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German Pages 214 Year 1981
MICHAEL KLOEPFER/CHRISTIAN KOHLER
Kernkraftwerk und Staatsgrenze
Schriften zum Umweltrecht Band!
Kernkraftwerk und Staatsgrenze Völkerrechtliche, verfassungsrechtliche, europarechtliche, kollisions· und haftungsrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Von
Prof. Dr. Michael Kloepfer und
Dr. Christian Kohler
DUNCKER
&
HUMBLOT
I
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, BerUn 41 Gedruckt 1981 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany
© 1981 Duncker
ISBN 3 428 04960 8
Vorwort Mögliche Gefahren und Schäden im Zusammenhang mit dem Betrieb von Kernkraftwerken machen vor Staatsgrenzen nicht Halt. Deshalb können insbesondere grenznahe Kernkraftwerke und die von ihnen ausgehenden Wirkungen zu internationalen Problemen führen, die nach politischer Lösung (etwa durch zwischenstaatliche Standortplanungen etc.), aber auch nach rechtlicher Bewältigung drängen. Nicht zuletzt um die Kühlwasserkapazität von Grenzflüssen sowie die geringere Bevölkerungsdichte in Grenzregionen zu nutzen, bisweilen aber möglicherweise auch aus Gründen der Risikoverlagerung in das Ausland, werden in vielen Regionen der Welt, insbesondere im engräumigen Mitteleuropa, zunehmend Kernkraftwerke - wie auch andere potentiell umweltgefährdende Anlagen - in Grenznähe errichtet. Insoweit ist die derzeit betriebene Errichtung des französischen Kernkraftzentrums in Cattenom an der Mosel nur gut zehn Kilometer von der deutschen und der luxemburgischen Grenze keine Ausnahmeerscheinung (wenn einmal von der außergewöhnlichen Größe - jetzige Planung: 5200 MW - abgesehen wird). Die dabei auftretenden internationalrechtlichen Fragen stellen sich in entsprechender Weise auch bei vielen anderen grenznahen Kernkraftwerken. Nicht zuletzt aus diesem Grunde haben die Verfasser sich entschlossen, die vorliegende Studie über völker-, verfassungs-, europa- und haftungs rechtliche Rechtsfragen des Kernkraftwerks Cattenom zu veröffentlichen. Die Schrift stellt die geringfügig überarbeitete Fassung eines im Mai 1980 vorgelegten Rechtsgutachtens für die deutschen (rheinland-pfälzischen bzw. saarländischen) kommunalen Gebietskörperschaften der Stadt Trier, Verbandsgemeinde und Stadt Saarburg, Stadt Konz und Landkreis Merzig-Wadern dar. Dabei sollten gutachtlich insbesondere auch mögliche öffentlich- und privatrechtliche Ansprüche der kommunalen Gebietskörperschaften oder ihrer Einwohner - nach internationalem, europäischem und deutschem Recht - u. a. auf die erforderlichen Informationen über das geplante Kraftwerk in Cattenom, auf notwendige Vorkehrungen für die Sicherung der Bevölkerung und den Schutz der Umwelt sowie die Möglichkeiten zur gerichtlichen Durchsetzung untersucht werden. Für die beteiligten kommunalen Gebietskörperschaften waren insbesondere etwaige Informationsansprüche gegen Frankreich, den Bund oder die Länder von Interesse, weil sie an den einschlägigen deutschfranzösischen Konsultationen betr. das Kernkraftwerk Cattenom nicht
6
Vorwort
beteiligt waren und somit keine Kenntnisse über technische Details des geplanten Kernkraftwerks einschließlich einzelner Sicherungsmaßnahmen oder über Einzelheiten der vertraulichen Gespräche der Bundesregierung mit der französischen Regierung bzw. der Konsultationen in den deutsch-französischen (-luxemburgischen) Regierungskommissionen hatten. Über diese Details waren auch die Verfasser bei Erstellung ihrer Studie nicht informiert. Unter dem Vorbehalt der fehlenden detaillierten politischen Information stehen daher einige einschlägige Ausführungen der Studie, insbesondere zur tatsächlichen Wahrnehmung der deutschen völkerrechtlichen Ansprüche, da den Verfassern vor allem nicht bekannt war, ob, inwieweit und - evtl. - in welcher Form die zuständigen deutschen Stellen gegenüber Frankreich ihr Einverständnis oder ihre Ablehnung mit der geplanten Errichtung des Kernkraftzentrums Cattenom erklärt hatten. Hinsichtlich der Planung und der tatsächlichen Realisierung des Kernkraftwerks Cattenom ergibt sich derzeit in etwa folgendes Bild: Die ursprünglich - in der Mitte der siebziger Jahre - bekanntgewordenen Planungen zur Kernkraftzentrale Cattenom sahen 2 Blöcke a 1300 MW und 2 Blöcke a 900 MW vor, wobei zunächst nur zwei Blöcke realisiert werden sollten. Von dieser Planung gingen auch die mit dem Kernkraftwerksprojekt Cattenom betrauten deutsch-französischen (-luxemburgischen) Kommissionen aus. Bereits im Oktober 1978 wurde für Cattenom die nach französischem Recht erforderliche Gemeinnützigkeitserklärung (Declaration d'utilite publique - DUP) verkündet, in dem der Standort Cattenom grundsätzlich für geeignet zum Bau von vier Kraftwerksblöcken erklärt wurde. Im Juli 1979 wurde die Baugenehmigung für die ersten beiden Blöcke von je 1300 MW erteilt. Mit umfangreichen Erdund Bauarbeiten wurde inzwischen begonnen. Im November 1979 teilte die französische Regierung der Bundesregierung mit, daß nunmehr eine baldige Errichtung von insgesamt vier Kraftwerksblöcken a 1300 MW geplant sei und die für die Erweiterung erforderlichen Verfahren eingeleitet werden sollten. Grenznahe deutsche Gemeinden und einzelne Einwohner haben unterdessen beim französischen Staatsrat gegen die Gemeinnützigkeitserklärung Einspruch und beim Verwaltungs gericht Straßburg Klage gegen die erteilte Baugenehmigung eingelegt. Die hierbei auftauchenden Fragen des französischen Rechts waren jedoch nicht Gegenstand des Gutachtens und werden deshalb in der Studie nicht behandelt. Der Staatsrat hat unterdessen entschieden, daß die ursprünglich erteilte Gemeinnützigkeitserklärung für Cattenom auch für das erweiterte Projekt gilt. Am 30. Juli 1981 beschloß die französische Regierung, daß alle Arbeiten an den geplanten Kraftwerksblöcken 3 und 4 "suspendiert" werden.
Vorwort
7
Die Studie nimmt keine Stellung zu technischen Fragen und enthält sich a:ucheiner politischen Bewertung der zivilen Kernkraftnutzung sowie der Vorgehensweisen der französi:schen und deutschen RegierungssteHen und Behörden. Die einzelnen Teile der Studie wurden in gemeinsamer Verantwortung getrennt bearbeitet: die völlrer- und verfassungsrechtlichen Teile stammen von Prof. Dr. iur. Michael Kloepfer, Trier, ,der europarechtHche Teil sowie der kollisions- und haftungsrechtliche Teil von Dr. iur. Christi an Kohler, Luxemburg. Dabei werden ·a lle Teile der Stwdi,e von beiden Verf.asserngemeinsam getragen. Trier und Luxemburg, im Juli 1981 Die Verfasser
Inhaltsverzeichnis Erster TeU Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke A. Differenzierung der Kernkraftwerke nach ihren Standorten
15
I. Binnenkraftwerke und Nicht-Binnenkraftwerke ............
15
11. Nicht-Binnenkraftwerke mit und ohne Auslandswirkung ....
15
111. Folgerungen ...............................................
16
B. Zulässigkeit von Binnenkraftwerken .. , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
I. Zulässigkeit ziviler Kernkraftnutzung als solcher ...........
17
11. Binnenkraftwerke und Völkerrecht
18
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
19
I. Schäden als Beurteilungsmaßstab ..........................
19
II. Ausgangspunkt und Grundstruktur der Problematik ........
20
111. Klassische Begrenzungen der völkerrechtlichen Souveränität 22 IV. Internationalisierung von Umweltgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
25
V. Ansätze im internationalen Wasserrecht ....................
26
VI. Ansätze des völkerrechtlichen Nachbarrechts ................
28
VII. Inhalt des völkerrechtlichen Nachbarrechts ..................
29
VIII. Völkerrechtliches Nachbarrecht und grenznahe Kernkraftwerke .....................................................
33
1. Erheblichkeit und üblichkeit von Schäden? .............. 2. Kernkraftwerk als "ultra hazardous activities" ..........
33 34
IX. Schonender Souveränitäts ausgleich als Lösungs-Prinzip .....
36
X. Differenzierungskriterien beim schonenden Souveränitätsausgleich ..................................................... 1. Nachteile für den Wirkungs staat ........................ 2. Nachteile für den Errichtungsstaat ..... . . . . . . . . . . . . . . . . ..
42 42 45
lnhal tsverzeichnis
10
XI. Durchführung des Souveränitäts ausgleiches
46
XII. International anerkannte Sicherheitsstandards ..............
47
1. Naturwissenschaftliche Standards .......................
47
2. International anerkannte und angewandte Standards. . ..
47
3. Konkretheitsgrad der Standards ........................
50
4. International anerkannte und nationale Standards. . . . . ..
51
5. Inhalt der Standards ....................................
51
6. Kraftwerksgröße und Standards .........................
52
XIII. Zur Größe des Kernkraftwerks Cattenom ..................
53
1. International anerkannte Standards ....................
53
2. Französische Zusagen zur Kraftwerksgröße? .............
54
XIV. Nicht-nukleare Beeinträchtigungen .........................
56
XV. Exkurs: Mosel-Vereinbarungen und Kernkraftwerk Cattenom 57 1. Vertrag über die Schiffbarmachung der Mosel. .. . . . . . . . ..
57
2. Protokoll über die Internationale Kommission zum Schutz der Mosel gegen Verunreinigungen. . . .. . .. . .. . ... . . . .. .. 58 XVI. Informations- und Konsultationspflichten ..................
60
1. Notwendigkeit und allgemeine Grundlegung ............
60
2. Informationspflichten ....................................
62
3. Konsultationspflichten
64
4. Beteiligung des Wirkungsstaates im Genehmigungsverfahren? ................................................. 66 5. Wahrnehmungsbefugnis, tatsächliche Informationen und Konsultationen ......................................... 66 XVII. Exkurs: Konsultations-Kommissionen und Kernkraftwerk Cattenöm .................................................. 67 1. Allgemeines
............................................
67
2. Kommission für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen ..
67
3. Standortkommission ....................................
69
4. Gemischte deutsch-französisch-Iuxemburgische Regierungskommission für die Zusammenarbeit im Montandreieckl Saar-Lor-Lux-Regionalkommission ...................... 70 XVIII. Nebenpflichten .............................................
70
XIX. Exkurs: Nicht-Binnen-Kraftwerke und Grenzen nationaler Rechtsetzungsbefugnis ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 71 1. Regelungen des Wirkungsstaates ........................
71
2. Regelungen des Errichtungsstaates ......................
73
XX. Ansprüche beim schonenden Souveränitätsausgleich ........
75
Inhaltsverzeichnis D. Bestimmung des völkerrechtlich Berechtigten 1. Berechtigung der Bundesrepublik Deutschland ........ .. ....
11
76
77
II. Berechtigung der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland 77 III. Berechtigung der grenznahen Kommunalkörperschaften .....
80
IV. Berechtigung der Bewohner grenznaher Kommunalkörperschaften ... .. ........................... .. ................. 81 E. Wahrnehmung der völkerrechtlichen Anprüche .....................
84
1. Informations- und Konsultationsansprüche .................
84
II. Schutz- und Unterlassungsansprüche ....................... 1. Wesen und Voraussetzungen des Protests ........ , .. . . ... 2. Verpflichtung zur Protesterhebung ...................... 3. Verpflichtung zur Protesterhebung beim Projekt Cattenom 4. Rechtsfolgen des erhobenen Protests ..................... 5. Rechtsfolgen des unterlassenen Protests .................
84 85 88 88 90 91
III. Verlust der völkerrechtlichen Ansprüche ............... .. ... 1. Grundüberlegung ....................................... 2. Verzicht ................................................ 3. Zustimmung ................................. .. ......... 4. Hinnahmeversprechen 5. Stillschweigende Hinnahme ....................... ... ...
92 92 92 93 93 94
IV. Gerichtliche Durchsetzung ..................................
97
Zweiter Teil Verfassungsrechtlidle Fragen der Wahrnehmung völkerrechtlidler Positionen bei grenznahen Kernkraftwerken I. Zuständigkeit des Bundes '. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
99
II. Pflicht des Bundes zur Zuständigkeitswahrnehmung .............. 1. Allgemeines .................................................. 2. Berührung besonderer Verhältnisse eines Landes .............. 3. Informationspflichten ..................................... ... . 4. Wahrnehmung_der Rechte der Länder .........................
101 101 102 103 103
III. Verfassungsrechtliche Positionen der kommunalen Gebietskörperschaften ......................................................... 103 1. Kommunalkörperschaften und Bund ......... .... ............. . 103 2. Kommunalkörperschaften und Länder ......................... 104 IV. Verfassungsrechtliche Positionen der Bürger ................ ... ... 106
12
Inhaltsverzeichnis Dritter Teil
Europaredttlidte Fragen grenznaher Kernkraftwerke A. Europäisches Gemeinschaftsrecht und zwischenstaatliches Nachbar-
recht .............................................................. 107
B. Die Rolle der Gemeinschaft bei der Wahl des Standorts eines Kernkraftwerks ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 108 I. Befugnisse der Gemeinschaftsorgane nach der gegenwärtigen
Regelung des EAGV .......................................... 1. Befugnisse an läßlich der Anzeige von Investitionsvorhaben (Art. 40 ff.) ................................................ 2. Befugnisse anläßlich der übermittlung von Plänen zur Ableitung radioaktiver Stoffe mit grenzüberschreitenden Auswirkungen (Art. 37) ............................................ 3. Befugnisse bei "besonders gefährlichen Versuchen" (Art. 34)
108 109 110 116
11. Befugnisse der Gemeinschaftsorgane de lege ferenda ........... 117 IH. Ergebnisse .................................................... 120 C. Die Rolle der Gemeinschaft bei der Wahrung der Sicherheitsinteressen der Bevölkerung im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kernkraftwerks ., . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 120 I. Bedeutung der Euratom-Grundnormen für den Gesundheitsschutz ........................................................ 120 H. Befugnisse der Gemeinschaftsorgane in besonderen Fällen, insbesondere bei grenzüberschreitender radioaktiver Verseuchung 123 IH. Die Aufgaben der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit ..................................................... 127 D. Zusammenfassende Würdigung .................................... 127
Vierter Teil
Kollisions- und haftungsrechtlidte Fragen grenznaher Kernkraftwerke 130
Vorbemerkung
Erster Abschnitt Die zivilrechtliche Haftung, insbesondere die Haftung des Inhabers der Kernanlage
A. Haftung für schädigende Auswirkungen eines "nuklearen Ereignisses" 132 I. Die internationalen Atomhaftungskonventionen und ihre Auf-
nahme im französischen und deutschen Recht .................. 132
1. Pariser übereinkommen und Brüsseler Zusatzübereinkommen 132
Inhaltsverzeichnis
13
2. Das Pariser Übereinkommen im französischen und deutschen Recht ..................................................... 135 11. Durchsetzung von Ersatzansprüchen der im deutschen Grenzgebiet geschädigten Personen nach den Atomhaftungskonventionen 1. Gerichtliche Zuständigkeit ................................. 2. Anwendbares Recht ........................................ 3. Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen ................. 4. Ausgleichsanspruch nach § 38 AtG ........ . . . . . . . . . . . . . . . . ..
140 140 142 145 146
B. Haftung für sonstige schädigende Auswirkungen des Betriebs eines Kernkraftwerks ................................................... 149
1. Gerichtliche Zuständigkeit .................................... 150 1. Anwendbarkeit des EuGVÜ ................................ 150 2. Gerichtliche Zuständigkeiten nach dem EuGVÜ ......... . ... 152 II. Anwendbares Recht ........................................... 154 1. Distanzdelikte im französischen Kollisionsrecht ............. 154 2. Distanzdelikte im deutschen Kollisionsrecht: Das Prinzip des "günstigeren" Rechts ....................................... 156 III. Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen .................... 161
c. Exkurs: Zivilrechtliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche
deutscher Grundstückseigentümer gegen den Betreiber des Kernkraftwerks ............................................................. 162 1. Durchsetzung von Abwehransprüchen vor französichen Gerichten .................................................. 162 II. Durchsetzung von Abwehransprüchen vor deutschen Gerichten ................................................... 164 III. Auflockerung des Dogmas von der "Territorialität" der ausländischen Genehmigung und ihrer Wirkungen ............ 167 Zweiter Abschnitt Haftung des Anlagenstaats nach Völkerrecht
A. Haftung für schädigende Auswirkungen eines "nuklearen Ereignisses" 176
1. Autonomie der völkerrechtlichen Haftung für Nuklearschäden .. 176 II. Deliktische Haftung ........................................... 177 1. Voraussetzungen und Folgen ............................... 177 2. Geltendmachung ........................................... 179 III. Gefährdungshaftung .......................................... 181 1. Haftung für schädigende Auswirkungen völkerrechtsgemäßen Handelns? ................................................. 181 2. Gefährdungshaftung für Nuklearschäden ................... 183 B. Haftung für sonstige schädigende Auswirkungen des Betriebs des Kernkraftwerks ................................................... 185
14
Inhaltsverzeichnis Fünfter Teil
Zusammenfassung -
Summary -
Resume
Zusammenfassung ................................................. . .. 188 Summary . . ..... ... ... . . . .... . ......... . ....... . .. .. .. . .... .. .. .. .. . .. 196 Resume
..................... . ........................................ 205
Erster Teil
Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke A. Differenzierung der Kernkraftwerke nach ihren Standorten I. Binnenkraftwerke und Nicht-Binnenkraftwerke Bei der Erörterung der völkerrechtlichen Zulässigkeit von Kernkraftwerken sind zunächst zwei unterschiedliche Fallgestaltungen zu unterscheiden: - Binnenkraftwerke - Nicht-Binnenkraftwerke Als Binnenkraftwerke werden hier solche Kraftwerke bezeichnet, die aufgrund ihrer Lage auch bei einem größtmöglichen Unfall schädigende Auswirkungen auf Nachbarstaaten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erwarten lassen. Dieses Unterscheidungskriterium macht deutlich, daß eine Abgrenzung zwischen (völkerrechtlich grundsätzlich unproblematischen) Binnenkraftwerken und (völkerrechtlich nicht so unproblematischen) Nicht-Binnenkraftwerken nicht von vornherein pauschal (etwa mit einer einheitlichen Entfernung von der Grenze), sondern vielmehr differenziert nach Kraftwerkstyp und -größe sowie nach spezifischen, insbesondere physikalischen Eigenschaften des Standortes (z. B. Windrichtung, Neigung zu Inversionswetterlagen, Flüsse, Meeresströmungen etc.) zu erfolgen hatl . Sog. grenznahe Kernkraftwerke dürften regelmäßig Nicht-Binnenkraftwerke sein.
11. Nicht-Binnenkraftwerke mit und ohne Auslandswirkung Die sehr grundsätzliche Unterscheidung zwischen Binnenkraftwerken und Nicht-Binnenkraftwerken anhand von potentiellen Schädigungen im größtmöglichen Schadensfall führt freilich dazu, daß in Gebieten mit vielen kleinen und mittelgroßen Staaten - wie in weiten Bereichen Westeuropas - es überhaupt keine Binnenkraftwerke - also nur 1
Siehe unten Erster Teil, C X.
16
1. Teil:
Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Nicht-Binnenkraftwerke - gäbe, die sich dann eventuell verschärften Anforderungen des Völkerrechts stellen müßten. Das schließt freilich nähere Differenzierungen bei den Nicht-Binnenkraftwerken keineswegs aus. Differenzierungskriterien könnten hier - neben der Frage nach Ausweichmöglichkeiten in das Landesinnere - vor allem die Schadensart, -größe und -wahrscheinlichkeit sein. Eine sich dabei besonders anbietende Unterscheidung bei den Nicht-Binnenkraftwerken ist die am Normalbetrieb eines Kraftwerkes ansetzende Differenzierung zwischen: - Nicht-Binnenkraftwerken ohne Auslandswirkung - Nicht-Binnenkraftwerken mit Auslandswirkung. Die Unterscheidung bemißt sich hier also danach, ob beim Normalbetrieb eines Kraftwerks vom Errichtungsstaat (erhebliche) schädigende Wirkungen (z. B. thermische Verunreinigungen etc.) auf den Nachbarstaat ausgehen, wobei einleuchtend ist, daß dann die möglichen völkerrechtlichen Anforderungen höher liegen können. Die Nicht-Binnenkraftwerke mit Auslandswirkung dürften häufig die viel diskutierten grenznahen Kraftwerke sein. Notwendig ist dies aber nicht; insbesondere können z. B. nicht grenznahe Kraftwerke an Flüssen, die später ins Ausland münden, wegen thermischer Verunreinigungen Nicht-Binnenkraftwerke mit Auslandswirkung sein. Ebenso wie bei der Abgrenzung zwischen Binnenkraftwerken und Nicht-Binnenkraftwerken wird eine pauschale Trennung (etwa nach bestimmten Grenzentfernungen) zwischen Nicht-Binnenkraftwerken mit Auslandswirkung einerseits und ohne Auslandswirkung andererseits kaum möglich sein. Auch hier sind Größe, Typ, Standort und Umweltbedingungen etc. entscheidend. 111. Folgerungen
Im folgenden wird also unterschieden zwischen: - Binnenkraftwerken - Nicht-Binnenkraftwerken ohne Auslandswirkung - Nicht-Binnenkraftwerken mit Auslandswirkung. Besonders wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen Binnenkraftwerken und Nicht-Binnenkraftwerken. Hinsichtlich des geplanten Kernkraftwerkszentrums Cattenom ist sicher, daß es sich um ein Nicht-Binnenkraftwerk handelt. Träfen die häufig geäußerten Befürchtungen über Schädigungen der Bundesrepublik auch im Normalbetrieb zu, wäre das Kraftwerk Cattenom im Sinne der hiesigen Unterscheidung ein Nicht-Binnenkraftwerk mit Auslandswirkung.
B. Zulässigkeit von Binnenkraftwerken
17
B. Zulässigkeit von Binnenkraftwerken I. Zulässigkeit ziviler Kernkraftnutzung als solcher Während sich in jüngerer Zeit die Aussagen zu Kernkraftwerken an der Grenze häufen2 , ist die Zulässigkeit der Kernenergienutzung zu friedlichen Zwecken als solche bisher nur sehr beschränkt Gegenstand völkerrechtlicher Fragestellungen gewesen. Im wesentlichen wurden bislang lediglich organisatorische Probleme sowie Fragen der internationalen Atomkontrolle zur Verhinderung einer nicht friedlichen Kernenergienutzung, der Beförderung und Beseitigung nuklearer Stoffe und Abfälle (einschließlich ihrer Beseitigung im Meer), der Reaktorschiffahrt und des Strahlenschutzes sowie bei grenzüberschreitenden atomaren Schäden die Problematik der zivilrechtlichen Haftung und der völkerrechtlich begründeten Haftung von Staaten erörtert3 • Wird einmal von der noch zu behandelnden spezifischen völkerrechtlichen Nachbarproblematik abgesehen, ist bei allen diesen überlegungen von maßgeblicher Seite - soweit erkennbar - die grundsätzliche völkerrechtliche Zulässigkeit der friedlichen Kernenergienutzung als solche nicht bezweifelt worden4 , wobei freilich Schäden durch Kernkraftwerke in Nachbarstaaten regelmäßig als völkerrechtswidrig bewertet werden. Die prinzipielle Zulässigkeit der zivilen Kernkraftnutzung als solcher wird in einer Fülle von völkerrechtlichen Verträgen und Rechtsakten (z. B. Atomhaftungskonventionen, Euratomvertrag, Nichtverbreitungsvertrag, IAEO-Satzung etc.) sowie in privatrechtlichen Lieferungs- und Versorgungsverträgen im zwischenstaatlichen Bereich vorausgesetzt. Wegen der Verbreitetheit und Engmaschigkeit von derartigen einschlägigen internationalen Verträgen über die zivile Kernenergienutzung ist deshalb von einer communis opinio der internationalen Staatengemeinschaft über die prinzipielle Zulässigkeit der friedlichen Kernkraftnutzung gesprochen worden5 • Da es also keine völkerrechtlich relevanten Aussagen über die Unzulässigkeit ziviler Kernkraftnutzung als solcher gibt, sondern deren Zulässigkeit erkennbar allgemein vorausgesetzt wird, kann es deshalb als gesicherte völkerrechtliche Ansicht gelten, daß die zivile Kernkraftnutzung als solche im Prinzip als völkerrechtlich zulässig gUt6 • Angesichts der langjährigen (ca. 30jährigen) einschlä2 Siehe besonders RandelzhofeTISimma, in: Berber-Festschrift, 1973, S. 389 ff., m. w. N., sowie unten C VIII 2.
a PelzeT, ET 1975, S. 563 f., m. w. N. 4
5
Siehe dazu PelzeT, S. 563. PelzeT, S. 564 f., der insbesondere auf Art. IV des Nichtverbreitungsver-
trags verweist.
2 Kloepfer/Kohler
18
1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
gigen Staatenpraxis kann die grundsätzliche völkerrechtliche Zulässigkeit der zivilen Kernkraftnutzung wohl schon als völkergewohnheitsrechtlich verfestigt gelten7 , was nicht ausschließt, daß sich Staaten völkervertraglich zur Nicht-Errichtung von Kernkraftwerken verpflichten können.
11. Binnenkraftwerke und Völkerrecht Die konstatierte grundsätzliche völkerrechtliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung von Kernkraft als solche bezieht sich unmittelbar nur auf Binnenkraftwerke. Da diese keinen Auslandsbezug haben, kann hier das allgemeine Völkerrecht im Prinzip keine zusätzlichen Anforderungen stellen, insbesondere auch keine quantitativen8 oder qualitativen9 Grenzen festlegen. Deshalb ist auch zu bezweifeln, daß sich derzeit ein Völkergewohnheitsrecht bilden soll, das ganz generell bestimmte Anforderungen an Errichtung, überwachung, Kontrolle und Haftung von und für Kernkraftwerke(n) stellen wird10 • Dies kann für Binnenkraftwerke nicht bzw. nur dann gelten, wenn man angesichts möglicher weiträumiger radioaktiver Verunreinigungen der Atmosphäre im Störfall die Existenz von Binnenkraftwerken überhaupt bestreitet. Soweit man aber - wie hier - von der Existenz derartiger (wie immer auch konkret zu bestimmender) Binnenkraftwerke ausgeht, ist im Prinzip deren völkerrechtliche Irrelevanz festzustellen. Die Souveränität des Errichtungsstaates trifft bei den Binnenkraftwerken auf keine völkerrechtlichen Grenzen. Das schließt freilich wiederum nicht aus, daß sich ein Errichtungsstaat völkervertraglich (z. B. durch den Euratomvertrag) zur Einhaltung bestimmter qualitativer oder quantitativer Grenzen verpflich tet.
8 Pelzer, S.565; ders., in: Fischerhof, Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht, Bd. I, 1978, S. 181; wohl auch Randelzhojer/Simma, S.415. 7 Von einem speziellen Völkergewohnheitsrecht "in statu nascendi" spricht Pelzer, in: Fischerhof, S. 181. 8 So für Westeuropa auch: PelzeT, ET 1975, S.565. 9 Allgemein wenn auch vorsichtig - für qualitative Anforderungen: Pelzer, ET 1975, S. 565. 10 So aber wohl Pelzer, in: Fischerhof, Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutz, Bd. I, 2. Aufl. 1978, S. 188; ders., in: ET 1975, S.566.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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c. Zu lässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken I. Schäden als Beurteilungsmaßstab Bei Untersuchung der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung und des Betriebs von Nicht-Binnenkraftwerkenl l ist es nicht möglich, von der etwaigen Rechtswidrigkeit möglicher, durch die Kernkraftwerke verursachter Schädigungen auf die Rechtswidrigkeit der Errichtung und des Betriebes selbst zu schließen. Ganz abgesehen davon, daß dann eine Beurteilung der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung eines Kraftwerks nur ex post, nämlich bei Schadens eintritt, möglich wäre - allenfalls bei sicherer Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts wäre eine Ausnahme denkbar -, könnte der besonders wichtige Aspekt der Gefährdung und des Risikos völkerrechtlich gerade nicht verarbeitet werden, weil die Gefährdung und das Risiko den Schadenseintritt nicht voraussetzen, sondern lediglich Grade der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts beschreiben. Selbst wenn aber ein Schaden einträte und dieser rechtswidrig wäre12, ist es doch keineswegs ausgemacht, daß dies immer auf einer rechtswidrigen, eine Völkerrechtspflicht verletzenden Handlung beruhen müßte. Im Falle einer völkerrechtlichen Gefährdungshaftung13 wäre es durchaus möglich, daß gefährliche, aber völkerrechtmäßige Handlungen Schäden verursachen könnten, die ihrerseits rechtswidrig wären und Haftungsansprüche auslösten. Aus rechtmäßigen Handlungen würden dann im Ergebnis rechtswidrige Schäden entstehen. Entscheidender Ansatzpunkt für die völkerrechtliche Beurteilung ist also nicht der von einem Kraftwerk verursachte Schaden im Ausland, sondern vielmehr die Frage, ob die Errichtung oder der Betrieb eines Nicht-Binnenkraftwerks als solche völkerrechtlich unzulässig sind, wenn und weil (auch) der Nachbarstaat die Risiken des Normalbetriebs und/ oder eines Schadensfalles zu tragen hat. 11 Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit von Nicht-Binnen-Kraftwerken insbesondere von grenznahen Kernkraftwerken vgl. etwa PelzeT, ET 1975, S. 563 ff. (zugleich weitestgehend abgedruckt in den Kongreßunterlagen Nuclear Inter Jura 75 der AIDN/INLA, 1975, S. 49 ff.); deTs., in: Fischerhof, Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutz, Bd. I, 1978, S. 181 f.; Diez, SchwJBIR 1979, S. 21; vgl. allgemein auch Handl, Ecology Law Quarterly 1978, S. 1, bes. S. 27 ff., 39 ff. Zum Urteil der völkerrechtlichen Unzulässigkeit kommen RandelzhofeT/ Simma, Berber-Festschrift 1973, S. 389 ff.; siehe dazu unten Erster Teil, CVIII2. 12 PelzeT, ET 1975, S.567, hält grenzüberschreitende Schäden durch Kernkraftwerke grundsätzlich für rechtswidrig; siehe allgemein zur Schadenshaftung unten Vierter Teil. 13 Siehe dazu unten Vierter Teil, Zweiter Abschnitt.
20
1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
11. Ausgangspunkt und Grundstruktur der Problematik Zweifel an der völkerrechtlichen Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken können sich deshalb ergeben, weil von einem Staat, in dem das Kraftwerk errichtet wird (Errichtungsstaat), Gefährdungen, d. h. mögliche Schäden, auf einen anderen Staat (Wirkungsstaat) ausgehen können. Weil bei Nicht-Binnenkraftwerken - möglicherweise völkerrechtlich geschützte - Interessen und Positionen von Völkerrechtssubjekten gefährdet und geschädigt werden, ist hier ein Ansatzpunkt für völkerrechtliche Bedenken gegeben14• Die Interessen des Wirkungsstaates, von Schäden, Gefährdungenoder ganz allgemein - von Einwirkungen von außen, d. h. vom Errichtungsstaat, verschont zu bleiben, sind völkerrechtlich am ehesten faßbar durch die Vorstellung der territorialen Integrität bzw. der Gebietshoheit eines Staates über sein Territorium, d. h. letztlich seiner territorialen Souveränität15 • Die Souveränität des Wirkungsstaates berechtigt diesen u. a. nicht nur, hoheitliche Akte auf seinem Gebiet zu erlassen und dort eine Herrschaftsordnung zu errichten, zu erhalten und zu gestalten, sondern auch über den faktischen Zustand seines Territoriums zu bestimmen. Dies schließt im Prinzip auch die Befugnis ein, sich gegen Einwirkungen von außen zu schützen. Damit wird neben der positiven Seite der territorialen Souveränität (zugunsten des jeweiligen Staates über sein Territorium) ein negativer, abwehrender Gehalt (gegenüber anderen Staaten) erkennbar. So gesehen, umfaßt die territoriale Souveränität zunächst das Verbot gegenüber Staaten, ohne Erlaubnis (oder sonstige völkerrechtliche Titel) auf "fremdem" Staatsgebiet durch dort anwesende Staatsorgane öffentliche hoheitliche Akte vorzunehmen oder staatliche Gebote an Menschen im Ausland zu richten, ohne daß eine ausreichende Verknüpfung zum Staatsgebiet besteht (Anknüpfungsbeschränkung16). in der speziellen Ausformung des völkerrechtlichen allgemein anerkannten Grundsatzes der territorialen Integrität eines Staates wird der Abwehrgehalt der territorialen Souveränität insbesondere gegenüber tatsächlichen 14 Völkerrechtlich unhaltbar ist der zum Projekt Super-Phenix in CreysMalville (70-80 km von Genf) vertretene französische Standpunkt, es handele sich hier (wohl wegen der Distanz zur Grenze) um eine innere französische Angelegenheit, nicht aber um eine Frage der französisch-schweizerischen Nachbarschaft (vgl. die Darstellung des französischen Standpunkts bei Caflisch/Perruchod, SchwJBIR 1979, S. 117 [161]; Diez, SchwJBIR 1979, S. 9 [23]), wenn Auswirkungen von diesem Projekt auf die Schweiz nicht auszuschließen sind. Die Franzosen gaben hier allerdings die gewünschten Informationen (vgl. Diez, ebd.). 15 Siehe hierzu etwa: Fröhler/Zehetner, Rechtsschutzprobleme bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen, Bd. 1, 1979, S. 69 ff., m. w. N. 16 Siehe dazu unhm Erster Teil, C XIX.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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Einwirkungen von außen präzisiert. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf das völkerrechtliche Gewaltverbot (Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta), sondern auch gegenüber Grenzverletzungen und tatsächlichen, auch symbolischen Handlungen im Ausland. Dabei sind die Staaten nicht nur gehalten, selbst die Gebietshoheit anderer Staaten zu achten, sondern sie sind auch verpflichtet, schädigende Einwirkungen Dritter von ihrem Staatsgebiet aus auf andere Staaten zu verhindern. Dieser Gedanke der territorialen Integrität könnte sich damit im Prinzip auch als Ansatzpunkt zur Abwehr schädigender Umwelteinwirkungen von außen (vom Errichtungsstaat aus) auf ein Staatsgebiet (des Wirkungsstaates) erweisen. Allerdings wäre dies dann nur die Betrachtung grenzüberschreitender Umweltverschmutzungen (oder -gefährdungen) allein vom Wirkungsstaat aus. Zur Vermeidung von Einseitigkeiten bedarf dies einer Ergänzung durch eine Beurteilung von den einschlägigen völkerrechtlichen Positionen des Errichtungsstaates her, auf dessen Gebiet also ein Nicht-Binnenkraftwerk errichtet wird. Seine aus der territorialen Souveränität ableitbare Gebietshoheit17 erlaubt es ihm an sich zu entscheiden, welche tatsächlichen Aktivitäten auf seinem Gebiet vorgenommen werden, insbesondere auch, ob und nach welchen Regeln auf seinem Gebiet (auch im Grenzgebiet) Kraftwerke errichtet und betrieben werden sollen. Damit wird deutlich, daß bei der Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken, vor allem von grenznahen Kernkraftwerken bei Staaten mit gemeinsamen territorialen Grenzen bzw. in sonstiger räumlicher Nähe Ausprägungen der Gebietshoheiten beider Staaten bzw. ihrer territorialen Souveränität aufeinander stoßen18 • Dem Errichtungsstaat steht das Recht zu, hoheitlich über die Errichtung und den Betrieb eines Kernkraftwerks zu entscheiden, dem Wirkungsstaat das Recht, etwaige vom Kernkraftwerk ausgehende Schädigungen (und Gefährdungen?) auf seinem Gebiet abzuwehren und eventuell - in den Grenzen völkerrechtlich zulässiger Anknüpfung zum Gegenstand eigener Maßnahmen und Regelungen zu machen. Hieraus wird bereits deutlich, daß es Konflikte zwischen den Gebietshoheiten, d. h. Kollisionen zwischen Ansprüchen aus territorialer Souveränität zweier Staaten, geben kann. Dies erhellt auch die Überlegung, daß einerseits die Gebietshoheit des Errichtungsstaates völkerrechtlich gerade nicht die Beeinträchtigung fremden Staatsgebietes (durch Immissionen etc.) erlaubt, bzw. daß andererseits die Gebietshoheit des Wir17 Zur Differenzierung zwischen territorialer Souveränität und Gebietshoheit vgl. etwa Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 1976, S. 513 ff. 18 Zur entsprechenden Ausgangsproblematik vgl. neben Fröhler/Zehetner, S. 69 ff. z. B. auch Grawe, ZaöffRV 34 (1974), S.301; Handl, AJIL 69 (1975), S. 53 ff.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
kungsstaates eine Abwehr der Schädigungen nur auf seinem Gebiet selbst, aber gerade nicht im Errichtungsstaat erlaubt. Die völkerrechtlichen Schwierigkeiten erwachsen nun daraus, daß eine Bekämpfung von einschlägigen Gefährdungen und Schädigungen im Falle von (NichtBinnen)Kernkraftwerken praktisch nur an der Quelle, d. h. durch Eingriffe in die Gebietshoheit des Errichtungsstaates, möglich ist (ansonsten bleiben allenfalls mittelbare Sanktionen des Wirkungsstaates), deren Völkerrechtsgemäßheit erst zu erweisen wäre. Das zeigt das völkerrechtliche Kernproblem grenznaher Kernkraftwerke: ihr Betrieb ist ohne potentielle Beeinträchtigung (der Gebietshoheit) des Wirkungsstaates, die effektive Gefahrenbekämpfung (von außen) ist ohne Berührung der Gebietshoheit des Errichtungsstaates kaum denkbar. Dies führt u. a. zu folgenden grundsätzlichen Fragen: -
Inwieweit und in welchen Grenzen erfährt die territoriale Souveränität des Errichtungsstaates (Handlungsstaates) durch ein Verbot grenzüberschreitender Emissionen bzw. Gefährdungen eine Einschränkung?
-
Gibt die territoriale Souveränität des Wirkungsstaates zur Abwehr von grenzüberschreitenden Immissionen bzw. Gefährdungen ein Einwirkungsrecht auf den Errichtungsstaat?
-
Kann der Wirkungsstaat Errichtung und Betrieb eines Kraftwerkes im fremden Errichtungsstaat zum Gegenstand seiner Regelungen machen?
Im Mittelpunkt der hiesigen Problematik steht also die Frage nach einer notwendigen wechselseitigen Begrenzung der territorialen Souveränität von Staaten. Im Falle von grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen ist eine derartige Einschränkung zur Vermeidung von untereinander kollidierenden Folgerungen aus der Idee völkerrechtlicher Souveränität notwendig. Wie gezeigt, schließen sich - bezüglich der völkerrechtlichen Beurteilung von Nicht-Binnenkernkraftwerken die verabsolutierte Gebietshoheit des Errichtungsstaates und die verabsolutierte Gebietshoheit des Wirkungsstaates (im Sinne territorialer Integrität) aus, was behutsame Einschränkungen zur Kollisionsvermeidung erforderlich macht. Dies ist ohne Begrenzung von Souveränitätsgehalten nicht möglich. III. Klassische Begrenzungen der völkerrechtlichen Souveränität
Einer überkommenen undifferenzierten Ansicht erscheint die territoriale Souveränität eines Staates von vornherein als eine Zuweisung absoluter territorialer Herrschaftsmacht, die keine Ausnahmen kennt und
c. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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insbesondere Einschränkungen durch Interessen anderer Völkerrechtssubjekte ausschließt. Insbesondere hat die für das internationale Wasserrecht entwickelte Harmon-Doktrin19 gefordert, daß eine Souveränitätsbeschränkung im Hinblick auf die Interessen von Nachbarstaaten (an intakten Wasserläufen) nicht in Betracht komme. Indessen kann diese Ansicht heute wohl als überholt gelten, weil die wechselseitigen Interessen und Abhängigkeiten von Staaten und die Interessen der Völkergemeinschaft insgesamt notwendigerweise Souveränitätseinschränkungen nach sich ziehen müssen20 • So wichtig die prinzipielle Unantastbarkeit der territorialen Souveränität von Staaten für die grundsätzliche Erfüllung des völkerrechtlichen Friedenswahrungsauftrages auch ist, so entspricht es doch schon herkömmlichem Völkerrecht, daß die territoriale Souveränität erhebliche Ausnahmen erfahren kann21 • Dies gilt etwa für die dem Flaggenstaat verbleibende Befehls- und Strafgewalt auf Handelsschiffen, die ein fremdes Küsteruneer durchfahren, ebenso wie für die Kommandogewalt über seine bewaffnete Macht, die einem Staat auch dann verbleibt, wenn sich seine Truppenkörper in einem fremden Staat dort mit dessen Zustimmung bewegen. Unbestritten ist auch die Möglichkeit, mannigfaltige Beschränkungen der territorialen Souveränität durch völkerrechtliche Verträge zu begründen (Verwaltungszessionen, aktive Staatsservitute, Zollkontrolle, überflugrechte, Transitabkommen etc.), denen regelmäßig eine Duldungspflicht des Territorialstaates entspricht. In dem Problembereich des Nicht-Binnen-Kernkraftwerks, insbesondere des grenznahen Kernkraftwerks wäre es also im Prinzip möglich, daß sich ein Wirkungsstaat gegenüber einem Errichtungsstaat verpflichtet, Einwirkungen bzw. Gefährdungen von einem Kernkraftwerk bzw. anderen emittierenden Anlagen wie Flugplätzen im Handlungsstaat zu dulden. Eine derartige völkerrechtliche Vereinbarung liegt soweit erkennbar - bezüglich des Kernkraftwerks Cattenom nicht vor. Inwieweit von einer völkerrechtlichen Einverständniserklärung seitens der Bundesrepublik als Wirkungsstaat im Sinne eines Verzichts auf Souveränitätsansprüche auszugehen ist, wird später zu untersuchen sein22 • 1P Siehe dazu etwa Krakau, Harmon-Doktrin, 1966; Randelzhofer/Simma, S. 396 f., m. w. N.; Fröhler/Zehetner, Rechtsschutzprobleme bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen, Bd.1, 1979, S.72; E. Klein, Umweltschutz im völkerrechtlichen Nachbarrecht, 1976, S.79, 98. 20 Ablehnend auch Randelzhofer/Simma, S. 396 f., m. w. N. 21 Siehe hierzu und zum folgenden etwa: Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 1976, S. 502 ff. 22 Siehe unten Erster Teil, E III 2, 3.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Die territoriale Souveränität kann aber nicht nur durch Pflichten zur Duldung fremder Staats aktivitäten im eigenen Hoheitsgebiet begrenzt sein, sondern auch durch Pflichten zu einem aktiven Handeln, etwa zur Ergreifung aktiver Schutzmaßnahmen23• Besonders wichtig ist dabei die Pflicht zu einem Einschreiten gegenüber völkerrechtswidrigen Handlungen von Dritten (d. h. nicht des Staates selbst, sondern von natürlichen und juristischen Personen vom Gebiet dieses Staates aus), die sich gegen andere Staaten richten oder auswirken. Auf diese Weise wird das Problem weitgehend bewältigt, daß diese "Dritten" (mit Ausnahme der auf fremdem Territorium aktiven Staaten) keine Völkerrechtssubjekte sind und deshalb nicht Träger (Adressaten) völkerrechtlicher Pflichten sein können (Beispiel: schädigende Emissionen von privaten Industrieanlagen auf das Gebiet fremder Staaten)24. Da diese Dritten nicht unmittelbar auf Einhaltung völkerrechtlicher Pflichten durch andere Völkerrechtssubjekte in Anspruch genommen werden können, wird mit der Einstandspflicht des Staates für Handlungen auf seinem Gebiet (verbunden mit einer Einwirkungspflicht des Staates auf diese Dritten) eine tragfähige Ersatzlösung auf der Ebene herkömmlicher völkerrechtlicher Pflichten- und Anspruchsbeziehungen gesucht. Damit wird zugleich der Gefahr begegnet, daß ein Staat sich dadurch völkerrechtlicher Pflichten zu entledigen sucht, daß er - quasi formenvertauschend - in privatrechtlichen Formen bzw. in Beteiligungen tätig wird und hierbei auf andere Staaten einwirkt. Der Errichtungsstaat muß dann völkerrechtlich für sein privatrechtliches Handeln einstehen. Soweit also Einwirkungen Dritter (z. B. Immissionen durch Private) vom Errichtungsstaat aus die territoriale Souveränität des Wirkungsstaates verletzen, kann der Wirkungsstaat vom Errichtungsstaat ein Einschreiten gegen die Dritten mit dem Ziel der Unterlassung von Einwirkungen auf den Wirkungsstaat verlangen. Bezüglich des Kernkraftwerks Cattenom kann also u. U. von der Bundesrepublik Deutschland ein Einschreiten der Französischen Republik gegen den Betreiber (Electricite de France - EDF) verlangt werden. Es kann daher die Frage offen bleiben, ob wegen der staatlichen Beteiligung die Aktivitäten der EDF unmittelbar der Französischen Republik zugerechnet werden können (was dann u. U. zu direkten Unterlassungsansprüchen führt). Schließlich kann aber auch - und hier liegt der Kern der völkerrechtlichen Problematik grenzüberschreitender Umweltprobleme vom Errichtungsstaat trotz seiner territorialen Souveränität ein Unterlassen bestimmter Aktivitäten von diesem Territorium aus verlangt 23 U
Vgl. dazu Verdross/Simma, S. 504. Pelzer, S. 567.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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werden. Dem klassischen Völkerrecht sind derartige Beschränkungen der territorialen Souveränität durch Unterlassungspflicht bekannt, wie etwa das Beispiel der Exterritorialität im Sinne einer Exemtion von Hoheitsgewalt eines Staates über sein Herrschaftsgebiet. Bekannt sind seit langem gerade auch völkerrechtlich vereinbarte Unterlassungspflichten als Beschränkungen der territorialen Souveränität (z. B. Entmilitarisierungsverträge). Sind also herkömmliche völkerrechtliche Einschränkungen der territorialen Souveränität durch Duldungs-, Handlungs- und Unterlassungspflichten keineswegs unbekannt, so ist damit klar, daß die Frage nach umweltschutzrechtlichen Pflichten des Völkerrechts nicht von vornherein mit der Behauptung unbegrenzter territorialer Souveränität des Errichtungsstaates abgewehrt werden kann. Ebensowenig ist freilich auch die Annahme einer unbegrenzten territorialen Souveränität des Wirkungsstaates zur Problemlösung geeignet, weil hierdurch eine völlig einseitige Konfliktlösung erfolgen würde. Die dadurch beim Errichtungsstaat hervorgerufenen Souveränitätseinschränkungen würden weit über die erwähnten bekannten Eingrenzungen der Souveränität hinausgehen. Die Berufung auf unbegrenzte Souveränität sei es des Errichtungsstaates oder des Wirkungsstaates ist also nicht geeignet, das völkerrechtliche Problem grenzüberschreitender Umweltprobleme und insbesondere die Frage der Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken zu lösen.
IV. Internationalisierung von Umweltgütern Ob freilich deshalb für internationale ökologische Probleme der prinzipiell von der völkerrechtlichen Souveränität wegführende Weg einer Quasi-Internationalisierung von Umweltmedien25 (vor allem Luft und Wasser) eine gangbare Lösung wäre, dürfte außerordentlich problematisch sein. Ausgangspunkt derartiger Überlegungen ist die Beobachtung grenzüberschreitender Umweltprobleme insbesondere von Umweltverschmutzungen -, die hieran geknüpfte Notwendigkeit internationaler Lösungen26 und die These, daß die Ökosphäre wegen 25 So zwar nicht ausdrücklich, aber doch tendenziell VeTdToss/Simma, S. 507, mit einer Absage an das "laisser faire" des völkerrechtlichen Koexistenzrechts; siehe hierzu auch RandelzhofeTJSimma, S.389. 26 Vgl. z. B. Maus, analysen und prognosen, 1979, S. 28; siehe auch E. Klein, S. 81, zu völkerrechtlichen Rechtsgemeinschaften bei internationalen Flüssen und Seen; allgemein zu grenzüberschreitenden Verschmutzungen siehe etwa BalleneggeT, La pollution en droit international, 1975; Lutz, in: McCaffrey/ Lutz (Hrsg.) Environmental Pollution and individual rights: an international symposium, 1978, S.191 ff.; BTamsen, Tidsskrift for International Ret, 1972, S. 153 ff.; BaTTos/Johnston, International Law of Pollution, 1974; Volkenrechtelijke en nationalrechtelijke aspecten van grensoverschrijtende vervui-
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
ihrer Erschöpfbarkeit nicht beliebig ausbeutbar und deshalb im allgemeinen Interesse der Staatengemeinschaft2T nur in allseitiger Zurückhaltung belastbar sei ("shared environment'(28). Die Anwendung dieses Gedankens auf die Hohe See (oder auf die oberen - nicht der Gebietshoheit unterliegenden - Schichten der Atmosphäre) begegnet weniger Bedenken, da hierdurch nicht (unmittelbar) die territoriale Souveränität eines Staates begrenzt wird (allenfalls mittelbar, wenn von einem Territorium aus schädliche Einwirkungen auf die Hohe See - bzw. die Atmosphäre - ausgehen sollen, dies aber völkerrechtlich illegalisiert wird, wodurch im Effekt dann doch die territoriale Nutzbarkeit eines Staates bezüglich seines Gebietes eingeschränkt wird). Soweit aber Limitierungen der Nutzbarkeit von Umweltmedien zu einer unmittelbaren Beschränkung der Souveränität von Einzelstaaten führen, erscheint eine Berufung auf Interessen der Staatengemeinschaft insgesamt doch deshalb als problematisch, weil damit das Prinzip territorialer Souveränität als solches aufgegeben sein könnte. Jedenfalls wäre eine prinzipielle Gegenüberstellung von - höherrangigen - universellen Interessen der Völkergemeinschaft und - niederrangiger - nationaler Souveränität mit tragenden Fundamenten des Völkerrechts nicht vereinbar.
v.
Ansätze im internationalen Wasserrecht
Nun kann freilich nicht übersehen werden, daß im internationalen Wasserrecht Ansätze eines internationalen Regimes erkennbar sind, das die territoriale Souveränität eines Staates bezüglich von MehrStaaten-Gewässern überlagert29 • Dies gilt insbesondere für die "Schifffahrtsfreiheit" bei natürlichen und künstlichen Binnenwasserstraßen. Allerdings beruhen derartige Einschränkungen im wesentlichen auf vertraglichen Übereinkommen und zum anderen bleibt die territoriale Souveränität der jeweiligen Uferstaaten - wenn auch eingeschränkt - erhalten. Somit liegt hier also keine Internationalisierung vor, sondern nur eine Souveränitätseinschränkung. ling, Rapport van de Werkgroep International Milieurecht van de N.V.I.R., 1978; Wildhaber, SchwJBIR 1975, S. 102 ff. 27 Zur These der staatengemeinschaft als allgemeine Rechtsgemeinschaft im hiesigen Problemzusammenhang E. Klein, S. 118 f. 28 Siehe dazu RandelzhojerlSimma, S.390, 411 Fußn.63; Handl, AJIL 69 (1975), S.53, m. w. N. IV Siehe dazu insbesondere E. Klein, S.124 ff., m. w. N.; allgemein zum Problem der Verschmutzung· internationaler Binnengewässer Dintelmann, Die Verunreinigung internationaler Binnengewässer insbesondere in Westeuropa aus der Sicht des Völkerrechts, 1965; Ballenegger, La pollution en droit international, 1975, S. 11 ff.; Handl, Wilburg-Festschrift, 1975, S. 245 ff.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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In eben diese Richtung gehen auch Überlegungen, die auf sonstige Beschränkungen der territorialen Souveränität der Flußstaaten bei Mehr-Staaten-Flüssen zielen30• Wie erwähnt, kann heute die HarmonDoktrin oder die sog. Territorialitätstheorie, die den jeweiligen Staaten eine unbegrenzte Souveränität ohne Rücksicht auf die Unterliegerstaaten zubilligte, als überwunden gelten. Heute wird bei derartigen Mehr-Staaten-Flüssen eine beliebige Nutzbarkeit und Abänderbarkeit des Laufs von Gewässern ohne Rücksicht auf die völkerrechtlichen Nachbarstaaten nicht mehr für zulässig gehalten 31 • Vor allem nach der Lac Lanoux-Entscheidung32 wird aus der hydrographischen Kohärenz derartiger Gewässer der Gedanke gefolgert, daß die Staaten die in ihrem Territorium verlaufenden Fluß teile nicht so verändern dürfen, daß sie die Interessen anderer Fluß-Staaten erheblich beeinträchtigen. Dieser Gedanke notwendiger völkerrechtlicher Rücksichtnahme wegen Raumverbundenheit ist in den "Helsinki Rules on the Uses of Waters of International Rivers" der International Law Association von 196633 und in einer Reihe die Gewässernutzung (insbesondere Wasserentnahme, Überwärmung) regelnden völkerrechtlicher Vereinbarungen enthalten34 • Insgesamt werden damit aus der Idee der räumlichen Kohärenz völkerrechtliche Pflichten zur Rücksichtnahme abgeleitet, die im Ergebnis Beschränkungen, aber keine Beseitigungen der territorialen Souveränität der Uferstaaten beinhalten.
30 Siehe dazu mit umfassenden Nachweisen VerdrossjSimma, S. 506 f.; RandelzhoferjSimma, S. 400 ff. (insbesondere zur Staatenpraxis). 31 VerdrossjSimma, S. 506.
32 RIAA Bd. XII, S.281; ILR 24 (1957), S.101; RDI (1958), S. 430 ff.; auch AJIL 53 (1959), S. 30 ff.; siehe dazu RandelzhoferjSimma, S.406. Fröhlerj Zehetner, S. 33; E. Klein, S. 179; Handl, S. 9; ders., AJIL 69 (1975), S. 63 f., ders., Wilburg-Festschrift, 1975, S. 256 f., 264; Cripps, ICLQ 29 (1980), S.2; Goldie, in Kiss: La protection de l'environnement et le droit international, 1975, S. 71 f.; Wildhaber, SchwJBIR 1975, S.107, 109 f.; zugleich (S.110) mit Schilderung des ebenfalls einschlägigen Gut-Dam-Schiedsverfahrens; Rest, Internationaler Umweltschutz und Haftung, 1978, S. 29. 33 International Law Association, Report of the 52nd Conference 1966, S. 484 ff.; siehe dazu auch E. Klein, S. 82 f.; Handl, Wilburg-Festschrift, 1975, S. 68 f.; vgl. jetzt auch Institut de droit international, Resolution v. 12.9.1979, SchwJBIR 1979, S. 292 ff. a. Vgl. dazu VerdrossjSimma, S.507, m. w. N.; Weber/v. Wedel, Grundkurs Völkerrecht, 1977, S. 287 ff.; zum Umweltschutz im europäischen Bereich vgl. etwa Diez, in: Umweltschutz und internationale Wirtschaft, 1975, S. 209 ff.; Dintelmann, Die Verunreinigung internationaler Binnengewässer insbesondere in Westeuropa aus der Sicht des Völkerrechts, 1965; zu den spezifischen Moselvereinbarungen siehe unten Erster Teil, C XV.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
VI. Ansätze des völkerrechtlichen Nachbarrechts Damit wird vom Wasserrecht her der Ansatz des sog. völkerrechtlichen Nachbarrechts - Prinzip guter Nachbarschaft - (good neighborliness, bon voisinage 35 ) bewußt, das als Grundlage völkerrechtlicher Umweltschutzerwägungen gelten kann 36 • Ausgangspunkt ist dabei der Gedanke, daß staatliche Grenzen eine physische Einheit des Bodens, der Wasserläufe und der Luftströmungen zerschneiden37 , daß also die auf ein Staatsgebiet beschränkte Souveränität eines Staates der grenzüberschreitenden Nachbarproblematik nicht voll gerecht wird. Die Nachbarregion ist insoweit also "souveränitätsübergreifend". Es besteht demnach eine Diskrepanz zwischen der räumlichen Ausdehnung eines Problems und der räumlichen Reichweite einer Regelungskompetenz 38 • Dennoch geht es beim völkerrechtlichen Nachbarrecht keineswegs um die Internationalisierung von Nachbarregionen, nicht um die Preisgabe, sondern lediglich um die Begrenzung der territorialen Souveränität. Das Nachbarrecht zwischen Staaten ruht insoweit in der Gedankenwelt völkerrechtlicher Souveränität. Zwar werden nach diesem Nachbarrecht auch Souveränitätsbeschränkungen begründet und legitimiert, aber letztlich zum Schutz der Souveränität anderer Staaten. Es erfolgen also Souveränitätseinschränkungen um der Souveränität willen. Das Interesse anderer Staaten an der Respektierung ihrer Souveränität und nicht das schwerer zu fassende Interesse der Staatengemeinschaft an einer intakten Umwelt ist der Maßstab für die Hinnahme von Souveränitätseinschränkungen. Ein derartiger souveränitätsbezogener Ansatz hat zwar typischerweise eine zweiseitige Ausgangsposition - das Verhältnis zwischen zwei Staaten - ; er kann aber auch auf das Verhältnis mehrerer, nämlich zusammenliegender Staaten ausgedehnt werden, weshalb es nicht darauf ankommt, ob ein Kraftwerk unmittelbar an der Grenze oder in S5 Vg!. zum internationalen Nachbarrecht etwa: Thalmann, Grundprinzipien des modernen zwischenstaatlichen Nachbarrechts, 1951; E. Klein, S. 115 ff.; Randelzho!er/Simma, S. 395 ff.; Verdross/Simma, S.504, 506 f.; Wehser, in: Menzel/Ipsen, Völkerrecht, 2. Auf!. 1979, S. 151; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 3. Auf!. 1975, S. 270 f.; Wengler, Völkerrecht, Bd.lI, 1964, S. 1000 ff.; Andrassy, RdC 79 (1951), S. 79 ff.; ders., Int. Verdross-Festschrift, 1960, S. 55 ff.; Wildhaber, SchwJBIR 1975, S. 102 ff.; Diez, SchwJBIR 1979, S. 9 H.; Rauschning, EA 1972, S. 569 ff.; v. d. Heydte, Verdross-Fesch schrift, 1960, S.509; zuletzt etwa Rauschning, Schlochauer-Festschrift, 1981, S. 562 ff.; Siehr, RabelsZ 45 (1981), S. 388 f.; - zum Standpunkt der DDR-Völkerrechtsdogmatik: Poeggel/Reintanz, in: Völkerrecht, Teil 1, 1973, S. 370 f. 38 Randelzho!er/Simma, S.400, sehen insbesondere im Anschluß an Schaumann und Andrassy (Nachw. da selbst S. 399) - das internationale Wasserrecht als Teilgebiet des internationalen Nachbarrechts. 37 Moser, in: Nuclear Inter Jura '73, S.196. 38 Bothe, AöR 102 (1977), S. 68.
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einer gewissen Entfernung zu ihr liegt. Auch soweit zwischen NichtBinnenkraftwerk, insbesondere einern grenznahen Kraftwerk in einern Erststaat (Errichtungsstaat) ein Gebietstück eines Zweitstaates (erster Wirkungsstaat) liegt, gleichwohl auf den danebenliegenden Drittstaat (zweiter Wirkungsstaat) Schädigungen ausgehen können, handelt es sich trotz des dazwischenliegenden Zweitstaates um ein nachbarrechtliches Verhältnis zwischen Erst- und Drittstaat, zwischen Errichtungsund (zweitem) Wirkungsstaae 9 • Deren Interesse an der Unterlassung schädigender Immissionen aus einem Staat in räumlicher Nähe ist jedenfalls sehr viel greifbarer als das der gesamten Völkergemeinschaft, das zudem leicht ideologisch mißbrauchbar ist. Als Interesse der universellen Staatengemeinschaft an einer ungefährdeten Umwelt wird nur zu leicht das ausgegeben, was ein Staat oder Teile seiner Bevölkerung aus umweltpolitischen Gründen im konkreten Fall für wünschenswert halten.
VII. Inhalt des völkerrechtlichen Nachbarrechts Das zunehmend völkergewohnheitsrechtlich anerkannte und auch in der Präambel zur Satzung der Vereinten Nationen enthaltene Prinzip guter Nachbarschaft dient als Grundlage sich immer stärker verfestigender und konkretisierender Regeln des völkerrechtlichen Nachbarrechts. Nach der heute von weiten Teilen der Doktrin anerkannten nachbarrechtlichen Grundregel darf kein Staat auf seinem Territorium Tätigkeiten dulden oder zulassen, die sich auf das Territorium eines anderen Staates in erheblicher und unüblicher Weise schädigend auswirken oder auswirken hönnen4o • Ob dies freilich in einer solch rigiden, den Nachbarstaat letztlich vorrangig schützenden Weise als umfassende völkerrechtliche Regel gelten kann, oder ob es hier nicht eingehender Differenzierungen bedarf, wird noch zu erörtern sein. Aus der vielfältigen einschlägigen Rechtsprechung41 wird bevorzugt auf den Schiedsspruch im Trail-Smelter-FaIl42 verwiesen, wo es u. a. heißt43 : 39 Dem entspricht auch eine zunehmende Ausdehnung des Begriffs des Nachbarn im internationalen Nachbarrecht; s. dazu Fröhler/Zehetner, S. 73. 40 Vgl. z. B. Pelzer, ET 1975, S.567; Maser, S.196; FröhlerjZehetner, S.52, 74 ff.; bei RandelzhaferjSimma, S. 408 f.; zum Recht internationaler Gewässer und Flüsse vgl. jetzt auch die weitgehende Formulierung in Art. 11 der Resolution des Institut de droit international vom 12.9. 1979, SchwJBIR 1979, S. 292 ff. 41 Siehe dazu etwa RandelzhoferjSimma, S. 404 ff.; Maser, S.196, mit Hinweis auch auf die Nachbarrechtsproblematik zwischen Gliedstaaten im Bundesstaat. Der in diesem Zusammenhang bisweilen erwähnte Nuclear Test Case I.C.J. Rep. 1973, S. 131 ff. - gibt lediglich hinsichtlich der Äußerungen einiger
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
"under the principles of international law, as weIl as of the law of the Uni ted States, no State has the right to use or permit the use of its territory in such a manner as to cause injury by fumes in or to the territory of another or the properties or persans therein, when the case is of serious consequence and the injury is estabIished by clear and convincing evidence." Diesem Spruch wird heute vielfach bereits eine gewohnheitsrechtliche Kraft zugemessen44 • Allerdings entzieht er sich von vornherein einer nivellierenden und pauschalen Anwendung. Diese droht freilich dann, wenn - wie nicht selten - Umstände, Anlaß und Voraussetzungen dieser Entscheidung übersehen werden. Insbesondere wird vielfach vernachlässigt, daß damals dem Schiedsgericht bestimmte Fragen mit einer wesentlichen In-Sich-Stufung und vor allem die Anwendbarkeit sowohl des US-amerikanischen Rechts wie des Völkerrechts vorgegeben waren45 . Einzelaussagen der Entscheidung müssen deshalb ganz genau daraufhin untersucht werden, ob es sich dabei wirklich um die Feststellung geltenden Völkerrechts handelte46 . Insbesondere aber erscheint die unlimitierte Übertragung der Grundsätze dieser Entscheidung auf Nicht-Binnen-Kernkraftwerke deshalb als nicht unproblematisch, weil es im Trail-Smelter-Fall um die Abwehr von bereits eingetretenen Schäden (einschließlich entsprechender Entschädigungen) ging, während das Hauptinteresse bei Nicht-Binnen-Kernkraftwerken der Abwehr bloßer Gefahren und Risiken gilt47 . Der Umweg über die "ideelle Immission" (wonach u. a. die Gefahr eines großen Schadens im Grunde wie ein Schaden selbst wirken so1l48), ist wohl eher ein Richter Anhaltspunkte für die Problematik grenzüberschreitender Immissionen; vgl. z. B. Cripps, ICLQ 29 (1980), s. 3; Handl, AJIL 69 (1975), S. 50 ff. 42 RIAA, val. III, S. 1905 ff.; vgl. dazu insbesondere die ausführliche Darstellung bei Randelzhofer/Simma, S. 404 f. sowie etwa Fröhler/Zehetner, S.87; Pelzer, S.566; E. Klein, S. 107 f., 180, bes. S. 225 ff.; Schneider, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, 1962, S.447; Diez, SchwJBIR 1979, S. 19 f.; Handl, S. 9; ders., Wilburg-Festschrift, 1975, S. 255 f., 162 ff., 266; ders., AJIL 69 (1975), S. 60 ff.; Ballenegger, La pollution en droit international, 1975, S. 200 ff.; Goldie, in: The protection of the environment and international Law, CoUoquium der Hague Academy of internationallaw 1973,1974, S. 66; ders., in: Hargrove Law, Institutions and the global environment, 1972, S. 130; Rauschning, EA 1972, S. 569; ders., Schlochauer-Festschrift, 1981, S. 562 f., 564. O'Connell, International Law, 2nd ed., Vol. I, 1970, S. 592 f.; Wildhaber, SchwJBIR 1975, S. 102, 105; Rest, S. 28, jeweils m. w. N. 43 S.1965. 44 Randelzhofer/Simma, S.405, m. w. N.; Wildhaber, S.102, m. w. N. 45 Vgl. z. B. die hieran ansetzenden Zweifel von Handl, Wilburg-Festschrift, 1975, S.263, 266; ders., AJIL 69 (1975), S.63. 46 Siehe dazu die entsprechende Prüfung bei Randelzhofer/Simma, S.405. 47 Dies wird zwar von Randelzhofer/Simma, S. 415 ff. gesehen, im Ergebnis aber weitgehend vernachlässigt. 48 So Randelzhofer/Simma, S. 420.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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durchsichtiger Kunstgriff, der den Unterschied zwischen Schaden und Gefahr nicht aufheben kann. Auch die zur Ableitung eines völkerrechtlichen Nachbarrechts häufig erfolgende Heranziehung einer Zentralpassage des Korfu-Kanal-Falls des IGH49 : " ... every States obligation not to allow knowingly its territory to be used for acts contrary to rights of other States". darf nicht übersehen, daß der dortige Sachverhalt (Verminung einer internationalen Wasserstraße) gerade nicht für das internationale Nachbarrecht einschlägig istw . Auch die vielfältigen Hinweise auf eine entsprechende Staatenpraxis51 bedürfen genauester Prüfung darauf, ob und wieweit sie auf das Problem der Gefährdung durch Nicht-Binnen-Kernkraftwerke übertragbar sind. Soweit es sich hierbei um Fälle der Umweltgefährdung auf Hoher See handelt (z. B. Versenkung radioaktiver Abfälle im Meer 52 ), ist zu beachten, daß es dabei nicht um die Kollision territorialer Souveränitätsansprüche geht. Vor allem ist aber bei Hinweisen auf die Staatenpraxis häufig zu bedenken, daß sich diese Fälle oft erst aus bereits entstandenen Schäden entwickelt haben (z. B. Explosion einer grenznahen Pulverfabrik) und nicht aus bloßen Gefahren und Risiken wie bisher bei grenznahen Kernkraftwerken. Außerdem werden häufig Gefahren sehr unterschiedlicher Intensität vermengt. Wird z. B. ein übungs schießen oder gar die Anlegung eines Minenfeldes an der Grenze mit einem grenznahen Kernkraftwerk verglichen53, so ist leicht erkennbar, daß hier ganz unterschiedliche Stufen der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit gleichgestellt werden. Vor allem kann aber nicht die verbreitete Staatenpraxis übersehen werden, Nicht-Binnen-Kernkraftwerke und auch Kernkraftwerke an der Grenze zu errichten. Schließlich wird auch das häufig angeführte Prinzip 21 der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm vom 5. bis 16. Juni 197254 leicht überschätzt. Der Grundsatz lautet: 49 I.C.J. Rep. 1947/48, S. 4 ff. (22); siehe etwa E. Klein, S. 108 f.; Handl, Wilburg-Festschrift, 1975, S. 249 f., 253, 264; BrownHe, in: Teclaff/Utton, International Environmental Law, 1975, S. 2, 5. 50 Vgl. Randelzhofer/Simma, S.406. 51 Siehe die Nachweise bei VerdrosslSimma, S.504; RandelzhoferlSimma, bes. S. 418 ff.; E. Klein, S. 81 ff., 97 ff. (insbesondere auch zur wichtigen Nordic Environmental Protection Convention, S. 92 ff.). 62 Siehe dazu die Fälle Randelzhofer/Simma, S.418; allgemein zur Abfallbeseitigung auf Hoher See vgl. etwa Ehlers/Kunig, Abfallbeseitigung auf Hoher See, 1978, m. w. N. 5B SO im Ergebnis - z. B. von Randelzhofer/Simma, S. 420 f.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
"Die Staaten haben nach Maßgabe der Charta der Vereinten Nationen und der Grundsätze des Völkerrechts das souveräne Recht zur Ausbeutung ihrer eigenen Hilfsquellen nach Maßgabe ihrer eigenen Umweltpolitik, sowie die Pflicht, dafür zu sorgen, daß durch Tätigkeiten ihres Hoheits- oder Kontrollbereichs der Umwelt in anderen Staaten oder in Gebieten außerhalb ihres nationalen Hoheitsbereichs kein Schaden zugefügt wird." Ganz abgesehen davon, daß dies wohl einen nicht aufgelösten gedanklichen Widerspruch enthält und bestenfalls einen politischen Formelkompromiß niederlegt 55 , ist ein erhebliches Konkretheitsdefizit unübersehbar. Greifbare Ausprägungen bleiben ebenso offen wie vor allem genauere Abgrenzungen. Insoweit kann der programmatische Charakter nicht übersehen werden. Der Grundsatz 21 hat also einen Empfehlungscharakter und stellt sich somit lediglich als Zielbeschluß dar 56 • Die Behauptung, es handele sich insoweit um die deklaratorische Wiedergabe geltenden Völkerrechts 57 , geht zu weit. Allenfalls zeigt das prinzipiell die Richtung auf, in der sich völkerrechtliche Regeln im internationalen· Umweltschutz entwickeln können. Im übrigen hilft auch eine wortgetreue Anwendung des Prinzips 21 auf Nicht-BinnenKernkraftwerke kaum weiter, weil das Prinzip wiederum am Schaden und nicht am Risiko bzw. an der Gefahr ansetzt. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß das völkerrechtliche Nachbarrecht keineswegs die Dichte (und Vollstreckbarkeit) innerstaatlicher Rechtsordnungen hat58 • Vielmehr werden in der Regel vertragliche Regelungen und Konsultationen Konkretisierungen vornehmen59 • Immerhin werden Richtungen und Grundprinzipien der Problemlösungen durch das völkerrechtliche Nachbarrecht aufgezeigt.
54 UN/A/CONF 48/14, 3. 7. 1972, abgedruckt in: Beiträge zur Umweltgestaltung A 10, 161 sowie in Europa-Archiv (1972), S. D 447; bestätigt z. B. durch Resolution der UN-Generalversammlung vom 15.12.1972 - UN-Doc/ Res/2296 (XXVII); - allgemein zum Prinzip 21 vgl. z. B. Randelzhofer/Simma, S. 403 f.; Verdross/Simma, S. 508 f.; E. Klein, S. 102 ff.; Handl, AJIL 69 (1975), S. 66 f.; Bothe, ZaöRV 32 (1972), S.489, 503; Sohn, Harv IntLJ 1973, S.423 (485 ff.); Steiger, Scupin-Festschrift, 1974, S. 354 f., 373, 376 f.; Goldie, in: Kiss, La protection de l'environment et le droit international, 1975, S. 115 ff.; vgl. auch Cripps, ICLQ 29 (1980), S.7; daselbst auch der Hinweis auf die Internationale Konvention über ökonomische, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966; - siehe zuletzt auch Rauschning, Schlochauer-Festschrift, 1981, S. 560 f., 563. 55 Ähnliches gilt für Art. II der Resolution von Athen des Institut de droit international vom 12.9. 1979, SchwJBIR 1979, S. 293 ff. M Gegen die Annahme eines bloßen Empfehlungscharakters aber Randelzhofer/Simma, S. 403; wohl auch Steiger, S.378, m. w. N. 57 So jedoch Randelzhofer/Simma, S.403. 58 Randelzhofer/Simma, S. 406.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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VIII. Völkerrechtliches Nachbarrecht und grenznahe Kernkraftwerke 1. Erheblichkeit und Ublichkeit von Schä.den?
Wird - bei allen Zweifeln über Abgrenzung und Geltungskraft im einzelnen - einmal von der Geltung des nachbarrechtlichen Völkerrechtssatzes ausgegangen, daß kein Staat auf seinem Territorium Aktivitäten dulden oder zulassen darf, die sich auf das Territorium eines anderen Staates in erheblicher und unüblicher Weise schädigend auswirken, dann ist damit noch keineswegs die Völkerrechtswidrigkeit von grenznahen Kernkraftwerken im besonderen oder gar von NichtBinnen-Kernkraftwerken im allgemeinen dargelegt. Es wäre hierzu insbesondere auszuführen, daß sich derartige Kernkraftwerke in erheblicher und unüblicher Weise schädigend auswirken. Dies dürfte für den Normalbetrieb eines Kernkraftwerkes außerordentlich schwer fallen und - je nach Lage des Einzelfalles - im wesentlichen nur für nicht radioaktive Schädigungen - etwa in Form übermäßiger thermischer grenzüberschreitender Gewässerverunreinigungen zutreffen können, die dann bereits im Grundsatz mit den Mitteln des internationalen Gewässerrechts abwehrbar wären. Werden die dort entwickelten Standards eingehalten, dürfte es überdies schwer nachzuweisen sein, daß es sich um unübliche Schädigungen handelt, da die verbreitete Errichtung von Nicht-Binnenkraftwerken, aber auch von - keineswegs seltenen grenznahen Kernkraftwerken, angesichts der Staatenpraxis nicht als unüblich bezeichnet werden kann 60. Dabei kann hier offen bleiben, ob die Bundesrepublik nicht gegen den völkerrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen würde, falls sie die Errichtung von Nicht-Binnenkraftwerken in Nachbarstaaten als völkerrechtswidrig bekämpfte, obwohl sie auf ihrem Territorium derartige Nicht-Binnenkraftwerke zulassen würde61 . Die wesentlichste Schwierigkeit einer Illegalisierung grenznaher Kernkraftwerke mit den Mitteln völkerrechtlichen Nachbarrechts liegt aber darin, daß dieses primär zur Schadensabwehr, und allenfalls sekundär bzw. überhaupt nicht zur Risikoabwehr dient. Bei der völkerrechtlichen Beurteilung grenznaher Kernkraftwerke steht aber dieser 59 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die OECD-Empfehlungen zur grenzüberschreitenden Verschmutzung und zum Recht auf gleichen Zugang zum Gericht; siehe dazu etwa Lutz, in: Mc Caffrey/Lutz, Environmental Pollution and individual rights: an international symposium, 1978, S.191. tHI Vgl. Diez, SchwJBIR 1979, S.21; Hinweise auf die Staatenpraxis bei Pelzer, ET 1975, S. 568; Handl, Ecology Law Quarterly 1978, S. 28 ff. und z. B. in RGDIP 1970, S. 1045; OZöffRV 1979, S. 379 f.; SchwJBIR 1979, S.161. 61 Dies wäre auch mit dem Prinzip der Gegenseitigkeit nicht vereinbar; vgl. dazu unter dem spezifischen Aspekt grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen Fröhler/Zehetner, S. 79.
3 KloepferjKohler
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Gesichtspunkt der Risikoabwehr im Vordergrund. Unmittelbar ist das Nachbarrecht also in seinem Kern nicht anwendbar, auch nicht - wie erwähnt - mit dem Kunstgriff, die Gefahr eines Schadens bereits als Schaden zu bewerten. Allenfalls der mit Sicherheit zu erwartende Schaden mag in gewisser Hinsicht ähnliche Abwehrgehalte wie ein Schaden selbst entfalten, wenn und weil es unzumutbar wäre, den Schadenseintritt abzuwarten. Daß aber ein gefährlicher Schadensfall bei Kernkraftwerken üblicherweise nicht mit Sicherheit zu erwarten ist, sollte als unstreitig gelten. 2. Kernkraftwerke als "ultra hazardous activltles"
Nicht zuletzt wohl um sich von der Schadensbezogenheit des völkerrechtlichen Nachbarrechts bei Beurteilung grenznaher Kernkraftwerke zu lösen, haben Randelzhofer und Simma62 diese als völkerrechtswidrige, weil besonders gefahrengeneigte "ultra hazardous activities" an der Grenze bewertet63 • Derartige Kernkraftwerke unmittelbar an der Grenze verstießen gegen das grundsätzliche völkerrechtliche Verbot, "ultra hazardous activities" an der Grenze vorzunehmen64 • Diese bis heute ohne wesentliche Anhängerschaft gebliebene Ansicht vermag aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen (ganz abgesehen davon, daß damit nur ein kleiner Teil der Nicht-Binnenkraftwerke nämlich die unmittelbar an der Grenze angesiedelten - angesprochen werden). Zunächst ist unklar, ob es sich bei dem angeblichen völkerrechtlichen Verbot der "ultra hazardous activities" überhaupt um ein echtes völkerrechtliches Verhaltens- bzw. Unterlassungsgebot oder nicht vielmehr um einen Tatbestand einer völkerrechtlichen Gefährdungshaftung für gefahrengeneigte Tätigkeiten an der Grenze handelt6s• Derartige Gefährdungstatbestände knüpfen aber typischerweise an in sich rechtmäßigen Verhaltensformen an. Selbst wenn man aber 62 Festschrift für Berber, 1973, S. 389 ff.; die Ausführungen beruhen auf einem Rechtsgutachten für das österreichische Land Vorarlberg; siene dazu Diez, SchwJBIR 1979, S.9 (21). 63 Diese Ansicht ist bisher weitestgehend auf Ablehnung gestoßen; vgl. für alle Pelzer, ET 1975, S.566; ders., in: Fischerhof, S. 181 f.; Diez, ebd., mit zutreffendem Hinweis auf die entgegenstehende Staatenpraxis; differenzierend Handl, Ecology Law Quarterly 1978, S. 39 ff.; A. Weber, DVBl. 1980, S.330. Auch der österreichische Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten hält ein generelles Verbot von Kernkraftwerken in Grenznähe völkerrechtlich für nicht begrundbar (vgl. OZöffRV 1979, S. 379 f.). 64 Zur Staatenpraxis vgl. RandelzhojerjSimma, S. 420 ff.; Handl, Ecology Law Quarterly, 1978, S. 15 ff.; Jenks, RdC 99, S. 122. 65 Siehe dazu RandelzhojerjSimma, S. 426 ff.; VerdrossjSimma, S. 618; allgemein zur völkerrechtlichen Gefährdungshaftung für Kernkraftwerke siehe unten Vierter Teil, Zweiter Abschnitt.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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im Verbot der "ultra hazardous activities" ein echtes völkerrechtliches Verhaltensgebot erblicken wollte, sind die relevante Schadenshöhe (bzw. -schwere) und die Gefahrenschwelle damit noch keineswegs festgelegt. Vom möglichen Schaden her sind hier ganz besonders intensive Schädigungen an Leben, Gesundheit und Eigentum der Bevölkerung in einem Nachbarstaat zu fordern. Derartige schwere Schäden werden bei grenznahen Kernkraftwerken jedenfalls im Falle eines größtanzunehmenden Unfalls nicht auszuschließen sein. Die entscheidende Frage ist deshalb die nach der relevanten Gefährdungsschwelle bei Nicht-Binnenkraftwerken. Hier würde es nun aber erheblich zu weit gehen, wollte man bei jedem gedanklich nicht ausschließbaren Risiko von "ultra hazardous activities" sprechen. Dies würde letztlich dazu führen, daß sämtlichen Aktivitäten eines Staates in seinen Grenzbereichen völkerrechtswidrig wären, soweit lediglich gedanklich-theoretisch vorstellbare Schäden nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten. Deshalb ist eine Relevanzgrenze bei entsprechenden Gefährdungen notwendig. Das Fehlen einer derartigen Relevanzgrenze gegenüber nicht gänzlich ausschließbaren Risiken ist aber nicht nur innerstaatlich unbekannt, sondern würde weitgehend auch Aktivitäten eines Staates im Grenzbereich lähmen (z. B. industrielle und militärische Aktivitäten, aber z. B. auch die zivile Luftfahrt). Wenn im übrigen "ultra hazardous activities" an der Grenze völkerrechtlich verboten sein sollen, dann doch wegen der Schadenswahrscheinlichkeit von Aktivitäten, nicht wegen ihrer Schadensunwahrscheinlichkeit. Deshalb wird im Prinzip von "ultra hazardous activities" nur dort gesprochen werden können, wo ein Schadens eintritt sicher ist, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten wird, hochwahrscheinlich oder auch nur wahrscheinlich ist, nicht aber dort, wo er unwahrscheinlich ist66 • In der damit angedeuteten Variationsbreite der Schadenswahrscheinlichkeit kann auch die Schwere eines Schadens mitberücksichtigt werden. Wird bei nicht so schweren (aber relevanten) Schäden eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts zu fordern sein, so reicht es bei sehr schweren Schäden (z. B. Unfälle bei Kernkraftwerken) aus, daß ihr Eintritt wahrscheinlich ist. Unwahrscheinliche Schäden sind aber für das Verbot von "ultra hazardous activities" nicht zu berücksichtigen.
66 Jenks, RdC 99, 8.107, fordert freilich keinen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts, sondern begnügt sich sogar damit, daß ein außergewöhnliches und recht unwahrscheinliches Ereignis einen besonders weitreichenden, eigene Regelungen erfordernden Schaden verursacht.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Bezüglich gefährlicher Kernkraftwerksunfälle, mit lebensbedrohendem Austritt radioaktiver Dämpfe oder gar Schmelzen des Reaktorkerns bzw. Reaktorzerstörungen nach Flugzeugabstürzen etc. kann heute allgemein gesagt werden, daß ihr Eintritt nicht wahrscheinlich ist; vielmehr besteht der gängige Streit nur um den Grad der Unwahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Deshalb ist es unhaltbar, den Betrieb von Kernkraftwerken in Grenznähe wegen des gedanklich nicht ausschließbaren Größtunfalls generell als "ultra hazardous activities" und damit als völkerrechtswidrig zu bewerten. Bei derartigen Sicherheitsanforderungen wäre - wie erwähnt - auch die Luftfahrt oder die Schiffahrt mit gefährlichen Frachten im Grenzbereich zu untersagen. Ein Verbot von "ultra hazardous activities" in Grenznähe im Sinne eines Verhaltensgebots setzt also eine gewisse Schadenswahrscheinlichkeit voraus; verkürzt gesagt: der Schadenseintritt muß regelmäßig wahrscheinlicher sein als der Nicht-Schadenseintritt. Ist es auch bei Betrachtung für längere Zeit unwahrscheinlich, daß von einer grenznahen Aktivität beträchtliche Schäden ausgehen, liegt keine "ultra hazardous activity" vor. Damit ist freilich nichts über die noch zu erörternden67 Grenzen einer entsprechenden völkerrechtlichen Gefährdungshaftung gesagt und auch nichts darüber, ob bei Aktivitäten, bei denen Schäden zwar nicht wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen sind, den Errichtungsstaat gegenüber seinem Nachbarstaat nicht bestimmte Informations-, Konsultations- oder gar Verfahrensbeteiligungspfiichten68 treffen. IX. Schonender Souveränitätsausgleich als Lösungs-Prinzip
Kann somit den Ansätzen eines völkerrechtlichen Nachbarrechts in seiner bisherigen Form kein Verbot grenznaher Kernkraftwerke entnommen werden, so ist damit das grundsätzliche Problem noch ungeklärt, inwieweit der Wirkungsstaat Beeinträchtigungen und Gefährdungen durch Nicht-Binnenkraftwerke im Errichtungsstaat hinzunehmen hat. Einer Internationalisierung der Umweltmedien war hier bereits eine Absage erteilt worden. Aber auch der bloße Hinweis auf ein internationales Nachbarrecht zeigt die Grenze des Hinnehmbaren bei NichtBinnenkraftwerken nicht auf69 •
Siehe unten Vierter Teil, Zweiter Abschnitt, III. Siehe unten Erster Teil, C XVI. 6e Kritisch zur materiellrechtlichen (nichtverfahrensrechtlichen) Nutzbarkeit des Prinzips guter Nachbarschaft vgl. Fröhler/Zehetner, S.98. 67
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C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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Ausgangspunkt der Problematik bleibt die Kollision der Souveränitätsansprüche zwischen dem Errichtungsstaat einerseits und dem Wirkungsstaat andererseits, die im Geist guter Nachbarschaft gelöst werden muß. Dies macht zugleich die zutreffende Lösungsrichtung deutlich. Es muß ein Ausgleich zwischen den kollidierenden Souveränitätsansprüchen der benachbarten Staaten nach beiden Seiten hin - unter prinzipieller Beachtung der souveränen Gleichheit aller Staaten70 gefunden werden. Dies ist ohne eine gewisse Begrenzung der wechselseitigen Souveränitätsansprüche nicht möglich71 • Freilich kann ein solcher limitierender, kollisionslösender Souveränitätsausgleich schwerlich im Sinne einer wechselseitigen quasi "rechnerischen" Halbierung der jeweiligen Souveränitätsansprüche bezüglich eines Nicht-BinnenKraftwerks verstanden werden. Ein solcher Vorschlag des - Sichauf-der-Mitte-Treffens - würde unpraktikabel sowie insgesamt viel zu unflexibel sein und möglicherweise auch zu stark in die jeweiligen Souveränitäts ansprüche eingreifen. Etwas flexibler ist da schon das auf der Vorstellung völkerrechtlicher Gegenseitigkeit beruhende Prinzip der "equitable utilization"72, das für die gemeinsame Nutzung internationaler Gewässer entwickelt wurde. Letztlich ist dies eine Teilungsvorstellung, die versucht, den größtmöglichen Nutzen mit dem geringstmöglichen Schaden zu verbinden. Ganz unabhängig davon, daß das "equitable-utilization-Prinzip" schwerlich auf alle Umweltmedien und Problemlagen übertragbar ist73 , wird im konkreten durch eine derartige Teilungsvorstellung weder das Beschränkungsziel noch das konkrete Begrenzungsmaß deutlich. Es geht vielmehr um eine behutsame Balance widerstreitender Souveränitätsansprüche. Auszugehen ist deshalb vom Prinzip des differenzierenden, schonenden Souveränitätsausgleichs nach beiden Seiten als einer Grundidee völkerrechtlich geordneten Zusammenlebens im allgemeinen und als Fundament nachbarrechtlicher Überlegungen im Völkerrecht im besonderen. Dieser schonende Souveränitäts ausgleich erweist sich zugleich auch als Grundlage, Maßstab bildung und Ziel70 Zur Gleichheit aller staaten als Lösung umweltbezogener völkerrechtlicher Nachbarprobleme vgl. Handl, AJIL 69 (1975), S.56. 71 Zum Prinzip der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität bezüglich grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen vgl. Fröhler/ Zehetner, S.70; Berber, Die Rechtsquellen des internationalen Wassernutzungsrechts, 1955, S.14, 76 ff.; E. Klein, S.79. 72 Vgl. dazu und zum folgenden Fröhler/Zehetner, S.79; Handl, WilburgFestschrift, 1975, S. 267 ff.; E. Klein, S. 81 ff., 198 ff., 232, daselbst auch die Hinweise auf die Rechtsgemeinschaften bei gemeinsam genutzten Gewässern und auf die Europäische Gewässerschutzkonvention; siehe jetzt auch Rauschning, Schlochauer-Festschrift, 1981, S.569. 73 Fröhler/Zehetner, S. 79; E.Klein, S.232.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
vorstellung des völkerrechtlichen Nachbarrechts. Die Vorstellung des schonenden Souveränitätsausgleichs hat zugleich den Vorteil, die (an eine - wie auch immer abzugrenzende - räumliche Nähe anknüpfende) Nachbarrechtsvorstellung ausweiten zu können, wodurch etwa auch der Gesamtbereich der Nicht-Binnenkraftwerke außerhalb der Grenzregionen völkerrechtlich eingängiger erfaßt werden kann. Der Souveränitätsausgleich im völkerrechtlichen Nachbarrechtsverhältnis hat so zu erfolgen, daß unter - einer noch näher darzulegenden74 - Differenzierung, u. a. nach der zu erwartenden Einbuße für den Handlungsstaat einerseits und nach dem möglichen Schaden für den Wirkungsstaat andererseits, der Souveränitätsausgleich schonend, d. h. unter größtmöglicher Wahrung der kollidierenden Souveränitätsansprüche der beteiligten Staaten erfolgen muß 75. Von einem schonenden Souveränitätsausgleich kann u. a. nur gesprochen werden, wenn die dabei getroffenen Souveränitätseinschränkungen nicht größer als erforderlich sind, um die gutnachbarlichen Beziehungen - jedenfalls im Sinne des Gebots eines Mindeststandards - zu erhalten76. Insbesondere muß der Errichtungsstaat auch die Interessen des Wirkungsstaates berücksichtigen und - wenn auch in nicht notwendig institutionalisierter Form - in seine Erwägungen miteinbeziehen. Den Errichtungsstaat trifft also zunächst eine formale Pflicht zur Berücksichtigung von Nachbarinteressen, die dann in eine materielle Pflicht zur Rücksichtnahme mündet. Die Begründung und Konkretisierung des Nachbarrechts aus dem Gedanken des schonenden Souveränitätsausgleichs macht es weitgehend überflüssig, eine noch weitergehende Fundierung des Nachbarrechts - etwa im Gedanken "sie utere tuo ut alienum non laedas"77 - bzw. im Verbot des Rechtsrnißbrauchs (abus de droit) oder im Gedanken von Treu und Glauben (bona fides) bzw. in einer "Sozialpflichtigkeit des Territoriums" zu suchen78 . Der letztlich in der für das Völkerrecht Siehe unten Erster Teil, C x. Zur Vorstellung des "nach beiden Seiten schonenden Ausgleichs" in der Verfassungstheorie und -interpretation vgl. Lerche, übermaß und Verfassungsrecht, 1961, passim, bes. S.125 ff.; ähnlich die Interpretationsmaxime der "Harmonisierung" (Scheuner, VVDStRL 20 [1963], S. 125) oder der "praktischen Konkordanz", Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 1980, S. 28 f. Nach v. d. Heydte, Verdross-Festschrift, 1960, S.136, verlangt das Prinzip der guten Nachbarschaft als Maxime der Koexistenz den Ausgleich widerstreitender Interessen. 78 Damit werden unter dem Aspekt des beidseitigen, schonenden Souveränitätsausgleichs auch Elemente des anderweit entwickelten Verbots übermäßiger transnationaler Umweltbeeinträchtigungen (siehe dazu etwa E. Klein, S.80) aufgenommen. 77 Siehe dazu insbesondere Rest, Internationaler Umweltschutz und Haftung, 1978, S. 31; siehe zuletzt auch Rauschning, S. 561. 74
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fundamentalen Idee der Gleichberechtigung souveräner Staaten wurzelnde Gedanke des schonenden Souveränitätsausgleichs erlaubt im allgemeinen konturenschärfere und ausdifferenziertere Abgrenzungen. So ist etwa die häufig geäußerte These, das völkerrechtliche Nachbarrecht gebiete die Unterlassung umweltgefährdender und -beeinträchtigender Maßnahmen, soweit diese den Nachbarstaat tangieren79 , in dieser Allgemeinheit (jedenfalls bezüglich einer nicht näher umschriebenen Gefährdung) nicht haltbar80 , weil damit ganze Grenzregionen weitgehend entindustrialisiert werden könnten, jedenfalls soweit es sich um potentielle gefährliche Industrien handeln würde. Geht diese letztlich auf eine angeblich absolute Unantastbarkeit der Gebietshoheit des Wirkungsstaates zurückführbare These erkennbar zu weit, so ist umgekehrt das Verbot nur schikanöser und willkürlicher Beeinträchtigungen fremder Gebietshoheit zu eng, da Umweltbeeinträchtigungen von der Grenze häufig gerade nicht auf derartig "vorwerfbaren" Erwägungen beruhen. Das schließt nicht aus, sich auf den Gedanken des Mißbrauchsverbots bzw. von Treu und Glauben zur Beurteilung bestimmter nachbarrechtlicher Probleme zu besinnen. So ist etwa die Verlegung von Kernkraftwerken an die Grenze mit dem - freilich schwer zu beweisenden81 - Zweck, etwaige Schäden praktisch vollständig ins Ausland zu verlagern, jedenfalls dann mit dem Grundsatz von Treu und Glauben bzw. mit dem Mißbrauchsverbot schwerlich zu vereinbaren, wenn aufgrund der geographischen Lage, der Wind- und Wasserrichtung die etwaigen Schäden voraussichtlich ganz oder überwiegend auf dem Territorium benachbarter Staaten auftreten werden 82 . Nicht übersehen werden darf freilich, daß Staaten Kraftwerke häufig deshalb an die Grenze legen, um die Kühlkapazität von Grenzgewässern - und häufig auch die relativ geringe Bevölkerungsdichte in Grenzregionen - ausnutzen zu können. Hinzu können strukturpolitische Erwägungen kommen (z. B. Arbeitsplatzbeschaffung durch Kraftwerksansiedlung)83, Derartige sachliche überlegungen schließen dann eine mißbräuchliche völker78 Zu den unterschiedlichen Ableitungen vgl. insbesondere E. Klein, S. 110 ff.; v. d. Heydte, S.135; sowie etwa Pelzer, ET 1975, S. 566; Moser, S. 197; Maus, S.28; Verdross/Simma, S. 504 ff., 510; Handl, AJIL 69 (1975), S. 55 ff. (der selbst die Souveränitätsbeschränkungen aus dem Nachbarverhältnis als Ausdruck des Mißbrauchsverbots sieht). 79 So im wesentlichen z. B. Randelzhofer/Simma, S. 408 f. 80 Kritisch etwa auch Maus, S. 28. 81 Maus, S. 28. 82 Pelzer, ET 1975, S.568; zum völkerrechtlichen Umweltschutzgebot als Verbot nur willkürlicher oder schikanöser Beeinträchtigungen vgl. SeidlHohenveldern, Völkerrecht, 3. Aufl. 1975, S.270. 83 Siehe auch Fröhler/Zehetner, S. 23.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
rechtswidrige Alleinmotivation der grenzüberschreitenden Risikoverlagerung aus. Mißbräuchlich wäre es auch, wenn der Errichtungsstaat bezüglich seiner Binnenkraftwerke (etwaige Schäden blieben auf den Binnenstaat beschränkt) schärfere Sicherheitsstandards anwenden würde als für Kraftwerke in seinen Grenzgebieten, weil sich schädigende Auswirkungen zu einem großen oder gar überwiegenden Teil im Ausland auswirken würden84 • Die Tatsache allein freilich, daß etwa im Normalfall oder bei einem Störfall der Wirkungsstaat (wegen der Windrichtung, Bevölkerungsanballung ete.) stärker betroffen wird als der Errichtungsstaat85 , macht die Plazierung als solche noch nicht völkerrechtswidrig. Allerdings sind dann die Rücksichtnahmepflichten des Errichtungsstaates besonders groß. Abgesehen von derartigen treuwidrigen, mißbräuchlichen Fällen erlaubt aber der Gedanke des schonenden Souveränitätsausgleichs nach beiden Seiten wesentlichere Aussagen insbesondere zu nachbarrechtlichen Geboten des Völkerrechts. Das grundsätzliche Anliegen einer Regelung völkerrechtlicher Nachbarprobleme nach dem Prinzip des beidseitig schonenden Souveränitätsausgleichs ermöglicht es, die Idee der Souveränität in größtmöglicher Weise zu schonen und zu bewahren. Dies geschieht dadurch, daß objektive Widerspruche von Ausprägungen des Gedankens der Souveränität beseitigt werden, die durch dessen unbegrenzte Anwendung auf verschiedene benachbarte Völkerrechtssubjekte mit entgegengesetzten Interessen entstehen können. Diese durch extensive Anwendung erfolgenden Widersprüche der Souveränitätsidee werden durch schonenden Ausgleich in der Form vorsichtiger wechselseitiger Reduzierung von Einzelaussagen und Rechtspositionen beseitigt oder wenigstens gemildert. Durch ihre so gesicherte Widerspruchsfreiheit wird die Idee der Souveränität gestärkt und bewährt sich damit auch im Bereich des völkerrechtlichen Nachbarrechts. Es entspricht nun dem Gedanken des schonenden Souveränitätsausgleichs nach beiden Seiten, Kernkraftwerke in Grenznähe nicht von vornherein völkerrechtlich zu untersagen86 , sondern zunächst ihre Zulässigkeit an bestimmte von der Völkergemeinschaft unabdingbar für erforderlich gehaltene Voraussetzungen zu knüpfen. Bei Einhaltung dieser Einschränkungen verstößt die Errichtung von Nicht-Binnenkraft84 Vgl. auch Pelzer, ET 1975, S.567: "Für den Regelfall wird man sagen können, daß die Risiken, die ein staat seinen eigenen Bürgern zumutet, auch für den Nachbarstaat zumutbar sind". Diese Aussage ist aber dann völkerrechtlich nicht haltbar, soweit ein anderer staat bezüglich seiner Kernkraftwerke unterhalb der international anerkannten Sicherheitsstandards bleibt. 85 Zu dieser Möglichkeit Moser, S.203. 86 Gegen die Annahme eines bestehenden völkerrechtlichen Verbots der Errichtung von Kernkraftwerken an der Grenze Pelzer, ET 1975, S. 565; sowie etwa der österr. Bundesaußenminister OZöffRV 1979, S.379.
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werken, insbesondere die von grenznahen Kernkraftwerken, nicht gegen das geltende Völkerrecht (das ohnehin - wie erwähnt - nicht die zivile Kernkraftnutzung als solche verbietet). Wie der schonende beidseitige Souveränitätsausgleich jeweils zu erfolgen hat, d. h. welche Einzelansprüche in welcher Weise limitiert werden, bemißt sich vorrangig nach den Umständen des Einzelfalls. Dennoch sind gewisse allgemeine Prinzipien erkennbar. Zunächst ist ein Prinzip der umweltschützenden Meistbegünstigung87 zwischen zwei Staaten - d. h. die Anwendung des jeweils schärfsten nationalen Umweltschutzrechts - nicht nachweisbar. Der Gedanke des schonenden Souveränitätsausgleichs nach beiden Seiten ermöglicht nur die Abwehr wesentlicher Beeinträchtigungen, während unwesentliche Beeinträchtigungen hinzunehmen sind 88 • Dennoch wäre es verfehlt, die Wesentlichkeitsgrenze als solche gleichzusetzen mit dem Ergebnis eines schonenden Souveränitätsausgleichs. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß der schonende Souveränitätsausgleich nicht nur materielle Grenzen möglicher umweltbelastender Aktivitäten aufzeigen, sondern vielmehr auch verfahrensrechtliche und haftungsrechtliche Konsequenzen haben kann 8s • Vor allem ist zu beachten, daß der konkrete schonende Souveränitätsausgleich häufig durch besondere völkerrechtliche Vereinbarungen 90 gefunden und festgelegt sein wird91 • Der Gedanke des schonen87 So aber Moser, S.207, der meint, daß die jeweils "niedrigsten höchstzulässigen Grenzwerte" gewahrt werden müßten. 88 Moser, S.196, 200; dies kann nicht ohne weiteres mit der Rechtsprechung zum innerstaatlichen Nachbarrecht der USÄ (zwischen den Gliedstaaten) gleichgesetzt werden, da dort nur eine "serious injury" eine relevante nachbarrechtliche Beeinträchtigung darstellt (vgl. dazu Moser, S. 200). Diese Schwelle ist höher als die Relevanzgrenze, die an sich nur diejenigen Unannehmlichkeiten und Unbequemlichkeiten ausscheiden will, die mit der Nachbarschaft untrennbar verbunden sind. 89 Siehe dazu Moser, S. 205 ff.; sowie unten Erster Teil, C XVI. 90 Ein derartiger Souveränitätsausgleich durch Vereinbarung könnte (u. a. bezüglich des Kernkraftwerks Cattenom) in dem am 17.5.1978 in Paris unterzeichneten französisch-Iuxemburgischen Abkommen über die Bedingungen für die Errichtung und den Betrieb von Kraftwerken an der Mosel liegen. Das Abkommen bestimmt, daß die Höchsttemperatur von 28 Grad für die Mosel nicht überschritten und eine Erhöhung der Wassertemperatur um mehr als 1,5 Grad infolge des Betriebs von Kernkraftwerken nicht erfolgen darf und enthält weiter Bestimmungen über den Wasserstand und die Durchlaufmenge der Mosel, über radioaktive Ableitungen in die Mosel sowie über die Errichtung einer bilateralen Uberwachungskommission. Inwieweit hieraus die Bundesrepublik Deutschland gar Rechte oder jedenfalls doch die Notwendigkeit einschlägiger Standards ableiten könnte, mag hier dahinstehen, da der Vertrag bislang nur unterzeichnet, nicht aber ratifiziert und nach den neuerlichen Ausbauplänen für das Cattenom-Projekt schwerlich mit einer Ratifizierung durch Luxemburg zu rechnen ist (zur politischen Lage vgl. den Sitzungs bericht 3/80 der luxemburgischen Chambre des Deputes). 91 Siehe dazu Fröhler/Zehetner, S.80, 90; daselbst auch der Hinweis (S.82) auf einheitliche Meßmethoden ete.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
den Souveränitätsausgleiches beschreibt somit nicht nur das ErgE:bnis eines derartigen Ausgleiches, sondern gerade auch die Art und Weise, wie dieser Ausgleich zu suchen ist. Er zielt also zugleich auf materielle Ergebnisgerechtigkeit wie auch - dem dienend, aber rechtlich verselbständigt - auf Verfahrensgerechtigkeit bei der Lösung völkerrechtlicher Nachbarprobleme. X. Differenzierungskriterien beim schonenden Souveränitätsausgleich Das Prinzip des schonenden Souveränitätsausgleichs nach beiden Seiten bedarf zur Anwendung auf das Problem von Nicht-Binnen-Kernkraftwerken konkretisierender Ausformung und Differenzierung9'.!, um hinreichend einleuchtende und schonend ausgleichende Lösungen zu ermöglichen. Dabei sind grundsätzlich die Schäden (bzw. Gefahren) im Wirkungsstaat durch den Betrieb eines ausländischen Nicht-Binnenkraftwerks und die Nachteile durch eine etwaige Nicht-Errichtung (bzw. Nicht-So-Errichtung) im Errichtungsstaat gegenüberzustellen: 1. Nachteile für den Wirkungsstaat
Bezüglich der möglichen Schäden durch ein ausländisches NichtBinnenkraftwerk ist vornehmlich nach Schadensart, -schwere und -ausmaß, Standort und Schadenswahrscheinlichkeit zu differenzieren93 . a) Hinsichtlich der Schadens art muß zwischen den Schäden beim Normalbetrieb und im Störfall unterschieden werden 94• aal Im Normalbetrieb können u. a. folgende Schädigungen bzw. Gefährdungen von einem Nicht-Binnen-Kernkraftwerk ausgehen95 : -
Nach außen dringende Strahlenbelastungen durch den Normalbetrieb (sowie durch den Transport und etwaige Lagerungen von Kernbrennstoffen)
-
Dampfschwadenbildung mit klimatologischen Veränderungen (und z. B. etwaige Schädigung von Kulturpflanzen) und verstärkte Glatteisbildung
-
Thermische Verunreinigungen durch die Abgabe von Abwässern in Meeres- und Flußwasser (bei Mehr-Staaten-Flüssen)96
Zu den Differenzierungsansätzen vgl. insbesondere Moser, S. 201 f. Vgl. etwa allgemein Randelzhofer/Simma, S. 391 ff.; Handl, S.37. 114 Siehe Randelzhofer/Simma, S. 391 ff. 95 Siehe dazu etwa unter dem hier interessierenden Aspekt Moser, S. 201 f.; Randelzhofer/Simma, S. 391 ff.; Fröhler/Zehetner, S. 39 f., 43 f. 92
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C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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-
Verminderung der Flußwasserführung durch Kühlwasserentnahme mit Folgewirkungen für die Wasserqualität sowie die Nutzbarkeit (vor allem in den Unterliegerstaaten bei Mehr-Staaten-Flüssen) einschließlich der Befahrbarkeit
-
Nutzbarkeitseinbußen im Wirkungsstaat, etwa weil bei zusätzlichen Aktivitäten des Wirkungsstaates die Gesamtbelastbarkeit einer Region oder eines Grenzgewässers überschritten würde (problem der pre-emptive activities 97 des Errichtungsstaates)
-
Landschaftsveränderungen (mit Folgen etwa für die Landschaftsschönheit, ideelle Immissionen98 , Schäden für den Fremdenverkehr etc.)
-
Psychologische Auswirkungen auf die Bevölkerung (mit den weiten Folgerungen für Aussiedlung, Fremdenverkehr, Investitionen etc.), wobei freilich der Wirkungsstaat Angstgefühle der Bevölkerung nicht propagandistisch anheizen darf.
bb) Schäden und Gefährdungen bei einem Störfall hängen natürlich maßgeblich von der Art des Störfalles (Austritt von Kühlwasser, Beschädigung des Reaktorkerns etc.) ab, nach dessen Größe und Wahrscheinlichkeit also zu differenzieren wäre. Im größtanzunehmenden Unfall (GaU) wird mit folgenden Schäden zu rechnen sein: -
Schäden an Leben und Gesundheit der Bevölkerung in der Umgebung
-
Schäden an Eigentum (einschließlich Tieren und Pflanzen)
-
Langfristige Verseuchungen und längere Nicht-Benutzbarkeit von verseuchten Gebieten
b) Daß bei Beurteilung möglicher Gefährdungen maßgeblich auf den Standort eines Kernkraftwerkes abgestellt werden muß, liegt auf der Hand. Wesentliche Differenzierungsmaßstäbe sind dabei etwa: -
Nähe zur Grenze
-
Meteorologische Situation (vorherrschende Windrichtung, Neigung zu Inversionswetterlagen etc.)
-
Nähe zu gemeinsamen Gewässern einschließlich deren Flußrichtungen
g8 Zur entsprechenden Problematik am Rhein Grawe, ZaöRV 34 (1974), S. 307 ff .. g7 Siehe Randelzhofer/Simma, S.411, Anm.63 m. w. N.; zu der damit zusammenhängenden, aber allgemeineren "newcomer"-Problematik vgl. Bothe, ZaöRV 32 (1972), S. 502. g8 Fröhler/Zehetner, S. 49 f.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
-
Morphologische Situation (z. B. Öffnung eines Tales zur Grenze)
-
Geologische Situation (z. B. Gefährdung durch Verwerfungsgebiete)
-
Siedlungsdichte (Siedlungen in der Nähe etc.)
-
Nutzungsformen in der Umgebung (als Gefährdungsobjekt landwirtschaftliche Nutzung - oder als Gefährdungsquelle Flugplätze - )
z. B. z. B.
c) Größe, Bauart und vor allem Sicherheitsstandards von Nicht-Binnen-Kernkraftwerken sind erkennbar wesentliche zusätzliche Differenzierungskriterien bei Beurteilung der völkerrechtlichen Zulässigkeit derartiger Anlagen. Auf die erforderlichen Sicherheitsstandards wird dabei noch einzugehen sein. d) Besonders bedeutsam sind ferner Stufungen von Gefahren nach der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Dabei ist allerdings zu beachten, daß derartige Stufungen bereits prognostische Bewertungen enthalten, die insbesondere am Standort, der Größe und den Sicherheitsstandards von Kernkraftwerken (sowie an naturwissenschaftlichen Bewertungsmethoden) ansetzen. Folgende wesentliche (freilich noch verfeinerbare, aber auch entfeinerbare) Stufungen nach der Schadenswahrscheinlichkeit sind möglich: -
Schadenseintritt mit Sicherheit zu erwarten
-
Schadenseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten
-
Schadenseintri tt hochwahrscheinlich
-
Schadenseintrtt wahrscheinlich
-
Schadenseintritt nicht ausschließbar
-
Schadenseintritt unwahrscheinlich
-
Schadenseintritt hoch unwahrscheinlich
-
Schadenseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen
-
Schadens eintritt mit Sicherheit auszuschließen
Bei Anwendung dieser Differenzierungsskala ist grundsätzlich zu berücksichtigen, daß die Schadenswahrscheinlichkeit um so geringer sein muß, je größer der zu erwartende Schaden ise 9 • Bei nicht so schwerwiegenden Schäden ist dagegen eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit zu fordern, um zu einem etwaigen Rechtswidrigkeitsurteil zu kommen. Für den größten anzunehmenden Unfall ist etwa zu fordern, daß er mit 80
Vgl. für alle z. B. Randelzhofer/Simma, S. 417.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, während umgekehrt z. B. bei Schädigungen durch Dampfschwadenbildung ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts zu fordern ist, um hieran völkerrechtliche Unzulässigkeitsurteile knüpfen zu können. 2. Nacllteile für den Erridltungsstaat
So schwerwiegend für einen Wirkungsstaat die Schäden und Gefahren eines ausländischen Nicht-Binnen-Kernkraftwerkes - insbesondere bei einem Störfall - auch sein können, so wäre das völkerrechtliche Urteil über derartige Anlagen ohne Berücksichtigung der Nachteile unvollständig, die dem Errichtungsstaat im Falle der Nicht-Errichtung des geplanten Kraftwerkes entstehen würden. Im wesentlichen bestehen sie in der Vorenthaltung derjenigen Vorteile, die dem Errichtungsstaat bei Errichtung eines Kraftwerkes erwachsen würden. Die hiesige negative Sicht im Sinne der Betrachtung von vorenthaltenen Vorteilen erfolgt, um Nachteile für den Wirkungsstaat mit etwaigen Nachteilen für den Errichtungsstaat vergleichen zu können. Vom Errichtungsstaat her gesehen ist bei der Verhinderung eines Kraftwerks insbesondere an wirtschaftliche Nachteile zu denken, die aber bei einem sonst entstehenden - und nicht anderweitig zu deckenden Energiedefizit das Ausmaß einer existentiellen Bedrohung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage eines Staates annehmen können. Hinzu kommen etwa Gründe einer regionalpolitischen Strukturförderung durch die Kraftwerkserrichtung. Demgegenüber wird der Gesichtspunkt bereits getätigter Investitionen für das Kraftwerk (Planungskosten etc.) schwerlich einen gleichen Stellenwert erhalten können, um nicht zu einer verdrängenden normativen Kraft des Ökonomischen und zu einer rechtlichen Prämiierung eines überstürzten Ins-Werk-Setzens zu gelangen. Zwangsläufig kommt bei der Berücksichtigung etwaiger Nachteile durch die Nicht-Errichtung der Gedanke auf, ob der Errichtungsstaat ohne unzumutbare Nachteile - das geplante Werk nicht an einer anderen, für den Wirkungsstaat günstigeren Stelle errichten könnte Dabei ist freilich zu bemerken, daß es im Rahmen seiner territorialen Souveränität im Prinzip Sache des Errichtungsstaates ist, zu entscheiden, wo - z. B. aus strukturpolitischen Erwägungen - ein Kraftwerk errichtet werden soll. Dabei kann es im Prinzip durchaus legitim sein, Kraftwerke in den häufig wirtschaftsschwachen und abwanderungsbedrohten Grenzregionen zu errrichten. Gleichwohl ist es gerade unter dem Prinzip des schonenden Ausgleichs - unter dem Gesichtspunkt der zumutbaren Vermeidbarkeit -ein wichtiges Argument, ob der Errichtungsstaat in grenzfernere Gebiete ausweichen könnte oder ob dies nicht möglich wäre (weil der Staat nicht groß genug ist, um Binnen-
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Kraftwerke zu haben oder weil das Binnengebiet bereits stark belastet bzw. dort keine Kühlwasserkapazität mehr besteht). XI. Durchführung des Souveränitätsausgleiches
Um Mißverständnissen von vornherein vorzubeugen, soll hier betont werden, daß bei der völkerrechtlichen Beurteilung eines Nicht-BinnenKernkraftwerkes eine einfache Güterabwägung zwischen den Schäden und Gefahren für den Wirkungsstaat einerseits und den Nachteilen für den Errichtungsstaat bei Nicht-Errichtung andererseits keineswegs ausreicht. Die völkerrechtliche Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines NichtBinnen-Kernkraftwerks kann nicht im Sinne eines einfachen quantitativen Vergleichs von Nachteilen ermittelt werden. Sinn des Gedankens des schonenden Souveränitätsausgleichs ist es gerade, schwere, nicht erforderliche Souveränitätseinbußen zu vermeiden. Das bedeutet aber regelmäßig eine Absage an verallgemeinernde krasse Alternativen der Zulässigkeit oder der Unzulässigkeit von Nicht-Binnen-Kraftwerken, jedenfalls im bloßen Risiko- oder Gefährdungsfalle. Deshalb kann wie erwähnt - ein pauschales Verbot von grenznahen Kernkraftwerken als "ultra hazardous activities" von vornherein keinen Bestand haben. Aber auch wenn man bei der Beurteilung des einzelnen Kraftwerkes ansetzt, wird es häufig nicht allein um die krasse Alternative der Zulässigkeit oder der Unzulässigkeit gehen, sondern vielmehr darum, unter welchen Voraussetzungen insbesondere im Hinblick auf konkrete Sicherheits standards ein Nicht-Binnen-Kraftwerk hinzunehmen ist. Das an keinerlei Voraussetzungen geknüpfte Zulässigkeitsurteil einerseits und die Beurteilung eines Nicht-Binnen-Kraftwerkes als per se unzulässig andererseits bezeichnen die äußersten, extremen Bewertungsund Entscheidungsmöglichkeiten. Der Gedanke des nach beiden Seiten hin schonenden Souveränitätsausgleichs unter größtmöglicher Wahrung der Souveränitätsansprüche beider Staaten wird im Zweifel dazu führen, eine Lösung zwischen den angesprochenen Extremen zu finden. Um einen schonenden Souveränitätsausgleich im Einzelfall vornehmen zu können, wird also einmal eine genaue Auslotung des Hinnehmbaren an Immissionen und bloßen Gefährdungen zu beachten sein. Zum anderen - hiermit verbunden - wird die Idee des schonenden Souveränitätsausgleichs vom jeweiligen Errichtungsstaat zunächst die Beachtung (bzw. Verbesserung) notwendiger Sicherheitsstandards, sodann Standortveränderungen oder quantitative Begrenzungen fordern. Erst wenn trotz aller dieser Maßnahmen immer noch nicht hinnehmbare Gefährdungen oder gar Schädigungen bestehen bleiben würden, könnte
c. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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an die völkerrechtliche Unzulässigkeit einer Anlage gedacht werden. Das dürfte jedoch die Ausnahme bleiben. Als Regel wird lediglich die völkerrechtliche Begründbarkeit der Einhaltung bestimmter Sicherheitsstandards (mit einer möglicherweise hieraus folgenden Pflicht zur Ergreifung hinreichender Sicherheitsvorkehrungen für die Kernkraftwerke) gelten können. XII. International anerkannte Sicherheitsstandards 1. Naturwissenschaftliche Standards
Soweit keine einschlägigen völkerrechtlichen Vereinbarungen über einzuhaltende Sicherheitsstandards bei einem Nicht-Binnen-Kraftwerk vorliegen, müßte an sich die Festlegung des Niveaus derartiger Sicherheitsstandards zunächst u. a. an naturwissenschaftlichen, insbesondere auch humanbiologischen Erfordernissen und an den - nach dem Stand der Technik darstellbaren - Sicherheitsvorkehrungen bemessen werden. Ganz abgesehen davon, daß zu technisch-naturwissenschaftlichen Fragen hier keine Stellung bezogen wird, erscheint es angesichts des breiten Meinungsspektrums in den Naturwissenschaften relativ unrealistisch zu sein, aus naturwissenschaftlich-technischen Erwägungen allein auf einen international verbindlichen Standard zu schließen. Dazu sind die Einschätzungs- und Bewertungsspielräme einfach zu groß und viele technische und naturwissenschaftliche Standards ungesichert99 a. 2. International anerkannte und angewandte Standards
Der internationalen, völkerrechtlichen Dimension dieses Problems scheint es adäquater, davon auszugehen, was in der Staatenpraxis als erforderliche und angemessene Sicherheitsstandards gewöhnlich angewandt und gefordert wird. Hierzu ist zunächst maßgeblich, welche Standards von den - technisch entsprechend entwickelten - Staaten (bzw. ihrer überwiegenden Mehrheit) intern bzw. in ihren Grenzregionen anerkannt und eingehalten werden. Wichtig ist weiterhin die Entwicklung von derartigen Standards durch die Spruchpraxis internationaler Gerichte und Schiedsgerichte10o • Zum anderen ist auf multi- oder bilateral vereinbarte Sicherheitsstandards abzuheben (soweit diese nicht 88a Wenn Rauschning, Schlochauer-Festschrift, 1981, S.568, behauptet, bei (neuen) grenzüberschreitenden Umweltbelastungen seien die Staaten verpflichtet, diese Belastungen auf den nach ihrer Technik geringstmöglichen Stand (wohl ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit) zu begrenzen, so werden - schon im nationalen Recht keineswegs umfassend realisierte - rechtspolitische Forderungen nicht überzeugend als geltendes Völkerrecht ausgegeben. 100 Siehe dazu Fröhler/Zehetner, S. 86 f. und oben VII.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
ohnehin aufgrund unmittelbarer Anwendbarkeit auf das konkrete Projekt kraft Spezialität vorgehen) und in der Praxis vor allem auf Standards, die von supranationalen oder internationalen Gremien festgelegt worden sind101 • Hier ist etwa an die von der EG-Kommission im Rahmen des Euratom-Vertrages erarbeiteten - und gegenwärtig erneut revidierten102 - Grundnormen 103, an die von der OE CD erarbeiteten Strahlenschutznormen104, an die im Bereich der IAEA (International Atomic Energy Agency) erarbeiteten Strahlenschutzbestimmungen (insbesondere die "Safety-Series"), an die Aktivitäten von UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation) sowie an umweltschutzbezogeneAktivitäten der NATO und in einigen Spezialbereichen an die Tätigkeiten von einigen Sonderorganisationen der UNO: die WHO (World Health Organization), die FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations), die IMCO (Intergovernmental Maritime Consultative Organization) sowie UNEP (United Nations Environment Programme) und schließlich an die nicht unwesentlichen Arbeiten der privatrechtlich organisierten ICRP (International Commis si on on Radiological Protection) zu denken. Einen Schritt zur international verabredeten Harmonisierung stellt u. a. die Initiative der deutschen Bundesregierung im Rahmen der IAEO dar, die Bestrebungen zur Erörterung und möglichst zur Harmonisierung der Sicherheit kern technischer Anlagen zwischen allen die Kernenergie nutzenden Ländern in Ost und West zu intensivieren. Beachtung verdient auch die Konferenz über Reaktorsicherheit im Oktober 1980 in Stockholm. Insgesamt ist freilich zu konstatieren, daß es bisher - bis auf das Gebiet des Strahlenschutzrechts i. e. S. - praktisch noch keine nennenswerten international bzw. bilateral vereinbarten oder einheitlich anerkannten konkreten Standards für die Sicherheit kern technischer Anlagen gibeo5 • Insoweit ist das Abstellen auf international anerkannte Standards weniger ein Hinweis auf bereits gefundene Lösungen, sondern vielmehr die Aufzeigung des Lösungsweges. Der erforderliche schonende Souveränitätsausgleich nach beiden Seiten beschreibt das Ziel und die Methode dieses Lösungsweges, der in gegenseitigen internationalen Kontakten und Absprachen, aber auch durch eine entsprechende gleichförmige Praxis der Staaten zu erreichen ist. Ein stärkeres 101 Siehe dazu und zum folgenden PelzeT, ET 1975, S. 565 f.; FTöhleT/ZehetneT, S. 83 ff.; Bothe, ZaöRV 32 (1972), S. 492 ff.; v. Münch, ArchVR 15 (1971/72), S. 386 ff.; Rauschning, EA 1972, S. 577 ff. 102 103 lGi 105
VgI. Umwelt Nr. 75, S. 39 Siehe dazu unten Dritter Teil, C 1. Siehe dazu etwa Rauschning, S.571, 577. VgI. auch Handl, AJIL 69 (1975), S. 53 f.
c. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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Abstellen auf die tatsächliche Praxis der Staaten mit ziviler Kernkraftnutzung erlaubt zwar eine Ablösung von Harmonisierungsvereinbarungen, erfordert aber umfassende Vergleiche des Nuklearrechts, die in intensiver und langfristiger Grundlagenarbeit erst noch zu leisten wären. Allerdings kann aus einer allgemeinen Staatenpraxis noch nicht auf einen entsprechenden völkerrechtlichen Verpflichtungswillen der betroffenen Staaten geschlossen werden. Einstweilen wird man von partiellen gleichförmigen Übungen, bloßen Empfehlungen und Entwürfen auszugehen haben und hierauf eine vorsichtige Prognose aufbauen, wie ein internationaler anerkannter Standard aussehen wird (und soll). Die Hinwendung zu den - sich in der Staatenpraxis und in der internationalen Zusammenarbeit erst noch manifestierenden - international allgemein anerkannten Sicherheitsstandards106 ist ein taugliches Mittel, um zu erkennen, wie die Mehrheit der Staaten einen schonenden Souveränitätsausgleich bei Nicht-Binnen-Kraftwerken, insbesondere bei grenznahen Kernkraftwerken vornehmen würde und welche Risiken durch derartig plazierte Kernkraftwerke ihr noch als zumutbar, "reasonable" erscheinen107 • Die wechselseitige Begrenzung der Souveränitätsansprüche des Errichtungsstaates und des Wirkungsstaates wird mit der Orientierung an international anerkannten Standards möglichst objektiv und schonend vorgenommen; ein völkerrechtlicher Eingriff in "innere Angelegenheiten" erfolgt nicht, sondern es werden die immanenten Schranken der territorialen Souveränität aufgezeigt108 • Das Abstellen auf international praktizierte und anerkannte Standards verhindert einerseits völkerrechtlich unzumutbare Gefährdungen und Beeinträchtigungen der Nachbarstaaten (Wirkungsstaaten) und zum anderen nicht hinnehmbare Beschränkungen der territorialen Souveränität des Errichtungsstaates. Im übrigen entspricht der Maßstab der international anerkannten Standards dem Prinzip der Gleichberechtigung aller souveränen Staaten in besonderer Weise, weil durch die Anwendung eines derartigen einheitlichen Standards eine grundsätzliche Gleichbehandlung aller Staaten in vergleichbaren Nachbarrechtskonflikten erreicht wäre. So kann verhindert werden, daß von schwächeren Staaten höhere Standards gefordert werden als von stärkeren. Daß eine internationale Rechtsvereinheitlichung über Sicher108 Vgl. auch den Standpunkt des österr. Bundesaußenministers, ÖZöffRV 1979, S. 379. Zur Notwendigkeit derartiger Standards vgl. z. B. auch A. Weber, DVBl. 1980, S. 336. 107
Pelzer, S. 568.
Vgl. dazu auch - freilich in etwas anderem Zusammenhang - den Gedankengang bei WengIer, in: Internationales Recht und Diplomatie, 1972, 108
S. 263 (274).
4 KloepferjKohler
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1. Teil:
Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
heitsanforderungen die sicherste Form zur Erreichung einheitlicher und allgemein anerkannter Standards wäre109 - wobei freilich gerade auch eine einheitliche Vollzugsintensität und einheitliche Meßmethodenllo etc. gesichert werden müßten - , soll hier angemerkt werden. Allerdings dürften die Schwierigkeiten einer solchen spezifischen Rechtsvereinheitlichung derzeit kaum überwindbar sein. Solange es keine derartige Rechtsharmonisierung gibt, ist der Rückgriff auf die in den Staaten und in der internationalen Zusammenarbeit anerkannten Standards die einzige Möglichkeit, die einschlägige internationale Rechtsüberzeugung über die völkerrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen von Nicht-Binnen-Kernkraftwerken kennenzulernen. 3. Konkretheitsgrad der Standards
Nun muß allerdings vor dem Irrtum gewarnt werden, die international anerkannten Standards seien gewissermaßen im Sinne ausformulierter Rechtsgebote mIt ziffernmäßigen Höchstgrenzen ohne weiteres und unbestreitbar sicher wie aus einer Völkerrechtskodifikation ablesbar. Dabei würden dann nicht nur leicht der realisierbare Harmonisierungsgrad in der Staatenpraxis und der Konkretisierungsgrad völkergewohnheitsrechtlicher Regeln überschätzt, sondern auch übersehen, daß derartige allgemeine Sicherheitsstandards im Zuge zunehmender zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen um grenznahe Kernkraftwerke im besonderen und um völkerrechtliches Nachbar- und Umweltschutzrecht im allgemeinen sich teilweise erst bilden und im übrigen ständig fortentwickeln und wandeln. Immerhin sind schon jetzt folgende grundsätzliche Feststellungen möglich: -
das geltende Völkerrecht verbietet weder die zivile Kernkraftnutzung im allgemeinen noch die Errichtung von Nicht-Binnen-Kernkraftwerken bzw. grenznahen Kernkraftwerken im besonderen;
-
die Wesentlichkeitsgrenze von Schäden und Gefahren beschreibt nicht das Ergebnis eines schonenden Souveränitätsausgleichs; deshalb können auch relevante Gefährdungen u. U. hinzunehmen sein.
109 Zu den einschlägigen Harmonisierungsbestrebungen vgl. besonders Pelzer, in: Fischerhof, S. 320, unter Hinweis auf die IAEA-Programme für Safety
Codes and Guides for Nuclear Power Plants; allgemein zur Bedeutung der Harmonisierung des Umweltschutzrechts für den grenzüberschreitenden Umweltschutz vgl. jetzt Siehr, RabelsZ 45 (1981), S. 392. 110 Siehe dazu Fröhler/Zehetner, S.82; zum Vollzugsdefizit bei umweltgefährdenden Anlagen in Grenznähe Si ehr, S. 395.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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4. International anerkannte und nationale Standards
Bei dem Abstellen auf die international anerkannten und angewandten Sicherheitsstandards ist es durchaus möglich, daß diese unterhalb (und theoretisch auch oberhalb) der einschlägigen deutschen Sicherheitsstandards liegen (werden). Jedenfalls ist davon auszugehen, daß die international anerkannten und angewandten Sicherheitsstandards und die deutschen Sicherheitsstandards nicht identisch sind, was partielle übereinstimmungen jedoch nicht ausschließt. Wenn aber international anerkannte Sicherheitsstandards und (eventuell schärfere) deutsche Sicherheitsstandards nicht identisch sind, besteht seitens der Bundesrepublik Deutschland kein völkerrechtlich begründbarer Anspruch gegen Frankreich auf Einhaltung deutscher Sicherheitsstandards oder auch nur vergleichbarer Standards bei Errichtung französischer Kernkraftwerke in der Nähe der deutschen Grenze. Das schließt nicht aus, daß Frankreich und die Bundesrepublik vereinbaren könnten, in grenznahen Kernkraftwerken gleichwertige Sicherheitsstandards zugrundezulegen. Soweit damit eine gemeinsame Orientierung an deutschen Nürmen gemeint wäre (möglich wäre auch eine Orientierung an französischen Normen oder an Drittnormen bzw. an den jeweils höchsten Normen i. S. einer Meistsicherungsklausel) hätte die Bundesrepublik einen Anspruch auf Anwendung ihrer bzw. gleichwertiger Normen in Frankreich. Solange aber derartige Vereinbarungen nicht vorliegen, ist lediglich ein Anspruch auf Einhaltung international anerkannter Standards (bzw. auf Einhaltung vereinbarter bzw. EG-rechtlicher Normen) möglich. Insoweit ist das Argument völkerrechtlich unhaltbar, die deutsche Grenzbevölkerung habe einen Anspruch darauf, daß sie gegenüber ausländischen Kernkraftwerken in gleicher Weise geschützt wird wie gegenüber deutschen. 5. Inhalt der Standards
Die international anerkannten und angewandten Sicherheitsstandards sind nicht als allein auf die jeweilige Technik gerichtete Normen zu verstehen, sondern können sich z. B. auch auf die Größe, die Art und den Standort eines Kernkraftwerkes beziehen. Wichtig ist gleichfalls, daß sich derartige Standards u. a. auch für den Betrieb, den Verfahrensablauf, die anlageninterne und -externe Kontrolle, die Entsorgung, die Qualifikation der Mitarbeiter, die Sicherung gegenüber Eindringlingen, die Katastrophenvorsorge und schließlich auch auf die Haftungsbestimmungenll1 bis hin zu den Beweislastregeln ausbilden können. Im ein111 Zu angemessenen Haftungsbestimmungen für grenzüberschreitende Schäden als Bestandteil des völkerrechtlichen Nachbarrechts vgl. z. B. PelzeT, in: Fischerhof, S. 181.
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1. Teil:
Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
zeInen ist für die Bewertung nach den bereits dargelegten Differenzierungskriterien weiter zu unterscheiden und es müssen ferner für den Einzelfall die konkreten Standards ermittelt werden. Soweit sich bereits einschlägige Standards ermitteln lassen, müssen sie, auch bezüglich der Errichtung und des Betriebs des Kernkraftwerks Cattenom, eingehalten werden. 6. Kraftwerksgröße und Standards
In diesem Zusammenhang gewinnt die ungewöhnliche Gesamtgröße des Kernkraftzentrums Cattenom eine besondere Bedeutung. Nach allerdings bestrittener - Behauptung soll hier das größte Kernkraftzentrum der Welt bzw. Westeuropas entstehen. Selbst wenn dies nicht zutreffen würde, ist wohl unbestreitbar, daß die in Cattenom vorgesehene Gesamtkapazität von nunmehr 5200 Megawatt das Urteil zuläßt, daß dieses Kraftwerk zu den derzeit größten Anlagen der Welt zählen wird. Die Plazierung eines derart großen Kernkraftwerks in Grenznähe ist jedenfalls ungewöhnlich. Die Größe eines Kernkraftwerkes ist deshalb unter dem Gesichtspunkt der schonenden und ausgleichenden Bestimmung des für einen Nachbarstaat hinnehmbaren Risikos von so besonderer Bedeutung, weil mit zunehmender Größe (insbesondere durch eine Ansammlung von mehreren Reaktoren) das Risiko steigt. Im Störfall kann einmal die Schadensgröße proportional zu der Kraftwerksgröße ansteigen und zum anderen ist bei einer Plazierung von mehreren Reaktoren mit einer entsprechenden Vervielfachung von Schadensmöglichkeiten zu rechnen. Es ist allerdings auch zu bedenken, daß bereits im Normalbetrieb Emissionen allein durch ihre - vor allem durch die Kraftwerksgröße bedingte - Menge nicht mehr hinnehmbare Risiken und nicht mehr zumutbare Beeinträchtigungen schaffen können. Dies gilt einmal für Strahlenbelastungen, die allein durch zunehmende Quantität in ihrer Gefährlichkeit anwachsen bzw. die Schädigungsschwelle übersteigen. Aber auch für die sonstigen Begleitbeeinträchtigungen durch Kühlwasserentnahme, Überwärmung etc. ist erkennbar, daß die Kraftwerksgröße zu einer Steigerung der jeweiligen Beeinträchtigungen führt, wobei gerade hier infolge der dadurch verursachten Beeinträchtigungsquantität die Zumutbarkeitsgrenze überschritten werden kann (z. B. bei der Dampfschwadenbildung), was teilweise ziffernmäßig zu erfassen ist (Überschreitung bestimmter Temperaturen bei thermischen Gewässerverunreinigungen, Überschreitung bestimmter hinnehmbarer Wasserentnahmen, verbleibende Flußwassermengen etc.). Dem Prinzip - je größer das Kernkraftwerk, desto größer das Risiko und die Beeinträchtigung - kann in dem hier interessierenden Problembereich des schonenden Souveränitätsausgleichs zwischen Staaten
c. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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regelmäßig nicht das Argument der notwendigen Risikokonzentration in einem Staat entgegengehalten werden. Dieses Argument - ein Großkraftwerk sei im Ergebnis (relativ, gemessen an der erzeugten Energie) sicherer als mehrere kleine - ist (soweit es überhaupt zutrifft) ein Argument der Risikoverteilung in einem Staat, nicht aber zwischen Staaten. Im Rahmen eines schonenden Souveränitätsausgleichs kann jedenfalls verlangt werden, daß der Errichtungsstaat nicht einseitig eine Risikokonzentration an seinen Grenzen betreibt, sondern eine Risikostreuung über sein gesamtes Territorium vornimmt.
XIII. Zur Größe des Kernkraftwerks Cattenom 1. International anerkannte Standards
Träfe es zu, daß in Cattenom das größte Kraftwerkzentrum der Welt (oder doch in Westeuropa) entstehen würde, dann stieße die Anwendung von international anerkannten Standards hierauf deshalb auf Schwierigkeiten, weil sich für Kernkraftzentren dieser Größe wegen ihrer Einmaligkeit möglicherweise rein gedanklich noch gar keine spezifischen international anerkannten Sicherheitsstandards gebildet haben können. Aus der eventuell unvermeidlichen Nicht-Existenz spezifischer internationaler Standards für Kernkraftzentren von bisher nicht erreichter Größe kann aber nicht ein entsprechendes Verbot der überschreitung bisheriger realer Kraftwerksgrößen gefolgert werden, will man nicht zu einer - schwerlich begründbaren - völkerrechtlichen Festschreibung von bisher tatsächlich vorhandenen - jedenfalls grenznahen - Kernkraftsgrößen auf dem Status-quo-Niveau kommen. In diesem Bereich müssen auch allmähliche, kontinuierliche Ausweitungen möglich bleiben. Der Gedanke des beidseitigen schonenden Souveränitätsausgleichs würde es allerdings verbieten, in krasser Form die bisher üblichen Größenordnungen bei Nicht-Binnen-Kraftwerken zu verlassen (etwa ab einer Verdreifachung bisher üblicher Kraftwerksgrößen). Mindestens wird zu fordern sein, daß der Errichtungsstaat bei einer derartigen diskontinuierlichen Größenentwicklung zunächst einmal mit einschlägigen Binnen-Kraftwerken Erfahrungen sammeln muß, bevor er eine grenzüberschreitende Risikoverlagerung durch derartige NichtBinnen-Kraftwerke vornimmt. Dies gilt entsprechend auch für die Einführung völlig neuer Techniken und Verfahrensweisen - also bei diskontinuierlicher Fortentwicklung der Technik: erst Erprobung im Innern, dann Risikoverlagerung nach außen. Wären diese Voraussetzungen (insbesondere bezüglich der Größe) im Falle des Kernkraftwerks Cattenom eingehalten worden, würde dessen Errichtung und Betrieb in der geplanten Größe nur dann gegen geltendes Völkerrecht versto-
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1. Teil:
Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
ßen, wenn es internationalen Standards widerspräche, Kernkraftwerke solcher (Art und) Größe, d. h. auch kleinerer (aber noch vergleichbarer) Dimension an derartigen Standorten zu plazieren. Um hier zu einem abschließenden Urteil zu gelangen, bedürfte es einer umfassenden, vor allem auch technischen Bestandsaufnahme und Vergleichung aller existierenden und geplanten Kernkraftwerke in Grenznähe. Dies kann jedoch an dieser Stelle nicht geleistet werden. 2. Französisdle Zusagen zur Kraftwerksgrö8e?
a) Ein Abstellen auf international anerkannte Standards wäre freilich überflüssig, wenn Frankreich in völkerrechtlich verbindlicher Form erklärt hätte, Cattenom werde nur bis zu einer bestimmten Größe ausgebaut und es dann erklärungswidrig die zugesagte Größe überschritten hätte. Es ist unbestritten, daß Frankreich der Bundesrepublik mitgeteilt hatte, daß in Cattenom zunächst 2 Blöcke mit 1300 MW und später 2 Blöcke mit 900 MW errichtet werden sollten. Die im Herbst des Jahres 1979 ergangene Mitteilung, nun umgehend vier Blöcke mit 1300 MW zu errichten, weicht also von der ursprünglichen Mitteilung insoweit ab, daß eine zeitlich gedehnte Realisierung in mehreren Stufen nicht mehr in Betracht kommt und vor allem zum anderen, daß die ursprünglich geplante Gesamtgröße überschritten wird. b) Die ursprüngliche Mitteilung Frankreichs war eine einseitige Handlung. Eine solche könnte völkerrechtlich theoretisch als Verzicht, als Anerkennung, als Versprechen, als Notifikation, aber vor allem auch außerhalb dieser rechtlichen Klassifikation als bloß unverbindliche politische Absichtserklärung eingeordnet werden. aa) Eine derartige rechtlich unverbindliche Absichtserklärung stellte keine völkerrechtliche Rechtshandlung dar und besäße demzufolge auch keine völkerrechtliche Rechtsqualität. bb) Die Mitteilung Frankreichs über einen reduzierten Ausbau Cattenoms könnte freilich auch eine völkerrechtliche Notifikation enthalten. Eine solche Notifikation ist die förmliche Mitteilung einer völkerrechtlich relevanten Sachlage112 , an die das Völkerrecht unmittelbar Rechtsfolgen knüpft113• cc) Der völkerrechtliche Verzicht setzt die Aufgabe einer völkerrechtlichen Rechtsposition oder eines völkerrechtlichen Anspruchs ohne Gegenleistung voraus mit der Folge des Untergangs von Rechtspositio112 von Haejten, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Bd., 1961, S. 633. 113 Thode, in: Menzeljlpsen, Völkerrecht, 2. Aufl. 1979, S.89.
c. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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nen oder Ansprüchen (hier: Recht auf Nutzung der territorialen Souveränität durch Errichtung von Kernkraftwerken ab einer bestimmten Größe). Ein Verzichts wille ist aber der Mitteilung des bisherigen Planungsstandes nicht zu entnehmen. dd) Die eine Klarstellungsfunktion ausübende Anerkennung dient der Legalisierung bereits bestehender Rechtspositionen bzw. Ansprüche, oder allgemein von Rechtstiteln. Die Mitteilung Frankreichs, das Kernkraftzentrum Cattenom nur in einem bestimmten (reduzierten) Maße auszubauen, kann aber nicht als Bestätigung deutscher Unterlassungsansprüche oder sonstiger Rechtspositionen gedeutet werden. ee) Je nach dem Inhalt der Mitteilung bliebe weiterhin zu überprüfen, ob es sich nicht sogar um ein völkerrechtliches Versprechen hinsichtlich des reduzierten Ausbaus des Kernkraftwerks Cattenom handeln könnte. Voraussetzung für das Vorliegen eines völkerrechtlichen Versprechens wäre (über die Mitteilung einer rechts erheblichen Tatsache im Rahmen der Notifikation hinaus), daß Frankreich sich zugleich bindend zu einem bestimmten Verhalten verpflichten wollte. Das Schwergewicht läge hier nicht auf der Mitteilung, sondern vielmehr in der Übernahme der rechtlichen Verpflichtung, die ihrerseits wiederum i. d. R. notifiziert würde. c) Mangels näherer Kenntnis von Inhalt und Form der französischen Mitteilung kann hier eine endgültige Qualifikation nicht erfolgen. Möglich bleiben insbesondere eine unverbindliche Absichtserklärung, eine Notifikation oder ein völkerrechtliches Versprechen. Eine bloße informelle Mitteilung wäre jedenfalls als unverbindliche Absichtserklärung zu werten. Hinsichtlich der Rechtsfolgen ergäbe sich dann Folgendes: aal Wäre die Bekanntgabe der ursprünglichen Ausbauplanung eine unverbindliche Mitteilung, löste sie im Prinzip keine Rechtsfolgen aus. bb) Handelte es sich hingegen bei der Mitteilung hinsichtlich des reduzierten Ausbaus von Cattenom um eine "rechtserhebliche" Tatsache, so bedeutete dies noch keinen eigenständigen völkerrechtlichen Titel auf Einhaltung dieser Mitteilung. Unter dem Gesichtspunkt des völkerrechtlichen Vertrauensschutzes114 könnte sich allerdings eine andere Beurteilung ergeben, wenn die Bundesrepublik im Vertrauen auf die ursprüngliche französische Mitteilung bereits disponiert, d. h. z. B. eigene Kernkraftwerke geplant hätte. cc) Läge ein völkerrechtliches Versprechen zu reduziertem Ausbau vor, so hätte die Bundesrepublik einen völkerrechtlichen Anspruch auf 114
Vgl. dazu allgemein J. P. Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Erfüllung dieses Versprechens. Der verstärkte Ausbau wäre als Bruch eines völkerrechtlichen Versprechens dann völkerrechtswidrig.
XIV. Nicht-nukleare Beeinträchtigungen Obwohl sich die Diskussion um Nicht-Binnen-Kernkraftwerke vornehmlich an den nuklearen Schäden und Risiken entzündet, dürfen die - bereits erwähnten - nicht-nuklearen Beeinträchtigungen (Abwärme, Wasserentnahme, Veränderung der Wasserführung, Dampfschwadenbildung, Klimaveränderung, ideelle Immissionen ete.) nicht übersehen werden, vor allem deshalb, weil hier die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Zweifel erheblich größer (bzw. sogar u. U. sicher) ist. Allerdings erfassen die Fragestellungen unter diesem Blickwinkel nicht alle Nicht-Binnen-Kraftwerke, sondern - im Sinne der obigen Unterscheidung - nur die Nicht-Binnen-Kernkraftwerke mit Auslandsbezug. Der Grund zu dieser Einengung gegenüber dem Aspekt potentieller Schäden durch Radioaktivität besteht in der regelmäßig geringen räumlichen Reichweite nicht-nuklearer Beeinträchtigungen. Cattenom wäre ein Kraftwerk mit Auslandsbezug. Auch bei der völkerrechtlichen Bewertung nicht-nuklearer Beeinträchtigungen durch Kernkraftwerke wird der Gedanke des schonenden Souveränitätsausgleichs nach beiden Seiten eine sinnvolle Lösung der spezifischen Interessenkollision zwischen den beteiligten Staaten ermöglichen. Letztlich führt dies wieder zu den allgemein (bzw. von der Staatenmehrheit) anerkannten und angewandten Standards (hier aber bezüglich nicht-nuklearer Beeinträchtigungen), die im Zusammenhang mit nicht-nuklearen Beeinträchtigungen in der Staatenpraxis und in der internationalen Zusammenarbeit anerkannt und eingehalten werden. Dabei braucht nicht allein auf das relativ geringe Vergleichsmaterial der Kernkraftwerke zurückgegriffen werden, sondern es können alle grenznahen emittierenden Anlagen berücksichtigt werden, soweit hier entsprechende nicht-nukleare Beeinträchtigungen auftreten. Insoweit geht es ja nicht um kernkraftspezifische Fragestellungen. Besonders für die Belastbarkeit grenzüberschreitender Gewässer bzw. von Mehr-Staaten-Gewässern sind bereits einschlägige Regeln entstandenl l.5, die sich insbesondere mit den physikalischen, chemischen und thermischen Verunreinigungen befassen und die primär unter dem Aspekt der Kühlwasserentnahme und der Zuleitung 1U Siehe z. B. Dintelmann, Die Verunreinigung internationaler Binnengewässer insbesondere in Westeuropa aus der Sicht des Völkerrechts, 1965; sowie oben C V.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
57
von erwärmtem Kühlwasser - auch schon auf Kernkraftwerke angewandt wurden. Die Problematik der Verschrnutzung grenzüberschreitender Flüsse ist bereits Gegenstand vielfältiger bilateraler und multilateraler Verträge sowie supranationaler Aktivitäten geworden.
xv.
Exkurs: Mosel-Vereinbarungen und Kernkraftwerk Cattenom
Im Falle des Kernkraftwerks Cattenom sind hierbei die internationalen Vereinbarungen zur Mosel zu beachten, wenngleich dort kaum unmittelbare Standards enthalten sind, wohl aber Maßstäbe, Verfahrens- und Organisations regelungen zur Standardfindung, d. h. zum konkreten einverständlichen Souveränitätsausgleich nach beiden Seiten. 1. Vertrag über die Scltiffbarmacltung der Mosel
Im Mittelpunkt steht der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogturn Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel vom 27.10.1956 (BGBl. 11 1956, S. 1837), der freilich primär die Schiffbarmachung und die Schiffahrt der Mosel zum Gegenstand hat. Insoweit hat das Projekt Cattenom zunächst nur unter diesem Aspekt der Gefährdung der Schifffahrt Bedeutung. Erfolgte durch das Kernkraftwerk Cattenom eine so starke Wasserentnahme, daß hierdurch die Schiffahrt erheblich beeinträchtigt würde, so stellte dies einen Vertragsverstoß dar, auch wenn nähere einschlägige Übereinkommen nach Art. 56 des Vertrages noch nicht getroffen wurden. Die Sicherung der Schiffbarmachung der Mosel ist Grundlage des Vertrages überhaupt und ergibt sich aus mehreren Einzelbestimmungen (die Sicherung der - von der Schiffbarkeit abzugrenzenden - Wasserkraft folgt im übrigen aus Art. 54 des Vertrages). Solange aber die Schiffbarkeit nicht gefährdet ist, greift zunächst nur Art. 37 des Vertrages ein mit der Pflicht der Französischen Republik, beabsichtigte Kunstarbeiten und das Flußbett etc. betreffende Arbeiten der Moselkommission anzuzeigen. Die Moselkommission hat dann nach Art. 37 Abs.2 Satz 1 des Vertrages zu prüfen, "ob die Ausführung der vorgesehenen Arbeiten den Interessen der Schiffahrt Rechnung trägt" (nicht aber, ob eine für die Schiffahrt irrelevante Wasserverunreinigung eintritt oder sonstige Interessen der Vertragsstaaten beeinträchtigt werden). Nach Auskunft der Moselkommission ist diese 1977 von französischer Seite eingeschaltet worden. Diese Übermittlung nach Art. 37 Abs. 1 des Moselvertrages betraf den Bau und Betrieb von zwei Kühlwasserentnahmeanlagen, einem Einleitungsbauwerk und einer UmschlagsteIle für das Kernkraftwerk Cattenom. Der französischen Übermittlung waren die vom Bauherrn (Electricite de France) zur Verfügung
58
1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
gestellten Informationen und Pläne beigefügt. Die Moselkommission prüfte daraufhin, ob bei der Realisierung des Kernkraftwerks Cattenom durch die vorgesehene Entnahme und Wiedereinleitung von Kühlwasser, die möglichen Wasserverluste durch Verdunstung (insbesondere bei Niedrigwasser der Mosel), die Erwärmung des Moselwassers und die Radioaktivität des von dem Kernkraftwerk wieder eingeleiteten Wassers oder durch eine etwaige Nebelbildung gemäß Art. 37 Abs. 2 Moselvertrag Belange der Schiffahrt berührt werden könnten. In ihrer Sitzung am 22.11. 1977 legte die Moselkommission in einem Beschluß fest, unter welchen Bedingungen und Auflagen sie dem Bau und Betrieb der geplanten Anlagen ihre Zustimmung erteilt. Da die französische Übermittlung nach Art. 37 Abs. 1 Moselvertrag für das Kernkraftwerk Cattenom nach Mitteilung der Moselkommission "zunächst 2 Blökke von je 900 MW und - in einer späteren Ausbauphase - 2 weitere Blöcke von je 1300 MW vorsah", ist für den jetzt geplanten Ausbau von 4 Blöcken zu je 1300 MW das Verfahren nach Art. 37 Moselvertrag noch nicht durchlaufen. Die französische Seite muß die nunmehr geplante Erweiterung erneut der Moselkommission nach Art. 37 Abs.1 Moselvertrag mitteilen, die dann gemäß Art. 37 Abs.2 Moselvertrag auch erneut zu entscheiden hat. Unterließe die Französische Republik die Übermittlung der nunmehr geplanten Erweiterung überhaupt oder "zu gegebener Zeit", beginge sie einen völkerrechtswidrigen Vertragsbruch, der dann zu einem Schiedsverfahren nach Art. 57 ff. Moselvertrag führen könnte. Käme es hierbei nicht zu einer - nach Art. 57 Moselvertrag anzustrebenden - einvernehmlichen Streitbeilegung innerhalb von drei Monaten, wäre der Streit auf Verlangen der Bundesrepublik Deutschland gern. Art. 58 Moselvertrag einem Schiedsgericht zu unterbreiten. 2. Protokoll über die Internationale Kommission zum Schutz der Mosel gegen Verunreinigungen
Kann somit die Moselkommission das Projekt Cattenom nur unter dem Aspekt der Schiffahrtsbelange prüfen, so ergibt sich der spezifische Ansatz zur Beurteilung möglicher Verunreinigungen der Mosel unter dem Gesichtspunkt der zur Mosel getroffenen Vereinbarungen primär aus dem - auf Art. 55 des Moselvertrages116 gestützten - Protokoll zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und des Großherzogturns Luxemburg über die Errichtung einer Internationalen Kommission zum Schutz der Mosel gegen Verunreinigungen vom 20.12.1961 (BGBl. II 1962, S. 1102). Aufgabe der Kommission ist es nach Art. 2 des Protokolls, zum Schutz der 116
Siehe dazu E. Klein, S. 139 f.; Dintelmann, S. 167 f.
c. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
59
Mosel gegen Verunreinigungen eine Zusammenarbeit der beteiligten Regierungen zu ermöglichen. Sie kann zu diesem Zweck alle notwendigen Untersuchungen zur Ermittlung über Art, Ausmaß und Ursprung der Verunreinigungen vorbereiten, sie durchführen lassen sowie die Ergebnisse auswerten und den beteiligten Regierungen alle geeigneten Maßnahmen zum Schutz der Mosel gegen Verunreinigungen vorschlagen. Die Kommission hat ferner nach Art. 9 des Protokolls die Aufgabe, die von ihr für erforderlich gehaltenen Verbindungen mit allen auf dem Gebiet der Verunreinigung der Gewässer zuständigen Stellen herzustellen. Die Kommission - an der auch Rheinland-Pfalz beteiligt ist - hat also keine echten Entscheidungsfunktionen. Im Rahmen ihrer Zuständigkeit hat die Internationale Kommission zum Schutz der Mosel gegen Verunreinigungen überlegungen zu Gesamtbelastungen angestellt und Sanierungsprogramme vorgesehen. Seit 1975 untersucht sie auch die möglichen Auswirkungen des geplanten französischen Kernkraftwerks in Cattenom, wobei auf deutscher Seite Fachleute aus der Verwaltung (Bund und Länder), Wissenschaft und Industrie beteiligt sind. Gleichzeitig wurde über Maßnahmen beraten, mögliche nachteilige Auswirkungen ganz zu vermeiden oder in erträglichen Grenzen zu halten. Im Vordergrund standen dabei die Probleme des Wasserentzugs durch Verdunstung über Kühltürme mit den hieraus möglicherweise folgenden nachteiligen Folgen für die Schiffahrt, die Wasserkraft und die Wasserqualität. Die Verdunstungsverluste sollen nach französischen Planungen primär durch Wasserzuführungen aus Speicherbecken in der Nähe des Kernkraftwerks Cattenom ausgeglichen werden. Im Rahmen der Internationalen Kommission zum Schutz von Mosel und Saar wurde es unternommen, eine Gesamtkonzeption für die Belastung dieser Gewässer vorzunehmen. Die Internationale Kommission zum Schutz der Mosel hat - in übereinstimmung mit der Internationalen Kommission zum Schutz der Saar auf deutsche Initiative frühzeitig eine Expertengruppe, die "ad hocArbeitsgruppe Wärme- und Radioaktivitätsbelastung von Mosel und Saar", beauftragt, einen "Internationalen Wärmelastplan Mosel-Saar" aufzustellen und "Leitlinien zur Radioaktivitätsbelastung" festzulegen. Hauptanliegen des Wärmelastplanes soll es sein, die ökologischen Voraussetzungen einer gesunden Umwelt wiederherzustellen und zu er·· halten, insbesondere
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1.
Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
-
die Aufwärmung der Mosel in vertretbaren Grenzen zu halten
-
die Verdunstungsmengen durch den Kühlturmbetrieb jeweils aus hierfür zu errichtenden Speicherbecken auszugleichen.
Ein Entwurf eines Internationalen Wärmelastplans Mosel liegt vor, basiert allerdings noch auf früheren Planungsgrundlagen für das Kernkraftwerk Cattenom (und berücksichtigt außerdem weitere langfristig etwa noch zu erwartenden Kraftwerksplanungen an der gesamten Moselstrecke). Für die Vollsitzung der Internationalen Kommissionen zum Schutze der Mosel und der Saar gegen Verunreinigungen am 22./23. 11. 1979 in Cochem hatte die "ad hoc-Arbeitsgruppe" den Entwurf der "Internationalen Wärmelastrechnungen für Mosel und Saar - Internationaler Wärmelastplan Mosel _ce vorgelegt. Nachdem der französische Ministerrat am 14. 11. 1979 beschlossen hatte, nunmehr in Cattenom 4 Blöcke a 1300 MW zu errichten, wurde über die neue Situation beraten und auf Antrag der deutschen Delegierten wegen der inzwischen geänderten Konzeption des Kernkraftwerks Cattenom der Entwurf nicht verabschiedet. Die Expertengruppe wurde beauftragt, alsbald zu prüfen, welchen Einfluß die vorgesehene Neuplanung auf den Entwurf des Wärmelastplanes haben kann. Sollten bezüglich belastender Verunreinigungen der Mosel durch das Kernkraftwerk Cattenom in seiner jetzt geplanten Größe Streitigkeiten bezüglich der Anwendung oder Auslegung des Protokolls über die Errichtung einer Internationalen Kommission zum Schutz der Mosel gegen Verunreinigung auftauchen (wobei die Streitigkeiten sich freilich im wesentlichen nur auf Arbeit und Kompetenz der Kommission beziehen könnten), würden diese gemäß Art. 11 des Protokolls unter entsprechender Anwendung des VII. Abschnitts des Vertrages vom 27. Oktober 1956 über die Schiffbarmachung der Mosel zu regeln sein. Dies bedeutet, daß im Falle des Scheiterns einer einvernehmlichen Lösung auf Verlangen der Bundesrepublik Deutschland ein Schiedsgericht nach Art. 58 des Mosel-Vertrages entscheiden müßte. XVI. Informations- und Konsultationspßichten 1. Notwendigkeit und allgemeine Grundlegung
Theoretisch löst die völkerrechtliche Bindung der Errichtung und des Betriebs von Kernkraftwerken (einschließlich ihrer Plazierung und quantitativen Auslegung) an das Prinzip des schonenden Souveränitätsausgleichs nach bei den Seiten im allgemeinen und an die international anerkannten und angewandten Standards im besonderen die wesentlichen internationalrechtlichen Probleme von Nicht-Binnen-Kraftwer-
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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ken, insbesondere von grenznahen Kernkraftwerken und zwar sowohl hinsichtlich radioaktiver wie nicht-radioaktiver Risiken und Beeinträchtigungen. Wie bereits erwähnt, sind diese Standards im wesentlichen erst im Werden und auch nach ihrem Entstehen nicht einfach gewissermaßen kodexartig ablesbar und anwendbar. Die konkreten Anwendungs- und Subsumtionsschwierigkeiten auf so komplexe Gebilde wie Kernkraftwerke werden stets ganz erheblich sein. Die Schwierigkeiten beginnen bei der Ermittlung der konkreten technischen Daten einer Anlage und den allgemeinen hierauf anwendbaren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, steigern sich bei der Ermittlung der international anerkannten Sicherheitsstandards und führen schließlich zu den außerordentlich diffizilen Bewertungsproblemen vor allem bezüglich der internationalen Vergleichbarkeit von Kontrollnormen und -praktiken sowie bezüglich der Subsumtion unter die international anerkannten und anerkannten Standards mit ihrem notwendigerweise stets geringeren Konkretisierungsgrad. Die Ermittlungs-, Vergleichungs-, Bewertungs- und Subsumtionsschwierigkeiten verschärfen sich noch dadurch, daß es häufig - wie noch zu erörtern sein wird117 - kaum bzw. keine Institutionen (vor allem Gerichte) gibt, die in einem konkreten Fall zu einer für die Staaten verbindlichen Entscheidung zuständig sind. Damit, aber vor allem mit der Sanktionsschwäche des Völkerrechts hängen auch die essentiellen Durchsetzungs- oder gar Vollstreckungsprobleme zusammen, die dazu führen, daß im Ergebnis ein Errichtungsstaat letztendlich gegen seinen Willen kaum oder gar nicht zur Einhaltung international anerkannter Standards gezwungen werden kann. Bei derartigen Schwierigkeiten der Ermittlung, Bewertung, Festsetzung und Durchsetzung materieller Fragen gewinnen Verfahrensgarantien - etwa Koordinations- und Kooperationspflichten1l8 - einen ganz besonderen Rang, zum einen weil die Einhaltung derartiger Verfahrensgarantien und die Ordnungsgemäßheit derartiger Verfahren sehr viel leichter überprüfbar ist als die Befolgung materieller Standards und zum anderen, weil die in gerechten Verfahren - unter Beteiligung aller betroffenen Staaten - gefundenen Ergebnisse leichter akzeptiert werden und sich darin die Durchsetzungsprobleme regelmäßig nicht in gleicher Schärfe stellen wie bei der Anwendung vorgefundener, nicht verabredeter materieller Standards. Soweit in derartigen Verfahren einvernehmliche Regelungen gefunden werden, stellt sich die Vollzugsfrage meistens praktisch überhaupt nicht mehr. In Siehe unten Erster Teil, E IV. Siehe dazu Steiger, Scupin-Festgabe, 1974, S. 369 ff. - mit Bezug auf Prinzip 24 der Stockholmer Erklärung -; auch Utton, Columbia Journal o! Transnational Law, Bd.12 (1973), S. 64 ff.; WiZdhaber, SchwJBIR 1975, S.107 ff. 117
118
62
1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
einem weiteren Sinne können derartige Verfahrensgarantien (insbesondere Konsultationspflichten) als Mittel der völkerrechtlichen Streitverhütung gesehen werden119• Aus allen diesen Gründen ist es besonders wichtig, sich auf den auch verfahrens rechtlichen Gehalt des Prinzips des schonenden Ausgleichs zu besinnen. Dieses grundlegende Prinzip sagt ja nicht nur etwas darüber aus, welche materiellen Standards und Schranken bei NichtBinnen-Kraftwerken angelegt werden müssen, sondern vor allem auch darüber, wie diese Standards und Schranken gefunden sowie konkretisiert werden und in welcher Vorgehensweise derartige Nicht-BinnenKraftwerke geplant, errichtet und betrieben werden sollen. Insoweit enthält das Prinzip des beidseitig schonenden Souveränitätsausgleichs gerade auch Garantiegehalte der zwischenstaatlichen Verfahrensgerechtigkeit120 • Hierzu können insbesondere Informations- und Konsultationspflichten gehören. Dies deckt sich auch mit einer sich zunehmend ausbreitenden Ansicht12\ die aus dem völkerrechtlichen Nachbarrechtsverhältnis derartige Pflichten ableitet. 2. Informationspftichten
Informationspflichten lassen sich bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen122 nicht nur aus der geschilderten Surrogats funk119 Dieser Gesichtspunkt wird im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Verschmutzungen besonders deutlich bei FröhlerjZehetner, S. 103 ff. 120 Gegen dieses Gebot zwischenstaatlicher Verfahrensgerechtigkeit könnte ein Staat u. U. auch dadurch verstoßen, daß er bewußt bezüglich eines grenznahen Kernkraftwerks erst einen kleineren Ausbaustand angibt, um nicht zu große Widerstände zu wecken, dann aber unmittelbar vor Beginn der Bauarbeiten eine erhebliche Erweiterung bekanntgibt. 121 Vgl. z. B. Moser, S.195; dazu Pelzer, in: Fischerhof, S.320; vgl. zum Gesamtproblem auch Pelzer, ET 1975, S. 568; vgl. auch FröhlerjZehetner, S. 98; E. Klein, S. 244 ff., 298 ff., 302 ff.; A. Weber, DVBl. 1980, S.330; jeweils mit umfassenden Nachweisen; vgl. auch die einschlägigen OECD-Empfehlungen, siehe dazu FröhlerjZehetner, S. 103 f.; E. Klein, S. 305 sowie Art. VII der Resolution von Athen vom 12. 9. 1979 des Institut de droit international. 122 Siehe dazu FröhlerjZehetner, S. 103 ff. mit dem wichtigen Hinweis auf die einschlägigen OECD-Empfehlungen; skeptisch zur Ableitung aus der bisherigen Praxis E. Klein, S. 302 (soweit nicht ausdrücklich vereinbart). Zu den Möglichkeiten vereinbarter Informations- und Konsultationspflichten vgl. etwa das bei StorsbergjErcman, ZfU 1980, S. 588 erwähnte einschlägige deutsch-niederländische Memorandum; siehe zuletzt auch Rauschning, S. 571 ff., m. w. N. In dem hier interessierenden Bereich ist am 28. 1. 1981 in Bonn eine deutschfranzösische "Vereinbarung über den Informationsaustausch bei Vorkommnissen und Unfällen, die radiologische Auswirkungen haben können" unterzeichnet worden. Dadurch soll die zwischen dem Bundesministerium des Innern und dem französischen Industrieministerium bestehende Verwaltungsabsprache auf eine völkerrechtliche Grundlage gestellt werden (Bulletin der Bundesregierung vom 2l. l. 1981, Nr.5, S.43).
c. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
63
ti on von Verfahrensgarantien und aus dem Gedanken des schonenden Souveränitätsausgleichs durch Verfahrensgerechtigkeit herleiten. Sie sind auch begründbar als notwendige und deshalb mitgarantierte Voraussetzungen etwaiger Unterlassungsansprüche gegen Nicht-BinnenKraftwerke, die international anerkannte Standards verletzen: Informationsanspruch als Voraussetzungsschutz für die Geltendmachung etwaiger Unterlassungsansprüche. Ohne einschlägige Informationen über die - zunächst nur dem Errichtungsstaat zugänglichen - Daten betreffend die Technik und den Betrieb eines Kraftwerkes kann sich ein Wirkungsstaat kein begründetes Urteil darüber bilden, ob und inwieweit ihm ein Unterlassungsanspruch zusteht, und er ist auch nicht in der Lage, einen etwaigen Anspruch ohne einschlägige Informationen zu begründen. Weil die territoriale Souveränität des Errichtungsstaates den Wirkungsstaat im übrigen regelmäßig auch hindert, durch eigenständige Untersuchungen (vertrauliche) Informationen über Technik und Betrieb eines Kernkraftwerkes zu erlangen, muß der Errichtungsstaat den Wirkungsstaat dann und insoweit über die geplante Errichtung, die technischen Einzelheiten des Baus und des Betriebs ete. informieren. Informationen über eine erst geplante Errichtung wird der Errichtungsstaat von sich aus zuleiten müssen. Ist dem Wirkungsstaat die Errichtung oder der Betrieb eines Nicht-Binnen-Kraftwerks bekannt, hat er seine Informationsbegehren zu formulieren. In welcher Form der Errichtungsstaat dem Wirkungsstaat die gewünschten und beanspruchbaren Informationen liefert, ist im Prinzip seine Sache, wenn die Informationen nur zutreffend sowie genügend konkret und aussagekräftig sind. Völkerrechtlich begründbare Ansprüche auf eigene, "aktive" Informationsbeschaffung durch den Wirkungsstaat (z. B. Einsichtnahme in den Sicherheitsbericht des geplanten Kernkraftwerks, auf Beteiligung von Sachverständigen des Wirkungsstaates bei Sicherheitskontrollen und -messungen oder gar Einrichtung eigener Meßgeräte im Errichtungsstaat123) sind regelmäßig nicht gegebenl24 • Seltene Ausnahmen können vorsichtig allenfalls dann in Erwägung gezogen werden, wenn ein dringender Verdacht der Falschinformation durch den Errichtungsstaat besteht. Die Informationspflichten sind in einer zeitlich gedehnten Form zu sehen; sie können sich hinsichtlich aller Phasen eines Kraftwerkes (projektierung, Bau, Betrieb, Stillegung) ergeben. Besonders wichtig sind Pflichten zur schnellen Information bei nuklearen Unfällen125.Die 123 Vgl. im einzelnen die Forderungen bei Moser, S. 205 f. (mit Hinweis S. 207 - auch auf die Kostenproblematik). 124 Ablehnend auch Pelz er, ET 1975, S. 568.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Informationen haben rechtzeitig zu erfolgen, d. h. grundsätzlich so, daß der Wirkungsstaat noch die Möglichkeit zur hinlänglichen Prüfung und Reaktion hat, bevor er einer Beeinträchtigung ausgesetzt wird. Insbesondere müssen Planungen so frühzeitig (und detailliert) mitgeteilt werden, daß der Wirkungsstaat sich noch ein begründetes eigenes Urteil zu bilden vermag und seine Stellungnahmen und etwaigen Einwände noch vom Errichtungsstaat berücksichtigt werden können126 • Dies gilt ebenfalls für relevante Änderungen während des Planungsverfahrens (z. B. Erweiterungen). In diesem Fall muß der Errichtungsstaat mit der Realisierung der geänderten Planung eine angemessene Zeit warten, bis der Wirkungsstaat die Möglichkeit zur ausreichenden Prüfung und Reaktion hat. Da den Errichtungsstaat auch während des Betriebs eines Kraftwerks die Pflicht zu (für den Wirkungsstaat relevanten) Informationen trifft, hat er - z. B. für die Umweltradioaktivität - Meßstellen einzurichten und Meßergebnisse weiterzuleiten. 3. Konsultationspßichten
über Informationspflichten hinaus können sich bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen u. U. auch Konsultationsansprüche ergeben127 • Bei derartigen Ansprüchen auf gemeinsame Beratung mit dem Ziel, zu einer Einigung zu kommen (was nicht zu verwechseln ist mit einem - insoweit nicht gegebenen - Anspruch auf einvernehmliche Regelung), tritt der Surrogatscharakter (gegenüber materiellen Standards) noch stärker hervor als bei den Infomationsansprüchen. Durch Konsultationen sollen nicht nur Informationen gegeben werden, sondern hierdurch, insbesondere durch die Darlegung und Erörterung der unterschiedlichen Interessen der beteiligten Staaten sowie durch Gespräche über einvernehmliche Lösungen, die Entstehung internatio125 Siehe jetzt auch Rauschning, S. 573 f.; zum Teil liegen hier im internationalen Bereich Abkommen vor; vgl. z. B. den am 18. 10. 1979 unterzeichneten französisch-schweizerischen Vertrag über den Informationsaustausch über Unfälle mit möglichen Strahlenfolgen (Journal officiel, 22.4.1980). Zu dem hier interessierenden Bereich siehe N. 122. Die Problematik möglicher Informationspfiichten bei nuklearen Unfällen ist von der Frage etwaiger Hilfspfiichten bei Unglücksfällen zu trennen; vgl. hierzu insbesondere das deutsch-französische Abkommen über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen vom 3.2. 1977 (BGBl. II 1980, S. 33). 128 Fröhler/Zehetner, S. 106. m Siehe dazu Fröhler/Zehetner, S. 103 ff. mit Hinweis auf die einschlägigen OECD-Empfehlungen; ablehnend gegenüber einer Konsultationspfiicht E. Klein, S.298; vgl. auch den Standpunkt des österr. Bundesaußenministers, OZöffRV 1979, S. 379 f.; eher zurückhaltend Rauschning, S. 574 f. Die in der Schlußakte der KSZE enthaltene Absichtserklärung zu Konsultationen über Umweltprobleme mit internationalen Auswirkungen kann nicht unmittelbar als Bestätigung geltenden Völkerrechts verstanden werden.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
65
naler Konflikte überhaupt verhindert werden. Konsultationen als verfahrensbezogene Ausprägungen des Gedankens des beidseitigen schonenden Souveränitätsausgleichs dienen der Vorbeugung gegenüber der Schaffung völkerrechtswidriger Situationen im allgemeinen und der Verletzung der materiellen Gehalte des schonenden Souveränitätsausgleichs im besonderen. Dies bedeutet im Falle der Nicht-Binnen-Kernkraftwerke: durch Konsultationen soll in diesen Fällen verhindert werden, daß bei einem solchen Kraftwerk die international anerkannten und angewandten Standards verletzt werden. Ob Konsultationspflichten generell aus dem völkerrechtlichen Nachbarrechtsverhältnis abzuleiten sind, wenn von einem Kraftwerk erhebliche grenzüberschreitende Beeinträchtigungen zu erwarten sind128 , erscheint zweifelhaft. Als erster Schritt wird regelmäßig eine Information durch den Errichtungsstaat - in umrissenem Umfang - ausreichen müssen. Eine Konsultation braucht vom Errichtungsstaat selbst nicht gesucht zu werden. Eine völkerrechtliche Konsultationspflicht für den Errichtungsstaat kann sich - vorbehaltlich besonderer völkerrechtlicher Vereinbarungen - erst ergeben, wenn der Wirkungsstaat - insbesondere aufgrund der ihm gegebenen Informationen - um eine Konsultation nachsucht. Auch hier ist nicht unter allen Umständen von einer Konsultationspflicht auszugehen129 , sondern nur insoweit, als der Wirkungsstaat eine mögliche wesentliche Beeinträchtigung durch das Nicht-Binnen-Kraftwerk schlüssig darlegt. Erhebt der Wirkungs staat einen begründeten Protese 30 gegen die geplante Errichtung eines NichtBinnen-Kernkraftwerkes, ist auf jeden Fall eine Konsultationspflicht gegeben131 • Ob demgegenüber aus dem allgemeinen Verhältnis von EG-Staaten untereinander, d. h. aus dem Beteiligtsein in der Europäischen Integration bzw. aus dem besonders engen Verhältnis zwischen der Französischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland, eine spezifische Konsultationspflicht abgeleitet werden kann132 , ist eher skeptisch zu beurteilen. Im Prinzip wird vielmehr eine konkrete Ableitung aus den EG-Verträgen bzw. aus den deutsch-französischen Abmachungen oder sonstigen Vereinbarungen zu fordern sein133 • Die notwendigen Konsultationen beziehen sich grundsätzlich auf alle Fragen eines Kernkraftwerks und können sich in allen Phasen der Realisierung eines Kernkraftwerks als erforderlich erweisen. 128 Weitgehende Konsultationspflichten sieht Moser, S. 205 f. vor; kritisch dazu Pelzer, ET 1975, S.568. 129 So aber wohl Maser, S. 205, und Pelzer, ET 1975, S. 568. 130 Siehe dazu unten Erster Teil, E lI. 131 So Pelzer, in: Fischerhof, S. 181, 320. 132 So aber wohl Pelzer, ET 1975, S. 568. 133 Siehe auch unten Erster Teil, C XVII und Dritter Teil.
5 KloepferjKohler
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
4. Beteiligung des Wirkungsstaates im Genehmigungsverfahren?
über Informations- und Konsultationsansprüche hinaus kann der Nachbarstaat (Wirkungsstaat) nach geltendem Völkerrecht - vorbehaltlich besonderer völkerrechtlicher Vereinbarungen und ungeachtet möglicher politischer Wünschbarkeit - nicht verlangen, daß er (oder seine Bürger) an administrativen Genehmigungsverfahren von Kraftwerken im Errichtungsstaat (bzw. im anschließenden Gerichtsverfahren) beteiligt wird (werden?34. Ein derartig völkerrechtlich begründeter Anspruch auf die Gestaltung innerstaatlicher Verfahren (und Verfahrensnormen) würde in nicht schonender Weise die Souveränität des Errichtungsstaates beeinträchtigen. Im übrigen würde der völkerrechtliche Konflikt so zu einem innerstaatlich - im Errichtungsstaat - auszutragenden Konflikt (bei dem grundsätzlich innerstaatliches Recht und nicht Völkerrecht anzuwenden wäre), wobei dann unklar bliebe, in welchem Verhältnis diese Form der Konfliktaustragung zu den daneben u. U. weiterbestehenden spezifischen Formen der völkerrechtlichen Streitbeilegung stehen würde135 • Die fehlende völkerrechtliche Ableitbarkeit eines Anspruches auf Beteiligung in kraftwerksbezogenen Verwaltungsund Gerichtsverfahren schließt nicht aus, daß ein Staat ausländischen Staatsbürgern etc. ein Beteiligungsrecht einräumt, wie dies teilweise auch im deutsch-französischen Bereich geschieht136 • 5. Wahrnehmungs befugnis, tatsächliche Informationen und Konsultationen
Informations- und Konsultationsverpflichtungen werden im Grundsatz zwischen den beteiligten Regierungen wahrgenommen. Dies schließt nicht aus, daß die Regierungen diese Aufgaben partiell an einzelne bioder multilaterale Kommissionen mit Beamten und Sachverständigen delegieren. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, daß diese Kommissionen regelmäßig lediglich Regierungsentscheidungen vorbereiten, aber selbst keine völkerrechtlich verbindlichen Absprachen treffen (und auch nicht Forum für völkerrechtliche verbindliche Erklärungen sein) können. Inwieweit und mit welchem Inhalt Gespräche zwischen Frankreich und der Bundesrepublik auf Regierungsebene, vor allem zwischen dem deutschen Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten über das Kernkraftwerk Cattenom geführt wurden, ist im einzelnen nicht beSo aber Moser, S. 205 f.; kritisch Pelzer, ET 1975, S.568. Solange die Beteiligung des Wirkungsstaates im Genehmigungsverfahren nicht völkerrechtsabgeleitet ist, sind die entsprechenden Genehmigungsverfahren unabhängig voneinander. 138 Vgl. Meldung der F.A.Z. vom 7.12.1979, S.13. 1M
135
c. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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kannt. Ob Frankreich insbesondere hinsichtlich der Informationsintensität seinen Informationspflichten nachgekommen ist, und inwieweit es seine Konsultationspflicht erfüllt hat, kann hier nicht abschließend beurteil t werden.
XVII. Exkurs: Konsultations-Kommissionen und Kernkraftwerk Cattenom 1. Allgemeines
Unter dem Aspekt internationaler Informationen und Konsultationen sind neben der bereits erwähnten Moselkommission und der geschilderten Internationalen Kommission zum Schutz der Mosel gegen Verunreinigungen13T insbesondere13Ta zwei internationale Kommissionen zu nennen: -
Deutsch-Französische Kommission für Fragen der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen
-
Deutsch-Französisch-Luxemburgische Kommission für Standortfragen von Kernkraftwerken.
Beide Kommissionen sollen Regierungsentscheidungen vorbereiten, können aber keine völkerrechtlich relevanten Erklärungen abgeben oder entgegennehmen und keine die beteiligten Staaten bindenden Beschlüsse fassen. Allerdings vermögen Beratungen etc. innerhalb derartiger Kommissionen dazu dienen, völkerrechtliche Informations- und Konsultationspflichten teilweise zu erfüllen. 2. Kommission für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen
Aufbauend auf die seit Beginn der siebziger Jahre bestehenden, nicht formalisierten bilateralen Kontakte wurde im Jahre 1976 zwischen dem Bundesminister des Innern der Bundesrepublik Deutschland und dem Minister für Industrie und Forschung der Französischen Republik ein Verwaltungsabkommen über den Austausch technischer Informationen und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheit kerntechnischer Anlagen abgeschlossen und so die bestehende Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit erweitert. Die in diesem Zusammenhang gebildete "Deutsch-Französische Kommission für FraSiehe oben C XV. Der deutsch-französische Koordinierungsausschuß für die Zusammenarbeit in Umweltfragen (vgl. dazu Bulletin der Bundesregierung vom 23. 1. 1981, Nr.5, S.43) befaßt sich mit allgemeinen Fragen des Umweltschutzes. Spezielle Umweltprobleme werden vornehmlich in den sogleich erörterten Experten-Kommissionen behandelt. 137
137a
5·
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
gen der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen" (DFK) und ihre 16 Facharbeitsgruppen beraten auf Sachverständigenebene gegenseitig interessierende Fragen der Reaktorsicherheit und des Strahlenschutzes. Auf französischer Seite gehören der DFK Vertreter der Genehmigungsbehörde des Industrieministeriums sowie Sicherheitsexperten des Atomkommissariats an, auf deutscher Seite der - federführende - Bundesminister des Innern, einige Ländervertreter sowie Sachverständige von Technischen Überwachungsvereinen. Die DFK konstituierte sich am 20. Mai 1976 und hat seitdem mehrere Hauptsitzungen abgehalten. Im Hinblick auf das Kernkraftwerk Cattenom hat die Bundesregierung sich - nach ihrer Darstellung - beim ersten Bekanntwerden der einschlägigen französischen Kernkraftwerkspläne mit der französischen Regierung in Verbindung gesetzt und auf die Notwendigkeit einer Abstimmung über diese grenznahe Planung hingewiesen. Daraufhin wurde vereinbart, daß die anstehenden Fragen in den hierfür vorhandenen bi- bzw. trilateralen Gremien behandelt werden (Standortkommission138 , Internationale Kommission zum Schutz der Mosel gegen Verunreinigung139 , DFK). Soweit die DFK sich mit Fragen des Kernkraftwerks Cattenom befaßt, gehören ihr auch Vertreter der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland an. Die Kommission hat dabei u. a. folgende Aspekte beraten: Anlagetypen, sicherheitstechnische Ausrüstung, Auslegungen gegen Einwirkungen von außen, Strahlenbelastung in der Umgebung, Radioaktivitätsabgaben an die Mosel, Umgebungsmeßprogramm, Störfallanalysen und -vorsorge, Klimaauswirkungen durch Kühlturm-Emissionen, sicherheitstechnische und Umweltschutz-Begutachtung. Die DFK befaßt sich auch mit Fragen des grenzüberschreitenden Katastrophenschutzes - ein bilaterales Abkommen mit Frankreich ist in Vorbereitung - , mit Haftungs- und Deckungsfragen (insbesondere mit einer weiteren Harmonisierung des Schadensersatzrechts) und führt vor allem Sicherheitsvergleiche zwischen deutschen und französischen Kernkraftwerken durch. Bei einem sicherheitstechnischen Vergleich zwischen einem deutschen und einem französischen Kernkraftwerk in der Größenordnung von 900 MW (Neckarwestheim/Fessenheim) hat sich nach einem Bericht des Bundesministers ergeben, daß die an beide Anlagen gestellten sicherheits technischen Anforderungen vergleichbar, die zur Lösung gewählten Methoden jedoch unterschiedlich sind. Inzwischen wurde vereinbart, diesen Vergleich auf Kraftwerke mit einer Leistung von 1300 MW auszudehnen, was den ein138 139
Siehe unten Erster Teil, C XVII 3. Siehe oben Erster Teil, C XV 2.
C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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zeInen Kraftwerksblöcken in Cattenom entspräche. Ergebnisse liegen noch nicht vor. Da die Deutsch-Französische Kommission für Reaktorsicherheit sich zunächst mit Cattenom in seiner ursprünglich geplanten Größe befaßt hat, sind nach Bekanntwerden der Vergrößerungspläne neue Beratungen rechtlich geboten. 3. Standortkommission
Eine besondere Bedeutung für die Beratung des Kernkraftwerks Cattenom hat die Deutsch-Französische Kommission für Standortfragen von Kernkraftwerken im gemeinsamen Grenzraum, die bezüglich Cattenoms jetzt auch unter Beteiligung Luxemburgs zusammentritt. Es handelt sich um eine Arbeitsgruppe, deren Institutionalisierung bislang freilich nicht erreicht werden konnte; es besteht keine völkerrechtliche Pflicht, diese Kommission bei der Realisierung grenznaher Kernkraftwerke stets einzuschalten. Auf deutscher Seite liegt die Federführung beim Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Bei Beratungen betreffend das Kernkraftwerk Cattenom sind auch Vertreter der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland beteiligt. In der Kommission werden neben Problemen der Auswirkungen von Kernkraftwerken auf die raum- und siedlungsstrukturelle Entwicklung im Grenzgebiet auch Fragen der Sicherheit der Kernenergieanlagen, des Katastrophenschutzes, der Schadenshaftung, der Schadstoffbelastung der Mosel, Belange der Moselschiffahrt und klimatische Auswirkungen beraten. Es haben mehrere Gespräche über das Kernkraftwerk Cattenom in diesem Zusammenhang stattgefunden. Zunächst waren auch hier die ursprünglichen Ausbaupläne zugrundegelegt worden. Nachdem die einschlägigen Erweiterungspläne bekannt wurden, fand am 18.12. 1979 ein neuerliches trilaterales Gespräch über das Kernkraftwerk Cattenom (auch unter Einschluß der Länder Rheinland-Pfalz und Saarland) statt. Dabei ist deutlich geworden, daß weitere Untersuchungen stattfinden sowie die Gespräche in der Kommission fortgesetzt werden sollten139a .
139a Das Bulletin der Bundesregierung vom 23. 1. 1981, Nr.5, S.44, erwähnt noch eine "kürzlich eingesetzte" deutsch-französisch-luxemburgische Arbeitsgruppe, "die sich mit dem Informationsverfahren bei der Planung von Bau und Erweiterung von Industriebetrieben in Grenznähe sowie mit der Verbesserung des Informationsaustausches im Hinblick auf mögliche Störfälle in grenznahen Industrieanlagen befassen wird". Danach geht es bei dieser Arbeitsgruppe wohl allein um konventionelle Anlagen, weshalb insoweit die Zuständigkeit der Standortkommission (und der Kommission für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen) bezüglich der Kernkraftwerke ungeschmälert bleibt.
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1. Teil:
Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
4. Gemiscllte deutscll-französiscll-Iuxemburgisclle Regierungskommission für die Zusammenarbeit im Montandreieck Saar-Lor-Lux-Regionalkommission
Die seit 1971 bestehende "Gemischte deutsch-französisch-Iuxemburgische Regierungskommission für die Zusammenarbeit im Grenzraum Saarland / Südwestteil Rheinland-Pfalz / Lothringen und Luxemburg (Montandreieck)" und ihre Unterkommission, die Saar-Lor-Lux-Regionalkommission, können sich mit allen gemeinsam interessierenden Problemen und damit wohl auch mit Fragen des grenzüberschreitenden Umweltschutzes befassen14o• Die Saar-Lor-Lux-Regionalkommission hat aufgrund ihrer Satzung keine Zuständigkeit auf dem Gebiet grenznaher Kernkraftwerke. Dennoch ist das Thema Cattenom dort außerhalb des gegebenen Verhandlungsrahmens unter dem Aspekt nachbarschaftlicher Zusammenarbeit angesprochen worden und hat zu einem entsprechenden Meinungs- und Informationsaustausch geführt. Mit der Vereinbarung zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und des Großherzogturns Luxemburg über die Zusammenarbeit in den Grenzgebieten vom 16. 10. 1980141 ist die regionale internationale Zusammenarbeit in dem entsprechenden Grenzraum weiter institutionalisiert worden. XVIII. Nebenpftichten
Wesentliche Nebenpflichten können sich nach dem Prinzip des schonenden Souveränitätsausgleichs einmal in der Bereitstellung ausreichender Haftungsnormenl42 ergeben und vor allem im Hinblick auf eine Zusammenarbeit bei Katastrophenfällenl43 , z. B. durch gemeinsame Kontrollstellen und Alarmorganisationen. Eine allgemeine Pflicht zur laufenden Zusammenarbeitl44 läßt sich dagegen völkerrechtlich nicht begründen; es bedarf hier einer konkretisierenden Differenzierung, um zu begründeten völkerrechtlichen Beurteilungen zu kommen.
Siehe dazu E. Klein, S.247, 269 f. Bekanntmachung vom 5.11.1980, BGBl. Ir, S.1426. 142 RandelzhoferlSimma, S. 409; Pelzer, in: Fischerhof, S.181. 143 Maser, S. 205, 206. 144 Maser, S. 205; dagegen E. Klein, S. 289 f., der allerdings den Bereich des Gewässerschutzes ausnimmt. 140
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C. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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XIX. Exkurs: Nicht-Binnen-Kraftwerke und Grenzen nationaler Rechtsetzungsbefugnis Im Zusammenhang mit Nicht-Binnen-Kraftwerken stellt sich die prinzip elle Frage der räumlichen Geltung von atomrechtlichen Normen145, insbesondere, ob und inwieweit einerseits der Wirkungsstaat das ausländische Kernkraftwerk zum Gegenstand eigener Regelungen machen und zum anderen, ob und inwieweit der Errichtungsstaat Beeinträchtigungen im Wirkungsstaat regeln kann. Dies führt zu dem allgemeinen Gedanken des völkerrechtlichen Anknüpfungsverbots146 • 1. Regelungen des Wirkungsstaates
Im Prinzip dürfte es bei Nicht-Binnen-Kernkaftwerken und speziell bei Kernkraftwerken in Grenznähe völkerrechtlich - vorbehaltlich besonderer völkerrechtlicher Vereinbarungen147 - unbedenklich sein, wenn der Wirkungs staat (potentielle oder) bereits eingetretene Schäden durch diese Kernkraftwerke zum Gegenstand seiner Regelungen macht, soweit diese Schäden sein Gebiet berühren (können). Der Errichtungsstaat kann grundsätzlich diese Fragen nicht abschließend d. h. insoweit die Regelungsbefugnis des Wirkungsstaates ausschließend - regeln. Ob freilich Ansprüche, die von der Rechtsordnung des Wirkungsstaates konstituiert und dort gerichtlich durchgesetzt wurden, im Errichtungsstaat anerkannt und vollstreckt werden können, bleibt - in gewissen allgemeinen Grenzen und wiederum vorbehaltlich besonderer völkerrechtlicher Vereinbarungen - der Rechtsordnung des Errichtungsstaates überlassen. Problematisch würde es - vom völkerrechtlichen Standpunkt - erst dann, wenn der Wirkungsstaat - zur Abwehr potentieller Schäden auf seinem Gebiet - die Errichtung und den Betrieb von Nicht-BinnenKernkraftwerken und besonders von grenznahen Kernkraftwerken im Errichtungsstaat völlig - oder in einer bestimmten qualitativen oder quantitativen Form - als rechtswidrig behandeln (und an die Errichtung bzw. den Betrieb selbst Unrechtsfolgen knüpfen) würde, insbeson145 Dies spielt insbesondere eine Rolle für die verfahrensmäßige Stellung ausländischer Nachbarn in umweltschutzrechtlichen, insbesondere atomrechtlichen Genehmigungsverfahren; vgl. dazu die - wohl im Ergebnis zu weitgehenden - überlegungen von A. Weber, DVBl. 1980, S. 331 ff.; allgemein zur Stellung von Bewohnern grenznaher Kommunalkörperschaften siehe unten Erster Teil, D IV. 14e Zum Problem der völkerrechtlich zulässigen Anknüpfung als Abgrenzung des Souveränitätsbereichs vgl. etwa Wengler, in: Internationales Recht und Diplomatie, 1972, S. 263 ff.; Verdross!Simma, S. 571 ff. 147 Z. B. bei Haftungsübereinkommen; siehe dazu unten Vierter Teil, Erster Abschnitt, A 1.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
dere dann, wenn der Errichtungsstaat die Errichtung und den Betrieb (in der konkreten Form) erlaubt hat. Auszugehen ist - wie erwähnt - davon, daß der Wirkungsstaat gegen den Errichtungsstaat einen völkerrechtlich begründbaren Anspruch auf Einhaltung der international anerkannten Standards und dabei auf Schutz vor (erheblichen) Schäden und Gefährdungen durch das Nicht-Binnen-Kernkraftwerk des Errichtungsstaates hat. Dies bedeutet im konkreten regelmäßig einen völkerrechtlichen Anspruch des Wirkungsstaates gegen den Errichtungsstaat auf Nichtgenehmigung der Errichtung und des Betriebs grenzüberschreitend gefährdender und einschlägige internationale Standards mißachtender Kernkraftwerke. In einem rechtsstaatlich geordneten Errichtungsstaat bedeutet dies im Effekt den völkerrechtlich begründeten - oder doch letztlich auf das Völkerrecht rückführbaren - Anspruch des Wirkungsstaates gegen den Errichtungsstaat (auch) auf Erlaß solcher Rechtsnormen, die eine Errichtung gefährlicher und standardmißachtender Nicht-Binnen-Kraftwerke und besonders derartiger Kernkraftwerke in Grenznähe ausschließen. Das Drängen auf derartige Normen seitens des Wirkungsstaates wäre keine - völkerrechtlich unzulässige - Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Errichtungsstaates, weil - wie erörtert - die Gebietshoheit nicht nur berechtigt, sondern auch (jedenfalls im auslandsrelevanten, insbesondere grenznahen Bereich) Pflichten gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten umfaßt148 • Allerdings können alle diese völkerrechtlich begründeten Sicherungsansprüche - auf der Grundlage des Gedankens des beidseitig schonenden Souveränitätsausgleichs nur auf Sicherung im Rahmen eines angemessenen internationalen Standards gehen. Hat der Errichtungsstaat Rechtsnormen mit entsprechenden Sicherheitsstandards erlassen und durchgesetzt, dann ist es dem Wirkungsstaat völkerrechtlich untersagt, darüber hinausgehende oder andersartige Errichtungs- und Betriebsnormen für Kraftwerke im Errichtungsstaat zu erlassen. Bei Wahrung der internationalen Standards (für Nicht-Binnen-Kernkraftwerke, speziell für Kernkraftwerke in Grenznähe) durch die Rechtsnormen des Errichtungsstaates bleibt dem Wirkungsstaat also kein völkerrechtlich reservierter Raum mehr für eigenständige Bestimmungen über Errichtung und Betrieb ausländischer Kernkraftwerke. Mißachtet der Errichtungsstaat seine völkerrechtlich begründbare Pflicht zum Erlaß von Rechtsnormen, die Nicht-Binnen-Kernkraftwerke 148
Siehe dazu und zum folgenden: Wengler, S. 274.
c. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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nur bei Einhaltung der international anerkannten und angewandten Standards zuzulassen, kann der Wirkungsstaat - vom völkerrechtlichen Standpunkt aus - eigenständige Rechtsnormen über die Errichtung und den Betrieb von Nicht-Binnen-Kernkraftwerken im Errichtungsstaat - auf internationalem Standard - schaffen. Er kann dann folgerichtig auch eine Rechtsanwendungsentscheidung vornehmen149 , freilich im Ergebnis nur auf eigenem Gebiet vollstrecken. Theoretisch muß dies nicht sein, sondern kann für Sekundärfolgen (Strafe, Schadensersatz etc.) sehr wichtig werden150 • Die entscheidende Frage im Zusammenhang mit dem Kernkraftwerk Cattenom ist also die, ob Frankreich Rechtsnormen für Nicht-BinnenKernkraftwerke, insbesondere für grenznahe Kernkraftwerke erlassen hat, die den internationalen Sicherheitsstandards entsprechen (und falls ja -, ob sie auch ordnungsgemäß angewendet wurden). Soweit es an solchen Rechtsnormen fehlen sollte, wäre die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich befugt, die Errichtung und den Betrieb des Kernkraftwerks Cattenom zum Gegenstand eigener Regelungen zu machen. Im Haftungsrecht wäre hierbei allerdings ihr Spielraum durch einschlägige Verträge eingeengt151 . 2. Regelungen des Errichtungsstaates
Wie erwähnt, bestehen - unter den geschilderten Voraussetzungen - vom völkerrechtlichen Standpunkt aus keine Bedenken dagegen, daß der Wirkungsstaat die auf seinem Gebiet von einem ausländischen Nicht-Binnen-Kernkraftwerk verursachten Schäden zum Gegenstand eigener Regelungen macht. Umgekehrt kann es regelmäßig völkerrechtlich aber auch nicht beanstandet werden, wenn der Errichtungsstaat die durch seine Kernkraftwerke im Ausland (Wirkungsstaat) verursachten Schäden gesetzlich regelt, weil hier eine ausreichende sachliche Anknüpfung durch die Lage der Schadensquelle im Errichtungsstaat besteht. Es wäre sogar bedenklich, wenn er derartige Schäden in seinen Regelungen nicht beachten oder gar ausdrücklich ausschließen würde, es sei denn, völkerrechtliche Vereinbarungen sähen vor, daß jeder Staat die auf seinem Gebiet auftretenden Schäden zum Gegenstand 149 Maus, S. 28, hält dies im Hinblick auf die Anwendung von Verwaltungsrechtsvorschriften des Wirkungsstaates für "unvorstellbar", weil die Behörden des Errichtungsstaates nur an die eigenen öffentlich-rechtlichen Vorschriften gebunden seien. Dies schließt jedoch nicht aus, daß die Rechtmäßigkeit der Errichtung eines Nicht-Binnenkraftwerks im Wirkungsstaat anders beurteilt wird als im Errichtungsstaat. 150 Zur Verfolgung von Auslandstaten im Inland vgl. z. B. Verdross/Simma, S. 571 ff. 151 Siehe dazu unten Vierter Teil, Erster Abschnitt, A I.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
abschließender eigener Regelungen macht. Ohne derartige Vereinbarungen ist es aber Völkerrechtlich nicht ausgeschlossen, daß der Errichtungsstaat und der Wirkungsstaat zugleich im Wirkungsstaat auftretende Schäden durch Nicht-Binnen-Kraftwerke (des Errichtungsstaates) zum Gegenstand verschiedenartiger Regelungen machen. Welche Regelung dann anzuwenden ist, bemißt sich - im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen - nach den kollisionsrechtlichen Regeln der beteiligten Staaten151 a. Mit diesem Problem der Zuständigkeit des Errichtungsstaates zur Regelung der von seinen Kraftwerken im Ausland verursachten Schäden hängt die allgemeine Frage zusammen, inwieweit der Errichtungsstaat sein Recht für Sachverhalte im Wirkungsstaat für anwendbar erklären kann. Eine beliebige Erklärung der Anwendbarkeit ist jedenfalls nicht möglich152 • Es wird vielmehr - von völkerrechtlicher Warte aus - neben der relevanten Einwirkung auf den Wirkungsstaat (bzw. der dort ansässigen Bevölkerung) zu fordern sein, daß eine unzulässige Beeinträchtigung der Souveränität des Wirkungsstaates auf jeden Fall zu unterbleiben hat. Eine solche Souveränitätsverletzung wäre z. B. darin zu sehen, daß der Errichtungsstaat seine Gesetze im Wirkungsstaat für anwendbar erklärte, obwohl dadurch Nicht-Binnen-Kernkraftwerke unter Verletzung international anerkannter Standards zugelassen würden, oder wenn er gar Anhörungen, Messungen im Wirkungs staat etc. - ohne dessen Zustimmung - vorsehen würde. Eine Souveränitätsverletzung liegt dagegen nicht vor, wenn der Errichtungsstaat für die auf seinem Gebiet durchgeführten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren (über das Nicht-Binnen-Kraftwerk) Bürgern des Wirkungsstaates eine Beteiligungs- und Klagebefugnis einräumt (wozu er freilich - wie erörtert - völkerrechtlich nicht verpflichtet ist). Auf jeden Fall müssen aber Hoheitsakte des Errichtungsstaates auf dem Gebiet des Wirkungsstaates - ohne dessen Zustimmung - prinzipiell ausgeschlossen bleiben. Ob, unter welchen Voraussetzungen und inwieweit - vom völkerrechtlichen Standpunkt aus - der Wirkungsstaat auf seinem Gebiet Recht des Errichtungsstaates auf ein Nicht-Binnen-Kraftwerk anwenden darf (insbesondere dann, wenn dieses Recht sich ausdrücklich auf das Territorium des Errichtungsstaates beschränkt), ist hier nicht näher zu vertiefen.
t51a
152
Siehe dazu unten Vierter Teil, Erster Abschnitt, B, C. Sehr weitgehend aber wohl Maus, S.28.
c. Zulässigkeit von Nicht-Binnenkraftwerken
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XX. Ansprüche beim schonenden Souveränitäts ausgleich Welche Ansprüche sich im einzelnen aus dem schonenden Souveränitätsausgleich bzw. aus nachbarrechtlichen Erwägungen ergeben, läßt sich nicht nivellierend, sondern nur differenzierend nach den - erörterten - jeweiligen Aspekten des beidseitig schonenden Souveränitätsausgleichs entwickeln. Insbesondere ist dabei zwischen der materiellrechtlichen und der verfahrensrechtlichen Seite zu unterscheiden, wobei Ansprüche auch kumulativ gegeben sein können (z. B. Unterlassungs- und Konsultationsansprüche zugleich). Hinsichtlich der materiellrechtlichen Seite besteht ein Anspruch auf Einhaltung der international anerkannten und angewandten Sicherheitsstandards bei Nicht-Binnen-Kraftwerken. Werden diese - z. B. bezüglich technischer Sicherheits vorkehrungen - nicht eingehalten, so besteht ein Anspruch auf zusätzliche Vorkehrungen zur Erreichung bzw. Einhaltung der international anerkannten und angewandten Sicherheitsstandards. Mit welchen konkreten Maßnahmen der Errichtungsstaat die international anerkannten Standards im Rahmen der "Nachbesserung" freilich erreicht bzw. ihre Einhaltung sichert, ist seine Sache. Völkerrechtlich beanspruchbar ist ein bestimmtes Sicherheitsniveau, nicht gefordert werden können aber konkrete technische Details (z. B. bestimmte Filter), wenn gleichwertige andere Maßnahmen im Effekt das gleiche Sicherheitsniveau gewährleisten. Werden die international anerkannten Sicherheitsstandards durch ein Nicht-Binnen-Kraftwerk nicht eingehalten und unterbleiben auch zusätzliche Vorkehrungen zur Erreichung derartiger Standards (oder sind derartige Vorkehrungen nicht mehr möglich), dann besteht ein Unterlassungs anspruch gegen den Errichtungsstaat (auf Unterlassung der Errichtung und/oder Betreibung eines derartigen Nicht-Binnen-Kraftwerks). Soweit nicht der Errichtungsstaat selbst, sondern Private auf seinem Gebiet das Nicht-BinnenKraftwerk betreiben, wandelt sich der Unterlassungsanspruch in einen Verhinderungs anspruch, d. h. in einen Anspruch gegen den Errichtungsstaat auf (verhinderndes) Einschreiten gegenüber den privaten Kraftwerksbetreibern auf seinem Gebiet. Welche Rechtsfolgen sich bei Verletzung des Unterlassungsanspruchs (bzw. des Verhinderungsanspruchs) ergeben, richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit bzw. Haftung, auf die noch einzugehen sein wirdl53 • Bezüglich der verfahrensrechtlichen Seite des schonenden Souveränitätsausgleichs nach beiden Seiten ergeben sich - wie erwähnt - sowohl Informations- wie Konsultationsansprüche, die häufig hinterein153
Siehe unten Vierter Teil, Zweiter Abschnitt.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
andergeschaltet sind (erst Information, dann Konsultation). Die Verletzung derartiger Informations- und Konsultationsansprüche ist zwar völkerrechtswidrig, führt jedoch regelmäßig nicht zu einer Völkerrechtswidrigkeit des Kraftwerksbetriebs selbst, ist also nicht geeignet, einen völkerrechtlichen Unterlassungsanspruch zu begründen. Aus der Verletzung völkerrechtlicher Verfahrensnormen folgt nicht die Völkerrechtswidrigkeit der Anlage selbst. Das schließt nicht aus, die völkerrechtswidrige Verletzung der Informations- und Konsultationspflichten nicht nur für die Frage der Beweislast154 zu berücksichtigen, sondern vor allem dann - bei der Haftungsfrage - rechtlich relevant werden zu lassen, wenn ein Nicht-Binnen-Kraftwerk tatsächlich zu Schäden im Wirkungsstaat führt (und eine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden besteht). Die Unterlassung gebotener Information und Konsultation bedeutet eine schuldhafte Verletzung der Völkerrechtspflichten beim schonenden Souveränitäts ausgleich. Entsprechendes wie bei den Informations- und Konsultationspflichten gilt auch bei der Verletzung der erörterten Nebenpflichten des schonenden Souveränitätsausgleichs. Ihre Verletzung bedingt nicht die Völkerrechtswidrigkeit der Errichtung und des Betriebs des Nicht-BinnenKraftwerks selbst und begründet deshalb keinen Unterlassungsanspruch. Auch hier liegt die Bedeutung im völkerrechtlichen Haftungsrecht. Ist die Nichterfüllung derartiger Nebenpflichten kausal für einen eingetretenen Schaden, ist das Urteil einer schuldhaften völkerrechtswidrigen Schadenszufügung gerechtfertigt. Ungeachtet der wichtigen Haftungsbestimmungen ist insgesamt festzuhalten, daß bei Nicht-Binnen-Kernkraftwerken der Schwerpunkt auf den schadensverhindernden, präventiven Ansprüchen liegen muß155, zu denen dann sekundär Ansprüche auf Schadensersatz und -beseitigung hinzutreten.
D. Bestimmung des völkerrechtlich Berechtigten Bei der Frage, welchem Rechtssubjekt die erwähnten völkerrechtlichen Unterlassungs-, Schutz-, Informations- und Konsultationsansprüche zustehen bzw. welches Rechtssubjekt sie geltend machen kann (Bundesrepublik, Länder, kommunale Körperschaften, Einzelbürger), 1M Siehe allgemein zur Bestimmung der Beweislast bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen Fröhler/Zehetner, S. 72, 131 ff. 155 Soweit Fröhler/Zehetner, S. 95 ff., den "vorbeugenden Rechtsschutz" bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen erörtern, tauchen hier ebenfalls Elemente des präventiven Umweltschutzes, aber auch allgemeine Erwägungen der völkerrechtlichen Streitverhütung auf.
D. Bestimmung des völkerrechtlich Berechtigten
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ist die völkerrechtliche Bewertung von der - allerdings hiervon nicht ganz trennbaren - Frage zu unterscheiden, wer nach innerstaatlichem Recht insbesondere nach dem Verfassungsrecht zur Wahrnehmung der völkerrechtlichen Ansprüche befugt ist. An dieser Stelle ist nur auf die völkerrechtlichen Probleme einzugehen, während die verfassungsrechtlichen Aspekte später zusammenhängend behandelt werden153 .
I. Berechtigung der Bundesrepublik Deutschland Die Bundesrepublik Deutschland ist als souveräner Staat Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten und damit zugleich ein klassisches Völkerrechtssubjekt. Sie ist deshalb nach geltendem Völkerrecht im Prinzip Träger der bezeichneten Ansprüche bezüglich der Errichtung und des Betriebs von ausländischen Nicht-Binnen-Kernkraftwerken.
11. Berechtigung der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland Fraglich ist, ob außer der Bundesrepublik Deutschland auch noch den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Saarland die völkerrechtlichen Ansprüche zustehen könnten. Voraussetzung dafür wäre, daß die Länder Rheinland-Pfalz und Saarland überhaupt Völkerrechtssubjektivität besitzen würden bzw. zur Geltendmachung der einschlägigen Ansprüche aktivlegitimiert wären. Die Völkerrechtsordnung betrachtet den Bundesstaat regelmäßig als eine völkerrechtliche Einheit unabhängig von seiner inneren Strukturund Kompetenzverteilung, insbesondere ohne Rücksicht auf den Grad der Zentralisierung bzw. Dezentralisierung der Staatsgewaltl57 • Der Bundesstaat seinerseits ist jedoch völkerrechtlich durchaus nicht verpflichtet, immer nur als Einheit i. S. eines einheitlichen Völkerrechtssubjekts "Staat" aufzutreten. Sein Aufbau kann vielmehr auch so ausgestaltet sein, daß neben der Zentralorganisation "Gesamtstaat" auch Teilorganisationen "Länder" am völkerrechtlichen Verkehr teilnehmen, wenn und soweit die Verfassungen der betreffenden BundesSiehe unten Zweiter Teil. In diesem Sinne Magiera, in: Menzel/Ipsen, Völkerrecht, 1979, S.105; Berber, S. 144; Kaiser, ZaöRV 18 (1957/58), S. 550; siehe insbes. auch Art. 2 panamerikanischer Vertrag von Montevideo vom 26. Dezember 1933; "The federal state shall constitute a sole person in the eyes of international law"; ähnlich ferner Fauchille. Traite de droit international public, Bd. I, 1922, S. 246 ... "qui absorbe au point de vue du droit international, tous les Etats particuliers qui en sont les associes", und Rudolt, Völkerrecht und deutsches Recht, 1967, S.112. 156
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
staaten eine solche sog. "beschränkte Völkerrechtssubjektivität" im Sinne einer Vertretungsbefugnis nach außen für ihre Gliedstaaten vorsehen158 • Soweit die Völkergemeinschaft eine derartige Handlungsbefugnis nach außen anerkennt, erhalten die Gliedstaaten eine partielle Völkerrechtssubjektivität. Allerdings bezieht sich dies regelmäßig nur auf die eventuelle partielle Vertragsfähigkeit der Gliedstaaten, während die Aktivlegitimation bezüglich der hier maßgeblich interessierenden - aus allgemeinem Völkerrecht abgeleiteten - Ansprüche aus der Gebietshoheit im Prinzip beim Gesamtstaat verbleibt. Etwas anderes könnte bei einschlägigen Völkerrechtsverträgen über Einzelaspekte der Gebietshoheit (auch) mit Gliedstaaten gelten (z. B. bei Nachbarschaftsverträgen158 a), wo dann die Gliedstaaten zl;lr Einforderung der Vertragspflichten aktivlegitimiert sein könnten. Spürt man dem Phänomen der beschränkten Völkerrechtssubjektivität näher nach, so erscheint diese partielle Völkerrechtssubjektivität freilich eigentlich als ein Bruch im völkerrechtlichen System, das grundsätzlich vom Prinzip der Einheit eines Staates nach außen ausgeht, wie sich etwa bei der Haftung des Gesamtstaates für das völkerrechtswidrige Verhalten seiner Gliedstaaten zeigt, selbst wenn dieses verfassungsmäßig ist. In Wirklichkeit könnte es sich daher bei dieser partiellen Länder-Völkerrechtssubjektivität nicht um eine durch das Völkerrecht, sondern durch die nationale Verfassung eingeräumte Zuständigkeits regelung der auswärtigen Gewalt i. S. einer Dezentralisierung der auswärtigen Gewalt handeln. In diesem Sinne wird auch von einer nur "potentiellen" Völkerrechtssubjektivität der Gliedstaaten gesprochen159• Gerade mit der Wahl dieses Ausdrucks soll verdeutlicht werden, daß die Länder im Bundesstaat im Rahmen des - noch zu erörternden160 - Art. 32 Abs. 3 GG zum Abschluß von Verträgen eben nur soweit ermächtigt sind, wie sie als ursprüngliche Staatsrechtssubjekte über die potentielle Völkerrechtssubjektivität hinaus durch einen Vertragsabschluß zur "echten" Völkerrechtssubjektivität gelangen können161 • Das wiederum würde jedoch bedeuten, daß jegliche Ausweitungen der potentiellen Völker158 Vgl. hierzu Magiera, in: Menzel/lpsen, S. 105. Die Mehrzahl der Bundesstaaten, wie etwa Argentinien, Brasilien, Mexiko, Venezuela, Australien, Indien, Jugoslawien und Österreich machen von dieser Befugnis jedoch keinen Gebrauch. 158a Siehe dazu etwa Rousseau, Droit International Public H, 1974, S.198. 159 Vgl. z. B. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926, S. 195, und folgend Uibopuu, Die Völkerrechtssubjektivität der Unionsrepubliken der UdSSR, 1975, S. 271 ff. 160 Siehe unten Zweiter Teil, I. 161 I. d. S. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 1967, S. 114.
D. Bestimmung des völkerrechtlich Berechtigten
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rechtssubjektivität im Prinzip zunächst nur innerstaatliche Bedeutung erlangen. Insoweit würden dann auch die zahlreichen grenzüberschreitenden Länderaktivitäten nicht in eine echte partielle, dem Völkerrecht entstammende Völkerrechtssubjektivität umschlagen können162• Innerstaatliche Änderungen i. S. von Ausweitungen der echten Völkerrechtssubjektivität, d. h. einer unmittelbaren völkerrechtlichen Berechtigung und Verpflichtung von Gliedstaaten durch Verfassungs recht allein erscheinen demzufolge nur schwerlich möglich. Dies schließt allerdings nicht aus, daß im Bereich des internationalen Rechts andere Ausweitungen des Kreises möglicher Völkerrechtssubjekte vorgenommen werden. Es soll z. B. allerdings keinesfalls verkannt werden, daß Ausweitungen der Völkerrechtssubjektivität im Hinblick z. B. auf Internationale Organisationen stattgefunden haben. Es bleibt im übrigen auch durchaus zu erwägen, ob das Abstellen nur auf den "Staat" den in diesem Jahrhundert sich zügig entwickelnden nachbarrechtlichen völkerrechtlichen Beziehungen noch gerecht wird. Hinter dem mehr oder minder anonymen Staat stehen letztlich die "Betroffenen", evtl. auch das "betroffene" Land. Ob eine erheblich ausweitende Interpretation der Völkerrechtssubjektivität sich jedoch noch mit der Verfassung der Bundesrepublik vereinbaren ließe, erscheint fraglich, selbst bei allen Regelungslücken, die durch die gewandelten Beziehungen und grenzüberschreitenden Aktivitäten entstehen. Gegen eine entsprechend ausdehnende Auslegung wie auch gegen eine Verfassungsänderung spräche vor allem der Primat der Einheit der auswärtigen Gewalt, die der Bundesrepublik Deutschland zusteht. Er wäre wohl auch zu bedenken, daß Bund-Länder-Konflikte bei zusätzlicher Völkerrechtssubjektivität Widersprüche und Schwierigkeiten erzeugen könnten. Insgesamt mag freilich hier im Ergebnis die Frage dahinstehen, ob die innerstaatliche Zuweisung von auswärtigen Zuständigkeiten eine echte partielle Völkerrechtssubjektivität der Bundesländer begründen oder nur eine Dezentralisierung der Zuständigkeiten mit der Folge bedeuten, daß dann durch die Länder für die Bundesrepublik Deutschland gehandelt wird. In dem hier ausschlaggebenden Problemfeld ist es viel entscheidender, ob die Bundesländer nach innerstaatlichem Recht überhaupt zur Wahrnehmung der hier betroffenen völkerrechtlichen Interessen nach außen berechtigt sein können. Dies wird noch zu erörtern sein163 • 182 Zum Problem des Völkerrechtssubjekts als völkerrechtliche Frage siehe auch RudoZj, S. 112. 183 Siehe Zweiter Teil, I und II.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
III. Berechtigung der grenznahen Kommunalkörperschaften Kommunalkörperschaften, insbesondere Gemeinden als solchen und damit auch grenznahen Gemeinden -, kommt in Ermangelung ihrer Qualität als souveräne Staaten keine eigene Völkerrechtssubjektivität zu. Dies gilt entsprechend auch für andere Kommunalkörperschaften (Landkreise etc.), die im folgenden nicht gesondert behandelt werden. Selbst bei allen Ausweitungen der tatsächlichen, die Gemeindegrenzen zu Nachbarstaaten überschreitenden Aktivitäten und vor allem auch nachteiligen Einwirkungen auf das Gemeindegebiet ist an diesem Grundsatz festzuhalten. Dabei wird auch nicht übersehen, daß das Völkerrecht ganz offensichtlich keinen für alle Zeiten fixierten Katalog von Völkerrechtssubjekten kennt, wie die Ausweitung der Völkerrechtssubjektivität auf Internationale Organisationen lehrt164• Es fehlt auch hier im gemeindlichen Bereich nicht an Vorstößen, vor allem den in ihren Umweltbedingungen geschädigten kommunalen Körperschaften, zumindest eine "Parteistellung" in innerstaatlichen gerichtlichen Verfahren einzuräumen gegenüber dem Staat, von dem die Schädigung ausging165 • Letztlich kann zwar dieses verstärkte Herausheben der betroffenen Körperschaft möglicherweise auf politisches Verständnis rechnen, ist aber aus dem Einheitsgedanken heraus nicht als zwingender Grund zu werten, das bestehende Völkerrechtssystem übermäßig durch eine Ausweitung der Völkerrechtssubjektivität zu verwässern166 • Auch die gewandelte Rolle der Gemeinden, z. B. bezüglich von Gemeinde- und Städtepartnerschaften167 und von gemeinsamen Energie-, Wasser- und Elektrizitätsproblemen mit dem Ausland sowie die grenzüberschreitende Kooperation und Koordination von Gebietskörperschaften bei Umweltproblemen168 kann diese nicht zu Völkerrechtssubjekten machen. Die Zusammenarbeit mit ausländischen Gemeinden wie Staaten kann sich demzufolge auch in nichtvölkerrechtlichen Formen abspielen169 und sich dann im Rahmen der jeweiligen nationalen Rechts184 Siehe dazu Ress, in: Doehring/Ress, Die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit von Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, 1971, S.26; Rojahn, in: von Münch, Grundgesetzkommentar, Bd. 2, 1976, Rdn. 10 zu Art. 32 GG. 165 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 3. Aufl. 1975, S.270, Rdn. 1146 g. 166 In diesem Sinne auch Rojahn, in: von Münch, zu Art. 32 GG, Rdn.35. 167 Siehe dazu zuletzt Blumenwitz, BayVBl. 1980, S. 193 ff., m. w. N. 168 Siehe dazu etwa Fröhler/Zehetner, S. 100 ff.; Storsberg/Ercman, ZfU 1980, S. 553 ff., mit Schilderung eines Konventionsentwurfs des Europarats betreffend zwischenstaatliche Abkommen und Rahmenabkommen insbesondere über grenzüberschreitende regionale und örtliche Konsultationen Doc. 4370/1979 Council of Europe, vgl. ebenfalls Matscher, Lechner-Festschrift 1978, S. 169 (173 ff.); siehe zuletzt auch Si ehr, RabelsZ 45 (1981), S. 391. 18' Rudolf, S. 114, Anm.30, und Rojahn, zu Art. 32 GG, Rdn. 35.
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ordnungen vollziehen17 0. Im Ergebnis ist damit eine Völkerrechtssubjektivität grenznaher Gemeinden (und sonstiger Kommunalkörperschaften) abzulehnen.
IV. Berechtigung der Bewohner grenznaher Kommunalkörperschaften Den Bewohnern und damit also den Individuen grenznaher Kommunalkörperschaften kommt nach herrschender Ansicht ebenfalls keine eigene Völkerrechtssubjektivität zu171• Die Ansicht, daß letztlich nur Menschen die einzig wahren Subjekte des Völkerrechts und die Staaten ihre "Agenten" seien, konnte sich nicht durchsetzen172• Außer in den sehr seltenen Fällen einer ausdrücklich normierten Völkerrechtssubjektivität von Individuen ist eine solche abzulehnen. Ob die Berechtigung des Individuums i. S. seiner Begünstigung als Völkerrechtsobjekt173 weiterführen würde, steht hier nicht zur Diskussion und bedarf deshalb keiner Erörterung. Von der fehlenden Völkerrechtssubjektivität einzelner Bürger ist auch für den Umweltschutz auszugehen174• Dies ist gerade im Hinblick auf die Situation des Bürgers gegenüber grenznahen ausländischen umweltgefährdenden Anlagen bedauert worden, weil der zur Geltendmachung völkerrechtlicher Ansprüche berufene Wirkungsstaat z. B. aus energiepolitischen Gründen an der Errichtung der Anlage im Ausland interessiert sein könnte175 • Dies sei primär im Hinblick auf die in Westeuropa praktizierte grenzüberschreitende Raumplanung176 zu überdenken177 • In der Tat ist die Lage des einzelnen Bürgers im HinSiehe hierzu Strebel, ZaöRV 33 (1973), S. 164. In diesem Sinne vgl. Grassi, Die Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht, 1955, S. 101; Moster, ZaöRV 22 (1962), S. 1 ff.; Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, 1975, S.112; Wengler, Völkerrecht, Bd. I, 1964, S. 153 ff.; VerdrossjSimma, S. 220 ff.; Magiera, in: MenzeljIpsen, S. 116 ff. und die dort. Nachweise. 172 Vgl. dazu Berber, S. 112 ff. 173 Magiera, S. 116 ff. 114 Zu den materiellen und verfahrensmäßigen Rechtspositionen des Einzelnen im internationalen Umweltschutz vgl. etwa allgemein Bothe, ZaöRV 32 (1972), S. 504 f. 175 Maus, S.28; siehe umfassend zur Verbesserung des grenzüberschreitenden Rechtsschutzes von nicht völkerrechtsfähigen Rechtssubjekten Fröhlerj Zehetner, S. 90 ff., insbesondere auch unter Hinweis auf die Empfehlung des OECD-Rates; Bothe, AöR 102 (1977), S. 84 ff. 176 Siehe dazu von Malchus, Partnerschaft an europäischen Grenzen, 1975; Bothe, AöR 102 (1977), S. 69. 177 Maus, S.28 m. w. N., unter Hinweis auf die Lage deutscher Bürger bei der Errichtung des Salzburger Flughafens (zur spezifisch innerstaatlichen, verfassungsrechtlichen Problematik des deutsch-österreichischen Vertrages 110
171
6 Kloepfer/Kohler
82
1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
blick auf ausländische Anlagen deshalb besonders problematisch, weil der Errichtungsstaat regelmäßig dem ausländischen Bürger kein Klagerecht gegen eine auf seinem Gebiet errichtete Anlage einräumt178 , d. h. weil - im Gegensatz zum Zivilrecht179 - das öffentliche Recht (über die Errichtung umweltgefährdender Anlagen) die Grenzen der nationalen Rechtsordnung letztlich im Prinzip nicht - bzw. äußerst selten - überschreitet. Nationales Verwaltungsrecht (als Grundlage der erforderlichen Verwaltungsverfahren180) gilt regelmäßig nur im Gebiet des erlassenden Staates (was freilich z. B. die Anerkennung von ausländischen Willensentschließungen eines anderes Staates - des Wirkungsstaates - nicht ausschließt. Durch diese territoriale Begrenztheit des Verwaltungsrechts des Errichtungsstaates kann sich der Bürger des Wirkungsstaates prinzipiell nicht auf die Einhaltung dieser Normen berufen18t, soweit der Errichtungsstaat dies nicht ausdrücklich zuläßt. Mit der regelmäßigen räumlichen Begrenzheit des Verwaltungsrechts ist ein Grundproblem der rechtlichen Bewältigung grenzüberschreitender Umweltbelastungen aufgezeigt: Das nationale öffentliche Recht (mit den hieran knüpfenden Individual-Klagerechten) regelt für den Bereich des Anlagen- bzw. Errichtungsstaates - bei Nicht-Binnenkraftwerken - die Zulässigkeit auch von Anlagen, deren Wirkungen über diesen Normgeltungsbereich hinausgehen. Dabei ist wieder die Diskreüber Auswirkungen des Flughafens Salzburg siehe BGH, DVBl. 1979, S. 226); vgl. allgemein zur Rechtsstellung des Bürgers gegenüber grenzüberschreitenden Auswirkungen wiederum unter Betonung der Problematik des Salzburger Flughafens Küppers, ZRP 1976, S. 260 ff.; ders., DVBl. 1978, S. 686 ff.; vgl. dazu allgemein auch Seidl-Hohenveldern, A. Meyer-Festschrift, 1975, S. 205 ff.; zur Beteiligung und zum Rechtsschutz ausländischer Nachbarn im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren unter besonderer Betonung des deutschen Rechts vgl. jetzt auch A. Weber, DVBl. 1980, S. 330 ff., m. w. N. Zur Bedeutung von ausländischen behördlichen Genehmigungen in inländischen Gerichtsverfahren über Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche bezüglich der Kernkraftwerke im Ausland siehe unten Vierter Teil, Erster Abschnitt, insbesondere zu C. 178 So der österr. VGH, administrativrechtl. Teil, Slg 7582 (A), 1969, S. 264 Journal de Droit International 99 (1973), S.647. Zur Frage des völkerrechtlichen Anknüpfungsverbots vgl. oben C XIX. Der deutsche Bürger nimmt auch nicht an den spezifischen Vorteilen teil, die der französische Staat den Kraftwerksanliegern dadurch einräumt, daß er ihnen günstigere Elektrizitätstarife einräumt; vgl. zu dieser Politik des "faire une fleur" Le Monde vom 3.4. 1980. 178 Zur grenzüberschreitenden Kraft des Zivilrechts vgl. in diesem Zusammenhang etwa Rest, Gutachten über den zivilrechtlichen Schutz im Umweltrecht für Ausländer vor deutschen und österreichischen Zivilgerichten, erstattet im Auftrag der OECD, 1976. 180 Maus, S.30, m. w. N. 181 Vgl. Maus, S.28, m. w. N., mit dem Vorschlag, den Ausländer im Verwaltungsrecht des Errichtungsstaates als Drittbetroffenen zu behandeln.
D. Bestimmung des völkerrechtlich Berechtigten
83
panz zwischen dem Geltungsbereich staatlicher Regelungen und dem Wirkungsbereich geregelter Anlagen kennzeichnend. Bei grenznahen Anlagen kann diese Diskrepanz besonders groß werden. Diese kann zwar partiell durch die erwähnte Möglichkeit zur Regelung von ausländischen Schäden durch das Recht des Errichtungsstaates relativiert, aber nicht beseitigt werden. Angesichts dieser Rechtslage erhalten rechtspolitische Erwägungen ein erhöhtes Gewicht, bei Genehmigungen von Anlagen in Grenznähe zu einer Gleichbehandlung von Inländern und auch betroffenen Ausländern zu kommen182• Ansätze gibt es in verschiedenen Rechtsordnungen und auch im europäischen Bereichl83 • Die mehrfach geforderte europäische Standortplanung i. S. einer Verständigung der europäischen Staaten über Standorte, insbesondere für Kernkraftwerke, bedarf im Prinzip einer individualrechtlichen Entsprechung. Neben der Einräumung einer Klagebefugnis für Ausländer wäre in den angrenzenden Gebieten an deren Beteiligung im Verwaltungsverfahren zu denken. Alles dies ist jedoch völkerrechtlich nicht geboten und dürfte nur bei Gegenseitigkeit zu erreichen sein. Im europäischen Bereich wäre die Harmonisierung der Rechtsordnungen bezüglich der Rechtsstellung von Ausländern in grenznahen Regionen die vernünftigste Konsequenzl84 • Im Ergebnis stehen die erwähnten völkerrechtlichen Unterlassungs-, Schutz-, Informations- und Konsultationsansprüche also der Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt zu (die ihrerseits nach innerstaatlichem Recht die Wahrnehmung der Ansprüche in gewissem Rahmen delegieren darf). Dies gilt im wesentlichen entsprechend für 182 Maus, S. 29; Fröhler/Zehetner, S. 92; Rest, Internationaler Umweltschutz und Haftung, 1978, S. 69; A. Weber, S. 330,336; - mit dem Problem des "equal right of access" befassen sich insbesondere einschlägige OECD-Empfehlungen und -aktivitäten; vgl. dazu Rest und A. Weber, jeweils ebd. sowie etwa Wildhaber, SchwJBIR 1975, S. 114, sowie die Angaben unten, Vierter Teil, Anm.129. Zur Rechtslage in anderen Ländern vgl. nur etwa Küppers, DVBl. 1978, S. 687 f.; eine partielle Gleichstellung von Franzosen und Luxemburgern mit Deutschen in Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz wird jetzt im Saarland praktiziert. Entsprechendes soll für die Behandlung von Saarländern in französischen Verwaltungsverfahren gelten; vgl. F.A.Z. vom 3.4. 1980, S. 13. 183 Vgl. die Nachweise bei Maus, S. 29; Fröhler/Zehetner, S. 92 f. 18' So auch Maus, S.29; vgl. auch A. Weber, S.336, mit Hinweis auf die diesbezüglichen OECD-Aktivitäten. Weber lehnt es überzeugend ab, daß stets der für den Umweltschutz günstigeren (d. h. höhere Sicherheitsstandards aufweisende) Rechtsordnung bei grenznahen Kraftwerken Vorrang gebührt. Deshalb ist es konsequent, wenn er (Anm. 76) die Ansicht verwirft, es "könnte sich der deutsche Nachbar eines in Frankreich errichteten Kernkraftwerks auf deutsches materielles Atomrecht berufen - einen höheren Sicherheitsstandard der deutschen Kernkraftwerke einmal unterstellt".
84
1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
die Wahrnehmung der noch zu erörternden mitgliedschaftlichen EGrechtlichen Ansprüche, die sich gegen anderen Mitgliedstaaten oder gegen die EG-Kommission richten. Auch hier ist vom völker- bzw. europarechtlichen Standpunkt aus die Bundesrepublik Deutschland Träger der entsprechenden EG-mitgliedschaftlichen Ansprüche und grundsätzlich zu ihrer Wahrnehmung befugt.
E. Wahrnehmung der völkerrechtlichen Ansprüche I. Informations- und Konsultationsansprüche Die der Bundesrepublik Deutschland bezüglich des Projekts Cattenom zustehenden Informations- und Konsultationsansprüche werden dadurch geltend gemacht, daß die Bundesrepublik bei der Französischen Republik um derartige Informationen bzw. Konsultationen nachsucht (obwohl - wie erwähnt - der Errichtungsstaat im Prinzip von sich aus informieren muß). Würde die Französische Republik trotz dieses Ersuchens derartige Informationen oder Konsultationen verweigern, wäre ein völkerrechtlicher Protest der Bundesrepublik geboten, um sich gegen ein solches völkerrechtswidriges Verhalten Frankreichs zu verwahren. Soweit ersichtlich, hat die Französische Republik aber die Bundesrepublik Deutschland in Sachen Cattenom - jedenfalls grundsätzlich - informiert und wohl auch partiell konsultiert. Ob dies in einer inhaltlich hinreichenden (insbesondere genügend konkreten) und umfassenden Form geschehen ist, kann hier mangels ausreichender tatsächlicher Kenntnis der Informationen und Konsultationen nicht beurteilt werden. Insbesondere muß hier offen bleiben, ob Frankreich die Bundesrepublik rechtzeitig über die nunmehr geplante quantitative Auslegung des Projekts Cattenom informiert hat und ob über diesen Ausbauplan Konsultationen (überhaupt bzw. in hinreichender Form) stattgefunden haben. Offizielle deutsche Äußerungen begründen insoweit Zweifel. 11. Schutz- und Unterlassungsanspruche Da aber jedenfalls überhaupt Informationen und Konsultationen stattgefunden haben, soll hier der Schwerpunkt auf die Frage gelegt werden, in welcher Weise die Bundesrepublik Deutschland etwaig bestehende Schutz- und Unterlassungsansprüche geltend machen müßte bzw. welche Rechtsfolgen das Unterlassen einer derartigen Geltendmachung hätte. Eine völkerrechtlich relevante Form der Geltendmachung von Schutz- und Unterlassungs ansprüchen ist - vor der noch
E. Wahrnehmung der völkerrechtlichen Anspruche
85
zu erörternden gerichtlichen Durchsetzung - vor allem die Rechtsverwahrung insbesondere in der Form des völkerrechtlichen Protests. 1. Wesen und Voraussetzungen des Protests
a) Der Protest gegen die Errichtung von Kernkraftwerken ist ein Weg, in dem Wirkungsstaaten (Nachbarstaaten) ihre völkerrechtlichen Positionen gegenüber dem Errichtungsstaat verdeutlichen, wahrnehmen und verteidigen können185 • Der völkerrechtliche Protest dient im allgemeinen dazu, einem Staat gegenüber einem anderen Staat die Möglichkeit vorzubehalten, die Rechtmäßigkeit eines bestimmten Sachverhalts, eines bestimmten Verhaltens bzw. einer bestimmten Sachlage oder eines Anspruchs zu bestreiten186 • Kunz 187 zählt noch ausdrücklich den "völkerrechtlichen Akt" hinzu, während generalisierend Verdross/Simma188 den völkerrechtlichen Protest gegen unrechtmäßige "Sachlagen" bzw. Seidl-Hohenveldern189 allgemein gegen unrechtmäßig "gesetzte Sachverhalte" eines dritten Staates zulassen. Beim Protest handelt es sich um ein einseitiges, selbständiges, auf Völkergewohnheitsrecht beruhendes, völkerrechtliches Rechtsgeschäft, das dem Staat die Wahrung seiner Rechte bei völkerrechtswidrigen Sachlagen, Verhalten, Akten bzw. Ansprüchen eines anderen Staates erlaubt. Die Protestfähigkeit ist ein Teil der völkerrechtlichen Rechtsund Handlungsfähigkeit eines Staates. Der Protest ist zugangsbedürftigl90 • b) Eine solche einseitige, selbständige Protesterklärung der Bundesrepublik Deutschland ist an bestimmte allgemeine Voraussetzungen gebunden. Der Protest muß "rechtsgültig" sein. Rechtsgültig ist jedoch nur ein berechtigter Protest, der zur "Wahrung" der "Rechte" des protestierenden Staates erhoben wird, d. h. dem protestierenden Staat müssen diese Rechte auch zustehen191 • Ferner muß der andere Staat, 185 Die bisher eingetretenen praktischen Fälle Protest skandinavischer Staaten gegen die Errichtung eines Kraftwerks im Norden der DDR, österreichs gegen ein schweizerisches Kraftwerk - (vgl. dazu Pelzer, ET 1975, S. 568) bestätigen teilweise Aspekte der hiesigen Maßstäbe (Streitpunkte waren beim DDR-Kraftwerk Standards, die möglicherweise unterhalb der internationalen Standards lagen und beim schweizerischen Kraftwerk ein Standort, bei dem Schäden überwiegend in österreich auftreten würden). 186 I. d. S. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, 1929, S. 264. 187 In: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd.2, 1961, S.812. 188 Universelles Völkerrecht, 1976, S. 342. 180 Völkerrecht, 3. Aufl. 1975, S.41, Rdn. 132. 190 Vgl. Kunz, S. 810. 191
Kunz, S. 811.
86
1. Teil:
Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
hier Frankreich, tatsächlich auch eine rechtlich als Völkerrechtsverletzung zu bewertende Handlung begangen haben192 • Im folgenden soll einmal unterstellt werden, daß Frankreich bezüglich Cattenom völkerrechtswidrig gehandelt hat (bzw. handeln wird) und der Bundesrepublik Deutschland entsprechende Schutz- und Unterlassungsansprüche zustehen. Das eventuelle völkerrechtswidrige Verhalten Frankreichs könnte dabei entsprechend den verschiedenen Entwicklungsstadien des Atomkraftwerkes Cattenom zu verschiedenen Zeitpunkten angesetzt werden, was Folgerungen für die noch zu erörternde Frage hätte, wann ein Protest eingelegt werden müßte. c) Unterstellt man bereits mit dem abgeschlossenen Genehmigungsverfahren bzw. mit dem bereits verwirklichten Baubeginn ein völkerrechtswidriges Verhalten Frankreichs und unterstellt man weiterhin, daß der Bundesrepublik aus diesem Tätigwerden konkrete völkerrechtliche Ansprüche gegen Frankreich zustehen, so ist für einen wirksamen Protest weiterhin zu prüfen, wer zu dessen Erhebung zuständig ist. Der Protest kann nur von Staat zu Staat erhoben werden. Zuständiges Völkerrechtssubjekt zur Protesterhebung ist damit die Bundesrepublik Deutschland, zuständiger Adressat Frankreich. Die Bundesrepublik Deutschland handelt dabei durch ihre zuständigen Organe des völkerrechtlichen Verkehrs193 • Unzuständig zur Erhebung eines wirksamen völkerrechtlichen Protests sind hingegen Privatpersonen, Vereinigungen, Institutionen und auch die Parlamentel94 und hier - wie erörtert - auch Bundesländer und kommunale Körperschaften. Ihre - bei Raumbezogenheit - zulässigen "Proteste" haben lediglich politische, nicht· aber völkerrechtliche Bedeutung. Im Ergebnis ist damit die Bundesrepublik Deutschland - vertreten durch die Bundesregierung - zur völkerrechtlich relevanten Protesterhebung zuständig, soweit damit deutsche Rechtspositionen wahrgenommen werden sollen. Dabei muß die zum Protest ermächtigende Beeinträchtigung nicht unbedingt eigene Rechte der Bundesrepublik Deutschland verletzen bzw. bedrohen. Es genügt vielmehr die objektive Bedrohung oder Verletzung allgemeingültiger Normen des Völkerrechts195 . d) Die rechtsfolgebegründende Protesterhebung setzt wie erwähnt - eine (völkerrechtsrelevante) Rechtsbeeinträchtigung voraus. Der willkürliche, unbegründete oder bloß formale Protest wird des192 193 1M
195
Kunz, S. 811. Kunz, S. 810. Anzilotti, S.264 Kunz, S. 811.
und Kunz, S.810.
E.
Wahrnehmung der völkerrechtlichen Anspruche
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halb zutreffend als völkerrechtlich unbeachtlich bezeichnetl96 • Im Falle eines Kernkraftwerks muß vorgetragen werden, daß die eingangs erwähnten Zulässigkeitsvoraussetzungen verletzt sind197 • Eine Berechtigung zur Erhebung eines begründeten Protests ist aber nicht erst bei eingetretener, sondern bereits bei drohender Rechtsverletzung anzunehmen. Eine solche drohende Rechtsverletzung ist nach Kunz schon immer dann gegeben, wenn von dem anderen Staat der Erlaß eines völkerrechtswidrigen Gesetzes oder der Abschluß eines völkerrechtswidrigen Vertrages erst geplant ist198 • Es dürfte damit naheliegend sein, auch eine Rechtsbeeinträchtigung der Bundesrepublik i. S. einer Bedrohung in der bereits erfolgten Planung des Atomkraftwerkes Cattenom zu erblicken. Den Akt der vorbereitenden Planung und Projektierung als solchen einmal beiseitelassend, wird man jedenfalls bereits die Verkündung der französischen Gemeinnützigkeitserklärung und die Erteilung der Baugenehmigung als hinreichende Ansätze für einen Protest ansehen können, weil in diesen Phasen - bei unterstellter Völkerrechtswidrigkeit - völkerrechtliche Schutz- und Unterlassungsansprüche verletzt oder unmittelbar gefährdet sein können. Weitere Ausgangspunkte völkerrechtswidrigen Verhaltens könnten mit Baubeginn, Erweiterung, Fertigstellung, Probe-Inbetriebnahme sowie mit der endgültigen Inbetriebnahme anzunehmen sein, die - bei unterstellter Völkerrechtswidrigkeit - stets Ansätze für völkerrechtliche Proteste sein könnten. e) Der Protest ist schließlich "fristgemäß" zu erheben, d. h. er ist innerhalb einer "angemessenen" Frist nach Bekanntgabe der Umstände zu erheben, die eine Protest erhebung notwendig machen199 ; dies kann besonders hinsichtlich später mitgeteilter Ausbaupläne wichtig werden. Der Protest bedarf keiner bestimmten Form. Es gibt weder bestimmte Regeln über seine äußere Form, noch über seinen Inhalt. Er besitzt einen gewissen öffentlichen Charakter. Er bedarf der unzweideutigen präzisen Formulierung, meist unter Angabe von Rechtsgründen 20o •
Pelzer, ET 1975, S.568, m. w. N. Weitergehend: Pelzer, S. 568: "Beachtlich ist jedoch der Protest, mit dem begründet geltend gemacht wird, daß die Kernanlage sich in erheblicher Weise schädigend auf das eigene Staatsgebiet auswirkt oder auswirken würde". 198
197
198 199 200
Kunz, S. 811. v. Münch, Völkerrecht, 1971, S.117. Kunz, S. 811.
88
1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke 2. Verpflichtung zur Protesterhebung
Abgesehen von besonderen übereinkommen ist die Protesterhebung im Normalfall regelmäßig in das "Belieben" des einzelnen Staates gestellt201 • Auch nach Seidl-Hohenveldern202 besteht keine generelle Pflicht zur Protesterhebung, d. h. also keine Verpflichtung, gegen jedes völkerrechtswidrige Verhalten eines Staates Protest zu erheben, sondern nur eine Berechtigung zur Protesterhebung. Der Grundsatz: Wer schweigt, stimmt zu, gilt im Völkerrecht zwar nicht allgemein203, hat aber gerade bei der stillschweigenden Hinnahme grenznaher Kernkraftwerke besondere Bedeutung204. Eine Protestverpflichtung für die Bundesrepublik Deutschland bestünde jedoch dann, wenn der Gedanke des Vertrauensschutzes im Völkerrecht200 einen Protest notwendig werden ließe. Das wäre dann anzunehmen, wenn nach Lage des Falles bzw. nach besonderen Umständen (z. B. aus vorangegangenem Tun) ein Protest zu erwarten gewesen wäre, insbesondere - aber nicht nur wenn Frankreich das Vorhaben Cattenom der Bundesrepublik angezeigt bzw. eine echte Notifikation vorgelegt hätte. Wären "wichtige Interessen" der Bundesrepublik berührt worden und hätte sie davon Kenntnis gehabt, aber trotzdem dazu geschwiegen, besteht die noch zu erörternde Gefahr des "Verschweigens" mit der eventuellen Folge des Untergangs völkerrechtlicher Ansprüche. 3. Verpflichtung zur Protesterhebung beim Projekt Cattenom
Die mögliche rechtsvernichtende Konsequenz des Verschweigens macht deutlich, daß eine etwaige "Pflicht" zur Rechtsverwahrung, insbesondere zur Protesterhebung im Grunde nur eine Obliegenheit ist, bei deren Verletzung Rechtsnachteile eintreten können. Eine solche "Pflicht" zur Protesterhebung betreffend das Kernkraftwerk Cattenom ist unabhängig davon gegeben, ob seitens Frankreichs eine bloße "Anzeige" des Vorhabens oder eine förmliche "Notifikation" vorliegt, wenn nur Frankreich die Unterlassung der Protesterhebung als Einverständnis der Bundesrepublik mit der Errichtung des Kernkraftzentrums Cattenom deuten durfte.
Anzilotti, S. 264. S. 41, 42. 203 Seidl-Hohenveldern, S. 42. 204 Randelzhojer/Simma, S.167, gehen davon aus, daß auch bei den von ihnen als völkerrechtswidrig betrachteten - grenznahen Kernkraftwerken der Satz "qui tacet consentire dum loqui potuit ac debuit" gilt; zustimmend Pelzer, ET 1975, S. 568; Fröhler/Zehetner, S.89. 205 J. P. Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971. 201 202
E. Wahrnehmung der völkerrechtlichen Anspruche
89
a) Die bloße Anzeige der Französischen Republik, ein Atomkraftwerk bauen bzw. erweitern etc. zu wollen (im Sinne einer formlosen Mitteilung), würde bereits nicht nur eine in das Belieben gestellte Berechtigung der Bundesrepublik, sondern hier - zur Vermeidung völkerrechtlicher Nachteile - bereits eine Verpflichtung zur Protest erhebung (im Sinne einer völkerrechtlichen Obliegenheit) auslösen, wenn sich schon aus der Mitteilung ergäbe, daß die Realisierung der mitgeteilten Pläne - z. B. wegen Nicht-Einhaltung internationaler Standards Völkerrecht verletzen würde206 • b) Besonders eine Notifikation von seiten Frankreichs an die Bundesrepublik würde unmittelbar eine Verpflichtung derselben zur Protester hebung auslösen (im Sinne einer Obliegenheit), wenn sich hieraus die deutliche Möglichkeit einer völkerrechtswidrigen Errichtung oder Betreibung eines Kernkraftwerkes ergäbe. Unter einer Notifikation versteht man dabei die regelmäßig durch diplomatische Note erfolgende amtliche Mitteilung einer völkerrechtlichen Tatsache 207 , an deren Zurkenntnisbringung das Völkerrecht meist gewisse Rechtsfolgen knüpft, die aber auch in der betreffenden Notifikation selbst näher umschrieben sein können. Die Notifikation kann entweder aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen (obligatorisch) oder freiwillig (fakultativ) erfolgen208 • Sollte eine solche Notifikation hinsichtlich der Errichtung des Atomkraftwerkes Cattenom durch den französischen Staat abgegeben worden sein, so müßte die Bundesrepublik gegen diese Mitteilung zwingend Protest einlegen. Anderenfalls würde sie ihre Ansprüche, die ihr aus dem unterstellt völkerrechtswidrigen Verhalten Frankreichs zustehen, nicht wahren können.
206 Auch aus einer innerstaatlichen Erwägung des nationalen Verfassungsrechts könnte sich ein zusätzliches Argument für eine Protestverpfiichtung ergeben: Nähme man die völkerrechtsverletzende Handlung des französischen Staates mit abgeschlossener Planung oder auch erst mit Baubeginn an und unterstellte man ferner entsprechende Ansprüche der Bundesrepublik aus diesem rechtswidrigen Verhalten, so handelte es sich u. U. in diesem Falle um eine für die Protesterhebung ausreichende Rechtsbeeinträchtigung durch Bedrohung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Bundesbürger. Da hier aber die "herausragenden" Schutzgüter Leben und Gesundheit der Menschen auf dem Spiel stünden, wären insoweit essentielle Interessen der gefährdeten Menschen betroffen, so daß u. U. - verfassungsrechtlich - bei dieser besonderen Sachlage eine Protesterhebung von seiten der Bundesrepublik zu erwarten wäre. Einem grundrechtsabgeleiteten Anspruch auf Protesterhebung stünde aber regelmäßig wohl doch die Weite des außenpolitischen Ermessens der Bundesregierung entgegen (siehe auch Zweiter Teil, IV). 207 von Haeften, in: Strupp!Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 2, 1961, S.633. 208 Anzilotti, S. 262; von Haeften, S. 633.
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
c) Auf eine möglicherweise erfolgte Erklärung Frankreichs gegenüber der Bundesrepublik, es halte die Errichtung Cattenoms für völkerrechtsgemäß, kommt es für eine etwaige Verpflichtung zur Erhebung eines rechtswirksamen Protestes hingegen nicht an. Entscheidend ist - das Vorliegen der anderen Protestvoraussetzungen unterstellt allein, ob Frankreich objektiv eine völkerrechtswidrige Handlung begangen hat oder dabei ist, eine solche zu begehen. Nähme man eine solche mit abgeschlossener Planung bzw. Baubeginn des Atomkraftwerkes Cattenom an, so wäre auch bei einer entgegenstehenden (subjektiven) Erklärung Frankreichs die Bundesrepublik Deutschland zur Protesterhebung verpflichtet. d) Auch bei Nicht-Informierung der Bundesrepublik durch den französischen Staat wäre diese zur Protesterhebung verpflichtet gewesen, wenn sie - für Frankreich erkennbar - auf andere Weise von der Errichtung erfahren hätte und ihr Verhalten als Einverständnis mit dem Kernkraftwerk Cattenom gedeutet werden könnte. Die mögliche Bedrohung hervorragender Schutzgüter wie Leben und Gesundheit der Bundesbürger kann allenfalls - in seltenen Ausnahmefällen - zu einer innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Pflicht zur Protesterhebung führen209 • Völkerrechtlich entscheidend ist aber, ob das Schweigen der Bundesrepublik zu (unterstellt) völkerrechtswidrigen Kernkraftanlagen in Grenznähe als Zustimmung bewertet werden darf. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Völkerrechtswidrigkeit evident ist. Woher die Bundesrepublik das Wissen hat, ist also letztlich für die rechtliche Beurteilung irrelevant, wenn die Kenntnis der Bundesrepublik bekannt ist und eine Protesterhebung erwartet werden konnte. Jede Art der Kenntnisnahme genügt, insbesondere der Fall der allgemeinen Notorietät im Sinne von allgemeiner Offenkundigkeit210 • 4. Rechtsfolgen des erhobenen Protests
Der erhobene Protest schließt zunächst einmal - allgemein - die Bildung von Gewohnheitsrecht und die Möglichkeit einer Ersitzung aus211 • Ferner dient - wie erwähnt - der erhobene Protest dazu, die völkerrechtswidrige Haltung abzustellen und die sich aus diesem rechtswidrigen Verhalten ergebenden Ansprüche zu wahren - also zur Rechtserhaltung. Wäre ein Protest durch die Bundesrepublik Deutschland erhoben, und setzte der französische Staat sein (unterstellt) völkerrechtswidriges 20D
210 211
Siehe auch Anm. 206 sowie Zweiter Teil, IV.
Kunz, S. 811. Seidl-Hohenveldern, S. 41.
E. Wahrnehmung der völkerrechtlichen Ansprüche
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Verhalten - Weiterbau bzw. später: Betreibung des Atomkraftwerkes - fort, so bedürfte es der Wiederholung des Protestes und evtl. - in der Praxis aber kaum üblich - eines mit Sanktionen gekoppelten Verhaltens 212 • Ferner kann sich der protestierende Staat ausdrücklich weitere Schritte vorbehalten, z. B. Aufnahme unmittelbarer Verhandlungen oder - was bezüglich Cattenoms allerdings (wie noch zu zeigen sein wird) ausscheidet - die Anrufung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen oder des IGH 213 • 5. Rechtsfolgen des unterlassenen Protests
Die Rechtsfolgen eines durch die Bundesrepublik unterlassenen Protestes im Falle des Atomkraftwerkes Cattenom kämen bei deren Verpflichtung zur Protesterhebung weitgehend einer Aufgabe ihrer Ansprüche gleich, wenn die Bundesrepublik nicht auf andere unmißverständliche Weise gegenüber Frankreich ihren Rechtsstandpunkt verdeutlicht hätte. Der Rechtscharakter dieser Aufgabe, dieses Unterlassens einer Protesterhebung, wird in der Literatur unterschiedlich bewertet. Nach Seidl-Hohenveldern214 wäre ein Schweigen der Bundesrepublik gegenüber dem Verhalten des französischen Staates eine "Anerkennung", von Münch 215 hingegen charakterisiert das Unterlassen eines notwendigen Protestes als "Verzicht". Ähnlich, aber vielgestaltiger, erblickt Kunz 216 in dem Unterlassen eines Protestes eine notwendige Zustimmung, ein Sich-Fügen (acquiescence), das einem Verzicht auf ein Recht gleichsteht. Schließlich kann nach Verdross / Simma217 der Staat bei rechtswidrig unterlassenem Protest später seinen behaupteten Anspruch nicht mehr geltend machen, da er "estopped" sei, d. h. der Staat wird an die Erwartungen gebunden, die er durch sein eigenes Verhalten geweckt hat. Dies führt hinüber zu der grundsätzlichen Frage, nach den Rechtsfolgen einer stillschweigenden Hinnahme einer völkerrechtswidrigen Errichtung und Betreibung eines Kernkraftwerkes. Diese Frage wird sogleich zu erörtern sein.
212 213
v. Münch, S. 117.
Thode, in: Menzel/lpsen, S.89.
S.42. S.117. m S.811. 217 S. 342; ferner J. P. Müller, S. 5 ff.; Thode, S.88, 89.
!14 215
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
III. Verlust der völkerrechtlichen Ansprüche 1. Grundüberlegung
Mit der Erörterung der Rechtsfolgen der Unterlassung eines gebotenen Protestes ist bereits übergeleitet zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen etwaig bestehende Unterlassungs- und Schutz ansprüche untergegangen wären bzw. nicht mehr geltend gemacht werden könnten. Grundsätzlich ist dabei davon auszugehen, daß auch hier der Grundsatz "volenti non fit iniuria" gilt218 • Der Wirkungsstaat verliert also seine Unterlassungs- und Schutzansprüche gegen die völkerrechtswidrige Errichtung und Betreibung eines Nicht-Binnen-Kernkraftwerks, wenn er dem Errichtungsstaat gegenüber seinen Verzicht auf etwaige Ansprüche bzw. seine Zustimmung erklärt oder die Hinnahme versprochen (bzw. den Anschein einer Zustimmung erweckt) hat. Ob tatsächlich eine Zustimmung ete. in völkerrechts relevanter Weise von der deutschen Bundesregierung erklärt worden ist - z. B. in den Gesprächen zwischen dem Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten219 - , kann hier nicht beantwortet werden (müßte aber gegebenenfalls den betroffenen Bundesländern mitgeteilt werden). Erklärungen von deutschen Beamten und Sachverständigen in den erwähnten Sachverständigengremien könnten jedenfalls nicht als völkerrechtlich bindende Erklärungen gewertet werden. Im Hinblick auf das Projekt Cattenom ist seitens der Bundesrepublik ein Verzicht, eine Zustimmung, ein Hinnahmeversprechen oder eine stillschweigende Hinnahme möglich. 2. Verzicht
Für den völkerrechtlichen Verzicht gibt es kein bestimmtes Formerfordernis 220 • Ein völkerrechtlicher Verzicht der Bundesrepublik auf völkerrechtliche Ansprüche bzgl. des Pojekts Cattenoms bedürfte deshalb keiner bestimmten Form. Er könnte ausdrücklich221 und durch 218 Siehe dazu Randelzhofer/Simma, S.395; insoweit zustimmend Pelzer, ET 1975, S. 568. 219 Nach Darstellung der Bundesregierung hat der Bundeskanzler im deutsch-französischen Gipfelgespräch im Februar 1980 den französischen Staatspräsidenten auf die Besorgnisse der deutschen Bevölkerung im Grenzgebiet hingewiesen, ohne daß jedoch besondere Vereinbarungen getroffen worden seien. 120 Engelhardt, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd.3, 1962, S. 587. 221 Verdross/Simma, S.343 und ferner i. d. S. IGH im Falle Certain Norwegian Loans, I.C.J. Rep. 1956, S.26 (l'abandon) " ... doit etre declare expressement ... ".
E. Wahrnehmung der völkerrechtlichen Ansprüche
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schlüssige Handlung erklärt werden222 . Ein stillschweigender Verzicht darf jedoch nicht vermutet werden223 . Durch die Verzichts erklärung wird ein bestimmter bestehender Anspruch bzw. eine Rechtsposition - ohne Gegenleistung - aufgegeben, mit der Rechtsfolge, daß der Anspruch bzw. die Rechtsposition untergehen224 . 3. Zustimmung
Das zum Verzicht Gesagte gilt entsprechend auch für eine ausdrückliche Zustimmung, für die eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben ist. Die Rechtsfolgen bestehen darin, daß etwaige Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche (bei vorheriger Zustimmung) nicht bestehen bzw. (bei nachträglicher Zustimmung) untergehen. 4. Hinnabmeversprechen
Möglich wäre auch die Abgabe eines völkerrechtlichen Versprechens. Dieses könnte nämlich nicht nur als positives Handlungsversprechen abgegeben werden, sondern auch negativ gefaßt sein und darin bestehen, zu einer bestimmten Frage bzw. der Durchführung eines bestimmten Vorhabens "keine Schwierigkeiten" zu machen. In diesem Sinne hat z. B. der StIGH im Ostgrönlandfall die einseitige Zusicherung des norwegischen Außenministers gewertet, "in der Grönlandfrage keine Schwierigkeiten zu machen"225. Selbst wenn man die Bedenken von Verdross/Simma226 teilte, und in der Erklärung des norwegischen Außenministers vom 22. Juli 1919 lediglich "eine Antwort auf eine dänische Demarche" sehen wollte, so läßt sich nicht verkennen, daß der Begriff einer "Antwort" auf einen mündlich vorgetragenen diplomatischen Einspruch für sich allein betrachtet juristisch als irrelevant zu qualifizieren ist. Gegen eine solche juristische Irrelevanz spricht allerdings das von Verdross/Simma angeführte Zitat aus dieser Entscheidung, mit dem dieser Antwort gerade Bindungswillen beigelegt wird227 . Unabhängig von diesem speziellen Fall bejaht die überwiegende Ansicht eine "Einverständniserklärung" in der Einkleidung eines völkerrechtlichen Versprechens heute immer dann, 222 223
Engelhardt, S. 587. Engelhardt, S. 588; VerdrosslSimma, S.343 sowie IGH, S.26, "L'abandon
ne saurait etre presume ... ". 224 Thode, in: Menzel/Ipsen, S.89. 225 Vgl. PCIJ, Sero AlB, Nr. 53; zustimmend Thode, S.88. 226 S. 343 f. 2a7 PCIJ Sero AlB Nr. 53, S. 71 ff.: "a reply of this nature ... is binding" .
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
-
wenn sich aus der Erklärung ein klarer Verpflichtungswille ergibt228 ,
-
der versprechende Staat eine solche Verbindlichkeit begründen wollte229 und der andere Staat sein Verhalten nach dieser Erklärung orientiert (hat)230.
Die Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Einverständniserklärung in der Gestalt eines völkerrechtlichen Versprechens besteht damit also letztlich darin, das Vertrauen, das ein anderer Staat einer solchen Erklärung entgegenbringt, zu schützen231 • Unterstellt, es läge eine solche Einverständniserklärung der Bundesrepublik i. S. eines völkerrechtlichen Versprechens mit dem Inhalt vor, den Ausbauplänen Cattenoms nicht hinderlich entgegenzustehen, so gingen evtl. bestehende Ansprüche der Bundesregierung nicht von vornherein unter. Die Hinnahmeerklärung würde aber zumindest die Ausübung der völkerrechtlichen Ansprüche hindern, wobei der Umfang des "Ausübungsverzichts" wiederum vom inhaltlichen Umfang eines tatsächlich abgegebenen Versprechens abhängig wäre. Die Erklärung eines solchen Versprechens wäre unabhängig von der ausdrücklichen Akzeptierung bzw. Annahme Frankreichs. Entscheidend wäre lediglich, daß sich die Bundesrepublik Deutschland zu einem bestimmten Verhalten verpflichten Will232 • Im Ergebnis könnte damit eine evtl. "Einverständniserklärung" theoretisch ein völkerrechtliches Versprechen darstellen, wenn die hierbei erforderlichen Voraussetzungen erfüllt wären. Eine Einverständniserklärung i. S. eines völkerrechtlichen Versprechens wäre wie alle einseitigen Völkerrechtshandlungen formlos gültig, würde aber in der Praxis meist in Schriftform, häufig notifiziert, damit also amtlich i. d. R. durch diplomatische Note mitgeteilt werden. 5. Stillschweigende Hinnahme
Unterstellt, der Bundesrepublik stünden gegen Frankreich bezüglich der Errichtung und des Betriebs des Kernkraftwerks Cattenom völkerrechtliche Ansprüche auf Unterlassung bzw. auf Ergreifung von (allgemeinen) Sicherheitsrnaßnahmen zur Erreichung internationaler 228 Vgl. i. d. S. BaUadore Pa Hieri, Diritto internazionale pubblico, 8. Aufl. 1962, S. 326. 229 Verdross/Simma, S. 344. 230 Verdross/Simma, S. 344. 231 Vgl. hierzu Verdross/Simma, S.344; J. P. MüUer, S. 20 ff., m. w. N. 232 Zur Annahmeunabhängigkeit des Versprechens vgl. ICJ Rep. 1974, S. 267 und 472.
E. Wahrnehmung der völkerrechtlichen Anspruche
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Sicherheitsstandards zu, so wäre sie - wie erwähnt - unter den geschilderten Voraussetzungen zur rechtserhaltenden Wahrung ihrer Ansprüche zur Protesterhebung verpflichtet. Das Schweigen der Bundesrepublik könnte als konkludenter Verzicht oder über den Gedanken der acquiescence zu einem Verlust der entsprechenden völkerrechtlichen Ansprüche führen (oder geführt haben). a) Denkbar ist zunächst ein konkludenter Verzicht. Durch das Unterlassen einer gebotenen Protesterhebung, d. h. durch obliegenheitswidriges Schweigen könnte die Bundesrepublik auf die Erhaltung ihrer einmal unterstellten Rechtspositionen konkludent verzichten, mit der Folge, daß diese untergehen würden233 • Allerdings müssen zusätzliche Umstände hinzukommen, welche die Annahme eines "schlüssigen" Verzichts - d. h. eine konkludente Willenserklärung - sicher erscheinen lassen. Verhandelt z. B. die Bundesrepublik nur noch um Einzelheiten der Folgen eines Kraftwerks, ohne die prinzipielle Zulässigkeit in Frage zu stellen, dann ist daraus ein stillschweigendes Einverständnis mit der Errichtung überhaupt zu entnehmen, jedenfalls, soweit noch eine Einigung über die einzelnen noch bestehenden Verhandlungspunkte erzielt wird234 • b) Wichtiger ist der völkerrechtliche Gesichtspunkt der acquiescence235 • Auch wenn sich eine konkludente Willenserklärung nicht nachweisen lassen sollte, könnte sich bei Unterlassung eines gebotenen Protestes unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes im Völkerrecht236 , insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Estoppel-Prinzips und der Lehre der acquiescence, etwas anderes ergeben. Acquiescence im Rechtssinne ist als Stillschweigen gegenüber einem fremden Rechtsanspruch zu verstehen, was sich in solcher Weise manifestiert, daß die Zur Geltung des Satzes: Wer schweigt, stimmt zu, siehe oben EIl 2. Nach Zeitungsmeldungen (Trierischer Volksfreund vom 19. 8. 1980, S.4) soll die zu mehr als 75 Prozent dem Land Baden-Württemberg gehörende Badenwerk AG sich - ähnlich wie im Fall des Kraftwerks Fessenheim - ein Bezugsrecht von 130 Megawatt beim Kernkraftzentrum Cattenom gesichert haben. Völkerrechtlich ist dieser Vorgang irrelevant und kann insbesondere nicht als konkludente(r) Zustimmung bzw. Verzicht gewertet werden, weil das Handeln eines (privatrechtlichen) öffentlichen Unternehmens - jedenfalls soweit keine hundertprozentige Beteiligung des Staates vorliegt - rechtlich nicht ohne weiteres der tragenden Gebietskörperschaft (hier: BadenWürttemberg) zugerechnet werden kann. Selbst wenn aber solche Zurechnung an die Gebietskörperschaft erfolgte, ist davon auszugehen, daß ein Bundesland grundsätzlich keine völkerrechtlich relevanten Erklärungen für die Bundesrepublik Deutschland abgeben kann (siehe oben D II und unten Zweiter Teil I und II). 235 Allgemein zur Problematik der acquiescence bei der Hinnahme grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen Fröhler/Zehetner, S. 80 f. 2S8 Grundlegend dazu J. P. Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971. 283
ZS4
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
passive Haltung nach Treu und Glauben nur als stillschweigende Anerkennung verstanden werden kann237 • Dieses qualifizierte (nur als Zustimmung deutbare) Sich-Fügen238 im Rahmen eines Verschweigens bei Unterlassung des nicht protestierenden Staates wird vom IGH im britisch-norwegischen Fischereistreit239 und im Minquiers- und EcrehosFall240 so behandelt, als habe dieser zugestimmt24\ damit also als konkludente Zustimmung, die rechtlich einem Anerkenntnis gleichkommt242 • Da die acquiescence kein selbständiges Rechtsgeschäft ist, sondern eine Art Anerkennung durch passive Hinnahme eines Zustandes, sind im wesentlichen die allgemeinen Rechtsfolgen der Anerkennung entsprechend anzuwenden243• Die Anerkennung hat in erster Linie "Klarstellungsfunktion". Sie legitimiert eine Rechtsposition bzw. einen Rechtsanspruch hinsichtlich seiner Wirksamkeit, nicht aber zwingend auch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit zumindest soweit kein Verstoß gegen das völkerrechtliche ius cogens vorliegt244 • Da die Anerkennung keiner bestimmten Form bedarf245 , stehen auch Formerwägungen der Annahme einer konkludenten Anerkennung (bzw. acquiescence) nicht entgegen. Ob bereits ein Rechtsverlust durch acquiescence bezüglich des Projekts Cattenom anzunehmen ist, kann hier mangels Kenntnis des tatsächlichen Vorgehens der Bundesregierung gegenüber Frankreich nicht entschieden werden. Immerhin ist zu bedenken, daß die Realisierung des Kernkraftwerks Cattenom noch nicht beendet ist und seine Inbetriebnahme noch nicht begonnen hat, abgeschlossene Vertrauenstatbestände also bisher nicht vorliegen und ihr Entstehen durch entsprechende deutliche Darlegungen der Bundesregierung noch verhindert werden kann. Mindestens bezüglich der erst kürzlich angekündigten Erweiterung des Kernkraftwerks Cattenom wird bisher ein Rechtsverlust kraft acquiescence mit Sicherheit auszuschließen sein.
J. P. MüHer, S.38. Kunz, S. 811. 239 I.C.J. Rep. 1951, S. 116. 240 I.C.J. Rep. 1953, S. 47. 241 Thode, S. 89. 242 Seidl-Hohenveldern, S. 42. 243 Wohl auch Verdross/Simma, S. 342, m. w. N. 244 Siehe Verdross/Simma, S. 341; v. Münch, S.113. 245 Verdross/Simma, S.342, 343; Wehser, in: Menzel/lpsen, Völkerrecht, 2. Auf!. 1979, S.143; vgl. Schaumann, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 1, 1960, S. 51. 237
238
E. Wahrnehmung der völkerrechtlichen Ansprüche
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IV. Gerichtliche Durchsetzung Völkerrechtliche Fragen um ein Nicht-Binnenkraftwerk, insbesondere um ein grenznahes Kernkraftwerk, d. h. hierauf bezogene völkerrechtliche Unterlassungs-, Schutz-, Konsultations- und Informationsansprüche, können nicht nur in nichtrichterlicher Streitbeilegung (durch Verhandlungen, Vermittlungen, Kommissionsaktivitäten etc.)246 erörtert, sondern an sich typischerweise auch zum Gegenstand eines Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof gemacht werden247 . Gleichwohl ist im Falle eines deutsch-französischen Streits um das Kernkraftwerk Cattenom eine Zuständigkeit des IGH nicht gegeben. Nach dem für die Zuständigkeit des IGH maßgeblichen Konsensprinzip 248 ist seine Zuständigkeit nur gegeben, wenn in einem Verfal1.ren alle beteiligten Staaten - sie allein können als Partei vor dem IGH auftreten (Art. 34 IGH-Statut) - dies vereinbart bzw. die Zuständigkeit des IGH anerkannt haben 249. Eine spezielle ausdrückliche Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und Frankreich bezüglich der Klärung völkerrechtlicher Fragen im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Betrieb des Kernkraftwerks Cattenom im besonderen oder der Errichtung grenznaher Kernkraftwerke im allgemeinen besteht nicht. Das europäische Übereinkommen vom 29. April 1957 zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten vom 2. März 1961 (BGBL II 1961, S. 81) sieht zwar eine Vorlagepflicht an den IGH bei völkerrechtlichen Streitigkeiten zwischen den vertragschließenden Parteien vor, jedoch ist dieses Übereinkommen von Frankreich nur unterzeichnet, nie aber ratifiziert worden25{). Prinzip V der KSZE-Schlußakte vermag als bloße Absichtserklärung auch keine Zuständigkeit des IGH zu begründen. Schließlich hat Frankreich seine ursprünglich gegebene Unterwerfungserklärung gemäß Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut, welche die Zuständigkeit des IGH auch für Frankreich begründet hatte, 1974 zurückgezogen 25 \ was völkerrechtlich unbedenklich ist. Insoweit ist eine ZustänFröhler/Zehetner, S. 108 ff. Die aus dem Zustand des materiellen Völkerrechts abgeleiteten Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit des IGH in Fragen des Umweltvölkerrechts wegen dessen Unbestimmtheit (Steiger, Scupin-Festschrift, 1974, S. 387, Anm. 156) werden mit zunehmender Verdichtung des Umweltvölkerrechts verblassen. 248 Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, 3. Bd., 2. Aufl. 1977, S.74. 249 Berber, S.74; vgl. allgemein auch Fröhler/Zehetner, S. 116 ff. 250 Annuaire Europeen 1978, S. 350. 251 Annuaire fran~ais de droit international 1975, S. 1073; Dhommeaux, Revue politique et parlementaire 77, S. 36. 246
247
7 Kloepfer/Kohler
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1. Teil: Völkerrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
digkeit des IGH in Streitigkeiten gegen Frankreich aufgrund einer Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut heute nicht mehr gegeben. Die fehlende Zuständigkeit des IGH schließt - im Rahmen der jeweils begründeten Kompetenzen - die Zuständigkeit anderer internationaler Gerichte - hier des Schiedsgerichts nach dem Moselvertrag - bzw. supranationaler Gerichte - des EuGH - nicht aus. Die Bundesregierung könnte sich im übrigen politisch darum bemühen, daß sich Frankreich noch zu bildenden Schiedsgerichten unterwirft.
Zweiter Teil
Verfassungsrechtliche Fragen der Wahrnehmung völkerrechtlicher Positionen bei grenznahen Kernkraftwerken I. Zuständigkeit des Bundes Nach deutschem Verfassungsrecht ist die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten die Sache des Bundes (Art. 32 Abs. 1 GG). Eine verfassungsrechtlich erwähnte Ausnahme enthält lediglich Art. 32 Abs. 3 GG, wonach die Länder im Rahmen ihrer Zuständigkeiten mit Zustimmung der Bundesregierung mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen können 1 • Hinsichtlich kernenergierechtlicher Regelungen hat der Bund seine Zuständigkeit aus Art. 74 Nr. 11 a GG (bis auf Zuständigkeitsregelungen) ausgeschöpft, so daß bereits von daher Art. 32 Abs. 3 GG verschlossen bleibt. Soweit daneben vor allem raumordnerische, landesplanerische, bauordnungsrechtliche und wasserrechtliche Maßnahmen in Betracht kommen, ist angesichts der begrenzten Kompetenzen des Bundes in den Art. 74 Nr. 18, 75 Nr. 4 GG nicht von vornherein und gänzlich eine bestehende partielle Gesetzgebungszuständigkeit der Länder zu verneinen (wobei an dieser Stelle die Frage nach der verfassungsrechtlichen Relevanz eines etwaigen Kompetenzschwerpunkts außer Betracht bleiben soll). Besonders hinsichtlich des gerade für die Standortfrage (auch) wesentlichen Aspekts der Landesplanung und der Wasserwirtschaft können einschlägige Länderzuständigkeiten gleichfalls unter dem Aspekt von Art. 32 Abs. 3 GG bedeutsam werden, der entsprechend auch für die ausführungsbedürftigen Teile der Rahmengesetzgebung gilt. Da hier jedoch kein Staatsvertrag angestrebt wird, kann von daher Art. 32 Abs. 3 GG unmittelbar auf diese Randzuständigkeiten nicht angewandt werden. 1 Allgemein zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge im Bundesstaat vgl. etwa Bernhardt, Der Abschluß völkerrechtlicher Verträge im Bundesstaat, 1957; Steinberger, ZaöRV 1967, S. 411 ff.; Blumenwitz, Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge, 1972; Bothe, AöR 102 (1977), S. 74 ff. . Zur Völkerrechtssubjektivität der Bundesländer siehe oben Erster Teil, DII.
100
2. Teil: Verfassungs rechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Freilich stellt sich die Frage, ob Art. 32 Abs. 3 GG so eng zu verstehen ist, daß er sich nur auf den Abschluß völkerrechtlicher Staatsverträge bezieht. Der Unterschied des Wortlauts von Art. 32 Abs. 1 GG einerseits und Art. 32 Abs. 3 GG andererseits legt es zunächst nahe, in Art. 32 Abs. 3 GG keine Zuständigkeit zur allgemeinen Pflege auswärtiger Beziehungen in den jeweiligen Gesetzgebungszuständigkeitsbereichen zu sehen. Gleichwohl kann schwerlich bestritten werden, daß Art. 32 Abs. 3 GG auch die Möglichkeit zu vorvertraglichen Konsultationen erfaßt, weil nur so die Kompetenz nach Art. 32 Abs. 3 GG effektiv werden kann2 . Insoweit sind vor- und nachvertragliche Kontakte, und zwar aus der Notwendigkeit derartiger informeller Fühlungnahmen auch ohne vorherige Zustimmung der Bundesregierung gedeckt. In der Praxis wird dies sehr häufig auf die Pflege auswärtiger Beziehungen auf einem bestimmten Sachgebiet hinauslaufen. Im übrigen ist auch keinesfalls sicher, ob die von Art. 32 Abs. 3 GG nicht erfaßten Bereiche automatisch zu dem Zuständigkeits bereich des Bundes zählen oder inwieweit sie nach der allgemeinen Regel des Art. 30 GG in die Länderzuständigkeit fallen, ein insbesondere bei den Verwaltungsabkommen häufig diskutiertes Problem3 • Unbestritten ist demnach nur, daß Staatsverträge, die nicht unter Art. 32 Abs. 3 GG fallen, nur vom Bund abgeschlossen werden können. Umgekehrt steht für auswärtige fiskalische Verträge und Beziehungen, aber auch für Konkordate heute fest, daß diese von vornherein nicht von Art. 32 Abs. 3 GG erfaßt werden4 , mit der Folge, daß hier die Länder ohne Zustimmung des Bundes handeln dürfen. Dies könnte aber mit den Besonderheiten der Materie zu erklären sein, einem Gedanken, der z. B. auch auf rein politische Freundschaftsverbindungen (Städtepartnerschaften) übertragbar sein könnte. Insgesamt wird gleichwohl - vorbehaltlich der genannten Ausnahmen - die grundsätzliche Konkurrenzlösung zwischen Art. 30 GG und Art. 32 GG dazu führen, Maßnahmen staatlicher Außenbeziehungen, die nicht unter Art. 32 Abs. 3 GG subsumierbar sind, im Sinne einer Umkehr von Art. 30 GG im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten nach Art. 32 Abs. 1 GG anzusiedeln. Damit ist der Bund für auswärtige Angelegenheiten zuständig, soweit Art. 32 Abs. 3 GG den Ländern nicht ausdrücklich Zuständigkeiten verleiht 5 • Der Bund ist deshalb im vor2 Siehe dazu Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Stand: 1979), Art. 32, Rdn. 63, m. w. N. 3 Siehe dazu die übersichten bei Maunz, Rdn. 68 ff.; Rojahn, in: v. Münch, Grundgesetz-Kommentar, Bd.2, 1967, Rdn.31 zu Art. 32 GG. 4 Rojahn, Rdn. 30. 5 Rojahn, Rdn. 19, m. w. N.
II. Pflicht des Bundes zur Zuständigkeitswahrnehmung
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liegenden Falle z. B. auch zur Protesterhebung, zur Betreibung internationaler Gerichtsverfahren, zur Abgabe einseitiger völkerrechtlicher Erklärungen zuständig 6 • Im Prinzip fällt damit die Geltendmachung der hier interessierenden völkerrechtlichen Ansprüche in die Zuständigkeit des Bundes. Ist dem aber so, folgt hieraus, daß weder Rheinland-Pfalz oder das Saarland noch gar grenznahe Gemeinden und andere Kommunalkörperschaften von Rheinland-Pfalz oder des Saarlandes verfassungsrechtlich zur Geltendmachung der völkerrechtlichen Ansprüche befugt sind. 11. Pflicht des Bundes zur Zuständigkeitswahrnehmung 1. Allgemeines
Daraus ergeben sich aber nicht nur Rechte des Bundes, sondern zugleich auch Pflichten. Gerade aus der prinzipiellen Monopolisierung auswärtiger Zuständigkeiten beim Bund folgt nach innen, daß dieser bei ihrer Wahrnehmung nicht frei, sondern verfassungsrechtlich gebunden ist. Er ist insbesondere gehalten, auch die Interessen der von ihm nach außen mitvertretenen Länder (einschließlich ihrer Gliederungen und Bewohner) in gesamtstaatlicher Verantwortung zu vertreten. Diese verfassungsrechtliche Pflicht des Bundes, im Rahmen gesamtstaatlicher Verantwortung auch die Länderinteressen im internationalen Bereich wahrzunehmen, ist eine aus der Idee des Bundesstaates - in der konkretisierten Form des Bundestreueprinzips - folgende allgemeine, d. h. gegenüber allen Ländern gleichermaßen obliegenden Pflicht. Akzessorische allgemeine Informationspflichten (und ggfls. auch Konsultationspflichten) können hierbei aus dem Prinzip der Bundestreue folgen. In der skizzierten Weise ist der Bund also nach innen verfassungsrechtlich verpflichtet, seine Zuständigkeiten nach außen zu gebrauchen. Inaktivitäten und Zuständigkeitsmißbrauch können verfassungswidrig sein. Freilich dürfen die einschlägigen Pflichten des Bundes verfassungsrechtlich nicht zu eng, sondern immer vor einem durch die Verfassung eingeräumten außerordentlich weiten außenpolitischen Ermessen gesehen werden. Dieses außenpolitische Ermessen dürfte sich im allgemeinen nicht auf die Pflicht zur Ergreifung eines bestimmten Mittels reduzieren. Deshalb haben die Länder z. B. grundsätzlich keinen ver8 Dies kann aber nur soweit gelten, wie die Zuständigkeitsaufteilung in Art. 32 GG überhaupt reicht. Wie erwähnt, erfaßt sie fiskalische Beziehungen grundsätzlich nicht. Auch - hier interessierende - auswärtige Aktivitäten von Gemeinden sind nicht ohne weiteres von Art. 32 GG erfaßt, weil es im Prinzip nicht um völkerrechtliche Beziehungen geht. Hierauf wird noch einzugehen sein.
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2. Teil: VeI'fassungsrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
fassungsrechtlich begründbaren Anspruch auf Einlegung eines konkreten völkerrechtlichen Protests, wenn der Bund auf andere Weise seiner außenpolitischen Schutzpflicht nachkommen kann oder die Protest erhebung aus übergeordneten außenpolitischen Erwägungen inopportun ist. 2. Berübrung besonderer Verbältnisse eines Landes
Die aus dem Bundesstaatsprinzip, vor allem aus dem Gedanken des bundesfreundlichen Verhaltens folgende (u. a. den Ländern gegenüber obliegende) allgemeine Pflicht des Bundes zur Vertretung auch von Länderinteressen - freilich in gesamtstaatlicher Gebundenheit - nach außen (mit zusätzlichen Informationspflichten nach innen) konkretisiert· und verschärft sich noch, wenn besondere (es stärker als andere Länder betreffende) Verhältnisse eines Landes durch außenpolitische bzw. außengerichtete Maßnahmen des Bundes berührt werden. Hier gibt es dann spezifische Anhörungs- bzw. u. U. auch verfassungsrechtliche Abstimmungspflichten mit den besonders betroffenen Ländern. Art. 32 Abs. 2 GG bestätigt dies für den konkreten Fall von Staatsverträgen, die besondere Interessen einzelner Länder berühren. Die hier genannte Pflicht zur Anhörung der Länder ist nur ein Ausdruck einer gesteigerten Rücksichtnahme des Bundes bei seinen außenpolitischen Aktivitäten, soweit sie sich auf . ein Land . besonders auswirken. Der dem Art. 32 GG zugrundeliegende Grundgedanke - besondere Rücksichtnahme des Bundes bei besonderer Betroffenheit von einzelnen Ländern - läßt über den Verfassungswortlaut hinaus zwei Ausprägungen verfassungsrechtlich als geboten erscheinen: -
Art. 32 Abs. 2 GG begründet bei Vertragsabschlüssen nicht nur Anhörungs-, sondern notwendigerweise auch hieraus folgende Informations-, Kontakt-, Abstimmungs- und Verständigungspflichten etc.;
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Art. 32 Abs. 2 GG begründet über seinen Wortlaut hinaus derartige Pflichten aus besonderer Rücksichtnahme nicht nur für den Bereich des Abschlusses zwischenstaatlicher Verträge, sondern immer dann, wenn der Bund durch völkerrechtliche Aktivitäten die Verhältnisse eines Landes besonders berührt. Dieser nicht unmittelbar vertragsbezogene Teil von Art. 32 Abs. 2 GG umfaßt etwa nicht vertraglich geordnete zwischenstaatliche Kooperationen und Absprachen. Auch einseitige völkerrechtliche Erklärungen des Bundes (Verzichte, Zustimmungen etc.) sowie die Geltendmachung völkerrechtlicher Ansprüche fallen unter Art. 32 Abs. 2 GG.
Da die Errichtung eines Kernkraftwerkes in Cattenom die Verhältnisse von Rheinland-Pfalz (und des Saarlandes) - gemessen an den übrigen Bundesländern - in besonderer Weise berührt, sind hier ge-
III. Verfassungs rechtliche Positionen der Kommunalkörperschaften
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steigerte Rücksichtnahmepflichten, insbesondere auch Informationspflichten gegenüber diesen Bundesländern gegeben. 3. Informationspflichten
Die Bundesregierung hat die Bundesländer zu informieren, in welcher Form sie auswärtige Angelegenheiten (die Länderinteressen berühren) wahrnimmt. Insbesondere hat sie Informationen, die die Bundesrepublik erhält (und völkerrechtlich beanspruchen kann), grundsätzlich an die beteiligten Bundesländer weiterzugeben. Dieser innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Pflicht kann sich die Bundesrepublik - vertreten durch die Bundesregierung - im Prinzip nicht dadurch entziehen, daß sie gegenüber Frankreich als Völkerrechtssubjekt Vertraulichkeit zugesichert hat. Die Beteiligung der betreffenden Bundesländer in den genannten internationalen Expertenkommissionen ist eine Möglichkeit zur Informationsteilhabe, reicht aber zur Befriedigung der Informationsansprüche (z. B. bezüglich der Regierungsgespräche) nicht aus. 4. Wahrnehmung der Redlte der Länder
Obwohl etwa die einschlägigen Informationen vom Bund von sich aus gegeben werden müsseIl, können sie auch von den Ländern angefordert werden. Die Länder können vom Bund - in geschildertem Umfang - auch Konsultationen und eine Wahrnehmung (auch) ihrer Belange nach außen fordern. Kommt es hierbei zu Meinungsverschiedenheiten über die Rechte der Länder bzw. die Pflichten des Bundes, könnten die Meinungsverschiedenheiten im Rahmen eines sog. Bund-Länderstreits nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG vor dem Bundesverfassungsgericht ausgetragen werden. Antragsteller wäre(n) dann die Landesregierung(en), Antragsgegner die Bundesregierung. 111. Verfassungsrechtliche Positionen der kommunalen Gebietskörperschaften 1. Kommunalkörpersdlaften und Bund
Das Recht von Rheinland-Pfalz bzw. des Saarlandes, vom Bund eine Wahrnehmung auswärtiger Belange fordern zu können und Informationen in Angelegenheiten des Kernkraftwerks Cattenom zu erhalten, kann nicht ohne weiteres erweitert werden zu einem Recht, das auch den landesangehörigen Körperschaften des öffentlichen Rechts (oder gar den einzelnen Bewohnern) zusteht. Die aus spezifischen bundesstaatlichen Erwägungen der Bundestreue abgeleitete Informations- und Rücksichtnahmepflicht ist eben nur auf Glieder dieses Bundes - die
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Länder - übertragbar. Weder die Gemeinden noch andere kommunale Gebietskörperschaften konstituieren diesen Bund. Der Bund hat Treuepflichten gegenüber den ihn konstituierenden Ländern, nicht aber gegenüber Gliederungen innerhalb der Länder. Eine derartige Konstruktion eines unmittelbaren verfassungsrechtlichen Treueverhältnisses zwischen dem Bund und den Kommunalkörperschaften, insbesondere den Gemeinden eines Landes, würde auch einen tragenden Grundsatz grundgesetzlich verfaßter Bundesstaatlichkeit verletzen: die Länder treten gegenüber dem Bund prinzipiell als Einheit auf (vgl. für Rheinland-Pfalz und das Saarland die freilich nicht direkt anwendbaren, aber in die prinzipiell gleiche Richtung deutenden Art. 101 Satz 1 Verf. Rh.-Pf., Art. 97 Verf. Saarland). Das Grundgesetz verbietet grundsätzlich den Durchgriff des Bundes in die Eigenstaatlichkeit der Länder'T, wie sich an sich sogar an den Vorschriften über die "durchgriffsgeneigte" Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder (Art. 83 ff. GG) zeigt, wo Durchgriffe auf die nachgeordneten Länderbehörden regelmäßig untersagt sind. Im Verhältnis des Bundes zur kommunalen Selbstverwaltung ist grundsätzlich auch keine unmittelbare Rechtsbeziehung gegeben. Die Gewährleistungspflicht des Art. 28 Abs. 3 GG setzt an der Rechtsordnung der Länder an, d"h. die Länder werden in die Pflicht genommen. Selbst wenn - was zweifelhaft ist - Gemeinden nach Art. 28 Abs. 3 GG einen Anspruch auf Einschreiten des Bundes hätten, wäre dies immer nur ein Einwirken auf die Pflichtenstellung der Länder gegenüber dem Bund. Aus diesem Grunde scheiden auch unmittelbare Informationspflichten des Bundes gegenüber den Kommunalkörperschaften, insbesondere gegenüber den Gemeinden, aus. Wenn überhaupt, könnten die Kommunalkörperschaften den Bund nur - politisch - auffordern, daß er auf die Länder einwirke, damit diese entsprechende Informationen an die Kommunalkörperschaften weitergeben. Der Anspruch auf Information der Kommunalkörperschaften ist ein Problem innerhalb (des Rechtsgefüges) eines Landes. 2. Kommunalkörperschaften und Länder
a) Informationsansprüche der rheinland-pfälzischen bzw. saarländischen Kommunalkörperschaften in bezug auf Cattenom können sich also grundsätzlich nur gegen die Länder Rheinland-Pfalz bzw. Saarland (als Trägerkörperschaften) richten. Ob die Kommunalkörperschaften, insbesondere die Gemeinden, einen Anspruch auf Information haben, bemißt sich nach ihrer Rechtsstellung insbesondere gegenüber dem Land. Diese richtet sich vor allem nach der verfassungsrechtlich und 7
BVerfGE 8, 122 (137).
III. VerfaSsungs rechtliche Positionen der Kommunalkörperschaften
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einfachgesetzlich ausgeformten Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG, 49 Verf. Rh.-Pf., 122 Verf. Saarland i. V. m. den Gemeindeordnungen). Zwar ist in allen diesen Bestimmungen direkt kein Informationsanspruch enthalten. Dennoch ist das Land - unter dem Gesichtspunkt mitgarantierter Kompetenzvoraussetzungen - verpflichtet, die für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung durch die Gemeinden notwendigen Informationen jedenfalls dann weiterzugeben, wenn das Land sie erhalten kann. Aus dem Informationsmonopol des Landes, d. h. aus einem Monopol zur Erhaltung und Beschaffung von Informationen (in seinem Verhältnis zum Bund bzw. als Rechtssubjekt mit "partieller Völkerrechtssubjektivität") in bezug auf bestimmte Informationen, folgt eine Pflicht des Landes zur Beschaffung und Weitergabe der Informationen an die betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften. Ob hierzu noch eine Abstützung auf den Gedanken der Landestreue, des gemeindefreundlichen Verhaltens8 möglich und notwendig ist, die keineswegs eine einfache Parallele zur Bundestreue sein kann (weil das Bund-Länder-Verhältnis unvergleichbar zum LandGemeinde-Verhältnis ist - konstituieren nicht das Land, die Länder konstituieren aber den Bund -) mag hier dahinstehen, da bereits der Gedanke der Kompetenzvoraussetzungen eine Informationsverpflichtung(bei rechtlich monopolisierter Informationsbeschaffung) trägt. b) Allerdings kann ein derartiger Informationsanspruch nur im Rahmen der Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung gegeben sein. Diese bezieht sich auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Folgevorschriften), d. h. solche, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf diese einen spezifischen Bezug haben 9 • Dies könnte bei ausländischen, wenngleich grenznahen Kernkraftwerken ausscheiden, weil sie sich nicht auf Gemeindegebiet befinden. Allerdings würde dieser Ansatz zu kurz greifen, weil er an die Errichtungs- und Genehmigungskompetenz anknüpfen würde; richtiger Ansatzpunkt ist hier aber die potentielle Gefährdung oder gar Schädigung von Personen und Sachen auf dem Gemeindegebiet. Bei nicht zu großer Entfernung vom Nicht-Binnen-Kraftwerk bleibt damit die für die Gemeinden (und sonstige kommunale Gebietskörperschaften) aufgabenbegründende Raumbezogenheit erhalten. Im übrigen ist die zunehmende Verflechtung örtlicher und überörtlicher Aufgaben längst bekannt, die aber nicht zu einem Verdrängen der kommunalen Selbstverwaltung führen darf, sondern allenfalls Kooperationsverpflichtungen begründen kann. Deshalb bleiben die Gemeinden auch für das innerstaatlich entwickelte - Gemeindenachbarrecht zuständig. 8 Vgl. dazu insbesondere Macher, Der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens, 1967. " BVerfGE 8,122 (134).
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Freilich reicht die kommunale Selbstverwaltungsgarantie - ungeachtet weiterer gesetzlicher Einschränkungen - nur soweit, wie Angelegenheiten mit Bezug zur örtlichen Gemeinschaft von dieser örtlichen Gemeinschaft auch eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können1o. Diesem Kriterium der örtlichen Bewältigbarkeit von Aufgaben widersprächen von vornherein Errichtungs- und Genehmigungszuständigkeiten bezüglich von Kraftwerken außerhalb des Gemeindegebiets. Anders liegt es bei der Befassung der örtlichen Gemeinschaft mit Gefährdungen und schädlichen Auswirkungen, die von gemeindefremden Kraftwerken auf das Gemeindegebiet ausgehen. Die Einholung von Informationen hierüber und die Abwehr derartiger Beeinträchtigungen - auf ihrem Gebiet - können von der örtlichen Gemeinschaft wahrgenommen werden, soweit keine anderweitigen zulässigen - gesetzlichen Regelungen vorliegen. Derartige Regelungen sind hier nicht erkennbar. Die Zuständigkeit der hier betroffenen Gebietskörperschaften, sich um etwaige Gefährdungen bzw. Schädigungen vom Kernkraftwerk Cattenom zu kümmern, kann also kaum bestritten werden. Insoweit steht ihnen auch ein Informationsanspruch gegen "ihr" Land (Rheinland-Pfalz bzw. Saarland) zu. Daneben haben sie das verfassungsrechtliche Recht, zu den sie betreffenden Problemen eines ausländischen Kernkraftwerks politische Stellung zu beziehen. Soweit das Recht des Errichtungsstaates dies ermöglicht, ist es den Gemeinden verfassungsrechtlich auch erlaubt, sich an Verwaltungs- und Gerichtsverfahren im Errichtungsstaat zu beteiligen. IV. Verfassungsrechtliche Positionen der Bürger
Die Bürger haben keinen solchen unmittelbaren Informationsanspruch gegen das Land. Über § 15 GemORhPf, § 20 KSVG (GemOSaarland) hinaus (die die Gemeinden verpflichten) werden Informationsansprüche nur sehr vereinzelt begründbar und nur wenig effektiv sein (z. B. Art. 17 GG). Desgleichen scheiden im Prinzip auch Ansprüche der Bürger auf konkretes völkerrechtliches Einschreiten (und evtl. hierauf gestützte Amtshaftungsansprüche) aus, weil das politische Ermessen gerade bei auswärtigen Angelegenheiten besonders groß istl1 • Unbenommen bleibt die Möglichkeit, sich in Gerichts- und Verwaltungsverfahren des Errichtungsstaates zu beteiligen, falls dies dort zulässig ist. BVerfGE 8,122 (134). Zur - so begrenzten - Verfassungspfticht der Bundesorgane zum Schutz deutscher Staatsangehöriger und ihrer Interessen gegenüber fremden Staaren vgl. statt aller: BVerfGE 6, 290 (299); 40, 141 (177 f.) ; 41, 126 (182): BVerfG, NJW 1981, S. 1499. 10
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Dritter Teil
Europarechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke A. Europäisches Gemeinschaftsrecht und zwischenstaatliches Nachbarrecht Die Normen des allgemeinen zwischenstaatlichen Nachbarrechts setzen ein Nebeneinander verschiedener Staatsgebiete mit getrennten Entscheidungskompetenzen voraus. Nachbarrechtliche Anspruche, etwa auf Beteiligung an bestimmten Entscheidungen oder auf Unterlassung bestimmter Handlungen etc., können nur dann gegen den Nachbarstaat geltend gemacht werden, wenn diesem die betreffende Entscheidung, oder allgemeiner das den Anspruch auslösende Verhalten, auch zuzurechnen ist. Dies ist dann nicht der Fall, wenn und soweit alle beteiligten Staaten entsprechende Zuständigkeiten einer internationalen oder supranationalen Stelle übertragen habenl . Das für den Tatbestand der allgemeinen nachbarrechtlichen Regeln des Völkerrechts entscheidende Element der Grenze als der Trennungslinie zweier Kompetenzräume fehlt bei einem einheitlichen Kompetenzraum, und die innerhalb dieses Raumes bestehenden Grenzen haben nur noch insoweit Bedeutung, als dies die Regeln für die einheitliche Kompetenzausübung selbst vorschreiben 2 • Für das Gebiet der EG, der beide im vorliegenden Fall beteiligten Staaten angehören, ist damit die Frage zu stellen, ob und inwieweit die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft für den hier interessierenden Bereich der Errichtung und des Betriebs von Kernkraftwerken Zuständigkeiten mit der Folge übertragen haben, daß der Rückgriff auf die allgemeinen zwischenstaatlichen Nachbarrechtsgrundsätze ausgeschlossen ist und stattdessen die besonderen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts einschließlich des gemeinschaftlichen Rechtsschutzsystems maßgebend sind. 1 Die Hypothese, daß nur einer der beteiligten staaten eine derartige übertragung vorgenommen hat, wie sich dies im Verhältnis eines EG-Mitgliedstaats zu einem Drittstaat ergeben kann, mag hier außer Betracht bleiben. 2 "Jede internationale Zusammenlegung von Zuständigkeiten macht einen entsprechenden Teil internationalen Nachbarrechts unnötig, da ja innerhalb eines vereinheitlichten Kompetenzraumes zwischenstaatliche Einwirkungen undenkbar sind", bemerkt zutreffend Thalmann, Grundprinzipien des modernen zwischenstaatlichen Nachbarrechts, 1951, S.161.
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3. Teil: Europarechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Zu berücksichtigen sind hierbei im wesentlichen das primäre und das abgeleitete Recht nach dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25.3.1957 (EAGV)3, das eine Reihe von Regelungen zur Wahrung der Sicherheits interessen der Bevölkerung allgemein und der Grenzbevölkerung anderer Mitgliedstaaten insbesondere enthält. Erwähnung zu finden haben ferner bestimmte in Aussicht genommene Regelungen, die insbesondere die Entwicklung einer gemeinsamen Standortpolitik für Kernkraftwerke sowie bestimmte Konsultationsverfahren hinsichtlich solcher Kraftwerke betreffen, von denen grenzüberschreitende Auswirkungen ausgehen können.
B. Die Rolle der Gemeinschaft bei der Wahl des Standorts eines Kernkraftwerks I. Befugnisse der Gemeinschaftsorgane nach der gegenwärtigen Regelung des EAGV Zum richtigen Verständnis der gegenwärtigen Regelung des EAGV muß beachtet werden, daß die Errichtung und der Betrieb von Kernkraftwerken nicht zu den Gegenständen gehören, für die eine eigentliche Zuständigkeit der Gemeinschaft begründet worden ist. Insoweit besteht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten vielmehr grundsätzlich fort. Allerdings berühren die der Gemeinschaft im Vertrag übertragenen Zuständigkeiten - in erster Linie die Forschung und die Verbreitung von Kenntnissen über Kernenergie, die Versorgung mit Kernbrennstoffen und die Kontrolle ihrer Verwendung, die Herstellung eines gemeinsamen Marktes für Kernbrennstoffe, ferner aber auch der Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte sowie endlich eine begrenzte Investitionsförderung und -kontrolle (vgl. Art. 2 EAGV) - sowohl die Errichtung als auch den Betrieb von Kernkraftwerken in mehrfacher Weise. Dies gilt zunächst für die grundlegende Entscheidung eines (staatlichen oder privaten) Unternehmens, in einem Mitgliedstaat ein Kernkraftwerk zu errichten, wobei die Befugnisse der Gemeinschaftsorgane jedoch, wie schon jetzt bemerkt werden soll, beschränkt sind und über die Bekantgabe der "Auffassung" der Kommission und der Abgabe rechtlich nicht bindender "Stellungnahmen" allenfalls indirekt auf den innerstaatlichen Entscheidungsprozeß einwirken4 • BGBl. 1957 II 1014. Die der Kommission im Rahmen der Sicherheitsüberwachung nach Art. 77 ff. zur Verfügung stehenden Einwirkungsmöglichkeiten erstrecken sich nicht auf die hier in Frage stehenden Grundsatzentscheidungen. 3
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B. Standortwahl
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1. Befugnisse anläßlich der Anzeige von Investitionsvorhaben (Art. 40 ff.)
Die den Gemeinschaftsorganen im Kapitel IV des EAGV - "Investitionen" - zugewiesenen Befugnisse sind an der in Art. 2 Buchst. C EAGV festgelegten Gemeinschaftsaufgabe orientiert, "die Investitionen zu erleichtern und, insbesondere durch Förderung der Initiative der Unternehmen, die Schaffung der wesentlichen Anlagen sicherzustellen, die für die Entwicklung der Kernenergie in der Gemeinschaft notwendig sind". Die Kommission veröffentlicht zu diesem Zweck "hinweisende" - nicht rechtsverbindliche - Investitionsprogramme (Art. 40)5, die sie auf der Grundlage der ihr gemäß Art. 41 von den Investoren pflichtgemäß angezeigten Investitionsvorhaben6 erstellt. Ferner erörtert sie aufgrund dieser Anzeigen gemäß Art. 43 Abs. 1 mit den Investoren "alle Gesichtspunkte der Investitionsvorhaben, die mit den Zielen dieses Vertrages in Zusamenhang stehen", und "teilt ihre Auffassung dem beteiligten Mitgliedstaat mit" (Art.43 Abs.2). Die Kommission hat die ihr gegenüber gemachten Angaben vertraulich zu behandeln7 ; eine Veröffentlichung der Vorhaben ist nur mit Zustimmung der beteiligten Mitgliedstaaten und der Investoren zulässig (Art. 44). Bereits dieser überblick zeigt, daß die in Kapitel IV des Zweiten Titels EAGV vorgesehenen Verfahren und die daran anschließenden Äußerungen der Kommission dieser keine Möglichkeit geben, auf die Modalitäten der Investitionsentscheidung selbst bestimmenden Einfluß zu nehmen. Ziel richtung der Art. 40 ff. ist vielmehr eine Förderung der Initiative mitgliedstaatlicher Unternehmen, die allerdings noch unterhalb einer - etwa durch "Stellungnahmen" ausgeübten - Investitionslenkung liegt8 • Im Lichte dieser allgemeinen Zielsetzung ist auch der 5 Vgl. etwa das "Erste hinweisende Programm der Europäischen Atomgemeinschaft" (66/11/Euratom), ABI. EG Nr.47 vom 18. 3. 1966, S. 637 ff. e Die Errichtung eines KernkTaftwerks der vorliegend geplanten Art ist gemäß Art.41 Abs.1 i. V. m. Anhang II EAGV anzeigepflichtig. Vgl. zu den Modalitäten der Anzeigepflicht die Verordnungen Nr.4 des Rates (ABI. EG Nr. 17 vom 6. 10. 1958, S.417) und Nr.5 der Kommission (ABI. EG Nr.25 vom 27.11. 1958, S.511), sowie die "Information der Euratom-Kommission über die Anwendung der Verordnung Nr.5" (ABI. EG Nr. 29 vom 8.5. 1959, S.571). Die Gültigkeit der Verordnung Nr.5 wird - mangels hinreichender Rechtsgrundlage - vielfach bezweifelt; insbesondere gilt dies von mehreren Punkten des der Verordnung beigefügten Formblatts, bei denen fraglich ist, ob sie sich in den Grenzen des Kapitels "Investitionen" und der Verordnung Nr.4 des Rates halten. Eine Entscheidung des Gerichtshofs der EG zu dieser Frage liegt nicht vor. VgI. zum ganzen ZeHe, in: Groeben/Boeckh/Thiesing, Handbuch für Europäische Wirtschaft, III A 45/10, Vorbem. zu VO Nr.5, S. 11 ff. 7 Vgl. hierzu ZeHe, in: Groeben/Boeckh/Thiesing, Handbuch für Europäische Wirtschaft, III A 45, Anm. 1 zu Art. 43 EAGV. 8 ZeHe (Anm.7), unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Kapitels IV. Dieser weist ferner darauf hin, daß es der Kommission verwehrt ist, den
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3. Teil: Europarechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Umstand zu sehen, daß die in Art. 43 vorgesehene Erörterung "alle" Gesichtspunkte des Vorhabens umfassen soll, die mit den Zielen des EAGV in Zusammenhang stehen, und damit insbesondere auch Fragen des Gesundheitsschutzes (Kapitel III EAGV) einschließlich des Standorts betreffen kann9 • Soweit sich aber in bezug auf diese Fragen besondere Einwirkungsmöglichkeiten der Kommission ergeben, hat die Untersuchung hierüber (und eine eventuelle Aktion der Kommission) nicht im Rahmen von Art. 43, sondern gemäß den hierfür im Vertrag vorgesehenen besonderen Bestimmungen zu erfolgen10 • Die Vorschriften der Art. 40 ff. bieten nach alle dem den Gemeinschaftsorganen keine Möglichkeit, auf die Entscheidungen der Investoren in solchen Punkten - bestimmend oder mitbestimmend - einzuwirken, die, wie etwa die Frage des Standorts11 , die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung betreffen. 2. Befugnisse anläßlich der Ubermittlung von Plänen zur Ableitung radioaktiver Stoffe mit grenzüberschreitenden Auswirkungen (Art. 37)
a) Anders als die vorstehend besprochenen Regeln des Kapitels IV sind die in Kapitel III - Der Gesundheitsschutz - (Art. 30-39) entUnternehmen oder der Öffentlichkeit gegenüber Stellungnahmen abzugeben; indirekte Einwirkungen auf Einzelprojekte seien - je nach Befugnissen und Verwaltungspraxis der Mitgliedsregierungen - jedoch möglich (Anm.2 zu Art. 43). 9 Vgl. hierzu den umfangreichen Fragenkatalog des Formblatts im Anhang zur VO Nr.5 (oben Anm.6). 10 Die Zulässigkeit einer Reihe von Fragen des in der vorigen Anmerkung erwähnten Formblatts wird dementsprechend bezweifelt. Insbesondere gilt dies von Fragen nach der Betriebssicherheit der Anlage und dem Gesundheitsschutz. Hierbei wird darauf hingewiesen, daß die Verantwortung für die Betriebssicherheit bei den Mitgliedstaaten liegt, und die Meldepflichten für den Bereich Gesundheitsschutz an anderer Stelle des Vertrages, insbesondere in Art. 37 (vgl. dazu unten 2.) geregelt sind, vgl. Zelle, III A 45/10, Vorbem. zur VO Nr. 5, S. 14. Dem entspricht im übrigen die französische Praxis, Fragen zur Betriebssicherheit der Anlage nicht zu beantworten, vgl. Hebert, Das französische Kernenergierecht, 1974 (Studien zum internationalen Wirtschaftsrecht und Atomenergierecht, Bd. 54), S.92. Ob und inwieweit diese Haltung die Kommission dazu veranlaßt hat, die Erfüllung der Meldepflicht des Investors direkt oder über dessen Heimatstaat zu erzwingen (vgl. zu den diesbezüglichen Möglichkeiten Zelle, III A 45/10, Vorbem. zur VO Nr. 4, S. 5), ist nicht bekannt. 11 Im Bericht der Delegationsleiter des von der Konferenz von Messina eingesetzten Regierungsausschusses heißt es im Anschluß an die Darlegung der allgemeinen investitionspolitischen Motivierung der besprochenen Bestimmungen, daß die Gemeinschaft weder das Recht der Investitionslenkung "noch das der Stellungnahme zu der wirtschaftlichen Begründung oder zu dem Standort der Einrichtungen" habe ; zitiert bei Zelle, III A 45, Vorbem. zu Art. 40-44, S. 2.
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haltenen Vorschriften unmittelbar auf die Wahrung bestimmter Sicherheitsinteressen der Bevölkerung, nämlich den Schutz gegen die mit der Nutzung der Kerntechnik untrennbar verbundenen Gefahren der ionisierenden Strahlen, gerichtet. Die Verteilung der Zuständigkeiten ist hierbei in der Weise geregelt, daß die Gemeinschaft die Grundregeln und Toleranzen festlegt (Art. 30 ff.), deren Durchführung und Anwendung im innerstaatlichen Bereich den Mitgliedsstaaten obliegt (Art. 33 ff.); die Bedeutung der von der Gemeinschaft erlassenen "Grundnormen für den Gesundheitsschutz" für den Betrieb eines Kernkraftwerks wird unten (C.) Erwähnung finden. Im Zusammenhang mit den vorliegend untersuchten Möglichkeiten der Gemeinschaft, auf den Standort als einen wesentlichen Aspekt der Errichtung eines Kernkraftwerks Einfluß zu nehmen, ist im Rahmen des Kapitels III insbesondere Art. 37 von Interesse: Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist jeder Mitgliedsstaat verpflichtet, der Kommission über jeden Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe aller Art die allgemeinen Angaben zu übermitteln, aufgrund deren festgestellt werden kann, "ob die Durchführung dieses Plans eine radioaktive Verseuchung des Wassers, des Bodens oder des Luftraums eines anderen Mitgliedstaats verursachen kann"; gemäß Abs. 2 gibt die Kommission nach Anhörung von Sachverständigen innerhalb von sechs Monaten "ihre Stellungnahme" ab, die jedoch - wie sich aus Art. 124 und 161 Abs.5 ergibt - nicht verbindlich ise2 • b) Die Vorschrift erfaßt alle Arten der Ableitung radioaktiver Stoffe aus Atomanlagen, insbesondere aus Reaktoren13 • Sie soll der Kommission die Möglichkeit geben, bereits im Stadium der Planung der Ableitungsvorhaben im Sinne vorbeugender Gesundheitsschutzmaßnahmen tätig zu werden. Die Fassung von Abs. I, insbesondere das Abstellen auf grenzüberschreitende Auswirkungen, zeigt deutlich, daß 12 VgI. Haedrich, in: GroebenjBoeckh/Thiesing, III A 44, Anm.3 zu Art. 37, S. 51; siehe dazu näher unten bei d). 13 Haedrich, Anm. 1 zu Art. 37, S. 45 f.; siehe auch Nr. 3 Buchst. h) der Empfehlung der Kommission betreffend die Anwendung des Art. 37 des Vertrages vom 16.9. 1960 (ABI. EG Nr. 81 vom 21. 12. 1960, S. 1893). Die Empfehlung gibt in einer Anlage I eine nicht erschöpfende Aufzählung der "allgemeinen Angaben" i. S. von Art. 37 Abs. 1. Hierzu gehören vor allem Angaben über die Ableitung von radioaktiven Gasen und Aerosolen, die Ableitung von flüssigen radioaktiven Abfällen (Beseitigung unter Verdünnung in Gewässern oder durch Ablassen in den Erdboden), sowie die Beseitigung von festen radioaktiven Abfällen. Die Liste der "allgemeinen Angaben" ist im Jahre 1973 revidiert worden und enthält nunmehr u. a. detailliertere Fragen nach möglichen "nicht geplanten" Ableitungen (Dok. 1029/3/72 der Kommission). Zu der seit längerem angestrebten Neufassung der Empfehlung als solcher ist es bisher noch nicht gekommen, vgI. etwa Hebert, Rev. trim. dr. euro 1977, S. 282 f.
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3. Teil: Europarechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Sinn und Zweck der Vorschrift darin zu sehen sind, die Kontamination14 des Gebietes eines anderen Mitgliedstaates zu verhindern. Die Praxis der Kommission geht jedoch darüber hinaus: nach dem Wortlaut der am 16.11. 1960 von der Kommission erlassenen "Empfehlung betreffend die Anwendung des Artikels 37 des Vertrages"15 sind meldepflichtig alle Ableitungen, d. h. auch solche, die eine Verseuchung des Gebietes des Anlagenstaats selbst verursachen könnten. Die im Anschluß daran entstandene Kontroverse über die Rechtsgültigkeit der Empfehlung16 mag jedoch für den vorliegenden Fall außer Betracht bleiben, da die Grenznähe der in Cattenom geplanten Anlage jeden Zweifel hinsichtlich der Meldepflicht Frankreichs gemäß Art. 37 ausschließt. Als problematisch hat sich ferner der von der Kommission in der genannten Empfehlung vorgesehene Umfang der Meldepflicht erwiesen. Während Art. 37 nur von Plänen zur Ableitung, also von bewußten und gewollten Ableitungen spricht, behandelt die Empfehlung auch das Unfallrisiko17• Es ist hierüber ebenfalls zu Unstimmigkeiten zwischen Frankreich und der Kommission gekommen, wobei Frankreich das Recht der Kommission bestritt, genaue Angaben über die nukleare Sicherheit der Anlagen, aus denen Stoffe abgeleitet werden sollen, anzufordern. Diese Kontroverse gilt seit 1969 als durch einen Kompromiß beigelegt18 . Die Kommission hat klargestellt, daß Art. 37 keine Sicherheitskontrollen ermöglicht, daß aber die in Art. 37 Abs. 2 vorgesehene Sachverständigengruppe die Folgen aller radioaktiven Ableitungen mit den in Art. 37 Abs. 1 genannten Wirkungen zu beachten habe, gleich, ob diese von normalen oder außergewöhnlichen Betriebsbedingungen herrührten19 . 14 Der Begriff ist für die Zwecke des Artikels 37 von der Kommission in der Weise definiert worden, daß er diejenige radioaktive Verseuchung meint, "die für andere als beruflich strahlenexponierte Personen die Gefahr einer überschreitung der ,höchstzulässigen Dosis für die Gesamtbevölkerung' mit sich bringt, wie sie in den Grundnormen gemäß Artikel 31 des Vertrages festgesetzt worden ist", vgI. Nr.l der sogleich im Text genannten "Empfehlung" der Kommission. 15 ABI. EG Nr.81 vom 21. 12. 1960, S.1893. 18 VgI. dazu Haedrich, III A 44/10, Vorbem. zur Empfehlung der Kommission, S. 7 f. Die Bundesregierung teilt in ihren Erläuterungen zum EuratomVertrag offenbar die weite Auffassung der Kommission, vgI. Haedrich, III A 44, Anm.2 zu Artikel 37, S. 48 f. Die weite Auffassung wird von diesem Verfasser abgelehnt; der Schutz des eigenen Gebietes des Anlagenstaats sei über die Grundnormen sicherzustellen, wobei die Kommission in dringenden Fällen Richtlinien gemäß Artikel 38 Abs.2 erlassen könne; vgI. dazu unten
C Ir.
17 VgI. hierzu Haedrich, III A 44/10, Vorbem. zur Empfehlung der Kommission, S. 9, der eine solche Meldepflicht bei Begrenzung auf das Unfallrisiko "bei der Ableitung" bejaht. VgI. auch Punkt 7 der revidierten Liste der "allgemeinen Angaben" i. S. von Artikel 37 (Dok.l029/3/72 der Kommission). 18 Hierzu und zum folgenden Hebert (oben Anm.l0), S.144.
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c) Die Frist für die Erfüllung der Meldepflicht gemäß Art. 37 ist in Nr.6 der genannten Empfehlung der Kommission in der Weise bestimmt, daß die Pläne der Kommission mindestens 6 Monate vor dem für die Ausführung der Ableitung festgesetzten Termin übermittelt werden "sollen"20. Eine eventuelle Verletzung der Meldepflicht durch nicht oder nicht vollständig erfolgende Mitteilungen der Ableitungspläne könnte als Verletzung des Vertrages von der Kommission (Art. 141) sowie von jedem Mitgliedstaat (Art. 142)21 zum Gegenstand einer Klage vor dem Gerichtshof der EG gemacht werden; sollte der Gerichtshof in einem solchen Verfahren eine Vertragsverletzung durch Frankreich feststellen, so hätte Frankreich die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen (Art. 143), d. h. den vertragsmäßi19 Dementsprechend bezieht die Sachverständigengruppe in ihre Stellungnahme regelmäßig die Auswirkungen möglicher Störfälle mit ein, wobei insbesondere auch die Folgen eines "größten anzunehmenden Unfalls" (GaU) berücksichtigt werden, vgI. den von der Kommission 1972 herausgegebenen Bericht "Application de l'artic1e 37 du traite Euratom - Bilan des Activites, Resultats Acquis 1959 a 1972 -", insbesondere S.18 f. Der Bericht läßt übrigens nicht erkennen, daß Frankreich seiner Meldepflicht nach Art. 37 in dem durch den "Komprorniß" festgelegten Umfang nicht nachkommt. Hier ist allerdings der Hinweis angebracht, daß nach dem institutionellen System des Vertrages Meinungsverschiedenheiten der genannten Art abschließend nur durch eine Entscheidung des Gerichtshofs der EG, nicht aber durch "Vergleiche" zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten beigelegt werden können. Eine solche Entscheidung ist bisher zu den erwähnten Fragen noch nicht ergangen. 20 In Beantwortung einer schriftlichen Anfrage des Abg. Wagner (Nr.1442/ 79) hat die Kommission am 24.4. 1980 mitgeteilt, daß Frankreich für das Projekt Cattenom Angaben nach Art. 37 "bisher nicht" übermittelt habe. Gleichzeitig versichert die Kommission, "daß sie auf die Einhaltung der in diesem Artikel vorgesehenen Verfahren achten wird" (vgI. ABI. EG Nr. C 137 vom 9.6. 1980, S. 16). Im übrigen scheinen Verspätungen bei der übermittlung der Angaben nach Art. 37 nichts Ungewöhnliches zu sein. Aus einer am 29.7.1980 erteilten Antwort der Kommission auf eine Anfrage (Nr. 358/79) des Abg. Glinne ergibt sich, daß allein während des Zeitraums von 1975-1980 acht französische, drei deutsche sowie ein niederländisches Vorhaben "mit einer gewissen Verspätung" mitgeteilt worden seien. Ferner lägen noch keine Angaben über zwei bereits in Betrieb genommene Anlagen zur Anreicherung von Uran in den Niederlanden bzw. in Großbritannien vor. Um Verspätungen zu verhindern, erinnere die Kommission die Mitgliedstaaten regelmäßig an deren Verpflichtungen (vgI. ABI. EG Nr. C 217 vom 25.8. 1980, S. 1). 21 Ein eigenes Klagerecht von Einzelpersonen oder Gebietskörperschaften der betroffenen Grenzregionen wegen Verletzung der Meldepflicht des Art. 37 sieht der Vertrag nicht vor. Dies entspricht dem gemeinschaftlichen Rechtsschutzsystem, das an keiner Stelle ein direktes Klagerecht von Einzelpersonen gegen Vertragsverletzungen durch Mitgliedstaaten gewährt. Dies schließt natürlich nicht aus, daß der Gerichtshof mit den entsprechenden Fragen indirekt, nämlich im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 150 auf Vorlage eines innerstaatlichen Gerichts befaßt wird, wenn in einem dort anhängigen Verfahren, das von Einzelpersonen eingeleitet werden kann, diese Fragen entscheidungserheblich werden.
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gen Zustand durch Erfüllung der Meldeverpflichtung herzustellen22 • Die Folgen einer eventuellen Vertragsverletzung würden sich hierin allerdings auch erschöpfen. Insbesondere hätte die Nichterfüllung der Meldeverpflichtung nicht die Unzulässigkeit der Ableitung radioaktiver Stoffe zur Folge. Art. 37 enthält, wie sogleich näher erörtert werden soll, nicht etwa ein bedingtes Immissionsverbot; insoweit sind vielmehr die allgemeinen völkerrechtlichen Regeln nach wie vor maßgebend23 • d) Die auf der Grundlage der gemäß Art. 37 Abs. 1 mitgeteilten Angaben von der Kommission nach Anhörung der in Art. 31 genannten Sachverständigengruppe abzugebende " Stellungnahme " (Art. 37 Abs. 2) soll feststellen, ob die Durchführung des gemeldeten Ableitungsplans die Verseuchung des Gebietes eines anderen Mitgliedstaats verursachen kann. Diese Stellungnahme ist, wie bereits oben unter a) erwähnt, nicht verbindlich. Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts bedeutet dies zunächst, daß der meldepflichtige Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, sein Verhalten in Bezug auf die geplanten Ableitungen entsprechend der Stellungnahme der Kommission einzurichten. Verwirklicht er beispielsweise seine Vorhaben ungeachtet der Feststellung der Kommission, wonach die Ableitungen zu einer Verseuchung der genannten Art führen können, so verstößt er damit nicht gegen Art. 37. Dieses Verhalten kann jedoch möglicherweise für die Kommission Anlaß sein, bestimmte - bindende - Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes zu treffen24 , so daß insoweit ihrer Stellungnahme eine gewisse Warnfunktion zukommt. Art. 37 enthält somit jedenfalls kein unmittelbares Verbot der radioaktiven Verseuchung des Gebietes eines benachbarten Mitgliedstaats. Auf der Ebene des Völkerrechts - das somit für die Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit grenzüberschreitender Immissionen auch im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander weiter maßgebend ist25 - begründet die Stellungnahme der Kommission unmittelbar zwar ebenfalls keine Handlungs- oder Unterlassungspflichten. Der Stellungnahme kann aber im Rahmen der völkerrechtlichen Prüfung, ob eine über das zulässige Maß hinausgehende radioaktive Immission vorliegt, eine gewisse Feststellungswirkung zukommen. e) Die Bedeutung der mitgliedstaatlichen Meldepflicht und der Stellungnahme der Kommission nach Art. 37 sollte nach alledem nicht zu %% Zu den Wirkungen des Feststellungsurteils des Gerichtshofs vgl. Milhlenhöver, in: GroebenjBoeckhjThiesing, IH A 55, Anm. 2 f. zu Art. 143, sowie allgemein Streil, in: Beutler u. a., Die Europäische Gemeinschaft. 1979,
S. 206 ff., 209 f. 23 24
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Vgl. Haedrich, IH A 44, Anm. 2 zu Art. 37, S. 50, sowie nachfolgend d). Zu den diesbezüglichen Fragen vgl. unten C H. Siehe dazu Haedrich, III A 44, Anm. 2 zu Art. 37, S. 50.
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gering veranschlagt werden. Allerdings gibt diese Vorschrift, wie gesehen wurde, den Gemeinschaftsorganen keine Handhabe, die Wahl des Standorts eines Kernkraftwerks in Grenznähe bestimmend zu beeinflussen26 • Die Entscheidung hierüber obliegt auch nach einer die Möglichkeit einer Verseuchung des nachbarstaatlichen Gebiets bejahenden Stellungnahme der Kommission allein dem betreffenden Mitgliedstaat. Auch als indirekte Beeinflussung dieser Entscheidung ist die Stellungnahme kaum geeignet, da die Mitteilung der Ableitungspläne erst zu einem verhältnismäßig späten Zeitpunkt zu erfolgen hat (vgl. oben unter c), in dem eine Berücksichtigung der Feststellungen der Kommission angesichts des fortgeschrittenen Stadiums der Planung und Errichtung der Anlage nicht oder nur sehr schwer möglich ist 27 • Andererseits kann die Stellungnahme sowohl eine wichtige Rolle als Grundlage für spätere Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes spielen und insoweit eine Warnung an die Adresse des meldepflichtigen Mitgliedstaats darstellen (dazu unten C II) als auch zur Information des oder der benachbarten Mitgliedstaaten beitragen, da nach der Praxis der Kommission die Stellungnahme auch diesen und nicht nur dem meldepflichtigen Mitgliedstaat übermittelt wird 28 • Insbesondere im Hinblick auf die Sicherheitsinteressen der Grenzbevölkerung dürften die Feststellungen einer international zusammengesetzten Gruppe von Sachverständigen29 , 30, 28 Vgl. hierzu auch die Erklärungen des luxemburgischen Ministers für Energie zum Bau der Anlage in Cattenom in der Sitzung der luxemburgischen Abgeordnetenkammer vom 20.2.1979; danach geht die Luxemburger Regierung davon aus, daß der Bau eines grenznahen Kernkraftwerks nicht auf der Grundlage von Art. 37 EAGV verhindert werden kann, vgl. Tätigkeitsbericht Nr. 26 der Sitzungsperiode 1978/79, 50. Sitzung. 27 Vgl. dazu auch Hebert, S.92, zu einem ähnlichen Zusammenhang. Ein mittelbarer Einfluß der Stellungnahme nach Art.37 Abs.2 kann natürlich über das innerstaatliche Recht sichergestellt werden. So machen das belgische und luxemburgische Recht die Genehmigung zur Errichtung von Kernanlagen vom Vorliegen der Stellungnahme nach Art.37 abhängig; nach italienischem Recht setzt die Genehmigung voraus, daß die Mitteilung nach Art. 37 erfolgt ist; vgl. die näheren Angaben in "Application de l'article 37 du traite Euratom ... ", S.9. Zu dem - inzwischen nach der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Werner (Mitte Juli 1979) aufgegebenen Projekt eines Kernkraftwerks in Luxemburg wurde die Stellungnahme der Kommission bereits im Jahre 1976 eingeholt. - Die französische Gesetzgebung sieht eine entsprechende Genehmigungsvoraussetzung nicht vor. 28 So ist die Stellungnahme hinsichtlich der im Kernkraftwerk Biblis A und B geplanten Ableitungen nicht nur der Bundesrepublik, sondern auch Frankreich als dem nächstgelegenen Nachbarstaat mitgeteilt worden. 29 Nach Art. 31 besteht diese Gruppe aus Fachleuten, die der Ausschuß für Wissenschaft und Technik aus wissenschaftlichen Sachverständigen für Volksgesundheit ernennt. 30 Auf der Grundlage von Art. 37 sind von 1958 bis 1972 57 Stellungnahmen mit Bezug auf 79 Kernanlagen abgegeben worden, vgl. den Bericht in
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die gemäß Art. 37 Abs. 2 der Stellungnahme der Kommission zugrundeliegen, von größerer Bedeutung sein als die Verlautbarungen der einen oder anderen interessierten Seite. Dies setzt freilich die Veröffentlichung der Stellungnahmen voraus, die bisher unterbleibel. 3. Befugnisse bei "besonders gefährlichen Versuchen" (Art. 34)
Abschließend soll die Frage erörtert werden, ob eine Einflußnahme der Gemeinschaft auf die Errichtung der geplanten Kernanlage über Art. 34 ermöglicht werden kann. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung ist jeder Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet "besonders gefährliche Versuche" stattfinden sollen, verpflichtet, nach Einholung der Stellungnahme der Kommission zusätzliche Vorkehrungen für den Gesundheitsschutz zu treffen; besteht die Möglichkeit, daß sich die Auswirkungen der Versuche auf die Hoheitsgebiete anderer Mitgliedstaaten erstrecken, so ist nach Abs. 2 die Zustimmung der Kommission - zu den erwähnten zusätzlichen Vorkehrungen, nicht zur Durchführung des Versuchs selbst - erforderlich. Die Vorschrift betrifft solche Veranstaltungen, bei denen entweder - in der Regel einmalig - besonders große Mengen von Radioaktivität freigesetzt werden, wie bei Atombombenversuchsexplosionen 32 , oder bei denen die Schutzmaßnahmen sich als möglicherweise nicht ausreichend zur Sicherung des Gesundheitsschutzes erweisen könnten, wie beispielsweise bei Versuchsexplosionen für Erdbewegungen etc. 33 • Die Anwendung der Vorschrift auf Errichtung und Betrieb eines Kernkraftwerks ist nun bereits deshalb zweifelhaft, weil die industrielle Erzeugung von Kernenergie in einer auf Dauer angelegten Anlage nicht als "Versuch" angesehen werden kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es Bulletin de Droit nucleaire, n° 14 (nov. 1974), S.66, sowie "Application de l'Art.37 du Traite Euratom ...", passim. 31 Nach dem der Öffentlichkeit zugänglich gemachten zusammenfassenden Bericht für die Jahre 1959 bis 1972 waren die im Berichtszeitraum untersuchten 79 Vorhaben unter dem Blickwinkel des Art.37 unproblematisch, sofern normale Betriebsbedingungen vorausgesetzt wurden: Die von radioaktiven Ableitungen herruhrende Strahlenbelastung der im Bereich der Anlage lebenden Bevölkerung habe weit unter den in den Euratom-Grundnormen (siehe dazu unten C I) festgesetzten Dosen gelegen. Die Möglichkeit einer radioaktiven Verseuchung in einem weiteren Umkreis der Anlage habe allein im Falle einer durch einen größeren Unfall bedingten Freisetzung von Radioaktivität bestanden. Vgl. zum Vorstehenden "Application de l'Article 37 du Traite Euratom ... ", insbesondere S. 16 ff., 26 ff. Zu Angaben über die tatsächlichen Radioaktivitätsabgaben aus Kernanlagen in der Gemeinschaft siehe unten C I. 32 So fielen beispielsweise die französischen Versuchsexplosionen in der Sahara unter Art. 34, vgl. etwa Euratom, Dritter Gesamtbericht, 1960, S. 101 f., sowie Vierter Gesamtbericht, 1961, S. 113. 38 Vgl. Haedrich, III A 44, Anm.2 zu Art. 34, S.36.
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sich um eine Kernanlage bereits erprobter Art und/oder Größenordnung handelt. Dagegen ist es nicht von vonherein ausgeschlossen, die erstmalige Errichtung einer Kernanlage neuen Typs oder eines Anlagenkomplexes mit einer außergewöhnlich hohen Leistung als "Versuch" anzusehen. Art. 34 verlangt indes darüber hinaus, daß es sich um einen "besonders gefährlichen" Versuch handeln muß, und diese Gefährlichkeit muß - wie sich aus der Entstehungsgeschichte34 und dem allgemein zugrunde gelegten Verständnis der Vorschrift ergibt35 aus der beabsichtigten oder bewußt in Kauf genommenen Freisetzung ungewöhnlich großer Mengen von Radioaktivität folgen. Diese Voraussetzungen liegen bei Kernanlagen der hier besprochenen Art offensichtlich nicht vor36 • Soweit dort im Anschluß an Störfälle oder Unfälle besonders gefährliche radioaktive Auswirkungen zu befürchten sind, kann wiederum - mangels eines bewußten oder gewollten Herbeiführens dieser Umstände - nicht mehr von einem "Versuch" gesprochen werden. Eine Anwendung von Art. 34 auf die Errichtung und den Betrieb von Kernkraftwerken ist dementsprechend auch bisher von der Kommission nicht in Betracht gezogen worden. Die mit dieser Frage mehrfach befaßten französischen Gerichte haben die Anwendbarkeit von Art. 34 unter Berufung auf dessen "klaren und eindeutigen" Wortlaut ohne Einholung einer an sich wohl gebotenen Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Gemeinschaften verneint3"l'. 11. Befugnisse der Gemeinschaftsorgane de lege ferenda Ungeachtet einer wachsenden Aktivität der Gemeinschaftsorgane im Bereich der Energie- und Umweltpolitik38 , d. h. den beiden die Standortfrage unmittelbar berührenden Politiken, vermögen auch die 34 Vgl. dazu Neri/Sperl, Traite instituant la Communaute europeenne de l'energie atomique (Euratom): Travaux preparatoires, Declarations interpretatives des six Gouvernements, Documents parlementaires, 1962, zu Art. 34; die ursprüngliche Fassung der Vorschrift sprach sogar lediglich von "explosions nucleaires experimentales". 85 Vgl. Errera u. a., Euratom, 1958, S. 92; Haedrich, S. 36; Hebert, Rev. trim. droit euro 1975, 748. 38 Dementsprechend ist auch bei den sog. "Versuchsreaktoren" innerhalb der Gemeinschaft zwar das Verfahren nach Art. 37, nicht aber Art. 34 angewendet worden. 37 Vgl. die Urteile des Conseil d'Etat vom 28.2. 1975, Herr U. a., Rec. Lebon 1975, S. 162 (betr. das Kernkraftwerk Fessenheim), und vom 4. 5. 1979, Departement de la Savoie U. a., Rec. Lebon 1979, S. 185 (betr. den SchnellbrüterPrototyp Super-Phenix in Creys-Malville). 38 Siehe dazu den überblick bei Kloepfer, Systematisierung des Umweltrechts, Berichte des Umweltbundesamtes, 8/78, S. 57 ff. sowie Beutler, in: Beutler U. a., Die Europäische Gemeinschaft, 1979, S. 390 ff., 411 ff. Eine umfassende Untersuchung bietet Behrens, Rechtsgrundlagen der Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaften, 1976.
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3. Teil: Europarechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
in diesem Zusammenhang gegenwärtig geplanten Maßnahmen das grundlegende Zuständigkeitsdefizit der Gemeinschaft in diesem Bereich nicht zu beseitigen: hierzu bedürfte es vielmehr einer Änderung der EG-Gründungsverträge, die nicht in Sicht ist 39 • Die lakonische Feststellung der Kommission, wonach "für die Auswahl und die Genehmigung von Kraftwerkstandorten ... die Mitgliedstaaten zuständig [sind] "40, weist deutlich auf die Grenzen des gegenwärtig Möglichen hin. Die ins Werk gesetzten oder in Aussich't genommenen Maßnahmen zur Standortfrage beschränken sich demgemäß darauf, in vorsichtiger Weise auf die nationalen Entscheidungsprozesse durch die Begründung von Konsultationspflichten, Beratung und Stellungnahme durch die Kommission, Informationsaustausch auf Gemeinschaftsebene, Einsetzung von Studiengruppen und Durchführung von Forschungsprogrammen einzuwirken41 • Dies gilt insbesondere für den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates "über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Konsultationsverfahrens für Kraftwerke, von denen Auswirkungen auf das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ausgehen könnten", der dem Rat am 13.12.1976 vorgelegt wurde42 • Zweck dieses Verordnungsvorschlags ist es, ein dem oben untersuchten Art. 37 EAGV nachgebildetes Konsultationsverfahren bezüglich der Errichtung von herkömmlichen Kraftwerken sowie Kernkraftwerken zu schaffen, von denen grenzüberschreitende Auswirkungen ausgehen können, die von Art. 37 EAGV nicht erfaßt werden43 . Ein obligatorisches Konsultationsverfahren für derartige grenzüberschreitenden Belastungen existiert gegenwärtig nicht. Das nunmehr entworfene Verfahren ergänzt das in Art. 37 EAGV vorgesehene, geht Siehe hierzu insbesondere Behrens, S. 298 ff. So in der Begründung des sogleich im Text näher erwähnten Entwurfs für bestimmte Gemeinschaftshandlungen betreffend Fragen der Standortwahl für Kraftwerke, in Europ. ParI., Sitzungsdokumente 1976-1977, Dok. 506/76 vom 11. 1. 1977, S.2. 41 Einen vollständigen 'überblick über die Maßnahmen der Kommission im Zusammenhang mit Kraftwerksstandorten enthält das in der vorigen Anmerkung erwähnte Sitzungsdokument (Dok.505/76) in seiner Anlage I. Erwähnt werden mag in diesem Zusammenhang die Ausführung einer Entschließung des Rates vom 3.3. 1975 über Energie und Umweltschutz, in der die Kommission zur Organisierung eines Informationsaustausches über die Planung der Standorte neuer Kraftwerke unter Berücksichtigung der Umweltbelastungsrisiken beauftragt wird, sowie die Bemühungen um eine Harmonisierung der Sicherheitsbestimmungen. 4! ABI. EG Nr. C 31 vom 8.2.1977, S.3. 43 VgI. dazu näher die Begründung der Kommission zu dem Verordnungsvorschlag, Dok. 506/76, S. 13. Solche Auswirkungen können sich ergeben u. a. bei Schwefeldioxyd-Emissionen herkömmlicher Wärmekraftwerke, bei Ableitung von Verlustwärme in die Atmosphäre, oder bei Ableitung von Verlustwärme und Entnahme von Wasser aus internationalen Wasserläufen, sowie bei Unvereinbarkeit mit einer grenznahen Anlage des Nachbarstaats. ag
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aber nicht darüber hinaus. Auch bei dem geplanten Konsultationsverfahren beschränken sich die Befugnisse der Kommission auf die Abgabe einer nicht verbindlichen Stellungnahme, die nach Anhörung einer ad hoc-Gruppe unabhängiger Sachverständiger erfolgt. Einen bestimmenden oder mitbestimmenden Einfluß der Kommission auf die Standortentscheidung sieht somit auch die geplante Verordnung - die im übrigen selbst bei Inkrafttreten in naher Zukunft auf das CattenomVorhaben angesichts des fortgeschrittenen Stadiums dieses Projekts keine Anwendung finden dürfte - nicht vor. Eine Verlagerung der Entscheidungszuständigkeit von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft in der Standortfrage ist ferner auch in der Entschließung des Europäischen Parlaments "zu den Voraussetzungen für eine gemeinschaftliche Standortpolitik für Kernkraftwerke unter Berücksichtigung ihrer Zumutbarkeit für die Bevölkerung"44 nicht vorgesehen. Die - auf umfangreichen Vorarbeiten beruhende46 - Entschließung beschränkt sich bei der Beschreibung des erforderlichen rechtlichen Instrumentariums im wesentlichen darauf, die Dringlichkeit einer Harmonisierung der Genehmigungsverfahren und -vorschriften für Kernkraftwerke auf Gemeinschaftsebene (Ziff. 9 und 10) als Voraussetzung für eine gemeinschaftliche Standortpolitik zu betonen. Die auf der Grundlage der Äußerungen von Kommission, Parlament sowie Wirtschafts- und Sozialausschuß am 20.11.1978 gefaßte Entschließung des Rates bleibt hinter alledem noch zurück. Nachdem zunächst die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Standortwahl bei Kraftwerken betont wird, beschränkt sich die Entschließung im wesentlichen darauf, von der Absicht der Kommission Kenntnis zu nehmen, zusammen mit Vertretern der Mitgliedstaaten "einen Informationsaustausch über Standortfragen" durchzuführen und dem Rat darüber zu berichten48 • Keine der gegenwärtig unternommenen oder geplanten Vorhaben kommen, das kann zusammenfassend festgestellt werden, dem im sog. Tindemans-Bericht47 unterbreiteten Vorschlag nahe, eine gemeinsame ABI. EG Nr. C 28 vom 9.2.1976, S. 12 ff. Siehe dazu den Bericht der Abg. Walz im Namen des Ausschusses für Energie, Forschung und Technologie vom 26. 11. 1975, Europ. ParI., Sitzungsdok. 1975-1976, Dok. 392/75. 48 VgI. ABI. EG Nr. C 286 vom 30. 11. 1978, S. 1. Der oben erwähnte Entwurf einer neuen Konsultationsverordnung ist damit implizit zurückgewiesen worden, vgI. auch die Beantwortung der Anfrage Nr.621/78 des Abg. Dondelinger durch die Kommission am 19.2. 1979, ABI. EG Nr. C 68 vom 12.3. 1979, S. 2. 47 "Die Europäische Union", Bericht von Leo Tindemans, Premierminister von Belgien, an den Europäischen Rat, Bulletin der EG, Beilage 1/76. 44
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3. Teil: Europarechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Kontrollbehörde für Kernkraftwerke zu schaffen, deren Befugnisse sich u. a. auf Standort sowie den Bau und die Arbeitsweise der Kraftwerke erstrecken sollten4S • Die hiermit verbundenen weitreichenden Eingriffe in die mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten müssen ganz offenbar als auf absehbare Zeit nicht realisierbar angesehen werden.
III. Ergebnisse Die vorstehende Erörterung hat ergeben, daß die Rolle der Gemeinschaft bei der Wahl eines grenznahen Standorts für ein in einem Mitgliedstaat geplantes Kernkraftwerk über die eines beratenden, gegebenenfalls auch warnenden Beobachters nicht wesentlich hinausgeht. Um der Kommission die effektive Ausübung dieser Funktion zu ermöglichen, sieht der EAGV bestimmte Anzeige- und Meldepflichten insbesondere für Pläne zur Ableitung radioaktiver Stoffe vor, die zu einer Verseuchung des benachbarten Staatsgebiets führen können (Art. 37). Die nach Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Sanktionen bei Nichterfüllung dieser Verpflichtungen beschränken sich allerdings auf die Feststellung einer Vertragsverletzung durch den Gerichtshof der EG. Eine gemeinschaftsrechtlich begründete Pflicht, bei der Standortwahl die Stellungnahme der Kommission zu berücksichtigen, besteht hingegen nicht. Die Stellungnahme kann allerdings Grundlage bzw. Anlaß für bestimmte, nachfolgend zu untersuchende bindende Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes sein. Die vorbehaltlich der sie treffenden allgemeinen und besonderen völkerrechtlichen Verpflichtungen bei der Standortwahl bestehende grundsätzliche Entscheidungszuständigkeit der Mitgliedstaaten soll im übrigen auch nach den im Rahmen der EG gegenwärtig geplanten Maßnahmen unberührt bleiben.
C. Die Rolle der Gemeinschaft bei der Wahrung der Sicherheitsinteressen der Bevölkerung im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kernkraftwerks I. Bedeutung der Euratom-Grundnormen für den Gesundheitsschutz Nach Art. 30 EAGV werden in der Gemeinschaft "Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen festgesetzt". Unter "Grundnormen" sind hierbei zu verstehen 48
Tindemans-Bericht, S. 30.
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die zulässigen Höchstdosen, die ausreichende Sicherheit gewähren;
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die Höchstgrenze für die Aussetzung gegenüber schädlichen Einflüssen und für schädlichen Befall;
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die Grundsätze für die ärztliche überwachung der Arbeitskräfte.
Nach Art. 33 Abs. 1 erläßt jeder Mitgliedstaat "die geeigneten Rechtsund Verwaltungsvorschriften, um die Beachtung der festgesetzten Grundnormen sicherzustellen". Im Gegensatz zu den entsprechenden, ebenfalls als " Grundnormen " bezeichneten Regelungen etwa der Kernenergie-Agentur der OECD sowie der Internationalen AtomenergieOrganisation (IAEO) haben die Euratom-Grundnormen damit nicht lediglich den Charakter von nicht bindenden Empfehlungen49 , sondern von Richtlinien im Sinne von Art. 161 Abs. 3 EAGV: sie gelten damit grundsätzlich zwar nicht unmittelbar für und gegen die Einzelpersonen in den Mitgliedstaaten, sind aber für diese hinsichtlich des angegegebenen Ziels verbindlich; die Wahl der Form und der Mittel zu ihrer Durchsetzung ist hierbei den Mitgliedstaaten überlassen. Die Umsetzung der Grundnormen in innerstaatliches Recht wird von der Kommission - die Empfehlungen zur Koordinierung der mitgliedstaatlichen Bestimmungen erlassen kann (Art. 33 Abs. 2) - überwacht. Die Mitgliedstaaten haben hierzu gemäß Art. 35 Einrichtungen zur ständigen Überwachung des Gehalts der Luft, des Wassers und des Bodens an Radioaktivität sowie zur überwachung der Einhaltung der Grundnormen zu schaffen, deren Arbeitsweise und Wirksamkeit von der Kommission nachgeprüft werden kann. Der Rat der Gemeinschaft hat erstmals durch Ratsentscheidung vom 2.2.1959 Richtlinien zur Festsetzung der Grundnormen gemäß Art. 30 erlassen (AbI. EG 1959, S. 221), die durch Ratsentscheidung vom 5. 3. 1962 (AbI. EG 1962, S. 1633 u. S. 2114) sowie durch Richtlinie des Rates vom 27.10.1966 (ABI. EG 1966, S. 3693) geändert wurden. In allen Mitgliedstaaten sind seit längerem die zur Umsetzung - für die in den Richtlinien keine Frist gesetzt war - dieser Grundnormen erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften ergangen50 • Inzwischen 49 Vgl. zum Verhältnis der Grundnormen der einzelnen Organisationen zueinander Haedrich, III A 44, Anm. 2 f. zu Art. 30, S. 14 ff., sowie die Studie "Cooperation Internationale dans le domaine de la pollution transfrontiere d'origine radioactive", in Bull. droit nucl., n° 14, nov.1974, S. 60 ff. 60 Vgl. Euratom, Achter Gesamtbericht, 1965, S. 65 f., sowie die Angaben bei Haedrich, III A 44, Anm. 1 c)-d) zu Art.33, S. 25 ff. Zur Rechtslage in Frankreich siehe Hebert (oben Anm. 10), S. 127 ff., 133 ff., mit Darstellung der die Übernahme der Grundnormen verwirklichenden Dekrete n° 66---450 vom 20.6. 1966 über allgemeine Grundsätze des Schutzes gegen ionisierende Strahlungen, sowie n° 67-228 vom 15.3. 1967 betreffend den Schutz der Arbeitnehmer gegen ionisierende Strahlungen. Eine umfassende Darstellung der
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3. Teil: Europarechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
sind in den Jahren 1976 und 1980 in Anpassung an neuere Empfehlungen der Internationalen Kommission für Strahlenschutz (ICRP) deren Vorarbeiten bereits Ausgangspunkt der Grundnormen von 1959 waren - sowie unter Berücksichtigung neuerer Definitionen der International Commission on Radiological Units and Measurements (ICRU) vom Rat revidierte Fassungen der Grundnormen verabschiedet worden (Richtlinien 76/579/Euratom vom 1. 6. 1976, ABI. EG Nr. L 187 vom 12.7.1976, S. 1 sowie 80/836/Euratom vom 15.7.1980, ABL EG Nr. L 246 vom 17.9. 1980, S. 1); die Frist, innerhalb deren die Mitgliedstaaten die zur innerstaatlichen Umsetzung der revidierten Grundnormen erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, ist mehrfach verlängert und zuletzt in der Richtlinie von 1980 auf den 3. 12. 1982 bzw. den 3.6. 1984 festgesetzt worden 61 • Für die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ist sonach davon auszugehen, daß gegenwärtig der Schutz der Bevölkerung insgesamt und der Arbeitskräfte im besonderen gegen die Gefahren ionisierender Strahfranzösischen Gesetzgebung enthält der von der franz. Atomenergiebehörde herausgegebene Sammelband Droit nuclEmire, 1979, S. 261 ff. VgI. ferner die Darstellung von Bischof/PelzeT, Das Strahlenschutzrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, Bd. I Belgien, Luxemburg, Niederlande, 1979. 51 VgI. dazu im einzelnen Richtlinie 79/343 Euratom vom 27.3.1979, ABI. EG Nr. L 83 vom 3.4.1979, S.18, sowie Art. 46 der Richtlinie vom 15.7. 1980. Kommt ein Mitgliedstaat der Verpflichtung zur Durchführung der Richtlinie nicht nach, so sieht der Vertrag als Sanktion die Feststellung einer Vertragsverletzung vor, die vom Gerichtshof der EG in dem - bereits oben B I 2 c) erwähnten - Verfahren nach Art. 141 ff. EAGV auf Klage der Kommission oder eines anderen Mitgliedstaats ausgesprochen wird. Obwohl die Richtlinie grundsätzlich der Umsetzung in nationales Recht bedarf und unmittelbar nur eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten begründet, ist es nicht ausgeschlossen, daß sich trotz Nichterfüllung dieser Verpflichtung unabhängig von einem Vertragsverletzungsverfahren auch Einzelpersonen auf Bestimmungen der Richtlinie berufen können: nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der EG ist dies dann der Fall, wenn die Bestimmungen der Richtlinie so gefaßt sind, daß sie auch ohne nationale Durchführungsmaßnahmen angewendet werden können; dies gilt sowohl für Unterlassungs- als auch für Handlungspflichten der Mitgliedstaaten (vgl. EuGH, Rs.41/74, van Duyn, Slg. 1974, 1337; Rs. 51/76, Investitionsgüter, Slg. 1977, 113), siehe dazu zuletzt PescatoTe, D. S. 1980, ehron. 171. Bei bestimmten sehr präzis und unbedingt gefaßten Bestimmungen der Richtlinie vom 1. 6. 1976 ist die Möglichkeit einer solchen unmittelbaren Anwendbarkeit im (hypothetischen) Fall der Nichtdurchführung der Richtlinie durchaus gegeben. Praktische Anwendungsfälle ließen sich etwa im Bereich des Arbeits- und des allgemeinen Schadensersatzrechts sowie des Nachbarrechts denken, in denen die Schutzvorschriften der Grundnormenpräjudizielle Wirkung haben können. Der EuGH könnte mit den entsprechenden Auslegungsfragen auf Vorlage der mit den betreffenden Fällen befaßten nationalen Gerichte gemäß Art. 150 EAGV befaßt werden. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Grundnormen von 1959 ist bejaht worden von Rb. s'Gravenhage, 23. 10. 1974, N. J. 1975, Nr. 115, im Hinblick auf die Durchführung von Sicherheitsrnaßnahmen in der Umgebung des Kernkraftwerks Borseie.
C. Sicherheit der Bevölkerung
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lungen auf der Grundlage der Euratom-Grundnormen von 1959 gewährleistet ist52 • Damit ist insbesondere verbunden, daß die Genehmigung für Kernenergieanlagen regelmäßig davon abhängig gemacht wird, daß die mit dem Betrieb der Anlage verbundene Strahlenbelastung - insbesondere bei der Ableitung radioaktiver Stoffe - bestimmte, im Rahmen der Grundnormen festgesetzte Höchstwerte nicht übersteigt. In Frankreich sind die entsprechenden Vorschriften insbesondere in den Dekreten vom 11. 12. 1963 (i. d. F. des Dekrets vom 27. 3. 1973) sowie vom 20.6.1966 enthalten53 • Danach muß u. a. bei der Errichtung der Anlage sichergestellt sein, daß unter normalen Betriebsbedingungen die Bevölkerung außerhalb der Anlage keiner höheren als der gesetzlich zulässigen Dosis ausgesetzt ist. Die Einhaltung dieser Bestimmungen ist durch überwachung - insbesondere bei der Ableitung radioaktiver Stoffe am Emissionspunkt sowie im Ablagerungsgebiet - zu gewährleisten (Art. 28 des Dekrets vom 20.6. 1966)54.
11. Befugnisse der Gemeinschaftsorgane in besonderen Fällen, insbesondere bei grenzüberschreitender radioaktiver Verseuchung a) Wenn auch der Vertrag davon ausgeht, daß die Durchführung der die Grundnormen festsetzenden Richtlinien Sache der Mitgliedsstaaten ist, beschränken sich doch die Befugnisse der Gemeinschaftsorgane nicht lediglich auf die diesbezügliche überwachung. So kann beispielsweise die Kommission nicht bindende Empfehlungen über den radioaktiven 52 Mehrere Mitgliedstaaten der EG, darunter Frankreich und die Bundesrepublik, haben ferner das übereinkommen Nr. 115 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vom 22. 6. 1960 über den Schutz der Arbeitnehmer vor ionisierenden Strahlen übernomm.en; die auf den Euratom-Grundnormen basierenden nationalen Strahlenschutzvorschriften halten sich durchweg in den durch dieses übereinkommen festgelegten Grenzen, vgl. dazu Michaelis, Kernenergie, 1977, S.401, sowie, für Frankreich, Hebert, S. 127. Vgl. zu der tatsächlichen Strahlenbelastung infolge der Abgabe radioaktiver Stoffe aus Kernkraftwerken und Wiederaufarbeitungsanlagen in der EG die regelmäßig von der Kommission herausgegebenen Berichte, zuletzt für die Jahre 1972-1976 (Dok. EUR 6088) und die deutsche Zusammenfassung in Atomwirtschaft 1979, S. 606 ff. Danach lagen die Abgaben in allen Mitgliedstaaten unterhalb der festgesetzten Grenzwerte; die maximalen Abgaben aus Kernkraftwerken betragen weniger als 5 Ofo der natürlichen Strahlenbelastung der Bevölkerung. Siehe hierzu im einzelnen Dok. EUR6088, S. 39 ff. 53 Vgl. dazu Hebert, S. 145 f., sowie Droit nuc1eaire, S. 93 ff. 5' Vgl. Hebert, S. 133 f. Die unter Mitwirkung amtlicher französischer Stellen herausgegebene Informationsbroschüre . "Kernenergie __ Kernkraftwerk Cattenom", Ausgabe 1979, erwähnt im Zusammenhang mit der Beschreibung der geplanten Ableitung radioaktiver Abluft und Abwässer und der hierdurch zu erwartenden Umweltbelastung lediglich die Normen der Internationalen Strahlenschutzkommission (S.22 u. 33) und der IAEO (S.33), die "weitgehend" eingehalten würden.
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3. Teil: Europarechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
Gehalt der Luft, des Wassers und des Bodens an die Mitgliedstaaten richten (Art. 38 Abs. 1), welche die Beurteilung des vorhandenen Gehalts an Radioaktivität bzw. der zu erwartenden Entwicklung betreffen und die den Charakter von Warnungen haben können55 . Sie kann ferner - ebenfalls nicht bindende - Stellungnahmen zu den Vorkehrungen bei besonders gefährlichen Versuchen abgeben, wobei bei grenzüberschreitenden Auswirkungen sogar ihre Zustimmung zu diesen Vorkehrungen eingeholt werden muß (Art. 34); derartige Stellungnahmen sind ferner ebenfalls für den bereits behandelten Fall der Ableitungspläne mit möglichen grenzüberschreitenden Auswirkungen vorgesehen (Art. 37). Die Kommission verfügt aber auch über die Möglichkeit, "in dringenden Fällen" eine Richtlinie - d. h. eine rechtlich bindende Maßnahme - zu erlassen, mit der sie einem bestimmten Mitgliedsstaat aufgibt, innerhalb einer von ihr festgesetzten Frist alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um eine Überschreitung der Grundnormen zu vermeiden und die Beachtung der - innerstaatlichen - Vorschriften zu gewährleisten (Art. 38 Abs. 2)56. Bei Nichtdurchführung dieser Richtlinie kann der Gerichtshof der EG von der Kommission sowie von jedem beteiligten Mitgliedstaat in einem vereinfachten Verfahren direkt angerufen werden (Art. 38 Abs. 3). Der Wortlaut des Art. 38 Abs.2, in dem auf die innerstaatlichen Vorschriften zur Durchführung der Grundnormen Bezug genommen wird, sowie seine systematische Stellung machen deutlich, daß diese Bestimmung Maßnahmen gegen denjenigen Mitgliedstaat ermöglichen soll, in dessen Gebiet eine ihm zuzurechnende Überschreitung der Grundnormen droht oder eingetreten ist; es geht somit um eine Verhinderung oder Beseitigung der Überschreitung im eigenen Staatsgebiet des Mitgliedsstaats, der Adressat der Richtlinie ist57 • Über diese Auslegung des Art. 38 Abs. 2 hinausgehend kann aber die Frage gestellt werden, ob die Vorschrift auch dann eingreift, wenn die Überschreitung der Grundnormen auf eine grenzüberschreitende Verseuchung im Sinne von Art. 37 zurückgeht und damit nicht von dem Mitgliedstaat verursacht wird, in dessen Gebiet sie eintritt. Geht man von der Hypothese aus, daß die überschreitung nur im Nachbarstaat und nur aufgrund der Ableitungen im Anlagenstaat eintritt, so wäre Art. 38 Abs. 2 bei enger Auslegung unanwendbar, da der Nachbarstaat die Überschreitung nicht verhindern kann und im Anlagenstaat keine überschreitung vorliegt. Fraglich ist Vgl. Haedrich, III A 44, Anm. 1 zu Art. 38, S. 52. Richtlinien aufgrund dieser Vorschrift sind noch nicht erlassen worden. 57 Hiervon geht insbesondere Haedrich, III A 44, Anm. 2 zu Art.37, S.49, sowie III A 44/10, Vorbem. zur Empfehlung der Kommission zu Art. 37, S.9, aus. ~5
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C. Sicherheit der Bevölkerung
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die Anwendbarkeit der Vorschrift auch in dem Fall, daß die überschreitung im Nachbarstaat infolge einer Kumulierung mit dortigen Ableitungen eintritt, die für sich allein nicht zu einer überschreitung der Grundnormen geführt hätten: hier könnte der Nachbarstaat die überschreitung durch vollständiges oder teilweises Unterlassen der Ableitungen in seinem Staatsgebiet verhindern; die Unbilligkeit dieser Lösung, die den Nachbarstaat belastet und den Anlagenstaat unbehelligt läßt, liegt auf der Hand. Die der Kommission in Art. 38 Abs. 2 verliehene Befugnis ist, ebenso wie die korrespondierenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, im Lichte der Zielsetzung des III. Vertrags kapitels zu sehen, nämlich der Gewährung eines effektiven Gesundheitsschutzes der Bevölkerung und der Arbeitskräfte auf der Grundlage der gemeinschaftlich festgesetzten Grundnormen. Die Einhaltung dieser Grundnormen im gesamten Gemeinschaftsgebiet ist hierbei durch die Mitgliedstaaten sicherzustellen, wobei die Gemeinschaftsorgane überwachend und lenkend eingreifen können. In Erfüllung dieses Vertragsziels obliegt es einem Mitgliedstaat unter dem Gesichtspunkt der Gemeinschaftstreue (vgl. Art. 192) und der Solidarität gegenüber den anderen Mitgliedstaaten, eine überschreitung der Grundnormen auch dann zu verhindern oder zu beseitigen, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eintritt, ihm - dem erstgenannten Mitgliedstaat - aber zuzurechnen ist. Um die praktische Wirksamkeit, den "effet utile", der Vorschrift sicherzustellen, ist Art. 38 Abs. 2 demnach so auszulegen, daß die Kommission eine Richtlinie der erwähnten Art auch gegen einen Mitgliedstaat erlassen kann, in dessen eigenem Gebiet zwar keine Überschreitung der Grundnormen droht oder eingetreten ist, der aber durch Zulassung radioaktiver Ableitungen eine überschreitung der Grundnormen in einem anderen Mitgliedstaat verursacht; diese Befugnis ist sowohl dann gegeben, wenn die grenzüberschreitenden Ableitungen allein die überschreitung zur Folge haben, als auch dann, wenn dies auf einer Kumulierung mit Ableitungen im Nachbarstaat beruht, die für sich allein nicht zu einer Überschreitung führen. Der hiergegen naheliegende Einwand, daß auf diesem Wege der in solchen Fällen gemäß Art. 37 vorher vom Anlagenstaat einzuholenden Stellungnahme der Kommission (vgl. oben B I 2) doch eine vom Vertrag nicht gewollte Bindungswirkung beigelegt wird, ist nicht überzeugend. Diese Stellungnahme bezieht sich - vergleichbar den Empfehlungen gemäß Art. 38 Abs. 1 - auf den Radioaktivitätsgehalt des Bodens, der Luft und des Wassers und hat in erster Linie eine Warnfunktion. Sie begründet, wie erwähnt, kein gemeinschaftsrechtliches Immissionsverbot. Gegenstand der Richtlinie nach Art. 38 Abs. 2 ist hingegen die Konkretisierung der Pflicht zur Einhaltung der Grundnormen, die für jeden Mit-
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3. Teil: EuroparechtIiche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
gliedstaat unbedingt besteht und der sich ein Mitgliedstaat nicht unter Berufung darauf entziehen kann, das ihm zuzurechnende Verhalten habe nicht in seinem Gebiet, sondern im Gebiet eines benachbarten Mitgliedstaats Scha:den verursacht. Ein mittelbares Immissionsverbot kann damit allenfalls in Art. 38 Abs. 2 gesehen werden, nicht dagegen in Art. 37, der ja Maßnahmen der in Art. 38 Abs.2 genannten Art ebenso vorbeugen soll wie die Empfehlungen gemäß Art. 38 Abs. 158 • b) Mit Hilfe der der Kommission in Art. 38 Abs. 2 zugewiesenen Befugnisse kann nach alledem der Gesundheitsschutz der Grenzbevölkerung im Rahmen der Euratom-Grundnormen sichergestellt werden, wenn eine Überschreitung dieser Normen aufgrund der radioaktiven Ableitungen des geplanten Kernkraftwerks droht oder eintritt. Voraussetzung hierzu ist ein Tätigwerden der Kommission, d. h. der Erlaß einer Richtlinie gemäß Art. 38 Abs. 2. Hierzu ist die Kommission "in dringenden Fällen" - hierunter wird man alle Fälle zu verstehen haben, in denen eine überschreitung der Grundnormen eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, und der Anlagenstaat keine Maßnahmen trifft, dies zu verhindern - verpflichtet. Kommt sie dieser Pflicht nicht nach, so können die Mitgliedstaaten - nicht aber Einzelpersonen, auch nicht die unmittelbar betroffenen grenznahen Gebietskörperschaften - sowie die anderen Gemeinschaftsorgane nach Art. 148 Abs. 1 beim Gerichtshof Untätigkeitsklage erheben59 • Die Kommission gibt dem Adressaten der Richtlinie auf, die nach objektiven Maßstäben erforderlichen Maßnahmen zu treffen, "um eine Überschreitung der Grundnormen zu vermeiden und die Beachtung der Vorschriften zu gewährleisten". Bei den vorliegend untersuchten Hypothesen werden diese Maßnahmen insbesondere in einer Verringerung der radioaktiven Ableitungen aus grenznahen Anlagen im Gebiet des Adressaten zu bestehen haben, die etwa durch Anordnung der partiellen Stillegung des Kernkraftwerks bewirkt werden kann. Kommt der betreffende Mitgliedstaat dieser Richtlinie nicht nach, so kann der Gerichtshof, wie erwähnt, wegen der Eilbedürftigkeit und mit Rücksicht auf die Schwere der möglichen Schäden unmittelbar, d. h. unter Aussparung des sonst bei Vertragsverletzungsverfahren obligatorischen Vorverfahrens, angerufen werden. Klagebefugt ist gemäß Art. 38 Abs. 3 neben der Kommission "jeder beteiligte Mitgliedstaat", d. h. insbesondere der gefährdete Nachbarstaat6o • 58
Die hier vertretene Auffassung wird im Ergebnis offenbar geteilt von
Klein, Umweltschutz im völkerrechtlichen Nachbarrecht, 1976, S. 214 f., der in Art. 37 i. V. m. Art. 38 Abs.2 mittelbar ein "relatives Verbot grenzüberschrei-
tender radioaktiver Verunreinigung" sieht, auf die besondere Problematik des Anwendungsgebiets von Art. 38 Abs.2 aber nicht eingeht. 59 Vgl. dazu Mühlenhöver, III A 55, Anm. zu Art. 148, S. 48 ff.
D. Zusammenfassende Würdigung
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III. Die Aufgaben der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit
Zu den Voraussetzungen einer effektiven Wahrung der Sicherheitsinteressen der Bevölkerung gehört neben den geschilderten Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes insbesondere die Kontrolle über die Strahlungsquellen. In dem hier besprochenen Zusammenhang bedeutet dies, daß der Wert der Grundnormen und der hierzu ergangenen Durchführungsmaßnahmen letztlich von der Betriebssicherheit der Kernanlagen abhängt, von denen im Störungsfall Auswirkungen ausgehen können, die eine Überschreitung der Grundnormen zur Folge hätten. Das hiermit berührte Gebiet der Sicherheit atomtechnischer Anlagen und insbesondere der Reaktorsicherheit gehört jedoch zu den weiterhin in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbliebenen Bereichen und liegt außerhalb des Geltungsbereichs insbesondere der Art. 33 ff. 61 • Wenn auch die Gemeinschaft insoweit nicht über direkte Einwirkungsmöglichkeiten verfügt, so sind doch Fragen der Reaktorsicherheit insbesondere seit dem Beschluß des Rates vom 22.7. 1975 über die technologischen Probleme bei der Kernenergie 62 Gegenstand von Forschungsprogrammen der Gemeinschaft i. S. von Art. 7 EAGV. So hat der Rat am 18. 7. 1977 ein Forschungsprogramm in direkter Aktion für die Reaktorsicherheit gebilligt63 , das mit Beschluß vom 27.3.1979 durch ein Programm für eine indirekte Forschungsaktion auf dem Gebiet der Sicherheit thermischer Leitwasserreaktoren ergänzt worden ist64, 65.
D. Zusammenfassende Würdigung Die vorstehenden Erörterungen haben ergeben, daß der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Betrieb eines Kernkraftwerks an der Grenze zweier Mitgliedstaaten eine Reihe von Aufgaben übertragen worden sind, die zur Wahrung der Sicherheitsinteressen der Bevölkerung in nicht unerheblichem Maße 60 VgI. Haedrich, III A 44, Anm.3 zu Art. 38, S. 52 a. Auch hier steht das Klagerecht nur dem Mitgliedstaat selbst, nicht aber seinen Angehörigen zu. 81 VgI. Haedrich, III A 44, Anm.3 zu Art. 33. 62 ABI. EG Nr. C 185 vom 14. 8. 1975, S. 1. 63 ABI. EG Nr. L 200 vom 8.8.1977, S. 4. 6( ABI. EG Nr. L 83 vom 3. 4. 1979, S. 21. 85 VgI. in diesem Zusammenhang auch die 1977 vom Wirtschafts- und Sozialausschuß vorgelegte Studie über einen "Gemeinschaftskodex betreffend die nukleare Sicherheit".
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3. Teil: Europarechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke
beitragen. Die grundsätzliche Entscheidung über die Errichtung einer solchen Anlage, und insbesondere ihren Standort, ist allerdings dem direkten Einfluß der Gemeinschaft entzogen. Umfang und Grenzen der staatlichen Entscheidungsfreiheit werden insoweit nach wie vor vom Völkerrecht bestimmt. Durch Ausübung ihrer beobachtenden und beratenden Funktionen im Zusammenhang mit möglichen grenzüberschreitenden Auswirkungen von radioaktiven Ableitungen aus einer solchen Anlage gemäß Art. 37 EAGV kann die Gemeinschaft immerhin einen gewissen indirekten Einfluß auf die staatliche Entscheidung nehmen. Mißachtet der Anlagenstaat bei der Entscheidung über die Errichtung der Anlage die in der Stellungnahme der Gemeinschaft gegebenenfalls enthaltene Warnung vor einer möglichen radioaktiven Verseuchung des nachbarstaatlichen Gebiets, so geht er damit ein nicht geringes Risiko ein: soweit nämlich die radioaktiven Auswirkungen der Anlage zu einer überschreitung der gemeinschaftsweit bindenden Grundnormen für den Gesundheitsschutz - sei es auch nur im Nachbarstaat - führen, kann der Anlagenstaat durch eine bindende Richtlinie der Kommission gemäß Art. 38 Abs. 2 EAGV verpflichtet werden, die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung der überschreitung zU treffen, d. h. im wesentlichen, den Betrieb der Anlage in entsprechender Weise auszurichten. Die kombinierte Wirkung der vorbeugenden, nicht bindenden Maßnahmen sowie der gegebenenfalls zu erlassenden bindenden Richtlinie kann damit einen nicht zU unterschätzenden Einfluß auf den staatlichen Entscheidungsprozeß ausüben66 • Bis Ende 1980 waren die zuständigen Gemeinschaftsorgane mit der Prüfung der Auswirkungen der in Cattenom geplanten Anlage noch nicht befaßt, auch sind Hypothesen über den möglichen Inhalt der Stellungnahme der Kommission gemäß Art. 37 EAGV nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Es kann jedoch sicher nicht davon ausgegangen werden, daß eine Stellungnahme der Kommission, in der die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Verseuchung bejaht wird, von Frankreich unbeachtet gelassen würde6T • 66 Ob man hierin eine Regelung sehen will, die hinsichtlich der Ableitungsvorhaben einem Zustimmungserfordernis "sehr nahe" kommt - so Klein, S.294, in Anlehnung an PelzeT, Rechtsprobleme der Beseitigung radioaktiver Abfälle in das Meer, 1970, S. 82 -, ist Deftnitionsfrage. Siehe auch ETTeTa u. a., Euratom, 1958, S.95, Anm.2: " ... toute entreprise [sie!] prevoyant la eonstruetion d'installations nucleaires qui eomportent des rejets d'efftuents radioaetifs aura interet, vu les dispositions de l'article 38, a s'efforeer d'obtenir de la Commission un avis favorable avant toute mise en chantier". 67 Die von Frankreich angestrebte Revision des Euratom-Vertrages, die in der französischen Öffentlichkeit im Anschluß an den gemäß Art.l03 Abs.3 erlassenen Beschluß des EuGH vom 14. 11. 1978 betreffend den IAEA-Entwurf eines Objektschutz-übereinkommens (Slg. 1978, S.2151) zunehmend diskutiert wird, betrifft allein das in Kapitel VI des Vertrages geregelte
D. Zusammenfassende Würdigung
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In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat sich ergeben, daß zur Durchsetzung der verschiedenen im Vertrag begründeten Pflichten - insbesondere der Meldepflicht des Anlagenstaats gemäß Art. 37 EAGV, ferner der Pflicht zur Durchführung der Richtlinien gemäß den Art. 30 ff. sowie 38 Abs. 2 EAGV, endlich der Pflicht der Kommission zum Tätigwerden gemäß der zuletzt genannten Vorschrift - der Rechtsweg zum Gerichtshof der EG gegeben ist 68 • Klagebefugt sind neben den jeweils zuständigen Gemeinschaftorganen allein die Mitgliedstaaten - bzw. gemäß Art. 38 Abs.2 EAGV nur die "beteiligten" Mitgliedstaaten - als solche. Für die Bundesrepublik Deutschland heißt dies, daß weder die beteiligten Länder noch die in den Fällen der Art. 37 und 38 Abs. 2 EAGV betroffenen grenznahen Gebietskörperschaften, noch auch Einzelpersonen, ein eigenes Klagerecht haben. Sie sind vielmehr darauf verwiesen, innerstaatlich auf die insoweit vertretungsberechtigten Organe des Bundes einzuwirken. Dies gilt im übrigen in entsprechender Weise für sämtliche mit der Wahrung der Rechte aus dem Vertrag verbundenen Schritte, so insbesondere für die Erlangung von Informationen über die Erfüllung der Meldepflicht bzw. die Stellungnahme der Kommission gemäß Art. 37 EAGV, über das Tätigwerden der Kommission im Rahmen von Art. 38 Abs. 2 EAGV sowie gegebenenfalls über die in Erfüllung einer Richtlinie gemäß dieser Vorschrift von dem Adressaten getroffenen Maßnahmen.
Versorgungsregime und stellt die sonstigen Teile des Vertrages nicht in Frage, vgl. etwa Morson, Rev. trim. dr. euro 1980, S. 1 ff. 88 über die obligatorische Zuständigkeit des Gerichtshofs hinaus kann dieser aufgrund eines Schiedsvertrages gemäß Art. 154 EAGV "für jede mit dem Gegenstand dieses Vertrages in Zusammenhang stehende Streitigkeit zwischen Mitgliedstaaten" für zuständig erklärt werden. Eine solche Zuständigkeit könnte theoretisch auch für die Frage der Zulässigkeit einer Kernanlage in Grenznähe bzw. der von ihr ausgehenden grenzüberschreitenden radioaktiven Immissionen vereinbart werden. Eine solche MöglichKeit, die auch Haedrich, III A 44, Anm.2 zu Art. 37, S. 50, nicht ausschließt, ist jedoch im vorliegenden Fall rein hypothetisch. 9 Kloepfer/Kohler
Vierter Teil
Kollisions- und haftungsrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke Vorbemerkung
Eine Darstellung der Haftung für Schäden, die im Zusammenhang mit dem Betrieb eines grenznahen Kernkraftwerks im Nachbarstaat entstehen können, muß sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt darauf beschränken, die vom - nationalen und zwischenstaatlichen - Gesetzgeber für die hypothetischen Schadensfälle festgelegten Regelungen zu erörtern. Dies bringt es zweifellos mit sich, daß einer solchen Darstellung ebenfalls etwas "hypothetisches" anhaftet - so jedenfalls für den im folgenden im Vordergrund stehenden Fall solcher Schäden, die durch die grenzüberschreitenden Auswirkungen eines "nuklearen Ereignisses"l verursacht werden. Die Behandlung der Frage nach der Haftung für "sonstige" schädigende Auswirkungen des Betriebs eines grenznahen Kernkraftwerks - zu denken wäre an eine thermische Verunreinigung, d. h. eine überwärmung von grenzüberschreitenden Gewässern durch Einleitung von Kühlwasser, auch an mikroklimatische Veränderungen, etwa durch Nebelbildung etc. - kann sich dagegen beim gegenwärtigen Stand der nationalen Rechte (weniger allerdings des Völkerrechts) auf eher gesichertem Boden bewegen. Aufgabe der folgenden Erörterungen soll es in erster Linie sein, den einigermaßen gesicherten Rechtszustand wiederzugeben; die Beteiligung an der rechtspolitischen Diskussion2 , insbesondere über die haftungsrechtliche Aktualisierung des internationalen Umweltschutzgedankens3 , steht dagegen nicht im Vordergrund. Zu diesem Begriff sogleich unten, 1. Abschn., A I. Zahlreiche Schriften zu Fragen der Haftung für grenzüberschreitende "Umweltschäden" sind recht spekulativer Art, vgl. etwa Rest, Internationaler Umweltschutz und Haftung, 1978, der seine Schrift selbst als rechtspolitische Anregung versteht, wohingegen Randelzhofer und Simma, Das Kernkraftwerk an der Grenze, Festschrift Berber, 1973, S. 389 ff., insbesondere 426 ff., ihre Ausführungen zur völkerrechtlichen Haftung als Wiedergabe der lex lata sehen. Vgl. demgegenüber die abgewogenere Darstellung von P.-M. Dupuy, La responsabilite internationale des Etats pour les dommages d'origine technologique et industrielle, 1976. a Siehe dazu etwa Rest, Abkommen über den Schadensersatz bei grenzüberschreitenden Umweltschäden, 1976. 1
2
4. Teil: Kollisions- und haftungs rechtliche Fragen
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Die Besonderheit der Fragestellung bedingt eine Zweiteilung der Untersuchung entsprechend den beiden nach Voraussetzungen und Wirkungen verschiedenen Haftungsgrundlagen, dem - durch völkerrechtliche Vereinbarungen teilweise vereinheitlichten - Privatrecht der Haftung für Schäden nuklearen und nicht-nuklearen Ursprungs" einerseits und dem Völkerrecht andererseits.
4 Die von der Frage der Schadenshaftung zu trennende Frage nach eventuellen Beseitigungs- bzw. Unterlassungsansprüchen gegenüber grenzüberschreitenden Beeinträchtigungen infolge des Betriebs der Kernanlage wird in einem Exkurs behandelt werden (unten 1. Abschn., C).
9·
Erster Abschnitt
Die zivilrechtliche Haftung, insbesondere die Haftung des Inhabers der Kernanlage A. Haftung für schädigende Auswirkungen eines "nuklearen Ereignisses" I. Die internationalen Atomhaftungskonventionen und ihre Aufnahme im französischen und deutschen Recht 1. Pariser Ubereinkommen und Brüsseler Zusatzübereinkommen
Mit dem Aufkommen der friedlichen Nutzung der Kernenergie nach dem Ende des zweiten Weltkriegs stellte sich für die nationalen Gesetzgeber die Frage, wie das damit verbundene Gefahrenpotential auf der Ebene des Haftungsrechts erfaßt werden könnte. Nachdem die Unzulänglichkeit der weitgehend auf dem Verschuldensprinzip aufbauenden Haftungsbestimmungen der nationalen Zivilrechtsordnungen für diesen Zweck offenbar geworden war, entschloß man sich - und nicht nur im europäischen Raum -, eine verschuldensunabhängige Haftung für solche Schäden vorzusehen, die auf die besonderen Gefährdungen der Kernenergie zurückgeführt werden können. Diese nationalen Atomhaftungsbestimmungen - die, jedenfalls in den westlichen Industriestaaten, ungeachtet bestimmter Einstandspflichten des Staates, dem Privatrecht zugeordnet wurden - wiesen allerdings, trotz übereinstimmender Grundgedanken, zahlreiche Unterschiede auf, die mit dem zunehmenden Bewußtsein der Möglichkeit grenzüberschreitender Schadensfälle als störend angesehen wurden. Hinzu kam, daß in solchen grenzüberschreitenden Fällen nicht nur die genannten materiellrechtlichen Unterschiede, sondern auch die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Regeln des internationalen Privat- und Verfahrensrechts zu Ungleichheiten bei der Rechtsverfolgung im Ausland hätten führen können, die angesichts der gleichen Ausgangslage besonders unbillig gewesen wären. Die Vermeidung, jedenfalls aber die Verminderung derartiger Ungleichheiten war deshalb alsbald das Ziel internationaler Bemühungen - sowohl im europäischen als auch im weltweiten Rahmen - zur Vereinheitlichung des Atomhaftungsrechts, die auf mehreren Ebenen vorgenommen wurden und Anfang der sechziger
A. Haftung der Nuklearschäden
133
Jahre zum Abschluß einer Reihe von multilateralen übereinkommen geführt haben5 • Grundlage und Kernstück des Atomhaftungsrechts zahlreicher europäischer Staaten, und insbesondere der Bundesrepublik und Frankreichs, ist heute das im Rahmen der OEEC (jetzt OECD) ausgearbeitete Übereinkommen vom 29.7.1960 "über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie" in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. 1. 1964, das sogenannte Pariser Übereinkommen, das durch ein Zusatzübereinkommen vom 31. 1. 1963, das sogenannte Brüsseler Zusatzübereinkommen, (ebenfalls mit Zusatzprotokoll vom 28.1.1964) ergänzt wurde6 • Die - sogleich (unten 2.) zu besprechenden - materiellen Haftungsbestimmungen sind im Pariser Übereinkommen (nachfolgend Pü) enthalten; das Brüsseler Zusatzübereinkommen (nachfolgend BZü) regelt dagegen in Ergänzung des Pü die Modalitäten der finanziellen Deckung und des gemeinsamen Staatseintritts bei Schäden, die die Haftungshöchstsummen des Pü übersteigen. Sowohl in der Bundesrepublik als auch in Frankreich gelten die Haftungsregeln des Pü seit Erfüllung der innerstaatlich vorgesehenen Voraussetzungen für die Inkraftsetzung völkerrechtlicher übereinkommen7 unmittelbar8 , sind also nicht erneut durch den Gesetzgeber als "nationale" Haftungsregeln kodifiziert bzw. in bestehende Kodifikationen eingearbeitet worden. Die daneben bestehenden innerstaatlichen Atom5 Siehe dazu mit ausführlichen Nachweisen Pelzer, in: Fischerhof, Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht, 2. Aufl., Bd. I, 1978, Vorbem. vor § 25 AtG, insbesondere Rdn. 17 ff., 33 ff.; aus früheren Veröffentlichungen insbesondere Hillgenberg, Das Internationalprivatrecht der Gefährdungshaftung für Atomschäden, 1963, S. 49 ff. 6 Hierzu gehört ferner das im vorliegenden Zusammenhang weniger interessierende - übereinkommen vom 17.12.1971 über die zivilrechtliche Haftung bei der Beförderung von Kernmaterial auf See. Das im Rahmen der IAEO erarbeitete und am 12. 11. 1977 in Kraft getretene Wiener Atomhaftungsübereinkommen vom 21. 5. 1963, das dem Pariser übereinkommen nachgebildet ist, ist weder von Frankreich, noch von der Bundesrepublik gezeichnet worden. Von der Bundesrepublik, nicht aber von Frankreich, ratifiziert worden ist ferner das Brüsseler übereinkommen über die Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen vom 25. 5. 1962. 7 Vgl. für die Bundesrepublik: Gesetz vom 8.7.1975 (BGBl. 11 S.957, 1007); in Kraft getreten ist das Pü für diesen Staat am 30.9.1975 (BGBl. 1976 11 S. 308). Neufassungen des Pü und des BZü sind unter dem 5.2. 1976 bekanntgemacht worden, vgl. BGBl. 1976 11 S.310. - Vgl. ferner die BT-Drucks. 7/ 2182, 2537, 3124 und 3126. In Frankreich ist das Pü durch Dekret n° 69-154 vom 6.2. 1969 bekanntgemacht worden und am 11. 2.1969, dem Tag der Veröffentlichung im J.O., in Kraft getreten. 8 Daß das Pü in der Bundesrepublik als self-executing unmittelbar geltendes Recht schafft, betont die Bundesregierung in BT-Drucks.7/2183, S.13; vgl. ferner Pelzer, in: Fischerhof, Vorbem. vor § 25 AtG, Rz.35. Für Frankreich vgl. Hebert, J.C.P. 1969 I 2232, n° 10 ff.
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4. Teil, 1. Abschn.: Zivilrechtliche Haftung, Kollisionsrecht
haftungsbestimmungen - in der Bundesrepublik die §§ 25 ff. des Atomgesetzes9 , in Frankreich das Gesetz n° 68-943 über die zivilrechtliche Haftung auf dem Gebiet der Kernenergie vom 30.10.196810 - bauen auf den Regeln des pO auf; sie passen einerseits das innerstaatliche Recht an diese Regeln an und enthalten zum anderen solche Durchführungsbestimmungen, Ergänzungen und Abweichungen, die das pO den Vertragsstaaten überläßtl1 . Im BZO verpflichteten sich die Vertragsstaaten, dafür Sorge zu tragen, daß für Schadensersatzansprüche aufgrund des pO Entschädigung über den dort festgesetzten Höchstbetrag (mindestens 5 Mio. Rechnungseinheiten des Europäischen Währungsabkommens vom 5. 8. 1955, vgl. Art. 7 [b] pO) hinaus bis zum Höchstbetrag von 120 Mio. Rechnungseinheiten geleistet wird (Art. 3 BZO). Für die Aufbringung des Entschädigungsbetrages ist, in teilweise recht komplizierten Bestimmungen, eine gestaffelte Beteiligung des Anlageninhabers, des Genehmigungsstaats sowie der Gemeinschaft der Vertragsstaaten, und (für die zuletzt genannte Beteiligung) ein bestimmter Aufbringungsschlüssel vorgesehen12 • Frankreich hat diese Bestimmungen in der Weise durchgeführt, daß den Geschädigten für den den Höchsthaftungsbetrag des Anlageninhabers übersteigenden Schaden ein direkter Anspruch gegen den Staat "unter den Voraussetzungen und in den Grenzen des Brüsseler Zusatzübereinkommens" gewährt wird (Art. 5 des Gesetzes vom 30. 10. 1968)13. In der Bundesrepublik dagegen ist der Höchstbetrag der Haftung nach dem BZO bei der Festsetzung der Haftung des Anlageninhabers auf 1 Milliarde DM (§ 31 AtG) berücksichtigt worden. Anders als in Frankreich greifen damit bei der deutschen Lösung die Regeln des BZO nicht in die privatrechtlichen Beziehungen zwischen dem Haftenden und dem Geschädigten ein, sondern betreffen das In der Fassung der Bekanntmachung vom 31. 10. 1976 (BGBl. I S.3053). J. O. vom 31. 10. 1968. Das Gesetz ist am 11. 2.1969, dem Tag der Veröffentlichung des pU im J. 0., in Kraft getreten. Die Geltung einzelner Bestimmungen des Gesetzes war bis zur Veröffentlichung des BZU suspendiert, die am 27.3.1975 erfolgt ist (Dekret n° 75-196 vom 18.3.1975). Das Gesetz vom 30.10.1968 ersetzt das eine übergangsregelung enthaltende Gesetz n° 65955 vom 12. 11. 1965. 11 Vgl. § 25 Abs. 1 S. 1 AtG sowie Art. 1 des französischen Atomhaftungsgesetzes. 12 Vgl. dazu näher die Denkschrift der Bundesregierung zum BZU, BTDrucks. 7/2182, S. 96 ff.; PelzeT, in: Fischerhof, Vorbem. vor § 25 AtG, Rz. 39 f. Die dort (Rz. 40) erwähnten vorbereitenden Arbeiten zur Revision des BZU mit dem Ziel der Erhöhung der Entschädigungshöchstsumme sind im Sommer 1979 im wesentlichen abgeschlossen worden. Vorgesehen ist eine Anhebung des Höchstbetrags um 250 Ofo, d. h. auf einen 300 Mio RE entsprechenden Betrag, der jetzt in Sonderziehungsrechten des IWF ausgedrückt werden soll. 13 Vgl. dazu näher unten 11 2. o
10
A. Haftung der Nuklearschäden
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völkerrechtliche Innenverhältnis zwischen den Vertragsstaaten14• Beide Möglichkeiten werden durch Art. 3 c) des BZü zugelassen. 2. Das Pariser Vbereinkommen im französischen und deutschen Recht
Im vorliegenden Zusammenhang mag es genügen, die tragenden Grundsätze des Pü kurz zu skizzieren15 ; die bei der Geltendmachung von Ansprüchen deutscher Geschädigter gegenüber französischen Anlageninhabern zu beachtenden Besonderheiten werden nachfolgend unter II erörtert werden. a) Nach Art. 3 Pü haftet der Inhaber einer Kernanlage, ohne daß es auf sein Verschulden ankommt, für den "Schaden an Leben oder Gesundheit von Menschen" sowie, mit bestimmten Ausnahmen, den "Schaden an oder Verlust von Vermögenswerten"16, wenn bewiesen wird, daß der Schaden durch ein "nukleares Ereignis verursacht worden ist, das entweder auf Kernbrennstoffe oder auf radioaktive Erzeugnisse oder Abfälle, die sich in der Kernanlage befinden, oder auf Kernmaterialien zurückzuführen ist, die aus der Kernanlage stammen ... "17. Gemäß Art. 4 Pü haftet der Anlageninhaber unter bestimmten Voraussetzungen auch für Schäden, die durch ein nukleares Ereignis außerhalb der Anlage, nämlich während des Transports von Kernmaterialien von der Anlage aus oder zu ihr hin, verursacht worden sind. 14 Vgl. die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des AtG, BT-Drucks.7/2183, S.13. 15 Vgl. hierzu, aus der deutschsprachigen Literatur zum PU, insbesondere die Kommentierung von PelzeT, in: Fischerhof, S. 813 ff., sowie PfaffelhubeT, in: Drittes Deutsches Atomrechts-Symposium 1974, 1975, S. 213 ff., und PelzeT, in: Erstes Deutsches Atomrechts-Symposium 1972, 1973, S. 183 ff. 18 Eine nähere Bestimmung dieser Begriffe fehlt. Problematisch kann dies insbesondere für die Frage werden, was als Schaden oder Verlust von "Vermögenswerten" ("any property"; "biens"; "bienes") zu gelten hat. Eine Beschränkung auf Sachschäden (allein hiervon spricht § 31 Abs.2 AtG) wäre eine unzulässig enge Auslegung des Begriffs (so zu Recht PelzeT, in: Fischerhof, Art. 3 PU, Rz.8); zu weit geht auch die Feststellung, für "Vermögensschäden" werde nicht gehaftet (so aber Pfaffelhuber, in: Drittes Deutsches Atomrechts-Symposium 1974, 1975, S.262 [Diskussionsbeitrag]). Der Begriff wird überhaupt nicht als Verweisung auf die Kategorien eines innerstaatlichen Rechts verstanden werden können, sondern autonom aus dem pU heraus ausgelegt werden müssen. Beachtung verdient der Versuch von PelzeT, ebd., unter "Anlehnung" an den Begriff "absolutes Recht" in § 823 Abs. 1 BGB zu einer Lösung zu kommen. Vorrangig muß jedenfalls bei der Bestimmung des Begriffs beachtet werden, daß das Haftungssystem nach dem pU abschließend ist, dem Geschädigten daneben also nicht mehr weitergehende Ansprüche nach allgemeinen Vorschriften erhalten bleiben. 17 Sowohl in der Bundesrepublik als auch in Frankreich haftet der Inhaber ferner auch für den Schaden, der von einer ionisierenden Strahlung aus einer sonstigen Strahlenquelle innerhalb der Anlage herrührt, wie dies in Art. 3 (c) fakultativ vorgesehen ist.
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4. Teil, 1. Abschn.: Zivil rechtliche Haftung, Kollisionsrecht
Haftungsausschlüsse läßt allein Art. 9 pO zu; der Anlageninhaber haftet danach nicht, wenn das nukleare Ereignis "unmittelbar auf Handlungen eines bewaffneten Konfliktes, von Feindseligkeiten, eines Bürgerkrieges, eines Aufstands oder, soweit nicht die Gesetzgebung der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet seine Kernanlage gelegen ist, Gegenteiliges bestimmt, auf eine schwere Naturkatastrophe außergewöhnlicher Art zurückzuführen ist". Während diese Haftungsausschlüsse in Frankreich gelten, ist Art. 9 pO in der Bundesrepublik gemäß § 25 Abs.4 AtG nicht anzuwenden. Bei Schadenseintritt in einem anderen Staat gilt dies jedoch nur, wenn dieser im Verhältnis zur Bundesrepublik eine gleichwertige Regelung hat. b) Der in diesem Zusammenhang zentrale Begriff "nukleares Ereignis" wird in Art. 1 (a) (i) Pü definiert als "jedes einen Schaden verursachende Ereignis oder jede Reihe solcher aufeinanderfolgender Ereignisse desselben Ursprungs, sofern das Ereignis oder die Reihe von Ereignissen oder der Schaden von radioaktiven Eigenschaften oder einer Verbindung der radioaktiven Eigenschaften mit giftigen, explosiven oder sonstigen gefährlichen Eigenschaften von Kernbrennstoffen oder radioaktiven Erzeugnissen oder Abfällen herrührt oder sich daraus ergibt". Bereits der Wortlaut dieser Legaldefinition macht das Bestreben deutlich, alle denkbaren schädigenden Ereignisse zu erfassen, die auf die gefährlichen, insbesondere die radioaktiven, Eigenschaften von Kernbrennstoffen zurückzuführen sind; der Anwendungsbereich der Haftungsregeln ist also nicht etwa beschränkt auf "Unfälle" im Sinne außergewöhnlicher, unkontrollierter oder einmaliger Ereignisse1s . Erfaßt werden vielmehr auch solche "Ereignisse", die sich laufend als Ursache von Dauerwirkungen ereignen und sich beispielsweise in schädigenden Radioaktivitätsabgaben äußern19• Ob die "Ursache" außergewöhnliche Betriebsbedingungen, Störfälle, verschuldete oder unverschuldete Bedienungsfehler etc. sind oder ob "normale" Betriebsbedingungen herrschen, ist hierbei gleichgültig. Es ist ferner nicht erforderlich, daß das Ereignis und der Schaden nuklearen Ursprungs sind, d. h. auf radioaktive Eigenschaften bzw. deren Verbindung mit sonstigen gefährlichen Eigenschaften zurückzuführen sind; es genügt vielmehr, wenn entweder das Ereignis oder der Schaden nuklearen Ursprungs sind 20 • 18 Die könnte ein flüchtiger Blick auf den in der französischen Fassung verwendeten Ausdruck "accident nucleaire" vermuten lassen; die englische Fassung spricht von "nuclear incident", die spanische wiederum von "accidente nuclear". 19 Vgl. ausführlich PelzeT, in: Fischerhof, Art. 1 pO, Rz.2 m. w. N. 20 PelzeT, ebd.; vgl. ferner zu den sich in diesem Zusammenhang ergebenden Kausalitäts- und damit Beweisproblemen, die insbesondere bei Spät-
A. Haftung der Nuklearschäden
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Bereits die Definition des "nuklearen Ereignisses" bezieht als Schadensursache neben den radioaktiven Eigenschaften von Kernbrennstoffen etc. auch die Verbindung dieser Eigenschaften "mit giftigen, explosiven oder sonstigen gefährlichen Eigenschaften" der betreffenden Stoffe ein. Daneben ist aber auch denkbar, daß ein gleichzeitig oder in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem nuklearen Ereignis eintretendes nichtnuklearesEreignis (z. B. eine 'Explosion) ebenfalls Schäden verursacht, ohne daß mit Sicherheit festzustellen ist, welcher Teil der Schäden durch das eine, und welcher durch das andere Ereignis verursacht worden ist. Für diesen Fall enthält Art. 3 (b) Satz 1 pO im Interesse der Geschädigten eine Beweisregel, die die Erstreckung der Haftung auch auf die nichtnuklearen Schäden ermöglicht: "Wird der Schaden oder der Verlust gemeinsam durch ein nukleares und ein nichtnukleares Ereignis verursacht, so gilt der Teil des Schadens oder des Verlustes, der durch das nichtnukleare Ereignis verursacht worden ist, soweit er sich von dem durch das nukleare Ereignis verursachten Schaden oder Verlust nicht hinreichend sicher trennen läßt, als durch das nukleare Ereignis verursacht ... " Die Bestimmung ist freilich nicht als Auffangtatbestand in dem Sinne zu verstehen, daß alle im Zusammenhang mit einer Kernanlage entstehenden Schäden mit Hilfe der Beweisvermutung der nuklearen Haftung des Anlageninhabers zugeordnet werden20o • Soweit nichtnukleare Schäden nicht von Art. 3 (b) Satz 1 pO erfaßt werden, richtet sich die Haftung des Anlageninhabers (oder gegebenenfalls eines Dritten) nach den allgemeinen Vorschriften20b • c) Wesentliches Merkmal des pO ist ferner die Einführung der wohl den weitestgehenden Eingriff in die innerstaatlichen Haftungsordnungen darstellenden - sogenannten "rechtlichen Kanalisierung" der Haftung auf den Inhaber der Kernanlage. Nach Art. 6 (a) S. 1 kann der Ersatzanspruch wegen eines durch ein nukleares Ereignis verursachten Schadens "nur gegen den Inhaber einer Kernanlage geltend gemacht werden, der gemäß diesem Übereinkommen haftet", und grundsätzlich gegen niemanden sonst21 • Zur Deckung dieser Haftung schäden eine erhebliche Rolle spielen können, die ausführlichen Angaben von PelzeT, in: Fischerhof, Vorbem. zu § 25 AtG, Rz. 8 ff. Erwähnung verdient hierbei im übrigen Art. 10 des französischen Gesetzes vom 30.10.1968, der die Möglichkeit vorsieht, durch Dekret eine nicht abschließende Liste solcher Körper- und Gesundheitsschäden aufzustellen, bei denen widerleglich vermutet wird, daß sie von dem nuklearen Ereignis verursacht wurden. 20a Vgl. hierzu, sowie zum Vorhergehenden, PelzeT, in: Fischerhof, Art. 3 pU, Rz. 16 ff. 20b Siehe dazu unten B. !1 Art. 6 (a) 2. Halbsatz läßt innerstaatliche Vorschriften unberührt, die Direktansprüche gegen den Versicherer oder andere gemäß Art. 10 PU Sicher-
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4. Teil, 1. Abschn.: Zivil rechtliche Haftung, Kollisionsrecht
ist der Anlageninhaber - dem in bestimmten Fällen im übrigen Rückgriffsrechte zu Gebote stehen - gemäß Art. 10 Pü verpflichtet, "eine Versicherung oder eine sonstige finanzielle Sicherheit ... einzugehen und aufrechtzuerhalten". Der Höchstbetrag der Haftung des Anlageninhabers, der nach Art. 7 Pü für "einen durch ein nukleares Ereignis verursachten Schaden" in der Regel 15 Mio. Rechnungseinheiten des Europäischen Währungsabkommens beträgt, von den Vertragsstaaten aber nach oben erhöht werden kann (vgl. Art. 15 PÜ), ist in der Bundesrepublik und in Frankreich gegenwärtig unterschiedlich festgesetzt. Er beträgt in der Bundesrepublik nach§ 31 AtG 1 Milliarde DM (wobei dieser Betrag, wie erwähnt, die Verpflichtungen aus dem BZü mit abdeckt). In Frankreich haftet der Anlageninhaber dagegen lediglich bis zu einem (15 Mio. Rechnungseinheiten entsprechenden) Betrag von 50 Mio. FF (Art. 4 des Gesetzes vom 30. 10. 1968); für den darüberhinausgehenden Schaden leistet - wie ebenfalls bereits erwähnt - der Staat Entschädigung nach den Regeln des BZü (Art. 5 leg. cit.)22. d) Angesichts der Besonderheiten der durch nukleare Ereignisse verursachten Schäden gewinnt die Festsetzung von Ausschluß- und Verjährungsfristen besondere Bedeutung. Nach Art. 8 (a) Pü erlischt der Entschädigungsanspruch, "wenn eine Klage nicht binnen zehn Jahren nach dem nuklearen Ereignis erhoben wird". Diese für Spätschäden nicht angemessene Frist23 ist in der Bundesrepublik in § 32 Abs. 1 AtG auf dreißig Jahre, in Frankreich - unter bestimmten Voraussetzungen - auf fünfzehn Jahre angehoben worden (Art. 15 Abs. 2 des Gesetzes vom 30. 10. 1968). In beiden Staaten verjähren die Ansprüche jedoch in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Ersatzberechtigte Kenntnis von dem Schaden und dem Ersatzpflichtigen erlangt hat oder hätte erlangen müssen24 • e) Das Pü enthält ferner - neben einer allgemeinen Gleichbehandlungsklausel25 - eine Reihe von praktisch bedeutsamen Bestimmungen heit leistende Personen vorsehen. Derartige Direktansprüche sind zwar nicht in der Bundesrepublik, wohl aber in Frankreich vorgesehen, vgl. Art. 14 des Gesetzes vom 30.10.1968. 22 Sowohl in der Bundesrepublik (§ 34 AtG) als auch in Frankreich (hier unabhängig von der Verpflichtung aus Art.5 leg. cit., vgl. Art. 8) trifft den Staat im übrigen eine gesetzliche Freistellungsverpflichtung für den Fall, daß der Anlageninhaber bzw. seine Versicherer den Ersatzpflichten nicht nachkommen können. !3 Vgl. Pfaffelhuber, S. 221. 24 Art. 8 (c) Pü sieht eine Mindestfrist von zwei Jahren vor. !5 Art. 14 (a) : "Dieses übereinkommen ist ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit, den Wohnsitz oder den Aufenthalt anzuwenden."
A. Haftung der Nuklearschäden
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über die gerichtliche Zuständigkeit (Art. 13) und das anwendbare Recht (Art. 11, 14 (b) und (e», die wegen ihres engen Zusammenhangs mit Fragen der grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung sogleich bei der Untersuchung der Frage behandelt werden sollen, wie Ersatzansprüche von Personen durchzusetzen sind, die im deutschen Grenzgebiet infolge eines nuklearen Ereignisses in Frankreich geschädigt werden. Die bisherige Erörterung hat gezeigt, daß die Bundesrepublik und Frankreich von den vielfältigen im Pü eröffneten Möglichkeiten, über den haftungsrechtlichen "Mindeststandard" des übereinkommens und des BZO hinauszugehen, unterschiedlichen Gebrauch gemacht haben. Die im deutschen Atomgesetz enthaltenen ergänzenden Regeln sind vor allem hinsichtlich des Haftungshöchstbetrages26 , aber auch in der Konsequenz der Durchführung der rechtlichen Kanalisierung der Haftung auf den Anlageninhaber sowie hinsichtlich der Haftungsausschlüsse und der für Spätschäden bedeutsamen Festsetzung der Ausschlußfristen, dem Geschädigten durchweg günstiger als die Regeln des französischen Gesetzes vom 30. 10. 1968. Die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts gewinnt vor diesem Hintergrund insbesondere für die grenznahe Bevölkerung in der Bundesrepublik Bedeutung. Die Möglichkeit, daß Personen, die im deutschen Grenzgebiet infolge nuklearer Ereignisse im Ausland geschädigt werden, nach dem gegebenenfalls anwendbaren Recht eines anderen Vertragsstaates im Ergebnis schlechter gestellt werden als dies bei Anwendbarkeit deutschen Rechts der Fall wäre, ist allerdings vom deutschen Gesetzgeber berücksichtigt worden. § 38 AtG sieht - eine im internationalen Atomhaftungsrecht einmalige Regelung27 - in diesen Fällen unter bestimmten Voraussetzungen einen "Ausgleich" durch den Bund bis zur Höhe des in § 31 Abs.1 S.l AtG festgesetzten Betrages von 1 Milliarde DM vor. Die Regelung soll vor allem verhindern, daß sich die unterschiedliche Umsetzung des Pü in den einzelnen Vertragsstaaten zum Nachteil der Grenzbevölkerung in der Bundesrepublik auswirkt. So werden in § 38 Abs. 1 AtG unter anderem (Nm. 2,5 und 6) die drei im Verhältnis zu Frankreich festgestellten Abweichungen bezüglich des Haftungsausschlusses nach Art. 9 pO, der Verjährung sowie der Höchsthaftungssumme als ausgleichsbegründend erfaßt. Die näheren Voraussetzungen des Ausgleichs bedingen jedoch zunächst eine Auseinandersetzung mit 28 Zur Diskussion über eine weitere Anhebung des Haftungshöchstbetrages bzw. eine Aufhebung der summenmäßigen Haftungsbegrenzung siehe HaTtkopf, Sechstes Deutsches Atomrechts-Symposium 1979, 1980, S. 26 f., sowie die Referate von PfaffelhubeT/Kuckuck, Schmidt, BTeining und PelzeT, S. 383 ff. 27 Vgl. PelzeT, Drittes Deutsches Atomrechts-Symposium 1974, 1975,
S. 251 ff., 257.
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4. Teil, 1. Abschn.: Zivil rechtliche Haftung, Kollisionsrecht
der nunmehr zu behandelnden Problematik der Rechtsverfolgung im Verhältnis zu Frankreich. 11. Durchsetzung von Ersatzansprüchen der im deutschen Grenzgebiet geschädigten Personen nach den Atomhaftungskonventionen Erleiden Personen auf deutschem Hoheitsgebiet durch ein nukleares Ereignis im Zusammenhang mit dem Betrieb des Kernkraftwerks Cattenom Schaden an Gesundheit und/oder Vermögenswerten, so sind bei der Durchsetzung der nach dem PU gegebenen Ersatzansprüche dessen Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit (nachfolgend 1.), das anwendbare Recht (2.) und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen (3.) in erster Linie maßgebend; allerdings ist wegen der teilweise unvollständigen Regelungen ein Zurückgreifen auf das jeweils anwendbare innerstaatliche Recht zuweilen unumgänglich. An die Behandlung der Verfahrens fragen nach dem pU wird abschließend auf die Ausgestaltung des Ausgleichsanspruchs nach § 38 AtG hingewiesen (4.). 1. Gerichtliche Zuständigkeit
Nach dem in Art. 13 (a) pU niedergelegten Grundsatz sind für Klagen, mit denen die nach den oben besprochenen materiellen Haftungsregeln gegebenen Ersatzansprüche geltend gemacht werden, "nur die Gerichte derjenigen Vertragspartei zuständig, in deren Hoheitsgebiet das nukleare Ereignis eingetreten ist". Kann der Ort des nuklearen Ereignisses nicht mit Sicherheit festgestellt werden (oder liegt er außerhalb der Hoheitsgebiete der Vertragsparteien), so sind nach Art. 13 (b) pU die Gerichte des Staates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die Kernanlage des haftenden Inhabers gelegen ist. Bei Zuständigkeit der Gerichte mehrerer Vertragsstaaten sieht Art. 13 (c) pU besondere Lösungen zur Bestimmung des zuständigen Gerichts - gegebenenfalls unter Einschaltung des Europäischen Kernenergie-Gerichtshofs28 - vor; als zuständig sollen nach Art. 13 (c) (ii) letztlich die Gerichte des Vertragsstaates bestimmt werden, der zu dem Fall "die engste Beziehung" hat29 • Nach diesen zwingenden Regeln sind im Falle eines nuklearen Ereignisses im Zusammenhang mit dem Betrieb der Anlage in Cattenom die !8 Dieses Gericht (vgl. übereinkommen vom 20.12.1957, BGBl. 1965 II S.1335) ist nach Art. 17 Pü für Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung des Pü zuständig. 29 Vgl. zum System des Art. 13 PelzeT, in: Fischerhof, Anm. 1 zu Art. 13 Pü, sowie die Kritik an der geltenden - mit Rücksicht auf das Wiener übereinkommen eingeführten - Regelung bei PelzeT, Drittes Deutsches AtomrechtsSymposium 1974, 1975, S. 251 ff., 253 f.
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französischen Gerichte - und zwar die ordentlichen Zivilgerichte30 für Klagen gegen den Inhaber der Anlage auf der Grundlage des pO ausschließlich zuständig. Anders ist es nur, wenn das nukleare Ereignis beim Transport von Kernmaterialien zu oder von der Anlage in Cattenom (unter den in Art. 4 pO geregelten Voraussetzungen) in einem anderen Vertragsstaat eingetreten ist. In diesem Fall sind für Klagen gegen den Inhaber der Anlage in Cattenom die Gerichte des betreffenden Vertragsstaates zuständig. Die Möglichkeit für im deutschen Grenzgebiet geschädigte Personen, ihre Ersatzansprüche nach dem pO gegen den französischen Anlageninhaber vor deutschen Gerichten geltend zu machen, beschränkt sich damit - bei Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 4 pO - auf den Fall, daß das nukleare Ereignis beim Transport von Kernmaterialien im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik eintritt31 • Im Regelfall bedeutet damit die Zuständigkeitsregelung in Art. 13 pO bei grenzüberschreitenden Auswirkungen eines nuklearen Ereignisses eine Erschwerung der Rechtsverfolgung für geschädigte Personen im Nachbarstaat. Der Zwang, ihr Recht im Ausland suchen zu müssen, ist insbesondere für die Opfer einer nuklearen Schädigung eine schwer einsichtig zu machende zusätzliche Belastung32 , zumal es dem in aller Regel wirtschaftlich stärkeren und administrativ besser gerüsteten Anlageninhaber eher zuzumuten wäre, sich vor ausländischen Gerichten zu verteidigen. Die in Az:t. 13 pO im praktischen Ergebnis bewirkte verfahrensrechtliche "Kanalisierung" der Haftungsprozesse auf die Gerichte des Anlagenstaates steht in Kontrast insbesondere zu dem in den sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten der EWG seit dem 1. 2.1973 geltenden Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen vom 27.9.1968, nach dessen Art. 5 Nr.3 in der vom EuGH gegebenen Auslegung 33 für Klagen aus unerlaubter Handlung nach Wahl des Klägers sowohl das Gericht des Handlungsorts als auch das Gericht am Ort des Schadenseintritts zuständig ist. Die Zuständigkeitsregeln des pO gehen jedoch nach der ausdrücklichen Bestimmung in 30 Vgl. Art. 17 des französischen Gesetzes vom 30. 10. 1968, dessen Abs.2 die Möglichkeit zivilrechtlicher Adhäsionsverfahren in Strafverfahren ausdrücklich ausschließt. Besondere Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit enthält das Gesetz nicht, so daß insoweit die allgemeinen Regeln gelten. 31 Der äußerst hypothetische Fall, daß deutsche Gerichte in dem Verfahren nach Art. 13 (c) (ii) Pü als zuständig bestimmt werden, mag hier außer Betracht bleiben. 3! Vgl. zutreffend PelzeT (Anm. 29), S.254. Die von diesem Verfasser vorgeschlagene Revision der Zuständigkeitsregelung in Anlehnung an Art. X des Brüsseler Reaktorschiff-Haftungsübereinkommens hat gegenwärtig wohl keine Aussicht auf Verwirklichung. 33 Urteil vom 30.11.1976, Rechtssache 21/76, Slg.1976, S. 1735; die Entscheidung betrifft einen Fall, in dem durch eine in Frankreich verursachte Verschmutzung des Rheins in den Niederlanden Schäden eingetreten waren.
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Art. 57 des übereinkommens diesem vorM, so daß die geschilderte Erschwerung der Rechtsverfolgung für die im deutschen Grenzgebiet geschädigten Personen insoweit auch nach Inkrafttreten des EWG-übereinkommens weiter besteht. 2. Anwendbares Recht
Das Pü enthält keine abschließende Regelung der Frage, welches innerstaatliche Recht bei grenzüberschreitenden Auswirkungen eines nuklearen Ereignisses neben den Regeln des Übereinkommens selbst für die Haftung des Anlageninhabers maßgebend ist. Soweit das übereinkommen Abweichungen durch die innerstaatliche Gesetzgebung zuläßt oder die nähere Ausgestaltung seiner Regeln dem "innerstaatlichen Recht" vorbehält35 , ist hiermit gemäß Art. 14 (b) Pü das Recht oder die Gesetzgebung des nach Art. 13 zuständigen Gerichts gemeint36 • Dies bedeutet jedoch nicht von vornherein, daß das Haftungsrecht des Gerichtsstaates auch in auslands verknüpften Fällen stets anwendbar ist. Die Verweisung in Art. 14 (b) umfaßt nicht nur das materielle Recht des Gerichtsstaates, sondern auch dessen Kollisionsnormen, wie sich sowohl aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Beschränkung der Verweisung auf die Sachnormen des betreffenden Rechts als' auch aus dem "Expose des motifs" der Verfasser des übereinkommens37 ergibt. Auszugehen ist damit für die Frage des bei grenzüberschreitenden Haftungsfällen anwendbaren Rechts von den Kollisionsnormen des Staates, dessen Gerichte nach Art. 13 Pü zuständig sind. Für die Bundesrepublik enthält § 40 AtG eine spezielle Kollisionsnorm für Klagen gegen Inhaber von in anderen Vertragsstaaten gelegenen Anlagen; soweit hierfür die Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben ist 38 , "beS4 Nach Art.57 bleiben übereinkommen unberührt, "die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstrekkung von Entscheidungen regeln". Hierzu gehört das Pü, vgl. den von Jenard verfaßten Bericht des Sachverständigenausschusses zu dem übereinkommen, ABI. EG Nr. C 59 vom 5.3. 1979, S. 1, 60. 35 SO Z. B. nach Art. 11 Pü für "Art, Form und Umfang des Schadensersatzes sowie dessen gerechte Verteilung". 38 Art. 14 (b) lautet: "Die Ausdrücke ,innerstaatliches Recht' und ,innerstaatliche Gesetzgebung' bedeuten das innerstaatliche Recht oder die innerstaatliche Gesetzgebung des Gerichts, das gemäß diesem übereinkommen für die Entscheidung über Ansprüche zuständig ist, die sich aus einem nuklearen Ereignis ergeben. Sie sind auf alle materiell- und verfahrensrechtlichen Fragen anzuwenden, die durch das vorliegende übereinkommen nicht besonders geregelt sind. " 37 VgI. nO.60: "The competent court must apply ... the national law or legislation, including rules of private internationallaw, which are not affected by the Convention." (Abgedruckt bei Fischerhof, S. 897 ff.). Siehe dazu ferner Hillgenberg, S. 53 ff.
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stimmt sich die Haftung des Inhabers nach den Vorschriften dieses Gesetzes". Obwohl eine ausdrückliche Regelung für Klagen gegen Inhaber von in der Bundesrepublik gelegenen Anlagen fehlt, kann nicht zweifelhaft sein, daß sich deren Haftung ebenfalls nach den Vorschriften des Atomgesetzes - das ja in erster Linie ein Sonderrecht für deutsche Kernkraftanlagen schafft - richtet. Dies gilt nicht nur dann, wenn das nukleare Ereignis in der Bundesrepublik stattgefunden hat, mag auch der Schaden im Ausland eingetreten sein39 : Der Sonderrechtscharakter der Regelung des Atomgesetzes und insbesondere die von den allgemeinen Regeln des deutschen internationalen Deliktsrechts abweichende Wahl der gerichtlichen Zuständigkeit als Anknüpfungsmerkmal in § 40 AtG lassen vielmehr den Schluß zu, daß deutsches Recht auch dann die Haftung deutscher Anlageninhaber beherrscht, wenn das nukleare Ereignis bei einem Transport von Kernmaterialien im Ausland stattgefunden hat, deutsche Gerichte aber dennoch nach Art. 13 Pü zuständig sind40 • Es wäre im übrigen, auch im Hinblick auf das Gebot der nicht-diskriminierenden Anwendung des innerstaatlichen Rechts in Art. 14 (c) Pü, kaum zu vertreten, den ausländischen Anlageninhaber stets, den deutschen Inhaber aber nur dann nach deutschem Recht haften zu lassen, wenn das nukleare Ereignis in der Bundesrepublik eingetreten ist41 • Anders als das Atomgesetz der Bundesrepublik enthält das französische Gesetz vom 30. 10. 1968 überhaupt keine ausdrücklichen Regeln zur Bestimmung des anwendbaren Rechts bei grenzüberschreitenden Haftungsfällen. Nach den allgemeinen Regeln des französischen internationalen Deliktsrechts bestimmt sich die deliktische Haftung nach 38 Praktisch bedeutsam wird § 40 nur, wenn das nukleare Ereignis in der Bundesrepublik während eines Transports von Kernmaterialien eintritt und der ausländische Versender oder Empfänger nach Art. 4 Pü haftet. § 40 Abs. 2 läßt im übrigen das deutsche Recht gegenüber dem "Heimatrecht" des ausländischen Anlageninhabers in bestimmten Fragen (u. a. hinsichtlich der Haftungshöchstsumme) zurücktreten. Wegen der Ausgleichsregelung in § 38 AtG ergeben sich für inländische Geschädigte daraus im Ergebnis keine Nachteile. 39 PelzeT, in: Fischerhof, Rz.2 zu Art. 40 AtG. 40 Auch die Begründung des 3. AndG zum AtG (BT-Drucks.7/2183) geht von der grundsätzlichen Maßgeblichkeit der lex fori aus (S. 39); so auch HittgenbeTg, S.54, der freilich den jetzigen § 40 AtG nocQ nicht berücksichtigenkonnte. 41 Die Anwendbarkeit des ausländischen Rechts auf Klagen gegen deutsche Anlageninhaber vor deutschen Gerichten würde im übrigen bei der derzeitigen Struktur der ausländischen Haftungsbestimmungen für in der Bundesrepublik geschädigte Personen in aller Regel einen Ausgleichsanspruch nach § 38 AtG begründen. Zweck dieser Vorschrift ist es aber, in solchen Fällen einen Ausgleich zu gewähren, in denen inländische Geschädigte im Ausland keinen Ersatz nach deutschem Standard von dem ausländischen Anlageninhaber erlangen können.
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dem Recht des Staates, in dem sich die anspruchsbegründenden Tatsachen ereignet haben 42 • Für den Fall eines nuklearen Ereignisses in Frankreich wäre die Maßgeblichkeit französischen Rechts, und insbesondere des Gesetzes vom 30.10.1968, somit schon nach den allgemeinen Regeln gegeben43 • Die Anwendbarkeit dieser allgemeinen Regeln im Bereich des Atomhaftungsrechts ist jedoch für das französische Recht nicht weniger zweifelhaft als in dem oben erwähnten Fall des deutschen Atomgesetzes. Man wird vielmehr auch für Frankreich davon auszugehen haben, daß das Gesetz vom 30.10.1968 für die Haftung der Inhaber französischer Kernanlagen unter dem PÜ ein abgeschlossenes Sonderrecht geschaffen hat, das bei Klagen vor französischen Gerichten "unmittelbar", d. h. ohne Zwischenschaltung der allgemeinen Kollisionsnormen anwendbar ist, unabhängig davon, wo das nukleare Ereignis stattgefunden hat und wo der Schaden eingetreten ist. Zweck und Zielsetzung des französischen Gesetzes sowie dessen "persönlicher" Anwendungsbereich - der nach Art. 2 ausdrücklich auf Anlagen beschränkt ist, "deren Rechtsstellung durch Durchführungsdekrete gemäß Art. 8 des Gesetzes n° 61-842 vom 2.8.1961 betreffend die Bekämpfung der Luftverschmutzung" geregelt worden ist - ergeben insoweit eine spezielle einseitige Kollisionsnorm, welche die allgemeinen Regeln überlagert44 • Die Struktur dieser Regelung bedingt, daß die Frage, welches Recht bei Klagen in Frankreich gegen ausländische Anlageninhaber maßgebend ist, offenbleibt. Ob diese Lücke durch Rückgriff auf die allgemeinen Regeln des Kollisionsrechts zu schließen ist, oder dadurch, daß man, wie in der Bundesrepublik, das anwendbare Recht im Gleichlauf mit der Zuständigkeit bestimmt, oder endlich dadurch, daß man jeweils das "Heimatrecht" des haftenden Anlageninhabers anwendet, mag im Rahmen der hier untersuchten Fragestellung dahinstehen. 42 Ständige Rechtsprechung des Kassationshofs seit der grundlegenden Entscheidung vom 25.5.1948, Lautour, D.1948, S.357; vgl. aus der jüngeren Rechtsprechung Cass. 1. 6.1976, D. S. 1977, Jur. S.257, sowie die Angaben bei Bouret, in Rep. Dalloz, Droit international, vo Resp. civile, nos 24 ff. 43 Vgl. zu der Frage, ob danach französisches Recht auch dann gilt, soweit schädigende Auswirkungen (auch) im Ausland eintreten, oder ob insoweit das Recht des ausländischen Erfolgsorts maßgebend ist, unten BIlL 44 Vgl. zu den in Frankreich vielfach als "lois d·application immediate" bezeichneten Rechtssätzen, die ihren Anwendungsbereich selbst umschreiben und nicht von den allgemeinen Kollisionsnormen zur Anwendung berufen werden, insbesondere Francescakis, in Rep. Dalloz, Droit int., vo Conflits de lois (princ. gen.), nos 122 ff., sowie Neuhaus, Die Grundbegriffe des internationalen Privatrechts, 2. Aufl. 1976, S. 98 f., 105 f., 365 f., und KaraquiHo, Etude de quelques manifestations des lois d'application immediate, 1978. Die - unter diesem Aspekt bisher noch nicht untersuchten - Bestimmungen des Gesetzes vom 30. 10. 1968 können als Musterbeispiel für diese Kategorie von Rechtssätzen dienen.
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Somit ergibt sich, daß sich im Falle von grenzüberschreitenden schädigenden Auswirkungen eines nuklearen Ereignisses im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Kernanlage in Cattenom die Haftung des Inhabers der Anlage bei Zuständigkeit der französischen Gerichte nach Artikel 13 pU nach französischem Recht - genauer, nach den Regeln des pU in der Ausgestaltung des Gesetzes vom 30.10.1968 - richtet; sollten ausnahmsweise deutsche Gerichte nach Artikel 13 pU zuständig sein (vgl. oben II 1), wäre grundsätzlich deutsches Recht maßgebend, das jedoch für bestimmte Fragen (u. a. hinsichtlich des Haftungshöchstbetrages) hinter das "Heimatrecht" des Anlageninhabers zurücktreten würde (vgl. § 40 Abs. 2 AtG). Für Klagen in Frankreich ist ferner noch auf eine Besonderheit in der französischen Ausgestaltung der Regeln des pU hinzuweisen, deren Tragweite in der Praxis gegenwärtig nicht abzusehen ist. Wie erwähnt, ist die Haftung des Anlageninhabers selbst in Frankreich auf 50 Mio. FF begrenzt (Artikel 4 des Gesetzes vom 30. 10. 1968); für den darüber hinausgehenden Betrag, so wie er nach dem BZU bereitzustellen ist, haftet nach Artikel 5 des Gesetzes lIder Staat unter den Vorraussetzungen und in den Grenzen, die im [BZü] festgelegt sind". Ausführungsbestimmungen zu dieser Vorschrift fehlen, so daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht viel mehr feststeht, als daß - anders als in der Bundesrepublik - der Anlageninhaber für den 50 Mio. FF übersteigenden Betrag nicht haftet. Da der einzelne Geschädigte im Regelfall nicht wissen wird, ob bzw. wann diese Summe erreicht ist, scheint es in jedem Fall ratsam, Ersatzansprüche zugleich auch gegen den französischen Staat geltend zu machen45 • 3. Vollstreckung gerichtlicher Entsclleidungen
Artikel 13 (d) pU regelt die Vollstreckbarkeit von Entscheidungen der nach diesem Artikel zuständigen Gerichte in anderen Vertragsstaaten. Um dort vollstreckt werden zu können, müssen die Entscheidungen im Urteilsstaat - nicht nur vorläufig - vollstreckbar sein. Ferner sind 45 Vgl. auch PelzeT, Drittes Deutsches Atomrechts-Symposium 1974, 1975, S. 251 ff., 255 f. Bezeichnenderweise geht auch die ausführliche Darstellung eines französischen Sachkenners (HebeTt, Das französische Kernenergierecht, 1974) auf Fragen der praktischen Durchsetzung der Ansprüche gegen den französischen Staat nicht ein. Wenn es in der deutschen übersetzung (S. 171) heißt, die "Entschädigungsansprüche" müßten bei der "Finanzverwaltung" gemäß Art. 6 des Gesetzes von 1968 angemeldet werden, so ist dies unzutreffend: Art.6 sagt lediglich, daß der AnlageninhabeT die Finanzverwaltung von den gegen ihn geltend gemachten Ersatzansprüchen in Kenntnis setzen muß. Siehe zur Frage der gerichtlichen Zuständigkeit und der Vollstreckung von Entscheidungen für diesen Fall sogleich Anm.47.
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die im Vollstreckungsstaat "vorgeschriebenen Förmlichkeiten" zu erfüllen; eine sachliche Nachprüfung ist nicht zulässig 45a• Diese Verweisung auf die in den Vertragsstaaten geltenden allgemeinen Regeln für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen, insbesondere aber das Erfordernis der endgültigen Vollstreckbarkeit, bedeutet gegenüber der in Frankreich und in der Bundesrepublik nach Inkrafttreten des bereits oben erwähnten EWG-Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommens vom 27.9.1968 - das für die Vollstreckbarerklärung ein stark vereinfachtes Verfahren vorsieht und zudem auch für nur vorläufig vollstreckbare Entscheidungen gilt - bestehenden Rechtslage eine deutliche Erschwerung der grenzüberschreitenden Vollstreckung. Der Vorrang der Vollstreckungsregeln des pO ist jedoch nicht anders als im Falle der Zuständigkeitsregeln durch Artikel57 des EWG-Übereinkommens selbst angeordnet 46. Die Vollstreckungsregeln des pO erlangen allerdings nur in den Ausnahmefällen praktische Bedeutung, in denen die Gerichte eines Vertragsstaats für Klagen gegen ausländische Anlageninhaber zuständig sind, d. h. im wesentlichen nur dann, wenn das nukleare Ereignis während eines Transports von Kernmaterial außerhalb des Anlagenstaats eintritt. Soweit hierbei ein vollstreckbarer Titel gegen einen Vertragsstaat als Anlageninhaber erwirkt wird, kann sich dieser zwar nicht im Erkenntnisverfahren, wohl aber bei der Zwangsvollstreckung im Ausland auf seine Immunität von der Gerichtsbarkeit berufen (Artikel 13 (e) PO)47. 4. Ausgleichsanspruch nach § 38 AtG
Es ist bereits erwähnt worden (oben I 3), daß der deutsche Gesetzgeber in § 38 AtG eine Ausgleichsregelung zugunsten inländischer Geschädigter für die Fälle geschaffen hat, in denen diese nach dem anwendbaren ausländischen Recht aus bestimmten Gründen keinen Ersatz erlangen. Bei diesem Ausgleich handelt es sich um eine unabhängig vom pO und vom BZO im Interesse eines erweiterten Opferschutzes der inländischen Bevölkerung gewährte nationale EntschädiSiehe noch unten Anm. 96 a. Siehe oben II 1 a. E. 47 Vgl. noch PelzeT, in: Fischerhof, Rz. 4 ff. zu Art. 13 PU, der zutreffend betont, daß Art. 13 nur für Klagen gegen den Anlageninhaber selbst gilt. Soweit also der französische Staat als Ersatzverpflichteter nach dem BZU, d. h. für den 50 Mio. FF übersteigenden Betrag, in Anspruch genommen wird (vgl. Art. 5 des Gesetzes von 1968), gelten die besonderen Zuständigkeits- und Vollstreckungsregeln des Art. 13 PU nicht. Auch wenn danach der Anlageninhaber in Frankreich zu verklagen ist, könnte der Staat theoretisch in der Bundesrepublik verklagt werden. Ob hierzu geraten werden könnte, ist eine andere Frage. 45a
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gungsregelung, die im innerstaatlichen Recht der übrigen Vertragsstaaten kein Gegenstück hat48 • Sie soll die Nachteile kompensieren, die inländischen Geschädigten daraus erwachsen können, daß ihre Ansprüche - infolge der zwingenden Gerichtsstandsregelung in Artikel 13 Pü und/oder des Eingreifens international-privatrechtlicher Grundsätze - nach einem für sie ungünstigen ausländischen Recht geregelt werden49 • Sie dürfen, in den Worten des§ 38 Absatz 1, "keinen Ersatz verlangen [können]". In dem hier interessierenden Zusammenhang ist dabei auf folgende Anspruchsvoraussetzungen näher hinzuweisen: a) Der Schaden muß im Inland eingetreten sein; der Ort des Eintritts des nuklearen Ereignisses - der in aller Regel, aber nicht notwendig, im Ausland liegen wird - ist daneben unerheblich; b) auf den Schadensfall muß das Recht eines anderen Vertragsstaats des Pü Anwendung finden. Dies wird in aller Regel dann der Fall sein, wenn das nukleare Ereignis in einem anderen Vertragsstaat eintritt und nach Art. 13 Pü die Gerichte dieses Vertragsstaats zuständig sind. Denkbar ist hier aber auch der Fall, daß das nukleare Ereignis bei einem Transport im Inland eintritt (vgl. Art. 4 Pü) und die alsdann zuständigen deutschen Gerichte neben dem gemäß § 40 Abs. 1 AtG grundsätzlich anwendbaren deutschen Recht das ausländische "Heimatrecht" des haftenden Anlageninhabers über den bereits erwähnten § 40 Abs.2 AtG zu berücksichtigen haben und dem Geschädigten nach diesem Recht kein Anspruch zusteht, etwa weil der danach bestimmte Haftungshöchstbetrag erschöpft ist. Auch in diesem Fall ist die in § 38 Abs. 1 AtG genannte Voraussetzung erfüllt, daß der Geschädigte "nach dem auf den Schadensfall anwendbaren Recht eines anderen Vertragsstaats ... keinen Ersatz verlangen" kann; c) § 38 Abs. 1 Nr. 1-6 AtG nennt die Gründe, auf denen die ausgleichsbegründende Nichtgewährung des Ersatzes beruhen muß. Im Verhältnis zum französischen Recht - das im gegebenen Zusammenhang entweder bei Eintritt des nuklearen Ereignisses in Frankreich als lex fori der dann zuständigen französischen Gerichte, sonst als "Heimatrecht" des Anlageninhabers nach § 40 Abs. 2 AtG anwendbar ist - sind hierbei vor allem die Ausschlußgründe in § 38 Abs. 1 Nr. 5 und 6 AtG von Interesse50 : Nr.5 betrifft den Ausschlußgrund der kürzeren Vgl. PelzeT, in: Fischerhof, Rz.5 zu § 38 AtG . Vgl. die Begründung des Entwurfs zum 3. ÄndG zum AtG, BT-Drucks.7/ 2183, S. 29. 50 § 38 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 kommen nicht in Betracht, da die französische Regelung ebenso günstig ist wie die deutsche; anders ist es im Falle der Nr. 1 (Eintritt des nuklearen Ereignisses in einem Nichtvertragsstaat als Ausschluß grund) und Nr.2 (Ausschlußgründe des Art. 9 Pü - Krieg, Natur48
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Verjährungs- oder Ausschlußfrist: Während die Verjährungsregelung nach deutschem und französischem Recht die gleiche ist, beträgt die Ausschlußfrist in Frankreich im Höchstfalle fünfzehn, in der Bundesrepublik jedoch dreißig Jahre; im Falle von Spätschäden stellt das deutsche Recht den Geschädigten somit besser. Nr. 6 betrifft den Haftungshöchstbetrag: Hier wurde gesehen, daß die Gesamtsumme des nach französischem Recht zur Verfügung stehenden Ersatzes (50 Mio. FF Inhaberhaftung, Staatshaftung nach dem BZO) wesentlich hinter dem Betrag von 1 Milliarde DM nach § 31 AtG zurückbleibt. Kann der Geschädigte wegen Erschöpfung dieses Betrages keinen Ersatz erlangen, besteht ein Anspruch auf Ausgleich. Nach § 38 Abs. 2 AtG besteht ein Ausgleichsanspruch ferner in solchen Fällen, in denen die dem Verletzten nach ausländischem Recht (oder den Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrages) zustehenden Ansprüche "nach Art, Ausmaß und Umfang des Ersatzes" diese Modalitäten sind, wie gesehen wurde, nach Art. 11 pO der Regelung des innerstaatlichen Rechts überlassen "wesentlich hinter dem Schadensersatz zurückbleiben", der nach deutschem Recht zugesprochen worden wäre. Anders als im Falle des Abs. 1 des § 38 kann die in Abs. 2 geregelte Hypothese nur eintreten, wenn ausländische Gerichte für die Ersatzklage zuständig sind, da deutsche Gerichte auf die genannten Fragen nach § 40 Abs. 1 AtG deutsches Recht, insbesondere die §§ 27-30 AtG, anzuwenden haben. Soweit also nach französischem Recht die genannten Modalitäten des Schadensersatzes - etwa bezüglich des Kreises der Anspruchsberechtigten bei Tötung, Form der Ersatzleistung (Rente, Kapitalsumme), Höhe der Leistungen etc. - den Geschädigten wesentlich schlechter stellen51, ist ein Ausgleichsanspruch begründet. Der Kreis der Ausgleichsberechtigten ist nicht auf deutsche Staatsangehörige beschränkt. Ausländer, die im Inland Schaden erleiden, sind stets ausgleichsberechtigt, wenn sie im Inland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben; ist dies nicht der Fall, hängt ihre Ausgleichsberechtigung davon ab, daß ihr Heimatstaat im Verhältnis zur Bundesrepublik eine gleichwertige Regelung sichergestellt hat (§ 38 Abs. 3 AtG). Nach § 38 Abs.4 AtG sind die Ausgleichsansprüche innerhalb von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der aufgrund ausländischen oder internationalen Rechts ergangenen Entscheidung bei dem Bundesverkatastrophe etc. -), die jedoch gegenwärtig als nicht von praktischem Interesse angesehen werden können. 51 Ob und wieweit dies tatsächlich der Fall ist, kann in Ermangelung entsprechender Ausführungsbestimmungen zu dem französischen Gesetz vom 30.10.1968 zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gesagt werden.
B. Haftung für sonstige Schäden
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waltungsamt geltend zu machen 52 • Bemerkenswert an dieser Regelung ist, daß eine Erschöpfung des Rechtsweges dem Geschädigten nicht zugemutet wird; ausreichend ist nach dem Wortlaut der Vorschrift auch eine rechtskräftige erstinstanzliche Entscheidung.
B. aaftung für sonstige schädigende Auswirkungen des Betriebs eines Kernkraftwerks Die vorangegangenen Erörterungen haben gezeigt, daß Ersatzansprüche für Schäden, die infolge grenzüberschreitender Auswirkungen eines in Frankreich im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kernkraftwerkes erfolgenden nuklearen Ereignisses im Inland eintreten, durch das vereinheitlichte Atomhaftungsrecht und gegebenenfalls durch die deutsche Ausgleichsregelung gewährt werden. Ferner wurde gesehen (oben AI 2 b), daß bei Zusammentreffen eines nuklearen mit einem nichtnuklearen Ereignis unter bestimmten Voraussetzungen auch schädigende Auswirkungen des nichtnuklearen Ereignisses in die besondere Ersatzregelung mit einbezogen werden können. Nicht von den besonderen Regeln des Atomhaftungsrechts erlaßt werden dagegen solche Schäden nichtnuklearen Ursprungs, die entweder von gleichzeitig eintretenden nuklearen Schäden "hinreichend sicher", wie es in Art. 3 (b) Satz 1 Pü heißt, getrennt werden können oder überhaupt ohne Hinzutreten eines nuklearen Ereignisses verursacht werden. Letzteres mag insbesondere zutreffen bei Schäden, die durch thermische Verunreinigung (überwärmung) grenzüberschreitender Gewässer durch Ableitung von Kühlwasser oder durch Veränderung des Mikroklimas infolge von Dampfemissionen der Kühltürme eintreten, die sich infolge der Windverhältnisse grenzüberschreitend auswirkenD:!. Die Haftung für diese Schäden richtet sich in Ermangelung entsprechender international vereinheitlichter Haftungsregeln, wie bereits angedeutet, nach den allgemeinen Vorschriften, d. h. hier den innerstaatlichen Sach- und Kollisionsnormen des Deliktrechts der betei52 Nach Ansicht von PelzeT, in: Fischerhof, Rz.l zu § 38 AtG, entscheiden im Streitfall die ordentlichen Gerichte. 53 Beide Beispiele sollen als Hypothesen für typische nichtnukleare Schadensursachen dienen. Ob dies naturwissenschaftlicher Nachprüfung standhält oder ob die zugleich mit der Ableitung des Kühlwassers und der Schwadenbildung an Kühltürmen erfolgenden Radioaktivitätsabgaben auch zu Schäden nuklearen Ursprungs führen, so daß für die nichtnuklearen Schäden gegebenenfalls die erwähnte Beweisregel des Pü eingreift, kann hier nicht beurteilt werden. Ist letzteres der Fall, ist die Haftung ohnehin nach den Sonderregeln gegeben.
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ligten Staaten. Im folgenden sollen in erster Linie die für die Durchsetzung eventueller Ersatzanspruche von im Inland geschädigten Personen vorrangigen international-rechtlichen Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts sowie der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen im Verhältnis Deutschland-Frankreich erörtert werden. Eine ins einzelne gehende Darstellung der Regeln des französischen und des deutschen materiellen Deliktsrechts für die hypothetischen Schadensfälle nichtnuklearen Ursprungs ist dagegen im Rahmen dieser Untersuchung nicht durchzuführen. Grundzüge und Tendenzen des materiellen Haftungsrechts werden allerdings insoweit Erwähnung finden, als dies zur Ermittlung und zum Verständnis der kollisionsrechtlichen Regeln erforderlich ist54 • I. Gerichtliche Zuständigkeit 1. Anwendbarkeit des EuGVU
Für die Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit für Klagen von im Inland geschädigten Personen gegen den Inhaber und Betreiber des Kernkraftwerks in Frankreich auf Ersatz der Schäden nichtnuklearen Ursprungs, die nicht dem Pü und damit dessen zwingenden Zuständigkeitsregeln unterliegen, kommt in erster Linie das bereits erwähnte Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen vom 27.9.1968 (EuGVÜ) in Betracht. Das übereinkommen findet nach seinem Art. 1 Anwendung in "Zivil- und Handelssachen ... , ohne daß es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt". Dafür, daß es sich bei Klagen der hier untersuchten Art um "Zivilsachen" im Sinne von Art. 1 EuGVÜ handelt, spricht, daß nach französischem Recht die vertraglichen und außervertraglichen Rechtsbeziehungen des Unternehmens Electricite de France, des Inhabers und Betreibers des Kraftwerkes, sowohl den Benutzern als auch Dritten gegenüber ganz überwiegend dem Privatrecht unterworfen sind und hieraus entstehende Rechtsstreitigkeiten zur Zuständigkeit der Zivilgerichte gehören 55 • Im Hinblick darauf, 54 Zur Frage, ob deutsche Grundeigentümer dingliche Abwehransprüche gegen den Betreiber des französischen Kernkraftwerks geltend machen können, siehe unten S. 162 ff. 55 Dies folgt aus dem Status der E.D.F. als öffentlicher Dienstleistungsbetrieb gewerblicher und industrieller Prägung (service public industriel et commercial), vgl. Art. 2, 24 des Gesetzes vom 8.4.1946, sowie de Laubadere, Traite de Droit administratif, vol. 2, 2. Aufl. 1971, S. 648 ff., 676 ff., 798 ff.; Auby/Drago, Traite de contentieux administratif, Bd. 1, 2. Aufl. 1975, nos. 396 ff., S. 441 ff. Für Rechtsstreitigkeiten über die außervertragliche Haftung derartiger Unternehmen gegenüber Dritten sind jedoch in bestimmten Fällen die Verwaltungsgerichte zuständig, die auf der Grundlage des öffentlichen Haftungsrechts entscheiden. Dies ist dann der Fall, wenn die Schädigung im Zusam-
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daß es sich um ein öffentliches Versorgungsunternehmen handelt, kann jedoch die Frage gestellt werden, ob Haftungsklagen gegen ein solches Unternehmen ungeachtet der Anwendbarkeit des Privatrechts und der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte - auf letzteres soll es nach Art. 1 EuGVÜ gerade nicht ankommen - nach Zielsetzung und Systematik des übereinkommens als öffentlich-rechtlich und damit außerhalb seines Anwendungsbereichs liegend anzusehen sind. Der EuGH hat in dem Urteil vom 14. 10. 1976 in der Rechtssache 29176, LTU ;/. Eurocontrol56 , den Begriff "Zivil- und Handelssachen" nicht als Verweisung auf das Recht eines der beteiligten Vertragsstaaten verstanden, sondern autonom aus dem übereinkommen heraus - wenngleich unter Rückgriff auf gemeinsame Rechtsgrundsätze der Gesamtheit der Vertragsstaaten - ausgelegt. Nach dieser Entscheidung sind vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen solche Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Behörde und einer Privatperson, die die Behörde "im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse" führt. Legt man im Anschluß an diese Entscheidung als Abgrenzungskriterium das Handeln "in Ausübung hoheitlicher Befugnisse" zugrunde, so kann die Einbeziehung von Rechtsstreitigkeiten der vorliegend untersuchten Art in den Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht ernstlich in Frage gestellt werden. Der Gegenstand des öffentlichen Unternehmens Electricite de France, im wesentlichen die Erzeugung und der Vertrieb elektrischer Energie, kann, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt, bei Berücksichtigung der Rechtslage nicht nur in Frankreich, sondern auch in den übrigen Vertragsstaaten nicht als "Ausübung hoheitlicher Befugnisse" im Sinne des genannten Urteils angesehen werden. Insbesondere die außervertraglichen Rechtsmenhang mit öffentlichen Arbeiten oder der Nutzung bzw. dem Betrieb eines öffentlichen Bauwerks eintreten, wobei insbesondere die Frage, wie der Begriff der Nutzung bzw. des Betriebs ("exploitation") zu verstehen ist, zu subtilen Unterscheidungen Anlaß gegeben und zu Divergenzen zwischen der Rechtsprechung der ordentlichen und der Verwaltungsgerichte geführt hat, vgl. dazu insbesondere Auby/Drago, no 405, S. 456 ff., Mazeaud/Tunc, Traite theor. et prat. de la responsabilite civile, Bd. 3, 6. Aufl. 1978, no 2009-2, S. 59 ff., beide mit ausf. Nachw., sowie aus der jüngeren Rechtsprechung einerseits Trib. conflits 2.3.1970, J.C.P. 1970 II 16324 sowie Cass. 18.3.1971, J.C.P. 1971 II 16763, andererseits Trib. conflits 28. 6. 1976, Rec. Lebon 1976, S. 702. Bei Berücksichtigung dieser Rechtsprechung ist nicht auszuschließen, daß Rechtsstreitigkeiten über schädigende Auswirkungen des Kraftwerkbetriebs in Cattenom teils in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte, teils in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fallen können. Die Anwendbarkeit des EuGVO hängt freilich von dieser Zuständigkeitsfrage nicht ab, siehe dazu sogleich im Text. Vgl. im übrigen zu den materiellen Haftungsgrundsätzen im Falle der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte unten Anm. 90 a. 58 SIg. 1976, S. 1541 (siehe dazu u. a. Geimer, EuR 1977, 342 ff.; Huet, Clunet 1977. S. 707 ff., sowie Schlosser, NJW 1977, S. 457 ff.); ebenso jetzt Urteil vom 16. 12. 1980, Rs. 814/79, Staat der Niederlande y: Rüffer.
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4. Teil, 1. Abschn.: Zivil rechtliche Haftung, Kollisionsrecht
beziehungen zwischen öffentlichen Versorgungsunternehmen und Dritten sind in den betreffenden Rechtsordnungen ferner auch nicht durch die typische Ungleichheit, d. h. das Verhältnis von über- und Unterordnung, gekennzeichnet57 , das der EuGH - wie sich aus den Urteilsgründen ergibt - mit diesem Begriff verbindet58 • Der EuGH hat in der Eurocontrol-Entscheidung im übrigen deutlich für eine weite Auslegung des Begriffs "Zivil- und Handelssachen" optiert und ausdrücklich klargestellt, daß die Beteiligung einer Behörde an einem Rechtsstreit für sich allein nicht genügt, um diesen vom Anwendungsbereich des Übereinkommens auszuschließen. Das Abgrenzungskriterium "Ausübung öffentlicher Gewalt" ist daher, wie sich aus der Entscheidung selbst ergibt, eng auszulegen59 • 2. Gerichtliche Zuständigkeiten nach dem EuGVU
Art. 2 des somit grundsätzlich anwendbaren EuGVü sieht die allgemeine Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitz- bzw. Sitzstaats des Beklagten vor. Daneben stellt Art. 5 eine Reihe besonderer Gerichtsstände zur Verfügung, die der größeren Sachnähe der betreffenden Gerichte Rechnung tragen soll. So können Klagen aus unerlaubter Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 auch erhoben werden vor dem Gericht "des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist". Daß Klagen der hier besprochenen Art als solche aus "unerlaubter Handlung" zu qualifizieren sind, ist nicht zweifelhaft. Auch dieser Begriff ist nicht als Verweisung auf ein nationales Recht zu verstehen, sondern autonom zu bestimmen6o • 57 Für das französische Recht kann dies um so weniger angenommen werden, als danach schon die Gesamtheit der Rechtsbeziehungen der Unternehmen zu ihren Benutzern privatrechtlich abgewickelt werden, vgl. noch de Laubadere, S. 656 ff.; AUby/Drago, nos 398 ff., 404, S. 445 ff. 58 Vgl. dazu noch Huet, S. 713 f. Es ist freilich nicht auszuschließen, und dies mag insbesondere für Frankreich zutreffen, daß sich infolge der Entwicklungen auf dem Energiesektor die Struktur der fraglichen Rechtsbeziehungen auf längere Sicht ändert. 59 Rechtsstreitigkeiten der vorliegenden Art könnten damit nur unter Abweichung von der Eurocontrol-Entscheidung als öffentlich-rechtlich qualifiziert werden. Nach Ansicht des EuGH erstreckt sich die Bindungswirkung der Auslegungsentscheidung jedoch über den konkreten Vorlagefall hinaus (vgl. Urteil vom 14.7.1977, Slg. 1977, S.1517), so daß die zu Art. 1 gegebene Auslegung von den Gerichten generell zugrunde zu legen ist. Eine erneute Vorlage an den EuGH zur weiteren Auslegung von Art.1 wird dadurch natürlich nicht ausgeschlossen, vgl. dazu noch unten Anm.95. 60 Vgl. Bülow/Böckstiegel, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Bd. I, Kommentar zum EWG-übereinkommen, Anm. III 2 a zu Art 5 (Linke). Die deutsche Fassung des Art. 5 Nr.3, die von "unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist", spricht, beruht offensichtlich auf einer mißglückten übersetzung des französischen
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Art. 5 Nr. 3 umfaßt damit grundsätzlich alle Fälle der Verschuldensund Gefährdungshaftung, die nicht vertraglicher Natur sind. Die im vorliegenden Fall als Grundlage der Ersatzansprüche in erster Linie in Betracht kommenden allgemeinen (Art. 1382 ff. Code civil, §§ 823 ff. BGB) oder besonderen (etwa § 22 des deutschen Wasserhaushaltsgesetzes) zivilrechtlichen Haftungsnormen der beteiligten Rechte werden damit von dem im Übereinkommen benutzten Systembegriff ohne weiteres erfaßt. Der somit unter Ausschaltung der innerstaatlichen Zuständigkeitsregeln allein maßgebende Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ bestimmt als international und örtlich zuständig das Gericht des Ortes, an dem das "schädigende Ereignis" eingetreten ist. Nach der bindenden Auslegung, die der EuGH in einem Urteil vom 30.11. 1976 dieser Bestimmung gegeben hat6 t, bezeichnet dieser Begriff bei sogenannten Distanzdelikten sowohl den Handlungs- als auch den Erfolgsort. Zuständig für Deliktsklagen sind damit in solchen Fällen die Gerichte an beiden Orten; welches Gericht er mit der Sache befassen will, obliegt der Wahl des Klägers. Die allgemein begrüßte62 Entscheidung des EuGH, die u. a. von deutschen Gerichten in Fällen grenzüberschreitender Luftverschmutzung bereits zugrunde gelegt worden ist63 , bedeutet für den Geschädigten im deutschen Grenzgebiet eine deutliche Erleichterung der Rechtsverfolgung: Soweit es sich um nichtnukleare schädigende Auswirkungen des Kraftwerksbetriebs auf französischem Boden handelt, kann er Ersatzklage auch vor deutschen Gerichten des Bezirks, in dem der Schaden eingetreten ist, erheben. Für Ersatzklagen wegen nuklearer Schäden sind dagegen, wie gesehen wurde, in aller Regel die Gerichte des Anlagenstaats ausschließlich zuständig. Dies kann zwar dazu führen, daß Ersatzklagen wegen nuklearer und nichtnuklearer Schäden, die auf demselben Ereignis beruhen, ohne daß jedoch die nichtnuklearen den nuklearen Schäden gemäß Art. 3 (b) Satz 1 Pü zugerechnet werden, vor Gerichten verschiedener Staaten geltend gemacht werden können. Die Gefahr, daß es hierbei zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt, ist jedoch wegen der völlig unterschiedlichen gesetzlichen Haftungsgrundlagen gering64 • Begriffs "matiere delictuelle ou quasi-delictuelle", der lediglich die verschiedenen Verschuldensgrade bezeichnet; sie sollte nicht dazu verleiten, den Anwendungsbereich der Vorschrift zu überdehnen. Völlig zutreffend ist dagegen die niederländische Fassung, die lediglich von "verbintenissen uit onrechtmatige daad" spricht. 61 Rs.21/76, Bier;/. Mines de Potasse d'Alsace, Slg. 1976, 8.1735, vgl. oben All 1 a. E. 62 Vgl. insbesondere Rest, RIW-AWD 1977, 669 ff.; Jessurun d'Oliveira, in: Rhine Pollution / La pollution du Rhin, 1978, 8. 81 ff., 104 ff. 63 Vgl. etwa OLG Karlsruhe 4.8.1977, RIW-AWD 1977, 718.
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4. Teil, 1. Abschn.: Zivil rechtliche Haftung, Kollisionsrecht
Zuständig für Ersatzklagen gegen Electricite de France wegen nichtnuklearer Schäden ist in Frankreich das Gericht, in dessen Bezirk das Kernkraftwerk, von dem die Schädigung ausging, gelegen ist65 ,66. Die Erwägungen, die für die durch Art. 5 Nr.3 EuGVÜ ermöglichte Wahl des zuständigen Gerichts eine Rolle spielen können, sind vielfältig und sollen hier nicht im einzelnen erwähnt werden. Hervorzuheben ist jedoch - dies wurde bereits bei der Erörterung der Atomhaftungsregelung gesehen - , daß die Wahl des zuständigen Gerichts bereits eine wichtige Vorentscheidung der Frage des für die Ersatzansprüche maßgebenden materiellen Rechts bedeutet, da jedes Gericht diese Frage unter Zugrundelegung der Kollisionsnormen des eigenen Rechts beantwortet. Eine Untersuchung der deutschen und französischen Regeln des internationalen Deliktsrechts gewinnt damit schon für die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit unmittelbare Bedeutung.
11. Anwendbares Recht 1. Distanzdelikte im französischen KoUisionsrecht
Nach französischem internationalem Privatrecht gilt der Satz, wonach sich die deliktische Haftung nach dem Recht des Ortes richtet, an dem sich die anspruchsbegründenden Tatsachen ereignet haben, unbestritten und ohne Einschränkung67 • Seine Anwendung wirft aber dann Schwierigkeiten auf, wenn - wie in den hier untersuchten Fällen 84 Die in Art. 22 EuGVO unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehene Möglichkeit, das spätere Verfahren auszusetzen oder die Klage abzuweisen, wenn zwischen bei den Klagen ein "Zusammenhang" im Sinne dieser Vorschrift besteht, kommt in dem besprochenen Fall schon deshalb nicht in Betracht, weil Art. 22 voraussetzt, daß sich die gerichtliche Zuständigkeit für heide Klagen nach dem EuGVO richtet; das ist hier aber gerade nicht der Fall. 65 Zur Frage des Rechtswegs siehe oben Anm. 55. 86 Art. 5 Nr. 3 EuGVO regelt neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit, wohingegen Art. 13 pO lediglich die internationale Zuständigkeit betrifft und die nähere Regelung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit dem innerstaatlichen Recht überläßt. Wie erwähnt (oben A II 1), sieht Art. 17 des französischen Gesetzes vom 30. 10. 1968 generell die Zuständigkeit der Zivilgerichte vor, ohne die örtliche Zuständigkeit zu bestimmen. Bei Anwendung der allgemeinen zivil prozessualen Zuständigkeitsbestimmungen (vgl. insbesondere Art. 46 Unterabs.2 nouveau c. p. c.) kann damit davon ausgegangen werden, daß ein und dasselbe Gericht sowohl für Haftungsklagen nach dem pO als auch für Klagen wegen nichtnuklearer Schäden sachlich und örtlich zuständig ist. Eine zukünftige abweichende Regelung, etwa durCh Konzentrierung der Haftungsklagen nach dem pO bei bestimmten Gerichten - wie dies jetzt im niederländischen Recht erfolgt ist (Art. 13 des Gesetzes vom 17.3.1979, Stb 225) - ist aber nicht ausgeschlossen. 87 Vgl. oben S. 144, Anm.42.
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Handlungs- und Erfolgsort als die beiden wesentlichen anspruchsbegründenden Tatsachen in verschiedenen Staaten gelegen sind. Während in diesem Fall vor allem das Schrifttum sich für die Maßgeblichkeit des am Erfolgsort geltenden Rechts ausspricht68 , kann von einer gefestigten Rechtsprechung in dieser Frage keine Rede sein69 • Die im Schrifttum vertretene Ansicht kann sich allerdings auf einige Entscheidungen unterer Gerichte stützen, doch ist nur in einem Fall cas Recht des ausländischen Erfolgsorts dem Recht des in Frankreich gelegenen Handlungsorts vorgezogen worden: In einer Entscheidung vom 30. 10. 1957 wandte das Tribunal civil Sarreguemines in einem Fall grenzüberschreitender Wasserverschmutzung70 auf die Ersatzansprüche wegen der auf deutschem Gebiet eingetretenen Schäden nach Darlegung der Problematik und unter Hinweis auf das Schrifttum deutsches Recht an. Ferner kam das Tribunal de grande instance Paris in einem Urteil vom 23.6.197671 zu dem Ergebnis, für Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Presseveröffentlichungen in Frankreich und Deutschland sei jeweils das Recht des Staates maßgebend, in dem die betreffenden Veröffentlichungen verbreitet würden: Französisches Recht sei maßgebend, soweit dies in Frankreich, und deutsches Recht, soweit dies in Deutschland geschehen sei. Obwohl in diesem Fall auch der Handlungsort in der Bundesrepublik lag, wurde deutsches Recht ausdrücklich als Recht des Erfolgsortes angewandt12 • Schon früher hatte die Cour d'appel Paris in einem Urteil vom 18.10. 1955 73 bei ausländischem Handlungs- und französischem Erfolgsort französisches Recht angewendet, doch wird infolge der Besonderheiten des Falles bezweifelt, ob diese Entscheidung zur Stützung der im Schrifttum vorherrschenden Ansicht herangezogen werden kann74• Andererseits läßt sich für die Maßgeblichkeit des Rechts des Handlungsorts gerade in Fällen, die nach französischem Recht nach den Grundsätzen der Sachhalterhaftung gemäß Art. 1384 Abs. 1 Code civil 88 Vgl. insbesondere Batiffol/Lagarde, Droit international prive, Bd.2, 6. Aufl. 1976, no 561, S. 220 f. mit ausführlichen Nachweisen. 8V Siehe hierzu und zum folgenden insbesondere Bourel, in: Rep. Dalloz, Droit international, vo Resp. civile, nos 45 ff. 70 Es handelte sich um die Ableitung von Kohle- und Bergschlamm durch lothringische Kohlegruben in die Gewässer der Rossel, einen grenzüberschreitenden Wasserlauf, wodurch Schäden auf deutscher Seite entstanden. Das Urteil des französischen Gerichts ist wiedergegeben in Jurisclasseur Droit international fase. 553, no 28 (mise a jour 8/1969). Auch deutsche Gerichte hatten sich mit entsprechenden Klagen gegen die lothringischen Kohlegruben zu beschäftigen, siehe dazu unten 2. 71 Rev. erit. dr. int. pr. 1978, 132, mit Anm. Gaudemet-Tallon. 72 Vgl. noch Gaudemet-TaHon, S. 138. 73 Rev. erit. dr. int. pr. 1956, 484. 74 Bourel, no 49 m. w. N.
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zu lösen sind - um solche Fälle handelt es sich, wie noch gesehen werden wird, im vorliegenden Zusammenhang -, die bereits zitierte und inzwischen vielfach bestätigte führende Entscheidung des Kassationshofs vom 25. 5. 1948'76 heranziehen, die allerdings kein grenzüberschreitendes Delikt betraf. Dort wurde für die Sachhalterhaftung ausdrücklich das Recht des Ortes für maßgebend erklärt, an dem der "Sachhalter die Sache nutzt und die Sachherrschaft über sie ausübt"76. Diese Formulierung läßt, anders als der allgemeine Satz von der Maßgeblichkeit der "anspruchsbegründenden Tatsachen", auch eine Anwendung auf grenzüberschreitende Deliktssachverhalte zu und würde in den hier untersuchten Fällen zur Anwendbarkeit des französischen Rechts führen, wohingegen bei Zugrundelegung der zuerst erörterten Auffassung deutsches Recht bezüglich der in der Bundesrepublik eingetretenen Schäden maßgebend wäre. Eine Prognose über die Haltung der französischen Gerichte wäre jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Ermangelung einer höchstrichterlichen und sogar einer ausdrücklichen obergerichtlichen Klärung äußerst gewage7 • Immerhin ist keineswegs ausgeschlossen, daß die erwähnte untergerichtliche Rechtsprechung und die sehr deutlichen Stellungnahmen des Schrifttums zugunsten einer Anwendung des Rechts des Erfolgsorts in absehbarer Zeit auch höchstrichterlich gebilligt werden. Zu erwähnen bleibt noch, daß jedenfalls ein Wahlrecht des Geschädigten zwischen dem Recht des Handlungs- und dem des Erfolgsorts oder auch eine Anwendung des diesem "günstigsten" Rechts in Frankreich, anders als - wie sogleich zu besprechen sein wird - in der Bundesrepublik, abgelehnt wird78 • 2. Distanzdelikte im deutschen Kollisionsrecht: Das Prinzip des "günstigeren" Rechts
Anders als die französische ergibt die deutsche Rechtsprechung zur Frage des bei Distanzdelikten anwendbaren Rechts ein geschlosseneres Bild. Ausgehend von dem auch für das deutsche Recht als Grundlage angenommenen Satz von der Maßgeblichkeit des am "Tatort" einer 75 D.1948, S.357; vgl. noch die Anmerkung von Batiffol, in: Rev. crit. dr. int. pr. 1949, 91 ff. 7ft " ••• la responsabilite delictuelle du tiers gardien de la chose ... releve de l'ordre juridique interne du pays dans lequel le gardien use de la chose et en exerce la direction ..." (Cass., 25.5.1948). 77 Zu Recht bezeichnet Bourel, no 45, diese Haltung als sehr unsicher. 78 Vgl. BattifoljLagarde, no 561, S.221. Für ein Wahlrecht zwischen den beteiligten Rechten zugunsten des durch grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen Geschädigten spricht sich aus Jessurun d'Oliveira (Anm.62),
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unerlaubten Handlung 79 geltenden Rechts 80 sowie der weiteren Feststellung, daß bei Distanzdelikten sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort als Tatort anzusehen sind, hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung schon früh für die grundsätzliche Anwendbarkeit sowohl des an dem einen als auch des an dem anderen Ort geltenden Rechts ausgesprochen; bei Verschiedenheit der in den heiden Rechtsordnungen geltenden Regelungen ist das dem Verletzten günstigere Recht anzuwenden81 • Für den hier besonders interessierenden Bereich der grenzüberschreitenden Schädigung durch Gewässer- oder Luftverschmutzung im Verhältnis Frankreich-Bundesrepublik sind die genannten Grundsätze in mehreren obergerichtlichen Entscheidungen bestätigt worden. Zwei vom OLG Saarbrücken entschiedene Fälle betrafen Schäden auf deutschem Gebiet durch Einwirkungen von Rauch, Kohlenstaub und Flugkoks, die von einem auf französischer Seite gelegenen Elektrizitätswerk ausgingen82, bzw. Schäden, die durch Ableitung von Kohle- und Bergschlamm enthaltenden Abwässern aus französischen Kohlegruben in einen grenzüberschreitenden Wasserlauf in der Bundesrepublik entstanden83 • Vor kurzem entschied das OLG Karlsruhe in einem Fall, in dem giftige Rückstände, die bei der Produktion eines Insektizids in einem Betrieb auf französischem Gebiet anfielen und in die Luft gelangten, auf deutschem Gebiet Schäden verursachten84 • In diesen drei Entscheidungen wird die Haftung der beklagten Unternehmen übereinstimmend nach französischem materiellem Recht beurteilt, weil dieses für die Verletzten günstiger sei. Die Frage, ob eine möglicherweise von den französischen Kollisionsnormen ausgesprochene Rückverweisung auf deutsches Recht anzunehmen wäre, wird in der Entscheidung des OLG Karlsruhe nicht gestellt und in den Entscheidungen des OLG Saarbrücken verneint, weil das Prinzip des gün19 Erfaßt werden von dieser Kollisionsnorm nicht nur schuldhaft begangene Schadenshandlungen, sondern auch Fälle der Erfolgs- oder Gefährdungshaftung, vgl. BGHZ 23, 65 (67). 80 Die mit Art. 12 EGBGB sowie der VO vom 7.12.1942 (RGBl. I 706) zusammenhängenden Fragen können hier außer Betracht bleiben. 81 Vgl. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung RGZ 54, 198 (205) sowie BGH 23.6.1964, NJW 1964, 2012; weitere Nachweise bei Soergel/Kegel, BGB, 10. Aufl. 1970, Rz.l, 48 zu Art. 12 EGBGB; Palandt/Heldrich, BGB, 39. Aufl. 1980, Anm.2 zu Art. 12 EGBGB; Rest, Die Wahl des günstigeren Rechts im grenzüberschreitenden Umweltschutz, 1980; siehe ferner die ausführliche Erörterung bei Hillgenberg, S. 142 ff. 82 Urteil vom 22. 10. 1957, NJW 1958, 752, mit Anm. von Boisseree, NJW 1958, 1239. 83 Urteil vom 5.3.1963, IPRspr. 1962/1963, Nr. 38; vgl. auch das erstinstanzliche Urteil LG Saarbrücken 4.7.1961, IPRspr. 1960/1961, Nr.38. 84 Urteil vom 4.8.1977, RIW/AWD 1977,718.
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stigeren Rechts keine "eigentliche Verweisung" enthalte 85 • Tatsächlich enthält die Regel von der alternativen Anknüpfung durch die Verknüpfung mit dem Günstigkeitsprinzip ein Sachnormelement, das die Verweisung selbst erst bedingt. Die Beachtlichkeit einer Rückverweisung ist aber bei einem derartigen Ansatz begrifflich ausgeschlossen. Der im deutschen Schrifttum noch nicht ausgetragene Streit über die Beachtlichkeit einer Rückverweisung im internationalen Deliktsrecht86 spielt damit für die Sonderfälle der Distanzdelikte, so wie sie von der Rechtsprechung gelöst werden, keine Rolle. Die Frage, ob sich das in den genannten drei Entscheidungen ermittelte Ergebnis, daß das französische Recht dem Geschädigten günstiger sei als das deutsche, ohne weiteres auf alle im vorliegenden Zusammenhang in Betracht kommenden Schadensfälle übertragen läßt, mag im Einzelfall nicht leicht zu entscheiden sein. Jedenfalls für die hier im Vordergrund stehenden Fälle der Luft- und Wasserverschmutzung - die auch Gegenstand der erwähnten obergerichtlichen Entscheidungen waren - gewährt das französische Recht Ersatzansprüche, die nach tatbestandlichen Voraussetzungen, Beweislastregelung und Verjährung dem Geschädigten in der Tat regelmäßig günstiger sind als die vom deutschen Recht gewährten Ansprüche. Grundlage der französischen Regelung ist Art. 1384 Abs. 1 C. C.87 , der von der Rechtsprechung88 zu einer allgemeinen Haftungsnorm zu Lasten desjenigen ausgebaut worden ist, der die Herrschaft (garde) über eine unbelebte Sache (chose inanimee) ausübt, die einem anderen einen Schaden zugefügt hat. Die in dieser Vorschrift enthaltene Haftungsvermu85 Vgl. OLG Saarbrücken, 22.10.1957; auch das RG hatte im übrigen die Frage der Rückverweisung - ebenso wie später der BGH - in den vorerwähnten Entscheidungen unerörtert gelassen. 86 Vgl. die Nachweise bei Palandt/Heldrieh, Anm. 2 zu Art. 12 EGBGB. Auch für das französische Kollisionsrecht muß die Frage als ungeklärt angesehen werden, vgl. Bourel, no. 28. In zwei erstinstanzlichen Entscheidungen wurde die Frage der Beachtlichkeit einer Rückverweisung kontrovers beantwortet (bejahend: Trib. civ. Sarreguemines 15. 10.1957, J . Cl. Droit. int., fase. 553, no.28; verneinend: Trib. gr. inst. Paris 21. 6. 1969, D. 1970, 780, Anm. Prevault). Die Möglichkeit, daß französische Gerichte eine Rückverweisung des deutschen Kollisionsrechts auf französisches materielles Recht als das dem Verletzten "günstigere" Recht annehmen würden, muß als fernliegend angesehen werden. 87 Die Vorschrift lautet (deutsche übersetzung nach Zweigert/Kötz, Die Haftung für gefährliche Anlagen in den EWG-Ländern sowie in England und den Vereinigten Staaten von Amerika, 1966, S. 3): "Man ist zum Ersatz nicht nur des Schadens verpflichtet, den man durch sein eigenes Verhalten verursacht hat, sondern auch des Schadens, der verursacht ist durch das Verhalten von Personen, für die man einstehen muß, und von Sachen, die man unter seiner Herrschaft hat." 88 Grundlegend hierzu ist das Urteil der Vereinigten Zivilkammern der Cour de cassation vom 13. 2. 1930, S. 1930.1.121; siehe hierzu sowie zum folgenden Zweigert/Kötz, S. 5 ff.
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tung kann nur durch den Beweis des Zufalls oder der höheren Gewalt oder einer fremden, dem Sachhalter nicht zurechenbaren Ursache (Verschulden des Geschädigten oder eines Dritten) widerlegt werden. Zur Befreiung von der Haftung genügt es dagegen nicht, wenn der Sachhalter beweist, daß ihn kein Verschulden trifft oder die Ursache des schädigenden Ereignisses unaufgeklärt geblieben ist. Ebensowenig kann sich der Sachhalter gegenüber Ersatzansprüchen wegen schädigender Auswirkungen des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage darauf berufen, daß die Genehmigung vorliegt, da diese nur "vorbehaltlich der Rechte Dritter" erteilt wirdssa • Ferner ist unerheblich, ob die Sache mangelhaft und dadurch geeignet war, den Schaden herbeizuführen, oder ob es sich um eine in sich mangelfreie Sache handelte. Die Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten beschränkt sich damit in aller Regel auf das Vorliegen eines Schadens, des Kausalzusammenhangs zwischen dem "Verhalten" der Sache (fait de la chose) und der Haltereigenschaft des in Anspruch Genommenen. "Sachen" im Sinne von Art. 1384 Abs. 1 C. c. sind alle körperlichen Gegenstände, wobei es auf deren Aggregatzustand nicht ankommt. Flüssige oder gasförmige Stoffe kommen ebenso in Betracht wie gefährliche Strahlen oder Drähte, deren elektrische Ladung einen Schaden verursacht89• Die hier als Ausgangspunkt genommenen Fälle der schadensverursachenden Luft- oder Wasserverschmutzung lassen sich damit ohne weiteres auf "Sachen" im Sinne von Art. 1384 Abs. 1 C. C., nämlich Dampfschwaden bzw. überwärmtes Kühlwasser, zurückführen, so daß die Haftung des Betreibers des Kraftwerks als des "Sachhalters" nach dieser Vorschrift grundsätzlich gegeben ist90, 90 •• 88a Siehe dazu im einzelnen, insbesondere zur Tragweite des Vorbehalts, unten bei Anm. 102 ff. 89 Vgl. die detaillierte Darstellung mit umfassenden Rechtsprechungsnachweisen bei MazeaudlTunc, Bd. 2, 6. Aufl. 1970, no. 1270, S. 387 ff. uo Die problemlose Bewältigung der Haftungsfälle bei "Umweltschäden" auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 C. c. veranschaulicht die Entscheidung der Cour de cassation vom 18.12.1978, Bull. civ. II, no.282, S. 216 f.: Eine landwirtschaftliche Genossenschaft, die ungereinigte Abwässer in einen Fluß geleitet hatte, wurde in Anwendung von Art. 1384 Abs. 1 C. c. verurteilt, einer Fischereigesellschaft den durch die Verringerung des Fischbestandes verursachten Schaden zu ersetzen; obwohl auch Abwässer anderer Industrieanlagen in das Gewässer eingeleitet wurden, konnte die Genossenschaft nicht beweisen, daß diese Abwässer den Schaden verursacht hatten. UOa Soweit nach den oben (Anm. 55) erwähnten Grundsätzen für Schadensersatzklagen ausnahmsweise die Verwaltungsgerichte zuständig sind, führt dies im übrigen zu keinem anderen Ergebnis, da der Kraftwerksbetreiber auch nach den Grundsätzen des alsdann maßgebenden öffentlichen Haftungsrechts für Schäden der hier in Betracht kommenden Art grundsätzlicl1 in gleicher Weise, d. h. insbesondere auch ohne Verschulden, haftet wie auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 C. c., vgl. statt vieler de Laubadere, t. I, 8. Aufl. 1980, S. 715 ff. m. w. N., sowie aus der Rechtsprechung etwa C. E. 16. 11.
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Das deutsche Recht gewährt zwar grundsätzlich in den untersuchten Fällen ebenfalls Ersatzansprüche gegen den Betreiber des Kraftwerks. Die in Betracht kommenden Haftungstatbestände (insbesondere § 823 Abs.l und 2 BGB) setzen allerdings grundsätzlich ein Verschulden des Schädigers voraus. Durch gewisse Erleichterungen des Verschuldensnachweises - etwa im Bereich der Verkehrssicherungspfiichten - , die bekanntlich bis zur Umkehr der Beweislast gehen können, nähert sich allerdings das deutsche Recht in bestimmten Bereichen der französischen Lösung, ohne allerdings zu einer Verschuldensvermutung zu gelangen 91 • Nur ausnahmweise sieht das deutsche Recht eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung vor, so - für die hier interessierenden Bereiche - in § 22 des Wasserhaushaltsgesetzes für Schäden, die durch Veränderung der Beschaffenheit des Wassers verursacht werden 92 • Auch wenn nach alle dem der Geschädigte bei Zugrundelegung deutschen Rechts im Einzelfall Ersatz für Schäden der hier genannten Art erlangen mag, so können doch das Fehlen eines allgemeinen, dem Art. 1384 Abs. 1 C. c. vergleichbaren Haftungstatbestands und die hieraus vielfach folgende Unsicherheit hinsichtlich der tatbestandlichen Zuordnung eines schädigenden Verhaltens sowie das grundsätzlich fortbestehende Erfordernis des Verschuldensnachweises bereits die Feststellung rechtfertigen, das deutsche Recht sei hier dem Geschädigten weniger günstig als das französische. Ferner ist zu berücksichtigen, daß nach französischem Deliktsrecht der Schadensbegriff weiter ist als im deutschen Recht und grundsätzlich jede Verletzung eines subjektiven Rechts, aber auch die Verletzung eines ausdrücklich rechtlich geschützten Interesses sowie möglicherweise auch eines rein tatsächlichen Interesses umfaßt93 • Endlich verjähren Ansprüche aus Artikel 1384 Abs.1 C. c. in dreißig Jahren (Art. 2262 C. c.), Schadensersatz ansprüche nach deutschem Recht hingegen gemäß § 852 BGB in drei Jahren 94 • Nach alledem erweist sich in Fällen der hier untersuchten Art die in der deutschen Rechtsprechung gestellte Diagnose, wonach das französische Haftungsrecht dem Geschädigten günstiger ist als das deutsche, 1962, Faivre, Rec. Lebon 1962, S.614 (betr. die Haftung der Electricite de France für Schäden infolge von Staub- und Ascheemissionen im Zusammenhang mit dem Betrieb eines herkömmlichen Elektrizitätswerks). 91 Eine übersicht über die Haltung des deutschen Rechts zu diesen Fragen im Hinblick auf die Haftung für "Umweltschäden" gibt Diederichsen, BB 1973, 485 ff. 92 Dazu Larenz, Schuldrecht, Bd. 2, 11. Aufl. 1977, S. 643 ff. 93 Vgl. aus dem deutschen Schrifttum Ferid, Das französische Zivilrecht, 1971, Bd. 1, S. 452 f. 94 Dies gilt nach BGHZ 57, 170, 176 ff. auch für Ansprüche aus § 22 Wasserhaushaltsgesetz.
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als zutreffend. Bei Zugrundelegung des Prinzips der alternativen Anknüpfung nach dem Günstigkeitsprinzip richten sich damit nach deutschem Kollisionsrecht Ersatzansprüche wegen grenzüberschreitender nichtnuklearer schädigender Auswirkungen des Kraftwerksbetriebs nach französischem Recht. Das französische Kollisionsrecht kommt dagegen, wie oben unter 1. gesehen wurde, nur bei Anknüpfung an den Handlungsort zur Maßgeblichkeit französischen materiellen Rechts. Da die diesbezügliche Haltung der französischen Gerichte jedoch nicht sicher zu prognostizieren ist und eine Anknüpfung an den Erfolgsort - mit der Folge der Anwendbarkeit deutschen materiellen Rechts nicht ausgeschlossen werden kann, andererseits die Lösung des deutschen Kollisionsrechts insbesondere in der Rechtsprechung als gesichert gelten kann, empfiehlt es sich, Ersatzklagen bei den deutschen Gerichten, nämlich gemäß Art. 5 Nr.3 EuGVÜ bei dem Gericht des Ortes zu erheben, an dem der Schaden eingetreten ist.
In.
Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen
Soll ein in der Bundesrepublik gegen das Unternehmen Electricite de France als Inhaber und Betreiber des Kraftwerks in Cattenom erwirktes Urteil in Frankreich vollstreckt werden, so sind hierfür ebenfalls die Bestimmungen des EuGVü maßgebend. Art. 31 ff. dieses übereinkommens sehen für die Erteilung der Vollstreckungsklausel ein vereinfachtes Verfahren vor, das durch Antrag des Gläubigers an den Präsidenten des Tribunal de grande instance am Sitz des Schuldners in Gang gesetzt wird (Art. 32). Die Gründe, aus denen - bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen (vgl. insbesondere Art. 46 ff.) die Vollstreckung abgelehnt werden darf, sind in Art. 27 und 28 abschließend aufgeführt. Zunächst hervorzuheben ist jedoch der in Art. 29 ausgedrückte Grundsatz, wonach die ausländische Entscheidung keinesfalls auf ihre Gesetzmäßigkeit nachgeprüft werden darf. Damit darf weder der Umstand, daß nach dem Kollisionsrecht des Vollstreckungsstaats ein anderes materielles Recht auf den Klageanspruch hätte angewendet werden müssen, noch der Umstand, daß nach Ansicht des Vollstreckungsrichters das Erstgericht das maßgebende Recht falsch angewendet hat, als Grund für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung herangezogen werden. Dem Nachprüfungsverbot unterliegt ferner grundsätzlich gemäß Art. 28 Abs. 3 die Frage der Zuständigkeit des Erstgerichts95 , d. h. die Frage, ob die Zuständigkeitsregeln 95 Die in Art. 28 Abs. 1 EuGVü genannten Ausnahmen spielen im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle. Der französische Vollstreckungsrichter ist allerdings nicht gehindert, die Frage aufzuwerfen, ob die zu vollstreckende Entscheidung in einer "Zivil-
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des EuGVÜ richtig angewendet worden sind. Im übrigen wird im Regelfall keiner der in Art. 27 genamiten Gründe der Vollstreckung einer Entscheidung der hier untersuchten Art entgegenstehen. Insbesondere kann nicht angenommen werden, daß französische Gerichte sich auf den Vorbehalt des ordre public (Art. 27 Nr. 1) berufen könnten, um die Vollstreckung abzulehnen. Dieser Vorbehalt kann allenfalls zur Abwehr der Vollstreckung solcher Entscheidungen anderer Vertragsstaaten eingesetzt werden, die in besonders eklatanter Weise gegen tragende Grundsätze der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats verstoßen. Die Verurteilung des Unternehmens Electricite de France zu Schadensersatz im zivilgerichtlichen Verfahren - die in Frankreich in gleicher Weise und in Anwendung desselben materiellen Rechts erfolgen könnte wie nach den oben erörterten Grundsätzen in der Bundesrepublik - ist aber kein Rechtsfolgeausspruch, dessen Anerkennung und Vollstreckung gegen den so verstandenen französischen ordre public verstoßen könnte96 ,96 a •
C. Exkurs: Zivilrechtliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche deutscher Grundstückseigentümer gegen den Betreiher des Kernkraftwerks I. Durchsetzung von Abwehransprüchen vor französischen Gerichten Die bisherige Erörterung hat sich in Übereinstimmung mit der primären Fragestellung der Untersuchung darauf beschränkt, die haftungsrechtlichen Folgen schädigender Auswirkungen des Kraftwerksund Handelssache" ergangen und das EuGVü somit überhaupt anwendbar ist, vgl. Droz, Rev. crit. dr. int. pr. 1977, 776 ff., 781 ff. Daß und warum diese Frage zu bejahen ist, wurde oben unter I gesehen. Das dort Gesagte zeigt auch, daß die Qualifizierung von Streitigkeiten der hier untersuchten Art als "Zivilsachen" gerade aus der Optik des französischen Rechts außer Frage steht. Sollten die Gerichte des Vollstreckungsstaats dennoch an der Anwendbarkeit des Brüsseler übereinkommens zweifeln, wäre - wie im übrigen auch bei entsprechenden Zweifeln der deutschen Erstgerichte - eine Vorlage der Frage an den EuGH unumgänglich. Nach dem hierfür maßgebenden Protokoll vom 3. 6. 1971 sind allerdings hierzu nicht die Eingangs-, sondern erst die Rechtsmittelinstanzen befugt. 98 Siehe aber zur Vollstreckung einer von einem deutschen Gericht erlassenen und auf Beseitigung bzw. Unterlassung grenzüberschreitender Beeinträchtigungen durch das Kernkraftwerk gerichteten Entscheidung unten S.166 f. 98a Die Frage, ob und in welchem Umfang im Übrigen zugunsten von E.D.F. als einem öffentlichen Versorgungsunternehmen Pfändungsbeschränkungen eingreifen können, ist nicht unumstritten, soll hier aber wegen ihrer wohl eher theoretischen Bedeutung nicht weiter verfolgt werden; vgl. hierzu de Laubadere, vol. 2, 2. Aufl. 1971, S.679, sowie Jacquignon, A.J.D.A. 1958, I, S.71.
C. Exkurs: Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche
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betriebs zu untersuchen. Hierin müssen sich die Rechtsschutzmöglichkeiten für die im deutschen Grenzgebiet ansässigen Personen indes nicht notwendig erschöpfen. Es kann vielmehr gefragt werden, ob Eigentümer von Grundstücken, die in der betreffenden Region gelegen sind, unter Berufung auf ihr Eigentumsrecht Beseitigung bzw. Unterlassung von Störungen nuklearen und nichtnuklearen Ursprungs verlangen können, die von dem jenseits der Grenze gelegenen Kernkraftwerk ausgehen. Das deutsche Recht sieht entsprechende Beseitigungsund Unterlassungsansprüche in §§ 1004, 906 BGB als dingliche Abwehransprüche vor97 , und auch das französische Recht kennt funktionsver.,. wandte Rechtsbehelfe zur Abwehr von "troubles de voisinage", qualifiziert sie jedoch als deliktische Ansprüche 98 • Unterstellt man einmal, daß ein deutsches Grundstück durch grenzüberschreitende Immissionen des Kraftwerks betroffen wird, die nach beiden beteiligten Rechten den Tatbestand einer nicht hinzunehmenden nachbarlichen Störung erfüllen, so ergibt sich für den Rechtsschutz des Eigentümers des gestörten Grundstücks folgendes: Eine in Frankreich erhobene und auf Beseitigung bzw. Unterlassung der Störung gerichtete Klage hätte - die Zuständigkeit der französischen Gerichte einmal unterstellt99 - wenig Aussicht auf Erfolg, da die (hier ebenfalls unterstellte) behördliche Genehmigung des Betriebs des Kernkraftwerks eine Sperrwirkung entfaltet, die von den ordentlichen Gerichten unabhängig von dem für anwendbar gehaltenen Recht zu beachten ist. Bei Zugrundelegung französischen materiellen Rechts, d. h. insbesondere der auch für nachbarliche Störungen geltenden Art. 1382, 1384 C. c. 100, können die ordentlichen Gerichte nach ständiger Rechtsprechung zwar Schadensersatz zusprechen, jedoch keine Maßnahmen anordnen, die mit der behördlichen Genehmigung der Anlage unvereinbar sind101 • Die in der französischen Gesetzgebung über gefährliche und sonstige umweltbeeinträchtigende Anlagen ("installations c1assees") enthaltene Bestimmung, wonach behördliche Genehmigungen "vorbehaltlich der Rechte Dritter" erteilt werden102, Siehe dazu etwa BaUT, Lehrbuch des Sachenrechts, 10. Aufl. 1978, S. 99 ff. Mazeaud/Tunc, Bd.l, 6. Aufl. 1965, nos. 593 ff. S. 685 ff.; Ferid, Bd.2, S. 988; Stoll, RabelsZ 1973, 357 ff., 358. 99 Eine solche Zuständigkeit ist zumindest nach Art. 2 EuGVü gegeben, es sei denn, man hielte die deutschen Gerichte auf der Grundlage von Art. 16 Nr.l EuGVÜ für ausschließlich zuständig; vgl. dazu unten Anm.l06. 100 Mazeaud/Tunc, nos. 611 ff., S. 703 ff. 101 Siehe zuletzt Cass. 5. 11. 1963, D. 1964, Jur. 178 m. Anm. von Gabolde; vgl. auch Cass. 19.1.1961, BuH. civ. II, S.41; Cass. 26.2.1963, BuH. civ. I, S. 110; Mazeaud/Tunc, no 610, S. 702 f. 102 So früher Art. 12 des Gesetzes vom 19. 12. 1917, jetzt Art. 8 des Gesetzes Nr.76-663 vom 19.7.1976; vgl. noch Mazeaud/Tunc, nos 607 ff., S. 700 ff. 97
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schließt lediglich aus, daß sich der Betreiber der Anlage Dritten gegenüber auf die Genehmigung als Rechtfertigungsgrund für schädigende Auswirkungen der Anlage beruft103 • Sie ermöglicht es dagegen nicht, unter Berufung auf die nachbarschützenden Bestimmungen des Deliktsrechts, den genehmigten Betrieb der Anlage zu beschränken oder zu unterbinden. Die Anordnung derartiger Maßnahmen wird als Eingriff in die Befugnisse der im öffentlichen Interesse handelnden und allein der verwaltungs gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Genehmigungsbehörde angesehen; zu einem solchen Eingriff seien die ordentlichen Gerichte nicht befugt104 • Die so begründete Sperrwirkung der behördlichen Genehmigung greift zweifellos unabhängig davon durch, welches materielle Recht den Abwehranspruch stützt, und verhindert, daß der Bestand der Genehmigung in Abhängigkeit von dem jeweils auf den Abwehranspruch anwendbaren materiellen Recht bejaht oder verneint wird105 • Auch bei Zugrundelegung deutschen Rechts, d. h. insbesondere der von dem französischen Gericht möglicherweise als delikts rechtlich qualifizierten - §§ 1004, 906 BGB, kann daher von den französischen Gerichten nichts zugesprochen werden, was mit der behördlichen Genehmigung unvereinbar wäre. Diese Lösung, die mit der unter deutschem Recht nach den §§ 906 BGB, 14 BImSchG bestehenden Lage augenfällig verwandt ist, bedeutet, daß Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche von Eigentümern deutscher Grundstücke vor französischen Gerichten dann nicht durchgesetzt werden können, wenn die Unterlassung oder Beseitigung der Störung die Anordnung von Maßnahmen erfordert, die mit der behördlichen Genehmigung der Anlage unvereinbar sind. 11. Durchsetzung von Abwehransprüchen vor deutschen Gerichten Eine in der Bundesrepublik gegen den Betreiber des Kernkraftwerks erhobene Klage auf Beseitigung bzw. Unterlassung grenzüberschreitender Beeinträchtigungen hätte dagegen eher Aussicht auf Erfolg. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zur Entscheidung über eine solche auf das Eigentum an einem inländischen Grundstück gestützte Klage ist im Ergebnis nicht zweifelhaft106 • Der Cons. d·Etat 24.3. 1971, Dr. admin. 1971, 110. Cass. 5. 11. 1963 (Anm. 101). 105 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt Stoll, S.376. lOB Sie bestimmt sich nach Art. 16 Nr. 1 EuGVU jedenfalls dann, wenn man für die Frage, ob die Klage im Sinne dieser Bestimmung "dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen ... zum Gegenstand" hat, deutsches Recht als das Recht des Urteilsstaats zugrunde legt und im Anschluß an § 24 Abs. 2 ZPO 103 104
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Klageanspruch selbst wäre nach der insbesondere von StoIl101 vertretenen Ansicht in erster.Linie nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem das beeinträchtigte Grundstück gelegen ist, vorliegend also nach deutschem Recht. Sieht das Belegenheitsrecht des störenden Grundstücks weitergehende Ansprüche vor, so soll sich der Kläger auch hierauf berufen könnenlo8 • Im Ergebnis soll damit die dem Kläger günstigste Rechtsordnung den Rechtsschutz be9l:immen. Die Anknüpfung allein an das Belegenheitsrecht des gestörten Grundstücks steht in einer neueren Entscheidung des BGHl09 im Vordergrund, in der etwaige Abwehransprüche deutscher Grundeigentümer gegen Beeinträchtigungen, die von einem grenznahen ausländischen Flughafen ausgingen, ausschließlich nach deutschem Recht (§§ 1004, 906 BGB) beurteilt wurden. Die Frage, ob eine nach ausländischem Ortsrecht erteilte behördliche Genehmigung für die auf dem störenden Grundstück betriebene Anlage von den deutschen Gerichten zu beachten ist, wird allgemein, wenn auch mit Nuancierungen, verneintllO • Für StoUlll ist zwar eine behördliche Genehmigung für einen auf einem inländischen Grundstück geführten Betrieb von inländischen Gerichten immer zu beachten, so daß der im Inland klagende Eigentümer eines ausländischen gestörten Grundstücks die Genehmigung in jedem Fall gegen sich gelten lassen muß. Klagt der Eigentümer jedoch vor heimischen Gerichten, so soll die ausländische Genehmigung nicht dazu führen können, die nach Inlandsrecht gegebenen Abwehransprüche "zu verkürzen oder auszuschließen". Allerdings soll sich der Kläger nach seiner Wahl der Genehmigung auch "unterwerfen" und verlangen könallein auf das beeinträchtigte Grundstück abstellt (vgl. Stein/Jonas/Schumann, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl. 1979, Rdnr. 29 zu § 24 ZPO). Sollte eine autonome Auslegung der Bestimmung unter vergleichender Heranziehung der Rechte der Vertragsstaaten nicht zu einer dinglichen, sondern - wie im französischen Recht - zu einer deliktischen Qualifizierung der geltend gemachten Abwehransprüche führen, ergäbe sich die internationale (und örtliche) Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 5 Nr. 3 EuGVü. Eine ausführliche Diskussion der Zuständigkeitsfragen bei grenzüberschreitenden Nachbarstörungen findet sich (noch ohne Berücksichtigung des EuGVÜ) bei Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR, 1969, S. 211 ff., der in Fällen der vorliegenden Art die Zuständigkeit deutscher Gerichte ebenfalls bejaht. 107 RabelsZ 1973, 374 ff., sowie in Staudinger, 10./11. Aufl. 1976, Rdnr.229 nach Art. 12 (I) EGBGB; Birk, S. 215 ff.; Küppers, ZRP 1976, 260, 261 f. m.w. N. 108 StoH, RabelsZ 1973, 374 f. IOD 10.3.1978, DVBl. 1979, 226 mit Anm. von Küppers; ZLW 1979, 273 mit Anm. von Wiesenwasser. 110 A. A. Boisseree, NJW 1958, 1239 f. (Anm. zu OLG Saarbrücken 22. 10. 1957, NJW 1958, 752). 111 S . 376.
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nen, so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn sich der störende Betrieb im Inland befände und dort genehmigt worden wäre112. Für den BGH kann die ausländische Genehmigung "auf deutschem Hoheitsgebiet keine Geltung beanspruchen"; sie sei ein Verwaltungsakt, dessen Wirkungen "in der Regel auf das Hoheitsgebiet des Staates beschränkt ist, dessen Behörde sie erlassen hat"113. Die Ausschließlichkeit dieser Begründung und ihre offensichtliche Herleitung aus der Lehre von der "Territorialität" ausländischen öffentlichen Rechts, zu der sich der BGH schon früher bekannt hat114, kontrastieren allerdings mit der unmittelbar anschließend geäußerten Auffassung, die ausländische Genehmigung könne gegen Abwehransprüche deshalb nicht eingewandt werden, weil die im Verhältnis zu dem ausländischen Störer "international-privatrechtlich maßgebende lex rei sitae ... keine Verweisung auf das ausländische Recht des Staates [enthält], dessen Recht die Immission rechtfertigt"115. Dies wird jedoch nicht näher ausgeführt, vielmehr betont das Gericht abschließend noch einmal, daß "die Genehmigung nach ausländischem Recht keine Gültigkeit für das deutsche Hoheitsgebiet beanspruchen" kann. Der BGH geht im übrigen stillschweigend davon aus, daß § 14 BImSchG allein von inländischen Behörden erteilte Genehmigungen für Anlagen auf inländischen Grundstücken erfaßt. Bei Zugrundelegung sowohl der Auffassung von Stoll als auch der engeren Auffassung des BGH können somit Eigentümer deutscher Grundstücke gemäß §§ 1004, 906 BGB Beseitigung bzw. Unterlassung von Beeinträchtigungen verlangen, die durch den Kraftwerksbetrieb in Frankreich verursacht werden. Es ist freilich vorauszusehen, daß die Vollstreckung entsprechender deutscher Titel in Frankreich auf Schwierigkeiten stoßen wird. Insbesondere ist zu erwarten, daß die Anerkennung und Vollstreckung eines auf Beseitigung bzw. Unterlassung lautenden Urteils als gegen die französische öffentliche Ordnung verstoßend abgelehnt wird (vgl. Art. 27 Nr. 1 EuGVü), soweit die im Zuge der Vollstreckung erforderlichen Vorkehrungen oder sonstigen Maßnahmen mit der behördlichen Genehmigung des Kraftwerksbetriebs unvereinbar sind. Ferner sollte nicht übersehen werden, daß die sich aus dem deutschen Urteil 112
StolZ, S. 375.
BGH, (Anm. 109), S. 227. 114 BGHZ 31, 367; siehe dazu u. a. Drobnig, NJW 1960, 1008, und Neumayer, RabelsZ 1960, 649. 115 BGH DVBl. 1979, 227. In der Entscheidung BGHZ 31, 367, hatte das Gericht ausdrücklich betont, daß die Frage der Beachtlichkeit fremden ausländischen Rechts unabhängig davon zu beurteilen sei, welches Recht die lex causae stelle; zustimmend insoweit Neumayer (Anm.114). 113
C. Exkurs: Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche
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ergebenden Verpflichtungen mit der dem Betreiber obliegenden und an die Genehmigung der Anlage gekoppelten Betriebspflicht kollidieren können und auch diese Pflichtenkollision die ordre-public-Widrigkeit der Vollstreckung begründen kann. Ob die für diesen Fall im deutschen Schrifttum erörterten Wege, insbesondere die Festsetzung eines - gegebenenfalls in inländisches Vermögen des Schuldners zu vollstreckenden - Zwangsgeldes in entsprechender Anwendung des § 888 ZP0116 , wirklich gangbar sind, kann im übrigen fraglich sein. Zum einen wird eine im Ausland vorzunehmende vertretbare Handlung nicht dadurch zu einer unvertretbaren, daß das deutsche Urteil in dem betreffenden Staat nicht anerkannt und vollstreckt wird. Zum anderen ist die Festsetzung eines Zwangsgeldes nach § 888 ZPO - für die Erzwingung von Unterlassungen nach § 890 ZPO gilt insoweit nichts anderes - eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung des den Abwehranspruch titulierenden Urteils. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kann hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ fraglich sein, wonach für Verfahren betreffend die Zwangsvollstreckung die Gerichte des Staates ausschließlich zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll. Ob im übrigen solche Beugernaßnahmen, ihre Zulässigkeit einmal unterstellt, den Vollzug des deutschen Urteils in Frankreich tatsächlich erwirken können, muß insbesondere im vorliegenden Fall bezweifelt werden: es ist nicht zu erwarten, daß der Kraftwerksbetreiber, ein öffentliches Versorgungsunternehmen, unter dem Eindruck von Zwangsmaßnahmen, für die nach französischer Auffassung keine Rechtsgrundlage besteht, die ihm erteilte Betriebsgenehmigung ignoriert und seine Betriebspflicht verletzt.
III. Auflockerung des Dogmas von der .. Territorialität" der ausländischen Genehmigung und ihrer Wirkungen a) Gegen die Haltung des BGH und die sie billigenden Stimmen im Schrifttum müssen Bedenken geltend gemacht werden. Selbst wenn man für die Abwehransprüche inländischer Grundeigentümer in erster Linie inländisches Recht als Lagerecht des beeinträchtigten Grundstücks heranziehtl17 , muß die Möglichkeit, die im Anlagenstaat infolge So Küppers, ZPR 1976, 260, 261. Die Brauchbarkeit der klassischen sachenrechtlichen Anknüpfung kann in Fällen nachbarlicher Störungen wegen der hier anzutreffenden Kombination delikts- und sachenrechtlicher Momente bezweifelt werden. Stoll, S.374, strebt daher grundsätzlich nach einer Lösung, die beide Momente berücksichtigt. Der Entwurf eines schweizerischen IPR-Gesetzes unterstellt generell "Ansprüche aus schädigenden Einwirkungen, die von einem Grundstück ausgehen ... nach Wahl des Geschädigten dem Recht am Lageort des Grund116
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der behördlichen Genehmigung eingetretene Anspruchsbeschränkung zu berücksichtigen, nicht von vornherein ausscheiden. Zwar trifft es zu, daß kein Satz des deutschen Rechts für die Frage, ob eine ausländische gefährliche Anlage im Inland als "genehmigt" gilt, auf das Recht des Anlagenstaats verweist. Insbesondere enthält § 14 BImSchG (und der auf ihn verweisende § 7 Abs. 6 AtG) keine "versteckte" Kollisionsnorm, nach der die dort angeordnete Beschränkung der Abwehransprüche auch dann eintreten soll, wenn die Einwirkungen von einer nach dem Recht des Anlagenstaats genehmigten ausländischen Anlage ausgehen118 • Eine Berücksichtigung der durch die ausländische Genehmigung ausgelösten Anspruchsbeschränkung könnte aber zumindest in solchen Fällen in Frage kommen, in denen die im Anlagenstaat erteilte Genehmigung nach Voraussetzungen und Wirkungen solchen Genehmigungen vergleichbar ist, die nach dem Lagerecht des gestörten Grundstücks für entsprechende Anlagen im Inland erteilt werden können. In diesen Fällen würde die strikte Nichtbeachtung der ausländischen Genehmigung zu einer Denaturierung beider beteiligten Rechte führen und bewirken, daß von vornherein die bloße Auslandsverknüpfung des Sachverhalts zu einer schematischen Begünstigung des inländischen bzw. Benachteiligung des ausländischen Beteiligten und damit zu einer Ungleichbehandlung gegenüber Inlandssachverhalten führt, die nicht ohne weiteres einleuchtend ist119• stücks oder dem Recht am Erfolgsort" (Art. 137), vgl. dazu Bundesgesetz über das internationale Privatrecht, Schlußbericht der Expertenkommission zum Gesetzesentwurf, 1979, S. 248. 118 Folgerichtig ist daher in dem bisher vereinzelt gebliebenen Fall, in dem die jetzt in § 14 BImSchG vorgesehene Rechtsfolge einer ausländischen genehmigten Anlage - dem unmittelbar an der Grenze zur Bundesrepublik gelegenen Flughafen Salzburg - zugute kommen sollte, vom Gesetzgeber fingiert worden, daß die Anlage im Inland gelegen sei, vgl. Art. 2 des Gesetzes vom 9. 1. 1974 zu dem deutsch-österreichischen Vertrag vom 19. 12. 1967 sowie Art. 4 Abs.3 S. 2 dieses Vertrags, BGBl. 1974 11 13. Der Weg der unbedingten und vorbehaltlosen "Transformation" der ausländischen in eine inländische Genehmigung ist freilich nur dann gangbar, wenn die ausländische Genehmigung nach Voraussetzungen und Verfahren auch denjenigen inländischen Rechtssätzen entspricht, deren Einhaltung vom Gesetzgeber nicht einfach "fingiert" werden kann. Da gerade dies im Fall des Salzburger Flughafens infolge des Ausschlusses deutscher Betroffener vom Genehmigungsverfahren zweifelhaft war und die gesetzgeberische Fiktion diese Rechtsschutzverkürzung sanktioniert, hat der BGH in der bereits mehrfach zitierten Entscheidung vom 10.3. 1978 gegen diese Regelung schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht, über die das BVerfG, dem der BGH die Sache vorgelegt hat, noch nicht abschließend entschieden hat (vgl. zu dem Vertrag vom 19.12.1967 Küppers, ZRP 1976, 260, 264 f.). 118 Es sind zahlreiche Fälle denkbar, in denen vergleichbare oder sogar gleiche Anlagen (etwa zwei technisch identische Müllverbrennungsanlagen) diesseits und jenseits der Grenze, jeweils mit Genehmigung durch die örtlichen Behörden, betrieben werden. Absurd wäre es, wenn bei Beeinträchtigungen im jeweiligen Nachbarstaat die beiderseitigen Grundstückseigentümer
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In solchen Fällen ist zu überlegen, ob eine Lösung, die ungerechtfertigte Diskriminierungen vermeiden und den Regelungszusammenhang beider Rechte respektieren wollte, nicht das Lagerecht des störenden Grundstücks insoweit berücksichtigen müßte, als danach der störende Betrieb mit privatrechtsgestaltender Wirkung genehmigt ist. Eine Sonderanknüpfung120 bestimmter Rechtssätze der eigenen oder einer fremden Rechtsordnung unabhängig von der lex causae121 wird bekanntlich in Erwägung gezogen, wenn dies infolge der besonders engen Verknüpfung des Rechtsverhältnisses oder bestimmter Elemente hiervon mit dem Anwendungsbereich dieser Rechtssätze geboten erscheint. Ähnlich wie sich im internationalen Deliktsrecht die Berücksichtigung bestimmter Vorschriften im Recht des "Handlungsorts" unabhängig vom Deliktsstatut als notwendig erwiesen hat122 , kann dies auch im internationalen Nachbarrecht erforderlich werden. Dies erkennt insbesondere auch Stoll123 an, der aber die Berücksichtigung der Genehmigung und ihrer privatrechtlichen Auswirkungen unabhängig von der lex causae nur dann zulassen will, wenn es sich um eine von den Behörden des Forumstaats für eine inländische Anlage erteilte Genehmigung handelt. vor ihren Gerichten zwar Unterlassung des jenseits der Grenze liegenden Betriebs verlangen könnten, gegenüber dem ebenfalls störenden inländischen Betrieb aber auf Schadensersatzansprüche verwiesen wären. In einem während der Drucklegung dieser Untersuchung erschienenen Aufsatz spricht sich Siehr in RabelsZ 1981, 377 ff., 387 dafür aus, die Genehmigung einer ausländischen Anlage dann zu beachten, "wenn die inländischen Beteiligten gehört worden waren und dieselbe Genehmigung auch im Inland hätte erteilt werden dürfen". 120 Vgl. zuletzt WengIer, JZ 1979, 175, sowie die umfassende Darstellung von Schwander, Lois d'application immediate, Sonderanknüpfung, IPR-Sachnormen und andere Ausnahmen von der gewöhnlichen Anknüpfung im internationalen Privatrecht, 1975, insbesondere S, 316 ff. 121 Keinesfalls kann die Beachtung oder Nichtbeachtung der Genehmigung und ihrer Wirkungen davon abhängen, daß das Recht des Genehmigungsstaats die lex causae stellt, wie Stoll (von seinem Standpunkt aus freilich nur für den Fall, daß es sich um eine im Forumstaat genehmigte Anlage handelt), S.376, betont. Unzutreffend insoweit Birk, S.216, Anm. 20l. 122 Vgl. hierzu etwa Art. 7 des Haager übereinkommens vom 4, 5. 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare Recht, ferner Art. 9 des Haager übereinkommens vom 2.10.1973 über das auf die Produktenhaftung anwendbare Recht, sowie generell Art. 12 des Vorentwurfs von 1972 für ein EG-übereinkommen über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht, dazu Overbeck/Volken, in European Private International Law of Obligations, 1975, S.174. Die Sonderanknüpfung im Rahmen vertraglicher Schuldverhältnisse (hierzu grundlegend WengIer, ZverglRWiss 1941, 168 ff., Zweigert, RabelsZ 1942, 283) ist inzwischen in Art. 7 des übereinkommens (EWG) über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. 6. 1980 (ABI. EG Nr. L 266 vom 9. 10. 1980) vorgesehen, siehe hierzu den Bericht von GiulianojLagarde, ABl. EG Nr. C 282 vom 31. 10. 1980, S. 26 f. 123 S.376.
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b) Gegen die Berücksichtigung der ausländischen Genehmigung und ihrer Wirkungen wird nun vor allem eingewandt, daß die an die Genehmigung geknüpfte Anspruchsverkürzung im Privatrecht infolge ihrer öffentlich-rechtlichen Grundlage im Inland keine Geltung beanspruchen könne, es sei denn, ein besonderer inländischer Hoheitsakt schreibe eine solche Geltung vor124. Diese Auffassung beruht auf einem Verständnis der "Territorialität" privatrechtsgestaltenden öffentlichen Rechts, das insbesondere für Staaten, die untereinander durch vielfältige, gerade den öffentlichen Bereich erfassende Bindungen miteinander verflochten sind und die zudem einer Gemeinschaft mit dem Ziel einer fortschreitenden Integration angehören, schlechthin überholt ise 25 . Während das völkerrechtliche Nachbarrecht, von den spezifischen Bindungen der soeben genannten Art sogar noch unbeeinflußt, Wege und Mittel entwickelt, die aus der Gebietshoheit fließenden Ansprüche miteinander zu vereinbaren und jedenfalls schonend auszugleichen, soll das zivilrechtliche Nachbarrecht weiterhin in der Erstarrung absoluter Positionen verharren: eine Alternative zu "einer isolierten nationalstaatlichen und damit egoistischen Sicht"126 soll mit den Mitteln des Kollisionsrechts nicht zu finden sein. Das überzeugt um so weniger, als die Möglichkeit der Berücksichtigung ausländischen privatrechtsgestaltenden öffentlichen Rechts durch inländische Rechtsanwendungsorgane im Grundsatz bereits auf zahlreichen Gebieten anerkannt ist und sich ein immer breiterer Konsens darüber abzeichnet, daß die Qualifizierung einer ausländischen Norm als dem "öffentlichen" Recht zugehörig für sich allein noch nichts über ihre Anwendungs- oder Berücksichtigungsfähigkeit aussagt und die Formel von der "Territorialität" einer solchen Norm nur eine Worthülle ist, in die die vielfältigsten Gründe für die Abwehr eines als "öffentlich-rechtlich" angesehenen Rechtssatzes gekleidet sind127. m BGH (Anm. 109), S. 228. Dem steht nicht entgegen, daß sich gegenwärtig für die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, wie oben im Dritten Teil gesehen wurde, ein besonderes öffentliches Nachbarrecht (noch) nicht gebildet hat und man weit davon entfernt ist, vereinheitlichte Sach- oder Kollisionsnormen für zivilrechtliche Nachbarbeziehungen über die Grenze zu haben. Dies schließt es indes nicht von vornherein aus, sich bei der Regelung öffentlicher und privater nachbarrechtlicher Beziehungen "über die Grenze" auch innerhalb der Gemeinschaft an Lösungen zu orientieren, die in Bundesstaaten entwickelt worden sind, in denen den Gliedstaaten in weiterem Umfang Zuständigkeiten verblieben sind als etwa in der Bundesrepublik Deutschland. Vgl. zur Frage grenzüberschreitender Immissionen im amerikanischen und kanadischen öffentlichen und privaten Bundesrecht WengIer, Internationales Privatrecht, 1981, 2. Teilbd., S. 859 f., Anm. 72. 126 Küppers, ZRP 1976, 260, 265. 127 Vgl. hierzu insbesondere den Bericht von Lalive für das Institut de Droit International und die Resolution des Instituts vom 11. 8.1975, Annuaire, 125
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Ist der Satz von der prinzipiellen Unbeachtlichkeit der ausländischen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen nicht überzeugend, so ist doch wegen der Besonderheiten des zivil rechtlichen Nachbarrechts eine Sonderanknüpfung der genannten Art nur unter engeren Voraussetzungen angezeigt als etwa im internationalen Vertrags- oder Deliktsrecht. In jedem Fall wird man im vorliegenden Zusammenhang erheblich genauer differenzieren müssen als dies bisher geschieht. Hierbei wird zunächst der Grad der objektiven und subjektiven Betroffenheit des Wirkungsstaats, also des Lagestaats des gestörten Grundstücks, eine Rolle spielen müssen. Genehmigungen für Anlagen im Nachbarstaat, von denen nur gelegentlich störende Einwirkungen auf den Wirkungsstaat ausgehen, können im zivilrechtlichen Nachbarrecht eher Berücksichtigung finden als etwa Genehmigungen für solche Anlagen, deren Betrieb infolge besonderer Grenznähe oder sonstiger Umstände Grundstücke im Wirkungsstaat notwendig oder jedenfalls regelmäßig beeinträchtigen. Handelt es sich um eine Anlage, deren Genehmigung durch den Errichtungsstaat nach den im Ersten Teil erörterten Grundsätzen völkerrechts widrig ist und hinsichtlich deren der Wirkungsstaat selbst regelungsbefugt ist, so scheidet eine Beachtung der ausländischen Genehmigung ohnehin aus. Es ist ferner von Bedeutung, ob die im Ausland genehmigte Anlage auch im Hoheitsgebiet des Wirkungsstaats errichtet und dort genehmigt werden könnte. Ist dies nicht der Fall, weil etwa die Gesetzgebung des Wirkungsstaats den Betrieb entsprechender Anlagen nicht erlaubt oder hierfür überhaupt keine Regelung vorsieht, wird dies die Berücksichtigung einer im Anlagenstaat erteilten Genehmigung regelmäßig ausschließen. Es kann endlich aber auch eine Rolle spielen, in welchem Verhältnis Wirkungsstaat und Anlagenstaat zueinander stehen. Verfolgen nämlich, wie dies typischerweise der Fall ist, die ausländischen Rechtssätze über die Genehmigung störender oder "gefährlicher" Anlagen auch "öffentliche", staatsbestimmte Ziele, so kann ihre Beachtung im Wirkungsstaat daran scheitern, daß dieser entweder diese Ziele nicht billigt oder jedenfalls nicht durch Beachtung des fremden Rechts - eventuell unter Benachteiligung eigener Staatsangehöriger - fördern will, oder aber, bei grundsätzlicher Billigung dieser Ziele, die hierfür eingesetzten Mittel als unangemessen empfindet - etwa deshalb, weil er vergleichbare eigene Ziele in anderer Weise verwirklicht. Die Beachtung der entsprechenden ausländischen Rechtssätze kann damit nicht nur von einem Interessengleichlauf der beteiligten Staaten abhängig sein, sondern auch von der solidarischen Haltung des Wirkungsstaats hinsichtvol. 56, Session de Wiesbaden 1975, S. 219 ff., 550 ff., sowie SchwandeT, S. 65 ff., 73 ff. mit umfassenden Nachweisen.
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lich der Verfolgung dieser Interessen durch den Nachbarstaat. Daß im Verhältnis solcher Staaten zueinander, die einer wirtschafts- und sozialpolitischen Gemeinschaft angehören, eine gewisse Stabilität beider Kriterien jedenfalls für die gemeinschaftlichen Bereiche vorauszusetzen ist, wird nicht zu bestreiten sein. Beide Kriterien enthalten im übrigen ein Reziprozitätselement, das im vorliegenden Zusammenhang positiviert werden muß: die Beachtung einer im Nachbarstaat erteilten Genehmigung durch Rechtsanwendungsorgane des Wirkungsstaats sollte durchaus davon abhängig sein, daß der Nachbarstaat im umgekehrten Fall Genehmigungen des Wirkungsstaats ebenfalls respektiert128 • Neben diesen Kriterien für die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit der ausländischen Genehmigung spielt es weiter eine Rolle, ob und inwieweit den Interessen der von der Anlage betroffenen Angehörigen des Wirkungsstaats bei der Erteilung der Genehmigung durch die Behörden des Anlagenstaats Rechnung getragen worden ist. Ist nach dem Recht des Anlagenstaats die Berücksichtigung der Interessen dieser Personen ausgeschlossen, etwa weil nach diesem Recht Partikularinteressen überhaupt keine Rolle spielen können oder jedenfalls Interessen von Ausländern nicht berücksichtigt werden129 , so steht dies einer Beachtung der Genehmigung dann entgegen, wenn im Recht des Wirkungsstaats - wie dies für das deutsche Recht zutrifft130 - die Durchführung eines rechtswahrenden Verfahrens eine zwingende Voraussetzung für eine Anspruchsverkürzung im Privatrecht ist. Läßt der Anlagenstaat die Beteiligung ausländischer Betroffener an dem Genehmigungsverfahren grundsätzlich zu und bezieht er ihre Interessen in seine Entscheidungsbildung mit ein, so ist weiter zu fragen, wieweit das ausländische Verfahren einem vergleichbaren inländischen 128 In Art. 9 des deutsch-österreichischen Vertrages vom 19. 12. 1967 (oben Anm. 118) verpflichtet sich Österreich, auf Verlangen der Bundesrepublik einem deutschen zivilen Flugplatz an der Grenze "nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit durch Abschluß eines entsprechenden Vertrages die gleiche Behandlung [zuzugestehen], die der Flughafen Salzburg durch diesen Vertrag erfährt". 129 Einen rechtsvergleichenden überblick geben die im Rahmen der OECD erstellten Untersuchungen über die gleichberechtigte Beteiligung von Ausländern an inländischen Verfahren im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen, vgl. die OECD-Veröffentlichung Aspects juridiques de la pollution transfrontiere, 1977. Zur Lage in Österreich siehe einerseits öVGH v. 30. 5. 1969 (Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs, administrativrechtl. Teil, 1969, Nr.7582 [A] S.264; Clunet 1972, 647), und dazu Schreuer, ÖJZ 1971, 542, andererseits jetzt den geänderten § 72 der österrreich. Gewerbeordnung, dazu Küppers, DVBl. 1978, 686, 687; vgl. ferner Wiesenwasser, ZLW 1979, 277 f. Siehe ferner oben Erster Teil, Anm.182. Zur Rechtslage in der Schweiz vgl. Entscheid des Bundesrats vom 22. 8. 1979, EuGRZ 1980, 625. 130 Siehe etwa §§ 4 ff. BImSchG, 7 AtG.
C. Exkurs: Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche
173
Verfahren entsprechen muß, um seinen Ausgang im Inland beachtlich werden zu lassen. Diese Frage ist im deutschen Schrifttum - von einem anderen Ausgangspunkt aus, nämlich dem des Erfordernisses einer völkervertraglichen Grundlage für die Beachtlichkeit der ausländischen Genehmigung - dahin beantwortet worden, daß zugunsten der inländischen Betroffenen ein "adäquater und strukturell kongruenter" Rechtsschutz gewährt werden müsse13t, der in der Regel nur bei Durchführung von Verwaltungsverfahren nach dem Recht beider beteiligten Staaten oder einer zum Erlaß von Hoheitsakten befugten gemeinsamen Kommission gewährleistet se?32. Auch hier wird man indes wiederum differenzieren müssen. Die genannte Maximalforderung mag dann gerechtfertigt sein, wenn die objektive Betroffenheit des Wirkungs staats besonders groß ist, insbesondere wenn von der Anlage so starke Einwirkungen ausgehen, daß ein Teil des Betriebs sich gleichsam im Inland abspieW,aa. Tatsächliche Umstände wie die, welche zu dem deutsch-österreichischen Vertrag über Auswirkungen des Flughafens Salzburg vom 19. 12. 1967134 geführt haben, können indes nicht bei der Bestimmung des den inländischen Betroffenen bei grenzüberschreitenden Beeinträchtigungen zu gewährleistenden Mindest-Rechtsschutzstandards zugrunde gelegt werden. Grundsätzlich wird man fordern müssen, daß den inländischen Betroffenen an dem ausländischen Genehmigungsverfahren gleichwertige Beteiligungsmöglichkeiten offenstehen wie den Angehörigen des Anlagenstaats l35 und diese Beteiligungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten prinzipiell denen gleichen, die im Recht des Wirkungsstaats für vergleichbare Verfahren vorgesehen sind. Die Gewährung derartiger Rechte ist im übrigen, ebenso wie die Einräumung von Ersatzansprüchen, unter verfassungsrechtlichen Aspekten insbesondere im Hinblick auf Art. 14 GG - unabdingbar. Die Wahrung grundrechtlich verbürgter Positionen kann und muß aber im Rahmen der Sonderanknüpfung sichergestellt werden - nicht anders, wie auch sonst Verfassungs recht "im" Kollisionsrecht zu beachten ist136 • Überzogen wäre es zu verlan131 132
Weber, DVBl. 1980, 330, 336. Weber, ebd., im Anschluß an Kilppers, DVBl. 1978, 686, 689.
133 So im Falle des Flughafens Salzburg, dessen Flugschneise über deutsches Gebiet, insbesondere über die 3 km von der Start- und Landebahn entfernt liegende deutsche Gemeinde Freilassing führt, vgl. im einzelnen BGH, DVBl. 1979, 226; Kilppers, ZRP 1976,260, 264. m Oben Anm. 118 sowie die vorige Anm. 135 Siehe dazu im einzelnen die Empfehlungen der OECD C (74) 224, C (76) 55 (Final) sowie C (77) 28 (Final), in Aspects juridiques, S. 11 ff. 138 Neben der verfassungsmäßigen Ausgestaltung der deutschen Kollisionsnorm, d. h. hier der Sonderanknüpfung, kommt es danach weiter darauf an, ob die Anwendung ausländischen Rechts durch deutsche Behörden und Gerichte im konkreten Fall Grundrechte verletzt, vgl. BVerfGE 31, 58; BGHZ 60,
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4. Teil, 1. Abschn.: Zivil rechtliche Haftung, Kollisionsrecht
gen, daß eine jede Beschränkung der vom deutschen Recht gewährten dinglichen Abwehransprüche gegen Immissionen, die von einer ausländischen Anlage herrühren, durch einen gesonderten inländischen Hoheitsakt bei integraler Wahrung der Rechtsschutzgarantien des deutschen Rechts angeordnet werden muß137 • c) Ob im Falle des Kernkraftwerks Cattenom deutsche Grundeigentümer die ihnen nach der oben unter 11. dargestellten Ansicht zustehenden Abwehransprüche auch bei Beachtung der vorstehenden Erwägungen erfolgreich im Erkenntnisverfahren vor deutschen Gerichten - geltend machen können, mag hier offenbleiben. Eine Beantwortung der Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit der Wirkungen einer künftigen Betriebsgenehmigung für das Kernkraftwerk auf der Grundlage der skizzierten Kriterien erforderte umfassende Kenntnisse der tatsächlichen Umstände, die gegenwärtig nicht zur Verfügung stehen138 • Den Eigentümern inländischer Grundstücke sind im übrigen auch bei Berücksichtigung dieser Wirkungen Ersatzansprüche zu gewähren, die mindestens dem entsprechen müssen, was nach deutschem Recht (§§ 14 BImSchG, 7 Abs. 6 AtG) zuzusprechen wäre139 ; die aus68, 78 ff.; davor schon Wengler, JZ 1964, 622 und 1965, 100; Bernstein, NJW 1965,2275. 137 So freilich der BGH (DVBl. 1979, 226, 228), dessen Ansicht letztlich auf der Vorstellung beruht, die ausländische Genehmigung und ihre Wirkungen stellten eine "Duldungsanordnung" dar (so Küppers, ZRP 1976, 260, 262 f.), die als hoheitlicher Akt mit Wirkung für das Inland nur von inländischen Behörden erlassen werden könne. Die ausländische Genehmigung enthält indes ebensowenig eine auf Duldung gerichtete Anordnung an alle potentiell von der genehmigten Anlage betroffenen Grundstückseigentümer wie eine Genehmigung i. S. von § 14 BImSchG. Die als Wirkung einer Genehmigung im Privatrecht eintretende Anspruchsbeschränkung unterscheidet sich ihrer Natur nach nicht entscheidend von anderen nachbarrechtlichen Duldungspflichten, wie sie sich etwa aus der Ortsüblichkeit (vgl. etwa § 906 BGB) ergeben können. Sie beruht im Falle von Beeinträchtigungen, die von ausländischen Grundstücken - auch solchen, auf denen genehmigte Anlagen betrieben werden - ausgehen, auf dem vom inländischen Kollisionsrecht für anwendbar erklärten Recht. 138 Von Bedeutung wird in diesem Zusammenhang insbesondere der Ausgang der von grenznahen deutschen Gemeinden und von einzelnen Einwohnern vor dem Conseil d'Etat (gegen die Gemeinnützigkeitserklärung) sowie dem Tribunal administratif Straßburg (gegen die Baugenehmigung) angestrengten Klageverfahren sein. In seiner Studie über die Haltung des französischen Rechts in der Frage der Beteiligung von Ausländern an inländischen Verfahren im Falle grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen kommt Pacteau, in: Aspects juridiques, S. 215 ff., zu dem Ergebnis, die französische Gesetzgebung enthalte zwar keine ausdrücklichen Bestimmungen über den gleichberechtigten Zugang von Ausländern, lasse sich aber durchaus in diesem Sinne verstehen, auch wenn dies insbesondere im Bereich der Verwaltung zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen könne (S.237). 139 Vgl. dazu Baur (Anm.97), S. 224 ff. m. w. N. Dieser Ersatzanspruch ist von den oben unter B. erörterten deliktischen Schadensersatzansprüchen
C. Exkurs: Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche
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ländische Genehmigung kann zu Lasten inländischer Betroffener nicht weitergehende Wirkungen äußern als eine für eine inländische Anlage erteilte Genehmigung. Daß andererseits bei Unbeachtlichkeit der französischen Genehmigung der Wert eines deutschen Beseitigungs- oder Unterlassungstitels wegen der nach allem Ermessen fehlenden Vollstreckungsmöglichkeit höchst zweifelhaft ist, wurde bereits gesehen. Der Vorschlag von Stolll40 , der gestörte Eigentümer könne sich der ausländischen Genehmigung auch "unterwerfen" und alsdann aufgrund des ausländischen Rechts Schadensersatz fordern, spiegelt wohl etwas von diesem Bewußtsein wider.
grundsätzlich zu unterscheiden, wenn sie sich auch im konkreten Fall decken mögen. 140
S.375.
Zweiter Abschnitt
Haftung des Anlagenstaats nach Völkerrecht A. Haftung für schädigende Auswirkungen eines »nuklearen Ereignisses" I. Autonomie der völkerrechtlichen Haftung für Nuklearschäden Die bisher erörterten Fragen des internationalen Atomhaftungsrechts betrafen vor allem die zivilrechtliche Haftung des Inhabers einer Kernanlage und die hiermit verbundenen Probleme der individuellen Rechtsverfolgung über die Grenze. Die in diesem Rahmen den Anlagenstaat treffenden völkerrechtlichen Verpflichtungen - d. h. die sich aus dem Pariser und dem Brüsseler Haftungsübereinkommen ergebenden Verpflichtungen betreffend die Durchführung bzw. Ausfüllung der Haftungsregeln sowie die Erfüllung der finanziellen Einstandspflichten - bedürfen hier ebensowenig einer besonderen Erörterung wie der Fall, daß der Anlagenstaat als Inhaber einer Kernanlage selbst nach dem Pü zivilrechtlich einzustehen hat. Im folgenden soll vielmehr gefragt werden, ob und inwieweit der Anlagenstaat als solcher kraft Völkerrechts für grenzüberschreitende schädigende Auswirkungen eines in seinem Hoheitsgebiet eintretenden "nuklearen Ereignisses" haftet141 • Daß insoweit die mit den Atomhaftungskonventionen übernommenen Verpflichtungen nicht als erschöpfende Spezialregelung des völkerrechtlichen Haftungsrechts für Atomschäden angesehen werden können, wird in Anhang II zum Pü ausdrücklich festgestellt 142 • Danach ist das übereinkommen "nicht so auszulegen, daß dadurch einer Vertragspartei Rückgriffsrechte entzogen würden, die ihr nach dem Völkerrecht wegen eines Schadens zustehen können, der in ihrem Hoheitsgebiet durch ein im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei eintretendes nukleares Ereignis verursacht worden ist". 141 Zur Frage der völkerrechtlichen Haftung für sonstige schädigende Auswirkungen des Kraftwerksbetriebs siehe unten B. 142 Vgl. auch den in der Formulierung eher geglückten Art. XVIII des Wiener Atomhaftungsübereinkommens : "Dieses Ubereinkommen darf nicht so ausgelegt werden, daß es etwaige Rechte einer Vertragspartei berührt, die
A. Haftung für Nuklearschäden
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Das allgemeine Völkerrecht gewährt zunächst Ersatzansprüche - als eine von mehreren Rechtsfolgen - für solche Schäden, die als Folge der Verwirklichung eines völkerrechtlichen Unrechts tatbestandes entstanden sind; Grundlage der Haftung ist hier der Verstoß gegen eine völkerrechtliche Verhaltenspflicht, der Ersatzanspruch ist Unrechtsfolge. Wieviele Fragen im Bereich dieser eigentlichen deliktischen Haftung der Völkerrechtssubjekte auch umstritten sein mögen, über den Grundsatz selbst besteht Einverständnis143 • Dagegen ist die weitere Frage, ob das Völkerrecht auch eine Haftung kennt, die nicht Unrechts folge, sondern vielmehr Kompensation von Schäden ist, die aus einer risikobehafteten, aber völkerrechtskonformen Tätigkeit entstehen - eine Frage, die nicht mit dem Problem des Verschuldenserfordernisses bei der deliktischen Haftung zu verwechseln istl44 - , durchaus ungeklärt. Inwieweit eine solche Gefährdungshaftung nach Völkerrecht für die hier untersuchten Schäden eingreift, soll geprüft werden (unten III), nachdem die Frage der eigentlichen deliktischen Haftung kurz erörtert worden ist (nachfolgend II).
11. Deliktische Haftung 1. Voraussetzungen und Folgen
Die Frage nach der deliktischen Haftung für grenzüberschreitende Auswirkungen eines nuklearen Ereignisses ist nicht mehr als ein Teilaspekt der Frage nach den Folgen einer Verletzung der völkerrechtlichen Sätze über die Errichtung und den Betrieb eines grenznahen Kernkraftwerks. Ob der Anlagenstaat für einen im Nachbarstaat (nachfolgend "Wirkungsstaat") eingetretenen Schaden nuklearen Ursprungs deliktisch, d. h. aus völkerrechtlichem Unrecht, haftet, hängt somit davon ab, ob jener eine ihn treffende ("primäre") Verhaltenspflicht in zurechenbarer Weise verletzt hat und diese Verletzung für den schädigenden Erfolg kausal war. Bei der Besprechung der völkerrechtlichen Zulässigkeit eines grenznahen Kernkraftwerks sind Bestehen, Umfang und Grenzen konkreter Verhaltenspflichten des Anlagenstaats im einzelnen untersucht worden. Ein Verstoß gegen die dort festgestellten Handlungs- und Unterlassungspflichten löst grundsätzlich die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Anlagenstaats aus. Die an einen derartigen Verstoß geknüpften Rechtsfolgen können jedoch im Einzelfall in Abhängigkeit von dem Inhalt der verletzten Primärnorm sowie der Art des auf die Rechtsihr nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts bezüglich eines nuklearen Schadens zustehen." 143 Vgl. etwa Verdross/Simma, S. 613 f. m. w. N. 144 Vgl. zu dieser Abgrenzung und zur Terminologie unten III 1. 12 KloepferjKohler
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4. Teil, 2. Abschn.: Völkerrechtliche Haftung
verletzung zurückzuführenden Schadens unterschiedlich sein. Bei der hier zugrundegelegten Hypothese, daß infolge eines nuklearen Ereignisses145 beim Betrieb des Kraftwerks - unabhängig davon, ob dieses Ereignis bei "normalen" oder bei außergewöhnlichen Betriebsumständen eintritt, d. h. auch bei Störfällen oder einem Unfall - Schäden im Wirkungsstaat eintreten, ist für die Auslösung der deliktischen Haftung im Regelfall Voraussetzung, daß bei der Errichtung und dem Betrieb der Anlage insbesondere die internationalen Standards, für deren Einhaltung bei der Genehmigung und überwachung des Kraftwerks der Anlagenstaat einzustehen hat, nicht gewahrt worden sind146 • Die Völkerrechtswidrigkeit gerade der Errichtung und/oder des Betriebs in der für den Schadenseintritt kausalen Form ist damit Voraussetzung für die deliktische Haftung. Zweifelsfragen können entstehen, wenn zwar die "materiellen" Zulässigkeitsvoraussetzungen für den völkerrechts konformen Betrieb erfüllt sind, der Anlagenstaat aber seine Informations- und gegebenenfalls Konsultationspflichten gegenüber dem Wirkungsstaat verletzt hat. Hier ist es denkbar, daß deliktische Ersatzansprüche allein für solche Schäden gegeben sind, die im Wirkungsstaat nur deshalb entstanden oder in dem gegebenen Umfang entstanden sind, weil dieser infolge der Verletzung der genannten prozeduralen Verpflichtungen nicht imstande war, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung oder Minderung der schädigenden Auswirkungen auf seinem Staatsgebiet zu treffen147 • Der Anlagenstaat hat für die im Wirkungsstaat entstandenen Schäden grundsätzlich in der Form Wiedergutmachung zu leisten, daß alle Folgen des Unrechtstatbestands beseitigt werden. Ist die Wiederherstellung des früheren Zustands nicht möglich, so hat an deren Stelle die Zahlung VOn Schadensersatz zu treten, der grundsätzlich dem Wert der Naturalrestitution entsprechen muß, summenmäßig nicht begrenzt ist und gegebenenfalls auch den entgangenen Gewinn umfaßt, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten gewesen wäre148 • Dies kann im vorliegenden Zusammenhang insbesondere 145 Von der im Pü gegebenen Begriffsbestimmung mag auch für die vorliegende Prüfung ausgegangen werden. 146 Entsprechendes gilt im Falle der rechtsmißbräuchlichen Mindersdcherung eines grenznahen Kraftwerks im Verhältnis zu einem Binnenkraftwerk sowie der anderen oben besprochenen Fälle der beabsichtigten Schadensverlagerung "über die Grenze". 147 Umgekehrt können deliktische Ersatzansprüche unter Umständen nach den Grundsätzen des Mitverschuldens dann gemindert werden, wenn der Wirkungsstaat vom Anlagenstaat Informationen über den Anlagenbetrieb erhält, die es ihm erlauben, auf seinem Staatsgebiet Vorkehrungen zur Verhütung oder Minderung etwaiger Schäden zu treffen, er dies jedoch unterlassen hat (siehe zur Frage des Mitverschuldens VeTdToss!Simma, S.632, insbesondere Nr. 11).
A. Haftung für Nuklearschäden
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dann von Bedeutung werden, wenn Schäden nuklearen Ursprungs zu einer Verseuchung landwirtschaftlich genutzter Flächen oder von Industrieanlagen ete. führen. Andererseits folgt aus dem für die Schadensberechnung im völkerrechtlichen Deliktsrecht anerkannten149 Grundsatz der Vorteilsausgleichung (compensatio lueri eum damno), daß Ersatzleistungen, die die Geschädigten aufgrund der Atomhaftungsübereinkommen - sofern natürlich diese zwischen den beteiligten Staaten in Kraft stehen - vom Inhaber der Anlage und/oder vom Anlagenstaat erhalten, auf die Schadensersatzforderung anzurechnen sind150 • 2. Geltendmachung
Zur Geltendmachung der deliktischen Ersatzansprüche gegenüber dem haftenden Staat ist allein der geschädigte Staat selbst aktiv legitimiert, keinesfalls die geschädigten Einzelpersonen. Es ist dies nicht so zu verstehen, als mache der Staat die Individualansprüche in einer Art Prozeßstandschaft geltend. Die Verwirklichung des völkerrechtlichen Unrechtstatbestandes durch den haftenden Staat verletzt vielmehr den Wirkungsstaat als solchen, dieser macht somit eigene Rechte geltend. Dies tritt im vorliegenden Zusammenhang deutlicher hervor als etwa in den klassischen Fällen der (völkerrechtswidrigen) Verletzung der Person oder des Eigentums eines Ausländers im Gebiet des später vom Heimatstaat des Geschädigten in Anspruch genommenen Staates. Die Verletzung der vom völkerrechtlichen Nachbarrecht gebildeten Handlungs- und Unterlassungsgebote betrifft notwendigerweise unmittelbar die territoriale Integrität des Wirkungsstaates, sei es in Form einer von diesem nicht hinzunehmenden Gefährdung, die sich noch nicht in materiellen Schäden auf seinem Hoheitsgebiet konkretisiert hat, sei es in Form solcher konkreten Schäden. Es ist diese Verletzung der territorialen Integrität, die den eigentlichen Schaden des Wirkungsstaats ausmacht, und erst bei der Schadensberechnung gewinnen die konkreten Schädigungen Einzelner entscheidende Bedeutung151 • Aus dieser Gebietsbezogenheit des Schadens folgt im übriSiehe hierzu und zum folgenden VerdrossjSimma, S. 630 ff. m. w. N. Vgl. P.C.I.J., Factory at Chorzow (Merits), Sec. A, n° 17, S.53. 1/iG Besondere Leistungen, die im internen Recht des Wirkungsstaats für den Fall eines nuklearen Schadens vorgesehen sind (vgl. § 38 AtG), vermindern zwar den Schaden der Einzelnen, können aber vom Wirkungsstaat als eigener Vermögensschaden geltend gemacht werden. - Vgl. zur Frage der vorrangigen Geltendmachung der Ersatzansprüche mit innerstaatlichen Rechtsbehelfen als Voraussetzung des völkerrechtlichen Wiedergutmachungsanspruchs sogleich unter 2. 151 Treffend formuliert Kiss, in: La protection de l'environnement et le droit international (A.D.I., Colloque 1973), 1975, S. 469: "L'Etat ne demande pas satisfaction pour de tels prejudices au nom des victimes, mais ... pour ob148
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4. Teil, 2. Abschn.: Völkerrechtliche Haftung
gen, daß der Wirkungs staat nicht etwa auf die Geltendmachung solcher Schäden beschränkt ist, die von seinen eigenen Staatsangehörigen auf seinem Staatsgebiet erlitten worden sind. Die insbesondere im Zusammenhang mit der Ausübung des diplomatischen Schutz rechts bei völkerrechtswidriger Schädigung von Einzelpersonen entwickelte dahingehende Einschränkung verliert in den hier besprochenen Fällen ihre Berechtigung, da keine personale, sondern eine territoriale Verknüpfung die Aktivlegitimation bestimmt152• Die Gebietsbezogenheit ist es endlich auch, die hier die Maßgeblichkeit der weiteren Voraussetzung fraglich macht, nach der die Geltendmachung völkerrechtlicher Wiedergutmachungs ansprüche wegen der Schädigung von Einzelpersonen erst zulässig sein soll, nachdem der Geschädigte die im Recht des Schädigerstaates vorgesehenen Rechtsbehelfe ausgeschöpft hat153• Die Berechtigung dieses Erfordernisses ist zwar in jüngster Zeit insbesondere im Bereich der grenzüberschreitenden Umweltschäden mit guten Gründen in Zweifel gezogen worden1G4 • Die Antwort auf diese Frage kann jedoch nicht in allen Fällen gleichlautend sein, sondern hängt davon ab, ob zwischen den beteiligten Staaten Vereinbarungen bestehen, die für den Rechtsschutz der Geschädigten im Hinblick auf die die Ersatzansprüche auslösenden Schäden eine Spezialregelung vorsehen und in ihren persönlichen Anwendungsbereich solche Personen gleichberechtigt einbeziehen, die durch grenzüberschreitende Schäden im Gebiet des Wirkungsstaats betroffen werden. Dies ist, wie im 1. Abschnitt im einzelnen gesehen wurde, für Schäden nuklearen Ursprungs der Falll55 • Der vom Wirkungsstaat aus völkerrechtlichem Delikt in Anspruch genommene Anlagenstaat muß unter diesen Umständen die Berücksichtigung solcher in die Wiedergutmachungsforderung des Wirkungsstaats als Schadensposten eingegangener Ersatzforderungen ablehnen können, die von den Geschädigten nicht zuvor mit den von der Spezialregelung vorgesehenen Rechtsbehelfen vor den Behörden des Wirkungsstaats geltend gemacht worden sind. Erst nach Ausschöpfung dieser Rechtsbehelfe durch den Geschädigten tenir le respect du droit international non pas en la personne de ses ressortissants mais pour son territoire." - Vgl. hierzu auch Fröhler/Zehetner, Rechtsschutzprobleme bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen, Bd. I, 1979, S. 147 f. 152 So auch Kiss, S. 469. 153 Der Fall, daß die Völkerrechtsverletzung selbst durch Wahrnehmung innerstaatlicher Rechtsbehelfe vom Geschädigten hätte verhindert werden können (vgl. dazu Verdross/Simma, S. 636), liegt ohnehin nicht vor. 1$4 Kiss, S. 470. 155 Der oben unter I erwähnte Vorbehalt in Anhang II zum Pü ist keinesfalls so zu verstehen, daß die Haftungsregelung des Ubereinkommens auch nicht bei den Modalitäten der Geltendmachung und Berechnung eines völkerrechtlichen Wiedergutmachungsanspruchs berücksichtigt werden dürfte.
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kann somit dessen Ersatzforderung als Schadensposten vom Wirkungsstaat geltend gemacht werden, wobei der aufgrund der speziellen Haftungsregeln geleistete Betrag - wie bereits erwähnt - abzusetzen ist. III. Gefährdungshaftung 1. Haftung für scbidigende Auswirkungen völkerrechtsgemißen HandeIns?
Es kann wohl ohne übertreibung gesagt werden, daß die vorstehend skizzierten Sätze über die deliktische Haftung von Nuklearschäden nach Völkerrecht nur den geringeren Teil der Fälle zu erfassen und befriedigend zu regeln vermögen, in denen es zu grenzüberschreitenden Schäden nuklearen Ursprungs kommt. Jedenfalls eine Verletzung der völkerrechtlichen Verhaltenspflichten in bezug auf Errichtung und Betrieb eines grenznahen Kernkraftwerks, d. h. im wesentlichen die Einhaltung des internationalen Standards, wird nur ausnahmsweise eine zurechenbare Ursache grenzüberschreitender nuklearer Schäden sein. Die bisherigen Erfahrungen bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie haben vielmehr gezeigt, daß schädigende Auswirkungen des Betriebs von Kernkraftwerken, insbesondere bei außergewöhnlichen Betriebsbedingungen, trotz Anlegung "höchster" Sicherheits maßstäbe - d. h. trotz aller nach dem jeweiligen Stand der Technik getroffenen und vernünftigerweise zu treffenden Maßnahmen zur Verhinderung solcher Auswirkungen nicht ausgeschlossen werden könnenl56 • Dies gilt erst recht, wenn als Maßstab für derartige Maßnahmen der internationale Standard, der ja nicht mit dem jeweils "höchsten" Sicherheitsrnaßstab bestimmter Staaten identifiziert werden kann, herangezogen wird. Daß dieses in jedem Fall verbleibende Risiko als solches nicht die Völkerrechtswidrigkeit des Betriebs eines grenznahen Kernkraftwerks zur Folge hat, ist bereits im einzelnen erörtert worden. Bei Erfüllung der sich aus dem internationalen Standard ergebenden Pflichten ist der Betrieb einer solchen Anlage vielmehr völkerrechtsgemäß. Die Frage nach der Haftung des Anlagenstaats für solche grenzüberschreitenden Nuklearschäden, die trotz Einhaltung dieses Standards eintreten, ist damit die Frage nach dem Bestehen einer Haftung für schädigende Auswirkungen völkerrechtsgemäßer Handlungen. Es ist versucht worden, diese Fragestellung in der bisherigen Diskussion durch verschiedene Konstruktionen zu vermeiden, die das Problem auf die Verschuldensfrage ausrichten und eine verschuldensunabhängige Erfolgshaftung 158
Vgl. noch unten Anm. 161.
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4. Teil, 2. Abschn.: Völkerrechtliche Haftung
zugrunde legen157 oder mit Hilfe von Beweislastregeln, insbesondere einer Beweislastumkehr zu Lasten des Anlagenstaats, den Verschuldens- und/oder Rechtswidrigkeitsnachweis erleichtern wollen158 • In ihrer Beharrung auf dem deliktischen Charakter der Schadenszufügung als der Verwirklichung eines völkerrechtlichen Unrechtstatbestandes sei es als Handlungs- oder als bloßes "Erfolgs"-Unrecht - verstellen diese Konstruktionen jedoch den Blick auf eine der völkerrechtlichen Wertordnung gerecht werdende und auch systematisch befriedigende Lösung. Dies ist im Rahmen der Arbeiten der International Law Commission der UN an der Kodifikation des völkerrechtlichen Deliktsrechts schon früh deutlich geworden. Nachdem diese das Problem der Haftung für schädigende Auswirkungen risikobehafteter, aber völkerrechtskonformer Handlungen und die mit der deliktischen Haftung verbundenen Fragen ausdrücklich als "nicht vergleichbar" bezeichnet und eine getrennte Prüfung und gegebenenfalls Kodifizierung des erstgenannten Problemkreises befürwortet hat169 , ist für diese Fragen im Jahre 1978 aufgrund des Berichts einer zuvor eingesetzten Arbeitsgruppe ein Special Rapporteur ernannt und mit den entsprechenden Arbeiten betraut worden160• Ausgangspunkt dieser Arbeiten ist die klassische Konstellation der Gefährdungshaftung, wie sie in den innerstaatlichen Rechtsordnungen (unter den Bezeichnungen "responsabilite objective" oder "pour risque", "absolute liability" etc.) bekannt ist und bei der die haftungsauslösende Schadenszurechnung nicht Unrechtsfolge ist16 t, sondern auf dem Erfordernis eines sozialen Lastenausgleichs beruht162 • Vgl. etwa Fröhler/Zehetner, S. 125 f. m. w. N. Fröhler/Zehetner, S. 131 ff. Eine ausführliche Darstellung des Fragenkomplexes findet sich, mit zahlreichen Nachweisen, bei Goldschmidt, Das Problem einer völkerrechtlichen Gefährdungshaftung unter Berücksichtigung des Atom- und Weltraumrechts, 1978, insbesondere S. 29 ff., 93 ff., 269 ff. 159 Vgl. den Bericht im Yearbook of the International Law Commission, 1978, vol. H, Part Two, n° 79, S. 74 f.: "The Commission fully recognizes the importance not only of questions of responsibility for internationally wrongful acts, but also of questions concerning the obligation to make good any injurious consequences arising out of certain activities not prohibited by international law, especially those which, because of their nature, present certain risks. The Commission takes the view, however, that the latter category of questions cannot be treated jointly with the former. A joint examination of the two subjects could only make both of them more difficult to grasp. To be obliged to bear any injurious consequences of an activity that is in itself lawful, and to be obliged to face the consequences (not necessarily limited to compensation) of the breach of a legal obligation, are not comparable situations. It is only because of the relative poverty of legal language that the same term is sometimes used to designate both." 160 Yearbook, n° 177 f., S.150. Vgl. im übrigen den unter dem Titel "Internationalliability for injurious consequences arising out of acts not prohibited by international law" erstellten Bericht der Arbeitsgruppe, Yearbook, S.150 ff. 157 158
A. Haftung für Nuklearschäden
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2. Gefährdungshaftung für NUklearschäden
Ebensowenig wie in den innerstaatlichen Rechten kann beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Völkerrechts das Bestehen eines allgemeinen Tatbestands der Gefährdungshaftung - dieser Begriff soll im folgenden beibehalten werden - festgestellt werden. Auch im Völkerrecht beginnen sich jedoch für einzelne Bereiche - vorerst nur völkervertraglich fixierte - Tatbestände herauszubilden, die eine solche Haftung vorsehen163 • Für den Bereich der zivilen Nutzung der Kernenergie ist durch die oben besprochenen Atomhaftungsübereinkommen zwar nur eine Vereinheitlichung der zivilrechtlichen Haftungsregeln erreicht worden; dies schließt jedoch die Annahme einer nach Völkerrecht begründeten Gefährdungshaftung des Anlagenstaats für grenzüberschreitende Schäden nuklearen Ursprungs nicht aus. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, daß sämtliche Elemente für die Bildung einer entsprechenden Haftungsnorm schon gegenwärtig vereinigt sind, wenn es auch zu einer Aktualisierung dieser virtuellen Norm noch nicht gekommen istl64 • Das Bestehen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c des IGH-Statuts kann auf der Grundlage der innerstaatlichen Rechtsordnungen nicht mehr bezweifelt werden. Tatsächlich ist das Prinzip der Gefährdungshaftung für Atomschäden in allen einschlägigen innerstaatlichen Rechten enthalten165 , wobei die fortschreitende Vereinheitlichung der auf Verschulden und Rechtswidrigkeit verzichtenden Haftungsprinzipien durch die Atomhaftungsübereinkommen ein zusätzliches bestätigendes Element einbringt. Dieser allgemeine Rechtsgrund161 Der erwähnte Bericht der Arbeitsgruppe führt zur Frage der Verwendbarkeit der herkömmlichen Rechtswidrigkeits- und Veschuldensgesichtspunkte aus (yearbook, S. 151): " ... no criterion of this kind can of itself provide a means of regulating liability for the dangers inherent in certain major fields of activity made possible by modern technology. It is a feature of these activities that, however stringent the standard of care observed, and however excellent the general safety record, an accident - if it does occur will probably be large in scale and in the extent of its injurious consequences. Moreover, in some fields the ascertainment and measurement of the harm caused must depend upon the application of accepted scientiflc standards. ce 162 Siehe dazu näher Goldschmidt, S. 147 ff., 270, unter Bezugnahme inSbesondere auf Cavare. 163 Vgl. etwa Art. II des übereinkommens über die völkerrechtliche Haftung für Schäden durch Weltraumgegenstände vom 29.3. 1972 (BGBl. 1975 II 1209), und dazu insbesondere Goldschmidt, S.154 ff.; weitere Beispiele bei Verdross! Simma, S.617. Siehe jetzt auch mit ausführlichen Nachweisen, Handl, AJIL 74 (1980), 525 ff., 540 ff. 184 Vgl., auch zum folgenden, insbesondere RandelzhoferlSimma, S. 426 ff., sowie, zusätzlich zu den dort Anm.98 genannten Verfassern, jetzt auch Dupuy, S. 209 ff., insbesondere S.210, Anm.7; ferner Goldschmidt, insbesondere S. 249 ff.; Tommasi di Vignano, Riv. studi pol. int. 1960, 540. 165 Vgl. hierzu im einzelnen Goldschmidt, S. 220 ff.
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4. Teil, 2. Abschn.: Völkerrechtliche Haftung
satz ist als Rechtsquelle heranzuziehen, wenn man eine völkerrechtliche Gefährdungshaftung für Nuklearschäden nicht bereits als Bestandteil primärer Rechtsquellen, hier also des Völkergewohnheitsrechts, ansehen will oder zu dem Ergebnis gelangt, daß die einschlägige gewohnheitsrechtliche Norm unklar oder umstritten ist, was für die Frage der Haftungsvoraussetzungen nach Völkerrecht angenommen werden kann166 • Was die Frage der gewohnheitsrechtlichen Herausbildung der fraglichen Haftungsnorm betrifft, so wird mit Randelzhojer und Simma das Bestehen einer dahingehenden Rechtsüberzeugung nicht bezweifelt werden können167 • Immerhin fehlt es nach wie vor an einer Praxis der Geltendmachung derartiger Haftungsansprüche. Ob die in der Staatenpraxis zweifellos immer mehr erkennbare Tendenz, grenzüberschreitende Schäden aus anderen risikobehafteten Tätigkeiten nach den Prinzipien der Gefährdungshaftung, jedenfalls aber der verschuldensunabhängigen Haftung abzuwickeln, ausreicht, um als gewohnheitsrechtsbildende Praxis für den Bereich der Nuklearschäden zu wirken, ist wohl fraglich. Bei dieser Sachlage ist der Rückgriff auf den oben festgestellten allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut gerechtfertigt und auch erforderlich168• Kraft dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes hat somit der Anlagenstaat dem Wirkungsstaat für grenzüberschreitende schädigende Auswirkungen eines nuklearen Ereignisses nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung Ersatz zu leisten. Voraussetzung dieses Anspruchs ist lediglich die vom Wirkungsstaat nachzuweisende Kausalität zwischen dem nuklearen Ereignis und dem schädigenden Erfolg. Die inhaltliche Ausgestaltung eines solchen Anspruchs ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht restlos vorgegeben und bedarf im Prinzip für die jeweiligen Bereiche der völkervertraglichen Regelung169 • Dies gilt insbesondere für die Frage der summenmäßigen Begrenzung der Haftung. Eine solche Begrenzung ist dem Völkerrecht gegenwärtig völlig fremd; da auch eine diesbezügliche hinreichende Uniformität der innerstaatlichen Rechte nicht besteht, ist die Haftung mangels abweichender Regelung unbeschränkt170• Siehe etwa Verdross/Simma, S. 615 ff. S. 429. 168 Hiervon geht neben Goldschmidt, S. 249 ff., auch Dupuy, S. 210, Anm. 7 aus; dies verdient wegen der ansonsten kritischen Haltung dieses Verfassers gegenüber der Frage der Gefährdungshaftung nach Völkerrecht besondere Hervorhebung. 169 Auch nach Ansicht der ILC-Arbeitsgruppe sollte wohl, nach einer deutlich werdenden Tendenz, die Lösung der mit der Gefährdungshaftung verbundenen Fragen "be approached largely in terms of the primary rules contained in conventional regimes ... " (Yearbook, S.151). 166
167
B. Haftung für sonstige Schäden
185
Damit besteht zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar nicht in den Voraussetzungen, wohl aber im Ergebnis eine grundsätzliche inhaltliche übereinstimmung zwischen dem auf deliktische Haftung und dem auf Gefährdungshaftung gestützten Anspruch auf Schadensersatz durch Zahlung einer Geldsumme. Diese die Durchsetzung der Ersatzansprüche erleichternde vordergründige Übereinstimmung 9arf jedoch weder über die völlig unterschiedliche Haftungsgrundlage noch darüber hinwegtäuschen, daß im Rahmen der deliktischen Haftung der Geldersatz nur eine von mehreren Unrechtsfolgen ist, wohingegen sich die Gefährdungshaftung hierin grundsätzlich erschöpft. Endlich unterliegt aber die Gefährdungshaftung in viel größerem Maße als die deliktische der - über kurz oder lang vorauszusehenden - völkervertraglichen Ausgestaltung, insbesondere mit einer möglichen summenmäßigen Begrenzung, wie sie bei der deliktischen Haftung undenkbar wäre. Die Zweispurigkeit des völkerrechtlichen Haftungsrechts hat also in diesem Bereich, nicht anders als in vielen innerstaatlichen Rechten und auch in den Atomhaftungsübereinkommenl71 , fortdauernde Bedeutung. Es kann insbesondere nicht angenommen werden, daß bei einer vertraglichen Konkretisierung der Gefährdungshaftung weitergehende Ansprüche aus Delikt ausgeschlossen werden. Bezüglich der Modalitäten der Berechnung sowie der Geltendmachung der Ersatzansprüche geIten bis auf weiteres mangels abweichender Regelung die oben II unter 2. für die deliktische Haftung erörterten Grundsätze, auf die somit verwiesen werden kann.
B. Haftung für sonstige schädigende Auswirkungen des Betriebs des Kernkraftwerks Anders als in den wenigen vorstehend erwähnten Bereichen besonders risikobehafteter Tätigkeiten der Weltraum- und Kernenergienutzung hat sich im Bereich sonstiger industrieller Tätigkeiten, die grenzüberschreitende schädigende Auswirkungen auf die Umwelt zur Folge haben können, eine Gefährdungshaftung des Staates, von dessen Gebiet derartige Auswirkungen ausgehen, noch kaum entwickeltl72 • Die völkerrechtliche Haftung für derartige Schäden bestimmt sich vielmehr nach völkerrechtlichem Deliktsrecht, setzt also die Verletzung einer "primären" Völkerrechtsnorm durch den in Anspruch genommenen Staat voraus. 170
So auch insbesondere Tommasi di Vignano, S. 540 ff.; Goldschmidt,
S. 261 ff. 171 172
Vgl. Art. 6 Abs. (c) pü. Siehe aber jetzt Handl, AJIL 74 (1980), 525, insbesondere 540 ff.
186
4. Teil, 2. Abschn.: Völkerrechtliche Haftung
Dies legt es nahe, auch die Frage der Haftung für grenzüberschreitende nicht-nukleare schädigende Auswirkungen des Betriebs eines Kernkraftwerks nach diesen allgemeinen deliktischen Haftungsregeln zu beantworten. So wäre etwa die Frage, ob und inwieweit schädigende Auswirkungen einer überwärmung grenzüberschreitender Gewässer durch Ableitung von Kühlwasser oder einer Veränderung klimatischer Bedingungen durch Dampfschwadenbildung an Kühltürmen eine völkerrechtliche Haftung des Anlagenstaats auslösen, in erster Linie davon abhängig, ob dieser durch Vertrag oder allgemeines Völkerrecht begründete Regeln über die Zulässigkeit der fraglichen Umweltbelastungen verletzt hat. Diese isolierte Betrachtung und haftungsrechtliche Abspaltung der nicht-nuklearen Auswirkungen des Kraftwerksbetriebs läßt sich jedoch nur dann, und nur so lange rechtfertigen, wie die fraglichen Umweltschäden auch Auswirkungen anderer industrieller oder technischer Anlagen sein könnten, d. h. solange kein unmittelbarer und notwendiger Zusammenhang mit den besonderen Eigenschaften der Kernenergie besteht. Dies wird bei normalen Betriebsbedingungen des Kernkraftwerks als gegeben angesehen werden können. Kommt es jedoch bei außergewöhnlichen Bedingungen, insbesondere bei Störfällen oder einem Unfall, unabhängig von etwaigen nuklearen Auswirkungen zu massiven nicht-nuklearen Schäden der geschilderten Art - Schäden, die in diesem Umfang bei sonstigen Aktivitäten nicht eintreten könnten -, so läßt sich deren haftungsrechtliche Isolierung nicht mehr halten.· Dies wird deutlich, wenn man von dem Fall ausgeht, daß der Anlagenstaat die ihn treffenden Verpflichtungen zur Verhinderung grenzüberschreitender Umweltschäden erfüllt hat, für die schädigenden Folgen des Störfalls oder Unfalls also nicht aus Delikt haftet. Hier ist es allein angemessen, die für Nuklearschäden entwickelten Grundsätze der Gefährdungshaftung auch auf diejenigen nicht-nuklearen Schäden zu übertragen, die ihrer Entstehung und ihrem Umfang nach typischerweise nur im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kernkraftwerks eintreten können. Für die Frage der völkerrechtlichen Haftung für die beim Normalbetrieb des Kernkraftwerks auftretenden nicht-nuklearen Schäden jenseits der Grenze sind dagegen, wie erwähnt, die allgemeinen Deliktsregeln maßgebend. Wenn auch das Völkerrecht (noch) keinen allgemeinen deliktischen Haftungstatbestand für die Verursachung grenzüberschreitender Umweltschäden entwickelt hat173, so sind doch im Bereich der Gewässer- und Luftverunreinigungen vor allem durch Gewohnheitsrecht Tatbestände herausgebildet worden174, die eine Er173
Vgl. Klein, S. 106 f.
B. Haftung für sonstige Schäden
187
satzpflicht des "Störerstaats" an die Verletzung vertraglich oder gewohnheitsrechtlich begründeter Standards knüpfen, wie sie bei der Besprechung der völkerrechtlichen Fragen der Zulässigkeit des Kernkraftwerks mit Auslandsbezug im einzelnen erörtert wurden. Werden diese Standards verletzt - wobei die Verletzung durch Eintritt konkreter, unüblicher und nicht unerheblicher Schäden indiziert werden kann17s - , besteht somit eine Wiedergutmachungspflicht des Anlagenstaats in dem oben A II 1 erörterten Umfang. Was die besonderen Voraussetzungen der Geltendmachung der von Einzelpersonen erlittenen Schäden durch den Wirkungsstaat angeht, so bedingt auch im vorliegenden Bereich die Gebietsbezogenheit der schädigenden Völkerrechtsverletzung die gleichen grundsätzlichen Abweichungen von den allgemeinen Regeln wie im Bereich der Schäden nuklearen Ursprungs (oben A II 2). Da im Bereich der zivilrechtlichen Haftung für nicht-nukleare Schäden eine den Atomhaftungsübereinkommen vergleichbare Spezialregelung nicht besteht, gehört in diesen Fällen die Ausschöpfung der im innerstaatlichen Recht des Anlagenstaats vorgesehenen Rechtsbehelfe wohl nicht zu den Voraussetzungen der Geltendmachung der Ersatzansprüche durch den Wirkungsstaat176 • Keinesfalls aber ist der Wirkungsstaat auf die Geltendmachung solcher Schäden beschränkt, die von seinen eigenen Staatsangehörigen erlitten worden sind; geltend gemacht werden kann vielmehr jeder Schaden, der auf dem in seiner Integrität verletzten Gebiet des Wirkungsstaats eingetreten ist.
174 Siehe etwa für Gewässerverunreinigungen Klein, S.158 ff., 177 f., 192; sowie die vom Institut de Droit international am 12.9. 1979 angenommene Resolution über Gewässerverunreinigung und Völkerrecht, SchwJbIntR 1979, 293. 175 Zu den hierbei auftretenden Kausalitäts- und Beweislastproblemen vgl. Fröhler!Zehetner, S. 128 ff. 178 So insbesondere Kiss, S. 469 f.; anders offenbar FröhlerjZehetner, S. 149 f.
Fünfter Teil
Zusammenfassung -
Summary -
Resume
Zusammenfassung A. Völkerrechtliche Fragen 1. Die zivile Nutzung der Kernenergie als solche ist völkerrechtlich nicht zu beanstanden. Ihre grundsätzliche Zulässigkeit wird in einer Fülle von völkerrechtlichen Vereinbarungen vorausgesetzt. Deshalb und wegen der Souveränität des Staates, in dem das Kraftwerk errichtet wird (Errichtungsstaat) bestehen keine völkerrechtlichen Bedenken gegen Kraftwerke im Binnenland, bei denen auch im Falle eines Unfalles - keine erheblichen schädigenden Auswirkungen auf Gebiete außerhalb des Errichtungsstaates ausgehen können.
2. Sind dagegen von einem Kernkraftwerk Beeinträchtigungen außerhalb des Gebiets des Errichtungsstaates insbesondere auf dem Gebiet eines anderen Staates (Wirkungsstaat) zu erwarten, können völkerrechtliche Bedenken wegen Verletzung der Souveränität des Wirkungsstaates auftreten. Dies gilt vornehmlich für Kernkraftwerke an der Grenze bzw. in Grenznähe. In diesen Fällen können Souveränitätsansprüche des Errichtungsstaates mit denen des Wirkungsstaates kollidieren. 3. Die Lösung derartiger Kollisionen von Souveränitäts ansprüchen erfolgt - im Sinne eines schonenden Souveränitätsausgleichs nach beiden Seiten - nach den Regeln des internationalen Nachbarrechts. Grundregel ist hierbei, daß kein Staat auf seinem Staatsgebiet Aktivitäten vornehmen, fördern oder dulden darf, die auf dem Gebiet eines Nachbarstaates nicht unerhebliche, nicht übliche Schäden verursachen. Deshalb sind erhebliche, unübliche Schäden wie sie im Normalbetrieb eines Kernkraftwerkes ausnahmsweise (z. B. durch schädigende Überwärmung grenzüberschreitender Gewässer) und im Falle eines Unfalles (z. B. radioaktive Verunreinigungen) auftreten können, - auch ohne spezielle internationale
Zusammenfassung
189
Verträge - völkerrechtswidrig und begründen grundsätzlich völkerrechtliche Unterlassungs- und Schadensersatzpflichten. 4. Sind erhebliche und unübliche Schäden beim Normalbetrieb eines Kernkraftwerks nicht zu erwarten, bemißt sich die völkerrechtliche Zulässigkeit grenznaher Kernkraftwerke - vorbehaltlich spezieller völkerrechtlicher Vereinbarungen - danach, ob die Gefährdung durch etwaige Unfälle eines Kernkraftwerkes in Grenznähe vom Nachbarstaat hinzunehmen ist. Die pauschale völkerrechtliche Illegalisierung von grenznahen Kernkraftwerken als "ultra hazardous activities" ist grundsätzlich mit der internationalen Überzeugung von der Zulässigkeit ziviler Kernkraftnutzung und mit der Staatenpraxis nicht zu vereinbaren. 5. Das Maß eines völkerrechtlich hinnehmbaren Risikos durch grenz-
nahe Kernkraftwerke bemißt sich nach den - im wesentlichen noch zu erarbeitenden - international anerkannten Standards (über die technische Ausrüstung, den Betrieb, die Plazierung und die Größe) bezüglich der Sicherheit von Kernkraftwerken. Die Einhaltung derartiger Sicherheitsstandards ist eine Voraussetzung der internationalen Billigung der zivilen Kernkraftnutzung. Die Bindung der Errichtung und des Betriebs grenznaher Kernkraftwerke an die international anerkannten und angewandten Sicherheitsstandards stellt die Möglichkeit eines schonenden Souveränitätsausgleichs zwischen den Interessen des Errichtungsstaates und des potentiell (auch) gefährdeten Wirkungsstaates dar und wird als einheitlicher Maßstab dem Prinzip der Gleichheit 'aller souveränen Staaten in besonderer Weise gerecht.
6. Die Bestimmung hinnehmbarer Beeinträchtigungen und Gefähr-
dungen, u. a. durch die Anwendung der allgemein anerkannten Sicherheitsstandards auf grenznahe Kernkraftwerke, ist nicht ohne konkretisierende Differenzierung nach den Umständen des Einzelfalls möglich. Wesentliche Differenzierungskriterien sind u. a.: (etwaige) Schäden im Wirkungsstaat, ihre Wahrscheinlichkeit, ihre Schwere und ihr Ausmaß (wobei die Größe des Kraftwerks sehr bedeutsam ist) -
geographische Situation (Nähe zur Grenze, Besiedlungsdichte im Grenzgebiet des Wirkungsstaates, Fluß- und Windrichtungen etc.)
-
Nachteile für den Errichtungsstaat durch mögliche Limitierung seiner Kernkraftpläne
5. Teil: Zusammenfassung - Summary - Resume
190
-
Nachteile für den Wirkungsstaat durch Begrenzung eigener Kernkraft- bzw. sonstiger Nutzungspläne mit Rücksicht auf bereits 'e rrichtete Kernkraftwerke im Errichtungsstaat.
Diese Kriterien sind nach dem Prinzip des beidseitigen schonenden Souveränitätsausgleichs anzuwenden. 7. Siedelt ein Errichtungsstaat Kernkraftwerke (bzw. Kernkraftwerke in bestimmten Größen) nur deshalb an der Grenze an, um etwaige Schädigungen hauptsächlich in das Gebiet eines Nachbarstaates zu verlagern (z. B. durch die vorherrschenden Wind- und Flußrichtungen) oder wendet er aus Gründen der "grenzüberschreitenden Schadensverlagerung" für grenznahe Kernkraftwerke mindere Sicherheitsstandards an als für seine Binnenkraftwerke, so verstößt er gegen das im bona-fides-Gedanken wurzelnde völkerrechtliche Verbot des Rechtsmißbrauchs. Dies kann zugleich in einem schonenden Souveränitätsausgleich nach beiden Seiten bei Beurteilung eines konkreten Kernkraftwerks mitberücksichtigt werden. 8. Errichtet und betreibt ein Staat auf seinem Territorium ein grenznahes Kernkraftwerk ohne Beachtung der international anerkannten und angewandten Sicherheitsstandards (bezüglich Technik, Größe und Plazierung), so steht dem gefährdeten Wirkungsstaat gegen den Errichtungsstaat ein entsprechender Unterlassungsanspruch zu. Dieser Anspruch, (die Errichtung und) den Betrieb grenznaher Kernkraftwerke unter Verletzung international anerkannter Sicherheitsstandards zu unterlassen, kann nicht in einen Anspruch auf bestimmte Sicherheitsmaßnahmen umgedeutet werden, weil es grundsätzlich Sache des Errichtungsstaates ist, wie er derartige Standards einhält bzw. gewährleistet. Soweit der Errichtungsstaat die Errichtung bzw. den Betrieb von Kernkraftwerken unter Verletzung international anerkannter und angewandter Standards auf seinem Gebiet zuläßt, kann der Wirkungsstaat überdies die Errichtung und den Betrieb dieses Kernkraftwerks zum Gegenstand eigener Regelungen machen. 9. Dem in einem Schadensfall potentiell betroffenen Wirkungsstaat steht gegen den Errichtungsstaat auch ein Anspruch auf Information über die Errichtung sowie den Betrieb des Kraftwerks und insbesondere darüber zu, ob den international anerkannten und angewandten Sicherheitsstandards genügt worden ist. Meldet ein Wirkungsstaat begründete Bedenken gegen ein grenznahes Kernkraftwerk an, so folgt u. a. aus dem Prinzip gutnachbarlicher Beziehungen - wie sie z. B. für alle EG-Staaten untereinander und speziell zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich
Zusammenfassung
191
gelten - eine Konsultationspflicht mit dem Ziel, eine einvernehmliche Regelung anzustreben. 10. Der Wirkungsstaat verliert seine Unterlassungsansprüche (bzw. kann sie nicht mehr geltend machen), wenn er sich im Rahmen einer völkerrechtlichen Vereinbarung zur einschlägigen Duldung etc. verpflichtet hat oder wenn er einseitig -
sein Einverständnis mit dem Kernkraftwerk erklärt bzw. dessen Völkerrechtsgemäßheit anerkannt hat; auf seine Unterlassungsansprüche (bzw. auf deren Geltendmachung) verzichtet bzw. ein "Stillhalten" zugesichert hat.
11. Erhält der Wirkungsstaat - insbes. in der Form einer Notifikation des Errichtungsstaates - zuverlässige Kenntnis von der (völkerrechtswidrigen) Errichtung bzw. Betreibung eines Kernkraftwerks unter Verletzung international anerkannter und angewandter Sicherheitsstandards, so darf er gegenüber dem Errichtungsstaat nicht durch die dauerhafte passive Hinnahme dieses Zustandes (oder durch sonstige Verhaltensweisen) den Anschein seiner Zustimmung erwecken. Soweit der Errichtungsstaat - insbesondere nach einer Notifikation - ein dauerhaftes Schweigen des Wirkungsstaates als Zustimmung werten darf, muß der Wirkungsstaat zur Wahrung seiner Unterlassungsansprüche - ggf. wiederholt - gegen die Errichtung bzw. den Betrieb des Kernkraftwerks protestieren. Der Protest kann vor dem Eintritt eines Schadens, d. h. etwa in der Bauphase, erfolgen. 12. Da Frankreich seine Erklärung gern. Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut zurückgezogen und auch nicht das Europäische übereinkommen zur friedlichen Schlichtung von Streitigkeiten vom 29.4. 1957 ratifiziert hat, besteht ohne eine entsprechende Erklärung Frankreichs keine Möglichkeit, die völkerrechtliche Zulässigkeit grenznaher Kernkraftwerke in Frankreich zum Gegenstand einer Entscheidung des IGH zu machen. Dies schließt weder die Möglichkeit eines - auf andere Rechtsnormen gestützten - Verfahrens vor dem EuGH (im Rahmen seiner Zuständigkeit) noch die gerichtliche Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche gegen den Kernkraftbetreiber vor nationalen Gerichten aus. B. Verfassungsrechtliche Fragen 13. Die Wahrnehmung der völkerrechtlichen Unterlassungs- und Informationsansprüche bezüglich grenz naher Kernkraftwerke im Nachbarstaat ist nach deutschem Verfassungsrecht Aufgabe des
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5. Teil: Zusammenfassung - Summary - Resume
Bundes. Weder die Länder Rheinland-Pfalz und Saarland noch gar deren kommunale Gebietskörperschaften sind zur Geltendmachung derartiger Ansprüche nach dem Verfassungs recht der Bundesrepublik Deutschland (oder nach geltendem Völkerrecht) befugt. 14. Aus der Monopolzuständigkeit des Bundes zur Wahrnehmung völkerrechtlicher Unterlassungs- und Informationsansprüche folgt die Verfassungspflicht des Bundes, auch die Interessen der Länder Rheinland-Pfalz und Saarland einschließlich ihrer Gebietskörperschaften sowie insbesondere der potentiell betroffenen Grenzbevölkerung wahrzunehmen. Dem Monopol des Bundes zur Anforderung von Informationen vom Errichtungsstaat entspricht die innerstaatliche Pflicht, derartige Informationen an die betroffenen Bundesländer weiterzuleiten. Aus der dem Art. 32 Abs. 2 GG zugrundeliegenden Idee der gesteigerten Rücksichtnahme des außenpolitisch aktiven Bundes gegenüber den in besonderer Weise betroffenen Bundesländern folgt bei der Wahrnehmung völkerrechtlicher Ansprüche gegenüber grenznahen Kernkraftwerken im Ausland eine Pflicht des Bundes zur Anhörung bzw. Konsultation etc. der jeweils von ausländischen Kernkraftwerken betroffenen grenznahen Bundesländer. 15. Die durch grenznahe Kernkraftwerke im Ausland möglicherweise betroffenen rheinland-pfälzischen und saarländischen Gebietskörperschaften haben weder völkerrechtliche Ansprüche gegen den Errichtungsstaat noch unmittelbare Informations- und Handlungsansprüche gegen den Bund. Letztere stehen lediglich RheinlandPfalz und dem Saarland zu, die wegen dieser Monopolstellung nach außen (gegenüber dem Bund) die Pflicht zur Information nach innen u. a. gegenüber den Gebietskörperschaften haben. Die möglicherweise betroffene Bevölkerung von Rheinland-Pfalz und dem Saarland hat keine unmittelbaren Informationsansprüche gegen das Ausland, den Bund oder gegen das Land Rheinland-Pfalz bzw. das Saarland, sondern allenfalls gegenüber ihren Gebietskörperschaften. C. Europarechtliche Fragen
16. Die Entscheidung über die Errichtung eines Kernkraftwerks gehört nach europäischem Gemeinschaftsrecht zum Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. Insbesondere können die Gemeinschaftsorgane keinen bestimmenden Einfluß auf die Wahl des Standortes der Kernanlage nehmen. Umfang und Grenzen der staatlichen Entscheidungsfreiheit werden insoweit vom Völkerrecht bestimmt.
Zusammenfassung
193
17. Der Anlagenstaat ist allerdings gemäß Art. 37 des Euratom-Vertrages verpflichtet, alle Pläne zur Ableitung radioaktiver Stoffe der Kommission der EG zu melden, damit festgestellt werden kann, ob die Durchführung dieser Pläne zu einer radioaktiven Verseuchung des Gebiets eines benachbarten Mitgliedstaates führen kann. Hierzu gibt die Kommission eine Stellungnahme ab, die den Anlagenstaat zwar rechtlich nicht bindet, durch die aber unter Umständen indirekt Einfluß auf die staatliche Entscheidung genommen werden kann. Mißachtet nämlich der Anlagenstaat bei der Entscheidung über die Errichtung bzw. den Betrieb der Anlage die in der Stellungnahme der Gemeinschaft gegebenenfalls enthaltene Warnung vor einer möglichen radioaktiven Verseuchung des nachbarstaatlichen Gebiets, so geht er damit ein nicht geringes Risiko ein: soweit die Auswirkungen der radioaktiven Ableitungen aus der Anlage zu einer Überschreitung der gemeinschaftsweit bindenden Grundnormen für den Gesundheitsschutz, und sei es auch nur im Nachbarstaat, führen, kann der Anlagenstaat durch eine rechtlich bindende Richtlinie der Kommission gemäß Art. 38 Abs.2 des Euratom-Vertrages verpflichtet werden, die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung der überschreitung zu treffen, d. h. im wesentlichen, den Betrieb der Anlage in entsprechender Weise auszurichten. Die kombinierte Wirkung der vorbeugenden, nicht bindenden Maßnahmen sowie der gegebenenfalls zu erlassenden bindenden Richtlinie kann damit einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf den staatlichen Entscheidungsprozeß ausüben. 18. Bis Ende 1980 waren die zuständigen Gemeinschaftsorgane mit der Prüfung der Auswirkungen der in Cattenom geplanten Anlage noch nicht befaßt, auch sind Hypothesen über den möglichen Inhalt der Stellungnahme der Kommission gemäß Art. 37 des Euratom-Vertrages nicht Gegenstand dieser Untersuchung. 19. Zur Durchsetzung der verschiedenen im Euratom-Vertrag begründeten Pflichten - insbesondere der Meldepflicht des Anlagenstaats gemäß Art. 37, ferner der Pflicht zur Durchführung der Grundnormen für den Gesundheitsschutz sowie gegebenenfalls der Richtlinien gemäß Art. 38 Abs. 2, endlich der Pflicht der Kommission zum Tätigwerden gemäß der zuletzt genannten Vorschrift - ist der Rechtsweg zum Gerichtshof der EG gegeben. Klagebefugt sind neben den jeweils zuständigen Gemeinschaftsorganen allein die Mitgliedstaaten als solche. Für die Bundesrepublik Deutschland heißt dies, daß weder die beteiligten Länder noch die in den Fällen der Art. 37 und 38 Abs. 2 Euratom-Vertrag betroffenen grenznahen 13 KloepferjKohler
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5. Teil: Zusammenfassung - Summary - Resume
Gebietskörperschaften, noch auch Einzelpersonen ein Klagerecht haben. Sie sind vielmehr darauf verwiesen, innerstaatlich auf die insoweit vertretungsberechtigten Organe des Bundes einzuwirken. Dies gilt im übrigen in entsprechender Weise für sämtliche mit der Wahrung der Rechte aus dem Vertrag verbundenen Schritte, so insbesondere für die Erlangung von Informationen über die Erfüllung der Meldepflicht bzw. die Stellungnahme der Kommission gemäß Art. 37, über das Tätigwerden der Kommission im Rahmen von Art. 38 Abs. 2, sowie gegebenenfalls über die in Erfüllung einer Richtlinie gemäß dieser Vorschrift von dem Adressaten getroffenen Maßnahmen. D. Haftungsrechtliche Fragen 20. Erleiden Personen auf deutschem Hoheitsgebiet infolge "nuklearer Ereignisse" im Zusammenhang mit dem Betrieb der Kernanlage in Cattenom - d. h. im wesentlichen infolge radioaktiver Auswirkungen dieses Betriebs - Schäden an Leben, Gesundheit oder Vermögenswerten, so haftet dafür bis zu bestimmten Höchstbeträgen der Inhaber der Kernanlage sowie nachrangig der französische Staat. Die entsprechenden Haftungsregeln beruhen auf internationalen Atomhaftungskonventionen, die mit bestimmten Änderungen und Ergänzungen sowohl in Frankreich als auch in der Bundesrepublik gelten; die entsprechenden Bestimmungen des deutschen Atomgesetzes stellen den Geschädigten in mehreren Punkten besser als die Bestimmungen des französischen Atomhaftungsgesetzes vom 30. 10. 1968. 21. In aller Regel sind für Haftungsklagen nach den Atomhaftungskonventionen in den hier untersuchten Fällen die französischen Gerichte ausschließlich zuständig. Können die im Bundesgebiet geschädigten Personen nach dem alsdann anwendbaren französischen Recht keinen Ersatz erlangen, so steht ihnen in bestimmten Fällen nach dem deutschen Atomgesetz ein Ausgleichsanspruch gegen den Bund bis zur Höhe von 1 Milliarde DM zu. 22. Ersatzansprüche für im Bundesgebiet eintretende Personen- oder Sachschäden, die nicht auf radioaktiven, sondern auf sonstigen Auswirkungen des Betriebs der Kernanlage in Cattenom beruhen (z. B. Veränderungen des Mikroklimas durch Dampfschwadenbildung), richten sich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregeln des Rechts, das nach den Kollisionsnormen des angerufenen Gerichts anwendbar ist.
Zusammenfassung
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Während nach französischem internationalem Deliktsrecht in den untersuchten Fällen in erster Linie französisches materielles Recht anwendbar sein wird, wenden deutsche Gerichte bei grenzüberschreitenden Schadensfällen das dem Geschädigten günstigste Recht an. Dies wird in aller Regel das französische materielle Haftungsrecht sein, das, anders als das deutsche Deliktsrecht, in Fällen der untersuchten Art einen Verschuldensnachweis nicht erfordert. 23. Nach dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen vom 27.9.1968 sind für entsprechende Schadensersatzklagen sowohl deutsche als auch französische Gerichte zuständig; die Vollstreckung deutscher Urteile in Frankreich richtet sich ebenfalls nach diesem Übereinkommen. 24. Die Eigentümer von in der Bundesrepublik belegenen Grundstücken können ferner vor deutschen Gerichten nach deutschem Recht Beseitigung bzw. Unterlassung von Beeinträchtigungen verlangen, die durch den Betrieb der Kernanlage in Cattenom verursacht werden; die Vollstreckbarkeit entsprechender Urteile in F.'rankreich ist jedoch zweifelhaft. Die in Frankreich für die Anlage erteilte Genehmigung ist nach vorherrschender Ansicht in der Bundesrepublik unbeachtlich und hat keine Beschränkung der Abwehransprüche zulasten deutscher Grundeigentümer zur Folge. Gegen die Ansicht von der strikten Unbeachtlichkeit der ausländischen Genehmigung bestehen indes Bedenken. 25. Der Anlagenstaat haftet nach den Grundsätzen des völkerrechtlichen Deliktsrechts gegenüber dem Wirkungsstaat für solche Schäden nuklearen und nicht-nuklearen Ursprungs, die als Folge einer dem Anlagenstaat zuzurechnenden Verletzung einer Verhaltenspflicht in bezug auf die Errichtung und den Betrieb des Kernkraftwerks und der von ihm ausgehenden grenzüberschreitenden Auswirkungen im Gebiet des Wirkungsstaats eintreten. 26. Der Anlagenstaat haftet dem Wirkungsstaat auch ohne Verletzung einer solchen Verhaltenspflicht, d. h. bei völkerrechtlich erlaubtem Betrieb der Anlage, nach den Grundsätzen der als Ausnahmetatbestand nach Völkerrecht gegebenen Gefährdungshaftung für Schäden nuklearen Ursprungs sowie für massive Schäden nichtnuklearen Ursprungs, die als Folge außergewöhnlicher Betriebsbedingungen der Anlage im Gebiet des Wirkungsstaats eintreten.
13·
Summary* A. Issues of public international law 1. There are no objections under international law to the civil use of
nuclear energyas such. The fact that it is permissible in principle is presupposed in a large number of agreements under international law. For this reason and because of the sovereignty of the State in which the nuclear power plant is built (hereinafter referred to as "the constructing State") there are no objections under international law to nuclear power plants situated inland in the case of which, even if there is an accident, no substantial harmful effects can radiate to territories outside the constructing State.
2. If, on the other hand, a nuclear power plant is likely to cause nuisance outside the territory of the constructing State, in particular on the territory of another State (hereinafter referred to as "the affected State"), objections may arise under international law owing to the violation of the sovereignty of the affected State. This applies primarily to nuclear power plants on the frontier or ne ar the frontier. In these cases sovereign rights of the constructing State may conflict with those of the affected State. 3. Such conflicts of sovereign rights are settled according to the rules of international law on the relationship between neighbouring States so as to balance the reciprocal sovereign rights of each State whilst encroaching on those rights as littleas possible. In this connexion the basic rule is that no State may on its national territory carry out, promote or tolerate activities which cause on the territory of a neighbouring State substantial unusual damage. For this reason substantial unusual damage such as may, in the normal operation of a nuclear power plant, occur by way of exception (for example through the overheating of water which cross es the frontier, thereby causing damage) or in the case of an accident (for example radioactive contamination), is a breach of international law and in principle creates under internationallaw liability for damages and a duty to refrain from such activities.
* English translation
by Rosemary Hewett.
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4. If substantial unusual damage is unlikely in the normal operation of a nuclear power plant, the permissibility under internationallaw of nuclear power plants near the fron tier is determined, subject to special agreements under international law, according to whether the risk of any accidents at a nuclear power plant ne ar the fron tier must be tolerated by the neighbouring State. To declare nuclear power plants ne ar the fron tier to be unlawful in general under internationallaw as "ultra-hazardous activities" is in principle incompatible both with the international conviction that the civil use of nuclear energy is permissible and with State practice. 5. The extent of a risk from nuclear power plants near the frontier which is tolerable und er internationallaw is determined according to the internationally recognized standards (which have still in the main to be elaborated) relating to the safety of nuclear power plants (with regard to technical installations, operation, location and size). Compliance with such safety standards is aprerequisite for the international authorization of the civil use of nuclear energy. Binding the construction and operation of nuclear power plants ne ar the frontier to internationally recognized and applied safety standards provides the possibility of balancing the sovereign rights of each State with as little encroachment on those rights as possible as regards the interests of the constructing State and the affected State and, as a uniform criterion, accords particularly well with the principle of the equality of sovereign States. 6. It is impossible to determine tolerable nuisance and risk, inter aHa by applying the generally recognized safety standards to nuclear power plants built ne ar the frontier, without making a distinction in more specific terms according to the circumstances of each individual case. Important distinguishing criteria are: -
any damage in the affected State and the likelihood, seriousness and extent of such damage (in this respect the size of the nuclear power plant is very important);
-
geographical position (vicinity to the frontier, density of population in the frontier area of the affected State, river and wind directions, and so forth);
-
dis advantages to the constructing State through possible restrictions on its nuclear energy plans;
-
disadvantages to the affected State through the limitation of its own nuclear energy plans or other plans for use, having regard to nuclear energy plants already built in the constructing State.
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5. Teil: Zusammenfassung - Summary - Resume
These criteria must be applied according to the principle that the reciprocal sovereign rights of each State should be balanced, whilst encroaching on those rights as little as possible. 7. If a constructing State locates nuclear power plants (or nuclear power plants of a certain size) at the frontier only in order to shift any damage mainly onto the territory of the neighbouring State (for instance by the prevailing wind and river directions), or if it applies to nuclear powerplants ne ar the frontier lower safety standards than to its nuclear power plants situated inland because the damage is shifted across the frontier, it infringes the prohibition under international law on the abuse of a right, which is based on the principle of good faith. This mayaIso be taken into consideration at the same time in balancing the sovereign rights of each State so as to encroach on those rights as little as possible when assessing a specific nuclear power plant. 8. If aState builds and operates on its territory a nuclear power plant near the frontier without observing the internationally recognized and applied safety standards relating to technology, size and location, the endangered affected State has a corresponding right to require the constructing State to refrain from that wrongful act or omission. This right to require the constructing State to refrain from the (building and) operation of nuclear power plants near the frontier in breach of internationally recognized safety standards cannot be re-interpreted as a right to certain safety measures because it is in principle a matter for the constructing State how it complies with or guarantees standards of that kind. If the constructing State permits on its territory the construction or operation of nuclear power plants in breach of internationally recognized and applied standards, the affected State may moreover make the construction and operation of that nuclear power plant the subjectmatter of its own rules. 9. The State which is potentially affected in case of damage also has a right vis-a-vis the constructing State to information as to the construction and operation of the nuclear power plant and in particular as to whether the internationally recognized and applied safety standards have been satisfied. If an affected State lodges wellfounded objections to a nuclear power plant ne ar the frontier a duty of consultation with the object of seeking a settlement by mutual consent arises inter aHa from the principle of good neighbourliness, as applies for example to all EEC Member States
Summary
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between themselves and especially between the Federal Republic of Germany and France. 10. The affected State loses (or can no longer enforce) its rights to require the constructing State to refrain from unlawful acts or omissions if it has undertaken to tolerate the relevant activities under an agreement governed by internationallaworifit has unilaterally -
dec1ared its consent to the nuc1ear power plant or acknowledged that it complies with international law;
-
or waived its rights (or the enforcement of those rights) to require the constructing State to refrain from unlawful aets or omissions or assured that State that it will take no action.
11. If the affected State receives reliable information, in particular in the form of notification from the constructing State, as to the construction (in breach of international law) or operation of a nuc1ear power plant infringing internationally recognized and applied safety standards it may not, by passively accepting the situation for a long period of time (or through other conduet), create the impression vis-a-vis the constructing State that it consents to it. In so far as the constructing State may, in particular after notification, regard a long period of silence on the part of the affected State as consent, the affected State must, in order to safeguard its rights to require the constructing State to refrain from unlawful acts or omissions, protest, if necessary, repeatedly, against the construction or operation of the nuc1ear power plant. Protests may be made before any damage occurs, in other words, at the construction stage, for example. 12. As France has withdrawn its declaration under Article 36 (2) of the Statute of theInternational Court of Justice and has not, moreover, ratified the European Convention for the Peaceful Settlement of Disputes of 29 April 1957, there is no possibility, without a corresponding dec1aration by France, of making the permissibility under international law of nuc1ear power plants ne ar the frontier in France the subject-matter of adecision by the International Court of Justice. This does not exc1ude either the possibility of an action before the European Court of Justice, based on other legal provisions, or private law actions before national courts against the operator of the nuclear power plant.
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B. Issues of constitutional law of tbe Federal Republic of Germany 13. Under the Basic Law of the Federal Republic of Germany the pursuance of the right under international law to require the constructing State to refrain from unlawful acts or omissions and the right to receive information in relation to nuclear power plants ne ar the fron tier in a neighbouring State is the task of the Federation. Neither the Länder of Rhineland-Palatinate and Saarland nor indeed their local regional authorities are entitled to pursue such rights under the constitutional law of the Federal Republic of Germany (or under applicable international law). 14. The constitutional duty of the Federation to safeguard also the interests of these Länder and of their regional authorities and in particular the frontier population follows from the exclusive power of the Federation to assert the right to require a constructing State to refrain from unlawful acts or omissions and the right to receive information which arise under international law. The domestic duty to pass on information from the constructing State to the affected Länder in the Federation is the counterpart to the exclusive right of the Federation to request such information. The duty of the Federation, when pursuing rights under international law against foreign nuclear power plants near the frontier, to he~r or consult each Land which is affected by those power plants follows from the concept (underlying Article 32 (2) of the Basic Law) of the increased consideration owed by the Federation, which is active in foreign policy, to the Länder which are particularly affected. 15. The regional authorities in the Rhineland-Palatinate and the Saarland which may possibly be affected by foreign nuclear power plants near the frontier have no claims under international law against the constructing State or a direct right to information or to take action against the Federation. Only Rhineland-Palatinate and the Saarland which, because of this privileged position externally (visa-vis the Federation), have a duty of information internally, inter aHa in relation to the regional authorities, have those rights. The population of the Rhineland-Palatinate and the Saarland which may be affected has no direct rights to information against foreign countries, the Federation or the Land of Rhineland-Palatinate or the Saarland, but at most against their regional authorities.
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C. Issues of European Law 16. Under European Community Law, the decision as to the construction of a nuclear power plant comes within the jurisdiction of the Member States. In particular, the Community Institutions can have no decisive influence on the choice of the location of the nuclear power plant. In this respect the scope and limits of national freedom of choice are laid down by international law. 17. The constructing State must, however, under Article 37 of the Euratom Treaty, inform the Commission of the European Communities of all plans for the disposal of radioactive waste so that it can be determined whether the implementation of those plans is liable to lead to the radioactive contamination of the territory of a neighbouring Member State. The Commission delivers an opinion on this which is, it is true, not legally binding on the constructing State, but which may perhaps have an indirect influence on the national decision. If in fact the constructing State disregards the warning of possible radioactive contamination of the territory of the neighbouring State contained, where appropriate, in the Community's opinion, in reaching adecision on the construction or operation of the plant it takes a considerable risk: if the effects of the radioactive waste from the plant lead to the violation of the basic standards for the protection of health which are binding throughout the Community, albeit only in the neighbouring State, the constructing Member State may be required, by a legally binding directive from the Commission under the second paragraph of Article 38 of the Euratom Treaty, to take the necessary measures to prevent infringement, in other words, essentially, to adapt the operation of the plant accordingly. The combined effect of the preventive, nonbinding measures and the bin ding directive which must be issued where appropriate may therefore exert an influence on the national decision-making process which should not be underestimated. 18. By the end of 1980 the matter of the examination of the effects of the plant planned in Cattenom had not yet been brought before the competent Community Institutions; assumptions as to the possible contents of the Commission's opinion under Article 37 of the Euratom Treaty do not form the subject-matter of this investigation. 19. To enforce the various duties created by the Euratom Treaty, in particular the duty of information from the constructing State under Article 37, as weIl as the duty to implement the basic standards for the protection of health, and, if necessary, to implement the
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directives under the second paragraph of Article 38, and, finally, the Commission's duty to take action under Article 38, it is appropriate to bring an action before the Court of Justice of the European Communities. In addition to the Community Institutions, only the Member States as such have the right of action. This means, in the case of the Federal Republic of Germany, that neither the Länder involved nor the local authorities near the border affected in the cases laid down in Article 37 and the second paragraph of Article 38 of the Euratom Treaty nor individuals have a right of action. On the contrary, they should be directed to exert their influence at the national level on the federal institutions which are entitled to represent them. This applies moreover in the same way to all steps connected with the protection of the rights under the Treaty, in particular to the request for information as to compliance with the duty of information or the Commission's opinion under Article 37, as to the actions of the Commission within the context of the second paragraph of Article 38, and, where necessary, as to the measures taken by the addressee in order to comply with any directive in accordance with that provision.
D. Issues of liability under national and international law 20. If persons on German territory suffer damage to life, health or property as a result of "nuclear incidents" in connexion with the operation of the nuclear power plant at Cattenom - in other words, essentially as the result of radioactive aftermath of that operation, the owner of the nuclear plantand, subsidiarily, the French State, are liable up to specific maximum amounts. The corresponding rules on liability are based on international conventions on liability arising out of the use of nuclear energy which apply with certain amendments and additions both in France and in the Federal Republic of Germany. The corresponding provisions of the German Atomic Energy Law pI ace injured parties in a better position in several respects than the provisions of the French Law on Liability Arising out of the Use of Nuclear Energy of 30 October 1968. 21. As a rule, the French courts have, under the conventions on liability arising out of the use of nuclear energy, exclusive jurisdiction in actions for damages in the cases examined here. Insofar as parties injured in German territory cannot ob ta in damages under the French law applicable, they have in certain cases a claim against the Federation for the balance of compensa-
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tion payable up to the amount of 1 Billion DM under the German Atomic Energy Law. 22. Claims in respect of damage occurring to persons or property in German territory which are based not on radioactive but on other effects of the operation of the nuclear power plant in Cattenom (for example as a consequence of changes in the microclimate through clouds of steam) are determined according to the general rules on civil liability of the law which is applicable under the rules of conflict of laws of the court before which the claim is brought. Whilst French substantive law will primarily be applicable under the French rules of conflict of laws relating to tort in the cases which have been examined, German courts as a rule apply in cases of damage from ac ross the frontier the law which is most favourable to the injured party. This will gene rally be French substantive rules on civil liability, which, in contrast to German rules on civil liability, to a great extent dispense with proof of fault in cases such as those examined. 23. Under the European Convention on Jurisdiction and Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters of 27 September 1968 both the German and French courts have jurisdiction in relevant claims for damages; the enforcement of German judgments in France is also determined according to that Convention. 24. Owners of real property situated in the Federal Republic of Germany may moreover bring before German courts under German law applications for prohibitory injunctions in relation to nuisance caused by the operation of the nuclear power plant in Cattenom; it is however doubtful whether such judgments are enforceable in France. The authorization for the power plant gran ted in France is, according to prevailing opinion, of no effect in the Federal Republic of Germany and does not result in any restrietions on these remedies of German real property owners. There are however doubts as to the view that the foreign authorization is strictly ineffective. 25. The constructing State is liable und er principles of international law to the affected State for such damage of nuclear and nonnuclear origin which occurs in the territory of the affected State as the result of the breach, attributable to the constructing State, of a rule of conduct in relation to the construction and operation
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of the nuclear power plant and as a result of the effects of such breach which cross the frontier. 26. The constructing State is also liable to the affected State even without any breach of such a rule of conduct, in other words, in the case of operation of the plant which is permissible under international law, in accordance with the principles of liability for risk (such liability being recognized under international law by way of exception) for damage of nuclear origin or for major damage of non-nuclear origin occurring in the territory of the affected State as the result of extraordinary circumstances in the operation of the plant.
Resume* A. Questions de droit international public 1. L'utilisation ades fins civiles de l'energie nucleaire ne peut pas
porter en soi a contestation du point de vue du droit international public. Le principe de son caractere licite transparait dans bon nombre de conventions internationales. C'est pour cela et parce que l'Etat dans lequel on construit la centrale atomique (Etat d'implantation) est souverain que le droit international public ne fait pas obstacle a l'existence, sur le territoire national, de centrales nucleaires qui ne sont pas susceptibles de causer, meme en cas d'accident, des effets dommageables considerables hors de l'Etat d'implantation.
2. Si, par contre, il est a prevoir qu'une centrale nucleaire cause des nuisances en dehors du territoire de l'Etat d'implantation et not amment sur le territoire d'un autre Etat (Etat d'incidence), des problemes peuvent se poser pour violation de la souverainete de l'Etat d'incidence. Cela est tout particulierement vrai po ur des centrales nucleaires installees a la frontiere ou dans une zone limitrophe. Dans ces hypotheses, il peut y avoir conflit entre les droits de souverainete de l'Etat d'implantation et ceux de l'Etat d'incidence. 3. C'est sur la base des regles du droit international applicables aux relations de voisinage que peut se resoudre ce type de conflits de droits de souverainete, dans le sens d'une ponderation des souverainetes des deux Etats, tenant compte de leurs interets respectifs. Sur ce point, le principe fondamental est qu'aucun Etat ne peut entreprendre, encourager ou tolerer sur son territoire des activites qui entrainent sur le territoire d'un Etat voisin des degäts qui ne sont ni insignifiants ni habituels. Voila pourquoi des degäts considerables et inhabituels qui peuvent etre causes exceptionnellement par le fonctionnement normal d'une centrale nucleaire (dus, par exemple, au rechauffement exagere et dommageable des co urs d'eaux trans-frontieres) ou qui peuvent se produire a la suite d'un accident (sous forme de pollution radio-active par exemple) constituent une atteinte au droit international public, me me en l'ab-
* Version francaise etablie par
Christian Pennera.
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sence de conventions internationales specifiques; ils creent, a la charge de l'Etat d'implantation, une obligation de faire cesser cette situation et une obligation de dommages et interets. 4. S'il n'y a pas a escompter du fonctionnement d'une centrale nucleaire installee en zone limitrophe l'apparition de dommages considerables et inhabituels, le caractere licite au sens du droit international public de l'existence d'une teIle centrale se determine, sans prejudice de conventions internationales particulieres, en fonction de ce que l'Etat voisin doit accepter, ou non, le danger que lui fait courir l'eventualite d'accidents survenant a cette centrale. Declarer globalement illegale au sens du droit international public l'existence de centrales atomiques installees en zone limitrophe comme constituant des «ultra-hazardous activities» est fondamentalement incompatible avec l'acception internationale du caractere licite de l'utilisation de centrales nucIeaires ades fins civiles et avec la pratique des Etats. 5. L'ampleur du risque afferent a l'existence de centrales atomiques en zone limitrophe que doit accepter l'Etat d'incidence est fonction de normes reconnues internationalement, relatives a la securite de ces centrales, portant sur l'equipement technique, l'exploitation, le site et la taille et qui, pour l'essentiel, restent encore a developper. Le respect de ces normes de securite constitue une condition prealable a l'acceptation internationale de l'utilisation de l'energie nucleaire ades fins civiles. L'observation, lors de la construction et du fonctionnement de centrales atomiques en zone limitrophe, des normes de securite internationalement reconnues et appliquees permet une ponderation de souverainetes, tenant compte des interets respectifs de l'Etat d'implantation et de l'Etat d'incidence; dans la mesure oU. il s'agit d'un element uniforme de reference, le principe d'egalite de tous les Etats souverains est tout particulierement respecte. 6. Il n'est pas possible de determiner ce qu'il faut entendre par nuisances et risques qui doivent etre acceptes, une fois lesdites normes de securite appliquees, sans etablir une differentiation sur la base d'elements concrets en fonction des donnees du cas precis. On peut citer, entre autres, comme criteres essentiels de differentiation: -
les dommages causes (eventuellement) dans l'Etat d'incidence, leur probabilite, leur importance et leur ampleur en tenant compte avant tout de la taille de la centrale, la situation geographique (proximite de la frontiere, densite de
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population dans la zone limitrophe de l'Etat d'incidence, orientation des fleuves et des vents, etc.), -
les consequences nefastes pour l'Etat d'implantation, en raison d'une limitation possible de ses projets nucleaires,
-
les consequences nefastes pour l'Etat d'incidence dues ci la limitation de ses propres projets nucleaires ou de ses autres plans d'utilisation, afin de tenir compte de centrales nucleaires dejci installees dans l'Etat d'implantation.
Ces criteres doivent etre appliques en fonction du principe de la ponderation des souverainetes des deux Etats, tenant compte de leurs interets respectifs. 7. Si un Etat d'implantation installe cl la frontiere des centrales atomiques (ou des centrales atomiques d'une certaine taille) dans le seul but de transferer pour l'essentiel sur le territoire d'un Etat voisin les dommages eventuels (profitant, par exemple, de l'orientation des cours d'eau ou de la direction des vents dominants) ou si, afin de « transferer des dommages par delcl la frontiere », il applique cl des centrales nucleaires en zone limitrophe des normes de securite moins strictes que celles qui sont en vigueur dans les centrales de !'interieur du pays, il viole l'interdiction de l'abus de droit en droit international public. Cette situation peut egalement etre prise en consideration lorsque, dans le cas d'une centrale nucleaire bien precise, on procede ci la ponderation des souverainetes des deux Etats en tenant compte de leurs interets respectifs. 8. Si un Etat construit et exploite sur son territoire une centrale nucleaire en zone limitrophe sans respecter les normes de securite internationalement reconnues et acceptees, relatives cl la technique, cl la taille et au site, l'Etat d'incidence menace dispose, quant cl lui, a l'encontre de l'Etat d'implantation, du droit de demander a ce dernier de mettre fin a cette situation. Ce droit d'exiger l'interruption (de la construction et) du fonctionnement d'une teIle centrale installee en violation des normes de securite internationalement reconnues ne peut pas etre modifie de manie re a prendre la forme d'un droit de demander l'adoption de certaines mesures de securite, ceci parce qu'il est fondamentalement de la competence de l'Etat d'implantation de determiner comment il respecte et garantit l'application de ces normes. Des lors que l'Etat d'implantation permet la construction ou le fonctionnement sur son territoire de centrales nucleaires en violation des normes internationalement reconnues et acceptees, l'Etat d'incidence peut, pour sa part, arreter
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des reglementations propres, relatives cl la construction et le fonctionnement de cette centrale. 9. L'Etat d'incidence dispose egalement cl l'endroit de l'Etat d':mplantation d'un droit d'information sur la construction ainsi que sur le fonctionnement de la centrale et specialement sur le point de savoir s'il a ete satisfait aux normes de securite internationalement reconnues et appliquees. Si un Etat d'incidence fait part d'objections relatives cl une centrale nucleaire installee en zone limitrophe, il faut proceder cl une consultation en vue d'aboutir cl une reglementation d'un commun accord, en vertu des principes de relations de bon voisinage, tels qu'ils s'appliquent par exemple pour tous les Etats de la Communaute Europeenne entre eux et particulierement entre la Republique Federale d'Allemagne et la France. 10. L'Etat d'incidence perd ses droits cl faire cesser la situation decoulant de l'existence d'une centrale atomique, ou ne peut plus les faire valoir, s'il s'engage, dans le cadre d'un ac cord international, cl en tolerer l'existence ou si unilateralement -
il a donne son accord cl l'existence de la centrale nucleaire ou en a reconnu la conformite avec le droit international,
-
il a renonce a ses droits de faire cesser la situation en question (ou a renonce ales faire valoir) ou a donne des assurances sur le fait qu'il n'agirait pas.
11. Si l'Etat d'incidence obtient, notamment sous la forme d'une notification faite par l'Etat d'implantation, des informations fiables quant cl l'installation ou a l'exploitation d'une centrale atomique en violation des normes de securite internationalement reconnues et acceptees, il ne doit pas faire naitre dans l'esprit de l'Etat d'implantation l'impression qu'il a donne son accord, en acceptant cette situation de fait durablement et passivement (ou par un comportement de quelqu'autre nature). Dans la mesure Oll l'Etat d'implantation peut interpreter comme un accord, notamment apres notification, un silence durable de l'Etat d'incidence, ce dernier Etat doit, pour assurer le respect de ses droits a faire cesser la situation en question, protester, le cas echeant de maniere repetee, contre la construction ou l'exploitation de cette centrale. Cette protestation peut avoir lieu avant qu'un dommage n'intervienne, c'est-a-dire par exemple durant la phase de construction. 12. Comme la France est revenue sur la dec1aration qu'elle avait faite en application de l'artic1e 36, § 2 du Statut de la Cour internationale de Justice, et qu'elle n'a pas non plus ratifie la Convention eu-
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ropeenne du 29 avril1957 pour le reglement pacifique des differends, il n'existe, a defaut d'une teIle declaration fran~aise, aucune possibilite d'amener la Cour internationale de Justice a trancher dans une affaire ayant pour objet le caractere licite, au sens du droit international public, de centrales nucleaires installees en France, dans des zones limitrophes. Cela n'exclut ni la possibilite d'une procedure devant la Cour de justice des Communautes europeennes ni la possibilite d'actions de droit prive intentees par des particuliers, contre l'exploitant de la centrale nucleaire, devant des tribunaux nationaux.
B. Questions de droit constitutionnel 13. Le droit constitutionnel allemand prevoit que pour les questions soulevees par l'existence de centrales nucleaires installees dans un Etat voisin en zone limitrophe, c'est au Bund de faire appliquer les prerogatives du droit international public tendant a faire cesser la situation en question ou a obtenir des informations. Pas plus d'apres le droit constitutionnel de la Republique Federale d' AIlemagne que d'apres le droit international public en vigueur, les Länder de Rhenanie-Palatinat et de Sarre et encore moins leurs collectivites territoriales communales ne sont fondes a faire valoir de tels droits. 14. En vertu du monopole de competence accorde au Bund pour faire observer les prerogatives de droit international public, relatives a l'information et a la cessation de la situation en question, le Bund a une obligation constitutionnelle de respecter les interets des Länder de Rhenanie-Palatinat et de Sarre et de leurs collectivites territoriales ainsi que notamment de la population virtuellement concernee. Le monopole du Bund quant a l'obtention des informations de la part de I'Etat d'implantation a pour corollaire l'obligation de transmettre ces informations aux Länder concernes. Pour assurer le respect des prerogatives de droit international public face aux centrales atomiques situees a l'etranger, en zone limitrophe, le Bund doit entendre et consulter les Länder qui sont situes aux confins du Bund et qui sont concernes par des centrales atomiques etrangeres ; cette obligation resulte de l'idee qui est a la base de l'article 32, § 2 de la Loi fondamentale et qui tend a ce qu'en matiere de politique etrangere le Bund tienne davantage compte des interets des Länder concernes par l'existence de ces centrales. 15. Les collectivites territoriales de Rhenanie-Palatinat et de Sarre concernees par l'existence de centrales atomiques situees a l'etran14 KloepferjKohler
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5. Teil: Zusammenfassung - Summary - Resume ger, en zone limitrophe, ne disposent ni de prerogatives de droit international public a faire valoir contre l'Etat d'implantation ni du droit d'obtenir directement des informations ni du droit d'agir directement contre le Bund. Ces derniers droits sont de la competence exclusive des Länder de Rhenanie-Palatinat et de Sarre qui, en raison de cette situation de monopole vers l'amont, ont l'obligation d'informer vers l'avalleurs collectivites territoriales. Les habitants de Rhenanie-Palatinat et de Sarre ne disposent d'aucun droit a l'information a faire valoir directement contre l'etranger, le Bund ou ces deux Länder, mais tout au plus contre leurs collectivites territoriales.
c. Questions de droit europeen 16. En droit communautaire, la decision d'installer une centrale atomique ressortit a la competence des Etats membres. Les institutions communautaires ne peuvent notamment exercer aucune influence decisive sur le choix du site de la centrale. Sur ce point, l'etude et les limites de la liberte de decision des Etats se determinent d'apres les regles du droit international public. 17. Aux termes de l'artic1e 37 du Traite instituant la Communaute europeenne de l'energie atomique, l'Etat d'implantation est neanmoins tenu de fournir a la Commission des Communautes europeennes tout projet de rejet d'effluents radioactifs, de maniere a pouvoir determiner si la mise en oeuvre de ses projets peut aboutir a une contamination radioactive du territoire d'un Etat membre voisin. La Commission emet alors un avis qui certes, en droit, ne lie pas l'Etat d'implantation, mais qui permet neanmoins d'exercer indirectement une influence sur la decision de l'Etat. Si en effet, dans sa decision de construire ou de mettre en service la centrale, l'Etat d'implantation neglige la mise en garde relative ä une contamination radioactive eventuelle du territoire de l'Etat voisin, evoquee eventuellement dans l'avis de la Commission, il encourt ce faisant un risque non negligeable dans la mesure Oll les effets des rejets radioactifs conduisent a un depassement des normes de base sur la protection de la sante, s'imposant a tous les Etats de la Communaute ; meme si ce phenomene ne se fait sentir que dans l'Etat voisin, l'Etat d'implantation peut se voir contraint par une directive de la Commission a effets juridiques obligatoires, adoptee en application de l'article 38, al. 2 du Traite Euratom, de prendre, pour eviter ledit depassement, les mesures qui s'imposent et qui consistent, pour l'essentiel, a amenager de la maniere voulue le fonctionnement de la centrale. L'effet combine tant des mesures
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preventives sans caractere obligatoire que de la directive obligatoire adoptee le cas echeant peut ainsi exercer sur le processus etatique de decision une infiuence qu'il ne faut pas sous-estimer. 18. A la fin de l'annee 1980, les institutions communautaires competentes n'etaient pas encore saisies en vue de l'examen des effets de la centrale projetee aCattenom ; d'ailleurs, des supputations sur la teneur eventuelle de l'avis rendu par la Commission en application de l'article 37 du Traite Euratom ne font pas l'objet de la presente etude. 19. Pour imposer le respect des differentes obligations instituees par le Traite Euratom - a savoir notamment l'obligation de notification visee a l'article 37, incombant ä l'Etat d'implantation, l'obligation d'application des normes de base pour la protection de la sante et eventuellement des directives prises conformement a l'article 38, alinea 2, et enfin l'obligation a la charge de la Commission d'intervenir comme le prevoit cette derniere disposition - il est possible de saisir la Cour de justice des Communautes europeennes. Seuls peuvent introduire une action, outre les institutions communautaires respectivement competentes, les Etats membres en tant que tels. En d'autres termes, pour la Republique Federale d'Allemagne ni les Länder concernees ni les collectivites territoriales limitrophes visees par des situations teIles que celles prevues par les articles 37 et 38, alinea 2, du Traite Euratom, ni meme des particuliers n'ont le droit d'agir devant cette juridiction. Ils en sont, au contraire, reduits ä agir par des moyens de droit interne sur les organes du Bund qui disposent, en l'espece, du droit de representation. Du reste, il en est de meme pour l'ensemble des demarches decoulant du Traite tendant ä assurer le respect des droits, et tout particulierement pour l'obtention d'informations relatives tant a l'execution de l'obligation de notification ou de l'avis rendu par la Commission en application de l'article 37, qu'a !'intervention faite par la Commission dans le cadre de l'article 38, alinea 2, et qu'aux mesures prises, pour son execution, par les destinataires d'une directive adoptee conformement a ladite disposition. D. Questions de droit de la responsabilite 20. Dans la mesure Oll, a la suite « d'accidents nucleaires » lies a l'exploitation de la centrale atomique de Cattenom, c'est-a-dire essentiellement a la suite d'effets radioactifs de cette exploitation, des personnes subissent, sur le territoire allemand, des dommages a leur vie, leur sante ou leur patrimoine, la responsabilite du pro14'
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prietaire de la centrale ainsi qu'en second rang de l'Etat fran!;ais est engagee jusqu'a concurrence de certains montants maximum. Les regles de responsabilite en question reposent sur des conventions internationales afferentes a la responsabilite civile dans le domaine de l'energie nucleaire, applicables sous reserve de certaines modifications et ajouts, tant en France qu'en Republique federale ; les dispositions correspondantes de la loi allemande sur l'energie atomique sont, a divers titres, plus favorables pour les victimes que les dispositions de la loi fran!;aise du 30 octobre 1968 relative a la responsabilite civile dans le domaine nucleaire. 21. En regle generale, dans les cas vises dans la presente Hude, ce sont les juridictions fran!;aises qui ont competence exclusive pour connaitre d'actions en responsabilite intentees sur la base des conventions relatives a la responsabilite civile en matiere d'energie nucleaire. Pour autant que des victimes installees sur le territoire federal ne peuvent pas obtenir reparation sur la base du droit fran!;ais applicable dans ces cas, il leur reste, sous certaines conditions, un droit de compensation a l'encontre du Bund, jusqu'a concurrence d'un milliard de DM, que leur accorde la loi allemande sur l'energie atomique. 22. Les demandes en reparation afferentes ades dommages survenus sur le territoire federal ades personnes ou a des biens, d'origine non radioactive, mais dus pourune autre raison a l'exploitation de la centrale atomique de Cattenom, teIles que la formation de nappes de vapeur entrainant par exemple des modifications du microclimat, relevent des normes generales de responsabilite civile du droit applicable d'apres les regles de conflit du tribunal saisi. Alors que d'apres les regles de conflit fran!;aises en la matiere c'est avant tout le droit materiel fran!;ais qui sera applicable dans les cas d'espece, les juridictions allemandes appliquent le droit le plus favorable a la victime, dans l'hypothese de dommages transfrontieres. Ce droit sera tres generalement le droit materiel fran!;ais de la responsabilite qui, contrairement au droH allemand de la responsabilite delictuelle, se dispense largement, dans les cas d'espece, d'une preuve de la faute. 23. Aux termes de la Convention europeenne du 27 septembre 1968
concernant la competence judiciaire et l'execution des decisions, les juridictions tant allemandes que francaises sont competentes
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pour de teIles actions en dommages et interets; l'execution en France de jugements allemands est regIee egalement par cette Convention. 24. Les proprietaires de terrains situes en Republique federale peuvent par ailleurs dem an der, devant les juridictions allemandes et d'apres le droit allemand, que les nuisances dues au fonctionnement de la centrale de Cattenom soient supprimes ou qu'il y soit mis fin. Cependant, l'execution en France de tels jugements se heurterait a de grosses difficultes. D'apres l'opinion prevalente en Republique federale, l'autorisation accordee en France relativement a la centrale est sans effet en Republique feder ale et n'a pas pour consequence de restreindre les droits des proprietaires fonciers aIlemands. Toutefois, le bien-fonde de cette opinion porte a contestation. 25. L'Etat d'implantation engage sa responsabilite internationale envers l'Etat d'incidence pour des dommages d'origine nucleaire ou non nucleaire survenant sur le territoire de ce dernier lorsque l'Etat d'implantation n'a pas respecte une obligation internationale relative a la construction, a l'exploitation et aux effets transfrontieres d'une centrale atomique. 26. Meme en l'absence d'une violation d'une teIle obligation internationale, c'est-a-dire lorsque l'exploitation de la centrale est conforme au droit international, l'Etat d'implantation est responsable, en vertu des principes de la responsabilite pour risque, admise exceptionnellement en droit international, pour des dommages d'origine nucleaire ainsi que des dommages considerables d'origine non nucleaire, survenus sur le territoire de l'Etat d'incidence a la suite de conditions anormales d'exploitation de la centrale.