Kognition und soziale Praxis: Der Soziale Konstruktionismus und die Perspektiven einer postkognitivistischen Psychologie [1. Aufl.] 9783839401989

Die Auseinandersetzung mit Konstruktivismus und Sprachpragmatik sowie der cultural turn in den Sozialwissenschaften eröf

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German Pages 376 [379] Year 2015

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Inhalt
Vorwort (Uwe Laucken)
Einleitung
Erster Teil: Die kognitivistische Wissenspsychologie und ihre metatheoretischen Grundlagen
I Modelle der Wissensrepräsentation in der kognitiven Psychologie
1 Das Paradigma der Informationsverarbeitung
1.1 Das computational-repräsentationale Verständnis des Geistes
1.2 Information und Bedeutung
2 Modelle der Repräsentation propositionalen Wissens und ihre Probleme
2.1 Frühe Netzwerktheorien
2.2 Propositionale Netzwerke
3 Schema- und skripttheoretische Ansätze
3.1 Komplexere Wissensstrukturen und dynamischere Modelle
3.2 Textverarbeitungsansätze
4 Psychologische Modelle prozeduralen Wissens
4.1 Die kognitivistische Modellierung von Fertigkeiten
4.2 Die Konzeptualisierung von Wissen als Problemlösen
5 Schlussbetrachtung: Wissen, dass und Wissen, wie
II Philosophische Grundlagen und Kritik des Kognitivismus
1 Ryles Begriff des Geistes
2 Fodors Repräsentationale Theorie des Geistes (RTG)
2.1 Die Hypothese des Physischen Symbolsystems
2.2 Die Sprache des Geistes
2.3 Fodors Theorie des Mentalen
2.3.1 Der intentionale Realismus: Die ‚Verteidigung‘ der Alltagspsychologie?
2.3.2 Repräsentationalismus und Computationalismus
2.3.3 Intentionalität und Kausalität
2.4 Resümee: Die RTG und die Alltagspsychologie
2.5 Der Einfluss der RTG auf die kognitive Psychologie
3 Gegenpositionen zur RTG innerhalb der Philosophie des Geistes
3.1 Searle
3.2 Putnam
3.3 Leiblichkeit und Kognition
4 Der Konnektionismus als Alternative?
4.1 Grundzüge des konnektionistischen Modells der Kognition
4.2 Die Rezeption konnektionistischer Modelle in der kognitiven Psychologie
4.3 Konnektionismus und Alltagswissen
5 Resümee: Von der syntaktischen Modellierung der Kognition zur pragmatischen Fundierung des Wissens
6 Kulturpsychologie und Sozialer Konstruktionismus als kognitivismuskritische Positionen in der Psychologie
6.1 Ausgangspunkte
6.2 Erste Kriterien für einen postkognitivistischen Wissensbegriff
Zweiter Teil: Psychologische Alternativen zum Kognitivismus
III Wegbereiter der kognitiven Psychologie
1 Eine Relektüre älterer Wissenstheorien: Unausgeschöpfte Potenziale für die Wissenspsychologie
2 Der Aufbruch in den psychologischen Kognitivismus
2.1 Jerome Bruner: von der kognitiven Wende zum cultural turn
2.2 Die Anfänge der psychologischen Attributionstheorien
2.2.1 Kognitive Dissonanz
2.2.2 Kausalattribution
2.2.3 Attributionstheorie und Kultur
2.2.4 Attributionstheorie und Sozialer Konstruktionismus
3 Gedächtnispsychologie und Kognitivismus: Der Einfluss Frederic Bartletts
3.1 Remembering: Bartlett als Vorläufer der Kulturpsychologie
3.2 Thinking: Bartlett als Pionier des Kognitivismus
4 George A. Kellys Psychologie der persönlichen Konstrukte
4.1 Personale Konstrukte
4.2 Der Bezug der Konstrukttheorie zum amerikanischen Pragmatismus
4.3 Antizipation und Konstruktion
4.4 Konstrukttheorie und Sozialkonstruktionismus
5 Schlussbetrachtung
IV Der Soziale Konstruktionismus und seine theoretischen und metatheoretischen Kontexte
1 Eine andere Konzeption von Sprache und Wissen
1.1 Der diskursive Wissensbegriff
1.2 Das Wissenschaftsverständnis
1.2.1 Die Funktion wissenschaftlicher Theorien
1.2.2 Die Relevanz empirischer Forschung
2 Die metatheoretischen Grundlagen
2.1 Wissenschaftsphilosophie und -theorie
2.1.1 Wissenschaftliche Paradigmen und Revolutionen
2.1.2 Science studies
2.2 Sprachphilosophie und Bedeutungstheorie
2.2.1 Meaning-as-use: Das Bedeutungskonzept des späten Wittgenstein
2.2.2 Relativismus, Realismus und dualistisches Denken
2.2.3 Gergens Version einer pragmatistischen Bedeutungstheorie
2.3 Kritik des Wissens und des Subjekts
2.3.1 Ideologiekritik
2.3.2 Wissenssoziologie und Wissenschaftskritik
2.3.3 Poststrukturalismus, Dekonstruktion und ‚literary- rhetorical critique‘
2.4 Die Konsequenzen der diskurstheoretischen Ausrichtung des Sozialkonstruktionismus für seinen Wissensbegriff
3 Illustrationen sozialkonstruktionistischer Wissensbildung
3.1 Das relationale Selbst
3.2 Gergens Abgrenzung zu anderen sozial- und kulturpsychologischen Theorien des Selbst
3.3 Identität als ‚byproduct‘ der Erzählung oder ‚narrative Identität‘?
3.4 Emotion als Inszenierung
4 Resümee: Ein anonymer Praxisbegriff
V Fazit und Ausblick: Perspektiven einer postkognitivistischen (Wissens-)Psychologie
1 Sozialer Konstruktionismus
1.1 Leistungen
1.2 Probleme
1.3 Vorschläge
2 Kulturpsychologie
2.1 Kulturpsychologie und kulturvergleichende Psychologie
2.2 Kulturpsychologie und Sozialer Konstruktionismus
2.3 Wissen und Handeln
2.4 Kultur und Selbst
3 Zusammenfassung und synoptischer Vergleich
4 Das neue Interesse an der ‚Praxis‘
4.1 Praxistheorie zwischen Subjektivismus und Objektivismus
4.2 Praktisches Wissen zwischen Repräsentation und Konstruktion
4.3 Die Vereinbarkeit von Fallibilismus und Antiskeptizismus im pragmatistischen Wahrheitsbegriff
5 Die Verbindung zur philosophischen Kognitivismuskritik
Literatur
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Kognition und soziale Praxis: Der Soziale Konstruktionismus und die Perspektiven einer postkognitivistischen Psychologie [1. Aufl.]
 9783839401989

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Barbara Zielke Kognition und soziale Praxis

Barbara Zielke (Dr. Phil.) lehrt Psychologie an der Universität Erlangen. Ihre Arbeitschwerpunkte sind Wissenspsychologie, Kulturpsychologie, Sozialer Konstruktionismus, Psychologie interkulturellen Handelns.

Barbara Zielke

Kognition und soziale Praxis Der Soziale Konstruktionismus und die Perspektiven einer postkognitivistischen Psychologie

Teile dieser Publikation entstanden im Rahmen der Studiengruppe »Lebensformen im Widerstreit. Identität und Moral unter dem Druck gesellschaftlicher Desintegration« am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Der Druck wurde aus Mitteln des Kulturwissenschaftlichen Instituts gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2004 transcript Verlag, Bielefeld Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz & Lektorat: Barbara Zielke Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-198-1

Für Almuth Mezgolich

Inhalt Vorwort (Uwe Laucken)

13

Einleitung

19 Erster Teil: Die kognitivistische Wissenspsychologie und ihre metatheoretischen Grundlagen

I 1

2

3

Modelle der Wissensrepräsentation in der kognitiven Psychologie Das Paradigma der Informationsverarbeitung 1.1 Das computational-repräsentationale Verständnis des Geistes 1.2 Information und Bedeutung Modelle der Repräsentation propositionalen Wissens und ihre Probleme 2.1 Frühe Netzwerktheorien 2.2 Propositionale Netzwerke

29 29 34 36 40 40 43

Schema- und skripttheoretische Ansätze 3.1 Komplexere Wissensstrukturen und dynamischere Modelle 3.2 Textverarbeitungsansätze

48

Psychologische Modelle prozeduralen Wissens 4.1 Die kognitivistische Modellierung von Fertigkeiten 4.2 Die Konzeptualisierung von Wissen als Problemlösen

58 58 62

5

Schlussbetrachtung: Wissen, dass und Wissen, wie

65

II

Philosophische Grundlagen und Kritik des Kognitivismus

69

1

Ryles Begriff des Geistes

70

2

Fodors Repräsentationale Theorie des Geistes (RTG) 2.1 Die Hypothese des Physischen Symbolsystems 2.2 Die Sprache des Geistes 2.3 Fodors Theorie des Mentalen 2.3.1 Der intentionale Realismus: Die ‚Verteidigung‘ der Alltagspsychologie? 2.3.2 Repräsentationalismus und Computationalismus 2.3.3 Intentionalität und Kausalität

75 75 77 83

4

48 53

83 89 93

2.4 2.5 3

4

5 6

Resümee: Die RTG und die Alltagspsychologie Der Einfluss der RTG auf die kognitive Psychologie

Gegenpositionen zur RTG innerhalb der Philosophie des Geistes 3.1 Searle 3.2 Putnam 3.3 Leiblichkeit und Kognition Der Konnektionismus als Alternative? 4.1 Grundzüge des konnektionistischen Modells der Kognition 4.2 Die Rezeption konnektionistischer Modelle in der kognitiven Psychologie 4.3 Konnektionismus und Alltagswissen Resümee: Von der syntaktischen Modellierung der Kognition zur pragmatischen Fundierung des Wissens Kulturpsychologie und Sozialer Konstruktionismus als kognitivismuskritische Positionen in der Psychologie 6.1 Ausgangspunkte 6.2 Erste Kriterien für einen postkognitivistischen Wissensbegriff

97 102 105 105 112 121 127 129 135 137 139 144 145 146

Zweiter Teil: Psychologische Alternativen zum Kognitivismus III Wegbereiter der kognitiven Psychologie 1 2

3

Eine Relektüre älterer Wissenstheorien: Unausgeschöpfte Potenziale für die Wissenspsychologie Der Aufbruch in den psychologischen Kognitivismus 2.1 Jerome Bruner: von der kognitiven Wende zum cultural turn 2.2 Die Anfänge der psychologischen Attributionstheorien 2.2.1 Kognitive Dissonanz 2.2.2 Kausalattribution 2.2.3 Attributionstheorie und Kultur 2.2.4 Attributionstheorie und Sozialer Konstruktionismus Gedächtnispsychologie und Kognitivismus: Der Einfluss Frederic Bartletts 3.1 Remembering: Bartlett als Vorläufer der Kulturpsychologie 3.2 Thinking: Bartlett als Pionier des Kognitivismus

155 155 158 158 163 163 168 172 174 176 178 181

4

5

George A. Kellys Psychologie der persönlichen Konstrukte 4.1 Personale Konstrukte 4.2 Der Bezug der Konstrukttheorie zum amerikanischen Pragmatismus 4.3 Antizipation und Konstruktion 4.4 Konstrukttheorie und Sozialkonstruktionismus Schlussbetrachtung

IV Der Soziale Konstruktionismus und seine theoretischen und metatheoretischen Kontexte

183 184 188 190 192 196

201

1

Eine andere Konzeption von Sprache und Wissen 1.1 Der diskursive Wissensbegriff 1.2 Das Wissenschaftsverständnis 1.2.1 Die Funktion wissenschaftlicher Theorien 1.2.2 Die Relevanz empirischer Forschung

208 208 214 215 223

2

Die metatheoretischen Grundlagen 2.1 Wissenschaftsphilosophie und -theorie 2.1.1 Wissenschaftliche Paradigmen und Revolutionen 2.1.2 Science studies 2.2 Sprachphilosophie und Bedeutungstheorie 2.2.1 Meaning-as-use: Das Bedeutungskonzept des späten Wittgenstein 2.2.2 Relativismus, Realismus und dualistisches Denken 2.2.3 Gergens Version einer pragmatistischen Bedeutungstheorie 2.3 Kritik des Wissens und des Subjekts 2.3.1 Ideologiekritik 2.3.2 Wissenssoziologie und Wissenschaftskritik 2.3.3 Poststrukturalismus, Dekonstruktion und ‚literary- rhetorical critique‘ 2.4 Die Konsequenzen der diskurstheoretischen Ausrichtung des Sozialkonstruktionismus für seinen Wissensbegriff

228 231

3

4

231 238 240 240 248 251 258 258 263 270 275

Illustrationen sozialkonstruktionistischer Wissensbildung 3.1 Das relationale Selbst 3.2 Gergens Abgrenzung zu anderen sozial- und kulturpsychologischen Theorien des Selbst 3.3 Identität als ‚byproduct‘ der Erzählung oder ‚narrative Identität‘? 3.4 Emotion als Inszenierung

277 277

Resümee: Ein anonymer Praxisbegriff

295

283 286 292

V Fazit und Ausblick: Perspektiven einer postkognitivistischen (Wissens-)Psychologie

301

1

Sozialer Konstruktionismus 1.1 Leistungen 1.2 Probleme 1.3 Vorschläge

303 303 304 306

2

Kulturpsychologie 2.1 Kulturpsychologie und kulturvergleichende Psychologie 2.2 Kulturpsychologie und Sozialer Konstruktionismus 2.3 Wissen und Handeln 2.4 Kultur und Selbst

310

3

Zusammenfassung und synoptischer Vergleich

332

4

Das neue Interesse an der ‚Praxis‘ 4.1 Praxistheorie zwischen Subjektivismus und Objektivismus 4.2 Praktisches Wissen zwischen Repräsentation und Konstruktion 4.3 Die Vereinbarkeit von Fallibilismus und Antiskeptizismus im pragmatistischen Wahrheitsbegriff

339

5

Die Verbindung zur philosophischen Kognitivismuskritik

Literatur

310 313 318 326

339 340 342 343 345

Danksagungen Dieses Buch ist die leicht überarbeitete Fassung eines Textes, der im Februar 2003 von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg als Dissertationsschrift angenommen wurde. Für seine Entstehung waren Institutionen, die Rahmenbedingungen boten, und Personen, die meine Arbeit auf unterschiedliche Weise unterstützten, von maßgeblicher Bedeutung. Ihnen möchte ich danken. Prof. Dr. Jürgen Straub hat nicht nur meinen Schreib- und Forschungsprozess auf engagierte, stets inspirierende Weise begleitet, sondern war auch über das Fachliche hinaus immer wieder mit freundschaftlicher Unterstützung präsent. Prof. Dr. Hans Werbik hat mein Dissertationsprojekt von Anfang an unterstützt und gefördert. Ihm danke ich auch für die Zusammenarbeit am Institut für Psychologie in Erlangen. Der Hans-Böckler-Stiftung, insbesondere Werner Fiedler, danke ich für die Förderung im Rahmen eines Promotionsstipendiums; Prof. Dr. Uwe Laucken für die spontane Bereitschaft, ein Vorwort für die Buchveröffentlichung zu schreiben. Dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen bin ich für die Zeit, in der ich die dort vorhandenen sehr guten Arbeitsmöglichkeiten nutzen konnte, verbunden. Fritjof Bönold, Carlos Kölbl, Alexander Kochinka, Gesine Grossmann, Robert Montau und Hartmut Seitz sei für spannende Diskussionen und wertvolle Literaturhinweise gedankt, der letztgenannte hat zudem in unterschiedlichen Phasen Teile des Manuskripts gelesen und kommentiert. Christine Eglmaier, Sybille Wenzel, Barbara SchrammSpindler und Erika Werthner haben es trotz Zeitdruck übernommen, Korrekturen einzutragen. Eine große Hilfe bei allen technischen Fragen war Ulrich Wenzel, der das Manuskript in Form gebracht hat. Meinem Bruder Christoph Zielke danke ich für so manche Kaffeepause während angespannter Arbeitsphasen und für seinen Humor. Besondere Erwähnung verdient Joachim Renn, der viele der hier vorgetragenen Thesen und Ideen mit mir diskutiert und reflektiert hat. Seine kritischen Einwände und konstruktiven Hinweise waren wertvolle Anregungen, seine Unterstützung und seine Solidarität haben das, was mühevoll war, leichter gemacht.

Vorwort von Uwe Laucken Auf dem Weg zu einer integrativen pragmasemantischen Kulturpsychologie Als ich gebeten wurde, das vorliegende Buch mit ein paar Gedanken zu begleiten, habe ich gerne zugesagt. Die danach fällige genaue Lektüre hat mir viele Denkbezüge eröffnet. Einen dieser Bezüge will ich hier herausgreifen. Um ihn zu erläutern, muss ich etwas vorausschicken. Die Psychologie ist eine bunte Wissenschaft. Unter ihrem disziplinären Dach versammelt sich eine Vielfalt an Themen. Diese stehen nicht nur nebeneinander da, sondern sie fordern sich wechselseitig heraus. Zwar kann man sich auch in eine Ecke zurückziehen und dem Rest den Rücken zukehren, doch wer sich gerne herausfordern lässt und daran interessiert ist, was andere zu sagen haben, der kann unter dem Dach der Psychologie munter agieren. Diese thematische Weite ziert die Psychologie seit ihren akademischen Anfängen. Für Wilhelm Wundt reichte die Psychologie von der experimentellen „Physiologischen Psychologie“ bis zu der historisch und kulturell vergleichenden „Völkerpsychologie“. Und beide „Psychologien“ hatten einander etwas zu sagen. Zwar gab es auch damals schon (übrigens sehr zum Unwillen Wundts) Eckensucher, die die thematische und methodische Vielfalt eher ängstigte als ermunterte, gleichwohl blieb das gemeinsame disziplinäre Dach bis in unsere Tage erhalten, wobei eine tragende Säule dieses Daches sicherlich auch die Einrichtung eines relativ einheitlichen Diplomstudiengangs war. Mit der Umwandlung dieses Studiengangs in verschiedene Bachelor- und Masterstudiengänge könnte diese Säule brüchig werden. So gibt es den Vorschlag, drei relativ unabhängige Psychologien zu etablieren: eine biologisch orientierte Psychologie, eine kultur- und sozialwissenschaftlich orientierte Psychologie und diverse angewandte Psychologien, jeweils getrennt durch unterschiedliche Studiengänge und eigene Berufsbilder. Paradoxerweise geschieht diese Zerstückelung in einer Zeit, in der sich auch unter Psychologen Stimmen zu Wort melden, die ganz grundsätzlich zu vermehrter Zusammenarbeit aufrufen. Für mich war und ist die Psychologie gerade ihrer thematischen und methodischen Buntheit wegen interessant, verlangt sie einem so 13

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

doch andauernd ab, Verschiedenes zur Kenntnis zu nehmen und auf den ersten Blick oft Unverträgliches so zusammen zu denken, dass es sich stimmig integrieren lässt. Dies zu tun, ist vor allem auch die Daueraufgabe einer Theoretischen Psychologie. In diesem Sinne ist die Arbeit von Barbara Zielke eine theoretisch psychologische. Sie nimmt sich in ihrem Buch einer Reihe unterschiedlicher Blickrichtungen auf den Menschen, die sich zwischen zwei Extremen positionieren lassen, an: Erste Extremposition: In ihr wird der Mensch als jemand gesetzt, der in seiner geistigen Lebensführung radikal allein auf sich verwiesen ist. Er gleicht einer Luftblase in einer öligen Flüssigkeit. Die Flüssigkeit ist ihm wesensfremde Umgebung. Die Mitmenschen gleichen anderen Luftblasen, zu denen kein direkter Kontakt besteht. So sehen (radikal) kognitiv-konstruktivistische Theorien den Menschen. Bestätigt sehen sie sich in dieser Sicht durch die Wende zum Gehirn und durch den von Neurowissenschaftlern propagierten neurobiologischen Konstruktivismus. Zweite Extremposition: Und dann gibt es da den (radikalen) sozialen Konstruktivismus (oder Konstruktionismus). Setzt man sich dessen theoretische Brille auf, dann verschwinden die Menschen als personale Einheiten (einschließlich ihrer Hirne), denn das zwischenmenschliche Zusammenleben besteht aus einem Netz sich irgendwie aufeinander beziehender linguistischer Prozesse. Von Akten zu sprechen, wäre schon zu viel, denn Akte verlangen nach Akteuren. Eben diese aber wollen die Vertreter einer bestimmten sozialkonstruktionistischen Auffassung unnötig machen. Diese beiden Extreme, menschliches Leben und Zusammenleben zu fassen, sind unter dem gemeinsamen Dach der Psychologie entstanden, oft in ausdrücklicher Entgegensetzung. Und beide Ansätze sind zurzeit höchst virulent. Barbara Zielke erörtert durch eine genaue Explikation ihre begriffliche Architektur, ihre philosophischen Voraussetzungen und ihre logischen Konsequenzen. Sie zeigt Mängel und Vorzüge. Und sie strebt nach einem integrativen Entwurf, dem es gelingt, die Vorzüge aufzunehmen ohne die Mängel mitzuziehen. Bei diesem Bemühen stützt sie sich auf die integrative Kraft einer bestehenden Theorierichtung, die sie „handlungstheoretische Kulturpsychologie“ nennt. Aus ihr leitet sie ein Anforderungsprofil ab, dem ein gelungenes Integrationsergebnis genügen müsste. Die aufgestellten Anforderungen ergeben sich aus einer Art Leitziel. Angepeilt wird der Entwurf einer „postkognitivistischen Psychologie“. Damit ist eine Psychologie gemeint, die sich als „Wissenschaft sinn- und bedeutungsstrukturierter symbolischer Handlungen“ ver14

VORWORT

steht. Ein Zwischenziel auf dem Wege zu einer solchen Wissenschaft ist der Entwurf eines ihr angemessenen Wissensbegriffs. Barbara Zielke spricht von einer notwendigen „postkognitivistischen Wissenspsychologie“. Daraus nun ergibt sich das zentrale Thema der Arbeit. Es besteht in der Erörterung verschiedener Wissensbegriffe vor dem Hintergrund bestimmter Anforderungen, die als Qualitätskriterien fungieren. Einige Anforderungen seien genannt: •





Die Kernanforderung, der ein angemessener Wissensbegriff genügen muss, besteht darin, dass er die Bedeutungsressourcen zwischenmenschlichen Handelns, das ein bedeutungsstrukturiertes ist, erkennbar machen muss. Er muss zum Beispiel in der Lage sein, das so genannte „Alltagswissen“ in sich aufzunehmen und pragmatisch verfügbar zu machen. Das Wissen muss in einer postkognitivistischen Wissenspsychologie subjektiv, intersubjektiv und transsubjektiv eingebunden sein. In intersubjektiver Einbindung ist es Bestandteil sozialer Praxiszusammenhänge. Es wird sozial prozessiert. In subjektiver Einbindung ist es Bestandteil individueller Lebensführung. Es wird individuell prozessiert. In transsubjektiver Einbindung ist es als tradierbare kulturelle Ressource, etwa als Umgangssprache, verfügbar. Es ist ein aktualisierbares semantisches Potenzial. All diese Einbindungsarten müssen in sich stimmig und untereinander verträglich theoretisch gefasst sein. Keine dieser Einbindungen darf so konzipiert sein, dass sie die anderen ausschließt. Das Wissen, von dem hier die Rede ist, darf sich nicht auf deklaratives/explizites/propositionales Wissen („Wissen, dass“) beschränken, sondern es muss auch prozedurales/implizites Wissen („Wissen, wie“) einschließen. Weite Teile der individuellen Lebensführung wie des interindividuellen Zusammenlebens werden aus dieser Art von prozeduralem Wissen heraus bestritten.

Mit diesem Anforderungskatalog in der Hand durchmustert Barbara Zielke eine Vielzahl psychologischer Theorien, die jeweils für sich den Anspruch erheben, Wissen so zu konzeptualisieren, dass es menschlichen Lebensmöglichkeiten angemessen ist. Bei ihrer gründlichen Recherche, die sich zwischen den oben markierten Extremen bewegt, stößt sie auch auf beachtliche historische Vorläufer. Im Einzelnen aufzuführen, was sie dabei antrifft, kann ich mir hier ersparen. Ein Blick in das instruktive Inhaltverzeichnis gibt rasch Aufschluss. Alle theoretischen Fundstücke werden in ihrer Eigenstruktur genau untersucht, um sie dann daraufhin zu befragen, was man ihnen an Baumaterial entnehmen kann für den Bau einer postkognitivistischen 15

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Wissenspsychologie. Wie nicht anders zu erwarten, sind die Fundstücke unterschiedlich ergiebig. Diese analytische Arbeit ist sehr aufschlussreich und anregend, vor allem, weil sie vor dem Hintergrund eines gut abgeleiteten Anforderungskatalogs geschieht. Das vorliegende Buch ist eine Reise durch eine Theorielandschaft. Barbara Zielke erweist sich dabei als kundige Führerin. Sie liefert Maßstäbe zu Orientierung. Das Ziel der Reise bleibt ein Projekt, an dem zu arbeiten, der Mühe lohnt. Hier werden wichtige Vorarbeiten geliefert. Sie zu lesen, macht Spaß. Eine besondere Freude bereitete mir das Buch (und damit komme ich zum Anfang zurück), weil es die Reichhaltigkeit dessen, was sich unter dem Dach der Psychologie vorfindet, zeigt und weil Barbara Zielke diese Reichhaltigkeit nutzt, um sie aufschlussreich und fruchtbar in den integrativen Entwurf einer pragmasemantischen Kulturpsychologie einzupassen. Uwe Laucken

16

The point, and it is a subtle but crucial one, is that psychologists have not dealt with practices in a manner that does justice to their status as practices. Jonathan Potter

It should be crystal clear that the discursive turn and the adoption of a general constructionist orientation in psychology does not licence a slide into radical relativism. There is a thread of continuity, the embodied person, on which are hung the multi-coloured garments of the many possibilities of self-presentation to oneself and to others. Rom Harré

Einleitung

Ich möchte den Ausdruck „Ich weiß“ für die Fälle reservieren, in denen er im normalen Sprachverkehr gebraucht wird. Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit

Ausgangspunkt und Argument Das alltägliche Leben ist durch kognitive Aktivitäten geprägt. Permanent werden im Alltag Entscheidungen getroffen, Gründe zugeschrieben, Urteile gefällt, Handlungen geplant, Probleme gelöst – und kognitivistischen psychologischen Theorien kommt die Aufgabe zu, die dabei ablaufenden kognitiven Prozesse und das zum Einsatz kommende Wissen zu beschreiben. Nun wird aber jede dieser Aktivitäten, ohne dass dies etwas Besonderes wäre, von den Menschen in diesem Alltag beschrieben, kommuniziert, definiert und diskutiert, und dies in einem für ihre jeweilige Kultur charakteristischen Vokabular. Die Analyse dieses Vokabulars und der Bedingungen, unter denen es gebraucht wird, wäre also ebenfalls Aufgabe der Psychologie. Der Philosoph und Psychologe Rom Harré schreibt (2000), dass eine solche Analyse vor allem zeige, dass sich unsere Beschreibungen ‚kognitiver‘ Phänomene in vielen Fällen eher auf Dispositionen, Geschick, Können, auf Praktiken, Techniken und Fertigkeiten beziehen als auf mentale Zustände oder Ereignisse. Wir sagen, dass jemand eine gute Rednerin oder ein verständnisvoller Zuhörer ist, dass er weiß, wie man mit Menschen umgeht, oder dass sie kreative Problemlösungen findet. Wir sagen, dass jemand gut argumentieren kann oder dass eine Person weiß, wie man eine andere überzeugt. Wir reden vom Tun – und doch wird damit auf eine bestimmte Form des Wissens 19

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

verwiesen. Denn gemeinsam ist all diesen Aktivitäten, dass sie an eine Norm, an ein Maß für ihre Richtigkeit oder Qualität gebunden sind (sonst gäbe es nicht gute und weniger gute Redner), an bestimmte Regeln der jeweiligen Praxis. Harré weist uns hier aus gutem Grund auf eine Differenzierung hin, die nicht allein den Inhalt, sondern besonders die Form dieses kulturellen (Regel-)Wissens betrifft: Das Wissen, um das es im Alltag geht, das für den Gebrauch der Alltagssprache oder für die Partizipation an soziokulturellen Praktiken notwendig ist, unterscheidet sich von dem Wissen, das in der Schule gelehrt und von den meisten psychologischen Wissensmodellen erfasst wird, also von propositionalem Fakten- oder Regelwissen. Ludwig Wittgenstein (1956), auf den sich auch Harré hier bezieht, beruft sich in seinem Spätwerk ebenfalls auf die Differenzierung zwischen dem expliziten Wissen über den Inhalt einer Regel und dem impliziten Wissen, wie man dieser Regel im Handeln folgt, und betont, dass letzteres eine praktische Fähigkeit ist. Gilbert Ryle (1949) hat dafür die Unterscheidung zwischen knowing that (explizitem Wissen, dass etwas der Fall ist) und knowing how (praktischem Umgangswissen oder ‚Können‘) geprägt. Fazit dieser Unterscheidung und Motiv für Harrés Hinweis an die kognitive Psychologie ist, dass gerade dasjenige Wissen, mit dessen Hilfe wir die sozialen und praktischen Situationen im Alltag meistern und das unseren Äußerungen und Handlungen, aber auch unseren psychischen Zuständen und Funktionen ihre kulturspezifische Bedeutung verleiht, eine Form des praktischen Wissens ist. Nimmt die Psychologie in Anspruch, die alltägliche Realität der Menschen und die für ihre Bewältigung notwendigen psychischen Funktionen und Prozesse zu untersuchen, muss sie sich mit dem besonderen Status des praktischen, kulturellen Umgangswissens befassen. Kognitivistische Modelle der Wissensrepräsentation sehen sich hier selbstverständlich in der Pflicht. Sie haben es möglich gemacht, nach der kognitiven Bewertung ‚interner‘, nicht-beobachtbarer Zustände, nach der Wissensbasis unseres Handelns und damit auch nach der Grundlage unseres Alltagslebens als sozial konstruierter Wirklichkeit zu fragen. Sie verpflichten allerdings zur exakten und formalen Beschreibung dieses Wissens: psychologische Wissensrepräsentationsmodelle sind bis heute an die computationale Modellierung des Wissens gebunden, die (abgesehen von konnektionistischen Modellen) auf explizite, formale Regeln angewiesen bleibt. Damit aber wird das Alltagswissen im Sinne eines nicht vollständig formalisierbaren Umgangswissens, das an eine soziale, semantische Praxis gebunden ist, in der es sich bildet und verändert, an den Rand gedrängt. Aus diesem 20

EINLEITUNG

Grund beklagt auch der Sozialpsychologe Jonathan Potter die „Degradierung“ der Praktiken in der und durch die kognitivistische Psychologie (2000). Die Hervorhebung der sozialen Praxis, in die kognitive Prozesse eingebunden sind, und des praktischen Wissens, das die Partizipation an dieser Praxis ermöglicht, gewinnt zunehmend an Gewicht für jene psychologischen Theoretikerinnen und Theoretiker, die den Kognitivismus als Fehlentwicklung kritisieren. Die kognitivistische Psychologie, so der Vorwurf, halte sich zu sehr damit auf, menschliches Erleben und Handeln allein über die mentalen Zustände und psychischen Funktionen isolierter Individuen erklären zu wollen. Dabei gerate aus dem Blick, dass nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form psychischer, speziell kognitiver Phänomene, etwa einer Erinnerung, sich erst aus deren Einbindung in soziale Diskurse und kulturelle Praktiken ergebe. Erst durch die Partizipation von Individuen an der Sprache und der kollektiven Praxis einer Kultur stünden individuelle Kognitionen überhaupt in jener engen Verbindung zur Alltagsrealität, die sie so aufschlussreich für eine Psychologie dieser Alltagsrealität werden lässt. Der Soziale Konstruktionismus Kenneth Gergens und die ihm verwandte Diskursive Psychologie (renommierte Vertreter sind Jonathan Potter oder Rom Harré) sprechen sich offen für eine Psychologie aus, die sich von ihren kognitivistischen Verengungen befreit. Was diese Psychologie erforschen soll, sind demnach nicht die psychischen Phänomene und Prozesse (Emotionen, Kognitionen usw.) an sich, sondern deren soziale Konstruktion und Transformation im alltäglichen Handeln. Diese Psychologie solle sich zwar weiterhin für das Denken, Fühlen und Handeln von Individuen interessieren – befassen solle sie sich jedoch mit den interaktiven Prozessen, in denen dies alles erst konstituiert werde: mit der Alltagssprache und dem Sprechen, mit Witzen, Redeweisen und Briefen ebenso wie mit Literatur, Architektur und Kunst oder Formen der räumlichen Sozialordnung, die als ‚Objektivationen‘ dieser Praxis gelten; mit alltäglichen Konversationen, mit Geschichten und Ritualen der Alltagkultur, kurz: mit den mundanen Praktiken, die den Umgang von Individuen miteinander und mit Dingen regeln. Die Diskurse und die soziale Praxis unseres Alltags, so das Argument, seien nämlich in fundamentalerer Weise konstitutiv für den Gegenstand der Psychologie als es interaktionistische Ansätze (in Psychologie und Nachbardisziplinen) zugestehen: In Diskursen werde nicht etwa nur eine Art Konsens über die soziale und kulturelle Bewertung psychischer Phänomene ausgehandelt, sondern die Bedeutung und Ei21

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

genheiten jener Phänomene selbst generiert. Es geht dem Sozialkonstruktionismus damit durchaus um das Herausstellen neuer Interpretationsmöglichkeiten vor dem Hintergrund gesellschaftlicher oder kultureller Institutionen und Praktiken. Vor allem aber will er zeigen, dass solche Interpretationsmöglichkeiten das, was sie zu interpretieren scheinen, in einem erheblichen Maß selbst hervorbringen. Die sozialkonstruktionistische Analyse beschränkt sich dabei nicht auf psychologische Denk- und Forschungstraditionen. Text- und Literaturwissenschaften, Philosophie, Geschichtsschreibung und Kulturwissenschaften halten vielfältige theoretische Impulse bereit und geben uns methodische Mittel an die Hand, den Gegenstand der Psychologie auf den Begriff zu bringen. Für die handlungstheoretische Kulturpsychologie schlägt Jerome Bruner ebenfalls vor, den Gegenstand der Psychologie an kulturelles Wissen zu binden. Er empfiehlt der Psychologie, sich auf die folk psychology zu konzentrieren, auf das intersubjektive Wissen, welches eine Kultur anzubieten hat als „Erklärung für das, was den Menschen ausmacht“ (1990a: 32). Für Bruner (wie für Harré, Potter und Gergen) ist die folk psychology nicht nur die Ansammlung der subjektiven Alltagstheorien der Angehörigen einer bestimmten Kulturgemeinschaft, sondern ein quasi-theoretischer, für die wissenschaftliche Psychologie aber unverzichtbarer Wissensfundus. Allerdings weisen Bruners Ausführungen in eine andere Richtung als die der Sozialkonstruktionisten, was die Haltung zur Tradition psychologischer Theoriebildung betrifft. Folgt man ihm, so würde die Einbeziehung der folk psychology das herausstellen, was auch die Mitbestreiter der kognitiven Wende in den fünfziger Jahren interessierte. Bruner ist der Ansicht, dass auch jene frühen Kognitivisten eine neue Psychologie anstrebten, deren Gegenstand sie als eine sinn- und bedeutungsstrukturierte, sozial und kulturell konstruierte Wirklichkeit auffassten. Allein die computationalistische Fassung des Kognitionsbegriffs habe diese Ambitionen dann im Keim erstickt. Während Bruner seine Kritik des Kognitivismus mit der Rückbesinnung auf die ursprünglichen Impulse der kognitiven Wende verbinden will und für eine „renewed cognitive revolution“ eintritt (1990a), betont die sozialkonstruktionistische Position die radikale Kritik am Paradigma des Kognitivismus. Die Rede ist entsprechend von der „wrong revolution“ (Gergen 1994) oder bestenfalls vom Anspruch, eine „second cognitive revolution“ voranzubringen (Potter/Edwards/ Wetherell 1993).

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EINLEITUNG

In dieser Arbeit wird die These vertreten, dass bestimmte neuere aus Sozial- und Kulturpsychologie stammende kritische Gegenentwürfe zur dominierenden Wissenschafts- und Gegenstandsauffassung der akademischen Psychologie als Vorschläge für eine postkognitivistische Psychologie verstanden werden können. Die schon bald laut gewordene Kritik am Kognitivismus bildet dabei den fruchtbaren Boden für eine Fülle interessanter psychologischer Fragen, die unter Rückgriff auf Konstruktivismus, Sprachpragmatik und Handlungstheorie ein neues Interesse an Sprache und Praxis für die Psychologie plausibilisieren. Für die positive Bestimmung der Grundzüge einer solchen postkognitivistischen Psychologie steht das Programm des Sozialen Konstruktionismus (in der Variante Gergens), dessen Rekonstruktion ein Hauptanliegen der Arbeit ist. Zwar ist der Soziale Konstruktionismus vielen, die sich heute für ihn interessieren, eher über seinen Anschluss an die Diskurse zur Postmoderne bekannt bzw. für seine kritisch-reflexive Haltung, mit der er die Objektivität psychologischer (und überhaupt wissenschaftlicher) Erkenntnisse anzweifelt. Anderen ist er über seine Bemühungen um eine antiuniversalistische und daher weniger ethnozentrische Psychologiekonzeption, oder aber durch seine postmoderne Theorie des Selbst vertraut. Gleichwohl steht am Beginn des sozialkonstruktionistischen Entwurfs die Kritik des psychologischen Wissensbegriffs. Gergen (1994) stellt seinen Ausführungen über Grundlagen, Gegenstand und Methoden des Sozialkonstruktionismus den Satz voran: „What we need is an alternative conception of knowledge“ und bemüht sich, einen nicht-kognitivistischen Wissensund Erkenntnisbegriff als Grundlage für eine Psychologie zu entfalten, die soziale Prozesse der Bedeutungskonstitution in den Vordergrund rückt. Um dieses voraussetzungsvolle Programm nachzuvollziehen, ist es notwendig, die Defizite der heutigen kognitivistischen Wissensmodelle herauszuarbeiten, auf die Gergen sich bezieht. Die Analyse kognitivistischer Vorschläge, wie Wissen und Bedeutung in psychologischen Modellen zu konzeptualisieren seien, zeigt zunächst, dass Gergen in vielen Kritikpunkten zuzustimmen ist: Die meisten gängigen wissenspsychologischen Modelle werden ihrem Anspruch, das Alltagswissen als kulturelles, soziales und praktisches Wissen zu repräsentieren, nicht gerecht. Dies verdankt sich nicht zuletzt auch der Überbetonung propositionalen Wissens. Bei weitem nicht alle Formen des Wissens, die wir ganz selbstverständlich im Alltag voraussetzen, lassen sich auf das in den psychologischen Modellen postulierte, formale Regelwissen reduzieren. Der Vergleich unterschiedlicher psychologischer Wissenstheorien macht allerdings auch deutlich, dass die Kritik des Kogniti23

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

vismus nicht unterschiedslos auf alle psychologischen Vorschläge seit der kognitiven Wende zu beziehen ist. Hier greifen wir also auch die These Bruners auf: Viele Wegbereiter der kognitiven Psychologie haben selbst Vorschläge gemacht, die heute gegen den informationstheoretischen Kognitivismus ins Feld geführt werden. Insbesondere die frühen Schriften Frederic Bartletts zur Gedächtnispsychologie und einige Aspekte der Wissenstheorie George A. Kellys sind dafür Beispiele. Ein Blick auf ihre theoretischen Bestimmungen des Kognitionsbegriffs zeigt, dass die neuesten Ansätze nicht immer und nicht in jeder Hinsicht die besten sind. Dennoch kommt den neueren kognitivismuskritischen Wissenstheorien (zu denen hier Kulturpsychologie und Sozialkonstruktionismus gezählt werden) ein eigener theoretischer und metatheoretischer Status zu. Sie können auf Entwicklungen in der Analytischen Philosophie des Geistes und in der Sprachphilosophie seit den Nachkriegsjahren zurückgreifen, die in die Argumente der frühen Wissenstheorien noch nicht eingehen konnten. Das gilt nicht nur für die sozialwissenschaftliche Rezeption von Wittgensteins Sprachphilosophie und Searles’ Speech Acts (damit steht ein pragmatischer Bedeutungsbegriff zur Verfügung), sondern auch für die philosophische Kritik des Funktionalismus und für jene Argumente gegen den Computationalismus, die Fragen der Leiblichkeit berühren. Zu nennen wären an dieser Stelle auch die Einwände, die durch die interpretative Soziologie, die Rezeption der soziologischen Phänomenologie und der Wissenssoziologie in den sechziger und siebziger Jahren und von Seiten der qualitativen Sozialforschung an die Psychologie herangetragen wurden, und ebenfalls den Boden für einen nicht-kognitivistischen, auf sinn- und bedeutungsstrukturierte Handlungen ausgerichteten Wissensbegriff bereiteten. Dies sind Beispiele für schlagende Argumente gegen den Kognitivismus, die heute zum Programm der kognitivismuskritischen Psychologiekonzeptionen gehören. Es wird im Folgenden mit Blick auf die unterschiedliche Bestimmung des Wissensbegriffs darum gehen, am Beispiel des Sozialen Konstruktionismus und seiner theoretischen und metatheoretischen Kontexte den programmatischen Anspruch und die viel versprechenden Perspektiven einer postkognitivistischen Psychologie aufzuzeigen.

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EINLEITUNG

Aufbau der Arbeit Im ersten Teil der Arbeit werden Aspekte des kognitivistischen Wissensbegriffs und seine philosophischen Grundlagen rekonstruiert und kritisiert. Im zweiten Teil werden psychologische Alternativen zum Kognitivismus diskutiert, insbesondere der Soziale Konstruktionismus. Im ersten Kapitel stehen gängige kognitivistische Modelle semantischen und prozeduralen Wissens zur Diskussion. Besonders die differenzierteren schema- und skripttheoretisch angelegten Wissensrepräsentationsmodelle sowie die auf Produktionssystemen basierende Modellierung des Problemlöse- und Fertigkeitswissens beanspruchen, sowohl die Wissensbildung im Alltag als auch die Verwendung bzw. Umsetzung dieses Wissens in Handlungen zu repräsentieren. Ihre Analyse zeigt jedoch, dass sie an formale Operationen und propositionales Fakten- und Regelwissen gebunden bleiben und daher wichtige Dimensionen des praktischen Alltagswissens nicht erfassen. Die metatheoretischen Grundlagen des Kognitivismus sind Gegenstand des zweiten Kapitels. Zunächst wird Gilbert Ryles Plädoyer für einen nicht-kognitivistischen Wissensbegriff plausibilisiert. Sodann wird, der Entwicklung der Diskussion in der Philosophy of Mind folgend, Jerry Fodors Representational Theory of Mind (RTG) ausführlich dargestellt. So wird es zunächst möglich, die für die kognitivistischen Wissensmodelle zentralen Grundannahmen, den Repräsentationalismus und den Computerfunktionalismus, nachzuvollziehen. Zugleich wird auf immanente Schwachstellen der RTG aufmerksam gemacht. Wichtiger als die theorieimmanenten Probleme des Computerfunktionalismus ist für die vorliegende Arbeit jedoch die Kritik, die gleichsam von außen an ihn gerichtet wird und sich gegen die kognitivistische Konzeptualisierung von Semantik (und mithin von semantischem Wissen) richtet. Mit der Darstellung der kritischen Argumente von John Searle, Hilary Putnam und Hubert Dreyfus kommen drei namhafte Kritiker des Computerfunktionalismus zur Sprache. Ihren Argumenten werden abschließend die Forderungen gegenüber gestellt, die sich aus der psychologischen Kritik des kognitivistischen Wissensbegriffs ergeben. Daran anknüpfend werden sodann, im zweiten Teil der Arbeit, psychologische Alternativen zum Kognitivismus rekonstruiert. Zunächst stellt das dritte Kapitel wissenspsychologische Ansätze aus den dreißiger bis sechziger Jahren vor, die zwar heute als Vorläufer des Kognitivismus gehandelt werden, aber dennoch einen Beitrag zur konstruktiven Kritik des kognitivistischen Modells liefern, da sie noch nicht an den informationstheoretischen Wissensbegriff gebunden 25

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

waren, wie die später entstandenen kognitionspsychologischen Arbeiten. Es zeigt sich, dass in einigen der hier diskutierten Theorieentwürfen die soziopragmatische Dimension kulturellen Wissens bereits angelegt scheint, aber unausgeführt bleibt. Im vierten Kapitel wird der Soziale Konstruktionismus (in der Variante Gergens) als paradigmatisches, rezentes und zunehmend populärer werdendes Beispiel für eine interdisziplinär orientierte, dezidiert kognitivismuskritische Psychologiekonzeption ausführlich dargestellt. Wir werden Gergens kritische Argumente und seine eigenen Vorschläge für eine sozialkonstruktionistische Alternativkonzeption rekonstruieren. Dabei gelangt auch die Breite der metatheoretischen und theoretischen Grundlagen dieses Ansatzes, die von Wittgenstein über wissenssoziologische Arbeiten bis hin zum Poststrukturalismus reichen, ausführlich zur Darstellung. So entsteht ein umfassendes Bild der sozialkonstruktionistischen Vision einer alternativen, konstruktivistischen, soziopragmatisch fundierten (Wissens-)Psychologie, die beansprucht, den Kognitivismus als leitendes Paradigma abzulösen. Hingewiesen wird allerdings auch auf Unstimmigkeiten und Widersprüche in Gergens Theorieentwurf, die insbesondere die Konzeption des Individuums und den sozialkonstruktionistischen Handlungsbegriff betreffen. Im fünften Kapitel werden sowohl die Verdienste als auch die Defizite des Sozialkonstruktionismus nochmals zusammengefasst präsentiert. Dabei wird klar, dass eine zentrale Herausforderung für seine Relevanz als psychologischer Theorie darin besteht, der soziokulturellen Basis von Wissen und Bedeutung gerecht zu werden, ohne dabei die psychologischen Fragen nach individuellen Erfahrungen, Kapazitäten, Fähigkeiten und Kompetenzen aus seinen Diskursen auszublenden. Diese Fragen, die im Sozialen Konstruktionismus aus unterschiedlichen Gründen ausgeklammert werden, greifen bestimmte Vertreterinnen und Vertreter der Kulturpsychologie auf, die ähnlich wie der Soziale Konstruktionismus um eine kritische Diskussion und Modifikation bestimmter kognitivistischer Grundkonzeptionen bemüht ist. Daher werden wir im zweiten Teil des fünften Kapitels einige grundlegende Aspekte kulturpsychologischen Denkens mit den sozialkonstruktionistischen Entwürfen vergleichen. Die abschließend vorgebrachten skizzenhaften Vorschläge münden in ein Plädoyer für eine pragmatistische Wissenspsychologie.

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Erster Teil Die kognitivistische Wissenspsychologie und ihre metatheoretischen Grundlagen

I

Modelle der Wissensrepräsentation in der kognitiven Psychologie

1

Das Paradigma der Informationsverarbeitung

Heute gilt die Wissenspsychologie als das einschlägige Teilgebiet der kognitiven Psychologie, in dem theoretische Modelle der Organisation menschlichen Wissens entwickelt werden. Erstmals wurde der Begriff Wissenspsychologie durch die Einrichtung eines Forschungsprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1984) geprägt. Bekannt wurde er schließlich 1988 im von Mandl und Spada herausgegebenen Band dieses Namens. Die Forschungsfragen dieses neueren Forschungsgebiets befassen sich mit der Repräsentation von Wissen im menschlichen Gedächtnis, der Integration neuer Erfahrungen in bestehendes Wissen, der Aktivierung und dem Abruf gespeicherter Wissensinhalte und deren Vergessen. Erforscht wird weiterhin der Einsatz von Wissen beim Denken, bei Entscheidungsprozessen, beim Problemlösen sowie beim Sprechen und Handeln; speziellere Themen sind z.B. die Ausbildung von Expertenwissen, die Einflüsse emotionaler Zustände oder Prozesse auf den Wissenserwerb und -abruf (vgl. Mandl/Spada 1988). Mandl und Spada heben zusätzlich hervor, dass unter den Begriff Wissenspsychologie nicht nur ein Gegenstandsbereich der Psychologie gefasst wird, sondern auch eine besondere Forschungsperspektive: Die Subdisziplin soll nicht nur Erwerb, Aufbewahrung und Abruf von Wissenselementen untersuchen und theoretische Modelle ihrer Organisation entwickeln, sie soll außerdem auch die Rolle reflektieren, die der Analyse von Wissen in den unterschiedlichen Teilbereichen der Psychologie zukommt. 29

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Die Wissenspsychologie definierte sich von Beginn an als ein Teilgebiet der interdisziplinären Kognitionswissenschaften und ist nicht nur beherrscht von einer repräsentationalistischen Auffassung von Wissen, sondern auch von der Annahme, man könne Wissen mit Information und kognitive Prozesse mit Informationsverarbeitung gleichsetzen. Damit verbunden ist die methodische Einstellung, Wissen im psychologischen Sinn lasse sich durch die computerunterstützte Modellierung von Informationsverarbeitungsprozessen am präzisesten und detailliertesten erforschen. Die Entwicklung und Verbreitung des Computers als Forschungsinstrument in den fünfziger Jahren war entscheidend für die wissenspsychologische Gedächtnis- und Wissensforschung: Mit ihrer Hilfe ließen sich nach Ansicht der immer größer werdenden Fraktion kognitivistisch orientierter Psychologinnen und Psychologen Prozesse der Informationsverarbeitung in Form von Programmen nachbilden und gezielt manipulieren. Mittlerweile wird mit Bezug auf computationale Modellvorstellungen immer häufiger problematisiert, dass Computerprogramme zwar die Logik einer Theorie oder eines Modells überprüfen, nicht jedoch die Übereinstimmung der Theorie mit der alltäglichen psychologischen Realität von Gedächtnisund Wissenserwerbsprozessen. Grundlegende Relationen, wie etwa der Zusammenhang von Wissen und Handeln, die Zuordnung von Gegenstand und Begriff, der Wechsel zwischen Erfahrungskonstruktion und Wissensrepräsentation werden in den verschiedenen Modellen auf sehr unterschiedliche Weise bestimmt, oftmals ohne dass eine psychologische Begründung dafür angegeben wird (vgl. Schermer 1991: 159f.). Dies hat in den Augen vieler Kritiker des Kognitivismus dazu geführt, dass sowohl Fragestellungen als auch Ergebnisse der wissenspsychologischen Forschung heute größtenteils von der computerisierten Modellierung dessen beherrscht sind, was eigentlich ihr zu erschließender Gegenstand sein sollte (vgl. Still/Costall 1991). Bereits ein kurzer Blick auf die Entstehungsbedingungen der mittlerweile für die Subdisziplin der kognitiven Psychologie paradigmatischen informationstheoretischen Ausrichtung verdeutlicht die Bedeutung jener Entwicklungen, von denen man heute weiß, dass sie die kognitive Wende vorbereiteten. Die neuartige Fragerichtung nach den nicht unmittelbar aus dem Verhalten zu ersehenden Kognitionen sollte natürlich einerseits die längst fällige Abkehr vom Behaviorismus umsetzen. Andererseits jedoch ermöglichte sie die Partizipation an einer Vielzahl neuerer technischer und theoretischer Entwicklungen auf

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DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

so unterschiedlichen Gebieten wie der Logik, der Linguistik, der Neurophysiologie, der Kybernetik und der Informationstheorie.1 Einige der einschlägigsten Neuerungen in jenem heterogenen Feld, aus dem sich später die interdisziplinären Kognitionswissenschaften entwickeln sollten, seien kurz erwähnt: Die neue, durch Frege und Russell, aber auch durch Wittgensteins frühe Arbeiten geprägte, mit abstrakten Symbolen operierende Form der Logik sowie Turings (1936) logischmathematische Arbeiten waren für Forscherinnen und Forscher, die sich für Computer interessierten, ein wichtiger Schritt. In den dreißiger Jahren entwickelte Turing mathematische Darstellungen, die spezifizieren sollten, welche Probleme tatsächlich von Computern bearbeitet 2 werden können. Für die Neurologie zeigten die Forscher Warren McCulloch und Walter Pitts (1943), dass sich die Operationen eines neuronalen Netzwerkes mit den Begriffen der Logik darstellen lassen. 1

Damit sind jene disziplinären Entwicklungen angesprochen, die speziell für das Aufkommen des Kognitivismus und der informationstheoretischen Ausrichtung der kognitiven Psychologie bedeutsam waren. Es versteht sich von selbst, dass andere Schulen und Strömungen innerhalb und außerhalb der Psychologie, wie z.B. die Gestaltpsychologie Köhlers oder die Gedächtnispsychologie Bartletts und die Sprachpsychologie Wygotskis die Abkehr der wissenschaftlichen Psychologie vom Behaviorismus schon viel früher ermöglicht hätten. Auf einige der psychologischen Vorläufer des Kognitivismus bzw. auf noch nicht informationstheoretisch angelegte kognitivistische Ansätze aus den fünfziger Jahren kommen wir im dritten Kapitel ausführlich zu sprechen. Bedenkenswert ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass die in der Sozialphilosophie und -psychologie George Herbert Meads bereits vollzogene Abwendung vom strengen Behaviorismus im Sinne Watsons sowie die gleichzeitige Entwicklung eines sozialpsychologisch interessanten Handlungsbegriffs (vgl. Mead 1934/1995) von den Vertreterinnen und Vertretern derjenigen neuen Richtung der Psychologie, die später als Kognitivismus bezeichnet wurde, kaum zur Kenntnis genommen wurde. Auf die Forderung, die Psychologie solle auch für genuin psychologische Fragen häufiger den Blick zu den Nachbardisziplinen wagen, gehen einige der in Kap. IV und V besprochenen Vorschläge genauer ein. 2 Bekanntlich wurde der Gedanke, der als Turing-Test unsterblich wurde, oft als Versuch aufgefasst, die Frage zu beantworten, ob Computer wirklich denken können. Was Turing mit seinem Test eigentlich erreichte, war eine bestimmte Art der Operationalisierung des alltagsweltlichen Begriffs des Denkens: Wenn der Computer eine bestimmte Zeit lang ein sprachliches Input-Output-Verhalten zeigte, das sich nicht von dem eines Menschen unterscheiden ließ, sollte man sein Verhalten als „intelligentes Verhalten“ bezeichnen dürfen (vgl. Helm 1998: 134).

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Jedes Neuron wurde als ein Schwellenelement aufgefasst, das entweder aktiv oder inaktiv ist und damit gleichsam die logischen Werte wahr oder falsch darstellt. Diese einzelnen Neuronen wurden so miteinander verknüpft, und diese Verknüpfungen führten logische Operationen aus (wie ‚und‘ bzw. ‚oder‘ u.a.). Aus dem Bereich der Kybernetik steuerten Norbert Wiener und John von Neumann die Behauptung bei, dass Probleme der Regeltechnik und der Nachrichtentechnik nicht voneinander zu trennen seien. Sich selbst regulierende technische Systeme wie Flugabwehrsysteme oder ferngesteuerte Raketen wurden nicht nur als vergleichbar mit Nachrichten- oder Informationssystemen angesehen, sondern man entdeckte, dass der Begriff der Nachricht, nicht der Regulation im technischen Sinne, das zentrale Analogon dieser theoretischen Verbindungen ist (vgl. Wiener 1948). Aus der strukturellen Linguistik wurden bereits erste Ergebnisse über strukturelle Merkmale der Sprache in die Diskussion gebracht (vgl. Jakobson 1956), die später von Noam Chomsky aufgegriffen werden sollten (Chomsky 1965; s. Kap. II). Etwa zur selben Zeit leitete die Entdeckung bzw. Generierung neuer neuropsychologischer Syndrome, die auf der Analyse spezifischer Ausfälle bei Gehirnverletzungen oder der Ausprägung bestimmter Aphasieformen beruhten, neue Schlussfolgerungen über das Funktionieren des Gehirns ein. Die kognitiven Neurowissenschaften sollten allerdings erst Jahrzehnte später, etwa vom Beginn der achtziger Jahre an, durch die Entwicklung neuer Methoden zur Abbildung der Funktionsweise des Gehirns in die bereits etablierte informationstheoretisch konzipierte kognitive Psychologie Einzug halten (vgl. McClelland 1981; zum Überblick Anderson 3 2001). Am wichtigsten für die rasante Karriere des Informationsbegriffs waren allerdings bestimmte Annahmen aus der ingenieurswissenschaftlichen Theorie in Kombination mit einem bestimmten Kommu3

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Das hat (in manchen Fällen) auch dazu geführt, dass die Aussagen über psychologische Zustände differenzierter betrachtet werden. Beispielsweise ist der Schluss von Ergebnissen lokalisationstheoretischer Analysen auf neuropsychologische Thesen mittlerweile bekanntlich umstritten. Shallice (1988) sieht die Gefahr der Überbetonung psychologischer Annahmen innerhalb der Neuropsychologie, die von Psychologen ohne ausreichende Kenntnisse in der (klinischen) Neurophysiologie stammen; Preilowski (1987) äußert gar die Ansicht, dass neuropsychologische Thesen in der Regel nicht abgesichert seien, jedoch als eine Art „härtere“ Begründungsform in die Lücken psychologischer Theorien einspringen sollten.

DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

nikationsmodell. Der Elektroingenieur Claude Shannon entdeckte, dass man bestimmte Grundprinzipien der Logik (wie etwa die Unterscheidung zwischen wahren und falschen Aussagen) benutzen kann, um die beiden Zustände an Relaisschaltern (an und aus) zu beschreiben, und er entwickelte daraus die Grundidee der Informationstheorie. In seinem zusammen mit Warren Weaver verfassten Buch The Mathematical Theory of Communication (1949) behauptete Shannon als einer der ersten, Information sei völlig losgelöst von einem spezifischen Inhalt oder Thema vorstellbar als eine Entscheidung zwischen zwei gleichermaßen plausiblen Alternativen. Der Informationswert dieser Entscheidung ergibt sich aus der Möglichkeit der Wahl zwischen unterschiedlichen Nachrichten, informativ ist nur eine Nachricht, die aus einer Menge von Möglichkeiten ausgewählt werden kann. Die minimale Informationseinheit beschreibt daher eine Situation mit zwei äquiprobablen Möglichkeiten. Der Informationsgehalt wächst mit der Anzahl von möglichen Nachrichten, aus denen ausgewählt wird (vgl. Shannon/Weaver 1971). Damit kann man Information rein formal und unabhängig von einem bestimmten Trägersystem (wer oder was verfügt über die Information oder verwendet sie; handelt es sich um Computer, Individuen, soziale Einheiten?) definieren. Wichtig ist nurmehr, wie viel bits Information, also wie viele Binärentscheidungen man insgesamt für die Entscheidung zwischen zwei Alternativen benötigt. Die Absicht von Shannon und Weaver war es, die vorgestellte Methodik für die Messung der von einem Sender übermittelten Information in jedem beliebigen technischen Bereich zu ermöglichen, in dem Kommunikation existiert. Die Begründer der Kognitionswissenschaften beschränkten sich damit freilich auf ein spezifisches Kommunikationsmodell, bei dem es darum geht, einen geistigen Inhalt von einem Sender zu einem Empfänger gelangen zu lassen. Zur Erläuterung dieses Vorgangs bedient man sich der aus dem Telegrafenwesen entlehnten Metaphorik des Kodierens bzw. Dekodierens. Wenngleich die Sprachphilosophie und -psychologie heute natürlich Kritik an diesem Sprach- und Kommunikationsmodell äußert – schließlich kommt es häufig vor, dass das vom Sprecher Gemeinte in der Sprache nur vage oder sogar verzerrt ausgedrückt ist –, erschien diese Beschränkung für die Interessen der kognitiv orientierten Psychologien besonders viel versprechend. Schließlich ließ sich diese Auffassung von Kommunikation und Verständigung perfekt in das formale, informationstheoretische Wissensmodell einfügen. Damit konnte sich die Kognitionspsychologie auf die Beschreibung der Mechanismen jeder erdenklichen Art von Information verlegen, ohne auf ihre spezifische psychologisch relevante Erscheinungsform, etwa „unange33

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

nehmes Ereignis“ oder „erfreuliches Ereignis“) zu achten (vgl. Gardner 4 1989: 33). Für die in den folgenden Unterkapiteln vorgenommene Zusammenschau einiger kognitivistischer bzw. wissenspsychologischer Modelle der Wissensrepräsentation sind zwei Aspekte des Informationsparadigmas besonders wichtig: erstens ein bestimmtes Verständnis des menschlichen Geistes, das die Analogie zum Computer nicht nur nahe legt, sondern sie auch zu begründen scheint, und zweitens ein bestimmtes Verständnis von Bedeutung bzw. die Reduktion von Bedeutung auf Information. 1.1

Das computational-repräsentationale Verständnis des Geistes

Maßgebliches Ergebnis der postulierten Analogie zwischen der Informationsverarbeitung des Computers und derjenigen der menschlichen Kognition und zugleich eine der Kernannahmen der Kognitionswissenschaften ist bis heute das Postulat einer eigenen Untersuchungsebene, auf der man es mit Repräsentationen dessen zu tun hat, was Gegenstand der kognitiven Psychologie ist. Nur über die Symbole, Regeln und Vorstellungen, die zwischen Input und Output liegen, sowie deren Unterschiede und Verbindungen oder deren Transformation kann man die Vielfalt menschlichen Handelns und Denkens erklären. Andere Faktoren, die für die Erklärung menschlichen Handelns herangezogen werden, ob nun die Ebene der Nervenzellen oder die Kultur als System des Wissens und der Sinnstiftung gemeint ist, sind zwar möglicherweise ebenfalls einflussreich, aber in jedem Fall muss

4 Wenngleich diese Neuentwicklungen in unterschiedlichen Disziplinen einen Ausschnitt dessen bieten, was Howard Gardner später „das intellektuelle Fundament, auf dem die Kognitionswissenschaft errichtet werden sollte“ nannte (1989: 35), bedurfte es zur Gründung einer neuen Disziplin bekanntlich noch vieler Kongresse, Konferenzen und Veröffentlichungen in den vierziger und fünfziger Jahren. Zur Konstituierung der Kognitionswissenschaft trugen zwei Konferenzen entscheidend bei: das Hixon-Symposium (1948), bei dem Techniker, Neurobiologinnen und Psychologen zusammen tagten, sowie das in Dartmouth abgehaltene Symposium on Information Theory (1956), auf dem u.a. Marvin Minsky, John McCarthy, Herbert Simon und Alan Newell zusammentrafen und wo der Begriff der Artificial Intelligence geprägt wurde. Für eine ausführlichere Rekonstruktion vgl. Gardner (1989); Mainzer (1995); Wilke (1996), Thagard (1999).

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DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

„für wissenschaftliche Zwecke das kognitive Handeln des Menschen in Begriffen wie Symbol, Schema, Vorstellung, Idee und anderen Formen mentaler Repräsentationen beschrieben werden“ (Gardner 1989: 50f.; vgl. Thagard 1999: 22ff.). Für alle unterschiedlichen von der Kognitionspsychologie vorgeschlagenen Wissensrepräsentationsmodelle ist auch das computational-repräsentationale Verständnis des Geistes unbestritten: Demnach sind die mentalen Repräsentationen im Geist vergleichbar (wenn nicht sogar identisch) mit den Datenstrukturen des Computers, sie werden erzeugt durch und erzeugen ihrerseits wieder computationale Prozesse (z.B. Algorithmen). Mentale Prozesse wie Denken entsprechen der Aktivität unterschiedlicher Computerprogramme. Unterschiedliche mentale Repräsentationen fördern auch unterschiedliche Formen mentaler Prozesse bzw. – um den technischen Aspekt dieser Betrachtungsweise hervorzuheben – mentaler Verfahren 5 (vgl. Thagard 1999: 15). Der Computer war (und ist in vielen Fällen noch) für viele Kognitionswissenschaftler nicht nur hilfreich für die Modellierung menschlichen Denkens, sondern dient gleichzeitig als eine Art Existenzbeweis dessen, was er modellieren soll. Die Begründung ist zunächst denkbar einfach: „Wenn man von einer menschengemachten Maschine sagen kann, sie ziehe logische Schlüsse, habe Ziele, revidiere ihr Verhalten, transformiere Information und so weiter, dann haben Menschen mit Sicherheit Anspruch darauf, auch so beschrieben zu werden“ (Gardner 1989: 52). Diesen Aspekt der computationalen Modellvorstellungen und ihrer Auswirkungen auf die wissenschaftliche Bemühungen um die Erklärung und Erforschung des menschlichen Geistes (sei es in der angelsächsischen Philosophy of Mind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder in der kognitiven Psychologie) halten die Kritiker des kognitionswissenschaftlichen Paradigmas freilich für ein spezifisches Missverständnis: Costall (1991a) hebt in einem kognitivismuskritischen Aufsatz mit dem Titel Graceful degradation. Cognitivism and the metaphor of the computer darauf ab, dass in vielen kognitionspsychologischen Theorien der Einsatz künstlicher Intelligenzsysteme als Analogie und als eine Art Beleg für das computational-reprä-

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Im zweiten Kapitel wird noch Gelegenheit sein, sich mit Jerry Fodors Variante der computational-repräsentationalen Theorie des Geistes in der von ihm entwickelten Representational Theory of Mind und ihren bedeutungstheoretischen Voraussetzungen, zu denen auch die Hypothese des „physischen Symbolsystems“ (Simon/Newell 1955) gehört, genauer auseinanderzusetzen.

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sentationale Verständnis des Geistes verwendet werde, was implizit oder explizit mit der Annahme einhergehe, dass „the computer literally performs rule-governed transformation of intentionally symbolic expressions“ (ebd.: 155). So lese man z.B. bei Baars: „The existence of the Computer provides a concrete proof that the commonsense notion of representation is indeed viable, even with all its attendant philosophical difficulties“ (1986: 14, zit. nach Costall 1991a: 154ff.; vgl. Pylyshyn 1985; Gregory 1975). Costall zufolge kann die Vermischung der Begriffe, mit denen Geist resp. Computer beschrieben wurden und werden, allenfalls als Beleg dafür gelten, dass Computerdesigner psychologische Metaphern verwenden. Die Symbole im Computer sind dabei jedoch selbstverständlich nicht Repräsentationen für den Computer, sondern für diejenigen (Menschen), die ihn nutzen. „If computers appear to constitute ‚living‘ proof that meaning can exist within a self-enclosed realm of representations devoid of any interpreter, it is because we forget ourselves – the people outside the machine who invest the symbols with our meanings“ (Costall 1991a: 156; 6 Herv. i.O.). 1.2

Information und Bedeutung

Durch den repräsentationalistischen Informationsbegriff hat die Rede von Bedeutungen oder von semantischem Wissen, wenn diese Begriffe auch nach wie vor in der kognitiven Psychologie eine Rolle spielen, eine gänzlich andere Konnotation erhalten als etwa Jerome Bruner sie in seiner 1990 erschienenen Abhandlung Acts of Meaning verlangt. Bruner bringt dieses Anliegen im Zusammenhang mit der Forderung

6 Neben dem Repräsentationalismus haben auch andere Eigenschaften, die computationalen Informationsverarbeitungssystemen zugeschrieben werden, zur Beliebtheit der Analogiebildung zwischen Mensch und Computer beigetragen, so etwa die Komplexität der Verarbeitung auch der einfachsten Aufgaben, die auf den ersten Blick schmeichelhaft (und dadurch um so glaubwürdiger) erschien. Dagegen wendet Costall im erwähnten kritischen Aufsatz ein, dass genau dies doch eher zum Schluss führen müsste, dass sich die typisch menschlichen Möglichkeiten der Wissensbildung und -verwendung nicht völlig oder nur über Umwege in der technisierenden Sprache der Informationsverarbeitung ausdrücken lassen: „The possibility that this complexity might reflect an inelegant programming solution or even the intrinsic unsuitability of programs for representing certain essential insights has seldomly been entertained“ (ebd.: 157).

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nach einer Aufwertung alltagspsychologischen Wissens vor. Die folk psychology, also die Alltagspsychologie, besteht für ihn in den alltagsweltlichen Vorstellungen davon, wie unsere „intentionalen Zustände“ mit unserem Verhalten und Erleben zusammenhängen (Bruner 1990a: 33f.). Gerade viele für diese Art von Alltagspsychologie konstitutiven Aspekte, wie etwa die spezifisch menschliche Form von Intentionalität, der intersubjektive Charakter alltäglich eingesetzter Wissensbestände oder der implizite Status soziokulturellen, praktischen Regelwissens wurden durch den informationstheoretischen Zuschnitt von (Wort-)Bedeutungen aber zwangsläufig vernachlässigt. Schließlich ist der Informationsbegriff, wie eben im Rückgriff auf Shannons und Weavers Konzept verdeutlicht wurde, ausdrücklich als relationaler oder funktionaler Begriff konzipiert. Das heißt, informationstheoretisch gesehen ist der Informationsgehalt einer Nachricht nicht nur unabhängig von ihrem Trägersystem, er ist auch durch nichts der Botschaft in irgendeiner Weise Innewohnendes definiert. Von intentionalen Zuständen im Sinne Bruners kann in diesem Fall nicht die Rede sein. Auch dann nicht, wenn wir Intentionalität in einem sehr basalen Sinn verstehen, nämlich einfach als die Eigenschaft 7 mentaler Zustände ‚auf etwas gerichtet‘ zu sein. Shannon und Weaver verorteten die Frage, ob Nachrichten Bedeutungen vermitteln können, außerhalb des Anwendungsbereichs ihrer Theorie: „These semantic aspects are irrelevant to the engineering problem“ (ebd.: 3). Die kognitive Psychologie konnte und wollte die Frage nach den intentionalen Zuständen bzw. der Bedeutung von Informationen sicherlich niemals so explizit aus ihrem disziplinären Diskurs ausschließen, wie es in dieser Formulierung Shannons und Weavers anklingt. Die folk psychology, bzw. eine auf ihr aufbauende Theorie des Mentalen im Sinne Bruners, wird allerdings bis heute von der kognitiven Psychologie bestenfalls als heuristisch wertvoll anerkannt, wissenschaftlich jedoch als

7 Dieser Intentionalitätsbegriff umfasst allerdings sehr viel mehr bzw. etwas anderes als die meisten psychologischen Verwendungsweisen, die das Wort intentional schlicht mit „absichtsvoll“ (so etwa Anderson 2001: 197) oder im Sinne der Zielgerichtetheit von Handlungen (so etwa Städtler 1998: 499) übersetzen. Das gilt auch und besonders für die Wiederentdeckung der Intentionalität durch experimentell arbeitende Kognitionspsychologen etwa seit den achtziger Jahren (vgl. z.B. Prinz 2000). Für die weitere Diskussion des Intentionalitätsbegriffs sei auf den Abschnitt über die Kritik des Philosophen John Searle am kognitivistischen Modell des Geistes im zweiten Kapitel verwiesen.

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minderwertig angesehen (vgl. z.B. Bortz 1989; Huber 1987; Thagard 8 1999; Anderson 2001). Aus diesem Grund wird andererseits der Wissenspsychologie vorgeworfen, dass der informationstheoretisch konzipierte Begriff der Kognition mit Bedeutung nur im Sinne der strengen Zuordnung von Begriffen in einem Wörterbuch zu tun habe, in dem gespeicherte, lexikalische Information über eine kodierte Adresse wieder gefunden wird, nicht aber mit dem Wissen, das man braucht, um kontext- und verwendungsabhängige Bedeutungen im Alltag zu verstehen und zu kommunizieren. Bruner selbst schreibt über den kognitionswissenschaftlichen Wissensbegriff: „Dieser Art von Informationsverarbeitung aber entzieht sich alles außer wohldefinierten und arbiträren Daten, die auf spezifische Weise verknüpft werden können. […] Ein solches System kann weder mit Vagheit und Polysemie noch mit metaphorischen und konnotativen Beziehungen etwas anfangen“ (1997: 24f.). Graumann kritisiert die Reduktion der Inhalte von Kognitionen auf den formalen Aspekt ihrer Verarbeitung (1988); Flick (1995: 11) stört die Ausblendung der „Bedeutung von Kommunikation und Interaktion“, der Relevanz sozialen Handelns für „Wissen und Denken“ sowie der „Bewertung“ von Informationen; Varela bemängelt in seiner Abhandlung unter dem Titel Kognitionswissenschaft – Kognitionstechnik, dass „in den bisher gegebenen Definitionen der Kognition der gesunde Menschenverstand völlig fehlt“ (1990: 89); Zitterbarth und Werbik sprechen von der „Halbherzigkeit der kognitiven Wende“ (1990). Kurz: für die Konzeptualisierung dessen, was wir Alltagswissen nennen, so scheinen sich alle hier genannten Kritiker einig zu sein, ist der Informationsbegriff der Wissenspsychologie in mehrfacher Hinsicht zu reduktionistisch. Zwar machen bestimmte kognitionspsychologische Theorieansätze, die sich auf die Repräsentation semantischen Wissens spezialisieren, nicht zuletzt alltagweltlich relevantes Handlungswissen zum Ziel ihrer Analyse. Das gilt insbesondere für schema- und skripttheoretische Ansätze (Schank/Abelson 1977; Abelson 1981; Anderson 1982)

8 Nicht zuletzt im Sinne einer Klärung des Verhältnisses von Alltagspsychologie und wissenschaftlicher Psychologie sollte für Kognitive Psychologinnen und Psychologen die grundlagentheoretische Diskussion in der Analytischen Philosophie des Geistes von großem Interesse sein. Dort wird die Frage nach dem Status der Alltagspsychologie ausführlich diskutiert (vgl. z.B. Sellars 1956; Fodor 1975, 1987; Stich 1983; s. Kap. II).

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DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

sowie für Modelle prozeduralen oder Fertigkeitswissens (Anderson 1982; Dörner 1976). Es bleibt aber auch hier fraglich, was in diesen Modellen unter Bedeutung verstanden wird. Bereits die Tatsache, dass die Wissensrepräsentation stets im Rahmen individueller kognitiver Systeme thematisiert wird, weist darauf hin, dass Wissen im Sinne der kognitiven Psychologie durchgängig eine subjektivistische, individualistische oder gar solipsistische Fassung erhält, auch dann, wenn es explizit um semantisches oder bedeutungshaltiges Wissen geht. Eine strikt von den intrapsychischen Kapazitäten und Kompetenzen des Individuums ausgehende Modellierung von (Alltags-)Wissen trägt jedoch der Tatsache nicht Rechnung, dass Individuen nicht nur stets an einer kulturellen Praxis teilhaben, sondern auch ihre psychischen Kapazitäten und Kompetenzen in der Sprache einer Kultur realisieren, und dass diese Praxis und diese Sprache konstitutiv für die Inhalte der Kognition sind. Der Reduktionismus der individualistischen Wissenskonzeption des Kognitivismus wird mittlerweile besonders aus kultur- und sozialpsychologischer Perspektive kritisiert (vgl. Werbik 1985; Straub 1999, 2001; Gergen 1994, 1999; Potter 1996). An späterer Stelle wird diese psychologie-interne Kognitivismuskritik genauer besprochen werden (s. Kap. II, 6; Kap. IV u. V). Zunächst wollen wir noch im Rahmen kognitivistischer Wissenskonzeptionen bleiben und analysieren, wie die Wissenspsychologie in den Jahrzehnten nach der kognitiven Wende verstärkt die höheren kognitiven Prozesse zu konzeptualisieren und modellieren begann, die im Unterschied zu niederen, wahrnehmungsbasierten Verarbeitungsprozessen unter dem Titel „semantische Wissensrepräsentation“ (Anderson 2001) aufgeführt werden und die mit Denken, Sprache und Gedächtnis zu tun haben. Im Zentrum der auf den folgenden Seiten vorgenommenen Rekonstruktion dieser kognitivistischen Modelle stehen Fragen wie diese: Wie wird speziell das bedeutungshaltige Wissen diesen Modellen zufolge repräsentiert, wie wird es verarbeitet und abgerufen? Wie sieht dabei das Verhältnis von Wissen und Handeln, von prodezuralem und deklarativem Wissen bzw. die Repräsentation desjenigen Wissens aus, das man für die Umsetzung oder Übersetzung von theoretischem Fakten- und Regelwissen in praktisches Handlungswissen braucht? Ist die Grundlage für Problemlöse-, Entscheidungs-, Bewertungs-, Erinnerungs- und andere kognitive Prozesse tatsächlich unabhängig von ihrem Inhalt allein in der formalen Struktur des individuellen kognitiven Systems zu suchen? Sind sinn- und bedeutungsbezogene Kognitionen auch auf einer anderen als der Repräsentationsebene lokalisiert, indem sie eine leibliche, emotionale, praktische oder soziale Komponente aufweisen? 39

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Bei der nun folgenden Betrachtung einiger repräsentativer Modelle wird das Augenmerk erstens auf den Unterschied zwischen den eher statischen Modellen propositionaler Wissensrepräsentation – in der Regel handelt es sich dabei um Netzwerkmodelle – und den dynamischeren Repräsentationsmodellen in Form von Schemata und Skripts 9 gerichtet sein. Eine Art normativen Fluchtpunkt stellt dabei die auch in der Psychologie mittlerweile immer häufiger eingeforderte Brauchbarkeit des jeweiligen Modells für die Repräsentation jener Wissensbestände, die wir als Alltagswissen, zuweilen aber auch als „kulturelles oder kulturspezfisches Hintergrundwissen“ (Thomas 2000: 233), nicht zuletzt auch als „praktisches oder Handlungswissen“ (Straub 2001a: 156) oder „Umgangswissen“ (Laucken 2000: 37) bezeichnen. Zweitens wird die Frage nach der besonderen Repräsentationsform prozeduralen Wissens von besonderem Interesse sein. Dabei wird sich herausstellen, dass auch in den gängigen Modellen prozeduralen Wissens letztlich die propositionale Repräsentationsform überwiegt, und dass diese Tatsache erheblich daran mitwirkt, die von der kognitivistischen Psychologie vorgeschlagene Modellierung menschlicher mentaler Zustände und Prozesse ungenügend erscheinen zu lassen, sobald man sie auf das im Alltag relevante Wissen anzuwenden versucht.

2

Modelle der Repräsentation propositionalen Wissens und ihre Probleme

2.1

Frühe Netzwerktheorien

Die ersten Netzwerktheorien gingen davon aus, dass semantisches Wissen als Netzwerk miteinander verbundener Begriffe, im Sinne von Wortbedeutungen, repräsentiert ist (vgl. Collins/Quillan 1969). Das 9 Unsere überblickartige Zusammenstellung älterer, gleichwohl in der Wissenspsychologie noch immer verwendeter kognitivistischer Modelle der Wissensrepräsentation ist damit von vorne herein mit Blick auf eine bestimmte Fragestellung verfasst. Sie erhebt weder Anspruch auf vollständige, systematische Rekonstruktion noch können die einzelnen Modelle ausführlich besprochen werden. Für beides verweisen wir auf bestehende Literatur. Neben den im Text zitierten Originalwerken zu den jeweiligen Modellen und allgemein gehaltenen Einführungen in den gängigen kognitivistischen Lehrbüchern geben einen detaillierten Überblick über die hier verhandelten Modelle u.a. Tergan (1986), Mainzer (1995) und Thagard (1999).

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DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

Netzwerk ist wie eine Begriffshierarchie aufgebaut, repräsentiert wird die Semantik von Begriffen im Sinne von Begriffsdefinitionen. Es gibt Ober- und Unterbegriffe. Begriffe werden in der Regel durch Knoten, Relationen zwischen den Begriffen durch Verbindungslinien dargestellt. Definiert werden Begriffe, indem die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Begriffsklasse (Kategorie) sowie wesentliche Merkmale des Begriffs herausgestellt werden. Da von der hierarchischen Organisation dieses Begriffsnetzwerks ausgegangen wird, kommt die Eigenschaft eines Begriffs auch allen Unterbegriffen zu. Mit dem Aktivationsausbreitungsmodell haben Collins und Loftus (1975) sich gegen die Vorstellung einer hierarchischen Ordnung der Begriffe in solchen Netzwerk gewendet. Sie führten als neues Strukturprinzip das der Ähnlichkeitsrelationen (die Autoren reden von „semantischer Distanz“) ein, um zu erklären, warum bestimmte Konzepte schneller und zutreffender bestimmt werden können als andere. Sie gehen davon aus, dass ein Begriff einem anderen dann am engsten verwandt ist, wenn möglichst viele Knoten- oder Verbindungspunkte zwischen beiden Begriffen liegen. Die intensivste Aktivierung erhalten somit unmittelbar mit den Startknoten verbundene Konzepte, die Aktivierung weiterer Konzepte nimmt mit der Anzahl der dazwischen liegenden Knoten ab. Daraus ergeben sich Folgen für die Verarbeitungsgeschwindigkeit: Ist ein Wort aktiviert, so ist die Verarbeitung eines nachfolgenden, begrifflich verwandten Wortes leichter und schneller möglich als die Verarbeitung eines semantisch-begrifflich nicht verbundenen. Die Merkmalstheorie der Bedeutung (Kintsch 1974) geht dagegen davon aus, dass die Einheiten im semantischen Gedächtnis aus „semantischen Merkmalen“ zusammengesetzt sind bzw. in solche dekomponiert werden können. Daraus ergibt sich gleichsam automatisch die „Komplexitätshypothese“ (ebd.), derzufolge komplexe Begriffe mit vielen Merkmalen langsamer verarbeitet würden als einfache Begriffe. Wortbedeutungen werden als Bündel von semantischen Merkmalen interpretiert, Satzbedeutungen als Bündel solcher Bündel (Smith u.a. 1974; Engelkamp 1990). Die Merkmalstheorie geht vorwiegend auf die linguistische Theorie der Generativen Semantik zurück (vgl. Katz/Fodor 1963; s. Kap. II, 2.2). Eine Alternative zu diesen hierarchischen Modellen der Repräsentation von Wortbedeutungen oder der Merkmalstheorie stellen die als Prototypentheorien bezeichneten wissenspsychologischen Modelle dar. Als Ursache für die schnellere Bestimmbarkeit eines Konzepts wird hier eine stärkere Gewichtung der Merkmale dieser Kategorie für die Bedeutungskonstitution der ihr zugeordneten Konzepte angenommen. Die Bedeutsamkeit der Merkmale ergibt sich aus der Häufigkeit, 41

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

mit der sie im Verlauf der Erfahrung als konstitutiv für ein bestimmtes Konzept wahrgenommen werden. Variationen in der Merkmalskonfiguration derselben Kategorie sind möglich (ein Rotkehlchen kann fliegen, ein Pinguin kann schwimmen, beides sind Vögel). Ein Begriff ist durch einen einzigen, nämlich den für ihn typischen Vertreter (Prototyp) repräsentiert. Dabei ist der Aspekt der Typikalität zentral: Exemplare einer Kategorie, die relativ viele Merkmale mit vielen anderen Exemplaren der Kategorie gemeinsam haben, werden als Prototypen bezeichnet (Rosch 1973; Klix 1976). So sind Begriffe nicht durch exakte Merkmale und logische Regeln für ihre Relationen definiert, sondern die Beziehung zwischen Konzepten wird zu einer Beziehung der „Familienähnlichkeit“ im Sinne Wittgensteins (1995: 278). Rumelhart und Norman kritisierten, dass sowohl die hierarchischen Netzwerktheorien als auch das Aktivationsausbreitungsmodell zwar gut geeignet seien, Fragen der Ähnlichkeit von Konzepten in semantischer und definitorischer Hinsicht zu behandeln, die Gültigkeit des Modells bleibe jedoch auf einfache nominelle Konzepte beschränkt. Im Fall von Collins und Quillian handelt es sich dabei ausschließlich um „natürliche Kategorien“, wie z.B. Lebewesen (1983; vgl. Tergan 1986). Tergan kritisiert ebenfalls, dass derartige Modelle für Konzepte, die „Sachverhalte und Ereignisse betreffen“ nur begrenzte Aussagekraft haben. Das Modell von Collins und Quillian stelle immer dann ein adäquates theoretisches Gerüst dar, wenn „im Vordergrund […] die Erfassung von Begriffswissen steht“ (1986: 41). Für das Prototypenmodell gilt dies nicht in derselben Weise: Die Konzepte ‚Typikalität‘ bzw. ‚Familienähnlichkeit‘ implizieren einen interpretativen Spielraum bei der Bestimmung von Begriffen bzw. der Zuordnung von Begriffen zu Kategorien. Daraus ergeben sich bestimmte Unterscheidungen für den diesen Modellen zugrunde liegenden Bedeutungsbegriff, da Bedeutungen von Begriffen nicht eindeutig fixiert werden. Insofern ist das Prototypenmodell für die Repräsentation bestimmter Aspekte des Alltagswissens, etwa für den Fall nur vage bestimmbarer Bedeutungen, der assoziativen Erfassung bislang unbekannter Begriffsvertreter oder für die Mehrdeutigkeit von Begriffen von der Anlage her möglicherweise besser geeignet. Gleichwohl arbeiten alle bisher genannten Modelle auf der Ebene von Begriffen und der Relationen zwischen ihnen und sind hierarchisch strukturiert. Erst die differenzierteren Forschungen und Theorien zur propositionalen Wissensrepräsentation bzw. der Repräsentation in Form von Schemata und Skripts gehen der Frage nach, wie man sich nun die Repräsentation, Organisation und den Abruf komplexerer sprachlicher Einheiten vorzustellen hat. 42

DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

2.2

Propositionale Netzwerke

Die in den siebziger Jahren bekannt gewordenen Netzwerktheorien der propositionalen Wissensrepräsentation beschreiben die Repräsentation komplexerer Einheiten, wie etwa längerer Texte oder Handlungszusammenhänge (z.B. Pylyshyn 1973; Kintsch 1974; Anderson 1976). Das Wissen ist diesen Ansätzen zufolge nach wie vor als Netzwerk miteinander verbundener Begriffe repräsentiert, die nun aber in Form fundamentalerer, abstrakter Bedeutungszusammenhänge gespeichert werden. Unwichtige Details bleiben unberücksichtigt. Wir speichern abstrakte Beziehungen eines größeren Zusammenhangs, wie etwa die Handlung eines Romans, welche die Rekonstruktion seines Bedeutungsgehalts erlauben (vgl. Schermer 1991). Ein konstitutives Merkmal dieser Repräsentationsform ist wieder die auf die Prädikatenlogik gegründete propositionale Darstellungsform, in der semantische Einheiten in Form von Prädikat-Argument-Strukturen dargestellt werden. Die propositionalen Netzwerktheorien schlagen vor, alle Aussagen in Propositionen zu zergliedern. Die gegenseitigen Bezüge der bedeutungstragenden Propositionen können dann netzwerkartig aufgedeckt werden. Diese Form der Wissensrepräsentation setzt allerdings voraus, dass sämtliche Wissensbestände, auch das, was Wessels als „Varietät des Alltagswissens“ bezeichnet (1984: 276), durch propositionale Bäume beschreibbar, über Computerprogramme überprüfbar, also explizit und logisch sein müssen. Unter einer Proposition versteht man die kleinste bedeutungshaltige Wissenseinheit, die für sich genommen noch als wahr oder falsch zu bezeichnen ist. Begriffe stellen für sich allein genommen noch keine Propositionen dar, sondern müssen erst durch eine bestimmte Relation miteinander in Beziehung gebracht werden, damit sie überhaupt auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfbar sind. Das bedeutet, die propositionale Wissensrepräsentation geht davon aus, dass sich bereits die basalsten Einheiten unseres Wissens auf Tatsachen, die mittels eines dass-Satzes ausgedrückt werden, und nicht einfach auf Gegenstände beziehen. Solches Tatsachenwissen besitzt Wahrheits- und Erfüllungsbedingungen, die klar angegeben werden können, und ist in diesem Sinne semantisch bewertbar. Schon eine kurze Reflexion dieser Bedingung macht klar, dass unser alltagspsychologisches Verständnis von Wissen in dieser Definition nicht aufgehen kann: Zunächst fällt es schwer, hier niedrigere, stärker wahrnehmungsgebundene Wissens-

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

elemente einzuordnen – wie genau sind die Erfüllungsbedingungen 10 dafür, dass eine bestimmte Rotempfindung vorliegt? Was ist mit der

10 Wissenspsychologische (Lehr-)Bücher führen bei dieser Frage die Unterscheidung zwischen verbaler und visueller Informationsverarbeitung und -kodierung ins Feld (Paivio 1972, 1986; Wessels 1984; Anderson 2001). Das Postulat unterschiedlicher Verarbeitungssysteme der beiden Hirnhälften und damit unterschiedlicher Arten von Repräsentationen, nämlich räumliche oder visuelle im Gegensatz zu verbalen, galt lange als die Antwort der kognitiven Psychologie auf die Frage, ob es neben der propositionalen Repräsentationsform noch Alternativen geben muss. So zitiert z.B. Wessels die visuellen Vorstellungen als „bedeutendstes Beispiel dafür, dass nicht all unser Wissen propositional repräsentiert ist“; das semantische Wissen enthält für ihn „beides, propositionale und analoge Repräsentationen“ (1984: 293f.). Heute teilen sich die Auffassungen allerdings dahingehend, dass entweder Vorstellungen eine andere, nämlich analoge Repräsentationsform erfordern (z.B. im Anschluss an Paivio 1972) oder aber auch bildliche Vorstellungen auf Propositionen basieren (z.B. im Anschluss an Pylyshyn 1973). Paivios Vorschlag einer anderen, nicht modalitätsunspezifischen Repräsentationsform, die im Vergleich zur verbalen Repräsentation als einerseits dynamischer und flexibler, andererseits konkreter und greifbarer beschrieben wird, bezieht sich allerdings nicht auf die höheren kognitiven Funktionen wie Denken und Sprachverstehen. Auch die an ihn anschließende Diskussion in der kognitiven Psychologie schreibt Paivios Vorschlag Relevanz für den Bereich der wahrnehmungsbasierten Wissensrepräsentation zu (vgl. z.B. Spada 1990; Schermer 1991). Die analoge Kodierung hält Inhalte „in der gleichen Sinnesmodalität (visuell, taktil, akustisch …) und im gleichen Maßstab wie der Originalreiz fest […]“, allein die „verbale Kodierung ist geeignet, symbolische Repräsentationen zu produzieren“ (Schermer 1991: 128). Die Kodierung von bedeutungshaltigen Inhalten, etwa den Sinn eines Wortes, wird durch die analoge Kodierung (etwa die Erinnerung ‚das stand links oben auf dem Blatt‘) natürlich nicht beeinflusst, gezeigt hat Paivio lediglich, dass sich solche Bedeutungen, die man ohne Weiteres mit einem Bild verbinden kann (wie etwa ‚Haus‘ oder ‚Auto‘), leichter behalten lassen als abstrakte Begriffe (wie etwa ‚Repräsentation‘ oder ‚Kognitivismus‘). Zudem ist Paivios Vorschlag selbst zutiefst kognitivistisch bzw. in seinen eigenen Worten „neomentalistisch“ (ebd. 1972). Er führte zwar gegen die durch behavioristische Restriktionen geprägten gedächtnispsychologischen Forschungen zum verbalen Lernen das Konzept des Vorstellungsbildes wieder ein. Das tat er aber nicht aus dem Interesse heraus, die im alltäglichen Leben interessierenden praktisch vermittelten kognitiven Leistungen zu untersuchen oder zu ermitteln, woran wir uns aufgrund dessen besser oder schlechter erinnern (s. dazu Kap. III, 4). Vielmehr bewegte ihn die Frage nach universellen, biologisch be-

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DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

‚direkteren‘ Kenntnis, die etwa ein Kleinkind von den eigenen emotionalen Zuständen hat, auch wenn es noch nicht sagen kann, was Angst ist? Wie sollen die Wahrheitsbedingungen angegeben werden für Wissen, das mit praktischen Erfahrungen bezüglich Dingen oder auch sozialen Regeln verquickt ist (‚wissen, wie fest man einen Wasserhahn zudrehen muss‘, ‚wissen, wie man Klarinette spielt‘, ‚wissen, wie man eine soziale Rolle ausfüllt‘)? Schließlich handelt es sich um Erfahrungen, die man nur im handelnden Umgang mit Dingen oder sozialen Situationen machen kann und deren sedimentiertes Resultat – Erfahrungswissen im Sinne Schütz’ (1952) – nicht vollständig als explizites Wissen, dass, sondern als eine Art Können, also Wissen, wie, vorliegt (vgl. Ryle, 1949). All diese Beispiele zeigen, dass eine Darstellung unserer Wissensrepräsentation nicht allein eine Darstellung der proposi11 tionalen Wissensrepräsentation sein kann. In der Wissenspsychologie werden zwar gewisse Begriffe in die wissenschaftliche Diskussion eingestreut, die wohl in diese Richtung weisen, etwa das „implizite Wissen“ (Wippich 1984; Perrig 1993; vgl. Underwood 1996), der Begriff des „intuitiven Wissens“ (Glaser 1984), des „heuristischen“ im Gegensatz zum „epistemischen“ Wissen (Dörner 1976) möglicherweise ist auch das „fallspezifische oder kasuistische Wissen“ hier interessant (Strube/Janetzko 1990). Diese Begriffe bleiben allerdings, sofern sie von der kognitivistischen Psychologie aufgenommen werden, im Vergleich zu der ausführlich und detailliert beschriebenen Modellierung der propositionalen Wissensrepräsentation in der Regel unausgeführt 12 bis vage. dingten Charakteristika der Verarbeitung von sensorischen Reizen zu Informationseinheiten im kognitiven System des Menschen. 11 In unterschiedlichen Bereichen der Sozialtheorie und Philosophie existieren zahlreiche Vorschläge, andere Formen des Wissens zu beschreiben: In der Phänomenologie (von Hegel über Husserl zu Heidegger), in der Analytischen Philosophie des Geistes (von Ryle über Sellars bis zu Davidson und Brandom), in der pragmatistischen Philosophie (etwa bei James 1907), in den sprachphilosophischen Ansätzen Wittgensteins (1956) oder Austins (1962) und ebenso in soziologischen, entweder phänomenologisch-kognitivistisch (Schütz 1979) oder aber explizit praxeologisch ausgerichteten Wissenstheorien (Bourdieu 1999), die sich mit einem spezifischen „praktischen Sinn“ befassen (vgl. zu einigen dieser Beispiele auch Kap. II sowie Kap. IV u. V). 12 So gilt als Unterscheidungskriterium von implizitem gegenüber explizitem Wissen beispielsweise, dass die Verwendung des Wissens bzw. seines Erwerbs „nicht bewusst“ (Städtler 1998: 468) gewesen sei bzw. der Wissende sich „nicht daran erinnern“ könne (z.B. Hoffmann 1993).

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Auch Norman, Rumelhart und Mitarbeiter (1972, 1975) setzten für ihr Repräsentationsmodell voraus, dass menschliches Wissen in propositionaler Form gespeichert wird. Allerdings sollte ihr auf der Grundlage eines Computerprogramms entwickeltes Modell in der Lage sein, sprachliche Informationen zu verstehen, zu speichern und umzustrukturieren und wurde gezielt als aktives, strukturelles Netzwerk konzipiert, in welchem sowohl Daten als auch Prozesse für den Umgang mit diesen Daten (also Wissen über Anwendungen, Umsetzungsund Handlungswissen) gespeichert sind. Die Unterscheidung zwischen propositionalem und prozeduralem Wissen wird über zwei unterschiedliche Arten von Knoten gelöst: Zum einen „Begriffsknoten“, das sind nominale Konzepte wie z.B. ‚Restaurant‘, ‚Haus‘; zum anderen „Ereignisknoten“, sie betreffen (Verben und damit) Handlungen, Prozesse und Zustände. Dazwischen verlaufen Linien, die für gerichtete, benannte Relationen stehen. Weiterhin werden Primär- und Sekundärknoten unterschieden, erstere für die Definition des Begriffs bzw. des Ereignisses. Letztere kennzeichnen das kontextabhängige, spezifische Vorkommen eines Begriffs bzw. einer Handlung. Abgesehen von der Tatsache, dass das System durch die Spezifizität der verwendeten Relationsarten und Knoten sowie die NetzwerkAm detailliertesten und ausführlichsten scheint die wissenspsychologische Diskussion nicht-propositionaler Wissensformen in der Auseinandersetzung um deklarative versus prozedurale Wissensrepräsentation präsent, die allerdings, wie noch zu zeigen sein wird, die Tiefe dieser Unterscheidung nicht auslotet (s. Kap. I, 4). In vielen Fällen scheitert die eingehendere Beschreibung des impliziten Wissens als einer nichtpropositionalen Wissensform auch an der gewählten Methode: Ist die wissenschaftliche Analyse eines Konzeptes an dessen exakte, möglichst objektive Beschreibung gebunden, entziehen sich Aspekte wie die Mehrdeutigkeit oder Vagheit von Begriffen, die z.B. das implizite Wissen kennzeichnen könnten, dieser Beschreibung. Hier stößt man wiederum auf die theoretische Frage des Formwandels von Wissensinhalten beim Explizitmachen impliziten (Regel-)Wissens (vgl. Polanyi 1985; Bourdieu 1999; Giddens 1995; Schneider 2000; Renn 2000). Diese Schwierigkeit zeigt sich alltagsweltlich gerade in vertrauten Situationen, in denen man über ein hohes Maß an Erfahrungswissen verfügt: Eine erfahrene Sozialpädagogin weiß in der Praxis der klientzentrierten Beratung, wie man diese durchführt, wie man beispielsweise Empathie vermittelt usw. Sie wird jedoch Schwierigkeiten haben, wenn sie – beispielsweise einem Berufsanfänger – genau erklären soll, was sie dabei mit welchem Ziel tut und sie wird ihr praktisches Wissen nicht in den expliziten Regeln der klientzentrierten Gesprächsführung, die in einem psychologischen Lehrbuch aufgeführt werden, wiedererkennen.

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DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

darstellung recht unüberschaubar wirkt, gerade im Fall komplexer Wissensinhalte (vgl. Tergan 1986: 47), haben bereits Anderson (1976) sowie Kluwe und Spada (1981) dieses Modell auch inhaltlich kritisiert. Besonders Anderson wendete ein, dass in diesem System deklaratives und prozedurales Wissen in derselben, nämlich propositionalen Form repräsentiert wird. Diese Art der Repräsentation wird dem von Ryle (1949) genannten Unterscheidungskriterium bei weitem nicht gerecht. Sie unterscheidet nicht einmal zwischen dem Grad der Verbalisierbarkeit von Können bzw. Wissen. Im Vergleich dazu ist Dörners (1976) Modell des Langzeitgedächtnisses zunächst nicht nur ökonomischer und übersichtlicher, sondern zumindest nominell auch stärker an Problemlöseforschung und an der Beschreibung von Problemlöseprozessen orientiert. In diesem Modell wird unterschieden zwischen zwei Teilstrukturen, der epistemischen und der heuristischen. Die epistemische Struktur enthält mentale Repräsentationen bestimmter Realitätsbereiche. Über die Relationen zwischen den Knoten des Modells (Ober-/Unterbegriff, Teil/Ganzes, Merkmalsrelation, Raum/Zeit-Relation) werden sowohl Sachverhalte als auch Handlungen (im Sinne von Handlungsprogrammen, z.B. ‚Laufen‘, ‚Heilen‘) bezeichnet. Allerdings sind die zum Problemlösen eingesetzten Handlungen mit Hilfe algorithmischer Aufgabenbewältigungsprozesse bzw. -strategien und dabei relevante Kategorien wie Ausgangszustand, Zielzustand, Barriere usw. ebenfalls in propositionaler Form repräsentiert, z.B. als Handlungsalgorithmen. Die heuristische Struktur wird in Dörners Modell dann aktiv, wenn Probleme vorliegen, zu deren erfolgreicher Bewältigung das epistemische Wissen nicht ausreicht. Die heuristische Struktur macht in Dörners Modell also das aus, wodurch er beansprucht, allein auf deklarativem Wissen basierenden Modellen überlegen zu sein. Was unterscheidet diese Struktur von der des epistemischen Wissens? Die heuristische Struktur des Langzeitgedächtnisses wird als eine Art Reservoir an Verfahren oder Denkmethoden vorgestellt, die geeignet sind, in Problemsituationen Lösungswege aufzufinden oder zu konstruieren. Das heuristische Wissen regelt (und dies nur in bestimmten Fällen, nämlich dann, wenn das algorithmische Wissen über Lösungsstrategien nicht ausreicht, also eine kreative Lösung gefragt ist) die Art und Weise des Zugriffs auf das epistemische Wissen (deklaratives Fakten-, Regel- und algorithmisches Handlungswissen). Insofern kann man sagen, das heuristische Wissen ist ein Wissen, wie auf der Grundlage vorhandener Prozeduren und Operationen angemessene Vorgehensweisen für neue, komplexe Problemlösungen konstruiert und angewendet werden können. Allerdings ist es nur über seine Rol47

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le in Bezug auf das epistemische Wissen (und damit nur funktional) definiert. Allein die Regeln für den Zugriff auf den Bestand an Lösungsalgorithmen bzw. dafür, wie die einzelnen Elemente sicheren, propositionalen Wissens neu kombiniert werden können, gelten bei Dörner als nicht explizites Wissen. Sie sind als ‚Heuristiken‘, als Faustregeln repräsentiert. Das Handlungswissen selbst dagegen ist in Form von Produktionssystemen repräsentiert (s. Kap. I, 4). Genauere Ausführungen über eine besondere Repräsentationsform des heuristischen Wissens (nicht Netzwerk, nicht Prozedur, nicht algorithmisch, nicht begrifflich) finden wir in Dörners Modell nicht. Daher kann auch Dörners Modell nicht wirklich beanspruchen, der Repräsentation nicht logisch rekonstruierbarer Wissensanteile, die beim täglichen Umgang mit anderen eine Rolle spielen, einen eigenen Status zuzuschreiben. Das verdankt sich nicht zuletzt der informationstheoretischen Terminologie bei der Beschreibung von Handlungswissen. Gleichwohl weist die Unterscheidung in eine epistemische und eine heuristische Komponente immerhin darauf hin, dass eine Begrenzung der Wissensrepräsentationsmodelle auf die Repräsentation deklarativen Wissens zu kurz greift.

3

Schema- und skripttheoretische Ansätze

3.1

Komplexere Wissensstrukturen und dynamischere Modelle

Unterschiede in der Grundkonzeption von Systemen der Wissensrepräsentation bestehen neben dem Grad der Komplexität der repräsentierten Inhalte auch dahingehend, inwieweit die Repräsentationssysteme als eher statisch und inaktiv bzw. als eher dynamisch und aktiv angesehen werden. Diese zusätzliche Unterscheidung bezieht sich besonders auf die im Rahmen der KI-Forschung entwickelten Repräsentationsmodelle in Form von Schemata oder Skripts (u.a. Rumelhart/Lindsay/Norman 1972; Anderson 1976; Schank/Abelson 1977). Im schematheoretischen Ansatz werden Informationen nicht als die additive Aneinanderreihung von Propositionen aufgefasst, sondern auch die Beziehungen zwischen den Propositionen erhalten größeres Gewicht. Es können sehr viel komplexere Wissensstukturen analysiert werden. Die Theorien der Schemata und ihrer Spezifizierungen gelten heute als der am intensivsten erforschte Modus bedeutungshaltiger Wissensrepräsentation (vgl. Abelson 1981; Herkner 1986). Grundlage für die Schematheorien waren die Pionierarbeiten Bartletts aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Bartlett hatte ge48

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zeigt, dass kognitive Repräsentationen nicht als objektive Abbilder von Objekten, Sachverhalten oder Ereignissen zu verstehen sind, sondern als aktive Konstruktionen (s. Kap. III, 3). Diese grundlegende Einsicht hat vielfältige Implikationen: So sind etwa abstrakte Repräsentationen von Personen und Objekten, aber auch von Ereignissen oder Handlungs- bzw. Sinnzusammenhängen durch Erfahrungen und Erwartungen geprägt. Diese Erwartungen ermöglichen Schlussfolgerungen und bestimmen Form und Inhalt der Repräsentation mit. Dieser spezifische Aspekt der schematheoretischen Wissensrepräsentation wird von manchen Kognitionspsychologen als Hinweis darauf verstanden, dass es hier zumindest implizit weniger um semantische Informationsverarbeitung als um Bedeutungskonstruktion geht, um Prozesse also, die mit der skizzierten Form von Alltagswissen viel zu tun haben. Bartlett verstand unter einem kognitiven Schema zwar durchaus die aktive Organisation vergangener Erfahrungen und ging von der Anpassung des wiederzugebenden Inhalts an die bestehenden Wissensstrukturen aus. Bei der Wiedergabe von Gedächtnisinhalten werden Erinnerungen allerdings unter Verwendung in Form verschiedener Schemata organisierter Aspekte des Alltagswissens der Erinnernden (und einiger struktureller Elemente von Geschichten) aktiv konstruiert. Die allgemein in der Kognitionspsychologie gängige Kritik an Bartletts Terminus kritisiert die große Weite des Schemabegriffs und die daraus resultierende begriffliche Unschärfe (Herrmann 1982) und hier setzen auch die neueren, informationstheoretisch konzipierten Arbeiten zum Schemabegriff an: Sie versuchen, den Schemabegriff präziser zu fassen und im Sinne experimenteller Überprüfbarkeit zu operationalisieren. Unter Schemata versteht man heute größere thematisch abgegrenzte Wissensbereiche, in denen „typische Zusammenhänge eines Wirklichkeitsbereichs aufgrund gemachter Erfahrung repräsentiert sind“ (Schermer 1991: 153). Schemata repräsentieren deklaratives Konzeptwissen über Objekte, Personen, Ereignisse, Folgen von Ereignissen, Handlungen und Handlungsfolgen, enthalten aber auch Informationen darüber, wie dieses Wissen einzusetzen ist. Ihre Bedeutsamkeit für die kognitionspsychologische Fragestellung besteht darin, dass auf der Grundlage von Schemata die Wissensbildung selbst – d.h. Informationsaufnahme und -verarbeitung sowie die Konstruktion von Bedeutung – gesteuert und ermöglicht wird. Schemata unterliegen damit einem ständigen Wandel, indem sie sich entsprechend der jeweiligen situativen Gegebenheiten adaptieren und umstrukturieren lassen. Schematheoretisch orientierte Konzeptionen über Wissensrepräsentationen oder Wissensstrukturen wurden im Rahmen unterschiedlicher wissenspsychologischer Ansätze realisiert. Am bekanntesten sind der 49

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Frame-Ansatz von Minsky und Winograd (Winograd 1975); weitere Modelle wurden von Cohen und Murphy (1980) vorgelegt. Besondere Bedeutung in der schemaorientierten Gedächtnispsychologie hat das als eine Art dynamischer Spezialfall eines Schemas rezipierte Skriptmodell erlangt, das Schank und Abelson (1977) formuliert haben. Ein Skript stellt bei Schank und Abelson (1977) ein Schema über eine häufig erfahrene Abfolge von Ereignissen dar, in deren Verlauf Akteure agieren, um ein bestimmtes Ziel oder mehrere Ziele zu erreichen. Das Skript ist eine Struktur, die die angemessene Abfolge von Ereignissen und Handlungen in einem bestimmten situativen Kontext repräsentiert. Es bezieht Objekte, Sachverhalte, Handlungs- oder Ereignisfolgen mit ein. Es wird oft als eine Art Drehbuch beschrieben, da es Rollen, Szenen, Requisiten zwar beinhaltet, jedoch nur als relevante 13 ‚Leerstellen‘, die dann situativ angemessen gefüllt werden können. Die Verfügbarkeit von Skripts erleichtert das Verständnis bestimmter Ereignisse und eine Art der unbewussten, oft auch als implizites Hintergrundwissen vorgestellten Einsicht in für den Gesamtablauf notwendige, kollektiv verbindliche, aber nicht explizit mitgeteilte Handlungs- und Auffassungsweisen. Gleichwohl gelten Skripts als erfahrungs- und erlebnisbedingte Konstrukte, die daher individuell unterschiedlich sind. Das lässt sich an dem von Schank selbst eingeführten und auch bei Rezipienten sehr beliebten, weil alltagsnahen Beispiel des „Restaurant-Skripts“ gut plausibilisieren: Bestimmte kulturelle Regeln des Restaurant-Besuchs (man kann dort unterschiedliche Gerichte essen, mit Speisekarte bestellen usw.) sind allen oder doch den meisten Mitgliedern einer Kultur in ähnlicher Weise verfügbar – gleichwohl ist das Restaurant-Skript eines Gourmets differenzierter als das anderer Personen, die seltener und in weniger aufwändig geführten Lokalen speisen. Genau wie die Schemata steuern Skripts im Sinne organisierender Vorwissensstrukturen den Prozess von Informationsaufnahme und -verarbeitung. Skriptmodelle haben wie die schematheoretischen Modelle das Ziel, sowohl die Wissensbildung im Alltag als auch die Verwendung bzw. Umsetzung dieses Wissens im Handeln repräsentieren zu können. Die Frage ist, inwieweit dies geleistet wird. Für die Adäquanz von Skripts als Repräsentationsformen alltagsrelevanten Wissens spricht jedenfalls die große Bedeutung, die dem zu13 Dasselbe gilt auch für die im Vergleich zu Skripts statischeren, allgemeiner gehaltenen Schemata. In diesem Fall sind die Leerstellen so etwas wie Oberbegriffe für relevante Merkmale, etwa beim Autoschema ‚Hersteller‘, ‚Modell‘ oder ‚Farbe‘.

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gesprochen wird, was man auch als Kontextbezogenheit von Wissen bezeichnet (vgl. Schank 1977; Schermer 1991; Straub 1997; Anderson 2001 u.a.). Im Vergleich zu Netzwerk- oder anderen Repräsentationsmodellen wird die Bedeutung der einzelnen Elemente in Bezug auf die konkrete Situation bzw. die konkreten Erfahrungen des betreffen14 den Subjekts mit solchen Situationen gewichtet. Zudem erweitern die skript- und schematheoretisch orientierten Repräsentationsmodelle die erinnerungsorientierte Gedächtnispsychologie um ein wesentliches Element: Es geht nicht nur um die Repräsentation größerer (Sinn-)Zusammenhänge, sondern auch um deren Realisation im Alltagshandeln, um die Planung und Durchführung situationsangemessener Handlungsweisen. Aus diesem Grund können diese Ansätze übrigens auch die Verarbeitung episodischer Informationen mit einbeziehen, im Gegensatz zu den Netzwerkansätzen, die nur semantisches oder das „Weltwissen“ betreffen (Tergan 1986: 113). Last but not least wurden die schematheoretischen Modelle, inspiriert durch Schwächen älterer Repräsentationsmodelle, mit dem Ziel entwickelt, Wissenssysteme „mit größerer interner Kohärenz“ zur Verfügung zu stellen, so dass vielschichtige Objekte situationsbezogen repräsentiert werden (Kluwe/Spada 1981). Überdies gelten Skripts als besonders praxisnahe Form der kognitiven Repräsentation. Daher sind sie gerade dort von Bedeutung, wo es um die Theoretisierung von empraktischen oder handlungsgebundenen Verstehensakten geht, so etwa in der Erforschung kindlicher kognitiver Leistungen (vgl. dazu auch Straub 1998: 105).

14 Wenn beispielsweise das Restaurant-Schema durch die Erzählung eines Gesprächspartners über dessen gestrigen Restaurantbesuch aktiviert ist, dann bedeutet dies erstens, dass bestimmte Erwartungen über das, was man in der betreffenden Konversation wohl erfahren wird, geweckt sind – die sich in Form von Leerstellen ausdrücken (Qualität der Küche, Preisniveau, Atmosphäre usw.) – die noch inhaltlich spezifiziert werden müssen. Der bzw. die Zuhörende füllt nun diese Spalten mit eigenem Alltagswissen über das, was normalerweise in einem Restaurant vor sich geht sowie mit episodischen Informationen über den vom Gesprächspartner erlebten Restaurantbesuch. Außerdem wird die Zuhörende, wenn der Sprecher für manche Spalten nicht genügend Information liefert, diese mit „typischen Werten, die von der Biografie des Sprechers abhängen“ ausstatten. Dabei bedient sie sich einer Art von „fiktivem Wissen“, das die Grundlage für viele im Rahmen des Skripts vorgenommene Schlussfolgerungen bildet (vgl. Wessels 1984: 329).

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Allerdings finden sich auch einige Argumente, die gegen den oben angeführten Anspruch ins Feld geführt werden können: Als Träger des Wissens treten wie selbstverständlich Individuen auf. Dadurch wird auch hier der intersubjektiven Grundlage großer Bestandteile dessen, was wir Alltagswissen nennen, im Repräsentationsmodell nicht Rechnung getragen (wenngleich ihre Existenz nicht geleugnet wird). So wird etwa die Frage gar nicht gestellt, welche Anteile des für eine Kultur oder Gesellschaft relevanten Alltagswissens primär in der Sprache oder in anderen kulturellen ‚Objektivationen‘ lokalisiert sind, wo die Träger jener Wissensbestände nicht Einzelpersonen, sondern allenfalls Systeme von handelnden Personen oder eher noch Systeme miteinander verbundener Handlungen sein können. Diese Aussparung der Intersubjektivität des Alltagswissens ist möglich gewesen, weil sich die Psychologie nur für die individuelle Verarbeitungsebene glaubte interessieren zu müssen. Auch die sich daraus ergebende Frage, wie intersubjektiv ausgehandelten Repräsentationen dann zur individuellen Skriptvariante werden und umgekehrt diese individuellen Auslegungen wieder in den intersubjektiven, kollektiven Wissensbestand eingehen, gerät gar nicht erst in den Blick. Auf das Fehlen der Differenzierung zwischen Handlungs- und Erkenntnisfunktion hat Anderson (1976) bereits hingewiesen, indem er kritisierte, dass traditionelle Schemakonzeptionen keine explizite Trennung von deklarativen und prozeduralen Wissensinhalten vorsehen. Auch Tergan (1986) bemerkt, dass Schematheorien immer gleichzeitig eine Prototypentheorie und eine prozedurale Theorie der Bedeutung darstellen (wollen), da sie das Netzwerk der als typisch wahrgenommenen Interrelationen zwischen den Konstituenten (Variablen) eines Konzepts umfassen (1986: 105). Die in den hier vorgestellten Modellen unterstellten Funktionen von Wissen, so schreibt auch von Cranach kritisch, sind ebenfalls „überwiegend individuelle Erkenntnisfunktionen (Wahrnehmung, Urteilsprozesse, Emotionen und Bewertungen) und individuelle Handlungsfunktionen“. Nicht angesprochen sind in der Regel „Handlungsfunktionen auf der Ebene sozialer Interaktion“ (1995: 48f.). Man geht selbstverständlich davon aus, dass Wissen gleich Wissen ist, und befasst sich mit seiner Prozessierung. Schließlich fallen in den bestehenden Skript- und Schematheorien teils unklare Abgrenzungen, teils Überschneidungen auf, bzw. die Begriffe Schema und Skript werden oft undifferenziert verwendet (Wessels 1984: 327f.; Schermer 1998: 158f.). Hier ließe sich möglicherweise differenzieren, dass ein Schema eher eine abstrakte, generalisierte kognitive Struktur, ein Skript dagegen eine zwar generalisierte, aber gleichwohl 52

DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

kontextbezogenere Repräsentationsform darstellt. Daraus könnte sich eine Unterscheidung bezüglich der betreffenden Wissensform ergeben: Das in Schemata gespeicherte Wissen ist eher propositionales Wissen, das in Skripts enthaltene Wissen ist viel kontext- und auch handlungsbezogener. Ein Skript enthält möglicherweise mehr implizites kulturelles Wissen, so etwa in einer Kultur gültige, alltägliche, häufig wiederkehrende, stereotypisierte Ereignis- und Handlungsabläufe. Es würde dann jedoch nicht ausreichend sein, die propositionale Repräsentationsform anzunehmen. 3.2

Textverarbeitungsansätze

Schematheorien der Wissensrepräsentation und -verwendung finden zusätzlich indirekte Unterstützung durch die Ergebnisse von Studien über die Rezeption und Wiedergabe von Prosatexten (vgl. Rumelhart et al. 1972; Thorndyke 1977; Kintsch/van Dijk 1983). Zuvor noch ein paar Hinweise dazu, was allgemein unter dem Terminus ‚Sprachverstehen‘ im Sinne der kognitiven Psychologie, wie sie etwa im Standardwerk von Anderson (2001) repräsentiert wird, verhandelt wird. Dort werden im Unterkapitel Struktur der Sprache zunächst die Grundbegriffe von Noam Chomskys Sprachverständnis skizziert: Linguistische Begriffe wie Syntax, Semantik, Grammatik werden definiert, es wird auf den Unterschied von Kompetenz und Performanz hingewiesen. Sodann wird über das zentrale Konzept der „Phrasenstruktur“ der Sprache (Chomsky: 358ff.) und deren Rolle bei der Generierung von Sätzen (ebd.: 362) referiert (s. zu Chomsky Kap. II). Psychologische Erkenntnisse (Anderson zitiert z.B. Experimente, die Rosch/Heider sowie Caroll und Casagrande in den späten fünfziger bis siebziger Jahren durchführten) über die Struktur der Sprache werden der Whorfschen Hypothese entgegengehalten, derzufolge Sprache unsere Begriffe, unser Denken beeinflusse (Whorf 1956/1986). Anderson argumentiert gegen Whorf und verteidigt ein abbildendes oder instrumentelles Sprachverständnis: Die kognitive Psychologie, so Anderson, gehe davon aus, dass die „Wirkung“ der Sprache darin liege, „Ideen mitzuteilen und nicht darin, die Art der Vorstellungen, die wir gedanklich erfassen können, zu determinieren“ und dass die Sprache nicht „auf die Art wie wir denken oder die Welt wahrnehmen entscheidend einwirkt“ (Anderson ebd.: 371). Nur wenn man dieser Sprachauffassung anhängt, die mittlerweile aufgrund der Erkenntnisse aus Sprachphilosophie und Pragmalinguistik auch innerhalb der Psychologie als schwer haltbar gilt (vgl. Christmann/Groeben 1997), ist auch die nächste Äußerung Andersons 53

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

plausibel: Die propositionale Struktur der Wissensrepräsentation, die für die kognitive Psychologie wie wir gesehen haben die wichtigste Organisationsform des Wissens darstellt (so explizit auch Anderson), „spiegelt“ sich in der Phrasenstruktur der Sprache „wider“ (ebd.: 370ff.). Für die psychologische Analyse des Sprachverstehens heißt das, dass das implizite Regelwissen, wie es z.B. in der sprachpragmatischen Philosophie als konstitutiv für das Sprechenkönnen in einer Sprache angesehen wird (vgl. Wittgenstein 1956; Austin 1962), in der kognitivistischen Psychologie des Sprachverstehens nicht interessiert. Die kognitive Psychologie biete, so Anderson, ein dreistufiges Modell des Sprachverstehens an: Die erste Stufe des Sprachverstehens umfasst „die wahrnehmungsbezogenen Prozesse“ der Enkodierung von Gehörtem oder Gesagtem, auf der zweiten Stufe folgt „die syntaktische und semantische Analyse“ (das parsing), wodurch Wörter einer Mitteilung in eine mentale Repräsentation überführt werden und auf der dritten Stufe, die Anderson als die Stufe der „Verwendung“ bezeichnet, „machen die Hörer bzw. Leser von dieser mentalen Repräsentation Gebrauch“ (ebd.: 389). Die höheren kognitiven Prozesse des Sprachverstehens und Sprechens zu analysieren heißt für kognitive Psychologen in erster Linie, den instrumentellen Sprachgebrauch des 15 einzelnen Sprechers über das sentence parsing zu erklären. Neuere Befunde, die sich – etwa in Anlehnung an sprachphilosophische Überlegungen bei Richard Rorty (1979) oder auch an Wittgensteins Philosophische Untersuchungen (1956) – damit befassen, wie gerade ein für Sprachverstehen konstitutives implizites Regelwissen erworben und repräsentiert wird, fehlen in Andersons Darstellung ebenso wie in anderen kognitionswissenschaftlichen Einführungen oder Lehrbüchern (vgl. Wessels 1984; Thagard 1999 u.a.), obwohl auch psycholinguistische Fachliteratur neueren Datums in der Regel auf die Mängel der nativistischen Theorie des Spracherwerbs und der 15 Sentence parsing ist der englische Begriff für Satzanalyse, der aus der Computerlinguistik stammt (dort bedeutet parsing die Zuordnung von Strukturbeschreibungen zu Sätzen durch den Computer). In der kognitiven Psychologie meint parsing, dass die Bedeutung eines Satzes verarbeitet wird, indem die Bedeutung einzelner Phrasen verstanden und diese Phrasenbedeutungen zu einer Repräsentation des gesamten Satzes verkettet wird. Der Zugriff auf exakte Phrasenformulierung kann wegfallen, sobald die Bedeutung der Phrase gespeichert wird. Unterschiedliche Konstituenten des Gesamtsatzes (Phrasen, Teilsätze, kleinere Einheiten) können zu Sätzen zusammengesetzt werden (vgl. Graf/ Torrey 1966; Aaronson/Scarborough 1977; Anderson 2001: 390ff.).

54

DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

menschlichen Sprachfähigkeit hinweist (so z.B. Klann-Delius 1999: 92). Anderson stellt Chomskys Modell nicht einmal die kognitivistische Alternative der Piagetschen Sicht auf Denken und Sprache gegenüber. Der Hinweis auf interaktionistische Sprachmodelle, die sich etwa auf den Sprachbegriff George Herbert Meads (1934/1995) oder die Verknüpfung von Denken und Sprache in der Psychologie Lew S. Wygotskis (1934/1986) beziehen, bleibt ebenfalls aus (vgl. zu dieser Kritik auch Groeben/Christmann 1997; Klann-Delius 1999: 137). Das gilt auch für die Erwähnung einer anderen, der propositionalen Wissensform gegenüberzustellenden Repräsentationsform von Regelwissen, das durch die Partizipation an einem „Sprachspiel“ (Wittgenstein 1956) 16 erworben wird und impliziten Charakters ist. Von der hier skizzierten theoretischen Landschaft der psychologischen Ansätze zum Sprachverstehen im Sinne des Verstehens von Sätzen unterscheiden sich die sog. ‚Textverarbeitungsansätze‘ darin, dass sie sich damit befassen, wie Leser auf der Grundlage sprachlichen Inputs eine satzübergreifende Gesamtstruktur aufbauen bzw. eine solche rezipieren. Auch in diesen Ansätzen werden Propositionen als die maßgeblichen Bedeutungseinheiten aufgefasst. So schreibt Anderson: „Nach Kintsch und van Dijk verarbeiten Leser beim Textverstehen eine Proposition nach der anderen und versuchen dabei, neue Propositionen einer zusammenhängenden Struktur von Propositionen hinzuzufügen, die sie aktiv im Gedächtnis halten“ (2000: 421). Diese Propositionen können an der Oberfläche unterschiedlich realisiert werden. Texte lassen sich also als Listen von ihnen zugrunde liegenden Propositionen – ihrer tiefenstrukturellen „Textbasis“ – notieren, welche alle für die Oberflächenrealisation notwendigen Informationen enthalten 17 müssen (vgl. Kintsch/van Dijk 1979). Das propositionale Beschreibungsmodell hat sich bei der Textverarbeitungsforschung allerdings vor allem für Modellannahmen kurzer Texte als erfolgreich erwiesen. Bei der Anwendung auf komplexere Texte muss die Textbedeutung 16 Für die Psychologie hat z.B. Hildebrandt (1991) auf die Bedeutung dieses anderen Regelbegriffs hingewiesen (s. ausführlicher auch Kap. II u. IV). 17 Hier wird besonders deutlich, dass sowohl im Fall der geschichtengrammatischen und textverarbeitungstheoretischen Ansätze, aber auch bei den Schema- und Skriptansätzen der Einfluss der Sprachtheorie Chomskys für die kognitionswissenschaftliche Theoriebildung der sechziger- und siebziger Jahre konstitutiv war. In Kap. II der vorliegenden Arbeit wird Chomskys Bedeutung speziell für den Kognitivismus in der Psychologie diskutiert.

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

bzw. ihre Erfassung auf einer globaleren, abstrakteren Ebene beschrieben werden. Innerhalb der Textlinguistik geschieht dies beispielsweise über Makropositionen (Kintsch/van Dijk 1978). Makrostrukturmodelle gehen davon aus, dass bei der Verarbeitung längerer Texte die enthaltene Information verdichtet und auf das Wesentliche reduziert wird, dies geschieht über formal präzisierbare „Makroregeln“ wie Selegieren, Auslassen, Generalisieren, Konstruieren oder Integrieren (van Dijk 1980; Christmann/Groeben 1997: 357). Die Makropositionen eines Textes bilden eine untereinander kohärente, geordnete Sequenz. Diese Kohärenz ergibt sich aus der „Super-Struktur“ des Textes, die eine Funktion der Textsorte ist (vgl. Boueke et al. 1995: 71). Die bislang am besten erforschte Super-Struktur ist die Erzählstruktur bzw. das entsprechende Schema die Geschichtengrammatik, die quasi ein Raster zur Organisation von Makropositionen zur Verfügung stellt (Rumelhart et al. 1972; van Dijk 1977; Thorndyke 1977; van Dijk/Kintsch 1983; Christmann 1989; Christmann/Groeben 1997). Im Unterschied zu dem im Rahmen der Erforschung der Alltagserzäh18 lung entwickelten Strukturmodell der Erzählung entwickelten diese psychologischen Autoren mit den sog. story grammars erzählstrukturelle Konzepte für die Modellierung des Erwerbs und der Repräsentation von Wissen. Diesen liegt die Auffassung zu Grunde, dass „Geschichten“ ebenso eine Struktur haben wie Sätze (vgl. zur genaueren Darstellung Boueke et al. 1995: 69). Rumelhart (1972) geht davon aus, dass die in Erzähltexten nachweisbaren Strukturen eine Entsprechung auf der Ebene der mentalen Repräsentationen haben und dass diese wirksam wird, wenn größere Texte produziert oder rezipiert werden. Die story grammars sind hierarchisch aufgebaut und unterscheiden zwischen einer „syntaktischen“ und einer „semantischen“ Struktur (z.B. bei Rumelhart 1975). Sie stellen Kategorien- und Regelsysteme vor allem für narrative Texte dar und gehen davon aus, dass wir, um bestimmte sehr komplexe Zusammenhänge repräsentieren zu können, über eine bestimmte kognitive Struktur verfügen, die die formale Struktur einer erzählten Geschichte aufweist. Eine Geschichtengrammatik soll die einer „Geschichte“ – der narrativen Konstruktion eines sinnhaften Zusammenhangs zwischen einzelnen ‚Informationen‘ –

18 Dafür steht vor allem der Ansatz von Labov und Waletzky (1967). Diese Autoren haben konventionelle Erzählungen analysiert und eine formale Struktur der Alltagserzählungen herausgearbeitet, derzufolge diese stets aus den Konstituenten ‚Orientierung‘, ‚Komplikation‘, ‚Evaluation‘ und ‚Auflösung‘ bestehen.

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DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

zugrunde liegende globale Struktur und die Repräsentation dieser Struktur im kognitiven System der Erzählerin abbilden (vgl. Boueke et al. 1995: 17). Die psychologische Relevanz von Makrostrukturen, zu denen auch die Struktur einer Erzählung gezählt werden kann, wurde durch Untersuchungen belegt, die zeigten, dass Makropositionen erheblich besser behalten werden als Mikropositionen (z.B. Propositionen). Die kognitiven Operationen, die der Repräsentation von Makropositionen zu Grunde liegen, bleiben allerdings relativ unscharf gefasst. Allgemein wird davon ausgegangen, dass bei der Textverarbeitung ein internes Modell des im Text beschriebenen Sachverhalts gebildet wird. Sachverhalte sind diesen Ansätzen zufolge auf zwei Ebenen repräsentiert: Erstens auf der propositionalen Ebene, wo sie an sprachlichen Strukturen orientiert sind; zweitens auf der Ebene mentaler Modelle, auf welcher der im Text beschriebene Sachverhalt primär bildlich abgebildet wird. Diese zweite Ebene wird auch als Hintergrundwissen bezeichnet, sie soll eine Art Weltwissen repräsentieren und ist im Hinblick auf die adäquate Repräsentation auch nicht-propositionalen Alltagswissens sicherlich interessant. Im Verarbeitungsprozess greifen beide ineinander, wobei allerdings die propositionale Ebene die Anleitung für die mentale Modellkonstruktion gibt, also vordergründig ist (vgl. Christmann/Groeben 1997). Das führt nicht zuletzt dazu, dass Geschichten-Schemata (wie alle im Kontext der Textverarbeitungspsychologie diskutierten Strukturen) relativ abstrakte, dekontextualisierte kognitive Strukturen darstellen, weniger kontextbezogen als die Skripts, die auch ontogenetisch früher verfügbar sind (vgl. Straub 19 1998: 105). 19 Straub (1998) bestimmt in der Absicht, Grundzüge einer Psychologie des Geschichtsbewusstseins zu skizzieren das kognitionspsychologische Konstrukt der Geschichtengrammatiken als „die kognitiven Aspekte narrativer Kompetenz“, die wiederum die Grundlage für die „spezifische Form des Denkens“ darstellten, die man benötige, um „historische Repräsentationen“ als solche überhaupt erfassen zu können (ebd.: 92f.). Hier ist auch der Bezug zu Bartletts früher Gedächtnispsychologie möglich, der ebenfalls postulierte, dass Erinnerungsleistungen über Geschichtenschemata repräsentiert sind und auch über die Nacherzählung von Geschichten erforscht werden könnte, wenngleich Bartlett seine Theorie des konstruktiven Gedächtnisses noch nicht mit der formalen Struktur von Erzählungen in Zusammenhang brachte. Dies bleibt Aufgabe einer „narrativen Psychologie des Geschichtsbewusstseins“ (Straub 1998), wie sie in aktuelleren Arbeiten entwickelt wird (vgl. z.B. Kölbl 2004).

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Abschließend lässt sich sagen, dass von den schemaorientierten Modellen die Skriptmodelle aufgrund ihrer flexiblen Struktur und ihrer Praxisbezogenheit wohl am besten geeignet für die Modellierung alltäglichen Handlungswissens sind. Jedoch fehlt auch hier die theoretische Ausarbeitung der Unterscheidung zwischen theoretischen, propositional repräsentierten und praktischen Wissensbeständen. Daher wird das folgende Unterkapitel sich denjenigen psychologischen Wissensrepräsentationsmodellen widmen, die sich explizit auf prozedurales Wissen beziehen. Dabei wird sich zeigen, dass auch diese Modelle davon ausgehen, dass sich prozedurales Wissen, d.h. Wissen, das sich auf Fertigkeiten oder Handlungen und deren Ausführung bezieht, letztlich auf propositionales (Regel-)Wissen zurückführen lasse. Die inhaltlichen Beschreibungen des prozeduralen Wissens gehen kaum über eine Definition hinaus, die dieses für das Gelingen einer Handlung erforderliche Wissen aufteilt in die kognitiv-theoretische Erfassung einer Tätigkeit auf der einen und die kognitive Steuerung der korrekten Ausführung der entsprechenden Körperbewegungen nach genügend Übung auf der anderen Seite (z.B. Opwis/Plötzner 1996: 113ff). Damit erhält prozedurales Wissen seinen eigenen Status in psychologischen Definitionen bislang nur durch seine Referenz auf Handlungen, das Wissen selbst bleibt an eine rein intellektuelle, steuernde Instanz gebunden, welche Handlungen verursacht bzw. die Art oder den Perfektionsgrad ihrer Durchführung bestimmt.

4

Psychologische Modelle prozeduralen Wissens

4.1

Die kognitivistische Modellierung von Fertigkeiten

Wie weiter oben bereits angekündigt, wird die Frage nach Bedeutung, Art und Repräsentation nicht-propositionaler Wissensformen am ehesten im Kontext der Gegenüberstellung von deklarativem und prozeduralem Wissen aufgegriffen. Manche Beobachter machen gar eine wissenspsychologische „Debatte“ aus, die sich mit dieser Unterscheidung befasst (Städtler 1998: 182). In neueren Veröffentlichungen werden „regelbasierte Repräsentationssysteme“ (Opwis/Plötzner 1996: 113f.) oder Produktionensysteme (Schaub 2001: 104) als das Gegenmodell zur propositionalen Wissensrepräsentation vorgestellt. Daher wird nun auf den folgenden Seiten der in diesen Modellen vertretene Regelbegriff sowie die Repräsentation dessen, was dort als Fertigkeitswissen bzw. prozedurales Wissen verstanden wird, genauer besprochen. Dabei wird sich herausstellen, dass auch hier die Unter58

DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

scheidung zwischen Wissen und Können im Sinne Ryles bzw. zwischen explizitem Fakten- und Regelwissen auf der einen, praktischem, implizitem Anwendungswissen auf der anderen Seite in einigen Punkten oberflächlich bleibt. Offensichtlich hat die Frage nach einer besonderen Qualität oder Verfügbarkeit von Wissensbeständen, die gleichsam direkt in Handlungsvollzüge eingehen, schon seit einigen Jahrzehnten auch die Aufmerksamkeit der kognitiven Psychologie erregt. Es wird eingeräumt, dass Verhalten im Alltag teilweise so automatisiert abläuft, dass es eine spezifische Form von Wissen, eben Fertigkeitswissen, als Basis haben muss. Weiterhin geht man davon aus, dass der Erwerb dieses spezifischen, auf Handlungen und Tätigkeiten zugeschnittenen Wissens auch im Fall von Alltagsangelegenheiten nicht anders verläuft als bei Fähigkeiten, in denen nur wenige Menschen zu Experten werden (z.B. Schach spielen, wissenschaftlich arbeiten usw.). Anderson betont in seiner zusammenfassenden Darstellung, dass sich die Frage nach einem besonderen Status prozeduralen Wissens durchaus der Einsicht verdankt, dass es im Alltag offensichtlich möglich ist, „wirkungsvolle Prozeduren zur Ausführung von Aufgaben [zu] entwickeln, ohne dass man angeben könnte, was man genau tut“ (2001: 238). Anderson zufolge ist es allerdings unhinterfragt, dass es dabei gilt, die „Transformation“ von deklarativem Faktenwissen in handlungsbezogenes Fertigkeitswissen zu untersuchen. Dies hat er 1982 in einer Studie zu geometrischen Fachkenntnissen von Schülern getan, in der unter dem Stichwort der „Prozeduralisierung“ von Wissen die Veränderungen im Hinblick auf das Ausmaß, in dem man sich auf prozedurales Wissen verlässt, empirisch erforscht und analysiert wurden. Anhand von lauten Denkprotokollen wurden die Strategien analysiert, nach denen Schüler geometrische Fachkenntnisse bei der Lösung von Aufgaben anwendeten. Ergebnis war, dass dabei in etwa Folgendes geschieht: Ein Schüler, der z.B. einen geometrischen Beweis mit Hilfe der Kongruenzsätze für Dreiecke lösen will, muss natürlich zunächst die Kongruenzsätze kennen und verstehen. Sofern er die Anwendung an unterschiedlichen Aufgaben übt, kann er den Kongruenzsatz immer schneller anwenden, weil er sich irgendwann „nicht mehr auf den verbalen Abruf des Satzes besinnen“ muss, sondern „er ist bis zu dem Punkt fortgeschritten, an dem er die Anwendung des Satzes als ganzes Muster einfach erkennen kann“ (ebd. 2001: 291). Anderson spricht von einem „Überführungsprozess“, in dem verbales oder deklaratives Wissen (z.B. hier die explizite Kenntnis des Kongruenzsatzes) in prozedurales Wissen „umgewandelt“ wird (ebd.). 59

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Diese Umwandlung betrifft die Form der Repräsentation und die Möglichkeit des Zugriffs auf diese Wissensbestände. Sie ist vollzogen, sobald der Schüler oder die Schülerin „Produktionsregeln“ kognitiv repräsentiert, die das deklarative Wissen, um dessen Anwendung es geht (hier: der mathematische Kongruenzsatz), situationsspezifisch aufbereiten und mit Handlungsanweisungen verbinden. Diese charakteristische Form solcher Produktionsregeln besteht darin, dass bezüglich der auszuübenden Tätigkeit oder Fertigkeit Ziele bzw. Teilziele festgesetzt werden, die als Bedingungen fungieren. Jedem Ziel wird dann die „Ausübung“ bestimmter Aspekte des Fakten- und Regelwissens zugeschrieben, die als Aktion bezeichnet werden. Jede Produktionsregel, so Anderson, enthält „stets eine Bedingung […], die beschreibt, wann die Regel angewendet werden soll und eine Aktion, die beschreibt, was zu tun ist“ (ebd. 2001: 253). Das kann im Fall des oben erwähnten Schülers der Geometrie so aussehen: „Wenn das Ziel darin besteht zu beweisen, dass Dreieck 1 und Dreieck 2 kongruent sind, und D 1 besitzt zwei Seiten und ihren eingeschlossenen Winkel, die mit zwei Seiten und ihrem eingeschlossenen Winkel des D 2 übereinzustimmen scheinen, dann setze als Teilziele: Beweise, dass die entsprechenden Winkel und Seiten gleich sind, und verwende dann den Seite-Winkel-Seite-Satz, um zu zeigen, dass beide D kongruent sind“ (ebd.: 291). Das Wissen (der Inhalt des Kongruenzsatzes und seine Anwendungsbedingungen), welches zuvor als deklaratives Wissen ins Arbeitsgedächtnis gerufen werden musste, wobei sich der Schüler auf den verbalen Abruf des Satzes besinnen und seine einzelnen Bestandteile auch Schritt für Schritt einzeln anwenden musste, liegt nun in Form operationalisierter, auf Teilziele ausgerichteter Produktionen in der Form Wenn (Bedingung)-Dann (Aktion) vor. Das heißt also, die soeben beschriebenen Bemühungen, explizites, deklaratives Regelwissen ins Gedächtnis zu rufen, sind nicht mehr notwendig, sondern werden nun „durch die unmittelbare Anwendung prozeduralen Wissens abgelöst.“ Unmittelbare Anwendung meint dann, dass der Schüler oder die Schülerin nun „die Anwendung des Satzes als ganzes Muster einfach erkennen kann“ (ebd. 2001: 291). Sucht man Genaueres zum Prozess der Prozeduralisierung von Wissen, so findet sich auch dies bei Anderson (2001). Dort wird dieser als dreiphasiger Transformationsprozess beschrieben: Zunächst bildet man in der kognitiven Phase (1) eine deklarative Enkodierung der Fertigkeit aus: Im Langzeitgedächtnis prägt sich eine Reihe von Fakten ein, die für die Fertigkeit von Bedeutung sind. (So etwa beim Autofahren die Lage der Gänge, Abfolge des Auskuppelns und Schaltens.) 60

DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

Durch diese Informationen hat man irgendwann eine Menge von „Problemlöseoperatoren“ zur Verfügung, d.h. Wissen, das immer in Form von „Systeme[n] mit Produktionsregeln“ repräsentiert ist. Sobald dieser Zustand erreicht ist, sobald also das Wissen bezüglich der Fertigkeit in dieser Form vorliegt, ist die „Umwandlung“ eigentlich vollzogen, denn die Repräsentation über Produktionensysteme bleibt der maßgebliche Unterschied zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen. Es bleibt in Andersons Modell trotz weiterer eingeführter Stufen jedoch offen, wann und wie diese Umwandlung genau passiert. Alle weiteren transformativen Phasen befassen sich mit Schritten der Übung oder „Automatisierung“ des herkömmlichen Abrufvorgangs, nicht aber mit einem qualitativ anderen Vorgang. So geht es in der zweiten, assoziativen Phase (2) lediglich darum, „Fehler“ im anfänglichen Problemverständnis nach und nach aufzudecken und zu eliminieren (z.B. wie man beim Anfahren im ersten Gang kuppeln muss, ohne abzuwürgen? Am Ende dieser Phase steht eine „erfolgreiche Prozedur zur Ausübung der Fertigkeit“. Dabei können nicht nur „beide Wissensformate“ nebeneinander existieren, sondern Anderson betont sogar, dass „insgesamt […] das prozedurale, nicht das deklarative Wissen, […] die gekonnte Ausführung steuert“ (2001: 283). Die Prozeduren, um die es hier geht, entsprechen Produktionsregeln im o.g. Sinne, da nun nicht mehr allgemeine Problemlösemethoden ins Gedächtnis gerufen werden, sondern es hat sich „eine spezielle Produktion“ z.B. für das Einlegen des Ganges „ausgebildet“. In der autonomen Phase (3) wird die Prozedur noch stärker automatisiert, mit zunehmender Übung verbessern sich auch Geschwindigkeit und Genauigkeit der Ausführung (ebd.: 284). Andersons Ausführungen bestätigen, dass in der kognitivistisch orientierten Psychologie nach wie vor ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass alles prozedurale Wissen notwendig irgendwann einmal in deklarativer Form vorgelegen hat oder sich ‚hinter‘ dem gleichsam nur vorübergehend impliziten Wissen verbirgt. Ein maßgeblicher Unterschied zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen scheint zu sein, dass letzteres für denjenigen, der es anwendet, auch auf Rückfrage nicht ohne weiteres verbalisierbar ist. Die kognitivistische Psychologie suggeriert in ihren Modellen, dass auch prozedurales Wissen aus propositionalem Wissen (Wissen, dass etwas der Fall ist) über Bedingungen und aus der Anwendung logischer Schlussweisen besteht. Damit wird der besondere Status von prozeduralem im Unterschied zu deklarativem Wissen nicht in der Form aufgegriffen, die der von Ryle vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen knowingthat und knowing-how entspricht, sondern prozedurales Wissen erhält 61

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

seinen eigenen Status auch in elaborierteren psychologischen Definitionen nur durch seinen Referenten, nämlich ‚Tun‘. Die Repräsentation betreffend unterscheidet prozedurales Wissen sich von deklarativem Fakten- und Regelwissen nur durch eine gewisse Automatisierung des Abrufs der für die Handlung notwendigen Regeln (Produktionsregeln). Diese Regeln selbst liegen – auch dies scheint nahezu unhinterfragt vorausgesetzt – jedoch wieder als sicheres Wissen vor, da sie gerade durch ihre spezifische Struktur einer ‚Wenn-dann-Aktion‘ genau festlegen, wie die Handlung unter bestimmten Bedingungen auszuführen ist. 4.2

Die Konzeptualisierung von Wissen als Problemlösen

Die Repräsentationsform von Wissen bzw. ihre Modellierung durch die Wissenspsychologie hängt nicht zuletzt mit der theoretischen Bestimmung von Wissen als generell ziel- oder zweckgerichtet zusammen. Prozedurales Wissen wird häufig im Zusammenhang mit dem Thema „Problemlösen“ eingeführt (so etwa bei Anderson 2001). Problemlösen wird nach Newell und Simon (1980) verstanden als „Suche in einem Zustandsraum, der durch Operatoren gebildet wird“, der Erfolg des Problemlösens hängt ab von verfügbaren Operatoren und den Suchmethoden. Dies ist allerdings noch keine Charakterisierung des prozeduralen Wissens, da dabei angenommen wird, dass alle kognitiven Aktivitäten ihrer Beschaffenheit nach Problemlöseprozesse sind. Denn menschliche Kognition ist „immer zweckgerichtet“, darauf gerichtet, „Ziele zu erreichen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen“ (Anderson 2001: 244). Beim Problemlösen wird ein Ziel in Teilziele zerlegt, für die der Problemlösende Operatoren besitzt. Die allgemeine Ziel- oder Zweckgerichtetheit problemlösenden Denkens und Wissens bestimmt wie gesagt auch die Vorstellung von seiner Repräsentationsform mit. Denn den Problemzustand – und als solcher ist unser Wissen ja zunächst repräsentiert – erhält man durch Absuchen des „Problemraums“. Dieser ergibt sich durch die Möglichkeiten, die man hat, um sich aus einem „Anfangszustand“ in einen anderen, dem „Zielzustand“ näheren, zu begeben. Die Repräsentation beider Zustände ist also notwendig für die Repräsentation prozeduralen Wissens (vgl. Opwis/Plötzner 1996: 146). Die terminologischen und inhaltlichen Parallelen zum oben erwähnten Modell Dörners sind deutlich: „Kreatives Problemlösen“ ist definiert durch a) Zielgerichtetheit, b) Zerlegung in Teilziele, c) Anwendung von Operatoren (Handlungen, die den vorliegenden Problemzustand in einen anderen transformieren und mit denen man die Teilziele erreichen kann) (vgl. An62

DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

derson 2001: 260ff.). Daher gilt bereits hier auch der oben an Dörner gerichtete Vorwurf, dass sich derlei Definitionen prozeduralen Wissens auf komplexe algorithmische Regeln beziehen, die letztlich auf einen Grad an Eindeutigkeit, Genauigkeit und wissenschaftliche Überprüfbarkeit ausgerichtet sind, den man nur propositionalem Wissen 20 zuschreiben kann. Der Frage, inwieweit die Repräsentation und Verarbeitung von Wissen in Form von Aktivitätsmustern über neuronale oder neuronenähnliche Elemente hinweg theoretische Relevanz für einen anderen Wissens- und Regelbegriff haben könnte, werden wir im zweiten Kapitel ausführlich nachgehen (s. Kap. II, 4). Für diejenigen psychologischen KI-Modelle, die heute als aktuelle Weiterentwicklungen der Problemlösemodelle von Dörner und Anderson aus den siebziger Jahren angesehen werden und zumindest teilweise auf neuronalen Netzwerken basieren, gilt jedenfalls, dass sie keinen signifikanten Unterschied bezüglich der „Sicherheit“ oder anderer Aspekte, die die Verfügbarkeit der jeweiligen Wissenselemente betreffen, aus dieser Repräsentationsform ableiten (vgl. Schaub 2001). Beispiele für solche Modelle sind Soar (State, Operation And Result) von Newell und Laird (1991), ACT-R (Adaptive Charakter of Thought) von Anderson (1993, 1998) sowie PSI (Person, Situation, Interaktion) von Dörner und 20 Zunächst durchaus interessant ist allerdings, wie sich Anderson die Auswahl der Operatoren vorstellt. Dies geschieht nämlich weniger durch Entscheidungsfindung oder durch logisches Denken – wie es beim Erwerb deklarativen Wissens der Fall ist –, sondern der Erwerb von Problemlöseoperatoren kann entweder durch „Entdecken“, durch die Bildung der „Analogie zur Lösung eines Beispielproblems“ oder aber durch „direkte Instruktion“ erfolgen (ebd.: 249). Der Begriff der Analogiebildung könnte auf eine andere Schlussform, eine andere Art von Denkoperation hinweisen, wie sie neben Ryle auch Bourdieu über den Mittelweg seiner „praxeologischen Erkenntnisweise“ zu beschreiben versucht. Bourdieu bezeichnet die „Logik der Praxis“ als eine eigene Art von Logik, zwischen subjektiven Alltagserfahrungen und objektivem Wissen angesiedelt, als etwas, das man nicht sprachlich fassen, objektivieren kann, „außer in einem ganz reduktionistischen Sinn“ (Bourdieu 1996: 157ff.). Auch die rationale Rekonstruktion der Praxis z.B. durch die Wissenschaft ist nicht möglich. In diesem Zusammenhang taucht bei Bourdieu der Begriff der Disposition auf, der auch bei Ryle eine Rolle spielt. Die formale Darstellung der Repräsentation von einmal erworbenen Problemlöseoperatoren in Andersons Modell (s.o.) macht jedoch bald deutlich, dass es hier nicht um einen eigenen, durch explizite, systematische Aufgliederung nicht einholbaren Charakter des prozeduralen Wissens geht.

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Schaub (1998). Diese neueren Varianten von „Architekturen menschlicher Kognition“ (Bell/Newell 1971) sind letztlich Nachkommen des GPS (General Problem Solver), das Newell (1963) auf einem Computer implementierte. Ziel dieser Architekturen ist es, so etwa Schaub, „ein einheitliches Modell der menschlichen Informationsverarbeitung, welches gegebenenfalls auf neuronale Prozesse zurückgeführt werden kann“ zu bieten (2001: 198). Auch diese neueren Arbeiten schlagen als Gegenmodell zum propositionalen Wissen im Zusammenhang mit Problemlöseansätzen die Modellierung in Form von „regelbasierten Repräsentationssystemen“ (also Produktionssystemen) vor, die zusätzlich auf neuronalen Netzen basieren. Der Unterschied zwischen der Repräsentation in neuronalen Netzwerken bzw. Produktionen wird in der Regel damit angegeben, dass Produktionssysteme semantische Regeln für symbolische Informationen formulieren, neuronale Netze Information auf „subsymbolischer Ebene“ verarbeiten (vgl. Varela 1990; Opwis/Plötzner 1996; Schaub 2001; s. Kap. II, 4). Die meisten Autorinnen und Autoren gehen aber dennoch mehr oder weniger stillschweigend davon aus, dass die Wissensbestände eines regelbasierten Systems als explizites Regelwissens zu modellieren sind, in der Regel mit Hilfe von Algorithmen. So schreibt etwa Schaub, dass neuere Produktionssysteme in der Lage sein müssten „das für den Phänomenbereich relevante Wissen und Können in Regeln abzubilden, die die Form von ‚Wenn-dannSätzen‘ haben“ (2001: 104; Herv. B.Z.). Bei Opwis und Plötzner findet sich zwar der Hinweis, dass „in vielen Situationen […] Wissen jedoch mit Unsicherheit behaftet“ ist (1996: 119). Der Vorschlag, den die Autoren sodann unterbreiten, zielt aber keineswegs auf einen Formwandel des Wissens ab, sondern auf komplexere Modelle seiner Repräsentation: Sie schlagen vor, diese Unsicherheit mancher Wissensbeständen bei der KI-Modellierung abzudecken, indem in neueren Produktionensystemen „sowohl Regeln als auch Fakten um so genannte Gewissheitsparameter als zusätzliches Argument“ erweitert werden (ebd., Herv. i.O.). Das hat vor allem die Konsequenz, dass die Produktion erheblich komplexer wird: Eine zuvor als „wenn (Bedingung)-dann (Aktion)“ beschriebene Regel muss nun etwa enthalten „wenn (Bedingung) + Grad der Sicherheit des Bedingungswissens, z.B. 1.0) - dann (Aktion + Grad der Sicherheit des Anwendungswissens, z.B. 0.75)“. Sodann müssen die unterschiedlichen Gewissheitsgrade für einzelne Bedingungen und Regeln miteinander verrechnet werden; es gibt in dem von den Autoren vorgestellten Modell bis zu 4 Gradabstufungen der Sicherheit von Wissen. Das Ergebnis einer solchen Berechnung stellt dann beispielsweise im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens 64

DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

fest, dass die Diplompsychologin Anna mit einem Wert von 0.54 an Gewissheit (errechnet aus dem Produkt der „Gewissheitswerte“ für die unterschiedlich ‚sicheren‘ Informationen über Anna, die z.B. von der Note im Diplom bis zur Originalität ihrer Diplomarbeit reichen) als geeignete Bewerberin gilt (Opwis/Plötzner 1996: 120f.). Die exakte kognitive Modellierung und Messung der Unsicherheit bestimmter Wissenselemente wird von den beiden Autoren ausführlich besprochen und problematisiert. Es wird allerdings nicht klar, nach welchen Kriterien die unterschiedlichen Grade der Sicherheit von Wissen beim Programmieren bestimmt und spezifiziert werden, was sie also für uns 21 bedeuten (ebd.: 121f.).

5

Schlussbetrachtung: Wissen, dass und Wissen, wie

Kognitivistische Modelle der Wissensrepräsentation, das haben wir nun gesehen, halten insgesamt zu stark an der Fixierung menschlicher Kognition auf propositionales Wissen fest. Dadurch können einige Bereiche derjenigen Wissensleistungen im Alltag, die wir aufgrund von Alltagswissen, ‚gesundem Menschenverstand‘ oder kulturellem Wissen erbringen, nicht adäquat modelliert werden. Es wurde zwar im vorliegenden Kapitel auch deutlich, dass die kognitivistischen Modelle gerade für die Anforderung, eine Alternative zum sicheren, propositionalen Wissen zu bieten, brauchbare Vorschläge gesucht und auch vorgebracht haben. Diese reichten von gedächtnispsychologischen Ansätzen wie der Dualen Kodierung und den Prototypenmodellen bis zu den flexiblen Skripts und den Geschichtengrammatiken als alltagsnahen Modellen der Wissensrepräsentation. Auch das Interesse der kognitiven Psychologie an der Theoretisierung prozeduralen Wissens ergab sich u.a. aus der Einsicht in die Alltagsferne jener direkt auf propositionales Wissen bezogenen Modelle, die sich im Bereich der se21 Auch der auf den ersten Blick interessante Vorschlag, im Fall rückwärtsverkettender Produktionensysteme das Vorgehen beim Problemlösen als „eine Variante des sogenannten abduktiven Schließens“ zu verstehen (ebd.: 122) bleibt unausgeführt, und muss es auch bleiben, da es, wie die Autoren selbst wiederholt betonen, aus Sicht der kognitiven Modellierung allein darum gehen kann, welche „kognitiven Verrechnungen“ Personen durchführen, um speziell beim Vorliegen unsicheren Wissens zu Urteilen oder Schlüssen zu gelangen. Auf der Basis von Verrechnungen lässt sich jedoch der auf Peirce zurückgehende Abduktionsbegriff nicht beschreiben.

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

mantischen Wissensrepräsentation etabliert hatten. Daher ist es umso erstaunlicher, dass auch die Modellierung von Fertigkeiten oder Problemlöseverfahren letztlich auf theoretisches, explizites und sicheres Wissen zurückführt. Ein besonderer Status von praktischem im Unterschied zu theoretischem Wissen scheint sich allenfalls in einer gewissen Automatisierung des Abrufprozesses auszudrücken. Vermissen lassen diese Modelle damit höchst relevante Eigenschaften des Wissens, wie etwa seine pragmatische Bindung an Handlungsvollzüge, auch Fragen bezüglich der Lokalisierung des prozeduralen Wissens, die dieses enger an das Handeln binden würden als theoretisches Fakten- und Regelwissen, werden nicht angeschnitten. Wissen ist Wissen und es befindet sich im Kopf. Kognition ist eine theoretische, geistige Entität, welche die Basis oder Ursache für zielgerichtete Handlungen darstellt. Diese Auffassung entspricht nun, wie schon mehrfach angedeutet wurde, in vielen Aspekten dem von Gilbert Ryle in den vierziger Jahren formulierten Vorwurf, die meisten Vorschläge für die Konzeptualisierung kognitiver Vorgänge folgten einer „intellektualistischen Doktrin“, welche die Verankerung kognitiver Prozesse in Tätigkeiten verkenne. Es ist ein psychologischer Mythos, formuliert Ryle, dass jenes Wissen, das sich auf Tätigkeiten oder Handlungen bezieht („knowing-how“, dt. „können“) wirklich als Wissen im Sinne propositionalen Fakten- oder Regelwissens („knowing-that“) vorliegt und dass unsere Handlungen als durch Wissen angeleitet oder gesteuert zu verstehen sind (1949). Ryle möchte die Vorstellung, mentale Phänomene seien geheimnisvolle Vorgänge ‚hinter‘ den beobachtbaren Handlungen, ausräumen. In Wirklichkeit, so Ryle, ist das, was hier zum ‚Geist‘ stilisiert wird, nichts anderes als die Art und Weise der Organisation dieser Handlungen. In der klassischen Abhandlung The concept of mind (1949), wirft er der Philosophie vor, diesem „psychologischen Mythos“ anzuhängen (32ff.): „Philosophers have not done justice to the distinction which is quite familiar to all of us between knowing that something is the case and knowing how to do things. In their theories of knowledge they concentrate on the discovery of the truths of facts, and they either ignore the discovery of ways and methods of doing things or else they try to reduce it to the discovery of facts. They assume that intelligence equates with the contemplation of propositions and is exhausted in this contemplation“ (ebd. 1971: 215). Ryles Vorwurf richtet sich gegen Ansätze der Philosophy of Mind der vierziger Jahre. Die Kognitive Philosophie und ihre philosophischen Grundlagen im engeren Sinne waren erst im Entstehen. Dennoch ist Ryles Begriff des Geistes hier wichtig, nicht zuletzt da er die 66

DIE REPRÄSENTATION VON WISSEN IN DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

enge Verbindung bestimmter Strömungen der Analytischen Philosophie des Geistes und des psychologischen Kognitivismus verdeutlicht. Mit beiden Disziplinen sind die modernen Kognitionswissenschaften verbunden. So kann etwa der Computerfunktionalismus, den der Philosoph Jerry Fodor entwickelt hat, als philosophische Grundlage der meisten der bislang besprochenen kognitivistischen Modelle gelten. Daher soll das folgende Kapitel sich eingehender mit Fodors Ansatz, der Representational Theory of Mind, und deren Rezeption innerhalb der Philosophie des Geistes befassen.

67

II

Philosophische Grundlagen und Kritik des Kognitivismus

Die Philosophie kann man mit Gardner als die älteste Kognitionswissenschaft verstehen, derem erkenntnistheoretischen Zweig auch die ursprünglichen Themen der Kognitionspsychologie entstammen (1989: 61). Das sind Fragen nach dem Wesen mentaler Repräsentationen oder charakteristischen Merkmalen des Mentalen (Beckermann 2001). Noch direkter lässt sich das Verhältnis zwischen den modernen Kognitionswissenschaften und der angelsächsischen Analytischen Philosophie des Geistes angeben: Die zentrale Prämisse der Kognitionswissenschaften, das bereits erwähnte computational-repräsentationale Verständnis des Geistes ist Gegenstand einer Debatte, die, quasi als Fortsetzung dessen, was man als das Leib-Seele-Problem bezeichnet, in den vierziger bis sechziger Jahren die Philosophy of Mind beherrschte. Aus dieser Debatte gingen die Ansätze hervor, die den Übergang von der Identitätstheorie zum Funktionalismus ermöglichten und für die Namen wie Saul Kripke, Hilary Putnam, Daniel Dennett, Donald Davidson oder Jerry Fodor stehen, und sie ist bis heute mit der Klärung und Präzisierung von Begriffen befasst, die auch Grundbegriffe der (kognitiven) Psychologie sind. Die im Folgenden unternommene Rekonstruktion einiger theoretischer Entwürfe der Analytischen Philosophie des Geistes der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird sich freilich auf die Betrachtung ausgewählter Themen beschränken, die für die in den fünfziger Jahren entstehenden Kognitionswissenschaften von Bedeutung waren und sie ganz konkret beeinflusst haben. In den vierziger Jahren hatte die Philosophie des Geistes, wenngleich viele der frühen Kognitionswissenschaftler epistemologisch stark vom Logischen Empirismus beeinflusst waren, bereits Perspekti69

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

ven entwickelt, die den Semantischen Physikalismus eines Carnap hinter sich gelassen hatten. In dieser Hinsicht von Bedeutung für die sich entwickelnden Kognitionswissenschaften war auch Gilbert Ryles Kritik an der offiziellen „Doktrin“, wie er die bis auf Descartes zurückgehende „mentalistische“ Strömung innerhalb der Philosophie des Geistes nannte. Ryle hat diese Kritik am deutlichsten in seiner Abhandlung The Concept of Mind vertreten (Ryle 1949, dt. 1969). Ungeachtet des erheblichen Widerhalls, auf den Ryles mainstreamkritische Auffassung in den vierziger und fünfziger Jahren stieß, hat sein Werk in der aktuellen Diskussion um den Status mentaler Zustände an Wirkung verloren. Dies könnte sich, zumindest was die Psychologie betrifft, freilich aufgrund wachsender Einsprüche gegen eine kognitivistische Konzeptualisierung mentaler Zustände in absehbarer Zeit wieder ändern: Erstens haben Ryles theoretische Entwürfe dazu beigetragen, die Eigenart mentaler Dispositionen besser zu verstehen; zweitens gilt der Logische Behaviorismus als logischer Vorläufer des unten darzustellenden Funktionalismus. Am wichtigsten für unsere theoretischen Interessen ist jedoch, dass sich drittens aus der für Ryles Konzeptualisierung mentaler Zustände spezifischen Verknüpfung von Wissen und Handeln, die charakteristisch für Ryles Konzeptualisierung mentaler Zustände und Prozesse ist, ein Kognitions- oder Wissensbegriff ableiten lässt, an den einige der kognitivismuskritischen Positionen anknüpfen können, die in der vorliegenden Arbeit rekonstruiert werden sollen. Dieser heute anschlussfähige Aspekt der Ryleschen Theoriebildung wird also an späterer Stelle nochmals gesondert aufgegriffen werden. Zunächst geht es um die Darstellung seiner Kritik an der damaligen Philosophie des Geistes. Darauf folgend wird der funktionalistische Ansatz Jerry Fodors ausführlich rekonstruiert und diskutiert werden, da dessen streng kognitivistische Sichtweise kognitiver Phänomene (die praktisch den Widerpart zur Ryleschen Perspektive darstellt) für die breiteste Strömung innerhalb der zeitgenössischen kognitivistischen Psychologie immer noch grundlegend ist.

1

Ryles Begriff des Geistes

Die Grundannahme der von Ryle vehement kritisierten Position war die, dass jeder Mensch aus einem Körper und einem Geist bestehe, die (zumindest während des Lebens) zwar zusammengespannt, aber dennoch völlig unterschiedlichen Gesetzen unterworfen sind: Der Geist existiert nicht im Raum, nur in der Zeit, der Körper dagegen in Raum und Zeit; Körper unterstehen mechanischen Kausalgesetzen, der Geist 70

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

dagegen eher (para-)psychologischen, mysteriösen Gesetzen; Körper sind öffentlich und durch intersubjektive Beobachtung objektiv beschreibbar, der Geist ist privat und nur er selbst kann von sich Kenntnis haben. Ryle bezeichnete diese Doktrin der Trennung von Körper und Geist, die damit verbundenen Postulierung des Geistes als eigenständige Entität sowie die zu ihr gehörigen Annahmen und Beschreibungen als Dogma des „ghost in the machine“ (ebd. 1969/1997: 13, 60). Hängt man, wie die meisten Vertreter der Philosophy of Mind zur Zeit Ryles, dieser Doktrin an, führt die Rede vom Geist zwangsläufig zu Kategorienverwechslungen, da man dann „vom Geist spricht als habe er eine eigene Existenz“ (Gardner 1989: 79). Damit jedoch behandelt man eine abstrakte Charakterisierung einer Menge von Handlungsdispositionen so, als sei sie selbst eine dieser Dispositionen, eine „innere Entität“. Der in Ryles Entwurf dargestellte und kritisierte Mentalist geht davon aus, Geistiges bestünde in geheimnisvollen Vorgängen hinter den beobachtbaren Handlungen. In Wirklichkeit, so Ryle, ist aber ‚Geist‘ nichts anderes als die Art und Weise der Organisation dieser Handlungen. Ryle würde die von der intellektualistischen Doktrin postulierte, „innere“, „okkulte“, rein kognitive Aktivität, von der diese Doktrin sagt, dass sie Verhalten verursache, selbst als eine Art der Handlung verstehen: Auch das Erwägen von Propositionen, die dann die Ausführung einer Handlung bestimmen sollen, ist eine Operation, eine Denkhandlung – wollte man diese wieder ursächlich über einen mentalen Zustand erklären, so führte diese Suche nach einer hinter allen Operationen stehenden nicht mehr handlungsgebundenen kognitiven Instanz zum unendlichen Regress: Das logische Problem der intellektualistischen Theorien besteht darin, dass sie einen Agenten benötigen, der das angebliche Wissensreservoir lesen oder interpretieren soll. Die Erwägung von Propositionen, so Ryle, ist aber selbst wieder intelligentes Handeln (Ryle 1997: 34). Ein wichtiges Ergebnis der Ryleschen Analyse besteht genau hierin: Dasjenige, was an einer Handlung intelligent ist, gehört nicht einer von ihr getrennten, kognitiven Instanz an (Ryle 1997: 32), sondern bezeichnet eine Qualität, die der Handlung selbst zu eigen ist. Ryle argumentiert, dass es viele Handlungen gibt, in denen sich Intelligenz zeigt, für deren intelligente Ausführung es jedoch keine formulierbaren Regeln oder Kriterien gibt (sei es ‚einen bestimmten Zug im Schachspiel machen‘, ‚einen Witz reißen‘ oder ‚ein Argument führen‘). Im Fortgang seiner Argumentation weist er darauf hin, wie man dem mentalistischen Kategorienfehler entgehen kann. Wenn wir davon ausgehen, dass eine Handlung dann als intelligent bezeichnet wird, 71

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

wenn „jemand das, was er tut, im Allgemeinen richtig, gut und erfolgreich tut“ und er „fähig ist, in seinem Vorgehen Fehler zu entdecken und auszumerzen, Erfolge zu wiederholen und zu vergrößern“ (Beckermann 2001: 80), so zeigt die Analyse unseres alltäglichen Sprachgebrauchs, dass wir eine Handlung nicht dann intelligent nennen, wenn wir sie auf einen verborgenen inneren Vorgang zurückführen, sondern dann, wenn sie nicht isoliert steht, wenn sie Teil eines Musters ähnlicher und verwandter Handlungen ist. Ryle erläutert dies anhand des alltagssprachlichen Gebrauchs solcher Adverbien, die sich auf die gelungene Ausführung von Tätigkeiten beziehen (wie etwa gut, intelligent, gekonnt, geschickt, versiert usw.): Sie sind nur auf den ersten Blick auf jene speziellen „internen Produktklassen“ bezogen, die wir als Denken oder Theorie bezeichnen. Tatsächlich aber signalisieren diese Adverbien eher die Beherrschung derjenigen Praxis, auf die sie sich beziehen (also etwa ‚Schach spielen‘ oder ‚argumentieren‘) als die Verfügbarkeit theoretischen Wissens über die korrekte Ausführung dieser Praxis (wie etwa die Regeln des Schachspiels bzw. des Argumentierens genau zu kennen). Auch gebräuchliche sprachliche Wendungen wie „technisches Wissen“ oder sogar „praktische Vernunft“ weisen darauf hin, dass mit intelligentem Tun nicht bilaterale (intelligent geplante und nach einiger Übung ausgeführte), sondern auf einheitliche Operationen einer speziellen Verfahrensweise ausgerichtete Fähigkeiten gemeint sind (ebd.: 214). Und das heißt für Ryle, es handelt sich um „knowing-how“, also um können, und nicht um „knowing-that“, also propositionales Fakten und Regelwissen. Können ist mehr und anderes als die Summe aller die Ausführung einer Tätigkeit betreffenden Fakten und Regeln im Geist repräsentiert zu haben, abrufen zu können und in Körperbewegungen umzusetzen. Was wir also Ryle zufolge betrachten sollten, um die „Ausübung von Intelligenz“ zu erforschen, sind neben den Handlungen selbst, wenn wir über sie hinausblicken, die „Fähigkeiten und Neigungen des Handelnden, die in seiner Handlung zum Ausdruck kamen“. Damit sind jedoch nicht Ursachen gemeint, sondern komplexe Dispositionen, die aus einem Geflecht von „Fähigkeiten, Fertigkeiten, Anlagen, Gewohnheiten und Neigungen“ bestehen. Können – „knowing-how“ – beinhaltet zwar auch die Befolgung von Regeln und Richtlinien für eine Handlungsweise, aber die Ausübung ist keine aus theoretischen Maximen auf der einen und deren Umsetzung in die Praxis auf der anderen Seite bestehende „Doppeloperation“ (alle Ryle 1997: 54), sondern diese Regeln und Richtlinien sind eine Art implizites Wissen, nicht ohne Weiteres explizierbar und erst im Handeln präsent. Hand72

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

lungserklärungen beziehen sich dann auf Dispositionseigenschaften, die untrennbar mit der Handlung, die sie ermöglichen, verbunden sind. Sie disponieren dazu, dass sich ein Mensch unter bestimmten Umständen so oder so verhält. Die explizite Verbindung von Wissen und Handeln, die Ryle mit dem Dispositionsbegriff aufgreift, ist der Aspekt seines theoretischen Entwurfes, den eine postkognitivistische Wissenspsychologie aufgreifen könnte. Denn wie wir in Kap. I gesehen haben, wird die Verankerung kognitiver Prozesse in Tätigkeiten durch die kognitivistischen psychologischen Wissensrepräsentationsmodelle nicht in befriedigender Weise thematisiert und beschrieben. Dabei weist die Rylesche Theorie des Geistes durchaus Gemeinsamkeiten mit jenen später entstandenen Positionen auf, die gerne für die besondere Betonung eines spezifischen praktischen Wissens angeführt werden: mit der Beschreibung des impliziten Wissens bei Michael Polanyi (1985), mit dem Konzept der Strukturierung Anthony Giddens’ (1995), mit dem Habituskonzept Pierre Bourdieus (1999). Viele Kritiker Ryles führen an, dass die Methodologie (z.B. auch der Psychologie), die auf der Grundlage von Ryles Auffassung mentaler Zustände möglich wäre, zwar darin bestehen könnte, Dispositionen zu beschreiben, also möglicherweise psychologische Konstrukte wie Einstellungen, Motivation usw. Dies müssten jedoch anhand von Verhaltensbeobachtungen festgehalten werden. Dieser Lesart zufolge könne man aus Ryles Begriff des Mentalen die Grundlage für eine neobehavioristische Psychologie ableiten, eine Psychologie, die sich in kognitivistischer Manier mit dem Bewusstsein, kognitiven Prozessen der Wissensbildung etc. befassen will, ließe sich mit Ryle dagegen 1 nicht begründen (vgl. z.B. Gadenne 1991: 41; Beckermann 2001). Innerhalb der Philosophy of Mind zielt die Kritik an Ryle dann auch in erster Linie auf seine behavioristische Argumentation: The Concept of Mind ist heute zwar ein klassisches Werk der Analytischen Philosophie, das den Behaviorismus als eine philosophische Theorie repräsentiert, die dort vertretene Position bezüglich des ontologischen Status mentaler Zustände allerdings gilt in vieler Hinsicht als überholt; insbesondere die Unterscheidung zwischen kausalen und dispositionellen Handlungserklärungen wird im strikten, behavioristischen Sinn ver1

Bieri kommt in seiner Beurteilung des logischen Behaviorismus zu dem Ergebnis, dass Ryles Analyse für Zustände wie Empfindungen, Vorstellungen und Träume nicht gelten könne – wohl aber für Charakterzüge oder geistige Fähigkeiten (1981: 34).

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

standen und hat sich nicht durchsetzen können (vgl. Urmson 1968; 2 Gean 1965; Landesmann 1965; zum Überblick Beckermann 2001) . Dem kann entgegengehalten werden, dass besonders „höherstehende menschliche Dispositionen“ (Ryle ebd.: 53), um die es Ryle vorrangig geht, nicht in ein einfaches behavioristisches Konzept passen, das von Reiz-Reaktionsverbindungen aus- und nicht allzu weit über sie hinaus geht. Insbesondere mit den Ausführungen über „komplexe Dispositionen“ (152-155) weist Ryle deutlich darauf hin, dass es dabei nicht um eine instinktgesteuerte reizinduzierte Bewegung geht, sondern um im Handeln verankertes Wissen. So bezeichnen etwa die komplexen „Dispositionswörter wie ‚wissen‘, ‚glauben‘, ‚anstreben‘, ‚klug‘ und ‚humorvoll‘ “, für Ryle „Fähigkeiten, Tendenzen oder Neigungen, Dinge zu tun, und zwar nicht Dinge einer einzigen Art, sondern vieler 3 verschiedener Arten“ (ebd.: 156). Hier könnten auch Akteure gefordert 2 Der Philosoph Ansgar Beckermann ist sogar der Ansicht, dass Ryles sprachanalytischer Ansatz auch gegen ihn selbst gewendet werden kann: „Die Hauptursache für den Unfall war die Trunkenheit des Fahrers“ ist ein Satz, der in der Alltagssprache durchaus üblich ist (vgl. Beckermann 2001: 92 f.). Heute versucht man in der Philosophie des Geistes auch nicht mehr, Dispositionsprädikate explizit zu definieren oder über Bedeutungspostulate in die Wissenschaftssprache einzuführen (etwa über ‚Wenn-dann-Sätze‘, in denen die Bedeutung des Prädikats zumindest teilweise festgelegt wird), sondern behandelt sie als theoretische Begriffe, die den Status von Grundbegriffen haben und keiner expliziten Definition bedürfen (z.B. in Anlehnung an Sellars 1956). Damit ist möglicherweise Ryles Forderung bis zu einem bestimmten Grad Rechnung getragen, denn theoretische Begriffe beziehen sich nicht unbedingt auf mysteriöse innere Entitäten. Dieses Verständnis mentaler Begriffe macht mentale Eigenschaften nicht unbedingt zu Eigenschaften eigener Art und erlaubt es dennoch, gegen Ryle, die Frage nach dem Verhältnis physischer und mentaler Eigenschaften weiterhin mit Schärfe zu stellen (vgl. Beckermann 2001: 98). Die in Kognitionswissenschaft und kognitivistischer Psychologie übliche Modellierung mentaler Zustände und Prozesse ist jedoch nach wie vor streng kognitivistisch und die Auseinandersetzung mit kritischen Positionen, wie der Ryles, ist in der Psychologie so unpopulär, dass Ryles Vorwürfe hier noch immer gelten können. 3 Für solche Dispositionen führt Ryle als Beispiel an, wie Jane Austen in ihrem Roman Pride and Prejudice den Stolz der Protagonistin darstellt und dafür „ihre Handlungen, Worte, Gedanken und Gefühle in tausend verschiedenen Situationen“ beschreiben musste“ (ebd.). Auch dass sich dieselben Dispositionen in derselben Reizsituation gleichartig äußern und das menschliche Verhalten damit messbar und vorhersagbar würde, setzt Ryle nicht voraus (Ryle 1997: 53).

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PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

sein, die im Handeln nicht nur ihrem expliziten, kognitiven Regelwissen vertrauen, sondern sich auf mehrdeutiges, implizites, kulturelles oder Umgangswissen (das eben kein propositionales Wissen sein kann) verlassen. Die Konnotation von Ryles Wissensbegriff ändert sich beträchtlich, wenn man anstatt von Verhalten von Handeln spricht. Bevor wir uns der Frage zuwenden, wie Ryles Unterscheidung von knowing-that und knowing-how für die Kognitivismuskritik neuerer, handlungstheoretisch oder sozialkonstruktivistisch orientierter Arbeiten fruchtbar gemacht werden könnte, soll im folgenden Unterkapitel ein Blick auf die philosophischen Grundlagen des kognitivistischen Paradigmas der Psychologie geworfen werden. Der Computerfunktionalismus (Fodor 1975, 1987) gilt als die kognitivistische Position innerhalb der Philosophie des Geistes. Er ist zwar Jahrzehnte nach Ryle entstanden, erklärt aber, besonders in Fodors Variante, mentale Zustände und Prozesse kognitivistisch und intellektualistisch, so dass Kognition und Verhalten als strikt getrennte, kausal aufeinander einwirkende Entitäten erscheinen.

2

Fodors Repräsentationale Theorie des Geistes (RTG)

2.1

Die Hypothese des Physischen Symbolsystems

Die Computerwissenschaftler Allan Newell und Herbert Simon präg4 ten 1955 den Begriff eines „physical symbol system“ (ebd. 1976) . Er sollte für alle symbolmanipulierenden Systeme gelten, die durch folgende fünf Instanzen oder Ebenen charakterisiert sind: Eine InputSchnittstelle zur Umwelt, einen Arbeits- und Langzeitspeicher, einen Satz von Operationen, eine Kontrollebene und eine OutputSchnittstelle zur Umwelt. Damit sind die Möglichkeiten zur Simulation aller computationalen Formen gegeben und der jeweilige interne Ablauf der Verarbeitung innerhalb des Systems kann unabhängig davon beschrieben werden, welcher reale, in Bezug auf eine Umgebung stehende Ablauf simuliert wird. Physikalische Symbolsysteme sind also bereits auf der Erklärungsebene – welcher konkrete Ablauf wird simuliert? – auf Symbolisierung angewiesen (vgl. Hildebrandt 1991: 34). Die „Symbolsystem-Hypothese“ (Newell/Simon 2000: 62) besagt, dass ein 4 Explizit formuliert als These wurde diese allerdings erstmals 1976 in dem Aufsatz Computer Science as Empirical Inquiry (dt. Übersetzung in Münch 2000; vgl. Wilke 1996: 57).

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

solches physikalisches Symbolsystem über die notwendigen und hinreichenden Mittel für allgemeine intelligente Handlungen verfügt. Jedes „System, das allgemeine Intelligenz zeigt“ sollte sich bei näherer Analyse als physikalisches Symbolsystem herausstellen und vice versa sollte „irgendein Symbolsystem von hinreichender Größe“ derart weiter organisiert werden können, „dass es allgemeine Intelligenz zeigt“ (Newell/Simon 2000: 61). Damit entwickelten die beiden Autoren nicht nur eine bestimmte Auffassung von Künstlicher Intelligenz, sondern auch eine Theorie des Denkens: Denn sie vertraten ihre These über das Symbolsystem stets gekoppelt mit der starken These, dass sowohl der Geist als auch der Computer physische Symbolsysteme seien. Beides sind Systeme, die Informationen verarbeiten, und dabei mehr oder weniger logisch vorgehen. Die KI-Kritiker Hubert L. und Stuart Dreyfus reformulieren diese starke These wie folgt: Sowohl das menschliche Gehirn als auch der entsprechend programmierte digitale Computer können, der These des physikalischen Symbolsystems entsprechend, als „zwei verschiedene Fälle einer einzigen Maschine betrachtet werden – einer Maschine, die durch die Verarbeitung von Symbolen mittels formaler Regeln intelligentes Verhalten erzeugt“ (1989: 2). Aus Newells und Simons Sicht, die für viele Vertreter des Kognitivismus paradigmatisch wurde, war die große Ähnlichkeit zwischen dem menschlichen Geist, der ein Problem löst, und dem für die Lösung desselben Problems programmierten Computer viel relevanter als die Unterschiede zwischen den beiden Verarbeitungssystemen. Newell und Simon beziehen sich für die Postulierung des Physikalischen Symbolsystems u.a. auf Gottlob Frege, Bertrand Russel und Alfred North Whitehead (Newell/Simon 2000: 62). Dreyfus und Dreyfus heben hervor, dass diese Philosophen natürlich selbst einer „langen atomistischen, rationalistischen Tradition“ verpflichtet waren, die (wie auch Ryle betonte) mit Descartes begann, der bereits angenommen hatte, dass alles Verstehen auf der Bildung und Verarbeitung geeigneter Repräsentationen beruht, dass diese in primitive Elemente zerlegt werden und alle Phänomene als komplexe Kombinationen dieser einfachen Elemente aufgefasst werden könnten (Dreyfus/Dreyfus 1989: 2 f.). Ludwig Wittgenstein stellte – ebenfalls mit Bezug auf Frege und Russel – im Tractatus die Beziehung zwischen Geist und Wirklichkeit dar, indem er die Welt als Gesamtheit der logisch unabhängigen Tatsachen definierte und zugleich behauptete, diese Tatsachen sowie die logischen Relationen zwischen ihnen seien in der Sprache repräsen-

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PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

tiert.5 Die KI kann als der Versuch betrachtet werden, die von Wittgenstein im Tractatus aufgestellte Extremversion der klassischen rationalistischen Tradition in der Philosophie in ein empirisches Programm umzusetzen, dessen Zielsetzung, folgt man Dreyfus und Dreyfus, kurz gesagt darin besteht, jene Elemente und logischen Beziehungen in der aus dass-Sätzen aufgebauten Sprache eines Subjekts (Mensch oder Computer) zu finden, welche die Objekte und ihre Relationen abbilden, aus denen die Welt besteht (ebd. 1989: 3). In den siebziger Jahren erweiterte Jerry Fodor Begriff des physikalischen Symbolsystems und entwickelte seine Repräsentationale Theorie des Geistes (RTG). Dabei stützte er sich zum einen auf die in den sechziger Jahren durch seinen damaligen Lehrer Hilary Putnam aufgebrachte Position des Funktionalismus, zum anderen bezog er sich stark auf Noam Chomskys Theorie der sprachlichen Kompetenz (vgl. Fodor 1975, 1987; Pylyshyn 1985). Es wird für die Darstellung der RTG notwendig sein, zunächst auf Fodors Theorie der Sprache (und damit auf Chomsky) einzugehen, um zu klären, warum eine Theorie des Geistes eine Theorie der „Sprache des Geistes“ sein soll, wie es Fodor verlangt. 2.2

Die Sprache des Geistes

Fodor hat keine Konzeption der Sprache, die von der Theorie des Geistes unabhängig wäre. Mit Chomsky geht er davon aus, dass es auch für den Linguisten darum geht, das einer Sprache oder der Sprachfähigkeit zugrunde liegende Regelsystem zu bestimmen, welches derjenige beherrschen muss, der die Sprache sprechen oder verstehen will. Sprache im Sinne Fodors kann als dynamisches Logiksystem beschrieben werden, als formale Sprache, die zu irgendeinem logischen Zweck geschaffen wurde. Ein logisches System verfügt über eine Syntax, die grammatische, logische Form der Sprache, und über eine Semantik. Mithilfe der syntaktischen Regeln eines logischen Systems bzw. einer solchen künstlichen Sprache lässt sich ein wohlgebil-

5

Sätze, heißt es im Tractatus, sind Bilder der Wirklichkeit. Vgl. z.B. Wittgenstein 1995: 14 f.; § 2.1 „Wir machen uns Bilder der Tatsachen“; § 2.12 „Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit“; § 2.131 „Die Elemente des Bildes vertreten im Bild die Gegenstände“; § 2.15 „Dass sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten, stellt vor, dass sich die Sachen so zu einander verhalten“ (etc.; vgl. Dreyfus/Dreyfus 1989: 3 f.; Schulte 1992).

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

deter Satz von einer zufälligen Zusammenstellung von Ausdrücken unterscheiden, die nicht bedeutungsvoll sein kann. Es war die Einsicht Chomskys, dass auch natürliche Sprachen (nicht nur Logiksysteme, also künstliche Sprachen) eine solche syntaktische Struktur aufweisen. Auch der Begriff eines wohlgebildeten Satzes einer natürlichen Sprache kann über die Regeln zur Konstruktion von Sätzen aus gegebenen Elementen erklärt oder interpretiert werden. Chomskys linguistische Theorie wurde 1957 mit der Veröffentlichung seines Hauptwerks Syntactic Structures (dt. Strukturen der Syntax, 1973) bekannt. Seine in der kognitiven und der Sprachpsychologie begeistert rezipierte Theorie der Generativen Grammatik besagt, dass es universelle, syntaktische Eigenschaften der Sprache gibt, etwa, dass Sätze aller natürlichen Sprachen eine Tiefen- und eine Oberflächenstrukur besitzen und über Transformationsregeln bestimmte Operationen erlauben und andere nicht. Die Tiefenstruktur repräsentiert den Sinn oder die tiefere Bedeutung des Satzes (sowohl die grammatischen Relationen und Funktionen der syntaktischen Elemente als auch alle weiteren für die sprachliche Bedeutung des Satzes wichtigen Elemente, insbesondere die Lexeme), die Oberflächenstruktur die jeweilige sprachliche Aufmachung. Sätze mit derselben Tiefenstruktur können an der Oberfläche unterschiedlich realisiert sein, z.B. als Passivoder Aktivsätze usw. Diese Eigenschaften der Sprache sind Ausdruck eines angeborenen, menschlichen Wissens. Dieser für Chomskys Theorie zentrale Aspekt, der besagt, dass Menschen ein Gespür für sinnhafte oder nicht sinnhafte sprachliche Konstruktionen haben, eröffnete für die Wissenspsychologie der fünfziger Jahre einen neuen Blick auf dasjenige Wissen, welches nötig ist, um im Alltag zu kommunizieren: Es kann sich bei dem Wissen des kompetenten Sprechers nicht um explizites Wissen handeln, denn die wenigsten kompetenten Sprecher können die Regeln nennen, die wohlgeformte, bedeutungsvolle Sätze erzeugen. Ihre Artikulation ist den Sprachwissenschaftlern oder Kognitionspsychologen überlassen. Die Sprecher einer Sprache haben aber implizite Kenntnis von den Strukturbeziehungen ihrer Sprache. Chomsky nannte dieses implizite Wissen eine Grammatik, oder, in einem Erläuterungsversuch, ein „System von Regeln, das Signale auf semantische Interpretationen dieser Signale bezieht“ (Chomsky 1971: 7; vgl. Stoutland 1998: 68). Sprachliche Äußerungen sind also Realisierungen eines zugrunde liegenden, abstrakten und impliziten Kenntnissystems, der sprachlichen Kompetenz. Dagegen ist die aktuelle Rede, die Performanz, von grammatisch irrelevanten Bedingungen kontaminiert (z.B. Zerstreutheit oder Ablenkung) und kann das Kenntnissystem Kompetenz nicht 78

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

erschöpfend realisieren. Was ein Sprecher implizit weiß, ist seine Kompetenz, was er indessen tut, ist seine Performanz. Auch für die (wissens-)psychologischen Bedeutungstheoretiker, die natürlich die Verbindung von Syntax und Bedeutung auf der einen mit Sprachkompetenz und Sprachverstehen der Sprechenden auf der anderen Seite interessierte, war es faszinierend, mithilfe dieser Theorie erklären zu können, weshalb noch nie gehörte Sätze produziert und Sprachen in relativ kurzer Zeit gelernt werden können. Als psychologisch höchst signifikante Einsichten galten auch die aus der Generativen Grammatik ableitbaren Schlussfolgerungen über die Eigenschaften sprachlicher Performanz, so etwa die Tatsache, dass tiefenstrukturelle Unterschiede der Grund für unterschiedliche Behaltensleistung bezüglich des Inhalts oberflächengleicher Sätze sein können (vgl. z.B. Gardner 1989; Anderson 2001). Die generative Grammatik stellt also die intuitiven, impliziten Kenntnisse sprachfähiger Menschen als ein ganz ohne Intuition, nur nach den Gesetzen der Logik bzw. der Mathematik funktionierendes Regelwerk dar (vgl. Hörmann 1991: 3 f.). Ist damit angedeutet, dass die Semantik einer Äußerung in ihrer Syntax aufgeht? Sowohl in der Logik als auch in der Theorie der Generativen Grammatik wird zwar einerseits scharf zwischen der Syntax und der Semantik einer Sprache 6 getrennt. Andererseits wird dennoch eine enge Beziehung zwischen beiden postuliert: Sätze können nämlich nur Bedeutung im Sinne von Intelligibilität besitzen, wenn sie syntaktisch wohlgebildet sind. Gleichwohl ist die syntaktische Sprachtheorie Chomskys bedeutungsfrei konzeptualisiert. Hörmann weist darauf hin, wie eng die Zielsetzung der Generativen Grammatik bedeutungs- oder sprachtheoretisch gesehen ist: „Es geht nicht um eine Theorie darüber, wie Sprache gebraucht und verstanden wird, sondern lediglich um eine Theorie wie grammatische Sätze von nicht-grammatischen Wortfolgen unterschieden werden können“ (1991: 13). Aufgrund ihres linguistischen Wissens kann eine Sprecherin der deutschen Sprache auch entscheiden, dass zwei an der Oberfläche auf den ersten Blick ähnlich strukturierte Sät6 Stoutland weist darauf hin, dass nach unter Logikern verbreiteter Auffassung die Semantik eines logischen Systems – also dessen Bedeutungsdimension – als „Angelegenheit der Relation (nicht-logischer) Termini oder Zeichen zu Objekten in der (außersprachlichen) Welt“ interpretiert werde. Dagegen gleiche Sprache, wenn man sie „von einem rein syntaktischen Standpunkt aus“ betrachte, „einem in sich geschlossenen Spiel, dessen Zeichen keinerlei (spielgewichtige) Beziehung zu irgendetwas außerhalb des Spiels besitzen“ (1998: 65).

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ze, etwa „Hans ist begierig zu lenken“ und „Hans ist schwierig zu lenken“ aufgrund verschiedener Tiefenstruktur etwas anderes besagen, und weiß, dass die Sätze „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik“ und „Die Richtlinien der Politik werden vom Bundeskanzler bestimmt“ dasselbe besagen, obzwar sie an der Oberfläche recht unterschiedlich realisiert wurden, da sie tiefenstrukturell gleich sind – und dies auch unabhängig davon, ob sie den Inhalt versteht (Hörmann 1991: 12). Chomsky selbst hatte zwar nicht explizit gefordert, dass semantische Analysen durch syntaktische ersetzt werden könnten, dennoch hat seine These, dass die Bedeutung eines Satzes durch seine syntaktische Struktur determiniert sei, die Aufmerksamkeit viel stärker auf syntaktische Aspekte des sprachlichen Wissens gelenkt. Er machte von Anfang an deutlich, dass die Syntax als primäre, grundlegende Ebene der Sprache gelten muss, auf deren Basis Semantik und Phonologie konstruiert werden. In der Generativen Grammatik haben z.B. die semantischen und phonologischen Komponenten erst Zugriff auf den „Output“ der syntaktischen Basiskomponente (vgl. Wessels 1984: 7 300; Gardner 1989: 205; Hörmann 1991: 19 f.). Auch für Jerry Fodor war die Annahme, dass zwischen der Syntax und der Semantik natürlicher Sprachen bedeutsame Korrelationen bestehen, die bei der Analyse von Sätzen angegeben werden müssen, besonders wichtig, da sie die Grundlage für die Bedingung der Formalität darstellt, die seinem computationalistischen Modell des menschlichen Geistes zugrunde liegt (s. Kap. II, 2.3). Manche Vertreter der linguistischen Psychologie sind der Ansicht, dass sich vordergründig die Linguistik mit dem von Chomsky als „linguistische Kompetenz“ bezeichneten Wissen zu befassen habe, die Psycholinguistik solle sich dagegen mit der „linguistischen Performanz“, also mit dem aktuellen Formulieren und Verstehen von Sätzen befassen (vgl. Wessels 1984: 298; Christmann und Groeben 1997: 350). Dies steht allerdings im Widerspruch zur Auffassung Chomskys und zur Rezeption von Chomskys Theorie in der kognitiven Psychologie,

7 Allerdings zeigte sich im Verlauf der wissenspsychologischen Rezeption seiner Untersuchungen (so etwa durch Sachs 1967; Hörmann 1976; Bock 1978), dass die semantischen Veränderungen deutlich länger im Gedächtnis gespeichert wurden als die syntaktischen, was dafür spricht, dass die Syntax in erster Linie zur Dekodierung der Satzbedeutung herangezogen und dann vergessen wird; Bock (1978) redet gar von der „Hilfsfunktion“ der Syntax (vgl. Hörmann 1991).

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die bis heute davon ausgeht, dass Chomsky kognitive Universalia beschrieben hat, die man nur weiterentwickeln muss (vgl. Anderson 8 2001: 382 ff.).

8 Heute gilt es als ausgemacht, dass die „Syntaxzentriertheit“ des Chomskyschen Modells sich als dessen hauptsächliche Schwäche erwiesen hat (Hörmann 1991: 18). Dieser Schwachstelle der generativen Grammatik wollten Katz und Fodor (1963) mit der Generativen Semantik entgegenwirken, die in der kognitiven Psychologie durchaus rezipiert wurde: Die beiden Autoren wollten in Anlehnung an Chomsky jene Phänomene des alltäglichen Sprachgebrauchs erklären, bei denen die generative Grammatik versagt: semantische Mehrdeutigkeiten, semantische Anomalien und Paraphrasen (vgl. Hörmann 1976). Ihre Semantiktheorie sollte es ermöglichen, semantische Anomalien, wie die von Chomsky in seinem berühmten Beispiel für die Vorrangigkeit der Syntax genannten ‚farblosen grünen Ideen‘ ebenso zu vermeiden, wie durch die Tiefengrammatik ungrammatische Sätze vermieden werden können. Das von Katz und Fodor eingeführte „Lexikon“, welches den Wortschatz des Sprachbenutzers enthält, löst die Mehrdeutigkeit von Wörtern auf. Jedes Wort des Lexikons ist in eine endliche Anzahl von Bedeutungselementen, „semantischen Merkmalen“, zerlegt (‚menschlich‘, ‚belebt‘ u.a.). Die Bedeutung eines Satzes resultiert dabei aus der Kombination der semantischen Merkmale seiner Wörter, allerdings mit der wesentlichen Einschränkung, das erstere nicht frei kombinierbar sind, sondern Regeln existieren, die angeben, welche Merkmale ein bestimmtes Adjektiv haben darf, damit es mit einem bestimmten Substantiv kombiniert werden kann („Selektionsrestriktionen“). Da in einem Satz nur solche Adjektive und Substantive kombiniert werden dürfen, deren semantische Merkmale miteinander verträglich sind, ist der kompetente Sprecher bzw. Hörer auch in semantischer Hinsicht in der Lage, zwischen wohlgeformten und nicht wohlgeformten Sätzen zu unterscheiden bzw. mehrere Lesarten eines Satzes zu generieren. Sind semantische Merkmale innerhalb eines Satzes nicht miteinander verträglich, liegt nach Katz und Fodor eine semantische Anomalie vor und die Satzinterpretation wird abgebrochen. Diese Definition von Semantik führt aber selbst wieder zu einem reduzierten, mechanistischen, objektivistischen und alltagsfernen Bedeutungsbegriff. Die Bestimmung semantischer Anomalie wird allein über das festgelegte, finite Inventar semantischer Merkmale vorgenommen; Situation, Kontext, Verwendungszusammenhang sowie das Weltwissen der Sprachbenutzer bleiben ausgeblendet (vgl. Christmann/Groeben 1997). Hörmann (1991) erwähnt, dass auch bei Katz und Fodor die semantischen Merkmale eine deutlich sekundäre Rolle in einem primär syntaxzentrierten Modell spielen (ebd.: 21). Allerdings zeigt sich die wissens- oder kognitionspsychologische Relevanz der Generativen Semantik bis heute in ihrer gedächtnis- und denkpsychologischen Anwendung (s. Kap. II, 2.5).

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Wie kann ein Aspekt einer linguistischen Theorie – etwa die stärkere Gewichtung der Syntax im Vergleich zur Semantik – für die kognitive Psychologie bzw. für eine Theorie des Mentalen bedeutsam sein? Die Postulierung eines implizit vorhandenen Regelwissens als Grundlage sprachlicher Kompetenz lässt sich zunächst einmal in einem strukturellen Sinn verstehen. Dann würden wir mit einer Darstellung der Kompetenz einer Sprache eine systematische Beschreibung des Wissens liefern, das eine Person befähigt, diese Sprache zu sprechen. Die Kenntnis dieser Regeln befähigt dann (eine linguistische Theoretikerin explizit, einen Sprecher implizit) dazu, das parsing von Ausdrücken (s. Kap. I) zu vollziehen. Die im engeren Sinn (kognitions-) psychologische Bedeutung der Kompetenz ergibt sich dagegen erst, wenn man sie als theoretischen Begriff dafür versteht, welche kognitiven Prozesse tatsächlich beim Sprechen ablaufen, wenn sinnvolle Sätze gebildet werden. Dann ist die generative Grammatik weniger ein Verfahren, um eine Sprache zu charakterisieren, sondern eines zur Beschreibung der Psychologie kompetenter Sprecher. Sie zeigt an, worin der ‚Besitz‘ desjenigen Wissens besteht, das der Sprecher einer Sprache zu ihrer Beherrschung benötigt. (Das ist nicht dasselbe wie linguistische Performanz im Sinne Chomskys. Durch die Kenntnis des Wissens der einzelnen Sprechenden ist noch nicht klar, wie sie dieses Wissen in einer bestimmten Situation anwenden werden.) Fodor jedenfalls hält Chomskys Grammatik für eine solche Darstellung der von den Sprechern eingesetzten Regeln. Den Sprechern sind diese impliziten Regeln nicht bewusst, Stoutland meint sogar, dass man eher sagen müsste, „dass in den Köpfen der Sprecher ein von Regeln, die diesen nicht bewusst sind, beherrschter Verarbeitungsprozess abläuft“ (1998: 70), der aber gleichwohl universal ist. Mit Chomsky vertritt Fodor zudem die ebenso radikale Auffassung, dass dieses universale Sprachwissen angeboren ist. Man kann, so führt er aus, „keine Sprache erlernen, ohne bereits eine Sprache zu besitzen“, da man für das Erlernen der ersten natürlichen Sprache auch die Bedeutung ihrer Prädikate erlernen muss. Dafür benötigt man gewisse Regeln (z.B. um zu lernen, wie die Extension dieser Prädikate bestimmt wird), die man nur in einer bereits vorhandenen, regelbasierten Sprache ausdrücken kann: „Man kann aber nicht lernen, dass P unter R fällt, wenn man nicht über eine Sprache verfügt, in der P und R ausgedrückt werden können“ (Fodor 1975: 64, 82). Der Nativismus erhält in Fodors Theorie des Geistes besondere Bedeutung, da er mit dem Bild des intentionalen Aspekts einer Sprache konfligiert. Eine Sprache muss, so sieht es auch Fodor, neben ihrer Syntax auch semantische Beziehungen zu den Dingen dieser Welt 82

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aufweisen. Sprachliche Äußerungen sind intentional bzw. erfordern Intentionalität, da sie „von Dingen dieser Welt handeln können“, und das heißt, „die Ausdrücke dieser Sprache müssen in semantischen Beziehungen zu Dingen dieser Welt stehen“ (Stoutland 1998: 72). Auch der kompetente Sprecher muss somit über Intentionalität verfügen – eine Eigenschaft, die nur für mentale Vorgänge oder Zustände geltend gemacht werden kann. Daher gelangt Fodor zur Ansicht, diese angeborene Sprache müsse eine „Sprache des Denkens“ sein und prägte den Ausdruck „Mentalesisch“ für sie (Fodor 1975, 1987). Auf Nervenzellennetze oder biologische Zustände kann das Prädikat ‚intentional‘ nicht zutreffen, sie können nicht ‚von etwas handeln‘, sie können nicht ‚auf etwas gerichtet sein‘ oder einen Inhalt haben. Daraus ergibt sich eine zweischneidige Prämisse, die Fodor seiner Theorie des Geistes zugrunde legt: Die Verarbeitungsprozesse, die Mentalesisch hervorru9 fen , müssen biologisch sein, da sie angeborene Mechanismen sind. Sie müssen allerdings auch mental sein, da sie intentional und regelgeleitet sind. Fodors Theorie des Mentalen geht also davon aus, dass psychologische Zustände sowohl biologisch als auch mental sind. Wir werden uns nun genauer ansehen, wie er in der Ausformulierung seiner Theorie versucht, diesem selbstgestellten Anspruch gerecht zu werden. 2.3

Fodors Theorie des Mentalen

2.3.1 Der intentionale Realismus: Die ‚Verteidigung‘ der Alltagspsychologie? Die Suche nach der richtigen Theorie des Geistes bewegt sich immer auch im Spannungsfeld zwischen Alltagspsychologie und wissenschaftlicher Psychologie. Bestimmte Aspekte der Alltagspsychologie sollen bewahrt werden, andere Aspekte können den Ansprüchen einer wissenschaftlichen Theorie nicht standhalten. Jerry Fodor gehört zu den Autoren, die vertreten, dass die Alltagspsychologie der wissenschaftlichen Psychologie beileibe nicht unterlegen ist, sondern den Kri-

9 Die Formulierung, dass (biologische) Verarbeitungsmechanismen die intentionale Sprache des Geistes ‚hervorrufen‘, verweist bereits auf ein weiteres Spezifikum von Fodors Theorie des Geistes: Sie stellt einen Versuch dar, Intentionalität oder intentionale Zustände mit einem methodologischen Anspruch zu erklären, der dem der Behavioristen gleicht, nämlich über den Typus der Kausalerklärung.

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terien, denen wissenschaftliche Theorien genügen sollen, entspricht: „I have the impression that we manage pretty well with one another; often rather better than we cope with less complex machines. […] The theory from which we get this extraordinary predictive power is just good old commonsense belief/desire psychology. […] That’s what tells us, for example, how to infer people’s intentions from the sounds they make (if someone utters the form of words „I’ll be at your airport on the 3 p.m. flight“, then, ceteris paribus, he intends to be at your airport on the 3 p.m. flight“) and how to infer people’s behavior from their intentions“ (1987: 3). Diese „commonsense psychology“ bezeichnet Fodor deshalb als eine Theorie, da sie nicht direkt beobachtbare theoretische Zustände postuliert, um beobachtbaren Tatsachen Rechnung zu tragen. Oder einfacher gesagt: Unserer impliziten psychologischen Alltagstheorie zufolge sind u.a. die Wünsche und Überzeugungen eines Organismus dafür verantwortlich, wie sich der Organismus verhält. Handlungen und Verhaltensweisen werden Konzepten wie Gedanke, Wunsch, Überzeugung, Angst usw. zugeordnet. Das ermöglicht uns ein Verständnis des Verhaltens anderer, das über das bloße Registrieren von Körperbewegungen hinausgeht. Es gestattet uns auch die Vorhersage alltäglicher Handlungen anderer in gewissen Situationen usw. Darin besteht Fodors Hauptargument: Diejenige Theorie, die wir Alltagspsychologie nennen, ist äußerst erfolgreich darin, menschliches Verhalten zu erklären und vorherzusagen. Sie ist dabei keineswegs oberflächlich, sondern erfüllt diese Funktion so gut, dass man sich auf sie ebenso verlassen kann wie auf eine wissenschaftliche Theorie. Darüber hinaus jedoch ‚funktioniert‘ die Alltagspsychologie auch mit wildfremden Menschen, meint Fodor, und sie funktioniert nicht nur unter Laborbedingungen, sondern auch bei den Unüberschaubarkeiten des normalen Lebens (ebd. 1987: 257). Aufgrund dieser unübersehbaren Vorzüge der Alltagspsychologie sollte eine wissenschaftliche Theorie des Geistes größte begriffliche Kontinuität zwischen Alltagspsychologie und wissenschaftlicher Psychologie anstreben. Und genau das ist Fodors Ziel: Mit der Alltagspsychologie als Grundlage greift die RTG Fodors Definition zufolge eine bereits bestehende, funktionierende Theorie auf und unterlegt ihr wissenschaftliche Exaktheitsnormen. Dabei bleiben die wesentlichen Merkmale bewahrt, die das Alltagsdenken propositionalen Einstellungen zuschreibt. Fodor selbst behauptet, dass seine RTG eine Psychologie sucht, die kein Ersatz, sondern eine wissenschaftlich verbesserte Version der Alltagspsychologie ist. 84

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Wie wird nun die geforderte Kontinuität der RTG mit der Alltagspsychologie eingelöst? Formal gesehen ist sie genau dann gegeben, wenn die wissenschaftliche Psychologie Zustände postuliert, die genau die Eigenschaften haben, die die Alltagspsychologie postuliert: Die wissenschaftliche Psychologie muss dementsprechend a) mentale Zustände postulieren, die gerichtet sind oder einen Inhalt haben, für 10 Fodor handelt es sich um propositionale Einstellungen und b) diesen dann noch bestimmte, der alltagspsychologischen Bestimmung analoge Qualitäten oder Eigenschaften zusprechen. Es sind dies, so Fodor, die folgenden Eigenschaften: 1) Mentale Zustände sind semantisch bewertbar. 2) Mentale Zustände sind kausal wirksam. 3) Mentale Zustände gehorchen im Großen und Ganzen den impliziten Generalisierungen der Alltagspsychologie. (Fodor 1987: 10)

Zu 1): Propositionale Einstellungen im Alltag haben Wahrheits- oder Erfüllungsbedingungen. Sie sind wahr oder falsch, richtig oder falsch, erfüllt oder unerfüllt. Ob eine Überzeugung wahr oder falsch ist, hängt von ihrer Beziehung zur „non-psychological world“ ab (ebd.: 11), es sei denn, es handelt sich um eine Einstellung, die einen weiteren psychischen Zustand desselben Organismus betrifft. Man kann auch sagen, sie hängt von ihrem Inhalt ab. Wenn man den Inhalt der propositionalen Einstellung kennt, kennt man auch die äußeren Bedingungen, un11 ter denen sie wahr (oder richtig oder erfüllt) ist. Neben der Art der

10 Hier wird Fodors Definition von Intentionalität wiedergegeben. Es fällt auf, dass diese sich auf mentale Zustände im Sinne von Überzeugungen, Gedanken, Wünschen und Hoffnungen, nicht aber auf Empfindungen zu beziehen scheint. ‚Gerichtet sein‘ können aber auch Empfindungen – allerdings nicht auf Propositionen, also Tatsachen, sondern auf Gegenstände (vgl. zu dieser Unterscheidung Sellars 1956). In der kognitivistischen Definition hat es den Anschein, als gingen auch die nicht auf Tatsachen, sondern ‚direkt‘ auf Gegenstände bezogenen intentionalen Zustände, wie Empfindungen, in propositionalen Einstellungen auf. „Aboutness“ (Fodor 1987) impliziert damit, dass etwas der Fall ist (ein Beispiel für diese Position gibt Beckermann 2001: 270; vgl. kritisch gegenüber dieser kognitivistischen Engführung des Intentionalitätsbegriffs z.B. Münch 1998: 27; s. Kap. II, 2.4). 11 Saporiti (1997: 40) weist darauf hin, dass damit genau genommen nicht der intentionale Zustand selbst, sondern das propositionale Objekt der Einstellung semantisch bewertbar ist. Die Rede von der semantischen

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propositionalen Einstellung (Überzeugung, Wunsch oder Hoffnung usw.) ist ihr Inhalt wesentlich für ihre Identität. Zu 2): Die Alltagspsychologie postuliert ganz selbstverständlich, dass menschliches Verhalten oder das Verhalten höherer Tiere der Endpunkt von Kausalketten ist, zu deren Gliedern mentale Phänome12 ne oder Ereignisse gehören. Mentale Zustände sind in mindestens viererlei Hinsicht kausal wirksam: Sie können Verhalten verursachen, sie können selbst durch Einwirkung der Umwelt auf den Organismus kausal hervorgebracht sein, und mentale Zustände können andere mentale Zustände verursachen bzw. selbst durch andere mentale Zustände verursacht sein (in der Alltagspsychologie wird das z.B. durch Gedankenfolgen ausgedrückt). Durch das Postulat der mentalen Verursachung legt Fodor bereits fest, dass mentale Zustände etwas Materielles sind. „[W]hatever has causal powers is ipso facto material“ (Fodor 1987: x, vgl. auch: 12). In diesem Sinne ist Fodors Theorie physikalistisch, wobei allerdings die Unterscheidung zwischen der Postulierung eines „Type-“ oder aber eines „Token-Physikalismus“ zu bedenken ist. Daher erscheinen einige Bemerkungen zum Begriff des Physikalismus notwendig, ehe wir mit der Auslegung von Fodors Konzeption der Alltagspsychologie fortfahren können. Exkurs: Physikalismus in der Analytischen Philosophie des Geistes Bezüglich der Frage nach der Beziehung zwischen mentalen und physischen Ereignissen postulieren einige der relevanten Positionen in der Analytischen Philosophie des Geistes die Identität zwischen mentalen und physischen Ereignissen: Der Semantische Physikalismus oder auch Logische Behaviorismus (der wie erwähnt in bestimmten Rezeptionen auch Ryle zugeschrieben wird) geht von der Rückführbarkeit mentaler Eigenschaften auf physische (neuronale) Zustände oder Eigenschaften aus; die Vertreter der nach dem zweiten Weltkrieg entwickelten PhyBewertbarkeit intentionaler Zustände muss dementsprechend als „Abkürzung der Behauptung verstanden werden, dass der Zustand ein intentionales Objekt hat, das diesen semantischen Wert hat.“ 12 Fodor meinte, dass die RTG nicht allein für Menschen gilt (vgl. z.B. Fodor 1987: x). Für ihn steht außer Frage, dass neben Menschen auch Tiere Träger intentionaler Zustände sind. Welche Organismen oder andere ‚Trägertypen‘ darüber hinaus intentionale Systeme sein können, bemisst sich allein danach, ob die Theorie propositionaler Einstellungen auf sie anwendbar ist.

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sikalismus implizierenden Identitätstheorie behaupten in der Grundidee, dass, auch wenn mentale Prädikate nicht in physikalischer Sprache definierbar sind, Empfindungen mit Gehirnprozessen identisch sein können. Einer der bekanntesten Vertreter einer solchen Identitätstheorie ist John C. Smart (1959). Eine wichtige Frage ist hier allerdings, ob die Identität einzelner neuronaler und mentaler Ereignisse behauptet werden soll (Tokenidentität), oder ob es darum geht, ganze Typen von mentalen und physischen (neuronalen) Ereignissen zu i13 dentifizieren (Typenidentität). Diejenige Variante der Identitätsannahme, die von einem typePhysikalismus ausgeht, impliziert einige bislang ungelöste Probleme: Trotz der vielfältigen Erkenntnisse der Neurowissenschaften ist es bislang nicht möglich, genau umschreibbare Typen neuronaler Prozesse zu bestimmen, die mit einem Typ bewusster Prozesse korrelieren (vgl. Pauen 2002: 79). Aber auch wenn diese Korrelationen stabil bestimmt werden könnten, so bliebe das Problem der unterschiedlichen Zugangsweise. Mentale Zustände werden aus der Perspektive der ersten Person, physische Zuständen aus der Beobachterperspektive der dritten Person beschrieben (vgl. auch Davidson 1980). Am stärksten diskutiert wird heute das Problem der „multiplen Realisierbarkeit mentaler Zustände“ (Pauen 2002: 80; vgl. Beckermann 2001). Die neuronalen Zustände, die meine Schmerzen realisieren, sind mehr oder weniger unterschiedlich von denen, die die Schmerzen einer anderen Person realisieren (vgl. bes. Kripke, 1971, zur neueren Variante der Theorie der multiplen Realisierbarkeit). Das zentrale Kriterium der Identifikation eines mentalen Typs mit einem physischen oder neuronalen 14 Typ wäre in allen Fällen verletzt.

13 Die klassische Variante der Identitätstheorie ging von der Typenidentität mentaler und physischer Zustände aus. Damit gäbe es z.B. für den Typus mentaler Zustände, die den Namen Schmerz erhalten, einen entsprechenden Typus neuronaler Zustände, einen Typ neuronaler Aktivität, die nur dann auftritt, wenn Schmerz empfunden wird, und immer wenn Schmerzen verspürt werden, müsste dieser neuronale Zustand vorliegen. Dann kann man darüber hinaus noch sagen: Schmerzen sind nichts anderes als neuronale Aktivitäten mit dem Namen X. Herbert Feigl spricht vom „zweifachen Zugang“ zum selben Ereignis (1967: 80). Es werden stabile Korrelationen von mentalen und neuronalen Prozessen eines Typs vorausgesetzt. 14 Da die Wiedergabe dieser Diskussion den Rahmen der Thematisierung hier deutlich sprengen würde, verweisen wir auf existierende Literatur. Empfehlenswerte Einführungen in die Analytische Philosophie des

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In den späten sechziger Jahren löste der Funktionalismus die Identitätstheorie als führende Position innerhalb der Leib-Seele-Diskussion ab. Er postuliert, dass mentale Zustände wesentlich funktionale Zustände, d.h. über ihre kausale Rolle definiert sind. Hinsichtlich des Verhältnisses funktional verstandener Zustände und ihrer Realisierung lässt der Funktionalismus verschiedene Positionen zu; speziell Fodors Funktionalismus berücksichtigt „auch die kausalen Interaktionen zwischen verschiedenen mentalen Zuständen und ist, anders als die Identitätstheorie, mit der Multirealisierbarkeit mentaler Zustände vereinbar“ (Beckermann 2001: 163 f.). Fodor (1987) argumentiert nicht nur gegen jede Form von Holismus und wendet sich zugleich gegen die in den früheren Arbeiten Davidsons vorgebrachte Annahme, dass Kausalität immer unter strikte Gesetze fallen müsse (ebd.: 31f.). Er formuliert auch die Zusatzthese, derzufolge alle mentalen Zustände physisch realisiert sind. Insofern kann seine Theorie als eine gemäßigte Version des Physikalismus gelten (vgl. Beckermann 2001: 164). Auf einzelne Aspekte seines schwach-reduktionistischen Physikalismus wird noch zurückzukommen sein (s. Kap. II, 2 u. 3).

Doch zurück zu Fodors Charakterisierung mentaler Zustände: Die Alltagspsychologie postuliert, so Fodor, nicht nur die kausale Wirksamkeit mentaler Zustände, sondern sie baut auch noch darauf auf, dass die kausalen Beziehungen zwischen den Zuständen die semantischen Relationen zwischen ihnen bestehen lassen. Damit bestehen zwischen mentalen Zuständen Rationalitätsbeziehungen oder logische Beziehungen (Beckermann 2001: 274). Dasjenige, was einen bestimmten intentionalen Zustand oder eine bestimmte Handlung kausal bewirkt, ist in der Regel auch ein rationaler Grund oder eine Prämisse, damit dieser Zustand/das Verhalten sinnvoll wird (ebd.: 14). In diesem Sinne 15 also haben mentale Zustände eine Wirkung und eine Bedeutung.

Geistes geben Beckermann (2001) und Brüntrup (1996), Hartmann (1998), allgemeiner Pauen (2002). 15 Wichtig für Fodors Verständnis von ‚semantisch‘ ist dabei, wie wir gleich noch deutlicher sehen werden, dass sich im Rahmen der modernen Logik gezeigt habe, dass sich eine semantische Beziehung auch syntaktisch charakterisieren lässt, und zwar mit Hilfe von Regeln, die sich wegen ihres rein formalen Charakters auch problemlos in einem Symbolverarbeitungssystem implementieren lassen. Beckermann führt an einem Beispiel vor, wie eine solche syntaktische Bestimmung semantischer Beziehungen aussehen könnte: Die semantische Beziehung

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Diese theoretische Einstellung, derzufolge es geistige Zustände mit einem Inhalt gibt (1), diese Zustände kausal wirksam sind (2) und ihre Wirkung davon abhängt, was sie zum Inhalt haben, bezeichnet Fodor als intentionalen Realismus (1987: 3). Zu 3): Der dritte Teil der Bedingung für die gewünschte Konformität mit der Alltagspsychologie fordert, dass die in ihr aufgestellten Gesetze über Kausalzusammenhänge zwischen mentalen Zuständen, zwischen mentalen Zuständen und Verhalten und zwischen Umweltbedingungen und mentalen Zuständen im Lichte unserer Alltagserklärungen nicht abwegig erscheinen dürfen: „[They] mustn’t be crazy from the point of view of common sense“ (Fodor 1987: 15; Herv. i. O.). Mit der RTG hat Fodor ein ausgeklügeltes theoretisches System entwickelt, um diesen Voraussetzungen gerecht zu werden. 2.3.2 Repräsentationalismus und Computationalismus Die RTG basiert auf zwei übergreifenden Thesen, einer These über die Natur propositionaler Einstellungen und einer These über die Natur mentaler Prozesse. Die erste, die „Repräsentationalismusthese“, betrifft die Art und Beschaffenheit der propositionalen Einstellungen, sie besagt: Für jedes Wesen O und jede Art A intentionaler Zustände gibt es eine funktionale Relation RA, so dass gilt: O ist genau dann in einem intentionalen Zustand A mit dem Inhalt p, wenn sich O in der Relation RA zu einer mentalen Repräsentation r befindet, die die Bedeutung p hat. (Fodor 1987: 17)

Jeder Mensch glaubt also genau dann, dass die Sonne scheint, wenn eine mentale Repräsentation, die bedeutet, dass die Sonne scheint, in seinem Geist vorkommt. Die Art der propositionalen Einstellung dazu, dass die Sonne scheint – also hoffen, wünschen, glauben usw. – ist mit dem Vorkommen der Repräsentation allein noch nicht festgelegt. Sie schlägt sich in der kausalen Rolle der Repräsentation – z.B. der kausalen Rolle von Überzeugungen oder Wünschen für Verhalten –

„Ein Satz A, … An folgt genau dann logisch aus den Sätzen A1, … An, wenn A wahr sein muss, falls die Sätze A1,…An wahr sind“ würde syntaktisch etwa so ausgedrückt: „Ein Satz folgt genau dann logisch aus den Sätzen A1, … An, wenn sich A in rein syntaktischen Kalkülen K aus den Sätzen A1, … An ableiten lässt. (2001: 287; Herv. i. O.).

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nieder.16 Um dies theoretisch aufzugreifen, stellt Fodor die zweite These auf, die „Computationalismusthese“, sie betrifft die Struktur mentaler Prozesse. Darin wird die kausale Wirksamkeit mentaler Zustände angenommen, sie beinhaltet zwei Teilthesen. Die erste Teilthese ist die These einer Sprache des Geistes (LOT): 1) Mentale Repräsentationen sind strukturiert. 2) Die Teile dieser Strukturen können in verschiedenen Repräsentationen auftauchen. 3) Mentale Repräsentationen haben eine kompositionale Semantik, die Bedeutung komplexer Repräsentationen ergibt sich in regelhafter Weise aus der Bedeutung ihrer Teile. (Fodor 1987: 17, 135-137)

Grundlegend ist, dass der Repräsentationalist Fodor den menschlichen Geist als ein computationales System betrachtet, d.h. als ein System, welches Zeichen allein aufgrund ihrer formalen Eigenschaften verarbeitet oder manipuliert. Neben diesen für die Verarbeitung relevanten syntaktischen Eigenschaften haben die Zeichen (diese vom Geist verarbeiteten Zeichen sind die mentalen Repräsentationen) auch semantische Eigenschaften. Die syntaktischen Eigenschaften sind für Fodors Theorie aber viel bedeutsamer, denn aus ihnen ergibt sich, dass die Repräsentationen strukturiert sind. Die Teile dieser Strukturen sind transportierbar, d.h. sie können in unterschiedlichen Repräsentationen vorkommen: Ich kann essen, ich kann ein Buch lesen und ich kann zugleich essen und ein Buch lesen (vgl. Saporiti 1997: 48 ff.). Geht man davon aus, dass es für jede der drei Verhaltensweisen einen sie verursachenden mentalen Zustand gibt, so ist es plausibel anzunehmen, dass der dritte Zustand aus den beiden ersten zusammengesetzt ist (und zwar in einem kompositionalen Sinn). Das bedeutet, mentale Repräsentationen haben eine „Konstituentenstruktur“ (Saporiti 1997)

16 Fodor selbst bedient sich hier gerne der metaphorischen Ausdrucksweise von im Kopf oder im Geist befindlichen ‚Kästen‘: „To believe that such and such is to have a mental symbol that means such and such, tokened in your head in a certain way; it’s to have such a token ‚in your belief box‘, as I sometimes say. Correspondingly, to hope that such and such is to have a token of that same mental symbol tokened in your head, but in a rather different way; it’s to have it tokened ‚in your hope box‘. (The difference between having the token in one box or the other corresponds to the difference between the causal roles of beliefs and desires“ (1987: 17).

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oder eine „kompositionale Semantik“ (Beckermann 2001: 284), womit gezeigt ist, dass die Bedeutung komplexer Repräsentationen sich in regelhafter Weise aus der Bedeutung ihrer Teile ergibt, ganz ähnlich 17 Chomskys Tiefenstruktur oder Propositionen. Der zweite Teil der Computationalismusthese ist die These, derzufolge mentale Prozesse computational sind, sie besagt (z.B. in Fodor 1987: 17): Mentale Prozesse sind kausale Abfolgen von einzelnen Vorkommnissen mentaler Repräsentationen.

Die Kompositionalität und Systematizität der Repräsentationen ist nur deshalb von so großer Bedeutung, weil die Kausalbeziehungen zwischen intentionalen Zuständen auf Symbolverarbeitungsprozessen beruhen, die auf die kompositionale Struktur bei der Verarbeitung eingehen; die Symbolverarbeitung ist also struktursensitiv. Man muss sich demzufolge mentale Repräsentationen tatsächlich so vorstellen wie die Sätze einer Sprache (wenn Sprache im Sinne Chomskys verstanden wird): Sie enthalten Teile, die selbst eine Bedeutung haben, und die Bedeutung der gesamten Repräsentation ist in regelhafter Weise aus der Bedeutung der Teile zusammengesetzt. Die mentalen Repräsentationen sind Symbole, und die Verarbeitung dieser Symbole verläuft allein nach formalen, syntaktischen Gesichtspunkten, nicht nach inhaltlichen. Damit lassen sich alle mentalen Funktionen und Zustände, insbesondere aber kognitive Prozesse, in Analogie zu einer Maschine darstellen, die Rechenoperationen ausführt, die zuvor in Form expliziter Regeln einprogrammiert wurden. Die These der Strukturiertheit mentaler Zustände und ihrer struktursensitiven Verarbeitung wird oft auch anhand zweier Begriffe erläutert, die von Chomsky entliehen sind: Dabei wird erstens die Produktivität sprachlicher und geistiger Prozesse ins Feld geführt, die unbegrenzte Anzahl von prinzipiell denkbaren oder sprechbaren Sätzen bzw. die Tatsache, dass wir potenziell unendlich viele propositionale Einstellungen haben könnten. Diese Produktivität kann angeblich nur damit erklärt werden, dass die entsprechenden mentalen Zustände (Zustände, in denen sich ein Mensch befindet, wenn er eine propositionale Einstellung hat) eine kombinatorische Struktur haben, dass sie also, wie oben ausgeführt, in regelhafter Weise aus Teilen zusammen-

17 Auch Chomsky hatte seine Theorie der generativen Grammatik z.T. über die Systematizität und die Produktivität der Sprache begründet (vgl. Chomsky 1986: 24; Klann-Delius 1999; s. Kap. II, 2).

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gesetzt sind. Das zweite Argument dafür, dass mentale Zustände strukturiert sind, ist ihre Systematizität. Sprachliche Fähigkeiten sind systematisch, weil natürliche Sprachen eine kombinatorische Semantik – im Sinne Chomskys – haben. Auch das Denken ist Fodors Modell zufolge offensichtlich systematisch, was wiederum damit erklärt werden kann, dass es eine innere Sprache gibt, derer man sich beim Denken bedient, die ebenfalls eine kombinatorische Semantik hat (Saporiti 1997: 54; vgl. Fodor 1975; 1987: 147 ff.). Die „content structure“, also die syntaktische Struktur mentaler Prozesse, ist konstitutiv für die RTG. Daher spricht Fodor nicht nur vom intentionalen Realismus, sondern eben dezidiert von einer sprachähnlichen Struktur, von einer Sprache des Geistes. „[W]hat I put in the intention box has to be something like a sentence“ (1987: 137). Die semantische Bewertbarkeit dieser Sätze ist, entsprechend Fodors Auslegung von Chomskys syntaxlastiger Sprachtheorie, vollständig durch dessen syntaktische Struktur repräsentiert. Zusammengefasst: Die computationalistische These geht über die Annahmen einer rein repräsentationalistischen Theorie insofern hinaus, als sie zusätzlich die Formalitätsbedingung erhebt, also neben der Repräsentationalitätsannahme (die nur besagt, dass kausal wirksame mentale Zustände Relationen zu Repräsentationen sind, die sich zum einen durch ihre Inhalte, zum anderen durch die Art der Relation, in der das Individuum zur betreffenden Relation steht, unterscheiden) noch eine weitere Voraussetzung impliziert: Mentale Repräsentationen werden allein aufgrund ihrer formalen Eigenschaften – d.h. in Analogie zur Normalsprache syntaktischen oder bei Fodor oft einfach „nicht-semantischen“ Eigenschaften – verarbeitet. In ihrer radikalen Form bei Fodor führt die Computationalismusthese daher zwingend zum „Prinzip der syntaktischen Kodierung“ (Saporiti 1997), also dazu, dass den inhaltlichen Unterschieden zwischen mentalen Zuständen syntaktische Unterschiede entsprechen bzw. dass es keinen Unterschied im Inhalt geben kann ohne syntaktische Unterschiede zwischen den Repräsentationen und vice versa. Spezifische inhaltliche oder semantische Verarbeitungsmodi sind nicht notwendig. Damit wird die These unterstützt, dass menschliche Intelligenz tatsächlich in ihren wesentlichen Merkmalen den Fähigkeiten des Computers so stark ähnelt, dass Kognition als Rechnen mit symbolischen Definitionen definiert werden kann. Fodors Thesen über die Beschaffenheit mentaler Repräsentationen gelten bis heute als sehr radikal: Mit der Repräsentationalen Theorie des Geistes wollte Fodor die alltagspsychologische Rede von mentalen Zuständen bestätigen, aber er wollte dies durch eine computatio92

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nal modellierbare, vollständig kalkulierbare Sprache des Geistes tun. Dies sollte darüber hinaus aber so geschehen, dass bei Vollendung seines Projekts jeder mentale, psychische oder seelische Vorgang als Wert, gebildet aus physikalischen Variablen, erscheinen würde (vgl. Schmidt 1995: 176). Die Rede von der Lingua mentis ist, wie Putnam schreibt, „im Grunde ein antiker Gedanke“ (1999: 31), und damit die „jüngste Gestalt einer allgemeineren Tendenz der Geistesgeschichte, nämlich der „Tendenz, sich die Begriffe als wissenschaftlich beschreibbare (‚psychisch reale‘) Entitäten im Geist oder im Gehirn vorzustellen“ (ebd.: 33). Wie stellt Fodor sich die physikalische Realisierung der mentalen Zustände vor? 2.3.3 Intentionalität und Kausalität Vom Funktionalismus übernahm Fodor die Auffassung, dass mentale Zustände durch ihre funktionale Rolle definiert sind. Was die Natur mentaler Zustände ausmacht, ist nicht, dass sie identisch mit bestimmten komplexen physischen Zuständen sind. Die Zustände eines Systems haben gar nichts mit dem Stoff zu tun, aus dem es besteht, sondern mit seiner funktionalen Organisation. Ein mentaler Zustand ist wesentlich ein funktionaler Zustand. Er ist definiert über seine kausalen Beziehungen zu äußeren Bedingungen und zu anderen mentalen Zuständen sowie zum Verhalten des betreffenden Systems. Ein Schmerz ist z.B. als ein Zustand bestimmt, der durch Verletzungen unterschiedlicher Art hervorgerufen wird und der andere mentale Zustände wie Furcht oder Ärger verursacht und charakteristisches Verhalten – etwa Rückzug oder Angriff – hervorruft (vgl. Putnam 1960; Gadenne/Oswald 1991: 47 f.; Hartmann 1998: 300; Beckermann 1997: 142). Die vollständige operationale Bestimmbarkeit mentaler Zustände kann aus der Perspektive des Funktionalismus nicht angenommen werden, da jede Beschreibung eines mentalen Zustands irgendwann auf andere mentale Zustände Bezug nehmen muss. Diese Unabhängigkeit des Mentalen vom Stofflichen macht für viele Funktionalisten den Vorzug ihrer Theorie aus und ihr verdankt der Funktionalismus seinen Ruf als nicht-reduktionistische Position innerhalb der Philosophie des Geistes: Weil es nur auf die kausale Rolle ankommt, können die funktional definierten mentalen Zustände physikalisch auf sehr verschiedene Weise realisiert sein. Daher ist es nicht möglich, mentale Zustände mit bestimmten neurophysiologischen Zustandstypen zu identifizieren. Andererseits erklärt sich aus dem Funktionalismus Fodors wie erwähnt seine „starke systematische Affinität zur kognitiven 93

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Psychologie“ sowie zum „Programm der KI-Forschung, kognitive Fähigkeiten an Maschinen zu realisieren“ (Hartmann 1998: 302). Dass allein aus physikalischen Aussagen niemals eine Aussage über die funktionale Organisation eines Systems abgeleitet werden kann, gilt für alle funktionalistischen Positionen gleichermaßen. Allerdings kann ein funktionalistischer Vorschlag das Verhältnis funktionaler Zustände und ihrer Realisierungen zusätzlich festlegen. In Fodors Theorie taucht ein solcher Zusatz auf, der den Eindruck des Funktionalismus im Hinblick auf das Leib-Seele-Problem wieder etwas zu verwischen scheint; dieser Aspekt der RTG wird als ‚Kausaltheorie‘ des semantischen Bezugs bezeichnet (vgl. bes. das vierte Kapitel in Fodor 1987). Wir hatten bereits erwähnt, dass die mentalen Zustände zwar semantische Relationen untereinander aufweisen. Mit seiner Kausaltheorie besteht Fodor aber darauf, dass die Bedingungen oder Kriterien, welche die Bedeutung eines mentalen Zustands festlegen, sich in einer rein physikalistischen Sprache, also durch die Verwendung ausschließlich nicht-intentionalen und nicht-semantischen Vokabulars angeben lassen müssten. Insofern nimmt seine Theorie eine Naturalisierung mentaler Repräsentationen vor (vgl. auch Saporiti 1997: 125 ff.; Beckermann 2001: 333 ff.). Damit aber ist der Funktionalismus Fodors immer noch als schwach reduktionistische Position zu bezeichnen, da er darauf besteht, dass jedes Vorkommnis eines intentionalen Zustandes irgendeine neurophysiologische, biochemische oder physikalische 18 Beschreibung hat . Fodors Version des Funktionalismus wird dadurch

18 Hier ist zunächst ein Reduktionismus im Sinne intertheoretischer Reduktion gemeint. Darunter versteht man die Zurückführung bestimmter Ausdrücke und Gesetze einer Theorie, z.B. einer höherstufigen Theorie wie der Psychologie, auf die Ausdrücke und Gesetze einer anderen, etwa einer eher grundlagenorientierten Wissenschaft wie der Neurobiologie oder der Physik. Für eine Theorie des Mentalen bedeutet dies in erster Linie die Reduktion, sprich: die Zurückführung mentaler Zustände und Eigenschaften auf physische Zustände und Eigenschaften. Der Ausdruck „nicht-reduktiver Physikalismus“ wird häufig für Positionen benutzt, die zwar eine gewisse physikalistisch noch akzeptable Abhängigkeitsbeziehung zwischen mentalen und physischen Eigenschaften annehmen, aber dennoch mit der Multirealisierbarkeit mentaler Eigenschaften vereinbar sind. In der Diskussion um diese Frage (die Frage, ob es so etwas wie einen nicht-reduktiven Physikalismus überhaupt geben kann) spielt neben der Idee der ‚Token-Identität‘ der Begriff der ‚Supervenienz‘ eine herausragende Rolle, der schon in Davidsons Überlegungen zum Anomalen Monismus auftaucht (vgl. zu beidem Davidson 1970: 301). Die psychophysische Supervenienzrelation

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auch zu einer Version des Physikalismus (Beckermann 2001: 155). Das widerspricht dem Kern der Sprache des Geistes, die für Fodor ja gerade nicht auf die Sprache der Naturwissenschaften reduziert werden kann (nicht-reduktionistischer Aspekt). Gleichwohl wird in der Kausaltheorie am Naturalismus festgehalten. Fodor selbst schreibt in Psychosemantics: „It’s hard to see, […], how one can be a Realist about intentionality without also being, to some extent, a Reductionist“ (1987: 97). ‚Kausal‘ bezieht sich in Fodors physikalistischer Variante des Funktionalismus, wie erwähnt, stets auf physische Kausalbeziehungen. Das bedeutet, dass mentale Zustände etwas Materielles sind, oder zumindest auch materiell realisiert sind (s. Kap. II, 2.4). Fodors Ansicht nach kann die These, dass intentionale Zustände durch Alltagspsychologie relativ gut voraussagbar und verstehbar sein können, nur dann wahr sein, wenn die Alltagspsychologie durch die Neurobiologie bestätigt wird. Seine Argumentation lautet wie folgt: Wenn die Alltagspsychologie es ermöglicht, Verhalten verlässlich vorherzusagen und zu erklären, dann müssen intentionale Zustände real sein. ‚Real‘ im Sinne eines empiristischen Wirklichkeitsverständnisses können intentionale Zustände aber nur sein, wenn sie physisch realisiert sind. Eine wissenschaftliche Theorie propositionaler Einstellungen muss also vorrangig zeigen können, wie es möglich ist, dass intentionale Einstellungen – 19 und das heißt: Bedeutungen – physisch realisiert sein können. Fodor ist damit tatsächlich auf der Suche nach einer nicht-semantischen Bedeutungstheorie: „I want a naturalized theory of meaning; a theory that articulates, in nonsemantic and nonintentional terms, sufficient

in ihrer allgemeinen Form wird meist als Kovarianz mentaler und physischer Eigenschaften beschrieben. Jaegwon Kim hat die bekannteste Supervenienztheorie in der Philosophy of Mind entwickelt (Kim 1993, 1994). Für das Leib-Seele-Problem ist die physische Grundlage mentaler Zustände die subveniente Eigenschaft, die mentalen Zustände sind die superveniente Eigenschaft. Sie supervenieren (‚kommen dazu‘), wenn ihre physische Basis realisiert ist (vgl. Brüntrup 2001: 73 f.). Im Fall der RTG ist erstens die Geist-Gehirn-Supervenienz, zweitens die SemantikSyntax-Supervenienz bestimmend. 19 Dass hinter Fodors Theorie der Anspruch steht, die physische Realisiertheit intentionaler Zustände, die kausal wirksam sind, zu zeigen, wird in vielen Rezeptionen erst auf den zweiten Blick deutlich. In der Sekundärliteratur scheint dieser Punkt jedoch zunehmend klar (vgl. Loewer/Rey 1991; Sterelny 1990; Saporiti 1997; Beckermann 2001).

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conditions for one bit of the world to be about the other bit“ (1987: 98). Dieses Hauptproblem für eine wissenschaftliche Version der Alltagspsychologie ist nicht leicht lösbar. Die Verbindung zwischen der Intentionalität mentaler Zustände und ihrer physischen Realisierung gelingt nicht, da einerseits Intentionalität sich nicht auf physikalische Gegenstände beziehen kann (die nicht ‚von etwas handeln‘ können) und andererseits Kausalität nicht auf semantische Beziehungen einwirken kann (denn nur materielle Dinge besitzen Kausalkräfte). Fodors theoretischer Kraftakt, mit dem er diese beiden Wirklichkeitsbereiche zu vereinen beansprucht, fußt auf einem empiristischen Weltbild und geht auf Kosten der Intentionalität: „If the semantic and the intentional are real properties of things, it must be in virtue of their identity with […] properties that are themselves neither intentional nor semantic. If aboutness is real, it must be really something else“ (Fodor 1987: 97). Es ist wichtig zu verstehen, dass auch dieses Verbindungsproblem ein Grund ist, weshalb die RTG die Computationalismusthese braucht: Denn genau diesen Zwischenschritt soll die ‚Rechenebene‘ in Fodors Modell leisten: Sie muss semantische mit physikalischen Ei20 genschaften verbinden und Fodor behauptet, dass sie das auch tut.

20 Fodors Modell geht hier – analog zu Computermodellen, wie sie bereits Newell beschrieben hat – von einem Drei-Ebenen-Ansatz aus: Die computationale Ebene des Computers, also die Ebene der Funktion, die berechnet werden soll, entspricht den intentionalen Zuständen des Organismus oder des kognitiven Systems und den zwischen ihnen bestehenden Kausalbeziehungen; der algorithmischen Ebene des Computers, auf der angegeben wird, mit Hilfe welcher Algorithmen diese Funktion berechnet werden kann, entspricht den Symbolverarbeitungsprozessen, die der LOT zugrunde liegen. Die dritte Ebene, beim Computer die Implementationsebene, auf der eine physische Realisierung für diesen Algorithmus gefunden werden muss, entspricht der neuronalen Implementationsebene im ZNS. Zumindest prinzipiell ist damit auch die Brücke zu den Neurowissenschaften gebaut: Nachdem die funktionale Organisation verstanden ist, kann man durchaus in einem zweiten Schritt herauszufinden versuchen, wie in diesem System – etwa im menschlichen Gehirn – die Ausführung dieser Funktionen physikalisch erfolgt (vgl. Beckermann 2001: 278; Gadenne/Oswald 1991: 48).

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2.4

Resümee: Die RTG und die Alltagspsychologie

Fodor zufolge muss eine psychologische Theorie schon allein deshalb von Zuständen handeln, die Inhalt haben, weil die Alltagspsychologie inhaltlich individuierte mentale Zustände zum Gegenstand hat und weil eine wissenschaftliche psychologische Theorie qua Voraussetzung alltagspychologische Generalisierungen „verbessern“, d.h. präzisieren und systematisieren soll. Das bekannteste Argument Fodors, dass die Alltagspsychologie eine erstaunlich gut funktionierende und unverzichtbare Theorie ist, ist nicht hinreichend überzeugend für die 21 anzustrebende Übereinstimmung. Gleichwohl nehmen viele Gegner des Repräsentationalismus diese Schwächen der Argumentation Fodors gar nicht zum Angriffspunkt, sondern versuchen seine Theorie auf derselben Ebene zu entkräften, indem sie die Erklärungskraft und Vorhersagekraft der alltagspsychologischen Theorie in Zweifel ziehen. Durch Paul Churchlands Eliminativen Materialismus waren die Intentionalität und der phänomenale Charakter als vorrangige Merkmale mentaler Eigenschaften in alltagspsychologischer Sicht für die wissenschaftliche Theoriebildung stark in Zweifel geraten. Churchland hebt hervor, dass diese allenfalls eine stagnierende Wissenschaft sei, die immense Erklärungslücken aufweise, keine exakten Vorhersagen ermögliche, sich nicht mit anderen Wissenschaften zu einem einheitlichen Menschenbild zusammenfüge und nicht zuletzt die Betrachtung fremder Völker ausschließe, die nicht dieselben propositionalen Einstellungen kennen wie wir (Churchland 1981). Die wissenschaftliche, präzise, testbare, prognostisch relevante und damit der Alltagspsychologie überlegene Theorie des entsprechenden Gegenstandsbereichs – sprich: der mentalen Zustände – sind für ihn die modernen Neurowissenschaften. Da sich die Prinzipien und die Ontologie der Alltagspsychologie „nicht reibungslos auf eine vollständige Neurowissenschaft reduzieren lassen werden,“ geht Churchland davon aus, dass man die Rede von mentalen Zuständen im Grunde völlig aufgeben könne (ebd. 1981: 67). Zwar ist

21 Aus unterschiedlichen Gründen nicht! Auch abgesehen von der Fragwürdigkeit des Kriteriums der ‚Vorhersagevalidität‘ für die Bestimmung der ‚besseren‘ Theorie (vgl. Kuhn und neuere Wissenssoziologie, s. auch Kap. IV, 2.1) gibt es viele Beispiele dafür, dass die Theorie, die eine Zeitlang bessere Vorhersagen machte (das oft zitierte Beispiel des kopernikanischen Weltbilds drängt sich auch hier auf), sich letztlich als nicht haltbar erwiesen hat.

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die Alltagspsychologie durchaus erfolgreich, wenn es darum geht, das Verhalten unserer Mitmenschen zu erklären und vorherzusagen. Churchland zufolge muss man jedoch auch oder sogar an erster Stelle die explanatorischen Misserfolge der Alltagspsychologie beachten (sie biete z.B. keine Erklärung für Geisteskrankheiten oder für Kreativität). Daher ist die Alltagspsychologie nicht gerade falsch, der eliminative Materialist besteht jedoch darauf, dass diese Theorie immer nur einen Ausschnitt einer sehr viel komplexeren Realität erfasst. Eine anders geartete Argumentation findet sich bei Stich (1983), der zwar wie Fodor zugesteht, dass die Alltagspsychologie erstaunlich gut funktioniert, jedoch vehement bestreitet, dass dies ein Argument dafür sein könne, der wissenschaftlichen Psychologie eine begriffliche Kontinuität mit der Alltagspsychologie abzuverlangen. Aufgabe psychologischer Theorien ist es, Verhalten systematisch zu erklären. Dies könne genauso gut mit Hilfe syntaktischer psychologischer Theorien geschehen, in denen überhaupt keine inhaltlich charakterisierten Zustände vorkommen. So kann Stich – extremer als Fodor – eine vollständig syntaktische Theorie des Geistes behaupten, und die Probleme der RTG vermeiden, indem er geistigen Zuständen überhaupt keine Intentionalität zuschreibt (1983: 149). Sowohl Stich als auch Churchland argumentierten, dass die folk psychology „mythologisch“ und nicht wissenschaftlich sei, wobei für Churchland wie gesagt die Neurobiologie, für Stich die Computerwissenschaften als jeweils paradig22 matische Wissenschaften galten. Katja Saporiti führt bei ihrer Rekonstruktion der Debatte um die RTG in der Philosophy of Mind immerhin an, dass die Psychologie intentionale Zustände voraussetzen muss, um „Verhalten“ und nicht „Körperbewegungen“ erklären zu können (118 f.). Die Autorin hebt

22 Gegen Churchlands eliminativen Materialismus haben Kritiker aus unterschiedlichen Positionen Einwände erhoben. Es wird versucht nachzuweisen, dass die Alltagspsychologie keineswegs so schlecht dasteht, wie Churchland behauptet (so etwa Fodor); zweitens wird bezweifelt, dass die Alltagspsychologie den Status einer ganz normalen empirischen Theorie besitzt, die wir aufgeben könnten oder würden, sobald wie über eine geeignete Alternative verfügten. Die Alltagspsychologie, so diese Argumentation, habe normativen Charakter. Sie sei eng verwoben mit unserem Welt- und Selbstbild, so dass es für uns geradezu unmöglich sei, sie aufzugeben (so etwa Dennett 1981, Bieri 1987; vgl. Beckermann 2001: 261). Eine dritte Gruppe von Kritikern will zeigen, dass die Theorie des eliminativen Materialismus schlichtweg inkohärent ist (vgl. etwa Rorty 1981; Beckermann 2001: 262 ff.).

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Fodors RTG zwar positiv hervor, da diese im Gegensatz zu anderen, rein syntaktischen Theorien, die ebenfalls eine Sprache des Geistes postulieren (etwa bei Stich oder Schiffer) an der Annahme des intentionalen Gehalts geistiger Zustände festhalte (ebd.: 5, 125 ff.). Sie stellt Fodors Bemühungen, die Intentionalität geistiger Zustände durch die Entwicklung eines individualistischen Intentionalitätsbegriffs aufrechtzuerhalten, gegenüber dem der RTG zugrunde liegenden Computerfunktionalismus in den Vordergrund (10 f.). Saporiti liest Fodor gleichwohl nicht als rein syntaktische Theorie des Geistes, sondern konstatiert, Fodors Behauptung der Supervenienz des Semantischen auf dem Syntaktischen werde stets zusammen mit der ebenso vehement verteidigten Behauptung vorgebracht, dass geistige Zustände inhaltlich individuiert sein müssten bzw. dass unsere Geisteszustände intentionale Eigenschaften an sich haben. Saporiti kritisiert lediglich, dass Fodor diese beiden grundlegenden Prämissen nicht zusammenbringt: Die These des intentionalen Realismus, derzufolge die Wirkungen unserer Geisteszustände von ihrem Inhalt abhängig sind, sei nicht vereinbar mit der Annahme des Computationalismus, die besagt, dass nur die formalen Eigenschaften geistiger Zustände relevant sein können. Auch die versuchte Lösung dieses Problems durch die „Naturalisierung der Intentionalität“ (ebd.: 8) bleibe unbefriedigend. Saporiti kritisiert die RTG also nur immanent. Ohne sich für Kritik der RTG ‚von außen‘ oder für die Gründe, die für die Existenz einer Sprache des Geistes angeführt worden sind, zu interessieren, stellt sie dennoch gegen Ende ihrer Ausführungen fest, dass der „Nutzen der ComputerMetapher für die Philosophie des Geistes“ sich als „gering“ erwiesen habe. Dabei argumentiert die Autorin bei ihrer Kritik dieses Menschenbildes wie gesagt rein begrifflich und ohne Fodors Auffassung des menschlichen Geistes an sich zu kritisieren: „Den menschlichen Geist in Analogie zum Computer als eine zugleich syntaktische und semantische Maschine zu betrachten, mag ein zeitgemäßes Bild des menschlichen Geistes liefern“, schreibt sie in ihrem Schlusswort. Zu kritisieren sei aber, dass unklar bleibe, „wer oder was im Falle des Geistes die Funktion des Anwenders bzw. Programmierers für den Computer übernimmt“ und damit „wie geistige Symbole zu ihren semantischen Eigenschaften gelangen“ (alle ebd.: 250). Da Saporiti, wie sie selbst sagt, eine exmanente Kritik der RTG nicht vorhat, vereint sie mit Stich, Schiffer und Fodor das Festhalten an einer individualistisch konzeptualisierten Psychologie. Auch wenn alle erwähnten Autorinnen und Autoren einräumen müssen, dass (wie Putnam und Burge gezeigt haben) in der Alltagspsychologie die Zuschreibung intentionaler Zustände in Abhängigkeit vom materiellen 99

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und sozialen Kontext erfolgt, wird dies nicht als Argument gegen Fodors Theorie aufgeführt. Der Individualismus ist in mehrfacher Hinsicht verankert in der RTG. Erstens in der Geist-Gehirn-Supervenienz: Würde man diese aufgeben, müsste man zugeben, dass ein Individuum zu verschiedenen Zeitpunkten zwar denselben Gehirnzustand, aber unterschiedliche mentale Zustände haben kann, und damit kann das Mitwirken von Kontexteinflüssen nicht mehr ausgeschlossen werden. Es wäre dann auch möglich, dass zwei Individuen, die sich physikalisch völlig gleichen, unterschiedliche geistige Zustände haben und sich auch unterschiedlich verhalten. Zweitens ist auch die SemantikSyntax-Supervenienz individualistisch, da das computationalistische Modell des menschlichen Geistes diesen als Maschine beschreibt, die Rechenschritte bearbeitet und abstrakte Objekte – die Symbole oder Ausdrücke der Sprache des Geistes – aufgrund ihrer syntaktischen Struktur ineinander umformt und weiter verarbeitet. Kontexteinflüsse sind ausgeschlossen. Gerade an der Frage des Individualismus setzen aber weitere Kritiken an: Mit dem Antiindividualismus Tyler Burges (Burge 1979) sowie in einigen Publikationen Hilary Putnams (vgl. bes. Putnam 1975) wird innerhalb der Diskussion um den semantischen Gehalt bzw. die Naturalisierung mentaler Repräsentationen eine Position vertreten, derzufolge dasjenige, was eine Person glaubt oder wünscht, nicht allein davon abhängt, was in ihr selbst vorgeht. Für die Inhalte ihrer mentalen Zustände ist vielmehr auch die Umgebung entscheidend, in der die Person lebt, ebenso die Sprachgemeinschaft, der sie angehört. Wir werden uns mit einigen der von Putnam angeführten Argumente weiter unten ausführlich befassen. Dieter Münch argumentiert aus einer, wie er sagt, „anthropologischen Perspektive“ (die in diesem Fall ganz offensichtlich auch eine phänomenologische Perspektive ist), dass die Alternative zum cartesianischen Menschenbild, das den Menschen ‚von der Welt getrennt‘ habe, durchaus im Begriff der Kognition und im Zusammenhang mit bestimmten Grundbegriffen der kognitiven Revolution gesucht und gefunden wurde. „Kognitionen wie Meinen und Wünschen […] sind Kategorien, die das mit ihnen beschriebene System nicht mehr isoliert betrachten“ (1998: 28). Als Kenner der modernen Kognitionswissenschaften steht Münch dem kognitivistischen Modell im Sinne Fodors allerdings äußert kritisch gegenüber: Die Kognitivisten, so Münch, seien keineswegs an einer allgemeinen Wissenschaft vom Intentionalen interessiert, sondern sie interessierten sich für Kognitionen, mit denen sie im Rahmen des Ansatzes der Symbolmanipulation etwas anfangen könnten. „Die kognitive Erklärungsebene, von der Kognitivisten wie Fodor, Pylyshyn und Newell sprechen“, nehme nur jene Kognitionen 100

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auf, „die den Prädikaten der kognitiven Erklärungen entsprechen“, und das seinen „letztlich lediglich Meinungen und Wünsche. Diese werden in der Drittpersonperspektive beschrieben. Das Bewusstsein und die Erstpersonperspektive ist bei den Kognitivisten dagegen ausgeklammert.“ Die Kognitivisten ignorieren, so Münch, dass es eine „Vielfalt intentionaler Akte“ und damit wichtige Unterschiede schon zwischen Nuancen gibt, so etwa „zwischen den Kognitionen des Erblickens, Beobachtens, Betrachtens“ (ebd.: 29). Auch einige Elemente aus Münchs Argumentation werden wir in den folgenden Unterkapiteln zu Searle und Putnam bzw. zur kulturpsychologischen Kritik des Kognitivismus wieder finden. Beide Aspekte, die hier gegen Fodor und andere syntaktische Theorien des Geistes ins Feld geführt werden (das Argument einer nicht in der Beobachterperspektive einholbaren Intentionalität und das Argument des Antiindividualismus) finden sich zumindest in ähnlicher Form in der psychologie-internen Kognitivismuskritik der rezenten Kultur- und Sozialpsychologie oder im Rahmen interpretativer psychologischer Forschungsprogramme (vgl. etwa Graumann 1972, 1988; Werbik 1985; Bruner 1990; Laucken 1989; Gergen 1994, 1999; Straub 1999, 2001). Auch hier wird gegen die kognitivistische Psychologie eingefordert, insbesondere den Wissensbegriff näher an der folk psychology (Bruner 1990) zu rekonstruieren. Der verwendete Alltagspsychologie-Begriff scheint aber mit dem Fodors sehr wenig gemein zu haben. Was etwa bei Bruner als Gegenstandserweiterung der kognitivistischen Psychologie eingefordert wird, läuft zwar auch unter „intentional states“ (1990: 8), mit dem Begriff der Intentionalität belegt Bruner hier aber alle seelischen und/oder geistigen Zustände, auf die in der Umgangssprache mit „mentalen“ Prädikaten Bezug genommen wird: ‚wissen, dass‘, ‚glauben, dass‘, ‚hoffen, dass‘, ‚fürchten, dass‘ usw., durch die also unseren Äußerungen zumindest subjektive Bedeutung zugeschrieben wird. Damit unterscheidet er sich von anderen psychologischen Verwendungsweisen des Intentionalitätsbegriffs, so etwa dem phänomenologischen Intentionalitätskonzept Carl G. Graumanns (Graumann 1988). Auch „sinn- und bedeutungshaltige Konstruktionen“ oder „Akte“, die von kulturpsychologischen Autoren als zentrale Bestimmungsstücke unseres Alltagswissens hervorgehoben werden (Bruner 1990; Straub 1999), entziehen sich dem individualistischen und kognitivistischen Wissensbegriff, den Fodor seiner Rekonstruktion der Alltagspsychologie zugrunde legt. Im Gegenteil soll dasjenige, dessen Berücksichtigung in der Kultur- und Sozialpsychologie heute unter dem Stichwort Alltagswissen eingefordert wird, gerade einen auf Intersub101

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jektivität und Handlungsbezug rekurrierenden Gegenbegriff zum kognitivistischen Wissensbegriff vorstellen. Vertreten wird dabei, zuweilen mit Bezug auf interaktionistische Handlungstheorien (z.B. Mead), dass (Alltags-)Wissen keineswegs als in den kognitiven Systemen einzelner konstruiert verstanden werden kann, sondern an soziales Handeln gebunden ist. Zentral ist auch für diese kognitivismuskritische Argumentation der Zusammenhang der Konzeptualisierung von Geist und Sprache. In krassem Gegensatz zu Fodors Aufgreifen von Chomskys Sprachtheorie gehen die psychologischen Kognitivismuskritiker davon aus, dass die Begriffe des Mentalen oder Psychischen ihre Bedeutung erst dadurch erhalten, wie sie in der (sprachlichen) Interaktion verwendet werden; und die Regeln für diese Verwendung sind soziale Regeln. Die Sprache des Psychischen ist weniger exaktes Modell oder Spiegel des mentalen oder emotionalen Innenlebens, sondern die ihr zugrunde liegenden Konzepte sind durch ihre soziale Funktion konstituiert (Bruner 1990; Straub 1998; Gergen 1994; s. Kap. IV u. V). 2.5

Der Einfluss der RTG auf die kognitive Psychologie

Wie erwähnt sind sowohl der Repräsentationalismus als auch die von Fodor entwickelte computationalistische These bestimmend für den Symbolverarbeitungsansatz, und das Menschenbild, welches er unterstellt. All das ist heute noch paradigmatisch für die informationstheoretisch ausgerichtete kognitive Psychologie. Die wesentliche Behauptung des symbolverarbeitenden Ansatzes, dass „intelligentes Verhalten die Fähigkeit voraussetzt, die Welt als in bestimmter Weise seiend zu repräsentieren“ (Varela 1990: 39) und dass auf der Basis gegebener Regeln aus Information neue Information erzeugt werde, trifft auf die in Kap. I aufgeführten Modelle propositionaler Wissensrepräsentation und für die schema- und skripttheoretisch orientierten Modelle wesentlich zu, da dort alles Wissen auf Repräsentationen basiert. Insbesondere die Computationalismusthese des Symbolverarbeitungsansatzes hat der kognitiven Psychologie starke Impulse gegeben. Ihr folgend wurde versucht, den Geist funktionalistisch in Analogie zu einem programmierten Computer zu beschreiben. Das Regelgeleitetsein kognitiver Prozesse im Sinne gegebener, logisch begründeter Regeln gilt seit Newell (1980) als eines der Elemente kognitiver Informationsverarbeitung, welches die kognitive Psychologie mit Fragen der Informatik und Kybernetik, der künstlichen Intelligenz und der Linguistik verbindet. Dazu kommt die methodische Bedeutung des Computationalismus: Erst das computationalistische Bild der Kognition er102

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laubte die Modellierung menschlicher Intelligenz durch Computer (s. Kap. I). Der Individualismus, den wir in Fodors Theorie bemerkt haben, ist bei den meisten kognitivistischen psychologischen Theorien ebenfalls konstitutiv. Die in Kap. I verhandelten Modelle beziehen sich in der Regel auf das kognitive System eines Individuums (bzw. universelle Eigenschaften der kognitiven Systeme von Individuen). Sogar die Sozialpsychologie ist heute aus kognitivistischer Sicht als Psychologie von Individuen konzeptualisiert, die soziale Informationen verarbeiten. In den siebziger Jahren wurde dafür plädiert, dass die KI der Psychologie ein neues, vielleicht erstmals wissenschaftliches Fundament geben könnte. Dies gilt heute jedoch auch in der Psychologie als überzogener Anspruch (vgl. Städtler 1998: 612). In einer späteren KI-Phase in der Psychologie führte die Einsicht, dass die kognitive Psychologie zur Aufgabe hat, auch diejenigen kognitiven Prozesse oder Wissensformen zu thematisieren, die im Alltag eine Rolle spielen, und die Einsicht, dass semantische Netzwerke das Alltagswissen nur inadäquat zu repräsentieren vermögen, da sie auf kontextfreien Grammatiken basieren, zur Entwicklung des Konzeptes der prozeduralen Wissensrepräsentation und von Problemlösemodellen, die aber ebenfalls wieder auf propositionales Wissen und logische Verarbeitungsregeln (Algorithmen) zurückgreifen (s. Kap. I, 4). Die kognitivistische, auf Chomsky zurückgehende Sprachauffassung wurde bereits diskutiert (s. Kap. I, 3). Die Relevanz der Generativen Grammatik (Chomsky) sowie der Generativen Semantik (Katz/ Fodor) zeigt sich bis heute in ihrer gedächtnis- und denkpsychologischen Anwendung: So sind etwa einige der in Kap. I erwähnten Repräsentationsmodelle Ableitungen aus der Generativen Semantik. Das gilt für die Merkmalsmodelle (vgl. z.B. Smith/Shoben/Ribs 1974), in denen Informationen im Gedächtnis durch „semantische Merkmale“ repräsentiert werden ebenso wie für das Netzwerkmodell des semantischen Gedächtnisses (Collins/Quillian 1969), welches ebenfalls von semantischen Merkmalen ausgeht, diese aber in eine hierarchische Ordnung bringt. (Beide Modelle überlappen sich z.T. und lassen sich ineinander überführen.) Darüber hinaus war die Generative Semantik Grundlage weiterer psychologischer Prädikationsmodelle, so etwa der im Rahmen der Generativen Grammatik entwickelten Kasusgrammatik (Fillmore 1968; Chase 1970). Deren bedeutungstheoretisches Fundament verdankt sich den Vorgaben Chomskys und Fodors und besteht in der Annahme, dass die semantische Struktur eines Satzes als tiefenstrukturelle Relation zwischen Prädikat – Zuständen, Ereignissen, Eigenschaften – und den von ihm implizierten Argumenten – Ob103

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jekten, Personen, Sachverhalten – beschrieben werden kann. Zusammenfassend kann man für die Psychologie also sagen, dass die meisten Modelle der Wissensrepräsentation nach wie vor wesentlich dem Symbolverarbeitungsansatz anhängen (vgl. Münch 1998; Thagard 1999). Die bedeutungstheoretische Debatte um die RTG innerhalb der Analytischen Philosophie des Geistes wurde allerdings von der kognitiven Psychologie nur am Rande zur Kenntnis genommen. In den meisten Fällen wird über die forschungspraktische Umsetzung des einen oder des anderen kognitivistischen Modells der Wissensrepräsentation und -erzeugung wohl eher nach pragmatischen Gesichtspunkten entschieden. Ein kognitiver Psychologe, der sich, sagen wir, mit der Erforschung von Übungseffekten bei Stroop-Aufgaben (Stroop 1935) befasst und dazu Gehirnströme misst, wird sich bei der Planung seines Forschungsvorhabens, in der Regel nicht darüber Rechenschaft ablegen, ob und inwieweit sein theoretischer Rahmen dem Symbolverarbeitungsansatz bzw. dem Modell des Geistes im Sinne der RTG entspricht, und von den zahlreichen experimentell arbeitenden Kognitionspsychologinnen und -psychologen, die mit Methoden der Neurowissenschaften arbeiten, haben sich wohl auch nur einige wenige eingehend mit der philosophischen Diskussion des Leib-Seele-Problems befasst. Die obligatorische Theoriediskussion, die in kognitivpsychologischen wissenschaftlichen Arbeiten erwartet wird, beschränkt sich im Allgemeinen auf die Diskussion der einschlägigen kognitionspsychologischen Experimente. Entsprechend ist eine tief gehende Auseinandersetzung mit der philosophischen Debatte als Diskussion eines bestimmten, sehr einflussreichen Stranges der vielfältigen philosophischen Grundlagen der Psychologie (so wie es das vorliegende Kapitel versucht) bei den Vertretern der kognitiven Psychologie kaum zu finden. Das zeigt auch ein Blick in einführende oder übergreifende Standardwerke der Kognitionspsychologie bzw. die entsprechenden Kapitel der Literatur zur Allgemeinen Psychologie (vgl. Wessels 1984; Spada 1990; Städtler 1998; 23 Anderson 2001 u.a.). Wir werden uns im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch eine Zeitlang bei der bedeutungstheoretischen Debatte zum Computatio23 Eine Ausnahme stellt das 1985 erschienene Buch Wege des Denkens von Howard Gardner dar. Dort wird Fodors Kognitivismus als eine wichtige metatheoretische Grundlage des informationstheoretischen Ansatzes der kognitiven Psychologie skizziert.

104

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

nalismus und zur KI aufhalten. Die Entgegnungen John Searles und Hilary Putnams auf Fodors Modell werden wir etwas genauer betrachten. Sodann wird erörtert werden, inwiefern der Konnektionismus, von dem es auch innerhalb der kognitiven Psychologie den Anschein hat, dass er immer häufiger als eine Art Alternativprogramm zum klassischen Kognitivismus verstanden wird, tatsächlich eine solche Alternative darstellt. In diesem Zusammenhang werden wir uns einem bislang nicht erwähnten Aspekt der Kritik an den kognitionspsychologischen Wissensmodellen, wie ihn Hubert L. Dreyfus formulierte, widmen, nämlich dem Fehlen der leiblichen Komponente von Kognition. Den Abschluss der hier geführten Diskussion bildet die Zusammenstellung der Argumente und Forderungen dezidiert kognitivismuskritisch angelegter psychologischer Arbeiten, insbesondere des Sozialen Konstruktionismus und der Kulturpsychologie, deren kritische Argumente teilweise auf die dargestellte Diskussion in der Philosophie zurück greifen.

3

Gegenpositionen zur RTG innerhalb der Philosophie des Geistes

Bevor wir uns mit der Frage befassen, inwiefern der Konnektionismus in der Lage ist, die hier interessierenden Probleme des Kognitivismus zu lösen, soll zunächst ein Blick auf einige jener kritischen Gegenpositionen innerhalb der Analytischen Philosophie des Geistes geworfen werden, die sich in kritischer Absicht direkt gegen die von Fodor vorgeschlagene Modellierung intentionaler Zustände wenden. 3.1

Searle

Eine der bekanntesten Gegenpositionen stammt von John Searle, der sich insbesondere gegen die Formalitätsannahme des symbolverarbeitenden Ansatzes wendet. Seit seinem Aufsatz Mind, Brains, and Programs (1980, dt. 1992a) ist Searle für die These bekannt, dass syntaktische Repräsentationen, die allein aufgrund von formalen, syntaktischen Regeln verarbeitet werden, nicht ausreichen, um die spezifische bedeutungsschaffende Kapazität des menschlichen Geistes, nämlich Intentionalität, hervorzubringen. Das Hauptargument von Searles Kritik am Computerfunktionalismus als Ausgangsbasis des KI-Ansatzes besagt, dass der Geist im Gegensatz zum System des Computers über eine Art von Semantik verfügt, die nicht nur in einer formalen Struktur oder Syntax besteht. „Minds are semantical in the sense that they 105

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

have more than a formal structure, they have a content“ (1984: 31). Daher kann die Instantiierung eines Computerprogramms nicht für die Erzeugung intentionaler Zustände ausreichen und keine Maschine, deren Verhalten allein durch formale Veränderungen formal definierter Elemente bestimmt ist, d.h. keine Maschine, deren Verhalten allein dadurch bestimmt ist, dass in ihr ein bestimmtes Computerprogramm implementiert ist, ist im Wortsinn imstande, Sprache zu verstehen. Für Searle bedeutet dies, dass der programmatische Anspruch der künstlichen Intelligenz, menschliches Denken auf eine Anzahl von formalisierbaren Regeln zurückzuführen, von vorneherein seinem eigentlichen Kern nicht gerecht wird. Das nichtformalisierbare, kontextabhängige Wissen und der besondere Charakter der Intentionalität menschlicher geistiger Operationen bilden die Abgrenzung zwischen naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Erklärung. Computer sind syntaktische Maschinen, ohne die semantischen Fähigkeiten des Menschen, mit welchen Symbolen Bedeutung verliehen wird, die auf Interaktionen mit der Umwelt basiert. (Vgl. Searle 1984, 1990, 1992a, 1992b; vgl. auch Dreyfus/Dreyfus 1986, 1988; Winograd/Flores 1987; Hildebrandt 1991; Thagard 1999). Searle hat diese starke These in dem bekannten Gedankenexperiment des ‚chinesischen Zimmers‘ veranschaulicht, in welchem er – bezugnehmend auf Roger Schanks und Robert Abelsons Programm der Geschichtengrammatik aber auch auf die Symbolverarbeitungshypothese von Newell und Simon (s. Kap. I) – zeigt, dass erstens ein dem menschlichen ähnliches Verstehen durch komplexes, raffiniertes und vollständiges syntaktisches Wissen nicht erreicht werden kann und zweitens das Vermögen, Fragen zu einer Geschichte zu beantworten, nicht allein durch die Analyse des Verhaltens (von Menschen oder Maschinen) erklärbar ist. Damit richtet er sich gegen den allgemeinen Anspruch der ‚starken‘ These der KI-Forschung, die davon ausgeht, ein programmierter Computer sei identisch mit dem in seiner Hardware physisch realisierten ‚Geist‘ und die Kenntnis seines Aufbaus erkläre die Funktionsweise der menschlichen Wissensbildung und repräsentation: „Minds exist in brains and may come to exist in programmed machines“ (Hofstadter/Dennet 1981; zit. nach Searle 1982: 3). Ironisch paraphrasiert das Gedankenexperiment durch die Methode des umgekehrten Imitationsspiels (der Mensch soll hier ein Computerprogramm simulieren) den für die ‚starke‘ KI typischen TuringTest (bei dem Computer menschliches Handeln simulieren sollen), um dann deutlich zu machen, dass dieses Verfahren zur Erklärung menschlicher mentaler Vorgänge nicht ausreichend ist. 106

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

Wie sieht das Gedankenexperiment des chinesischen Zimmers aus? Der Leser des Gedankenexperiments ist angehalten, sich eine Person vorzustellen, die kein chinesisch versteht und in ein Zimmer eingesperrt ist, allein. Der betreffenden Person werden nun eine Menge von Regeln für die systematische Anwendung von chinesischen Schriftzeichen an die Hand gegeben. Diese sind rein formal, d.h. ihre Anwendung ist allein durch die jeweilige Gestalt der involvierten Symbole bestimmt. Searle fordert also den Leser auf, sich in einen Menschen hineinzuversetzen, der einen Computer imitiert, der also manuell genau diejenigen Schritte nachvollzieht, die ein Programm bei der gestellten Aufgabe und mit den zur Verfügung stehenden Informationen durchliefe. Mit der Zeit wird die Person im Hantieren mit den chinesischen Ausdrücken in Übereinstimmung mit den Regeln sehr geschickt, so dass sie in der Lage ist, jedesmal, wenn jemand eine Zeichenfolge in das Zimmer hereinschickt, eine passende Zeichenfolge herauszuschicken, also zu antworten. Aus der Perspektive eines Außenstehenden würde die Input-Output-Relation exakt so aussehen, als sei jemand in dem Zimmer, der des Chinesischen mächtig sei und mit den Außenstehenden kommunizieren würde. Aber dies ist nicht der Fall, die im Zimmer eingesperrte Person versteht kein chinesisch, sie hat allenfalls das Regelbuch auswendig gelernt und hantiert mit diesen Symbolen auf der Basis ihrer Formen oder ihrer Syntax. Sie verhält sich nach ausreichend langer Übungszeit wie ein von ihr simuliertes Computerprogramm und führt lediglich kalkulatorische Operationen aus, und zwar durch reaktives Manipulieren uninterpretierter formaler Zeichen, da der Computer-Mensch für diese Leistung nicht verstehen muss, was die Zeichen bedeuten. Und das genau ist die Pointe des Arguments: Echtes Verstehen, so Searles Argument, beinhaltet im Gegensatz zum perfekten Kalkül Semantik, also Wissen darüber, was die Symbole bedeuten. Dazu ist, so Searle aktives Interpretieren notwendig, erst damit erhält eine formale Kontur oder ein Symbol für den Handelnden Bedeutung, er muss die Symbole aktiv deuten und verstehen und damit etwas meinen (vgl. Schäfer 1994: 113). Searles Fazit: Das Regelprogramm kann so komplex sein, wie möglich, aber es wird niemals in der Lage sein, Bedeutungen zu generieren. Eine Imitation des menschlichen Geistes ist ohne Bedeutungsgenerierung jedoch nicht möglich. Computerprogramme sind aber vollständig durch ihre formale oder syntaktische Struktur definiert, sie reagieren nur auf die Form von Symbolen, nicht auf ihren Gehalt oder ihre Bedeutung. Intentionale Zustände, so das Fazit, besitzen einen semantischen Inhalt. Syntax allein reicht für Semantik nicht aus; daher kann kein System allein deshalb die Simulation intentionaler Zustände 107

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

beanspruchen, weil es formale Symbole aufgrund eines formalen Programms verarbeitet (vgl. Searle 1984). Die Art des Sprachverstehens, die man Computern zutrauen kann, funktioniert völlig unabhängig davon, was gesagt wird, der Sinn der Sätze bleibt insignifikant. Dies ist für Searle kein wirkliches Sprachverstehen. Dass sich maschinelle Mechanismen und Reaktionen von außenstehenden Beobachtern als intentional interpretieren lassen, heißt nicht, dass diese Maschinen selbst interpretationsfähig sind, sondern hier werden Zuschreibungen von Intentionalität wirksam, die „observer-relative“ sind (Searle 1992b: 211 f.). Ein aus der Beobachterperspektive beschriebener „intentionaler Zustand“ ist nicht unbedingt „intrinsisch intentional“ oder „aspekthaft“, wie es menschliche intentionale Zustände sind (Searle 1992b: 131, 211 f.), denn er erhält diese Zuschreibung nur in Bezug auf ein vorher, von einem über Intentionalität verfügenden Organismus oder System, festgelegtes „Finalitätskriterium“. In diesem Fehlschluss – von beobachterrelativer auf intrinsische Intentionalität – sieht Searle ein grundlegendes Missverständnis des Funktionalismus, denn jede Definition eines Zustandes durch seine kausale Rolle in dem Gesamtsystem, zu dem er gehört, lässt sich natürlich auf unterschiedliche, kausal nicht äquivalente Weise beschreiben. Ein intrinsisch-intentionaler Zustand bzw. das, was Searle als Aspektgestalt bezeichnet, impliziert dagegen die Möglichkeit der Erstpersonperspektive: Äußerungen sind bedeutungsvoll, weil Sprecher etwas ‚meinen‘, weil sie irgendwie absichtsvoll die Gehalte der intentionalen Zustände auf die Äußerung übertragen. Darin besteht die komplexe intentionale 24 Handlung, die Computer nicht ausführen können. Searles Kritik der Kognitionswissenschaften ist mit einem dezidiert intentionalistischen Anspruch verbunden, und bietet selbst Anlass zur Kritik. Ein viel zitierter Einwand ist unter dem Stichwort robot reply bekannt geworden: Könnte nicht eine ursächliche Beziehung zwischen Bezugnehmendem und dem außersprachlichen Referenzgegenstand so etwas wie ‚maschinelle Intentionalität‘ schaffen? Dies ist immerhin das grundlegende Postulat der ‚Kausaltheorien der Bedeutung‘, z.B. sensu

24 Searle behauptet an anderer Stelle auch, dass es notwendig ist, über eine bestimmte Art von Bewusstsein (Beckermann zufolge handelt es sich um eine Art ‚phänomenales Bewusstsein‘) zu verfügen, um in einem intentionalen Zustand zu sein. Daher reicht die formale Vorgabe nicht aus, so Searle gegen Fodor, „in einer computationalen Relation zu einer mentalen Repräsentation zu stehen“ (Searle 1992a: 249 f.; vgl. Beckermann 2001).

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PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

Putnam (1975), Fodor (1975), Kripke (1981); die Replik findet bei Searle selbst (1992a) und z.B. bei Rey (1987) ihre Entgegnung. Searle geht davon aus, dass fundamentale Intentionalitätsformen, wie Wahrnehmen und Handeln, durch die kausale Verknüpfung mentaler Phänomene mit der Welt des Physischen charakterisiert sind (Searle 1987: z.B. 59 ff., 118). Auch um eine Sprache zu verstehen, muss man wissen, worauf sich deren Ausdrücke beziehen, d.h., welche Gegenstände oder Eigenschaften durch diese Ausdrücke bezeichnet werden und unter welchen Bedingungen bestimmte Sätze wahr sind. Dazu muss der Sprecher die Ausdrücke systematisch mit der Situation in Verbindung bringen, und dies erfordert das Wahrnehmen der Situation sowie die absichtliche Anwendung sprachlicher Zeichen (vgl. auch Searle 1969, 1987). Die Vertreter der Roboterreplik jedoch, so Searle, meinen das Intentionalitätsproblem dadurch lösen zu können, dass man den Computer in einen Roboter einbaut, der mit einer künstlichen Wahrnehmungsapparatur (Fernsehkameras, Mikrophone) und einem differenziert steuerbaren Bewegungsinstrumentarium ausgestattet ist. Dies befähigt den Computer dann zum Wahrnehmen, Handeln, Verstehen. Es verwundert nicht sehr, dass diese Modifikation für Searle nichts mit „Verstehen im Besonderen und Intentionalität im Allgemeinen“ zu tun hat (1992a: 237). Auch der im chinesischen Zimmer eingesperrte Mensch, der Informationen von einem perzeptiven Apparat des Roboters oder von dessen motorischem Apparat erhält, tut nichts weiter, als formale Symbole zu manipulieren, ohne zu wissen, was er eigentlich manipuliert; er weiß nichts, als die Regeln für die Symbolmanipulation (ebd.). Zum Repräsentieren gehört für Searle ein psychischer Modus, der die Ausrichtung der Repräsentation bestimmt: ein intentionaler Gehalt, der ihre Erfüllungsbedingungen festlegt, ein Hintergrund und die Einbettung in ein Netzwerk anderer intentionaler Zustände (Searle 1987: 26 f., 180 ff.; 1992b). Viel bedeutender und weniger leicht anzufechten ist der von Searle nicht selbst unter die vorweggenommenen Repliken aufgenommene Einwand, dass Searle ebensowenig wie Fodor der Idee der Bedeutung als Gebrauch echte Relevanz zuspricht und somit einem „mentalistischen Verständnis des sprachlichen oder nicht sprachlichen Handelns“ anhängt (Stoutland 1998: 9). Schließlich bilden für Searle, wie er bereits früher formulierte, primäre, nicht-sprachliche Formen der Intentionalität die Grundlage für sprachliches Repräsentieren. In der Einleitung von Intentionality (1987) schreibt er: „Weil Sätze – die Geräusche, die aus dem Mund kommen, oder die Schriftzeichen, die auf dem Papier stehen – in einer Hinsicht bloß Gegenstände in der Welt sind wie alle andern Gegenstände, ist ihr Repräsentationsvermögen nicht intrin109

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

sisch, sondern von der Intentionalität des Geistes hergeleitet. Die Intentionalität von Geisteszuständen hingegen ist von keinen vorgängigen Formen der Intentionalität hergeleitet, vielmehr ist sie eine intrinsische Eigenschaft dieser Zustände selbst“ (ebd.: 9 f.). Oder auch „Sprache leitet sich von der Intentionalität her, und nicht andersherum“ (ebd.: 21). Andererseits aber ist schon durch den Einfluss Austins klar, dass in Searles Speech acts (1969) Sprache Sprechen ist und Sprechen Handeln, mit Wörtern Dinge tun. Damit ist auch für Searle die Sprache unleugbar und unhintergehbar sozial – es reicht nicht aus, sie über die Regelstruktur im Kopf einzelner Individuen zu beschreiben. (Diese Sprachauffassung, die sich mit den in Speech acts vorgetragenen Argumenten begründen lässt, ist auch der Grund, warum Searles Kritik des Kognitivismus gerne von jenen kultur- und sozialpsychologischen Ansätzen aufgegriffen wird, die sich mit dem Anspruch einer „second cognitive revolution“ (Potter und Edwards 1992; Gergen 1994) gegen den Kognitivismus wenden. Denn die soziopragmatische Sprachauffassung der Sprechakttheorie entspricht dem Wissens- und Regelbegriff, der u.a. von rezenten kulturpsychologischen und sozialkonstruktionistischen Psychologiekonzeptionen angestrebt wird (s. Kap. II, 6). Die Aussagen über Intentionalität und Sprache, die Searle in den oben erwähnten späteren Arbeiten veröffentlichte, werden auch von anderen Wissenschaftlern z.T. mit einer gewissen Enttäuschung als Searles Rückkehr zur Intentionalität verstanden (vgl. Habermas 1991). Sowohl Fodor als auch Searle binden das grundlegendste Problem im Zusammenhang mit Bedeutung an Fragen der Intentionalität und beide gestalten ihre Konzeption der Struktur geistiger Zustände entsprechend der Struktur der Sprache. Dennoch steht gerade Searles Bedeutungs- und Intentionalitätsbegriff Fodors Vorstellung von einer Art Urprägung im Sinne von Chomskys Sicht der Sprache und des Denkens diametral entgegen: der Vorstellung nämlich, welche Sprache nach Art der formalen Logik als eine syntaktische Struktur, ein Regelsystem auffasst, das jedem einzelnen Menschen von Geburt an eigen ist (vgl. Stoutland 1998: 60 f.). Während für Searle also das grundlegende philosophische Problem einer Theorie des Geistes (oder das grundlegende philosophische Problem überhaupt) in einer Analyse intentionalen Handelns besteht, besteht es für Fodor in einer Art Beweisführung über die Vorgänge der Sprachverarbeitung in den kognitiven Systemen des Einzelnen, die er sich als eine Art Rechenvorgang denkt; Sprechen ist nicht Handeln mit Wörtern, sondern das Erzeugen von Lauten als Endresultat komplexer kalkulatorischer Verarbeitungs110

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

prozesse, die sich objektiv und mit Mitteln der Logik darstellen und rekonstruieren lassen. Fodor ist der Ansicht, dass Intentionalität unbedingt erklärt werden muss. Die Begründung für diese Ansicht speist sich aus seiner Position des intentionalen Realismus, demzufolge intentionale Zustände real sind, so wie Nervenzellen oder Bäume oder Dinge real sind. Für die Erklärung von Intentionalität verweist er jedoch auf eine dritte Erklärungsebene, die ‚Rechenebene‘ bzw. die syntaktische Ebene. Sie soll zwischen der von Searle akzeptierten intentionalen Ebene (hier werden Termini wie meinen, beabsichtigen, glauben verwendet) und der physikalischen Ebene (hier werden naturwissenschaftliche, insbesondere biologische Begriffe verwendet) lokalisiert sein. Sie einzuführen impliziert die Verbindung zwischen Syntax und Semantik, bzw. den Ersatz von Semantik durch Syntax. Intentionale Eigenschaften besitzen keine Kausalkräfte und physikalische Eigenschaften keine Intentionalität, sie können nicht ‚über etwas‘ sein; syntaktische Eigenschaften, so hatte es bei Fodor den Anschein, besitzen von beidem etwas. Der Biologe und Konstruktivist Francisco Varela beschreibt diese Auffassung in seiner kurzen Abhandlung über die Geschichte der Kognitionswissenschaften wie folgt: „Eine digitale Rechenmaschine operiert bzw. rechnet mit den Symbolen ausschließlich in ihrer physikalischen Form – sie hat keinen Zugang zu ihrem semantischen Wert. Ihre Operationen sind dennoch semantisch gesteuert, denn jede semantische Unterscheidung, die für ihr Programm von Bedeutung ist, ist von den Programmierern in der Syntax ihrer Symbolsprache kodiert worden“ (ebd. 1990: 40). Damit beschreibt Varela die Einstellung, die Searle als „ob25 server-relative“ bezeichnet hat. 25 Neben dem negativen Argument, demzufolge syntaktische Zeichenmanipulation für Semantik nicht ausreiche, stellt Searle die These auf, dass etwas nur dann Intentionalität haben könne, wenn es die gleichen ‚Kausalkräfte‘ wie unser menschliches Gehirn besitze. Dieses Argument bringt die ganze Problematik des biologistisch-naturalistischen Ansatzes auf den Plan: „Was Intentionalität auch sein mag, sie ist ein biologisches Phänomen und es ist wahrscheinlich, dass sie von der spezifischen Biochemie ihres Ursprungsstoffes genauso kausal abhängig ist wie die Milcherzeugung, die Photosynthese oder irgendwelche anderen biologischen Phänomene“ (1992a: 249; vgl. auch 1984 u.a.). Darüber, in welcher Weise die spezifischen Kausalkräfte des menschlichen Gehirns mentale Phänomene wie Intentionalität erzeugen, bleiben Searles Ausführungen recht suggestiv, was auch von Fodor kritisiert wird (Fodor 1980: 413). Eine Auseinandersetzung mit den Implikationen dieses Aspektes in Searles Intentionalitätskonzept bietet z.B. Schäfer (1994).

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3.2

Putnam

Hilary Putnam hat sich – was seine Tätigkeit auf dem Gebiet der modernen Linguistik und Sprachphilosophie betrifft, zuvor arbeitete er auf dem Gebiet der mathematischen Logik – ebenso mit dem späten Wittgenstein befasst, wie mit Chomskys und Carnaps Theorien der Sprache. Er selbst galt neben Fodor in den siebziger Jahren als maßgeblicher Vertreter des Funktionalismus in der Philosophie des Geistes, wandte sich aber später vom Funktionalismus ab. Daher ist seine Auseinandersetzung mit dem Repräsentationalismus wie mit dem Funktionalismus äußerst voraussetzungsvoll, und es wird nicht möglich sein, ihr im hier vorgesehenen Rahmen wirklich gerecht zu werden. Dennoch sollen nun einige Punkte besprochen werden, insbesondere da Putnam einen ganz anderen Weg der Kognitivismuskritik beschreitet als Searle. Putnam definierte seine eigene philosophische Position zuerst in den sechziger und siebziger Jahren mit einer Reihe einflussreicher Aufsätze zur Sprachphilosophie. Bereits in der 1975 erstmals erschienenen Abhandlung The Meaning of Meaning (1990a) unternimmt er beträchtliche Anstrengungen um zu zeigen, dass Bedeutungen nicht allein durch psychische Zustände hervorgebracht werden, Bedeutungen sind, wie er sagt, „nicht im Kopf“ (ebd.: 31). Zumindest die Extension eines Ausdrucks ist vom psychischen Zustand nicht bestimmt, sondern die extensionale Bedeutung sprachlicher Ausdrücke hängt von der sozialen und materiellen bzw. biologischen Umgebung der Sprechenden ab. Diese Auffassung wird heute bedeutungstheoretisch als Externalismus bezeichnet und weithin geteilt. Putnam zeigt das an verschiedenen Beispielen, bei denen es um „natural kind terms“ geht, 26 um Begriffe für natürliche Arten, wie etwa Wasser. In den achtziger

26 Das Gedankenexperiment, das Putnam hierfür bemüht, ist hinlänglich bekannt (vgl. Putnam 1990a): Man stelle sich einen der Erde identischen Planeten, die Zwillingserde, vor, abkürzend im Folgenden Zwerde genannt. Dort lebt auch eine der Erdbevölkerung identische Sprachgemeinschaft, die Mitglieder der beiden Sprachgemeinschaften sind in keiner Weise in ihren intentionalen Zuständen zu unterscheiden, sie sprechen also nicht nur syntaktisch, sondern auch semantisch gesehen genau dieselbe Sprache. Unter ihnen befinden sich Oskar1, Bewohner der Erde, und sein Doppelgänger auf der Zwerde, Oskar2. Putnam zeigt nun, dass sich auch in dieser Situation – also bei der Annahme zweier von ihren intentionalen Zuständen sowie deren neuronaler Grundlage her identischen Personen, die in derselben Sprachgemein-

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und neunziger Jahren hat Putnam seine hier erstmals vorgebrachte externalistische Position hinsichtlich dieser begrifflichen Schwierigkeiten schaft leben – dann einen Unterschied in der Extension des Ausdrucks ‚Wasser‘, den die beiden verwenden, geben kann, wenn der Referent Wasser eine andere chemische Beschaffenheit hat. Überall, so die Geschichte, wo sich auf der Erde H2O befindet – in Flüssen, Seen usw. –, befindet sich auf der Zwerde ein Stoff, der in seinen Oberflächeneigenschaften und biologischen Funktionen sowie den Zwecken, die er für die Bewohnerinnen des Planeten erfüllt, von H2O nicht zu unterscheiden ist, aber eine andere chemische Struktur hat, die Putnam XYZ nennt. Putnam meint, dass der Extensionsunterschied hier ganz klar und im Übrigen auch „nicht problematisch“ ist: „Das Wort hat einfach, so würden wir sagen, zwei verschiedene Bedeutungen: In dem Sinn, in dem es auf der Zwerde verwandt wird, im Sinne von WasserZ, ist das was wir Wasser nennen, einfach kein Wasser; in dem Sinn, in dem es auf der Erde verwandt wird, im Sinne von WasserE, ist das, was die Zwerdlinge Wasser nennen, einfach kein Wasser, Die Extension von ‚Wasser‘ im Sinne von WasserE ist so etwas wie die Menge aller aus H2O-Molekülen bestehenden Gesamtheiten; und die Extension von ‚Wasser‘ im Sinne von WasserZ ist so etwas wie die Menge aller aus XYZ-Molekülen bestehenden Gesamtheiten“ (1990a: 33). Die Extension von Begriffen, so zeigt er in dem entsprechenden Aufsatz weiter, ist nämlich sowohl „im Allgemeinen sozial bestimmt“, durch „sprachliche Arbeitsteilung“ als auch, „partiell wenigstens, indexikalisch bestimmt. Die Extension unserer Ausdrücke hängt von der wirklichen Natur derjenigen Dinge ab, die als Paradigmen dienen“, die Bedeutung als Extension wird mitbestimmt von der „Gesellschaft“ und der „wirklichen Welt“ (ebd.: 62). – Hier finden sich allerdings noch einige Probleme. Zunächst kann man nur aufrechterhalten, dass sich die beiden ‚Oskar‘Sprecher im Hinblick auf ihre intentionalen Zustände nicht unterscheiden, wenn ihnen nicht bekannt ist, welche chemische Struktur der Stoff, der sich in Seen, Flüssen und Wassergläsern befindet, aufweist. Aus diesem Grund betrachtet Putnam Erde und Zwerde auch im Jahre 1750, in dem wissenschaftliche Chemie noch weit davon entfernt ist, diese Struktur nachzuweisen. Gravierender ist die Frage des Standpunktes dessen, der diesen Extensionsunterschied feststellt (hier also Putnam). Da es Putnam darum geht, dass nicht die Intension und auch nicht die Begriffe, die wir von etwas ‚im Kopf‘ haben, die Extension der Bedeutung eines Ausdrucks bestimmen kann, drängt sich der Eindruck auf, dass einerseits die Bedeutung – zumindest die Extension – des Ausdrucks etwas Feststehendes sein muss; andererseits muss es möglich sein, damit das Gedankenexperiment überhaupt funktioniert, diesen Unterschied zwischen zwei Extensions-Bestimmungen ‚objektiv‘ festzustellen. Beides ist problematisch, Bedeutungen könnten auch polyvalent sein und auch jeder philosophische Beobachter ist durch die intensionale Bedeutung dessen, was er beobachtet, beeinflusst.

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(und darüber hinaus) differenziert, wir gehen daher auf die späteren Argumente etwas genauer ein. Putnam (und im Gefolge Putnams auch Burge) argumentierte in den siebziger Jahren dafür, dass der bedeutungstheoretische Externa27 lismus auch für die Philosophie des Geistes externalistische Konsequenzen haben sollte, nämlich die Verabschiedung strikt individualistischer Theorien des Geistes. Putnam selbst hat diese Position später, Anfang der achtziger Jahre, als „metaphysischen Realismus“ bezeichnet. als eine Perspektive, nach der es „genau eine wahre und unabhängige Beschreibung dessen“ gibt, „ ‚wie die Welt aussieht‘ “. Er bezeichnet diese Perspektive nun selbst als externalistisch, „denn ihr bevorzugter Gesichtspunkt ist das Auge Gottes“ (1990b: 75). In dieser Zeit – in den achtziger Jahren – wandelte sich Putnam vom ‚metaphysischen‘ zum ‚internen Realisten‘: Nun lehnt er selbst die Rede von einer denkunabhängigen Realität als sinnlos ab. Aus dieser Zeit stammt auch das in der Diskussion um den Computationalismus bekannt gewordene hypothetische, antiskeptizistische Beispiel der ‚Gehirne im Tank‘ (Putnam 1990b), in welchem er sich ebenfalls gegen die Vorstellung richtet, die Welt, in der wir leben, könne voll und ganz Ergebnis kognitiver Konstruktionen unseres Gehirns sein. In Putnams Beispiel können uns gemäß dieser Vorstellung auch alle affektiven Erlebnisse und alle Empfindungen von unserem Gehirn ‚vorgespielt‘ werden. Das gilt auch für die Interaktion zwischen zwei Gesprächspartnern oder zwei Liebenden (ebd.: 21 ff.). Putnam argumentiert im entsprechenden Kapitel seiner Abhandlung Vernunft, Wahrheit und Geschichte (1990b) dafür, dass diese Denkmöglichkeit eines „globalen Irrtums“, die im metaphysischen Realismus noch existiert, „unmöglich wahr sein kann, obgleich sie gegen kein physikalisches Gesetz verstößt und mit allen unseren Erfahrungen in Einklang steht“ (Putnam 1990b: 23; vgl. Raters 2002: 14). Er erwägt in diesem Gedankenexperiment den Fall, dass wir nicht in der realen Außenwelt existierende Menschen mit Körpern sind, sondern Gehirne, die in einem Tank mit Nährflüssigkeit am Leben gehalten werden. Als Ergebnis gezielter Stimulierung durch einen von Wissenschaftlern programmierten Riesencomputer haben diese Gehirne dennoch den Eindruck, dass

27 Externalismus in der Philosophy of Mind bezeichnet eine Position, die behauptet, dass der Gehalt eines mentalen Zustandes einer Person u.a. von außerhalb der Person befindlichen Objekten und Sachverhalten zumindest individuationsabhängig ist (schwache Variante). Die starke Variante behauptet auch Konstitutionsabhängigkeit (vgl. Birke 2001).

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sie miteinander und mit der Umwelt interagierende Subjekte mit einem Körper seien. Hauptstrang von Putnams Argumentation ist die Ablehnung jener heute oft als radikal-konstruktivistisch bezeichneten bedeutungstheoretischen Einstellung, derzufolge wir auf jeden beliebigen Gegenstand Bezug nehmen können, ohne mit ihm in kausaler Relation zu stehen. Auch dieser außenweltskeptische Gedanke, so Putnam, würde die Einnahme eines „Gottesstandpunktes“ erfordern, der 28 uns aber noch nicht einmal hypothetisch zugänglich wäre. Putnam ist der Ansicht, dass die kausale Interaktion mit den Referenzobjekten eine conditio sine qua non für die sprachliche Referenz ist (ebd.: 77 f.). Gehirne im Tank, so Putnam, können vielleicht denken ‚wir sind Gehirne in einem Tank‘, sie können sich jedoch nicht in der Weise darauf beziehen, dass sie Gehirne in einem Tank sind, wie wir. Denn ohne einen Gottesstandpunkt einzunehmen, ist eine notwendige Voraussetzung für das Denken an Bäume oder andere Gegenstände, an die Erfahrung des handelnden Umgangs mit diesen Gegenständen denken zu können. Auch derjenigen Turing-Maschine, von der bekannt ist, dass sie jeden Turingtest erfolgreich besteht, könnte man niemals zuschreiben, „dass sich die Äußerungen der Maschine über Äpfel auf Äpfel in der wirklichen Welt beziehen. […] Wir sind jedoch imstande, Äpfel und Äcker wahrzunehmen, mit ihnen umzugehen und etwas mit ihnen anzufangen“ (1990b: 27). Putnam meint, unser Sprechen von Äpfeln stehe immer in irgendeinem Zusammenhang mit unserem nichtsprachlichen Umgang mit Äpfeln, sowohl was die Verbindung von (nichtsprachlichen) „Apfel-Erlebnissen“ zum Sprechen als auch vom Sprechen zu „nichtsprachlichen Handlungen“ in Bezug auf 29 Äpfel führen (ebd.). Die Gehirne im Tank sind aber keine Maschinen, sie sind mit Nervenenden – also ‚Inputstellen‘ für jene außersprachli-

28 „Wärest du z.B. der eine Beobachter“, schreibt Putnam, „der kein Gehirn im Tank ist und die Gehirne im Tank ausspäht, so wäre dies keine Welt, in der alle fühlenden Wesen Gehirne im Tank sind. Die Annahme, es könnte eine Welt geben, in der alle fühlenden Wesen Gehirne im Tank sind, setzt also von vorneherein einen Gottesgesichtspunkt voraus bzw., genauer gesagt, eine Wahrheitsauffassung ohne Blickpunkt: die Wahrheit gilt als völlig beobachtungsunabhängig“ (1990b: 76; Herv. i. O.). 29 Im Fall der Turing-Maschine besteht natürlich eine „gewisse kausale Verbindung“ zwischen der Maschine und Äpfeln durch die Wahrnehmungserfahrungen der Konstrukteure der Maschine – diese reicht kaum aus, der Maschine selbst so etwas wie ‚Bezugnahme‘ zuzusprechen (Putnam 1990b: 28).

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che Bezugnahme – ausgestattete Gehirne, die nach denselben Regeln funktionieren wie Gehirne in der tatsächlichen Welt. Gleichwohl bleibt die entscheidende Frage des Bezugs offen: „Beziehen sich ihre sprachlichen Artikulierungen, die etwa das Wort Baum enthalten, tatsächlich auf Bäume“ (1990b: 29)? Putnam meint: Nein. Auch wenn ihre Vorstellungsbilder, Gedanken usw. von Bäumen qualitativ ähnlich zu unseren menschlichen Vorstellungsbildern von Bäumen sein mögen, so sind sie nicht echte Repräsentationen derselben, da im Tank keine Bäume sind, sondern die vermeintliche Repräsentation durch Stimulation des Gehirns allein bewirkt wurde. „Kurz, die Gehirne im Tank denken nicht an wirkliche Bäume, wenn sie ‚vor mir steht ein Baum‘ denken, weil nichts vorhanden ist, vermöge dessen ihr Gedanke ‚Baum‘ tatsächliche Bäume repräsentiert“ (ebd.: 30). Das ganze Repräsentationssystem der Gehirne im Tank – auch wenn es ein Sprache-im-Gebrauch-Repräsentationssystem ist – kann sich nicht auf etwas Äußeres beziehen. Fassen wir das bisher Gesagte nochmals zusammen: Es gibt zwar eine physikalisch mögliche Welt, in der wir Gehirne in einem Tank wären. Es ist aber deshalb noch immer möglich, zu zeigen, dass es nicht möglich ist, dass wir wirklich Gehirne im Tank sind, und zwar auch durch philosophische, nicht physikalische Ausschlusskriterien, durch begriffliche Unmöglichkeiten. Denn die Annahme, wir seien Gehirne in einem Tank, ist auch deshalb unhaltbar, „weil sie sich auf gewisse Weise selbst widerlegt“ (1990b: 23). Putnam geht es nicht um eine empirische Analyse der Sprachverwendung, sondern um „Überlegungen a priori“, wenn er fragt, was laut unserer Begriffe und laut apriorischer Vernunftannahmen die „Voraussetzungen des An-EtwasDenkens, der Repräsentation, der Bezugnahme“ sind. Eine Bedingung dieser Bezugnahme besagt beispielsweise eben, „dass man sich auf bestimmte Arten von Dingen – z.B. Bäume – nicht beziehen kann, wenn man in gar keiner kausalen Wechselbeziehung zu ihnen“ (oder zu Dingen, mit deren Hilfe sie sich beschreiben lassen) steht (ebd.: 34f.). Bedeutungstheorien wie die Fodors, welche eine Bezugnahme ohne diese Wechselbeziehung erlauben, bezeichnet Putnam als „magische Theorien der Bezugnahme“ (ebd.). Bereits (1990b: 26) hat Putnam auch gegen die Geltung von Turing-Imitationsspielen als „Test für gemeinsame Bezugnahme“ argumentiert, erst in Repräsentation und Realität (1999) findet sich jedoch die explizite Kritik des Kognitivismus und des von Putnam selbst entwickelten Funktionalismus, für die Putnam heute bekannt ist. In diesem 1988 in den USA erschienenen Buch richtet Putnam sich in den ersten drei Kapiteln direkt an seinen ehemaligen Schüler Jerry Fodor 116

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sowie gegen die von Putnam selbst in den sechziger Jahren aufgebrachte Position des Funktionalismus, auf die sich auch Fodor bezieht. Der Funktionalismus vertritt „eine unmittelbare Gleichsetzung der mentalen Zustände mit funktionalen Zuständen – d.h., mit Zuständen, die dem Computermodell entsprechend gekennzeichnet werden“ (Putnam 1999: 13 f.). Dies ist genauso unrichtig wie die Auffassung, gegen die der Funktionalismus sich richtete, nämlich die Gleichset30 zung von mentalen Zuständen mit physisch-chemischen Zuständen. Putnam vertritt nun – seit den achtziger und noch eindeutiger seit Anfang der neunziger Jahre –, nachdem der Funktionalismus Früchte getragen und bis zum Computationalismus geführt hatte, dass „es nötig ist, Probleme in Bezug auf ‚mentale Zustände‘ auf andere Weise zu betrachten“. Der Erfolg und die Überzeugungskraft des Funktionalismus innerhalb der Philosophie des Geistes sei zu erklären durch ein „geistiges Sehnen“, das daraus entstanden sei, dass man einerseits nie aufgehört habe, „unser eigenes Verhalten und das der anderen durch Überzeugungen und Wünsche zu erklären“, und andererseits zunehmend dazu bereit war, sich das Gehirn wie einen Computer, die psychischen Zustände wie die Software, mit der der Computer läuft, vorzustellen (ebd.: 30 f.). Putnam will nun gegen diese Vorstellung angehen, und sein Beweisziel ist in Representation and Reality in erster Linie negativ: Gegen reduktionistische Bedeutungstheorien wie die am Computermodell des Geistes orientierte Philosophie des Geistes und das von diesen Bedeutungstheorien suggerierte Bild der Maschine, die in physikalischem Vokabular exakt zu identifizierende Repräsentationen nach syntaktischen Regeln verarbeitet, fragt er nach den Prozessen und Eigenschaften, die diesen Repräsentationen Bedeutung verleihen. Das bedeutet für ihn auch zu fragen, wie der Geist es macht, Bedeutungen und Repräsentationen an die Realität zu binden: „Wie gelangen die Symbole des denkenden Subjekts (bzw. die seines Geistes/Gehirns) in eine eindeutige Korrespondenzbeziehung mit Gegenständen und Mengen von Gegenständen dort draußen“ (1990b: 77)? Putnam möchte zeigen, dass eine funktionalistische Theorie des Geistes aufgrund der holistischen, normativen und externalistischen Natur der Bedeutungen oder Inhalte nicht machbar ist. Seine Argumente lauten: Bedeutung ist holistisch, insofern es keine feststehende Definition eines Begriffes und somit auch keine feststehende Bedeutung eines Ausdrucks oder Begriffs gibt, da die Bedeutung jedes ein30 Zur Auseinandersetzung mit der Referenztheorie Fodors vgl. Putnam 1997, Kap. 3

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zelnen Ausdrucks einer Sprache von der Bedeutung aller Ausdrücke 31 dieser Sprache abhängt (1999: 35 ff.). Putnam legt dies mit Bezug auf Quine dar: Die Praxis unserer Gehaltzuschreibungen funktioniert auf der Basis der erfahrungsbezogenen Prüfung von Aussagen. Dabei geht es aber um ganze Systeme von Aussagen, nicht Einzelaussagen. Daraus folgt für die Bedeutung von Ausdrücken, dass diese als konstant aufgefasst werden kann, auch wenn sich das Bündel der mit dem Ausdruck assoziierten Eigenschaften oder sogar die wissenschaftliche Definition einer Entität verändert (vgl. Quine 1960). Damit hängt der zweite Begründungsstrang zusammen, demzufolge der Bedeutungsbegriff zum Teil normativ ist. Auch scheinbar definitorische Aussagen sind immer in ein „Überzeugungsnetz“ eingebunden (Putnam 1999: 38). Um zu zeigen, dass intentionale Zustände bzw. propositionale Einstellungen nicht mit funktionalen Zuständen oder rein formalem, syntaktischem Wissen identisch sind, bezieht er sich auf Situationen, in denen sich die Redeweise über bzw. die Bezugnahme auf bestimmte Ereignisse oder Dinge verändern, ohne dass sich dabei die Bedeutung der Ausdrücke ändert, mit denen auf die Ereignisse oder Dinge Bezug genommen wird. Als Beispiel nennt er die Redeweise über Elektronen in den Arbeiten des Physikers Niels Bohr: 1900 glaubte Bohr, dass sich die Elektronen um den Atomkern wie Planeten um die Sonne auf Umlaufbahnen bewegen. Seine Theorie von 1934 behauptet dagegen, dass Elektronen keine Trajektorien haben. Jeder moderne Physiker, so Putnam, der die Geschichte dieser Veränderung erzählt, würde sie als sukzessive Veränderung von Meinungen oder es allgemein geltenden Erkenntnisstands aufgrund neuer Entdeckungen beschreiben, nicht aber als sukzessive Bedeutungsver31 Für Quine war die These vom holistischen Charakter der Bedeutung zentral in seiner Argumentation gegen den Empirismus (Quine 1953, 1960). Kurz gesagt, meint dies, dass ein Ausdruck nicht für sich allein, sondern nur im Zusammenhang mit vielen anderen bedeutungsvollen Ausdrücken Bedeutung besitzen kann und dass seine Bedeutung nicht von der vieler anderer Ausdrücke abgetrennt werden kann (vgl. zum Bedeutungsholismus auch Davidson 1980). Mentalisten setzen dem entgegen, dass ein Ausdruck allein deshalb Bedeutung besitzen kann, weil er einen intentionalen Zustand ausdrückt – völlig unabhängig vom Bedeutungsgehalt anderer Ausdrücke. Quine vertrat die These, dass auch empirische Evidenz holistisch ist, da sie sich niemals auf nur einen Satz bezieht – kein Satz besitzt eine eigene, nur ihm allein zugehörige Menge von Beobachtungsimplikationen. Was Putnam hier aufgreift, ist der Aspekt, dass der Bedeutungsholismus zum Ausschluss der Möglichkeit führt, Begriffe so zu definieren, dass deren Bedeutung feststeht.

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änderungen, das Wort Elektron betreffend. Vielmehr würde er „alle diese Vorkommnisse des Wortes ‚Elektron‘ als synonym auffassen“ (Putnam 1999: 41 f.). Zumindest behält es, dem erheblichen Theorienwandel zum Trotz, den Bezug unverändert bei. Indem wir heute Bohrs Rede des Elektrons als Rede über dasjenige auffassen, was auch wir als Elektron bezeichnen, wenden wir, so Putnam, eine Art „Nachsicht“ bei der Interpretation an, die der tatsächlichen Interpretations32 praxis entspricht. Dasselbe meint Putnam auch, wenn er an anderer Stelle mit Bezug auf sein früheres Gedankenexperiment ‚Zwillingserde‘ schreibt: „die Behauptung, dass wir die Bedeutung des Wortes ‚Wasser‘ ändern, sobald wir beschließen, dass Wasser nichts anderes ist als H2O, würde nicht nur gegen unser Sprachgefühl für Synonymiebedingungen verstoßen, sondern auch gegen das […] Interpretationsprinzip, das von zentraler Bedeutung ist für die epistemische Funktion des Begriffs ‚Bedeutungsänderung‘ “ (ebd.: 48 f.). Die Bedeutungen selbst aber sind bei Vorgängen der Festlegung und Rechtfertigung von Überzeugungen gleichbleibend, d.h. wir müssen uns immer fragen, welche Überzeugungsunterschiede bei einer Bedeutung eine Rolle spielen. Dieses interpretationstheoretische Beispiel zeigt auch: Es können verschiedene Meinungen oder Erkenntnisse mit der Überzeugung ‚Elektronen sind Elementarteilchen‘ verbunden sein, was bedeutet, dass verschiedene funktionale Zustände demselben intentionalen Zustand entsprechen können. Damit ist klar, dass intentionale Zustände nicht mit intensionalen identisch sind. Das dritte, wieder stark externalistische Argument gegen die These Fodors und Chomskys ist, dass unsere Begriffe „sehr stark von unserer physischen und sozialen Umwelt abhängen“. So können Begriffe wie Vergaser, Quantenpotential oder Bürokratie nicht angeboren sein, denn die Evolution konnte schließlich nicht alle künftigen physischen und kulturellen Entwicklungen voraussehen (Putnam 1999: 46). Wendet man – wie Putnam dies tut – diese Überlegungen auf die RTG an, so heißt das: Die Language of Thought im Sinne Fodors muss in der Lage sein, Repräsentationen durch Prozeduren oder syntaktische Regeln exakt zu beschreiben. Wenn Bedeutung aber prozedural-syntaktisch definiert ist, müsste jede Änderung im Gebrauch der Prozeduren eine Änderung in der Bedeutung zur Folge haben. Eine funktionalistische Theorie des Geistes, die mit der Annahme einer 32 Putnam spricht an anderer Stelle vom „Interpretationsprinzip“ (1999: 48; vgl. auch Kap. 13 in Mind, Language, Reality, 1975). Dieses Prinzip erinnert stark an Quines ‚Principle of Charity‘ (Quine 1976).

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Sprache des Geistes operiert, muss also postulieren, dass die Identität eines funktionalen Zustands davon abhängt, dass die Menge der Kausalrelationen zwischen ihm und anderen Zuständen gleich bleibt. Folgt man aber der holistischen Bedeutungsdefinition, so gilt dies nicht für Bedeutungen, die im Rahmen der Alltagspsychologie relevant sind, denn schließlich, so Putnam, „läuft das Argument für den Bedeutungsholismus großenteils darauf hinaus, dass Veränderungen in den Prozeduren des in einer Gemeinschaft üblichen Gebrauchs einer lexikalischen Einheit normalerweise eben nicht als Wandel der Bedeutung dieser Einheit gelten“ (Putnam 1999: 47; Herv. i. O.). Da die RTG den Anspruch hat, die Prinzipien der Alltagspsychologie zu reproduzieren, dies aufgrund der Ablehnung jeder holistischen Position aber nicht kann, ist sie zumindest in diesem Punkt gescheitert. Putnams Position weist hier gleichwohl schon pragmatistische Züge auf (vgl. 1990a). Verbunden mit dem Antiskeptizismus, der z.B. das ‚Gehirne-im-Tank‘-Argument bestimmte, finden sich hier deutlich fallibilistische Züge: Gegen eine „God’s-Eye“-Perspektive spricht nämlich auch die Einsicht, dass keine Überzeugung jemals „sakrosankt“ ist, da es „niemals eine metaphysische Garantie dafür gibt, dass eine ganz bestimmte Überzeugung niemals wird revidiert werden müssen“ (Putnam 1994a: 152; vgl. Raters 2002: 12). Doch aus diesem Zugeständnis ergibt sich keineswegs, dass jede einzelne unserer Überzeugungen sich als falsch herausstellen könnte – das sollte ja (unter anderem) in den o.g. Gedankenexperimenten veranschaulicht werden. Putnam ist der Ansicht, dass die Einsicht in die Vereinbarkeit von Fallibilismus und Antiskeptizismus die wichtigste Einsicht des Pragmatismus ist (Putnam 1995: 31). Es gibt für den späten Putnam nicht nackte Daten und Werte, die unabhängig von ihren Interpretationen zugänglich wären. Um Überzeugungen in Bezug auf Objekte ausbilden zu können, müssen wir, so beschreibt es der Putnam-Kenner Axel Mueller, eine begriffliche Struktur annehmen, die uns die Umgebung in bestimmte Teile zergliedert (Mueller 2002: 65; vgl. Putnam 1994b). Allerdings müssen diese „Überzeugungsmengen“, die ja den Bereich der Erfahrung in Objekte, Eigenschaften und Relationen unterteilen und somit unsere Erfahrungen strukturieren, um diese Funktion erfüllen zu können „sachhaltige Wahrheiten darstellen können“ oder „zumindest müssen die Akteure, die sie zur Beschreibung eines Interpretationsbereichs verwenden, sie als solche betrachten“. Die Überzeugungen dürfen nicht „empirisch leer oder folgenlos“ sein (alle Mueller 2002: 65). Die Verbindung zum Pragmatismus und zur Peirceschen antiskeptizistischen Theorie der 120

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Wahrheit ist hier sehr deutlich, Mueller spricht daher von Putnams „pragmatischem Kognitivismus“ (ebd.: 64 ff.). Wir haben mit Searles und Putnams Argumenten Beispiele dafür kennen gelernt, was dem Computationalismus innerhalb der Analytischen Philosophie des Geistes entgegengehalten wird. Nun sollen weitere kritische Argumente gegen den Kognitivismus und die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz besprochen werden, die sich auf die Ausklammerung aller leiblichen Formen oder Aspekte der Welterfahrung in kognitivistischen Modellen bezieht. Als bekannter Vertreter dieser Position gilt Hubert L. Dreyfus, der in seiner Kritik der KI auch auf die Besonderheiten neokonnektionistischer Modelle eingeht, die ja oftmals als Alternative zum Kognitivismus gehandelt werden (vgl. Thagard 1999; Varela 1990). 3.3

Leiblichkeit und Kognition

Die verkürzte Rezeption der Phänomenologie in der Analytischen Philosophie des Geistes wird häufig bemängelt, und dies zu Recht (vgl. z.B. Weingarten 1998). An die phänomenologische Tradition knüpft mittlerweile Francisco Varela in seinem Versuch einer Grundlegung der Theorie selbstorganisierender Systeme an (vgl. Varela 1990, 1994; s. Kap. II, 6). Kritik an einer Repräsentationalen Theorie des Geistes aus phänomenologischer Perspektive findet sich mittlerweile im Kontext des sog. Wissensakquisitionsproblems (Becker/Steven/Strohbach 1990) und im Rahmen der allgemeinen Kritik am Realismus und Szientismus, mit denen der Repräsentationalismus oft verbunden ist. (Denn alle drei Aspekte – Realismus, Szientismus, Repräsentationalismus – können auch als Konsequenzen des fragwürdig gewordenen Dualismus zwischen aktivem, erkennenden Subjekt und passivem Objekt verstanden werden; so sieht es z.B. Becker 1998: 273). Der französische Phänomenologe Merleau-Ponty gilt als einer der bedeutendsten Vertreter – oder eher Vordenker – dieser spezifischen kognitivismuskritischen Perspektive: In der Phänomenologie der Wahrnehmung (1966) konzentrierte er sich auf die Untersuchung des vorprädikativen Erfahrungshorizonts, den er als denjenigen Ort versteht, an den jede Form der Reflexion irgendwie gebunden oder in dem sie situiert ist. Der Leib fungiert als Bedingung des ‚In-der-Welt-Seins‘ und ermöglicht eine Vermittlung zwischen objektiv Gegebenem und subjektiv Erlebtem. Dies gilt aber, so Merleau-Ponty, „nicht für jeden möglichen Körper, den man, wenn man will, als eine Informationsmaschine betrachten kann, sondern für diesen tatsächlichen Körper, den ich mei121

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

nen nenne, […] der schweigend hinter meinen Worten und meinen Handlungen steht“ (ebd., 1984: 14; zit. nach Becker 1998: 275). Wenn der Leib, wie die Phänomenologen mit Bezug auf MerleauPonty betonen, „Bedingung des In-der-Welt-Seins“ ist, nicht nur Medium und Vermittler, prägt er das Feld präreflexiver Erfahrung (Waldenfels 1980: 39). Geht man mit der Phänomenologie davon aus, dass sinnliche Wahrnehmung aufzufassen ist als eine Art Grundlage aller kognitiven Operationen, so ist Leibsein nicht mehr allein mit einer bestimmten biologischen Ausstattung beschrieben, die unseren Zugang zur Welt begründet oder ermöglicht, sondern der Weltbezug des Menschen ist in sein leibliches Dasein eingelassen, der Leib Instanz seiner Verankerung in der Welt. Es ist die Rede vom „inkarnierten Weltbezug“ (Becker 1998: 287). Dass keines der gegenwärtig diskutierten kognitionswissenschaftlichen Konzepte einen solchen Weltbezug berücksichtigt, braucht nicht weiter erläutert und belegt zu werden. Im Folgenden soll jedoch gar nicht an die im strengen MerleauPontyschen Sinne phänomenologische Kritik des Kognitivismus ange33 knüpft werden. Vielmehr soll mit Blick auf die einschlägigen Texte des nordamerikanischen Philosophen Hubert L. Dreyfus (teilweise veröffentlicht mit seinem Bruder Stuart) eine Position näher besprochen werden, die sich in erster Linie als Kritik der KI etabliert hat (vgl. z.B. Thagard 1999; Wilke 1996; Mainzer 1995 u.a.), die aber ihre kritischen Argumente nicht zuletzt auf die Phänomenologie MerleauPontys und Martin Heideggers stützt. Heidegger, erläutert Dreyfus beispielsweise, verneine die in der Kognitionswissenschaft vorausgesetzte Unterteilung zwischen repräsentierendem Subjekt und der ‚äußeren Welt‘. Vielmehr handelten wir

33 Allerdings hauptsächlich aus Platz- und Zeitgründen nicht, da für die Entfaltung einer solchen Kritik beträchtliche theoretische Vorarbeit notwendig wäre, die den Rahmen der hier angestrebten überblickartigen Rekonstruktion unterschiedlicher, einschlägiger Kritiken des Kognitivismus sprengen würde: Einerseits müssten die theoretischen Grundlagen der Philosophie Merleau-Pontys dargestellt, andererseits die entwicklungspsychologischen Erkenntnisse über Entwicklung und Ausbildung von Kognitionen und Kompetenzen rekonstruiert werden, um zu zeigen, wie bestimmend und prägend für diese Entwicklung die leibliche Erfahrung (im Sinne von Merleau-Ponty) ist, und um vor diesem Hintergrund dann die Probleme der KI-Forschung und der kognitivistischen Theorie des Geistes zu diskutieren. Eine anspruchsvolle Auseinandersetzung mit der phänomenologischen Position und deren Kritik des Kognitivismus bietet z.B. Becker (1998).

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in der Welt nur deshalb richtig, weil wir ein Teil von ihr seien. Die Heideggersche Formel des ‚In-der-Welt-Seins‘ drücke z.B. aus, dass Menschen praktische Aufgaben, wie das Einschlagen eines Nagels, nur aufgrund ihrer praktischen Fähigkeiten und der praktischen Verfügbarkeit der Gegenstände ausführen können. Kognitive Repräsentationen reichten dafür nicht aus (Heidegger 1984; vgl. Dreyfus 1991). Die KI, so die Folgerung, liefert zwangsläufig ein unrealistisches Bild der menschlichen Kognition, da sie niemals die Menge und die Art an praktischem, kulturellen „Hintergrundwissen“ repräsentieren kann, die menschlichen Handlungen zugrunde liegt (auch Dreyfus bezieht sich für das praktische Wissen auf Ryles Begriff des knowing-how; vgl. auch Winograd/Flores 1986). Der in den siebziger Jahren einsetzende Ansichtsverlust der herkömmlichen (computationalistischen) Modelle, meint Dreyfus, machte sich dann auch hauptsächlich am überkommenen Bild des (Alltags-)Wissens als syntaktischem, logischem, formalem Wissen fest. Jedoch wurde diese Tendenz und die damit für die KI sich abzeichnenden Probleme mit dem Aufkommen konnektionistischer Ansätze in den achtziger Jahren in eine stürmisch einsetzende, innovative Weiterentwicklung der KI-Forschung auf der Basis des alternativen konnektionistischen Ansatzes überführt. In seinem 1992 bei MIT erschienenen Band What Computers still can’t do (dt. 1993) richtet Dreyfus auch an die konnektionistisch fundierten KI-Modelle die Frage, ob neuronale Netzwerke denn in einem dem Alltagsverstand vergleichbaren Sinn Intelligenz repräsentieren können, oder ob auch die neuere KI-Forschung, ebenso wie die computationalistisch inspirierte der sechziger Jahre, ihre Hoffnungen auf Ad-hoc-Erfolge gegründet hatte und jetzt an der Repräsentation des CommonsenseWissens scheitern muss. Seit den siebziger Jahren vertritt Dreyfus gegen Fodor und die computationalistische KI-Forschung die These, dass jene Forschungsprogramme, „die auf der Voraussetzung beruhten, menschliche Wesen produzierten Intelligenz, indem sie Fakten und Regeln verwenden; wenigstens vorläufig „in eine Sackgasse geraten“ seien und dass es keinen Grund für die Annahme gebe, dass sie je Erfolg haben könnten“ (1993: 653). Besonders die Repräsentation des CommonsenseWissens ist für Dreyfus ein unlösbares Problem der KI-Forschung. Auch aktuelle Rehabilitationsversuche der computationalistischen KI, wie sie etwa durch den KI-Konstrukteur Douglas Lenat in den achtziger Jahren (Lenat 1983) initiiert wurden, scheiterten an der verfehlten Absicht, das Alltagswissen mit Hilfe allgemeiner Kategorien zu organisieren. 123

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Der Versuch Lenats, eine „Datenbank-Ontologie“ rationalistischer Tradition (Lenat und Guha 1990; vgl. Dreyfus 1993: 657) zu erstellen, durch die die von der KI-Forschung bislang unterschätzte Komplexität und Größe des Alltagswissens auf neue Weise repräsentiert werde, schlägt Dreyfus zufolge völlig fehl. Lenat zeige allenfalls, dass die dort unterbreiteten Vorschläge (wie etwa die Kanonisierung kontextunabhängiger Metaregeln für die systematische Einschränkung des Suchraums oder Regeln für die Kodifizierung dieser Metaregeln im Rahmen des großangelegten Forschungsprogramms) die rationalistischen Vorstellungen Fodors und damit auch die Probleme des Fodorschen Modells keineswegs hinter sich gelassen hätten. Dem fügt Dreyfus eine grundsätzliche Kritik an der KI in der Tradition Fodors hinzu: Gerade jene (bis auf Descartes und Leibniz zurückgehende) rationalistische Auffassung, derzufolge alles Wissen und Verstehen der Welt auf Repräsentationen beruht, ist die Wurzel jener Theorien des Geistes, die selbst unser allgemeines Know-how so konzeptualisieren, als läge es im Geist in propositionaler Form vor (und sei damit durch Kategorien und Regeln repräsentierbar). Solange diese Auffassung Grundlage von Modellen der Wissensrepräsentation bleibe, stoße man beim Versuch, „Alltags-Konsenswissen zu formalisieren und zu organisieren, […] auf das, was das Commonsense-Wissensproblem genannt werden sollte“ (Dreyfus ebd.: 656 f.). Dieses setzt sich in Dreyfus’ Beschreibung aus mindestens drei bislang nicht lösbaren Problemen zusammen, die durch die folgenden Fragen repräsentiert werden: a) Wie muss Alltagswissen organisiert sein, um Schlüsse daraus ziehen zu können?; b) wie kann eine Fertigkeit oder ein Wissen, wie als ein Wissen, dass dargestellt werden?; c) wie kann relevantes Wissen auf besondere Situationen angewendet werden? Alle drei Fragen wurden 34 von der KI-Forschung nicht gelöst.

34 An einem Beispiel aus Lenats Projekt erläutert Dreyfus einen weiteren Aspekt von Lenats Fehlinterpretation der für das Alltagswissen notwendigen Kompetenzen, nämlich das Fehlen der affektiven Komponente: Bereits Simulierungen, bei denen es um Sprachverstehen geht (etwa das Verstehen einfacher Sätze wie ‚Mary saw a dog in the window. She wanted it.‘), erfordern, so Dreyfus, nicht nur enorm großes Hintergrundwissen (das würde Lenat zugestehen bzw. darum geht es auch ihm und er hat den Anspruch, dies zu integrieren), sondern ein Wissen, welches „eher an die Fähigkeit [appelliert], uns vorzustellen, wie wir in dieser Situation empfinden würden, als Fakten über Hunde und Fenster und darüber, wie ein typisches menschliches Wesen reagierte, zu konsultieren“. Dreyfus meint: „Wir müssen uns das Fühlen und Tun von

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Um diesen Problemen zu entgehen, muss die rationalistische Vorstellung des Alltagswissens „mit Blick auf die Phänomenologie des Alltags-Know-How“ geprüft werden (ebd.: 660). Neben Heidegger, Merleau-Ponty und Ryles Begriff des knowing-how bezieht sich Dreyfus auch auf Bourdieus kultursoziologische Arbeiten für eine solche Phänomenologie. Er führt an, dass etwa kulturelles „savoir faire“, wie im Beispiel des Gabentausches von Bourdieu für die Exemplifizierung des Habituskonzepts verwendet, erforderlich ist, um „zu wissen, was ein Geschenk ist“. Dieses Wissen „ist also kein von der Fertigkeit oder dem Know-how gesondertes Stück Faktenwissen“, sondern es „setzt Schenkpraktiken voraus“. Es gibt keine Kategorien- und Regelsysteme, wie in rationalistisch durchorganisierten Modellen nach dem Beispiel Lenats, „welche die mutmaßlichen objektiven Merkmale von Gaben und Schenkgelegenheiten explizierten, und es ist zweifelhaft, ob eine solche Beschreibung überhaupt möglich ist“ (Dreyfus 1993: 661). Beherrscht man dagegen eine kulturelle Praxis, kann man sogar „mitunter etwas tun, was bis dahin für nicht angebracht gehalten wurde und es im Nachhinein als das genau richtig Gewesene anerkannt bekommen“ – dies aber könnten kein noch so komplizierter Algorithmus, keine vorher festgelegten Verfahrensregeln oder Prozeduren zulassen. Ein vorgefertigtes System, das mit einer „Datenbasis“ und ohne jenes „savoir faire“ operiert, könnte Geschenkinnovationen nicht verstehen und wäre daher nicht in der Lage, diese Art von Alltagswissen jemals 35 zu speichern (alle Dreyfus, ebd.). Zwar räumen Vertreter der KI mittlerweile durchaus ein, dass die Fähigkeit, Analogieschlüsse zu ziehen und Sachverhalte anhand von Dingen vorstellen können“ und dadurch, so Dreyfus, „kehren die Gefühle und körperlichen Bewältigungsfähigkeiten“ wieder in die Diskussion zurück, die der Repräsentationalismus ausgeschlossen hatte (ebd.: 657). 35 Metaphern sind für Dreyfus ein Beispiel für nicht-syntaktische Aspekte des Bedeutungsverstehens. Auch er bezieht sich auf Searles aus sprechakttheoretischer Sicht geäußertes Argument, dass Metaphern auf Übersetzungs- und Interpretationsleistungen beruhen, die „ohne irgendwelche zugrunde liegenden Ähnlichkeitsbeziehungen funktionieren“, und dass wir offensichtlich geistige Fähigkeiten haben, mit denen wir gewisse Arten von Metaphern interpretieren können, ohne dabei auf Regeln oder Prinzipien zurückzugreifen. Hierbei spielen Assoziationen eine Rolle, die wir, so Searle, durch gewisse Fähigkeiten herzustellen vermögen, die man am besten damit beschreiben könne, „dass sie auf jeden Fall nicht-repräsentationale geistige Fähigkeiten sind“ (Searle 1987: 190).

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Analogieschlüssen zu verstehen immer wichtiger für intelligente Programme wird, dabei bleiben sie jedoch einem rationalistischen Verständnis von Analogien verpflichtet, das auf propositionales Wissen 36 gemünzt ist. Analogien werden – so etwa bei Lenat – im aristotelischen Sinn über Proportionen definiert und es wird postuliert, dass die zahlreichen Metaphern unserer Alltagssprache auf eine Art „primitive, somatische“ Elemente zurückzuführen sind (hoch, hinunter, vor, zurück, Schmerz, kalt, usw.). Ungeachtet dieser „somatischen“ Grundlage zentraler Teile unseres Sprachverstehens und Alltagswissens, versuchen Computerprogramme dem Problem dennoch mit einer simplen, „rationalistischen“ Antwort auf die Frage ‚Wie kann ein Programm automatisch gute Abbildungen finden?‘ beizukommen, die ungefähr so lauten könnte: ‚Wenn sich zeigt, dass A und B einige unerklärte Ähnlichkeiten besitzen, dann lohnt es sich, nach zusätzlichen gemeinsamen Eigenschaften zu suchen‘. Dieser Formulierung aber entgeht die im Bourdieuschen Beispiel sichtbar gemachte Problematik, da weder die Schlussform, die bei solchen Analogiebildungen vorliegt, noch die Art der Repräsentation des dafür notwendigen Wissens thematisch wird. So sind möglicherweise die wichtigen Ähnlichkeiten gar nicht symbolisch repräsentiert, sondern durch unseren „aktiven Körpersinn“, von dem solche Dimensionen wie innen/außen, vor/zurück usw. kommen (Dreyfus 1993: 662 f.). Der Hauptunterschied zwischen Alltagswissen und dem Wissen eines Computers besteht also nach Dreyfus’ Dafürhalten in der Möglichkeit, sich auf irgendeine Art leiblichen Daseins in der sozialen und materiellen Umgebung zu beziehen. Fragt man danach, wie zielgerichtetes Verhalten in einer solchen Umgebung funktioniert, so müsste man der RTG folgend sagen: Wir brauchen eine Theorie über den entsprechenden Bereich und planen dann unsere Handlungen auf deren Grundlage. Im Alltag dagegen, so Dreyfus, funktioniert unser Handeln nicht so. Die Erfahrung beispielsweise, in einen bekannten Typ von Raum einzutreten, haben wir nicht kognitiv, sondern immer auch körperlich-handelnd erworben; durch diese andere Art der Repräsentation (die man vielleicht eher als Gebrauchs- oder Umgangswissen beschreiben sollte), welche den leiblichen Aspekt unserer Erfahrung bewahrt, erlangen wir „Vertrautheitswissen“ (Dreyfus ebd.: 665), welches sich erheblich von einem Wissen über Räume im 17. Jahrhun36 Dies zeigte auch die Diskussion der kognitivistischen Modelle der Repräsentation prozeduralen Wissens bzw. ‚kreativen‘, ‚problemlösenden‘ Wissens (s. Kap. I, 3. u. 4).

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dert unterscheidet, die wir nie betreten haben. Letzteres gleicht vielleicht dem Wissen eines Computers. Dreyfus meint, „dass Intelligenz einen Körper braucht“ (ebd.: 658). Auch ohne genauer auf diese Art oder Form des Wissens einzugehen, wird deutlich, dass auch Dreyfus’ Argumentation darauf hinausläuft, dass unsere alltäglich relevanten Wissensformen nicht allein aus positivem Wissen, deklarativem, semantischem oder explizitem Weltwissen bestehen können. Im Anschluss an seine Kritik des Kognitivismus hat sich Dreyfus auch der Frage gewidmet, ob die neuen Modelle der KI, die mit neuronalen Netzen arbeiten und die alte KI-These des Computationalismus vernachlässigen, möglicherweise „das leisten, was ich Vertrautheit oder allgemeine Sensibilität genannt habe, und wenn nicht, ob sie das Relevanz- und Lernproblem vielleicht auf irgendeine andere Art und Weise meistern“ (ebd.: 668). In ähnlicher Absicht hat sich auch der Biologe Francisco Varela, der selbst an der Entwicklung jener Theorien beteiligt war, die von selbstlernenden Systemen und emergenten Strukturen handeln, mit den Vorzügen konnektionistischer Modelle im Vergleich zur RTG befasst. Dabei fällt Varelas (1990) Behandlung des Konnektionismus etwas ausführlicher aus als bei Dreyfus (1993), beide kommen jedoch zum Schluss, dass auch die konnektionistischen Modelle die Wissenspsychologie nicht automatisch dem Alltagswissen, dem „gesunden Menschenverstand“ (Dreyfus), oder gar der von Varela angestrebten „handlungstheoretische[n] Alternative“ zum kognitivistischen Modell näher bringen (Varela ebd.: 88 f.). Im nun folgenden Unterkapitel werden einige grundlegende Aspekte des konnektionistischen Wissensmodells skizziert, wobei die Sichtweisen Varelas und Dreyfus’ insoweit berücksichtigt werden, wie sie sich in den hier gesteckten Rahmen der Kritik der RTG und des Computermodells des Geistes einfügen.

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Der Konnektionismus als Alternative?

Wir erinnern uns an Fodors von der Alltagspsychologie ausgehende Begründung für die RTG: Wenn uns die Alltagspsychologie erlaubt, Verhalten relativ verlässlich vorherzusagen, dann müssen mentale Zustände real sein; real können sie aber nur sein, wenn sie physisch realisiert sind; und die RTG ist die einzige Theorie, die uns sagt, wie sie realisiert sein können (1987, z.B.: 154). Diese Sicherheit ist auch deshalb erstaunlich, weil bereits in den fünfziger Jahren darüber diskutiert wurde, „dass sich in wirklichen Gehirnen weder Regeln noch eine zentrale logische Verarbeitungseinheit finden“ und besonders, „dass 127

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keine Information unter einer exakten Adresse gespeichert ist (vgl. z.B. Rosenblatt 1959, 1962). Diese Erkenntnis führte in wissenschaftlichen Disziplinen, die damals noch zur Kybernetik gehörten, bald zur Entwicklung von Alternativmodellen der Kognition: Gehirne arbeiten auf der Grundlage verzweigter Verknüpfungen von neuronalen Zellen, die Verknüpfungen sind nicht logisch angeordnet oder hierarchisch aufgebaut, sondern die Beziehungen zwischen Neuronengruppen ändern sich aufgrund von Erfahrung (Varela 1990: 54). Die Ausarbeitung und Weiterentwicklung dieser Erkenntnisse und ihre Etablierung als Alternative zur kognitivistischen Auffassung bzw. Modellierung von Wissen sollte allerdings noch warten müssen. Über zwei Jahrzehnte lang hatten die neuartigen Vorstellungen der Funktionsweise des Gehirns kaum eine Chance, der „Orthodoxie“ des Computermodells (Varela ebd.: 20) etwas entgegenzusetzen, wenn es um die Bereitstellung eines Modells des Geistes ging. Erst in den späten siebziger Jahren rückten die neuronalen Modelle in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit der Kognitionswissenschaften. Dann jedoch war ihnen, nicht zuletzt aufgrund der Faszination, die jene „Ideen der Selbstorganisation“ (Varela ebd.: 56) plötzlich auch in Physik und Mathematik ausübten und wegen der Verfügbarkeit schneller Computer sowie der Entwicklung von Methoden, mit denen Veränderungen innerhalb neuronaler Netzwerke konkret verfolgt werden können, zunächst eine Zeit des rasanten Aufstiegs vergönnt (vgl. Dreyfus/Dreyfus 1989). Mittlerweile darf ein Passus über die wachsende Bedeutung konnektionistischer Modelle in keinem Einführungsband oder Lehrbuch für die Kognitionswissenschaften oder die kognitive Psychologie fehlen (vgl. z.B. Anderson 2001; Städtler 1998; Gardner 1989). Allerdings gelten die Forschungen auf dem Gebiet des Konnektionismus bis heute noch als ein bislang wenig erprobtes und elaboriertes, wenngleich viel versprechendes neues Betätigungsfeld der Kognitionswissenschaften. So spricht z.B. Anderson etwas vage vom „Rahmenmodell der parallel-distributiven Verarbeitung“, das seit den achtziger Jahren als Grundstein solcher konnektionistischer Modelle gelte (Anderson 2001: 31). Einige Kognitionswissenschaftler sehen im Konnektionismus weniger die Basis für eine alternative Theorie mentaler Prozesse im umfassenden Sinn, sondern in erster Linie einen neuen Modus der Darstellung und besonders der (von unserem Wissen über die Funktionsweise echter neuronaler Netzwerke inspirierten) Modellbildung, bei dem sich nicht nur die theoretischen Probleme des Kognitivismus, etwa Fragen der Intentionalität oder Inferenz, wieder stellen, sondern auch das grundlegende zweckrationalistische Modell des Menschen 128

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

als regelgeleiteter Informationsverarbeitungsmaschine weiterhin im Vordergrund steht (vgl. Dörner 1984; Rumelhart/McClelland 1986; Gardner 1989: 415). Auch in neueren Veröffentlichungen aus dem Bereich der Kognitionswissenschaften wird konstatiert: „Es sind, wenn auch in einem relativ weitgefassten Sinne, nach wie vor computationale Modellvorstellungen, die die kognitionswissenschaftlichen Forschungen leiten“ (Gold/Engel 1998: 13). Das mag eine treffende Darstellung des state of the art in den Kognitionswissenschaften sein, sollte aber nicht davon ablenken, dass die Idee der Selbstorganisation in Bezug auf das kognitive System des Menschen eine bedenkenswerte Alternative zur Modellierung der Kognition innerhalb des symbolverarbeitenden Ansatzes bietet. Daher sollen die grundlegenden Aspekte des konnektionistischen Modells an dieser Stelle wenigstens knapp skizziert und ihre Bedeutung für die kognitive Psychologie diskutiert werden. 4.1

Grundzüge des konnektionistischen Modells der Kognition

Am Anfang eines neuronalen Netzwerkes steht ein ganzes Arsenal neuronenähnlicher, einfacher, intelligenzloser Bestandteile, die – wenn in angemessener Weise verknüpft – übergreifende Eigenschaften zeigen. Diese neu entstandenen Eigenschaften verkörpern die gesamte kognitive Leistung des Netzes (Varela 1990: 58). Der PDP-Ansatz geht von Tausenden von Verknüpfungen zwischen Hunderten von Einheiten aus; die resultierenden Netzwerke sind durch Prozesse der Erregung oder Hemmung zwischen den Zellen gekennzeichnet. Wahrnehmung, Handeln oder Denken werden als Folge einer Veränderung der Stärke oder Gewichtung der Verknüpfungen zwischen diesen Einheiten gesehen. Als verarbeitet gilt eine Information oder ein Input dann, wenn das System sich auf einen stabilen Zustand einpendelt oder zur Ruhe kommt (Gardner 1990: 412). Neuronale Netzwerke erkennen Muster, suchen ähnliche Fälle oder Prototypen heraus und verarbeiten dabei parallel. So vermeiden sie den Engpass der seriellen Verarbeitung, derzufolge Symbolverarbeitung auf sequenziellen Regeln beruht und ein Schritt bzw. eine Regel nach der anderen angewendet werden muss. Dieser Engpass wird zu einem durchaus gravierenden Problem, sobald größere Datenmengen zu verarbeiten sind (Varela 1990: 56). Die Verknüpfungen verändern sich durch Erfahrung. Hat man beispielsweise eine Anzahl neuronenähnlicher Elemente, die untereinander verknüpft sind, und konfrontiert sie mit Mustern, dann organisieren die Verknüpfungen sich neu, und zwar gemäß dem Hebbschen 129

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Prinzip: Diejenigen Bahnen, die während der Darbietung des Musters aktiv waren, werden verstärkt. Nach der Lernphase, in der dem das Muster dem Netz mehrere Male angeboten wurde, wird das „Muster […] in dem Sinne wiedererkannt, dass es [das System] einen spezifischen Gesamtzustand oder eine spezifische interne Konfiguration einnimmt und damit das gelernte Muster repräsentiert“ (Varela 1990: 37 60). In neuronalen Netzen ergibt sich also spontan so etwas wie ein „übergreifendes Zusammenwirken“, ohne dass diese Dynamik durch eine zentrale Verarbeitungseinheit oder Regelzentrale gesteuert würde, es handelt sich um einen irgendwie selbstinitiierten Übergang von lokalen Regeln zu übergreifender Kohärenz“ (vgl. ebd.: 61f.). Dies ist der Kern dessen, was in der Kybernetik noch ‚Selbstorganisation‘ genannt wurde. Heute spricht man von der ‚Emergenz‘ neuer Eigenschaften, von ‚Netzwerkdynamik‘ oder auch von ‚Synergetik‘ (vgl. Varela 1990; 38 Stephan 1992; Brüntrup 1996). Die Aufgabe der Kognitionsforschung besteht diesem neuen Ansatz zufolge darin, die Entwicklung optimaler Verknüpfungen für spezifische Aktivitäten zu erforschen. Aus theoretischer Sicht – und damit für eine Theorie des Mentalen, die sich aus solchen Modellen entwickeln ließe – scheint zweierlei relevant: Erstens die Grundthese dieses neuen Paradigmas, die besagt, dass intelligentes Verhalten von Menschen und höheren Tieren nicht auf computerähnlichen Symbolverarbeitungsprozessen beruht, sondern auf den flexiblen Strukturen neuronaler Netze. Zweitens die Möglichkeit der Emergenz neuer, übergreifender Zustände und der Selbstorganisation der Netze. Bedingung für beides ist, dass jeder Bestandteil eines Netzwerks, jedes einzelne neuronenähnliche Element, nur in seiner eigenen, eng begrenzten Umwelt operiert und keine Veränderung des Gesamtsystems dazu berechtigt, auf externe Einwirkung oder auf irgendeine eingebaute, für das gesamte System gültige Syntax zu schließen, aufgrund derer (unterstellt wird, dass) sich das System 37 Donald Hebb (1949) hat erstmals die Bahnung von Verbindungen zwischen bestimmten Neuronen durch Erfahrung festgestellt. Das Hebbsche Gesetz besagt allerdings nur, dass die Verbindung zwischen zwei Neuronen immer dann gestärkt wird, wenn beide zugleich aktiviert werden. So kann in einem konnektionistischen Netz die Verbindung zwischen zwei Knoten proportional zu ihrer Aktivierung verstärkt werden. Neben diesem Prinzip des Lernens durch Korrelation von Elementen gemäß der Hebbschen Regel gibt es auch das Lernen durch Rückleitung (vgl. Rumelhart und McClelland). 38 Nähere, kurz gefasste exemplarische Erläuterungen für die Selbstorganisation aller netzwerkartigen Systeme gibt Varela 1990: 63-66.

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PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

verändert. Angesichts dieser grundlegend anderen Auffassung davon, was man sich unter kognitiven Tätigkeiten vorzustellen hat, kann der Konnektionismus durchaus als Alternative zur RTG gelten, die nicht nur ebenso viel versprechend ist, sondern – so manche Vertreter des Konnektionismus – recht bald „zumindest für viele weitere Jahre kognitionswissenschaftlicher Forschung zum dominanten Paradigma werden“ könnte (Varela 1990: 87; vgl. Schmidt 1990). Welche theoretischen Grundbegriffe, die Repräsentation von Wissen betreffend, würden sich im Vergleich zum Computermodell des Menschen verändern, wenn wir eine Theorie des Geistes nach dem konnektionistischen Modell hätten? Ein anderer Regelbegriff Ein kurzer Vergleich dessen, was die beiden Modelle in theoretischer Hinsicht leisten (können), ergibt beispielsweise, dass die beiden Arten der Modellierung von Intelligenz oder auch Wissensbildung und repräsentation mit einem sehr unterschiedlichen Regelbegriff operieren: Ein symbolisches System basiert weitgehend auf expliziten Regeln, die in die virtuelle Maschine oder in das Gehirn einprogrammiert worden sind. Nach diesen formalen, logischen Regeln werden mentale Repräsentationen erzeugt und umgeformt. Diese Repräsentationen besitzen der RTG zufolge satzartigen Charakter. Daher kann der Repräsentationalismus am besten jene kognitiven Leistungen erklären, bei denen logisches Schließen eine zentrale Rolle spielt. Die Feedforward-Netze, die im Konnektionismus untersucht werden, arbeiten dagegen nach ganz anderen Prinzipien: Ihre Hauptaufgabe besteht darin, auf bestimmte Input-Muster mit bestimmten Output-Mustern zu reagieren, die dabei angewendeten Regeln sind keineswegs explizit anzugeben (zu programmieren), sondern „es genügt, und etwas anderes wäre auch gar nicht möglich, das Netz sukzessive anhand von exemplarischen Fällen zu trainieren, und zwar solange, bis es das gewünschte Verhalten von selbst gelernt hat“ (Münch 1998: 81). Gelernt wird die Assoziation von Mustern über Beispiele, an die nach graduell abgestufter Ähnlichkeit angeknüpft wird – und d.h. quasi regellos. An diesem Punkt machen sich in den Äußerungen kognitivistisch orientierter Theoretikerinnen oft Zweifel darüber fest, inwieweit man die Funktionsweise neuronaler Netze wirklich zum Ausgangspunkt für ein neues Paradigma der Kognition machen kann. Wie kann das, was Netze tun, intelligentes Verhalten sein, wenn es nicht regelkonform vor sich geht? Für andere wiederum macht dieser ungeklärte Aspekt die neuronale Simulierung aber auch gerade interessant, nicht zuletzt 131

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

durch die augenscheinliche Analogie zu bestimmten Auffälligkeiten der menschlichen Kognition. Auch für die im Alltag relevanten Schlussweisen gilt, dass sie nicht immer expliziten Regeln folgen. „Ohne auf Regeln zu rekurrieren“, schreibt der Philosoph und Kognitionswissenschaftler Dieter Münch nicht ohne eine gewisse Faszination, „wirkt das, was Netze tun, nicht unintelligent – aber unintelligibel“ (1998: 91). Ähnlich der Psychologe Thomas Städtler: „Das Verhalten 39 des Systems ist regelhaft, ohne regelgeleitet zu sein“ (1998: 582).

39 Gewisse Regeln spielen bei neuronalen Prozessen freilich eine zentrale Rolle: Es gibt so genannte Lernregeln, das sind mathematische Formeln zur schrittweise erfolgenden Angleichung von Kopplungsparametern. Nur wenn diese Angleichung nach und nach erfolgt, können neuronale Netze ‚lernen‘. Solche Lernregeln werden aber vom Netz selbst nicht gelernt und sind auch ganz unspezifisch für dasjenige, was das Netz lernen soll. Diese Regeln ließen sich ohne weiteres als Regel in eine virtuelle Maschine eingeben, die symbolistisch und nicht konnektionistisch arbeitet (vgl. Münch 1998: 88). Aber bei der Assoziation oder Klassifikation der Muster selbst richtet sich das Netz nicht nach Lernregeln (diese sind für jedes Muster gleich), sondern möglicherweise nach anderen Regeln, die das Netz während der Lernphase ‚mitgelernt‘ oder konstruiert hat und die nicht explizit (vor-)gegeben sind. Wenn es jedoch solche Regeln gibt, so ist darüber nichts Genaueres bekannt – normalerweise lassen sich einem neuronalen Netz weder Assoziationsnoch Klassifikationsregeln beibringen, andererseits kennen die Konstrukteure einschlägige Klassifikationsregeln, wenn sie denn existieren, in vielen Fällen selbst dann nicht, wenn sie das Netz selbst gebaut haben. Damit nicht genug, wird hier auch dem Begriff der Ähnlichkeit einiges an Boden entzogen: Münch (1998) stellt das so dar: „Weil neuronale Netze Unterscheidungsfähigkeiten erlernen, ohne auf vorgegebene Regeln zurückzugreifen, sondern stattdessen von exemplarisch ausgewählten Fällen zur Klassifikation anderer Fälle übergehen, liegt es zwar nahe, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den gleich klassifizierten Fällen anzunehmen, aber weshalb bestimmte Netze bestimmte Muster so und nicht anders klassifizieren, wäre damit nur zu erklären, wenn sich bei Netzen nicht erst post festum sagen ließe, was sie als einander ähnlich einstufen und was nicht. […] Dass sich der Gedanke der Ähnlichkeit einstellt, liegt daran, dass wir uns selbst so verstehen, als würden wir zwischen Mustern anhand von Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit unterscheiden, falls geeignete Klassifikationsregeln nicht angebbar oder anwendbar sind“ (ebd.: 90 f.; Herv. i. O.; vgl. auch Dreyfus 1993).

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PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

Die Reichweite der Theorie Ein weiterer theoretisch relevanter Unterschied bezieht sich auf die Reichweite der entsprechenden Theorie. Man ist sich einig, dass neuronale Netze besonders erfolgreich sind, wenn es um kognitive Leistungen geht, für die die Fähigkeit der Mustererkennung und der Kategorisierung entscheidend ist. Die Bereiche der Kognition, in denen der Enthusiasmus für den Konnektionismus seit den neunziger Jahren besonders groß ist, sind daher schnelles Wiedererkennen, assoziatives Gedächtnis, kategoriale Verallgemeinerung und weitere Funktionen, die den Bereichen Aufmerksamkeit oder wahrnehmungsbasierter Wissensrepräsentation zugeordnet werden. Für einige Probleme in diesen Bereichen hat die kognitivistische KI wenig überzeugende Ergebnisse geliefert. Zudem scheinen konnektionistische Modelle durch ihre Ähnlichkeit zu biologischen Systemen die Integration von Neuro- und kognitiven Wissenschaften zu vollziehen, und sie sind dennoch allgemein genug für Übertragung auf Sprachgebrauch oder visuelle Wahrnehmung. Gleichwohl sträuben sich nach wie vor viele Kognitionswissenschaftler dagegen, den Konnektionismus als eigenständiges Paradigma der Kognition anzuerkennen, gerade weil seine Modelle hauptsächlich für niedrige kognitive Prozesse adäquat scheinen. Das Argument ist, dass im engeren Sinne kognitive Prozesse nur wenig mit Mustererkennung zu tun hätten, sondern mit Überlegen und Schließen (vgl. z.B. Gardner 1989: 415; Beckermann 1997; Scheerer 1988, 1992; Städtler 1998: 582 f.). ‚Bedeutung‘ im Konnektionismus Mit dem Kognitionsbegriff erhält auch der Bedeutungsbegriff eine andere Konnotation, da Symbole nicht mehr die zentrale Rolle bei Wissensbildung und -repräsentation spielen: Kognition ist der kognitivistischen Definition nach nicht denkbar ohne die Verarbeitung von Symbolen nach bekannten, logischer Regeln. Im Konnektionismus dagegen versteht man Kognition als „Emergenz globaler Zustände in einem Netzwerk, das aus einfachen Bestandteilen besteht“, sie funktioniert, indem sich die Konnektivität zwischen den Elementen verändert 40 (Varela 1990: 77). Das heißt für die Erklärung von kognitiven Prozes-

40 Genauer: Symbolische Rechenprozesse werden ersetzt durch numerische Operationen, z.B. Differenzialgleichungen (nicht im algorithmi-

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

sen der Bedeutungsrepräsentation, dass weder ein abgehobener symbolischer Bereich, eine symbolische Repräsentationsebene noch die Lokalisierung von Bedeutung in bestimmten Symbolen vorausgesetzt werden muss. Bedeutung wird durch eine ständig sich verändernde Aktivität konstituiert. Bedeutung, so heißt es bei Varela (1990: 79), „ist bestimmt durch die Funktion des Gesamtzustandes des Systems“. Das meint: Die Bedeutung einer Wahrnehmung oder einer Aktivität durch ein System ist bestimmt durch das Funktionieren des gesamten Systems in einem bestimmten Bereich (z.B. Lernen), und das heißt wiederum, da das System ja aus einem Netzwerk von sehr einfachen Elementen (nicht: Symbolen) besteht, dass kognitive Leistungen auf der „subsymbolischen Ebene“ (Smolenksy 1988, 1990) aufgebaut werden, so wie sie – dem Symbolverarbeitungsansatz zufolge – auf einer höheren Ebene aus diskreten Symbolen aufgebaut werden. Die Bedeutung ‚befindet sich‘ aber im neuronalen Netzwerk gar nicht ‚in‘ diesen Bestandteilen, sondern ist eher ‚in‘ den komplexen Aktivitätsmustern lokalisiert, die sich aus der Interaktion vieler solcher Bestandteile entwickeln. Gleichwohl bleibt Wissen Repräsentation. Auch in neuronalen Netzen spielen Repräsentationen eine zentrale Rolle. Allerdings liegen sie in dynamischerer Form vor, sind „selbst aktiv“ (Engel/König 1998: 172-174). Sie existieren in Form emergenter Aktivitätsmuster, nicht verkörpert in einem festen Symbol (wenn man so will handelt es sich nicht um „strukturierte Repräsentationen“). Allerdings ist der Repräsentationsbegriff für konnektionistische Modelle nicht eindeutig bestimmt. Gelten die Aktivationsmuster einzelner Einheiten bereits als Repräsentationen? Und wenn ja, wie ist dann damit umzugehen, dass diese nicht „diskret“, sondern eben qua Dynamik des Netzes und fließendem Übergang zwischen den Aktivationsmustern mehrerer Einhei41 ten „unscharf“ sind? Mit Sicherheit jedoch gilt wie oben ausführlich erläutert die Computationalismusthese, die besagt, dass diese Repräsentationen eine syntaktische Struktur aufweisen und ihr repräsentationaler Gehalt in rein formaler Weise individuiert ist, für konnektionistische Modelle nicht (vgl. Münch 1998: 31).

schen Sinn verstanden), die ein dynamisches System lenken und strukturieren (vgl. Varela 1990: 78). 41 Vgl. zur innerkonnektionistischen Diskussion über diese Frage etwa Beckermann (2001).

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PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

4.2

Die Rezeption konnektionistischer Modelle in der kognitiven Psychologie

Die These der syntaktischen Struktur kognitiver Prozesse wird von vielen Vertretern des Konnektionismus explizit abgelehnt, sie halten es sogar für einen Vorteil, ohne diese These auszukommen. Ihre Argumente sind dabei teils empirischer, teils theoretischer Natur. Sie lauten: Es ist unplausibel, anzunehmen, dass unser Gehirn wie ein Computer arbeitet; es ist nicht zu erklären, wie struktursensitive Prozesse, auf denen RTG zufolge alle kognitiven Leistungen beruhen, evolutionär entstanden sein könnten; bisher sind Versuche, bestimmte wahrnehmungs- und aufmerksamkeitsbasierte kognitive Leistungen, wie etwa beim Gehen nicht umzufallen, einen fliegenden Ball zu fangen, ein Gesicht wiederzuerkennen, mithilfe formaler Prozesse zu klären, gescheitert (vgl. Gold/Engel 1998; Münch 2000). Fällt der Vorwurf, dass die Geltung von Netzwerkmodellen auf basale kognitive Operationen im Bereich der Aufmerksamkeit oder der wahrnehmungsbasierten Wissensrepräsentation beschränkt bleibe, wird argumentiert, dass neuronale Netze sich schließlich trainieren ließen, oder fundamentaler, dass die Fähigkeit zur Mustererkennung in vielen Fällen für kognitive Prozesse viel wichtiger sei als die Fähigkeit zum logischen oder quasilogischen Schließen (vgl. Dreyfus/Dreyfus 1989; Varela 1990; Städtler 1998). Die oben bereits ausführlicher dargelegten Vorteile des computationalistischen Modells setzen dem zunächst einmal Folgendes entgegen: Wie die KI-Forschung zeigt, lasse sich das gesamte kognitive Verhalten sowohl von Menschen als auch von höheren Tieren auf der Grundlage dieser Theorie vollständig erklären (z.B. Fodor 1975; Anderson 2001). Die logische Grundlage der RTG kann erklären, warum in einer Reihe alltagspsychologischer Gesetze nicht nur auf den Inhalt der mentalen Repräsentation, sondern auch auf ihre logische Form Bezug genommen wird (‚wenn jemand a glaubt und wenn er auch ‚wenn a, dann b‘ glaubt, dann glaubt er auch b‘) und warum Kausalbeziehungen zwischen intentionalen Zuständen häufig die semantischen Beziehungen zwischen ihren Inhalten widerspiegeln bzw. Rationalitätsprinzipien respektieren. Ein häufig vorgebrachter Einwand gegen den Konnektionismus, der für die Computationalismusannahme spricht, zielt auf die Schwierigkeit ab, im Rahmen des Konnektionismus die Systematizität und Produktivität unseres Denkens zu erklären (wenngleich man erwidern kann, dass es keineswegs klar ist, dass alles Denken das Merkmal der Systematizität aufweist). Um als eigenständige Theorie des Mentalen gelten zu können, so dass Argument, müs135

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

se der Konnektionismus erklären können, warum intentionale Zu42 stände zumindest bei erwachsenen Menschen systematisch sind. In der kognitiven Psychologie ist der Konnektionismus mittlerweile als Konkurrenzprogramm zum klassischen Kognitivismus akzeptiert, wenngleich die entsprechenden Forschungen noch als im Aufbruch befindlich begriffen werden. Es wird auch gesehen, dass der Konnektionismus durch das Aufgreifen von Analogien zur Funktionsweise neuronaler Netze einen Weg aufzeigt, wie eine zumindest partielle Abkehr von der Vorstellung möglich ist, der Gedächtnisapparat lasse sich auf funktionaler Ebene als sequenziell arbeitendes Computerprogramm mit entsprechend computeranalogen Speichermedien usw. verstehen (Hartmann/Zitterbarth 2001: 308; s. Kap. I, 4). Gleichwohl besteht kaum die Gefahr, dass der Konnektionismus – zumindest was seine Relevanz innerhalb der kognitiven Psychologie betrifft – den klassischen Kognitivismus verdrängen könnte, so wie es beispielsweise Varela vorhergesagt oder gewünscht hatte (s.o.). Konnektionistische Modelle stellen für die meisten ihrer Vertreter nicht in erster Linie eine Kritik am klassischen Informationsverarbeitungsansatz dar. Eher handelt es sich um eine eigene Tradition von Modellen der Informationsverarbeitung, in der „verstärkt auf die neurophysiologische und neuroanatomische Plausibilität Wert gelegt wird“ (so etwa Städtler 1998: 583). Dazu kommt noch die erwähnte Aufteilung des Gegenstandsbereichs der kognitiven Psychologie: Höhere kognitive Prozesse, wie etwa Überlegen, logisches Denken und Schlussfolgern, lassen sich gut durch Modelle darstellen oder simulieren, denen der kognitivistischen Ansatz zugrunde liegt, dagegen versagen hier bislang alle Versuche der neuronalen Modellierung. Mit ihrer Hilfe gelingt es dafür besser

42 Eine Antwortstrategie der Konnektionisten war der Hinweis, dass es auch in neuronalen Netzen eine gewisse Kompositionalität der Repräsentationen geben kann (also z.B. Repräsentationen, die bestimmte Teile anderer Repräsentationen enthalten) und dass diese Struktur auch bei der Verarbeitung eine Rolle spielt (struktursensitive Verarbeitungsprozesse). Diese Argumentation läuft allerdings erstens Gefahr, den Unterschied zwischen Konnektionismus und Repräsentationalismus zu nivellieren, nicht zuletzt indem suggeriert wird, dass neuronale Netze nur Implementationen kognitivistischer repräsentationaler Systeme seien. Manchen Psychologinnen und Psychologen, die mit konnektionistischen Modellen arbeiten, unterläuft aber womöglich diese Engführung, da sie auf den theoretischen Unterschied zwischen Konnektionismus und Kognitivismus nicht ausführlich eingehen (vgl. z.B. Schaub 2001).

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PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

als mit computationalistischen Methoden, Prozesse der Aufmerksamkeit, Mustererkennung und andere wahrnehmungsbasierte kognitive Leistungen zu modellieren und zu untersuchen. Auch diese Aufteilung der Anwendungs- und Forschungsbereiche scheint eher für ein Nebeneinander der beiden Ansätze innerhalb der kognitiven Psychologie zu sprechen als für die Kritik (oder gar Ablösung) des einen durch den anderen. Damit scheint es, als sei gerade diejenige Alternative zum Kognitivismus, die auch innerhalb der kognitiven Psychologie aufgegriffen wird – der Konnektionismus – im Grunde keine Alternative und noch weniger eine Kritik im Sinne eine kritischen Auseinandersetzung mit seinen Grundlagen und deren methodologisch-methodischer Umsetzung. Der Konnektionismus, so wie er in der kognitiven Psychologie heute verstanden und aufgegriffen wird, stellt weder die philosophischen Grundlagen oder theoretischen Begriffe des klassischen kognitivistischen Ansatzes der Informationsverarbeitung ernsthaft in Frage, noch die alltags- und praxisfernen Methoden der KI. Damit bleibt auch die Kritik des Kognitivismus durch den Konnektionismus hinter den kritischen Perspektiven Putnams, Searles und Dreyfus’ zurück. 4.3

Konnektionismus und Alltagswissen

Dreyfus (1993) hat die Spezifika des konnektionistischen Modells explizit auf ihre Verwendbarkeit bei der Darstellung von CommonsenseWissen hin untersucht. Er weist kritisch darauf hin, dass die rationalistische Grundannahme, derzufolge intelligentes Verhalten regelgeleitet sein muss, bzw. derzufolge man „von einem Bereich eine Theorie abstrahieren (können) muss, um sich in ihm intelligent zu verhalten“ mit der Einführung konnektionistischer Modelle zunächst scheinbar an Überzeugungskraft verliert (ebd.: 160). Dass diese Grundannahme nicht immer gelten kann, wird z.B. durch die Fähigkeit zur parallelen Verarbeitung und Emergenz nahe gelegt. Theoriebildung war in vorkonnektionistischen Modellen mehr oder weniger gleichgesetzt mit der Fähigkeit, die invarianten Merkmale zu finden, mit denen man spezifische Situationen auf angemessene Reaktionen abbilden kann. Als die Modellierung mittels neuronaler Netze in Mode kam, nahmen die traditionellen KI-Forscher daher an, dass auch die Lerntätigkeit der unsichtbaren Knoten eines trainierten Netzes darauf beruhen würde, dass sie solche relevanten Merkmale entdecken und speichern – genau diese Annahme ist aber problematisch: Wenn beispielsweise mehrere (vorwärtskoppelnde) neuronale Netze mit unterschiedlichen InitialBindungsstärken darauf trainiert werden, einen gegebenen Satz von 137

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Input/Output-Mustern zu produzieren, so gelangen auch bei korrekten Antworten nicht automatisch alle zu denselben, invarianten höherstufigen Merkmalen. Damit kann der kognitivistische Theoriebegriff nicht angewendet werden, da er die Notwendigkeit invarianter Regeln oder Prozeduren impliziert. Dies ist für Dreyfus ein Beleg für die Annahme, dass es für das Sich-Zurechtfinden in einem Fähigkeitsbereich nicht der Abstraktion einer Theorie des betreffenden Bereiches bedarf, und dass es der Konnektionismusforschung gelungen ist, dies zu zeigen (vgl. ebd.: 670 f.; s. Kap. II, 4.2). Für Dreyfus ist nun interessant, wie die Netze dann zu ihren Begriffen oder höherstufigen Merkmalen gelangen, und ob wir damit die Fähigkeiten simulieren können, die wir auch im Alltag anwenden, wenn wir uns einen Begriff von etwas machen. Am Beispiel der Assoziation und der Generalisierung von Beispielen zeigt er, dass auch hier „das Problem des Commonsense-Wissens“ bestehen bleibt. Generalisierung von Beispielen meint, dass ein System auf der Grundlage einer bestimmten Anzahl von Inputs solche desselben Typs finden können muss. Was aber ist ein Typ? Kann es nicht sein, dass ein Netz, welches zu höchst brauchbaren Antworten gelangt, irgendwann eine völlig anders geartete Antwort produziert, da es die ganze Zeit auf einen anderen Typ generalisiert hatte, als die Forscher, die die Ergebnisse bewerteten? Aus derlei Fällen leitet Dreyfus ab, dass „ein Netzwerk unser Alltagsverständnis der Welt teilen muss, wenn es auch unseren Sinn für angemessene Verallgemeinerung besitzen soll“ (ebd.: 671 f.). Man kann, so sieht es Dreyfus, von den Netzen selbst keine den menschlichen Generalisierungsleistungen gleichende Verallgemeinerungen erwarten, sondern der Designer müsste die Bedingungen für 43 mögliche Verallgemeinerungen vorab festlegen. Jedoch auch dann würde das Netz eben nicht selbst über Alltagsverstand verfügen, denn „in real-weltlichen Situationen besteht ein großer Teil menschlicher Intelligenz in Verallgemeinerungsweisen, die einem Kontext angepasst sind“, daher muss wirklich menschliche Intelligenz auch „zur Anpassung an andere Kontexte befähigen“ (ebd.: 673). Auch Varela (1990) sieht als größtes Problem des Kognitivismus und des Konnektivismus „dass in den gegebenen Definitionen von Kognition der gesunde

43 So wie es Konstrukteure moderner kognitionspsychologischer Produktionensysteme auch versuchen. Schaub beschreibt als zentrale Eigenschaften, die autonomen, intelligenten Softwareagenten in virtuellen Systemen mitgegeben werden müssen: „Überzeugungen (beliefs), Wünsche (desires) und Absichten (intentions)“ (2001: 100).

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PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

Menschenverstand völlig fehlt“ (ebd.: 89). Auch die unterschiedlichen Strategien, mit deren Hilfe die Vertreter der konnektionistischen KI versuchen, diesen Anforderungen gerecht zu werden (Anpassung der Netze hinsichtlich Größe, Architektur oder Initial-Bindung an die Struktur des menschlichen Gehirns; überwachtes Training neuronaler Netze oder Verstärkungslernen) verleihen dem Netz nicht die Fähigkeit zu lernen, welche der Situationsmerkmale als relevant zu behandeln und bei der Festlegung von Aktionen und Werten zu berücksichtigen sind. Dreyfus schließt seinen Aufsatz mit der Antizipation des Scheiterns der konnektionistischen KI-Forschung: „Und so unwahrscheinlich es ist, dass der Bau eines Gerätes gelingen würde, das unser Menschsein in einem physischen Symbolsystem erfassen würde, so unwahrscheinlich ist auch die Machbarkeit eines Gerätes, das uns hinreichend ähnlich ist, um in unserer Welt handeln und lernen zu können“ (ebd.: 680).

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Resümee: Von der syntaktischen Modellierung der Kognition zur pragmatischen Fundierung des Wissens

Resümieren wir die skizzierten Positionen: Bereits mit Ryle kann man die intellektualistische Vorstellung kritisieren, derzufolge Bedeutung aus einer Art semantischer Instanz, die im Kopf vorhanden oder gespeichert ist, entnommen würde. Für Ryle ist alles Wissen Handlungsdisposition: Mentale Ausdrücke bezeichnen Dispositionen, sich so oder so zu verhalten. Ryles Theorie des Geistes wird zunehmend von Theoretikern und Theoretikerinnen aufgegriffen, die sich ähnlich wie Ryle um einen nicht-intellektualistischen, sondern praktischen Wissensbegriff bemühen, wie er etwa auch in neueren sozialtheoretischen Arbeiten Bourdieus (1999), zu finden ist. Man bezieht sich auf Ryles Unterscheidung zwischen Können und Wissen und betont das pragmatistische Element seiner Argumentation (vgl. z.B. Schneider 2000; Renn 2000). Ganz im Gegensatz zu Ryles Konzept des Geistes steht Fodors Modell, das auf Chomskys Generativer Grammatik basiert: Das Gehirn enthält einen neuralen Code, der direkt in der neuralen ‚Hardware‘ realisiert ist. Gedanken sind Vorkommnisse von Formen dieses Codes und besitzen als Formen der Lingua mentis bestimmte syntaktische Merkmale. Sie besitzen zwar auch semantische Merkmale, die jedoch durch die syntaktischen Merkmale, welche kausale Relationen zwischen Symbolen repräsentieren, bewahrt werden. Damit stellt Fo139

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

dor gerade die ursächliche Beziehung (mentale Zustände verursachen Verhalten) ins Zentrum, gegen die Ryle sich gewendet hatte. In einem bestimmten mentalen Zustand zu sein, heißt bei Fodor in einer Relation zu einer mentalen Repräsentation stehen (wie z.B. in der Relation ‚hoffen, dass‘ zur Repräsentation ‚Peter kommt‘). Unter Rückgriff auf alltagspsychologische Bestimmungen mentaler Zustände leitet Fodor z.B. die Kompositionalität mentaler Repräsentationen ab (jeder komplexe geistige oder sprachliche Sachverhalt ist aus einer Reihe von elementaren Bestandteilen zusammengesetzt denkbar, was bei deren Analyse irgendwann auf elementare Symbole führt, die durch elementare Regeln kombiniert werden). Damit ist gleichzeitig die Produktivität des Denkens und Sprechens und ihre prinzipielle Verständlichkeit erklärt (hier wird die Anleihe bei Chomskys Generativer Grammatik deutlich) und die These begründet, dass man Bedeutungen unter Rückgriff auf formale, syntaktische Verarbeitungsprozeduren produzieren kann. Das menschliche Gehirn und die Zentralprozessoreinheit des Computers gelten gleichsam als unterschiedliche physikalische Realisierungen einer abstrakten funktionalen Organisation oder kognitiven Architektur. Mentale Zustände selbst sind funktionale, d.h. durch ihre kausale Rolle im Gesamtsystem spezifizierte Zustände, die man (prinzipiell) sowohl dem Gehirn als auch einer Maschine zuschreiben kann. Kognitivistische Modelle beruhen heute noch implizit oder explizit auf dem symbolverarbeitenden Ansatz Fodors. Der vehementeste Kritiker der RTG, John Searle, wandte dagegen ein, dass die perfekte syntaktische Beherrschung aller Regeln, die Verstehens- oder Sinnbildungsprozessen (etwa beim Sprachverstehen) zugrunde liegen, nicht zum Verstehen der auf der Basis solcher Regeln produzierten Aussagen führen kann: „Syntax is not sufficient for semantics“ (1984: 31). Das Verstehen von Bedeutungen ist nach Searles Definition von Semantik eng an die Fähigkeit des Bewusstseins, an Intentionalität und Subjektivität gebunden (vgl. Searle 1980; noch deutlicher macht er diesen Standpunkt 1984). Searle vertritt mit seiner Konzeption von Intentionalität eine internalistische Position innerhalb der sprachanalytischen Bedeutungstheorie, d.h. er misst der Person im Vergleich zu externen Faktoren den entscheidenden Einfluss auf die 44 Individuierung von mentalen Zuständen zu. In Intentionalität (1987: 44 Für Searle steht dabei (wie für Fodor) empirisch außer Frage, dass Intentionalität und andere mentale Phänomene durch Vorgänge im Gehirn und im ZNS verursacht und in diesen Vorgängen realisiert sind

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PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

21) schreibt er: „Sprache leitet sich von der Intentionalität her und 45 nicht andersherum.“ Dem steht die Position Putnams gegenüber, der zunächst die solipstische, konstruktivistische und skeptizistische Lesart der RTG mit seinem Gedankenexperiment über die ‚Gehirne im Tank‘ kritisiert hat. In der zweiten oben zitierten Position Putnams, die er in einigen der Kritik an Fodors RTG gewidmeten Kapiteln seines Buches Realität und Repräsentation (1990) bezieht, geht es explizit um die Frage, wie sich der Geist doch irgendwie auf die Realität bezieht, sich in sie einschreibt, sich an ihr ‚festmacht‘. Putnam versucht sich im Zuge dieser Bemühungen immer eindeutiger an einer Kombination von Realismus und Pragmatismus. Bereits 1981 hatte er seine Position, die er später auch als „pragmatischen Realismus“ (Putnam 1987) bezeichnete, unter der Bezeichnung „interner Realismus“ entwickelt. Die Leitgedanken dieser kritischen Position (z.B. 1992a: 250). In welcher Weise die spezifischen Kausalkräfte des Gehirns Intentionalität und andere mentale Zustände erzeugen, vermag Searle nicht genau zu sagen. Er hat aber wiederholt darauf hingewiesen, dass diese ontologische Frage danach, wie ganz bestimmte mentale Zustände neurophysiologisch verursacht werden bzw. was sie ontologisch gesehen ‚sind‘, für die Intentionalität eines mentalen Zustandes völlig belanglos ist. Es kommt vielmehr auf dessen logische Eigenschaften, psychischen Modus und Repräsentationsgehalt an. Diese aber lassen sich in der Sprache des Bewusstseins beschreiben – welches freilich genetisch aus biologischen Prozessen emergiert (vgl. Schäfer 1994: 36 f.). 45 Der Internalismus Searles – also die Auffassung, dass es den Fähigkeiten oder Möglichkeiten der Person obliegt, mentale Zustände zu individuieren – ist aber nicht solipsistisch gedacht. Searle geht es zwar um die logische Abhängigkeit sprachlicher Repräsentationen von intentionalen Zuständen, die er als eine ihren Hintergrund bildende Ebene beschreibt. Er spricht dabei jedoch von einem „Hintergrund von etwas, das ich – mangels eines besseren Ausdrucks – als nicht-repräsentationale geistige Fähigkeiten bezeichne. […] Jede Form von Intentionalität setzt gewisse grundlegende Arten und Weisen des Handelns voraus – ‚wie man gewisse Sachen macht‘ – und auch bestimmte Formen des Know-how über das Funktionieren gewisser Sachen“ (1987: 39). Darüber, woher dieses Wissen ‚stammt‘ erfährt man bei Searle nichts. Zusätzlich bekennt sich Searle im selben Atemzug zu einem holistischen Bedeutungskonzept und behauptet, dass „intentionale Zustände im allgemeinen Bestandteile von Netzwerken intentionaler Zustände sind“, woraus u.a. folgt, dass sie sich gar nicht säuberlich individuieren lassen: „Wieviele Überzeugungen habe ich genau? Auf diese Frage gibt es keine bestimmte Antwort“ (ebd.).

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

(die sich gegen einen „metaphysischen Realismus“ wendet, der davon ausgeht, dass Wahrheit doch irgendeine Art der Entsprechungsbeziehung zwischen Geist und Welt meint und damit wahres Erkennen idealiter als fingiertes God’s Eye vorstellt) skizziert er so: „Was ich sagen möchte, ist, dass die Elemente dessen, was wir ‚Sprache‘ oder ‚Geist‘ nennen, so tief in das eindringen, was wir ‚Wirklichkeit‘ nennen, dass die Unternehmung, uns als die Abbildenden von etwas darzustellen, von vorneherein verhängnisvoll kompromittiert ist“ (1993: 249). Das ist die eine, die Realismus-kritische Seite des internen Realismus. Andererseits wendet sich Putnam aber gegen die solipsistische Vorstellung (die Fodors Funktionalismus, aber auch Putnams eigener früherer Position zugeschrieben werden kann), derzufolge auf formalistische Weise erklärt werden kann, wie die mentale Repräsentation von Gegenständen zustande kommt (Putnam 1995: 46, 77; vgl. Nagl 1998: 152 f.). Dazu bezieht er sich auf die Arbeiten William James’ und John Deweys, dies allerdings mit dauerndem Blick auf Wittgensteins Spätwerk, mit den klassischen Pragmatisten möchte Putnam nicht verglichen werden. Gleichwohl ist der Bezug auf das klassische pragmatistische Denken in Putnams neueren Texten verstärkt präsent, so dass man von einer sukzessiven Annäherung Putnams an den Pragmatismus reden kann (vgl. Raters 2002). Denn im Rückgriff auf die klassischen pragmatistischen Motive macht Putnam deutlich, dass die Abwendung von der Abbildtheorie der Wahrheit nicht zwingend zu relativistischen Konsequenzen führt. Der Putnam-Kenner Ludwig Nagl findet für Putnams Position die Umschreibung einer „komplexen bipolaren Grunderfahrung“, die beinhaltet, „beides ernstzunehmen, das Motiv der Falsifizierbarkeit aller Wahrheitsansprüche und den Antiskeptizismus, auf dem die Orientierungsleistungen unserer alltäglichen Lebenswelt aufruhen“ (Nagl ebd.: 154; Herv. i. O.). Der Neopragmatismus Putnams, meint Nagl, will die in dieser Bipolarität enthaltene Spannung – im Unterschied etwa zu seinem Kollegen Rorty – nicht durch reduktionistischen Zugriff auf nur eine Seite abbauen (vgl. dazu auch Putnam 1995, 1999). Aus einer anderen philosophischen Tradition heraus, nämlich mit Bezug auf Heidegger; Merleau-Ponty und Husserl, hat Hubert L. Dreyfus die kognitivistisch-intellektualistische Sichtweise auf das Phänomen der Kognition ebenfalls eingehend kritisiert. Für ihn sind die Inhalte des semantischen Wissens nicht aus dem alltagsweltlichen Kontext, der auch ein Kontext der Alltagsgegenstände ist, herauszulösen. Erschließen oder be-greifen kann man diese kontextgebundene Bedeutung der Alltagswelt nicht durch Abbildung in einer Menge 142

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

kontextfreier Elemente, sondern durch die Aktualisierung von Fertigkeiten des Umgangs mit den Gegenständen der Alltagswelt. Und dies wiederum geschieht, so schreibt Dreyfus 1989 mit Bezug auf Heidegger, „im Kontext eines sozial organisierten Nexus von Werkzeug, Zweck und menschlichen Rollen. […] Dieser Kontext oder diese Welt und unsere alltäglichen Methoden des Umgangs mit ihr, die Heidegger ‚Umsicht‘ nannte, sind nicht etwas, was wir denken, sondern Teil unserer Sozialisation, die uns so formt, wie wir sind“ (ebd.: 16; Herv. i. O.). Dreyfus zufolge ist die Repräsentation dieser Art der Welterkenntnis, die er als „Phänomenologie des Alltags-Know-How“ (1993: 659) bezeichnet, ein „Modus der Speicherung unserer Welterfahrung […], der die von der symbolischen KI geforderte Form der Weltdarstellung nicht involviert“, da unser Alltagsverstand für Dinge, aber auch für Soziales, wie ein Geschenk, „eher auf dem ‚Wissen, wie‘ als auf dem ‚Wissen, dass‘ “ beruhen (ebd.: 664). Wir sehen, dass alle genannten kritischen Perspektiven – ob intentionalistisch und internalistisch (Searle) oder externalistisch und holistisch, bzw. später pragmatistisch (Putnam) oder phänomenologisch (Dreyfus) – sich im Bemühen treffen, diejenigen Prozesse der Bedeutungskonstitution einzufangen, die im Alltag relevant sind. Der Begriff des Alltagswissens ist jedoch, das zeigt sich in allen Fällen, nicht nur an eine spezifische Form der Intentionalität, sondern besonders an die Pragmatik der Bedeutung gebunden. Der – mehr oder weniger explizite – Hinweis auf so etwas wie ein praktisches, d.h. im Handeln bzw. im konkreten Umgang mit Dingen verankertes Wissen findet sich, wenn auch in unterschiedlicher Konnotation, in allen genannten philosophischen Ansätzen. Searle und Putnam haben zunächst eher die Semantik gegen Logik und Syntax abzugrenzen versucht, spätestens der interne Realismus Putnams zeigt jedoch, wie die genannten Perspektiven aus Philosophie und Erkenntnistheorie im Zuge ihrer Kritik des kognitivistischen Bedeutungsbegriffs den Weg von der reinen Syntax über die Semantik zur Pragmatik der Bedeutung frei machen. Dagegen fehlt in den Texten konnektionistisch orientierter Kognitionswissenschaftler in der Regel die Bezugnahme auf theoretische Fragen der Qualität oder Repräsentationsform unseres Wissens. Denn dass Begriffe wie Kognition und Bedeutung im Konnektionismus eng an Aktivitäten (es handelt sich um die Aktivität von Neuronen oder neuronenähnlichen Elementen) gebunden sind, reicht ebenso wenig aus, um von Neuronennetzwerktheorien auf eine pragmatisch gedachte Erkenntnis- oder Wissenstheorie zu schließen, wie die Analogie der z.T. sprunghaft oder zufällig entstehenden Konfigurationen oder Muster zu manchen Koordinationsleistungen in un143

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

serem Alltagshandeln. Das Alltagshandeln ist sinnhaft strukturiert, wenngleich sich dieser Sinn zuweilen nach Regeln bilden mag, die wir nicht explizit rekonstruieren können. An diesem Punkt ist Varela (1990) zuzustimmen, für den das Problem des Kognitivismus und des Konnektionismus gleichermaßen darin besteht, dass die im Alltag entscheidenden kognitiven Leistungen – nämlich: mit Bezug auf den konkreten Handlungszusammenhang und die Situation zu bestimmen und zu erfassen, was wichtig ist – davon, was die Wissenschaft als Kognition definiert und modelliert, kaum betroffen sind. Varela schließt seine kritische Darstellung der Kognitionswissenschaften mit einem Punkt, den auch die kulturpsychologisch oder sozialkonstruktionistisch inspirierte Kritik des Kognitivimus zum Ausgangspunkt nimmt, wenn er schreibt, dass der Anspruch des Kognitivismus, menschliche Kognition vollkommen regelgeleitet darzustellen und zu erklären daran scheitert, dass der Umgang mit Alltagssituationen oder -problemen ein vieldeutiges, nicht durch algorithmische oder logische Regeln abzudeckendes Hintergrundwissen erfordere, welches in der Forschung jedoch zu unangemessener Randständigkeit verurteilt bliebe, da man darauf hoffe, „dass dieses Wissen irgendwann in der Zukunft erklärt und beherrscht werden“ kann. Die Kognitionswissenschaften, so das Fazit, legen sich selbst Steine in den Weg, solange sie sich gegen die Einsicht wehren, dass „die Kognition ohne Berücksichtigung des Alltagswissens nicht angemessen verstanden werden kann, und dieses Alltagswissen in nichts anderem besteht also in unserer körperlichen und sozialen Geschichte“ (1990: 96 f.).

6

Kulturpsychologie und Sozialer Konstruktionismus als kognitivismuskritische Positionen in der Psychologie

Wenngleich es innerhalb der Psychologie nach dem schlagenden Durchbruch des Kognitivismus lange Zeit den Anschein hatte, als könne die in der Philosophy of Mind geführte Debatte das kognitivistische Paradigma der Psychologie nicht erschüttern, so scheint sich das Blatt diesbezüglich doch ein wenig zu wenden. Kognitivismuskritische Positionen in der Psychologie gewinnen neuerdings auffällig an Attraktivität. Hauptsächlich Arbeiten aus der handlungsorientierten Kulturpsychologie (Boesch 1991; Bruner 1990; Straub 1999) oder sozialkonstruktionistische Theorieentwürfe (Still/Costall 1991; Gergen 1994; Potter/Wetherell 1987; Shotter 1993) haben sich etwa seit den achtziger und neunziger Jahren, als die kognitive Psychologie bereits in kognitionswissenschaftlichen Begriffen fundiert und zum zentralen Pa144

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

radigma der Psychologie avanciert war, um eine dezidiert kognitivismuskritische Position bemüht, die durchaus auch grundlagentheoretische oder philosophische Fragen berührt. Diese neueren kognitivismuskritischen Ansätze aus der Psychologie schließen nicht in erster Linie bzw. nicht in allen zentralen Punkten an die philosophische Kritik der RTG an, sie setzen jedoch sowohl für ihre Kritik der kognitivistischen Psychologie als auch für ihre positiven Gegenentwürfe einige der in dieser philosophischen Diskussion erarbeiteten Argumente voraus. Daher sollen nun die aus der psychologieinternen Kritik des Kognitivismus abzuleitenden Vorschläge für die alternative Konzeptualisierung und Modellierung von Kognitionen skizziert werden. Die Darlegung der epistemologischen, theoretischen und methodologischen Argumente einiger dieser postkognitivistischen Psychologie-Konzeptionen wird dann in den Kapiteln IV und V breiten Raum finden. 6.1

Ausgangspunkte

Auch die psychologischen Kritiker des Kognitivismus machen ihre Kritik häufig an der Alltagsferne der durch den Kognitivismus etablierten neuen Begriffe für mentale oder psychische Zustände fest. Bemängelt wird besonders der alltags- und handlungsferne Erfahrungsbegriff, der sich nicht allein dem Vergleich zum Computer, sondern auch laborhaften Grundsituationen kognitionspsychologischer Experimente verdankt (vgl. z.B. Bruner 1997; Gergen 1997; Straub 1999). Theoretischen Anschluss für die Gegenstandsbestimmung einer weniger alltagsfernen Psychologie sucht man erstens in der Theorietradition sozialwissenschaftlicher Handlungstheorien, von Alfred Schütz’ Konzeptualisierung des intersubjektiven Alltagswissens (Schütz/Luckmann 1952) über das interaktionistische Programm der Identitäts- und Handlungstheorie Meads bis hin zu Berger und Luckmanns Sozialem Konstruktivismus und Garfinkels Ethnomethodologie. Zweitens entfalten sich die kritischen Argumente der neueren psychologischen Ansätze mit Bezug auf bestimmte (sprach-)philosophische Positionen. Herausragende Bedeutung kommt dabei der Philosophie des späten Wittgenstein (Wittgenstein 1945/1995) und dem Konzept der „Sprechakte“ zu (Austin 1962; Searle 1969). Durch die Auswirkungen dieser sprachphilosophischen Arbeiten ist man in jüngerer Zeit auch in der Psychologie darauf aufmerksam geworden, dass „Sprache nicht etwa nur Referenz, sondern auch Handlung und Realitätskonstitution miteinschließt“ (Miller 1997: 87) – und dass sich aus dieser grundlegenden Einsicht auch Folgen für die theoretische 145

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Bestimmung des Gegenstands der Psychologie ergeben müssen. Drittens wird in der psychologischen Kognitivismuskritik auch immer häufiger Anschluss an postmoderne und poststrukturalistisch orientierte Positionen, häufig aus den Text- und Literaturwissenschaften, gesucht. Die Konzeptualisierung von Wissen als diskursiv konstruiert soll der Psychologie in erster Linie helfen, über ihren traditionell individuozentrischen Fokus hinauszuwachsen (Gergen 1997). Zusammenfassend lässt sich sagen: In der Regel wird die Diskussion um den Bedeutungsbegriff im Rahmen der psychologischen Kognitivismuskritik längst nicht so detailliert und grundsätzlich geführt wie in der Philosophie des Geistes. Gleichwohl gibt es Parallelen. So hat sich mittlerweile ein Sprachgebrauch durchgesetzt, der durch den Verweis auf die „soziokulturelle“ oder „sozialsemantische“ Praxis und durch die Verwendung des Sprachspielbegriffs zumindest impliziert, dass zur semantischen Ebene der Bedeutung einer Äußerung oder Handlung die Pragmatik der Bedeutung hinzukommt (vgl. Bruner 1990: 1-33; Straub 1999: 38; Gergen 1994, 1999; Potter/Wetherell 1995; Laucken 1998, 2003). Bedeutung bestimmt sich über den Gebrauch, Bedeutungen und Symbole sind daher nicht (nur) Repräsentationen. Dieser Bedeutungsbegriff wiederum lenkt den Blick auf die Frage nach den Regeln, die den Gebrauch bestimmen. Diese Art des Regelwissens gilt es zu untersuchen. Vorausgesetzt wird dabei, dass es sich bei diesem für die Alltagspraxis konstitutiven Wissen – im Unterschied zu dem für symbolverarbeitende Sinnsysteme relevanten Regelwissen – um (implizites) Anwendungswissen handelt. Darüber hinaus ergibt sich für viele Vertreter moderner kognitivismuskritischer Ansätze in der Psychologie aus diesen gegenstandstheoretisch bedeutsamen Prämissen die methodische Ausrichtung an einer interpretativen Methodologie. 6.2

Erste Kriterien für einen postkognitivistischen Wissensbegriff

Bevor wir die Argumente der psychologie-internen Kognitivismuskritik und besonders die Vorschläge für eine Alternative näher ausführen (in den Kapiteln IV und V), erscheint es sinnvoll, einige zentrale Gemeinsamkeiten der unter diesem Stichwort zusammengefassten Denkrichtungen aufzuführen. Diese sollen dabei dahingehend zusammengefasst werden, welche Aspekte sie für einen alternativen psychologischen Wissensbegriff einfordern und welche den Gegenstand der Psychologie betreffende Veränderungen damit einhergehen. Selbstverständlich bedeutet eine solche Auflistung immer eine künstliche Trennung. Die 146

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

hier unterschiedenen Aspekte verstehen wir nicht als eigenständige Merkmale des Gegenstands (Wissen), und es ist auch selbstverständlich, dass die jeweils angesprochenen Charakteristika nicht voneinander unabhängig sind, sondern sich ergänzen bzw. einander implizieren. Hält man all das für vertretbar, könnte eine solche Zusammenfassung die im Folgenden aufgelisteten Kriterien für eine positive, über den kognitivistischen Wissensbegriff hinausgehende Bestimmung von Wissen ergeben. (1) Konstruktion statt Repräsentation Wissen ist nicht als Repräsentation, sondern immer auch als Konstruktion zu verstehen. Psychologische Arbeiten neueren Datums bewegen sich tendenziell weg von einem rein repräsentationalistischen Wissensbegriff. Man geht zunehmend davon aus, dass der Mensch sowohl in Wahrnehmung als auch im Handeln die Wirklichkeit nicht passiv abbildet, sondern aktiv erschafft. Diese Tendenz einer konstruktivistischen Auffassung von Wissen hat in der Psychologie freilich schon eine lange Tradition: Jean Piagets genetische Epistemologie (Piaget 1945) oder die konsistenztheoretischen Theorieenwürfe der naiven Psychologie (Heider 1957; Kelly 1956; Festinger 1957; s. Kap. III) sind nur einige Beispiele. Auch die kognitivistische dichotome Unterscheidung zwischen Top-down- und Bottom-up-Prozessen (Bransford/Johnson 1972) steht für diese grundsätzliche Frage danach, welche Rolle A-priori-Prozesse bei der Informationsverarbeitung spielen. Allerdings hat der Kognitivismus diese Frage weniger in Bezug auf den notwendig konstruktiven Zugriff auf jedwede Wirklichkeit aufgenommen, sondern eher als Frage danach, wieviel Vorwissen oder „Kontextinformation“ (Anderson 2001) in die Wahrnehmung und deren Weiterverarbeitung mit eingehe – und diese quasi verzerre. Insofern liegt vielen informationstheoretischen Modellen, die selbstverständlich von Top-down-Prozessen ausgehen, letztlich doch ein repräsentationalistisches Modell von Wissen zugrunde. Dagegen heben die kulturpsychologischen und sozialkonstruktionistischen Ansätze den konstruktiven Aspekt aller Wissensbildungsprozesse (z.B. in Anlehnung an Bartlett) als etwas hervor, was diesen Prozessen per definitionem innewohnt (vgl. z.B. Gergen 1999; Straub 2001a).

147

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

(2) Polyvalente Symbole Es wird explizit gefordert, dass Kognitionen sinn- und bedeutungshaltige Konstruktionen sein müssen. Aus kulturpsychologischer Sicht wird betont, dass die interessierenden kognitiven (und anderen mentalen) Prozesse als Konstrukte zu verstehen sind, deren Bedeutung sich nicht allein durch Bezug auf formale, syntaktische Regeln und besonders nicht eindeutig (er-)klären lässt, sondern es ist eine per definitionem polyvalente Sinn- und Bedeutungsstruktur, die der psychosozialen Praxis und ihren Objektivationen anhaftet (Bruner 1990; Boesch 1991; Straub 2001a: 157, 2002: 23). Die Vertreter des Sozialen Konstruktionismus sehen die Frage der Bedeutungskonstitution ebenfalls als zentrales Thema für eine alternative Psychologie an: „How do words and gestures come to have meaning for people“ (Gergen 1994: 253 f.)? Allerdings steht wie erwähnt eine dezidierte Diskussion der bedeutungstheoretischen Grundlagen in Kulturpsychologie und Sozialkonstruktionismus noch aus und damit ist auch nicht geklärt, was hier mit Sinn und Bedeutung gemeint ist. Welche bedeutungstheoretischen Voraussetzungen die genannten Arbeiten implizit beinhalten oder voraussetzen mögen, ist übergreifendes Thema dieser Arbeit und soll nicht zuletzt auch aus den im Folgenden zu nennenden Kriterien heraus einsichtig werden. Aus der Konzeptualisierung von Wissen als bedeutungs- und sinnstrukturiert (bzw. aus beiden bis jetzt genannten Punkten) ergeben sich zunächst einmal auch methodologische und methodische Konsequenzen. (3) Sinnverstehende Methoden Bereits wenn man Kognition als konstruktive Leistungen eines Individuums versteht und die Rolle kognitiver Schemata und anderer Topdown-Prozesse der Informationsverarbeitung, der Wahrnehmung und der Erinnerung betont, so lässt sich bereits dieser im weiteren Sinne konstruktivistische Aspekt nicht mehr mit der positivistischen Methodologie und dem ihr zugrunde liegenden Objektivitätsideal vereinbaren. Die ‚Repräsentationen‘, die das Individuum von der ‚Welt‘ anfertigt, sind dann zwar einmal mehr und einmal weniger, jedoch immer irgendwie durch die Strukturen des kognitiven Systems bestimmt. Dies widerspricht der positivistischen Auffassung des experimentellen Paradigmas, durch Standardisierung und methodische Kontrolle sei ein möglichst objektiver Zugang zur empirischen Realität anzustreben. Gergen meint dazu ganz einfach, dass der Kognitivismus durch die 148

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

Einführung der o.g. Konzepte und Perspektiven zwar ein eher konstruktivistisches Menschenbild nahe legt, dass seine Vertreterinnen und Vertreter jedoch nach wie vor einer Methodologie anhängen, die im Grunde weiterhin eine Theorie des Geistes impliziert, die auf ein empiristisches Weltbild rekurriert (demzufolge Individuen durch Beobachtung akkurates Wissen einer von ihnen selbst unabhängigen Außenwelt erlangen können). „No one has explored the kinds of methods that would result if the view of the individual as inherently rational, information searching, and concept sustaining were extended to the level of scientific practice“ (vgl. Gergen 1997: 26). Diese Feststellung reicht jedoch nicht aus. Die methodologischen und methodischen Implikationen der nicht-repräsentationalistischen Auffassung mentaler Prozesse werden erst wirklich deutlich, wenn es explizit um polyvalente Symbole geht; um Sinngehalte, die als stets aufs Neue auszuhandelnde, nicht vollständig fixierbare Produkte einer symbolisch vermittelten sozialen Praxis zu verstehen sind. Für den Vollzug dieser sozialen Aushandlungspraxis spielen interpretative Prozesse eine entscheidende Rolle (vgl. Gergen 1997; Potter, Edwards/Wetherell 1993; Potter/Wetherell 1995; Straub 1999, 2001a; Miller 1997). Daher erfordert die empirische Erkundung einer solchen Praxis ebenfalls einen deutenden, interpretativen Zugang. Als geeignet haben sich hier beispielsweise ethnographische, konversations- und diskursanalytische Verfahren sowie weitere interpretative Methoden der Auswertung erwiesen (vgl. z.B. Shweder 1990; Schegloff 1993; Potter/Wetherell 1987; Potter/Wetherell 1995; Rogoff 1997; Ochs/Schieffelin 1984; Straub 1989, 1999). Was genau impliziert nun die Rede von der sinn- und bedeutungsstrukturierten Praxis über die Einsicht hinaus, dass die dort ausgehandelten Bedeutungen nicht als Repräsentationen, sondern als sinnhafte Konstruktionen zu verstehen sind, und daher mit interpretativen Mitteln erschlossen werden müssen? (4) Der intersubjektive oder soziale Charakter des Wissens Für die Kulturpsychologie hat z.B. Michael Cole explizit hervorgehoben, dass Schemata nicht unbedingt mentale Strukturen ‚im Kopf‘ einzelner Individuen sein müssen, wie die heutige kognitive Psychologie selbstverständlich annimmt. Cole betont, mit Bezug auf Bartlett: „[S]cripts are not uniquely inside-the-head phenomena but, like all artifacts, participate on both sides of the skin line“ (1996: 128). Die Vertreterinnen und Vertreter der hier interessierenden Ausrichtungen in Kultur- und Sozialpsychologie binden ihre Konzeptualisierung der 149

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Kognition an die Auffassung, dass die Sprache (bzw. allgemeiner: eine soziale Praxis) nicht nur als unhintergehbare Bedingung des Denkens und Erkennens, sondern als intersubjektives Medium angesehen wird, innerhalb dessen die hier interessierenden sinn- und bedeutungshaltigen Konstruktionen interaktiv hergestellt werden. Offen ist damit noch die Frage, was es dann heißt, diese (sprachliche) Praxis in psychologischer Hinsicht zu beschreiben und zu untersuchen. Sozialkonstruktionistische Theorieentwürfe betonen diesbezüglich, dass alles, was wir für mentale Strukturen, für den Gehalt unsere Aussagen, für unser Wissen halten, in den relativ anonymen Strukturen sozialer Diskurse und Praktiken lokalisiert werden kann (Burr 1995: 50). Daraus folgt, dass auch das vermeintlich individuell verfügbare Wissen der Subjekte Produkt oder Ergebnis überindividueller diskursiver Strukturen sei. Kulturpsychologische Überlegungen (oder auch eine in diesem Sinne ‚gemäßigte‘ Variante des Sozialen Konstruktionismus) fügen in der Regel hinzu, dass es immer auch um die Analyse der Kompetenzen und Aufgaben der am Diskurs beteiligten Subjekte gehe. (5) Die besondere Bedeutung des praktischen Wissens Der Hinweis auf den Handlungsbezug allen Zeichengebrauchs ist zentrales Charakteristikum jener neueren psychologie-internen Kognitivismuskritik. Dafür wird insbesondere Wittgensteins Begriff des Sprachspiels aufgegriffen, der Bedeutung als gebrauchsabhängig bestimmt. Der Schritt vom interaktiven ‚Aushandeln‘ der Bedeutungen zu ihrer Gebrauchsbestimmung betont zunächst die Autonomie der Sprachpraxis. Damit verbunden wird aus psychologischer Sicht hier die Frage nach demjenigen Wissen wieder relevant, das Individuen benötigen, um sich an der mehr oder weniger anonym gedachten Verwendungspraxis zu beteiligen. Dieses ist, so Wittgenstein (1956) ein implizites Regelwissen bzw. ein Können im Ryleschen Sinne. Hier schließen sich die meisten sozialkonstruktionistischen und kulturpsychologischen Ansätze an und betonen die Notwendigkeit der Rehabilitierung des praktischen Wissens, das einen anderen ‚kognitiven‘ Status habe als deklaratives Wissen. Die Betonung des praktischen Wissens verdankt sich aber nicht allein dem durch die Sprechakttheorie und durch den späten Wittgenstein geprägten Bedeutungsbegriff. Die damit befassten kulturpsychologischen bzw. sozialkonstruktionistischen Diskurse greifen auch auf theoretische Entwürfe der Soziologie, Philosophie oder Literaturwissenschaften zurück, so etwa neben den mehrfach erwähnten Arbeiten Ryles, auf Schriften Giddens’ und 150

PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN UND KRITIK DES KOGNITIVISMUS

Bourdieus, aber auch auf Foucault und Bachtin (vgl. Straub 1999; Potter 1996; Gergen 1994, 1999).

151

Zweiter Teil Psychologische Alternativen zum Kognitivismus

III

Wegbereiter der kognitiven Psychologie

1

Eine Relektüre älterer Wissenstheorien: Unausgeschöpfte Potenziale für die Wissenspsychologie

Während sich viele Vertreterinnen und Vertreter der Kulturpsychologie in der Tradition sozialwissenschaftlicher Handlungstheorien sehen und partielle Verwandtschaften mit Arbeiten von Jean Piaget, Kurt Lewin, Frederic Bartlett, Lev Wygotski, George Herbert Mead bis zu George A. Kelly betonen (die sie im Lichte sprachphilosophischer Neuerungen betrachten), fehlt in sozialkonstruktionistischen Publikationen meist der Bezug auf psychologische Vordenker. Für viele am sozialkonstruktionistisch orientierten Psychologinnen und Psychologen, die sich auch gerne in den Dienst einer „second cognitive revolution“ stellen (Potter/Wetherell 1987; Gergen 1994), ist die Abkehr vom individuozentrischen Programm der Psychologie nur über einen paradigmatischen Richtungswechsel vorstellbar – der sich nicht zuletzt mit Bezug auf poststrukturalistische und dekonstruktivistische Positionen vollziehen soll. Damit wird oft die Annahme verbunden, eine wirkliche Überwindung des Kognitivismus (und der ihn stützenden Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie) sei nur durch den totalen Bruch mit den ‚traditionellen‘ psychologischen (und sozialwissenschaftlichen) Ansätzen zu haben (Gergen 1990, 1997; Potter/Wetherell 1987; Potter 1996 u.a.). Sowohl der Anspruch der Sozialkonstruktionisten, etwas paradigmatisch Neues zu bieten als auch die ablehnende Haltung der nomologischen, kognitivistischen Psychologie gegenüber der kritischen Problematisierung ihrer Befunde, verstellen zuweilen den Blick darauf, 155

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

dass einige Vorschläge für eine auf sinn- und bedeutungsstrukturierte, soziale Handlungen ausgerichtete Psychologie bereits von frühen psychologischen Autorinnen und Autoren stammen, die heute sogar als Vordenkerinnen oder frühe Mitbestreiter der kognitiven Wende gelten. In diesem Kapitel sollen einige jener Ansätze aus den dreißiger bis sechziger Jahren behandelt werden, denen Jerome Bruner attestiert, sie seien – ganz im Sinne der rezenten Kulturpsychologie – angetreten, um „Bedeutung bzw. Sinn zur zentralen Kategorie der Psychologie zu machen“ (1997: 22). Im Jahr 1932 erschien Frederic Bartletts Band Remembering, das sich gegen die von Ebbinghaus inspirierte, assoziationistische Gedächtnispsychologie richtete und bis heute als Versuch der Rekonstruktion einer handlungs- und kulturtheoretisch konzipierten Psychologie gehandelt wird (vgl. Gardner 1989; Bruner 1990a, 2000; Straub 2001a). Diese Auffassung Bartletts vom Gegenstand der Psychologie hatte mit dem spezifischen Stellenwert zu tun, den er kognitiven Vorgängen zusprach. Er vertrat, dass die von ihm hervorgehobenen Prozesse, die mit Schematisierung, Konventionalisierung und Erwartungsassimilation zu tun haben, nicht (allein) individueller Natur sind, sondern von kulturellen Gegebenheiten oder intersubjektiv geteilten Weltbildern abhängen, auf deren Basis dann Schemata und konventionalisierte Bedeutungen konstruiert werden. Diese Einstellung haben die heutigen Kulturpsychologen wieder aufgegriffen (vgl. z.B. Bruner 2000; Straub 2001a). Wir werden uns auf den folgenden Seiten mit Bartletts Wissenskonzeption und deren Bedeutung für Kulturpsycho1 logie und Sozialkonstruktionismus befassen (s. Kap. III, 3). 1

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Selbstverständlich hat auch die russische Psychologie der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts große Bedeutung für die heutige Kulturpsychologie. Das gilt insbesondere für Lev S. Wygotskis gegenstandstheoretische Überlegungen. Wygotski stellte die soziokulturelle Historizität psychologischer Begriffe heraus, wobei die menschliche Tätigkeit (Arbeit) den Ausgangspunkt seiner Analyse bildete. Auch er begriff dabei die soziale Lebens- und Handlungspraxis der Menschen als Basis und als Wesensmerkmal psychischer Erscheinungen (Wygotski 1986). Sein Hauptwerk Denken und Sprechen (1934) gilt als Klassiker der Sprachpsychologie. Dort wird vertreten, dass die Bedeutung von Wörtern auf einer bestimmten, soziohistorisch beschreibbaren Entwicklungsstufe durch praktisches Handeln in der sozialen und materiellen Umwelt erlernt wird und damit erst sprachlich-gedankliche Konstruktionen möglich werden. Wir verzichten aus Zeit- und Platzgründen auf eine Rekonstruktion, die auch für die vorliegende Arbeit von großem Interesse wäre, und verweisen auf neuer kulturpsychologische Arbei-

WEGBEREITER DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

Doch auch Arbeiten, die aus der Zeit des Kognitivismus in den fünfziger Jahren stammen, haben sich für alltägliche Repräsentationsund Konstruktionsleistungen interessiert, und dies durchaus mit dem Anspruch, den Zusammenhang von Wissen und Handeln in den Blick zu nehmen. Dies gilt etwa für Leon Festingers Theorie der kognitiven Dissonanz (1957), für Fritz Heiders mit der Erfassung naiver Handlungserklärungen befassten Psychologie der interpersonalen Beziehungen (1958) und nicht zuletzt für George A. Kellys Theorie der persönlichen Konstrukte (1955), die hier besonderes Gewicht erhalten wird (s. Kap. III, 4). Mit der naiven Psychologie im Sinne Heiders teilt Kelly zwar die Einsicht, dass ein Psychologe, der das Verhalten der Menschen im Alltag erklären will, auch das naiv-theoretische Wissen der Alltagsmenschen analysieren muss. Kellys Werk – die Theorie der persönlichen Konstrukte – betont jedoch weit entschiedener als die Arbeiten seiner Kollegen, dass der Blick auf die besondere Verfasstheit alltäglicher Wissensbestände auch die Gegenstandskonzeption der wissenschaftlichen Psychologie verändern muss. Dieser Anspruch rückt besonders Kellys Theorie weit näher an die rezente Kulturpsychologie und den Sozialkonstruktionismus heran, als es gemeinhin anerkannt wird. Gerade von Vertreterinnen und Vertretern dieser neueren Positionen werden nicht nur die psychologischen Attributionstheorien, sondern im selben Atemzug auch Kellys Konstrukttheorie häufig als zu individualistisch gelesen und fundamental kritisiert (Bruner 1990a; Bannister und Mair 1968; Sarbin 1976; Gergen 1994). Diese pauschale Abgrenzung ist etwas undifferenziert. Es trifft zwar zu, dass die Anschlussfähigkeit der frühen kognitivistischen Arbeiten für die neueren Entwürfe des Sozialkonstruktionismus nur aus einer Rezeptionsperspektive aufscheint, die einer bestimmten, pragmatischen Spachauffassung verpflichtet ist. Und ebenfalls ist es richtig, dass die Texte aus den fünfziger Jahren sich in vielen Fällen noch nicht ausdrücklich von der Sprachauffassung distanzieren, die den Sinngehalt einer Äußerung oder einer Handlung der Intention des einzelnen Sprechers zuschreibt. Es wird sich aber zeigen, dass sich die damaligen Arbeiten, die die Struktur des Alltagswissens untersuchen, diesbezüglich auch dann beträchtlich unterscheiden, wenn man sie in ihrem

ten, die den Bezug zur Kulturpsychologie herstellen (z.B. Eckensberger 1990; Cole 1996; Ratner 2002; Kölbl 2004).

157

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

zeitgenössischen Kontext liest, und dass es benennbare Kriterien für 2 diese Unterscheidung gibt.

2

Der Aufbruch in den psychologischen Kognitivismus

2.1

Jerome Bruner: von der kognitiven Wende zum cultural turn

Unter denjenigen, die in den fünfziger Jahren selbst zu den ersten Kognitivisten zählten, heute jedoch die Abkehr von deren mentalistischem Programm und ihrem Interesse an lebensweltlichen Problemstellungen beklagen, ist Jerome Bruner der wohl bekannteste Psychologe. In seinem 1990 erschienenen Buch Acts of Meaning (1990a, dt. 1997), das für die Kulturpsychologie heute ein Standardwerk ist, plädiert Bruner für ein Revival bestimmter früher Positionen, die während der kognitiven Wende kraftvoll präsent waren und diese – so Bruner – eigentlich ausmachten. Bereits auf den ersten Seiten gibt der Autor seiner Auffassung Ausdruck, dass von diesen ursprünglichen Impulsen heute nicht mehr allzu viel übrig ist: „[T]hat revolution has now been diverted into issues that are marginal to the impulse that brought it into being“ (ebd.: 1). Bruner argumentiert, dass es den frühen Kognitivisten in der Psychologie nicht einfach nur darum ging, das damals vorherrschende behavioristische Forschungsprogramm und Menschenbild mentalistisch zu erweitern (und selbstverständlich wollte man auch keine Rückwendung zum an die Methode der Introspektion gebundenen Mentalismus der Bewusstseinspsychologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts). Man hatte sich tiefer gehende Veränderungen zum Ziel gemacht: Vor allem wurde der Bedeutungsbegriff, so Bruner, in den Jahren, die später als Zeit der kognitiven Wende gelten sollten, gar 2 Die in diesem Kapitel vorgenommene Rekonstruktion derjenigen Wegbereiter des Kognitivismus, die zugleich als Vorläufer bestimmter Aspekte der aktuellen Kritik des (informationstheoretischen) Kognitivismus gelesen werden, wird nicht chronologisch, sondern nach inhaltlichen Gesichtspunkten geordnet. Maßgeblich ist, welche der behandelten älteren Ansätze aus heutiger kulturpsychologischer wie sozialkonstruktionistischer Sicht brauchbare Vorschläge für eine Psychologie vorgelegt haben, die den Begriff der Kognition aufgreifen, ihn jedoch nicht informationstheoretisch verengen, sondern in Bezug auf sinnund bedeutungsstrukturierte Handlungen auslegen.

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nicht von Anfang an informationstheoretisch bestimmt, wenngleich es heute in kognitionspsychologischen Lehrbüchern oder anderen Texten beim Rückblick auf jene Zeit den Anschein hat. Vielmehr habe man sich unter dem Stichwort ‚Kognition‘ zunächst einmal ganz selbstverständlich (auch) mit jenem Wissen befasst, das wenig später als ‚Alltagspsychologie‘ aus den die Kognitionswissenschaften interessierenden Wissensbeständen ausgegrenzt wurde. In ihren ersten Jahren habe sich die unter dem Schlagwort Kognitivismus formierte neue Psychologie beileibe nicht nur „Fragen nach dem Aufbau und der Arbeitsweise unseres ‚Geistes‘ “ gewidmet, sondern darüber hinaus, ganz im kulturpsychologischen Sinne, auch den „Fragen nach der Formung unseres Denkens, Fühlens und Handelns durch Kultur und Historie“ und nach den „symbolischen Tätigkeiten, mit deren Hilfe Menschen nicht nur die Welt, sondern vor allem auch sich selbst konstruierten“ (Bruner 1997: 23). Die Ablösung einer überkommenen Auffassung des Psychischen, die sich am Begriff der Reaktion festmachte, war eine Sache. Ob jedoch an seine Stelle wirklich, wie manche Kulturpsychologen mit Bruner behaupten, der Begriff „kognitiv vermittelten, sinn- und bedeutungsstrukturierten Handelns“ trat (Straub 2001a: 126; Bruner 1990a: 2-33), wird ein Blick auf die begrifflichen Auseinandersetzungen um den Kognitionsbegriff dieser neuen Psychologie, die Bruners Kollegen in den fünfziger und sechziger Jahren am Center for Cognitive Studies in Harvard in zahlreichen Diskursen, Tagungen, Forschungen und Projekten führen konnten, erst noch zeigen müssen. Von dem Interesse der frühen Kognitivististen am Begriff der Bedeutung zeugen zwar zahlreiche Buchtitel oder Aufsätze. Neben der New Look-Bewegung, die in Harvard bereits Ende der vierziger Jahre von Bruner zusammen mit Neil Postman ins Leben gerufen wurde (Bruner/Postman 1948), gilt dies für im engeren Sinne kognitivistische Arbeiten, die unter Titeln wie The Measurement of Meaning (Tannenberg/Osgood 1957) versuchten, Bedeutung(en) methodisch zu fassen (vgl. auch Brunswik 1957; Rapaport 1957). Auch die partiell unabhängig begründete kognitivistische Richtung der psychologischen Attributionstheorien befasste sich damit, wie aus Verhaltensdaten durch ihren Bezug auf Persönlichkeitsdispositionen bedeutungsvolle Einheiten konstruiert werden (Heider 1958; Kelley 1967). Bei der ersten Lektüre verflüchtigt sich in den meisten Fällen jedoch bald der Eindruck, dass sich diese psychologischen Forscherinnen und Forscher wirklich so explizit für die kollektiven Konstruktionen von Sinn- und Bedeutung und die symbolische Qualität des alltäglichen Handelns interessierten: Erstens ging es dieser neuen Psy159

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chologie auch damals ganz selbstverständlich um Probleme der (intra-) individuellen Verarbeitungsweise von Wahrnehmungen, die mittels logischer Operationen durchgeführt wurden. Zweitens wurde dies durchgehend experimentell erforscht. Drittens entzündete sich das, was rückblickend als „das alle faszinierende ‚Ideengemisch über Kognition‘ “ (Posner/Shulman 1979: 374) bezeichnet wurde, zumindest bei denjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in den ersten Jahren der sich entwickelnden Kognitionswissenschaften am renommierten Center in Harvard mitarbeiten konnten, schon früh an Metaphern und technischen Neuentdeckungen aus dem Bereich der Informationsverarbeitung – wodurch eine bestimmte Auffassung menschlichen Wissens und Handelns vorgegeben war. Daher wurde den Forschungen meist ein technizistischer Kognitionsbegriff zugrunde gelegt, der dem an den Naturwissenschaften orientierten Ideal der Messbarkeit und Berechenbarkeit kognitiver Leistungen entsprach. Das gilt auch für die von Bruner selbst zusammen mit George Austin und Jacqueline Goodnow herausgegebene Publikation mit dem Titel A Study of Thinking (1956), die in der aktuellen, kognitiven Psychologie als paradigmatisch für die kognitive Wende und den beginnenden psychologischen Kognitivismus gilt. In ihrer Untersuchung zur Konzeptbildung traten die drei Autoren explizit mit dem Anspruch an, theoretisch wie methodisch ein Zeichen gegen das Paradigma des Behaviorismus zu setzen – wobei die Informationstheorie ausdrücklich als die neue, richtungsweisende theoretische Kraft genannt wird. Das „Geheimnis der black box“ sollte durch den Blick auf Prozesse des Kodierens der als „input“ bezeichneten eingehenden Informationen 3

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Das mag auch daran gelegen haben, dass am Institut in Harvard neben Psychologen nicht Soziologen und Pädagoginnen und Kulturwissenschaftler, sondern Informatiker, Mathematikerinnen, Neurophysiologen und Analytische Philosophen zusammentrafen. Unter Bruners psychologischen Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus jener Zeit waren Edward Tolman, Roger W. Brown, George Miller, Charles Osgood, Fritz Heider und Leon Festinger. Die Hauptthemen, an denen sich der neue Denkstil der kognitiven Revolution in der Psychologie, wie sie sich besonders in Harvard herausbildete, festmachte, bildeten sich in Vorträgen darüber ab, was später als Attributions- und Dissonanztheorie sowie als Informationsanalysen intelligenten Denkens in die psychologische Theoriebildung eingehen sollte (Bruner 1990b: 142). Die ein wenig nach Art von Erlebnisberichten verfassten Bücher von Howard Gardner (1989) und Jerome Bruner (1990b) geben Aufschluss über die unterschiedlichen Disziplinen, die am MIT vertreten waren und machen die Atmosphäre, in der diskutiert wurde, deutlich.

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gelüftet werden (ebd. 1956: VIII). Die Arbeit gelangte aus unterschiedlichen Gründen in den Ruf, paradigmatische Funktion für die Psychologie zu haben. Zunächst wurde sie – zumindest nachträglich – zum Ausgangspunkt für ein neues Methoden-Paradigma (gemacht). Für diese Zuschreibung reichte allerdings schon aus, dass den Versuchspersonen – eben ganz anders als in älteren Experimenten zur Begriffsbildung – auch „eine Aufgabe, die das Denken ermöglicht“, gegeben wurde (Bruner 1990b: 139f.), dass sie wie „aktive, konstruktive Problemlöser behandelt wurden, und nicht so, als könnten sie lediglich auf passiv dargebotene Reize reagieren“ (Gardner 1989: 197). Es störte dabei jedoch nicht, dass alltagsweltliche Situationen, in denen Konzeptbildung relevant ist, in Bruners, Austins und Goodnows Experiment auf eine sehr laborhafte Grundsituation zurückgeführt wurden, 4 indem man sie über eine Art Ratespiel simulierte. Der informationstheoretische Ansatz bewog die drei Forschenden zudem, zunächst nur die Menge an Informationseinheiten zu erfragen, die die Versuchspersonen brauchten, um die Kategorie oder das Konzept zu bilden. Indem man fragte, wie viel „Input“ sie benötigten und wieviele dieser Informationseinheiten wirklich verarbeitet worden waren, konnte man, wie Bruner selbst das rückblickend anmerkt, „qualitative Fragen auf ganz quantitative Art und Weise stellen, genau das, was man von einer guten Forschungsmethode erwartet“ (1990b: 140). Insofern erscheint es heute fast unmöglich – auch wenn man um einen historischen Blickwinkel bemüht ist –, A Study of Thinking als Versuch eines handlungs- und erlebensorientierten Zugangs zu psychischen Phänomenen aufzufassen. Dies leistet das Buch weder in theoretischer noch in methodischer Hinsicht, ganz zu schweigen davon, dass an keiner Stelle wenigstens andeutungsweise die soziokulturelle Einbindung individueller psychischer Phänomene, Prozesse und

4 Der Versuchsleiter fasst aus einem Satz Karten mit unterschiedlichen geometrischen Figuren einen Begriff ins Auge (z.B. ‚rot‘, ‚grün‘, ‚Kreis‘, ‚Rechteck‘ in bestimmter Kombination), die Versuchsperson muss dann eine Karte nach der anderen daraufhin beurteilen, ob sie zu dem Konzept passt. Nach der Wahl wird ihnen von den Versuchsleitern mitgeteilt, ob dieses Kärtchen zur Kategorie gehörte oder nicht. Es geht dann darum, ob, wann und nach welchen Strategien die Versuchspersonen Hypothesen bilden, nach denen sie bei der Wahl vorgehen; z.B. selektive vs. ganzheitliche Identifikation; gleichzeitige vs. sukzessive Prüfung (vgl. Bruner 1990b: 81ff.).

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Funktionen thematisiert wird.5 Die Intention Bruners und seiner Kollegen, nicht nur automatisierte Abläufe kognitiver Informationsprozessierung, sondern Prozesse der Bedeutungsrepräsentation und konstitution zu erforschen, ist aus heutiger Sicht dabei kaum zu erkennen. Der einflussreichste Aspekt der Ergebnisse bestand in der Erkenntnis, dass hinter den Entscheidungen der Versuchspersonen für die Zuordnung zu einer Kategorie längere (kognitive) Handlungssequenzen, eben kognitive „Strategien“ steckten, mit denen man die Testergebnisse treffender erklären konnte als mit einzelnen Reaktionen auf Reizkonfigurationen. Möglicherweise ist es gerade der mathematisch-technischen Terminologie, die sich durch das Buch zieht und diejenigen Stellen einebnet, an denen psychische Prozesse in ihrer sinnhaften Struktur, lebensweltlich oder subjektiv ‚verzerrt‘ bzw. unscharf und interpretationsbedürftig erscheinen könnten, zu verdanken, dass A Study of Thinking zum Aushängeschild für die Partizipation der Psychologie an den sich rasant entwickelnden Kognitionswissenschaften wurde. Die psychologischen Attributionstheorien können als weiteres Beispiel für frühe theoretische Entwürfe gelten, die bereits in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Kognitionsbegriff in den Vordergrund gerückt haben und darauf eine neue Forschungsrichtung gründeten.

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Über dreißig Jahre später reflektiert Bruner selbst die Unzulänglichkeit der experimentellen Methode: „In der Tat war die Art, wie unsere Versuchspersonen an die Lösung unserer einfachen, unnatürlichen Probleme gingen, durch eben diese Unnatürlichkeit der Probleme bestimmt, die wir für sie ausgesucht hatten“ (1990b: 147f.). Die Begriffe, mit denen die Menschen im Alltag meistens zu tun haben, so Bruner, seien nicht von der „formalen, listenhaften Art“, wie die Kärtchen im damaligen Experiment. Sie hätten eine „Bedeutung, einen Nutzwert und eine Bezeichnung“, sie „passen in Erzählungen“, jeder einzelne Begriff hat nicht nur eine Reihe von Merkmalen, sondern beinhaltet „auch eine kleine Geschichte“ (ebd.: 148). Deutlich machen kann die Studie heute, wie hoch der Glaube an das positivistische Wissenschaftsideal von den Vertreterinnen und Vertretern des frühen psychologischen Kognitivismus gehängt wurde: So hoch, dass die Forschenden, wie Bruner wieder über sich selbst sagt, einige faszinierende Dinge, die direkt vor der eigenen Nase lagen, übersahen (vgl. ebd., 1990b: 159).

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WEGBEREITER DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

2.2

Die Anfänge der psychologischen Attributionstheorien

Die Attributionstheorie ist eine zunächst in den USA, sodann aber auch in Europa einflussreiche theoretische Perspektive, die die Prozesse zu verstehen versucht, anhand derer Individuen Ereignissen, besonders aber ihrem eigenen Handeln und dem Handeln anderer, Ursachen zuschreiben. Seit Fritz Heiders bis heute populärer Theorie der Kausalattribution (Heider 1958) ist die Attributionstheorie mehrmals erweitert worden, so etwa durch Harrod H. Kelleys Konzeptualisierung des Alltagsmenschen als naiven Varianzanalytiker (1967), E. E. Jones und K. E. Davis’ Theorie des Korrespondenzschlusses (1965) und Bernard Weiners Analyse leistungsbezogenen Handelns (1986). Es geht den Attributionstheorien – ganz wie in Bruners, Austins und Goodnows Study of Thinking – um individuelle und universelle Gestaltungsprinzipien der Organisation des individuellen Denkens im Bereich sozialer Sachverhalte. Heute werden diese Ansätze als Beiträge der kognitivistisch ausgerichteten sozialpsychologischen Erforschung von Einstellungen rezipiert. Dabei wird der Attributionsprozess als intraindividuelles Phänomen der Informationsverarbeitung betrachtet. Allein der Gegenstand der Kognition, nämlich das Handeln anderer, macht sie zur sozialen Kognition (vgl. auch Hewstone 1983). Die Attributionstheorien wurden von der Gestalttheorie Wertheimers und Köhlers beeinflusst und haben einige Aspekte der gestalttheoretischen Wahrnehmungsgesetze auf den Bereich des Kognitiven übertragen: So liegt den wichtigsten Organisationsprinzipien das Streben nach einer konsistenten Ordnung zugrunde, daher werden die Attributionstheorien übergreifend auch als konsistenztheoretische Ansätze bezeichnet (vgl. Laucken 1998). Auch Leon Festinger, der neben der gestalttheoretischen Schule zusätzlich auf Lewins Feldtheorie zurückgreift, geht in seiner Theorie der kognitiven Dissonanz (1957) davon aus, dass Personen ein Gleichgewicht ihres kognitiven Systems anstreben. Dazu versuchen sie, Wahrnehmungen von Ereignissen und Handlungen in kohärenter Weise zu strukturieren und zu interpretieren, wobei das Hauptkriterium für diese Kohärenz über die Frage nach der Konsonanz bzw. Dissonanz zwischen Kognitionen ausgetragen wird. 2.2.1 Kognitive Dissonanz Festinger versucht, Entscheidungsprozesse oder Einstellungsänderungen damit zu erklären, dass die Existenz von Inkonsistenzen zwischen Kognitionen, also Dissonanz, „psychologisch unangenehm“ und eine 163

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Person dadurch motiviert ist, „Konsonanz herzustellen bzw. weitere die Dissonanz fördernde Kognitionen zu (ver-)meiden“ (Festinger 1978: 16). Dissonanz besteht zwischen „Elementen der Kognition“. Darunter versteht Festinger alle Arten von Wissenselementen, auch „Überzeugungen, Wertvorstellungen oder Einstellungen, die für unsere Zwecke als Kenntnisse fungieren“ (ebd.: 24f.). Zwischen diesen Wissenselementen kann, sofern sie für einander relevant sind, Dissonanz oder Konsonanz herrschen. Die Relevanz von Wissenselementen für einander ist wie folgt bestimmt: Immer wenn aus einem Wissenselement irgendetwas für ein anderes Wissenselement „gefolgert werden kann“, sind die beiden Kognitionen für einander relevant (ebd.; Herv. B.Z.). Ist das nicht der Fall (wenn also aus einem kognitiven Element nichts über ein anderes Element folgt) sind die beiden Elemente für einander irrelevant, und zwischen irrelevanten Paaren von Elementen kann weder Dissonanz noch Konsonanz herrschen. Menschen streben, so Festingers These, grundsätzlich nach Dissonanzreduktion, die sie durch Veränderungen ihrer Kognitionen zu erreichen versuchen: durch Hinzufügen neuer, konsonanter Kognitionen und/oder durch die Herausnahme dissonanter Kognitionen, die vergessen, verdrängt oder ignoriert werden (vgl. Festinger ebd.). Viele Interpreten der Dissonanztheorie, so etwa Beckmann, betonen, dass es sich bei kognitiven Dissonanzen nicht um rein logische, sondern psychologische Inkonsistenzen handelt (1984: 9). Auch Frey und Gaska (1993) beschreiben den konsonanten Zusammenhang relevanter Kognitionen eher als subjektiv-intentional denn als logischformal: „Zwei Kognitionen stehen in einer konsonanten Beziehung, wenn sie für eine Person miteinander vereinbar sind“. Zugleich weisen die Autoren darauf hin, dass, „was für eine Person A psychologisch vereinbar ist, […] für Person B psychologisch unvereinbar sein [mag]“ (Frey/Gaska 1993: 276). Bei Festinger selbst wird ebenfalls deutlich, dass auch er logische, formale Regeln für ungenügend hält, um das alltagsweltliche Konzept dissonanter bzw. konsonanter Kognitionen bzw. Kognitionen überhaupt zu erklären. Er unterscheidet z.B. unterschiedliche Arten der Dissonanz im Zusammenhang mit ihrer Genese. Dissonanz kann durch „logische Inkonsistenz“ entstehen, wenn „in den eigenen Denkprozessen der Person […] aufgrund logischer Regeln das Gegenteil der einen Kognition aus der anderen“ folgt. Sie kann aber auch durch „kulturelle Gebräuche“ entstehen, wenn mein Handeln beispielsweise dem widerspricht, was eine Kultur als richtig „definiert“ (Festinger 1978: 27). Drittens entsteht Dissonanz auch dann, wenn eine Handlung bzw. deren kognitive Repräsentation solchen Kognitionen widerspricht, die durch allgemeines kulturelles Wis164

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sen impliziert werden (beispielsweise impliziert das Konzept, Mitglied der demokratischen Partei zu sein, auch die Handlung, den demokratischen Kandidaten die Stimme zu geben). Diese Unterscheidung erscheint zunächst interessant: Logische Inkonsistenz zwischen Wissenselementen impliziert eine andere Art Wissen als das eher vage Wissen über unterschiedliche oder unvereinbare kulturelle Gebräuche (hier könnten wir annehmen, dass soziokulturelles Wissen gemeint ist, welches in die Lage versetzt, zu erkennen, wann jemand nicht im Einklang mit den Regeln einer soziokulturellen Gemeinschaft oder Lebensform handelt). Und ein Konzept, welches neben Kognitionen Handlungen beinhaltet, scheint die strikte Trennung zwischen theoretischem Wissen und praktischem Tun aufzuheben. Die Bemerkungen Festingers über eine vierte Gruppe von Wissenselementen aus „gewonnenen Erfahrungen“ (ebd.: 24f.) verweist ebenfalls darauf, dass hier möglicherweise unterschiedliche Bewusstheits- oder auch Explizitheitsgrade von Wissen gemeint sind, wenngleich sie nicht ausdrücklich nach diesem Kriterium differenziert 6 werden. Darüber hinaus vertritt Festinger zumindest in seiner frühen Konzeption der Theorie eine scheinbar handlungsbezogene Konzeptualisierung des alltäglichen Wissens, die sich vom kognitivistischen Wissensmodell zu unterscheiden scheint: Auf einem Symposium zum Thema Cognition, das 1955 an der University of Colorado abgehalten wurde, beginnt er seinen Vortrag über Attribution mit den Worten, dass nicht nur die Handlungen einer Person durch ihre Kognitionen bestimmt werden, sondern, vice versa, auch Kognitionen im Handeln verankert sind: „[C]ognition will be governed and determined, at least in part, by the action which a person takes. […] There will arise pressures directed towards changing the dissonant cognitive parts“ (1957: 128). Auch Beckmann (1984) weist in seiner Rezeption der Dissonanztheorie darauf hin, dass „in Festingers ursprünglicher Konzeption […] Dissonanzreduktionsprozesse eng an Handeln angebunden waren“ (8f.; Herv. i.O.). Dies lässt auf einen psychologischen Kognitionsbeg6 Eine gewisse Unklarheit über die Beziehung zwischen den unterschiedlichen Kognitionen bzw. zwischen Kognitionen und Handlungen zeigt sich schon darin, dass in der Rezeption der Dissonanztheorie in den USA und besonders im Zuge der Übersetzung des Werkes ins Deutsche immer wieder die Frage nach der Interpretation bestimmter Begriffe, die die Beziehung zwischen Wissenselementen bezeichnen (wie z.B. ‚folgt aus‘, ‚forciert‘ usw.), diskutiert wird (vgl. dazu z.B. Irle/ Möntmann 1978; Frey/Gaska 1993).

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riff hoffen, der an der empraktischen Auffassung von Bedeutungen orientiert ist, der das pragmatische Fundament unseres Alltagswissens im Blick hat, anstatt Wissen allein als Resultat individueller, universeller Strategien und Techniken des Erwerbs, der Prozessierung und der Organisation von Informationen aus der Außenwelt zu definieren. Allerdings wird bald deutlich, dass Festingers Wissens- und Handlungsbegriff sich ohne weiteres in den Rahmen kognitivistischer (motivations-)psychologischer Handlungsmodelle und in deren zweckrationales Menschenbild einfügen lässt. Und dies hat Auswirkungen auf den Zusammenhang von Wissen und Handeln. Über das der Dissonanztheorie zugrunde liegende Handlungsmodell schreiben Irle und Möntmann: „Der Entscheider wägt ab, welche der gegebenen Alternativen, bezogen auf das gesetzte Ziel, in der Errechnung von Aufwand und Ertrag am besten abschneidet, mit welcher Alternative er Verluste 7 minimiert und Gewinne maximiert“ (1978: 290). Es bestehe, so die Autoren weiter, kein prinzipieller Unterschied zwischen „Erkenntnisund Handlungsentscheidungen“ (ebd.), da jede Entscheidung Ergebnis eines Informationsverarbeitungsprozesses sei, der darin münde, eine Hypothese für „akzeptabel wahr“ (ebd.) zu halten. Wird „ein Problem […] von einem Entscheider als gelöst angesehen, ist er prinzipiell in die Lage versetzt, diese Lösung in eine Handlung (in eine Praxis) zu 8 transformieren“ (ebd.: 291).

7 Beckmann (1984) hat Dissonanzreduktion als eine Art Selbstregulationsprozess der Handlungskontrolle beschrieben (ebd: 149) und versucht, Festingers Theorie mit dem kognitivistischen Handlungsmodell nach Atkinson und Birch (1970) sowie mit der Theorie der Handlungskontrolle von Kuhl (1983) zu verbinden. Er folgert aus seiner „handlungstheoretischen Analyse kognitiver Dissonanz“, dass Dissonanzreduktionsprozessen eine spezifische „Realisationsmotivation“ zugrunde liege, die „der Unterstützung einer übergeordneten Handlungsmotivation angesichts des Auftretens einer bestimmten Klasse von ‚Schwierigkeiten‘, nämlich Inkonsistenzen, dienen“ (90). Dissonanz besteht in diesem Fall zwar nicht einfach durch die Inkonsistenz zweier Kognitionen, sondern dann, wenn die Diskrepanz zwischen zwei konkurrierenden Handlungstendenzen einen bestimmten Schwellenwert unterschreitet (vgl. Beckmann 1984: 103). Vermissen lässt Beckmanns von ihm selbst als handlungstheoretisch bezeichnete Lesart die Behandlung Frage, welchen kognitiven Status oder welchen Explikationsgrad diese Handlungstendenzen haben, ob sie selbst als Wissen oder eher als Disposition zu bezeichnen sind oder als Bedingungen für Wissen. 8 Hierbei handelt es sich um eine Unstimmigkeit bei Festinger, die Irle und Möntmann aufzeigen: Er ging von einer klaren Trennung zwi-

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Der Zusammenhang zwischen Wissen und Handeln besteht für Festinger ganz im Sinne des kognitivistischen Modells darin, dass eine Person aufgrund von Handlungszusammenhängen, die sie plant und dann durchführen will, zu neuen Kognitionen gelangt, indem sie Hypothesen über die Konsequenzen dissonanter Kognitionen aufstellt. Menschen handeln und leiten dann theoretische Erkenntnisse aus dem Handlungsergebnis ab oder überprüfen diese, und sie richten ihre Handlungsentscheidungen an theoretischen Hypothesen über das 9 Handlungsergebnis aus (vgl. Festinger 1957; Irle 1978). Das entspricht dem kognitivistischen Konzept der Kognition: Kognitionen werden gebildet und gestaltet aufgrund der Verarbeitung von Informationen (zu denen auch die Bewertung der eigenen Handlungen gehört) kraft individueller kognitiver Mechanismen und Strukturen. Kognition bleibt unbeeinflusst von Kultur und Sprache. Handlungen sind nicht Bestandteile, sondern Folgen oder Ursachen der kognitiven Konzepte. Und: das Streben nach Dissonanzreduktion ist individuell und universal. So bekunden Frey und Irle gegen Ende eines langen Artikels über den Stand der Forschungen und aktuellen Diskurse zur Dissonanztheorie in den neunziger Jahren etwas brachial ihre Auffassung, dass „die Theorie der Dissonanz […] unabhängig von Raum und Zeit“ gelte und keine Theorie ist, „die nur auf den Westen beschränkt ist“ (1993: 313).

schen (‚kognizierten‘) Situationen vor der Entscheidung und nach der Entscheidung aus. Dagegen wenden die beiden Rezipienten ein, dass sich eine Person „genaugenommen […] zu allermeist zwischen Entscheidungen“ befinde – da die „Entscheidungs-Phase der Informationsverarbeitung […] sich ebenso plausibel als Phase der Informationsverarbeitung vor einer neuen Entscheidung betrachten“ lässt (ebd.). Bei jeder neuen Handlung – die auf der Basis der kognizierten Konsequenzen der vorherigen Handlung geplant und begonnen wurde – treffen neue Informationen als Konsequenzen von Handlungen ein. Der von Festinger vorausgesetzte Konflikt in der Zeit der „Vorentscheidung“, der durch die Entscheidung als gelöst gilt, wäre damit ständig vorhanden. Damit würden Umbewertungen aufgrund kognitiver Dissonanz sowohl vor als auch nach Entscheidungen, also ständig, vorgenommen (ebd.: 320f.). Bereits die Suche nach Informationen wäre dann nicht mehr objektiv (wie es Festinger noch 1964 behauptet), sondern subjektiv und verzerrt (Irle/Möntmann 1993: 322). 9 Auch die zahlreichen Weiterentwicklungen der Dissonanztheorie ändern an diesem Aspekt nichts (vgl. Wicklund/Brehm 1976; Irle 1975; Frey et al. 1982 u.a.).

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2.2.2 Kausalattribution Auch die Theorie der Kausalattribution, zuerst von Fritz Heider entwickelt, beruht auf der gestalttheoretischen Annahme, dass der menschlichen Kognition ein grundlegendes Prinzip der Invarianzbildung durch eigengesetzliche Strukturierung inhärent ist. Menschen versuchen, sich die Welt auf kohärente Weise zu erklären, um Handlungen und Ereignisse verstehbar und vorhersagbar zu machen – und so eine möglichst effektive Interaktion mit der sozialen Umwelt zu gewährleisten (vgl. Meyer/Försterling 1993). Die nach Heiders Untersuchungen im Vollzug der sozialen Interaktion allgemein bevorzugte Erklärungsform ist dabei die Kausalattribution. Eine Erfahrung durch eine bestimmte Interpretation sinnvoll werden zu lassen, bedeutet demnach stets, sie in einen ursächlichen Begründungszusammenhang einzubetten (vgl. Heider 1958, z.B.: 80). Das Bedürfnis, diese Handlungen und Ereignisse ursächlich erklären zu können, ist für Heider eine grundlegende Eigenschaft menschlichen Denkens. Ein Blick in seine maßgebliche Publikation The Psychology of Interpersonal Relations (1958), macht deutlich, dass das Buch die Eigenheiten des Denkens mit dem Studium der sozialen Beziehungen im Alltag verbindet. Heider befasst sich in seinem Buch mit den impliziten Prinzipien unseres Handelns und Denkens im Alltag und hebt (entschiedener als Festinger) die Bedeutung des Alltagswissens über psychosoziale Zusammenhänge, also auch der Alltagspsychologie, hervor – ähnlich wie Bruner auf die folk psychology Bezug nimmt. Die Psychologie sollte die Erkenntnisse der naiven Psychologie oder Alltagspsychologie, sie sich auch in unserer Alltagssprache ausdrücken, nicht länger als einerseits trivial und selbstverständlich, andererseits als unwissenschaftlich und ad-hoc begründet abtun. Und das aus einem einfachen Grund: Von ihrem Alltagswissen – Heider verwendet dafür den Ausdruck ‚common-sense‘ – lassen Menschen sich in ihren Alltagshandlungen und -entscheidungen leiten. Dies tun sie, um sich selbst das Gefühl der Kontrolle über eine ansonsten unüberschaubare und komplexe soziale Welt zu geben. Wenn Psychologen die Handlungsweisen und Entscheidungsprinzipien und damit die Grundlage aller psychologisch relevanten Konstrukte verstehen wollen, müssen sie sich mit dieser Commonsense-Psychologie auseinandersetzen. Heiders bahnbrechender Arbeit ist es zu verdanken, dass alltagspsychologische Erklärungen seit 40 Jahren eines der zentralen Forschungsthemen in der Sozialpsychologie sind. Indem Verhalten auf eine bestimmte Ursache zurückgeführt wird, erhält es für den Attribuierenden eine bestimmte Bedeutung. Seine Ur168

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sachenzuschreibung des Geschehens erlaubt es erst, Vorhersagen hinsichtlich dieses oder eines ähnlichen Geschehens zu machen und eine entsprechende Handlungsorientierung zu entwickeln. Für die Attributionen sucht der naive Psychologe nach dispositionellen, invarianten Merkmalen von Personen, Objekten, Ereignissen und Situationen, denn diese Merkmale sind dafür verantwortlich, dass sich Personen, Objekte oder Ereignisse „unter bestimmten Bedingungen in bestimmter Weise […] manifestieren“ (Heider 1958: 80; vgl. auch Meyer/Försterling 1993: 177). Eine zentrale Annahme, die Heider (1958) äußerte, ist bekanntlich die Unterscheidung zwischen zwei Typen kausaler Attribution. Attribuierungen können sich auf interne, kausale Faktoren (z.B. die Veranlagung einer Person, ihre Intention oder Disposition) oder aber auf externe, kausale Faktoren (z.B. situationsspezifische Bedingungen, dispositionelle Faktoren der Umgebung) beziehen, die als Erklärung für ein Ereignis herangezogen werden. In der ‚naiven Handlungsanalyse‘ expliziert Heider eine Art Commonsense-Psychologie der Handlung, die auf Attributionen darüber beruht, ob das, was wir tun können primär von uns selbst oder primär von unserer Umwelt abhängt. Dass wir etwas tun können, erfahren wir zunächst, indem wir die Handlung realisieren. Ausgehend von der vollzogenen Handlung können wir fragen, warum wir das tun konnten oder nicht tun konnten. Dabei gibt es vier unterscheidbare Ursachenklassen, auf die Handlungsergebnisse zurückgeführt werden können. Auf Seiten der Person sind dies Fähigkeiten, im Sinne bestimmter Persönlichkeitswesenszüge oder Begabungen sowie temporäre Faktoren wie Anstrengung oder Motivation. Auf Seiten der Situation zählen die Schwierigkeit einer Aufgabe oder zufällige äußere Einflüsse, wie Gelegenheit und Glück als typische Attributionen (vgl. Heider 1958: 79ff.; Meyer/Försterling 1993: 180). Ein weiterer Punkt der zahlreichen Aspekte der Attributionsthematik, die Heider (1958) zusammengetragen hat, sei noch erwähnt: Die Attributionen reichen von intuitiven, unmittelbaren, ad-hoc begründeten impliziten Einheitsbildungen bis hin zu expliziten kausalen Konstruktionen, die die Form elaborierter Erklärungsmuster annehmen können. Heiders elementare Formulierungen über die Bedeutung und die Struktur alltagspsychologischer Erklärungen legten den Grundstein für das Forschungsprogramm der Attributionsforschung, das seit Anfang der siebziger bis in die achtziger Jahre hinein ein populäres Gebiet der Sozialpsychologie war und heute auch in vielen anderen Gebieten der Psychologie eine Rolle spielt, z.B. in der Klinischen Psychologie oder der Psychologie der Leistungsmotivation (vgl. dazu Seligman 1974; Heckhausen 1989). Mittlerweile ist ein inhaltlicher Überblick über die169

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sen Forschungszweig nur schwer zu leisten. Als Attributionstheorien im klassischen Sinne, die das allgemeine Prinzip der Attribution weiter ausgearbeitet haben, gilt neben der von Jones und Davis (1965) entwickelten Theorie der korrespondierenden Schlussfolgerungen, auch Kor10 respondenztheorie genannt , das innerhalb der kognitivistischen Sozialpsychologie sehr populäre Kovariationsmodell Harrod Kelleys. Kelley entwickelte es 1967 als Erweiterung zur bei Heider bereits be11 schriebenen Differenzmethode , die erst damit Eingang in die attributionstheoretische Forschung fand (vgl. Meyer/Försterling 1993: 186) und betont besonders, dass der Vorgang der Attribution ein komplexer Prozess ist, bei dem der Beobachter viele Prozesse zur Entscheidung für eine Schlussfolgerung integrieren muss. Der grundlegende Perspektivenwechsel zu Heider besteht darin, dass Kelley sein statistisches Modell explizit in Analogie zur Methode des Wissenschaftlers konzipierte: Der naive Psychologe Heiders benutzt, meint Kelley, „eine naive Version der Methode, die auch in der Wissenschaft benutzt wird“ und ist deshalb ein „naiver Wissenschaftler“ (Kelley 1973: 108). Dieser wendet für seine alltagspsychologischen Erklärungen komplexe strategische Methoden der Hypothesenüberprüfung an, etwa die Varianzanalyse. Damit unterscheiden sich alltagspsychologische Erklärungen nicht etwa prinzipiell von wissenschaftlichen psychologischen Erklärungen, sondern allenfalls dadurch, dass sie vergleichsweise „unvollständig, anfällig gegenüber Vorurteilen“ seien, und außerdem be-

10 Der Korrespondenztheorie zufolge besteht das Hauptziel eines Attributionsprozesses darin, eine Schlussfolgerung zu ziehen, nach der das Verhalten einer Person auch mit grundlegenden, stabilen Eigenschaften dieser Person korrespondiert. Menschen tendieren zu diesem kognitiven Stil, da sie das Bedürfnis haben, das Verhalten von anderen als beabsichtigt und vorhersehbar betrachten zu können. Sind die Situationen sehr mehrdeutig, in denen eine Person und ihr Verhalten zu bewerten sind, so suchen die Beobachter nach Hinweisen für ‚externe‘ kausale Attributionen, wie etwa soziale Erwünschtheit oder Rollenanforderungen der sozialen Situation (Jones/Davis 1965). 11 Das von Heider herausgestellte Prinzip der ‚Differenzmethode‘, nach der wir im Alltag vorgehen, besagt, dass wir die Ursache in der Regel denjenigen Bedingungen zuordnen, die wir als veränderlich wahrnehmen. Erfahre ich nach einer Prüfung, dass alle Kandidatinnen und Kandidaten bis auf einen bestanden haben, werde ich den Grund eher bei dem einen vermuten; wenn ich dagegen gehört habe, dass in dieser Prüfung eine Durchfallquote von 50 % die Regel ist, werde ich den Grund in der Schwierigkeit der Prüfung bzw. der strengen Benotung sehen.

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reit „auf unvollständiger Grundlage zu arbeiten“ (ebd.; vgl. auch Hewstone/Augoustinos 1995). Wissenschaftliche wie alltagsweltliche Erklärungen sind, so Kelley (1965, 1973), Kausalerklärungen, die dem Kovariationsprinzip folgen, das besagt, dass eine Wirkung derjenigen ihrer Ursachen zugeschrieben wird, mit der sie über die Zeit kovariiert. Kelleys Modell liegt – wie allen neueren Ausbildungen der psychologischen Attributionstheorie – das Bild des rationalen Menschen zugrunde, der versucht, ein wirklichkeitsgetreues Bild der Ursache von Ereignissen zu bekommen und dabei ähnlich wie ein Wissenschaftler vorgeht (vgl. Kelley 1965; Jones/Nisbett 1965). Die Forschungen, die auf Kelley folgten, gingen und gehen bis heute von diesem zweckrationalen Modell aus und untersuchen, ob und unter welchen Bedingungen Attributionen von diesem Modell abweichen. Zwei besonders populäre systematische Abweichungen sind der ‚fundamentale Attributionsfehler‘ (Ross 1977), der anzeigt, dass Personen dazu tendieren, die Bedeutung internaler, also in der Person liegender Faktoren als Ursache von Verhalten zu überschätzen, und die als ‚Akteur-BeobachterUnterschied‘ bezeichnete Tendenz, dass man als Handelnde eher dazu neigt, das eigene Verhalten external zu attribuieren, während man das gleiche Verhalten bei anderen eher internal attribuiert (Jones/Nisbett 1972). Kelley selbst bezeichnete sein Kovariationsmodell als Idealmodell, das alltäglichen Situationen aus unterschiedlichen Gründen nicht entspricht: Dort fehlt der attribuierenden Person nämlich oftmals die Gelegenheit oder die Zeit, um die für eine Analyse im Sinn des Kovariationsmodells notwendigen Informationen einzuholen, zudem ist oft nur eine einmalige Konfrontation mit einer Handlungssituation gegeben. In solchen Fällen attribuieren Individuen zusätzlich aufgrund kausaler Schemata. Das sind allgemeine Konzepte über das Zusammenwirken bestimmter Faktoren, die Kelley formal bestimmt, so etwa das „Schema der multiplen hinreichenden Ursachen“ oder das Schema der „multiplen notwendigen Ursachen“ (vgl. Meyer/Försterling 1993: 192f.). Auch dieses formale Konzept eines kognitiven Schemas, wie Kelley es beschreibt, lässt sich allerdings kritisieren, denn ein Schema – wie es etwa bei Schank und Abelson (s. Kap. I) oder Frederic Bartlett (s. Kap. IV, 3) beschrieben wird – beinhaltet soziokulturelles, auf Erfahrung aufbauendes, organisiertes Wissen, z.B. in Form von Ereignisschemata, die aus Situationsmerkmalen und Handlungssequenzen bestehen. Das kann nicht durch eine formale Ursache-Wirkungs-Relation ersetzt werden. 171

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

2.2.3 Attributionstheorie und Kultur Wenngleich die Attributionstheorien den Konstruktcharakter menschlicher Kognition hervorheben, steht auch hier ein individualistisches und kognitivistisches (nämlich bereits informationstheoretisch ausgerichtetes) Modell des Geistes Pate: Personen nehmen Informationen aus der sozialen Umwelt auf, wählen sie aus, verarbeiten sie kognitiv und gelangen dann, aufgrund der Beschaffenheit und Kapazität ihres kognitiven Systems, zu einer Begründung der jeweiligen Verhaltensweise. Dabei wird vernachlässigt, dass die sprachlich-gedanklichen Konstrukte, die prozessiert werden – z.B. Unterscheidungen zwischen bestimmten Formen von Wut oder Situationsmerkmalen – zuerst als soziokulturelle Schemata oder Konzepte vorliegen müssen, damit jemand diese Art der Begründung überhaupt wählen kann (vgl. Edwards/Potter 1993). Hewstone und Augoustinos merken kritisch an, dass die meisten Vertreterinnen und Vertreter der psychologischen Attributionstheorien die Diskussion des jeweiligen kulturellen bzw. sozialen Interaktionskontextes vermeiden und dessen Relevanz für Form und Inhalt der Attributionen nicht in ihrem alltäglichen Kontext untersuchen (1995: 81). Auf dieses methodische Problem hat z.B. Weiner (1986) hingewiesen und er konstatiert: „The logical analysis of causal structures has an inherent flaw: Causal dimensions are derived from attribution theorists, rather than from their subjects“ (1986: 51). In vielen Fällen, so Weiner, wurden Attributionsaktivitäten mittels reaktiver Methoden erhoben, in der Regel, indem die Forschungssubjekte gefragt wurden, ob sie von den Forscherinnen oder Forschern vorgegebenen Kausalattributionen zustimmten oder nicht (vgl. ebd.: 2142). Wie Edwards und Potter (1992) argumentieren auch Hewstone und Augoustinos, dass Ursachen nicht immer kognitiv „ausgewählt und vorgeschlagen“ würden, sondern sich oft ergäben, „ohne dass eine detaillierte Suche nach und Analyse von Informationen stattfindet“ (ebd.). Bereits das Erkennen bestimmter Probleme und die möglichen Erklärungen, die unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Situationen dafür finden, sind durch die in der Kultur oder Gesellschaft vorhandenen Bedeutungssysteme bestimmt. Attributionen sind daher nicht rein kognitive Phänomene, sondern sie haben einen sozialen Ursprung und sind in erheblichem Maße von sozialen, kulturellen und historischen Bedingungen abhängig. Das gilt auch für die oben erwähnten, scheinbar einschlägigen ‚Tendenzen‘ menschlicher Kognition im Bereich der sozialen Wahrnehmung wie den fundamentalen Attributionsfehler oder den Akteur-Beobachter-Unterschied. Der fun172

WEGBEREITER DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

damentale Attributionsfehler, so die Argumentation Augoustinos’ (1995), kann beispielsweise auch als eine „herrschende Ideologie des Idealismus innerhalb der europäischen und nordamerikanischen Kultur“ verstanden werden (ebd.: 83; vgl. auch Hewstone/Augoustinos 1995). In der gängigen Literatur ist die kulturpsychologische Sicht allerdings nicht präsent, sondern die Tendenz, eher auf die Person als auf die Situation zu attribuieren, gilt in (sozial-)psychologischen Lehrbüchern nach wie vor als Universalie menschlichen Denkens und Handelns (vgl. z.B. Meyer/Försterling 1993: 208f.). In diesem Punkt ist die Attributionstheorie indessen auch aus kulturpsychologischer Sicht scharf kritisiert worden: Nicht nur der Inhalt der Attributionen – z.B. die Beschränkung auf spezielle kausale Kategorien für bestimmte Ereignisse, wie etwa für Gesundheit und Krankheit –, sondern auch ihre logische Form sei kulturspezifisch (vgl. Hewstone 1983; Miller 1984; Hewstone/Augoustinos 1995 u.a.). Die Kulturpsychologin Joan Miller (1984) hat gezeigt, dass typische attributionspsychologische Erklärungen – z.B. der Anstieg einer (vermeintlich) veranlagungsbedingten Tendenz zur Attribution auf Eigenschaften mit dem Alter der attribuierenden Person (Peevers/Secord 1973; Ruble/Feldman/Higgins/Karlovac 1979) auf einer kulturzentristischen Interpretation beruhen. So wurde diese als universell eingeschätzte Tendenz u.a. damit begründet, Kinder seien in ihrer kognitiven Kompetenz noch zu eingeschränkt, um regelmäßig auftretende Verhaltensweisen auf eine Persönlichkeitseigenschaft zu generalisieren. Miller gibt zu bedenken, dass diese Erklärung dann nicht zutreffend sein muss, wenn diese – vermeintlich – entwicklungsbedingten Unterschiede von unterschiedlichen kulturellen Konzepten der Person herrühren, die im Laufe der Sozialisation verinnerlicht werden. Dann würde der erhobene Unterschied nicht auf ein universales kognitives Entwicklungsstadium hinweisen, sondern auf den Grad an „Enkulturation“, den eine Person mit bestimmtem Alter erreicht hat (ebd. 1984: 961ff.). Angesichts solcher Befunde stellen sich heute auch manche Verteidiger der Attributionstheorie deutlich gegen die kulturzentristische Auffassung, die bei Heider und Kelley noch ganz selbstverständlich vorherrschte, so etwa Hewstone und Augoustinos: „Die attributionale Verzerrung ist sicherlich nicht nur eine kognitive Eigenschaft oder ein allgemeingültiges Gesetz psychologischen Funktionierens, sondern sie ist sehr wahrscheinlich kulturspezifisch“ (1995: 86). Die vorherrschende Auffassung unter den Attributionspsychologen unterstellt allerdings nicht nur, dass es „zur grundlegenden Ausstattung des Menschen gehört, ‚Warum-Fragen‘ zu stellen“ (Frey/Irle 1993: 210), sondern auch, dass der kausale Schlussmodus zu den Funktionsweisen 173

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

des kognitiven Systems des Menschen gehört (vgl. ebd., z.B.: 176). Das bedeutet, alle Schlussweisen im Alltag müssten in Anlehnung an das auch in der klassischen empirischen Sozialforschung übliche Schema vorgenommen werden, demzufolge anhand der Kenntnis bestimmter Gesetze und der spezifischen, kontrollierbaren Antecedenzbedingungen ein Fall erklärt werden kann. Dies kann man mit Fug und Recht als eine kulturzentristische Annahme bezeichnen. Mittlerweile sind auch Vorschläge bekannt geworden, Attributionen als Bestandteile linguistischer Kategorien zu verstehen, die in die Semantik und Vorannahmen der unterschiedlichen Verbklassen eingelassen sind, die Menschen benutzen, um die Handlungen und Zustände anderer Menschen zu beschreiben (vgl. Semin/Fiedler 1988; Hewstone 1983). Die pragmatische Funktion dieses semantischen Modells haben Hilton und Slugoski (1986) im konversationstheoretischen Modell der Attribution herausgestellt. 2.2.4 Attributionstheorie und Sozialer Konstruktionismus Die konversationstheoretischen Einwände gegen das kausale Erklärungsmodell und die Metapher des naiven Wissenschaftlers als Beschreibung des Handelnden im Alltag haben der Attributionspsychologie eine kommunikative, pragmatische Weiterentwicklung ermöglicht (vgl. Hilton/Slugoski 1986). Damit sind erste Voraussetzungen geschaffen, sie für die neuere Kulturpsychologie oder bestimmte Ausrichtungen des Sozialen Konstruktionismus anschlussfähig zu machen. Sie gehen davon aus, dass – angesichts des komplexen Bedingungsgefüges, von dem jede Handlung ein Teil ist und dessen Kenntnis den wissensmäßigen Hintergrund für jede mögliche Erklärung bildet – jede faktisch gegebene Erklärung immer nur einen einzelnen Fall erklärt, nicht die Handlung oder das soziale Ereignis an sich. Alltagspsychologische Erklärungen werden damit immer als kontrastive Erklärungen für Abweichungen von einer Normerwartung aufgefasst (‚warum findet das erklärungsbedürftige Ereignis in diesem Fall statt, das in einem anderen anzunehmenden Fall nicht stattfinden würde?‘). Damit werden immer diejenigen Aspekte erklärt, die der Attribuierende für relevant hält, und das heißt: von denen er annimmt, dass sie der andere – oder, als Spezialfall: er selbst – nicht kennt. Die Relevanz seines Wissens ist also nicht zu erklären ohne Berücksichtigung der sozialen Handlungssituation und deren Notwendigkeiten. Diese Annahme ist von erheblicher Bedeutung für die Interpretation der Ergebnisse empirischer Studien. Häufig festzustellende ‚Phänomene‘, wie z.B. der oben erwähnte fundamentale Attributionsfehler, zeigen dann nämlich die 174

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soziokulturell geformten Erwartungen der Versuchsteilnehmer an die Versuchsleiterin und bestimmte mit dem Forschungsprojekt assoziierte Standards an – nicht eine generelle Tendenz. Edwards und Potter (1993) schließlich schlagen aus der Perspektive der Diskurspsychologie vor, auch die konversationstheoretische Erweiterung noch zu erweitern: Sie meinen, dass es nicht nur – wie die Konversationsanalyse unterstellt – darum gehen kann, die anderen Konversationsteilnehmer mit dem aus meiner Sicht notwendigen Wissen zu versorgen. Sieht man es so – wie Hilton und Slugoski es tun –, so impliziert die Konzentration auf die Wissensbasis einer Handlung eine Trennung zwischen Wissen und Handeln und führt weg vom eigenen Anspruch der Konversationsanalyse, auch die Erklärungen als soziale Interaktionen, sprich als Handlungen zu interpretieren: „The approach that we recommend here is that causal attributions, both inside and outside the laboratory, can fruitfully be studied as social acts performed in discourse and not merely as cognitions about social acts, which happen to be expressed within conversation“ (ebd.: 23). Bei der Alltagssituation hat man es nicht mit einem idealisierten wissenschaftlichen Diskurs zu tun, sondern mit sozialen Handlungen. Auch die Erklärungen selbst sind als Handlungen zu bewerten, nicht als den Handlungen übergeordnete theoretische Konstruktionen. Das durch sie verkörperte Wissen ist handlungsorientiert und interessegeleitet, aber dennoch nicht unbedingt individuell: „Within discursive psychology, the focus is changed from attitudes as mentally encoded, potentially enduring positions to the practices through which evaluation is conducted and evaluative positions attributed“ (Potter/Edwards/ Wetherell 1993: 393, Herv. i.O.; vgl. auch Billig 1991 u.a.). Wenngleich die Attributionstheoretiker ihre empirischen Forschungen mithilfe verbaler Instruktionen (z.B. Ereignisbeschreibungen) sowie verbaler Beschreibungen der abhängigen Variablen (nämlich der kausalen Erklärungen) durchführen, interessieren sie sich nicht für die Sprache als kulturelles Symbolsystem oder als soziale Praxis. Sie gehen nicht davon aus, dass Sprache in diesem Sinne auch für vermeintlich individuell gebildete Attributionen konstitutiv ist, sondern sie bleiben einem instrumentellen Sprachverständnis verpflichtet. Edwards und Potter drücken das so aus: „Language is part of method rather then part of theory“ (1993: 23). Die Diskursive Psychologie setzt dagegen auf ein Verständnis der konstitutiven Rolle von Sprache als einer kulturellen Praxis, an der die Attribuierenden teilnehmen. Die Regeln, nach denen die gemeinsame Praxis funktioniert, bestimmt sowohl Form als auch Inhalt der Attributionen mit: Handelnde, so Edwards und Potter, konstruieren ihre soziale Welt durch die Attributionen, die 175

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sie tätigen. Diese aber sind in erheblichem Maße durch soziale Diskurse und Praktiken bestimmt, an denen die einzelnen Handelnden teilhaben. Konsistenz – im Sinne der Attributions- oder Dissonanztheorie – wird in alltäglichen sozialen Interaktionen nicht gesucht, sondern konstituiert. Diese Erweiterung scheint unter unserem Fokus, also mit Blick auf nicht-kognitivistische Wissensformen, zunächst interessant: Diese Konzeptualisierung von Attributionen geht über die individuozentrische und kognitivistische Sichtweise hinaus, die bei Bruner, Austin und Goodnow sowie bei Festinger und Heider mehr oder weniger unhinterfragt geblieben war. Die Attributionen im Modell der Diskurspsychologen scheinen auf einer Art Regel- und Bedeutungswissen zu beruhen, das von Grund auf intersubjektiv und pragmatisch strukturiert ist (da es in Diskursen und Praktiken gebildet wird). In Kapitel IV wird der Wissensbegriff der sozialkonstruktionistisch orientierten Diskurspsychologie genauer beleuchtet werden. Zuvor allerdings sollen zwei weitere psychologische Ansätze aus der Zeit des frühen Kognitivismus betrachtet werden, die aus unterschiedlichen Gründen viel versprechender scheinen als die klassischen Attributionstheorien. Zuerst wird es um den gedächtnis- und kognitionspsychologischen Ansatz Frederic Bartletts (1932, 1953) gehen, der bereits in den dreißiger Jahren mit Konzepten und Perspektiven aufwarten konnte, die aus heutiger Sicht höchst innovativ erscheinen (vgl. Bruner 1990a; Straub 2001a u.a.). Die Grundzüge seiner Gedächtnistheorie sollen wenigstens knapp dargestellt und diskutiert werden. Zweitens wird George A. Kellys (1957) Theorie der persönlichen Konstrukte genauer daraufhin untersucht werden, inwieweit sich der konstruktivistische und auch pragmatistische Anstrich dieser Persönlichkeits- und Wissenstheorie auf die hier interessierenden Fragen zur psychologischen Konzeptualisierung von Wissen übertragen lässt.

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Gedächtnispsychologie und Kognitivismus: Der Einfluss Frederic Bartletts

Die typischen Themenbereiche der Wissenspsychologie, Fragen des Erwerbs von Wissen, seiner Repräsentation, der Anwendung und der Veränderung von Wissensinhalten, verweisen zunächst auf die ältere psychologische Teildisziplin der Gedächtnispsychologie, die vor über hundert Jahren angetreten ist, die rein philosophische Beschäftigung mit dem Gedächtnis durch experimentelle Forschung abzulösen. Seitdem ist die Psychologie des Gedächtnisses eine der Grunddisziplinen der Allgemeinen Psychologie gewesen. 176

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Städtler macht drei historisch lokalisierbare, inhaltliche Paradigmen der Gedächtnispsychologie aus: Die klassische Gedächtnisforschung im Geiste des Assoziationismus wurde zwischen 1920 und 1960 durch den Behaviorismus abgelöst und verdrängt. Die gedächtnispsychologische Forschung war in dieser Periode von den S-R-Theorien dominiert, sie bearbeitete vor allem das Paradigma des einfachen Lernens, indem versucht wurde, die auf Verhaltensebene gefundenen Gesetze der Konditionierung auf die kognitive Ebene des verbalen Lernens zu übertragen. Dagegen ist die moderne Gedächtnispsychologie etwa seit Mitte der fünfziger Jahre kognitivistisch orientiert und operiert mit Modellen aus dem Paradigma der Informationsverarbeitung. Seit dieser Phase geht die Gedächtnispsychologie durch den Aufstieg des Kognitivismus zum zentralen Paradigma der Psychologie zunehmend in das Gebiet der kognitiven bzw. der allgemeinen Psychologie über (vgl. Städtler 1998: XXVI). Doch auch die Kulturpsychologie hat ein spezifisches Interesse an der Subdisziplin: Gedächtnisleistungen im Sinne der Kulturpsychologie sind pragmatisch und soziokulturell vermittelt, werden als flexible, veränderbare Konstruktionen konzeptualisiert und gelten damit als Gegenbegriff zum repräsentationalistischen Bild der menschlichen Kognition. Aus kulturpsychologischer Sicht ist auch das autobiographische Gedächtnis eine soziokulturelle Institution, die eng mit weiteren kulturpsychologischen Themen, insbesondere mit dem Begriff des Selbst sowie der Psychologie des Geschichtsbewusstseins verbunden ist (vgl. Straub 1998; Kölbl 2004; Seitz 2003). Die psychologische Gedächtnisforschung nahm ihren Anfang jedoch wie gesagt im Assoziationismus. Die Arbeiten von Ebbinghaus (1885) zur Erforschung der „reinen psychologischen Funktion“ des Gedächtnisses sind heute noch paradigmatisch: Ebbinghaus untersuchte das Phänomen Gedächtnis in erster Linie unter dem Aspekt seiner Kapazität. Bestimmte vorgegebene Informationen, die mit dem vorhandenen Wissen der Probanden nichts zu tun haben durften, sollten in möglichst exakter Form und Reihenfolge wiedergegeben werden. Heute ist hinlänglich bekannt, dass die von Ebbinghaus eingenommene Perspektive das Phänomen Gedächtnis extrem vereinfacht hat. Schon durch die restriktive Auswahl von Lernmaterialien und aufgrund seiner empirisch-experimentellen Methode liefen seine Forschungen Gefahr, trivial erscheinende Phänomene zu untersuchen, die mit unserer alltäglichen Erfahrung von Gedächtnisleistungen nicht allzu viel zu tun haben. Das Hauptproblem von Ebbinghaus’ Untersuchungen und denen, die ihm in methodologisch-methodischer Hinsicht folgten, ist daher nicht, dass seine Befunde empirisch falsifiziert worden wären, sondern besteht darin, dass die Abkoppelung der Ge177

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dächtnisleistungen von anderen kognitiven Prozessen und die Reduktion auf sinnlose Silben unattraktiv erscheinen. Die im alltäglichen Leben interessierenden Fragen bezüglich unserer Erinnerungsleistungen, z.B. danach, was wir aufgrund seiner Bedeutung besser erinnern und was schlechter, oder wie sich Inhalte durch unser Erinnern verändern, gehen durch die theoretischen und methodischen Einschränkungen 12 der Gedächtnispsychologie im Sinne Ebbinghaus’ verloren. 3.1

Remembering: Bartlett als Vorläufer der Kulturpsychologie

Das erste Interesse an der Erforschung sinn- und bedeutungsstrukturierter Gedächtnisfunktionen, die in praktischen Alltagssituationen relevant sind, erreichte die Gedächtnispsychologie allerdings bereits in den dreißiger Jahren mit Bartletts bahnbrechenden Arbeiten zum konstruktiven Gedächtnis (1932), die für einige Grundbegriffe der aktuellen kulturpsychologischen Gedächtnistheorien sehr einflussreich sind. Für seine Forschungsarbeiten zum Gedächtnis hatte Bartlett die Untersuchungsmethoden der assoziationistischen Gedächtnisforschung im Geiste Ebbinghaus’ insofern als unzulänglich empfunden als sie vieles nicht zu erfassen schienen, was in alltäglichen Situationen, bei denen es um Erinnern geht (z.B. beim Erinnern eines sinnvollen Textes), zentral und wichtig war. Er verstand Gedächtnisleistungen als aktive Leistungen, die wesentlich auf konstruktiven und produktiven Aspekten beruhen. Aufgrund seiner Vermutung, dass Gedächtnis eher als soziales oder kulturelles Problem zu verstehen sein müsste denn als individuelles, sah Bartlett Fragen der sinn- und bedeutungsbezogenen Wissensrepräsentation als vordringlich an und suchte nach einer völlig anderen Vorgehensweise. In den von ihm entworfenen Experimenten, bei denen die Forschungspartner, englische Studentinnen und Studenten, für sie fremdartige Geschichten hörten, die sie dann nach unterschiedlich langer Zeit wiedererzählen mussten, fand er, dass sie das 12 Gleichwohl dominierte diese einfache Perspektive auf das Gedächtnis bekanntlich bis in die Gedächtnispsychologie der frühen sechziger Jahre. Auch wesentliche Fortführungen innerhalb des S-R-theoretischen Ansatzes tragen wenig zur Aufklärung komplexerer Gedächtnisphänomene bei (vgl. näher Spada 1990: 124ff.). All das, was heute unter dem Begriff des ‚aktiven Gedächtnis’ verhandelt wird – Aktivitäten bei der Aufnahme und der Kodierung von einzuprägenden Inhalten oder zur Organisation des Materials – blieb im klassischen Assoziationismus und in der Psychologie des verbalen Lernens ausgeklammert (vgl. Schermer 1991, z.B.: 22ff.).

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hier präsentierte, sinnhafte Material eben nicht ‚korrekt‘ wiedergeben konnten, sondern dass sie diese Geschichten auf der Basis ihrer eigenen, soziokulturell vermittelten Erfahrungen und Erwartungen systematisch veränderten, Aspekte der Erzählung ausließen und für sie sinnvolle Zusatzinformationen anfügten. Bartlett interpretierte diese Ergebnisse dahingehend, dass zum Gedächtnissystem des Menschen offensichtlich die Bildung abstrakter kognitiver Strukturen gehört, die abhängig von soziokulturellen Praktiken, Konventionen und Institutionen sind. Sie bewirken, dass die subjektiven Repräsentationen und Konstruktionen bei der Erinnerung auf bestimmte Art und Weise or13 ganisiert werden. Bartlett selbst beschreibt die Erkenntnisse aus seinem Experiment über das Erinnern wie folgt: „Remembering is not the re-exitation of innumerable fixed, lifeless and fragmentary traces. It is an imaginative reconstruction, or construction, built out of the relation of our attitude towards a whole active mass of organised past reactions or experience.“ Und weiter, mit offensichtlichem Bezug auf Ebbinghaus’ Gedächtnisforschungen: „It is thus hardly ever exact, even in the most rudimentary cases of rote recapitulation, and it is not at all important that it should be so“ (Bartlett 1932: 213). Etwa 70 Jahre nach Erscheinen dieser Zeilen macht Jerome Bruner rückblickend zwei Ziele aus, 14 die Bartlett für die Psychologie gesehen hat : Wie die Kulturpsychologie wollte auch Bartlett herausstellen, dass die Psychologie die bedeutungsstrukturierte, konstruktive Praxis untersuchen soll, mittels

13 In seiner berühmten Untersuchung, die er in den zwanziger Jahren durchführte, ließ Bartlett englische Studentinnen und Studenten eine indianische Geschichte mit dem Namen ‚war of the ghosts‘ anhören, an die sie sich später erinnern sollten. Sein Ergebnis war: Sie griffen auf die ihnen verfügbaren Schemata für Abenteuer- und Gespenstergeschichten zurück, um der Geschichte Sinn zu verleihen, aber auch auf die allgemeinen Schemata für den Umgang mit Alltagserfahrungen (Bartlett 1932: 124f.; vgl. auch Gardner 1989: 129). Solange die Handlung einer Geschichte mehr oder weniger mit bereits vorhandenen Schemata für sinnvolle Geschichten übereinstimmt, entspricht die Erinnerung ziemlich genau dem Original. Diskrepanzen zwischen Schemata und Einzelheiten der Geschichte führen dagegen zu Verzerrungen bei der Wiedergabe. Diese ‚Reproduktionsfehler‘ der Versuchspersonen wiesen systematische Ähnlichkeiten auf und basierten auf deren kulturspezifischen Schemata. 14 Dies tut er im Vorwort zu einem von Akiko Saito (2000) herausgegebenen Sammelband über Bartletts Vermächtnis für die Psychologie mit dem Titel Bartlett, Culture and Cognition.

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der Menschen kommunizieren, die eigenen Handlungen planen und bewerten und generell ihren (sozialen) Alltag bewältigen. Bruner zumindest liest Bartletts Remembering so, dass bereits dort der „effort after meaning“ (2000: xiii), also die wissenschaftliche Erkundung von sinn- und bedeutungshaltigen Konstruktionen als vordringliche Aufgabe der wissenschaftlichen Psychologie angemahnt wird, und dass dabei auch dem praktischen Kontext dieser Konstruktionen Relevanz zugesprochen wird. Bartlett steht dafür ein, dass wissenschaftliche Begriffe für bestimmte psychologische Konstrukte durch die Exploration derjenigen Prozesse empirisch erforscht werden sollen, in denen Bedeutung aktiv konstituiert, produziert, konstruiert wird. Darunter fallen für ihn kognitive Vorgänge, die mit Schematisierung, Konventionalisierung und Erwartungsassimilation zu tun haben, wobei er keinen Zweifel daran lässt, dass diese Prozesse nicht (allein) individueller Natur sind, sondern von kulturellen Gegebenheiten oder geteilten Weltbildern abhängen, auf deren Basis dann Schemata und konventionalisierte Bedeutungen konstruiert werden (vgl. z.B. Bartlett 1932: 197-214, 243ff.). Die Forschung muss daher in alltagsnahen Kontexten und mittels Verfahren, die auf die Rekonstruktion von Sinn und Bedeutung abzielen, durchgeführt werden. Es geht in Bartletts Studien zum konstruktiven Gedächtnis, wie in vielen kulturpsychologischen und sozialkonstruktionistischen Forschungen, um sinn- und bedeutungshaltige Konstruktionen, die im Rahmen alltäglicher, kognitiv vermittelter Praktiken entstehen. Die positive rückblickende Bewertung Bartletts aus der Sicht Bruners ist nicht übertrieben: Bereits 1929 schrieb Bartlett in seinem Beitrag zum Kapitel Psychology in der Encyclopedia Britannica: „Everywhere in psychology the main drift appears to be away from atomistic and mechanical types of explanation towards a recognition of the unique, though complex, activities and patterns of activity which govern and direct all highly developed human conduct and feeling, and gradually build up the constructions of human knowledge“ (ebd.: 256). Bartletts konstruktivistische und handlungsnahe Konzeptualisierung einer Psychologie des Erinnerns und besonders auch die Tatsache, dass er auch auf entsprechende methodische Konsequenzen hingewiesen hat, ist wohl der Grund, warum er heute von manchen Autoren und Autorinnen als einer der Väter des kulturpsychologischen Denkens hervorgehoben wird (vgl. Gardner 1989; Bruner 1990a, 2000; Costall 1991a; Straub 1998, 2001a). Er wird auch mit Denkern wie Maurice Halbwachs und Marcel Mauss in Zusammenhang gebracht, deren Arbeiten heute für die Theorie des sozialen oder des kulturellen Gedächtnisses paradigmatisch sind (vgl. Halbwachs 1985; 180

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Assmann 1999; Echabe/Castro 1995). Folgt man Bloor (2000), einem Vertreter der neueren Wissenssoziologie, lassen sich Bartletts Arbeiten historisch gesehen als Vorläufer der sozialkonstruktionistischen Arbeiten in der Psychologie verstehen; Potter und Edwards (1987) betonen ebenfalls: „Bartlett was truly concerned with […] the inherently social basis of mentality itself“ und „it is not Bartlett’s legacy that cognitive social psychology […] and the study of individual memory […] have become so widely separated (89f.). 3.2

Thinking: Bartlett als Pionier des Kognitivismus

Auch in seinen späteren, schon im Tonfall des entstehenden Kognitivismus formulierten Arbeiten über Kapazitäten, Grenzen und Funktionen der menschlichen Kognition war Bartletts Beschäftigung mit den geistigen oder psychischen Funktionen eng an „situated human skills“ (Bruner 2000: xiv), an praktisches, kontextgebundenes Handlungswissen gebunden: Es ging ihm bei seiner Erforschung geistiger Funktionen und Phänomene immer darum, wie diese mit den konkreten Situationen verbunden sind, in denen Menschen sich handelnd mit ihrem Umfeld auseinandersetzen. Gleichwohl wurden dabei höchst theoretische Themen berührt, wie etwa der Übergang von Erinnerungen aus dem Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis. Bruner ist der Ansicht, dass Bartlett durch diesen Teil seines Schaffens wiederum Aspekte dessen vorbereitet hat, was später zur kognitiven Wende in der Psychologie werden sollte (vgl. auch Campton 1978; Costall 1991; s. Kap. I). Die kognitivistische Gedächtnispsychologie und die KI-Forschung haben immerhin Begrifflichkeiten Bartletts wieder aufgegriffen, um zahlreiche empirische Studien durchzuführen; und sein Schemabegriff bildet die Basis verschiedener Wissensrepräsentationsmodelle aus den siebziger Jahren, insbesondere für skripttheoretische oder narrativistische Modelle (Schank/Abelson 1977; Minsky 1975). Diesem Wiederaufgreifen von Bartletts Ideen ist es zu verdanken, dass er in vielen einführenden oder Lehrbüchern der Gedächtnis- und kognitiven Psychologie als „ ‚straight‘ cognitive psychologist“ (Costall 1991: 42) beschrieben wird, und auch seinem Buch Remembering wird das Bild des Informationen prozessierenden Individuums rückblickend aus kognitivistischer Sicht untergeschoben – nicht zuletzt, weil Bartlett diese Lesart von Remembering in den fünfziger Jahren selbst vorantrieb (vgl. Neisser 1967; Costall 1991). Daher dürfen die kulturpsychologisch und sozialkonstruktionistisch interessanten Aspekte in Bartletts früheren Arbeiten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch einen anderen Strang in Bart181

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letts Werk gegeben hat, in dem eine durchaus universalistisch gedachte kognitivistische Psychologie angestrebt wird. Die Arbeiten, mit denen Bartlett das vorantrieb, was er als angewandte Psychologie bezeichnete – als Mitglied der „Applied Psychology Unit“ des Center for Cognitive Studies in Harvard in den fünfziger Jahren beschäftigte er sich mit psychologischen Aspekten technischer Fragen in unterschiedlichen Bereichen (militärische Fragen, Verkehrspolitik usw.) –, führten erstaunlicherweise gerade wieder weg von der Analyse bedeutungskonstitutiver Prozesse, von einem „effort after meaning“ (Bruner), und hin zu einer Psychologie, die sich mit der universal gültigen Modellie15 rung der psychischen Funktionen der Menschen befasste. So ist der 1958 erschienene Band Thinking. An experimental and social study nurmehr an universellen Problemlösestrategien interessiert; die früher für Bartlett typischen Fragen nach der Art der Schematisierung und Konventionalisierung von Erfahrungen und Eindrücken werden nun, ganz im Sinne der boomenden Kognitionswissenschaften, kaum noch gestreift (vgl. Costall 1991). Der Orientierung Bartletts an dem sich entwickelnden neuen Paradigma des Kognitivismus und seiner Einbindung in die empirischen Forschungen und theoretischen Diskurse am Harvard Institute in den fünfziger Jahren ist es womöglich zu verdanken, dass die Betonung der sozialen und pragmatischen Basis von Wissen und Kognition und die in Remembering zu lesenden Hinweise auf die Notwendigkeit einer nicht alternativen, interpretativen Methodologie für die Erforschung kognitiver Prozesse in seiner 1958 erschienenen Monographie Thinking nicht weiterentwickelte. Im selben Jahr erschien auch ein weiteres wichtiges psychologisches Buch, das zur Zeit des frühen Kognitivismus gehört: Die Theorie der persönlichen Konstrukte von George A. Kelly. Obschon etwa zur gleichen Zeit wie Bartletts Thinking oder Bruners, Goodnows und Austins A Study of Thinking erschienen und ebenfalls mit kognitiven Prozessen und ihren Auswirkungen auf das Handeln befasst, wurde Kellys zweibändiges Werk allerdings, im Unterschied zu diesen (und anderen) Standardwerken der

15 Das sieht auch Costall (1991) so: „There is […] a rather distinct sense in which Bartlett is supposed to have pioneered a ‚naturalistic approach‘, and this concerns the strong practical orientation of his later work, especially during the Second World War. But it is not at all obvious to me that this kind of practical orientation in itself ensures ‘ecological validity‘ in the current sense of this term“ (ebd.: 44).

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kognitiven Psychologie, nicht nur kein akademischer ‚Bestseller‘, sondern es blieb lange Zeit im Keller des Verlagshauses liegen. Kellys Theorie wird heute allgemein als Beitrag zur Psychologie der Persönlichkeit gewürdigt (vgl. Bannister/Agnew 1977; Sarbin 1976; Pervin 1993 u.a.). Vielleicht liegt darin der Grund, dass viele sozialkonstruktionistisch orientierte Psychologen Kelly zu denjenigen psychologischen Ansätzen zählen, die sie als individuozentrisch kritisieren: Die Metapher des man-as-scientist zeige, dass der Alltagsmensch rationalistisch und subjektivistisch, sein Wissen kognitivistisch konzeptualisiert sei (Edwards/Potter 1993; Gergen 1994; Laucken 1998). Diese Interpretation von Kellys Konstruktbegriff ist verbreitet, wird ihm jedoch nicht in jeder Hinsicht gerecht. Im folgenden Abschnitt wird deutlich werden, dass Kellys Theorie durch ihren interpretationistischen Grundton und durch die Verbindung von Wissens- und Persönlichkeitstheorie in vielen Aspekten anschlussfähig für den Sozialen Konstruktionismus und ihm verwandte, kognitivismuskritische Positionen sein kann. Darüber hinaus wird sichtbar werden, dass der Einfluss pragmatistischen Denkens, der sich nicht zuletzt auf Kellys Konzeptualisierung von Wissen auswirkt, der Theorie der persönlichen Konstrukte einiges von ihrem individualistischen und kognitivistischen Anstrich nimmt.

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George A. Kellys Psychologie der persönlichen Konstrukte

Als klinischer Psychologe bezog Kelly seine Fragestellungen wie zentrale Aspekte seiner Theorie aus seinen beruflichen Erfahrungen. Da er sich nicht ausschließlich als Theoretiker, sondern eben auch als Praktiker definierte, fiel es ihm auch leichter, sich von bestimmten theoretischen wie methodologischen Prämissen der damals dominanten Wissenschaftsauffassung zu distanzieren. Bereits im einleitenden Kapitel seines Hauptwerks übt er z.B. Kritik am Primat der experimentellen Methode, an der unbedingten Forderung nach der Operationalisierbarkeit jeglicher psychischer Konstrukte und an der grundsätzlichen Priorisierung des deduktiven Denkens (Kelly 1986: 35ff.). Um so interessanter ist es, dass gerade Jerome Bruner, renommierter Vertreter der neu entstehenden kognitiven Ausrichtung der Psychologie, diese Arbeit ein Jahr nach ihrem Erscheinen in einem renommierten wissenschaftlich-psychologischen Journal mit den Worten würdigte, es handle sich um den „ersten Versuch, eine Persönlichkeitstheorie ausgehend von einer Wissenstheorie zu konstruieren“, da Kelly zeige, „wie Men183

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schen die Welt kennenlernen, indem sie ihre unterschiedlichen Erscheinungen in organisierte Konstrukte einbinden“ (Bruner 1956: 355). Kellys konstitutionstheoretische Theorie der Person gilt als einer der maßgeblichen psychologischen Konstruktivismen (Bruner 1990a: 163; vgl. Bannister/Mair 1968; Sarbin 1976; Butt 2001). Einen gewissen Widerpart findet die konstruktivistische Einstellung allerdings in Kellys Empiriebegriff, der sich im Vorhaben und in der Methode der Messung der persönlichen Konstrukte zeigt, die unter der Bezeichnung ‚Rep-Test‘ (Repertory Grid) bekannt wurde. Allerdings hat Kelly selbst alternative Ansätze zur methodischen Erfassung der Konstrukte vorgeschlagen (Selbstcharakterisierung und Fixed-Role-Therapy) und ist nicht allein verantwortlich dafür, dass der ‚Rep-Test‘ für viele Psychologiestudentinnen und -studenten das erste ist, was sie (noch vor der Metapher des man-as-scientist) mit dem Begriff des persönlichen Konstrukts verbinden. Der Test wurde auch außerhalb der Konstrukttheorie verwendet und dadurch so bekannt in der wissenschaftlichen Psychologie (vgl. dazu Bannister/Mair 1968; Fransella/Bannister/ Agnew 1977). Stam (1998) hat darauf hingewiesen, dass das Kernproblem der frühen Bücher Kellys darin bestand, dass er von der sich entwickelnden kognitiven Psychologie übernommene Begriffe – etwa ‚bewusst‘ oder ‚Symbolisierung‘ – verwendete, deren Konzeptualisierung mit den Kognitivisten aber keineswegs teilte. Zweitens übernahm Kelly, wie es dem Trend der wissenschaftlichen Psychologie in den fünfziger Jahren entsprach, auch Ausdrücke der Computerterminologie und einer experimentell-statistischen Methodensprache als Heurismen für die theoretische Konzeptualisierung der Person – auch die Metapher des man-as-scientist ist dafür ein Beispiel (vgl. Stam 1998: 189f.). 4.1

Personale Konstrukte

Der zentrale Begriff, mit dem Kelly operiert, ist der des persönlichen (oder personalen) Konstrukts, der in gewisser Hinsicht vergleichbar ist mit dem Schemabegriff Bartletts bzw. dessen kognitionswissenschaftlicher Neuinterpretation (z.B. durch Rumelhart et al.). Mit ihm bezeichnet Kelly die individuellen Beschreibungs- und Erklärungskonstrukte, mit denen Individuen die Welt reflexiv erklären und verstehen. Schemata und Konstrukte ‚bauen‘ die alltäglichen Kognitionen ‚auf‘, insofern sie die Regeln und die Kategorisierungen enthalten, auf deren Grundlage Wahrnehmungen und Erkenntnisse erst stattfinden. Daher kann das persönliche Konstrukt in Kellys Theorie als „Bedingung der Möglichkeit von Kognition“ aufgefasst werden (vgl. Lenk 184

WEGBEREITER DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

1993: 193), denn die Schemata oder die persönlichen Konstrukte wirken sich bereits bei der Wahrnehmung aus. Wir reagieren dabei auf das, was wir als (Wahrnehmungs-)Reize interpretieren, wir sehen, was wir sehen, bereits unter einem bestimmten Muster, Schema oder einem anderen Erfassungskonstrukt. Das erkennende Subjekt konstituiert die Inhalte seiner Erkenntnis im Alltag ständig neu, indem es permanent Ordnungs- und Systematisierungsarbeit leistet. All dies geschieht entlang der Grundlage und innerhalb der Spielräume des persönlichen Konstrukts. Man kann Kellys constructive alternativism da16 her auch als eine subjektiv-kognitive Erkenntnistheorie bezeichnen. Kelly teilt die unterschiedlichen Konstrukte, über die eine Person verfügt, nach bestimmten Kriterien in Kategorien ein: Es gibt zum Beispiel – geordnet nach dem Grad ihrer Reichweite – umfassende, übergeordnete, untergeordnete und beherrschende Konstrukte. Diejenigen übergeordneten Konstrukte, die sich auf das Selbstkonzept der Person beziehen, nennt Kelly ‚Kernkonstrukte‘ (core constructs). Die Hauptannahmen von Kellys Theorie werden in den ‚Korollarien‘ festgehalten. Das sind insgesamt elf Sätze, die entweder philosophisch oder erkenntnistheoretisch interessant sind, oder aber empirisch orientiert. Sowohl die grundlegenden Postulate als auch die Korollarien der Kellyschen Theorie stellen eine radikale Abwendung von der damals für die Persönlichkeitspsychologie noch maßgeblichen Trait-Theorie sowie der psychodynamischen Sichtweise der Persönlichkeit auf der einen und von den behavioristischen Modellen auf der anderen Seite dar. Im Vergleich mit diesen Ansätzen wird deutlich, welches innovative Potenzial der interpretationistische Aspekt der Theorie birgt. Indem Kelly den interpretativen Zugang der Individuen zur Welt betont, nimmt er eine für die damalige Psychologie herausragende Position bezüglich des Umgangs mit ‚Realitäten‘ ein: Seine Konzeption der Person stellt die subjektive Bedeutsamkeit der Interpretationskonstrukte 16 In diesem Punkt ist der Rezeption der Konstrukttheorie durch Lenk (1993) zuzustimmen. Dass Lenk allerdings Kellys Theorie „zweifellos“ als „eine Auswirkung der kognitiven Wende“ (ebd.: 195) bezeichnet, erscheint schon deswegen etwas zu stark, weil die Theorie der persönlichen Konstrukte 1955 erschienen ist und – so Kellys eigene Aussage – etwa zwanzig Jahre vorher „in Angriff genommen“ (Kelly 1986: 11) wurde. Es wäre richtiger zu behaupten, dass mindestens das erste Jahrzehnt Kognitivismus und die dadurch erreichte Veränderung dessen, was die Psychologie als ihren Gegenstand definiert, notwendig waren, um etwas mehr Widerhall auf Kellys Theorie in der Psychologie zu ermöglichen.

185

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

über das Selbst und die anderen ins Zentrum. Der Konstruktionsbegriff Kellys ist dabei nicht rein kognitiv zu verstehen – schon im Grundpostulat der Theorie, das durch die einzelnen Korollarien differenziert wird, ihnen also zugrunde liegt, wird angezeigt, welche wichtige Rolle für Kellys Konstruktbegriff dem Prozess des Antizipierens zukommt. Es besagt: „Alle psychischen Prozesse einer Person werden durch die Art und Weise, in der sie Ereignisse antizipiert, psychologisch vermittelt und geprägt“ (Kelly 1986: 59). Auf die nähere Bedeutung des Begriffs Antizipation bei Kelly kommen wir sogleich zurück. Kelly geht davon aus, dass jedes Individuum über einige meist implizite Konstrukte verfügt, die in den Handlungssituationen im Alltag gebildet und dann quasi im Zuge der Antizipation von Ereignissen re17 aktiviert werden. Wichtig ist dabei, dass die Konstruktbildungen und -verbindungen flexibel, erlernbar, veränderbar sind. So lautet etwa das Erfahrungskorollarium: „Das Konstruktionssystem einer Person verändert sich in dem Maße, wie es ihr gelingt, die Replikationen von Ereignissen nach und nach zu konstruieren.“ Ähnlich wie in der klassischen empirischen Forschung werden die persönlichen Konstrukte in Auseinandersetzung mit der Anwendung überprüft, indem hypothesenartige Vorschläge auf den Einzelfall angewendet werden. Dafür prägte Kelly die Metapher des Menschen als „naiver Wissenschaftler“ (man-as-scientist oder auch personal scientist), die zum Schlagwort für das geworden ist, was die Psychologie von der Theorie der persönlichen Konstrukte aufgenommen hat. Zu Veränderungen im Konstruktsystem der Person selbst kommt es dadurch, dass ständig unerwartete Ereignisse eintreten, die dann immer neu konstruiert werden müssen. Das stete Aufeinanderfolgen von Ereignissen macht das Konstruktionssystem von Menschen zum Gegenstand eines andauernden 18 Validierungsprozesses (vgl. Kelly 1986: 84). Natürlich sind diese ständig ablaufenden (Re-)Konstruktionsprozesse nicht als bewusste, absichtsvolle Prozesse gedacht, sondern vollziehen sich in der Regel

17 Das Konstruktionskorollarium besagt ebenfalls: „Eine Person antizipiert Ereignisse, indem sie ihre Replikationen konstruiert.“ 18 Zum Erfassen von ‚etwas als etwas‘ bedarf es – so Kellys konstruktivistische Theorie – stets irgendeiner Art von Erfassungskonstrukt. Wie soll es dann möglich sein, eine Erfahrung als ‚unerwartet‘ zu interpretieren, zu erkennen? Bei Kelly wird – möglicherweise aus eben diesem Grunde – stets betont, dass ein Konstrukt immer als von vornherein veränderbar und sich verändernd versteht. Damit ist jede Erfahrung in irgendeiner Hinsicht neu.

186

WEGBEREITER DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

gleichsam automatisch. Nur wenn Dinge im Alltag ‚schief laufen‘, müssen wir vielleicht unser Wissen artikulieren. In einigen Korollarien geht es um die individuellen Möglichkeiten, mit den persönlichen Konstruktionen handelnd umzugehen, allen voran im Organisationskorollarium: „Jede Person entwickelt auf charakteristische Weise ein ihr fürs Antizipieren der Ereignisse angemessenes Konstruktionssystem, das geordnete Zusammenhänge zwischen den Konstruktionen erfasst“ (Kelly 1986: 70f.). Innerhalb dieses Systems gelten, so Kellys Theorie, bestimmte Bedingungen, die ebenfalls durch Korollarien festgehalten werden, so etwa die Neigung zu dichtotomen Konstrukten wie ‚konkret-abstrakt‘ oder ‚schön-hässlich‘ (Dichotomiekorollarium) oder die Notwendigkeit, den Geltungsbereich einzelner Konstrukte zu begrenzen (Bereichskorollarium). Das Fragmentierungskorollarium, nach dem eine Person nacheinander eine Vielzahl von Konstrukt-Subsystemen verwenden kann, die sich nicht auseinander erschließen lassen, teilt diese unterschiedlichen Systeme ein in Subsysteme der persönlichen Konstrukte. Zusätzlich gibt es einander nebengeordnete, sich nicht implizierende Konstrukte. Entscheidend für unsere Fragestellung ist besonders das letzte der Korollarien, das Sozialitätskorollarium. Es lautet: „In dem Ausmaß, in dem eine Person die Konstruktionsprozesse einer anderen konstruiert, kann sie in einem gemeinsamen sozialen Prozess mit dieser Person eine Rolle spielen.“ Das Erreichen sozialen Fortschritts oder gar „sozialer Harmonie“ ist nur möglich, wenn es gelingt, „das Verhalten der anderen antizipieren zu können – und dann sich an den Standpunkt des anderen anzupassen“. Gelingt dies, so ist man in der Lage, eine „konstruktive Rolle in Beziehung auf einen anderen Menschen zu spielen“ (Kelly 1986: 105ff.). Für ‚Rolle‘ gibt Kelly eine Definition mit zwei unterschiedlichen Elementen: Einerseits ist die Rolle ein Verhaltensmuster, „das aus dem eigenen Konstruktionssystem einer Person hervorgeht und nicht aus ihren sozialen Verhältnissen“. Andererseits muss man, um diese Konstruktionsarbeit leisten zu können, „sich selbst eine Rolle spielen sehen“, und das heißt sich selbst in einer „Aktivität, die man in Bezug auf und mit einem gewissen Verständnis für andere Menschen ausführt“ antizipieren und konstruieren. Offenkundig wird hier die Verwandtschaft zur pragmatistischen Konzeption personaler Identität von George Herbert Mead. Auch Mead betont, dass die Fähigkeit, ein Selbst zu entwickeln, an die Fähigkeit gebunden ist, die Erwartungen anderer an die eigene Person zu antizipieren. „Indem es sich selbst in der Rolle eines anderen anspricht, entsteht seine Ich-Identität“, sagt Mead (1983: 217) über das Individuum. 187

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Die ‚Rolle‘ entspricht also dem Selbstkonzept der Person. Kelly betont dass „diese Definition die Rolle mit einem sozialen Prozess verbindet. Es genügt nicht, dass ein Rollenspieler sein Verhalten organisiert, indem er das in Betracht zieht, was andere Leute denken; er muss Teilnehmer einer Gruppenbewegung sein […]“ (ebd.: 109). Was hier mit ‚Gruppenbewegung‘ gemeint ist, lässt sich aus den Korollarien der Ähnlichkeit und der Sozialität erschließen: Das Korollarium der Ähnlichkeit besagt, dass Menschen die „ihre Erfahrungen auf die gleiche [oder ähnliche] Weise konstruieren“, auch ähnliche psychologische Prozesse aufweisen (ebd.: 105). Menschen, die über die Ähnlichkeit der Erfahrungskonstruktionen hinaus „einander verstehen wollen“, erreichen einen Zustand, in welchem ihre Konstruktsysteme nicht nur ähnlich sind, sondern „einander subsumieren“, d.h. dem oder der einzelnen ist es möglich, zumindest eine Variante der Sichtweise anderer in das eigene System zu integrieren. Sie bilden eine Gruppe in der Weise, dass „die Handlungen, in denen sie sich aufeinander beziehen, Rollen genannt werden können“ (ebd.: 110). ‚Einander verstehen‘ ist damit wohlgemerkt „eine andere Aussage als die, dass jeder die Dinge auf dieselbe Weise verstehen muss wie der andere“ (ebd.). Auch hier die Analogie zu Mead, der die verschiedenen sozialen Rollen eines Individuums und deren „Organisation zu einer GesamtHandlung“ als maßgeblich für das Selbst der Einzelperson bezeichnet: Erst dadurch kann das Individuum „als Generalisierter Anderer in der Einstellung der Gruppe oder Gemeinschaft zu sich selbst Stellung nehmen“ (Mead 1983: 217). 4.2

Der Bezug der Konstrukttheorie zum amerikanischen Pragmatismus

Liest man das Sozialitätskorollarium so, dass die soziale Interaktionsgrundlage notwendig ist, um überhaupt zu eigenen Konstruktionen über Selbst (und Welt) zu gelangen, so rückt Kellys Theorie in die Nähe der amerikanischen Pragmatisten. ‚Sich selbst antizipieren‘ kann man nur über die Antizipation des eigenen, auf andere bezogenen Handelns. Diese Fundierung des Individuums und individueller Konstruktionen im Sozialen macht die Konstrukttheorie sehr interessant für neuere kulturpsychologische und sozialkonstruktionistische Identitäts- und Wissenstheorien. Folgt man etwa Butt (2001), so zeigt sich die Verwurzeltheit der Kellyschen Persönlichkeitstheorie in den Arbeiten der amerikanischen Pragmatisten nicht nur in der sozialen Genesetheorie des Selbst, sondern auch auf metatheoretischer Ebene: Wie Dewey sieht Kelly die Philosophie nicht als Ort reiner philosophischer 188

WEGBEREITER DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

Kontemplation, sondern als praktisches Bemühen. Auch philosophische Beobachtungen und Behauptungen sind nicht allein über ihren Wahrheitsgehalt, sondern über ihren praktischen Nutzen zu validieren. Für die Sozialkonstruktionisten gibt es jedoch folgendes Problem: Im Gegensatz zu vielen neueren sozialkonstruktivistischen PsychologieAnsätzen interessierte die Pragmatisten das Selbst und die Gesellschaft bzw. Sozialität gleichermaßen. Deweys Reflexionen über das Individuum oder James’ und vor allem Meads Theorie des Selbst sind eben nicht Thematisierungen aus der Perspektive des Individuums allein, sondern die Sozialität bildet gleichsam Bedingung der Möglichkeit individueller Entwicklung und Persönlichkeit. Allerdings ist die Rede auch vom Individuum und ‚seinen‘ Konstruktionen (die zudem eine bestimmte Struktur aufweisen), und das genügt für viele Theoretikerinnen und Theoretiker im Umfeld des Sozialkonstruktionismus, der Meadschen Theorie ein „starkes Element des Individualismus“ (Gergen 1999: 124) zuzusprechen und sie als Vorläuferin einer sozialen Theorie des Selbst aufzugeben. Nun wird auch Kellys Theorie in der Psychologie oftmals als individualistische Konzeptualisierung der Person rezipiert (vgl. Sarbin 1976; Gergen 1996a, u.a), ohne dass ihre Verbindung zum Pragmatismus betont wird. Wenngleich sich Kelly, oberflächlich betrachtet, nicht vorrangig mit dem Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft befasst, ist dagegen doch einzuwenden, dass er sich weigert, die gemeinhin von Psychologen und Psychologinnen selbstverständlich eingenommene Position zu beziehen, derzufolge die Gesellschaft als dem Individuum äußere Umwelt oder Bedingungsgefüge aufzufassen ist. Er vertritt vielmehr eine gemäßigt kulturalistische Position, wenn er z.B. sagt: „each of us represents a large chunk of his own environment“ (Kelly 1969: 227). Gleichzeitig betont er die individuelle Interpretationsfähigkeit der Person im Verhältnis zwischen Individuum und Kultur: „The client is not merely the product of his culture, but it has undoubtedly provided him with much evidence of what is ‚true‘ and much of the data which his personal construct system has had to keep in systematic order“ (Kelly 1955/II: 688). Die Individuen müssen keinesfalls passiv reagieren auf die kulturellen ‚Bedingungen‘; gleichwohl sind ihre aktiv aufgebauten Konstruktionen nicht unabhängig von den Interaktionsbedingungen der sozialen Umgebung, in der sie bestehen müssen und an der sie (im Handeln, jeden Tag) geprüft werden. Diese soziale oder soziokulturelle Basis ist – nicht zuletzt aufgrund der Be-

189

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

deutung, die der Konstruktionsleistung Antizipieren laut Grundpostulat beigemessen wird – den individuellen Konstruktionen immer schon inhärent. Kelly selbst betont zwar im Korollarium der Wahl sowie im Individualitätskorollarium, dass Individuen die eigenen Konstruktionen über Ereignisse „wählen“ bzw. selbst bestimmen. Kein Ereignis verpflichtet zu einer bestimmten Interpretation. So erklärt es sich beispielsweise, dass Angehörige derselben kulturellen Lebensform zu unterschiedlichen Konstruktionen von Erfahrungen und Antizipationen von Ereignissen kommen können. Dennoch stellt das Sozialitätskorollarium für Kelly die wichtigste Basis für die Konstruktionen des Individuums dar, da ja die Antizipation der Konstruktionen anderer notwendig ist, um das eigene Kernkonstrukt – das Selbstkonzept – zu bilden, auf das wiederum die individuellen Konstruktionen von Ereignissen und Erfahrungen ausgerichtet sind. Was aber meint nun ‚antizipieren‘? Zentral ist in diesem Zusammenhang der Hinweis Radleys (1977), dass ‚Antizipation‘ nicht mit ‚Vorhersage‘ – ihrer kognitiven Komponente – gleichzusetzen ist. Erst mit einer pragmatischen Auslegung des Begriffs der Antizipation lässt sich aus dem Kellyschen Konstruktionsbegriff auch das herausarbeiten, was Kelly selbst als „präreflexiven“ Anteil unserer Konstruktionen bezeichnet (vgl. z.B. Kelly 1986: 64: 164). 19

4.3

Antizipation und Konstruktion

Das Sozialitätskorollarium betont, wie gesagt, dass alles, was jemand in Antizipation der Erwartungen und Einschätzungen anderer tut, als soziale Rolle bezeichnet werden kann. Wie Individuen überhaupt miteinander in Beziehung treten, kann man mit Kelly so verstehen, dass sie, „Konstruktionen über Konstruktionen anderer aufstellen und selbst im Licht dieser Konstruktionen handeln“. Anders – ohne eine solche Rolle einzunehmen – kann ein Individuum nicht handeln und auch sich selbst nicht antizipieren, also kein Selbstkonzept entwickeln. Individualität und damit das Individuum ist bei Kelly konzeptualisiert als individuelle Unterschiedlichkeit, die sich darin zeigt, dass es unterschiedliche Wege zur Antizipation derselben Ereignisse gibt bzw. ähn-

19 Für diese Weise, das Verhältnis von ‚freier‘ Konstruktion und dem sozial vorgegebenen Feld möglicher Konstruktionen zu bestimmen, hat sich – auch im Zusammenhang mit pragmatistischen Theorien und deren Wahrheitsbegriff – der Terminus ‚viable construction‘ eingebürgert (vgl. z.B. Butt 2001: 83; Gergen 1994).

190

WEGBEREITER DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

liche Erfahrungen unterschiedliche Antizipationen hervorrufen. Um dennoch Erfahrungen zu teilen, müssen Individuen es fertig bringen, die „Erfahrungen ihrer Mitmenschen zusammen mit ihren eigenen [zu] konstruieren“ (ebd.: 68). Das gelingt freilich nicht dadurch, dass Menschen aufgrund gleicher Ereignisse auch gleiche Erfahrungen konstruieren müssen – es ist lediglich „nicht unausweichlich, dass sie eine gemeinsame Basis finden“, sie teilen dann nämlich das, was sie „als an sie gerichtete Erwartungen annehmen“. Dadurch wird die Theorie der persönlichen Konstrukte, so Kelly, auch zu „einer antizipatorischen Theorie des Verhaltens“, wobei einige der Ereignisse, die man antizipiert, die Handlungen anderer Personen sind (ebd.: 104). Antizipieren verweist damit auch auf solche konstruktiven Leistungen bei der täglichen Interaktion mit anderen, die nicht vollständig im Bereich expliziten, kognitiven, theoretischen Wissens bzw. im bewussten (bewusst zu machenden) Denken aufgehen. Die Antizipations- und Konstruktionsleistungen des personal scientist erfordern damit immer auch praktisches (und damit implizites) Wissen darüber, wie Ereignisse und Erfahrungen im Lichte der Erwartungen und Konstruktionen anderer zu konstruieren sind. Kelly selbst misst dieser praktischen Dimension alltäglicher Konstruktionen erhebliche Bedeutung bei und weist wiederholt darauf hin, dass man den „Konstruktionsvorgang nicht mit verbaler Formulierung“ verwechseln dürfe (1986: 24: 64f. u.a.). Seine Hinweise kommen allerdings über den Status von Andeutungen nicht hinaus, wenn er etwa zugesteht: „Wir erkennen an, dass der psychologische Begriff der Konstruktion einen großen Gültigkeitsbereich hat, der sich durchaus nicht auf jene Erfahrungen beschränkt, über die die Leute sprechen oder über die sie für sich nachdenken können“ (ebd.: 64). Butt behauptet sogar, dass Kellys Sichtweise, die in seinen später veröffentlichen Schriften zur Sprache gelangt – er wollte gegen Ende seines Lebens ein Buch über Emotion schreiben –, immer stärker mit der Perspektive vereinbar wird, die man aus der Umgebung MerleauPontys und der Phänomenologie kennt. „Anticipation refers to one’s bodily stance toward the world“, schreibt Butt (1998: 108; vgl. auch Radley 1977). Kelly (1969), der sich stets geweigert hat, die Person in unterschiedliche psychische Funktionsbereiche wie Verhalten, Kognition, Emotion aufzuspalten, sagt: „Man lives in anticipation; we mean this literally – he lives in anticipation“ (1969: 88; Herv. i.O.). Ähnlich sagt Merleau-Ponty: „We live in the expression of the other“ (1966). Eine Rolle übernehmen im Kellyschen Sinn geht nicht darin auf, eine kognitive, theoretische Entscheidung bezüglich des In-BeziehungTretens zu anderen in Handlungen umzusetzen. Sondern die Rolle ist 191

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

selbst eine Art körperlich fundiertes, vorsprachliches, interaktiv angeeignetes – eben: praktisches – Wissen über die soziale Realität und das eigene Selbst (vgl. auch Butt 1998: 111). Der Begriff der Antizipation, gelesen im Sinne eines praktischen, im Alltag wie selbstverständlich verfügbaren sozialen Umgangswissens, das in der materiellen oder körperlichen Existenz von Personen und Gegenständen verankert ist, gibt möglicherweise tatsächlich zu einen Wissensbegriff vor, der mit der intellektualistischen und dualistischen Doktrin des Kognitivismus nicht zu vereinbaren ist, derzufolge Menschen ihre soziale und materielle Umwelt durch solipsistische, immaterielle Informationsverarbeitungsprozesse strukturieren und gestalten. Damit scheint Kellys Theorie weniger kognitivistisch und näher am soziopragmatischen Wissensbegriff des Sozialen Konstruktionismus als die meisten psychologischen Lesarten der Konstrukttheorie (etwa Bannister/Mair 1968; Gergen 1999; Pervin 1993 u.a.; vgl. kritisch Stam 1998; Butt 2001) erkennen lassen. 4.4

Konstrukttheorie und Sozialkonstruktionismus

Innerhalb der Psychologie steht Kellys constructive alternativism neben Jean Piagets genetischer Epistemologie für die theoretische Tradition psychologischer Konstruktivismen. Daher sehen sich auch die Vertreterinnen und Vertreter des modernen Sozialkonstruktionismus immerhin in einer gewissen „intertextuellen Beziehung“ (Gergen 1997: 67; vgl. Butt 1998) zur Konstrukttheorie. Zweifellos teilen Konstrukttheorie und Sozialkonstruktionismus die Ablehnung des positivistischen Realismus, darin ist Kellys Ansatz so konstruktivistisch wie der Gergens. Sucht man nach dem Kriterium dafür, wie Worte oder Begriffe in eine Ordnung gebracht werden, um Sachverhalte, Handlungsweisen, Ereignisse zu konstruieren, so ist im Falle des constructive alternativism klar: Was immer da ist – in der Welt –, verpflichtet nicht zu einer bestimmten Sprache (darüber). Die individuellen Konstrukte sind in dieser Hinsicht zunächst einmal ‚frei‘, nicht durch die ‚Form‘ der (materiellen, sozialen) Realität determiniert. Allerdings unterscheidet sich Kelly vom Sozialen Konstruktionismus darin, dass für ihn die Konstrukte keineswegs beliebig sind. Sie haben etwas mit ihren Referenten zu tun – gleichwohl geht kein Konstrukt darin auf, den Referenten abzubilden. Wir werden auf das Relativismusproblem in Bezug auf Gergens Konzeptualisierung der Psychologie und des Selbst aus der Sicht des Sozialen Konstruktionismus noch ausführlich eingehen. Die Frage, ob Kellys Konstruktivismus sozial ist, oder ob man denjenigen unter seinen Kritikern zustimmen muss, die ihn als kogniti192

WEGBEREITER DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

vistisch und individualistisch lesen, wurde bereits ausführlich diskutiert. Das Resultat bleibt widersprüchlich: Zunächst hinterlässt Kellys Beharren auf dem Individuum als „individual knower“ (Stam 1998; Sarbin 1976) allzu oft den Eindruck, es gehe um einsam Kognizierende, die sich ihre Welt aufbauen, und als hielte das den constructive alternativism davon ab, sich einer sozialen Konzeption des Individuums wirklich anzunähern. Liegen hier die konzeptuellen Grenzen seiner Psychologie? Geht es Kelly um das Individuum und seine Bemühungen und Kapazitäten, die interpersonale Welt aufzubauen und nicht um die intersubjektive Basis für individuelle Konstruktionen? Auch in den meisten der elf Korollarien findet sich die für Psychologen allzu selbstverständliche Perspektive auf das Individuum und seine Kapazitäten und Kompetenzen wieder. Auch das Selbst entsteht zwar aus Kognitionen des Individuums, die sich immer auch auf dessen Rolle und damit auf andere Menschen beziehen – jedoch nicht aus den Handlungen des sozialen Akteurs und Rollenträgers (Mead). Dazu fehlt Kellys Theorie und seiner Konzeption des Individuums auch die explizite Bezugnahme auf gesellschaftliche Strukturen, Lebensformen, soziokulturelle Symbolsysteme – eben auf dezidiert soziale oder kulturelle Erzeugnisse und ihre konstitutive Bedeutung für die Kognitionen der Partizipierenden (vgl. auch Sarbin 1976: 12). Allerdings muss man Kelly zugestehen, dass die konstruierende Person keinesfalls als isoliertes Individuum geschildert wird, sondern ihre Tätigkeit stark von einer Art sozialer Steuerinstanz („social constraints“) abhängig ist. Auch wenn Personen sich in ihren Konstruktionen der Ereignisse voneinander unterscheiden (Individualitätskorollarium), sind doch sowohl ‚Gemeinsamkeit‘ also auch durch Rollenübernahme gewährleistete ‚soziale Kommunikation‘ entscheidende theoretische Größen für den Aufbau der individuellen Konstrukte (vgl. Gemeinsamkeits- sowie Sozialitätskorollarium). Ein anderes Beispiel sind die Kernkonstrukte einer Person. Sie machen zusammen deren Selbstkonzept aus und sind als beständigste und stabilste Konstrukte im jeweiligen Konstruktsystem einer Person zwar individuelle Konstruktionen, die ein Mensch von sich selbst bildet, aber auch sie sind veränderbar und müssen anhand der sozialen Realität immer wieder neu geprüft werden. Jeder Mensch konstruiert somit sein spezifisches, 20

20 Dies obwohl die konzeptuellen Vorgaben durchaus vorhanden waren und Kellys Theorie wie gesagt auch durchaus mit-geprägt hatten: William James, Mark Baldwin und George Herbert Mead hatten vor ihm detaillierte Ansätze eines sozialen Selbst formuliert.

193

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in der von ihm konstruierten Realität lebbares (‚viables‘) Konstruktsys21 tem (vgl. Butt 2001: 80). Stam (1998) kritisiert die einerseits kognitivistischen, andererseits der experimentellen Methodik verhafteten Sprache Kellys und konstatiert, dass die Entscheidung zugunsten einer bestimmten methodischen Herangehensweise natürlich den Blick auf den Gegenstand verändere. Auch die Verwendung statistischer Methoden für die empirische Unterlegung einer Persönlichkeitstheorie bedeute, dass man eine bestimmte historische Sicht des Menschen – gleichsam durch die Hintertür – doch wieder bestätigt. Daran liege es, dass Kelly immer wieder Gefahr liefe, konstruktive Prozesse als instrumentell, intern und „essentially asocial“ zu verstehen. Oder anders ausgedrückt, die positivistische Sprache verstellt den Blick auf die Stärken von Kellys Wissen- und Persönlichkeitstheorie: „What is hidden in the language of PCT is its original consensual and social nature“ (Stam 1998: 191). Insgesamt stellt sich Kellys Konstruktivismus als eine Art gemäßigter Sozialer Konstruktionismus dar, bei dem immer bis zu einem gewissen Grad individuelle Wahlmöglichkeiten bleiben, die aber selbst Ergebnis der Partizipation am sozialen Prozess sind. Auch gesellschaftliche Phänomene, wie z.B. die Entwicklung bestimmter Moden (vgl. hierzu Butt 2001), lassen sich für Kelly nicht allein durch soziale Kräfte oder Zwänge erklären, sondern das handelnde Individuum partizipiert am sozialen Handlungszusammenhang. Da es dies aber nur im Medium sozialer Verständigung tun kann, bleibt das sozialkonstruktionistische Element bewahrt. Sowohl individuelle Handlungsplanung als auch konstituierende soziale Regeln sind Kelly zufolge existenziell wichtig (vgl. Kelly 1955: 735f., zit. nach Butt 2001: 89). Die Form der individuellen Partizipation unterliegt zwar sozial vorgegebenen „Tendenzen“, sie wird jedoch auf der Basis der Antizipation der Möglichkeiten getroffen, das eigene Selbst einerseits zu erweitern und andererseits in vertrauten Begriffen zu definieren: Die Individuen reflektieren durchaus auch denjenigen Anteil der eigenen Handlungen, in den „präreflexive“ Konstruktionen eingegangen waren. Sie tun dies über bipolare Konstrukte, die ihre Denkbewegungen einschränken, aber auch strukturieren und nehmen dabei besonders Bezug auf ihre Kern-

21 Viele Kritiker der Konstrukttheorie stellen hier die Frage, wie ein Mensch seine ersten, auch die Wahrnehmungserkenntnis (mit-)bestimmenden Konstrukte erlernt und bemängeln die fehlende Behandlung entwicklungspsychologischer Aspekte bei Kelly (vgl. z.B. Stam 1998).

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konstrukte, die insbesondere anzeigen, was das Verfolgen des einen oder des anderen Handlungsstranges für ihr Selbst bedeutet, was sie sozusagen für ihre Selbstkonstruktionen ‚daraus machen werden‘ (vgl. z.B. Kelly 1986: 79ff.). Es geht weder um die passive Internalisierung sozialer Konstruktionen, noch um die Steuerung durch das Unbewusste oder andere psychische Kräfte. Es geht um die pragmatisch fundierte, spontane, individuelle Auslegung sozialer Konstruktionen. Offen bleibt die Frage, wie man sich den präreflexiven Anteil der Konstrukte genau vorzustellen hat. Geht man davon aus, dass damit – ähnlich den Dispositionen in Bourdieus Habitustheorie – eine Art implizites, leiblich repräsentiertes, soziales Wissen gemeint ist, dann ist die Frage, inwieweit der Antizipationsbegriff in den Konstruktionsbzw. Wissensbegriff eingeht, auch eine Frage nach dem Stellenwert der Sozialität in Kellys Theorie. Auch wenn man den Kritikerinnen und Kritikern zugesteht, dass Kellys Theorie nominell noch zu sehr auf das Individuum und dessen Konstruktionstätigkeit ausgerichtet ist, so diskutieren neuere Arbeiten, die an die Konstrukttheorie anschließen oder sie weiter entwickeln, das soziale Element in Kellys Theorie immer häufiger mit Bezug auf das von ihm selbst nur angedeutete 22 „prä-reflexive“ Element der Konstrukte. „When psychological processes are seen as not just cognitive reflections, but embodied, it opens up new ways of moving into and experimenting with new roles“ (Butt 1998: 113). Und weiter: „It is sometimes helpful to consider that we have a primitive ability to understand the feelings, moods and intentions of another person, an ability that is ignored as we are influenced by prevailing theories of dualist existence“ (ebd.: 116). Kelly hat sich zwar nicht so entschieden von der Orientierung am Individuum anderer damals dominanter Persönlichkeitskeitstheorien distanziert (der Trait-Theorie, der Psychoanalyse), wie es seine eigenen prinzipiellen Postulate und Stellungnahmen zunächst suggerieren. Er hat sich jedoch davon entfernt durch die Behauptung, dass die Konstruktionen Elemente sozialer Handlungen (Sarbin 1976: 12: „doings“) seien und dass ein praktisches, präreflexives Element der Konstrukte für das Verständnis des constructive alternativism zentral ist. Die Stärke der Theorie der persönlichen Konstrukte liegt also in ihrem pragmatischen Element. Gerade dieses sollte die Konstrukttheorie für den Sozialkonstruktivismus besonders interessant machen, da sie damit an der Frage an22 So etwa, mit Bezug auf konstruktivistische Psychotherapie, Epting 1984 (vgl. dazu auch Butt 1998: 113).

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setzt, für die die meisten sozialkonstruktionistischen Ansätze keine Antwort haben. An der Frage nämlich, wie die individuelle Partizipation des oder der Einzelnen an einer soziokulturellen Praxis, einer Sprache oder einer „Lebensform“ (Wittgenstein) zu denken ist. Kelly hat versucht, dies mit Bezug auf Pragmatismus und Handlungstheorie zu beschreiben, ohne auf eine subjektivistische Konzeptualisierung des Akteurs zurückzugreifen.

5

Schlussbetrachtung

Am Ende des ersten Teils der Arbeit (s. Kap. II, 6) wurden im Anschluss an die philosophische Kritik des Kognitivismus und aufgrund der Forderungen neuerer kognitivismuskritischer Ansätze in der Psychologie Kriterien für einen psychologischen Wissensbegriff formuliert, der die Engführungen des Kognitivismus vermeidet. Wissen sollte erstens eher als Konstruktion denn als Repräsentation verstanden werden; zweitens sollten diese Konstruktionen im Unterschied zum Ideal einer vollständig regelgeleiteten, kontrollierbaren Informationsverarbeitung als sinn- und bedeutungshaltige Konstruktionen konzeptualisiert werden. Daraus ergaben sich, so die Forderungen der Kulturpsychologie, drittens methodische und methodologische Konsequenzen, die man mit der Notwendigkeit einer interpretativen Methodologie umschreiben kann. Viertens sollen Kognitionen im Sinne des Sozialkonstruktionismus und der Kulturpsychologie nicht mehr als unabhängige Leistungen des kognizierenden Subjekts verstanden werden, sondern als intersubjektive bzw. soziale Konstruktionen (damit stellt sich die Frage der individuellen Aneignung sozialer Wissensbestände). Fünftens sollen Kognitionen nicht allein auf der Basis propositionalen Wissens konzeptualisiert werden. Können die im vorliegenden Kapitel behandelten Wissenstheorien diese Kriterien erfüllen? Und stellten sie, wie Bruner es in seinem euphorischen Rückblick andeutet, damit bereits die Grundbegriffe für eine am Konzept der Bedeutung interessierten Psychologie zur Verfügung, bevor die neueren Positionen des Sozialen Konstruktionismus und der Kulturpsychologie sich überhaupt konstituiert hatten? Wir haben gesehen, dass diese Fragen für die Attributionstheorie, Bartletts Gedächtnispsychologie und die Konstrukttheorie jeweils unterschiedlich beantwortet werden müssen. Wissen als Konstruktion: Die gängige Definition für die Beschreibung psychologischer Konstruktivismen lautet in der Regel etwa wie folgt: Konstruktivistische Ansätze gehen davon aus, dass in Wahr196

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nehmung und Handeln Realität aktiv produziert, anstatt passiv abgebildet wird. Diese offene Definition ist sehr dehnbar und machte, bei weiter Auslegung, alles zu Konstruktivismus, was nicht bloßer Verhaltensrealismus ist. In diesem Sinne sind nicht nur Kelly und Bartlett, die für ihre Theorien dann auch explizit den Begriff ‚konstruktivistisch‘ oder ‚konstruktiv‘ in Anspruch nahmen, Konstruktivisten. Auch Heider und Festinger fragen danach, wie Menschen sich Sachverhalte und Handlungen erklären und deren Bedeutung damit konstruieren. Schon durch ihre gestalttheoretischen Wurzeln bedingt steht bei den Attributionstheorien insofern ein konstruktivistischer Wissensbegriff Pate, als sie behaupten, dass die (soziale) Wahrnehmung bereits durch die kognitive Struktur des Menschen geprägt bzw. durch dieser Struktur geschuldete systematische Verzerrungen gekennzeichnet ist. Sinn und Bedeutung, Polyvalenz: Der von den Attributionstheorien verwendete Konstruktionsbegriff ist jedoch individualistisch. Das verdankt sich nicht zuletzt der Überbetonung des Kausalschemas für die alltäglichen Handlungs- und Ereigniserklärungen. Dieser Vorgabe (bei Festinger und Heider), derzufolge sich Handlungsentscheidungen im Alltag in kausale Wenn-dann-Schemata einfügen, halten neuere kultur- und sozialpsychologische Ansätze alternative Erklärungsformen entgegen. So etwa wird gegen die Beschränkung auf kausale Erklärungen nicht nur die intentionalistische Handlungserklärung (von Wright 1974), sondern beispielsweise die narrative Erklärung (Straub 1999; Seitz 2003) oder die Erklärung über „sozialsemantische“ Verweisungsbeziehungen (Laucken 1989, 2003: 146ff.) angeführt. Auch unsere Diskussion der inhärenten Theorieprobleme des philosophischen Kognitivismus (Fodor) hat gezeigt, dass Intentionalität und Semantik (begriffliche Notwendigkeiten eines auf Sinn und Bedeutung ausgelegten Konstruktionsbegriffs) nicht über kausale Relationen erklärt werden können. Gegenüber den Attributionstheorien zeichnet sich Bartletts Wissenstheorie gerade durch die Betonung von Bedeutungs- oder Sinnkonstruktionsleistungen aus. Sein Schemabegriff – und auch dessen modernisierte, kognitivistische Variante bei Schank und Abelson (1977) – gilt bis heute als konstruktivistisches und handlungsnahes Modell für die Repräsentation bedeutungshaltigen Wissens. Charakteristisch für Bartletts Forschungen war dabei nicht zuletzt die Einsicht, dass Kognitionen (bzw. Erinnerungen) grundsätzlich als kontextgebundene, interpretative Konstrukte zu verstehen sind, die das, was sie wiedergeben stets in einer an die eigenen Schemata und Kontextinterpretationen gebundenen Weise konstruieren, und zwar so, dass es – in Bezug auf die soziokulturelle Vorstrukturierung seitens der kognizierenden Subjekte und nicht allein aufgrund der Be197

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

schaffenheit seines Wahrnehmungs- und Kognitionssystems – einen Sinn ergibt. Auch die Konstrukttheorie Kellys basiert auf einem interpretationistischen Konstruktionsbegriff, der – etwa im Vergleich zu den Attributionstheorien – weniger Wert auf die logische Struktur der Konstruktionen legt und deren soziopragmatische Fundiertheit stärker betont. Interpretative Methodologie: Nur durch Deutungen und Interpretationen werden aus an und für sich bedeutungslosen Ereignissen oder Verhaltenseinheiten sinn- und bedeutungshaltige Konstruktionen. Entsprechend muss auch der Zugang zu dieser sinnhaft strukturierten Wirklichkeit ein interpretativer sein. Kulturpsychologische Ansätze in der Psychologie treten in diesem Sinn für eine interpretative Methodologie als dem Gegenstand angemessen ein (vgl. Zitterbarth/Werbik 1990; Bruner 1990a; Potter/Edwards/Wetherell 1993; Straub 1999). Das gilt nicht für die zu Beginn des Kapitels behandelten Vertreter der kognitiven Wende. Keiner der behandelten Ansätze leitete aus der ‚Bedeutungsdimension‘ des Gegenstands die entsprechenden methodologischen und methodischen Konsequenzen ab und zog den Operationalismus, die experimentelle Methode oder das positivistische Wissenschaftsverständnis radikal in Zweifel. Für Bartletts Erhebungsmethoden in Remembering mag hier eine Ausnahme gelten, allerdings nicht für seine späteren Experimente zum Problemlösen. Damit wurde die theoretische Einstellung, derzufolge mentale Begriffe an sinn- und bedeutungshaltige Konstruktionen gebunden sind, auch in den Fällen, in denen sie theoretisch ein Anliegen war, methodisch nicht nachvollzogen. Dieser Kritikpunkt wird von neueren Arbeiten oft gegen die früheren konstruktivistischen Wissenstheorien angeführt (vgl. Stam 1998; Gergen 1994; Potter/Edwards 1993 u.a.). Sozialer, soziopragmatischer und praktischer Aspekt des Wissens: Die Betonung der sozialen oder intersubjektiven Grundlage individueller Konstruktionen sowie die damit verbundene Annahme der Sprachgebundenheit von Wissen bilden für viele rezentere kognitivismuskritische Ansätze den Dreh- und Angelpunkt ihrer Erklärungen und werden als Hauptmotiv für die Abgrenzung vom Kognitivismus genannt, der sich mit der Explikation individueller Verarbeitungsmechanismen und -strategien begnügt (vgl. Bruner 1990a; Gergen 1994). Wie ‚individuell‘ oder wie ‚sozial‘ ist das Alltagswissen im Rahmen der Attributionstheorien, die ja als Theorien der sozialen Wahrnehmung bezeichnet werden, konzeptualisiert? Heiders Psychologie interpersonaler Beziehungen wurde als Buch über Prozesse der Informationsnutzung aufgenommen. Dort beschrieb er Attributionen als auf Wahrnehmungen basierende Kognitionen, die daraus entstehen, dass Ereignissen 198

WEGBEREITER DER KOGNITIVEN PSYCHOLOGIE

und Handlungen kausale Erklärungen zugeschrieben werden. Heider wollte – ganz im Sinne des Kognitivismus – den regelhaften Bedin23 gungen dieser unmittelbaren Auffassungen nachgehen. Auch das instrumentelle Sprachverständnis der Attributionstheoretiker trägt dazu bei, dass Attributionen als individuelle Konstruktionen konzipiert werden. Am entschiedensten betont wurde die soziokulturelle Eingebundenheit semantischen Wissens und der damit zusammenhängenden kognitiven Leistungen in der frühen Gedächtnispsychologie Bartletts und in der Konstrukttheorie Kellys. Bartletts psychologisches Gedächtnismodell bestimmte kontextgebundene, soziokulturelle Schemata explizit als Mitkonstituenten desjenigen Wissens, das individuell verfügbar ist, und sein Modell wurde von den interpretativen Kulturund Sozialwissenschaften aufgenommen und weiterentwickelt (Edwards/Middleton 1988; Costall 1991b, 1992; Cole 1996; Straub 1997; Saito 2000). Allein der Antizipationsbegriff Kellys bietet – wenngleich diese Aspekte nicht hinreichend ausgeführt werden – darüber hinaus bereits Anhaltspunkte für die theoretisch-psychologische Konzeptualisierung soziokultureller Wissensbestände als zum Teil implizites, an Handlungen gebundenes Wissen. Die diskutierten Ansätze zeigen, dass die Arbeiten von Bartlett und Kelly für neuere kognitivismuskritische Positionen in verschiedener Hinsicht anschlussfähig sind. Gleichwohl erscheint Bruners Rückblick auf diese Wegbereiter des Kognitivismus in wenigstens zwei Punkten zu positiv: Keiner der hier verhandelten Autoren geht in angemessener Weise auf die Sprach- und Kulturgebundenheit individuellen Wissens ein und macht Vorschläge, den psychologischen Wissensbegriff bzw. psychologische Modelle der Wissensrepräsentation und -bildung um diesen Aspekt zu erweitern. Das ist auch der maßgebliche Grund, warum z.B. Gergen als wichtiger Vertreter des Sozialen Konstruktionismus die konstruktivistischen psychologischen Wissenstheorien insge23 Das gilt noch stärker für die Theorie der korrespondierenden Schlussfolgerungen von Jones und Davis sowie für Kelleys Kovariationsmodell. Kelleys Weiterentwicklung von Heiders Modell der Kausalattribution fokussiert noch stärker auf das Beeinflussungsmoment in der Umwelt (er differenziert z.B. dasjenige, was in Heiders Modell ‚Umweltkraft‘ genannt wird, noch in Situationsumstände und variable Kontextfaktoren), um dann ein Modell der individuell-kognitiven Verarbeitung dieser so klassifizierten Informationen bereitzustellen, welches die intuitiven Handlungserklärungen der Menschen im Alltag völlig abdeckt und dabei rein logisch und statistisch vor sich geht (vgl. auch Heckhausen 1989: 404f.).

199

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

samt als individuozentrisch und kognitivistisch versteht und für seine Psychologie-Konzeption nicht auf sie zurückgreift (1). Ein zweiter Schwachpunkt der älteren Arbeiten, der auch für Kelly und Bartlett zutrifft, ist die fehlende Bereitschaft, aus ihren theoretischen Konzepten methodische Konsequenzen abzuleiten. Keiner der hier verhandelten Autoren hat sich vom positivistischen Erkenntnisideal, der damit verbundenen Wissenschaftstheorie und einer nomologischen Auffassung der Psychologie als Wissenschaft abgegrenzt (2). Wir werden in den folgenden Kapiteln ausführlich auf die sozialkonstruktionistische Alternative eingehen – beginnend mit ihrer von Gergen behaupteten „alternative conception of knowledge“ (Gergen 1994).

200

IV

Der Soziale Konstruktionismus und seine theoretischen und metatheoretischen Kontexte

Die im vorherigen Kapitel diskutierten Wegbereiter der kognitivistischen Psychologie konnten also einige Fragestellungen und Probleme der aktuellen kognitivismuskritischen Diskussion innerhalb der Psychologie vorbereiten, deren zentrale Argumente jedoch nicht vorwegnehmen. Daher wird es im Folgenden um die bereits gegen Ende des zweiten Kapitels erwähnten sozial- und kulturpsychologischen Ansätze neueren Datums gehen, die wir als postkognitivistische Psychologiekonzeptionen bezeichnen. Sowohl der Soziale Konstruktionismus als auch die handlungstheoretisch orientierte Kulturpsychologie haben sich in den letzten drei Jahrzehnten mit kritischen Gegenentwürfen zur kognitivistischen Psychologie, speziell der kognitivistisch orientierten Sozialpsychologie, und der damit verbundenen Forschungspraxis befasst. Sie stützen sich für ihre kritischen Argumente und für die positive Bestimmung eines nicht kognitivistischen Wissensbegriffs durchaus auf einige Resultate der bedeutungstheoretischen Diskussion der (Analytischen) Philosophie des Geistes, die in Kapitel II besprochen wurden. Wichtiger jedoch ist der Bezug zu jenen philosophischerkenntnistheoretischen Neuerungen, die sich – grob gesagt – den durch den linguistic turn in den Sozial- und Geisteswissenschaften angestoßenen Entwicklungen verdanken, und diese sind nicht allein im Rahmen der Philosophy of Mind zu lokalisieren. Zentrales Moment dieser Entwicklungen ist die Abkehr von logischen Sprachidealen, die insbesondere mit der Ordinary Language Philosophy und den sprach-

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

pragmatischen Arbeiten Wittgensteins, Austins und Searles verbunden 1 wird. Dies greifen die kognitivismuskritischen Ansätze auf. Zweitens aber – und das ist wohl der Dominanz der naturwissenschaftlich ausgerichteten Methoden-Orthodoxie der akademischen Psychologie geschuldet – nehmen zahlreiche Vertreterinnen dieser neueren psychologischen Ausrichtungen die Kritik am restringierten (‚galileischen‘) Erfahrungsbegriff der nomologischen Psychologie zum Ausgangspunkt für ihre theoretischen Alternativentwürfe. Hierbei werden wiederum Perspektiven aus der Tradition interaktionistischer Handlungstheorien aufgegriffen, die von Charakteristika der Alltagswelt im Sinne Alfred 1

Damit wurden die Rezeption Wittgensteins, die Konsequenzen des linguistic turn und der Bezug zur Ordinary Language Philosophy von Psychologinnen und Psychologen recht spät realisiert, wenn man sie am interdisziplinären Vergleich der Kultur- und Sozialwissenschaften misst – eine Unterlassung, die der Psychologie auch vorgehalten wird (vgl. Bruner 1997: 30; Potter/Edwards 1992; Gergen 1997; Straub 1999 u.a.). Hier soll aber nicht dem Missverständnis Raum gegeben werden, psychologische Gegenentwürfe zum Kognitivismus seien nur in explizit kognitivismuskritischen psychologischen Theorieentwürfen (die im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit auch tatsächlich vorrangig interessieren) zu sehen, Entwürfen also, die sich explizit zum Ziel machen, das vorherrschende, kognitivistische Paradigma in der Psychologie als Fehlentwicklung zu kritisieren. Selbstverständlich bleibt bei der Rekonstruktion dieser – eben postkognitivistischen – Entgegnungen aus inhaltlichen wie aus pragmatischen Gründen einiges ausgeklammert, was dem informationstheoretischen Kognitivismus ebenfalls aus psychologie-interner Perspektive entgegenzusetzen wäre. Sowohl historisch als auch mit Bezug auf eine Teildiziplin oder im Rahmen eines Anwendungsfeldes der Psychologie war und ist eine mainstreamkritische Tradition unübersehbar präsent, die z.T. ähnliche Annahmen über die (gegenstands-)theoretische Fundierung, Methodologie und zuweilen auch Methodik im Sinn hatte wie die in der vorliegenden Arbeit gewürdigten kulturpsychologischen bzw. sozialkonstruktionistischen Theorieentwürfe. Man denke nur an die geisteswissenschaftliche Psychologie Diltheys und Sprangers, die traditionellerweise als Gegenbewegung zur etablierten, naturwissenschaftlichen Auffassung galt (bereits ein kurzer Blick in das Inhaltsverzeichnis von Karl Bühlers 1927 erschienener Krise der Psychologie zeigt, wie sehr diese Gegenposition bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren präsent war); ebensolches gilt für die klassische Psychoanalyse Freuds und seiner frühen Schüler. Des weiteren zu erwähnen bleiben neuere sozialpsychologische Ansätze, die sich gegen die gedankliche Enge der Social-Cognition-Sozialpsychologie wenden, so etwa Smedslunds Würdigung der Commonsense-Psychologie (1988) oder Lauckens Semantische Sozialpsychologie (1998). Eine Sonderrolle spielt die Kritische Psychologie (Holzkamp 1976).

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DER SOZIALE KONSTRUKTIONISMUS

Schütz’ über George Herbert Meads Identitäts- und Handlungstheorie und Berger/Luckmanns Sozialem Konstruktivismus bis hin zur Ethnomethodologie reichen (vgl. Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1976; Flick et al 1995 u.a.). Darüber hinaus nehmen die metatheoretischen Bezüge des heterogenen Feldes der neueren psychologischen Kognitivismuskritik drittens auch neuere textwissenschaftliche und dekonstruktivistische Positionen in den Blick, die sich dann etwa aus der psychologischen Lektüre der Arbeiten von Jacques Derrida oder Michail Bachtin speisen. Innerhalb dieses weitgespannten grundlagentheoretischen Horizonts lassen sich grob zwei Argumentationsstränge ausmachen. Die handlungstheoretisch ausgerichtete Kritik des Kognitivismus, repräsentiert durch eine bestimmte, heute einflussreiche Variante der Kulturpsychologie (Boesch 1991; Straub 1999), steht der eher konstruktivistischen, nicht zuletzt durch Kritische Theorie und Poststrukturalismus inspirierten Perspektive des Sozialen Konstruktionismus und der ihm verwandten Diskursiven Psychologie (Gergen 1994; ähnlich Shotter 1994; Potter 1996) gegenüber. Nachdem bereits in Kap. II, 6 einige Gemeinsamkeiten der beiden psychologischen Denkrichtungen (besonders hinsichtlich der Forderungen für einen alternativen Wissensbegriff) skizziert wurden, werden wir nun ausführlicher auf die Position des Sozialen Konstruktionismus eingehen, weil sie, insbesondere in der Variante einer ihrer Hauptvertreter, des US-amerikanischen Sozialpsychologen Kenneth Gergen, die Kritik der metatheoretischen Grundlagen der kognitivistischen Psychologie explizit zum Ausgangspunkt ihrer alternativen, konstruktivistischen Psychologiekonzeption macht, und daher einen direkten Anschluss an die philosophische Kritik des Kognitivismus ermöglicht vgl. Gergen 1990, 1994: 3-29, 1999; Edwards/Potter 1992, 1993; Potter 2000). Sozialkonstruktivistische Gegenstandsentwürfe haben sich etwa seit den achtziger Jahren, zunächst besonders im englischsprachigen Raum, als Alternative zum dominanten, kognitivistischen Paradigma der Psychologie etabliert. Speziell in der Sozialpsychologie lässt sich der Trend zur sozialkonstruktivistischen Sicht psychologischer Phänomene als Gegenentwurf zur Social-Cognition-Sozialpsychologie (vgl. Strack 1988) verstehen, die davon ausgeht, man könne menschliches Zusammenleben dadurch erforschen, dass man die internen psychischen Prozesse der einzelnen Interaktionsteilnehmerinnen analysiert und so deren Kognitionen erfasst. Sozialkonstruktionistisch orientierte Psychologinnen und Psychologen plädieren dagegen für eine Psychologie, die nach der „konstruktiven Sozialgenese“ (Laucken 1998: 304, 336ff.) psychischer Phänomene fragt. Sie wenden sich explizit gegen 203

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

die individuozentrische methodische Einstellung der Social-CognitionForschung. Kenneth Gergen gilt zu Recht als herausragende Gestalt unter den unterschiedlichen Vertreterinnen sozialkonstruktivistischer Psychologiekonzeptionen. Seit beinahe drei Jahrzehnten ist er bekannt als Vorreiter einer reflexiven Sozialpsychologie, die sich ihrer historischkontingenten Grundlagen bewusst ist und damit eine Alternative zum dominierenden Paradigma der Subdisziplin darstellt (das gilt zumindest für die US-amerikanische Sozialpsychologie, vgl. dazu bes. Gergen 1973). In den achtziger Jahren hat er für seinen Ansatz den Begriff Sozialkonstruktionismus geprägt, hauptsächlich um sich gegen sozialkonstruktivistische Handlungstheorien im Sinne von Berger und 2 Luckmann (1966) sowie gegen psychologische Konstruktivismen, etwa im Sinne Piagets (1954, 1955), abzugrenzen (Gergen 1987, 1994, 3 1999; vgl. auch Shotter 1994). 2 Das Hauptargument für diese Abgrenzung lautet bei Gergen, dass das sozialkonstruktivistische Standardwerk zwar genau wie der Sozialkonstruktionismus die „Relativität der Perspektiven“ bzw. deren „Reifizierung durch Sprache“ in den Vordergrund stelle, dass sie aber noch sehr stark mit den Begriffen „individueller Subjektivität“ sowie „sozialer Struktur“ (1994: 67; Übers. B.Z.) arbeiteten. Damit basierten diese Konstruktivismen auf einem konstruierten Dualismus, einer „binären“ Opposition, die der heutige Soziale Konstruktionismus hinter sich gelassen habe. Nicht zuletzt hätten Berger und Luckmann das Materielle und das Mentale „essenzialisiert“ (Gergen ebd.; s. auch 1999; vgl. auch Potter 1996). 3 Der Begriff Sozialkonstruktionismus als Bezeichnung für die psychologische Variante eines Sozialen Konstruktivismus hat sich mittlerweile allerdings eingebürgert (vgl. Gergen 1985; Harré 1988 Edwards/Potter 1992; Shotter 1994; Straub 1999 u.a.) Die von Gergen zusammen mit John Shotter herausgegebene Buchreihe Inquiries in Social Construction reflektiert die Breite der Ansätze, die sich auch unter der Etikettierung Sozialkonstruktionismus versammeln: Die verschiedenen Bände der Buchreihe beziehen ihre jeweilige Variante des Sozialen Konstruktionismus aus so unterschiedlichen theoretischen Hintergründen wie der kritischen Anthropologie (Nencel/Pels 1991), der Wissenssoziologie und interpretativen Soziologie (Gergen/Semin 1990; Sarbin/Kitsuse 1994), dem radikalen, systemtheoretischen Konstruktivismus (Steier 1991), der Konversations- und Diskursanalyse (Edwards/Potter 1992; Shotter 1994), der dekonstruktivistischen Literaturwissenschaft und den Cultural Studies (Kvale 1992; Billig/Simons 1994). Sozialkonstruktionistische Forschungen beziehen sich auf unterschiedlichste Bereiche der angewandten Psychologie, von Psychotherapie (Gergen/McNamee 1992) oder psychischen Störungen und Krankheiten (Hepworth 1999)

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DER SOZIALE KONSTRUKTIONISMUS

Im deutschsprachigen Raum ist Gergen bis vor wenigen Jahren am ehesten für seine umstrittene, postmoderne Identitätstheorie bekannt geworden, die er am ausführlichsten in seinem1991 in den USA erschienenen Buch The Saturated Self (dt. 1996a) beschreibt. Bereits seit den sechziger und siebziger Jahren befasst er sich aus sozialpsychologischer Sicht mit dem Selbstkonzept und mit persönlichkeitstheoretischen Fragen und ist bis heute davon überzeugt, dass für das Verständnis individueller Handlungsweisen und der meisten psychologischen Begriffe wie Motivation, Wahrnehmung, Emotion und Gedächtnis, die Analyse der wissenschaftlichen Konzeptualisierung des Selbst und des Anderen unerlässlich ist: „Our moment-to-moment decisions, it seemed, depend on what we think of ourselves (our concept of self, self-esteem, and the like) and others (their personality, expectations, etc.)“ (Gergen 1996b). In späteren Arbeiten, so etwa in den beiden Monographien Realities and Relationships (1994) und An Invitation to Social Construction (1999), kommt Theorien des Selbst zwar auch eine wichtige Rolle zu, im Vordergrund steht jedoch der Anspruch einer Neubestimmung der wissenschaftlichen Psychologie (und mittlerweile auch ihrer Anwendungsgebiete) aus sozialkonstruktionistischer Sicht. Den Ausgangspunkt für den sozialkonstruktionistischen Gegenstandsentwurf bildet die Kritik an der Zentrierung der Psychologie auf das Individuum. Zum einen, so die Sozialkonstruktionisten, sind individuelle psychische Prozesse viel zu lange der hauptsächliche, wenn nicht ausschließliche Untersuchungsgegenstand der kognitiven Psychologie gewesen. Dies ist zwar sicherlich auf die, so Gergen, allgemein unhinterfragte zentrale Stellung des Individuums im 20. Jahrhundert in Wissenschaft und (dem westlichen, industriellen Typ von) Gesellschaft zurückzuführen und betrifft damit den gesamten Gegenstandsbereich der Psychologie. Besonders schlug sich diese allgemeine Tendenz jedoch in jenen empirischen Erkenntnissen und theoretischen Neuerungen nieder, die konstitutiv für die kognitive Wende waren, welche seit den fünfziger Jahren das größte Lager der Psychologie erfasst hatte (Gergen 1994: 4f.). Im Zuge des Kognitivismus wurden kognitive Prozesse und Strukturen zum Hauptgegenstand psychologischer Diskurse und Forschungen erklärt und zwar als intrapsychische Prozesse. Die Rolle der sozialen wie der materiellen Umwelt wird daher im Vergleich zum Behaviorismus durch den Kognitivismus margibis zur die (post-)feministischen Geschlechterforschung (Radtke/Stam 1992) und der Medienpsychologie (Grodin/Lindlof 1996).

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

nalisiert. Dies ist für die Sozialkonstruktionisten der Anlass zu behaupten, dass sich die individuozentrische Ausrichtung der Psychologie erst im Kognitivismus richtig entwickeln konnte (vgl. Gergen 1994; Potter/Edwards/Wetherell 1993). Unter der Bezeichnung Diskursive Psychologie oder Diskurspsychologie vertreten Psychologinnen und Psychologen aus Großbritannien eine Spezialform des Sozialkonstruktionismus, die besonders an der Methode der Konversations- und Diskursanalyse ausgerichtet ist, aber die grundlagentheoretischen Positionen mit dem Sozialkonstruktionismus teilt (Billig 1991; Potter/Wetherell 1987; Edwards/Potter 1992; Potter 1996; Harré 1994, 1986; Edwards 1997). Diese Sozialpsychologen betonen wie Gergen die Einbettung kognitiver Prozesse in soziale und kommunikative Zusammenhänge und für sie weist die Rekonstruktion des kognitivistischen Forschungsprogramms der (Sozial)Psychologie „in discursive terms“, so Potter, Edwards und Wetherell (1993), den Weg zum häufig negativ formulierten Ziel, das auch hier in der Überwindung des Individuozentrismus der Psychologie besteht: „The aim is certainly not to replace one psychology of the individual with another“ (ebd.: 384). Die Diskurspsychologie fordert insbesondere, dass die Psychologie den scheinbar neutralen Status wissenschaftlicher Beschreibungen und Theorien problematisieren und reale Diskurse aller Art (nicht etwa nur gesprochene und geschriebene Sprache) daraufhin untersuchen soll, wie die scheinbar neutrale, gegebene, ‚äußere‘ Realität ebenso wie die psychologisch relevante ‚innere‘ Realität von Kognitionen, Emotionen usw. in den Interaktionen und Kommunikationen der Teilnehmer konstituiert wird. „The reality or context of action [is] […] constructed by participants in the course of their social practices“ (ebd.: 386). Angesichts dieser Ähnlichkeiten und besonders wegen des expliziten Fokus auf den psychologischen Wissensbegriff ist es gerechtfertigt, dass beide Richtungen auch übergreifend unter der Bezeichnung Sozialkonstruktionismus gehandelt werden (vgl. z.B. Miller 1997; Burr 2002). In der vorliegenden Arbeit wird der Terminus Sozialkonstruktionismus sowohl für Gergens eigenen Ansatz als auch für die übergreifende Verwendungsweise, die alle genannten psychologischen Ansätze im Blick hat, zu finden sein. Der Sozialkonstruktionismus, insbesondere Gergens Variante, fordert die radikale Kritik des individuozentrischen (solipsistischen), repräsentationalistischen und kognitivistischen (logisch-syntaktischen) Wissensbegriffs als Ansatzpunkt für jede wirklich alternative Psychologiekonzeption ein. Damit verbindet er die Auffassung, dass eine wirklich postkognitivische Position der Psychologie nicht ohne Bezug auf jene sprach- und diskurstheoretischen Neuerungen auskommt, die 206

DER SOZIALE KONSTRUKTIONISMUS

sich in den sonstigen Geistes- und Sozialwissenschaften mittlerweile etabliert haben. Gergen entwickelt seine Kritik an der kognitivistischen Psychologie aber auch mit den Fragen, die auch am Ende der überblickartigen Darstellung der philosophischen Diskussion über den Begriff des Geistes relevant wurden (s. Kap. II, 3, 5 u. 6) und die dann auch die maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung der frühen Wegbereiter des Kognitivismus darstellten (s. Kap. III). Darüber hinaus zeichnet sich der Social Constructionism Gergens dadurch aus, dass er für seinen Entwurf auch ausführlich auf bedeutungs- und grundlagentheoretische Probleme einer alternativen, antiuniversalistischen und antirepräsentationalistischen Psychologie eingeht. Gergen versucht in seinem Ansatz explizit, dieses voraussetzungsvolle Vorhaben zu einer „alternative theory of knowledge“ und damit zu einem „full-blown successor project“ des Kognitivismus auszuarbeiten (1994: 24). Seine Konzeptualisierung weist allerdings an einigen Punkten Schwächen auf, insbesondere dann, wenn Gergen den Gegenstand der Psychologie (Wissen, Diskurse, Praktiken) einerseits als Basis für die kritische Evaluation bestehender Werte und Standards verstehen möchte, andererseits völlig auf das Konzept des kritik- und (intentional) handlungsfähigen Individuums verzichten will. Dabei fallen auch aus speziell sozialpsychologischer Sicht drängende Fragen möglicherweise unter den Tisch, nämlich die Frage nach der subjektiven Realisierung dessen, was als soziale oder soziopragmatische Basis unserer Selbst- und Weltsicht gilt. Ohne diese Frage führt die Rede von der soziopragmatischen Basis jedoch schnell zu einer sozialdeterministischen Sozialpsychologie, die keinen Ort für die ‚Psyche‘ oder gar den ‚Geist‘ lässt. Diese offen gebliebenen Fragen oder Defizite des Sozialkonstruktionismus ändern aber nichts daran, dass insbesondere Gergen, aber auch Potter, Shotter, Harré und anderen sozialkonstruktionistisch orientierten Theoretikerinnen das Verdienst zukommt, eine umfassende, am Wissensbegriff ausgerichtete Kritik der kognitivistischen Psychologie vorgelegt zu haben. Daher ist es nicht nur unerlässlich, sondern ungemein aufschlussreich und gewinnbringend, den sozialkonstruktionistischen Theorieentwurf Gergens systematisch zu rekonstruieren und daraufhin zu beleuchten, welche brauchbaren und fruchtbaren Aspekte für eine postkognitivistische Wissenspsychologie er bietet und welche Probleme einer individuozentrischen Psychologie sein Ansatz lösen kann. Die Alternativkonzeption, die der Sozialkonstruktionismus bieten möchte, lässt sich unterteilen in die Konzeptualisierung von Wissen, die wissenschaftstheoretische Position und den daraus abgeleiteten Gegenstandsentwurf für eine sozialkonstruktionistische Psychologie. 207

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Zunächst wird dementsprechend versucht werden, den Sozialkonstruktionismus, so wie er sich selbst versteht, zur Darstellung zu bringen; dabei liegt der Fokus auf dem Wissensbegriff und dem Wissenschaftsverständnis (VI, 1). Darauf folgend wird die Diskussion der metatheoretischen und theoretischen Grundlagen des Sozialen Konstruktionismus Gelegenheit bieten, die Konsistenz und Triftigkeit der in Kap. IV, 1 dargelegten Ansprüche kritisch zu diskutieren (IV, 2); im Anschluss daran wird, gewissermaßen als Konkretisierung der gegenstandstheoretischen Überlegungen, Gergens postmoderne Theorie des Selbst veranschaulicht (IV, 3).

1

Eine andere Konzeption von Sprache und Wissen

1.1

Der diskursive Wissensbegriff

Für die sozialkonstruktionistischen Kritiker ist es eine unhaltbare, ideologische Vorannahme, dass der individuelle ‚Geist‘, bzw. seine Möglichkeiten, auf der Basis verarbeiteter Informationen logisch und intelligent zu operieren, selbstverständlich als Dreh- und Angelpunkt wissenschaftlicher psychologischer Erklärungen für menschliches Handeln gilt (vgl. Gergen 1994: viii; Potter/Edwards/Wetherell 1993). Die Sozialkonstruktionisten verstehen das Individuum als von Grund auf sozial und in kommunikative Prozesse eingebunden bzw. durch diese konstituiert. Nur in Interaktionszusammenhängen sind wir in der Lage, zu handeln oder zu denken; nur durch soziale Diskurse kommen wir dazu, überhaupt etwas zu wissen (Gergen 1994; Shotter 1994; Potter/Edwards/Wetherell 1993). Der informationstheoretischen Auffassung wird vorgeworfen, dass die sozialfunktionale Einbettung der psychischen Funktionen zur Nebensache gerate – und damit gerade jene Vorgänge aus der Definition von Kognition ausgegrenzt blieben, die mentalen Zuständen und Empfindungen kontextspezifische, soziokulturell spezifische Bedeutung verleihen (vgl. Gergen 1994: 120f.; vgl. dazu auch Laucken 1994: 99f.). Für den sozialkonstruktionistischen Wissensbegriff dagegen sind diese Aspekte zentral. Wissen soll nicht mehr als Ergebnis der Prozessierung von Informationen oder als individuelle Weltauslegung verstanden werden, sondern auch scheinbar individuell verfügbare Wissensbestände sind über ihre Funktion in soziokulturellen Praktiken oder, wie Gergen sich ausdrückt, in „Beziehungsnetzen“ bestimmt. Es geht dem Sozialkonstruktionismus darum, gegen die „traditionell westliche“ Fixierung auf objektives, individualistisches und ahistori208

DER SOZIALE KONSTRUKTIONISMUS

sches Wissens anzutreten – gegen eine Engführung, die, so Gergen, praktisch alle Bereiche modernen Lebens durchdringt (vgl. ebd., 1994: 3f.). Dass der Kognitivismus die vielfältigen soziopragmatischen Prozesse, die für Wissensbildung und Bedeutungskonstitution relevant sind, ausblendet, ist nicht zuletzt methodisch begründet. Gergen kritisiert, dass sich die Psychologie trotz der theoretischen Erweiterung ihres Gegenstandsbereichs auf so etwas wie „intentional states“ nicht von der neopositivistischen Tradition aus der Zeit des Behaviorismus gelöst habe. Paradigmatische wissenschaftliche Vorgehensweise sei nach wie vor das zur Testung von Hypothesen konzipierte Experiment, nur dass die Hypothesen nun eben nicht Reaktionen auf Verhaltensebene, sondern die Ausführung antizipierter Mechanismen der Informationsverarbeitung zum Gegenstand hätten. Wie Dreyfus und Varela bemängelt auch der Sozialkonstruktionismus die methodologische und methodische Ausgrenzung des Kontextes. In Alltagssituationen relevantes Umgangswissen kann eben nicht, wie es das experimentelle Vorgehen erfordert, abgetrennt von der variablen, nicht standardisierbaren sozialen Realität untersucht werden, in der es sich konstituiert. Und diese Realität selbst besteht und konstituiert sich immer wieder neu in den alltäglichen Diskursen und Praktiken – darin sind sich die unterschiedlichen Vertreterinnen und Vertreter sozialkonstruktionistischer Positionen mehr oder weniger einig (vgl. Edwards/Potter 1992; Gergen 1994, 1999; Harré/Gillet 1994; Shotter 1994; Burr 1995; Potter 1996 u.a.). Was aber wird unter sozialen Diskursen oder Praktiken verstanden? An vorderster Stelle steht wie erwähnt die Einsicht, dass Sprache und Wissen nicht als repräsentative Medien zu verstehen sind, die die Außenwelt spiegeln oder abbilden. Die soziale Praxis (sowohl sprachliche als auch nicht-sprachliche) ist in einem starken Sinn konstitutiv für das, was unsere Alltagswelt ausmacht. Sozialkonstruktionistische Psychologen sind häufig besonders darum bemüht, zu betonen, dass „weder ‚Geist‘ noch ‚Welt‘ ontologischer Status zukommt“ (Gergen 1994: 68; vgl. auch Potter/Wetherell 1987; Potter 2000). Dadurch bereits meint Gergen sich von der Kulturpsychologie und interaktionistische Handlungstheorien oder dem amerikanischen Pragmatismus abzuheben: Diese Arbeiten seien zwar in verschieder Hinsicht anschlussfähig für seinen Sozialen Konstruktionismus, da sie ebenfalls eine nicht-repräsentationalistische Sprachauffassung in den Vordergrund stellten, blieben aber dabei auf halber Strecke stehen, da sie immer wieder Gefahr liefen, auf die individuellen geistigen Kapazitäten des 209

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

kulturschaffenden Subjekts (und auf die Objektivierbarkeit dessen, was man als Kultur bezeichnet) zurückzugreifen (Gergen 1999: 126f.). Für den Sozialkonstruktionismus sind dagegen wissenschaftliche Begriffe und Theorien über mentale Zustände, ebenso wie alltägliche Beschreibungen solcher Zustände im Rahmen der folk psychology, vollständig an Diskurse gebunden. Dabei hat die Diskursivität von Wissen zunächst einmal zwei Seiten. Einerseits sind alle theoretischen Systeme oder Wissenssysteme „bodies of discourse“ (Gergen 1994: 6), das sind zunächst einmal sprachliche Systeme, idealiter gebildet durch einen Korpus miteinander verbundener Annahmen, die von Mitgliedern unterschiedlicher Enklaven von (wissenschaftlichen) Sprachgemeinschaften geteilt werden. Im Rahmen solcher Diskurse konstituiert sich überhaupt erst so etwas wie Intelligibilität, also ein verstehbarer, sinnvoller Zusammenhang – dessen Sinn oder eben dessen Intelligibilität dann auch nur relativ zur entsprechenden Sprachgemeinschaft gewährleistet ist: „To participate in the intelligibility nucleus is to ‚make sense‘ by the standards of a particular community“ (Gergen ebd.). Auch die Sprachgemeinschaft erlangt vice versa ihren Status als solche (als Kultur, Gruppe, Lebensform) durch eine „geteilte Sprache der Beschreibung und Erklärung“ (Gergen 1994: 8). Intelligibilität wird dabei nicht über die Referenz auf Ereignisse ‚in der Welt‘ und außerhalb der Sprache einer Wissensgemeinschaft hergestellt, sondern Intelligibilitätssysteme sind selbstreferenziell und selbstreproduzierend. Gergen spricht daher vom „self-sustaining character“ der Intelligibilität. „These clusters of intelligibilities can be related to events outside themselves in various ways – ways not given within the systems themselves. Thus, one can learn when and where to apply the tables of multiplication or the concept of the Holy Spirit. However, the nucleus does not require these linkages in order to be understood or to be compelling“ (ebd.: 8, Herv. i.O.). Gergen bezieht sich u.a. auf Saussure, wenn er in unterschiedlichen Konnotationen betont: „[L]inguistic signifiers gain their meaning by virtue of their differentiation from other systems“. Die Bedeutung sprachlicher Konstruktionen ist stets von einem System von Differenzen abhängig, jeder Begriff lebt von seiner Differenz zu anderen Begriffen, jedes Wissenssystem bezieht seine Bedeutungen und Inhalte aus dem Kontrast zu dem, was es nicht beinhaltet oder aussagt. In der strukturellen Semiotik Saussures sind diese Differenzen als „binäre Oppositionen“ vorgestellt. Das Wort ‚Mann‘ erhält seine kommunikative Kraft durch den Kontrast zu ‚Frau‘, ‚stark‘ zu ‚schwach‘, ‚laut‘ zu ‚leise‘, kurz: „[A]ny system of intelligibility rests on what is typically 210

DER SOZIALE KONSTRUKTIONISMUS

an implicit negation“ (beide Gergen 1994: 9). Die Intelligibilitäts- oder Wissenssysteme tragen sich aber nur scheinbar selbst. Sie können relativ unabhängig voneinander existieren, sie können aber auch aufeinander Bezug nehmen und sich gegenseitig stützen. Besonders dieser letzte Punkt, so Gergen, illustriert, dass psychologische Diskurse nicht durch den Verweis auf eine empirische, außersprachliche Wirklichkeit bestätigt werden können. Die „discursive power“, d.h. die konstitutive (und performative) Aussagekraft einer psychologischen Theorie, ist nicht nur erheblich, sondern ausschließlich davon abhängig, inwieweit sie ihre Erklärungen und Vorhersagen methodologisch, theoretisch und metatheoretisch in den Kontext anderer Begriffe und Theorien einbinden kann (ebd.: 6). Für Gergen ist dabei klar, dass ein solcher, eher „struktureller Diskursbegriff“ im Sinne Saussures nicht ausreicht, um zu beschreiben, wie „Diskurse gebraucht, missbraucht und transformiert werden“, und zwar von „Menschen im Prozess ihrer alltäglichen Interaktionen“ 4 (1999: 73; Übers. B.Z. ). Es sind nicht allein starre sprachliche Systeme, die Bedeutungen vorgeben, sondern Bedeutungen ergeben sich aus dem praktischen Umgang mit Begriffen bzw. aus deren Gebrauch; diese Umgangspraxis wiederum ist historisch und kulturell kontingent. Dieses pragmatische Element in der Sprach- und Wissensauffassung Gergens wird anhand Wittgensteins pragmatischer Bedeutungstheorie (auf deren Auslegung durch den Sozialen Konstruktionismus wir noch zurückkommen werden) ausgeführt. Makrotheoretisch angelegte Ansätze, so etwa Foucaults Diskursbegriff, scheinen nun, wenngleich als viel versprechend und als „critical appraisal of language“ in sozialkonstruktionistischen Sinne angepriesen (Gergen 1994: 47; vgl. auch Kap. IV, 3), zu apersonal und handlungsfern entworfen. Sie sollen für die sozialkonstruktionistischen Theorieinteressen durch den Zugriff auf die pragmatische Dimension des „continuous, unsystematic, hurly burly of everyday meaning making“ (Gergen 1999: 77) fruchtbar gemacht werden, und dafür erscheint dann die mikrosoziologische Perspektive sinnvoll und richtig. Hierzu greift man insbesondere auf die Arbeiten Goffmans und Garfinkels zurück (vgl. zur Rezeption der Ethnomethodologie Edwards/Potter 1992; Potter 1996).

4 Besonders im vorliegenden und im nächsten Kapitel lag die maßgebliche Literatur fast ausschließlich in englischer Sprache vor. Um zweisprachige Sätze zumindest dort möglichst zu vermeiden, wo sie den Lesefluss beträchtlich stören, wurde der entsprechende Satz ins Deutsche übersetzt und dies nach Angabe von Autor und Quelle vermerkt.

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Für beide Sprachauffassungen – Sprache als Zeichensystem und Sprache als Praxis – gilt jedoch, dass die ‚traditionelle‘ Binarität wahr/falsch nicht mehr adäquat ist – wir brauchen neue Kriterien, um über Geltung und Richtigkeit unserer Begriffe zu entscheiden (Gergen 1994: 37). Anstatt nach objektiven Kriterien für die Geltung von Aussagen zu suchen, sollte man nach den sozialen Praktiken fragen, durch die eine Aussage Intelligibilität erhält. Alles, was wir für wahr und gut halten, bleibt schließlich nicht nur relativ zu einer Sprache als Symbolsystem, das alle Bedeutungen vorgibt, sondern zur Praxis einer bestimmten Sprache und kulturellen Lebensform. Fest steht, dass Diskurse erstens durch sprachliche Konventionen „vorstrukturiert“ sind – etwa durch Metaphern und Narrative –, sie sind zweitens „rhetorisch“ (Gergen 1999: 64), sie wirken performativ im Sinne der Konstitution bestimmter und des Ausschlusses anderer Weltinterpretationen; und drittens sind Diskurse eher pragmatische Prozesse denn starre Strukturen, sie konstituieren sich oder ihre eigene Intelligibilität durch ihre Funktion in sozialen Zusammenhängen. Diese Diskurse und die mit ihnen verwobenen Praktiken bestimmen, was wir für real halten (ebd.: 37, 64ff.) Seine wissens- und erkenntnistheoretische Position präsentiert Gergen immer wieder aufs Neue als die Kernaussage des Sozialkonstruktionismus, von der sich alle weiteren Aussagen und Konzepte ableiten lassen (vgl. z.B. 1985, 1994, 1999). Er hat diese Kernaussagen in verschiedenen Veröffentlichungen in Form zentraler Thesen oder Prämissen präsentiert, die seit Jahren mehr oder weniger gleichlautend sind. Darin fasst er die grundlegenden Aspekte der sozialkonstruktionistischen Auffassung zusammen (1985; 1994: 48f.; 1999: 47f.). Da Gergen bei der Zusammenschau dieser erkenntnis- und gegenstandstheoretischen Grundlagen aller sozialkonstruktionistischen Positionen eine allzu vereinheitlichende Darstellung vermeiden möchte, bleiben seine Leitthesen recht global. Sie lauten: 1) Die Begriffe, mit denen wir die Welt und uns selbst verstehen, sind nicht bedingt durch ‚das, was ist‘. 2) All unsere Beschreibungen und/oder Repräsentationen dieser Welt oder unserer selbst sind Resultate (historisch gewachsener und kulturell kontingenter) sozialer Beziehungen oder sozialer Austauschprozesse. 3) Indem wir beschreiben, erklären oder anderweitig repräsentieren, konstituieren wir das, was unsere Kultur ausmacht. 4) Die (kritische) Reflexion unserer Verständnis- und Repräsentationsformen ist sehr bedeutsam für unser zukünftiges Wohlergehen (1999: 47-50). In Gergens 1994 erschienener Arbeit waren noch zwei weitere Annahmen wichtig, nämlich: 5) Wie beständig eine Auffassung von Selbst oder Welt ist, hängt nicht von ihrer objektiven Validität ab, sondern 212

DER SOZIALE KONSTRUKTIONISMUS

vom Wandel sozialer Prozesse (1994: 51); und 6) Mit der Würdigung bestimmter Ausdrucksformen oder Begriffe nimmt man auch eine Bewertung bestehender Formen kulturellen Lebens vor (ebd.: 52). Wir sehen, dass hier die oben skizzierte Sprachauffassung in epistemologische Formeln verpackt wurde: These 1 stellt zunächst grundsätzlich fest, dass nichts von dem, was der Fall ist, einen bestimmten Laut oder eine Zeichenfolge verlangt. Was wir für Wissen von der Welt halten, entsteht nicht durch Induktion oder durch das Aufstellen von Hypothesen und deren empirischer Überprüfung. Zeichen und Bezeichnetes sind nicht fest miteinander verbunden, sondern zwischen beiden besteht eine arbiträre Beziehung. Dies gilt natürlich nicht nur für das geschriebene oder gesprochene Wort, sondern auch für alle anderen Arten von ‚Zeichen‘ – seien es Photographien, Landkarten oder irgendetwas anderes. Entsprechend gibt es auch für „any state of affairs“ eine potenziell unbegrenzte Anzahl von Beschreibungen und Erklärungen, von denen keine objektiv als treffendste oder anderweitig überlegene Form der Repräsentation der fraglichen Situation bezeichnet werden kann (vgl. z.B. 1994: 49, 1999: 47). Die zweite These fügt diesbezüglich aber noch einen relevanten Aspekt hinzu, indem sie darauf hinweist, dass die Bedeutung von Wörtern weder in der Beschaffenheit der zu beschreibenden Gegenstände und Ereignisse noch in den Wahrnehmungs- und kognitiven Leistungen der einzelnen (die Beschreibung ausführenden) Individuen gründet, sie ergibt sich allein im soziopragmatischen Kontext zwischenmenschlicher Beziehungen. Auch die Tatsache, dass bestimmte Verständnisweisen sehr beständig sind und schon eine lange Tradition haben, weist, so Gergen, nur darauf hin, dass kulturelle Konventionen bei der Bestimmung allgemeiner Bedeutungen eine maßgebliche Rolle spielen. Die kultur- und epochenübergreifende Geltung bestimmter Begriffe wie ‚Moral‘ oder ‚Gerechtigkeit‘ bedeutet nur, dass diese eben in allgemeinere oder umfassendere und daher stabilere Beziehungsmuster verwoben sind als andere (spezifischere) Begriffe, sie haben aber deshalb keinen stärkeren oder allgemeingültigeren Wahrheitswert als diese (Thesen 3 und 5). Auch die exakteste Beschreibung ist performativ; was wir beschreiben, stellen wir sprachlich her. Die Reflexion dieser Konstitutionsprozesse und unserer Beteiligung an ihnen ist ein hocherstrebenswertes Ziel, da wir so allmählich lernen, die eigenen Auffassungen zu relativieren, sie in ihrem historisch-kulturellen Kontext zu verstehen (Thesen 4 und 6). Diese erkenntnistheoretischen Prämissen können nach Wittgenstein und Kuhn (und anderen) heute zwar kaum noch als bahnbrechend neu bezeichnet werden. Gleichwohl ist die akademische Psychologie noch weit davon entfernt, sie wirklich ernst zu nehmen. So213

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lange das größte Lager derjenigen, die wissenschaftliche Psychologie betreiben, von einer neopositivistischen Wissenschaftsauffassung dominiert bleibt, so Gergen, wird sich das auch nicht ändern. Der Sozialkonstruktionismus dagegen nimmt die Herausforderung gerne an, sich mit Blick auf eine postkognitivistische Psychologie sowohl methodologisch neu zu verorten als auch eine Gegenstandsneubestimmung vorzunehmen. Gergen selbst betont immer wieder, dass sich seine wissenstheoretischen Ausführungen gleichermaßen auf Alltagswissen und wissenschaftliches Wissen beziehen und dass kein prinzipieller Unterschied zwischen wissenschaftlichem und alltäglichem Wissen besteht. Die Fokussierung des Wissensbegriffs führt in der Tat dazu, dass die theoretischen (also auf den Gegenstand bezogenen) Aussagen Gergens zugleich ein bestimmtes Wissenschaftsverständnis vorgeben. Ob die Gleichsetzung von wissenschaftlichem und alltäglichem Wissen tatsächlich aufrechterhalten werden kann, ohne dass die Aussagen des Sozialkonstruktionismus selbstwidersprüchlich werden, wird eine genauere Analyse allerdings noch zeigen müssen. 1.2

Das Wissenschaftsverständnis

Aus der nicht-repräsentationalistischen Auffassung von Wissen und Sprache ergibt sich ein kritischer, selbstreflexiver Blick auf die Privilegierung wissenschaftlichen Wissens. Mit Bezug auf die wissenschaftshistorischen bzw -philosophischen Arbeiten von Fleck, Kuhn, Feyerabend und auch auf neuere wissenschaftssoziologische Positionen, so etwa Barnes und Bloor, Latour und Woolgar, Bourdieu sowie KnorrCetina verwendet Gergen (und ähnlich ist es auch bei Potter, Edwards und Harré) viel Mühe darauf zu betonen, dass auch wissenschaftliche Fakten durch soziale Aushandlungsprozesse ‚hergestellt‘ werden. Durch gemeinsame Übereinkunft und determiniert durch die soziale Funktion eines Begriffes kann innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft der Eindruck entstehen, die Bedeutung und die Extension dieses Begriffes seien objektiv erfasst. „By selecting certain configurations to count as ‚objects,‘ ‚processes,‘ or ‚events,‘ and by generating consensus about the occasions upon which the descriptive language is to apply, a conversational world is formed of which the sense of ‚objective validity‘ is a byproduct“ (1994: 50). All dies wirft selbstverständlich die Frage auf, welche Relevanz ‚dekontextualisierten‘ Theorien noch zuzusprechen ist, also Theorien, wie wir sie täglich aufs Neue in wissenschaftlichen Zeitschriften und Büchern veröffentlicht 214

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finden, bei denen wir den sozialen Kontext ihrer Etablierung in der scientific community nicht mehr rekonstruieren können. 1.2.1 Die Funktion wissenschaftlicher Theorien Da empirisch gewonnenes Wissen, in Begriffe und Theorien gefasst, aus sozialkonstruktionistischer Sicht grundsätzlich nichts darüber aussagt, was empirisch der Fall ist (oder sein wird), sondern darüber, wie der praktische Umgang mit einem bestimmten Begriff oder einer Theorie sich in der (wissenschaftlichen) Sprachgemeinschaft eingespielt hat, können Theorien selbst weder Vorhersagen machen, noch den Kontext ihrer Anwendung vorschreiben, da die theoretischen Annahmen an sich in der Außenwelt bedeutungsleer sind. Für die Mitglieder der wissenschaftlichen Gemeinschaft, innerhalb der eine Theorie Gültigkeit erlangt hat, kann sie prognostische Validität erreichen, über die Grenzen der betreffenden Sprachgemeinschaft hinaus reicht ihre Bedeutung allerdings nicht. Auch wenn wir beträchtlichen Konsens über die Charakteristika und die Entstehung von (vermeintlich realen) psychosozialen Sachverhalten wie aggressivem Verhalten, Vorurteilen oder den Folgen von Arbeitslosigkeit erreichen, und wir daher unsere Schlüsse mit einer gewissen Berechtigung für objektives Wissen erklären, dürfen wir nicht glauben, diese Schlüsse beruhten auf „aggression, prejudice, and unemployment ‚in the world‘ “ (1994: 50) Gergen hat seine Auffassung über die Zirkularität psychologischer Definitionen mit Verweis auf die Unterscheidung zwischen empirischen und analytischen Sätzen und in Anlehnung an die Kritik dieser Unterscheidung durch die Quine-Duhem-These vorgebracht (vgl. Gergen 1987, 1994). Er hat sodann – mit Bezug auf Austins „speech acts“ (1962) und in Anlehnung an Kuhns Paradigmenbegriff – einen eigenen Vorschlag dafür unterbreitet, was denn Kriterien für eine gute wissenschaftliche Theorie im Sinne des sozialkonstruktionistischen Wissenschaftsverständnisses sein könnten (vgl. Gergen 1994, 1999). Auf beides wird im Folgenden eingegangen, da hier deutlich wird, dass sehr unterschiedliche sprachphilosophische und bedeutungstheoretische Positionen in Gergens Rezeption enggeführt werden, indem ihre Diskussion stets auf denselben Fluchtpunkt hinausläuft: Sie sollen zeigen, dass die Bedeutung von Begriffen nicht durch Referenz auf außersprachliche, empirische Realitäten erzeugt wird. Zunächst zum zirkulären Charakter psychologischer Definitionen. In einem 1987 veröffentlichten Beitrag im von Stam, Rogers und Gergen herausgegebenen Band Metapsychology and the analysis of psychological theory beschreitet Gergen Wege der analytischen Sprachphilo215

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

sophie und der Logik, um seine konventionalistische Sprachauffassung auf psychologische Begriffe und Theorien zu beziehen. Während er sich in anderen Texten zu diesem Zweck oft auf Wittgensteins Bedeutungskonzept des meaning-as-use (1994, 1999) bezieht oder aber auf poststrukturalistisch orientierte semiotische Bedeutungstheorien, etwa im Sinne Barthes’ und Bachtins (beide bezeichnet Gergen als „social pragmatics“), greift er hier auf Quines Ablehnung der Unterscheidung zwischen empirischen und analytischen Sätzen zurück: Gergen führt ins Feld, dass die Psychologie zwar über ein immenses Vokabular zur Bezeichnung psychischer Prozesse verfügt, es aber heute nicht mehr möglich ist, sich die Genese dieser Begriffe auf herkömmlichen Weg zu erklären, da ja die Ansicht desavouiert sei, derzufolge Sprache einfach auf bezeichnete, außersprachliche Wirklichkeit verweist. Wie sollen wir uns also a) die Entstehung und b) die historische Beständigkeit von solchen Begriffen erklären, ohne doch wieder auf die empirische Begründung zurückzugreifen, dass Begriffe für bestimmte Emotionen wie Angst (objektiv belegbare) psychische Realitäten repräsentieren? Gergens Antwort lautet wie folgt: Erstens bezieht sich dasjenige, was als „Beschreibung menschlicher Aktivität“ gehandelt wird, meist nicht auf beobachtbare Handlungen, sondern auf die mentalen Zustände, die man mit der Handlung in Zusammenhang bringt. So bezieht sich der psychologischen Begriff ‚Aggression‘ z.B. auf eine Intention, Disposition oder Motivation, den anderen oder Sachen zu schädigen oder zu verletzen. Ist diese Vermutung triftig begründet, kann praktisch jede Art der körperlichen Bewegung als Aggression zählen, und das wiederum heißt für die Theoriesprache der Psychologie, dass die gesamte Literatur über Aggression ihren Gehalt weniger aus Beobachtungen, Experimenten, Feldstudien etc. bezieht, sondern die Aggressionstheorien sich aus der Weise ergeben, wie die Forscherinnen den Subjekten Motive attribuieren – und dies macht die Theorien gerade so „resistent“, da sich solche Konventionen der Attribuierung und Interpretation selbst stabilisieren. Diese Beobachtung nimmt Gergen zum Anlass für die Behauptung, die Sprache der Psychologie über menschliche Aktivität leite sich nicht aus irgendwelchen raumzeitlichen Koordinaten menschlicher Aktivität her, sondern sie sei „semantically free-floating“ (Gergen 1987: 118). Zieht man zweitens in Betracht, dass die meisten psychologischen Begriffe selbst wieder unter Rückgriff auf andere psychologische Begriffe definiert werden (so ist z.B. ein Element der Definition des Begriffs der ‚Einstellung‘ ihre Bestimmung als ‚affektiver Bewusstseinszustand‘, der wiederum genauer als ‚nicht kognitiver Zustand‘ spezifiziert wird, vgl. Gergen 1987: 123), wird das Bild einer freischwebenden, sich selbst reproduzie216

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renden (Sprache der) Psychologie noch eindeutiger. Fazit: Wir haben ein reichhaltiges Vokabular über die menschliche Psyche und das menschliche Verhalten, das fast keine Verbindung zur empirischen Realität hat (ebd.: 119). Beides führt Gergen als Belege für die „funktionale Zirkularität“ der psychologischen Fachsprache an, welche seiner Ansicht nach auch die Ursache für deren grundlegendes Problem ist (das Problem, demzufolge sich die psychologischen Diskurse ihre eigenen Inhalte schaffen anstatt umgekehrt). Das Prinzip der funktionalen Zirkularität, das Gergen ausmacht, lautet in seiner allgemeineren Form: „Alle vernünftigen Aussagen, die eine funktionale Verbindung zwischen mentalen Begriffen und beobachtbaren Ereignissen behaupten, sind analytisch wahr.“ (Wahr, weil die Ereignisse qua Bedeutung im Begriff enthalten sind.) Und in seiner spezifischeren Form: „Alle vernünftigen Aussagen, die eine funktionale Beziehung zwischen äußeren Reizen und psychologischen Phänomenen behaupten, oder zwischen solchen Phänomenen und darauf folgenden Handlungen, sind per definitionem wahr“ (ebd.: 122). Als Begründung für dieses Prinzip fügt Gergen den beiden eingangs inhaltlich skizzierten Thesen eine dritte hinzu. Die ersten beiden Thesen lauteten genau: 1) „Die meisten vernünftigen Aussagen über menschliches Verhalten können auf Aussagen über psychische Zustände übertragen oder reduziert werden“ und 2) „Das Definitionssystem für psychologische Begriffe ist in sich geschlossen“). Die dritte These lautet nun: 3) „Aussagen über die Außenwelt sind allgemein reduzierbar oder übertragbar auf Aussagen über psychische Bedingungen“ (ebd.: 123f.; alle Übers. B.Z.). Letzteres gilt besonders dann, wenn mit der Außenwelt psychische Phänomene gemeint sind – insofern diese im Gegensatz zu Gegenständen nicht ostensiv identifizierbar sind, sondern (nur aus ihren Wirkungen bekannt sind und daher selbst) nur zugeschrieben werden können. Aus diesen Feststellungen leitet Gergen die Behauptung ab, dass die Sprache über mentale Zustände „von eher analytischem als synthetischem Charakter“ sei und dass „die Gewähr für die richtige Benutzung ihres Vokabulars eher von den Konventionen abhängig zu sein scheint, die seinen Gebrauch in der Sprache regulieren, als von seiner Beziehung zu einer unabhängigen Welt“ (ebd., S 119; Übers. B.Z.). Da unser Weltzugang ohnehin sprachlich sein muss, kann es keine empirischen Aussagen geben, da vermeintlich empirische Aussagen nur auf dasjenige verweisen, was zuvor qua Sprachregelung als geeigneter Verweis festgelegt wurde.

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Daher bilden die sprachlichen Konventionen die „Vorstruktur“ von al5 lem, was man wissen kann (ebd.: 121). Aus verschiedenen Gründen erscheint Gergens Antwort auf die berechtigte Frage danach, wie man der sozialkonstruktionistischen Auffassung folgend erklären kann, dass sich psychologische Begriffe über längere Zeit bewähren können, unbefriedigend. Erstens ist Gergens Vorschlag, die Sprache der Psychologie als rein analytische Sprache zu betrachten, gerade im Rahmen seiner eigenen Theorie, ein typischer Fall von begging the question: Die Unterscheidung zwischen analytischen und empirischen Sätzen ist in Gergens Sprach- und Wissensauffassung ohnehin bereits aufgehoben, und zwar aufgrund seines radikalen linguistischen Konventionalismus, demzufolge es nur nichtempirische Sätze geben kann. (Problematisch ist dabei übrigens auch, dass diese These über den Verweis auf die empirische Evidenz solcher Konventionen des Sprechens eingeführt wird, indem etwa die Verwendungsweisen bestimmter Begriffe geschildert und analysiert werden. Das ist selbst eine Art der empirischen Begründung. Doch auf diesen Kritikpunkt gehen wir unter IV, 2.2 noch ausführlich ein.) Zweitens erscheint es als Widerspruch, dass es im Rahmen des nichtempiristischen Weltbildes eine privilegierte Methode gibt: Wenn nämlich Sprache unsere Erkenntnismöglichkeiten vorstrukturiere, so das Argument Gergens, dann sei die „psychologische Diskursanalyse“ der einzige Weg, Theorien „properly“ zu prüfen. Gewiss – Gergen denkt dabei nicht an außersprachliche materielle oder soziale Wirklichkeiten, sondern seine Diskursanalyse fragt gerade nicht nach der Übereinstimmung zwischen einer gegebenen psychischen oder sozialen Realität und ihrer Repräsentation in psychologischen Diskursen und Theorien. Sie überprüft vielmehr die Struktur und Organisationsform des Diskurses und fragt nach seinen strukturellen wie konventionellen Begrenzungen; sie analysiert die grundlegenden Metaphern und untersucht, wie solch ein Diskurs in kulturelle Praktiken eingebettet ist, also kulturell hervorgebracht wird und gleichzeitig die Kultur beeinflusst und welche Funktionen er für (vernetzte) soziale Beziehungen hat (ebd.: 116f.). Auch die „pragmatischen“ Konsequenzen psychologischer Diskurse interessieren die Diskursanalytiker: Welche Handlungsmöglichkeiten eröffnet uns eine Begrifflichkeit, wovon hält sie uns ab? Last but not least können wir auch unsere eigenen, aktuellen 5

Hiermit wiederholt Gergen im Übrigen Argumente, die vor ihm u.a. Smedslund (1988, 1997), Werbik (1985) oder Holzkamp (1976) ins Feld geführt haben.

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Diskurse im Lichte der Diskurse anderer Epochen oder anderer kultureller Settings betrachten und dadurch zu „professioneller Selbstreflexivität“ gelangen (ebd.). All dies ist zwar konsistent mit der Annahme, dass nichts gewusst werden kann, was nicht bereits von bestehenden Konventionen bestimmt worden ist. Gleichwohl steht die Anerkennung der psychologischen Diskursanalyse als privilegierter methodischer Zugang zu psychosozialen Wirklichkeiten im Widerspruch zur Ablehnung empirischer Sätze für die Sprache der Psychologie: Denn sie setzt die Möglichkeit voraus, Zugang zur empirischen Realität der Diskurse zu erlangen. Und auch darüber hinaus ist das Ziel der Diskursanalyse nicht gerade bescheiden: Sie will die bestehenden Konventionen erkunden und damit „praktisch alles“ aufzeigen oder immerhin andeuten („foreshadow“), „was man wissen kann“ (ebd.: 121; Übers. B.Z.). Vor diesem Hintergrund klingt es besonders viel versprechend, wenn Gergen (1994) ein ganzes Unterkapitel jenen Kriterien für die Bewertung der Güte wissenschaftlicher Theorien widmet, die auch dem Sozialkonstruktionismus standhalten. Gergen setzt den Hauptfunktionen einer wissenschaftlichen Theorie im herkömmlichen Wissenschaftsverständnis, Ereignisse zu beschreiben und vorherzusagen, die „pragmatische Funktion“ von Theorien entgegen. Mit Austins (1962) Unterscheidung zwischen konstativen und performativen Aussagen behauptet er, wissenschaftliche Aussagen seien immer performativ. „In particular, when we engage in actions such as ‚describing,‘ ‚explaining,‘ or ‚theorizing‘ we are also engaging in a performative activity or form of life“ (1994: 86). Auch für wissenschaftliche Theorien muss klar sein, dass deren Aussagekraft sich allein aus ihrer Position in Beziehungsnetzen ergibt: „[T]he performative value of an utterance is derived from its position within a more extended pattern of relation6 ship“ (Gergen 1994: 85). 6 Für Performative, also Aussagen, die gleichzeitig eine Handlung sind – wie z.B. der Satz des Standesbeamten „Ich erkläre euch zu Mann und Frau“ – hat Austin vorgeschlagen, sie nicht anhand ihrer Korrespondenz mit Fakten zu evaluieren (Austin 1962), sondern nach ihrer Brauchbarkeit für die Aufrechterhaltung von sozialen Konventionen (eine geeignete Äußerung passt in einen konventionellen Sachverhalt – eine ungeeignete nicht). In seiner berühmten Abhandlung How To Do Things With Words, hat er selbst festgestellt, dass im Grunde auch konstative oder deskriptive Aussagen einen performativen Gehalt haben (1962, bes.: 133ff.), denn ein Aspekt jeglicher Äußerung ist, dass sie sozialen Geltungsanspruch erhebt, oder, wie Gergen es ausdrücken

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Aber nicht nur wissenschaftliche Beschreibungen sind performativ, sondern auch Vorhersagen. Für Gergen sind die Begriffe des wissenschaftlich-psychologischen Fachjargons ein gutes Beispiel für die „pragmatics of prediction“ (Gergen 1994: 87): Um beispielsweise eine Vorhersage über Studienleistungen machen zu können, müssen die damit befassten Wissenschaftler bestimmte sprachliche und nichtsprachliche Handlungen vollziehen. So müssen beispielsweise neben diesem auch noch andere Ausdrücke verwendet werden (etwa ‚IQTest‘, ‚Angstindikator‘, ‚Leistungsmotivation‘), die wiederum auf bestimmte Situationen, auf Beziehungen zu Kollegen, aber auch zu bestimmten Objekten (wie Prüfungsmaterialien, Studenten, Testwerten usw.) verweisen. All dies stellt aber den pragmatischen Kontext erst her, in dem die Vorhersage zutrifft (1994: 88). Eine Aussage über den Zusammenhang dieser Einheiten ist nicht selbst vorhersagekräftig, sondern sie befähigt die Angehörigen der Gemeinschaft, die hier wissenschaftlich tätig sind, in einer Weise zu kommunizieren und ihre Ergebnisse zu präsentieren, dass Vorhersagen überhaupt möglich wer7 den (1994: 88). Derlei pragmatische Kriterien können die herkömmlichen Evaluationskriterien wie Wahrheitswert oder den empirischen Gehalt ersetzen, wenn dies der entsprechenden Situation angemessen scheint. Ein universell gültiges Regelsystem zur Evaluation wissenschaftlicher Theorien sollte man allerdings nicht anstreben, denn Gergens „diachronic view of science“ (ebd., S: 88) betont den historischkontingenten Charakter solcher Evaluationskriterien: Offensichtlich in Anlehnung an Kuhns Begrifflichkeit unterscheidet Gergen Theorien im Stadium der „normal science“ von „generative theories“ (ebd.:

würde, dass sie diejenigen Konventionen bestätigt, innerhalb derer sie verständlich ist. 7 Gergen spricht in diesem Zusammenhang auch von „indexicals“, er bezieht sich damit auf die Tatsache, dass die oben genannten Begriffe (etwa ‚IQ‘) in der Regel zusammen mit bestimmten anderen Begriffen verwendet werden und so eine Art Konnotationskonvention geschaffen wird. Der Begriff der Indexikalität wird, neben der in den Sozialwissenschaften bekannten Verwendungsweise im Sinne der Ethnomethodologie und der Ethnographie des Sprechens (Garfinkel, Cicourel; vgl. Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1976), auch in der Philosophie, neuerdings z.B. von Putnam (1990: 46), verwendet – um genau das zu bezeichnen, wogegen sich Gergen wendet: das ‚Festhaken‘ unserer Begriffe und unserer Praktiken der Bedeutungskonstitution an der Realität, nicht allein an der Sprache.

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90f.), die besonders in einem Stadium der Wissenschaft relevant werden, welches einer Krise oder einem Paradigmenwechsel vorhergeht. In den unterschiedlichen Stadien der Wissenschaftsentwicklung müssen Theorien sehr unterschiedlichen Kriterien genügen und unterschiedliche Funktionen erfüllen. Theorien in der normalen Wissenschaft, in der das Wissenssystem stabil ist („under conditions of stabilization“), müssen den Kriterien wie Vorhersagevalidität genügen; generative Theorien dagegen werden dann relevant, wenn ein etabliertes Wissenssystem schon sehr instabil ist, so dass man von einem „transformational stage of science“ sprechen kann (ebd.: 92). Sie sollen daher gerade die Regeln wissenschaftlichen Theoriebildens unterlaufen, um so neue Handlungsoptionen zu schaffen. So muss eine generative Theorie sich nicht um eine dem Sprachgebrauch der scientific community angepasste, gut verständliche, objektivierende Terminologie bemühen, sondern in der „kritischen“ und der darauf folgenden „transformationalen“ Phase einer Wissenschaft sind Abweichungen vom konventionellen Sprachgebrauch wünschenswert, da sie das vermeintlich Selbstverständliche und Verbindliche unterlaufen und neue 8 Bilder oder Bezeichnungen anbieten. Idealerweise sollten sich die Sozialwissenschaften immer in einer Art zyklischem Wechsel zwischen diesen beiden Arten von Wissenschaft bewegen, so dass Phasen, in

8 Für Gergen waren beispielsweise die Theorien von Sigmund Freud und Karl Marx unter den ‚generativsten‘ Theoriebeiträgen unseres Jahrhunderts, da sie beide als gesichert geltendes Wissen kritisch hinterfragt und herausfordert haben. Das heißt nicht, dass diese Theorien von selbst ihr innovatives Potenzial heute noch genauso besitzen – dafür müssen sie neu gelesen und interpretiert werden (ein Beispiel ist für Gergen Lacans Freud-Lektüre). Dennoch waren sie alle, wie auch die ansatzweise generativen Arbeiten von Jung, Piaget, Goffman, Skinner, Geertz, in gewissem Sinne auch konservativ, meint Gergen, da sie sich auf kulturelle Traditionen, wie etwa die Autorität des Autors als alleinigem Urheber des Textes, stützten. In allen erwähnten Arbeiten objektiviere doch der Text seinen Gegenstand und errichte damit ein Reich, in dem das ‚Reale‘ über dem Rhetorischen steht. Wenn jedoch andere Schreibstile entstehen, wenn die Genres vermischt werden, wenn Bilder und Klänge in die Texte gemischt werden usw. – dann ändert sich auch die Konzeption von Wissenschaft, Wissen, Bildung. Beispiele, in denen manche Elemente dieser Auffassung realisiert werden, sind etwa der Schreibstil von Hélène Cicoux oder Luce Irigaray, der mit alternativen Formen des Ausdrucks experimentiert, ebenso die in der Kulturanthropologie entwickelte Schreibform der Ethnographie (vgl. Gergen 1994: 92).

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denen Bedeutungen durch die Bestätigung und Festigung traditioneller Erkenntnisse und Werte festgelegt werden, auf Phasen der Destabilisierung und Herausforderung folgen und v.v. Dann gilt nämlich: „[O]ur theories […] offer to the culture an increasing range of predictive capacities and, most important for the human sciences, an increasing range of intelligibilities and practices“ (1994: 92). Im Sinne der „social constructionist epistemology“, so Gergen, kann das Ausspielen von Forschungsergebnissen gegeneinander beendet werden, alle Beteiligten können in produktive Dialoge miteinander treten. Und nur in diesem Sinne kann für Gergen wissenschaftliche Theoriebildung die Kultur, an der sie teilhat, bereichern. Das gilt dann allerdings für jede Form theoretischer Intelligibilität gleichermaßen – ob es sich um kognitivistische, behavioristische, phänomenologische oder psychoanalytische Theorien handelt. Sie alle geben der Kultur „discursive vehicles“ (1994: 142) an die Hand, die neue soziale Diskurse, Kommunikations- und Interaktionsprozesse ermöglichen und unterstützen. Resultat ist die Vermehrung intelligibler Sichtweisen innerhalb der Disziplin und in der Gesellschaft und damit eine Erweiterung der „symbolischen Ressourcen der Kultur“ (ebd., Übers. B.Z.). Für die Psychologie heißt das: Je mehr psychologische Theorien überhaupt existieren, desto vielschichtiger und reichhaltiger wird die kulturelle Konstruktion des Psychischen. Durch die produktiven Dialoge zwischen den unterschiedlichsten Positionen – nun endlich ist Wissenschaft kein „Nullsummenspiel“ mehr, bei dem man eine der eigenen zuwider laufende Argumentation aushebeln muss (ebd.) – wird der Gegenstand der Psychologie komplexer und facettenreicher. Gergens enthusiastischer Stil lässt den Leser beinahe vergessen, dass eine produktive Auseinandersetzung unterschiedlicher Positionen untereinander nicht automatisch erfolgt, wenn diese Positionen den eigenen Standpunkt jeweils nicht behaupten, wie es der antiuniversalistische, relativistische Anspruch des Sozialen Konstruktionismus nahe legt. Denn wer ohne Einsatz argumentiert, braucht mit konträren Perspektiven auch nicht auf produktive Weise zu streiten (vgl. zu diesem Problem auch Kap. IV, 2.2; 2.3). Im Sinne des sozialkonstruktionistischen Wissenschaftsverständnisses gelten Theorien zwar als Stützpfeiler des wissenschaftlichen Betriebes, ihre eigentliche Hauptaufgabe, die empirische Realität psychischer und sozialer Phänomene zu thematisieren, scheint aber vollständig desavouiert. Braucht der Soziale Konstruktionismus überhaupt empirische Forschung, und wenn ja: wie sieht diese dann aus?

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1.2.2 Die Relevanz empirischer Forschung Gergen betont immer wieder, dass auch in einer sozialkonstruktionistisch orientierten Wissenschaft empirische Forschung möglich und sinnvoll ist. Unter dem Titel Horizons of Human Inquiry (1999) befasst er sich mit der Frage, wie empirische Forschung im Sinne des sozialkonstruktionistischen Gegenstandsentwurfs aussehen kann. Sein Ergebnis sieht kurz gefasst etwa folgendermaßen aus: Empirische Befunde können nichts von der ‚Realität‘ abbilden, die sie zu untersuchen vorgeben, also auch keine Aussage über diese machen. Sie können aber zur diskursiven Konstitution von (neuen) Realitäten beitragen, indem sie zu Dialogen anregen. Empirische Forschungsergebnisse illustrieren gesellschaftlich relevante Sichtweisen eines Phänomens oder Themas und ermöglichen so Diskussionen über moralische und politische Themen, die in dieser Form bisher nicht stattfanden – mehr aber auch nicht (1999: 93; vgl. auch 1994: 140ff.). Das kann immerhin in dreierlei Form geschehen: Theorien können existierende Formen kulturellen Lebens unterstreichen und bestärken; wissenschaftliche Forschungsergebnisse und Diskurse können aber zweitens die „Destabilisierung“ bestehender Konventionen fördern und „dominante Realitäten“ sowie die mit ihnen verbundenen kulturellen Lebensformen kritisch hinterfragen. Drittens ist es bereits produktiv und wünschenswert im Sinne des Sozialkonstruktionismus, wenn Forschungsergebnisse – beispielsweise, weil sie eine neue These hervorgebracht haben – ganz allgemein ein Forum für die „Erschütterung“ des Konventionellen bieten. Gergen spricht vom „scholarship of dislodgement“, von entlarvenden, dekonstruktivistischen Analysen, die prinzipiell all das in Zweifel ziehen, was besonders bewährt erscheint, „what seemed the ‚only way‘ of putting things“ (1994: 58f.; Übers. B.Z.). Grundsätzlich verstehen sich sozialkonstruktionistisch angelegte empirische Forschungsarbeiten als „social and reflexive critique“ (1994: 131), die einen expliziten, kritischen Impuls gegen soziale Verhältnisse oder etablierte Denkweisen setzen wollen, und ihre Vorhaben gar nicht erst mit dem Anspruch wissenschaftlicher Wertneutralität antreten. Beispiele stammen aus der angelsächsischen Variante einer Kritischen Psychologie (Wexler 1983; Newman 1991 u.a.) oder aus der feministischen Psychologie (Gilligan 1982; Kitzinger 1987; M. Gergen 1988 u.a.). Als Kriterium für die Zuordnung zu dieser Gruppe kritischer Forschungsansätze genügt es in der Regel, dass für die Fragestellung gesellschaftlich problematische oder tabuisierte Themen aufgegriffen werden. Darüber hinaus verstehen sich sozialkonstruktionistische empirische Forschungen als soziohistorisch angelegte, dis223

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kursanalytische Rekonstruktionen davon, wie scheinbar universelle, psychologisch relevante Phänomene erst mit der Entstehung bestimm9 ter Konventionen und Sprachregelungen konstituiert wurden. Dieser Art von Projekten widmet Gergen (1994) mehrere Seiten, auf denen unter dem Stichwort „forms of social construction“ solche Studien zitiert und zum Teil beschrieben werden, die sich zum Ziel setzen, scheinbar selbstverständliche Elemente der psychosozialen Realität zu „destabilisieren“ (134ff.). Das ist besonders relevant im Falle von psychologischen Forschungsgebieten, auf denen die Psychologie bereits universelles Wissen zu haben glaubt. Um dies zu veranschaulichen, wird in den meisten neueren Monographien Gergens die sozialkonstruktionistische Sicht von Emotionen als ausschließlich kulturell bedingten Artefakten recht ausführlich diskutiert: Emotionen sind nicht wie die Ergebnisse der herkömmlichen psychologischen Emotionsforschung suggerieren, der „Besitz“ einzelner Individuen, sie sind nicht privat, sondern ganz und gar öffentlich, nämlich „forms of public performances specific to a given culture“ (Gergen 1999: 110; vgl. 1994: 210ff.; 1991: 164f. u.a.; s. Kap. IV, 3). Drittens versuchen empirisch arbeitende Sozialkonstruktionistinnen „processes of constructions“ zu explorieren und zu erkunden, d.h. in freier Feldforschung werden Texte und Bilder, aber vor allem Konversationen und Kommunikationen analysiert, mit dem Ziel, möglichst viel Neues, bislang Unbekanntes über den fraglichen Gegenstandsbereich zu erfahren. Arbeiten aus dieser dritten Gruppe sind – meint Gergen – im sozialkonstruktionistischen Sinn besonders fruchtbar, da sie eine bestimmte Form der Selbstreflexivität betonen: Ob sie provozieren, kritisieren oder einfach nur den Blick auf Unerwartetes lenken wollen, sie zeigen 9 Gergen unterscheidet unterschiedliche Arten der sozialkonstruktionistischen Kritik, z.B. die „culture critique“, d.h. die explizite Thematisierung moralischer und politischer Anliegen durch die Sozialwissenschaften. Arbeiten, die Gergen hier einordnen würde, sind neben der Kritischen Theorie Horkheimers, Adornos und Marcuses in neuerer Zeit auch die Gruppierung angelsächsischer Psychologinnen und Psychologen als Critical Psychology und die Cultural Studies. Die dort praktizierte Form der „social critique“ muss allerdings noch um einen speziell wissenschafts- und erkenntniskritischen Aspekt ergänzt werden, denn „such critique is essentially turned outward, challenging features of the culture at large. In so doing, it leaves the human sciences themselves unquestioned“. Für den Sozialkonstruktionismus ist daher zusätzlich zu diesem gesellschaftskritischen Moment wissenschaftlicher Aktivitäten auch der Bereich der „internal critique“, der beständigen kritischen Selbsthinterfragung der Wissenschaften, Bedingung (vgl. 1994: 58).

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uns nicht nur durch ihre Forschungen alternative Möglichkeiten, die Welt zu entwerfen und zu erfassen („framing the world“), sondern sie verstehen sich auch selbst als „rhetorisch“, sie sind sich bewusst, durch ihre Forschungen bestimmten Konstruktionen von Selbst und 10 Welt Gehör zu verleihen, sie zu bestärken, und andere nicht. Für eine bestimmte Forschungsvorgehensweise bzw. für die Privilegierung spezifischer Methoden möchte Gergen sich aber ausdrücklich nicht entscheiden. Schließlich geht es nicht um die empirische Bestätigung von Aussagen, sondern um das Aushandeln gültiger Definitionen (1994: 31), indem man diese möglichst kontrovers und im Vergleich mit anderen Definitionen diskutiert – und das gibt für ihn keine methodische Einstellung vor. Zudem will Gergen sich – gemäß dem relativistischen Standpunkt des Sozialkonstruktionismus – nicht auf eine bessere Methode festlegen, sondern: „[Social constructionism] invites the scholar to explore and extend any form of intelligibility“ (1994: 131; vgl. 1999). So sei etwa die „binäre“ Gegenüberstellung von qualitativen vs. quantitativen Forschungen ohnehin nur der heute veralteten Unterscheidung zwischen ‚harten‘ und ‚weichen‘ Methoden geschuldet, die sich aus der typisch modernen Tendenz zu dualistischem Denken speise, derer wir uns endlich entledigen sollten. Dennoch findet sich in dem 1999 erschienenen Band Invitation to Social Construction ein ganzes Kapitel über sozialkonstruktionistische Forschung, in dem qualitative und interpretative Forschungsmethoden besondere Erwähnung finden (und das immerhin unter der starken Überschrift „the qualitative explosion“ 1999: 95). Den größten Raum nimmt dabei eine spezifische Form der Narrationsforschung ein, deren charakteristischstes Merkmal eine Art „ethnographischer“ Perspektive ist. Während die „traditionelle“ Narrationsforschung, meint Gergen, Lebensgeschichten untersuchte, um abstrakte Ideen über ein psychologisches Konstrukt zu belegen, sei es heute (durch den Einfluss sozialkonstruktionistischen Denkens in der Psychologie) möglich, Narrationsforschung im Dienste „emanzipatorischer“ Interessen einzusetzen – und zwar um alternative Lebensentwürfe und Sinnstrukturen zu erkunden und zu plausibilisieren (1999: 96). Im selben Kapitel wird auch eine Lanze für verschiedene Formen der Aktionsforschung gebrochen (1999: 98f.). Wichtig dabei ist, dass Forschende und Forschungspartner in echte Kommunikation und Interaktion treten („collaborative re10 Beispiele wissenschaftlich-psychologischer Arbeiten, die dies leisten, stammen etwa von Potter und Wetherell über Einstellungen (1987), von Averill über Emotionen (1985) (vgl. Gergen 1994: 141).

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search“) bzw. das Forschungsziel auf Veränderungen im sozialen Status der Forschungspartnerinnen ausgerichtet ist („participative action research“). Gergens explizit geäußerte Position (derzufolge es keine privilegierte Methode gibt) scheint sich von der auch durch ihn hervorgehobenen Forschungspraxis immerhin zu unterscheiden: Nicht nur ist der von Gergen selbst hoch gehängte Anspruch an die sozialkonstruktionistische Forschung, bislang Unbekanntes und Neues durch die Analyse von „processes of social construction“ zu erkunden, nur mit bestimmten (dem interpretativen Paradigma zuzuordnenden) Methoden zu erreichen. Auch das tatsächliche Vorgehen in den Untersuchungen, die Gergen unter diesem Anspruch sozialkonstruktionistischer Empirie beschreibt, lässt sich durchaus methodologisch einordnen: Die Offenheit, mit der sich sozialkonstruktionistische Forscherinnen ihrem Gegenstandsbereich nähern, der Anspruch, mit den Forschungspartnern in Kommunikation zu treten oder auch die bewusst angestrebte Fremdheit beim Zugang zu den Wirklichkeitskonstruktionen anderer sind methodologische Vorgaben, die auch als Prinzipien qualitativer oder interpretativer Forschungsmethodologien gelten (vgl. Hoffmann-Riem 1980; Denzin/Lincoln 1994; Hitzler/Honer 1997; Appelsmeyer/Kochinka/Straub 1997 u.a.). Und auch wenn man Beispiele der von Gergen selbst erwähnten und zitierten Studien genauer analysiert, scheint hier eine bestimmte methodische Richtung vorherrschend: Es handelt sich vorwiegend um offene, unstrukturierte Feldforschung, nicht-reaktive Methoden der Datenerhebung (hier überwiegen das narrative Interview und die ethnographische Beschreibung im Sinne der Konversations- oder Diskursanalyse) sowie interpretative Methoden der Auswertung. Zusätzlich gibt es eigene methodische Vorkehrungen, die die Selbstreflexion der Forscherin gewährleisten sollen (vgl. Potter/Wetherell 1987, 1995 u.a.). Dennoch scheut der Soziale Konstruktionismus davor zurück, der Empirie in seinem Theorieentwurf eine positive Rolle zuzugestehen. Psychologie im Sinne des Sozialkonstruktionismus ist eben nicht als Erfahrungswissenschaft konzipiert, sondern denjenigen, die für eine alternative Psychologiekonzeption nicht zuletzt einen reichhaltigeren Erfahrungsbegriff einfordern, den es in wissenschaftlicher Haltung zu erkunden gilt, wird entgegengehalten: „Given the difficulty in locating the referent for the term ‚experience‘, let us adopt a constructionist standpoint and attend to discourse about experience.“ Diese Diskurse, so Gergen weiter, sind freilich erst dann recht verstanden, wenn man ihre „sozialen Folgen“ kennt: „What forms of cultural lives are suppressed or sustained by such discourse?“ usw. (alle Gergen 1994: 71; Herv. i.O.) Problematisch ist hier wieder, dass die als Evaluationskrite226

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rien angeführten „sozialen Konsequenzen“ irgendwann in Form empirischer Tatbestände vorliegen müssen, wenn man nicht endlos auf „discourse about“-Ebenen ausweichen möchte. Im Selbstverständnis des Sozialen Konstruktionismus als wissenschaftlicher psychologischer (Sub-)Disziplin bleibt damit die Frage des Verhältnisses zwischen Empirie und Theorie ungeklärt: Einerseits scheint es nicht recht klar, warum Gergen, getreu den Implikationen der eigenen stark kontextualistischen und gegen jeden philosophischen Realismus gewendeten Auffassung, empirische Forschung nicht schlichtweg ablehnt oder 11 noch radikaler auf das Reden über empirische Forschungen reduziert . Andererseits zeigen viele sozialkonstruktionistisch ausgerichtete und auch einige von Gergens eigenen Arbeiten (insbesondere zum Begriff des Selbst), dass auch ein sozialkonstruktionistischer Theoretiker nicht umhin kann, als Erfahrungswissenschaftler zu sprechen und auf die Realität alltagsweltlicher Kontexte und empirischer Studien hinzuweisen, um Begriffe einzuführen, zu veranschaulichen, zu plausibilisieren. Wir werden auf Gergens Theorie des Selbst und auf dieses Problem in Kapitel IV, 3 ausführlich zu sprechen kommen. Zunächst aber wollen wir die metatheoretischen Grundlagen von Gergens implikationsreichen Ausführungen ausführlicher behandeln. Bislang sollte das vorliegende Kapitel zeigen, wie Gergen selbst eine alternative, nicht-kognitivistische (Wissens-)Psychologie gestalten würde. Am Beginn eines solchen Unternehmens muss für ihn ein alternativer Wissensbegriff stehen. Im Bestreben, diesen ausgehend von der Kritik an der Abbildtheorie der Sprache zu formulieren, versucht er, die strukturalistische Auffassung der Sprache als (Zeichen-)System mit der pragmatischen Auffassung von Sprache als Praxis zu verbinden (s. Kap. IV, 1.2). Gergen zufolge ist diese Sprachauffassung an eine konstruktivistische Auffassung von Erkenntnis und Wissen gebunden. Sie wird spätestens dann zum Problem, wenn der Soziale Konstruktionismus sich als wissenschaftlichen psychologischen Ansatz beschreibt, wenn er also sein Wissenschaftsverständnis darlegt. Welches Wissenschaftsverständnis kann mit der Auffassung vereinbar sein, dass Sprache und Wissen nicht nur keine Repräsentation außersprachlicher Realität darstellen, sondern völlig von ihr unabhängig sind? Eine Mög-

11 Gergen selbst meint, dass durch seine Offenheit in Fragen des Methodenvergleichs auch eine „detente“ zwischen der sozialkonstruktionistisch orientierten und der in der Regel experimentell arbeitenden, individualistischen Social-Cognition-Sozialpsychologie ermöglicht werde (1994: 141).

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lichkeit wäre, hier eine methodologische Unterscheidung zwischen alltäglichen und wissenschaftlichen Konstruktionen einzuführen; Gergen jedoch lehnt gerade diese Unterscheidung explizit ab. Er versucht, das Problem des epistemischen Realismus vielmehr dadurch zu lösen (oder zu umgehen), dass er die Funktion wissenschaftlicher Theorien so stark umdefiniert, dass sie an seine antirealistische, radikal-konstruktivistische Auffassung von Erkenntnis angepasst wird. Mit dieser Definition aber (die Theorien völlig von ihrer vermeintlichen, empirischen Grundlage abkoppelt) sagt er sich faktisch von der Psychologie als empirischer Wissenschaft los (auch wenn er das eigentlich vermeiden will) und handelt sich andere gravierende Probleme ein: Denn eine Psychologie, die sich nicht erfahrungswissenschaftlich versteht (weder im behavioristischen, noch im subjektorientierten oder hermeneutischen Sinn), hat im Grunde keinen eigenen Gegenstandsbereich mehr, sondern ist reine Text- oder Sprachwissenschaft. Aus den von Gergen selbst formulierten zentralen Thesen geht eine Lösung dieses Problems jedenfalls nicht hervor. Möglicherweise zeigt aber die Analyse der unterschiedlichen Bezugnahmen in Gergens theoretischem Programm auf Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie, Wissenschaftstheorie und Kritische Theorie, dass er diese Fragen und Probleme durchaus bedacht und in angemessener Weise problematisiert hat. Daher soll nun der Rekonstruktion des Sprach- und Wissensbegriffs einer sozialkonstruktionistischen Wissenschaft Psychologie die systematische Darstellung ihrer metatheoretischen und theoretischen Grundlagen gegenüber gestellt werden.

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Die metatheoretischen Grundlagen

Gergen hat grundsätzlich Bedenken, Theorien als Vorläufer in einem engeren Sinn, als „intellectual roots“ oder „earliest origin“ seines Ansatzes anzuerkennen – da er der Ansicht ist, die Frage nach den theoretischen Wurzeln sei schlichtweg die falsche Frage, sie sei „flawed in 12 the asking“ (1994: 66). Schließlich gebe es keine identische Wieder-

12 Nicht zuletzt um dieser Einstellung Gergens so weit als möglich entgegenzukommen, wurde Gergens erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Position in Kap. IV, 1 zunächst in Form der von ihm formulierten Thesen und deren Erläuterung wiedergegeben, ohne sie bereits über den Bezug auf spezifische Grundlagen einzuordnen (wenngleich es sich

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holung oder authentische Rezeption noch so grundlegender „Ideen“ und jede Rezeption, so Gergen, macht aus dem rezipierten Ansatz eine eigene Lesart. Es wäre ein aussichtsloses Unterfangen, die theoretischen Einsichten einer bestimmten Denkerin so darzustellen, dass man ihren eigenen Intentionen gerecht wird – und daher muss man dies auch nicht unbedingt anstreben. Es gibt allerdings verschiedene metatheoretische Positionen, auf die Gergen sich häufig und explizit bezieht und in deren Kontext er seine eigene Position verortet. Dabei handelt es sich zum Teil um höchst voraussetzungsvolle philosophische und sozialtheoretische Denkrichtungen. Seine Rezeptionshaltung beschreibt er selbst wie folgt: „[I]n the development of constructionism, these enterprises too are not reproduced whole cloth; the relevant works are disfigured and rewoven in various ways“ (ebd.). Wir werden sehen, dass diese Haltung zuweilen dazu führt, dass Denktraditionen sehr selektiv und nach dem Kriterium ihrer Brauchbarkeit für 13 die sozialkonstruktionistische Theoriebildung aufgearbeitet werden. Auf welchen Hintergrund stützt sich also das Gegenstands- und Wissenschaftsverständnis des Sozialkonstruktionismus? Zunächst ist zu bedenken, und das ist wohl auch schon deutlich geworden, dass sowohl für Gergens Variante einer sozialkonstruktionistischen Psychologiekonzeption als auch für anderer Vertreterinnen und Vertreter dieser Richtung, auch aus den Reihen der Diskursiven Psychologie kommend, die (prinzipielle) Gleichsetzung von wissenschaftlichem und alltäglichem Wissen bezüglich seiner Konzeptualisierung (Genese), Lokalisierung (Repräsentation) und Geltung typisch ist. Daraus ergibt sich für die zentralen Prämissen die Vermischung von wissensund damit gegenstandstheoretischen Perspektiven auf der einen und wissenschaftstheoretischen und damit metatheoretischen Reflexionen auf der anderen Seite, was natürlich dem Gegenstand – Wissen – geschuldet ist. Beispielsweise gelten die unter IV, 1 aufgeführten Thesen sowohl für die alltägliche als auch für die wissenschaftliche Konstitution von Realität (vgl. Gergen 1994: 48ff., 1999: 46ff.). Die Rekonstruktion von Gergens Ansatz wird also auch zu zeigen haben, ob diese Gleichsetzung durchgehalten wird bzw. werden kann. Wir werden zuerst kurz auf die spezifisch wissenschaftstheoretischen oder -philosophischen Arbeiten eingehen, aus denen sich die natürlich nicht immer vermeiden ließ, diese metatheoretischen Quellen bereits bei der Darstellung aufzugreifen). 13 Zu dieser Haltung des Interpreten zum zu interpretierenden Text äußert sich mit Bezug auf den Dekonstruktivismus kritisch Eco (1992).

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meisten von Gergens Grundannahmen ergeben und die für seine Position außerordentlich zentral sind, nicht zuletzt, da seine Psychologiekonzeption ja die Kritik des neopositivistischen Wissenschaftsverständnisses zum Ausgangspunkt genommen hatte. (s. Kap. IV, 2.1) Zweitens sind sprach- und bedeutungsphilosophische Grundsätze zu nennen. Die erkenntnistheoretische Auffassung des Social Constructionism ist, so Gergen (1994: 52), in erster Linie „a congenial companion to Wittgenstein’s (1956) conception of meaning as a derivative of social use.“ In vielen Texten, die sich mit dem Verhältnis von Erkenntnis (-möglichkeiten) und linguistischen Konventionen befassen, spielt Wittgensteins Spätwerk und die dort verhandelte Konzeption von Bedeutung die Hauptrolle. Gergen greift aber auch auf einige Aspekte der bedeutungstheoretischen Diskussion der modernen Analytischen Philosophie des Geistes zurück. Auch deshalb gehen wir auf diese philosophischen Arbeiten und ihre Rezeption durch den Sozialkonstruktionismus recht ausführlich ein (s. Kap. IV, 2.2). Für die Entwicklung seiner Kritik des leitenden Paradigmas der akademischen Psychologie, die den Ausgangspunkt seiner theoretischen Perspektive und Gegenstandskonzeption darstellt, bezieht Gergen sich auf unterschiedliche Positionen aus dem Bereich der Wissenssoziologie („social critique“), der (post-)strukturalistischen Literaturtheorie („literary-rhetorical critique“) und der Ideologiekritik („ideological critique“). Hier fällt es ihm am leichtesten, sich in einer bestimmten „Tradition“ zu verorten: der Kritik. Seine Absicht ist es, wie erwähnt, diese unterschiedlichen kritischen Positionen zusammen zu bringen und daraus einen eigenen Ansatz zu machen: „I shall fold ideological critique into the social and, with additional resources, lay the groundwork for a full-blown successor project: social constructionism. In this case, both empiricism and rationalism will form the rejected pole of a new binary – both hold knowledge to be an individual possession, while the new polarity will take knowledge to be a byproduct of communal relationships“ (1994: 24f.; Herv. i.O.). Mit der Rezeption der ideologiekritischen, wissenssoziologischen und dekonstruktivistischen Arbeiten befasst sich ein weiteres Unterkapitel (IV, 2.3), wobei die ‚postmodern‘ orientierten, dekonstruktivistischen Positionen besonderen Raum einnehmen, da sie für Gergen in vielen Fällen den Fluchtpunkt seiner Argumentation bilden, wenn er für seine Vision einer subjektkritischen, antiindividualistischen Psychologie plädiert.

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Wissenschaftsphilosophie und -theorie

2.1.1 Wissenschaftliche Paradigmen und Revolutionen In seinem 1962 erschienenen Hauptwerk greift der Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn einige der bereits bei Mannheim formulierten Aspekte der Gebundenheit von Wissen an soziale und kulturelle Faktoren auf – wenngleich er seine Überlegungen aus einer wissenschaftshistorischen Perspektive heraus entwickelte. Im Rahmen der boomenden Rezeption seiner Arbeiten in den späten sechziger und den siebziger Jahren wurden ihre wissenschaftstheoretischen Implikationen im Kontext der aktuellen moralischen und politischen Bewegungen entfaltet, und hier liegt auch Gergens Hauptinteresse: Besonders die grundsätzliche Problematik wissenschaftlicher ‚Wahrheitssuche‘, meint Gergen, lässt sich mit Kuhn benennen und konkretisieren, da auch Kuhn die Kriterien zur Bewertung von Theorien nicht in der Korrespondenz mit ihrem Gegenstand sieht. Es gehe Kuhn vielmehr explizit um das Problem, wie man mit Hilfe tradierter Kriterien über die Güte wissenschaftlicher Theorien entscheiden soll, wenn doch gerade die für die wissenschaftliche Erkenntnispraxis hochgradig konstitutiven Kriterien und Regeln bestimmen, welche Ereignisse als wissenschaftlich relevante Fakten gelten und welche nicht. Kuhns entscheidendes Verdienst bestand darin, auf die Unterscheidung zwischen internen und externen Kriterien für die Rationalität wissenschaftlicher Ergebnisse oder Begriffe hinzuweisen. Wir werden sehen, was Gergen aus dem Begriff der wissenschaftlichen Revolutionen macht, bzw. wo seine Theorieauffassung doch sehr an Begriffe des Kuhnschen Hauptwerks angelehnt ist. Zuvor jedoch ein Blick auf die zentralen Aussagen Kuhns. Wissenschaftler, die innerhalb eines Paradigmas arbeiten, praktizieren das, was Kuhn ‚Normalwissenschaft‘ nennt. Bei den Versuchen, weitere Aspekte der Wirklichkeit zu erklären, entwickeln die Normalwissenschaftler ihr Paradigma weiter und konkretisieren es. Dabei bestimmt das Paradigma selbst den Standard für legitime Forschung innerhalb einer Wissenschaft, es bestimmt das Vorgehen beim „Rätsel14 Lösen“ in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, die über grundlegen-

14 Kuhn stellt normale Wissenschaft als ein Rätsel-Lösen dar. Die Rätsel richten sich dabei nach dem Paradigma, d.h. als Rätsel bezeichnet er solche Problemfälle, die innerhalb des Paradigmas, unter intelligenter

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de Aspekte ihrer Arbeit einen Konsens erzielt hat und weitere Forschungen auf dieser Grundlage vorantreibt. Ein Normalwissenschaftler muss dem Paradigma, in dem er arbeitet, mehr oder weniger unkritisch gegenüberstehen, um in der Lage zu sein, seine Kräfte auf die ausführliche Ausarbeitung des Paradigmas zu konzentrieren. So ist z.B. ein zentrales Charakteristikum normaler Wissenschaften, dass für sie „die Zeit ständiger Kritik und Theorienvermehrung vorbei ist“ und die Wissenschaftsausübung einer „traditionsgebundenen Praxis innerhalb eines bestimmten theoretischen Rahmens“ gleichkommt (Kuhn 1974: 243). Diese Praxis lebt wie gesagt vom Konsens der entsprechenden Gemeinschaft bezüglich grundsätzlicher Fragen, Regeln und Reglementierungen. Die Normalwissenschaft sucht nicht nach fundamentalen Innovationen, sondern ähnelt zeitweilig sehr dem „Versuch […], die Natur in die vorgefertigten und relativ unflexiblen Schubladen zu zwängen, die das Paradigma bereitstellt“ (Kuhn 1969: 38). Dennoch können sich auch bei der vertrauensvollen Arbeit des Normalwissenschaftlers Misserfolge ereignen, die sich nicht mehr mit den innerhalb des Paradigmas definierten Problemen und den exemplarischen Problemlösungen in Zusammenhang bringen lassen (vgl. Hoyningen15 Huene 1989: 166). Anwendung der in ihm geltenden Regeln (für die Herstellung von Wissenschaftlichkeit, Glaubwürdigkeit usw.) lösbar sind. 15 Ganz anders als etwa Schütz, der die über die phänomenologische Methode erlangten Erkenntnisse über das alltagsweltliche Wissen auf den Bereich wissenschaftlichen Wissens übertrug und sich dabei auf das Tun des Sozialwissenschaftlers insbesondere konzentrierte, hatte Kuhn bei der Entwicklung seiner Theorie der Struktur wissenschaftlicher Revolutionen allerdings von Beginn an die Naturwissenschaften im Blick. Die Anwendbarkeit von Kuhns Paradigmabegriff für die Sozialwissenschaften wurde häufig erörtert. Dazu hat z.B. Rosa (1999) auf folgende Unterschiede hingewiesen: In den Sozial- und Kulturwissenschaften gibt es keine geschlossenen scientific communities im Sinne Kuhns, da es konkurrierende Schulen gibt, daher gibt es in der Regel keine eindeutigen Modelllösungen. Vor allem aber ist wichtig, dass sozialwissenschaftliche Forschergemeinschaften viel weniger autonom gegenüber der Gesellschaft sind, da z.B. gesellschaftliche Wandlungen zum einen den Untersuchungsgegenstand der Sozial- und Kulturwissenschaften maßgeblich verändern, zum anderen Erkenntnisse und Begriffsneudefinitionen der Wissenschaft auf die Gesellschaft – als ihren Gegenstand – rückwirken können. Es besteht, so Rosa, ein „unauflöslicher Wechselbezug zwischen sozialwissenschaftlichen Theorien und sozialer Praxis“, und auch die sozialwissenschaftlichen Theorien sind „selbst konstitutiver Bestandteil der kulturellen Wirklichkeit“ (ebd.: 16).

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Zentral für das Verständnis des Kuhnschen wissenschaftshistorischen Theorieentwurfs ist dabei, dass die Problemlösungen weltkonstitutiven Charakter haben, sie bestimmen die „Erscheinungswelt“, d.h. die Welt, in der die Wissenschaftler arbeiten und damit die Grenzen des Gegenstandes der Wissenschaft (Kuhn 1969). Während der Phase der normalen Wissenschaft stehen die Problemlösungen normalerweise nicht zur Disposition, daher bleibt die Struktur des zu untersuchenden Gegenstandes unverändert. Auch die Existenz ungelöster oder unlösbarer Fragen innerhalb eines Paradigmas allein führt dieses noch nicht in eine Krise bzw. ist noch kein hinreichender Grund, die für das Paradigma konstitutiven Gesetze anzuzweifeln. Kuhn selbst weist darauf hin, dass Paradigmen stets solche „Anomalien“ enthalten: „Forschung ohne Gegenbeispiele gibt es nicht“ (Kuhn 1969: 92). Nicht alle anomalen Probleme werden im Hinblick auf die das Paradigma konstituierenden Regeln und Reglementierungen als widerlegende Instanzen verstanden; sondern der normalwissenschaftliche Umgang mit Anomalien solcher Art ist häufig, dass sie beiseite gelegt oder weniger genau untersucht werden, bis der Anschein ihrer Konformität mit der Reglementierung hergestellt ist. Wenn dies nicht der Fall ist – wenn also aufgrund der Betrachtung bestimmter, unlösbarer Probleme Zweifel auf normalwissenschaftliche Reglementierungen fällt, bezeichnet Kuhn solche Anomalien als „wesentlich“ (z.B. Kuhn 1969: 90), konstatiert jedoch, dass es keine Regeln gebe, um eine wesentliche 16 Anomalie von einem bloßen Fehlschlag zu unterscheiden. Damit ist eine der wichtigsten Fragen benannt, die wir Kuhns wissenschaftshistorischer Arbeit verdanken, nämlich nicht in erster Linie die Frage daDadurch erhält der Paradigmenbegriff neue Relevanz, da die sozialwissenschaftlichen Forschungsgemeinschaften nicht als autonome, paradigmengeleitete Gruppen zu verstehen sind, sondern die soziale und kulturelle Gemeinschaft selbst als paradigmengeleitet, die soziale Wirklichkeit als paradigmenkonstituiert anzusehen ist. Kuhns Entwurf in den Sozialwissenschaften anzuwenden heißt daher immer auch, die Priorität des Paradigmas im Hinblick auf die soziale Wirklichkeit von Lebensformen und Kulturen zu verstehen (ebd.: 17). 16 Die Ironie der Normalwissenschaft liegt für Kuhn u.a. darin, dass es in der wissenschaftlichen Praxis immer wieder zu wesentlichen Anomalien kommt, die als Indiz dafür gelten können, dass es mit dieser normalwissenschaftlichen Praxis nicht mehr so weitergehen kann wie bisher. Manche wesentlichen Anomalien führen auch zu „unerwarteten Entdeckungen“, welche „sich aufgrund der anerkannten Theorien nicht voraussagen ließen und daher die gesamte Fachwelt überraschen“ (Kuhn 1992: 240).

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nach, wie das Neue entsteht, sondern die Frage nach den Kritierien, anhand derer wir nachträglich den relevanten Unterschied zum als ‚normal‘ Akzeptablen vornehmen. Die Art und Weise, wie ein Wissenschaftler seinen Gegenstand sieht, wird durch das Paradigma bestimmt, in welchem er arbeitet. Aber an welchem Punkt oder aufgrund welches spezifischen Geschehens schwenkt der Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin um von der einen (die Theorie bestätigenden) zur (paradigmatisch) anderen Perspektive? Kuhn hat diesbezüglich bekanntlich betont, dass es kein logisches Argument gibt, welches die Überlegenheit eines Paradigmas über ein anderes zeigen bzw. vernunftgeleitete Wissenschaftler überzeugen könnte und vergleicht den Wechsel von einem Paradigma zum anderen mit einem „Gestaltwandel“ (Kuhn 1969: 98). Um diesen Begriff richtig deuten zu können, muss kurz skizziert werden, wie Kuhn die Entstehung eines Paradigmas und den Übergang in ein neues Paradigma erklärt. Die Begriffe und Theorien unterschiedlicher wissenschaftlicher Paradigmen sind Kuhn zufolge „inkommensurabel“. Theorien, Daten und Sprachen stehen in einem komplexen Interdependenz- oder sogar Mischungsverhältnis: Paradigmen treffen nicht nur eine unterschiedliche Auswahl und Gewichtung der Fakten, sondern sie konstituieren diese Fakten erst, indem sie z.B. die Verbindung zwischen Stimuli und Empfindungen mitbestimmen. Ebenso konstituieren sie Handlungsund Vorgehensweisen wie die Beurteilung und Interpretation der Ergebnisse durch die Wissenschaftler. Für deren Sozialisation in eine wissenschaftliche Gemeinschaft (die durch ein einziges Paradigma geleitet wird) ist besonders der Vorgang von Bedeutung, durch den die Mitglieder der wissenschaftlichen Gemeinschaft Zugang zu der für sie spezifischen „Welt“ – sprich zum Gegenstand des wissenschaftlichen Wissens – erlangen. Hierbei spielen unmittelbare „Ähnlichkeitsrelationen“ (Kuhn 1969) eine entscheidende Rolle: In einer Art Sozialisationsprozess lernt bereits ein Student, mit konkreten exemplarischen Problemlösungen, „Musterbeispielen“, vertraut zu werden. Er erlangt diese Vertrautheit, indem er erlernt, die Ähnlichkeit einer vorliegenden Problemsituation mit bereits vertrauten exemplarischen Problemsituationen und -lösungen zu erkennen. Allmählich internalisiert er so das Netz der Ähnlichkeitsrelationen, über das die wissenschaftliche Gemeinschaft verfügt. Das führt früher oder später zur Übernahme der Sichtweise der Gemeinschaft und damit zur Kompetenz, bestimmte Situationen und Objekte als einander ähnlich, als Fälle einer Ähnlichkeitsklasse wahrzunehmen. Diese Ähnlichkeitsrelationen prägen die Wahrnehmung und die Bedeutung der Begriffe in unmittelbarer Wei234

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se, da die Ähnlichkeit nicht durch eine Reihe definierender Kennzeichen einer Ähnlichkeitsklasse gestiftet wird, sondern: „The practice of normal science depends on the ability, acquired from exemplars, to group objects and situations into similarity sets which are primitive in the sense that the grouping is done without an answer to the question, ‚Similar with respect to what?‘ “ (Kuhn, 1969, Postscriptum). Es handelt sich, so könnte man interpretieren, um implizites Wissen, das zunächst einmal ohne explizite Regelkenntnis praktisch erlernt wird. Die Schlüsselrolle der Paradigmen ergibt sich genauer gesagt daraus, dass sie das Netz der Ähnlichkeits- und Unähnlichkeitsrelationen fixieren (indem sie beispielsweise die relevanten repräsentativen Objekte und Problemsituationen angeben) und daraus, dass sie als Modelle für die auf ihnen aufbauende Forschungstradition dienen (vgl. HoyningenHuene 1989: 162). Weil man Paradigmen nicht nach formallogischen Kriterien miteinander vergleichen kann, es aber viele unterschiedliche Paradigmen gibt, kommt es beim Versuch transparadigmatischer Vergleiche zu erheblichen Schwierigkeiten. Inkommensurabilität meint jedoch nicht Unvergleichbarkeit per se, sondern lediglich die Unmöglichkeit eines Vergleichs unter formallogischen Gesichtspunkten: In diesem Sinne sind Paradigmen inkommensurabel. Sowohl der Inkommensurabilitätsbegriff als auch der Hinweis auf pragmatische oder soziale Kriterien für die Geltung wissenschaftlicher Ergebnisse macht Kuhns Theorie über die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen für den Sozialkonstruktionismus hochinteressant. Gergen entfaltet, wie wir bereits sahen, die wahrheitskritische Stoßrichtung Kuhns mit Verve. In der psychologisch-sozialen Komponente des Paradigmenbegriffs und der Inkommensurabilitätsthese sieht er den Gewinn von Kuhns wissenschaftsphilosophischer Theorie für die Bewertung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Wenn wissenschaftliche Revolutionen nicht durch die systematische Anwendung von Regeln des Hypothesentestens vorangetrieben werden, tritt die Bedeutung sozialer Prozesse für die Genese und Veränderung von Theorien in den Vordergrund, und die Vorstellung wird hinfällig, dass wir mit jedem paradigmatischen Sprung in der wissenschaftlichen Entwicklung der Wahrheit ein Stück näher kommen. „[D]eriving the full dramatic potential from the problem of ‚paradigm incommensurability‘, Kuhn declared that indeed the scientific vision of truth seeking may be a mirage“ (Gergen 1994: 43). Gergen betont allerdings, dass die sozialkonstruktionistische Sichtweise wissenschaftlicher Revolutionen gegen Kuhns (und auch Quines) Perspektive abzugrenzen ist, und zwar insofern der Soziale Konstruktionismus sein Augenmerk auf „processes of argumentation“ 235

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

legt – nicht unbedingt auf „issues of economic context, power, personal motivation, or social influences“ (Gergen 1994: 13). Weniger die „kognitive“ als die „linguistische“ Genese von Wissen interessiert (ebd.: 36f., 165f.; 1999: 72f.). Und hierin liegt auch Gergens Kritik an Kuhn begründet: Die grundlegenden Annahmen, auf die sich die Theorie wissenschaftlicher Revolutionen stützt, sieht Gergen letztlich in der philosophischen Gegenbewegung des Empirismus, im philosophischen Rationalismus verwurzelt, da Kuhn, so Gergens Kritik, sich schließlich wieder auf „innate knowledge“ und „inherent mental tendencies“ (Gergen 1994: 24) bezieht, um eine Alternative zur Idee der objektiven Gegebenheit wissenschaftlicher Fakten angeben zu können. Kuhn unterstellt, wissenschaftliche „Perspektivenwechsel“ könnten „fundamentally psychological“ sein, und diese Vorstellung ist jedenfalls „incompatible with the present view of constructionism“ (Gergen 17 1994: 67). Der Vorwurf des Rationalismus oder des Idealismus wurde Kuhn öfters gemacht (vgl. z.B. Scheffler 1967; zusammenfassend auch Hoyningen-Huene 1989). Der Rationalismus zeigt sich tatsächlich darin, dass die Paradigmen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, stets ei17 Gergen kritisiert Kuhns Verständnis von Anomalien mit dem (impliziten) Hinweis auf das Inkommensurabilitätsproblem, wenn er meint: „Yet if paradigms determine […] how we construct, construe, or render a fact, then how are ‚unsuspected phenomena‘ to violate or challenge the accepted understandings? In effect, a paradigm of intelligibility must precede the discovery of an anomaly rather then vice versa.“ Diese Frage ließe sich natürlich auch mit Bezug auf die Vision jener „produktiven Dialoge“ zwischen Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Wissenschaftsauffassungen stellen, die Gergen als mögliches Ergebnis einer sozialkonstruktionistischen Wissenschaftsauffassung in Aussicht stellt (s. Kap. IV, 1.2). Wie soll der Dialog zwischen Angehörigen unterschiedlicher Paradigmen zustande kommen? Gergen plädiert zwar dafür, den Begriff der Anomalie und des Gestaltsprungs durch „socially negotiated forms of meanings“ zu ersetzen (beide Gergen 1994: 14). Um aber klar zu machen, was „soziale Aushandlungsprozesse“ im Unterschied zu „kognitiven Prozessen“ wie der Wahrnehmung von Anomalien wirklich meint und warum erstere im Gegensatz zu letzteren ein Weg sein sollen, sich über Inkommensurabilitätsgrenzen hinweg zu verständigen, bedürfte es allerdings einer begrifflichen Klärung, die wohl nicht zuletzt auf die Definition des für diese Leistung notwendigen Wissens angewiesen wäre. Wie Gergen dieses begriffliche Problem angeht, werden wir in Kap. IV, 2.2, das sich mit dem Verhältnis zwischen Sozialkonstruktionismus und Bedeutungstheorie befasst, genauer diskutieren.

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ne rationale Grundlage behalten – namentlich die rationale Steuerung der Schlussweisen der Individuen, die zwar durch den Gestaltsprung unterbrochen wird, aber eben nur unterbrochen und nicht verändert. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass Kuhn zufolge die Vernunft die letztbegründende Instanz ist, wie Gergen annimmt. Erstens macht Kuhn nicht allein interne, kognitive Prozesse für die Entstehung eines neuen Paradigmas verantwortlich, sondern auch soziopragmatische. Wenn er betont, dass ein Kennzeichen der revolutionären Wissenschaftsentwicklung darin besteht, dass sich in ihrem Verlauf „die Welt ändert“ (vgl. Kuhn 1969, 1992), so ist damit „die Welt als Gegenstand wissenschaftlichen Wissens“ gemeint, eine „Erscheinungswelt“ (Hoyningen-Huene 1989: 161). Die Rede von der Änderung der Welt bedeutet nicht einfach, dass es in der nachrevolutionären Erscheinungswelt Phänomene geben kann, die es in der früheren Erscheinungswelt nicht gab, bzw. dass Phänomene, die bereits bekannt waren, nach einer wissenschaftlichen Revolution im Hinblick auf andere Gesetzmäßigkeiten erklärt werden, weil die Wissenschaftlerin diese ‚sieht‘. Um als revolutionäre Neuentdeckungen (und nicht als Neuentdeckungen im Rahmen normalwissenschaftlicher Praxis) gelten zu können, muss die ‚Entdeckung‘ eines Phänomens zu einer veränderten Praxis führen: zu bestimmten Revisionen, wie etwa bezüglich theoretischer Formulierungen, der Verwendung von Instrumenten oder der Interpretation von Daten (vgl. Hoyningen-Huene ebd.: 199). Kuhn selbst hat gesagt, dass sich die „Wahl zwischen konkurrierenden Paradigmen als eine Wahl zwischen unvereinbaren Lebensweisen der Gemeinschaft“ erweise (Kuhn 1984: 105ff.). In diesem Sinne spricht Kuhn davon, dass konkurrierende Paradigmen inkommensurabel sind (vgl. Chalmers 1986: 114). Zweitens macht es für Gergen anscheinend keinen Unterschied, dass Kuhn die Welt oder Wirklichkeit stets auch als „objektseitig“ (Hoyningen-Huene 1989: 258) versteht, d.h. die Erscheinungswelten der wissenschaftlichen Gemeinschaften werden nicht allein durch die Konstruktionen der Mitglieder jener Gemeinschaften produziert, sondern Kuhn unterscheidet die von den Erkenntnissubjekten mitkonstituierte Welt der Empfindungen von der hypothetischen Welt der Stimuli. Die Stimuli postuliert Kuhn zwar als unabdingbares Element zur Erklärung der Wahrnehmung, sie können die Wahrnehmung aber nicht eindeutig determinieren. Das heißt also, die Ähnlichkeitsrelationen, die die Wissenschaftler sehen, sind nur mitkonstitutiv, nie in jenem strengen Sinn konstitutiv, den Gergen im Blick hat (vgl. zu diesem Problem auch Kap. IV, 2.2). Auch die Bestimmung der jeweils neuen ‚Welt‘ durch die Wissenschaftler untersteht für Kuhn nicht dem Belieben oder dem rationalen Denken der einzelnen Wissenschaftler, 237

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

sondern das für die Gliederung der Erscheinungswelt fundamentale Netz der Ähnlichkeits- und Unähnlichkeitsrelationen ist, wie Hoyningen-Huene sehr überzeugend darlegt, „Resultat eines historischen Prozesses: der Entwicklung einer bestimmten Sprache und ineins damit eines bestimmten in diese Sprache eingelassenen Wirklichkeitsverständnisses“ (Hoyningen-Huene 1989: 258). Damit steht auch das Netz der für die Sichtweise einer Gemeinschaft konstitutiven Ähnlichkeitsrelationen für kein einzelnes Mitglied zur Disposition. Kein Individuum für sich allein kann die einer wissenschaftlichen Sprache inhärente Weltstrukturierung verändern, sondern wissenschaftliche Paradigmenwechsel sind für Kuhn letztlich Resultate sozialer Interaktionsprozesse. Dies alles könnte durchaus mit der sozialkonstruktionistischen Kernaussage vereinbar sein, derzufolge sich Wissen in sozialen 18 Gemeinschaften oder Beziehungsnetzen konstituiert. 2.1.2 Science studies Wie viele Sozialkonstruktionisten ist Gergen der Ansicht, dass die seit den siebziger Jahren als science studies en vogue geratenen Arbeiten im Bereich der neueren (wissenssoziologischen) Wissenschaftsforschung (Bourdieu 1988; Kessler/McKenna 1978; Mulkey/Gilbert 1982; Collins 1985; Latour/Woolgar 1979; Knorr-Cetina 1984) eine komplexere und ausgeklügeltere Art und Weise darstellen, Wissenschaftsforschung zu betreiben. Denn diese Sozialforscher begannen die Genese wissenschaftlichen Wissens oder die „Produktion wissenschaftlicher Fakten“ (Knorr-Cetina 1984) empirisch zu erforschen, indem sie sich der Wissenschaftlergemeinde so näherten, „wie ein Anthropologe einer frem18 Die radikale Abgrenzung gegen Kuhn auf Grund des inhärenten Idealismus seiner Theorie hat zudem den Nachteil, dass weniger paradigmatische, dafür konkretere oder spezifischere Kritikpunkte nicht Thema werden, so etwa die Art und Weise, wie Kuhn seinen eigenen Relativismus nur als „Lückenbüßer-Erklärung“ einsetzt (vgl. Harré 1984, 1996: 75ff.). Die soziale Komponente des Wissens wird bei Kuhn nur dann ernst genommen, wenn ‚harte‘ wissenschaftliche Kriterien plötzlich nicht mehr funktionieren oder genügen. An diesem Punkte erst wenn es also (weil wesentliche Anomalien auffallen und nicht mehr als nebensächlich oder zufällig abgetan werden können) um die Akzeptabilität von Theorien geht und darum, ob der modus tollens eine Theorie ‚abschießt‘ (a impliziert b, b ist falsch, also ist auch a falsch), oder nicht – nur dann erachtet Kuhn wissenssoziologische Analysen als notwendig, da soziale Prozesse die Entwicklung der Wissenschaft mitbestimmen könnten oder mitbestimmt haben könnten.

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den Kultur“ und sich damit den besonderen Blickwinkel der „objektiven und doch mitfühlenden Augen des Besuchers aus einem ganz verschiedenen kulturellen Milieu“ zunutze machten (beide Harré 1984: 13). So hat beispielsweise der Ansatz Knorr-Cetinas insofern einen anderen Fokus als die ‚kognitive‘ Wissenschaftssoziologie Kuhns (oder auch Barnes und Bloors in den siebziger Jahren), als sie zum einen eine andere Vorgehensweise wählt, nämlich das ethnographische Studium vor Ort, aber auch insbesondere dadurch, dass sie zum zweiten „die Dichotomie zwischen kognitiven und sozialen Faktoren […] auf mehreren Ebenen in Frage stellt“ (Knorr-Cetina 1984: 53): Wissenschaftliche Strategien sind immer auch politische Strategien der bestmöglichen Investition im Sinne „sozialer Autorität und wissenschaftlicher Reputation“ (vgl. hierzu auch Bourdieu 1988). Auch die strikte Trennung zwischen Wissenschaftlichem und Sozialem stellt selbst eine solche Strategie dar, insofern sie dazu benutzt wird, Verzerrungen oder ‚Betrug‘ in wissenschaftlichen Ergebnissen von objektiv wahren Inhalten zu trennen: erstere werden auf soziale, letztere auf kognitive Wurzeln zurückgeführt, ein Beispiel wäre die Arbeit von Bloor (1976). Knorr-Cetina dagegen spricht vom „praktischen Räsonieren“ und meint damit, dass alles, was im Labor an intelligentem Tun passiert und als dessen Resultat dann „das Wissenschaftliche“ konstituiert wird, Teil jener Erzeugungsprozesse ist, denen „das Soziale nicht abzusprechen ist“ (1984: 54f.). Für Gergen ist wichtig, dass es in diesen Arbeiten um die „pragmatics of everyday discourse“ (Gergen 1999: 77) geht. Im Vergleich zur makrotheoretisch konzipierten (oder doch zumindest mit Blick auf strukturelle Entwicklungen größerer Kollektive entwickelten) Ansätzen analysieren Vertreterinnen und Vertreter soziologischer Mikrotheorien zum Zweck der Erforschung sozialer Wirklichkeiten diejenigen Interaktionsprozesse, innerhalb derer die Produktion von ‚Fakten‘ (bzw. ‚Faktenwissen‘) stattfindet. Viele Vertreterinnen einer solchen mikrosoziologischen Perspektive, die Gergen nennt, haben (wenn auch in unterschiedlicher Nuancierung) betont, dass die Bedeutung bestimmter Begriffe über lokale Regeln bestimmt wird, generalisierte Bedeutungen gibt es für sie nicht (Gergen 1994: 44). Die bedeutungsgenerierenden lokalen Regeln, dies betont nun wiederum Gergen, bilden sich heraus im Rahmen von Beziehungen, und damit ist der Boden dafür bereitet, dass alles, was wir gemeinhin als Repräsentationsform von Wissen ansehen – Begriffe, Kategorien, Regeln, Theorien usw. –, davon abhängt, wie die sozialen Beziehungen innerhalb der Gruppe aussehen, in der diese Regeln Geltung haben. Einige der Fragen, die Form und Genese dieses sozialen, beziehungsgebundenen Wissens 239

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

betreffen, sind nur durch die Analyse der sprach- und bedeutungsphilosophischen Grundlagen des Sozialkonstruktionismus zu klären. 2.2

Sprachphilosophie und Bedeutungstheorie

Die Darstellung von Gergens erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Position hat bereits gezeigt, dass ein bestimmter sprachphilosophischer Ansatz für ihn im Zentrum steht. Gergen wird nie müde zu betonen, dass seine Neukonzeptualisierung der Psychologie vor allem auf dem Bestreben gründet, dasjenige, was er als „Abbildtheorie der Sprache“ oder „repräsentationalistische Sprachauffassung“ bezeichnet, durch eine Sprachauffassung zu ersetzen, die er als „performativ“ oder als „soziopragmatisch“ bezeichnet (vgl. Gergen 1985, 1990, 1991, 1994, 1998, 1999, 2001a). Für die Beschreibung (und Begründung) dieser Sprachauffassung bezieht er sich meist auf seine Lesart des Wittgensteinschen Spätwerks und den dort verhandelten Bedeutungsbegriff, der in englischsprachigen Veröffentlichungen kurz als meaning-asuse bezeichnet wird. 2.2.1 Meaning-as-use: Das Bedeutungskonzept des späten Wittgenstein In seinem Spätwerk stellt Wittgenstein die Grundaussage seines frühen, ebenfalls einflussreichen ‚Hauptwerks‘, des 1921 erschienenen Tractatus Logico Philosophicus, in Frage. Dort hatte er die Einheitsvision vertreten, derzufolge die Erkenntnis des Wesens oder der Struktur des Elementarsatzes eine umfassende Erklärung des Wesens der Logik und der Metaphysik liefern sollte. Aus der grundlegenden Struktur des Satzes ergeben sich alle logischen Konstanten, daraus alle Verbindungsmöglichkeiten der Sätze und damit alle Sätze der Logik. Hacker (1997: 190) schreibt: „Die allgemeine Form des Satzes ‚Es verhält sich so und so‘ nennt das Wesen des Satzes. Mit der Angabe des Wesens des Satzes ist zugleich das Wesen jeglicher Beschreibung gegeben und folglich auch das Wesen der Welt.“ Dieser Anspruch wird von Wittgenstein selbst in seinem Spätwerk aufgehoben, das er nach sechzehnjähriger Abkehr von der Philosophie verfasst hat und für das die posthum veröffentlichten Philosophischen Untersuchungen (1956/ 1995) das maßgebliche Buch sind. Das Wesen des Satzes interessiert zwar auch, aber das, was Wittgenstein jetzt als Satz bezeichnet, ist nicht mehr wesentlich durch syntaktische, formale Regeln zu bestimmen. Man kann nicht mehr voraussetzen, „die Sprache müsse immer in der gleichen Weise funktionieren: Substantive so, Verben so, usw.“ 240

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(Schulte 1989: 134). Auch Sätze, die grammatisch Einheitsmerkmale aufweisen, können zahllose Unterschiede besitzen, sobald man die unterschiedlichen Verwendungsweisen der Ausdrücke mit gemeinsamer grammatischer Form bedenkt. Die Vorstellung der Repräsentation der Welt durch oder in der Sprache ist damit nicht mehr Programm. Wittgenstein führt Beispiele an, bei denen die Bedeutung eines Wortes durch sprachliche, soziale und kulturelle Bedingungen bestimmt ist. In §43 der Untersuchungen bringt er diese Auffassung in dem berühmten Satz auf den Punkt: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“ (Wittgenstein 1995, § 43: 262). Diese in den Philosophischen Untersuchungen neu entwickelte Sprachauffassung war es, die dazu geführt hat, dass der in Wittgensteins Spätwerk entwickelte Bedeutungsbegriff als eines der in den Kulturwissenschaften am intensivsten diskutierten Konzepte gilt. Für die Rezeption innerhalb der Psychologie ist besonders relevant, dass sich ein erheblicher Teil der Untersuchungen mit der Frage befasst, ob die Worte für Sinnesempfindungen oder andere mentale Konzepte wirklich nur für diese individuellen mentalen Konzepte stehen. Die verneinende Antwort darauf ist unter dem Begriff „Privatsprachenargument“ zum Gegenstand heftiger Debatten geworden und gilt als eine der wichtigsten Thesen der Untersuchungen (PU § 246ff.; vgl. Schulte 1992). Viele Interpretinnen, besonders aus dem Bereich der Kultur- und Sozialwissenschaften, greifen Wittgensteins ‚Gebrauchs19 theorie‘ auf, um sich bedeutungstheoretisch zu verorten. Häufig wird jedoch auch betont, dass Wittgensteins Position bezüglich der Identifikation der Bedeutung eines Ausdrucks über seinen Gebrauch nicht

19 Hacker macht allerdings darauf aufmerksam, dass schon der selbstverständliche Bezug auf Wittgensteins Spätwerk unter der Bezeichnung „Bedeutungstheorie“ Resultat einer vereinheitlichenden und im Lichte der in den achtziger Jahren in Mode gekommenen Sprachphilosophie verzeichnenden Interpretation der Untersuchungen sei. Wittgenstein, so Hacker (1997: 463), „hat kein Programm aufgestellt, das die allgemeine Form betrifft, welche eine Theorie annehmen muss, um die Bedeutung oder Wahrheitsbedingungen jedes wohlgebildeten Satzes der Sprache aus einer Reihe metasprachlicher Axiome […] sowie Regeln herzuleiten. […] Wittgenstein vertritt auch keine Auffassung, die sich zu Recht als ‚antirealistische‘ Bedeutungstheorie charakterisieren ließe […].“ Was Wittgenstein sich vorgenommen habe, meint Hacker, sei vielmehr „die Beschreibung eines weitverzweigten Begriffsnetzes, das mit dem Begriff der sprachlichen Bedeutung zusammenhängt“ (ebd.: 464).

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völlig klar ist und Spielraum für unterschiedliche Interpretationen lässt (vgl. Baker/Hacker 1983). Gergen hat sich seit Jahrzehnten immer dann auf Wittgensteins Spätwerk berufen, wenn er seine Ablehnung des repräsentationalistischen Sprachverständnisses dadurch bekräftigen wollte, dass er darauf hinweist, dass die Bedeutung von Begriffen sich allein aus dem Kontext und nicht aus der Referenz auf den von ihnen bezeichneten ‚Gegenstand‘ ergibt. Dieser Kontext sind für Gergen „social practices“ oder einfach „social use“ oder „patterns of ongoing exchange“. Diese Gebrauchs- und Interaktionspraktiken sind der Ort, an dem Wörter ihre Bedeutungen erhalten, und zwar „within what Wittgenstein metaphorically terms ‚language games‘ “ (1994: 52f.). Wie oben deutlich wurde, ist Gergen der Auffassung, dass unsere Sprachspiele durch Konventionen geregelt sind (vgl. Kap. IV, 1.1): „[T]erms acquire their meaning by their functions within a set of circumscribed rules“ (ebd.: 53). Bedeutungen sind also durch und durch konventionell. Dasjenige, was der oder die Einzelne zu wissen oder zu verstehen glaubt, befindet sich nicht in seinem Besitz, ist nicht ihr Wissen, sondern ist lokalisiert in den sozialen, sprachlichen Praktiken; die an diesen Praktiken Partizipierenden sind eher passive Übernehmer als aktive Mitgestalter von Bedeutung. Dies ist erstens eine oberflächliche oder unausgeführte Interpretation von Wittensteins Regelbegriff (schließlich ist die Frage, wie der oder die Einzelne von diesen konventionellen Regeln bzw. ihrer Anwendung ‚weiß‘, bei Wittgenstein selbst ein schwieriges Problem, das in der Sekundärliteratur äußerst kontrovers diskutiert wird; vgl. z.B. Schulte 1989: 155ff.); zweitens impliziert Gergens Verwendung des meaning-as-use-Konzepts aber eine sehr weit reichende, wenn nicht gewagte Interpretation, da für ihn eine andere Gebrauchsweise eines Wortes zu einer anderen Bedeutung führen muss: Gergen (1986) skizziert, wie die Bedeutung des Wortes Aggression sich radikal verändert, je nach Kontext, in dem es gebraucht wird. Spezifiziert werden solche Kontexte beispielhaft wie folgt: „whether one is speaking about soldiers at war, tennis players, investment policies, woodchopping, or weed growth in the spring (ebd.: 139; vgl. Hibberd 2001b: 329). Die starke oder weit reichende Interpretation besteht darin, dass Gergen hier nicht meint, dass solche Kontexte, sofern sie uns bekannt sind, uns helfen bei der Einordnung, um welche Art von Aggression es sich handelt, oder dass die Sprachkonventionen eine Art epistemische Entscheidungshilfe darstellen, wenn man sich nicht sicher ist, was (gerade) unter Aggression zu verstehen ist. Vielmehr scheint sich die 242

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Bedeutung des Wortes Aggression in seiner Darstellung allein aus dem sozialen Kontext ihres Gebrauchs zu ergeben. Damit präsentiert Gergen eine einerseits radikale, andererseits aber auch ungenaue Aufnahme des Wittgensteinschen Bedeutungskonzepts. Zunächst einmal besteht zwischen den von ihm im oben beschriebenen Beispiel als „different contexts of usage“ beschriebenen Situationen, von denen er sagt, sie gäben dem Ausdruck Aggression jeweils „a far different meaning“ (1986: 139), Familienähnlichkeit im Wittgensteinschen Sinne. Wittgenstein hat den Begriff der Familienähnlichkeit an einer vergleichbaren Aufzählung unterschiedlicher Arten von Spielen erläutert: „Brettspiele, Ballspiele, Kampfspiele, usw.“. Familienähnlichkeit bedeutet für ihn dabei bekanntlich „ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen“ (Witt20 genstein 1995, § 66: 277). Zweitens läuft Gergen durch seine Interpretation des Sprachspielbegriffs Gefahr, Wittgensteins Sprachphilosophie einen extremen Konventionalismus zu unterstellen, von dem nicht klar ist, ob er gerechtfertigt ist. Einzuwenden wäre hier u.a., dass Wittgenstein im Blauen Buch sowie den Philosophischen Untersuchungen den Begriff des Kriteriums mit Bezug auf eine bestimmte Art der Verankerung von Bedeutungen in der (materiellen) Realität diskutiert, indem er betont, dass die Angabe, wie ein Satz verifiziert wird, in manchen Fällen zur Beschreibung seiner Grammatik beiträgt (vgl. Wittgenstein 1984: 21 48 sowie ebd. 1995, § 354; vgl. Schulte 1992: 177).

20 Wittgenstein wendet sich mit seinem Beispiel tatsächlich gegen die Annahme, Gemeinsamkeit der Bedeutung sei nur über gemeinsame Merkmale zu bestimmen – in dieser Hinsicht hat Gergen recht und der Begriff der Familienähnlichkeit könnte für das sozialkonstruktionistische Bedeutungskonzept passend sein. Auch die Aussage Wittgensteins, man müsse auch wissen, was der „Witz“ eines Sprachspiels ist, um zu wissen, was einen „Zug“ in dem Spiel darstellt – und das meint u.a., den Zweck oder den Nutzen des Spiels zu kennen (Schulte 1992: 154) – könnte sich mit der von Gergen immer wieder vorgeschlagenen „pragmatic stance“ innerhalb der Bedeutungs- und Wahrheitstheorie vertragen. Um hier zu differenzieren, bleibt Gergens WittgensteinInterpretation allerdings zu oberflächlich. 21 Die Frage nach der Verifikation von Bedeutungen durch Bezug auf außersprachliche Gegenstände taucht z.B. unter dem Begriff des Kriteriums bei Wittgenstein auf: Um anzugeben, warum man etwas weiß, kann man sich auf Kriterien oder Symptome beziehen. So lautet etwa der § 354 der Philosophischen Untersuchungen: „Das Schwanken in der Grammatik zwischen Kriterien und Symptomen lässt den Schein ent-

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Aber auch abgesehen davon illustrieren die Ausführungen Gergens zum oben zitierten Beispiel über die Bedeutung des Wortes Aggression, dass die Aufnahme des Sprachspielbegriffs ohne Rückbezug auf das Netzwerk an Begriffen, die Wittgenstein im Kontext des Sprachspielbegriffs entwickelt und diskutiert – ‚Regeln‘, ‚Grammatik‘, ‚Kalkül‘ sind nur einige davon – die Komplexität dieses Begriffs stark re22 duziert. Auch das Zugeständnis, dass der Sozialkonstruktionismus nicht etwa die Existenz einer außersprachlichen Realität bezweifle, sondern nur die Möglichkeit des Zugangs zu dieser bestreite (und Gergen würde diesen Einwand sicher bringen, um dem Vorwurf einer allzu konventionalistischen Wittgenstein-Interpretation zu begegnen, vgl. 1994, 1999, 2001a), ist dann nicht ausreichend, wenn dieses Zugeständnis nicht auf das Denken und die sprachliche Bedeutungskonstitution rückbezogen wird. Gergen möchte aber nicht so weit gehen, dass diese Akzeptanz der außersprachlichen Welt auf die sprachliche Konstitution von Bedeutung irgendeine Auswirkung haben könnte, was sich in seiner Aussage zeigt, unsere Begriffe seien „semantically free floating“ (Gergen 1987: 118; vgl. Kap. IV, 1.2). Diese Art der Wittgenstein-Interpretation „im Zeichen des Dekonstruktivismus“, die Wittgenstein eine Art „experimentellen Bedeutungsrelativismus“ zuschreiben, kritisiert Nagl (2001: 160), wenn er darauf hinweist, dass die Sprachspiele ganz und gar nichts mit einem

stehen, als gäbe es überhaupt nur Symptome. Wir sagen etwa: ‚Die Erfahrung lehrt, dass es regnet, wenn das Barometer fällt, aber sie lehrt auch, dass es regnet, wenn wir bestimmte Gefühle der Nässe und Kälte haben, oder den und den Gesichtsausdruck.‘ Als Argument dafür gibt man dann an, dass diese Sinneseindrücke uns täuschen können. Aber man bedenkt dabei nicht, dass die Tatsache, dass sie uns gerade den Regen vortäuschen, auf einer Definition beruht (Wittgenstein 1995, § 354). 22 Wittgenstein-Kenner wie Schulte (1992) oder Hacker (1997) weisen darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Bedeutung und Gebrauch Verschiedenes meinen kann. Er kann z.B. im Sinne des Austinschen Sprechaktes einer gewissen Logik folgen, oder aber nach Art der „Gesprächsimplikatur“ sensu Grice bestehen (vgl. dazu z.B. Hacker 1997: 467ff.). Der Gebrauch ist bei Wittgenstein nicht eindeutig definiert, oder zumindest als komplexes Konzept. Schulte hebt hervor, dass man dazu wissen muss, wie „die Sprache in die Lebensform eingreift“ (1992: 170ff.). Es gibt unterschiedliche Arten des Gebrauchs, die zueinander im Verhältnis der Familienähnlichkeit stehen; man muss dazu verstehen, was der ‚Witz‘ eines Sprachspiels, was der ‚Zug‘ in einem Sprachspiel ist.

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verspielten Umgang mit Bedeutungen zu tun hätten: „Wittgenstein’s struggle with the ‚bewitchment of language‘ nowhere terminates, it seems, in rhetorical „disseminations“ (ebd.: 161). Die von Dekonstruktivisten ausgemachte ‚Subversion‘ des augustinischen Sprachverständnisses würde bei Wittgenstein eben nicht einer „grandiose antiAugustinian theory“ zugeführt, und sie impliziere weder „that Augustine is all wrong“, noch „that he is an exponent of logocentrism“ (ebd.). Nagl argumentiert von der Position des Pragmatisten aus: Das Hauptargument gegen eine postmoderne, semiotische Lesart ist, dass Wittgenstein sich mit seiner ‚Gebrauchstheorie‘ auf die Praxis der Begriffsverwendung bezieht, der Praxisbegriff jedoch ist auf Handeln ‚in der Welt‘ ausgelegt. Will man das pragmatische Element von Wittgensteins Bedeutungskonzept stark machen – und Gergen hat genau das vor, wie wir sogleich sehen werden – darf die (materielle) 23 Welt nicht völlig ausgesperrt bleiben. Die weiteren Schlussfolgerungen Gergens aus dem meaning-asuse-Konzept sind ebenfalls so voraussetzungsvoll wie überraschend. Es leuchtet ein, dass er in diesem Zusammenhang auf die Pragmatik der Bedeutung hinweist. Darüber hinaus jedoch soll gerade mit Wittgenstein auch die kritische Dimension des sozialkonstruktionistischen Umgangs mit Begriffen bzw. Bedeutung begründet werden. Denn unter Rückgriff auf die soziopragmatische Genese von Bedeutungen und deren öffentlichen Status, meint Gergen, haben wir nicht nur die Möglichkeit, überhaupt nach dem Gebrauch eines Begriffes zu fragen, um seine Bedeutung zu erfahren, sondern wir können dies in kritischer Absicht tun. Wir können danach fragen, wie sprachliche Konstruktionen in einer Gesellschaft oder innerhalb einer Kultur gebraucht werden, welchen Interessen diese Gebrauchsweise dient und welchen sie

23 Dies ist auch der Kern von Putnams Argument gegen die ‚Gehirne im Tank‘, bei dem es um die „Voraussetzungen des An-etwas-Denkens“ geht. Es ist eine zentrale Prämisse in Putnams Diskussion des Gedankenexperiments, dass „magische Theorien der Bezugnahme falsch sind, und zwar nicht nur in Bezug auf physische Repräsentationen, sondern auch falsch in Bezug auf geistige Repräsentationen. Die andere Prämisse besagt, dass man sich auf bestimmte Arten von Dingen – z.B. Bäume – nicht beziehen kann, wenn man in gar keiner kausalen Wechselbeziehung zu ihnen“ steht (1990b: 34). Die Ablehnung des augustinischen Sprachverständnisses bedeutet nicht zwingend, dass Sprache völlig beliebig und „freischwebend“ über die außersprachliche Welt hinweg sich bildet und verwendet wird, sondern dass letztere in erstere auf irgendeine Weise hineinreichen muss und kann (s. Kap. II, 5).

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schadet: „[H]ow do they function, in which rituals are they essential, what activities are facilitated and what impeded, who is harmed and who gains by such claims?“ (1994: 52). Diese Interpretation des meaning-as-use als Instrument einer kritischen (nicht zuletzt machtkritischen) Begriffsanalyse macht auch dann stutzig, wenn man nicht so weit gehen will, Wittgenstein dem logischen Behaviorismus (Maze 2001; Beckermann 2001) zuzurechnen. Schließlich geht es in Wittgensteins Äußerungen über den Erwerb der für die Teilnahme am Sprachspiel notwendigen Kenntnisse um „Abrichtung“ (PU, § 5 u.a.); das Erlernen einer Sprache muss zunächst, so Wittgenstein, über eine Art Drill vor sich gehen. Das Sprechenkönnnen beruht nicht auf irgendeinem Wissen, auch nicht auf Sprachwissen – sondern zuerst erwerben wir das Wissen über die Anwendung der Regeln, die für das Sprachspiel konstitutiv sind, durch „Mitmachen“ im Sprachspiel (vgl. auch Schneider 2000: 313). Auf diese Weise erlernen wir also auch die Bedeutung der Begriffe, die in diesem Sprachspiel eine Rolle spielen. Um im Sprachspiel „mitzuspielen“ müssen wir, wie immer wieder betont wird, diese Regel weder interpretieren noch explizit nennen können. Beides aber (und noch mehr) wäre notwendig, um sich – wie Gergen in Aussicht stellt – zu diesen Regeln reflexiv verhalten zu können und Kritik an den ihre Anwendung bestimmenden Konventionen zu üben. Die Vorstellung, dennoch ein kritisches, die eigenen linguistischen Regeln zur Disposition stellendes Argument führen zu können, ist vergleichbar damit, was Gergen selbst Kuhn vorwirft: Um das Sprachspiel, in dem ich selbst mitspiele, kritisieren zu können (oder: um auf Anomalien hinweisen zu können), müsste ich aus dem Sprachspiel heraustreten können. Wieder einmal stößt man bei Gergen auf den Widerstreit zwischen dem Anspruch, die Möglichkeit der Kritik erkenntnistheoretisch zu erklären und der radikalen Absage an (jegliche Vorstellung über) Wahrheit und Geltung, Moral und Subjekt, und wieder einmal wird dieser Widerspruch nicht thematisiert, geschweige denn aufgelöst. Es ist dies ein entscheidendes Problem von Gergens Ansatz, dem wir weiter unten wieder begegnen werden. Dagegen ist die pragmatische Dimension der Bedeutungsbestimmung im Sinne Wittgensteins, die Gergen ebenfalls hervorhebt, unbestritten, und auch ihr Potenzial für die sozialkonstruktionistische Sichtweise ist leicht einsichtig. Leider wird aber weder in den Beispielen Gergens noch in den theoretischen Erläuterungen ausgeführt, was Gergen nun in Anlehnung an Wittgenstein als „pragmatic dimension“ der sozialkonstruktionistischen Bedeutungstheorie bezeichnet. Das ist um so erstaunlicher (oder bedauerlicher), wenn man weiterhin be246

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denkt, dass Gergen sein gesamtes Theorie-Projekt ja auch in der Forderung nach einer „alternative conception of knowledge“ verankert hat (1994: 3 oder so, s.o.). Denn gerade die Ausführungen Wittgensteins zum Regelbegriff bzw. zum besonderen Status des Wissens, das wir benötigen, um die Regeln anzuwenden, sind für den sozialkonstruktionistischen Anspruch an die Wissenspsychologie relevant. Wenn Wittgenstein das Verstehen der Bedeutung eines Ausdrucks als das Wissen über die Weisen der Verwendung dieses Ausdrucks definiert, dann sagt er damit etwas über eine „alternative conception of knowledge“ im Sinne Gergens; und auch die Frage, was es heißt, eine Regel zu ‚kennen‘, wäre für einen auf soziokulturelles Wissen zugeschnittenen Kognitionsbegriff fruchtbar zu machen. Der Vorgang des Wissenserwerbs durch die Teilnahme an einer Praxis, wie Wittgenstein ihn beschreibt, enthält einen für den Sozialkonstruktionismus anschlussfähigen Aspekt, der Gergens Konzeptualisierung von Wissen durchaus entsprechen würde – denn diese Art des Wissenserwerbs verweist nicht allein auf den praktischen, sondern auch auf den „überindividuellen“ oder „transsubjektiven“ Charakter des Wissens (Schneider 2000: 313). Über den Status der Regeln, die notwendig sind, um z.B. unsere Umgangssprache zu sprechen und an der mit ihr verbundenen Alltagspraxis teilzuhaben, sagt Wittgenstein u.a., dass diese Regeln jedenfalls nicht eindeutig fixiert sind, sondern einen mehr oder weniger vagen Charakter haben. Sie zu kennen, bedeutet zwar, dass wir in der Lage sind, der Regel im Handeln zu folgen, nicht aber, sie explizit formulieren zu können. Die richtige Anwendung beruht nämlich nicht darauf, das Zeichen der Regel entsprechend richtig zu deuten; auch die Sicherheit, mit der jemand im Handeln einer Regel folgt, beruht nicht auf kognitivem, exaktem Wissen, sondern es handelt sich um (sozial vermittelte) praktische Gewissheit (Wittgenstein 1969: 381). Hier ließe sich eine Diskussion des psychologischen Wissensbegriffs anschließen, die erstens die „social pragmatics“ als wissenspsychologisch relevanten Begriff ausweist (und zwar insofern sich mit Wittgenstein ausführen lässt, dass Sprechenkönnen Bedingung für das explizite Sprach- und Bedeutungswissen ist und nicht umgekehrt). Zweitens sollte eine psychologische Wittgenstein-Rezeption die Frage nach den sprechend handelnden Personen und – die Konzeptualisierung von Wissen betreffend – auch die Frage nach den Fähigkeiten, die Personen benötigen, um an über- oder transindividuellen Diskursen und Praktiken zu partizipieren, zum Thema machen. Damit wäre dann auch die genauere Befassung mit dem Status oder der Repräsentationsform dieses kulturellen oder ‚praktischen‘ Wissens zu verbinden. Spart eine solche alternative Wissenspsychologie dies alles völlig 247

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aus – wie Gergen es tut –, läuft sie Gefahr, Personen als „übersozialisierte Individuen“ (Wolff 1994; Laucken 2000) zu beschreiben, denen eine kritische Stellungnahme oder das Unterlaufen vorgegebener Bedeutungen kaum zuzutrauen ist. 2.2.2 Relativismus, Realismus und dualistisches Denken Der Konventionalismus Gergens hebt die Unterscheidung zwischen 24 analytisch und synthetisch auf (1987: 121; vgl. Kap. IV, 1.2) und führt zu extremen, relativistischen Konsequenzen: Zumindest in bestimmten Formulierungen Gergens hat es den Anschein, dass Wissen nicht durch die sozialen Bedingungen, unter denen es entsteht, beeinflusst oder geprägt ist, sondern dass soziolinguistische Strukturen Inhalt und Form des Wissens determinieren (Ähnliches zeigte seine Lesart der Wittgensteinschen ‚Gebrauchstheorie‘). Dieser prinzipiellen Vorbestimmtheit dessen, was man weiß, durch eine sprachliche „forestructure“ kann man bei keiner Art von Wissen entgehen. Die Beziehung zwischen Wortbedeutung und Verwendungsregel (also sprachlichen Konventionen) ist intern, denn die Bedeutung eines Wortes kann, wie Gergens Ausdrucksweise immer wieder suggeriert, nicht unabhängig von seiner Verwendung erfasst werden. Gergen setzt diese konstitutive Beziehung zwischen den beiden Relata voraus, und damit logische Abhängigkeit zwischen diskursiven Praktiken bzw. den sie bestimmenden Konventionen und Wissensinhalten bzw. Bedeutungen, eine Beziehung also, die über eine kausale Beziehung (derzufolge unsere sozialen Interessen und Konventionen die Ursache dafür sind, was wir schließlich in unsere Forschungsfrage mit einbeziehen usw.) nicht nur hinausgeht, sondern diese ausschließt, denn Ursache und Wirkung müssen logisch unabhängig sein. Das heißt also, dass die Beziehung zwischen dem sprachlichen Gebrauch eines Begriffs und dessen Bedeutung nicht die der Kausalität sein kann. Genau dies aber suggeriert Gergens Sprachgebrauch zuweilen und negiert damit sein eigenes Hauptpostulat, demzufolge linguistische Konventionen in dem o.g. starken Sinne konstitutiv für die Wortbedeutung sind. Denn die logische Abhängigkeit von Bedeutung und sprachlicher „forestructure“ ist, recht besehen, nicht mehr gegeben, wenn Gergen schreibt, dass Wörter ihre Bedeutung „durch“ sprachliche Konventionen „erhalten“ (1994: 53; Herv. 24 Und damit die Begrenzung des Konventionalismus auf bestimmte Aspekte von Theorien, so wie es die Quine-Duhem-These vorgibt.

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B.Z.) oder aber „the meaning of our world is generated through the way we use words“ (1999: 35; Herv. v. mir) oder Sprache als „outgrowths“ (1994: 53; Herv. v. mir) von Lebensformen bezeichnet – dann impliziert seine Sprache doch, dass immerhin in bestimmten Kontexten die linguistischen Konventionen Bedeutungen verursachen, und die Kausalbeziehung steht – logisch gesehen – im Widerspruch zur von ihm implizierten Beziehung logischer Abhängigkeit (vgl. dazu auch Hibberd 2001b). Gergen selbst kann eigentlich gar nicht sagen, dass Bedeutungen durch den Gebrauch generiert werden oder die Bedeutung eines Wortes das Resultat einer bestimmten Gebrauchsweise des Wortes darstellt – weil in seiner Lesart der Gebrauchstheorie der Bedeutung der Gebrauch die Bedeutung ist. Darüber hinaus bringt Gergen seine Beobachtungen, die diese Relativierung von Wissen mit Bezug auf soziolinguistische Konventionen bzw. die Ablehnung empirischen Wissens begründen sollen, im Sinne empirischer Sätze vor, wenn er etwa die Begründungspraktiken der Psychologie darstellt (die ihren Begriffen und Theorien vermeintlich empirische Belege zuordnen), oder auf bestimmte soziale Praktiken innerhalb der Gesellschaft verweist. Das bezeugt auch Maze, wenn er – besonders im Hinblick auf den kritischen Anspruch des Sozialkonstruktionismus – vermerkt: „[M]any of Gergen’s criticisms of objectivism are of an empirical nature, pointing to the role of social pressures, or to unjustified claims by scientists who misunderstand the limitations of scientific method“ (2001: 402). Hibberd beklagt ebenfalls: „the importance of social constructionism lies in identifying error; specifically in identifying those interests and social forces that sometimes (or often) prevent us from finding out what is the case. This presupposes realism“ (2001b: 343). Gergen lehnt, wie wir gesehen haben, nicht nur jede Art des Realismus als philosophischer Position ab, sondern auch die ihm zufolge typisch moderne Tendenz zu dualistischem Denken, allen voran den Dualismus zwischen Geist und Welt. Er selbst versucht den Rekurs auf diese Binarität zu vermeiden, indem er sich gegen ein philosophisches Subjekt verwehrt: Es gibt kein „individual knowing subject“ (Gergen 1991, 1994, 1999), damit auch keine Unterscheidung zwischen erkennendem Subjekt und Objekt. Seine erkenntnistheoretischen Prämissen (s. Kap. IV, 1.1) sind zum Großteil und zuweilen überdeutlich 25 auf die Vermeidung dieses Dualismus angelegt : Die Rede ist selten 25 Hibberd hat diesbezüglich in einem kritischen Aufsatz über Gergens Variante des Sozialkonstruktionismus auf ein weiteres Problem hinge-

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(und wenn doch, dann meist in Anführungszeichen) von ‚Personen‘, ‚Handlungen‘, ‚Subjekten‘, ‚Individuen‘; als einziges ‚Subjekt‘ des Wissens gilt die Sozialität, die realisiert in Diskursen und Praktiken ist. Nur dort kann Wissen lokalisiert sein. Gergens Aufforderung an die Psychologie, „selbstreflexiv zu werden“ (1987, vgl. Kap. IV, 1), scheint aber mit dieser Aussage unvereinbar. Soll diese Selbstreflexivität es doch ermöglichen, etwas über die Struktur und Organisationsform des Diskurses, über dessen strukturelle wie konventionelle Begrenzungen usw. zu erfahren, und sogar aufzeigen, „was man wissen kann“ (Gergen 1987: 121). Auch an anderer Stelle betont Gergen, die Psychologie könnte sich der „potentially debilitating consequences of existing conventions and restraints“ (1994: 14) entledigen, wenn sie nur die eigenen Diskurse kritisch auf ihre pragmatische Funktion hin analysieren würde – anstatt die Beziehung zwischen Diskurs und vermeintlichem Referenzgegenstand zu evaluieren. Das heißt allerdings, dass Gergen einen Dualismus bezüglich zweier unterschiedlicher Arten von Wissen oder von möglicher Bezugnahme auf ein Objekt des Wissens unterstellt, und zwar sowohl in epistemischer als auch in ontologischer Hinsicht: Wissen über Realität bleibt relativ zur sprachlichen Vorstruktur, Wissen über die sprachliche Vorstruktur selbst dagegen hat empirischen Status, denn es erlaubt uns den kritischen Blick auf die Ideologien und Interessen ‚hinter‘ den zu analysierenden Diskursen. Wissen über Realität negiert die Konventionen, die es bestimmen – das Wissen der psychologischen Diskursanalytiker dagegen kann sich selbst erkennen, insofern es auch die eigenen, die psychologischen Diskurse kritisch auf deren „Vorstruktur“ hin überprüft. Das impliziert, dass Wissen über die empirische Realität in der Regel relativ zum Standpunkt des Beobachters ist, Wissen über die Realität von Diskursen und Praktiken aber nicht, dass es somit zwei Klassen von Wissen geben müsste.

wiesen: Gergen glaubt, so Hibberd, dass die Subjekt/Objekt Unterscheidung den Dualismus zwischen Geist und Welt impliziert – das aber ist nicht unbedingt richtig: Diese Unterscheidung involviert zwei unabhängige Entitäten, das können eine Gruppe Wissenschaftler/ein Sachverhalt oder ein Subjekt/ein Sachverhalt sein, die jedoch in derselben ‚Welt‘, in derselben ‚Realität‘ existieren. Dualismus impliziert jedoch zwei typenverschiedene Entitäten; diese Verschiedenheit ist dadurch belegt, dass man nicht sagen kann, dass Entitäten aus den unterschiedlichen Welten miteinander ‚interagieren‘, ‚teilen‘, aneinander oder gemeinsamen Aktivitäten ‚teilhaben‘ oder sich ‚imitieren‘ (2001a: 312).

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Sowohl der Streit um die Frage, ob ein starker Konventionalismus Relativismus impliziert als auch die Problematik der Aufrechterhaltung eines kritischen Anspruchs ohne ein Zugeständnis an Wahrheitsansprüche führten uns bereits auf den vorangegangenen Seiten immer wieder zum pragmatistischen Element in Gergens Theorieentwurf. Im kommenden Unterkapitel sollen daher die folgenden Fragen betrachtet werden: 1) Impliziert die Rede von einer sozialen Praxis nicht doch den Zugriff auf eine nicht ausschließlich sprachliche (zum Beispiel leibliche) Realität, schon allein deshalb, weil sie erstens die empirische Realität des Sprechens/Handelns voraussetzt und beobachtet und zweitens weil das praktische Element des Sprechens die sprachlichsymbolische mit der leiblich-materiellen Welt verbindet? 2) Kann die Rede von der sozialen Praxis durch die Verbindung zur konkreten Handlungssituation den antifundamentalistischen Impuls des Sozialen Konstruktionismus vor dem Skeptizismus retten? 3) Verweist die Betonung einer Handlungspraxis nicht auf eine intersubjektive anstatt in einem systemischen Sinn soziale Praxis, da zur Handlung nun einmal handelnde Personen gehören – und widerspricht diese Art der Intersubjektivität nicht dem theoretischen Entwurf eines von subjektiven Positionen und der eigenen Person abstrahierenden „relationalen Selbst“ (s. Kap. IV, 3)? 2.2.3 Gergens Version einer pragmatistischen Bedeutungstheorie Gergen hat bereits in den achtziger Jahren auf die pragmatische oder pragmatistische Orientierung des Sozialkonstruktionismus hingewiesen (z.B. 1985; 1987: 121). Diese Priorisierung dessen, was er soziale Pragmatik („social pragmatics“) nennt, hat er in seinen in den neunziger Jahren erschienenen Monographien und Aufsätzen noch entschiedener betont (z.B. 1994: 53, 204ff., 254ff.; vgl. auch 1999: 76ff.). In einer in der Zeitschrift Theory & Psychology veröffentlichten Abhandlung, in der Gergen seinen Social Constructionism gegen einige Kritiker verteidigt, gerät der „pragmatic standpoint“ (2001a: 419) schließlich zu einer pragmatischen Maxime, die dazu verwendet wird, den Vorwurf des Relativismus, des Skeptizismus zu entschärfen oder von anderen aufgespürte begriffliche Widersprüche abzuwehren. Der Verweis auf die Pragmatik erscheint aus unterschiedlichen Gründen nahe liegend: Neben den sprachpragmatischen Arbeiten Wittgensteins oder Austins scheinen auch Elemente aus dem klassischen amerikanischen Pragmatismus Mittel und Wege an die Hand zu geben, wie sich einige der bislang ungelösten Probleme des Sozial251

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konstruktionismus gleichsam dialektisch auflösen könnten. Die Aufmerksamkeitszuwendung zur Praxis soll es – etwa im Falle Peirce’ – ermöglichen, ausgehend von unserem alltäglichen Handeln, mit Blick auf konstruierendes Denken (und wissenschaftliches Experimentieren) zu erklären, wie unsere Zeichen ihre intersubjektive Verbindlichkeit 26 erhalten (vgl. Peirce 1968: 47ff.). Der amerikanische Pragmatismus teilt auch einige grundlegende Prämissen in Bezug auf Wahrheitsansprüche mit dem Sozialkonstruktionismus. Pragmatistisches Denken ist antifundamentalistisch, insofern es die rationalistische Annahme überhistorischer, stabiler Aprioris radikal hinterfragt, und zieht dabei post-metaphysische wie szientismuskritische Argumente in Betracht; zweitens ist es antiuniversalistisch, indem in der Realität oder auch in der geschichtlichen Betrachtung auffindbare Sachverhalte nicht als gesetzesartige Notwendigkeiten entfaltet werden (vgl. Dewey 1938). Drittens ist pragmatistisches Denken pluralistisch – besonders indem es sich vom neuzeitlichpositivistischen Methodenideal und der damit einhergehenden Verkürzung unserer Wissensformen distanziert (vgl. James 1907; vgl. zusammenfassend Nagl 1998: 8f.). Diese allgemeinen Formeln, wenngleich anerkannte Leitgedanken, sind erläuterungsbedürftig und erhalten nur dann Tiefe, wenn man den Anspruch der klassischen Arbeiten, Kriterien oder Merkmale für den Wahrheitsgehalt von Aussagen in deren praktischen Konsequenzen zu finden, im Spiegel der unterschiedlichen philosophischen Überlegungen und Fragestellungen eines Peirce oder James, Dewey oder Mead liest. Die vielzitierte Leitthese des pragmatistischen Denkens, wie sie sich z.B. in der Peirceschen berühmten Maxime ausdrückt, lautete: „Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Bezüge haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in Gedanken zukommen lassen. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes“ (Peirce 1968: 63). Diese Grundthese wird nicht nur von den vielfältigen pragmatistischen und neoprag26 Ein zentrales Argument von Peirce’ pragmatistischer Wahrheitstheorie lautet allerdings, dass wir, auch bei der stets notwendigen Unterstellung des Fallibilismus-Prinzips, „uns die Wahrheit zutrauen müssen“ bzw. sie als mögliches Fernziel des Forschungsprozesses denken müssen, „wenn der wissenschaftlich-philosophische Diskurs überhaupt Sinn haben soll“ (Apel 2002: 120) – die explizite und positive Befassung mit der Wahrheitsfrage ist womöglich ein Grund, weshalb Gergen sich eben nicht auf die Amerikanischen Pragmatisten oder auf Putnams neopragmatistische Entwürfe beziehen möchte.

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matistischen Ansätzen nach Peirce auf sehr divergente Weise gelesen, sondern in der nicht-philosophischen Diskussion oft verkürzt dargestellt, so dass der Pragmatismus sich nachsagen lassen musste (und zuweilen heute noch muss), recht bald zu einer „Modephilosophie“ geworden zu sein (Stefansen 2000: 22). Diese Gefahr droht dann, wenn man das Peircesche Diktum oder aber dessen aus einer ganz anderen, nämlich auf die Lösung moralisch-religiöser Probleme ausgerichteten Perspektive angestellte, vielleicht rhetorisch zu geschickte Reformulierung durch James verkürzt zu einer „praktikalistischen“ Nützlichkeitsphilosophie (Nagl 1998: 29), die mehr oder weniger besagt: ‚wahr ist, was Nutzen verschafft‘. Wahrheit und Nutzen werden in dieser Lesart miteinander identifiziert. Auch für die neueren Arbeiten neopragmatistischer Autoren, wie etwa Hilary Putnam oder Richard Rorty, gilt, dass sie sich gegen „metaphysischen Realismus“ und eine „magische Theorie der Referenz“ (Putnam 1993) wenden – und gleichzeitig den standortunabhängigen Blick des objektiven Beobachters in Zweifel ziehen (ebd.: 157; Rorty 1982, 1989). Mit dieser – von den beiden genannten Autoren allerdings mit unterschiedlichen philosophischen Bezügen und mit unterschiedlicher Genauigkeit begründeten – globalen Absage an die Korrespondenztheorie der Wahrheit liegen die neopragmatistische Entwürfe freilich in der Nähe der sozialkonstruktionistischen Ablehnung einer „dualistischen Metaphysik“ (Gergen 1994: 120ff.). Allerdings 27 wird bei Vergleichen auch hier oft übersehen, dass insbesondere Putnam schon früh (nämlich zu der Zeit, als er sich selbst noch als „internen Realisten“ bezeichnete, vgl. Putnam 1981) und noch entschiedener in seiner heute aktuellen Argumentation (in der er nicht mehr vom „internal“, sondern vom „pragmatic“ oder „direct realism“ spricht; vgl. Putnam 1997, 1999) solche Thesen als unverständlich zurückgewiesen hat, die besagen, dass was wir interpretieren oder durch akzeptable Formen der Rechtfertigung bestätigen, durch diese Bestätigung tatsächlich hervorgebracht würde (s. Kap. II, 3.2). Auch die pragmatismusnahen Einsichten Wittgensteins hält Putnam zwar für bedeutsam, aber als interner Realist will er Wittgenstein gerade nicht unterstellen, dass dieser sich – nach der Abwendung vom metaphysischen Bild einer kopierbaren Welt – der Vorstellung dessen, was Gergen als „semantically free floating“ bezeichnete, des arbiträren, „welt27 Gemeint sind Vergleiche, wie sie Gergen selbst sowie GergenInterpreten zu Rorty häufiger, zu Putnam seltener herstellen (vgl. Gergen 1997: 40; vgl. 1999: 11, 68, 121).

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losen“ Flottierens von Zeichen, zugewendet habe. Für Putnam ist diese Art der Wittgensteinrezeption, die man Gergen unterstellen kann und die Putnam selbst Rorty unterstellt (Putnam 1995: 42f.), der Grund, Wittgenstein als einen häufig „missverstandenen“ unter den Philosophen des 20. Jahrhunderts zu bezeichnen (1995, zit. n. Nagl 1998: 159). Gergen selbst zitiert die amerikanischen Pragmatisten nicht und nimmt auch auf neopragmatistische Entwürfe kaum explizit Bezug, wenn er sich selbst als Befürworter eines „pragmatic standpoint“ bezeichnet. Seine Selbstverortung innerhalb der pragmatischen Wende scheint sich zunächst (in der 1994 erschienenen Monographie) allein aus dem pragmatischen Element der Wittgensteinschen Bedeutungstheorie abzuleiten: Dem Satz „semantics become a derivative of social pragmatics“ (1994: 52) ist für Gergen bereits dann adäquat Rechnung getragen, wenn man sich bei der Bedeutungsanalyse nicht für intentionale oder objektive Bedeutungen interessiert, sondern für „the way in which languages, including scientific theory, are used within the culture“ (1994: 53). Damit meint Gergen – wie weiter oben schon erwähnt – die konkrete Verwendung von Sprache in tatsächlichen Sprechsituationen und die Auswirkung dieser Verwendungsweisen auf die diese soziale Situationen bestimmenden „relationships“. Wie sich bereits bei der Wittgenstein-Rezeption Gergens zeigte, verbindet Gergen mit einer Analyse der Pragmatik von Äußerungen und Diskursen auch den Anspruch, dass man jede konkrete (Beziehungs-)Situation, in der eine Äußerung gemacht wird, immer auch aus einer kritischen, normativen Perspektive danach befragen soll, wer in welcher Beziehung durch eine Sprechhandlung etwas „gewinnt“ bzw. „verliert“ (ebd.). Pragmatik der Bedeutung meint für ihn hier so etwas wie die interaktive, nicht-intentionale Hervorbringung von Bedeutung – aber aus einer (macht-)kritischen Perspektive betrachtet. An späterer Stelle im selben Buch, mit Bezug auf die pragmatische Dimension wissenschaftlicher Aussagen, wird das pragmatische Element der Bedeutungskonstitution anhand ähnlicher Illustrationen erläutert: Speziell narrative Diskurse beispielsweise (1994: 204ff., 246ff.) sind nur so, wie sie sind (kohärent, intelligibel usw.), weil „societal demands for stability“ anonyme Erzähler oder Erzählerinnen dazu bringen, die eine oder die andere Geschichte über sich selbst zu erzählen (ebd.: 205) bzw. ihre bislang erprobte „narrative truth“ in einer therapeutischen Erzählsituation zu verändern bzw. zu verwerfen, „not because they are inaccurate, but because they are dysfunctional in his or her particular circumstances“ (ebd.: 245). Gergen bringt hier und in vielen anderen beispielhaften Illustrationen „pragmatische Semantik“ 254

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allzu sehr in die Nähe sozialer Funktionalität: Der Bedeutungsgehalt einer (Sprach-)Handlung ergibt sich durch ihre Einbettung in einen sozialen Zusammenhang, z.B. durch die konkreten sozialen Auswirkungen oder die „Anschlusshandlungen“ der Interaktionspartner. Laucken hebt in seiner Rezeption des Sozialkonstruktionismus immer wieder die Notwendigkeit eines – zusätzlich vorhandenen – „individualsemantischen“ pragmatischen Kontextes hervor, etwa die denkbaren Anschlusshandlungen derselben Person (2000: 52; vgl. auch 1998). Ein solcher existiert für Gergen nicht, jedenfalls nicht als eigenständiger semantischer Raum, sondern für ihn ist Bedeutung ausschließlich als „emergent property of coordinated action“ denkbar (1999: 145). Damit ist Bedeutung gerade nicht in der Intentionalität oder den miteinander verwobenen Handlungen einzelner Subjekte zu lokalisieren, sondern allein aus „joint action“ resultiert überhaupt Bedeutung (Gergen 1999: 146, mit Verweis auf Shotter 1994). Verzichtet man in der Beschreibung jener sozialen Handlungszusammenhänge aber völlig auf die an der Interaktion beteiligten individuell Handelnden, führt das unter Umständen zu einem sehr anonymen Begriff des Sozialen bzw. einer sozialen Praxis. Der sozialkonstruktionistische Praxisbegriff scheint überdies nicht klar von dem des Diskurses abgegrenzt, und Diskurse werden, wie wir bereits sahen, in ihrer rhetorischen, performativen Funktion beschrieben: Als pragmatische Prozesse, die sich und ihre eigene Intelligibilität auf vielfältige Weise und mit Bezug auf konkrete soziale Situationen selbst herstellen (Gergen 1999: 64-80), ohne dass gemeinsam oder aufeinander bezogen handelnde Akteure in dieser Beschreibung Platz finden. Insofern mutet es wie ein Perspektivenwechsel an, wenn die Akteure wenige Seiten später doch in Erscheinung treten, indem die „pragmatische Dimension“ nun mit Blick auf Goffmans dramaturgischen Ansatz, auf die Ethnomethodologie und die Konversationsanalyse diskutiert wird (1999: 78f.). Dass die „pragmatische Perspektive“ durch den Bezug auf Garfinkel und Goffman dann zu einem interaktiven Szenario wird, in welchem Partizipientinnen Bedeutungen aushandeln, erscheint zu28 nächst als Widerspruch zum apersonalen Diskursbegriff Gergens.

28 Laucken hat in verschiedenen Publikationen deutlich gemacht, wie gerade die handlungszentrierte oder „pragmasemantische“ Ebene der Analyse von Prozessen der Bedeutungskonstitution (und darum geht es auch in Gergens Beschreibungen von Prozessen des „meaningmaking“) auf soziale und individuelle „Anschlussmöglichkeiten“ verweist (z.B. 2003: 160f.).

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Es ist leicht einsichtig, warum der Sozialkonstruktionismus auf die Analyse der konkreten Interaktionen nicht verzichten will: Die mikrosoziologische Perspektive Goffmans und Garfinkels eröffnet die Möglichkeit, diese kleinen, alltäglichen Diskurse kritisch auf die sie strukturierenden Konventionen hin zu analysieren, zu zeigen, inwiefern diese Konventionen der Konversation dazu dienen, ganz konkrete „power relations“ aufrecht zu erhalten. Diese Machtbeziehungen, wenngleich sie rein konventionell oder strukturell begründet sein mögen, betreffen letzten Endes Personen und lassen sich ohne diese nur schwer beschreiben. Der Anspruch der sozialkonstruktionistischen Analyse solcher Diskurse ist – sofern man bei Gergen nachliest – zudem eindeutig ideologiekritisch: Es geht um das „emancipatory potential of discourse analysis“ und darum, wie „unnoticed moves in language sustain particular ideologies, obscure shortcomings in various policies and programs, and perpetuate structures of privilege“ (1999: 80). In den später verfassten Texten, so etwa im oben erwähnten Aufsatz (Gergen 2001a), findet sich dann aber noch eine ganz andere Verwendungsweise des Pragmatismusbegriffs. Gergen verteidigt sich dort gegen den Vorwurf des „implicit realism“, den Kritiker zuweilen in sozialkonstruktionistischen Argumenten ausmachen (vgl. z.B. Hibberd 2001; Maze 2001; s. Kap. IV, 2.2), wie folgt: „I approach language as a pragmatist. Articulation here is in the service of outcomes. In part I employ realist expository conventions because to participate in the academic sense-making process I can do little else“ (2001a: 423). Kann man hier unterstellen, dass der Begriff des Pragmatischen durch Gergens Verwendung eine ‚praktikabilistische‘ Bedeutung erhält? „In the service of outcomes“ meint wohl das, was wir im Alltag genau dann unter einer ‚pragmatischen‘ Entscheidung verstehen, wenn wir damit ausdrücken wollen, dass unsere Entscheidung trotz des Wissens um bessere Alternativen gegen diese ausgefallen sei, da wir (dieses Mal) nur auf den Nutzen, den uns etwas einbringt, schauten. Damit kann man dann, und Gergen tut das auch, jede Art von „Realismus“ als „situated“ und damit als sozial konstruiert entschärfen. Wenn Gergen dann weiter ins Feld führt, dass der Streit über Realismus und Relativismus die Philosophie doch schon seit ein paar hundert Jahren beschäftige, und dass „yet another chapter in the several-hundred-year debates is not likely to solve these persistent conundrums“ (2001a: 424), dann erscheint das, was Gergen zu seiner pragmatischen Maxime erklärt, tatsächlich als eine Verwässerung pragmatischen Denkens. Auch hier wird resümiert: „I raise again the pragmatic issue. For me the most important question is: what follows when we make these kinds of proclamations“ (ebd.)? „What conse256

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quences follow from such an analysis“ (ebd.: 430)? Diese Ausdrucksweise riskiert, im Sinne einer „praktikalistischen“, auf Nützlichkeitsargumente beschränkten Engführung pragmatistischen Denkens gelesen zu werden. Gergen hat gute Gründe, bei seiner Konzeptualisierung von Wissen auf die Pragmatik der Bedeutung hinzuweisen. Ihn interessiert die Praxis der (diskursiven) Bedeutungskonstitution als dynamischer, kommunikativer Prozess, so wie sie in alltäglichen, konkreten Situationen abläuft. Er will es zu Recht vermeiden, dem abstrakten, logischen System einer kognitivistischen Bedeutungstheorie ein ebenfalls wieder abstraktes Symbolsystem (eine Struktur, die intelligible Bedeutungen bzw. deren Konstitution vorgibt) gegenüberzustellen. Gleichwohl hält er die damit verbundenen Konsequenzen nicht durch, denn für ihn gibt es Beteiligung der Akteure und faktische Situationen nur als Effekte der Praxis. Damit aber vergibt seine Beschreibung jener diskursiven Praxis des Bedeutung-Aushandelns („meaning-making“) das spezifische Potenzial einer pragmatistischen Bedeutungstheorie, die zwischen einem naiven Realismus, der eine objektive, sprachlich repräsentierbare ‚Welt‘ voraussetzt und einem radikalen Relativismus, der soziale Bedeutungen völlig von einer außersprachlichen Welt und von den beteiligten Sprechern abkoppeln muss, liegen würde. Der Rekurs auf die gemeinsame Praxis („joint action“) könnte eine begriffliche Lösung für eine solche Zwischenposition darstellen, da die Praxis auf der einen Seite überindividuell und symbolisch ist, auf der anderen Seite durch den konkreten Weltbezug von Handlungen in der Welt verankert ist. Was Gergen aber als „social pragmatics“ fasst, verwirft einerseits jeden Hinweis auf den praktischen Weltbezug gemeinsamer (bzw. überhaupt von) Handlungen und damit auch jeden Hinweis auf die Endlichkeit unserer Interpretationstätigkeit. Zweitens verzichtet er völlig auf die Realität der Akteure, also etwa auf die Frage nach der Integration von Handlungen zu einer gemeinsamen Praxis. Daher trifft sich Gergens Rede von der Praxis des „meaning-making“ oder von „joint action“, wie uns scheint, in vielen Punkten eher mit dem Wissens- und Bedeutungsbegriff dekonstruktivistisch orientierter Theorien, die von der entpersonalisierten, apragmatischen Beschreibung anonymer Diskurse ausgehen (s. Kap. IV, 2.3). Fassen wir zusammen: Gergens Position erscheint nach unserer Diskussion seiner bedeutungs- und wissenschaftstheoretischen Grundlagen in zentralen Punkten unklar und inkonsistent. Der zutiefst konventionalistische Wissensbegriff steht im Widerspruch zu den normativ-kritischen Aspekten: So erfordert etwa der methodische Anspruch, reale Diskurse zu analysieren, um dann auf deren praktische Konse257

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quenzen aufmerksam machen zu können, das Zugeständnis an irgendeine Form des Realismus. Der nicht-intentionalistische Bedeutungsbegriff sowie der antiindividualistische Wissensbegriff, demzufolge Wissen allein in Diskursen und nicht in den kognitiven Systemen der Individuen lokalisiert ist, steht ebenfalls im Widerspruch zum kritischen Anspruch des Sozialkonstruktionismus. Und die relativistische oder skeptizistische wahrheitskritische Position der sozialkonstruktionistischen Epistemologie scheint nur schwer vereinbar mit dem emanzipatorischen Potenzial, zu dem sich der Sozialkonstruktionismus gerade in Gergens Variante so klar bekennt. Vielleicht werden diese Fragen beantwortet, wenn wir nun genauer nachvollziehen, auf welche kritischen Theorieentwürfe Gergen besonders Wert legt, um seine eigene Version einer alternativen (Wissens-)Psychologie zu plausibilisieren. Er sieht Aspekte der Ideologiekritik, der Wissenssoziologie und des Dekonstruktivismus im Sozialen Konstruktionismus bewahrt. 2.3

Kritik des Wissens und des Subjekts

2.3.1 Ideologiekritik Die Einstellung, dass Wissenschaft objektiv vermitteln kann, was ist; nicht aber zu bestimmen hat, was sein soll, gilt für Vertreter der Wertfreiheit der Wissenschaft als gesichert. Unter dem Stichwort Ideologiekritik begann man in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die strenge Trennung von wissenschaftlichen und moralisch-ethischen bzw. politischen Diskursen anzufechten. Ideologische Leitgedanken und deren normative Implikationen, die hinter den wissenschaftlichen Objektivitäts- und Wahrheitsansprüchen stehen, sollten entlarvt werden. Im Vordergrund der Ansätze, die Gergen mit diesem Begriff charakterisiert, steht die in den dreißiger Jahren entstandene Kritische Theorie der Frankfurter Schule. Allerdings fühlt Gergen sich den philosophischen Grundpositionen und der politischen Stoßrichtung der Frankfurter nur in einzelnen Aspekten oder aber in sehr globaler Hinsicht verpflichtet. Neben der Beeinflussung der älteren Frankfurter durch Marx (mit Beschränkung auf dessen allgemeine gesellschaftskritische Aussagen), die in Gergens Rezeption der Kritischen Theorie nicht interessiert, war ein zweiter Bezugspunkt die Kritik an der neopositivistischen Erkenntnistheorie. Diese Kritik hat in den sechziger und siebziger Jahren dazu geführt, dass sich die Frankfurter im Positivismusstreit, dem erkenntnistheoretischen Streit zwischen analytischer Philosophie und 258

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hermeneutischer Geisteswissenschaftstheorie, eher auf die Position der Verstehenstheoretiker stützten (Simon-Schaefer 1992: 172f.). Die Frankfurter distanzierten sich von der Möglichkeit neutraler wissenschaftlicher Deskription, und die hermeneutisch fundierte Methodologie war ihnen insofern näher, als deren selbstreflexives Moment die Auffassung stützte, dass in jede Art von Gegenstandsbezug normative Standards mit eingehen. Während Max Horkheimer und Theodor Adorno die Kritik traditioneller wissenschaftlicher Theorien zu einer globalen Vernunftkritik erweiterten, die auch eine Kritik des autonomen Subjekts war (Horkheimer 1937; Horkheimer/Adorno 1947), hat besonders Herbert Marcuse für die Aufnahme von Erkenntnissen der psychoanalytischen Persönlichkeitstheorie und deren Übertragung auf eine kritische Gesellschaftstheorie gesorgt (Marcuse 1964). Übergreifend kann man als ein Ziel der Kritischen Theorie die Auseinandersetzung mit den Rationalitätsvorstellungen der Aufklärung verstehen. Mit Jürgen Habermas’ Versuch einer wissenschaftstheoretischen Fundierung der Kritischen Theorie (im Sinne der Ausweisung der normativen Grundlagen der Sozialwissenschaften) erreichte die Frankfurter Schule ihre größte meinungsbildende Wirkung (Habermas 1968). Gergen greift in seiner Rezeption die positivismus- und rationalitätskritische Ausrichtung der Kritischen Theorie auf, wenngleich nur im dem sehr allgemeinen Sinn, dass im Anschluss an ihre wegweisenden Arbeiten die Möglichkeit entstand „scientific truth claims“ auf ideologische Verzerrungen zu überprüfen (1994: 34f.; Herv. i.O.). Für Gergen ist Ideologiekritik allerdings nicht nur nicht mehr wie für die Vertreter der klassischen Frankfurter Schule an eine historischmaterialistische Stoßrichtung gebunden, sondern er ist sogar der Ansicht, heute gebe es thematische Ausrichtungen der ideologiekritischen Wissens- und Wissenschaftskritik, deren Reichweite die marxistisch inspirierten Varianten weit übertreffe: „For example, now eclipsing Marxist oeuvre in extensity and interest is an enormous body of feminist critique“ (ebd.: 35). Ideologiekritik, meint Gergen, lässt sich heute in einem umfassenden Sinn als eine Art „powerful weapon“ verstehen, derer sich jede Gruppe bedienen kann, der es um Unrecht oder Unterdrückung geht. Wer diese Waffe führt, kann und will das Vertrauen in selbstverständliche Realitäten unterminieren – und tut dies mit dem Ziel der Entlarvung sozialer Ungleichheit. Denn diese Form der Kritik bezieht sich immer auf Folgendes: „The underlying intent of the truth teller, to suppress, to gain power, to accumulate wealth, to sustain his or her culture above others, and so on, thereby undermining the suasive power of truth“ (1994: 36). 259

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Die ausdrückliche Verortung in der Nähe ideologiekritischer Positionen ist nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar, wenn man mit den meta- und erkenntnistheoretischen Grundlagen des Sozialen Konstruktionismus vertraut ist. Zunächst einmal erscheint die Wertschätzung ideologiekritischer Diskurse als einen „substanziellen Hintergrund“ der das Entstehen des Sozialkonstruktionismus geschätzt und befördert habe (1999: 19), nicht ausreichend, um die Bevorzugung der Ideologiekritik vor bestimmten anderen Ansätzen zu begründen. Gergen erklärt die Affinität des Sozialkonstruktionismus zum ideologiekritischen Denken nämlich sehr allgemein damit, dass dieses eine „große Herausforderung der traditionellen Sprachauffassung“ darstelle und alle „empiristischen oder realistischen Ansprüche wissenschaftlichen Wissens“ anzweifle (1994: 44; Übers. B.Z., vgl. auch: 36). Diese Zuschreibung mag auf die ideologiekritischen Argumentationen in dieser allgemeinen Formulierung auch durchaus zutreffen. Aber weder erfasst sie den Kern des ideologiekritischen Arguments, noch erklärt diese Begründung die Privilegierung der ideological critique über andere, auch psychologische Arbeiten, die ebenfalls einen repräsentationskritischen Wissensbegriff vertreten und das augustinische Sprachverständnis kritisieren oder gar ablehnen. Der Grund, die Verwandtschaft des Sozialkonstruktionismus zur Ideologiekritik besonders zu betonen, besteht nicht vorrangig darin, dass Marx, Horkheimer, Adorno oder auch feministische Autorinnen wie etwa Judith Butler oder Emily Martin die Existenz sicheren Wissens oder eine repräsentationalistische Sprachauffassung anzweifeln – das gälte nämlich in dieser Allgemeinheit nicht nur für Wittgenstein, sondern auch für Mead, Bartlett, Wygotski, Kelly, Berger und Luckmann und für viele weitere Ansätze, denen Gergen allenfalls eine „intertextual relation“ zum Sozialkonstruktionismus zugesteht, denen gegenüber er im Großen und Ganzen jedoch um Abgrenzung bemüht ist (1994: 68). Das entscheidende Element der kritischen Positionen, das sie von Kelly, Mead, Berger und Luckmann und Wittgenstein unterscheidet, liegt im normativen Anspruch ihrer Theorie, in ihrer Machtkritik. Gerade dieses normative Element birgt aber für den Sozialkonstruktionisten, der sich zu epistemischem und moralischem Relativismus verpflichtet sieht (vgl. u.a. Gergen 1994: 79-84), ein Problem, das Gergen selbst benennt: Ideologische Kritik, so sagt er, sei auf die Entlarvung der „wahren Natur der Dinge“ hinter der „ideologischen Verzerrung“ ausgelegt, und setze daher selbst häufig implizit oder explizit universalisierende Wahrheits- oder Rechtsansprüche voraus, an denen die ideologische Kontaminiertheit des zur Kritik stehenden Wissens gemessen werde (ebd.: 45; Übers. B.Z.). Dagegen ist der So260

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zialkonstruktionismus, wie wir wissen, der Auffassung, dass es nicht nur kein sicheres Wissen, sondern auch keine kultur- und epochenübergreifend gültige Moral gibt. Auch die selbstverständlichsten, die vermeintlich grundlegendsten moralischen Prinzipien sind, so Gergen, relativ zu einer bestimmten Sprache, einer Lebensform, einer Kultur. Und überdies sei schon die Frage nach richtig und falsch eine typisch moderne, binäre Konstruktion und nicht etwa eine universal gültige Unterscheidung (1999: 16). Trotz dieser moralkritischen Stoßrichtung versteht sich der Sozialkonstruktionismus in erster Linie als kritische Bewegung – der sozialkonstruktionistische Standpunkt verbietet dabei lediglich, einen erwünschten Endzustand auszubuchstabieren. Gergens Kritikbegriff lässt sich damit etwa wie folgt reformulieren: Möglich und wünschenswert ist die kritische Analyse und die Entlarvung des Althergebrachten und Etablierten als perspektivisch und ideologisch – aber nur mit dem Ziel, einen neutralen Boden für den wertfreien Dialog mit möglichst vielen anderen Positionen zu bereiten. Vielleicht meint Gergen dies, wenn er schreibt, Kritik im Sinne des Sozialkonstruktionismus sei nicht mehr und nicht weniger als „an invitation to a dance, a game, or a form of life“ (1997: 77). Weder die enthusiastische Färbung, noch die liberalistische Konnotation dieser euphemistischen Metaphorik sollte über ihre radikalen Implikationen hinwegtäuschen: Erstens ist dies eine skeptizistische Position mit der üblichen Problematik aller skeptizistischen Positionen, denn das Fazit aus Gergens Kritikbegriffs ist: Jedes emanzipatorische Ziel und jeder kritische Einwand ist ideologisch und muss relativiert werden, allein die Richtigkeit des Zweifels, die Tatsache, dass überhaupt kritisiert und hinterfragt werden soll, scheint unhinterfragt zu gelten. Und das ist selbst ein normativer Anspruch, der begründet werden müsste. Zweitens verliert der kritische Anspruch, wenn man diesen Kritikbegriff ernst nimmt, seinen Sinn. Wieso mit Vertretern eines konfligierenden Standpunktes in einen „produktiven Dialog“ treten (Gergen 1994: 62f.; s. Kap. IV, 1.2), wenn man sich gar nicht zum 29 Ziel setzen kann, den anderen zu überzeugen? Gergen gibt übrigens immer wieder Beispiele dafür, dass es nicht möglich ist, wertneutral zu argumentieren, wenn man überhaupt argumentieren will. Sogar im Zuge der Erläuterung seiner eigenen antimoralistischen Position lässt er bestimmte moralische Bewertungen einfließen: So führe das Fest29 Dann freilich, wenn man nicht mehr von normativen Ansprüchen oder Überzeugungen als Motiv der Kritik reden kann, bleibt womöglich für ein solches Motiv nur noch der Wille zur (Definitions-)Macht.

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halten an universell gültigen Werten oder Wahrheiten zu „kulturellem Imperialismus“, zum Entstehen „privilegierter Wissensklassen“, zur „Erosion von Gemeinschaften“, zu einer „instrumentellen Auffassung sozialer Beziehungen“ und sogar zur „Ausbeutung der Natur“ (1999: 18f.). Dies sind keine neutralen Beispiele und sie sind auch nicht so vorgebracht, als sei ihre Umkehrung für den, der sie heute ausspricht, morgen denkbar. Drittens läuft der kritische Anspruch ins Leere, wenn er nur formal, nicht inhaltlich legitimiert werden kann, d.h. wenn er sich nicht an konkreten Thesen, die mit Geltungsansprüchen verbunden sind, festmachen kann. Kritik hebt sich dann selbst auf: Sobald der Kritiker von der Position der Randständigkeit zum Mainstream avanciert ist und sich Gehör verschafft hat, ist er selbst Ziel der Kritik. Und auch für dieses prozedurale Kriterium gilt im Übrigen, dass es auf einem impliziten normativen Anspruch beruht (z.B. der Wertschätzung pluraler, wertfreier, nicht-formalisierter „transformative dialogues“ zwischen der größtmöglichen Zahl unterschiedlicher oder kontrover30 ser Auffassungen ). Zusätzlich ergibt sich im Zusammenhang mit dem explizit kritischen Anspruch der sozialkonstruktionistischen Theorie noch die Frage nach dem Subjekt der Kritik. In irgendeinem Sinne erfordert eine kritisch-emanzipatorische Position die Annahme eines Subjektes dieser Kritik und damit auch einen legitimen Nutznießer der angestrebten Emanzipation. Das sind Vorstellungen, die der Sozialkonstruktionismus an anderer Stelle von sich weist. Gergen zufolge ist ein solches Subjekt nichts weiter als ein Produkt diskursiver, machtdurchsetzter Prozesse, in denen seine vermeintlich authentische, kritische Intention eine bestimmte, ihm selbst nicht bekannte Funktion erfüllt. Auch dieses Problem hat Gergen selbst betont und nicht zuletzt aus diesem Grund ist er der Ansicht, dass der ideologiekritische Gestus dringend der Verschmelzung mit „postmodernen“, machtkritischen Theorie31 entwürfen bedarf (Gergen 1994: 47). 30 Vgl. am ausführlichsten dazu Gergen 1999: 150ff. 31 Wie oben erwähnt, führt Gergen bestimmte feministische Ansätze, darunter auch die Arbeiten der feministischen Literaturkritikerin Judith Butler, als Beispiel für die überzeugendste Variante der neueren Ideologiekritik an (Gergen 1994: 35; 1999: 22f.). Butler ist selbst ein Beispiel für eine Position, die machtkritisch und zugleich repräsentationskritisch sein will. Ansätze, die für ein Subjekt ihrer Kritik einstehen, so Butler, unterwerfen sich gerade dadurch der Repräsentationspolitik, in ihrem Fall etwa den Zwangsdiskursen der Heterosexualität oder der Zweigeschlechtlichkeit, in welchen sie sich als geschlechtliche Subjekte veror-

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Wir werden uns später genauer mit der Verbindung des Sozialkonstruktionismus zur Postmoderne und ihrer spezifischen Form der Machtkritik befassen, zuvor jedoch geht es um eine weitere kritische Denkrichtung, von der Gergen sagt, dass sie gegenüber Ideologiekritik und postmoderner Machtkritik „unique advances“ aufweise und der sozialkonstruktionistischen Auffassung in gewisser Weise am nächsten sei (1994: 46). 2.3.2 Wissenssoziologie und Wissenschaftskritik Gergen weist wiederholt darauf hin, dass in den Nachbardisziplinen der Psychologie interessante Vorschläge für eine alternative Wissenstheorie, wie sie auch ihm vorschwebt, vorgelegt wurden. Unter der Bezeichnung „social critique“ bezieht er sich auf bestimmte Positionen in Wissenssoziologie und Wissenschaftskritik, insbesondere auf Karl Mannheims klassische Variante der Wissenssoziologie, die auf Max Weber und Max Scheler Bezug nimmt (Mannheim 1929/1952). Gergen schreibt Mannheim sogar zu, das „groundbreaking work on the social construction of scientific knowledge“ verfasst zu haben (Gergen 1994: 32 42). Was ist an der Wissenssoziologie Mannheims so interessant für den Sozialkonstruktionismus? Bei Mannheim meint Gergen die Ent-Ideologisierung der kritischen Perspektive zu finden, die er selbst anstrebt. Zunächst zum Ausgangspunkt der Wissenssoziologie: Bei Max Scheler (1926) und besonders bei Karl Mannheim (1929) finden sich bereits Einwände gegen die ideologische Engführung wahrheitskritischen Denkens. Zwar ten müssen (vgl. z.B. Butler 1991: 17). Sie strebt daher eine „feministische Genealogie der Kategorie Frau“ an (ebd.: 21), welche die Möglichkeit eines feministischen Subjekts verhindert (ebd.: 22). Butler hat in diesem Punkt also dasselbe Problem wie Gergen, sie macht dies aber, im Unterschied zu Gergen, ausführlich zum Thema und nimmt immerhin erhebliche begriffliche Anstrengungen in Kauf, um in ihrem subjektkritischen Ansatz noch Raum für die Handlungs- und Kritikfähigkeit „postsouveräner“ Subjekte zu schaffen (Butler 1991, 1993; vgl. Zielke 2003). 32 Als „social critique“ bezeichnet Gergen neben Mannheim auch Kuhns wissenschaftshistorische Arbeiten. Da diese bereits genauer besprochen wurden, gehen wir nun ausführlicher auf die Rezeption der Wissenssoziologie ein. Desweiteren gehören für Gergen zu dieser Variante der Kritik: Ludwig Fleck (1935), Peter Winch (1958), Aron Gurwitsch (1964), Peter L. Berger und Thomas Luckmann (1966) sowie Paul Feyerabend (1976).

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nimmt die Erkenntnis der sozialen Gründe des Denkens und Wissens auch bei Mannheim zunächst die Form der Ideologiekritik an, es geht es ihm dabei jedoch darum, das Ideologieproblem von einzelnen („partikularen“) ideologisch kontaminierten Theorien auf die Struktur des menschlichen Denkens schlechthin auszudehnen. Mannheim fasst das Ideologieproblem so allgemein, dass der Anspruch, wahre von ideologischen Momenten des Denkens zu trennen, verschwindet: Die ideologische Natur von Wissenselementen oder -systemen versteht Mannheim gar nicht mehr als Kritik an diesem Wissen, sondern sieht darin sogar positiv den Sinn wissenschaftlicher (und anderer) Theoriebildung. Theorien, so sagt er, kann man solange nicht verstehen, wie man sie von ihren gesellschaftlichen Motiven abtrennt. Dieser Ansicht ist auch Gergen, der sich vom Glauben an die Aussagekraft „dekontextualisierter“ wissenschaftlicher Theorien distanziert (s. Kap. IV, 2). Die Wissenssoziologie sensu Mannheim hat nun die Aufgabe, diesen Zusammenhang zwischen theoretischen Aussagen mit den zugrunde liegenden gesellschaftlichen Interessen (wieder) herzustellen. Der Ideologiebegriff wird damit gewissermaßen neutralisiert zu einer Theorie genereller „Seinsverbundenheit“ jeglichen Wissens (Mannheim 1952: 229). Seinsverbundenheit bedeutet, dass die „Seinslagen“ und kollektiv unbewussten Interessen und Ziele der unterschiedlichen gesellschaftlichen oder kulturellen Gruppen das Denken auf vielfältige Weise formen. Die Wissensgehalte sind durch diese Seinsfaktoren aber keineswegs nur „peripher“ bestimmt, sondern letztere ragen „in Inhalt und Form, Gehalt und Formulierungsweise“ unserer Gedanken hinein. Die Wissenssoziologie geht daher „nicht vom einzelnen Individuum und seinem Denken aus“, sondern von Individuen als Angehörigen sozialer oder kultureller Gruppen (ebd.: 4f.). Gebunden sind die Individuen durch ihre Situation, die sich aus der Gruppe, Schicht oder Klasse ergibt, der sie angehören, und durch die gruppenspezifischen, von dieser entwickelten Denk-, Sprach- und Verhaltensformen. Mannheims Formulierungen scheinen damit tatsächlich auf eine in der sozialen Praxis verhaftete Basis des Wissens hinzuweisen. Und ganz im Sinne des Sozialkonstruktionismus wird diese Praxis sowohl als übergreifende soziohistorische Matrix geschildert als auch in mikrotheoretischer Einstellung als Komplex typischer, alltäglicher, gemeinsamer Handlungsweisen. Die Wissenssoziologie versucht zwar, „das Denken des Menschen in dem konkreten Zusammenhang einer historisch-gesellschaftlichen Situation zu verstehen“ (Mannheim 1969: 4). Das heißt aber, so Mannheim, dass es „nicht die Menschen als solche“ sind, die denken, oder „isolierte Individuen, die das Denken be264

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sorgen, sondern Menschen in bestimmten Gruppen, die einen spezifischen Denkstil in einer endlosen Reihe von Reaktionen auf gewisse typische, für ihre gemeinsame Position charakteristische Situationen entwickelt haben“ (ebd). Auch der von Mannheim formulierte wissenschaftliche Anspruch der Wissenssoziologie entspricht auf den ersten Blick dem wahrheitskritischen Gestus sozialkonstruktionistischer Analysen: Die Wissenssoziologie soll nämlich die Seinsverbundenheit konkreter Wissensformen ausweisen und analysieren, ohne dabei die (sachbezogene, theoretische) Richtigkeit des untersuchten Wissens zu bewerten. Wissen, Denken, Erkennen, so Mannheim, ist stets perspektivisch und weist eine „Aspektstruktur“ auf. Dies äußert sich z.B. in der unterschiedlichen Bedeutung von Begriffen, wenn sie von Personen differenter Soziallagen gebraucht werden, sowie in den Denkmodellen und Kategorien, die die Menschen in ihrem Handeln anwenden. Diese Aspektstruktur von Aussagen ist mit Bezug auf die sozialen Strukturen herauszuarbeiten, und zwar durch die Methode der „Relationierung“, der Zurückführung von Aussagen auf ihre sozialen Gründe. Alle Aussagen werden einer bestimmten „Weltauslegung“ und der ihr entsprechenden sozialen Seinslage zugerechnet. Relationierte Aussagen sind deshalb aber nicht falsch oder unwahr, denn „für den Wissenssoziologen gilt der Wahrheitsbegriff selbst als sozial generiert; für ihn sind alle Aussagen, ob wahr oder falsch in logischer oder empirischer Hinsicht, grundsätzlich sozial bedingt“ (Mannheim 1952: 233). Schon beim oberflächlichen Vergleich mit der sozialkonstruktionistischen Auffassung, die davon ausgeht, dass Wissen immer im Rahmen sozialer Prozesse bzw. sozialer Beziehungen generiert wird, wird klar, dass der allgemeine Aspekt der Seinsverbundenheit von Wissen ohne größere Adaptationsbemühungen aufgegriffen werden kann – wenngleich Gergen natürlich viel weiter geht als Mannheim, da für ihn Wissen allein in den sozialen Diskursen und Praktiken entsteht und lokalisiert ist. Diese stark konventionalistische Auffassung Gergens darf man Mannheim gewiss nicht zuschreiben. Das Relationieren ist nämlich, wie Mannheim stets betont, keineswegs relativistisch im Sinn einer „puren Beliebigkeit“ (Mannheim 1952: 242) gemeint. Relationieren bedeutet immer die Inbeziehungsetzung von Denkinhalten, Aussagen, Verhaltensweisen mit politisch-historischen sozialen ‚Seinslagen‘; diese Beziehungen sind jedoch gerade nicht beliebig, sondern perspektivengebunden, d.h. durch die reale (materielle und soziale) Seinslage bestimmt. Diese Beziehung zwischen Seinslage und Wissensinhalten kann und soll die Wissenssoziologie objektiv aufzeigen (ebd., S 139ff.). Nach der Relationierung ist daher eine weite265

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re Voraussetzung der wissenssoziologischen Betrachtung die Distanzierung und damit die partikularistische Beziehung der Geltung einer Aussage auf die jeweilige Anschauung und/oder Situation. Die Partikularisierung ist damit der Punkt, an dem sichtbar wird, wie die „Standorte“ und Seinslagen in das „Denken de facto hineinragen“ (Mannheim 1952: 145). In diesem Zusammenhang wendet sich Mannheim gegen die „zum Apriori erhobene[…] Feststellung, dass aus der Tatsachenwelt nichts aufsteigen könne, was geltungsrelevant wäre“ (ebd.: 246). Die Möglichkeit der Erkenntnis, dass alle Wissensbildung nur partikulare Ausschnitte aus der totalitären Wirklichkeit umfasst, ist für Mannheim allerdings beschränkt auf die Schicht der „sozial freischwebenden Intelligenz“ (ebd., vgl. Mikl-Horke 1992: 143). Also sind für Mannheim erstens soziale „Tatsachen“ konkret wirksam auf das Denken, und zweitens ist die Wissenssoziologie in der Lage, diese Auswirkung qua Methode objektiv zu ergründen. Beiden Aussagen dürfte der Sozialkonstruktionismus nicht ohne Weiters zustimmen, da sie der These, Wissen und Bedeutung entstehe allein in von der außersprachlichen Realität unabhängigen Symbolsystemen und Diskursen, widerspricht. Und auch der Annahme Gergens, Mannheim sei maßgeblich gewesen für die Auffassung der „social genesis of scientific thought“ (Gergen 1994: 42), entgeht der auf die Loslösung des wissenschaftlichen Wissens von der Seinsverbundenheit angelegte Anspruch des wissenssoziologischen Wissenschaftsver33 ständnisses. Gergen betont nun zusätzlich, dass die Wissenssoziologie Mannheims auf die kulturelle Determiniertheit unseres Wissens abhebe, also 33 Die Zurücknahme oder Entschärfung des Mannheimschen Relationismus in der zweiten theoretischen Wissensstufe der Wissenssoziologie lässt Gergen dann auch unerwähnt. Mannheim selbst ist nämlich mit diesem Stand der Gültigkeitsproblematik nicht zufrieden und mildert (u.a. durch die Annahme eines epistemischen Sonderstatus der Naturwissenschaften, die er schließlich aus dem Bereich des seinsverbundenen Wissens ausschließt) den Konflikt mit der seinerzeit dominanten fundamentalistischen Erkenntnistheorie; vor allem aber sucht er ein neues Konzept der Objektivität für die Kultur- und Sozialwissenschaften, das nicht zuletzt das Relativismusproblem seiner Wissenssoziologie lösen soll. Diese Gedanken Mannheims können hier nicht ausgeführt werden; es sei an dieser Stelle jedoch noch bemerkt, dass die wissenssoziologischen Verfahren der Partikularisierung und der Synthetisierung durchaus auf die Gewinnung objektiv gültigen Wissens abzielen (vgl. für genauere Darstellung Schofer, 1999: 45ff. sowie Zimmermann, 1998: 40ff.).

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auf den „cultural context in which various ideas take shape and the ways in which these ideas in turn give form to both scientific and cultural practice“. Damit lässt sich Mannheims Wissenstheorie, meint Gergen, als Vorreiterin einer (möglicherweise) kulturrelativistisch angelegten wissenssoziologischen Position interpretieren (Gergen 1994: 42). Auch hier liest er Mannheim zu sehr im Sinne seines eigenen, konventionalistischen Bedeutungsbegriffs. Mannheim (1952) bezieht seine wissenssoziologischen Ausführungen zwar insbesondere auf die zunehmend durch ethnische und soziale Differenziertheit charakterisierte „Lage der Kultur“ in den durch Migration veränderten Großstädten Deutschlands (ebd.: 240) und ist – ähnlich wie Gergen – der Ansicht, dass durch diese Pluralisierung die „ehemals mehr oder weniger in sich ruhenden sozialen Schichten […] aus der Selbstverständlichkeit ihres In-Sich-Ruhens immer mehr herausgescheucht“ werden. Daher, so sagt er, sind die Mitglieder moderner Gesellschaften in besonderem Maße der Anforderung ausgesetzt, zu „kämpfen, um sich im Ansturm der heterogenen Gruppen und der Produkte ihres Geistes zu behaupten“ (Mannheim ebd.; 239f.). Die „Konkurrenz“ zwischen diesen Gruppen, der Kampf um gesellschaftliche Macht, wird nicht zuletzt mittels gruppenspezifischer „Weltauslegung“ ausgefochten. Daher verbergen sich hinter theoretischen, scheinbar in der Sache liegenden Widersprüchen oft (politische) Konflikte zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen bzw. unterschiedlichen Lebensformen (ebd.: 242). Gergen (1991) hat über Mitglieder postmoderner Gesellschaften Ähnliches gesagt: Sie seien (nicht zuletzt durch die Verfügbarkeit neuer Kommunikationsmedien) immer stärker mit „other voices, other perspectives, other points of view“ konfrontiert, und dadurch, so Gergen, komme es auch hier zu Kämpfen (insbesondere zu Kämpfen um Definitionsmacht) und schließlich dazu, dass „minorities across the nation could begin to organize, develop a sense of group consciousness, articulate values and goals, publicize injustices, seek legal help, and change laws“ (Gergen 1991: 86). Interessant ist nun, dass die hier angeführten Beispiele gerade nicht kulturrelativistisch oder im starken konventionalistischen Sinne interpretiert werden müssen. Sie zeigen vielmehr, was Gergen meinen könnte, wenn er von Dialogen vieler differenter, zunächst inkommensurabler „Stimmen“ oder Perspektiven spricht: Gruppen, die kämpfen oder in Konkurrenz zueinander stehen (Mannheim), radikal fremde Kulturen, die sich zwar nicht im Sinne eines expliziten Konsenses verständigen, aber doch in Auseinandersetzung miteinander treten können (Gergen), teilen trotz der vermeintlichen Inkommensurabilität der Perspektiven eine gemeinsame Praxis, weil sie um etwas (Gemeinsames) 267

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kämpfen und Differenzen (gemeinsam) aushandeln. Die Interpretation dieser Beispiele wäre dann jedoch, dass weder Gergen, noch Mannheim in diesem Sinne (Kultur-)Relativisten sind. Gergens Interpretation der von ihm selbst geschilderten Beispiele dagegen stellt stets deren relativistische Implikation in Bezug auf unser Wissen in den Vordergrund. Das Mannheim zugeschriebene Fazit lautet ebenfalls: „[W]hat we take to be knowledge is therefore culturally and historically contingent“ (Gergen 1994: 42) bzw. „what we assume to be scientific knowledge is therefore a byproduct of social process“ (Gergen 1999: 52). Gergens Beispiele weisen also implizit auf die Möglichkeit hin, auch in Situationen, in denen keine Verständigung möglich scheint, gemeinsames Handeln herzustellen. Die Konfrontation mit einer so radikal fremden „Lebensform“ (Mannheim: „Weltauslegung“), sagt Gergen, „increases our capacity for knowing that and for knowing how“ (1991: 69; Herv. B.Z.). Etwas später heißt es gar: „As we begin to incorporate the dispositions of the varied others to whom we are exposed, we become capable of taking their positions, adopting their attitudes, talking their language, playing their roles“ (ebd.: 85; Herv. B.Z.). Auch an anderer Stelle gibt es Hinweise auf den Übergang vom konstruktivistisch gedachten Konventionalismus zu einem konstruktiv-praktischen Bedeutungsbegriff, so etwa in der weiter oben bereits zitierten Bemerkung „to engage in critique is to defend a mode of life“ (1999: 38). All diese Beispiele implizieren erstens die Gegenthese zur Inkommensurabilitätsbehauptung, zur von Gergen geäußerten Ansicht, dass Wissen allein kulturell und damit konventionell determiniert sei, denn die gemeinsame Praxis scheint in beide (inkommensurablen) Sprachen hineinzureichen. Zweitens hat Gergen offensichtlich die besondere Qualität des praktischen Wissens im Blick, das auch in der interkulturellen Kommunikation zur Anwendung kommt, indem er von „knowing-how“ und „dispositions“ (Ryle 1949) redet und erläutert, wie sich zuvor fremde Einsichten oder Erkenntnisse quasi unmerklich in unsere Praxis einschleichen. Dieser Gedanke behält Gewicht – auch wenn Gergen die psychologische Beschreibung und Analyse dieser gemeinsamen Praxis und der dabei zur Anwendung kommenden Kompetenzen bzw. der besonderen Repräsentationsform dieses speziellen Wissens nicht als Aufgabe einer kulturpsychologischen oder sozialkonstruktionistischen Wissenspsychologie ansieht. Die Unterscheidung zwischen implizitem und explizitem Wissen hält er zwar für relevant, die psychologische Seite dieser Unterscheidung (wie ist dieses Wissen repräsentiert, kann ich bewusst darauf zugreifen, kann ich überhaupt individuell darüber verfügen usw.) jedoch interessiert ihn nicht. Dies wiederum verdankt 268

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sich seiner Ablehnung aller auf das Individuum ausgerichteten psychologischen Begriffe. Die unterschiedlichen „voices“, „perspectives“ und „forms of life“, mit denen wir in der immer stärker differenzierten und globalisierten Gesellschaft konfrontiert sind, macht in Gergens Bild der postmodernen Persönlichkeit gerade nicht bestimmte integrative Kompetenzen der einzelnen Personen notwendig oder psychologisch interessant. Vielmehr führt das Geflecht dieser Stimmen und Perspektiven, so meint er, zur Auflösung des Individuums, der Ich-Identität, des Selbst. Die Interpretation des Praxisbegriffs bleibt daher in vielen seiner Formulierungen einseitig, da er Praxis eher im Sinne eines anonymen Geflechts von Praktiken, Institutionen und Aussagen versteht, 34 denn als miteinander interagierende Personen. Fassen wir das sich abzeichnende Verhältnis zwischen kritischen und relativistischen Ansprüchen zusammen: Die ideologiekritischen Arbeiten stehen Gergen zwar wegen ihres kritischen Anspruchs nahe. Die Schwächen dieser Sichtweise liegen für ihn allerdings im impliziten Wahrheitsanspruch emanzipatorischer Positionen und in der Zuschreibung ihrer Kritik an ein Subjekt der Kritik, das dann auch Nutznießer der Emanzipation sein kann. Gleichwohl ist es Gergen wichtig, sich in der Nähe derjenigen zu verorten, die an den Rändern der hegemonialen Diskurse, in denen Wissen und Macht verhandelt werden, um ihre Stimme kämpfen müssen. Daher wendet er sich an diesem Punkt der „social critique“ zu, also wissenssoziologischen und wissenschaftskritischen Analysen, da sie frei davon sind, einer bestimmten Sichtweise Vorrang einzuräumen und den Anspruch auf sicheres Wissen relativ zu sozialen Prozessen und Situationen verstehen. Die Betonung liegt nun nicht mehr auf bestimmten ideologischen Voreingenommenheiten. Unsere Ansichten darüber, was als richtig und wahr zu gelten hat, sind vielmehr allein von „sozialen Prozessen“ abhängig (1994: 45). Dabei liest Gergen diese Betonung sozialer Prozesse für die Erkenntnis- und Meinungsbildung von Individuen im Sinne einer radikalen oder starken (sozial-)konstruktivistischen Position: „Descriptions and explanations are neither driven by the world as it is, nor are they the inexorable outcome of genetic or structural propensities within the individual“ (ebd.: 49). Diese Lesart ist jedoch nicht die einzig mögliche und weder Kuhn noch Mannheim ist diese Lesart oder aber die aus der Ideologiekritik entnommene normative Attitüde zuzuschreiben. 34 Mit diesem Problem werden wir uns in Kapitel IV, 3 im Rahmen der Diskussion des „relationalen Selbst“ (Gergen 1991) eingehend befassen.

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Auf den folgenden Seiten wird nun eine weitere Variante der Kritik erörtert, die Gergen unter dem Begriff „literary-rethorical critique“ anführt (1994: 36ff.). Es wird nun noch deutlicher werden, dass Gergen mit seiner Verabschiedung des Individuums, der Betonung von Differenz, der Absage an Vernunft und Moral als Grundlage unseres Wissens und der semiotischen Sprachauffassung tief in den Diskursen der Postmoderne verankert ist. 2.3.3 Poststrukturalismus, Dekonstruktion und ‚literaryrhetorical critique‘ Es ist bereits verschiedentlich angeklungen, dass Gergen die unterschiedlichen theoretischen Positionen, denen er Einfluss auf die sozialkonstruktionistische Theoriebildung zuspricht, durch ihre Einbettung in einen durch den linguistic turn hindurchgegangenen Aneignungskontext zu verbinden sucht. Dazu gehört für ihn neben der Sprachpragmatik das Systemdenken der neueren französischen Sprachbetrachtung im Anschluss an Saussure: In allen Anknüpfungsversuchen an bereits bestehende Alternativkonzeptionen von Wissen dominiert die Affinität des Sozialkonstruktionismus zu poststrukturalistischen oder postmodernen Positionen und zum (französischen) Dekonstruktivismus. Ein Blick in Gergens theoretische Bücher (1982, 1994, 1999), in denen er seine Vision einer alternativen Psychologie skizziert, macht die besondere Verbindung des Sozialkonstruktionismus zu literaturund textwissenschaftlichen Ansätzen (post-)strukturalistischer Prägung deutlich: Ferdinand de Saussure, Claude Levi-Strauss, Michel Foucault, Roland Barthes, in bestimmter Hinsicht auch Jean Beaudrillard oder Guy Débord, allen voran jedoch Jacques Derrida, haben für Gergen eine Dimension der Kritik bestehender Wahrheits- und Universalitätsansprüche geschaffen, die unter besonders viel versprechenden Vorzeichen angetreten ist. Die poststrukturalistische Kritik des Subjekts, der Metaphysik bewusstseinsphilosophischer Bedeutungstheorien und nicht zuletzt des positiven Wissens würdigt Gergen als „drumbeats of a different tempo“, deren Einfluss auf die gesamten Sozial- und Kulturwissenschaften zunehmend wachse. „Such critiques invite thoroughgoing reconsideration of the nature of language and its place in modern life; more important, they begin to form the basis for an alternative to the presumption of individual knowledge“ (1994: 33). Wie wir gesehen haben, rezipiert Gergen die unterschiedlichsten Ansätze etwas vereinheitlichend darauf hin, inwieweit sie die „presumption that language can contain truth“ wirklich in Zweifel ziehen (ebd.: 36). Gerade diesen Aspekt betreffend, nehmen die im Bereich 270

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der literary-rhetorical critique zu verortenden Arbeiten – seiner Auffassung nach – eine herausragende Rolle ein. Erst mit Aufkommen der „rhetorical studies“ und dekonstruktivistischer Ansätze der Literaturkritik werde der Zusammenhang zwischen gültigem Wissen und literarischen oder sprachlichen Konventionen so konsequent und radikal aufgezeigt, dass ein Rückgang hinter diese Einsicht ernsthaft nicht mehr möglich sei. Erst mit Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus, behauptet Gergen an unterschiedlicher Stelle, wird die Kritik des augustinischen Sprachverständnisses wirklich „fundamental“. Gergen verteidigt hier eine semiotisch-postmoderne Sichtweise: Wenn linguistische Konventionen dasjenige begrenzen, was wir als real verstehen (können), so hat das zwei Vorteile. Erstens ist diese Begrenzung diskursiver Natur – und nicht den setzenden Akten des individuellen Bewusstseins (z.B. des Wissenschaftlers) zu verdanken (das hatte Gergen z.B. Kuhn und Hanson vorgeworfen). Zweitens ist damit der starke Konventionalismus, den Gergen vertritt, begründet: „The semantic link between world and word, signifier and signified, is broken“ (ebd.: 44). Die Welt selbst wird zum Text, insofern alle Phänomene nur sprachlich zugänglich sind, Zeichencharakter haben und interpretationsbedürftig sind. Es gibt in Gergens Texten viele Hinweise darauf, dass diese Variante einer textwissenschaftlichen Perspektive eine Sicht auf psychosoziale Phänomene ermöglicht, die seiner Konzeption von Sprache, Realität, Wahrheit und Subjekt am nächsten kommt (vgl. 1991, 1994: 262ff., 1999: 194ff.), wenngleich er selbst sich, wie erwähnt, lieber in der Nähe jener wissenssoziologisch, wissenschaftskritisch und interaktionistisch ausgerichteten Arbeiten verortet, von denen bereits die Rede war (vgl. 1994: 43f.; 1999: 76f.). Gergens Denkansatz gibt allerdings, so die hier vertretene Lesart, durch seine antiessenzialistische Pointe den Pragmatismus (etwa im Sinne eines internen Realismus: Kap. II, 3) preis, und die radikal kontextualistische These, dass es kein eigentliches Sosein der Dinge gibt, das in unser Verständnis dieser Dinge hineinragt, geht weit über die wissenssoziologische Relationierung und über die mikrosoziologische Analyse der Aushandlung unserer Begriffe hinaus. Gergen scheint in diesem Punkt stärker in der Postmoderne und im Dekonstruktivismus verankert als in wissenssoziologisch oder interaktionistisch orientierten Ansätzen. Allerdings gibt es Einschränkungen: Gergen kann sich, bei aller Verklärung der textwissenschaftlich-dekonstruktivistischen Position, gerade der „Textgebundenheit“ der ästhetischen Positionen eines Derrida, Deleuze oder Lyotard nicht uneingeschränkt anschließen (Gergen 1994: 47). Die ausschließliche Beschäftigung mit (schriftlichen) Texten, so Gergen, reicht nicht aus, sondern auch die „rhetorische“ Analyse 271

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

allgemeiner oder wissenschaftlicher Texte (d.h. die Analyse der tragenden Metaphern oder anderer linguistischer Besonderheiten wie etwa der Erzählform jener Texte) muss Texte als „Kommunikationen“ verstehen, welche die Leserinnen und Leser bewegen und sie zu etwas veranlassen. Die Beziehung zwischen Autorin und Leser, so Gergen, ist notwendige Bedingung dafür, dass wir von der textuellen „Konstruktion“ der Wirklichkeit überhaupt sprechen können (1994: 47). Diese Art der Analyse bezeichnet Gergen als „rhetorical studies“ (1994: 40) und möchte sie von der reinen „Textanalyse“ trennen. „Rhetorical studies“ in diesem Sinne sind Diskursanalysen. Der Begriff der Beziehung, der bei Gergen große Bedeutung hat, soll von einem anonymen Diskursbegriff wegführen: Die Rede ist schließlich von „relationships“ (also Beziehungen, wie sie zwischen Menschen bestehen) und nicht, wie im Strukturalismus, von „relations“ (also Relationen, die zwischen Abstrakta, Inhalten, Argumenten, Problemen usw. bestehen). Fraglich ist allerdings, ob die Analyse von Beziehungen im engeren, psychologischen Sinne mit dem apersonalen Diskursbegriff des Sozialkonstruktionismus wirklich zu vereinbaren ist. Ein bereits bekanntes Dilemma scheint sich auch hier zu wiederholen: Gergen möchte die Vorteile eines strukturalistisch-semiotischen Verständnisses von Sprache und Diskurs nicht missen. Damit ist auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Individuum und Kultur/Gesellschaft weniger drängend und die Zeichen erhalten ihre Bedeutung unabhängig von irgendeiner außersprachlichen Realität, ganz so, wie es die zentralen „Thesen“ des Sozialkonstruktionismus einfordern. Andererseits ist Gergen (in den späteren Büchern zunehmend deutlicher) der Ansicht, dass dies allein nicht ausreicht, und betont, dass die „tensions, negotiations and sudden turns in conversation […] constitute the world for what it is“ (1999: 77). Aus diesem Grunde möchte er auf die mikrosoziologische Perspektive und die Interaktion auch nicht völlig verzichten, allerdings bleibt sein Engagement für die Akteure aufgrund der subjektkritischen, antiindividualistischen Grundausrichtung halbherzig. Vielleicht deshalb sucht Gergen in The Saturated Self (1991) und in An Invitation to Social Construction (1999) nach Mitteln und Wegen, den Fokus der semiotisch-postmodernen Sichtweise von den (schriftlichen) Texten zur Lebenswelt der „postmodern culture“ zu verschieben. In beiden Büchern sind mehrere Kapitel solchen Bemühungen gewidmet: Mit Bezug auf Débord wird, unter dem Stichwort „media and manipulation“ die performative Auswirkung der Medien auf unsere „tägliche Existenz […] kritisch untersucht“ (1999: 197; Übers. B.Z.; vgl. 1991: 171ff.); auch Beaudrillard wird zitiert, um auf die politische Dimension des „swirl of signification“, der unser 272

DER SOZIALE KONSTRUKTIONISMUS

postmodernes Leben bestimmt, aufmerksam zu machen (1999: 200f.; vgl. 1991: 121). Mit „techno-communities“ und „cyborg-beings“ (1999: 212f.) schließt sich der Kreis. Besonders Michel Foucault, so Gergen, hat sich um die notwendige Verbindung von abstrakt-linguistischer, sozialer und kritischer Analyse bemüht und zugleich den Status und die Genese des modernen Subjekts kritisch analysiert. Gergens Auseinandersetzung mit Foucault nimmt nicht allzu viel Raum in seinen theoretischen Texten ein (was vielleicht auch dem eher in die Breite als in die Tiefe arbeitenden Rezeptionsstil zu verdanken ist). Gleichwohl drängt sich immer wieder auf, dass Foucaults Diskurstheorie in mancher Hinsicht mehr mit dem Sozialkonstruktionismus gemein hat, als die mikrosoziologisch angelegten, interaktionistischen Vorschläge eines Garfinkel oder Goffman. Zumindest Gergens umfassender Anspruch einer immer auch machtkritisch ausgerichteten Diskursanalyse ließe sich mit dem historischen Ansatz Foucaults eher als mit dem sprachpragmatischen Ansatz Wittgensteins oder Austins, bzw. den pragmatistisch orientierten Wissenstheorien Putnams oder Bourdieus verbinden (vgl. Foucault 1996: 42ff.; Kögler 1994: 40). Auch Foucault meinte schließlich, wie Gergen, die mikrosoziologische Perspektive zu integrieren und das Auseinanderfallen von Handlungs- und Strukturtheorie zu vermeiden (vgl. Lemke 1997: 265ff.). Der Mensch ist ein Erfahrungstier (1996) heißt einer der Bände mit Texten von und zu Foucault. Ihn interessieren die Regeln, wie Wissen und Wahrheit als reale Spielfiguren der Erfahrung funktionieren und produziert werden. Auch Foucault versteht unter Wahrheit nicht Urteile über Sachverhalte oder Zustände, die zu entdecken und als ewige, übergeschichtliche Wahrheiten abzubilden und zu akzeptieren wären. Solche Wahrheiten gibt es für ihn nicht. Vielmehr richtet sich sein Interesse auf „das Ensemble der Regeln, nach denen das Wahre vom Falschen geschieden und das Wahre mit spezifischen Machtwirkungen ausgestattet wird“ (1978: 53). Foucaults scheinbarer Relativismus ist der Versuch einer Kritik universaler Wahrheit durch das Aufzeigen verschiedener Wahrheitsdiskurse. In diesen existiert nach Foucault Wahrheit (vgl. Foucault 1985; Lemke 1997: 335). Und auch in Foucaults historischen Studien erscheint jenes moderne Individuum, das sich als selbstbestimmt oder als Sinnstifter wahrnimmt, als geschichtlich und diskursiv produzierte Realität. Foucault untersucht die Bedingungen dieser Subjektivität. Die Vorstellung einer autonomen Praxis, im Sinne eines substanziellen oder ursprünglichen Subjekts, das die gemeinsame Welt durch die ihm zueignen Strukturen, Fähigkeiten, Kompetenzen hindurch erlebt und erkennt, lehnt Foucault als Rückgriff auf ein Außerhalb der Sprache und der Soziali273

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

tät ab. Wenngleich Gergens Variante des Sozialkonstruktionismus explizit nicht unter die „Foucauldian studies“ eingeordnet wird (vgl. et35 wa Burr 2003) , so ist die Verbindung seiner Konzeption des Sozialen und des Interesses an linguistischen Konventionen als Ort und Begründung von Wissen zu makrotheoretisch angelegten diskustheoretischen Arbeiten immer dann prävalent, wenn es um die Aufrechterhaltung des kritischen Anspruchs der sozialkonstruktionistischen Theorie geht. Die tiefe Verankerung des Sozialkonstruktionismus in den Diskursen der Postmoderne ist in vielerlei Hinsicht sichtbar geworden: Der Soziale Konstruktionismus Gergens braucht die postmoderne Position, da ihm damit ein textwissenschaftlich-semiotisch fundierter, starker Konstruktivismus möglich ist. Auch die eklektizistische, selektive Lektürehaltung Gergens (die an einigen Stellen Fragen bezüglich seiner Rezeption anderer Theorien aufgeworfen hatte) stellt im Rahmen postmoderner Theoriebildung kein Problem dar, sondern ist gängige Praxis. Erstens ist die Intention des Autors, der postmodernen Textauffassung zufolge, für die Intention des Textes unmaßgeblich, und zweitens gibt es nicht nur keine eindeutig überlegene Lesart eines Textes, sondern jedem Text werden prinzipiell unendlich viele Bedeutungen und Interpretationen zugeschrieben (vgl. Eco 1992). In der Tradition der Postmoderne steht Gergen auch mit dem Anspruch, eine kritische Position zu beziehen, ohne selbst eigene normative Maßstäbe auszuweisen, sondern einfach diejenigen sozialen Kräfte unterstützen zu wollen, die am entgegengesetzten Pol zum Machtsystem stehen (hier wird Foucaults nicht-repressiver Machtbegriff umgangen, obwohl sich Gergen auf Überwachen und Strafen bezieht). Auch die Parallele zu Foucault, der für viele an der Postmodern interessierte Theoretikerinnen ein wichtiger Bezugspunkt ist (oder irgendwann einmal war), stützt die Zuschreibung einer postmodernen Grundposition. Diese lässt sich wiederum selbst damit plausibilisieren, dass Foucaults Methode in einigen Punkten dasselbe vorgeworfen wird, was 35 In seiner 2001 erschienenen Aufsatzsammlung Social Construction in Context verweist Gergen mit unterschiedlichen Argumenten und empirischen Beispielen auf die „limits of pure critique“ (2001b, Kap. 3). Mit einigen der dort vorgebrachten Argumenten steht er freilich im Gegensatz zu den Vertretern der „Focauldian studies“ (vgl. Willig 1999, Parker 1999), die sich im angelsächsischen Raum als Variante einer sozialkonstruktionistischen Psychologie etabliert haben, die auf die Analyse nicht-sprachlicher sozialer, institutionalisierter Praktiken im Sinne realer Machtstrukturen beharrt (vgl. auch Burr 2003).

274

DER SOZIALE KONSTRUKTIONISMUS

Gergens Kritiker ihm entgegenhalten: die Selbstwidersprüchlichkeit eines scheinbaren Relativismus, ein diffuser Macht- bzw. Kritikbegriff und ein nicht durchgehaltener Antinormativismus (Habermas 1985; Honneth 1985; Taylor 1988; Fraser 1994). Zudem steht auch Gergens Variante der postmodernen Persönlichkeit, deren „multiphrener“ Charakter (Gergen 1991) positiv herausgestellt und nicht zuletzt auf die Ästhetisierung des Alltags durch elektronische Medien zurückgeführt wird, ganz im Kontext der condition postmoderne (Harvey 1989). 2.4

Die Konsequenzen der diskurstheoretischen Ausrichtung des Sozialkonstruktionismus für seinen Wissensbegriff

Im Kontext unserer Analysen erscheint Gergens Konzeptualisierung als Versuch, die eher starre, strukturalistische Sprach- und Bedeutungskonzeption eines Saussure durch ein Bild von Diskursen zu ersetzen, das diese als soziale Sprachen zeichnet, welche sich aus den konkreten, alltäglichen Praxisformen der Rede und den sich daraus ergebenden Beziehungen, zugleich aber aus institutionell, kulturell und historisch vorgegebenen Ordnungsstrukturen und Konventionen des Sprechens ergeben. Die Gleichsetzung einer solchen, hier als diskurstheoretisch bezeichneten Auffassung, derzufolge eine anonyme Sozialität unser scheinbar individuelles Wissen (und Sein) durchdringt und – in radikaleren Varianten – sogar vollständig hervorbringt, mit der handlungstheoretischen, interaktionistischen Auffassung, dass wir die Welt, in der wir leben, in soziopragmatischen Prozessen aushandeln, ist allerdings unbefriedigend. Zwar transzendiert die soziale Alltagspraxis die Handlungsplanung des einzelnen Akteurs. Sie lässt sich jedoch nicht vollständig bestimmen ohne die subjektive Realisierung sozialer Regeln oder Bedeutungsgehalte, ohne die Frage danach, wie (kraft welcher Kompetenzen beispielsweise) der oder die einzelne am Diskurs partizipiert, seine Rolle mitgestaltet, symbolisch handelt, kommuniziert, antizipiert, interagiert, bzw. sogar kritisiert und sich emanzipiert (s. auch Kap. IV, 4). Die Rede von einer gemeinsamen oder sozialen Praxis wird oft auch als dritter Weg zwischen subjektiv-privater und objektiv-öffentlicher Perspektive verstanden (vgl. Bourdieu 1999; Giddens 1995). Gergens Beschreibungen der sozialen Praxis jedoch entgeht dieses Moment. Es ist bei Gergen die Rede von einer „gleichsam öffentlich zugängliche[n] Praxis“, nicht aber davon, dass die Handelnden in ihrem Interagieren Absichten verfolgen, Situationen einschätzen usw. (Laucken 1998: 307). Zum „pragmatischen Auffassungsraster“, das der 275

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Sozialkonstruktionismus gerne ins Feld führt, so Laucken, gehört aber beides: erstens handelnde Personen, zweitens die interaktive Koordination von Handlungen (ebd.). In Gergens Praxisbegriff scheint nur der zweite Aspekt bedacht, der Akteur (den man nicht als autonomes Subjekt verstehen muss) bleibt ausgespart. Die Weigerung, den Übergang von sozialen zu subjektiven Strukturen zu problematisieren, erscheint auch deshalb als Mangel, da damit ein Aspekt der theoretischen Fruchtbarkeit einer soziopragmatisch angelegten, postkognitivistischen Wissenspsychologie auf der Strecke bleibt. Wissenspsychologisch interessant wäre nämlich auch die Frage nach individuelle Kompetenzen und Repräsentationsmodi, die für die Partizipation an einer (zunächst fremden?) sozialen Praxis notwendig 36 sind. Diese müssen ja dennoch nicht ausschließlich „in den Köpfen“ der Individuen vermutet werden, sondern könnten als praktisches, sozial erworbenes (implizites) Wissen konzeptualisiert werden. Wir werden uns mit Vorschlägen, wie die sozialkonstruktionistischen Vorschläge auf wissenspsychologische Konzepte angewendet oder übertragen werden könnten, im abschließenden, fünften Kapitel befassen. Vertreter poststrukturalistisch ausgerichteter, subjektkritischer Positionen haben, im Gegensatz zu Gergen, der die Frage nach dem Bezug zwischen individueller Auslegung und diskursiv-sozialer Wissensbeständen explizit „auszuklammern“ empfiehlt (z.B. 1998: 171), das Verhältnis zwischen der Intentionalität der Subjekte und der anonymen Definitionsmacht des Diskurses durchaus thematisiert. So bezeichnet Foucault beispielsweise die Machtbeziehungen als strategisch, da sie zwar das Ergebnis von Interessen oder Absichten darstellen, aber niemals geplantes oder vorhersagbares Resultat der Absichten eines Individuums oder einer einzelnen Interessengruppe sind: „Die Machtbeziehungen sind gleichzeitig intentional und nicht subjektiv“ (Foucault 1995: 116). Es existiert kein Subjekt, das denkend und wollend die Intentionalität des Diskurses oder der Praxis bestimmen könnte, denn „die Leute wissen was sie tun; häufig wissen sie, warum sie das tun, was sie tun; was sie aber nicht wissen, ist, was ihr Tun 36 Es wurde im ersten Teil der Arbeit deutlich, dass hier ein Desiderat der kognitivistischen Wissenspsychologie liegt. Auch aus der handlungstheoretisch orientierten Kulturpsychologie wird mittlerweile häufig moniert, dass Situationen interkultureller oder intrakulturellen Kommunikation nicht als Repräsentationsproblem im Sinne objektivierbarer Bedeutungen zu verstehen sind, sondern als wechselseitiges interkulturelles Verstehen im Sinne eines pragmatisch fundierten Umgangs mit Differenz (vgl. z.B. von Cranach 1995; Straub 1999; s. Kap. V).

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tut“ (Foucault nach Dreyfus/Rabinow 1987: 219). Das Handeln finalisiert sich in Bezug auf ein gesellschaftlich entstandenes Ziel und das Subjekt, so Foucault, ist ein dadurch entstehender, den Regeln der Norm gehorchender Effekt (Foucault ebd.; vgl. Bönold 2003). Im Vordergrund von Gergens postmoderner Identitätstheorie steht, wie wir bereits sahen, die Kritik an der Überbewertung des Individuellen. Die Psychologie führe menschliches Handeln in der Hauptsache auf intrapsychische Ursachen und Quellen zurück, und so entstehe das Bild eines isolierten, im Kern solipsistischen Individuums. Beziehungen würden als Produkte ansonsten autonom funktionierender Individuen gesehen, das Soziale sei zweitrangig, abgeleitet vom Personalen. Gegen diese Einstellung setzt der Sozialkonstruktionismus, dass nichts, was die Entstehung und Entwicklung des menschlichen Selbst vorantreibt, auf Fähigkeiten oder Funktionen des Individuums zurückzuführen ist. Vielmehr wird die Bildung dessen, was wir als unser Selbst bezeichnen, durch soziale Prozesse und Handlungszusammenhänge in Gang gebracht und gesteuert (vgl. Gergen 1991, 1994, 1998). Im Folgenden soll gezeigt werden, dass sich für Gergens Modell des Selbst erhebliche Probleme ergeben, wenn es mit dem Anspruch, eine sozialkonstruktionistisch fundierte Psychologie vorzustellen, vereinbart werden soll (da diese eine Psychologie ohne Subjekt sein müsste). Das nun folgende Unterkapitel greift also einerseits ein zentrales Thema, das im Rahmen der bislang erörterten grundsätzlichen Fragen immer wieder auftauchte, ausführlicher auf. Andererseits sollen Gergens Konzeption eines postmodernen Selbst und die von ihm vertretene Auffassung der sozialen Natur von Emotionen als Illustration sozialkonstruktionistischer Forschung und Wissensbildung die Darstellung des Sozialkonstruktionismus abschließen.

3

Illustrationen sozialkonstruktionistischer Wissensbildung

3.1

Das relationale Selbst

Die Beschäftigung mit dem Begriff des Selbst zieht sich durch Gergens wissenschaftliche Karriere. Schon zu Beginn seiner Laufbahn und vor seiner Wende zum Social Constructionism befasste er sich mit Selbstkonzept-Theorien sowie mit Fragen der Selbstwahrnehmung und präsentation (Gergen 1968, 1969, 1971, 1985 u.a.). Seine wissenschaftsund gegenstandstheoretischen Überlegungen bis zur Entwicklung sei277

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

nen eigenen Ansatzes hat Gergen nicht zuletzt mit dem Ziel entfaltet, zu einer „social reconstitution of the individual“ beizutragen dies aber in „non-individualistic terms“ (1997: 234f.). In der Monographie The Saturated Self (1991; dt. 1996) präsentiert er seine Theorie des relational self. Das relationale Selbst oder (Beziehungsselbst) ist der Versuch, einen Begriff für die an der sozialen Praxis Beteiligten zu schaffen, mit dem nicht zugleich eine neue Variante des autonom handelnden und kognizierenden Individuums gesetzt wird. Gergen möchte dies über den Begriff der Beziehung erreichen: „From the constructionist standpoint, relationship takes priority over the individual self: selves are only realized as a byproduct of relatedness“ (Gergen 1994: 249). Seine Ausführungen in The Saturated Self beginnt Gergen, indem er einerseits die Veränderungen der „Sprache des Selbst“ im Lauf des 19. und 20. Jahrhunderts rekonstruiert und andererseits, hier ganz als Erfahrungswissenschaftler sprechend, die Lebensverhältnisse von Mitgliedern moderner bzw. postmoderner Gesellschaften beschreibt (Gergen 1990, 1991). Beides analysiert er im Hinblick darauf, welches Modell moderner Identität für die Lebenszusammenhänge postmoderner Gesellschaften adäquat ist. Seine identitätstheoretischen Überlegungen gehen daher zunächst von der Situation moderner Individuen aus und stellen die folgende Leitthese vor: Neu entstandene Technologien ermöglichen es Mitgliedern moderner Gesellschaften, direkte oder indirekte Beziehungen mit einem immer größeren Kreis von Personen aufzunehmen und zu unterhalten. Dies resultiert in einem Zustand der „sozialen Sättigung“, da sich neue Formen des BezogenSeins herausbilden, die immer beiläufiger und temporärer im Charakter werden. Die weitreichenden Folgen dieser neuen Beziehungsformen für das Selbstverhältnis jeder einzelnen Person und für die Art und Weise, in der Einzelpersonen zueinander in Beziehung treten, führen im Extremfall zur Auflösung des individuellen Selbst und zum Verlust jeglicher Identität. „The fully saturated self becomes no self at all“ (Gergen 1991: 6f.). Die meisten in The Saturated Self angeführten Illustrationen dieser These – es handelt sich um Anekdoten, Forschungsergebnisse, zuweilen biografische Situations- und Ereignisbeschreibungen und Romanzitate – sollen veranschaulichen, dass die postmoderne Lebensform eine gesteigerte Präsenz und Bedeutung sozialer Beziehungen zur Folge hat. So führt zum Beispiel die Tatsache, dass zwischenmenschliche Beziehungen nun häufiger und dadurch mit mehr Partnern eingegangen werden, in stärkerem Maße und in kontingenteren Richtungen zum Wechsel zwischen unterschiedlichen „Lebensformen“ als das früher der Fall war (1996a: 116f.). Aus dieser Beobachtung leitet Gergen 278

DER SOZIALE KONSTRUKTIONISMUS

ab, dass das Selbst immer stärker „bevölkert“ werde, dass also das Selbst einer Person durchsetzt von anderen Seinsweisen und Identitäten sei (vgl. 1996a: 123ff.). Einen ähnlichen Effekt schreibt er der Zunahme unseres expliziten und impliziten kulturellen Wissens zu, die sich ebenfalls der Verfügbarkeit der neuen Informationsmedien verdankt (indem wir z.B. aus dem Fernsehen etwas darüber wissen, welche Formen das Leben in anderen Kulturen annimmt). Auch dieses Wissen unterstützt, so Gergen, die „Bevölkerung“ des Selbst. Besonders das implizite Wissen – Gergen spricht von „knowing how“ – scheint für die allmähliche Veränderung unserer Selbstverhältnisse relevant: „We learn how to place such knowledge into action, to shape it for social consumption, to act so that social life can proceed effectively“ (1991: 69ff.). Dadurch steigt die Zahl derjenigen Situationen, in denen wir uns auskennen, in denen wir wissen, wie ein bestimmter sozialer Vorgang abläuft, was die eigene Rolle dabei ist und wie wir uns den anderen und der Situation gegenüber verhalten sollen. Diese Erweiterung und Pluralisierung implizit repräsentierter Wissensbestände trägt dazu bei, dass wir an mehreren Lebensformen teilhaben und dadurch unser Selbst von den Sicht- und Seinsweisen anderer durchdrungen ist: „[E]ach of us becomes the other, a representative, or a replacement […]. Selves have become increasingly populated 37 with the character of others“ (1991: 71). Die Fortsetzung der „population of the self“, also der Durchsetzung und Durchkreuzung des Selbst einer Person mit vielen anderen, führt dann dazu, dass das Selbstkonzept so stark fragmentiert wird, dass man irgendwann gar nicht mehr von personaler Identität reden kann. Die schwierige Aufgabe, über etwas zu sprechen, von dessen Auflösung man die Leserinnen oder Zuhörer eigentlich überzeugen möchte, versucht Gergen über das Bild unterschiedlicher Stimmen zu lösen. Die vielfältigen Beziehungen versorgen das Individuum mit einer Vielzahl inkohärenter und auseinanderstrebender ‚innerer‘ Stimmen, was wiederum zur Folge hat, dass für alles, was es über sich selbst zu wissen glaubt, andere Stimmen in ihm ‚antworten‘, die möglicherweise dieses sichere Wissen bezweifeln oder gar ablehnen. Das

37 Es wird allerdings auch wieder deutlich, dass es Gergen nicht um das psychologisch-theoretische Interesse an einer anderen Repräsentationsform sozialen oder kulturellen Wissens geht, sondern darum, dass dieses Durchsetzt-Sein mit konfligierenden Wissensbeständen zur Auflösung der Vorstellung führe, dass es einen individuellen Träger dieses Wissens geben müsse.

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heißt, diese Stimmen erzwingen eine Fragmentierung in unterschiedliche „selves“. Stellvertretend für die Vielzahl an inkohärenten und nicht miteinander verbundenen Beziehungen, ziehen sie uns nach unterschiedlichen Richtungen und laden uns zu widersprüchlichen Rollenübernahmen ein, so dass die Rede vom Selbst irgendwann keinen Sinn mehr macht: „[T]he very concept of an authentic self with knowable characteristics recedes from view“; die Identität des „fully saturated self“ löst sich auf (Gergen 1991: 6f.). All dies ist, wie gesagt, mit einer postmodernen Zeitdiagnose verknüpft, die über die Rekonstruktion der Veränderungen im Sprechen über das Selbst und anhand empirischer Veranschaulichungen der Bedingungen des aktuellen postmodernen Lebens vermittelt wird: Weder die romantische Auffassung eines Selbst als tiefere, nur bedingt dem rationalen Verstand zugängliche Instanz, noch die moderne Auffassung, derzufolge das Selbst ein beobachtbarer Teil einer komplexen „Maschine Mensch“ sei, würden den vielfältigen, multiplen Realitäten einer hochtechnisierten Welt gerecht: „As we enter the postmodern era all previous beliefs about the self are placed in jeopardy and with them the patterns of action they sustain“, schreibt Gergen (1991: 7). Der Postmodernismus, so Gergen, werfe endlich zeitgemäß das Konzept der einheitlichen, kohärenten Identität ganz über den Haufen, anstatt wieder eine neue Variante anzubieten: „The very concept of personal essences is thrown into doubt. Selves as possessors of real and identifiable characteristics – such as rationality, emotion, inspiration and will – are dismantled“ (1991: 7). Die für uns Heutige adäquate Sichtweise des Selbst wird damit durchaus positiv beschrieben: „Das Selbst ist nunmehr nichts als ein Knotenpunkt in der Verkettung von Beziehungen“ bzw. „der postmoderne Mensch ist vielmehr eine Art sozialer Konstruktion: er ist so, wie die anderen – und er selbst – ihn sich vorstellen“ (1991: 197). Wenngleich die These der Auflösung des Selbst nach postmodernem Nihilismus und Pessimismus klingen mag, ist dies nicht Gergens Absicht. Er selbst verbindet mit seiner Identitätstheorie durchaus den Anspruch, eine Art postmoderne Lebensform oder Existenzweise positiv zu visualisieren. Die subjektive Lebensqualität zum Beispiel werde durch die soziale Sättigung vielschichtiger, plädiert Gergen, jedes neue Selbst trage zu neuen, intensiven inneren Dialogen bei. Wir verfügten damit über „innere Stimmen“, „imaginäre Beziehungen“ und letztlich eben multiple Selbstkonzepte, die durchaus unvereinbar sein können, denn gerade dies könne auch dazu führen, dass man inmitten des Wirrwarrs eine neue Konstellation von Empfindungen und Kognitionen „entdecke“ und auf dieser Basis ein ganz neues Selbstverhältnis 280

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entwickle (ebd.: z.B. 69). Und wenn diese Stimmen konfligieren, als unvereinbar erscheinen? Auch dann bleibt das Bild durchaus positiv, denn es ist nun einmal „a typical condition of the individual to be in internal conflict: for each belief there exists a strong countertendency“ (1991: 72; vgl. Billig 1988). Sieht man diesen Zustand – der zuweilen darin resultiert, dass man bisweilen nicht mehr entscheidungs- oder handlungsfähig ist – als die Form von Subjektivität an, die in postmodernen, sozial differenzierten, multikulturellen Gesellschaften und Lebenswelten eben möglich ist, so ist es allerdings nicht richtig, ihn zu pathologisieren. Gergen betont, dass dieser Zustand nicht etwa nur leidvoll erlebt werden muss, er kann auch mit subjektiven Gefühlen der „Erweiterung“, des „Abenteuers“ einhergehen (ebd.: 73f.). Gergen selbst spricht – in Abgrenzung vom pathologisierenden „schizophren“ – vom Zustand der „Multiphrenie“: Die Bevölkerung und soziale Sättigung des Selbst führen dazu, dass ein kohärentes Selbst in TeilIdentitäten aufgespalten wird. Es entsteht ein multiphrener Zustand, in dem man in sich ständig verlagernden, verkettenden und widerstreitenden Seinsströmungen schwimmt. Dadurch wird es zwar zunehmend schwierig oder unmöglich, eine an der Vorstellung einer kohärenten Identität orientierte Existenzweise zu leben – aber: „the way is open for the postmodern being“ (ebd.: 80). Diese postmoderne Form der Identität muss jedoch, meint Gergen, erst neu geschaffen werden (auch dies setzt er dem postmodernen Nihilismus, den seine Ausführungen zum Selbst an mancher Stelle suggerieren, entgegen) – und zwar als eine Identität, die aus den Beziehungen zu anderen entspringt. Das wahre, unabhängige Selbst verliert genau dann seine Erklärungskraft, wenn wir bereit sind, es durch die Realität des Bezogenseins zu ersetzen oder, einfacher gesagt, durch „transformation of ‚you‘ and ‚I‘ to ‚us‘ “ (ebd., S 156). Das „sozial übersättigte Selbst“ bzw. das „Beziehungsselbst“ möchte Gergen als konstruktive Umgestaltung der de(kon)struktiven postmodern-nihilistischen Absage an das Selbst 38 verstanden wissen. Es stellen sich bereits hier viele Fragen, die sowohl die intrapersonale Realisierung einer solchen multiphrenen Existenz als auch das Zusammenleben und die Form der Beziehungen betreffen, die zwischen jenen ent-individualisierten postmodernen Menschen möglich 38 Zur Kritik des relational self vgl. z.B. die Kommentare von Mitchell G. Ash (1990), Jerome Bruner (1990a) und Thomas Luckmann (1990) in der Psychologischen Rundschau (Heft 41); sowie die Beiträge von Wenzel (1995); Diehl (1994) sowie Straub (2000).

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sind. Gergen gibt lange keine Antwort auf diese Fragen, sondern begnügt sich – etwa in The Saturated Self, also in der ausführlichsten Darstellung seines Identitätskonzepts – mit der Beschreibung des Beziehungsselbst und auch des multiphrenen Zustandes und der wiederholten Problematisierung des Zwangs zur kohärenten und konsistenten Identität (s.o.). Dabei wird die Möglichkeit eines multiphrenen postmodernen Menschen von Gergen – hier mit deutlichem Blick auf Foucault – nicht zuletzt damit plausibilisiert, dass das Gegenstück dieses Menschenbildes, also die Vorstellung des rationalen, über Intentionalität verfügenden Individuums, dekonstruiert und als Ergebnis überindividueller, Hegemonialität beanspruchender, von Machtansprüchen durchsetzter Diskurse und institutionalisierter Praktiken entlarvt wird (z.B. 1991: 96ff., 106). Fazit: Das individualistische Selbst, so Gergen, verdankt sich bestimmter (hegemonialer) Arten der Rede, die andere Arten der Rede, deren „byproduct“ auch ein anderes Bild des Selbst sein könnte, ausschließen. Gergen wird auch hier an vielen Stellen deutlich normativ, so etwa bei der wiederholten polemischen Argumentation gegen die, wie er meint, typisch moderne Auffassung des Selbst: „[I]f we are all isolated individuals then self-gain is to be preferred to the gain of others“ (1991: 96) bzw. bei rhetorischen Fragen wie dieser: „[D]oesn’t the presumption of real and actual selves render society more rigid, and oppression more compelling“ (ebd.: 99)? Auch Gergens Versuche zu beschreiben, was in diesen Beziehungsnetzen dann Kommunikation oder Verstehen sein kann, und wo bzw. zwischen welchen Entitäten sich diese Prozesse ereignen, enden zumeist mit dem Verweis auf trans-, nicht intersubjektive Symbolsysteme, in denen die (Einzel-)Handlung nicht unbedingt vorkommt. Neben einem makrotheoretisch angelegten Diskursbegriff (im Sinne Foucaults oder Butlers) werden dabei die unhintergehbare, transsubjektive Struktur des Vorverständnisses (im Sinne der philosophischen Hermeneutik) und dekonstruktivistische Text- oder Bedeutungsbegriffe (etwa in Anlehnung an Stanley Fish, Roland Barthes oder Jacques Derrida) vereinheitlichend als Belege der globalen These angeführt, dass „commonsense conventions“ alle wissenschaftlichen Interpretationen und alltagsweltlichen Deutungen und überhaupt alle Verstehensleistungen determinieren (1991: 104f.). Das alles will nun nicht mehr recht zur kommunikativ strukturierten „fundamental reality of relatedness“ (z.B. ebd.: 139) passen. Was meint kommunikativ, was Bezogenheit und was meint überhaupt sozial, wenn die Vorstellung, dass zu Beziehungen mit Intentionalität ausgestattete Partner oder Teilnehmerinnen, dass zur Beziehungsarbeit nicht nur Bezogenheit, sondern auch Abgrenzung gehört und dass zu 282

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Handlungen nun einmal (auch) Akteure gehören, laut Gergen als überkommen abgelegt werden muss? Kultur und soziale Handlungspraxis werden in der Theorie des Sozialen Konstruktionismus zum Text. Und: „If the texts of the culture are without authors, actions are without underlying agents“ (ebd.: 106). Dann lässt sich freilich folgern: „The individual slowly disappears into the greater dance of communal life“ (ebd.: 110). 3.2

Gergens Abgrenzung zu anderen sozial- und kulturpsychologischen Theorien des Selbst

Gergen grenzt das Konzept des relational self in späteren Texten gegen andere psychologische Ansätze ab, die das Individuum als „sozialen Akteur“ konzeptualisieren (1997, 1999). Dabei wird sehr unterschiedlichen Autoren, deren Theorien z.T. auch in der vorliegenden Arbeit besprochen wurden, etwa George A. Kelly, Lew Wygotski, Frederic Bartlett und George Herbert Mead und auch Jerome Bruner und der neueren Kulturpsychologie nachgesagt, sie blieben am selbstgesteuerten, rational handelnden, sozial unabhängigen Individuum interessiert, anstatt dieses durch eine fundamental kulturelle oder soziale Konzeptualisierung zu ersetzen (1999: 123f.). Gergens Kritik an diesen von ihm häufig als „traditionell“ bezeichneten Arbeiten läuft also in allen Fällen darauf hinaus, dass sie zwar brauchbare Ansatzpunkte für eine sozial fundierte Identitätstheorie bieten, jedoch an einem bestimmten Punkt scheitern: Sie unterlaufen das individuozentrische Modell nicht radikal genug, auch sie geraten in die Fallen unserer Sprache, indem sie es nicht vermeiden, das Individuum oder individuelle Kapazitäten als vorgängig vorauszusetzen. 39 Das gilt in Gergens Augen für George A. Kellys Konstrukttheorie wie für George Herbert Meads Auffassung der Genese der Identität aus dem sozialen Prozess. Meads Begriff des Selbst wird bei Gergen zu dem eines „cultural carrier“, der zwar durch soziokulturelle Einflüsse geprägt, letztlich jedoch durch die sich aus den eigenen, internen Strukturen ergebenden Fähigkeiten und Möglichkeiten bestimmt sei. In Meads sozialer Identitätstheorie, meint Gergen, müsse die zur (Selbst-)Reflexion fähige Einzelperson die anderen erst wahrnehmen und erfahren, bevor ein soziales Selbst aus dem interaktiven Prozess symbolischer Kommunikation emergieren könne: „For Mead, one is 39 Vgl. zur Kritik der Konstrukttheorie aus sozialkonstruktionistischer Sicht Kap. III, 4.

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born into the world as a private subject, and as a private subject must come to ‚experience‘ others and then, mentally, ‚take the role of the other‘ in order to develop higher thought“ (1999: 124; vgl. dazu Kap. V, 2.2, 2.4). Ähnlich fällt das Urteil über Lew Wygotskis Begriff des menschlichen Geistes aus: Er verschreibe sich dem „enigma of explaining how the cultural understandings are incorporated into the individual mind“ (ebd.: 127). Gerade unter der offenkundigen Hereinnahme des sozialen Prozesses in die Konzeptualisierung des Selbst spürt Gergen jenes „strong element of individualism“ auf, das der Sozialkonstruktionismus bei seiner Konzeption des Selbst vermeiden 40 will. Gergen ist der Ansicht, dass allein sozialkonstruktionistische Ansätze sich konsequent dagegen wenden, die Realität ihres Gegenstands vor seiner kulturellen Gestaltung anzunehmen. Sie machen erkennbar, dass der grundlegende Charakter des psychischen Funktionierens selbst erst kulturell hergestellt und geformt wird (1997; 1999: 123f.). Für die wissenschaftlich-psychologische Charakterisierung des Selbst bedeutet dies, dass man sich nicht länger mit der möglichst detaillierten Beschreibung interner psychischer Prozesse und Funktionen begnügen sollte, nicht einmal mit dem Zugeständnis eines kulturell (mit-)bestimmten Bedingungsgefüges, welches die Art und Beschaffenheit des Selbst nur beeinflussen kann. Für eine Sichtweise, die darüber hinaus geht, so Gergen, biete die Psychologie allerdings nur dürftige theoretische Quellen (eine Ausnahme seien etwa ausgewählte Arbeiten Sullivans und Wygotskis), es sei daher notwendig, nach anderen, nicht-psychologischen Theorietraditionen zu suchen. Zu recht beziehe sich etwa der Psychologe Edward E. Sampson (1981) wie Gergen selbst auf Wittgensteins Spätwerk und auf Bachtins Theorie des Romans, um zu argumentieren, dass „alle Bedeutung, auch die Bedeutung des eigenen Selbst in sozialen Prozessen wurzelt“ (Sampson 1981: 99); und auch John Shotter (1994) suche theoretische Bezüge für sein 41 sozialkonstruktionistisches Menschenbild bei Vico und Garfinkel. 40 Dass diese Rezeption in den erwähnten Fällen und insbesondere für die neuere Kulturpsychologie (die Gergen ebenfalls hier einordnet) zu kurz greift und an welchen Punkten die vereinheitlichende Darstellung Gergens der Unterschiedlichkeit dieser Ansätze nicht gerecht wird, wird im folgenden Kapitel noch eingehend besprochen. 41 Wie unsere Analyse gezeigt hat, fällt Gergens Rezeption der ‚traditionellen‘ psychologischen Arbeiten zuweilen etwas vereinheitlichend aus (vgl. auch Zielke 2002). Dennoch ist Hans Westmeyer beizupflichten, der in seiner instruktiven Einleitung zur deutschen Übersetzung von An

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Auch die kulturpsychologisch orientierten Persönlichkeitspsychologen Hubert J. M. Hermans und Harry J. G. Kempen (1993) haben mit dem Konzept des dialogischen Selbst einen Versuch vorgelegt, das Individuum völlig in sozialen Zusammenhängen aufgehen zu lassen. Psychische Prozesse, Funktionen oder Zustände (z.B. Emotionen, Intentionen oder Handlungen) gelten diesen Autoren, ganz ähnlich wie Gergen selbst, als „rhetorical actions“, quasi, wie Gergen schreibt, als „byproducts“ des Beteiligtseins an dialogischen Kommunikationen (Gergen 1997). Mit Gergen verbindet Hermans und Kempen wohl auch der Anspruch, dass ihr Selbstkonzept die „kulturell bedingten Grenzen von Individualismus und Rationalismus transzendier[e], und das Selbst nurmehr als eine „Vielheit an Positionen“ („multiplicity of positions“) zu verstehen sei (Hermans/Kempen/van Loon 1992: 29). Sie greifen das Konzept der Narrativität als wichtiges Moment moderner Identität auf und führen aus, dass man diese Positionen auch als unterschiedliche „I-positions“, also Ich-Positionen innerhalb einer erzählten Lebensgeschichte verstehen kann; man könnte auch von den „Akteuren“ der Lebensgeschichte sprechen. Dabei ist allerdings wichtig, dass es sich nicht um unterschiedliche Facetten einer Persönlichkeit handelt, die durch ein zentrales Selbst kontrolliert und gesteuert werden, sondern diese Positionen können tatsächlich widersprüchliche Persönlichkeiten darstellen. Sie sind eben Stimmen, „voices by which the „I in one position can agree, disagree, understand, misunderstand, oppose, contradict, question, and even ridicule the I in another posi42 tion“ (Hermans/Kempen/van Loon 1992: 29). Hier kann Gergen sich anschließen (und auch er zieht Bachtin heran, vgl. Gergen 1999: 129f.): Das Selbst ist eigentlich nur ein Verknüpfungspunkt im Geflecht seiner aktuell bestehenden Beziehungen, aus denen die individuellen Funktionen sich nicht herauslösen lassen. Es ist nicht nur die Einbettung eines ansonsten substanziellen Selbst in soziokulturelle Zusammenhänge und Beziehungen gemeint, sondern das Selbst im Sinne Gergens (und auch im Sinne Hermans und KemInvitation to social construction betont, dass Gergen es in diesem Buch im Gegensatz zu anderen Vertretern postmoderner Positionen vermeidet, mit einer offen zur Schau getragenen, „imperialistischen Attitüde“ gegen die von ihm als ‚traditionell‘ bezeichneten Ansätze aufzutreten (Westmeyer 2002: 3). 42 Im Unterschied zum relational self steht für das Konzept des dialogical self auch die Konzeption von Leiblichkeit im Sinne Merleau-Pontys Pate: Der Leib ist in der Theorie von Hermans und Kempen immerhin der Ort, an dem die unterschiedlichen I-positions sich jeweils einfinden.

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pens) existiert überhaupt nur als fiktiver Ort, an dem sich unterschied43 liche Arten sozialer Beziehungen überschneiden. Allerdings kritisiert Gergen, dass Hermans und Kempen sich nicht genug darum bemühten, „die sozialen oder politischen Konsequenzen ihres Ansatzes zu artikulieren“ (Gergen 1997: 730f.; Übers. B.Z.). Dagegen vertritt Gergen, dass der multiphrene Mensch durch sein vielfältiges kulturelles Wissen und die Hereinnahme anderer Perspektiven toleranter und in gewisser Weise demokratischer eingestellt sein müsse als ein ich-bezogenes, kohärentes Selbst im Sinne moderner Identitätstheorien (vgl. Gergen 1991: 99). Resümierend lässt sich sagen: Das von einer Vielzahl widerstreitender Stimmen ‚besetzte‘, voll entwickelte poly- oder multiphrene Selbst muss sich reflexiv als „Text neben anderen Texten“ (Wenzel 1995: 121) verstehen können. Es muss selbst wissen, dass es bare Konstruktion ist und den damit verbundenen Identitätsverlust zu einer demokratischen Haltung den inneren Brüchen und Widersprüchen gegenüber stilisieren. Es muss gänzlich ohne Kohärenz und Kontinuität auskommen. Es bleibt aus sozialpsychologischer Sicht unklar, wie diese Art von Identität der Person in der Lage sein soll, so tief in sozialen Beziehungen verankert zu sein, wie Gergen es dem Beziehungsselbst zuspricht. Zur Aufnahme von (intimen) Beziehungen gehört wohl die Fähigkeit zur Bindung, auf jeden Fall aber ist es notwendig, die verschiedenen Stadien der Beziehung gemeinsam auszuhandeln (Argyle 1992). In diesem Sinne erfordert eine tiefer gehende soziale Beziehung auch immer wieder die Fähigkeit und die Bereitschaft, eine eigene und (zumindest minimal) kohärente Position zu beziehen oder einen Standpunkt einzunehmen. 3.3

Identität als ‚byproduct‘ der Erzählung oder ‚narrative Identität‘?

Wie viele psychologische Ansätze, die sich kritisch gegen die Vorstellung wenden, Identität sei notwendig mit der (angestrebten) Einheit der Person verbunden, greift auch Gergen philosophische, sozial- und kulturwissenschaftliche Diskurse zum Konzept einer narrativen Identität auf (vgl. Gergen 1991, 1994, 1998, 1999; Hermans/Kempen 1993; 43 Die Ansätze von Shotter (1994) sowie Edwards’ und Potters Diskursive Psychologie (ebd. 1992) erwähnt Gergen ebenfalls als seiner eigenen Position verwandte psychologische Arbeiten, allerdings beziehen sie sich nur am Rande auf Fragen der Identität und des Selbst.

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Shotter 1994; Sarbin 1984; Edwards/Potter 1993). Wir werden allerdings sehen, dass die theoretische Bestimmung des Selbst als narrative Identität im Sozialkonstruktionismus eine eigene Konnotation erhält. Die besondere, identitätskonstitutive Bedeutung der Sprachform Erzählung bleibt ihr auch aus sozialkonstruktionistischer Sicht unbenommen. Allerdings liegt die Betonung, so etwa in Gergens 1998 erschienenem Aufsatz Erzählung, moralische Identität und historisches Bewusstsein, darauf, dass die Erzählung zum „Bereich des Diskursiven“ gehört (ebd.: 171). Diese auf den ersten Blick trivial erscheinende Zuordnung ist bei näherer Betrachtung der Auftakt zur zentralen Argumentationslinie im sozialkonstruktionistischen Diskurs über den Zusammenhang von Identität und Erzählung. Denn sie ist als Hinweis darauf zu lesen, dass in diesem Diskurs subjektive (mentale, kognitive, affektive) Aspekte des Erzählens keine nennenswerte Rolle spielen. Damit verlieren jene narrationspsychologischen Betrachtungsweisen Geltung, die das Erzählschema als – wenngleich nicht abbildartige – Entsprechung eines kognitiven Schemas verstehen und daraus Schlüsse über bestimmte sprachlich-kognitive Kompetenzen, Entwicklungsstufen oder aber das Selbstverhältnis der Erzählerin ziehen (vgl. Engelhardt 1990; Boueke et al. 1995; Straub 1989, 1998). In einer sozialkonstruktionistisch inspirierten narrativen Psychologie dagegen interessieren weder die sprachlich-kognitiven Kompetenzen, die Subjekte zum Bilden einer Geschichte benötigen, noch wird die Erzählung als Mittel verstanden, das Denken, Fühlen, Handeln von Menschen aus wissenschaftlicher Sicht als komplexes, zeitlich strukturiertes Phäno44 men zu beschreiben, zu verstehen oder zu erklären. Wenn Gergen von narrativer Identität spricht, beschreibt er vornehmlich historisch-kulturelle Konventionen des Sprechens (und Schreibens) über das Selbst. So sagt etwa die Art und Weise wie Erinnerungen vergangener Ereignisse und Handlungen narrativ präsentiert werden, nicht allzu viel über interne kognitive Prozesse und Zustände (etwa Gedächtnisfunktionen oder narrative Kompetenzen) der erzählenden Person aus, sondern das Konzept ‚Erinnern‘ ist selbst ein „diskursives Artefakt“ (1998: 191). Daher ist es wichtig aufzuzeigen, dass Erinnerung genau dann hergestellt wird, wenn soziale Systeme oder Gruppen übereinkommen, unter bestimmten Bedingungen bestimmte 44 So wie es etwa in neueren gedächtnispsychologischen Arbeiten (Boueke et al 1995; Straub 1998), Arbeiten aus dem Bereich der psychologischen Biographieforschung oder in psychologischen Forschungen zum Geschichtsbewusstsein (Kölbl 2004; Seitz 2004) geschieht.

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Handlungen als (Resultate von) Erinnerungen oder Belege für Gedächtnis zu bezeichnen und andere nicht. Zur diskursiven Konstitution von Erinnerung kann auch die Einbindung des Erinnerten in ein wohlgeformtes Narrativ beitragen: „To ‚remember properly‘ is to generate a story replete with all the earmarks of the well formed narrative“ (Gergen 1998: 191). Narrative Identität als „diskursive Leistung“ bringt erst die Fiktion dessen, was wir Identität nennen, hervor, etwa indem wir uns durch die Präsentation einer autobiographischen Erzählung als Subjekt versprachlichen (müssen), wenn wir beispielsweise das Pronomen ‚Ich‘ verwenden. Durch diesen und weitere sprachliche Akte erst erlangen wir das Gefühl dafür und den Status, Individuen mit besonderen Eigenschaften oder Fähigkeiten zu sein. Durch die Erzählung wird Identität in ihrer modernen, temporalen Form (Leitner 1982) intelligibel und die Erzählung selbst zum Instrument, das Intelligibilität herzustellen vermag (vgl. Gergen 1998: 188ff.). Die typischen Merkmale der Erzählung sowie das Auftauchen autobiographischer Erzählungen in unterschiedlichen kulturellen Institutionen (vgl. Hahn/Kapp 1988) können also dem Diskursanalytiker Aufschluss darüber geben, was in einer bestimmten Kultur in einer bestimmten Epoche, also unter bestimmten historischen und kulturellen Bedingungen intelligible Selbstverhältnisse waren oder sind (Gergen 1998: 181). Es gibt allerdings keinen „zwingenden Grund“ dafür (ebd. 1998: 176), diese bewährten formalen Merkmale der Erzählung als allgemein gültig und konstitutiv für die Erzählung an sich zu verstehen bzw. die in der Erzählung konstituierten Selbstverhältnisse als eine sich genuin ausdrückende, auf Kohärenz und Konsistenz angewiesene, narrative Identität anzuerkennen. Im Gegenteil: Gergen zufolge zeigt schon ein kurzer Blick in Werke moderner oder postmoderner Literatur, etwa in die Arbeiten von James Joyce, Milan Kundera, Thomas Pynchon oder Don de Lillo, dass Erzählungen gar nicht so sehr auf Kontinuität und Kohärenz angewiesen sind, wie es die sozialwissenschaftliche Erzählforschung unterstellt (vgl. Gergen 1994: 185f.). Das heißt für die sozialkonstruktionistische Auffassung dann auch, dass possible selves nicht auf die in den Sozialwissenschaften gemeinhin in Anspruch genommene narrative Form der Sinnbildung festgelegt sein dürfen. Deshalb hebt die sozialkonstruktionistische Auslegung eines narrativen Selbst stets auf die Möglichkeiten des Erzählenden ab, Form und Inhalt der Selbstpräsentation – wiederum nach vorgegebenen soziokulturellen Mustern – zu variieren und dadurch auch aus dem „klassischen“ Identitätsmodell auszubrechen. Man kann demnach durchaus unterschiedliche Selbsterzählungen bilden und sogar ver288

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schiedene Varianten parat haben, in denen man sich selbst sogar widersprüchlich darstellt. Solche Varianten mögen einander ergänzen wie die Steine eines Mosaiks, sie können einander aber auch widersprechen oder widerstreiten und sich der Integration in eine einheitliche, kohärente und kontinuierliche Form widersetzen. Sie variieren in Abhängigkeit vom „relational context“ (1994: 206), in dem man gerade spricht und handelt. Dafür sind Kompetenzen der Erzählerin erforderlich, die sich von den traditionellen Kriterien gelingender Identität unterscheiden: „One acquires not a deep and enduring ‚true self‘, but a potential for communicating and performing a self“ (ebd.). Das erzählende Selbst wird nach dieser Auffassung zu einem radikal kontextund situationsabhängigen, möglichst variantenreichen und versierten Selbst-Darsteller. Die aus den Literatur- und Textwissenschaften (Frye 1957), der Semiotik (Propp 1968), der Historiographie (Mink 1969) oder der psychologischen Erzähl- und Gedächtnisforschung (Labov/Waletzki 1973; Mandler 1984; Straub 1989, 1997) bekannten formalen Merkmale der Erzählung sind in den Augen der sozialkonstruktionistischen Erzählforscherin bei alledem nicht ohne Bedeutung. Dazu gehören strukturelle Aspekte wie der um die Komplikation der Erzählung herum aufgebaute Plot, die Auswahl von Ereignissen, deren Ordnung oder An45 ordnung im Sinne bestimmter Konventionen ebenso wie die kohärente Identität zumindest eines Charakters (Gergen 1994: 190, 1998: 173ff.). Gergen unterscheidet sich, wie er selbst meint, allerdings von anderen narrationsanalytischen Arbeiten durch die „Vermeidung universalistischer Annahmen“ und ein Verständnis der narrativen Konstruktionen als „historisch und kulturell kontingent“ (1994: 190; Übers. B.Z.). Weder die Bedeutung bestimmter Ereignisse, die typische „Endpunkte“ (Gergen 1998) von Erzählungen sind, noch die formale Notwendigkeit, dass eine Erzählung eine Komplikation aufweisen muss oder die in ihr berichteten Ereignisse in kohärentem Zusammenhang stehen müssen, sagen etwas über kulturübergreifende Formen der Sinnbildung oder über das Selbstverhältnis von Menschen. 45 Auch die Ordnung von Ereignissen entsprechend einer linearen zeitlichen Abfolge kann konventionelle Gründe haben. Die scheinbar selbstverständliche, in der Regel für die Nachvollziehbarkeit durch den Zuhörer oder die Leserin notwendige zeitliche Abfolge in der Anordnung der erzählten Ereignisse ist nicht unbedingt ein kulturübergreifender Universalismus, sondern Gergen nimmt Bachtins Konzept der Chronotopes in Anspruch: „That yesterday preceded today is a conclusion demanded only by a culturally specific chronotope“ (1998: 175).

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Analysen von Erzählungen können die stereotypen Erzählweisen in einer Kultur oder Sprachgemeinschaft anhand typischer struktureller wie inhaltlicher Kennzeichen identifizieren und zweitens ihre sozialintegrativ oder intrapsychisch-identitätskonstitutiv wirksamen Funktionen herausarbeiten. Damit weisen sie den konstruierten Charakter scheinbar natürlicher psychischer Phänomene, Prozesse, Funktionen oder eben auch Identitäten aus. In diesem Sinne interessiert neben allen rhetorischen Mitteln, durch die einer Erzählung Intelligibilität verliehen wird, auch die pragmatisch-interaktive Basis des Erzählens, also die Art von Beziehung, die man durch die soziale Situation des Erzählens und durch die Ausgestaltung des Inhalts mit unterschiedlichen anderen eingeht. Durch welche dramaturgischen Mittel, so fragt Gergen beispielsweise, konstituiert sich die Erzählerin als eigenständig entscheidende Akteurin in einem Handlungs- und Beziehungszusammenhang; wodurch gibt sich der Erzähler eine kohärente, konsistente Identität über die Zeit? Was kann man durch die Einhaltung der Regeln für eine wohlgeformte Geschichte erreichen, und was verliert man, sofern man sich nicht an formale und inhaltliche Charakteristika hält (z.B. Glaubwürdigkeit eines Plädoyers vor den Geschworenen)? Welche Art von (Selbst-)Präsentation lässt die Erzählung überhaupt zu und welche Art von Identität nötigt sie damit den Subjekten auf (Gergen 1998: 178ff., 185)? Dies alles bedenkend sollte sich die sozialwissenschaftliche Erzählforschung nicht mit dem Ziel begnügen, die typischen Merkmale der Erzählung oder den Zusammenhang zwischen Erzählung und einer bestimmten, diachronen Form der Identität festzuhalten – und dadurch auch noch performativ zu bekräftigen: So fruchtbar und erhellend diese Bestimmung und Systematisierung bestimmter typischer formaler oder inhaltlicher Merkmale von Erzählungen erscheinen mag, sollte eine in diesem Feld tätige Sozialforscherin doch stets im Auge behalten, dass eine praktisch unendliche Anzahl möglicher Arten und Formen der narrativen Selbstpräsentation vorstellbar ist. Schließlich, so Gergen, verdankt sich die Form der Erzählung soziokulturellen, historischen Bedingungen, nicht viel anders als Bekleidungsmoden oder Berufsvorstellungen, und kann sich daher auch im selben Ausmaß verändern (vgl. Gergen 1998: 178). Vertreterinnen und Vertreter der sozialwissenschaftlichen Erzählforschung sollten stets mit einer Vielzahl weiterer, ganz unterschiedlicher Erzähl- bzw. Darstellungspraktiken

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rechnen oder sogar nach diesen suchen, um das verfügbare Repertoire 46 potenziell sinnvoller oder intelligibler Geschichten zu erweitern. Die sozialkonstruktionistische Position unterschlägt eine spezifische Leistung narrativer Konstruktionen. Die Bedeutung der Erzählung als spezieller Form des Sprechens liegt für viele Vertreter der sozialwissenschaftlichen Narrationsforschung darin, unterschiedliche Haltungen, Ich-Positionen, Persönlichkeits- oder Identitätsfragmente, Aspekte der Selbstwahrnehmung und -präsentation usw. so aufeinander zu beziehen, dass deren Differenz nicht eingeebnet wird, sie aber dennoch in einen diachron geordneten Sinnzusammenhang integriert werden können (vgl. von Engelhardt 1990; Straub 1999). Die Erzähltheorie Ricoeurs (1988) etwa hat den Anspruch, die durch die Erzählung (wie durch die Metapher) erzeugte ‚Einheit‘ explizit als Einheit von Differenzen zu verstehen – das gerade macht den besonderen Wert des narrativen Ansatzes für die Identitätstheorie und -forschung aus. Die spezifische, zeitkonstitutive Struktur der Erzählung, in der ja Ereignisse nacheinander beschrieben werden müssen und dadurch in eine subjektiv und sozial sinnhafte Ordnung gebracht werden, ermöglicht es, sehr heterogene Identitätsaspekte in einer autobiographischen Erzählung im Sinne einer Art Entwicklungsgeschichte zu verbinden, ohne sie einander auf synchron beschreibender Ebene unter Verwendung bestimmter Äquivalenzbeziehungen zuzuordnen (vgl. Leitner 1982; Straub 1989, 1999; Koller 1994). Gergen widmet diesem Spezifikum wenig Aufmerksamkeit. Für ihn birgt die Tatsache, dass Selbsterzählungen die Einheit einer scheinbar völlig „fragmentierten“ Persönlichkeit als Einheit über die Zeit repräsentieren könnten, in erster Linie das Moment des Zwangs zu Kontinuität und Kohärenz. Nicht zuletzt gerät auch die Vision des postmodernen Selbst unter den Druck performativer Selbstwidersprüche, sobald Gergen den macht- und herrschaftskritischen oder kultur- und gesellschaftskritischen, mit einem Wort: den explizit emanzipatorischen Anspruch des Social Constructionism geltend macht. Welches Subjekt könnte hier

46 Der Verweis auf postmoderne Literatur und die dort feststellbaren Verschiebungen z.B. was Kontinuität, Zeit, Autorenperspektive usw. betrifft, bleibt nicht aus. Gergen verweist auch auf die zuweilen über das Stilmittel Ironie realisierte Tendenz, so selbstreflexiv zu werden, dass die eigene Existenz als Kunstform zum Text wird und die eigene Wirkung als Ergebnis narrativer Strukturen explizit gemacht wird. Diese Tendenz sieht Gergen z.B. bei Milan Kundera, James Joyce.

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als Gergens Adressat fungieren, und wie sollte man diesen Adressaten „denken“? Mit Blick auf narrative Identitätstheorien, die dem zum eigenständigen Handeln fähigen Subjekt nicht ganz den Rücken kehren, dennoch aber Fragmentiertheit und Differenz des Subjekts in ihren Entwürfen betonen, lässt sich abschließend sagen: Gergens Auffassung der narrativen Identität entgeht, wie vielen anderen postmodernen Kritiken, die sich pauschal gegen ‚moderne‘ Theorien personaler Identität wenden, dass es bei diesem trotz der Aufrechterhaltung einer Identität um die Verabschiedung eines „starken Subjekts“ geht, das vermeintlich über soziokulturellen Zwängen und Machtdispositiven steht (vgl. Straub/Zielke/Werbik 2004). 3.4

Emotion als Inszenierung

Wir haben bereits in Kapitel IV, 2 gesehen, welche Konsequenzen Gergen aus der Priorisierung des Sozialen über das Individuelle für die Betrachtung aller weiteren psychologischen Konstrukte und Begriffe ableitet: Theorien, die dekontextualisiert von der Praxis betrachtet werden sollen, kann der Sozialkonstruktionismus keine Aussagekraft über ihren (vermeintlich) empirischen Inhalt zumessen, denn sie erhalten ihre Bedeutung nicht dadurch, dass sie auf etwas Innerpsychisches (oder Gegenständliches) verweisen, sondern durch die Aushandlung ihrer Bedeutung in der Sprache einer Kultur oder Gesellschaft. Dort werden auch psychische Interna als solche konstituiert, davor existieren sie (in einer für Menschen zugänglichen Weise) nicht. Besonders deutlich lässt sich dies am Begriff der Emotion zeigen. Diesem psychologischen Konzept ist in vielen Texten Gergens ein längeres Kapitel gewidmet, in welchem er seine Auffassung davon darlegt, wie die Emotionen in einer „socially reconstituted psychology“ (1994: 218) konzeptualisiert werden können. Zunächst sind bestimmte Handlungsweisen oder -zusammenhänge, die bei uns als Gefühlsausdruck gelten, als soziale Inszenierungen („performances“) zu verstehen, die nicht Ausdruck eines Gefühls oder einer Emotion sind, sondern die Bezugnahme auf Gefühle erfordern (Gergen 1994: 222; vgl. auch Averill 1982). Das bedeutet dann: Nicht Gefühle verleiten oder motivieren zu bestimmten Handlungen, sondern man stellt handelnd Gefühle her. Gergen spricht von „emotionalen Szenarien“ oder auch von „emotional performance“ (Gergen 1994: 224). Wir neigen zwar dazu, erläutert Gergen, gerade jene „performativen Handlungen“, bei denen wir von Emotionen sprechen, als Ereignisse sui generis zu betrachten, insbesondere da sie uns meist 292

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„farbiger“ erscheinen als andere Handlungen, die um sie herum geschehen (1994: 223). Für ihre Erklärung jedoch ist diese subjektive oder erlebte Qualität des Emotionsbegriffs nicht relevant, da auch sie aus sozialen Konstruktionen resultiert: „To achieve intelligibility the emotional performance must be a recognizable component of an ongoing chain of actions“ (ebd.). Ein Zustand oder ein Prozess, dem der Begriff Emotion zugeordnet ist, würde schließlich ohne Handlungen, die davor, währenddessen oder danach ablaufen, unverständlich bleiben und gar nicht als solcher erscheinen. Ohne die soziale Inszenierung wäre eine bestimmte Empfindung kein Gefühl: „Without the actions of others – preceding, simultaneous to, and following the performance of emotion – the emotion would be unintelligible as such“ (Gergen 1998: 20). Emotionswörter („emotion terms“) wie ‚Wut‘, ‚Liebe‘ oder ‚Depression‘ dienen uns zudem im alltäglichen Durcheinander als eine Art Schlüsselbegriffe für spezifische Konversationen und Interaktionen, sie indizieren die entsprechenden Handlungen und sorgen für besondere Performanz. Ebenso existiert in jeder Kultur eine spezifische Gestik, Mimik oder Art der Körperorientierung, die genau dann Intelligibilität konstituiert (also sozialfunktional ist), wenn sie als emotional bzw. als Emotionsausdruck interpretiert wird (vgl. Averill 1982). Emotionspsychologische Diskurse und Forschungen sollten sich daher damit begnügen, hinter der individuellen „emotional performance“ die sozialen Interaktionsmuster, in die sie eingebettet ist und ohne die sie „kulturellen Unsinn“ darstellen würde, zu sehen. Ein Beispiel ist die „performance“ von Wut oder Ärger, die mit diskursiven, mimischen und gestischen oder weiteren körperlichen Ausdrucksmitteln gelingt: Ärger ist etwa normalerweise eingebettet in ein Szenario, zu dem ein vorhergehender Affront gehört, welcher der Inszenierung erst ihre Bedeutung verleiht. Weiterhin bereitet die performance von Ärger die Bühne für darauf folgende performances von Entschuldigung oder Verteidigung – darauf könnte im ersten Fall das Szenario der Vergebung folgen. All diese Handlungen, hebt Gergen hervor, legitimieren einander und bilden eine Art Skript für soziale Handlungszusammenhänge. Sie sagen uns, wie wir uns – emotional gesehen – verhalten sollen, wie wir (uns) fühlen sollen, bzw. welche Emotionen in einer sozialen Situation überhaupt möglich sind, ohne dass dem Handelnden abgesprochen wird, über eine intelligible Identität zu verfügen (so ist etwa Eifersucht oder Neid angemessen, wenn ein Rivale da ist – nicht aber, wenn die Ampel zu früh rot wird; ebd.: 124). Selbstverständlich sind auch die emotional performances zunächst Bestandteile von Beziehungsnetzen: ohne soziale Beziehungen keine Interaktion, 293

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keine Inszenierung, keine Intelligibilität, kein Gefühl, kein Selbst. Diese emotionsgenerierenden Inszenierungen von Einzelpersonen oder Gruppen sind wiederum in größere Interaktionsmuster eingebettet, in kulturell bestimmte Emotionsszenarien, die besagen, wann welche Inszenierung welchen Gefühls recht am Platz oder überhaupt legitim ist, und die sich von Kultur zu Kultur unterscheiden. Emotionen erklärt der Soziale Konstruktionismus damit ausschließlich über ihre soziale Funktion. Der Ausdruck bzw. die Inszenierung von Gefühlen im Rahmen von Diskursen über das Selbst ist für das Aufrechterhalten und die Erlangung von intelligibler Identität unerlässlich. Der Diskurs über Gefühle gewinnt seine Bedeutung dabei jedoch nicht kraft seiner Bezugnahme auf eine Innenwelt, sondern durch die Art und Weise, in der er die Muster kulturell bestimmter Beziehungen gestaltet. Emotionen existieren qua Funktion innerhalb sozialer Inszenierungen, ‚sie selbst‘ wären aber ohne die sie begleitenden, ihr vorausgehenden und nachfolgenden Handlungen und Interaktionen nicht erkennbar, machten keinen Sinn. Individuen ‚haben‘ ihre Gefühle nur in der Weise, wie Schauspieler ihre Rolle einnehmen. Emotionen sind damit nicht viel mehr als der sozialen Beziehung angemessene Verhaltensmuster. Die Frage, ob in Szenen oder Geschichten, in denen Gefühle eine Rolle spielen, Individuen auch durch ihre individuelle Auslegung der Inszenierung verstrickt sind, stellt sich bei dieser Betrachtung nicht. Wenn Gergen allerdings, wie oben erwähnt, konstatiert, Emotionen würden „frequently more colorful“ erlebt als andere soziale Handlungen (1994: 223), verweist er selbst auf eine individuelle Semantik und zeigt, dass diese (zumindest manchmal) 47 notwendig wird, sobald von Emotionen die Rede ist.

47 Der Anspruch einer ausführlichen, systematischen und kritischen Rekonstruktion des sozialkonstruktionistischen Emotionsmodells wird hier nicht erhoben, sondern die Emotion als performance wird lediglich als Beispiel sozialkonstruktionistischer Wissensbildung vorgestellt. Für eine kritische Analyse der herkömmlichen, nach dem bedingungsanalytischen Modell konzipierten emotionspsychologischen Forschungen, die Aspekte der sozialkonstruktivistischen Sichtweise integriert, vgl. Laucken (1989), Kochinka (2002).

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4

Resümee: Ein anonymer Praxisbegriff

Der Sozialkonstruktionismus will, wie erwähnt, einen dritten Weg beschreiten zwischen der realistischen Metaphysik eines empiristischen Weltbildes, in welchem für Psychologen nur Verhalten zu untersuchen ist, und der rationalistischen Auffassung, die den Gegenstand der Psychologie über die kognitiven Strukturen von Individuen zu erforschen können glaubt. Die von ihm angestrebte Lösung liegt darin, als Basis aller psychischen Konstrukte eine bedeutungsstrukturierte soziale Praxis zu postulieren. Daher rührt die Hinwendung des Sozialen Konstruktionismus zu sozialen Prozessen, Systemen, Kommunikationen, Diskursen, Praktiken und Beziehungsnetzen. Letztere gelten dem Sozialkonstruktionismus als die entscheidenden Einheiten oder Größen, von denen aus sich die zu erforschende Welt bedeutungshaltiger Konstruktionen dem sozialkonstruktionistischen Auffassungsraster nach strukturieren lässt. Beziehungen, nicht mehr kognitive Konstruktionen von Individuen, sind „the fundamental unit of social life“ (1994: 253). In diesem Sinn ist auch der eingangs vorgestellte Anspruch des Sozialen Konstruktionismus zu verstehen, eine postempiristische und postkognitivistische Psychologie zu entwerfen: „[B]oth empiricism and rationalism will form the rejected pole of a new binary – both hold knowledge to be an individual possession, while the new polarity will take knowledge to be a by-product of communal relationships“ (Gergen 1994: 25). Die sozialkonstruktionistische Auffassung vom Gegenstand der Psychologie scheint durchaus den Anforderungen für eine alternative, nicht-kognitivistische Wissenspsychologie zu entsprechen, die bereits im ersten Teil der vorliegenden Arbeit skizziert wurden: Psychologische Konstrukte werden als intersubjektiv und sozial konstruiert, als sinn- und bedeutungshaltig, als zeichenähnlich und nicht zuletzt als im alltäglichen Handeln verankert beschrieben. Letzteres wird von Gergen deutlich eingefordert, wenn er konstatiert: „[T]he play of signifiers […] is embedded within human action“ (1994: 262). Der sozialkonstruktionistische Entwurf rückt dabei auch das im Alltag relevante, handlungs- und kontextbezogene, intersubjektive Wissen ins Zentrum seiner Gegenstandsbestimmung. Hier ergeben sich aber auch Probleme. Die Bedeutung psychologischer Begriffe ergibt sich, wenn man Gergen glauben will, aus dem sozialen Gebrauch dieser Begriffe. Das heißt für ihn, psychische Zustände und Prozesse (etwa eine bestimmte Emotion) können allein über ihre Funktion in Beziehungsnetzen, also sozialfunktional erklärt werden. Dies kann man kritisieren, so wie es zum Beispiel Laucken 295

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

tut, wenn er konstatiert: „Dem Sozialkonstruktivismus fehlt eine explizite Beziehung zur Individualsemantik“ (2000: 52). Beschreibt man psychosoziale Zusammenhänge nur von der sozialfunktionalen Seite aus (‚was für Anschlusshandlungen anderer können auf dieses ‚Gefühl‘ erfolgen?‘), so entgeht dieser Beschreibung die subjektive Seite, die Erlebensqualität, oder mit Laucken die „individualsemantische“ Komponente (etwa: ‚wozu motiviert mich dieses Gefühl?‘). Aber ist die sozialkonstruktionistische Beschreibung und Erklärung aller „psychological realities“ (Gergen 1994: 69) wirklich sozialfunktional? Wenn man sich auf die Beschreibung und Erläuterung „emotionaler Szenarios“ rückbesinnt, so lautet die Antwort ja: Der Gehalt einer Emotion wird vollständig über seine Funktion in Interaktionssystemen hergestellt; er lässt sich gleichsam im öffentlichen sozialen Raum (der Sprache) ‚beobachten‘. Die individuelle Auslegung oder gar das Erleben der Emotion durch den einzelnen Akteur in diesem Szenario ist für den Emotionsbegriff des Sozialen Konstruktionismus irrelevant. Warum aber betont Gergen dann zwischenmenschliche Beziehungen und begnügt sich nicht mit abstrakten Relationen? Weshalb plädiert er für eine dialogische Perspektive und kritisiert die semiotische Sprachauffassung als „impersonal“ (1994: 263f.)? Offensichtlich strebt auch Gergen nicht eine strukturalistische oder systemische Perspektive an, sondern eine eher interpretative, handlungstheoretische, ähnlich der kulturpsychologischen Auffassung, die Kultur zwar als ein „Zeichen-, Wissens- und Regelsystem“ oder ein transindividuelles, „kollektives Sinnsystem“ (Straub 1999: 165f.) auffasst, welches konstitutiv für Handlungen ist, aber nicht auf die Theoretisierung der Handlung und der irgendwo mit der Handlung verbundenen Akteure verzichtet (vgl. Boesch 1991: 29; Straub 1999: 164). Auch Gergen will es vermeiden, als Preis für die Absage an eine individuozentrische Psychologie und für die Betonung der bedeutungskonstitutiven Kraft der Sprache in eine Psychologie zu geraten, die nur noch reine Sprachwissenschaft, oder aber rein strukturell orientierte Sozialpsychologie sein kann, und derzufolge das Handeln, Fühlen und Denken der Menschen allein durch die gesellschaftlichen Verhältnisse oder die Struktur des Symbolsystems Sprache erklärbar ist. Daher also die Betonung der semantischen, sozialen Praxis. Laucken spricht vom „pragmatischen Auffassungsraster“ (1998: 306) des Sozialkonstruktionismus, da dieser von einem „Netz interdependenter Handlungen mehrerer Personen relativ zu einer sozialen Umwelt“ ausgehe (ebd.: 311). Er spricht dem Sozialkonstruktionismus auch zu, dass er in gewisser Weise, nämlich „problemgeschichtlich“, „an den Symbolischen Interaktionismus an[knüpfen]“ und „den Menschen als 296

DER SOZIALE KONSTRUKTIONISMUS

Akteur begreifen“ möchte (ebd.: 309). Diese Zuschreibung ist insofern berechtigt als eine sozialkonstruktivistische Theorie um psychologisch relevante Aussagen zu machen und um die Genese der Bedeutung psychologischer Konstrukte zu erklären den Rekurs auf die Interaktion, auf soziales Handeln benötigt. Gergen bezieht sich allerdings in der Regel auf Garfinkel und die ethnomethodologischen ‚Krisenexperimente‘, nicht aber auf Mead und den Symbolischen Interaktionismus. Er verwehrt sich gerade gegen jene Theorien, die an die Handlungs- und Identitätstheorie Meads anschließen, da diese nicht auf das Element der Subjektivität und die Betonung individueller Kompetenzen, etwa die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Rollenübernahme, ver48 zichten. Welche Art der sozialen Praxis hat Gergen im Sinn? Er äußert zwar immer wieder den folgenden Anspruch: „to remove meaning both from the impersonal structures of the text and the ‚system of language‘ and to place it within the process of relationship“ (1994: 265). Unsere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass er auch bei den Versuchen, konkrete Handlungen zu beschreiben, immer wieder auf Begründungsfiguren strukturalistisch-semiotischer Bedeutungstheorien zurückgreift, die auf das Element der Intentionalität (oder: auf die Erstpersonperspektive) verzichten können: Um Handlungen zu verstehen, schlägt Gergen nämlich Folgendes vor: „[W]e may view an individual’s actions as a primitive ‚signifier‘, while the responses of another person now take the place of the ‚signified‘ “ (ebd.). Dieses Beispiel, das gerade gegen die in der vorliegenden Arbeit entwickelte Auffassung, der Sozialkonstruktionismus habe einen entpersonalisierten und handlungsfernen, systemischen Praxisbegriff, gerichtet ist, ist hier kontraproduktiv. Die komplexe Beziehung zwischen Akteur, Handlung und Interaktion ist nicht übersetzbar in die Saussuresche Opposition von Signifikant und Signifikat. Handlungen haben zwar Zeichencharakter insofern sie interpretativ und interpretationsfähig oder -bedürftig sind, und der Handlungs48 Laucken hat die Unwilligkeit Gergens, sich der handlungstheoretischen Perspektive (also auch Mead) anzuschließen, an anderer Stelle selbst hervorgehoben und problematisiert. Er reiht Gergens Sozialen Konstruktionismus unter die radikalen Varianten sozialkonstruktivistischer Positionen in der Psychologie ein (1998: 316) und kommentiert diese Position wie folgt: „Der Sozialkonstruktivismus mag diese Individualsemantik aus forschungsheuristischen Gründen zeitweise ausklammern, doch lässt er dann eine Leerstelle, die es zu füllen gilt – wenn nicht jetzt, dann später“ (Laucken 2000: 52).

297

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

sinn transzendiert die Intention des Akteurs. Dies kann man auch mit Bezug auf Mead und die handlungstheoretische Kulturpsychologie vertreten. Allerdings zwingt es noch nicht dazu, Handlungen völlig von der Intentionalität der Akteure abzukoppeln, wie Gergen es tut, wenn er weiter ausführt, die Handlungen von interagierenden Personen erhielten ihre Bedeutung, wie Zeichen im strukturalistischen Sinn, allein durch die Differenz zu anderen Zeichen (anderen möglichen Handlungen) innerhalb eines Systems oder Netzes von Handlungen. Damit ist mehr ausgesagt, als dass Bedeutung strikt individualistisch nicht fassbar ist, dass die Bedeutung einer Handlung sich erst im Zusammenhang mit den Anschlusshandlungen herausbildet. Bis dorthin könnten wir Gergen noch getrost zustimmen, wenn er etwa zu bedenken gibt: „An individual alone can never mean, another is required to supplement the action“ (ebd.: 265). Wenn er aber fortfährt, dass sich die Bedeutung einer (Anschluss-)Handlung allein durch die Differenz zu anderen (möglichen) Anschlusshandlungen, die ausgeschlossen werden, konstituiere (ebd.: 266), dass also die Handlungsfähigkeit oder Intentionalität der Partizipienten an der sozialen Praxis keine, auch nicht die geringste Rolle spielt; entfernt er sich bereits wieder von einer handlungstheoretischen Perspektive, da zur Handlung auch handelnde Personen gehören. Darüber hinaus betont Gergen hier auch (wieder einmal), dass dasjenige, was ein- bzw. ausgeschlossen wird, durch soziale Konventionen bestimmt wird: „In the roughly ordered state of ordinary cultural life, action-supplementcoordinations are already in place“ (ebd.). Es fehlen in diesem Bild die Partizipienten an der Praxis, die auch ihren Teil dazu beitragen, dass die Zeichen eine Bedeutung erlangen, es fehlt die intersubjektive Beziehung zwischen Sprecher und Hörer und es fehlt der Bezug der Praxis zur materiellen Welt, die von den Handlungen auch berührt wird, in die man handelnd eingreift: Wenngleich Diskurse und Praktiken ‚die Realität‘ nicht abbilden oder durch sie bestimmt sind, so sind sie doch nicht völlig unbeeinflusst von ihr im Sinne „frei schwebender“, beliebiger Intelligibilitätssysteme. Das Resümee an dieser Stelle lautet: Die Hereinnahme der interaktionistischen, handlungstheoretischen Perspektive wird von Gergen selbst zwar in mancher Hinsicht angestrebt, darauf weist auch das Festhalten am Begriff der (zwischenmenschlichen) Beziehung hin. Er gibt jedoch einen beträchtlichen Gewinn dieser Perspektive – die Möglichkeit, einen Weg zwischen der strukturell-objektivistischen und der subjektivistisch-akteurgebundener Auffassung zu beschreiten – preis zugunsten einer semiotisch-postmodernen Sicht, die immer wieder Gewicht erhält. Dies macht sich nicht allein am oben zitierten Bei298

DER SOZIALE KONSTRUKTIONISMUS

spiel fest, sondern ist mit Bezug auf die gesamte obenstehende Analyse des Sozialen Konstruktionismus als charakteristisch zu verstehen. Der anonyme Praxisbegriff Gergens verdankt sich der Weigerung, weder einen irgendwie über Intentionalität, agency oder Subjektivität (ein Bewusstsein der eigenen Erfahrungen) verfügenden Akteur zu akzeptieren, noch eine nicht-sprachliche, materielle Umwelt, die (evtl. vermittelt über unsere leibliche Erfahrung) Einfluss auf unser Denken und Sprechen, auf die Form unserer Konstruktionen dieser Welt nehmen könnte. Es ist nicht immer einfach, dies an Gergens Texten und Aussagen festzumachen, da er sehr viele unterschiedliche Positionen bezieht und sich explizit nur von solchen Handlungstheorien verabschiedet, die wirklich alle bedeutungskonstitutiven Elemente einer semantischen Praxis durch das Nadelöhr des Subjekts betrachten und den Akteur zum rational handelnden, autonomen Subjekt idealisieren. Liest man seine Texte genauer, so wird allerdings klar, dass er sich (praktisch) auch gegen jene Handlungstheorien verwahrt, die Subjektivität als Element akzeptieren, dem Intersubjektivität vorausgeht (Mead) bzw. gegen das Bild eines reziproken, wechselseitig konstitutiven Verhältnisses von Sozialität und Individualität, bei dem die Handlung und das praktische, dispositionelle Wissen vermittelnde Funktion haben (Bourdieu). Allen Kritikpunkten zum Trotz hat die Rekonstruktion des Sozialen Konstruktionismus doch gezeigt, dass insbesondere Kenneth Gergen das große Verdienst zukommt, die metatheoretischen und theoretischen Grundzüge einer postkognitivistischen Psychologie angedeutet zu haben. Durch seine Konzentration auf den Wissensbegriff hat er nicht nur dazu beigetragen, neuere, in der Regel „mainstreamkritisch“ orientierte Psychologiekonzeptionen als Versuche der Verarbeitung des Kognitivismus zu etablieren, sondern er hat auch gezeigt, wie voraussetzungsvoll und tief schürfend die damit verbundene Neukonzeptualisierung der Psychologie (ausgehend vom Wissensbegriff) wäre! Die Leistungen und Probleme des Sozialen Konstruktionimus werden im folgenden, abschließenden Kapitel nochmals zusammenfassend präsentiert und kommentiert. Darüber hinaus wird es interessant sein zu sehen, wie sich ausgewählte Positionen aus dem Feld einer heute wichtigen, handlungstheoretischen Richtung der Kulturpsychologie den ausführlicher diskutierten sozialkonstruktionistischen Vorschlägen vergleichend gegenüberstellen lassen. Es wurde ja bereits mehrfach deutlich, dass diese Ausrichtung innerhalb der Kulturpsychologie ähnlich wie der Soziale Konstruktionismus um eine kritische Diskussion und Modifikation bestimmter kognitivistischer Grundkon299

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

zeptionen bemüht ist und auch Vorschläge für eine Psychologie vorgelegt hat, die die Engführungen des Kognitivismus vermeidet.

300

V

Fazit und Ausblick: Perspektiven einer postkognitivistischen (Wissens-)Psychologie

Bereits bei der vergleichenden Betrachtung früher kognitivistischer Versuche, das Konzept der Bedeutung psychologisch fruchtbar zu machen, hatte sich gezeigt, dass ein systematischer und normativer Fluchtpunkt eines solchen Unternehmens darin besteht, die Psychologie als Wissenschaft sinn- und bedeutungsstrukturierter, symbolisch vermittelter Handlungen zu konzeptualisieren. George A. Kellys Begriff der Antizipation und Frederic Bartletts Konzept des konstruktiven Gedächtnisses haben Aspekte eines Kognitionsbegriffs aufgezeigt, der zugleich intersubjektiv fundiert und an den praktischen Umgang mit Dingen gebundenen ist. In beiden Fällen waren allerdings die Voraussetzungen eines solchen Wissensbegriffs noch im Status vager Ideen oder Andeutungen verblieben: So wurde weder ausdrücklich zum Thema gemacht, welche Bedeutung der Sprache als kulturellem Symbolsystem (und als kultureller Praxis) zukommt, noch befassten sich die Vertreter der naiven Psychologie oder andere frühe Kognitivisten mit den methodologischen Konsequenzen eines semantischen und pragmatischen Kognitionsbegriffs (eine Ausnahme sind bestimmte Aspekte der Gedächtnispsychologie Bartletts). Dagegen konnten wir bei Kenneth Gergens Sozialem Konstruktionismus, den wir als Beispiel eines neueren, dezidiert kognitivismuskritischen psychologischen Theorieentwurfs gelesen hatten, auf ergiebigere Weiterungen des Wissens- und Bedeutungsbegriffs hoffen, die auch die Sprachgebundenheit von Wissen mit einbeziehen und sich mit den Möglichkeiten einer interpretativen Methodologie auseinandersetzen. Immerhin konnten wir bei der neueren Kognitivismuskritik – neben dem Sozialkonstruktionismus beanspruchen auch Richtungen der Kulturpsychologie diesen Status – jene sprachphiloso301

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

phischen und bedeutungstheoretischen Diskurse voraussetzen, die eine Wende von der Syntax über die Semantik zur Pragmatik der Bedeutung vorgeben (s. Kap. II). Darüber hinaus hat in den sechziger und siebziger Jahren die Methodendiskussion innerhalb der Sozialwissenschaften auch in der Psychologie zu einem Revival interpretativer Methoden und der entsprechenden Methodologie geführt – so dass man auch in dieser Hinsicht auf mehr Sensibilität dafür hoffen durfte, was es denn heißen kann, Kognitionen als sinn- und bedeutungsstrukturierte Konstruktionen sozialer Wirklichkeit methodisch zu erkunden. Die Rekonstruktion des Sozialen Konstruktionismus in Kapitel IV hat gezeigt, dass sowohl der soziale oder intersubjektive Charakter des Wissens, die Konzeptualisierung von Wissen und Bedeutung als sprachgebunden als auch ein Bedeutungsbegriff, der sich über den (sozialen) Gebrauch von Begriffen bestimmt, in der sozialkonstruktionistischen Kritik des Kognitivismus zentral sind. Allerdings werden diese Kriterien, wie wir sahen, unter einem spezifischen Blickwinkel eingefordert: Gergens tiefe Verankerung in den Diskursen zur Postmoderne und die damit verbundene radikal wahrheits- und subjektkritische Haltung stehen in einer gewissen Spannung zur von ihm auch angestrebten pragmatistischen Grundeinstellung. Auf den folgenden Seiten sollen die Ergebnisse der kritischen Analyse des Sozialkonstruktionismus (speziell zum Wissens- und Handlungsbegriff) nochmals zusammengefasst werden (V, 1). Diese Zusammenfassung – die auf Verdienste des sozialkonstruktionistischen Entwurfs eingeht und Vorschläge zur Vermeidung einiger Defizite unterbreitet – soll dann die Basis für eine vergleichende, abschließende Betrachtung der kulturpsychologischen Variante einer postkognitivistischen Psychologie abgeben. Wenngleich die hier präsentierte kulturpsychologische Auffassung bei Weitem nicht so ausführlich zur Darstellung gelangt, wie der Soziale Konstruktionismus oder die im ersten Teil diskutierten kognitivstischen Modelle, so ist der knapp gehaltene Vergleich dennoch gewinnbringend: Denn zumindest die heute einflussreiche handlungstheoretisch orientierte Richtung der Kulturpsychologie kann ebenfalls als sozialkonstruktivistisch orientierte Psychologiekonzeption eingeordnet werden: Sie versteht – ähnlich wie Gergen – den Gegenstand der Psychologie als soziokulturell bestimmt, unterscheidet sich jedoch in einigen wesentlichen Punkten vom Sozialen Konstruktionismus (V, 2). Es wird sich zeigen, dass es vielen Kulturpsychologen aufgrund ihrer handlungstheoretischen Orientierung gelingt, die Sprachgebun302

FAZIT UND AUSBLICK

denheit und Pragmatik von Wissen zu integrieren, ohne auf das kognizierende und handelnde psychologische Subjekt und seine individuelle Kompetenzen gänzlich verzichten zu müssen. Damit genügt sie den Kriterien einer postkognitivistischen Wissenspsychologie wie der Sozialkonstruktionismus, kann aber einige seiner Schwächen vermeiden.

1

Sozialer Konstruktionismus

1.1

Leistungen

Als großes Verdienst Gergens kann gesehen werden, dass es ihm gelingt, das Paradigma einer kognitivistischen, individuozentrischen (Wissens-)Psychologie aufzubrechen und richtungweisende Schritte für eine alternative Gegenstands- und Wissenschaftsbestimmung aufzuzeigen. Wie vollbringt er dies? Eine herausragende Leistung des Sozialen Konstruktionismus ist die Bereitschaft, die Psychologie für den Blick zu den geistes- und kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen (Soziologie, Anthropologie, Literaturwissenschaft, Philosophie u.a.) zu öffnen. Dazu gehört insbesondere auch die Auseinandersetzung mit den philosophischen, wissenschaftstheoretischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen der Psychologie. Gergen schließt hier an Aspekte der bedeutungstheoretischen Diskussion der Analytischen Philosophie, an Wissenssoziologie und Erkenntnistheorie sowie sprachpragmatische Ansätze an (1). Den metatheoretischen Hintergrund für den sozialkonstruktionistischen Entwurf bildet dabei die Kritik der repräsentationalistischen und kognitivistischen Konzeptualisierung von Wissen, welche im größeren Lager der akademischen Psychologie noch vorherrschend ist. Gergen bemüht sich zu Beginn seiner Ausführungen, einen alternativen, antirepräsentationalistischen und nicht-kognitivistischen Wissens- und Erkenntnisbegriff positiv zu entfalten (2). Im Zentrum seiner diesbezüglichen Bemühungen steht die Betonung und Verteidigung des soziale Fundaments jeglicher Konstruktionstätigkeit. Die dezidierte Betonung der sozialen Basis von Wissen und Bedeutung („meaning-making“) zieht auch die Grenze zu anderen (radikal- oder kognitiv-) konstruktivistischen Ansätzen, die inner- und außerhalb der Psychologie einflussreich sind (3). Gergen strebt explizit eine antiuniversalistische Psychologie an und weist auf die Relevanz kultureller und sozialer Faktoren für alle psychologischen Begriffe hin (4). Mit dem Hinweis, dass auch Konstrukte, die von wissenschaftlich-psychologischer Seite als univer303

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

sell oder als anthropologische brute facts angesehen werden (wie etwa bestimmte Emotionen, die Struktur der Kognition, aber auch Aspekte der Identität einer Person), in viel stärkerem Maße als kulturelle Konstruktionen verstanden werden sollten oder könnten als dies in der akademischen Psychologie anerkannt wird (5). Damit wird erstens ein komplexer Kulturbegriff für die Psychologie plausibilisiert, der wiederum die Betonung der Sprache als symbolischer Praxis, in deren Rahmen kulturelle Konstrukte erst gebildet werden, in den Vordergrund rückt (6); zweitens ist damit auch die (selbstreflexive) Relativierung der Geltung wissenschaftlicher Erkenntnisse und empirischer Befunde verbunden (7). Darüber hinaus führt der explizit (sozial-)kritische Anspruch des Sozialkonstruktionismus zu einer verstärkten Sensibilität dafür, dass wissenschaftliches Wissen nicht wertneutral ist, sowie für die performative Wirkmächtigkeit psychologischer Begriffe und Befunde. Auch darauf stützt sich das kritische und selbst-reflexive Wissenschaftsverständnis des Sozialen Konstruktionismus (8). 1.2

Probleme

Für den Anspruch einer alternativen Psychologiekonzeption reicht das allerdings, wie wir gesehen haben, in der von Gergen gewählten Form nicht aus. Fasst man die gravierendsten Probleme der sozialkonstruktionistischen Psychologie, die sich aus der ausführlichen Analyse ergaben, nochmals knapp zusammen, so lassen sich die folgenden Punkte aufführen: Der Soziale Konstruktionismus wird den eigenen Forderungen in vielen Fällen nicht gerecht und verstrickt sich in Widersprüche (ein Beispiel ist der Widerspruch zwischen epistemischem und moralischem Relativismus auf der einen und dem Anspruch einer kritischen Position auf der anderen Seite) (1). Weiterhin läuft Gergens Ansatz (das gilt allerdings auch für die Diskursive Psychologie) aufgrund der allzu postmodern gehaltenen, handlungsfernen und apersonalen Konzeptualisierung von Wissen (bzw. Diskursen) Gefahr, eine sozialdeterministisch angelegte Psychologie zu konstruieren, in der für die individuelle Psyche kein Platz ist (2). Als problematisch hatte sich speziell in Gergens Variante des Sozialen Konstruktionismus die völlige Absage an die Bestimmung der Träger (Kollektive oder Personen) des intersubjektiv und handlungsnah konzeptualisierten Wissens erwiesen. Das heißt in der Folge auch, dass die für das sozial- und kulturpsychologische Denken zentrale Frage, wie die subjektive Realisierung kultureller und sozialer Konstruktionen aussehen könnte, unbeantwortet (bzw. 304

FAZIT UND AUSBLICK

ungestellt) bleibt (3). Im Zusammenhang mit der Weigerung, darüber zu reflektieren, wie der individuelle Geist strukturiert sein müsste, um im sozialkonstruktionistischen Theoriegebilde Platz zu finden, wird auch der kritische Anspruch des Sozialen Konstruktionismus in mancher Hinsicht fragwürdig (wie sich Kritik an diskursiv vorgegebenen Wahrheiten möglich sein, wenn das Denken der Subjekte selbst durch Diskurskonventionen determiniert ist?) (4). Zudem hat Gergen in der Anwendung seines groß angelegten metatheoretischen und theoretischen Programms auf psychologische Konstrukte u.a. eine postmoderne Konzeption des Selbst und der Emotion vorgelegt, die gerade im Blick auf inter- und intrasubjektive Konfliktsituationen nicht trägt (5). Der Soziale Konstruktionismus ist weiterhin – dies gilt besonders für Gergens Variante und weniger für die Diskursive Psychologie – nicht bereit, seinen metatheoretischen und theoretischen Postulaten auch entsprechende methodische Prinzipien folgen zu lassen. Der konstruktivistische und antirealistische Grundton von Gergens Ansatz führt offensichtlich dazu, empirische Forschung von ihrer eigentlichen Aufgabe zu entfernen und sie auf die Illustration ansonsten quasi frei schwebender theoretischer Begriffe zu reduzieren. Das gilt nicht nur für konventionelle methodologische Vorgaben, die dem experimentellen Paradigma verpflichtet sind, sondern auch auf ethnographische oder andere interpretative Methoden (allerdings sind die meisten sozialkonstruktionistisch orientierten empirischen Studien dann doch in Richtung einer interpretativen Methodologie realisiert). Der Sozialkonstruktionismus macht es sich zu leicht, wenn er (mit dem Hinweis auf eine nicht-repräsentationalistische Wissensauffassung) meint, auf die Durchführung empirischer Untersuchungen und daher auf die Erörterung einer sozialkonstruktionistischen Methodologie oder methodischer Fragen verzichten zu können (6). Eine im Hinblick auf den Anspruch einer postkognitivistischen Wissenspsychologie schwerwiegende Schwäche ist, so haben wir gesehen, dass Gergen es aus unterschiedlichen Gründen, vor allem aber aufgrund seines genuinen Desinteresses an der wissenschaftlichen Erforschung von Fähigkeiten, Zuständen, Erfahrungen und Kompetenzen des Individuums, versäumt, einen auch auf intersubjektives Handlungs- oder Umgangswissen ausgelegten Kompetenzbegriff oder Kognitionsbegriff in seine Konzeption der „alternativen Fassung von Wissen“ aufzunehmen. Dies wäre für die Differenzierung und Erweiterung des auf kognitivistische Voraussetzungen enggeführten Wissens- und Bedeutungsbegriffs fruchtbar und wünschenswert (7). Aus demselben Grund wurde bei Gergens Verwendung des Begriffs „pragmatic“ nicht hinreichend klar, wie die begriffliche Lösung für die an der Praxis Beteiligten, die Träger des 305

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Wissens aussehen kann, da die Orientierung des Sozialkonstruktionismus an der (post-)strukturalistischen oder semiotisch-postmodernen Sichtweise die Benennung eines Akteurs verbietet und zu einem anonymen Praxisbegriff führt (8). 1.3

Vorschläge

Bei der Konstatierung dieser Schwächen des Sozialen Konstruktionismus haben sich aber auch Wege angedeutet, auf denen einige dieser Dilemmata und Unzulänglichkeiten umgangen werden können. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: Unseren Überlegungen zufolge muss ein angemessener, anwendungsbezogener Wissensbegriff aus unterschiedlichen Gründen Raum für die Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem bzw. explizitem und implizitem Wissen bieten. Nimmt man diese Unterscheidung ernst, darf die Repräsentationsform des prozeduralen, praktischen oder Handlungswissens nicht auf syntaktisches, explizites, exakt und logisch rekonstruierbares Fakten- und Regelwissen (dazu gehört auch algorithmisches Wissen) reduziert werden. Es muss auch die Frage nach der Bildung und Verfügbarkeit unsicheren Wissens bzw. der Unschärfe, Vagheit oder Mehrdeutigkeit von Bedeutungen erörtert werden. Diese Art unsicheren Wissens haben wir an verschiedener Stelle als implizit bezeichnet, und es wurde deutlich, dass es sich nicht exakt repräsentieren lässt bzw. vielleicht gar nicht als Repräsentation (von ‚etwas‘) beschrieben werden kann. (Der Soziale Konstruktionismus stimmt dieser Auffassung wohl zu, konzentriert sich jedoch nicht auf die Arbeit an psychologischen Wissensmodellen, da er den Kognitionsbegriff insgesamt dekonstruiert.) (1) Die Schwierigkeiten, die Repräsentationsform für unsicheres Wissen zu klären (bzw. die Probleme der unterschiedlichen psychologischen Modelle für Alltags- und Fertigkeitswissen, die dies versuchen), verweisen zunächst auf die grundsätzlichere Frage nach der Lokalisation des Wissens. Insbesondere unsicheres Alltags-, Umgangs- oder praktisches Wissen, also Wissen, wie, kann – wie mehrfach erwähnt und an unterschiedlichen Beispielen verdeutlicht wurde – nicht als ‚in den Köpfen‘ bzw. im kognitiven System einzelner Individuen, sondern muss eher als ‚in‘ (sozialen) Handlungszusammenhängen lokalisiert oder repräsentiert gedacht werden. Wissen, wie man etwas macht, liegt nicht irgendwo fest als syntaktisches Handlungsprogramm vor, sondern es bildet und verändert sich in (sozialen) Alltagshandlungen. Dieses Handlungswissen existiert sowohl als kollektive Struktur (in 306

FAZIT UND AUSBLICK

Diskursen und Praktiken) als auch in Form subjektiver Handlungsgewissheit. Das heißt auch, dass es zumindest teilweise individuell unterschiedlich repräsentiert und genutzt wird (vgl. dazu Laucken 1998: 282; Straub 1999: 95ff.). Nur wenn man zugesteht, dass kollektiv repräsentierte Wissensbestände auch subjektiv unterschiedlich realisiert werden können, ist es möglich, vom Verhältnis zwischen Individuum und Kultur zu sprechen (anstatt ersteres als durch letztere determiniert zu verstehen) (2). Bislang haben wir Umgangs- oder Alltagswissen, kulturelles, prozedurales und Fertigkeitswissen unter dem Sammelbegriff des praktischen Wissens und durch die Betonung seines impliziten Status zusammengefasst. Dies erscheint dann sehr plausibel, wenn man an praktisches Wissen im Sinne desjenigen Wissens denkt, das man zur Ausübung bestimmter Fertigkeiten benötigt, die im direkten Kontakt mit Dingen ablaufen. Die kognitive Psychologie spricht vom Fertigkeits- oder vom prozeduralen Wissen, das vom deklarativen Wissen abgegrenzt wird. Wir haben gesehen, dass auch Putnams interner Realismus diese Art des praktischen oder auch leiblichen (bei Putnam zunächst als „kausale Interaktion“ konzeptualisierten) Realitätsbezugs gegen einen rein kognitivistischen Wissensbegriff stark macht. Auch die in Anlehnung an Merleau-Ponty und Heidegger ausgesprochenen Verweise auf die leibliche Erfahrung des „In-der-Welt-Seins“ lassen sich zu der Behauptung zuspitzen, dass das menschliche Wissen nicht ohne Beachtung der Tatsache konzeptualisiert werden kann, dass der Mensch ein leibliches Wesen ist und mit den Dingen, ‚von‘ denen er ‚weiß‘, praktischen Umgang hat (und haben muss). Dieser Aspekt ist es, der im Sozialen Konstruktionismus stark vernachlässigt wird, da er für Gergen zu sehr in die Nähe einer (im philosophischen Sinn) realistischen Position führen würde (3). Eine etwas andere Konnotation erhält der Begriff des praktischen Wissens jedoch, wenn er mit Bezug auf Situationen herangezogen 1 wird, in denen es um soziales oder kommunikatives Handeln geht. Der „praktische Sinn“ (Bourdieu) einer Handlung kann neben Fertig-

1

Habermas’ (1981) Trennung zwischen „instrumentellem“ und „kommunikativem“ Handeln, die auch der Kulturpsychologe Lutz H. Eckensberger aufgreift (Eckensberger 1995: 71), hat diese Unterscheidung in eine bestimmte Richtung ausgelegt; Laucken macht in seiner Diskussion des Sozialen Konstruktionismus ebenfalls darauf aufmerksam, dass bei der Rede von „sozialer Praxis […] sowohl technische als auch kommunikative Handlungen“ gemeint seien (1998: 309).

307

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

keitswissen auch ein soziales bzw. kulturelles Umgangswissen darüber bezeichnen, wie man in einer sozialen Situation Ereignisse oder Handlungen anderer, aber auch die eigenen Handlungen beurteilt und in diesem Sinn versteht. Mit dem Fertigkeitswissen hat dieses soziale oder kulturelle praktische Wissen gemeinsam, dass es implizit bleibt: Es geht um mehr oder anderes als das, was man sagen kann; beim Ausbuchstabieren (der Explikation) des impliziten Wissens verändert es seinen Charakter. Wittgensteins Erläuterungen desjenigen Wissens, das zur Teilnahme an einer Lebensform oder einem Sprachspiel notwendig ist (es handelt sich also im engeren Sinn um kulturelles Wissen, nämlich um Wissen, das mich dazu befähigt, an einem bestimmten kulturellen Zusammenhang zu partizipieren), haben gezeigt, dass auch diese Art kulturellen Sprachwissens dadurch gekennzeichnet ist, dass es in einer Praxis verankert ist. Giddens’ Theorie der Strukturation (Giddens 1995) und Bourdieus Habitusbegriff (Bourdieu 1999) heben ebenfalls hervor, dass der Erwerb kulturellen Wissens über eine geteilte Praxis verläuft. Die Repräsentations- oder Lokalisationsfrage ist hier wieder relevant, und der Unterscheidung zwischen subjektiv und transsubjektiv muss noch die intersubjektive Variante hinzugefügt werden. Implizites kulturelles Wissen ist an soziale Regeln gebunden und nicht für ein Individuum allein zu haben, weil eine Regel, die eingehalten oder gebrochen werden kann, ohne die Perspektive eines zweiten, der dies beurteilt, nicht denkbar ist (vgl. Wittgenstein 1995, § 258). Phänomenologisch gesprochen, zeigt sich das implizite Wissen darin, dass man weiß, wie man etwas macht, aber nicht explizit benennen kann, was man weiß. (Der Soziale Konstruktionismus verwendet den Begriff des praktischen Wissens in diesem Sinn, er meint also kulturelles Wissen.) (4). Will die Psychologie das System erforschen, in welchem Menschen ihre Erfahrungen und Transaktionen in der sozialen Welt sowie ihr Wissen über diese Welt organisieren (Bruner 1997: 35), dies jedoch – im Gegensatz zum informationstheoretischen Kognitivismus – explizit damit verbinden, ein über Information hinausgehendes Konzept der Bedeutung ernst zu nehmen, wird sie den kognitivistischen Kognitionsbegriff etwa im Sinne der hier formulierten Aspekte erweitern müssen. Die bedeutungsstrukturierten Erfahrungen und Handlungen der Menschen im Alltag, die eine solche Psychologie interessieren müssen, werden zwar durch die „intentionalen Zustände“ (Bruner 1997) dieser Menschen gesteuert und beeinflusst (und daher lohnt es auch, sich mit diesen zu befassen) – die Art und Beschaffenheit dieser intentionalen Zustände ist jedoch nicht unabhängig von kulturellen 308

FAZIT UND AUSBLICK

Symbolsystemen zu bestimmen (und daher ist auch deren Analyse zwingend) (ebd.: z.B. 33; vgl. Laucken 1998, 2003; Straub 1999 u.a.). Nun stellt sich die Frage, wie sich die antiuniversalistischen, antikognitivistischen und antirepräsentationalistischen Ansprüche der hier mit Bruners Worten angedeuteten handlungstheoretischen Kulturpsychologie (die ja auch im Sinne des Sozialen Konstruktionismus sind) so erfüllen lassen, dass diese Konzeption zwar die Bedeutung kultureller Sprach- und Symbolsysteme für alle psychologischen Begriffe hervorhebt, aber dennoch die für die Psychologie wichtigen Fragen des wissenden und handelnden Subjekts bzw. Akteurs und seiner (individuellen) Kompetenzen behandelt. Oder, mit Gergens Worten gefragt: What is „the place of the psyche in a constructed world?“ (Ebd. 1997) Eine weitere Frage ist, wie die Psychologie an der Betonung der bedeutungskonstitutiven, welterschließenden Funktion der Sprache festhalten kann, ohne die auf unser Bewusstsein und unser Denken einwirkende, leiblich erfahrbare, materielle Realität auszusperren. Bestimmte Varianten der Kulturpsychologie haben ihre Definition des Gegenstands der Psychologie ebenfalls sozial- bzw. kulturkonstruktivistisch angelegt und sehen sich daher mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Einigen kulturpsychologischen Arbeiten gelingt es dabei, den Dilemmata zu entgehen, die bei Gergens eigener Beantwortung dieser Fragen aufgetaucht waren, und dennoch einige der aufgeführten Desiderate für einen postkognitivistischen Kognitionsbegriff zu integrieren. Daher sollen auf den folgenden Seiten die wichtigsten Elemente kulturpsychologischen Denkens sowie ausgewählte Beispiele kulturpsychologischer Wissensbildung skizziert werden. Freilich kann dabei keine umfassende Darstellung des heterogenen Feldes derjenigen Ansätze geboten werden, die sich unter dem Begriff ‚Kulturpsychologie‘ versammeln. Es sollen einerseits diejenigen Aspekte kurz angesprochen werden, die die Parallelen zum Sozialkonstruktionismus aufzeigen (das betrifft hauptsächlich die Kritik an der kognitivistischen Psychologie, der positivistischen Erkenntnistheorie und Methodologie sowie eine sozial- oder kulturkonstruktivistische Grundeinstellung). Andererseits soll veranschaulicht werden, wo entscheidende Unterschiede zwischen Kulturpsychologie und Sozialkonstruktionismus liegen. Darüber hinaus wird die theoretische Fassung dessen, was beide Richtungen als kulturelles Wissen bezeichnen näher beleuchtet und verglichen werden. Auch bei diesem spezifischen Fokus ist die Rede von der Kulturpsychologie sowie die Absicht, aus ausgewählten Aspekten ein grobes Bild der kulturpsychologischen Auffassung zu stricken, nicht unproblematisch. Sie birgt mindestens die Gefahr der Vereinfachung oder 309

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Vereinheitlichung. Für die hier verfolgten Zwecke des Vergleichs grundlegender Gemeinsamkeiten zwischen Sozialkonstruktionismus und Kulturpsychologie mit Blick auf ihre Kritik und Weiterentwicklung des kognitivistischen Wissensbegriffs sei diese Zusammenfassung des heterogenen Feldes kulturpsychologischer Arbeiten zu „der Kulturpsychologie“ oder die Bezugnahme auf die „kulturpsychologische Auffassung“ dennoch erlaubt. Dabei gilt jedoch ausdrücklich, dass die von uns herausgestellten Gemeinsamkeiten – etwa der Bezug zur Handlungstheorie – in sehr unterschiedlicher Tiefe und Breite in „den 2 kulturpsychologischen Ansätzen“ verwirklicht sind.

2

Kulturpsychologie

2.1

Kulturpsychologie und kulturvergleichende Psychologie

Unter den Disziplinen, die für die eigenen Forschungen und Diskurse einen cultural turn diagnostizierten, ist die Psychologie innerhalb der Sozial- und Geisteswissenschaften eher eine Nachzüglerin gewesen. Mittlerweile jedoch gewinnt eine kulturwissenschaftliche Perspektive auch in der Psychologie deutlich an Attraktivität. Mehr und mehr führt dies – zumindest innerhalb derjenigen Subdisziplinen, die sich verstärkt für das Selbstverständnis der Psychologie als eine mit kulturellen Wirklichkeiten befasste Disziplin einsetzen – auch dazu, dass sich die Psychologie nicht nur der kulturellen Grundlagen des menschlichen Wissens, Denkens, Handelns und Fühlens bewusst ist, sondern auch den kulturspezifischen Hintergrund der wissenschaftlichen Psychologie, ihrer Forschungsfragen und -ergebnisse stärker reflektiert (vgl. Bruner 1990a; Werbik 1990; Shweder und Sullivan 1993; Cole 1996; Miller 1997; Straub 1999; Gergen 1999 u.a.). 2 An dieser Stelle ist auch zu erwähnen, dass ein systematischer Vergleich kulturpsychologischer Ansätze bis heute aussteht, so dass auch die Einordnung der hier vornehmlich interessierenden Arbeiten unter eine bestimmte Richtung schwer fällt. Es ist bereits deutlich geworden, dass die Aspekte kulturpsychologischen Denkens, die in der vorliegenden Diskussion in der Regel in Anspruch genommen werden, einer Auffassung von Kulturpsychologie z.B. im Sinne von Bruner (1997), Boesch (1991) oder Straub (1999) beziehen. Gleichwohl darf nicht vergessen werden, dass auch Ansätze völlig anderen theoretischen und methodischen Anspruchs aktuell als ‚Kulturpsychologie‘ firmieren.

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FAZIT UND AUSBLICK

Dies gilt für die kulturvergleichende Psychologie, die sich in den USA bereits etwa seit den fünfziger Jahren rapide entwickelt hat, und für die rezente, überwiegend handlungstheoretisch orientierte Kulturpsychologie. Die kulturvergleichende Psychologie konstituierte sich 3 schon nach dem Zweiten Weltkrieg, hauptsächlich in den USA . Maßgebliche Vertreter sind heute u.a. Harry Triandis, Walter Lonner, Marshal Segall, Ype Poortinga und John Berry (vgl. Berry et. al. 1997). Für die Kulturpsychologie stehen im angelsächsischen Sprachraum seit den neunziger Jahren Namen wie Jerome Bruner, Michael Cole, Richard A. Shweder, Michael Sullivan, Carl Ratner und Jan Valsiner, zuweilen werden auch Kenneth Gergen, Derek Edwards und Jonathan Potter als Vertreter einer speziellen Ausrichtung der Kulturpsychologie genannt (vgl. z.B. Miller 1997; Straub 2001a). Im deutschsprachigen Raum hatte sich bereits seit den achtziger Jahren im Anschluss an und in Auseinandersetzung mit Ernst E. Boesch (1991) eine eigenständige Handlungs- und Kulturpsychologie etabliert, die mittlerweile unterschiedliche Ausgestaltungen angenommen hat. Als Vertreter gelten u.a. Hans Werbik, Lutz Eckensberger; Bernd Krewer und Jürgen Straub. Die Psychologie interkulturellen Handelns, die in Deutschland maßgeblich durch Alexander Thomas bekannt geworden ist (vgl. aber auch Thorsten Kühlmann, Jürgen Bolten, Jürgen Straub), steht mit ihrer praxisnahen Forschungsausrichtung für die Anwendungsbemühungen beider Ausrichtungen (Thomas 1996). Für kulturvergleichende und Kulturpsychologie gilt, dass sie sich als innovative psychologische Ansätze verstehen, verstärkt bereit sind, die eigenen wissenschaftlichen Diskurse und Forschungsergebnisse bezüglich ihrer kulturellen Grundlagen und Bindungen zur Diskussion zu stellen und sich explizit gegen ethnozentristische und naiv-universalistische Tendenzen der Psychologie aussprechen. Letzteres macht sich in vielen Fällen auch an einer kulturpsychologischen Kritik des kognitivistischen Paradigmas der Psychologie fest (vgl. Zitterbarth/Werbik 1986, 1990; Eckensberger 1990; Krewer 1992; Straub 1999; Serpell 2001 u.a.). Es gibt allerdings ganz erhebliche Unterschiede zwischen kulturvergleichender Psychologie und Kulturpsychologie: Zwar richtet sich auch die kulturvergleichende Psychologie explizit gegen den ethnozentristischen Anspruch, den sie der US-amerikanisch und (west)europäisch dominierten wissenschaftlichen Psychologie vorwirft (vgl.

3

Und sie hatte natürlich ihre historischen Vorläufer (vgl. Krewer/Jahoda 1993).

311

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS 4

z.B. Triandis/Lambert 1980; Segall et. al. 1998: 1101; Thomas 2000) . Allerdings ist diese Einsicht in die kulturelle Bedingtheit der eigenen Kategorien und in die Möglichkeit, dass das Fremde in diese Kategorien nicht ‚passt‘, für die Vertreterinnen der kulturvergleichenden Psychologie in der Regel nicht an die Kritik einer auf verallgemeinerbare Gesetzesaussagen ausgerichteten, am neopositivistischen Erkenntnisideal orientierten Wissenschaftsauffassung und der entsprechenden Methodologie gebunden. Die kulturvergleichende Psychologie versteht sich als nomologische Wissenschaft, die in ihren Differenzierungs- und Generalisierungsstudien hypothesengeleitet nach der universellen Bestimmbarkeit dessen forscht, was ‚hinter‘ den kulturellen Spezifizierungen zum Vorschein kommen möge – und damit gilt sie einigen Kritikern als Vertreterin einer universalistischen Position (vgl. Shweder/Sullivan 1993; Miller 1997; Straub 2001a; Straub/Layes 2002). Die epistemologischen und methodologischen Prämissen wirken zurück auf den Gegenstand: Der Kulturbegriff wird in der kulturvergleichenden Psychologie, entgegen dem ersten Anschein und dem selbst gestellten Anspruch, die Kulturgebundenheit psychischer Phänomene zu betonen, in vielen Fällen an den Rand gedrängt. Dieser Eindruck wird auch durch Selbstaussagen von Vertretern der kulturvergleichenden Psychologie verstärkt, denen zufolge es darum gehe, die „Effekte“ der Kultur auf das „menschliche Verhalten“ zu untersuchen – mit dem erklärten Ziel, letztlich auf „terms like cross-cultural psychology and cultural psychology“ verzichten zu können (Segall et. 5 al. 1998: 1101). 4 Für die kulturellen Wurzeln allen Wissens, Denkens, Handelns und Fühlens, des Selbst und der Identität steht ja seit langem schon die Debatte um eine relationale Hermeneutik im Kulturvergleich (vgl. Matthes 1992). 5 Allerdings distanzieren sich Segall et. al. von einem „theoretisch naiven“ Universalismus (ebd.: 1101), und auch Straub (2001a) gibt zu bedenken, dass die strenge Trennung zwischen kulturvergleichender und Kulturpsychologie „zahlreiche Gemeinsamkeiten überspielt und verdeckt“ (ebd.: 138). Zu einer immer differenzierteren Einschätzung der Probleme des hypothesengeleiteten Vorgehens hat innerhalb der kulturvergleichenden Psychologie auch die Diskussion um den von Berry (1969) vorgeschlagenen Terminus „derived etic“, der zwar nach Universalien sucht, jedoch bestrebt ist, diese nicht von außen aufzuzwingen, beigetragen. Dem Ansatz der „derived etic“ liegt eigentlich eine emische Perspektive, die den „Blick von innen“ sucht, zugrunde. Aus ihr soll dann die etische Sicht „abgeleitet“ werden (vgl. neben Berry

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FAZIT UND AUSBLICK

Für die handlungstheoretisch orientierte Kulturpsychologie dagegen zwingt die Einsicht in die Kulturgebundenheit ihres Gegenstandes zur Auffassung, dass psychische Phänomene und Prozesse grundsätzlich an kulturell geteilte Bedeutungen und die kulturelle Praxis gebunden sind, und zwar zu einem viel größeren Anteil, als es die Wissenschaftsauffassung der nomologischen (und der kulturvergleichenden) Psychologie zugesteht. Explizit wollen Kulturpsychologinnen und psychologen z.B. die Entwicklung einer „credible theory of psychological pluralism“ (Shweder/Sullivan 1993) voranbringen, was nicht zuletzt mit der Auffassung verbunden ist, dass Kulturpsychologie auch innerhalb einer Gesellschaft mit Blick etwa auf unterschiedliche interne Lebensformen sinnvoll ist. Kultur und Psychologie bzw. Kultur und der Gegenstand psychologischer Konstrukte werden innerhalb des heterogenen Felds der Kulturpsychologie als untrennbar miteinander verbundene „mutually constitutive phenomena“ gesehen (Miller 1997). Vertreterinnen und Vertreter der Kulturpsychologie verstehen Kultur als eine geteilte, symbolische Praxis, die ‚objektiviert‘ ist in „Sprache, Diskursen, Normen, Einstellungen, Werten und Wissen“ (Straub 1999: 183), aber auch in Dingen und Orten oder Institutionen. Diese Objektivationen sind, so Bruner, selbst Produkte der „bedeutungsschaffenden und bedeutungsnutzenden Prozesse“, durch die Individuen so eng mit der Kultur „verknüpft“ oder vielmehr selbst „Verkörperungen dieser Kultur“ seien, dass es „unmöglich [wird], eine Psychologie des Menschen nur vom Individuum her aufzubauen“ (Bruner 1997: 31). In dieser allgemeinen, aber sehr grundsätzlichen Auffassung ist die Kulturpsychologie dem Sozialen Konstruktionismus sehr verwandt. 2.2

Kulturpsychologie und Sozialer Konstruktionismus

Man ist sich innerhalb der Kulturpsychologie mehr oder weniger einig darüber, dass die für die Psychologie relevanten Phänomene in Kultur „eingelassen“ sind, dass sie kulturell konstituiert und geformt sind und ihrerseits kulturelle Funktionen haben (Bruner 1990a; Boesch 1991; Cole 1996; Ratner 1997; Straub 1999 u.a.). Ebenfalls Einigkeit herrscht darüber, dass der hier verhandelte Kulturbegriff eine Definition menschlicher Praxis „impliziert“, die nicht nur auf Sinn und Bedeutung ausgerichtet ist, sondern darüber hinaus „gegen subjektivistische, individualistische oder solipsistische Fassungen von ‚Sinn‘ und ‚Bedeuauch Eckensberger 1990; Thomas 1996; Segall et. al. 1998; Helfrich 1999 u.a.).

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

tung‘ gerichtet sein muss“ (Straub 1999: 181ff.; vgl. Bruner 1990a; Cole 1996; Shweder/Sullivan 1993). Entsprechend werden auch aus kulturpsychologischer Sicht konzeptionelle Defizite des Kognitivismus bzw. des kognitivistischen Wissensbegriffs kritisiert: Der gravierendste Einwand bezieht sich, ganz wie im Sozialen Konstruktionismus, darauf, dass die kognitivistische Psychologie Wissen individualistisch, subjektivistisch und kognitivistisch, einem zweckrationalen Menschenbild entsprechend konzeptualisiert, und damit nicht nur kulturzentristische Standards aufstellt und aufrechterhält (indem sie beispielsweise ein Modell des Geistes fördert, das dem Idealbild des Individuums in modernen, westlichen Gesellschaften entspricht), sondern zwangsläufig gerade jene „bedeutungsvollen Handlungen“ ausgrenzt, die für den o.g. Kulturbegriff entscheidend sind (vgl. u.a. Bruner 1990a; Boesch 1991; Still/Costall 1991; Harré/Gillet 1994; Straub 1999, 2001a). Von Seiten der Kulturpsychologie wird allerdings, anders als bei Gergen, das spezifische erkenntnistheoretische und methodologische Problem, das sich aus der Kulturgebundenheit psychologischer Phänomene und aus dem Interesse an fremdkulturellen Wirklichkeiten ergibt, ausführlich thematisiert und problematisiert. Für Shweder und Sullivan ist es „one challenging goal for cultural psychology […] to find a way to document, acknowledge, and honor the reality of population or group differences in cognitive, emotional, motivational, and health functioning and in the patterning of the life course without underestimating our common humanity, without dismissing differences as measurement error, and without falling back on the interpretation of the other as a deficient or underdeveloped version of the self“ (1993: 501). Die erkenntnistheoretisch und methodologisch relevante Frage, wie sich das, was als das andere erscheint, erforschen und erkunden lässt, ohne es im Zuge dieses Prozesses „nostrifizierend“ anzueignen, eigene Maßstäbe oder Verallgemeinerungen vorauszusetzen, kann man mit gutem Recht als eine der großen Fragen der Kulturpsychologie bezeichnen (vgl. Werbik/Zitterbarth 1986; Boesch 1991; 6 Shweder/Sullivan 1993; Cole 1996; Miller 1997; Straub 1999, 2001a).

6 Erkenntnislogisch geht es hier darum, wie es überhaupt möglich ist, das neue und das andere zu erkennen, da man nicht deduktiv-subsumptionslogisch vorgehen kann. Lösungen wurden für die Psychologie aus dem Bereich der interpretativen Sozialforschung im Anschluss an erkenntnis- und zeichentheoretische philosophische Theorien erar-

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FAZIT UND AUSBLICK

Da sich psychologisch relevante Konstrukte der kulturpsychologischen Auffassung zufolge im Kontext der alltäglichen, kulturell unterschiedlichen Praktiken und Diskurse bilden, müssen sie auch dort untersucht werden. Das Wissen, das die Partizipation an diesen Praktiken ermöglicht, ist zu einem beträchtlichen Teil implizites Wissen (z.B. Shweder/Sullivan 1993: 507; Straub 1999: 96f.). Die Erhebung solcher Wissensbestände sollte daher auf die interpretative Analyse interaktiver Daten abzielen (vgl. Greenfield 1997; Ratner 2002; Straub/Layes 2002). Damit kommen neben den Möglichkeiten der freien, vor Ort in teilnehmend-beobachtender Haltung vorgenommenen Feldforschung als Datenmaterial entweder Dokumente natürlicher Kommunikation oder Interaktion (Konversationsanalyse, Gesprächsaufzeichnungen, Dokumentenanalyse interaktiver Dokumente wie Briefe usw.) in Frage, oder aber gezielt für die Erhebung vorgesehene, offene oder schwach strukturierte Interviews bzw. Gruppendiskussionen. Die Betonung der spezifischen methodologischen Problematik, die sich aus dem kulturpsychologischen Anspruch eines nicht-universalistischen Wissenschaftsverständnisses ergibt, und die klare Befürwortung einer interpretativen Methodologie stellen einen maßgeblichen Unterschied zum Sozialen Konstruktionismus dar, der, wie wir sahen, nicht für eine bestimmte methodologische Position eintritt. Abschließend sei als übergreifendes Charakteristikum kulturpsychologischer Ansätze genannt, dass sie – im Gegensatz zum Sozialen Konstruktionismus – trotz ihrer Kritik der naturwissenschaftlichen und kognitivistischen Ausrichtung der Psychologie und dem damit verbundenen Methodenideal durchaus auf psychologische Vorarbeiten Bezug nehmen bzw. an diese anschließen. Die meisten kulturpsychologischen Arbeiten sind ekklektisch und integrativ. Einige Beispiele: Die Handlungs- und Kulturpsychologie Boeschs bezieht sich auf unterschiedliche theoretische Grundlagen, allen voran auf den Piagetschen Konstruktivismus, auf Kurt Lewins Feldtheorie, aber auch der Einfluss der Freudschen Psychoanalyse ist unübersehbar (vgl. bes. 7 Boesch 1991) . Unter den amerikanischen Kulturpsychologen gibt es beitet, etwa am Konzept der Abduktion ansetzend, das auf den Pragmatisten Peirce zurückgeht (vgl. für die Anwendung auf die Methodologie der Sozialforschung z.B. Kelle 1994; Reichertz 1997) oder die Unterscheidung zwischen bestimmender und reflektierender Vernunft im Rückgriff auf die dritte von Kants Kritiken (Straub 1999). 7 Besonders interessant ist im Falle von Boeschs Variante der Kulturpsychologie die Entwicklung von Regelkreismodellen des Handelns zu einer hermeneutischen Handlungs- und Kulturpsychologie (vgl. für eine

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

einige Vertreter, die explizit Anschluss an die russische Psychologie suchen und sich auf den Handlungsbegriff Wygotskis stützen, um diesen für eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Psychologie fruchtbar machen (vgl. u.a. Cole 1996; Ratner 1997, 2002; Valsiner 1997). Fast allen Vertretern der Kulturpsychologie gilt Frederic Bartlett durch seine Wissens- und Gedächtnispsychologie als Vorbild (vgl. Straub 2001a; Bruner 2000; Bloor 2000), und auch kognitivistische Wissensrepräsentationsmodelle – etwa das Skriptmodell von Schank und Abelson oder die Geschichtengrammatiken von Rumelhart et. al. – werden durchaus auf ihre Brauchbarkeit für kulturpsychologische Konzepte hin untersucht (vgl. Cole 1996; Miller 1997; Straub 1998). Dasselbe gilt für die kritische Auseinandersetzung mit Erik Eriksons einflussreichen Arbeiten zum Identitätsbegriff (vgl. dazu Straub 1996, 2002). Kulturpsychologinnen sehen sich ganz selbstverständlich in der Pflicht, auch an einschlägigen, psychologischen Vorarbeiten anzusetzen – und haben wohl diesbezüglich weniger dogmatisch begründete ‚Berührungsängste‘ als wir das für sozialkonstruktionistische Arbeiten 8 feststellen konnten. Fassen wir nun Gemeinsamkeiten und Unterschiede der kulturpsychologischen bzw. sozialkonstruktionistischen Theorieentwürfe zusammen: Die Unterschiede bestehen zunächst einmal in der methodologischen Verortung der Kulturpsychologie im interpretativen Paradigma und in ihrer Bereitschaft, an psychologische Theorieentwürfe anzuschließen und sich damit nicht ganz außerhalb der (aktuellen und historischen) Psychologie zu bewegen. Beides lehnt der Sozialkonstruktionismus ab. Die grundsätzlichen, theoretischen Bestimmungsstücke dessen, was mit dem Begriff ‚Kultur‘ bezeichnet wird, sowie die zentralen metatheoretischen Prämissen scheinen dagegen eher auf eine enge Verbindung zwischen Sozialkonstruktionismus und Kulturpsychologie hinzuweisen. Gleichwohl sehen sich nur wenige Sozialkonstruktionisten in der Nähe der Kulturpsychologie. Gergen zielt in seiner Erwähnung der Kulturpsychologie kritisch auf die Unausführliche Darstellung Straub 1999); vgl. zu diesem Problem auch Matthes 1992).. 8 In der Diskursiven Psychologie wurde das Attributionsmodell Fritz Heiders im Vorfeld des eigenen, sozialkonstruktionistischen Wissensmodells kritisch besprochen (vgl. Potter/Wetherell 1987); für den Sozialkonstruktionimus hat Butt (2000) – mit Bezug auf die amerikanischen Pragmatisten, vor allem auf Dewey und James – George A. Kellys Theorie der Persönlichen Konstrukte aufgearbeitet.

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FAZIT UND AUSBLICK

terschiede ab, insbesondere was den Begriff des Selbst betrifft, der auch in der Kulturpsychologie ein wichtiges Thema ist (wir kommen darauf weiter unten ausführlicher zu sprechen). Von kulturpsychologischer Seite aus distanziert man sich zwar von bestimmten zentralen Aussagen, die für den Sozialkonstruktionismus bestimmend sind. So etwa sprechen sich Shweder und Sullivan verschiedentlich deutlich gegen ein „blanket denial of universalism“ in der Psychologie aus. Es gehe nicht an, meinen die Autoren, die mögliche Existenz kontingenter empirischer Universalia im Bereich psychischer Funktionen pauschal zu negieren (1993: 501). Ebenso wenig kann Miller der sozialkonstruktionistischen Sichtweise darin beipflichten, dass psychische Erfahrungen und Ereignisse aller Art tatsächlich allein kulturelle „performances“ repräsentierten (1997: 99). Die Tatsache, dass die Kulturpsychologie in grundsätzlichen Anliegen mit dem Sozialkonstruktionismus konform geht, wird aber durchaus positiv gesehen. Wie erwähnt behandeln Kulturpsychologen in zusammenfassenden Texten über die heterogenen theoretischen Grundlagen der Kulturpsychologie die sozialkonstruktionistischen Psychologiekonzeptionen als „closely related to cultural psychology“ bzw. sogar als „tradition within cultural psychology“ (vgl. z.B. Miller 1997: 88; vgl. Straub 2003). Die grundlegendste Annahme der Kulturpsychologie, die sie für eine in unserem Sinne postkognitivistisch orientierte Psychologie interessant macht, ist in erster Linie in der Zugewandtheit zur „Bedeutungsdimension“ des psychologischen Gegenstandes (Werbik/ Zitterbarth 1986) zu sehen. Wie der Sozialkonstruktionismus setzt auch die Kulturpsychologie das „Sein von Bedeutung“ (Laucken 1998, 2003) voraus und erklärt eine semantische oder bedeutungsstrukturierte Praxis (Straub 1999) zum Gegenstand ihrer theoretischen und empirischen Forschungen. Gerade die Unterschiede zur sozialkonstruktionistischen Auffassung sind es aber, durch welche die kulturpsychologische Sichtweise an den Punkten, an denen Sozialkonstruktionismus mit den selbstgesetzten Grundsätzen in Konflikt gerät – z.B. bei Fragen der Individualität, der Reflexivität und der Handlungstheorie –, andere theoretische Möglichkeiten hat als Gergen. Dabei werden die kulturpsychologischen Vorschläge den meisten Ansprüchen und Kriterien einer „second cognitive revolution“ gerecht. Um dies zu verdeutlichen, soll nun zunächst allgemein auf den Wissens- und Handlungsbegriff der Kulturpsychologie eingegangen werden. Darauf folgend werden kulturpsychologische Vorschläge für die Konzeptualisierung des soziokulturellen (Handlungs-)Wissens skizziert (V, 2.3). Den Abschluss unserer Betrachtung ausgewählter kulturpsychologischer Forschungsthemen und -ergebnisse bilden einige Bemer317

KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

kungen zum Konzept des Selbst aus kulturpsychologischer Sicht (V, 2.4). 2.3

Wissen und Handeln

Allgemein fordert auch die Kulturpsychologie dazu auf, das wissenschaftliche Interesse nicht so sehr auf die isolierten psychischen Prozesse des Individuums zu richten, sondern darauf, wie sich diese Prozesse in kulturellen Kontexten bzw. im Umgang mit kulturellen Objektivationen zeigen (vgl. Miller 1997: 92f.; vgl. auch Boesch 1991; Cole 1990, 1996; Rogoff 1990). Der „Geist“ oder die „Psyche“ werden dabei weder „unter der Hautoberfläche des Individuums“ noch in irgendwelchen „kulturellen Artefakten“ vermutet (Miller 1997: 92; Übers. B.Z.), sondern eher als „emergente Qualität in den ständig stattfindenden Interaktionen zwischen Subjekten, kulturellen Artefakten und der Welt der Objekte“ (Cole und Engestrom 1995: 21; Übers. B.Z.) angesehen. Vorrangig interessiert zwar – wie im Sozialen Konstruktionismus – der Handlungszusammenhang, weniger die internen kognitiven Prozesse „im“ Individuum oder deren externe Bedingungen. Allerdings geht es dabei immer auch um die handelnde Person, und dies steht im Gegensatz zur sozialkonstruktionistischen Auffassung: Wie wir gesehen haben, klammert Gergen, auch wenn er von „sociopragmatics“ (1999: 77) oder gar von „relational being“ (ebd.: 125ff.) spricht, die Beschreibung dessen aus, was die einzelnen Teilnehmer an der gemeinsamen Praxis erleben und tun, welche Kompetenzen sie dazu benötigen, etc. Diese Seite der psychologischen Konstrukte hat in den sozialkonstruktionistischen Fragestellungen keinen Platz. Der Soziale Konstruktionismus kann sich gar nicht für die Selbst- und Fremdwahrnehmung, Handlungsplanung oder für Lernprozesse von Individuen oder eben von Personen interessieren – weil er Individuen oder Personen als identitäts- und intelligenzlose „Produkte“ anonymer, soziohistorisch variabler Diskurse (Gergen), Konversationen (Potter, Shotter) oder anderer interaktiver Prozesse versteht. Was Individuen tun, fühlen oder denken, ist nach Auffassung des Sozialkonstruktionismus (und der Diskurspychologie) nicht wie für die Kulturpsychologie durch das reziproke Verhältnis von Individuum und Kultur bestimmt – sondern das Individuum als solches, einschließlich seines konkreten Erlebens und Handelns, und damit der gesamte Gegenstand der Psychologie ist vollständig kulturell bestimmt (Gergen 1994: 68).

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FAZIT UND AUSBLICK

Aus kulturpsychologischer Sicht dagegen lassen sich diese Fragen nach wie vor stellen: Die Betonung kulturell bestimmter, kollektiv geteilter Bedeutungen, welche die mentalen Zustände und das Selbstverhältnis derjenigen Individuen bestimmen, die in dieser Kultur leben und handeln, stellen stets nur die eine Seite dar – auf der anderen Seite sind, wie in der allgemeinen oder auch in der kognitiven Psychologie, handlungsleitende „normative, kognitive und affektive Schemata“ der Individuen interessant (Eckensberger 1990; zit. nach Straub 1999: 163f.). Wenngleich unsere Ausführungen zeigen, dass die theoretischen Impulse der Kulturpsychologie ganz offensichtlich weg von der Konzentration auf die kognitiven Prozessierungs- und Repräsentationsleistungen des einzelnen Individuums führen, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass der handlungstheoretische Bezug der Kulturpsychologie verlangt, dass ihr Gegenstandsentwurf auf den Akteur und dessen mentale Repräsentation und Konstruktion der Kultur nicht verzichten kann (vgl. Boesch 1991; Miller 1997; Straub 1999). Betrachtet man jedoch kulturpsychologische Forschungsprogramme, so wird deutlich, dass deren Fragestellung und Design sich durchaus von dem unterscheiden, was in der (westlichen) akademischen Psychologie Standard ist. Ein Beispiel dafür schildert Miller (1997): Die Bemühungen, Prozesse des Wissenstransfers und der Wissensgeneralisierung zu beschreiben und zu erklären, müssen sich aus kulturpsychologischer Sicht nicht in erster Linie auf den kognitiven Transfer mentaler Objekte von einem (kognitiv repräsentierten) Gegenstandsbereich auf einen anderen konzentrieren, wie das in kognitivistisch-psychologischen Forschungen als selbstverständlich angesehen wird (vgl. Anderson 2001: 157, 307f.). Interessanter ist vielmehr eine handlungs- oder praxistheoretische Perspektive, aus der gefragt wird, „wie Aktivitäten sich aufeinander beziehen und wie Menschen sich von einer Aktivität zur nächsten bewegen“ (Miller 1997: 93; vgl. Rogoff 1997). Wichtiger als die intrapsychische (Neu-)Kodierung von Informationen erscheint aus kulturpsychologischer Sicht der Zusammenhang zwischen individuellen Handlungen und ihren praktischen Kontexten. Da man dabei davon ausgeht, so Miller, dass es sich um zwei Ansichten desselben Zusammenhangs handelt – die individuelle Handlungsabsicht ergibt sich aus dem geteilten, kontextuellen Handlungszusammenhang und wirkt auf ihn ein –, kann es schließlich, so Miller, zur „Auflösung des Transferproblems“ kommen (ebd.). Wissen wird hier durchaus mit Blick auf individuelle oder kollektive Träger konzeptualisiert, seine Bestimmung als konstitutiver Bestandteil einer soziokulturellen Praxis bleibt aber ebenfalls im Vordergrund. Daher ermöglicht es der kulturpsychologische Wissensbegriff, 319

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über die kognitivistischen Wissensmodelle hinauszugehen bzw., um nochmals Ryles Unterscheidung aufzugreifen: Man geht davon aus, dass ein beträchtlicher Anteil kulturellen Wissens als knowing-how gebildet wird, also durch die Teilnahme an einer Praxis, und damit dem oder der Einzelnen nicht ohne weiteres als ein knowing-that verfügbar ist. Straub konstatiert, dass es in kulturpsychologischen Fragestellungen mittlerweile immer stärker und selbstverständlicher um die Wissensgrundlage des Handelns gehe, und zwar insbesondere um „handlungsrelevantes Orientierungswissen, [das] den Akteuren nicht bewusst und ohne weiteres zugänglich sein muss“ bzw. um „praktische[s] Bewusstsein“ (1999: 96). Thomas spricht vom „kulturspezifischen Hintergrundwissen“ (2000: 233). Das im Alltag relevante, kulturelle Wissen bzw. das Bedeutungsrepertoire, über das wir kraft dieses Wissens verfügen, ist dann schwerlich zu beschreiben als kontextunabhängige Information im Sinne von irgendwie in Zeit und Raum vorfindlichen Einheiten, die bestimmten Verarbeitungsprozeduren unterzogen werden. Auch hierin scheint die Kulturpsychologie sich mit dem Sozialen Konstruktionismus einig zu sein. Dass jedoch die Kulturpsychologie die Frage nach individuellen Kompetenzen, nach Transfer- oder Lernprozessen nicht aus gleichsam ideologischen (im Zeichen der Subjektkritik stehenden) Gründen aus dem Bereich der interessierenden Fragen ausgrenzt, versetzt sie überhaupt erst in die Lage, an den entsprechenden psychologischen Begriffen (etwa am psychologischen Kognitions- oder Wissensbegriff selbst) zu arbeiten, bzw. sie weiter zu entwickeln und damit auch zu verändern. Welche begrifflichen Lösungen haben Kulturpsychologen für einen Wissensbegriff, der sich vom kognitivistischen Ideal abwendet, aber nicht alle auf das Individuum bezogenen wissenspsychologischen Fragestellungen aufgeben will (etwa die Frage nach individuellen Kompetenzen oder auch nach der individuell unterschiedlichen Realisierung kulturell verfügbarer Wissensbestände bzw. -elemente)? Ein Beispiel für den Versuch einer solchen Begriffsbildung, der freilich nicht den Status eines ausgearbeiteten Modells mit allen notwendigen Differenzierungen beanspruchen kann, stellt das Konzept der experience-nearconcepts dar, das Shweder und Sullivan (1993) näher beschrieben haben.

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FAZIT UND AUSBLICK

Experience-near concepts Ein wichtiges kulturpsychologischer Forschungsinteresse betrifft die Erfassung kultureller Besonderheiten im Bereich kognitiver Prozesse, insbesondere was Attributionen, Kategorisierungen, Urteile betrifft (vgl. z.B. Markus/Kitayama 1992; Miller 1984), aber auch mit kulturellen Differenzen in der Organisation emotionaler Zustände (vgl. z.B. Shweder 1994). Der wichtigste Schritt, um diese Differenzen ohne ethnozentrische Verallgemeinerungen möglichst adäquat rekonstruieren zu können, ist dabei, die „impliziten Bedeutungen“ (Shweder/Sullivan 1993) zu erkunden, die psychischen Phänomenen und Prozessen ihren Gehalt verleihen. Mit der Frage danach, wie sich diese Bedeutungen innerhalb einer soziokulturellen Gruppe oder Population verteilen bzw. wie sie von den einzelnen oder von Kollektiven erlernt werden, rücken Shweder und Sullivan (1993) die Untersuchung von „ ‚experience-near‘ concepts“ in den Vordergrund. Es geht dabei ausdrücklich um nicht-explizite Wissensbestände. Dem Begriff liegt die folgende Annahme zugrunde: „[A]cts of interpretation and representation“ can take place so rapidly and unconsciously that they are experienced by informants or subjects as indistinguishable from consciousness itself“ (ebd.: 507). Und damit, so die Autoren, hat es die kulturvergleichende und die Kulturpsychologie mit psychologischen Konstrukten zu tun, die über das bewusst rekonstruierbare Wissen hinausgehen: „[I]t is possible to ‚know more than we can tell‘ “ (Shweder/Sullivan 1993: 507). Diese Formulierung lässt den ursprünglich auf Clifford Geertz’ Konzept der dichten Beschreibung zurückgehenden Begriff der experience-near concepts für den in der vorliegenden Arbeit angestrebten für Handlung- und implizites Umgangswissen geeigneten alternativen Kognitionsbegriff interessant erscheinen, geht es doch bei diesem Konzept ausdrücklich um eine Art der Wissensbildung die sich „rapidly, subliminally, and without deliberate or reflec9 tive calculation“ vollzieht (ebd.: 508) . Auch Kirsh führt aus, dass es eine Vielzahl mentaler (kognitiver und emotionaler) Prozesse gibt, die zwar nicht auf ein bestimmtes, vollständig artikuliertes „Weltmodell“ zurückgreifen, aber dennoch „eindeutig auf Konzepten basieren“ (1991: 164; Übers. B.Z.). Die Folgerung Kirshs ist, dass irgendeine Art konzeptueller Repräsentation für bestimmte psychische Funktionen 9 Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass dieser Begriff selbst von Ryle stammt, auf den Geertz sich bezieht (Geertz 1987: 10; Ryle 1949, 1979).

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relevant sein muss, von der aber überhaupt nicht klar ist, wo und wie sie repräsentiert ist, bzw. wie auf das entsprechende Wissen zugegriffen werden kann: „How this is done remains a total mystery“, schreibt Kirsh noch 1991 (164; vgl. auch Epstein 1992). Diese abschließende Bemerkung Kirshs ist für sich allein genommen etwas zu skeptisch: Auch wenn die Explikation solcher Wissensbestände, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie implizit bleiben, auf spezifische Weise problematisch ist (vgl. Schneider 2000; Renn 2000), existieren innerhalb der Kulturpsychologie doch Versuche, dieses implizite kulturelle Wissen methodisch zu erfassen und theoretisch zu bestimmen. Straub (1999) macht beispielsweise mit Bezug auf Giddens’ Konzept der Strukturation den Vorschlag, zwischen „empraktischen“ und „diskursivierbaren“ Wissensbeständen zu unterscheiden (z.B.: 55, 96) und erläutert, dass der „praktische Charakter handlungsleitenden Wissens“ nicht zuletzt darauf verweise, „dass Bestimmungsgründe des Handelns ‚Gründe‘ im engeren Sinne des Wortes sein können, aber auch geschichtlich-biographische oder soziokulturelle Hintergründe des fraglichen Handelns“ (ebd.: 96). Auch im Forschungsprogramm von Markus und Kitayama (1991) zum Konzept des Selbst finden sich Ansätze, den Begriff des kulturellen Wissens differenzierter zu fassen: In ihrer Studie suchten die Autoren zwar nach der „konzeptuellen“, also begrifflichen, Repräsentation von das Selbst betreffenden Konstrukten in unterschiedlichen Kulturen (im Vordergrund standen kognitive Prozesse, hauptsächlich Attributionsstile, motivationale Aspekte und affektives Erleben); allerdings sollte es ausdrücklich nur um im Handeln implizit präsente Wissenselemente gehen, die die Autoren als „thought in action“ bezeichneten (ebd.) und von explizit repräsentierten, das Handeln oder das Selbstverhältnis beeinflussenden (kollektiven) Repräsentationen unterscheiden wollten (vgl. auch Shweder/Sullivan 1993: 509). Die Untersuchung ist in verschiedener Hinsicht interessant: Erstens wird auf die theoretische Unterscheidung zwischen dem „explicated self“ auf der einen und dem „constituted or compiled self“ auf der anderen Seite Wert gelegt, wobei letzteres speziell den Aspekt psychologischer Funktionen bezeichnet, die untrennbar mit unserem Handeln 10 verwoben scheinen (ebd.). Zweitens wird die Geltung theoretischer 10 Ob man, um diese Wirkung zu beschreiben, wie z.B. Shweder und Sullivan es tun, einen kausalen Zusammenhang zwischen Wissen und Handeln voraussetzen muss, ist allerdings eine Frage für sich. Illustrie-

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FAZIT UND AUSBLICK

Begriffe oder Forschungsergebnisse in Bezug zur verwendeten Methodologie reflektiert: Shweder und Sullivan (1993) weisen darauf hin, dass die kulturpsychologischen Theorien und Modelle solcher impliziten kulturellen Repräsentationen nicht notwendig äquivalent zur expliziten Repräsentation der „natives“ seien, wenngleich eine Übereinstimmung nicht auszuschließen sei bzw. in der Praxis manchmal zustande komme. Shweder und Sullivan äußern drittens über den Status kulturpsychologischer theoretischer Konzepte und Theorien: „The status of such theoretical models of the self is analogous to the status of a 11 grammarian’s representations of speech performance“ (1993: 510). Schließlich bleibt die Frage, was denn „repräsentiert“ werden soll, wenn es sich denn nicht um explizite „concepts and beliefs“ handelt (ebd.: 509). Und so lenken die Autoren ein, dass die Frage der „geeigneten Analyseeinheit“ für die Kulturpsychologie nicht leicht zu beantworten wäre (ebd.: 510). In diesem Zusammenhang wird auch die Frage der Lokalisation des kulturellen, praktischen Wissens angeschnitten: Man sollte sich dieses, so Shweder und Sullivan, nicht entweder innerhalb oder außerhalb der Person vorstellen, sondern sich von dieser dualistischen Engführung lösen. Die jeweilige Definition von Kultur gibt auch die Form des kulturellen Wissens vor, das den Forscher oder die Forscherin interessiert. Ein performativer Kulturbeg12 riff , der davon ausgeht, dass „culture and psyche ‚afford‘ each other,

ren soll dieses Beispiel kulturpsychologischer Forschungsarbeit, dass sich die hier zitierten Kulturpsychologinnen, mehr und intensiver als der Soziale Konstruktionismus, um die Konzeptualisierung eines über den kognitivistischen Kognitionsbegriff hinausreichenden Wissensbegriffs bemühen (ebd. 1993: 509f.). 11 Dabei haben die Autoren offensichtlich Theorien im Sinne der aktuellen Standards der westeuropäischen oder nordamerikanischen scientific community im Auge, die möglichst exakt, eindeutig und detailliert über Reichweite, Merkmale, Anzahl usw. von den zu beschreibenden und erklärenden Phänomenen Aufschluss geben. Die Grenzen des Explizierens in diesem Sinne mögen tatsächlich erreicht sein. Anders könnte es um die Möglichkeiten weiterer Explikations- oder Repräsentationsformen bestellt sein, etwa in Form von Beispielen, Analogien, Geschichten (hier dient wieder Geertz Analyse der dichten Beschreibung als Modell). 12 Mit dem Begriff des „performativen kulturellen Wissens“ bezieht sich Renn (2003), im Gegensatz zu den „kognitiven Geltungsansprüchen“ einer „Kultur“, auf die implizite Art der Vergemeinschaftung, die sich durch Bräuche, Riten, und implizite soziale Regeln und Normen konstituiert.

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which is another way of saying they make each other up“ (ebd.: 511), muss immer auch auf implizites Wissen rekurrieren. Dieses Wissen steht im Gegensatz zu dem, was Spiro (1984) als im kognitiven System „enkodierte“ kulturelle „Repräsentationen“ bezeichnet. Dem erstgenannten, von der impliziten, reziproken Konstitution von Kultur und Psyche ausgehenden Kulturbegriff ist auch die handlungstheoretisch orientierte Kulturpsychologie verpflichtet (so etwa bei Boesch, Bruner, Eckensberger, Werbik und Straub). Shweder und Sullivan kommen zum Fazit, dass das für kulturpsychologische Forschungen relevante kulturelle Wissen einerseits ein (im Zuge impliziter oder expliziter Sozialisation oder Enkulturation erworbenes) „subset of possible or available meanings“ sein müsse, welches jedoch andererseits die psychischen und mentalen Prozesse von Individuen in einer Gesellschaft auf eine Weise forme, dass „those meanings have become, for those individuals, indistinguishable from experience itself“ (ebd.: 512;). 13 Es geht um pragmatisch fundiertes Erfahrungswissen. Selbstverständlich erfordert das Konzept der experience-near concepts noch einige begriffliche Klärung. So sollte die theoretische Beschreibung oder Darlegung detaillierter auf die Problematik des methodischen Zugangs zu solchen impliziten Wissensbeständen eingehen. Implizite Wissensbestände erfordern nicht nur eine interpretative Methodologie, sondern legen auch die Verwendung nicht-direktiver Methoden der Erhebung nahe, wie etwa aus der Ethnomethodologie bekannte Verfahren. Auch die theoretisch-wissenspsychologisch interessante Frage, ob es überhaupt notwendig oder richtig ist, dabei von Repräsentation zu sprechen bzw. wie sich diese impliziten Repräsentationen von expliziten unterscheiden, wird von den Autoren nur angedeutet. Diese Frage ist sehr zentral, wenn man sie im Zusammenhang mit Gergens radikaler Ablehnung jeglicher Form der Repräsentation sieht. Die Repräsentation des hier gemeinten, impliziten kulturellen Wissens muss zwischen dem Extrem der individuellen, kognitiven Repräsentation (auf die sich der Wissende bewusst beziehen kann) und dem Extrem einer rein diskursiven Konstruktion von Wissen (auf die die einzelnen Diskurspartizipienten keinerlei Einfluss nehmen kön14 nen) liegen. Nicht zuletzt ist noch unklar, wie dieses implizite Wissen

13 Dessen Beschreibung auch an Kellys Hinweis auf „präreflexive“ Elemente personaler Konstrukte erinnert (s. Kap. III, 4). 14 Diese Frage betrifft den Status des Regelwissens, das in Handlungen eingeht. Auf die Bedeutung des Regelbegriffs für die kognitive Psycho-

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FAZIT UND AUSBLICK

– zumindest partiell – expliziert werden kann, wie bzw. mit welchem Anspruch also psychologische Theorien es überhaupt fassen können. Eine eingehendere Befassung mit diesem Problem würde nämlich – neben der bereits angesprochenen Methodenfrage – auf den Formwandel bei der Explikation dieses soziokulturellen, erfahrungsnahen Wissens eingehen müssen. (Die Autoren heben nur hervor, dass die Theorien des Wissenschaftlers sich von den impliziten oder naiven Erklärungen des Alltagsmenschen unterscheiden, versäumen es jedoch, ganz allgemein auf den Unterschied zwischen implizitem Handlungs15 wissen und dessen expliziter Formulierung zu sprechen zu kommen. ) Möglicherweise ist eine Differenzierung unterschiedlicher Typen impliziten Wissens sowie, davon abhängig, unterschiedlicher analytischunterschiedlicher Verfahren der Explikation notwendig. Überdies lassen auch die kulturpsychologischen Ausführungen Shweders und Sullivans die Frage der Leibgebundenheit des praktischen Wissens unberührt. Ungeachtet dieser Desiderata der wissenspsychologischen Befassung mit dem Begriff des kulturellen Wissen, zeigt diese selektive und knapp zusammengestellte Auswahl kulturpsychologischer Ansätze und begrifflicher Neuerungen im Bereich der Wissensrepräsentation, dass die Kulturpsychologie dort ansetzen kann, wo der Sozialkonstruktionismus sich desinteressiert abwendet: Bei der empirischen Untersuchung und theoretischen Konzeptualisierung des (kulturellen) Wissens und bei der Frage nach der Partizipation des Individuums an überindividuellen Diskursen und Praktiken. Auch in Bezug auf das komplexe, reziprok konstitutive Verhältnis von Kultur und Selbst scheinen sich Sozialkonstruktionismus und Kulturpsychologie in der grundsätzlichen Kritik am individuozentrischen

logie weist Hildebrandt (1991) hin; eine ausführliche Diskussion des regelbezogenen Modells der Handlungserklärung findet sich bei Straub (1999); s. auch Kap. II dieser Arbeit. 15 Die Frage der Veränderung des praktischen Wissens durch seine Explikation oder ‚Theoretisierung‘ betrifft auch das Repräsentationsproblem, für welches die kognitionspsychologischen Modelle, wie wir in Kapitel I sehen konnten, keine begriffliche Lösung hatten. Die Repräsentation prozeduralen, Fertigkeits- und auch Problemlösewissens wird in der Wissenspsychologie letztlich als algorithmisches Regelwissen modelliert und bleibt theoretisch unbefriedigend, da dieser Lösung der Formwandel von implizit nach explizit entgeht (zu dieser Frage s. auch Schneider 2000; Renn 2000, 2003).

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Konzept der Person einig, unterscheiden sich aber doch in bedeutsamer Weise. 2.4

Kultur und Selbst

Das reziprok-konstitutive Verhältnis von Kultur und Selbst Dem kulturpsychologischen Zugeständnis einer auch am Individuum interessierten Psychologie mag es zu verdanken sein, dass von sozialkonstruktionistischer Seite zuweilen der Vorwurf erhoben wird, Vertreterinnen und Vertreter kulturpsychologischer Positionen würden zwar von der „gegenseitigen Konstitution von Psychologie und Kultur“ (Boesch 1991; Straub 1999) bzw. der „interdependence of culture and self“ (Miller 1997) reden, die Kultur erhielte aber dabei eher den Status eines äußeren Faktors, der den eigentlichen psychologischen Gegenstand beeinflusst. Allein das Festhalten an der Rede vom ‚Selbst‘ und vom ‚Subjekt‘, so meint zum Beispiel Gergen (1997, 1999), sei ein Hinweis darauf, dass die Kulturpsychologie nicht nur mit ihrer Kritik des kognitivistischen Menschenbildes nicht weit genug gehe, sondern letztlich denjenigen (falschen) Prämissen verhaftet bleibe, denen der Kognitivismus selbst anhänge, allen voran der universalistischen Annahme, es gebe in allen Kulturen ein Konzept des Selbst. Gergen (1997) schreibt der Kulturpsychologie beispielsweise zu, sie verstehe das Selbst als „cultural carrier“, womit sie zwar in adäquater Weise betone, dass dieser „Träger“ kulturell variabler Bedingungen maßgeblich in seinen Fähigkeiten und Kapazitäten sowie seiner Entwicklung beeinflusst sei. Grundsätzlich aber zeichneten die kulturpsychologischen Theorien das Selbst als durch vorhandene psychische Strukturen und die über sie ermöglichten Funktionen, etwa eine narrative Kompetenz, bestimmt. Und hier gerate sie, so Gergen, in Widersprüche: Wie zuvor schon Mead, verpflichte sich die die Kulturpsychologie damit, das „intractable enigma“ zu klären, wie denn kulturelle Auffassungen oder Verständnisweisen allererst in das Denken der oder des Einzelnen eingehen (1999: 127). Dieses Rätsel sei aber gerade deshalb „unlösbar“, da die Kulturpsychologie an der Bedeutung individueller, höherer geistiger Kapazitäten und Funktionen für das Selbst festhalte. Dann nämlich sei Folgendes die Frage: „If we understand the world, and what others tell or show us, through higher mental processes (or narrative thought in the case of Bruner) then how did we ever come to understand the culture prior to possessing these capacities“ (ebd.)? 326

FAZIT UND AUSBLICK

Gergens Beobachtung ist nicht unrichtig, und die kritische Frage an die Kulturpsychologie nicht unberechtigt, allein seine Schlussfolgerungen sind überzogen und werden der Kulturpsychologie nicht gerecht. Er hat recht damit, dass alle Zugeständnisse an die Notwendigkeit, kulturellen Symbolsystemen und sich verändernden Praktiken größte Aufmerksamkeit zu schenken, aus kulturpsychologischer Sicht keinen Zweifel daran lassen, dass es für die Psychologie zentral ist und bleiben muss, sich auch auf innerpsychische Prozesse, z.B. die kognitive Entwicklung betreffend, oder auf individuelle Repräsentationen und 16 Konstruktionen kultureller Phänomene zu konzentrieren. Aber auch wenn einigen dieser Prozesse – z.B. der ontogenetischen Voraussetzung dafür, bestimmte höhere kognitive Funktionen zu entwickeln – Universalität zugesprochen wird, um ihre Rolle im Enkulturationsprozess erklären zu können, so heißt das noch nicht, das die kulturpsychologische Sichtweise bestimmter Phänomene der allgemeinpsychologischen Sicht „derselben“ Phänomene nichts entgegensetzen würde. In diesem Sinne hebt z.B. die Kulturpsychologin Joan G. Miller hervor, müsse und könne die Kulturpsychologie allgemeinpsychologische Erkenntnisse aufgreifen, die jedoch – sofern notwendig – zu kritisieren und in jedem Fall durch den Bezug auf kulturelle Bedeutungen und Praktiken zu erweitern seien: „Cultural considerations“, so Miller, „may be expected to enter into all psychological explanations that are

16 So heißt es etwa bei Hermans und Kempen (1993), dass dem kulturellen „Selbst die Fähigkeit des Wandels und der Innovation“ zuzusprechen seien; oder Straub formuliert mit Bezug auf Boeschs Symbolische Handlungstheorie, dass „Subjekte“ im „Einflussfeld der Kultur“ stehen, ihr „eigenes Handeln“ mitbestimmen und handelnd an der Gestaltung ihrer selbst und ihrer Welt beteiligt sind (Straub 1999: 163). Eckensberger spricht ganz entschieden aus: „[A]ctions are executed by subjects in real-life situations“ (1995: 71). Shweder und LeVine behaupten, „in all cultures there is some perception of the self“ (1984: 14). Und für Bruner (1990a) gehört zu den Grundsätzen der Kulturpsychologie, in diesem Punkt scheint er noch ganz auf der Linie des von ihm kritisierten Mainstreamkognitivismus, die Auffassung, dass die „Erfahrungen und Handlungen des Individuums durch seine intentionalen Zustände geformt werden“ (1990: 33; Übers. B.Z.). Der Inhalt und die Form der mentalen Zustände, Funktionen oder Konzepte, darin liegt die kulturpsychologische Neuerung oder die Unterscheidung zum Kognitivismus, ist weder für Bruner, noch für Boesch, Eckensberger oder Straub zu trennen von dem soziokulturellen Symbolsystem, in welchem sich das handelnde Subjekt mit seinen kognitiven Eigenleistungen zurechtfinden muss.

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premised on a view of individuals as intentional agents, whose interpretations of experience have a formative impact on their psychological functioning“ (ebd.: 109). Damit bezieht sich die Autorin nicht zuletzt auf wissens- und kognitionspsychologische Theorien, wie die in der vorliegenden Arbeit behandelten Wissensrepräsentationsmodelle. Von Netzwerken über Geschichtengrammatiken zu Schemata und Skripts, so Miller, gelte: „[C]ultural considerations must be taken into account to understand these cognitively-mediated phenomena“. Psychologisch relevante Kulturtheorien, so Miller, müssten zwar die kulturelle Bedingtheit psychologischer Prozesse anerkennen, aber das Individuum als Untersuchungsgegenstand erhalten. „In regard to treating both the agent and culture as active influences on psychological process, it is important to maintain an active view of the individual“ (ebd.: 112; Herv. i.O.). Es mag richtig sein, dass viele Vertreterinnen und Vertreter der Kulturpsychologie ihre Fragestellungen dennoch zu unreflektiert an den „bewährten“ allgemeinpsychologischen Konzepten ausrichten. Gergen allerdings löst seine (zu Recht angeführten) Bedenken in unplausibler und vereinfachender Weise auf, wenn er fortfährt: „If we are not born with self-contained cognitive processes, how could we make sense of our parents’ scoldings, pleadings and appreciations? And if we are born with such processes, then cultural psychology cannot be telling us the whole story“ (ebd.: 127; vgl. 1997). Ihm entgeht dabei, dass viele der kulturpsychologischen Theorien des Selbst die für die Herausbildung des Selbst notwendigen Fähigkeiten (sei es die Konstruktion einer Geschichte oder die Übernahme der Perspektive anderer) nicht unreflektiert als vorgängig voraussetzen, sondern zeigen, wie diese Fähigkeiten aus der erfolgreichen Partizipation an intersubjektiven Prozessen als kulturell spezifisch ausgeprägte subjektive Funktionen entstehen oder „emergieren“ (Hermans/Kempen 1993; Cole/ Engestrom 1995; Straub 1999; Miller 1997 u.a.). Auch die bereits oben erwähnte Reflexion der empraktischen Aneignung kulturellen und sozialen Wissens (Straub 1999: 55, 96) zeigen, dass es weit differenziertere Herangehensweisen an diese Frage gibt als Gergen in seiner Argumentation anbietet. Das wird auch dadurch bestätigt, dass kulturpsychologische Differenzierungen kognitions- oder allgemeinpsychologi-

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FAZIT UND AUSBLICK

scher Modelle oft zur Modifikation und Relativierung der diesen Mo17 dellen zugrunde liegenden, individuozentrischen Annahmen führen. Gergens Argument trifft nur im Rahmen seines eigenen, engen und in dieser Enge auch dogmatischen Denkrasters, das sich ungefähr wie folgt reformulieren lässt: Solange dem individuellen Selbst überhaupt Relevanz zugesprochen wird, lässt es sich gar nicht vermeiden, das zweckrational handelnde Individuum und seine individuellen Kapazitäten als vorgängig vorauszusetzen und damit gleichsam automatisch in den Sog der traditionellen Fehlausrichtung der Psychologie, nämlich einer „individuozentrischen“ Gegenstandsbestimmung, zu geraten (vgl. Gergen 1999: 124; Harré/Krausz 1996). Dabei lässt er, wie gesagt, außer Acht, dass gerade die Kulturpsychologen sich (weil sie die Rede vom Individuum nicht aufgeben wollen) um begriffliche Differenzierung im Zusammenhang mit der reziproken Konstitution von 18 Subjekt und Kultur bemühen müssen und dies auch tun. So wird bei fast allen hier genannten und bislang zitierten kulturpsychologischen Autorinnen und Autoren wiederholt und ausführlich betont, wie zentral es für den kulturpsychologischen Subjektbegriff ist, dass Kultur nicht externalisiert und einseitig als „äußeres“ Handlungsfeld (oder medium) angesehen werden kann, in welches letztlich autonom handelnde Individuen eingreifen bzw. von dem sie beeinflusst werden. Vielmehr gehört es zum Kern der kulturpsychologischen Selbstbeschreibungen, dass Kultur „Handlungsfeld und Handlungsprodukt zugleich“ sein muss (Straub 1999: 164). Individuen und ihre Kapazitäten oder Fähigkeiten können beschrieben werden, aber – und das ist ja gerade die zentrale Aussage – nicht ohne einen kulturellen Rahmen, der sowohl Inhalt als auch Form dieser Beschreibung bestimmt und in diesem Sinne relativiert. So zu lesen bei Boesch (1991), Werbik (1990), Shweder und Sullivan (1993), Miller (1997) und Straub (1999, 2001a). Es zeigt sich auch hier wieder, dass die Kulturpsychologie – ohne das (subjekt- und rationalitäts-) kritische Potenzial des Sozialkonstruktionismus preiszugeben – diejenigen psychologisch relevanten Fragen stellen kann, die dem Sozialkonstruktionismus verschlossen bleiben. 17 Vgl. z.B. Strauss (1992) zum Schemabegriff, Miller (1984) zur kognitiven Entwicklung, Serpell (1993) zu Intelligenzkonzepten und Straub (1998) zur Geschichtengrammatik. 18 In Kapitel III, 4 haben wir gesehen, dass auch das Konzept des Selbst in der Persönlichkeitstheorie Kellys Hinweise auf die reziproke Konstitution von Selbst und Sozialität enthält und dies nicht zuletzt durch die Verbindung der Konstrukttheorie zu Elementen des amerikanischen Pragmatismus.

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Ähnlich wie Laucken (1996: 11), der gerade angesichts der (seiner Ansicht nach produktiven) Schwächung oder Dezentrierung des psychologischen Subjekts im Sozialen Konstruktionismus die Frage stellt, wie denn „das individuelle Geistesleben eines homo psychologicus artikuliert und strukturiert sein“ müsse, um sich in die sozialkonstruktivistische Gegenstandskonzeptualisierung einzufügen, schreibt auch Miller, dass eine der theoretischen Herausforderungen für die Kulturpsychologie darin bestehe, psychologische Theorien zu entwickeln, die die psychologischen Funktionsbereiche und Phänomene „komplex und facettenreich“ und als „kulturell begründet und variabel“ beschreiben (1997: 108; Übers. B.Z.). Der Zusammenhang von Handlungs- und Identitätstheorie in kulturpsychologischen Ansätzen Auch die Beziehung zwischen Subjekt- und Handlungsbegriff betreffend, stützt die kulturpsychologische Kritik zunächst die sozialkonstruktionistische: Man ist sich mit Gergen durchaus darin einig, dass die meisten psychologischen Handlungsmodelle im Sinne eines rationalistischen Menschenbildes konzipiert sind, demnach der Akteur nicht nur die eigenen Handlungen im Hinblick auf seine bewussten Ziele plant, sondern auch alle situativen und Kontextaspekte, die sozialen wie materiellen Folgen seiner Handlung sowie die Folgen für sein eigenes Selbstverhältnis im Blick und unter Kontrolle hat. Und dies bedeutet, auch aus der Sicht vieler Kulturpsychologinnen und psychologen eine Engführung unserer Praxis auf einen bestimmten Typ (nämlich den Typ geplanten, zielgerichteten, rationalen Handelns). Damit verbunden ist die Reduktion des Akteurs auf ein bestimmtes Subjektverständnis (das rationale, autonom handelnde, auf 19 der Basis sicheren Wissens entscheidende Subjekt). Straub behauptet

19 Die Idealisierung des Akteurs zum rational handelnden, autonomen Subjekt liegt tatsächlich den meisten psychologischen Handlungsmodellen, die Handeln als Gegenbegriff zum bloßen Verhalten verstehen, zugrunde. Psychologische Handlungsmodelle sind an kybernetischen Modellen ausgerichtet (so etwa bei Miller/Galanter/Pribram 1973) und bzw. oder an von marxistischen Denktraditionen beeinflussten Tätigkeitstheorien (vgl. dazu z.B. Hacker 1986). Zum (kritischen) Überblick über diese psychologischen Handlungs- und Tätigkeitsmodelle und Alternativorschläge vgl. Aschenbach 1984; Groeben 1986; von Cranach 1994; von Cranach/Tschan 1997. Eine systematische und kritische Re-

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FAZIT UND AUSBLICK

sogar, dass „Antworten auf die Frage, was wir sinnvollerweise unter einer Handlung verstehen könnten“, zwangsläufig auch „die Frage [berühren], ‚wer wir sind und sein möchten‘ “ (2001b: 4). „Nicht jede Handlung beruht auf Überlegungen und einem Plan“, schreibt Straub (1999: 96), und meint damit, zunächst ganz ähnlich wie Gergen es sieht, dass Akteure Regeln folgen, „die in ihr Handeln bzw. in ihre Sprache gleichsam eingelassen sind“ (ebd.: 119f.). Straubs kulturpsychologischer Handlungsbegriff steht dem sozialkonstruktionistischen Praxisbegriff in den Punkten, in welchen letzterer sich auf die Einsicht Austins, dass Sprechen immer auch Handeln ist und auf Wittgensteins Sprachspiel- und Regelbegriff stützt, in keiner Weise nach und teilt auch die Ansicht, dass die Bedeutung einer Handlung bzw. eines sprachlichen Ausdrucks „nur dann verstanden werden kann, „wenn der sprachliche Kontext berücksichtigt wird, in dem sie jeweils stehen“ (Straub ebd.: 121). Der hier relevante Unterschied liegt in der vermeintlich zwingenden Weiterführung, die für Gergen – wie wir gesehen haben – darin kulminiert, nicht das rational handelnde, autonome Subjekt, sondern jedes Subjekt zugunsten einer Theorie anonymer Strukturen und Prozesse aufzugeben. konstruktion derjenigen Vorschläge, die innerhalb der Psychologie in den letzten beiden Jahrzehnten als Versuche, einen psychologischen Handlungsbegriff differenzierter zu fassen, vorgelegt worden sind (u.a. Aschenbach 1994; Groeben 1986; von Cranach 1994), bietet Straub (1999). Dazu unterbreitet der Autor sein eigenes Modell, demzufolge Handlungen als Deutungs- oder Interpretationskonstrukte aufzufassen sind, und das auch Widerfahrnisse und Gefühle in den psychologischen Handlungsbegriff mitaufnimmt. Mit Bezug auf das teleologische Modell von Wrights (1971), auf das regelbezogene Handlungsmodell von Winch sowie auf Dantos (1973) Beiträge zur narrativen Erklärung wird eine Typologie vorgestellt, in der Handlungstypen und Typen der hermeneutisch-interpretativen Handlungserklärung voneinander unterschieden werden; dabei stehen Überlegungen, die die „geschichtlichtemporale Struktur des Handelns“ sowie in Anschluss an Joas (1992) die „Kreativität des Handelns“ hervorheben, im Vordergrund (vgl. Straub 1999: 141ff.). Beträchtliche Aufmerksamkeit erhält in Straubs Variante das „narrative Handlungsmodell“, welches die spezifische Temporalität von Handlungen sowie der mit ihnen verbundenen Sinnbildung thematisiert als auch die „Kreativität“ (Joas 1992) bzw. mit Waldenfels die „Produktivität“ (1990, 1999) des Handelns in Betracht zieht. „Nur die Sprachform Erzählen“, schreibt Straub mit Bezug auf Ricoeur, „bewahrt Kontingenz und macht sie intelligibel […] durch die Integration in einen erzählerisch konstituierten Sinnzusammenhang“ (ebd.: 10; vgl. Ricoeur 1988, 1996; s. Kap. IV, 3)

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Damit ist leichtfertig der Anspruch aufgegeben, die „komplementäre Artikulation“ individueller und sozialer Konstruktion (Laucken 1996) zu suchen bzw. die Möglichkeit, im Zuge der Beschreibung einer sinn- und bedeutungskonstitutiven sozialen Praxis auch die Frage nach dem „praktischen Bewusstsein“ der Akteure zu stellen, das für die Teilnahme an dieser Praxis erforderlich ist (Straub 1999). Dann wäre ein Praxisbegriff notwendig, der beides enthält: Eigenes und Fremdes, Handlungsfähigkeit und soziokulturelle Konventionen, öffentlich zugängliche sprachliche Bedeutung sowie den subjektiv intendierten Sinn des Sprechers. Auf jeden Fall aber ist auch in den kulturpsychologischen Varianten die Einschränkung der Möglichkeiten jenes Subjekts, welches über ein rationales Bewusstsein die Praxis kontrolliert, und dessen Äußerungen und Handlungen allein seiner Intention zugeschrieben werden, mitgedacht (vgl. Straub 1999, 2001b). Schließlich ist die Forderung der Dezentrierung des (Handlungs-)Subjekts mit bestimmten modernen Theorien personaler Identität durchaus vereinbar. Besonders das Konzept der narrativen Identität (Ricoeur 1988; 1996, Meuter 1995; Straub 1999), aber auch in Anlehnung an den amerikanischen Pragmatismus und die Psychoanalyse sowie an klassische psychologische Identitätsmodelle (wie den Entwurf Eriksons) entwickelte psychologische Identitätstheorien betonen durchaus die für moderne Subjekte konstitutive „Differenz, Ambivalenz, Ambiguität, Alterität, Alienität, Temporalität, Geschichtlichkeit, Kontingenz und Dynamik“ (Straub 2001b: 15). In diesem Sinne verfasste psychologische Identitätstheorien wenden sich ganz offensichtlich gegen das Bild von in sich ruhenden und deshalb entscheidungsmächtigen und handlungsfähigen Individuen, ohne von der Auflösung des Selbst oder der Ich-Identität sprechen zu müssen. Nicht nur die durch Pluralitätserfahrungen charakterisierten Lebensumstände des relational self, auch das von Gergen häufig gezeichnete Bild einer vielstimmigen Praxis, welche die Artikulation des einzelnen Sprechers permanent durchkreuzt, haben in dieser Sichtweise Platz (vgl. Wenzel 1995).

3

Zusammenfassung und synoptischer Vergleich

In diesem Kapitel wurde kein umfassender Überblick über das heterogene Feld der Kulturpsychologie gegeben und auch die erwähnten und partiell zitierten Positionen sind selbstverständlich nur in Auszügen und selektiv zur Darstellung gelangt. Daher bezieht sich auch die 332

FAZIT UND AUSBLICK

nun folgende kurze Zusammenschau der diskutierten Beispiele kulturpsychologischer Theoriebildung ausdrücklich auf die hier (im Vergleich zum Sozialkonstruktionismus) relevant gewordenen Unterschiede und erhebt nicht den Anspruch einer vollständigen, systematischen Rekonstruktion der kulturpsychologischen Vorschläge für eine postkognitivistische Psychologie. Insbesondere wurde nicht näher erwähnt oder erörtert, dass ein maßgebliches Problem der Kulturpsychologie wohl in ihrer Heteroge20 nität liegt. Das heißt für die hier interessierende Analyse, dass erstens die im Folgenden als mögliche „Erweiterungen“ der sozialkonstruktionistischen Sichtweise vorgestellten Aspekte kulturpsychologischen Denkens nur für ausgewählte unter diesem Namen firmierende Ansätze gelten (die als solche hervorgehoben wurden). Zweitens sollte die Gegenüberstellung von Kulturpsychologie und Sozialkonstruktionismus nicht über das ebenfalls grundsätzliche Problem hinwegtäuschen, dass einige der in diesem Kapitel zitierten Vertreterinnen und Vertreter der Kulturpsychologie sich bei weitem nicht so entschieden für eine kognitivismus- und mainstreamkritische, antiuniversalistische und antiindividualistische Position aussprechen wie der Soziale Konstruktionismus und daher ihre „Vorschläge“ nicht in den Gesamtrahmen einer eigenen, auch metatheoretisch begründeten Psychologiekonzeption stellen! In dieser Hinsicht ist der Soziale Konstruktionismus, insbesondere in der Variante Gergens, der Kulturpsychologie voraus. Gleichwohl ist deutlich geworden, dass zumindest die handlungstheoretisch fundierte, heute einflussreiche Ausrichtung innerhalb der Kulturpsychologie (zu der z.B. Boesch und Straub zu zählen sind) der sozialkonstruktionistischen Variante auch im Punkt der fundamentalen Kritik nahe steht. Wenngleich die Kulturpsychologie die sozial- bzw. kulturkonstruktivistische Grundhaltung Gergens teilt, derzufolge psychologische Konstrukte ohne den Bezug auf kulturell bestimmte Bedeutungen wenig aussagekräftig sind, zieht sie daraus nicht den Schluss, dass die Psychologie sich allein mit transsubjektiven Strukturen, Praktiken und Prozessen zu befassen hat. Individuen sind Teil der Kultur, Kultur ist Teil des Individuums – beides gilt es in Bezug auf das jeweils ande-

20 Für einen Überblick der aktuell unter dem Begriff Kulturpsychologie versammelten Positionen und Ansätze, der diese Unterschiedlichkeiten aufgreift, vgl. den instruktiven Beitrag von Straub und Thomas im 2003 neu aufgelegten Sammelband zur kulturvergleichenden Psychologie (vgl. Thomas 2003).

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

re zu erforschen (1). Daraus folgt für die kulturpsychologischen Forschungen und Diskurse, dass sie sich auch mit dem Individuum und seinen Kapazitäten, seinem Denken, Fühlen, Wollen und Handeln befassen (ein Beispiel ist die Frage nach der Form des kulturellen Wissens) (2). Dadurch kann die Kulturpsychologie an bestehende Modelle, Begriffe, Theorien und Diskurse in der Psychologie anschließen bzw. sie erweitern oder weiterentwickeln (so könnten experience-near concepts zu einem Beitrag zur wissenspsychologischen Modellierung impliziten oder praktischen Wissens ausgearbeitet werden, der etwa skripttheoretische Modelle um diesen Aspekt erweitert) (3). Die Kulturpsychologie bezieht im Unterschied zu Gergens Sozialkonstruktionismus eine theoretisch und metatheoretisch begründete methodologische Position und plausibilisiert damit, dass das wissenschaftliche Interesse an sinn- und bedeutungsstrukturierten Wirklichkeiten einen hermeneutischen Zugang zu diesen Wirklichkeiten (und damit die Abkehr von einem nomologischen Wissenschaftsverständnis) zwingend erfordert. Dieser systematische Zusammenhang bleibt in der sozialkonstruktionistischen Sichtweise ausgeblendet (4). Durch die Ausarbeitung einer interpretativ-hermeneutisch ausgerichteten Methodologie (dazu gehört z.B. die Auseinandersetzung mit der philosophischen Hermeneutik, den interaktionistischen Ansätzen Meads bzw. Garfinkels oder der soziologischen Phänomenologie) hat die Kulturpsychologie auch bestimmte Aspekte der grundlagentheoretischen Fundierung einer nachkognitivistischen Psychologie geleistet (5). Die handlungstheoretische Orientierung der Kulturpsychologie sehen wir als entscheidenden Vorteil gegenüber dem Sozialkonstruktionismus 21 an. Nicht zuletzt dadurch gelingt es, die Sprachgebundenheit und Pragmatik von Wissen zu integrieren, ohne auf das wissende oder handelnde psychologische Subjekt und dessen individuelle Kompetenzen (z.B. die Kompetenz, an transsubjektiven Bedeutungssystemen zu partizipieren) gänzlich verzichten zu müssen. In diesen Punkten genügt die Kulturpsychologie den Kriterien einer postkognitivistischen Psychologiekonzeption ebenso wie der Sozialkonstruktionismus, kann aber einige seiner Schwächen vermeiden (6). Die Verbindung von Leiblichkeit und Sinnbildung allgemein und damit auch die Frage nach der Leibgebundenheit des kulturellen Handlungs- oder Umgangswis21 Diese zeigen insbesondere die Arbeiten von Boesch (1980, 1991) und Straub (1999), die den Zusammenhang handlungstheoretischen und kulturpsychologischen Denkens ausweisen.

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FAZIT UND AUSBLICK

sens wird allerdings auch in kulturpsychologischen Arbeiten zumeist nur am Rande erwähnt und kann daher als gemeinsames Forschungsdesiderat des sozialkonstruktionistischen wie des kulturpsychologischen Wissensbegriffs gelten (7). Die folgende Tabelle fasst die von uns hervorgehobenen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der sozialkonstruktionistischen resp. der interessierenden kulturpsychologischen Position noch einmal überblickartig zusammen.

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS Sozialer Konstruktionismus (Gergen)

Kulturpsychologie (Boesch, Bru Br u ner, Straub)

Gemeinsamkeiten •

Betonung der Kulturgebundenheit allen Wissens, Kritik der universellen Geltung wissenschaftlicher Befunde sowie grundsätzliches Interesse an Fragen der Interkulturalität



Kritik des Kognitivismus und der empiristischen Wissenschaftsauffassung der Psychologie



Grundsätzliches Interesse an einer geistes- und sozialwissenschaftlich orientierten Psychologie



Abkehr von einer repräsentationalistischen Sprachauffassung, die Sprache vornehmlich als neutrales Medium versteht



Bezugnahme auf die Sprachpragmatik (insbesondere die späte Philosophie Wittgensteins)



Ausarbeitung einer ‚narrativen Psychologie‘



Ablehnung einer subjektivistischen Fassung von Sinn- und Bedeutung



Aufwertung von ‚Handlung‘ und ‚Praxis‘, Anstreben einer Psychologie sinn- und bedeutungsstrukturierten Handelns



Kritik des kognitivistischen Wissensbegriffs mit Blick auf kulturelles ‚Umgangswissen‘ und auf ‚praktisches (Handlungs-)Wissen‘



Rehabilitierung des ‚Alltagswissens‘ als konstitutiv für die Bedeutung psychologischer Konstrukte



keine tief gehende Auseinandersetzung mit den sprach- und bedeutungstheoretischen Grundlagen des Computerfunktionalismus (Ausnahme evtl. Bruner)



weitgehende Vernachlässigung der Leiblichkeit als (eine) Ebene der Sinnbildung

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FAZIT UND AUSBLICK Unterschiede Sozialer Konstruktionismus (Gergen)

Kulturpsychologie (Boesch, Bruner, Straub)



Propagierung einer antiindividualistischen Psychologie, radikale Abgrenzung gegen jeden universalistischen Anspruch



Ablehnung einer universalistischen und ethnozentrischen Psychologie, aber auch eines ‚blanket denial of universalism‘



Ausblendung psychologischer Vorläufertheorien (z.B. psychologischer Konstruktivismen); oft Selbstpräsentation als ‚paradigmatisch neu‘



kritische Anknüpfung an und Weiterentwicklung von psychologischen Vorläufertheorien (z.B. Kelly, Piaget, Wygotski, Bartlett u.a.)



keine Weiterentwicklung klassischer psychologischer Konstrukte (etwa im Sinne eines sozialkonstruktionistisch modifizierten Kognitionsbegriffs)



kritische Anknüpfung an und Modifizierung von psychologischen Konstrukten (‚kulturelles Wissen‘; ‚autobiographisches Gedächtnis‘, ‚narrative Kompetenz‘, usw.)



‚Auflösung der Ich-Identität‘; Ablehnung und Entlarvung der an Kohärenz und Konsistenz der Person gebundenen Identität als Zwang



Arbeit an einem nichtindividualistischen Identitätsbegriff, der die Einheit der Person als Einheit ihrer Differenzen begreift



Untersuchung der Kultur, der Diskurse und Praktiken in ‚subjektloser‘ Perspektive



Betonung des reziprokkonstitutiven Verhältnisses von Kultur und Selbst; Erkundung psychischer Phänomene und Konstrukte in ihrem kulturellen Kontext



Grundsätzliche Ablehnung empirisch gesicherter Geltungsansprüche wissenschaftlichen Wissens





keine explizite Bindung der Reflexion des Inkommensurabilitätsproblems an methodologisch-methodische Erfordernisse; ‚Repräsentationskritik‘

Reflexion spezifischer methodologischer und erkenntnistheoretischer Probleme der Beschreibung und Anerkennung (fremd-)kultureller Wirklichkeiten; ‚Nostrifizierungsproblem‘



Notwendigkeit einer interpretativen Methodologie; Anwendung interpretativer Methoden



keine empirische Aussagekraft ‚dekontextualisierter‘ Begriffe und Theorien

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KOGNITION UND SOZIALE PRAXIS

Ohne der hier konstruierten strikten Trennung zwischen einer kulturpsychologischen und einer sozialkonstruktionistischen Position übermäßig viel Gewicht zumessen zu wollen, sind die Unterschiede doch aufschlussreich. Die meisten obenstehenden Divergenzen sind offensichtlich eng mit dem jeweils präferierten Handlungsbegriff verbunden. Die kulturpsychologischen Arbeiten sehen sich hier in der Tradition der soziologischen und psychologischen Handlungstheorien (deren Konzeptionen freilich weiterentwickelt und modifiziert werden). Man kann argumentieren, wie Gergen das zuweilen tut, dass Handlungstheorien mittlerer Reichweite der kontingenten Dynamik überindividueller Systeme (das müssen nicht komplexe Systeme im Luhmannschen Sinn, sondern das können auch überindividuelle Symbolsysteme oder Diskurse sein) nicht gerecht werden. Diese ließen sich nicht vom Akteur aus nachvollziehen, auch nicht aus einem „taking the role of the other“ (Mead 1934). Daher ist der sozialkonstruktionistische Handlungs- bzw. Praxisbegriff meist von der Vorstellung eines relativ anonymen Netzes interdependenter Handlungen geprägt (s. IV, 4). Der Einwand, dass einer individualistischen handlungstheoretischen Perspektive die Ordnung sozialer Systeme oder die Struktur überindividueller Diskurse zwangsläufig entgehen muss, ist gerechtfertigt. Wie unsere Analyse gezeigt hat, führt derselbe Einwand für manche Kulturpsychologinnen und -psychologen zu praxeologischen oder pragmatistischen Theorien, die der Priorisierung der Akteursperspektive einen anderen transsubjektiven Praxisbegriff entgegensetzen (vgl. Popp-Baier 1991; Cole 1996; Straub 1999 u.a.). Denn einige Aspekte dessen, was im Rahmen der Lektüre neopragmatistischer Autoren (wie etwa Putnam) hervorgehoben wurde, stellen eine Variante der Handlungstheorie in Aussicht, die weder im interaktionistischen Paradigma aufgeht, noch auf eine apersonal konzeptualisierte Praxis abzielt. Auf den folgenden Seiten werden daher abschließend Argumente für eine pragmatistisch orientierte Wissenspsychologie präsentiert. Sie verstehen sich als rückblickende Pointierung, die zugleich ein Ausblick auf Forschungsdesiderate einer postkognitivistischen Psychologie ist.

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FAZIT UND AUSBLICK

4

Das neue Interesse an der ‚Praxis‘

4.1

Praxistheorie zwischen Subjektivismus und Objektivismus

Der Pragmatismus wird oft als dritter Weg zwischen Subjektivismus und Objektivismus, zwischen Mikro- und Makroperspektive, zwischen der Perspektive des Akteurs und der anonymen, selbstreferenziellen Handlungskoordination überindividueller Systeme bezeichnet. Wählt man Praktiken als „Analyseeinheiten“, meint der Kulturpsychologe Michael Cole, so gelingt es eher, „Dualismen wie den Gegensatz ‚Individuum vs. Sozialität‘ zu überwinden“ (ebd.: 138; Übers. B.Z.) als durch die einseitige Betonung der interpretierenden Welterschließung der Subjekte (etwa im Sinne der phänomenologisch-subjektivistischen Soziologie). Die Praxistheorie ist damit eine Art Spezialfall der Handlungstheorie, die sich mit der Grundannahme, die Praxis folge einer „eigenen Logik“, gegen die Trennung zwischen Subjektivismus und Objektivismus, zwischen Mikro- und Makroperspektive wendet. Der Habitusbegriff Bourdieus impliziert, dass soziale Akteure mit systematisch strukturierten „Dispositionen“ ausgestattet sind, die in Sozialisationsprozessen erworben wurden. Dabei geht es zwar nicht um passives Aufnehmen, sondern um eine zumindest teilweise aktive Auseinandersetzung, in der das Subjekt die über den Habitus vermittelte soziale Erfahrung inkorporiert. Dennoch steht die Habitustheorie in Opposition zu jenen Handlungstheorien, die das Prinzip des Handelns in den freien Entscheidungen der Akteure suchen (vgl. Schwingel 1995: 59). Damit hat Bourdieu einerseits die Problematik der subjektiven Realisierung sozialer Strukturen aufgegriffen, ohne sich auf die Priorität dieser Frage festzulegen. Andererseits grenzt Bourdieu sich entschieden vom Strukturalismus ab. Das macht es Vertreterinnen und Vertretern postmoderner und poststrukturalistischer Theorien nicht leicht, Bourdieus Theorie entweder als subjektivistisch, oder aber als struktu22 ralistisch-objektiv und damit als uninteressant beiseite zu legen. Bourdieu hebt die soziale und praktische Eigenheit einer solchen „Lo-

22 In den Reihen poststrukturalistisch orientierter Theoretikerinnen und Theoretiker wird Bourdieu jedenfalls am ehesten dort zur Kenntnis genommen, wo sich der poststrukturalistische Dekonstruktivismus plötzlich doch mit der Frage der agency befassen will und muss. Häufig fällt dann der Begriff der „Performanz“. Ein gutes Beispiel sind bestimmte Arbeiten Judith Butlers (vgl. insbes. Butler 1995, 1998).

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gik der Praxis“ hervor, die nicht in Sprachstrukturen und Diskursen 23 aufgeht. Es sind meist Bourdieus Habitustheorie und Giddens Theorie der Strukturation, die in diesem Zusammenhang genannt werden, da beide Sozialtheorien die Entwicklung einer Praxistheorie als Forschungsprogramm der Handlungstheorie ernst nehmen und, Bourdieu ausführlicher als Giddens, erste Ansätze seiner Realisierung vorgelegt haben. Inwieweit und in welcher Weise allerdings diese beiden unterschiedlichen Theorieentwürfe Vorschläge für die Lösung der uns interessierenden Probleme, etwa nach der Integration von sozial- und individualsemantischer Analyse, geben können, müsste eine ausführlichere Untersuchung erst noch zeigen (vgl. zu Bourdieu z.B. Bohn 1999; Gebauer/Krais 2002). 4.2

Praktisches Wissen zwischen Repräsentation und Konstruktion

Eine weitere Stärke pragmatistisch orientierter Wissenstheorien liegt in der Hervorhebung der Unterscheidung zwischen praktischem und theoretischem Wissen. Bourdieu hat die Praxis von der rationalen Rekonstruktion (durch die Wissenschaft) abgesetzt: Seine Interpretation der „praktischen Logik, die der logischen Logik trotzt“ (Bourdieu 1999: 167) führt nämlich – im Gegensatz zur kognitivistischen Modellierung des praktischen Wissens – zum Hinweis darauf, dass praktisches Wissen nicht in propositionalem, theoretischem Wissen aufgeht. Damit bietet die pragmatistische Lesart dieses Unterschiedes Hinweise auf das, was in den psychologischen Modellen fehlt: darauf, wie die Repräsentationsform des praktischen Wissens modelliert oder vorgestellt werden kann. Auch die experience-near concepts sind eine Art des praktischen Wissens und die von Straub (1999) mit Bezug auf Giddens betonte Unterscheidung zwischen empraktischen und diskursivierbaren Wissensbeständen gehört ebenfalls hierher. Mit dem prak-

23 Die Logik der Praxis ist eine eigene Logik, bestimmt von der „Zeitstruktur“ und „Unmittelbarkeit“ der Handlungen oder Handlungssequenzen, von unsicheren Abstraktionen und Analogien (Bourdieu 1999: 147ff.). Aber auch die Menschen verfügen nach Bourdieus Dafürhalten über eine soziale Logik, einen sozialen Sinn, den er als „Takt, Fingerspitzengefühl, Feinfühligkeit, Gewandtheit oder Lebensart“ oder als „Spielsinn“ bezeichnet.

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tischen Wissen stößt man wieder auf den von Ryle verwendeten Dispositionsbegriff. Bereits Kelly hat mit dem komplexen Begriff der Antizipation und der Frage nach den „präreflexiven“ Anteilen der personalen Konstrukte ebenfalls auf eine Erweiterung des Wissensbegriffs um das praktische Element angespielt. Es geht bei all diesen Vorschlägen darum, Wissen als Element oder Moment der Handlung zu beschreiben. Das praktische Wissen ist nicht dem handelnden Subjekt für sich allein und intentional verfügbar, aber auch nicht als Element anonymer Strukturen. Zentral hierfür (und theoretisch interessant für einen nichtkognitivistischen Wissensbegriff) ist der implizite Status. Bourdieu zufolge findet die Konstruktion von Ordnungen in der sozialen Praxis statt, sie ist keine rein geistige Operation, die nur in den kognitiven Strukturen des Subjekts zu lokalisieren wäre. Der Habitus ist die inkorporierte Erfahrung des Subjekts mit der sozialen Welt. Damit gewährleistet er auch einen gewissen Grad an individueller Auslegung der sozialen Regeln, die, indem sie über den Habitus inkorporiert werden, in eigene, subjektive, Konstruktionen umgeformt werden. Auch Putnam (1995) hat mit Bezug auf Wittgenstein einen auf der pragmatischen Wahrheitskonzeption beruhenden Kognitionsbegriff vorgeschlagen, der sich gegen einen kognitivistischen Formalismus richtet, welcher mentale Prozesse als „automatische Durchführung eines Algorithmus“ präsentiert (Putnam 1995: 46). Nicht zuletzt Wittgenstein, so Putnam, weist „ziemlich eindeutig darauf hin, dass die Sprache nicht einfach eine Angelegenheit der Regelbefolgung ist (wie Rechenregeln)“ (Putnam 1995: 44). Zwar basieren auch die Urteile des Commonsense auf erlernten Regeln, aber diese „bilden kein System, und nur der Erfahrene kann sie richtig anwenden. Unähnlich den Rechenregeln“ (Wittgenstein 1995: 575). Es gibt, so Putnams Wittgenstein-Interpretation, auch innerhalb des Sprachspiels Wahrheiten, die der eine besser erkennt oder zum Ausdruck bringt, als der andere. Dafür spielt aber nicht positives Fakten- und Regelwissen die tragende Rolle, sondern dasjenige, was Wittgenstein als ‚unwägbare Evidenz‘ bezeichnet, ein Begriff, der wieder in der Nähe des „unsicheren“, im24 pliziten kulturellen Wissens liegt.

24 So schreibt Wittgenstein z.B.: „Zur unwägbaren Evidenz gehören die Feinheiten des Blicks, der Gebärde, des Tons. […] Ich mag den echten Blick der Liebe erkennen, ihn vom verstellten unterscheiden (und natürlich kann es auch hier eine ‚wägbare‘ Bekräftigung meines Urteils

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Die gesuchte Repräsentationsform, von der eine postkognitivistische Wissenspsychologie ausgehen könnte, muss in daher zwischen dem Ideal der exakten mentalen Repräsentation expliziter (oder zumindest vollständig explizierbarer) Wissensbestände und dem apersonal und referenzlos gedachten Begriff des Gebrauchs liegen. 4.3

Die Vereinbarkeit von Fallibilismus und Antiskeptizismus im pragmatistischen Wahrheitsbegriff

Putnams schon in den siebziger Jahren entwickelter interner Realismus richtete sich zwar zunächst in erster Linie gegen einen metaphysischen Realismus. Um mit seiner Kritik an der Abbildtheorie der Wahrheit aber nicht in die Nähe eines Bedeutungsrelativismus zu geraten, hat Putnam seine Theorie später zum direkten oder pragmatischen Realismus weiterentwickelt, der zugleich vom Pragmatismus inspiriert und betont skeptizismusdistant ist: Man sollte, so Putnam (1993), „die Frage ‚Aus welchen Gegenständen besteht die Welt?‘ nur innerhalb einer Theorie oder Beschreibung für sinnvoll halten“ (ebd.: 156). Putnams nicht nur in der Auseinandersetzung mit Wittgenstein, sondern auch mit Peirce, Dewey und James vorgebrachte Kritik jeder Abbildtheorie der Wahrheit verlangt es auch, danach zu fragen, wie der Zusammenhang zwischen Verifikation, Handeln und Realität aussehen kann. Dabei spielt (und hierin liegen die Schwierigkeiten einer relativistischen Interpretation seines Wahrheitsbegriffs und seine Nähe zum Pragmatismus begründet) die pragmatistische Definition von Erkenntnis als über „kooperative menschliche Interaktion mit einer Umwelt“ bestimmt, bei der es auf das „aktive Eingreifen, die aktive Beeinflussung der Umwelt und die Zusammenarbeit mit anderen Menschen“ ankomme (Putnam 1995: 79, mit Bezug auf Dewey) eine Rolle. Die Gebundenheit von Erkenntnis an ein kulturelles System von Überzeugungen, Begriffen und damit an Interpretationen soll im Sinn des pragmatischen Realismus gerade nicht heißen, das Interpretierte einfach zu erzeugen (dies wäre Gergens Bedeutungsbegriff zufolge der Fall), sondern für Putnam ist „Interpretation […] nicht einmal begrifflich von der Tatsache zu trennen“ (ebd.: 71). Die skeptizistische Vorstellung, die Welt, in der wir leben, könnte ganz und gar ohne praktische Interaktion mit einer von uns unabhängeben). Aber ich mag gänzlich unfähig sein, den Unterschied zu beschreiben“ (Wittgenstein 1995: 575).

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gigen Welt durch uns konstruiert sein, war durch Putnams Beispiel der Gehirne im Tank bereits desavouiert: nicht aus einem naiven Realismus heraus, sondern weil diese Vorstellung einen unhaltbaren Gottesstandpunkt impliziert. Auch Putnam nimmt vom Begriff der Repräsentation Abstand. Erkennen, also Zugang zur Welt, ist nur über (kulturell geprägte) Wahrnehmung, Denken und Sprache möglich – diese aber bestehen nicht allein in der Erzeugung und Verarbeitung von symbolartigen geistigen Gehalten (Repräsentationen), sondern sind über die Praxis in der Welt (und in der Person) verankert.

5

Die Verbindung zur philosophischen Kognitivismuskritik

Sowohl der Soziale Konstruktionismus als auch die Kulturpsychologie haben ihre kritischen Gegenentwürfe zum aktuell dominanten Selbstverständnis der modernen (westlichen) wissenschaftlichen Psychologie gegenstands- und metatheoretisch begründet. Allerdings haben weder Kulturpsychologie noch Sozialkonstruktionismus im Rahmen ihrer weitgespannten grundlagentheoretischen Vorbereitung einer Psychologie, die die Engführungen des Kognitivismus hinter sich lassen will, die bedeutungstheoretischen Debatten innerhalb der Analytischen Philosophie des Geistes in adäquater Weise mitbedacht. Dass dies notwendig und gewinnbringend wäre, sollte unser weiter Bogen vom Kognitivismus und dessen philosophischen Grundlagen über die philosophische Kognitivismuskritik bis hin zu den psychologischen Alternativen zum Kognitivismus verdeutlichen. Eine Position, die den Kognitivismus als Fehlentwicklung kritisiert, muss die Grenzen des Kognitivismus und der Künstlichen Intelligenz aufzeigen. Sie wird sich mit der Frage befassen, ob die Tatsache, dass Maschinen gebaut werden können, die in vielen Situationen wie Menschen reagieren, zur Annahme berechtigt, die menschliche kognitive Architektur lasse sich als physikalische Realisierung einer abstrakten funktionalen Organisation, einer syntaktischen Sprache des Geistes beschreiben. Um die Implikationen eines solchen Kognitivismus in angemessener Weise aufzuzeigen, muss gezeigt werden, wie und warum der Computerfunktionalismus so lange als Erklärungsgrundlage dienen konnte und kann. Es muss rekonstruiert werden, welche vorausgehenden Annahmen und welche antizipierten Konsequenzen dazu geführt haben, dass Kultur- und Sozialwissenschaftler, recht besehen, heute immer noch der Ansicht folgen, die Regeln der Alltagspsychologie ließen sich durch eine formale Sprache des Geistes adäquat repräsentieren. 343

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Aber auch was einschlägige Gegenpositionen zum Kognitivismus betrifft, kann die Psychologie wertvolle Anregungen aus der Philosophie des Geistes übernehmen. Dies gilt gerade für ‚genuin psychologische‘ Themen, wie etwa die Diskussion, ob, wie und welche Intentionalität als Element des geistigen Bereiches begrifflich zu fassen ist. Die Psychologie hat immer wieder aufs Neue die Aufgabe, neue theoretische und empirische Entwicklungen und Entdeckungen auf die alte Frage nach dem Verhältnis von Körper und Geist zu beziehen. Dazu findet sich in der neueren Analytischen Philosophie des Geistes eine Vielzahl an Vorschlägen. Der Bezug auf die philosophische Behandlung des Leib-Seele-Problems gewinnt insbesondere angesichts der psychologischen Erklärungskraft Gewicht, die mittlerweile neurowissenschaftlichen Befunden zugesprochen wird: Viele aus der Philosophie stammende Differenzierungen, so etwa die Unterscheidung zwischen der Type- und der Token-Identität von mentalen und physischen Ereignissen oder die Rede von der Emergenz bzw. der Supervenienz des Mentalen aus dem Physischen, bieten begriffliche Möglichkeiten, mit deren Hilfe nicht nur die Implikationen (und damit zuweilen die kategorialen Missverständnisse) neuropsychologischer „Erkenntnisse“ ausgewiesen, sondern auch Grundbegriffe der Psychologie geklärt und präzisiert werden können. Kulturpsychologie und Sozialkonstruktionismus sollten und könnten ihre Kritik des Kognitivismus vertiefen und ihren Gegenentwürfen ein stabileres Fundament verleihen, wenn sie die in der Analytischen Philosophie des Geistes geführten Diskussionen aufgreifen. Nur die Kritik, die den Gegner stark macht, kann standhalten. Die Kritik und das durch sie kritisierte Denken hängen zusammen. Diese Zusammenhänge sind es, von denen eine ernsthafte Weiterentwicklung ausgehen muss.

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377

Aktuelle Titel der Reihe Sozialtheorie Sabine Kampmann,

Sven Lewandowski

Alexandra Karentzos,

Sexualität in den Zeiten

Thomas Küpper (Hg.)

funktionaler Differenzierung

Gender Studies und

Eine systemtheoretische

Systemtheorie

Analyse

Studien zu einem

April 2004, 340 Seiten,

Theorietransfer

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Mai 2004, ca. 220 Seiten,

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ISBN: 3-89942-197-3

Christina Schumacher Gabriele Klein (Hg.)

Wissenschaft, die Grenzen

Bewegung

schafft

Sozial- und kultur-

Geschlechterkonstellationen im

wissenschaftliche Konzepte

disziplinären Vergleich

Mai 2004, ca. 300 Seiten,

April 2004, ca. 300 Seiten,

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kart., 26,80 €,

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Gabriele Klocke

Peter Fuchs

Über die Gleichheit

Theorie als Lehrgedicht

vor dem Wort

Systemtheoretische Essays I.

Sprachkultur im geschlossenen

hg. von Marie-Christin Fuchs

Strafvollzug

April 2004, ca. 200 Seiten,

April 2004, ca. 300 Seiten,

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ISBN: 3-89942-200-7

ISBN: 3-89942-201-5

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Kognition und soziale Praxis

organisiert

Der Soziale Konstruktionismus

Paradoxien und Phantasmen

und die Perspektiven einer

der Massenkultur

postkognitivistischen

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Psychologie

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März 2004, 376 Seiten,

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Aktuelle Titel der Reihe Sozialtheorie Sandra Beaufaÿs

Theresa Wobbe (Hg.)

Wie werden Wissenschaftler

Zwischen Vorderbühne und

gemacht?

Hinterbühne

Beobachtungen zur

Beiträge zum Wandel der

wechselseitigen Konstitution

Geschlechterbeziehungen in

von Geschlecht und

der Wissenschaft vom 17.

Wissenschaft

Jahrhundert bis zur

2003, 300 Seiten,

Gegenwart

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2003, 312 Seiten,

ISBN: 3-89942-157-4

kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-118-3

Peter Fuchs Der Eigen-Sinn des

Christian Papilloud

Bewußtseins

Bourdieu lesen

Die Person – die Psyche – die

Einführung in eine Soziologie

Signatur

des Unterschieds

2003, 122 Seiten,

Mit einem Nachwort von Loïc

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Wacquant

ISBN: 3-89942-163-9

2003, 122 Seiten, kart., 13,80 €,

Martin Ludwig Hofmann

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Monopole der Gewalt Mafiose Macht, staatliche

Julia Reuter

Souveränität und die

Ordnungen des Anderen

Wiederkehr normativer Theorie

Zum Problem des Eigenen in

2003, 274 Seiten,

der Soziologie des Fremden

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2002, 314 Seiten,

ISBN: 3-89942-170-1

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Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de