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German Pages 243 Year 1997
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 197
Konkurrenz und Auslegung Der deliktsrechtliche Gehalt vertragsrechtlicher Normen
Von
Andreas Klein
Duncker & Humblot · Berlin
Andreas Klein • Konkurrenz und Auslegung
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 197
Konkurrenz und Auslegung Der deliktsrechtliche Gehalt vertragsrechtlicher Normen
Von Andreas Klein
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Klein, Andreas: Konkurrenz und Auslegung : der deliktsrechtliche Gehalt vertragsrechtlicher Normen / von Andreas Klein. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum bürgerlichen Recht; Bd. 197) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09023-3
D 21 Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-09023-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Inhaltsverzeichnis A. Grundlegung I. Einführung
11 11
1. Das Problem im Grundsatz
11
2. Unterschiedliche Verjährungsfristen
13
3. Rügeobliegenheiten
14
4. Divergierende Verschuldensmaßstäbe
14
5. Standpunkte in Rechtsprechung und Lehre
15
H. Die Konkurrenzfragen als Auslegungsprobleme
18
1. Die Auslegung einzelner haftungsbeschränkender Normen auf der Basis freier Anspruchskonkurrenz
18
2. Keine einwirkende Anspruchskonkurrenz
23
3. Keine Gesetzeskonkurrenz
24
4. Vermeidung von Wechselwirkungen zwischen Konkurrenzlehre und vertraglicher sowie deliktischer Haftung
25
5. Unschädlichkeit falscher Argumente für die freie Anspruchskonkurrenz
29
6. Vorläufer und Entsprechungen der Auslegungslösung in Literatur und Rechtsprechung
30
m. Die Gesetzgebungsgeschichte zeigt: Kein Auftrag an die Wissenschaft zur grundsätzlichen Gestaltung der Konkurrenzlehre
33
1. Vorläufer des BGB
36
2. Gebhards Teilentwurf eines Allgemeinen Teils
37
3. Die Beratungen der Ersten Kommission
38
IV. Bisherige Versuche zur Lösung der Konkurrenzprobleme
44
1. Die Lehre von der „Anspruchsnormenkonkurrenz"
44
a) Keine Gründe für die Anspruchsnormenkonkurrenz
45
Inhaltsverzeichnis
6
(1) Gleichlauf von materiellrechtlichem Anspruch und prozessualem Streitgegenstand?
45
(2) Ausschluß beschränkter Abtretungen?
46
(3) Einheitliche Erfüllung konkurrierender Ansprüche?
47
b) Gründe gegen die Anspruchsnormenkonkurrenz
49
(1) Auflösung der tradierten Haftungssysteme sinnvoll?
49
(2) Einfachere Lösung der Sachprobleme dank der Anspruchsnormenkonkurrenz?
50
(a) Nur eine Begriffsreform
50
(b) Eine besondere Schwachstelle: Die Verjährungsfristen
51
2. Spezialität, Subsidiarität, drohender Leerlauf und andere Metanormen
. . 53
a) Aus logischen Gründen kein allgemeiner Vorrang der lex specialis . . .
56
b) Die Grundlage: Eine unbewiesene Prämisse
57
c) Ohnehin keine Spezialität des Vertrags- zum Deliktsrecht
60
d) Spezialität läßt sich bei Aufspaltung des Tatbestandes beliebig begründen
61
3. Vorrang des gesetzlichen Vertragsrechts als Folge des Parteiwillens? . . . .
62
4. Probleme des ausnahmslosen Vorrangs des Vertragsrechts
67
a) Anwendbarkeit der §§ 842-847 BGB?
67
b) Untergang von Deliktsansprüchen durch Abtretung?
70
c) Praktische Vorteile?
70
d) Vorbildfunktion des französischen Rechts?
71
5. Lösung des Konkurrenzproblems durch offene Interessenbewertung? B. Konkurrenzen im BGB und beim Handelskauf I.Verjährung 1. Gesetzgebungsgeschichte
...
73 78 78 78
a) Dresdner Entwurf
78
b) Das BGB
78
(1) § 852 Abs. 3 BGB
78
(2) § 558 BGB und seine Parallelnormen
80
2. Einzelne Verjährungsnormen des BGB a) Die kurze Verjährung bei Gebrauchsüberlassungen statt § 852 BGB
85 . . 86
(1) Deliktsrechtlicher Gehalt der kurzen Fristen allgemein anerkannt . . 86
Inhaltsverzeichnis (2) Bewußtsein vertragsbedingter Rechtsverkürzungen auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte
87
b) Die Anwendung des § 852 Abs. 2 BGB auf § 558 BGB
89
c) § 477 BGB statt § 852 BGB
90
(1) Schäden außerhalb der Kaufsache
92
(a) Positive Forderungsverletzungen, die zu Schäden an deliktisch geschützten Rechtspositionen führen
92
i) Einordnung der PFV
92
ii) Die Rechtsprechung, insbesondere die Jungprimelerde-Entscheidung
93
iii) Abweichende Ansichten in der Literatur
97
(b) Schadensersatz nach §§ 463 Satz 1, 480 Abs. 2 BGB und Delikt
99
(2) Schäden an der Kaufsache selbst
99
(a) Schäden infolge weiterfressender Mängel beim Kauf vom Produzenten (b) Schutzgesetze auf das Vertragsinteresse
99 100
d) § 638 BGB statt § 852 BGB
101
(1) Schäden außerhalb des Werkes
101
(2) Schäden am Werk selbst
103
(a) Herstellung des Werkes aus oder an Sachen des Bestellers . . . . 103 (b) Herstellung des Werks aus Sachen des Unternehmers
105
e) § 852 BGB statt §§ 477, 638 BGB
106
(1) Mängel der Kaufcache oder des Werks selbst — Gewährleistung (2) Schäden außerhalb des Werks oder der Kaufcache — positive Forderungsverletzung 3. Schuldrechtsreform, EG-Richtlinien und internationale Abkommen II. Die Rügeobliegenheit beim Handelskauf
. . 106 107
. . . . 109 112
1. Positive Förderungsverletzungen
112
2. Zusicherungshaftung
117
3. Schäden infolge weiterfressender Mängel
118
HI. Das werkvertragliche Nachbesserungsrecht
120
IV. Verschuldensmaßstäbe
124
1. Gesetzgebungsgeschichte
124
Inhaltsverzeichnis
8 a) Vorläufer des BGB
124
b) Die Teilentwürfe zum Obligationenrecht des BGB
125
c) Die Beratungen der Ersten Kommission
126
d) Die Beratungen der Zweiten Kommission
128
2. Ausnahmslose Anwendung der gemilderten Verschuldensmaßstäbe auf De129 likt in der Rechtsprechung? a) Belege dafür fast nur in obiter dicta
129
b) Gründe für die geringe Erheblichkeit divergierender Verschuldensmaßstäbe 3. Deliktsrechtlicher Gehalt der herabgesetzten Verschuldensmaßstäbe?
130
. . . 131
a) § 521 BGB (1) Die Kartoffelpülpe-Entscheidung (a) § 521 BGB ist bei Verletzungen vertraglicher Nebenpflichten nicht einschlägig
135 135 137
i) § 521 BGB bezieht sich historisch nur auf die Nichterfüllung 137 ii) Die Sachmängelhaftung des Schenkers ist in § 524 BGB parallel zum Kaufrecht geregelt
138
iii) Gleichlauf der später eingefügten Haftung für Schutzpflichtverletzungen bei Kauf und Schenkung
139
iv) Weitere Gründe für ein enges Verständnis des § 521 BGB . . 141 (b) Hilfsweise: § 521 BGB ist im Bereich vertraglicher Nebenpflichten nicht auf Delikt anwendbar (2) Andere Urteile
142 145
b) §§ 523 f. BGB
146
c) §§ 599 f. BGB
147
d) § 690 BGB
148
e) § 708 BGB
149
f) §§ 1359, 1664 BGB
151
g) Zusammenfassung
151
C. Konkurrenzen im Frachtrecht und bei der Haftung des Gastwirts für eingebrachte Sachen I. Einführung
153 154
1. Haftungshöchstgrenzen
154
2. Verjährungsfristen
154
3. Rügeobliegenheiten und ähnliches
155
Inhaltsverzeichnis II. Frachtrecht 1. Haftungshöchstgrenzen a) Die historische Entwicklung (1) Das ADHGB
156 156 157 157
(a) Seefrachtrecht
157
(b) Landfxachtrecht
159
(c) Eisenbahnfrachtrecht
160
(d) Die Literatur zum ADHGB
162
(2) Die Entwicklung nach dem ADHGB
163
(a) Das Binnenschiffahrtsgesetz
163
(b) Das HGB
164
b) Überwiegend Angleichung vertraglicher und deliktischer Ansprüche durch ausdrückliche Regelungen
166
c) Im Restbereich rein vertragsrechtliches Verständnis der Haftungsgrenzen durch die Rechtsprechung
167
d) Abkehr vom rein vertragsrechtlichen Verständnis der Haftungsgrenzen
168
(1) Die Entstehung des ADHGB spricht gegen ein ausschließlich vertragsrechtliches Verständnis der Haftungsgrenzen
169
(2) Versicherbarkeit und Kalkulierbarkeit
170
(3) Möglichkeit der Wahl einer den Beförderungskosten entsprechenden Haftung
172
(4) Anpassung an internationale Normen und Gleichstellung aller Frachtführer
174
(5) Überflüssige und nicht überzeugende Argumente für ein rein vertragsrechtliches Verständnis der Haftungsgrenzen
176
2. Obliegenheiten zur Erhöhung des Schadensersatzumfanges a) Obliegenheit zur Angabe eines höheren Wertes des gesamten Gutes b) Behandlung von Wertsachen (1) Deklaration (2) Hinterlegung 3. Die kurzen Verjährungsfristen des HGB a) Die historische Entwicklung
179 . . 179 180 180 182 183 183
(1) Das ADHGB
183
(2) Die Rechtsprechung zum ADHGB
185
(3) Das HGB b) Heutige Rechtslage und Rechtsprechung
186 187
Inhaltsverzeichnis
10
c) Deliktsrechtlicher Gehalt der kurzen Verjährungsfristen?
188
4. Die Rügeobliegenheit des Empfängers
189
5. Gesamtbetrachtung des Frachtrechts
193
HI. Die Haftung des Gastwirts für eingebrachte Sachen
195
1. Summenmäßige Haftungsbeschränkung, Freizeichnung und Rügeobliegenheit 195 a) Die historische Entwicklung
195
b) Keine Anwendung dieser Restriktionen auf Delikt
197
2. Hinterlegung von Wertsachen D. Folgen unwirksamer und beendeter Verträge I. Keine Folgen bei positiver Förderungsverletzung II. Anwendbarkeit der Deliktshaftung bei Eigentumsverletzung im Rahmen nichtiger oder beendeter Verträge
199 201 201 202
1. § 993 Abs. 1 BGB sollte nur für Eigenbesitzer gelten
203
2. Die Anwendung des § 993 Abs. 1 BGB nur auf Eigenbesitzer ist interessengerecht und systematisch fundiert
206
HI. Lösung: Auslegung der Haftungsprivilegien und der Nichtigkeitsnormen . . . 208 Literatur-und Abkürzungsverzeichnis
211
Gesetzesregister
232
Entscheidungsregister
236
Stichwortregister
241
A. Grundlegung I. Einführung 1. Das Problem im Grundsatz Zur Beurteilung eines konkreten Vorgangs können mehrere Gesetze zur Verfugung stehen, einfach deswegen, weil sie abstrakt sind. Das kann zur Folge haben, daß ein Gläubiger ein und dieselbe Leistung auf Grund mehrerer anspruchsbegründender Normen von demselben Schuldner verlangen kann. Dieser Fall soll hier so bezeichnet werden: Dem Gläubiger stehen - zumindest scheinbar, auf den ersten Blick - zwei Ansprüche zu. Üblicherweise heißt es dann, sie konkurrieren1. Dieselbe Leistung ist es freilich nicht, wenn zwei Ansprüche nur auf dasselbe reale Leistungsobjekt gehen, wie etwa beim Doppelverkauf einer Sache, sondern vielmehr dann, wenn die zu bewirkende Leistimg dasselbe juristische Interesse ausfüllen soll. Das ist der Fall beim Ersatz desselben Schadens auf Grund Vertrags und Delikts. Das Verhältnis dieser beiden Schadensersatzansprüche zueinander ist Thema dieser Untersuchung. Dazu ein Beispiel2: Ein Tkxifahrer verursacht schuldhaft einen Unfall. Sein Fahrgast beschädigt infolgedessen an einer scharfen Kante im Innenraum seine Kleidung.
Dem Fahrgast stehen gegen den Fahrer Ansprüche zum einen aus positiver Forderungsverletzung und zum andern aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Ohne daß es auf das Verhältnis der beiden Schadensersatzansprüche zueinander ankommt — es steht fest, der Fahrgast bekommt seinen Schaden nur einmal ersetzt. Seit Abschaffung der zivilrechtlichen Pönalklagen im vorigen Jahrhundert ist daran nicht zu zweifeln. Lediglich über die Begründung mag man sich Gedanken
1
Emmerich. Verhältnis S. 2 f., Ennecerus/Nipperdey 1/2 § 228 III 1 S. 1391, Georgiades Anspruchskonkurrenz S. 68 jeweils m.w.Nachw. Ferner aus der älteren Dissertationenliteratur Assmann, Paul (1907) S. 3-5, Bindseil (1909) S. 8, Reiprich (1913) S. 13-15, Wrzeszinski(1902) S. 8 sowie 1992 wieder v. Bilderling S. 1. 2 Zu ähnlichen Fällen: Georgiades Anspruchskonkurrenz S. 254 f.; Henckel S. 266 f.; Nikisch S. 282; Schlechtriem Vertragsordnung S. 54 f.
12
A. Grundlegung
machen, was aber wegen des eindeutigen Ergebnisses in solchen Fällen in der Wissenschaft selten geschah. Erst recht gab es für die Praxis keinen Anlaß, hierzu Entscheidungen zu fällen. Die Klage wird zugesprochen, wie immer, wenn mehrere Anspruchsgrundlagen den Klagantrag stützen können, bereits dann, wenn auch nur eine davon das Begehren trägt 3 . Problematisch wird das Verhältnis erst, wenn einer der Schadensersatzansprüche hinter dem anderen zurückbleibt 4. Das bedeutet, daß ganz oder teilweise nur noch einer der Ansprüche gegeben ist und nach der soeben vorgenommenen, ersten Begriffsbestimmung gerade keine Konkurrenz vorzuliegen scheint. Gleichwohl ist es sinnvoll und üblich, gerade hier von konkurrierenden Ansprüchen zu sprechen, wenn - das Minus des weniger weitgehenden Anspruchs weggedacht - der Gläubiger dieselbe Leistung auch auf seiner Grundlage fordern kann5. Denn in einem gemeinsamen Teilbereich, der zumindest den Anspruchsgrund enthält, laufen die Ansprüche nebeneinander her. Und wenn dies nicht mehr der Fall ist, braucht das Problem einen treffenden Namen. Die Divergenz konkurrierender Schadensersatzansprüche kann gesetzlich begründet sein. Solche Fälle stehen im Mittelpunkt der folgenden Erörterung. Selbstverständlich kann die Divergenz auch auf Individualvereinbarung oder allgemeinen Geschäftsbedingungen beruhen, wenn der Vertrag nur einen Anspruch, in der Regel den vertraglichen, einschränkt. Die Rechtsfolgen konkurrierender Schadensersatzansprüche können z.B. in der Dauer der Verjährungsfristen sowie dem summenmäßig gewährten Umfang divergieren. Ebenfalls zur Konkurrenzlehre zählen Fälle, in denen nicht die Rechtsfolgen, sondern bereits die Voraussetzungen sich nicht decken: Vor allem gehören hierzu unterschiedliche Verschuldensmaßstäbe6 und vertragliche Rügeobliegenheiten. Das hat seine Berechtigung, da sich diese zweite Fallgruppe als Teil der ersten verstehen läßt, wenn man solche Tatbestandsmerkmale (etwa §§521 BGB, 377 HGB) als Verneinung eines an sich zu gewähren-
3
Z.B. BGH NJW 1965, 1709 (7. 5.1965 Ib ZR 108/63); Furtner S. 452; Sattelmacher/Sirp S. 337 f. 4 Kühne S. 553; Larenz Methodenlehre S. 266. 5 So auch Klatzko S. 2 f. in Anlehnung an Levy IS. 17. 6 Anders noch Prym S. 39, der eine Anspruchskonkurrenz hier verneint. Siber Passivlegitimation S. 229 f. bezeichnet das Verhältnis der Ansprüche in diesen Fällen als „Koexistenz".
I. Einführung
13
den Schadensersatzes für den Fall ihrer Nichterfüllung ansieht (also im Beispiel bei leichter Fahrlässigkeit oder unterlassener Rüge)7. Es ist nur ein gradueller Unterschied, ob ein Schadensersatzanspruch auf eine bestimmte Summe beschränkt oder völlig ausgeschlossen ist. 2. Unterschiedliche Verjährungsfristen Ein Zurückbleiben eines Schadensersatzanspruchs hinter einem anderen in zeitlicher Hinsicht ergibt sich bei unterschiedlichen Verjährungsfristen. Es stellt sich die Frage, ob die kürzere Verjährungsfrist - meist die vertragliche die längere ersetzt. Ein Beispiel8: Ein Transportunternehmer kaufte im September 1969 200 1 Frostschutzmittel. Der Verkäufer sicherte zu, das Mittel entspreche den vom Hersteller der benutzten Lastwagen vorgeschriebenen Anforderungen. Tatsächlich führte das Mittel aber zu Motorschäden, wie sich im August 1970 herausstellte. Im November 1972 klagte der Transportunternehmer gegen den Verkäufer auf Schadensersatz. Dieser berief sich auf Verjährung.
Ein Schadensersatzanspruch des Transportunternehmers aus § 463 Satz 1 BGB ist nach § 477 Abs. 1 Satz 1 BGB verjährt. Daher stellt sich die Frage, ob der möglicherweise gegebene Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB wie üblich nach dem für ihn geltenden § 852 BGB in drei Jahren oder ebenfalls in sechs Monaten nach § 477 Abs. 1 Satz 1 BGB verjährt oder ob er völlig ausgeschlossen sein soll. Ein weiteres Beispiel9: Der Verkäufer eines Hauses verschwieg arglistig Schwammbefall. Obwohl der Käufer das kurz nach Vertragsschluß durchschaute, klagte er erst vier Jahre danach auf Schadensersatz. Der Verkäufer berief sich auf Verjährung.
Ein Schadensersatzanspruch aus § 463 Satz 2 BGB verjährt wegen Arglist in 30 Jahren (§§ 477 Abs. 1 Satz 1, 195 BGB). Der daneben in Frage kommende § 826 BGB dagegen verjährt gemäß § 852 BGB in drei Jahren. Soll jetzt - umgekehrt wie im vorigen Beispiel - die kürzere deliktische Verjährungsfrist auch für den Vertragsanspruch gelten?
7 8 9
Ähnlich Lent S. 196-202 in seiner Lehre von den negativen Normen. Nach BGHZ 66, 315-322 (24. 5.1976 Vffl ZR 10/74) = NJW 1976, 1505 f. Nach RGZ 66, 86-88 (26. 4.1907 H 25/07).
A. Grundlegung
14
3. Rügeobliegenheiten Weiter fragt sich, ob vertragliche Rügeobliegenheiten auch für parallele deliktische Ansprüche gelten: Ein Weinproduzent kaufte im Oktober 1983 Flaschenkorken und verschloß damit in seinem Betrieb 89 755 Flaschen. Die Vertragsparteien waren Kaufleute. Kurze Zeit nach der Verkorkung wiesen die Weine infolge der äußerst lockeren Beschaffenheit der Korken eine Trübung auf und schmeckten bitter. Der Weinerzeuger rügte erst am 12.12.1983 die schlechte Qualität der Korken und verlangte vom Korkenverkäufer Ersatz der verdorbenen Weine10.
Ein Schadensersatzanspruch des Käufers aus positiver Forderungsverletzung des Kaufvertrags scheiterte daran, daß die auch hier nach ständiger Rechtsprechung11 gebotene Rüge gemäß § 377 HGB nicht unverzüglich erfolgte. Soll das auch den möglicherweise gegebenen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB ausschließen? 4. Divergierende Verschuldensmaßstäbe Bei einigen Schuldverhältnissen ist die Haftung einer Seite auf Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit oder eigenübliche Sorgfalt beschränkt. Falls der Schuldner nicht die ermäßigten, wohl aber die allgemeinen Sorgfaltsanforderungen erfüllt, bleibt allenfalls ein deliktischer Anspruch. Beispiel12: Ein Jäger überließ seinem Jagdgast Patronen, wobei er infolge leichter Fahrlässigkeit nicht wußte, daß diese Patronen wegen Überladung Unfälle verursachen konnten. Beim Jagdgast zerriß eine Patrone das Gewehr und verletzte ihn an der Hand.
Ein vertraglicher Anspruch auf Schadensersatz scheitert nach verbreiteter Ansicht mangels schwererem Verschulden des Schenkers: Nimmt man positive Forderungsverletzung des Schenkungsvertrags an, wegen § 521 BGB, ansonsten an § 524 Abs. 1 BGB. In Frage kommt allein noch ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. Sollte nun der Schenker bei diesem Anspruch nur für schweres Verschulden - wie beim Vertrag - einstehen müssen, oder der Ver-
10
Beispiel nach BGHZ 101, 337-350 (16. 9.1987 V m ZR 334/86) = NJW 1988, 52-55 = JR 1988, 411-414. 11 RGZ 106, 309 f. (20. 2.1923 m 225/22); BGHZ 66, 208, 212 f. (28. 4.1976 Vffl ZR 244/74) m.w.Nachw. 12 RG SeuffA 89 (1935), 329 f. Nr. 160 (20. 5.1935 VI 21/35).
I. Einführung
15
trag als abschließende Regelung das Deliktsrecht ausschalten, so entfiele auch er. 5. Standpunkte in Rechtsprechung und Lehre In all diesen Fällen kann die Frage nach dem Verhältnis der beiden Ansprüche nicht mehr dahingestellt bleiben. Bisher haben Rechtsprechung und Lehre zahlreiche Antworten auf die Konkurrenzfrage gegeben, die sich mit folgenden Oberbegriffen kennzeichnen lassen: Die Lehre von der (sogenannten strengen oder freien) Arispruchskonkurrenz 13 sieht jede Anspruchsgrundlage als unabhängig von der anderen an. Bei Erfüllung des weniger weitgehenden Anspruchs bleibt der andere, soweit er darüber hinausgeht, erhalten (Ampliusremanenz). Zur Begründung dieses Standpunktes wird teilweise seine Selbstverständlichkeit betont14, teilweise noch darauf hingewiesen, daß davon auch bei Anwendung konkurrenzregelnder Metanormen wie der Spezialitätsregel keine Ausnahmen aufzufinden sind15. Nach der üblicherweise Gesetzeskonkurrenz 16 genannten Ansicht dagegen verdrängt der weniger weit gehende Anspruch den umfassenden, so daß nur einer zum Zuge kommt. In der Regel gehen demnach vertragliche Ansprüche den deliktischen vor. Zur Begründung wird auf verschiedenste Argumente verwiesen, so zum Beispiel die Spezialität des Vertragsrechts17 oder ganz allgemein auf eine wertende Betrachtungsweise18. Die überwiegend zur Vereinheitlichung von prozessualem und materiellrechtlichem Anspruch vertretene These der Anspruchsnormenkonkurrenz schließlich fordert die Vereinigung beider Anspruchsgrundlagen zu einem neuen Anspruch. So soll etwa der Vermieter-Eigentümer gegen seinen Mieter,
13
Hauptverterter: Prym (insbesondere S. 62-65) und Dietz Anspruchskonkurrenz (insbesondere S. 214-279 sowie S. 332-335). 14 Prym S. 63. 15 Dietz Anspruchskonkurrenz vor allem S. 72-106 und 125. 16 Vertreter sind z.B. Helm Haftung S. 312 oder v. Tuhr I § 16 I 4 S. 276-278. 17 v. Tuhr I § 16 I 4 S. 276-278. 18 Helm Haftung S. 301-311. 19 Hauptvertreter Larenz (AT 7. Auflage § 14 IV 4 S. 266-268, SchuldR H 12. Auflage § 75 VI S. 687-692, § 77 I S. 702, § 77 IE S. 711) und Georgiades (Anmerkung S. 447, Anspruchskonkurrenz vor allem S. 129-218).
19
16
A. Grundlegung
der die Mietsache beschädigt hat, nicht zwei Schadensersatzansprüche aus Vertrag und Delikt haben, sondern nur einen einheitlichen Anspruch. Für die Verjährung dieses Anspruchs stehen zwei Normen zur Verfügung, nämlich § 558 BGB und § 852 BGB. Innerhalb des Einheitsanspruches konkurrieren nun die Verjährungsnormen. Praxis und Lehre gehen ganz überwiegend von der freien Anspruchskonkurrenz aus. Demnach folgt jede Anspruchsgrundlage ihren eigenen Regeln. Soweit eine davon nicht durchgreift, kann das Fehlende auf Grund einer anderen nachgefordert werden. Davon seien Ausnahmen zuzulassen, wenn das Leerlaufen einer Norm droht. Demnach solle nur bei divergierenden Verschuldensmaßstäben (beispielsweise § 521 BGB) 2 0 und bei § 558 BGB sowie seinen Parallelnormen (§§ 581 Abs. 2, 591b, 606, 1057, 1226 BGB) 21 die gesetzliche Vertragsausgestaltung zugleich das Deliktsrecht betreffen 22. Das läßt sich zusammenfassend mit dem Schlagwort der einwirkenden Anspruchskonkurrenz bezeichnen. Nicht wenige sehen in der Betonung der freien Anspruchskonkurrenz als Ausgangspunkt der Überlegungen ein bloßes Pro-Forma-Bekenntnis, während faktisch wegen „Übergriffen" der vertraglichen auf die deliktische Haftung die freie Anspruchskonkurrenz weitgehend ihre Bedeutung verloren habe23. Eine Analyse der Rechtsprechung hat zu zeigen, ob dies zutrifft. Ob die Rechtsanwendung der Anspruchs- oder Gesetzeskonkurrenz oder irgend einem anderen Modell folgt, läßt sich nur feststellen, soweit konkurrierende Schadensersatzansprüche divergieren. Soweit sie identisch sind, bleibt auch das Ergebnis der Rechtsanwendung unabhängig von der angewandten Konkurrenzlehre stets gleich. Deswegen kann die Frage, ob der Grundsatz der freien Anspruchskonkurrenz generell aufgegeben ist, im Rahmen der zunächst durchzuführenden allgemeinen Untersuchung der Konkurrenzfrage noch nicht beantwortet werden. Dazu kommt es auf die später zu erörternden einzelnen besonderen Probleme an.
20
BGHZ 93, 23-29 (20.11.1984 IVa ZR 104/83) = NJW 1985, 794-796 = BB 1985, 1355 f. = JZ 1985, 383 f. = JR 1985, 322-324. 21 Z.B. RGZ 62, 329, 331 (26. 1.1906 Iü 258/05); OLG Hamm MDR 1995, 800 f. ( 7. 3.1995 28 U 250/93) = NJW-RR 1996, 176 f. 22 Siehe im übrigen die Übersicht bei MünchKomm 3. Auflage - Kramer § 241 Rz. 27 f. m.w.Nachw. 23 v. Arnsberg S. 13 f. und 110; Bälz S. 52-54; Georgiades Anspruchskonkurrenz S. 86 f., 90; Roll S. 1215; in diese Richtung bereits Siber Eigentumsanspruch S. 15 f.
I. Einführung
17
Auch soweit von der Rechtsprechung der freien Anspruchskonkurrenz noch gefolgt wird, müsse sie - wie weitergehend Stimmen der Literatur fordern vermieden oder beseitigt werden. Es stellt sich daher für diesen Fall als zweites die Frage, ob die Anspruchskonkurrenz auch weiter aufrechtzuerhalten ist. Oder, mit den Worten der Kritiker: Ist die Zeit für die vollständige Verabschiedung eines immer stärker durchlöcherten Dogmas reif, liegt die Lösung in einem restlosen „non-cumul"?24 Sollte eine „Krebswucherung unserer Zivilistik" im Rahmen dogmatischer Operationen entfernt werden25? Fehlt Anhängern der (freien oder einwirkenden) Anspruchskonkurrenz der gebotene nüchterne Blick, weil sie dasselbe doppelt, ja mehr als doppelt sehen? Folgen sie anmutigen Rattenkönigen26? Auch die Schuldrechtsreform schickt sich an, das „leidige Thema der Anspruchskonkurrenz zugunsten der für Vertragsansprüche sachnäheren Verjährungsregelung" zu entscheiden27. Die Wissenschaft hat die Konkurrenzfrage schon lange, oft und intensiv untersucht. Wenn dieses Thema hier erneut aufgegriffen wird, stellt sich daher nicht die Aufgabe, einen Überblick über die - insbesondere ältere - Literatur zu diesem Problem zu geben. „Denn es erscheint zwecklos, dasselbe, was schon unzählige Male gesagt ist, noch einmal zu wiederholen."28 Statt dessen soll zunächst die Lösung der Konkurrenzprobleme durch Auslegung entwickelt werden:
24
Bäk S. 52. Hierzu kritisch Stoll Besprechung S. 96. Bruns S. 221. 26 Siber Eigentumsanspruch S. 71, 74. 27 Rabe S. 2398. 28 So bereits 1909 Burchard S. 1. Übersichten über den Meinungsstand finden sich in fast jedem Werk, das sich mit der Konkurrenzfrage befaßt. Hingewiesen sei zunächst auf die frühen Übersichten von Bindseil (1909) S. 7-16 und Waldmüller (1907) S. 1-10. Sodann Oertmann BGB I Vorbemerkung zur Verjährung Anm. 6, BGB II 2 Vorbemerkung zu den Unerlaubten Handlungen Anm. 5; Qa%a S. 45-101; Dietz Anspruchskonkurrenz insbesondere S. 24-30, 34-40, 44-50, 70-72, 90 f., 106-125, 259. Aus neuerer Zeit v. Bilderling S. 3-11; Georgiades Anspruchskonkurrenz S. 63-92; Katzenmeier Haftung S. 138155; Schlechtriem Vertragsordnung S. 31-57; MünchKomm 3. Auflage - Kramer § 241 Rz. 21-31. 25
2 Klein
A. Grundlegung
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II. Die Konkurrenzfragen als Auslegungsprobleme 1. Die Auslegung einzelner haftungsbeschränkender Normen auf der Basis freier Anspruchskonkurrenz Ausgangspunkt jeder Rechtsanwendung und damit auch der Rechtsanwendung in Konkurrenzfällen ist der einfache Satz, daß, wenn die Voraussetzungen einer Norm erfüllt sind, ihre Rechtsfolgen eintreten. Dieser Grundsatz, vielleicht sogar ein Axiom, wird teilweise auch als juristische Kausalität bezeichnet29. Dieser Grundsatz liegt dem gesamten Recht zugrunde. Ohne ihn wäre Recht nicht vorstellbar. Die vertraglichen und deliktischen Schadensersatznormen sind gute Beispiele für dieses Muster: Wenn jemand ein absolutes Recht oder eine vertragliche Verpflichtung schuldhaft und rechtswidrig verletzt, dann ist er dem Geschädigten zum Schadensersatz verpflichtet. Der Grundsatz der juristischen Kausalität ist selbstverständlich, ja banal. Seine uneingeschränkte Anwendung führt dazu, daß auch eine Konkurrenzlehre, bei der keine der konkurrierenden Normen zurückzutreten hat, eine Selbstverständlichkeit ist, mag dies nun eine Ausprägung der Anspruchs- oder Anspruchsnormenkonkurrenz sein. Georgiades ist also zuzugeben, daß mit dem Grundsatz der juristischen Kausalität nichts für die Frage gewonnen ist, ob der Lehre der Anspruchsnormenkonkurrenz zu folgen ist oder nicht30. Diese Lehre ist jedoch, wie später eingehend gezeigt wird (unten S. 44-53), aus anderen Gründen abzulehnen, so daß als selbstverständlicher Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung nur die freie Anspruchskonkurrenz bleibt. Dem entspricht, daß die Erste Kommission auf eine Aufnahme der Konkurrenzregel des § 199 TE-AllgT31 verzichtete. Denn der darin enthaltene Gedanke, bei Erfüllung eines weniger weitgehenden von mehreren konkurrierenden Ansprüchen könne die weitergehende Leistung noch auf Grund der weitergehenden Ansprüche nachgefordert werden, ist „richtig verstanden, selbstverständlich"32 (zur Entstehungsgeschichte ausführlich unten S. 38-42). Da-
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Zitelmann S. 200-226; v. Tuhr II/l § 43 I S. 5 f. Georgiades Anspruchskonkurrenz S. 98-103. 31 Abdruck unten S. 37. 32 Prot (1. Komm) Original-S. 462 f. vom 22. 2.1882 = Jakobs/Schubert S. 1246. 30
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n. Konkurrenzfragen als Auslegungsprobleme
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her hat das Fehlen dieser Konkurrenzregel keine auszufüllende Lücke im Gesetz hinterlassen33. Freilich ist die ursprünglich von Zitelmann hergestellte Parallele von der juristischen zu der naturgesetzlichen Kausalität unzutreffend. Denn es handelt sich gerade nicht um ein unabänderliches Naturgesetz, das nur der Erkenntnis, nicht aber der Veränderung durch die Wissenschaft unterliegt, sondern um eine Folge gewillkürter Normsetzung. Daher hat man sich davor zu hüten, nur weil der Begriff der Kausalität den Naturwissenschaften entlehnt wurde, in eine naturwissenschaftlich-gegenständlichen Betrachtungsweise zu verfallen 34. Deswegen sollte man auch diesen Grundsatz besser als logisches, konditionales Verhältnis oder Gesetzmäßigkeit von (abstraktem) Tatbestand und Rechtsfolge bezeichnen. Nicht zu folgen ist deswegen v. Tuhr, der aus der juristischen Kausalität einen Ausschluß der Doppelwirkungen im Recht ableitet und so etwa zu der Ansicht gelangt, ein nichtiger Vertrag könne nicht noch einmal angefochten werden35. Vielmehr gilt, „daß man aus mehreren Gründen im Recht oder Unrecht sein kann."36 Demnach ist es ohne weiteres denkbar, daß mehrere abstrakte Tatbestände auf ein und dieselbe Rechtsfolge konvergieren37. Eine Rechtsfolge stützt sich dann auf zwei Gründe38. Oder mit den treffenden Worten Ungers: Zwei Schadensersatzansprüche gehen „gemeinschaftlich auf Ein und Dasselbe"39. Dann ist nicht - wie beim Doppelverkauf derselben Sache - das geschuldete reale Leistungsobjekt identisch, sondern die Leistung dient - in den Fällen der Konkurrenz von Vertrag und Delikt - zum Ausgleich desselben Schadens. Die Unabhängigkeit konkurrierender Ansprüche in Frage zu stellen, bedeutet daher, Durchbrechungen des selbstverständlichen Grundsatzes zu behaupten,
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So bereits zutreffend Caga S. 124 f., ohne allerdings von § 199 TE-AllgT und seiner Streichung zu wissen. 34 Kipp S. 211 f., 220, 224; die unterschiedliche Struktur naturwissenschaftlicher und juristischer Kausalität betont Georgiades Anspruchskonkurrenz S. 98-103. 35 v. Tuhr n/1 § 43 I S. 4-6 (insbesondere Fn. 7) sowie § 57 I S. 299 f. gegen Kipp, insbesondere S. 224-228. 36 Engisch S. 39. 37 Engisch S. 39 unter Verweis auf Kipp (dort insbesondere S. 220). 38 (¿aga S. 116-125; Crome Anspruch Spl. 17 f.; Dietz Anspruchskonkurrenz S. 44; Herbst S. 9 und 13. 39 Unger § 117 S. 388 Fn. 7 und 8. 2*
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A. Grundlegung
daß, wenn der Tatbestand eines Gesetzes erfüllt ist, seine Rechtsfolgen eintreten 40 . Sind solche Ausnahmen überhaupt möglich? Die Frage ist mit ftf^ö 4 1 zu bejahen, denn der oben bereits erwähnte Unterschied zwischen naturwissenschaftlicher und juristischer Kausalität bedeutet, daß das konditionale Verhältnis des abstrakten Tatbestandes zur Rechtsfolge gerade kein Naturgesetz, sondern eine künstliche, menschengemachte Verknüpfung ist. Daher können ihre Urheber sie nun auch mit Ausnahmen versehen. Ausnahmen vom Selbstverständlichen sind besonders zu begründen. Deswegen ist es Sache der Gegner der Unabhängigkeit konkurrierender Ansprüche, diese Ausnahmen nachzuweisen42. Ausnahmen von der juristischen Kausalität, die nicht völlig zufallig und willkürlich auftreten, liegt eine eigene Regelhaftigkeit zugrunde. Da an einem zufallsgesteuerten Recht - mag es auch scheinbar Tendenzen in diese Richtung geben - niemandem ernsthaft gelegen ist, kann es also gar nicht darum gehen, Ausnahmen von der juristischen Kausalität zu suchen. Diese sind denkbar, aber keinesfalls wünschenswert. Das heißt: Sinnvolle Rechtswissenschaft kann das konditionale Schema von Tatbestandserfüllung und Rechtsfolge gerade nicht verlassen. Sie muß daher stets aus scheinbaren Ausnahmen neue Regeln - und seien es nur solche für kleine Fallgrupen - gewinnen oder bestehende Regeln anders auslegen. Auch Qa%a nennt als „Durchbrechungen" der juristischen Kausalität nur neue Regeln und als Beispiele etwa § 993 Abs. 1 2. Halbsatz BGB oder die Lex-Specialis-Regel43. Bei der Konkurrenzfrage geht es demnach darum, scheinbare Ausnahmen von der freien Anspruchskonkurrenz und damit von dem Grundsatz von Tatbestand und Rechtsfolge auf eine Regelhaftigkeit zurückzuführen. Das konditionale Schema von Tatbestand und Rechtsfolge bleibt gewahrt, wenn man erkennt, daß die Regelung mehrerer konkurrierender Ansprüche auf Grund einer knappen gesetzestechnischen Ausgestaltung in einer Norm enthalten sein kann, die auf den ersten Blick, etwa wegen ihrer systematischen Stel-
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Qaga S. 125-127; Crome Anspruch Spl. 17 f.; Dietz Anspruchskonkurrenz S. 44; Oertmann Gesetzeskonkurrenz S. 882; Schmidt, Rudolf S. 82; Prym S. 62 f. 41 Qaga S. 126 f. 42 Bindseil S. 61 f. und ebenso Reiprich S. 47 f.; Golde S. 396 f.; Hummel S. 55-60; Krückmann S. 430; darüber beklagt sich Helm Haftung S. 295: Auch die faktische Nichtgeltung eines Gesetzes, indem ein anderes Gesetz für denselben Fall weitergehende Rechtsfolgen anordnet, sei eine Anomalie. 43 Qaga S. 127, 134.
II. Konkurrenzfragen als Auslegungsprobleme
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lung, nur einem der konkurrierenden Ansprüche zugeordnet zu sein scheint. Überwiegend kommt dabei die Konstellation in Betracht, daß eine im Vertragsrecht plazierte haftungsbeschränkende Norm zugleich einen deliktsrechtlichen Gehalt hat. Vermeintlich durch besondere Regeln der Konkurrenz bedingte Verdrängungen oder Beeinflussungen des Deliktsanspruchs durch den Vertragsanspruch bestehen also darin, daß eine vom Gesetzgeber im Vertragsrecht eingestellte Norm zugleich Vertragsanspruch und Deliktsanspruch regelt und insoweit die übliche Gestaltung des Deliktsanspruchs ersetzt. Um das festzustellen, ist eine Norm durch Auslegung danach zu befragen, ob damit die Regelung mehrerer konkurrierender Ansprüche gewollt ist. Auch wenn dies der Fall ist, folgt immer noch jeder Anspruch seinen eigenen Regeln, so daß es bei der freien Anspruchskonkurrenz bleibt, nur daß dann ein- und dieselbe Regelung für den Vertrags- und den Deliktsanspruch Geltung hat. Bei der Untersuchung konkurrierender Ansprüche ist also auf der Basis der freien Anspruchskonkurrenz zu fragen, ob eine Regelung zwar für mehrere konkurrierende Ansprüche gilt, aber in nur einer Norm angeordnet ist. Bei konkurrierenden Schadensersatzansprüchen kann es sinnvollerweise nur darum gehen, ob diejenige Norm für mehrere Ansprüche gilt, die zumindest teilweise gegenüber der Gewährung von vollem Schadensersatz weniger weitgehende Rechtsfolgen nach sich zieht, den Schadensersatz also in irgendeiner Weise beschränkt. Denn wenn die Norm, die weitergehende Rechtsfolgen anordnet, für mehrere Ansprüche gilt, besteht - jedenfalls solange es nur um eine Art von Haftungsbeschränkung geht 44 - kein Unterschied dazu, daß nur ein Anspruch die weitergehende Rechtsfolge gewährt, andere dagegen nicht 45 . Der Gläubiger kann diese weitergehende Rechtsfolge eben entweder auf einen oder auf zwei Ansprüche stützen, bekommt aber nicht mehr. Grundsätzlich kann - wie auch oben S. 13 die Beispiele zur Verjährung zeigen - sowohl ein Delikts- als auch ein Vertragsanspruch die weniger weitgehende Rechtsfolge nach sich ziehen. Überwiegend enthält jedoch das Vertragsrecht haftungsbeschränkende Normen, die dann auf ihren deliktsrechtlichen Gehalt zu untersuchen sind. Das hat nichts mit irgendwelchen Sonderproblemen des Rechts der Konkurrenzen zu tun, sondern es handelt sich um
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Zu den Verwicklungen bei der Kombination von Haftungsbeschränkungen siehe dann unten S. 52 f. 45 Ähnlich auch Rudolf Schmidt S. 36-55, dazu noch unten S. 56 f.
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Auslegungsfragen, wie sie in anderen Zusammenhängen auch auftreten 46. Das hat vor allem nichts mit Spezialität, dem drohenden Leerlauf einer Norm oder ähnlichem zu tun. Denn diese Metanormen, die - wie noch im einzelnen darzulegen ist (unten S. 53-62) - als Argument in der Konkurrenzfrage in keiner Richtung tauglich sind, stellen auf einen Vergleich des Anwendungsbereiches, also der Voraussetzungen des abstrakten Tatbestandes mehrerer Normen ab. Die hier vertretene These unterscheidet dagegen nach der Quantität der Rechtsfolgen und fragt dann unabhängig vom Überschneidungsbereich des abstrakten Tatbestandes konkurrierender Ansprüche danach, ob die Anordnung der geringeren Rechtsfolge für mehrere Ansprüche gilt. Der systematische Standort einer Norm liefert nur den Ausgangspunkt einer solchen Betrachtung, nämlich ob eine Norm traditionell als Vertrags- oder deliktsrechtlich eingestuft wird. Für die Frage, ob dann eine so verstanden vertragsrechtliche Norm einen deliktsrechtlichen Gehalt (oder auch, in selteneren Fällen, eine deliktsrechtliche Norm einen vertragsrechtlichen Gehalt) hat, kann die Systematik nichts mehr hergeben, geht es doch gerade um ihre Überwindung. Hierfür ist zunächst ist anhand des Wortlauts und der Entstehungsgeschichte nach einer Regelung des Anwendungsbereichs der einzelnen Normen zu forschen. Im Rahmen der Auslegung hat auch Interessenwertung ihren Platz, als alleinige Methode zur Lösung der Konkurrenzfragen ist sie dagegen ungeeignet (dazu dann näher unten S. 73-77). Überhaupt keine Hilfe zur Beantwortung der Auslegungsfragen bietet die Lehre von der Anspruchsnormenkonkurrenz (im einzelnen unten S. 50-53). Die hier vertretene Ansicht kann also, soweit konkurrierende Ansprüche nicht differieren, dazu führen, daß eine Rechtsfolge doppelt begründet ist. Unterscheiden sich konkurrierende Ansprüche auf den ersten Blick in ihren Rechtsfolgen, so ist die Norm, welche die weniger weitreichende Rechtsfolge anordnet, im Vergleich zur Anordnung der weitergehenden Rechtsfolge auszulegen. Bleibt danach das Ergebnis, daß jeder Anspruch andere Rechtsfolgen hat, so gewährt eines der prinzipalen Haftungssysteme Vertrag und Delikt keinen (oder nur einen geringeren) Schadensersatzanspruch, während das andere ergänzend die (volle) Haftung bejaht. Schließlich kann die Auslegung ergeben, daß die Beschränkung des in der Rechtsfolge weniger weitgehenden Anspruchs auch für den konkurrierenden Anspruch gilt (und dies bedeutet in den meisten Fällen, daß eine vertragsrechtliche Norm auch einen deliktsrecht-
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Emmerich Verhältnis S. 18-21; Schmidt, Karsten § 29 m 5 b) S. 832.
II. Konkurrenzfiragen als Auslegungsprobleme
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liehen Gehalt hat), so daß sowohl Vertrag als auch Delikt nur die weniger weitgehende Rechtsfolge nach sich ziehen. Für diese These spricht, wie jetzt zu zeigen ist, daß sie präziser als die Lehre von der einwirkenden Anspruchskonkurrenz ist (2.) und daß auf Metanormen bauende, zur Gesetzeskonkurrenz führende Konkurrenzlehren ohnehin nicht durchführbar sind (3.), obwohl beide als Ergebnis einer Auslegung denkbar wären. Weiter vermeidet der hier vertretene Ansatz weitgehend gleichsam sachfremde Einflüsse der Konkurrenzlehre auf die Haftungssysteme (4.). Er wird schließlich auch dadurch, daß die freie Anspruchskonkurrenz gelegentlich von anderer Seite durch unzutreffende Argumente gestützt werden soll, nicht erschüttert (5.). 2. Keine einwirkende Anspruchskonkurrenz Falsch ist es, bei der Auslegung einzelner konkurrierender Normen danach zu fragen, ob eine Norm die Wirkung hat, auch die Rechtsfolgen einer konkurrierenden Norm zu modifizieren. Dies führt zu einer Art der „einwirkenden"47 Anspruchskonkurrenz. Dies entspricht auch dem bisher überwiegend gepflegten Verständnis von freier Anspruchskonkurrenz, das die Möglichkeit der Regelung mehrerer Ansprüche in einer Norm verneint und Fälle, in denen vertragsrechtlichen Normen ein deliktsrechtlicher Gehalt zukommt, als Ausnahmen von der freien Anspruchskonkurrenz durch Einwirkung eines Anspruches auf einen anderen ansieht48. Dieser unpräzise Ansatz ist abzulehnen, denn er läßt völlig offen, wie diese Einwirkung vor sich gehen soll. „Einwirkung", „Einfluß" 49 oder „Modifika-
47 So die Terminologie etwa bei Georgiades Anspruchskonkurrenz S. 86 und Franz S. 263, 286 f. Krückmann S. 429 schreibt vom „Hinüberwirken", BGH VersR 1967, 40, 41 (23. 3.1966 Ib ZR 150/63 - einziger vollständiger Abdruck) = BGHZ 46, 140 f. = NJW 1967, 42 = JZ 1967, 444 verwendet den Ausdruck „zurückwirken". 48 So etwa die Darstellung bei v. Bilderling S. 4-8; Katzenmeier Haftung S. 143-149; MünchKomm 3. Auflage - Kramer § 241 Rz. 27-30; ähnlich Çaga S. 127 und 134 zum konditionalen Verhältnisses von Tatbestand und Rechtsfolge. 49 So die Wortwahl etwa von BGHZ 17, 214, 217 (13. 5.1955 I ZR 137/53) und BGH VersR 1967, 40, 41 (23. 3.1966 Ib ZR 150/63 - einziger vollständiger Abdruck) = BGHZ 46, 140, 142 = NJW 1967, 42 = JZ 1967, 444 oder aus der Dissertationenliteratur bei Prym S. 25, 40; ebenso Bindseil insbesondere S. 25, 42, 54 f.; v. Bilderling S. 6 f.; Gebhard, Carl S. 34; Hummel S. 16.
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A. Grundlegung
tion" sind unscharfe Begriffe. Unklare Fragen aber können die Wege zu ihrer Lösung nicht weisen, sie ziehen ungenaue Antworten nach sich. Man muß daher solche Fragen meiden. Zudem ist die Vorstellung, manche Normen hätten als zusätzliche Rechtsfolge die Kraft, andere Normen zu verändern, ein Irrweg. Die Veränderung von Gesetzen ist keine Rechtsfolge, jedenfalls nicht im Rahmen des Zivilrechts, sondern Gesetzgebung. Doch können sowohl einwirkende wie freie Anspruchskonkurrenz zu denselben Ergebnissen führen: Ein Frachtführer beschädigt infolge leichter Fahrlässigkeit ihm zur Beförderung übergebenes Gut. Dreizehn Monate nach Ablieferung des Gutes verlangt der Absender-Eigentümer deswegen Schadensersatz. Der Frachtführer beruft sich auf Verjährung. Auf jeden Fall ist der Vertragsanspruch des Absenders (§ 429 Abs. 1 HGB) verjährt (§§ 439, 414 HGB). Bejaht man darüberhinaus eine wie auch immer zu bestimmende deliktsergreifende Wirkung der §§ 439, 414 HGB, so ist unabhängig davon, ob §§ 429, 439, 414 HGB nun den abstrakten Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB modifizieren oder für eine bestimmte Fallgruppe aus dem Deliktsrecht eine Verjährungsregel enthalten, auch der Deliktstatbestand verjährt. Allerdings ist der hier vertretene Ansatz - wie soeben ausgeführt wegen seiner größeren Genauigkeit vorzugswürdig.
3. Keine Gesetzeskonkurrenz Ebenfalls als nicht ergiebig erweist sich die Frage, ob es einen neben den konkurrierenden Schadensersatzansprüchen stehenden, neuen, zusätzlich zu gewinnenden Rechtssatz gibt, der als Metanorm anordnet, einer von mehreren konkurrierenden Ansprüchen genieße den Vorrang, während die übrigen Ansprüche ausgeschlossen seien. Ist diese Frage zu bejahen, besteht Gesetzeskonkurrenz. Wie aber noch ausführlich gezeigt wird, existiert ohnehin keine allgemeine Konkurrenznorm, insbesondere weder in Gestalt der Spezialität, Subsidiarität oder einer ähnlichen Metanorm (dazu im einzelnen dann unten S. 53-62) noch als allgemeiner, wie auch immer begründeter Vorrang des Vertragsrechts (unten S. 67-73). Gesetzeskonkurrenz mit Vorrang des Vertragsrechts kommt bei Körperverletzungen und Tötungen schon wegen der unhaltbaren Folge eines Ausschlusses der §§ 842-847 BGB nicht in Frage, und selbst bei Sachbeschädigungen bleibt zumindest das Problem, daß dann möglicherweise ein Anknüpfungspunkt für akzessorische Rechte verloren geht und
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ein Deliktsanspruch durch Abtretung an den Inhaber eines inhaltsgleichen Vertragsanspruches untergehen würde (dazu näher unten S. 70). Selbst wenn man aber solche Metanormen einmal unterstellt, führt ihre Anwendung generell zu einem unpraktikablen Ausschluß differenzierter Lösungssansätze: Zwar besteht zwischen der zur Gesetzeskonkurrenz und zur Anspruchskonkurrenz führenden Betrachtungsweise keinerlei Unterschied, soweit sich die konkurrierenden Ansprüche nur in einer einzelnen Haftungsbeschränkung unterscheiden. Das soeben gegebene Beispiel belegt dies: Der AbsenderEigentümer kann seinen Schadensersatzanspruch nicht durchsetzen, unabhängig davon, ob das Vertragsrecht nun das Deliktsrecht von vornherein ausschaltet, oder ob der Deliktsanspruch nur in einem bestimmten Bereich der Verjährung denselben Regeln wie ein konkurrierender Vertragsanspruch folgt. Anders verhält es sich aber dann, wenn - wie es gerade im Transportrecht der Fall ist - ein Anspruch im Gesetz durch mehrere Haftungsbeschränkungen ausgestaltet ist. Das Verständnis einer völligen Verdrängung eines dazu konkurrierenden Anspruchs ließe sich nur dann halten, wenn alle Haftungsbeschränkungen des einen auch den anderen Anspruch betreffen sollen. Das zeigt eine Variante des soeben gegebenen Beispiels: Der Absender-Eigentümer läßt Wertsachen befördern, ohne diese als solche zu deklarieren. Für ihre Bechädigung durch den Frachtführer fordert er elf Monate nach ihrer Ablieferung Ersatz. Ein Vertragsanspruch ist nicht gegeben (§ 429 Abs. 2 HGB). Wenn nun (wie unten S. 180-182 darzulegen sein wird) § 429 Abs. 2 HGB keine deliktsergreifende Wirkung haben soll, die Verjährungsregelung der §§ 439, 414 HGB dagegen sehr wohl, so wäre dies mit einer völlig deliktsverdrängenden Wirkung des Vertragsrechts (Gesetzeskonkurrenz) nicht mehr erklärbar, durchaus aber auf der Basis der Anspruchskonkurrenz. Der pauschale Vorrang des Vertragsrechts macht also differenzierte Lösungen unmöglich.
4. Vermeidung von Wechselwirkungen zwischen Konkurrenzlehre und vertraglicher sowie deliktischer Haftung Die Lösung der Konkurrenzprobleme durch Überprüfung konkurrierender Ansprüche darauf, ob es Haftungsbeschränkungen gibt, die für alle konkurrierenden Ansprüche gelten, aber in einer Norm zusammengefaßt sind, ist nicht nur genauer als die einwirkende Anspruchskonkurrenz und in den Ergebnissen differenzierter und angemessener als die Gesetzeskonkurrenz, sie vermeidet auch weitgehend Wechselwirkungen zwischen den Konkurrenzlehren
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A. Grundlegung
und den prinzipalen Haftungssystemen, wie sie in beiden Richtungen auftreten können. Dagegen besteht die große Gefahr solcher Wechselwirkungen insbesondere dann, wenn an bestimmten Prinzipien für das Recht der Konkurrenzen ausnahmslos festgehalten wird: So sehen zum einen Dietz? 0 und Helm s\ die als Anhänger einer strengen Anspruchskonkurrenz den deliktsrechtlichen Gehalt von im Vertragsrecht plazierten Normen leugnen, sich genötigt, die Deliktshaftung insbesondere im Frachtrecht einzuschränken, um so eine allzuhäufige Überlagerung der von ihnen rein vertraglich verstandenen Haftungsbeschränkungen zu vermeiden. Dieser immerhin denkbare Ansatz wäre überflüssig, wenn die genannten Autoren einfach die Möglichkeit zuließen, daß in bestimmten Fällen eine vertragsrechtliche Norm einen deliktsrechtlichen Gehalt halt. Zum anderen fordern manche wegen der Ausweitung der beiden prinzipalen Haftungssysteme eine generelle Regelung der Konkurrenzlehre im Sinne eines weitgehenden Vertragsvorranges52. Vor allem Schlechtriem betont, die Ansichten der älteren Literatur sowie der Gesetzesverfasser seien überholt53. Positive Forderungsverletzung (dazu noch ausführlicher unten S. 92 f.), culpa in contrahendo sowie Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter einerseits und Produzentenhaftung, Haftung für weiterfressende Mängel und Einführung
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Dietz Anspruchskonkurrenz S. 280-331 bejaht Delikt infolge von Unterlassungen nur ausnahmsweise. Insbesondere bekämpft er S. 314-319 die Ansicht der Rechtsprechung (z.B. BGH VersR 1967, 40, 42 (23. 3.1966 Ib ZR 150/63) = BGHZ 46, 140, 146 f. = NJW 1967, 42, 43 = JZ 1967, 444, 446 m.w.Nachw.), daß Frachtführer, Lagerhalter etc. die allgemeine, mit Deliktshaftung sanktionierte Pflicht treffe, fremdes Gut vor Schaden zu bewahren. 51 Helm Haftung S. 291-293 will auf der Basis einer neuen Rechtspflichtenlehre die Deliktshaftung einschränken. Er sieht allerdings seinen Vorschlag als wenig durchsetzungsfähig an und bietet daher im folgenden (vor allem S. 311 f.) eine Alternativlösung an, die auf der hergebrachten Lehre basiert: Anspruchsnormenkonkurrenz bei völliger Verdrängung des Deliktsrechts, daher „im Ergebnis ... Gesetzeskonkurrenz". 52 Koch S. 232-246; Schlechtriem Deliktsansprüche S. 131-133, Vertragsordnung S. 376-378; Schwark Mängelhaftung S. 63-66, 72-84, Auswirkungen S. 375, 377-380. 53 Schlechtriem Deliktsansprüche S. 131-134, Haftung S. 1600 und Vertragsordnung S. 32 f. — Sicherlich zutreffend z.B. für Kohler § 11 f. S. 38-40, der Fälle der positiven Forderungsverletzung ausschließlich der deliktischen Haftung unterstellt. Aber immerhin bezogen z.B. Bürgner S. 13 f. (1909) und Gebhard, Carl S. 29 (1907) die positive Vertragsverletzung in ihre Untersuchungen ein.
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des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts am Unternehmen andererseits haben den Bereich, in dem sich Vertrag und Delikt überschneiden, vergrößert. Deswegen ist zugegebenermaßen die Gefahr des Leerlaufs vertraglicher Regelungen ebenfalls größer geworden. Es schießt nun aber über das Ziel hinaus, deswegen jedenfalls für bestimmte Bereiche pauschal einen Vorrang des Vertragsrechts zu verlangen. Das macht es nämlich zum einen unmöglich, im Bereich eines Vertrages ergänzend auf die Deliktshaftung zurückzugreifen. Daher sieht sich Schlechtriem genötigt, zur Aufrechterhaltung seines Vorranges der Vertragsordnung den Haftungsausschluß des § 429 Abs. 2 HGB abzumildern, um dem hier evidenten Erfordernis einer ergänzenden Deliktshaftung zu entgehen54. Zum anderen verkennt dieser Standpunkt Ursache und Wirkung: Der bei der Konkurrenzproblematik immer drohenden Gefahr der Zirkularität ist durch Beachtung der zeitlichen Abfolge zu entgehen. Die heutige Ausgestaltung der Haftungssysteme ist eine zeitliche und logische Folge der freien Anspruchskonkurrenz. Die Rechtsprechung entwickelte die Ausweitung beider Systeme gerade auf der Grundlage der freien Anspruchskonkurrenz mit dem Ziel, die Schwächen des jeweils anderen auszugleichen. Das heißt, die Rechtsprechung hat bei den von ihr vorgenommenen Haftungserweiterungen den drohenden Leerlauf bestimmter Normen nicht nur gesehen, sondern ausdrücklich gewünscht. Soweit die Vertragshaftung durch die positive Forderungsverletzung verstärkt wurde, geschah dies zwar gelegentlich unter Anwendung gesetzlicher Restriktionen des Vertragsanspruches (z.B. §§ 477, 521 BGB, 377 HGB), aber immer mit dem Ziel, die Position des Vertragsgläubigers zu stärken und nicht durch Ausweitung der Vertragshaftung die Deliktshaftung zu schwächen55. Pauschal die Deliktshaftung einzuschränken, hieße also, die Absichten der Rechtsprechung auf den Kopf zu stellen56. Wenn die Erweiterung des einen
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Schlechtriem Vertragsordnung S. 372 f. (dazu näher noch unten S. 180-182). Koch S. 234. 56 Katzenmeier Haftung S. 173; Schlechtriem Abgrenzungsfragen S. 588; Schmitz S. 2084 f.; deutlich auch BGHZ 101, 337, 348 f. (16. 9.1987 Vffl ZR 334/86) = NJW 1988, 52, 54 = JR 1988, 411, 414 (Sachverhalt siehe oben S. 14): „Schwark ... hält es für ,wenig sinnvoll4, bei der Frage der Ausschlußwirkung durch Rügeverlust zwischen Ansprüchen aus positiver Vertragsverletzung und solchen aus Delikt zu unterscheiden ... Dies ... übersieht auch die Gründe, die dazu geführt haben, früher als typische Deliktstatbestände aufgefaßte Sachverhalte in den Bereich der Haftung für positive Vertragsverletzung einzubeziehen ...: Denn damit sollte ... der Schutz des 55
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Haftungssystems das andere ergänzt, dann setzt die Bekämpfung der freien Anspruchskonkurrenz am falschen Punkt an: Die Rechtsprechung hat in diesen Fällen einen Bedarf an Haftung gesehen, und es spricht viel dafür, daß sie unter Geltung von Vertragsvorrang dasselbe Ziel auf dogmatisch womöglich zweifelhafterem Weg durch erweiterte vertragliche Haftung angestrebt hätte. Das Vertragsrecht kann eben gerade nicht einen Schadensfall „adäquater" in sich aufnehmen 57: Es ist - jedenfalls so die Rechtsprechung - lückenhaft. Die Möglichkeit der Rechtsprechung, im Wege der Rechtsfortbildung Ausweitung der vertraglichen oder auch der deliktischen Haftung zu betreiben, ist grundsätzlich anzuerkennen. Wer aber meint, daß überhaupt ein Zuviel an Haftung bestehe, der muß dort ansetzen und nicht auf dem Umweg über einer Metanorm, hier in Gestalt des Vertragsvorranges 58. Dieser Gedanke wird bei den Erörterungen der einzelnen Konkurrenzprobleme noch des öfteren auftauchen 59 . Die hier vertretene Lösung der freien Anspruchskonkurrenz mit Anerkennung der Möglichkeit, daß Restriktionen mehrerer Ansprüche in einer Norm geregelt sind, ist ein neutraler, weil jedes Konkurrenzproblem einzeln betrachtender Ansatz. Sie beeinflußt das vertragliche und deliktische Haftungssystem als ganzes jeweils nicht. Denn sie benötigt keine Metanorm, die ihrerseits die Haftungssysteme deformieren könnte. So bleibt einerseits die Möglichkeit gewahrt, auch künftig in einzelnen Bereichen Erweiterungen der Haftungssysteme vorzunehmen, ohne gerade das Gegenteil, nämlich Einschränkung der Haftung, zu bewirken. Andererseits bleibt auch die Option offen, in bestimmten Fällen das Deliktsrecht durch Anerkennung eines deliktsrechtlichen Gehaltes restriktiver vertragsrechtlicher Normen zu limitieren.
Käufers gestärkt werden. Das Gegenteil würde erreicht, wenn man aus dem Umstand, daß das Integritätsinteresse des Käufers in gewissem Umfang nunmehr auch durch Vertragsansprüche geschützt ist, die Folgerung ableiten wollte, der vertragliche Abwicklungsschutz des Verkäufers durch die kurze Verjährungsfrist (§ 477 BGB) und die Folgen einer Rügeversäumung des Käufers beim Handelskauf (§ 377 HGB) müßten auch auf seine Deliktshaftung erstreckt werden 57 So Knetsch S. 186-189. 58 In diesem Sinne Katzenmeier Haftung S. 188; MiinchKomm 2. Auflage - Mertens Vor § 823-853 Rz. 32 f. 59 So bei § 477 BGB im Bereich der positiven Forderungsverletzung und der Schäden infolge weiterfressender Mängel (unten S. 97 und S. 100), bei § 377 HGB (unten S. 115, 119), bei § 521 BGB (unten S. 143) und bei vertraglichen Verschuldensmaßen im allgemeinen (unten S. 151).
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5. Unschädlichkeit falscher Argumente für die freie Anspruchskonkurrenz Die hier vorgetragene These wird schließlich auch nicht dadurch erschüttert, daß die Lehre von der freien Anspruchskonkurrenz gelegentlich mit unzutreffenden Argumenten begründet wird. Denn die freie Anspruchskonkurrenz versteht sich von selbst (dazu bereits oben S. 18-20). Unzutreffende Argumente, die der Stützung dieser Lehre dienen sollen, sind unschädlich, bedarf sie doch keiner weiteren Rechtfertigung mehr 60 . Es handelt sich um mißlungene Versuche, einen bereits vorhandenen Befund auszudeuten, was an ihm aber nichts ändert. Darunter fällt beispielsweise die frühere Rechtsprechung, die im Vertrag eine „Individualisierung und Verstärkung" der deliktischen Pflicht sah 61 . Ebenfalls weder überzeugend noch störend ist der häufig anzutreffende und auf den ersten Blick einleuchtende Gedanke, ein Geschädigter solle nicht nur deswegen, weil er einen Vertrag geschlossen hat, schlechter stehen als ein nicht am Vertrag beteiligter Dritter 62 . Er wird manchmal dahingehend variiert, daß er nur dann zu gelten habe, wenn die Gefahr, deren Verwirklichung zu Schadensersatzansprüchen führt, typischerweise auch Dritte gefährde, nicht aber, wenn sie sich ausschließlich auf Vertragspartner beziehe63. Aber die deliktische Verhaltenspflicht besteht unabhängig davon, wie vielen Personen gegenüber sie zu befolgen ist. Und es kann sehr wohl gerade wegen des Vertrages gerechtfertigt sein, daß eine Partei schlechter steht als ein nichtbeteiligter Dritter, sei es, weil sie in der Abrede aus welchen Gründen auch immer eine eingeschränkte deliktische Haftung in Kauf genommen hat, oder weil der Gesetzgeber auf Grund der besonderen Interessenlage bei einem Vertragstyp die deliktische Haftung in diesem Fall reduziert hat.
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Qaga S. 125. Grundlegend RGZ 88, 433, 435 (13.10.1916 III 145/16) = Recht 1916, Nr. 2090. Kritisch dazu Dietz Anspruchskonkurrenz S. 288-290, Fuchs Spl. 154-156, Knetsch S. 164-185. 62 Dietz Anspruchskonkurrenz S. 102; Hasse § 36 S. 170 f.; Karlsruher Forum Heinrichs S. 10; MünchKomm 3. Auflage - Kramer § 241 Rz. 29; Rengier S. 347; Schlosser S. 477 f.; im Ergebnis ebenso Georgiades Anspruchskonkurrenz S. 167 f. 63 v. Bilderling S. 73-76; Fromherz S. 447-454; Schlechtriem Haftung S. 1665 f.; Soergel - Huber Vorbemerkung § 459 Rz. 259 f. 61
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A. Grundlegung
6. Vorläufer und Entsprechungen der Auslegungslösung in Literatur und Rechtsprechung Das Ergebnis, nämlich gewöhnliche Auslegung konkurrierender Normen statt Anwendung besonderer Methoden oder Regeln für die Konkurrenz, findet - obwohl es naheliegend, ja selbstverständlich ist - in der Literatur kaum Vorläufer oder Entsprechungen. Den Gesichtspunkt der Auslegung betont in der neueren Literatur zwar Schlechtriem**, allerdings nicht, um damit die Konkurrenzfragen zu lösen. Das habe vielmehr durch Abgrenzung der „Vertragsordnung" von der außervertraglichen Haftung zu geschehen. Lediglich zur „konstruktiven Abstützung"65 der anderweit bereits gefundenen Ergebnisse, die weitgehend in einem Vorrang des Vertragsrechts für bestimmte Bereiche bestehen, soll dann die „liberale Auslegung"66 bestimmter Normen des Vertragsrechts dienen. Nach der hier vertretenen Auffassung folgt die Auslegung nicht der Gewinnung des Ergebnisses nach, sondern geht ihr voraus. Der hier vertretenen Ansicht schon näher kommen gelegentliche Bemerkungen in der Rechtsprechung, daß § 558 BGB weit auszulegen und auch auf Deliktsansprüche anzuwenden sei67. In der Tat handelt es sich bei § 558 BGB um das beste Beispiel einer Norm, die insbesondere auf Grund ihrer systematischen Stellung zunächst rein vertragsrechtlich scheint, bei der aber eine gründlichere Auslegung ergibt, daß sie auch Delikt erfassen soll. Auch sonst finden sich in der Rechtsprechung Entscheidungen, die bei der Lösung von Konkurrenzfragen den Gesichtspunkt der Untersuchung einzelner konkurrierender Normen in den Vordergrund stellen68.
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Schlechtriem Deliktsansprüche S. 137, Vertragsordnung S. 380,445. Dem zustimmend in der Besprechung von „Vertragsordnung und außervertragliche Haftung" Kühne S. 553. 65 Schlechtriem Deliktsansprüche S. 137. 66 Schlechtriem Vertragsordnung S. 445. 67 RGZ 95, 302, 303 (29. 4.1919 Iü 433/18); RGZ 66, 363, 364 f. ( 8.10.1907 m 86/07); BGH NJW 1964, 545 (18.12.1963 Vffl ZR 193/62). 68 BGHZ 36, 252, 255 (22.12.1961 1 ZR 152/59), jedoch für das Wettbewerbsrecht; BGHZ 116, 297, 300-302 (12.12.1991 I ZR 212/89) = NJW 1992, 1679, 1680 f. — Allerdings folgt in dieser Entscheidung dann doch eine hergebrachte Leerlaufprüfung, in der minutiös dargestellt wird, warum vertragliche und deliktische Haftung sich nicht völlig decken.
II. Konkurrenzfragen als Auslegungsprobleme
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Einen Vorläufer findet der hier vertretene Ansatz noch am ehesten in der Auffassung von Tahir Caga 69. Sein 1939 in der Schweiz veröffentlichtes Werk fand leider bisher kaum Resonanz70. Er betont zu Recht, daß es sich bei den Konkurrenzproblemen lediglich um reine Auslegungsfragen handelt. Allerdings berücksichtigt er die Literatur nur unvollständig. Insbesondere mit dem bereits 1934 erschienen Werk „Anspruchskonkurrenz zwischen Vertrag und Delikt" von Dietz setzt sich Qaga nicht auseinander. Auch die Entstehungsgeschichte des BGB erfaßt Qaga nicht immer zutreffend 71. Die eigentliche Schwäche von Qagas Dissertation liegt aber darin, daß er seine These nur für divergierende Verschuldensmaßstäbe entwickelt und im Bereich des gesetzlichen Vertragsrechts kaum konkret anwendet. Dadurch entgeht er auch der oft schwierigen Vorfrage, wann überhaupt eine Konkurrenzsituation vorliegt. Er versucht allein bei §§ 521, 690 BGB seinen Ansatz unter Beweis zu stellen, und selbst dabei kommt er zu keinem eindeutigen Ergebnis: Er ist bloß „eher geneigt, den Einfluß solcher Bestimmungen auf die Haftung aus unerlaubter Handlung zu bejahen"72. Was bei