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German Pages [236] Year 2000
Bauwelt Fundamente 50
Herausgegeben von Ulrich Conrads u n d Peter Neitzke Beirat: Gerd Albers Hildegard Barz-Malfatti Elisabeth Blum Eduard F ü h r Thomas Sieverts J ö r n Waher
Robert Venturi Komplexität und Widerspruch in der Architektur Herausgegeben von Heinrich Klotz
Bauverlag Gütersloh · Berlin
Birkhäuser Basel
Erstausgabe durch das Museum of Modern Art, New York Titel der amerikanischen Originalausgabe: Complexity and Contradiction in Architecture © The Museum of Modern Art, 1966 11 West 53 Street, New York, new York 10019 All rights reserved
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation m der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Deutsche Originalausgabe 1978 Unveränderter Nachdruck 2003 2., unveränderter Nachdruck 2013 Der Vertrieb über den Buchhandel erfolgt ausschließlich über den Birkhäuser Verlag. © 2000 Birkhäuser Verlag GmbH Em Unternehmen von De Gruyter Postfach 44, CH-4009 Basel, Schweiz und Bauverlag BV GmbH, Gütersloh, Berlin bau|l |l Verlag Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF GO Printed m Germany ISBN: 978-3-7643-6359-8 98765432
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Für meine Mutter und dem Gedenken meines Vaters
Danksagung
Der größte Teil dieses Buches entstand 1962 und wurde durch die Unterstützung der Graham Foundation ermöglicht. Dank schulde ich auch der Amerikanischen Akademie in Rom für ein Stipendium, das mir vor zehn Jahren ermöglichte, in Italien zu leben. Die folgenden Personen halfen mir: Vincent Scully, durch rege Anteilnahme und Kritik, die deshalb so hilfreich war, weil sie immer zur rechten Zeit kam; Marion Scully, durch ihre Kompetenz, durch Geduld und Verständnis bei ihrer Hilfe zur Präzisierung des Manuskripts; Philip Finkelpearl, der über Jahre hinweg in Meinungsaustausch mit mir stand; Denise Scott Brown, die mir ihre Kenntnisse über Architektur und Stadtplanung zu Verfügung stellte; Robert Stern, der an so manchen Stellen zu einer Bereicherung der Argumentation beitrug; Henry Ottmann und Ellen Marsh, Mitarbeiter des 'Museum of Modern Art', durch ihre Hilfe bei der Zusammenstellung des Bildmaterials. R. V.
Inhalt
Danksagung
6
Zum Geleit (Athur Drexler)
8
Einführung (Vincent Scully, 1966)
9
Vorwort (Robert Venturi, 1966)
15
Anmerkungen zur zweiten Auflage (Vincent Scully, 1977)
19
Anmerkungen zur zweiten Auflage (Robert Venturi, 1977)
21
1. Für eine beziehungsreiche Architektur! Ein behutsames Manifest
23
2. Komplexität und Widerspruch versus Simplizifierung und Flucht in das Pittoreske
25
3. Mehrdeutigkeit
31
4. Formen der Gegensätzlichkeit: Das Phänomen eines ,Sowohl-als-auch'in der Architektur
35
5. Fortsetzung über Formen der Gegensätzlichkeit: Elemente mit doppelter Funktion
49
6. Wechselweise Angleichung und die begrenzte Ordnungsleistung von Strukturen: das konventionelle Element
61
7. Die Vermittlung der Gegensätze
70
8
84
Das unvermittelte Nebeneinander der Gegensätze
9. Innen und Außen
105
10. Die Verpflichtung auf das schwierige Ganze
136
11. Eigene Werke
162
Anmerkungen
213
Nachwort des Herausgebers (Heinrich Klotz)
215
Nachweis der Abbildungen
223
Zum Geleit
Diese bemerkenswerte Studie ist die erste in einer Reihe von Arbeiten, die sich mit dem geistigen Hintergrund der modernen Architektur auseinandersetzen, und hier in unregelmäßigen Abständen erscheinen sollen. Im Gegensatz zur Publikationspraxis anderer Museen im Bereich Architektur und Design, soll diese Reihe unabhängig von den Ausstellungen des Museums fortgeführt werden. Sie soll Gedanken nachzeichnen, die zu vielschichtig sind, um in Form einer Ausstellung vorgeführt werden zu können, und auch die Autoren sollen nicht einer einzigen Fachrichtung angehören. Das Buch von Herrn Venturi wird von uns in Zusammenarbeit mit der ,Graham Foundation for Advanced Studies in the Fine Arts' herausgebracht. Es ist ein besonders geeignetes Werk, um diese Reihe zu eröffnen. Dem A u t o r war damals die Möglichkeit der Arbeit daran durch die Unterstützung der Graham Foundation ermöglicht worden. Wie seine Bauten, wendet sich auch das Buch von Robert Venturi gegen das, •was viele als Establishment oder zumindest als etablierte Meinung bezeichnen würden. Er spricht mit ungewohnter Offenheit und er bezieht sich dabei auf höchst wirksame Rahmenbedingungen: die zwiespältigen und manchmal unerfreulichen ,Tatsachen', von denen sich jeder Architekt zu jedem Zeitpunkt umstellt sieht und deren verwirrende Tücken Venturi gerade zum Bezugsrahmen architektonischer Gestaltung machen möchte. Dies ist ein neuer Ausgangspunkt, den Vincent Scully von der Yale Universität mit Leidenschaft verteidigt. Seine Einleitung kontrastiert den Überdruß an einem abstrakten, den Dingen übergestülpten Architekten-Design mit dem Vergnügen Venturis an der Wirklichkeit — besonders dort, wo die meisten Architekten versucht sein dürften, ihre widerspenstige Eigenheit auszulöschen oder zu verstecken. Venturis Empfehlungen können hier und heute schon überprüft werden: man m u ß dazu nicht auf neue Gesetze oder neue Technologien warten. Die Probleme in der Architektur, denen er zuleibe rücken will, sind von einer Lösung so weit entfernt, daß wir aufgerufen sind, ihm gut zuzuhören, ob wir seinen Ergebnissen nun zustimmen oder nicht. Arthur Drexler Department of Architecture and Design Museum of Modern Art, New York
Einführung von Vincent Scully
(1966)
Dies ist ein unbequemes Buch. Es verlangt eingehendes Studium und aufmerksame Betrachtung. Es taugt nicht für solche Architekten, die lieber ihre Augen herausreißen, als ihnen etwas zuzumuten. Ja, die Darlegungen dieses Buches wirken auf uns, als ob ein Vorhang vor unseren Augen langsam weggezogen werden würde. Schicht für Schicht, in einer Folge eindringlicher und konzentrierter Betrachtungen, gewinnt das gesamte Bild festere Konturen. Und dieses Bild ist neu — es kostet Überwindung, es anzusehen und Mut darüber zu schreiben, es bricht mit allen überkommenen Anschauungen und ist doch, wie alles Neue, selbst noch nicht in allen Details ausgeführt. Es ist auch ein sehr amerikanisches Buch, es wurzelt in einer kompromißlos pluralistischen Grundhaltung und bedient sich einer Methode, die immer auf das konkrete Phänomen zielt; man erinnere sich an Dreiser, der ebenso unbeirrt seinen Weg ging. Wahrscheinlich ist dies die bedeutendste Schrift über das Bauen seit Le Corbusiers ,Vers une Architecture' von 1923. Auf den ersten Blick scheint Venturis Standpunkt dem Le Corbusiers genau entgegengesetzt zu sein; aber auch eine erste und zwingende Ergänzung über die Zeiten hinweg.* Damit soll nicht behauptet werden, daß Venturi in Anspruch und Überzeugungskraft an Le Corbusier heranreicht, bzw. es tun wird. Nur wenige werden je wieder diese Höhe erreichen. Die Begegnung mit den Bauten Le Corbusiers hatte sicherlich keinen geringen Einfluß auf die Ausbildung der Gedanken Venturis. Dennoch aber sind seine Thesen das notwendige Gegengewicht zu denen Le Corbusiers, wie sie in dessen frühen Schriften ausgeführt sind und seither zwei Generationen von Architekten geprägt haben. Das vorangegangene der beiden Bücher forderte einen vornehmen Purismus in der Architektur, für den einzelnen Bau genauso wie für die ganze Stadt; das neuere bejaht die Komplexität und die Gegensätzlichkeit urbaner Formen in allen Bereichen. Es kennzeichnet eine völlige Verlagerung der Akzente und wird dadurch einige von denen, die meinen, *
Ich vergesse dabei nicht Bruno Zevis Buch ,Towards an Organic Architecture' von 1950, das sich auch selbst als eine Replik auf Le Corbusier verstand. Es kann aber deshalb nicht als Ergänzung zu Le Corbusiers Buch, bez. als ein Fortschritt über dieses hinaus betrachtet werden, da es kaum mehr war als ein Protest darauf, im Namen .organischer' Grundsätze, die von anderen Architekten als Zevi formuliert worden waren und die damals den Höhepunkt ihrer Wirksamkeit denn auch schon längst hinter sich gelassen hatten. Ihre gelungenste Verwirklichung war das Werk von Frank Lloyd Wright vor 1914, und dieser hatte sie in seinen Schriften aus dieser Zeit auch am klarsten propagiert.
heute noch Le Corbusier zu folgen, genauso in Rage bringen wie damals Le Corbusier selbst diejenigen, die noch der Bewegung der ,Beaux-Arts' anhingen. So betrachtet, ergänzen die beiden Bücher einander; in einer entscheidenden Hinsicht entsprechen sie sich sogar; beide sind von Architekten geschrieben, die wirklich etwas aus dem architektonischen Erbe bewahrt haben. Nur wenige der zeitgenössischen Architekten haben dies vermocht. Stattdessen neigten sie dazu, sich in verschiedener Weise in eine Haltung zu flüchten, die nur als Beschwörung des Vergangenen bezeichnet werden kann. Für Le Corbusier und Venturi war die Begegnung mit der Vergangenheit eine direkte und ganz persönliche Erfahrung gewesen. Beide waren sie deshalb fähig, sich von starren Schablonen des Denkens und den Moden der Zeitgenossen zu lösen; sie folgten so dem Gebot Camus', ,,unsere Zeit und ihre unreifen Kräfte" hinter sich zu lassen. Beide lernten sie von sehr verschiedenen Dingen. Le Corbusiers größter Lehrmeister war der griechische Tempel, in seiner plastischen, weißen Körperlichkeit, freistehend in der weiten Landschaft und in all seiner Kargheit von der Sonne erleuchtet. In seinen frühen Streitschriften war dieser sein Vorbild für seine Bauten und seine Städte, und auch seine reife Architektur wurde mehr und mehr zu einer neuen Verkörperung des plastischen, nach außen wirkenden und heroischen Gestus des griechischen Tempels. Venturis erster prägender Eindruck kam gerade vom historischen und archetypischen Gegenteil des griechischen Tempels, den Urbanen Fassaden Italiens mit ihren vielfältigen Anpassungen an die gegensätzlichen Erfordernisse des Drinnen und des Draußen, ihrem Verhaftetsein mit den Aktivitäten des Alltags: sie sind keine plastischen Male in einer weiten Landschaft, sondern komplexe räumliche Gehäuse, die zugleich Straßen und Plätze zwischen sich eingrenzen. Derartige .Anpassung' wird denn auch für Venturi zu einem allgemeingültigen Gestaltungsprinzip des Urbanen. Darin ähnelt er wiederum Le Corbusier, weil sie beide zutiefst Augenmenschen, plastisch gestaltende Künstler sind, deren eindringliche Konzentration auf das einzelne Gebäude eine neuartige optische und symbolische Einstellung dem Urbanen Ganzen gegenüber bewirkt — nichts von der schematischen bzw. auf zwei Dimensionen eingeschrumpften Sicht, der viele Planer zuneigen, sondern eine Folge echter Gestaltungen, Architektur in des Wortes ganzer Bedeutung. Diese Formensprache ist aber bei Le Corbusier und Venturi in einer Hinsicht total verschieden. Le Corbusier, der hier der Seite seiner vielseitigen Natur folgte, die einer cartesianischen Klarheit verpflichtet ist, verallgemeinerte in ,Vers une Architecture' sehr viel bereitwilliger als Venturi hier in diesem Buch, und er stellt klare, allgemeingültige Normen für alle Bereiche der Architektur auf. Venturi dagegen bietet nur einzelne Bausteine dafür an; er bewegt sich nur Schritt um Schritt und geht viele Kompromisse ein. Seine Schlußfolgerungen sind nur unter Berücksichtigung des konkreten Falls zu verallgemeinern. Aber es will mir scheinen, als ob sein Vorhaben, sein Wissen um die Komplexität und seine Achtung vor dem Existierenden zu einem notwendigen Damm gegen die verheerende
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Sintflut des Purismus werden könnten, die heute so viele Städte im Maße ihres Umbaus an den Rand einer Katastrophe gespült hat. Le Corbusiers Ideen haben hier eine fürchterliche Verbreitung gefunden, sie sind Träume eines Giganten, die tausendfach wahrgemacht wurden — als ob ein Achill zum König gemacht würde. Dies ist wohl auch der Grund, warum Venturi so durch und durch antiheroisch ist und seine Empfehlungen nach allen Seiten beinahe unwillkürlich ironisch relativiert. Auch Le Corbusier konnte ironisch werden; aber seine Ironie war beißend, ein Lächeln mit entblößten Reißzähnen. Venturi dagegen zuckt traurig mit den Schultern und wendet sich anderem zu. Es ist die Antwort seiner Generation auf die hochgestochenen Ansprüche, die sich in der Wirklichkeit nur als destruktiv oder kümmerlich erwiesen haben. Wie alle eigenständigen Architekten lehrt uns Venturi, die Vergangenheit in neuem Licht zu sehen. Ich selbst war einmal auf bestimmte Traditionen des 'shingle-style' — vor dem Auftreten von Wright — eingeschworen gewesen, und Venturi brachte mich dazu, dessen gegensätzliche Eigenschaften wieder schätzen zu lernen: die komplizierte Vermittlung zwischen dem Inneren und dem Äußeren, womit diese Architekten sicherlich auch eigenen Neigungen folgten. In ähnlicher Weise hat er die Aufmerksamkeit wieder auf das Gestaltungsprinzip der Angleichung in den frühen Plänen Le Corbusiers gelenkt. So erwecken alle schöpferischen Architekten das Totgeglaubte wieder zu neuem Leben. Es ist deshalb wahrscheinlich, daß Le Corbusier und Venturi sich in ihrer Beurteilung Michelangelos einig wären; in dessen Werk gehen der heroische Impuls und eine differenzierte Ausarbeitung eine ungewöhnliche Verbindung ein. Venturi bezieht sich weniger als Le Corbusier auf die integrierenden Aspekte von Michelangelos Entwurf für St. Peter, wie aber die Fensterordnung seines ,Friends housing for the Elderly' zeigt, kann er wie Le Corbusier etwas wahrnehmen und in eigene Werke umsetzen; den schmerzlichen und doch so gewaltigen Mißklang zwischen den Apsiden, diese traurige und doch so große Musik zu einer sterbenden Kultur, zum Schicksal der Menschheit auf einem erkaltenden Planeten. In diesem Sinn ist Venturi, trotz seines ironischen Verzichts, einer der wenigen amerikanischen Architekten, deren Werk tragische Größe erreichen und so die Tradition der Furness, Louis Sullivan, Wright und Kahn fortsetzen können. Sein Wirken bezeugt die Kraft der einander ablösenden Generationen einer Kultur, einem bestimmten Inhalt eindringliche Formen zu geben. So viel davon entstand in Philadelphia: Frank Furness arbeitete dort und ebenso der junge Sullivan; dann kamen Wilson Eyre, George Howe und schheßlich Louis Kahn. Ihm steht Venturi am nächsten; Kahn ist der Mentor fast aller der besten jungen amerikanischen Architekten und Architekturlehrer des letzten Jahrzehnts. Giurgola, Moore, Vreeland und Miliard gehören z.B. in diese Reihe. Der Dialog, der sich so entspann und in dem auch der Holländer Aldo van Eyck eine hervorragende Rolle spielte, hat sicherlich viel zu Venturis Entwicklung beigetragen. Kahns Theorie der ,Institutionen' wurde grundlegend für alle diese Architekten; aber Venturi vermeidet Kahns Voreingenommenheit für durchgehende strukturelle 11
Ordnungen zugunsten einer flexibleren, eher an der Funktion orientierten Auffassung, mit der er Alvar Aalto näher steht. Anders als seine Schriften sind Venturis Entwürfe ganz ohne Anspannung. In ihnen zeigt sich eine Leichtigkeit wie bei den barocken Architekten; und wie sie arbeitet Venturi an ihrem szenischen Gesamteindruck. (Sein Plan für das ,Roosevelt Memorial', vielleicht die beste, sicherlich die originellste der eingegangenen Arbeiten, beweist die Gereiftheit und die Größe seines szenographischen Talents.) Bei ihm findet sich nichts von Kahns schrecklichem inneren Kampf, nichts von dem verbissenen Widerstreit zwischen strukturellen und funktionalen Tendenzen, die um Ausdruck ringen. Ihm geht es vor allem um die konkreten Einzelheiten, und er bietet damit die notwendige Alternative zu all den technokratischen Gleichmachern, die unsere Z u k u n f t verbauen. Es gibt da sicherlich keine Meinungsverschiedenheit mit Le Corbusier, oder auch mit Mies, es sei denn, was die stereotype Regelhaftigkeit der Formensprache des letzteren betrifft. Viele verschiedene Talente können die gleiche Welt bewohnen; eine derartige Vielfalt ist tatsächlich das höchste Versprechen des modernen Zeitalters an die Menschheit; und solches entspricht weit eher deren Wesen als oberflächliche Gleichförmigkeit, oder auch andere gleichermaßen willkürliche Verpackungen, wie uns der vergangene erste Abschnitt dieser Moderne glauben machen will. Eine ganze Menge oberflächlicher Dekorateure ist allerdings auch heute noch dieser Meinung und will auch um keinen Preis davon lassen. Festzuhalten bleibt, daß Venturi in seiner Philosophie und in seinem Werk ein wahrer Humanist ist. Sein Buch gleicht Geoffrey Scotts grundlegendem Werk ,The Architecture of Humanism' von 1914. Wie dieses hält es sich vor allem an die Handlungen menschlicher Wesen, und es betrachtet eher ihre Hervorbringungen als ihre dahinterstehenden Gedanken. Venturi ist darin ein italienischer Architekt in einer großen Tradition. Seine Bekanntschaft mit dieser Tradition verdankt er dem Studium der Kunstgeschichte in Princeton und einem Stipendium für die Amerikanische Akademie in Rorii. Wie sein ,Friends-Housing of the Elderly' gleichermaßen zeigt, ist er aber auch einer der wenigen Architekten, deren Gedanken sich mit denen der Pop-Maler teilweise decken — und er ist sicherlich der erste Architekt, der die Aussage und die Verwendbarkeit ihrer Formen begriffen und genutzt hat. Offensichtlich hat er während der letzten Jahre viel von ihnen gelernt, doch lagen die wichtigsten Thesen dieses Buches schon in den späteren 50er Jahren vor, datieren also schon aus der Zeit v o r d e r Kenntnis ihrer Werke. Sein Satz ^lainstreet ist almost allright' könnte direkt von ihnen stammen; bei ihm erklärt er sich aus seinem Gespür für Maßstabsveränderungen bei kleinen Bauten und für die unerwartete Lebendigkeit der gewöhnlichen Produkte der Massenkultur, wenn sie einmal ernst genommen und für sich allein betrachtet werden. Das ,Ρορ'-Element in Le Corbusiers ,Purismus', wie übrigens auch in dem des jungen Léger soll hier nicht unterschlagen werden; es bekommt in dem Maße wieder historische Bedeutung, wie die Lektion der Pop-Kunst, extreme Maßstabsveränderung und Konzentration auf Ausschnitte, 12
erneut gelernt wird. Ich glaube, daß Le Corbusier, der doch auch Maler und Theoretiker war, Venturis Verbindung von visuell effektvollen Methoden und intellektuell kontrollierten Zielen am besten verstanden hätte. In dieser Hinsicht ist es bezeichnend, daß die Ideen Venturis bittere Ressentiments unter den orthodoxen Vertretern der am Bauhaus orientierten Architektengeneration freigelegt haben. Diese Leute verfügen über keinen Funken an Ironie, ihre Ablehnung der Massenkultur und ihr zittriger Griff nach allem, was den Anschein von Exklusivität für sich hat, trägt altjüngferliche Züge, sie sind unfähig, die Dimension des Monumentalen zu ertragen, leisten dem technologischen Modernismus bereitwillig Lippendienste und sind befangen in einer dünnblütigen und puristischen Ästhetik. Der größte Teil des BauhausDesigns der 20er Jahre, bei Bauwerken und bei Möbeln gleichermaßen, kann durch genau solche Umschreibungen ausgeschieden werden gegenüber Le Corbusiers großzügigeren und reicheren Formen aus der gleichen Zeit. Zwei Stränge der modernen Architektur scheinen hier auseinander zu laufen; Le Corbusier und Venturi gehören dabei der gleichen Richtung an, sie arbeiten beide mit größerer Offenheit und einer humaneren Gesinnung, von der ganzen Anlage her sind sie Architekten, nicht ,Gestalter'. Venturis Plan einer Stadthalle für North Canton in Ohio zeigt, daß seine Architektur auch in Verbindung mit dem Spätwerk von Sullivan steht und so mit der am tiefsten verwurzelten, unverbrauchten Kraft der ganzen eigenständigen amerikanischen Tradition. Für uns Amerikaner ist es sicherlich Venturis größtes Verdienst, daß er uns wieder die Augen dafür öffnet, wie die Dinge in Amerika beschaffen sind — in einer Kleinstadt nicht anders als in New York — und daß er aus unseren gewöhnlichen, planlos und in Massen produzierten Bauten wieder eine solide Architektur, ja Kunst zu machen vermag. Indem er dies tut, erweckt er volkstümliche Traditionen zu neuem Leben, belebt er in Nischen abgedrängte Baumethoden aus der Zeit vor der ,Beaux-Arts'-Bewegung, aus der Zeit vor dem Internationalen Stil. Er führt damit die Erneuerung u n d Anknüpfung an unsere gesamte vergangene Tradition fort, wie schon Kahn in seinem reifen Werk. Es kann nicht verwundern, daß nur wenige aus der Bande unserer Baulöwen ihn ertragen können; sie haben zuviel Einfluß in unserem amerikanischen Land, und dabei gleichen sie doch Dorfjungen, die ihre Nase gegen die Schaufenster der Zuckerbäcker pressen und denen zum erstenmal das nötige Kleingeld zwischen den Fingern juckt. Sie kaufen jeden Schund, bunten Plunder, der von einer Armee von Unternehmern in Sache Architektur vorfabriziert wurde, von Leuten, die salbungsvoll und selbstgefällig falsche Schlichtheit und Grabeskälte liefern: dies ist die gegenwärtig gefragte Verpackung par excellence. Was sie bei Venturi zu sehen bekommen, ist solchen Leuten sowohl zu kompliziert als auch wiederum zu alltäglich; in ihren Vorstellungen von Architektur und in ihren Sozialplänen für die Sanierungsbetroffenen hat immer Vorrang, was weitergehende Aspekte und Bedürfnisse der sozialen Realität zu verkleistern geeignet ist. Gerade weil Venturi soziale Tatsachen respektiert und sie nimmt, 13
wie sie sind, ist er der letzte der ,Stilisten' unter den Architekten, stößt er immer direkt zum Kern einer Sache vor und setzt er entschlossen seine Akzente, ohne Vorspiegelung netterer Tatsachen und ohne Verwendung verunklärender Beiläufigkeiten. Obwohl er auch von der Architektur des Manierismus gelernt hat, sind seine Werke in keiner Weise .manieriert', sondern überraschend direkt. Ganz oben krönt eine Fernseh-Antenne von entsprechendem Ausmaß sein Altersheim in Philadelphia, genauso wie sie — man mag das nehmen wie man will, es ist eine Tatsache — im Zentrum des Lebens unserer alten Leute steht. Welche Art von Wahrheit das auch sein mag. Venturi gibt ihr Gestalt, aber er belügt uns nicht über die Fakten. In unmittelbarstem Sinn interessieren ihn die Funktionen, und die starken Formen verdanken sich dem Ausdrucksgehalt des Funktionalen. Anders als viele Architekten seiner Generation gibt er sich nicht vornehm. Kein Wunder, daß Venturis Bauwerke nicht auf bereitwillige Anerkennung gestoßen sind; sie waren sowohl zu neu als auch wegen ihrer ,Anpassung' an komplexe Rücksichten zu ehrlich, zu unprätentiös für den Geschmack der Überflußgesellschaft unseres Jahrzehnts. Venturi lehnte es ab, da viel herzumachen, wo nichts ist, in aufdringlichen Posen zu schwelgen oder kurzlebigen Moden Konzessionen zu machen. Seine Werke sind das Ergebnis einer gründlichen, systematischen Analyse über Nutzung und äußere Erscheinung, und sie fordern deshalb eine weitgehende Veränderung unserer Einstellungen als Vorbedingung ihres Verständnisses. Dennoch sind die Vorstellungen, die uns erst befähigen würden, den symbolischen Gehalt zu erkennen, noch kaum gefestigt. Dies Buch mag dabei eine Hilfe sein. Ich glaube, daß sich später zeigen wird, daß es zu den wichtigsten Werken unserer Zeit gehört — ein Buch, das trotz seines unheroischen Mangels an hoch gesteckten Ansprüchen, trotz des Blickwechsels von den Champs-Elysées zur Main-Street, dennoch einen Dialog aufgreift, der in den zwanziger Jahren eröffnet worden war und uns mit der heroischen Generation der modernen Architektur wieder in Zusammenhang bringt.
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Vorwort von Robert
Venturi
(1966)
Dieses Buch ist ein Versuch in Architekturkritik und gleichzeitig eine Präsentation, indirekt auch eine Rechtfertigung, meiner eigenen Werke. Ich bin ein praktisch tätiger Architekt, und meine Gedanken über Architektur überhaupt sind ein Nebenprodukt der kritischen Überlegungen, wie sie notwendig die eigene Arbeit begleiten; T. S. Eliot meinte übrigens, daß solches ,,ein gewichtiger Teil ... bei der schöpferischen Arbeit ist. Der größere Teil dieser Arbeit, Sichten und Vorprüfen, Kombinieren, Konstruieren, Verwerfen, Verbessern und Überprüfen, diese belastende Plackerei, fördert die Kritikfähigkeit ebenso wie die Produktivität. Ich behaupte sogar, daß die kritische Betrachtung der eigenen Werke - Geschick und Übung beim Schreiben vorausgesetzt — die beste Art des Kritisierens i s t . . . . " [ l ] * Ich schreibe also als ein Architekt, der sich des Mediums der Kritik bedient, nicht aber als Kritiker, der sich die Architektur zum Gegenstand seines Räsonnements gewählt hat. Das vorliegende Buch soll dabei eine besondere Gewichtung, eine besondere Betrachtungsweise der Architektur vorstellen, von der ich glaube, daß sie ihre gute Berechtigung hat. In dem bereits zitierten Essay schreibt Eliot über die Zergliederung und den Vergleich als Werkzeug der literarischen Kritik. Diese kritischen Methoden sind auch auf die Architektur anwendbar. Wie jeder andere Bereich der Erfahrung ist auch die Architektur einer Analyse zugänglich und kann durch den Vergleich nur an Lebendigkeit gewinnen. Zu analysieren bedeutet hier, Architektur in ihre Einzelteile zu zerlegen, eine Vorgehensweise, der ich o f t folge, obwohl sie zunächst das gerade Gegenteil von Integration ist, dem letzten Ziel der Kunst. So paradox dies auch anmuten mag und trotz allen Mißtrauens, das moderne Architekten diesbezüglich hegen, diese Zergliederung ist ein Prozeß, der mit aller schöpferischen Tätigkeit Hand in Hand geht; sie erleichtert dann auch das Verständnis des Geschaffenen. Selbstkontrolle ist ein unverzichtbarer Teil des kreativen Prozesses und der Kritik. Architekten werden heute so geprägt, daß sie entweder unsentimental routiniert oder bis zum Überschwang spontan sind; was die Kritik betrifft, so ist die Architektur eine viel zu ernste und komplexe Angelegenheit, als daß man ihr mit einer selbstgefällig gepflegten Ignoranz gerecht werden könnte. Ich bin Architekt und versuche, mich nicht durch Gewohnheit, sondern durch einen wachen Sinn für das Vergangene — nach dessen vorgängiger und reiflicher
* Ziffern in eckigen Klammem verweisen auf die Anmerkungen S. 2 1 3 ff. 15
Prüfung — leiten zu lassen. Die gewählten historischen Vergieichsobjekte sind Teil einer ununterbrochenen Tradition, die auch meine Problemstellungen prägen. Was Eliot über Tradition schreibt, ist auch für die Architektur bedeutsam, ungeachtet der objektiven Wandlungen in den Methoden der Architektur, wie sie den technologischen Neuerungen geschuldet werden. ,,Ιη der englischen Literatur", sagt Eliot, „ist nur selten von Tradition die Rede. Kaum je wird selbst der Begriff gebraucht, höchstens in herabsetzendem Sinn. Falls die Wertung doch anders ausfällt, meint der Begriff eine halbherzige Zustimmung, aber wiederum einschränkend nur bei einem bereits anerkannten Werk, bzw. kennzeichnet eine gefällige historisierende Nachschöpfung. Wenn die einzige Form des Umgangs mit Tradition, ihre Weitergabe, nur darin bestehen könnte, den Pfaden der unmittelbar vorangegangenen Generation zu folgen, ängstlich und für alles andere blind nur auf deren Leistung zu starren, dann sollte .Tradition' in der Tat klein geschrieben werden. ... Tradition bedeutet sehr viel mehr. Sie kann nicht einfach ererbt werden; wer sie besitzen will, m u ß sie unter großen Opfern sich erst erwerben. Dies verlangt, vor allem anderen, ein Gespür für das Besondere der jeweiligen Zeitströmung; wer über sein fünfundzwanzigstes Jahr hinaus Schriftsteller bleiben will, kann dem schlechterdings nicht entraten. Dieses Gespür für die geschichtliche Dimension meint aber nicht nur ein Bewußtsein von der Vergangenheit des Vergangenen, sondern das seiner fortwirkenden Gegenwärtigkeit. Der Sinn für das Geschichtsmächtige zwingt den einzelnen in einer Weise zu schreiben, die nicht nur den Lebensbedingungen seiner eigenen Generation gehorcht, sondern einem Wissen davon folgt, daß die gesamte bisherige Literatur Europas in die Gegenwart hereinwirkt und damit gleichzeitig Elemente einer Struktur festlegt. Ein solches Geschichtsverständnis, das Wissen um das Zeitlose und das zeitbedingt Wandelbare, um das der Zeit gleichzeitig Unterworfene und Entrückte, läßt einen Schriftsteller zum traditionsbewußten Schriftsteller werden; es läßt ihn mit schmerzlicher Deutlichkeit bewußt werden, an welchem geschichtlichen Ort er steht, welcher Zeit er Zeitgenosse ist. ... Kein Dichter, kein JCünstler hat das Ganze seiner Auffassungen nur aus Eigenem."[2] Ich stimme Eliot zu; gleichzeitig wende ich mich gegen die unselige Fixierung vieler moderner Architekten, die — um Aldo van Eyck zu zitieren — ,,stets immer nur auf dem herumreiten, was unsere Zeit von anderen unterscheidet und das in einem solchen Maße, daß sie die Verbindung mit dem, was sich nicht unterscheidet, was immer das Gleiche geblieben ist, völlig verloren h a b e n . " [3] Die Auswahl der Beispiele läßt meine Vorliebe für einige bestimmte Epochen der Kunstgeschichte erkennen: Manierismus, Barock und besonders das Rokoko. Henry-Russell Hitchcock hat sich so ausgedrückt: „Es besteht immer eine drängende Notwendigkeit, die Werke der Vergangenheit neu zu prüfen. Man kann wohl annehmen, daß unter Architekten fast immer ein genuines Interesse an Baugeschichte besteht, aber was an Aspekten oder Perioden dieser Geschichte zu einer bestimmten Zeit eine besondere Aufmerksamkeit lohnend macht, wird sicherlich auch mit der persönlichen Aufnahmebereitschaft variieren."[4] 16
Als Künstler nehme ich mir die Freiheit, über das zu schreiben, was mir in der Architektur gefällt: Komplexität und Widerspruch. Von dem, was uns positiv berührt — wovon wir leicht angezogen werden —, können wir viel über uns selbst lernen. Louis Kahn sprach o f t von dem „was die Dinge sein wollen", aber dieser Satz enthält auch sein Gegenteil: was der Architekt will, daß die Dinge sein sollen. In der Spannung und in der Balance zwischen diesen beiden Seiten liegt vieles, worüber der Architekt entscheiden muß. Die angestellten Vergleiche beziehen sich in einigen Fällen auch auf Bauwerke, die weder schön noch beeindruckend sind; zusätzlich wurden die vorgeführten Beispiele auch noch aus ihrem historischen Kontext herausgelöst. Dieses Vorgehen halte ich für gerechtfertigt, weil ich mich weniger an der Idee eines Stiles orientiere, sondern auf Eigenheiten achte, die einem bestimmten Bauwerk zukommen. Ich schreibe als Architekt, nicht als Gelehrter. Ich schreibe in einer Art über Baugeschichte, wie sie von Hitchcock charakterisiert worden ist: „Einst galt fast alle Nachforschung über vergangene Architektur ihrer exakten Rekonstruktion — sie war ein Mittel zu ihrer Wiederbelebung. Das trifft heute nicht mehr zu, und es spricht auch nur wenig dafür, daß sich dies auf absehbare Zeit wieder ändern könnte. Architekten und Baugeschichtier, resp.-kritiker des frühen 20. Jahrhunderts lehrten uns — sofern sie sich nicht eh darauf beschränkten, sich aus dem Steinbruch der Baugeschichte das Passende als Munition für ihre ständigen polemischen Fehden herauszubrechen —, alle Architektur isoliert und abstrakt zu betrachten. Die Vielschichtigkeit produktiver Sensibihtät, der wir das meiste der ganz großen Architektur der Vergangeheit zu verdanken haben, konnte eine derart beengte Sichtweise nicht gerecht werden. Wenn wir diesen oder jenen Aspekt früheren Bauens wieder neu einschätzen lernen, oder gar erst für uns entdecken, dann ganz ohne jeden Gedanken daran, diese Bauformen zu wiederholen, sondern vielmehr in der Erwartung, dadurch einer neuen, vielseitigeren Kreativität, die dennoch ganz dieser Gegenwart gehört, Anregungen zu geben. Für den reinen Historiker mag diese Einstellung bedauerlich erscheinen, weil dadurch subjektive Absichten an den Gegenstand herangetragen werden, und er mag glauben, daß kontrollierte Forschung angemessener wäre. Aber auch der reine Historiker wird sich zumeist irgendwann auf einem Weg wiederfinden, dessen Richtung durch andere vorgegeben wurde; durch Trendmacher mit einer feinen Witterung für das Zukünftige." [5] Ich unternehme keinen besonderen Versuch, Architektur mit anderen Gegenstandsbereichen zu verknüpfen. Ich habe auch nicht versucht, „die Verbindungshnien zwischen Wissenschaft und Technologie einerseits, den Geistes- und Sozialwissenschaften andererseits nachzuzeichnen ... und aus der Architektur eine menschlichere, soziale Kunst zu machen."[6] Ich versuche über Architektur zu sprechen, nicht darum herum zu reden. Sir John Summerson sprach von der einseitigen Fixierung der Architekten ,,auf die Bedeutung nicht der Architektur, sondern der Bezüge der Architektur zu anderen Dingen".[7] Überspitzt formulierte er, daß die Architekten in diesem Jahrhundert den ,,boshaften Vergleich", 17
eine eklektische Nachahmung des 19. Jahrhunderts zu versuchen, abwehren konnten, sich dafür aber nachsagen lassen müssen, daß sie zwar das Terrain für eine Architektur vorbereiten, aber keine Architektur mehr bauen.[8] Das Resultat war Planung nach vorgegebenem Raster. Der stets schwindende Einfluß des Architekten und seine wachsende Unfähigkeit, das Ganze der gebauten Umwelt zu gestalten, können vielleicht — das mag ironisch anmuten — durch eine Verkleinerung des zu verantwortenden Bereichs und durch eine Konzentration auf seine Teilaufgabe wieder rückgängig gemacht werden. Vielleicht erledigen sich dann die Probleme mit den weiterführenden Bezügen und die Sache mit dem schwindenden Einfluß ganz von selbst. Ich bin bereit anzuerkennen, was mir die immanenten Grenzen der Architektur zu sein scheinen und versuche, mich innerhalb dieser Grenzen auf die konkreten Schwierigkeiten zu konzentrieren. Ich lehne es jedoch ab, mich in sicherlich weniger beschwerlicher Abstraktion über Architektur überhaupt zu ergehen . . . ,,weil die Künste (wie man in der Antike sagte) zu den praktischen, nicht aber zu den spekulativen Betätigungen zählen; es kann deshalb keinen Ersatz dafür geben, eine solche Sache auch wirklich a n z u p a c k e n . " [ 9 ] Dieses Buch handelt von der Gegenwart, von der Vergangenheit nur in Beziehung auf die Gegenwart. Es wird darin kein Versuch unternommen, Prophezeiungen abzugeben, es sei denn die Einsicht, daß die Zukunft schon heute gemacht wird. Es ist nur sehr beiläufig auch ein polemisches Buch. Alle Aussagen verstehen sich durch ihren Bezug auf die gängige Art von Architektur, woraus sich notwendig bestimmte Zielrichtungen der Kritik ergeben — allgemein gegen die Borniertheit der orthodoxen modernen Architektur und Stadtplanung, gezielter gegen schwachköpfige Architekten, die autarke Isoliertheit, Technologie bzw. elektronische Programmierung zu letzten Zwecken in der Architektur erheben, gegen gewissenslose Meinungsmacher, die „bezaubernde Märchen über unsere chaotische Wirklichkeit"[ 10] zusammenschmieren und die alle unübersehbare Vielfalt, alle Widersprüchlichkeiten, wie sie zum Wesen der Kunst und der realen Erfahrung gehören, unterschlagen. Dennoch ist dieses Buch eher eine Analyse dessen, was meiner Meinung nach für die moderne Architektur richtig ist, nicht aber ein Pamphlet gegen falsche Auffassungen.
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Anmerkungen zur zweiten Auflage von Vincent Scully
(1977)
Es ist unmöglich, Form und Inhalt zu trennen; das eine ist undenkbar ohne das andere. Es kann dabei lediglich um unterschiedliche Einschätzungen der wichtigsten Vermittlungsformen gehen, mittels derer dem Betrachter ein Inhalt nahegebracht wird: durch Einfühlung, meinte man im 19. Jahrhundert, könne der Inhalt sinnlich erfahrbar werden; durch die Entschlüsselung von Zeichen, meinen die Linguisten, könne dieser Inhalt freigelegt werden. Jede der beiden Seiten würde wohl darin übereinstimmen, daß das entscheidende Moment in diesem Prozeß gedanklicher Verarbeitung die Gedächtnisleistung ist. Einfühlung und das Wiedererkennen von Zeichen sind beides erlernte Reaktionen, das Resultat einer besonderen kulturellen Prägung. Diese zwei Arten, Gewißheit zu erlangen bzw. aus der umgebenden Realität abzuleiten, ergänzen einander. Sie sind in wechselnder Zusammensetzung an den Prozessen der Formung und auch der Rezeption aller Kunstwerke beteiligt. In dieser Hinsicht sind Produktion und Rezeption der Architektur, wie jeder Kunst, immer historisch-kritische Handlungen und als solche bestimmt durch das, was Architekt und Betrachter in ihrem Leben vermittels ihrer Erfahrung mit den Dingen gelernt haben, für bedeutsam zu halten und durch das Bild, das sie sich davon gemacht haben. Daraus folgt, daß die Intensität unserer Berührung mit der Kunst und der Gewinn daraus abhängig ist von der bestimmten Art unserer historischen Erfahrung; und es ist offensichtlich, daß es hier um Erfahrung, nicht um bloßes Wissen geht. Die beiden Hauptwerke Venturis haben sich exakt an dieser Prämisse orientiert. Sie umfassen sowohl den kritischen als auch den historischen Aspekt. Das hier vorliegende erste Werk, das auch einige bedeutsame Formen der literarischen Kritik in die Architekturbetrachtung übernommen hat, hatte es sich zur Hauptaufgabe gemacht, die psychische Reaktion auf gebaute Formen zu untersuchen und ist demgemäß auch methodisch auf das Nachfühlbare abgestellt. Das zweite Buch Venturis (in Zusammenarbeit mit Denise Scott Brown und Steven Izenour) befaßt sich vor allem mit der Bedeutung von Zeichen in der Kunst und orientiert sich deshalb an einem linguistischen Ansatz. Diese beiden Bücher, die in ihrer Argumentation nie die optische Dimension aufgeben, umreißen für die Architekten der Gegenwart in beeindruckender Weise eine Ästhetik, mit der sich arbeiten läßt. Aus der zeitlichen Distanz heraus empfinde ich es in doppelter Weise als Ehre, damals um ein Vorwort für die erste Auflage gebeten worden zu sein. Ich glaube heute, daß dieses Vorwort nicht an das Buch selbst (es war von Marion Scully 19
herausgegeben worden) heranreicht, in seinen Schlußfolgerungen war dieses Vorwort aber peinlich korrekt. Insbesondere bin ich heute darüber befriedigt, daß ich damals schon den Witz und den Mut hatte, ,Complexity and Contradiction' als die bedeutendste Schrift über Architektur seit Le Corbusiers ,Vers une Architecture' von 1923 vorzustellen. Die Zeit hat inzwischen erwiesen, daß diese kühne Feststellung nichts als die ungeschminkte Wahrheit ist. Die Kritiker, die damals meinten, eine solche Einschätzung könne nur erheitern oder sie sei unqualifiziert oder empörend, verwenden heute viel Mühe darauf, mit einem Venturi-Zitat operieren zu können, ohne jedoch seinen Namen zu nennen, oder sie schelten ihn, daß er a u f h a l b e m Wege stehen geblieben sei;mancheversuchen sogar den Nachweis zu führen, daß sie das alles schon lange vorher auch gesagt hätten. Das hat nicht viel zu bedeuten. Was zählt, ist allein die Tatsache, daß dieses brillante und befreiende Buch zu dem Zeitpunkt erscheinen konnte, zu dem es tatsächlich erschienen ist. Es versah Kritiker und Architekten mit neuen, angemesseneren und wirksamen Argumenten; die Breite u n d Wichtigkeit der Diskussion, die inzwischen über Architektur in Gang gekommen ist, verdankt sich zu einem guten Teil diesem Buch. Vornehmlich interessieren aber auch die Bauten einer neuen beredten Ausdrucksweise, die durch diese Gedanken angeregt wurden. Die Werke von Rauch und Venturi bleiben dabei — und man ist davon sicher nicht überrascht — als die intelligentesten Beispiele, als wegweisend und doch von vornehmer Zurückhaltung, am ehesten im Gedächtnis. Wieder einmal hat das ^ l u s e u m of Modern Art' etwas Bedeutendes ins Werk gesetzt, als man dieses Buch förderte, ähnlich wie mit der Übernahme der großen Ausstellung, die zu dem Werk ,The International Style' (1932) von Hitchcock und Johnson führte.
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Anmerkungen zur zweiten Auflage von Robert Venturi
(1977)
Ich schrieb dieses Buch in den frühen 60er Jahren als praktisch tätiger Architekt und versuchte, zu einigen Aspekten der Theorien über Architektur und der Dogmen in der Architektur meinen eigenen Standort zu bestimmen. Heute gelten andere Notwendigkeiten. Ich bin deshalb der Meinung, daß dieses Buch heute wegen seiner allgemeineren Thesen über das Problem der Form in der Architektur aber auch als zeitgeschichtliches Dokument — vorwiegend mit einer historischen, nicht aber einer präskriptiven Absicht verfaßt — gelesen werden kann. Aus diesem Grund wurde auch der zweite Teil des Buches, eine Dokumentation der Arbeiten unseres Büros, in dieser zweiten Auflage nicht auf den aktuellen Stand erweitert*. Ich wollte, ich hätte das Buch damals mit ,Vielfalt und Widerspruch der Form in der Architektur' betitelt, wie das auch von Donald Drew Egbert vorgeschlagen worden war. Denn damals in den frühen 60er Jahren drehte sich im architektonischen Denken alles um die Form, und ganz fraglos war auch die Architekturtheorie auf Formprobleme fixiert. Kaum ein Architekt dachte damals an das Symbolische in der Architektur, und auch die sozialen Anforderungen an die Architektur wurden erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts dominierend. Im Rückblick aber ergänzt dieses Buch über Formprobleme unsere Betrachtung des Symbolischen in der Architektur, die wir einige Jahre später mit ,Learning from Las Vegas' vorgelegt haben. Um ein Versäumnis bei der ersten Ausgabe gutzumachen, möchte ich meiner Dankbarkeit für Richard Krautheimer Ausdruck geben, der seine Einsichten in die Architektur des römischen Barocks uns Stipendiaten der Amerikanischen Akademie in Rom mitteilte. Ich danke auch meinem Freund Vincent Scully für seine stete Bereitschaft und die freundliche Art seiner Unterstützung für dieses Buch und für unsere Bauten. Auch freue ich mich darüber, daß das ,Museum of Modern Art' mit dieser Auflage eine Vergrößerung des Formats ermöglichte; insbesondere die Illustrationen können nun mit größerem Gewinn studiert werden. Vielleicht ist es ein Schicksal aller Theoretiker, daß sie die Kreise, die von ihren Werken ausgehen, mit sehr gemischten Gefühlen sich ausbreiten sehen. Manchmal war mir wohler zumute, wenn ich angegriffen, als wenn mir Beifall gespen-
Vgl. hierzu die den letzten Stand wiedergebende Werk-Zusammenstellung in: Werk/ Archithese, Nr. 7/8 1977.
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det wurde. Nur zu o f t kam der Applaus von Leuten, die die hier niedergelegten Ideen und Vorschläge zur Vorgehensweise entweder am falschen Objekt anzuwenden versuchten oder gar sie bis zur Karikatur ihrer selbst auf die Spitze trieben. Einige meinten auch, diese Ideen seien ja schön und gut, sie gingen aber nicht weit genug. Die meisten der hier niedergelegten Vorstellungen sollten dem Leser direkt einleuchten, sie sollten dabei keine Dogmen sein; die Methode des historischen Vergleichs könnte in der Architekturkritik anders auch gar nicht angewandt werden. Muß ein Künstler auch noch einstehen für alle falschen Verallgemeinerungen seiner Ideen?
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1. Für eine beziehungsreiche Architektur! Ein behutsames Manifest
Ich freue mich über Vielfalt und Widerspruch in der Architektur. Die Zusammenhangslosigkeit und die Willkür nicht bewältigter Architektur aber lehne ich ab; ebensowenig mag ich die erkünstelten Raffinessen pittoresker oder expressiv übersteigerter Architektur. Im Gegensatz dazu will ich über eine komplexe und widerspruchsreiche Architektur sprechen, die von dem Reichtum und der Vieldeutigkeit moderner Lebenserfahrung zehrt, einschließlich der Erfahrungen, die nur in der Kunst gemacht werden. Überall wurde das Prinzip von Vielfalt und Widerspruch anerkannt, nur nicht in der Architektur: so durch Gödels Beweis letzendlicher Inkonsistenz in der Mathematik, durch T. S. Eliots Analyse ,schwieriger' Dichtung und durch Joseph Albers' Bestimmung des paradoxen Charakters von Malerei. Architektur ist aber auch schon durch die Beachtung der alten Vitruv'schen Forderungen nach Zweckdienlichkeit, solider Bauweise und Anmut* notwendig vielfältig und widerspruchsreich. Heute k o m m t aber noch hinzu, daß die Anforderungen des Bauprogramms wie der Konstruktionsweise, der technischen Ausstattung und der Gestaltung sogar bei einfachen Bauvorhaben unter einfachen Bedingungen in die verschiedensten Richtungen auseinanderlaufen und so in einem Ausmaß miteinander in Konflikt geraten können, wie man es sich früher kaum vorstellen konnte. Die zunehmenden Größendimensionen und der veränderte Stellenwert von Architektur im Rahmen der Stadt- und Regionalplanung kommen erschwerend hinzu. Ich will mich hier diesen Problemen stellen und versuchen, das beste aus dieser Situation allgemeiner Verunsicherung herauszuholen. Weil ich das Widersprüchhche dabei ebenso akzeptiere wie das Komplexe, liegt mir die Lebendigkeit der Architektur genauso am Herzen wie ihre Gediegenheit. Die Architekten können es sich nicht länger mehr leisten, durch die puritanischmoralische Geste der orthodoxen modernen Architektur eingeschüchtert zu werden. Ich ziehe eine Haltung, die sich auch vor dem Vermessenen nicht scheut, einem Kult des ,Reinen' vor; ich mag eine teilweise kompromißlerische Architektur mehr als eine .puristische', eine verzerrte mehr als eine .stocksteife', eine vieldeutige mehr als eine .artikulierte', eine verrückte genauso wie eine unpersönliche, eine lästig-aufdringliche genauso wie eine .interessante', eine konventionelle noch mehr als eine angestrengt ,neue', die angepaßte mehr als
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Utilitas, firraitas, venustas.
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die exklusiv abgegrenzte, eine redundante mehr als eine simple, die schon verkümmernde genauso wie die noch nie dagewesene, eine in sich widersprüchliche und zweideutige mehr als eine direkte und klare. Ich ziehe eine vermurkste Lebendigkeit einer langweiligen Einheitlichkeit vor. Dementsprechend befürworte ich den Widerspruch, vertrete den Vorrang des ,Sowohl-als-auch'. Ich stelle die Vielfalt der Meinungen höher als die Klarheit der Meinungen; die latenten Bedeutungen halte ich für ebenso wichtig wie die manifesten. Ich bevorzuge das ,Beide-zusammen' vor dem ,Entweder-oder', das Schwarz und Weiß und manchmal auch Grau, vor dem ,Schwarz-oder-Weiß'. Gute Architektur spricht viele Bedeutungsebenen an und lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Vielzahl von Zusammenhängen: ihr Raum und ihre Elemente sind auf mehrere Weisen gleichzeitig erfahrbar und benutzbar. Eine Architektur der Komplexität und des Widerspruchs hat aber auch eine besondere Verpflichtung für das Ganze: ihre Wahrheit m u ß in ihrer Totalität — oder in ihrer Bezogenheit auf diese Totalität — liegen. Sie m u ß eher eine Verwirklichung der schwer erreichbaren Einheit im Mannigfachen sein als die leicht reproduzierbare Einheitlichkeit durch die Elimination des Mannigfachen. Mehr ist nicht weniger!
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2. Komplexität und Widerspruch versus Simplifizierung und Flucht in das Pittoreske
Die orthodoxen unter den modernen Architekten neigten dazu, Vielfalt als etwas Unbefriedigendes bzw. in sich Widersprüchliches zu betrachten. In ihrem Versuch, mit allen Traditionen zu brechen und von Grund auf neu zu beginnen, idealisierten sie das Primitive und Elementare auf Kosten des Gestaltungsreichen und Intellektuellen. Sie verstanden sich als Teil einer revolutionären Bewegung und beriefen sich auf das absolut Neue der modernen funktionalen Notwendigkeiten; sie ignorieren dabei aber die darin eingeschlossenen Schwierigkeiten. Als Reformer, die sie sein wollten, vertraten sie kompromißlos das Moment der Trennung, der gegenseitigen Abgrenzung der einzelnen Elemente; sie vernachlässigten dabei aber das Moment der Integration verschiedener Erfordernisse, ihrer gleichberechtigten Berücksichtigung. Frank Lloyd Wright — er war mit dem Motto aufgewachsen: ,,Wahrheit, und sei es gegen eine Welt von Feinden" —, ein Wegbereiter der Bewegung der Moderne, schrieb: ,,Visionen einer Einfachheit, so tief und universell, traten vor mein Auge, und eine solche Harmonie des Bauens enthüllt sich mir . . . , daß daraufhin Denken und Kultur der modernen Welt sich würden ändern, vertiefen müssen. Dies war meine Überzeugung."[11] Le Corbusier, der Mitbegründer des modernen Purismus, sprach von den „großen, ursprünglichen Formen", die, wie er verkündete, „bestimmt und ohne alle Vieldeutigkeit"[12] seien. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, vermieden alle modernen Architekten das Vieldeutige. Inzwischen ist unsere Position aber eine andere geworden: „In dem Maß wie die Probleme an Zahl, Kompliziertheit und Schwierigkeit zunehmen, ändern sie sich auch schneller als zuvor."[13] Dies erfordert dann eine Einstellung, die eher der ähnelt, die August Heckscher beschrieben hat: ,,Der Wandel von einer Sicht des Lebens als wesentlich einfaches und geordnetes, zu einer Sicht dieses Lebens als komplex und voll von Täuschung ist genau das, was jedes Individuum in seinem Prozeß des Erwachsen-Werdens durchläuft. Aber bestimmte Epochen ermutigen diesen Wandel. In ihnen färbt die Erwartung des Paradoxen oder Dramatischen die gesamte intellektuelle Sphäre. . . . I n Verhältnissen voll Einfachheit und Geordnetsein wird der Rationalismus geboren; aber dieser Rationalismus erweist sich in Zeiten der Umwälzung als unangemessen. Dann muß aus den Gegensätzen heraus ein neues Gleichgewicht geschaffen werden. Diese innere Ruhe wird dann, in dem Maße wie die Menschen sie wiedergewinnen können, etwas von der Spannung zwischen Gegensätzlichem und Ungewissem durchscheinen lassen. Gespür für das Paradoxe erlaubt es, scheinbar völlig verschiedene Dinge nebeneinander bestehen zu lassen, gerade aus ihrer Nicht-Übereinstimmung einer besonderen Art der Wahrheit zur Vorstellung zu verhelfen."[14] Rationalisierungen als Modus der Vereinfachung sind nach wie vor sehrgebräuch25
lieh, wenn auch auf eine subtilere Weise als in früheren Argumentationsmustern. Sie verdanken sich einer extensiven Auslegung von Mies van der Rohes großem Paradoxon „Weniger ist mehr". Paul Rudolph hat die Implikationen dieses Standpunkts klar herausgearbeitet: „Nie können alle Probleme zur gleichen Zeit gelöst werden. ... In der Tat ist es ein Charakteristikum der Architektur des 20. Jahrhunderts, daß die Architekten eine sehr enge Auswahl der Probleme vornehmen, die sie wirklich zu lösen wünschen. Mies van der Rohe z.B. schafft herrliche Bauwerke allein aufgrund der Tatsache, daß er viele funktionelle Notwendigkeiten eines Bauwerkes einfach übergeht. Bemühte er sich, mehr Probleme anzupacken, seine Werke wären weit weniger akzentuiert und kraftvoll."[15] Die Doktrin des ,,Weniger ist m e h r " verunmöglicht Komplexität, sie rechtfertigt deren Reduktion als Mittel der Ausdrackssteigerung. Tatsächlich erlaubt diese Doktrin dem Architekten, „hochselektiv zu sein in der Auswahl der Probleme, die er lösen will." Wenn dem Architekten aber ,,seine besondere Sicht der Dinge auch zugestanden werden muß",[15] so ist mit diesem Eingeständnis doch nur ausgedrückt, daß der Architekt bestimmt, wie die Probleme gelöst werden sollen; nicht aber ist damit ausgedrückt, daß er etwa die Freiheit hätte, bestimmen zu können, welche Probleme überhaupt gelöst werden sollen. Er kann wichtige Aspekte der Sache ausschließen nur um den Preis einer Abschottung der Architektur gegenüber aller Lebenserfahrung und allen Bedürfnissen der Gesellschaft. Wenn sich einige Probleme als unlösbar herausstellen sollten, so kann er auch dies zum Ausdruck bringen. In einer ,ganzheitlichen' — im Gegensatz zu einer den Problemzusammenhang fragmentierenden — Art von Architektur ist eher Raum für das Unfertige, für Widersprüche, für Improvisationen und für all die Spannungen, die daraus entstehen können. Mies van der Rohes exquisite Pavillon-Bauten haben für die Architektur wertvolle Entwicklungen ermöglicht, aber ihre Selektivität in Inhalt und Formensprache macht ihre Begrenztheit mindestens ebenso aus wie ihre Stärke. Ich bezweifle die Relevanz einer Konstruktion von Analogien zwischen Pavillon und Wohnhaus, insbesondere zwischen japanischem Pavillon und neuerer Wohnhaus-Architektur. Eine Analogisierung dieser Art übersieht das tatsächliche Ausmaß an Komplexität und Widersprüchlichkeit, das mit der Bauaufgabe Wohnhaus aufgegeben ist — aus den räumlichen und technischen Möglichkeiten heraus ebenso wie aus der Notwendigkeit wechselnder visueller Erfahrungen. Erzwungene Einfachheit mündet so in bare Plattheit. Mit dem ,Wiley-House' (1) z.B., in Gegensatz zu seinem Glas-Haus (2), versucht Philip Johnson noch hinter die Einfachheit des eleganten Pavillon zurückzugehen. Es war unbedingt sein Bestreben, den in engerem Sinne .privaten Funktionen' des Familienlebens im Bereich des ebenerdigen Gebäudesockels Form zu geben und sie so abzugrenzen von den offeneren sozialen Funktionen in dem modularen Pavillon darüber. Aber eben dadurch bekommt der Bau geradezu den Charakter eines Schemas übermäßig simplifizierter Programmatik des sozialen Lebens — er gerinnt zum 26
Ausdruck einer abstrakten Theorie des Entweder-Oder. Wo Vereinfachung allein nicht mehr zureicht, ist das nur Simple Ergebnis. Das marktschreierisch vorgetragene Konzept des Vereinfachens bedeutet dann eine Architektur, der der Atem au^egangen ist: Weniger ist nur noch langweilig. Die Anerkennung der Bedeutung von Komplexität in der Architektur steht nicht in Widerspruch zu dem, was Louis Kahn das „Bedürfnis nach Einfachheit" genannt hat. Denn die ästhetisch gelungene und befriedigende Einfachheit entsteht, sofern sie wahr und tief ist, aus innerem Reichtum. Was beim dorischen Tempel dem Auge als Einfachheit erscheint, ist bekanntlich erreicht durch feinste Details, durch die Präzision ihrer Geometrie, mit der sie an die Optik des
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menschlichen Auges angepaßt sind, sowie durch die Widersprüche und Spannungen, die seinem Aufbau inhärent sind. Der dorische Tempel erreichte seine luzide Einfachheit vermittels seiner tatsächlichen Komplexität. Sobald diese Komplexität, wie in den späteren Tempeln, verloren ging, trat Banalität an die Stelle von Einfachheit. Ebensowenig schließt Vielfalt eine in der Sache selbst begründete Einfachheit aus; diese ist ein notwendiges Korrelat des Prozesses der Analyse und sogar eine Methode, um zu einer komplexen Architektur zu gelangen. ,,Wir übervereinfachen ein gegebenes Ereignis, wenn wir es von der Optik eines bestimmten gegebenen Interesses her charakterisieren".[16] Aber diese Art der Vereinfachung ist ein Hilfsmittel im analytischen Prozeß, mit dessen Hilfe eine komplexe Kunst erreicht werden soll. Es sollte nicht selbst als ein Ziel mißverstanden werden. Eine Architektur der Komplexität und des Widerspruchs ist aber nicht zu verwechseln mit einer pittoresken Architektur bzw. einer Architektur subjektivexpressiven Gestaltungswillens. Eine falsche Vielfalt war in jüngster Vergangenheit die Antwort auf die ebenso falsche Einfachheit der frühen modernen Architektur gewesen, die so einer Architektur des symmetrisch Pittoresken — Minora Yamasaki nennt sie ,heiter' — Vorschub leistete. Aber dies bedeutet nur einen neuen Formalismus, der mit der Erfahrang ebensowenig vermittelt ist wie der vorhergehende Kult der Einfachheit. Seine ausgeklügelten Formen sind nicht Ausdrack wirklich komplexer Programme, und seine ausgeklügelte Ornamentik, die gleichwohl durch die industriellen Techniken der Herstellung geprägt ist, ist eine staubtrockene Anspielung an Formen, die einst in handwerklichen Techniken geschaffen wurden. Das Maßwerk der Gotik und die Rocaille des R o k o k o waren wertvolle Ausdrucksmittel nicht nur in ihrer Bezogenheit auf das ganze Werk, sie entstanden darüberhinaus auch als unmittelbares Zeugnis handwerklichen Könnens, und sie drücken dies in einer Lebendigkeit aus, die direkt aus der Unmittelbarkeit und Individualität der Produktionsmethode selbst entspringt. Diese Art von Komplexität qua überschäumender Fülle, die heute vielleicht unmöglich geworden ist, ist das genaue Gegenteil der ,heiteren' Architektur, trotz aller oberflächlichen Ähnlichkeiten. Aber wenn Überschwenglichkeit kein Charakteristikum unserer Architektur mehr ist, ,Heiterkeit' ist es bestimmt auch nicht: eher denke ich dabei an das Moment der Spannung. Fast alle der besten Architekten des 20. Jahrhunderts verwarfen die Vereinfachung — d.h. die Vereinfachung durch Verarmung —, gerade weil sie die Komplexität des Ganzen im Auge hatten. Die Werke von Alvar Aalto und Le Corbusier (der sich selbst o f t über seine eigenen polemischen Schriften hinwegsetzte) sind dafür Beispiele. Die Merkmale von Vielfältigkeit und Widersprach in ihren Werke werden aber o f t übersehen oder falsch verstanden. Die Kritik rühmte an Aalto z.B. seine Sensibilität für natürliche Materialien und seine feinen Details; aber sie hielt seine gesamte Art der Komposition für gewollt und pittoresk. Ich denke nicht, daß Aaltos Kirche in Imatra pittoresk ist (3). Durch ihre 28
echte Komplexität, die hier durch Wiederholung und Massierung der Elemente des dreiteiligen Grundrisses und der akustischen Deckenstrukturen erzeugt wird, ist diese Kirche Beispiel für eine gerechtfertigte Expressivität — und unterscheidet sich damit von Grund auf von dem willkürlich Pittoresken chaotischer Strukturen und Räume wie bei Giovanni Micheluccis jüngstem Kirchenbau an der Autostrada bei Florenz (4). Aaltos Komplexität dagegen ist integraler Bestandteil des Programms und der Struktur des Ganzen, sie ist eben nicht nur ein Kunstgriff, der nur durch den Wunsch nach Expressivität des Ausdrucks begründet werden könnte. Obwohl der Streit um den Vorrang von Form oder Inhalt (was bestimmt was?) nicht mehr aktuell ist, soll doch die Notwendigkeit ihrer wechselseitigen Interdependenz nicht vergessen werden.
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Das Bedürfnis nach einer komplexen Architektur, samt der ihr inhärenten Widersprüchlichkeiten, ist nicht nur eine Gegenreaktion auf die Banalität und seichte Gefälligkeit gegenwärtiger Architektur. Es ist dies eine Haltung, wie sie allen manieristischen Epochen gemein ist: dem 16. Jahrhundert Italiens oder der hellenistischen Epoche der klassischen Kunst; es kennzeichnet eine große durchgehende Strömung in der Kunst, die bei so verschiedenen Architekten wie Michelangelo, Palladio, Borromini, Vanbrugh, Hawskmoor, Soane, Ledoux, Butterfield, einigen Architekten des 'shingle-style', bei Furness, Sullivan, Lutyens und in neuerer Zeit bei Le Corbusier, Aalto, Kahn und anderen beobachtet werden kann. Heute wird eine solche Einstellung wieder bedeutsam, sowohl für die Architektur als Ausdrucksmedium als auch für das Bauprogramm selbst. Zum ersten muß das Medium Architektur den Reichtum unserer erweiterten Erfahrung in sich aufnehmen; es muß überprüft werden an der Komplexität der Erfordernisse, die darin Ausdruck gewinnen sollen. Simplifizierte oder nur oberflächlich beziehungsreiche Formen werden dem nicht gerecht. Stattdessen sollte die Varietät, die aus der Vieldeutigkeit der visuellen Wahrnehmung selbst entspringt, wieder anerkannt und auch genutzt werden. Zum zweiten muß die wachsende Kompliziertheit unserer funktionalen Probleme gebührend berücksichtigt werden. Ich beziehe mich dabei auf die Bauaufgaben, die heute überall ähnliche Schwierigkeiten stellen, schon aufgrund weitgespannter Interdependenzen zwischen verschiedensten Lebensbereichen, wie z.B. bei Forschungslabors, Krankenhäusern und naturgemäß bei Projekten mit per se enormen Umfang auf der Ebene der Stadt- und Regionalplanung. Aber selbst das Wohnhaus, sicherlich eine begrenzte Aufgabe, kann sehr wohl als komplexes Problem aufgefaßt werden, wenn die Vielfalt moderner Lebenserfahrungen darin Ausdruck finden soll. Immer ist auch die Spannung zwischen den Mitteln und den Zielen eines Programms kennzeichnend: obwohl die Mittel, etwa für das Projekt einer Mondrakete, fast unendlich kompliziert sind, ist doch das Ziel einfach und enthält kaum Widersprüche; und obwohl die Mittel für den Hausbau, die durch das Profil der späteren Nutzung und die Konstruktionsmerkmale notwendig werden, bei weitem einfacher und technisch anspruchsloser sind als bei den meisten ingenieursmäßigen Vorhaben sonst, ist doch das Ziel sehr viel komplexer und o f t nicht einmal eindeutig zu fixieren.
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3. Mehrdeutigkeit
Während sich diese zweite Dimension von Komplexität und Widerspruch in der Architektur auf Form und Inhalt — Ausdruck des Verhältnisses von Programm und Konstruktion — bezieht, zielt die erste auf das Medium selbst. Dabei stoßen wir auch auf ein Paradoxon, das der Betrachtung von Kunst und dem Prozeß des Bedeutungswandels in der Kunst innewohnt: auf Komplexität und Widerspruch, wie sie sich aus der Gleichzeitigkeit zwischen Sein und Scheinen eines Kunstwerkes ergibt. Joseph Albers nennt „den Unterschied zwischen der physikalischen Tatsache und ihrem psychischen E f f e k t " einen Widerspruch, der „Ursprung der Kunst" ist. Und tatsächlich war die Vielfalt des Ausdrucks samt der daraus entspringenden Mehrdeutigkeit und Spannung immer schon das charakteristische Moment der Malerei gewesen. Auch die Kunstkritik hat dies hinreichend gewürdigt. Der abstrakte Expressionismus kennt die Mehrdeutigkeit der Wahrnehmung, und ähnhch besteht der Grundgedanke der ,Op-Art' darin, das Verhältnis zwischen einer Form und dem, was sie gemeinhin ausdrückt, dieses Nebeneinander und mehrdeutige Gegeneinander, relativ zu verändern. Auch die Maler der ,Pop-Art' bedienten sich der Mehrdeutigkeit, um einen paradoxen Inhalt zu erzeugen und die im Wesen des Wahrnehmungsprozesses liegenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Auch für das Medium der Literatur war die Kritik bereit, die Bedeutung von Vielfalt und Widerspruch anzuerkennen. Wie die Architekturkritik kennt auch sie eine Epoche des Manierismus; aber anders als die meisten Architekturkritiker wissen die Literaturkritiker um eine .manieristische' Strömung, die mit bestimmten Dichtern alle Epochen durchhält. Auch haben einige dieser Literaturkritiker tatsächlich über eine längere Zeit hinweg die Bedeutung des Widerspruchs, des Paradoxen und Mehrdeutigen als Urgrund des Poetischen überhaupt herausgestellt, genauso wie es Albers für den Bereich der Malerei tut. Eliot nannte die Kunst des Elisabethanischcn Zeitalters „eine nicht-puristische Kunst" [17], in der Vielfalt und Gegensätzlichkeiten zum Reichtum der Werke beitragen. „In einem Stück von Shakespeare", sagt er, ,,gibt es mehrere Ebenen der Bedeutung"[18], auf denen, um Samuel Johnson zu zitieren, ,,die verschiedenartigsten Ideen gewaltsam zusammen ins Joch gespannt werden".[19] Und anderswo schreibt er: „In John Webster haben wir den interessanten Fall eines großen literarischen und dramatischen Genies vor uns, das direkt auf das Chaotische zutreibt"[20]. Andere Kritiker, Kenneth Burke z.B., der auf die Notwendigkeit einer ,.vielschichtigen Interpretation" und das Vorkommen ,,geplanter Unstimmigkeiten" hinweist, haben Elemente des Paradoxen und des Mehrdeutigen in Struktur und Gehalt der Dichtung auch bei anderen als den meta31
physischen Dichtern des 17. Jahrhunderts und den direkt durch sie beeinflußten modernen Schriftstellern gefunden. Cleanth Brooks rechtfertigt sein Insistieren auf Vielfalt und Widerspruch durch deren unverzichtbare Rolle in der Kunst: „Es gab tatsächlich bessere Gründe als nur rhetorisches Wortgeklingel, die soviele Schriftsteller dazu bewogen haben, sich auf das Mehrdeutige und das Paradoxe einzulassen, gute Gründe, sich nicht nur auf das Einfache und Übersichtliche zu beschränken. Dem Dichter genügt es nicht, seine Erfahrungen zu analysieren, wie dies der Wissenschaftler tut, sie in ihre Bestandteile aufzuspalten, Teil von Teil zu trennen und sie dann zu klassifizieren. Seine Aufgabe besteht doch darin, die Erfahrung wieder zu synthetisieren. Er m u ß uns die Einheit der Erfahrung selbst wieder zugänglich machen, so wie sie der Mensch in seinem eigenen Erleben kennt. Weil der Dichter die Ungeteiltheit der Erfahrung unbedingt wieder ins helle Bewußtsein heben muß — auch wenn er dabei ihrer Vielgestaltigkeit nicht immer gerecht werden kann —, ist sein Gebrauch des Paradoxen und Mehrdeutigen notwendig und gerechtfertigt. Er versucht dann nicht einfach nur, den alten faden Eintopf mit Hilfe einer oberflächlich aufregenden oder mystifizierenden Rhetorik wieder aufzuwürzen . . . . Vielmehr ermöglicht er uns einen Blick in das Innere und vermittelt uns eine Sichtweise, die die Einheit der Erfahrung bewahrt und die zumindest an ihren Höhepunkten über augenscheinliche Unstimmigkeiten und Widersprüchlichkeiten der Erfahrung hinweghilft, sie in einer neuen Synthese des Materials der Erfahrung auflöst." [21]
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In seinem Buch .Seven Types of Ambiguity' „wagte" William Empson „... was bisher als Schwäche der Dichtung angesehen worden war, Dunkelheit des Sinns, gerade als besondere Leistung der Dichtung zu behandeln ... ."[22] Empson belegt seine These, indem er Shakespeare sprechen läßt, den „großen Undeutbaren, undeutbar nicht etwa durch eine Konfusion in seinen Gedanken oder ein Durcheinander in seinen Werken, wie einige Gelehrte glauben, sondern einfach durch die Kraft und die Vielfalt, den Reichtum seines Denkens und seiner Kunst."[23] Mehrdeutigkeit und Spannung finden sich überall in einer komplexen und widerspruchsreichen Architektur. Architektur ist immer beides. Form und Substanz, abstrakt und konkret: ihre Aussage erschließt sich erst innerhalb eines je bestimmten Zusammenhangs. Ein architektonisches Element wird immer in Form und Struktur, Textur und Stofflichkeit zugleich wahrgenommen. Diese wechselnden Abhängigkeiten, unübersehbar und voller Widersprüche, sind der Ursprung der vieldeutigen und spannungsreichen Momente, wie sie das Medium Architektur charakterisieren. Üblicherweise kann die Konjunktion ,Oder' in Verbindung mit einem Fragezeichen mehrdeutige Beziehungen umschreiben. Angewandt auf die .Villa Savoye'(5) läßt sich dann fragen: basiert dieser Plan auf einem Rechteck oder nicht? Die Lage der Frontpavillons von Vanbrughs Anlage in Grimsthorpe (6) erscheint bei der Betrachtung aus einiger Entfernung im Verhältnis zu den rückwärtigen Bauten ungeklärt: sind sie weiter oder näher, groß oder klein? Die Pilaster an Berninis Palazzo ,Propaganda Fide'(7): sind es vorgelegte Pilaster oder sind es vertiefte Teilungen der Fassadenfelder? Die ornamental ausgeschmückte Wölbung im Casino Pio IV im Vatikan (8) ist ein gar vertracktes Ding: ist das eine wirkliche Wölbung oder eine flache Decke?
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Die eingezogene Mitte bei Lutyens' Fassade des ,Nashdom-House'(9) ermöglicht zwar die Anlage von Oberlichtern: ist aber die aus der Zweiteilung des Baus entstandene Polemik gelöst? Luigi Morettis Appartements an der Via Paridi in Rom (10): ist das ein einziger Bau mit einem Spalt in der Mitte, oder sind das zwei aneinandergelehnte Bauten? Die beabsichtigte Mehrdeutigkeit des Ausdrucks operiert mit einer Umdeutung und Aufhebung der Erwartungen, wie sie durch die bekannten architektonischen Gestaltungen evoziert werden. Dies fördert eher den Reichtum der Aussage als ihre Klarheit. Und, wie Empson sagt, es gibt gute und schlechte Mehrdeutigkeit: ,,...(der Ausdruck ,Mehrdeutigkeit') kann gebraucht werden, um einem Schriftsteller vorzuwerfen. Unvereinbares zusammengeworfen zu haben; er wird aber kaum in der Absicht verwandt, die Vielschichtigkeit im Aufbau seiner Gedanken zu loben."[24] Dennoch begreift Empson, wie vor ihm Edgar Hyman, ,,,Mehrdeutigkeit' gerade als Zusammenfassung der Momente höchster dichterischer Wirksamkeit, und er meint, daß dies etwas enthalte, was er ,Spannung' nennt. Ich meine, daß dies in der Tat eine essentielle Voraussetzung dichterischer Wirksamkeit ist."[25] Diese Gedanken lassen sich ebenso auf die Architektur anwenden.
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4. Formen der Gegensätzlichkeit: Das Phänomen eines ,Sowohl-als-auch' in der Architektur
Die Konjunktion .Gleichwohl' signalisiert ein paradoxes Gegeneinander, verschiedene Formen des Gegensatzes zwischen Form und Funktion in der Architektur. Diese Gegensätzlichkeiten können dabei auch mehr oder weniger ambivalenten Charakter annehmen. Le Corbusiers ,Shodan-House'(ll) ist geschlossen, gleichwohl aber auch offen — ein Kubus, der durch seine Eckgelenke genau umschlossen wird, sich in seinen Wänden aber weit in den Raum hinaus öffnet; seine .Villa Savoye'(12) ist außen betont einfach, im Inneren gleichwohl komplex.
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Der noch aus der Tudorzeit stammende Grundriß von Barrington Court (13) ist symmetrisch, aber auch asymmetrisch. Guarinis Kirche der .Unbefleckten Empfängnis' in Turin (14) erscheint im Grundriß als Verdoppelung eines Raumes und ist doch eine Einheit; Sir Edward Lutyens' Eingangshalle in Middleton Park (15, 16) ist ein gerichteter Raum, gleichwohl endet er an einer öffnungslosen Wand; Vignolas Fassade für den Pavillon in Bomarzo (17) enthält ein Portal, dieses rahmt aber doch nur eine zurückgesetzte Mauernische; Kahns Bauten weisen sowohl rauhen Beton, gleichwohl aber auch polierten Granit auf; eine
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Straße Urbanen Lebens ist einerseits gerichtet wie eine Überlandstraße, gleichwohl aber auch in sich ruhend wie ein Platz. Diese Reihe konjunktionaler ,Gleichwohls' umschreibt eine Architektur der Widersprüchlichkeit auf den verschiedensten Ebenen von Programm und Struktur. Keine dieser notwendigen Widersprüche ist Ausdruck einer Suche nach Schönheit; obwohl paradox, sind sie gleichwohl nicht Ausfluß einer Laune. Cleanth Brooks beruft sich auf die Kunst Donnes, die „beides in sich vereinige", aber, so sagt er, ,,die meisten von uns in dieser Spätzeit können dies nicht mehr. Wir sind gefangen in der übermächtigen Tradition des ,Entweder-oder' und entbehren der geistigen Beweglichkeit — ganz zu schweigen von der Saturiertheit unserer Einstellungen —, welche es uns erlauben würde, den feineren Unterscheidungen und den subtileren Möglichkeiten nachzugehen, die uns die Tradition des ,Sowohl-als-auch' aufschließt." [26] Die Tradition des ,Entweder-oder' hat die orthodoxe Architektur bestimmt: eine Sonnen-Jalousie ist wahrscheinlich sonst nichts anderes mehr; tragende Elemente formen kaum je selbst einen Raum; eine Wand ist nicht durchbrochen von Fensteröffnungen, sondern wird gänzlich in Glas aufgelöst. Teile des Raumprogramms sind übertrieben spezifiziert und in bestimmte Flügel oder abgetrennte Trakte ausdifferenziert. Sogar das .Fließen des Raumes' wurde schon stillschweigend als das des äußeren Raumes gedacht, wenn der Standpunkt sich im Inneren befand; umgekehrt als das des inneren Raumes von einem äußeren Standpunkt aus; kaum je als beides zugleich. Derartig eindeutige Festlegungen sind einer Architektur der Vielfalt und der Gegensätze fremd: sie versucht eher, einem ,Sowohl-als-auch' als einem .Entweder-oder' zu folgen. Wenn der Ursprung des Phänomens des ,Sowohl-als-auch' der Widerspruch ist, so ist sein Bewegungsfeld die Hierarchie der Bedeutungen. Aus der Verbindung von Elementen völlig unterschiedlicher Bedeutung erneuert sich diese Hierarchie stets. Sie kann Elemente enthalten, die sowohl gelungen als auch fatal mißlungen sind, groß und klein, geschlossen und offen, gleichförmig und ebenso von gesuchter Gestaltung, rund und eckig, sowohl konstruktives Element als auch räumliches Resultat. Eine Architektur, die verschiedenste Bedeutungsebenen umschließt, erzeugt das Mannigfaltige und Spannungsreiche. 17
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Die meisten unserer Beispiele sind sicherlich schwierig zu ,lesen', aber auch eine wirre Architektur kann wertvoll sein, wenn sie die vielfältigen und gegensätzlichen Beziehungen zwischen Inhalt und Aussage anspricht. Die gleichzeitige Wahrnehmung interdependenter Bedeutungsebenen zwingt den Betrachter in einen Konflikt der Wertung, läßt ihn zögern und seine ganze Betrachtungsweise lebendiger werden. Diese Beispiele für die Gleichzeitigkeit von gut und schlecht können vielleicht dazu beitragen, Kahns rätselhafte Bemerkung zu erhellen: ,,Ein Bauwerk sollte schlechte Räume genauso aufweisen wie gute." Offensichtliche Irrationalität des einen Teils wird gerechtfertigt durch die Rationalität, die sich für das Ganze ergibt. Eigenheiten eines Bauteils können mit Blick auf das Ganze mit anderen Augen betrachtet werden. Die Entscheidung für derartig gehaltvolle Kompromisse ist eine der wesentlichsten Aufgaben des Architekten. In Hawksmoors Kirche ,St. George-in-the-East'(18) scheinen die Schlußsteine über den Fenstern der Seitenschiffe falsch proportioniert zu sein; blickt man zu ihnen hoch, erscheinen sie als zu groß im Verhältnis zu der zu überspannenden Öffnung. Von weiter weg betrachtet, eingefügt in das Bild der gesamten Anlage, sind sie ausdrucksstark und in Position und Dimensionierung richtig gewählt. Michelangelos riesige rechtwinklige Öffnungen in der Attika der rückseitigen Fassade von St. Peter (19) sind breiter als hoch und müssen so auf 18
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der längeren Seite überspannt werden. Wegen der begrenzten Biegefestigkeit von Mauerwerk erscheint dies als verquer, weshalb in der klassischen Architektur auch der Grundsatz gilt, daß große Öffnungen wie diese hochrechteckig proportioniert sein sollen. Aber gerade weil man normalerweise hochgestreckte Proportionen erwarten würde, drückt das Überspannen der Längsseite in einleuchtender und auch erregender Weise ihre relative Kleinheit aus. Die Haupttreppe in Frank Furness' .Pennsylvania Academy of the Fine Arts' in Philadelphia (20) ist zu groß im Verhältnis zu ihrer unmittelbaren Umgebung. Sie mündet in einen Raum, der enger ist als sie selbst breit, und ebenso eng, gemessen an der Breite der Treppe, ist auch die Öffnung, die zu ihr einläßt. Darüber hinaus ist diese Öffnung durch einen Pfeiler zweigeteilt. Aber dennoch ist diese Treppe feierlich und bedeutsam, auch funktional: sie bezieht sich auf die Eingangshalle unmittelbar vor dem Durchlaß und auf den großen Maßstab des Boulevards draußen. Die äußeren Aufgänge von Michelangelos Treppe im Vestibül der ,Biblioteca Laurenziana' (21) werden unvermittelt abgehackt und scheinen gleichsam nirgendwohin zu führen; auch hier wäre dies sicherlich ähnlich falsch, betrachtete man nur ihre Stellung innerhalb der unmittelbaren räumlichen Umgebung: sie ist aber dennoch glücklich gewählt, bezieht man sie auf den gesamten Zusammenhang auch der jenseitigen Räume. Vanbrughs Seitenjoche im Mittelrisalit der Eingangsfassade von .Blenheim Palace' (22) entsprechen nicht der Norm, weil sie durch Pilaster unterteilt werden.
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Diese Zerlegung und die daraus folgende Doppelung beeinträchtigen die Wirksamkeit des Ganzen. A b e r eben dieses Ungenügen verstärkt andererseits in der Kontrastwirkung die Wirksamkeit des mittleren J o c h s und erhöht die Geschlossenheit der gesamten k o m p l e x e n Anordnung. Die Eckpavillons, die das S c h l o ß in Marly ( 2 3 ) flankierten, enhielten ein ähnliches P a r a d o x o n : ihre Fassade zerlegte sich in zwei J o c h e . Die K o m p o s i t i o n läßt eine eigene Geschlossenheit vermissen, verstärkt andererseits aber die Einheit des gesamten K o m p l e x e s . Ihre eigene Unvollständigkeit verweist auf die Dominanz des Hauptbaues selbst und auf die Wichtigkeit eines geschlossenen Ganzen. Die Basilika, als längs einer Achse gerichteter R a u m , und der T y p der Zentralkirche, der alle Raumrichtungen auf einen Punkt bezieht, repräsentieren einander ablösende Traditionen bei westlichen Kirchenanlagen. A b e r eine andere Tradition schuf Kirchen, die beides sind: sie sind eine A n t w o r t auf räumliche, strukturelle, programmatische und symbolische Anforderungen. Der manieristische K i r c h e n t y p des 1 7 . Jahrhunderts, der auf einer Ellipse aufbaut, ist sowohl zentriert als auch gerichtet. Seinen Höhepunkt stellt Berninis ,Sant Andrea al Quirinale' ( 2 4 ) dar, deren dominierende Richtung, quer zu j e d e r Erwartung, längs der kurzen Ellipsenachse verläuft. Nikolaus Pevsner hat gezeigt, wie durch die Teilung beider Wandbereiche an den Endpunkten der Querachse mittels Pilaster statt durch o f f e n e Kappellennischen die zum Altar zielende kurze Achse b e t o n t wird. Borrominis Kappelle in der .Propaganda F i d e ' ( 2 5 ) ist in der Anlage eine gerichtete Halle; der Wechsel ihrer J o c h e wirkt diesem Eindruck aber entgegen: ein großes J o c h beherrscht jeweils die Schmalseiten, und ein kleines J o c h zergliedert die M i t t e der Längsseiten. Auch die gerundeten E c k e n deuten auf einen Übergang zu gleitender Umschließung des R a u m e s und damit zum T y p des Zentralraums. (Diese Merkmale finden sich auch im H o f von ,San Carlo alle Quattro F o n t a n e ' . ) Auch das diagonal gespannte G i t t e r der Kreuzrippen der D e c k e deutet auf eine mehrfach gerichtete S t r u k t u r hin: sie ist ebenso
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eine Kuppel wie eine Muldenwölbung. Ähnlich die Hagia Sophia in Istanbul: ihre zentrale Pendentivkuppel über einem Quadrat setzt einen Zentralbau eigentlich zwingend voraus, aber zwei durch Halbkuppeln gedeckte Apsiden nähern sie durch die Herausbildung einer Längsachse der traditionellen, gerichteten Basilika wieder an. Der hufeisenförmige Grundriß des barocken und neo-barocken Opernhauses lenkt alle Aufmerksamkeit auf die Bühne und das Zentrum des Zuschauerraumes. Das Zentrum einer elliptischen Anlage ist normalerweise im Deckenmuster und durch einen übergroßen Leuchter hervorgehoben: betont ist auch der Brennpunkt zur Bühne hin, da wo die Ellipsenform verzerrt aufgebogen wird. In gleicher Weise werden auch der Wandstreifen zwischen den umlaufenden Logen, natürlich auch deren Unterbrechung durch die Bühne, und die Anlage des Parketts durch die Deckengestaltung aufgenommen. Dies reflektiert den doppelten Schwerpunkt in der Zweckbestimmung des Gala-Theaters: die Aufführung und das Publikum. Borrominis ,San Carlo alle Quattro Fontane'(26) quillt über von Anordnungen, die dem Prinzip des vielschichtigen ,Sowohl-als-auch' folgen. Die im Plan angelegte, weitgehend gleichartige Behandlung aller vier Flügel läßt an ein griechisches Kreuz denken; andererseits sind zwei Flügel längs einer dominierenden Ost-West-Achse gestreckt und erinnern damit an ein lateinisches Kreuz, schließlich fehlt durch den weichen Fluß auch eine Andeutung auf eine modifizierte zentrale Anlage nicht. Rudolph Wittkower hat ähnlich gelagerte Widersprüche im Aufriß analysiert. Die Führung der Decke betont komplizierte Buchtungen; sie suggeriert die Illusion einer Kuppel mit Hängezwickeln über der Vierung eines 26
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griechischen Kreuzes (27). Damit aber nicht genug: die fließende Gleichförmigkeit im Umriß. dieser Kuppel verfremdet die einzelnen Elemente gleichsam zu Paraphrasen ihrer selbst und läßt die Vorstellung einer Kuppel aufkommen, die sich über einer wellenförmig verlaufenden Wandung schließt. Die ihres selbstverständlichen Zusammenhangs beraubten Gestaltungselemente sind sowohl integriert als auch akzentuiert. In einem anderen Maßstab spielen Gestalt und Textur auf ähnliche Weise einander widersprechende Rollen. So läßt die Profilabfolge des byzantinischen Kapitells (28) dieses als Einheit erscheinen, andererseits wird durch das Blattornament und die noch erkennbaren Formen von Voluten und Arkanthus jeder Teil in seiner Eigenständigkeit betont. Die mit einem Ziergiebel gekrönte Vorhalle von Nicholas Hawksmoors Kirche ,St. George' in Bloomsbury (29) und auch der gesamte übrige Grundriß (30) sind an einer dominierenden Nord-Süd-Achse orientiert. Aber der westliche Eingang und der Turm sowie die Ausbildung von Emporen und der nach Osten gerichteten Apsis im Inneren (die einst den Altar geborgen hatte) erheben die Querachse zu gleicher Bedeutung. Durch den Einsatz konträrer Mittel und durch ihre ungewohnte Plazierung drückt diese Kirche sowohl den Gegensatz zwischen den hinteren, vorderen und seitlichen Ansichten einer Anlage entsprechend dem lateinischen Kreuz als auch eine doppelte Gerichtetheit gemäß dem griechischen
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Kreuz aus. Diese Widersprüche, die sich aus einer besonderen örtUchen Gegebenheit und den Notwendigkeiten der Ostorientierung ergeben, begünstigen einen Reichtum der Erfindung und Spannung, wie er vielen ,reineren' Anlagen durchaus fehlt. Die überkuppelte Basilika von Vierzehnheiligen (31) besitzt einen zentral angelegten Altar unter der Hauptkuppel in der Mitte des Schiffes. Nikolaus Pevsner hat diese Folge von Kuppeln, die in ungewöhnlicher Weise die Form des lateinischen Kreuzes überlagern, der konventionellen Plazierung einer einzigen Kuppel über der Vierung gegenübergestellt. Vierzehnheiligen entspricht der lateinischen Basilika mit Querschiff, ist aber wegen der unüblichen Lage des Altars und der großen Kuppel gleichzeitig auch ein Zentralbau. Andere Kirchen des Spätbarocks bedienen sich eines Nebeneinanders von Rechteck und Kreis. Die von Bernardo Vittone verwandten architektonischen Elemente — seien es nun Trompen oder
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Hängezwickel — im Schiff von ,S. Maria di Piazza' in Turin (32) stützen ein ein Raumgebilde, das sowohl Kuppel als auch quadratische Laterne ist. Hawksmoor benutzt in einigen seiner Kirchen Deckenwölbungen über Rechteck und Kreis nebeneinander. In ihrem Zusammenspiel erzeugen sie widersprachsreiche Wirkungen, wie sie sowohl dem Typus der zentralen als auch der gerichteten Anlage entsprechen. In einigen Räumen des ,Palazzo Propaganda Fide' (33) wird es durch einen über Eck gestellten Bogen ermöglicht, daß der Raum darunter rechteckig und darüber von durchgehender Rundung ist. Dies ähnelt der Deckengestaltung Wrens in ,St. Stephen Walbrook' (34).
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In den Decken seiner Profanbauten (35) bringt Sir J o h n Soane durch räumliche und lineare Elemente beide Möglichkeiten, die des rechteckigen und des gekurvten Raumes, des hoch überkuppelten und des flach gewölbten Raumes, zu großartiger Wirksamkeit. Seine Art zeichnet sich dadurch aus, daß er komplizierte Kombinationen äußerst reduzierter Stilelemente benutzt, darunter Bogen- und Hängezwickel, ovale Oberlichter und Rippen. Soanes Museum (36) bedient sich eines anderen rudimentären Stilelements in einer ganz anderen Dimension: Raumteilungen durch hängende Bögen, absichtslos konturierend und dabei doch bedeutungsvoll raumwirksam, ergeben Räume, die gleichzeitig offen und doch auch gegeneinander abgegrenzt sind. Die Fassade der Kathedrale von Murcia (37) besitzt eine nach innen schwingende, konkave Buchtung; trotz ihrer Kleinheit wirkt sie so doch weit ausladend. Die gesprengten Ziergiebel über den Säulenstellungen sind einander zugewandt und unterstützen den Eindruck von einem riesigen Portal, wodurch eine angemessene Beziehung zur Plaza hergestellt wird und gleichzeitig ein symbolischer Bezug zum oberen Fassadenteil. Unterschiedlich gegliederte, übereinandergestellte Säulenordnungen bringen den Maßstab und die unmittelbaren Notwendigkeiten des
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Bauwerkes selbst in Einklang mit seinem Standort. Weite und Enge zugleich k o m m e n bei typischen Treppen des ,shingle-style' zum Ausdruck, schon durch Veränderungen der Breite und der Richtung. Höhe und Breite der Stufen bleiben natürlich gleich, aber die Aufweitung ihres Bogens am F u ß vermittelt mit dem geräumigen Aufenthaltsraum unten, während ihr engerer L a u f nach oben mit der dortigen kleineren Halle harmoniert. Vorgefertigte Betonkonstruktionen können zusammenhängend oder doch fragmentiert sein. Die bei Stützen und Trägern gleichbleibenden Profile können die Einheit des konstruktiven Systems anzeigen, aber das Netz der mit Mörtel verfugten Ritzen erinnert an ihre stückweise Errichtung. Der T u r m der Christus-Kirche in Spitalfields ( 3 8 ) verkörpert dieses Zwieschlächtige in einer städtebaulichen Dimension. Hawksmoors T u r m ist ebenso Wand wie Turm. An seinem S o c k e l wird der Blick gebrochen durch die Ausdehnung seiner Mauern, die sich in Gebilden, ähnlich Strebepfeilern ( 3 9 ) , senkrecht zur auftreffenden Straße fortsetzen. Sie können nur aus einer R i c h t u n g betrachtet werden. Der obere Teil mündet in eine Spitze, die von allen Seiten gesehen werden kann und die räumlich wie symbolisch die Silhouette des gesamten 38
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Kirchspiels beherrscht. — Beim Rathaus in Brügge (40) bezieht sich der Maßstab des Gebäudes selbst auf den unmittelbar umgebenden Platz, der jedes Maß sprengende Turm darüber auf die gesamte Stadt. Aus ähnlichen Gründen ist das große Firmenzeichen auf der obersten Plattform des .Philadelphia Savings Fund Society Building' placiert; direkt von unten ist es gar nicht sichtbar.(41) Auch der ,Arc de Triomphe' ist nicht immer nur ein Bogen. In der schrägen Ansicht, aus der Richtung anderer einmündender Radialstraßen ist er ein den Weg verstellendes plastisches Gebilde. Frontal von der Achse der Champs Elysées aus gesehen, ist er räumlich und symbolisch sowohl eine Begrenzung als auch ein weiterführendes Portal. Später werde ich einige der intendierten Unterschiede zwischen Vorder- und Rückseiten analysieren. An dieser Stelle möchte ich noch auf die Karlskirche in Wien eingehen (42). Die Fassade enthält Elemente der 40
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Basilika, der übrige Baukörper Elemente der Zentralkirche. Das innere Raumprogramm verlangte auf der rückwärtigen Seite eine konvexe Krümmung; hingegen gebot der Stadtraum außen einen größeren Maßstab und eine gerade aufsteigende Fassade. Die Unausgewogenheit, wie sie von einem nur auf den Bau selbst begrenzten Blickwinkel sich einstellen könnte, ist sofort aufgehoben, wenn der Bau zu Maßstab und Raum der Umgebung in Beziehung gesetzt wird. Doppeldeutigkeit, wie sie dem Phänomen des ,Sowohl-als-auch' eigen ist, enthält das Moment der Veränderung wie auch das Moment der Widersprüchlichkeit. Ich habe beschrieben, wie der Turm der Christuskirche in Spitalfields, oben mit einer alle Richtungen beherrschenden Spitze, sich unten zu einer gerichteten Vorhalle umorganisiert; gleichwohl ist aber auch eine andere Auffassung möglich, die eher von den Rezeptionsweisen als von der formalen Einordnung ausgeht. Es gehört zum Wesen doppeldeutiger Abhängigkeiten, daß die eine Seite des Widerspruchs gewöhnlich die andere dominiert; in komplexen Gebilden ist diese Beziehung selbst aber nicht für immer fixiert. Dies trifft besonders dann zu, wenn der Betrachter sich durch oder um das Gebäude herum bewegt, aber auch wenn das Gebäude sich über einen größeren Teil des Stadtraumes erstreckt: zu einem bestimmten Zeitpunkt mag die eine Auffassung als beherrschende erscheinen, zu einem anderen erhält eine andere das Übergewicht. In ,St. George' in Bloomsbury (30) z.B. werden die im Inneren rivalisierenden Richtungsachsen nacheinander dominant und wieder sekundär; der gleiche Raum verändert seinen Ausdruck, je nachdem wie der Betrachter sich in ihm bewegt. Dies ist eine andere Dimension von „Raum, Zeit und Architektur", die die Relativität des Betrachterstandorts miteinbezieht.
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5. Fortsetzung über Formen der Gegensätzlichkeit: Elemente mit doppelter Funktion
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Bauelementen mit einer Doppeifunktion [27] und dem Phänomen des ,Sowohl-als-auch'. Es existiert aber auch ein entscheidender Unterschied: Doppelfunktionen beziehen sich eher auf Besonderheiten des Gebrauchs und der Form, während das ,Sowohl-als-auch' eher das Verhältnis eines Teils zum Ganzen abzustecken versucht; der Nachdruck liegt im letzteren Fall also auf ,Bedeutung', nicht auf ,Funktion'. Bevor ich näher auf das Element mit Doppelfunktionen eingehe, möchte ich noch einige Bemerkungen zum mehrfunktionalen Gebäude machen. Mit diesem Ausdruck meine ich ein Bauwerk, das trotz aller Komplexität in Raumprogramm und Struktur auch als Ganzes geschlossen bleibt — so die komplexe Einheit von Le Corbusiers ,La Tourette' oder seines Justizpalasts in Chandigarh, im Gegensatz zu der Mannigfaltigkeit der Formensprache bei seinem Projekt für den ,Centrosojus' in Moskau oder für das Nachtasyl der Heilsarmee in Paris. Der letztgenannte Entwurf trennt einzelne Funktionen und verteilt sie auf locker verbundene Gebäudeflügel bzw. Pavillons. Er wurde wegweisend für die orthodoxe moderne Architektur. Die scharf herausgeschnittenen und voneinander abgerückten stereometrischen Kuben von Mies' Entwurf für das ,Illinois Institute of Technology' können als eine extreme Fortsetzung von Le Corbusiers Arbeiten verstanden werden. Das Seagram-Building von Mies und Johnson birgt keine anderen als Bürofunktionen (nur im rückwärtigen Teil des Erdgeschosses sind auch andere vertreten) und tarnt durch eine Fortsetzung der Fassadenstruktur die Tatsache, daß sich im obersten Teil des Baues ein Bereich für die technische Ausstattung befindet. Yamasakis Entwurf für den riesigen Komplex des ,World Trade Center' in New York vereinfacht sogar noch radikaler. Das typische Bürohochhaus der 20er Jahre betont durch architektonische Ornamentierung den für die technische Ausstattung benötigten Raum an der Spitze des Baues; niemand dachte daran, ihn zu kaschieren. Das Lever-Haus, das eine ganze Reihe verschiedenster Funktionen in seinem Sockel beherbergt, trennt diesen Teil in übertriebener Weise durch ein schattig-dunkles Geschoßband ab. Im Gegensatz dazu stellt einer der herausragendsten der modernen Wolkenkratzer, der Bau der P.S.F.S. (41), die Vielfalt und Komplexität seines Raumprogramms geradezu zur Schau. Er enthält Läden im ersten und die Schalterhalle einer großen Bank im zweiten Stockwerk, darüber liegen die Büros und noch spezielle Räumlichkeiten ganz oben. Diese Vielfalt aïi Funktionen und ihre höchst unterschiedliche Dimensionierung (einschließlich des riesigen Werbezeichens auf dem Dach) stimmen zu einem 49
komplexen Ganzen zusammen. Seine gebogene Fassade, die zu den rechteckigen Verhältnissen des restlichen Baus kontrastiert, ist nicht einfach ein den 30er Jahren entnommenes stilistisches Attribut, sondern hat hier eine städtebauliche Funktion: auf der Fußgängerebene gleitet der Raum um die Ecke. Zum multifunktionalen Bau par excellence wurde der Ponte Vecchio; auch Schloß ,Chenonceaux' oder die futuristischen Entwürfe von Sant'Elia gehören in diese Reihe. Sie alle enthalten außer dem breiten Verkehrsstrom eine ganze Anzahl weiterer komplexer Funktionen. Le Corbusiers Projekt für Algier, ein Appartementhaus über einer Schnellstraße, und Wrights späte Entwürfe für Pittsburgh Point und Bagdad sind Pendants zu Kahns ,Viadukt'-Architektur und Fumihiko Makis ,Group-Form'. Sie alle vereinigen vielfältige Funktionen und widersprüchliche Beziehungsformen in Maßstab und Bewegung, Struktur und raumgreifender Masse. Diese Bauten sind Gebäude und Brücken in einem. Oder in größerem Rahmen: auch ein Damm ist eine Brücke, die ,Loop' von Chicago ist sowohl eine Barriere als auch ein Kommunikationsmittel, und Kahns Straßen sollen zugleich Gebäude sein. Ebenso wie für multifunktionale Gebäude gibt es auch gute Gründe für multifunktionale Räume. Ein Raum kann gleichzeitig oder nacheinander vielen verschiedenen Zwecken dienen. Kahn bevorzugt Galerien, weil sie sowohl gerichtet als auch ungerichtet, zugleich Flur und Raum sind. Und er trägt dem Wechsel des komplexen Ineinanders verschiedener Funktionen dadurch Rechnung, indem er die Räume generell in einer Rangfolge von verschiedenen Größen und Qualitäten differenziert. Er nennt sie „dienende und bediente" Räume, gerichtete und nicht-gerichtete Räume, und auch anders, aber immer mit Bezeichnungen, die eher einen Komplex von Funktionen als nur eine einzige Funktion ansprechen. Wie im Beispiel seines Projekts für das Gemeindezentrum in Trenton, kehrt diese Art der Raumbildung in komplexer Weise zu dem zurück, was vor dem 18. Jahrhundert einen Wohnbereich ausmachte. Die Idee einer Folge von Fluren und Räumen mit einer je bestimmten Funktion für die Wohnbedürfnisse entstand im 18. Jahrhundert. Sind nicht die charakteristische Scheidung und weitere Spezialisierung von Funktionen innerhalb des Gebäudes, wie sie die moderne Architektur durch Einbaumöblierung vornimmt, eine extreme Verwirklichung dieser Grundidee? Indirekt stellt Kahn eine derartig rigide Spezialisierung, einen so eng verstandenen Funktionalismus infrage. Hier ist es tatsächlich so, daß ,die Form die Funktion hervorruft'. Der multifunktionale Raum ist möglicherweise eine überzeugendere Antwort auf die Bemühungen der modernen Architektur um Flexibilität. Räume, die für eine Art von Zwecken, nicht für einen speziellen Zweck bestimmt und mit beweglicher Einrichtung, nicht mit beweglichen Trennwänden versehen sind, fördern auch eher eine Flexibilität der Wahrnehmung als eine nur physische Verfügbarkeit; sie vermitteln uns auch ein Gefühl von Verläßlichkeit, auf das wir im Umgang mit unseren Bauten nicht verzichten können. Echte Mehrdeutigkeit kann auch nützliche Flexibilität bedeuten. 50
Doppelfunktionale Elemente wurden in der modernen Architektur nur sporadisch benutzt. Die Architektur der Moderne hat stattdessen Trennung und Spezialisierung von Funktionen auf allen Ebenen gefördert — beim Baumaterial ebenso wie bei der Konstruktion, in der Lageplanung ebenso wie beim Raumprogramm. Die Leitvorstellung von den „natürlichen Materialeigenschaften" war der Vorstellung einer multifunktionalen Verwendung von Materialien hinderlich; sie unterdrückte umgekehrt auch die Möglichkeit gleicher Form- bez. Oberflächengestaltung bei verschiedenen Materialien. Wrights Abkehr von seinem Lehrer begann, glaubt man seiner Autobiographie, mit Louis Sullivans unterschiedsloser Anwendung seiner charakteristischen Ornamentik auf Terrakotta, Eisen, Holz oder Ziegel. Für Wright ,.konnten Formen, die für ein bestimmtes Material richtig waren, bei einem anderen eben nicht richtig sein"[28]. Aber die Fassade von Eero Saarinens Studentenwohnheim der Universität von Pennsylvania schließt als Materialien und Strukturen unter anderen einen mit Weinlaub berankten Abschnitt, Ziegelmauerwerk und stählerne Gitterlemente ein, obwohl der gekurvte Schwung des Wandprofils über die unterschiedlichen Flächen hinweggeht. Saarinen überwand die übliche Abneigung gegen die Verwendung verschiedener Materialien für den gleichen Bau, bzw. die Verwendung des gleichen Materials für verschiedene Zwecke. In dem Bild von Robert Rauschenberg, ,Pilgrim'(43) betitelt, erstreckt sich die Oberflächenstruktur vom Spannrahmen bis zu dem wirklichen Stuhl, der vor dem Bild steht: die Differenz zwischen dem Gemalten und dem Möbelstück wird damit zweifelhaft; und auf einer anderen Ebene wird das Verhältnis des Kunstwerks zum Raum doppeldeutig. Widersprüche zwischen Funktion und Bedeutung sind in solchen Werken manifest und setzen das jeweilige Medium starken Spannungen aus.
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Aber den Puristen der Struktur und genauso den Organizisten ist doppelfunktionelle Form ein Greuel; dies wegen der nicht-exakten, mehrdeutigen Beziehung zwischen Form und Funktion, Form und Struktur. Im Gegensatz dazu sind in der Katsura Villa (44) die auf Zug belasteten Bambusstäbe und die stützenden Holzpfosten von ähnlicher Form. Die Ähnlichkeit dieser beiden Elemente, in Position und Zuschnitt, ist modernen Architekten, wie ich meine, sehr suspekt; auch heute noch und trotz aller Anerkennung japanischer Formgebung. Der Pilaster der Renaissance (genau wie andere nicht-konstruktiv verwandte konstruktive Details) kann das Phänomen des ,Sowohl-als-auch' vielfältig ausdrükken'. Er kann zur physischen Struktur der Fassade gehören oder auch nicht; er kann andererseits durch Assoziation die Struktur symbolisch andeuten. Gleichzeitig kann er zum kompositioneilen Ornament werden, indem er dem Aufriß Rhythmus verleiht. In einer Kolossalordnung bewirkt der Pilaster Komplexität des Maßstabs. Neben der eindeutigen Zuordnung bestimmter Formen zu bestimmten Materialien und Konstruktionen, isoliert die moderne Architektur einzelne Elemente. Diese Architektur versucht nie, indirekt zu wirken. Mit der Ausbildung des Skelettbaus, mit vorgehängten Wänden, hat sie das Konstruktive vom Schützenden losgelöst. Sogar die Wände des ,Johnson Wax Building' umschließen zwar den Raum, tragen ihn aber nicht. Auch bei der Ausbildung der Details geriet die moderne Architektur in Versuchung, durch deren Verselbständigung zu glänzen. Sogar in der gleichen Ebene liegende Gelenke werden betont, und es besteht eine Präferenz für Verbindungen, die durch schattenwerfende Vertiefungen auffallen. Das vielseitige Element, mit dem vieles zur gleichen Zeit möglich
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ist, findet sich kaum in der modernen Architektur. Bezeichnenderweise wird die Stütze dem Pfeiler vorgezogen. Beim Schiff von ,S. Maria in Cosmedin' in Rom (45) resultiert die Säulenform exakt aus der Funktion als einer punktuellen Stütze. Gerichtet werden kann der Raum dadurch nur zufällig, nur in Verbindung mit anderen Säulen oder gleichartigen Architekturteilen. Anders die zwischengeschobenen Pfeiler im gleichen Schiff; sie haben ganz wesentlich eine Doppelfunktion. Sie fassen und richten den Raum longitudinal aus, und sie tragen gleichzeitig auch noch die Konstruktion. Die barocken Pfeiler in der Kapelle zu Frèsnes (46), die in ihrem Querschnitt gleichsam übriggebliebene Zwischenräume füllen, geben extreme Beispiele für Elemente mit doppelter Funktion. Sie bilden Räume und sind zugleich Stütze. Le Corbusiers und Kahns Details mit doppelten Funktionen können wohl zu den Seltenheiten in unserer Architektur gezählt werden. Die ,brise-soleils' der .Unité d'Habitation' in Marseille sind konstruktive Teile, zugleich Veranda und Sonnenblende. (Sind das Wandteile, Pfeiler oder Stützen?) Kahns Stützen und seine offenen Pfeiler lassen Raum für Einrichtungsgegenstände, und außerdem können sie den Einfall des Tageslichtes mitbestimmen. Ähnliches leisteten einst die rhythmisch gestellten Säulen und Pilaster barocker Architektur. Wie bei den offenen Trägern im .Richards Medical Center'(47) sind Kahns architektonische Elemente im allgemeinen weder rein konstruktiv noch elegantes Resultat einer Kunst des Weglassens. Stattdessen sind sie konstruktive Teillösungen, die aus dem größeren räumlichen Zusammenhang gleichwohl nicht isoliert werden dürfen. Es hat seinen guten Sinn, Spannungen in Formen sichtbar werden zu
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lassen, die nicht nur rein konstruktiv sind; ein konstruktives Detail braucht nicht nur zufällig raumbildend sein. (Allerdings sind die Versorgungskerne und die Treppentürme auch bei diesem Bau in o r t h o d o x e r Weise abgerückt und isoliert behandelt.) Die Großtafelbauweise beruht auf der Verwendung von Betonplatten konstanter Dicke mit verschiedenen dimensionierter Bewehrung entsprechend den unterschiedlichen Abständen von unregelmäßig gesetzten Betonpfeilern, die weder in einen Unterzug münden noch sonst irgendwie verkröpft sind. Um eine bestimmte S t ä r k e einhalten zu können, variiert die Zahl der eingelegten Eisenstäbe. Dadurch kann die Tragkraft den konstruktiv bedingt punktförmig auftretenden Belastungen in den gleichbleibenden, trägerlosen Segmenten besser angepaßt werden. Dies erlaubt, insbesondere im Massenwohnungsbau, eine konstante R a u m h ö h e und damit auch eine gleichmäßige Geschoßteilung einzuhalten. Großtafeln sind konstruktiv „unrein", ihr Querschnitt ist nicht so klein gewählt, wie er sein k ö n n t e . Die konstruktiven Anforderungen werden durch die räumlichen Anforderungen relativiert. Die F o r m folgt der F u n k t i o n in einer widersprüchlichen Weise: die Materialeigenschaften entsprechen den konstruktiven Bedingungen, der äußerliche Querschnitt aber wird durch die räumlichen Notwendigkeiten festgelegt. In einigen manieristischen und barocken Ziegelkonstruktionen fügen sich auch Pfeiler, Pilaster und die darüberliegenden entlastenden Bogen zu einer Fassade. Das Ergebnis ist eine Konstruktion, die wie beim Palazzo Valmarana ( 4 8 ) zu48
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gleich tragende Wand und konstruktiver Rahmen ist. Die Entlastungsbogen des Phantheons (49), die ursprünglich nicht sichtbar gewesen waren, bilden auf ähnliche Weise eine Wand, die gleichzeitig zwei Funktionstypen zugeordnet werden kann. Hinsichtlich des Wandaufbaus bzw. seiner Variationen sind die römische Basilika, Gaudis ,Sagrada Familia' (50) und Palladlos ,11 Redentore' (51) gänzlich
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verschieden von der gotischen Basilika (52). Anders als die aufgelösten, hoch aufsteigenden Strebepfeiler, bilden in der römischen Konstruktion die Stützgewölbe gleichzeitig Räume. Gaudis virtuose Erfindung des schiefen Strebepfeilers hält das Gewicht der Wölbung, wie die Strebebögen den Schub, in einer bruchlos gespannten Form. Palladlos Strebepfeiler sind zur gleichen Zeit auch Teil der gesprengten Ziergiebel der Fassade. Ein aufsteigender Strebepfeiler an S. Chiara in Assisi enthält eine Öffnung: der Pfeiler ist also ebenso ein Tor zur Piazza, wie er andererseits dem Kirchenbau Halt gibt. 52
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Das Element mit einer Doppelfunktion kann auch ein Detail sein. Manieristische und barocke Bauten quellen über von Gesimsen, die zu Fensterbrettern werden, Fenstern, die zu Nischen, Karniesleisten, die zu Fensterleibungen werden; von Eckleisten, die auch Pilaster sind und Architraven, die sich zu Bogen wölben (53). Die Pilaster der Nischen im Eingang von Michelangelos .Biblioteca Laurenziana'(54) sehen fast aus wie Kragsteine. Borrominis Nischen an der rückwärtigen Fassade der .Propaganda Fide'(55) sind sowohl Fensterrahmen als auch Ziergiebel. Lutyens Kamine in ,Grey Walls'(56) sind buchstäblich plastische Signale für den Eingang, der untere Wandstreifen in ,Gledstone Hall'
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(57) ist die Fortsetzung einer Stufenstirn im gleichen Raum, und der Treppenabsatz in Nashdom bildet einen eigenen Raum. Der Fachwerkrahmen („balloon frame"), dem Sigfried Giedion nachspürte, ist in ständiger Umdeutung begriffen. Konstruktiv und visuell wird er aus einem tektonischen Tragwerk zu einer Haut, die sowohl statische wie schützende Funktionen wahrnimmt. Soweit er aus Rechtecken zusammengesetzt ist, ist er tektonisch aufgebaut; werden die Rechtecke aber immer kleiner, liegen sie dichter beieinander und werden sie durch Diagonalen ausgesteift und vermascht, wird er zur Haut. Diese vertrakten Verhältnisse werden deutlich, wenn man sich ansieht, wie Öffnungen angelegt werden müssen und wo überhaupt Grenzen des Rahmens liegen. Der „balloon f r a m e " ist ein weiteres Beispiel für multifunktionelle Gebilde in der Architektur. Er ist Beispiel für eine Vorgehensweise, die sich beider Extreme der Alternative bedient, sich aus ihnen heraus entwickelt und nun auch beider Merkmale aufweist. Konventionelle Elemente geben einem bestimmten Abschnitt im Entwicklungsprozeß der Architektur fortwirkende Dauer; bei ihrer Verwendung in veränderten Zusammenhängen behalten sie gleichwohl einiges ihrer vergangenen Bedeutung, andersherum beleuchten sie selbst diesen neuen Zusammenhang. Was nach der einen Seite hin als verkümmert erscheinen mag, ist nach der anderen Seite hin betrachtet ein Element mit einer Doppelfunktion. Es ist eben kein überflüssiges Element, weil es diese doppelte Aussage beinhaltet. Es ist Ergebnis der mehr oder weniger ambivalenten Kombination zwischen der alten Bedeutung, die durch Assoziationen wachgehalten wird, und einer neuen Aussage, die mit der
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neuen modifizierten Funktion entsteht, sei sie nun konstruktiv oder inhaltlich bestimmt, sowie dem gesamten neuen Kontext. Das rezessive Element schwächt zwar die Klarheit der Aussage, es fördert aber ihren Reichtum. Es ist eine Bedingung für Wandel und Wachstum in der Stadt, es ist stets vorhanden bei ihrem Umbau. Dieser Stadtumbau bezieht sich immer auf alte Bauten, die sowohl von ihren Funktionen als auch von ihrer symbolischen Aussage her einem neuen Bedürfnis angepaßt werden (wie alte Palazzi, die zu Museen oder Botschaften werden), und auf alte Straßennetze, die einer neuartigen Nutzung und veränderten Maßstäben der Bewegung unterworfen werden. In den europäischen Städten wurden im 19. Jahrhundert die mittelalterlichen Befestigungsanlagen zu den großen Boulevards. Ein Teil des Broadways ist eher Platz und Wahrzeichen als eine Verkehrsschlagader zum oberen Teil des Staates New York. Der Geist der Dock Street in Philadelphias bestem Viertel ist nur noch eine bedeutunglose Erinnerung, nichts wirklich Spürbares mehr: die Balance zwischen Alt und Neu ging hier längst verloren. Weiter unten werde ich auf das rezessive Element eingehen, wie es in Michelangelos Architektur, aber auch in einer ,PopArchitektur', wie ich das einmal nennen möchte, zu beobachten ist. Das erzählende Moment findet sich in der jüngsten Architektur ebenso selten wie das Element mit mehr als nur einer Funktion. Wird beim letzteren die Doppeldeutigkeit übel genommen, so scheitert das erzählende Moment am Kult des ,Weniger-ist-mehr' der modernen orthodoxen Architektur. Dieses erzählerische Moment ist ein notwendiges, wenn auch aus der Mode gekommenes Ausdrucksmittel. Aus einem bestimmten Blickwinkel mag es als geschwätzig erscheinen, aber wenn es echt ist, wird es die Vielfalt des Ausdrucks bereichern und sie unterstreichen. In dem Plan Ledoux' für einen Torweg in Bourneville (58) sind die Säulen unter dem Bogen konstruktiv gesehen nur rhetorisch, wenn nicht sogar überflüssig. In ihrem Ausdrucksgehalt allerdings verdeutlichen sie die Abstraktheit der Öffnung — ein Halbkreis als Torbogen —, und weiterhin kennzeichnen sie die Öffnung als Abschluß eines Torweges. Wie ich schon ausgeführt habe, ist
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die Treppe von Furness in der .Pennsylvania Academy of the Fine Arts' für ihre unmittelbare Umgebung entschieden zu groß, nicht aber als Antwort auf den großen Maßstab draußen und die damit verbundene besondere Eingangssituation. Das klassische Portal ist ein beredter Einlaß. Die Stufen, die Säulen und die Giebel, sie sind auf den Maßstab des tatsächlichen, dahinterliegenden Eingangs bezogen. Paul Rudolphs Eingang in das Fakultätsgebäude für ,Arts and Architecture' in Yale behauptet den Maßstab der Stadt; die meisten Leute aber benutzen die kleine Türe in der Seitenwand des Treppenbaus. Vieles an einem Ornament ist rhetorisch, wie der Gebrauch des barocken Pilasters zu rhythmischer Gliederung; Vanbrughs freistehende Pilaster am Eingang zum Wirtschaftshof des Schlosses Blenheim (59) werden zu architektonischen Fanfarenstößen. Rhetorische Bauelemente, die noch eine konstruktive Funktion haben, sind selten in der modernen Architektur: was nicht ausschließt, daß z.B. Mies seinen rhetorisch gemeinten Doppel-T-Träger mit einer Sicherheit benutzte, die einen Bernini neidisch gemacht hätte.
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6. Wechselseitige Angleichung und die begrenzte Ordnungsleistung von Strukturen: Das konventionelle Element
Kurzum, diese Widersprüche müssen hingenommen werden* Wirkliche Ordnung gleicht die zufälligen Widersprüche in einer komplexen Realität einander an. Sie mag zwar belasten, aber sie vermittelt auch. Sie ermöghcht dadurch eine Kontrolle der Umwelt und zugleich Spontaneität des Verhaltens, ,Korrektheit' und .Ungezwungenheit' — Improvisation im Rahmen des gesamten Getriebes. Sie schafft Spielräume für Wertungen und für Kompromisse. Es gibt in der Architektur keine ,Gesetze', trotzdem ist auch beim Bauen eines Hauses oder einer Stadt nicht alles erlaubt. Der Architekt muß Entscheidungen treffen, das behutsame Abwägen gehört zu seinen ureigensten Aufgaben. Er muß entscheiden, wo eine bestimmte Lösung unverzichtbar ist und wo ein Kompromiß möglich ist, wo also Unterschiedliches vereinbar wird. Er kann an strukturrelevanten Unstimmigkeiten des Raumprogramms oder der Konstruktion innerhalb einer Ordnung nicht vorbeisehen. Ich habe bisher den Aspekt von Vielfalt und Widersprüchlichkeit betont, wie er dem Bau als Medium zueigen ist, weniger den Aspekt, der sich aus dem Funktionzusammenhang des Gebäudes erklärt. Nun will ich auf diesen Aspekt eingehen; er ergibt sich aus der Art der Nutzung und ist in der Tat nichts als die Widersprüchlichkeit des Lebens selbst. Es ist offensichtlich, daß in der tatsächlichen Praxis beide Aspekte aufeinander bezogen werden müssen: Gegensätze können sich einstellen als Resultat außergewöhnlicher Umstände, die eine insgesamt durchgehaltene Ordnung nur modifizieren, oder sie können sich als Widersprüche innerhalb des Ganzen erweisen. Im ersten Fall kommt es dazu, daß situationsbedingte Ausnahmen dem Ordnungssystem angenähert, bzw. Einzelformen mit den allgemeinen Formen der Ordnung vermittelt werden. Hier baut man ein Ordnungssystem auf, und dort zerstört man eines; aber man zerstört es nicht aus Schwäche, sondern aus Stärke. Ich habe dieses Verhältnis zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen beschrieben als .Vermittlung der Gegensätze'. Unstimmigkeiten innerhalb der Struktur eines Ordnungssystems selbst betrachte ich als Erscheinungsformen des ,schwierigen Ganzen' und diskutiere dies im letzten Kapitel. Mies beruft sich auf die Notwendigkeit, „gegen die verzweifelte Verwirrung unserer Zeit eine Ordnung zu schaffen". Aber von Kahn stammt die Bemerkung,
David Jones, Epoch and Artist, New York 1959
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„mit Ordnung meine ich nicht Ordentlichkeit". Sollten wir uns nicht dagegen wehren, Verwirrung zu beklagen? Sollten wir uns nicht eher darum bemühen, in den komplizierten Verhältnissen, in all den Widersprüchlichkeiten unserer Zeit einen sinnstiftenden Zusammenhang aufzuspüren und im übrigen die Begrenztheit von Ordnungssystemen realistisch einzuschätzen? Dies sind auch, wie ich glaube, die beiden Rechtfertigungen für den Ausbruch aus Ordnungen: zunächst die Anerkennung der Vielfalt, ja des Durcheinanders, ob innen oder außen, im Zufälligen oder im Geplanten, auf allen Ebenen der Erfahrung; dann die Tatsache der Begrenztheit aller von Menschenhand geschaffenen Ordnungen. Wenn die Umstände der Ordnung trotzen, sollte diese Ordnung genügend flexibel sein oder aber zerbrechen: Anomalien und Unwägbarkeiten hauchen der Architektur erst Leben ein. Die Aussagekraft kann durch ein Zerbrechen der gewohnten Ordnung gesteigert werden; die Ausnahme verdeutlicht die Regel. Ein Bau ohne jedes unvollkommene Detail kann auch kein vollkommenes haben, weil erst der Kontrast die Bedeutung hervorhebt. Erst ein gekonnter Mißgriff verleiht einem Bauwerk Witz. Man kann eigenwilligen Entscheidungen viel Spielraum geben, das Ganze kann aber nicht aus lauter Eigenwilligkeiten bestehen. Wie Ordnung, die ganz auf individuelle Besonderheiten verzichtet, zu Formalismus erstarrt, muß andererseits ständiges Experimentieren ohne alle Verbindlichkeit Chaos bedeuten. Eine Ordnungsstruktur m u ß zunächst erst einmal bestehen, bevor sie gesprengt werden kann. Kein Künstler kann die Bedeutung eines festen Rahmens geringachten, da erst er es ermöglicht, eine individuelle Perspektive zu wählen. ,,Es kann keine Kunst geben ohne ein System", ist ein Diktum Le Corbusiers. In der Tat kann der Vorsatz der Zerstörung aller ordnenden Strukturen zu einer Rechtfertigung ihrer Verhärtung werden. Ein wohlverstandener Formalismus — in dem Zusammenhang hier könnte man auch von einer ,Papier-Architektur' sprechen — kann ein gehöriges Maß an Verzerrungen, Übertreibungen und Eigenwilligkeiten in akzidentiellen Bereichen des Bauwerks tragen; auch kraß betonte und unvermittelte Gegensätze können dann noch integriert werden. In der neueren Architektur ist die ,Villa Savoye' ein Beispiel dafür, wie ungewöhnliche und einander widersprechende Notwendigkeiten in eine strenge, ordnende Struktur einbezogen werden. Ohne diesen Bezug wäre die Ordnungsstruktur selbst rigide. Anders Aalto, der im Gegensatz zu Le Corbusier seine Struktur rein aus den situationsbedingten Unebenheiten heraus zu formieren scheint. Am Beispiel des Wolfsburger Kulturzentrums läßt sich das gut nachvollziehen. Ein weiteres historisches Beispiel kann vielleicht dienlich sein, dieses Verhältnis von Ordnungsstruktur und einzelnen Ausnahmen weiter zu explizieren. Beim Palazzo Tarugi (60) Können sich die der Fassade vorgeblendeten Bogenstellungen und Pilaster mit ihrer Regelhaftigkeit gegen eine Überlagerung durch ,wunderlich' gestaltete Fenster und asymmetrische Toröffnungen behaupten. Gerade beim italienischen Palazzo, wie auch bei einigen Werken Le Corbusiers, sind es eine bis zum äußersten gesteigerte Regelhaftigkeit, und dadurch bedingt, eine 62
ebenso übersteigerte Geschlossenheit, die in Verbindung mit einigen Besonderheiten der Proportionierungden Eindruck von Monumentalität erzeugen. In die Komposition einbezogene, sich gleichwohl sperrende und gegensätzliche Bauteile sind das Geheimnis dieser Monumentalität, die weder pedantisch noch bombastisch ist. Obwohl Aaltos Strukturprinzipien nicht auf den ersten Blick aufzuspüren sind, halten sie doch ähnlich eine Balance zwischen der Regel und der umstandsbedingten Ausnahme. Im Ingenieurbau ist es die Brücke (61), die am anschaulichsten das Gegeneinander von reiner Struktur und ortsbedingten Zufälligkeiten deutlich werden läßt. Die einfache Geometrie der oberen Konstruktion, die sich einzig aus der simplen Funktion, Fahrzeugen zu einem waagerechten Weg zu verhelfen, umstandslos herleitet, kontrastiert in beeindruckender Weise mit der darunterliegenden Konstruktion; durch ihre Variation, die Verlängerung bez. Verkürzung
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von Pfeilern und Pfeilerabständen, wird das Brückenband mit dem unebenen Terrain der Senke vermittelt. Der stete Wechsel zwischen der Etablierung einer Ordnungsstruktur und ihrer teilweisen Auflösung schärft auch das BewuiStsein für den Prozeß der Erneuerung von Gebäuden und der Entwicklung von Städten. Tatsächlich ist eine Veränderung der Nutzung bestehender Gebäude ein ernstes Problem und eine Hauptquelle der Widersprüche, die ich bisher behandelt habe. Viele Anlagen, die durchaus auf örtliche Gegebenheiten Rücksicht nehmen, wie etwa der Palazzo Tarugi, sind das Ergebnis von Renovierungen, die dem gesamten Bau ihren Stempel aufgedrückt haben. Ein großer Teil des Urbanen Reichtums italienischer Städte verdankt sich der Gewohnheit, alle paar Generationen das Innere kommerziell genutzter Erdgeschosse zu verändern, bez. dem Zeitgeschmack anzupassen. Ein gutes Beispiel dafür sind die kompromißlos modernen Bars, die in alte Palazzi eingebaut wurden. Freilich m u ß dafür die alte Gliederung kräftig genug akzentuiert sein. Eine ganze Menge an Ungereimtheiten hat nicht ausgereicht, das Raumgebilde ,Grand Central Station' zu zerstören. Bei manchen modernen Bauten stellt aber schon die Einfügung eines andersartigen Elements den gesamten Eindruck in Frage. Unsere Gebäude verkraften o f t kaum die Anbringung eines Zigarettenautomaten. Ich habe mich bisher auf eine bestimmte Art der Regelhaftigkeit in der Architektur bezogen — auf eine individuelle Ordnung als Moment des jeweiligen Gebäudes. Aber auch die Architektur kennt überindividuelle, gewohnheitsmäßige Lösungen, und derartige Konventionen können ebenfalls zu starren und dabei noch allgemeinverbindhchen Normen gerinnen. Ein Architekt sollte sich der Konventionen bedienen, sie aber mit neuem Leben versehen. Ich meine damit, daß er sich die Konventionen unkonventionell zunutze machen sollte. Konventionell können sowohl stilistische Ausdrucksmittel als auch konstruktive Besonderheiten sein. Konventionelle Ausdrucksmittel sind solche, die in der Art ihrer Herstellung, in ihrer Form und in der Weise ihres Gebrauchs die üblichen sind. Ich meine dabei nicht die anspruchsvollen Design-Produkte. Gemeint ist vielmehr die ungeheure Fülle der durchschnittlichen, ,anonymen' Massenprodukte, die als Teil der Architektur, bzw. des Gebäudes selbst auftreten; auch jene durchaus positiv ,vulgären' und banalen Elemente, wie sie als Mittel kommerzieller Warendarbietung Gebrauch finden und dann nur ausnahmsweise mit Architektur assoziiert werden. Die beste Rechtfertigung des Vulgären als Teil der Architektur ist zunächst seine bare Existenz. Es gibt diese Dinge eben. Die Architekten können das beklagen und versuchen, darüber hinwegzusehen. Sie könnten sogar versuchen, sie zu eliminieren. Ein Erfolg wäre wohl zweifelhaft, jedenfalls auf Dauer. Die Architekten verfügen gar nicht über die Macht, das Vulgäre zu ersetzen (sie wüßten auch gar nicht, womit); und außerdem befriedigen diese ubiquitären Scheußlichkeiten ein bestehendes Bedürfnis nach Abwechslung und Ungewohntem. Konventionelle Lösungen, ganz gleich, ob ihr Inhalt banal oder würdevoll ist, 64
werden wohl auch weiterhin das Erscheinungsbild unserer Architektur prägen, und unsere neue Architektur wird umgekehrt solche Konventionen ausbilden. Ich gestehe gern ein, hier nur eine bescheidene Perspektive zu umreißen ; sie hat aber, auch wenn die Architekten o f t meinten, sie für beschränkt halten zu müssen, die gleiche Bedeutung wie die visionäre Zukunftsschau, der dieselben Architekten wohl doch etwas zuviel Wichtigkeit beimessen wollten und die sie im übrigen ja auch in keiner Weise verwirklichen konnten. Eine realistische Planung der nächsten Jahre, die pragmatisch Alt und Neu verknüpft, muß neben die langfristig orientierte Zukunftsplanung treten. Architektur ist ebenso evolutionär wie revolutionär. Als Kunst m u ß sie das bereits Existierende genauso ernst nehmen wie das, was sein sollte, das unmittelbar Gegebene wie das vielleicht Mögliche. Die Historiker haben gezeigt, daß die Architekten in der Mitte des 19. Jahrhunderts dazu neigten, technologische Neuentwicklungen in der Konstruktion und den Baumethoden zu ignorieren bzw. zurückzuweisen: das sei nicht Aufgabe des Architekten und seiner Kunst unwürdig. Stattdessen pflegten sie einen Wiedererweckungskult vergangener Stilformen, der Gotik, der Klassik oder auch handwerksmäßiger Baumethoden. Sind wir heute nicht umgekehrt dabei, alle Unmittelbarkeit, alles Leben, meinetwegen auch alles Vulgäre, das zu unserer Architektur und unserer gesamten Umwelt gehört, daraus zu verbannen, wenn wir die fortgeschrittenste Technologie über alles stellen? Der Architekt sollte sich der bereits verfügbaren Techniken und Details auch bedienen. Er scheitert zu oft, wenn er sich alleine auf die Suche nach der ,neuen' Form, nach der — vielleicht — fortgeschrittensten Technik macht. Technologische Neuerungen erfordern einen Aufwand an Zeit, spezialisiertem Wissen und Geld, wie er weit jenseits der Möglichkeiten eines Architekten liegt, zumindest in Gesellschaften unserer Entwicklungsstufe. Das Ärgerliche bei den Architekten des 19. Jahrhunderts ist weniger die Tatsache, daß sie die innovatorische Tätigkeit völlig den Ingenieuren überließen, als vielmehr die, daß sie die technischen Umwälzungen der anderen geflissentlich übersehen haben. Die zeitgenössischen Architekten haben in ihrem visionären Eifer, selbst neue Techniken zu erfinden, ihre Verpflichtung vergessen, Experten vorhandener Konventionen zu sein. Natürlich ist der Architekt sowohl für das ,Wie' als auch für das ,Was' verantwortlich; aber seine schöpferische Tätigkeit bezieht sich vor allem auf das ,Was'. Sein Aufgabenfeld erstreckt sich mehr auf die Gestaltung des ganzen Ensembles als auf das Funktionieren der einzelnen Teile. Der Architekt muß vor allem verstehen, richtig auszuwählen; erfinden kann er dann immer noch. Das sind pragmatische Gründe für die Verwendung konventioneller Lösungen, aber es gibt ebenso Gründe des Ausdrucksgehalts, die Konventionen gerechtfertigen. Die wichtigste Aufgabe des Architekten ist die Gestaltung des einheitlichen Ganzen bei Benutzung bewährter oder bei vorsichtiger Einfügung neuer Teile, wenn die alten versagen. Die Gestalt-Psychologie unterstreicht, daß die Bedeutung eines Details erst in seinem Zusammenhang bestimmbar wird und daß 65
eine Veränderung dieses Referenzfeldes auch seinen Bedeutungswandel bewirkt. Der Architekt schafft also durch veränderte Zusammenstellung der Einzelteile stets neue Bedeutungen prägende, ganzheitliche Zusammenhänge. Wenn er Konventionelles unkonventionell benutzt, wenn er vertraute Dinge in befremdlicher Weise zusammenstellt, verändert er ihren Kontext und kann so auch ausgedienten Klischees eine lebendige Wirkung geben. Gewöhnliche Dinge in einem ungewöhnlichen Zusammenhang scheinen deshalb neu und alt zu sein. Die modernen Architekten haben sich der konventionellen Elemente nur sehr begrenzt angenommen. Wurden sie von den einen für obsolet oder banal gehalten und damit ignoriert, wurden sie von anderen wiederum als Symbole fortschrittlicher industrieller Verhältnisse präsentiert. Aber nur selten haben die Architekten gewöhnliche Dinge in einem bestimmten Gesamtrahmen neuartig eingesetzt. Wright z.B. gebraucht fast immer einmalige Elemente und Formen, um sein persönliches und kreatives Herangehen an Architektur unter Beweis zu stellen. Weniger bedeutsame Details, wie Beschläge oder Sanitäreinrichtungen, die zu verwenden auch Wright nicht umhin kam, bedeuteten für ihn unglückliche Abstriche von seiner besonderen, ansonsten stimmigen Komposition. Dagegen benutzte Gropius in seinen frühen Werken Formen und Elemente, deren Gestaltung konsequent den Erfordernissen der industriellen Produktion entsprach. Er verstand, was Standardisierung der Produktion bedeutete und bediente sich ihrer zur Verwirklichung seiner Maschinen-Ästhetik. Die Anregungen zu Fenstern und Treppenhäusern beispielsweise kamen ihm von der zeitgenössischen Fabrik-Architektur; das kann man seinen Bauten auch ansehen. Der späte Mies benutzt konstruktive Details von typisch amerikanischer Fabrik-Architektur und auch von Albert Kahn. Das Ganze entbehrt nicht einer gewissen, freilich unbewußten Ironie; die eleganten Skelett-Teile sind nach den Katalogen der Stahlproduzenten bestellt; sie werden präsentiert wie freiliegende konstruktive Teile, sind dabei aber doch nur einem feuerfesten Rahmenträger vorgeblendet. Mies errichtet damit aber beziehungsreiche Innenräume, ganz anders als die simplen Fertigungshallen, für die sie ursprünglich vorgesehen waren. Es war Le Corbusier, der mit einem gewissen Sinn für Ironie vorgefundene Objekte und alltägliche Gegenstände wie Thonet-Stühle, Bürosessel, gußeiserne Heizkörper, mit den erlesenen Formen seiner Architektur konfrontierte. Die Statue der Jungfrau Maria aus dem 19. Jahrhundert in der Wallfahrtskirche von Ronchamp, in eine Fensterleibung der Ostwand eingefügt, ist ein Relikt des älteren Baues an dieser Stelle. Abgesehen von ihrem symbolischen Gehalt, ist diese Skulptur banal, an ihrem neuen Standort wird sie aber wieder ausdrucksstark. Bernard Maybeck ist der einzige Architekt der neueren Zeit, der es vermochte, die gegensätzlichsten Kombinationen zwischen seriellen Industrieprodukten und eklektizistischen Stilelemten (z.B. Schiebefenster aus der Massenproduktion und gotisches Maßwerk) an einem einzigen Bau zu realisieren. Konventionelles unkonventionell zu gebrauchen, ist in der neuesten Architektur sonst fast unbekannt. 66
Schriftsteller dagegen — wir stützen uns hier auf Eliot — „kultivieren diese kaum merklichen Verschiebungen in der Sprache, sie gebrauchen die Worte in ständig neuen und überraschenden Zusammenhängen."[29] In seinem Vorwort zu .Lyrical Ballades' schreibt Wordsworth über die Suche nach „Ereignissen und Situationen des Alltagslebens, die es gestatten, dem Leser ganz gewöhnliche Ereignisse in einer ungewöhnlichen Perspektive zu zeigen. "[30] Kenneth Burke berief sich auf ,,eine Einsicht, die sich der Erfahrung der Widersprüchlichkeit verdankt." [31] Dieses in der Dichtung zentrale Konstruktionsprinzip ist heute in einer anderen Kunstgattung benutzt worden. Die Maler der Pop Art verleihen ganz gewöhnlichen Sujets dadurch eine ungewohnte Bedeutung, indem sie sie in einen ungewohnten Kontext stellen oder auch einfach ihren Maßstab vergrößern. Durch ihre „Abhängigkeit von der Realität der Wahrnehmung und der Bedeutung"[32] bekommen in anderem Kontext auch abgenutzte Klischees reiche Bedeutungen, die ambivalent, alt und neu, banal und aufregend sind. Der Wert derartig changierender Bedeutungen war sowohl in der evolutionären als auch in der avantgardischen Architekturtradition unumstritten gewesen — seit der nachrömischen Architektur beispielsweise, als mit der Einfügung von Fragmenten in die Architektur eine Spolienarchitektur entsteht, etwa Kapitelle auch als Basis verwendet werden, bis hin zur Renaissance selbst, in der der alte klassische Formenkanon Roms in neuer Zusammenstellung wieder verwendet wurde. James Ackermann beschrieb Michelangelo als einen Künstler, „der kaum je ein überkommenes Motiv in seine Architektur übernahm, ohne es abzuwandeln oder ihm eine veränderte Bedeutung zu unterlegen. Dennoch bewahrte er stets unverändert die wesentliche Grundform des antiken Vorbildes, um so den Betrachter, der sich über die schöpferische Weiterbildung erfreut, doch auch gleichzeitig mit deren Ausgangspunkt zu konfrontieren."[33] Eine derartige ironische Verwendung von Stilelementen ist für das einzelne Bauwerk und die städtebauliche Dimension gleichermaßen bedeutsam. Sie reflektiert auf die tatsächlichen historischen Bedingungen unserer Architektur und ihre Stellung innerhalb unserer Kultur. Die Industrie fördert eine immens teuere Forschung in den anwendungsbezogenen ingenieurwissenschaftlichen und elektronischen Disziplinen, aber keinerlei architektonische Experimente. Die Regierung verteilt Subventionen an Bereiche, wie Luftfrachtwesen, Telekommunikation, und sie finanziert unermessliche Ressourcen verschlingende kriegerische Unternehmungen, bzw. die ,nationale Verteidigung', wie das wohl genannt wird, kaum aber die Verbesserung der unmittelbaren Lebensbedingungen. Der praktizierende Architekt m u ß das wissen. Rund herausgesagt, entsprechen der Finanzrahmen, die Techniken und die Nutzungsprogramme seiner Bauwerke eher den Verhältnissen des Jahres 1866 als denen von 1966. Die Architekten sollten sich ihrer relativen Bedeutungslosigkeit bewußt sein, sich über ihre Rolle keine Illusionen machen und dabei riskieren, was man einen elektronischen Expressionismus nennen könnte, ähnlich dem Expressionismus des Industriezeitalters zu Beginn der Architektur der Moderne. Der Architekt, der sich zu seiner Rolle als 67
Kombinator bedeutongsvoller alter Klischees — wertvoller Nichtigkeiten — innerhalb neuer Zusammenhänge bekennt und dies als Bedingung seiner Wirkungsmöglichkeit in einer Gesellschaft begreift, die alle ihre Anstrengungen, ihren Reichtum und ihre gekonnten technischen Problemlösungen auf anderes richtet, kann indirekt u n d mit Ironie etwas Wahres über die verkehrte Wertordnung dieser Gesellschaft aussagen. Ich habe einige Gründe benannt, warum triviale Geschmacklosigkeiten in unserer Architektur und auch sonst überall in diesem Land unvermeidliche Erscheinungen sind, zumindest auf mittlere Sicht, und warum dieser Zustand dennoch erträglich sein dürfte. Die Pop Art hat uns die Augen dafür geöffnet, daß diese allgegenwärtigen Dinge in unseren Städten o f t die wichtigste Quelle überraschender Vielfalt und bunten Lebens sind, daß sie nicht schon per se banal und vulgär sind, sie also auch nicht geradewegs die Banalität und Vulgarität des Ganzen verschulden. Dieser Zustand wird erst im Rahmen eines umfassenderen räumlichen und maßstäblichen Bedingungsgefüges erzeugt. Eine andere Lehre aus den Erfahrungen mit der Pop Art läßt sich auf den Bereich der Stadtplanung anwenden. Architekten und Planer, die sich nur mit Verachtung über das überkommene Bild unserer Städte äußern, weil sie es für vulgär und ausdruckslos halten, feilen an komplizierten Methoden, um die vulgären Scheußlichkeiten aus den bereits existierenden Siedlungen zu tilgen, sie zu kaschieren, bzw. sie aus dem für Neuplanung verbindlichen Formenschatz zu verbannen. Sie versagen aber fast immer bei derartigen Versuchen; weder sind sie fähig, die gegebene städtebauliche Situation wirkungsvoll zu akzentuieren, noch können sie etwas anderes an ihre Stelle setzen: sie verfolgen unerreichbare Ziele. Weil sie zuviel erreichen wollen, offenbaren sie im Grunde nur ihre Unfähigkeit und riskieren ihren Einfluß als Experten, wofür man sie bislang in der Tat noch hält. Könnten andererseits Architekten und Planer durch eine gewisse Anpassung an die Realitäten unserer Städte, bereits gebaute oder erst geplante Städte, nicht eine problembezogenere Wirkung erzielen? Durch die Modifikation bzw. Addition normaler architektonischer Elemente und die dadurch sich einstellende qualitative Veränderung ihres Zusammenklangs ließe sich ein Maximum an expressiver Wirksamkeit mit einem Minimum an stilistischem Aufwand erzielen. Sie könnten uns so helfen, die gleichen Dinge täglich immer wieder neu zu erleben. Schließlich kann Standardisierung ähnlich wie die Wirkung von Konventionen Ausdruck einer stabilen Ordnungsstruktur sein. Anders als konventionelle Formen wurden sie in der modernen Architektur als bereicherndes Resultat des technischen Fortschritts akzeptiert; zugleich fürchtete man aber auch, daß standardisierte Elemente der gesamten Architektur brutal ihren Stempel aufdrücken könnten. Aber ist es nicht so, daß weniger die Tatsache der Verwendung standardisierter Elemente überhaupt, als vielmehr ihre Verwendung ohne Rücksicht auf besondere Gegebenheiten, also ihre einfallslose Reproduktion gefürchtet werden muß? Diese Überlegungen über Ordnung und Zufälligkeit der 68
Umstände, über Konvention und Sinnzusammenhang — über die Verwendung standardisierter Elemente ohne jede Standardisierung der Art ihrer Verwendung selbst — fügen sich unserer übergreifenden Problemstellung .Eintönigkeit versus Vielfalt' ein. Giedion schrieb über Aaltos „Verbindung zwischen dem Normierten und dem Irrationalen, wobei das Normierte nicht mehr die Hauptrolle spielt, sondern sich mit einer dienenden Funktion begnügt."[34] Ich würde nicht sagen, daß die Kunst Aaltos irrational ist, sondern widersprüchlich — sie ist eine kunstvolle Anerkennung des durch die jeweiligen Umstände Bedingten und zugleich auch der unübersteigbaren Grenzen der durch Standardisierung vorgegebenen Ordnung,
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7. Die Vermittlung der Gegensätze
Die Fassaden zweier neapolitanischer Villen des 18. Jahrhunderst sind zwei verschiedene Beispiele oder Verwirklichungen des Phänomens der Gegensätzlichkeit in der Architektur. An der Villa Pignatelli (62) schließen sich die nach unten gesenkten Bogen zu Gesimsbändern zusammen, sind zugleich aber auch Fensterbekrönungen. An der Villa Palomba (63) sind die Fenster, die sich dem System der Wandfachung nicht einfügen und die einzelnen Wandfelder durchstoiSen, in ihrer Plazierung durch die Bedürfnisse des Inneren bestimmt. Die abgesenkten Bögen der erstgenannten Villa passen sich ohne Schwierigkeiten ihrer gegensätzsätzlichen Funktion an. Die Fensterordnung der zweiten Villa steht in scharfem Kontrast zur Wandteilung und dem Rhythmus der Pilasten Die Logik des Innen und die Logik des Außen befinden sich in unversöhntem Gegensatz zueinander. Im Fall der ersten Fassade wird der Gegensatz vermittelt durch eine wechselseitige Angleichung und Ausgleichung zwischen den Teilen; bei der zweiten Fassade wird dieser Gegensatz durch die Verwendung kontrastierender über- und nebeneinander liegender Elemente hergestellt. Nur die Vermittlung der Gegensätze ergibt eine großzügige und geschmeidige Formgebung. Dies schließt ein,
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daß es zu einer Auflösung festumrissener Formelemente kommen kann, führt dabei aber zu einer Steigerung der Gesamtwirkung. Dagegen kommt es bei einem Verzicht auf die Angleichung der Gegensätze zu einer Erstarrung, zu gewaltsamen Kontrasten und unversöhnlichem Gegeneinander. Die Vermittlung der Gegensätze mag zu Resultaten führen, bei denen die Formen unklar werden und verschwimmen. Aber Gegensätze nur aufzureißen, vermittelt möglicherweise nichts als Ratlosigkeit. Diese beiden Formen des Umgangs mit Gegensätzen finden sich im Werk von Le Corbusier. Die Kontraste in den Grundrissen zur ,Villa Savoye'(5) und dem Parlamentsgebäude in Chandigarh (64) entsprechen denen der Aufrisse zu den Villen ,Pignatelli' und ,Palomba'. In der ,Villa Savoye' wird gemäß bestimmter räumlicher Erfordernisse die Stellung einiger Stützen des rechteckigen Grundrasters kaum merklich verändert — die eine Stütze springt etwas vor, eine andere tritt zurück. Beim Parlamentsgebäude bleibt der erzeugte Gegensatz — obwohl das Gitter der Säulenstellungen sich auch um die außergewöhnliche, plastische Form des Plenargebäudes selbst herumschwingt — von Gebäude und Säulenreihe unvermittelt, schroff und unversöhnlich. Dies gilt nicht nur für den Grundriß,
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sondern auch für den Aufriß: man erhält einen Eindruck, als ob der Bau gewaltsam zwischen die Säulengitter gezwängt worden sei (65). Kahn sagte einmal: „Gestaltung muß immer vom Vorgefundenen ausgehen." Die rechten Winkel im Inneren der von Palladio geplanten Paläste sind häufig zu nicht-rechteckigen Figuren verändert, um den Bau dem schiefwinkligen Straßenraster von Vicenza anzupassen. Die sich daraus ergebende Spannung verleiht diesen Bauten eine Lebendigkeit, wie sie ihre idealen Gegenstücke in den ,Quattro Libri' niemals aufzuweisen haben. Beim .Palazzo Massimo' ( 6 6 ) paßteine eher geschwungene als winklige Abweichung die Fassade dem Verlauf der Straße an; diese war noch im 19. Jahrhundert ebenfalls geschwungen gewesen. Im Fall des Mansardendaches führte die Notwendigkeit der Anpassung der Wohnung an einen Dachraum, wie er zwischen seinen Dreiecksgiebeln durch Regenschutz und auch andere funktionale Erfordernisse im wesentlichen festgelegt ist, zu einer höchst anmutigen Veränderung der ursprünglichen Sattelform des Daches. Diese Beispiele unterscheiden sich prinzipiell von solchen Formveränderungen,
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wie sie aus dem R o k o k o oder dem deutschen Expressionismus zitiert werden k ö n n t e n : die modifizierten F o r m e n dort sind nicht mehr den Grundformen gegenübergestellt. Neben Modifikationen von Grundformen, wie sie durch die Umstände erforderlich werden, gibt es auch andere Anpassungsformen. In vielen Beispielen a n o n y m e r Architektur, die besonders an die strenge Konvention herkömmlichen Bauens gebunden ist, ermöglicht es ein , K u n s t g r i f f diese h e r k ö m m l i c h e Ordnung an Umstände anzupassen, die ihr eigentlich widersprechen; diese Umstände sind o f t topographischer Art. Der aus der Mitte verschobene Kragstein des Hauses in Domegge ( 6 7 ) ist ein Kunstgriff, der den spannungsvollen Übergang von der symmetrischen Fassade zum symmetrischen Giebel markiert, zugleich aber auch den asymmetrischen Dachüberhang auf der rechten Seite in das Gesamtbild einbindet. Ein pulsierendes Ineinander von Regelhaftigkeit und Zufälligkeit, mit starken Spannungen zwischen Monumentalität und Zweckmäßigkeit, ist tatsächlich ein Merkmal aller Architektur in Italien. Der Skulpturen tragende Pfeiler in der Mitte des inneren Portales von Vézelay ( 6 8 ) , eine Untersützung des Tympanons, unterbricht die Fluchtlinie zum Altar; ein vortrefflicher Einfall, der den Weg zum Altar zu einem Ereignis macht.
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Kahns extrem niedrig gezogene, weit gespannte Träger in der Turnhalle des ,Trenton Community Center' sind ein ungewöhnliches Kunstmittel um die Wirkung von Kuppeln des Daches zu betonen. Im Grundriß waren sie durch die den Raum offen lassenden Stützen markiert, die sie tragen. (69) Das Werk von Lutyens steckt voll von solchen Kunstkniffen: der Spalt an der Seite des Hauses ,The Salutation' in Sandwich (70) ist eine äußerst kunstvolle, räumliche Erfindung. Sie läßt natürliches Licht in den Auslauf der großen Treppe fallen, sprengt das übliche Schema und schafft gegenüber dem klassisch geschlossenen Prisma des Äußeren eine überraschende Offenheit im Inneren. (In einigen der Gemälde von Jasper Johns wird der Clou in analoger Weise durch Hinweispfeile und Ausrufezeichen kenntlich gemacht.) Für uns heute ist Le Corbusier ein Meister der effektvollen Regelverletzung, einer anderen Art der Vermittlung von Gegensätzen. Im Erdgeschoß der .Villa Savoye' (5) mißachtet er die Joch-Ordnung, indem er, wie ich schon gezeigt habe, eine Säule vorsetzt, eine andere zurückzieht; er paßt dadurch das Raumgefüge an Notwendigkeiten an, die vom Raumbedarf und der Erschließung gesetzt sind. Mit diesem ausdrucksreichen Kompromiß verleiht Le Corbusier der übergeordneten Regelhaftigkeit des Entwurfs eine größere Spannkraft.
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Versetzte Fenster oder auch effektvoll abgerückte Säulen verändern normalerweise die ganze Symmetrie. Die Fenster in .Mount Vernon' (71) sind beispielsweise durchaus nicht symmetrisch angeordnet. Vielmehr ist diese Fensterordnung das Ergebnis früherer Erneuerungen des Bauwerkes und bricht die einseitige Dominanz des Giebels in der Mitte der beiden symmetrisch gelagerten Flügel. Bei dem Flachbau von McKim, Mead und White (72) sind die extrem gewählten Fensterpositionen auf der Nordseite bewußt Kontrapunkte der ansonsten streng regelmäßigen Form des Äußeren und ermöglichen damit eine weitläufige Vielfalt des Raumprogramms. Die kaum merklich veränderten Verhältnisse zwischen den Fenstern des Hauses für Henry Adams in Washington (73) ermöglichten es H. H. Richardson, den privaten Funktionen im Inneren gerecht zu werden, trotz der Behauptung einer Regelmäßigkeit und Symmetrie, wie sie von der öffentlichen Funktion eines großen Baues am ,Lafayette Square' gefordert sind. Der fein ausgewogene Kompromiß zwischen Regelhaftigkeit und individueller Notwendigkeit, zwischen dem Äußeren und dem Inneren, zwischen privaten und öffentlichen Funktionen, erzeugte an dieser Stelle einen mehrdeutigen Rhythmus und eine vibrierende Spannung in der Fassade.
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Die verschieden behandelten Öffnungen des Palazzo Tarugi (60) — sie sind weder in ihrer Ausformung, noch in ihrer Position in ein Schema zu bringen — sprengen die Dominanz der äußeren Pilasterordnung in einer typisch italienischen Weise auf. Lewis Mumford verglich (während eines Seminars an der Universität von Pennsylvania im Jahre 1963) die irreguläre Position der Fenster an der Südfassade des Dogenpalastes mit der Fensterordnung des Eero Saarinen an der amerikanischen Botschaft in London. Der geschlossene und beherrschende R h y t h m u s des Botschaftsgebäudes hat jedoch die Tendenz, die notwendige Komplexität seines modernistischen Raumprogramms nicht mehr ahnen und nur noch die trockene Langeweile einer zivilen Bürokratie spüren zu lassen. Der Kapellenflügel in Versailles ist von erregender Besonderheit, auch ganz abgesehen vom veränderten Maßstab der Säulen und Fenster. Durch seine Lage, seinen Umriß und seine Höhe gibt er der übermächtigen symmetrischen Gliederung des Gesamtbaus Lebendigkeit und Tiefe; ganz offensichtlich fehlt dieses Leben z.B. in dem riesigen und weitverzweigten Palast von Caserta, dessen äußere Gliederung völlig homogen ist. In der modernen Architektur haben wir uns zu lange den Beschränkungen starrer rechtwinkliger Formen unterworfen. Wir glaubten, daß sie durch die technischen Bedingungen des tragenden Skeletts und durch die Ökonomie einer Massenproduktion der Zwischenwände erzwungen wären. Beim direkten Vergleich von Mies' und Johnsons ,Seagram Building'(74) mit Kahns Entwurf für ein Büro-Hochhaus 74
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in Philadelphia (75) wird gleichwohl deutlich, daß Mies und Johnson jede andere Form, auch wenn sie zur Aussteifung gegen die Windbelastung gerechtfertigt wäre, ablehnen, um einzig die reine Umrißlinie des Kubus wirksam werden zu lassen. Kahn sagte einmal, das Seagram-Building sei wie eine schöne Lady mit gut verstecktem Korsett. Im Gegensatz dazu gewann Kahn mit der Queraussteifung seine Ausdrucksmittel — allerdings nun auf Kosten der vertikal verlaufenden Funktionen, wie dem Fahrstuhl, und auf Kosten des Raumangebotes für die Menschen. In vielen Werken von Le Corbusier und Aalto wird eine Balance und damit ein Spannungsfeld angestrebt zwischen der Rechtwinkligkeit üblicher technischer Lösungen und schiefen Elementen, die außergewöhnlichen Bedingungen Ausdruck verleihen. Bei seinem Appartementhaus in Bremen (76) benutzte Aalto die elementaren, rechteckigen Wohneinheiten aus Le Corbusiers hoch aufragenden Wohnscheiben (77) u n d verdrehte sie in eine fächerförmige Struktur hinein, um sie für den Ausblick und die Sonne nach Süden orientieren zu können. Die nach Norden gerichteten Treppen und die übrigen Verkehrsflächen bleiben strikt rechtwinklig. Auch bei der am weitestgehend verzerrten Wohneinheit
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bleibt ein Mindestmaß an Geradlinigkeit und Regelmäßigkeit des Raumes erhalten. Auch bei Aaltos Kulturzentrum für Wolfsburg (78) bleibt die rechtwinklige Grundfigur der Gesamtanlage noch gewahrt durch die Art, wie er die notwendig schiefwinkligen Vortragssäle aneinanderfügt. Ein ganz anderes Vorgehen findet sich bei Kahn mit seinem Entwurf für das Goldenberg-Haus (79); dort sind die außergewöhnlichen Diagonalen teils Element des konstruktiven Gerüsts, teils sind sie auf eine räumliche Wirkung hin gewählt: sie definieren eine Folge von Räumen, die sich ohne Unterbrechung über alle Ecken des Baus herumziehen, ohne daß sich die einzelnen Seiten gegenseitig überlappen. Mies läßt keinerlei Beeinträchtigung der Geschlossenheit seiner Strukturen zu; an keinem Punkt, an keiner Kante, auf keiner Fläche seiner glatten Pavillons. Während Wright sich bemühte, Zugeständnisse und Abweichungen zu verstecken, schließt Mies derartiges völlig aus: weniger ist mehr. Seit 1940 gebrauchte Mies nicht einmal eine Diagonale, auch wenn das konkreten Notwendigkeiten entsprochen hätte. In seiner Serie großbürgerlicher Wohnhäuser aus den 30er Jahren (80) ergibt sich die diagonale Orientierung eher aus der Freiheit des großen Grundstücks als aus konkreten Notwendigkeiten. Weil die Diagonale selbst beherrschend bleibt, nicht eine Ausnahme wird und auch nur lose in das rechtwinklige Raster hineingestellt ist, besteht auch nur eine geringe Spannung
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zwischen den diagonalen und den rechtwinkligen Teilen. Die diagonalen Stahlseile für die Binder in den weit überkragenden Bauten von Mies können hier natürlich nicht als Ausnahme gelten; sie sind nicht in der Rücksicht auf besondere Bedürfnisse begründet. In der ,Villa Savoye', um wieder auf sie zurückzukommen, ist die außergewöhnliche Diagonale der Rampe durchaus eine zweckmäßige Form, sowohl in ihrer gegenläufigen Führung als auch in ihrer Steigung (12); sie ermöglicht Le Corbusier, einen starken Kontrast gegenüber der gebundenen Strenge der Joche zwischen den Säulen und der Außenwand herzustellen. Völlig anders ist die Einstellung von Wright, dessen Beharren auf durchgehend horizontalen Formen auf Kosten aller anderen wohlbekannt ist; sogar bei der ungewöhnlich frei absteigenden Treppe in Fallingwater (81). Wright unterdrückt alle Diagonalen: es gibt keinen Handlauf und kein Geländer, nur die horizontalen Flächen der Stufen und die vertikalen Linien der Stangen, an denen die Stufen abgehängt sind. Ganz ähnlich versteckt Wright die Stufen auch im Inneren des Hauses (82) zwischen Wänden (Wright tut dies eigentlich in allen seinen Bauten), während Le Corbusier in der Betonung der Diagonalen der Rampe und des geschraubten Schwun81
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ges der Wendeltreppe (5, 83) schwelgt. Wir haben bereits betrachtet, wie Le Corbusier die Architektur behutsam an ungewöhnliche Notwendigkeiten anpaßt, die sich bei der ,Villa Savoye' aus der Unterbringung des Automobils ergeben (84). Wrights Strukturgefüge dagegen erlaubt keine Abweichung: die Treppe ist abgehängt und damit dem Ordnungsprinzip des Hauses unterworfen, und die gekurvte Autoeinfahrt ist nicht einsehbar. Der Fahrweg gleicht einem Pfad im Urwald — im Plan ist er nur verschämt durch Pünktchen ausgewiesen (82, 85). Wenn ein Auto wenden kann, ist das wirklich nur Zufall. Ist eine Diagonale durch besondere Umstände innerhalb oder außerhalb des Hauses begründet, so ergibt das nur selten einen Mißklang. Sie paßt sich in die übrige Struktur ein, oder bestimmt selbst als ein Leitmotiv die ganze Komposition. Im Entwurf für das ,Vigo-Schmidt-House' wird die Diagonale zum Bestandteil des dreiseitigen Grundrasters. Beim ,David-Wright-House' wird das
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gesamte Gebäude zu einer diagonalen Rampe. Beim Guggenheim Museum, wo die gedrehte Spirale die beherrschende Leitform eines vielfältigen Raumprogramms ist, wird die rechtwinklig-senkrechte Form zum Ausdruck besonderer Umstände. Die senkrechte Ausrichtung der internen Konstruktion, insbesondere des Kerns, der die sanitären Einrichtungen enthält, wurde betont, um einen festen Bezugsrahmen gegenüber der sich verengenden, spiralförmig umlaufenden Rampe anzubieten. Aalto wiederum paßt sein strukturelles Grundgerüst an besondere Bedingungen an, die durch die diagonale Form symbolisch repräsentiert werden. So verfährt auch Kahn in den bisher besprochenen Beispielen, obwohl in seinen frühen Plänen für das Kapitol in Dacca eine extreme Kompromißlosigkeit kennzeichnend ist, trotz des riesigen Zuschnitts und der Komplexität des Vorhabens. Le Corbusier legt die überraschende Diagonale einfach in den Raum ¡Mies verbannt sie völlig; Wright versteckt sie, oder er liefert sein gesamtes strukturelles Gefüge an sie aus: die Ausnahme wird dann zur Regel. Diese Vorstellungen lassen sich auch auf die Gestaltung und die Wahrnehmung der Städte anwenden, auch wenn deren Funktionen natürlich viel umfassender und komplexer sind, als die jedes einzelnen Gebäudes je sein könnten. Die nach allen Seiten durchgehaltene räumliche Ordnung des Markusplatzes z.B. (86) ist gleichwohl begleitet von spannungsreichen Gegensätzen in Maßstab, Rhythmus und Gliederung, ganz zu schweigen von den wechselnden Höhen und Stilen der umgebenden Bauten. Herrscht nicht eine ähnlich selbstverständliche
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Lebendigkeit auf dem ,Times Square' (87), auf dem krasse Gegensätze, Häuser und Reklametafeln, durch die Einheit des Platzraumes selbst zusammengehalten und ausgeglichen werden? Erst wenn sich die Trivialitäten über alle räumlichen Grenzen hinaus ergießen in das Niemandsland zwischen den Ausfallstraßen — erst dann entsteht Chaos, verspürt man eine würgende Beklemmung. (Wenn Peter Blake in ,God's Own Junkyard' nicht die extrem „schlimmen" Beispiele der kaputten Landschaft längs der großen Straßen beschrieben hätte, wäre seine Darstellung, die die Banalität der Straßenarchitektur benennt, ironischerweise sehr viel überzeugender.) Es scheint heute zu unserem Schicksal geworden zu sein, entweder mit dem endlosen Verhau von ,Roadtown' (88) oder mit der unendlichen Monotonie von ,Levittown' (bzw. den Siedlungen, die Levittown gleichen wie ein Ei dem anderen und die überall zu finden sind; man vergleiche die 87
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Abbildung 89), dem totalen Stumpfsinn, konfrontiert zu werden. In .Roadtown' finden wir eine falsche Vielfalt; in .Levittown' falsche Einfachheit. Eines ist klar — aus einer derart trügerischen Einheitlichkeit können keine wahren Städte entstehen. Städte sind, wie die Architektur des einzelnen Bauwerks, vielfältig und widersprüchlich.
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8. Das unvermittelte Nebeneinander der Gegensätze
„Die Gruppe setzte sich wieder in Bewegung, verließ aber den direkten Weg, um einen Blick auf die gewaltigen Überreste des Tempels von Mars Ultor werfen zu können. Ein Nonnenkloster hatte sich dort eingerichtet — ein Taubenschlag im Palast des Kriegsgottes. Nur wenig davon entfernt durchschritten sie das Portal eines Minerva-Tempels von einer reichen und anmutigen Architektur, aber jämmerlich zernagt vom Zahn der Zeit und zerschlagen durch rohe Gewalt; außerdem war er noch zur Hälfte begraben unter Bergen von Staub, die das tote Rom bedecken wie eine Meeresflut. Im Inneren dieses Gebäudes einer antiken Gottheit hatte sich der Verkaufsladen eines Bäckers breitgemacht·, an der einen Seite hatte man sich einen Eingang geschaffen. Ja, überall waren die Zeugen alter Pracht und Heiligkeit den gewöhnlichsten Bedürfnissen unserer Zeit dienstbar gemacht worden."* Wenn .Vermittlung der Gegensätze' einer Behandlung mit Glacé-Handschuhen gleicht, dann bedeutet das ,unvermittelte Nebeneinander der Gegensätze' vergleichsweise eine Schock-Behandlung. Die ,Villa Pignatelli'(62) verknüpft Varianten, aber die ,Villa Palomba'(63) stellt Gegensätzliches nebeneinander hin·, ihre widersprüchlichen Verhältnisse zeigen sich in gebrochenem Rhythmus, in widerstreitenden Orientierungen, in erzwungenem Aneinander und besonders in dem, was ich von nun an ,Überlagerung' nennen werde — das Einander-Überschneiden verschiedener Elemente in der Tiefe. Le Corbusier schuf mit dem Bau des Baumwollspinnerei-Verbandes in Ahmedabad (90) eines der wenigen modernen Beispiele für das unvermittelte Nebenein90
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Nathaniel Hawthorne, ,The Marble Faun', New York 1961.
ander von Gegensätzen. Von der gewaltigen Auffahrt von Süden her gesehen, ergibt die Folge der Sonnenschutzvi^ände ein repetitives Muster, dessen Rhythmus durch die Eingangsöffnung, durch die Rampe und die Treppe brutal unterbrochen wird. Die unterschiedlichen Diagonalen von Rampe und Treppen stoßen in der Seitensicht unmittelbar an die statisch ruhenden Rechtecke der Geschoßgliederung innerhalb des kastenförmigen Umrisses; von vorne gesehen kommt es in der perspektivischen Verkürzung zu einem ebenso gewaltsamen Zusammenprall der Formen; das Nebeneinander von Diagonalen und Senkrechten bewirkt auch einander widerstreitende Orientierungen. Das Zusammentreffen von Rampe und Treppe wird nur etwas gemildert durch die ungewöhnlich weite Öffnung und den an dieser Stelle der Fassade veränderten Rhythmus der Schutzwände. Die visuellen Gegensätze werden noch gesteigert, wenn man sich dem Gebäude nähert und es betritt. Das Nebeneinander und der Zusammenprall kontrastierender Maßstäbe, Richtungen und Funktionen mögen dabei den Eindruck einer Miniaturausgabe von Kahns ,Viaduct-Architecture' erwecken. In Le Corbusiers Parlamentsgebäude auf dem Capitol von Chandigarh (65) steht der in ein rechteckiges Raster liineingepreßte konische Plenarsaalbau als Beispiel für einen dreidimensional wirksamen, heftigen Zusammenprall von Formen. Die städtische Fassade mag als wesentlich zweidimensionales Beispiel für das unvermittelte Nebeneinander von Gegensätzen dienen. Das ,Clearing-House' (91)
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von F r a n k Furness, wie viele seiner besten Bauten in Philadelphia heute zerstört, enthielt innerhalb eines starren R a h m e n s eine Vielzahl genau organisierter Spannungsknoten. Der geteilte Segmentbogen, der von dem in der Wand gebundenen T u r m unterbrochen wird, der seinerseits die Fassade in fast gleiche Abschnitte zweiteilt, und das unvermittelte Nebeneinander von rechten Winkeln, Quadraten, halbkreisförmigen Bogenfeldern und Diagonalen verschiedenster Art, das alles ist zu einem Bauwerk zusammengezwungen, das augenscheinlich nur von seinen Nachbarhäusern optisch zusammengehalten wird: insgesamt die ziemlich verrückte Paraphrase einer Burg hinter dem Bürgersteig. Alle Verhältnisse der Konstruktion und der formalen Struktur stoßen sich an den Grenzen, wie sie im R a h m e n einer Fassade, einer S t r a ß e und durch die benachbarten Reihenhäuser gezogen sind. Die rechteckig hingelagerte Frontseite des ,Palazzo del P o p o l o ' in Ascoli Piceno ( 9 2 ) zeigt nebeneinander bestehende Gegensätze, die nicht in einem Augenblick durch einen Architekten gefunden worden sind, sondern sich erst im Verlauf mehrerer Umbauten herstellten. Diese Fassade strotzt nur so von architektonischen E l e m e n t e n , die sich unmittelbar oder in der Tiefe des Raumes s t o ß e n : o f f e n e und nur vorgeblendete Arkaden, durchlaufende und unterbrochene Gesimsbänder, große und kleine Fenster, ,Porte' und .Portone', und
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all die Wand- und Turmuhren, Kartuschen, Balkone und Schaufenster: alles zusammen erzeugt einen gebrochenen R h y t h m u s und spiegelt die zwei widersprechenden Anforderungen des öffentlichen und privaten Bereichs, des großen Maßstabs der Repräsentation und des kleinen Maßstabs zufälliger Zwänge und Gelegenheiten. Die stereometrisch klar herausgeschnittenen Bauteile und die streifenförmigen Strukturen der ,A11 Saints Church' von Butterfield in der Margret Street in London (93) bilden in ihrem Zusammenstoß einen unversöhnlichen Gegensatz. Die weitestgehende Unabhängigkeit des Dekors von der Form der Bauteile, trotz ihres engen Beieinanders, ist ein höchst bemerkenswertes Beispiel für das unvermittelte Nebeneinander von Gegensätzen im Unterschied zur Vermittlung von Gegensätzen. Die rauhe Oberflächenstruktur manieristisch rustifizierter Bauteile erzeugt ganz ähnlich eine überaus heftige Spannung, wenn sie direkt neben den präzise ausgearbeiteten Details der klassischen Ordnung einer Renaissancefassade benutzt wird. Doch Michelangelos Loggia in der Mitte des obersten Stockwerks der rückseitigen Fassade des ,Palazzo Farnese' behält in ihrem Verhältnis zu den angrenzen-
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den Fassadenflügeln eher eine zweideutige Widersprüchlichkeit (94). Giacomo della Portas außergewöhnliche Formgebung der zentralen Partie des darunterliegenden Stockwerks — unter Verwendung von Pilastern, Bogen und Architraven — hebt sich von den seitlichen Teilen dort nur durch eine geringfügige Veränderung des R h y t h m u s ' ab; in den Details und in der Maßstäblichkeit ist der Übergang von den typischen Fensterrahmungen der beiden Seitenflügel zu denen des zentralen Risalits ohne Bruch. Die Öffnungen der darüberliegenden Loggia des Michelangelo dagegen kontrastieren in Maßstab und R h y t h m u s heftig mit den gewohnten Details der Seitenflügel; ähnlich überrascht auch die vergrößerte Geschoßhöhe, die dabei erzwungen wird. Auch die Pilaster unterbrechen in ihrer Mächtigkeit und Höhe abrupt den Fries, der unterhalb der Fensterbrüstung verläuft. Die Brüstungen selbst werden dabei zurückgenommen, eben nicht anteilig vergrößert, um wiederum die Tiefe und die Kraft der darunterliegenden Bauteile zur Geltung kommen zu lassen; genauer, der Maßstab der Fensterbrüstungen wird reduziert, um den R h y t h m u s der karniesförmigen Konsolen zu steigern — die Ausformung der Konsolen bleibt dabei aber die gleiche (Löwenköpfe), und auch das Gesims läuft gleichmäßig durch. Eine ähnliche Zweideutigkeit durch ein Nebeneinander vermittelter und unvermittelter Gegensätze findet sich in den Nischen der Zwischenjoche. In Michelangelos Kapelle der Medici in San Lorenzo (95) stößt der kleine — 94
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fast auf die Dimension von Möbeln reduzierte — Maßstab der ornamentalen Marmorteile in den Wandnischen unmittelbar auf den übergroßen Maßstab der Kolossalordnung der Pilaster. Auch unter Wahrung der klassischen Ordnungen kann eine Kontrastierung benachbarter Elemente erzielt werden, wenn neben die Normalordnung eine Kolossalordnung gestellt wird und die internen Proportionen ohne Rücksicht auf diese externen Bezüge durchgehalten werden. Jeffersons gleichzeitige Verwendung unterschiedlich großer Säulen an der Universität von Virginia (96) wiederspricht dem Gebot, daß jede Größenordnung auch ihr eigenes Aufrißsystem haben sollte. Aber die Reihung von Elementen, die zwar von verschiedener Größe, in sich aber analog proportioniert sind — wie etwa die Pyramiden von Gizeh — ist Merkmal einer ganz elementaren Methode der Erzeugung von Monumentalität. An den Fassaden der Kathedralen von Granada (97) und Foligno (98) ergibt das Nebeneinander und Aufeinander verschieden großer Kreise, Halbkreise und Dreiecke der Öffnungen und der Giebel 96
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eine starke Spannung, nicht unähnlich derjenigen, wie sie auch in den Gemälden von Jasper J o h n s mit der Darstellung einander überlagernder Flaggen ( 1 0 0 ) erzeugt wird. In Eastbury ( 9 9 ) erreicht Vanbrugh den gleichen E f f e k t durch seine gewaltigen, rundbogigen Öffnungen, die von den gleichen Proportionen wie die o b e n eingestellten rundbogigen Fenster sind, denen sie vorgelagert erscheinen. Das Gästehaus, das einst hinter dem ,Low House' von M c K i m , Mead und White stand, war in allen charakteristischen F o r m e n eine Miniaturausgabe des großen Hauses gewesen. Außer diesem spannungsreichen Nebeneinander gibt es Gegensätze in der Ausrichtung des Ganzen. Die o f t erneuerte Heiliggrabkirche in Jerusalem ( 1 0 1 ) und Aaltos Kulturzentrum in Wolfsburg ( 7 8 ) , das sozusagen noch vor seiner ersten Erneuerung steht, enthält Wände und Säulenreihen, die jeweils verschiedene
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Richtungen mit gleichem Nachdruck auszeichnen. Die Gebäudeflügel und Erker des ,Kragsyde' benannten Hauses im ,shingle-style'inManchester-by-the-Sea(102) fügen sich zwar kaum einer bestimmten Umgrenzung, enthalten aber dennoch eine Vielzahl verschiedener Ausrichtungen, insbesondere im Aufriß. Die Gleichzeitigkeit zweier oder mehrerer Orientierungen bewirkt rhythmische Vielfalt und Gegensätzlichkeit. Die Abbildung (103) zeigt einen Stuhl in Caserta, der heftig kontrastierende geschwungene und rechtwinklige Formsequenzen aufweist. In anderer Dimension zeigt der Innenraum des Auditoriums von Adler und Sullivan (104) ein Nebeneinander von herabstoßenden Kurven und ebenso deren gegenläufige Pendants. In einigen Beispielen der italienischen anonymen Architektur (105) bedingt das Beieinander unterschiedlicher Arkadenstellungen einen kontrapunktischen Rhythmus. Überlagerung ist ein Stilmittel, das einbezieht und nicht aussondert. Kontrastierende und unversöhnlich erscheinende Elemente werden durch sie verknüpft.
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Sie kann Gegensätze in eine höhere Einheit aufnehmen und das nicht Folgerichtige angleichen; sie umschließt eine Vielzahl von Bedeutungen, weil sie völlig unterschiedliche Zusammenhänge stiften kann; sie kann so dazu beitragen, das Gewohnte in ungewohntem Licht zu sehen, es von unerwarteten Seiten her neu zu betrachten. Bewußt als Stilmittel eingesetzte Überlagerung kann als Abwandlung der Idee betrachtet werden, die vom Kubismus und einem Teil der modernen Architektur, der sich der Transparenz bediente, als Idee der Gleichzeitigkeit gefaßt worden war. Aber sie ist dennoch etwas anderes als die senkrechte Durchdringung von Raum und Form, wie sie das Werk von Wright auszeichnet. Perspektivische Überlagerung kann zu wirklichem Reichtum der Formen und ihrer Beziehungen führen, und dies ist etwas ganz anderes als der Oberflächenreichtum von vorgeblendeten Kulissen, einer sogenannten ,heiteren' Architektur. Ihre Zeugnisse sind, wie wir noch sehen werden, so verschieden, wie Bramantes geschichtete Wände im Hof des vatikanischen Belvedere (106) und Kahns „Ruinenstücke ..., die um die Bauten herumgewickelt sind" wie bei seinem ,Salk Institute for Biological Studies'(107). Ein Verhältnis der Überlagerung kann zwischen räumlich entfernten Teilen bestehen, so bei den Propyläen griechischer Tempel, die die Anlage optisch
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rahmen und den Vordergrund mit dem Hintergrund verbinden. Solche Überschneidungen verändern sich, wenn man sich im Raum bewegt. Sie können aber auch dort auftreten, wo die dabei beteiligten Bauten einander auch tatsächlich berühren, nicht mehr nur optisch in Beziehung zu einander stehen. Dies ist ein Stilmittel in der Architektur der Gotik und der Renaissance. Die Hochschiffswände gotischer Kathedralen zeigen Bogenstellungen in unterschiedlichen Ordnungen und Größen. Die Halbsäulen und Rippen, Bandgesimse und Bogen, aus denen diese Bogenstellungen bestehen, durchdringen und überdecken einander. Bei der Kathedrale von Gloucester (108) ist die Überschneidung widersprüchlich in Maßstab und Orientierung; die riesigen diagonal geschwungenen Strebebogen kreuzen die senkrechte Ebene der zarten Bogenordnungen der Querschiffswand. Alle manieristischen und barocken Fassaden enthalten Überlagerungen und Durchdringungen im Bereich jeder Wand. Die Spannung zwischen Kolossalund Normalordnung ermöglicht die Erfahrung gegensätzlicher Maßstäbe am gleichen Gebäude, und die Schichten voreinander gesetzter Pilaster in der barokken Architektur geben einer flachen Wand räumliche Tiefe. Vignolas plastische Verbindung von Portal und Portikus an seinem Pavillon in Bomarzo (17) und die wie abgehackten Pilaster an der Eingangsseite der Belen-Kirche in Cuzco sind vielleicht nur gerissenenes architektonisches Gestammel, aber die komplizierten Überlagerungen in den Fassaden zum Kreuzgang in Tomar (109) bauen eine Wand auf, die in sich wirklich Tiefe hat. Die vielfach geschichteten Säulen, 109
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eingelassene und abgerückte, große, kleine, direkt und indirekt einander überschneidend — und die verschwenderisch eingesetzten über- und voreinander gestellten Bogenöffnungen, Architrave, horizontal und schräg geführten Balustraden sorgen für Kontrast und Spannung durch gegensätzliche MaiSstäbe und Orientierungen, durch Zuschnitt und Formung. Sie machen aus der Wand selbst ein raumhaft gestaltetes Gebilde. Ich werde auf diese Art einer überzeugenden Häufung analoger Elemente noch einmal zurückkommen, wenn ich im nächsten Kapitel den Unterschied zwischen Innen und Außen behandle. Die verschiedenartigen konstruktiven Elemente, die das große Tor der ,Porta Pia'(110, I I I ) begrenzen, dienen ornamentalen Absichten ebenso wie eigentlich konstruktiven Zwecken. Das Torgebilde ist voller sich wiederholender, rhetorischer Elemente, deren mehrschichtiger Aufbau ein Ornament ergibt, das ,,beinahe" schon konstruktive Struktur ist. Die verletzlichen Laibungen der Toröffnung werden durch Bossenmauerwerk geschützt. Davorgeblendet sind Pilaster, die eigentliche Umrahmung des Tores, die zusammen mit den oberen Voluten die schwere Giebelformation tragen. Diese bedeutende Eingangssituation in einer schwer lastenden Wand wird in ihrer Wirkung noch gesteigert durch zusätzliche Bauteile. Der Dreiecksgiebel schützt einen rechtwinkligen Inschriftenblock und den hängenden Bogen einer gemeißelten Girlande, die wiederum zum Widerpart eines entlastenden Kreissegmentbogens wird. Dieser Bogen beschließt eine ganze Folge einander wiederholender Elemente mit 110
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konstruktiver, raumüberspannender F u n k t i o n ; u.a. den horizontalen Sturz, der seinerseits den flachen Bogen entlastet und eine Fortsetzung der seitlichen Bossenordnung darstellt. Die dreieckige Füllung der oberen E c k e n der Öffnungen läßt an Kragsteine bzw. Konsolen denken, die die Weite der zu überspannenden Öffnung reduzieren. Der übertrieben große Schlußstein überlagert das flache Bogensegment, den Sturz und die Lünette. In ihrer vielfältigen Beziehung sind diese Elemente in unterschiedlicher Abstufung sowohl konstruktiv wie ornamental, o f t redundant und manchmal fast bis zu Unkenntlichkeit ihrer ursprünglichen F u n k t i o n abgewandelt. In ihrer fast unterschiedslosen Kombination von Horizontale, Senkrechte, Diagonale und Bogen gleichen sie Sullivans heftig aufeinander gepreßten R a h m e n f o r m e n um das Rundfenster der b l o c k h a f t e n ,National B a n k ' in Grinnell, Iowa ( 1 1 2 ) . In Lutyens' Plan für die Kathedrale von Liverpool ( 1 1 3 ) spannen die verstreuten, nur als schwarze T u p f e n wahrgenommen kleinen F e n s t e r ihr eigenes, unabhängiges Muster über die symmetrischen, monumentalen F o r m e n des ganzen Gebäudes. Die elastische Struktur kleiner Fenster k o m m t dem Bedüfnis nach sparsamer Instandhaltung entgegen und schafft menschliche Maßstäbe, die mit der strengen Monumentalität kontrastieren. In Philadelphia überlagert das rechteckige Raster der innerstädtischen Erschließungsstraßen die nun schräg kreuzenden Avenuen, die den Verlauf der regionalen Verbindungsstraßen innerhalb des Stadtgebietes markieren und einst das heutige Zentrum mit den umliegenden Städtchen verbanden. Dieses Nebeneinander erzeugt einzigartige dreieckige Restb l ö c k e , die von ungewöhnlich geschnittenen Bauten besetzt sind und so das Stadtbild auflockern und bereichern. Die . S q u a r e s ' v o n Manhattan, die durch die einzige Diagonale zum Broadway gebildet werden — z . B . Madison-, Union-, Harald- und Times-Square — werden durch ihren individuellen Zuschnitt zum Ereignis und verleihen dem sonst stur rechteckigen Raster dieser Stadt eine gewisse Lebendigkeit und Spannung. Die zumeist unvermeidlicherweise schiefwinklig an das rechteckige Straßenraster der typisch amerikanischen Präriestadt 112
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herangeführte Trasse der Eisenbahn bringt Spannung in den Grundriß und vermittelt die gegensätzlichen Orientierungen des regionalen Maßstabs in die S t a d t selbst. Das .gestelzte', sich vom Straßenniveau abhebende amerikanische Haus des 19. Jahrhunderts nahm gewissermaßen die Idee einer S t a d t auf vielen Ebenen vorweg. Sigmond z . B . hat diese Idee 1958 in einem Entwurf für Berlin ( 1 1 4 ) formuliert: in der S t a d t mit ihren vielen Ebenen sollte der Hauptverkehr auf einem besonderen Niveau oberhalb des Stadtteilverkehrs geführt werden. Bei dieser Art von doppelter Überlagerung hängt die Möglichkeit optisch wirksamer Selbständigkeit einzelner K o m p l e x e von zwei Arten räumlicher Beziehung ab: einmal von mehr oder weniger zufälligen perspektivischen Überschneidungen räumlich sehr wohl getrennter Formen, zum anderen von der Überschneidung real verbundener durch andere, überlagernde Formen. In dem so abgesteckten Zwischenbereich liegen die im perspektivischen R a u m sich stoßenden F o r m e n auch real dicht beieinander, berühren sich aber nicht, ähnlich wie getrennt gehaltene Schichten einer Formation. Derartige tiefenräumliche Anlagerungen sind in der modernen Architektur ebenfalls nur selten zu finden. Die romanischen Arkaden am D o m zu L u c c a ( 1 1 5 ) , das gotische Maßwerk des Straßburger Münsters ( 1 1 6 ) oder das Innere des Chors von ,Notre D a m e ' in Paris ( 1 1 7 ) , die Renaissancegalerien von Chambord ( 1 1 8 ) oder die feingliedri-
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и : ss 118 97
gen Kolonnaden im zweiten Stockwerk von Gaudis ,Casa Battio' (119), bzw. die Säulen der Galerie im Inneren seiner ,Casa Güell' (120) — sie alle sind freistehend von der Wand abgerückt und überschneiden kontrastierende Strukturen der Fensterebene. Der großzügige Maßstab des der Öffentlichkeit zugewandten Äußeren und ebenso seine strenge Gebundenheit bilden einen starken Kontrast zu der kleinmaßstäblichen Privatheit, wie sie im Inneren gefordert ist. Dieses Spiel verschiedener Schichten von Öffnungen gerät manchmal aus dem Takt und verliert das Gleichgewicht der Proportionen. Vanbrughs Kolossal-Öffnungen in Eastbury (99) und Armando Brazinis Forstwirtschaftsgebäude im E.U.R.-Viertel in Rom (121) sind Beispiele für die gleiche Art von Überlagerung zwischen Innen- und Außenwänden; bei dem Gebäude von Brazini stellt sich allerdings keine Harmonie ein. Bei Vanbrughs Torbau zum Wirtschaftsgebäude in Blenheim (59) überschneiden die freitragenden Säulen, die die große Öffnung begrenzen, die dahinter liegenden Fenster; diese sind ein wichtiger Faktor der gleich-
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mäßig fortschreitenden Struktur dieser Wand, deren R h y t h m u s dadurch jäh unterbrochen wird. Das gleiche geschieht in ,Seaton Delaval'(122), wo ebenfalls freistehende Säulen einige der Fenster abschneiden. Die F a s s a d e von ,St. Maclou' in R o u e n ( 1 2 3 ) ist aus Schichten diagonaler Bauteile — mit Maßwerk gefüllte Giebel, Dächer und Strebepfeiler — zusammengesetzt, die trotz ähnlicher Grundformen alle verschiedene Funktionen haben. Verglichen mit der Fassade von ,11 R e d e n t o r e ' ( 5 1 ) sind diese Bauteile aber noch relativ eigenständig; die einander überschneidenden Diagonalen von ,11 Redentore' bleiben auf doppeldeutige Weise sowohl gesprengte Giebel als auch vorspringende Stützmauern.
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Andere Bauten zeigen in ihrem Inneren ähnliche Abstufungen räumlich bewegter Schichtenfolgen, was dann o f t den Charakter scharf gezeichneter, bzw. knapp voreinander stehender Verblendungen annimmt. Im Chor der Wies-Kirche ( 1 2 4 ) wird die Säulenreihe, die hart vor der Wand entlanggeführt ist, in wechselnden, rhythmisch abgesetzten Stellungen gegenüber den Ordnungen der Pilaster und ebenso der Fensteröffnungen in den Außenwänden akzentuiert. In Soanes ,Insolvent Debtors Court' in L o n d o n ( 1 2 5 ) drängt sich der innere große Bogen, in der Tiefe gesehen, sehr viel rücksichtsloser gegen die Fenster der knapp dahinter liegenden Wand. In der modernen Architektur findet sich ein gegensätzliches Nebeneinander verschiedener Maßstäbe vor allem dann nicht mehr, wenn einzelne Elemente besonders dicht beieinander liegen; Maßstabskontraste finden sich in einem zufällig zustandegekommenen Fall, beim Kolossalkopf des Konstantin und den Jalousienflügeln im Innenhof des Kapitolinischen Museums ( 1 2 6 ) . Tatsächhch finden sich solche Gegensätze häufig in nicht-architektonischen Ensembles ( 1 2 7 ) . In einem anderen Zusammenhang habe ich auf das Phänomen eines unmittelbaren Nebeneinander von Kolossal- und Normalordnung in der manieristischen und barocken Architektur hingewiesen. In der Ost-Fassade von St. Peter ( 1 2 8 , 129) erzwingt Michelangelo einen noch schneidenderen Gegensatz der Dimensionen: ein Blendfenster ist neben ein Kapitell gesetzt, das größer ist als es selbst.
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A n der Dom-Fassade von Cremona ( 1 3 0 ) besteht ein gewaltsames Nebeneinander kleiner Arkadenstellungen und einer riesigen Fensterrose hoch darüber. Damit ist am Bau sowohl der eigene Maßstab dargestellt, als auch der Maßstab der Stadt, die von diesem D o m beherrscht wird; die Fassade ermutigt durchaus zur Betrachtung aus der Nähe, wirkt aber dennoch gerade auf die große Distanz beherrschend. Im D o m von Cefalu ( 1 3 1 ) antwortet die symbolisch eindrucksvolle Mosaikfigur Christi in ihrer Übergröße auf den Maßstab der anderen ornamentalen Teile. Das riesige Haupttor, das den Kolossalsäulen des Portikus zum Apollo-Tempel in Didyma ( 1 3 2 ) entspricht, kontrastiert mit den kleinen Seiten-
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pforten an der gleichen Frontseite. Wie L u t y e n s bei JVliddleton P a r k ' ( 1 3 3 ) setzt auch L e Corbusier bei seiner .Villa S t e i n ' ( 1 3 4 ) die Dimensionen von Portal und Lieferanteneingang deutlich gegeneinander ab. Dieser Gegensatz wirkt nicht deshalb so schneidend, weil diese Eingänge unmittelbar aneinanderstoßen, sondern weil sie bezüglich der wesentlich symmetrisch-gleichgewichtigen Fassade exakt gleichwertige Positionen einnehmen. Bei der ,Casa Сйе1Г(135) setzt Gaudi eine kleine Tür für Fußgänger auf das große Tor für Fahrzeuge auf. Eine vibrierende Spannung geht von all diesen unvermittelten Gegensätzen aus.
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Manchmal stoßen wir in unseren Städten auf einen plötzlichen Wechsel der Dimensionen, sie sind dann aber zumeist per Zufall, nicht aus einem gestaltenden Willen heraus entstanden; so wie die scheu sich duckende ,Trinity Church' in der Wall Street, oder auch hie und da das Nebeneinander aufgeständerter Schnellstraßen und alter Randbebauung ( 1 3 6 ) , üble Perversionen der Nähe zwischen kleinen Bürgerhäusern und gewaltigen Kathedralen oder Befestigungsanlagen in mittelalterlichen Städten. Einige Stadtplaner sind inzwischen allerdings vielleicht eher geneigt, die Oberflächlichkeit herkömmlicher Zonenbauordnungen in Frage zu stellen und kontrastreiche Nachbarschaften in ihren Plänen zuzulassen, zumindest theoretisch. Jedenfalls gehen sie dabei schon einen Schritt weiter, als die Architekten ihrerseits bei ihren Bauten. 136
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9. Innen und Außen
Die äußerlichen Formen sind normalerweise relativ einfach, aber im Inneren eines Organismus drängt sich eine faszinierende Vielfalt von Strukturen, die lange die ganze Freude der Anatomen waren. Die spezifische Gestalt einer Pflanze oder eines Tieres wird nicht nur durch die Gene seines Organismus bestimmt, bzw. durch die biochemischen Prozesse im Protoplasma, die wiederum deren Aufbau steuern, sondern durch die Wechselwirkung zwischen der genetischen Ausstattung und der Umwelt. Ein bestimmtes Gen ist nicht die Ursache einer bestimmten Eigenschaft, sondern einer bestimmten Reaktionsweise auf eine bestimmt geartete Umwelt.* Der Kontrast zwischen dem Inneren und dem Äußeren kann eine der wichtigsten Erscheinungsformen des Widersprüchlichen in der Architektur sein. Eine der selbstverständlichsten und verbreitesten Orthodoxien des zwanzigsten Jahrhunderts war jedoch die Lehrmeinung, daß gerade hier kein Bruch zuzulassen sei: das Innere sollte durch das Äußere repräsentiert werden. Aber das war nicht wirklich neu — nur unsere Mittel dafür sind neu. Das Innere einer Renaissancekirche, z.B. des Zentralbaus in Cortona (137),steht in ungestörter Beziehung zu 137
* Edmund W. Sinnott, ,The Problem of Organic Form', New Haven 1963 105
ihrem Äuiäeren. Die Formensprache des Innenraumes, Pilaster, Gebälk und Gesimse, entspricht in den Größenverhältnissen und manchmal auch im verwandten Material der des Äußeren. Es ergeben sich feinsinnige Abwandlungen, wenig Kontrastierungen und keine Überraschungen. Der vielleicht am nachdrücklichsten vertretene Beitrag der modernen Architektur-Orthodoxie war die Leitvorstellung vom fließenden Raum, der das Kontin u u m von Innen und Außen herstellen soll. Ausgesprochen wurde dieser Gedanke besonders von Architektur-Historikern, besonders seit Vincent Scully dessen erste Äußerungen bei Raumbildungen des ,shingle-style' entdeckt hatte, seine reifere Entfaltung dann im Prärie-Haus und seinen Höhepunkt im ,De Stijr und im Barcelona-Pavillon. Eine Architektur fließender Räume bedeutete tendenziell eine Selbstbeschränkung auf ebene, senkrecht aufeinander stehende Flächen. Die optische Unabhängigkeit dieser kontinuierlichen Flächen wird forciert durch verbindende Zwischenzonen aus Glas: Fenster als Öffnungen in der Wand verschwinden und werden stattdessen zu die Wand ablösenden Zonen, die aber vom Auge als eigenständige Wandteile nicht mehr anerkannt werden. Eine Architektur, die solcherart keinerlei Raumkanten mehr aufweist, bedeutete die totale Kontinuität des Raumes. Ihr Pathos der Einheit von innerem und äußerem Raum wurde durch neue technische Verfahren und Materialien ermöglicht, die es erstmals gestatteten, das Inneren vollständig von den Temperaturverhältnissen der Außenwelt zu isolieren. Dennoch war die alte Tradition des umschlossenen und in seiner Eigenständigkeit betonten Innenraumes, die ich hier untersuchen will, von einigen der modernen Meister durchaus bewahrt worden, auch wenn diese Tatsache durch Historiker kaum ausreichend gewürdigt wurde. Obwohl Wright beim Prärie-Haus tatsächlich ,,die Schachtel zerstörte", sind doch die gerundeten Ecken und die schweren Wände seines ,Johnson Wax Administration Building' Analogien zu den schiefwinkligen und runden Ecken der Innenräume Borrominis und seiner Nachfolger im 18. Jahrhundert; außerdem dienen sie auch demselben Zweck: entschieden ein Gefühl des Umschlossenseins in der Horizontalen zu erzeugen, sowie die Abgeschlossenheit und Einheit des inneren Raumes durch den Zusammenhang der vier Wände zu verstärken. Aber anders als Borromini durchbrach Wright seine kontinuierliche Wand nicht. Das hätte den starken Kontrast zwischen der horizontalen Umschließung und der senkrechten Öffnung abgeschwächt ; es wäre ihm auch allzu traditionell vorgekommen, kompositorisch nicht entschieden genug. Nicht eine bestimmte Orientierung macht das Wesen eines Innenraumes aus, sondern seine Umschließung und die Abgrenzung von Innen und Außen. Kahn sagte einmal: ,,Είη Bauwerk ist ein bergendes Gebilde." Die Funktion des Hauses zu schützen und privates Leben zu ermöglichen, psychologisch und physisch, ist uralt. Das ,Johnson Wax Building' stützt aber noch eine weitere Tradition: die ausdrucksreiche Unterscheidung der inneren und der äußeren Räume. Neben der Umschließung des Inneren durch Wände behandelt Wright 106
auch den Lichteinfall ins Innere sehr unterschiedlich, ein Gedanke mit reicher Entwicklung seit der byzanthinischen, gotischen und barocken Architektur bis in unsere Zeit, wofür Le Corbusier und Kahn bürgen. Das Innere ist anders als das Äußere. Es gibt allerdings noch weitere geeignete Mittel der Betonung von Unterschieden und Bezügen zwischen dem Inneren und dem Äußeren, die unserer Architektur sehr fremd geworden sind. Eliel Saarinen sagte einmal, daß ein Gebäude auch ,,die Organisation von Raum innerhalb von Räumen ist. Und genauso verhält es sich im Stadtteil und in der ganzen Stadt."[35] Ich denke doch, daß man diese Reihe mit der Vorstellung eines Raumes ("room") als Räumlichkeit innerhalb einer Räumlichkeit ("space") beginnen lassen kann. Im übrigen möchte ich Saarinens Definition dieser Beziehungen nicht nur auf das räumliche Verhältnis eines Baues und seines Standortes angewendet wissen, sondern auch auf die Beziehungen von Innenräumen zu Innenraum. Ich meine damit z.B. den Baldachin über dem Altar innerhalb des Chorraumes. Ein klassisches modernes Bauwerk — wie ich zugestehen will: kein typisches — soll meine Auffassung anschaulich werden lassen. Bei der ,Villa Savoye' (12) ist mit Wandöffnungen, die augenscheinlich eher Löcher als Unterbrechungen der Wand sind,jedes Ausweichen des Blicks kompromißlos nur nach oben zugelassen. Einmal abgesehen vom umschließenden Charakter der Wände gibt es hier aber eine räumliche Besonderheit, die diesen Bau vom ,Johnson Wax Building' nachhaltig unterscheidet. Sein fast quadratisches, strenges Äußere umgibt ein raffiniertes Inneres, auf das von höher ansteigenden Bodenwellen aus und durch einzelne Öffnungen hie und da ein kurzer Blick geworfen werden kann. Dadurch gewinnt das innen wie außen gespannte Erscheinungsbild der ,Villa Savoye' eine Art gegenläufiger Annäherung zwischen einem strengen Äußeren, das teilweise aufgebrochen wird, und einem raffinierten Inneren, das teilweise enträtselt werden kann. Ihr innerer Aufbau folgt den vielfältigen Anforderungen eines Hauses, genauer eines Wohnhauses, und nimmt dabei Rücksicht auf eine Verschwiegenheit, wie sie der private Bereich verlangt. Das Äußere verkörpert Vorstellungen von der Einheitlichkeit eines Hauses in einer dem grünen Land ringsum angemessenen Weise, vielleicht auch gegenüber der Stadt, von der es eines Tages umschlossen sein wird. Ob Raum im Raum, oder Ding im Ding — für ein Gebäude ist beides zutreffend. Seine inneren Verhältnisse können dabei mit seiner äußeren Hülle auch anders als bei der ,Villa Savoye' in einem Spannungsverhältnis stehen. Die kreisförmigen tragenden Außenwände und die Kolonnaden des ,Teatro Marittimo' der ,Villa Hadriana' (138) in Tivoli sind eine andere Lösung der gleichen räumlichen Leitvorstellung. Auch Wright umgibt — nicht wirklich, aber virtuell — das raffinierte Innere seines ,Evans-House' (139) mit einer rechtwinkligen Umfassung, die durch plastische Eckpfosten suggeriert wird. Eine gegensätzliche Auffassung zeigt sich in ,Barrington Court' (13), wo die Feinheiten eines typischen TudorSchlosses durch die steife, symmetrische Fassade bis zur Unkenntlichkeit verstellt sind und höchstens zufällig in ihr Ausdruck finden. Bei einem weiteren 107
symmetrisch angelegten Tudor-Schloß muß die Küche als optisches Pendant zur Kapelle herhalten. Die komplizierten Raumverhältnisse, wie sie der Schnitt des Schlosses von Marly (140, 141) freigibt, sind der Preis für die Lichtführung und sonstige Bequemlichkeiten im Inneren: weil das an der Fassade aber nicht sichtbar wird, wirken die Lichtverhältnisse dann umso überraschender. Fugas Wände umhüllen ,S. Maria Maggiore'(142) in der gleichen Weise und aus dem gleichen Grund wie Soanes Mauern die kompliziert verschobenen Innenhöfe und Gebäudeflügel der ,Bank of England' (143): sie vereinheitlichen nach außen, entsprechen den Maßverhältnissen der Stadt, die gegensätzlichen räumlichen
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Gebilde der Kapellen und Bankflügel, die sich im Lauf der Zeit vielschichtig anlagerten. Eine Häufung unübersichtlicher Baumassen kann sowohl eingeschlossen als auch ausgegrenzt werden. Die Kolonnaden von St. Peter (144) und an der
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.Piazza del Plebiscito' in Neapel ( 1 4 5 ) grenzen einmal das komplizierte Gefüge der vatikanischen Baumassen und anders die der Stadt aus, um ihrem jeweiligen Platz ein einheitliches Gepräge geben zu können. Manchmal besteht der Gegensatz nicht zwischen dem Inneren und dem Äußeren, sondern zwischen der Spitze und der Basis des Gebäudes. Die Kurven der Kuppeln und Trommeln über Hängezwickeln in barocken Kirchen enden vor den Innenseiten ihrer rechteckigen Unterbauten. Ich habe schon das geschwungene Untergeschoß des P.S.F.S.-Wolkenkratzers erwähnt, den darüberliegenden rechtwinkligen Aufbau, und auch die durch tief eingeschnittene Bänder abgesetzten Obergeschosse als Ausdruck der vielfältigen Funktionen, wie sie in dem Bau untergebracht sind (41). Bei der Engelsburg ( 1 4 6 ) entsteigen die rechtwinkligen Formen dem runden Unterbau. Die romantischen Dachformen des ,Watts-ShermanHaus' von Richardson ( 1 4 7 ) oder die mehrfach überkuppelten Trulli in Apulien
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(148) kontrastieren mit der schweren äußeren Umfassung iiirer niedrigen Wände. Von außen gesehen, kann der Raum in einem Raum zu einem Ding im Ding werden. Der riesige, mit Fenstern durchbrochene Dachaufsatz von .WollatonHall'(149) will wie ein großformatiger Gegenstand hinter einem kleinen gesehen werden. In ,S. Maria della Pace'(150) werden die umlagernden Bauteile, konvexe, dann senkrechte und schließlich konkave Formen mehr und mehr zu verselbständigten Dingen hinter anderen Dingen, die so in ihrer Körperlichkeit zwischen dem Außen und dem Innen Übergänge bereitstellen.
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III
In reinster Form zeigt aber doch Le Corbusiers Plan der ,Villa Savoye' die strenge Bändigung erfindungsreicher Vielfalt im Korsett eines äußeren Rahmens. Einige seiner anderen Pläne für Wohnhäuser aus den 20er Jahren vermitteln den Eindruck, als ob er mit der Außenhaut begonnen und sich dann nach innen gearbeitet habe. In anderen Dimensionen geschieht etwas ähnliches bei seinem Entwurf für den Hohen Gerichtshof in Chandigarh ( 1 5 1 ) . Wie auch die Rückseite des ,Low-House' von McKim, Mead und White (72), nur in anderen Dimensionen, enthält es komplizierte Raumbildungen hinter einer abweisenden Fassade. Das schwere Dach und die Hülle der Wände dieses Hauses bergen vielfältige Raumfolgen und Geschoßniveaus, die durch die wechselnden Positionen der Fenster angedeutet werden. Ähnlich widersprechen auch der eine schützende Walm des Emmentaler Bauernhauses ( 1 5 2 ) und die einheitliche Pultform über Aaltos ,Maison Carrée'(153) der Ausbildung der inneren Räume darunter. Die ähnlich entstandenen Spannungen in der rückwärtigen Ansicht von ,Mt. Vernon' ( 7 1 ) ergeben sich aus dem Kontrast zwischen der schwerfälligen, übergiebelten Außenhaut und der unregelmäßigen Placierung der Fenster. Bei der Seitenfassade
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von Hawksmoors ,Easton Nestori'(154) sind die Positionen der Fenster durch spezielle Notwendigkeiten des Inneren und unter Abweichung von der horizontalen Ordnung des Ganzen gewählt. Geballte Kompliziertheit, zusammengehalten durch eine entschiedene Rahmung war eine verlockende Idee. Sie findet sich an so verschiedenen Stellen wie in Piranesis Architektur-Phantasien (155) und in Michelangelos Entwurf für eine gerahmte Nische (156). Rein expressive
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Beispiele für diese Idee finden sich in der Fassade der Pfarrkirche in Lampa (Peru) (157) und dem Eingang zur Kappelle von Fontainebleau (158), wo ganz wie bei manieristischen Gemälden ein gewaltiger Druck von innen heraus fast den Rahmen sprengt. Die Spannung zwischen dem Moment der Umschließung und dem Moment progressiver Zergliederung ist schon immer auch ein Charakteristikum der Stadt gewesen. Befestigungswälle für den militärischen Schutz und der Grüngürtel für den ökologischen Schutz sind dafür Beispiele. Eine innere Wirrnis, von außen gebunden — das ist vielleicht das Stichwort für eine brauchbare Maxime, wie das Durcheinander der Städte, das endlose Auswuchern der Straßensiedlungen gebändigt werden könnte: durch den phantasievollen Einsatz des ,Zooning' und gute architektonische Gestaltung ist es möglich, das Gewirr der Straßensiedlungen und der vollgestopften Hinterhöfe in ihren Funktionen und in ihrer Gestaltung zusammenzufassen. Wie in der Plastik von John Chamberlain, die aus zusammengepreßten Autowracks besteht, und den Teleaufnahmen in Blakes ,God's Own Junkyard', wird auch mittels dieser Methoden Integration versucht; hier freilich eine ironische Art von Einheit.
Der Gegensatz zwischen Innen und Außen kann unmittelbar Gestalt gewinnen durch eine zweite selbständige Innenraumbegrenzung, wodurch zwischen dieser Grenze und der äußeren Wand zusätzlicher Raum entsteht. Die Zeichnungen (159) veranschaulichen diese Raumschichten zwischen dem inneren und dem äußeren Raum und zeigen, daß sie sich in Gestalt, Lage, Struktur und Größe mehr oder weniger stark unterscheiden. Die Zeichnung (159a) zeigt den einfachsten Fall: die Schichten verlaufen genau parallel und sind miteinander verbunden. Die Wahl eines anderen Materials für die Innenseite, etwa eine Vertäfelung, verstärkt die Kontrastwirkung. Die byzantinischen Mosaiken der Kapelle der ,Galla Placidia' sind ein Beispiel für die zweite Art der Innenwand, die zwar berührt, aber mit dem Reichtum ihrer Oberfläche, ihren Mustern und Farben von dem eintönigen Gelbgrau der Ziegelwand außen klar abgesetzt ist. Die Pilaster, Architrave und Bogen der Wandaufbauten der Renaissance, wie etwa bei Bramantes Fassade im Hof des vatikanischen Belvedere, können sich selbst zu einer solchen parallelen Schicht zusammenschließen, während die Säulenreihe der Loggia an der Südfassade des Louvre einen Zwischenraum einschließt. Die Säulchen im Inneren der Kathedrale von Rouen (160) u n d die freistehenden Wandsäulen im Vorraum des ,Syon-House' (161) sind ebenfalls noch in sehr
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direkter Verbindung mit der Außenwand, doch beruht die beginnende Verselbständigung der dadurch gebildeten Raumschicht eher auf Unterschieden der Proportionen als auf verschiedener Form oder Struktur. Die Grenzlinie zweiteilt sich bei dem mit Vorhängen drapierten Schlafzimmer im ,Malmaison' von Percier und Fontaine, das einem römischen Militärzelt nachempfunden wurde. Die abgestufte Reihe symbolischer Türen in Karnak ( 1 6 2 ) ergibt vielfache Reliefschichten, und in der Beschränkung auf die zwei Dimensionen der Fläche ähneln sie dem entwicklungsträchtigen Motiv der ineinandergesteckten Spieleier bez. Holzpuppen. Diese Tore in Toren unterscheiden sich, ähnlich wie das vielfach gestufte Gewände der Portale in gotischen Vorhallen, ganz wesentlich vom Motiv der mehrfach bekrönten barocken Öffnung, bei der dreieckige Formen und Bodensegmente ineinander gesetzt sind. 163
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Die abgestufte Reihe einander einschließender Schalen, bez. der Kammern in der Kammer, ein Charakteristikum des ägyptischen Tempels, ist die räumliche Verwirklichung des Motivs der vielfach gerahmten Tür in Karnak. Die Folge der Wände in Edfu (163, 164) geben ein Beispiel für auseinandertretende Schichten. Die äußeren Schichten verleihen den eingeschlossenen inneren Räumen eine erhöhte Bedeutung, weil sie diese als beschützt, und damit mystifiziert erscheinen lassen. Sie gleichen den Ringen von Befestigungsanlagen in mittelalterlichen Burgen oder dem Wall, in den Bernini seinen kleinen Pantheon, ,S. Maria dell' Assunzione' in Arricia (165), hineinstellt. Das gleiche Spannungsverhältnis besteht zwischen den schwebenden Schichten der umlaufenden Chorschranken und den Umfassungsmauern bei der Kathedrale von Albi (166) oder auch anderer
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Kathedralen in Katalonien und im Languedoc. Die mehrschaligen Kuppeln des Barock sind gewissermaiSen, betrachtet man sie im Schnitt, Schichten, die zwar parallel, aber doch getrennt nebeneinander verlaufen. Durch das zentrale Kuppelauge sieht man Räume hinter Räumen. In einem Plan der Gebrüder Asam beispielsweise (167) verdeckt die innere Schale mit dem Kuppelauge hoch liegende Außenfenster; dadurch ergibt sich eine überraschende Lichtführung und ein insgesamt komplexerer Raum. Außen verstärkt die obere Schale den Eindruck der Größe und Höhe. In der Kirche des Klosters Weltenburg (168) verstärken die Wolkengebilde der freskogeschmückten oberen Kuppel, die durch das Auge der unteren Kuppel sichtbar werden, den Eindruck von Raumhaftigkeit. Bei ,S. Maria in Canepanova' in Padua (169) wirkt die schichtenweise aufgebaute Kuppel eher außen als von innen. Die Schalen der Kuppel der Cäcilien-Kapelle in ,S. Carlo ai Catinari' in Rom (170) sind voneinander gelöst und unterscheiden sich auch in ihren Formen. Jenseits der ovalen Öffnung der unteren Kuppelschale sieht man in einen lichtdurchfluteten Tambor, der senkrecht aufgesetzt ist und vier Reliefs musizierender Engel trägt. Jenseits auch dieser Zone schwingt sich eine umso strahlendere ovale Laterne über den Raum. Soane gebraucht die innenliegende Kuppel über rechteckigen Räumen auch in beengten Verhältnissen, wie etwa beim Frühstücksraum des ,Lincoln Fields Inn' (171). Seine phantasievollen Kombinationen
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von Kuppel und Laterne, Hängezwickel und T r o m p e , sowie einer Vielzahl anderer konstruktiver und ornamentaler F o r m e n (auch anderswo ( 3 5 ) ) sind darum bemüht, das Empfinden für den umschlossenen R a u m und die Führung des Lichteinfalls aufs vielfältigste auszusprechen. Manchmal sind diese Schichten von konstruktiv-ornamentalen Elementen nur noch verblassende Erinnerungen ihrer ursprünglichen Gestalt (meist sind sie auf zwei Dimensionen reduziert), dennoch aber vermitteln sie den ganzen Reichtum wirklicher, selbständig geformter Raumschichten. Armando Brazinis neo-barocke Kirche der ,Cuore Immaculata di Maria Santissima' in R o m ( 1 7 2 , 173) erhebt sich über einem kreisförmigen Grundriß mit einbeschriebenem griechischen Kreuz. A m Äußeren ist die F o r m des griechischen Kreuzes durch vier mit Giebel versehene Vorhallen kenntlich gemacht, die an seine Enden abschließen. Diese Vorhallen wiederum sind konvex ausgebuchtet und passen sich so dem Kreisbogen an. In der modernen Architektur ist J o h n s o n fast der einzige, der eine mehrschalige Umfassung in Grundund Aufriß bewußt als Stilmittel einsetzt. Der Baldachin im Inneren seines Gästehaus in New Canaan ( 1 7 4 ) und der Soane v e φ f l i c h t e t e gespannte Baldachin in der Synagoge in Port Chester ( 1 7 5 ) formen beide innere Schalen. Kahn benutzt das Motiv der Zweitschale bei der Gestaltung des Äußeren: er ,,wickelt Ruinenstücke um die B a u t e n . " In seinem Plan für das Versammlungshaus des ,Salk Institute f o r Biological Studies' ( 1 0 7 ) setzt er Kreise in Q u a d r a t e und die Q u a d r a t e wieder in Kreise. Dabei ist seine Absicht, das einfallende Blendlicht zu mildern, indem er in einem bestimmten Abstand von der inneren Wandöffnung eine zweite Wandkulisse mit unterschiedlichen Öffnungen aufbaut. Kahn
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hat sich denn auch so geäußert, daß die doppelschalige Ausbildung weniger dem Ausdruck der räumlichen Umschließung als vielmehr der Absicht einer modifizierten Lichtführung dienen sollte. Lutyens' Motiv des einem Quadrat einbeschriebenen Kreises findet sich auch bei seinen Treppen, die in rechteckigen Treppenhäusern gleichwohl rund geführt sind. Im Vestibül von ,S. Croce in Gerusalemme' (176) u n d im Inneren von ,SS. Sergius und Bacchus' (177), auch von ,S. Stephen Walbrook' (34) sind es Säulenreihen, die eine innere, abgehobene und kontrastierende Umfassung bilden. Diese Stützen sind zusammen mit den darüberliegenden Kuppeln verantwortlich
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für das beziehungsreiche Ineinander von Raumbildungen. ,St. Stephen Walbrook' ist ein rechteckiger Raum, der einen vertieften achteckigen Raum einschließt (178). In dem Zwischenbereich zwischen den Säulen und der Kuppel vermitteln trompenförmige Bogen und markieren diese Übergangszone zur Kuppel. Ähnlich schneiden die das Rund der Kuppeln unterfangenden Pfeiler in Vierzehnheiligen (31) gekurvte Zonen aus dem recht- und achteckigen Raum, wie er durch die äußeren Umfassungsmauern begrenzt ist. Dabei ist die innere Schicht weniger selbständig als die in St. Stephen. In Grund- und Aufriß k o m m t es manchmal zu einer Berührung der Außenwand, und beide Schalen verschmelzen zu einer einzigen (179). Für Neresheim (180) zeigen beide Risse, daß die komplizierten Kurven des zentralen Runds leicht nach innen gedrückt werden, wo sie den ovalen Umfassungsmauern nahe kommen. Diese innerräumlichen Verhältnisse sind sowohl komplexer als auch mehrdeutiger als die von ,St. Stephen Walbrook'. In Michelangelos Kapelle der Sforza in ,S. Maria Maggiore' (181, 182) treten mit den harten Durchdringungen zwischen rechtwinkligen und gebogenen Flächen im Grundriß, in den Tonnengewölben, den Kuppeln und den Wölbungen
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über den Nischen auch im Aufriß, verschiedene Wandschichten auseinander. Das unentschiedene Nebeneinander dieser beiden Raumbildungen und die dadurch erreichte Verdichtung und Vergrößerung der sanft gekurvten Räume (die sich optisch über den Bereich ihrer tatsächlichen Wände hinaus fortsetzen) geben diesem Innenraum seine außerordentliche Kraft und Spannung (183). Voneinander abgerückte Wandschichten geben zwischen sich einen Raum frei. Aber die architektonische Bedeutung des Zwischenraumes ist Schwankungen unterworfen. Edfu besteht fast nur aus Zwischenräumen. Die verbleibenden Räume sind ganz abgeschlossen und erheben sich über den kleinen Raum im Zentrum. ,S. Basilius' (184) mutet an wie die Zusammenfassung mehrer Kirchen 181
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in einer Kirche. Das komplizierte Labyrinth der verbleibenden Zwischenräume im Inneren entsteht durch die Nähe der Kapellen zueinander auf der j e zur M i t t e gerichteten Seite und durch die Nähe ihrer hüllenden Wände zur Umfassungsmauer.
Beim
Palast Karl des V .
in Granada
(185),
der
,Villa
Farnese'
in Caprarola ( 1 8 6 ) und der ,Villa Guilia' ( 1 8 7 ) sind die I n n e n h ö f e schon wegen ihrer G r ö ß e und ihrer gegenüber der Gestalt der Umfassungsmauern überraschenden G r u n d f o r m bestimmend. Sie sind die beherrschenden Raumbildungen, die R ä u m e des eigentlichen Palastes selbst sind gleichsam Übriggeblieben. W i e im V o r e n t w u r f Kahns für die ,Kirche der Unitarier' in Rochester ( 1 8 8 ) sind diese Resträume geschlossen. Im Gegensatz dazu begrenzen die Trennschichten der Säulen und Pfeiler in ,SS. Sergius und Bacchus', ,St. Stephen W a l b r o o k ' , Vier-
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zehnheiligen und der Klosterkirche in Neresheim Resträume, die sich den Haupträumen öffnen, obwohl sie von ihnen doch mehr oder weniger getrennt gehalten sind. Im Schloß von Stupinigi (189) verschwimmt in der großen Halle wegen der Offenheit des Hauptraumes der Unterschied zu den restlichen Raumteilen ins Ungewisse. In der Tat ist die innere Grenzschicht so offen, daß nur noch die Ahnung eines zentralen inneren Raumes verbleibt; sie wird nur durch vier Pfeiler und die kompliziert gewölbten Strukturen der Decke genährt. Das Kuppelauge und andere Öffnungen in der inneren Schale der Kuppel in ,S. Chiara' in Brà (190, 191) umgrenzen einen Restraum, der offen bleibt, um den Gesamt-
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räum zu differenzieren und den Lichteinfall zu verändern. Die Ablösung der inneren von den äußeren Fensteröffnungen in Aaltos Imatra-Kirche ( 1 9 2 ) verändert in ähnlicher Weise das Licht und den R a u m . Die Verwendung dieses Motivs hier ist einzigartig in der jüngsten Architektur. Die in Holz ausgeführte flache Einwölbung polnischer Synagogen des 17. Jahrhunderts ( 1 9 3 ) , die wohl ein Mauerwerk vortäuschen soll, hat im oberen Teil geschlossene Schalen. Im Gegensatz zu den bisher angeführten Beispielen ist auch der sich ergebende Zwischenraum völlig abgeschlossen. Mit der einen Ausnahme von Aaltos einzigartigem Konzert-Podium ( 1 9 4 ) ist das geformte und doch schalenlose Volumen, das in erster Linie durch äußere räumliche Kraftlinien, nicht durch eigene Strukturen aufgespannt wird, fast unbekannt in der modernen Architektur. Aaltos Konzert-Podium besteht aus einer hölzernen Konstruktion, einem verschalten Rahmenwerk, das den R a u m ebenso lenkt wie den Schall. Resträume zwischen beherrschenden R ä u m e n unterschiedlicher
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Offenheit können sich auch im Maßzusammenhang der Stadt ergeben; er ist sogar ein Charakteristikum der Foren und anderer großer Bauaufgaben in den spätrömischen Stadtanlagen. Auch in unseren Städten sind Resträume durchaus zu finden. Ich denke da an offene Räume unter den Highways und an PufferRäume in den Lärmzonen entlang der Highways. Anstatt sie anzunehmen und die Eigenheiten dieser Art von Raum zu benutzen, verwandeln wir sie in AutoAbstellflächen oder kümmerliche Grasfetzen — Niemandsland zwischen der Umgebung und der Stadt. Ein offener Restraum könnte „Negativ-Raum" (open poché) genannt werden. Kahns „dienender R a u m " , der manchesmal technische Einrichtungen aufzunehmen hat, und die Raumtaschen in den Wänden römischer und barocker Architektur sind beides Mittel, um zwischen unterschiedlichem Innen und Außen einen Zusammenhang herzustellen. Aldo van Eyck schreibt dazu: ,,Architektur sollte verstanden werden als Resultat einer Konfiguration miteinander verbundener, klar bestimmter Orte". Dies bedeutet keineswegs, einer bloßen Weiterentwicklung der Architektur zu vertrauen oder endlos auf einen geeigneten Ort und passende Gelegenheit zu warten. Ganz im Gegenteil, diese Definition meint immer auch einen Ausbruch aus der zeitgenössischen Auffassung (die man Krankheit nennen könnte), allein räumliche Kontinuität gelten zu lassen und zur Verneinung jeder Festlegung zwischen den Raumsphären zu tendieren, zwischen Außen und Innen, zwischen einem Raum und einem anderen (zwischen der einen Wirklichkeit und einer anderen). Stattdessen muß der Übergang durch Mittel gestaltet werden, die selbst definierte Orte des Dazwischen sind und die gleichzeitig die Aufmerksamkeit darauf lenken, was auf der einen und was auf der anderen Seite von Bedeutung ist. Ein so verstandener Ort der Überleitung wäre die Voraussetzung für die Möglichkeit, konfliktgeladene Gegensätze als zusammengehörige Phänomene erneut zu erfahren. [36] Resträume muten manchmal etwas unbeholfen an. Wie die Erzeugung von Negativ-Räumen auch, sind sie selten ökonomisch. Sie sind immer nur Überbleibsel und nach den Anforderungen von etwas anderem geformt, das wichtiger ist als sie selbst. Die Eigenschaften, Gegensätzlichkeit und Spannung, die in diesen Räumen zu finden sind, begründen vielleicht erst die Wahrheit des Satzes von Kahn, daß „ein Bauwerk schlechte Räume genauso enthalten sollte wie gute". Mehrere auf einander verweisende Raumhüllen finden sich in unserer Architektur ebenso selten wie innere Dichte und Vielfalt. Abgesehen von einigen bedeutenden Ausnahmen im Werk von Le Corbusier und Kahn, neigte die moderne Architektur dazu, derartig beziehungsreiche Vorstellungen über den Raum zu ignorieren. Die „gebaute Zweckmäßigkeit" von Mies und dem frühen Johnson gehört nicht hierher, weil sie zu einem wesentlich passiven Akzent innerhalb eines für prägende Impulse offenen Raumes wird, nicht selbst aktiv wirksam wird neben anderen ausdrucksstarken Gehäusen. Ein aus gegensätzlichen Elementen bestehender Raum beugt sich nicht den Forderungen der modernen 127
Architektur nach Einheitlichkeit und unterschiedsloser Behandlung aller Räume. Genauso wenig befriedigt ein in der Tiefe mehrschichtiger Wandaufbau, insbesondere bei gegenläufiger Ausführung der einzelnen Schichten, ihre Forderung nach ökonomischer und eindeutiger Beziehung zwischen Form und Material. Und dichte, unüberschaubare Vielfalt innerhalb einer strikten Umgrenzung (die kein transparentes Skelett sein kann) widerspricht dem modernen Glaubensbekenntnis, das da sagt, ein Bauwerk wachse von innen nach außen. Welche sind nun die guten Gründe für eine mehrfache Umhüllung, und was rechtfertigt einen Innenraum, der sich wesentlich vom Äußeren unterscheiden will? Als Wright seinen Satz formulierte: „Eine organische Form entsteht in ihrer wesentlichen Struktur aus ihren Bedingungen, so wie eine Pflanze aus dem Boden, in dem sie steht, und beide entfalten sich von innen heraus" [37], hatte er bereits viele Vorläufer. Viele andere Amerikaner hatten sich für etwas eingesetzt, was zu diesem Zeitpunkt eine heilsame Sache war — ein dringend benötigtes Schlagwort: Greenough: ,,Anstatt die Funktionen jeder Art von Gebäude in eine immer gleiche Form zu pressen, nur für das Auge oder die Anpassung an andere Bauten eine äußerlich bleibende Hülle zu wählen, ganz ohne Rücksicht auf die Verhältnisse des Inneren, sollten wir damit beginnen, uns vom inneren Kern her, von der Keimzelle des Ganzen, nach außen zu arbeiten." [38] Thoreau: ,,Was immer ich an Schönheit in der Architektur heute sehen kann, hat sich gewiß von innen nach außen entwickelt, aus den Bedürfnissen und den Eigenschaften seiner Bewohner."[39] Sullivan·. ,,(Der Architekt) muß ein Bauwerk so anlegen, daß es ungezwungen, folgerichtig und doch poetisch aus seinen Bedingungen heraus sich entfalten kann." [40] „ . . . d i e äußere Erscheinung soll Ausdruck des inneren Zweckes sein." [41] Auch Le Corbusier hat einmal geschrieben: „Der Plan entfaltet sich von innen nach außen; das Äußere ist das Resultat des Inneren." [42] Aber Wrights biologische Analogisierung führt nur zu einer Selbstbehinderung. Bis hin zu besonderen Verwachsungen ist die Entwicklung einer Pflanze von den besonderen Einwirkungen aus ihrer Umwelt ebenso abhängig, wie sie durch ihren genetischen Bauplan bestimmt ist. D'Arcy Wentworth Thompson betrachtete die Form als ein Protokoll der Entwicklung innerhalb einer bestimmten Umwelt. Die gegen allen Anschein rechtwinklige Grundordnung von Konstruktion und Raum in Aaltos Appartementhaus in Bremen (76, 195) ist eine Antwort auf Bedürfnisse nach Licht und Aufenthalt nach Süden, genau wie auch die Blume dem Licht entgegenwächst. Wright dagegen begriff, allgemein gesprochen, inneren und äußeren Raum an seinen fast ausnahmslos freistehenden Bauten als Kontinuum; die vorstädtische und insbesondere die ländliche Umgebung seiner Bauten — er hatte eine tiefreichende Abneigung gegen die Großstadt — war allerdings auch räumlich nicht so beengend wie eine urbane Umgebung. (Die ausgreifende Anlage von ,Robie-House' jedoch paßt sich auf dieser Eckparzelle 128
den Beschränkungen auf der rückwärtigen Seite an.) Ich bin aber der Ansicht, daß es Wright widerstrebte, einen Bauplatz zu akzeptieren, der dem unmittelbaren Ausdruck des Inneren nicht von selbst entgegenkam. Das GuggenheimMuseum an der Fifth Avenue ist dort ein Fremdkörper. Doch das J o h n s o n Wax Building' antwortet zumindest negativ auf die Gleichgültigkeit der städtischen Umgebung, indem es sie beherrscht und sich gegen sie sperrt. Auch in anderen Bereichen als der Architektur, bestehen genauso gegensätzliche und sogar widerstreitende Beziehungen zwischen inneren und äußeren Kräften. Kepes schrieb: ,,Jedes Phänomen — ein physikalisches Objekt, eine organische Form, ein Gedanke, ein Gefühl, unser Gruppenleben — verdankt seine Gestalt und seine Eigenschaften dem Kampf zweier widerstreitender Tendenzen; eine physikalische Gestalt ist das Ergebnis eines Kampfes zwischen einer ursprünglichen Anlage und der äußeren Umgebung." [43] Dieses Wechselspiel ereignete sich immer schon in dem verdichteten Bereich städtischer Umgebung. Wrights
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,Morris-Laden' (196,197) ist ein anderes Beispiel der Ausnahmen, die er sich selbstbewußt erlaubte. Die starken Gegensätze zwischen dem Inneren und dem Äußeren — zwischen den besonderen, also privaten, und den allgemeinen, also öffentlichen, Funktionen — lassen es zu einem Bauwerk von ganz urbaner Tradition und damit zu einer Ausnahme in der modernen Architektur werden. Aldo van Eyck hat es so ausgedrückt: ,.Planung sollte auf allen Ebenen ihrer Aufgabe darauf bedacht sein, einen Orientierungsrahmen vorzugeben — eine Bühne vorzubereiten wie das immer schon war — für das Doppel-Phänomen des Individuellen und des Kollektiven, ohne dabei zu einer willkürlichen Bevorzugung des einen auf Kosten des anderen ihre Zuflucht zu nehmen." [44] Der Widerspruch, oder zumindest der Gegensatz, zwischen dem Innen und dem Außen ist eine ganz wesentliche Dimension städtischer Architektur, er ist aber nicht an die Stadt gebunden. Neben der ,Villa Savoye' und anderen ganz offensichtlichen Beispielen, wie den Bürgerhäusern in Form eines griechischen Tempels aus der Zeit des .Klassizismus', die kleinlich vollgestopft sind mit vielen Zimmerchen, stellte die Renaissance-Villa, so z.B. Hawksmoors .Easton Neston' oder Westover in Virginia (198) symmetrische Fassaden auf einen asymmetrischen Grundriß.
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Widerspruchreiche Wechselspiele zwischen inneren und äußeren Raumbedürfnissen verdeutlichen die folgenden Beispiele, bei denen die Vorder- und die Rückseite miteinander kontrastieren. Die Zeichnungen ( 1 9 9 ) zeigen sechs allgemeine Fälle. Die konkave Fassade der barocken Kirche vermittelt zwischen räumlichen Erfordernissen, die außen und innen in ganz bestimmter Hinsicht differieren. Das konkave Äußere berücksichtigt, im Widerstreit mit den räumlichen Konsequenzen für das Innere der Kirche, die ganz andersgeartete von außen bestimmte Notwendigkeit nach einem räumlichen R u h e p u n k t im Verlauf der Straße. An der Stirnseite des Baues ist der Außenraum von größerer Bedeutung. Hinter der Fassade war die Kirche von innen nach außen aufgebaut, davor aber von außen nach innen. Der R a u m , der bei dieser widersprüchlichen Konstellation übrig blieb, beließ man als ,Negativ-Raum'. Die Pläne zu zwei Pavillons
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von Fischer von Erlach (200) sind mit der konkaven Kurve in dem einen Fall als Beispiel für die Dominanz des Innenraums, und mit den konvexen Kurven sodann ein Beispiel für die Dominanz des Außenraumes. Die konkave Fassade von Lutyens' ,Grey Walls' (56) umfängt eine runde Auffahrt, deren Radius durch den Wendekreis eines Wagens bestimmt wird; andererseits nimmt sie selbst das gesamte Gesichtsfeld der Ankommenden ein. ,Grey Walls' ist die ländliche Wiederholung des ,Piazza S. Ignazio' (201). Das konkave Äußere von Aaltos Studio in Munkkiniemi (202) bildet zugleich ein Freiluft-Amphitheater. Bei diesen Beispielen ergeben sich innen jeweils Resträume. Die bereits erwähnte Karlskirche des Fischer von Erlach (42) entsteht als Verbindung eines kleinen ovalen Schiffes mit einer weiten rechteckigen Fassade, die ihrem städtebaulichen Ort dadurch gerecht wird, daß sie schwindelt, zuviel 201 200
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verspricht; sie versucht nicht, dem durch die Organisation eines virtuellen ,NegativRaumes' zu genügen. Die konkave Fassade des Garten-Pavillons der .Accademia Arcadia Letteraria Italiana' in Rom (203) steht in noch größerem Kontrast zu der dahinterliegenden Villa. Die Fassade erhielt ihren besonderen Ort und ihre Gestalt in der Absicht, sie dadurch zum Abschluß des terrassierten Gartens zu machen. Beim .Santuario della Madonna dei Miracoli' von Saronna (204) besteht sowohl im Stil als auch im Maßstab ein starker Gegensatz zwischen der Fassade und dem übrigen Gebäude. Bei der barocken Kirche unterscheidet sich das Innere vom Äußeren, aber auch die Rückseite von der Vorderansicht. Die amerikanische Architektur, besonders die moderne mit ihrer Abneigung gegen die ,,falsche Fassade", legte das Schwergewicht auf das freistehende, auch in der Stadt unabhängige Gebäude. Das Gebäude als isolierter Pavillon, nicht das Gebäude als Teil der Randbebauung einer Straße, wurde zum Prototyp des Gebäudes überhaupt. Johnson nannte dies die amerikanische Tradition einer „Plumps-Architektur". Aaltos Studenten-
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Wohnheim am M.I.T. (205) ist ein ganz außergewöhnhches Bauwerk. Die gebogene Front längst des Flusses, seine Fensterordnung und die verwendeten Materialien kontrastieren mit der Rechtwinkligkeit und auch anderen Besonderheiten der rückwärtigen Seite: äußere wie interne Wirkungsfaktoren des Räumlichen, der Nutzung und der Konstruktion erzwingen die Unterscheidung zwischen Vor-
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derfront und Rückfront. Ebenso hat der Turm des P.S.F.S.-Gebäudes vier unterschiedliche Seiten und wird damit seiner besonderen städtebaulichen Umgebung gerecht. Diese Umgebung wird charakterisiert durch gemeinsame Brandwände, Fassaden zur Straße, Rückseiten und Eckfassaden. Hier wird der freistehende Bau zum fragmentierten Teil eines größeren räumlichen Ensembles. Andererseits unterscheidet der freistehende Bau der modernen Architektur nur selten mit Rücksicht auf seine räumliche Umgebung zwischen vorne und hinten; allenfalls in der Behandlung der Außenhaut und in der Ausbildung der Sonnenschutz-Gitter macht er vielleicht Ausnahmen, um den umschließenden Charakter der Wände entgegenzuwirken und sich der Art des Lichteinfalls anzupassen. Noch bis ins 18. Jahrhundert war auch diese Rücksicht noch eine Selbstverständlichkeit gewesen. Das originell zweiachsige ,Hotel' in Paris (206) nimmt Außenräume, auch in seiner ursprünglich weniger eingeengten Lage, vorne und hinten ganz unterschiedlich auf. Aus den gleichen Gründen ist auch der starke Bruch zwischen Vorder- und Seitenfront von Hawksmoors ,Easton Neston' (154) gerechtfertigt. Die unregelmäßigen Geschoßhöhen auf der intimen Gartenseite, abseits der großen Achse, werden sowohl der Vielfalt der Räume und wechselnder Niveaus des Inneren gerecht als auch außen dem Erfordernis bestimmter Proportionen. Die seitliche Geschoßteilung des ,Palazzo Strozzi' (207) nahm bereits während des Baus ihre versteckte Lage an einer Seitengasse vorweg. Wie die Gestaltung von innen nach außen, erzeugt auch die Gestaltung von außen nach innen spannungsreiche Bezüge, die dazu beitragen, Architektur entstehen zu lassen. Sobald sich das Innen vom Außen unterscheidet, wird die Wand — der Ort des Übergangs — zu einem architektonischen Ereignis. Architektur entsteht da, wo die internen und die externen Wirkungsresultanten aus Nutzung und Raum sich treffen. Diese internen und die externen, aus der Umwelt herkommenden Kraftlinien entspringen sowohl allgemeinen als auch besonderen Interessen, notwendigen und zufälligen. Als Scheidewand zwischen Innen und Außen wird Architektur zum räumlichen Dokument ihres Ausgleichs, aber auch ihrer Kräfte selbst. Wenn die Architektur diesen Unterschied zwischen Innen und und Außen wieder ernst nimmt, kann sie schließlich auch wieder einer Sicht auf das urbane Ganze die Tore öffnen.
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10. Die Verpflichtung auf das schwierige Ganze ... Toledo (Ohio) war wundervoll. *
Eine Architektur vielfältiger Vermittlungen braucht den Anspruch auf das Ganze nicht aufzugeben. In der Tat habe ich ja auf die ganz besondere Verpflichtung für das Ganze hingewiesen, auch darauf, daß ihr nur schwer gerecht zu werden ist. Und ich habe auf der Vorrangigkeit der Einheit dieses Ganzen bestanden — nicht der Einheit qua Simplifizierung. Einer Kunst, ,, . . . d e r e n Wahrheit in ihrer Totalität (liegt)" [45] ist dieser Vorrang unverzichtbar. Es ist die schwierige Einheit in der Vielfalt, nicht die bequeme durch Simplifizierung. Die GestaltPsychologie betrachtet einen Gesamteindruck als Summe, und mehr als die Summe seiner Teileindrücke. Das Ganze ist abhängig von der Stellung, der Zahl und den jeweiligen Eigenschaften seiner Teile. Ein komplexes System im Sinne der Definition von Herbert A. Simon umfaßt „eine große Zahl von Teilen, die in einer nicht-trivalen Weise aufeinander wirken." [46] Das schwierige Ganze vielfältiger und widerspruchsreicher Architektur ist nur denkbar durch Vielfalt und Verschiedenheit seiner Elemente und ihrer inkonsistenten oder doch prekären Beziehung aufeinander. Bezogen auf die relative Stellung beispielsweise der einzelnen Teile, ermutigt eine derartige Auffassung der Architektur eher zu vielfach verschränkter und kontrapunktischer Rhythmisierung als zu einer einfachen und spannungslosen Reihung. Das .Schwierige Ganze' kann auch mehrfach orientiert sein. Was die Anzahl der Teile eines Ganzen angeht, so sind die beiden Extreme — ein einziges Teil und eine große Vielzahl von Teilen — sehr leicht als das Ganze lesbar: das einzelne Teil ist unmittelbar selbst das Ganze, und bei einer großen Vielzahl von Teilen entsteht das Bild des Ganzen durch eine Tendenz der Teile, in ihrer Eigenbedeutung zurückzutreten und Moment einer durchgängigen Struktur oder eines alles überziehenden Musters zu werden. Der nächst einfache Fall der Entstehung einer Ganzheit ist mit der Dreizahl gegeben: ,drei' ist in der Architektur die häufigste Zahl zusammen verwendeter Teile, um den Eindruck eines monumentalen Ganzen entstehen zu lassen. Eine Architektur der Vielfalt und des Widerspruchs läßt aber auch die ,schwierigen' Fälle bei der Anzahl der Ausgangselemente zu — die Dualität als einen mittleren Grad der Vielfalt. Wenn das Raumprogramm oder konstruktive Erfordernisse dazu zwingen, innerhalb der unterschiedlichen Maßverhältnisse eines Bauwerks zwei Elemente zu kombinieren, erwächst daraus auch der Zwang, den Ausdrucksgehalt dieser Dualität zu verarbeiten, ihn mehr oder weniger in Gertrude Stein, ,Gertrucie Steins America', hrg. v. Gilbert A. Harrison, Washington D. С 1965
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das Bild des Ganzen aufzulösen. Die Architektur unserer jüngsten Vergangenheit vermied Dualität. Die lockere Zusammenstellung eines Ganzen, wie sie in den .zweipoligen Plänen' [,binuclear plans'] einiger Architekten nach dem zweiten Weltkrieg versucht wurde, ist eine Ausnahme von dieser Regel. Aber unsere heutige Neigung, Raumprogramme willkürlich zu differenzieren und eine ganze Konzeption umzustülpen, nur um keine Dopplungen entstehen zu lassen, wird durch eine Tradition ins Unrecht gesetzt, in der das Nebeneinander zweier gleicher Elemente durchaus akzeptiert und auf allen Ebenen der Planung und des Bauens in die Komposition des Ganzen aufgenommen worden war — von den gotischen Portalen und den Fenstern der Renaissance bis zu den manieristischen Fassaden des 16. Jahrhunderts und Wrens locker verbundenen Gebäudekomplexen beim ,Greenwich Hospital'. In der Malerei hatte die zweiteilige Komposition immer eine große Bedeutung behalten, so z.B. in der Darstellung Mariens mit dem Kind oder bei der Verkündigung; ebenso in den verschlüsselten manieristischen Kompositionen, wie etwa in Piero della Francescas ,Geißelung' (208), in neuester Zeit im Werk von Ellsworth Kelly (209), Morris Louis (210) und anderer.
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Sullivans .Farmers and Merchants Union Bank' in Columbus, Wisconsin (211), nimmt in der neueren Architektur eine Sonderstellung ein. Bei diesem Bau sticht das Kompositionsprinzip der Dualität hervor. Der Plan bezieht sich auf einen zweigeteilten Innenraum, wo sich das Publikum und die Angestellten an dem senkrecht zur Fassade verlaufenden Bankschalter gegenüberstehen. Außen wird diese Zweiteilung durch das Nebeneinander von Fenster und Türöffnung repräsentiert; diese Öffnungen selbst werden durch die darüberstehenden Halbsäulen wiederum zweigeteilt. Durch die gleichen Säulen wird auch der Türsturz in drei Felder gegliedert, von denen das mittlere dominiert und damit die Einheit des gesamten Sturzes organisiert. Der Bogen über dem Sturz verstärkt wieder die Zweiteilung, da er in der Mitte der darunterliegenden Felder ansetzt, andererseits löst er diese von Fenster und Tür bestimmte Zweiteilung dadurch wieder auf, daß er selbst nur einmal vorkommt und in die zentrale Mitte gerückt ist. Die Fassade ergibt sich aus dem Zusammenspiel verschieden o f t auftretender Teile — einzeln auftretende Teile sind ebenso bedeutsam wie zwei- und dreifach vorkommende — und wirkt zusammengesehen als eine Einheit. Die Gestalt-Psychologie konnte auch zeigen, daß die bestimmte Qualität der einzelnen Teile, genau wie ihre Anzahl und ihre relative Position, für den Gesamteindruck von Bedeutung ist; sie wies auch noch auf folgendes hin: der Grad der Ganzheit kann durchaus variieren. Die Teile können mehr oder weniger selbst ganzheitlich sein oder, derselbe Sachverhalt nach der anderen Seite gewendet, sie können mehr oder weniger ergänzungsbedürftiges Bruchteil eines anderen 211
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größeren Ganzen sein. Die Eigenschaften der Teile können mehr oder weniger durchgeformt sein — die Eigenschaften des Ganzen können mehr oder weniger betont sein. In vielschichtigen Zusammenhängen bedeutet eine Verpflichtung auf die Wirksamkeit des Ganzen gleichzeitig auch eine Begünstigung des Teils in seiner Eigenschaft als Bruchteil, oder wie Trystan Edwards den damit angesprochenen Zusammenhang benennt, eine Begünstigung des Teils als Moment eines „Verweisungszusammenhanges" [„inflection"]. [47] Die Herstellung eines solchen Verweisungszusammenhanges bietet in der Architektur die Möglichkeit, das Ganze gerade im Wirken der Eigenarten der einzelnen Teile durchscheinen zu lassen, ganz abgesehen von ihrer Zahl und ihrer relativen Stellung. Indem sie auf etwas anderes außerhalb als ihrer selbst verweisen, enthalten die Teile ihren Zusammenhang in sich selbst: über sich selbst hinausweisende Teile sind auch mehr in das Ganze eingebunden als ,selbstsüchtige' Teile. Bei Wahrung des Verweisungszusammenhangs ist es möglich, die Teile in ihrer Unterschiedlichkeit zu forcieren und dabei doch ihre Verbindung zu wahren.
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Das bedeutet auch eine Kunst des Fragmentarischen. Das echte Fragment läßt großen Aufwand überflüssig werden, weil es Reichtum und Stärke des Ausdrucks jenseits seiner selbst erzeugt. Verweisung mag auch dazu geeignet sein, Spannung zu erzeugen, eine notwendige Eigenschaft bei weitläufigen und aus vielen sich wiederholenden Teilen bestehenden Anlagen. Das über sich hinausweisende Element kann, anders betrachtet, auch teil-funktionelles Element genannt werden, im Unterschied zum Element mit Doppelfunktion. Unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung könnte man sagen, daß es von etwas außerhalb seiner selbst und von dessen Richtung abhängt, worauf es verweist. Es ist gerichtete Form, in Analogie zum gerichteten Raum. Das Innere der Kirche der ,Madonna del Calcinaio' in Cortona (137) baut sich aus einer begrenzten Zahl von Teilen auf, die nur für sich selbst stehen. Die Fenster und Nischen (212), Pilaster und Giebel und die betonten Teile des Altaraufbaus sind je unabhängige Ganzheiten, von schlichter Form, symmetrisch in Aufbau und Position. Sie addieren sich zu einem größeren Ganzen. Dagegen findet sich bei der Wallfahrtskirche Birnau (213) eine Vielfalt von Verweisen, die alle dem Altar gelten. Die reichen Kurven der Decken und Bogen, sogar die Verformung der Kapitelle der Pilaster sind auf dieses Zentrum gerichtet. Der figürliche Schmuck und die Vielzahl fragmentarischer Elemente an den Seitenaltären (214) sind über sich hinausweisende Formen, asymmetrisch in ihrer Gestaltung, aber symmetrisch aufgestellt, die sich einem symmetrischen Ganzen einfügen. Diese Unterordnung der Teile entspricht der Wölflinschen ,,vielheitlichen Einheit" des Barock, die er gegen die ,,einheitliche Einheit" der Renaissance setzt. Ein Vergleich der Eingangsformen von Schloß ,Blenheim' (215) und ,Holkham Hall' (216) verdeutliche den Gebrauch der Verweisung am Äußeren. ,Holkham Hall' soll vor allem groß sein: es erreicht diesen Eindruck durch die Reihung ähnlicher Einheiten, die selbst ganz eigenständig abgeschlossen sind; die meisten Gebäudeteile sind übergiebelte Baukörper, die auch allein, als einzelnes Gebäude, stehen könnten — ,Holkham Hall' könnte genauso gut eine Reihe von drei Gebäuden sein. Blenheim dagegen soll ein komplexes Ganzes sein und versucht dies durch die Verwendung wie abgeschnittener u n d damit unselbständiger Bauteile, die dann über sich hinausweisen. Die je letzten beiden Joche des zentralen Blocks sind, für sich genommen, unvollständige Dopplungen. Aber in Beziehung auf das Ganze werden sie zu sprechenden Begrenzungen des zentralen Pavillons und steigern die Wirkung der giebelbekrönten Mitte der gesamten Komposition. Die Pfeiler an den Ecken des Portikus und der gesprengte Giebel über ihnen sind ebenfalls Begrenzungen, die ähnlich um der Mitte willen existieren und ihre Wirkung erhöhen. Die Joche an den weit entfernten Enden dieser riesigen Fassade bilden Pavillons, die auf nichts verweisen. Vielleicht unterstreichen sie dabei aber die relative Unabhängigkeit des Küchentrakts und des Marstalls. Vanbrughs Vorgehen bei der Formung einer so weitgestreckten, vielgliedrigen und dabei symmetrischen Fassade zu einer voll zusammenklingenden Einheit folgt der Tradition des vorangegangenen Jahrhunderts: 140
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in ,Aston Hair (217) verweisen die Flügel der einen Innenhof umschließenden Fassade samt ihren Türmen, den hinter schmalen Brüstungen zurückgesetzten Giebeln und den Fenstern durch ihre jeweilige Position und/oder Form auf das Zentrum. Die wechselnden Verbindungen, die beim Waisenhaus ,Buon Pastore' nahe Rom (218, 219, 220) von den einzelnen Trakten, ihren Fenstern, Dächern und Zierformen untereinander eingegangen werden, sind geradezu eine Orgie wechselseitiger Anspielungen und Verweise auf ganz großem Maßstab, ähnlich dem von Blenheim. Dieser neo-barocke Komplex von Armando Brazini (sehr bizarr für das Baujahr 1940 und zugegebenermaßen auch etwas fragwürdig für ein Heim für kleine Mädchen) gruppiert in wahrhaft staunenswerter Weise eine große Vielzahl verschiedenster Teile zu einem artistischen Ganzen. In allen Größendimensionen ist er ein Beispiel für aufeinander rückbezogene Verweise, die sich allmählich in verschiedenen Brennpunkten sammeln — bei der schmalen Frontfassade oder der kontradiktisch kleinen Kuppel neben dem Zentrum der gesam217
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ten Anlage, samt ihrer ungewöhnlich hoch gestelzten Laternenfolge. T r i t t man nahe genug heran, um auch kleinere, auf andere verweisende Bauteile betrachten zu können, muß man sich o f t um 1 8 0 drehen, um das G e m e i n t e in großer Entfernung sehen zu k ö n n e n . Ein Gang um dieses riesige G e b ä u d e ist von anhaltender Spannung. Man sieht Bauelemente, die mit anderen, schon gesehenen und nicht-gesehenen, in einem Verweisungszusammenhang stehen, und erlebt dies wie die Lösung aller Verwicklungen bei einer S y m p h o n i e . O h n e eigene Abgeschlossenheit des Grund- oder Aufrisses erlebt man die asymmetrische Figur jedes Flügels voll der Spannung und Bezüge zum symmetrischen Ganzen. Im Maßstab der Stadt kann sich ein Verweisungsverhältnis schon durch die relative Lage von Teilen ergeben, die in sich selbst keine derartige Sinnstruktur aufbauen. An der ,Piazza del P o p o l o ' ( 2 2 1 ) b e t o n e n die Kuppeln der beiden Zwillingskirchen die abgeschlossene Einheit j e d e r der beiden Bauten, aber die beiden Türme werden, obwohl sie selbst symmetrisch sind, durch ihre asymmetrische Position an den Seiten der Kirchen zum Ausgangspunkt eines Zusammenhangs. Aus der S i c h t auf den ganzen Platz wird j e d e r Bau zum Teil eines größeren Ganzen und damit einer Verbindung zum Corso. Bei den kleineren Verhältnissen von Palladlos ,Villa Z e n o ' ( 2 2 2 ) bedingt die asymmetrische Position der
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symmetrischen Bogenöffnungen die Bezugnahme der Eckpavillons auf das Zentrum und damit die Verstärkung der Symmetrie der gesamten Anlage. Diese Weise der Herstellung eines Verweisungszusammenhangs durch Asymmetrien innerhalb eines symmetrischen Ganzen ist ein wichtiges Motiv des Rokoko und seiner Architektur. So ist der Sinnverweis durch die Rocaille, z.B. an den Seitenaltären in Birnau (214), den charakteristischen Kerzenhaltern (223), oder an Kaminaufbauten, Türen und anderen Elementen Teil einer Asymmetrie innerhalb einer weitergesteckten Symmetrie, wodurch die Einheit des Eindrucks überhöht und dabei eine Spannung in das Ganze eingebaut werden kann. Die Richtung innerhalb des Raumes ist Mittel der Herstellung eines Verweisungszusammenhangs in der ,Villa Aldobrandini' (224). Ihre Frontseite gliedert sich in gleichwertige Wandfelder bzw. Joche; dagegen sind die einzigartigen Tympanonansätze über den Endjochen dazu geeignet, die Seiten auf die Mitte zu orientieren und diese beherrschende Fassade damit zu einer Einheit werden zu lassen. Beim Grundriß von Monticello (225) orientieren die diagonal gestellten Ecken der Umfassungsmauer die äußeren Räume zum Zentrum des Baues hin. In Siena orientiert die doppelte Brechung seiner Fassade den ,Palazzo Pubblico' (226) 223
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zum beherrschenden Platz hin. Hier wird die Verformung zum Mittel der Bestätigung, nicht der Zerstörung eines Ganzen; ähnlich wie bei der .Vermittlung der Gegensätze'. Barocke Details, etwa die Verdoppelung von Pilastern am Schlußjoch einer langen Reihe von die Joche teilenden Pilastern, werden zu Kunstgriffen der Verweisung, weil sie eine Veränderung des R h y t h m u s bewirken und damit eine fortlaufende Sequenz begrenzen können. Derartige Mittel werden in großem Umfang eingesetzt, um die Geschlossenheit des Ganzen zu steigern — und da Monumentalität in starkem Maße auf eine ganzheitlich geschlossene Wirkung angewiesen ist, genauso wie auf bestimmte Größenverhältnisse, wird der Verweisungszusammenhang als solcher zum Mittel der Erzeugung von Monumentalität. Durch Verweisung kann das ,schwierige Ganze' aus zwei Elementen genauso zusammengebracht werden wie im einfacheren Fall seines Aufbaus aus vielen verschiedenen Teilen. Sie ist eine Möglichkeit der Auflösung eines Nebeneinanders zweier Elemente. Die über sich hinausweisenden Türme der Zwillingskirchen an der Piazza del Popolo lösen das Nebeneinander der beiden Kirchen und beziehen sie auf die Mitte des gesamten Arrangements, auf den Raum des trennenden Corsos. Ähnlich lösen auch die asymmetrisch gestellten Kuppeln bei Wrens ,Royal Hospital' in Greenwich (227) das Nebeneinander der riesigen
Baumassen beiderseits von ,Queen's House'; gleichzeitig wird dabei auch die zentrale Lage und die Bedeutung dieses vergleichsweise sehr kleinen Baues betont. Die nicht aufgelöste Dopplung der Endpavillons gegenüber dem Fluß verweist andererseits wieder auf die Bedeutung der zentralen Längsachse für die Integration der Bauteile, indem sie ihr die eigene Unabgeschlossenheit gegenüberstellt. Das französische Chorhaupt unterscheidet sich stark von dem flach abgeschlossenen Chor der englischen Gotik, weil es in ganz anderem Maß den R a u m fängt und seine Ganzheit noch steigern kann. In der ,Kirche der J a k o b i n e r ' in Toulouse ( 2 2 8 ) kann das Chorhaupt die Unausgewogenheit des Langhauses, das durch eine Säulenreihe in zwei Schiffe geteilt wird, wieder aufheben. Furness' Apsis in seiner Bibliothek der Universität von Pennsylvania kann in ähnlicher Weise eine Dopplung zusammenhalten, die auf der gegenüberliegenden Innenwand durch Bogenstellungen hervorgerufen wird. Ein einzelner Rundpfeiler ist bei der spätgotischen Pfarrkirche in Dingolfing ( 2 2 9 ) , einer Hallen-Kirche, in das J o c h hinter dem Chor eingestellt und zweiteilt so das Schiff: durch das Zusammenwirken des Vierungsraumes und der dahinterliegenden Chorfenster, die zwischen die absteigenden Zwickel des reichen Netzgewöbes gestellt sind, wird diese Dopplung aber wieder in das Gesamtbild aufgelöst. Die Schrägstellung der Seitenwände der Pfarrkirche in Rimella ( 2 3 0 ) und die damit gegebene
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bedeutungsvolle Verengung der Langhausenden wirken dem Eindruck von Beziehungslosigkeit entgegen, der sich mit der Existenz von nur zwei Jochen einstellt. Die Brechung der Wände zur Mitte hin verstärkt den Eindruck von Umschließung und Ganzheit. Auch je ein kleines Zwischenjoch hält die großen Joche zusammen. Das Werk Lutyens steckt voller Dopplungen. Die Zweiteilung beispielsweise seiner Eingangsfassade des Schlosses von Lampay (231) wird aufgelöst durch eine korrespondierende Form der Öffnung der vorgezogenen Gartenmauer. Ein für die moderne Architektur so seltenes Beispiel einer Verweisung durch die Form selbst findet sich im ,Zitat' gesprengter Giebel an Morettis Appartment-Haus an der Via Parioli (10). Durch diese Form gelingt es, zumindest teilweise das Nebeneinander zweier Blocks mit verschiedenen Appartment-Typen zu überwinden. Die feinsinnig ausbalancierte Verdoppelung bei Wrights ,Unity Temple' (232) kommt ganz ohne wechselseitige Verweise aus, es sei denn, die gerichtete Eingangs-Plattform würde als solche betrachtet. Die moderne Architektur verweigert auf allen Ebenen des Bauens die Verwendung von Verweisungen. Beim ,Tugendhat-Haus' moduliert keinerlei Kopfstück die puristisch runden Stützen, obwohl dadurch die Scherkräfte, die mit der Auflagerung der Dachscheiben entstehen, ignoriert werden müssen. Die Wände
bleiben stumm: weder Fuß- noch Deckenleisten, keine Betonung konstruktiv bedeutsamer Partien, etwa durch Winkelsteine an den Ecken. Mies' Pavillons sind so isoliert wie griechische Tempel; Wrights Gebäudeflügel sind ebenfalls unabhängig, dabei aneinander gekoppelt, aber eben nicht aufeinander verweisend. Wright hat jedoch, indem er seine ländlichen Bauten an ihren besonderen Standort anpaßte, das Stilmittel der Verweisung auf der Ebene des ganzen Gebäudes benutzt. ,Fallingwater' z.B. wäre unvollständig ohne seine Umgebung — es ist Teil seines natürlichen Umfeldes und eine Steigerung von dessen Gesamteindruck. Aus dieser Umgebung herausgelöst, wäre ,Fallingwater' ein sinnloses Gebilde. Wie ein Verweisungszusammenhang auf vielen Ebenen aufgebaut werden kann — vom einzelnen Bauteil bis zum ganzen Gebäude —, kann er auch verschieden dicht geknüpft sein. Behutsamere Formen unterstellen gewissermaßen diesen Zusammenhang und verstärken damit den Gesamteindruck. In den extremeren Formen ergeben solche Elemente selbst unmittelbar den Zusammenhang. Heutigentags machen wir sehr weitgehend Gebrauch von unseren Möglichkeiten, eine pedantische Kontinuität der Konstruktion und des Materials zu präsentieren — so durch geschweißte Verbindungen, vorgehängte Fassaden und den Stahlbeton. Außer im Fall der bündigen Gelenke der frühen Moderne finden sich angedeutete, unterstellte Formen des Zusammenhangs nur selten in der modernen Architektur. Die zurückgesetzte, in dunklen Schatten getauchte Verbindung aus dem Formenvokabular von Mies betont zu sehr das Moment der Trennung. Insbesondere Wright markiert eine Verbindungsstelle durch einen Wechsel der Profile, sobald es sich um einen Wechsel im Material handelt — eine ausdrucksstarke Demonstration von Materialeigenschaften in der ,,Organischen Architektur". Umgekehrt ist ein starker Kontrast zwischen einer Kontinuität des Ausdrucksgehaltes und einer tatsächlichen Diskontinuität in Konstruktion und Material das Charakteristikum von Saarinens Fassade des Studentenwohnheims der Universität von Pennsylvania. Der durchgehende Fluß seiner Kurven trotzt allem Wechsel in Material, Konstruktion und Nutzung. An den genau gearbeiteten Wällen von Machu Picchu (23 3) setzt sich das identische Strukturmuster der aufgeschichteten Mauer fort bis über den gewachsenen Fels. Die gewölbte Form überspannt in zwei Techniken (,falsches' Kragsteinund echtes Gewölbe) u n d in zweierlei Material (rustiziertes Mauerwerk oben, glattes Ziegelwerk unten) die Öffnung von Ledoux' Eingang in Bourneville (58). Ähnliche Gegensätze finden sich bei Möbeln des Rokoko. Geschwungene Stuhlbeine (234) verunklären die Verbindung mit dem Rahmen und betonen durch ihre Form und ornamentale Behandlung dessen Einheit. Die vom Sitzrahmen bis zu den Beinen durchgezogenen Rillen stellen ganz direkt, nicht durch wechselseitige Verweise, einen Gesamtzusammenhang her, der aber doch in gewisser Weise dem Material und den tektonischen Beziehungen zwischen diesen verschiedenartigen Rahmenteilen widerspricht. Die überall zu findende Rocaille ist ein anderes, ornamentales Hilfsmittel, das sich über die Architektur und die 148
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Möbel des R o k o k o hinzieht und so eine gewisse Gesamtstimmung des Ausdrucks erzeugt. Einige von Wrights frühen Interieurs ( 2 3 5 ) sind mit ihrem Motiv des Holzstreifens durchaus Parallelen zu den rocaille-überzogenen Interieurs des R o k o k o ( 2 3 6 ) . Im ,Unity T e m p l e ' und im ,Evans-House' ( 2 3 5 ) findet sich dieses Streifenmotiv auf Möbeln, Wänden, Decken, Beleuchtungsköφern und Fensterpfosten; sogar auf den Teppichbrücken ist es wiederholt. Wie im R o k o k o dient ein durchgängiges Motiv dazu, einen geschlossenen Gesamteindruck hervorzurufen: Wright zielt dabei auf etwas, das er Plastizität nennt. Weil er eine bestimmte Art von Ausdruck erzielen will, bedient er sich der Andeutungen und gerät dadurch ironisch erweise in Widerspruch zu seinen eigenen Dogmen über die Eigenschaften bestimmter Materialien und in Widerspruch zu seiner ausdrücklichen Abneigung gegen das R o k o k o . Eine Architektur der Vielfalt und des Widerspruchs ist andererseits nicht genötigt, Brüche im Ausdruck zu fürchten, auch wenn sie sich innerhalb einer konstruktiven Einheit ereignen und ihr so widersprechen. Beim Lettner der Kathedrale von Modena ( 2 3 7 ) , wo jedes der auf sich bezogenen Teile mit den anderen nur eine mühsam aufrechterhaltene optische Verbindung eingeht, oder auch
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bei den unvermittelten Wandstreben der beziehungslos nebeneinander stehenden Flügel von ,A11 Saints Church' in der Margret Street (93) k o m m t es zu Brüchen in der Formgebung trotz der bruchlos weitergeführten Konstruktion. Soanes Tor von Langley Park (238) setzt sich aus drei architektonischen Teilen zusammen, die untereinander keinerlei Beziehung aufnehmen und nur für sich selbst sprechen wollen ; neben der Betonung des mittleren Elements durch seine schiere Größe, sind es die beigegebenen Plastiken, die aufeinander verweisen und die drei Teile zu einer Einheit zusammenziehen können. Die ,dorische Ordnung' (239) hält eine schwierige Balance zwischen Einheitlichkeit und Uneinheitlichkeit sowohl der Konstruktion als auch der optischen Erscheinung. Der Architrav, das Kapitell und der Säulenschaft sind konstruktiv verschiedenartige Elemente, in ihrem Ausdrucksgehalt sind sie aber nur zum Teil verschieden. Das Auflagern des Architravs auf dem Kapitell wird durch das neutrale Zwischenelement des Abakus kenntlich gemacht. Anders der Echinus, der in seinem Verhältnis zum Schaft gleichartige tektonische Beanspruchung auch durch eine gleichartige Erscheinungsform sichtbar werden läßt. Die horizontalen und vertikalen Elemente von Saarinens ,T.W.A.-Terminal' und Frederick Kieslers ,Endless House' sind ohne alle konstruktiven Gegensätze: sie sind in sich völlig homogen. Allerdings erzeugt die Massierung von Sichtbetonwerk
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in der konstruktiven und der optischen Dimension Unsicherheit: man weiß nicht zu sagen, ob eine Einheit nun erreicht wurde, oder ob nicht. Die Außenwände des Polizeihauptquartiers in Philadelphia tragen das Muster tief eingekerbter Fugen, die Sichtbeton-Elemente trennen; deren kurvende Ein- und Ausbuchtungen lassen jedoch gleichzeitig ein einheitliches Profil entstehen — ein paradoxes Spiel der Momente von Einheitlichkeit und Verschiedenheit in Ausdruck und Konstruktion dieser Architektur. Fumihiko Makis ,Gruppen-Form' — die dritte Bestimmung seiner Charakterisierung der Architektur nennt er ,Kollektiv-Form' — meint teilweise ebenfalls eine unterschwellige Einheit bzw. einen Verweisungszusammenhang. Sie umfaßt entwicklungsfähige Grundformen, die offen sind für die Einbindung in einen größeren Zusammenhang, und Ganzheiten, die untrennbar beides sind, System und Einheit. Er entwickelte weitere Bestimmungen der ,Gruppen-Form', die einige Konsequenzen aus der Existenz eines Verweisungszusamenhangs für die Architektur anzeigen. Ein gewisses Moment an Einheitlichkeit der Grundformen und ihrer abgeleiteten Beziehungen ermöglicht spätere Erweiterungen des Baus, die Bewahrung eines menschlichen Maßstabs und Sensitivität gegenüber den Anforderungen der natürlichen Umwelt des gesamten Bauvorhabens. Die ,Gruppen-Form' ist idealtypisch abgegrenzt gegen die andere zentrale Bestimmung Makis, die ^lega-Form'. Eine Ganzheit, die durch hierarchische Beziehungen der Teile, nicht durch ihre mit der Form gegebenen Verweise entsteht, kann ebenfalls ein Aufbauprinzip komplexer Architektur sein. Hierarchie gehört zu einer Architektur mit vielfachen Bedeutungsebenen. Das hat zu tun mit dem Formzusammenhang der Formzusammenhänge — eine vielfältige Verknüpfung mehrerer Strukturen unterschiedlicher Verbindlichkeit für das Entstehen eines vielfältigen Ganzen. Im Grundriß der ,Christ Church' von Spitalfields (240) ist es die Abfolge der Stützenordnungen — höher, niedriger, mittelhoch; groß, klein, mittelgroß —, die das hierarchisch aufgegliederte Ganze aufbaut. An der Palastfassade des Palladio (48) ist es das Neben- und Aneinander bestimmter Bauteile (Pilaster, Fenster und Profile) und der Gegensatz von groß und klein, bzw. von relativen Bedeutungen, die die Aufmerksamkeit auf die Erscheinung des Ganzen lenken. Ein Bindeglied dominieren zu lassen, ist eine weitere Möglichkeit, wie ein hierarchisches Verhältnis der Teile wirksam werden kann. Es behauptet sich als durchgehendes Muster (eine Art ordnendes Leitmotiv) oder auch nur einfach als wichtigstes Einzelteil. Dies ist nicht die Art das „schwierige Ganze" zu erreichen. In einer Architektur des Widerspruchs mag es o f t ein doch zweifelhaftes Allheilmittel sein, so wie frisch gefallener Schnee, der eine chaotische Umgebung unter die gleiche weiße Decke packt. In der mittelalterlichen Stadt ist die Umwallung oder die Zitadelle das beherrschende Einzelelement. Im Barock ist es die Achse der großen Straße, gegen die weniger wichtige, andersartige Elemente kontrastieren. (In Paris wird die starke Achse noch verstärkt durch einheitliche Gesimshöhen, während in Rom die Achsen o f t gebrochen und durch 152
verbindende Piazzas mit Obelisken in Abschnitte aufgeteilt werden.) Die Achse als Bindeglied im Städtebau des Barock ist o f t Ausdruck autokratischer Autorität: dabei war es sicherlich einfach, Schwierigkeiten auszublenden, die heute berücksichtigt werden müssen. Der Hauptverkehr kann in der heutigen Stadtplanung das Grundraster der Planung bestimmen. In der Tat wird bezüglich des Aspekts der Nutzung die Verkehrsfläche eines Baues zum Bindeglied, ansonsten das wesentliche Konstruktionsgefüge. Übergreifende Bindeglieder sind die Grundlage für Kahns ,Viaduct-Architecture' und Tanges ,KollektivForm' für Tokio. Ein übergreifendes Bindeglied empfiehlt sich auch bei Umbauten. James Ackermann sprach von einer Vorliebe Michelangelos für ,,symmetrisch angeordnete, diagonal verlaufende Akzente in Grund- und A u f r i ß " bei seinem Entwurf für St. Peter: im wesentlichen galt dieser Entwurf einem Umbau der älteren Anfänge. ,,Um die Arme des griechischen Kreuzes fest miteinander zu verbinden, benutzte Michelangelo diagonal geführte Wandmassen und konnte St. Peter dergestalt zur Einheit werden lassen, wie es die früheren Entwürfe nie vermochten." [48]
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Ein beherrschendes Bindeglied als drittes Element innerhalb einer Dualität stellt sicherlich eine einfachere Art der Aufhebung und Einbindung in ein Ganzes dar als der A u f b a u eines Verweisungszusammenhanges der Formen. Ganz unzweideutig hebt z . B . ein großer Bogen das Nebeneinander von Zwillingsfenstern an florentinischen Palazzi auf. Die Dualität der F a s s a d e der Doppelkirche von ,S. Antonio und S. Brigida' von Ferdinando F u g a ( 2 4 1 ) wird aufgehoben durch die Andeutungen des gesprengten Giebels — aber ebenso durch ein drittes hinzutretendes ornamentales Element, das die Mitte beherrscht. Ganz ähnlich wird auch die Fassade von ,S. Maria della Spina' in Pisa ( 2 4 2 ) durch einen dritten Giebel gefaßt. Der Grundriß von Guarinis Kirche der ,Unbefleckten Empfängnis' in Turin (14) zeigt, daß die beiden überkuppelten J o c h e in ihrem Umriß beziehungsvoll von der Kreis- in die Ellipsenform überführt sind; sie werden aber auch durch ein zwischengeschaltetes kleines J o c h verbunden. Der reich ornamentierte Giebel im Zentrum über der Fassade von .Charleval' ( 2 4 3 ) ist ebenfalls ein beherrschendes Element, wie auch die sich gabelnde 241
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Treppe vor einem Bauernhaus in der Nähe von Chieti (244); in dem Zusammenhang dort hat sie eine analoge Bedeutung wie die Stufen zum Eingang von ,Stratford Hair in Virginia (245). Keinerlei Verweisungszusammenhang findet sich in der Anlage der .Villa Lante' (246); ihre beiden identischen Pavillons werden jedoch durch eine dazwischen gelegte Achse als dem dritten Element beherrscht; sie stößt auf eine große Plastik, die im Kreuzungspunkt zweier Wege liegt, und betont so das Ganze des Ensembles. Allerdings kann ein in Mehrdeutigkeit übergehendes Hierarchieverhältnis zwischen Elementen, die selbst auf keine organisierende Mitte verweisen, zu einer reicheren, hintergründigeren visuellen Einheit des Ganzen führen. Ein so verstandenes Ganzes besteht aus einander gleichwertigen Kombinationen zwischen ein- und denselben Teilen. Zwar steht das Gestaltungsprinzip ,gleichwertiger Kombinationen' in einer gewissen Beziehung zum Phänomen des ,Sowohl-alsauch', und viele konkrete Beispiele lassen sich so oder so lesen; dennoch bezieht
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sich das Phänomen des ,Sowohl-als-auch' doch eher auf das Moment der Widersprüchlichkeit von Architektur, während das Prinzip .gleichwertiger Kombinationen' mehr mit dem Problem der Ganzheit zu schaffen hat. Sind gleichwertige Kombinationen der Elemente möglich, so tritt neben den Verweisungszusammenhang, den einfachen Fall eines beherrschenden Bindegliedes oder einer einheitlichen Leitform, noch eine weitere Möglichkeit der Erzeugung eines Ganzen. An der ,PortaPia' (110, I I I ) beispielsweise ist die Zahljeder Art von Teilen, die Tor und Wand aufbauen, nahezu gleich — es gibt kein bestimmtes Teil, das vorherrschend wäre. Die Formenvielfalt (rechte Winkel, Quadrate, Dreiecke, Segmente und Rundungen) entspricht sich in allen Fällen, das Vorherrschen einer Form ist von vorneherein ausgeschlossen und auch bei den Richtungen (senkrecht, waagrecht, diagonal und geschwungen) gibt es keine vor anderen ausgezeichnete Orientierung. Ähnlich gibt es auch eine gleichwertige Verteilung in den Größenverhältnissen. Gleichwertige Kombinationen von Teilen versuchen, einem ganzheitlichen Eindruck durch Momente der Überlagerung und durch Symmetrie näher zu kommen, weniger durch eindeutige Dominanz oder durch eine hierarchische Abstufung. Das Rundfenster über Sullivans Portal der ,Merchants National Bank' in Grinnell, Iowa (112) entspricht in seiner Verwendung einer identischen Anzahl von gleich großen Grundformen, Kreisen, Quadraten und Rahmen in Diamantenschnitt, weitgehend der ,Porta Pia'. Die Kombinationen verschiedenzahliger Gruppen (solche mit einem, zwei oder drei Elementen), wie sie an seiner Fassade der .Columbia Bank' entschlüsselt werden können, sind alle einander gleichwertig. Jedoch ergibt sich dort das Ganze eher aus übereinander verlaufenden Schichten, denn aus einer Überlagerung dieser Gruppen. Das .Auditorium Building' (104) nutzt die Vielfalt der Orientierungen und Rhythmen, die bei einer derartigen Bauaufgabe entstehen. Die einfachen Halbkreise der Wandmuster, die Konstruktion selbst und die gewölbten Deckensegmente sind in Grund- und Aufriß gegen die reichen Kurven der Vorbühne, der Sitzreihen, der ansteigenden Balkone, der Logen und der Kragarme über den Säulen gesetzt. Dieser Sinn für unterschiedliche Bedeutungen gleicher Formen in vielen Werken Sullivans (zumindest dort, wo die Aufgabenstellung komplexer ist als bei einem Hochhaus) weist auf einen weiteren Unterschied zwischen ihm und Wright hin. Wright würde kaum je unvermeidliche Gegensätze durch das Stilprinzip eines Nebeneinanders gleichwertiger Kombinationen der Teile ausdrücken wollen. Stattdessen löste er alle Größen- und Formengegensätze durch die Ausbildung einer leitmotivischen Struktur auf — er akzentuierte ein einzelnes, vorherrschendes Motiv aus Kreisen, Rechtecken oder diagonalen Formen. Der Entwurf für das ,Vigo Schmidt House' ist ein durchgängiges Muster von Dreiecken, das ,Ralph Chester House' eines von Kreisen und das ,Paul Hanna House' von Sechsecken. Gleichwertige Kombinationen setzt auch Aalto ein, um bei seinem komplexen Wolfsburger Kulturzentrum (78) die Einheit des Ganzen zu sichern. Weder lokkert er den Zusammenhang der einzelnen Teile, noch nähert er sie in ihrem Er156
scheinungsbild einander an, wie das Mies beim ,Illionois Institute of Technology' in Chicago tut. Wie ich schon dargelegt habe, versucht er, ein Ganzes zu erzeugen, indem er eine meist gleiche Anzahl schief- und rechtwinkliger Elemente kombiniert. ,S. Maria delle Grazie' in Mailand ( 2 4 7 ) verbindet gleichwertige Kombinationen zu einer extremen Form, indem außen gegensätzliche F o r m e n miteinander kontrastiert werden: die in der Vorderansicht beherrschende Kombination aus Dreieck und Viereck wird mit einer auf der Ostseite beherrschenden Kombination aus Kreis und Q u a d r a t verbunden. Micheluccis Autobahn-Kirche (4) besteht, wie auch die Heiliggrabkirche in Jerusalem (von der in der Abbildung 101 nur der Grundriß gezeigt wird), aus weitgehend gleichwertigen Kombinationen gegensätzlicher Orientierungen und R h y t h m e n der Säulen, Pfeiler, Wände und Dächer — ähnlich auch die Berliner Philharmonie ( 2 4 8 ) . Die plasti247
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sehen F o m e n der mediterranen Volksarchitektur (249) sind von ganz einfacher Wandbehandlung, aber elementare Grundformen, wie Rechtecke, Diagonalen und Segmente werden ohne Umschweife kombiniert. Gaudis Frisierkommode aus der ,Casa Güell' (250) ist geradezu eine Orgie gegensätzlicher GestaltungsPrinzipien: extreme Verweise auf andere Teile und durchgängige Gleichartigkeit bei allen Teilen sind kombiniert mit unvermitteltem Zusammenprall verschiedener Formen und mit Brüchen in einer Form, komplizierteste neben einfachen Kurven, Rechtecke neben Diagonalen, gegeneinander gesetzte Materialien, Symmetrien und Asymmetrien — dies alles, um eine Vielfalt von Funktionen in einem Ganzen zusammenfassen zu können. Der bei der Gestaltung von Möbeln häufig anzutreffende Sinn für unterschiedlichen Gehalt gleicher Form findet sich auch in dem Stuhl der Abbildung (103). Sein Rückenteil ist geschwungen, seine Vorderseite glatt rechtwinklig. In seiner anspruchsvollen Gestaltung ist er dem Bugholz-Stuhl von Aalto (251) nicht unähnlich. Für eine Architektur der Gegensätze unverzichtbar ist ein Ganzes, das nicht um den Preis der Ausgrenzung von Komplexität sich herstellt. Die Einheit des Innenraums der Imatra-Kirche oder des Baues in Wolfsburg wird nicht durch Unterdrückung oder Ausschließung, sondern durch die erregende Einbeziehung gegensätzlicher oder zufällig gegebener Teile hergestellt. Die Architektur Aaltos weiß um die Schwierigkeiten und die fast unwägbaren Nebenbedingungen eines Bauprogramms, wo eine unbekümmert .heitere' Architektur unzulässig vereinfacht. Jedenfalls bedeutet die Verpflichtung auf das schwierige Ganze in einer Architektur der Vielfalt und des Widerspruchs nicht den Ausschluß des Ungelösten. Dichter und Dramatiker wissen darum, daß es das Dilemma des Ungelösten gibt. Die Ernsthaftigkeit des Fragens und die Lebensnähe ihrer Versuche zu einer Antwort sind es, die ihre Werke eher zu einer Kunst, denn zur Philosophie werden lassen. Einheit des Ausdrucks ist Ziel der Dichtkunst, kaum aber die Lösung der angesprochenen Probleme. Zeitgenössische Bildhauerei ist oftmals fragmentarisch, und ähnlich schätzen wir heute Michelangelos unvollendete Pietas mehr als sein früheres Werk. Ihre Aussage ist deutbar, ihr Ausdruck unmittelbarer, und ihre Formen vollenden sich jenseits des Marmors. Auch ein Bauwerk kann trotz Unvollständigkeit seinem Zweck und seiner Form-Idee zu Ausdruck verhelfen. Gemessen am ursprünglichen Vorhaben sind gotische Kathedralen, wie beispielsweise die von Beauvais, von der nur der riesige Chor fertiggestellt wurde, sehr häufig unvollendet; im Ausdruck ihres Formwillens sind sie jedoch vollendet, weil ihre vielen Glieder die gleiche Formensprache sprechen. Auch in der Stadtplanung sollte begriffen werden, daß es unabdingbar ist, ein vielschichtiges Maßnahmeprogramm als Prozeß aufzufassen — das bedeutet ständige Wandlung und schrittweises Wachstum, das dabei doch in jedem Stadium und auf vielen Ebenen an das Ganze zurückgekoppelt bleibt. Die Unabschließbarkeit des Programms gilt genauso für das einzelne komplexe Bauwerk. Jede der unabgeschlossenen Zwillings-Kirchen an der ,Piazza del Popolo' ist für 158
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ihren Zweck vollständig, sie ist aber unvollständig im Ausdruck ihrer F o r m . Die ungewöhnlich asymmetrisch gestellten Türme verweisen, wie wir gesehen haben, bei jedem der Bauten auf ein größeres Ganzes jenseits ihrer selbst. Ein hochkomplexes Gebäude, das in seiner offenen F o r m notwendig unvollständig erscheinen muß, kann innen als ,Gruppen-Form' nach Maki aufgefaßt werden; es ist die Antithese zum ,völlig abgeschlossenen Bauwerk' [ 4 9 ] oder zum isolierten Pavillon. Als Bruchstück eines größeren Ganzen in einem weiteren Beziehungsfeld ist diese Art von Gebäude wieder in das Kraftfeld der Stadtplanung einbezogen und geeignet, die Einheit eines komplexen Ganzen zu fördern. Architekten, die gelernt haben, verschiedene einander widersprechende Einflußgrößen zur gleichen Zeit anzuerkennen, sollten auch fähig und bereit sein, das Paradoxon eines ganzen Fragments zuzugestehen oder für möglich zu halten; das Bauwerk ist zur gleichen Zeit in der einen Beziehung ein Ganzes und auf einer anderen, weiter gespannten Beziehungsebene doch auch wieder ein Fragment. In ,God's Own J u n k y a r d ' verglich Peter Blake das Durcheinander der kommerzialisierten ,Main Street' mit der Aufgeräumtheit der Universität von Virginia ( 2 5 2 , 2 5 3 ) . Einmal ganz abgesehen von der Unerheblichkeit des gewählten Vergleichs: ist die Main Street nicht beinahe ganz in Ordnung? J a , die Frage stellt sich tatsächUch, ist der ,.commercial strip" längs der Ausfallstraße 66 nicht fast 252
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in Ordnung? Wie ich schon gesagt habe, liegt unser Problem darin: welche Art geringfügiger Veränderung der Zusammenhänge würde dazu führen, daß die Main Street in Ordnung k o m m t . Vielleicht mehr Reklamezeichen, doch etwas enthaltsamer? In ,God's Own J u n k y a r d ' werden Bilder von Times Square und des Stadtverhaus längs der großen Straßen Bildern von Dörfern Neu-Englands und anderer arkadischer Landschaften gegenübergestellt. Aber die Bilder dieses Buches, die doch abschreckende Beispiele zeigen sollen, sind o f t einfach gut. Das scheinbar chaotische Nebeneinander verkommener Einzelheiten hat doch eine vertrackte Art von Leben und Ehrlichkeit in sich und erzeugt zumindest ansatzweise eine Art von Ganzheit. Es ist natürlich richtig, daß die Möglichkeit einer derartig ironischen Interpretation wie dieser teilweise jenem Wechsel in der optischen Distanz zu verdanken ist, wie er über die Photographie vorgenommen wird; teils auch einem Wechsel des Ausschnitts. Trotzdem bleibe ich dabei, daß in einigen dieser Ensembles ein tiefer Sinn für das Ganze nicht weit unter der Oberfläche verborgen ist. Ich meine dabei nicht die offensichtliche und simple Einheit, wie sie durch ein beherrschendes Bindeglied oder durch die ständige Wiederholung eines Leitmotivs in einfacheren, kaum widersprüchlichen Arrangements entstehen mag, sondern die Einheit, wie sie aus der vielschichtigen und schwer zu fassenden Struktur eines prekären Ganzen sich zusammenfügt. Es ist die straffe K o m p o sition, die gegenläufige Beziehungen, gleichwertige Kombinationen, über sich hinausweisende Fragmente und bewußte Dualismen zu Prinzipien des Bauens macht. Es ist die Einheit, die ,,eine Kontrolle über die widerstreitenden Teile gerade noch aufrecht zu erhalten ermöglicht. Immer droht das Chaos; sein Bevorstehen, aber auch seine Vermeidung geben K r a f t . " [ 5 0 ] Bei einem wirklich vielschichtigen Bau oder einer städtebaulichen Situation, will das Auge bei seiner Suche nach der Einheit eines Ganzen nicht zu schnell, nicht zu leicht zufrieden gestellt werden. Einige der erregendsten Lektionen der ,Ρορ Art' über Widersprüche, die mit einem Wechsel der Maßstäblichkeit und des Bezugsfeldes entstehen, sollten den Architekten doch ihre wirklichkeitsfremden Luftschlösser verleidet haben. Die reine Ordnung und Harmonie, von der sie dort geträumt haben, wurde als leichtfertige ,Gestalt'-Einheitlichkeit in den Stadtsanierungs-Projekten nach den Schemata der etablierten modernen Architektur doch wohl gar zu sehr von der Wirklichkeit überfordert; glücklicherweise kann dergleichen im Moment in großem Maßtstab nirgendwo mehr in Realität umgesetzt werden. Vielleicht können wir gerade von der Allerweltslandschaft am R a n d der Städte, vulgär und mißachtet wie sie sind, die entscheidenden Hinweise auf die vielschichtige und widersprüchliche Ordnungsstruktur bekommen, die unserer Architektur als einem Urbanen Ganzen und dem Leben in ihr wirklich gerecht werden kann.
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11. Eigene Werke
11.1 Entwurf .Pearson House', Chestnut Hill, Pennsylvania ( 2 5 4 - 2 5 9 ) Architekt:
Robert Venturi,
1957
Der Entwurf für dieses Wohnhaus entstand 1957. Er ist einer der wenigen Zeugnisse der Idee mehrfacher Umschließung in meinem Werk. Mehrere umschließende Schichten werden nur bei Raumprogrammen einer Größenordnung sinnvoll, die zu realisieren ich bisher die Gelegenheit nicht gehabt habe. Bei diesem Entwurf verbergen sich Bauteile in und ebenso hinter anderen Teilen.
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11.2 Umbauten des James B. Duke House', The Insitute of Fine Arts, Universität des Staates New Y o r k ( 2 6 0 - 2 6 4 ) Architekten: 1959
Robert
Venturi,
Cope and Lippincott,
Architektengemeinschaft,
Diese großbürgerliche Villa an der oberen Fifth Avenue war dem ,Institut of Fine Arts' zwecks Einrichtung einer Graduate-School für Kunstgeschichte gestiftet
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worden. 1912 war es nach Plänen von Horace Trumbauer gebaut und von Alavoine ausgestattet worden. In seinem Äußeren ist es eine Kopie des ,Hôtel Labottière' in Bordeaux, dabei aber in Maßstab und Baumasse vergrößert — ein Louis-quatorze-Maßstab bei einem Louis-seize-Bau. Seine Louis-seize-Details sind außen wie innen ungewöhnlich feine Arbeit. Wir versuchten, das Innere so wenig wie irgend möglich anzutasten und ein stimmiges Verhältnis zwischen Alt und Neu zu erreichen, indem wir für klare Kontraste sorgten; die Verbindungsstellen zwischen der alten und der neuen Schicht sollten als solche kenntlich bleiben, ein gewandelter Raumeindruck sollte sich dabei nicht aus einer Veränderung der vorhandenen Teile des Interieurs ergeben, sondern aus der Hinzufügung von neuen. Die neuen Bestandteile waren also eher als Möblierung, denn als Architektur zu verstehen. Möbel und sonstige Ausstattungsgegenstände sollten gebräuchliche Standardware sein, die in der ungewöhnlichen Umgebung aber vorteilhaft zur Geltung kommen konnte. Das sind im wesentlichen Bugholzstühle und ein Stahlregalsystem von
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.Remington Rand' dessen rechtwinklige Geometrie die der Wandgliederung überlagert. Speziell entworfene Messingelemente mit einer zwischengespannten Gleitschiene zur Vermeidung von Eingriffen in das Wandprofil sorgen dabei für Abstand; ebenso wurden auch speziell angefertigte Füße für die Pfosten verwandt, um eine bestimmte Höhe über dem Fußboden einhalten zu können.
11.3 Entwurf für ein Strand-Haus ( 2 6 5 - 2 7 1 ) Architekt:
Robert Venturi,
1959
Dieses Wochenend-Haus, direkt in die Dünen an der Küste gesetzt, hat vollen Blick auf das Meer. Es enthält nur die notwendigsten Einrichtungen, da erwartet werden kann, daß die Bewohner den größten Teil des Tages am Strand verbringen werden. An der dem Meer zugewandten Seite verläuft eine schmale Veranda. Ganz oben befindet sich ein offener Dachgarten, der über eine Leiter und Falltüren neben dem Kamin erreichbar ist. Die Wände bestehen aus einem Fachwerkrahmen. Das Dach ist mit Planken gedeckt, die verdeckt genagelt sind, wodurch die Struktur einer gleichmäßigen
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Dachhaut entsteht, gleichzeitig aber auch der Eindruck einer selbsttragenden (Quasi-)Konstruktion erweckt wird. Ausnahmen sind der nach unten eingezogene Lichtschacht und die Stelle über der vorderen Öffnung. Die Bretter verlaufen dort nicht in Längsrichtung, sondern quer zur Traufe, weil die Spannbreite sonst extrem groß werden würde; auiäerdem befinden sich dort einige wichtige Teile des Rahmens, ein Pfosten und einige Deckenbalken. Die Ausnahme gerade an dieser zentralen Stelle läßt die sonst einheitliche Dachhaut nur umso stärker zur Geltung kommen. (Der Fußboden ist auf Pfählen und Balken höhergelegt.) Das Haus hat nur zwei eigentliche Ansichten; die Vorderfront, die auf das Meer blickt, und die rückwärtige Eingangsfront. Es hat gewissermaßen keine Seiten; die Vorderfront ist von der Rückfront verschieden gehalten, um die Orientierung aufs Meer zu betonen. Der offene Kamin im Zentrum des hinteren Teils ist auch Bezugspunkt der diagonalen Wände, die von dort aus, zunächst symmetrisch, radial auseinanderstreben und so die inneren Räume zuschneiden. Wegen
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der etwas komplizierten F o r m e n in Grund- u n d A u f r i ß ergibt sich ein Dach, das sowohl abgewalmt wie gegiebelt ist, u n d seine ursprünglich symmetrische F o r m ist an den seitlichen Enden wiederum verändert; u n d zwar aufgrund verschiedener interner Notwendigkeiten, aber auch aus Rücksicht auf die Orientierung im R a u m und auf den Ausblick. A n der spitz zulaufenden Seite dominieren die nur zusammen mit der Außenansicht verständlichen räumlichen u n d expressiven Notwendigkeiten eines Hauses ,ohne Seiten', das sich ganz dem Blick in die eine Richtung verschreibt, ohne alle Rücksicht auf die zweitrangigen räumlichen Erfordernisse für die im Hausinneren liegende Dusche. Das gesamte Äußere ist mit Zedern-Schindeln verkleidet. Die Deckleisten an der Naht zwischen Wand u n d Dach sind sehr knapp bemessen, u m zwischen Wand und Dach keinen optischen Bruch entstehen zu lassen. Die über die Eckp f o s t e n hinausgezogenen Wände legen einen Saum u m den Kernraum zwischen den Stützen. Fenster u n d Veranda schneiden verschiedene Ö f f n u n g e n in die gleichmäßige A u ß e n h a u t . Die inneren Wände, die jenseits der Fenster u n d im Inneren der Veranda eingesehen werden k ö n n e n , sind mit einer gut abgehobenen F a r b e gestrichene Holzverkleidungen; sie wirken wie das F u t t e r eines Umhangs. Auch die Laibungen der Fenster, d o r t wo die A u ß e n h a u t durchschnitten wird, sind in einer kontrastierenden F a r b e gehalten. Die Schindeln berühren an keiner Stelle den Kaminblock oder seine rückwärtige Abstützung, die sich u n t e n teilt u n d dem o f f e n e n Vestibül R a u m gibt.
11.4 Verwaltungszentrale der ,North Penn Visiting Nurse Association' (272—277) Architekten:
Venturi und Short,
1960
Der beschränkte Finanzrahmen ließ nur ein kleines G e b ä u d e in konventioneller Bauweise zu. Der Bauplatz verlangte einen kräftigen Maßstab u n d eine klare u n d einfache F o r m , u m den Eindruck der umliegenden großen Bauten entgegenzuwirken. Das Nutzungsprogramm erforderte ein differenziertes Innere mit verschiedensten Räumlichkeiten u n d speziell auch Lagereinrichtungen. Ebenerdige Parkplätze für die fünf Wagen des Personals waren an dieser steil abschüssigen u n d gekurvten Stelle nur innerhalb eines durch Stützmauern geschützten Parkhofes direkt neben der Straße zu gewinnen. Ähnlich gebot auch die Forderung nach einem Fußgänger-Eingang mit möglichst wenig T r e p p e n die Lage direkt an der Straße. Das Ergebnis aus diesen Prämissen ist ein verzerrter Kubus, einfach, und doch vielschichtig. Unmittelbar aneinanderstoßend u n d auch von ähnlicher Grundfläche, bilden Parkplatz u n d G e b ä u d e eine Zweiheit. Der dreieckige Vorsprung des Gebäudes wirkt als eine Hinwendung z u m H o f , u m diese Dualität a u f z u h e b e n ; gleichzeitig aber verstärkt diese Verzerrung des kastenförmigen Gebäudes eben 168
diese Zweiheit wieder, indem sie den Schwung der einwärts gebogenen Mauer von der Gegenseite fortsetzt, den Parkhof damit abrundet und wieder gegen das Gebäude verselbständigt. Der Bau daneben verhält sich unter diesem Gesichtspunkt fast wie eine Plastik, weniger als Architektur. Von außen bestimmen räumliche Kräfte die inneren, und entsprechend ist der Bau auch von außen nach innen aufgebaut. Das ,unhandliche' Innere, das auf diese Weise entstand, ist Raum, der sich unterordnen mußte. Auch an den offenen Seiten dieser Zweiheit werden Verformungen wirksam: die leichte Biegung der Stützmauer des im wesentlichen doch rechteckigen Hofes antwortet auf die drängenden Erdmassen darüber, um ihnen so besser widerstehen zu können. Der Kubus des Baues ist auch an der Ostseite verformt: die Mauer verläuft dort parallel zur Grundstücksgrenze in der gegebenen vorstädtischen Lage. Die Außenwände dieses ursprünglich einfachen Kastens sind ebenfalls in sich verformt. Die Fenster der Vorderfront sind nach innen zurückgezogen und bilden dadurch eine in der Flucht bleibende Überdeckung gegen
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Süden. Sie harmonieren auch mit den für Lagerzwecke eingebauten Wandschränk e n , die bis zur Wandflucht längs der Dachtraufe vorstoßen. Die Einbuchtungen der Fenster sind teilweise weitgespannt, manchmal umrahmen sie auch zwei zurückgesetzte Fenster, und sie machen das kleine Gebäude optisch größer. A n der S t r a ß e n f r o n t wird der Maßstab der unteren Fenster durch einen Kunstgriff vergrößert: die seitliche Rahmung wird ganz nach unten durchgezogen — hier ist es ein vorgeblendetes Holzprofil, das zwischen den gegensätzlichen Dimensionen des Innen und des Außen vermittelt. Die komplizierte Stellung der Fenster und der sonstigen Öffnungen dieser F r o n t wirken dem Eindruck eines einfachen Kubus ebenfalls entgegen. Dabei sind sie durchaus nicht zufällig hingesetzt, sondern bildeten ursprünglich eine regelmäßig gestufte Reihe, in die dann allerdings durch verschiedenste innere Zwänge gewisse Verschiebungen hineingekommen sind. Der Eingang auf der Hofseite führt auf einen Treppenabsatz; er ist ähnlich vielschichtig aufgebaut und stark akzentuiert. Dieser Eingang setzt sich zu gleichen 275
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Teilen aus rechteckig, diagonal und bogenförmig geschnittenen Elementen zusammen, ähnlich wie bestimmte Portale der Renaissance. Das Rechteck der begrenzenden Öffnung ergibt sich aus der Blockform und der Plankenverschalung des Gesamtbaues. Im Gegensatz dazu entwickelt sich der eingestellte Bogen nicht aus dem Material und der Konstruktion seines Holzrahmens, sondern als eine symbolische Überhöhung des Eingangs. Er wird weiterhin, und das ist fast noch entscheidender, als frei gesetzte Ausnahme vom sonstigen Gestaltungsprinzip zu einem Zentrum der Aufmerksamkeit. Die diagonalen Streben erfüllen eine statische Funktion und sind doch auch von Erlebniswert: sie stützen den mittleren Dachbalken, der hier über dem Eingang die außergewöhnlich lang gespannten Dachplanken unterfängt, und sie kontrastieren mit dem Pfosten, der senkrecht in die breite verglaste Öffnung eingestellt und dadurch dem rechteckigen Grundraster dieses Gebäudes eher eingepaßt ist. Die weite Öffnung des Bogens, dessen Dimensionen durchaus dem öffentlichen Charakter dieses Baues entsprechen, ist gegen die geschützt liegenden Türen von kleinerem, mannshohem Maßstab gesetzt. Hier k o m m t es also zu einem direkten Gegeneinander verschiedener Maßstäbe und Formen. Mit dem alternierenden Rückspringen der Fenster und der Wandschränke erscheint an der Vorderfront ein Hinweis auf die Problematik der Lagerprobleme, die für die Vielschichtigkeit der Raumnutzung des Inneren insgesamt steht. An anderer Stelle k o m m t diese in den schrägen Wänden der Eingangshalle zum Ausdruck — ein angemessenes Abweichen vom rechten Winkel, um dem komplexen Raumprogramm gerecht zu werden, das hier innen doch in einen sehr engen Rahmen hineingepreßt werden muß. Ähnlich vermittelt die diskontinuierliche Konstruktion der Zwischendecke und des Daches zu den tragenden Wänden der strengen Umfassung. Die vordere Zwischendecke ist eine nach beiden Richtungen vorgespannte Platte und kann deshalb über alle unregelmäßigen inneren Tragewände gespannt werden. Für die anderen Decken- und Dachsegmente sind Stahl- und Holzbalkenträger in verschiedenen Abständen parallel zu den Wänden geführt, die Fenster und Wandschränke enthalten. Hier, wie auch bei der Eingangsöffnung, sind die Räume mit Planken überdeckt: dadurch können die Fenster und die anderen Öffnungen bis unter den schmalen Strich der oberen Randleiste hochgezogen werden; der Kubus wirkt dadurch noch abstrakter. Den besonderen Dachbalken, h o c h k a m gestellt und schräg geführt, habe ich bereits erwähnt; er unterfängt die Dachplanken an der Stelle ihrer größten Spannweite. Um den dünnhäutigen Charakter der Außenhaut zu betonen und einer Plastizität des Kubus' zu widersprechen, ist der Putz so wenig wie irgend möglich gegliedert; eigentlich nur da, wo er längs der Kanten auf die Holzverkleidung der Fensterlaibungen stößt. Ich habe „den Kubus zerstört", nicht durch die Herstellung eines Raumkontinuums, sondern durch seine Verformung, die eine Reaktion auf hier wirksame Umstände und Notwendigkeiten ist. 171
11.5 Wettbewerbs-Beitrag für das Franklin-Delano-Roosevelt-Denkmal (278— 283) Architekten: Robert Venturi, John Rauch, George Patton und Nicholas pulos, 1960
Giano-
Es handelt sich hier um ein lang fluchtendes Erdrelief, das sich stark von den weiß-schimmernden Skulpturen der bereits bestehenden drei Washingtoner Denkmäler in der unmittelbaren Umgebung abhebt, ihnen dadurch aber auch zu gesteigerter Wirkung verhilft. Es ist keine vierte Skulptur mit dazugehörigem Parkplatz. Es ist mehreres auf einmal: eine offene, mit weißem Marmor ausgelegte Promenade längs des Potomac', wobei sie dessen Ufer für die Spaziergänger nutzt; eine innere Straße, an der auch die Parkplätze für die Besucher bereitgestellt sind und die schluchtartig von hohen Wänden begleitet wird, ein starker Kontrast zu den offenen Prachtstraßen ringsum; jenseits zum Park hin
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wird sie zu einem grünen Erdwall, Hintergrund für die Kirschbäume am Seebecken. Jenseits des senkrechten Schnitts liegt flußabwärts ein stark gegliederter Hang, der eine Vielzahl von Rampen, Treppen und Passagen in sich aufnimmt. Es ergibt sich ein Gelände von bewegter Oberfläche, das aus der Nähe einen besonderen Erlebnisreichtum bietet, und doch ermöglicht der extrem weite Verlauf dieses Hanges in subjektivem Erleben und auch faktisch, eine Größe der Maßverhältnisse, die sie auch aus der Entfernung monumental sichtbar werden läßt. Auf der Parkseite verbindet der bruchlos durchgehaltene Schwung des Hanges sehr verschiedene Arten des Untergrunds — Grasnarbe, anstehenden Erdgrund,
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wilden Wein und eine Beton-Kappe, die mit steiler werdendem Hanganstieg in immer kürzeren Abständen aufeinander folgen. Diese offene Landschaftsgestaltung ermöglicht eine Vielzahl verschiedener Raumbildungen: die enge Fahrschlucht, die tunnelartige Fußgänger-Passage und die offene, gerichtete UferPromenade, deren Verlauf durch Einzelheiten, wie Bäume und Bänke, eine Abwechslung erfährt; in der Mitte legt eine kleine Fahrbrücke einen Blickschlitz zwischen Wälle und Wände, so daß sich ein Durchblick in Richtung auf den Washington-Obelisken ergibt.
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1 1 . 6 Umbau eines Restaurants in West Philadelphia ( 2 8 4 — 2 8 8 )
Architekten:
Venturi und Short,
1962
Der Entwurf für dieses Restaurant war faktisch die Renovierung zweier benachbarter, heruntergekommener Reihenhäuser einer geschlossenen Blockrandbebauung, deren Erdgeschosse erst vor kurzer Zeit für kommerzielle Nutzung umgebaut worden waren. Das Restaurant sollte einfach sein und, nur auf die Bedürfnisse der näheren Umgebung abgestellt, einem vor allem studentischen Publikum preiswertes Essen bieten. Die Pächter machten zur Bedingung, daß es wieder die bescheidene Atmosphäre erhalten sollte, die schon das alte Geschäft einige Straßenecken weiter gehabt h a t t e : es war als „ M o m ' s " b e k a n n t gewesen, wo sich Studenten „in ihren T-Shirts wohlfühlen k o n n t e n " . Die Kosten sollten diesem bescheidenen Charakter entsprechen (sie taten es schließlich auch). Wir akzeptierten, innen wie außen, die grundlegende Zweiteilung des Bestehenden, wie sie mit der in die M i t t e gestellten tragenden Wand gegeben ist, und versuchten erst gar nicht, dies zu kaschieren. Eine weitere Festlegung unseres Entwurfs war mit einer zweiten, längslaufenden Tragwand gegeben, die den schma-
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len Gästeraum von Küchenbereich abteilt. Die eine Hälfte u m f a ß t den Speiseraum mit den Tischen und den Sitzbuchten, die andere Hälfte die Küche, weitere Nebenräume, die T o i l e t t e n , die T h e k e und den Eingang. J e n s e i t s des Eingangs und des Vestibüls sind einige innenliegende Stufen, die auf das hier höhere Niveau führen (die R ä u m e hier waren früher Wohnungen auf einem Halbgeschoß gewesen). Ganz im Osten befindet sich das Treppenhaus zu den künftigen oberen Wohnungen. Wir waren entschlossen, die g e b o t e n e Sparsamkeit als Chance zu sehen und sie nicht zu verheimlichen; in Einklang mit dem bescheidenen Zuschnitt des Lokals, wo die Ketchup-Flaschen jeden Tisch zieren, wollten wir nur die gebräuchhchsten Dinge verwenden, Massenware, dies aber in einer Weise, die dem Gewohnten in einem neuen K o n t e x t plötzlich eine ungeahnte Seite abgewinnen k o n n t e . Es war das zum Teil auch eine R e a k t i o n auf die gängige, überstilisierte Ausstattung, wie sie überall zu haben ist. Als D e c k e n l e u c h t e n benutzten wir große, weiße Porzellanschirme des T y p s R.LJVl. — das ist eine altmodische Industrieleuchte,solide, aber billig, und in der Umgebung, in die wir sie hängten, durchaus 286
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elegant. Als Stühle wählten wir Bugholzstühle von Thonet, ebenfalls unauffällig gestaltete Stücke, obwohl sie zur Zeit dabei sind, zu modischem Schnickschnack zu avancieren. Die Sitzbuchten wurden nicht in der extrem niedrigen, pseudo-luxuriös gepolsterten Manier gestaltet, auf denen man wie auf einem Teller präsentiert wird, sondern in einer eher konventionellen hohen Form, mit bequemer, aber fester Füllung und dabei insgesamt von einem angemessenen Sinn für die dort geforderte private Abschließung. Die Profile der Zuleitungen der Klimaanlage wurden aus Sparsamkeitsgründen ebenfalls frei geführt; auch sollten sie eine wie zufällige, funktionale Ästhetik in den Raum bringen, wie sie aus offen abgehängten Ventilatoren auch schon früher einmal entwickelt worden war. Die Decke wird bestimmt durch die schalldämmenden Platten, der Fußboden besteht aus getöntem Beton und unverwüstlichen Kunststeinfliesen. Für die Wände benutzten wir oberhalb der Vertäfelung der Sitzbuchten überraschend einfache Muster, die wir auf den Putz malten. Die Form der Schrifttypen, in denen der Name des Besitzers über die ganze Länge des Raumes buchstabiert wird, hat den Charakter alter Schriftschablonen. Sie spiegeln sich direkt in den gegenüberliegenden Fenstern, die dort die Wand zur Küche öffnen. Diese irritierenden Effekte unterstreichen die mehr ornamentale Funktion des Schriftzugs. Die übergroßen Buchstaben schaffen einen Maßstab und eine den Raum durchgreifende Einheit, wie sie einer allgemein zugänglichen Lokalität angemessen sind; sie bieten auch den notwendigen Kontrast zu dem unvermeid-
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lieh individuellen Maßstab der vielen Tische und Sitzbuchten. N e b e n den Buchstaben setzen sich Streifen zu altmodischen Bordüren zusammen, die das Zusamm e n t r e f f e n von Wand und D e c k e sowohl nachzeichnen als auch verschleiern. Die Farbordnung gibt der D e c k e eine helle T ö n u n g , dem F u ß b o d e n eine kräftigere. Die Wände nehmen diese Farbdualität auf: in der unteren H ä l f t e haben sie ebenfalls diesen kräftigeren mittleren T o n (das sind die 5 Fuß der Wandvertäfelung), und darüber wieder den hellen. Die Farben sind Mischfarben, freundlich, aber doch entschieden. Die Farben an dem Schriftzug außen haben mit denen des Innenraums nichts zu tun; dort sind es reine, leuchtende Farben. Da das Restaurant sich über die Erdgeschosse zweier Häuser erstreckt, ist seine neue Fassade auch gleichzeitig ein- und zweiteilig — wieder ein Spiel mit der Z w e i h e i t . Die alten aneinander gereihten Häuser, die auch weitgehend gleiche Gesimshöhen aufweisen, entsprechen sich in den Obergeschossen völlig; deshalb wird durch den uni-dunkelgrauen Anstrich fast unkenntlich gemacht, daß es sich hier um z w e i Häuser handelt. Hingegen wird die Dualität betont durch einen Pfeiler, der die großen W a n d ö f f n u n g e n teilt. Innerhalb des Rahmens der beiden
Ö f f n u n g e n werden
die Wandpartien
neuartig
und
überaus
kontrast-
reich behandelt — auf der Eingangsseite konkav, auf der Fensterseite konvex. A u c h diese unterschiedliche Behandlung betont die Dualität der Erdgeschoßfassade. Es ist dann aber der mit Porzellanschmelz überzogene Schriftzug über dem Erdgeschoß, der in kräftiger Zeichnung dem Spiel der Gleichzeitigkeit v o n Einheit und Zweiheit, w i e es aus den Bedingungen des gegebenen Gebäudes sich entwickelt, abschließend F o r m und Ausdruck gibt. In seiner Erstreckung quer über die ganze F r o n t betont der Schriftzug das M o m e n t der Einheit; durch seine farbliche Teilung — rechts blau, links gelb — weist er aber auch wieder auf die Z w e i h e i t des Gebäudes selbst hin. M i t der Kontinuität der ausgestanzten Buchstaben auf weißem Plastikfeld, wird die durchgehende Einheit aber wieder in ihr R e c h t gesetzt. Ähnlich zieht auch das Reklamezeichen der Tasse, die zur gleichen Zeit sowohl vereint als auch trennt, A u f m e r k s a m k e i t auf sich. M i t ihr zusammen entfaltet sich der Schriftzug aus den z w e i Dimensionen in die dritte und kann nun v o n den Fußgängern, die sich parallel zur Fassade nähern, ebenfalls wahrgenommen werden. Den unmittelbaren Übergang zwischen der blauen und der gelben Seite bilden die Blätter der Tasse; sie sind abwechselnd blau und gelb, w o b e i diese beim Vorbeilaufen überdies noch ihren Farbwert verändern. Nachts werden die Buchstaben durchscheinend und beleuchtet und auch die Tasse sollte mit N e o röhren umrissen werden, bevor das Zeichen durch die Besitzer verändert wurde. Der kräftige Maßstab der Buchstaben entspricht ihrer Werbefunktion. Die Teilung des Namens spielt mit dem M o m e n t der Fassadenteilung und zieht das A u g e , das sich gegen die Wahrnehmung v o n Werbezeichen wehrt, doch auf sich. Am
Ende war uns die Realität doch wieder um eine Nasenlänge davongeeilt:
die Pächter wechselten und machten eine Parodie auf unsere Parodie. 178
11.7 Projekt ,Meiss-House', Princeton, New York ( 2 8 9 - 2 9 5 ) Architekten:
Venturi und Short,
1962
Die für dies Haus in Princeton vorgesehene Lage war eine sehr große Eckparzelle, flach und nach Süden orientiert; rückwärtig fiel der Blick auf einen alten Pferdestall und ein Gelände des .Instiute for Advanced Studies'. Es umfaßte auch einige Streifen junger Bäume und eine Reihe alter Apfelbäume. Das Raumprogramm verlangt ein großes Arbeitszimmer für den Professor, leicht erreichbar sowohl von der Eingangstür als auch von dem kleinen Schlafraum; weiterhin eine Vielzahl sehr spezieller Räumlichkeiten zur Lagerung und Aufbewahrung, sowie einen innenliegenden Swimmingpool, abgesehen von den sonstigen Räumlichkeiten eines mittelgroßen Hauses. Die Auftraggeber legten Wert auf private Abgeschlossenheit und viel Sonne.
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Der erste Entwurf basiert auf einer zweiteiligen Anordnung. Von vorne gesehen, lehnt sich ein breitgestreckter giebelförmiger Gebäudeteil gegen die Rückseite des vorderen, pultgedeckten Teils. Im wesentlichen enthält der vordere Gebäudestreifen die Eingänge, Verkehrsflächen, die Lagerräumlichkeiten und sonstige ,praktische' Einrichtungen, Küche etc., sowie auch den Swimmingpool; er bildet damit eine Schutzzone für die persönlichen Räume im hinteren Teil. Im Obergeschoß finden sich vorne im Giebel noch zwei Gasträume, von denen der eine der Hausfrau auch als kleines Büro dienen sollte. Der in der Frontalsicht heftige Zusammenprall der beiden völlig verschiedenen Dachformen ermöglicht im Bereich des pultgedeckten rückwärtigen Teils die Anlage hochgelegener Fenster.
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Die äußere Umfassung wirkt der Zweiteilung entgegen, insbesondere an den Seiten, wodurch die beiden Gebäudeteile zusammengehalten und die Gesamtkomposition insoweit vereinheitlicht wird. Die rückwärtige Front, die auf eine lange Terrasse blickt, wird außerdem durch vielfältige Fensterformen durchbrochen — das verändert den Lichteinfall und ermöglicht auch veränderte Raumbildung im Inneren —, sie wird damit gegen die schwere Vorderfront abgesetzt. Auch dort bilden die unregelmäßigen Fensteröffnungen ein Gegengewicht gegen die sonst überbetonte Symmetrie der Giebelfassade. Die vorgezogene Mauer, eine dritte Raumschicht, und auch die Garage, die im Grundriß schräg abgestellt ist und so den Eindruck einer runden Auffahrt suggeriert, verstärken das Moment der Abschließung. Die Auftraggeber konnten sich für diesen ersten Entwurf nicht erwärmen. Sie dachten, eine langgestreckte Anordnung würde eine private Atmosphäre von vornherein nur auf der Rückseite zulassen. Deshalb entwickelte der zweite, im wesentlichen auf einer L-Form f u ß e n d e Entwurf eine ähnlich sonnige und
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Λ]
IB
besonders vielteilige Hofseite, die stark mit dem schweren, geschlossenen Charakter der vorderen Wände der L-Form kontrastiert. Allerdings ergibt sich hier ein weicherer Übergang zwischen den verschiedenen Dachpartien, sie stoßen nicht mehr so hart aneinander. Die oberen Schlafräume, die Fenster und der Balkon sind in diese Dächer eingeschnitten, so als ob sie dort oben den Zusammenhalt ihrer Dachfenster nicht aufgeben wollten. Das Pultdach über dem Eingangsbereich stößt dann doch hart gegen die anderen Dächer; das vorne den Zusammenstoß zwischen Pultdach und Giebel aufnehmende Oberfenster verweist von der Vorderfront auf die vielteiligere Anlage rückseitig. Schließlich sei noch auf die Umfassung des Hofes hingewiesen; sie unterstreicht, fast wie ein Wall, die schützende Funktion des Außenumrisses der L-Form. Die Auftraggeber konnten aber auch an diesem Plan kein Gefallen finden.
11.8 ,Guild House', Wohnhaus für alte Menschen, Philadelphia ( 2 9 6 - 3 0 4 ) Architekten-Gemeinschaft 1963
Venturi und Rauch,
Cope und Lippincott,
1960—
Das Raumprogramm sah 91 Appartements verschiedenen Typs sowie einen Gemeinschaftsraum vor; es war auf die Bedürfnisse älterer Leute zugeschnitten. 296
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die hier in ihrer alten Umgebung weiterhin wohnen wollten. Der örtliche Bebauungsplan begrenzte das Gebäude auf sechs Stockwerke. Das schmale Stadtgrundstück wird im Süden von der Spring Garden Street begrenzt. Dem Wesen der Sache nach mußten soviel Appartements wie irgend möglich nach Süden, Südwesten oder Südosten gerichtet sein, schon wegen des Lichts, aber auch wegen des interessierenden Geschehens auf der Straße. Der städtische Charakter des Straßenraumes verlangte ein Gebäude mit betonter Fassadenbildung; keinesfalls konnte ein freistehender Pavillon diesen städtebaulichen Erfordernissen gerecht werden. Dies führte zu einem eindeutig gerichteten Umriß, bei dem sich Vorder- und Rückseite klar unterscheiden. Die vorgestellte Frontfassade ist schon dadurch ausgezeichnet, daß sie sich oben, wo an den Seiten die Loggien des Gemeinschaftsraums sichtbar werden, von der Rückseite völlig befreit, um damit ihren Charakter als vorgeblendetes Kleid hervorzuheben. Ganz anders die nur unterschwellig differenzierten Seitenfronten, die in ihrer exakten Fensterordnung mehr auf Gegebenheiten interner Raumaufteilung als auf die Wirkung nach außen berechnet sind; wichtig sind dabei der südöstliche und südwestliche Lichteinfall und der Ausblick auf den Gartenbereich. Die inneren Räume werden durch ein ausgeklügeltes Labyrinth von Mauern umschlossen, die dem vielschichtigen und variantenreichen Programmprofil
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Ш 0 = Ш = в = ЕЗ ° H
= ш "В "Ξ В" В " В =0 =в °В В" В " В в - в = в в = в== в в " В ° В В= В " в в - в - а в = в== в F=1 Ш ' Ш*!'
ЕЗ ЕВ ЕЗ = 0 = 0 °
• = 183
eines Wohnhauses (verglichen mit dem eines Bürohauses beispielsweise) gerecht werden und es dem unregelmäßigen Umriß, durch die bewehrten Betondecken ermöglicht, anpassen sollte. Es ergibt sich ein Maximum an Wohnraum und nur ein Minimum an Verkehrsfläche. Der Korridor wird mehrfach gebrochen, er ist eher ein Restraum als ein tunnelartiger Gang. Der finanzielle Rahmen verbot alle ,fortschrittlichen' Experimente, er gebot vielmehr .konventionelles' Bauen. Dagegen sträubten wir uns auch nicht. Die dunkelbraunen Ziegelwände mit den geteilten Schiebefenstern erinnern an die alte Blockbebauung dieser Stadt oder auch an die mietskasernen-ähnlichen Rückseiten von Mehrfamilienhäusern in ,Edwardian Style'. Die Wirkung ist jedoch sehr ungewöhnlich, weil sie sorgfältig proportioniert und außerordentlich groß sind. Der Maßstabwechsel der Fenster verleiht der Fassade mittels dieser im Grund einfachen Bauteile Spannung und Qualität des Ausdrucks: man erlebt sie zur gleichen Zeit als gewöhnliche und als neue, ungewohnte Formen. Die große runde, frei aufgestellte Säule in der Mitte der Straßenfassade ist aus poliertem, schwarzem Granit. Sie vermittelt und betont die außergewöhnliche
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Eingangsöffnung zum Erdgeschoß und kontrastiert mit der weiß lasierten Ziegelzone, die sich auf dem schmalen Abschnitt der Straßenfront bis zur Mitte des ersten Stockwerks erstreckt. Wie in den anderen Stockwerken bestehen auch hier die beiden Balkongitter aus gelochten Stahlblechen: im Unterschied zu den oberen Geschossen sind sie hier aber in Weiß statt in Schwarz gehalten; trotz des Materialwechsels soll eine einheitliche Oberfläche in dieser Zone durchgehalten werden. Das große Mittelfenster des obersten Stockwerks wird zum Ausdruck der besonderen räumlichen Verhältnisse des Gemeinschaftsraumes innen und bezieht sich ebenso auf den Eingang unten; so vergrößert sich der Maßstab des ganzen Gebäudes zur Straße hin. Die bogenförmige Begrenzung dieses Fensters macht es auch möglich, daß eine sehr große Öffnung die Wand aufreißt und dabei dennoch nicht der Eindruck gerahmter Leere aufk o m m t : die Vorstellung eines Lochs in der Wand bleibt vorherrschend. Die
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Fernseh-Antenne steht in dieser Achse, oben hinter die in gleichbleibender Höhe verlaufende Oberkante des Gebäudes zurückgesetzt. Sie verstärkt noch die Achse der zentralen Fassadenzonen, in der diese Tendenz einer Maßstabsveränderung freigesetzt wird, und gibt einer Art von Monumentalität Ausdruck, wie sie sich ähnlich am Eingang in Anet mitteilt. Die Antenne mit ihrer in einem galvanischen Verfahren aufgetragenen Goldschicht kann zweifach intepretiert werden: abstrakt, als eine Plastik in der Manier von Lippold, und symbolisch, als Gleichnis für das Tun der alten Menschen, die soviel Zeit vor dem FernsehGerät verbringen. Die rein ornamentale Linie einer Lage weißer Steine an den Seiten zerschneidet jäh eine obere Fensterreihe, gliedert dadurch aber die sonst schmucklose Fassade. In Verbindung mit den weiß glasierten Ziegeln im unteren Bereich der Vorderfront markiert sie die Grenzen von drei Geschossen eines weit größeren Maßstabs, der sich neben dem kleineren Maß der sechs, durch Fensterreihen definierten, Stockwerke behauptet. 303
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11.9 Wohnhaus in Chestnut Hill, Pennsylvania ( 3 0 5 - 3 1 6 ) Architekten:
Venturi und Rauch,
1962
Dieser Bau wird der Forderung nach Vielfalt und Widerspruch gerecht: er ist sowohl komplex als auch einfach, offen und geschlossen, groß und klein; einige Bauteile sind in bestimmter Hinsicht gut, schlecht in einer anderen. Sein Aufbau folgt den entscheidenden Grundregeln eines Hauses überhaupt, und ebenso verarbeitet er akzidentielle, nur hier wirksame Bedingungen. Er versucht, der schwierigen Einheit aus einer mittleren Anzahl verschiedener Elemente nahezukommen, nicht aber die einfache Einheit weniger oder vieler einprägsamer Teile zu verwirklichen. Die Innenräume, wie sie in Grund- und Aufriß vorgestellt werden, sind in ihrer Gestalt und ihrer Beziehung komplex und verzerrt. Sie entsprechen den vielfältigen Notwendigkeiten eines Raumprogramms für Wohnbedürfnisse und ebenso auch einigen Schrulligkeiten, wie sie in einem einzelnen Haus angehen mögen.
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Anders die äußere Form, die mit ihren vorgezogenen Wänden und dem Satteldach alle die Komplexitäten und Verzerrungen umschließt; sie ist einfach und einheitlich und entspricht dem Rang dieses Gebäudes, gemessen am Maßstab von Öffentlichkeit. Die Vorderfront, mit ihrer konventionellen Verbindung von Tür, Fenster, Kamin und Giebelwand, entspricht dem schon fast symbolischen Bild eines Wohnhauses. Der Gegensatz zwischen Innen und Außen ist jedoch nicht total: im Inneren antwortet der gesamte Grundriß auf die Symmetrie und Gleichförmigkeit des Äußeren; außen wiederum signalisieren die Durchbrechungen des Aufrißbildes die akzidentiellen Abweichungen drinnen. Auf das Innere bezogen, ist die ursprüngliche Symmetrie des Grundrisses noch erkennbar: von einem zentral gelegten, steil proportionierten Kern streben fast symmetrisch zwei schräge Wände weg und teilen beidseitig an den Enden der Vorderfront zwei Räume gegen den zentralen und großen, rückwärtigen Hauptraum ab. Diese fast palladianische Symmetrie und Strenge wird jedoch in Anpassung an spezifische Not-
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wendigkeiten dieser beiden Räume verzerrt: die rechts liegende Küche beispielsweise unterscheidet sich vom links liegenden Schlafzimmer. Eine konfliktreichere wechselseitige Anpassung von Bauteilen findet sich beim zentralen Kern selbst. Zwei vertikale Elemente — der unten offene Kamin und die Treppe — machen sich die zentrale Position gegenseitig streitig. Und jedes der beiden Elemente — das eine Inbegriff von Festigkeit, das andere ganz wesentlich leer — geht in Form und Position Kompromisse ein — d.h. sie beziehen sich aufeinander, um aus der Zweiheit des zentralen Kerns, den sie doch bilden, eine Einheit werden zu lassen. Einerseits verändert der Kaminmantel seinen A u f b a u , wandert auch etwas nach der Seite hinüber wie auch der Schornstein selbst; andererseits verengt sich plötzlich die Treppe und bricht ihren Lauf, um dem Kamin auszuweichen. In dieser Hinsicht ist der Kern also durchaus das Herzstück des Entwurfs; aber gemessen an seiner Grundfläche, ist er nur ein kleiner Rest, der ganz durch die umgebenden Räume festgelegt wird. An der Seite gegen das Wohnzimmer ist 309
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er rechtwinklig und entspricht so der rechteckigen Ordnung dieses zentralen Raumes. Gegen die V o r d e r f r o n t g e w e n d e t , wird sein Umriß durch eine schräge Wand bestimmt, die mit den ebenfalls wichtigen und singulären N o t w e n d i g k e i t e n des Vestibüls vermittelt, seinem Übergang v o n dergroiSen äußeren Ö f f n u n g zu den innenliegenden Türen. A u c h das Vestibül drängt hier in die zentrale Position. Die Treppe,
betrachtet
man
sie nur als mißlichen
Restraum, scheint
zweifellos
schlecht zu sein; betrachtet unter dem Blickwinkel ihrer relativen Bedeutung in einer Hierarchie der Nutzungen und der R ä u m e , ist die gleiche T r e p p e j e d o c h ein Fragment, das in angemessener Weise auf ein vielfältiges und widersprüchliches Ganzes verweist: insofern ist sie gut. Aus einer nochmals anderen Sicht ist ihre F o r m abermals gerechtfertigt: am Fuß der T r e p p e ist ebensogut zu sitzen w i e hochzusteigen; man kann da auch Dinge abstellen, die man später mit nach o b e n nehmen will. A u c h diese T r e p p e will, w i e die T r e p p e n in den Häusern des ,shingle-style', sich unten verbreitern, um d e m größeren Maßstab des Erdgeschosses gewachsen zu sein. Die kleine, ,ins N i c h t s ' führende T r e p p e im Obergeschoß ist in ihre beengte L a g e im knappen R a u m um den Kern ähnlich eingepaßt: einerseits führt sie nirgendwohin und ist also absonderlich, andererseits kann man sie aber auch ansehen wie eine Leiter, die gegen die Wand lehnt und v o n der man das hochgelegene Fenster putzen oder auch die Wand anstreichen könnte. Der andere Maßstab der T r e p p e dieses Stockwerks kontrastiert darüber hinaus m i t der Maßstabsveränderung der T r e p p e nach unten. 312
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Die vielfältigen F o r m e n und Verformungen des architektonischen Programms des Inneren werden außen aufgenommen. Die wechselnden Positionen, G r ö ß e n und Umrisse der Fenster und der sonstigen Öffnungen in der Außenwand, ebenso auch der aus der M i t t e gerückte Schornstein widersprechen der sonst durchgängigen Symmetrie des Äußeren: die verschiedenen Fenster seitlich der beherrschenden Eingangsöffnung, bzw. des turmartigen Aufbaus um den Schornstein vorne und das halbkreisförmige Oberfenster hinten halten einander zwar die Balance, sind aber asymmetrisch. Die Vorsprünge oben, jenseits der Umfassungsmauern, beziehen sich ebenfalls auf die vielfältige Gestaltung des Innenraumes. Die vordere und die hintere Wand enden mit hochgezogenen Brüstungen: das läßt an eine Stellwand denken, hinter der sich die Verwicklungen des Inneren ereignen. Die Einschnitte der Fensterdurchbruche und der Eingänge, wie sie an drei Ecken des Hauses durch die einspringenden Seitenmauern entstehen, verstärken diesen stellwandartigen Charakter der Vorder- und R ü c k f r o n t in der gleichen Weise wie oben die Brüstungen. Wenn ich dieses Haus offen und geschlossen, einfach und vielschichtig genannt haben, habe ich mich auf diese gegensätzlichen Charakteristika der äußeren Umfassungswände bezogen. Zwar b e t o n e n ihre Brüstungen, zusammen mit dem Wandabschluß der oberen Terrasse auf der Rückseite, das M o m e n t horizontaler Umschließung; zugleich aber lassen die Terrasse dahinter und darüber das mit dem Schornstein sich verbindende Obergeschoß einen Eindruck von Offenheit 314
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zu. Auch läßt der glatte Schnitt dieser Wände im Grundriß den umschheßenden Charakter deutlich werden; dem wirken aber die großen, o f t bis prekär nahe an die Ecken herausgerückten Öffnungen entgegen. Diese Art des Aufbaus einer Wand — in ihrer Führung das Moment der Umschließung, in ihrer Durchbrechung das der Öffnung zu betonen — findet sich besonders deutlich in der Mitte des vorderen Teils, wo sich die Außenwand vor die beiden anderen Wände stellt, die die Treppe fangen. Jede dieser drei Schichten enthält nebeneinander Öffnungen verschiedener Größe und Position. Sie verbinden eher Raumschichten, als daß sie den Raum zerschneiden. Das Haus ist groß und klein; ich will damit sagen, daß es ein kleines Haus von großem Zuschnitt ist. Innen sind die Einzelteile groß: der offene Kamin ist ,zu groß', sein Mantel ,zu hoch' für die Größe des Raumes; die Türen sind breit, die Stuhllehnen hoch. In anderer Weise wird der große Maßstab des Hauses durch die äußerste Reduktion aller Raumteilung verwirklicht — auch aus ökonomischen Gründen sind die Verkehrsflächen auf ein Minimum beschränkt. Außen wird der große Maßstab durch die Hauptelemente erreicht, großdimensioniert und gering in der Zahl, zentral oder symmetrisch angeordnet. Ebenso tragen die Einfachheit und Einheitlichkeit der Form und des Umrisses des Ganzen zum großen Maßstab bei. Auf der Rückseite ist das Segment-Fenster groß und beherrschend durch seine Form und seine Position, die vordere Eingangs-Loggia ist breit, hoch und mittig positioniert. Ihre Größe wird durch den Kontrast zu den anderen Türen, die von ähnlicher Gestalt, aber kleiner sind, noch gesteigert; ähnlich auch durch ihre, verglichen mit ihrer Größe, geringe Tiefe; weiterhin durch die vorteilhaft seitliche Position des dahinterliegenden Eingangs. Das vorgesetzte Balkenprofil über der Loggia vergrößert ihren Zuschnitt ebenfalls. Die Sockelleiste hebt das ganze Gebäude ringsum, weil sie höher liegt, als man zunächst glauben möchte. Diese Profile tangieren die Maßstäblichkeit aber noch in einer anderen Weise: sie lassen die glatt verputzten Wände noch abstrakter wirken und den Maßstab, der normalerweise schon durch die Art des Baumaterials signalisiert wird, damit zweifelhaft und merkwürdig unentschieden werden. Der Hauptgrund für die Bemühung um großen Zuschnitt liegt in der Notwendigkeit eines Gegengewichts zur Komplexität des Baues. Komplexität in Verbindung mit kleinen Dimensionen in kleinen Häusern bedeutet nur emsige Geschäftigkeit. Wie auch andere der hier aufgebauten vielschichtigen Verhältnisse, versucht der große Zuschnitt des kleinen Hauses ein Moment der Spannung — nicht aber Hektik — aufzubauen, einer Spannung, wie sie der Art von Architektur hier gerecht wird. Der Bauplatz des Hauses ist auf einem flachen, offenen Grundstück abseits der Straße; an den Grenzen Bäume und ein Zaun. Das Haus liegt ungefähr in der Mitte, exponiert wie ein Pavillon, ringsum ganz ohne Bepflanzung. Die anfangs senkrecht auf das Haus zustoßende Achse des Fahrwegs wird dann durch den zufällig hier längs des Weges verlaufenden Hauptabwasserkanal abgelenkt. Der abstrakte Aufbau dieses Hauses verwendet in fast gleicher Anzahl recht192
eckige, diagonale und gebogene Elemente. Die Rechtecke finden sich bei der vorherrschenden Ordnung der Räume in Grund- und Aufriß. Die Diagonalen beziehen sich auf den gerichteten Raum am Eingang, auf die besonderen Verhältnisse beim Zusammentreffen gerichteter und ungerichteter Räume innerhalb der strengen Umfassung im Erdgeschoß und auf die abdeckende und wasserableitende funktionelle Form des Daches. Die Kurvungen ergeben sich mit den Notwendigkeiten einer räumlichen Orientierung im Eingangsbereich und an der äußeren Treppe; sie ergeben sich aus dem Bedürfnis nach expressiver Raumführung an der Decke über dem Speiseraum, deren Biegung der schiefen Ebene des Daches darüber widerspricht; schließlich entsteht eine Kurvung aus dem Symbolgehalt des Eingangs und seiner schieren Größe, der nach einer geschwungenen Profilleiste auf der Vorderfront verlangt. Der singulare Punkt im Grundriß bezieht sich auf eine notwendige Einzelstütze, die mit der sonstigen Verwendung tragender Wände kontrastiert. Diese vielschichtigen Verbindungen sollen nicht die leichte, auf Ausgrenzung begründete Harmonie einiger weniger bestimmender Teile erreichen — gemäß dem Wort, daß .weniger ... mehr' sei. Stattdessen soll die schwierige Einheit aus einer mittleren Zahl verschiedener Teile erreicht werden, begründet auf Einbeziehung und Anerkennung verschiedenartiger Erfahrungsweisen. ^^^
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11.10 Wettbewerb für einen Brunnen. Ausgeschrieben durch die ,Fairmount Park Art Association', Philadelphia ( 3 1 7 - 3 2 2 ) Architekten:
Venturi, Rauch, Denise Scott Brown,
1964
Der Springbrunnen sollte auf einem freien Straßenblock errichtet werden, der unmittelbar vor dem Rathaus den .Benjamin Franklin Parkway' abschließt. Der Block ist Teil des rechteckigen Rasters des Stadtzentrums und rings umgeben von Straßen, in denen sich der Stadtverkehr drängt. Jenseits des Platzes, ausgenommen die Achse des Parkways, türmt sich ein Gewirr von Bürohochhäusern. Im Inneren des fast quadratischen Blocks befindet sich schon ein runder Pavillon, ein ,Information Center'. Das Relief des Blocks und seine Pflasterung einschließlich der 90 Fuß Durchmesser des Beckens für den Springbrunnen
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selbst waren Bestandteil der Festlegungen des Wettbewerbs. Der .Benjamin Franklin Parkway' ist ein Boulevard, über eine Meile lang, und durchschneidet schrägwinklig das normale rechteckige Raster der City. Er verbindet das Rathaus mit dem Kunst-Museum und noch weiter mit dem ,Fairmount Park'. Umgekehrt kann dieser Boulevard auch als eine Fortsetzung des Parks bis ins Zentrum der Stadt angesehen werden. Seine grünen Bäume stellen diesen Zusammenhang her; tatsächlich fällt er auch unter die Verwaltungskompetenz der ,Fairmount Park Commission'. Der Parkway ist eine wichtige Verkehrsschlagader zum Zentrum der City und strebt geradewegs auf den beherrschenden Bau des Rathauses zu — dieses ist auch das Gegenüber, vor dem der Springbrunnen gesehen werden muß. Das Rathaus ist von heller Farbe, groß, auch im Maßstab und von reicher, überladener Ghederung und Umriß. Diese Charakteri320
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stika von Raum, Form, Maßstab und Verkehr, die die unmittelbare Umgebung des Brunnens auszeichnen, legen weitgehend auch seine Form fest. Diese Form ist groß und kräftig akzentuiert, so daß sie vor dem Hintergrund der riesigen Gebäude und des unbestimmten Raumes zwischen ihnen, aber auch aus weiter Entfernung aus dem Parkway wiedererkannt werden kann. Plastische Gestalt, gekurvter Umriß und glatte Oberfläche bilden einen starken Gegensatz zu dem kleinteiligen Puzzle der umstehenden Bauten, obwohl diese Form auch einige Analogien zu Teilen des Mansardendaches des Rathauses aufweist. Jedenfalls sollte es kein kompliziert verschachtelter Barockbrunnen sein, der nur aus der unmittelbaren Nähe — aus dem Auto nur während einer Verkehrsstauung — entziffert werden könnte. Die Bewegung des Wassers selbst bestimmt aber ebenso wie der Zusammenhang mit der Umgebung die Einzelheiten dieser plastischen Form. Die Dimensionen der Wasserbewegungen verlangen entsprechende Dimensionen der Plastik. Der Mittelstrahl springt in eine Höhe von 60 Fuß und entspricht damit dem Maßstab des Parkway, auf dessen Achse er auch liegt. Der gleichbleibende Strahl wird von den hier häufigen Winden durch das konkave Innere der plastischen Form abgeschirmt. Nur in Richtung Parkway bleibt er sichtbar; durch den dunklen Hintergrund der Ummantelung wird er dabei noch besonders herausgestellt. Von den meisten Punkten des Platzes aus ist nur das unruhige Zurückfluten des großen Strahls in seine von Sprühschleiern und Moos bedeckte künstliche Grotte zu bemerken. Der große Aluminiumschild erfüllt dabei die gleiche Funktion wie die kleinen Glasschirme, die bei bestimmten Ausführungen alter Kandelaber die Flamme vor Zug schützen. Die innere Oberfläche der Plastik ist konkav und genügt so dem großen Wasserspiel, die äußere Oberfläche ist konvex und paßt sich dem kleinen Wasserspiel an. Dieses besteht aus einem nie abreißenden Wasservorhang, der sich aus einem Stauring nahe der Spitze speist und ununterbrochen vom unteren Rand in das Becken tropft. Eine Inschrift .Hier beginnt der Fairmount Park' ist hinter dem Tropfenvorhang zu erkennen. Dieser Wasserfall, samt den überlangen Buchstaben auf dem Kegelmantel der dahinterliegenden Basis, entspricht in seiner Maßstäblichkeit den Verhältnissen individueller Spaziergänger auf dem Platz unmittelbar davor und ist so gestaltet, um ihr Interesse zu wecken. Monumenten eine Inschrift beizugeben, hat Tradition. Die Inschrift hier bezeichnet das dramatische Übergreifen des größten Stadtparks der Welt auf das Herz der City. Steht man davor und liest die Inschrift, so scheint sie zu sagen, ,Park hier', sicherlich nicht unangebracht bei einem Monument über einem unterirdischen ,Park'platz. Der Mittelstrahl wird durch Punktstrahler erleuchtet; die Quarzlampen sind in Aussparungen der Basis zurückgesetzt. Im Winter, wenn der Wasserstrahl abgedreht bleibt, wird das labyrinthische Gewinkle des Kerns zwischen den beiden Schalen durch Lampen mit bernsteinfarbenen Filtern in gleißendes Gelb getaucht. Der innere Raum bleibt dann dunkel. Auch die Kerbe an der Basis wird 196
durch bernsteinfarbige L a m p e n angestrahlt. Das u m l a u f e n d e Lichtband kontrastiert mit dem d r o h e n d e n schwarzen Körper darüber; für die Sicht aus kurzer E n t f e r n u n g beleuchtet es auch die Inschrift. Als Material ist Aluminium vorgesehen, u m die statische Belastung der Deckenträger der darunterliegenden Garage klein zu halten. Die Alu-Bleche werden sandgestrahlt, u m im E n d e f f e k t eine dunkle, m a t t e Oberfläche von warmen Grau zu erhalten. Die Bleche werden geschweißt, die Schweißnähte behalten aber nicht den warmen G r u n d t o n . Die K o n s t r u k t i o n ist zweischalig;innen mit übereinander gestapelten u n d geknickten Platten (die ihrerseits zu ,Z'-Formen zusammengesetzt sind), die einerseits als Distanzstücke zwischen den gegensätzlichen Umrissen der Innen- u n d der A u ß e n h a u t fungieren wie andererseits auch als verbindende Verstrebungen, ähnlich den inwendigen Rillen bzw. Lamellen einer aufgeschnittenen Wellpappe. Die Geometrie der inwendigen Platten ist eckig, sie berührt sich mit den sphärischen Kurven der beiden äußeren H ä u t e an den Schweißpunkten. Wo die Umschließung der Plastik aufgeschnitten wird, vorne und hinten, tritt auch dieser luftige Negativ-Raum zutage. Eine Reihe von Einstiegschächten für die Instandhaltung ist in die u n t e r e n Platten eingeschnitt e n ; sie vermitteln einen menschlichen Maßstab, der heftig gegen die Monumentalität des Ganzen absticht. Dieser Brunnen ist von großem u n d kleinem Maßstab, von plastischem und architektonischem A u f b a u , analog u n d kontrastierend in seinen Bezügen zur Umgebung, orientiert u n d nicht orientiert, gekurvt u n d eckig in seinen F o r m e n ; er w u r d e von innen nach außen u n d von außen nach innen e n t w o r f e n .
11.11 Drei Gebäude für eine Stadt in Ohio* ( 3 2 3 - 3 4 7 ) Architekten:
Venturi und Rauch,
1965
Die drei Gebäude für eine Stadt in Ohio sind ein Rathaus, ein Y.M.C.A.-Haus, u n d eine öffentliche Bibliothek, bzw. ein großer Erweiterungsbau für eine Bibliothek. Sie sind städtebaulich aufeinander bezogen u n d auch in das Stadtz e n t r u m integriert, in dem sie liegen. Ihr Bau soll auch Teil der Anlaufphase einer umfassenderen Planung für die Erneuerung des S t a d t z e n t r u m s sein. Die V e r a n t w o r t u n g für diese Planung liegt in den H ä n d e n einer Beratungsfirma, in deren A u f t r a g auch wir tätig wurden. Z u m Rathaus: das R a t h a u s (F) hat die G r u n d p r o p o r t i o n e n eines römischen Tempels, auch weil es frei steht, ist aber in Gegensatz zu einem griechischen Tempel gerichtet; seine Frontseite ist bedeutsamer als die Rückseite. Dem Sockel des Tempels, seinen mächtigen Säulen und dem Giebel seines Portikus entspricht hier bei diesem R a t h a u s eine teilweise frei aufragende Wand, die sich mit ihrer riesigen Bogenöffnung vor die dreistöckige Wand dahinter stellt. Ich *
North Canton (Anm. d. Hrsg.)
197
mag Louis Sullivans große Bogenstellungen, die einigen seiner späten Bankgebäude Gesicht, Einheit und großen Zuschnitt verleihen; dabei sind das o f t nur kleine,
aber wichtige Bauten an der Hauptstraße von Städten des mittleren
Westens. Der Größen- und Maßstabswechsel an der V o r d e r f r o n t des Rathauses erfolgt aus ähnlichen Gründen w i e bei den kulissenhaften Fassaden der Städte des Westens: als A n t w o r t auf die räumlichen Erfordernisse einer Urbanen Straße. Das Gebäude hat z w e i Lagen. N e b e n seiner Stellung als wichtiges, wenn auch ziemlich kleines Gebäude an der Hauptstraße behauptet es auch eine Position am Ende des quer zur Hauptstraße gelagerten zentralen Platzes und markiert dort das Ende seiner Längsachse. Für den Betrachter auf der Hauptstraße sitzt der Bau unmittelbar auf dem Grund auf, sein Erdgeschoß bleibt immer als integraler Bestandteil sichtbar. In der Sicht aus der Richtung des tieferliegenden Platzes wird das Erdgeschoß j e d o c h perspektivisch durch die unmittelbar davor auf
erhöhtem
Niveau
verlaufende breite Hauptstraße
verdeckt; die
Treppe
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in der nach oben führenden Böschung wird dadurch zu einem neuen Sockel für den Bau. Der Bogen der Fassade erscheint dann direkt einer völlig anderen, sehr viel größer wirkenden Basis zu entsteigen. Das gleiche Bauwerk kann in verschiedenen Bezügen sehr verschieden wahrgenommen werden. Der Gegensatz zwischen front- und rückseitigen Dimensionen und Eigenschaften dieses Baues wird aus dem speziellen Nutzungsprogramm des Inneren und gleichzeitig außen von der städtebaulichen Lage bestimmt. Die ausgeprägten Gegensätze in den Anforderungen an das Raumprogramm eines Rathauses, mit den repräsentativen Räumen für den Bürgermeister und den Stadtrat einerseits, den ganz normalen Büros für die verschiedenen Verwaltungen andererseits, werden o f t dadurch zum Ausdruck gebracht, daß ein Pavillon für erstere mit einer Büroscheibe für letztere Funktionen gekoppelt wird — eine Anordnung, die auf den ,Pavillon der Schweiz' oder vielleicht auch auf das ,Nachtasyl der Heilsarmee' zurückgeht. (Vielleicht wäre auch ein anderer Ansatz möglich, 327
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nämlich das S c h e m a eines Rathauses gemäß L e Corbusiers Kloster ,La T o u r e t t e ' zu organisieren; diese Anlage scheint unvollständig zu sein, sie ist aber dennoch völlig in sich abgeschlossen.) Hingegen werden mit diesem E n t w u r f des kleinen Rathauses die beiden verschiedenen R a u m t y p e n aus Platzgründen und auch aus ökonomischen Erwägungen in einer einzigen, relativ undifferenzierten Umfassung untergebracht. (Der Bürgermeister meinte, er wolle „einen Bau, der in seine Umgebung paßt, rechteckig und anständig g e m a u e r t " . ) Die großen, eher repräsentativen R ä u m e im vorderen Teil sind unwiderruflich festgelegt — bei allem etwaigen Wachstum der Stadt wird doch nur der eine oder andere Kandidat den Stadtrat vergrößern, und es wird auch nie mehr als einen Bürgermeister geben. Dagegen sind die kleinmaßstäblichen und flexiblen, doch ziemlich platzfressenden Büroräume mit Rücksicht auf eine eventuelle spätere Erweiterung hinten angeordnet; es kann da gleich angebaut werden. E s ist ein nichtabgeschlossener Bau, denn Bürokratien pflegen sich auszudehnen. Zwischen Vorder- und Rückzone liegen ein Bereich mit allgemeinen F u n k t i o n e n , die Verbindungen zwischen den S t o c k w e r k e n und Nebenräume. Das Erdgeschoß enthält hinten die Einrichtungen der Polizei und vorne den Haupteingang. Wir gingen von der Einschätzung aus, daß der direkte Publikumsverkehr im R a t h a u s mehr und mehr zurück-
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gehen wird: die Kassenstellen und die Beratungsräume sind deshalb nicht mehr im Erdgeschoß untergebracht. Die kleinen, immer gleichen Fenster rückwärts und die Übergröße der abgestützen Fassade vorne vermitteln auch in der Seitenansicht einen klaren Eindruck dieser Funktionsteilung im Inneren. Die konstruktiven Tragwände sind betoniert und parallel zueinandergestellt, bez. zu rechtwinkligen Zonen gefügt, die von Betonträgern überspannt werden. Im hinteren Teil ist in der Mittelachse eine Stütze hochgezogen, um innerhalb der Konstruktion freie Hand beim Setzen der Zwischenwände zu haben. Der breite Korridor, bez. Säulengang, für den man sich bei derartigen Konstruktionen vorab entscheiden muß, entspricht jedoch einem Verwaltungstrakt mit großem Publikumsverkehr. Da die tragenden Wände betoniert sind, werden große Spannweiten möglich. Das Äußere ist mit dunklen Ziegeln verkleidet, die zwar denen eines großen Werkes im Stadtzentrum ähneln, dieses Erscheinungsbild dort aber keineswegs wiederholen wollen. Die vordere Fassadenplatte ist mit schmalen Marmorriemchen verblendet, um den Kontrast zwischen vorderem und hinterem Gebäudeabschnitt nochmals zu betonen. An der Vorderfront selbst wird aus einer Überlagerung zweier Schichten — der großen bogenförmigen Öffnung gegen die kleineren Fenster der dahinterliegenden Wand — in der
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Höhe des Ratsaales im zweiten Stockwerk ein unmittelbares Nebeneinander von Formen in der gleichen Schicht. Das Fenster hier entspricht dem großen Maßstab der Fassadenplatte: es besteht aus einer einzigen Glasscheibe von 28 mal 30 Fuß. Die riesige Flagge hängt senkrecht und glatt über der Straße herab und kann somit aus beiden Richtungen wie ein Reklamezeichen wahrgenommen werden. Das Gebäude des Y.¡Vl.C.A.(B): dieser Bau hält sich weitgehend an die bewährten, ziemlich eingehenden und vielfältigen Empfehlungen für das Raumprogramm eines Y.M.C.A.-Hauses dieser Größenordnung, Unsere Abweichungen davon beziehen sich dabei wohl im wesentlichen auf die Sporträume hinten, 337
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die Kommunikationsräume vorne, die Anhebung der umfangreichen Umkleideräume über das Niveau des Untergeschosses sowie einige Besonderheiten, die daraus resultieren, daß das Gelände in der Längsrichtung des Baues etwas ansteigt; ebenso machte die Notwendigkeit rückwärtiger Eingänge aus der Richtung des Parkplatzes, bzw. des geplanten Einkaufszentrums, und zusätzlicher Eingänge an der Vorderfront zum großen Platz gewisse Modifikationen erforderlich. Die entscheidende Prägung des Äußeren des Gebäudes erfolgt durch seine Lage an der Seite des großen Platzes und gegenüber der beherrschenden Fabrik.
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Der Bau mußte einen großen Zuschnitt bekommen, um nicht von der gegenüberhegenden Fabrik erdrückt zu werden. Dies wurde gewährleistet durch Größe, Zahl u n d Beziehungen der Elemente dieser Frontfassade. Um den Maßstab zu vergrößern, wurden nur wenige, aber große Öffnungen eingesetzt. Die Beziehung zwischen diesen Öffnungen, den beherrschenden Fassadenelementen, folgen einem fast gleichmäßigen Rhythmus, ohne Kumulation in der Mitte und ohne Betonung der Enden; auch diese Besonderheit verleiht dem Bau eine größere Einheitlichkeit und Maßstäblichkeit. In der durchlaufenden Anordnung werden weder Beginn, Mitte oder Enden ausgezeichnet, die sich auch nicht als gesonderte Partien ausmachen lassen — es bleibt bei der Einheit eines konstanten, ja langweiligen Rhythmus. Der Bau kann sich so gegenüber der Fabrik auf der anderen Platzseite behaupten, obwohl diese bei kleineren Einzelteilen doch von weit größerer Masse ist. Dem kleineren Rathaus an der Schmalseite des Platzes ordnet er sich dagegen bereitwillig unter. Die Frontfassade ist, wie die des Rathauses auch, ,falsch' — eine freistehende Wand, die dem Inneren widerspricht. Der nahezu gleichbleibende Rhythmus der wie aus einem Raster ausgestanzten Öffnungen spielt gegen den kürzeren und unregelmäßigen R h y t h m u s des
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eigentlichen, zweistöckigen Gebäudes dahinter: ein spannungsreiches Nebeneinander zwischen dem ,Stumpfsinn' der falschen Fassade und dem ,Chaos' der dahinterliegenden Wand, wo die speziellen Anforderungen des Inneren in ihrer ganzen Vielschichtigkeit Ausdruck finden. Die Frontfassade deckt eine Pufferzone zwischen G e b ä u d e und Platz; links kann man im Winter Schlittschuhlaufen, rechts befindet sich ein außenliegendes Mauergeviert mit einer Feuerstelle. Die Fassadenplatte b e k o m m t dort den Charakter einer Stützmauer und wird Teil einer großen R a m p e , deren Achse auf die bereits bestehende Kirche an der H a u p t s t r a ß e zeigt. Die konstruktiv tragenden Wände sind betoniert, w o d u r c h in ganz kurzen Abständen große Ö f f n u n g e n möglich werden — es entsteht so gleichsam eine Skelett-Konstruktion. Die dunkle Ziegelverkleidung orientiert sich an derjenigen der Fabrik und verstärkt die Einheit von Platzraum und Stadtzentrum. Erweiterung der Bibliothek (9): das R a u m p r o g r a m m entspricht weitgehend dem üblichen. Unser Vorgehen bestand darin, dem alten gelbbraunen Ziegelbau die neuen R ä u m e nach rückwärts und nach Norden nicht einfach anzufügen, sondern ihn damit zu umlagern; zusätzlich sollte eine neue , freistehende Wand an der Frontseite den Raum an den Flanken des Baus zu einem Hof schließen. Das alte G e b ä u d e wurde zwar erneuert, aus ökonomischen Rücksichten aber so wenig wie möglich verändert. Die U m m a u e r u n g verstärkt mit ihrem großen Maßstab und dem Bild der dunklen Ziegel die Einheit der Hauptstraße. Durch die großen vergitterten Ö f f n u n g e n der vorderen A u ß e n m a u e r bleibt der alte, im F a r b t o n hellere und im Maßstab kleinere Bau sichtbar, seine A r c h i t e k t u r bleibt respektiert. Aus der unmittelbaren Nähe wirkt das Neue wie neben das Alte gestellt.
11.12 Wettbewerb für ,Copley Square' ( 3 4 8 - 3 5 0 ) Architekten:
Venturi
und Rauch, Gerod Clark und Arthur Jones,
1966
,Copley Square' in Boston ist ein großer freier Platz. Für einen Platz seiner G r ö ß e ist er, amerikanische Verhältnisse zugrundegelegt, ziemlich weitgehend umschlossen — im Süden durch ein Hotel, im Westen durch die Bibliothek, an der Nordwestecke durch die neue ,01d South C h u r c h ' u n d im Norden durch eine F r o n t von Geschäftshäusern. Die o f f e n e Ecke gegen Südwesten, wo die schräg geführte ,Huntington Avenue' auf den Platz stößt, u n d die Baulücke an der Südost-Ecke, zwischen ,Trinity C h u r c h ' und ,Copley Plaza', wirken diesem Eindruck der Umschließung aber etwas entgegen. Nach Osten zu findet der Platz in der ,Trinity C h u r c h ' eine unentschiedene Begrenzung — die Kirche scheint eher auf dem Platz als seitlich davon zu stehen. Die verschiedenen Höhen, R h y t h m e n und Maßstäbe all dieser Bauten, ebenso die Straßen, die sie von dem eigentlichen Platzinneren trennen, schwächen die räumliche Einheit des Platzes in seiner heutigen Form ebenfalls. 206
Die Ausschreibungsbestimmungen begrenzten das Wettbewerbsgebiet auf den Block, definiert durch die Grenzen der inneren Gehwege längs der drei Straßen u n d des schräg d u r c h s c h n e i d e n d e n Gehweges entlang der Nordwestseite von .Trinity C h u r c h ' . Natürlich k o n n t e n wir auch keinerlei V e r ä n d e r u n g e n bei irgendeinem der G e b ä u d e u m den Platz vorsehen, bzw. solche für unseren Entwurf voraussetzen. Deshalb gestalteten wir eine Nicht-Piazza — wir füllten den freien R a u m , u m ihn als R a u m ü b e r h a u p t erst zu definieren. Wir füllten ihn m i t einem nicht-dichten Stoff — einem regelmäßigen u n d d o c h keineswegs simplen Raster von B ä u m e n . Diese B ä u m e stehen zu weit auseinander, u m die übliche B a u m g r u p p e bilden zu k ö n n e n , aber zu dicht, u m als einzelne E x e m p l a r e a u f g e f a ß t zu w e r d e n . G e h t m a n d u r c h sie h i n d u r c h , stehen sie locker genug, u m das Licht verschieden zu filtern u n d die Kirche in q u ä l e n d e r Weise halb zu verschleiern u n d halb sichtbar zu lasseh ( m a n m u ß sich anstrengen, u m die große Fassade überblicken zu k ö n n e n ) ; aber von a u ß e n , von der S t r a ß e her, schließen sie sich zu einer dichten F o r m z u s a m m e n , die den R a u m definiert und dem Platz sein Gepräge gibt. Die F o r m ihrer G e s a m t h e i t ist keine plastische F o r m (anders als bei unserem B r u n n e n - P r o j e k t in Philadelphia, w o aber auch der Z u s a m m e n h a n g ein ganz a n d e r e r war), die in einem R a u m r u h t ; sie m ü ß t e d a n n unweigerlich mit der ,Trinity C h u r c h ' in K o n k u r r e n z treten. Sie bildet sich aus einer gleichförmigen, dreidimensionalen u n d sich wiederh o l e n d e n S t r u k t u r o h n e H ö h e p u n k t ; von den umliegenden S t r u k t u r e n wird sie
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durch die Grenze der Straße getrennt und erscheint wie vor die .Trinity Chruch' gelegt, die in gewisser Weise zum Bezugspunkt der ganzen Anlage wird. Durch den Gegensatz zu dem ,langweiligen', gleichmäßigen Raster innerhalb des Platzes, werden die chaotischen Gebäude auf der Nordseite des Platzes plötzlich ,interessant' und zu belebenden Bestandteilen der ganzen Anlage. Unter dem Mosaik der Bäume und hohen Straßenlaternen liegt eine tiefere Ebene mit einem weiteren Raster, das sich aus abgetreppten Barrieren von vier Fuß Höhe zusammensetzt; dazwischen verlaufen Wege. Dieses Raster zeichnet en miniature das JVluster des den ,Copley Square' umgebenden Teils von Boston nach. Es zeigt eine Hierarchie von Straßen, der großen, kleinen und mittleren, so wie sie in der wirklichen City auch zu finden sind. Wie das Straßenraster der City enthält auch das kleine Gegenstück diagonal verlaufende ,Avenuen', die das Vorwärtskommen erleichtern und ungewöhnliche Restblöcke entstehen lassen. Innerhalb des Karrees des unteren Rasters ist wieder ein anderes Muster aus Bänken, Abfalleimern und Wasserrinnen aufgebaut, das sich analog zu dem der Bäume und Laternen verhält. Diese Platzausstattung besteht wie auch die Laternen aus ganz konventionellen Elementen, die in ihrer neuen Umgebung einen neuen Wert erhalten; es sind ,billige' Teile, die nicht eigens gestaltet wurden, sie wurden nur sorgfältig ausgesucht. (Man vergleiche diese Aluminiumlampen mit den geschmäcklerisch exotischen Exemplaren aus bronzeartig eloxiertem Aluminium, wie sie auf der zentralen Grünfläche von New Haven zu finden sind.) Das Material ist dabei ebenso einfach wie die Form, nur die edle Ziegelpflasterungunter den Bänken macht da eine Ausnahme: sie läßt die Banalität der asphaltierten
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Wege, des rauben Betons der abgetreppten Karree-Barrieren, der Wasserrinnen und -röhre nur noch deutlicher werden. Eine Grasnarbe ist nur im Inneren der Karrees angelegt, wo sie am wenigsten beansprucht wird. Werden die Karrees von Wegen durchschnitten, finden sich große Inschriften, Kinderreime etc., in die Schnittflächen der Barrieren eingegossen, um auch die Kinder anzusprechen, die noch nicht über die Oberkante der Barrieren hinwegsehen können. Das Raster der Bäume, Lampen und des Zubehörs an den Wegen ist mit dem der Wege selbst in der Nord-Süd-Richtung nicht synchronisiert. Diese leichten Beeinträchtigungen des R h y t h m u s sind gegen die heftigen Dissonanzen gesetzt, die mit der Überlagerung des rechteckigen Straßenrasters durch das diagonale Raster von Avenuen entstehen und die — wie ich schon ausgeführt habe — sich in Gestalt von Restblöcken in drei- und vieleckigem Umriß manifestiert. Tatsächlich verbleibt mit dem Hinzutreten der Diagonalen und durch die Abrundungen an den Ecken des Platzes fast kein einziges typisches, bzw. reines Karree. Von den wenigen sind zwei besonders ausgezeichnet. Beim ersten wird das Schnittprofil verkehrt, d.h. es ist in der Weise vertieft, wie die anderen erhöht sind, und wird dadurch zu einer kleinen Piazza, in der man sitzen kann; sonst sitzt man längs der Gehwege. Das zweite ist völlig flach und soll ein kleines Modell der Trinity Church aufnehmen. Die Karree-Bruchstücke längs der Nordseite sind weitere Ausnahmen: sie sind eingebuchtet und weisen Sitznischen auf. Dieses Wechselspiel zwischen dem Ordnungsmuster und den Abweichungen davon, leichten und heftigen Störungen, bringt ein Moment der Spannung in
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das Raster, das dem Stumpfsinn der primären Anordnung widerspricht. Es gibt dabei aber auch ein Wechselspiel im Bereich des Maßstäblichen, wodurch ebenfalls Spannung und Mehrdeutigkeit, aber auch eine gewisse Monumentalität innerhalb dieses Rasters erzeugt wird. Dieses Spiel entwickelt sich aus dem besonderen Verhältnis von Größe und Proportion. Das Nebeneinander verschieden großer Straßen in einem Raster führt auch zu Karrees von verschiedener Größe, aber ähnlicher Proportionen. Ähnhch weist auch die Kombination verschiedener Bäume, zwei kleiner und eines großen, analoge Verhältnisse zwischen Elementen gleicher Proportionen bei unterschiedlicher Größe auf. (Diese Idee gleichbleibender Proportionen bei veränderter Größe ist der modernen Architektur ein Greuel; ihre Vertreter halten daran fest, daß einem Wechsel der Größe ein Wechsel der proportionellen Verhältnisse entsprechen muß. Sie denken so, weil sie nur konstruktive Gründe für die Verhältnisse von F o r m und Proportionierung zulassen wollen. Ganz anders etwa ein Jasper Johns, der in seinen Bildern normal proportionierte Flaggen in großer, kleiner und mittlerer Ausführung übereinanderlegt.) Die in Frage kommenden Baumarten wurden im Bewußtsein dieser Beziehungen ausgesucht: die Silhouette einer ausgewachsenen Platane, die dann ungefähr 6 0 Fuß mißt, gleicht der eines schon mit 25 F u ß ausgewachsenen ,Scholar-Trees'. Der Teil des Entwurfs, der diese Überlegungen am lebendigsten umgesetzt enthält, ist das Beton-Modell der ,Trinity Church' vor der ,Trinity Church'. Es gibt einen weiteren Grund für dieses kleine Modell; und auch für die modellhafte Wiederholung des Bostoner Straßenrasters — einen anderen Grund als die bereits erwähnten, die sich auf die Erzeugung von Mehrdeutigkeit, Spannung, Maßstäblichkeit und Monumentalität bezogen: die Imitation im kleinen ist ein Hilfsmittel, um jemandem, der sich zwar innerhalb eines Ensembles aufhält, es aber nicht übersehen kann, dieses Ganze verständlich werden zu lassen. Ihm wieder ein Gefühl sicherer Orientierung zu geben, indem man das Ganze in dieser Weise in einem einzelnen Teil begreiflich macht, bedeutet auch, zur Sensibilisierung für die Einheit eines vielfältigen städtischen Ganzen beizutragen. Eine derartige Imitation en miniature schließt immer auch die Imitation eines bestimmten Ausschnittes des Lebens selbst ein; Erfahrung zu verdichten und sie dadurch unmittelbar zugänglich zu machen, zu tun ,als ob', ist Charakteristikum des Spiels: Kinder spielen ,Familie', Erwachsene spielen ,Monopoly'. Auf diesem Platz hier wird städtische Mobilität und städtischer R a u m gespielt. Die kleine Kirche ist gleichzeitig auch eine Spielplastik für Kinder. Ein anderes Moment des Spiels, das in modernen, von Architektenhand entworfenen Stadträumen so gänzlich fehlt, ist die Möglichkeit, sich so oder so zu entscheiden, die Gelegenheit zur Improvisation. Das meint, daß die Menschen den gleichen R a u m in verschiedenster Weise nutzen können, einschließlich solcher, die bei der Planung gar nicht vorgesehen waren. Eine Rasterstruktur erlaubt Improvisation und vielfältige Formen der Benutzung: ganz gleich, ob in der F o r m und im Maßstab einer Stadtanlage, ob bei der Erschließung des 210
ländlichen Raumes im amerikanischen mittleren Westen oder im durch Säulen gegliederten Inneren einer Moschee in Kairo oder Cordoba. In einer herrschaftlichen Villa der viktorianischen Zeit gibt es sicherlich mehr Möglichkeiten, einen zusagenden Treppenaufgang zu wählen, als bei der Benutzung eines der typisch modernen Plätze, ob man ihn nun durchschlendert oder sich auch einmal hinsetzt. Wenn die Form tatsächlich der Funktion folgt, schwinden die Möglichkeiten nicht-funktionaler, bzw. nur latent funktionaler Nutzung. Es gibt bestimmt mehr Möglichkeiten, diesen Platz zu benutzen, obwohl er ,,doch nur ein Rost" ist, als alle anderen, die interessant, empfindsam oder menschenfreundlich sind; und, fast noch wichtiger, es gibt auch mehr Möglichkeiten ihn zu sehen. Es geht einem damit wie mit einem raffinierten Schottenmuster: aus einiger Entfernung nimmt man nur ein sich gleichförmig wiederholendes Muster wahr; aus großer Entfernung wird es zu einem unterschiedslosen Farbschleier, aber aus der Nähe betrachtet ist es raffiniert, formen- und variantenreich in Muster, Textur, Maßstab und Farbe. (Bei dem räumlichen Schottenmuster unseres Platzes kommen noch, wie ich schon ausgeführt habe, die kaum wahrnehmbaren und die ins Auge springenden Abweichungen davon in der dritten Dimension hinzu.) Es ist eine Frage des Blickwechsels: je nachdem wo und wie man sich umher und durch die Anlage hindurch bewegt, kann man sich auf verschiedene Einzelheiten und verschiedene Verhältnisse in verschiedener Weise einstellen. Man kann Gleiches unterschiedlich wahrnehmen, Altes neu kennenlernen. Da es einen einzigen, immer gleichen optischen Höhepunkt nicht gibt — z.B. die Fontäne eines Springbrunnens, die spiegelnde Wasserfläche eines Beckens, oder auch die große Kirche selbst —, gibt es auch keine bestimmte, gleichbleibende Zentrierung der Aufmerksamkeit, wenn man sich auf und um den Platz bewegt. Es gibt eine Vielzahl möglicher Zentren der Aufmerksamkeit, bzw. die Möglichkeit eines Wechsels der Aufmerksamkeit auf anderes. Das verblüffende an diesem Entwurf ist, daß das langweilige Raster interessant ist. Die scharfen Kontraste zwischen verschwommener und deutlicher Wahrnehmungsweise entstehen durch unterschiedlich hohe Bedeutungsintensität, je nachdem in welchem Verhältnis das einzelne zum Ganzen steht — oder bei komplexeren Kompositionen — je nachdem wie sich Ganzes innerhalb des Ganzen verhält. Diese wechselnden Verhältnisse innerhalb vielschichtiger Ganzheiten bedingen dann auch eine vielschichtige Einheit, die in sich durchaus bestimmte Bereiche von Gegensätzlichkeit enthalten mag. Nicht alles ist immer ganz und gar in Ordnung. Ich bin der Meinung, daß es nur eine weitere, achte Krücke der modernen Architektur ist, die Philip Johnson in seine Aufzählung hätte aufnehmen sollen — wenn man Gebäude zueinander in Beziehung setzen, sie ,verbinden' will. Gebäude wie die .Trinity Church' oder die ,Boston Public Library' kann man so einfach und gewollt nicht miteinander .verbinden'. Es ist wohl das beste, diesen Versuch gar nicht erst zu machen: die Beziehungen dieser Gebäude zuein211
ander haben mit dem Platzinneren direkt nichts zu tun, sie ergänzen sich erst jenseits ihrer selbst und ihres unmittelbaren Standortes innerhalb eines größeren Ganzen. Unser kleines Platzraster erscheint aus weiter Entfernung (wie das Schottenmuster) als großer Farbklecks; bei der weitsichtigen Einstellung des Auges gibt es keine Unterschiede. Das Raster kann sich also gar nicht direkt und en détail auf die großen Bauten ringsum beziehen. Richardson und McKim, Mead und White haben diese Form schwatzhaftiger Huldigung auch gar nicht nötig. Eine andere Krücke moderner Architektur ist die zwanghafte Vorliebe für die Piazza, obwohl erklärlich durch unsere berechtigte Liebe zu italienischen Städten. Die freie Piazza entspricht aber nur in den seltensten Fällen den Bedürfnissen wie man sie in modernen amerikanischen Städten vorfindet, es sei denn der Bequemlichkeit der Fußgänger, die schräg abkürzen wollen. Die Piazza ist in der Tat etwas Un-amerikanisches. Der Amerikaner fühlt sich nicht wohl dabei, auf einem Platz zu sitzen; da zieht er es schon vor zu arbeiten, im Büro oder zu Hause, oder mit der restlichen Familie fernzusehen. Die Werkelei in und am Haus oder auch der Wochenendausflug haben die Passeggiata verdrängt. Die traditionelle Piazza ist für die kollektive Benutzung ebenso gedacht wie für die individuelle. Öffentliche und zeremonielle Ereignisse, die also auch eine große Menschenmenge voraussetzen, sind für ,Copley Square' noch schwieriger vorstellbar als eine Passeggiata. Unser Platz kann deshalb nicht freier Raum sein, der sich nicht-existenten Menschenmengen anpaßt. (Leere Plätze kommen als befremdendes Motiv nur beim frühen de Chirico vor.) Unser Entwurf ist auf die Bedürfnisse von Individuen zugeschnitten, die gemächUch durch das Labyrinth der Wege schlendern und auf den Bänken an den ,Straßen' sitzen wollen, nicht aber auf einer ,Piazza'. Man glaubt gemeinhin, daß freier Raum für unsere Städte etwas Kostbares sei. Er ist es nicht. Abgesehen vielleicht von Manhattan, haben unsere Städte zuviel davon in den allgegenwärtigen Auto-Abstellflächen, in den keineswegs nur kurzzeitigen Trümmerwüsten im Gefolge der Stadtsanierungen und in den gesichtslosen Vorstädten ringsum.
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Anmerkungen
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т. s. Eliot, Selected Essays, 1 9 1 7 - 1 9 3 2 , New York 1932, S. 18 ebenda, S. 3 f. Aldo van Eyck, in: Architectural Design, H. 12, Bd. XXXII, Dezember 1962, S. 560 Henry-Russell Hitchcock, in: Perspecta 6, The Yale Architectural Journal, New Haven 1960, S. 2 ebenda, S. 3 Robert L. Geddes, in: The Philadelphia Evening Bulletin, 2. Februar 1965, S. 4 0 Sir John Summerson, Heavenly Mansions, New York 1963, S. 197. ebenda, S. 200 David Jones, Epoch and Artist, New York 1959, S. 12 Kenzo Tange, in: Documents of Modem Architecture, hrsg. ν. Jürgen Joedicke, New York 1961, S. 170 Frank Lloyd Wright, in: An American Architecture, hrsg. v. Edgar Kaufmann, New York 1955, S. 207 Le Corbusier, Towards a New Architecture, London 1927, S. 31 Christopher Alexander, Notes on the Synthesis of Form, Cambridge (Mass.) 1964, S. 4 August Heckscher, The Public Happiness, New York 1962, S. 102 Paul Rudolph, in: Perspecta 7, The Yale Architectural Journal, New Haven 1961, S. 51 Kenneth Burke, Permanence and Change, Los Altos 1954, S. 10 T. S. Eliot, op. cit., S. 96 T. S. Eliot, Use of Poetry and Use of Criticism, Cambridge (Mass.) 1933, S. 146 T. S. Eliot, Selected Essays, 1 9 1 7 - 1 9 3 2 , op. cit., S. 243 ebenda, S. 98 Cleanth Brooks, The Well Wrought Urn, New York 1947, S. 2 1 2 - 2 1 4 Stanley Edgar Hyman, The Armed Vision, New York 1955, S. 237 ebenda, S. 240 William Empson, Seven Types of Ambiguity, New York 1955, S. 174 Stanley Edgar Hyman, op. cit., S. 238 Cleanth Brooks, op. cit., S. 81 William Sypher, Four Stages of Renaissance Style, Garden City 1955, S. 124 Frank Lloyd Wright, An Autobiography, New York 1943, S. 148 T. S. Eliot, Selected Essays 1 9 1 7 - 1 9 3 2 , op. cit., S. 185 Cleanth Brooks, op. cit., S. 7 Kenneth Burke, op. cit., S. 69 Alan R. Solomon, Jasper Johns, in: The Jewish Museum, New York 1964, S. 5 James S. Ackermann, The Architecture of Michelangelo, London 1961, S. 139 Sigfried Giedion, Space, Time and Architecture, Cambridge (Mass.) 1963, S. 563. Eliel Saarinen, Search for Form, New York 1968, S. 254 Aldo van Eyck, op. cit., S. 602 213
[37] Frank Lloyd Wright, Modem Architecture, Princeton 1931, Zitat nach dem Buchumschlag. [38] Horatio Greenough, in: Roots in Contemporary American Architecture, hrsg. v. Louis Mumford, New York 1959, S. 37 [39] Henry David Thoreau, Waiden and Other Writings, New York 1940, S. 42 [40| Louis Sullivan, Kindergarten Chats, New York 1947, S. 140 [41] ebenda, S. 4 3 [42] Le Corbusier, op. cit., S. 11 [43] Gorgy Kepes, The New Landscape, Chicago 1956, S. 326 [44] Aldo van Eyck, op. cit., S. 600 145] August Heckscher, op. cit., S. 287 [46] Herbert A. Simon, in: Proceedings of the American Philosophical Society, Vol. 106, Nr. 6, S. 468 [47] Arthur Trystan Edwards, Architectural Style, London 1926, Kapitel III [48] James S. Ackermann, op. cit., S. 138 [49] Fumihiko Maki, Investigations in Collective Form, 2. Sonderausgabe, St. Louis 1964, S. 5 [50] August Heckscher, op. cit., S. 289
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Nachwort von Heinrich Klotz
Das Erscheinen der deutschen Übersetzung von Venturis erstem Buch gibt mir die Gelegenheit zu einigen Hinweisen, die unsere eigene Situation des Bauens in der Bundesrepublik verdeutlichen; denn es sind Befürchtungen eigener Art, die Anlaß genug geben, den T e x t des Autors förmlich einzuwickeln in Vorworte, Einleitungen, Anmerkungen und Nachwort — es sind Befürchtungen gegenüber eingewurzelten Mißverständnissen, die nun schon seit etwa 2 0 Jahren das Wirken dieses Architektenbüros begleiten, in den U S A , dem westlichen Europa und nun auch, seit etwa vier Jahren, in der Bundesrepublik.* Mit diesen Jahresangaben ist gekennzeichnet, wie sehr die Architekturdiskussion in diesem L a n d e Erkenntnisse und gar auch Polemiken nachzuholen hat. ^ Denn heute beginnt die Einsicht zu wachsen, daß einerseits Technologie und Soziologie nicht zwangsläufig mit Architektur gleichzusetzen sind, daß andererseits das Interesse an den Formen des Bauens nicht schon der Verpflichtung zuwiderlaufen müßte, auch den sozialen Bedürfnissen in größerem Maße als bisher zu entsprechen. Beide Positionen gehören zusammen; sie ergänzen sich und relativieren sich aneinander. Denn wie könnte ein sozialer Fortschritt auf dem Felde des Bauens möglich sein, wenn er nicht auch Form werden könnte? Was auch wollte man gegen das angerichtete Chaos des Wiederaufb a u b o o m s mit ,,Entwürfen" ausrichten, wenn wir nicht die Wurzel dieser Resultate, die Verhältnisse der bundesdeutschen Gesellschaft, auch in ihren Manifestationen des Bauens, von Grund auf in Frage stellten? Der Angriff auf diesen Zustand rührte aus einem Eingeständnis der Ohnmacht; denn wie verfehlt erscheinen ästhetische Mittel, da die Macht einen völlig selbständigen Gang geht und technokratischer Zweckrationalismus jede andere Motivation ad absurdum führt? S o war es nur konsequent, wenn eine junge Architekten-Generation nicht mehr in erster Linie bauen, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern wollte. Wie in vielen anderen Disziplinen verließen auch die Architekturstuden-
Zu R o b e n Venturis und Denise Scott-Browns erstem Aufenthalt in Deutschland vgl.: H. Klotz, Das Pathos des Funktionalismus, IDZ-Symposion 1 9 7 4 , Berlin, in: WerkArchithese, 3, S. 4 und 22. Erste ins Deutsche übersetzte Schrift in: H. Klotz u. J . C o o k , Architektur im Widerspruch, Zürich 1 9 7 4 , S . 2 5 2 - 2 7 4 ; zu neueren Arbeiten vgl.: WerkArchithese 7 - 8 / 1 9 7 7 .
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ten den speziellen Rahmen ihres Faches und suchten nach Lösungen in einem weitaus allgemeineren Bereich. Sie suchten den archimedischen Punkt, um von außen den Hebel auch für die Fehlentwicklungen innerhalb des Faches ansetzen zu können. Die Praxis führte indessen immer deutlicher zur Theorie; und sobald die Praxis zurückgeholt wurde, hatte sie eine besondere Gangart angenommen — sie war Aktionismus geworden, Demonstrationspraxis. Später suchte man den Rahmen der Fachdisziplin wiederzufinden, ohne die gesellschaftliche Verantwortung aufgeben zu wollen. „Advokative Planung" und Partizipation waren die Antwort. Die zukünftigen Bewohner wurden zum Ziel dieser Architekturpraxis; die Erkundung und Realisierung ihrer Wünsche sollten wichtiger werden als die Realisierung bloßer Architektenvorstellungen. Sobald jedoch diese Möglichkeit erkannt war, kam bereits der Widerspruch, mit solch ausgreifendem und doch eingeschränktem Engagement das nah gesteckte, doch ferne Ziel nicht erreichen zu können. Und spätestens an diesem Punkt der Entwicklung mußte klar werden, daß, gemessen an den idealen Vorstellungen der Theorie, jede Verwicklung in eine konkrete, die Architektur miteinbeziehende Situation von den idealen Forderungen nach Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse fortführte. Das reine Ziel ließ jede Architekturpraxis als Verwässerung erscheinen. Verketzert war die „Immanenz"; doch außerhalb des Faches kam man über die theoretischen Beschwörungen einer neuen Z u k u n f t nicht hinaus. Sogar dort, wo die Linke die fortschrittlichste Praxisposition erreicht zu haben glaubte, in der Mitbestimmungspraxis, kam die kritische Entlarvung, indem auch die Erfüllung der Bewohnerwünsche als Erfüllung von bloßen Konsumwünschen erkannt war: ,,Wenn die Freiheit der Wahl auf dem Gebiet der Konsumtion nicht Unabhängigkeit einer Gruppe garantiert, dann bietet die Bewegung eines benutzerorientierten Entwurfs nur eine illusionäre Freiheit für die abhängigen Klassen".* Auf dieser Stufe konsequenter, linker Kritik offenbart sich jedes Praxisengagement im Bereich der Architektur — und vielleicht nicht nur in dieser Disziplin — als ,,immanent". Ist nicht jede Praxis bloße ,,Reformpolitik"? Solche Konsequenz, die ständig entlarvt, ständig verwirft, ständig das orthodox-absolute Maß in Händen hält, ständig vom Ende her die Gegenwart bemißt und ständig im Besitz der Theorie die Praxis aburteilt, hat selbst die Konsequenz der Lähmung: entweder Revolution oder Nichts! In dieser Lage hören sich die folgenden Sätze Robert Venturis, die nicht heute, sondern bereits 1962 geschrieben wurden, wie eine Antwort auf heute an: „Der stets schwindende Einfluß des Architekten und seine wachsende Unfähigkeit, das Ganze der gebauten Umwelt zu gestalten, können vielleicht — das mag
Alexander Tzonis und Liane Lefaivre: Im Namen des Volkes — die Entwicklung der heutigen populistischen Bewegungen in der Architektur, in: Bauwelt, 66 Jg. 1975, Heft 1/2, S. 1 0 - 1 7 .
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ironisch anmuten — durch eine Verkleinerung des zu verantwortenden Bereichs und durch eine Konzentration auf seine Teilaufgabe wieder rückgängig gemacht werden. Vielleicht erledigen sich dann die Probleme mit den weiterführenden Bezügen und die Sache mit dem schwindenden Einfluß ganz von selbst. Ich bin bereit anzuerkennen, was mir die immanenten Grenzen der Architektur zu sein scheinen, und versuche, mich innerhalb dieser Grenzen auf die konkreten Schwierigkeiten zu konzentrieren. Ich lehne es jedoch ab, mich in sicherlich weniger beschwerlicher Abstraktion über Architektur überhaupt zu e r g e h e n . . . "
Anerkennung der immanenten Grenzen der Architektur! Für einen praktizierenden Architekten ist dies die einzige Möglichkeit, sich mit den Mitteln der Architektur eines Zustandes zu erwehren, wie er durch Architektur und deren geltende Dogmen geschaffen wurde. Venturi stellt mit seinem Werk die grundsätzliche Frage, wie weit das Potential von ,,Form" überhaupt noch reichen kann, um es vor der Leichtfertigkeit zu bewahren, es zugunsten größerer Ziele kurzerhand über Bord werfen. Die Möglichkeiten können vom Entwurf eines Architekturdetails bis hin zur advokativen Planung reichen, wie das Büro Venturi, Rauch und Scott-Brown es in ihrem Engagement für die Bewohner des Slums der South-Street in Philadelphia bewiesen haben. Damit ist der Bereich einer ,,Immanenz" abgesteckt, aus dem heraus ein Potential freigesetzt wurde, das die herrschende Architektur der Behälter und Monumente zumindest ebenso wirkungsvoll infrage gestellt hat Xvie die theoretische Funktionalismuskritik, die von der die Umwelt zerstörenden Architektur auf die Kritik ihrer gesellschaftlichen Bedingungen zielte. Freilich wird die Tragweite von Venturis Programm allein im heute vorliegenden Gesamtzusammenhang seiner Bauten und Schriften klar, während die Erstlingsschrift "Complexity and Contradiction in Architecture" nur andeutungsweise die Stoßkraft erkennen läßt, die Venturi später gegen das gesamte ArchitekturEstablishment gerichtet hat. In der historischen Situation der frühen 60er Jahre, als Mies van der Rohes Geltung den Zenit erreicht hatte und als die kantigen Behälterbauten die Städte zu füllen begannen, formulierte Venturi eine Reihe von Maximen, die dieser Simplifizierung und Vereindeutigung der städtischen Szene scharf widersprachen. Er tat das auf eine damals übliche und verständliche, nämlich ,,formalistische" Weise. Venturis Schrift liest sich über weite Strecken wie eine architekturgeschichtliche Formenanalyse. Seinen Ausführungen h a f t e t etwas von kunsthistorischer Interpretation an. Er beruft sich häufig auf Kunsthistoriker, wie Wittkower, Pevsner, Hitchcock und Krautheimer. Deutlich bestimmt ist sein Text von der seit den 50er Jahren geführten ManierismusDebatte, die die Kunst und Architektur des 16. Jahrhunderts in einen Epochengegensatz zur Renaissance stellte. Das „Manieristische" wurde als eine Reaktion 217
auf das „Klassische" erkannt, die Kompliziertheit wurde gegen das Einfache gesetzt, das Labile gegen das statisch Feste, das Raffinierte gegen die „edle Einfalt", das Unübersichdiche gegen das leicht Erfaßbare, das Widersprüchliche gegen das Widerspruchslose, das Vieldeutige gegen das Eindeutige etc. Venturi beruft sich auch vorzugsweise auf Beispiele der Architektur des 16. Jahrhunderts und des Barock. Wenn nun aber Venturi die von Kunsthistorikern geführte Diskussion, die zur Epochenabgrenzung dienen sollte, auf die Situation der Gegenwartsarchitektur überträgt, so gewinnt sein Credo eine unerwartete Stoßkraft. Das historische Beispiel steht plötzlich nicht mehr als ein Unterscheidungskonzentrat gegen die ,,Kunst der Klassik" (Wölfflin), sondern es steht als Zeugnis architektonischen Reichtums gegen die architektonische Armut der Gegenwart. Nicht die „ruhige Ausgewogenheit" der Renaissance ist die vergleichende Bezugsebene, sondern die einfallslose Simplizität der Container-Architektur von heute bildet die Kontrastfolie. Aus der „edlen Einfalt" ist Mies van der Rohes „Weniger ist mehr" geworden, dem Venturi die Komplexität historischer Architektur entgegenhält. Das historische Beispiel dient ihm dazu, auf die völlig anderen und verschütteten Möglichkeiten des Bauens hinzuweisen. Venturi wendet sich in den verschiedenen Kapiteln seiner Schrift gegen die verschiedenen Formprinzipien moderner Architektur, die während der 20er Jahre in den ästhetischen Setzungen des Neuen Bauens ihren Ursprung haben. Ebenso wie diese als Setzungen zustande kamen und zur Norm wurden, setzt Venturi als Gegennormen seine von ihm verfochtenen Formprinzipien. Allen inzwischen mit Selbstverständlichkeit tradierten Dogmen der Moderne, die ehemals mit dem moralischen Anspruch einer Reinigung der mit Ornamenten überladenen Architektur verbunden waren und ein revolutionäres „Zurück zur Einfachheit" propagierten, tritt nun Venturi entgegen; als in Deutschland die Funktionalismuskritik noch in weiter Ferne lag, erkannte Venturi bereits die Eigenschaften einer Architektur, die sich inzwischen als menschenfeindlich und m o n o t o n entlarvt hat. Wenn ein Grundlehrsatz der Moderne lautet, das Äußere eines Bauwerkes habe sich nach der inneren Organisation zu richten, so hält Venturi diesem Dogma entgegen: ,,Das Innere ist anders als das Äußere!" und wenn er abschließend vom Zustandekommen des ,,schwierigen Ganzen" spricht, so ist dies die schärfste Gegenwendung gegen jenes ,,einfache Ganze", das als Großform, als Behälter, den vielfältigen Lebensregungen kurzerhand übergestülpt wird. Es ist ein Ganzes, das Individuelles zur Nebensache gemacht hat. Das erinnert an den Konflikt zwischen Mies van der Rohe und Hugo Häring. Während Häring seinen Funktionalismus so verstand, für jede besondere Aufgabe die besondere Form zu finden, also das Ganze aus der genauen Definition des Einzelnen zustande kommen zu lassen, antwortete Mies: ,,Mach doch den
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Schuppen groß genug und laß die Leute drin machen, was sie wollen"*. Damit war der Vielzweckraum geboren. Diesem durchschlagenden Erfolgsmittel standen die bewegten Grundrisse Hugo Härings gegenüber, der die Wände seiner Häuser förmlich um die Einrichtungen legte und den Wegen von Raum zu Raum in seinen Grundrissen nachfolgte. Aus der Berücksichtigung individueller Besonderheiten entstehen Widersprüche, die sich o f t nicht lösen lassen und von denen Venturi meint, daß man sie auch nicht glätten sollte. Venturi hat dann mit einem nächsten Schritt seine Kritik ausgedehnt und den neuen Monumentalismus in Frage gestellt. Denn inzwischen war in den USA, in Anknüpfung an die Spätwerke Le Corbusiers, eine Architektur entstanden, die der funktionalistischen Gleichförmigkeit mit gemodelten Betonmonumenten entgegentreten wollte. Es war die eklektizistische ,,Veredelung", wie sie Philipp Johnson vorführte, und das dramatische Schauspiel barocker Formenpracht eines Paul Rudolph, gegen deren Exklusivität sich Venturi wandte. Er sah in diesen geschmäcklerischen Anstrengungen die falsche Antwort auf Mies; ja. Venturi erkannte, lange bevor die neuen Gefahren der Umweltzerstörung allgemein bewußt wurden, daß an die Stelle der neutralen Kästen, die durch Gleichförmigkeit die Stadt zerstörten, nun die neue Betonheroik getreten war, die durch individualistische Exzentrik alles Bestehende um sich herum zu erniedrigen und zu erschlagen drohte. Dieser „Kunst-Architektur" setzte er sein berühmtes Diktum entgegen, das bereits in seiner Erstlingsschrift wie im Nebenbei formuliert wurde: "Main Street is almost allright". Gemeint war jene Main Street von der schon Sinclair Lewis sprach, die Hauptstraße der amerikanischen Städte; hier konzentriert sich das, was man das Gesicht der Stadt nennen könnte, das halb planerisch, halb zufällig Zustandegekommene, der schnelle Wechsel zwischen diesem und jenem, der Tankstelle, der Würstchenbude, dem Mietshausblock, der Sequenz von Reklamezeichen am Straßenrand. Gemeint war die verachtete Subkultur der Stadt, deren architektonisches Niveau so tief unter allen Normen lag, daß man es nur noch gänzlich umkrempeln konnte. Peter Blake nannte Main Street "God's Own J u n k y a r d " — Gottes eigene Schutthalde. Als Venturi gegen diesen allgemeinen Verachtungsgestus sein Wort setzte „Main Street ist beinahe in Ordnung" verteidigte er, was das schlechte Gewissen der Amerikaner ist, trat er für etwas ein, was alle abschaffen wollten, die halb schäbige und, wie er meinte, halb schöne Alltäglichkeit, das einerseits pompös Triviale und andererseits anspruchslos Selbstverständliche. Das Amerika der kleinen Leute bedeutete Venturi mehr als die durch hochkarätige Architektur aufgeputzte Main Street, die mit einem Schlage ein Rathaus à la Chandigarh und eine Polizeistation à la Palazzo Pitti erhalten hatte. Das Architektur-Establishment der Ostküste erklärte Venturi den Krieg und vergaß dabei, daß er seinem Diktum ein Wörtchen hinzugesetzt hatte, in dem sich die Ironie, das
Vgl. Bauwelt-Archiv 1 (Schallplatte) "Mies van der Rohe in Berlin", 1966.
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kritische Moment konzentriert: " A l m o s t " — „Beinahe". Main Street ist beinahe in Ordnung!" Und gemeint war damit, daß man etwas ändern müsse, nicht alles. Gemeint war eine Architektur, die das Vorhandene in einem möglichst umfassenden Sinn berücksichtigt, eine neue Architektur, die sich auf die alte Umwelt ausdrücklich bezieht und sich an dieser relativiert: nicht also eine exklusive Architektur, heroische Monumente der Selbstdarstellung, sondern eine "inclusive architecture", eine Architektur des Einbeziehens, des bewußten Kompromisses. Bauen nicht gegen das Bestehende, sondern mit dem Bestehenden! Bauen nicht als Monumentalunternehmen, sondern als Anerkennung auch des Alltäglichen! Indem aber diese Aufbesserung, dieser behutsamere Umgang mit der existierenden Stadt geschieht, gelangt auch eine Korrektur mit hinein, ein Funke von Kritik am Bestehenden, die keine Explosionen verursacht und nichts umkrempelt, sondern doppeldeutig und widersprüchlich sowohl bestätigt als auch auf Besseres verweist. Das "Guild House" in Philadelphia, dessen Glanz kein Foto wiedergeben kann, erfüllt dieses Programm schlaglichthaft. Bis heute ist es der Bau geblieben, den das Establishment der "American Architectural Association" zum Aussatz wirft, während die linke Kritik das gleiche tut: Wie könnte etwas gut sein, das sich mit dem Bestehenden einläßt? Wie könnte ein Kompromiß, wie könnte das lauwarme "Almost" progressive Züge tragen? In der Konfrontation zwischen Rechts und Links formuliert Venturi eine ,,beinahe" unverständliche dritte Position, eine sich am Bestehenden orientierende, dieses voraussetzende Architektur. Sie hat gegen sich den Autonomieanspruch der Monumentalisten, die — seien es kleine Miese oder große Le Corbusiers — die vorhandene Stadtstruktur immer nur als Abbruchterrain im Auge haben, um „Schöneres" zu errichten. Und sie hat gegen sich die puritanische Sozialmetaphysik, die nur vom Ende her die beste Welt erlaubt; eine nur „etwas bessere", und keine ganz andere, ist diesem Dogma feind. In seinem mit dem Blick auf die Geschichte der Architektur geführten Diskurs der vorliegenden Erstlingsschrift läßt Venturi immer wieder Durchblicke offen, die die Argumentation von der Historie fort auf Heutiges, auf die real gegebene Umwelt der Stadt lenken. Spätere Themenstellungen erscheinen angedeutet vorweggenommen, so auch sein Plädoyer für das Alltägliche und Gewöhnliche, für die abseits der Normen ästhetischer Hochkultur entstandene Trivialwelt. Doch ebensowenig, wie Venturi am Beispiel der Architekturgeschichte zu einer historisierenden Baukunst gelangt, ebensowenig führt ihn die Einbeziehung des Trivialen zu Trivialarchitektur. Sich mit dem Trivialen abzufinden heißt, die Radikalität der großen Reinigung nicht zu beanspruchen. Aus dem Tempel wird nicht ausgetrieben. Wenn Venturi die massenproduzierten Banalitäten akzeptiert, so läßt er diesen ein Existenzrecht, indem er das tägliche Konsumgut und die mit diesem aufgebotene Warenästhetik, die Reklamezeichen und Verpackungsgraphik aufnimmt, in neue, unerwartete Zusammenhänge versetzt und so deren Wert und Bedeutung verändert. Indem er das Konventionelle unkonventionell verwendet, sprengt 220
er den tradierten Rahmen und unterläuft die Formalismen geltender Normen. Venturis Architektur ist subversiv wie keine andere. Das Erkannte ist plötzlich nicht mehr verläßlich. Der hergestellte Zusammenhang ist gleichzeitig auch ein Bruch mit Konventionen. Das irritiert mehr als das gänzlich Neue. So wie das Ignorieren der Geschichte nicht schon ein Fortschritt ist und die Erneuerung der Städte nicht identisch sein kann mit deren Abbruch, sowenig führt die A u f n a h m e von Konventionen zwangsläufig zu einer konventionellen Architektur. Man versteht das Paradoxe an Venturis Werk nicht, wenn man seine Bauten, an denen Formen der Werbung in einen neuen Symbolkontext übersetzt werden, als bloßes Resultat und Anerkennung dieser Werbung entlarven möchte. Wie flach ist unsere Wahrnehmung geworden, wenn wir Venturis „Werbezeichen" am Rand der Ausfallstraßen von Philadelphia als Bestätigung der kommerziellen Werbewelt verstehen, obwohl doch diese Zeichen für keine andere „Marke" werben wollten als für das Gemeinwesen Philadelphia selbst. Wer die amerikanische Straßenszene kennt mit ihrem Chaos von Werbezeichen für das Einzelinteresse, wird eben darin die eklatante Absage an die Werbekonventionen erkennen, wenn die Zeichen, die stets und immer für einen Firmennamen werben, nun mit Witz eingesetzt werden zur Werbung ,,für alle". Solcher Bruch mit den Erwartungen — und die amerikanische Szene m u ß hier vorausgesetzt bleiben — hat perplexe Befreiung zur Folge, löst ironisch und heiter die Zwänge um ein Geringes, doch Merkliches auf. Bleiben wir jedoch auf der Diskussionsebene dieser ersten Schrift und schließen vorerst die angriffslustige und reflektiertere Position des zweiten Buches "Learning f r o m Las Vegas"* aus, so würde dies nach den hier gewonnenen Kriterien heißen. Venturi setzt relativierende Formeigenschaften einem Autonomieanspruch entgegen. All dem, was einem Bauwerk die exklusive Selbständigkeitshaltung nimmt und dieses von einem Geflecht der Bedingungen in einem Höchstmaß abhängig werden läßt, gilt Venturis äußerste Aufmerksamkeit. Während er in seinen späteren Schriften vor allem die Symbol- und Zeichensprache als einen Bedingungszusammenhang von Architektur erkennt, also das Bauwerk dem breiten Spektrum kommunikativer Beziehungen ö f f n e t und die ,,mediale" Bindung der Architektur geradezu wiederentdeckt, bleibt er zunächst mit seiner ersten Schrift in dem ,.formalen" Bereich architektonischer Bedingungen. Doch ist bereits bei dieser Gelegenheit in einem Resümee der heute überblickbaren Resultate von Venturis Arbeit eine vorläufige zusammenfassende Würdigung angebracht. Mit Venturi hat die moderne Architektur die Wende genommen, die Gestalt eines Bauwerks nicht mehr durch die Idealität unbeschädigter Primärformen vorbestimmen zu wollen, sondern die vielfältigen Bedingungen einer Realität, die die Geschichte als Hintergrund hat, auf den Bau durchschlagen zu lassen.
*
Bauwelt Fundamente Bd. 51.
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Venturis äußerster Antipode ist Mies van der Rohe, der die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Bedingungen zur Auflösung brachte in der Reduktion des Baukörpers auf eine möglichst einfache, im Detail veredelte, stereometrische Grundform. Venturi glättet nicht die vielfältigen, o f t sich widersprechenden Faktoren eines Raumprogramms, indem er für alles den einen großen, neutralen Container bereitstellt, sondern er läßt die Funktionen derart intensiv zum Ausdruck gelangen, daß sie häufig als widerstreitende Konflikte in einer Konfliktform auch veranschaulicht werden. Die vielfältigen Motive des Lebens und der Kultur, der funktionale Zusammenhang des Bauwerks (Raumprogramm, Infrastruktur), der historische Zusammenhang und die Umweltbedingungen der Stadt, die kulturellen Bedingungen der Symbol- und Bildsprache einer Gesellschaft hinterlassen ihre bestimmenden Prägungen am Bauwerk. Der Bau verliert seine ideale Form als einfacher Körper, und mit der Stereometrie der Primärformen schwindet die beanspruchte Autonomie. Venturis Architektur relativiert sich bis hin zum Fragment an ihrer Umwelt und an ihren Bedingungen; indem sie alle nur denkbaren Bindungen anerkennt, gewinnt sie das verloren geglaubte Ästhetische zurück.
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Nachweis der Abbildungen
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Pierre Devinoy, Paris Staatliche Graphische Sammlungen München Hirmer Verlag, München Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis aus L'Architettura, Juni 1964 Alinari Trustees of Sir John Soane's Museum Robert Venturi Robert Venturi The Museum of Modern Art © Ezra Stoller Associates Ernest Nash, Fototeca Unione, Rom Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der Penguin Books Ltd., HarmondsworthMiddlesex, aus: Nikolaus Pevsner, An Oudine of European Architecture, Baltimore 1960 Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der Penguin Books Ltd., HarmondsworthMiddlesex, aus: Nikolaus Pevsner, An Outline of European Architecture, Balitmore 1960 Friedrich Hewicker, Kaltenkirchen Mit freundlicher Erlaubnis des Prestel-Verlags, München. P h o t o : Erich Müller Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Giulio Einaudi Editore, Turin, aus: Paolo Portoghesi, Bruno Zevi (Hrsg), Michelangiolo Architetto, 1964 Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Giulio Einaudi Editore, Turin, aus: Paolo Portoghesi, Bruno Zevi (Hrsg), Michelangiolo Architetto, 1964 Alinari-Anderson Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Penguin Books Ltd., HarmondsworthMiddlesex, aus: G. H. Hamilton, The Art and Architecture of Russia, Baltimore 1954 Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Penguin Books Ltd., HarmondworthMiddlesex, aus: George Kubler, Martin Soria, Art and Architecture in Spain and Portugal and Their American Dominions, 1 5 0 0 - 1 8 0 0 , Baltimore 1959 Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis des Touring Clubs Italiano, Mailand, aus: L. V. Bertanelli (Hrsg), Guida d'Italia, Lazio, 1935 Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Alee Tiranti Ltd., London, aus: J . C. Shephard, G. A. Jellicoe, Italian Gardens of the Renaissance, 1953 Mit freundlicher Erlaubnis von Louis I. Kahn Alinari Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Rudolph Wittkower aus seinem Buch 'Art and Architecture in Italy', 1600—1750, Balitmore 1958 Riccardo Moncalvo, Turin Heikki Havas, Helsinki Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Arkady, Warschau, aus: Maria und Kazimierz Piechotka, Wooden Synagogues, 1959 Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der George Wittenborn Inc., Nev^ York, aus: Karl Fleig (Hrsg.), Alvar Aalto, 1963 G. Kleine-Tebbe, Bremen aus: Architectural Forum, Februar 1950 aus: Architectural Forum, Februar 1950
(198) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von The University of North Carolina Press, Chapel Hill, aus: Thomas Tileston Waterman, The Mansions of Virginia, 1 7 0 6 1776, 1946. © 1 9 4 5 (199) Robert Venturi (200) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der Herold Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H., Wien, aus: Hans Sedlmayr, Johann Fischer von Erlach, 1956 (201) Alinari (202) aus: Casabella, Nr. 217, 1957 (203) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der Alee Tiranti Ltd., London, aus: J. C. Shephard, G. A. Jellicoe, Italian Gardens of the Renaissance, 1953 (204) Touring Club Italiano, Mailand (205 ) The Museum of Modern Art (206) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der Penguin Books Ltd., HarmondsworthMiddlesex, aus: Nikolaus Pevsner, An Outline of European Architecture, Baltimore 1960 (207) Soprintendenza alle Gallerie, Florenz (208) Institute Centrale del Restauro, Rom (209) Sammlung: The Whitney Museum of American Art (210) Mit freundlicher Erlaubnis der André Emmerich Gallery (211) Photo von John Szarkowski, Autor von 'The Idea of Louis Sullivan', Minneapolis. © The University of Minnesota, 1956 (212) Soprintendenza alle Gallerie, Florenz (213) Hirmer Fotoarchiv, München (214) Hirmer Fotoarchiv, München (215) aus: Colen Cambell, Vitruvius Britannicus, Vol. I, London 1715 ;216) aus: John Woolfe and James Gandon, Vitruvius Britannicus, Vol. V, London 1771 (217) Mit freundlicher Genehmigung des City Museum and Art Gallery, Birmingham (218) Robert Venturi (219) Robert Venturi (220) Robert Venturi (221) Robert Venturi (222) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der Electra Editrice Mailand, aus: Palladio, 1951 (223) H. Roger-Viollet, Paris (224) Dia-Sammlung der University of Pennsylvania (225) aus: I. T. Frary, Thomas Jefferson, Architect and Builder, Richmond 1939 (226) Robert Venturi (227) aus: Colen Cambell, Vitruvius Britannicus, Vols I u. ΙΠ, London 1715 und 1725 (228) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Penguin Books Ltd., HarmondworthMiddlesex, aus: Nikolaus Pevsner, An Outline of European Architecture, Baltimore 1960 (229) Bildarchiv F o t o Marburg, Marburg/Lahn (230) aus: Leonardo Benevolo, Le Chiese Barocche Valsesiane, Quaderni dell'Istituto di Storia dell'Architettura, NN. 2 2 - 2 4 , Rom 1957 (231) © C o u n t r y Life (232) The Museum of Modem Art 229
(233) Sheila Hicks (234) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Connaissance des Arts, Paris, aus: Stephanie Faniel, French Art of the Eighteenth Century, 1957 (235) Chicago Architectural Photo Corporation (236) Bayerische Verwaltung der Schlösser, Gärten und Seen, München (237) Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Anton Schroll & Co., Wien, aus: Heinrich Decker, Romanesques Art in Italy, 1958 (238) (gìNational Buildings Record, London (239) Robert Venturi (240) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der A. Zwemmer Ltd., London, aus: Kerry Downes, Hawksmoor, 1959 (241) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Roberto Pane, aus seinem Buch ,Ferdinando Fuga', Neapel 1961 (242) Staadiches Italienisches Reisebüro (243) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der Penguin Books Ltd., HarmondworthMiddlesex, aus: Anthony Blunt, Art and Architecture in France, 1500—1700, Baltimore 1957 (244) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der Architectural Book Publishing Corporation, Inc., New York, aus: Katharine Hooker, Myron Hunt, Farmhouses and Small Provincial Buildings in Southern Italy, 1925 (245) Wayne Andrews (246) aus: ,Bagnala', in: Quaderni dell'Istituto di Storia dell'Architettura, Nr. 17, Rom 1956 (247) Alinari (248) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis von Architectural Design, Dezember 1962 (249) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der Architectural Book Publishing Corporation, Inc., New York, aus: Katharine Hooker, Myron Hunt, Farmhouses and Small Provincial Buildings in Southern Italy, 1925 (250) Aus dem Archivo Amigos de Gaudi, Barcelona. Photo: Aleu (251) Wiedergegeben mit freundlicher Erlaubnis der George Wittenborn Inc., New York, aus: Karl Fleig (Hrsg), Alvar Aalto, 1963 (252) George Cserna (253) Wallace Litwin (254) Büro Venturi und Rauch (255) Büro Venturi und Rauch (256) Büro Venturi und Rauch (257) Büro Venturi und Rauch (258) Büro Venturi und Rauch (259) Büro Venturi und Rauch (260) Leni Iselin (261) Leni Iselin (262) Leni Iselin (263) Leni Iselin (264) Edmund B. Gilchrist (265) Büro Venturi und Rauch (266) Büro Venturi und Rauch (267) Büro Venturi und Rauch
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(268) Büro Venturi und Rauch (269) Büro Venturi und Rauch (270) George Pohl (271) George Pohl (272) Büro Venturi und Rauch (273) George Pohl (274) George Pohl (275) George Pohl (276) George Pohl (277) Rollin R. La France (278) Büro Venturi und Rauch (279) Büro Venturi und Rauch (280) Büro Venturi und Rauch (281) Büro Venturi und Rauch (282) Büro Venturi und Rauch (283) Büro Venturi und Rauch (284) Büro Venturi und Rauch (285) Lawrence S. Williams, Inc. (286) Lawrence S. Williams, Inc. (287) Lawrence S. Williams, Inc. (288) George Pohl (289) Büro Venturi und Rauch (290) Büro Venturi und Rauch (291) Büro Venturi und Rauch (292) George Pohl (293) Büro Venturi und Rauch (294) George Pohl (295) Büro Venturi und Rauch (296) Büro Venturi und Rauch (297) Büro Venturi und Rauch (298) Büro Venturi und Rauch (299) Büro Venturi und Rauch (300) Büro Venturi und Rauch (301) William Watkins (302) William Watkins (303) William Watkins (304) William Watkins (305) Büro Venturi und Rauch (306) Büro Venturi und Rauch (307) Büro Venturi und Rauch (308) Rollin R. La France (309) George Pohl (310) Rollin R. La France (311) George Pohl (312) George Pohl (313) Rollin R. La France (314) Rollin R. La France
(315) (316) (317) (318) (319) (320) (321) (322) (323) (324) (325) (326) (327) (328) (329) (330) (331) (332) (333) (334) (335) (336) (337) (338) (339) (340) (341) (342) (343) (344) (345) (346) (347) (348) (349) (350)
Roliin R. La France RoUin R. La France Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Rollin R. La France Rollin R. La France Roliin R. La France Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch George Pohl George Pohl Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch George Pohl George Pohl George Pohl Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch George Pohl George Pohl Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch Büro Venturi und Rauch
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Jan Pieper Das Labyrinthische Über die Idee des Verborgenen, Rätselhaften, Schwierigen in der Geschichte der Architektur D a s „ L a b y r i n t h i s c h e " ist e i n e E i g e n s c h a f t v o n S t a d t , A r c h i tektur u n d R a u m , die sich u n g e a c h t e t ihrer u m g a n g s s p r a c h l i c h e n G e l ä u f i g k e i t einsilbigen Definitionen entzieht. D e r Begriff v e r m a g v i e l m e h r g a n z unterschiedliche F o r m e n u n d Q u a l i t ä t e n d e r a r c h i t e k t o n i s c h e n O r d n u n g zu b e n e n n e n , d i e in v ^ e c h s e l n d e n K o n s t e l l a t i o n e n u n d I n t e n s i t ä t e n in labyrinthischen Raumgefügen zusammenv^irken können. 3 6 8 Seiten, 1 8 0 A b b i l d u n g e n , Broschur (BWF 127) ISBN: 9 7 8 - 3 - 7 6 4 3 - 8 6 2 7 - 6 Architekturtheorie/Baugeschichte
Undine Giseke Erika Spiegel (Hg.) Stadtlichtungen Irritationen, Perspektiven, Strategien S t a d t p l a n u n g v^ar stets L e n k u n g v o n W a c h s t u m . Ein g e s i c h e r t e s W a c h s t u m v^ird es n i c h t m e h r g e b e n . B a u l ü c k e n und Brachen Vierden z u n e h m e n , Freiräume a u c h . Das V e r h ä l t n i s v o n b e b a u t e n zu u n b e b a u t e n F l ä c h e n g e r ä t in Bev^egung. Strukturkonzepte und Planungsstrategien müssen d e m Rechnung t r a g e n u n d für vielfältige Alternativen offen sein. 2 7 2 Seiten, 1 8 A b b i l d u n g e n , Broschur (BWF 138) ISBN: 9 7 8 - 3 - 7 6 4 3 - 8 3 5 7 - 2 Bau politi k / P l a n u n g / S t ä d t e b a и
ErolYildiz Birgit Mattausch (Hg.) Urban Recycling Migration als Großstadt-Ressource V o n M i g r a n t e n b e w o h n t e Stadtteile gelten oft als „ G h e t t o s " o d e r „Parallelgesellschaften". Die kritische M i g r a t i o n s f o r s c h u n g verlangt einen entschiedenen Perspektivenw e c h s e l : Es g e h t d a r u m , d e n k o n s t i t u t i v e n Z u s a m m e n h a n g v o n M i g r a t i o n u n d U r b a n i s i e r u n g e n d l i c h z u r K e n n t n i s zu n e h m e n und d e n Beitrag der Einwanderer zur (Wieder-) Belebung von Stadtquartieren anzuerkennen. 1 7 6 Seiten, 3 6 A b b i l d u n g e n , Broschur (BWF 140) ISBN: 9 7 8 - 3 - 7 6 4 3 - 8 8 0 4 - 1 Stadtforschung/Stadtpolitik
Günther Fischer Vitruv NEU oder Was ist Architektur?
O h n e K e n n t n i s V i t r u v s sei d i e g e s a m t e a r c h i t e k t u r t h e o r e t i s c h e D i s k u s s i o n d e r N e u z e i t , z u m i n d e s t bis ins 1 9 . J a h r h u n d e r t , nicht verständlich, sagt H a n n o - W a l t e r Kruft. W a s aber, w e n n diese Diskussion unter falschen Vorzeichen geführt w u r d e ? Vitruv w a r Architekt, kein Kunsthistoriker D i e N e u i n t e r p r e t a t i o n s e i n e s Textes als T h e o r i e d e s F a c h s ö f f n e t e n d l i c h d e n W e g zu e i n e r s c h l ü s s i g e n A r c h i t e k t u r theorie. 2 5 6 Seiten, 5 0 A b b i l d u n g e n , Broschur (BWF 141) ISBN: 9 7 8 - 3 - 7 6 4 3 - 8 8 0 5 - 8 Architekturtheorie
Venturi / Scott Brown / Izenour Lernen von Las Vegas Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt Was unsere Architekten zumeist naserümpfend übersehen, ja a m l i e b s t e n e i n e b n e n w ü r d e n , g i l t d e n V e n t u r i s a l s w i l l k o m m e n e Inspiration. D e m „ I n t e r n a t i o n a l e n Stil", der trotz seiner Resultate n o c h i m m e r d e n F u n k t i o n a l i s m u s in d e n Z e u g e n s t a n d ruft, b e g e g n e n sie, a m B e i s p i e l d e s „ S t r i p " , m i t d e m Ruf n a c h E r n e u e r u n g d e s S y m b o l i s c h e n in d e r A r c h i t e k t u r 2 1 6 Seiten, 3 5 0 A b b i l d u n g e n , Broschur (BWF 53) ISBN: 9 7 8 - 3 - 7 6 4 3 - 6 3 6 2 - 8 Architekturtheorie
Thomas Sieverts Zwischenstadt Zwischen Ort und Welt Raum und Zeit Stadt und Land D e n k e n und H a n d e l n der Planer konzentrieren sich heute oft i m m e r n o c h a u f P r o b l e m e unserer Alt- u n d Kernstädte. D a b e i ist V e r l u s t a n g s t e i n e v o r r a n g i g e M o t i v a t i o n . Sie gilt d e r „ E u r o p ä i s c h e n " S t a d t . D e r e n F i g u r ist a b e r u m s o e h e r zu b e w a h r e n , je m u t i g e r sie a l s b e s o n d e r e r Teil e i n e s steter W a n d l u n g unterworfenen Stadtwesens gesehen wird, das kein „ B i l d " m e h r abgibt. 2 0 0 Seiten, 4 8 A b b i l d u n g e n , Broschur (BWF 118) ISBN: 9 7 8 - 3 - 7 6 4 3 - 6 3 9 3 - 2 Stadtplanung / Urbanistik
Bauwelt Fundamente (lieferbare Titel) 1 Ulrich Conrads (Hg.), Programme und Manifeste zur Architektur des 20.Jahrhunderts 2 Le Corbusier, 1922 - Ausblick auf eine Architektur 12 Le Corbusier, 1929 - Feststellungen 16 Kevin Lynch, Das Bild der Stadt 50 Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur 53 Robert Venturi/Denise Scott Brown/Steven Izenour, Lernen von Las Vegas 56 Thilo Hilpert (Hg.), Le Corbusiers „Charta von Athen". Texte und Dokumente. Kritische Neuausgabe 86 Christian Kühn, Das Schöne, das Wahre und das Richtige. Adolf Loos und das Haus Müller in Prag 118 Thomas Sieverts, Zwischenstadt - zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land 123 André Corboz, Die Kunst, Stadt und Land zum Sprechen zu bringen 125 Ulrich Conrads (Hg.), Die Städte himmeloffen. Reden und Reflexionen über den Wiederaufbau des Untergegangenen und die Rückkehr des Neuen Bauens (1948/49) 126 Werner Sewing, Bildregie. Architektur zwischen Retrodesign und Eventkultur 128 Elisabeth Blum, Schöne neue Stadt. Wie der Sicherheitswahn die urbane Welt diszipliniert 129 Hermann Sturm, Alltag & Kult. Gottfried Semper, Richard Wagner, Friedrich Theodor Vischer, Gottfried Keller 130 Elisabeth Blum/Peter Neitzke (Hg.), FavelaMetropolis. Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und Säo Paulo 131 Angelus Eisinger, Die Stadt der Architekten 132 Karin Wilhelm/Detlef Jessen-Klingenberg (Hg.), Formationen der Stadt. Camillo Sitte weitergelesen 133 Michael Müller/Franz Dröge, Die ausgestellte Stadt 134 Loïc Wacquant, Das Janusgesicht des Ghettos und andere Essays 135 Florian Rötzer, Vom Wildwerden der Städte 136 Ulrich Conrads, Zeit des Labyrinths 137 Friedrich Naumann, Ausstellungsbriefe Berlin, Paris, Dresden, Düsseldorf 1896-1906. Anhang: Theodor Heuss - Was ist Qualität? (1951)
138 Undine Giseke/Erika Spiegel (Hg.), Stadtlichtungen. Irritationen, Perspektiven, Strategien 140 Eroi Yildiz/Birgit Mattausch (Hg.), Urban Recycling. Migration als Großstadt-Ressource 141 Günther Fischer, Vitruv N E U oder Was ist Architektur? 142 Dieter Hassenpflug, Der urbane Code Chinas 143 Elisabeth Blum/Peter Neitzke (Hg.), Dubai. Stadt aus dem Nichts 144 Michael Wilkens, Architektur als Komposition. Zehn Lektionen zum Entwerfen 145 Gerhard Matzig, Vorsicht, Baustelle! 146 Adrian von Buttlar et al., Denkmalpflege statt Attrappenkult 147 André Bideau, Architektur und symbolisches Kapitel 148 Jörg Seifert, Stadtbild, Wahrnehmung, Design 149 Ulrike Franke, Torsten Lockl, Steen Eiler Rasmussen, L O N D O N , The Unique City