dessen zweibändigem Werk Ursprung und Gegenwart, einem Beitrag zu einer Geschichte der Bewusstwerdung, ein Entwurf des zeitgenössischen Bewusstseins des Menschen „integral“ genannt wird.404 Damit sei eine Bewusstseins-Intensivierung verbunden, die nicht nur eine Überwindung des Dualismus von Objekt und Subjekt sowie der Spaltung von rationalen und irrationalen Aspekten des Lebens einschließe, sondern auch ein neues Verhältnis zur Empfindung und Auffassung von Zeit. Die „integrale“ Ebene sei mit Bezug auf Raum und Zeit aperspektivisch und zugleich gegenwartsbezogen, wobei das Erlebnis der Gegenwart – ein „durchsichtiges Gegenwärtigsein“ – ins Unendliche reichen könne beziehungsweise Archaisches, Magisches, Mythisches und MentalRationales – Vergangenes und Zukünftiges – einschließe (Kugelgestalt der Zeit).405 „Diese aperspektivische Bewusstheit ist ein Ganzheitsbewusstsein, das die ganze Zeit und das die ganze Menschheit und ihre tiefe Vergangenheit und Zukunft als eine lebendige Gegenwart umfasst. Nur durch einsichtige Bewußtwerdung kann diese neue geistige Haltung allmählich

401 [musikstudio – junge komponisten stellen sich vor] (1971), S. 61. 402 H.-J. Hespos, Kommentar zu itzo-hux (1982), „10 szenen zu wahrnehmungsereignissen NOW aktualisiert“, S. 192. Vgl. auch T. Steiert, Die Konzeption des Integralen, S. 260f. 403 CREDO witten. componieren (1986), S. 72. 404 Vgl. J. Gebser, Ursprung und Gegenwart. Die Fundamente der aperspektivischen Welt. Beitrag zu einer Geschichte der Bewusstwerdung, Bd. 1, insb. S. 171–178; vgl. E.-M. Houben, Die Aufhebung der Zeit, S. 31ff.; Gebsers Abhandlung, 1932 konzipiert, ist eine kulturphilosophische und -kritische Synopse und Stufentheorie, die mit Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes verglichen wurde. Gebser verfasste den ersten Band des Werks 1947/48, den zweiten Band 1950–52, vgl. E. Schübl, Jean Gebser (1905–1973). Ein Sucher und Forscher in den Grenz- und Übergangsgebieten des menschlichen Wissens und Philosophierens, S. 85ff., 94, 100. 405 Siehe J. Gebser, Ursprung und Gegenwart, S. 178.

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Wurzel fassen. Sie muß aus der Verborgenheit, in der sie jetzt noch lebt, zur Wirksamkeit gelangen. Und sie wird jene Durchsichtigkeit der Welt und des Menschen vorbereiten, in der sich die Erscheinung des Geistigen manifestiert.“406

Die Geschichtslogik einer sukzessiven, fortschreitenden Höherentwicklung des Geistes/Bewusstseins wird aufgegeben beziehungsweise negiert, nachdem sie diese Stufe erreicht hat. „Das Sichtbarwerden des neuen Bewusstseins ist keine Station auf dem Wege zu einer zielgerichteten, sogenannten Höherentwicklung, sondern einerseits Anreicherung und Intensivierung des menschlichen Bewusstseins sowie die Antwort unserer Bewusstheit auf das in uns transparent werdende, uns bisher übergeordnete integrale und geistige Weltbewusstsein“.407 In der Musik sieht Gebser die Wandlungen zu ihrem „aperspektivischen Charakter“ vor allem durch die Überwindung des Dualismus von Dur und Moll gegeben, die eine harmonische, rhythmische und formale Öffnung geschaffen habe und zu einer nichtrationalen „Struktur des Zusammenhangs“ führe.408 Hespos hat Gebsers Vorstellungen bereits in seiner Studienzeit kennengelernt und sie zunächst mit der Musik von Anton Webern in Verbindung gebracht.409 „auf jean gebser machte mich mein väterlicher malerfreund max herrmann aufmerksam, und so begann ich 1960 mit verschiedenen titeln: abendländische wandlung, asien lächelt anders, die neue sicht,... dann die beiden bände von ursprung+gegenwart. kurz darauf kamen auch anregungen vom früh mich begleitenden klavierpädagogen walther bergmann, der mit gebser im briefwechsel stand: der unsichtbare ursprung, verfall und teilhabe, festschrift zum 70sten,...“410 Gebsers integrative Thesen bleiben für die Einbindung und den Ausbau szenischer Elemente in Hespos’ Stücken mitbestimmend. Die Intention, einen „ganzheitlichen“ Zugang zu Musik zu gewinnen, umfasst nicht nur die Erfahrung von besonderen Gesten des Musikmachens und Bewegung im Raum, sondern, wie oben angedeutet, auch den Bereich der anderen Sinne, die Cage – es sei daran erinnert – als tendenziell „privat“ beschrieben hat: Schmecken und Tasten bedarf in der Tat einer direkten Berührung des wahrzunehmenden Objekts, Riechen ist sicherlich einer der individuell empfindlichsten Sinnesebenen; die Entstehung von Geschmack und Geruch erfolgt nicht plötzlich und unmittelbar, sondern innerhalb einer gewissen Zeitspanne. „Riechen betätigt sich schubweise als Schnuppern, das durch Einflußnahme auf die Richtung des Luftstroms einen Geruch allmählich zur Entfaltung kommen läßt.“411 Dazuhin hat Hespos beispielsweise Raumatmosphären nicht nur durch Klänge und die Präsentation bestimmter Bewegungen oder Haltungen der Interpreten inszeniert, sondern auch durch die Beeinflussung des Raumklimas, die den gesamten Erlebnisraum „unter Druck“ setzt. „Körperliche 406 J. Gebser, Ursprung und Gegenwart, S. 12f. 407 J. Gebser, Das integrale Bewusstsein (1967/68), S. 68. Vgl. dazu auch A. Exter u. T. Röhrssen, Vom Ursprung zur Gegenwart. Entwicklungspsychologie im Lichte der Bewusstwerdung. 408 Vgl. J. Gebser, Ursprung und Gegenwart. Zweiter Teil: Die Manifestationen der aperspektivischen Welt. Versuch einer Konkretion des Geistigen, S. 602–618, bes. S. 614. 409 Vgl. E.-M. Houben, hespos. eine monographie, S. 55ff. 410 E-Mail-Mitteilung an die Verf. vom 25. August 2005. 411 B. Waldenfels, Sinnesschwellen, S. 72.

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Befindlichkeiten der Zuschauer, Unwohlsein, Angstzustände der Zuschauer/ Zuhörer kommen mehr und mehr ins Spiel.“412 Bei der Uraufführung von spot wurde der Chor dazu aufgefordert, mit gefährlicher Wucht von der Seite in die Publikumsreihen zu rennen, in dem „Opernereignis“ itzo-hux (1982) wird das Publikum durch Überhitzung und Gerüche in Panik versetzt.413 Durch die Schaffung von Extremsituationen entstehen das Denken und das Fühlen betreffende, distanzauflösende Erlebnisverdichtungen. Hespos schafft ritualhafte Werke, die während der Aufführung nicht nur durchlebt, sondern unter besonderen Bedingungen intensiv „durchlitten“ werden. „Ritual“ ist für Hespos der Inbegriff „risikoreicher Praxis“ und im Grunde genommen „Aktual“: „das jetzige Tätigsein in der Hoffnung, andere mitzugewinnen, anzuregen.“414 Eine weitere Ebene des „Integralen“ im Musiktheater von Hespos stellt die Erfindung von typisierten Phantasiefiguren in skurrilen Umgebungen oder Erzählungen dar, die einer „anderen Realität“ zu entstammen scheinen, so beispielsweise im „integralen musiktheater“ für Soli und Kammerensemble za’khani (1984): „diese komposition ist handlungsoffen. in erfundener dalilsprache sinnfrei.“415 Die Auftritte und Handlungen von Aktions- und Stimmenfiguren sowie der Einsatz von Klang und Geräusch, Bühnenrequisiten und Medien unterliegen jedoch einer genauen Planung und Dramaturgie, die zu einem Höhepunkt „von brutaler gespenstik“ und „komplex zuckender wildheit“ führt. Die männlichen und weiblichen Stimmenfiguren steigern sich in einen Zustand von „dtrance“.416 Während sich die drei Aktionsfiguren „tumbadora-frau“, „dalil-frau“ und „schrottner“ durch bestimmte Charakteristika, Attribute und Handlungen auszeichnen, die ihre Benennungen bedingen, erhalten die Stimmenfiguren durch ihre Namen oder Titel gewisse Eigenschaften, die sich in ihren vokalen Artikulationen niederschlagen („tsawo“ – Koloratursopran, „hakenfrau“ – Sopran, „onul“ oder „kiffa“ – hoher Mezzo-Sopran, „zakisa“ oder „kukuma“ – tiefer Mezzo-Sopran, „parfi“ oder „midula“ – lyrischer Alt, „tagal“, „kerude“ oder „noa-re“ – tiefer Alt, „komef“ oder „irbiz“ – Tenor, „kemo“, „boka“ oder „isko“ – Bariton, „butosch“ oder „katschelo“ – Bass). Laut Hespos sind die Stimmenfiguren „nicht ‚rollen‘ im alten sinne, sondern verstehen sich ihrer sinnvielfalt nach offen, bedeuten prozesshaftes, sind als zeichen beweglich, veränderlich...“.417 Die Typisierung oder „Abstraktion“ von Figuren ersetzt ein Spiel mit verteilten Theater-Rollen. Rollen im Theater, die zur Identifizierung einladen, schaffen in den Augen des Komponisten gleichzeitig große (zu große) Distanz, weil sie dem Zuschauer erlauben, von sich selbst abzusehen. Dagegen schaffe eine zeichenhafte Typisierung Nähe:

412 413 414 415 416

E.-M. Houben, hespos. eine monographie, S. 220. Vgl. ebenda, S. 220, 222. Hespos im Gespräch mit Ute Schalz-Laurenze (Februar 1985), S. 122f. Kommentar zu za’khani, H.-J. Hespos, ...redeZeichen…Texte zur Musik 1969–1999, S. 196. Vgl. Partitur von za’khani, Delmenhorst 1984, H 027 E, Ziffer 51ff. (S. 21). Vgl. dazu auch T. Steiert, Die Konzeption des Integralen Theaters, S. 267f. 417 Partitur von za’khani, Anmerkungen zur Partitur.

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„Es wäre wichtig, für die wesentliche Aussage zu so zeichenhafter Typisierung zu kommen und in diese Zeichen alle Energien hineinzubringen, die dann wieder für jeden umgeformt werden können [...] Denn Zeichen gehen uns alle an, während Symbole oder Symbolismen Distanzen zulassen, das Abrücken zulassen. Und ich glaube, künstlerische Aussage heutzutage muß hautnah werden, weil sie sonst nicht mehr wirken kann; nicht mehr empfangen wird. Weil eben zuviel dazwischen ist.“418

So ist auch beispielsweise DODOna, ein „Un-Ding“ aus Stoff – eine Strickstoffpuppe, ein „langdreibeinig kopf/armloses minimonster“, halb stummer Dudelsack, halb Tintenfisch mit drei Tentakeln, halb Kuscheltier, halb Schmusedecke – in wuniof’k (1989) ein offenes, unbestimmtes Zeichen und Attribut, das der Frauenfigur in diesem Stück für Instrumentalensemble und Sopran beigegeben ist.419 Thomas Steiert hielt fest: „Der Begriff des Zeichens versteht sich hier [bei Hespos] nicht im strengen Sinn eines Symbols, als Zeichen für etwas, sondern als energetisch-sinnliches Element ohne präzisen semantischen Bezug“, es findet ein Wandel statt „vom repräsentativen Element zum offenen Zeichen, der Loslösung der Mittel aus ihrem konventionellen Zusammenhang“.420 Gehen wir zum Abschluss der Frage nach, was die Typisierung von Figuren und die zeichenhafte Verwendung von Figuren und „Dingen“ oder „Un-Dingen“ einschließlich Instrumente und vielerlei Requisiten für die Konzertsituation als Musiktheater bedeutet. Sind die Figuren Schauspieler oder Musiker, Mimen, Marionetten oder „nackte“ Menschen? Wie entsteht aus der Abstraktion, aus der Typisierung von Figuren der direkte Kontakt und die Konfrontation des Publikums mit der Nähe der Darsteller, die sich Hespos in seinem Musiktheater vorstellt und erhofft? Zum einen handelt es sich bei Hespos’ Stücken, wie oben angedeutet, häufig um ritualhafte Werke, um ritualisierte Aufführungen, um die Zelebration der Musikproduktion, um die Intensivierung des Konzerts als Erleben von Musik und Klang sowie um einen Übergang und das Eintauchen in eine „andere Realität“, die oft von archaisch wirkenden, erstaunlichen oder erschreckenden Zeichen, Phantasie- und Traumfiguren bevölkert ist. In diesem Kontext erhalten die auftretenden Figuren beispielsweise gewisse Stellvertreterfunktionen: sie sind diejenigen, die aus dem Kreis der Mit-Menschen die Aufführungen direkt „er- und durchleiden“. Sie vollziehen das Ritual nicht als „fremde“ Figuren, sondern am eigenen Körper. Daher lösen sie unmittelbar Betroffenheit aus. Zugleich zeigen die Darsteller-Figuren „zeitlose“ Verhaltens418 Hespos im Gespräch mit Ute Schalz-Laurenze (Februar 1985), S. 118f. „zeichen ist stets allgemein und bedeutungsoffen. symbol hingegen immer mit spezifischem sinn belegt, mit bedeutung also“, siehe „... zu lauschen in die augen der wörter“ Hans-Joachim Hespos: Antworten auf nicht gestellte Fragen, S. 42. 419 Vgl. dazu E.-M. Houben, hespos. eine monographie, S. 246–249. Vgl. Partitur von wuniof’k, Delmenhorst 1989, H 052 E, S. 3a: Die Sopranistin tritt auf, „DODOna mit sich herumschleppend, und bis auf unwillkürliche reflexe wie von aller wahrnehmung verlassen“; die Puppe ist einerseits passiv „widersinnigen Nutzungen“ ausgesetzt, andererseits übernimmt sie eine aktive Rolle und steuert die Aktionen der Sängerin (versperrt den Weg, hält die Sängerin fest, wird zur Last usw.). 420 T. Steiert, Die Konzeption des Integralen Theaters, S. 263.

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3. Sichtbare Musik – Konzertpodium als Bühne

weisen und Affekte wie Zorn, Wut, Aggressivität, Introvertiertheit, Hektik, die sich in ihrer Dynamik oder ihrer Atmosphäre ganzheitlich – sympathetisch – mitteilen beziehungsweise übertragen. Drittens sind auf der spezifischen Ebene der Konzertsituation mehrere Ambivalenzen festzustellen, etwa die Ambiguität der Musiker-Figur als professioneller Instrumentalist oder Sänger und als „private“ Person. Das bedeutet beispielsweise: Stefan Eder ist im Hauptberuf Dirigent (des ensemble timbre actuel) und Pianist (im elole Klaviertrio), in ANJOL agiert er hauptsächlich als Dirigent, er repräsentiert die Kommunität „Dirigenten“. Er unterbricht und verlässt aber auch seine Hauptfigur, um das „pianoforte imaginaire“ zu spielen, Aktionen mit der Krachlatte auszuführen oder um zuweilen sehr lange „ins ‚instrument‘ zu lauschen“.421 Damit wird seine Figur mehrdeutig: als „Dirigent“ und „Musiker“ initiiert und erzeugt der Akteur keine Musik, keine Töne, keine Klänge, doch losgelöst von dieser professionellen Figur produziert er verschiedene Geräusche mit der Latte. Als Repräsentant der Zuhörer lauscht er zudem (mit dem Publikum) ins „imaginäre Instrument“. Die Rolle des Akteurs „Dirigent“ in ANJOL wird unterlaufen, indem der „Dirigent“ nur als Figur anwesend ist, jedoch keine Funktion hat. Der Dirigent ist als Dirigenten-Figur in einem „So-tun-als-ob“-Theaterrahmen, doch er ahmt das Dirigieren nicht nur nach, sondern er strengt sich körperlich an, er dirigiert in Wirklichkeit (auch wenn es zweifelhaft ist, wen oder was er zu dirigieren hat). Diese Ambivalenzen bleiben in der Figur des „Dirigenten“ in diesem Stück aufgehoben, gleichzeitig stellen sie offene situative Interpretationsfelder dar. Betrachtet man den Saxophonisten in ANJOL, so begegnen ähnliche Verwerfungen. Ist der Akteur am Boden ein Schauspieler, der eine Rolle spielt? Ist er ein zu Boden gestreckter Musikant – die Gründe hierfür bleiben offen –, der sich mühsam zum Spielen aufrappelt? Ist er symbolisch gesehen ein Mensch, der sich an Musik aufrichtet? „Rituelle Aufführungen wollen etwas zur Darstellung bringen, etwas zeigen, dramatisieren und die Zuschauer an der Darstellung beteiligen. Sie haben einen auf die Vermittlung intensiver Gefühle angelegten Charakter und stellen Außergewöhnliches dar. Sie wiederholen szenische Arrangements so, dass sie wiedererkennbar sind, und sind häufig die einzig mögliche Darstellungsform von Widersprüchen, die nicht anders als in einem symbolischen Arrangement ausgedrückt und bearbeitet werden können [...] Rituale bilden ein Bedeutungsgefüge, in dessen Rahmen sich jedes szenische Element, jedes Symbol, jede Geste erst aus dem Gesamtarrangement erschließen läßt.“422

Es wird deutlich, dass Hespos’ ritualhafte Musiktheaterwerke kaum klare Strukturen, klare Rollenverteilungen, klar zuzuordnende Elemente in sich vereinigen. Der Schwerpunkt bei Hespos liegt auf den Widersprüchen, auf den ambivalenten Figuren und ihren häufig unzusammenhängenden Konstellationen, die zu sehen und zu hören sind. Es geht nicht in erster Linie um die Auseinandersetzung mit dem Konzertritual im Sinne einer Transformation des Konzertrituals in Theater, sondern es geht bei Hespos in erster Linie um die Intensivierung des musikali421 Partitur ANJOL, Spielanweisungen für den Dirigenten. 422 G. Gebauer, C. Wulf, Spiel, Ritual, Geste, S. 147, 149.

3.3 Aktion und Szene – Theater der Musik

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schen, klanglichen Erlebens, das auf die Handlungen der Akteure auf der Bühne und auf die Art und Weise ihres Tuns zurückgeht. Ein Schlagzeuger, der sich in Seiltanz aus einem Öltank schweißt, ist ein Schlagzeuger, der (musikalische) Geräusche erzeugt. Er ist gleichzeitig ein „nackter“ Mensch, der um seine Befreiung kämpft. Er unternimmt dies mit allen Mühen und Anstrengungen, er durchleidet diese Situation stellvertretend für seine Mit-Menschen, die unter anderem das Publikum sind. Das Publikum wiederum wird von diesen körperlichen Anstrengungen und von der Lage der befreiten und erschöpften Kreatur unmittelbar „angesteckt“, es leidet mit und atmet erleichtert auf, wenn die Aktion vorüber ist. Die Nähe, die Hespos mit seinen Spieler-Figuren herstellt, ist die Attacke auf den Leib, die auch das Publikum zu spüren bekommt. Es geht nicht um das „Verstehen“ des Rituals und seiner Elemente, es geht darum, in das Geschehen unmittelbar involviert zu sein.

4. PRÄSENTATION UND INSZENIERUNG VON KLANG Bislang wurden Veränderungen der Situation von Musikaufführungen diskutiert, die hauptsächlich auf den Prozess der Interpretation und Realisation einer musikalischen Partitur zurückgeführt wurden. Damit standen auch die durch die Partituren vermittelten Wandlungen von Aufführungsinstruktionen und -strategien im Mittelpunkt des Interesses. Komponierte und notierte Werke werden auch in diesem Kapitel nicht ausgeklammert, doch verlagert sich der Schwerpunkt auf die Präsentation und Rezeption von Musik beziehungsweise Klang. Dies ist nicht nur als Perspektivenwechsel zu verstehen, sondern bezieht sich auch darauf, dass beispielsweise mit Happenings, Fluxusevents, Konzept- und Aktionskunst sowie Performances, aber auch mit installativen Präsentationsformen von Klang, neue künstlerische Präsentationsformen entstanden sind, die nicht oder kaum mehr von Partituren beziehungsweise dem herkömmlichen musikalischen Aufführungsprozess bestimmt waren. Mit ihnen rückte die aktuelle, singuläre Aufführung und der Rezeptionsprozess ins Zentrum. Zwar konnten diesen Aufführungen schriftlich notierte Konzepte oder kurze Handlungsanweisungen zugrunde liegen, doch ihre Ausführung blieb zumeist offen und richtete sich nach der Aufführungssituation. Der Ablauf einer Aufführung, seine zeitliche Strukturierung, Höhepunkte oder Wiederholungen, all dies ergab sich in der aktuellen Aufführungssituation. Bezeichnend hierfür ist die Dualität von Erlebnis und Erleben der Vorgänge, also das gegenwärtige „In-der-Situation-sein“, und die erst im Nachhinein beschreibbare Erkenntnis eines strukturierten Ablaufs. Die zu vollziehenden Handlungen oder Aktionen und ihr klangliches Resultat sowie die Rezeptionssituation solcher Aufführungen waren daher nur noch am Rand an der Situation im Konzertsaal orientiert; statt dessen führten die Künstler beispielsweise „gewöhnliche“ Handlungen aus oder zelebrierten Alltagsvorkommnisse, oder sie behandelten Klänge als Ausstattungselemente eines Environment. Dies wurde zum Teil nicht nur als Präsentation eines klanglichen und situativen „ready made“ vorgenommen und rezipiert, sondern auch gerade als Abkehr von der bürgerlichen Kunst „Musik“, nicht selten als Revolte gegen das musikalische Establishment mit provokatorischen Zügen.1 Schienen in den 1980er Jahren Performances und Aktionskunst allmählich in den Hintergrund getreten zu sein, so lässt sich dieser Eindruck aus heutiger Sicht nicht aufrechterhalten. In den letzten zwei Jahrzehnten entstanden – häufig außerhalb des konventionellen Konzert- und Opernbetriebs – viele experimentelle Musiktheaterprojekte, in denen diese Elemente in abgewandelter Form aufgenom-

1

Vgl. dazu die Beiträge in der Neuen Zeitschrift für Musik 161, Mai/Juni 2000, über „Skandal!“.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

men wurden, um sie im Sinne von „Arbeitsmaterial“ zu verwenden. Dieses musikalische und zugleich situative „Aufführungsmaterial“ (beispielsweise Elemente aus Improvisation, Vokalperformances oder Installationen von Klang, aber auch Elemente aus der künstlerischen Land Art, Videokunst oder Körperperformances) wird zumeist in einem kooperativen Arbeitsprozess der Aufführenden zusammengefügt und ist von Partituren nur bedingt initiiert (häufig entstehen Partituren erst als Fixierungen der Arbeitsprozesse und Ergebnisse). Als Beispiel kann auf die Arbeiten von Heiner Goebbels hingewiesen werden; auch die Entstehungsprozesse der Musiktheaterprojekte von Meredith Monk oder Georges Aperghis seien als Beispiele genannt.2 Hingewiesen sei zudem auf experimentelle Musiktheaterprojekte von Hans Wüthrich, Daniel Ott, Carola Bauckholt oder Manos Tsangaris, Michael Hirsch oder Georg Nussbaumer sowie auf Bewegungs-Kompositionen von Jürg Frey. Die Rolle der Partituren ist in diesem Kontext nicht zurückzustellen, denn sie wirken häufig als Auslöser oder Katalysatoren für neue Aufführungsformen. Doch bei der Beschreibung von Aufführungen oder dessen, was sich bei Aufführungen verändert oder in den Vordergrund tritt, ist ein phänomenologischer Ansatz zu entwickeln. Letzteres kann hier nicht geleistet werden, obwohl erste Schritte in diese Richtung vorliegen.3 Durch die Integration von elektroakustischen und visuellen Medien in Konzerten, Performances und Installationen ergaben sich für die Betrachtung von Aufführungs- und Rezeptionssituationen neue Themenbereiche. Vor allem hat die Betonung von Präsenz und Authentizität in Aufführungen nicht etwa völlig an Bedeutung verloren, sich aber doch erheblich verändert. Zum einen kam ins Blickfeld, dass gegenüber einer ausschließlichen, auch diskursiv gesteuerten Bevorzugung von „live“ eher die Differenz von Live-Ereignissen und medialisierten Vorgängen und Abläufen zu berücksichtigen ist. Zum anderen wurde deutlich, dass der Einsatz von Medien nicht gleichzeitig den Eindruck von „live“ aufhebt oder grundsätzlich unterläuft, sondern dass auch medial erzeugten und inszenierten Geschehnissen Präsenz und Authentizität zukommen kann, beziehungsweise, dass die Medialisierung einer Aufführung (Aufnahme, Dokumentation, Film) gerade die Erfahrung von Live-Auftritten intensivieren kann.4 Die persönliche Einstellung zu und Erfahrung mit Aufführungen einerseits und mit den ästhetischen

2

3

4

Vgl. Heiner Goebbels. Komposition als Inszenierung. Vgl. auch M. Gilles, Theater als akustischer Raum. Ein Überblick bietet Experimentelles Musik- und Tanztheater (= Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert, Bd. 7); vgl. zu Aperghis Theaterschrift 9: Musik und Theater. Vgl. Verf. (gemeinsam mit C. Risi), Aufführungsanalyse und -interpretation. Positionen und Fragen der „Performance Studies“ aus musik- und theaterwissenschaftlicher Sicht; Verf., Stop and Go – rhythmische Gesten in der neuen Musik; Verf., Auf Klänge aufmerksam (gemacht) werden. Strategien der Klangkunst. Das Desiderat eines analytischen Zugangs zu aktuellen Musikaufführungen betrifft ebenfalls Performances mit elektroakustischen und visuellen Medien sowie Aufführungen von Computermusik. Vgl. dazu R. Großmann, Konstruktiv(istisch)e Gedanken zur ‚Medienmusik‘. Anhaltspunkte bei D. Schmicking, Hören und Klang. Empirisch phänomenologische Untersuchungen. Vgl. dazu P. Auslander, Liveness. Performance in a mediatized culture, und die Diskussion dieser Frage bei E. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 114ff.

4. Präsentation und Inszenierung von Klang

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Dimensionen des Gebrauchs von Medien andererseits bestimmen darüber hinaus ganz entscheidend, was als „unmittelbar“ oder „authentisch“ eingestuft wird. Dazu sei der Komponist Robert Ashley zitiert, für den „studio sound“ Vorrang hat: „I want the techniques of the ‚studio sound‘, because the standards – for ‚presence‘, clarity, ‚added interest‘ (i.e. ‚processing‘) – have been set there […] The live performance, if it is to be used for a recording, has to be brought back into the studio to be ‚improved‘. The result is an ‚imaginary space‘, a space that does not exist in any form in any place in the everyday world. And that space has attributes of emotion and meaning that are added by the listener. That is real ‚audience participation‘.“5 Klang wird in den folgenden Darstellungen als Oberbegriff für Geräusche, Töne, Schall, Stimme, Laut usw. verwendet, die unterschiedlich erzeugt werden, sowohl durch menschliche Körper und Klangobjekte als auch durch verschiedene elektronische Medien.6 Elektroakustische Medien werden somit nicht ausschließlich als Reproduktionsmedien betrachtet, sondern auch als musikalische Instrumente. Die elektroakustischen einschließlich neuen Medien wie Computer und Internet in diesem Sinne als konstruktiv aufzufassen, bedingt unter anderem, dass auch medial erzeugten Klängen Präsenz zugesprochen werden kann. Klang ins Zentrum der Betrachtung zu rücken bedeutet nun, das Aktionale von Klang selbst zu betonen und Klang als Bewegung sowie Bewegung durch Klang zu thematisieren. In diesem Zusammenhang sind vier Aspekte ins Blickfeld zu nehmen: zum einen ist es Klang oder Schall als akustisches Phänomen, das selbst Bewegung darstellt und dadurch beispielsweise auch andere Materialien oder Objekte in Bewegung zu versetzen in der Lage ist (Resonanz), wobei auch die Raumakustik eine Rolle spielt. Zweitens ist es der Zusammenhang von Klang und Körperbewegung: aus Körperbewegungen geht Klang hervor, und von einem Klang lässt sich auf seinen Ursprung, das heißt auch auf Körperbewegungen und deren Bedingungen schließen. Dieser unmittelbare Zusammenhang von Körperbewegung und Klang hat sich durch die „Zwischenschaltung“ von elektronischen Medien verändert. Drittens hat Klang neben einer viszeralen auch eine affektive Wirkung, erzeugt Emotionen und Atmosphären, wie hier durch den Kontrast „entspannende Naturgeräusche“ und „ohrenbetäubender Baustellenlärm“ kurz angedeutet sei.7 Viertens bietet Klang auch eine Möglichkeit zur mentalen, spirituellen Wandlung, indem Konzentration und Kontemplation ermöglicht wird: „Mir scheint, dass die Musik – so wie ich es zumindest betrachte – nichts aufdrängt. Sie kann unsere Betrachtungsweise wirkungsvoll ändern, indem sie bewirkt, alles um uns herum als Kunst zu sehen. Aber das ist nicht das Ziel. Klänge haben kein Ziel! Sie sind, und mehr nicht. Sie leben. Musik ist das Leben der Klänge, diese Partizipation der Klänge am Leben, was sich, unfreiwilligerweise, zu einer Parti-

5 6 7

Stellungnahme Ashleys in Form – Luxus, Kalkül und Abstinenz, S. 24. Vgl. dazu A. Riethmüller, „Stoff der Musik ist Klang und Körperbewegung“; sowie ders., Ton alias Klang. Vgl. auch F. Hentschel, Art. sonus (2000). Vgl. dazu auch M. Gilles, Theater als akustischer Raum, S. 36–41.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

zipation des Lebens an den Klängen entwickeln kann.“8 Diese vier Gesichtspunkte von „Klangaktionen“ sind nicht leicht voneinander zu trennen. Sie tragen zu einer multimodalen Wahrnehmungssituation bei und schaffen intermediale Verbindungen. Dabei steht die Intensivierung des Hörens und/oder die Lenkung der Aufmerksamkeit auf Klänge im Vordergrund. Letzteres führt einen weiteren Aspekt ins Feld: das inzwischen weite und mindestens seit den 1960er Jahren vielfach diskutierte Feld von Multimedialität, Intermedialität oder Mixed Media, das in den 1990er Jahren durch die neuen Medien eine erweiterte Attraktivität erhalten hat.9 Für unseren Zusammenhang ist es nicht nur bedeutsam, dass sich die mediale Landschaft ständig erweitert – im Sinne der Fortentwicklung von technischen und elektronischen Medien –, sondern dass sich auch der Blick „nach innen“ multiperspektivisch ausgedehnt hat. Dies bezieht sich auf die Musik und auf Klang selbst als multimediale Faktoren. „What it [music] has, […] is a potential for the construction or negotiation of meaning in specific contexts.“10 Für künstlerisch gestalteten und präsentierten Klang gilt dies, wie oben besprochen, ebenso, auch wenn diesem eine festgelegte temporale Struktur im Sinne einer Klang-Komposition fehlen sollte. Das Kompositorische bezieht sich stattdessen auf die orts- oder raumspezifische Anordnung und Inszenierung von Klang als einem Phänomen, das selbst bereits Struktur hat (als akustisches Phänomen) oder dessen Struktur sich während der Aufführung im individuellen Rezeptionsprozess konstituiert. 4.1 PERFORMANCE BIS INSTALLATION Der Begriff „performance“ ist vielschichtig.11 Im musikalischen Kontext handelt es sich zunächst schlicht um die englische Übersetzung von „Aufführung“ im Sinne der Realisation eines musikalischen Werks und wurde traditionell im Zusammenhang mit „performance practice“ oder „performing practice“ (Aufführungspraxis) erklärt.12 Dass damit lange Zeit eine eingeschränkte Auffassung von musikalischer „performance“ gegeben war, wird durch jüngere Definitionen des Begriffs deutlich. Jonathan Dunsby beispielsweise bezeichnet „performance“ allgemein als „music-making“, als „a virtually universal human activity“ und „a form of private biological necessity“.13 Damit enthebt Dunsby den Begriff „performance“ tendenziell der traditionellen westlichen musikalischen Aufführungstheorie und Werkästhetik. Er betont stattdessen einen soziologischen, ethnologi8 9 10 11

Für die Vögel. John Cage im Gespräch mit Daniel Charles, S. 96, vgl. auch S. 101. Vgl. dazu den guten Überblick bei I. O. Rajewsky, Intermedialität, S. 9f. N. Cook, Analysing Musical Multimedia, S. 23. Vgl. M. Carlson, Performance. A Critical Introduction. Vgl. auch Performance. Positionen zur zeitgenössischen szenischen Kunst sowie Performance im medialen Wandel. 12 Vgl. H. Mayer Brown u. J. McKinnon, Art. Performing Practice. 13 Vgl. J. Dunsby, Art. Performance, sowie H. Mayer Brown u.a., Art. Performing Practice. Erst in dieser Ausgabe von The New Grove (2001) wurde ein Eintrag „performance“ aufgenommen.

4.1 Performance bis Installation

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schen und anthropologischen Begriff von musikalischer Aufführung, der sich am „Musikmachen“ der Menschen aller Kulturen orientiert. Außerhalb des Kontexts von Musik wird „performance“ in den Künsten ebenfalls im Sinne von Aufführung, Darbietung und Präsentation gebraucht, etwa für die Zusammenfassung der „Aufführungskünste“ als „performing arts“ (Theater, Tanz, Musik).14 „Performance“ als Aufführung impliziert ferner den Aspekt von Vollendung und Ausführung oder „execution“ beziehungsweise „the doing of any action or work“.15 Sieht man von den Künsten ab, so ergeben sich weitere Bedeutungsnuancen von „performance“. Neben dem Aspekt der Vollendung, zum Beispiel im Bereich der handwerklichen Produktion, und des aktuellen Ausführens und Vollzugs von Handlungen, Aktionen oder Gesten ist mit „performance“ auch messbare Leistung oder Effizienz angesprochen, die sich im aktuellen Funktionieren unter anderem auch von Maschinen oder Motoren erweisen kann: „the capabilities of a machine or device, now esp. those of a motor vehicle or aircraft measured under test and expressed in a specification. Also used attrib. to designate a motor vehicle with very good performance.“16 In der Psychologie bezieht sich „performance“ beispielsweise auf den Eindruck, den ein Mensch in einer bestimmten Situation hinterlässt. Damit kann ebenfalls eine Bewertung seiner Leistung verbunden sein: „The observable or measurable behaviour of a person or animal in a particular, usu. experimental, situation.“17 „Performance“ als Vollzug, Aktualisierung oder Präsentation steht demnach vorhandenen Strukturen und Anlagen oder Eigenschaften gegenüber. Exemplarisch verwendet ihn in der Linguistik Noam Chomsky als Gegenbegriff zur sprachlichen Kompetenz oder zum sprachlichen Wissen (competence) in seiner „generativen Transformationsgrammatik“.18 Chomsky untersucht dabei die Regelhaftigkeit der Sprache und Satzbildungen; konkretes Sprechen als „performance“ oder Performanz wird allerdings nicht als Untersuchungsgegenstand betrachtet. Diesem stehen in der Linguistik die Theorien von John Austin gegenüber, der das Gelingen oder Misslingen performativer Äußerungen als Handlungen untersucht hat.19

14 „Performing art, an art (such as the dance, drama, etc.) involving public performance“, siehe Art. performing, in: The Oxford English Dictionary, Bd. 11, 21989, S. 545. 15 Vgl. Art. performance, ebenda, S. 544, vgl. auch Art. perform, ebenda, S. 543f. 16 Art. performance, in: The Oxford English Dictionary, S. 544. Dies wird heute auch gerne auf Computer oder auch auf Aktien angewandt. Ihre Leistung oder ihr Wert ergibt sich aus der praktischen Anwendung bzw. aus den Börsenverläufen (wenn Aktien „marschieren“). Vgl. auch J.-F. Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht; Lyotard bezieht den Begriff der „performance“ bzw. Performativität auf die Effizienz von Wissenschaft. 17 Art. performance, in: The Oxford English Dictionary, S. 544. 18 Vgl. N. Chomsky, Aspects of the Theory of Syntax; ders., Knowledge of Language. 19 Vgl. J. Austin, How to do things with words.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

4.1.1 Performance und „Musikperformance“ Mit dem Begriff der „art performance“ oder „performance art“ kam in den 1970er Jahren eine neue Bedeutungsnuance von „performance“ auf, die im Oxford Dictionary folgendermaßen definiert wird: „a form of visual art in which the activity of the artist forms a central feature, combining static elements with dramatic performance“.20 Der Begriff der „performance“ bezieht sich demnach in diesem Kontext nicht mehr primär auf die Aufführung und Realisation eines Werks, sondern auf die Präsentation persönlicher Aktionen eines Künstlers, die ungeplant und improvisatorisch erscheinen können, zumeist aber konzipiert und inszeniert sind. Künstler aus verschiedenen Bereichen (bildende Kunst, Theater, Musik, Film, Literatur, Medien) beteiligten sich an diesem neuen Genre von Aufführungen. Stellten Happenings und Fluxusevents frühe Formen von Performances dar, an denen Vertreter der einzelnen Kunstbereiche tendenziell gleichberechtigt partizipierten, so traten in den 1970er Jahren zunehmend einzelne Künstler hervor, die ihren persönlichen künstlerischen Werdegang einbrachten und diesen als Ausgangspunkt für ihre Aufführungskonzepte benutzten. Performances wurden häufig als sozialkritische, feministische oder kunstkritische Aktionen angelegt, in denen der Körper eine zentrale Rolle spielte.21 Die Aktionen der „performance art“ bedeuteten nicht nur Herausforderungen für das Selbstverständnis der einzelnen Kunstsparten, sondern sie schufen auch neue Situationen für das Publikum. Es bestand beispielsweise nicht mehr aus Rezipienten der Aufführung eines bekannten Werks, sondern wurde nur in seiner Eigenschaft als Zeugen eines Ereignisses hinzugebeten, wobei der Sinn des Events völlig offen gelassen werden konnte. Die Verunsicherung des Publikums erstreckte sich häufig auch auf die situative Rahmung der Performance. Beginn und Ende waren oft nicht grundsätzlich klar markiert, die Verlaufszeit offen. Das Geschehen selbst konnte häufig nicht von alltäglichen Verrichtungen unterschieden werden.22 „Performance isn’t a game but a symbolic machine, which in its artistic multiplication out-lines the paths to bodily reaffirmation, using the most ordinary, everyday resources for the most unheard-of purposes.“23 Teilweise war nur ein ausgewähltes Publikum zugegen, und die Nachricht über ein aufgeführtes Ereignis verbreitete sich hauptsächlich in Dokumentationen (Fotos, Filme, Erzählungen, Zeitschriften, Bücher). „Das Transitorische, Flüchtige der Aufführung wird als das 20 Art. performance, in: The Oxford English Dictionary, S. 544. Vgl. K. Dennis, Art. performance art, S. 467. 21 „Performance Art“ ist insofern mit Konzeptkunst eng verbunden, als es bei Konzeptkunst primär um eine „Recherche der Konstitution von Bedeutung“ geht; aus Dekonstruktion und Fragmentierung entstehen neue Zusammenhänge, es entstehen neue Möglichkeiten zur Rezeption präsentierter Zeichen, vgl. dazu T. Dreher, Konzeptuelle Kunst in Amerika und England zwischen 1963 und 1976, S. 18ff. 22 Übersichten etwa bei R. Goldberg, Performance Art; H. M. Sayre, The Object of Performance; E. Jappe, Performance, Ritual, Prozeß; Out of Actions, between Performance and the Object, 1949–1979. 23 J. Glusberg, Toward a theory on the Art of Performance, S. 4.

4.1 Performance bis Installation

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eigentliche Konstituens der neuen Gattung begriffen. Das wird durch die tatsächliche Einmaligkeit der Aufführung oder auch durch die reflektierte Spannung zwischen ihrer Flüchtigkeit und den unablässigen Versuchen, sie mit Video, Film, Photographie, Beschreibungen zu dokumentieren, immer wieder fokussiert.“24 Die Neuerungen der „performance art“ wurden aus einzelnen künstlerischen Blickwinkeln unterschiedlich bestimmt. Für die bildende Kunst bedeutete die Entstehung von „performance art“ und ihre Vorläufer zum Teil heftig umstrittene Grenzerweiterungen, zu denen nicht nur szenische und theatrale Aktionen in musealen Räumen und Galerien, sondern auch die Provokation prozesshafter Rezeptionssituationen (zum Beispiel durch „minimal art“) zählten.25 Durch Jackson Pollock und „action painting“ wurde überdies die künstlerische Produktion als Performance neu gedeutet.26 Für Theater, Tanz und Musik erwiesen sich „performance art“ und ihre Vorläufer signifikant für die Distanzierung von der Werkästhetik und von Repräsentationsfunktionen der Aufführungskünste. Michael Kirby setzte in diesem Zusammenhang Performances als „non-matrixed“ von traditionellem Schauspiel ab.27 Für die Literatur bedeutete „performance art“ die Wiedergewinnung des Umgangs mit Texten und Schrift vor Publikum und/oder die Aufführung von Literatur als inszenierte Lesung („oral poetry“).28 „Performance arbeitete [...] stets an der Dekonstruktion überkommener Repräsentationssysteme, die auf der Vorstellung einer transparenten Ordnung der Repräsentation und auf einer hierarchischen Beziehung zwischen Beobachter und Szene des Wissens beruht. Performancepraktiken machen Sehen zu einer Re-Vision und verwickeln Wahrnehmung und Sinnbildung über Wahrnehmung in eine unsichere, aber produktive Beziehung.“29 Der inzwischen auch im deutschen Sprachgebrauch fest verankerte Begriff der „Performance“ bezieht sich also ausgehend von „performance art“ auf eine spezifische Aufführungsform, die – um es allgemein zu formulieren – kaum Berührung hat mit der traditionellen Vorstellung der Realisierung eines zuvor schriftlich ausgearbeiteten und fixierten Werks, sondern die vielmehr geprägt ist durch eine ereignishafte und singuläre Inszenierung und Präsentation von Aktionen und Handlungen, wodurch Faktoren und Aspekte wie Körperlichkeit, Materialität, Räumlichkeit oder Zeitlichkeit in den Vordergrund treten. Die qualitative Erfahrung dieser Ebenen in Aufführungen und Ereignissen mit Aufführungscharakter wurde als Performativität bestimmt.30 Vor diesem Hintergrund lassen sich auch konventionelle Musik- oder Theateraufführungen zum Teil als „Performances“ bezeichnen, sobald die Aufführung vor allem in den oben genannten 24 E. Fischer-Lichte u. J. Roselt, Attraktion des Augenblicks – Aufführung, Performance, performativ und Performativität als theaterwissenschaftliche Begriffe, S. 242. Vgl. auch D. Charles, Zeitspielräume. 25 Vgl. vor allem die häufig zitierte Kritik von M. Fried in Art and Objecthood. 26 Vgl. dazu A. Jones, The „Pollockian Performative“ and the Revision of the Modernist Subject. 27 Vgl. M. Kirby, Happenings. An Anthology; ders., A Formalist Theatre. 28 Vgl. dazu E. Fischer-Lichte, Theater als kulturelles Modell (1995). 29 I. Baxmann, Geschlecht und/als Performance, S. 209. 30 Vgl. dazu die Beiträge in Theorien des Performativen sowie in Praktiken des Performativen.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Aspekten wie Körperlichkeit, Materialität, Räumlichkeit oder Zeitlichkeit durch ihre Inszenierung eine ereignishafte Betonung erfährt. Dies wird beispielsweise auch in aktuellen Opern- und Theaterinszenierungen vielfach praktiziert, wodurch sich mittlerweile nicht selten Überschneidungen von Performances mit Opernoder Theateraufführungen ergeben.31 Als eine spezifische Form der Performance erscheint „Musikperformance“, das heißt eine Performance, in der die Produktion von Musik und Klang im Vordergrund steht. Die Herkunft und Entstehung des Begriffs „Musikperformance“ ist unklar und geht vermutlich auf den Bedarf eines deutschsprachigen Umgangs mit der Geschichte von Performances zurück, in der Musik oder in der der Erzeugung von Klängen einschließlich Geräuschen eine besondere Aufmerksamkeit zukommen sollte.32 Der Begriff „Musikperformance“ ist jedoch problematisch, weil Performances den traditionellen Musikbegriff nicht selten geradezu torpedierten. Es scheint mir daher für den vorliegenden Zusammenhang sinnvoll zu sein, von Vokal- oder Instrumentalperformances, Klang- oder Geräuschperformances zu sprechen beziehungsweise den allgemeinen Begriff „Performance“ zu verwenden und in konkreten Fällen die Rolle und Art der Musik- oder Klangproduktion zu benennen. In der Performance mit Musik und Klängen haben sich parallel zur „performance art“ einzelne Künstler profiliert, die oft als „composer-performer“ bezeichnet werden.33 Das Konzept einer Präsentation sowie dessen Ausführung liegen in einer Hand, musikalische „Komposition“ und „Interpretation“ fallen im Aufführungsprozess einer Performance zusammen, wobei es allerdings fraglich ist, ob die traditionellen Auffassungen von Komposition und Interpretation hierbei tatsächlich noch relevant sind. Michael Kirby bestimmt die Rolle des Aufführenden in einer „non-matrixed performance“ als „the execution of a generally simple and undemanding act“.34 Auch bei der Ausführung einer Performance mit anderen Personen gelte: „The creation was done by the artist when he formulated the idea of the action. The performer merely embodies and makes concrete the idea.“35 Im Unterschied zu Performances, die eher von Theatersituationen ausgehen, in denen körperliche Aktionen und Handlungen im Vordergrund stehen und in denen die Erzeugung von Bedeutung und das Verstehen der Situation herausgefordert

31 Mit dieser Feststellung ist kein Ausschluss einer vorgängigen „performativen Einschreibung im Notentext“ intendiert, sondern eine Schwerpunktsetzung vorgenommen. Ich stimme Martin Zenck zu, dass bereits die Komposition performativ bestimmt sein kann. Vgl. dazu M. Zenck, Luigi Nono – Marina Abramovic. Eingeschriebene, bewegte und befreite Körper. 32 Vgl. V. Straebel, „What I hope is that the Europeans will become more American.“ Gegenseitige Einflüsse von Europa und Nordamerika in der Geschichte der Musikperformance. Vgl. auch V. Maly, Qu’est-ce que c’est que cela? Notizen zur Musikperformance, sowie B. Barthelmes, Der Komponist als Ausführender und der Interpret als Komponist. Zur Ästhetik der Musikperformance. 33 Vgl. ebenda, S. 9ff. Vgl. auch dies. u. M. Osterwold, musik – performance – kunst; sowie M. Gilles, Theater als akustischer Raum, S. 48–60. 34 M. Kirby, Happenings. An Anthology, S. 17. 35 Ebenda.

4.1 Performance bis Installation

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werden können, richten sich Performances mit Klang hauptsächlich auf die sinnliche Wahrnehmung klanglicher Phänomene, auf die Erfassbarkeit von musikalischen/klanglichen Strukturen und auf Wirkungen von Klang, die durch mannigfache Elemente, zum Beispiel durch die Raumakustik oder durch Bewegung im Raum, durch die Benutzung bestimmter Klangobjekte oder Instrumente, durch den visuellen Anteil der Performance beeinflusst, unterstützt oder irritiert werden.36 Bei der unmittelbaren Arbeit mit körperlichen Klängen, etwa in der Vokalperformance oder in der perkussiven Verwendung des Körpers, steht naturgemäß der Körper als Instrument im Zentrum. Eine individuelle Kompetenz des Aufführenden wird in der Performance aktualisiert, zum Teil experimentell oder risikoreich herausgefordert, dieser Prozess einschließlich des entstehenden klanglichen Resultats wird präsentiert. Zwei Beispiele für die unterschiedliche Ausrichtung von Performances seien geschildert, die eine ästhetische Wahrnehmung von Klängen ermöglichen und herausfordern. Im September 2005 führte die Gruppe incidental music (Julia Eckhardt, Normisa Pereira da Silva und Manfred Werner) als Einleitung eines Konzertprojekts Teile aus George Brechts Water-Yam (1959–63) auf. Water-Yam besteht aus einer Sammlung von kurzen „Event-Partituren“, die auf Kärtchen notiert und in einer Box veröffentlicht wurden.37 Brecht, einer der bedeutendsten Künstler der Fluxus-Zeit, hat auf den vielen Kärtchen schlichte Anweisungen oder als Handlungsanweisungen aufzufassende Schlagworte oder Situationsbeschreibungen notiert, die in nicht näher spezifizierten Situationen ausgeführt werden sollen. Um nur zwei Beispiele anzuführen: STRING QUARTET / = shaking hands, oder CHAIR EVENT / on a white chair / a grater / tape measure / alphabet / flag / black / and spectral colors.38 „Es handelt sich dabei um Wortpartituren, verbale Anweisungen, die in einer Performance auf der Bühne, im Ausstellungsraum, auf der Straße, in privaten Räumen oder aber in Gedanken interpretiert und ‚aufgeführt‘ werden können.“39 Die Rahmung, der zeitliche Ablauf, der Aufführungsraum, die Anzahl der beteiligten Personen, die verwendeten Materialien oder Objekte sind zwar in manchen Fällen genannt oder angedeutet, aber die Art und Weise der Ausführung dieser „Events“ ist letztlich völlig von der aktuellen Aufführungssituation abhängig.40 „Die kurzen Texte changieren zwischen Handlungsanweisungen und konkreter Poesie [...] Allen Partituren ist implizit, dass jede Realisierung möglich ist [...] Wenn es keine Grenzen der Interpretationsmöglichkeiten mehr gibt, wenn also die auf Cage zurückgehende Indeterminiertheit einge36 In Ästhetik des Performativen vergleicht Erika Fischer-Lichte diesen Vorgang mit einer Feedback-Schleife. 37 Vgl. G. Knapstein, George Brecht: Events, S. 26ff.; S. Roth, Ein kleines Fenster zur Welt. Die Events von George Brecht. 38 Siehe George Brecht. Events – Eine Heterospektive, S. 126. 39 G. Knapstein, George Brecht: Events, S. 22. Die Partituren sollen als „Signale“ oder „Anzeichen“ verstanden werden, die Aufmerksamkeit auf ein Vorkommnis zu richten, vgl. ebenda, S. 158–160. 40 Vgl. G. Brecht, The Origin of ‚Events‘, S. 236; vgl. G. Brecht, The Origin of Events, in: happenings & fluxus.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

löst ist, so werden Autorschaft und tradierter Werkbegriff obsolet. Zwar verweisen der Name oder die Unterschrift unter der Partitur auf den Autor, jedoch wird durch die Offenheit der Interpretationsmöglichkeiten die Beziehung von Urheber und Werk aufgeweicht und nahezu gelöst. Darüber hinaus ist das Werk nie abgeschlossen, wenn die Event-Partituren auf vielfältige Weise realisiert und immer wieder neu aktualisiert werden können.“41 Mit Thomas Kellein kann allerdings grundsätzlich gefragt werden, um was es sich bei den Stücken von Brecht handelt: „Ein Konzept? Eine Partitur? Eine Komposition? Eine Performance?“42 Im September 2005 fand die oben erwähnte Aufführung von einigen Stücken Brechts im Elisabeth-Hof, Erkelenzdamm 59/61, in Berlin-Kreuzberg statt. Zu Anfang wurde in den plan betonierten Innenhöfen des großen Gebäudekomplexes im Freien Water aufgeführt. Der Kartentext lautet: WATER = coming from = staying = going Es wurde zunächst ein Stück transparente Plane als Behälter mit Wasser gefüllt. Normisa Pereira da Silva und Manfred Werner hielten die Plane an den Enden fest. Für die beiden Ausführenden war es mit körperlicher Anstrengung und Konzentration verbunden, das Gewicht des Wassers zu tragen und die Balance zu halten.43 An verschiedenen Orten im Innenhof gossen sie Wasser aus, das sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in mehreren Bodenrinnen verteilte. Der Innenhof des Gebäudes war zwar vor der Aufführung besichtigt worden, doch die Orte der Aktionen wurden nicht abgesprochen, sondern während der Aufführung so angesteuert – indem sich die beiden Ausführenden in ihren Bewegungsimpulsen intuitiv aufeinander einstellten –, dass verschiedene, nicht vorhersehbare Rinnsale entstehen konnten. Der Ablauf des Geschehens glich einer Zelebration der Aktionen, am Ende gelangte man in einer Runde beinahe an den Ausgangspunkt zurück. Das Tragen und Ausgießen des Wassers wurde sorgfältig ausgeführt, die Schritte zum nächsten Ort bedächtig gesetzt; der Lauf des Wassers wurde beobachtet, dem Plätschern nachgehört, sowohl von den Ausführenden als auch vom Publikum dieser Aktionen. Das Publikum bestand aus einer kleinen Gruppe von Zeugen, die das Geschehen mitverfolgte beziehungsweise „dabei war“. Die Aufmerksamkeit konnte abgelenkt, die Sicht eingeschränkt, die Wiederholungen des Tuns als steigernd oder langweilig empfunden werden. Es konnten die sichtbaren Aktionen in den Vordergrund treten – sobald sich beispielsweise die Aufführenden in Bewegung setzten –, es konnten die Geräusche des Wassers eine besondere Qualität er41 B. Engelbach, Performance 50er, 60er, 70er Jahre, S. 90, 92. 42 T. Kellein, Intermediäre Tendenzen nach 1945, S. 439. 43 Gespräch mit Normisa Pereira da Silva am 21. Januar 2006. In dieser „Zelebration“ erhöht sich die Konzentration auf selbstverständlichste Vorgänge. Die Musikerin betonte, dass es für sie wichtig gewesen sei, das Gewicht des Wassers zu spüren und sich mit dem Spielpartner in den Haltungen und Bewegungen zu treffen.

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halten und zu einer Ausblendung der übrigen Umweltgeräusche führen, es konnte eine Konzentration auf die Aktionen stattfinden oder ein besonderes Empfinden für das eigene Tun zu dieser Zeit an diesem Ort eintreten: eine Wahrnehmung der Wahrnehmung. Die Aus- und Aufführung eines „Events“ aus Water-Yam von George Brecht bezieht die Präsentation der dabei entstehenden Klänge ein. Klänge sind also Teil einer spezifischen, als künstlerischen Akt gesetzten Wahrnehmungssituation, deren Komponenten weder zeichenhaft noch symbolisch, sondern „ästhetisch“ erscheinen und auf sich selbst verweisen. Abgesehen davon wurde die Präsentation von Water im Verlauf der Aufführung strukturiert. Sowohl die Wiederholungen des Tuns der Aufführenden als auch die dazu gleichzeitig oder zeitlich versetzten Bewegungen des Publikums und vor allem die zufälligen Verläufe des Wassers in den Bodenrinnen gaben dem globalen Verlauf sowie den Binnenereignissen dieser Aufführung eine eigene und einmalige temporale Struktur. Brecht gebrauchte den Begriff des „Event“ zunächst im Sinne von „Ergebnis eines Zufallsprozesses“ im Kontext seiner Beschäftigung mit Wahrscheinlichkeitstheorien in den Naturwissenschaften und Zufallsverfahren in den Künsten.44 Dabei bezog er sich zunächst auf Jackson Pollock und „Action Painting“. Später trat Cage in den Vordergrund, als Brecht 1958/59 an dessen Kurs „Experimentelle Komposition“ an der New School for Social Research teilnimmt. Brecht bezeichnete „Event“ auch als „multi-sensory (total) experience“, und er bemerkte, in Abgrenzung zu Ernst Cassirer und Susanne K. Langer: „Act of imagination or perception is in itself an arrangement, so there is no avoiding anyone making arrangements.“45 Wie Gabriele Knapstein erläutert, legt Brecht „gegen die Verfestigungsund Beharrungstendenz von etablierten Formen und Begrenzungen im Bereich der Kunst [...] den Akzent auf Strategien der ‚Verflüssigung‘. Es geht ihm in seiner künstlerischen Forschung darum, die Wahrnehmung von Dingen, Klängen und Handlungen sowie das Operieren mit gedanklichen Elementen möglichst beweglich zu halten, um sowohl Aktionen als auch objekthafte und gedankliche ‚arrangements‘ als ‚Ereignisse‘ erfahren zu können.“46 „Events“ resultieren für Brecht schließlich aus der ästhetischen Wahrnehmung von unscheinbaren, alltäglichen Vorkommnissen: „Den Event-Partituren kommt [...] die Aufgabe zu, die Aufmerksamkeit auf ‚nichts Besonderes‘ zu lenken“; darin realisiert sich die von Brecht sogenannte „Grenzlinienkunst.“47 Brecht notierte (1961): „The score is an event; so is finding an incident of it. In composing music, the composer permits an experience by arranging a situation within which sound arises. If a musical score (sound44 Siehe G. Knapstein, George Brecht: Events, S. 46; vgl. G. Brecht, Chance-Imagery. 45 Zit. bei G. Knapstein, George Brecht: Events, S. 101; vgl. auch G. Brecht, The Origin of Events und Excerpts from a discussion between George Brecht and Allan Kaprow entitled: ‚Happenings and Events‘ Broadcast by WBAI sometimes during May, in: happenings & fluxus, o. S.; Brechts Text The Origin of ‚Events‘ erschien, wie bei Knapstein belegt, zuerst im Programmheft ‚John Tilbury’s Volo Solo Macnaghtes Concerts 1970–71‘, London 1970. 46 G. Knapstein, George Brecht: Events, S. 102, vgl. auch S. 127ff. 47 Ebenda, S. 148. Vgl. The Fluxus Reader, und H. Böhringer, Auf der Suche nach Einfachheit. Eine Poetik.

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score) prepares a musical (sound) situation, the event-score prepares one for events in all dimensions (or outside of dimensions).“48 In Performances seit den 1970er Jahren wird zwar auf die Elemente der Happening- und Fluxus-Bewegung zurückgegriffen – etwa in der Fortsetzung von Performances als Konzeptkunst und der Präsentation und Ausführung von Aktionen –, doch zunehmend werden auch biographische, soziale oder politische Inhalte thematisiert. Damit wird die Generierung von Bedeutung intendiert, die über die präsentierten Aktionen hinausweist. Mit einem zweiten Beispiel soll dies erläutert werden: Meredith Monks Vokalperformances zeigen die Verschränkung der Aktualisierung und Präsentation körperlicher Kompetenzen mit der gleichzeitigen Vermittlung von vager, offener bis hin zu konkreter Bedeutung.49 Obwohl die Künstlerin zumeist ganz ohne Worte auskommt, hat sie ihre stimmlichen Artikulationen beinahe zu einer eigenen Sprache ausgebildet. Die De-Semantisierung der lautlichen Äußerungen ist mit ihrer Re-Semantisierung über stimmliche Ausdrucksgesten verknüpft. „I wanted to make my voice as flexible as my hand could be. And I wanted to find a vocabulary that was built on my own instrument, the way that a choreographer finds movement built on their own instrument. I basically was working with my own instrument, and seeing what I could do, and finding character or different kinds of vocal textures and things like that.“50 Verwendet Monk Sprache, Worte oder Text, so deutet sie sie ebenfalls als „sound texture“. Die Künstlerin erklärt: „My method began as one of trial and error: translating certain concepts, feelings, images and energies to my voice, seeing how they felt, how they sounded, and then refining them into a musical form. Over the years I have developed a vocabulary and a style designed to utilize as wide a range of vocal sound as possible.“52 Es scheint so, als bestünden Monks Performances aus dem Experimentieren und Improvisieren mit einer rein lautlichen, stimmlichen Palette von Lallen, Trillern, Murmeln, Glissandi, Silbenpatterns, Summen, Glottisgeräuschen, Lachen, Interjektionen usw., wobei dies insbesondere für ihre Soloauftritte zutrifft. Doch die Vokalartikulationen von Meredith Monk evozieren eine große Bandbreite von expressiven bis hin zu konkreten „Vokabeln“ oder Gesten, die die Künstlerin vor allem in ihren Musiktheaterprojekten und Filmen eingesetzt hat. Die Ambivalenz der Stimme von Meredith Monk tritt desto deutlicher zutage, je eher die Kontexte der Filme oder Musiktheaterprojekte bekannt sind und als Matrix ihrer Stimmperformances berücksichtigt werden können. „Für mich ist die Stimme eine Art archäologisches Instrument, das Gefühle aufspüren kann, die man ansonsten nicht unbedingt wahrnimmt, weil man sie nicht eindeutig benennen kann. 48 G. Brecht, Events. (assembled notes.), S. 226. 49 Vgl. R. Oehlschlägel, Dances for the Voice. Meredith Monk – Tänzerin, Performerin, Musikerin; D. Sterritt, Summen, Keuchen, Wispern, Singen. Die Performance-Künstlerin Meredith Monk; vgl. auch J. Kloppenburg, Stimme entgrenzt. Zur musikdidaktischen Relevanz von Vokalperformances. 50 Interview mit Meredith Monk in: W. Duckworth, Talking Music, S. 357. 51 Ebenda, S. 359. 52 M. Monk, Dolmen Music, CD-Booklet, ECM Records, ECM 1197, München 1981.

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Angst, Zorn sind eindeutige Empfindungen, mich aber interessieren die Grauzonen dazwischen.“53 Als Beispiel sei auf den etwa neun Minuten dauernden Solotitel Biography hingewiesen, der aus dem zweiten Akt von Monks Oper Education of the Girlchild (1972 Solo, 1973 Ensemble) stammt. Biography ist eine Meditation über verschiedene Lebensphasen einer Frau: „It was one woman’s life, from death through old age to youth, kind of a revery piece.“54 Monks vokale Artikulationen mit einfacher, repetitiver Klavierbegleitung beginnen mit in kleinen Intervallen, in tiefer Lage gesungenen Wechseltönen und entfalten sich über ausgedehnte Glissandi und schnelle Wechsel von Silbenpatterns in hohen und tiefen Lagen sowie Trillern; es sollen verschiedene Gemütslagen einer alten und am Ende jungen Frau zum Ausdruck kommen. Die stimmlichen „Vokabeln“ und Gesten stehen eindeutig in diesem Kontext. „I have been dressed as an old woman with white wig, apron, and rimless glasses. I sit on my little stool as the old woman throughout the intermission. My first movement is a kind of ‚waking up‘ breathing and from there, the solo travels through sequences of the old woman to the same person as a middle-aged woman and finally to the same person as the young woman character that I played in Part 1“.55 Das Stück evoziert einen Wechsel der Atmosphären und bringt auch als Solotitel Emotionen zum Ausdruck, die als narrative Struktur gedeutet werden können. „Biography is very much about texture, with the deepness of its fabric evoking a darkness of mood that is eventually relieved by a soothing passage, followed by an astringent, harshly fluttering sound with syllables that seem to settle into an almost-intelligible bird-language out of some elaborate fairytale world.“56 Die menschliche Stimme vermittelt stets mehr als nur Laute und Worte, sie erzeugt beispielsweise auch ein Bild des Körpers, von dem sie stammt, sie hat eine eigene „Physis“.57 Monk hat ihre Gesangstechniken im Hinblick auf letzteres sowie auf das Aktionale und zugleich Gestenhafte ihrer Stimme ständig weiterentwickelt. In Notes on the Voice (1976) listete sie verschiedene Funktionen ihrer Stimme auf: „1. The voice as a tool for discovering, activating, remembering, uncovering, demonstrating primordial/prelogical consciousness. 2. The voice as a means of becoming, portraying, embodying, incarnating another spirit. 3. The dancing voice. The voice as flexible as the spine. 4. The voice as a direct line to emotions. The full spectrum of emotion. Feelings that we have no words for. 5. The vocal landscape. 6. the body of the voice/the voice of the body. 7. The voice as a 53 Meine Stimme tanzt, und meine Bewegungen singen. Die amerikanische Performancekünstlerin Meredith Monk im Gespräch mit Dagmar Fischer, S. 29. Vgl. zu den emotionalen Grundlagen der Stimme T. Weber-Lucks, Vokale Performancekunst. 54 E. Strickland, Voices / Visions: An Interview with Meredith Monk, S. 146. Vgl. M. Goldberg, Transformative Aspects of Meredith Monk’s ‚Education of the Girlchild‘. 55 M. Monk, From „Ages of the Avant-Garde“, S. 189. 56 D. Sterritt, Notes: Meredith Monk, S. 108. 57 Vgl. R. Barthes, Die Musik, die Stimme, die Sprache (1977), S. 284 zur „Physis“ der Stimme: „unter Physis verstehe ich die Art und Weise, wie die Stimme im Körper sitzt – oder wie der Körper in der Stimme sitzt“; vgl. dazu auch ders., Die Rauheit der Stimme (1972), S. 269–278.

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manifestation of the self, persona or personas. […] 9. The voice as language“.58 Einerseits ist die Stimme für Monk unmittelbarer körperlicher Ausdruck von Emotionen, andererseits ein „independent physical instrument“.59 Damit ergibt sich eine Doppelperspektive auf den Körper und dessen Tun: Die Doppelung von „Körper haben“ und „Leib sein“, die gerade für Performance-Künstler in besonderer Weise gilt. 4.1.2 „expanded performance“ Eine Erweiterung erfuhr der Begriff der „Performance“ in den letzten Jahren durch den Einbezug von neuen Medien – vor allem durch den Computer, entsprechende Software, durch das Internet sowie durch neue bildgebende Verfahren –, die die selbstreflexive, „authentische“ Präsentation eines Künstlers vor Publikum steigern und gleichzeitig in eine Distanz zu rücken vermögen.60 Die Steigerung liegt in der Möglichkeit, die körperliche Präsenz des Künstlers mit dessen medialer Präsenz gemeinsam auf die Bühne zu bringen und die Differenz oder Verkoppelung dieser Präsentationsformen hervorzuheben oder zu thematisieren. Die Distanzierung besteht im Einbezug oder in der Stellvertretung der durch Medien vermittelten Präsenz auf der Bühne, die die Akteure selbst zunehmend in den Hintergrund treten lässt. In der Musik beginnt diese „ausgeweitete“ Performance bereits mit der Benutzung eines Mikrophons und Verstärkers sowie in der Verwendung weiterer elektroakustischer Medien im Aufführungsprozess beziehungsweise in der LiveElektronik, deren verschiedene Ausprägungen Martin Supper auflistet: „Instrumentalaufführung mit Einspielung von vorproduziertem Klangmaterial“, „Instrumentalaufführung mit elektronischer Klangumformung“, „Synthesizereinsatz bei Konzerten“, „Live-elektronische Ensembles“, „Computergestützte, interaktive Systeme“.61 Die Vorstellung einer „expanded performance“ geht auf Marshall McLuhans Modell der Ausweitung des Menschen – des menschlichen Körpers und der menschlichen Sinne – durch Techniken und Medien zurück.62 Vor diesem Hintergrund gehen Medientheoretiker davon aus, dass der Mensch die Medien als Instrumente und Werkzeuge betrachtet und gebrauchen kann und dass die Resultate eines Mediengebrauchs grundsätzlich von menschlichen Handlungen und Entscheidungen determiniert sind. Im Gegensatz dazu entwickelte sich aber auch die Auffassung, der menschliche Körper sei inzwischen selbst zu einer Bedienungsoberfläche, zu einem „Interface“ geworden, habe sich also im Zeitalter der digitalen Kommunikationstechnologie an die Medien ausgeliefert.63 58 Meredith Monk, S. 56. 59 Meredith Monk: Invocation / Evocation. A Dialogue with Liza Bear, S. 82. 60 Vgl. dazu T. Dreher, Performance Art nach 1945. Aktionstheater und Intermedia, S. 454ff. u. 461ff. 61 M. Supper, Elektroakustische Musik und Computermusik, S. 13. 62 Vgl. M. McLuhan, Understanding Media. 63 Vgl. dazu M. Leeker, Der Körper des Schauspielers / Performers als ein Medium. Oder: Von der Ambivalenz des Theatralen, http://userpage.fu-berlin.de/~sybkram/medium/leeker.html

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Einige Beispiele sollen den unterschiedliche Gebrauch von Medien für die Klangproduktion und -präsentation deutlich werden lassen. John Cage hat 1962 ein zweites „stilles Stück“ konzipiert. Dabei handelt es sich um 0’00’’, untertitelt mit 4’33’’ (No. 2). Die beiden Hauptanweisungen des Stückes lauten: „Solo to be performed in any way by anyone“ und „In a situation provided with maximum amplification (no feedback), perform a disciplined action“. Diese Instruktionen hat Cage durch weitere ergänzt: „with any interruptions“, „fulfilling in whole or part an obligation to others“, „no two performances to be of the same action, nor may that action be the performance of a ‚musical‘ composition“, „no attention to be given the situation (electronic, musical, theatrical)“.64 Das Stück basiert demnach nicht auf einer Partitur, auch nicht auf einer Partitur als „tool“, mit deren Hilfe Klangdimensionen wie Tonhöhen oder Dauern ermittelt werden können. Nur im weitesten und ganz allgemeinen Sinne ist es möglich, die zitierten Handlungsanweisungen auch als „Partitur“ zu bezeichnen.65 Die Instruktionen beziehen sich in erster Linie auf die konzentrierte und disziplinierte Ausführung von alltäglichen Aufgaben. „All that Cage has supplied is a direction to act [...] it lacks any reference to sound. The only acoustic information given at all is the instruction that the action be amplified, and this only ‚implies‘ that sound will be heard.“66 Der Entstehungsprozess der Klänge zeigt nun deutlich die Problematik und Dualität von Cages „expanded performance“. Einerseits stellt die analoge Übersetzung der Aktionen, Bewegungen und Laute des Körpers in Bewegungen der Membrane des Mikrophons und der Lautsprecher eine „unmittelbare“ Übertragungskette dar. Klänge, die ohne Verstärkung nicht hörbar oder zu leise sind, werden wahrnehmbar, eine Alltagssituation tritt als Klangsituation in Erscheinung. „The amplification system [...] functions as a microscope, magnifying every tiny, uncontrollable detail of the performer’s actions.“67 Andererseits werden die Klänge durch das Verstärker- und Lautsprechersystem abseits vom Ort ihrer Entstehung wahrnehmbar, und sie werden zu Klangobjekten des Aufführungsraums, „bearbeitet“ von dessen Raumakustik. Die Klänge können unabhängig von ihrer Quelle ästhetisch wahrgenommen werden beziehungsweise die Lautsprecher werden zu separaten und eigenständigen Klangquellen, somit erhält die Situation auch den Charakter einer Klanginstallation. Auf der temporalen Ebene sind diese beiden Klangquellen aneinandergekoppelt, es ist insofern eine Klanginstallation, bei der die Klänge aus den Lautsprechern in „Echtzeit“ produziert werden. Die Arbeiten der amerikanischen Komponistin Pauline Oliveros und ihr Einsatz des Computers zeigen weitere Beispiele für die Verwendung von elektro-

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(ges. am 22. 05. 2009). Vgl. auch die Beiträge in Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Siehe W. Fetterman, John Cage’s Theatre Pieces, S. 85. „The first performance was the writing of the score by the composer during a concert in Tokyo on October 24, 1962“ (ebenda). Vgl. dazu K.-J. Sachs u. T. Röder, Art. Partitur. J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 146. Ebenda, S. 148. Vgl. ebenda S. 150f. über Cages Beziehungen zu McLuhan. Vgl. auch Für die Vögel. John Cage im Gespräch mit Daniel Charles, S. 265ff.

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nischem Equipment in Live-Aufführungen. Für Oliveros gilt: „the live performance is the life of music“.68 Seit Jahren spielt sie auf ihrem „expanded accordion“ und hat die Möglichkeiten der Medien systematisch erweitert: „I startet with two delay processors and then added two more. Now there are eight and I can see it going further. I use foot pedals to control the delay time“.69 Die Komponistin erläutert, wie sich der Einsatz des Computers ausgewirkt hat: „I [...] had a program doing that, so I could do foot motions you can’t do with your feet – Superfoot! You could go instantaneously without a sweep […] I could also do some fast oscillation […] With this foot control you can do all the mouse movements on a Macintosh: One foot can move the cursor and the other foot can do click and drag and double click. We used just the digital interface to control the four lexicon delay processors […] Again, it’s a live interaction; the program is going but you interact with it. So I can do some things that you can’t do, and it challenges your performance to another level.“70 Nun ist der Gebrauch von Medien bei Oliveros eingebettet in einen hauptsächlich improvisatorischen und meditativen Kompositions- und Aufführungsprozess.71 Bei Konzerten wird für die Hörer ebenfalls die Möglichkeit geboten, die entstehenden Klänge und ihre Raumwirkungen in einer intensiven, konzentrierten und kontemplativen Haltung zu erleben. „As a musician I am interested in the sensual nature of sound, its power of release and change. In my performances throughout the world I try to transmit to the audience the way I am experiencing sound as I hear it and play it in a style that I call deep listening. Deep listening is listening in every possible way to every thing possible to hear no matter what you are doing. Such intense listening includes the sounds of daily life, of nature, of one’s own thoughts as well as musical sounds. Deep listening is my life practice.“72 Zu dieser Praxis gehörte bei Oliveros von Kindheit an der Umgang mit „electronic sound“, ausgehend von ersten Radio- und Tonbandgeräten, so dass die Exploration medial erzeugter neuer Klangdimensionen immer an die Vertiefung der sinnlichen Erfahrung von akustischen Phänomenen gebunden war. Nicht zuletzt bedeutete dies für die Komponistin auch eine ständige spirituelle Erweiterung und Bereicherung ihrer Natur- und Welterfahrung.73 Eine weitere Dimension von „expanded performance“ besteht in einer hybriden Verbindung von Mensch und Maschine, stellt also nicht nur die „Erweiterung“ der Körper- und Klangperformance durch Medien dar, sondern bietet auch die 68 Interview mit Pauline Oliveros in C. Gagne, Soundpieces 2, S. 213. 69 Ebenda, S. 217 70 Ebenda. Zu technischen Details von Oliveros’ „Expanded Instrument System™“ (EIS) vgl. ihren Aufsatz Acoustic and Virtual Space as a Dynamic Element of Music. Vgl. auch P. Oliveros, Tape Delay Techniques for Electronic Music Composers, sowie D. Gamper u. P. Oliveros, A Performer-Controlled Live Sound-Processing System. New Developments and Implementations of the Expanded Instrument System. Vgl. zu den Grundlagen P. Manning, Electronic and Computer Music. 71 Vgl. dazu S. Feißt, Der Begriff ‚Improvisation‘ in der neuen Musik, S. 176–183. 72 P. Oliveros, Crone Music (1991), S. 69f. 73 Vgl. H. v. Gunden, The Music of Pauline Oliveros.

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Möglichkeit zur Reflexion medientechnischer Funktionen und Automatismen in Aufführungssituationen, wodurch im Prinzip eine Performance der Medien erzielt wird. Dies zeigt sich vor allem in interaktiven Musik- sowie Theater- oder Tanzprojekten sowie in der Nutzung des Internets.74 Als Extrembeispiel für die Auslotung der Verkoppelung von Mensch und Maschine, das geradezu in Opposition zu Oliveros gestellt werden kann, seien die Projekte des Performancekünstlers Stelarc erläutert. Seine Performances werfen die Frage auf, ob der menschliche Körper „zum Interface der Technik oder die Technik zu dem des Körpers“ wird.75 Seit den 1970er Jahren hat sich der Künstler an elektronische Systeme angeschlossen, die zunächst seine Körperfunktionen (u.a. Herzschlag, Gehirnströme, Blutkreislauf, Muskelkontraktionen) hörbar machten. Mit Sonden auskultierte er zudem verschiedene Räume des Körperinneren. Während er in diesen Performances die körperlichen Grenzen durchstieß und die Verhältnisse von Innen und Außen in eine permeable Zone wandelte, erweiterte er in einem nächsten Schritt den Körper beispielsweise durch eine „Dritte Hand“, eine Prothese, die durch Bauch- und Beinmuskelkontraktionen gesteuert wird. „After many years of use in performance the artist is able to operate the Third Hand intuitively and immediately, without effort and not needing to consciously focus. […] The Third Hand is effective as a visual attachment to the body, sometimes mimicking, sometimes counter-pointing the movements of the actual hands. Amplifying the motor sounds enhances these small hand motions.“76 Stelarc thematisierte wiederholt einerseits die Beeinflussung von elektrotechnischen Systemen durch Körperfunktionen. Andererseits faszinierten ihn zunehmend Möglichkeiten, gesteuert zu werden und den eigenen Körper als fremdgeleitetes Objekt zu erleben. Mit dem Projekt Stimulated Body (Stimbod) hat der Künstler ein Touch-Screen-Muskelstimulationssystem entwickelt, das es erlaubt, den Körper sowohl eigen- als auch fremdbestimmt wahrzunehmen. Bewegungen des menschlichen Körpers werden durch die Berührung von Muskelpartien an einem Computermodell programmiert. „Auf einem niedrigeren Level der Stimulation findet eine bloße Übertragung von Berührungsreizen statt. Auf einem höheren Level wirkt der Stimbod als Körperaktivierungssystem, mit dem die programmierten Bewegungen tatsächlich stimuliert werden. Es geht dabei nicht um eine Fernsteuerung des Körpers, sondern um die Konstruktion von Körpern mit gespaltenen Physiologien, die mit einer Vielheit von Agenten operieren.“77 Die „Vielheit von Agenten“ erreichte Stelarc 74 Vgl. dazu Maschinen, Medien, Performances. Theater an der Schnittstelle zu digitalen Welten, sowie M. Leeker, Von der Performance mit Musik zur Performanz rückgekoppelter Maschinengeräusche. Vgl. auch Gendertronics. Der Körper in der elektronischen Musik. 75 Vgl. D. de Kerckhove, Man-machine-direct-connect, S. 685ff., Zitat S. 705. Vgl. auch T. Dreher, Performance Art nach 1945. Aktionstheater und Intermedia, S. 379–387. Vgl. auch Fleshfactor. Informationsmaschine Mensch, S. 148–157, sowie M. Hallensleben, Vom Cyborg zum Interface Organism: Stelarcs und TC&As Extra Ear-Performance. 76 Stelarc, The Involuntary, The Alien & The Automated: Choreographing Bodies, Robots & Phantoms, www.stelarc.va.com.au/articles/index.html (ges. 22.05.2009). 77 Stelarc, ParasitenVisionen. Split body zwischen ferngesteuerter und selbstbestimmter Erfahrung, S. 710.

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über das Internet, als er sich 1995 in Luxemburg von Personen in verschiedenen Städten (Paris, Helsinki, Amsterdam) aktivieren ließ. Das Projekt erfuhr folgende Erweiterung: „Bei Ping Body [...] wird der Körper nicht durch andere, an anderen Orten sich befindende Körper bewegt, sondern die Internetaktivität selbst choreographiert und komponiert die Performance. [...] Das Internet wird nicht mehr durch die Inputs von Menschen konstruiert, sondern es selbst konstruiert und stimuliert die Aktivität eines Körpers.“78 Die Visionen von Stelarc zeichnen einen Körper, der nach innen wie nach außen einen erweiterbaren, potentiell unendlich dehnbaren Aktionsradius zu erreichen in der Lage ist. „Man stelle sich einen Körper vor, der offen und bewusst ist, einen Körper, in den die Technologie Einzug gehalten hat, einen erweiterten Körper mit erweitertem Operationsradius. Man stelle sich einen Körper vor, dessen Bewusstsein durch Hilfsroboter in Situationen und Räume verlagert wird, in die sich kein leiblicher Körper begeben könnte. Diese Maschinen, ausgestattet mit Sensoren und Manipulatoren, mit teils natürlicher, teils künstlicher Fortbewegung, würden die operationalen Möglichkeiten des menschlichen Körpers exponentiell vervielfachen, indem sie die Subtilität, Geschwindigkeit und Komplexität menschlichen Handelns steigerten. Vielleicht heißt ein Mensch zu sein, an unserem Menschsein nicht festzuhalten [...]“79 Klänge sind Teil der Performances von Stelarc. Dabei handelt es sich nicht nur um Klänge, die der Körper selbst produziert, die hörbar sind, verstärkt und präsentiert werden (zum Beispiel der Herzschlag). Sondern die Klänge der Maschinen sind ebenso Teil seiner Performances wie Klänge, die durch Körpersignale ausgelöst werden. „The body and its machines do not perform with ambient sound but rather create and compose the soundscape through their operation and motion. Amplified body signals and sensor signals allow sound to be mapped to different functions and physiology of the body and the mechanism of its machines – not only to indicate but also to amplify small motions and emphasize larger ones.“80 Klänge und Klangstrukturen – zum Beispiel bestimmte Rhythmen –, die vom Körper ausgehen und auf dessen Funktionen zurückgeführt werden können, werden sodann durch Feedback oder Klangbearbeitungsverfahren über den Computer transformiert. Dadurch entsteht eine vom Körper abgelöste klangliche Ebene, mit der separat gearbeitet werden kann. „The body does not simply acquire an acoustical aura; its humanoid form is stretched and restructured with sound. The amplified body is no longer the container of its rhythms: the humanoid form is transformed into the cuboid space. The body becomes hollow, resonating with its own echoes […] There is a general score or structure in the performance depending

78 Ebenda, S. 713. Vgl. dazu P. Auslander, Live from Cyberspace. Performance on the Internet, S. 321–335. 79 Stelarc, ParasitenVisionen. Split body zwischen ferngesteuerter und selbstbestimmter Erfahrung, S. 716f. Vgl. auch Stelarc, Auf dem Weg zum Postmenschlichen. Vom biologischen Selbst zum Cyber-System, S. 11. 80 Stelarc, The Involuntary, The Alien & The Automated: Choreographing Bodies, Robots & Phantoms. Vgl. Stelarc, CD, Fractal Flesh Audio, NMACD 9902. Vgl. auch K. Evert, BodySounds. Zur akustischen Ebene in den Performances von Stelarc.

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on the number and type of body frequencies amplified. Within these performance parameters the body improvises depending on the feedback it generates. Orchestration of the event involves selective tuning into / out of channels of sound (varying the complexity), increasing or decreasing the volume of certain sounds (contouring the sound field), physical control of certain body functions and motions, activation of the mechanical hand and the use of digital delay (foot pedal) to loop and superimpose sequences of sound. The general dilemma of the process is to modulate the original signal in a way that best reflects the body function and maintains an identity with it – an interplay between physiological control and electronic manipulation.“81

Dieses Spiel lässt sich durch das Internet entsprechend ausweiten. Dann geht es nicht allein um Differenzen zwischen den vom Körper produzierten und den medialisierten und transformierten Klängen, sondern um die Ausweitung oder „Auslagerung“ der körperlichen Klangskulptur in den vernetzten Raum. Im Gegensatz zu Stelarcs „realem Körper“ können die Klänge seines Körpers dort so manipuliert werden, dass sie den Bezug zu ihrer Quelle völlig verlieren. Ihr Auftauchen, aber auch ihr „Erscheinungsbild“ kann beispielsweise von Signalen des Systems gesteuert werden. Vielleicht verwirklicht sich nur in Stelarcs Arbeit mit Klang die Utopie, den menschlichen Körper zum Verschwinden zu bringen, indem er – eine metaphysische Vorstellung von Klang im Hintergrund – die körperliche Akustik ins Netz auslagert. Doch so fraglich es einerseits ist, ob dies zur Selbstverwirklichung des Menschen beiträgt, so zweifelhaft ist andererseits die Annahme, das „Netz“ und dessen System sei von menschlichen Entscheidungen und Aktionen unabhängig. Für Stelarc ist diese Vorstellung eine Herausforderung, die zu seinen aktuellen Arbeitsgrundlagen zählt. Eine weitere Variante der Live-Elektronik bei Performances und Konzerten mit Klang zeigt die Vernetzung von mehreren Computern und die Möglichkeit, das Internet als Basis oder Plattform für diese Vernetzung zu nutzen, ohne eine Utopie des Verschwindens der menschlichen Einflussnahme zu verfolgen. Dass die Aufführenden nicht gemeinsam an einem Ort und zur gleichen Zeit zu agieren haben, wird hier in vielfältige interaktive Spielformen umgesetzt.82 „In the hands of interactive-software composers, the computer has become a jazz partner to jam with. New software enables a computer to receive and quantify sounds from an instrument (or, alternately, supplied by the computer operator) and then transform them […] The computer’s echoes can be obvious, but more often it is used to create an entire language from the input it receives, and the sonic results often remain mysterious to the listener.“83 Ein Computernetzwerk gewissermaßen als Instrument zu behandeln, unternimmt beispielsweise seit 1987 die kalifornische Gruppe The Hub, bestehend aus den Komponisten John Bischoff, Chris Brown, Scott Gresham-Lancaster, Tim Perkins, Phil Stone und Mark Trayle. Die Musiker hatten zum Teil seit Ende der 1970er Jahre damit begonnen, ihre ersten Personal Computer untereinander zu ver81 Stelarc, Event for Amplified Body, Laser Eyes and Third Hand, S. 285, 287. 82 Zum Begriff „Interaktion“ vgl. J. Goebel, Man-Machine Interaction. Vgl. zu den Grundlagen R. Rowe, Interactive Music Systems. Machine Listening and Composing. 83 K. Gann, American Music in the Twentieth Century, S. 279.

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binden und sich in Improvisationen mit einfachen Prozessen gegenseitig zu beeinflussen oder beeinflussen zu lassen. John Bischoff erinnert sich an die Anfänge in der League of Automatic Music Composers: „In such a case, the program on the receiving end would either periodically check the port for new data or more casually retrieve whatever data was there when it looked. At other times we connected via the KIM’s [erste Generation von Personal Computern] interrupt lines which enabled an instantaneous response as one player could ‚interrupt‘ another player and send a burst of musical data which could be implemented by the receiving program immediately.“84 Bereits in dieser Anfangsphase und später in der Gruppe The Hub entwickelten die Komponisten – auf der Basis ihrer im regelmäßigen Abstand dem neuesten Standard angepassten Technik – nicht nur weitere und komplexere interaktive Handlungsmodelle, sondern auch Möglichkeiten, generative Prozesse der Computer auszulösen: „Initially, we let the networked stations run on their own in performance, unattended, and retired to the sidelines to listen along with the audience. After a while it seemed more fun to perform along with the network so we began to sit around our large table of gear, adjusting parameters on the fly in an attempt to nudge the music this way or that […] the League always played their machines in real-time and put great emphasis on evolving structure and surprise in performance.“85 Die einzelnen Computersysteme wurden in der Regel als eigenständige Stationen konfiguriert, mit denen in Konzerten jeweils „Sub-Kompositionen“ gespielt wurden. Für Gresham-Lancaster war darin das Konzept einer Partitur aufgehoben: „A score consists of the instructions needed to achieve the desired resulting sound. In the case of the Hub, scores consisted of sets of specific instructions that related the technical requirements to obtain the results the composer wanted to realize.“86 Die Art der gegenseitigen Beeinflussung konnte, musste aber nicht im Detail abgesprochen sein. Sie konnte auch schriftlich mitgeteilt und den Mitspielern während einer Aufführung vorgegeben werden. In Role’m (1987) von Chris Brown „the text messaging facility was used as a conductor of the improvisation. The conducting decisions were all made by one computer, which chose at random one of six descriptors for each of the five categories of musical textures [ensemble, role, tune, range, time], which together created a ‚group change‘“. Die Umsetzung der Regeln war mit zwei theatralen Elementen verbunden: „1) if you are playing the role of BOSS or LEAD, you must stand up while playing, like in Big Bands. 2) if you are not playing the current group (ENSEMBLE = TACET), you are free to play any other acoustic soundmakers (bells, whistles, washboard, sousaphone, whatever) that you wish.“87 Seit Mitte der 1990er Jahre 84 C. Brown u. J. Bischoff, Indigenous to the Net: Early Network Music Bands, www.cross fade.walkerart.org (ges. 30.12.2012). Vgl. C. Brown, J. Bischoff u. T. Perkins, Bringing Digital Music to Live. The Hub ging u.a. die League of Automatic Music Composers voraus (mit J. Bischoff, J. Horton u. R. Gold, später T. Perkins). Vgl. zu den KIMs (von Commodore) P. Manning, Electronic and Computer Music, S. 220. Vgl. auch S. Gresham-Lancaster, The Aesthetics and History of the Hub. 85 C. Brown u. J. Bischoff, Indigenous to the Net: Early Network Music Bands, o. S. 86 S. Gresham-Lancaster, The Aesthetics and History of the Hub, S. 41. 87 C. Brown u. J. Bischoff, Indigenous to the Net: Early Network Music Bands, o. S.

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integrierte The Hub auch Videoprojektionen in ihre Konzerte. In einer „real-time version“ von Cages Variations II (Konzert, Mills College 1995) wurden beispielsweise Lesarten von Cages Partitur über Video projiziert. Die Abmessungen der Punkte und Linien, die bestimmten Klangdimensionen zugeordnet wurden, verteilten sich an die einzelnen Spieler. „Each musician computes his own performance independently, but all the data used in these computations arises from the same graphical matrix. In addition, as each musician requires more information for creating new events or for determining the details of a complexly structured event, he may request the graphics computer to ‚nudge‘ the overlay, thereby creating the necessary data. In contrast to the ‚traditional‘ compositional method, this realization allows us to create music that is unique to each performance, and that need not be rehearsed; both goals served for us to update Cage’s concept to the current sociological and aesthetic situations. The process of realizing the work in new form has re-emphasized to us the appropriateness of his compositional strategies to the medium of electronic music.“88

In einem Konzert am 25. Juni 2005 in Berlin (The Hub – ten years after) spielte die Gruppe verschiedene Live-Stücke, Improvisationen und Ausschnitte aus früheren Aufnahmen. Die Programmabfolge wurde auf zwei großen Videoleinwänden projiziert. Zudem wurden die Instruktionen und Kommentare der Spieler untereinander eingeblendet, so dass das Publikum die „Chats“ verfolgen konnte. Dieses Verfahren steuert einer Situation entgegen, die das Konzerterlebnis von The Hub offenbar in den früheren Jahren prägte, und die, um aus eigener Erfahrung zu sprechen, die Live-Präsentation von Computermusik, ob im Ensemble oder durch einen einzigen Personal Computer beziehungsweise Laptop, insgesamt prägt. Sie wurde folgendermaßen beschrieben: „Jeder Spieler sitzt auf der Bühne vor einem Computerterminal und betätigt ab und zu die Tastatur. Die entstehende Musik erklingt aus dem Lautsprecher. Das Publikum erkennt in keiner Weise, was eigentlich auf der Bühne gemacht wird und beginnt sich sehr bald zu langweilen und unruhig zu werden. [...] Die Situation auf der Bühne ist ein geschlossenes System, der Zuhörer/Zuschauer bleibt außen vor.“89 Aus dem alltäglichen Umgang mit dem Computer oder Laptop ist bekannt, dass seine professionelle Bedienung ein konzentriertes Arbeiten erfordert. Insofern ist es kaum erstaunlich, dass die Musiker am Computer auch in einer Konzertsituation oder vielmehr gerade bei einem Konzert ihre volle Aufmerksamkeit der Maschine widmen. Es besteht insofern kein „Desiderat der Performativität“, sondern eine Veränderung der Aufführungssituation.90 Das „Desiderat“ zeigt sich nur dann, wenn von traditionellen Erwartungen an Musiker ausgegangen wird. Es ist vollends obsolet, wenn der Laptop in seiner materiellen Beschaffenheit als Klangerzeuger eingesetzt wird (zum Beispiel durch Auf- und Zuklappen des Bildschirms) und/oder als Objekt des „digital life88 Ebenda. 89 M. Supper, Elektroakustische Musik und Computermusik, S. 92f. 90 B. Gottstein, Komplott und Metapher. Der Laptop als Musikinstrument, S. 13. Vgl. dazu auch C. Stuart, The Object of Performance. Aural Performativity in Contemporary Laptop Music. Stuart betont, dass sich durch die Zurücknahme der Performer die Wahrnehmung der Musik intensiviert („aural performativity“): „We ask how is it that the near inanimate body of the laptop performer is making the sound we hear, and we ask how it is that the small structure of

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style“ betrachtet wird, das nicht zuletzt als Attribut der Selbstinszenierung dient, die eine gewisse Szene-Zugehörigkeit mit sich bringt und markiert.91 Im Vergleich zu „Lautsprecherkonzerten“ ist sogar eine Erhöhung der Performativität zu verzeichnen, wobei dies von Bedeutung ist, weil sich die produzierte und/oder präsentierte Musik ähneln kann. Im Falle von The Hub gilt die Konzentration aber auch der Interaktion, dem Senden und Empfangen von Befehlen oder Hinweisen, von Bestätigungen oder Kommentaren zum Geschehen. Die entstehende Musik resultiert aus diesen Vorgängen, die – abhängig von der Software – zum Teil auch der Computer selbst fortsetzt. „The composer can work in partnership with a complex creative system that not only responds to human actions and decisions, but is autonomous enough to suggest new possibilities the composer didn’t imagine.“92 Das komplexe System wird durch die Musiker geschaffen, die sich als „extensions of the network“ begreifen.93 Bei der Entstehung der Musik in den Stücken von The Hub werden die Körper der Spieler nur indirekt eingesetzt. Sie bedienen die Maschinen (Hardware und Software), erzeugen jedoch die Musik nicht unmittelbar durch die Stimme oder durch den Gebrauch akustischer Instrumente auf der haptischen Ebene. Die Körper der Spieler werden zu Medien, die im Dienste der Vernetzung und Interaktion stehen. Sie ermöglichen die Entwicklung einer „konnektiven Intelligenz“: „Konnektive Intelligenz meint also die Vernetzung individueller Intelligenzen. Konnektive Intelligenz kann dann entstehen, wenn eine Gruppe von Menschen ihre mentalen und physischen Möglichkeiten und Fähigkeiten koordiniert, um an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten und zu versuchen, ein Problem gemeinsam zu lösen.“94 Es mag sein, dass die Arbeit von The Hub nur eine Vorstufe dessen ist, was de Kerckhove letztlich unter einer globalen „konnektiven Intelligenz“ versteht. Doch das interaktive Zusammenspiel der Gruppe zeigte von Beginn an diese Tendenz. Die resultierende Musik ist – wenn man so möchte – „absolute Musik“ einer „konnektiven Intelligenz“. Ob sich diese Musik an die vom 19. Jahrhundert ge-

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the computer's body can create the sounds being heard. In this situation a jump in thinking is needed. We need to grasp that the audience are the receptors of the performance and in this music, most importantly, they are the listeners – the performer is also a listener. [...] So the sound itself is interacting on the bodies present in a physical manner“ (ebenda, S. 64). Vgl. auch K. Cascone, Grain, Sequence, System. Three Levels of Reception in the Performance of Laptop Music. Vgl. R. Großmann, Die Spitze des Eisbergs. Schlüsselfragen musikalischer Laptopkultur. C. Brown, J. Bischoff u. T. Perkins, Bringing Digital Music to Live, S. 31. In Sounding the Net: Interview with Chris Brown erklärt Brown dazu: „We never expected or wanted the network to be a perfect vehicle for the data-sharing ideas, but were interested in the interactive collision of imperfect instruments with the listening and taste of the performers“ (www. fictive.org/cmr/appendix/brown.html, ges. 22.05.2009). C. Brown, J. Bischoff u. T. Perkins, Bringing Digital Music to Live, S. 30. Vgl. auch G. Föllmer u. E. Ungeheuer, Netzmusik – Stand der elektroakustischen Musik oder Musik von anderen Planeten?, S. 306. D. de Kerckhove, Man-machine-direct-connect, S. 695, vgl. auch ebenda S. 705.

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prägte Idee einer „begriffs-, objekt- und zwecklosen [...] ‚absoluten Musik‘“ anlehnt, kann hier nicht diskutiert werden.95 Es ist jedoch von Interesse, dass sie – wie viele Richtungen elektroakustischer Musik – in den letzten Jahren mit visuellen Medien verkoppelt wurde. Dies ist auch als Versuch zu verstehen, elektroakustische Musik wieder dem traditionellen Konzert anzunähern, bei dem man die Interaktionen der Musiker verfolgen kann. Die Musik von The Hub, obwohl sie aus differenzierten Entscheidungen und sozialen Interaktionen der Musiker entsteht, zeigt beziehungsweise demonstriert keinen direkten Einfluss der menschlichen Körper, doch die visuellen Medien bringen ihn offenbar wieder ins Spiel. Hier wird zugleich die Präsentation von Computermusik inszeniert, wobei dies nur eine Variante des Umgang mit Video im Konzert ist, wie später noch ausführlicher zu zeigen sein wird. 4.1.3 Installation Art – Environment – Klanginstallation Die installative Präsentationsform von Klang, die verbunden ist mit der Inszenierung einer Konzert- oder Wahrnehmungssituation im Sinne einer Gestaltung beziehungsweise besonderen Positionierung von Klang und Musik in Räumen, gehört in das weite Feld der „Installation Art“. Diese lässt sich in vier Grundrichtungen auffächern: 1) in eine komplette Einrichtung und Gestaltung von Räumen, die der Besucher beim Betreten als „anderen Ort“, Phantasie- oder Traumwelt erlebt (ein frühes Beispiel ist Kurt Schwitters’ Merzbau, entstanden 1919–1937)96; 2) Alltagsgegenstände, Naturmaterial, lebende Tiere – kurz: Szenen aus dem Leben und der Wirklichkeit – werden im Museum ausgestellt (vergleichbar den „ready-mades“ von Marcel Duchamp); 3) künstlerische Interventionen in Räumen, die den Raum erweitern, zerstören, abbauen, das heißt die „innocence of space“ hauptsächlich im Museum unterlaufen (ein Hauptvertreter ist Daniel Buren); 4) künstlerische Interventionen in Räumen, die Merkmale und Besonderheiten der Architektur unterstreichen, dabei oft fast unbemerkt bleiben (Klanginstallationen gehören häufig in diese Kategorie).97 „The viewer is asked to investigate the work of art much as he or she might explore some phenomenon in life, making one’s way through actual space and time in order to gain knowledge. Just as life consists of one perception followed by another, each a fleeting, nonlinear moment, an installation courts the same dense, ephemeral experience […] the viewer is in the present, experiencing temporal flow and spatial awareness […] life pervades this form of art.“98 Ob damit eine Auslieferung der Kunst an die „Verfügungsgewalt des Subjekts“ stattfindet oder die Eigenständigkeit der Kunst 95 Vgl. C. Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, S. 13. 96 Zu Vorläufern vgl. G. Celant, A Visual Machine. Art Installation and its Modern Archetypes; ders., Ambiente / Arte, dal futurismo alla body art. 97 Vgl. zu dieser Einteilung M. Rosenthal, Understanding Installation Art. From Duchamp to Holzer. Vgl. auch N. de Oliveira, N. Oxley u. M. Petry, Installation Art, sowie dies., Installation Art in the New Millenium. 98 M. Rosenthal, Understanding Installation Art. From Duchamp to Holzer, S. 27.

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als Objekt, das ein freies Spiel der Wahrnehmung und Rezeption erlaubt, untermauert wird, ist eher eine ethische als eine ästhetische Frage, die zu mannigfachen Diskussionen anregen kann.99 Man kann den Ursprung der Installation von Klang in Räumen und damit die klangliche Gestaltung eines Raums auf verschiedene Weise herleiten.100 Oft ist auf Erik Saties musique d’ameublement (1920) hingewiesen worden, zu deren Idee es gehört, dass die Musiker im Raum verteilt sind und dass man auf sie nicht achten sollte. Das Publikum wurde darüber informiert, dass die Musik aufzunehmen sei „wie eine gelegentliche Unterhaltung, ein Bild in einer Galerie oder wie ein Sessel, in dem man sitzt oder nicht sitzt.“101 Satie hatte nicht die Absicht, eine besondere ästhetische Wahrnehmung von Klang in einem bestimmten Raum anzubieten – und dies widerspricht seiner Heranziehung als Vorläufer der Klanginstallation –, sondern er konzipierte mit seiner musique d’ameublement offenbar Hintergrundmusik, heute würde man vielleicht sagen: klangliches oder musikalisches Ambiente. Dies kann mit dem Begriff „Environment“ in Verbindung gebracht werden, der zunächst in den 1960er Jahren für Rauminstallationen stand, die als grenzüberschreitende künstlerische Projekte zwischen Architektur und bildender Kunst erklärt wurden. Der Anteil an letzterer ging auf die Vorstellung einer Extension der Leinwand zurück, die sich mit eigenwilligen Plänen zur Gestaltung der Umwelt verbinden ließ. „In some cases this happens as a consequence of a certain frustration caused by the discrepancy between the art and the surrounding architectural space. In others it is simply a turning away from this rift as an insoluble problem and pursuit of the inner evolution of one’s work, in which one thing suggests another, which in turn suggests another, and so on… expanding the work until it fills an entire space or evolves one, thus becoming an Environment […] the pieces of paper curled up off the canvas, were removed from the surface to exist on their own, became more solid as they grew into other materials and, reaching out further into the room, finally filled it entirely.“102 Für diese künstlerischen Environments galt beispielsweise, dass die zusammengestellten Objekte und Materialien von den Besuchern verändert werden konnten, und es galt ebenfalls die „Regel“, dass sie nur für eine bestimmte Zeit vorhanden waren und nach dem Ablauf ihrer Präsentation abgebaut oder zerstört wurden. Die Betonung lag auf dem Flüchtigen, Ephemeren und der Metamorphose der Environments, deren Bestandteile – häufig alltägliche, fragile und organische Elemente – die materielle Vergänglichkeit überdeutlich zeigten.103 Klang oder Sound gehörte zu den Gestaltungskomponenten dieser Installationen hinzu. „The noise of rain and the wind swinging through the branches, the clanging of the constructions, cries of birds, and rasping of crickets

99 Vgl. J. Rebentisch, Ästhetik der Installation. 100 Vgl. den guten Überblick bei G. Föllmer, Klanginstallation und öffentlicher Raum. Vgl. auch die Beiträge in Konzert – Klangkunst – Computer. Wandel der musikalischen Wirklichkeit. 101 Vgl. dazu G. Wehmeyer, Erik Satie, S. 223. 102 A. Kaprow, Assemblage, Environments & Happenings, S. 164f.; vgl. auch A. Henri, Environments and Happenings. 103 Vgl. dazu Environments von Clarence Schmidt.

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– all could be picked up by tiny microphones and amplified earsplittingly over hidden loudspeakers[...]“104 Ein zweiter Grund für die Entstehung von Klanginstallationen wird in der Entwicklung elektroakustischer Medien gesehen, die die Präsentation von Klang ermöglichten, ohne dass ihn ein Musiker vor Ort erzeugt, wie eben am Beispiel von Environments deutlich wurde. Dies konnte, auch wenn die Formulierung ironisch klingt und ganz anders gemeint ist als im Fall der elektronischen Musik, ebenfalls als ‚Befreiung‘ von den Unzulänglichkeiten der menschlichen Klangproduktion interpretiert werden: „In freeing composers from the live performer, electronic machines have opened up a new social situation to the composer: the sound installation. Since they need never go [to] the bathroom or pop out for a sandwich, computers, and synthesizers – if programmed to run themselves – can sit in a gallery, building lobby, or outdoor space playing their digital hearts out for sixteen, even twenty-four hours a day. As a result, many electronic composers work in situations more reminiscent of sculptors and other visual artists than of the traditional musician, setting up works for audiences to come in and observe for any length of time.“105 Mit der Möglichkeit zur Speicherung und Reproduktion von Klang sowie der beliebig häufigen Wiedergabe aufgenommener Klänge und der Möglichkeit, gespeicherte Klänge oder Klangfolgen von interaktiver Software verändern zu lassen, ergab sich darüber hinaus die Überantwortung der Gestaltung von Klang an den Hörer und Besucher einer Klanginstallation. Um dies allerdings in Szene setzen zu können, hatten sich Künstler professionell als Elektrotechniker, Akustiker, Tonmeister oder Softwareprogrammierer zu bewähren. Die künstlerische Kreativität – sei es von bildenden Künstlern, die mit Klang arbeiten, sei es von Komponisten, die sich Installationen zuwenden – wurde insofern eng an die technische und mediale Kompetenz des Künstlers oder der Künstlerin gebunden. Eine dritte Erklärung für die Entstehung von Klanginstallationen besteht in ihrer Herleitung als Folgeerscheinung von Aktionskunst und Performances. Die Gründe für den künstlerischen Wechsel zur installativen Arbeit mit Klängen bestünden demzufolge im Rückzug des Subjekts aus der Aufführungssituation, der sich mit dem Einsatz der Medien verknüpfen lässt. Dem Rückzug der Künstler, die Klänge in Räumen installieren und sie gewissermaßen sich selbst überlassen, steht allerdings gegenüber, dass der subjektiven Verfasstheit der Rezipienten in der Wahrnehmungssituation eine große Rolle zugewiesen wurde. Zudem sind Klänge in Klanginstallationen völlig individuell gestaltet. Die Künstler befassen sich in der Regel lange mit dem Raum, mit der Architektonik, mit der Geschichte des Raums, mit den Installationsmöglichkeiten, den Klängen und der technischen Realisation sowie häufig mit den psychophysischen Wirkungen von Klang in einer bestimm-

104 A. Kaprow, Assemblage, Environments & Happenings, S. 172. 105 K. Gann, American Music in the Twentieth Century, S. 284. Vgl. dazu V. Straebel, Klangraum und Klanginstallation; vgl. auch D. Kahn, Audio Art in the Deaf Century, und M. Brech, New Technology – New Artistic Genres: Changes in the Concept and Aesthetics of Music.

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ten Situation. Vergleicht man Klangkünstler mit Installationskünstlern aus anderen Kunstsparten, etwa Videokünstlern, so zeigt sich, dass das „künstlerische Subjekt“ sich nicht grundsätzlich zurückzieht (auch wenn eine relativ puristische Haltung vorherrschen kann), sondern seine Aktivität auf andere Arbeitsfelder verlagert. Dass bestimmte Künstler einen oder mehrere Räume alleine gestalten – sei es mit Bildern, Objekten oder anderen Mitteln – bedeutet im Kontext von Ausstellungen in Museen eine Betonung des künstlerischen Subjekts.106 Eine Ablösung von Aktionskunst, Performance und sogar Konzert durch Klanginstallationen scheint überdies nicht allgemein gegeben zu sein. Viele Klangkünstler sind parallel als „Konzertgeber“ (zum Beispiel in „performed installations“) – oder umgekehrt: Musiker und Komponisten auch als Klangkünstler – aktiv (zum Beispiel Rolf Julius, Ed Osborn, Ron Kuivila, Nic Collins, Johannes S. Sistermanns, Georg Klein u.v.a.). Die Arbeit und Erfahrung mit Räumen ist für beide Bereiche elementar: „performance art, now as in the twenties, directly reflects spatial preoccupations in the art world.“107 Allan Kaprow hat die durch Installationen in Environments ausgelösten produktiven und rezeptiven Veränderungen bereits in den 1960er Jahren folgendermaßen beschrieben: „What this means is that the artist need not be the only one responsible for a creative action. While he may decide that only he can alter a piece as he sees fit during a period of time, he may also see a value in having nature or other artists, with their different backgrounds and tastes, contribute to its changes afterward. Using an extreme logic, this could imply that anything may be art and anyone may be an artist, but in plain fact it only extends the right of sensitive perception and creative activity to those who wish to respond appropriately, and artists usually proffer this invitation with discretion […] The work of art must now receive its meaning and qualities from the unique, expectant (and often anxious) focus of the observer, listener, or intellectual participant […] The artist and his artist-public are expected to carry on a dialogue on a mutual plane, through a medium which is insufficient alone and in some instances is nonexistent before this dialogue, but which is given life by the parties involved.“108

Folgt man Kaprows Darstellung, so glichen sich in diesem Aspekt Environment und Happening: „Fundamentally, Environments and Happenings are similar. They are the passive and active sides of a single coin, whose principle is extension.“109 Environments aber – als frühe Raum-Klang-Installationen – waren Kaprow zufolge zugleich die Vorläufer von Happenings.110 Häufig wird darauf verwiesen, dass Max Neuhaus den Begriff der „soundinstallation“ zuerst benutzt habe. „Er prägte ihn etwa 1971, um damit eine Arbeitsweise zu charakterisieren, die er 1974 programmatisch formulierte. ‚Traditionally, composers have located the elements of a composition in time. One idea which I am interested in is locating them, instead, in space, and letting the listener place

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G. Celant, A Visual Machine. Art Installation and its Modern Archetypes. R. Goldberg, Space as Praxis, S. 135. A. Kaprow, Assemblage, Environments & Happenings, S. 172f. Ebenda, S. 184. Vgl. dazu M. Kesting, Happenings. Analyse eines Symptoms, S. 307–319. Vgl. A. Kaprow, Assemblage, Environments & Happenings, S. 187.

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them in his own time. I am not interested in making music exclusively for musicians or musically initiated audiences. I am interested in making music for people.‘“111 Neuhaus erklärt die Findung des Begriffs so: „I took the word, I coined the word, because I was working with sound, and also I was in contact with the plastic arts. And there the word installation means a work made for a specific place.“112 Die erste unabhängige Arbeit als Klangkünstler war für Neuhaus allerdings das Projekt Listen (1966), dem später die „soundinstallation“ Drive-in Music (1967) folgte. Listen war eine Aufforderung an das Publikum, bei einem „fieldtrip“ oder einer „Lecture Demonstration“ als Rundgang im öffentlichen Raum den wechselnden Umweltklängen zuzuhören. Neuhaus beschreibt das Projekt als Reaktion auf die Integration von Geräuschen in die Musik und in die „konzertanten“ Aufführungen von John Cage. „Instead of bringing these sounds into the hall, why not simply take the audience outside – a demonstration in situ.“113 Drive-in Music fand ebenfalls im öffentlichen Raum statt. „Entlang einer breiten, baumbestandenen Straße installierte er eine große Anzahl von Radiosendern mit sehr geringer Reichweite, die alle auf derselben Frequenz zu empfangen waren. Durch unterschiedliche Klänge und Ausrichtungen der Sender ergab sich so für den automobilisierten Passanten mit entsprechend eingestelltem Autoradio je nach Geschwindigkeit und Fahrtrichtung eine individuelle Klangentwicklung.“114 Diese Installation war nur dann zu hören – sie existierte laut Neuhaus nur –, wenn die Autofahrer ihre Radiogeräte einschalteten und je nach Art und Weise ihrer Fahrt Klänge empfangen konnten. Golo Föllmer wies darauf hin, dass Nam June Paik offenbar bereits 1961 im Umfeld von Fluxus mit einer Symphonie für 20 Räume eine ähnliche Idee verfolgte, indem er Klangobjekte aufstellte, die die Besucher spielen konnten – wobei diese Idee wiederum auf ein Gespräch mit Stockhausen zurückzugehen scheint, der einen vergleichbaren Plan verfolgte.115 Den Plänen von Stockhausen und Paik ging allerdings Cages Music Walk (1958) voraus, bei dem sich die Zuschauer frei im Raum bewegen sollten.116

111 G. Föllmer, Klanginstallation und öffentlicher Raum, S. 13f.; Zitat nach Föllmer aus M. Neuhaus, Program Notes, York University Toronto, 1974, in: ders., Sound works vol. I, S. 34. Vgl. auch Klangkunst. Tönende Objekte und klingende Räume, S. 232. 112 Interview mit G. Föllmer (18. März 1995), in: G. Föllmer, Klanginstallation und öffentlicher Raum, S. 125. 113 Siehe M. Neuhaus, Listen, S. 63. 114 G. Föllmer, Klanginstallation und öffentlicher Raum, S. 15f. Drive-in-Music installierte Neuhaus in Buffalo, Lincoln Parkway, Oktober 1967 bis April 1968, vgl. M. Neuhaus, Modus Operandi (1980), in: ders., Sound works vol. 1, S. 18f. 115 Ebenda, S. 14. Paik hat die Installation schließlich nur für 16 Räume konzipiert, vgl. dazu Nam June Paik. Fluxus/Video, S. 32f.; vgl. Text zur Symphony for 20 Rooms in: Nam June Paik. Niederschriften eines Kulturnomaden, S. 90–92; Paik erweiterte diese Idee in Exposition of Music & Electronic Television, einer Ausstellung u.a. mit Klangobjekten im März 1963 in der Galerie Parnass in Wuppertal, vgl. E. Decker-Phillips, Paik Video, S. 33–35, sowie Nam June Paik – Werke 1946–1976, S. 66–92. 116 Music Walk (UA 14. Oktober 1958 in Düsseldorf), vgl. W. Fetterman, John Cage’s Theatre Pieces, S. 46ff.

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Auf Neuhaus, der 1968 seine Karriere als Schlagzeugvirtuose aufgab, oder auf Christina Kubisch, die in den 1970er Jahren durch provokante Flötenperformances (Emergency Solos) bekannt wurde und sich seit 1980 Klanginstallationen widmet, trifft es zu, dass sie ihre Rolle als Interpreten zugunsten einer installativen Arbeit mit Klang abgelegt haben. Neuhaus erklärt dies einerseits aus seinem Interesse an der Gestaltung von Klang, die mit elektronischen Mitteln möglich war, andererseits mit der Intention, „events“ zu vermeiden. „I shaped it [sound] by learning how to build electronic circuits and building a circuit, that generated a process, that made a sound for a sound installation. That was my solution for getting it out of an event. It couldn’t be an event, it was a process, just an ongoing process, it made a texture.“117 Die Arbeit mit Klang sollte demnach der Produktion von Musik entgegengesetzt sein: „In fact they [sound works] differ in two principal ways from music. One is that they’re not a succession of sound events in time, which is one of the basic definitions of music: a series of sound events that progress from one to the other, and that draws a line in time. The other difference is that the sound is not the work; the sound is the material that I make the place out of, that I transform the space into a place with.“118 Das bedeutete, dem Publikum die Möglichkeit zu eröffnen, eine eigene Zeit und Zeitspanne der Erfahrung und Wahrnehmung einer Installation zu finden: „My idea for sound installation wasn’t so much to get people out of the concert hall seats. It was more giving them the freedom, by taking sound out of time, putting it in place and the listener makes his own time.“119 Dabei betont Neuhaus, dass seine Arbeit mit Klang sehr individuell sei, sehr subjektiv begründet im Gefühl und in der künstlerischen Intuition: „I [Hervorhebung Neuhaus] have always believed, that the most powerful part of my mind is my intuition. And my technique, the technique of any artist is, how to tap that.“120 Christina Kubisch betont, dass der Bereich der Performance für sie sehr eng verbunden sei mit dem Übergang zur Arbeit mit Klang in Räumen. Sie habe im eigenen Instrumentalspiel und bei Aufführungen zunächst „den Raum selbst akustisch erfahren, durch die Bewegung, durch den Körper.“121 Doch sie war auch daran interessiert, die „Gegenüberstellung zwischen Publikum und Darstellendem oder Performer aufzuheben [...] Und dadurch bin ich zum Raum gekommen.“122 Die Künstlerin lässt bei ihren Arbeiten zunächst die Räume und Raumatmosphären auf sich wirken. „Rein instinktiv ziehe ich es vor, Räume zu entdecken und mich dann vorsichtig in sie einzubringen. [...] der Ausgangspunkt [ist] eigentlich wirk117 Interview mit G. Föllmer (18. März 1995), in: G. Föllmer, Klanginstallation und öffentlicher Raum, S. 125. Vgl. auch C. Ratcliff, Max Neuhaus: Aural Spaces. 118 A Conversation between Max Neuhaus and Ulrich Loock, Mailand 1990, siehe www.maxneuhaus.info/bibliography/ConversationwithUlrichLoock.htm (ges. am 30.12.2012). 119 Interview mit G. Föllmer (18. März 1995), in: G. Föllmer, Klanginstallation und öffentlicher Raum, S. 129. 120 Ebenda, S. 127. 121 Interview mit G. Föllmer (21. Dez. 1994), in: G. Föllmer, Klanginstallation und öffentlicher Raum, S. 102. 122 Ebenda.

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lich der Raum an und für sich, also auch visuell gesehen. Z.B. was es da für architektonische Ordnungen gibt, wie man die noch klarer machen könnte, wie man auf die eingehen kann. [...] Und dann arbeite ich eben auch mit solchen geschichtlichen Vorgaben, dass ich denke, ich gebe einem Raum z.B. einen Klang zurück, das finde ich immer sehr interessant. Das andere, in den Raum einen Klang reinstellen, ist für mich eigentlich mehr eine Übung und auch manchmal eine Notwendigkeit, wenn man nämlich keine Räume hat, die einem besonders gefallen“.123 Die elektroakustische Technik ist für Christina Kubisch ebenfalls Hilfsmittel und Werkzeug zur Realisation ihrer eigenen Ideen: „jeder Künstler macht auch das, was er sich für sich selbst wünscht.“124 Die beiden Beispiele zeigen, dass sich die künstlerische Subjektivität nicht zurückzieht, sondern dass sich die Interessenfelder – gegenüber Komponisten, die Instrumental- oder Vokalmusik schaffen – verlagern.125 Neuhaus und Kubisch stimmen dahingehend überein, dass sie Klanginstallationen nicht nur als „Raumkunst“ betrachten. Auch Kubisch betont im zitierten Interview, dass sie die „Eigenzeit“ der Rezipienten – im Sinne der von der chronologischen Zeit abgehobenen subjektiven Zeit – ansprechen möchte. „Das ist für mich ganz wichtig, für einen kleinen Moment mal diesen normalen Zeitbegriff auszuklinken, also eine andere Zeit einzuführen, die eben grenzenlos ist, obwohl sie vielleicht nur ein paar Minuten dauert.“126 Dazu trägt nicht nur ein veränderter Raum, sondern eine dezidiert durch Klang veränderte Räumlichkeit bei.127 Abschließend sei die Frage aufgeworfen, ob nicht mindestens seit den 1960er Jahren – abgesehen von den Vorläufern DADA oder Bauhauskunst etwa – von einer Pendelbewegung zwischen neuen konzertanten Aufführungsformen und Klangkunst als spezielle Positionierung oder Installation von Klang im Raum auszugehen ist. Eine solche Pendelbewegung lässt sich sogar historisch verfolgen, sofern man auch ungewöhnliche Spiele mit Klang oder Musikaufführungen im Freien, in Gartenanlagen oder bestimmten Räumen einbezieht. So gab es beispielsweise bereits um 1668 in Amsterdam ein „Musik-Hauß“, in dem man sich allerlei Musik und Klangspiele anhören und verpflegen lassen konnte.128 Eine funktionale Installation von Klang (etwa Glocken oder Signale) ist lange bekannt.129 Es könnte sich erweisen, dass es seit langem neben der Entwicklung von Konzerten Präsen123 124 125 126

Ebenda, S. 103. Ebenda, S. 105. Vgl. dazu auch Patchwork. Klanginstallationen: Ute Safrin, Texte: Christa Brüstle. Interview mit G. Föllmer (21. Dez. 1994), in: G. Föllmer, Klanginstallation und öffentlicher Raum, S. 105. 127 Vgl. dazu C. Peres, Raum-Zeit in der Kunst. Konstituens und Thema musikalischer und bildnerischer Werke. 128 Vgl. E. Brown, Durch Niederland/Teutschland/Hungarn/Servien/Bulgarien/... gethane gantz sonderbare Reisen, S. 19f.: „Es ist auch allda ein Music-Hauß/darauf man jemand tractiret und unterhaelt/auch einen jeden um einen Stieber hineinlaesset/da man denn allerhand Musicen hoeret/viel treffliche Wasser-Wercken und unterschiedliche Bewegung der Glocken-Spiel und Schildereyen siehet mit Geniessung anderer Zeit-Verkuerzungen und Lustbarkeiten.“ Vgl. dazu auch W. Salmen, Gartenmusik. 129 Vgl. M. Neuhaus, Notes on Place and Moment (1992), in: ders. Sound works vol. 1, S. 97–101.

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tationsformen von Musik gab, die aus heutiger Sicht als Klang- und Konzertin-stallationen zu bezeichnen sind.130 Auch Inszenierungen von höfischen Musikdarbietungen oder von Konzerten in öffentlichen Gartenanlagen sind möglicherweise als Vorläufer von zeitgenössischen Wandelkonzerten oder von aktuellen Konzerten, in denen die visuelle Ebene künstlerisch gestaltet wird, zu untersuchen.131 Die historische Entfaltung dieser Thematik muss jedoch einer eigenen Studie vorbehalten bleiben. 4.2 KLANGEXPEDITIONEN UND SCHAU-STÜCKE Die sichtbaren Körper auf dem Konzertpodium oder in einer Konzertsituation und Performance wurden im 20. Jahrhundert nicht nur thematisiert, sondern sie gerieten zunehmend in ein Spannungsfeld zwischen Exponierung und Verdrängung. Bestand dieses Spannungsfeld bereits im 19. Jahrhundert, als die Interpretenkörper auf Grund einer emphatisch vertretenen Idee der „absoluten Musik“ einerseits „übersehen“ wurden, sich andererseits zunehmend die Virtuosen zur Schau stellten, so zogen im 20. Jahrhundert die elektroakustischen Medien eine weitere Ebene in diese Polarisierungsprozesse ein.132 Zum einen wurden die Körper – nicht nur die menschlichen Körper, sondern auch die Instrumentenkörper und „Klangkörper“ wie Orchester und Ensembles – auf Grund ihrer „Unzulänglichkeiten“ gegenüber den medialen Präzisionsmaschinen beiseite geschoben, zum anderen wurden dieselben Körper gerade auf Grund ihrer „Ungenauigkeit“ und auf Grund ihrer „Authentizität“ den Maschinen vorgezogen oder zu ihnen in Kontrast gestellt.133 Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts geht es dabei nicht mehr nur um die Interpretation und Reproduktion beziehungsweise um die Repräsentation eines musikalischen Werks, sondern auch um künstlerische Erkundungen des elementaren Zusammenhangs von Körperbewegung und Klang. Brachten die Konzepte von „offener Form“, „Aleatorik“ und „Indeterminiertheit“ – so unterschiedlich sie im einzelnen ausfallen – eine veränderte Sicht auf den Interpretationsprozess und damit eine Aufwertung der Selbständigkeit und mitschöpferischen Verantwortung des Musikers mit sich, so war das Pendant dazu eine Thematisierung des körperlichen Tuns im Sinne der Behandlung körperlicher und instrumentaltechnischer Produktionselemente als kompositorisches Material. Im Umfeld solcher Musikprojekte entstand häufig die Vorstellung von der „Freiheit“ des Musikers und Performers als „anything goes“, doch dieser Eindruck täuscht. Stattdessen wurde 130 „Installation Art“ wird auf die paläolithischen Höhlenmalereien von Lascaux zurückgeführt, vgl. M. Rosenthal, Understanding Installation Art, S. 23. Vgl. zu frühen Beispielen in Italien G. Celant, Artspaces. 131 Vgl. H. W. Schwab, Konzert. Öffentliche Musikdarbietung vom 17. bis 19. Jahrhundert. 132 Vgl. V. Ivanceanu u. J. Schweikhardt, ZeroKörper. Der abgeschaffte Mensch. Vgl. auch R. Leppert, The Sight of Sound. Music, Representation, and the History of the Body. 133 Vgl. Die Wiederkehr des Körpers sowie Körper-Inszenierungen. Präsenz und kultureller Wandel. Vgl. auch J. Gerlach, Körpermusik. Körper in intermedialer Musik und Klangkunst. Vgl. auch dies., www.mugi.hfmt-hamburg.de/koerpermusik (ges. 30.12.2012).

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eine zuvor nicht gekannte Selbstdisziplin erforderlich, sowohl bezogen auf die Realisation von Partituren oder Konzepten als auch bezogen auf die Steigerung stimmlicher oder körperlicher Kompetenzen. Dabei wurden und werden bis heute einerseits physische oder – man denke beispielsweise an Schlagzeuger – beinahe akrobatische Fähigkeiten oft in experimentellen Situationen erweitert und perfektioniert. Andererseits spielten und spielen häufig mentale, intuitive oder spirituelle Haltungen oder „Selbstdisziplinierungen“ eine wichtige Rolle. „Als ich Cage einmal fragte, was er denn alles bei Schönberg gelernt habe, sagte er nur ein einziges Wort: discipline –“134 Auch Cages Beschäftigung mit indischen Philosophien, Meister Eckhart und dem Zen-Buddhismus gehört in diesen Kontext, die ihm „art as a form of spiritual discipline“ nahebrachte sowie eine Lebenshaltung im Sinne einer „discipline of self-negation“ – auch wenn dabei „der asiatische Einfluß auf Cages Werk [...] in hohem Maße überschätzt worden ist.“135 Diese Disziplinierung bedeutete nicht etwa die Leugnung des Körpers, sondern die Akzeptanz der Einheit von Körper und Geist, Leib und Seele. Damit verband sich sowohl das Streben nach Einklang mit der Natur als auch das Ideal einer sozialen Anarchie im Sinne einer „global liberty“.136 Umfasste die Suche nach einer neuen Lebenshaltung das ganzheitliche Verhältnis zur Welt, so war darin auch die Frage nach der Bedeutung des Körpers in der Kunst sowie nach dem Erleben von Leib sein und Körper haben auf der Bühne oder auf dem Konzertpodium eingeschlossen. Die vielbesprochene Verschränkung von Kunst und Leben zeigt sich genau an diesem Punkt, an dem der Körper – auch oder gerade der Körper eines „ready made“ – sich selbst präsentiert oder zum Ausstellungsstück wird. Hier wird der Körper zu einer Kippfigur oder zu einem Vexierbild. Er kann einmal als „natürlicher“ oder phänomenaler Körper, einmal als „maskierter“, zeichenhafter und kulturell geprägter Körper wahrgenommen werden. Vor dem Hintergrund einer materialorientierten künstlerischen Haltung bezieht sich diese Doppelperspektive auch auf Fragmente des Körpers, auf Körperteile und auf einzelne Körperfunktionen. Eine alternative Umgangsweise mit dem Körper in Musik und Performance „komponiert“ und integriert besondere körperliche Aktionen, die explizit wieder in Kontexte oder narrative Zusammenhänge gestellt werden beziehungsweise in der Rezeption bestimmte situative Zusammenhänge und Bedeutungen aufrufen. Im musikalischen Bereich ergibt sich daraus eine Schnittmenge zwischen „szenischer Musik“ auf dem Konzertpodium, Performance und Musiktheater (zeitgenössische Oper) sowie Installation.

134 D. Schnebel, John Cage, 80 (1991/92), S. 64. Schnebel interpretierte (ebenda): „Vielleicht sollte man es [discipline] mit Konzentration übersetzen.“ 135 J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 37, 46. Vgl. M. Leng Tan, „Taking a Nap, I Pound the Rice“. Eastern Influences on John Cage. Vgl. dazu auch M. Erdmann, Untersuchungen zum Gesamtwerk von John Cage, S. 36–49 (über „Cage und Asien“), dort das zuletzt angeführte Zitat, S. 36. Erdmann wies darauf hin, dass Cages Beschäftigung mit dem ZenBuddhismus erst Anfang der 1950er Jahre anzunehmen ist (ebenda, S. 40f.). 136 Vgl. J. Cage, Anarchy. Vgl. dazu D. Kösterke, Kunst als Zeitkritik und Lebensmodell, S. 76–103.

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Im Bereich der Performance als body art – in dem allerdings Klangperformances mit dem Körper bislang wenig Berücksichtigung finden – lässt sich in den 1980er Jahren eine Abkehr von rein demonstrativ zeigenden Körpern und von der Betonung körperlicher Präsenz ausmachen. Zunehmend wurden Körper entzogen und nur in Relikten indirekt angedeutet oder durch den Einbezug von Video, Foto und Film in distanzierter und stilisierter Form gezeigt. Einer „essentialistischen“ Kunst mit Körpern und deren Präsentation trat das Spiel mit der Hervorbringung und Subversion von kulturell geprägten Körperbildern an die Seite.137 Eine Reflexion der sozio-kulturellen Determinierungen von Körpern setzte ein, die man in der Präsentation von „nackten Körpern“ in den Anfängen der body art zunächst für irrelevant erachtete, weil die entkleideten Körper für sich sprechen sollten (und für genügend Provokation sorgten). Die künstlerischen Entwicklungen der 1980er Jahre sind als Entfaltung einer body art zu sehen, die in alle Lebensbereiche reflexiv wirken sollte. „Body art, in all of its permutations (performance, photograph, film, video, text), insists upon subjectivities and identities (gendered, raced, classed, sexed, and otherwise) as absolutely central components of any cultural practice.“138 Barbara Engelbach hat darauf hingewiesen, dass bereits in den 1970er Jahren nicht nur der Körper in Performances thematisiert wurde, sondern auch die Medien einbezogen wurden. Letztere hat man jedoch lange Zeit übersehen. „Um 1970 sind in der Aktionskunst zwei Phänomene zu beobachten, die widersprüchlich erscheinen: Aktionskünstler/innen begannen ihren Körper zu malträtieren, zu schneiden, stechen, brennen oder eine Bewegung bis zur Erschöpfung zu wiederholen. Gleichzeitig machten sie Video zum integralen Bestandteil ihrer Aktionen. Wird der Körper mit unmittelbarem Erleben, mit dem Hier und Jetzt einer Aktion verknüpft, so ist die Videoaufzeichnung mit Reproduktion assoziiert, denn sie ermöglicht, eine Aktion unabhängig von Zeit und Ort zu zeigen. Bislang galt die Aufmerk-samkeit allein den schockierend oder befremdend empfundenen Selbstverletzungen; obwohl in der Aktionskunst um 1970 die Medien einen konstituierenden Anteil an den Aktionen erhielten, der Anteil der technischen Medien blieb weitgehend unberücksichtig.“139

Es stellt sich die Frage, inwiefern die Arbeit mit Körpern in der Musik im Sinne von Klangperformances oder Demonstrationen körperlicher Aktionen der Klangproduktion mit body art in Verbindung gebracht werden kann. Und es wird zu fragen sein, ob und wie sich auch in der Klangperformance eine Veränderung des Umgangs mit dem Körper ergab. Zudem wird die Rolle der Medien zu beleuchten sein. Thematisiert wird im folgenden daher nicht das Problem des Verschwindens von Körpern, sondern verschiedene Umgangsweisen mit Körpern im Kontext von Musik und Klangperformances, die vor allem auch zur Erschließung neuer Klangerfahrungen führten. Instrumente werden als Körper im Sinne von KlangKörper aufgefasst und daher in die „Körperdiskussion“ integriert. 137 Vgl. A. Jones, Body Art. Performing the Subject. Vgl. auch Soziale Kreaturen. Wie Körper Kunst wird. 138 Ebenda, S. 31. 139 B. Engelbach, Zwischen Body Art und Videokunst. Körper und Video in der Aktionskunst um 1970, S. 7.

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4.2.1 Körper als Instrument „Nicht einer mehr versteht zu schreien in Europa, und ganz besonders die Schauspieler im Trancezustand wissen nicht mehr, wie ein Schrei ausgestoßen wird. Leute, die nur noch sprechen können und die vergessen haben, dass sie auf dem Theater einen Körper hatten, haben auch den Gebrauch ihrer Kehle vergessen. Auf anormale Kehlen beschränkt, spricht da nicht einmal mehr ein Organ, nur noch eine ungeheuerliche Abstraktion“.140 4.2.1.1 „Naturkörper“ In der Unterhaltungs- und Tanzmusik gehört der Musikerkörper selbst zum unverzichtbaren Instrumentarium, man denke an Schuhplattler, an die wichtigen Klatschchöre beim Flamenco oder an den perkussiven Einsatz von Lauf-, Schrittoder Stampfrhythmen, ganz abgesehen von der Stimme und ihren vielfältigen Artikulationsformen einschließlich Pfeifen, Schnalzen oder Jodeln. In der Konzertsaalmusik und in der Oper wird der Körper bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ausschließlich als Medium der klanglichen Realisierung eines Werks betrachtet. Er ist auf diese Funktion beschränkt und unterliegt sowohl den gewachsenen Aufführungsritualen als auch den jeweiligen musikästhetischen Prämissen. Dies gilt vor allem für die Stimme, die im alltäglichen Musikverständnis von Opernbesuchern noch immer am Ideal des Belcanto beziehungsweise am „künstlichen Gesange“ gemessen wird.141 „Das Ideal des schönen Gesangs wird damit [...] auf den emotionalen Phonationstyp der ‚Liebe‘ reduziert (tiefe Kehlkopfstellung, erweiterte Ansatzräume sowie eine optimale Balance von Atemdruck und Kehlkopffunktion). Klangliches Ergebnis ist die sogenannte ‚schöne‘ oder ‚brillante‘ Stimme, die durch einen weittragenden, vollen, warmen, weichen oder glänzenden Klang mit einem regelmäßigen Vibrato ausgezeichnet ist. Überdies sollte sie den stufenlosen Übergang von Brust- und Kehlkopfregister sowie den regelmäßigen Schwellton beherrschen.“142 Obwohl in der Oper ebenfalls extreme Ausdrucksbereiche erreicht werden können und „Bel Canto“ ebenfalls eine eigene, körperlich bedingte Sinnlichkeit vermitteln kann, ist es doch kaum erstaunlich, dass Abweichungen von diesem Ideal häufig nicht im positiven Sinne als „natürlich“ empfunden werden, sondern abschätzig als „kreatürlich“, als beinahe „tierisch“. In der Lautpoesie, Vokalkomposition und Stimmperformance wurden in der Tat diese „anderen“ Dimensionen der Stimme hochvirtuos bis zum Äußersten getrieben.143 Die Mixturen aus 140 A. Artaud, Nota Bene zu Eine Gefühlsästhetik, S. 147. 141 Vgl. Art. Gesang, in: H. Chr. Koch, Musikalisches Lexikon, Sp. 667f. 142 T. Weber-Lucks, Vokale Performancekunst, S. 28. Vgl. dazu etwa E. Brand-Seltei, Belcanto, sowie R. Celletti, Geschichte des Belcanto. 143 Vgl. dazu Chr. Scholz, Untersuchungen zur Geschichte und Typologie der Lautpoesie; M. Lentz, LautPoesieMusik nach 1945; vgl. auch M. Gilles, Theater als akustischer Raum, S. 171–181.

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Sprache als Musik und der künstlerischen Arbeit mit Lautartikulationen vom Schrei, Stöhnen, Jammern bis zum leisesten Flüstern legen Ausdrucksschichten frei, die deutlich zeigen, dass die traditionelle „E-Musik“ als Instrument der Zivilisierung und Reglementierung des Körpers und der Stimme zu gelten hat. Ein Musikstück wie Gerhard Stäblers drüber... von 1972/73, für acht aktive Schreier, Violoncello und Tonband (uraufgeführt 1973 in Essen), hat als „Schreistück“ noch für Aufregung gesorgt, obwohl es seit Mitte der 1950er Jahre Vokalkompositionen gab, in denen vielfältige stimmliche Artikulationsformen als Material dienten, etwa Stockhausens Gesang der Jünglinge (1956), Kagels Anagrama (1957), Schnebels Glossolalie (1959–1962) oder Ligetis Aventure und Nouvelle Aventure (1962–1965).144 Artauds oben zitierte Feststellung trifft demnach lange Zeit auch auf den Sänger und Musiker zu. Mit einer Rückkehr zum Körper als Organ, zu einem unbewussten und nicht-zivilisierten Funktionieren und Artikulieren eines Körpers, der dadurch dünnhäutig, sensibel und angreifbar wird, ist bei Artaud gleichzeitig ein Gestus der Befreiung von überkommenen Traditionen und die Rückeroberung von Leidenschaft und Unmittelbarkeit (im Theater) verbunden. Er nennt das Mittel hierzu „Theater der Grausamkeit“ („Théâtre de la Cruauté“), will aber Grausamkeit nicht einfach als Gewalttätigkeit verstanden wissen, sondern „im Sinne von Lebensgier, von kosmischer Unerbittlichkeit und erbarmungsloser Notwendigkeit, im gnostischen Sinne von Lebensstrudel, der die Finsternis verschlingt, im Sinne jenes Schmerzes, außerhalb dessen unabwendbarer Notwendigkeit das Leben unmöglich wäre“.145 Es ist bislang in der Musikliteratur nur durch Erwähnungen und vereinzelte Studien bekannt, dass Komponisten wie Boulez, Kagel oder Cage bereits in den 1950er Jahren mit Artauds Abhandlung aus Le théâtre et son double vertraut waren. David Tudor hat sich beispielsweise mit Artaud intensiv beschäftigt und Cage dafür interessiert.146 Insofern können hier nur sehr behutsam Verbindungen angedeutet werden – mit Ausnahme von Boulez und später von Wolfgang Rihm, die sich explizit auf Artaud bezogen –, doch die Exponierung des Körpers und des Faktors „Körperlichkeit“ in der Musik und im Musiktheater ist häufig Impulsen entsprungen, die Artauds Visionen gleichen.147 Die Suche nach Unmittelbarkeit, nach einer Kunst/Musik aus dem Leben und die Intensivierung des Erlebens von Kunst/Musik verband zunächst die Komponisten, Musiker und ComposerPerformer, die sich dezidiert dem Verhältnis von Klang und Körper zuwandten. 144 Vgl. W. Klüppelholz, Sprache als Musik; vgl. zum aktuellen Repertoire etwa Experiment Stimme. 22.-25. Mai 1997 / Biennale Neue Musik, Hannover (Programmbuch), sowie die Beiträge in Stimme. Stimmen – (Kon)Texte, Stimme – Sprache – Klang, Stimmen der Kulturen, Stimme und Medien, Stimme in (Inter)Aktion. Zu Stäbler vgl. H.-W. Heister, Systematisierter Schrei, ‚rasend still‘. Über Gerhard Stäbler. 145 A. Artaud, Briefe über die Grausamkeit (Brief an J.P. vom 14. November 1932), S. 110. 146 Zur Artaud-Lektüre von Tudor und Cage vgl. J. Holzaepfel, David Tudor and the Performance of American Experimental Music, 1950–59, S. 34–37. 147 Vgl. M. Zenck, Antonin Artaud – Pierre Boulez – Wolfgang Rihm. Zur Re- und Transritualität im europäischen Musiktheater; vgl. auch E.-M. Houben, gelb. Neues Hören – Vinko Globokar, Hans-Joachim Hespos, Adriana Hölszky.

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Dieter Schnebel hat sich mindestens seit den Maulwerken für Artikulationsorgane und Reproduktionsgeräte (= Produktionsprozesse), entstanden 1968–74, nicht nur mit Sprache als Klang, sondern auch mit Körper und Klang beziehungsweise körperlichen Aktionen als Klang intensiv beschäftigt. Die Maulwerke sind einerseits Fortsetzungen und Erweiterungen der vorangegangenen Werke für Stimme wie Für Stimmen (...missa est) und Glossolalie, andererseits zeigen sie einen Wendepunkt in Schnebels „sichtbarer Musik“ nach der Reihe der visible music.148 Mit diesen Stücken hatte sich der Komponist, etwa parallel zu Kagel, kritisch auf unterschiedliche Konzertsituationen bezogen, indem er die Verhältnisse von Musiker und Publikum oder Dirigent und Musiker in einer „szenischen“ bis rein „gestischen Musik“ reflektierte.149 Hier werden Schnebel zufolge die Verhältnisse des Musikmachens thematisiert beziehungsweise theatralisiert.150 Die Körper der Spieler (einschließlich des Publikums) stehen dabei im Dienste ihrer traditionellen „professionellen“ Rollen und Rollenverteilungen, die auf verschiedene Weise in Distanz gerückt und unterlaufen werden. Visible music als „gestische Musik“ zeigt das „Theater der Musik“ – also Musiker in ihren professionellen Rollen. Es sind beispielsweise die stummen Bewegungen eines Dirigenten oder Instrumentalisten, die vorgeführt werden. Wie Schnebel in seiner Abhandlung Sichtbare Musik dargelegt hat, haben die Instrumentalisten, Sänger und Dirigenten ihren „Ausdruck“ seit dem 19. Jahrhundert zunehmend durch sichtbare Gestikulationen unterstrichen, das heißt „Akustisches optisch artikuliert“. Im 20. Jahrhundert sei umgekehrt durch die Reduzierung von körperlichen Gesten klar geworden, dass auch die geringste Bewegung Klang verursacht und, darüber hinaus, dass sich durch Gebärden auch Musik imaginieren, quasi virtuell erzeugen lässt. „Sichtbares, das selbst Hypostase der Musik, vermochte nun seinerseits musikalische Emanationen auszudünsten.“151 Schnebel hat in seiner „Nachtmusik“ kino (1963–67) für Projektoren und Hörer und in deren Buchfassung als „Musik zum Lesen“ Mo-No (1969) dieses Prinzip zu einer „optischen Musik“ weiterentwickelt, bei der aus Notengraphiken und gezeichneten Gesten sowie verbalen Anweisungen imaginär Musik entsteht. „Die Bilder zeigen einerseits verbale Zusammenhänge, die zum musikalischen Wahrnehmen der uns umgebenden akustischen Ereignisse anleiten oder auch die Vorstellung entfernter akustischer Prozesse bzw. klanglicher Assoziationen auslösen wollen. Andererseits enthalten sie Noten zur Imagination von Musik oder zur imaginativen Hervorbringung ‚unmöglicher‘ Klänge (Töne jenseits der Hörschwelle, klingende Pausen usw.).“152 In der „gestischen“ und „optischen Musik“ ist daher Graphik und Schrift (Partitur), Gestik und Klang als Einheit komponiert, obwohl gerade die klingende Ebene beinahe entfällt. Können in ki-no ad libitum Aufnahmen von einem 148 Vgl. Dieter Schnebel (= Musik-Konzepte 16), S. 123–125. Vgl. auch Kapitel 3.2.3. 149 Vgl. G. Nauck, Schnebel. Lesegänge durch Leben und Werk, S. 72–79. Vgl. auch D. Schnebel, Experimentelles Musiktheater, S. 14–24. 150 Dieter Schnebel (= Musik-Konzepte 16), S. 123. 151 Vgl. D. Schnebel, Sichtbare Musik, S. 316f. 152 Dieter Schnebel (= Musik-Konzepte 16), S. 126.

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Tonbandgerät sowie Klänge eines Sprechers und Schlagzeugers hinzutreten, so sind es im übrigen die Projektionsgeräte, die Geräusche verursachen. In der „gestischen Musik“ der Stücke der visible music erzeugt der Körper Klänge, auch wenn sie nicht geplant sind: die körperlichen Bewegungen erzeugen beispielsweise Luftgeräusche beim Schlagen und Gestikulieren, der Atem wird hörbar, die Kleidung raschelt, Schritte werden vernehmbar, es entstehen demnach zwei musikalische Ebenen. Einerseits ist es die komponierte und vorgestellte Musik der Gesten, die imaginiert wird und den Hörgewohnheiten oder Hörerfahrungen des Publikums entspringt, andererseits eine Musik des „phänomenalen“ Körpers, die zwar bei der Erzeugung von Musik immer mitschwingt, jedoch selbst in diesen Schnebel-Stücken nicht im Vordergrund steht, sondern allenfalls an besonderen Stellen hervortritt. Waren die Hörer für eine ästhetische Wahrnehmung aller Geräusche offen – und Cage scheint jedenfalls für eine solche Rezeptionshaltung den Boden bereitet zu haben –, so konnten auch die Geräusche des Körpers, unabhängig von dessen Funktion, als Musik betrachtet werden. In nostalgie, Solo für einen Dirigenten (1962), komponierte Schnebel beispielsweise folgende „dirigentische Verhaltensweisen“: 1. „das reine Zeichnen von Musik“ (von Höhen, Zeitwerten, Intensitäten, Klängen), 2. „ein Zeichnen von Musik, das in Dirigieren übergeht“ (zum Beispiel mit Gesten des Abwinkens, Einsatzgebens, Hervorlockens, Dämpfens usw.), 3. „von Musik inspirierte Dirigierbewegungen“ (zum Beispiel sich nach einem Walzer wiegen), 4. „Dirigierbewegungen von suggestivem, ja autoritärem Charakter“, 5. „Dirigieren als Selbstgenuß“ (Augen schließen, fantastische Bewegungen usw.).153 Insgesamt ist eine „stumme Aufführung“ zu bevorzugen, „deren ‚hörbare‘ Musik sich auf die vorgeschriebenen akustischen Äußerungen des Dirigenten und die zufälligen Klänge etwa heftiger Bewegungen [Hervorhebung der Autorin] beschränkt.“154 Dass der Körper und dessen Materialität, das heißt die körperlichen Glieder und Funktionen, seine Beweglichkeit, das Material der Kleidung, der Schuhe usw. als Klangproduzenten mitkomponiert werden und ausdrücklich wahrgenommen werden sollen, ist eine nächste Stufe in Schnebels Oeuvre ab 1968, die bezeichnenderweise den Titel Produktionsprozesse trägt. Aus der Reihe der Produktionsprozesse wurde bereits an anderer Stelle Orchestra besprochen. Diesem großen Orchesterstück gingen spezielle „Körperarbeiten“ voraus. In den Maulwerken, mit denen die Reihe beginnt, widmete sich der Komponist körperlichen, vor allem stimmlichen Produktionsprozessen von Musik, die bei Aufführungen vorgeführt und demonstriert werden.155 Zudem mischte sich Schnebels Kritik an den traditionellen Konzertformen mit dem Engagement für die 153 Vgl. D. Schnebel, Modelle. nostalgie (1962), S. 273. Vgl. dazu auch M. Kagels Film Solo (von 1967), in dem Schnebels Stück als Anregung aufgenommen wurde. 154 D. Schnebel, Modelle. nostalgie (1962), S. 275. Vgl. auch das Stück anschläge – ausschläge (1965/66), szenische Variationen für drei Instrumentalisten, bei dem man ebenfalls die Mühe mithören soll, „die ihre Erzeugung verursacht, sei’s im begleitenden Schnaufen der lautwerdenden Anstrengung, sei’s in der fehlenden Eleganz der Ausführung“, Kommentar in: D. Schnebel, Denkbare Musik, S. 303. 155 Vgl. G. Nauck, Schnebel. Lesegänge durch Leben und Werk, S. 139ff.

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Vermittlung neuer Musik. Im Umfeld der Studentenbewegung, die sich bekanntlich auch gegen bürgerliche, elitäre Kunstauffassungen wendete, stellten die Maulwerke einen Versuch dar, Musik an Alltagserfahrungen rückzubinden. „So suchte ich eine Vokalkunst zu finden, die nicht bei irgendwelchem Vorgegebenen einsetzt – bei herkömmlicher Melodik oder bei avantgardistisch gezackten Linien, bei der vertrauten Sprache der Worte oder bei unkonventionellen Geräuschlauten –, sondern die da ansetzt, wo die Erzeugung von Stimmlichem insgesamt ihre Wurzel hat: in der Artikulation. Wenn wir singen, reden oder auch bloß lachen, weinen, so artikulieren wir, ‚drücken wir aus‘, und zwar durch Organtätigkeit.“156 Die Hinwendung Schnebels zu den Ursprüngen der Klänge im menschlichen Körper steht außerdem in Zusammenhang mit seinen Überlegungen zum „musikalischen Material“. Es war klar, durch Adorno vermittelt, dass mit diesem Material keineswegs ein neutraler „Baustoff“ vorlag, sondern soziokulturell und historisch geprägte musikalische Grundlagen. Klänge, so schrieb Schnebel, seien Medien gesellschaftlicher und politischer Prozesse. „Umgekehrt schlagen sich gesellschaftliche Prozesse noch in den abstraktesten Tonfolgen von Musik nieder. Harmloser, freilich vom eben Genannten nicht unabhängig, sind die emotionalen Prozesse und die ungleich komplexeren psychologischen, die in die Klangabläufe und ihre Zusammenhänge hineingeraten.“157 Klänge werden sodann beim Hören semantisch besetzt, „sie wecken Phantasie, deren einbildende Klangproduktion oft das Wahrgenommene utopisch übertrifft. Jedenfalls bilden die ausgelösten Assoziationen und Imaginationen – selbst die Nebengedanken gedankenlosen und abschweifenden Hörens – eine seltsame Begleitung, gar einen Kontrapunkt zum wirklich Gehörten, beeinflussen rückkoppelnd wieder dessen Rezeption.“158 Zählt man dies alles zu „musikalischem Material“, so kommt es nach Schnebel darauf an, diese Schichten „freizusetzen“ und Konzepte zu entwickeln, die diese „Freisetzung“ ermöglichen beziehungsweise herausfordern. Damit haben sich sowohl ethische Grundsätze als auch psychoanalytische und pädagogische Zielsetzungen verbinden lassen, die Schnebels Werke prägen.159 Ausgangspunkt der „Befreiungsprozesse“ ist aber das Material selbst, denn, wie Schnebel Ernst Bloch zitiert, „jede Hervorbringung eines Dings ist nichts als die Wendung seiner Potentialität zu der in ihr begründeten Wirklichkeit. Und die Formen gehen einzig aus dem Stoff selber hervor – Entwicklung ist ‚eductio formarum ex materia‘“.160 Vor diesem Hintergrund entstehen Schnebels Produktionsprozesse, die mit den Maulwerken (1968–74) für „Artikulationsorgane“, mit Handwerke-Blaswerke 156 D. Schnebel, Maulwerke, in: Programm der Donaueschinger Musiktage 1974 (18.–20. Oktober 1974), S. 19. Vgl. auch D. Schnebel, Zur eigenen Arbeit – 1953–84, S. 59–65, insb. S. 62f. 157 D. Schnebel, Gärungsprozesse (1967), S. 341. 158 Ebenda, S. 342. 159 Vgl. S. Heilgendorff, Experimentelle Inszenierung von Sprache und Musik, insb. S. 130–137. Vgl. auch G. Meyer-Denkmann, Kompositorische Gestaltung als Vermittlung eines ‚status nascendi‘. 160 D. Schnebel, Gärungsprozesse, S. 341, zit. aus E. Bloch, Avicenna und die aristotelische Linke, S. 46.

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(1977–) für „Spielorgane“ sowie mit Körper-Sprache (1979–80) als „Organkomposition“ körperliche Vorgänge der vokalen und instrumentalen Klangerzeugung sowie Körperbewegungen als essentielle und elementare musikalische Ausgangspunkte mikroskopisch untersuchen und ihre Potentiale freilegen. Zugleich sind die Stücke als Materialfelder angelegt, die Einzel- und Gruppenaktionen anstiften, Arbeitsprozesse in Gang setzen und schließlich in die Festlegung einer Aufführungsversion münden.161 In den Maulwerken als Musik von „Artikulationsorganen“ werden verschiedene Körper zunächst gewissermaßen neutralisiert. Musiker und Vokalisten oder Sänger mit einem professionell geprägten Körper sollen sich von ihren Determinationen und Formungen distanzieren und ihre „natürlichen“ Artikulationen (wieder)entdecken. Nicht ausgebildete Akteure, die Schnebel ausdrücklich einlädt mitzuwirken, durchlaufen in der Erarbeitung des Maulwerke-Prozesses eine gewisse stimmliche Schulung. Beide Ergebnisse sollen zu Beginn in „Exerzitien“ erreicht werden, „in denen sich der einzelne Ausführende mit seinen Artikulationsorganen vertraut macht und einen gewissen Bestand von Organvorgängen erstellt. Zunächst ist durch Einfühlung ein Bewußtsein der an der jeweiligen Schicht von Maulwerke beteiligten Organe zu gewinnen und ebenso ein Gefühl für ihr Funktionieren.“162 Die angesprochenen Organe sind für Atemzüge das Zwerchfell, der Brustkorb (Rippen), die Lunge und die Luftröhre, für Kehlkopfspannungen und Gurgelrollen die Stimmlippen, die Stimm-Muskeln und Stellknorpel, für Mundstücke der Unterkiefer mit Zungenboden, der Mund und die Wangen sowie für Zungenschläge und Lippenspiel die Lippen, die Zunge, Zähne, der Gaumen und das Gaumensegel, die Wangen sowie weitere Resonanzorgane. „Die Einfühlung in die korporalen Verhältnisse sollte auch solchen Zusammenhängen [zuletzt genannte Resonanzen im Körper] folgen – bis in feinste Verästelungen und in innerste Tiefen.“163 Die Körperübungen beziehen sich demnach auf Körperfunktionen, denen in der Regel kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird. Sie werden häufig erst dann genau untersucht, wenn sie ihren Dienst verweigern, vor allem die Organe im Körperinneren. Zudem werden sie in der Regel dann ins Zentrum gestellt, wenn sie verändert oder perfektioniert werden sollen. Bei Schnebel geht es primär darum, sich auf sie zu konzentrieren und ihre Funktionen genau kennenzulernen, sodann verschiedene Funktionen zu üben.

161 Skizzen und Notizen zu den Maulwerken (Sammlung Dieter Schnebel, Paul Sacher Stiftung, Basel) zeigen, dass die unterschiedlich möglichen „Spielarten“ von Aktionen und Interaktionen sowie ihre Kombinationsmöglichkeiten auch in Vorstufen zur Partitur immer wieder aufgelistet wurden, um sich Strukturen zu verdeutlichen. Vgl. G. Nauck, KörperSprache. Werk und Umfeld einer Komposition von Dieter Schnebel. 162 D. Schnebel, Kommentar zur Partitur von Maulwerke, S. 3. 163 Ebenda. Schnebel hatte sich genauestens mit der Stimmphysiologie auseinandergesetzt und beispielsweise Spezialliteratur herangezogen wie etwa L. Kofler, Die Kunst des Atmens, Basel u. Kassel 211951, oder K. Ph. Bopp u. F. H. Hertle, Chronische Bronchitis, Stuttgart 1968; darüber hinaus hatte der Komponist Kontakt zum Rehabilitationszentrum der HNOKlinik Freiburg i. Br. (u.a. Sprachschule) in Stegen bei Freiburg.

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„Da diese Musik bei dem ansetzt, was wir ständig tun – atmen, Stimmbänder betätigen, Mundräume bilden, Zunge und Lippen bewegen – stellt sie keine Vorbedingungen fürs Verständnis, ist sie im Grunde jedermann zugänglich. Freilich geschieht Artikulieren, was die Organbewegungen betrifft, überwiegend unbewußt – wir wissen nicht, was wir da tun. In den Maulwerken aber wird es bewußt getan – und das befremdet. Für die Ausführenden gilt es zunächst einmal, ein Bewußtsein der Organe zu erlangen, sie zu fühlen, ihre Tätigkeit kennenzulernen, mit ihnen zu arbeiten. So führt das Studium der Maulwerke zur Selbsterfahrung und – da die Entbindung selbständiger eigener Gestaltung damit Hand in Hand geht – in gewisser Weise zur Selbst-verwirklichung.“164

Der angesteuerte Körper in dieser ersten Phase der Maulwerke ist damit der medizinische, klinische Körper, ein neutrales Körperobjekt, dessen Funktionen die Mitwirkenden analysieren. Darüber hinaus werden die individuellen körperlichen Fähigkeiten studiert und die Körperfunktionen als Kompetenzen und Tätigkeiten des eigenen Leibes, somit der Unterschied zwischen „Körperding“ und „fungierendem Leib“ erfahren – eine auf Edmund Husserl zurückgehende Doppelperspektive.165 Aus diesem Blickwinkel wird deutlich, dass keine neutrale Auffassung des Leibes entstehen kann, sondern dass er nur als ein bereits gestalteter und präformierter zu erleben ist. Die Körperfunktionen können aus der Distanz untersucht und instrumentalisiert werden – Schnebel schreibt vor, bei Aufführungen verschiedene Mikrophone zu benutzen –, zugleich wird dadurch auch die Einsicht in die individuelle Leiblichkeit vertieft. Eine zweite Ebene bilden die Produktionen im Sinne einer Gestaltung von zusammenhängenden musikalischen Verläufen. Hierzu hat Schnebel „Formungsschemata“ vorgeschlagen, „die sowohl angeben, in welcher Weise sich Einzelvorgänge zu Formverläufen verbinden lassen, aber auch, wie die Ausführenden durch eigene Verarbeitung der Materialien (Variieren, Fortspinnen, Gegensätze Bilden) selbst solche Form[e]verläufe gestalten können.“166 Hier soll nicht nur der Körper „in Bewegung“ beobachtet und mit diesen Vorgängen gearbeitet werden, sondern es sind räumlich und zeitlich „durchgestaltete Artikulationsprozesse zu erreichen.“167 Es werden fünf Artikulationszusammenhänge vorgeschlagen: erstens homogene Formverläufe, zweitens homogene Verläufe mit Ausweichungen, drittens etwas inhomogene Verläufe, viertens inhomogene Verläufe mit starken Wechseln und Gegensätzen sowie fünftens äußerst inhomogene Verläufe.168 Der Körper wird somit als formbarer und in den Bewegungen Kohärenz ausbildender Körper bewusst, der sich in Raum und Zeit artikuliert. Dabei wird deutlich, dass Schnebel in den Maulwerken ein generatives Modell verfolgt, das an Sprachproduktionsprozessen orientiert ist. Dieses Modell ist zudem fest in einem parametrischen Denken verankert, dessen Grundsätze – auf die Musik der 1950er Jahre bezogen – zwar aufgelockert, doch nicht aufgegeben wurden. Die Produktionsprozesse werden zwar nicht länger vom Komponisten ausgearbeitet und festgelegt, sondern von den 164 165 166 167 168

D. Schnebel, Maulwerke, in: Programm der Donaueschinger Musiktage 1974, S. 20. Vgl. B. Waldenfels, Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes, S. 42. D. Schnebel, Kommentar zur Partitur von Maulwerke, S. 5. Ebenda, S. 24. Vgl. ebenda und Teil V der Partitur von Maulwerke (Formungsschemata).

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Mitwirkenden gestaltet, doch die Materialien und Regeln der generativen Prozesse bestimmte der Komponist. Zu ihnen gehören die vorgeschlagenen Formbildungsmöglichkeiten von Artikulationen in einer graduellen Abstufung von „einfach – komplex“ oder „homogen – inhomogen“ ebenso wie die darauf folgenden Modelle kommunikativer Verhaltensmuster. Letztere sind in zweifacher Hinsicht „vorgeordnet“: zum einen gibt es eine Abstufung von Solo-Aktionen über Gruppenaktionen mit mehreren Akteuren, die zusammenwirken können; zum anderen ist eine Reihe psychologischer Verhaltensmuster vorgeschlagen, die sich an Freuds Gliederung von Handeln als „triebhaft impulsives (Es-haftes) Handeln, sachlich gesetzliches (Über-Ich-gesteuertes) und einfühlend identifizierendes (Ich-haftes) Handeln“ orientiert.169 Ein sich in Raum und Zeit artikulierender Körper wird demnach in den nachfolgenden Arbeitsprozessen in den Maulwerken als Körper in Kommunikation und Konfrontation mit dem Anderen erfahrbar. Dabei wird sowohl die Aktion vor der Gruppe als auch die Aktion in der Gruppe, sowohl die solistische Profilierung als auch die soziale Kompetenz des Körpers („Schwarmverhalten“, Gruppengefühl) erprobt. Die psychologischen Verhaltensmuster schließlich sollen den Körper zum einen als triebhaften, zum anderen als selbst- und fremdbestimmten „politischen“ Körper bewusst machen, ein Körper zwischen naturhaften Anlagen, zivilisierter, demokratischer Anpassung und gesellschaftlicher Unterdrückung.170 Schnebel hat mit den Maulwerken nicht nur ein generatives Modell von Artikulations- und Kommunikationszusammenhängen vorgelegt, sondern auch Lernstrukturen.171 Die „einfachen“ Organfunktionen und ihre Varianten werden zunächst als „Bausteine“ eingeübt. Für professionelle Vokalisten bedeutet dieses Lernen ein „Verlernen“ ihrer Spezialfähigkeiten. Diese körperliche „Rückführung zu den Quellen“ bedeutete beispielsweise für die Sängerin Carla Henius, die 1971 bei der Uraufführung der Atemzüge mitwirkte, eine beinahe schmerzhafte Selbstanalyse. „Der Schock traf gerade professionelle Sänger, weil sie erfahren mussten, daß ihnen ihr geschultes – und bisher anerkanntes – Interpretentum bei dieser Musik nicht weiterhalf, ja, nichts mehr wert war. ‚In unserem „Fall Schnebel“ bedeutete Rückkehr zunächst einmal radikale unbefristete Abkehr von allem, was uns an musikalischem Wissen, Arbeitsmethodik und vielfältigen Ausdrucksmitteln zu Gebote stand. Denn nichts, was wir gelernt hatten und kannten, ließ sich hier anwenden.‘“172 169 D. Schnebel, Kommentar zur Partitur von Maulwerke, S. 6. Vgl. S. Freud, Abriss der Psychoanalyse. 170 Vgl. G. Nauck, Das Experimentelle und die Oper – Dieter Schnebels genuines Musiktheater und dessen Konsequenzen, S. 166f. Vgl. auch D. Schnebel, Lautende und deutende Musik. Über einige neuerdings sichtbare und hörbare, denkbare und fühlbare Aspekte von Musik. 171 Schnebels Orientierung an der Pädagogik Jean Piagets und an dessen konstruktiver Entwicklungspsychologie ist anzunehmen; eine gesonderte Studie dazu steht noch aus. 172 G. Nauck, Schnebel. Lesegänge durch Leben und Werk, S. 148, Zitat im Zitat nach C. Henius, Fern aller Lust am Untergang. Marginalien zu Dieter Schnebel, in: FAZ (20. September 1972), S. III (vgl. dazu G. Nauck, S. 335, Anm. 34). Für Carla Henius entstand 1976 eine SoloVersion der Maulwerke (Quellen dazu in der Sammlung Dieter Schnebel, Paul Sacher Stiftung,

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Andererseits ließen sich die Maulwerke oder Teile daraus mit Schulklassen einstudieren, wobei das Werk als „experimentelle Vokalmusik“ in Versuche zur Einübung „selbstbestimmten Lernens“ überführt wurde.173 Die Atemzüge (erster Teil der Maulwerke) sollten in diesem Zusammenhang nicht nur Körpererfahrung vermitteln, sondern auch den Zusammenhang von Klang und Bewegung sowie die Charakteristik von Körper-Klang in bestimmten realen oder fiktiven Situationen verdeutlichen. Die Frage, ob dadurch der zivilisierte Körper befreit oder der „Schülerkörper“ im Verlauf der Artikulations- und Kommunikationsübungen umgekehrt „erzogen“ werden könne (ganz abgesehen von allgemeiner Kritik an Schnebel), geriet unter Pädagogen zur Streitfrage.174 Während in den Produktionsprozessen der „natürliche“ Körper, der „soziale“ und „politische“ Körper sowie der eigene Leib als permanenter Sitz der Ereignisse ins Bewusstsein gebracht werden, stellt sich abschließend die Frage nach der Kategorisierung des Körpers in der Aufführungs- beziehungsweise Bühnensituation. Aus den Produktionsprozessen und Kommunikationen können Aufführungsversionen erarbeitet werden, die entweder genau geplant sein, ungefähr festgelegt oder spontan hervorgebracht werden können.175 Die Produktionsprozesse selbst kommen demnach auf die Bühne. „Diese Phase der Objektivierung ist selbst wieder ein Prozeß aus Prozessen, der sich in Opera ausdrückt und im Idealfall dadurch in Gang kommen kann, dass die ‚Initiativgruppe‘ sich dazu entschließt, die Ergebnisse ihrer bis dato internen Arbeiten anderen Gruppen (alias ‚Publikum‘) mitzuteilen, sie zu ‚veröffentlichen‘.“176 Carla Henius hat ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, dass Aufführungen der Maulwerke – auch wenn sie glänzend präsentiert werden – ihre ursprüngliche Intensität verlieren können. Die Inszenierung von Achim Freyer (8. Oktober 1977, Berliner Festwochen) schien ihr zu perfekt. „Durch die Dominanz des Optisch-Theatralischen trat die musikalische Faktur zwangsläufig in den Hintergrund, und mit ihr wurden fast alle doch auch stückimmanenten Spannungen zurückgedrängt. Was man sah und hörte, war geglättet, das Konflikt-Potential schien aufgelöst.“177 Birgt eine Aufführung der Maulwerke grundsätzlich diese Gefahr? Ist die Bühnenpräsentation und Inszenierung von „authentischen“ Probeund Produktionsprozessen möglich? Jedenfalls dürfte es klar sein, dass mit der Aufführung ein weiterer Körper ins Spiel kommt, den ich in diesem Fall – weil es sich nicht um Schauspiel handelt – „Bühnenkörper“ nennen möchte: ein Körper, der sich anderen zeigt, obwohl er sich nicht in einem traditionellen Theaterrahmen des „So-tun-als-ob“ bewegt. Ist das Ausstellen, das Zeigen der Aktivitäten, die

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Basel, datiert Januar 1976), Aufführung am 29. Februar 1976 in Braunschweig. Vgl. auch H. Danninger, Betrachtungen zu den ‚Maulwerken‘ Dieter Schnebels. Vgl. W. Pütz, Dieter Schnebels ‚Atemzüge‘ für mehrere Stimmorgane und Reproduktionsgeräte. Vgl. die zu Pütz unter der Rubrik Zuschriften und Kommentare geäußerte Kritik F. Firlas und Entgegnung Chr. Richters, in: MuB 12, 1980, S. 328f. Vgl. D. Schnebel, Kommentar zur Partitur von Maulwerke, S. 7f. H. R. Zeller, Atemzüge, Maulwerke – Produktionsprozesse, S. 57. C. Henius, Lehr-Stück (1980), S. 73.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Darstellung vor Publikum genuin theatral, so erweist es sich hier, dass die „Darstellung (als Gesamtheit gegenstandsbezogener Äußerungen, die neben der referentiellen Funktion auch noch andere Funktionen haben können)“ immer auch „ein konstitutives Moment von Authentizität“ birgt.178 Genau dies wird im Falle von Schnebels Maulwerken thematisiert. Es geht nicht um die Repräsentation eines bereits vorliegenden Werks, sondern es geht um die Darstellung von Arbeitsprozessen, aus denen ein Werk entsteht. Das Problem der Authentizität, das sich dabei stellt, rührt von Schnebels Anspruch her, Authentisches, Ursprüngliches vorzuführen. Dabei geht es immer um „ein Verhältnis von Darstellungsunabhän-gigkeit und Darstellung“: Das „Authentizitätsproblem“ ergibt sich erst dann, „wenn zugleich mit der Unmittelbarkeitsidee die Notwendigkeit von Darstellung bei jeder Thematisierung von Darstellungsunabhängigem akzeptiert wird.“179 „Darstellungsunabhängig“ sind in der Tat die von Schnebel in Gang gesetzten und entworfenen körperlichen und bewusstseinsverändernden Lernprozesse der Selbsterfahrung und -verwirklichung. Ob diese nun in einer Aufführung „authentisch“ präsentiert werden können, hängt von verschiedenen Faktoren ab: zum einen von den Akteuren und ihren Bemühungen, Authentizität herzustellen – also den Bemühungen, das Dargestellte als Darstellungsunabhängiges zu zeigen, von ihrer Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft; zum anderen vom Publikum, das das Gezeigte als Darstellungsunabhängiges und „Authentisches“ auffassen kann oder die Bereitschaft dazu mitbringt, das heißt nicht grundsätzlich „Authentisches“ auf der Bühne bezweifelt. Im Idealfall findet eine Überbrückung statt, so dass die vermittelnde Funktion der Darstellung zugunsten der Ermöglichung einer „magischen“ Teilhabe am Geschehen ausgeblendet oder vergessen wird, die Vermitteltheit der Darstellung wird gebrochen.180 Hier gibt es nun verschiedene inszenatorische Strategien, dies zu erreichen, die sich vermutlich von Aufführung zu Aufführung verändern können. „Inszenierung läßt sich [...] als der Prozeß beschreiben, in dem allmählich die Strategien entwickelt und erprobt werden, nach denen was, wann, wo und wie vor den Zuschauern in Erscheinung treten soll. [...] Es ist der Prozeß der Inszenierung, in dem ausprobiert, festgelegt – und nach Aufführungen häufig wieder verändert – wird, wie die performative Hervorbringung von Materialität sich vollziehen soll.“181 Neben einer feierlichen Zelebration, die Ernsthaftigkeit und Versunkenheit, Konzentration und Kontemplation, ein „Ganz-bei-sich-Sein“ zeigt, ist bei den Maulwerken an eine Darstellung zu denken, die auf „Natürlichkeit“ und „Entspanntheit“, auf „Selbstverständlichkeit“ der Ausführungen setzt. In jedem Fall ist in diesem Zusammenhang auch eine ethische Komponente integriert, die sich als

178 Siehe E. Kalisch, Aspekte einer Begriffs- und Problemgeschichte von Authentizität und Darstellung, S. 31. 179 Chr. Strub, Trockene Rede über mögliche Ordnungen der Authentizität. Erster Versuch, S. 8f. 180 Vgl. dazu ebenda, S. 10–14. 181 E. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 325. Vgl. auch M. Seel, Inszenieren als Erscheinenlassen.

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Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit in der Darstellung niederschlägt.182 „Der Darsteller muß also nicht ‚schauspielernd‘ Gefühlszustände nacherleben, sondern er erzeugt diese automatisch durch die Disposition des Materials.“183 Dies scheint mir trotzdem eine schwierige Gratwanderung zu sein, mit der sich vermutlich jeder Regisseur der Maulwerke auseinanderzusetzen hat.184 Es ist eine Gratwanderung, die insbesondere auch Performances aufweisen. Diese „Klippen“ werden in „body performances“ häufig dadurch überwunden, dass der Akteur gleichzeitig Inszenator ist, aber auch oft dadurch, dass der Körper selbst angegriffen und verletzt wird: hier ist ein Spiel oder eine Imitation kaum möglich, will man den Status der „Authentizität“ nicht verlieren oder verwirken. Ist Schmerz nicht immer ein besonderer oder der Indikator für Realität, wenn folgende Schilderung bedacht wird? „In Abgrenzung zum Theater und der darstellenden Funktion des Körpers wurde der bloßen körperlichen Präsenz eine besondere Qualität zugesprochen. Sie wurde als eine wirkende Kraft imaginiert, die mit Energien vergleichbar sei. [Vito] Acconci erklärte, mit seiner körperlichen Präsenz einen Raum aktivieren zu können; [Chris] Burden verglich diese Erfahrung mit elektrischer Spannung; und [Gina] Pane sprach von der Selbstverletzung als einem Moment, der mit Spannung geladen sei und so eine direkte Beziehung zwischen ihrem Körper und den Körpern der Zuschauer/innen ermögliche.“185 Die Entscheidung zu einer Aufführung der Maulwerke ist demnach als Beginn ihrer Inszenierung zu betrachten, wenn nicht gar das Gesamtprojekt potentiell immer auch als Inszenierung zu verstehen ist. Das Schwellenphänomen, das sich in diesen Fragen hinsichtlich der Aufführung und Inszenierung der Maulwerke zeigt, betrifft nicht nur den Unterschied und Übergang von Leben und Kunst oder die Überführung von Leben (das „Darstellungsunabhängige“) in (Bühnen)Kunst, sondern es betrifft auch die Differenz zwischen dem Verständnis und der Wahrnehmung von künstlerischer, körperlicher Arbeit – der Arbeit am Körper und mit dem Körper – und der Vorführung von Resultaten solcher Arbeit, die im Dienste der Musik (des Theaters, des Tanzes usw.) stehen. Die traditionelle Musikaufführung verleugnet in dieser Hinsicht das körperliche Medium, der Körper soll 182 Vgl. dazu K. Rouvel, Zur Unterscheidung der Begriffe Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit und Authentizität. Rouvel bezieht sich im Blick auf die ethische Komponente einer Darstellung auf Sören Kierkegaards Entweder – Oder (1843), die möglicherweise auch Schnebel beeinflusst hat, wenn etwa folgende Äußerung Kierkegaards in Betracht gezogen wird: „Damit ein Mensch ethisch lebe, ist es notwendig, daß er sich seiner bewußt werde [...] Das Individuum wird sich also seiner selbst bewußt als dieses bestimmte Individuum, mit diesen Fähigkeiten, diesen Neigungen, diesen Trieben, als beeinflußt von dieser bestimmten Umgebung, als dieses bestimmte Produkt einer bestimmten Umwelt. Indem der Mensch aber solchermaßen sich seiner bewußt wird, übernimmt er alles unter seine Verantwortung“ (zit. bei Rouvel, S. 219). 183 M. Hirsch, Der Komponist als Menschendarsteller. Das Theater Dieter Schnebels, S. 353. 184 Eine Aufführung im Oktober 2005 an der Universität der Künste Berlin balancierte dies gut aus, es war eine Fassung der Kunstarbeiders Gezelschap, Gent, Aufführungen am 2. und 3. Oktober 2005 (musikalische Leitung/Regie: Matthias Rebstock). 185 B. Engelbach, Zwischen Body Art und Videokunst. Körper und Video in der Aktionskunst um 1970, S. 46. Vgl. dazu M. Schneede, Mit Haut und Haaren. Der Körper in der zeitgenössischen Kunst.

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perfekt funktionieren – auch bei Improvisationen oder Aufführungen „offener Werke“. Eine Aufführung und Inszenierung der „Produktionsprozesse“ ist demnach als Präsentation der Schulung des nicht oder noch nicht perfekten Körpers und seiner klanglichen Resultate zu sehen. Der Klang der körperlichen Arbeit wird Musik, nicht nur die klanglichen Resultate der Bemühungen. Dasselbe gilt für die Interaktionsprozesse unter den mitwirkenden Akteuren, die traditionell, im Musikensemble oder im Orchester – vor allem in der Aufführung –, zumeist nonverbal stattfinden und häufig auch so, dass sie nur Eingeweihten verständlich sind. In den Maulwerken werden sie offengelegt. Denn die Maulwerke bergen nicht nur die Ebene der stimmlichen musikalischen Ausbildung, sondern es geht vielmehr um den Ausdruck von Emotionen und Befindlichkeiten aller Lebensbereiche. Der Körper und die Stimme werden dabei in ihrer Materialität und Funktionalität präsentiert, zugleich als Ursprung und Medien psychischer Verfassungen. Klanglich ergibt sich daraus die gesamte Bandbreite menschlicher Äußerungen: SichAnschreien und -Anfauchen, Sich-Beklagen und -Beschimpfen, der Austausch von Höflichkeiten ebenso wie Artikulationen der Liebe. Schnebels Lernprozesse zielen auf den bewussten, „authentischen“ Gebrauch des Körpers in allen Bereichen des Lebens. „Dadurch daß der Grundverlauf der Maulwerke bei Zwerchfell und Lunge ansetzt, also der Atmung, ist diese Kosmogonie des Sprechens auch die Kosmogonie des Lebens überhaupt. Der einzelne Ausführende entwickelt im Verlauf des Stückes den Mikrokosmos seiner physischen Existenz, der die Geschichte der menschlichen Existenz modellhaft in sich birgt. Noch nie ist ein Komponist so nah an und so tief in den menschlichen Körper gedrungen. Das hat die Folge, daß jene im Grunde bloß physischen, biologisch technischen Vorgänge der Organtätigkeit ein schier unerschöpfliches Potential psychischer Ausdruckspotentiale freisetzen.“186

In einer eigenen Aufführungsversion mit drei Vokalensembles („Sinfonische Großfassung“, Aufführungen am 19. und 20. Oktober 1974 in Donaueschingen) hat der Komponist unter anderem folgende Stimmungslagen eingeflochten und schließlich in Handlungen überführt: in den Atemzügen zu Beginn (Tutti nacheinander) „sehr intensive, nach außen gehende Atemgestaltung (keuchend)“ mit einer Beruhigung, „nach innen gehende meditative Atemgestaltung“ mit einzelnen Steigerungen. In den nachfolgenden Atemsoli mit Begleitung sind folgende Stimmungslagen vorgeschrieben: „schluchzend – kichernd“, „erstickend“, „röchelnd – quasi lachend“, „panisch – begeistert“. Dem markerschütternden Schrei am Ende der Atemzüge gehen „Schlaflaute“ voraus. Der zweite Teil Kehlkopfspannungen/ Gurgelrollen beginnt mit einer „quasi unbewussten, ‚assoziierenden‘ Gestaltung“ im Tutti nacheinander, die sich in den nachfolgenden Abschnitten zum Teil weiterentwickelt. Im direkt anschließenden Duo artikuliert eine Solostimme „sehr bewusst und von innen her gestaltend; ausdrucksvoll“, die andere „stark unbewusst, auf Inneres reagierend.“ Das etwas spätere Trio zeigt die Kombination einer „streng gestaltenden, ‚herrenhafte‘ Rolle“ mit einer „streng gestaltenden, introvertierten Rolle“. Im dritten Teil Zungenschläge und Lippenspiel stehen ver186 M. Hirsch, Der Komponist als Menschendarsteller. Das Theater Dieter Schnebels, S. 353.

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schiedene Laute als Klang im Vordergrund. Die Mundstücke im vierten sowie die Maulwerke im fünften Teil der Aufführung zeichnen eine ganze Reihe von Situationen: „eine Auseinandersetzung führen“, „aufeinander unkontrolliert reagieren: Unterwerfungsgefühle (Ängste)“, „unkontrollierte Reaktionen: Auflehnungsgefühle (Aggressionen)“, „sensibles Aufeinander-Eingehen, zärtliches Gespräch“, „Entladung: aggressives Geschrei“, „Entspannung: in großes Gelächter ausbrechen“.187 Die Stimmungslagen und Handlungen sind dramaturgisch angelegt und beziehen vielfach den visuellen Aspekt der Aufführung ein (Filme, Bilder) – aus den Atmungsprozessen werden komplexe Szenen. In Schnebels Maulwerken tritt eine Ebene hinzu, die bereits bei den Proben der „Produktionsprozesse“ sowohl eine Intensivierung des eigenen Tuns als auch eine distanzierende Kommentierung des Geschehens ermöglicht. Es sind dies einerseits elektroakustische Medien, die den Körper-Klang hörbar machen oder verstärken, andererseits Bildmedien, die den Körper entweder ebenfalls „vergrößern“ oder aber die Klänge und die körperlichen Bewegungen durch Filme oder Dias visualisieren oder assoziativ kommentieren. „Jeder Ausführende sollte mit einem Kontaktmikrophon (Kehlkopfmikro oder auch anderen Körperschallmikrophonen) ausgerüstet sein. Eventuell können auch mehrere derartige Mikrophone an verschiedenen Körperpartien angebracht werden. Außerdem möge noch ein normales Mikrophon mit beweglichem Hals beigestellt werden.“ Die Wiedergabe der Klänge „erfolgt über jeweils 1 (evtl. 2) Lautsprecher, die von dem betreffenden Ausführenden, dessen Klänge sie reproduzieren, ziemlich weit weg stehen sollten. [...] Die akustische Reproduktion bildet im Gesamtablauf eine eigene Stimme, ist also selbständig zu gestalten. Ihre Funktion: 1. Verdeutlichung von Artikulationsprozessen, insbesondere der kaum hörbaren 2. Bildung von Farbveränderungsverläufen – etwa durch Filtern oder durch Variieren der Anteile der Körperschallmikrophone und der Luftmikrophone 3. Räumliche Artikulation – durch differenzierte Mischungen des Originalklangs und des von einem anderen Ort herkommenden Lautsprecherklangs, wodurch sich auch Klangwanderungen bilden lassen.“188 Die Anordnung ist sicherlich nicht zufällig mit Cages Verwendung eines Mikrophons in 0’00’’ verwandt. Die Lichtgestaltung wird durch Schnebel ebenfalls als Inszenierungsmittel vorgegeben. Sie soll einerseits körperliche Artikulationsprozesse verdeutlichen, indem beispielsweise bestimmte Körperteile angestrahlt werden, andererseits soll sie Helligkeitsprozesse ausbilden. Durch die Lichtgestaltung wird sodann der zeitliche Ablauf strukturiert. Die Integration von Video-Technik soll dazu dienen, erstens wie ein Mikroskop die Organvorgänge sichtbar zu machen und sie dem Publikum nahe zu bringen, andererseits die Kommunikation der mitwirkenden

187 D. Schnebel, Sinfonische Großfassung der Maulwerke, Teil der Partitur. In Donaueschingen wurden zunächst, am 19. Oktober 1974 vormittags (9–11.45 Uhr) die Maulwerke als „Vorführung von Erarbeitungsstadien – Einzelstudien – Ensembleproben – Stücken“ gezeigt. Am Abend (20.30 Uhr) wurde der „Großverlauf“ uraufgeführt und am 20. Oktober wiederholt, vgl. Programm der Donaueschinger Musiktage 1974 (18.–20. Oktober 1974), S. 3, 5. 188 D. Schnebel, Kommentar zur Partitur von Maulwerke, S. 36.

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Akteure über weite Entfernungen zu ermöglichen. Damit wird deutlich, dass die Medien auch eine Zwischenposition einnehmen können: sie vermitteln nicht nur die körperliche Präsenz, sondern sie können sie auch vertreten.189 Ferner können Videofilme gezeigt werden, mit denen die Proben dokumentiert wurden. Sie geben einen Einblick in die Vorstadien der Aufführung, sind als Kommentar zur Aufführung einzubeziehen oder als „Aufzeigen unerhörter Gestaltung“.190 Schnebel intendiert ein Wechselspiel zwischen Live-Geschehen und Dokumentation, die aufeinander bezogen oder völlig unabhängig behandelt werden können. Schließlich wird vorgeschlagen, Diapositivbilder als gliedernde „Schlaglichter“ sowie Tonbandaufnahmen analog zu den Filmen oder Dias einzusetzen. Es gilt nach Schnebel, „einen akustisch-optischen Gesamtablauf zu formen.“191 Die Präsentation der körperlichen Aktionen wird mit ihrer medialen Re-Präsentation gekoppelt. Kommentierende oder assoziative Bilder erweitern die Kontexte, die durch Handlungen und Handlungszusammenhänge der Akteure entstehen. Aus den „Produktionsprozessen“ entwickelt sich ein „Gesamtkunstwerk“. Im dritten Teil der körperlichen Produktionsprozesse hat sich Schnebel überwiegend körperlichen Bewegungen und Bewegungsabläufen beziehungsweise körperlichen Konstellationen und Interaktionen gewidmet (Laute können hinzutreten). In Körper-Sprache (1979–1980) ist das System der Maulwerke auf die Arbeit mit Regionen des Kopfes, der Arme (Finger, Hände, Unterarme, Oberarme), des Rumpfs (Oberkörper, Unterkörper) und der Beine (Zehen, Füße, Unterschenkel, Oberschenkel) übertragen. Bewegungen im Raum und das Nicht-Tun in verschiedenen Gesten oder Posen sind Teile der Materialfelder, der Körper wird in Einzel- oder Gruppenaktionen präsentiert, Exerzitien werden in Geschichten zu Szenen. „Im theatralischen Prozess Körper-Sprache spielen die Körper der Ausführenden die mannigfachen Möglichkeiten der eigenen Sprache durch und sprachlicher Ausdruck wird selber körperlich: Körper Sprache. Als eben dieses enthält die Organkomposition eine Art Naturgeschichte und die Historie der menschlichen Bewegung.“192 Um letzteres darstellen zu können, ist eine Analyse des Körpers und seiner Möglichkeiten notwendig, das heißt im Prinzip zuerst eine „unnatürliche“ Isolierung verschiedener Bewegungen und Haltungen vorzunehmen, um am Ende in einer Aufführungsversion ein Werk hervorzubringen. „Diese scheinbar rein formale und kühl analytische Aufgliederung dient einerseits zum Zweck des Erfassens und auch des Übens, sowie der Konzentration; andererseits hat die Gliederung ihre Entsprechung in den Gliedern selbst und meint die Einfühlung in den Körperbau, in seine Zusammenhänge – und sein Leben. Letzten Endes geht es um das Körpergefühl, und in anderer Richtung – nämlich von innen nach außen – um Gefühlsäußerungen in den Gliedern, sozusagen um Gefühlskörper.“193 In die 189 Vgl. B. Engelbach, Zwischen Body Art und Videokunst. Körper und Video in der Aktionskunst um 1970, S. 9. 190 D. Schnebel, Kommentar zur Partitur von Maulwerke, S. 38. 191 Ebenda, S. 41. Vergleichbar etwa Luigi Nonos Intolleranza 1960 (Uraufführung am 13. April 1961). 192 D. Schnebel, Kommentar zur Partitur von Körper-Sprache, Mainz, Schott (Leihpartitur, 2005), S. 6. 193 Ebenda, S. 9f. Vgl. auch G. Nauck, Schnebel. Lesegänge durch Leben und Werk, S. 223–226.

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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Übungen (Kopfarbeit, Fingerübungen, Handzeichnungen, Arm- und Beinlinien, Rumpfarbeit, Zehen- und Fußstudien) fließt bereits Psychologisches ein: Bewegungen nach vorn und hinten, links und rechts nach der Seite oder in die verschiedenen Richtungen gleichzeitig werden kombiniert mit den unterschiedlichen, bereits bekannten Verhaltensarten nach Freud: Es-haftes unwillkürliches Verhalten (sich treiben lassen, andrängenden Regungen folgen, probieren, eigenen Vorlieben und Abneigungen nachgehen), Über-Ich-artig zwanghaftes Verhalten (vorgegebene Regeln befolgen, inneren Zwängen gehorchen, nach rhythmischen oder figürlichen Modellen üben, quasi Gymnastik), Ich-haftes gestaltendes Verhalten (selbstbestimmendes, eigenständiges ausdrucksvolles Handeln, gestaltende Improvisation, den Körper artikuliert „sprechen lassen“).194 „Die Übungen sollten zunächst rein als körperliche Übungen, also quasi abstrakt gestisch vorgenommen werden. Die Vorgänge lassen sich dann aber auch an Gegenständen oder Personen üben – Körpererfahrung am Objekt. Wie überhaupt die Übungen nicht nur als Vorstadien aufzufassen sind, sondern als wesentliche Vorgänge von Körper-Sprache = quasi abstrakte und künstlich künstlerische Präsentationen der Körperbewegungen, wo auch die Virtuosität des Instruments Körper zu ihrem Recht kommen könnte, und wo sich überdies Räume für Selbstentfaltung und Eigenausdruck finden.“195 Die Geschichten („Emp-finden“, „Zer-fahren“, „Be-greifen“, „Ver-drehen“, „Fortschritte“, „Ab-läufe“, „Er-fassen“, „Ent-lassen“), die Schnebel in einer zweiten Arbeitsstufe anregt, handeln von den Grundaktivitäten eines Körpers oder mehrerer Körper, „vom Körper als einer ursprünglichen und fast noch ungegliederten Einheit“, „von den Armen und Händen und ihren besonderen Tätigkeiten“, „von den Beinen und Füßen und von der von ihnen bewirkten Fortbewegung“ sowie „vom Körper als einem ungegliederten Ganzen“. Eine weitere Unterteilung erfahren sie durch die Kontrastierung von positiven (Offenheit, Spontaneität, Ausleben) und negativen Aspekten (Verhärtung, Auflösung, Starre, Beschädigung) menschlicher Bewegung.196 Analog dazu gibt es eine Serie von Übungen im Nicht-Tun (im Liegen, Sitzen oder Stehen). In diesen zwischendurch einzubringenden Phasen der Inaktivität geht es darum, entspannende Ruhepunkte von angestrengten Erstarrungszonen zu sondern. Beide Arten von Stillstand können zu eigenständigen Passagen ausgeweitet werden, „wo Ruhe als solche oder auch Erstarrung sich ausbreitet. Weiterhin lassen sich mehrere NICHT-TUN-phasen miteinander verbinden, sei es in plötzlichen Wechseln oder allmählichen Übergängen, so daß mittlere – größere Zeiten gegliederter Bewegungslosigkeit entstehen.“197 Die Übungen und Anweisungen der Geschichten und Gesten oder Posen sind teilweise verbal vorgeschrieben und teilweise in Zeichnungen und Graphiken angegeben (Körperteile und Bewegungsarten, Rhythmik, Bewegungen im Raum). Aus Serien von Einzelbewegungen und Bewegungsarten sowie Ausdrucksregionen werden letztlich – wie im Falle der Maulwerke – einzelne Aufführungsversionen („Werke“) zusam194 195 196 197

Siehe D. Schnebel, Kommentar zur Partitur von Körper-Sprache, S. 13. Ebenda, S. 13f. Ebenda, S. 16f. Ebenda, S. 22.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

mengesetzt.198 Offenbar lag dem Gesamtablauf früh die Idee einer Darstellung von Phasen der Menschwerdung zugrunde: „Erzählungen der Körpergeschichte: von der geschlossenen Körperkugel des Fötus zur öffnenden Erprobung der Gliedmaßen; vom Kriechen zum aufrechten Gang; aber auch Berichte von Deformation: etwa von der Umkehr der Geburt und ihrer großen Krampflösung im Infarkt; vom Stürzen des fest Stehenden – überhaupt vom Fallen. Also Kompositionen von Gestischem, im Wortsinn: von Deutungen.“199 Aus den zusammengesetzten Bewegungen und Ruhepassagen ergibt sich die zeitliche Gliederung einer Aufführung von Körper-Sprache, die insofern nicht nur von der Zusammenstellung einzelner Verläufe abhängt, sondern primär von den individuellen körperlichen „Aktionszeiten“ der Aufführenden. Schnebel hat diese temporale Dimension in seiner Konzeption des Stücks beispielsweise dadurch explizit berücksichtigt, dass die Serien der verschiedenen Exerzitien den Parameter „Größe der Bewegungen“ enthalten (kleine – mittelgroße – große Bewegungen) oder die Geschichten mit Tempoangaben versehen sind.200 Die Geschichte „Emp-finden“ beispielsweise gliedert sich in fünf verschiedene Szenen oder „Nummern“: A1 (Körper liegend zu einer Kugel eingerollt, kleine Rollbewegungen, adagio molto), A2 (Spannung des Körpers, bis sich die Körperkugel plötzlich öffnet: acc. p.a.p. – molto; langsames Nachbeben in entspannenden Einzelbewegungen: rit. p.a.p. – molto), A3 (runde und gelöste Körperhaltung am Boden, andantino infantile), A4 (Bauch- oder Seitenlage, Körperglieder sind quasi suchend oder heranholend, allegretto), A5 (gelockerte Haltung des Körpers am Boden, sich selbst Ertasten, andante narcistico).201 Abgesehen davon ist klar, dass sich auch erhebliche individuelle, personenabhängige Unterschiede der zeitlichen Gestaltung von tastenden Bewegungen oder aggressiven, vorwärtsdrängenden Abläufen ergeben und dass sich eine zeitliche Struktur ebenfalls durch die rhythmische Gestaltung von Abschnitten (und Kombinationen von Rhythmen) herausbildet, insbesondere dann, wenn bestimmte Tempi oder Dauern vorgegeben sind. Insgesamt resultiert die temporale „Makrostruktur“ einer Aufführungsversion aus

198 In der Ansichtspartitur von Körper-Sprache ist der Ablaufplan für die Uraufführung am 20. November 1980 in Metz sowie für die Pariser Fassung (17. Januar 1981) enthalten. Vgl. auch G. Nauck, Körper-Sprache. 199 D. Schnebel, Lautende und deutende Musik. Über einige neuerdings sichtbare und hörbare, denkbare und fühlbare Aspekte von Musik, S. 108f.; dies zeigen auch verschiedene Ablaufpläne bei den Skizzen zu Körper-Sprache (Sammlung Dieter Schnebel, Paul Sacher Stiftung, Basel). Vgl. auch die Besprechung der von Achim Freyer inszenierten Uraufführung von C.H. Bachmann, Dramaturgie des Körpers und der absoluten Musik. „Was in Metz über die Bühne ging, war theatersinnlich vor allem. Die Spieler, schwarzweiß kostümiert, waren gleichsam in Ganzmasken gehüllt, lemurenhaft ausgestopft, so daß einzelne Körperformen als Gebrechen hervortraten, was die Bewegungsabläufe verdeutlichte; derart individualisiert, erschienen die Figuren dennoch als gesichtslose Wesen. Erst am Schluß schnitt sich eine von ihnen Öffnungen in die Gesichtsverhüllung, atmete sichtbar, hauchte ein Ja“ (S. 59f.). 200 In den Maulwerken wurden beispielsweise verschiedene Atemtempi zu einem strukturbildenden Element. 201 Vgl. D. Schnebel, Körper-Sprache, Partitur, S. 43–47.

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Zusammensetzungen und Überlagerungen der erarbeiteten Bausteine und nicht aus einem global vorgegebenen Zeitraster. Die Dynamik zwischen Mikro- und Makrostruktur führt nicht nur zu einer bestimmten Aufführungsversion, sondern wirkt sich – dieses Prinzip potenzierend – insbesondere bei einer singulären Aufführung aus.202 Dabei nehmen Elemente Einfluss, die in in einer Aufführungsversion nicht festgelegt werden können, so zum Beispiel bestimmte Bedingungen des Aufführungsraums. In der von Achim Freyer entworfenen szenischen Situation für die Uraufführung war beispielsweise eine Schräge auf der Bühne vorgesehen. Die Beibehaltung der Schräge unter anderen bühnenräumlichen Bedingungen bei weiteren Aufführungen führte dazu, dass sich die Aufführenden stets darauf einstellen und ihre einstudierten Bewegungen immer den Gegebenheiten anpassen mussten (die Übungen und zusammenhängenden Bewegungsabläufe wurden zu ebener Erde erarbeitet). Die Veränderungen, die sich dabei ergaben, noch ganz abgesehen von der individuellen Tagesform der Akteure oder von unvorhersehbaren Ereignissen während einer singulären Aufführung, sind bei der Erstellung einer Aufführungsversion überhaupt noch nicht planbar. Eine andere Problematik ergab sich beispielsweise aus der Kombination von Bewegungen und Ruhe- oder Erstarrungssequenzen. „Wenn beispielsweise eine (abstrahierte) Geburtsszene an der Reihe war, dann haben drei SpielerInnen diese ausgeführt, die anderen führten in dieser Zeit keine Bewegungen aus. Die Körperbewegungen waren über den Bühnenholzboden zu spüren und wenn die dritte Person sich öffnete / geboren war, schloss sich eine neue Bewegungs- oder Ruhesequenz an.“203 Daraus ergab sich bei der Aufführung in Paris ein Problem: „Dort wurde irrtümlicherweise angesagt, dass die Zuschauer aufgefordert seien, das Geschehen auf beiden Seiten der Doppelbühne zu verfolgen und die Sitzplätze könnten jederzeit verlassen werden. (Es gab eine Fassung von Körpersprache mit doppelter Bühne.) Dies hatte zur Folge, dass – aufgrund der permanenten Publikumsbewegungen im Raum – wir unsere akustischen Signale nicht mehr hören konnten und neue Ablaufabfolgen entstanden sein müssen. Außerdem unterschied sich die akustische und körperliche Gesamtsituation im Raum stark von der geplanten. Auf den Gesamtraum bezogen gab es in dieser Aufführung wohl keine Ruhe- oder Erstarrungsphasen. Wir haben uns in der besagten Pariser Aufführung aber nicht aus der Ruhe bringen lassen. Das ganze Stück war eine Übung, ein Experiment. Kein fest gemeißeltes Stück.“204

202 Vgl. dazu M. J. Grant, Experimentelle Musik analysieren. 203 Mündliche Mitteilungen und Gedächtnisprotokoll von Beate Jorek (Februar und Mai 2006), die bei der Voraufführung des Stücks am 13. November 1980 in Berlin, bei der Uraufführung in Metz und weiteren Aufführungen der Freyer-Inszenierung mitgewirkt hat (17. Januar 1981 in Paris, 22./23. Januar 1981 in Bonn, am 26./27. Januar 1981 in München, am 31. Januar 1981 in Hannover, 10.–13. April 1981 in Darmstadt, im Frühjahr 1981 in Oslo, am 1. Juni 1981 in Berlin, am 14. November 1981 in Seoul und 21. November 1981 in Tokyo sowie 7.–9. Mai 1982 in München und 17. Juni 1983 in Venedig). 204 Gedächtnisprotokoll von Beate Jorek (Mai 2006).

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

4.2.1.2 Obszöne Körper – Provokation und Protest Der Vorstellung von unkörperlichen und immateriellen Klängen stellt Schnebel folgendes Bild gegenüber: „Klänge kommen aus Leibern, sind also körperlich. [...] Klänge aber, die stimmlichen wie die instrumentalen, auch die alltäglichen, sind selbst schon Leben, haben ihre eigene Sinnlichkeit. [...] Demnach ist Musik eine körperliche und materielle Kunst, ein Prozeß von vielfältigen Muskelaktivitäten, die wiederum mannigfach miteinander verbunden sind, und dieser Prozeß geschieht in ständiger Gegenwart. Dabei wird insgesamt Materie in Schwingung versetzt, sei es menschlich oder stofflich, individuell oder kollektiv. Als Kunst aus Muskeltätigkeit mit Schweiß und Schleim, mit Kon- und Extraktion, ist Musik vielleicht die sinnlichste der Künste – mit einem gehörigen Schuß Obszönität.“205 Mit einer anderen Art von „Körperarbeit“ in der Musik wurde dieser von Schnebel angesprochene Aspekt als provokatorisches Moment radikalisiert: mit destruktiven Aktionen und Nacktheit auf dem Konzertpodium, die beispielsweise Nam June Paik präsentierte. Als Komponist und Musiker nie ernst genommen, als Videokünstler weltweit geachtet, hatte er eine Musikausbildung sowohl in Korea als auch in Deutschland absolviert, bevor er sich Mitte der 1960er Jahre endgültig für TV- und Videokunst entschied. Nach einer Magisterarbeit über Arnold Schönberg an der Universität Tokyo (1956), wo er auch Philosophie und Ästhetik studiert hatte, kam Paik zuerst nach München, um das Studium von Kunstgeschichte und Philosophie fortzusetzen und unter anderem bei Thrasybulos Georgiades Musikwissenschaft zu studieren.206 Nachdem er 1957 bei den Darmstädter Ferienkursen Wolfgang Fortner kennengelernt hatte, wechselte Paik nach Freiburg i.Br. an die Musikhochschule, wo er bei Fortner ein Kompositionsstudium begann. 1958 bis 1963 arbeitete er anschließend in Köln und produzierte unter anderem seine Hommâge à John Cage – Musik für Tonbänder und Klavier (uraufgeführt am 13. November 1959 in der Galerie 22, Düsseldorf), mit der die Phase seiner „action music“ einsetzte, die ihm die Bezeichnung „Kulturterrorist“ eintrug.207 „Paik trägt mit dem Stück Cages Offenheit neuen Technologien gegenüber Rechnung. So werden Radio und Tonband als Geräusch-Geber, die Schaffung neuer Klänge, z.B. das Umstürzen eines Klaviers als Klangereignis, und der Einsatz eines ‚prepared pianos‘ eingebaut sowie eine aktionistische Aufführungspraxis entwickelt.“208 Der Aktionskünstler schockierte sogar die „progressive“ Kölner Avantgarde, als er am 6. Oktober 1960 John Cage bei der Aufführung seiner Etude for Piano Forte in einem Konzert im Atelier Bauermeister einen Hemdzipfel und die Krawatte abschnitt. Er löste dabei allerdings nicht nur Schrecken aus, weil das Publikum unsicher wurde, ob seine Aktionen nicht doch in reale Gewalt umschlagen konnten, 205 D. Schnebel, Klang und Körper (1988), S. 40ff. 206 Vgl. N. J. Paik, Erinnerung an Muenchen. 207 Nam June Paik. Niederschriften eines Kulturnomaden, S. 12. „Entgegen seiner Hoffnung fand er jedoch nicht Zugang zum Elektronischen Studio des WDR, sondern er arbeitete ausschließlich in seinem eigenen Atelier“ (ebenda, S. 50). Vgl. M. Custodis, Die soziale Isolation der neuen Musik, S. 119–122. 208 Nam June Paik. Fluxus/Video, Katalog, S. 24.

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sondern die Klänge seiner Tonbandcollagen und Live-Artikulationen erinnerten viele auch an Kriegserlebnisse ihrer Kindheit.209 In seinen Kompositionen und Aktionen trieb Paik zudem absurdes Spiel mit den „klassischen“ Werken der Musikgeschichte (Paik schrieb sieben Symphonien, unter anderem die Young Penis Symphony210), mit hochgeschätzten Werten der Musikinterpretation und Musikästhetik („Im Jahr 1970 spiel die mondlicht-sonate auf dem mond“) sowie mit den Musikinstrumenten. „Mit destruktiver Gewalt geht er gegen die traditionellen Instrumente der abendländischen Musik vor. Er schlachtet damit nicht nur die heiligen Kühe der bürgerlichen Gesellschaft, sondern setzt vor allem seine bisherigen eigenen Wertmaßstäbe außer Kraft. Das ganze Leben hatte er darauf hingearbeitet, sich in der westlichen Kultur zu verwirklichen, und nun zerstörte er symbolisch alles, was so lange sein höchstes Gut gewesen war.“211 Bei der Hommâge à John Cage wird ein Klavier umgeworfen, ein Jahr später geschieht dasselbe in der Etude for Piano Forte im Atelier Bauermeister.212 Paik „präpariert“ es zum Klavier Intégral, dem Fundstücke und Gebrauchsgegenstände inkorporiert werden.213 1962 zerschlug Paik konsequent eine Violine bei der Aufführung seines Stücks One for Violin Solo (bei den Düsseldorfer Kammerspielen, Neo-Dada in der Musik, am 16. Juni). Paik galt damit als einer der wichtigsten Aktivisten der Fluxus-Szene.214 Paiks Körpereinsatz bezog sich nicht nur auf Aktionen mit Instrumenten, sondern gerade die Aufführung von Hommâge à John Cage umfasste auch Schreien, Toben, Brüllen usw. Beim Fluxus-Festival in Wiesbaden zeigte er das berühmte Stück Zen for Head (1962), bei dem er mit seiner schwarz gefärbten Krawatte auf einem Papierstreifen am Boden einen langen Strich zog.215 In seiner Sonata quasi una fantasia (ca. 1962) soll der Pianist Beethoven spielen und sich dabei stufenweise entkleiden.216 In Konzerte den nackten Körper oder nackte Körperteile ein209 Mary Bauermeister im Gespräch mit Martina Seeber, WDR 4. Februar 2006, Sendung mit Klangbeispielen im WDR 3 am 5. Februar 2006 (Open Studio Neue Musik, Atelier Bauermeister). Ich danke hiermit Martina Seeber für die Aufnahmen des ungeschnittenen Gesprächs und der Sendung. Vgl. auch H.-K. Metzger, Paiks Musik als Musik, in: Nam June Paik – Werke 1946–1976, S. 34–36 und den Werkkommentar ebenda S. 44. 210 Vgl. Nam June Paik. Fluxus/Video, S. 282, zur Uraufführung 1986. 211 Nam June Paik. Niederschriften eines Kulturnomaden, S. 12. Vgl. zu Paiks Aktivitäten in Köln auch M. Bauermeister, Dokumentation. intermedial, kontrovers, experimentell. Vgl. auch T. Dreher, Performance Art nach 1945, S. 255–273 (zu Destruktionskunst). 212 Vgl. Nam June Paik. Fluxus/Video, S. 28. 213 Vgl. S. Fricke, 1963. Nam June Paik: „klavier intégral“. 214 Fluxus wurde durch den Graphiker George Maciunas als Kunstrichtung installiert, als er 1962 in Wiesbaden vom 1.–23. September ein großes Fluxus-Festival organisierte, bei dem Komponisten und Happening-Künstler zusammengefasst wurden, die seither als Neo-Dada galten (Beginn Anfang der 1950er Jahre mit Robert Motherwell, John Cage, Gutai in Japan, Allan Kaprow, Yves Klein, Christo, La Monte Young, George Brecht, Dick Higgins, Robert Filliou, Yoko Ono, Wolf Vostell u.v.a.), vgl. happening & fluxus. Materialien. 215 Vgl. T. Kellein, Noten im Kopf, Klänge im Orkus. Der Mythos um die Fluxus-Musik. Zen for Head war Paiks Interpretation von La Monte Youngs Composition 1960 #10 to Bob Morris: „Draw a straight line and follow it“. 216 Vgl. Nam June Paik. Fluxus/Video, S. 46; vgl. S. Fricke, Kämpfen gegen die Bürgermusik.

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zubinden, die Paik zufolge ein Defizit der Musik ausgleichen sollten, setzte er ab 1964 in der Kooperation mit der Cellistin Charlotte Moorman fort. Er berichtet im etwas distanzierten Rückblick: „1961 war ich kurz davor, meine Performance-Arbeit abzubrechen. Ich bewegte mich von der Phase der Intensität (über die Erleuchtung auf der Bühne, das Aufheben verschiedener Dualismen im eigenen Körper und in der Welt) zu einem neuen Genre der Freiheit, Vielfalt, des visuellen Vergnügens und des kognitiven Interesses, das Klang-objekte, den Einsatz von Elektronik und die Welt des elektronischen Fernsehens einschließt. Ich war mir über diese Veränderungen sehr sicher, und nur widerstrebend führte ich das Neo-Dada-Event an den Kammerspielen auf und nahm in Wiesbaden an Fluxus teil. Nachdem ich in den USA angekommen war, traf ich jedoch Charlotte Moorman. Sie erweckte mein Interesse an der Performance von neuem. (Tatsächlich hatte ich eine junge Frau gesucht, die klassische Musik halbnackt in der Öffentlichkeit spielen würde. […] Charlotte war die erste Frau, die beide Forderungen [das Spiel eines klassischen Instruments sowie die Bereitschaft zum halbnackten Auftritt] erfüllte, und sie verfügte über musikalische Technik, Mut, Schönheit und künstlerisches Einfühlungsvermögen.)“217

Charlotte Moorman war ausgebildete Cellistin und hatte unter anderem im American Symphony Orchestra unter Leopold Stokowski gespielt. Ihre Bekanntschaft mit Yoko Ono brachte sie in Kontakt mit der New Yorker „DowntownSzene“, in der sie als Solistin auftrat. Von 1963 bis 1980 organisierte sie das „Avantgarde Festival of New York“.218 Moorman und Paik lernten sich kennen, als die Musikerin die New Yorker Präsentation von Stockhausens Originale vorbereitete, die beim zweiten „Avantgarde Music Festival“ im September 1964 stattfand. Die Cellistin spielte in Paiks Stücken mit einer transparenten Plastikplane bekleidet, sie stieg in eine mit Wasser gefüllte Tonne oder sprang in Venedig in den Canale Grande, sie legte bei anderen Gelegenheiten Stück für Stück ihre Kleider ab. Bei der Premiere von Paiks Opera Sextronique am 9. Februar 1967 wurde Moorman in New York wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ verhaftet. Für kurze Zeit wurde sie im Gefängnis festgehalten und nach der Urteilsverkündung auf Bewährung freigelassen.219 Als „topless cellist“ war sie durch die Presse abgestempelt worden. Obwohl es Vorwarnungen gab und in den 1950er und frühen 1960er Jahren bereits William Burroughs oder Allen Ginsberg der Zensur unterlagen220, hatte Paik potentielle Gegner provoziert, indem er auf dem Poster der Einladung zu dieser Aufführung ein kurzes Manifest abdrucken ließ, in dem er forBeethoven, Fluxus und anderes, sowie D. Schnebels Fluxus-Erinnerungen, ebenda, S. 25. 217 N. J. Paik, Charlotte Moorman: Zufall und Notwendigkeit, S. 190f. 218 Vgl. G. Gronemeyer, Ernst und Hingabe. Die amerikanische Avantgarde-Cellistin Charlotte Moorman. Vgl. auch R. Wick, Soziologisches zu Paik (1976). 219 Vgl. S. Fricke, Sex and Music. Der Moorman-Paik-Skandal. Vgl. C. Moore, Miss Moorman’s Music. Offenbar wäre es für Moorman möglich gewesen, sich als unbewegliche nackte Statue legal öffentlich zu zeigen, doch nicht in Bewegung oder in Kontakt mit anderen Personen, vgl. H. M. Sayre, The Object of Performance, S. 76. Vgl. Nam June Paik. Fluxus/Video, S. 116f. Vgl. C. Moorman, Eine Künstlerin im Gerichtssaal. 220 Vgl. dazu S. Watson, Die Beat Generation. Visionäre, Rebellen und Hipsters, 1944–1960; vgl. auch L. Phillips, The American Century. Art & Culture 1950–2000, S. 36f., 65f.

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mulierte: „Why is sex a predominant theme in art and literature prohibited only in music? How long can New Music afford to be sixty years behind the times and still claim to be a serious art? The purge of sex under the excuse of being ‚serious‘ exactly undermines the so-called ‚seriousness‘ if music as a classical art, ranking with literature and painting. Music history needs its D. H. Lawrence its Sigmund Freud.“221 Befreiung also im Konzertsaal, Befreiung der Musik durch nackte Körper, durch erotische oder pornografische Spiele und nicht zuletzt durch die Herausforderung des voyeuristischen Blicks? Eine Befreiung wovon und wofür? Bei Paik war es unter anderem ein Impuls gegen den „Ernst“ der traditionellen Musik, gerade um die „Ernsthaftigkeit“ und essentielle Bedeutung von Musik zu unterstreichen. Dies kann den Intentionen Schnebels sicherlich zur Seite gestellt werden, auch wenn die Persönlichkeit der beiden Künstler und die Art der Realisierung ihrer Ziele einen Vergleich eher ausschließen. Musik als Resultat und Ausdruck von Sinnlichkeit, Eros oder Rausch, zurückgeführt auf Körperliches, wurde bereits in den 1920er Jahren diskutiert. Einer zunehmenden Idealisierung und Intellektualisierung der Musik hatte bereits Nietzsche das Dionysische – Lust, Wahnsinn, Instinkt des Lebens – gegenübergestellt.222 Nach dem Ersten Weltkrieg sollte das Thema angesichts neuer Opern wie etwa Strauss’ Salome, Schrekers Der ferne Klang oder Bergs Wozzeck und angesichts einer Konjunktur des „natürlichen“ Körpers in Tanz und Freizeit erneut virulent werden. In Paul Bekkers Klang und Eros (1922) wird „die Beziehung zwischen Körper und Sinnlichkeit in der Musik erstmals in aller Deutlichkeit explizit [...] Bekkers leitendes Paradigma fokussiert hierbei die Körperlichkeit der Stimme, welche kraft ihres Klangs eine unmittelbare, begriffslose, sinnliche Erscheinung im Akt des Hörens evoziert und im ‚Menschenlaut, als weich vibrierende, schwellende, entfliehende und wieder nahende, unsichtbare und doch fast körperlich fühlbare Schwingung der Seele‘ den menschlichen Eros als Urkraft der musikalischen Kunst offeriert“.223 In den Folgejahren werden unterschiedliche Körperbilder in einem Dualismus von Gesundheit sowie moralischer Zuträglichkeit (Rhythmus, Gymnastik, Sport) und Degeneration, Krankheit und Unmoral ins Extrem getrieben, wobei letzteres mit „dem Judentum“ verknüpft wurde und dem nationalsozialistischen Antisemitismus den Unterbau lieferte, ebenso wie das moralisch positive Bild den NS-Körperkult beförderte.224 In den 1950er Jahren wurde – wie bereits mehrfach dargelegt – der Körper in der neuen Musik tendenziell entweder überfordert oder ausgeschlossen. Aufführungen wie Paiks „action music“ oder Schnebels Maulwerke sowie der Hintergrund von Cages „experimental music“, Happenings und Fluxus-Events sollten diese Situation grundsätzlich verändern, und viele Komponisten setzen sich seit 221 Plakat, Abdruck bei S. Fricke, Sex and Music. Der Moorman-Paik-Skandal, S. 28. 222 Vgl. F. Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. 223 T. Becker, Plastizität und Bewegung. Körperlichkeit in der Musik und im Musikdenken des frühen 20. Jahrhunderts, S. 142f. Zitat im Zitat Paul Bekker, Klang und Eros, S. 338f. Vgl. dazu auch H. Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft. 224 Vgl. dazu T. Alkemeyer, Körper, Kult und Politik. Von der ‚Muskelreligion‘ Pierre de Coubertins zur Inszenierung von Macht in den Olympischen Spielen von 1936.

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dieser Zeit bewusst mit dem Körper als Instrument sowie dem Zusammenhang von Körper und Klang auseinander. Während in Schnebels Stücken Prozesse der Klangproduktion untersucht wurden und der Körper Schritt für Schritt als Klangkörper entdeckt wurde, dem psychische Zustände und kommunikative Handlungen entspringen, stellte Moorman ihren nackten Körper zur Disposition: dessen Präsenz alleine im Kontext von Konzerten wurde zum Stein des Anstoßes. Die unmittelbare Konfrontation mit dem „nackten Körper“ – und daran ist hier nur zu erinnern – wurde damals auch in anderen Kontexten regelrecht als „körperlicher Angriff“ gewertet. Theodor W. Adorno beispielsweise erschien es so, als am 22. April 1969 seine Vorlesung gestört wurde: er wurde „auf dem Podium des Hörsaals von drei Studentinnen eingekreist, die Rosen- und Tulpenblätter über ihn ausstreuten und sich schließlich mit entblößten Brüsten und erotischer Pantomimik zu nähern versuchten. Gegen weitere Zudringlichkeiten wehrte sich Adorno, dem der Ausdruck verzweifelter Angst ins Gesicht geschrieben war, mit Hilfe seiner Aktentasche und verließ überstürzt, eben noch Hut und Mantel ergreifend, den Hörsaal.“225 Neben revoltierenden Akten sah Paik in seinen Arbeiten für Moorman zugleich ein Beispiel für die Humanisierung des elektronischen Mediums, doch ihre Auftritte können auch als frühe Performances im Sinne von body art bezeichnet werden.226 Moorman sah sich als perfekt funktionierende Performerin im Sinne der Konzeptionen von Paik, ohne feministische Bedenken. „I think it’s fine to be a sex object, I don’t mind that, but I don’t think Paik thinks of me that way. Paik does think of me as a work of his, he does not think of me as Charlotte Moorman. He considers me as an art work of his, and he can do with me what he pleases, and I’m very honoured about the whole thing.“227 Moormans und Paiks halbnackte und nackte Aufführungen bedeuteten nicht nur Provokationen der konservativ-prüden Öffentlichkeit, nicht nur Verletzungen von Tabus des traditionellen Konzertrituals mit seinen üblicherweise gepanzerten und uniformierten Akteuren, sondern die Evozierung von Gefühlen wie Peinlichkeit und Scham sowie die gezielte Anregung von Fantasien des Publikums, die von der „ernsten“ Musik ablenken konnten. Das Duett spielte mit den Zuschauern und Zuhörern und deren Auffassung von Musik, nahm es auch hin, ganz aus dem Kontext der Musik ausgeschlossen zu werden. Selbst Cage distanzierte sich von Paik (obwohl er zum Teil bei den Aufführungen mitwirkte), zum Beispiel bezogen auf 26’.1.1499’’ for a String Player (1953–55). Dabei benutzte Moorman Paik als „human cello“, und hinzugehörende Geräusche schlossen unter anderem Schläge auf Paiks nackten Oberkörper ein. Die beiden Akteure karikierten die Symbolik des 225 S. Müller-Doohm, Adorno. Eine Biographie, S. 723. 226 Vgl. dazu N. J. Paik, TV-BH für lebende Skulptur, S. 128. TV Bra for Living Sculpture wurde erstmals 1969 in New York präsentiert. 227 E. Decker, Paik Video, S. 146, Fußnote 245, Interview Edith Decker mit Charlotte Moorman, 14. August 1983; vgl. dazu P. Frank, TV-Body: Die Zusammenarbeit von Paik-Moorman (1976). Vgl. etwa Yves Kleins „lebende Pinsel“ und die Körperbehandlung in den Materialaktionen der Wiener Aktionisten, siehe M. Wagner, Das Material der Kunst, S. 270–292. Vgl. auch M. Scheuch, Nackt. Kulturgeschichte eines Tabus im 20. Jahrhundert.

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Cellos und spielten mit der Umkehrung der Geschlechterrollen sowie mit Assoziationen sadomasochistischer sexueller Praktiken.228 Sie spielten vor allem mit dem Publikum und dessen Fantasien, ohne selbst emotionale Regungen zu zeigen (die Aufführung wirkt wie eine sachliche, tätigkeitsfixierte Ausführung einer Aufgabe). Cage kommentierte die Interpretation seines Stücks durch Paik: „Sicher folgt seine Aufführung meiner 26’.1.1499’’ for a String Player mit Charlotte Moorman nicht den Noten. Die Freiheiten, die er sich darin genommen hat, begünstigen eher Aktionen, als daß sie Tonereignisse in der Zeit sind. Ich denke etwa daran, wie Paik mit nacktem Oberkörper ein Cello nachahmt und Charlotte Moorman seinen Rücken mit ihrem Bogen streicht.“229 Vergleichbare Performances in den 1960er Jahren stammen etwa von den Aktionskünstlerinnen Carolee Schneeman, Yoko Ono, Shigeko Kubota oder Eleanor Antin, die den nackten Körper inszenierten und präsentierten oder abbildeten und ausstellten, dabei aber gezielt den weiblichen Körper in Szene setzten und einen feministischen Ansatz ihrer Performances verfolgten.230 Das „Natürliche“ sollte der konventionellen Kunstwelt provozierend und kontrastierend gegenübergestellt werden. Doch im Hintergrund stand die „trügerische Hoffnung auf die (‚Wieder‘-)Gewinnung eines selbstbestimmten, gewissermaßen die Sprache der Natur sprechenden, also kulturell nicht codierten Körpers“, denn die „kulturellen Prägungen des Körpers und seiner Wahrnehmung […] lassen sich weder mit Nacktheit noch mit symbolischen Eigenbestimmungen des Körpers verändern.“231 Erschöpften sich insofern Paiks und Moormans Auftritte in „essentialistischen“ Körperpräsentationen? Sind die Kooperationen der beiden tatsächlich auf die Provokation des bürgerlichen Kunst- und Musikverständnisses zu reduzieren? Moorman hat selbst einen Bezugspunkt zu ihren Performances hergestellt, der noch eine andere Interpretationsebene eröffnet: ihr Hinweis auf das Gemälde Melpomene, Erato, Polyhymnia von Eustache Le Sueur (1617–1655), das die Muse Erato barbusig und Cello spielend darstellt, wirkt beispielsweise wie das Vorbild zu einem lebendigen Tableau.232 Zudem wird die Nutzung Paiks als CelloKörper unwillkürlich die Erinnerung an Man Rays bearbeitete Photographie 228 Vgl. dazu F. Hoffmann, Musikinstrument und Körper; H. F. Abeles u. S. Y. Porter, The SexStereotyping of Musical Instruments. Vgl. auch S. Shaw-Miller, ,Concerts of everyday living‘: Cage, Fluxus and Barthes, interdisciplinarity and inter-media events, insb. S. 19. 229 J. Cage, Zum Werk von Nam June Paik, S. 24. Eine Aufführung des Stücks durch Paik und Moorman fand im Café à Go Go 1965 in New York statt, eine Filmversion von Jud Yalkut stammt von 1973 (42 Min.). Vgl. auch P. Oliveros, Rags and Patches. 230 Vgl. C. Schneemann, More than Meat Joy. Complete Performance Works & Selected Writings; E. Antin, Being Antinova; vgl. auch Anna Halprins Dance Workshops mit nackten Tänzern, in: L. Phillips, The American Century. Art & Culture 1950–2000, S. 89. 231 M. Wagner, Das Material der Kunst, S. 281f., 283. Vgl. dazu auch J. Forte, Focus on the Body: Pain, Praxis, and Pleasure in Feminist Performance, und H. M. Sayre, The Object of Performance, S. 66ff. 232 Vgl. C. Moorman, Eine Künstlerin im Gerichtssaal, S. 51, 55. Vergleichbar beispielsweise mit Carolee Schneeman und Robert Morris’ Performance Site (1965) nach Edouard Manets Olympia (1863), vgl. dazu H. M. Sayre, The Object of Performance, S. 69. Vgl. auch B. Engelbach, Zwischen Body Art und Videokunst, S. 15–20.

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Ingres’ Geige (1924) hervorgerufen haben, auf der ein nackter Frauenrücken als Resonanzkörper dargestellt ist. Insofern wurde auch bei Moorman und Paik nicht nur der nackte Körper per se präsentiert, sondern es ging letztlich auch darum, gewisse Körperbilder aufzurufen, die eine Reflexion auf den Zusammenhang von Musik, Klang und Körper ermöglichten. Wie zuvor angedeutet wurde, steht nun das „Natürliche“ nicht nur der Kultur und Zivilisation bzw. Zivilisierung gegenüber, sondern auch der „künstlichen“ Welt der Technik und Medien. Diese beginnt in dieser Zeit jedoch ihre Stellung als „zweite Natur“ auszudehnen, und so ergeben sich bei Paik und Moorman in den folgenden Jahren ihrer Zusammenarbeit mittels Videoskulpturen und Videokunst zunehmend neue Verbindungen von Körper und Technik. Im TV Cello and Videotape (1971) wird das Cello aus drei Monitoren zusammengesetzt, das Moorman vorzugsweise in der stilvollen Abendrobe einer Solistin spielte. Das audio-visuelle Instrument konnte auf verschiedene Weise die aktuelle Aktivität spiegeln: es konnte mit einer Kamera gekoppelt werden, so dass die drei Monitore jeweils das Spiel Moormans wiedergaben.233 Die Celloklänge und Geräusche des Spiels konnten andererseits an die Bilderzeugung angeschlossen werden und das Bild der Monitore beeinflussen. Mit Hilfe der Medien, insbesondere der Videotechnik, war es demnach möglich, eine tendenziell „essentialistische“ Performance in eine reflexive Distanz zu rücken. Das Vexierspiel der Präsentation und Repräsentation von Körpern im Medium der gleichzeitigen Aufnahme und Wiedergabe trug entscheidend zur Mikroskopierung des Körpers und Intensivierung von „liveness“, aber auch zur Distanzierung und Arbeit mit Bildern von Körpern bei.234 In der analytischen Körperarbeit Schnebels und der Präsentation der Körper bei Paik und Moorman überlagern sich weitere, beinahe gegensätzliche Aspekte. Dem Streben nach „Natürlichkeit“ und „Authentizität“ vor dem Hintergrund einer ganzheitlichen Auffassung von Kunst und Leben steht die Fragmentierung des Körpers und Fetischisierung einzelner Körperteile gegenüber. Die Intention, einen in sich selbst ruhenden, Geist und Körper in Einklang gebrachten Leib zu präsentieren, ist konfrontiert mit der Benutzung des Körpers und seiner Teile als (kompositorisches) Material oder als „formbares“ Kunstobjekt.235 In den folgenden Jahren lässt sich eine Ausdifferenzierung dieser Tendenzen in der neuen Musik verfolgen, die es einerseits mit sich bringt, dass der Körper selbstverständlicher als Klangquelle einbezogen wird – die Lernprozesse gehen zurück –, und die andererseits, in der Ablösung von großangelegten Gesamtkunstwerken, eine Reduktion auf bestimmte Aktionen oder auf die Arbeit mit dem Körper als Instrument bedingt. Bereits Schnebels Körper-Sprache (1979–1980) und sodann seine Laut-Gesten-Laute I (1981–1985) und Zeichen-Sprache = LautGesten-Laute II (1986–1989) bis hin zu den Schaustücken = Laut-Gesten-Laute III (1995–) zeigen eine allmähliche Konzentration auf einzelne Aktionen, die sowohl als „gestische Musik“ ohne Klang als auch in Form von sicht- und hörba233 Vgl. dazu A. v. Graevenitz, Zur Konkurrenz medialer Wirklichkeiten in Performances von Nam June Paik, Joseph Beuys und Aernout Mik. 234 Vgl. Y. Spielmann, Video. Das reflexive Medium. 235 Dieter Mersch sieht darin ein wesentl. Merkmal der Avantgarde, vgl. ders. Körper zeigen.

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ren Einzelstücken konzipiert wurden. Das Poem für 1 Springer (1988–1989) aus Zeichen-Sprache, Nicolaus A. Huber zum 50. Geburtstag gewidmet, besteht beispielsweise in einer sich steigernden Sprung-Sequenz für einen Darsteller (rhythmisch genau in der Notation vorgegeben), in der der „Springer“ verschieden hohe Sprünge ausführt und dabei Laute von sich gibt (hi, h[o], h[u], hei, hu etc.). „1 Person befindet sich in einem eng umgrenzten Feld; und vollführt innerhalb dessen stampfende Sprünge, mit 2 Beinen zugleich, oder 1 beinig, d.h. die Beine sukzessiv in bestimmten Gliederungen abwechselnd, wobei der Körper mitspielt – sozusagen als bewegte Masse, in verschiedenen Haltungen, die variiert werden können; und stößt Schreie aus, bzw. keucht – was zu den Sprungbewegungen mannigfache Kontrapunkte bildet“.236 Der „Springer“ erreicht allmählich eine aufrechte Position. Akustisches und Visuelles – auch wenn man sich das Geschehen nur in die Vorstellung ruft – bilden hier eine unauflösbare Einheit, ganz abgesehen davon, dass das Stück eine kleine psychologische „Szene“ darstellt, denn die Anstrengung des Springens – der Spieler soll stets „aus äußerster Kraft“ und „mit Wut!“ agieren – gipfelt in einer stummen Schlusspose: „Wie zum Sprung ansetzen(,) dabei sich so hoch wie möglich recken und so lange wie möglich oben – auf den Zehenspitzen – verharren“.237 4.2.1.3 Bodypercussion Ergeben sich die Klangereignisse des Körpers bei Schnebel zumeist aus der psychologischen Deutung einer Alltagssituation, die durch die jeweiligen Spieler individuell als konzentrierte szenische Aktion gestaltet wird, so verfolgte Vinko Globokar in seiner Musik den Ansatz, das Verhältnis des Musikers zu seinem Instrument und die Kommunikation unter Musikern, vor allem in der Improvisation, zu thematisieren. Für Globokar, der von seiner persönlichen, praktischen Erfahrung als Posaunist ausgeht, sind die körperlichen und kognitiven Auseinandersetzungen mit dem Instrument und Instrumentalspiel sowie die psychologischen und soziologischen Bedingungen der Musikproduktion in der Gruppe auch die bedeutendsten Inspirationsquellen für szenische Stücke. Darin trifft sich Globokar mit den bereits erwähnten Komponisten, für die das Musikmachen selbst schon mit einer Theateraufführung vergleichbar ist. Neben den Blechblasinstrumenten, die Globokar zufolge eine besondere Nähe zur menschlichen Stimme aufweisen und die durch ihre Tonerzeugung im und mit dem Mund „quasi die Verlängerung des menschlichen Körpers“ darstellen, sind es die Perkussionsinstrumente, die den Musiker und Komponisten intensiv beschäftigten.238 Wie die Posaune, Globokars Instrument, hat sich das Schlagzeug erst im

236 Partitur, Reinschrift, Einleitungstext zu Poem für 1 Springer, S. 27 (Quelle: Sammlung Dieter Schnebel, Paul Sacher Stiftung, Basel). 237 Ebenda und S. 31 (Anweisungen in der Partitur für die Schlusspose). 238 R. Lück, Von der Tuba mirum zur verfremdeten Posaune. Ein Werkstattgespräch mit Vinko Globokar, S. 444, vgl. auch V. Globokar, Antibadabum, S. 114–126.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

20. Jahrhundert als Solo-Instrument entwickelt, dessen Meisterung zur höchsten körperlichen Virtuosität herausfordert. Sie betrifft nicht nur die Ebene des Rhythmischen, sondern vor allem auch die Ausweitung des Instrumentariums und damit die Exploration einer überaus reichen Palette von Klangfarben.239 Globokar hat auf das Schlagzeugspiel Techniken und Prinzipien übertragen, die er auch für Bläser neu eingebracht hat, beispielsweise die phonetische Artikulation von Sprache/Text mit dem Instrument. „Die Einbeziehung der Konsonantenbildung zur Geräuschproduktion erfolgt erstmalig in ‚Accord‘ (1966) [für Sopran und fünf Instrumentalisten] zur Schaffung einer Integrationsebene für die menschliche Stimme und verschiedene Instrumente, und schon in ‚Fluide‘ (1967) für 9 Blechbläser und 3 Schlagzeuger sind diese Artikulationen in das Feld möglicher Klangumwandlungen einbezogen.“240 In Toucher (1973) für einen sprechenden Schlagzeuger – dem Mauricio Kagel gewidmeten Werkstattprojekt Laboratorium (1973–1985) entstammend – werden beispielsweise Auszüge aus der französischen Übersetzung von Bertolt Brechts Leben des Galilei perkussiv vorgetragen.241 Ein weiteres spieltechnisches Arbeitsfeld in Solo- und Ensemblestücken gilt der absichtlichen Durchkreuzung und Vermeidung von gewohnheitsmäßig ausgeführten Bewegungen und Gesten der Klangproduktion. „Jeder Interpret hat seine musikalisch-technischen Gewohnheiten. Er kann beispielsweise mit seinen Händen und Füßen eine wahre Flut von Klängen erzeugen, ohne daß diese sein Gehirn passiert hätten. Solche Mechanismen, solche gestischen Klischees treten vor allem bei jenen Schlagzeugern auf, deren Spiel auf der Virtuosität der Bewegung beruht, auf Geschwindigkeit und Kraft. Es erscheint mir daher notwendig, solche eher nichtssagenden Automatismen zu durchbrechen, ist es mir doch nicht nur ein Anliegen, eine bewußte und nüchterne Interpretation meiner Musik zu erreichen, sondern auch, das von mir Angebotene durch die kreative Mitwirkung des Spielers zu kritisieren oder gar in Frage stellen zu lassen.“242 In Dissociation für zwei Schlagzeuger (ebenfalls Teil von Laboratorium) sollen die Gewohnheiten durch verschiedene Tempi der aktiven Gliedmaßen unterlaufen und routinierte Virtuosität durch „Reflexion und genaue Körperkontrolle“ ersetzt werden. Globokar verfolgte das Ziel, „Schritt für Schritt alle unbewußten Bewegungen zu eliminieren. Es geht darum, eine Körperbeherrschung zu erlangen, die verhindert, daß die Motorik sich verselbständigt und zum Klischee gerinnt.“243 In ?Corporel (1985) für einen Schlagzeuger auf seinem Körper – ein weiterer Teil des Laboratoriums – werden Globokars Intentionen in einem Stück zusammengeführt, bei dem das Hauptgeschehen auf einem nackten, männlichen Oberkörper stattfindet: Musique du corps. Geschrieben wurde es für den Schlagzeuger Gaston Sylvestre. Der Spieler sitzt zu 239 Vgl. Verf., Timekeepers – Sound Artists – Drum Machines. Studies of Notation and Performance in Contemporary Music for Solo Percussionist. 240 W. König, Das Instrument als Sprechwerkzeug bei Vinko Globokar, S. 6; vgl. auch ders., Vinko Globokar. Komposition – Improvisation. 241 Vgl. Partitur von Toucher, aus Laboratorium pour 10 musiciens, Leihmaterial, Edition Peters, Frankfurt a. M. (1985), S. 25–29. 242 V. Globokar, Antibadabum, S. 122f. 243 Ebenda, S. 124.

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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Beginn am Boden des Konzertpodiums, zum Publikum gewendet, „in Leinenhosen gekleidet, Oberkörper frei, barfuß.“244 Es lassen sich am Beispiel von ?Corporel drei Ebenen von Körperlichkeit diskutieren, deren Verflechtung und „Komposition“ vielleicht auch dazu beitrugen, dass Globokar dem Corporel ein Fragezeichen voranstellte. Denn am Beginn und am Ende dieses Stücks steht vermutlich die Frage, wo und was der Körper nun eigentlich ist: ist er ein Medium, der ein inkorporiertes Musikstück re-präsentiert? Präsentiert sich hier der Körper als Klangproduzent selbst? Präsentiert sich der Musiker selbst, oder wird er zum Schauspieler – und unter welchen Bedingungen? Globokar hat diese Fragen in einem Kommentar aufgeworfen, sie jedoch weitgehend unbeantwortet gelassen: „Sitzend, liegend oder stehend, mit Gesten wie Streicheln, Wischen, Kratzen, Schlagen, mit vokalen Äußerungen, die auf dem Atmen oder mehr oder weniger deutlichen Artikulation von Wörtern beruhen, mit einer Rhythmisierung, die bis zur Verrenkung der vier Gliedmaßen reicht, drückt sich der Mensch, der Schlagzeuger ganz in Klang aus, führt, durch die Situation gezwungen, eine Untersuchung seines eigenen Körpers und damit letztlich seiner eigenen Person aus. Ist das Musik, Ist das Theater? In einem solchen Stück wird aus dem Interpreten der Schlagzeuger seines eigenen Körpers. Er synchronisiert seine Bewegungen und seine Stimme, bedient sich seines ganzen Körpers, um die verschiedenen Situationen auszudrücken, denen er ausgesetzt wird, und wird schließlich zum Schauspieler. Seine Aufgabe ist nicht mehr, 15 präzise Anschläge pro Sekunde zu liefern, sondern allein, jeder Bewegung, und erschiene sie anfangs noch so unbedeutend, einen Sinn zu geben“.245

32 Partiturabschnitte sind in 14, durch Pausen getrennte Szenen gegliedert, die als verschiedene „Aktionsfelder“ bezeichnet werden können, die in unterschiedlicher Weise Zusammenhänge ausprägen oder für sich stehen; insofern ergibt sich im Gesamtverlauf ein steter Wechsel von dynamisch und rhythmisch bewegten Sektionen und entspannenden, fast stillgestellten Posen. Die erste Ebene der Körperlichkeit dieses Stücks sei am „phänomenalen“ oder natürlichen Körper als „nackten“ Körper festgemacht. Der Spieler erhält die Anweisung, unterschiedliche Körperbereiche rhythmisch zu beklopfen und mit verschiedenen Bewegungsarten der Hände („frapper“, „glisser“, „frotter“) zum Klingen zu bringen. Klar ist, dass in dieser Hinsicht jeder Körper verschieden klingt, ganz abhängig von der körperlichen Größe, Konstitution, Knochigkeit oder Fleischlichkeit, oder von der Beweglichkeit der Hände. Zudem zeigt sich an diesem Körper deutlich, dass etwas und was mit ihm geschieht: die Haut rötet sich, Schweiß bricht aus, der Atem beschleunigt sich bei Anstrengung, beruhigt sich in langsamen Phasen, Muskeln sind in Bewegung. Diese somatischen Reaktionen werden kaum zu vermeiden sein, sind völlig individuell und vermitteln sich dem Publikum in einer Mischung aus Peinlichkeit, Erotik, Bewunderung der Akrobatik, in einer Mischung von Anziehung und Abstoßung, von Nähe und Distanz. 244 V. Globokar, ?Corporel, Partitur, Edition Peters ED 8673, Frankfurt a. M., New York, London 1989, Aufführungsanweisungen. Vgl. R. Bozi´c, Laboratorium: Die Werkstatt des Komponisten Vinko Globokar. Vgl. auch E.-M. Houben, gelb. Neues Hören, S. 66. 245 V. Globokar, Antibadabum, S. 125. Vgl. auch E.-M. Houben, gelb. Neues Hören, S. 66–71.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Die zweite Ebene eröffnet sich mit der Konzeption des Stücks, den Körper als Instrument zu verwenden. Der Schlagzeuger interpretiert eine Komposition Globokars auf dem eigenen Körper. Dies impliziert zwei Aspekte: Zum einen wird der Körper als bespielbares Klangobjekt und Resonanzraum behandelt, das heißt die „weichen“ Körperteile (wie Wangen, Bauch, Oberschenkel usw.) werden mit der Handfläche geschlagen und die „harten“ Körperteile (wie Schädel, Schlüsselbein, Brustbein, Knie usw.) mit den Fingerspitzen beklopft, um ihr spezifisches Klangverhalten zu nutzen (hinzu kommt die Erfahrung von Dämpfung oder von unterschiedlichen Resonanzräumen). Zum anderen hat der Spieler die Aufgabe, seine Handlungen der Klangproduktion – also seine Schlag-, Reib-, Klopfbewegungen usw. – an die Gegebenheiten seines Körpers als Instrument anzupassen (denn das Instrument ist – wie jedes Instrument – nur bedingt veränderbar, der Körper lässt sich beispielsweise drehen oder biegen, die Länge der Arme und Beine ist aber nicht grundsätzlich veränderbar). Es ergibt sich daraus eine zeitliche und räumliche Vermessung des eigenen „Körperschemas“ im Proben und im Spiel.246 Das Stück beginnt beispielsweise mit Streich- und Abtastbewegungen von Schädel, Gesicht und Nacken. In Abschnitt 10–13 wird der ganze Körper, vom Kopf, Brustkorb, Bauch, Oberschenkel, Schienbein bis zum Fuß rhythmisch bearbeitet und gleitet dabei stufenweise in eine gekrümmte, zusammengekauerte Haltung. Nachdem der Spieler sich wieder aufgerichtet hat, lehnt er sich in umgekehrter Richtung nach und nach zurück und legt sich dann auf den Rücken, begleitet von Körper-Rhythmen „von unten nach oben“. Mit einem „Aufrappeln“ (Abschnitt 22: „mit den Händen und den Füßen auf den Fußboden schlagen“) kommt der Spieler in den Stand und reckt die Arme nach oben (in der Pose eines Gefangenen mit verkreuzten Armen, Abschnitt 25), so dass in der Tat der gesamte Körperraum in horizontaler und vertikaler Ausrichtung berücksichtigt werden muss und bespielt wird. Die zurückzulegenden Wege am Körper beeinflussen auch das zeitliche Geschehen. Globokar hat die Tempi entweder mit Metronomangaben festgelegt (bei den überwiegend rhythmischen Schlag- und Klopfpassagen), graphisch notiert (1 cm = 1 Sekunde) oder in Sekunden angegeben. Die „Aktionszeiten“ des Spielers müssen demnach an die eigenen Körperverhältnisse angepasst werden beziehungsweise die Virtuosität des Instrumentalisten muss sich gemäß der eigenen Körperverhältnisse optimieren. Aus dieser Konstellation ergibt sich eine ununterbrochene Reziprozität zwischen körperlichem Tun und Sein, ein ununterbrochenes, von einer Komposition angeregtes Wechselspiel zwischen körperlichen Aktionen und deren Resultaten als Klang des eigenen Körpers. Vermutlich hat Globokar nicht nur, aber auch aus diesem Grund stimmliche Artikulationen integriert, die das perkussive Körpergeschehen zum Teil gliedern, begleiten, unterstützen oder er-

246 Zur Erläuterung von „Körperschema“ als Wissen um die Räumlichkeit des eigenen Körpers vgl. M. Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, S. 123ff.; vgl. auch M. Zenck, T. Fichte u. K. U. Kirchert, Gestisches Tempo. Die Verkörperung der Zeit in der Musik. Vgl. zum Gesamtkomplex „Körpererfahrung“ J. Bielefeld, Zur Begrifflichkeit und Strukturierung der Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper. Vgl. zu „Körperschema“ auch S. Gallagher, How the Body shapes the Mind.

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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gänzen. In Skizzen zu ?Corporel zeigt es sich, dass ein „dialogue entre les bruits du corps et de la voix – vice versa“ angelegt ist.247 Eine dritte Ebene der Körperlichkeit, die in Globokars Stück zum Tragen kommt, ist die Verschränkung zwischen Aktion und Wahrnehmung der Aktion, zwischen Handeln und Leiden als Teil der szenischen beziehungsweise theatralen Anlage. Die Bewegungen am und mit dem Körper, die Globokar hier „komponiert“ hat, sind keineswegs neutrale Handlungen, sondern sie sind der psycho-sozial codierten Erfahrungswelt (des Komponisten) entnommen beziehungsweise sind in der Ausführung und Rezeption ebenfalls als bedeutungsvolle Aktionen zu interpretieren, insbesondere die hervorgehobenen Gesten und Posen, wie etwa die bereits erwähnte Verschränkung der Arme hinter dem Kopf „wie ein Gefangener“ oder das „hysterisch Haare raufen“ am Ende des Stücks (Abschnitt 27), gefolgt von einem entspannten Ausstrecken der Arme und Gähnen (Abschnitt 29). Diese einzelnen Momente sind Teile eines Gesamtbildes, das zu umschreiben versucht sei. Da verschiedene Grade von „Konkretheit“ oder „Abstraktheit“ der auszuführenden Aktionen einschließlich der stimmlichen Artikulationen vorliegen, soll aber keine einheitliche narrative Deutung des Stücks nahegelegt werden. Wenn am Beginn der Spieler seine Schädel-, Gesicht- und Nackenregion abtastet, so wird dies von der Schließung der Hände vor dem Gesicht gerahmt (Abschnitte 1–4). Wie Vorhänge gehen die beiden Hände auf und zu, um zunächst den Kopf als Aktionsraum freizugeben. Kinder halten die Hände vor den Kopf, wenn sie sich vor Fremden fürchten oder verlegen sind („was ich nicht sehe, das sieht mich nicht“): das Spiel mit dem Öffnen und Schließen der Hände vor dem Kopf führt allmählich zu einer Öffnung der Situation. Der Schlagzeuger gibt schließlich das Gesicht frei, aber unter Zähneklappern (Abschnitt 5). Schritt für Schritt verliert er seine „Angst“, wird lockerer und bewegt sich rhythmisch mit den Händen bis zur Magengrube, bevor er in eine beinahe tänzerische Pose (Abschnitt 9) mit Fingerschnipsen und Händeklatschen übergeht. In einem nächsten größeren Zusammenhang krümmt sich der Körper zusammen und bleibt in dieser Haltung, um eine Melodie anzustimmen (Abschnitt 14). In einem großen Bogen richtet sich der Körper wieder auf und legt sich langsam auf dem Rücken ab. Die Situation scheint sich völlig zu entspannen, der Spieler beginnt zu schnarchen (Abschnitt 20). Beim „Aufwachen“ zappeln alle Glieder, ein lautes „Ah“ ertönt, der Schneidersitz ist wieder erreicht (Abschnitt 23). Nun wird der Körper von zwei Seiten (Schädel und Fußsohle) aus rhythmisch „zusammengesetzt“, um schließlich in die Geste des Gefangenen zu münden. Es folgt eine dramatische Wendung gegen das Publikum. Der Spieler schaukelt seinen Körper, kniet nieder und rezitiert: „Neulich las ich folgende Behauptung: Die Geschichte der Menschheit besteht aus einer langen Aneinanderreihung von Synonymen für denselben Begriff. Es gilt, diese Behauptung zu widerlegen.“248 Verzweifeltes Haare-Raufen mit hysteri247 Skizzen und Vorbereitungsmaterial von Laboratorium in der Sammlung Vinko Globokar, Paul Sacher Stiftung, Basel. Der Dialog differenziert sich den Skizzen zufolge: a) accompagner et synchroniser de la voix; b) ponctuation de l’une par l’autre; c) activité divergente?; d) commentaire; e) complémentarité. 248 Vgl. V. Globokar, ?Corporel, Partitur, Aufführungsanweisungen.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

schen stimmlichen Artikulationen folgt (Abschnitt 27). Doch die Verzweiflungsgeste wird von einem Gähnen abgelöst (Abschnitt 29), mit hochgestreckten Armen – ein Versuch, aus der anstrengenden Rolle des Körperperkussionisten auszusteigen? Dies jedenfalls gelingt dem Spieler nicht, denn vorgegeben sind ihm noch die Schlusstakte, in denen er sich an allen Stellen des Körpers schlagen soll, so, „als schlüge man auf jemanden ein“.249 Der resignierte Schmerzensschrei bleibt infolgedessen nicht aus, und der letzte Schlag in die Herzgrube krümmt den Körper, der in dieser Leidenspose mit aufgerissenen Augen verharrt. Globokar hat die drei genannten Ebenen von Körperlichkeit ineinander verflochten, so dass die „Erzählung“ des Stücks nicht als „Erklärung“ des Stücks dienen kann. Doch es dürfte deutlich geworden sein, dass der Komponist unter anderem die Situation des Schlagzeugers, der dieses Stück aufführt, reflektiert: er schwankt zwischen Anspannung, Angst, Hysterie und Entspannung, Ruhe und Schlaf, zwischen der Situation „Schlagzeug, wie immer“ und „Schlagzeug, das bin ich?“ – zwischen professioneller perkussiver Spiel-Routine, die von der Suche nach klanglichen Resonanzen und den stimmlichen Konterparts durchkreuzt wird, und verzweifelter Suche nach Problemlösungen, die in überlegene Meisterung des eigenen Körpers übergeht. Falls die „Erzählung“ konkreter angelegt sein sollte, zum Beispiel dem Schlagzeuger der Übergang von Schlaf in den Wachzustand als Vorlage diente, dann stehen die einzelnen Handlungen und Posen in diesem situativen Rahmen. Aus dem Perkussionisten wird auch genau in diesem Zusammenhang ein Schauspieler. Die Komposition impliziert dann ein Theaterstück, in dem der Protagonist eine Theaterrolle innehat (ein Mensch, der aufwacht), in der er allerdings seine Erfahrungen als Musiker und als „Alltagsperson“ einzubringen aufgerufen ist. Globokar mag weitere, sehr persönliche Aspekte verarbeitet haben, die jedoch durchaus im Verborgenen bleiben können, weil das Fragezeichen des Körperlichen in der Musik ein ganz eigenes und schweres Gewicht erhalten hat, das die Spieler des Stücks bei einer Einstudierung und Aufführung immer neu auf sich zu nehmen haben. Die Verankerung des Gesamtgeschehens im und am phänomenalen, natürlichen und nackten Körper des Interpreten bedingt die besondere Performativität des Stücks während einer Aufführung, sofern Performativität als Qualität und Ereignishaftigkeit von Performances, von Live-Aufführungen und Ereignissen mit Aufführungscharakter begriffen wird. Performativität schließt demzufolge Wiederholungen oder Iterationen und Differenzerfahrungen ein und ist dann kein Gegenbegriff zu Performance.250 Da der Körper des Interpreten gleichzeitig Instrument ist, steht er immer in seiner Individualität im Zentrum, und zwar nicht nur als Medium der Realisierung und Vermittlung einer Komposition, sondern auch als sicht- und hörbares Material: kein Holz, kein Blech, keine Tasten und Saiten, sondern Fleisch und Knochen. „Dieses Material genügt vollauf, um ein musikalisches und theatralisches Drama entstehen zu lassen, dessen Subjekt und Objekt zugleich 249 Ebenda, Abschnitt 30. 250 Vgl. S. Beck, Vinko Globokar und der performative Körper. Ein Beitrag zur PerformanceForschung, http://aspm.ni.lo-net2.de/samples/Samples3/beck.htm (ges. am 22.05.2009). Vgl. dazu Theorien des Performativen sowie Praktiken des Performativen.

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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der Mensch ist.“251 Von einer „body performance“ unterscheidet sich Globokars Stück in der Hauptsache darin, dass es als musikalische Komposition zu gelten hat, in der Handlungszusammenhänge und Gesten mitkomponiert sind.252 Der Körper steht demnach nicht nur als ausgestellter oder präsentierter und inszenierter Körper im Zentrum der Betrachtung, sondern als klangerzeugendes Instrument, also auch als Medium der Musik. Ein Pendant zu Globokars Stück, aber auch zu Schnebels Umgang mit dem Körper, stellt Robin Hoffmanns An-Sprache (2000) für Bodypercussion solo dar, obwohl der Komponist eigenen Angaben zufolge ?Corporel beim Schreiben seines Stückes nicht kannte.253 Doch der Kontext dieser künstlerischen Arbeit von Hoffmann hat sich im Jahr 2000 gegenüber den 1960er und 1980er Jahren vielfach gewandelt. Während in den Nachkriegsjahren der Protest gegen die traditionellen Institutionen, sozialen Riten und Moralvorstellungen mit einer Geste „zurück zu Natur“ verknüpft wurde, wird der Körper zwanzig Jahre später zum selbstverständlichen Material der Kunst. In Körperperformances ist längst nicht mehr der „natürliche“ Körper Hauptgegenstand, sondern einerseits mediale Bilder des Körpers und dessen Entzug, andererseits künstlerische Reaktionen auf Körpermanipulationen (Schönheitsoperationen, Gentechnik, Biopolitik), die den Körper als beliebig formbar, hybrid transformier- oder erweiterbar oder identisch kopierbar ins Bewusstsein gebracht haben.254 Einer Simulation von Körpern einerseits stehen auf der anderen Seite selbst im Alltagsleben Versuche gegenüber, den Körper durch Piercings und „Modeling“ in Operationen als selbstbestimmt manipulierbares Objekt zu verändern. Hoffmanns Komposition für Bodypercussion ist vor diesem Hintergrund als Versuch anzusehen, die Härten des Körpers auszutesten und zugleich zu eruieren, wie „Körper“ klingt. Dies bezieht sich sowohl auf die Art der Klangproduktion – die in einer Bandbreite von „mit extremster Härte“ bis zu „fast tonlos, nur Geste“ rangiert –, als auch auf die klangliche Erschließung entlegener und zum Teil empfindlicher Körperpartien (zum Beispiel Zähne, Kniescheiben, Ellenbogengelenkknochen, Fußknöchel). Während seiner Arbeit an dem Stück hat Hoffmann sich solche besonderen „Körperklänge“ demonstrieren lassen. „Tatsächlich wusste jeder, dem ich während der Arbeiten an An-Sprache von meinem Vorhaben erzählte, irgendwelche Perkussionseffekte und Schnalzlaute beizusteuern, an die ich noch nicht gedacht oder die ich nicht einmal produzieren konnte.“255 In Hoffmanns 251 V. Globokar, Antibadabum, S. 125. 252 Zur Rolle der „Vermessung“ des Körperschemas in „body performances“ vgl. M. Schneede, Mit Haut und Haaren. Der Körper in der zeitgenössischen Kunst, S. 12–18. 253 An-Sprache wurde am 16. August 2001 in Gelterkinden (Schweiz) durch Christian Dierstein uraufgeführt. Informationen zu Robin Hoffmanns Stück aus der E-Mail-Korrespondenz mit Verf.; hier E-Mail vom 25. Februar 2006. Ich danke Robin Hoffmann für die Übersendung der Partitur und für den informationsreichen Austausch über seine Musik. 254 Vgl. M. Schneede, Mit Haut und Haaren. Der Körper in der zeitgenössischen Kunst, und Soziale Kreaturen. Wie Körper Kunst wird; vgl. auch ReMembering the Body. Körperbilder in Bewegung. 255 R. Hoffmann, Anmerkungen zum Laut denkenden Körper. AN-SPRACHE für body-percussion solo, S. 22.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Stück soll der Körper nicht im Vergleich mit Klängen von Perkussionsinstrumenten präsentiert werden, sondern individuelle und spezifische Körper-Klänge – beispielsweise ein „Zahn-Guiro“, ein „Knochenspiel“ oder „schnippen mit der Hand in die Faust hinein“ im Unterschied zu „schnippen aus der Faust heraus“ – sollen in ihren eigenen Qualitäten erfahrbar gemacht werden. Insofern sind besondere, nur dem Körper eigene klangerzeugende Bewegungen mit Elementen der Schlagzeugtechnik verknüpft. In seiner komplexen Notation des Stücks ging Hoffmann von den Orten der Klangerzeugung im und am Körper aus, sowohl bezogen auf die Stimme als auch bezogen auf sämtliche, zum Klingen zu bringende Körperteile. „Mit der Skalierung der Artikulationsorte werden diese zu einem eigenständigen musikalischen Parameter und damit komponierbar. Die Bewegungen, die durch ihre Verknüpfung entstehen, lassen sich auf den gesamten Körper übertragen. So vergrößert erhalten sie eine visuell erfahrbare Gestalt. An-Sprache ist eine Choreographie mit musikalischen Mitteln, gelenkt durch die Benennung von Produktionsort und -weise der Klänge.“256 Während in Globokars ?Corporel durch die Bewegungen des Körpers, durch die Veränderungen seiner Position und die Bespielung verschiedener Orte des Körpers eine Erfahrung des „Körperschemas“ ermöglicht wird, verfährt Hoffmann umgekehrt. Die vorhandenen räumlichen Verhältnisse des Körpers (zum Beispiel Mund und Rachen) oder vorhandenen Gliederkonstellationen (zum Beispiel Brustkorb und Rücken oder Fußspitze und Fußhacke) werden zu Ausgangspunkten für die Bespielung anderer Körperteile oder für bestimmte Arten von Bewegungsabläufen. So entstehen Korrespondenzen zwischen dem äußeren Körper und Körperinneren beziehungsweise zwischen verschiedenen Orten des Körpers (aufgrund von klanglichen und zum Teil aufgrund von spieltechnischen Ähnlichkeiten). Es seien einige Beispiele angeführt. Den Beginn seines Stücks hat Hoffmann selbst folgendermaßen beschrieben: „Zu Beginn ist noch modellhaft gearbeitet, so dass die Grundstrukturen leicht ersichtlich sind: Bereits die erste Triole (3!) stellt eine Dreiecksbewegung dar zwischen Händeklatschen (flache Hand), mit beiden Händen auf Schenkel, dann Schnippen. Gleichzeitig bilden die Füße ein kleineres Dreieck: zusammenschlagen, dann rechter und schließlich linker Fuß auf Boden. Diese Bewegung wird nach der Fermate (10 sec.) von den Händen imitiert: rechts schnippen, links schnippen, Faust gegen Handballen. Darauf ein Dreieck innerhalb des Mundraumes: vorne Plosivlaut mit den Lippen, Knacklaut am Zäpfchen (hinten), seitliches Schnalzen. Eine übergeordnete Dreiecksbewegung stellen die Tremolo-Passagen dar: Tremolo mit Lippen (oben), mit Fingerknöcheln gegen Kniescheiben (unten), Zungentremolo (wieder oben) und auf Seite 2 schließlich mit Fingern gegen Wangen. Letztere Aktion stellt eine Synthese des Bespielens von Innen- und Außenkörper dar.“257

256 Ebenda, S. 21; vgl. Partitur von An-Sprache, Frankfurt a. M. 2000, S. 1–9 (Zeichenerklärung). 257 R. Hoffmann, Anmerkungen zum Laut denkenden Körper. AN-SPRACHE für body-percussion solo, S. 22.

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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Ein weiteres Beispiel ist das „Knochenspiel“ (Partitur, S. 9–11), in das der Rücken, der Brustkorb, die beiden Ellenbogengelenkknochen, Kniescheiben und Fußknöchel sowie Fußhacke und -spitze einbezogen sind. Das Spiel mit diesen Körperknochen löst eine Passage ab, in der Bewegungen und Laute wie Akkorde gesetzt und durch Pausen separiert sind. Das feine Spiel mit den verschiedenen Knöcheln („immer harte Akzente“) ist demnach kontrastierend gegen große, stillgestellte Ganzkörpergesten gesetzt und wird in seinem Verlauf auch immer wieder von heftigen Schlägen mit dem Handrücken (fff) auf den Rücken durchzogen. Doch im Vordergrund stehen die Verbindungen zwischen den „Spielorten“ Füße, Fußknöchel, Kniescheiben und Ellenbogen, die im Prinzip wie Klangplatten eines Xylophons mit den Fingerknöcheln der linken und rechten Hand angeschlagen werden. Daneben findet mitunter auch ein Wechsel der „Schlägel“ statt: an die Stelle von Fingerknöcheln als „ausführende Körperteile“ treten die Ellenbogen („mit Ellenbogen auf Kniescheibe“, gekennzeichnet durch E). Dies bedingt nicht nur eine Veränderung des Aufeinandertretens von Körperorten (Fingerknöchel auf Knie vs. Ellenbogen auf Knie), die eine geringe Krümmung des Körpers mit sich bringt und insofern von den Füßen aus eine motorische Zwischenstufe „nach oben“ darstellt, sondern auch eine klangliche Variante. In dem Abschnitt des Knochenspiels ist somit eine rhythmisch klar festgelegte, hochvirtuose Körperakrobatik auf kleinstem Raum angelegt, die sich in anderen Abschnitten auf den ganzen Körper einschließlich der stimmlichen Artikulationsorgane oder beispielsweise nur auf die Konsonanten- und Vokalbildungen im Mund und Rachen bezieht. Im zweiten Teil des Stücks nach einer freien, improvisatorischen „Cadenza“ (Partitur, S. 17) überwiegen beispielsweise Reibe-, Streichel- und Wischgeräusche. Sie werden ausgehend von Bewegungen an Ober- und Unterschenkeln, Rücken und Bauch nach oben verlagert und gehen in Reiben von Schultern und Nacken über (die Wisch- und Reiberichtungen sind immer genau notiert). Schließlich werden die Bewegungen auch im Innenraum des Körpers in Klang umgesetzt: an Zähnen reiben („quietschen“, „mit nasser Fingerkuppe“, Partitur S. 18), ein Geräusch, das sehr deutlich und markant zu hören ist. Die „Innengeräusche“ werden anschließend ausgedehnt zu einer Atemstudie (ein- und ausatmen als „Wischgeräusch“ oder „Reibegeräusch“), die verschiedene vokale Färbungen zeigt. Hoffmanns Stück ist keine narrative Struktur unterlegt beziehungsweise aus ihm ist keine „Geschichte“ zu konstruieren, obwohl es Momente gibt, die explizit zeichenhaften Charakter tragen. Rasche rhythmische Aktionen auf Schenkel und mit den Füßen (Partitur, S. 7f.) münden beispielsweise in eine „preußisch-militärische“ Haltung („Hände an Hosennaht“). Kurz darauf tritt aus den Schlägen auf den Brustkorb eine „leise“ Geste („Hand auf Herz“, pp) hervor. Doch dies bleiben die einzigen, nicht ausschließlich durch das Bespielen des Körpers angeregten sichtbaren, szenischen Elemente des Stücks. Im zweiten Teil werden zwar die ausgedehnten stimmlichen Artikulationen und Atemstudien mit einem „Küssen“ in ähnlicher Form abgeschlossen, doch hier ist die Unterscheidung zwischen einer Geste („Kuß“) und einer Aktion aus der Gesamtreihe der „Lippenaktionen“ nicht möglich. Diese Unterscheidung scheint für Hoffmann auch nicht relevant gewesen zu sein, denn für ihn stand eine nüchterne Verwendung von

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

stimmlichen und körperlichen Artikulationen und Bewegungen im Vordergrund, die er als Parameter und damit als Material einer Komposition betrachtete. Die Beispiele von Globokar und Hoffmann regen zu einer weiteren Überlegung an, die den Rezeptionsprozess betrifft. Insbesondere die perkussive Bearbeitung des eigenen Körpers und manche Körper-Klänge wirken unfreiwillig komisch (zum Beispiel Geräusche, bei denen der Spieler die Wangen zwischen Daumen und Zeigefinger nimmt und ein Tremolo spielt). Die objekthafte Behandlung des eigenen Körpers und damit die Versuche, in diesen Werken für Bodypercussion den aktiven vom passiven Körper zu trennen – den bespielten Körper als „anderen“ Körper vor Augen zu führen – bewirkt die Entstehung eines Vexierbildes, bei dem das Publikum zwischen dem Staunen über die Virtuosität des (Interpreten)Körpers und den Überraschungen der „fremden“ kreatürlichen hör- und sichtbaren Folgen dieses Tuns – dem Klang des „anderen“ Körpers – pendelt. Dieser Körper könnte allerdings auch der eigene (eines Zuschauers oder Zuhörers) sein, denn es werden Klänge und Geräusche produziert, die offenbar so oder ähnlich mit jedem Körper erzeugt werden könnten. Doch die Klangwelt entfernt sich zunehmend von der körperlichen „Alltagssprache“ ebenso wie vom kultivierten Gesang. Sie entspricht gerade im zuletzt genannten Beispiel bei Hoffmann auch Comic- oder Phantasiefiguren eines Computerspiels – eine weite Entfernung von den existentiellen Klängen Artauds. Weshalb wirken Passagen der Bodypercussion bei Globokar und Hoffmann komisch? Komik gilt als bipolares Kontextphänomen.258 Immer geht es um die Erfahrung von Kontrasten beziehungsweise Inkongruenzen, die Lächeln oder befreiendes Lachen anregen.259 Der sich selbst perkussiv bespielende Körper scheint prädestiniert dafür zu sein, solche Reaktionen auszulösen, wirkt doch bereits das Dedoublement eines Körpers – man denke beispielsweise an das Bauchreden oder die Körperperformance von Xavier Le Roy – staunenswert und grotesk komisch zugleich, weil aus einem Körper zwei Wesen hervorzugehen scheinen, die sich gegenseitig zu kommentieren in der Lage sind. Im Kontext der Bodypercussion wird zudem überdeutlich, wie ein Schlagzeuger mit seinen Instrumenten umgeht: er schlägt zu, er trommelt auf der Membran, klopft, streicht, reibt, und dies geschieht nun mit einem menschlichen Körper, für den Schlagen, Klopfen, Streicheln, Reiben usw. eigene Bedeutungen haben, im Regelfall auch abhängig von zwischenmenschlichen Erfahrungen und Beziehungen. Nicht zuletzt wird das Verhältnis zum Instrument mit dem Verhältnis zum eigenen Körper verquickt (sowohl aus Sicht des Instrumentalisten als auch aus der Perspektive des Publikums). Doch der Bodypercussionist wird auch zu einem sehr „fremden Wesen“, zu dem der Betrachter große Distanz entwickeln kann. „Der Lachende darf kein Mitleid und keine Sympathie für sein Opfer entwickeln, will er die für die Rezeption des Komischen notwendige emotionale Distanz wahren.“260 Es scheint ferner „das plötzliche Nicht-Fertigwerden mit einer Situation, der plötzliche Konflikt, der zen258 Vgl. dazu S. Schäfer, Komik in Kultur und Kontext, S. 56ff. Vgl. auch Der komische Körper. 259 Vgl. dazu S. Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. 260 S. Schäfer, Komik in Kultur und Kontext, S. 68.

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trale Grund für das Lachen“ zu sein.261 Dies wird bei der Bodypercussion insbesondere dann wirksam, wenn bestimmte Handlungen als Teil „außermusikalischer“ Situationen aufscheinen beziehungsweise interpretierbar sind: beispielsweise wenn das perkussive Spiel in das Spiel einer (Selbst)Bestrafung „umkippt“ oder plötzlich an eine Comicfigur erinnert. Das Sehen von Körpern bei einer Aufführung ist mit einer Spiegelsituation verglichen worden, bei dem das Eigene als Gesehenes bewusst wird oder bei dem sich das Eigene am Spiegelbild misst, und in der zugleich, in einem weiteren Schritt, die kulturelle Determinierung dessen, was man sieht, deutlich wird.262 Gelten diese Mechanismen auch für das Hören beziehungsweise für Körper-Klänge einschließlich der Stimme? Als Pendant zur Vorstellung eines Spiegels im visuellen Bereich können für die Modalität des Hörens das Echo und die Resonanz angeführt werden.263 Beide Begriffe aus der Akustik übersteigen allerdings das Bild des Spiegels. Ein Echo reflektiert zwar das eigene Rufen, doch der Schall, der zurückkommt, wird durch den Raum und die Zeit, die er passiert, verändert. Das Echo lässt insofern den Kontext erahnen, aus dem es hervorgegangen ist. Die Resonanz weist auf intersubjektive Bezüge hin, die nicht einfach vorhanden sind, sondern die geschaffen werden, die Aktivität benötigen (und nicht generell vorausgesetzt werden können). Ein Resonanzphänomen ist keine passive Spiegelung. Es sei versucht, über die Vorstellung der Rezeption als Echo und Resonanz die Wirkungen der Stücke von Globokar und Hoffmann nochmals anders zu beleuchten – das Hören soll damit besonders angesprochen werden, ohne das Sehen der Szenen zu vernachlässigen oder zurückzustellen. Es wird in beiden Fällen mit Körperklängen gearbeitet, die zum großen Teil einem alltäglichen Umgang mit dem Körper abgelauscht sind. In Globokars Stück betrifft dies vor allem alltägliche menschliche Verrichtungen; in Hoffmanns Stück sind auch Körperklänge integriert, die erst in den letzten Jahrzehnten den Alltag erreicht haben, beispielsweise Körperklänge medialer Figuren und klingende Körpergesten der Jugend- oder Rapkultur, in die die Klänge aus den Medien zum Teil Eingang gefunden haben. Im Kontext der Kompositionen von Globokar und Hoffmann ist demnach ein Echo dieser Welt des Alltags zu hören (und zu sehen), das für ein Konzertpodium eingerichtet wurde. Es reibt sich – ohne Forcierung – an und mit den Erwartungshaltungen im Konzert und am traditionellen Musikbegriff. Als Zuhörer/Zuschauer erkennt man diese Echowirkungen, das heißt die Reaktionen darauf sind ebenfalls ein Echo aus dem eigenen, individuellen Erlebnisraum – im Konzertsaal konnte ich Nachahmungen ausmachen, die nur auf Grund der Einhaltung der Rolle des Publikums beschränkt blieben auf einzelne Äußerungen. Ganz ähnlich wirken lautpoetische Konzerte, bei denen imitatorische Versuche des Publikums ebenfalls nicht selten sind. In diesen Momenten scheint die Aktivität des Körpers und mit ihm die Klanglichkeit der Aktionen – in diesem Fall die Klanglichkeit eines Kör261 Ebenda, S. 73, vgl. auch H. Plessner, Lachen und Weinen. 262 Vgl. dazu M. Bleeker, Disorders That Consciousness Can Produce. Bodies Seeing Bodies on Stage. 263 Vgl. H. de la Motte-Haber, Musik und Natur. Naturanschauungen und musikalische Poetik, S. 51–78; B. Waldenfels, Stimme und Echo, Blick und Spiegel.

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pers – dazu anzuregen, als Zuschauer/Zuhörer selbst aktiv zu werden, um diese Klanglichkeit am eigenen Leib zu erfahren (und sei sie auch noch so unvollkommen im Vergleich mit dem Geschehen auf dem Podium). Es findet eine Affektion statt, die Imitation als Aktivität einschließt. 4.2.1.4 Risiko Ein weiterer Aspekt von „Körperarbeit“ sei angesprochen, den man in den letzten Jahren eher im Bereich des Sports diskutiert.264 Es handelt sich um Konzertprojekte, in denen die Musiker Wagnissen ausgesetzt werden, um „andere“ Klang- und Erfahrungsbereiche von Körpern zu erreichen. Das Künstlerduo Johannes Brunner und Raimund Ritz hat sich in mehreren Werken diesem Bereich gewidmet.265 In Triptychon (1991) etwa werden drei Sänger (zwei Baritone, ein Tenor) von einem „Schläger“ dirigiert, der mit rhythmischen Fausthieben ihre Brustkörbe bearbeitet. Der Perkussionist entlockt den Sängerkörpern Töne und Laute oder bringt sie zum Verstummen – es braucht längere Übung, so berichtet Raimund Ritz im Gespräch, bis man bereit ist, einen Sänger so zu behandeln. „Drei Sänger stehen mit entblößtem Oberkörper innerhalb einer Gerüstkonstruktion, ihre Hände greifen eine Querstange über Kopf, um so die Oberkörper, die im Lichtkegel wie Torsi erscheinen, deutlich hervorzuheben. Ein Faustschlag auf die Brust löst die ersten Töne aus, weitere Faustschläge erzeugen Gesänge, die teilweise an die Klangwelt gregorianischer Choräle erinnern, teilweise aber auch wirken wie ein Attentat darauf, so z.B. wenn der Gesang plötzlich durch einen Faustschlag verstummt. Das Bild der Person, die auf die Sänger einschlägt, ist ein Angriff auf das Bild des Sängers als Idealverkörperung von Musik.“266 Der Eindruck von gesungenen Chorälen beruht darauf, dass die Sänger entweder fließend ineinander übergehende Vokale in Ganztonschritten oder Silben auf einem Ton in sehr ruhigem Tempo vortragen. Der „Schläger“ setzt die Sänger jeweils in Gang, moduliert ihren Vortrag oder unterbricht ihn. Er gestaltet mitunter auch einen einzigen Ton durch verschiedene Tempi seiner Tremoli mit den Fäusten. „Brunner/Ritz benutzen die Körper wie Instrumente, sie attackieren sie, um ungewohnte Töne damit zu erwirken, diese Handlung an sich verletzt unsere Vorstellung vom Sänger als Inbegriff autonomer musikalischer Kunstform. In der Arbeit ‚Triptychon‘ werden Klänge und Bilder erzeugt, die auf eindrucksvolle Weise eine Komplexität räumlicher und ikonographischer Zusammenhänge hervorruft.“267 Mit den Stücken acqua in bocca und vom nassen tod (beide von 1993) haben Brunner/Ritz die Gefahr des Wassers und den Ertrinkungstod musikalisch-szenisch 264 Vgl. Aufs Spiel gesetzte Körper. Aufführungen des Sozialen in Sport und populärer Kultur; vgl. auch D. Le Breton, Lust am Risiko, sowie W. Bonß, Vom Risiko. Unsicherheit und Ungewissheit in der Moderne. 265 Vgl. www.brunner-ritz.de (ges. 30.12.2012). 266 Brunner/Ritz 1991–1992, S. 5, vgl. Partiturausschnitt S. 32f. 267 Ebenda. Vgl. auch Verf., Musik als plastische Aktion – Zur kompositorischen Symbiose von Brunner/Ritz.

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thematisiert. In acqua in bocca werden zwei Sängern (Bass und Tenor oder Bariton) Glashelme übergestülpt, in die von oben Wasser eingeleitet wird. „Nach Erreichen eines kritischen Punktes läuft das Wasser wieder ab, die Sänger singen weiter.“268 Wovon singen die in den Helmen steckenden Sänger? Von hundert langen, schlaflosen Nächten, in denen Verzweiflung und Ergebenheit sich die Waage halten – „solange ihr meine Stimme hört, kann ich die Hoffnung nicht entbehren“269, eine Textcollage aus Aussagen Todkranker. Brunner/Ritz kommentieren: „Ich möchte aber nicht, daß der Betrachter über die Technik staunt, sondern über Inhalte [Brunner] [...] Faszination kommt immer über den Inhalt und nicht durch die Anzahl der Beamer oder Kabel [Ritz].“270 Musikalisch reicht hier ein schlichter zweistimmiger Satz mit Wiederholungen – Opernarien hätten vermutlich lebensgefährlich werden können. In acqua in bocca als Installation (1995) wurden die beiden Sängerköpfe in den Glashelmen isoliert und die Zu- und Abnahme des Wassers über hochkant auf Sockel gestellt Monitore gezeigt. Obwohl hier der LiveAspekt auf die aktuelle Präsenz des Zuschauers verlagert wurde und die Situation der Sänger nur vermittelt erlebbar wird, können die medialen Bilder und Klänge als Stellvertreter der „echten“ Körper und live produzierten Klänge fungieren. Der Zuhörer und Zuschauer wird mit den Details der Abläufe konfrontiert, mit dem Gesichtsausdruck der Sänger, mit den Veränderungen ihrer Stimme, mit der durch das Wasser ausgelösten Reflexe, mit den Veränderungen der Sicht auf die Köpfe in leeren oder wassergefüllten Helmen. In Triptychon II (1992) entsteht als Installation ein ähnlicher Effekt. Über drei Monitore, die in einem Baugerüst hängen, werden die Aktionen auf den Sängertorsi wiedergegeben. Dabei entsteht aus dem Körperkonzert das skulptural inszenierte Bild von akustisch-perkussiv begleiteten Röntgenaufnahmen. Einerseits bieten demnach die Videobilder in den Installationen eine Reflexion der LiveAufführungen, andererseits ergeben sich aber auch völlig neue Live-Erlebnisse in der Rezeption der Installationen. Die Videoinstallation bietet beispielsweise in kurzen Abständen Wiederholungen an, die bei einem Live-Konzert nicht möglich sind. Es wird eine Distanz zum Konzert geschaffen, aber die Bilder der Installationen schaffen eine Nähe aus anderen Blickwinkeln beziehungsweise mit anderen Vorzeichen. Ein weiteres Stück handelt von den Gefahren des Wassers. Palestrinas Stabat Mater stellt die musikalische Grundlage des Projekts vom nassen tod (1993) dar, eine Komposition für vier Sänger (Sopran, Alt, Tenor, Bass) und einen schwimmenden Chor.271 Hier wird über verschiedene Arten des Ertrinkungstodes in einer von Raimund Ritz hergestellten Collage aus Kirchenmusik zu medizinischen 268 H.W. & J. Hector-Kunstpreis der Kunsthalle Mannheim 1997, S. 29 (mit Abbildungen). In den Partituranweisungen heißt es: a) „beide Stimmen sind unabhängig vom Tempo zu singen“; b) „die Schlußtöne jeder Strophe sollen gemeinsam erklingen“; c) „ab der zweiten Strophe steigt ein Wasserspiegel, der bis zum Ende des Stückes die Münder der beiden Sänger erreicht haben muß“. 269 Ebenda, S. 28 (mit Notenbeispiel). 270 Ebenda. 271 Uraufführung am 16. April 1994 im Münchner Nordbad.

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Berichten gesungen, wobei sich die Sänger in einer Schwimmhalle über Wasser halten müssen. Die Bewegungen des schwimmenden Chors sind exakt vorgegeben, die Stimmen folgen einem dramaturgischen Aufbau, der sich an den Textinhalten orientiert. Durch Ortsveränderungen der Sänger wird die Ordnung des Chors allmählich aufgebrochen, wodurch neue Raumklangeffekte entstehen. Zum Abschluss findet der Chor in seine Ausgangsformation zurück. Singen und schwimmen, die Produktion einer fließenden, sakral anmutenden Musik, von der man – wie in der Kirche – eingehüllt, emporgehoben und getragen wird, aber auch darin versinken kann, ist ganz so harmlos nicht mehr. Die Sänger dürfen sich nicht verschlucken, nicht aufhören, sich zu bewegen, um der Gefahr zu entgehen, die sie in ihrem Refrain beschreiben: „Der Ertrinkungstod im engeren Sinne ist im wesentlichen ein Erstickungstod, bei dem ein flüssiges Medium die Luftzufuhr durch die Atemwege verhindert.“272 4.2.2 Instrumente: Klangkörper zwischen Experiment und Transformation „Plötzlich, eines Tages, schien es mir klar geworden: daß die Entfaltung der Tonkunst an unseren Musikinstrumenten scheitert. [...] Die Instrumente sind an ihren Umfang, ihre Klangart und ihre Ausführungsmöglichkeiten festgekettet, und ihre hundert Ketten müssen den Schaffenwollenden mitfesseln. Vergeblich wird jeder freie Flugversuch des Komponisten sein; in den allerneuesten Partituren und noch in solchen der nächsten Zukunft werden wir immer wieder auf die Eigentümlichkeiten der Klarinetten, Posaunen und Geigen stoßen, die eben nicht anders sich gebärden können, als es in ihrer Beschränkung liegt; dazu gesellt sich die Manieriertheit der Instrumentalisten in der Behandlung ihres Instrumentes; der vibrierende Überschwang des Violoncells, der zögernde Ansatz des Hornes, die befangene Kurzatmigkeit der Oboe, die prahlhafte Geläufigkeit der Klarinette; derart, daß in einem neuen und selbständigeren Werke notgedrungen immer wieder dasselbe Klangbild sich zusammenformt und daß der unabhängigste Komponist in all dieses Unabänderliche hinein- und hinabgezogen wird.“273

Busonis Ruf nach neuen Instrumenten und neuen Behandlungen der Instrumente, damit auch neuen Klanggebärden, ist im 20. Jahrhundert nicht verhallt. Im Gegenteil: neben der Entwicklung elektroakustischer Medien, die bereits Busoni verheißungsvoll erschienen, sind im Kontext der neuen Musik viele innovative Impulse an einen grundsätzlich experimentellen Umgang mit Musikinstrumenten bis hin zur Erfindung und Konstruktion neuer Instrumente gebunden. Der Innovationsdrang mag nachgelassen und die Innovationsschübe mögen ihren spektakulären Charakter verloren haben, doch die von Instrumentalisten und/oder Komponisten ausgehende Suche nach neuen Klangdimensionen unter Einbeziehung instrumental- und spieltechnischer Änderungen oder Erweiterungen ist nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Komponente zeitgenössischer Musik. Sie ist sicherlich nicht mehr als Faktor (beinahe als Imperativ) einer künstlerischen 272 Vgl. Brunner/Ritz, vom nassen tod, Kommentar zur CD (1996). 273 F. Busoni, Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, S. 33.

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„Bewegung“, etwa der „Avantgarde“ oder der „experimentellen Musik“, zu werten, sie ist tendenziell persönlicher, individuell geworden.274 Gerade dies bewirkt aber inzwischen ihre große Bedeutung als selbstverständliches musikalisches Arbeitsfeld in verschiedensten künstlerischen Kontexten. Während Busoni Möglichkeiten interessierten, mittels neuer Instrumente die konventionelle temperierte Skala in mikrotonale Bereiche der Oktave zu öffnen, legten andere Komponisten unter anderen ästhetischen Vorzeichen den Schwerpunkt auf die Ausweitung des musikalischen „Klangmaterials“, etwa die Futuristen in ihrer Propagierung von Geräuschkompositionen. Beethoven und Wagner sei man überdrüssig geworden, hatte der Maler Luigi Russolo – der wichtigste Vertreter einer Geräuschmusik der Futuristen in seinem Manifest L’Arte dei rumori von 1913 (erweitert in Buchform 1916) erklärt.275 Das „Miauen einer Violine“ schien ihm künstlich und langweilig, die Musik in den Konzertssälen „blutleer“, die Zuhörerschaft snobistisch und trainiert in Ekstase entrückt. Dagegen wurde die „Realität“ der Geräusche beschworen, die den Menschen neu und unmittelbar – vitalistisch – ins Leben zurückrufe. Das Feld der Maschinengeräusche – das Brummen eines Elektromotors, das Kreischen einer Säge, das Klacken und Knacksen von Getrieben, die gleichmäßigen Geräusche von Druckerpressen oder einer fahrenden Lokomotive, die Salven von Geschossen – all dies hielt Russolo für lebendiger, weil sich darin eine außerordentliche rhythmische und klangfarbliche Vielfalt zeige, die der bisherigen „Tonkunst“ mindestens ebenbürtig, wenn nicht überlegen sei.276 Mit seinen Intonarumori stellte Luigi Russolo ab 1913 geräuscherzeugende Instrumente beziehungsweise klanggenerierende Maschinen her, die spezifische Geräusche bereitstellten.277„Maschinenmusik machte es zum ersten Mal möglich, sich eine Kunst vorzustellen, die ohne menschliche Urheber auskommt.“278 Dieser Tendenz, die sich in der elektroakustischen und elektronischen Musik sowie Computermusik fortsetzte, steht im 20. Jahrhundert, verstärkt seit Mitte des 20. Jahrhunderts, eine intensive experimentelle und erweiternde Beschäftigung mit den akustischen Instrumenten gegenüber. 4.2.2.1 Klangexpeditionen mit akustischen Instrumenten In einem studentischen Seminar über Instrumente und Instrumentation in der zeitgenössischen Musik im Sommersemester 2003 wurde das präparierte Klavier John Cages besprochen. Einige Studenten konnten es nicht fassen. Schrauben und Nägel zwischen die Saiten zu klemmen oder Gummikeile und Wäscheklammern dazwischenzuschieben: das geht doch nicht, man könnte das Instrument beschädigen, sein Innenraum war immer Tabu. Ein zweites Beispiel für den experimentellen Umgang mit Instrumenten und dessen Problematik sei angeführt. Die in Berlin le274 275 276 277 278

Vgl. N. Gligo, Die musikalische Avantgarde als ahistorische Utopie. Vgl. Luigi Russolo. Die Kunst der Geräusche, S. 8. Vgl. ebenda, S. 27ff. Vgl. dazu W. Lamprecht, kroook – kraaak. Tönende Manifeste. D. Diederichsen, Unheimlichkeit, Pulse, Subjektlosigkeit, Befreiung, S. 65.

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bende brasilianische Gitarristin und Komponistin Silvia Ocougne hatte, mit dem Vorbild Baden Powell als Ausgangspunkt, professionelle Virtuosität erreicht und auf dem Gebiet der „alten Musik“ regelrecht eine Einladung dazu erhalten, Traditionen des Instruments zu sprengen. Doch dass man Instrumente experimentell bearbeiten und eigene, unkonventionelle Klangexpeditionen unternehmen kann, wurde für die Musikerin erst in Boston selbstverständlich. Dort beendete sie am New England Conservatory Mitte der 1980er Jahre ihr Studium nach der Ausbildung in São Paulo. 1987 kam sie nach Berlin, wo sie ihre experimentelle Klangforschung weiterentwickeln konnte.279 Ähnlich erging es, um ein drittes Beispiel anzuführen, dem 1977 geborenen türkischen Virtuosen auf der baglama (saz), Taner Akyol.280 Er kam 1996 nach Berlin, um ein Kompositionsstudium aufzunehmen. Zu seiner großen Verwunderung stellte er fest, dass er unter anderem unorthodoxe spieltechnische Veränderungs- und Erweiterungsmöglichkeiten seines Instruments auszutesten hatte und dies auch ohne Restriktionen tun konnte, um sich in die Neue-Musik-Szene einzubringen. Die drei Beispiele mögen demonstrieren, dass der Umgang mit Musikinstrumenten – ebenso wie mit der Stimme beziehungsweise mit dem klangproduzierenden Körper – lange Zeit strikten kulturellen Determinationen unterlag und teilweise noch heute unterliegt. Obwohl die Ausweitung von Klangerfahrungen durch die Erweiterung einer Instrumentenfamilie beziehungsweise durch den Umbau oder Neubau von Instrumenten keine Erscheinung des 20. Jahrhunderts ist, sondern elementar zu den Entwicklungen einer Musikkultur gehört, werden Präparationen oder Veränderungen und Bearbeitungen von Instrumenten häufig noch immer als „gefährliche“ oder „musikfremde Experimente“ eingestuft. Dies ist nicht nur ein Anzeichen dafür, dass die traditionellen Einschränkungen und Werturteile im Musikleben (verschiedener Kulturen) noch greifen, sondern auch dafür, dass es in der allgemeinen Kulturöffentlichkeit kaum eine konstruktive Auseinandersetzung über die Gründe von instrumentalen Veränderungen und Bearbeitungen gibt. Weshalb also behandeln Musiker ihre Instrumente „ganz anders“ und sogar so, dass man um ihre musikalische Nutzbarkeit fürchtet? Ist diese musikalische Spielart nur eine randständige Erscheinung der „Western Art Music“ des 20. Jahrhunderts? Für viele Komponisten und Musiker geht es bei der experimentellen Arbeit mit ihren Instrumenten hauptsächlich um die Auslotung und Erforschung sowie Verfeinerung von Klangdimensionen einschließlich Geräuschen und Rauschen, also um die „spielerische“ Entwicklung neuer klangästhetischer Perspektiven.281 Insofern steht der Begriff des Experimentellen bis heute oft für Innovation, obwohl 279 Vgl. die CDs Ping Pong Anthropology. The 13th Tribe, c & p 1992 Review Records, rere 174cd; the perfect record for the armchair traveller, 2001 Review Records, rere 175. 280 Vgl. www.tanerakyol.com (30.12.2012). 281 Vgl. H.-K. Metzger, Zum Begriff des Experimentellen in der Musik. Der experimentelle Umgang mit Instrumenten wird bei Metzger etwas pejorativ dargestellt, als ginge es immer nur um das Ungewohnte und Neue. Er stellt Cages Begriff des Experimentellen heraus, weil dieser „experimentelle Musik“ produziert habe (und nicht Experimente, die in eine nichtexperimentelle Musik münden).

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er nicht darauf reduziert werden kann. Sobald Instrumente präpariert, in Größe oder Form verändert oder durch elektroakustische Mittel erweitert werden und innovative Spieltechniken hinzutreten, resultieren daraus neue oder veränderte Klänge.282 Gleichzeitig bieten die Instrumente und das Instrumentalspiel dann auch einen neuen visuellen Eindruck, der allerdings häufig unterschätzt beziehungsweise in Betrachtungen nicht einbezogen wird. Hierzu sei ein Beispiel angeführt: Der seit Ende der 1990er Jahre in Berlin lebende Tubaspieler und Komponist Robin Hayward produziert auf seinem Instrument Klänge, die mit der traditionellen Klangästhetik der Tuba als Orchesterinstrument nichts mehr gemeinsam haben. Gerade weil das Instrument üblicherweise nur auf den eindrucksvollen, mächtigen Blechbläserklang im Bass des großen Orchesters reduziert wird – und der Bau des Instruments genau auf diese Funktion ausgelegt und perfektioniert wurde –, konzentriert sich Hayward auf die Suche nach völlig anderen Klangregionen. Nach einer intensiven experimentellen Beschäftigung mit der Mechanik des Instruments hat er beispielsweise sehr hohe und leise Töne entdeckt. Um sie vor Publikum zu spielen, bringt er die Tuba in eine ungewöhnliche Stellung. „Many of the sounds I’ve discovered have a fairly restricted dynamic range – if I blow harder they do not necessarily get louder, but may simply disappear. For this reason, I changed my normal playing position. [...] For the sounds I was developing, it seemed more appropriate to point the bell directly at the audience, in order to make the details of the sounds more audible.“283 Diese Änderung der Haltung des Instruments führte einerseits dazu, dass weitere ungewöhnliche Klänge entstanden: „water settled within the now horizontally-lying valve casing, which interfered with the air as it flowed through the decreased aperture, producing irregular high-frequency sounds reminiscent of a short-wave radio.“284 Andererseits verdeckt der große Schalltrichter des Instruments beinahe den ganzen Oberkörper des Spielers, so dass eine Klangskulptur entsteht, hinter der der Musiker verschwindet: „I became virtually invisible during the performance.“285 Ein weiterer Grund für Experimente mit Instrumenten und für die ungewöhnliche Ausweitung des musikalischen Instrumentariums bis hin zu Industriewerkzeugen oder Maschinen bildet die kritische Haltung gegenüber der eigenen Ausbildung und die Intention, gewohnte Praktiken zu überwinden.286 Damit verbindet sich oft ein Kampf gegen jegliche künstlerisch-kreative Einschränkung und gegen bürgerliche Konventionen, der direkt oder indirekt mit politischen Stellung282 Experimentelle Verfahren im Kunstbereich sind folgendermaßen bestimmt worden: Konstruktion, Expansion, Reduktion, Destruktion. Sie treffen in etwa auch für den experimentellen Umgang mit Instrumenten zu. Vgl. S. J. Schmidt, Was heißt ‚Experiment in der Kunst‘/‚Kunst als Experiment‘, S. 11. 283 Robin Hayward: Redefining an Instrument, Interview by Chiyoko Szlavnics, S. 33. 284 Ebenda. 285 R. Hayward, ebenda. Zur Biographie Haywards siehe www.robinhayward.de (ges. 30.12.2012). 286 Dies trifft sich etwa mit folgenden beiden Einstellungen, die eine positive Haltung zu Kunst als Experiment charakterisieren: „– es gibt keinen normativen oder per Konsens verbindlichen Kanon von Kunstformen und Kunstinhalten; – es gibt keine normative oder per Konsens verbindliche Funktionsbestimmung von Kunst in der Gesellschaft“, vgl. S. J. Schmidt, Was heißt ‚Experiment in der Kunst‘/‚Kunst als Experiment‘, S. 10.

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nahmen oder agitatorischen Gesten in einer „engagierten“ oder auch „revoltierenden Musik“ verknüpft sein kann. „Gleichsam von ihrem ursprünglichen Zweck getrennt, sind die musikalischen Mittel frei geworden und können für außermusikalische Ziele benutzt werden. Die Absicht, verändernd in die Lebens-praxis einzugreifen und mit Musik politische oder soziale Wirkung zu erzielen, kann als ein Substitut für den Werkbegriff verstanden werden, das es wieder ermöglicht, die musikalischen Mittel an einem Zweck auszurichten.“287 Damit geht – abgesehen von Vokalmusik mit entsprechenden Botschaften – nicht selten ein impulsiver bis fast ekstatischer körperlicher Einsatz und Ausdruck von Musikern auf dem Konzertpodium einher, durchaus vergleichbar mit Nam June Paiks destruktiver „action music“ oder intensiven improvisatorischen Spielverläufen im Free Jazz oder Rock. Die Übergänge zu intuitivem und meditativem Spiel sind fließend, wobei hier das gesellschaftskritische Moment eher auf einer besonderen Lebenshaltung und der Suche nach neuen spirituellen Erfahrungen beruht. In diesem Zusammenhang tritt häufig die zurückgenommene, kontemplative Konzen-tration auf Klang und Klangverläufe (einschließlich Stille) in den Vordergrund. Ein dritter Aspekt lässt sich anschließen: Gerade in der intuitiven oder meditativen Musik werden neue oder außergewöhnliche Klangerfahrungen mittels veränderten oder erweiterten Instrumenten auch mit der Erprobung von „anderen“ sozialen und musikalischen Interaktionsformen verknüpft. Dazu gehört beispielsweise die Anlage eines Aufführungsprozesses als Spiel ebenso wie die Vorbereitung und der Vollzug eines Konzerts als ungewöhnliches Ritual. Dabei sind die Spieler unter Umständen sogar dazu aufgefordert, Instrumente selbst zu bauen oder zu finden (es werden zum Beispiel einfache Naturgegenstände wie Äste oder Steine als Instrumente genutzt). Auch das Publikum kann in solchen Kontexten zum Instrument werden, wie später noch zu zeigen sein wird. Ein weiterer Gesichtspunkt, der häufig übersehen oder übergangen wird, wenn ungewöhnliche instrumentale Spielweisen thematisiert werden, ist die Freude am Ausprobieren sowie ein eigentümlicher Humor oder Witz, der sich – eher zufällig – aus unkonventionellen, spielerischen Behandlungen des Instruments oder Körpers ergibt. Musiker und Musikerinnen entwickeln insbesondere im selbstreflexiven experimentellen und/oder improvisatorischen Spiel mit den eigenen Kompetenzen und instrumentalen Möglichkeiten auch eine besondere Art, zu sich selbst humorvoll Distanz einzunehmen. Es würde einer eigenen Studie bedürfen, diesem Phänomen nachzugehen, das in der „ernsten“ neuen Musik nur verhalten zutage tritt (vgl. die Diskussion im Zusammenhang mit body percussion am Schluss des vorangehenden Kapitels).288 Der Terminus „experimentell“ sei im vorliegenden Kontext auf die Art und Weise des Umgangs mit den Instrumenten bezogen, nicht auf eine genrehafte Abgrenzung oder Definition von „experimenteller Musik“.289 Das heißt allerdings 287 H.-Chr. Müller, Zur Theorie und Praxis indeterminierter Musik, S. 60f.; vgl. auch L. Landy, What’s the Matter with Today’s Experimental Music? 288 Vgl. dazu auch L.-J. Lister, Humor as a Concept in Music. 289 Vgl. H.-Chr. Müller, Zur Theorie und Praxis indeterminierter Musik.

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nicht, Cage and Beyond als Zentren des „experimentellen“ Umgangs mit Instrumenten und Ausgangspunkt für konzeptuelle Entwürfe „experimenteller Musik“ zu vernachlässigen, sondern eine Einschränkung auf bestimmte Komponisten zu vermeiden.290 Wichtiger erscheint mir die Betonung des „Experimentellen“ als eine bestimmte Art, mit Instrumenten oder mit der Stimme zu arbeiten. Dazu zählt beispielsweise das nicht von schriftlichen Anweisungen ausgehende, sondern empirische Erproben von instrumental- und spieltechnischen Möglichkeiten, das Ausprobieren verschiedener Arten Klänge zu erzeugen, indem das Instrument beispielsweise Stück für Stück auseinandergenommen wird und die Einzelteile spielerisch erkundet werden. Dazu zählt auch, das Instrument in diesen Phasen des Ausprobierens mit anderen Instrumenten zu kombinieren oder verschiedene Zusätze und Gegenstände zur Klangerzeugung zu benutzen. Der Begriff des „Experimentellen“ bezieht sich also in diesem Kontext nicht auf den neuzeitlichen Experimentbegriff als geplante wissenschaftliche Versuchsanordnung, sondern eher auf die allgemeine Auffassung von „experimentell“ als empirisch gesuchte und zufällige neue Erfahrungen durch eine konsequente, stetige, mühe- und phantasievolle Arbeit mit den Musikinstrumenten oder mit der Stimme in Lern- und Selbstlernprozessen.291 Es stehen Experimente als Prozesse im Vordergrund sowie ein „Transzendieren der Versuchssituation [...], in dem von kontrollierten Testbedingungen in nicht vorhersagbare, unbekannte Situationen und Erfahrungen vorgestoßen wird.“292 Der Pianist Stephan Wunderlich hat dies so beschrieben: „Man kann das Ding [Objekt, Instrument] nehmen, irgendwas drauf probieren, und weglegen. Wo aber der ersten Beschäftigung mit dem Instrument soviel abgewonnen wird, daß man längere Zeit darauf verwenden kann, dann tut sich im Spiel die Sache irgendwie auf: man kommt auf etwas. Man bleibt dann eine Weile dabei, verläßt das wieder, probiert etwas anderes, das gefällt einem nicht – ein ganzer Verlauf hat begonnen, der im Grunde unerschöpflich ist. Aufhören tut man meistens dann, wenn das Interesse nachlässt und man meint, daß man nun alles kennt, was mit dem Instrument zu machen ist [...] Der Versuch selber ist gekennzeichnet dadurch, daß die Klänge keine Ergebnisse sind von bestimmten Aktionen, die nur ausgeführt worden sind, um eben diese Klänge zu erzielen, sondern Klänge und Aktionen hängen simultan zusammen, haben ihren Ursprung im Erforschen des Instruments, sind Spielweisen. Gleichzeitig meint Instrument in diesem Zusammenhang ebenso jedes Objekt, das nicht der Klangerzeugung wegen gebaut worden ist, oder jedes Ausgangsmaterial für Objekte.“293 Das „praktische“ und „körperliche Wissen“ eines Musikers steht im Vordergrund, das mit dem theoretischen Wissen um das Instrument und dessen Eigenschaften verbunden ist sowie mit musiktheoretischen und kompositorischen 290 Vgl. etwa M. Nyman, Experimental Music. Cage and Beyond, vgl. auch J. Cage, History of Experimental Music in the United States. 291 Vgl. dazu Chr. v. Blumröder, Art. Experiment, experimentelle Musik. Vgl. auch Von den Pygmäen lernen. Joan La Barbara im Gespräch. 292 Vgl. S. J. Schmidt, Was heißt ‚Experiment in der Kunst‘/‚Kunst als Experiment‘, S. 17f., sowie G. Gebauer, Wissenschaftliche Experimente und experimentelle Kunst, S. 25. 293 S. Wunderlich, Arbeitsansätze experimenteller Musik, S. 88.

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Aspekten zusammengebracht werden kann. Die Perspektiven eines Musikers und eines Komponisten können zusammenfallen, daher sind in diesem Bereich viele Composer-Performer zu verzeichnen. Dies schließt allerdings nicht aus, dass sich manche Künstler explizit auf naturwissenschaftliche oder akustische Experimente beziehen (beispielsweise Richard Teitelbaum, Alvin Lucier oder Ron Kuivila) und Aufführungs- beziehungsweise Rezeptionssituationen wie solche Versuche inszenieren.294 Abgesehen davon wurde die Einbindung des naturwissenschaftlichen Experimentbegriffs in die Musik auch für die elektroakustische Musik reklamiert, um den Aspekt der Klangforschung zu betonen.295 Insofern kann die „experimentelle“, auf neue Klangerfahrungen bezogene Arbeit mit Instrumenten und Elektronik ebenfalls den naturwissenschaftlichen Experimentbegriff im Sinne akustischer Forschungen implizieren. John Cages Auffassung von „experimental“ als „an act the outcome of which is unknown“ steht den Forschungen, die sich auf die Klangphänomenologie und Akustik beziehen, nicht fern, doch betont er, dass es in der Kunst und Musik im Gegensatz zu den Naturwissenschaften nicht auf Erfolg oder Misserfolg ankomme. „An experimental action, generated by a mind as empty as it was before it became one, thus in accord with the possibility of no matter what, is, on the other hand, practical. It does not move in terms of approximations and errors, as ‚informed‘ action by its nature must, for no mental images of what would happen were set up beforehand; it sees things directly as they are: impermanently involved in an infinite play of interpenetrations.“296 Die Offenheit für das, was in einem Kompositions- und Aufführungsprozess geschieht oder geschehen kann, und die Risikobereitschaft, mit dieser Offenheit zu arbeiten, ist in diesem Zusammenhang bedeutender als die Reproduktion eines festgelegten Plans.297 Doch „experimentelle“ Arbeiten mit Instrumenten oder mit der Stimme können auch in Kompositionen eingehen, wenn sie beispielsweise in einer Kooperation zwischen Musiker(n) und Komponist vorbereitet wurden oder entstanden sind. So berichtet etwa Heinz Holliger über die Zusammenarbeit mit Komponisten, die Oboenstücke für ihn geschrieben haben: „In fast allen Fällen habe ich den Komponisten Tabellen gegeben, die genau festhalten, wo die guten und schlechten Lagen sind, welche dynamischen Möglichkeiten bestehen, welche Griffe und Flageolettklänge es gibt, und in welchen Lagen Glissandi und Mehrklänge möglich sind. Oft war es dann so, daß der Komponist, ausgehend von bestimmten, ihn

294 Vgl. S. Feißt, Der Begriff ‚Improvisation‘ in der neuen Musik, S. 115–155. Vgl. bspw. A. Lucier, Origins of a Form. Acoustical Exploration, Science and Incessancy, sowie S. Sanio, Komponieren als Experiment. 295 Vgl. Chr. v. Blumröder, Art. Experiment, experimentelle Musik, S. 10–14. Vgl. auch K. Ebbeke, Elektroakustische und experimentelle Musik. Vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen von „experimental music“ auch L. Landy, What’s the Matter with Today’s Experimental Music? (insb. S. 3–17). Vgl. zu verschiedenen Experimentbegriffen auch Das Experiment in Literatur und Kunst, sowie S. J. Schmidt, Kunst und Experiment und. Vgl. auch Industrialisierung und Technologisierung von Kunst und Wissenschaft. 296 J. Cage, Experimental Music. Doctrine, S. 13, 15. 297 Die „experimentelle Musik“ berührt sich hier vielfältig mit der Improvisation, vgl. S. Feißt, Der Begriff ‚Improvisation‘ in der neuen Musik, S. 115–155.

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besonders interessierenden Problemen, mit mir zusammen ein ‚Klang-Repertoire‘ ausgearbeitet hat, worauf er dann sein Stück aufbauen konnte.“298 Vinko Globokars zentrales Instrument ist, wie bereits erwähnt wurde, die Posaune. Infolgedessen hat er sich speziell auf die experimentelle Arbeit mit Blasinstrumenten konzentriert, die sich auf folgende Hauptgebiete erstreckt: Atmung beziehungsweise Atemtechnik, Kombination von Instrumentalspiel und Stimme (Sprechen, Gesang), Blasinstrument als zusammengesetzter Klangkörper (Bedeutung und Funktion der Teile der Instrumente, Reduktion oder Erweiterung des Instruments), Interaktion mit anderen Bläsern (gegenseitige klangliche Beeinflussung der Instrumente, Verbindung von Instrumenten), Nutzung klangmodulierender Materialien (u.a. Wasser, Heliumgas) und unkonventionelle Haltung oder Bewegung der Instrumente (Gesten). Dabei sind eingeschlossen die Erzeugung von Mikrointervallen und Geräuschen, die hochdifferenzierte Manipulation der Klangfarbe eines Instruments sowie die Erzeugung von Mehrstimmigkeit auf einem Melodieinstrument.299 „Hauptsächlich basiert das Instrumentalspiel auf Reflexen und manuellen Gewohnheiten, die durch üben langsam dem Körper eingeprägt wurden. Es ist eine gewisse geregelte Gymnastik, die man täglich macht, die ins Blut übergeht und die man Virtuosität nennt [...] Die blinde Anwendung der motorischen Virtuosität, die eng mit der Anwendung von instrumentalen Klischees verbunden ist, halte ich heute für gefährlich. Denn es geht nicht an, daß man für jede Art der Musik immer dieselbe Gestik anwendet, anstatt für jede neue Musik auch eine ihr entsprechende Technik zu erfinden.“300 Globokar nennt hier einen weiteren Grund dafür, die Konventionen des Instrumentalspiels zu durchbrechen: individuelle neue Musik erfordere geradezu die Entwicklung neuer Spieltechniken und damit auch die Hervorbringung neuer sichtbarer Ereignisse auf dem Konzertpodium. Letztere sind aus dieser Perspektive nicht das Resultat eines allein kompositorischen Kalküls, sondern entstehen aus einem reziproken Verhältnis zwischen der Arbeit mit dem Instrument oder mit Instrumenten und der Idee, dem Konzept oder dem Sujet sowie der Ausarbeitung einer Komposition. Lachenmann hat mit seinem Motto „Komponieren heißt: ein Instrument bauen“ diesen Ansatz aufgegriffen – und sich dabei nicht nur auf Globokar, sondern auch auf Kagel, Schnebel oder Holliger bezogen.301 Über das Verhältnis zu seinem Instrument berichtet Globokar: „Ich halte mein Instrument, die Posaune, nicht für ein sakrosanktes Objekt, dem ich mich blind anpasse, sondern für ein musikalisches Hilfsmittel unter so vielen anderen. Beim 298 H. Holliger, War die Oboe 100 Jahre tot?, S. 48. Für Holliger geschriebene Werke sind u.a. N. Castiglionis Alef (1965), H. Pousseurs Caractères madrigalesques (1966), L. Berios Sequenza VII (1969). 299 Vgl. dazu V. Globokar, Entwicklungsmöglichkeiten der Blechblasinstrumente, sowie W. Klüppelholz, Die Arbeit des Atmens. Über den Musiker Vinko Globokar. 300 V. Globokar, Das Verhältnis von ‚Physischem‘, ‚Psychischem‘ und ‚Rationalem‘ als kompositorische Problematik; vgl. M. Nyffeler, Der Körper, das unbekannte Wesen Die existenzielle Akrobatik Vinko Globokars. 301 Vgl. H. Lachenmann, Über das Komponieren, sowie ders., Heinz Holliger.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Spielen betrachte ich es als Verlängerung meines Körpers, als Verstärker nicht allein meiner möglichen vokalen oder körperlichen Artikulationen, sondern als Möglichkeit der Mitteilung meiner Gedanken.“302 Globokar praktizierte und provozierte die Auseinandersetzung mit dem Instrument und die Erarbeitung neuer Spieltechniken und Klangdimensionen sowohl in der Improvisation als auch in komponierten Stücken.303 Es seien einige experimentelle Ansatzpunkte und Arbeitsfelder erläutert, die aus Globokars Stücken aus dem Projekt Laboratorium abgeleitet werden. Sie sollen in erster Linie beispielhaft ein Bild der Vielfalt neuer Instrumentaltechniken geben, das auch auf andere Instrumente und Instrumentenfamilien zutrifft. Laboratorium entstand als Sammlung von Ensemble- und Solostücken ab 1973, als Globokar eine Stelle am Institut de Recherche et de Coordination Acoustique/ Musique (IRCAM) in Paris erhielt. Er leitete dort bis 1979 die Forschungsabteilung Instrument/Stimme. „Globokar designed each of the compositions in Laboratorium to answer a question or questions raised during his tenure at the Institute. Some of the compositions are utopian in nature, in that the solutions to the performance problems which they represent have not been found. Globokar feels, however, that the solutions are possible if only the performer will seek them out.“304 In einem Interview hat der Komponist seine Ziele erläutert: „Es werden vor allem folgende Themen behandelt: 1. das Schaffen unterschiedlicher Beziehungen zwischen Instrument und Körper; 2. die Entwicklung von psychologischen Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Mitwirkenden; 3. die Beziehungen und Einflüsse zwischen Musiker und elektronischer Apparatur. Die Bühne ist der Ort, an dem die Musiker ‚arbeiten‘, Instrumente transportieren, um immer neue Ensembles zu bilden, an dem sie erklären, was sie gerade spielen oder was der Mitspieler macht, die elektronischen Instrumente bedienen, sich gegenseitig helfen. Vom Beginn der Arbeit an sind die ‚Proben‘ öffentlich. Die Form, also das Zusammenbringen und Verknüpfen der verschiedenen Arbeiten, wird von den Mitwirkenden diskutiert und festgelegt. Laboratorium kann verschiedene Formen annehmen, die eines Konzerts, einer Konferenz, einer ständigen Werkstatt, eines pädagogischen Seminars etc. [...] Im Grunde genommen handelt es sich nicht mehr um ein abgeschlossenes Werk, sondern um verschiedene Arbeitsabläufe, um eine Art Operationstisch, auf dem das Räderwerk der musikalischen Praxis enthüllt wird.“305

Laboratorium besteht aus 55 unterschiedlich besetzten Stücken für 10 Instrumente: Violine (oder Bratsche), Kontrabass (alternativ auch Cello oder elektrische Bassgitarre), Oboe (alternativ auch Englischhorn oder Flöte), Klarinette (alternativ auch Bassklarinette oder Saxophon), Trompete oder Horn, Posaune oder Tuba, zwei unterschiedliche Perkussionsgruppen, Klavier und Harfe. Zusätzlich ist ein Koordinator notwendig (das heißt, es werden 11 Ausführende verlangt). Der Komponist strukturierte das Projekt folgendermaßen: er schuf ein Ensemblestück 302 globokar vinko, wind, wille, vektor, S. 371. 303 V. Globokar, Reflexionen über Improvisation, S. 122f. 304 J. J. Bingham, The innovative uses of the trombone in selected compositions of Vinko Globokar, S. 33 (diese Studie beruht auf Binghams Zusammenarbeit mit Globokar im Frühjahr 1984 an der University of Illinois). 305 globokar vinko, wind, wille, vektor, S. 369.

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für alle zehn Instrumente, zwei Stücke für neun Instrumente, drei Stücke für acht Instrumente usw., neun Duette und zehn Solostücke (Echanges für Posaune oder Tuba, Voix instrumentalisée für Klarinette, Automusique für Oboe, Toucher für Schlagzeug, Limites für Violine, Res/As/Ex/Ins-pirer für Trompete oder Horn, Fonctionnement für Kontrabass, Homme Machine für Klavier, ?Corporel für Perkussion, Inventaire für Harfe).306 Aus den Titeln der Stücke geht bereits hervor, dass es sich nicht nur um Instrumentalkompositionen, sondern teilweise auch um live-elektronische Stücke handelt. Darüber hinaus finden sich Kompositionen, bei denen sich die Instrumentalisten im Raum bewegen oder in denen die Klangdistribution im Raum eine große Rolle spielt, in denen instrumentales Theater, Rollenspiel oder Improvisation angelegt ist, in denen verschiedene Zeitschichten durch disparate Tempi erzeugt werden oder in denen ein interaktives Spiel (Gruppen gegeneinander oder Spiel unter Anleitung) ausagiert werden soll. Bingham unterscheidet in seiner Studie über innovative Techniken der Posaune die Ausweitung der Spieltechniken: „Idiomatic techniques are those which can be accomplished without altering the acoustical or mechanical properties of the trombone and are performed while exhaling [...] Non-idiomatic techniques are all those which are not idiomatic.“307 Diese Differenzierung scheint auf den ersten Blick sehr einfach zu sein, sie provoziert aber zunächst vor allem die Frage nach dem Spezifischen, Konventionellen eines Instruments, das in Experimenten erweitert oder unterlaufen werden kann. Für Blasinstrumente gilt beispielsweise zuallererst, und Bingham erwähnt es, dass in das Instrument ausgeatmet wird. Globokar hat bereits früh damit begonnen, Klänge auf der Posaune durch Einatmen zu produzieren, so etwa in Discourse II für fünf Posaunen (1967) und später in dem Laboratorium-Solo Res/As/Ex/Ins-pirer (1973). Diese nicht-idiomatische Spielweise stellt das Verhältnis Körper – Instrument ins Zentrum, sie ist von Globokar als existentielle Bedrohung im zuletzt genannten Stück dramatisiert worden. „Globokar himself commented that months of practice were necessary before he could perform more than a line of the composition at a time, primarily due to the lack of oxygen which results when inhaling air through the instrument.“308 Der Komponist stellte ferner fest: „In meinen Kompositionen habe ich eben während der letzten zehn Jahre eine Instrumentaltechnik geschaffen, die voraussetzt, dass der Spieler völlig umlernen muss. Res/As/Ex/Ins-pirer (1973) konnte ich selbst gar nicht spielen, als ich es komponiert hatte. Erst nach langem, hartem Üben gelang es, und eine Technik war geschaffen, die es möglich machte, so Posaune zu spielen, daß der Ton kontinuierlich klingt und nicht aussetzt.“309 Hier ist es allerdings nicht nur die Atemtechnik, die Globokar praktisch „gegen den Strich“ bürstet, sondern auch die Erkundung einer Analogie zwischen Blas- und Streichinstrumenten, 306 Vgl. Partitur von Laboratorium, Edition Peters, Frankfurt a. M. (Leihmaterial). 307 J. J. Bingham, The innovative uses of the trombone in selected compositions of Vinko Globokar, S. 8. 308 Ebenda, S. 114. Vgl. dazu auch W. Klüppelholz, Die Arbeit des Atmens. Über den Musiker Vinko Globokar, S. 10f. (vgl. auch Individuum und Kollektiv, Vinko Globokar im Gespräch mit Armin Köhler). 309 Interview Globokars mit Jukka Tiensuu (1982), S. 407.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

die sich der Komponist als „Forschungsgebiet“ zu verfolgen vorgenommen hatte: Ein- und Ausatmung sollten wie Auf- und Abstrich fungieren. Die Spieler werden also nicht nur dazu aufgefordert zu studieren, wie beim Einatmen ein Ton erzeugt werden kann, sondern sie erhalten weitere Aufgaben, die sich nicht auf ihr eigenes Instrument beziehen: „The performer must be familiar with the string bowing technique and must also understand the intent of the superimposition of the technique.“310 Zudem erklärte der Komponist: „Ich halte dieses Werk für ein Monodram, in dem der Spieler sich verdoppelt. Ein Teil seiner Person ist nur mit dem Geben, der andere nur mit Nehmen beschäftigt.“311 Die Herausforderung der spieltechnischen Kompetenz und der Realisation einer Notation durch kompositorische Strategien, mit denen Routine und das gewohnheitsmäßige Verhältnis zum Instrument oder zur Stimme durchbrochen werden soll, birgt einen weiteren Faktor, der in der neuen Musik verschiedenster Couleur große Bedeutung hat: es ist eine gesteigerte Intensität des Spiels, die aus der Energie der Anstrengung, Bemühung, des Übens und den Versuchen, Grenzen zu erweitern, resultiert. „Energie entwickelt sich vor allem, wenn der Interpret zum Überlegen gezwungen wird, wenn man ihn, anstatt in sportliche, in intellektuelle Schwierigkeit bringt. Zerpflückt man seine gewohnten Gesten, verhindert man den Automatismus, zwingt man ihn jedesmal zum Überdenken der technischen Probleme, so resultiert daraus eine Musik, die von allen Zuckungen und Klischees befreit ist, eine strenge, einfache, unzweideutige Musik, in der diese Energie spürbar wird, die ich aber nicht weiter beschreiben kann.“312 Außergewöhnliche und unkonventionelle Körpererfahrungen sowie die Übertragung spieltechnischer Prinzipien von einem Instrument auf ein anderes, womit nicht nur die Spielweisen, sondern auch Bau und Material von Instrumenten ins Bewusstsein kommen sollen, sind nur zwei – und mittlerweile durchaus selbstverständliche – Strategien „experimentellen“ kompositorischen Arbeitens. Weitere Methoden beziehen sich beispielsweise auf die Form und den Aufbau eines Instruments, auf dessen ganzheitliche Behandlung als Klangobjekt sowie auf dessen Nutzung als Objekt, um andere Instrumente oder Gegenstände zum Klingen zu bringen. Im Stück Diminution für Oboe, Klarinette, Trompete oder Horn, Posaune oder Tuba aus Laboratorium beispielsweise werden alle Instrumente sukzessive auseinandergenommen. Die Spielanweisung lautet: „Jouer le matériel d’abord avec l’instrument normal (entier). Avant chaque exécution suivante de ce matériel enlever une partie de l’instrument, afin de jouer la section 5. sur le bec et sur l’anche et la section 6. sur l’embouchure.“313 Dadurch wird nicht nur der Instrumentenkörper als zusammengesetzter vor Augen geführt, sondern damit wird auch demonstriert, dass selbst die Fragmente zum Erklingen gebracht werden können. Zugleich erfährt man, dass es für die Musiker keine „natürlichen“ Grenzen gibt, 310 J. J. Bingham, The innovative uses of the trombone in selected compositions of Vinko Globokar, S. 114f. 311 V. Globokar, Kommentar zu Res/As/Ex/Ins-pirer, in: CD-Booklet, CD Vinko Globokar, MusiKado aulos, AUL 66142, Köln 2004, S. 7. 312 V. Globokar, Das ist, als würde man singen, S. 389. 313 Partitur Laboratorium, Teil 13: Diminution (S. 31).

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sondern das Spiel wird fortgesetzt (auch wenn die Fragmente – Mundstücke oder Rohrabschnitte – plötzlich Spielzeugen ähneln; wobei diese Wandlung humorvolle Szenen heraufbeschwört). Gerade in bezug auf Blasinstrumente wird darüber hinaus deutlich, dass die Instrumente in erster Linie schallverstärkende Funktion haben, weil die Klangproduktion hauptsächlich durch Lippen und Atemorgane, im Mund und Rachen stattfindet. Eine Variante dieses Verfahrens bildet die Erweiterung von Instrumenten durch ihre Verkoppelung, etwa im Stück Vases communicants (1984) für Trompete oder Horn und Posaune oder Tuba, bei dem die Blasinstrumente mit Plastikschläuchen verbunden werden. „Connecter les deux instruments avec deux tubes en plastique (diamètres des tubes correspondant à ceux des coulisses). Pour celà enlever à chaque instrument une coulisse (pour le trombone par exemple enlever la coulisse de quarte). Ceci permet de faire le son de l’instrument V [Trompete oder Horn] par le pavillon de l’instrument VI [Posaune oder Tuba] et vice versa, VI par V. Quand le piston contrôlant la coulisse enlevée est appuyé, le passage d’un instrument à l’autre est ouvert. Quand le piston n’est pas appuyé le son passe par son propre pavillon.“314 Die Musiker sitzen auf Stühlen und wenden sich den Rücken zu, können sich also nicht direkt über Augenkontakt verständigen. Zwischen ihnen verläuft die Schlauchverbindung. Die Klänge eines Spielers können durch das Instrument des anderen Spielers erklingen. Damit wird der selbst produzierte Klang als im anderen Instrument modulierter, veränderter Klang wahrnehmbar; das klangliche Resultat wird vom eigenen Tun und eigenen Instrument nur noch bedingt bestimmt. Gerade weil er sich in dieser Zeit mit elektronischen klangmodulierenden Methoden beschäftigt hat, zogen vermutlich Globokar auch die akustischen Möglichkeiten der „fremdgesteuerten“ Klangveränderung als Arbeitsfelder in Bann. Sie zeigen sich beispielsweise in der Nutzung von verschiedenen schallübertragenden Medien, etwa von Wasser in dem Stück Influence liquide (ebenfalls ein Teil von Laboratorium), indem die Bläser ihre Instrumente in Wasserbecken „abtauchen“.315 Der veränderte Klang ist mit ungewöhnlichen (sichtbaren) Szenen auf dem Podium verbunden, die vor allem dann Aufsehen erregen, wenn tatsächliche die „sakrosankte“ Sphäre der Instrumente angegriffen wird. Schrecken und Belustigung verbinden sich mit der Bezeugung eines respektlosen Umgangs mit diesen „unantastbaren“ musikalischen Medien. Globokar verdeutlicht aber, dass sich Klang und Aktionen gegenseitig bedingen und keineswegs „unnatürliche“ Ereignisse sind: „Die von dem Entwurf [eines Stücks] abgeleiteten Gesten sind unbedingt notwendig, die Musiker bewegen sich normal, sie erfüllen keine Aufgaben, sie leben sie.“316 Letzteres trifft auch auf die Verwendung von beliebigen Objekten als Musikinstrumente oder als Zubehör von Musikinstrumenten zu. Ferner bezieht es sich auf Aktionen von Instrumentalisten auf fremden, nicht erlernten Instrumenten. 314 Partitur Laboratorium, Teil 47a: Vases communicants (S. 160). 315 Vergleichbar dem ‚water gong‘, den John Cage in seinen Schlagzeugstücken eingeführt hat. 316 V. Globokar, Die Härte des Vorschlags, Interview mit Michel Rostain, 1980, S. 385.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Globokar hat in Laboratorium beispielsweise im Stück Coopération für Kontrabass, Posaune oder Tuba, Perkussion, Klavier und Harfe solche Aktivitäten vorgesehen, indem sich alle Musiker auf das Klavier konzentrieren (ähnlich dem Konzept von Kagels Transición II). „Les 5 interprètes sont réunis autour du piano. IX [Pianist] joue sur la touche, II, VI, VII, X [Kontrabass, Posaune oder Tuba, Perkussion und Harfe] à l’intérieur du piano, sur ou autour de la note indiquée. IX méne le jeu. Il appelle à haute voix les joueurs par leur prénom, les invitant à jouer ou à arrêter de jouer.“317 Die Spieler im Inneren des Klaviers erhalten jeweils unterschiedliche Aktionsanweisungen (Kontrabass: „glisser“; Posaune oder Tuba: „frotter“; Schlagzeug: „frapper“; Harfe: „pincer“ – oder Spiel mit einem Plektrum). Sie agieren zusätzlich mit bestimmten Objekten: mit Superbällen auf den Saiten oder auf dem Klavierkorpus, mit Zeichendreiecken aus Plastik, mit einer geriffelten Holzstange, mit einem Schwamm aus Metallwolle, mit einem Papierknäuel sowie mit verschiedenen Schlagzeugschlägeln. Einige weitere Stücke und deren Charakteristika sind in Renate Bozi´cs Aufsatz über Globokars Laboratorium beschrieben.318 Sie schließt ihre Studie folgendermaßen: „Unweigerlich ergibt sich die Frage, ob die musikalisch-akustischen Ereignisse aus Laboratorium über den augenfälligen Wert als Versuchsanordnungen hinausgehen und mehr sind als ein Experimentierfeld auf der Grundlage einer Totalisierung des interpretatorischen Engagements. Festzuhalten ist, dass der Genuss am Mitvollzug sich erhöht durch das Wissen um die operativen Vorgänge und deren Ausgangspositionen, wie sie sich dem Interpreten darbieten. Denn der Hörer, der immer nur ein konkretes Klangresultat wahrnehmen kann, bleibt vom Akt der Transformation kompositorischer Unbestimmtheit zu aufführungspraktischer Bestimmtheit, jener Dimension einer prozeßhaft offenen Beweglichkeit ausgeschlossen.“319 Abgesehen von dieser Problematik stellt sich generell die Frage, wie ein musikwissenschaftlicher, methodischer Zugang zum Gebiet der experimentellen Praxis, das hier im Zentrum steht, gedacht werden kann. Die experimentelle „Materialerweiterung“ wird jedenfalls als Kompositions- und Aufführungsgrundlage unter vielen genutzt, gehört insofern heute kaum mehr zu einer Legitimierung von Fortschrittlichkeit und Avantgarde, sondern zu einem multiperspektivischen künstlerischen Spiel mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts. Mit der Konzentration auf das Klavier können die bislang diskutierten Aspekte von anderer Seite beleuchtet werden. Hier zeigt es sich gut, dass die Gründe, experimentell nach neuen Klängen und/oder Praktiken der Klangerzeugung zu suchen, vermutlich kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. So gibt es beispielsweise in Hinsicht auf Henry Cowells „Erfindung“ von Klavierclustern unterschiedliche Berichte. Er habe die Klänge bei „musical visitations“ zuerst „im Ohr gehabt“ und dann nach Möglichkeiten ihrer Realisierung gesucht, lautet eine Begründung, die von Cowell selbst überliefert ist.320 Er habe die Klänge zur 317 318 319 320

Partitur Laboratorium, Teil 12, Coopération, S. 30. Vgl. R. Bozi´c, Laboratorium: Die Werkstatt des Komponisten Vinko Globokar. Ebenda, S. 197. Vgl. M. Hicks, Cowell‘s Clusters, S. 429.

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Umsetzung visueller Vorstellungen gefunden, hat er ebenfalls selbst berichtet. In Beiträgen über Cowell werden weitere Gründe angeführt: Cowell habe das Klavier dynamisch verstärken wollen; er habe auf einem beschädigten Klavier spontan wild improvisiert; schließlich wird auch darauf hingewiesen, dass Cowell in seiner Jugend erkrankt sein soll und daraufhin Spasmen in den Händen zurückgeblieben seien, die seine Spielweise beeinflusst haben sollen.321 „Concerning the origins of clusters, only one fact is certain: throughout his life Cowell vacillated about why and how he began using them.“322 Auch wenn Cowell seine Klaviertechnik später theoretisch begründet hat, so ist festzuhalten, dass sowohl die Vorstellung oder Imagination von Klängen als auch der körperliche, haptische Bezug zum Instrument in den Begründungen eingeschlossen sind. Sie gehören sicherlich zu einer menschlichen Sphäre, die wenig mit zweckrationalem und planvollem Handeln zu tun hat, sondern eher mit kreativer Phantasie, Spiel und sinnlichem Vergnügen, aber auch mit einem „leiblichen Wissen“ (der Spieler ebenso wie der Zuhörer).323 Seine Clusterkompositionen jedenfalls präsentierte Cowell in Konzerten auch als „performance showpieces“, er wollte das Publikum nicht nur klanglich, sondern auch visuell provozieren und schockieren.324 Neben den Kompositionen mit Clustern entstanden um 1920 Werke, die auf den Saiten im Inneren des Klaviers zu spielen sind, wobei die Saiten teilweise präpariert werden sollen. „In the early twenties Cowell also turned his attention to what he considered to be the neglected possibilities inherent in the piano strings. Directly on them he proceeded to produce harmonics, muted tones, and pizzicati of various sorts, and he also applied to them various mechanical mutes and hammers, table knives, gong beaters, rubber bands, coins, and so on, to vary the tone quality of what he sometimes called the ‚string piano‘.“325 Die ersten dieser Klavierstücke sind Aeolian Harp (1923), Irish Suite: Fairy Bells, Leprechaun, Banshee (1924–25) sowie Pièce pour piano avec cordes (1924), letzteres eine Kombination aus ‚string piano‘ und Clustertechnik.326 Wie die Werktitel andeuten, könnte man beinahe von Bildern oder Programmen sprechen, die Cowell in Musik gesetzt hat. Doch ganz abgesehen von den Klang-Bildern, die damit evoziert werden, ist es von großer Bedeutung, dass Cowell das Klavier als Streich- und Zupfinstrument neu erschlossen hat.327 Damit 321 Vgl. ebenda, S. 429–433. 322 Ebenda, S. 428. Wenig Erwähnung findet Henry Cowells Kenntnis der Werke von Charles Ives, vgl. bspw. S. R. Clark, The Element of Choice in Ives’s Concord Sonata. Charles Ives hatte bereits mit Clustern gearbeitet, vgl. Robert-Browning-Ouvertüre (1911) oder Fourth of July (1913). Vgl. auch D. Nicholls, American Experimental Music 1890 – 1940 (zu Ives S. 5–88 und Cowell S. 134–174). 323 M. Hicks, Cowell’s Clusters, S. 452. Vgl. dazu auch Chr. Wagner, Instrumentalspiel und Physiologie. Über die Schwierigkeit der Verständigung zwischen Kunst und Wissenschaft. 324 S. Johnson, „Worlds of Ideas“. The Music of Henry Cowell, S. 32. 325 H. Weisgall, The Music of Henry Cowell, S. 487f. 326 Vgl. S. Johnson, „Worlds of Ideas“. The Music of Henry Cowell, S. 23–26. 327 Damit hat Cowell im modernen, hochtechnisierten Instrument „archaische“ Spielweisen des Zupfens und Streichens an Saiten wiedergewonnen; offenbar war er vor allem durch den Klang einer Harfe beeinflusst, ausgehend von Ideen seines Mentors, des Theosophen John

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

entwickelten sich Spieltechniken im Innen-Klavier („inside piano“), die beispielsweise ein Aufstehen und „in die Saiten greifen“ erforderten – in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (und zum Teil heute noch) im Konzertsaal auch visuell ein außergewöhnliches Ereignis. Dies war gekoppelt an verschiedene neue Behandlungen der Klaviersaiten, die zum Teil auf die Spielweise von anderen Streich- oder Zupfinstrumenten zurückgingen. Außergewöhnlich war zudem die Einbringung von Fremdkörpern in das Klavierinnere und generell die Erzeugung zuvor nicht gehörter Klänge und Klangvarianten des Klaviers, zum Beispiel Flageoletts und hohe Obertöne in einer Geräusch- und Echokulisse des Streichens und Gleitens entlang der Saiten wie in Banshee: „Banshee is shaped by a sequence of passages produced alternately by the flesh and the nail of the finger. [...] In the first section, the first sound derives from a sweeping across many strings. Subsequent sounds are produced in this order: by sweeping along one string; by sweeping up and back across many strings; plucking individual tones; finally, by sweeping along three strings simultaneously. In the third and fifth sections […], the performer advances from sweeps across many strings with both hands in both directions, to sweeps along five-note chords, to using the flat of the hand. As one would expect, the two ‚nail‘ sections produce a slightly harder, more metallic timbre. The sound effects proceed from fingernails running along a single string, to five-note chords, to total (i.e. chromatic) clusters.“328

Waren es einerseits die durch das Streichen der Saiten ermöglichten gehaltenen und unabhängig vom Anschlag zu modulierenden Klavier-Klänge, die faszinierten, so andererseits die Entdeckung des Klaviers als Perkussionsinstrument, die neue Akzente setzte. Bekanntlich substituierte Cage mit seinem präparierten Klavier ein kleines Schlagzeugorchester.329 Und Hindemith hatte beispielsweise im Blick auf den Ragtime in der Klaviersuite 1922, op. 26, verlangt: „Spiele dieses Stück sehr wild, aber stets sehr stramm im Rhythmus, wie eine Maschine. Betrachte hier das Klavier als eine interessante Art Schlagzeug und handle dementsprechend.“330 Cage hatte sich an der Klavierbehandlung seines Lehrers Cowell orientiert – er stand mit Cowell seit 1933 in Kontakt –, als er Ende der 1930er Jahre für den Tanz Bacchanale von Syvilla Fort begleitende Musik beizusteuern versprochen hatte (die Aufführung fand am 26. April 1940 statt).331 Da er mangels Perkussionsinstrumenten ein „afrikanisch“ anmutendes Klavierstück komponieren wollte, experimentierte er mit klangverändernden Objekten auf und zwischen den Saiten. Die Spielanweisungen des Stücks sehen vor, dass der Interpret die Präparierung der

328 329 330 331

Osborne Varian, vgl. ebenda, S. 22f. Vgl. auch C. Sachs, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, S. 126. Streich- und Blasklaviere sind zwar zuvor bereits gebaut worden (Streichklaviere seit dem 15. Jahrhundert, Blasklaviere, bei denen die Saiten durch Windzufuhr angeregt wurden, im 18. und 19. Jahrhundert), sie hatten jedoch keinen Erfolg im Konzertsaal, vgl. ebenda S. 156–158. S. Johnson, „Worlds of Ideas“. The Music of Henry Cowell, S. 26. Vgl. auch P. N. Wilson, Der Geist in der Maschine. Strategien gegen die Rationalität der Klaviatur. Vgl. J. Cage, How the Piano Came to be Prepared (1972); vgl. M. Fürst-Heidtmann, Das präparierte Klavier des John Cage, S. 24–29; R. Bunger, The well-prepared piano. Vgl. Paul Hindemith, Sämtliche Werke, Bd. V, 9, Klaviermusik I, S. 88. Vgl. dazu L. E. Miller, Henry Cowell and John Cage. Intersections and Influences, 1933–

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Saiten „experimentell“ vornehmen soll.332 Als Materialien werden unter anderem benutzt: Metall (Schrauben, Bolzen, Muttern, Münzen), Gummi (Gummistreifen, Gummikeile), Gewebe (Filz), Holz (Holzstücke, Bambuskeile), Plastik (Plastikstück, Plastiksteg), Stoff, Fasern, Glasstücke, Knochen.333 Die Präparierung der Saiten bewirkt klangliche Veränderungen, die kaum oder nicht mehr mit dem ursprünglichen Klavierklang verglichen werden können. Es entstehen Klangfarben und Geräusche, die an Gongs, Schellentrommeln oder Becken erinnern oder Trommeln ähnlich sind.334 Insofern ist aus dem Flügel ein neues Musikinstrument entstanden, das variabel eingerichtet werden kann. „Doch ist zu berücksichtigen, daß die Klangproduktion auf dem präp. Klavier eine experimentelle Aktion mit einem nicht genau vorhersehbaren Ergebnis darstellt. Denn da Cage bei seinen Angaben den Unterschieden der einzelnen Klavierfabrikate einschließlich ihrer technischen Ausstattung nicht genügend Rechnung trägt, ergeben sich durch die Präparation bemerkenswerte Unterschiede im Klangcharakter. [...] Variabilität kommt indessen mehr noch durch weitgehende Indeterminiertheit der Präparationstabellen ins Spiel. Da Cage die Präparationsbedingungen manchmal gar nicht, oft nicht bis in alle Einzelheiten festlegt, ist der Interpret vielfach auf die eigene Auslegung verwiesen. Die Folge davon ist, daß jede Realisation eines Werkes für präp. Klavier eine andere Klangphysiognomie aufweist. Der Spieler ist aus einem bloß ausführenden Organ zu einem für den musikalischen Text mitverantwortlichen Akteur geworden.“335

Cages Sonatas and Interludes (1946–1948) sind vielleicht die bekanntesten Werke für präpariertes Klavier, in denen er die Präparationsmittel „experimentell“ ermittelte. In der Partitur der Stücke sind daraufhin die Angaben zur Präparierung des Klaviers genau festgehalten. 1973 entschied sich Cage dafür, diese Angaben zu eliminieren und die Wahl der Präparierung doch den Interpreten zu überlassen.336 Doch Cage hat nicht nur die Klaviersaiten bearbeitet, sondern zum Teil den gesamten Instrumentenkorpus als Perkussionsinstrument genutzt, beispielsweise in The Wonderful Widow of Eighteen Springs für Stimme und Klavier (1942): „The voice part intones a text from James Joyce’s Finnegans Wake on only a few tones, while the pianist acts as percussionist: the keyboard cover is closed and no notes are played, the voice being accompanied only by the soft knocks of the pianist’s

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333 334 335 336

1941, insb. S. 81–90 (Cage hatte bereits in seinen ersten Constructions Techniken der Saitenpräparierung von Cowell übernommen). Vgl. auch J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 22ff., und zur Datierung ebenda S. 206 (Anm. 15), sowie W. Fetterman, John Cage’s Theatre Pieces, S. 8. Ob Cage sich auch an Schönbergs „Präparierung“ der Harfe in dessen Melodram Erwartung erinnerte, darüber kann nur spekuliert werden. Vgl. dazu J. M. G. Laborda, Studien zu Schönbergs Monodram „Erwartung“ op. 17, S. 215, S. 341, Anm. 311. M. Fürst-Heidtmann, Das präparierte Klavier des John Cage, S. 42. Vgl. auch M. FürstHeidtmann, John Cages Werke für ‚präpariertes Klavier‘ – ein Beitrag zur Emanzipation der Klangfarbe. Vgl. auch B. Zuber, Was ist bloß mit dem Klavier passiert? John Cages ‚Book of Music‘ (1944). Vgl. M. Fürst-Heidtmann, Das präparierte Klavier des John Cage, S. 46–54. Vgl. ebenda, S. 70f. Ebenda, S. 93f. Vgl. ebenda, S. 180f., 183.

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fingers and knuckles on the wood of the piano.“337 Die sanften Echowirkungen und Resonanzen, die dabei entstehen, gehören ebenfalls elementar zu diesem Stück. In Music of Changes für Klavier (1951) zählen solche Techniken dann bereits zu den klanglichen Grundkonstanten, aus denen durch Zufallsoperationen das Werk erstellt wird.338 „Although the piano is not prepared, a number of unusual timbral effects are used. Tones are produced by plucking the strings of the piano, by muting the strings with the finger, and by using various sticks or beaters on the strings. In some sounds, keys are depressed silently […] while others are struck sharply, creating resonances by sympathetic vibration. The sound charts also include noises produced on or in the piano, such as by slamming the keyboard lid. In some sounds, the use of the sustaining pedal is indicated as an integral part of the sound.“339 Da Music of Changes in enger Zusammenarbeit mit David Tudor entstanden ist, kann man davon ausgehen, dass der Pianist nun eine entscheidende Rolle im weiteren Experimentieren mit dem Instrument erhalten hat.340 Dies zeigte sich beispielsweise im Stück 34’46.776’’ for a pianist, das bei Cages und Tudors Auftritt 1954 in Donaueschingen gespielt wurde. Hier gibt es freie Optionen der Präparierung des Klaviers: „Die ad-libitum-Präparation der Klaviersaiten setzt die Idee der Variabilität der Aufführung im Bereich der Klangfarbe fort. Falls das Klavier präpariert wird, gibt es dafür zwei verschiedene Arten: die ‚klassische‘, vor der Aufführung vorzunehmende ‚Präparation‘ und eine ‚aktuelle‘ oder ‚mobile‘, während des Spielens stattfindende Saitenbearbeitungstechnik. Letztere fällt unter die Aktionsanweisungen, für erstere gibt es eine Präparationstabelle, die allerdings von den gewohnten etwas abweicht, weil sie unbestimmter gehalten ist und nur den Zustand vor Spielbeginn anzeigt.“341 Eine Fortsetzung der Arbeit mit dem Inside Piano, die neben subtilen klanglichen auch weitere besondere visuelle Effekte zeigt, hat der italienische Komponist und Pianist Mario Bertoncini in den 1960er Jahren aufgenommen.342 Ihn interessierte vor allem die Produktion von gehaltenen beziehungsweise anhaltenden Klavierklängen („ohne Strichwechsel“). In seinem Werk Cifre (1964–1967) hat er alle „wesentlichen Techniken neuer, variabler Klangerzeugung im Innern des Flügels – wie Streichen der Klaviersaite mit Bogenhaaren, selbstständig ricochierende Gegenstände auf den Saiten, hohe Pfeiftöne durch Reiben der Saite, mittelbares Anregen der Saiten über fest verbundene, gespannte Bogenhaare, Plastikschnüre oder Drähte [...] entwickelt und ausgearbeitet.“343 Bei installativen 337 J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 26. 338 Vgl. auch John Cage, Concerto for Prepared Piano and Chamber Orchestra (1950/51). 339 J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 79. Vgl. auch H. Henck, John Cages „Music of Changes“. Eine Werkeinführung. Vgl. auch W. Klüppelholz, Schlüsselwerke der experimentellen Musik. „Music of Changes“ von John Cage. 340 Vgl. J. Holzaepfel, Reminiscences of a Twentieth-Century Pianist. An Interview with David Tudor, S. 626–636. 341 M. Fürst-Heidtmann, Das präparierte Klavier des John Cage, S. 237. 342 Vgl. R. Friedl, Schlagen, streichen, bürsten, werfen... Mario Bertoncini. 343 Ebenda, S. 23. Vgl. auch das Rundfunkmanuskript über eine Aufführung von Cifre des Piano Inside-Out Trio von Michael Iber, siehe www.michael-iber.de/scripts/cifre/hauptteil_cifre.html (ges. am 30.12.2012).

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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Arbeiten ließen sich später die Saitenextensionen in den Raum ausspannen. Die Erfindung einer elektrisch betriebenen Gummischeibe ermöglichte ihm die Erzeugung „stehender“ Klänge der Klaviersaiten. Die Pianistin Andrea Neumann ging einen anderen Weg, indem sie das Inside Piano aus seinem Korpus herauslöste. Sie ließ sich einen Rahmen bauen und bespannen, wobei sie nicht nur das Problem der Zugänglichkeit zu den Saiten löste, sondern auch keine Bedenken mehr anzustellen braucht, durch Präparationen einen Flügel oder ein Klavier zu verstimmen oder zu beschädigen. Zudem hat sie Kontaktmikrofone angebracht und kann ihre Klänge damit beliebig verstärken und bearbeiten. „Und auch für manche weiteren Probleme des Instruments hat sie – wie so viele improvisierende Praktiker, die Instrumente selbst konstruierten oder modifizierten – individuelle Lösungen gefunden: Als Ersatz der fehlenden Dämpfermechanik etwa tun stoffumwickelte Auto-Bremsklötze ihren Dienst. Hier hat der Geist in der Maschine ganz zu sich selbst gefunden, und alle normierenden, spieltechnisch wie klanglich domestizierenden Faktoren sind vom Tisch.“344 Das „exotische Inside Piano“ Andrea Neumanns (Ankündigung eines Konzerts beim MDR) zeigt also keine spektakulären Bilder des Flügels oder Klaviers – die Erinnerungen an das Instrument sind beinahe neutralisiert –, sondern die Transformation des Klavierinneren zu einem eigenen „Klangkörper“. Mit der Gitarre verbinden sich sowohl Konzertsaalimpressionen als auch Assoziationen mit spanischer, portugiesischer und lateinamerikanischer Folklore oder mit der langen Tradition als Instrument für Laien zur Begleitung von Tänzen und Liedern. „Erst im Laufe der [19]50er Jahre kann sich die Gitarre überhaupt vom Image der ‚Klampfe‘ oder ‚Zupfgeige‘ zur Liedbegleitung der Wandervogelund Jugendbewegung und des beliebten Haus- und Volksinstrumentes lösen. In den 60er Jahren stößt die Gitarre auf das zunehmende Interesse zeitgenössischer Komponisten, deren Arbeiten diesem Instrument die Errungenschaften des 20. Jahrhunderts erschließen sollten.“345 Gilt letzteres eher für das Musikleben in Deutschland, so stellt sich die Situation, international betrachtet, so dar: „By contrast with the piano, whose developments in structure and repertoire were conditioned almost exclusively by the art-music tradition until the early twentieth century, the guitar’s development is made up of multiple and overlapping histories. To put it another way, guitar history simultaneously spans popular and classical styles, urban and rural techniques, contemporary and historical practices, written and unwritten traditions, and Western and non-Western cultures, revealing the contributions of both formally and un-formally trained players.“346 Folgt man der Geschichte der Gitarre im europäischen Raum, so zeigt sich exemplarisch, wie sich der Bau des Instruments erst allmählich von der Laute und tiefen Streichinstrumenten zu lösen und eigenständig zu werden begann. Doch nicht immer richtete 344 P. N. Wilson, Der Geist in der Maschine. Strategien gegen die Rationalität der Klaviatur, S. 21. 345 S. Schwarz, ‚Exploration in Sound‘, S. 2. Vgl. auch L. Glasenapp, Die Gitarre als Ensembleund Orchesterinstrument in der Neuen Musik, sowie A. Lehner-Wieternik, Neue Notationsformen, Klangmöglichkeiten und Spieltechniken der Klassischen Gitarre, und H. G. Brill, Die Gitarre in der Musik des 20. Jahrhunderts. 346 Victor A. Coelho, Picking through cultures. A guitarist’s music history, S. 3.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

man sich dabei nach klangästhetischen Kriterien: Die Lyragitarre beispielsweise war ein „Dameninstrument, das in seinen ‚Umrissen die griechisch-römische Kithara nachahmte, im übrigen freilich Griffbrett, Bezug und Querriegel der gewöhnlichen sechssaitigen Gitarre beibehielt [...] Im Grunde gehört dieser Typus mehr dem Kunstgewerbe als dem Instrumentenbau an; er verdankt seine Entstehung antikisierenden Tendenzen und kommt optisch-ästhetischen Ansprüchen auf Kosten der akustischen entgegen; sein Ton war etwas stärker, aber dumpfer als der der Gitarre, und seine Spielweise recht unbequem. Dennoch hielt sich die Lyragitarre ziemlich lange; in Berlin [...] erscheint sie 1830 zum letztenmal in den Akademiekatalogen.‘“347 Vielleicht ist es nicht weit hergeholt, dieses Beispiel mit der Entwicklung moderner Elektro-Gitarren zu vergleichen. Die Form und die Lackierung zählen hier ebenso wie der Klang.348 Ein experimenteller Umgang mit der akustischen Gitarre ist seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem im Zwischenbereich von Komposition, Experimental Music, Improvisation, Jazz und Klangperformance sowie „Third Stream“ (ein von Gunther Schuller 1957 geprägter Begriff für die Synthese von Jazz, Improvisation und neuer Musik) oder „liquid composition“ auszumachen.349 Musiker wie beispielsweise Keith Rowe, Derek Bailey, Fred Frith oder Glenn Branca haben sowohl Techniken der Präparation, die Verwendung von unterschiedlichen Objekten zur Klangerzeugung und -veränderung auf den Saiten als auch die perkussive Nutzung des ganzen Instruments sowie die Verwendung elektroakustischer Mittel in Solo- und Ensemblekonzerten intensiv erforscht.350 Keith Rowe begann seine künstlerische Laufbahn als Maler und Jazz-Musiker. Seine Hinwendung zu experimentellen Techniken beschreibt er folgendermaßen: „Look at the American school of painting […], they really wanted to do something original but didn’t know how to do it, the clue was to get rid of European painting, but how could they ditch European painting, what did they have to do to do that? And Jackson Pollock did it – he just abandoned the technique. How could I abandon the 347 C. Sachs, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, S. 233. Zit. nach ders., Reallexikon, S. 248. Sachs verweist auf D. Fryklund, Studier över Lyragitarren, in: Svensk Tidskrift för Musikforskning 1927. Vgl. auch M. Burzik, D. Klöckner, J. Meyer, G. Kubik u. T. de Oliveira Pinto, Art. Gitarre. 348 Vgl. dazu T. Bacon u. J. Ferguson, Art. Guitar. Vgl. Stromgitarren. E-Gitarren, Musiker, Geschichte, Kult. 349 Vgl. G. Schuller, Art. Third Stream, S. 401. Vgl. auch D. Banks, Third Stream Music; R. Bennett u. D. Banks, The Third Stream; H. Schneiber u. G. Schuller, Third Stream-Musiktheater. Vgl. P. N. Wilson, Unerledigte Fragen. Die Renaissance des „Third Stream“ zwischen Jazz und europäischer Moderne. 350 Keith Rowe war Mitglied der 1965 gegründeten, legendären englischen Improvisationsgruppe AMM, u.a. gemeinsam mit dem Komponisten Cornelius Cardew, dem Saxophonisten Lou Gare und dem Schlagzeuger Eddie Prévost, vgl. M. Nyman, Experimental Music, S. 126f. Vgl. auch B. Gottstein, Musiker, Mentor, Pate. Keith Rowe – ein Pionier frei improvisierter Musik; vgl. auch S. Feißt, Der Begriff ‚Improvisation‘ in der neuen Musik, S. 123f.; Fred Frith gründete in den 1970er Jahren die Rockband Henry Cow, vgl. Interview by Dan Warburton, 19. März 1998, Paris Transatlantic Magazin, www.paristransatlantic.com/magazine/interviews/ frith.html (ges. am 22.05.2009) sowie www.fredfrith.com (ges. am 30.12.2012).

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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technique? Lay the guitar flat! All that it’s doing is angling the body [of the guitar] from facing outwards to facing upwards – the strings remain horizontal, the strings are the same.“351 Es ist zu spüren, dass auch hier die experimentelle Arbeit mit dem Instrument nicht nur auf den Impuls zurückgeht, erfinderisch Neues zu schaffen, sondern dass sie auch damit verbunden ist, absichtlich die Gewohnheiten des eigenen Spiels hinter sich zu lassen. In der Improvisation – anders als bei den komponierten Stücken von Globokar (obwohl Globokar von improvisatorischen Praktiken ausgeht) – kommt es darauf an, die Herausforderungen der eigenen Kompetenzen sowie die instrumentalen Experimente in der aktuellen Aufführungssituation im Solospiel oder im Spiel mit den Partnern auszuagieren (und vorzuführen). Für die Gruppe AMM galt dies beinahe als Codex: „AMM has never rehearsed. We meet up in airports. I don’t rehearse. I never practice. […] I only ever touch the guitar in the context of performances, unless I rewire the pick ups. […] AMM has always been about searching for the sound in the performance.“352 Auch Fred Frith erklärt: „With improvising, a rehearsal is all you’ve done in your life up to date. The only things you need to do are make sure the technical side is working, make sure you can hear each other right, that the sound is nice, and then just… go for it.“353 Ausgangspunkt für Silvia Ocougne354 ist die brasilianische Musik, in der viele unterschiedlichen Varianten der Gitarre vorzufinden sind, denen in verschiedenen musikalischen Kontexten je spezifische Funktionen zukommen (z.B. viola caipira mit vier Doppelsaiten aus Metall, das Begleit-Instrument der Sänger oder trovadores; cavaquinho, die kleinere Sopran-Gitarre mit vier Stahlsaiten, die fester Bestandteil der Samba-Ensembles darstellt und mit der hawaiischen ukulele verwandt ist; das selten gewordene Bauerninstrument viola do cocho mit Darm- oder Nylonsaiten ohne Schall-Öffnung und mit kurzem, abgebogenem Hals; die craviola, ein Instrument mit sechs Doppelsaiten, das den Klang von Laute, Cembalo und Gitarre mischt u.a.m.).355 Seitdem die Gitarre im 16. Jahrhundert in den lateinamerikanischen Länder verbreitet wurde, hat sich eine außerordentliche Vielfalt der Instrumente („violas“) und ihrer Spielweisen entwickelt. Der musikalische Stil und das Repertoire ist nicht nur vor allem an bestimmten Rhythmen sowie an der Art, Gestalt und am Klang der Instrumente, sondern zum Teil auch an bestimmten Spielweisen, also sichtbaren Körper–, vor allem Handbewegungen erkennbar. 351 K. Rowe, Interview by Dan Warburton, Januar 2001, in: Paris Transatlantic Magazin, www.paristransatlantic.com/magazine/interviews/rowe.html (ges. am 30.12.2012). 352 Keith Rowe, Interview by Dan Warburton, Januar 2001. 353 Fred Frith, Interview by Dan Warburton, 19. März 1998. 354 Ocougne wurde in São Paulo geboren, studierte Komposition bei Willi Correa de Oliveira an der Universität von São Paulo und Gitarre u.a. bei Manuel São Marcos und Paulo Bellinatti. 1984 erhielt sie ein Stipendium des brasilianischen Kultusministeriums für das Studium „Third Stream Guitar“ am New England Conservatory in Boston. Dort studierte sie u.a. bei Ran Blake und Mick Goodrick. Vgl. www.silviaocougne.com (ges. am 30.12.2012). 355 Vgl. M. Burzik, D. Klöckner, J. Meyer, G. Kubik u. T. de Oliveira Pinto, Art. Gitarre, Sp. 1385–1390. Vgl. auch T. de Oliveira Pinto, Capoeira, Samba, Candomblé. Afro-brasilianische Musik im Recôncavo. Vgl. auch Brasilien. Einführung in Musiktraditionen Brasiliens.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Was bedeutet für Silvia Ocougne der experimentelle Umgang mit ihren Instrumenten? Mit welchen instrumentalen „Experimenten“ mit welchen Effekten hat sie in den letzten Jahren gespielt und komponiert? Im Gespräch weist die Musikerin darauf hin, dass auch für sie die Suche nach neuen Klängen, häufig die Suche nach der Realisierung vorgestellter Klänge beziehungsweise allgemein „Klangforschung“ die Hauptmotivation ihrer Arbeit darstellt.356 Letztere kann mit dem Versuch, anderen Instrumentalklängen oder elektronischen Klängen nahe zu kommen, verknüpft sein. Sie kann auch damit zusammenhängen, dass man bestimmte Klänge auf dem Instrument gefunden hat und diese variieren möchte. Die effektive Arbeit nach Klangvorstellungen und die Differenzierung des Ausprobierens des Instruments sind abhängig von der direkten taktilen Erfahrung mit dem Instrument, mit seiner Bauweise, seinen Saiten, seiner Form oder Größe.357 Ocougnes Klangexperimente mit der Gitarre schließen die ganze Bandbreite der Bearbeitung und Erweiterung der Instrumente ein: Gitarren werden umgestimmt, sie wandeln sich zu Perkussionsinstrumenten, werden mit dem Bogen gestrichen oder als „table guitar“ gespielt, die Saiten lassen sich auch verquer (über Kreuz) aufspannen oder nach dem Vorbild Cages präparieren, der Resonanzkörper kann die Singstimme färben oder andere Instrumente verstärken – diese und weitere experimentelle Verfahren können zudem stets kombiniert werden. Experimentelle Klangforschungen und außergewöhnliche Spieltechniken einschließlich der Anwendung elektronischer Mittel (Verstärkung, E-Bow-Feedbacks etc.) bedingen sich gegenseitig, und daraus resultieren nicht zuletzt auch neue visuelle „Konzert-Szenen“. So haben die Präsentationsformen von Ocougnes Musik einerseits kaum oder nichts mehr mit dem traditionellen Gitarrenspiel gemeinsam. Andererseits können die experimentellen Verfahren auch als bewusste Mittel zur Verfremdung bekannter Melodien, speziell bekannter brasilianischer Musik eingesetzt werden. Die musikalische „Muttersprache“ ist wandelbar, kann sich an andere Idiome anpassen, ist offen für Experimente, für humorvolle Selbstkritik, für Collagen, Dekomposition und Re-Komposition.358 Das Verständnis dafür – und entsprechend die humorvolle Reaktion auf solche Verfahren – ist nicht überall gegeben. In Brasilien – so berichtet die Musikerin – kann sie mit wenigen Tönen größte Heiterkeit bewirken. Das ist ihr zufolge vom Publikum in Berlin nicht (immer) zu erwarten. Bei Ocougne wie bei Globokar, Cowell, Cage, Bertoncini oder Neumann und vielen anderen Musikern beziehungsweise Composer-Performer, die mit den Instrumenten experimentell gearbeitet haben oder arbeiten, zeigt sich, dass eine „Theorie der Praxis“ nicht nur die Anpassung des Menschen an seine gegebenen Bedingungen und Dispositionen zu umfassen, sondern auch die innovative 356 Gespräch mit der Verf. am 1. Juni 2006. 357 „Erfahrung“ zeigt sich hier als „a link between memory and experience, which subtends the belief that cumulative experience can produce a kind of wisdom“, vgl. M. Jay, Songs of Experience. Modern American and European Variations on a Universal Theme, S. 11. 358 Vgl. dazu Ocougnes Zusammenarbeit mit Chico Mello auf den CDs Música Brasileira De(s)composta, Edition Wandelweiser Records, Berlin [2005], sowie violão de dois, Oaksmus, Berlin 2001.

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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Veränderung der „Werkzeuge“ zu berücksichtigen hat, mit denen gerade Musiker beinahe körperlich verwachsen sind. Der experimentelle Umgang mit dem Instrument besteht aus einem wechselseitigen Prozess zwischen dem Erproben von neuen Spieltechniken und der (körperlichen, mentalen) Anpassung an diese Innovationen, die weitere experimentelle Schritte ermöglichen. Dies kommt dem „technischen Experiment“ nahe, ohne jedoch auf ein bestimmtes Endprodukt gerichtet zu sein beziehungsweise ohne unvorhergesehene oder zufällige Ergebnisse, die nicht zu einer zielgerichteten Arbeit gehören, abzulehnen.359 Ein Musiker, der ein selbst entwickeltes Instrument spielt oder individuelle Spieltechniken beziehungsweise eine persönliche Idiomatik ausgebildet hat, kann von diesem Instrument kaum mehr getrennt werden, ist gewissermaßen Teil des Instruments. Aus diesem Grund entstanden seit jeher Auftragswerke für ganz bestimmte Musiker. Die Ankündigung und der Auftritt eines Musikers auf dem Konzertpodium können dadurch bereits sowohl klangliche als auch visuelle Erwartungen beim Publikum hervorrufen. „Die Konditionierungen, die mit einer bestimmten Klasse von Existenzbedingungen verknüpft sind, erzeugen die Habitusformen als Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierende Strukturen [...], d.h. als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepaßt sein können, ohne jedoch bewußtes Anstreben von Zwecken und ausdrückliche Beherrschung der zu deren Erreichung erforderlichen Operationen vorauszusetzen, die objektiv ‚geregelt‘ und ‚regelmäßig‘ sind, ohne irgendwie das Ergebnis der Einhaltung von Regeln zu sein, und genau deswegen kollektiv aufeinander abgestimmt sind, ohne aus dem ordnenden Handeln eines Dirigenten hervorgegangen zu sein.“360 Vielleicht hatte Bourdieu an dieser Stelle sogar das Bild eines Instrumentalensembles als „Klangkörper“ im Sinn, bei dem die Musiker tatsächlich unter einer besonderen „Logik der Praxis“, auch ohne einen Dirigenten – beispielsweise in der Kammermusik oder Improvisation –, zusammenfinden und gemeinsam agieren. Dies gilt auch für die Musik des 20. Jahrhunderts, in der instrumentale Erweiterungen, instrumental- und spieltechnische sowie stimmliche Experimente als „Existenzbedingungen“ und Dispositionen des Musikmachens aus unterschiedlichen Gründen zur praktischen Dimension verstärkt hinzugetreten sind. Viele Musiker, die sich mit der Musik der letzten Jahrzehnte auseinandergesetzt oder sie selbst mitgestaltet haben, bildeten neue „Habitusformen“ aus, zu denen nicht zuletzt eine positive Haltung gegenüber 359 Vgl. dazu A. Kuhlenkamp, Experiment und Erfahrung in der Technik. „Das Experiment erweist sich [...] als Mittel zur Erfassung und richtigen Einschätzung der durch Spekulationen, theoretische Überlegungen auf Grund der gegebenen physikalischen Grundlagen allein nicht übersehbaren Einflüsse auf den Ablauf des Vorganges, die teils ohnehin vorhanden sind, teils erst durch den Prozeß selbst ausgelöst werden. [...] Das Experiment oder der Versuch gehört somit zum normalen Ablauf einer technischen Entwicklung, die mit der durch Intuition oder mit Hilfe von systematischen Überlegungen gefundenen Lösungsidee für die der Entwicklung zugrunde liegenden Aufgabe beginnt. Das Experiment hat dabei häufig den Charakter einer eigenen technischen Entwicklung“ (S. 71, 73). 360 P. Bourdieu, Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, S. 98f.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Experimenten mit Instrumenten und neuen Spieltechniken zählt. Und daran partizipieren zweifellos auch viele Komponisten.361 Die ungewöhnlichen und oft überraschenden Bilder der Klangproduktion, die der experimentelle Umgang mit Instrumenten hervorbringt, tragen nicht nur dazu bei, dass die visuelle Ebene einer Aufführung in den Vordergrund tritt, sondern sie demonstrieren geradezu den Zusammenhang von Klang und Bewegung beziehungsweise Aktion. Gerade auch die gewohnten, traditionellen Spielweisen werden vor dem Hintergrund experimenteller instrumental- oder stimmtechnischer Verfahren zum Ereignis, weil sie ihren selbstverständlichen Status verloren haben (die konventionelle Produktion eines Tons beispielsweise wird innerhalb der Arbeit mit Geräuschen exzeptionell). Zugleich wird deutlich, dass sowohl in kompositorischen Konzepten, die von einem experimentellen Umgang mit dem Instrument ausgehen, als auch in Improvisationen potentiell alles zu „Klangkörpern“ werden kann. Die spezifische Auswahl der Materialien und Entscheidungen für bestimmte klangproduzierende Verfahren, die zum Teil erst während der Aufführung getroffen werden, erhalten dadurch besonderes Gewicht. Sie bewirken vor allem teils Verknüpfungen, teils Kumulationen oder Gegenüberstellungen verschiedenster Kontexte und Assoziationen – oder „semantischer Felder“362 – innerhalb des Rahmens eines Konzerts. Sofern beispielsweise Alltagsgegenstände zu klanganregenden oder klingenden Instrumenten transformiert werden, erfahren sie zwar eine Loslösung aus ihrem angestammten funktionalen Zusammenhang, doch als Zeichen verweisen sie auf ihn. Dies führt dazu, dass sich das Handeln mit diesem Gegenstand beziehungsweise die Benutzung eines Objekts als Musikinstrument vor dem Hintergrund seiner normalen Nutzung – vor dem Hintergrund der normalen akustischen Sphäre sowie visuellen beziehungsweise situativen Gegebenheiten – vollzieht. Bei der Behandlung eines Kochtopfs als perkussives Instrument klingt sozusagen die Küche mit. Bei der Benutzung eines Haarbandes, das zwischen die Saiten einer Gitarre geflochten ist und bei seinem Herausziehen die Saiten zum Klingen bringt, ist die Assoziation der üblichen Handhabung des Gegenstandes sicherlich nicht gänzlich auszublenden. Bei dem Einsatz von Schleifmaschinen, Schlagbohrer und -hammer als Musikinstrumente – wie etwa in Konzerten des Komponisten und Saxophonisten Dror Feiler – ist es völlig ausgeschlossen, den Verweis auf die Klang- und Bilderwelt von Werkstätten oder Baustellen zu ignorieren.363 Sofern jedoch die akustische und visuelle Ebene getrennt behandelt werden, wie dies in vielen experimentellen Musiktheaterprojekten geschieht, lassen sich die verschiedenen Kontexte und Assoziationen auch gegeneinanderstellen. Ein bestimmter Vorgang kann neu „instrumentiert“, bestimmte Klänge mit Bildern 361 Ein Problem ist noch immer, dass oftmals von Musikern entwickelte Klänge in Kompositionen eingehen, ohne dass die Musiker als Urheber gewürdigt werden. Vgl. dazu V. Globokar, Der kreative Interpret. Vgl. auch B. Winrow, Experimental Music and the Creative Role of the Performer, sowie D. Bailey, Improvisation. 362 Vgl. M. Hirsch, Interviews mit der Welt (Einiges zur Theorie der Komposition mit reproduziertem Klang). 363 Vgl. D. Feiler, Music, Sounds, Noises & Politics, sowie H.-O. Ericsson, Von der Notwendigkeit des rohen Klangs. Die Orgelwerke Dror Feilers; vgl. auch www.avantart.com (ges. 30.12.2012).

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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kombiniert werden, die der realen Klangquelle nicht entsprechen. Darauf wird später unter Heranziehung der Werke Carola Bauckholts eingegangen. Ein weiterer Aspekt der experimentellen kompositorischen oder improvisatorischen Arbeit ist das Spiel mit verschiedenen Materialien wie Papier, Karton, Steine, Plexiglas, Holz, Wasser usw., das neben der akustischen die visuelle Ebene einer Aufführung entscheidend von einer traditionellen Konzertsituation abhebt und ebenfalls für die Verknüpfung verschiedener Kontexte sorgen kann.364 Zu den Verbindungen semantischer Felder tritt hier allerdings eine weitere junktimierende Dimension hinzu, die die Funktion beziehungsweise das Funktionieren und die Behandelbarkeit eines bestimmten Materials betrifft. Dies habe ich an anderer Stelle am Beispiel der Kombination von einer Glühbirne und der Entstehung von Licht mit einer Klarinettenmelodie dargestellt.365 Es handelt sich um eine intermediale Beziehung, die auf der Verflechtung pragmatischer und operationeller Felder beruht. Dabei geht es um die Verwendungsweisen der verschiedenen Materialien sowie um Eigenschaften eines Materials in Aktion oder Bewegung.366 Werden etwa Papierbahnen zu Instrumenten oder Klangobjekten transformiert, so entsteht ein Changieren zwischen Aktionen mit diesem Material und musikalischen Spieltechniken (z.B. Papier zerreißen oder falten, Papier beschreiben oder bemalen) sowie zwischen den Klängen des Materials in oder durch Bewegung (rascheln, reißen, kratzen auf Papier usw.) und Klängen von Instrumenten (v.a. im Bereich der Perkussion) sowie zum Teil elektronischen Klängen. Sofern Papier instrumental bespielt wird – also von vornherein musikalische Spieltechniken auf den Umgang mit einem bestimmten Material appliziert werden (zum Beispiel perkussives Spiel mit Schlägeln oder ein Streichen mit dem Bogen eines Streichinstruments) –, ist ebenfalls klar, dass das klangliche Resultat von den spezifischen Bedingungen des Materials und seiner Klanglichkeit in Funktion oder Bewegung abhängig ist. Als Beispiel sei auf Josef Anton Riedls Aktionskomposi-tion PaperMusic I (1961/68/70/80) hingewiesen, „in der die Interpreten nach strengen rhythmischen Modellen 81 Papiersorten solange bearbeiten, bis sie ‚aufgebraucht‘ sind, eine einzige Demonstration dessen, daß Papier klanglich nicht gleich Papier ist.“367 Die Vielfalt des Materials wird genutzt. „Papier ist bei Riedl nicht irgendwie Papier, sondern Seiden-, Krepp-, Transparent-, Pack-, Ölpack[-,] Ölpackpapier mit Geweben, Grau-, Holz-, Wellpappe-, Rauschgoldfolie, Cellophan, Ultraphan, Gutagena, Lampionpapier, Alufolie etc. verarbeitet als Bogen, Stücke,

364 Vgl. dazu auch M. Wagner, Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne. 365 Vgl. Verf., Klang sehen – Konzepte audiovisueller Kunst in der neuen Musik, S. 188–193. 366 Vergleichbar mit pragmatischen Aspekten der Linguistik kann man einerseits von dem Feld der Zeichenverwendung, andererseits von der Funktion und vom Bedeutungserwerb eines Zeichens im (sprachlichen) Handlungszusammenhang ausgehen, vgl. dazu B. SchliebenLange, Linguistische Pragmatik. 367 H. R. Zeller, Experimentelle Klangerzeugung und Instrument. Versuch über Josef Anton Riedl, S. 55; vgl. auch G. Nauck, Warum keine Geigen, Flöten, Oboen...? Gedanken zu Josef Anton Riedls Paper Music I und II, darin Riedls Konzept S. 10f.; vgl. auch weitere Beiträge zu Papier-Kunst und -Musik in Positionen 28, 1996.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Planen, Rohre, Schachteln, Beuteln, Tüten, Säcke, Dosen, Kugeln, Rollen etc.“.368 Demzufolge gibt es auch eine große Bandbreite von Klängen, die auf verschiedene Aktionen mit dem Material zurückgehen: „zerfetzt, ange-, zersägt; verbrannt; ge-, zerrissen; geworfen (auf Boden, Papier hochgeworfen und aufgefangen, Interpreten bewerfen sich); gekratzt; gebogen und losgelassen; ge-, zerknittert; beschrieben; ge-, zerschnitten; zerknüllt; geschüttelt; gewedelt; ge-, zertreten; zertrampelt; gestrichen (an Kante mit Streichinstrumentbogen); durchstoßen, -schlagen; ge-, zerschlagen; gewickelt (Interpreten wickeln sich stehend, liegend, kniend selbst, gegenseitig ein); geschleift; gezogen (über Boden); auf-, zugerollt; geschleudert; geraschelt; ange-, überzogen (Papiersack über Kopf).“369 Die Vielfalt der Aktionen und Klänge geht in diesem Fall nicht nur in eine Komposition ein, sondern dieses Instrument aus Papier und der Ablauf seiner Zerstörung im Aufführungsprozess bildet selbst die Komposition.370 „Die Rhyth-men der Paper Music können von den Interpreten – laut Riedlscher Vorgabe – ‚ausgewählt, aneinandergekoppelt, mechanisch starr, verschnellernd, verlangsamend, so schnell als möglich, ergänzt, verkürzt, verlängert‘ ausgeführt werden, und (was nicht in den Anweisungen steht, aber in den von Riedl einstudierten Aufführungen so praktiziert wird) sie können von den Interpreten auch wieder vergessen werden, es kommt also gar nicht wirklich darauf an, daß sie wirklich ausgeführt werden, sondern nur auf die Verinnerlichung ihres Gestus.“371 Zusammengeführt wird also das experimentelle Erkunden des Materials Papier, das vor und während der Aufführung geschieht – die Spieler stürzen sich in die Aktionen, deren Ausgang nur teilweise vorherzusehen ist, es geht um das Experiment als „Unkalkulierbarkeit des Gebrauchs“372 –, mit dem Verständnis von Instrumenten als multifunktionale und prinzipiell grenzenlos erweiterbare Klangobjekte. Diese Erkundungen sind heute nicht mehr unter dem Schlagwort des „Materialfetischismus“ oder eines vordergründigen „Materialdenkens“ zu subsumieren, sondern als gängige kompositorische Arbeitsfelder zu betrachten.373

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M. Hirsch, 15 Bemerkungen zu Josef Anton Riedls Lautgedichten, S. 54. Ebenda. Vgl. auch Riedls Projekt Glas-Spiele (1975/1977). M. Hirsch, Sieben Bemerkungen zu Josef Anton Riedl, Programmheft Frankfurter Feste 85: Musik, Poesie, Aktion, o.S., zit. bei G. Nauck, Warum keine Geigen, Flöten, Oboen...? Gedanken zu Josef Anton Riedls Paper Music I und II, S. 9. 372 G. Gebauer, Wissenschaftliche Experimente und experimentelle Kunst, S. 25. 373 Vgl dazu M. Hirsch, 15 Bemerkungen zu Josef Anton Riedls Lautgedichten, S. 45: „Material ist wie der Begriff des Experimentellen in der Entwicklung der letzten Jahre fatalerweise zunehmend in Mißkredit geraten. ‚Materialdenken‘ wurde zum Schimpfwort, den Komponisten mit ausgeprägten Materialbewußtsein attestierte man ‚Materialfetischismus‘ (was immer das auch sein mag). Doch selbstverständlich ist nicht das Material in eine Krise geraten, sondern ausschließlich das Denken derer, die von einer solchen reden.“

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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4.2.2.2 Live-Elektronik: Instrumente und Medien – Medien als Instrumente Folgende musikalischen Arbeitsbereiche werden unter „Live-Elektronik“ subsumiert: „Instrumentalaufführung mit Einspielung von vorproduziertem Klangmaterial“, „Instrumentalaufführung mit elektronischer Klangumformung“, „Synthesizereinsatz bei Konzerten“, „Live-elektronische Ensembles“, „Computergestützte, interaktive Systeme“.374 Dabei ist Live-Elektronik auch in der Pop- und Rockmusik weit verbreitet (dies wird häufig zu wenig berücksichtigt und kann hier nur erwähnt werden).375 Cage hat im Umfeld seiner Cartridge Music (komponiert im Juli 1960, uraufgeführt am 6. Oktober 1960 in Köln) die Situation einer Verbindung von „electronic music“ und „live musicians“ offenbar erstmals thematisiert.376 In diesem Zusammenhang betonte er die Absicht „to make electronic music live“.377 Dies hieß nicht anderes, als unter Einbezug elektroakustischer Medien Konzerte zu veranstalten, deren klangliche Ergebnisse nicht determinierbar und nicht vorhersehbar sein sollten. Zugleich handle es sich um eine „theatrical situation“, eine Aufführung, bei der Hören und Sehen gleichberechtigt gefordert seien.378 „Live“ bedeutete demnach hautsächlich die elektroakustische Erzeugung von Klang auf dem Konzertpodium. Dies stand im Gegensatz zur Vorproduktion und Wiedergabe von Klang mit Hilfe elektroakustischer Medien. Offenbar strebten Cage und Tudor danach, Tonbandmusik („tape music“), die nur als „fertiges Produkt“ vorzuführen war, durch eine Präsentation der Produktionsprozesse abzulösen. Cage und Tudor „had become disenchanted with ‚tape music‘; Cage said that to him it was ‚frozen‘ music lacking in spontaneity.“379 Cages Intention zur Überbrückung von „live“ und „electronic“, die vor allem auch für Tudors weiteres Schaffen als Komponist wichtig wurde, kann als entscheidender, früher Anstoß gewertet werden, die Rolle der elektroakustischen Apparate in der Musik neu zu definieren. Zudem trug sie langfristig dazu bei, die Trennung der Diskurse von Live- und Medien-Kultur beziehungsweise -Musik 374 M. Supper, Elektroakustische Musik und Computermusik, S. 13. Vgl. auch S. Emmerson u. D. Smalley, Art. Electro-acoustic music: „In live electronic music the technology is used to generate, transform or trigger sounds (or a combination of these) in the act of performance; this may include generating sound with voices and traditional instruments, electroacoustic instruments, or other devices and controls linked to computer-based systems. Both genres [electro-acoustic music, live electronic music] depend on the loudspeaker transmission, and an electro-acoustic work can combine acousmatic and live elements“ (S. 59f.). Vgl. auch die Angaben unter ‚Genres und Categories‘ bei EARS (ElectroAcoustic Resource Site): www.ears.dmu.ac.uk (ges. 30.12.2012). Vgl. zur Geschichte von Live-Elektronik G. Mumma, Live-Electronic Music. 375 Vgl. G. Batel u. D. Salbert, Synthesizermusik und Live-Elektronik. 376 Sicherlich trug die Aufführung von Cartridge Music dazu bei, dass Tudor bei der Aufführung von Variations II das „amplified piano“ zu benutzen begann, vgl. dazu J. Pritchett, David Tudor as Composer/Performer in Cage’s Variations II. 377 Vgl. A. v. Massow, Art. Live-elektronische Musik, Live-Elektronik, S. 1. 378 Vgl. J. Cage, [Cartridge Music] (1962), S. 144f. 379 A. v. Massow, Art. Live-elektronische Musik, Live-Elektronik (zit. nach einem Brief von Lowell Cross an Albrecht von Massow vom 6. April 1988), S. 2.

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aufzuweichen oder sogar aufzuheben. Die Änderung der Rolle von elektroakustischen Apparaten in musikalischen Aufführungen lässt sich mit einem Blick auf Cages Werke aus den 1930er und 1940er Jahren erläutern. Als Leiter eines Schlagzeugensembles konnte er damals bereits den Einbezug elektroakustischer Medien erproben beziehungsweise: er lotete damals bereits die Arbeit mit Instrumentalklängen und elektroakustisch vermittelten Klängen aus. Im ersten Stück der Imaginary Landscapes (1939) etwa setzte er zwei Plattenspieler ein, mit denen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten (33 1/3 oder 78) Platten mit Testklängen abgespielt werden konnten.380 „Rhythms are produced by lifting and lowering the record needle. The effect of the pitch sliding when the turntable speed is changed is striking and eerie, and Cage has heightened this effect by combining the frequency recordings with other ominous sounds: cymbal tremolos, the bass strings of a piano played with a soft gong beater, and three piano notes muted with the fingers.“381 In den beiden folgenden Imaginary Landscapes (1942) wird die Integration von elektronischen Geräten ausgeweitet: „Imaginary Landscape No. 3 [...] uses the largest collection of electronic devices in the entire series: oscillators, test-tone recordings, a recording of a generator, a buzzer, an amplified coil of wire, and an amplified marimbula.“382 Werden in diesen Stücken die elektronischen Geräte als Instrumente bezeichnet, so gilt dies ihrer Funktion als Mittel zur Klangerzeugung und Klangwiedergabe. Sie werden den akustischen Instrumenten gleichgestellt. Dabei wird ihrer technischen Spezifik im Prinzip keine Aufmerksamkeit geschenkt. Das heißt: dass hier Klänge nicht durch den Atem oder durch Anschlagen eines Gegenstandes oder durch Streichen einer Saite erzeugt werden, sondern dass elektrotechnische Vorgänge für die Erzeugung und/oder Wiedergabe von Klang notwendig sind, dies ist zweitrangig. Die Funktion der Apparate wird genutzt, weil sie elektronische Klänge erzeugen oder aufgenommene Klänge wiedergeben: es geht um die Bereicherung der Klangfarben. Dies betrifft auch die Verstärkung von „small sounds“. Wie James Pritchett bemerkt, erweiterte Cage beispielsweise mit den Testfrequenzen von den Schallplatten seine „musical palette.“383 Cages Interesse stimmte damals offenbar mit Varèses Äußerung über die Arbeit mit „neuen Instrumenten“ überein: „The role of color or timbre would be completely changed from being incidental, anecdotal, sensual or picturesque; it would become an agent of delineation, like the different colors on a map separating different areas, and an integral part of form. These zones would be felt as iso-

380 Vgl. J. Cage: Imaginary Landscape, Nr. 1, for Records of Constant and Variable Frequency, Large Chinese Cymbal and String Piano, Partitur, Henmar Press Inc. New York 1960, Edition Peters 6716. Vgl. dazu auch L. E. Miller, Henry Cowell and John Cage. Intersections and Influences, 1933–1941, S. 84ff. 381 J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 20. Vgl. dazu S. Key, John Cage’s Imaginary Landscape No. 1. Through the Looking Glass; vgl. auch E. Mutschelknauss, John Cage: Imaginary Landscape No. 1. 382 J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 20. 383 Ebenda. Vgl. Morton Feldmans Marginal Intersection (1951), siehe S. Claren, Neither, S. 55, 187. Vgl. B. Schrader, Live/electro-acoustic music – a perspective from history and California.

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lated, and the hitherto unobtainable non-blending (or at least the sensation of nonblending) would become possible.“384 Cage scheint zu dieser Zeit mit den Möglichkeiten der Elektroakustik bereits gut vertraut gewesen zu sein. In The Future of Music: Credo (1937) erwähnt er nicht nur „oscillators, turntables, generators, means for amplifying small sounds“ und „filmphonographs“, sondern auch „electrical musical instruments“ wie das „Novachord“ und „Solovox“ sowie das „Theremin“. Mit dem „filmphonograph“ sei es möglich geworden, alle Arten gespeicherter Klänge zu nutzen: „We want to capture and control [...] sounds, to use them not as sound effects but as musical instruments. [...] With a film phonograph it is now possible to control the amplitude and frequency of any one of these sounds and to give to it rhythms within or beyond the reach of the imagination“385 – hier werden also tatsächlich die Klänge als Musikinstrumente bezeichnet, wobei Cage vor allem an Geräuschen interessiert war.386 Die „electrical instruments“ erlaubten Cage zufolge „complete control of the overtone structure of tones (as opposed to noises) and to make these tones available in any frequency, amplitude, and duration.“387 Cage setzt ferner hinzu – und eine Vorwegnahme der Stellungnahmen zur elektronischen Musik in den 1950er Jahren von Boulez oder Stockhausen ist kaum überhörbar: „It is now possible for composers to make music directly, without the assistance of intermediary performers.“388 Anfang der 1960er Jahre, als Cage sein Konzept von „indeterminacy“ ausweitete, hatte sich sein Verhältnis zu „tape music“ – wie oben bereits angedeutet –, grundlegend gewandelt. Es suchte nach Möglichkeiten, die Realisation eines Werks unbestimmt zu lassen und deren Resultat nur für eine singuläre Aufführung vorzubereiten.389 In diesen Kontext gehörte auch die Entwicklung eines neuen Umgangs mit elektroakustischen Apparaten, wovon Cartridge Music zeugt. Hier werden Klänge durch Kontaktmikrophone verstärkt oder durch „cartridges“ hörbar gemacht. „Cartridges“ sind Tonabnehmer, mit denen beispielsweise am Tonarm eines Plattenspielers mechanische Bewegungen in elektrische Spannungsveränderungen umgewandelt werden. In Cages Stück gehört zu jedem Tonabnehmer ein eigener Verstärker und ein Lautsprecher. „It [Cartridge Music] has usually been performed with contact microphones on objects (such as a table or piano bench), and various items inserted into a phonograph pick-up in place of the conventional

384 E. Varèse, New Instruments and New Music (Vortrag in Santa Fe, 1936), S. 197. Vgl. dazu L. E. Miller, Henry Cowell and John Cage. Intersections and Influences, 1933–1941, S. 92f. 385 Siehe J. Cage, The Future of Music: Credo (1937), Zitat S. 3. 386 Das Interesse an Geräuschen und infolgedessen auch die Arbeit mit Perkussionsmusik hatten bei Cage einerseits Oskar Fischinger, andererseits Edgard Varèse geweckt, vgl. dazu W. Duckworth, Talking Music, S. 10. Zu Fischinger vgl. H. de la Motte-Haber, Musik und bildende Kunst. Von der Tonmalerei zur Klangskulptur, S. 212. Bei Fischinger lernte Cage auch den Filmphonographen kennen. Vgl. dazu auch R. Großmann, Farbklavier, Oszilloskop, Sequencer. Technische Transformationen von Ton und Bild. 387 J. Cage, The Future of Music: Credo (1937), S. 4. 388 Ebenda. 389 Vgl. dazu J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 105ff.

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phonograph needle […] Cages suggests objects such as ‚a coil of wire, a toothpick, a pipe-cleaner, a twig‘ […], or ‚matches, slinkies, piano wires, feathers, etc.‘ […] for the cartridges; and for the contact microphones to be placed on the ‚microphone stand, table‘ […], or ‚chairs, tables, waste baskets, etc.‘ to produce the auxiliary sounds.“390 Im Gegensatz also zu den frühen Werken mit elektroakustischem Equipment – Imaginary Landscape No. 1 sollte dazuhin nicht als Konzert aufgeführt werden, sondern in eine Studioaufnahme münden391 – sind in Cartridge Music die resultierenden Klänge völlig von den Aktionen der Aufführenden abhängig. Diese sind nicht beliebig, sondern gehen auf Daten zurück, die für eine Aufführung aus der Partitur ermittelt werden.392 Zudem bedingen die verwendeten Materialien, Zusatzklänge aus anderen Stücken oder die Verbindung mit Tanz sowie Rückkopplungen des elektroakustischen Systems und Eigengeräusche der Apparate das klangliche Ergebnis einer Aufführung. Schließlich kann es auch unerwartet zu Phasen der Stille kommen.393 Obwohl Live-Elektronik inzwischen die Analogtechnik weit hinter sich gelassen hat und heute das Equipment von Cage sowie die Klänge, die damit erzeugt wurden, beinahe schon in ein nostalgisches Licht getaucht werden, können von Cartridge Music einige Prinzipien live-elektronischer Musik abgeleitet werden. Zum einen handelt es sich um die Anregung und Erzeugung von elektrotechnisch vermittelten Klängen im Aufführungsprozess, also in „real time“. Das heißt, der Verlauf einer live-elektronischen Aufführung ist nicht vorproduziert und wird nicht reproduziert (obwohl auch vorproduzierte Klänge in den Aufführungsprozess einbezogen werden können und obwohl auch eine Reproduktion in „real time“ erfolgen kann).394 Elektro-technische beziehungsweise elektroakustische Anlagen und Apparate werden demnach zu Musikinstrumenten, indem sie auf dem Konzertpodium – wie akustische Instrumente – zur Klangproduktion, -anregung und -verstärkung eingesetzt werden. Dass ihre Handhabung allerdings anderen Gesetzen folgt wie die Nutzung traditioneller Musikinstrumente, ist ein Faktor, auf den zurückzukommen sein wird (er wurde bereits im Kontext der Erörterung von Computer- und Laptop-Konzerten angesprochen). Dass sich zudem das traditionelle Bild geordneter Reihen von Instrumentalisten oder Choristen, von hervorgehobenen Solisten oder von einem intimen Streichquartett als Zentrum des Podiums verändert und durch eine Reihe von technischen Geräten mit einem Gewirr von Kabeln ersetzt wird, ist in seiner Radikalität für die Rezeptionssituation nicht zu unterschätzen. Hatte das Publikum bei der „Lautsprechermusik“ keine Anhaltspunkte mehr für die Relation zwischen Klang und sichtbarer Klangquelle, so sind nun zwar Musiker und Instrumente (wieder) auf der Bühne, doch die klanglichen Resultate einer Aufführung können dem, was man sieht und erwartet, völlig fremd 390 W. Fetterman, John Cage’s Theatre Pieces, S. 59, 63. 391 Siehe S. Key, John Cage’s Imaginary Landscape No. 1. Through the Looking Glass. 392 Vgl. Partitur von Cartridge Music, New York 1960; die Partitur besteht aus unterschiedlichen Transparenten, vgl. dazu Cages ausführliche Partituranleitung. 393 Vgl. die Aufführungsberichte bei W. Fetterman, John Cage’s Theatre Pieces, S. 67. 394 Zu den vor allem mit der Computermusik aufgekommenen Friktionen von „live“ und „real time“ vgl. S. Emmerson, ‚Live‘ versus ‚Real-time‘.

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sein. Zweitens zeigt bereits Cartridge Music die Involvierung des elektroakustischen Systems als Instrument, das heißt die Klanggewinnung aus der Technik selbst, zum Beispiel bei der Entstehung von Feedbacks. Dazu gehören auch Eigengeräusche der Elektrik und Elektronik (etwa das Rauschen eines Lautsprechers oder das Brummen eines Verstärkers), das heißt die hörbaren Phänomene der elektrischen Vorgänge, die heute den analogen Geräten beinahe zu einer Art Renaissance verhelfen.395 Drittens wird bei Cage – auf einer einfachen Stufe – bereits deutlich, dass während der Aufführung auch eine Veränderung der Klänge erfolgen kann. Ganz allgemein formuliert geht es hier nicht nur um Möglichkeiten der unmittelbaren Klangtransformation, sondern vor allem auch um das Spiel mit dem eigenen Spiel, das heißt um die Rückbezüglichkeit auf das Klanggeschehen inmitten des Klanggeschehens. Dieses Verfahren konnte insbesondere durch den Einsatz von Aufnahme- und Wiedergabe während des Konzerts („loops“ durch Tonband oder später mit der digitalen Samplingtechnik) perfektioniert und ausgeweitet werden.396 Ein vierter Aspekt, der bereits in den ersten Imaginary Landscapes eine Rolle spielt und in Cartridge Music, unter anderen Vorzeichen, wieder aufgegriffen wird, ist die Kombination aller Verfahren in der Aufführung: die Zusammenbringung von akustisch und elektroakustisch erzeugten und vermittelten sowie von vorproduzierten/reproduzierten Klängen. Mit diesen vier Punkten sind Leitlinien der LiveElektronik angesprochen, die sich – wie angedeutet – mit der digitalen Technik zwar gewandelt haben, doch noch immer als Ausgangspunkte für Überlegungen zum Genre „Live-Elektronik“ oder „live-electronic music“ dienen können. Wendet man sich der Entwicklung dieses Zweigs im europäischen Raum zu, so zeigt sich eine andere Schwerpunktsetzung als bei Cage. Stockhausen etwa hat mit seinen Kontakten (1959–1960) für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug (uraufgeführt am 11. Juni 1960 in Köln) eine „Verbindung von Elektronischer Musik und Instrumentalmusik“ geschaffen, bei der die Instrumentalisten zu einer bereits produzierten und auf Tonband fixierten Komposition hinzutreten – eine Konstellation, wie sie Cage zeitgleich abgelehnt hat.397 Mit etwas späteren Werken wie Mixtur (1964) für 5 Orchestergruppen, Sinusgeneratoren und Ringmodulatoren und vor allem Mikrophonie I (1965) für Tamtam, 2 Mikrophone, 2 Filter und Regler und Mikrophonie II (1965) für Chor, Hammondorgel und 4 Ringmodula-

395 Vgl. dazu J. Schröter, Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum?, sowie W. Ernst, Den A/D-Umbruch aktiv denken – medienarchäologisch, kulturtechnisch. 396 Vgl. dazu J. Cage, [Cartridge Music] (1962), S. 144f. Cage erwähnt „loops“ als „repeated actions, periodic in rhythm“, die man in Cartridge Music ausführen solle, und führt „loops“ auf Tonbandwiederholungen zurück: „It describes a circle of magnetic tape, which permits repeated playing of the material recorded on it“ (S. 144). Die Aktionen der Aufführenden (und die entsprechenden klanglichen Resultate) orientieren sich demnach an der Tonbandtechnik, ein frühes Phänomen für den Einfluss der Medien auf die Live-Situation. 397 Zur Entstehung der Kontakte, die in zwei Fassungen vorliegen (als elektronisches Werk und als Stück für elektronische und instrumentale Musik), vgl. Chr. v. Blumröder, Serielle Musik um 1960. Stockhausens Kontakte. Vgl. auch H. Kirchmeyer, Zur Entstehungs- und Problemgeschichte der ‚Kontakte‘ von Karlheinz Stockhausen.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

toren näherte sich Stockhausen jedoch Cages Vorstellungen von „live electronic“ an. Für Stockhausen stand zunächst die Zusammenbringung von elektronischer Musik und Instrumentalmusik im Vordergrund. „Die Begegnung mit Vertrautem, Benennbarem in Regionen des Unbekannten und Namenlosen macht das Unbekannte um so geheimnisvoller, faszinierender, und umgekehrt wird das Bekannte, auch Banale und Alte – für das wir kaum noch ein Ohr hatten – in der neuen Umgebung des Unbekannten ganz frisch und lebendig.“398 In den Kontakten scheint sich auf den ersten Blick die Dimension von „live“ auf das Spiel von Instrumentalmusik zu beziehen, das während der Aufführung den reproduzierten Klängen vom Tonband gegenübersteht. Doch die Vermittlungsprozesse zwischen Instrumentalklängen und elektronischen Klängen sowie die räumliche Projektion beziehungsweise Bewegungen der Klänge im Raum, die Bestandteil der elektronischen Komposition geworden waren, standen im Mittelpunkt des Aufführungsverlaufs.399 Somit sind beide Ebenen – Instrumentalmusik und elektronische Musik – Teil der Dimension von „live“, ganz abgesehen von dem bereits erwähnten Faktor, dass auch die Wiedergabe von vorproduzierter Musik im Konzert „live“ erfolgt. „Sechs instrumentale Klangkategorien sind verwendet: Metallklang – Metallgeräusch, Fellklang – Fellgeräusch, Holzklang – Holzgeräusch; das Klavier soll diese Kategorien verbinden, aufspalten oder Signale des Zusammenspiels geben. Die elektronischen Klangkategorien stellen Verwandtschaften und Übergänge zwischen den instrumentalen her, verschmelzen mit ihnen und entfremden sich in bisher unbekannte Klangräume. Während sich in der elektronischen Musik 5 räumliche Bewegungsformen in differenzierten Geschwindigkeiten und Richtungen, auf immer neue Art kontangieren [...], stellen die Instrumentalisten starre Klangquellen im Raum dar.“400 Beinahe entsteht der Eindruck, Stockhausen habe hier die „Lebendigkeit“ der elektronischen Komposition der „Lebendigkeit“ der Instrumentalmusik vorgezogen. Jedenfalls wird deutlich, dass die Aufführung elektronischer beziehungsweise elektroakustischer Musik im Sinne einer spezifischen Wiedergabe von „Tonträgermusik“ inszenatorischen Charakter hat – in diesem Kontext hauptsächlich bezogen auf die Präsentation der Musik im Raum –, der „live“ umgesetzt wird. Die Kontrolle darüber hat der „Klangregisseur“, der bei der Aufführung von Werken Stockhausens 398 K. Stockhausen, Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug (1968), S. 29. Vgl. dazu auch K. Stockhausen, Elektronische und instrumentale Musik (1958), S. 140–151. Den Kontakten waren folgende Werke elektroakustischer Musik mit Instrumentalmusik vorausgegangen: Bruno Madernas Musica su due dimensioni (1952/1958), Henri Pousseurs Rimes pour différentes sources sonores (1958/59) sowie Pierre Boulez’ Poésie pour pouvoir (1958). „Ergab sich bei der Tonträgermusik die ‚Erweiterung der Klangpalette‘ gleichsam als Nebenprodukt der eigentlichen Klangforschung, so wurde die Vervielfältigung der Klangfarben bzw. die Schaffung von neuen Zwischenstufen zwischen den existierenden Instrumentalfarben auf unterschiedliche Weise in den ‚gemischten‘ Werken (im französischen Sprachgebrauch setzte sich alsbald der Terminus ‚musique mixte‘ durch) thematisiert“ (Elektroakustische Musik, hg. von E. Ungeheuer, S. 61f., vgl. auch ebenda S. 68f.). 399 Vgl. dazu G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 191f. 400 K. Stockhausen, Nr. 12 Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug (1960), S. 104f.

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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nicht mehr wegzudenken ist – weil Stockhausen bekanntlich die Rolle des Klangregisseurs zumeist selbst übernommen und sie mit Akribie perfektioniert hat.401 In Kontakte ging Stockhausen von einer Komposition elektronischer Musik aus, in der er Klänge synthetisch produziert hatte, die teilweise Instrumentalklängen glichen. „In diesen Kontakten sind alle Klänge, auch die, die naturalistisch klingen – wie Holzblöcke, wie Metallbecken oder wie Almglocken, wie Maracas oder wie Konsonanten – sch! –, also alle diese Klänge sind elektronisch, das heißt zunächst einmal synthetisch gemacht.“402 Die Musiker, ursprünglich drei Schlagzeuger und ein Pianist, sollten einem ersten Plan zufolge „nach einer in Grenzen offenen Partitur von Aufführung zu Aufführung ‚variabel‘ auf die elektronische Musik reagieren. Dazu sollte auch die Wiedergabe der elektronischen Musik – durch Stoppen und Starten des Tonbands, durch Veränderung der Dynamik, durch Schließen und Öffnen einzelner Kanäle – von den Musikern in bezug auf ihr Spiel verändert werden.“403 Doch die Offenheit dieser Konzeption schuf Unsicherheiten bei den Spielern, so dass sich Stockhausen für die Vorlage einer ausnotierten Partitur entschied. Zudem reduzierte er die Besetzung auf ein Klavier (mit Schlaginstrumenten) und ein Schlagzeug.404 Die Instrumentalisten sind in diesem Fall dazu aufgefordert, den Klangverläufen der elektronischen Komposition zu folgen. „Bei einer Aufführung im Konzertsaal mit den beiden Solisten werden nun diese Klangkategorien [bekannte Klänge wie beispielsweise Klänge von Metallinstrumenten oder stimmlose Konsonanten] durch die Instrumente betont – sozusagen unterstrichen –; die Instrumentalklänge funktionieren wie Verkehrszeichen in einer unbekannten Landschaft. So findet man immer wieder von Zeit zu Zeit Bezugspunkte, Elemente, die man kennt – einen Klavierklang, einen Beckenklang –, und dann bezieht man alles andere in der Umgebung auf diese bekannten Phänomene.“405 Dabei ist eine exakte Synchronisation notwendig.406 401 Vgl. dazu K. Stockhausen, Elektroakustische Aufführungspraxis. „Klangregisseure“ am Mischpult sind vor allem auch bei Popkonzerten unabdingbar geworden. Der Einsatz elektroakustischer Medien hat damit eine neue Profession im Musikbereich geschaffen, in der Kompetenzen aus der Studiotechnik („Tonmeister“) mit Fähigkeiten der Live-KlangInszenierung gekoppelt werden müssen. Vgl. auch K. Stockhausen, Zur Aufführungspraxis Elektronischer Musik. Zur „Klanginszenierung“ der Kontakte vgl. auch K. Stockhausen, Kontakte (1958–60) für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug (Pianist, Schlagzeuger, Klangregisseur). 402 K. Stockhausen, Vier Kriterien der Elektronischen Musik (1972), S. 364f. 403 M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 141. 404 Vgl. ebenda, vgl. auch Chr. v. Blumröder, Serielle Musik um 1960. Stockhausens Kontakte, S. 431; H. Kirchmeyer, Zur Entstehungs- und Problemgeschichte der ‚Kontakte‘ von Karlheinz Stockhausen, S. 165f.; vgl. zu den Instrumenten die Beschreibungen und Illustrationen in K. Stockhausen, Ratschläge für Schlagzeuger (1984), S. 95. Vgl. auch S. Brandorff u. J. La Cour, Karlheinz Stockhausen’s Kontakte, S. 95. 405 K. Stockhausen, Fragen und Antworten zu den ‚Vier Kriterien...‘ (1973), S. 413. Vgl. das Prinzip der Gestaltung von Klangverläufen in Zyklus. Vgl. dazu auch J. Dack, Strategies in the Analysis of Karlheinz Stockhausen’s Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug. 406 Vgl. K. Stockhausen, Nr. 12 Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug, Aufführungspartitur, Universal Edition 1966, UE 14246 LW.

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Diese Notwendigkeit wurde oft als Nachteil solcher Kombinationen betrachtet. „Yet, one of the first and most imperious criticisms toward tapes is precisely their temporal rigidity.“407 Dies mag einer der Gründe gewesen sein, weshalb nach Kontakte Instrumente zum Ausgangspunkt von Stockhausens Live-Elektronik genommen wurden. Live-elektronische Werke zeigen bis heute zumeist den Untertitel „Instrument X oder Instrumente XY und Zuspielband“, wobei heute kaum mehr mit Tonbändern gearbeitet wird.408 In Stroppas oben zitiertem Aufsatz berichtet er von einer Aufführung von Kontakte in den 1990er Jahren, in der er auf Einladung des Pariser Ensembles Intercontemporain als „Klangregisseur“ tätig war. „It was quite an astounding experience: the synthetic sounds were so ‚real‘, energetic, lively, that I hardly believed they were recorded on a tape produced a third of a century earlier; that music was much more effective than any real-time pieces I ever heard.“409 Der geschilderte Eindruck bestätigt Stockhausens eigene Zielvorstellungen, und man mag sich fragen, weshalb er dann die Instrumentalisten hinzufügte. Diese Frage wurde Stockhausen in einem Interview gestellt, und er gab folgende Antwort: „Ich glaube, daß die Komplexität der musikalischen Erfahrung reicher wird, wenn man den Instrumentalisten und seine Aktionen tatsächlich sieht: Das sind ganz konkrete Dinge, physische Akte. Sie funktionieren wie etwas, das man identifizieren kann, für das man einen Namen hat. Und Klänge, die man benennen kann – sagen wir, einen Klang, der an seinem Anfang wie ein Becken klingt und dann in den Klang einer afrikanischen Schlitztrommel kontinuierlich transformiert wird –, werden sogar noch geheimnisvoller; denn man sieht das Becken und die Schlitztrommel, die bis zu diesem Zeitpunkt nichts miteinander zu tun hatten, und man bemerkt nun, daß sie nur eine Auswahl aus einer kontinuierlichen Skala möglicher Farben sind.“410 Neben der Kombination sichtbarer, „physischer“ Akte mit imaginären, virtuellen „Klang-Aktionen“ kam es Stockhausen also darauf an, eine Vorstellung der Verbindung von elektronischer mit instrumentaler Musik zu realisieren, die er zuvor mit der Schaffung eines „Kontinuum-Instruments“ umschrieben hatte: die Entwicklung von Übergängen zwischen allen verfügbaren Klängen.411 407 M. Stroppa, Live electronics or ... live music? Towards a critique of interaction, S. 43. Stroppa erwähnt dieses Problem und diskutiert Möglichkeiten, sich der zeitlichen Flexibilität von Musikern anzupassen, wobei er allerdings von der Arbeit mit dem Computer ausgeht. 408 „Incidentally, the expression ‚music for tape‘ is no longer adequate. It traditionally refers to music that is realized ahead of the performance and kept on a recording medium – tape, DAT tape, compact disk, computer memory. In France and Canada, the expression ‚musique sur support‘ seems to gain acceptance“, siehe J.-C. Risset, Composing in Real-Time?, S. 35. 409 M. Stroppa, Live electronics or ... live music? Towards a critique of interaction, S. 42f. 410 K. Stockhausen, Fragen und Antworten zu den ‚Vier Kriterien...‘ (1973), S. 413. Zu den sichtbaren Aktionen der Instrumentalisten in Kontakte und ihren formalen sowie inhaltlichen Bedeutungen vgl. Chr. v. Blumröder, Serielle Musik um 1960. Stockhausens Kontakte, S. 433–435. Insofern ist die Fassung mit Instrumenten nicht nur als Konzession an die Hörer zu verstehen (wie P. W. Schatt darlegt, siehe ders., Tendenzen des Materials in Stockhausens „Kontakten“). 411 Vgl. K. Stockhausen, Fragen und Antworten zu den ‚Vier Kriterien...‘ (1973), S. 413; vgl. auch M. Supper, Elektroakustische Musik und Computermusik, S. 59, sowie dort das

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Die nachfolgenden Werke, in denen Stockhausen eine Verbindung zwischen Instrumentalmusik und elektronischer Musik weiterverfolgte, waren Mixtur, Mikrophonie I und Mikrophonie II. Mixtur „könnte der Beginn einer Synthese von Instrumentalmusik und Elektronischer Musik sein“, formuliert der Komponist im ersten Entwurf einer Programmeinführung für die Uraufführung 1965.412 Fast dreißig Jahre später erläuterte er: „Mixtur für Orchester ist damit das erste Werk einer elektronischen Transformation des Orchesters in Realzeit: Der Beginn der Live-elektronischen Musik.“413 Wobei dies allerdings eine Revision oder Überlagerung sein kann, denn 1991 hat der Komponist erklärt: „Mikrophonie I für großes Tamtam, 2 Klangerreger, 2 Mikrophonisten, 2 Filterer und Regler war die erste live-elektronische Komposition.“414 Zwischen Kontakte und diesem Neubeginn lagen – das kann hier nur kursorisch erwähnt werden – längere Amerika-Aufenthalte Stockhausens (nachdem er 1958 erstmals dort eine Tourneereise unternommen hatte, war er im Herbst 1962 für ein halbes Jahr in Locust Valley, Long Island, im Januar 1964 für ein halbes Jahr als Gastprofessor an der University of Pennsylvania in Philadelphia mit Wohnsitz in New York).415 Im Herbst 1964 wurden die Originale in New York aufgeführt, in denen bekanntlich auch Kontakte eine zentrale Rolle spielten.416 Zu Cage und vor allem zu Tudor bestanden enge Beziehungen mindestens seit 1954, von daher darf man davon ausgehen, dass Stockhausen auch die Anfänge der LiveElektronik bei Cage mitverfolgt hat (zu Erinnerung: Cartridge Music wurde am 6. Oktober 1960 erstmals in Köln aufgeführt). Auch wenn Stockhausen Anregungen, die er erhalten hat, kaum thematisiert, dürfte es klar sein, dass sich seine Suche nach einer Verbindung von Instrumentalmusik und elektronischer Musik in einem indirekten Austausch oder sogar in einer Auseinandersetzung mit den Aktivitäten von Cage und anderen Komponisten in USA (etwa Gordon Mumma) abspielte.417

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Kapitel über „Klangsynthese“ (S. 27–62). Vgl. auch P. W. Schatt, Tendenzen des Materials in Stockhausens „Kontakten“, sowie E. Ungeheuer, Die Geburt der Idee aus dem Geist der Technik? Anmerkungen zum Klangkontinuum in der Elektronischen Musik. Vgl. auch M. Mowitz, Die Form der Unendlichkeit. Aspekte der Momentform und der seriellen Struktur in Karlheinz Stockhausens Kontakte. K. Stockhausen, Mixtur (1964) für 5 Orchestergruppen, Sinusgeneratoren u. Ringmodulatoren, S. 51. Mixtur wurde am 9. November 1965 in Hamburg uraufgeführt. Stockhausen erstellte danach eine Version für kleine Besetzung, die am 23. August 1967 in Frankfurt uraufgeführt wurde. K. Stockhausen, Mixtur 1964: Live-elektronische Musik, S. 70. K. Stockhausen, Elektroakustische Aufführungspraxis, S. 566. Vgl. M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 166f., 173–178. Vgl. dazu K. Stockhausen, Originale (1961), musikalisches Theater; W. Dörstel, Situation, Moment, Labyr, Fluxus oder das zerstörte Original. Das Musiktheater ‚Originale‘ von Karlheinz Stockhausen; vgl. auch S. Fricke, Attacken auf Karlheinz Stockhausen. Fluxus im ‚Kampf gegen das musikalische Dekor des Faschismus‘. Vgl. K. Stockhausen, John Cage und Bo Nilsson (1957); ders., Musikalische Eindrücke einer Amerikareise (1959), ebenda, S. 219–232; vgl. auch P. N. Wilson, Stockhausen, der Epigone? Karlheinz Stockhausen und die amerikanische Avantgarde. Vgl. auch A. C. Beal, Negotiating Cultural Allies. American Music in Darmstadt, 1946–1956.

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Cage hatte nach Cartridge Music die Mikrophonierung und Verstärkung eines ganzen Orchesters in Atlas Eclipticalis (1961–1962) und im Kontrast dazu die Mikrophonierung und Verstärkung alltäglicher Handlungen in 0’00’’ vorgenommen.418 Auch in den Werken Mixtur, Mikrophonie I und Mikrophonie II von Stockhausen tritt die Mikrophonierung und Verstärkung sowie elektronische Transformation der Instrumentalklänge ins Zentrum. Stockhausen hatte mit der Aufnahme von Klängen, das heißt mit der Mikrophontechnik, bereits im Studio gearbeitet. Ob sich das allmähliche Interesse, auch die Klänge seiner Instrumentalmusik in der Aufführung auf dem Konzertpodium zu verstärken und schließlich die Mikrophonierung und Verstärkung von Instrumenten in Werken zu thematisieren, auf Einflüsse von Cage zurückführen lässt, ist also nur bedingt anzunehmen. Doch die Technik auf die Bühne zu holen, Teile des Studioequipments den Instrumenten des Orchesters auf der Konzertbühne quasi gleichberechtigt zur Seite zu stellen – „Die elektronische Musik verläßt das Studio“ –, diese Konzepte dürften sicherlich nicht ohne Gedanken an Cages und Tudors Auftritte sowie weitere Erfahrungen mit „live-electronic music“ in Amerika entworfen worden sein.419 Stockhausen zufolge lagen die Schwerpunkte aber auf der Differenzierung von Möglichkeiten zur Klangsynthese und auf der Auslotung der elektronischen Klangtransformation. Aus der zeitlichen Distanz erklärte der Komponist: „Seit 1963 war ich Leiter des Studios für Elektronische Musik des WDR Köln. Meine systematischen Experimente mit Mikrophonierung, Filterung und Ringmodulation von Instrumentalklängen mündeten 1964 zunächst in das Werk Mixtur. Damit gab ich der künstlerischen Orientierung der Studioarbeit eine neue Richtung.“420 In Mixtur werden im Verlauf eines Konzerts Klänge von vier Orchestergruppen (Holzbläser, Blechbläser, zwei Streichergruppen) jeweils separat mit Mikrophonen aufgenommen und Mischpulten zugeleitet.421 Die Mischpulte sind mit vier Ringmodulatoren verbunden, durch die der Instrumentalklang verändert wird. Die Ergebnisse dieser Klangveränderungen werden über vier Lautsprechergruppen dem Instrumentalklang des Orchesters wieder „hinzugemischt.“422 Zu dieser 418 Uraufführung von Atlas Eclipticalis: Theatre La Comedie Canadienne, International Week of Today’s Music, Montreal, Kanada, am 3. August 1961. Uraufführung von 0’00’’ in Tokyo 1962. 419 Vgl. A. Ruschkowski, Elektronische Klänge und musikalische Entdeckungen, S. 248. Zudem wurden interaktive Arbeitsweisen im Studio (Stockhausen und seine Mitarbeiter) auf die Bühne transferiert, vgl. dazu W. Hopp, Interaktion und akustisches Photo. Überlegungen zur live-elektronischen Musik Karlheinz Stockhausens. 420 K. Stockhausen, Mixtur 1964: Live-elektronische Musik (1993), S. 70. 421 Vgl. K. Stockhausen, Nr. 16 ½ Mixtur für Orchester, Sinusgeneratoren und Ringmodulatoren (kleine Besetzung), Partitur, Universal Edition, UE 13847, Wien 1968. Die Neufassung des Werks (2003) kann in unserem Rahmen nur erwähnt werden, vgl. J. Spinola, Eine Todesfahrt rückwärts in die Erinnerung. Verwunschene Schönheitsempfindungen: Karlheinz Stockhausens ‚Mixtur‘ von 1963 in einer Neufassung. 422 Vgl. K. Stockhausen, Mixtur (1964) für 5 Orchestergruppen, Sinusgeneratoren u. Ringmodulatoren, S. 52. Vgl. P. W. Schatt, Eine „Kunst des Überganges“: Funktionen der Ringmodulation in Karlheinz Stockhausens „Mixtur“.

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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Mischung treten Schlagzeugklänge hinzu, die über Kontaktmikrophone verstärkt und über Lautsprecher zugespielt werden. Die „öffentliche Realisation, um nicht zu sagen: die öffentlich kultisch-rituelle Poiesis“ wurde „integraler Bestandteil des musikalischen Kunstwerks.“423 Die Wirkungen der Verbindung von Instrumentalmusik mit den elektronisch transformierten Klängen hat Stockhausen folgendermaßen beschrieben: „Das Wesentliche an Mixtur ist zum einen die Verwandlung des bekannten Orchesterklangs in eine neue, zauberhafte Klangwelt. Es ist eine unglaubliche Erfahrung, zum Beispiel Streicher einen gehaltenen Ton streichen zu sehen und zu hören und gleichzeitig wahrzunehmen, wie dieser Ton sich langsam im Glissando von sich selbst wegbewegt, der Puls sich beschleunigt und ein wunderbares Klangfarbenspektrum entsteht. [...] Feinste Mikrointervalle, extreme Glissandi und Lagenwechsel, schlagartige Einschwingvorgänge von normalerweise weichen Tonanfängen, komplexe Harmo-nien auch über einzelnen Instrumentaltönen und viele weitere Klangereignisse gehen aus dieser Modulationstechnik und der variablen Strukturierung hervor. Zum anderen fügt die Ringmodulation neue Oberton- und Unterton-Reihen zu den Instrumentalspektren hinzu, was man vor allem bei gehaltenen Klängen von Mixtur gut durchhören kann. Solche Mischungen kommen in der Natur und bei den traditionellen Instru-menten nicht vor.“424

Um allerdings die perfekten Mischungen zu erhalten, wurde es notwendig, den Aufbau auf der Bühne, die Positionierung der Musiker, die Orte und Ausrichtungen der Mikrophone und Lautsprecher, die Positionierung der Mischpulte, die Beleuchtung, die Anzahl der Notenständer, sämtliche Details zu planen und aufeinander abzustimmen. Stockhausen hat dies nach und nach strikt festgelegt und vorgegeben.425 Er hat diese Maßnahmen auch auf seine – vor Mixtur entstandene – Instrumentalmusik ausgedehnt und betont, dass es darum gehe, „Musik so zu verstärken und räumlich zu projizieren, daß man physisch in sie einbezogen ist wie der Interpret und den Raum des Auditoriums derart ins akustische Geschehen einbezieht, daß er ringsherum zu einer alldirektionalen Natur wird.“426 Die elektroakustische Technik erlaubt es also erstens, die Klänge von ihrer Quelle abzutrennen. Sie ermöglicht es aber zweitens, die Klänge in veränderter Form der Klangquelle räumlich wieder zuzuordnen – bei der Verstärkung von Instrumentalmusik (ohne zusätzliche klangtransformierende Elemente) ist es sogar notwendig, dass die räumliche Klangprojektion genau auf den Standort eines Instrumentalisten ausgerichtet ist, um den Eindruck von Ursache und Wirkung erneut herzustellen, obwohl dann zwischen Klangbalance und dem Eindruck von „live“ abgewogen werden muss und sicherlich je nach räumlichen Verhältnissen Kompromisse gefunden werden (müssen). In diesem Sinne kann man sagen, dass eine möglichst perfekte, durch Medien erzielte Imitation oder Kopie der Akustik in einem bestimmten Raum erzielt werden soll, allerdings gekoppelt mit der Intention, alle 423 W. Hopp, Interaktion und akustisches Photo. Überlegungen zur live-elektronischen Musik Karlheinz Stockhausens, S. 166. 424 K. Stockhausen, Mixtur 1964: Live-elektronische Musik (1993), S. 88f. 425 Vgl. ebenda, S. 78–82 u. 85ff. 426 K. Stockhausen, Elektroakustische Aufführungspraxis, S. 564.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Imperfektionen der akustischen Verhältnisse auszugleichen. Durch Letzteres wird – paradoxerweise – eine „Künstlichkeit“ und Virtualität der Klangsituation erzeugt. Allerdings gilt zugleich: „Virtual reality is, of course, just another form of reality.“427 In Mikrophonie I reduzierte Stockhausen den Ausgangspunkt „akustisches Instrument“ auf ein großes Tamtam, das er einige Zeit zuvor in Momente (1961/ 1962) eingesetzt hatte.428 Das auf einem Ständer aufgehängte Tamtam steht im Zentrum des Konzertpodiums und wird von beiden Seiten durch vier Spieler bearbeitet: zwei Spieler setzen das Instrument mit verschiedensten Materialien in Schwingung, zwei andere Spieler tasten das Tamtam mit Mikrophonen ab. „Nach Fertigstellung der Partitur von Mixtur für Orchester und Ringmodulatoren suchte ich nach Möglichkeiten, auch den Prozeß der Mikrophonaufnahme flexibel zu komponieren. Das Mikrophon, bisher als starres, passives Aufnahmegerät zum Zwecke der möglichst getreuen Klangwiedergabe verwendet, müßte dazu ein Musikinstrument werden und durch seine Bedienung wiederum alle Klangeigenschaften beeinflussen; es müßte also Tonhöhen in Harmonik und Melodik, ferner Rhythmus, Dynamik, Klangfarbe und räumliche Projektion des Klanges mitgestalten können gemäß komponierten Angaben.“429 Die Mikrophon-Spieler gestalten nach Partiturvorgaben Dynamik, Klangfarbe und Rhythmus der abgenommenen Klänge. Diese Dimensionen werden anschließend durch Filter und Lautstärkeregler bearbeitet, und die veränderten Klänge werden (wie in Mixtur) in den Raum rückprojiziert. „Die Aufteilung des musikalischen Prozesses in drei selbständige Bereiche (Schallerzeugung, Schallaufnahme, Schalltransformation) macht es möglich, alle Erfahrungen der instrumentalen Praxis mit denen der elektronischen Klangtechnik kontinuierlich zu verbinden. Dadurch können beliebige Klangquellen (traditionelle Instrumente, Schallereignisse irgendwelcher Natur) in eine nach Kohärenz strebende Klangkomposition integriert werden, und der Dualismus zwischen Instrumentalmusik und Elektronischer Musik verschwindet.“430 In Mikrophonie I werden nicht nur die Mikrophone zu Musikinstrumenten, mit denen aktiv Klang erzeugt und gestaltet wird, sondern auch die Filter und Regler. Stockhausen beschreibt letztere als „elektronische Spielinstrumente“, wobei dies vor allem an der direkten haptischen Bedienung der Geräte, damit an der nicht automatisierten, sondern „von Hand“ vorgenommenen Transformation der Klänge festgemacht wird.431 Die Betonung dieses Aspekts der Gerätebedienung und seiner Eigenheiten erhält insbesondere vor dem Hintergrund der bald da427 S. Emmerson, ‚Live‘ versus ‚Real-time‘, S. 96. 428 Vgl. K. Stockhausen, Ratschläge für Schlagzeuger (1984), S. 81f.; Mikrophonie I wurde am 9. Dezember 1964 in Brüssel uraufgeführt. 429 K. Stockhausen, Mikrophonie I (1965) für Tamtam, 2 Mikrophone, 2 Filter und Regler, S. 60. 430 Ebenda, S. 57. Vgl. auch S. Emmerson, Stockhausen – Mikrophonie I. 431 K. Stockhausen, Elektroakustische Aufführungspraxis, S. 575f. Die Schwierigkeit, solche Geräte heute nicht mehr zur Verfügung zu haben oder nachbauen lassen zu müssen, um bei aktuellen Aufführungen die ursprüngliche Klangwirkung zu erzeugen, wird von Stockhausen ebenda diskutiert.

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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nach einsetzenden Entwicklung von Synthesizer- und Computer-Technik und ihrer Verwendung auf dem Konzertpodium besondere Bedeutung. Denn gerade die „live“ nachvollziehbare Ursache-Wirkung-Relation zwischen den Aktionen der Ausführenden auf dem Konzertpodium und den klanglichen Resultaten war eine der Faktoren, die beim Einsatz automatisierter oder programmierter Vorgänge – häufig auf Grund künstlerischer Intentionen, aber auch auf Grund zufälliger Konstellationen – nicht mehr gegeben sein musste. Mikrophonie I lässt exemplarisch auf dem Konzertpodium den Vorgang der Klangerzeugung und Klangtransformation nachvollziehen, wobei die Reduktion auf ein Instrument dessen Klanglichkeit hochdifferenziert verdeutlicht.432 „Für Stockhausen standen bei seinem neuen Werk zwei Dinge im Vordergrund: wie ein Arzt mit einem Stethoskop einen Körper abhört, sollten durch das Mikrophon auch ‚unhörbare Schwingungen‘ dieses an Klang- und Geräuschfarben reichen Instruments hörbar gemacht – gleichzeitig der Vorgang der Mikrophonaufnahme durch Bewegung des Mikrophons auf eine künstlerische Ebene gehoben werden.“433 Zudem wird die Partitur formal in Momente gegliedert, die von bestimmten klanglichen Effekten ausgehen (zum Beispiel rasselnd – ächzend – donnernd; knisternd-gackernd; zirpend-schnarchend-grunzend). Sowohl die Festlegung der Klangerzeugungs- und Klangtransformationsprozesse als auch die Planung des Ablaufs gehen auf ausgedehnte Experimente Stockhausens zurück. Insofern ist die oben angesprochene Annäherung an Cages Umgang mit Klang und elektroakustischen Medien bei Stockhausen vor allem auf die der Komposition vorgängigen Arbeitsschritte bezogen.434 Die Proben stellen ein weiteres Experimentierfeld dar, das jedoch von den bereits feststehenden kompositorischen Intentionen bestimmt ist. Letzteres gilt auch für Mikrophonie II für Chor, Hammondorgel und vier Ringmodulatoren, uraufgeführt am 11. Juni 1965 in Köln. „Die Notation der Partitur änderte sich vielmals im Verlauf der Arbeit, vor allem auch während der Proben, da manche Wechselwirkungen zwischen natürlichem und transformiertem Klang unvoraussehbar waren.“435 Die elektronische Klangtransformation von 432 Vgl. dazu R. Maconie, Stockhausen’s Mikrophonie I. Perception in Action. Vgl. auch R. P. Morgan, Mikrophonie I und II. The excitement of Auditory Experiment: „You should not expect, however, that what you will hear will sound like a twenty-five minute tamtam solo [...] You will, rather, hear a whole spectrum of sound, ranging from scratching noises through tamtamlike sounds to thunderous bursts of noise not relatable to any natural sounds whatever“ (S. 79). 433 M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 182. 434 Da Stockhausen jedoch von einer „regelmäßigen, experimentellen kompositorischen Tätigkeit“ ausging, wäre der Einfluss von Cage genauer zu untersuchen, um zudem den – möglicherweise für beide Seiten – fruchtbaren Austausch näher betrachten zu können. Siehe Chr. v. Blumröder, Karlheinz Stockhausen – 40 Jahre Elektronische Musik, Zitat S. 309. 435 K. Stockhausen, Mikrophonie II (1965) für Chor, Hammondorgel und 4 Ringmodulatoren (1965, Programm der Uraufführung), S. 68. Vgl. auch R. P. Morgan, Mikrophonie I und II. The excitement of Auditory Experiment, sowie G. Peters, Die ringmodulierte Meditation. Helmut Heißenbüttels Einfache grammatische Meditationen in Karlheinz Stockhausens Mikrophonie II.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Stimmen erforderte darüber hinaus die Verwendung von Klängen der Hammondorgel – ursprünglich sollte das Tamtam mit den Stimmen kombiniert werden, doch die beiden Klangbereiche erwiesen sich als zu disparat – sowie eine Festlegung der Aufstellung der Akteure auf dem Podium.436 „Zwölf Choristen [...] sitzen während der Aufführung im Halbkreis auf dem Podium, den Rücken zum Publikum gewandt (sie können auch in der Mitte des Saales sitzen und von den Hörern umgeben sein). Jeweils drei Sänger – drei Erste Soprane, drei Zweite Soprane, drei Erste Bässe, drei Zweite Bässe – haben je ein Mikrophon vor sich. Der Chordirigent sitzt im Zentrum des Halbkreises, dem Publikum zugewandt [...] Neben ihm sitzt ein Zeitgeber, der die Dauern der 33 musikalischen Momente dem Chor mit einem – für die Dauer jedes Momentes im Halbkreis gedrehten – Stab angibt. Hinter den Choristen steht erhöht eine Hammondorgel. Der Organist sitzt dem Publikum zugewandt, so daß er alle Sänger gut sehen kann. [...] Der in den vier Modulatoren gemischte Klang [von Stimmen und Hammondorgel] wird über Lautstärkeregler geleitet, deren Ausgänge mit vier Lautsprechergruppen verbunden sind. Die Lautsprecher stehen hinter dem Chor auf dem Podium, und so mischen sich Originalklang von Chor und Orgel mit dem modulierten Klang, der gleichzeitig aus Lautsprechern kommt. Bei der Uraufführung im großen Sendesaal des Kölner Funkhauses bediente ich diese Regler von der Empore des Saales aus.“437

Verfolgt man die Perfektionierung der Aufführungssituationen, in denen der Komponist die Klangregie übernommen hat, so wird deutlich, dass nicht nur das Studio auf die Konzertbühne transferiert wurde, sondern dass Stockhausen seine Arbeit während einer Aufführung, in einer Aufführungssituation, auch der Tätigkeit im Studio anglich. Insofern kann man die These formulieren, dass der – durch den Klangregisseur – vorgenommene Zugriff auf die Live-Situation für den Komponisten auch eine Ausweitung oder Erweiterung des Studios bedeutete. Dies betrifft nicht zuletzt die Möglichkeit der totalen Kontrolle über das Gesamtgeschehen (wie in einem Studio). Diese Haltung war Cage und anderen Komponisten der „experimental music“ bekanntlich fremd. Gerade im Umgang mit der Elektronik wird dies nochmals sehr deutlich. Im Kontext der experimentellen Musik und Improvisation blieben elektroakustische Medien Hilfsmittel, Apparate, Instrumente zur Erzeugung von Klang, deren Beherrschung primär dazu führte, arbeitsökonomische Erleichterungen zu erzielen oder mit ihren Funktionsweisen zu spielen. „Zu spielen“ bedeutet in diesem Zusammenhang beispielsweise, die Medien oder ihre Komponenten aus ihrem jeweiligen konventionellen Kontext zu nehmen und sie in ungewöhnlichen neuen Konstellationen wieder zusammenzusetzen. „Zu spielen“ bedeutet auch, die Medien nicht grundsätzlich zielgerichtet zu benutzen, sondern die Resultate ihres

436 Vgl. M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 184. Vgl. K. Stockhausen, Nr. 17 Mikrophonie II für Chor, Hammondorgel und 4 Ringmodulatoren, Universal Edition 1974, UE 15140 LW. Es wurden zudem Ausschnitte aus Aufnahmen von Gesang der Jünglinge, Carré und Momente eingespielt. 437 K. Stockhausen, Mikrophonie II (1965) für Chor, Hammondorgel und 4 Ringmodulatoren (1965), S. 67. Ein Zeitgeber dieser Art war vor allem aus Cages Klavierkonzert bekannt geworden.

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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Einsatzes offen zu halten.438 Exemplarisch dafür ist die Äußerung des Komponisten David Tudor: „Mir gefällt nicht, den Maschinen vorzuschreiben, was sie tun sollen. Wenn sie etwas tun, wovon ich nichts wußte, und ich kann da etwas nachhelfen, dann weiß ich mit einem Mal, daß das mein Stück ist.“439 Im weiteren ist Komponisten der „experimental music“ – die sich nicht auf „amerikanische Komponisten“ beschränken lassen – eine Haltung gegenüber der Technik eigen, die nicht von einem essentiellen Fortschrittsdenken geprägt ist, sondern eher von einem respektlosen und kritischen Umgang mit Medien. Dies betrifft die Studiotechnik ebenso wie elektronisches beziehungsweise elektroakustisches Equipment und Medien, die massenhaft die Alltagskultur bestimmen: von „Low tech“Elementen, elektronischen Bauteilen bis hin zum Minichip, vom Kindercomputerspiel bis hin zum Mobiltelephon. Die direkte experimentelle, künstlerische Verwendung dieser Geräte oder ihrer Bauelemente ist zwar heute oft von einem dazwischengeschalteten Computerprogramm abgelöst worden – und insofern partizipieren auch die „experimentellen Komponisten“ an den Innovationsschüben vor allem der digitalen Technik –, doch grundsätzlich überwiegt einerseits ein destruktiver und subversiver Umgang mit Medien, andererseits die Intention, Aufführungssituationen primär, um mit Cage zu sprechen, als „occasions for experience“ zu gestalten.440 Ein weiterer Aspekt des „Spiels“ in der experimentellen live-elektronischen Musik besteht also im Zusammenwirken von Akteuren auf dem Konzertpodium, das nicht auf bestimmte Ziele ausgerichtet ist, obwohl bestimmte Tätigkeiten genau vorbereitet beziehungsweise die Bandbreite der Interaktionen und möglichen klanglichen Resultate ausgetestet wurden. Ein solches Ensemble war beispielsweise die Sonic Arts Union, gegründet 1966, mit den Mitgliedern Robert Ashley, David Behrman, Gordon Mumma und Alvin Lucier.441 Andere Ensembles hatten eine dezidiert improvisatorische Ausrichtung, etwa die in Rom gegründete Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza (1964), mit Franco Evangelisti, Mario Bertoncini, Aldo Clementi, Roland Kayn, Ivan Vandor, Larry Austin und John Eaton, und Musica Elettronica Viva (1966), mit Allan Bryant, Alvin Curran, Jon Phetteplace, Frederic Rzewski und Richard Teitelbaum. Die Komponisten, die zu diesen Ensembles gehörten, gelten im Bereich der experimentellen Musik, Improvisation und Live-Elektronik als zentrale Persönlichkeiten.442 Auch Stockhausen stellte gerade nach den Erfahrungen mit den ersten live-elektronischen Stücken ein Ensemble zusammen. Die „erste Aufführung von ‚Mikrophonie‘ [...] wurde gleichzeitig die Konstitution der ‚Gruppe Stockhausen‘, die bis in die sieb438 Vgl. dazu auch den instruktiven Essay von F. Hein, Spiel oder Ernst? 439 Composer Inside Electronics. David Tudor im Gespräch mit John David Fulleman, S. 11. Zur aktuellen Fortsetzung dieser Haltung im sogenannten „circuit bending“ vgl. H. Steins, Platinenspiele. Die Klangästhetik des circuit bending. 440 J. Cage, Composition as Process. 1. Changes, S. 31, „[…] and this experience is not only received by the ears but by the eyes too. An ear alone is not a being.“ 441 Vgl. A. Lucier, Those were the days. Über die Sonic Arts Union. 442 Vgl. P. Manning, Electronic and Computer Music, S. 161–167. Vgl. auch S. Feißt, Der Begriff ‚Improvisation‘ in der neuen Musik.

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ziger Jahre in mehrfach wechselnder Besetzung Stockhausens ‚live-elektronische‘ Werke [...] spielte“.443 Zu den Mitgliedern gehörten Alfred Alings, Harald Bojé, Johannes Fritsch, Rolf Gehlhaar und Aloys Kontarsky, später Christoph Caskel, Peter Eötvös und Joachim Krist. Es sei im folgenden näher auf die Sonic Arts Union eingegangen, weil ihre live-elektronischen Auftritte zum Teil als von der Gruppe so bezeichnete „electronic-theatre music“ besondere Aufführungskonzepte vertreten haben.444 David Behrman berichtete: „We were an anthology rather than a band. We shared equipment and stage-managing skills but never did any group pieces; the personalities were always distinct. Our performances explored aspects of music and performance that were outside the bounds of what contemporary music generally accepted. Partly that had to do with homemade electronics, partly with exploration of the nature of acoustics, partly with crossing the lines between theatre, visual arts, poetry and music.“445 So wurden etwa Stücke aufgeführt, in die man Licht einbezog, bei denen die Akteure Texte rezitierten oder narrative Szenen darstellten, in denen die Musiker sich im Raum bewegten oder das Publikum aktiviert wurde. Robert Ashley zählt als Vokalperformer und Komponist zu den Pionieren der Arbeit mit der Visualisierung von Musik, vor allem auch mit der (nach seiner Zeit bei Sonic Arts Union) entwickelten Fernsehoper Perfect Lives (entstanden zwischen 1977 und 1983). Gordon Mumma und David Behrman arbeiteten zum Teil mit der Merce Cunningham Company zusammen, Alvin Lucier wurde unter anderem als Interpret seiner eigenen szenischen Stücke wie Music for Solo Performer (1965) berühmt.446 Bei den Auftritten von Sonic Arts Union ging es also nicht nur darum – wie Cage es vorgeschlagen hatte –, „to make electronic music live“, sondern die Arbeit mit elektrotechnischen und elektroakustischen Bauteilen und Geräten auf dem Konzertpodium wurde in audiovisuelle Szenen gewandelt, die über die reine Präsentation der Aktionen und Klänge hinausgingen. Die Zuhörer sollten einerseits als Zuschauer die Möglichkeit haben, bestimmte Aktionen nachvollziehen zu können, beispielsweise die Auslösung von Klängen durch Licht. Diese Aufführungssituationen erhielten den Charakter von Demonstrationen. Andererseits wurde in bestimmten Stücken genau das Gegenteil verfolgt: man unterstrich die Unsichtbarkeit und Undurchschaubarkeit der elektrotechnischen Vorgänge und inszenierte Konzerte wie Séancen oder brachte Klänge wie übernatürliche Phänomene in Erscheinung. Luciers erwähnte Music for Solo Performer beispielsweise ist die Vorführung eines Experiments, aus dem sich wie von Geisterhand angeregte Raummusik entwickelt. Gehirnströme (Alphawellen) des Aufführenden werden verstärkt und als elektrische Impulse beweglichen Mittlern zugeleitet, die ein Instrument oder einen Gegenstand in Schwingungen versetzen. Dabei ergibt allein 443 M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 183f., vgl. auch S. 238f. 444 Vgl. M. Nyman, Experimental Music, S. 101ff. 445 David Behrman. Interview by Jason Gross (August 1997), www.furious.com/perfect/behrman.html (ges. am 22. 05. 2009). 446 Vgl. A. Lucier, Reflections. Interviews, Scores, Writings/Reflexionen. Interviews, Notationen, Texte, S. 300.

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der in der Mitte des Konzertpodiums auf einem Stuhl sitzende, mit Elektroden am Kopf versehene Performer ein befremdendes Bild, das an Probanden medizinischer Versuchsstationen erinnert. Lucier erinnert sich an die Entstehung dieses Stücks: Nachdem er bei einem Studienaufenthalt 1961 in Mailand im Studio Fonologia des italienischen Rundfunks erste Versuche mit elektroakustischen Kompositionen durchgeführt hatte, mit denen er nicht zufrieden war, traf er 1965 zufällig auf den Physiker Edmond Dewan, „who was then doing brain wave research for the Air Force. He generously lent me his apparatus, consisting of a pair of electrodes, a differential amplifier, and a band pass filter, set to a bandwidth just wide enough to let the ten hertz alpha waves flow through and at the same time reject unwanted electrical and ambient noise. I began experimenting with Dewan’s equipment for long hours in the Brandeis Electronic Music Studio, which was then located in the basement of the university library. At first I could only generate short bursts of alpha, but after some practice found that I could sustain trains of almost indefinite lengths. I was struck by the piston-like excursions of the loudspeaker cones as they were driven by the sub-sonic bursts and decided to use this power to excite a battery of percussion instruments, including cymbals, gongs, timpani, bass and snare drums, by directly coupling them to loudspeakers, deployed in various locations throughout the space. I […] was content to allow the natural flow of brain waves in live performances to provide the structure of the performance.“447

Die Besonderheit der Aufführungssituation wird betont durch den Umstand, dass sich die Erzeugung von Alpha-Gehirnwellen nur in einem körperlich wie mental absolut ruhigen Zustand ergibt. „To release alpha, one has to attain a quasimeditative state while at the same time monitoring its flow. One has to give up control to get it. In making Music for Solo Performer […], I had to learn to give up performing to make the performance happen. By allowing alpha to flow naturally from mind to space without intermediate processing, it was possible to create a music without compositional manipulation or purposeful performance.“448 „LiveElektronik“ erhält hier eine weitere Bedeutungsnuance, die bislang wenig beachtet wurde. Der menschliche Körper selbst funktioniert zum Teil über ein „elektrisches System“, zieht man vor allem die neurophysiologischen (im Speziellen neuroelektrischen) Vorgänge in Betracht.449 „Live-Elektronik“ kann sich also auch auf diese Ebene des menschlichen Körpers beziehen, die in Luciers Stück während der Aufführung hörbar gemacht wird. (Der Komponist und Performer Richard Teitelbaum hat sich seit etwa 1966 mit ähnlichen Experimenten und Prozessen beschäftigt.450) David Behrman, wie David Tudor ein Spezialist für „home-made electronics“, zeigt in seinem Verhältnis zu „Live-Elektronik“ eine individuelle Verbindung von Cage und Stockhausen.451 Einerseits verlegte er seine Arbeit mit elektroakusti447 A. Lucier, Testing, Probing, Exploring. The tools of my trade, S. 442, vgl. auch ders., „...to let alpha be itself“. Music for Solo Performer (1965), S. 46–59. 448 A. Lucier, Three points of view (II), S. 287. 449 Vgl. G. Roth, Das Gehirn und seine Wirklichkeit. 450 Vgl. dazu S. Feißt, Der Begriff ‚Improvisation‘ in der neuen Musik, S. 141–145. 451 Behrman war, nachdem er 1959 die Darmstädter Ferienkurse besucht hatte, einige Jahre für Stockhausen als Kopist tätig, vgl. David Behrman. Interview by Jason Gross (August 1997).

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schen Aufbauten auf das Konzertpodium, andererseits begann er in den 1970er Jahren mit Instrumentalisten und Sängern zusammenzuarbeiten. „Well, after working with electronics alone for a while, it’s become more interesting for me to combine it with acoustic sounds and with other media. I’ve been working on homemade electronic equipment which deals with pitch-sensitive circuits and pitch-sensitive operations in which a player would sing or play a pitch and the pitch would activate some kind of electronic music device. I think that idea is based in some of the things that electronics can do in extending our own nervous system.“452 Neben der zuletzt angesprochenen Reminiszenz an McLuhan, die bereits mehrfach, auch bei anderen Komponisten auftauchte, wird deutlich, dass die Verbindung Behrmans zu Stockhausen nur bedingt zutrifft. Denn die Klangtransformation wird in ein tonhöhensensibles System selbstgebauter Schaltkreise verlegt, das auch für die Verteilung der Klänge im Raum sorgt. Die Funktion der Auslösung der Schaltung übernehmen beispielsweise in Runthrough (1967) für vier Spieler bewegliche Lichtquellen. „The connection between light and sound is and was a natural one in the new environment of inexpensive electronics. The 1960s pieces like Runthrough used a simple circuit for light-activated sound distribution. We used stir sounds around multi-channel sound systems by waving little flashlights over the photocell mixers in darkened halls.“453 Dazu gab es keine Partitur und keine Spielanweisungen; Behrman hat vor einigen Jahren die Schaltkreise aus dem Gedächtnis rekonstruiert.454 Ein Schallplattenkommentar gibt ansatzweise Auskunft über die musikalische Idee des Stücks: „Weil es weder eine Partitur noch Anweisungen gibt, ist jeder Klang, der aus den möglichen Schalterkombinationen und dem unterschiedlichen Lichteinfall resultiert, Bestandteil des ‚Stücks‘. (Was immer man in der Brandung mit einem Surfboard macht, es ist Bestandteil des Wellenreitens) ... Es ist gut, wenn alle Spieler das Gefühl haben, in Eintracht mit den anderen auf einem Klang dahinzugleiten, und wenn jeder zu schätzen weiß, was der andere tut.“455 Hier zeigt sich nun auch ein Unterschied zu Cages Konzept von „Live-Elektronik“. Während Cage die Unabhängigkeit der Spieler bevorzugte, tendierte Behrman zu Interaktionsformen, zu live erzeugten Klangkompositionen – Melodien und „Konsonanzen“ nicht ausgeschlossen –, die bis heute seine Musik bestimmen. Mit der Einführung des Computers Mitte der 1970er Jahre ließen sich die Schaltkreise durch ein Programm simulieren und ihre Funktionen programmieren. Dies erleichterte vor allem die Entwicklung interaktiver Konzepte in Stücken mit Instrumenten oder Stimme und „melody-driven electronics“. „The switching circuits took a long time to solder together and could only do one thing. It seemed 452 D. Behrman, Landscape with David Behrman. „Extending our nervous systems“, S. 29f. 453 David Behrman. Interview by Jason Gross (August 1997). Vgl. dazu die genaue Beschreibung des Aufbaus durch M. Trayle, Das schnelle Altern der Elektronik. Zur Wiederaufführung von ‚Runthrough‘. Vgl. auch H.-Chr. Müller, Einheit von Klang und Technik. Die Musik des US-amerikanischen Komponisten David Behrman. 454 Vgl. M. Trayle, Das schnelle Altern der Elektronik. Zur Wiederaufführung von ‚Runthrough‘, S. 38. 455 Ebenda, S. 38f., zit. nach Sonic Arts Union, Schallplatte, Mainstream, Main 5010, 1970.

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that this new device called the microcomputer could simulate one of these switching networks for a while and then change, whenever you wanted, to some other one. It was fun connecting its port lines to homemade synthesizers, and also to sensors, and writing very simple software to link sensor activity with synthesizer sounds.“456 Figure in a Clearing (1977) war das erste Stück für einen computergesteuerten, selbstgebauten Synthesizer, der ein Programm mit Akkordveränderungen ablaufen ließ, während ein Cellist eine Melodie dazu spielte.457 Dieses Prinzip wurde in den nachfolgenden Stücken wie beispielsweise Interspieces Smalltalk (1984) für Violine, elektrisches Keyboard und Computermusiksystem, Leapday Night (1986–1988) in drei „Szenen“ für Trompeten und Computermusiksystem oder Unforeseen Events (1991–1999) für ein Soloinstrument und Computermusiksystem variiert. Für die Stücke gilt: „Each composition is built upon a computer program governing interaction between performers and the system, and creates situations rather than set pieces. The perfomers have options rather than instructions, and the exploration of each situation as it unfolds is up to them.“458 In diesem Zusammenhang ergibt sich allerdings ein weiteres Interaktionsfeld, das Behrman zwar in einem Kommentar zu interaktiven Klanginstallationen anspricht, das jedoch gerade auch seinen live-elektronischen Stücken entspricht – und hinter das „System“ blicken lässt: Es entsteht „a kind of dialog between two personalities. One is the player’s, the other is the system designer’s. The resulting ‚composition‘ becomes an amalgam of the two.“459 Robert Ashley brachte in die Sonic Arts Union das Element des Theaters im Sinne von inszenierten Erzählungen ein, das er aber bereits mit seinem Ensemble ONCE Group etwa seit 1964 entwickelt hatte (zur ONCE Group gehörten neben Ashley die Komponisten und Musiker Gordon Mumma, Roger Reynolds, ‚Blue‘ Gene Tyranny, Donald Scavarda, George Cacioppo und der Filmemacher George Manupelli).460 In einem Interview erklärte Ashley: „I’ve always thought of my work as opera. I recognize that it’s not ‚traditional‘ opera. I thought my goal in music was to tell stories. […] Opera is some sort of musical drama. That automatically means that you incorporate whatever visual elements you can and whatever staging elements you can and whatever narrative elements you can. That’s 456 457 458 459 460

David Behrman. Interview by Jason Gross (August 1997). Vgl. Werkverzeichnis David Behrman, S. 60. D. Behrman, Kommentar zur CD Leapday Night, Lovely Music, Ltd., New York 1991. D. Behrman, Designing interactive computer-based music installations, S. 142. Vgl. R. Ashley, Sprache als Musik. Eine musikalische „Autobiographie“; G. Mumma, LiveElectronic Music: „the ONCE Group developed from the activities of the ONCE Festival in Ann Arbor, Michigan. Presented annually from 1960 through 1967, the ONCE Festival was a collaboration of architects, dancers, filmmakers, musicians, sculptors, and graphic and theater artists. […] An impetus for the ONCE Group was the multi-media Space Theatre activities that developed around the work of Milton Cohen in Ann Arbor from 1956 through 1964. Cohen established the Space Theatre for live performances of his unusual light-projection art, with the collaboration of architects Harald Borkin and Joseph Wehrer, filmmaker George Manupelli, and several composers. The best-known production of the Space Theatre was the hour-long Teatro dello Spazio – luce e suono, presented at the Venice Biennale in 1964“ (S. 315f.).

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been my life-long interest.“461 Mit traditionellen Opern hatten nun vor allem seine frühen Stücke, die er mit „electronic music theatre“ betitelte, kaum Gemeinsamkeiten. Public Opinion Descends Upon the Demonstrators (1961) beispielsweise bezieht das „Drama“ aus den Reaktionen des Publikums darauf, dass der Solist des Abends – ähnlich wie in Dieter Schnebels réactions – auf das Publikum reagiert. Das Stück ist „a work ostensibly for soloist operating a battery of equipment for the production of electronic sound. The soloist, surrounded onstage by an array of electronic gear, produces sounds that correspond directly to specific actions and reactions from individuals in the audience – coughing, shifting position, whispering, glancing at a wristwatch, and the like. Because the audience members initially have no knowledge of their role in the musical outcome, the piece typically begins rather quietly: audiences tend to be respectfully silent during the opening moments of a performance. More and more participants eventually catch on, at first experimenting with various types of behavior in an effort to decode the performer’s responses, then deliberately playing the situation – some with wild gesticulations, as they compete for the soloist’s attention.[…] The overall form – from virtual silence to utter pandemonium – is nearly always the same from one performance to the next, perhaps because the same social process is always being enacted.“462 Weitere Stücke der 1960er Jahre, die Ashley „electronic music theatre“ nennt, sind Combination Wedding and Funeral (1964), The Lecture Series (1964), Orange Dessert (1965), Unmarked Interchange (1965), Night Train (1966), The Trial of Anne Opie Wehrer and Unknown Accomplices for Crimes against Humanity (1968)463 und The Wolfman Motorcity Revue (1968).464 Mit The Wolfman (1964), das ein berühmt-berüchtigtes szenisches Musikstück ist – über dessen Aufführungen es inzwischen zahlreiche Legenden gibt, obwohl es fraglich ist, ob die Urheber der Geschichten das Stück je erlebt haben –, hatte Ashley ebenfalls ein „electronic music theater“ geschaffen, in dem er selbst als Vokalist, wie in vielen nachfolgenden musikalischen Erzählungen, die Hauptrolle spielte. „It depicts that moment in time known to anyone who has ever attended a crowded restaurant, night club or bar – that moment when the sound becomes unbearable ... The piece begins with a tape collage of restaurant-bar sounds and is immediately 461 Interview by Jason Gross (November 1997), Perfect Sound Forever. Online Music Magazine, www.furious.com/perfect/robertashley.html (ges. 30.12.2012). Vgl. auch A. J. Sabatini, Robert Ashley. Defining American Opera. 462 E. Schwartz u. D. Godfrey, Music since 1945. Issues, Materials, and Literature, S. 307. Ashley hat jedoch den Ablauf hauptsächlich von der Anzahl der Zuhörer abhängig gemacht, so dass sich das Stück durchaus völlig verändern kann, vgl. dazu die grundlegende Studie von R. Dietrich, Unzensierte Simultaneität der Stimmen. Robert Ashleys Frühwerk, S. 64f. 463 Die Performerin Anne Wehrer hatte mit Ashley in den 1960er Jahren zusammengearbeitet. In einer Aufführung des Stücks „Wehrer had responded to a barrage of unrehearsed and often personal questions […] On another occasion she went into an isolation chamber, where she could respond only indirectly to questions of observers“, T. Johnson, New Music, S. 2, Forts. S. 12. 464 Vgl. C. Gagne u. T. Caras, Soundpieces. Interview with American Composers, S. 32f., sowie das Werkverzeichnis von Ashley in: MusikTexte 88, 2001, S. 83f.

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recognized as such. After about a minute of the collage, the vocalist [Ashley] walks into the spotlight. He begins to project long, continuously altered (by the vocalist) sound, each duration consisting of one full breath. Gradually the relatively articulate collage is transformed into an inchoate mass of electronic sound, the voice overcoming the holocaust of feedback in the circuit and becoming more and more indistinguishable from the tape. The volume level is extremely high; the audience is literally surrounded by a wall of sound that is comparable to and even surpassing that of today’s rock music.“465 In Ashleys frühen Live-Elektronik-Stücken wird die Konzertsituation oder werden Szenen aus dem Alltag thematisiert, dabei werden die spezifischen Funktionen der elektronischen Medien für die „Dramen“ genutzt. In The Wolfman sind es Klänge von Feedbacks, die zur Darstellung der Geschichte beitragen, indem sie in ihrer unangenehmen Ästhetik und provozierenden Lautstärke die Figur des Wolfman unterstreichen. Das Mikrophon wird hier zur Verzerrung der Stimme eingesetzt, die Teil einer „fremden“ Persönlichkeit wird, die Ashley auf der Bühne verkörpert.466 Die Verbindung von „electronic“, „music“ und „theatre“ in Ashleys Stücken lässt sich demnach verschieden auslegen. Er konzipierte zum Beispiel Musiktheater mit Elektronik, das heißt, unter Zuhilfenahme elektroakustischer Medien wie Mikrophone, Tonbänder, Lautsprecher, Kassettenrecorder. Wie Ashley berichtet, war das Equipment in den 1960er Jahren plötzlich massenhaft verfügbar, so dass sich der individuelle Gebrauch der Geräte beinahe zu einer Modeerscheinung entwickelte: „In den Vereinigten Staaten verramschte die Regierung tonnenweise elektronische Kleinteile, die für militärische Zwecke benutzt worden waren, an Altwarenläden im ganzen Land. Außerdem rüstete die Musikindustrie auf, um Musik für alle verfügbar zu machen.“467 „Electronic music theatre“ ist auch als Theater mit elektronischer Musik zu interpretieren, sofern die Darstellung von Geschichten im Vordergrund steht, die mit elektronischen Klängen oder etwa mit aufgenommenen und eingespielten Geräuschen unterlegt wird. Zugleich ist „electronic music theatre“ auch als theatrale Reflexion über die Konzertsituation zu verstehen, etwa in dem Stück Something for Clarinet, Pianos and Tape (1961), das Kagels Transición I nahe kommt. „Ashley denkt sich hier die konzertante Aufführung einer Aufnahme aus, welche (Aufführung) die Aufnahme bei jedem Abspielen anders klingen läßt. Auf gleichermaßen simple wie raffinierte Weise macht Ashley erst aus einem Teil der Aufführung, nämlich dem Applaus, eine (musikalische) Aufnahme, und dann macht er diese Aufnahme zum Strukturmerkmal der Aufführung. Ein Applaus jedoch, der bereits auf der Aufnahme künstlich ist, verkünstlicht auch die Konzertsituation, innerhalb derer die Aufnahme vom

465 W. Johnson, First Festival of Live-Electronic Music 1967, in: Source 3, 1968, S. 54, zit. nach K. Gann, American Music in the Twentieth Century, S. 157f. 466 Vgl. auch R. Dietrich, Unzensierte Simultaneität der Stimmen. Robert Ashleys Frühwerk, S. 71f. Eine vergleichbare Figur hat der Klangkünstler Benoît Maubrey mit Feedback Fred geschaffen, einer Kreatur, die sich schließlich von den Qualen der Feedback-Klänge befreit, siehe B. Maubrey, Orchestrated Bodies and Choreographed Sounds: Die Audio Gruppe. 467 R. Ashley, Sprache als Musik. Eine musikalische „Autobiographie“, S. 41.

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Tonband eingespielt wird.“468 In diese Konzepte gehört auch die theatrale Thematisierung der elektroakustischen Ausstattung, etwa in Night Train, das ein Spektakel ist, „welches das Publikum mit Reizen überflutet und zugleich wie bei einem Potlatsch, einem Fest des Gebens, miteinbezieht. Leuchtende Glühbirnen, Kassettenrecorder, und sogar Lebensmittel (roh oder gekocht) werden verteilt.“469 Zu Beginn war gefragt worden nach der Verwendung von elektroakustischen Medien und Computer als Erweiterung von akustischen Musikinstrumenten und nach dem Einsatz von elektroakustischen Medien und Computer als Musikinstrumente. Diese Thematik wird überlagert von dem Problem des Verständnisses von beziehungsweise Verhältnisses zu „Live“ und „Elektronik“ sowie ihren möglichen Verbindungen. In der Musikliteratur über Live-Elektronik finden sich dazu verschiedene, manchmal auch ganz gegensätzliche Positionen. Die Trennung von Live und Elektronik im Sinne einer Separierung von „echten“ Klängen eines akustischen Instruments versus den „künstlichen“ oder synthetischen elektronischen Klängen oder medialisierten – verstärkten, aufgenommenen, gespeicherten (und daher dem „Echten“ enthobenen) – Klängen ist eine gängige Vorstellung. Aus dieser Perspektive sind elektronische Apparaturen, mit denen Klänge erzeugt, transformiert oder wiedergegeben werden können, keine musikalischen Instrumente. „It is too simplistic to assert that generators, tape recorders, filters and even keyboard synthesisers are ‚instruments‘ without extensive qualification. […] The Schaefferian definition in the Traité des Objets Musicaux […] refers overtly to the behaviour of physical objects. Accordingly, an instrument produces one or more families of related sounds as well as having the potential for control by which the player can modify these sounds in real time. […] These factors alone indicate that though the electronic studio is a means of creating and transforming sounds it is not in itself an instrument.“470 Werden akustische Instrumente nun während der Aufführung verstärkt, verändert, aufgenommen, gespeichert und wiedergegeben, so entstehen aus der zitierten Sicht klangliche Mischungen, die im Prinzip eine Reduktion des akustischen Geschehens bedeuten. Denis Smalley hat diese „Reduktion“ als „surrogacy“ bezeichnet und verschiedene Stufen dieser Reduktion, die man als Entzug von „live“ beschreiben kann, analysiert.471 Bei einer anderen Sicht auf „live“ und „Elektronik“ ändert sich auch die Interpretation ihrer Verknüpfung. Für Larry Austin, Komponist und Direktor des Center for Experimental Music and Intermedia an der University of North Texas, Denton, bedeutet beispielsweise „‚live‘ in ‚live-electronic‘ [...] more [...] than the obvious fact that there are humans performing musical instruments, voices, or systems through loudspeakers: ‚live‘ means whole, wholly integrated, phenomenologically: for me, this is the Klangideal for all my electro-acoustic music, whether for

468 R. Dietrich, Unzensierte Simultaneität der Stimmen. Robert Ashleys Frühwerk, S. 66. 469 Ebenda, S. 76. 470 J. Dack, Strategies in the Analysis of Karlheinz Stockhausen’s Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug, S. 92. 471 Vgl. D. Smalley, The Listening Imagination. Listening in the Electroacoustic Era. Vgl. dazu auch S. Emmerson, Acoustic/Electroacoustic. The Relationship with Instruments.

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tape alone, tape-plus-live, or live-electronic.“472 Austin, mit einer ähnlichen Argumentation wie Ashley, betont: „I needed to amplify the instruments or voices, even if they weren’t being electronically processed. I needed that fusion of sound color that makes the combination real and live. The dead part of the combination is not tape playback; the dead part is the live person playing without amplification.“473 Bei aller persönlichen und kompositorischen Unterschiede, die bestehen, ergibt sich daraus sogar eine enge Verbindung zu Stockhausen, der auf Grund der Klangbalance und Erhöhung der gefühlten „physischen Nähe“ auch seine frühen Werke verstärkte. Die Verstärkungstechnik hat sich Stockhausen zufolge historisch aus der musikalischen Praxis entwickelt und ist durch ihn „bewußt mit schöpferischer Zielsetzung erweitert“ worden.474 Wenn nun auch die Elektronik etwas Magisches und Aura hat – davon geht Larry Austin aus –, so kann Walter Benjamins beklagter Verlust der „Aura“, der auf die Reproduktionsmedien zurückgehe, vor diesem Hintergrund in Frage gestellt werden. Beim Besuch und Erleben eines live-elektronischen Konzerts ist für die Beteiligten die Live-Situation, unabhängig von den Klängen, die zu hören sind, gegeben. Die Frage, ob der Computer ein musikalisches Instrument ist, kann in diesem Rahmen nicht definitiv beantwortet werden – dafür wäre ein neues Kapitel aufzuschlagen. Als Produzent von „konkreten“ Klängen wie etwa Rauschen, Störklängen oder anderen akustischen Begleitgeräuschen seiner Handhabung ist er in einem Musikstück wie ein Instrument unmittelbar einsetzbar.475 Als informations- und symbolverarbeitende Maschine ist der Computer beispielsweise an der Klangproduktion, Klangspeicherung und Klangtransformation beteiligt, insofern er hierfür eine multidimensionale operationelle Plattform bietet. Auch in diesem Rahmen ist der Computer wie ein Musikinstrument einsetzbar, auch wenn offen bleiben muss, an welcher Stelle genau diese Funktion beginnt. Daneben ist die These weit verbreitet, dass nicht der Computer, sondern die Computerprogramme die eigentlichen (Musik)Instrumente sind. (Der Computer ist aus dieser Sicht nur als „Werkzeug“ ein Instrument.)476 In der Live-Elektronik mit Computern gilt dann, was Behrman konstatierte: Es entsteht „a kind of dialog between two personalities. One is the player’s, the other is the system designer’s.“477

472 L. Austin, Live-electronic music on the third coast. Intercut with a conversation between Austin and Jerry Hunt about living in Texas and their work as composers, S. 113. 473 Ebenda, S. 114. 474 K. Stockhausen, Elektroakustische Aufführungspraxis, S. 552. 475 Vgl. dazu T. Turner, The Resonance of the Cubicle. Laptop Performance in Post-digital Musics. 476 Vgl. R. Großmann, Die Spitze des Eisbergs. Schlüsselfragen musikalischer Laptopkultur, S. 5. 477 D. Behrman, Designing interactive computer-based music installations, S. 142.

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4.2.2.3 Materialdispositionen: Hybridisierung im Konzert „Hybridisierung“ ist ein Begriff, der mit den Debatten um die Postmoderne in kultur- und kunstkritischen Diskursen rasch zu einem Modebegriff avancierte.478 Er wurde etwa mit „Genre-Mutation“ oder „Kombinationen von Heterogenem“ umschrieben, wobei nicht nur die Zusammenbringung von unterschiedlichen Materialien oder Medien gemeint war, sondern die Vereinigung von im Grunde genommen nicht kommensurabeln Elementen, Genres, Stilformen oder Diskursen, etwa die Mischung von Pop-Kultur und Religion oder Original und Kopie.479 Es entsteht dabei keine Fusion der Komponenten, sondern Überlagerungen oder Gegenüberstellungen, die neue Sichtweisen auf Teile und Ganzes ermöglichen. In der Medienkultur wird der Begriff vor allem herangezogen, wenn Paradoxien produziert oder präsentiert werden, etwa in Arbeiten, in denen nicht nur mit „hyper“ und „virtual reality“, sondern auch mit „real virtuality“ operiert wird.480 „Innerhalb der unterschiedlichen Diskurse meint der Prozeß der Hybridisierung als Fachterminus [...] die Kombination von Materialien oder Energien, die in bezug auf einige Merkmale different sind, andere aber gemeinsam haben. Hybridisierung meint [zudem...] die Vereinigung unterschiedlicher technischer Systeme auf einem Träger, so daß dieser multifunktional wird. [...] Es ist für den Prozeß der Hybridisierung [...] kennzeichnend, daß eine Effizienzsteigerung damit verbunden ist [...sowie] größere Komplexität.“481 Aus einem Begriff, der lange Zeit in der Genetik, Zoologie oder Botanik (Hybridzucht) auf die Kreuzung von verschiedenen Zuchtlinien oder Arten bezogen wurde, ist somit heute ein kultur- und kunsttheoretischer Terminus geworden, der nicht nur Aspekte des Gesamtkunstwerks und intermodaler künstlerischer Projekte beerbt, sondern auch erweitert und variiert hat.482 Im Zeitalter der Globalisierung und Transmigration steht der Begriff heute auch für die gelebte Mischung und Überlagerung verschiedener Identitäten.483 Weil in der Hybridkultur die Komponenten der Mischungen sehr heterogen, widersprüchlich und im Prinzip unvereinbar sind beziehungsweise ihre Vereinbarung unmöglich scheint, fallen dementsprechend auch die Ergebnisse ihrer 478 Vgl. I. Hassan, Postmoderne heute (1985). Vgl. auch M. Puff, Postmoderne und Hybridkultur. 479 Vgl. I. Hassan, Postmoderne heute, S. 52f., sowie W. Welsch, Einleitung zu Wege aus der Moderne, S. 20f.; vgl. auch Hybridkultur. Medien, Netze, Künste, sowie Hybridkultur. Bildschirmmedien und Evolutionsformen der Künste – Annäherungen an ein interdisziplinäres Problem. 480 Vgl. M. Morse, Virtually Live. Hybride Körper, Bildschirme und Replikanten; H. Schulze, Gesamtkunstwerk – Überprüfung eines historischen Begriffs anhand einiger jüngerer Strömungen der Kunst; vgl. auch R. Großmann, Zur Hybris von Mensch und Maschine in den Neuen Medien. Vgl. auch Hybrid – living in paradox. 481 I. Schneider, Von der Vielsprachigkeit zur „Kunst der Hybridation“. Diskurse des Hybriden, S. 19. 482 Vgl. dazu S. Fabo, Bild/Text/Sound – Hybride des Digitalen? 483 Vgl. eine ausgezeichnete Zusammenfassung dieser Thematik bei Y. Aydin, Zum Begriff der Hybridität.

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Kombinationen als synergetische Resultate aus dem Rahmen der traditionellen Koppelungen von Medien. Dies hängt vor allem mit der Wirkung der verschiedenen Komponenten aufeinander zusammen, die nicht mehr in einer Ergänzung, Komplettierung oder gegenseitigen Verstärkung aufgeht, Widersprüchlichkeiten nicht glättet oder löst, sondern Reibungen stärkt und vor allem eindeutige Auslegungen des Ganzen verhindert. Die Komponenten können sich gegenseitig unterlaufen, in Zweifel ziehen, sich widersprechende Diskurse aufrufen, und somit sind Projekte der Hybridkultur auch Ausdruck eines pluridirektionalen und komplexen Denkens, das von der Relativität aller, auch vermeintlich sehr klaren und festgelegten Positionen ausgeht. In der Musikwissenschaft ist man postmodernen Tendenzen bislang kaum konstruktiv nachgegangen und hat sie eher abschätzig beurteilt, doch damit wurden auch viele Musikprojekte, die man der Hybridkultur zurechnen kann – vor allem aus dem Bereich des aktuellen experimentellen Musiktheaters und szenischer Konzerte –, übersehen.484 In ihnen zeigen sich nicht zuletzt viele Vereinigungen und Überlagerungen von Aspekten aus den zuvor besprochenen Themenbereichen „Körper als Instrument“, „experimenteller Umgang mit Instrumenten und Material“ sowie „Instrumente und Medien“. Daher sei im folgenden anhand einiger Werke von Gerhard Stäbler, die in einer individuellen Weise Hybridität als spezifische Materialdisposition sowie Material- und Medienmontagen auf dem Konzertpodium zeigen, diese Diskussion exemplarisch aufgenommen. Klang und Körperlichkeit wird unter dem hier gegebenen Kontext von „Hybridität“(anhand der Beispiele von Stäbler) nochmals neu beleuchtet, weil aus dem Widerspruch zwischen ihrer Konkretheit, Materialität, „Realität“ auf der einen Seite und ihrer „Immaterialität“, „Künstlichkeit“ und (zum Teil verfremdeten) Reproduktion auf der anderen Seite Provokationen der Wahrnehmung entstehen, die eine politische oder „engagierte“ sozialkritische Botschaft andeuten oder direkt vermitteln. „Figuratives, Körperliches, Fragmentarisches aus der Welt des auf die Umwelt reagierenden Subjekts werden [...] zum Material einer Konstruktion von Signifikanten [...], die den Hörer in einer Anlage von Brechungen, Fragmentierungen, Irritationen, Reibungen, Verknotungen, Übertreibungen, Witz etc. aus dem Gewohnten herausdenken lassen, die Automatik assoziativer Abläufe stören und gedankenlosen Stumpfsinn unterbinden sollen.“485 Stäblers Werke, vor allem seine Konzertstücke, in denen theatrale Elemente integriert sind, wurden bislang tendenziell als Abkömmlinge von Happenings und Fluxusevents, Performances oder Multimedia-Events betrachtet. Dies ist insofern nicht unangemessen, als Stäbler von diesen Bewegungen stark beeinflusst wurde, vom „Wiener Hermann Nitsch, seinen blutrünstigen Ritualen, von den Happenings 484 Eine gute Aufarbeitung der Beurteilung der Postmoderne in der deutschsprachigen Musikwissenschaft leistete Andreas Domann in seiner Magisterarbeit Die „Postmoderne“ in der Musikwissenschaft. Für eine konstruktive Heranziehung postmoderner Theorien vgl. die Beiträge in Postmodern Music/Postmodern Thought. 485 Der Komponist über sein Musiktheaterwerk CassandraComplex (1994), siehe G. Stäbler, Nicht Traum. Traum: Einige Überlegungen zum Komponieren mit Beispielen aus Werken, S. 85.

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verschiedener Fluxuskünstler wie Dick Higgins, Wolf Vostell, Alison Knowles, Benjamin Patterson und anderen. Nach dem Abitur, vor allem von Detmold aus, erlebte ich in ganz Deutschland viele dieser Aktionen ‚live‘, experimentierte und führte Stücke von John Cage, Mauricio Kagel, Frederic Rzewski, Giuseppe Chiari auf und kreierte – meist zusammen mit Freunden – Happeningartiges selbst. Bis heute oder heute wieder finde ich das erfrischend und vielleicht wichtiger denn je, weil sich zur Zeit alles festsetzt – und klebrig, zäh, nicht nur behäbig, sondern abgestanden, nicht einmal nur konservativ, sondern reaktionär zu werden droht.“486 Stäbler hat sich in mannigfacher Weise gegen soziale und politische Inaktivität sowie gegen die Verfestigung von Lebensstrukturen gewendet. Provokation und Protest gehören zu den erklärten Zielen seiner künstlerischen Arbeit, auch wenn er insbesondere nach seiner kompositorischen Schaffenspause – 1974 bis 1981 unterbrach er die kompositorische Arbeit zugunsten seines sozialen und politischen Engagements und war 1979 bis 1984 Redakteur des Kulturmagazins Linkskurve – sozialkritische oder politische Inhalte eher als Subtexte in seine Musik einbrachte oder sie in scheinbar „absolut“ musikalisch konzipierten kompositorischen Netzen verwebte. Obwohl ausgesprochen polit-agitatorische Gesten auch in den frühen Werken kaum anzutreffen sind, so wurde doch der „laute“ musikalische Protest in „engagierten“ Stücken oder Performances von einer Verbindung aus kompositorischer Architektur und Konstruktion mit einer subkutan wirkenden Semantik oder persönlichem Bekenntnis abgelöst. Hatte Stäbler etwa in den 1970er Jahren in dem Stück MO-PED Orgelklänge mit dem röhrenden Auspuff eines Motorrads verknüpft, von einem Rocker in der Kirche auf Touren gebracht, so zeigen die an Hanns Eisler erinnernden Lieder oder die Ensemblestücke für das Konzertpodium seit den 1980er Jahren eher verhaltene, trotzdem mahnende und aufrüttelnde Aussagen und für die Musiker sowie für das Publikum inszenierte Herausforderungen der Spiel- beziehungsweise Konzertsituation. In dem Multimedia-Stück Schatten wilder Schmerzen (1984/85) für Orchester, Tonband, Textlesungen, Körperbewegungen, Gesten, Licht, Diaprojektionen und einem Drahtnetz wird beispielsweise – ähnlich wie bei Hespos – auch die Raumtemperatur (Überhitzung, Abkühlung) als Komponente einbezogen.487 Pluralität und Mehrschichtigkeit in Stäblers Werken – sei es bezogen auf Stilpluralität, auf inhaltliche Verschachtelungen oder auf die Komplexität des Bühnengeschehens – ergeben Provokationen subtiler Art. „Die Anreicherung der Klangdimension mit visuellen, latent szenischen Elementen hat mit Stäblers weitgefaßtem Materialbegriff zu tun, auch mit seiner Vorliebe, außermusikalische Inhalte weniger durch Texte als durch eine bestimmte Materialdisposition zu artikulieren. [...] Zu seinen Techniken gehören [...] die Montage von heterogenen Materialien, die manchmal fast traumartig-assozia486 A.-K. Reif, Reaktion, Gärung, Fäulnis, Austrocknung: Wandlungen. Querverbindungen zur bildenden Kunst – ein Gespräch mit Gerhard Stäbler, S. 212. Stäbler zeigt auch Verbindungen zu und kritische Reflexionen von avantgardistischen Strömungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, so in Time for Tomorrow (Musik zu 25 futuristischen Theaterstücken), entstanden 1998/99, ein Musiktheaterprojekt, dessen Konzept auf Stücken des Futurismus beruht, vgl. auch dessen Variation in Futuressencexxx (2000). 487 Vgl. dazu J. Hammitt, Multimedia & Metaphor in Shadows of Wild Pain.

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tive Verknüpfung von Wort, Bild und Klang und das überraschende In-BeziehungSetzen von Beziehungslosem.“488 Einige Elemente dieser Arbeitsweise seien genannt: Alltagsgegenstände und Alltagsmaterialien werden als Klangobjekte mit Musikinstrumenten kombiniert, doch nicht nur mit der Intention einer klanglichen Verschmelzung oder Annäherung, sondern die Gegenstände verweisen auf „Realität“ oder kontrastieren „Realität“ mit der Konzertsituation489; Musik und Instrumente aus unterschiedlichen sozio-kulturellen Zusammenhängen werden benutzt; Elemente des experimentellen Umgangs mit Material erscheinen als Komponenten der Textauslegung oder „Botschaft“: das „Material“ wird nicht nur als Klangquelle, sondern mit seiner assoziativen Kraft als semantisches Feld genutzt; die Arbeit mit Faktoren wie Licht- und Raumgestaltung, Bewegungen der Akteure auf der Bühne, Bilder oder Projektionen, Gerüchen etc. sorgt für mannigfache Möglichkeiten, multisensorial zu wirken und die Präsenz von Klängen beziehungsweise die Musik zu beeinflussen, zu stützen oder zu kontrastieren, subtil zu unterlaufen oder in eine bestimmte Atmosphäre zu tauchen. Die musikalisch fast ausschließlich sanfte Warnung mit Liebeslied (entstanden 1986 in Lissabon, Köln und Essen) – im Hintergrund eine Koppelung von Ausschnitten aus Christa Wolfs Kassandra-Erzählung und aus Sapphos Liebeslyrik – wird von Harfe, Akkordeon und einem Glasschlagwerk vorgetragen. Zu diesem „Schlagwerk“ gehört „ein ‚Flaschenset‘ aus liegenden und ein ‚Bouteillophon‘ aus chromatisch ‚gestimmten‘, hängenden Flaschen“, es „trägt dazu bei, einen SambaRhythmus aus einer untergründigen Präsenz heraus gelegentlich hörbar in den Vordergrund zu rücken.“490 Das „Liebeslied“ wird nicht gesungen, sondern gepfiffen und durch rhythmisches Klatschen begleitet. So vermischen sich mehrere Ebenen: Anklänge an Straßenmusik mit dem Duktus eines „Kunstliedes“; helle rhythmisierte Flaschen- beziehungsweise Glasklänge mit indifferenten Klangflächen, die an ein Windspiel mit Flaschen erinnern; klanglich und rhythmisch eine südliche Atmosphäre des Glücks und der Liebe mit den Kassandra-Warnungen vor Krieg und schließlich mit der Bitte, quälende Sorgen abzuhalten. In der Konzertszene O Muro („Die Mauer“) von 1992 wird der Vortrag einer Sopranistin mit Trommeln, Metallschlägen, Holz, Glas (zerbrechendes Glas vom Tonband) sowie im Raum aufgehängten, schmelzenden Eisblöcken kombiniert. „Rund um das Konzertpodium werden an Drähten Eisblöcke aufgehängt, die im Laufe des Stücks durch Infrarot-Bestrahlung zum Schmelzen gebracht werden. Die Tropfen fallen in Metalleimer, die als Resonanzkörper dienen. Die dabei erzeugten Klangpunkte bilden gleichsam einen akustischen Vorhang, der gegen Schluß immer dichter wird und die Kraft einer poetischen Vision entfaltet.“491 Die schmel488 M. Nyffeler, Utopische Skepsis, kühle Satire. Zu Gerhard Stäblers musiktheatralischen Werken, S. 245. 489 In diesem Punkt kann hier auf die Nähe zu Werken von Nicolaus A. Huber, bei dem Stäbler studiert hat, nur hingewiesen werden. 490 B. Gottstein, H.-W. Heister, H. Melkert, Art. Gerhard Stäbler, S. 7. 491 M. Nyffeler, Utopische Skepsis, kühle Satire. Zu Gerhard Stäblers musiktheatralischen Werken, S. 247. O Muro wurde am 25. Mai 1993 im Kunstschacht Katernberg in Essen uraufgeführt.

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zenden Eisblöcke stehen düsteren Bildern von Einengung und „Einmauerung“ gegenüber, die einem Text des brasilianischen Schriftstellers Pedro Tierra entstammen. Sie sind Teil einer mehrschichtigen Reflexion über die Einflussnahme von gesellschaftlichen Schranken auf das persönliche Leben.492 In dem O Muro verwandten szenischen Konzertstück Die Nacht sitzt am Tisch (ebenfalls von 1992) für zwei Klarinetten, Glaskugeln, Blecheimer und eine beliebige Stimme oder Stimmen sowie Synthesizer oder Kassettenrecorder wird das Publikum mit verschiedenen Gerüchen konfrontiert, zu Beginn mit leichten Schweiß- und Müllgerüchen, die später von wohlriechenden Düften nach tropischen Blüten und Früchten verdrängt werden. Die Gerüche stehen in Beziehung zu dem Text des Stücks – ein Gedicht des brasilianischen Schriftstellers Oswaldo de Camargo –, in dem die Schilderung der bedrückenden Situation von Arbeitern durch eine Vision von Gleichberechtigung und Selbstbestimmung abgelöst wird.493 Hier sucht der Komponist an „Geräusche aus afro-brasilianischen Kulten anzuknüpfen [...], indem er die Klarinettisten mit den Füßen in Behältern rühren lässt, die mit Glaskugeln gefüllt sind. Der gedrungene Klang der kompakt gebetteten Kugeln löst sich zum Ende des Werks in einer Geste der Befreiung auf“.494 Sichtbare Aktionen mit Material und Gegenständen, die einen bestimmten Klang hervorbringen, bilden einen „stofflichen“ Teil der Erzählung. In Xen(i)on für fünf Bassklarinetten samt einigen fremden Elementen (1994) bleibt die Deutung der Musik und Aktionen in einem vagen Raum von „Fremdheit“. „Dem Grundgedanken des Werks wird jede Fassung gerecht: Xen(i)on wird stets in seinen verschiedenen Bedeutungen als xénios (= gastlich), xénos (= fremd), als Pflanzenbastard und als seltenes chemisches Element aufgehen.“495 Die Ausführenden schaffen sich einen eigenen „Spielraum“ für je eine Aufführung. Darin können musikalisch auch Maschinenmotoren oder Außengeräusche integriert werden. Die Spieler können „wahlweise auf Podesten, auf Gabelstaplern oder auf von der Decke hängenden Brettern liegen beziehungsweise daran hängen. [...] Es steht den fünf Akteuren außerdem frei, ein Bühnenbild zu entwerfen, ‚das ein Stilleben suggeriert und Totes (beispielsweise Berge von angefaultem Obst oder Gemüse, Tiere oder Teile von Tieren) als Objekte bevorzugt‘“.496 Den Außenraum bewusst einbeziehend werden in dem Stück MetalSeasons (1999) für Violine solo, Trompete, Horn, Posaune, Tuba und vier Schlagzeuger, das mit [APPARAT] (1994/95) für Chor, Klarinette, Akkordeon, Kontrabass und 492 Vgl. dazu H. Ehrler, Mit Morsezeichen und Zahlencodes. Zu Gerhard Stäblers Komposition „O Muro“. 493 Mit Gerüchen arbeitete Stäbler bereits in Performances der 1960er Jahre, vgl. Geruchsmusik. Theatralische Musik mit Zwiebel-, Kaffee- und Gewürzdüften (1969). Er setzte Gerüche in den letzten Jahren auch ein in Journal 9’1119. Musik für Flöten, Schlagzeug, Tonband und Gerüche (1996/97), in einer Reihe von Aroma-Performances (1998), deren Titel Gedanken an harmlose Schnupperspiele unterbinden: geRÜCHt, RUCHlos, verRUCHt; sowie in SPICES (1), für Tanz, Ensemble, Tonband und Gerüche (2001). 494 B. Gottstein, H.-W. Heister, H. Melkert, Art. Gerhard Stäbler, S. 28. 495 Ebenda. 496 Ebenda, Zitat siehe Partitur des Stücks.

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Schlagwerk kombiniert werden kann, Flugobjekte als Klangobjekte ad libitum vorgeschlagen. Das Stück wurde für ein Konzert im Landschaftspark DuisburgMeiderich, einem ehemaligen Industriegelände konzipiert. „Im Verlauf der Simultan-Aufführung gehen getrennte akustische Sphären immer wieder instabile Verbindungen ein. So soll am Anfang des Werks das Crescendo der elektrisch verstärkten Solovioline mit dem verebbenden Rotieren der Flügel eines landenden Hubschraubers akustisch verschmelzen. Auf eine aparte Klangkombination zielt auch die Anweisung, ein Sportflugzeug möge während [APPARAT] über den Aufführungsort fliegen, und zwar in einer so großen Entfernung, daß sich der Klang des Flugzeugs mit dem gesungenen Klang mischt. Die Flugkörper bereichern das Geschehen jedoch nicht nur um eine klanglich-ästhetische Dimension, sondern rufen auch Kriegsszenarien und militärische Überwachungsstrategien in Erinnerung.“497 Hatte etwa Karlheinz Stockhausen 1992/93 ein HelikopterStreichquartett minutiös auskomponiert – es wurde 1995 uraufgeführt und gehört in den Werkzyklus Licht – und arbeitete beispielsweise Pauline Oliveros mit dem Dialog von Klängen des Außen- und eines Innenraums in ihren „sonic meditations“, so nimmt Stäbler eine Zwischenposition ein. Die Flugobjekte sind Teil des inhaltlichen Konzepts, gehören zu den erzählten Geschichten, doch ihre Beteiligung und die Art ihrer Beteiligung ist nicht genau festgelegt. „Es können unvorhersehbare Ereignisse jederzeit eintreten, das Ende ist im Anfang keineswegs enthalten, auch wenn der An- und Abflug eines Hubschraubers die Großform immerhin mit Auf- und Abtakt versehen.“498 Können alle nur denkbare Geräte und Materialien als „Signifikanten“ und als Klangobjekte genutzt werden, um in Stäblers Sinn „Geschichten zu erzählen“, so gilt das auch für den menschlichen Körper und „Körperliches“. Der Komponist bringt sich seit den 1960er Jahren mit provozierenden Körperperformances oder Vokalaktionen auch selbst immer wieder in das Geschehen ein. In den letzten Jahrzehnten entstanden eine ganze Reihe von Performance-Konzeptionen, die Stäbler mitunter auch selbst präsentiert.499 In Speed für drei Vokalisten oder Gruppen von drei Vokalisten (1997) wird das Verhältnis von Körper und Geschwindigkeit thematisiert. Dabei bezieht sich der Komponist auf Paul Virilios Essay Vitesse et Politique (dt. Geschwindigkeit und Politik) von 1977.500 Auf Stäblers Material- und Mediendispositionen sei zum Abschluss ausführlich am Beispiel von Time.Out eingegangen. Time.Out (2003) ist ein von Stäbler so genanntes „Instrumentales Theater“ für zwei Vokalistinnen, Klarinette, Posaune, Violoncello, Akkordeon, Tonband und Video zu Agnes Martins Parable of the

497 Ebenda, S. 26. 498 Vgl. Björn Gottstein, Natur als Geschichte: Gerhard Stäblers Metalseasons/[APPARAT] (1999), S. 102. 499 Neben den erwähnten Aroma-Performances sind beispielsweise Performances für Vokalisten mit geheimen Partituren (1993 Rachengold, 1996 Rosenkranz) oder eine Reihe von Performances „für Liebhaber“ (1999 HandStreiche, FootPrints I & II, AugenTanz, MundStücke, NasenTraum) zu nennen. 500 Vgl. B. Gottstein, H.-W. Heister, H. Melkert, Art. Gerhard Stäbler, S. 25.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Equal Hearts („Gleichnis von den zueinander passenden Herzen“).501 Das an Ovids Metamorphosen erinnernde Gleichnis erzählt von zwei Liebenden, deren Herzen von den Engeln zu einem Herz vereinigt werden. Dieses eine Herz ist jedoch rastlos und ohne Ruhe, so dass es sich in zwei Hälften teilt. Eine Hälfte begibt sich auf den Meeresgrund, die andere Hälfte fliegt zum Himmel. Die Sehnsucht der beiden Teile führt dazu, dass Gott die Hälften wieder zusammenbringt und in den Kreislauf der Natur einfügt.502 Stäbler präsentiert die Erzählung in einem szenischen Konzert, in dem nicht nur Aktionen der Klangerzeugung, sondern auch die Ausleuchtung, Positionierung und Bewegungen der Musiker im Raum sowie die Bilder der Handlungen und Projektionen, die das Erzählte anregt, zusammenkommen beziehungsweise zusammenwirken. Das Stück gliedert sich in acht Abschnitte (A-H), in denen die räumliche Anordnung der Instrumentalisten bestehen bleibt: der Akkordeonspieler sitzt – zumeist schwach beleuchtet – im Rücken des Publikums. Die Klarinette ist auf der Bühne vorne links, die Posaune vorne rechts positioniert. Die beiden Sängerinnen sollen vor einer GroßbildVideoprojektionswand (an einer Aufhängung) senkrecht schweben, sich im Verlauf des Stücks von links beziehungsweise von rechts aufeinander zu bewegen.503 Der Cellospieler steht zu Beginn (Teil A) in der Mitte der Bühne, vor sich eine quadratische Schlachtbank, in der Hand ein großes, trapezförmiges Schlachtmesser. Nachdem eine Geräuschkulisse mit heftigem, aggressivem Platzregen eingesetzt hat, in dessen Klänge sich das Akkordeon mischt (ungefähr nach zehn Sekunden), folgt ein Schlag: „In einer theatralischen Aktion zerschlägt der Cellist das auf der Schlachtbank liegende große Herz in zwei Teile, so daß das trapezförmige Messer im Holz der Schlachtbank stecken bleibt, und hält bis zum Ende des Teiles A inne.“504 Dieses brutale Bild wird nicht imitiert oder symbolisch vollzogen, ein großer, blutiger Fleischbrocken wird zerhackt. Vom Tonband setzen mit 501 Partitur bei Ricordi, Sy. 3574. Das Stück ist ein Auftragswerk des Ensembles „The Apartment House“ (London) und des „Dresdner Zentrums für zeitgenössische Musik“. Es wurde am 5. Oktober 2003 in Dresden bei den „17. Dresdner Tagen für zeitgenössische Musik“ uraufgeführt. 502 „Once there were two lovers that had equal hearts. / One would persue one, / the other would persue the other. / Then the angels looked down and said: / ‚What a waste‘, and made them perceive each other. / The hearts melted into one. / They had no use for the world / so they leaped into the swift river. / This heart was always restless / and the only place where it had any rest at all was on the beach. / But even on the beach one said: / ‚I wish we’d never been made one.‘ / And immediately one half flew up in the sky / and the other half into the sea. / But they yearned for each other. / And when it rained the one in the sea said: / ‚This is a message from my other half in the sky.‘ / And when the water was evaporated from the ocean and rose / up, the other said: / ‚This is a message from my other half in the sea.‘ / The angels were stumped. / There’s one thing that God is not able to endure – / a suffering heart. / He felt one half in the sky and one half in the sea. / God thought what to do. / So the one in the sky fell down into the sea / and immediately both turned into sea water. / Ever since that time when the water is drawn up from the sea / and it rains this is not an ordinary rain. It’s the rain that affects / people and softens them.“ Vgl. A. Martin, Writings – Schriften. 503 Diese szenischen Anforderungen wurden bei der Uraufführung in Dresden nicht umgesetzt, sondern eine alternative Fassung mit stehenden Vokalistinnen aufgeführt. 504 G. Stäbler, Time. Out, Partitur, Anweisungen S. 1.

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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dieser Aktion zwei unterschiedliche Herzrhythmen ein, deren Klang sich im Raum ausbreitet. Mit einem anderen „Extremschlag“ fallen sie später in Teil C (wieder) zusammen. Teil A endet mit sich verdichtendem Platzregen und darin aufgehenden Akkorden des Akkordeons. Im zweiten Teil werden die Instrumentalisten vorne rechts und links der Bühne beleuchtet, das Cello und die Schlachtbank abgeblendet. Das schreckliche Bild bleibt also im abgedunkelten Zentrum der Szene. Eine Sängerin schwebt oder steht links im Schein der Videoprojektion, die mit dem ersten Klang „bewegte vielschichtige Bilder von Rauch“ einbringt. Die zweite Sängerin bleibt off-stage, beginnt jedoch mit der Sängerin auf der Bühne sowie mit Klarinette, Posaune, Cello und Akkordeon sehr leise Triller und Tremoli unter Benutzung von Tönen, die das in der Partitur notierte Tonfeld des Akkordeons vorgibt. Die Sängerinnen artikulieren Vokale und Konsonanten aus dem Beginn des Textes von Agnes Martin. Im Wechsel zwischen Vibrato und liegenden Tönen steigert sich das Klangband mehrmals dynamisch, wellenförmig, von sehr leisen Klängen bis hin zu mehrfachem Forte. Die klanglichen Aktionen bleiben, die vom Band eingespielten Herzschläge nähern sich sehr langsam, diskontinuierlich an, die bewegten Bilder von Rauch setzen sich ebenfalls fort. Zum Abschluss werden die Vokal- und Instrumentalklänge sowie die Bilder allmählich ausgeblendet. Der dritte Teil des Stücks wird durch einen heftigen, elektronisch bearbeiteten Schlag eingeleitet, der den Zusammenfall der beiden Herzschlagrhythmen markiert. Dazu bleibt nur der Akkordeonspieler schwach beleuchtet und klanglich aktiv (leise, changierende Akkordfolgen), er schließt diesen kurzen Teil etwas lauter werdend ab. Sehr hohe und sehr tiefe Frequenzen vom Band bleiben irisierend im Raum. Im nächsten Abschnitt (Teil D) schwebt die zweite Sängerin von rechts auf die Bühne und allmählich auf die erste Vokalistin zu. Beide werden erneut von den Videoprojektionen mit Rauchbildern angestrahlt und zu Projektionsflächen. In neun Sektionen („Takte“) dominiert in diesem Teil neben Tonbandklängen (Regen, hohe und tiefe Frequenzen) „ein heterophon gestaltetes melodisches Band, bei der [dem...] jeweils ein bzw. mehrere Musiker führen (= melodische Führung bzw. Teilmelodie) und die anderen mit einer bestimmten minimalen Anzahl von Tönen mitsingen bzw. mitspielen, wobei sie sich nicht mit der führenden Stimme synchronisieren müssen, sondern frei sind in der sukzessiven Auswahl der Töne und innerhalb eines ‚Taktes‘ durchaus ihre eigene Zeit setzen können, was Einsatzzeitpunkt wie Variation im Tempo betrifft. Die Texte der Vokalistinnen, die für die einzelnen Abschnitte zwischen den Notensystemen notiert sind, sollten der jeweiligen Gestalt der Partie frei zugrunde gelegt werden.“505 Unmittelbar nach dem Ende der Klänge und dem raschen Ausblenden des Lichts auf der Bühne, dem Verebben der Regengeräusche und dem Abblenden der Videoprojektion – nur die hohen und tiefen Frequenzbänder, der irisierende Klang vom Band bleibt übrig –, beginnt mit Abschnitt E ein „Aktionsteil“ des Stücks. Während die Instrumentalisten auf ihren Plätzen erstarren und die Sängerinnen von der Bühne verschwinden, starten 505 G. Stäbler, Time. Out, Partitur, Anweisungen S. 11.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Akteure (Statisten, Performer) laute „Extremaktionen“ aus plötzlich aufgerissenen Türen oder an schlaglichtartig beleuchteten Plätzen im Raum. Blendend helles Licht wird auf sie geworfen, während sie mit stimmlicher Aggressivität Textfragmente herausschreien, die sie durch eingespielte Akkorde von maximal aufgedrehten tragbaren CD-Spielern oder Cassettenrecordern verstärken sollen. Die drei bis sechs Aktionen folgen in kurzen Abständen hintereinander und dauern jeweils acht bis neun Sekunden (sie sind zeitlich durch Angaben in der Partitur koordiniert). „Gleichzeitig bringt das Tonband zu den acht- bis neunsekündigen Attacken aus allen Richtungen im Raum harte Fetzen aus Techno- bzw. Rockmusik etc. und verzerrt-verfremdete Politiker-Drohungen, den ‚Terror zu bekämpfen‘ und ‚Frieden zu schaffen‘“.506 Mitten im Aktionsteil E wird begonnen, mit einem Gebläse massiv Papier auf die Bühne zu wirbeln. Nach dem Ende des Aktionsteils wird die Bühne und das Akkordeon mit Schwarzlicht ausgeleuchtet, die Sängerinnen schieben weiteres Papier auf die Bühne. Ihr Gesang (Textfragmente aus der zweiten Hälfte des Gleichnisses von Agnes Martin) und Instrumentalklänge (verschiedene gehaltene Töne unterschiedlicher Länge) gehen in die Gebläsegeräusche, das Rascheln des Papiers und die Tonbandgeräusche (sehr hohe und sehr tiefe Frequenzen, verfremdete Fragmente aus dem Alltag, verwehte Zitate aus der Politik etc.) ein. Am Ende des Abschnitts verstummen die Klänge, die Szene erstarrt. Im Übergang zum vorletzten Abschnitt (G) wechselt das Licht, das Schwarzlicht erlischt; es werden zwei Strahler auf die Mitte der Bühne, den Cellisten und die Schlachtbank gerichtet. Der Cellospieler zieht das Messer aus dem Holz, setzt sich, nimmt das Cello und spielt darauf vorsichtig mit dem Schlachtmesser einzelne Töne. Langsam wird die hintere Bühnenwand hell erleuchtet, die Strahler werden allmählich abgeblendet. Damit erhält alles, was sich auf der Bühne befindet, schattenhafte Gestalt. Der Cellist hält das Messer auf den Saiten und verharrt. Zum Abschluss (Teil H) verlassen die Akteure schattenhaft die Bühne, es erklingen Meeresrauschen und Windgeräusche, das Papier wird nochmals leicht durch ein Gebläse in Bewegung versetzt. Ein schwarzer Tisch wird durch Statisten auf die Bühne getragen, Personen huschen schattenhaft über die Bühne. Im abgedunkelten Raum verteilen sich Gerüche von Gekochtem und Gegrilltem, später von Früchten und Kaffee.507 Ein leises, hohes Sirren wird eingespielt.

506 Ebenda, S. 13. 507 Bei der Uraufführung in Dresden wurde ein großer Topf mit kochender Fleischbrühe hereingetragen, der kaum zur beabsichtigen Subtilität der Gerüche, die sich Stäbler vorstellte, passen wollte. Über eine Aufführung beim Festival Träume.Welten in Saarbrücken (18.– 21. Mai 2006) berichtet der Komponist: „Leider war es durch das gedrängte Programm während des Festivals, vor allem aber durch das gedrängte Programm des Staatstheaters nicht möglich, das Schweben einer Sängerin zu realisieren, obwohl alle Möglichkeiten dafür vorhanden gewesen wären. Die Gerüche allerdings waren sehr gut gelungen, denn man konnte unbemerkt vom Publikum unter der gesamten Tribüne Töpfe mit Essen aufstellen, so dass die Gerüche von gebratenem Fleisch, Zwiebeln etc. hochsteigen konnten“ (E-Mail an die Verf., 30. Mai 2006).

4.2 Klangexpeditionen und Schau-Stücke

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Es sei auf die Widersprüchlichkeit und Mehrfachcodierung des Stücks eingegangen. Doppelbödig erscheint bereits der zugrundeliegende Text: einerseits wird (in zwei Szenen) eine ideale Verschmelzung der Herzen beschworen, andererseits zeigt sich, dass diese Verschmelzung entweder nicht ertragen werden kann oder in eine Vereinigung mündet, die eine Auflösung beider Individuen mit sich bringt. In beiden Fällen erfolgt die Entscheidung für eine Zusammenführung der Herzen durch „himmlische“ oder „göttliche“ Macht. Die Ergebnisse stellen jedoch keine „realistischen“ Lösungen dar, sondern sind entweder mit Qualen und Sehnsüchten oder mit dem Verlust des individuellen Agierens im Naturkreislauf verbunden. Es bleibt im Grunde genommen ein „leeres“ Symbol von „vereinigten Herzen“ zurück, ein romantisches Sinnbild, das sich verflüchtigt. Gleichzeitig werden in den erzählten Szenen sinnlich erfahrbare Elemente angesprochen: Luft, Wasser, Regen, Erde (Meeresgrund), die einerseits als Material, andererseits als Bewegungsräume vor Augen geführt werden, in denen sich die Herzen schließlich verlieren. Gegen das Ideal, gegen das „romantische Sinnbild“, gegen dessen „Vaporisierung“ – die Projektionen der Rauchbilder verstärken diesen Eindruck – setzt Stäbler blutiges Material, Fleisch, die Schlachtbank, das Schlachtmesser – ein Schlag, ein Akt, der sich in die Erinnerung eingräbt. Ist man vom Bild des Schlachtens noch benommen, so greift den Konzertbesucher schieres Entsetzen an, wenn der Cellist am Ende das blutige Messer auch noch als Bogen benutzt. Stäbler hat dem – in mehrfacher Hinsicht – schwebenden, scheinbar verklärenden Blick auf die Vereinigung der Herzen eine Szene gegenübergestellt, die sich nicht in der Konfrontation mit dem brutalen Kontrast zwischen literarischer Idee und materieller Wirklichkeit erschöpft. Er hat diesen Gegensatz zum Teil vermittelt – bezeichnenderweise überwiegend auf der Ebene und mit Hilfe der Elektroakustik –, aber auch verdichtet und zugespitzt, indem er ihn auf den „Code“ des Umgangs mit einem Instrument in einem Konzert übertragen hat. Dort erfolgt schließlich eine „Lösung“ des Konflikts, die ebenso unwahrscheinlich wie unvorhergesehen und – artifiziell erscheint. Der Komponist hat das Stück folgendermaßen kommentiert: „Das Gedicht trägt in der Tat vordergründig einen sehr romantischen Charakter. Dennoch ist das Verschmelzen eine künstliche Tat. Das Individuelle, das Unterschiedliche im Gleichen ist das, was ‚natürlicher‘ ist. Ich wollte deshalb das Gedicht mit einer ‚harten‘ Aktion kontrapunktieren, um das Verschiedene im Gleichen zu kennzeichnen. Indem das Scharfe (das Messer), das vorher ‚eigentlich‘ unwiederbringlich geteilt hat, gegen Schluß auf dem Cello völlig neue Klänge, äußerst fragil und leise, hervorbringt, passiert dennoch eine ‚Vereinigung‘, eine Synthese auf neuer Ebene...“508 Die Integration von reproduzierten Klängen über die Einspielungen vom Band birgt weitere Verwerfungen. Dabei geht es vor allem um die unterschiedliche Funktion von konkreten und abstrakten Klängen. Konkrete, erkennbare Klänge – etwa die Regengeräusche oder die Herzschlagrhythmen – werden nicht nur illustrativ, sondern auch formal strukturierend eingesetzt. Vor dem Hintergrund des kontinuierlichen Regens (als Klangspektrum) ist beispielsweise ein harter Schlag 508 E-Mail an die Verf., 30. Mai 2006.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

effektiver einzusetzen. Die diskontinuierliche Annäherung von Herzschlägen bildet daneben die rhythmische Basis für einen Formabschnitt. Aus konkreten Klängen (Geräuschen), die nicht nur vom Band eingespielt werden, sondern sich mit Materialklängen auf der Bühne mischen (Papier), wird ein Klangband herausgefiltert (irisierende hohe und tiefe Frequenzen), das abstrakt erscheint, letztlich jedoch den Verflüchtigungsprozess symbolisieren kann (und Formabschnitte verbindet). Zuletzt finden auch zwischen Bühne und Publikum Trennungen und Vereinigungen statt, die nicht eindimensional angelegt sind. Schock, Ekel, Entsetzen, Distanzierung, Ungläubigkeit wird am Ende subtil durch Gerüche unterwandert, denen sich niemand im Raum entziehen kann. In welcher Art sich die Gerüche mit dem zuvor erlebten Geschehen verbinden, ist vermutlich von den individuellen, ganz persönlichen Erfahrungen und Konditionierungen des einzelnen Hörers beziehungsweise Zuschauers abhängig. Beziehen sich diese Vorgänge im paradoxen Zusammenspiel von „intersubjektiver Wirkung“ und „Abhängigkeit der Wirkung von persönlicher Konditionierung“ auf den eher privaten Bereich beziehungsweise auf den geschlossenen (Erlebnis)Raum des Konzerts, so hat Stäbler mit dem „Aktionsteil“ und der Einblendung von Politikerzitaten, Werbeslogans etc. auch die „Einmischung“ der Öffentlichkeit integriert. Sie wird nicht nur medial angedeutet und zitiert, sondern sie bricht auch in die Szene auf dem Podium ein und bleibt – erneut ein Widerspruch – schattenhaft präsent. Schließlich fragt man sich, welchen Stellenwert die von Stimmen und Instrumenten herrührende Musik einnimmt: Sie ist das Medium, das die Szenerie zusammenhält. Man kann sogar behaupten, dass das Akkordeon im Mittelpunkt steht, denn aus seinen Klangaggregaten gehen die Töne des Ensembles hervor, und das Akkordeon gilt als Zeitgeber. Das Akkordeon, ein hybrides Instrument, erweist sich als Bindeglied nicht nur zwischen den Instrumenten, sondern auch zwischen den Bühnenhandlungen und Bildern: es „atmet“, arbeitet mit Luft, erzeugt Geräusche, ist klanglich Bindeglied zwischen Akustik und Elektronik, ist als Instrument Außenseiter des traditionellen Konzertraums, dem hier musikalisch die Hauptrolle zufällt. Stäbler hat es häufig in seinen Werken eingesetzt und schätzt es in der Tat gerade auf Grund seiner „Unreinheiten“. „Ich habe eine bestimmte Affinität inhaltlicher Art dazu. Bei Warnung mit Liebeslied hat das Akkordeon eine inhaltliche Bedeutung. Da geht es um das Akkordeon als Instrument der Erotik und der Liebe in der proletarischen Sphäre, im Unterschied zur Harfe, die den gehobenen Klassen angehört.“509 Nicht nur bei Stäbler, sondern in der neuen Musik der letzten Jahrzehnte allgemein sowie in Jazz und Pop hat die Verwendung des Akkordeons erheblich zugenommen – das Instrument wurde regelrecht entdeckt und seinen angestammten Bereichen enthoben. Es könnte sein, dass das Akkordeon das Instrument der „Postmoderne“ ist, dann würden sich gerade hier positive Aspekte des Hybriden in der Musik vereinigen: Stilmischungen, Vermittlung zwischen Instrument und Körper, breites Kontextualisierungspotential, klangliche

509 Der Komponist zit. bei F. Hilberg, Im Zentrum steht immer der Mensch. Aspekte der Instrumentation bei Gerhard Stäbler, S. 192.

4.3 Wandelkonzerte und Klangsituationen

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Vermittlung nicht nur zwischen Akustik und Elektronik, sondern auch zwischen Instrumenten unterschiedlicher Kulturen.510 4.3 WANDELKONZERTE UND KLANGSITUATIONEN – AKTIVIERUNG DES PUBLIKUMS Im Kontext der Veränderungen der musikalischen Präsentationsformen in den letzten Jahrzehnten ergaben sich auch für die Situation des Publikums mannigfache Neuerungen.511 Dabei erstreckt sich die Bandbreite der aktuellen Veränderungen von Konzerten bis in Versuche, musikalische Darbietungsweisen anderer Kulturen zu imitieren oder zu adaptieren.512 Vor diesem Hintergrund wurden die Rezipienten etwa zu Bewegungen im Raum aufgefordert, in neue Rituale des Hörens eingebunden, von ihren Plätzen im Parkett oder in den Rängen auf die Bühne versetzt, zu akustischen Unterwasserexpeditionen eingeladen, in einem Bunker auf Stockbetten gelegt oder in einer Lounge auf Wohnzimmersofas gebeten.513 Solche Inszenierungen der Rezeptionssituation einschließlich der Nutzung „konzertfremder“ Orte sind nicht ausschließlich mit der Aufführung aktueller Musik verbunden, aber sie tragen grundsätzlich zu einer „anderen“ Konzertsituation bei. Was allerdings etwa bei einer im Liegen zu hörenden Beethoven-Symphonie eher als Gag der „Eventkultur“ beargwöhnt werden könnte, ist im Kontext zeitgenössischer Musik zumeist ein integraler kompositorischer Faktor oder Teil des künstlerischen Werk- und Aufführungskonzepts.514 Doch auch in diesem Zusammenhang ist klar: Was das Publikum im Aufführungsraum oder in einer Situation unternehmen kann oder soll, dies lässt sich inszenatorisch planen, sogar in Partituren schriftlich festhalten. Wie sich das Publikum letztlich wirklich bewegt oder auf ein Wahrnehmungsangebot reagiert, das ist jedoch völlig offen und ergibt sich allein in der individuellen und einmaligen Aufführungssituation. Während bis zum Ende des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts das Ziel einer Aktivierung des Konzertpublikums die innerliche, mentale und emotionale, psychologische Ebene betraf – und die körperliche Bewegung daher allmählich stillgestellt wurde –, kam ab Mitte des 20. Jahrhunderts mit einer neuen Betonung von Bewegung in der Musik, die in den vorangegangenen Kapiteln erläutert wurde, auch das Publikum als neu zu aktivierendes Element ins Blickfeld. Hierfür sind 510 Vgl. E.-A. Klötzke, Die eigene Sprache erforschen. Das Akkordeon als Instrument der Selbstreflexion. 511 Everett Helm hat darauf aufmerksam gemacht, dass man streng genommen nicht von „dem Publikum“ sprechen kann, sondern dass das Publikum aus vielen verschiedenen Gruppierungen besteht, vgl. E. Helm, Composer, Performer, Public. A Study in Communication, S. 135ff. 512 Vgl. dazu Chr. Utz, Neue Musik und Interkulturalität. Von John Cage bis Tan Dun. 513 Michel Redolfi bietet beispielsweise seit 1981 Unterwasserkonzerte an, vgl. H. de la MotteHaber, Neue Musik populistisch und exklusiv. Festival „MANCA“ in Nizza. 514 Zu vergleichbaren Tendenzen in anderen Kunstbereichen vgl. F. Popper, Art – action and participation; H. Blau, The Audience; E. Fischer-Lichte, Die Entdeckung des Zuschauers; A. Hünnekens, Der bewegte Betrachter.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

verschiedene Gründe auszumachen: Im Rahmen von Konzepten für eine Musik im Raum oder für „Raummusik“ sollte das Publikum beispielsweise dazu beitragen, auf dem Konzertpodium bestimmte Klangkomplexe und Klangverläufe zu verdeutlichen, zu unterstützen oder zu verändern, das heißt auch, diese Verläufe in Bewegung zu erfahren, so etwa in Dieter Schnebels zweitem Projekt einer Raummusik Das Urteil (nach F. Kafka) für denaturierte Instrumente, naturierte Singstimmen, sonstige Schallquellen und Publikum (1959), das jedoch zunächst nicht realisiert werden konnte und später gerade die Komponente der Beteiligung des Publikums verlor.515 Die Hörer konnten sich ursprünglich „variabel positionieren, innerhalb des Stückes ihren Platz auch wechseln und in Interaktionen mit den Musikern wiederum eigene, interne Raumstrukturen ausbilden.“516 Dem Publikum solcherart die Rezeptionshaltung selbst zu überlassen, ihm die Entscheidung anheim zu geben, einen Anfang und ein Ende zu setzen sowie die räumliche Positionierung selbst zu wählen und im Rezeptionsprozess zu verändern, wurde einerseits künstlerisch-kompositorisch zur Aufgabe. Zum anderen entstand oder verstärkte sich parallel dazu sowohl bei einigen Komponisten wie auch zum Teil bei Interpreten oder bei Composer-Performern ein soziales Verantwortungsbewusstsein sowie pädagogische und psychoanalytische Anliegen. Wenn man so will, handelte es sich um ein neu definiertes politisches Engagement, dessen Kernpunkt „Emanzipation des Hörers“ genannt werden kann (analog zur Idee der „Befreiung des Interpreten“).517 Der konventionelle Rahmen des bürgerlichen Konzerts und seine habituellen Implikationen wurden als Abbilder autoritärer Herrschaftsstrukturen betrachtet und waren deshalb geeignete sozio-kulturelle Räume, um kritische und provokatorische Impulse zu setzen sowie gleichzeitig ein Publikum zu erreichen, das diese Art der Gesellschaftskritik auch wirklich berührte.518 Im Sinne von Peter Handkes Publikumsbeschimpfung (von 1965) funktioniert die Provokation, weil bestimmte Erwartungen enttäuscht werden: „Hier wird nicht dem Theater gegeben, was des Theaters ist. Hier kommen Sie nicht auf Ihre Rechnung. Ihre Schaulust [Hörlust] bleibt ungestillt. Es wird kein Funken von uns zu Ihnen überspringen. Es wird nicht knistern vor Spannung. Diese Bretter bedeuten keine Welt. Sie gehören zur Welt. Diese Bretter dienen dazu, daß wir darauf stehen. Dies ist keine andre Welt als die Ihre. Sie sind keine Zaungäste mehr. Sie sind das Thema. Sie sind im Blickpunkt. Sie sind im Brennpunkt unserer Worte.“519 So gilt insbesondere für die 1960er und frühen 1970er Jahre: „Ge515 Vgl. D. Schnebel, Das Urteil (nach F. Kafka) (1959). Definition (Ausschnitte). Vgl. dazu G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 154–163. Das Urteil (nach F. Kafka) wurde erst 1990 uraufgeführt, dabei scheint die Beteiligung des Publikums ganz weggefallen zu sein (vgl. ebenda, S. 156 u. 163), vgl. auch M. Fürst-Heidtmann, Kafka wetzt das Messer. Dieter Schnebels „Urteil“ in Hannover. 516 G. Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik, S. 163. 517 Vgl. dazu „Hör-Stücke“ – Gehörgänge, Dieter Schnebel im Gespräch mit Gisela Nauck. 518 Vgl. H.-W. Heister, Das Konzert. Theorie einer Kulturform. 519 P. Handke, Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke, S. 18. Zur Politisierung der Kunst in den 1960er Jahren vgl. auch R. H. Thomas u. K. Bullivant, Literature in upheaval. West German writers and the challenge of the 1960s.

4.3 Wandelkonzerte und Klangsituationen

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sellschaftskritisches Komponieren stellt sich in den Dienst des unterdrückten Subjekts, um es vermöge aufklärerischer Potenzen von bestimmten Aspekten der Herrschaft zu emanzipieren.“520 Allerdings muss aus heutiger Sichte der utopische Charakter dieser Bestrebungen unterstrichen werden, und dies nicht etwa, weil die Arbeiten der Künstler wirkungslos geblieben wären, sondern in erster Linie deshalb, weil den Adressaten der „Befreiungsbewegung“ auch Selbstverantwortung aufgebürdet wurde, die ihnen als Zumutung erschien. Ein dritter Aspekt der „Aktivierung des Publikums“ ergab sich aus der Übertragung interaktiver Spielkonzepte auf die Konzertsituation. Musiker oder Composer-Performer wurden beispielsweise gemeinsam mit dem Publikum in eine Situation gebracht, in der die unausgesprochenen Regeln der „cultural performance“ Konzert galten, doch ausformulierte und gesetzte neue Spielregeln – zum Teil mit Möglichkeiten zur Improvisation – hinzukamen, die das traditionelle Konzertritual auch beinahe aufheben konnten. Interaktion als ludisches Konzept konnte sich ferner auf den aktiven Austausch der Rezipienten beziehen, um eine Aufführung zustande zu bringen und zu gestalten.521 In diesem Zusammenhang wurden vor allem auch Musikkonzepte initiiert, die nicht auf das traditionelle Konzertpublikum, sondern auf die Beteiligung aller Bevölkerungsschichten ausgerichtet waren. Der kultur- und gesellschaftskritische Gestus trat in diesem Kontext zugunsten des Ziels einer „Demokratisierung“ der Kunstproduktion zurück.522 In den letzten Jahrzehnten bezog sich schließlich „Interaktion“ im Konzert und in der Klangkunst häufig auf den Einfluss, den das Publikum mit oder durch elektronische Medien und Computerprogramme auf die Klangproduktion und den musikalischen Verlauf nehmen kann, wobei sich dies zu einem reziproken Kreislauf zwischen Einflussnahme und Ergebnis erweitern soll. Für die Aufführungssituation ist in diesem Zusammenhang nicht nur relevant, welche klanglichen Ereignisse stattfinden (können), sondern die Schnittstellen oder „Interfaces“ dieser Vorgänge treten in den Vordergrund. Das heißt, wie und wodurch kann das Publikum Einfluss nehmen: ist es beispielsweise die Bewegung im Raum, die über Sensoren registriert wird, oder ist es die Computertastatur beziehungsweise Maus oder Touchpad, mit denen manuell agiert werden kann? Die Schnittstellen der interaktiven Vorgänge entwickelten sich daher zu elementaren künstlerischen und inszenatorischen Mitteln solcher Konzert- und Klangkunstprojekte.523 Die Aktivierung des Publikums, so unterschiedlich sie motiviert und konzipiert sein konnte, sollte demnach dazu führen, in der Rezeptionssituation nicht mehr nur anwesend zu sein und das Angebotene kontemplativ nachzuvollziehen bezie520 521 522 523

N. Nagler, Musikphilosophie der Freiheit, S. 45. Vgl. S. Sanio, Kunst und Interaktivität. Erfahrungen und Fragen. Vgl. F. Popper, Art – action and participation, S. 12. Zur Inszenierung von Interfaces und zur Problematik von „Interaktivität“ vgl. P. Matussek, Performing Memory. Matussek stellt fest, dass „sich das Kriterium der Interaktivität sich just dort am ehesten erfüllt, wo es nicht durch unmittelbares Handeln absorbiert wird, sondern wo dessen Zurückweisung eine imaginative Eigenaktivität des Rezipienten veranlasst“ (S. 316).

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

hungsweise sich dazu anregen und anleiten zu lassen, sondern als Rezipient selbst handelnd in das Geschehen eingreifen zu können und damit den Verlauf einer Aufführung mitzubestimmen und zu gestalten. Frank Popper hat dargestellt, dass es sich dabei um ein neues Verhältnis aller Beteiligten handelt und sich der Charakter eines Kunstwerks wandelt: „The work loses its materiality, and becomes simply an effect or an event; the artist loses his halo and becomes a researcher; the spectator leaves the domain of cultural conditioning and himself becomes active and creative.“524 4.3.1 Publikum in Bewegung – „Anti-Rituale“ Yoko Ono ist als Ehefrau des Beatles-Mitglieds John Lennon zu einer Ikone der Popkultur geworden. Erst im letzten Jahrzehnt wurde ihr eigener künstlerischer Weg als Musikerin und Performance-Künstlerin zu würdigen begonnen.525 Seit den späten 1950er Jahren gehörte sie zur künstlerischen Avantgarde in New York. Sie initiierte und unterstützte viele Projekte anderer Künstler, war Akteurin und Wegbereiterin der Fluxus-Bewegung und hat mit ihren eigenen Auftritten Marksteine der Performance-Kunst gesetzt, so beispielsweise mit ihrem berühmten Cut Piece (erstmals aufgeführt am 20. Juli 1964 in der Yamaichi Concert Hall, Kyoto, Japan). „This piece […] is usually performed by Yoko Ono coming on the stage, and in a sitting form, placing a pair of scissors in front of her and asking the audience to come up on the stage, one by one, and cut a portion of her clothing (anywhere they like) and take it. The performer, however, does not have to be a woman.“526 Am Beispiel dieser Performance lassen sich einige Aspekte der „Aktivierung des Publikums“ diskutieren, bevor näher auf die Situation eines Konzerts eingegangen wird. Yoko Ono saß bei ihren ersten Aufführungen des Cut Piece übrigens auf Konzertpodien (auch 1965 in der Carnegie Recital Hall in New York), so dass ein Vergleich mit einer musikalischen Darbietung nicht ganz abwegig erscheint. Das Konzept von Ono sieht die Beteiligung des Publikums vor. Es ist demnach kein Solostück, obwohl sich die Performerin alleine präsentiert. Die Aktionen des Publikums, ob sie nun der Aufforderung Onos nachkommen oder nicht, sind Teil der Aufführung und tragen dazu bei, das Stück zu „realisieren“. Obwohl die Anwesenheit und Teilnahme des Publikums an einer Aufführung immer zur Konstituierung eines Werks gehören, wird dies in einer solchen Performance plakativ herausgestellt. Es wird insbesondere dadurch exponiert, dass sich das Publikum der Aufforderung zur Mitwirkung bewusst ist, die Situation jedoch ei524 F. Popper, Art – action and participation, S. 8. 525 Vgl. Yoko Ono. Arias and Objects; Yes Yoko Ono (Katalog). 526 Yes Yoko Ono (Katalog), S. 279, vgl. auch S. 158–161; vgl. Yoko Ono. Arias and Objects, S. 90–93. Vgl. K. Concannon, Yoko Ono’s Cut Piece. Critical Reception, Vortrag, Third Annual Performance Studies Conference, Atlanta, April 1997, www.webcast.gatech.edu/papers/ arch/Concannon.html (ges. am 22. 05. 2009). Vgl. auch K. Concannon, Yoko Ono’s Cut Piece. From Text to Performance and Back Again.

4.3 Wandelkonzerte und Klangsituationen

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nige Hemmschwellen impliziert. Letztere beginnen etwa mit dem Umstand, dass ein Anfang der Publikumsaktionen gemacht werden muss, bei dem sich einzelne Rezipienten der genauen Beobachtung der anderen aussetzen. „Usually, only one third of the audience performs while the rest apparently consider the prospect.“527 Das Publikum wird demnach gespalten in aktiv und passiv Mitwirkende. Eine andere Schwelle liegt in der Tätigkeit, die ausgeführt werden soll. Das Eigentum eines anderen Menschen soll zerstört, seine Kleidung und sein Körper berührt, ein Frauenkörper nach und nach entblößt, Gewalt angewendet werden. Die „Ausnahmesituation“ einer künstlerischen Performance führt zwar dazu, dass die Schwellen nach und nach überwunden werden, doch dann stellt sich die Frage nach den Grenzen beziehungsweise Entgrenzungen des Handelns im Rahmen von Kunst. Ist in diesem Kontext und im Rahmen des „Rituals“ Cut Piece alles erlaubt? Die passive Performerin Yoko Ono scheint dies geradezu herauszufordern. Die ganze Situation wird schließlich zu einer Herausforderung: Gibt es überhaupt eine Grenze? Was passiert, wenn der Rahmen der Kunst durchbrochen wird und das Publikum die Situation „ernst“ nimmt beziehungsweise nicht mehr unterscheidet, wenn also die Performerin tatsächlich Opfer von aggressiven Attacken wird? Wer setzt dem Ganzen wie ein Ende? Bildet der nackte Körper von Yoko Ono letztlich den Schluss der Partitur, nach der das Publikum insgeheim agiert? (Bei einer Aufführung in London 1966 scheint man dies genau so verstanden zu haben.) Oder wird Ono nicht als Partitur, sondern als Instrument beziehungsweise Medium gesehen, mit dem ein Konzept umsetzt wird? Und welche Folgen hat diese Perspektive? „Cut Piece moves beyond the psychological interaction of artist and participants to uncover the latent subject/object condition behind the edifice of art and the presumed opaque neutrality of objects. Instead of offering objects to be contemplated by respectful observers, Ono delivers art as an immediate social event, eliminating the reserve of aesthetic distance. Cut Piece is an aesthetic commentary on the complicit relationship between individuals and the social body as a whole in its collectivized behavior.“528 Der „Rollenwechsel“ von Aufführenden und Publikum hebt die Aufführungssituation demnach auf einen brüchigen und schillernden Grat, der die Bedingungen der Performing Arts hervorhebt, aber genau durch diese Hervorhebungen (vor allem durch Schwellenbildungen und -überschreitungen) auch erheblich ins Wanken bringt und Abstürze nicht ausschließt.529 Aus der Sicht von Komponisten und Musikinterpreten dürfte der Gedanke an ein aktives, kooperierendes Publikum zunächst das Bild des „großen Unbekannten“ evoziert haben. Zu konventionalisiert waren die Regungen der „normalen“ Konzertbesucher, zu unberechenbar ihre Reaktionen auf Neues. „Die Menschen sitzen regungslos da, als brächten sie es fertig, nichts zu hören. Es ist klar, daß eine

527 A. Cox, Instructive Auto-Destruction, zit. bei K. Concannon, Yoko Ono’s Cut Piece. Critical Reception. 528 K. Stiles, Cut Piece, S. 158. 529 Vgl. zu den Folgen des „Rollenwechsels“ auch E. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 63–82.

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lange, künstliche Erziehung zur Stockung hier notwendig war, an deren Ergebnisse wir uns bereits gewöhnt haben.“530 Das junge Publikum schien aufgeschlossener zu sein, wirkte aber wie ein „unbeschriebenes Blatt“. So erstaunt es nicht, dass manche Komponisten in den 1950er Jahren zum Teil eine neue Hör- beziehungsweise Rezeptionshaltung vorschlugen oder vorschrieben; andere erklärten, sich für diese Ebene nicht zu interessieren; wieder andere nahmen sich vor, zu intervenieren, zu irritieren, zu experimentieren. Bei einigen stand zu Beginn – ob zufällig oder geplant, sei dahingestellt –, die Entdeckung und Exploration dessen, was das Publikum akustisch hervorbrachte und wie es in bestimmten Situationen reagierte. Cages 4’33’’ steht beispielsweise 1952 völlig im Kontext anderer Stücke, die Interpreten ausführen, so auch das nachfolgende Untitled Event. In 4’33’’ ist eine Beteiligung des Publikums nicht vorgesehen, doch durch die entstehende Stille auf dem Podium traten die Aktionen und Klänge des Publikums in den Vordergrund. Das Untitled Event war im Blick auf die Publikumsreaktionen eine experimentelle Situation, aber nicht deshalb, weil die Rezipienten instruiert wurden, aktiv mitzuwirken, sondern weil man ihnen ihre Reaktionen auf das zum Teil rätselhafte Wahrnehmungsangebot selbst überlassen hatte. Das Publikum als aktiven Partner und Interpreten einzubeziehen, zeichnete sich erst seit Mitte der 1960er Jahre ab, mit Vorläufern in Happenings und Environments, in denen Klänge zum Teil einbezogen waren, und in denen zunächst einmal die freie Bewegung im Raum gegeben war. Seit Anfang der 1950er Jahre gab es auch Tendenzen in der bildenden Kunst, die Besucher zu aktivem Eingreifen einzuladen. In Yaacov Agams Nuit (1953) beispielsweise „the various wooden elements can be displaced in relation to one another through being moved about on the perforated wooden surface. There is constant interplay between the neutral background, which acts literally as a support, and the projecting forms which resolve themselves into different overall images according to the spectator.“531 Insofern bestätigt sich hier die folgende Feststellung: „Bildende Kunst erscheint oft fast als eine Art historische ‚Leitkunst‘ der Avantgarde nach 1945 im Hinblick auf jeweilige Neuerungen und weiter ausstrahlende Anregungen. Andererseits bleibt Musik, systematisch gesehen, Leitkunst im Hinblick auf größtmögliche Abstraktheit, aber zugleich, nur teilweise paradox, im Hinblick auf größtmögliche Körpernähe und Sinnlichkeit.“532 Die Rezeption von Musik oder Klangprojekten Eingriffen des Publikums zu öffnen, war aus mehreren Gründen ein schwieriges Unterfangen. Zum einen gab es ein ganz praktisches Problem: professionelle Interpreten konnten nicht einfach durch Mitglieder aus dem Laienpublikum ersetzt werden, wollte man ein Stück aufführen, in dem ein gewisses instrumentaltechnisches oder stimmliches Niveau erforderlich war. Es ist daher wenig erstaunlich, 530 E. Canetti, Masse und Macht, Erster Band, S. 36. 531 F. Popper, Art – action and participation, S. 13. Auf Projekte in den 1920er Jahren, etwa Plastiken als Gleichgewichtskonstruktionen, die als Vorläufer anzusehen sind, kann hier aus Mangel an Raum nicht eingegangen werden. Vgl. dazu L. Moholy-Nagy, Vom Material zur Architekur. 532 H.-W. Heister, Grenzüberschreitungen. 1961–1967: Systematische Rückgriffe aufs Elementare, S. 200.

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dass die „Aktivierung des Publikums“ zum Teil mit „animierenden“ und pädagogischen Programmen verknüpft wurde. Cages Hinwendung zu einer aktiven Beteiligung des Publikums fasste James Pritchett unter dem Motto „simultaneity, abundance, and anarchy“ und zitierte Cage aus Where Do We Go From Here (1963): „We’re no longer satisfied with flooding the air with sound from a public-address system. We insist upon something more luminous and transparent so that sounds will arise at any point in the space bringing about the surprises we encounter when we walk in the woods or down the city streets.“533 Cage konzipierte daraufhin einige Stücke, in denen viele Ereignisse simultan geschehen, und in denen die Besucher in die Dichte und Fülle des Geschehens eintauchen konnten. In Newport Mix (Frühjahr 1967) scheint Cage erstmals das Publikum aktiv in eine solche Veranstaltung eingebunden zu haben. Er berichtet: „Leute wurden zum Essen in ein Restaurant eingeladen, auf eine Yacht, die im Ohio-Fluß ankerte. Auf jeder Einladung wurden die Gäste gebeten, eine Tonbandschleife mitzubringen. Nichts wurde im einzelnen festgesetzt, außer daß man ohne eine Tonbandschleife nicht eingelassen würde. Viele Leute kamen ohne eine Tonbandschleife. Aber wir hatten die notwendigen Gerätschaften vorbereitet, um Schleifen herzustellen. Und vor dem Eintritt war jeder verpflichtet, seine eigene Schleife aufzunehmen. Und alles wurde so arrangiert, daß die Tonbänder überall zirkulieren konnten, um die Tische herum und darüber...“.534 Mit Cages erstem Musicircus (November 1967) entstand sodann eine „multimedia performance“, die als erweitertes Environment nicht nur verschiedene simultan stattfindende Musikaufführungen einschloss, sondern auch Filme und Unterhaltungsangebote sowie Erfrischungen für das Publikum – ein Wandelkonzert und gleichzeitig ein Fest. Das Publikum konnte auch Klänge produzieren: „In the center of the floor was a metallic construction upon which the audience could make sounds.“535 Zwei Jahre später integrierte Cage in eine Musicircus-Veranstaltung das Stück 331/3, „in which twelve phonographs and over 300 LPs were made available in a large open space to anyone who wished to use them.“536 Er berichtet im Gespräch mit Daniel Charles über die Aufführung: „Als das Publikum den Saal betrat, konnte es keine Sitzgelegenheiten vorfinden. Rings um den Raum gab es nur Tische mit Bergen von Schallplatten und Lautsprechern, die überall im Raum verteilt waren. Jedem Mitglied des Publikums wurde es sehr schnell klar, daß sie, wenn sie Musik wollten, sie sich selber produzieren mußten. Ich habe eine lange Zeit nach Mitteln gesucht, um eine sogenannte Publikumsteilnahme zustandezubringen. Aber ich möchte nicht, daß die Leute am Klavier sitzen, wenn sie es nicht erlernt haben. Andererseits kann man jeden einen Phonographen bedienen

533 Vgl. J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 154ff., siehe J. Cage, A Year From Monday, S. 94. 534 Für die Vögel. John Cage im Gespräch mit Daniel Charles, S. 213. Vgl. dazu die leicht veränderte Erzählung bei W. Fetterman, John Cage’s Theatre Pieces, S. 136. 535 J. Cage, Re Musicircus, S. 172. Vgl. W. Fetterman, John Cage’s Theatre Pieces, S. 139, der das Klangobjekt Barney Childs zuschreibt. 536 J. Pritchett, The Music of John Cage, S. 158.

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lassen.“537 Lesen und Vorlesen waren ebenfalls Tätigkeiten, die einer Gruppe von Laien aufgetragen werden konnten, wie es Cage in Mureau (1970, nach Texten von Henry David Thoreau) vorgenommen hat. Doch dabei ergab sich das Problem, dass bei den Proben zwar eine ausgeglichene „demokratische“ Umsetzung des Stücks entstand, diese aber in der Aufführung nicht reproduziert werden konnte.538 Eine weitere Variante der Einbeziehung des Publikums ergab sich bei einem „soundwalk“: Demonstration of the Sounds of the Environment (1971). Hier führte Cage an der University of Wisconsin die Teilnehmer an verschiedene Orte, die er durch Zufallsverfahren ermittelt hatte, um Klänge der Umgebung wahrzunehmen. „We listened to as many sounds as we could.“539 Beobachtet man, an welchen Stellen der Komponist ansetzte, um das Publikum zu „aktivieren“, so lassen sich – neben dem Prozess des Zu-Hörens – verschiedene Ebenen des Konzertrituals benennen. Der Zugang etwa: in Newport Mix wird er nicht durch den Kauf einer Eintrittskarte, sondern durch die Erstellung einer kurzen Tonbandaufnahme erworben. Das gemeinsame Essen wird dann musikalisch umrahmt von „Selbstgebasteltem“. Die Teilnehmer wurden so einerseits dazu gebracht, sich für Akustisches zu interessieren, andererseits erhielten sie quasi einen Schnellkurs in der Anwendung von Reproduktionsmedien beziehungsweise Aufnahme- und Wiedergabe-Geräten.540 In dieser Situation wird die Schwelle des Rituals betont, das heißt, den potentiellen Teilnehmern wird eine besondere Hürde beim Eintritt bewusst, die sie zu überwinden haben. Falls sie ohne „Eintrittskarte“ ankommen, geraten sie in einen exklusiven Zwischenzustand, der mit einem Versprechen (zum Eintritt) verbunden ist, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt werden. In dieser Situation wird der potentielle Ritualteilnehmer nicht alleine gelassen, sondern er findet Assistenten vor, die den Übertritt der Schwelle unterstützen. Ein Vergleich mit dem Stück Cybersonic Cantilevers (1975) von Gordon Mumma sei angeführt, das eine offene Situation erzeugt und Eingriffe des Publikums erlaubt: „the audience is invited to provide the sound material. A number of monitor stations equipped with microphones and headsets are spread around in a large space. Audience participants bring prerecorded sounds (on cassette machines) or any other sound-producing objects they like. Their sounds are routed from the microphone to an electronic processing device designed by the composer. The processed sounds are then played back through the headsets and over loud-speakers that ring the area. The monitor stations are also equipped with

537 Für die Vögel. John Cage im Gespräch mit Daniel Charles, S. 212f.; Vergleichbares geschieht offenbar erst wieder 1979 mit Concerto Grosso, einer Installation für vier Fernsehgeräte und 12 Radios mit Beteiligung des Publikums. 538 Vgl. D. Kösterke, Kunst als Zeitkritik und Lebensmodell, S. 196f. 539 Vgl. Cages Erzählung bei W. Fetterman, John Cage’s Theatre Pieces, S. 142. 540 Sabine Sanio machte in Kunst und Interaktivität. Erfahrungen und Fragen (S. 36) darauf aufmerksam, dass Cage etwa 10 Jahre früher ein anderes Verhältnis zu diesen Medien zum Ausdruck brachte, als er in Lecture on Nothing (1959) vorschlug, eine „Capitalist Inc.“ zu gründen, in die aufgenommen werden sollte, wer zumindest 100 Schallplatten zerstört hatte, vgl. Silence, S. 125.

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switches that allow participants to influence the processing of sounds, while oscilloscopes visually display the results.“541 In Cages Musicircus und 331/3 sind die Schwellen zum Eintritt und Austritt aus der Aufführungssituation im Prinzip nicht vorhanden, die Besucher können ihren Aufenthalt und ihre Aktionen während des „Festes“ selbst bestimmen (es wurde kein Eintritt verlangt). 331/3 ist darin eine Form der „delegierten Aufführung“, obwohl keine direkten Handlungsanweisungen vorhanden sind.542 Die Handlungsanweisungen ergeben sich aus der Situation und Präsenz bestimmter Objekte, die zu ihrer Benutzung einladen. Man kann demnach 331/3 als Variante von „art-byinstruction“ verstehen, die Sandra Umathum zufolge ihre ersten Impulse durch Marcel Duchamp erhalten hat.543 Zwischen bildender Kunst und Musik entsteht in diesem Zusammenhang eine signifikante Kreuzung: während Handlungsanweisungen zu Objekten der bildenden Kunst wie die Hinzufügung von Partituren interpretiert werden konnten, wurden im Musikbereich gerade die Partituren als Handlungsanweisungen entfernt und durch die Setzung und Inszenierung von Objekten und Situationen substituiert. Das bedeutet eine spezifische Theatralisierung einer Musikaufführung, die bereits Rezeptionssituationen in der bildenden Kunst erfahren haben, als zum Beispiel Objekte der minimal art eine ungewöhnliche „Aktivierung“ der Rezipienten herausforderten. In Cages 331/3 begannen Besucher, die Schallplatten aufzulegen und abzuspielen. Cage berichtet von einem Mann, der sich nur zur Aufgabe machte, die Plattenspieler abzustellen.544 Alle Beteiligten konnten insofern selbst aktiv werden und gleichzeitig das Ergebnis ihrer Tätigkeiten für die Zeit ihrer Anwesenheit wahrnehmen. „In einem Musicircus ist es gestattet, alle Arten von Musik zu vereinigen, die gewöhnlich getrennt sind. Wir machen uns sozusagen keine Gedanken mehr, was man dort hören kann. Es ist nicht mehr eine Frage der Ästhetik.“545 Die Musik entsteht demnach ganz aus der Situation, in der sich ein Rezipient befindet, sie entsteht in einem individuell strukturierten „Zeit-Raum“, der auch einschließen kann, bestimmte Ereignisse nicht mitzubekommen oder zu ignorieren. Da in der Veranstaltung eines Musicircus die Simultanaufführung verschiedener Stücke integriert ist, wie auch in HPSCHD (1967–1969), sind Erwartungen an eine gewohnte Rezeption dieser Stücke als Ganzes zurückzustellen beziehungsweise abzulegen. Insofern hat Cage hier sein Konzept von indeterminacy auf eine zweite Stufe gehoben: die simultane Aufführung selbst seiner eigenen Stücke, die durchaus organisiert sein kann, potenziert für den Komponisten als Rezipienten (stellvertretend für alle Rezipienten) die Unbestimmbarkeit und Unvorhersehbarkeit des Geschehens in der aktuellen Aufführungs- und Rezeptionssituation. „Komposition definiert hier 541 E. Schwartz u. D. Godfrey, Music since 1945. Issues, Materials, and Literature, S. 158. 542 Vgl. dazu S. Umathum, Do it yourself! Bemerkungen über delegierte Aufführungen. Vgl. dazu auch P. Weibel, Kunst als offenes Handlungsfeld (mit Dank an S. Umathum für diesen Hinweis). Vgl. zu Partizipation als „Handlung nach Anweisung“ auch A. Hünnekens, Der bewegte Betrachter, S. 115ff. 543 Vgl. S. Umathum, Do it yourself! Bemerkungen über delegierte Aufführungen, S. 124. 544 Für die Vögel. John Cage im Gespräch mit Daniel Charles, S. 213. 545 Ebenda, S. 51.

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nicht mehr wie vieldeutig auch immer ein Stück, sondern für eine ganze Veranstaltung von einer gewissen Dauer, Dichte und Simultaneität der Vorgänge, in deren Verlauf vor allem Stücke anderer Komponisten aufgeführt werden, aber ebenso eine Vielzahl anderer vorhersehbarer und unvorhersehbarer Ereignisse ihren Platz finden kann. Das Prinzip der Unvorhersehbarkeit wird hier also auf die Veranstaltungsform selbst übertragen“.546 Die dritte genannte Variante, das Publikum zu aktivieren, bezieht sich auf die Wahrnehmung der akustischen Umwelt. Eine Aufführung von Demonstration of the Sounds of the Environment besteht letztlich in der Zelebration einer Alltagssituation als „social experience“, in der alle Geschehnisse zu Wahrnehmungsereignissen werden (können).547 Es ist eine Umsetzung folgender Äußerung Cages: „If you celebrate it, it’s art: if you don’t, it isn’t.“548 Geht man von diesen verschiedenen Konzepten Cages aus, in denen das Publikum in den Aufführungsprozess aktiv einbezogen wurde, so lässt sich nicht nur eine Theatralisierung der Rezeptionssituation feststellen – im Sinne des Theaterbegriffs von Cage eine Betonung und Inanspruchnahme aller sinnlichen Bereiche, insbesondere des Sehens und Hörens –, sondern auch eine Ritualisierung, die sich als Neudefinition beziehungsweise Transformation des Konzertrituals auffassen lässt. Letzteres zeigt sich nicht nur in einer Umwandlung des Konzerts zu einem Fest oder beispielsweise zu einem gemeinsamen Essen – wobei das Spektakuläre und Spektakel in den Vordergrund rückt –, sondern auch, umgekehrt, in einer Zelebration des Hörens im Sinne einer Konzentration auf die akustische Welt, die eine spirituelle Vertiefung und beinahe mystische Versenkung als „geistige Aktivität“ impliziert. Letzteres hat die Komponistin Pauline Oliveros in ihren meditativen Werken zum Schwerpunkt erhoben, wobei, wie zu zeigen sein wird, ebenfalls eine besondere Inszenierung der Aufführungssituation eine große Rolle spielt. In Poetics of Environmental Sound (1968) beschreibt Pauline Oliveros folgende Erfahrung: „I sit quietly with my alarm clock, close my eyes and open my ears. At this point, the curtain rises and the performance begins. My very surroundings seem to come alive, each sound revealing the personality of its creator. There are several sounds which become fixed in my ear like some ‚basso ostinato‘: the continuous whirring of factory machinery in the distance and the hollow sound of plopping water in a nearby fountain. This background of sound is interrupted by the piercing motif of a bird. A sudden breath of air sweeps across the deck. The pages of my book respond with quick snapping sounds. The door at the entrance squeaks and moans on the same pitch like an old rocking chair, then closes with a thud. I can hear the drapery from an opened window rustling against the coarse plastered walls, while the drawing cord syncopates against the windowpane.“549

Oliveros hat Aufführungskonzepte entwickelt, die solche Erfahrungen der Klangwahrnehmung als soziale Prozesse, als Erlebnisse in Gemeinschaften ermöglichen. 546 H. R. Zeller, Medienkomposition nach Cage, S. 129. 547 Vgl. J. Cage, Gedanken eines progressiven Musikers über die beschädigte Gesellschaft, S. 29. 548 Vgl. dazu R. Riehn, Noten zu Cage, S. 97. 549 P. Oliveros, The Poetics of Environmental Sound (1968), S. 29f.

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Sie ging von persönlichen Übungen aus, Geist und Körper neu in Einklang zu bringen. „By the early 1970s she began to study consciousness seriously. Her natural affinity for imagery and the intuitive process of improvisation eventually led her to investigate T’ai Chi, karate, ritual, dreams, ceremonies, mandalas, and the latest research about meditation.“550 Wie von Gunden darstellt, sind diese Interessen als Trends der 1970er Jahre in Zusammenhang zu sehen mit den Studentenbewegungen und Anti-Vietnam-Protesten, mit der Adaption östlicher Philosophien als Gegenpol zum westlichen, kapitalistischen Materialismus sowie mit der beginnenden Frauenbewegung. Aus den Selbsterfahrungen von Oliveros ging das Konzept ihrer Sonic Meditations hervor.551 In einer besonderen Verbindung von Improvisation und Meditation, häufig beruhend auf kurzen Texten mit Handlungsanweisungen und mündlich mitgeteilten Instruktionen, entsteht ein gemeinsamer „Klangraum“, der sowohl globale Aufmerksamkeit (awareness) als auch Fokussierung (attention) ermöglichen soll.552 Die Teilnahme an den Meditationen ist für Laien offen, denn das Konzept für die Sonic Meditations entstand auch als Folge des Unterrichts der Komponistin an der University of California, San Diego (ab 1967). Dort hatte sie nicht mit Musikstudenten gearbeitet, sondern vor allem improvisatorische und experimentelle Projekte für alle Studierenden geplant und organisiert.553 Oliveros bestimmte in den Aufführungen beispielsweise neue Sitzordnungen für Interpreten und Publikum, etwa in Meditation on the Points of the Compass (1970) für Chor, Schlagzeug und Zuhörer. „She used the compass as the seating arrangement for the performance space so that both audience and performers form a living mandala.“554 Die Aufführungssituation wurde zudem in eine bestimmte Atmosphäre getaucht: „a beginning candle-lighting ceremony, a short meditation of three of four minutes in which everyone concentrates on breathing (the composer suggests the Yoga fourfold breathing technique) and on the sounds of gongs, wind, buzzing, humming, and whistling, which are often associated with meditative practices.“555 Zu Phantom Fathom (II) From The Theater Of The Ancient Trumpeters: A Ceremonial Participation Evening (1972) beispielsweise gehören eine „greeting meditation“, ein „dream ritual“, ein „snake dance“ und ein „silent dinner“.556 Mit den 25 Stücken, die Oliveros unter dem Titel Sonic Meditations (1971– 1973) zusammenfasste, reduzierte sie die theatralen Elemente – eine Beleuchtung des Raums mit blauem Licht und eine kreisförmige Sitzordnung reichte zumeist aus – und entwickelte in verschiedenen Aufführungskonzepten ein „Programm“ für die Klangmeditationen. Es umfasste Anweisungen für die spirituelle Vorbereitung 550 551 552 553

H. v. Gunden, The Music of Pauline Oliveros, S. 87. Vgl. P. Oliveros, On Sonic Meditation (1976). Vgl. dazu auch S. Feißt, Der Begriff ‚Improvisation‘ in der neuen Musik, S. 176–183. Interview mit Pauline Oliveros in C. Gagne, Soundpieces 2. Interview With American Composers, S. 220. 554 H. v. Gunden, The Music of Pauline Oliveros, S. 95. 555 Ebenda. 556 Ebenda, S. 97.

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auf die Aufführung, die Fixierung von Möglichkeiten des Umgangs mit Klang („make sound“, „imagine sound“, „listen to the present sound“, „remember past sound“) sowie Instruktionen zur Vertiefung in diese Aufgaben. „My Sonic Meditations [...] are ‚sonic‘ in the sense that sound and hearing, both active and receptive, are the foci of attention and stimuli of awareness. The enhancement and development of aural sensation is one of their goals. Synchronization of attention and awareness, keeping them balanced and conscious, is necessary. Also, the synchronization of voluntary and involuntary mental or physical activity is explored. The ear is the primary receptor or instrument; sound, both inner and outer, real and imaginary, is the stimulus of Sonic Meditations.“557 Dabei ist „Meditation“ nicht auf eine einzige meditative Form der Rezeption eingeschränkt, sondern, wie Oliveros betont: „If you analyze these different pieces, the Sonic Meditations and Deep Listening Pieces (which is another collection of them, about 30 pieces), each one has different uses and different forms. One piece might require a yogiclike state, another one might require a Zenlike state, another one might require going from one to the other. So it’s exercising these faculties we have. But the overall use of the term meditation means for me to stay with it, whatever it is.“558 Oliveros’ Oeuvre – selbst das Konzept ihrer Sonic Meditations – kann hier nur als Beispiel für eine singuläre und konsequente Entfaltung der Arbeit mit dem Publikum beziehungsweise mit der Partizipation des Publikums herangezogen werden. Die Kürze der Darstellung ist der Vielfalt ihrer Projekte und der Erfahrung, die die Komponistin gesammelt hat, sicherlich nicht angemessen. Auch folgendes statement, mit dem sie auf die Frage nach den Konsequenzen der Klangmeditationen auf ihre Selbsteinschätzung als Komponistin antwortete, bedürfte einer weiteren, ausführlicheren Kommentierung, als sie im vorliegenden Rahmen gegeben werden kann: „Well, what happened was that I learned to compose at a different level. Instead of composing the content, I was composing the outside form and giving people tools to participate in the creative process. And that felt good to me, and it also sharpened my own tools. […] probably the main change is in the expanded listening; the understanding of listening to be my protection, and that it’s also my access to not only my own inner development, but also to my interaction with others.“559 Etwa parallel zu den Projekten von Oliveros entstand Stockhausens „intuitive Musik“. Ob Stockhausen ihre Arbeit kannte, ist fraglich, doch bei seinen verschiedenen Reisen und durch Kontakte mit amerikanischen Komponisten könnten ihm Berichte über Aufführungen ihrer Musik zugekommen sein. Oliveros war zumin557 P. Oliveros, On Sonic Meditation, S. 141. Dieser Text von 1973 ist eine Zusammenfassung der zweijährigen Arbeit mit Oliveros’ Ensemble und einem Forschungsprojekt zu SonicMeditation an der University of California, San Diego (sie unterrichtete dort von 1967 bis 1981). 558 Interview mit Pauline Oliveros in C. Gagne, Soundpieces 2. Interview With American Composers, S. 221. Vgl. auch P. Pannke, „Deep Listening“. Pauline Oliveros und ihre Strategien des Hörens, sowie P. Oliveros, Acoustic and Virtual Space as a Dynamic Element of Music. 559 Interview mit Pauline Oliveros in C. Gagne, Soundpieces 2. Interview With American Composers, S. 221.

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dest mit ihrem Stück Sound Patterns (1961) für Chor in Europa bekannt geworden, als sie damit 1962 den Gaudeamus-Preis (der Gaudeamus-Stiftung Amsterdam) gewann. Auch Stockhausen hatten 1968 persönliche Krisen und Selbsterfahrungsprozesse dazu gebracht, sich neu mit der spirituellen und intuitiven Ebene des Musikmachens zu beschäftigen.560 Es war für ihn allerdings offenbar nicht denkbar, hier das Publikum als Musikproduzenten einzubeziehen. Stockhausen konzentrierte sich auf die Veränderung der Aufführungspraxis und die „Aktivierung“ des Hörens. Die „intuitive Musik“ blieb eine Musik für ausgebildete Musiker, die Stockhausen anleitete. Abschätzig beurteilte er die Bemühungen anderer Komponisten, mit dem Publikum zu arbeiten. Er war der Meinung, daraus könne nur Primitives entstehen, „denn die Leute sind weder innerlich vorbereitet noch wollen sie wirklich etwas Außerordentliches formen; sie möchten einfach nur sich selber manifestieren und an einem geräuschhaften Ereignis teilnehmen. Wenn man also für gewöhnlich solche Dinge gemacht hat – und sie wurden in den letzten Jahren verschiedentlich ausprobiert –, so händigte man kleine Instrumente aus oder man verkündete, daß man mit Hilfe der Stimme Klänge zusammen produzieren wolle. Manchmal gab auch jemand hier und da Einsätze oder versuchte, das Ganze zu gliedern. Oder es gab einfach niemanden, und es lief wie es lief; es verwandelte sich dann normalerweise in wenigen Sekunden in lauten Krach, so daß niemand sich selber mehr hören konnte. Und dann blieb es einfach ein lautes Chaos, bis die Leute müde wurden.“561 Wen Stockhausen damit kritisierte, wird aus dem Kontext nicht ersichtlich. Folgt man seinen eigenen kompositorischen Wegen in dieser Zeit, so hat er zwar das Publikum nicht aktiv eingebunden, aber die Rezeptionsbedingungen seiner Musik sukzessive so gewandelt, dass sie mitunter ganz in die Nähe dessen kamen, was er oben beschrieben hat. Sie kamen auch in die Nähe von Cages Musicircus – so beispielsweise Ensemble, das Stockhausen bereits im August 1967 bei den Darmstädter Ferienkursen veranstaltete: „ein vierstündiges SimultanNonstop-Konzert von Werken der Teilnehmer, die – mit je einem Instrumentalisten – auf Podesten in einer Turnhalle verteilt saßen, zwischen ihnen umherwandelndes Publikum.“562 Stockhausen bezeichnete Ensemble als Versuch, „der traditionellen Form des ‚Konzerts‘ eine neue hinzuzufügen. Wir sind gewohnt, verschiedene, nacheinander gespielte Kompositionen zu vergleichen. In Ensemble werden ‚Stücke‘ von 12 Komponisten gleichzeitig aufgeführt.“563 Bereits 1960, als Stockhausen seine Thesen zur „Momentform“ formulierte, hatte er die Vision einer adäquaten Präsentationsweise entworfen. Der „unendlichen Form“ und einer „unendlichen Dauer“ der Musik ohne Anfang und Ende sei eine dauerhafte musikalische Darbietung angemessen, „ganz gleich, ob jemand zuhört, oder nicht: die Hörer können kommen und gehen, wenn es sie danach verlangt und wann sie wollen. Sofern der Ort feststeht – sagen wir in einem Musikhaus einer Stadt mit einem Aufführungssaal oder mit mehreren, vergleichbar mit Bildergalerien –, könnten einzelne Werke während einer Woche oder bei großem 560 561 562 563

Vgl. M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 213ff. K. Stockhausen, Fragen und Antworten zur Intuitiven Musik (1973), S. 140. Vgl. M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 202. K. Stockhausen, Ensemble (1967), S. 212.

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Interesse der Besucher während längerer Perioden vorgeführt werden.“564 Die Einrichtung eines „Musikhauses“ stellte sich Stockhausen so vor: „In den Sälen dürfte keine festgelegte Plazierung stattfinden, es gäbe also keine feste Bestuhlung; um störende Geräusche zu vermeiden, könnte man den Fußboden mit entsprechenden Materialien belegen und in die Türen Vorhänge hängen wie in Spielsälen; die Säle müßten in allen räumlichen und akustischen Bedingungen variabel und mit allen notwendigen Einrichtungen für Lautsprecherwiedergabe und Instrumentalspiel versehen sein, um sie den Forderungen des jeweiligen Werkes anzupassen.“565 Von diesen neuen Aufführungs- und Hörpraktiken versprach sich der Komponist, die „allgemeine Passivität der Hörer“ aufzulockern und vielleicht sogar zu beseitigen. „Jeder hätte freien Zugang zu den Werken gemäß seinen Fähigkeiten, seinem Wissen, seiner Ausdauer, seinem Fleiß, seiner Geduld; und der Zugang bliebe nicht auf die sogenannte Elite von Konzertgängern oder Nachtprogrammhörern beschränkt, die sich unter den herrschenden Aufführungs- und Verbreitungsmethoden passiv zu erhalten sucht“; die „beschriebenen Erneuerungen der Aufführungs- und Hörpraxis gäben jedem Hörer die Möglichkeit – die ja den Werken adäquat wäre – sich seine Zeit zu nehmen, so viel Zeit, wie er braucht zur persönlichen Wahrnehmung der Schöpfung“.566 Es ist nicht zu überhören, dass sich in diesen Visionen Ideen von La Monte Young wiederfinden, mit dem Stockhausen 1959 in Darmstadt zusammengetroffen war. Bestimmte Tendenzen einer Veränderung der Aufführungs- und Rezeptionssituation von Musik, die eine „Aktivierung“ des Publikums einschlossen, scheinen ein Trend gewesen zu sein, der sich in ganz unterschiedlichen kompositorischen Kontexten zeigte, und der doch – über die Unterschiede hinweg – Gemeinsamkeiten des Musiklebens ausmachte. Der provokatorische „Aktionismus“, der von den Events der Happening- und Fluxus-Zeit ausging – zur Erinnerung: 1962 wurde das erste Fluxus-Festival in Wiesbaden veranstaltet –, traf sich in Entdeckungen der Mobilität des Publikums mit anderen kompositorischen Konzepten, in denen sich Zeit und Raum zu freien, individuellen Erfahrungsdimensionen im Wahrnehmungsprozess entwickeln sollten. Stockhausen knüpfte in Ensemble an seine Pläne an, gefolgt von Musik für ein Haus (August/September 1968) in Darmstadt oder Musik für die Beethovenhalle (15. November 1969) in Bonn und den spektakulären Konzerten in den Höhlen von Jeita bei Beirut (22. bis 25. November 1969), verschränkt mit der Entstehung seiner „intuitiven Musik“ mit Stimmung (Frühjahr 1968, uraufgeführt am 9. und 10. Dezember 1968) und Aus den sieben Tagen (Mai 1968, erste Aufführungen November/Dezember 1968), kulminierend in seiner Teilnahme an der Weltausstellung in Osaka mit den Programmen im Kugelauditorium 1970 und ins Freie verlegt in Sternklang. Parkmusik für 5 Gruppen (1971). „Was Stockhausen an neuen, beweglichen Konzertformen mit Ensemble und Musik für ein Haus begon564 K. Stockhausen, Momentform. Neue Zusammenhänge zwischen Aufführungsdauer, Werkdauer und Moment, S. 205. Stockhausen verweist als Pendant auf die „Praxis von permanenten Kinovorführungen“ (S. 206). 565 Ebenda. 566 Ebenda, S. 206, 209f.

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nen hatte, sollte ihn in Zukunft weiterbeschäftigen und immer dann, wenn sich eine Möglichkeit bot, aufgegriffen werden. Es ging Stockhausen nicht mehr um die Aufführung eines einzelnen Musikwerks auf einer Bühne, sondern um ein in vielfältigen Bewegungen sich durchdringendes räumlich-zeitliches Gesamtgeschehen. Auch das Publikum mußte sich in der Folgezeit an manches Unkonventionelle gewöhnen: die Musik hatte schon begonnen, wenn man ankam; die Bestuhlung war geändert oder nicht vorhanden, und man mußte improvisiert irgendwo Platz finden; man konnte während der Aufführung umhergehen und mußte sich sein eigenes Programm aussuchen (ein spannender, nicht leichter Erfahrungsprozeß für beide Seiten).“567 Die auftretenden Schwierigkeiten lassen sich beispielsweise anhand eines Konzertberichts über eine Aufführung von Stimmung am 22. Juni 1969 in Amsterdam verdeutlichen, sie „wurde von einigen Zuhörern durch Miauen, Bellen und Nachahmen der Klangmodelle so gestört, daß Stockhausen nach zwei Unterbrechungen und Bitten, Ruhe zu gewähren, schließlich die vom Rundfunk übertragene Aufführung abbrechen mußte. Kaum waren Stockhausen und die Sänger abgegangen, wurde die Bühne besetzt, die Mikrophone ergriffen und die Gelegenheit zu musikpolitischer Propaganda über den Äther genutzt.“568 Das Publikum war also nicht mehr vorbehaltlos dazu bereit, sich nur beim Hören „aktivieren“ zu lassen. Die aufgeladene Atmosphäre der Studentenunruhen, eine Politisierung vor allem des jungen Publikums waren die „Reversseite“ der Animation „intuitiver Kräfte“ und des „geistigen Mitmachens“.569 Doch beides schien radikal auseinander zu driften. Mauricio Kagel hat sich beinahe zeitgleich zur Aufgabe gemacht, das „aktionswillige“ Publikum in eine Aufführung einzubinden, und nicht nur einzubinden, sondern den Teilnehmern des Projekts die Gestaltung der Aufführung zu überlassen. Mit Probe, seinem Versuch für ein improvisiertes Kollektiv von 1969/1970 (uraufgeführt am 9. Mai 1971 in Oslo) verfolgte er nach eigenen Aussagen gruppenund musiktherapeutische Ziele. Seine Instruktionen lauteten: „Wesentliche Voraussetzung für die Durchführung der Probe ist die Beteiligung aller im Raum befindlichen Personen (mit eventueller Ausnahme des technischen Personals): die Trennung zwischen Ausführenden und Zuschauer möge tatsächlich aufgehoben werden.“570 Die „Kartenerwerber“, in ihrer Anzahl auf die Raumgröße abgestimmt (ungefähr 6 m2 pro Person), hatten während der Veranstaltung zehn Aufgabenbereiche zu bearbeiten: 1) gestische Aktionen (jeder Mitwirkende kommt allein auf die Bühne, führt eine Aktion aus, die der nächste Teilnehmer wiederholt oder nicht nachahmt und dafür eine neue Aktion erfindet), 2) akustische und gestische Aktionen werden vorgeführt (sprechen, singen, klatschen, pfeifen, schreien), 3) Mitwirkende agieren vor drei Mikrophonen nur akustisch (eine Aufnahme wird gemacht), 4) die aufgenommenen Klänge werden wiedergegeben, andere Teilnehmer 567 568 569 570

Vgl. M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 202. Ebenda, S. 228. Vgl. K. Stockhausen, Aus den sieben Tagen, S. 125. Instruktionen (Partitur) abgedruckt in: W. Aue, P.C.A. Projekte, Concepte & Actionen.

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agieren gestisch, 5) Mitwirkende agieren vor drei Mikrophonen akustisch und können auch ihre vorherigen Aufnahmen „verbessern“, 6) die letzte Aufnahme wird nur gehört, 7) akustische und gestische Aktionen, die zeitlich begrenzt sind, 8) andere Verteilung der akustischen und gestischen Aktionen, die zeitlich begrenzt sind, 9) eine Aktion wird ausgeführt, die beschrieben wird, 10) eine Beschreibung wird akustisch umgesetzt.571 Die Anweisungen zur Klangproduktion lauten: „Alle akustischen Ereignisse sind ohne Hilfe von Instrumenten oder besonderen Requisiten zu erzeugen. Stattdessen werden die Teilnehmer in zahlreichen Varianten des Singens und Sprechens eingeführt. Ferner: perkussive Geräusche mit Händen und Füßen (mit eigenem Körper, auf Wänden und Fußboden, mit Stühlen und Podesten) [...] Mindestens 2 Tonbandgeräte mit je zwei Lautsprechern und ca. 4 Cassetten-Recorder stehen den Mitwirkenden zur Verfügung. Die Lautsprecher sind im Raum asymmetrisch aufzustellen. Alle Tonbandaufnahmen, die die Teilnehmer durchführen, sind zur Wiedergabe während der Probe bestimmt.“572 Hier also sind Tonaufnahmen keine „Eintrittskarten“, sondern Produkte der Konzertbesucher, das heißt Ergebnisse ihrer Aufführung von Probe. Sie können sogar „verbessert“ und „begutachtet“ werden. Aus der Teilnehmergruppe wird insofern nicht nur eine interaktiv handelnde „soziale Gemeinschaft“, sondern auch eine produktive „Arbeitsgruppe“, die die Prozesse ihrer Arbeit und ihre Ergebnisse selbst bestimmt und kontrolliert. Zugleich gehört in die von Kagel konzipierte Situation das unmittelbare Erlebnis der Differenz zwischen Live-Kooperation und ihrer medialen Reproduktion. Kagel sah in der Probe tatsächlich „ein Stück Gruppentherapie, das sich in sehr ernster Form mit dem Problem auseinandersetzt, wie kann man den Menschen etwas frei machen, ohne daß man ihm Modelle unmittelbar anbietet. Ohne daß man ihn auf Kommando zwingt, diesen Befreiungsprozeß sozusagen à tempo auszuführen. Jede Probe zeigt, daß die Situation ein Ansatz ist – das ist sehr wichtig.“573 Wie ersichtlich wird, hat Kagel – ohne Ironie – die Tendenz der 1960er Jahre aufgegriffen, gegen die „Entfremdung“ der Arbeit und Produktionsprozesse Stellung zu nehmen; und er vertrat die damals mehr als virulente Maxime und Formel von Joseph Beuys „Jeder Mensch ist ein Künstler“, von Beuys auch abgewandelt: „Jeder Mensch ist ein Musiker“.574 Die Probe von Kagel ist daher keine „Probe“ zu einer Aufführung, die anschließend auf die Hauptbühne gebracht wird, sondern eine Probe im Sinne eines sozialen und gleichzeitig künstlerischen Experiments, ein ernstes Spiel. „Ich spreche nicht von Kunst, ich spreche nicht von 571 Entwürfe und Aufgaben für Probe, in der Sammlung M. Kagel, Paul Sacher Stiftung, Basel. 572 Instruktionen (Partitur) abgedruckt in: W. Aue, P.C.A. Projekte, Concepte & Actionen. Vgl. auch W. Klüppelholz, Mauricio Kagel. 1970–1980, S. 43f. 573 H. Schatz, Tactil – Die Probe. Entstehung und Bedeutung – Ein Gespräch mit Mauricio Kagel, Typoscript eines Interviews mit Mauricio Kagel (ca. 1971/72), WDR, Quelle: Sammlung Mauricio Kagel, Paul Sacher Stiftung, Basel. 574 Vgl. M. Kramer, Klang und Skulptur. Der musikalische Aspekt im Werk von Joseph Beuys; vgl. auch S. Fricke, Musikalisches bei Beuys, sowie Beuys Keep Swinging. „Gespräch mit Beuys von Gottfried Tollmann“. Mit Beuys hatte Kagel im Film Ludwig van (1970) Kontakt gehabt, da Beuys im Film die Küche des Beethoven-Hauses inszenierte. Vgl. auch H. Stachelhaus, Joseph Beuys. Jeder Mensch ist ein Künstler.

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Musik, ich spreche nicht von Komposition. Ich spreche von einer Situation, die die Probe heißt, wo man probiert, wo man experimentiert. Aber nicht hinter einer Tür, nicht in einem Keller, sondern offiziell in einem Theater, oder beim WDR. Die Probe ist kein Ersatz für Nachtasyl, oder Lucrezia Borgia. Sie ist einfach eine ganz offizielle Stellungnahme zu dem Problem, Mitbeteiligung des Konsumenten.“575 Kagels Probe ist ein Projekt, das einerseits mit seinen gesellschafts- und kulturkritischen sowie -analytischen und pädagogischen Ambitionen zusammenhängt – 1968 übernahm er die Kölner Kurse für Neue Musik und thematisierte beispielsweise 1971 Kinderinstrumente und 1972 Musiktherapie. Im zuletzt genannten Kurs wurde die Probe aufgegriffen, um die Teilnehmer tatsächlich „auf die Probe“ zu stellen.576 Kagel lud sie ein, „zwei Tage je sieben Stunden lang die Hörspielfassung seines Stücks Probe. Versuch für ein improvisiertes Kollektiv mit ihm zusammen im Westdeutschen Rundfunk einzuspielen.“577 Dabei ergaben sich allerdings einige Schwierigkeiten, die nicht nur aus der Fragwürdigkeit einer „verlangten“ Spontaneität und Authentizität herrührten. Sie resultierten auch aus dem Unbehagen gegenüber Kagel, der aus den Aktionen der Teilnehmer ein Hörspiel produzierte, sie aber an diesem Prozess letztlich nicht kreativ teilnehmen ließ (jene Aufgaben, die eine Aufnahme und Möglichkeiten zur Veränderungen der Dokumentation während der Umsetzung von Probe vorgesehen hatten, ließ Kagel offenbar beiseite). „Die Teilnehmer hatten nicht unrecht, wenn sie sich von ihm ausgebeutet fühlten. Zwar durften sie in der Klimakammer des Studios, in einer Art Laufstall, Kommunikation üben, ihre konkreten Produkte aber verwertete Kagel.“578 Probe verweist demnach auch auf das Spannungsfeld der Frage der Autorschaft von Kunst, die insbesondere bei Improvisationen damals zu Kontroversen führte.579 Probe entstand andererseits auch im Umfeld von Staatstheater, der „AntiOper“, bei der Kagel die gesamte Hinterbühne „geplündert“ und dem Publikum in schrägen Montagen wieder dargeboten hatte. Kontra->Danse ist darin ein Ballett für Nicht-Tänzer, auch dies ein „ernstes Spiel“: „Die Ausführenden sollen eine absichtlich mangelhafte Darstellung der tänzerischen Bewegungen vermeiden. Vielmehr ist in intensiver Probenarbeit anzustreben, die angegebene Choreographie so gut wie möglich zu realisieren: je stärker auf eine vollkommene Darstellung hingearbeitet wird, desto deutlicher wird die Aussichtslosigkeit, dieses Ziel je zu erreichen.“580 Man erinnert sich an Sonant, und es scheint sich bis zur konkreten Arbeit mit dem Publikum dieser rote Faden des Prinzips durchzuziehen, besondere Energien daraus zu ermitteln, das „So-tun-als-ob“ mit der Realität des Hier 575 H. Schatz, Tactil – Die Probe. Entstehung und Bedeutung – Ein Gespräch mit Mauricio Kagel, Typoscript eines Interviews mit Mauricio Kagel. Eine Fernsehaufzeichnung von Probe wurde „ob der gereckten Faust eines mitspielenden Lehrlings [...] vom Programm abgesetzt“ (W. Klüppelholz, Mauricio Kagel. 1970–1980, S. 44). 576 Vgl. M. Geck, Musiktherapie als Problem der Gesellschaft. 577 Siehe M. Geck, Therapie der Therapeuten. Mauricio Kagels Probe, S. 76. 578 Ebenda, S. 83. 579 Vgl. dazu etwa V. Globokar, Der kreative Interpret. 580 Siehe W. Klüppelholz, Mauricio Kagel. 1970–1980, S. 37 (zit. nach der Partitur).

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und Jetzt zu verschränken. Kagel war nicht der Meinung, „daß Neue Musik zur wirklichen Veränderung unseres Gesellschaftssystems beitragen kann.“581 Er sah sich aber in der Rolle des „Katalysators musiktherapeutischer Ideen.“582 Es gab andere Komponisten, die eine radikale Politisierung ihres Schaffens verfolgten, in diesem Moment jedoch gerade mit ihren Experimenten in „collective music-making“ und gemeinschaftlichen Improvisationen scheiterten. Als beispielsweise Cornelius Cardew, der mit Treatise (1963–1967) und The Great Learning (1968–1971) umfangreiche Konzepte für die Arbeit mit ausgebildeten Musikern und Laien vorgelegt hatte, sich zu einem marxistisch-leninistischen Fundamentalisten wandelte, begann er damit, diese großen Projekte abzulehnen und zu verurteilen.583 Wenn man die Entstehung der beschriebenen verschiedenen Formen, das Publikum aktiv in den musikalischen Aufführungsprozess einzubeziehen, als Entfaltung von Intentionen betrachtet, die neue Ritualisierungen des Musikmachens zum Ziel hatten, so ergeben sich zwei zu diskutierende Aspekte. Zum einen bedeuten diese Ritualisierungen im Prinzip Re-Ritualisierungen, sie beziehen sich auf archaische oder „anthropologische“, außerhalb des bürgerlichen Konzertrituals liegende Auffassungen der Musikproduktion – im Sinne einer Variante des „ritualisierten Antiritualismus“584: die Wendungen gegen das Konzertritual brachten die Einführung „anderer“ Rituale. Was bedeutete dies für den Bereich der (neuen) Musik beziehungsweise für das Hören und Erleben von neuer Musik, das nach wie vor im Zentrum stand? Es konnte sich um eine „Zitierung“ von musikproduzierenden Gemeinschaftsbildungen anderer, „fremder“ Kulturen handeln.585 Es ging zumeist nicht um neue Arten der Massenveranstaltung, sondern um eine erhöhte Exklusivität und Authentizität des gemeinsamen Musizierens. Es handelte sich im Falle von Cage um Versammlungen, die neben der Musik und dem Erleben eines Festes seiner Person galten (obwohl er sich als schaffendes Subjekt zurückzog, bildete er einen Mittelpunkt). Und es galt dem gemeinschaftlichen Musikmachen in der Öffentlichkeit (oder in „anderen“ Öffentlichkeiten), abseits vom geschlossenen Raum des Konzertsaals.

581 M. Kagel, Fünf Antworten (1974), S. 67. 582 Musik gegen „Wahnsinn“? Gespräch zwischen Mauricio Kagel und Martin Geck, S. 54. 583 Vgl. C. Cardew, Stockhausen Serves Imperialism; vgl. K. Potter, Cornelius Cardew. Some (Postmodern?) Reflections on Experimental Music and Political Music; vgl. auch S. Feißt, Der Begriff ‚Improvisation‘ in der neuen Musik, S.119–129, sowie S. Demand, Subversion der Anti-Avantgarde: Cornelius Cardew. 584 Vgl. dazu H.-G. Soeffner, Rituale des Antiritualismus – Materialien für Außeralltägliches. Neue Aufführungsrituale der zeitgenössischen Musik stehen also in einem Spannungsfeld von Innovation und Stabilisierung, das in der Ritualforschung immer wieder kontrovers diskutiert wird. Vgl. etwa C. Bell, Ritual Theory, Ritual Practice; Ritualtheorien; A. Michels, „Le rituel pour le rituel“ oder wie sinnlos sind Rituale?; Im Rausch des Rituals; Die Kultur der Rituale. 585 Vgl. dazu E. Schwartz u. D. Godfrey, Music since 1945. Issues, Materials, and Literature, S. 212–216 u. S. 308–314. Vgl. auch Chr. Utz, Neue Musik und Interkulturalität. Von John Cage bis Tan Dun.

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Ob sich dies beispielsweise auch auf die Aktionen von Hermann Nitsch und dessen „Orgien Mysterien Theater“ beziehen lässt, ist fraglich. Seine „Rituale“, in denen Musik zur „liturgischen Handlung“ gehört, scheinen noch immer umstrittene Ausnahmeereignisse zu sein, obwohl sie inzwischen im Wiener Burgtheater angekommen sind.586 Die Musik des „Orgien Mysterien Theater“ wird seit einigen Jahren auch nicht mehr von Laien gespielt, um den Anspruch, eine „große Symphonie“ zu schaffen, professionell umsetzen zu können: „eine orgiastische musik soll uns in einen intensiven zustand der seinsfindung versetzen. das o.m. theater ist einer riesigen symphonie mit sechs sätzen vergleichbar, die sinnlich intensiven eindrücke, welche die orgiastischen ausweidungsaktionen des o.m. theaters bewirken, das schauende, riechende und schmeckende erfahren von blut, fleisch und gedärmen sollen sich bis zu brüllenden, röhrenden orgeln steigern. ebenso kennt meine musik die meditative ruhe des adagios. die ruhe des sternenhimmels, die ruhigen bahnen der gestirne sollen ausgekostet werden und das sich im unendlichen verlierende weltall soll ausgelotet werden.“587 Dem „Orgien Mysterien Theater“ kann an dieser Stelle nicht ausführlicher nachgegangen werden. Der Vergleich von Nitsch etwa mit Stockhausen oder Oliveros unter dem Gesichtspunkt des „Rituellen“ wäre sicherlich ein ungewöhnliches, aber eventuell lohnendes Unterfangen. Dies muss jedoch einer gesonderten Studie vorbehalten bleiben. Zum zweiten Aspekt: In den letzten Jahren gab es viele Anzeichen dafür, dass die Aktivierung des Publikums erneut ein wichtiger Faktor nicht nur in der Musik, sondern in der Kunst überhaupt geworden ist. Die Schlagworte, die sich daran knüpfen, sind etwa Partizipation, „public art“, „context art“ und Kunstvermittlung beziehungsweise neue Formen der Kunstpädagogik.588 In der Musik beziehen sich zeitgenössische Formen der „Aktivierung“ hauptsächlich auf die Mobilisierung des Publikums, vor allem im urbanen Raum. Einige Beispiele seien im folgenden besprochen, wobei ich vorerst noch die Konzertsituation im Blick behalte, obwohl sich in der Klangkunst viele ähnliche Bewegungen ergeben haben, auf die später zurückkommen sein wird. Die Entstehung von Konzertinstallationen als Kreuzung beider Bereiche ist für die Parallelentwicklungen signifikant. Die Intentionen, die sich in den letzten Jahren gezeigt haben, das Publikum einzubinden, haben mit einem Generationenwechsel zu tun und erneut damit, dass sich in den Künsten spartenübergreifende Tendenzen in den Vordergrund schieben. Allerdings wirken sich diese Tendenzen nicht mehr in multi-medialen Gesamt586 Vgl. H. Nitsch, Das O.M. Theater (1962), S. 14. 587 Vgl. www.nitsch.org/static/musikom.html (ges. 30.12.2012). Vgl. auch H. Nitsch, Orgien Mysterien Theater; sowie ders., Das Orgien Mysterien Theater. Das 6 Tage Spiel (1998), Bd. 1 (zum Orchester darin S. 7–11). Vgl. auch E. Bartz, Über Hermann Nitsch, Wiener Gruppe und Wiener Aktionismus, sowie B. Barthelmes, Hermann Nitsch: „Bruckner des Happening“. 588 Für den Bereich der Musik vgl. N. Kreisinger, Avantgarde-Musik für Amateure? Über die Schwierigkeit, einfache Musik zu komponieren, und F. Reininghaus, Musikalisch antworten lernen. „Response ´88“ in Berlin; vgl. für aktuelle Tendenzen Positionen 39, Mai 1999 („Kinder“), sowie in: NZfM 165, Juli/August 2004.

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kunstwerken aus, sondern darin, dass sich Künstler verstärkt Aufführungskonzepte verschiedener Richtungen aneignen. Konzerte werden etwa mit Rauminstallationen gekoppelt, Museumswärter, die einen Tanz vorführen, avancieren zu Ausstellungsstücken im White Cube.589 Bei Aktivierungen des Publikums im Sinne von Provokationen überwiegt das spielerische Element sowie eine nicht mehr agitatorische, laute politische, sondern eher eine leise, Betroffenheit auslösende, subkutan wirkende Geste.590 Das Publikum selbst als aktiv Mitwirkendes in das Geschehen der Musikproduktion einzubeziehen, wie dies etwa Oliveros unternommen hat, wurde zur Ausnahmesituation, ebenfalls Musikstücke als Spiele zu entwerfen, wie dies beispielsweise David Bedford mit Fun for All the Family (1970), das einem Brettspiel gleicht, vorgelegt hatte. In der Einbindung von Laienmusikern scheinen sich Ende der 1980er Jahre neue Initiativen gebildet zu haben. Als Beispiel sei auf die Arbeiten Frank Köllges (alias Adam Noidlt) hingewiesen, der mit dem Adam Noidlt Intermission Orchestra 1987 die documenta 8 in Kassel eröffnete. „Die Voraussetzung, um im Orchester mitspielen zu können, ist einfach: Jeder Akteur, ob Musiker, Tänzer oder Dichter, muß in der Lage sein, als Solist überzeugen zu können. Dabei ist völlig unerheblich, was jemand präsentiert. Hauptsache, es geschieht in einem Spannungsbogen.“591 Der Dirigent und Performance-Künstler Köllges gab dabei durch Handgesten und Körperhaltungen Anweisungen für das Spiel. Sie betrafen auszuführende Skalen oder Rhythmen, das Tempo und die Ereignisdichte (Solo, Cluster, kurze und lange Aktionen) sowie emotionale Befindlichkeiten. Mit der Gründung der Adam Noidlt Missiles (1999) in Köln und dem Bimbotown-Orchester (2005) in Leipzig wurde das Prinzip des „kybernetischen“, „demokratischen“ Orchesters fortgesetzt. „Keine Noten, keine Partituren, kein Repertoire, sondern Improvisation, ad-hoc Komposition, Freisetzung von Energien, Dialoge mit dem Umraum, Kommunikation, nicht nur der Musiker und ihrer vielfältigen Instrumente untereinander, sondern auch mit ihrer jeweiligen Umgebung, mit Werken der Kunst, mit Landschaften, Bauten, deren Eigenart und Klangfarbe aufgenommen, musikalisch umspielt und umgesetzt wird. Entsprechend interdisziplinär und multimedial ist dies Orchester von Individualisten ganz unterschiedlicher Herkunft und Fähigkeiten: Musik und Visuelles gehen, sich gegenseitig Impulse gebend, in ständig wechselnden Konstellationen interpretativ aufeinander ein.“592 Waren die Initiativen von Köllges eher auf die Improvisation im Jazz zurückzuführen – auf diesem Gebiet hatte John Zorn in New York bereits Ende der 1970er Jahre mit seinen „game pieces“ neue Impulse gesetzt593 –, so 589 Vgl. die Arbeiten des Künstlers Tino Sehgal. 590 Vgl. dazu D. v. Hantelmann, How to do things with art; vgl. auch dies., I promise it’s political, Interview. 591 Vgl. T. Mau, Adam Noidlts Intermission Orchestra, S. 34. 592 Pressetext zu Adam Noidlt Missiles, siehe www.rheinlaender.de (ges. 30.12.2012). Vgl. auch die Darstellung der Gesten (mit Übemöglichkeiten) von Köllges unter www.bimbotown.de (zuletzt ges. am 30.12.2012). 593 Vgl. Interview mit John Zorn in C. Gagne, Soundpieces 2. Interview With American Composers, S. 507–542.

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wurde ein anderes Projekt mit Laienmusikern an der Präsentation von Musik in Diskotheken ausgerichtet. Christian Marclay, Musiker, DJ und Schallplatten (LP!)Künstler, organisierte beispielsweise 1993 in der Halle des ehemaligen Straßenbahndepots Berlin-Moabit Berlin Mix, ein Simultankonzert mit über 180 Musikern der Stadt. Marclay signalisierte „den heterogenen Musikern vom Dirigentenpult aus mit Papptafeln Beginn und Ende ihrer Einsätze. Die Musiker spielten jeweils ihr typisches Repertoire. Da das Stück die Technik des DJ-Mix 1:1 in eine LiveSituation zurückübersetzt, bezeichnete Marclay das damit begründete musikalische Genre als ‚Live-Mix‘.“594 Weitaus den größten Anteil der „Aktivierung“ des Publikums nehmen jedoch Projekte ein, die die Rezipienten bei „Wandelkonzerten“ im oder aus dem Konzerthaus „entführen“. Zur Eröffnung der International Computer Music Conference am 27. August 2000 in Berlin wurde beispielsweise Cages, in Zusammenarbeit mit Lejaren Hiller produziertes Raummusikprojekt HPSCHD in den Foyers der Berliner Philharmonie und in Teilen des Musikinstrumentenmuseums aufgeführt. Doch sehr viel häufiger werden solche Konzerte in Gebäuden angeboten, die nicht als Konzerträume gebaut wurden. Genutzt werden historische Gebäude ebenso wie moderne, leerstehende Bürokomplexe, abgeschaltete Industrieanlagen ebenso wie Museen oder Theater. Selten geschieht es, dass Räume entstehen und gleichzeitig ein Konzertprogramm dafür konzipiert werden kann, wie es etwa bei der Expo 2000 in Hannover geschah, als der Schweizer Pavillon, gebaut von Peter Zumthor, durch „wandelnde Musik“ von Daniel Ott bespielt wurde.595 Konzerte, die nicht mehr fixiert sind, das heißt, bei denen weder die Interpreten noch die Rezipienten an einen Ort gebannt sind, verbinden demnach Musikhören mit der Erfahrung von Ortsspezifik und Räumlichkeit durch Bewegung. Dabei wird bewusst: „Der Raum ist ein Geflecht von beweglichen Elementen. Er ist gewissermaßen von der Gesamtheit der Bewegungen erfüllt, die sich in ihm entfalten.“596 Wie etwa auch in Dieter Schnebels Gehörgänge. Konzept einer Musik für forschende Ohren (1972), in denen die Akustik eines Gebäudes „komponiert“ werden soll, stellt sich die Frage nach der Verschränkung von Rauminszenierung und Rezeptionsmodus solcher musikalischen Wahrnehmungsangebote.597 Hatte Cage mit HPSCHD ein „globales Theater“ im Auge – die Aufführung umfasst das Live-Spiel von sieben Cembali (verstärkt), 52 Tonbändern (an verschiedenen Stellen im Raum abgespielt und übertragen) sowie Filmvorführungen, 594 G. Föllmer, Christian Marclay „Berlin Mix“, www.medienkunstnetz.de/werke/berlin-mix/ (zuletzt ges. 30.12.2012). Vgl. zu Marclay auch ein Interview mit Jason Gross (März 1998), www.furious.com/perfect/christianmarclay/html (ges. 22.05.2009). Vgl. auch Christian Marclay, Katalog, sowie Interview mit Christian Marclay. 595 Das Projekt klangkörperklang, Musik für 6 Akkordeons, 6 Hackbretter und 3 improvisierende Musiker, wurde während 153 Tagen jeweils 12 Stunden täglich aufgeführt. Vgl. www.danielott.com (zuletzt ges. am 30.12.2012). Vgl. D. Ott, Voraussetzungen für ein Neues Musiktheater-Gesamtkunstwerk. Vgl. Klangkörperbuch, Lexikon zum Pavillon der Schweizerischen Eidgenossenschaft an der Expo 2000 in Hannover. 596 M. de Certeau, Kunst des Handelns, S. 218. 597 Vgl. „Hör-Stücke“ – Gehörgänge, Dieter Schnebel im Gespräch mit Gisela Nauck, S. 251–261.

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Diashows und Lichtwechsel –, so sollte dessen Rezeption der Wahrnehmung der Ereignisdichte des Alltags gleichen.598 Das Publikum kann sich frei bewegen, die Selektion der Wahrnehmung ist unproblematisch, eigene „Zutaten“ der Teilnehmer sind nicht ausgeschlossen. „Everyone walks around and smiles. You see them like people on the street – wondering what they are doing, thinking, what brings them here. You share a part of a moment.“599 Zugleich bietet sich eine besondere Situation, eine ungewöhnliche Musikpräsentation, die zum Beispiel überrascht, weil aus der Simultaneität der klanglichen Ereignisse bekannte oder befremdende Momente hervortreten und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. „Now and then some sounds or gongs – like thunder, very threatening. It was especially strange to be in the center when these sounds occurred – they seemed to tell of some great catastrophe or warn of impending doom. But through it life went on – the tinkling harpsichord and all the other sounds and people talking and all the colourful slides and movies and movement.“600 Eine besondere Situation ergibt sich ferner daraus, dass der einzelne Rezipient auf seine eigene Lage oder seinen eigenen Standpunkt, aber auch auf den der anderen – zum Beispiel durch bestimmte Lichtprojektionen – mehr oder weniger plötzlich aufmerksam wird. „I was wearing my red and blue dress. Suddenly a floodlight of black light lit it strangely. ‚Look at your dress‘ Roy said – and then the light skipped off playing here and there.“601 Am Ende können sich sogar Elemente des Konzertrituals einmischen: „Mr. Cage in a blue suit is standing by a harpsichord. People all around applauded – some to talk to him or get an autograph.“602 In der Berliner Aufführung 2000 fehlten die Filme, die Dias und das Licht. „Mr. Cage“ konnte leider auch nicht mehr applaudiert werden. Der Aufführungsort dämpfte außerdem den Charakter des „Musicircus“ erheblich. Er mutete eher wie eine technische Demonstration an, der man sich möglichst sachlich widmet. Bierausschank behob dieses Dilemma nur bedingt. John Cage potenzierte die „Beweglichkeit“ des Publikums 1978 mit Il Treno di John Cage – Alla ricera del silenzio perduto in Bologna. An drei Tagen „fuhr ein eigens dafür präparierter Zug mit zufälligen und nicht zufälligen Passagieren durch Oberitalien. Betreut und organisiert wurde das mobile Konzert durch die Komponisten Juan Hidalgo und Walter Marchetti. Im Zug befanden sich elektronische Anlagen, die Innen- und Außengeräusche auffingen und umsetzten. In einem Wagen stand ein unverkleidetes Klavier. An verschiedenen kleinen Orten erwarteten lokale Volksliedgruppen oder Blasorchester den Zug. An einem Ort begannen die Menschen auf dem Bahnsteig zu tanzen...“603

598 Vgl. Für die Vögel. John Cage im Gespräch mit Daniel Charles, S. 246; W. Fetterman, John Cage’s Theatre Pieces, S. 139–142. 599 Ebenda, Appendix 6: Frances Ott Allen’s Experiences of HPSCHD, S. 253 (eine Beschreibung der Uraufführung am 16. Mai 1969 an der University of Illinois, Urbana-Champaign). 600 Ebenda, S. 254. 601 Ebenda, 253. 602 Ebenda, S. 255. 603 R. Block, Die Summe aller Klänge ist grau, S. 125.

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Schnebels Gehörgänge (erstmals aufgeführt am 21. Februar 1991 in Berlin, Haus der jungen Talente, nachmals Podewil beziehungsweise Tesla) ist konzeptuell sicherlich von Cage beeinflusst. Doch Schnebel plante mit diesem „Wandelkonzert“ – wie oben erwähnt – die Komposition der „Akustik eines Gebäudes“.604 Sein Konzept, mit dem er letztlich Stockhausen und Kagel näher kommt als Cage, lautete: „Ein vielgestaltiges Gebäude mit vielen verschiedenen Räumen (Säle, Zimmer, Kammern, Dielen, Flure, Treppen, Loggien, Balkone usf.) soll musikalisch eingerichtet werden: in manchen Räumen mögen elektroakustische Anlagen spielen (Lautsprecher, Kassettengeräte, Radios, Kopfhörer usf.), welche Programme mit konkreter oder auch ‚abstrakter‘ Musik wiedergeben; in einigen wenigen Räumen wird zeitweise Musik live aufgeführt, oder es finden Klangexperimente statt. Aber auch die Eigenakustik des Gebäudes ist einbezogen, indem die Stellen, wo etwas in der Wand erklingt (Leitungsgeräusche o. Ä.) durch Hinweistafeln markiert sind und also zum Lauschen einladen. Der Besucher des Gebäudes unternimmt Gehör-Gänge, und sein forschendes Ohr kann eine vielfältige Klangwelt entdecken.“605 Hier wird also ein Gebäude nicht nur als Gehäuse benutzt, sondern die Arbeit ist ortsbezogen oder „site specific“.606 Der Komponist ist nicht nur für die Musikstücke verantwortlich, die aufgeführt werden, sondern erforscht die akustischen Eigenarten des Gebäudes und arbeitet mit ihnen. Sie werden zu kompositorischem Material – Schnebel zufolge sollen sie seriell geordnet beziehungsweise vorgeordnet werden –, von dem bereits bestimmte Effekte ausgehen können. Es handelt sich um Wirkungen der Dynamik, Geräuschhaftigkeit (Klangfarbe), Raumakustik (Resonanzen, Echos) und Dauer, aus denen sich für den Besucher ein „sinfonischer Zusammenhang“ ergeben soll.607 Die Gestaltung der Räume bezieht sich ferner auf „Ausstattung, Programm und Lautstärke“, die elektroakustischen Anlagen verstärken und ergänzen einerseits vorhandene akustische Gegebenheiten, andererseits sollen sie zur Erzeugung einer „künstlichen akustischen Struktur“ beitragen.608 Schnebel ist dabei an einer Inszenierung der Wahrnehmungssituation gelegen. „Ich hatte mir vorgestellt, daß z.B. in einem Schulgebäude mit langen Fluren die Türen verschlossen oder halboffen sind und hinter diesen verschlossenen oder halbverschlossenen Türen etwas klingt. Das sind zum Teil ganz ruhige akustische Zusammenhänge, so daß der Hörer, wenn er da

604 Vgl. das Konzept in: Neue Musik. Musik/Film/Dia/Licht-Festival. Kunstprogramm Olympische Spiele München 1972, S. 67–70. Vgl. G. Nauck, Schnebel. Lesegänge durch Leben und Werk, S. 216f. 605 Dieter Schnebel (= Musik-Konzepte 16), S. 127. Vgl. auch Stockhausens Alphabet für Liège (Uraufführung am 23. September 1972), 13 Musikalische Bilder für Solisten und Duos. 606 „Geprägt wurde dieser Terminus circa 1970 im Bereich der amerikanischen Land Art zur Bezeichnung der fixierten Beziehung zwischen den skulpturalen Landschaftsprojekten und den meist entlegenen Gegenden ihrer Realisation“ (vgl. D. Krystof, Art. Ortsspezifität). Vgl. auch B. Barthelmes, Sound and sites. 607 „Hör-Stücke“ – Gehörgänge, Dieter Schnebel im Gespräch mit Gisela Nauck, S. 261. 608 Vgl. das Konzept in: Neue Musik. Musik/Film/Dia/Licht-Festival. Kunstprogramm Olympische Spiele München 1972, S. 67f. Dabei hat Schnebel fünf verschiedene (jeweils nochmals unterteilte) Raumgestaltungen vorgeschlagen, siehe ebenda.

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entlang geht, akustisch Verschiedenes erlebt. Ich hatte mir auch vorgestellt, daß für die Höhepunkte, ohne die Musik ja nicht auskommt, gesorgt ist. Es sollte bestimmte Räume geben, in denen es periodisch in größeren Zeitabständen immer mal wieder knallt, daß da etwas ganz Lautes ist, das man weithin wahrnimmt, daß hier also auch das Bedürfnis nach Höhepunkten befriedigt wird.“609 Der Gang durch die Räume beziehungsweise die temporale Ebene des Geschehens sollte demnach eine bestimmte Struktur erhalten, es sind Rhythmen von Ereignissen vorstellbar, die Schnebel einkalkulieren konnte. Gleichzeitig wird über die Akustik die Eigenart der Räumlichkeit des Gebäudes bewusst. Abgesehen davon, dass beispielsweise von den Klängen auf die Größe oder Ausstattung der Räume geschlossen werden kann, setzt sich aus den Erlebnissen allmählich eine beinahe intim zu nennende Bekanntschaft mit dem Gebäude zusammen.610 (Sie bleibt als „andere“ Erfahrung dieses Gebäudes in Erinnerung, die sich für den Rezipienten in seine persönliche Geschichte dieses Ortes einschreibt.) Es ist, als ob die Gehörgänge des Ohres eine Extension erfahren, so dass das Umherwandern in diesem „Musikhaus“ gewissermaßen als Flanieren im eigenen „Hör-Raum“ aufgefasst werden kann. Es kommen Öffnungen in die Umwelt hinzu, Türen, Fenster, Balkone, Luken, die deutlich machen, dass sich Innen und Außen (wie in einem Körper) verschränken können. Das Haus selbst wird sozusagen zu einem „Hörorgan“ und „Klangkörper“, denn auch seine Wände erweisen sich als permeabel und zugleich resonanzfähig. Mit der „akustischen Komposition“ des Hauses beziehungsweise mit der Inszenierung der klanglichen Ereignisse in dem Gebäude lenkt Schnebel nicht zuletzt die Aufmerksamkeit – ein wiederholtes Aufmerken – des Besuchers.611 Man folgt den akustischen Ereignissen, die sich bereits aus der Ferne ankündigen können, und wird so in Bewegung gehalten. Es entsteht ein Strömen, das durch einzelne Haltepunkte strukturiert ist, insofern werden „Fließräume“ des Hauses genutzt und gleichzeitig neu geschaffen.612 Die Besucher zirkulieren in diesem „Klangkörper“ und erfüllen ihn mit ihrer eigenen Dynamik, mit Stockungen und Rhythmen, mit Verstopfungen und Entladungen, wenn Engpässe entstehen oder sich die Tür endgültig hinter ihnen schließt. „Der Zweck dieses akustisch ausgestatteten Gebäudes wäre erfüllt, wenn seine Gehörgänge zu Gehör-Gängen der Hörer führten, wo das forschende Ohr die Musik einer Klangwelt in mehr als vier Wänden entdeckt – und in seinen Gehörgängen fängt.“613 Das „Musikhaus“ bei Schnebel ist zwar ein „animiertes“ Gebäude, die Rezipienten sind in Bewegung versetzt, doch es umschließt auch das Geschehen, es bie609 „Hör-Stücke“ – Gehörgänge, Dieter Schnebel im Gespräch mit Gisela Nauck, S. 261. 610 Sofern Klänge im Raum als „präsentisch“ und die visuelle Ebene gemeinhin als „distanziert“ aufgefasst wird, ergibt sich die „Intimität“ aus dem „pathischen Moment“, vgl. dazu im Rückgriff auf Erwin Straus O. F. Bollnow, Mensch und Raum, S. 247. 611 Zu Aufmerksamkeit als Aufmerken vgl. W. Seitter, Aufmerksamkeitskorrelate auf der Ebene der Erscheinungen, sowie B. Waldenfels, Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 612 Vgl. dazu E. Heidenreich, Fliessräume. 613 Schnebel zum Abschluss seines Konzepts in Neue Musik. Musik/Film/Dia/Licht-Festival. Kunstprogramm Olympische Spiele München 1972, S. 70.

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tet nur partiell Öffnungen nach Draußen. Mit Peter Zumthors Schweizer Pavillon der Expo 2000 und Daniel Otts musikalischer Einrichtung des Gebäudes verhielt es sich ähnlich, obwohl dieses Konzept auch ganz neue Aspekte zeigte. Zumthor hatte zwar ein Haus gebaut, doch dieses Haus – genannt „Schweizer Klangkörper“ – war überall offen. Daniel Otts musikalische Einrichtung des Gebäudes gehörte zu einem inszenatorischen Gesamtkonzept: neben Ott waren Plinio Bachmann für Schrift/Wort, Max Rigendinger für die Gastronomie, Karoline Gruber für die Inszenierung sowie Ida Gut für die Bekleidung zuständig.614 Die Musik bildete ein Element des Hauses: „Für die Dauer der Ausstellung wird die Holzstruktur zum klingenden Körper. Eine Gruppe von Hackbrett- und Akkordeonspielern sowie improvisierende Musiker, vornehmlich Bläser und Vokalistinnen, die im Tages- und Wochenrhythmus wechseln, bringen die Struktur zum Tönen. Dabei produzieren die Hackbrett- und Akkordeonspieler einen fein gewirkten Klangteppich, einen Grundklang, der sich in Rhythmus, Melodik, Dynamik und Klangfarbe nach bestimmten kompositorischen Regeln laufend verändert und im Raum bewegt. Über dem Grundklang erheben sich die individuellen Stimmen der geladenen Solistinnen und Solisten; improvisierend, reagierend. Der Schweizer Pavillon: ein Klangkörper, ein riesiges, begehbares Instrument.“615 Das Konzept zeigt einige Unterschiede zu Schnebels Gehörgänge. In Zumthors Gebäude waren von vornherein „akustische Räume“, zum Beispiel bestimmte freie Plätze oder Kommunikationsorte vorgesehen. Sie luden zum Verweilen und Lauschen ein. Die Aufmerksamkeit der Besucher wurde demnach für eine gewisse Zeitspanne von der Musik gefesselt. Das Gebäude war insofern ein einziger „gestimmter Raum“, von dem sich einzelne Stimmen/Stimmungen abhoben. „Die Grundklänge stellen Klangmaterial bereit, über das improvisiert wird; Akkordeonisten und Hackbrettspieler loten während der Probenphase die Möglichkeiten der Grundklänge aus. Improvisationsregeln, Variationsmöglichkeiten werden getestet/verworfen/weiterentwickelt; im Klangkörper reagieren die frei improvisierenden Musiker auf den Grundklang und geben so zusätzliche Impulse: Der Grundklang klingt jeden Tag unterschiedlich, ist immer in Wandlung.“616 Als Besucher wurde man auch von besonderen Klangaktionen (zum Beispiel Ausbrüchen oder Abbrüchen) überrascht. Bog man in diesem Labyrinth um eine

614 Vgl. D. Ott, Voraussetzungen für ein Neues Musiktheater-Gesamtkunstwerk, S. 63ff. 615 Ebenda. Der Grundklang „setzt sich aus 153 Klängen und 23 Ausbrüchen zusammen [...] Die Klänge sind eher flächig, weit – durch den Raum wandernde Klangfarben. Die Ausbrüche sind laut, grell, rhythmisch, ungerade, aperiodisch – überraschend also. Grundklang und Ausbrüche wechseln sich immer anders ab. Grundlage ist täglich ein neuer Plan. Die bestehenden oder vorkomponierten Klänge wurden während Klangproben im Frühjahr 2000, an denen fast alle Musiker teilnahmen, auf den Klangkörper maßgeschneidert. An den Proben reagierten die Musiker auf den Grundklang mit eigenen szenischen Ideen und Klangimprovisationen. Die Musiker sind also in gewisser Weise Mitkomponisten“ (Klangkörperbuch, Lexikon zum Pavillon der Schweizerischen Eidgenossenschaft an der Expo 2000 in Hannover, S. 88). 616 D. Ott, Voraussetzungen für ein Neues Musiktheater-Gesamtkunstwerk, S. 65.

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Ecke, so konnte sich plötzlich eine Lichtung präsentieren, die in eine besondere Atmosphäre getaucht war. Da Holz schalldämpfend wirkt, ahnte man zuvor eventuell ein Geschehen, doch man war selten auf das, was sich ereignen würde, vorbereitet. Es verknüpfte sich eine akustische „Homogenisierung“ des Gebäudes mit zahlreichen lokalen Ereignissen.617 In Otts Projekt für den Pavillon wurden „Klanglandschaften“ gewissermaßen eingefangen und dort reinstalliert. „In den Fenstern spielen die Interpreten ihre eigene Musik: Volksmusik aus ihrem Herkunftsland, Musik aus ihrer Stilrichtung. Dies ist für mich eine Möglichkeit, die Vielfalt der 350 beteiligten Musiker und ihrer Musik während der Dauer der Ausstellung hörbar zu machen.“618 Im Unterschied zu vielen Musikprojekten, die Klänge von Landschaften oder urbanen Räumen in elektroakustischen Kompositionen „einfangen“ und sie damit in andere Räume versetzen, wurde die Klanglandschaft des Schweizer Pavillons mit Musikern täglich neu aufgeführt.619 Der Schwerpunkt der Arbeit lag insofern nicht auf einer gleichbleibenden, identischen musikalischen Einrichtung des Raums, sondern auf seiner „lebendigen“ Metamorphose. Betrachten wir als weitere Variante von „Wandelkonzerten“ genau den umgekehrten Weg, die Verlagerung der Hörer nach Draußen. Das Konzerthaus oder Musikhaus wird ganz verlassen, die Wahrnehmung der Akustik einer Landschaft, einer bestimmten Gegend oder städtischer Klangumgebungen kann in das musikalische Konzept einbezogen werden. Stockhausens Sternklang etwa wurde am 5. Juni 1971 im „Englischen Garten“ in Berlin uraufgeführt (Stockhausen zufolge bereits 1969 konzipiert). Sternklang ist jedoch nicht primär auf die Klänge der Umgebung ausgerichtet, sondern auf die räumliche Wirkung von fünf Klanggruppen und einem Schlagzeuger, wobei die Klanggruppen strahlenförmig um das Schlagzeug verteilt werden sollen. Die Aufführung findet bei Dunkelheit statt, wodurch die Konzentration auf die Musik erhöht wird. „Sternklang ist geistliche Musik. Die Komposition ist für 5 Gruppen von Sängern und Instrumentalisten geschrieben, die räumlich weit voneinander entfernt sind. Die Gruppen sollen sich gegenseitig hören, vor allem dann, wenn eine Gruppe pausiert. Auch müssen die Musiker die Obertöne der gespielten und gesungenen Klänge kontrollieren können, da diese genau vorgeschrieben sind. [...] Sternklang ist Musik zum konzentrierten Lauschen in Meditation zur Versenkung des einzelnen ins kosmische Ganze.“620

617 Zur klanglichen Homogenisierung des Raums vgl. E. Straus, Die Formen des Räumlichen. Ihre Bedeutung für die Motorik und die Wahrnehmung, S. 141–178. Zu Atmosphären als „gestimmte Räume“ vgl. G. Böhme, Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, und ders., Anmutungen. Über das Atmosphärische; vgl. auch S. Schouten, Was die Tasse zum Fliegen brachte. Zur wirklichkeitsgenerierenden Funktion atmosphärischer Einfühlung, dies., Sinnliches Spüren. Wahrnehmung und Erzeugung von Atmosphären im Theater. 618 D. Ott, Voraussetzungen für ein Neues Musiktheater-Gesamtkunstwerk, S. 66. 619 Vgl. zu einem Gegenbeispiel E. John, Klanglandschaft Wiesbaden. Das „StadtStimmen“-Projekt 1999 als Hommage an R. Murray Schafer. 620 K. Stockhausen, Sternklang. Parkmusik für 5 Gruppen (1971), S. 172. Vgl. M. Kurtz, Stockhausen. Eine Biographie, S. 244f. Vgl. auch die Partitur von Sternklang, Werk Nr. 34, Kürten 1977.

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Ferner kommentiert der Komponist: „Alle Sänger und Spieler sind einzeln verstärkt über Lautsprecher. Klangläufer transportieren musikalische ‚Modelle‘ von einer Gruppe zur anderen, wo sie übernommen und integriert werden. Von einer zentralen Stelle aus gibt zu 10 verschiedenen Zeiten ein Schlagzeuger für alle gemeinsame Tempi an, und alle Gruppen synchronisieren sich. [...] Alle musikalischen ‚Modelle‘ sind rhythmisch, klangfarblich oder intervallisch auf die klassischen Sternkonstellationen bezogen. Bei offenem Himmel können Sternkonstellationen an den Stellen, wo sie vorgeschrieben sind, direkt vom Himmel abgelesen und als musikalische Figuren integriert werden.“621 Die „Klangläufer“ richten sich nach einem „Formschema“, das den Ablauf des Geschehens vorgibt. Fackelläufer begleiten die „Klangläufer“ oder werden neben den Podien positioniert. Das Schlagzeug kündigt jeweils die Synchronisation mit Glockensignalen (Röhrenglocke, Almglocke, Tamtam) an. Vor dessen sechster Intervention hat Stockhausen die Realisation von Aufwärts (eine intuitive Musik der Reihe Aus den sieben Tagen) eingeschoben, die mit dem Abschießen von Leuchtraketen kombiniert wird.622 „Nach der Generalpause vor S6 spielen alle den Text Aufwärts [...] mit langen Pausen in den einzelnen Gruppen, um den anderen Gruppen zuzuhören. Wenn eine Gruppe mit dieser Aufführung zu Ende kommt, schießt sie mehrere Leuchtraketen ab. Bei der 1. Leuchtrakete beginnt der Schlagzeuger mit den periodischen Schlägen zur Vorbereitung von S6, zuerst leiser, mit jeder Rakete etwas lauter; nach ca 15 Raketen beginnt er mit dem Modell von S6. Aufwärts und das Feuerwerk sollen in den einzelnen Gruppen verschieden lang über den Anfang von S6 hinaus andauern.“623 Das Publikum „geht zwischen den Gruppen herum oder liegt auf der Wiese.“624 Sternklang ist somit eine wichtige Station Stockhausens auf dem Weg zur Komposition „szenischer Musik“, der sich etwa in Inori (1973/74) fortsetzt und schließlich in seinen Opernzyklus Licht kulminierend mündet.625 Obwohl er in Sternklang „intuitive Musik“ auf der Basis eines anweisenden Textes einbettet, sind die Aktionen der „Klangläufer“ und selbst die Raketenabschüsse dramaturgisch genau festgelegt. Aufgenommen wird das Abfeuern von Raketen dann im Klavierstück XIII von 1981, das zur ersten Szene in Samstag aus Licht wurde.626 1980 kam es zu einer Aufführung von Sternklang in einem Saal, und Stockhausen hat die Empfehlung ausgesprochen, das Werk „auch in großen Sälen (überdachten 621 K. Stockhausen, Sternklang. Parkmusik für 5 Gruppen (1971), S. 174f. 622 Man benötigt pro Gruppe „1 Leuchtpistole mit verschieden farbigen Leuchtraketen und möglichst noch andere Feuerwerksraketen, die pfeifende und heulende Töne beim Hochschießen erzeugen (wenigstens 30 Raketen pro Gruppe)“, siehe Partitur von Sternklang, Erläuterungen, S. 18. 623 Partitur von Sternklang, Modell S6; vgl. zu Aufwärts die Erläuterung in: K. Stockhausen, Texte, Bd. 4, S. 122. 624 K. Stockhausen, Elektroakustische Aufführungspraxis, S. 565. Ebenda erläutert der Komponist, dass das Stück in einer Vollmondnacht im Sommer aufgeführt werden soll. 625 Vgl. zum Begriff „szenische Musik“ bei Stockhausen A. Riethmüller, Zum Ausdruck „szenische Musik“, vgl. auch die Dokumentation der anschließenden Diskussion, ebenda S. 209– 213. Vgl. auch K. Stockhausen, Szenische Musik. 626 Vgl. R. Frisius, Zeichnung – Modell – Grenzüberschreitung. Klavierstück XIII.

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Hallen, usw.) aufzuführen, wenn man einen solchen Raum in einen Innenpark verwandeln [...] kann.“627 Ist Stockhausens Sternklang als „geistliche Musik“ ein Versuch, durch meditative Musik die Erfahrung kosmischer Weiten zu vermitteln, so zeigen sich in den letzten Jahren ähnliche Aufführungskonzepte mit einer völlig anderen Grundausrichtung.628 Grundsätzlich verband sich die Mobilisierung des Publikums, auch bei Stockhausen, mit einer Aufforderung zur Wahrnehmungssensibilisierung, die den ganzen Körper und alle Sinne einschloss. Daraus resultierte in erster Linie eine Individualisierung der raum-zeitlichen Erfahrung von Musik. Darüber hinaus verlangten „akustische Inszenierungen“ zunehmend „forschende Ohren“, das heißt, eine Offenheit für die Entdeckung akustischer Phänomene. Dies beschränkte sich keineswegs auf „Wandelkonzerte“, sondern wurde auch in neuen komponierten Werken für den Konzertsaal und in der Klangkunst elementar. Signifikant für aktuelle Konzerte an anderen Orten oder im Freien ist jedoch der Einbezug des Kontexts, das Eingehen auf die Architektur, auf die Landschaft oder auf den urbanen Raum ebenso wie auf deren Geschichte, deren funktionale Verankerung oder deren soziales Umfeld. Darin treffen sich solche musikalischen Aufführungsprojekte mit anderen, ähnlichen künstlerischen Konzepten, die vor allem unter „Kontextkunst“ und „Kunst im öffentlichen Raum“ zusammengefasst werden. Sie berühren sich partiell auch mit der künstlerischen Sparte Land Art.629 Das Ruhrgebiet beispielsweise lud in den letzten Jahren auf Grund seiner vielen „Industriedenkmäler“ direkt dazu ein, sich diese brachliegenden, architektonischen Landschaften künstlerisch zu erschließen. Gerhard Stäbler hat hier insbesondere mit seinen Konzert- und Performance-Veranstaltungen Poetic Arcs (1997) und LandMarks (1999) einerseits Musikprojekte präsentiert, die ortsspezifisch erarbeitet wurden, andererseits der Musik der Vergangenheit neue Aufführungsrahmen gegeben und drittens zeitgenössischen Werken adäquate Aufführungsorte vermittelt. Poetic Arcs fand im Landschaftspark Duisburg-Nord statt. „Dieser Ort ist geschichtlich belastet, die ‚August Thyssen Meidericher Eisenhütte‘ entstand um 1900, war Jahrzehnte in Betrieb und muß jetzt, nach der Schließung 1995, zu neuem Leben finden. Etwas von seiner Geschichte wollte ich in den verschiedenen Programmaspekten von ‚Poetic Arcs‘ widergespiegelt sehen. Früher, als hier noch gearbeitet wurde, war der Zugang zur ‚lebendigen‘ Fabrik den meisten Menschen verboten; jetzt, wo das Feuer erloschen ist, sollte man sie nützen, sie einbeziehen in spezifische Konzerte etwa – auch, vor allem für Neue Musik.“630 Aufgeführt 627 K. Stockhausen, Sternklang (1971). Parkmusik für 5 Gruppen, S. 60. Der Saal wurde mit großen Grünpflanzen zu einem Innenpark umgestaltet, die Lichtträger trugen Kerzen und Lampions. 628 Vgl. R. Toop, Von der ‚Sternenmusik‘ zur Musik des Weltraums. 629 Vgl. dazu KontextKunst. Kunst der 90er Jahre, Katalog; C. Büttner, Art Goes Public; A. Hoormann, Land Art. Kunstprojekte zwischen Landschaft und öffentlichem Raum. 630 Gerhard Stäbler zit. von H. Melkert, Gerhard Stäbler: „Poetic Arcs“. Soziale Dimensionen Neuer Musik heute, S. 51. Vgl. auch H. Melkert, Gerhard Stäbler. Klang und Sinn, Ton und Kunst, S. 137–139. Stäbler hat sich daneben auch mit neuen Möglichkeiten beschäftigt, das Publikum in Stücken einzubinden, die wie Spiele aufgebaut sind, vgl. ebenda, S. 121ff.

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wurde beispielsweise im Außenraum Henry Brants „spatial music“ If You Don’t Like Comets, Get Out Of The Solar System (1994) mit Feuerwehrhörnern oder in der Gießhalle Stäblers KARAS.KRÄHEN (1994/95), bei dem der Chor „unauffällig im Publikum saß und so die Klänge allmählich auf den ganzen Raum verteilte.“631 Die Veranstaltungen von LandMarks zum Abschluss des Rheinischen Musikfests 1999 fanden in fünf Etappen in Duisburg (Landschaftspark Duisburg-Nord), Dortmund (Westfälisches Industriemuseum, Zeche Zollern II/IV), Gelsenkirchen (Wissenschaftspark Rheinelbe), Essen (Kokerei Zollverein) und Bottrop (Tetraëder, Halde an der Beckstraße) statt. Im Programm wird angekündigt: „LandMarks begreifen wichtige, unverwechselbare Orte des Ruhrgebiets als Ferment zur Auseinandersetzung mit der besonderen Geschichte der Region und ihres Wandels im Laufe dieses Jahrhunderts. Zentral ist dabei jedoch die Gegenwart: Durch audio-visuelle Werke, die entweder für spezielle ‚Industrie-Skulpturen‘ neu entstehen oder auf spezifische Weise neu eingerichtet werden, lassen LandMarks Industriemonumente, aber auch neue, herausragende Bauwerke oder geschichtlich aufgeladene Räume direkt ‚sprechen‘“.632 Aufgeführt wurden beispielsweise ortsverbindende Performances (in Duisburg von der Gießhalle zur Kraftzentrale) und „Klang-Aktionen“ mit den Bergmannsorchestern Gelsenkirchen und Essen (in Dortmund beim Wechsel des Publikums zur Lohnhalle und zum Magazin), Konzerte und Klang-Tanz-Aktionen für bestimmte Räume sowie Außenanlagen.633 Als weitere Variante von aktuellen „Wandelkonzerten“ kann auf die sogenannte HouseMusik. Musik für Büros und Läden des Kammerensembles Neue Musik Berlin hingewiesen werden.634 Das Ensemble organisiert seit 2005 damit Konzerte, die an einem Tag an verschiedenen Orten in einem Berliner Bezirk stattfinden, wobei es sich beispielsweise um private Räume, kleine Läden (Brillenladen, Galerie, Klavierbaufirma), Kiezeinrichtungen, Industriekomplexe sowie Veranstaltungsorte der „freien Szene“ handeln konnte. Auch hier gingen Musiker und Komponisten teilweise auf die Räume ein – komponierten zum Teil eigens für die Räume – oder nutzten spezielle akustische Raumverhältnisse und Einrichtungen für Aufführungen bestimmter, ausgewählter Musik. Von der Möglichkeit zur Bildung neuer „Konzertgemeinschaften“ durch die Verknüpfung von Musikerlebnissen an „anderen Orten“ mit gemeinsamen„Reisen“ nimmt in den vergangenen Jahren unter anderem die Entfaltung konzertpädagogischer Arbeit ihren Ausgang. Dabei haben diese Unternehmungen kaum mehr Berührung mit „jugendbewegten Musikveranstaltungen“ der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.635 Hingewiesen sei etwa auf das Kinder- und Jugendmusikfestival 631 Vgl. H. Melkert, Gerhard Stäbler: „Poetic Arcs“. Soziale Dimensionen Neuer Musik heute, S. 51 u. 54. 632 LandMarks/EarMarks. Gerhard Stäbler und sein Werk, Programm von LandMarks, S. 166. 633 Vgl. B. Gottstein, Blühender Abgesang der Industrie. Die LandMark-Projekte 1999 im Ruhrgebiet; D. Schenk-Güllich, Kunst im Stahlgestrüpp. Gerhard Stäblers „Landmarks“. 634 Vgl. Chr. Mellich, Kein Schuh ohne inszenierten Raum. Das Kammerensemble Neue Musik Berlin (KNM) und sein Produzent T. Bruns. Vgl. www.kammerensemble.de (ges. 30.12.2012). 635 Vgl. Projekte des Büros für Konzertpädagogik in Köln, das bezeichnenderweise ein

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der Rheinland AG Stadt – Klang – Fluss 2004, bei dem sich vom 4. bis 7. Juni jeden Tag eine Stadt der „Rheinschiene“ mit Musikprojekten präsentierte.636 Dass die „Aktivierung des Publikums“ mit pädagogischen Ambitionen verknüpft werden kann, zeigen ferner in den letzten Jahren viele Aktivitäten im Bereich der Musikvermittlung. 4.3.2 Interaktion in Konzert und Klangkunst „Interaktion“ als Innovation zu betrachten, dagegen, so stellte Johannes Goebel in seinem Aufsatz Interaktion und Musik von 1994 fest, ließe sich sofort folgendes einwenden: „Aber Musik war doch schon immer, wenn man denn so will, interaktiv! Zuhörer und Musiker, Komponist und Interpret, symbolisch notierte Ausführungsanweisungen in der Notenschrift und instrumentale Realisation – alles ein großer Kreis interaktiver Zusammenhänge.“637 Doch es hat sich in der Kunst – nicht nur in der Musik – mit der Entwicklung informationsverarbeitender Medien, vor allem mit dem Computer, ein neuer „Partner“ des Menschen – die „Maschine“ – zur „Kommunikation“ angeboten, und dies konnte unter dem Begriff „Interaktion“ tatsächlich neu propagiert werden. Die Kunsthistorikerin Söke Dinkla versteht „interaktive Kunst“ als gattungsspezifische Bezeichnung für Kunstprojekte, in denen der Computer eingesetzt wird, „um den Rezipienten in eine dialogartige Situation zu involvieren. Interaktion ist in diesem Zusammenhang das Wechselspiel zwischen Mensch und digitalem Computersystem in Echtzeit.“638 Die Vorstellung allerdings, man habe es mit einem der menschlichen Kommunikation gleichzusetzenden „Wechselspiel“ zu tun, ist in den letzten Jahren nüchternen Einschätzungen gewichen. Zwar kann man Peter Matussek zufolge die Möglichkeiten, am Computer Entscheidungen zu treffen, nicht „mit dem Hinweis entkräften, daß der ‚User‘ ja lediglich vorgegebenen Selektionsmechanismen im includierenden Rahmen eines begrenzten Befehlsvor-rats [...] folge.“639 Aber alles deute darauf hin, dass „interaktive Medien dazu tendieren, einem verkürzten Handlungsbegriff Vorschub zu leisten.“640 Bezieht man „Interaktion“ auf den Umgang mit Objekten, mit Kunstwerken, mit Maschinen, so wird eines deutlich: der Rezipient oder „Anwender“ kann in einen Vorgang eingreifen, ihn auslösen oder verändern, eventuell steuern oder kontrollieren. Mit dem Ergebnis seiner Aktionen ist er jedoch zumeist wieder selbst

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Schüler Kagels, der Komponist Bernhard König, maßgeblich mit ins Leben gerufen hat, siehe www.konzertpaedagogik.de (ges. 30.12.2012). Vgl. www.stadt-klang-fluss.de (ges. 30.12.2012). J. Goebel, Interaktion und Musik, S. 2. S. Dinkla, Vom Zuschauer zum Spieler. Utopie, Kritik und eine neue Poetik in der Interaktiven Kunst, S. 10, vgl. dies., Pioniere Interaktiver Kunst von 1970 bis heute. Vgl. zu weiteren Auffassungen von „Interaktivität“ auch A. Hünnekens, Der bewegte Betrachter, S. 17ff., sowie D. Daniels, Strategien der Interaktivität. P. Matussek, Performing Memory, S. 314. Ebenda, S. 315. Vgl. S. Fabo, Intermedia light – Zur Erfüllung synästhetischer Phantasien in Echtzeit.

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(für sich) konfrontiert, er selbst nimmt an erster Stelle wahr, dass sich etwas und/oder was sich verändert hat. „Interaktive Kunst“ bewirkt daher in erster Linie eine Selbstbeobachtung, einen Selbstbezug oder Selbstreferenzialität, also eventuell (und in erster Linie) die Erfahrung, dass man tatsächlich eingegriffen hat.641 Selbst bei interaktiven Kunstprojekten, in denen mehrere „Anwender“ zusammengeschlossen sind, bleibt die Sicht auf die eigenen Handlungen im Vordergrund, weil gerade vor dem Computer eine Isolierung des „eigenen Blicks“ erfolgt, der sich letztlich wieder auf sich selbst richtet. „Interaktivität“ würde dann in erster Linie mit sich selbst stattfinden. Im musikalischen Bereich betrifft dies sowohl Komponisten als auch Interpreten und das Publikum, sofern die Kommunikation mit der Maschine im Aufführungsprozess stattfindet.642 „Within an interactive, responsive environment installation, human movement and behaviour patterns act upon the technology, the sensing system collects information about the nature of the human movement, the weight of the gesture, the speed and direction of movement, and feeds the data to audio and video algorithms that respond in whatever fashion the artist has designed.“643 Selbstreferenzialität oder die Erfahrung des eigenen Tuns sowie Momente der Selbstbeobachtung sind sicherlich immer Teil der menschlichen Kommunikation und des menschlichen Handelns. Ohne diese Eigenschaften und Fähigkeiten könnten keine Abläufe korrigiert oder kontrolliert werden. Weshalb sollte also ein neuer Begriff von „Interaktion“ als „aufeinander bezogenes Handeln, zwischen Personen oder zwischen Maschinen und Personen“ gerade diesen Aspekt unterstreichen?644 Man kann in dieser Hinsicht – ohne sich allzu weit vom vorliegenden Kontext lösen zu wollen –, darauf verweisen, dass menschliche Handlungen und Entscheidungen gerade im 20. Jahrhundert einerseits von großen Unsicherheiten geprägt sind, zum Teil deshalb, weil sie immer stärkeren Kontrollen unterliegen. Andererseits sind menschliche Handlungen und Entscheidungen sehr fragwürdig geworden, vor allem dann, wenn sie auf Befehle zurückgehen und damit – was auch immer sie auslösen und bewirken – von jeglicher Verantwortung befreit werden. Kunst, die Handlungen und Entscheidungen der Rezipienten herausfordert, trägt daher entscheidend zur Thematisierung genau dieser problematischen Situationen bei. Es sei an Yoko Onos Cut Piece und an den historisch-politischen Kontext dieses Stücks erinnert. Als Künstlerin asiatischer Herkunft, als Frau, als „Kunstobjekt“, fordert sie zu Handlungen des Publikums auf. Sie reagiert nicht direkt auf das, was mit ihr geschieht, aber alle Beteiligten werden sofort mit den Folgen der vorgenommenen Handlungen konfrontiert, insbesondere jeder einzelne Akteur, indem er einerseits seine „Trophäe“ davonträgt (ein Stück der Kleidung), andererseits die Überwindung seiner Scheu, am Kunstwerk teilzunehmen, möglicherweise mit einem schlechten Gewissen bezahlt. Nichts mehr ist rückgängig zu 641 Vgl. dazu D. Z. Saltz, The Art of Interaction. Interactivity, Performativity, and Computers. 642 Zu „interaktivem Komponieren“ vgl. M. Supper, Elektroakustische Musik und Computermusik, S. 85–94. 643 Dies eine ideale Vorstellung von künstlerischer „Interaktion“ mit dem Vorbild eines kybernetischen Systems, siehe G. Paine, Interactivity, where to from here?, S. 302. 644 M. Supper, Elektroakustische Musik und Computermusik, S. 160.

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machen, die fehlenden Stücke in der Kleidung („Absenz“), die Lücken, die Zerstörung verweisen schmerzlich nicht nur auf die vergangene „Einheit“ und „Schönheit“ des Objekts, sondern auch auf die Prozesse seiner Destruktion, die man hätte eventuell verhindern können oder an denen man sich hätte auch nicht beteiligen können. Zuschauer und Handelnde werden also in erster Linie mit der Frage nach der Art des eigenen Tuns und nach dem eigenen Handlungsspielraum konfrontiert. Das brachte offenbar manche Publikumsteilnehmer zu einem überaus aggressiven Verhalten. „In Kyoto, a man came on stage and raised the scissors over Ono’s head, threatening her for a long time as if ready to stab her. Ono’s response was dismay rather than fear, for his gesture made her action more theatrical than she intended, a theatricality she avoided by suppressing her emotions and not reacting. […] In London, her performance was highly publicized as part of the international Destruction in Art Symposium […] There a wild scene ensued, exacerbated by the presence of cameras and the press, and the audience cut off all her clothing.“645 „Interaktive Kunst“, die situativ das Publikum zu Handlungen auffordert, sei es mit oder ohne Maschinen, ist demnach vor allem als Kunst zu betrachten, in der die aktiven Mitspieler mit ihren eigenen Kompetenzen, Eigenschaften, mit ihren eigenen Skrupeln und Entscheidungen sowie Handlungen und deren Ergebnissen konfrontiert sind, beziehungsweise als Kunst, die genau diese Vorgänge thematisiert. Deshalb sind auch Kunstprojekte, in denen nur eine Möglichkeit zu Handlungen angedeutet wird, bei denen der Rezipient also dazu gebracht wird, über die möglichen Folgen seiner Handlung nachzudenken und sie sich vorzustellen, besonders effektiv. Insofern ist die Betonung der Selbstbezüglichkeit keine Simplifizierung „interaktiver Kunst“, sondern sie wird exzeptionell gerade deshalb, weil der reale Kontext des Kunstwerks hinzutritt, weil eine indirekte Kommunikation mit dem Autor der Software vorhanden ist und weil reale und fiktive Welt ineinander übergehen können.646 Elektrotechnische Medien und Reproduktionsmedien sowie informationsverarbeitende Medien des 20. Jahrhunderts brachten insofern neue Dimensionen ein, als erstens die Simulation von „Interaktion“ möglich wurde, als es zweitens möglich wurde, Handlungen rückgängig zu machen (Reversibilität), und als es, drittens, möglich wurde, Handlungen als Prozesse zu dokumentieren und zu visualisieren (im Moment des Geschehens), also deren Spuren genau nachzuzeichnen. Die Möglichkeiten der neuen Techniken werden nun in „interaktiver Kunst“ mit der situativen Herausforderung von Handlungen gekoppelt. Gerade die Aufforderung zum Selbstbezug, zur Selbstbeobachtung und zur Selbstreflexion kann somit höchst raffiniert inszeniert werden. In den interaktiven Videoarbeiten der Künstlerin Lynn Hershman Leeson beispielsweise „inszeniert Hershman soziale 645 K. Stiles, Cut Piece, S. 158. Aufführungen in London fanden am 28. und 29. September 1966 statt. Söke Dinkla weist darauf hin, dass bereits 1920 Max Ernst „in der zweiten Kölner Dada-Ausstellung eine Axt neben einer seiner Arbeiten“ angebracht hat. Ernst forderte „das Publikum auf, sie zu benutzen, wenn ihm das Objekt nicht gefällt“ (S. Dinkla, Vom Zuschauer zum Spieler, S. 10). 646 Hier widerspreche ich E. Huhtamo, Sieben Missverständnisse über Interaktive Kunst, S. 27.

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Regelsysteme, in denen ein freies Handeln, das heißt ein Handeln nach noch nicht erprobten Mustern, immer wieder zum Scheitern verurteilt ist. Sobald der Besucher einmal die Regeln des Systems akzeptiert hat, wird er zum Opfer und zum Täter zugleich. In Ausstellungen kann nur derjenige diesem Teufelskreis entgehen, der sich jeder Rezeption verweigert.“647 Es erstaunt nicht, dass bei manchen „interaktiven Kunstprojekten“ die Ergebnisse der Handlungen völlig zweit-rangig sind. Es geht vielmehr um ihre Abläufe und ihren Kontext. Eine ergebnisorientierte Kritik läuft daher Gefahr, solche Projekte zu verfehlen. Sich als wissenschaftlicher Beobachter – und Rezipient – aber von Ergebnissen loszusagen, fällt insbesondere in der Musik schwer. Erstens ist die Musik als Ausgangspunkt für Komponisten und Ergebnis für das Publikum die Ebene, die ästhetisch hauptsächlich interessiert. Zweitens – und dies betrifft auch die anderen Künste – sind die Raffinessen der Inszenierung von Handlungsabläufen oft nicht nachvollziehbar. Wie also sollte man diese Dimension würdigen, wenn man als Handelnder in einer Umgebung agiert, deren Aufbau und Wirkmechanismen undurchsichtig sind? Dieses Dilemma blieb in den letzten Jahren nicht unbearbeitet: viele Künstler gingen dazu über, ihre Apparate und die Mittel ihrer Inszenierung in Kunstprojekte zu integrieren, sie zu vereinfachen oder wenigstens scheinbar offenzulegen. In der Musik also kann das Ergebnis nicht leicht zurückgestellt werden. Die Klänge, mit denen gearbeitet wird, und ihre mögliche „interaktive Komposition“ sollten – so wird häufig erwartet – dem „interaktiven Spiel“ ästhetisch adäquat sein. Vom 10. November 1999 bis zum 7. Mai 2000 hat der Komponist und Klangkünstler Erwin Stache in den Berliner U-Bahnhof Klosterstraße zwei „Klanginterventionen“ mit dem Titel StopandGo eingebracht. Im nicht mehr genutzten Zugabfertigungshaus in der Bahnhofsmitte hatte er eine interaktive Installation eingebaut. An seinen Scheiben luden von innen angebrachte Piktogramme von Händen zur Berührung ein. Sobald man dies tat, erklangen über versteckte Lautsprecher Wiederholungen von kurzen Geräuschen, von kurzen rhythmisierten Klangfolgen, von Gesprächsfragmenten, von Ansagen und Signaltönen, U-BahnGeräuschen und Musikausschnitten. Bei mehrmaligem Berühren der Piktogramme konnten die Benutzer Tonhöhe und Rhythmus der ausgelösten Klänge verändern. Zugleich gab es eine Aufnahmestation, bei der Umgebungsgeräusche aufgezeichnet und verändert abgespielt wurden (die Aufnahme wurde durch das Aufleuchten eines roten Lämpchens signalisiert).648 Der U-Bahnhof Klosterstraße ist die letzte, wenig frequentierte Haltestelle vor Berlin-Alexanderplatz. Wartende auf diesem Bahnhof sind häufig allein oder vereinzelt. Der Bahnhof ist ohne die Geräusche der ein- und ausfahrenden Bahn ein ruhiger Ort. „Klanginterventionen“ sind dort also gut wahrzunehmen. Eine zweite Installation war am Ausgang Grunerstraße des UBahnhofs angebracht. Links und rechts des Treppenaufgangs befanden sich zwei Lautsprecher, die in die dortigen Fenster eingepasst waren und einen „Grundklang“ 647 S. Dinkla, Vom Zuschauer zum Spieler, S. 17. 648 Pressemitteilung der singuhr – hörgalerie in parochial 1999. Vgl. auch S. Melle, StopundGo im U-Bahnhof.

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aus Sinustönen in den Aufgang abstrahlten. Sobald Passanten dieses Klangfeld durchquerten, „verstimmte“ es sich (die Luftbewegungen wurden als Auslöser dafür benutzt) und kehrte danach in die Grundstellung zurück. Die Veränderungen wurden durch kleine Messgeräte sichtbar gemacht. Die Klänge der interaktiven Installation am Zugabfertigungshaus konnten allerdings erst wahrgenommen werden, wenn sie ausgelöst wurden. Da die Zugabfertigung und ihr mittiges Gehäuse jedoch lange Zeit als „geschützter Ort“ galten, war die Hemmschwelle groß, sich an den Scheiben zu betätigen. Ohne Kenntnis davon zu haben, um was es sich handelt, werden vermutlich nicht wenige Passanten sich eher vorgestellt haben, was hätte passieren können, wenn man die Hände berührt – die Zeichnungen an den Scheiben wirkten zwar nicht explizit wie Stopschilder, aber konnte man sicher sein? Überwand man die Schwelle, so ließ sich die Entdeckung der Klänge, die sich hinter den einzelnen Stationen verbargen, beginnen. Damit konnte die „Interaktion“ auch schon ihr Ende gefunden haben. Sie war auszudehnen, sobald beispielsweise ein weiterer Passant das Geschehen beobachtet hat und nun ebenfalls Klänge auslöste. Sofern eine U-Bahn einfuhr und beide mitnahm, hatte dann die „Interaktion“ an dieser Stelle ein Ende gefunden? Die Passanten unterhielten sich vielleicht noch über das Erlebte, sie erinnerten sich daran, sie erzählten dem Nachbarn davon, der sich eventuell vorgenommen hat, bei seinem nächsten Warteaufenthalt im U-Bahnhof Klosterstraße sofort das Zugabfertigungshaus zu inspizieren. Der „Raum“ des Kunstwerks wurde demnach in den sozialen Raum geweitet, den gerade Kunstwerke im öffentlichen Raum häufig auf besondere Weise zu erreichen versuchen. Das Auslösen der Klänge am Zugabfertigungshaus konnte aber auch eine andere Fortsetzung finden, indem Wartende begannen, miteinander zu spielen. Hierbei waren vor allem die rhythmisierten Klang- oder Geräuschfolgen gut mit anderen Fragmenten zu kombinieren, in die sich wiederum einzelne Signale einrücken ließen. Auf Grund der Wiederholungen der unterschiedlichen Fragmente konnten verschiedene, in sich charakteristische Kombinationen ausprobiert werden. Die Möglichkeit, Umweltklänge aufnehmen und wiedergeben zu können, war allerdings nicht leicht einzubinden. Diese Funktion konnte man erst nach längerem Verweilen entdecken. Dabei hatte man allerdings mindestens bereits zwei UBahnen verpasst, deren Vorbeifahren auch noch abgewartet werden musste, wollte man sich den Klängen widmen. Die Situation kehrte sich dabei also um: man wartete nicht mehr auf die U-Bahn, sondern wartete, bis sie wieder davongefahren war. Die „Intervention“ fand nicht nur an diesem Ort statt, sondern im Alltagsleben der Rezipienten. Gerade die Erfahrung der Partizipation an dem Kunstwerk, die weitere Interaktionen nach sich gezogen hat, konnte sich somit in das persönliche Gedächtnis an diesen Ort einschreiben.649 Zudem wurde ein gedankliches Spiel angeregt, das sich um den Titel rankte. Die häufig im Auto-Straßenverkehr auftauchende Rede von „Stop and Go“ konnte sich hier paradox an die Veränderungen 649 Vgl. dazu auch A. Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. Zu „Partizipation“ im Unterschied zu „Interaktion“ vgl. A. Hünnekens, Der bewegte Betrachter, S. 106ff.

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der U-Bahn-Haltestelle binden: der Rezipient wird in Bewegung gesetzt, wo er wartet; er wird angehalten, wo er den U-Bahnhof treppensteigend verlassen will. Dabei geschieht auf der Seite der Installation das Gegenteil: durch eine Bewegung werden die statischen Klänge gestört; durch das Bleiben im U-Bahnhof werden Klänge ausgelöst. Als ein weiteres Beispiel interaktiver Klangkunst im öffentlichen Raum sei die vom 25. März bis zum 23. September 2001 installierte Klangsituation transition – berlin junction von Georg Klein besprochen.650 Klein hatte sie zwischen den geschwungenen Stahlplatten einer Skulptur von Richard Serra mit dem Titel Berlin Junction eingebaut, die 1988 vor der Berliner Philharmonie am Tiergarten aufgestellt wurde. Dabei bot Serras Skulptur mehr als nur einen besonderen Durchgang zwischen bedrohlich in den Himmel aufwachsenden Stahlplatten, um eine Klanginstallation einzubringen. Die beiden Platten gaben auch eine Anregung zur Klanggestaltung auf Grund der Zahlenverhältnisse ihrer Radien. Im Boden des Zwischenraums hatte Klein Sensoren und Lautsprecher eingelassen, die einen „stehenden“ Klang aus „metallisierten“ Sinustönen sowie von Otto Sander gesprochene Fragmente aus Bertolt Brechts Gedicht Radwechsel (1953) und das Wort „hier“ (gesprochen von Angela Winkler) wiedergeben. Passanten konnten die Stahlplatten durchqueren und lösten dabei über die Sensoren Veränderungen des Klanggeschehens aus. „Die Sensorsteuerung bleibt aber uneindeutig. Die Wirkung der Sensoren lässt sich nicht durch beliebige Widerholung erfassen. Sie ist damit auch nicht so leicht zu bemerken und so besitzt der Klang in seiner Entwicklung auch sein Eigenleben.“651 Die Installation war ohnehin – trotz hohem technischen Aufwand des Auf- und Einbaus – relativ unscheinbar. Sie sollte als „Situation“ eine Irritation der Passanten auslösen, um dazu anzuregen, sowohl die Skulptur als auch die Klänge zu erkunden.652 Da Serras Stahlplatten in der Regel von Passanten sowie vom Konzertpublikum der Philharmonie kaum registriert werden, bewirkte die Klanginstallation tatsächlich bei vielen Besuchern erstmals eine bewusste Wahrnehmung der Anwesenheit der Skulptur. Darüber hinaus hat Klein den Kontext des Ortes berücksichtigt, an dem 1940 bis 1945 eine Villa stand, in der die zentrale Organisation der nationalsozialistischen „Euthanasie“Morde untergebracht war. Eine Gedenkplatte, etwas abseits der Skulptur, erinnert daran. Mit der Erkundung der Skulptur und den Klängen konnte der Besucher auch auf die Gedenkplatte am Boden stoßen.653 Die Interaktion mit den Klang- und Wortschichten der Installation bezog sich also zunächst auf die Auslösung einer Veränderung über die Sensoren durch Körperbewegung. Bei längerem Verweilen und Gehen zwischen den Platten konnte auch „weiter in andere Klangbereiche, in

650 Vgl. das gleichnamige Textbuch. 651 G. Klein, im April 2001, Textbuch zu transition – berlin junction, S. 19. 652 Zum Begriff der „Klangsituation“ vgl. G. Klein, From the sound installation to the sound situation. On my work „transition – berlin junction. eine klangsituation“, und ders., „...eher Situation als Werk...“. 653 Vgl. auch G. Klein, Klang – Tod – Bewegung. Eine vielleicht etwas zu existentielle Betrachtung.

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die Texte und die Veränderungsmöglichkeiten eingestiegen werden.“654 Klein rechnete nicht damit, dass die Besucher Musik produzieren – „obwohl das bei intensiver Beschäftigung mit den Sensoren möglich wäre“ –, sondern beabsichtigte in erster Linie, die Aufmerksamkeit des Hörers zu erregen, um seine augenblickliche Situation und Haltung gegenüber diesem Ort zu ändern.655 Richard Serras Skulpturen für den öffentlichen Raum waren in der Zeit ihrer Entstehung und Aufstellung umstritten. Anlässlich der Installation von Tilted Arc 1981 in New York (26 Federal Plaza, Lower Manhattan) gab es Angriffe: „Tilted Arc aroused hostilities immediately after it went up. Many of the federal employees working in and around the building felt that Serra’s work – a massive, curving, tilted plane of Cor-ten [sic] steel bisecting the outdoor plaza – was ugly, threatening, and mean-spirited, a rusting eyesore that obstructed freedom of movement and open views.“656 1985 sollte die Skulptur entfernt werden. „Serra argued that because Tilted Arc was commissioned as a permanent, site-specific work, its removal would be tantamount to destruction.“657 Der Künstler konnte den Abbau jedoch nicht verhindern, 1989 wurde das Kunstwerk zerstört. Berlin Junction sollte ursprünglich als Berlin Curves 1987 im Lichthof des Berliner Martin-Gropius-Baus aufgestellt werden. Offenbar aus technischen Schwierigkeiten wurde die Skulptur zuerst außerhalb des Gebäudes positioniert, dann vor der Berliner Philharmonie aufgestellt. Damit war Serra einverstanden, weil er einen formalen Bezug zur Architektur des Konzertgebäudes sah und sich gleichzeitig eine interessierte Öffentlichkeit erhoffte.658 In einer Zeit, in der Kunst im öffentlichen Raum ein „Dauerbrenner“ war und Ortsspezifik „zu einer Zauberformel für das Paradox einer Kunst [wurde], die frei, aber auf ihre Umgebung bezogen, selbstbestimmt, aber funktional sein sollte“, durfte Serra tatsächlich mit großer Aufmerksamkeit für seine Skulptur rechnen.659 2001 gehörte sie längst zum unauffälligen städtischen Inventar, ebenso wie die Gedenkplatte für die Opfer der Euthanasiemorde. Kaum ein Konzertbesucher der Philharmonie kümmert sich normalerweise um deren Umgebung, die im Prinzip nur aus einer großangelegten Bushaltestelle besteht, bevor der Tiergarten und die Publikumsmagnete des Potsdamer Platzes beginnen. Kleins „Klangsituation“ knüpfte daher nicht nur an den Kontext des Ortes an, sondern auch an die Geschichte ortsspezifischer Kunst im öffentlichen Raum. Er schrieb sie mit einer klanglichen Irritation weiter, die womöglich doch auch einige Konzertbesucher erreicht hat. Eine weitere Variante interaktiver Klanginstallationen zeigen die Arbeiten von Ron Kuivila, die für Innenräume konzipiert sind. Auch er arbeitet häufig mit Bewegungssensoren. „Much of my work has involved the creation of sound fields that are sensitive to movement. In these pieces, people directly confront the physi-

654 655 656 657 658 659

G. Klein, im April 2001, Textbuch zu transition – berlin junction, S. 19. Ebenda. L. Phillips, The American Century. Art & Culture 1950–2000, Katalog, S. 328. Ebenda. Vgl. D. Naegler, berlin junction. richard serra, Textbuch zu transition – berlin junction, S. 8f. Siehe C. Büttner, Art Goes Public, S. 173.

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cality of sound, but in so doing, they become performers.“660 Dabei sind Kuivilas Ausgangspunkte Frequenzen im Ultraschallbereich, die von einem Oszillator erzeugt werden. Bewegungen im Raum verändern diese Frequenzen. Durch ihre Transposition in den hörbaren Bereich und verschiedene Filterverfahren lassen sich die Veränderungen wahrnehmen. „Ultrasound is more easily affected by air currents and changes in temperature and humidity. The sound retains this imprint as it is transposed, bringing it within hearing. […] The installations have explored these properties, the relationships of sound and movement they engender, and the social situations they create as ‚interactive‘ musical situations.“661 Kuivila thematisiert zudem die Interaktion, indem er Situationen schafft beziehungsweise inszeniert, die den Bewegungsspielraum der Besucher in Frage stellen. In seiner Installation Untitled beispielsweise reagieren die Bewegungssensoren nur auf langsame Aktionen. Klangliche Veränderungen ergeben sich nur bei einem Stillstand. „Thus, the decision to stop and listen elicited a change in the system’s behavior. The computer actually filtered the movement generated sounds and transposed the filtered sound into sixteen distinct harmonizations. Visitors literally moved through a sound world composed for them.“662 Diese harmlos erscheinende Situation hat Kuivila durch seine Disposition der Raumelemente in eine zwielichtige Atmosphäre getaucht. „The room was illuminated with a single light source directed just in front of the area where the installation was most sensitive to movement. There, it illuminated a barrier of broken glass that blocked people from entering too far into the region. All of the illumination of the room came from the tattered reflections of the light off the glass. In order to play the installation, one had to approach the glass. This resulted in almost completely eliminating all illumination. This drastic and somewhat unexpected loss of light combined with the implied threat of the broken glass to create a situation that encouraged cautions [recte: cautious] actions.“663 In Kuivilas „reaktiver Installation“ ist der Computer, wie bei Klein, als „konzeptuelles Werkzeug“ eingesetzt.664 Die „Maschine“ ist nicht sichtbar. Eine „Interaktion“ quasi als Intervention findet statt, sobald der Besucher den Raum betritt und insbesondere dann, wenn der Besucher sich im bewegungssensiblen Bereich (langsam und vorsichtig) bewegt. Die Rückkopplung seiner Aktionen geschieht akustisch, wobei sich die Konzentration auf das Hörbare steigert, weil der Raum abgedunkelt wird. Kuivila beabsichtigte mit seiner Arbeit, auf das zum Teil unsensible Verhalten des Publikums bei Einladungen zu Aktionen im Museum – das bis zu grobem Unfug oder Vandalismus reichen kann – aufmerksam zu machen. Er bezog sich auf das Beispiel von Robert Rauschenbergs Soundings, eine der ersten interaktiven Klang- und Lichtinstallationen von 1968 (sie befindet sich heute im Museum Ludwig, Köln). „Soundings besteht aus drei Reihen von Plexiglastafeln, 660 661 662 663 664

R. Kuivila, Sound Installations, S. 212. Ebenda, S. 213. Ebenda, S. 214. Ebenda. Vgl. dazu S. Dinkla, Pioniere Interaktiver Kunst von 1970 bis heute, S. 228.

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die hintereinander aufgestellt sind. Die vordere Tafel (244 x 1100 cm) ist einseitig verspiegelt und auf den beiden hinteren, kleineren Tafeln befinden sich in Siebdrucktechnik aufgebrachte verschiedene Ansichten eines Stuhls. [...] Wenn Besucher sich im Ausstellungsraum still verhalten, sehen sie nur ihr eigenes Spiegelbild [...] Sobald aber jemand spricht oder Geräusche verursacht, werden Lichter aktiviert, die verschiedene Ansichten des Stuhls sichtbar machen.“665 Kuivila beschreibt, dass die Besucher vor Rauschenbergs Installation zum Teil übertrieben haben: „The whistling, loud talking, and even yelling it encourages are serious breaches of gallery etiquette. [...] Happily, the demonstrations do not turn into a riot.“666 Kuivilas Arbeiten, wie am Beispiel von Untitled gezeigt wurde, reflektieren diese Problematik des Umgangs mit interaktiver Kunst, und zwar durch die Wandlung des „Interface“ in eine Gefahrenzone beziehungsweise in eine Zone, die gefahrvoll wirkt. In anderen Installationen hat er dafür elektrische Funkenfelder eingesetzt.667 In seiner Installation mit dem Titel Getting to know you (präsentiert vom 11. Mai bis 12. Juni 2000 in der Parochialkirche in Berlin) war die „Schnittstelle“ eine Interviewsituation. „Die Installation verbindet zwei durch das Treppenhaus getrennte Räume. Die ehemalige Sakristei birgt einen einzelnen Stuhl, der vor einem Spiegel plaziert wurde. Verhörzimmer? Paßbild-Automat? Eine verfremdete Kinderstimme beginnt sich selbst mit Aussagen aus dem International Personality Profil zu beschreiben und stellt eine Reihe von Fragen an den Besucher. Mit der naiven Bestimmtheit eines Kindes verlangt die Stimme nach Reaktionen.“668 Der Besucher wurde ausgefragt und sollte antworten, wofür und wozu? Der Zweck dieser Sitzungen schien sich aufzuhellen, wenn man das nächste Stockwerk erklommen hatte und dort beweglichen Antennen auf Sockeln begegnete, die sich hektisch nach allen Seiten wendeten. Dort hörte man erneut die Kinderstimme und zum Teil die klanglich verfremdeten Antworten der Besucher. Nun reagierten stellvertretend die Antennen auf die Fragen und schlugen nach allen Seiten aus, zumeist wie ein Schwarm in ähnliche Richtungen, je nach dem, welche Antenne Fragen stellte oder Antworten gab. Der Zusammenhang zwischen dem Interview und den Bewegungen der Antennen schien eine Plausibilität zu haben, aber sie war nicht eindeutig ersichtlich. Vielmehr entstand durch die zwischen Hüft- und Brusthöhe pendelnden Antennen eine neue Erlebnisebene für den Besucher: die „Pointer“ wirkten fragil und doch unberechenbar und schlagkräftig, also war Vorsicht geboten.669

665 Ebenda, S. 36. 666 R. Kuivila, Sound Installations, S. 212. 667 Vgl. seine Installation Spark Vault (2002, staatsbank, Berlin), vgl. dazu Inventionen 2000. Berliner Festival Neuer Musik 26. Juni – 7. Juli 2002, Katalog, S. 64–67. Vgl. Composing with Shifting Sand. A Conversation between Ron Kuivila and David Behrman on Electronic Music and the Ephemerality of Technology. 668 R. Kuivila, Getting to know you, Beschreibung der Installation: http://www. singuhr.de/ page.php?ID=501 (zuletzt ges. am 30.12.2012). 669 Vgl. auch V. Straebel, Stimmengewirr im Glockengewölbe. Fallensteller der Aufmerksamkeit: Ron Kuivilas Klanginstallation stellt ihre Fragen selbst.

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Die Bewegung der Besucher wurde durch die Agilität der Antennen eingeschränkt beziehungsweise die Besucher bewegten sich vorsichtig zwischen den automatisierten herumschwingenden Stäben. Diese wurden nicht zuletzt durch das Frage- und Antwortspiel animiert. Das heißt: der Besucher selbst oder eine andere Person hatte mit dazu beigetragen, die Antennen wirbeln zu lassen. Es entstand eine Kette von Ursache und Wirkung, die jedoch weder stabil noch gleichmäßig gehalten wurde, ein Kreislauf also, der nicht im Gleichgewicht war. Die Möglichkeiten, diese Situation zu interpretieren und damit ihren realen Aufführungsraum zu verlassen, konnten nach verschiedenen Richtungen gewendet werden. Aus kommunikationstheoretischer Perspektive stellte sich die Frage nach Sinn und Zweck von Persönlichkeitstests, wenn sie automatisiert durchgeführt und analysiert werden. Aus einem medienorientierten Blickwinkel ergab sich die Problemstellung, wie, was und mit welchen Auswirkungen Medien übermitteln. Schließlich wurde wiederum das Verhalten von Rezipienten in artifiziellen Umgebungen thematisiert, das auch auf das zum Teil fragwürdige Verhalten in anderen sozialen Situationen übertragen werden konnte: Nimmt man nur Rücksicht, weil man dazu gezwungen wird? Müssen sich Rezipienten bei interaktiver Kunst betätigen oder ist die Aufforderung zur Tat nur ein Scheingefecht? So weitreichend Kuivilas Installation gedankliche und assoziative Anregungen gaben, so unspektakulär blieb allerdings die Ästhetik seiner Klänge, insbesondere bei dieser Installation. In Erinnerung haften die abwechselnden Stimmen sowie das Surren und Luftgeräusch der sich bewegenden Antennen. Das klangliche Ergebnis war hier in der Tat zweitrangig. Der Rezipient oder Benutzer interaktiver Kunstprojekte gerät in die Rolle von Interpreten oder Ausführenden, die das „offene Kunstwerk“ oder die „Disposition einer Performance“ im jeweiligen Aufführungsprozess (einmalig und individuell) „schließen“.670 „Das interaktive Kunstwerk existiert bis zum Moment seiner Realisierung als Ensemble von Computerprogrammen, Scorefiles, Sound- und Videofiles, Spielangaben und als technisches Environment. Im Moment der Aufführung schießen diese Teilmomente unter Einwirkung ‚von außen‘ zusammen, und schaffen so eine je Aufführung verschiedene Version des Werkes.“671 Die Rezeption von interaktiver Klangkunst – wie von Klangkunst generell – ist demzufolge ein Derivat der Konzertsituation, auch wenn die Rahmung der Situation im Prinzip nicht mehr existiert. Sie vermischt sich mit der Situation eines Museumsbesuchs. Der Eintritt sowie Kommen und Gehen sind frei, der Ablauf einer „Aufführung“ wird nicht vorherbestimmt, der Ort einer Veranstaltung ist nicht institutionell festgelegt. Die „Aufführungssituation“ ist bestimmt dadurch, dass sich der Rezipient in einer physiologisch ebenso wie psychologisch beziehungsweise ganzheitlich funktionierenden feed-back-Schleife befindet, in der er gewissermaßen „lernt“, sich in der Situation zurechtzufinden. Interaktive Konzertsituationen, bei denen das Publikum im Prinzip nur anwesend sein muss, entwickelt in den letzten Jahren der Komponist Agostino Di 670 Siehe A.-M. Duguet, Führt Interaktivität zu neuen Definitionen in der Kunst?, S. 38. 671 G. E. Winkler, Körper|Computer|Sensoren – Musiktheater als interaktives Kunstwerk, S. 246.

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Scipio, dessen Projekte abschließend erläutert werden sollen. Seine Werke unter dem Label Audible EcoSystemics – man kann sie als weiterentwickelte „interaktive Environments“ bezeichnen – basieren „on the real-time structural coupling between a sound-generating DSP [Digital Signal Processing] computer and the environment hosting the presentation. Each work implements a different network of sonic interactions, a web of purely acoustical exchanges between an autonomous system and its medium of existence, considered in their overall symbiotic and selfregulating dynamics.“672 Die Teile von Audible EcoSystemics sind folgende: 1) Impulse Response Study (2002): „Some pulse material [...] is played over the loudspeakers and processed by a DSP unit, while two or more microphones (somewhere in the performance space, close to the surfaces or vertices, far from the loudspeakers) bring the room response signal to the DSP unit. The DSP changes the way it processes the pulse material adapting to the room real-time impulse response“673; 2a) Feedback Study (2003): „the pulse material is removed and the only sound source is audio feedback (Larsen effect674) deliberately caused in the room. The feedback is kept under control by the DSP unit, which is programmed in such a way as to automatically regulate the microphones’ level, thus preventing saturation („self-gating“). The feedback tones are also processed and sent back to the room, thereby interfering with the feedback sound, and changing the overall room resonance, causing changes in the audio feedback itself“675; 2b) Feedback Study, with Vocal Resonances (2004): zur Konstellation von 2a) treten Klänge, die eine beliebige Anzahl von Performern mit Mikrophonen im Mund und am Mund erzeugen; 3a) Background Noise Study (2004–2005): die gleiche Konstellation von 2a) ohne Feedback, sondern nur mit Hintergrundgeräuschen des Raums oder der Umgebung, „the DSP transformations are different, and are meant to significantly modify the surrounding sonic environment, transforming the background noise specific to the performance place into a very different, and somewhat machinic environment“676; 3b) Background Noise System, with Mouth Performer (2004– 2005): eine Erweiterung von 3a), „A vocal performer enters the machine/environment interaction, and emits some glottal pulses and other minimal vocal utterances“.677 Di Scipio ging also nach und nach dazu über, den Raumklang und die Raumresonanzen selbst als Ausgangspunkte zu nehmen, dazuhin die klangerzeu-

672 Sein Verständnis von ‚Interaktivität‘ erläutert A. Di Scipio in seinem Aufsatz ‚Sound is the Interface‘. From interactive to ecosystemic signal processing. Vgl. auch http://xoomer.virgilio.it/adiscipi/ecosys1.htm (ges. 30.12.2012). Digital Signal Processing: „all modes of digital processes that can be applied to soundfiles, samples, or recorded sounds. The aim is usually to transform the sound in some way“ (www.ears.dmu.ac.uk, ges. 30.12.2012). Vgl. auch Musical Signal Processing. 673 http://xoomer.virgilio.it/adiscipi/ecosys1.htm (ges. 30.12.2012). 674 Larsen-Effekt: ein Feedback im Ultraschallbereich. 675 http://xoomer.virgilio.it/adiscipi/ecosys1.htm (ges. 30.12.2012). 676 Ebenda. 677 Ebenda. Eine Klanginstallation schloss sich an die Konzerte an: Ecosystemic Sound Installation in Small Reverberant Space (17. Juni bis 3. Juli 2005, DAAD Galerie, Berlin).

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genden und klangbeeinflussenden Komponenten der elektroakustischen Geräte. Der Computer beziehungsweise das Computerprogramm und dessen Konfiguration hinsichtlich der Klang- beziehungsweise Signalverarbeitung können im Prinzip als eigenständiges System verstanden werden. Bei dem Einbezug der Performer werden Mikrophone gewissermaßen inkorporiert, so dass die Klangerzeugung direkt und unter Nutzung des Körpers als Raum (die Mundhöhle oder beispielsweise die Innenräume von Fäusten) stattfindet. „The microphones are used as interface between room and machine. Their placement is crucial, perhaps even more so than their technical characteristics. The variety of sounding results depends on the room’s acoustical properties, but also on how well the microphones capture these properties.”678 Bei den Konzerten, in denen nur die Geräusche der Besucher und das Rauschen des Raums benutzt werden, sind die menschlichen Körper aktiv und passiv an der Klangerzeugung beteiligt. Die produzierten Klänge werden im Computer bearbeitet, so dass neue „Klangfarben“ entstehen, die dem Raumklang hinzugefügt werden. „Just like the microphone, the loudspeaker is not an element foreign to the process; it’s part of it, something used to generate the music, not to play it back.“679 Dadurch entsteht ein „closed circuit environment“. Weil die Signalverarbeitung im Computer so programmiert ist, dass das Klanggeschehen im Raum „interpretiert“ wird, entwickelt sich ein sich selbst ausgleichendes Gesamtsystem. „Each partial element in the performance influences, by the sole means of its sound, all the others, and is in turn influenced by them. In a sense, it’s a view closer to system theory and to biocybernetics. And it’s an anti-reductionist view: you cannot remove any component without also substantially changing (or even killing) the whole itself.“680 Dabei entstehen keine Melodien oder nachvollziehbare Rhythmen, sondern ein verschiedenfarbiges Rauschen. Di Scipio nannte es gelegentlich auch „sonic dust“.681 Mit der Schwerpunktsetzung auf die Klangästhetik des Rauschens verbindet der Komponist keine neo-futuristische Verherrlichung der Maschinen. Es geht ihm vielmehr darum, das, was vor allem die elektroakustische analoge und digitale Technologie als Störfaktor zu eliminieren versucht, als kompositorisches Material anzuerkennen. Damit verknüpft er nicht zuletzt eine sozial- und kulturkritische Haltung. „In der historischen Tradition der westlichen Kunst geschieht es zuweilen, dass der Notwendigkeit, das Zeichen vom Rauschen zu ‚säubern‘, der Notwendigkeit, die Übertragungskanäle Störquellen gegenüber zu isolieren, die ausgesprochene Absicht entgegengestellt wird, jene unreinen Elemente, Störungen und Fehler nicht wegzufiltern, sondern sie vielmehr in die Erfahrung eingehen zu lassen mit ihrem ganzen Bedeutungspotential und ihrer Fähigkeit, das Bekannte in 678 Chr. Anderson, Dynamic Networks of Sonic Interactions. An Interview with Agostino Di Scipio, S. 17. Vgl. auch CD Hörbare Ökosysteme. Live-elektronische Kompositionen 1993– 2005, Berlin 2005, ed. RZ 10015 (Text von Frank Gertich, klänge horchen, im Begleitheft); vgl. dazu die Besprechung von S. Wanna in: Computer Music Journal 30, Sommer 2006, S. 94–98. 679 Für Di Scipio ist dies ein Prozess der Formgebung, vgl. Anderson, S. 12, Zitat S. 17. 680 Ebenda, S. 16. 681 Vgl. dazu A. Di Scipio, Klangstaub.

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Frage zu stellen und die Erfahrung erst zu erschließen. [...] Rauschen ist das, was den Verfall der Information aufhält, es ist somit für eine reiche, nicht aufs Formal/ Funktionale eingeengte Kommunikation unabdingbar“.682 Friedrich Kittler hat in seiner Abhandlung Musik als Medium ein Szenario entworfen, wonach die Musik nach Wagner und ausgehend von Nietzsche nur noch als „Rauschen“ übrigbleibe. „Im namenlosen Namen des Rauschens muß folglich eine andere Musik erfunden werden – eine Musik, deren Macht keine Anleihen beim Medium Sprache und seinen ‚Bedeutsamkeiten‘ mehr machen würde: reine Medientechnik, reiner Befehlsfluß. [...] Computeralgorithmenmusik als Befehlsfluß.“683 Dies trifft allerdings auf Di Scipios Ecosystems (und auf Computermusik im allgemeinen) nur teilweise zu, und zwar deshalb, weil der „Befehl“, das heißt die menschliche Initiation des Befehls – und sei es nur durch die Anwesenheit einer Person im Raum – den „Fluß“ mitbestimmt. Di Scipio hat dies als Kreislauf konzipiert und daher die „Befehlsgebung“ letztlich einem sich selbst regulierenden System überlassen, in dem die Präsenz des Menschen integraler Bestandteil ist. Daraus ergibt sich über die Klänge und Klangtransformationen eine „Selbstwahrnehmung“ der Wirkungen dieser Präsenz. Selbstreferenzialität also ist kein Pejorativ interaktiver Kunst, sondern das Potential, woraus gerade ihre Anbindung an außerhalb der Kunst liegende Kontexte entsteht. 4.3.3 Musik mit Bild – Videokonzerte Zum Abschluss soll auf eine neue Variante der Konzertinszenierung eingegangen werden, die das Publikum zwar in den geschlossenen Raum zurückholt und es zum Teil wieder in die traditionelle Fronthaltung bannt, doch die Bilder, die erscheinen, bewirken häufig imaginäre Entführungen aus den Aufführungsräumen. Bei dem Aufkommen von sogenannten „Videokonzerten“ – konzertante Musik mit Filmen oder Bildprojektionen unterschiedlicher Art – ist aus meiner Sicht noch unentschieden, ob die „bewegten Bilder“ zu Konzerten aufgekommen sind, weil sie der Musikvermittlung dienen können beziehungsweise sollen, weil Komponisten Befürchtungen überwunden haben, ihre Musik könnte neben Bildern nicht bestehen, weil in der Musik in vieler Hinsicht bereits mit Visualisierbarem (zum Beispiel Texturen) gearbeitet wird oder weil zum Teil eine Annäherung an die Club-Kultur stattfindet, in der Musik und Videos das Publikum gleichermaßen ansprechen sollen. Ein weiterer Grund für „bewegte Bilder“ zur Musik ist auch der Versuch, die relative Unbeweglichkeit am Laptop auszugleichen.684 Vermutlich ergab sich eine Mischung aus diesen Aspekten.685 Darüber hinaus hat sich in den 682 683 684 685

Vgl. A. Di Scipio, Der Komponist als Rauschgenerator, S. 37f. F. Kittler, Musik als Medium, S. 99. Vgl. dazu N. Collins, Generative Music and Laptop Performance. Schlaglichtartig verweist darauf ein Slogan der Reihe „VideoKonzerte im Diskurs“ der berliner gesellschaft für neue musik im Jahr 2005, den Georg Klein kreierte: „Warum wir ohne Bilder nicht mehr hören wollen“. Die Konzertreihe wurde auf einer DVD dokumentiert, vgl. www.bgnm.de (ges. 30.12.2012).

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letzten Jahren eine klang- und bildbearbeitende Technologie mit sehr ähnlichen Handhabungen und Arbeitsverfahren entwickelt, die es nahe legte, das Zusammenwirken von Klang und Bildern neu auszuloten.686 Es lassen sich folgende unterschiedliche Formen des Einsatzes von Video/Film sowie Projektionen, die durch bildgebende Verfahren am Computer erzeugt werden, differenzieren, die sich zum Teil überschneiden können: erstens handelt es sich um die Kombination von Musik mit Bildern, die Gegenständliches zeigen beziehungsweise bestimmte Inhalte aufrufen und/oder eine narrative Ebene einbringen; zweitens werden Klangstrukturen und Klangverläufe abstrakt visualisiert; drittens wird die Live-Situation während der Aufführung gefilmt und mit den medialisierten Bildern kombiniert oder konfrontiert; viertens tragen Videoprojektionen zur Rauminszenierung bei; fünftens kann die Klanggenerierung in der Aufführungssituation mit der Bildgenerierung in „Echtzeit“ verknüpft werden. Während die ersten vier Anwendungsgebiete ansatzweise bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückreichen, vor allem in der Verbindung von Musik und Narration im Film, ist der letzte Anwendungsbereich erst durch die fortgeschrittene Computertechnologie möglich geworden.687 Dazwischen liegt die Entwicklung der Videotechnik (1956 kam das Videoband auf), die neben dem Film eine eigenständige Ästhetik hervorgebracht hat.688 Diese ist vor allem auf die durch Video mögliche „Gleichzeitigkeit von Aufzeichnung und Wiedergabe“ zurückzuführen.689 „In der simultanen Bildaufnahme und -wiedergabe (über den Monitor) fallen die reale Existenz und die im Bilde zusammen. Genau dies bildet das entscheidende mediale Kriterium des Videosystems und läßt es in gewisser Weise dem Spiegel näher stehen als dem Film.“690 Die Komponistin Carola Bauckholt, Schülerin von Mauricio Kagel, hat in den 1990er Jahren einen dreiteiligen Werkzyklus mit dem Titel In gewohnter Umgebung komponiert.691 Der erste Teil ist ein Konzert-Stück für zwei Schlagzeuger, Gegenstände und Diaprojektion (1991).692 Im zweiten Teil (von 1993) werden fünf Personen, Lichtquellen, Gegenstände, Klarinette, Cello und Klavier in einem Musiktheaterstück kombiniert.693 Der dritte Teil entstand 1994 als kammermusi686 Vgl. dazu auch G. Föllmer u. J. Gerlach, Audiovisionen. Musik als intermediale Kunstform, www.medienkunstnetz.de/themen/bild-ton-relationen/audiovisionen (zuletzt ges. am 30.12.2012). 687 Vor allem durch die Entwicklung neuer Software wie etwa MAX/MSP, DISP (Digital Image Processing with Sound) oder Jitter ist es möglich geworden, Klang und Bild synchron zu generieren und zu bearbeiten beziehungsweise Prozesse der gegenseitigen Einflussnahme zu konzipieren oder zu programmieren. Zu Vorstufen davon vgl. R. Povall, Adding video into the (real)time domain. 688 Vgl. R. Armes, On Video; vgl. auch Video – Apparat/Medium, Kunst, Kultur. Ein internationaler Reader. 689 Y. Spielmann, Video. Das reflexive Medium, S. 7. 690 F. Heubach, Die verinnerlichte Abbildung oder Das Subjekt als Bildträger, S. 63. 691 Vgl. G. Gronemeyer, „Eine Situation, in der alles auseinanderfliegt“. Zum neuen Musiktheater der Kagel-Schule, S. 40f. 692 Das Stück liegt auch für zwei Schlagzeuger konzertant vor, Thürmchen Verlag, Köln 1992. 693 Vgl. Partitur, Thürmchen Verlag, Köln 1993.

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kalisches Trio für Video, Cello und (präpariertes) Klavier.694 In ihrer Musik hat Bauckholt seit Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre vor allem Alltagsgeräusche zu Ausgangspunkten genommen. Die Geräusche, alle mit spezifischen Gegenständen sowie deren Aktionen und Funktionen – auch in der Imagination – untrennbar verbunden, wurden von Bauckholt in ihren Kompositionen gewissermaßen verdoppelt beziehungsweise „instrumentiert“, etwa in den Stücken Schraubdichtung für Sprechstimme, Kontrafagott, Cello und Schlagzeug von 1989/90 oder Treibstoff für Flöte, Klarinette, Violine, Viola, Cello, Kontrabass, Schlagzeug und Klavier von 1995. Die Titel der Stücke verweisen schlagend auf den assoziativen Hintergrund, den die Musik aufruft, ohne eine einfache Imitation zu sein. Aus den Instrumental- und Vokalklängen, die den Geräuschen „abgelauscht“ wurden, sowie aus dem Sprachklang von Worten wie „Schraube“, „Axt“ oder „Mutter“ komponierte Bauckholt Stücke, die ihren temporalen Verlauf ebenfalls von der Energie mechanischer oder chemischer Abläufe und Prozesse ableiten.695 „Bauckholt [...] wendet sich gleichsam den Scharnieren zu, die zwischen einem vernommenen Klang und unserem Bewußtsein geschaltet sind – den Verzweigungen zwischen Wahrnehmung und Deutung, die auch den Prozeß der musikalischen Gestaltung mitbestimmen.“696 In ihrem Zyklus In gewohnter Umgebung gehören bereits im ersten Stück Geräusche wie beispielsweise eine mit Schrauben gefüllte Dose oder ein „scharfes Reißgeräusch, z.B. durch altes Packband, das von der Rolle gerissen wird“, zu den Klangfarben des Schlagzeugs. Zu den konventionellen Schlagzeug-Klängen, etwa von Becken, Glocken und Trommeln, treten also Geräusche hinzu, die aus der „gewohnten Umgebung“ stammen. Sie werden nicht imitiert oder als aufgenommene und gespeicherte Klänge wiedergegeben, sondern mit der Disposition ihrer Entstehung in das Instrumentarium übernommen. Die kompositorische Verwendung der Geräusche aus der Umgebung bewirkt nun zweierlei: als kompositorisches „Material“ werden die Geräusche aus dem Alltag isoliert und in die Reihe anderer Instrumentalklänge gestellt, sie gleichen gefundenen Klangobjekten; in der Wahrnehmung der komponierten Musik evozieren die Geräusche einen Rückbezug auf Alltagssituationen, weil sie vor allem „causal listening“ anregen, und weil der Zuhörer auch ein Zuschauer ist, der die Gegenstände und Handlungen des Perkussionisten erkennen kann.697 Die „Neutralisierung“ der Geräusche als Material oder Klangobjekte bewirkt demnach ihre Integration in das musikalische Instrumentarium sowie ihre kompositorische Gestaltbarkeit – ihre Rhythmisierung, ihre Behandlung als Klangfarbe in der „Klangfarbenkomposition“. Doch in der Wahrnehmung der Musik wirken sie mehr oder weniger wie Zitate oder 694 Vgl. Partitur, Thürmchen Verlag, Köln 1994. 695 Vgl. dazu U. Büchter-Römer, Carola Bauckholt (*1959). „Ich arbeite daran, sehr einfach zu schreiben...“. 696 R. Schulz, Hellhörig. Die Kölner Komponistin Carola Bauckholt, S. 43. Vgl. auch C. Bauckholt, Identitätsfetzen. 697 Vgl. dazu M. Chion, L’Audio-Vision, Paris 1990, engl. Audio-Vision. Sound on Screen: „causal listening“ beschreibt Chion als „Listening for the purpose of gaining information about the sound’s source“ (S. 222).

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Allusionen, die ihre Herkunft zu erkennen geben beziehungsweise deren Herkunft imaginiert wird. Gerade bei Geräuschen aus dem Alltag tritt die Indexikalität von Klang in den Vordergrund. Auf die Nutzung dieses Effekts verlassen sich nun insbesondere Künstler, die Klang und Bild trennen können, wie beispielsweise Filmemacher. Die besten Horroreffekte etwa gehen darauf zurück, dass durch Geräusche in der Vorstellung Bilder aufgerufen werden, die nichts mit den gezeigten Bildern zu tun haben beziehungsweise, die sich mit den gezeigten Bildern vermengen oder sich den gezeigten Bildern im Film gegenüber als mächtiger erweisen.698 Bauckholt arbeitete in ihrem Zyklus ebenfalls mit der Trennung von Klang und Bild, obwohl dies nicht grundsätzlich mit der Projektion von Dias oder mit der Videoprojektion verbunden ist. Auch im Musiktheaterstück In gewohnter Umgebung II werden die Klänge der Bilder, der Gegenstände und ihren Aktionen, der vorkommenden Darsteller und ihren Handlungen von ihren Ursprüngen getrennt und durch die Instrumente zum Teil „verdoppelt“, transformiert und verfremdet.699 Die Erkennbarkeit und/oder Wiedererkennbarkeit von Geräuschen (ihre „Anekdotik“) wird dabei nicht vermieden, sondern sie ist Teil eines Spiels mit Differenzen zwischen „musikalischem Klangregister“, der „prosaischen Klanganekdote“, die „ein Ereignis nacherzählt“, und „Klangobjekten“, die von beidem abstrahieren.700 Die Kombination des Aufleuchtens einer Glühbirne mit einer Klarinettenmelodie zu Beginn von In gewohnter Umgebung II zeigt dieses Vorgehen exemplarisch. Hier begleitet die Klarinette die Lichtgestaltung, doch mehr noch: die Hervorbringung der Klarinettenmelodie ist eine vermittelte Hörbarmachung und „Instrumentierung“ dessen, was in der Glühbirne beim Glühen geschieht (Energiefluss, Überwindung eines Widerstands, Materialverhalten).701 Die Verbindung der verschiedenen Ebenen betrachtete ich daher nicht als „intermedial“, sondern als eine Form von „Intermaterialität“. Im Trio In gewohnter Umgebung III, geschrieben für die Darstellerinnen im Video, Françoise Rivalland und Elena Andreyev, sind Bilder (Darstellerinnen und ihr Tun, Objekte in Bewegung) und Klänge (Geräusche dieser Vorgänge) ebenfalls getrennt. Sie sind hier nicht nur räumlich separiert, wie im Musiktheaterstück, die Darstellerinnen und Objekte des Films werden zudem medial „re-präsentiert“, sind nicht selbst anwesend. Ihre Präsenz soll jedoch simuliert beziehungsweise angedeutet werden: „Die Musikerinnen im Video sollten gleichgroß wie in der Realität sein.“702 Die medialen Bilder werden demnach als Abbilder/Doubles behandelt, 698 Vgl. bspw. M. Chion, Audio-Vision. Sound on Screen, S. 21–24. 699 Vgl. zu weiteren Musiktheaterprojekten Bauckholts F. Hilberg, Krümel des Alltags. Carola Bauckholts Musiktheater „Es wird sich zeigen“. 700 Vgl. dazu P. Schaeffer, La Musique Concrète und Musique concrète. Von den Pariser Anfängen um 1948 bis zur elektroakustischen Musik heute, S. 23. 701 Verf., Klang sehen – Konzepte audiovisueller Kunst in der neuen Musik, S. 188–193. Ob es eine „Instrumentierung“ dessen ist, was mit einer starken Mikrophonierung des Vorgangs des Glühens als Originalgeräusch hörbar gemacht werden kann, ist nur zu vermuten. 702 In gewohnter Umgebung III, Partitur, Thürmchen Verlag, Köln. Darüber hinaus, so schreibt die Komponistin vor, verbindet sich Videoton und Live-Musik besser, „wenn auch die Instrumente ganz leicht verstärkt über die Lautsprecher kommen“ (ebenda).

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die in der Wahrnehmung (wie bei vielen Videoinstallationen) den Eindruck von „Liveness“ hervorrufen sollen.703 Insofern ergibt sich eine Konstellation zwischen Videoprojektion und Instrumentalklängen, die nicht als Begleitung eines Stummfilms gesehen werden kann, sondern als Verlängerung der Tonspur beziehungsweise des Diegetischen des Films in den Aufführungsraum. Umgekehrt gilt ebenfalls: „Die Musik weitet sich ins Visuelle aus.“704 Dies wird dadurch gestützt, dass das Video eine eigene Tonspur enthält, die als Komponente und Scharnier dieser Extensionen betrachtet werden kann, ebenso wie die Stimmen der Instrumentalisten, die sich mit den Stimmen der Personen im Film überkreuzen oder synchronisieren können. Die Komponistin erläuterte: „Ich habe das Medium Film gewählt, um die gewohnte Umgebung so zu erfassen, wie sie in der Phantasie mit all ihren Sprüngen und Vereinzelungen möglich ist. Durch den Film können visuelle Eigenschaften den akustischen ebenbürtig behandelt werden, weil sie sich wie die Klänge nicht wirklich materialisieren, sondern ‚nur‘ die Sinne in Schwingung versetzen. In einem Trio (Video, Cello, Klavier) treten die Elemente auf formaler, inhaltlicher und musikalischer Ebene in heftige Kommunikation.“705 Beschreibung des Ablaufs von In gewohnter Umgebung III (Video) T. 1: Schrei – Videostart – Lärm des Schrottbeckens T. 11–28: Toaster wird langsam eingeblendet / glüht immer stärker T. 28: Toaster knallt hoch und verlischt T. 38: Kühlschranktür wird im Dunkeln geöffnet und wieder zugeschlagen T. 41: Einblendung des Cello f–Loches (im Korpus kleine Glühlampe), Bogen-Hand bewegt sich hin und her T. 50: Überblendung von Cello zu schaukelndem Stuhl T. 64: feuchter Wasserhahn / Wassertropfen T. 81: Wassertropfen schneller und Wasser läuft (T. 84) T. 85: laufenden Wasserhahn langsam zurückdrehen T. 91: bis es tropft, immer langsamer werdend T. 92: Kaffeetasse mit schwarzem Kaffee (Schwingungen werden auf der Kaffeeoberfläche sichtbar)

703 Vgl. dazu P. Auslander, Liveness. Performance in a Mediatized Culture. Vgl. auch Video Cult/ures. Multimediale Installationen der 90er Jahre, sowie Kunst und Video. Internationale Entwicklung und Künstler. 704 In gewohnter Umgebung III, Partitur. 705 Programmheft zur Aufführung von In gewohnter Umgebung I–III, März und Juni 1998, Recklinghausen, Bochum, Leverkusen, Krefeld (Reihe „Kammermusiktheater“ des Kultursekretariats Nordrhein-Westfalen). Vgl. auch C. Naujocks, Aus gewohnter Umgebung. Carola Bauckholts Musik aus Bildern, Licht und Klang.

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T. 99: Black / scharfer Wasserstrahl und Abflussglucksen (Videoton) T. 105: Blatt zwischen die Schere nehmen und schneiden / leicht aufzoomen T. 107: Elena am Schreibtisch, schreibt, Blatt zerreißen, wegwerfen, schreiben, Blick in die Kamera „Non!“ / Black T. 112: Françoise spricht aus Lkw heraus / Black T. 122: Unterhaltung zwischen Françoise und Elena / langsames bis schnelles Wechselgespräch T. 144: Ende des Dialogs / Tutti „oui“ / „non“ T. 144ff. Weggang einer Person / Fahrrad / Haus / Schlüssel / Zitronen / Kassettenhülle (Entfernung von der Szene) T. 165: Tropfen plumpt ins Wasser T. 167: Einweiß in schwarzer Pfanne / transparentes Eiweiß wird äußerst langsam weiß T. 191: Milch kocht über T. 192: Luftballon platzt / Ampel schaltet auf rot T. 193: Ampel schaltet auf grün T. 197: Brötchen wippt auf einer blauen Wärmflasche / Black T. 206: schnelles Wippen des Brötchens nochmals / ohne Ton / Black T. 208: stilles Brötchen / Black T. 210: Brötchen T. 214: kippelnde Teekanne mit Ton T. 220–225: dreimaliges Streichholz anzünden und sofort ausblasen T. 221: Telefonhörer abnehmen / Black / Treppe herunter poltern / Tür aufreißen / Frosch springt vorbei / Black / Schlag auf Schlafsack

Der Start der Videoprojektion wird akustisch und damit sogleich situativ umrahmt, indem ihm ein „spitzer Schrei“ beider Instrumentalisten unmittelbar vorangeht und ein großer Lärm („Schrottbecken oder Topfdeckel fällt zu Boden“) unmittelbar folgt (rhythmisch genau notiert und live ausgeführt). Dazwischen wird die Videoprojektion quasi „angeschaltet“. Das „Anschalten“ ist somit durch eine „Schrecksekunde“ akzentuiert. Damit wird deutlich, dass Bauckholt nicht nur die Bilder des Films, sondern auch das Medium „Film“ oder „Video“ als temporale Projektionsfläche kompositorisch thematisiert hat. Die anschließende Blackout-Phase wird sodann auch vorwiegend durch instrumentale Bewegungs-Motive (Wiederholungen, Sechzehntel-Figurationen) ausgefüllt, die in erster Linie den Fortgang anzeigen. Erst mit der allmählichen Einblendung eines Toasters, der immer stärker zu glühen beginnt, ändert sich die Motivik. Hier begleiten die Instrumente den Vorgang mit einer anschwellenden Dynamik von lange ausgehaltenen einzelnen Klängen, mit einer Klangintensivierung sowie mit einer „Reibung der Elemente“.706 Dies bricht mit dem 706 Vgl. C. Naujocks, Aus gewohnter Umgebung. Carola Bauckholts Musik aus Bildern, Licht und Klang, S. 25.

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Abschalten des Toasters und Hochschnellen seiner Halterungen im Inneren ab. Bei der anschließenden Phase der „Abkühlung“ bleibt das Cello auf der Ebene des Toasters. Es übernimmt die Präsentation der rhythmisch unregelmäßigen Geräusche des abkühlenden Metalls, die im Film nicht zu hören sind. Einige im Film dargestellte Abläufe (ohne Ton) werden regelrecht durch die Live-Instrumente „vertont“. Bei der allmählichen Einblendung des vergrößerten f-förmigen Schall-Lochs in einem Cello-Korpus und einer Handbewegung mit einem Bogen darüber hat der Cellist oder die Cellistin beispielsweise die Aufgabe, sich synchron zur Hand- und Armbewegung im Film zu bewegen und mit entsprechenden Auf- und Abstrichen hohe Flageolett-Töne zu erzeugen. Erst bevor das Schaukeln der Bogenbewegung durch das Bild eines hin und her pendelnden Schaukelstuhls überblendet wird, endet die Klangsequenz. Werden hier die Bilder mit den Live-Bewegungen und ihren klanglichen Resultaten verklammert, so ist bei der filmischen Präsentation einer mit schwarzem Kaffee gefüllten Tasse eine andere Variante der Verschmelzung von Klang und Bild konzipiert: hier geht der Bildeinblendung ein Geräusch mit einem Superball voraus (ein Gummiball wird auf dem Klavierdeckel entlanggezogen, es entsteht ein Wimmern und Jaulen). Dieses Geräusch wird mit dem Bild der Tasse koordiniert, und es scheint so, als ob die Klänge die Flüssigkeit zu Bewegungen anregen und somit direkt auf die im Film präsentierten Bilder einwirken könnten. „In In gewohnter Umgebung III gibt es an einer Stelle Geräusche mit einem Superball auf einem Resonanzkörper. Das ist eine ganz starke Reibung, die man sehr stark hört. Im Bild haben wir das Gleiche vorher gefilmt: eine Kaffeetasse wird auf dem Resonanzkörper gerieben und in dem Kaffee spiegeln sich dementsprechend die Schwingungen. Bei der Aufnahme haben wir den Ton weggedreht und bei der Aufführung wird der Ton live dazugegeben. Das ist zwar recht schwer zu synchronisieren, aber unglaublich faszinierend. Man weiß zwar ganz genau, daß dieses Ereignis fiktiv ist, aber man kann sehr stark empfinden, daß das, was man hört, in das übertritt, was man sieht.“707 Eine weitere Variante der Synchronisation ist die wiederholte gemeinsame Artikulation des Wortes „Oui“ mit abschließendem „Non!“ (T. 140–144), wobei dies aus beiden Lautsprechern (links und rechts der Leinwand) erklingt (beide Personen im Film werden repräsentiert) sowie von beiden Instrumentalisten gesprochen und als Geräusch auf den Instrumenten imitiert wird (S. 16f.). Während direkt davor eine weiße Plastiktüte leicht durchs Black im Film gesegelt ist, wirkt diese Tutti-Aktion wie ein blockhafter Akzent, bevor mit einer disparaten Konstellation von Ton und Bild fortgefahren wird. Die beiden Personen im Film werden in mehreren Szenen gezeigt, in denen sie als Dialogpartner erscheinen. Zwei Hände, die ein Papier mit einer Schere zerschneiden, gehören zu „Elena“ am Schreibtisch, die nachdenklich einige Blätter beschreibt, sie zerreißt und schließlich mit einem „Non!“ ihre Überlegungen beendet. Die akustische Ebene der Instrumentalisten unterstützt diese Szene. Der Videoton allerdings präsentiert rhythmisierte Wassergeräusche, die zu Bildern von einem tropfenden Wasserhahn bis zu einem fließendem Wasserstrahl gehören, die 707 Ebenda.

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der „Elena“-Szene vorausgingen. Elenas „Non!“ – und dies wird mit einem kurzen Wasserstrahlgeräusch unterlegt – beendet diese Kombination, der ein Kommentar von Françoise nachfolgt, die aus einem Lastkraftwagenfenster heraus „C’est pas drôle la vie!“ verkündet. Die „Unterhaltung“ setzt sich fort, indem die beiden Darstellerinnen über die Artikulation von „p“ und „b“ beraten (Françoise Rivalland und Elena Andreyev sind Musikerinnen, die sich im Film über verschiedene Probleme der Ausführung von Spielinstruktionen austauschen. Dies wird allerdings nur in Ansätzen deutlich und keineswegs stringent erzählt.) Die Beratungen dehnen sich auch auf die Instrumentalisten außerhalb des Film aus und werden durch gemeinsame Artikulationen unterstrichen (die oben beschriebene Tutti-Passage von „oui“/“non“ schließt diese Verquickung von Video- und Live-Klängen ab). Nach dem Ausschalten des Toasters, dessen Geräusch dem Film entstammt, ist lange Zeit kein Geräusch mehr im Film zu vernehmen. Eine ausgedehnte Bildpassage eines tropfenden Wasserhahns, der allmählich aufgedreht wird und einen Wasserstrahl von sich gibt, dann wieder abgedreht wird, fehlt der Ton im Film, der von den Instrumentalisten live „übernommen“ wird. „Da gibt es einen unhörbaren tropfenden Wasserhahn, dessen Tropfen immer schneller fallen und ein lang hingezogenes gleichmäßiges Accelerando bilden. Und weil das visuell sehr stark wirkt, ergab sich daraus für die Musik, eine sehr lange andauernde Gegenbewegung zu gestalten.“708 Erst danach, jetzt ohne Bild, vor der „Elena“Szene, hört man Wassergeräusche, die der Videotonspur entstammen. Sie begleiten – wie oben dargestellt – die Szene am Schreibtisch. Der nachfolgende Dialog der Darstellerinnen ist im Film hörbar und vermischt sich mit Äußerungen der Instrumentalisten auf dem Konzertpodium. Im letzten Drittel des Stücks nehmen Geräusche im Film zu, die in unterschiedlicher Weise von den Instrumentalisten aufgegriffen, verdoppelt, „instrumentiert“ oder fortgesetzt werden (beispielsweise das Quietschen einer leeren Kassettenhülle, die offen hin und her bewegt wird). Zum Schluss des Stücks werden die genannten Verfahren nochmals enggeführt. Das etwas skurrile Bild eines Brötchens, das auf einer gefüllten Gummiwärmflasche liegt und hin und her wippt oder stillgelegt erscheint, wird abgelöst durch „wippende“ Klangfigurationen im Cello (keine Synchronisierung). Die Wipp-Figur wandelt sich zu einer „kippelnden Teekanne“. Die nächste Bildgruppe zeigt den dreimal wiederholten, rhythmisierten Vorgang des Streichholz-Anzündens und -Auslöschens, dessen Geräusche im Film hörbar sind. Das Ausblasen des Streichholzes allerdings wird jeweils live durch den Pianisten oder die Pianistin „übernommen“. Eine kurze Szene beendet das Stück: Françoise geht ans Telefon, anschließend Black, doch Geräusche „Treppe herunter poltern“, eine Tür wird aufgerissen, ein Frosch springt vorbei. Der vorbeihuschende Frosch wird mit einem tiefen lauten Bartòk-Pizzikato kombiniert. Das Ende des Videos mit einem Black markiert ein dumpfer, heftiger Schlag auf einen Schlafsack (am Klavier). Formal ergeben sich durch bestimmte prozessuale Vorgänge zwar Verklammerungen (beispielsweise bilden das Glühen des Toasters zu Beginn, die verschiedenen Geschwindigkeiten der Wasserläufe etwa in der Mitte, das allmähliche 708 Ebenda, S. 24.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Erhitzen und Garen von klarem Einweiß in einer Pfanne zu einer weißen Masse im letzten Drittel ähnliche Strukturen aus) und die Szenen zwischen den Personen im Film verdichten sich fast zu einer Geschichte, doch die verstreut eingeblendeten Objekte und Klänge bewirken eher den Eindruck einer Bild- und Klangcollage. Zusammenhänge entstehen konnotativ oder assoziativ subtil, so beispielsweise eine Verbindung zwischen Toaster und Brötchen, die im Trio – auch zeitlich – völlig losgelöst voneinander präsentiert werden. Sie gehören jedoch im Alltag situativ zusammen, und diese Konstellation kann in der Wahrnehmung der Abläufe im Trio kohärenzbildend wirksam werden. Zugleich wird durch den Wechsel von prozesshaften Verläufen und durch die Einblendung kurzer Bildsequenzen ein globaler Rhythmus des Stücks ausgebildet. Neben der Instrumentalmusik, die, wie gezeigt wurde, unterschiedlich mit dem Film korrespondiert, entsteht quasi eine „Musikalisierung“ der Bildebene durch die konnotative oder assoziative Verknüpfung der gezeigten „Szenen“ und Objekte auf der temporalen Ebene und durch die vertikale Aggregatbildung bestimmter Bilder zu „Akkorden“ (auch in der Imagination). In In gewohnter Umgebung I beispielsweise komponierte Bauckholt bereits einen an Wassily Kandinsky erinnernden „gelben Akkord“ durch die Übereinanderstapelung eines Skateboards, Postpaketen, Telephonbüchern, gelben Gummistiefeln sowie einem orangefarbenen Telephon.709 Im Unterschied zu Kandinsky ging es Bauckholt jedoch nicht um die Abstraktion von Farbzusammenstellungen, sondern – analog zu ihrer Behandlung der Klänge – um den Einbezug der Gegenständlichkeit und um den Rückbezug zu den Objekten der „gewohnten Umgebung“. Intermedialität spielt sich, wie Irina O. Rajewsky dargelegt hat, in mindestens drei Möglichkeiten des Umgangs mit Medien ab, die häufig gemeinsam auftreten: erstens in der Medienkombination, zweitens in einem Medienwechsel und drittens in der Entstehung von „intermedialen Bezügen“.710 Für unser Beispiel ist allerdings zunächst zu klären, welches die relevanten Medien, die zusammenkommen, sind. Geht man davon aus, dass als Medium das aufgefasst wird, was man in einer bestimmten Situation gebraucht, so ist es in diesem Fall einerseits das filmische Medium, das die Bilder präsentiert.711 Andererseits sind es die Bilder selbst, die nicht nur ihre Konnotationen oder mögliche Kontexte mittransportieren, die im Wahrnehmungsprozess „aufblühen“, sondern auch für die Evozierung von Bezügen untereinander sorgen. Drittens sind es die Instrumente auf dem Konzertpodium, mit denen Klänge und Geräusche produziert werden. Es sind ferner die Musiker, die das Konzept von Bauckholt vermitteln und die Partitur realisieren. Schließlich sind es die Klänge selbst, die als Geräusche ebenfalls Assoziationen hervorrufen und nicht zuletzt den zeitlichen Fluss akustisch gestalten. Versteht man 709 Vgl. Partitur, S. 11: dieser „Akkord“ saust dort von der Bühne herunter. Reste des „Gelben“ gibt es im Video-Trio zum Beispiel durch eine unvermittelt auftauchende Gruppe von Zitronen. Vgl. zu Kandinsky F. Späth, Die Idee des Musiktheaters bei Wassily Kandinsky: Der gelbe Klang; vgl. auch J. Ashmore, Sound in Kandinsky’s Painting. 710 Siehe I. O. Rajewsky, Intermedialität, S. 15–18. 711 Zu diesem „pragmatischen Medienbegriff“ vgl. Arbeitsgruppe „Medien“, Über das Zusammenspiel von „Medialität“ und „Performativität“, in: Praktiken des Performativen.

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„Intermedialität“ als Fusion der verschiedenen Medien, so findet diese in In gewohnter Umgebung III in unterschiedlichen Formen statt, wie in den folgenden Beispielen nochmals deutlich wird. Zu den genannten Konzepten von „Intermedialität“ bei Rajewsky wird dabei auf das Verständnis von „musical multimedia“ zurückgegriffen, das Nicholas Cook eingeführt und dargestellt hat.712 Letzteres ist hier vor allem deshalb anwendbar, weil es auf die musikalische Verwendung von Geräuschen zutrifft. Gerade dann ist deutlich: „music deals [...] with responses – that is, with values, emotions, and attitudes. […] Music, then […] is a source of meaning.“713 Bei einem Gebrauch von Musik in multimedialen Konstellationen sind Cook zufolge drei mögliche Verhältnisse der Komponenten untereinander zu berücksichtigen: zum einen ist es „conformance“ (im Sinne von Entsprechung), zum anderen „complementation“ (im Sinne von Ergänzung), drittens „contest“ (im Sinne von Wettbewerb oder Widerstreit).714 Diese drei möglichen Dispositionen können mit „intra-“ und „intermedialen Bezügen“, wie sie Rajewsky beschreibt, verglichen werden. Solche Bezüge lassen sich ihr zufolge aus „Systemreferenzen“ ableiten, die Rajewsky in „Systemerwähnung“, „Systemaktualisierung“ und „Systemkontamination“ unterteilt.715 Referenzen sind erstens als Rekurse, als Erwähnungen zu sehen, die für die Konstituierung des intermedialen Produkts nur beiläufig von Bedeutung sind. Zweitens geht es um aktualisierende, reproduzierende Referenzen, bei denen das eine „System“ (gemeint ist ein semiotisches System) im anderen imitiert, simuliert oder transformiert aufgerufen wird. Stellt man sich „Systeme“ auch als Erfahrungs- und „Interpretationswelten“ vor, so kann die Wahrnehmung einer „multimedialen“ künstlerischen Arbeit einbezogen werden.716 Dann lässt sich auch mit einem erweiterten Zeichenbegriff operieren, bei dem die Zeichenhaftigkeit einer Systemkomponente an ihre Einbindung in Praktiken geknüpft ist, „Zeichen haben von sich aus keinen festen Bezugsgegenstand und keine feststehende Bedeutung. Referenz und Bedeutung gewinnen ihre Bestimmtheit nicht unabhängig von den sie spezifizierenden Prozeduren und Praktiken eben solchen Bestimmens. Sie bringen diese nicht schon vorab fertig und intrinsisch mit.“717 Bauckholts Trio ist ein gutes Beispiel dafür zu analysieren, wie im Verlauf der Aufführung Kohärenzen und Bedeutungen entstehen, obwohl oder gerade weil die verschiedenen Komponenten der Aufführung eigene Informationen und Kontexte indirekt bereits mitbringen – auch wenn diese, zum Beispiel als „Klangobjekte“, ihre Eindeutigkeit verloren haben.

712 Vgl. N. Cook, Analysing Musical Multimedia. 713 Ebenda, S. 22. 714 Siehe ebenda, S. 98ff., dabei beruht „conformance“ auf Ähnlichkeiten, „complementary“ und „contest“ auf Differenzen der Komponenten. 715 I. O. Rajewsky, Intermedialität, S. 66ff., vgl. Schema S. 157, ausgehend von linguistischen und literaturwissenschaftlichen Thesen Franz Penzenstadlers. 716 Vgl. dazu G. Abel, Interpretationswelten. 717 Siehe ebenda, S. 210.

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Wenn man annimmt, dass „Geräusche“ oder „Lärm“ ein „Erfahrungssystem“ darstellt, dann ergeben sich zwischen Geräuschen der Vorgänge im Film (Videoton) und des Films und Geräuschen der Instrumente und Musiker vielfältige Ähnlichkeiten („conformance“). Die Tatsache, dass Instrumente und menschliche Stimmen prinzipiell nicht nur distinkte Töne erzeugen können, sondern auch eine breite Vielfalt von Geräuschen, ist hier grundlegend. Die Ähnlichkeiten erstrecken sich bis auf die Vergleichbarkeit von Klangspektren (Obertonspektren), die zwischen Film (Videoton) und Instrumentalklängen und Stimmen zu Entsprechungen, Verdopplungen, Imitationen führen und somit eine enge Verflechtung erzeugen. Ein Beispiel in Bauckholts Stück ist etwa T. 192 „Luftballon aufblasen“ (synchron wird im Cello und Klavier das Aufblasen imitiert). Wechselt man von der Ebene der Geräusche auf das übergeordnete Gebiet von Klang und Schall als zu strukturierendes und in der Zeit zu gestaltendes Material, so ist dies mit dem kontinuierlichen Trägermedium und Lieferanten der Bilder (dem Videoband) vergleichbar („complementary“). Die Materialität und Herkunft beider Komponenten ist zwar verschieden, doch die Gestaltbarkeit von Klang und Bild in der Zeit, zum Beispiel ihre Rhythmisierung, verbindet sie. Dabei ist es im Prinzip unerheblich, um welche Klänge und Bilder es sich handelt (es können abstrakte Bilder sein, es können Klänge sein, die keine Referenzialität zur „Umgebung“, nichts Anekdotisches, aufweisen). Hierin ergänzen sich die differenten Ebenen Bild und Klang und bilden „intermediale Bezüge“ aus. Beispiele aus Bauckholt sind T. 197 bis 214 verschiedene Bilder des wippenden Brötchens, die schließlich durch eine kippelnde Teekanne abgeschlossen werden. Zwischen dem Auftauchen des Brötchens spielen Cello und Klavier jeweils unterschiedliche Wipp-Figurationen (Wiederholungen von unterschiedlichen Wechselnoten-Motiven mit großen und kleinen Intervallen, abwechselnd Töne und Geräusche, Vibrato). Es geht hier nicht um eine Imitation des Wipp-Geräusches, sondern um die Bewegungen des Wippens beziehungsweise die unterschiedlichen Bewegungsrhythmen, die die Passage durch das Auftauchen der Bilder strukturieren. Daher ist auch eine imaginäre Fortsetzung entweder der Klänge oder der Bilder möglich. Bild und Klang bilden Gegensätze aus, wie etwa in Bauckholts Einsatz von Wassergeräuschen parallel zu der im Film gezeigten „Elena“-Szene (T. 105ff.). Doch die Wassergeräusche werden mit den Geräuschen des Schneidens von Papier, mit dem Zerreißen der Blätter, mit dem Schreibvorgang, mit der Aussage „Non!“ rhythmisch gekoppelt. Zugleich schaffen die Wassergeräusche – als klangfarblicher Kontrapunkt – eine Verbindung zu den vorhergehenden Prozessen von Wassertropfen – Wasserstrahl – Wassertropfen. Hier wird also eine formale Kohärenz auf Grund der Erinnerung an die Wasserabläufe hergestellt. „The term ‚contest‘ is intended to emphasize the sense in which different media are, so to say, vying for the same terrain, each attempting to impose its own characteristics upon the other.“718 Auch das Brötchen auf der Wärmflasche ist ein Kontrapunkt – bildlich, farblich und objektbezogen (nur auf der Ebene der Bilder). Doch das Brötchen kann sich in der Erinnerung mit dem Toaster zu einer kontextuellen Einheit ver718 N. Cook, Analysing Musical Multimedia, S. 103.

4.3 Wandelkonzerte und Klangsituationen

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knüpfen. „Conformance begins with originary meaning, whether located within one medium or diffused between all; contest, on the other hand, ends in meaning. […] conformance tends towards the static and the essentialized, whereas contest is intrinsically dynamic and contextual.“719 Die Korrespondenzen zwischen den Medien in Bauckholts Stück sind damit sicherlich noch nicht erschöpft. Es kommt hinzu, dass es im Film und außerhalb des Films zwei Akteure gibt, die unterschwellig einen Austausch nahe legen oder Interaktion suggerieren, wie etwa in der Szene mit den Streichhölzern. Daneben sind, ähnlich wie im oben angesprochenen Wechselspiel zwischen Glühbirne und Klarinette, „intermateriale“ Bezüge vorhanden, etwa im Vorgang des Glühens des Toasters oder im Garen von Eiweiß in der Pfanne. Hier nimmt die Produktion der Instrumentalklänge Züge der Vorgänge im Inneren des glühendes Metalls oder im Prozess der Veränderung des Aggregatzustands von Eiweiß unter Hitzeeinwirkung an. Ein anderes Spiel mit der Einbringung gerahmter „bewegter Bilder“ in den Konzertkontext hat sich mit dem Gebrauch der Videokamera und mit der Gleichzeitigkeit von Aufnahme und Wiedergabe in der Aufführungssituation ergeben, wie bereits im Zusammenhang mit Schnebels Maulwerken erläutert wurde. Auch in Globokars Laboratorium kann die Kamera eingesetzt werden. Insofern ist die Kombination der Live-Situation mit ihren medial repräsentierten Bildern im Konzert keine aktuelle Erscheinung, aber die Funktion der Bilder hat sich teilweise geändert. Während in den 1960er und 1970er Jahren die live-gefilmten Bilder überwiegend als Dokumentation, „Verdoppelung“ und Vergrößerung oder Mikroskopierung der Vorgänge einbezogen wurden, wird die „Kopie“ in aktuellen Projekten eher bearbeitet und dem „Original“ kontrastierend gegenübergestellt.720 Die medialen Bilder werden beispielsweise angehalten, verzögert, übereinandergeblendet, das Gefilmte somit in völlig veränderten Perspektiven gezeigt. Damit entsteht keine gerahmte Mikroskopierung der Situation, obwohl dies nicht ausgeschlossen wird, sondern häufiger eine graduell abgestufte Loslösung der Bilder von ihrem Ursprung.721 Die Bearbeitung der Videobilder – und dies ist tatsächlich eine Entwicklung der 1990er Jahre – kann in der Live-Situation vorgenommen werden und zeigt vor allem unter Hinzuziehung des Computers beziehungsweise bestimmter Software Verfahren, die dem Umgang mit Klängen und Aufzeichnungsmedien in der Live-Elektronik gleichen. Bilder können beispielsweise wie Musik gescratched werden. „Das Scratching-Verfahren manipuliert Reversibilität und Variabilität von Vorwärts- und Rückwärtsgeschwindigkeit der visuellen Bewegung“.722 719 Ebenda. 720 Dies hat nicht nur, aber sehr viel mit dem Übergang von analogen zu digitalen Medien zu tun, vgl. J. Schröter, Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum?, S. 7–30. Vgl. auch J. Gerlach, Video im Konzert = Videokonzert, sowie Video Culture. A Critical Investigation. 721 Zu den technisch-apparativen Voraussetzungen der elektronisch erzeugten Videobilder im Unterschied zu Filmbildern vgl. Y. Spielmann, Video. Das reflexive Medium, S. 78–96. „Das elektronische Bild weist gegenüber dem filmischen Verfahren der Aneinanderreihung von Bildern einen innerbildlichen Zeilenaufbau auf“ (S. 82). 722 Y. Spielmann, Video. Das reflexive Medium, S. 302. Vgl. auch R. Armes, On Video, S. 198ff.,

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4. Präsentation und Inszenierung von Klang

Betrachten wir zunächst die „einfache“ Verdopplung eines Vorgangs durch seine Aufnahme und Wiedergabe im Konzert, beispielsweise in dem Stück Kämpfende Hände von Erwin Stache für einen Pianisten und Live-Kamera (erste Version 1993, zweite Version 2000). Bei diesem „Aktionsstück“ ist eine Kamera auf die Tastatur gerichtet. Der Pianist oder die Pianistin führt nach einem Text Spielanweisungen aus, mit denen über die Hände Regie geführt wird. Die Hände vollführen eine Art Tanz nach choreographischen Instruktionen (vier Abschnitte sind betitelt mit: „Die Hände stellen sich vor“, „Durchdringung der Hände“, „Das Getriebe“, „Der Kampf“). Sie werden mit der Kamera aufgenommen und auf eine Leinwand projiziert. Die Pianisten haben somit eine optische Kontrolle der Spielbewegungen, die allmählich in eine aggressive Auseinandersetzung übergehen. „Eine Kamera ist rechts neben der Klaviatur so aufzubauen und einzustellen, daß der Tastenbereich vom tiefsten Ton bis zum kleinen Gis zu sehen ist. [...] Im Hintergrund befindet sich die Projektionsfläche. Das Bild wird direkt live übertragen. Der Raum ist abzudunkeln. Lediglich ein für die Aufnahme notwendiges Licht muß auf den Tasten eingerichtet sein.“723 Es wird deutlich, dass der „Kampf“ der Hände in einen Rahmen gefasst wird und dadurch erst als solcher – isoliert vom übrigen Körper, räumlich abgehoben und vergrößert – explizit wahrgenommen werden kann. Es findet demnach eine „mediale Inszenierung“ des Geschehens im Sinne einer auffälligen Herausstellung, einer szenischen Darbietung der beiden Hände und ihres Kampfes statt.724 Aus dem Live-Spiel am Klavier wird demnach gleichzeitig ein Film, dessen Bildinhalte und Dramaturgie die Musiker sowohl erzeugen als auch kontrollieren. Für das „Getriebe“ schreibt Stache vor: „Wie ein Trommelwirbel bewegen sich die Hände über den für die Kamera sichtbaren Bereich der Tastatur. Hierbei sollte direkt mit dem projizierten Bild gearbeitet und auf möglichst gute Bildeffekte geachtet werden. Die Bewegung der Hände muß so schnell sein, daß ein Stroboskopeffekt entsteht. Danach drängt die flach aufgestellte linke Hand die rechte Hand vor die Klaviatur, so daß diese aus dem Bild verschwindet.“725 Die im Video gezeigten Hände sind daher die Hauptakteure dieses Stücks. Die „Video-Präsenz“ der Hände soll daher nicht mit der Präsenz der Musiker konkurrieren, sondern eindeutig favorisiert werden. Für das Publikum entsteht eine Nähe zum Geschehen, die seine Zeugenschaft quasi zu Voyeurismus wandelt. Andererseits entrückt der LiveKörper und damit die Quelle dieser Bilder. Sie werden aber durch ihre ständige, technische Aufrechterhaltung und Neu-Produktion durch die Kamera an den LiveVorgang stets wieder angeschlossen.726 Betrachtet man die Medialisierung als Erzeugung und Hinterlassung einer Spur des Vorangegangenen im Medium, so be-

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Bearbeitungsverfahren von Video zeigen: Video ist nicht „a simple rendering of the real world or an uncomplicated ‚mirror image‘ of it“ (ebenda, S. 199). Vgl. Ausschnitte aus der Partitur: www.erwin-stache.de/konz_akt/haende/haende.htm (ges. 30.12.2012). Vgl. dazu M. Seel, Inszenieren als Erscheinenlassen. Thesen über die Reichweite eines Begriffs, S. 49f. Partitur: www.erwin-stache.de/konz_akt/haende/haende.htm (ges. 30.12.2012). Vgl. dazu J. Baudrillard, Videowelt und fraktales Subjekt, S. 119f.

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deutet die stetige Fortschreibung dieses Akts die kontinuierliche Erzeugung von Präsenz (des Video-Bildes). Der Pianist oder die Pianistin muss sich insofern auf die Erscheinung der Hände in der Videoprojektion konzentrieren, denn dies tritt in der Aufführung an die Stelle seines oder ihres Körpers am Klavier. Darin liegt sicherlich auch der Unterschied zur dokumentarischen Verwendung von Video, bei der die Konzentration auf das eigene Tun Vorrang hat, bei der das entstehende Video-Bild berücksichtigt werden kann, aber nicht muss. Entsteht Kämpfende Hände erst mit der Produktion des Films, so ist die Anordnung in Susanne Stelzenbachs zweiteiligem Handmade (2001/2002) für Inside Piano und drei Videoplayer umgekehrt. Hier sind es bereits vorgefertigte Aufnahmen von Bildsequenzen, zu denen am Klavier und im Klavier auf den zum Teil präparierten Saiten die Produktion von Klängen hinzukommt.727 Die Korrespondenz der Aktionen zu den Bildern in diesem Stück unterscheidet sich von Bauckholts Trio auch insofern, als die Bilder bei Stelzenbach keine Alltagsgegenstände zeigen, sondern das Spiel am Klavier reflektieren. „Die Videomonitore zeigen Hände auf den Tasten eines Klaviers, in drei unterschiedlichen Positionen. Scheinbar reglos versuchen diese Hände in minimalen Bewegungen verborgene Melodien nachzuspüren, sich an Musik zu erinnern oder sie zu antizipieren.“728 Die Live-Aktionen eines Musikers sind demnach als Reaktionen auf die Bilder zu bezeichnen. „Dieses ‚Spiel‘ [der Hände in der Videoprojektion] wird immer wieder durch das Schließen des Klavierdeckels bei getretenem Pedal beendet und dann erneut begonnen. Die durch den Aufprall des Klavierdeckels in Schwingung versetzten Saiten verklingen als Cluster über den ganzen Tonbereich und bilden den Ausgangspunkt für die Aktionen des live Inside Pianos“.729 Somit wird die mediale Ebene in den Live-Aktionen fortgesetzt beziehungsweise die Live-Entstehung von Klang hervorgekehrt, weil die „Geschichte“ des Videofilms es nahe legt, dass dort Klang nur angedeutet und erinnert wird, nicht aber sich „verwirklichen“ kann. Man könnte die Szene so interpretieren, dass sie auf die im Prinzip immer zweitrangige Speicherung von Musik auf und durch Medien kritisch reagiert und darauf aufmerksam macht, wie eindrucksvoll ein „wirklicher“ Cluster an einem großen Flügel klingt. Doch Medienkritik ist sicherlich nur ein Teil- wenn nicht ein nebensächlicher Aspekt des Stücks. Das Zuschlagen des Klavierdeckels und die mächtige Klangwolke ertönt bereits im Film und wird dann durch das LiveKlavierspiel verschieden gefärbt. „Die einzelnen Aktionen des inside-pianos sollen sich unmerklich aus dem Nachklang des zufallenden Klavierdeckels auf den drei Videotracks entwickeln. Beim Aufschlaggeräusch eines Deckels wird die jeweilige Aktion unterbrochen. Während des gesamten Stückes bleibt das rechte Pedal getreten.“730 Motivisch und dynamisch schiebt sich das Live-Spiel im ersten 727 Die drei Videobänder entstammen einer Videoinstallation mit dem Titel agieren – reagieren (August 2002). Vgl. S. Stelzenbach, Handmade, Vorwort, Partitur, Berlin (2002). Ich danke Susanne Stelzenbach für die Übersendung der Partitur und für den Austausch darüber herzlich. 728 S. Stelzenbach, Erläuterungen zu Handmade, Berlin 2005. 729 Ebenda. 730 S. Stelzenbach, Handmade, Vorwort, Partitur.

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Teil des Stücks bei jeder Aktion näher an den Klaviercluster aus dem Film heran, bis es ihn nahezu verdoppelt. Im zweiten Teil werden aus der Klangmasse Einzeltöne im Inside Piano hervorgehoben. Beim letzten Klavierdeckelschlag bleiben Geräusche und unregelmäßige Pizzikati auf tiefen Saiten des Klaviers zurück. Medienkritik wird nun vollends zurückgestellt durch die Tatsache, dass die Klänge, die im Flügel erzeugt werden, mit Mikrophonen aufgenommen, leicht verstärkt und über vier Kanäle im Raum verteilt werden. „Die Live-Elektronik soll das inside-piano im Klangcharakter nicht verfälschen. Vielmehr sollen die live-elektronischen Veränderungen kleine Irritationen beim Zuhörer hervorrufen und den LiveKlang mit den drei Audiospuren der Videos verbinden. Ziel ist ein transparentes und plastisches Klangbild im Raum.“731 So wird demnach der relativ gerichtete Klang aus dem Film in den Live-Klängen verlängert und gefärbt, einzelne Klänge werden herausgefiltert und anschließend durch die Lautsprecher im Raum als „Raumklang“ distribuiert. Es ist demnach ein anderes Erklärungsmodell zu entwerfen: Musiker und Flügel als Klangproduzenten wären demnach die zentralen Medien des Stücks, die als Werkzeuge, aber auch als Dispositive des Operativen die verschiedenen technischen beziehungsweise elektronischen Ebenen „vermitteln“. Sie „doubeln“ die Abläufe des Films und produzieren Klänge zur Raumklanginszenierung. Sie schaffen eine Extension des Bildes und des Klangs in den „realen Raum“ und entfernen damit auch den „Rahmen“ (der Videoprojektion), sorgen jedoch auch dafür, dass diese Extension nicht bei ihnen Halt macht, sondern in den gesamten Raum ausstrahlt. Aus einer ursprünglichen Videoinstallation wird im Konzert „Raummusik“, die alle Sinne anspricht sowie das Publikum in die Klangwolke des Clusters ganz einhüllt.732 Umgekehrt könnte man auch sagen – um die immersive Wirkung der Klänge und zugleich eine gewisse Responsivität des Geschehens zu betonen (auch durch die Wiederholungen) –, dass Musiker und Flügel samt Publikum in den Videoklang hineingesogen werden. Damit wäre das „Verschwinden“ des Medialen der Situation zugunsten der Live-Situation verbunden. Das heißt, in der Wahrnehmung der Aufführung kann es unerheblich sein, dass die Ereignisse durch verschiedene Medien „vermittelt“ und inszeniert werden, denn sie entwickeln sich zu einer Einheit. Stelzenbachs Handmade steht somit in einem Spannungsfeld zwischen „looking at“ und „looking through“, weil das Stück, ähnlich wie eine Collage, Möglichkeiten der differenzierten Wahrnehmung offen lässt: „Wenn der Zuschauer beispielsweise vor einer Collage steht, schwankt er zwischen dem ‚looking at‘ auf die einzelnen Papierstücke und auf die Farbe auf der Fläche des Bildes und dem ‚looking through‘ auf die dargestellten Objekte, als würden diese einen wirklichen Raum jenseits der Oberfläche einnehmen.“733 Intermedialität resultiert 731 Ebenda. 732 Vgl. dazu F. Malsch, Das Verschwinden des Künstlers? Überlegungen zum Verhältnis von Performance und Videoinstallation. 733 J. D. Bolter u. R. Grusin, Remediation – Zum Verständnis digitaler Medien durch die Bestimmung ihres Verhältnisses zu älteren Medien, S. 29f., die Unterscheidung von „looking at“ und „looking through“ geht zurück auf R. Lanham, The Electronic World. Democracy, Technology, and the Arts.

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in Stelzenbachs Stück aus der Kombination verschiedener Medien, deren Differenzen wahrgenommen werden, aber auch – und dies ist signifikant – gerade durch die akustische, klangliche Ebene aufgehoben werden können. Diese Feststellungen und Thesen lassen sich an einem weiteren Beispiel noch aus einer anderen Perspektive erläutern. Hier zeigt es sich, dass die transgressive Wirkung von Klang auch auf Bilder zutreffen kann, wenn beispielsweise Klang und Bild generativ und transformativ gekoppelt werden. In Shintaro Imais Motion and Glitch Study (uraufgeführt am 27. Juni 2004 in Berlin), ein Auftragswerk des Festivals Inventionen, ist genau dies konzeptuell angelegt. Es kombiniert eine Tanzimprovisation, die im Aufführungsprozess von einer Kamera verfolgt und aufgenommen wird, mit einer Verbindung von Klang- und Bildgenerierung sowie -bearbeitung. „Im Verlauf des Stücks wird der Tanz auf der Bühne von einer digitalen Videokamera aufgezeichnet und dem Computer zugeleitet. Mit Hilfe der Bild- und Klangverarbeitungssoftware DIPS (Digital Image Processing with Sound) wird ein und dasselbe Videosignal vielfach verarbeitet und dann in Echtzeit auf die Leinwand projiziert. Die Parameter der Bildverarbeitung reagieren auf verschiedene Informationen aus dem musikalischen Teil, wie Tonhöhe, Lautstärke, Einschwingverhalten usw., um so das visuelle Bild auf der Leinwand eng mit dem Tanz und dem Klang interagieren zu lassen. Hauptthema des Stücks ist das Experimentieren mit dem Verhältnis zwischen graduellen und plötzlichen Veränderungen der tänzerischen Bewegung und der elektronischen Knackser und mit den dadurch modulierten visuellen Texturen.“734. Die Anordnung der Aufführungssituation lässt sich folgendermaßen beschreiben: Im Hintergrund der Bühne, die ein klassisches Frontalmodell sein sollte, befindet sich eine Projektionsfläche, die es ermöglicht, die Tänzerin im Bild zu verdoppeln (Angleichung der Größenverhältnisse). Die Tanzimprovisation findet also vor der Projektionsfläche statt, so dass sich die Live-Situation, die Bewegungen der Tänzerin, mit der Bildebene in der Wahrnehmung überlagern oder kontrastieren kann. Solche Anordnungen sind in der aktuellen Tanzperformance und im zeitgenössischen Tanztheater nicht selten anzutreffen. Dies ist demnach nicht der Clou des Stücks. Seine Besonderheit liegt vielmehr darin, dass die Bildgenerierung und Bildbearbeitung der aufgenommenen und projizierten Tanzimprovisation von klanglichen beziehungsweise musikalischen Kriterien bestimmt werden. Dabei ist die musikalische beziehungsweise klangliche Ebene des Stücks hauptsächlich durch die Videosignale der Kamera hervorgerufen und beeinflusst (es sind Impulse, Knackser, Impulsschwärme in verschiedenen Geschwindigkeiten, Geräusche, die überwiegend die Art und das Tempo der Körperbewegungen der Tänzerin hörbar machen). Durch die benutzte Computersoftware DISP wird beides – die Prozesse der Klang- und Bildgenerierung und -bearbeitung – verbunden. „In 1997 the development of the DIPS had started as a plug-in-software for the IRCAM’s FTS MAX on SGI computer at the Sonology Department, Kunitachi College of Music by Shu Matsuda, now, of the Digital Art Creation in Tokyo. It was ported to the IRCAM’s 734 Progammheft des Festivals Inventionen 2004, S. 28. (Dauer, ca. 25 Min.; Tänzerin: Kazue Ikeda).

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jMax environment in 1999 and released for both Max[c] OSX and Linux under the GPL License. In the ICMC [International Computer Music Conference] 2000 in Berlin it was first mentioned internationally. Later Mitsuyo Hashida, Daichi Ando, Chikashi Miyama, Yu Sakai, Yota Morimoto, and Takayuki Hamano joined the DIPS developing group supervised by Takayuki Rai at the Sonology Department. In 2005, the group started to port the software to Max/MSP environment according to completion of jMax development. [...] The DISP, ‚Digital Image Processing with Sound‘, is the set of Max objects that handles the real-time visual image processing events and the OpenGL functions environment. It enables the interaction between audio events and visual events in the Max patch, thus strongly supports composers and artists to realize the real-time interactive multimedia art. The DIPS objects include more than eighty OpenGL functions, VideoIn objects, various video effect objects, movie file handling objects, 3D model and particle handling objects, and so on. Since it doesn’t need to be compiled we can work heuristically in realtime.“735 Diese Informationen zur verwendeten Software lassen sich zwar für den unbedarften Leser zunächst nur mühsam entschlüsseln, geben jedoch erste Auskünfte über die Voraussetzungen der Disposition des Stücks. Dass beispielsweise DISP eine Erweiterung der Software „Max“ darstellt beziehungsweise von „Max/MSP“, bedingt vor allem eine bestimmte Art der Konfiguration der verschiedenen Operationen und Funktionen, die in diesem Stück zusammenwirken.736 Die einzelnen Funktionen werden gewissermaßen wie „Objekte“ definiert und behandelt sowie visualisiert, so dass diese Objekte wie ein Puzzle oder Stecksystem verbunden werden können. Es wird metaphorisch das Prinzip eines riesigen Schaltkreises oder Baukastensystems verwendet, der oder das beliebig zusammengesetzt und erweitert werden kann (die Beliebigkeit wird begrenzt durch das künstlerische Konzept und durch die Möglichkeiten der Software).737 Um demnach die kompositorischen Prämissen des Video-Tanz-Stücks von Imai zu ergründen, ist seine persönliche und individuelle, mithin exzeptionell für dieses Stück entworfene Konfiguration von Operationen und Funktionen der Software höchst relevant. Darüber erfährt jedoch der „normale“ Rezipient kaum etwas: es ist durchaus üblich, sich auf die ganz allgemeine Beschreibung der „Kopplung von Klang- und Bildgenerierung und Bildbearbeitung“ zu beschränken. Seine eigenen Erklärungen des Stücks überschreiten die Programmheftinformationen nur darin, dass er bekannt gibt. „The sound part was organized using the composer’s idiom ‚Sound Creature‘“.738 Letzteres wird im Kontext des Komponistenporträts folgendermaßen beschrieben: „As well as composing purely instrumental pieces, he has developed a real-time algorithmic sound-generating system by means of extended granular sampling techniques, which he called 735 Siehe http://dips.dacreation.com (aktualisierte Version ges. am 22.05.2009). Vgl. dazu S. Matsuda u. T. Rai, DIPS. The real-time digital image processing objects for Max environment, sowie S. Matsuda, C. Miyama, D. Ando u. T. Rai, DIPS for Linux and Mac OS X. 736 Vgl. dazu M. Supper, Elektroakustische Musik und Computermusik, S. 90f. 737 Vgl. R. Großmann, Die Spitze des Eisbergs. Schlüsselfragen musikalischer Laptopkultur, S. 5. 738 Siehe http://homepage.mac.com/shintaro_imai/mgs.html (zuletzt ges. am 22.05.2009).

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‚Sound Creature‘. His music is related to the organization of microscopic movements of noise inherent in any given natural sound.“739 Musikalisch ist das VideoTanz-Stück demzufolge von der klanglichen Granularsynthese und Granularbearbeitung bestimmt, das heißt – ähnlich wie in den Arbeiten von Agostino Di Scipio –, es wird mit feinen Klangpartikeln oder „Klangstaub“ gearbeitet, die keine Melodien oder Akkorde ausbilden, sondern – wie oben erwähnt wurde – eher rhythmisierte Klangimpulse, Knackser beziehungsweise Geräuschanteile. „Ähnlich wie bei den Einzelbildern im Film, die durch ihren sequentiellen Ablauf ein bewegtes Bild ergeben, entsteht bei der Synthese mit Klangquanten ein neuer Klang durch Aneinanderreihung elementarer Einzelklänge. Die Elementarklänge werden als grains oder granules (Klangkörper) bezeichnet und haben eine Dauer von 5–20 ms. Innerhalb eines grains können die Wellenform, die Frequenz und die Amplitude verändert werden.“740 Die Verbindung also zwischen Klang und Bild wird auf dieser Mikroebene angelegt, wobei das Videosignal der Kamera vermutlich in den Prozess der Granularsynthese und Granularbearbeitung des Klangs integriert wird. Dies hat zur Folge, dass auch das projizierte Bild der Tänzerin als Bild aus feinsten Bestandteilen behandelt wird, die sich laufend minimal, in unmerklichen Übergängen verändern. So variiert das Bild zwischen der beinahe exakten Wiedergabe des Körpers und der Bewegungen der Tänzerin und einem Bild, das in Auflösung begriffen ist, auf dem allenfalls geringe Schattierungen oder Abstufungen von Grau erscheinen, die jedenfalls die Gegenständlichkeit des Bildes mehr oder weniger auflösen können. Das Bild bringt sodann quasi ein bestimmtes Rauschen zur Darstellung, die Visualisierung eines „gefärbten“ Geräuschs. „Intermedialität“ ist demnach auf der Ebene der Operationen des Programms angelegt, wobei deren Resultate nicht zwingend korrespondieren. Klang und Bild können auch sehr different sein. „Wenn heute ganz selbstverständlich von ‚akustischem Design‘ oder ‚KlangbildImage‘ die Rede ist, wird auch terminologisch klar, daß die Prinzipien der Gestaltung von Medienprodukten und von Medien‚werkzeugen‘ in der Alltagspraxis bereits die Bereiche Bild, Ton und Text übergreifen. Erste Versuche zur Beschreibung der technisch intermedialen Prozesse spiegeln sich in Formulierungen wie ‚technikvermittelte Synästhesie‘, ‚funktionale Synästhesie‘ und ‚Mediensynthese‘ wider, die sich z.Zt. am Rande des Mediendiskurses bilden.“741 In der Wahrnehmung von Imais Stück entsteht eine gewisse Analogie von Klang und Bild, wobei sich das Bild und die Metamorphosen der Bilder der Tänzerin allmählich vor ihren Körper und vor ihre Präsenz stellen (das ist ein Effekt, den ich hier nur subjektiv beschreiben kann, der auf andere „Hörbetrachter“ nicht zutreffen muss).742 Es trennt sich demnach die Ebene der Tänzerin als Medium der Auslösung von Videosignalen von der Klang-Bild-Ebene, die eine enge Verflechtung zeigt. Der anwesende 739 Ebenda. 740 M. Supper, Elektroakustische Musik und Computermusik, S. 159, vgl. auch ebenda, S. 59f. (Granularsynthese ist eine „horizontale“ Klangsynthese). 741 Vgl. R. Großmann, Farbklavier, Oszilloskop, Sequencer, S. 117. 742 „Hörbetrachter“, ein Begriff, den der Komponist Manos Tsangaris geprägt hat, vgl. dazu Tsangaris, Entfranst, geklärt, bezogen. Antworten von Manos Tsangaris, S. 17.

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Tänzerkörper wird in der Wahrnehmung einerseits von der Klang-Bild-Ebene losgelöst, andererseits finden Rückkopplungen zwischen dem sich bewegenden Körper vor der Projektionsfläche und den Bildern statt, sobald zwischen den verschiedenen Ebenen Kausalitätsverhältnisse erfahrbar werden. Dies muss bei solchen Projekten nicht immer gegeben sein.743 Die beiden zuletzt genannten Beispiele der Kombination von „Konzertmusik“ und Video oder Film sind tendenziell als intramediale Konstellationen und/oder „formale“ und „transformationale“ Intermedialität zu bezeichnen, wobei Imais Stück auch interaktiven Charakter hat (auf Grund der gegenseitigen Beeinflussung von Tanz, Bild und Klang).744 Diese Zusammenstellungen von Klang und Bild treten jedoch noch zurück hinter einer in den letzten Jahren merklich angestiegenen Zahl von Konzertprojekten, in denen schlichtweg live gespielte oder elektroakustische Musik mit Filmen oder Videos unterschiedlichster Art zusammengebracht wird. Die Filme rangieren zwischen einer Visualisierung von Klang bis hin zu Bebilderungen von Musik, die auch den Aufführungsraum als Installation gestalten können (mehrere Leinwände im Raum verteilt). Häufig entstehen sie aus einer Kooperation zwischen Komponisten, Musikern und Video- beziehungsweise Medienkünstlern. Die Filme sind demzufolge oft von der Ästhetik der zuletzt genannten Künstlergruppe geprägt, die sich Komponisten gezielt auswählen. Hier findet also eine interdisziplinäre Zusammenarbeit statt, die ihre Vorläufer in der Popmusik und in der Clubkultur hat, in der künstlerisch gestaltete Videoclips nicht selten den Verkaufserfolg der Musik initiierten oder zusätzlich enorm zu steigern vermochten. Mittlerweile ist zu beobachten, dass es sich hierbei nicht mehr um grenzüberschreitende Kooperationen im Sinne des sogenannten „cross-over“ handelt, sondern dass Künstler eher zwischen verschiedenen Kompetenzen „umschalten“ oder die künstlerischen „Sprachen“ wechseln, gerade bei der Berücksichtigung von Klang- und Bildbearbeitung. Die Arbeitsverfahren am Computer ähneln sich, das Denken über Klang und Bild beginnt sich allmählich zu überlagern, so dass inzwischen viele junge Künstler in beiden Bereichen arbeiten und für ein Konzertprojekt von Beginn an die Kombination und das Zusammenwirken von Film/Bild und Musik konzipieren und „komponieren“. Hierzu gibt es, wie erwähnt, so zahlreiche Beispiele, dass es einer gesonderten Studie bedürfte, diesen neuen Entwicklungen im Konzert eigens nachzugehen. Daher können im vorliegenden Rahmen vorerst nur die grundsätzlichen Tendenzen angesprochen werden. Sofern es beispielsweise – im weitesten Sinne – um Analogien zwischen Bild und Klang geht, ist es vor allem der Rhythmus, der die beiden Ebenen verbindet. Dabei sind in der Tat „Bewegungen“ im Bild beinahe zwingend, ob es sich nun um Körperbewegungen, Bewegungen von abstrakten Objekten oder von Oberflächenphänomenen handelt. Ein Beispiel hierfür ist etwa Stone Lion (1990), eine Klangkomposition des Komponisten Sukhi Kang zu einer zehn743 Vgl. dazu auch M. Leeker, Maschinengeräusche. Töne, Klänge und Geräusche in Installationen und Performances in den achtziger Jahren und um 2000. 744 Vgl. J. Schröter, Intermedialität. Facetten und Probleme eines aktuellen medienwissenschaftlichen Begriffs.

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minütigen Arbeit des Video- beziehungsweise Medienkünstlers Robert Darroll von 1990.745 Hier werden elektronisch bearbeitete und gesampelte Flötenklänge mit zumeist abstrakten Graphiken zusammengebracht, die hauptsächlich rhythmisch korrespondieren. „Die Klänge stammen ausschließlich von der Flöte, gespielt von Beate Gabriela Schmitt. Die Klangkomposition und -manipulation wurde in einer hybriden Arbeitsweise mit dem ‚Synclavier II‘ und dem Analogsystem ‚SynLab‘ erstellt.“746 Bei den rhythmisch bewegten Graphiken handelt es sich überwiegend um objekthafte Figurationen, die Fraktalmotiven und zum Teil Vexierbildern von M. C. Escher gleichen, wobei sie häufig verschiedene Schichtungen aufweisen. Darroll beschreibt den Film folgendermaßen: „The portrayal of individuals is not limited to the mere naturalistic reproduction of physical appearances. The life of the subject is a dynamic flowing process in time and this composition attempts to retrace the individual process of evolution by translating the consecutive phases of his existence into rhythmic sequences of forms and colours. The main body of the composition is dominated by strong rhythmic sequences based on elements which are irregularly varied by slight extensions and contradictions. The rhythmic elements are correlated to chromatic shifts in the main themes.“747 Dabei überlagert und kombiniert Darroll photographische Elemente, videobestimmte Sequenzen und animierte Computergraphiken, eine Technik, die zu Beginn der 1990er Jahre gerade erst entdeckt wurde. Eine Beschreibung der Klänge sei angefügt, um die Möglichkeiten der Korrespondenzen mit der Bildebene aufzuzeigen: Lange Flötentöne (tief, hoch) mit großem Rauschanteil; kurze Flötentöne (hoch), die perkussive Wirkung haben; rhythmische und melodische Motive; Klanggesten, die von der Art des Ansatzes und des Blasens herrühren; Übereinanderlagerung von verschiedenen Samples (Ton- und Motivwiederholungen); Verhallung von Flötentönen; Klänge, die nicht mehr als Flötentöne erkennbar sind; nur Rauschen; regelmäßige, mechanisch wirkende Impulse (wie Maschinenklackern); elektronisch klingende Impulse (wie Signale).

745 Kang ist seit 1982 Professor an der Nationaluniversität Seoul, Darroll seit 2003 als Professor an der Nagoya University of Art and Science (Japan). Die Kooperationsarbeit Stone Lion entstand am Elektronischen Studio der Technischen Universität Berlin (gemeinsam mit Folkmar Hein), vgl. DVD 50 Jahre Elektronisches Studio TU Berlin, Electronic Music Foundation und TU Berlin 2005 (EMF DVD 054). 746 CD/DVD-Booklet, ebenda. 747 http://www.iotacenter.org/program/publication/darroll/statements (aktualisierte Version ges. am 30.12.2012).

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Filmbeschreibung Robert Darroll, Stone Lion: Intro mit einem Kreis und Fadenkreuz, das sich in die Mitte zu einem kleinen Rechteck zusammenzieht (Zentrum) I In der Mitte befindet sich ein kleines Quadrat, in das Partikel von allen vier Seiten einzufließen scheinen (Bewegungsfluss in Richtung Zentrum). In den vier Ecken des Bildes werden Rechtecke eingeblendet, die abwechseln mit stilisierten, gehenden Menschen und flackernden, geometrischen Zeichen gefüllt sind. Vor dem Hintergrund der kleinen, ins Zentrum fließenden Partikel erscheinen animierte graphische Objekte, die sich in symmetrischen Formationen bewegen und stilisiert zu tanzen scheinen. II Ein Wechsel zeigt unscharf Steine und Wasser (photographisch), Wellenformen werden als Graphiken davon abgeleitet. Eine große Vielzahl von verschiedenen graphischen Objekten „tanzen“ in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Richtungen. Es werden mehrere Schichten übereinander gelagert: wechselnder, einfarbiger Hintergrund, graphische Objekte, kleine weiße Punkte. Darüber hinaus erscheinen manchmal sehr regelmäßig, mechanisch sich bewegende graphische Objekte, die an Achsen gespiegelt werden (Kippfiguren, das Kippen rhythmisch regelmäßig). Gitternetze entstehen als Hintergrund, die mit Unterteilungen unterschiedlicher Art erscheinen. In den Gitternetzen werden Kästchenfiguren bewegt. Die wechselnden Farben und Kontraste schaffen mit den sich bewegenden Objekten einen polyrhythmischen, komplexen Abschnitt. III Eine Figuration bleibt reliefartig im Bild und wird abwechselnd als Vorder- und Hintergrund gezeigt sowie in Kontrasten unterschiedlich belichtet. Eine Variation von II entsteht, die durch den Wechsel von Bewegung und Stillstand charakterisiert ist. IV In der Mitte erscheint ein Rechteck, das sich gegen den Außenrahmen abhebt, zunächst als schwarzes Rechteck mit undeutlicher, weißlicher Umgebung. Sobald Figurationen und Graphiken eingeblendet werden, fungiert das Rechteck als Lupe. Das Rechteck wechselt zwischen schwarz und weiß und bildet allein als weißes Rechteck vor dunklem Grund den Schlusspunkt.

In Stone Lion überwiegen nun tatsächlich die Analogien und Entsprechungen von Klang und Bild, auch wenn es mitunter zeitliche Verzögerungen gibt oder auf Grund komplexer Vorgänge Übereinstimmungen nicht mehr deutlich wahrgenommen werden können. Beispiele der Engführung von Klang und Bild sind etwa: die Bewegung von Mustern und Objekten als Parallelen zu lange gehaltenen Tönen und Rauschen (eine Abbildung des Zeitverlaufs); die Analogien von mechanischen Rhythmen und Wiederholungen in der Rasterung und Sequenzierung der Bilder; die klanglichen Gesten (Ansatz des Blasens, dynamische Gestaltung eines Klangs) werden durch animierte graphische Objekte „verdoppelt“; Klangimpulse „triggern“ Farbwechsel oder die Hervorhebung von Vorder- und Hintergrund; Rauschen

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wird durch „Objektschwärme“ oder durch fließende Muster visualisiert. Was allerdings interpretatorisch und wahrnehmungspsychologisch naheliegt, geht nicht grundsätzlich auf das produktive Verfahren bei der Entstehung von Stone Lion zurück. Folkmar Hein, der die Klänge zum Film montierte, berichtet: „In diesem Fall von stone lion wurde der Film von Robert fertig gemacht und ich habe dann eine Videokopie mit eingeblendetem Timecode erhalten: das war alles. Eine Absprache über irgendwelche Strategien zwischen Bild und Ton gab es NICHT!! Robert hat übrigens keinerlei Einfluss genommen, wir waren vollkommen frei. Die grafische Partitur [...] war dann Vorlage für die Programmierung! Allerdings haben wir, nachdem die Programme fertig waren, oft spielerisch und improvisatorisch produziert! Und eine wesentliche Erkenntnis war die, dass verschiedene Versionen der technischen Synchronisierung, die grobe Stützpunkte im Timing festlegten, immer zu verschiedenen, aber schlüssigen Synchron-Rezeptionen führten. Damit machte es Spaß zu spielen. Wenn sie sich den Film anschauen, werden sie daher immer wieder neue gemeinsame Akzente entdecken können. Das liegt wirklich an den optischen Zeitrastern von Robert – sehr mechanisch, aber immer in bestimmten Zeitintervallen.“748

Intermedialität ergibt sich in diesem Fall nicht auf der operativen Ebene der Medien, sondern in erster Linie auf Grund dessen, was die Medien vermitteln. Die Verknüpfung von Klang und Bild ergibt sich im Wahrnehmungsprozess vor dem Hintergrund intermodaler Verbindungen, die hier kaum herausgefordert werden, sondern denen das Stück entgegenkommt, vor allem hinsichtlich der rhythmischen und klangvisualisierenden Dimensionen. Insofern ist Intermedialität hier als „Transmedialität“ zu betrachten, weil es tatsächlich „Beziehungen zwischen Medien auf der Ebene (relativ) medienunspezifischer Strukturen wie Rhythmus, Serialität, Narration etc.“ gibt.749 Es ist insofern ein gelungenes Projekt der gegenseitigen Durchdringung von bewegten Bildern und Klang, vor allem auch deshalb, weil die abstrakte Bildebene kontextuelle Assoziationen nahezu ausschließt, so dass die Bilder eine enge Anlagerung an die Klangverläufe und -gesten vermitteln. Werden in einer Konzert-Installation mehrere Projektionsflächen im Raum genutzt, so ändert sich selbst bei einer relativ engen Verzahnung von Klang und Bild die Situation insbesondere dadurch grundlegend, dass sich die Konzentration des Rezipienten verteilt beziehungsweise abschwächen kann und eine gewisse Eigenbewegung des Zuschauers und Zuhörers hinzukommt. Zudem erhält der Raum und die Räumlichkeit ein eigenes Gewicht, das heißt die gesamte Aufführungssituation tritt stärker ins Bewusstsein.750 In der Popmusik und Clubkultur hat man diese Inszenierung des Aufführungsraums häufig dazu benutzt, die Tanzenden von allen Seiten auch visuell zu Bewegungen anzuregen. Gerade die rhythmischen Analogien sowie die Steigerung der Geschwindigkeit von bewegten Bildern und Klängen

748 E-Mail von Folkmar Hein an die Verf. vom 4. September 2006. 749 Vgl. dazu J. Schröter, Intermedialität, Medienspezifik und die universelle Maschine, S. 405. 750 Vgl dazu Chr. Katti, Projektionsverhältnisse des Performativen zwischen Kunst und Kultur.

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wurden in der DJ- und VJ-Szene (VJ bedeutet je nach dem „Videojockey“ oder „Visualjockey“) häufig als Animationsmittel benutzt.751 In installativen Konzertvideos, kombiniert mit Musik von einem Orchester oder Kammerensemble etwa, das heißt in einer Variante der traditionellen Konzertsituation, in der Musik mit Videos aufgeführt wird, haben die Bilder nicht die Aufgabe, die Rezipienten zum Tanz anzuregen, sondern vor allem die Musik visuell zu kommentieren. Es werden beispielsweise Bilder gezeigt, die das Publikum imaginär in andere Landschaften, etwa in urbane Räume, versetzen, oder inhaltliche Anknüpfungspunkte zwischen Musik und Bild bieten, wie zum Beispiel in Enno Poppes Interzone (uraufgeführt am 2. September 2004 bei den Berliner Festspielen, Video: Anne Quirynen). Hier waren acht Videoleinwände kreisförmig über dem Orchester angebracht, die wie ein Facettenauge wirken sollten. Über sie liefen wechselnde Bildsequenzen: „Im schnellen Wechsel flackern Häuser, Autos, Menschen auf – aus New York, Berlin und Bombay, aus den Interzonen dieser Welt.“752 Den umgekehrten Weg beschritt das Kammerensemble Neue Musik Berlin 2002 mit der „audiovisuellen Konzertmontage“ ode.fabbrica.mischwesen. Aufgeführt wurde eine Montage aus der Ode to Napoleon op. 41 für Streichquartett, Klavier und Sprecher von Schönberg, Nonos La fabbrica illuminata für Stimme und Tonband sowie Mischwesen von Helmut Oehring/Iris ter Schiphorst in einer bearbeiteten Fassung für Gebärdensprache, Trompete, Posaune, Tuba und SampleKeyboard. Die Stücke wurden durch eine Introduktion, Zwischenspiele und eine Coda ergänzt, dabei von Videoprojektionen auf drei großen Leinwänden begleitet (Video: Daniel Kötter).753 Es waren zumeist abstrakte Texturen zu sehen oder schemenhaft Szenen angedeutet, die Protestkundgebungen von Globalisierungsgegnern in Genua erahnen ließen. Hier saß das Publikum auf der geschlossenen Bühne des Hebbel-Theaters, deren gesamte Maschinerie zu sehen war und wie ein Fabrikraum anmutete. Die runden Hocker als Sitzgelegenheiten erlaubten Bewegungen nach allen Seiten des Raums. Beziehungen zwischen Musik und Videobildern waren kaum auszumachen, die Bilder zeigten – im Gegensatz zum Stück von Poppe – kaum inhaltliche Konkretisierungen. Direkte Beziehungen zwischen Bild und Musik wurden absichtlich vermieden. Insofern dienten die Videoprojektionen hauptsächlich dazu, die Fremdheit des Aufführungsraums und „Hörraums“ zu unterstreichen. Die erläuterten Beispiele der Nutzung von Video und Bildprojektionen im Konzert könnten vielfältig fortgesetzt werden. Immer ergeben sich bei den Kombinationen neue Nuancen der Verknüpfung von Musik und Bild, deren Fortsetzungen offen sind. Für die Analyse solcher Projekte – dies dürfte aus den gegebenen Ein-

751 Vgl. dazu Sound and Vision. The Music Video Reader; G. Klein, Electronic Vibration. Pop Kultur Theorie. 752 Vgl. N. Mansmann, „Interzone“ im Haus der Berliner Festspiele, www.satt.org/frei zeit/04_10_interzone.html (ges. am 30.12.2012). 753 14. und 15. November 2002 im Hebbel-Theater, Berlin, vgl. D. Kötter, labor für musik:theater berlin.

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blicken hervorgegangen sein – sind methodische Zugänge zu entwickeln, die Musik und Bild gleichermaßen berücksichtigen, aber sich kaum mehr auf Verfahren der Untersuchung von traditionellen Koppelungen von Musik und Bild etwa in Oper oder Film stützen können. Sofern die Bilder nicht einfach als Begleitung oder Kommentare der Musik betrachtet werden, ist vor allem der professionelle kompositorische Umgang mit Klang und Bild ins Blickfeld zu nehmen. Es scheint so, als könne hier die traditionelle Konkurrenz des Visuellen und Auditiven aufgehoben werden.

ABKÜRZUNGEN AdK, Berlin AfMw AMl BGNM BzAfMw CMR DBNM EA FAZ GroveD H. HmT IRASM JAMS Jb JbSIM KdG Kgr.Ber. Mf MGG MGG2 MK ML MQ MT MuB NGroveD NGroveDAM NZfM PAJ PNM PRMA PSS SMZ UA ZfMw

Akademie der Künste, Berlin Archiv für Musikwissenschaft Acta Musicologica Berliner Gesellschaft für Neue Musik Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft Contemporary Music Review Darmstädter Beiträge zur neuen Musik Erstaufführung Frankfurter Allgemeine Zeitung The New Grove Dictionary of Music and Musicians (1980) Heft Handwörterbuch der musikalischen Terminologie Int. Review of the Aesthetics and Sociology of Music Journal of the American Musicological Society Jahrbuch Jahrbuch des Staatl. Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz Komponisten der Gegenwart (1992ff.) Kongreßbericht Die Musikforschung Die Musik in Geschichte und Gegenwart (1955, 1989) Die Musik in Geschichte und Gegenwart (1994ff.) Musik-Konzepte Music and Letters Musical Quarterly The Musical Times Musik und Bildung The New Grove Dictionary (2001) The New Grove Dictionary of American Music (1986) Neue Zeitschrift für Musik A Journal of Performance and Art Perspectives of New Music Proceedings of the Royal Musical Association Paul Sacher Stiftung, Basel Schweizer. Musikzeitung Uraufführung Zeitschrift für Musikwissenschaft

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PERSONENREGISTER Abel, Günter 349, 367 Abeles, Harold F. 225, 367 Acconci, Vito 213 Adorno, Theodor W. 16, 27f., 33f., 39, 47, 128–130, 142, 150f., 207, 224, 367 Agam, Yaacov 304 Akhundov, Murad D. 43, 367 Akyol, Taner 242 Alings, Alfred 280 Alkemeyer, Thomas 223, 367 Allemann, Cécile 12, 367 Allende-Blin, Juan 124, 367 Alms, Barbara 155, 367 Anderson, Christine 339, 367 Ando, Daichi 356, 386 Andreyev, Elena 343, 347 Antin, Eleanor 225, 367 Aperghis, Georges 172, 367 Aristoteles 13, 367 Armes, Roy 341, 351, 367 Arnheim, Rudolf 20, 367 Artaud, Antonin 58, 71, 124, 134, 203f., 236, 367 Ashley, Robert 173, 279f., 283–287, 367f. Ashmore, Jerome 348, 368 Assmann, Aleida 332, 368 Aue, Walter 313f., 368 Auslander, Philip 172, 188, 344, 368 Austin, John L. 175, 368 Austin, Larry 279, 286f., 368 Avgerinos, Gerassimos 79, 368 Aydin, Yasar 288, 368 Babbitt, Milton 58, 368 Bachmann, Claus-Henning 218, 368 Bachmann, Plinio 323 Bacon, Tony 258, 368 Bailey, Derek 258, 262, 368 Baily, John 81, 85, 368 Ballstaedt, Andreas 17, 368 Bandur, Markus 44, 368 Banks, Don 258, 368 Barrault, Jean-Louis 96, 124, 128, 130f., 134f., 137, 368 Barthelmes, Barbara 29, 41, 178, 317, 321, 368f. Barthes, Roland 24, 91, 183, 369

Bartz, Edek 317, 369 Batel, Günther 265, 369 Bateson, Gregory 129, 369 Baucke, Ludolf 155, 369 Bauckholt, Carola 172, 263, 341–345, 348–351, 353, 369 Baudrillard, Jean 352, 369 Bauermeister, Mary 125, 142, 220f., 369 Baumeister, Willi 157, 369 Baxmann, Inge 177, 369 Bayle, François 21 Beal, Amy C. 273, 369 Beck, Sabine 232, 369 Becker, Jürgen 125 Becker, Tim 223, 369 Bedford, David 318 Beethoven, Ludwig van 126f., 221, 241 Behrman, David 279–283, 287, 369, 374 Bekker, Paul 223, 369 Bell, Catherine 316, 369 Bellac, P. 51, 369 Benjamin, Walter 287 Bennett, Richard 258, 369 Bentley, Eric 11, 369 Berberian, Cathy 93 Berg, Alban 223 Bergmann, Walther 165 Bergson, Henri 160 Berio, Luciano 77, 89–96, 104, 156, 247, 370, 387 Bertoncini, Mario 256, 260, 279 Berz, William L. 163, 370 Beuys, Joseph 119, 126, 314 Beyer, Peter 50, 370 Beyer, Robert 51 Bielefeld, Jürgen 230, 370 Bienz, Peter 56, 370 Bingham, John Joseph 248–250, 370 Bischoff, John 189–192, 370 Blau, Herbert 299, 370 Bleeker, Maaike 237, 370 Bloch, Ernst 13, 107f., 207, 370 Block, René 320, 370 Blume, Friedrich 22, 370 Blumröder, Christoph von 44, 47f., 60, 65f., 107, 245f., 269, 271f., 277, 370

406

Personenregister

Böhme, Gernot 324, 370 Boehmer, Konrad 91, 370 Böhringer, Hannes 181, 370 Böll, Heinrich 11, 370 Bösche, Thomas 101, 371 Böttinger, Peter 83, 371 Boeykens, Walter 104 Bohner, Gerhard 153 Bojé, Harald 280 Bollnow, Otto Friedrich 40, 322, 370 Bolter, Jay David 354, 370 Bonß, Wolfgang 238, 370 Bopp, Karl Phillip 208, 370 Borges, Jorge Luis 106 Borio, Gianmario 21, 108f., 370f. Borris, Siegfried 150, 371 Boulez, Pierre 22–26, 35–37, 43–47, 51, 54f., 58, 60, 64, 73, 89f., 96–107, 110f., 124, 141f., 204, 267, 270, 371 Bourdieu, Pierre 17, 261, 371 Bozi´c, Renate 229, 252, 371 Brahms, Johannes 127 Branca, Glenn 258 Brandorff, Steffen 271, 371 Brand-Seltei, Erna 203, 371 Brandstetter, Gabriele 36, 55, 154, 371 Brant, Henry 42, 327, 371 Breatnach, Mary 36, 101, 104, 371 Brech, Martha 90, 195, 371 Brecht, Bertolt 20, 228, 333, 371 Brecht, George 125, 179–182, 221, 371f., 379, 385, 394 Bregman, Albert S. 66, 87f., 372 Brett, Guy 57, 372 Brill, Hans Gerd 257, 372 Briner, Andres 40, 372 Brown, Chris 63, 189–92, 372 Brown, Earle 31f., 71, 372 Brown, Edward 199, 372 Brown, Howard Mayer 174, 372, 386 Bruck, Wilhelm 142, 146, 149, 149f., 372 Bruckner, Anton 41 Brunner, Johannes 238–240, 372 Brüstle, Christa 199, 372 Bryant, Allan 279 Buckminster Fuller, Richard 58, 403 Buderer, Hans-Jürgen 57, 93, 372 Büchter-Römer, Ute 342, 372 Büttner, Claudia 326, 334, 373 Bullivant, Keith 300, 382 Bunger, Richard 254, 372 Burden, Chris 213

Buren, Daniel 193 Burroughs, William 222 Burzik, Monika 258f., 372 Busch, Regina 41, 372 Busoni, Ferruccio 41, 240f., 372f. Butor, Michel 36, 105, 373 Cacioppo, George 283 Cage, John 16, 32–34, 39–41, 44–46, 52, 57f., 61–65, 71–75, 110f., 119, 122– 125, 133, 137, 141, 144–147, 150f., 155, 165, 179, 181, 185, 191, 197, 201, 204, 206, 215, 220–225, 241f., 245f., 251, 254–256, 260, 265–270, 273f., 277–283, 290, 304–308, 311, 316, 319–321, 373 Caillois, Roger 12, 373 Camargo, Oswaldo de 292 Campana, Deborah A. 32, 373 Canetti, Elias 9, 304, 373 Caras, Tracy 284, 397 Cardew, Cornelius 258, 316, 373 Carlson, Marvin 174, 373 Cascone, Kim 192, 373 Caskel, Christoph 280 Cassirer, Ernst 181 Celant, Germano 193, 196, 200, 373 Celletti, Rodolfo 203, 373 Charles, Daniel 174, 177, 185, 305–307, 320, 373, 378 Chiari, Giuseppe 290 Chion, Michel 342f., 373 Chladni, Ernst Florens Friedrich 30 Chomsky, Noam 175, 373 Claren, Sebastian 64, 67, 73, 104, 266, 373 Clark, Sondra Rae 253, 373 Clarke, David 162, 373 Clarke, Eric 78, 373 Clement, Andrew 105, 373 Clementi, Aldo 279 Coelho, Victor Anand 257, 374 Collins, Nicolas 196, 340, 374 Concannon, Kevin 302f., 374 Cook, Nicholas 17, 174, 349f., 374 Cordonnier, J. 51, 374 Cowell, Henry 23, 62f., 252–255, 260, 374 Craib, Ian 129, 374 Crary, Jonathan 25, 160, 374 Cremer, Lothar 50, 374 Cummings, Edward Estlin 89–91 Cunningham, Merce 45, 280 Curran, Alvin 279 Custodis, Michael 48, 220, 374

Personenregister Dack, John 271, 286, 374 Dahlhaus, Carl 17, 25, 193, 374 Daniels, Dieter 328, 374 Danninger, Helmut 211, 374 Danuser, Hermann 383, 403 Darroll, Robert 359f., 402 Davidson, Jane 78, 373 Debussy, Claude 27, 41, 110 Decker-Phillips, Edith 197, 224, 374 Decroupet, Pascal 46, 49, 52f., 64, 68f., 374f. Decroux, Etienne 124, 128, 136 Deinzer, Hans 98 Delaere, Mark 46, 375 Delalande, François 78, 375 Deleuze, Gilles 37, 375 Deliège, Célestin 99, 105 Demand, Sascha 316, 375 Dennis, Kelly 176, 375 Dewan, Edmond 281 Di Scipio, Agostino 338–340, 357, 375 Dibelius, Ulrich 34, 127, 375 Diederichsen, Diedrich 241, 375 Dierstein, Christian 80, 233 Dietrich, Ralf 284–286, 375 Dinkla, Söke 328, 330f., 335, 375 Dörstel, Wilfried 273, 375 Domann, Andreas 289, 375 Dräger, Hans Heinz 40, 375 Dreher, Thomas 176, 184, 187, 221, 375 Dreßen, Norbert 91–94, 375 Duchamp, Marcel 193, 307 Duckworth, William 182, 267, 375 Duguet, Anne-Marie 337, 375 Dunsby, Jonathan 174, 375 Eaton, John 279 Ebbeke, Klaus 246, 376 Eckhardt, Julia 179 Eco, Umberto 32, 93, 376 Eder, Stefan 168 Eggebrecht, Hans Heinrich 14f., 25, 47, 163, 376 Ehrler, Hanno 292, 376 Eimert, Herbert 21, 47, 376 Emmerson, Simon 85f., 265, 268, 276, 286, 376 Engelbach, Barbara 180, 202, 213, 216, 225, 376 Engl, Josef 50, 376 Eötvös, Peter 280 Erdmann, Martin 45, 58, 73f., 201, 376 Ericsson, Hans-Ola 262, 376

407

Ermatinger, Erhart 127, 376 Ernst, Wolfgang 269, 376 Evangelisti, Franco 279 Evert, Kerstin 188, 376 Exter, Arved 165, 376 Fabo, Sabine 288, 328, 376 Faltin, Peter 112, 376 Feiler, Dror 262, 377 Feißt, Sabine 17, 32, 37, 84, 186, 246, 258, 279, 281, 309, 316, 377 Feldman, Morton 42, 62, 64, 67, 71, 73, 83, 104, 141, 145f., 266, 377 Fellini, Federico 114 Fetterman, William 57, 71–73, 185, 197, 255, 268, 305f., 320, 377 Finter, Helga 93, 377 Fischer-Lichte, Erika 11, 15, 122f., 152, 172, 177, 179, 212, 300, 303, 377 Fischinger, Oskar 267 Flint, Ellen Rennie 83–87, 377 Flynt, Henry 146, 377 Föllmer, Golo 192, 194, 197–199, 319, 341, 377 Forsyth, Michael 10, 377 Fort, Syvilla 254 Forte, Jeanie 225, 377 Fortner, Wolfgang 220 François, Jean-Charles 59, 377 Frank, Peter 224, 377 Freud, Sigmund 159, 210, 217, 223, 236, 377 Frey, Jürg 172 Freyer, Achim 211, 218f. Fricke, Stefan 221–223, 273, 314, 377f. Fried, Michael 177, 378 Friedl, Reinhold 256, 378 Friedländer, Walter 21, 27, 378 Frisius, Rudolf 54, 62, 85, 124, 325, 378 Frith, Fred 258f., 378 Fritsch, Johannes 280, 378 Fürst-Heidtmann, Monika 254–256, 300, 378 Funke-Wieneke, Jürgen 119, 378 Gadamer, Hans-Georg 12, 378 Gagne, Cole 186, 284, 309f., 318, 397 Gallagher, Shaun 230, 378 Gamper, David 186, 378 Gann, Kyle 189, 195, 285, 378 Gebauer, Gunter 12, 88, 168, 245, 264, 378 Gebser, Jean 164f., 378 Geck, Martin 315, 378

408

Personenregister

Gehlhaar, Rolf 280 Georgiades, Thrasybulos 220 Gerischer, Christiane 86, 379 Gerlach, Julia 200, 341, 351, 377, 379 Gibson, James 94, 379 Gieseler, Walter 79, 379 Gilles, Mareile 172f., 178, 203, 379 Ginsberg, Allen 222 Glasenapp, Lutz 257, 379 Glennie, Evelyn 82, 401 Gligo, Niksa 241, 379 Globokar, Vinko 227–234, 236f., 247–252, 259f., 262, 315, 351, 379 Glogau, Hans-Ulrich 10, 379 Glusberg, Jorge 176, 379 Godfrey, Daniel 284, 307, 316, 396 Goebbels, Heiner 172, 381 Goebel, Johannes 189, 328, 379 Goehr, Lydia 9, 379 Göttert, Karl-Heinz 93, 380 Goeyvaerts, Karel 21, 23, 25f., 44, 46f., 49, 379 Goffman, Erving 12, 14, 129–132, 134, 136, 138, 140, 150, 379f. Goldberg, Marianne 183, 380 Goldberg, RoseLee 176, 196, 380 Goodman, Nelson 35, 380 Gosztonyi, Alexander 40, 380 Gottstein, Björn 191, 258, 291–293, 327, 380 Gould, Evlyn 106, 380 Gould, Glenn 17, 78, 400 Graevenitz, Antje von 226, 380 Grant, Morag J. 34, 43f., 219, 380 Gresham-Lancaster, Scott 189f., 380 Gronemeyer, Gisela 222, 341, 380 Großmann, Rolf 172, 192, 267, 287f., 356f., 380 Gruber, Karoline 323 Grünzweig, Werner 63, 380 Grusin, Richard 354, 370 Guattari, Félix 37, 375 Gunden, Heidi von 186, 309, 380 Guski, Rainer 120, 380 Gut, Ida 323 Häusler, Josef 21, 98, 104, 381 Hall, Edward T. 93, 380 Hallensleben, Markus 187, 380 Hamano, Takayuki 356 Hammitt, John 290, 380 Handke, Peter 300, 380 Handschin, Jacques 127, 380

Hansen, Mathias 41, 381 Hantelmann, Dorothea von 318, 381 Harbinson, William G. 37, 381 Harley, Maria Anna 29, 41f., 51, 56, 381 Harris, Marry Emma 57, 381 Hashida, Mitsuyo 356 Hassan, Ihab 288, 381 Hayward, Robin 243, 381 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 13f., 381 Heidemann, Ingeborg 12, 381 Heidenreich, Achim 82, 381 Heidenreich, Elisabeth 322, 381 Heikinheimo, Seppo 53, 381 Heilgendorff, Simone 112, 115, 207, 381 Hein, Folkmar 279, 359, 361, 381 Heister, Hanns-Werner 9, 14, 20, 129, 204, 291–293, 300, 304, 381 Helm, Everett 299, 381 Henck, Herbert 62f., 72f., 256, 381 Henius, Carla 125, 210f., 381 Henri, Adrian 194, 381 Henry, Pierre 51 Hentschel, Frank 173, 381 Henze, Hans Werner 107 Herrmann, Max 155, 165, 367 Hertle, F. H. 208, 370 Hespos, Hans-Joachim 123, 151–169, 290, 382 Heubach, Friedrich 341, 382 Hicks, Michael 63, 252f., 382 Hidalgo, Juan 320 Higgins, Dick 125, 221, 290 Hilberg, Frank 298, 343, 382 Hiller, Lejaren 319 Hindemith, Paul 254, 382 Hirsch, Michael 172, 213f., 262–264, 382 Hoffmann, Freia 225, 382 Hoffmann, Robin 233–237, 382 Holliger, Heinz 246f., 382 Holzaepfel, John 31, 62, 64, 69, 71f., 204, 256, 382 Hommel, Friedrich 99, 382 Hoormann, Anne 326, 382 Hopp, Winrich 274f., 382f. Houben, Eva-Maria 29, 35, 152f., 157, 160, 164–167, 204, 229, 383 Huber, Nicolaus A. 227, 291 Huhtamo, Erkki 330, 383 Huizinga, Johan 12f., 383 Humpert, Hans Ulrich 21, 383 Hünnekens, Annette 299, 307, 328, 332, 383

Personenregister Husserl, Edmund 209 Iber, Michael 256, 383 Imai, Shintaro 355–358 Ivanceanu, Vintila 200, 383 Ives, Charles 41f., 253 Jakobik, Albert 41, 383 Jameux, Dominique 36, 44, 55, 96, 371, 383 Jappe, Elisabeth 176, 383 Jay, Martin 260, 383 John, Eckhard 324, 383 Johnson, Steven 63, 253f., 383 Johnson, Tom 284, 383 Jones, Amelia 177, 202, 383 Jorek, Beate 219 Joyce, James 36, 255 Julius, Rolf 196 Kafka, Franz 101, 106, 109, 120, 300, 383 Kagel, Mauricio 17, 38f., 63, 89, 123–151, 154, 157, 204–206, 228, 247, 252, 285, 290, 313–316, 321, 328, 341, 384 Kahn, Douglas 195, 384 Kalisch, Eleonore 212, 384 Kandinsky, Wassily 348 Kang, Sukhi 358f. Kaprow, Allan 125, 194–196, 221, 384 Karkoschka, Erhard 39, 384 Kassel, Matthias 63, 139, 384 Katti, Christian 361, 384 Kayn, Roland 279 Kellein, Thomas 30, 180, 221, 384 Kerckhove, Derrick de 187, 192, 384 Kesting, Marianne 57, 125, 128, 196, 384 Key, Susan 266, 268, 385 Kirby, Michael 58, 122, 177f., 385 Kirchmeyer, Helmut 269, 271, 385 Kittler, Friedrich 340, 385 Klee, Paul 44 Klein, Gabriele 362, 385 Klein, Georg 196, 333–335, 340, 385 Kloppenburg, Josef 182, 385 Klötzke, Ernst-August 299, 385 Klüppelholz, Werner 73, 89, 112, 139, 204, 247, 249, 256, 314f., 385 Knapstein, Gabriele 179, 181, 385 Knilli, Friedrich 20, 385 Knowles, Alison 290 Koch, Heinrich Christoph 203, 385 Kofler, Leo 208, 385 Köhler, Rafael 44, 385 Köllges, Frank (= Adam Noidlt) 318 König, Bernhard 328

409

König, Wolfgang 228, 385 Kösterke, Doris 201, 306, 386 Kötter, Daniel 362, 386 Konold, Wulf 92, 385 Kontarsky, Aloys 280 Kovács, Inge 43, 46, 123, 135, 386 Kramer, Jonathan D. 30, 32, 41, 386 Kramer, Mario 314, 386 Kreisinger, Nike 317, 386 Krist, Joachim 280 Krystof, Doris 321, 386 Kubisch, Christina 198f. Kubota, Shigeko 225 Kuhlenkamp, Alfred 261, 386 Kuivila, Ron 196, 246, 334–337, 386 Kunkel, Michael 34, 386 Kurtz, Michael 24, 47, 51, 62, 65, 271, 273, 277f., 280, 311, 313, 324, 386 La Barbara, Joan 245, 401 La Charité, Virginia A. 99, 386 La Cour, Jørgen 271, 371 Laborda, José Maria Garcia 255, 386 Lachenmann, Helmut 35, 75–81, 143, 156, 161, 247, 386 Lamprecht, Wolfgang 241, 386 Landy, Leigh 244, 246, 386 Langer, Günter 11f., 386 Langer, Susanne K. 181 Lanham, Richard 354, 386 Lawrence, D.H. 223 Le Breton, David 238, 386 Le Roy, Xavier 236 Le Sueur, Eustache 225 Leeker, Martina 184, 187, 358, 386 Leeson, Lynn Hershman 330 Lehmann, Hans-Thies 122f., 152, 158f., 386f. Lehner-Wieternik, Angela 257, 387 Leinen, Frank 128, 387 Leng Tan, Margaret 72, 201, 387 Lennon, John 302 Lentz, Michael 203, 387 Lewis, Paula Gilbert 99, 387 Ligeti, György 34f., 46, 151, 204, 387 Lippert, Elisabeth 157, 387 Lippman, Edward A. 30, 56, 387 Lissa, Zofia 35, 387 Lister, Laurie-Jeanne 244, 387 Lochhead, Judy 32, 72, 74, 387 Löw, Martina 89, 387 Lucier, Alvin 30, 246, 279–281, 387 Lück, Rudolf 227, 387

410

Personenregister

Lyotard, Jean-François 175, 387 Maconie, Robin 277, 387 Maderna, Bruno 270 Mahlke, Sybill 152, 387 Mallarmé, Stéphane 36, 99–102, 104, 106, 388 Malsch, Friedemann 354, 388 Maly, Valerian 178, 388 Manning, Phil 186, 190, 279, 388 Manupelli, George 283 Marceau, Marcel 128 Marchetti, Walter 320 Marclay, Christian 319, 373, 388 Marcuse, Herbert 223, 388 Martin, Agnes 293–296, 388 Massow, Albrecht von 265, 388 Matsuda, Shu 355f., 388 Matussek, Peter 301, 328, 388 Maubrey, Benoît 285, 388 Mayer Brown, Howard 174, 372, 388 McKinnon, James 174, 372 McLuhan, Marshall 22, 184f., 282, 388 Meister Eckhart (= Eckhart, Johann) 201 Melchinger, Siegfried 123, 388 Melkert, Hella 291–293, 326f., 380, 388 Melle, Stefan 331, 388 Mellich, Christine 328, 388 Mello, Chico 260 Merleau-Ponty, Maurice 230, 388 Mersch, Dieter 78, 226, 388 Mersmann, Hans 40, 388 Messiaen, Olivier 44, 46f. Metzger, Heinz-Klaus 19, 33, 43, 47, 123, 221, 242, 388f. Meyer-Denkmann, Gertrud 207, 389 Meyer-Eppler, Werner 22, 36, 48, 389 Meyer-Kalkus, Reinhart 93, 389 Michels, Axel 316, 389 Michon, John A. 162, 389 Miller, David P. 32, 389 Miller, Leta E. 254, 266f., 389 Misch, Imke 46, 52, 389 Mitchell, Ian 97, 389 Miyama, Chikashi 356, 388 Moholy-Nagy, Laszlo 58, 128, 304, 389 Monk, Meredith 172, 182–184, 388f. Moorman, Charlotte 222, 224–226, 389 Morgan, Robert P. 277, 389 Morimoto, Yota 356 Morse, Margaret 288, 389 Mosch, Ulrich 26, 67, 389

Motte-Haber, Helga de la 237, 267, 299, 389 Mowitt, John 59, 390 Mowitz, Michael 273, 390 Müller, Hermann-Christoph 17, 31, 74, 244, 282, 390 Müller-Doohm, Stefan 224, 390 Mumma, Gordon 265, 273, 279f., 283, 306, 390 Mutschelknauss, Eduard 266, 390 Nadel, Siegfried F. 40, 390 Naegler, David 334, 390 Nagler, Norbert 301, 390 Nanz, Dieter A. 42, 56, 390 Nauck, Gisela 29, 43, 47f., 50–52, 54–56, 107–111, 114, 120, 156, 205f., 208, 210, 216, 218, 263f., 270, 300, 319– 322, 390 Naujocks, Carolin 344f., 390 Neuhaus, Max 196–199, 367, 390 Neumann, Andrea 257, 260 Nicholls, David 253, 390 Nietzsche, Friedrich 93, 223, 340, 390 Nitsch, Hermann 289, 317, 391 Noller, Joachim 125, 153, 391 Nono, Luigi 89, 216, 362 Nussbaumer, Georg 172 Nyffeler, Max 247, 291, 391 Nyman, Michael 30, 245, 258, 280, 391 Ocougne, Silvia 242, 259f. Oehlschlägel, Reinhard 39, 182, 391 Oehring, Helmut 362 Oliveira, Nicolas de 193, 391 Oliveira Pinto, Tiago de 258f., 371, 391 Oliveros, Pauline 185–187, 225, 293, 308–310, 317f., 378, 391 Ono, Yoko 221, 225, 303, 329f., 391, 403 Osborn, Ed 196 Osmond-Smith, David 89, 91–93, 387, 391 Osterwold, Matthias 178, 368 Ott, Daniel 172, 319, 323f., 391 Oxley, Nicola 193, 391 Paepke, Ilka-Maria 125, 391 Paik, Nam June 197, 220–226, 244, 391 Paine, Garth 329, 391 Palestrina, Giovanni Pierluigi da 239 Pane, Gina 213 Pannke, Peter 310, 391 Patterson, Benjamin 290 Pauli, Hansjörg 135, 144, 391 Pawelke, Sigrid 58, 392 Pearson, Roger 99, 392

Personenregister Pembrook, Randall G. 163, 392 Pereira, Rosângela 67, 392 Pereira da Silva, Normisa 179f. Peres, Constanze 199, 392 Perkins, Tim 189f., 192, 372 Peters, Günter 13, 277, 392 Petry, Michael 193, 391 Peyser, Joan 54, 392 Phetteplace, Jon 279 Phillips, Lisa 222, 225, 334, 392 Piencikowski, Robert 46, 67, 104, 392 Plessner, Helmut 237, 392 Pöppel, Ernst 162, 392 Pörtner, Paul 36, 124, 128, 392 Pollock, Jackson 177, 181, 258 Poppe, Enno 362 Popper, Frank 57, 299, 301f., 304, 392 Porter, Susan Y. 225, 367 Potter, Keith 316, 392 Poullin, Jacques 51, 54, 392 Pousseur, Henri 21, 51, 89, 247, 270, 392 Povall, Richard 341, 392 Powell, Baden 242 Prieberg, Fred K. 153 Pritchett, James 45, 64, 71–73, 185, 201, 255f., 265–267, 305, 392 Pütz, Werner 211, 392 Puff, Melanie 288, 392 Quist, Pamela L. 31, 393 Raab, Claus 112, 393 Rai, Takayuki 356 Rajewsky, Irina O. 174, 348f., 393 Ratcliff, Carter 198, 393 Rausch, Ulrike 31, 393 Rauschenberg, Robert 335f. Ray, Man 225 Rebentisch, Juliane 194, 393 Rebstock, Matthias 38, 124, 127, 133, 138, 213, 393 Reif, Anne-Kathrin 290, 393 Reininghaus, Frieder 317, 393 Renaud, Madeleine 96, 124 Repp, Bruno H. 78, 397 Reynolds, Roger 32f., 283, 373 Riedel, Ingrid 44, 393 Riedl, Josef Anton 263f. Riehn, Rainer 308, 393 Riemann, Hugo 127, 393 Riethmüller, Albrecht 10, 14, 30, 41, 75, 93, 173, 325, 393 Riezler, Walter 22, 40, 393 Rigendinger, Max 323

411

Rihm, Wolfgang 204 Risi, Clemens 71, 75, 172, 372 Risset, Jean-Claude 272, 393 Ritz, Raimund 238–240, 372 Rivalland, Françoise 343, 347 Rock, Irvin 65, 393 Röder, Thomas 185, 394 Roelcke, Eckhard 127, 135, 393 Röhrssen, Thomas 165, 376 Römer, Rainer 82 Roselt, Jens 177, 377 Rosenthal, Mark 193, 200, 393 Roth, Gerhard 281, 394 Roth, Sylvia 179, 394 Rothkamm, Jörg 149, 394 Rouvel, Kristof 213, 394 Rowe, Keith 258f., 394 Rowe, Robert 189, 394 Ruppel, Karl Heinrich 21, 394 Ruschkowski, André 20, 274, 394 Russolo, Luigi 241, 387 Rzewski, Frederic 279, 290 Sabatini, Arthur J. 284, 394 Sabbe, Herman 23, 25f., 44, 46–49, 394 Sabine, Wallace Clement 50, 394 Sacher, Reinhard Josef 15, 394 Sachs, Curt 254, 258, 394 Sachs, Klaus-Jürgen 185, 394 Safrin, Ute 199, 391 Sakai, Yu 356 Salbert, Dieter 265, 369 Salmen, Walter 10–12, 120, 199, 394 Saltz, David Z. 329, 394 Sander, Otto 333 Sanio, Sabine 246, 301, 306, 394 Sappho 291 Sarkisjan, Swetlana 149, 394 Satie, Erik 57, 194 Sayre, Henry M. 176, 222, 225, 394 Scavarda, Donald 283 Schaeffer, Pierre 19, 21, 51, 54, 286, 343, 392, 394 Schäfer, Susanne 236, 394 Schalz, Nicolas 152, 394 Schalz-Laurenze, Ute 152f., 156, 158, 166f., 394 Schatt, Peter W. 272–274, 394 Schechner, Richard 60, 122, 385, 394 Schedel, Margaret 23, 394 Scheib, Christian 374, 377 Schenk-Güllich, Dagmar 327, 395 Scheper, Dirk 128, 153, 395

412

Personenregister

Scherchen, Hermann 24, 51, 395 Scherer, Jacques 101f., 395 Scheuch, Manfred 224, 395 Schiller, Friedrich 12, 395 Schiphorst, Iris ter 362 Schlemmer, Oskar 153f., 391, 395 Schlieben-Lange, Brigitte 263, 395 Schmicking, Daniel 172, 395 Schmidt, Christoph 12, 395 Schmidt, Siegfried J. 243, 245f., 374, 395 Schmitt, Beate Gabriela 359 Schmitz-Emans, Monika 105, 395 Schnaus, Peter 92, 395 Schnebel, Dieter 17, 28, 35, 38, 44, 46, 48, 52, 57f., 60, 65, 107–115, 118–121, 124f., 132, 137, 151, 201, 204–218, 220, 222–224, 226f., 233, 247, 284, 300, 319–323, 351, 395f. Schneede, Marina 213, 233, 396 Schneeman, Carolee 225, 396 Schneiber, Herbert 258, 396 Schneider, Irmela 288, 396 Schönberg, Arnold 27f., 33, 41–43, 108– 112, 127, 201, 220, 255, 362 Scholz, Christian 203, 396 Schouten, Sabine 324, 371, 379, 396 Schrader, Barry 266, 396 Schreiber, Ottmar 11, 396 Schreker, Franz 223 Schröter, Jens 269, 351, 358, 361, 367, 396 Schubert, Giselher 43, 107, 396 Schübl, Elmar 164, 396 Schulkowsky, Robin 82, 401 Schuller, Gunther 258, 396 Schulz, Reinhard 150, 342, 396 Schulze, Holger 36, 288, 396 Schumann, Karl 98, 396 Schwab, Heinrich W. 10f., 19, 200, 396 Schwartz, Elliott 284, 307, 316, 396 Schwarz, Monika 128f., 138, 147, 397 Schwarz, Stephanie 257, 397 Schweikhardt, Josef 200, 383 Schwind, Klaus 14f., 397 Schwinger, Wolfram 104, 397 Schwitters, Kurt 193 Schwitzke, Heinz 20, 397 Scott, Hugh Arthur 11, 397 Seeber, Martina 221 Seel, Martin 33, 212, 352, 397 Seidel, Wilhelm 35, 397 Seitter, Walter 120, 322, 397

Sellner, Gustav Rudolf 123 Serra, Richard 333f. Shaw, Mary Lewis 99, 102, 397 Shaw-Miller, Simon 225, 397 Shove, Patrick 78, 397 Sichardt, Martina 41, 397 Sigel [Sigl], Paul 55, 397 Simon, Karl Günter 124, 136, 397 Sistermanns, Johannes S. 196 Skrjabin, Aleksandr 41 Slonimsky, Nicolas 127 Smalley, Denis 21, 265, 286, 376, 397 Smith Brindle, Reginald 59, 397 Soeffner, Hans-Georg 316, 397 Sonderegger, Ruth 12, 397 Späth, Franz 348, 398 Spieker, Sven 130, 398 Spielmann, Yvonne 73, 226, 341, 351, 398 Spinola, Julia 274, 398 Spitzer, Manfred 65, 398 Spoerri, Daniel 125, 128, 401 Stacey, Peter F. 44, 398 Stache, Erwin 331, 352, 402 Stachelhaus, Heiner 314, 398 Stäbler, Gerhard 204, 289–298, 326f., 398 Stahnke, Manfred 37, 398 Steiert, Thomas 160f., 164, 166f., 398 Stein, Leonhard 24, 398 Steins, Hubert 279, 398 Stelarc 187–189, 398 Stelzenbach, Susanne 353–355 Stenzl, Jürg 41, 398 Stephan, Rudolf 11, 20, 35, 41, 43, 58, 151, 398 Stern, William L. 162f., 398 Sterritt, David 182f., 398 Stiles, Kristine 303, 330, 398 Stockhausen, Karlheinz 13, 19–26, 30, 33, 36–39, 44, 46–55, 58–71, 73, 75f., 89, 92, 99, 109f., 125, 141, 145f., 150f., 163, 197, 204, 222, 267, 269–282, 286f., 293, 310–313, 316f., 321, 324– 326, 384, 398–400 Stokowski, Leopold 51, 222 Stone, Phil 189 Straebel, Volker 58, 178, 195, 336, 400 Straus, Erwin 40, 322, 324, 400 Strauss, Richard 223 Strawinsky, Igor 27 Strawn, John 32, 400 Strickland, Edward 183, 400 Strinz, Werner 25, 44, 400

Personenregister Stroppa, Marco 272, 400 Strub, Christian 212, 400 Stuart, Caleb 191, 400 Stuckenschmidt, Hans Heinz 19, 120, 400 Suppan, Wolfgang 14, 400 Supper, Martin 20, 23, 38, 184, 191, 265, 272, 329, 356f., 400 Sylvestre, Gaston 228 Tardieu, Jean 128f., 138, 147 Teitelbaum, Richard 246, 279, 281 Thoreau, Henry David 306 Tierra, Pedro 292 Tilmouth, Michael 11, 400 Tomek, Otto 125, 400 Toop, Richard 42, 44, 53, 62, 67, 326, 400f. Trautwein, Friedrich 51, 389 Trayle, Mark 189, 282, 401 Tsangaris, Manos 172, 357, 401 Tudor, David 31, 61f., 64, 69–73, 110, 204, 256, 265, 273f., 279, 281, 374, 382, 392 Turner, Tad 287, 401 Tyranny, "Blue" Gene 283 Umathum, Sandra 307, 401 Ungeheuer, Elena 22, 36, 48f., 53, 192, 270, 273, 374, 377, 401 Utz, Christian 299, 316, 401 Vandor, Ivan 279 Varèse, Edgard 32, 41f., 51, 56, 58, 110f., 266f., 401 Varga, Bálint András 84f., 90, 92, 387, 401 Verhoeven, Jef 129, 401 Vermeulen, Roelof 51, 401 Virilio, Paul 293 Vostell, Wolf 125, 221, 290, 381 Wagner, Christoph 82, 253, 401 Wagner, Monika 224f., 263, 401 Wagner, Richard 13, 41, 101, 117, 241, 340 Waldenfels, Bernhard 120, 136, 165, 209, 237, 322, 401f. Watson, Steven 222, 402 Weber-Lucks, Theda 183, 203, 402 Webern, Anton 26, 42–44, 46, 61, 68, 102, 107–111, 165 Wehmeyer, Grete 194, 402 Weibel, Peter 307, 385, 402 Weisgall, Hugo 63, 253, 402 Welsch, Wolfgang 288, 381, 402 Wendt, Ernst 125, 402 Wenzel, Horst 106, 402 Werner, Manfred 179f.

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Wertheimer, Max 65, 402 Wick, Rainer 222, 402 Willems, Herbert 129, 402 Wilson, Peter Niklas 64, 254, 257f., 273, 402 Winckel, Fritz 50, 389, 392, 402 Winkler, Angela 333 Winkler, Gerhard E. 337, 402 Winrow, Barbara 262, 402 Wolf, Christa 291 Wolff, Christian 62–64, 71, 402 Wulf, Christoph 12, 88, 168, 375, 378, 392 Wunderlich, Stephan 245, 402 Wüthrich, Hans 172 Wyschnegradsky, Ivan 41, 369 Xenakis, Iannis 12, 46, 82–88, 368, 371, 376f., 401, 403 Young, La Monte 29f., 125, 141f., 146, 221, 312, 377, 397, 403 Zarius, Karl-Heinz 126, 149, 403 Zeller, Hans Rudolf 36, 211, 263, 308, 395, 403 Zenck, Martin 34, 97, 178, 204, 230, 369, 403 Zierolf, Robert 31, 403 Zorn, John 318, 403 Zuber, Barbara 125, 137, 144, 255, 403 Zumthor, Peter 319, 323

a rc h i v f ü r m u s i k w i s s e n s c h a f t



beihefte

Herausgegeben von Albrecht Riethmüller in Verbindung mit Ludwig Finscher, Frank Hentschel, Hans-Joachim Hinrichsen, Birgit Lodes, Anne Shreffler und Wolfram Steinbeck. Franz Steiner Verlag

ISSN 0570–6769

26. Thomas Röder Auf dem Weg zur BrucknerSymphonie Untersuchungen zu den ersten beiden Fassungen von Anton Bruckners Dritter Symphonie 1987. 232 S. mit zahlr. Notenbeisp., Ln. mit Schutzumschlag ISBN 978-3-515-04560-2 27. Matthias Brzoska Franz Schrekers Oper „Der Schatzgräber“ 1988. 209 S. mit zahlr. Notenbeisp., Ln. mit Schutzumschlag ISBN 978-3-515-04850-2 28. Andreas Ballstaedt / Tobias Widmaier Salonmusik Zur Geschichte und Funktion einer bürgerlichen Musikpraxis 1989. XIV, 458 S. mit 22 Notenbeisp., 69 Abb. und 9 Tab., geb. ISBN 978-3-515-04936-3 29. Jacob de Ruiter Der Charakterbegriff in der Musik Studien zur deutschen Ästhetik der Instrumentalmusik 1740–1850 1989. 314 S., geb. ISBN 978-3-515-05156-2 30. Ruth E. Müller Erzählte Töne Studien zur Musikästhetik im späten 18. Jahrhundert 1989. 177 S., geb. ISBN 978-3-515-05427-8 31. Michael Maier Jacques Handschins „Toncharakter“ Zu den Bedingungen seiner Entstehung 1991. 237 S., geb. ISBN 978-3-515-05415-4 32. Christoph von Blumröder Die Grundlegung der Musik Karlheinz Stockhausens 1993. IX, 193 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-05696-3 33. Albrecht von Massow

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Halbwelt, Kultur und Natur in Alban Bergs „Lulu“ 1992. 281 S. mit 91 Notenbeisp. und 5 Abb., geb. ISBN 978-3-515-06010-3 Christoph Falkenroth Die „Musica speculativa“ des Johannes de Muris Kommentar zur Überlieferung und Kritische Edition 1992. V, 320 S., geb. ISBN 978-3-515-06005-7 Christian Berger Hexachord, Mensur und Textstruktur Studien zum französischen Lied des 14. Jahrhunderts 1992. 305 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-06097-9 Jörn Peter Hiekel Bernd Alois Zimmermanns Requiem für einen jungen Dichter 1995. 441 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-06492-3 Rafael Köhler Natur und Geist Energetische Form in der Musiktheorie 1996. IV, 260 S., geb. ISBN 978-3-515-06818-X Gisela Nauck Musik im Raum – Raum in der Musik Ein Beitrag zur Geschichte der seriellen Musik 1997. 264 S. mit 14 Notenbeisp. und 27 Abb., geb. ISBN 978-3-515-07000-1 Wolfgang Sandberger Das Bach-Bild Philipp Spittas Ein Beitrag zur Geschichte der BachRezeption im 19. Jahrhundert 1997. 323 S., geb. ISBN 978-3-515-07008-7 Andreas Jacob Studien zu Kompositionsart und Kompositionsbegriff in Bachs

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Klavierübungen 1997. 306 S. mit 41 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07105-9 Peter Revers Das Fremde und das Vertraute Studien zur musiktheoretischen und musikdramatischen Ostasienrezeption 1997. 335 S., geb. ISBN 978-3-515-07133-4 Lydia Jeschke Prometeo Geschichtskonzeptionen in Luigi Nonos Hörtragödie 1997. 287 S. mit 41 Abb., geb. ISBN 978-3-515-07157-1 Thomas Eickhoff Politische Dimensionen einer Komponisten-Biographie im 20. Jahrhundert Gottfried von Einem 1998. 360 S. mit 1 Frontispiz und 4 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07169-5 Dieter Torkewitz Das älteste Dokument zur Entstehung der abendländischen Mehrstimmigkeit Eine Handschrift aus Werden an der Ruhr: Das Düsseldorfer Fragment 1999. 131 S. und 8 Farbtaf., geb. ISBN 978-3-515-07407-4 Albrecht Riethmüller (Hg.) Bruckner-Probleme Internationales Kolloquium vom 7.–9. Oktober 1996 in Berlin 1999. 277 S. mit 4 Abb. und 48 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07496-1 Hans-Joachim Hinrichsen Musikalische Interpretation Hans von Bülow 1999. 562 S. mit 70 Notenbeisp. und 10 Taf., geb. ISBN 978-3-515-07514-3 Frank Hentschel Sinnlichkeit und Vernunft in der mittelalterlichen Musiktheorie Strategien der Konsonanzwertung und der Gegenstand der musica sonora um 1300 2000. 368 S., geb. ISBN 978-3-515-07716-2 Hartmut Hein Beethovens Klavierkonzerte Gattungsnorm und individuelle Konzeption 2001. 432 S. mit 70 Notenbeisp. und 47

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Abb., geb. ISBN 978-3-515-07764-2 Emmanuela Kohlhaas Musik und Sprache im Gregorianischen Gesang 2001. 381 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07876-2 Christian Thorau Semantisierte Sinnlichkeit Studien zu Rezeption und Zeichenstruktur der Leitmotivtechnik Richard Wagners 2003. 296 S. mit zahlr. Notenbeisp. und Abb., geb. ISBN 978-3-515-07942-4 Christian Utz Neue Musik und Interkulturalität Von John Cage bis Tan Dun 2002. 533 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-07964-5 Michael Klaper Die Musikgeschichte der Abtei Reichenau im 10. und 11. Jahrhundert Ein Versuch 2003. 323 S. und 19 Taf., geb. ISBN 978-3-515-08212-3 Oliver Vogel Der romantische Weg im Frühwerk von Hector Berlioz 2003. 385 S. mit 102 Notenbeisp. und 1 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08336-7 Michael Custodis Die soziale Isolation der neuen Musik Zum Kölner Musikleben nach 1945 2004. 256 S., geb. ISBN 978-3-515-08375-8 Marcus Chr. Lippe Rossinis opere serie Zur musikalisch-dramatischen Konzeption 2005. 369 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-08586-6 Federico Celestini Die Unordnung der Dinge Das musikalische Groteske in der Wiener Moderne (1885–1914) 2006. 294 S. mit 86 Notenbeisp. und 9 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08712-5 Arnold Jacobshagen Opera semiseria Gattungskonvergenz und Kulturtransfer im Musiktheater 2005. 319 S., geb. ISBN 978-3-515-08701-x

58. Arne Stollberg Ohr und Auge – Klang und Form Facetten einer musikästhetischen Dichotomie bei Johann Gottfried Herder, Richard Wagner und Franz Schreker 2006. 307 S. mit 27 Notenbeisp. und 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08868-7 59. Michael Fend Cherubinis Pariser Opern (1788–1803) 2007. 408 S. mit 2 Notenbeisp. und CD-ROM, geb. ISBN 978-3-515-08906-7 60. Gregor Herzfeld Zeit als Prozess und Epiphanie in der experimentellen amerikanischen Musik Charles Ives bis La Monte Young 2007. 365 S. mit 60 Notenbeisp. und 13 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09033-9 61. Ivana Rentsch Anklänge an die Avantgarde Bohuslav Martinůs Opern der Zwischenkriegszeit 2007. 289 S. mit 63 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-08960-9 62. Frank Hentschel Die „Wittener Tage für neue Kammermusik“ Über Geschichte und Historiografie aktueller Musik 2007. 277 S. mit 6 Notenbeisp. und 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09109-1 63. Simon Obert Musikalische Kürze zu Beginn des 20. Jahrhunderts 2008. 307 S. mit 37 Notenbeisp. und 1 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09153-4 64. Isabel Kraft Einstimmigkeit um 1500 Der Chansonnier Paris, BnF f. fr. 12744 2009. 348 S. mit zahlr. Notenbeisp., 71 Abb. und CD-ROM, geb. ISBN 978-3-515-08391-1 65. Frédéric Döhl „… that old barbershop sound“ Die Entstehung einer Tradition amerikanischer A-cappella-Musik 2009. 294 S. mit 46 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-09354-5 66. Ulrich Linke

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Der französische Liederzyklus von 1866 bis 1914 Entwicklungen und Strukturen 2010. 311 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-09679-9 Irene Kletschke Klangbilder Walt Disneys „Fantasia“ (1940) 2011. 205 S., geb. ISBN 978-3-515-09828-1 Rebecca Wolf Friedrich Kaufmanns Trompeterautomat Ein musikalisches Experiment um 1810 2011. 242 S. mit 33 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09381-1 Kordula Knaus Männer als Ammen – Frauen als Liebhaber Cross-gender Casting in der Oper 1600–1800 2011. 261 S. mit 5 Abb. und 34 Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-09908-0 Christiane Wiesenfeldt Majestas Mariae Studien zu marianischen Choralordinarien des 16. Jahrhunderts 2012. 306 S. mit zahlr. Notenbeisp., geb. ISBN 978-3-515-10149-3 Tihomir Popovic´ Mäzene – Manuskripte – Modi Untersuchungen zu „My Ladye Nevells Booke“ 2012. 269 S., geb. ISBN 978-3-515-10214-8 Stefan Morent Das Mittelalter im 19. Jahrhundert Ein Beitrag zur Kompositionsgeschichte in Frankreich 2013. 200 S., geb. ISBN 978-3-515-10294-0 Christa Brüstle Konzert-Szenen Bewegung, Performance, Medien. Musik zwischen performativer Expansion und medialer Integration 1950–2000 2013. 413 S., geb. ISBN 978-3-515-10397-8 Saskia Jaszoltowski Animierte Musik – Beseelte Zeichen Tonspuren anthropomorpher Tiere in Animated Cartoons 2013. 206 S., geb. ISBN 978-3-515-10427-2

Wandlungen der kompositorischen Ideen und der Aufführungspraxis neuer Musik haben in den letzten Jahrzehnten die traditionelle Konzertsituation verändert. Christa Brüstle stellt in einem musikhistorischen Überblick die Gründe und Anlässe dieser Entwicklungen dar: Sie beziehen sich auf neue Aspekte von Form und Raum in der Musik ebenso wie auf unterschiedliche Verbindungen zwischen Musik, Performance, Theater und Medien. Themen sind die Einführung von Bewegung auf dem Konzertpodium, der experimentelle Umgang mit Instrumenten, (nackte) Körper als Klangproduzenten, Präsenta-

tionsformen der Live-Elektronik, die Inszenierung von Musikaufführungen, der Einsatz von Video im Konzert sowie die Aktivierung des Publikums. Sie werden am Beispiel von Werken etwa von Ashley, Bauckholt, Berio, Boulez, Cage, Globokar, Hespos, Kagel, Kang, Lachenmann, Schnebel, Stäbler, Stelzenbach, Stockhausen oder Young diskutiert. Daraus ergeben sich nicht zuletzt exemplarische Interpretationen zeitgenössischer Kompositionen und Aufführungen unter Heranziehung aktueller Kunst- und Mediendiskurse wie Intermedialität und Interaktivität, Theorien des Performativen und Hybridität.

www.steiner-verlag.de

ISBN 978-3-515-10397-8