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German Pages 420 [423] Year 2015
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 329 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Andrea Isabell Dicke
Kapitalmarktgeschäfte mit Verbrauchern unter der Rom I-VO
Mohr Siebeck
Andrea Isabell Dicke, geboren 1983; Studium der Rechtswissenschaft in Hamburg und Haifa; 2013 Promotion; derzeit Rechtsanwältin in Berlin.
e-ISBN 978-3-16-153804-9 ISBN 978-3-16-153399-0 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Juni 2013 von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Die Disputation fand am 27. Juni 2013 statt. Für ihre stete Förderung und Unterstützung bedanke ich mich herzlichst bei meiner Doktormutter, Frau Prof. Dr. Bettina Heiderhoff. Ihr, aber auch allen anderen am Promotionsprogramm „Programme in European Private Law for Postgraduates“ (PEPP) Beteiligten verdanke ich darüber hinaus spannende Wochen an verschiedenen europäischen Universitäten, aus denen ich stets mit neuer Inspiration für mein Promotionsvorhaben zurückkehrte. Mein Dank gilt daneben Herrn Prof. Dr. Heribert Hirte, LL.M. (Berkeley), für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Zu Dank verpflichtet bin ich des Weiteren den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Basedow, LL.M. (Harvard Univ.), Herrn Prof. Dr. Holger Fleischer, LL.M. (Univ. of Michigan), Dipl.-Kfm., und Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann, für die Aufnahme in die Schriftenreihe „Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht“. Ohne die vorbehaltlose Unterstützung meiner Eltern und meines Freundes wäre diese Arbeit wohl nie entstanden. Ihnen gebührt daher mein größter Dank. Berlin, im Dezember 2014
Andrea Dicke
Inhaltsübersicht Abkürzungsverzeichnis ................................................................... XXIII Einleitung............................................................................................... 1 A. Neue finanzmarktrelevante Ausnahmeregelungen in der Kollisionsregel für Verbraucherverträge ........................................... 1 B. Gegenstand, Ziel und Aufbau der Arbeit ........................................... 4 Kapitel 1: Methodik .............................................................................. 7 A. Die Auslegung der neuen Regelungen mit Kapitalmarktbezug ................................................................................................ 7 B. Überblick über die Genese der neuen Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO ............................................ 31 Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO .................................................................................... 44 A. Ausnahmetatbestand 1 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ........ 44 B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ........ 47 Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1 – Die Ausklammerung von Finanzinstrumenten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ................. 65 A. Der Begriff des Finanzinstruments in der Rom I-VO ...................... 65 B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ......... 95 Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2 – Die Ausklammerung von Verträgen über bestimmte Finanzinstrumente nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ............................................................. 122 A. Zur systematischen Auslegung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO.............................................. 122 B. Überblick über die Struktur des zweiten Ausnahmetatbestands.................................................................... 125
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Inhaltsübersicht
C. Finanzdienstleistungen.................................................................. 126 D. Verträge über übertragbare Wertpapiere nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO.............................................. 132 E. Verträge über OGAW-Anteile ...................................................... 225 Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3 – Die Ausklammerung von Verträgen in multilateralen Systemen nach Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO .......................................................................................... 259 A. Struktur und Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO ................... 259 B. Begriff des multilateralen Systems in der Rom I-VO .................... 262 C. Ausgenommene Vertragsverhältnisse unter Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO ............................................................................. 293 D. Erwägungsgrund 31 zu Systemen nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie ................................................................. 297 E. Zusammenfassung und Ergebnis zum Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO ................................................. 312 Kapitel 6: Überprüfung von Sinn und Zweck der neuen Regelungen im Lichte von Art. 6 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO ....................................................................... 313 A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ......... 313 B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO .................. 344 C. Zusammenfassung und Ergebnis der Überprüfung der neuen Ausnahmeregelungen im Lichte von Art. 6 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO ....................................................... 359 Kapitel 7: Ergebnisse und Gesamtwürdigung .................................... 362 A. Zusammenfassung der Zwischenergebnisse für die Regelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO ...................... 362 B. Abschließende Würdigung ............................................................ 364 Literaturverzeichnis ........................................................................... 373 Stichwortverzeichnis .......................................................................... 389
Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................ V Inhaltsübersicht ..................................................................VII Abkürzungsverzeichnis ............................................................ XXIII Einleitung ........................................................................................... 1 A. Neue finanzmarktrelevante Ausnahmeregelungen in der Kollisionsregel für Verbraucherverträge .......................................... 1 B. Gegenstand, Ziel und Aufbau der Arbeit ........................................... 4
Kapitel 1: Methodik ......................................................................... 7 A. Die Auslegung der neuen Regelungen mit Kapitalmarktbezug .......... 7 I. Grundsatz der autonomen Auslegung............................................... 8 II. Durchführung der autonomen Auslegung....................................... 10 1. Anwendung der Auslegungsmethodik des EuGH ..................... 10 2. Auslegungsgkriterien des EuGH............................................... 12 a) Grammatische Auslegung .................................................. 13 b) Teleologisch-systematische Auslegung .............................. 15 c) Historisch-genetische Auslegung ....................................... 20 aa) Vergleich mit dem EVÜ – Grundsatz der Kontinuität .................................................................. 20 bb) Verwendbarkeit der Vorarbeiten zur Rom I-VO .......... 22 (1) Erschwerte Zugänglichkeit der Vorarbeiten .......... 23 (2) Besondere Charakteristika des Unionsrechts ......... 24 (a) Unionsrecht als dynamisches Recht ................ 24 (b) Politische Dimension des Unionsrechts .......... 25 (c) Bedeutung für die genetische Auslegung ........ 26 (3) Zwischenergebnis zur historisch-genetischen Auslegung ............................................................. 27
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cc) Unterscheidung nach den einzelnen Beteiligten beim Gesetzgebungsverfahren ..................................... 28 d) Rechtsvergleichende Auslegung ........................................ 29 3. Zusammenfassung und Ergebnis zur anzuwendenden Auslegungsmethodik ................................................................ 30 B. Überblick über die Genese der neuen Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO ............................................. 31 I. Genese von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ..................................... 32 II. Genese von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO ............................................................................. 37 1. Genese von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO ................................ 37 2. Genese von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO ................................ 41 III. Auswertung der Genese der neuen Regelungen ............................. 41
Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO .................................................................. 44 A. Ausnahmetatbestand 1 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO .......... 44 B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .......... 47 I. „Rechte und Pflichten, durch die Bedingungen festgelegt werden“ ......................................................................................... 47 II. Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf die vertragliche Einigung über den Inhalt der wertpapierrechtlichen Verpflichtungen .................................................................. 48 III. Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Erwerbsgeschäfte über Finanzinstrumente ..................................... 51 IV. Folgerung für die „Bedingungen für die Ausgabe oder das öffentliche Angebot und öffentliche Übernahmeangebote“ ............ 53 1. Verträge über den Kauf von übertragbaren Wertpapieren ......... 53 2. Übernahmeverträge .................................................................. 54 V. Besondere Behandlung der „Erbringung von Finanzdienstleistungen“ in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO .................................. 55 1. Finanzdienstleistungen in der Genese von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ........................................................................ 56 2. Das Zusammenspiel zwischen den Ausnahmetatbeständen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO und der Einschränkung am Ende der Regelung für die „Erbringung von Finanzdienstleistungen“ ...................................................................... 58 a) Interpretationsansätze zu Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO .......................................................................... 58
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aa) Vollständige Rückausnahme von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ........................................................... 58 bb) Rückausnahme nur von einer Tatbestandsalternative bzw. -untervariante .................................... 59 cc) Lediglich deklaratorische Bedeutung der Einschränkung für die Erbringung von Finanzdienstleistungen ........................................................... 60 b) Stellungnahme zu den verschiedenen Interpretationsansätzen ............................................................................. 61 VI. Zusammenfassung und Ergebnis zur Struktur des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ........................................................ 64
Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1 – Die Ausklammerung von Finanzinstrumenten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ...................................................... 65 A. Der Begriff des Finanzinstruments in der Rom I-VO ....................... 65 I. Finanzinstrumente im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 MiFID ........ 67 II. Übertragbare Wertpapiere im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID............................................................................................ 68 1. Die abstrakten Kriterien eines übertragbaren Wertpapiers im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID ................................ 69 a) „Übertragbare Wertpapiere“ und „Wertpapiergattungen“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID ........ 69 b) Die „Handelbarkeit“ eines übertragbaren Wertpapiers im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID .......................... 71 2. Die typologischen Kriterien eines übertragbaren Wertpapiers im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID .................... 74 3. Zusammenfassung und Zwischenergebnis zu dem Begriff des übertragbaren Wertpapiers nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID und dessen Anwendbarkeit unter der Rom I-VO ........... 76 III. Geldmarktinstrumente nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 19 MiFID ............... 77 IV. Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen .......................... 78 V. Derivative Finanzinstrumente ........................................................ 79 1. Überblick über den Begriff des derivativen Finanzinstruments in der MiFID............................................... 79 2. Optionen .................................................................................. 80 3. Termingeschäfte und Terminkontrakte ..................................... 82 4. Swaps ....................................................................................... 83 5. Zinsausgleichsvereinbarungen .................................................. 84
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6. „Andere Derivatkontrakte“ ....................................................... 85 7. Die derivativen Finanzinstrumente in Anhang I Abschnitt C Nummern 4 bis 7 und 10 MiFID ........................................... 85 a) Finanzderivate, Warenderivate und Derivate mit anderem Basiswert ............................................................. 86 b) Effektive Lieferung oder Barausgleich ............................... 87 c) Handel an multilateralen (Handels)systemen oder OTC-Handel ...................................................................... 88 d) Vergleichbarkeit mit Derivatkontrakten ............................. 90 8. Anwendung dieser Kriterien unter der Rom I-VO .................... 91 9. Besondere Gruppen unter den derivativen Finanzinstrumenten nach Anhang I Abschnitt C Nr. 8 und 9 MiFID ............ 92 VI. Zusammenfassung und Ergebnis zu dem Begriff des Finanzinstruments in der Rom I-VO ......................................................... 94 B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO .......... 95 I. Die Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ........................ 96 1. Schutz des Emittenten: „Vorhersehbarkeit“ .............................. 96 2. Schutz des Handels: „Fungible Finanzinstrumente“ ................. 97 3. Auswertung der beiden Begründungsansätze hinter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ......................................... 99 II. Überprüfung der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO an ihrer Ratio ............................................................. 101 1. Vergleich zwischen übertragbaren Wertpapieren und derivativen Finanzinstrumenten im Sinne der MiFID im Lichte der Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ...... 101 2. Beschränkung auf standardisierte, umlauffähige Finanzinstrumente – Erfordernis einer einschränkenden Auslegung des Begriffs „Finanzinstrument“ unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO? ............................................... 104 3. Versuch einer Lösung des Konflikts zwischen Wortlaut und Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ................ 106 a) Kein Ausklammerungsbedürfnis bei individuell ausgestalteten derivativen Finanzinstrumenten ................ 107 b) Untersuchung eines Ausklammerungsbedürfnisses bei standardisiert ausgestalteten derivativen Finanzinstrumenten .................................................................... 108 aa) An multilateralen Systemen gehandelte derivative Finanzinstrumente ..................................................... 108 bb) Unter Rahmenverträgen zusammengefasste derivative Finanzinstrumente ..................................... 108
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cc) Einfluss von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO auf die „Fungibilität“ bei standardisiert ausgestalteten derivativen Finanzinstrumenten ................................. 110 (1) „Handel“ mit derivativen Finanzinstrumenten an multilateralen Systemen ................................. 111 (2) Die Durchführung der Glattstellung an Derivatebörsen .................................................... 112 (3) Der wirtschaftliche Effekt einer Glattstellung durch eine Zentrale Vertragspartei an einer Derivatebörse ...................................................... 113 (4) Auswertung des Handels an Derivatebörsen im Lichte der Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ................................................. 114 (5) Abgrenzung zwischen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO und Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO im Hinblick auf den Handel mit derivativen Finanzinstrumenten an Handelsplattformen ......................................................... 115 (6) Unter Rahmenverträgen zusammengefasste derivative Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO ............................................ 119 4. Zusammenfassung und Ergebnis zum Anwendungsbereich des Ausnahmetatbestands in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO .............................................................................. 121
Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2 – Die Ausklammerung von Verträgen über bestimmte Finanzinstrumente nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .............................. 122 A. Zur systematischen Auslegung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .................................................................... 122 B. Überblick über die Struktur des zweiten Ausnahmetatbestands.................................................................................... 125 I. Unterscheidung anhand des im Mittelpunkt des Geschäfts stehenden Typs eines Finanzinstruments ..................................... 125 1. Übertragbare Wertpapiere ...................................................... 125 2. Anteile an Investmentfonds .................................................... 126 II. Einschränkung für die „Erbringung von Finanzdienstleistungen“................................................................................... 126
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C. Finanzdienstleistungen ................................................................. 126 I. Begriff der Finanzdienstleistungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO .................................................................................... 127 1. Finanzdienstleistungen nach Anhang I Abschnitt A und Abschnitt B MiFID................................................................. 127 a) Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten .......... 127 b) Nebendienstleistungen ..................................................... 129 2. Finanzdienstleistungen nach der FernabsatzFinanzdienstleistungen-Richtlinie .......................................... 130 II. Zusammenfassung und Ergebnis zum Begriff der Finanzdienstleistungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO .............. 132 D. Verträge über übertragbare Wertpapiere nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .................................................................... 132 I. Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ............................ 132 1. Auslegung von Erwägungsgrund 28 ....................................... 132 2. Schutz des Emittenten bzw. Anbieters: „Vorhersehbarkeit“................................................................. 133 II. Wertpapieremissionen unter Verbraucherbeteiligung ................... 134 1. Wertpapieremissionen unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .............................................................................. 136 a) Neuemissionen und Sekundäremissionen ......................... 136 b) Öffentliche Platzierungen und Privatplatzierungen .......... 137 c) Die Ausgabe und das öffentliche Angebot unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ................................. 138 aa) Das öffentliche Angebot im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie................................. 139 (1) Das Angebot im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie ............................................. 140 (2) Die Öffentlichkeit des Angebots im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie ......... 141 bb) Das öffentliche Angebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO – Anknüpfung an die Prospektpflicht nach der Prospekt-Richtlinie ....... 143 cc) Auslegung des Begriffs des öffentlichen Angebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO auf Grundlage von Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie ........ 146 (1) Schutzzweck des öffentlichen Angebots in der Prospekt-Richtlinie ....................................... 147 (2) Schutzzweck des öffentlichen Angebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .................... 148
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(3) Übertragbarkeit der Definition des öffentlichen Angebots in der Prospekt-Richtlinie ......... 150 (a) Angebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .................................. 150 (b) Öffentlichkeit des Angebots im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .................................................... 153 dd) Zwischenergebnis zum Begriff des öffentlichen Angebots im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ................................................................. 155 ee) Erfordernis eines öffentlichen Angebots auch bei Neuemissionen? ........................................................ 156 d) Zusammenfassung und Zwischenergebnis zum sachlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Wertpapieremissionen .................... 158 2. Von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ausgenommene Rechte und Pflichten .............................................................. 159 a) Überblick über die verschiedenen typischen Beteiligten an einer Wertpapieremission .......................... 159 b) Ausgestaltung einer Emission als Selbst- oder Fremdemission................................................................. 160 aa) Typische Ausgestaltungsmöglichkeiten bei einer Fremdemission .......................................................... 161 bb) Involvierung weiterer Banken in den Emissionsprozess ...................................................... 164 c) Rechtsbeziehungen zwischen Verbraucher und Emittent bzw. Anbieter unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ........................................................................ 166 aa) Kaufverträge zwischen Emittent bzw. Anbieter und Verbraucher über Wertpapiere aus der Emission.................................................................... 167 (1) Neuemissionen unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ................................................. 168 (2) Eingreifen der Rückausnahme für Finanzdienstleistungen ........................................ 171 (3) Keine Differenzierungsmöglichkeit zwischen Zeichnung und Kauf bei Sekundärmissionen ...... 172 (4) Erbringung einer Finanzdienstleistung bei einem Verkauf durch den Emittenten selbst?....... 173
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bb) Zwischenergebnis zum sachlichen Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Kaufverträge zwischen dem Emittenten bzw. Anbieter und Verbrauchern bei Selbst- und Fremdemissionen .................................... 176 d) Rechtsbeziehungen des Verbrauchers zu den übrigen Beteiligten bei einer Fremdemission ................................ 176 aa) Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Kaufverträge über Wertpapiere aus Fremdemissionen .................... 178 (1) Grammatische Auslegung ................................... 180 (2) Genetische Auslegung ......................................... 181 (3) Teleologische Auslegung .................................... 183 bb) Verkauf der emittierten Wertpapiere durch Emissionsbanken, -konsortien und weitere Kreditinstitute unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ................................................................. 186 (1) Auffinden eines Eingrenzungskriteriums ............ 186 (2) Ausklammerung aller Platzierungsverträge ......... 187 (3) Nicht von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO ausgeklammerte Verträge ............................. 189 e) Erfordernis einer Abgrenzung zwischen einzelnen Rechten und Pflichten innerhalb des Vertragsverhältnisses zwischen Emittent bzw. Anbieter und Verbraucher ................................................ 189 aa) Trennung zwischen Vertragsabschluss- und Erfüllungsphase ......................................................... 190 bb) Stellungnahme zu den Differenzierungsvorschlägen ..................................... 192 cc) Zwischenergebnis zur Abgrenzung zwischen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und der Rückausnahme für Finanzdienstleistungen bei Fremdemissionen ...................................................... 195 f) Ausgeklammerte Aspekte nach Erwägungsgrund 29 ........ 196 aa) „Zuteilungsbedingungen und Bedingungen für die Rechte im Falle einer Überzeichnung“ ...................... 196 bb) „Bedingungen für Ziehungsrechte“............................ 200 cc) „ähnliche Fälle im Zusammenhang mit dem Angebot sowie die in den Artikeln 10, 11, 12 und 13 geregelten Fälle“................................................... 201
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(1) Überblick über die in den Artikeln 10 bis 13 geregelten Aspekte .............................................. 201 (2) Auswertung der Bedeutung von Erwägungsgrund 29 ............................................ 203 3. Zusammenfassung und Ergebnis zur Regelung von Wertpapieremissionen unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .............................................................................. 205 III. Öffentliche Übernahmeangebote.................................................. 205 1. Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Hinblick auf öffentliche Übernahmeangebote......................... 208 2. Anwendbarkeit der Definition des Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie ............................................................ 210 a) Das Übernahmeangebot im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie .............................................. 210 b) Erste Korrektur: keine Unterscheidung zwischen freiwilligen Übernahmeangeboten i.e.S. und Pflichtangeboten .............................................................. 212 c) Zweite Korrektur: keine Unterscheidung zwischen freiwilligen Angeboten und Pflichtangeboten .................. 215 d) Dritte Korrektur: kein Kontrollerwerb als Ziel des Angebots erforderlich ...................................................... 217 e) Vierte Korrektur: keine Beschränkung auf rechtlich verbindliche Angebote ..................................................... 219 f) Gegenstand und Gegenleistung bei einem Übernahmeangebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ........................................................................ 219 g) Öffentlichkeit des Übernahmeangebots im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ................................. 220 aa) Öffentlichkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie ............................................... 220 bb) Öffentlichkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO........................................................ 222 h) Das öffentliche Übernahmeangebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ................................. 224 3. Zusammenfassung und Ergebnis zum Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf öffentliche Übernahmeangebote ............................................................... 224 E. Verträge über OGAW-Anteile ....................................................... 225 I. Struktur der speziellen Fallgruppe in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .................................................................................... 225
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II. Der „Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ im Sinne der OGAW-Richtlinie ................................................... 226 1. Anwendbarkeit der Definition des Art. 1 Abs. 2 OGAWRichtlinie im Lichte von Erwägungsgrund 26......................... 226 2. Der Organismus für gemeinsame Anlagen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie ............................................. 227 a) Investment von beim Publikum beschafften Geldern nach dem Grundsatz der Risikobetreuung in bestimmte Anlagegüter .................................................... 228 b) Einräumung eines Rückgaberechts ................................... 229 c) Funktionsweise eines OGAW am Beispiel deutschen Rechts .............................................................................. 231 3. Zusammenfassung und Zwischenergebnis zum Institut des OGAW und zur Zeichnung und zum Rückkauf von OGAW-Anteilen .................................................................... 234 III. Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Hinblick auf die „Zeichnung bzw. den Rückkauf von OGAWAnteilen“ ..................................................................................... 235 1. Die Tatbestandsvariante „Zeichnung bzw. Rückkauf von OGAW-Anteilen“ in den Erwägungsgründen ......................... 235 2. Die Tatbestandsvariante „Zeichnung bzw. Rückkauf von OGAW-Anteilen“ im Lichte ihrer Genese .............................. 236 3. Auswertung der Erwägungen hinter der Aufnahme des Ausnahmetatbestands für die „Zeichnung und den Rückkauf von OGAW-Anteilen“ ............................................ 238 a) Verzicht auf das Vorliegen von Massenvertragsabschlüssen ......................................................... 239 b) Verzicht auf das Vorliegen eines öffentlichen Angebots .......................................................................... 239 c) Differenzierung zwischen dem Kauf und der Zeichnung von OGAW-Anteilen...................................... 243 d) Zusammenfassung und Ergebnis zur Ratio der Tatbestandsvariante „Zeichnung und Rückkauf von OGAW-Anteilen“ ............................................................ 245 4. Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Fonds ..................................................................................... 246 IV. Die Ausnahmetatbestandsvariante „Zeichnung bzw. Rückkauf von OGAW-Anteilen“ im Einzelnen ............................................ 249 1. Der Organismus für gemeinsame Anlagen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ....................................... 249
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a) Räumlich: keine Beschränkung auf den Bereich der Mitgliedstaaten ................................................................ 250 b) Sachlich: keine Beschränkung auf Organismen, die ausschließlich in Wertpapieren anlegen ........................... 250 c) Zwischenergebnis zum Begriff des OGAW im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .......................... 252 2. Ausgenommene Verpflichtungen unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO .................................................................... 253 a) Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Hinblick auf die Zeichnung bzw. den Rückkauf von OGAW-Anteilen ....................................... 253 b) Differenzierung zwischen Zeichnung und Kauf eines OGAW-Anteils ................................................................ 254 V. Zusammenfassung und Ergebnis zum Anwendungsbereich der Tatbestandsvariante „Zeichnung und Rückkauf von OGAW-Anteilen“ ........................................................................ 257
Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3 – Die Ausklammerung von Verträgen in multilateralen Systemen nach Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO ....................... 259 A. Struktur und Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO ..................... 259 I. Struktur von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO .................................. 259 II. Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO ...................................... 260 1. Ziel: einheitliche Anwendung nur eines Rechts ...................... 260 2. Zweck: Sicherstellung der Funktionsfähigkeit dieser Systeme .................................................................................. 261 B. Begriff des multilateralen Systems in der Rom I-VO ..................... 262 I. Begriff des multilateralen Systems im Sinne der MiFID .............. 264 II. Auslegung des Begriffs des multilateralen Systems im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO auf Grundlage der MiFID ....... 268 1. Begriff des multilateralen Systems ......................................... 268 a) Multilateral versus bilateral ............................................. 268 b) Anforderungen an die Einordnung als System ................. 271 2. Das Zusammenführen „nach nichtdiskretionären“ Regeln ...... 273 3. Das Zusammenführen der Interessen einer Vielzahl Dritter am Verkauf und Kauf von Finanzinstrumenten ...................... 274 4. Das problematische Kriterium „Zusammenführen zu einem Vertrag“ ....................................................................... 275
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5. Das Zusammenführen nach Maßgabe „eines einzigen Rechts“................................................................................... 276 a) Das vermeintliche Zirkelschlussproblem in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO .......................................... 277 b) Das Problem des „Rechts des Systems“ ........................... 278 c) Das „Recht des Systems“ im Lichte der Genese ............... 280 d) Anknüpfungsvorschläge für das „Recht des Systems“ ..... 282 aa) Recht am Börsenort ................................................... 282 bb) Recht des aufsichtführenden Staates .......................... 283 cc) Anwendung des in den Satzungen, Regelungswerken, Sonderbedingungen, etc. des multilateralen Systems vorgegebenen Rechts ............ 284 dd) Stellungnahme zu den Anknüpfungsvorschlägen ....... 285 (1) Anknüpfung an das Recht am Börsenort ............. 285 (2) Anknüpfung an das Recht des aufsichtführenden Staates.................................... 286 (3) Das in den Satzungen, Handelsbedingungen vorgegebene Recht .............................................. 288 ee) Ergebnis zur Anknüpfung des Recht des Systems...... 290 e) „eines einzigen Rechts“ ................................................... 292 6. Zusammenfassung und Ergebnis zu dem Begriff des multilateralen Systems im Sinne der Rom I-VO ..................... 293 C. Ausgenommene Vertragsverhältnisse unter Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO...................................................................................... 293 I. Eingrenzung auf „innerhalb des Systems“ zustande gekommene Verträge ................................................................... 294 II. Keine Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO bei abweichender Rechtswahl zwischen den Parteien ........................ 296 D. Erwägungsgrund 31 zu Systemen nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie ........................................................................ 297 I. Systeme im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie .................. 298 II. Ratio von Erwägungsgrund 31 ..................................................... 300 1. Erwägungsgrund 31 im Licht der Genese ............................... 302 2. Auswertung der Genese zu Erwägungsgrund 31 ..................... 304 III. Abgrenzung zwischen mulilateralen Systemen und Systemen im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie ................................ 305 1. Aushöhlung des Anwendungsbereichs von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO ...................................................................... 305
Inhaltsverzeichnis
XXI
2. Kritik 1: fehlende Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Funktionen des Betriebs eines Clearingund Settlementsystems und dem Einsatz als Zentrale Vertragspartei ......................................................................... 307 3. Kritik 2: von einer Zentralen Vertragspartei betriebene Clearingsysteme als Systeme nach der (novellierten) Finalitätsrichtlinie .................................................................. 309 IV. Zusammenfassung und Ergebnis zum Verhältnis zwischen multilateralen Systemen und Clearingsystemen in der Rom I-VO .................................................................................... 310 E. Zusammenfassung und Ergebnis zum Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO................................................... 312
Kapitel 6: Überprüfung von Sinn und Zweck der neuen Regelungen im Lichte von Art. 6 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO .................................................... 313 A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO .......... 313 I. Das persönliche Kriterium in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ................ 315 1. Kapitalanleger als Verbraucher im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ......................................................... 318 2. Anleger mit besonderer Expertise als Verbraucher im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO......................................... 321 3. Übernahmeangebote – Verkäufer von Wertpapieren als Verbraucher im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ............... 324 a) Der Verkauf von Mitgliedschaftsrechten durch Verbraucher an einen Unternehmer als Bieter im Lichte der Unterscheidung zwischen B2C- und C2BVerträgen ......................................................................... 325 b) Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auf C2BVerträge ........................................................................... 328 4. Kenntnis des Unternehmers von der Verbrauchereigenschaft seines Vertragspartners..................... 331 5. Zusammenfassung und Zwischenergebnis zum persönlichen Kritierium des Verbrauchervertrags in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ................................................................... 332 II. Das räumlich-situative Kriterium in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ...... 333 1. Das öffentliche Angebot als „Ausüben“ einer Tätigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I-VO................................. 335
XXII
Inhaltsverzeichnis
2. Das öffentliche Angebot als „Ausrichten“ einer Tätigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO ........................... 336 III. „Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten“ unter den Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO......................................................................... 339 1. Bestimmung der persönlichen Voraussetzungen ..................... 339 2. Erfüllung der räumlich-situativen Voraussetzungen ............... 342 IV. Ergebnis zu dem Anwendungsbereich der Ausnahmetatbestände auf Kapitalmarktgeschäfte im Lichte des Verbrauchervertrags nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ............... 343 B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO .................... 344 I. Der Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO ........ 345 1. Handelbare Wertpapiere im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO .............................................................................. 347 2. „Verpflichtungen aus der Handelbarkeit“ ............................... 352 II. Zwischenergebnis zum Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO im Lichte von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO ................................................................ 358 C. Zusammenfassung und Ergebnis der Überprüfung der neuen Ausnahmeregelungen im Lichte von Art. 6 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO ......................................................... 359 I. „Vorhersehbarkeit“ ...................................................................... 359 II. „Fungibilität“ ............................................................................... 360
Kapitel 7: Ergebnisse und Gesamtwürdigung ....................... 362 A. Zusammenfassung der Zwischenergebnisse für die Regelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO ........................ 362 B. Abschließende Würdigung ............................................................ 364 I. Durchbrechung im Begründungsansatz ........................................ 364 II. Verhältnis zwischen den Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO und den europäischen Regelungen auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts....................................................................... 366 III. Umsetzung der Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO zugrunde liegenden Zielsetzungen .............................................................. 369 IV. Rechtspolitische Würdigung ........................................................ 370
Literaturverzeichnis ..................................................................... 373 Stichwortverzeichnis.................................................................... 389
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. ABl. Abs. AEUV AG AGB AktG Art. Az. B2C BaFin BB Bd. BeckEuRS BeckRS BGB BGH BGHZ BKR BörsG Brüssel I-VO
bzw. C2B CESR CMLR ders. d.h. DRV E.E.C. ed. EG EGBGB Einl EMA
andere Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt Absatz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Die Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Aktiengesetz Artikel Aktenzeichen Business-to-Consumer Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Betriebs-Berater Band Rechtsprechung des EuGH, EuG und EuGöD Beck-Rechtsprechung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Börsengesetz Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen beziehungsweise Consumer-to-Business The Committee of European Securities Regulators Common Market Law Review derselbe das heißt Deutscher Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte European Economic Community editor Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einleitung European Master Agreement
XXIV endg. et al. etc. EU EuG EuGöD EuGH EuInsÜ EuInsVO EuIPR EuLF EU-Prospekt-VO
EuR EURIBOR europ. EuZPR EuZW EVÜ EWS f./ff. FBE Fn. FRA FRUG
FS FSAP FWB GmbH Großkomm AktG Habil.-Schr. Hdb. HFR
Abkürzungsverzeichnis endgültig et alii/et aliae/et alia et cetera Europäische Union Gericht der Europäischen Union Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union Gerichtshof der Europäischen Union Europäisches Übereinkommen über Insolvenzverfahren vom 23.11.1995 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren Europäisches Internationales Privatrecht The European Legal Forum Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung Europarecht Euro Interbank Offered Rate europäisch/e/er/es Europäisches Zivilprozessrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Schuldvertragsübereinkommen Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende European Banking Federation Fußnote forward rate agreement Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarkt-RichtlinieUmsetzungsgesetz) Festschrift Financial Services Action Plan Frankfurter Wertpapierbörse Gesellschaft mit beschränkter Haftung Großkommentar Aktiengesetz (Hrsg.: Hopt, Klaus J./ Wiedemann, Herbert) Habilitationsschrift Handbuch Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung
Abkürzungsverzeichnis Hrsg. i.e.S. i.V.m. IL Pr IHR Int./int. IntKapMarktR insb. InsO InvAG InvG InvStG IPR IPRax IPRspr. ISDA ISDA-MA J. Priv. Int’ L. JBl. JDI Clunet jurisPK JZ KAG KK-AktG KK-WpHG KK-WpÜG KWG LIBOR ltd. lit. LugÜ
m.w.N. MA MiFID MTF n° n.F. NiPR
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Herausgeber im engeren Sinne in Verbindung mit International Litigation Procedure Internationales Handelsrecht international Internationales Kapitalmarktrecht insbesondere Insolvenzordnung Investmentaktiengesellschaft Investmentgesetz Investmentsteuergesetz Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts International Swaps and Derivatives Association Master Agreement der International Swaps and Derivatives Association Journal of Private International Law Juristische Blätter Journal du Droit International (Clunet) juris PraxisKommentar JuristenZeitung Kapitalanlagegesellschaft Kölner Kommentar zum AktG (Hrsg.: Zöllner, Wolfgang) Kölner Kommentar zum WpHG (Hrsg.: Hirte, Heribert/Möllers, Thomas M.J.) Kölner Kommentar zum WpÜG (Hrsg.: Hirte, Heribert/von Bülow, Christoph) Kreditwesengesetz London Interbank Offered Rate limited littera Luganer Übereinkomen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988 mit weiteren Nachweisen Master Agreement Markets in Financial Instruments Directive multilateral trading facility numéro neue Fassung Nederlands Internationaal Privaatrecht
XXVI NJW NK Nr. NVwZ NZG o. OGA OGAW OLG OTC RabelsZ Red. REDC Rev. crit. DIP RG RGZ RIW RL Rn. Rom I-VO
Rom II-VO
Rs. RV Rz. S. s.o. s.u. SachenR Slg. sog. TransportR u.a. v. vgl. VO Vol. WM WpHG
Abkürzungsverzeichnis Neue Juristische Woche Nomos Kommentar Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht oben Organisation für gemeinsame Anlagen Organisation für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren Oberlandesgericht over the counter Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Redakteur/in/e Revue Européenne de Droit de la Consommation Revue critique de droit international privé Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Rechtssache Rahmenvertrag Randziffer Seite siehe oben siehe unten Sachenrecht Sammlung sogenannte(r/s) Transportrecht und andere versus vergleiche Verordnung Volume Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschaftsund Bankrecht Wertpapierhandelsgesetz
Abkürzungsverzeichnis WpPG WpÜG WRP YB PIL ZBB ZEuP ZEuS ZfRV ZHR ZIP ZVglRWiss
XXVII
Wertpapierprospektgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegsetz Wertpapierrecht Yearbook of Private International Law Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
Einleitung A. Neue finanzmarktrelevante Ausnahmeregelungen in der Kollisionsregel für Verbraucherverträge A. Neue finanzmarktrelevante Ausnahmeregelungen
Mit Wirkung zum 17. Dezember 2009 ist die Verordnung (EG) Nr. 593/ 2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 20081 („Rom I-VO“) an die Stelle des Übereinkommens von Rom von 1980 („EVÜ“)2 getreten. Ganz im Sinne des Europäischen Gesetzgebers fügen sich die Regelungen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht seither mit den beiden anderen europäischen Verordnungen auf dem Gebiet des Internationalen Privat- und Prozessrechts – der Brüssel I-VO3 und der Rom II-VO4 – zu einem „untrennbaren Ganzen“5 zusammen. Die Überführung des Übereinkommens in eine Verordnung brachte Änderungen im Regelungstext mit sich, die teils durch die geänderte Rechtsnatur des Regelungswerkes bedingt, teils Ergebnis einer inhaltlichen Aktualisierung der bisherigen Kollisions-
1
Veröffentlicht in ABl. (EU) Nr. L 177 vom 4.7.2008, S. 6 ff. Veröffentlicht in ABl. (EU) Nr. L 266 vom 9.10.1980, S. 1 ff.; zuletzt geändert durch Art. 2 des Übereinkommens vom 29.11.1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zu dem am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ..., (ABl. (EU) Nr. C 15 vom 15.1.1997, S. 10 ff.). 3 VO (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen, veröffentlicht in ABl. (EU) Nr. L 16 vom 16.1.2001, S. 1 ff.; zuletzt geändert durch VO (EU) Nr. 566/2013 der Kommission vom 18. Juni 2013 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 ..., ( Abl. (EU) Nr. L 167 vom 19.6.2013, S. 29 ff.). 4 VO (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), veröffentlicht in ABl. (EU) Nr. L 199 vom 31.7.2007, S. 40 ff. 5 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12. 2005, KOM(2005) 650 endg. (2005/0261 (COD)), S. 2. 2
2
Einleitung
regeln sind.6 Schlug die Kommission in ihrem ersten Verordnungsentwurf vom 15. Dezember 20057 noch teilweise radikale Neuregelungen vor,8 so stimmt der endgültige Regelungstext mit den Regelungen des EVÜ im Wesentlichen wieder überein.9 Unter den Regelungen, die davon abweichend keinen Vorgänger im EVÜ haben, sondern originär mit der Rom I-VO geschaffen worden sind, sind die Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO sowie Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO dem Rechtsanwender am wenigsten zugänglich.10 Ein wesentlicher Grund hierfür ist die dem Zivilrechtler im Allgemeinen weniger geläufige Terminologie, derer sich der Verordnungsgeber zur Abfassung dieser neuen Kollisionsregeln bedient hat. Sie entstammt im großen Umfang dem europäischen Kapitalmarktrecht11 und indiziert damit, welche vertraglichen Rechte und Pflichten die neuen Kollisionsregeln zum Regelungsgegenstand haben: Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO regeln vertragliche Verpflichtungen, die, verallgemeinernd gesprochen, „am Kapitalmarkt“ begründet werden. Die Aufnahme spezieller Kollisionsregeln mit Bezug zum Kapitalmarkt in die Rom I-VO steht im Einklang mit den Bemühungen12 des Europäischen Gesetzgebers, die nationalen Kapitalmärkte13 der Mitgliedstaaten, insbesondere auf Grundlage des Herkunftslandprinzips, zu 6
Einen Überblick über die Änderungen liefern Pfeiffer, EuZW 2008, 622 ff.; Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798, 1807 f. 7 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12. 2005, KOM(2005) 650 endg. (2005/0261 (COD)). 8 Instruktiv zum Kommissionsentwurf: Max Planck Institute for Comparative and International Private Law, RabelsZ (71) 2007 225 ff. 9 Von einer „behutsamenn Fortentwicklung“ sprechen: Leible/Lehmann, RIW 1008, 528, 529; so auch: Magnus, IPRax 2008, 17; Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798; Mankowski, IHR 2006, 133; Garcimartín Alférez, EuLF 2009, I-61, I-72. 10 Mankowski, RIW 2009, 98; Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85; so auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 34. 11 Mankowski, RIW 2009, 98, 99. 12 Hammes, ZBB 2001, 498, 499; Wittich, WM 1999, 1613. 13 Unter dem Begriff des nationalen Kapitalmarktes ist ein Markt zu verstehen, der in nur einem Land lokalisiert ist. Die Differenzierung zwischen inländischen und ausländischen (nationalen) Kapitalmärkten wird aus Sicht des Emittenten, d.h. des Ausgebers der Finanzprodukte, getroffen: Hat er seinen Sitz im selben Land, in dem der Markt lokalisiert ist, so ist dieser Markt für ihn inländisch; hat er dagegen seinen Sitz in einem anderem Land, so betritt er einen ausländischen Kapitalmarkt, siehe Fuller, Int. Capital Markets, Rn. 1.02 (S. 1).
A. Neue finanzmarktrelevante Ausnahmeregelungen
3
einem europäischen14 internationalen15 Kapitalmarkt zusammenzuführen. Im Rahmen des zu diesem Zweck im Aktionsplan für einen Finanzbinnenmarkt vom 11. Mai 199916 aufgestellten Arbeitsprogramms sind sowohl bestehende Richtlinien modernisiert als auch neue verabschiedet worden. Diese Richtlinien begegnen auch im Verordnungstext der neuen kapitalmarktrelevanten Kollisionsregeln selbst wie auch in deren Entstehungsmaterialien. An dieser Stelle soll bereits auf die besondere Bedeutung hingewiesen werden, welche darunter der RL 2004/39/EG vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente17 („MiFID“ (Markets in Financial Instruments Directive)) für die Auslegung der neuen Regelungen zukommt.18 Zur Förderung des grenzüberschreitenden Verkehrs am europäischen Kapitalmarkt haben nicht zuletzt auch die Einführung einer einheitlichen Währung und – unionsübergreifend – der technische Fortschritt und der steigende Kapitalbedarf großer Unternehmen beigetragen,19 so dass immer mehr Kapitalmarktprodukte international angeboten20 und nachgefragt werden.21
14 Der Begriff des europäischen Marktes ist nicht mit dem des Euromarktes zu verwechseln, worunter allgemein ein internationaler Kapitalmarkt verstanden wird: Valdez/Wood, Introduction to Global Financial Markets, S. 137. 15 Internationale Kapitalmärkte sollen dadurch geprägt sein, dass auf ihnen Finanzprodukte an Anleger aus unterschiedlichen Rechtsordnungen ausgegeben und von diesen dort gehandelt werden können und sie zudem in jeder Hauptwährung denominiert sein können; siehe Fuller, Int. Capital Markets, Rn. 1.02 (S. 1). 16 Die deutsche Version findet sich abgedruckt in ZBB 1999, 254–268. Entsprechend seinem englischen Titel „Financial Services Action Plan“ wird gewöhnlich das Kürzel „FSAP“ verwendet, um ihn zu bezeichnen. 17 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, veröffentlicht in: Abl. (EU) Nr. L 145 vom 30.4.2004, S. 1 ff. 18 Zur Aufhebung der MiFID durch die MiFID II s.u. Kapitel 3: A. Der Begriff des Finanzinstruments in der Rom I-VO. 19 Europäische Kommission, in: Aktionsplan für Finanzbinnenmarkt, ZBB 1999, 254, 259; Hammes, ZBB 2001, 498, 499; Beck, in: FS Kümpel, S. 19; MüKo/ Schnyder, Int. Wirtschaftsrecht, Int. Kapitalmarktrecht, Rn. 29. 20 Je nach dem Verhältnis zwischen dem Ausgabeort und dem Sitz des Emittenten bzw. der Währung, in der sie denominiert sind, sind folgende Bezeichnungen für Forderungsrechte in Gebrauch: Foreign bonds werden innerhalb der Rechtsordnung, in deren Währung sie denominiert sind, ausgegeben, aber von Emittenten, die ihren Sitz außerhalb dieser Rechtsordnung haben, Giddy, Global Financial Markets, S. 321; Eurobonds sind dadurch charakterisiert, dass sie in einer anderen Rechtsordnung
4
Einleitung
Die Einführung spezieller schuldvertraglicher Kollisionsregeln für bestimmte kapitalmarktrechtliche Vertragsverhältnisse scheint daher auf den ersten Blick begrüßenswert. In welchen Sachverhaltskonstellationen die Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom IVO Anwendung finden, sollte daher für die Praxis von großem Interesse sein. Dieses Interesse, zusammen mit der inhaltlichen Neuartigkeit und dem komplizierten Wortlaut der Regelungen, sind daher zum Anlass genommen worden, sich vertieft mit ihnen auseinanderzusetzen.
B. Gegenstand, Ziel und Aufbau der Arbeit B. Gegenstand, Ziel und Aufbau dieser Arbeit
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind die Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO und Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO. Zum Ziel hat sie, die genannten neuen Kollisionsregelungen mit Inhalt anzufüllen und dem Rechtsanwender dadurch eine praktische Anleitung für ihre Anwendung an die Hand zu geben. Der Übersichtlichkeit wegen erfolgen Darstellung und Untersuchung der neuen Kollisionsregeln getrennt nach den jeweils in ihnen umgesetzten Tatbeständen. Bei den Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO handelt es sich rechtstechnisch um Ausnahmetatbestände zur Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO. Diese Regelung beruft auf einen Verbrauchervertrag das Recht desjenigen Staates zur Anwendung, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat („Verbraucherstaat“), bei fehlender Rechtswahl umfassend (Art. 6 Abs. 1 Rom IVO), im Falle einer abweichenden Rechtswahl hingegen partiell, d.h. beschränkt auf zwingende Verbraucherschutznormen (Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO).22 Rechtsfolge aller Ausnahmetatbestände in Absatz 4 dieser Regelung ist, dass bei ihrem Eingreifen diese verbraucherschützende Anknüpfung aufgehoben ist und an ihrer Stelle wieder die allgemeinen Kollisionsregeln der Art. 3 und 4 Rom I-VO zur Anwendung gelangen. Nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO gilt dies für die „Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit einem Finanzinstrument sowie Rechte und ausgegeben und verkauft werden als in der Rechtsordnung der Währung, siehe Giddy, Global Financial Markets, S. 322. 21 Beck, in: FS Kümpel, S. 19. 22 Zur Rechtsfolge des Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO siehe Erman/Hohloch, BGB, EGBGB Anh III Art 26, Art 6 VO Rom I Rn. 16; Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 583/2008, Art. 6 Rn. 30 ff.; MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 41 ff.; Staudinger, in: Ferrari et al. (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 71 ff.
B. Gegenstand, Ziel und Aufbau dieser Arbeit
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Pflichten, durch die die Bedingungen für die Ausgabe oder das öffentliche Angebot und öffentliche Übernahmeangebote bezüglich übertragbarer Wertpapiere und die Zeichnung oder den Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren festgelegt werden, sofern es sich dabei nicht um die Erbringung einer Finanzdienstleistung handelt“. Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO wiederum statuiert eine Ausnahme für „Verträge, die innerhalb der Art von Systemen geschlossen werden, auf die Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h Anwendung findet“. Zunächst wird der Inhalt dieser Regelungen erarbeitet. Der Inhalt einer Regelung ist grundsätzlich durch Auslegung zu ermitteln. Da es sich bei den zu untersuchenden Regelungen um solche eines Unionsrechtsaktes handelt, dürfen nicht die Auslegungsgrundsätze, wie sie unter deutschem Recht gelten, herangezogen werden, sondern es ist die diesen Regelungen eigene Methodik anzuwenden. Der erste Arbeitsschritt besteht daher darin, herauszuarbeiten, wie diese Methodik funktioniert und was im Hinblick auf die neuen Regelungen konkret in die Auslegung einfließen darf und muss (Kapitel 1). Auf Grundlage dieser Auslegungsmethodik werden sodann Telos und Inhalt der neuen Kollisionsregeln ermittelt (Kapitel 2 bis 5). Mit Blick auf die nur schwer verständliche Formulierung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO wird deutlich, dass ein erstes Zwischenziel der Auslegung darin liegen muss, diese Regelung ohne inhaltliche Verzerrung so in ihre Einzelbestandteile zu zerlegen, dass eine übersichtliche und praktikable Bearbeitung vorgenommen werden kann (Kapitel 3). Einen Schwerpunkt der Auslegung aller drei Kollisionsregeln bildet die Klärung der kapitalmarktrechtlichen Begrifflichkeiten. Sind sodann Telos und Inhalt der neuen Kollisionsregeln erschlossen, so stellt sich die Frage ihrer praktischen Anwendung, die anhand der Voraussetzungen, die ein Verbrauchervertrag nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO erfüllen muss, und unter Berücksichtigung der Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO beantwortet wird (Kapitel 6). In der Rechtswissenschaft sind Beiträge zum Verständnis der neuen Kollisionsregeln in der Rom I-VO mit Kapitalmarktbezug bislang vereinzelt geblieben. Während sich kurz nach Verabschiedung des endgültigen Verordnungstextes Einsele,23 Lehmann,24 Wautelet25 und insbe-
23
Einsele, WM 2009, 289–300. Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85–98. 25 Wautelet, REDC 2009, 775–802. 24
6
Einleitung
sondere Garcimartín Alférez26 und Mankowski27 mit den Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO auseinandergesetzt haben,28 ist der Forschungsstand seither nur wenig angehoben worden. Eine Zäsur setzt erst wieder die Dissertation von Müller29, die im Zeitraum der Erstellung dieser Arbeit erschienen ist und sich der Anknüpfung schuldvertraglicher Aspekte im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten nach den Regelungen der Rom I-VO insgesamt widmet. Soweit in der Arbeit Müllers bestimmte Fragen hinreichend erschöpfend dargestellt wurden, belässt es diese Arbeit an solchen Stellen mit einer verkürzten Darstellung. Aufgrund der übergreifend gefassten Fragestellung in Müllers Dissertation trifft dies jedoch nur auf wenige Aspekte speziell im Hinblick auf die neuen Ausnahmeregelungen zu. Diese Arbeit leistet daher eine ergänzende und vertiefende Auseinandersetzung mit den Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO.
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Garcimartín Alférez, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européenne ‚Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 161– 175; ders., J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 90; ders., EuLF 2008, I-61–I-79. 27 Mankowski, RIW 2009, 98–118; ders., IHR 2008, 133–152; ders., in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Finanzmarktverträge, Rn. 2341–2552 (S. 1037–1085). 28 Ausschließlich mit Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO und mit Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO setzen sich noch auseinander: Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416–425. 29 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, München 2011.
Kapitel 1
Methodik A. Die Auslegung der neuen Regelungen mit Kapitalmarktbezug A. Die Auslegung der neuen Regelungen mit Kapitalmarktbezug
Das Internationale Privatrecht steht unter der Besonderheit, dass zu dem Zweck, das auf einen Sachverhalt anwendbare Recht zu ermitteln, die sogenannte Qualifikation vorzunehmen ist. Wie sich die Qualifikation im Einzelnen definiert und welche Arbeitsschritte sie beinhaltet, ist Gegenstand einer umfangreichen und bislang noch andauernden Diskussion,1 deren Aufbereitung nicht Aufgabe dieser Arbeit sein kann. Für die Zwecke dieser Arbeit genügt es, die Qualifikation als einen Vorgang zu begreifen, in dem der sachliche Anwendungsbereich der einzelnen Kollisionsnormen ermittelt wird.2 Um dies feststellen zu können, ist eine Auslegung der Begriffe der fraglichen Kollisionsnorm erforderlich.3 Die Methode, die für die Auslegung der Kollisionsregeln gilt, muss daher gleichermaßen für die Qualifikation Geltung beanspruchen.4 Eine zwi1
Eine Auflistung der Beiträge aus der Literatur zur Qualifikation findet sich bei Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation im int. Privatrecht. S. 3 Fn. 5. 2 So die „in normaler Terminologie“ von Mankowski aufgestellte Beschreibung: von Bar/Mankowski, Int. Privatrecht Bd. 1, S. 637. 3 Die Auslegung der Kollisionsnormen ist Teil der Qualifikation, vgl. von Bar/ Mankowski, Int. Privatrecht Bd. 1, S. 637, mit weiteren Nachweisen in Fn. 603; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, S. 336; Kropholler, Int. Privatrecht, S. 114. 4 So auch im Speziellen für die Rom I-VO: Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Einl zur Rom I-VO Rn. 57; MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Vor Art. 1 Rom IVO Rn. 15; im Ergebnis auch: Reiher, Vertragsbegriff im europäischen Int. Privatrecht, S. 39, wonach der Forumsstaat, anhand dessen Rechtsverständnis die Qualifikation lege fori vorzunehmen ist, die Europäische Gemeinschaft (jetzt: Europäische Union) ist; generell zum Einheitsrecht und Gemeinschaftsrecht: von Bar/ Mankowski, Internationales Privatrecht Bd. 1, S. 656 f.; ausdrücklich im Hinblick auf das internationale Einheitsrecht: Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation im int. Privatrecht, S. 146 („Die Qualifikationsmethode müsste im staatsvertraglichen IPR als Sonderproblem der Auslegung vereinheitlichten Rechts denselben Maximen unterworfen werden, die allgemein für die Interpretation des Einheitsrechts gelten.“).
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schen Auslegung und Qualifikation differenzierende Darstellung ist zudem deswegen nicht erforderlich, weil sich die aus der Eigenart der Rom I-VO als kollisionsrechtliches Regelungswerk resultierenden Fragen innerhalb der jeweiligen Auslegungsgrundsätze behandeln lassen. I. Grundsatz der autonomen Auslegung Als ein sekundärer Unionsrechtsakt, dessen Regelungsgegenstand das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ist, ist die Rom I-VO aus zwei Gründen grundsätzlich autonom, d.h. nicht nach einem nationalen Recht5 auszulegen. Erstens setzt der Grundsatz der autonomen Auslegung im Unionsrecht den Gleichheitsgrundsatz und den Gedanken der Relativität von Rechtsbegriffen um, wonach Rechtsbegriffe ihre Bedeutung aus dem jeweiligen Kontext ableiten, in dem sie verwendet werden.6 Ein Rechtsbegriff, der in einem Unionsrechtsakt verwendet wird, übernimmt demnach grundsätzlich nicht die Bedeutung eines gleich lautenden Begriffs aus einem nationalen Recht, sondern ist durch einen genuin unionsrechtlichen Inhalt geprägt, den es in der Auslegung ausfindig zu machen gilt. Die Verwendung einer eigenständigen Terminologie ist Voraussetzung dafür, dass das Unionsrecht in allen Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt und angewendet wird.7 Da eine uneinheitliche Auslegung desselben Unionsrechtsakts in den Mitgliedstaaten die Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Unionsrechts schwer beeinträchtigen würde, ordnet sich der Grundsatz der autonomen Auslegung als ein wichtiges Werkzeug zur Verwirklichung der Unionsziele ein.8 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist Unionsrecht daher grundsätzlich autonom auszulegen.9 5
Heiderhoff, Europ. Privatrecht, S. 47. Stotz, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 653, 662; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5 Rn. 356; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 165 (S. 143); Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV, Art. 220 EG Rn. 53. 7 Franzen, Privatrechtsangleichung durch die europäische Gemeinschaft, S. 477. 8 Grundmann, Auslegung des Unionsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 210; nach Dederichs hingegen stellt die autonome Auslegung immer noch die Ausnahme dar, die einer Verallgemeinerung nicht zugänglich sei: Dederichs, EuR 2004, 345, 351; kritisch auch: Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313, 317 ff. 9 EuGH, Urteil vom 26.4.2012, Rs. C-510/10, „DR und TV2 Danmark“, Rz. 33, Slg. 2012, I-0000, ZUM 2012, 670; Urteil vom 1.3.2012, Rs. C-166/11, „González Alonso“, Rz. 25, Slg. 2012, I-0000, NJW 2012, 1709; Urteil vom 21.10.2010, Rs. C-467/08, „Padawan SL“, Rz. 32, Slg. 2010, I-10055, EuZW 2010, 951; Urteil 6
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Zweitens gewinnt der Grundsatz der autonomen Auslegung im unionsrechtlichen Kollisionsrecht dadurch an zusätzlicher Bedeutung, dass die Vereinheitlichung dieses Rechts mit dem Ziel betrieben wird, einen äußeren Entscheidungseinklang in den mitgliedstaatlichen Gerichten zu gewährleisten10 und dadurch ein forum shopping innerhalb der Mitgliedstaaten zu unterbinden.11 Die Rom I-VO selbst setzt sich diesen Gedanken zu einem Leitmotiv, indem sie in Erwägungsgrund 6 ausdrücklich fordert, dass „die in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen ... unabhängig von dem Staat, in dem sich das Gericht befindet, bei dem der Anspruch geltend gemacht wird, dasselbe Recht bestimmen“. Wegen dieser Zielsetzung ist eine Qualifikation lege fori, wie sie modifiziert im deutschen Kollisionsrecht befürwortet wird,12 auf Unionsrechtsebene ungeeignet; es bedarf stattdessen einer in allen Mitgliedstaaten einheitlich geltenden Terminologie.13 Die fehlende Übernahme von Art. 18 EVÜ, der für das EVÜ noch explizit die einheitliche Interpretation der Regelungen vorgab, stellt die Fortgeltung dieses Grundsatzes unter der Rom I-VO nicht in Frage. Zum einen macht die neue Rechtsnatur des Regelungstextes einen solchen Hinweis entbehrlich, da eine Verordnung als genuin sekundäres Unionsrecht von vorneherein der Auslegungskompetenz durch den EuGH untersteht.14 Zum anderen folgt der Grundsatz der autonomen Auslegung aus dem in Erwägungsgrund 7 niedergeschriebenen systematischen Zusammenhang der Rom I-VO mit der Rom II-VO und der Brüssel I-VO, die beide ebenfalls autonom auszulegen sind.15 Für die Brüssel I-VO hat der EuGH wieder und wieder bestätigt, dass „Bestimmungen der Verordnung ... nach ständiger Rechtsprechung autonom und unter Berück-
vom 27.1.2005, Rs. C-188/03, „Junk“, Rz. 29, Slg. 2005, I-00885, NJW 2005, 1099; Urteil vom 9.11.2000, Rs. C-357/98, „Yiadom“, Rz. 26, Slg. 2000, I-09265, BeckRS 2004, 76705; Urteil vom 19.9.2000, Rs. C-287/98, „Linster“, Rz. 43, Slg. 2022, I-06917, NVwZ 2001, 421. 10 Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 54; Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Introduction, Rn. 27; so zu den Ideen hinter dem EVÜ: Junker, RabelsZ 55 (1991) 674, 675 f. 11 Audit, JDI Clunet 2004, 789, 796. 12 Statt vieler: von Bar/Mankowski, Int. Privatrecht Bd. 1, S. 658 f.; Rauscher, Int. Privatrecht, Rn. 464 (S. 105); Kropholler, Int. Privatrecht, S. 121; zurück geht diese Methode auf Rabel, RabelsZ 5 (1931) 241, 249. 13 von Bar/Mankowski, Int. Privatrecht Bd. 1, S. 656. 14 S.o. Kapitel 1: A. II. Durchführung der autonomen Auslegung. 15 Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 54.
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sichtigung ihrer Systematik und ihrer Zielsetzungen auszulegen“ sind.16 Zur Auslegung der Rom I-VO und der Rom II-VO hat sich der EuGH bislang nicht geäußert. Es steht aber zu erwarten, dass er dort eine gleichlautende Direktive formulieren wird.17 Als grundsätzlich anzuwendende Methode hat die autonome Auslegung ausnahmsweise an den Stellen zurückzutreten, an denen sie nicht mehr zweckmäßig ist. Die Literatur und die europäischen Gerichte gehen von einem derartigen Ausnahmefall aus, wenn sich die Bedeutung eines Begriffs anhand des Unionsrechts und seiner allgemeinen Grundsätze allein praktisch nicht erschließt.18 Ein solcher Fall ist denkbar, wenn die zugrunde liegende Rechtsfrage in den Mitgliedstaaten noch nicht harmonisiert ist und sehr unterschiedlich bewertet wird.19 Die Existenz solcher Ausnahmefälle stellt die Geltung des Grundsatzes der autonomen Auslegung jedoch nicht in Frage; vielmehr ist ihm angesichts seiner doppelten Bedeutung im unionsrechtlichen Kollisionsrecht möglichst weitgehend Rechnung zu tragen. Selbst wenn der fragmentarische Charakter des Unionsrechts die Durchführung einer autonomen Auslegung grundsätzlich erschweren oder unmöglich machen kann, so steht dies insbesondere im Hinblick auf die enge Verknüpfung der neuen Ausnahmetatbestände mit der MiFID für die vorzunehmende Auslegung nicht zu befürchten. Im Übrigen stellt sich die Rom I-VO mit dem Grundsatz autonomer Auslegung nicht in Widerspruch, wenn sie selbst den Rekurs auf nationales Recht vorgibt wie u.a. in Art. 1 Abs. 2 lit. b und c Rom I-VO.20 II. Durchführung der autonomen Auslegung 1. Anwendung der Auslegungsmethodik des EuGH Die Überführung des Übereinkommens in eine Verordnung wirft die Frage nach der anzuwendenden Auslegungsmethodik neu auf, weil der 16
Aktuell EuGH, Urteil vom 25.10.2011, Rs. C-509/09 und C-161/10, „eDate Advertising“, Rz. 38, Slg. 2011 I-0000, NJW 2012, 137; Urteil vom 16.7.2009, Rs. C-189/08, „Zuid-Chemie“, Rz. 17, Slg. 2009, I-06917, NJW 2009, 3501; zu Umsetzungsschwierigkeiten der autonomen Auslegung durch nationale Richter siehe Audit, JDI Clunet 2004, 789, 804 ff. 17 Plender/Wilderspin, European Private International Law of Obligations, Rn. 1-110 (S. 41). 18 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 475 ff. 19 Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313, 319; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 38 f. 20 Noch zum EVÜ: von Bar/Mankowski, Int. Privatrecht Bd. 1, S. 657.
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Grundsatz der einheitlichen Auslegung der Kollisionsregeln unmittelbar aus der Rechtsnatur der Rom I-VO folgt: Als sekundäres Unionsrecht unterliegt die Rom I-VO alleinverbindlich der Auslegung durch den EuGH.21 Die Methode, die er der Auslegung anderer Unionsrechtsakte zugrunde legt, ist daher diejenige Methode, die auch auf die Rom I-VO anzuwenden ist.22 Damit ist sein Auslegungskanon an die Stelle der vertragsautonomen Auslegung des EVÜ23 getreten. Wie eine autonome Auslegung der Rom I-VO vorzunehmen ist, richtet sich in der Konsequenz nicht mehr nach der unter dem EVÜ geltenden Methodik. Stattdessen ist bei der Auslegung der neuen Ausnahmetatbestände idealtypisch so zu verfahren, wie der EuGH vorgehen würde, sollte es zu einer entsprechenden Vorlage in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV kommen.24 Obwohl die Auslegung nach dieser Methodik im Hinblick auf solche Regelungen, die inhaltlich bereits im EVÜ existierten, praktisch kaum zu einem anderen Ergebnis führen wird,25 wäre ein Rückgriff auf die alte Auslegungsmethodik fehlerhaft. Um der autonomen Auslegung der Regelungen im Sinne des EuGH gerecht zu werden, ist es notwendig, die Grundsätze nachzuvollziehen, 21
Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 38 ff.; Staudinger/ Magnus, EGBGB/IPR, Einl zur Rom I-VO Rn. 65; allg.: von Bar/Mankowski, Int. Privatrecht Bd. 1, S. 657. 22 Magnus, IPRax 2010, 2, 28; MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Vor Art. 1 Rn. 15a; Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 53. 23 Vgl. zu dieser Auslegungsmethodik: Ferrari, in: Ferrari et al. (Hrsg.), Int. Vertragsrecht 2007, EGBGB, Art. 36 Rn. 4; Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR 2002, Art 36 EGBGB Rn. 13 ff.; Rudisch, in: Czernich/Heiss (Hrsg.), EVÜ, Art. 18 Rn. 12, 13 ff.; Kropholler, in: Stoll (Hrsg.), Stellungnahmen und Gutachten zum Europäischen Int. Zivilverfahrens- und Versicherungsrecht, S. 171 ff. 24 Die Möglichkeit einer Vorabentscheidung wird als großer Vorteil gegenüber dem EVÜ bewertet: Plender/Wilderspin, European Private International Law of Obligations, Rn. 1–088, (S. 34); Bonomi, YB IPL Vol. X (2008), S. 165, 167. Zwar war unter dem EVÜ mittels der zwei Auslegungsprotokolle vom 19.12.1988 zum Römer Schuldvertragsübereinkommen, veröffentlicht in ABl. (EU) Nr. L 48 vom 20.2.1989, S. 1, 17, eine Auslegungsbefugnis des EuGH eingerichtet worden (das zweite Protokoll wurde erst 2004 ratifiziert) (siehe hierzu: Linhart, Int. Einheitsrecht und einheitliche Auslegung, S. 74 f.). Da die Vorlage an den EuGH nach den Protokollen jedoch im Ermessen der Gerichte gestanden hätte, hätte keine Gleichwertigkeit zur Auslegungskompetenz des EuGH von originär sekundärem Unionsrecht bestanden. 25 Wegen der Nähe zum (damals) Gemeinschaftsrecht hielt Linhart auch unter dem EVÜ im Zweifel eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung vorzugswürdig gegenüber einer rein völkerrechtlichen Auslegung: Linhart, Int. Einheitsrecht und einheitliche Auslegung, S. 79.
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auf die der EuGH bei der Durchführung seiner Auslegung zurückgreift. Die Schwierigkeit hierbei resultiert daraus, dass der EuGH die ihm zugewiesene Auslegungskompetenz umsetzt, ohne sich umfassend und instruktiv zu seiner Methodik zu äußern.26 In der Folge sind seit Veröffentlichung seines ersten Urteils in der Rechtswissenschaft verschiedene Versuche unternommen worden, die Grundsätze seiner Auslegung zu identifizieren bzw. eigene Kriterien zu erarbeiten.27 Da eine eigene Analyse der Rechtsprechung über den Rahmen dieser Arbeit hinausginge und die Diskussion um die Auslegungsmethodik inzwischen einer in den Grundzügen weithin geteilten Einschätzung der Vorgehensweise gewichen ist, werden für die Zwecke dieser Arbeit die bisherigen Auswertungsergebnisse herangezogen. Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die Frage, wie die Auslegungsmethodik auf die Rom I-VO generell und im Hinblick auf die Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d. und e Rom I-VO speziell anzuwenden ist, ohne dass hierbei auf die Auslegungsergebnisse im Einzelnen vorgegriffen werden soll. 2. Auslegungsgkriterien des EuGH Es besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass sich der EuGH einer ihm eigenen Auslegungsmethodik bedient, die auf die bereits aus dem nationalen Recht bekannten Kriterien zurückgreift.28 Diese Kriterien umfassen die grammatische Auslegung (a), die teleologische und die systematische Auslegung (b) sowie die historische Auslegung (c). Wegen der Supranationalität der Europäischen Union ist schließlich noch die rechtsvergleichende Auslegung zu berücksichtigen (d). Diese Auslegungskriterien gehen sachlich teilweise ineinander über und lassen sich nicht immer stringent voneinander abgrenzen. Der EuGH selbst wendet sie in der Rechtstatsächlichkeit nicht schematisch an, sondern geht ergebnisorientiert vor und macht sie sich dabei in unterschiedlichem 26
Leisner, EuR 2007, 689, 695. Siehe die nachfolgende Fußnote. 28 Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung von Justiz und Hochschule, I-5, I-6; Dumon, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung von Justiz und Hochschule, III-7, III-88 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5, Rn. 350 f.; Stotz, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 653, 659; Maasch, in: FS Raisch, S. 417, 419; Lutter, JZ 1992, 593, 598; Heiderhoff, Europ. Privatrecht, S. 45; Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 168 (S. 145); Gaitanides, in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), EUV, Artikel 220 EG Rn. 52; Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 53; Potacs, EuR 2009, 465, 472 f.; dezidiert mit der Auslegungsmethodik des EuGH setzt sich insbesondere Grundmann auseinander: Grundmann, Auslegung des Gemeinschaftsrechts, Konstanz, 1997. 27
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Maße zu Nutze.29 Im Folgenden werden die Auslegungskriterien im Einzelnen dargestellt und auf ihre Tauglichkeit für die Auslegung der neuen Ausnahmetatbestände hin untersucht. a) Grammatische Auslegung Die Wortlautauslegung mit dem Ziel, „die Bedeutung eines Ausdrucks oder einer Wortverbindung im allgemeinen Sprachgebrauch oder ... im besonderen Sprachgebrauch“30 aufzufinden, hat im sekundären Unionsrecht grundsätzlich alle bisher 24 Sprachfassungen31 desselben Rechtsaktes zu berücksichtigen. In der Europäischen Union sind alle Amtssprachen gleichrangig und in der Konsequenz gleich autoritativ.32 Der Wortlaut erschließt sich idealtypisch mithin nicht durch den Blick in eine einzelne Sprachfassung, sondern aus der Auswertung aller sprachlichen Fassungen.33 Abgesehen davon, dass dies praktisch kaum jemand zu leisten vermag, vergrößert diese Vorgabe das Spektrum potentieller Bedeutungen eines Normtextes, da aus der Sprachenvielfalt Sinndifferenzen34 resultieren können und sich Redaktionsfehler nicht vermeiden lassen.35 Folge ist die „Verringerung der Orientierungs- und Begrenzungsfunktion des Wortlauts für die Auslegung“36 im sekundären Unionsrecht.37 Der um eine Lösung dieses Problems bemühte Ansatz, den Vergleich mit anderen Sprachfassungen nur auf mehrdeutige Be29
Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV, Artikel 220 EG Rn. 52. 30 Larenz, Methodenlehre, S. 320. 31 Stand: August 2014: Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Kroatisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch, Ungarisch. 32 Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV, Artikel 220 EG Rn. 53; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 170 (S. 144); Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313, 322. 33 Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 446; EuGH, Urteil vom 6.10.1982, Rs. C-283/81, „Cilfit u. A.“, Rz. 18, Slg. 1982, I-03415, NJW 1983, 1257. 34 Zur politischen Dimension, die mit einer Übersetzung verfolgt wird: Schilling, European Law Journal 2010, 47, 50. 35 Schulte-Nölke, in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, S. 143, 157; Schilling, European Law Journal 2010, 47, 50. 36 Schulte-Nölke, in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, S. 143, 157. 37 Schulte-Nölke, in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, S. 143, 157.
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griffe zu beschränken,38 überzeugt nicht, da die Beurteilung der Mehrdeutigkeit eines Begriffs in jeder Sprachfassung anders ausfallen kann,39 wodurch letztlich die gleiche Verbindlichkeit aller Amtssprachen wieder in Frage gestellt würde.40 Aus demselben Grund kann auch nicht die mehrheitliche Verwendung eines Begriffs mit einer bestimmten Bedeutung als die autoritative Fassung dienen.41 Sofern Differenzen im multilingualen Wortlaut auftreten, verliert die grammatische Auslegung demnach an Überzeugungskraft. Stattdessen ist das Auslegungsergebnis in diesem Fall maßgeblich durch einen Rückgriff auf den Zweck und die Systematik der Regelung zu gewinnen.42 Diese Zurückdrängung des Wortlauts entspricht der Vorgehensweise des EuGH, der sich in solchen Fällen nur wenig am Wortlaut eines Normtextes aufhält.43 In Worte gefasst hat er diese Vorgehensweise in einem maßgeblichen Urteil über eine Entscheidung, deren Wortlaut in den einzelnen Sprachen eine abweichende Bedeutung hatte: „Ist eine Entscheidung an alle Mitgliedstaaten gerichtet, so verbietet es die Notwendigkeit einheitlicher Anwendung und damit Auslegung, die Vorschrift in einer ihrer Fassungen isoliert zu betrachten, und gebietet vielmehr, sie nach dem wirklichen Willen ihres Urhebers und dem von diesem verfolgten Zweck namentlich im Licht ihrer Fassung in allen ... Sprachen auszulegen“.44 Obwohl die maßgebliche Textarbeit an der Rom I-VO in der englischen Sprache durchgeführt worden ist, gewinnt die englische Fassung dadurch, will man dem Grundsatz der Gleichrangigkeit Geltung verschaffen, nicht an besonderem Gewicht.45 Eine weitere Einschränkung der Wortlautaus38
So Grundmann, Die Auslegung des Unionsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 220 f.; im Ergebnis wohl auch Schilling, European Law Journal 2010, 47, 58 f. 39 Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung von Justiz und Hochschule, I-5, I-18. 40 Zu dem dadurch entstehenden Konflikt zwischen dem Gebot der Gleichbehandlung und der Vorhersehbarkeit siehe Schilling, European Law Journal 2010, 47, 49 ff. 41 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5, Rn. 362; Anweiler, Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 155. 42 Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313. 324; Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung von Justiz und Hochschule, I-5, I-21; Dumon, EuGH (Hrsg.), in: Begegnung von Justiz und Hochschule, III-7, III-117; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 171 (S. 145). 43 So die Würdigung von Hartley, The Foundations of European Union Law, S. 64. 44 EuGH, Urteil vom 12.11.1969, Rs. C-29/69, „Stauder“, Rz. 3, Slg. 1969, I-00419, NJW 1970, 1016. 45 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 171 (S. 145); Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313, 324; Stotz, in:
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legung besteht darin, dass die Verfasser der Gesetzestexte sich bei der Ausformulierung über die fehlende Systematik des Unionsrechts oftmals dadurch hinweghelfen, dass sie auf Termini zurückgreifen, die ihnen aus ihrem nationalen Recht bereits bekannt sind.46 Dies kann zu der fehlerhaften und mit dem Grundsatz autonomer Auslegung konfligierenden Annahme des Rechtsanwenders führen, dass der fragliche unionsrechtliche Begriff auch mit ebendiesem nationalen Verständnis unterlegt wäre. Abschließend kann für die Wortlautauslegung im sekundären Unionsrecht festgehalten werden, dass sie zum einen nur als „Ausgangspunkt der Begründung einer Entscheidung“47 dient, denn die Auslegung muss naturgemäß mit dem Wortsinn beginnen, um den „Prozess des Verstehens“48 überhaupt einleiten zu können. Zum anderen grenzt sie das Ergebnis auf die linguistisch möglichen Bedeutungen eines Normtextes ein.49 Unter dieser Prämisse steht die teleologisch-systematische Auslegung im Vordergrund, wenn im Normtext der Rom I-VO sprachliche Abweichungen aufgedeckt werden. b) Teleologisch-systematische Auslegung Es ist weithin geteilte Auffassung, dass sich das Auslegungsergebnis im sekundären Unionsrecht grundsätzlich am Telos des Normtextes zu orientieren hat („Primat der Zweckauslegung“50), wofür die spezifischen Zwecke der auszulegenden Regelung herauszuarbeiten sind.51 Als weRiesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 653, 659; a.A. MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Vor Art. 1 Rn. 15a; Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Introduction Rn. 31. 46 Schübel-Pfister, Sprache und Unionsrecht, S. 116. 47 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 168; Grundmann, Auslegung des Unionsrechts, S. 202; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5, Wirkungen und Rechtsschutz, Rn. 353; gegen eine geringe Bedeutung der grammatischen Auslegung in der tatsächlichen Rechtssprechungspraxis des EuGH verweist Dederichs auf die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, EuR 2003, 345, 349, 353. 48 Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung von Justiz und Hochschule, I-5, I-18; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 321; Stotz, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 653, 659. 49 Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 315, 325; Grundmann, Auslegung des Unionsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 213; Maasch, in: FS Raisch, S. 417, 421; grundsätzlich zur Eingrenzungsfunktion des Wortlauts: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 322. 50 Schulte-Nölke, in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, S. 143, 159. 51 Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung von Justiz und Hochschule, I-5, I-17; Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 315, 335;
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sentliche Erkenntnisquellen, um den mit einem Unionsrechtsakt verfolgten Zweck zu erläutern, dienen die Erwägungsgründe am Anfang eines Unionsrechtsaktes,52 die Ausfluss der Begründungspflicht sind und die maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen beinhalten müssen.53 Für die Zwecke der Rom I-VO als Rechtsakt insgesamt folgt aus ihnen, dass diese Verordnung „den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten vorhersehbar“ machen und „die Sicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht sowie den freien Verkehr richterlicher Entscheidungen“ fördern soll.54 Zu den neuen Ausnahmeregelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO stellt die Verordnung unter Würdigung der Neuartigkeit und Kompliziertheit dieser Regelungen gleich fünf Erwägungsgründe55 sowie einen weiteren Erwägungsgrund56 zur Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO auf. Auch wenn Erwägungsgründe von großem Erkenntniswert sein können, gilt es zu beachten, dass ihnen keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt,57 eben weil sie nicht Teil des eigentlichen Regelungstextes selbst, sondern diesem nur vorangestellt sind.58 Die im Rahmen der teleologischen Auslegung auch einzubeziehende Zwecksetzung der Ermächtigungsgrundlage, welche bei der Rom I-VO Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 176 (S. 146); Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 62; Lutter, JZ 1992, 593, 602; SchulteNölke, in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, S. 143, 159; dagegen hält Dederichs die Bedeutung der teleologischen Auslegung für überschätzt,: Dederichs, EuR 2004, 345, 354. 52 Stotz, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 653, 662; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 147 f.; Anweiler und Lutter rechnen die Heranziehung der Begründungserwägungen zur historischen Auslegung, weil sie Aufschluss über die Absichten des Urhebers beim Erlass des Rechtsaktes geben würden: Anweiler, Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 253; Lutter, JZ 1992, 693, 600; grundsätzlich zur Einordnung: Grundmann, Auslegung des Unionsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 258 f. 53 Artikel 296 AEUV (ex-Artikel 253 EGV). 54 Siehe Erwägungsgrund 6 in der Rom I-VO. 55 Erwägungsgründe 26, 28, 29, 30, 31 in der Rom I-VO. 56 Erwägungsgrund 18 in der Rom I-VO. 57 Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313. 333; Stotz, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 653, 662 mit Verweis unter anderem auf EuGH, Urteil vom 24.11.2005, Rs. C-136/04, „Deutsches MilchKontor“, Slg. 2005, I-10095, HFR 2006, 211; Urteil vom 2.4.2009, Rs. C-134/08, „Tyson Parketthandel“, Slg. 2009, I-02875, HFR 2009, 630. 58 Insgesamt sehr kritisch zur Bedeutung der Erwägungsgründe: Stotz, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 653, 662 f.
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darin besteht, den europäischen Rechtsraum zu stärken und die Gemeinschaft (bzw. jetzt: Union) fortschreitend zu integrieren,59 hilft bei der Auslegung von Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO wenig weiter. Da der Zweck einer Regelung in einem engen Zusammenhang mit ihrer Systematik steht, weil die Anordnung einer Regelung im Gesetzestext Rückschlüsse auf ihren Zweck zulässt, lassen sich die teleologische und die systematische Auslegung in vielen Fällen nicht präzise voneinander abgrenzen, so dass sie in der Regel kumulativ anzuwenden sind.60 Welchen systematischen Gehalt ein Begriff hat, ermittelt sich sowohl anhand von dessen Stellung in einer Rechtsnorm und innerhalb des Rechtsaktes als auch durch seinen Zusammenhang mit anderen Regelungen.61 Ebenso ist im Unionsrecht die äußere Ordnung heranzuziehen.62 Vorrangig ist auf die Stellung einer Regelung innerhalb des Regelungsgefüges der Rom I-VO abzustellen, weil sie, wie zu Recht betont wird,63 „ein kleines Rechtssystem“64 für sich darstellt. Als externe Normtexte, die in der systematischen Auslegung zu berücksichtigen sind, kennzeichnet die Verordnung ausdrücklich die Brüssel I-VO und die Rom II-VO, mit deren jeweiligem materiellen Anwendungsbereich und deren Bestimmungen die Rom I-VO in Einklang stehen will.65 Die Rom I-VO, die Rom II-VO und die Brüssel I-VO stellen gemeinsam das internationale Privat- und Prozessrecht der Union (“‘trilogy’ of community law”)66 (auf der Ebene des Schuldrechts) dar67 und bedürfen 59
MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Vor Art. 1 VO (EG) 593/2008, Rn. 15d. Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung von Justiz und Hochschule, I-5, I-42; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 447; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5, Wirkungen und Rechtsschutz, Rn. 389; dagegen sieht Dederichs die Gleichsetzung in der Rechtsprechung des EuGH nicht bestätigt: Dederichs, EuR 2004, 345, 354; die teleologische als einen speziellen Bestandteil der systematischen Auslegung versteht Maasch, in: FS Raisch, S. 417, 424; genau umgekehrt hingegen: Heiderhoff, Europ. Privatrecht, S. 46. 61 Larenz, Methodenlehre in der Rechtswissenschaft, S. 325. 62 Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313, 327. 63 Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 58. 64 Ders. a.a.O. 65 Erwägungsgrund 7 in der Rom I-VO. 66 Lein, YB PIL Vol. X (2008), 177, 178 jetzt müsste es „Trilogie des Unionsrechts“ heißen. 67 Die Rom I-VO und die Rom II-VO sollten durch weitere Rom-Verordnungen ergänzt werden. Der für eine „Rom III-VO“ vorgebrachte Vorschlag der Kommission zum internationalen Scheidungsrecht – Vorschlag der Kommission vom 17.7.2006 für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung von Vorschriften 60
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demnach der jeweiligen Berücksichtigung bei der Auslegung von Regelungen eines der Rechtsakte.68 Für die neuen Regelungen mit Kapitalmarktbezug lässt sich der Vergleich mit den beiden anderen Unionsrechtsakten jedoch nicht fruchtbar machen, da es ihnen an entsprechenden Regelungen fehlt. Vielmehr deutet ihr kapitalmarktrechtlicher Bezug einen systematischen Zusammenhang mit kapitalmarktrechtlichen Unionsrechtsakten an, der im Hinblick auf die MiFID in Erwägungsgrund 30 Bestätigung findet.69 In welchem Umfang kapitalmarktrechtliche Unionsrechtsakte bei der Auslegung der neuen Ausnahmetatbestände zu berücksichtigen sind, kann an dieser Stelle noch nicht beantwortet werden, sondern ist für jeden Begriff im Einzelnen zu untersuchen. Die Verwendung von Begriffen, die wortgleich in anderen Unionsrechtsakten auftauchen, deutet jedenfalls darauf hin, dass sich diese Begriffe in der Rom I-VO auch an deren inhaltliche Konzepte anlehnen.70 Bei der systematischen Auslegung unter Heranziehung anderer Unionsrechtsakte ist jedoch der besonderen Anforderung Rechnung zu tragen, dass Begriffe in Kollisionsnormen, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden, grundsätzlich einen weiteren sachlichen Anwendungsbereich haben müssen als die ihnen wortgleichen Begriffe in materiellrechtlichen Unionsrechtsakten.71 Grund hierfür ist der Grundsatz universeller Anwendbarkeit der Regelungen der Rom I-VO, der in ihrem Artikel 2 als Zielvorgabe niedergelegt ist: Danach ist das nach dieser Verordnung bestimmte Recht auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich, KOM(2006) 399 endg. – konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Stattdessen kam es zu der nur in einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Eheverbandes anzuwendenden Rechts, veröffentlicht in ABl. (EU) Nr. L 343 vom 29.12.2010, S. 10. ff.; als „Rom IV-VO“ ist eine Verordnung zum Internationalen Erbrecht geplant: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, KOM(2009) 154 endg. 68 Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 59; MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Vor Art. 1 Rn. 15c; Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 1 Rn. 11; Lein, YB PIL Vol. X (2008), 177, 194 ff.; unter besonderer Berücksichtigung der Grenzen dieser Auslegung; Bitter, IPRax 2008, 96 ff.; Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Introduction Rn. 33. 69 Vgl. Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 59. 70 So für die Brüssel I-VO: Audit, JDI Clunet 2004, 789, 803. 71 Reiher, Vertragsbegriff im europäischen Internationalen Privatrecht, S. 39 f.
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Mitgliedstaates ist. Obwohl die Rom I-VO zwar ein Unionsrechtsakt mit räumlicher Geltung nur innerhalb der Mitgliedstaaten ist, ist die Anwendbarkeit ihrer Regelungen nicht auf Sachverhalte beschränkt, die innerhalb des Bereichs der Mitgliedstaaten lokalisiert sind. Der Übernahme von Begriffen, die bereits in anderen Unionsrechtsakten verwendet werden, sind deswegen Grenzen gesetzt. Diese Grenzen ergeben sich daraus, dass sich die räumliche Beschränkung von Unionsrechtsakten auf den Bereich der Mitgliedstaaten in der Regel auf deren Begriffsbestimmungen und Regelungen durchschlägt, wohingegen die Rom IVO grundsätzlich nur Begriffe verwenden darf, die eine universelle Anwendung ihrer Regelung möglich machen. Bei der teleologischen Auslegung der neuen Regelungen in der Rom I-VO fällt potentiell der aus der Eigenart des Unionsrechts abgeleitete Grundsatz des effet utile ins Gewicht, nicht aber der Grundsatz, Ausnahmeregelungen einschränkend auszulegen. Der Grundsatz des effet utile72 stellt an die Auslegung die positive Anforderung, die auszulegende Norm „ergiebig“ bzw. „mit größter Nutzwirkung“ zu interpretieren und voll auszuschöpfen.73 Negativ besagt er, dass die Auslegung nicht dazu führen darf, dass einer europäischen Regelung jede praktische Wirksamkeit genommen würde.74 Unter Würdigung dieses Grundsatzes dient die Auslegung der Rom I-VO daher auch dem Ziel, der Verordnung innerhalb ihres Anwendungsbereichs größtmögliche Wirkung zu verschaffen.75 Auch wenn sie sich als Ausnahmen von der Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge einordnen, unterliegen die Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO keinem Gebot möglichst einschränkender Auslegung, da das Unionsrecht einen solchen absolut geltenden Grundsatz nicht kennt.76 Ob eine einschränkende Auslegung geboten ist, hängt von den mit der Regelung und der Ausnahme jeweils verfolgten Regelungszielen ab. Weicht eine Vorschrift von grundlegenden Prinzipien des Unionsrechts ab, ist sie eher einer einschränkenden Auslegung 72
Zum Grundsatz des effet utile in der Auslegung durch den EuGH allgemein: Potacs, EuR 2009, 465, 47 ff. 73 Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung von Justiz und Hochschule, I-5, I-43; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 453; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 178 (S. 147). 74 Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313, 337. 75 Brödermann, NJW 2010, 807, 810; Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom IVO, Einl Rn. 62; MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Vor Art. 1 Rn. 15 d. 76 Franzen, Privatrechtsangleichung durch die europäische Gemeinschaft, S. 450; Zuleeg, EuR 1969, 97, 106; Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313, 345 ff.
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zugänglich als eine Ausnahmebestimmung, die sich selbst auf ein solches Prinzip stützt.77 Den Verbraucherschutz würdigt das Unionsrecht zwar als besonders hochrangiges Gut.78 Allein daraus lässt sich jedoch kein Gebot ableiten, Zweifelsfragen in den Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO stets zugunsten des Verbrauchers aufzulösen.79 Für die Geltung eines Gebots einschränkender Auslegung für die Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO finden sich im Ergebnis keine überzeugenden Argumente. Zur teleologisch-systematischen Auslegung ist abschließend festzuhalten, dass ihr im Rahmen des Auslegungskanons eine wesentliche Bedeutung zukommt. Sie kann im Einzelfall sogar dazu führen, dass der Wortlaut einer Regelung anders auszulegen ist, als es auf den ersten Blick naheliegend erscheint.80 c) Historisch-genetische Auslegung Das Ziel der historischen Auslegung ist es, unter verschiedenen Deutungsmöglichkeiten diejenige ausfindig zu machen, die der tatsächlichen „Regelungsabsicht des Gesetzgebers und seiner eigenen Normvorstellung am besten entspricht“.81 Als ein Unionsrechtsakt, dessen Regelungen aus der Überprüfung und Aktualisierung eines bereits existierenden Regelungswerks hervorgegangen sind, ist die Rom I-VO einer Rückschau auf grundsätzlich zwei Wegen zugänglich: (aa) Die Regelungen des EVÜ lassen sich als Vergleichsmaßstab für die Regelungen in der Rom I-VO heranziehen, wodurch sich Rückschlüsse auf ihren Inhalt ziehen lassen. (bb) Obwohl sie ursprünglich aus dem Übereinkommen hervorgegangen ist, hat die Rom I-VO eine davon unabhängige, eigenständige Entstehungsgeschichte durchlaufen, die in verschiedenen Dokumenten abgebildet ist. aa) Vergleich mit dem EVÜ – Grundsatz der Kontinuität Im Rahmen der originär historischen Auslegung ist die jeweilige Vorgängerregelung im EVÜ in den Blick zu nehmen. Wird eine Regelung aus dem EVÜ in Wortlaut und systematischer Stellung in der Rom I-VO 77
Franzen, Privatrechtsangleichung durch die europäische Gemeinschaft, S. 450; grundsätzlich Larenz, Methodenlehre in der Rechtswissenschaft, S. 356. 78 Vgl. Art. 169 AEUV; Art. 38 EU-Grundrechtecharta. 79 Generell: Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 63; Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313. 345. 80 Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313, 342. 81 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 328.
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fortgeführt, erlaubt diese Übernahme den Rückschluss auf den Willen des Gesetzgebers, an dem Sinngehalt der früheren Regelung festzuhalten.82 Es gilt der Grundsatz der Kontinuität, den der Europäische Gerichtshof mit der Vorgabe aufgestellt hat, dass derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben sei, „welche die Kontinuität der Rechtsstrukturen gewährleistet“.83 Auch wenn ein solcher Grundsatz nicht ausdrücklich in die Rom I-VO aufgenommen wurde, lässt sich dessen Geltung doch aus Erwägungsgrund 15 Satz 3 ableiten, wonach mit der zur Änderung des ursprünglichen Wortlauts führenden Angleichung des Wortlauts an den der Rom II I-VO „keine inhaltliche Veränderung“ gegenüber der Vorgängerregelung im EVÜ bezweckt sei.84 Wird die inhaltliche Fortgeltung der Regelungen des EVÜ ausdrücklich für eine entsprechend umformulierte Regelung betont und festgesetzt, so folgt hieraus für die unverändert übernommenen Regelungen, dass diese erst recht mit dem ihnen unter dem EVÜ zugewiesenen Inhalt fortgelten sollen. Hinzu kommt, dass der EuGH den Grundsatz der Kontinuität für den verwandten Unionsrechtsakt der Brüssel I-VO bestätigt hat.85 Daher ist auch bei der Rom I-VO eine Rückschau auf die Auslegungsmaterialien zu identischen Regelungen ihres Vorgängerinstruments zulässig. Umgekehrt gilt jedoch nicht zwingend, dass ein von einer Vorgängerregelung abweichender Wortlaut, zu dem keine Erwägungsgrund 15 Satz 3 entsprechende Klarstellung existiert, auch eine neue inhaltliche Bedeutung indiziert. Eine anders formulierte Regelung besteht mit der Bedeutung fort, die ihr unter dem EVÜ beigemessen wurde, sofern die Änderung im Wortlaut lediglich der Klarstellung einer zuvor als zu ungenau kritisierten Regelung geschuldet ist.86 Ob dies der Fall ist, kann beispielsweise den Entstehungsmaterialien entnommen werden. Das Gebot der kontinuitätswahrenden Auslegung ermöglicht es, den von Giuliano und Lagarde
82
Grundmann, Die Auslegung des Unionsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 288 ff.; Reiher, Vertragsbegriff im europäischen Internationalen Privatrecht, S. 33; so auch: Anweiler, Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 256. 83 EuGH, Urteil vom 29.3.2011, Rs. C-352/09, „ThyssenKrupp Nirosta GmbH“, Rz. 73, Slg. 2011, I-02359, BeckEuRS 2011, 572993; Urteil vom 25.2.1969, Rs. C-23/68, „Klomp“, Rz. 13, Slg. 1969, I-00043. 84 Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 60. 85 EuGH, Urteil vom 25.10.2011, Rs. C-509/09, „eDate Advertising“, Rz. 39, Slg. 2011, I-0000, NJW 2012, 137; Urteil vom 16.7.2009, Rs. C-189/08, „Zuid-Chemie“, Rz. 18, Slg. 2009, I-06917, NJW 2009, 3501. 86 So richtig: Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 60.
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zum EVÜ erstellten Bericht87, der als Auslegungshilfe gedacht war und den Gerichten der Vertragsstaaten die Anwendung des Übereinkommens vereinfachen sollte,88 weiterhin hilfsweise heranzuziehen. Er behält seine Bedeutung für die Auslegung derjenigen Regelungen bei, die aus dem Übereinkommen gleichlautend bzw. nach den obigen Grundsätzen gleichbedeutend übernommen wurden.89 Im Hinblick auf die Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO verspricht die historische Auslegung indes mangels Vorgängerregelungen im EVÜ kaum Erkenntnisgewinne. bb) Verwendbarkeit der Vorarbeiten zur Rom I-VO Wie sich ein Gesetzestext entwickelt, welche Vorschläge eingebracht, welche davon angenommen und welche abgelehnt werden, lässt grundsätzlich bestimmte Rückschlüsse auf die seiner Aufstellung zugrunde liegende Motivation der beteiligten Institutionen und Personen zu. Der Rat hat als „interinstitutionelle Dossiers“ gekennzeichnete Dokumente zur Entstehung der Rom I-VO in elektronischer Form der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.90 Anhand dieser Dokumente, die sich aus Vermerken zusammensetzen, die zwischen dem Präsidenten des Rates, dem Ausschuss für Zivilrechtsangelegenheiten, den Kommissionsdienststellen und den Delegationen der Mitgliedstaaten über die neuen Ausnahmetatbestände kursierten, ist es möglich, die Anfänge der neuen Regelungen in dem Verordnungsentwurf, die Diskussionen um sie und die Ausgestaltung, die sie im Laufe des Verfahrens erfahren haben, nachzuzeichnen. Zahlreiche Dokumente darunter haben die neuen Regelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO sowie Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO zum Gegenstand. Grundsätzlich steht daher reichlich Material für eine solche genuin genetische Interpretation der neuen Regelungen zur Verfügung. Verwertbar ist dieses Material jedoch nur, wenn es in die Auslegung einfließen darf, wenn also die Genese der Regelung 87
Giuliano/Lagarde, Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1 ff. 88 Junker, RabelsZ 55 (1991) 674, 680. 89 MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Vor Art. 1 Rn. 15 b; Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 60; Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 1 Rn. 12; Reiher, Vertragsbegriff im europäischen Internationalen Privatrecht, S. 33. 90 Abrufbar unter: über das interinstitutionelle Dossier: 2005/0261 (COD).
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ein zulässiges Auslegungskriterium darstellt. Überwiegend wird den Vorarbeiten und Entstehungsmaterialien zu einem Unionsrechtsakt nur eine marginale Bedeutung für die Auslegung beigemessen.91 Da von der Antwort auf diese Frage die Möglichkeit der Nutzbarmachung einer Fülle von Material abhängt, sind die Gründe, aus denen die Bedeutung der genetischen Auslegung als nur gering beurteilt wird, genauer zu untersuchen. Gegen die Verwendbarkeit solcher Dokumente, die bei der Ausarbeitung einer Regelung entstanden sind, wird angeführt, dass sie erstens kaum zugänglich seien und dass zweitens die genetische Auslegung mit dem Charakter des Unionsrechts nicht vereinbar sei. (1) Erschwerte Zugänglichkeit der Vorarbeiten Mit der Behauptung, es bestehe nur eine erschwerte Zugänglichkeit zu den Materialien,92 stützen sich die Gegner der genetischen Auslegung von Unionsrecht auf ein ausschließlich praktisch motiviertes Argument. Selbst wenn sich diese Behauptung in der Praxis teilweise bestätigt haben mag, lässt sich mit ihr allein noch keine geringe oder fehlende Bedeutung des historischen Willens des Gesetzgebers in der Auslegung rechtfertigen.93 Zudem verliert dieses Argument dadurch an Bedeutung, dass in der Europäischen Union in Art. 15 AEUV94 der Grundsatz der Öffentlichkeit verankert ist, sekundärrechtlich präzisiert durch die VO (EG) Nr. 1049/200195 („Dokumenten-Zugangs-VO“), die umfassend 91
Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung von Justiz und Hochschule, I-5, I-23; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV, Artikel 220 EG Rn. 57; Zuleeg, EuR 1969, 97, 102; eine Zusammenfassung ist von Leisner aufgestellt worden: EuR 2007, 689, 690; dagegen für die Verwendbarkeit: Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313, 322; Anweiler, Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 263; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 151; Reiher, Vertragsbegriff im europäischen Internationalen Privatrecht, S. 32; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 174 f. (S. 146); Leisner, EuR 2007, 689, 702. 92 Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV, Artikel 220 EG Rn. 57; Zuleeg, EuR 1969, 97, 101 f. 93 Leisner, EuR 2007, 689, 696. 94 Ex-Artikel 255 EGV. 95 Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, veröffentlicht in ABl. (EU) Nr. L 145 vom 31.5.2011, S. 43 ff.
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ein Recht auf Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission gewähren will.96 Die Fülle an Dokumenten, die zur Rom I-VO selbst unproblematisch einsichtig sind, belegt die Einhaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch die gesetzgebenden Organe im Falle des hier in Frage stehenden Rechtsaktes. Zudem ist generell beobachtet worden, dass der Umfang und die Qualität von Vorarbeiten generell zugenommen haben,97 so dass praktische Schwierigkeiten nicht mehr überzeugend als Argument gegen die grundsätzliche Eignung von Vorarbeiten für die Auslegung herhalten können. Will man aus dem praktischen Umgang der gesetzgebenden Organe mit Veröffentlichungen auf die Verwertbarkeit von Materialien zur Entstehungsgeschichte schließen, ließe sich vielmehr umgekehrt argumentieren, dass gerade dessen Veröffentlichung die Bedeutung eines Dokuments indiziert. So wird ein gesetzgebendes Organ die Auswahl der Materialien, die es der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt, in aller Regel mit dem Wissen treffen, dass ein unbefangener Leser daraus seine Rückschlüsse auf den endgültigen Rechtsakt ziehen wird.98 (2) Besondere Charakteristika des Unionsrechts (a) Unionsrecht als dynamisches Recht Das Unionsrecht ist wegen der fortschreitenden Integration des Binnenmarktes kein statisches, sondern ein dynamisches Recht. Ständig in der Fortentwicklung begriffen, soll es sich nach einer Ansicht in der Literatur der genetischen Auslegung sperren und lediglich einer objektivteleologische Auslegung, welche die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers außer Acht lässt, zugänglich sein:99 „Der besondere Charakter der Gemeinschaft, die ... als eine zukunftsorientierte, auf die Veränderung wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse und auf fortschreitende Integration angelegte Gemeinschaft sui generis zu verstehen ist, verbietet eine statische und fordert eine dynamische, evolutive Ausle96
Reiher, Vertragsbegriff im europäischen Internationalen Privatrecht, S. 32. Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 155. 98 Vgl. Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 315, 331 f. 99 Schulte-Nölke, in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, S. 143, 158; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5, Rn. 380; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV, Artikel 220 EG Rn. 57; zum Spannungsfeld zwischen historischer und dynamischer Auslegung: Leisner, EuR 2007, 689, 694. 97
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gung“.100 An diesem Argument ist richtig, dass es die intendierte fortschreitende Integration innerhalb der EU erforderlich werden lässt Unionsrechtsakte im Lichte jüngerer legislativer und ökonomischer Entwicklungen auszulegen.101 Die Diskrepanz zwischen dem Ansatz, eine Regelung unter Wahrung der Kontinuität und damit unter Berücksichtigung des ursprünglichen Gesetzgeberwillens zu interpretieren, und dem Ansatz der dynamischen Auslegung zeigt sich deutlich bei Gemeinschaftsrechtsakten, die bereits vor mehreren Jahrzehnten erschaffen und verabschiedet worden sind.102 Liegt die Verabschiedung des Rechtsaktes entscheidende Entwicklungsschritte zurück, hat daher die genetische Auslegung hinter dem Bedürfnis dynamischer Auslegung zurückzutreten.103 (b) Politische Dimension des Unionsrechts Die Berücksichtigung der Materialien wird ferner mit dem Argument abgelehnt, dass der Text von Unionsrechtsakten regelmäßig Ergebnis eines politischen Aushandelns zwischen den Mitgliedstaaten und den europäischen Institutionen sei und eine inhaltliche Entwicklung durchlaufe, die keine unmittelbaren Rückschlüsse auf einen einheitlichen Willen des Gesetzgebers erlaube.104 Zuweilen resultiere aus diesen Verhandlungen nur eine „formale“ Einigung, die sich auf keine geteilten Erwägungen der Verhandlungsparteien stütze.105 Dieses Argument rekurriert auf das Rechtssetzungsverfahren als ein eine Vielzahl von Akteuren involvierendes System, welches es dem Rechtsanwender erschwere, ein einheitliches Verständnis dieser Akteure in ihrem Zusammenschluss als „Gesetzgeber“ von der Bedeutung einer Regelung ausfindig zu machen.106 Ihm liegt die durchaus richtige Erwägung zugrunde, dass eine im Normtext enthaltene mehrdeutige Formulierung schlicht auch daraus resultieren kann, dass sich die am Gesetzgebungsverfahren
100
So wortwörtlich: Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung von Justiz und Hochschule, I-5, I-41. 101 Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 154. 102 Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 154. 103 In dieser Hinsicht ist Zuleeg zuzustimmen: Zuleeg, EuR 1996, 97, 102. 104 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5, Rn. 379; dazu – in Bezug auf die Gründungsverträge – ferner Zuleeg, EuRS 1969, 97, 101. 105 Hartley, The Foundations of European Union Law, S. 72. 106 Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 153.
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beteiligten Parteien nicht einig geworden sind mit der Folge, dass der Wortlaut einer Norm bewusst offengelassen wurde.107 (c) Bedeutung für die genetische Auslegung Von beiden Argumenten vermag lediglich das auf die Dynamik des Unionsrechts rekurrierende Argument dem Erkenntnisgewinn durch den Rückgriff auf die vorbereitenden Materialien überzeugend Grenzen zu setzen. Eine Einschränkung aufgrund der politischen Dimension des Unionsrechts hingegen würde außer Acht lassen, dass ein Gesetzgebungsverfahren unter Einschluss mehrerer Beteiligter naturgemäß Kompromisse hervorbringen wird, ohne dass sie tatsächlich von einem einheitlichen Willen im Wortsinne getragen sind. Darauf alleine lässt sich ein Ausschluss der genetischen Auslegung im Unionsrecht daher nicht stützen. Unter Berücksichtigung der Dynamik des Unionsrechts gilt es grundsätzlich, die vorhandenen Entstehungsmaterialien auf ihre Verwertbarkeit hin zu überprüfen.108 Infolge neuerer rechtlicher und tatsächlicher Entwicklungen kann der ursprüngliche Wille des Gesetzgebers zwar tatsächlich vollständig in den Hintergrund treten. Die Eigenart des Unionsrechts als dynamisches Recht steht dem Rekurs auf den genetisch ermittelten Willen des Gesetzgebers jedoch nicht in allen Fällen entgegen. Im Mittelpunkt der dynamischen Auslegung stehen insbesondere Unionsrechtsakte, welche die europäischen Grundfreiheiten regeln.109 Zudem entfällt ein Erfordernis dynamischer Auslegung naturgemäß in solchen Fällen, in denen es sich um einen relativ jungen Unionsrechtsakt handelt, bei dem noch keine Diskrepanz zwischen dem Willen des historischen Gesetzgebers und der unionsrechtlichen Rechtstatsächlichkeit entstehen konnte. Praktisch erweist sich ein Rekurs auf Materialien, welche die Entstehungsgeschichte abbilden, zudem insbesondere dann als hilfreich, wenn der Normtext aus sich heraus nur wenig verständlich ist.110 Eine Untersuchung der Vorarbeiten kann einen vertieften Einblick in den Zweck des Gesetzes gewähren111 und zur Lösung der aus der 107
Siehe die Überlegung von Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge vom 24.6. 2001, Rs. C-6/98, „ARD“, Rz. 34; vgl. auch Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 153. 108 Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 154. 109 Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 153. 110 Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 152; Dumon, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung von Justiz und Hochschule, III-7, III-98. 111 Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 152.
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Sprachenvielfalt resultierenden Unsicherheiten beitragen.112 Letztendlich spricht sich auch der EuGH selbst nicht ausdrücklich gegen die Beachtlichkeit des historischen Willens des Gesetzgebers aus113 oder hielte sich mit der Verwendung von Vorarbeiten zurück.114 Im Gegenteil lassen sich insbesondere in der jüngeren Rechtsprechung Äußerungen finden, die eine Berücksichtigung ursprünglicher Intentionen des Gesetzgebers grundsätzlich nahelegen.115 Im Ergebnis folgt daraus, dass auch ursprüngliche Erwägungen und Intentionen, wie sie sich aus den Entstehungsmaterialien ablesen lassen, in die Interpretation des Gesetzestextes einfließen können.116 (3) Zwischenergebnis zur historisch-genetischen Auslegung Unter Würdigung der aufgezeigten Besonderheiten der historischen Auslegung im Unionsrecht sind folgende Grenzen zu beachten: Aus den Entstehungsmaterialien gewonnene Erkenntnisse dürfen grundsätzlich nur insoweit in das Auslegungsergebnis einfließen, als sie zur Klärung von Unklarheiten oder zur Bestätigung eines Ergebnisses dienen, zu dem die Auslegung bereits auf anderem Wege geführt hat.117 Darüber hinaus muss der Rekurs auf Vorarbeiten ganz ausgeschlossen sein, wenn es sich um unveröffentlichte Materialien handelt, die nicht jedermann zugänglich sind.118
112
Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 153. Leisner, EuR 2007, 689, 696. 114 So belegt durch Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 156 f. 115 EuGH, Urteil vom 29.3.2012, Rs. C-504/09, „Europäische Kommission gegen Republik Polen“, Rz. 80, Slg. 2012, I-0000; Urteil vom 16.6.2011, Rs. C-65/09 und C-87/09, „Gebr. Weber“, Rz. 46, Slg. 2011, I-0000, NJW 2011, 2269; Urteil vom 7.10.2010, Rs. C-162/09, „Lassal“, Rz. 55, Slg. 2010, I-09217, NVwZ 2011, 32; die Einordnung als lediglich „Hilfsbegründungen“, die Frenz vornimmt, bestätigt dieses Ergebnis, obwohl er behauptet, sie hätten nur untergeordnete Bedeutung: Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5, Rn. 386. 116 Leisner, EuR 2007, 689, 702; Plender/Wilderspin, European Private International Law of Obligations, Rn. 1–091 f. (S. 35 f.). 117 Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 154. 118 Schønberg/Frick, European Law Review, 2003, 149, 153; Leisner, EuR 2007, 689, 607; Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 315, 332. 113
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Kapitel 1: Methodik
cc) Unterscheidung nach den einzelnen Beteiligten beim Gesetzgebungsverfahren Die vom Rat veröffentlichen Materialien geben die Genese der neuen Ausnahmevorschriften als eine Entwicklung wieder, die insbesondere durch die Stellungnahmen und Vorschläge einzelner Delegationen von Mitgliedstaaten und der Kommission geprägt ist. Richtigerweise dürfen Dokumente zur Entstehungsgeschichte eines Unionsrechtsaktes nicht unkritisch in die Auslegung mit einbezogen werden, sondern sind grundsätzlich einer Prüfung dahingehend zu unterziehen, ob und inwieweit sie den Willen des Gesetzgebers repräsentieren. Als Wille des Gesetzgebers werden „die zutage liegende Grundabsicht des Gesetzgebers und diejenigen Vorstellungen“ beschrieben, „die in den Beratungen der gesetzlichen Körperschaft oder ihrer zuständigen Ausschüsse zum Ausdruck gebracht und ohne Widerspruch geblieben sind“.119 Nicht jede eingebrachte Stellungnahme repräsentiert den Gesetzgeber, da dieser sich nur aus den Organen zusammensetzt, „deren Zustimmung den Rechtsakt im konkreten Fall trägt“.120 Im Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EGV (nunmehr Art. 294 AEUV), das die Rom I-VO durchlaufen hat, ist dem Europäischen Parlament ein Vetorecht eingeräumt, so dass neben dem Rat grundsätzlich auch das Parlament eine gesetzgebende Funktion einnimmt, welche die Verwertung seiner Äußerungen rechtfertigt.121 Stellungnahmen der Kommissionsdienststellen sowie einzelner Mitgliedstaaten lassen sich hingegen nicht dem Willen des Gesetzgebers zurechnen. Daraus ein Verwendungsgebot zu Lasten solcher Dokumente abzuleiten, griffe jedoch zu kurz. Die Entstehung eines Normtextes unterliegt einem dynamischen Prozess, der neben den eigentlichen Gesetzgebungsorganen in aller Regel weitere Beteiligte einschließt, die ihre Vorstellungen in das Verfahren einbringen. Im Fall der Rom I-VO erfolgten die Stellungnahmen der Delegationen der Mitgliedstaaten auf ausdrückliche Anforderung des Rates hin und wurde den Kommissionsdienststellen eine maßgebliche Rolle bei der Ausarbeitung der neuen Regelungen eingeräumt. Die Regelungen gewinnen erst infolge der jeweils vorgetragenen Erwägungen an Gestalt. Eine strikte Trennung zwischen den eigentlichen gesetzgebenden Organen und den übrigen Beteiligten kann im Hinblick auf das letztendliche Textergebnis daher faktisch nicht gezogen werden. Sofern der Rat Vorschläge der Dele119 120
Larenz, Methodenlehre in der Rechtswissenschaft, S. 329. Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 315,
330.
121
Franzen, Privatrechtsangleichung durch die europäische Gemeinschaft, S. 451.
A. Die Auslegung der neuen Regelungen mit Kapitalmarktbezug
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gationen der Mitgliedstaaten und der Kommission erkennbar umsetzt, dürfen sie herangezogen werden.122 Sofern Vorschläge hingegen nicht übernommen worden sind, kann dies einem e contrario-Argument zugänglich sein.123 Ob und im welchem Umfang die gesammelten Materialien in die Auslegung einfließen können, ist dabei im Einzelfall einer Prüfung zu unterziehen, welche die oben aufgezeigten Grenzen zu würdigen hat.124 d) Rechtsvergleichende Auslegung Ob sich der EuGH bei der Auslegung eines Begriffs der Rom I-VO dessen Bedeutung und Anwendung in den Mitgliedstaaten in rechtsvergleichender Betrachtung zu Nutze machen darf, wird nur vereinzelt ausdrücklich bejaht.125 Die Auslegung eines Begriffs mit Hilfe eines Vergleichs von dessen jeweiliger Verwendung in den einzelnen Mitgliedstaaten ist nicht mit der Qualifikation lege fori zu verwechseln, welche die Auslegung der Rechtsordnung im Staate des angerufenen Gerichts bezeichnet, sondern dient dem Gewinn eines autonomen Verständnisses.126 Unter dem EVÜ galt die Rechtsvergleichung als fester Bestandteil der anzuwendenden Auslegungsmethodik.127 Sie hat im europäischen Privatrecht deswegen besondere Bedeutung, weil dieses Rechtsgebiet, anders als das nationale Recht, bislang nur pointiert und nicht systematisiert geregelt ist.128 Daher wird die Rechtsvergleichung grundsätzlich als ein Hilfsmittel bei der Auslegung privatrechtlicher Richtlinien und Verordnungen bewertet,129 das „jedoch auf die jeweils verwendete Auslegungsmethode abzustimmen“ sei.130 Der Erkenntnisgewinn wird jedoch im Hinblick auf die neuen Ausnahmetatbestände gering ausfallen, da in die rechtsvergleichende Betrachtung vorrangig die Kollisionsregelungen der Mitgliedstaaten einzubeziehen sind, die solche Ausnahme122 Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 313, 330 f. mit weiteren Nachweisen in Fn. 89; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die europäische Gemeinschaft, S. 452. 123 Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 315, 331. 124 Im Ergebnis so auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 39. 125 Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 1 Rn. 14; Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 66. 126 Vgl. Heiderhoff, Europ. Privatrecht, S. 48. 127 Junker, RabelsZ 55 (1991) 674, 679. 128 Schwartze, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 112, 124. 129 Schwartze, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 112, 125. 130 Schwartze, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 112, 125.
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Kapitel 1: Methodik
regelungen aber nicht kennen. Zudem stammen die in den Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO und Art. 6 Abs. 4 lit. e i.V.m. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom IVO verwendeten Termini überwiegend aus dem Unionsrecht. Abgesehen davon liegt der Schwerpunkt der rechtsvergleichenden Auslegung bei der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze.131 Davon zu differenzieren ist die Frage, welche Verbindlichkeit die Auslegung einer Kollisionsregel der Rom I-VO durch ein nationales Gericht für die Gerichte anderer Mitgliedstaaten hat. Um dem Grundsatz des äußeren Entscheidungseinklangs umfassende Geltung zu verschaffen, haben die mitgliedstaatlichen Gerichte nach zutreffender Ansicht von von Hein die Rechtsprechung und Literatur anderer Mitgliedstaaten zur Rom I-VO zu berücksichtigen, sofern sie auf diese Zugriff haben.132 Verbindlich ist jedoch lediglich die Rechtsprechung des EuGH. 3. Zusammenfassung und Ergebnis zur anzuwendenden Auslegungsmethodik Angewandt auf die neuen kapitalmarktrelevanten Regelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO stellt die Auslegungsmethode des EuGH den ihnen zugrunde liegenden Zweck in den Vordergrund. Um diesen Zweck zu ermitteln, müssen zum einen die ihnen zugedachten Erwägungsgründe ausgewertet werden. Auch wenn die Bedeutung der Erwägungsgründe nicht überbewertet werden darf, so ist hier doch beachtlich, in welcher Zahl sie zu den neuen Regelungen mit Kapitalmarktbezug aufgestellt wurden. Dies lässt die Annahme zu, dass der Gesetzgeber von einem nicht unerheblichen Erklärungsbedürfnis hinsichtlich der neuen Regelungen ausging und diesem mit den Erwägungsgründen nachkommen wollte. Daher erscheint es angemessen, ihnen bei der Auslegung eine erhebliche Rolle zukommen zu lassen. Für die Ermittlung der Ratio ist zum anderen die Genese der neuen Regelungen von Interesse. Trotz ihrer aus den vorstehend erläuterten Gründen grundsätzlich nur gering zu bemessenden Bedeutung stellen die Vorarbeiten für das Verständnis der Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO ein bedeutsames Hilfsmittel dar. Weiter ist bei der systematischen Auslegung der Zusammenhang mit Unionsrechtsakten auf dem Gebiet des materiellen Kapitalmarktrechts zu beachten, sofern dies mit dem Zweck der Rom I-VO generell und den
131 132
Heiderhoff, Europ. Privatrecht, S. 47 f. Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Einl Rn. 66.
B. Überblick über die Genese der neuen Ausnahmetatbestände
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Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO im Speziellen vereinbar ist.
B. Überblick über die Genese der neuen Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO B. Überblick über die Genese der neuen Ausnahmetatbestände
Lassen sich die veröffentlichen Dokumente zur Genese von Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO sowie von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO grundsätzlich für die Auslegung dieser Regelungen nutzbar machen, so erleichtert es das Verständnis der später im Einzelnen vorzunehmenden Auslegungsschritte, wenn vorab überblicksartig auf Grundlage der Vorarbeiten nachgezeichnet wird, welche Entwicklung diese Regelungen während des Gesetzgebungsverfahrens durchlaufen haben.133 Die letztendlich als Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO in den Regelungstext neu aufgenommenen Regelungen waren nicht Teil des ursprünglichen Entwurfs zur Rom IVO134, den die Kommission mit Datum vom 15. Dezember 2005 aufstellte. Erst während der seit Mai 2006 geführten Verhandlungen im Vermittlungsausschuss kam die Forderung nach einer finanzmarktrelevanten Ausnahme von der allgemeinen Regel für Verbraucherverträge auf. Die Umsetzung dieser Forderung im Verordnungstext nahm im weiteren Verlauf der Verhandlungen schnell Gestalt an, auch wenn die Notwendigkeit solcher Ausnahmen in den folgenden Verordnungsentwürfen noch ausdrücklich bezweifelt wurde.135 Initiatorin dieser neuen Regelungen, insbesondere der letztlich in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO aufgegangenen Ausnahmetatbestände, und maßgeblich an ihrer Fortentwicklung beteiligt war die britische Delegation. Anhand der Vermerke, 133 Die Materialien liegen größtenteils lediglich in englischer Sprache vor. Sofern einzelne Dokumente auch in deutscher Sprache vorhanden sind, werden sie in dieser Version herangezogen. 134 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg. (2005/0261 (COD)). 135 Siehe bspw. Fn. 3 zur vorgeschlagenen Ausnahmeregelung des Inhalts “a contract concluded at a financial market or a contract of subscription of a new issue of shares, bonds or other securities” im Entwurf vom 12.12.2006, Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 16353/06, LIMITE, JUSTCIV 276, CODEC 1485, S. 9: “Further consideration is needed whether this paragraph is necessary, having in mind that particularly international contracts related to securities seem to be only rarely concluded by consumers”.
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Kapitel 1: Methodik
die von der britischen Delegation verfasst und in Umlauf gebracht wurden, lassen sich die hinter der Aufnahme dieser Regelungen liegenden Absichten und die Genese der Regelungen nachzeichnen. Der folgende Teil enthält eine schwerpunktmäßig auf diesen Dokumenten beruhende Darstellung, die der Übersichtlichkeit wegen getrennt nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO und Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO erfolgt. Da eine solche Darstellung auch schon von anderer Seite geleistet worden ist136 und ein Vorgriff auf die Untersuchung der Regelungen vermieden werden soll, wird die Genese der Ausnahmeregelungen an dieser Stelle nur in ihren Grundzügen wiedergegeben. Die Genese erleichtert jedoch wesentlich das Verständnis der zu untersuchenden Regelungen, so dass auf ihre Darstellung nicht vollständig verzichtet werden kann. I. Genese von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO Der erste Vermerk der britischen Delegation datiert vom 22. September 2006.137 Er hat die in Artikel 5 des VO-Entwurfs vorgesehene Regel für Verbraucherverträge zum Gegenstand, welche wie folgt umformuliert wurde: „(1) Für Verbraucherverträge im Sinne und nach Maßgabe von Absatz 2 gilt das Recht des Mitgliedstaats, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. (2) Absatz 1 gilt für Verträge, die eine natürliche Person, der Verbraucher, ... mit einer anderen Person, dem Unternehmer, ... geschlossen hat ....“ Zu einer Stellungnahme aufgerufen, trug die britische Delegation in ihrem Vermerk hierzu vor, dass infolge der vorgeschlagenen Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs der Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge auf grundsätzlich alle Vertragstypen (statt der bisherigen Beschränkung auf Warenkäufe und Dienstleistungen) nunmehr auch Finanzinstrumente wie beispielsweise bonds (bzw. Schuldverschreibungen nach deutschem Recht) in ihren Anwendungsbereich fielen.138 Die Rechtsfolge, dass sich das auf einen bond anwendbare Recht unabhängig von einer abwei136
Siehe insbesondere Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 222 ff. und S. 313 ff. 137 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 13035/06 ADD 4, LIMITE, JUSTCIV 196 CODEC 948, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 22 September 2006. 138 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 13035/06 ADD 4, LIMITE, JUSTCIV 196 CODEC 948, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 22 September 2006, S. 5.
B. Überblick über die Genese der neuen Ausnahmetatbestände
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chenden Rechtswahl grundsätzlich stets nach dem Ort des gewöhnlichen Aufenthalt des jeweiligen Verbrauchers bestimmen sollte, bewertete die britische Delegation, die eine Emission vollständig dem Recht des emittierenden Unternehmens unterstellen wollte, nicht lediglich als unangemessen, sondern sogar als „perverse outcome“139, frei übersetzt ein unhaltbares Ergebnis. Mit Blick auf diese Rechtunsicherheit befürchtete die britische Delegation erhöhte Transaktionskosten und einen Rückgang internationaler Emissionen. Art. 5 VO-Entwurf war aus ihrer Sicht aus diesem Grund unvereinbar mit den von der Kommission getragenen Initiativen zur Förderung europäischer Kapitalmärkte. Die Formulierung ihres entscheidenden Vorschlags lautete wie folgt: “We therefore propose that bonds and related instruments should be taken out of Article 5”.140 Im nächsten Entwurf vom 12. Oktober 2006,141 den der Ratsvorsitz unter Berücksichtigung der eingegangenen Stellungnahmen erstellte, wurde Art. 5 VO-Entwurf dem britischen Vorschlag entsprechend um einen neuen Ausnahmetatbestand ergänzt. Nach Art. 5 Abs. 3 lit. d VOEntwurf ausgenommen waren danach auch „Verträge über Finanzinstrumente im Sinne der Richtlinie 2004/39/EG“.142 Genau zwei Monate später erging ein weiterer Entwurf143, wonach auf einem Finanzmarkt geschlossene Verträge oder Verträge zur Zeichnung von neu ausgegebenen Aktien, Schuldverschreibungen und anderen Wertpapieren ausgenommen waren.144 Aus heutiger Sicht zeigen sich in beiden Entwürfen 139
Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 13035/06 ADD 4, LIMITE, JUSTCIV 196 CODEC 948, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 22 September 2006, S. 5. 140 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 13035/06 ADD 4, LIMITE, JUSTCIV 196 CODEC 948, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 22 September 2006, S. 5. 141 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 13853/06, LIMITE, JUSTCIV 224, CODEC 1085, Note from Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 12 October 2006, S. 8. 142 Originalwortlaut: “a contract relating to financial instruments within the meaning of Directive 2004/39/EC”. 143 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 16353/06, LIMITE, JUSTCIV 276 CODEC 1485, Note from Finnish Presidency and incoming German Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 12 December 2006, S. 9. 144 Originalwortlaut: “a contract concluded at a financial market or a contract of subscription of a new issue of shares, bonds or other securities”.
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Kapitel 1: Methodik
bereits erste Vorläufer der schließlich insgesamt drei Ausnahmetatbestände in den jetzigen Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO. Aus damaliger Sicht hingegen scheint zunächst nur ein Ausnahmetatbestand angedacht gewesen zu sein, so dass der zweite Entwurf als Alternativvorschlag gegenüber der ersten Fassung des Ausnahmetatbestands verstanden wurde. So zumindest scheint es die britische Delegation aufgefasst zu haben, ordnet man ihren zweiten Vermerk, datiert vom 31. Januar 2007,145 sinnvoll ein, in welchem sie ihre bereits vorgetragene Kritik zu Art. 5 VO-Entwurf teilweise wiederholte, teilweise um neue Erwägungen ergänzte. Zunächst ging sie auf die Frage ein, ob sich die vorgesehenen Kollisionsregeln auch dazu eigneten, das auf Finanzinstrumente anwendbare Recht zu bestimmen, und überprüfte dies anhand der Ausnahmetatbestände in Art. 1 Abs. 2 VO-Entwurf, die bestimmte Materien vollständig vom Anwendungsbereich der Verordnung ausnahmen. Hierzu führte sie aus, dass die Durchführung einer Emission gewöhnlich vom Gesellschaftsrecht des emittierenden Unternehmens geregelt werde. Wie dieses Recht aufzufinden ist, sei indes nach Art. 1 Abs. 2 lit. x146 VO-Entwurf nicht der Rom I-VO zugewiesen. Einen vollständigen Ausschluss von Finanzinstrumenten unter der Verordnung, wie er unter Art. 1 Abs. 2 VO-Entwurf auch nicht vorgenommen werden sollte, halte sie jedoch grundsätzlich nicht für notwendig, da die in Art. 3 VO-Entwurf eingeräumte Rechtswahlmöglichkeit sich zur kollisionsrechtlichen Behandlung von Finanzinstrumenten eigne.147 Darauf aufbauend schien sie argumentieren zu wollen, dass die Verordnung diese Qualität verliere, wenn die Rechtswahlfreiheit für Verbraucherverträge – wie im Entwurf vorgesehen – aufgehoben würde.148 Die britische Delegation sah zur Lösung dieses Problems nur zwei Lösungsansätze: Entweder sei der sachliche Anwendungsbereich von Art. 5 VO-Entwurf, zumindest im praktischen Ergebnis, wieder auf seinen ursprünglichen Umfang einzuschränken oder es müssten entsprechende Ausnahmen für 145
Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 5857/07 LIMITE, JUSTCIV 16 CODEC 81, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 31 January 2007. 146 Mit x gekennzeichnet wurden die Regelungen, weil die genaue Nummerierung der Ausnahmeregelungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststand. 147 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 5857/07 LIMITE, JUSTCIV 16 CODEC 81, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 31 January 2007, S. 2. 148 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 5857/07 LIMITE, JUSTCIV 16 CODEC 81, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 31 January 2007, S. 2.
B. Überblick über die Genese der neuen Ausnahmetatbestände
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Finanzinstrumente vorgesehen werden.149 Obwohl sie die bisherigen Ansätze, eine entsprechende Ausnahme einzuführen, grundsätzlich begrüßte, sah die britische Delegation noch Entwicklungsbedarf. Aus ihrer Sicht ließ sich der anvisierte Ausnahmetatbestand nur dadurch ausreichend präzise fassen, dass auf den Begriff des Finanzinstruments aus der MiFID zurückgegriffen würde. Alle diese Instrumente sollten unter die Ausnahme fallen. Damit seien solche Instrumente erfasst, welche liquiditätserhöhend und kostensenkend auf dem Kapitalmarkt eingesetzt würden und sich auch aus Verbrauchersicht dazu eigneten, das eigene Portfolio zu diversifizieren.150 Die britische Delegation trug auf dieser Grundlage einen Vorschlag für die Ausnahme vor, den sie auf übertragbare Wertpapiere, Anteile in Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren und andere Finanzinstrumente im Sinne von RL 2004/ 39/EG151 begrenzte.152 Dieser Vorschlag ordnet sich auch als ein Versuch ein, den Kritikern einer solchen finanzmarktrelevanten Ausnahme entgegenzukommen. So sollte diese Version gleichzeitig gewährleisten, dass die große Mehrheit an Finanzverträgen mit Verbrauchern von ihr unberührt bliebe.153 Im weiteren Verlauf der Verhandlungen fassten die Kommissionsdienststellen in ihrem Vermerk vom 15. März 2007 unter Art. 5 Abs. 4 lit. d VO-Entwurf die unterschiedlichen finanzmarktrelevanten Ausnahmetatbestände wie folgt zusammen: (i) „Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 17 der RL 2004/39/EG; (ii) Verträge zur Zeichnung oder zum Kauf von neu ausgegebenen übertragbaren Wertpapieren im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 18 der RL 2004/39/EG oder von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren; (iii) Verträge, 149
Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 5857/07 LIMITE, JUSTCIV 16 CODEC 81, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 31 January 2007, S. 3. 150 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 5857/07 LIMITE, JUSTCIV 16 CODEC 81, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 31 January 2007, S. 3. 151 Originalwortlaut: “transferable securities, units in collective investment undertakings and other financial instruments in the meaning of Directive 2004/39/EC”. 152 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 5857/07 LIMITE, JUSTCIV 16 CODEC 81, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 31 January 2007, S. 5. 153 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 5857/07 LIMITE, JUSTCIV 16 CODEC 81, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 31 January 2007, S. 4.
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Kapitel 1: Methodik
die innerhalb der Art von Systemen geschlossen werden, auf die Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe j1 dieser Verordnung Anwendung findet“.154 Diese Dreiteilung wurde Grundlage der weiteren Verhandlungen über den sachlichen Gehalt der finanzmarktrelevanten Ausnahmen, in die sich abermals die britische Delegation mit der Erstellung eines dritten Vermerks einbrachte. Das sich im zweiten Vermerk noch angedeutete Bemühen um eine differenzierte Ausklammerung von vertraglichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten wich in diesem dritten Vermerk der britischen Delegation vom 24. April 2007155 wieder der Forderung nach einer umfassenden Bereichsausnahme. Zum einen wandte sich die britische Delegation nun den an den Finanzmärkten verwendeten Zahlungs- und Abwicklungssystemen zu. Zu deren Schutz sollte ein spezieller finanzmarktrelevanter Ausnahmetatbestand zusätzlich eingeführt werden, dessen Gegenstand Verträge sein sollten, die, sinngemäß übersetzt, im Rahmen eines solchen Systems nach Art. 2 lit. a RL 98/26/EG („Finalitätsrichtlinie“)156 abgeschlossen werden. Zum anderen sollte der Anwendungsbereich der Ausnahme so gefasst werden, dass er mit den Regelungen der MiFID kohärent wäre.157 Zu diesem Zweck schlug die britische Delegation, frei übersetzt, eine Ergänzung der Ausnahme für multilaterale Systeme um alle anderen Verträge im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 der Richtlinie 2004/39/EG sowie Investmentleistungen und Dienstleistungen und Nebendienstleistungen nach dieser Richtlinie vor. Der umfassende, hohe und standardisierte Anlegerschutz, den die MiFID in den Mitgliedstaaten eingeführt habe, sollte die Anlehnung an den Regelungsbereich der MiFID rechtfertigen. Die Anknüpfung an das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers lasse sich 154
Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 4. 155 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106, CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007. 156 Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierlieferund -abrechnungssystemen, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 166 vom 11.6.1998, S. 45 ff. 157 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106, CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 8: “(d1) contracts that form part of a formal arrangement that is a system for the purposes of Article 2(a) of Directive 98/26/EC”.
B. Überblick über die Genese der neuen Ausnahmetatbestände
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nicht mit dem Herkunftslandprinzip vereinbaren, das in der MiFID umgesetzt sei.158 Lediglich dem ersten Vorschlag wurde mit der Erstellung von Erwägungsgrund 31 Rechnung getragen. Keine Anhänger fand hingegen der zweite Vorschlag, so dass sich die anvisierte weite Ausklammerung von Finanzverträgen, die zugleich Regelungsgegenstand der MiFID sind, nicht durchsetzen konnte. II. Genese von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO Die Genese der letztlich in Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO aufgegangenen Ausnahmeregelung korrespondiert mit den Entwicklungsschritten, welche die objektive Anknüpfungsregel in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens durchlief. Um die Entwicklung von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO nachvollziehen zu können, ist es daher unerlässlich, zunächst die Genese von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO darzustellen. 1. Genese von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO Die beiden Initiatoren des Regelungsvorschlags, aus dem letztendlich Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO hervorgegangen ist, die österreichische159 und die spanische160 Delegation, traten ursprünglich für eine Anknüpfungsregel für marktmäßig organisierte Systeme ein, die unabhängig von der Art des Handelsobjekts anwendbar sein sollte. Stattdessen sollte es lediglich auf das Vorliegen eines organisierten Handelsplatzes ankommen.161 Anhand des österreichischen Regelungsentwurfs, der in den 158
Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106, CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 5. 159 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 13035/06 ADD 5, LIMITE, JUSTCIV 196, CODEC 948, Note from Austrian delegation to Committee on Civil Law Matters, dated 22 September 2006, S. 3. 160 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 13035/06 ADD 18, LIMITE, JUSTCIV 196 CODEC 948, Note from Spanish delegation to Committee on Civil Law Matters, dated October 17 2006, S. 3. 161 Die Ausnahmeregel nach dem Vorschlag der spanischen Delegation lautete: “(i) contracts concluded at exchanges, fairs, auctions or any other organized market subject to common minimum organisational or operating rules shall be governed by the law of the country in which the market in question is located”. Die österreichische Version sah wie folgt aus: “Stock exchange transactions, contracts concluded in markets or fairs and sales by auction shall be governed by the law of the country in
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Kapitel 1: Methodik
nachfolgenden Verordnungsentwurf vom 12. Oktober 2006162 übernommen wurde, wird jedoch deutlich, dass insbesondere Kapitalmarkttransaktionen im Blickfeld standen, als diese Anknüpfungsregel konzipiert wurde. Börseninnengeschäfte werden in der Regelung an erster Stelle genannt.163 An dieser Version wurde nicht festgehalten. In den beiden nachfolgenden Verordnungsentwürfen vom 12. Dezember 2006164 und 2. März 2007165 wurden die Börseninnengeschäfte als Anknüpfungsgegenstand durch die Verträge, die an einem Finanzmarkt geschlossen werden, ersetzt. Entsprechend war nicht mehr an das Recht am Börsensitz anzuknüpfen, sondern an das Recht des Finanzmarktes.166 Zugleich wurde die Anknüpfung der Finanzmarktgeschäfte als eigenständige Anknüpfungsregel konzipiert, zuerst durch die Kürzung der Regelung um die auf Messen geschlossenen Verträge im Entwurf vom 12. Dezember 2006, dann durch die formelle Trennung zwischen Versteigerungs- und Finanzmarktverträgen in Art. 4 Abs. 1 lit. j und lit. j1 im VO-Entwurf vom 2. März 2007. Die Sonderanknüpfungsregel lautete schließlich wie folgt: “A contract concluded at a financial market ... shall be governed by the law applicable to the financial market.”167 Die weitere Genese dieser Anknüpfungsregel war durch die Diskussion um die Eignung des Begriffs „Finanzmarkt“ als Anknüpfungsgegenstand
which the stock exchange or the market is located or the fair is held or the auction takes place”. 162 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 13853/06, LIMITE, JUSTCIV 224 CODEC 1085, Note from Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 12 October 2006, S. 6. 163 „Börseninnengeschäfte, auf Messen geschlossene Verträge und Versteigerungen unterliegen dem Recht des Landes, in dem die Börse ihren Sitz hat, die Messe abgehalten wird oder die Auktion stattfindet.“ (Übersetzung der Verfasserin). 164 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 16353/06 LIMITEJUSTCIV 276 CODEC 1485, Note from Finnish Presidency to and incoming German Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 12 December 2006, S. 6. 165 Council of the European Union, Interinstitutional File 2006/0261 (COD), 6935/07, LIMITE, JUSTCIV 44, CODEC 168, Note from Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 2 March 2007, S. 9. 166 “A contract concluded at a financial market ... and a contract of sale by auction shall be governed by the law applicable to the financial market ... or the law of the country where the auction takes place”. 167 Übersetzung der Verfasserin: „ein Vertrag, der am Finanzmarkt geschlossen wird ..., unterliegt dem Recht des Finanzmarktes ... oder dem Recht des Ortes, an dem die Auktion stattfindet“.
B. Überblick über die Genese der neuen Ausnahmetatbestände
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einer Kollisionsregel geprägt.168 Sie fand ihren Abschluss in dem von den Kommissionsdienststellen in ihrem maßgeblichen Vermerk vom 15. März 2007169 vorgelegten Entwurf, der multilaterale Systeme in den Mittelpunkt stellte. Wodurch diese Systeme nach Art. 4 Abs. 1 lit. j1 charakterisiert werden sollten, entsprach bereits zu diesem Zeitpunkt den Vorgaben der endgültig verabschiedeten Textversion: Sie sind multilateral und führen die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 17 der MiFID nach nichtdiskretionären Regeln und nach Maßgabe eines einzigen Rechts zusammen, oder aber sie fördern das Zusammentreffen. Die Gründe, welche die Kommissionsdienststellen zu diesem Textvorschlag anführten, sind für die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO daher von besonderer Bedeutung und einen vertieften Blick wert: Zunächst hoben die Kommissionsdienststellen die Einzelstellung dieser Regelung im Verordnungstext hervor, die notwendigerweise auch formell durch eine entsprechende Ausgestaltung zu betonen sei, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.170 Daran anschließend begründeten sie die Notwendigkeit dieser Anknüpfungsregel mit dem unbedingten Erfordernis, dass die an solchen Handelssystemen geschlossenen Verträge einem einzigen Recht, und zwar dem für das System geltenden Recht, unterliegen, um allen Marktteilnehmern Rechtssicherheit zu gewährleisten.171 Die Abkehr vom Begriff des Finanzmarktes wurde ferner damit erklärt, dass der Begriff des Finanzmarktes mangels Definition in 168
Bereits in den Verordnungsentwürfen vom 12.12.2006 und 2.3.2007 war an die neue Regelung eine Fußnote angehängt worden, welche diese Zweifel zum Ausdruck brachte. So hieß es: “further reflection is needed on ... how the wording could be improved if such provision is retained. In the light of the previous discussions in the Committee, the term ‘financial market’ might be too broad”; auf deutsch: „Es bedarf weiterer Betrachtung, wie der Wortlaut verbessert werden kann, falls an dieser Regelung festgehalten werden soll. Im Lichte der vorangegangenen Diskussionen im Ausschuss erscheint der Begriff ‚Finanzmarkt‘ zu vage zu sein“ (Übersetzung der Verfasserin). 169 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier, 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55 CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007. 170 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier, 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55 CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 2. 171 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier, 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55 CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 2.
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Kapitel 1: Methodik
einem europäischen Rechtsakt zu ungenau sei172 und zu Rechtsunsicherheit führen würde, wohingegen sich die in der MiFID zur Verfügung stehenden Definitionen nur innerhalb der Mitgliedstaaten anwenden ließen.173 Die Verwendung einer Funktionsbeschreibung stellte sich aus Sicht der Kommissionsdienststellen daher als optimale Lösung für diesen Konflikt dar. Obwohl die Regelung bereits zu diesem Zeitpunkt ihre endgültige wörtliche Ausgestaltung erhielt, war die Diskussion um sie damit noch nicht beendet. Von Seiten der britischen Delegation wurde im Vermerk vom 24. April 2007174 zum einen gefordert, die Anknüpfungsregel auf solche Verträge zu erweitern, die zwar nicht innerhalb eines solchen Systems, aber nach dessen Regelungen abgeschlossen werden.175 Was sie darunter verstand, veranschaulichte sie am Beispiel eines Vertrags zwischen einem Börsenmitglied und einer Gegenpartei, die wiederum nicht Mitglied der Börse selbst ist.176 Zum anderen befürwortete sie eine alternative Anknüpfung zwischen dem Recht des multilateralen Systems und, sofern dessen Regeln für den fraglichen Vertrag ausdrücklich auf ein anderes Recht verweisen, diesem anderen Recht.177 Unterstützung speziell zu letzterem Vorschlag erhielt die britische Delegation von der irischen Delegation, die um die Funktionsfähigkeit des im gesamten Königreich operierenden CREST-Systems fürchtete.178 Wie die endgültige Regelung belegt, konnte sich die britische Delegation mit keinem
172
S. u. Kapitel 5: B. Begriff des multilateralen Systems in der Rom I-VO. Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier, 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55 CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 2. 174 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106 CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007. 175 Originalwortlaut: “a contract concluded within or otherwise concluded under the rules of a multilateral system ...”. 176 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE; JUSTCIV 106 CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 2. 177 Originalwortlaut: „We propose the following further amendment to Article 4(1)(j1): ‘... in accordance with non-discretionary rules, shall be governed by the law that governs the rules of the multilateral system or, if such rules expressly provide that another law shall govern the contract in question, that other law’”. 178 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 10365/07, LIMITE, JUSTCIV 156 CODEC 630, Note from Irish delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 5 June 2007. 173
B. Überblick über die Genese der neuen Ausnahmetatbestände
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der beiden Vorschläge durchsetzen. Stattdessen blieb es bei der Fassung der Kommissionsdienststellen vom 15. März 2007. 2. Genese von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO Eine spezielle Ausnahmeregelung für auf einem Finanzmarkt geschlossene Verträge enthielt die Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge erstmalig im Entwurf vom 12.12.2006,179 der die Vorgänger der jetzigen Regelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO noch formell zu einer Regelung, Art. 5 Abs. 4 lit. d VO-Entwurf, zusammenfasste.180 Bis zum Verordnungsentwurf vom 25. Juni 2007181, in dem die Vorschläge der Kommissionsdienststellen vom 15. März 2007 umgesetzt wurden, verzeichnen die Materialien keine weiteren Entwicklungsschritte der Regelung. Übereinstimmend mit der Genese von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom IVO wurde für die Ausnahmeregelung daher zunächst das Konzept der auf einem Finanzmarkt geschlossenen Verträge übernommen, um es sodann durch die Funktionsbeschreibung eines multilateralen Systems zu ersetzen. III. Auswertung der Genese der neuen Regelungen Im Lichte ihrer Genese lassen sich die neuen Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 und 2 und lit. e Rom I-VO als Erstes als das Ergebnis der Bemühungen der britischen Regierung einordnen, orientiert an der MiFID die gegenüber dem ursprünglichen Regelungstext des Übereinkommens vorgenommenen Änderungen in Art. 5 VO-Entwurf durch großzügige Ausnahmen faktisch wieder rückgängig zu machen. Um die Bedenken, welche die britische Delegation gegenüber Art. 5 VO-Entwurf anbrachte, einordnen zu können, ist es notwendig, sich den
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Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 16353/06 LIMITE, JUSTCIV 276 CODEC 1485, Note from Finnish Presidency to and incoming German Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 12 December 2006, S. 9. 180 Originalwortlaut: “a contract concluded at a financial market or a contract of subscription of a new issue of shares, bonds or other securities”. 181 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 11150/07, LIMITE, JUSTCIV 175 CODEC 16, Note from German Presidency and incoming Portuguese Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 25 June 2007.
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Kapitel 1: Methodik
ursprünglichen Vorschlag der Kommission182 vor Augen zu führen, der Art. 5 EVÜ nicht nur auf der Tatbestands-, sondern insbesondere auf der Rechtsfolgenseite in einem entscheidenden Punkt änderte. Auf der Tatbestandsseite von Art. 5 VO-Entwurf wurde die Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs auf die Erbringung von Dienstleistungen und die Lieferung von Waren aufgehoben. Durch diese Beschränkungen war unter dem EVÜ der Kauf von Wertpapieren183 und anderen Finanzinstrumenten184 von vorneherein von Art. 5 EVÜ nicht erfasst gewesen, sofern er sich nicht ausnahmsweise als die Erbringung einer Dienstleistung einordnete. Die entscheidende Änderung auf der Rechtsfolgenseite betraf die unter dem EVÜ noch geltende Möglichkeit einer eingeschränkten Rechtswahl, die nach der Vorstellung der Kommission in der Verordnung nun endgültig wegfallen sollte, um dadurch das Entstehen „zusätzlicher Verfahrenskosten“, wie sie unter dem Günstigkeitsprinzip grundsätzlich angefallen wären, zu verhindern.185 Stattdessen sollte ausschließlich das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers zur Anwendung kommen. Unter Geltung der so konzipierten Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge hätte ein Unternehmer daher bei Vertragsabschluss mit einem Verbraucher eine empfindliche Beschränkung seiner Privatautonomie hinnehmen müssen, sofern ebenfalls die räumlich-situativen Voraussetzungen dieser Regelung vorgelegen hätten.186 Die britische Delegation sah sich mit dieser Regelung konfrontiert, als sie sich in den Verhandlungen um die Rom I-VO maßgeblich für die neuen Ausnahmetatbestände einsetzte und sich an deren Ausgestaltung mit verschiedenen Vorschlägen beteiligte. Wird vor die182 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg. (2005/0261 (COD)), Rom I. 183 Giuliano/Lagarde, ABl. (EU) Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1, 11; Czernich/ Heiss/Heiss, Art. 5 Rn. 18; Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR 2002, Art 29 Rn. 50; MüKo/Martiny, EGBGB, Art. 29 Rn. 2; Palandt/Heinrich, BGB 2009, (IPR), EGBGB Art. 29 Rn. 3; Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art. 29 Rn. 5; Spindler, IPRax 2001, 400, 404; Kiel, Int. Kapitalanlegerschutzrecht, S. 239; BGH, Urteil vom 26.10.1993, Az.: XI ZR 42/93, BGHZ, 123, 380, 387. 184 Welter, in: Lando/Magnus/Novak-Stief (Hrsg.), Angleichung des materiellen und des internationalen Privatrechts in der EU, S. 77, 94. 185 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg. (2005/0261 (COD)), S. 6. 186 Positiv dazu: Bitterich, RIW 2006, 262, 265; kritisch dagegen: Calliess, ZEuP 2006, 742, 745 ff.
B. Überblick über die Genese der neuen Ausnahmetatbestände
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sem Hintergrund greifbar, welches Interesse die britische Delegation an der Einräumung möglichst weit gefasster Ausnahmetatbestände hatte, so ist andererseits festzustellen, dass die Diskussion um die neuen Ausnahmetatbestände keinen Einbruch verzeichnete, als die Rechtswahlmöglichkeit wieder fester Bestandteil der Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge wurde. Als Zweites gibt die Darstellung der Genese der neuen Ausnahmetatbestände zu erkennen, welcher Rechtsakt bei ihrer Ausarbeitung insbesondere im Blickfeld der britischen Delegation stand. Die Vorschläge der Briten waren von dem Bemühen getragen, einen möglichst weitgehenden Gleichlauf mit der MiFID zu erzielen. Diese Bestrebungen hatten insofern Erfolg, als die in dieser Richtlinie geregelten Handelssysteme für die Funktionsbeschreibung des multilateralen Systems in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO sowie die Begriffe des Finanzinstruments und des übertragbaren Wertpapiers herangezogen wurden. Obwohl die Ausnahmen letztendlich nicht so weit gehen, dass sie alle Finanzverträge ausklammern, die unter die MiFID fallen, unterstreicht die britische Regierung in ihrem Konsultationspapier, dass diese Ausnahmen die Ziele der MiFID unterstützen und verweist dazu auf das hohe Harmonisierungsniveau, das sie auf diesem Gebiet herbeigeführt habe, insbesondere auch auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes.187 Dieser Bewertung schließen sich Lando und Nielsen in ihrem einführenden Aufsatz zur Rom I-VO an: Die wichtigsten Ausnahmen beträfen Finanzverträge, die unter die Regelungen der MiFID fielen. Für die Aufnahme dieser Ausnahmen habe man sich aus der Erwägung heraus entschieden, dass es dem zugrunde liegenden Zweck dieser Richtlinie, den Binnenmarkt an Finanzdienstleistungen zu fördern, widerspreche, wenn solche Verträge Art. 6 Rom I-VO unterstellt würden. Die unter die Regelungen der MiFID fallenden Unternehmen sollten sich daher weiterhin auf ihr Heimatrecht verlassen dürfen.188 Für die Untersuchung von Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO sowie von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO sind in diesem Abschnitt die methodischen Grundlagen geschaffen worden. Einen ersten Einblick in die neuen Regelungen hat die Darstellung ihrer Genese anhand der veröffentlichten Entstehungsmaterialien erbracht. Die nachfolgende Untersuchung beginnt mit der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO.
187 188
British Ministry of Justice, Should the UK opt in?, S. 27. Lando/Nielsen, CMLR 2008, 1687, 1710.
Kapitel 2
Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO In der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO sind gleich zwei Tatbestände zusammengeführt worden, von denen der erste auf die „Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit einem Finanzinstrument“ lautet und der zweite solche „Rechte und Pflichten erfasst, durch die die Bedingungen für die Ausgabe oder das öffentliche Angebot oder öffentliche Übernahmeangebote bezüglich übertragbarer Wertpapiere und die Zeichnung oder den Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren festgelegt werden“. Die Regelung schließt im letzten Halbsatz mit der Einschränkung ab, „sofern es sich dabei nicht um die Erbringung von Finanzdienstleistungen handelt“. Bevor die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO im Einzelnen untersucht werden kann, ist sie daraufhin auszulegen, in welchem Verhältnis die beiden Tatbestände zueinander und zum letzten Halbsatz stehen.
A. Ausnahmetatbestand 1 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO A. Ausnahmetatbestand 1 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
Im Mittelpunkt des ersten Ausnahmetatbestands in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO steht das Finanzinstrument, für dessen Begriffsbestimmung nach Erwägungsgrund 30 der Katalog an Finanztiteln in Anhang I Abschnitt C der MiFID heranzuziehen ist. Die Begründung der Kommissionsdienststellen im Gesetzgebungsverfahren zu diesem Ausnahmetatbestand lautet, dass ein Finanzinstrument ein „Bündel von Rechten und Pflichten“ sei, welche „die eigentliche Natur des Finanzinstruments“ ausmachen.1 Insofern stellt sie auf die „Doppelnatur“2 eines solchen
1 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 5.
A. Ausnahmetatbestand 1 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
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Instruments ab: Zum einen ein Gegenstand, über den ein Vertrag geschlossen werden kann, begründet ein Finanzinstrument in der Hand eines Anlegers zum anderen zugleich aus sich heraus schon Rechte und Pflichten im Verhältnis zum Aussteller des Finanzinstruments. Die Zuschreibung einer Doppelnatur hat ihren Grund demnach darin, dass ein Finanzinstrument zum einen Gegenstand eines Vertrags sein kann, zum anderen aber immer auch eine Rechtsbeziehung zwischen dem Aussteller und dem Inhaber des Finanzinstruments vermittelt. Die Kommissionsdienststellen veranschaulichen diese zweite Seite der Doppelnatur am Beispiel der „einfachen Schuldverschreibung“, die vom Emittenten, d.h. dem Aussteller der Schuldverschreibungen, direkt an den Endkunden begeben wird: Deren Wesen bestehe in einem Vertrag zwischen dem Emittenten und diesem Kunden, wonach der Emittent unter anderem zur Zahlung an den Kunden verpflichtet sei und der Kunde dementsprechend das Recht habe, den Kapitalbetrag und die Zinsen gemäß den Bedingungen der Schuldverschreibung zu erhalten.3 Auf dieses Wesen, d.h. den Inhalt des Finanzinstruments, stellt der erste Ausnahmetatbestand in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ab. Davon ist der Fall abzugrenzen, dass beispielsweise ein Anleger die Schuldverschreibung an einen Dritten weiterveräußert: In dieser Ausprägung der Doppelnatur, die von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO gerade nicht erfasst wird, ist die Schuldverschreibung gleich einer gewöhnlichen Sache selbst Gegenstand eines anderen Vertrags. Anders als der englische Text („rights and obligations which constitute a financial instrument“) und die französische Fassung („aux droits et aux obligations qui constituent des instruments financiers“) gibt der deutsche Wortlaut mit der Umschreibung der „im Zusammenhang mit einem Finanzinstrument stehenden Rechte und Pflichten“ den Kreis der ausgenommenen Schuldverhältnisse nur sehr ungenau, wenn nicht gar fehlerhaft wieder.4 Vorsicht ist auch bei einer gedanklichen Übertragung 2
Müller und Lehmann sprechen an Stelle von einer Doppelnatur von der „Janusköpfigkeit“ des Finanzinstruments: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 42; anschaulich ist weiterhin die von Müller gewählte Differenzierung zwischen intrinsischen und extrinsischen Merkmalen; Müller, Finanzinstrumente in der Rom IVO, S. 319 f.; Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 93; Wautelet veranschaulicht diese Besonderheit als „double perspective“: Wautelet, REDC 2009, 775, 782. 3 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007 S. 5. 4 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 320.
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Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO
des englischen und französischen Wortlauts geboten, da nach deutschem Rechtsverständnis Verpflichtungen das Finanzinstrument nicht begründen, sondern umgekehrt es die Verpflichtungen sind, die vertraglich begründet werden.5 In einem nichtjuristischen Sinn drückt sich in dieser Wortwahl aus, dass es um solche Verpflichtungen geht, die sich in ihrer Zusammenfassung als das Finanzinstrument identifizieren. Dass es allein um diese Verpflichtungen geht, indiziert insbesondere die Entwicklung des englischen Wortlauts, der zunächst das Prädikat „to comprise“ verwendete, bis es nach Forderung mehrerer Delegationen durch das präzisere „to constitute“ ersetzt wurde.6 Unter Würdigung seiner Ratio und Genese ist Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO daher so auszulegen, dass es nur das Finanzinstrument selbst als die Zusammenfassung verschiedener Rechte und Pflichten ist, das vom Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO ausgenommen ist,7 mithin die „Rechte und Pflichten“ aus dem Finanzinstrument. Ein Beispiel hierfür sind die Anleihebedingungen, welche das Rechtsverhältnis zwischen dem Ausgeber dieser Schuldverschreibungen, dem Emittenten, und den Anlegern regeln.8
5
Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 90; ähnlich zur zweiten Alternative in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO: Mankowski, RIW 2009, 98, 106. 6 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8229/07, LIMITE, JUSTCIV 80 CODEC 325, Outcome of the Proceedings from: Committee on Civil Law Matters (Rome I) on: 27 and 28 March 2007, dated 17 April 2007. 7 So einheitlich die Literatur: Garcimartín Alférez, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européenne ‚Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 161, 167; ders., EuLF 2009, I-61, I-I-72; ders., J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 90; Mankowski, RIW 2009, 98, 106; ders. in: Reithmann/ Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2379 (S. 1045); Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 93; Einsele, WM 2009, 289, 295; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 320; Plender/Wilderspin, European Private International Law of Obligations, Rn. 9–078 (S. 254); Proctor, Law and Practice of Int. Banking, Rn. 41.23 (S. 663); Wautelet, REDC 2009, 775, 781; ungenau: Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 93; Palandt/Thorn, BGB, (IPR), Rom I 6 Rn. 4. 8 Mankowski, RIW 2009, 98, 106; ders. in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2379 (S. 1045).
B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO
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B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO
I. „Rechte und Pflichten, durch die Bedingungen festgelegt werden“ Die sperrige Formulierung in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO aufgreifend unterstellt auch der zweite Ausnahmetatbestand in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO seinem Anwendungsbereich bestimmte „Rechte und Pflichten“. Um welche „Rechte und Pflichten“ es in diesem Ausnahmetatbestand geht, konkretisiert der Regelungstext mit der Beschreibung, dass durch diese bestimmte „Bedingungen festgelegt werden“. Die Regelung differenziert weiter zwischen „Bedingungen für die Ausgabe oder das öffentliche Angebot und öffentliche Übernahmeangebote für übertragbare Wertpapiere“ auf der einen und den „Bedingungen für die Zeichnung oder den Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ auf der anderen Seite. Ihrem Wortlaut nach nimmt die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO demnach „Rechte und Pflichten“ aus, durch welche die Bedingungen für bestimmte Kapitalmarktgeschäfte festgelegt werden. In der Rechtstatsächlichkeit werden Bedingungen jedoch nicht durch „Rechte und Pflichten ... festgelegt“, sondern sind es umgekehrt die Bedingungen, die vorgeben, welche Rechte und welche Pflichten den beteiligten Parteien aus einem Vertragsverhältnis erwachsen.9 Unterstellt, das Konstrukt der „Rechte und Pflichten, durch die Bedingungen festgelegt werden“, wäre lediglich Ergebnis einer verunglückten Umsetzung des Regelungstextes in der deutschen Fassung, so würde Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO keine Rechte und Pflichten, sondern unmittelbar die Bedingungen adressieren, durch die wiederum die Rechte und Pflichten festgelegt werden. Zumindest für die erste Variante in diesem Ausnahmetatbestand stünde an dieser Stelle bereits fest, dass die Ausgabe- und Angebotsbedingungen für übertragbare Wertpapiere dem Anwendungsbereich der besonderen Verbraucherkollisionsnorm entzogen sind. Gegen eine solche Auslegung spricht jedoch als Erstes, dass der vermeintlich verunglückte deutsche Wortlaut mit der englischen und der französischen Version dieses Regelungstextes übereinstimmt, die gleich9
Mankowski, RIW 2009, 98, 106; ders., in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2378 f. (S. 1044 f.); Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 90; Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 95.
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Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO
falls „Rechte und Pflichten“ ausklammern, durch die wiederum zwar keine Bedingungen festgelegt werden, die jedoch Bedingungen „begründen“.10 Aus der in der englischen Fassung gewählten Terminologie „terms and conditions“ für den im deutschen Text verwendeten Begriff der „Bedingungen“ lässt sich als Zweites ablesen, dass es sich hierbei um vertragliche Vereinbarungen handeln muss, Regelungen also, die vertraglich ausbedungen werden. In grammatischer Auslegung versteht sich die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO demnach so, dass sie mit den „Rechten und Pflichten“ dasjenige Vertragsverhältnis ausklammern will, in dem die Geltung der Bedingungen vereinbart wird.11 II. Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf die vertragliche Einigung über den Inhalt der wertpapierrechtlichen Verpflichtungen Weitere Erkenntnisse über die von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ausgeklammerten Verpflichtungen lassen sich Erwägungsgrund 28 entnehmen, der über Art und Inhalt der Verpflichtungen, welche die Regelung Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO vom Anwendungsbereich der Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge ausnehmen will, Auskunft gibt. Nach dessen Satz 2 besteht der Grund für die Aufnahme des zweiten Tatbestands in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO darin, „die Einheitlichkeit der Bedingungen einer Ausgabe oder eines Angebots“ über übertragbare Wertpapiere sicherzustellen. Durch die Einleitung, dass die in Satz 1 zu Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO vorgetragenen Erwägungen entsprechend für Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO gelten sollen, gibt der Verordnungsgeber zu erkennen, dass er den zweiten Ausnahmetatbestand als notwendige Ergänzung zum ersten eingeführt hat. Dies könnte die Schlussfolgerung zulassen, dass der Verordnungsgeber befürchtet haben könnte, die Ausnahmeregelung in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO klammere die Rechte und Pflichten, die ein Finanzinstrument begründen, möglicherweise nicht umfassend genug aus dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO aus. In diese Richtung ließe sich auch der Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO fruchtbar machen, der sich explizit auf die Bedingungen für die Ausgabe bzw. das öffentliche Angebot bezieht. Hierin klingen 10
So lautet die englische Fassung auf „rights and obligations constituting the terms and conditions governing ...“ und die französischen Fassung auf „aux droits et aux obligations qui constituent les modalités et conditions qui ...“. 11 So im Ergebnis auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 330 ff.
B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO
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begrifflich die Anleihebedingungen an, die oben als diejenigen „Rechte und Pflichten“ identifiziert wurden, die es vor der Anwendung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO zu schützen gilt.12 Begründet sich die Existenz von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO infolgedessen damit, vertragliche Verpflichtungen zu erfassen, die möglicherweise nicht ausreichend von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ausgeklammert werden, so könnten mit den „Rechten und Pflichten, durch die die Bedingungen festgelegt werden,“ diejenigen Rechte und Pflichten gemeint sein, die erst zu einem späteren Zeitpunkt zu den Anleihebindungen werden. In dieser Interpretation griffe Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zeitlich auf den Abschnitt voraus, zu dem die Wertpapiere noch nicht rechtlich existent und die Anleihebedingungen damit noch nicht Rechtsinhalt des eigentlichen Wertpapiers selbst sind. Um zu verstehen, worauf der zweite Ausnahmetatbestand nach dieser Interpretation abzielen könnte, hilft es, sich vor Augen zu führen, wie Anleihebedingungen rechtlich existent werden: Der Inhalt der Anleihebedingungen, mit denen die Wertpapiere ausgestattet sein sollen, wird bei der Erstausgabe von Wertpapieren zwischen dem Aussteller der Wertpapiere und deren jeweiligen Ersterwerbern vereinbart, bei denen es sich in aller Regel um Banken handelt.13 Zusammen erarbeiten und handeln sie den Katalog an Bedingungen aus,14 der in einem Anhang zu dem sogenannten Übernahmevertrag oder in einer speziellen Klausel desselben aufgenommen wird.15 Zum Inhalt des Wertpapiers werden die so ausgehandelten Bedingungen unter deutschem Recht nach der inzwischen überwiegend vertretenen16 sogenannten modifizierten Vertragstheorie dadurch, dass sie in den sogenannten Begebungsvertrag, der neben der Ausfertigung der Urkunde als Skripturakt für die Begründung der wertpapierrechtlichen Verpflichtung zwingend erforderlich ist, einbezogen werden.17 Schließen der Emittent und die Banken diesen Begebungsvertrag ab, entstehen die verbrieften Rechte direkt in der Hand der Banken. Stehen an Stelle der Banken nun Verbraucher und ließe man Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO auf diesen Begebungsvertrag zur Anwendung 12
S.o. Kapitel 2: A. Ausnahmetatbestand 1 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO. S.u. Kapitel 4: D. II. 2. b) Ausgestaltung der Emission als Selbst- oder Fremdemission. 14 Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 190. 15 Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 6; Horn, Recht der int. Anleihen, S. 231. 16 Statt vieler: Gehrlein, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), BGB, § 793 Rn. 7. 17 Staudinger/Marburger, BGB, Vorbem zu §§ 793ff Rn. 18; MüKo/Hüffer, BGB, Vor § 793 Rn. 24. 13
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Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO
kommen, so bestünde das Risiko, dass die Wertpapiere, sofern die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO vorliegen, bereits mit unterschiedlichem Inhalt rechtlich existent würden. Für den Fall, dass die einheitliche Ausgestaltung der in den Wertpapieren verkörperten Rechte und Pflichten unter Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO alleine mit Hilfe der Ausnahme in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO nicht erfüllbar wäre, sollte an dieser Stelle Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nach dieser Auslegung zu dem Zweck eingreifen, abschließend sicherzustellen, dass jegliches Risiko aus Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO für die standardisierte Ausgestaltung der Wertpapiere ausgeschlossen ist. Unter den „Rechten und Pflichten, durch die die Anleihebedingungen festgelegt werden,“ wäre nach dieser Auslegung der Begebungsvertrag als vertraglicher Teil des Gründungsakts der wertpapierrechtlichen Verpflichtungen zu verstehen. Diese Auslegung stellt sich jedoch als Erstes in Widerspruch zu Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO, der das Vertragsstatut auch auf „das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrags oder einer seiner Bestimmungen“ erstreckt. Da mit Abschluss des Begebungsvertrags die wertpapierrechtliche Verpflichtung erst begründet wird, mit anderen Worten: zustande kommt, und es sich bei dieser wertpapierrechtlichen Verpflichtung um das Finanzinstrument selbst handelt, ist bereits die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO einschlägig und im Ergebnis ausreichend.18 Der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO unterstehen nicht nur die Rechte und Pflichten, aus denen sich das Finanzinstrument zusammensetzt, sondern sie erfasst zugleich den Vertrag, in dem sie begründet werden. Eines zweiten Ausnahmetatbestandes speziell für den Begebungsvertrag bedarf es nicht mehr. Als Zweites geht diese Auslegung darüber hinweg, dass in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht nur die Ausgabe neuer Wertpapiere geregelt ist, die notwendigerweise die rechtliche Begründung der Papiere beinhaltet, sondern dass sie auch Angebote über bereits existierende Wertpapiere erfasst, wie aus dem nebeneinander von „Ausgabe“ und „öffentlichem Angebot“19 und der Einbeziehung von „öffentlichen Übernahmeangeboten“ folgt. Die Argumentation, dass Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO die Anleihebedingungen als Vertragsgegenstand bereits zu dem Zeitpunkt ausklammern will, zu dem sie noch nicht die rechtliche Qualität als Bestandteil des Finanzinstruments erlangt haben, lässt sich indes nur für die Neuerschaffung von Wertpapieren fruchtbar 18 19
Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 320 f., 331. S.u. Kapitel 4: D. II. 1. a) Neuemissionen und Sekundäremissionen.
B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO
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machen. Auf den Verkauf bereits existenter Wertpapiere ist sie nicht übertragbar. Ist das Wertpapier bereits rechtlich existent, d.h. in der Welt, sind die Anleihebedingungen grundsätzlich keiner individualvertraglichen Vereinbarung mehr zugänglich. Unabhängig davon, dass Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO in seiner ursprünglichen Fassung tatsächlich nur auf „Verträge zur Zeichnung oder zum Kauf von neu ausgegebenen übertragbaren Wertpapieren“ beschränkt war, lassen sich diese Erwägungen mit der endgültigen Regelung, die sich auf den Verkauf und Kauf auch bereits existierender Wertpapiere erstreckt, nicht mehr vereinbaren. Als „Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen festgelegt werden,“ scheiden unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Ergebnis die Verpflichtungen aus dem (Begebungs-)Vertrag aus, in dem die wertpapierrechtliche Verpflichtung begründet wird.20 III. Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Erwerbsgeschäfte über Finanzinstrumente Obwohl der Wortlaut in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO in beide Ausnahmetatbestände mit demselben Begriff der „Rechte und Pflichten“ einleitet, sind inhaltlich verschiedene Pflichten ausgenommen.21 Ein Anwendungsbereich verbleibt für Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nur für solche „Rechte und Pflichten“, die nicht bereits Teil des Finanzinstruments selbst sind. Wenn Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht das Finanzinstrument als ein „Bündel von Rechten und Pflichten“ unterstellt ist, so kann dieser Ausnahmetatbestand nur die andere Seite der Doppelnatur des Finanzinstruments adressieren.22 Im Unterschied zur ersten Tatbestandsvariante beschränkt sich Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO für diese Seite der Doppelnatur eines Finanzinstruments jedoch nur auf bestimmte Finanzinstrumente, zum einen übertragbare Wertpapiere, zum anderen Anteile an einem Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, kurz: OGAW-Anteile. Verfolgt man die 20
So im Ergebnis auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 330. Müller führt auf dieser Überlegung die in der Literatur geübte Kritik am Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO darauf zurück, dass die Kritiker die „unausgesprochene Prämisse“ hätten, dass mit den „Rechten und Pflichten“ in beiden Alternativen jeweils dasselbe gemeint sei, vgl. Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 330. 22 So ausdrücklich auch Proctor, Law and Practice of Int. Banking, Rn. 41.26 (S. 663); Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 91; ders., EuLF 2009, I-61, I72; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 330, allerdings zwischen den „intrinsischen“ und „extrinsischen“ Merkmalen eines Finanzinstruments unterscheidend. 21
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Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO
Entwicklung des zweiten Ausnahmetatbestands in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO in den Entstehungsmaterialien zurück, bestätigt sich diese Abgrenzung anhand eines Vorentwurfs, der kurz vor der endgültigen Textfassung in der Diskussion stand und statt von „Rechten und Pflichten“ noch von „Verträgen“ sprach: Nach dieser Fassung sollten ausgenommen sein: „Verträge zur Zeichnung oder zum Kauf von neu ausgegebenen übertragbaren Wertpapieren ... oder von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen“.23 In einem „Vertrag zur Zeichnung oder zum Kauf“ ist das Finanzinstrument das Erwerbsobjekt. Die Eigenart, dass das Finanzinstrument inhaltlich gleichzeitig selbst ein Vertragsverhältnis darstellt, wirkt sich in einem solchen Vertrag nicht aus. In den Entstehungsmaterialien findet sich ein weiterer Beleg dafür, dass der Verordnungsgeber zwischen dem Finanzinstrument als „Bündel von Rechten und Pflichten“ im ersten Ausnahmetatbestand und als Kaufobjekt im zweiten Tatbestand unterscheidet. Sie verzeichnen die Aufnahme des zweiten Ausnahmetatbestands vor dem Hintergrund als notwendig, dass „die vorstehend erörterte, eng gefasste Ausklammerung von Verträgen, die Finanzinstrumente beinhalten“,24 nur solche Rechte und Pflichten erfassen würde, die „Bestandteil des Finanzinstruments selbst“ seien. Es seien daneben jedoch „Rechte und Pflichten“ identifiziert worden, die nicht Bestandteil des Finanzinstruments selbst, sondern beispielsweise „Gegenstand des Zeichnungsvertrags“ seien, und daher nach einer speziellen Ausklammerung verlangten.25 Anhand der Unterscheidung, ob die fraglichen Rechte und Pflichten mit dem Finanzinstrument gleichzusetzen sind oder ob das Finanzinstrument der Gegenstand des Vertrags ist, zieht der Verordnungsgeber eine klare Grenze zwischen den jeweiligen Anwendungsbereichen von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 und Alt. 2 Rom I-VO.26
23
Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 4. 24 Gemeint ist damit der jetzige Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO. 25 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 5. 26 So auch: Wautelet, REDC 2009, 775, 785 f.
B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO
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IV. Folgerung für die „Bedingungen für die Ausgabe oder das öffentliche Angebot und öffentliche Übernahmeangebote“ 1. Verträge über den Kauf von übertragbaren Wertpapieren Auf der in systematischer und genetischer Auslegung gewonnenen Grundlage, dass Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO bestimmte Verträge über Wertpapiere bzw. OGAW-Anteile zum Gegenstand hat, ist es möglich, sich den Wortlaut der Regelung zu erschließen. Bei den „Bedingungen für die Ausgabe, das öffentliche Angebot und Übernahmeangebote“ soll es sich um die Verkaufs- bzw. im Fall des Übernahmeangebots um die Kaufsbedingungen handeln, die den Kaufverträgen zugrunde liegen. Anders als im Fall der „Anleihebedingungen“ oder „Wertpapierbedingungen“, die Teil des Wertpapiers selbst sind, hat sich für die Bedingungen in Kaufverträgen über Wertpapiere, soweit ersichtlich, keine allgemein verbreitete eigenständige Bezeichnung herausgebildet. Solange diese Verkaufsbedingungen zwischen den Parteien nicht vereinbart worden sind, folgen aus ihnen noch keine vertraglichen Rechte und Pflichten.27 Erst mit Abschluss des Kaufvertrags sind die Parteien an dessen Bedingungen gebunden. Dessen ungeachtet scheint die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO bei strenger Wortlautauslegung zwischen den Verkaufsbedingungen einerseits und dem Kaufvertrag andererseits zu differenzieren, wenn ihrem Wortlaut zufolge bereits „Rechte und Pflichten“ zwischen den Parteien existieren, welche die Ausgabe oder das Angebot regeln, die also existieren, bevor der Kaufvertrag selbst zustande gekommen ist. Bei wörtlicher Auslegung der Regelung müsste es demnach einen Vorvertrag zwischen den Parteien geben, in dem die Bedingungen für den Abschluss des anschließenden Erwerbsvertrags geregelt werden. Da dies ersichtlich nicht gewollt sein kann, lässt sich der Wortlaut der Regelung nur mit dem Bemühen des Verordnungsgebers erklären, jegliche Schutzlücken zu schließen. Es liegt nahe, dass es dem Verordnungsgeber zu Gunsten eines umfassenden Schutzes der Kaufbedingungen vor einer negativen Einwirkung durch Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO darum ging, den Anbieter bereits bei ihrer Ausgestaltung von der Anwendung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO zu befreien und ihm so die Ausarbeitung eines Angebots ganz nach seinen Bedingungen zu ermöglichen. Auf eben diesen vorvertraglichen Bereich scheint die Regelung mit der Formulierung vorgreifen zu wollen, dass solche „Rechte und Pflichten“ ausgeklammert sind, 27
Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 95.
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Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO
„durch die die Bedingungen festgelegt werden“, auch wenn es dieser Klarstellung wegen Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO noch nicht einmal bedurft hätte. Der Widerspruch im Wortlaut ist im Ergebnis so aufzulösen, dass es sich bei den „Rechten und Pflichten, durch die die Bedingungen festgelegt werden,“ um den Kaufvertrag selbst handelt, wie er auf Grundlage der Angebotsbedingungen abgeschlossen worden ist. Sofern ein Vertrag auf Grund der Ausgabe neuer Wertpapiere, eines öffentlichen Angebots oder eines öffentlichen Übernahmeangebots über übertragbare Wertpapiere zustande gekommen ist, ist der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO grundsätzlich eröffnet. 2. Übernahmeverträge Einen engeren Auslegungsansatz vertritt demgegenüber Müller auf der Grundlage, dass es sich bei dem sperrigen Wortlaut der Regelung um keine Nachlässigkeit des Verordnungsgebers handeln würde, sondern um eine durchaus bewusst gewählte Formulierung. Ihm zufolge richtet sich der zweite Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO auf diejenigen Rechte und Pflichten, „die sich auf die Entstehung des Vertrags zur Begründung eines übertragbaren Wertpapiers beziehen“.28 Darunter versteht er denjenigen Vertrag, in dem vorab festgelegt wird, welchen (standardisierten) Inhalt die neuen Wertpapiere haben sollen, nach obigen Ausführungen: der dem Erwerb vorgeschalteten Übernahmevertrag. Die darin vereinbarten Anleihebedingungen sind, anders als im Begebungsvertrag, nicht rechtlich identisch mit den Anleihebedingungen der späteren Wertpapiere. Stattdessen stellen sie nach Müller „Sollenssätze“ für den Inhalt der Wertpapiere auf, die, wenn sie nicht eingehalten werden, in einer Leistungsstörung resultieren.29 Den Begriff der „Bedingungen“ in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO setzt er damit zwar bezüglich des in ihnen vereinbarten Inhalts gleich mit den Anleihebedingungen, versteht aber, im Einklang mit der hier vertretenen Auslegung, unter den „Rechten und Pflichten, durch die sie festgelegt werden,“ den Inhalt des Kaufvertrags über die Wertpapiere.30 „Sie legen als Rechtsfolge des ersten Vertrags gleichzeitig die Bedingungen für die Entstehung und den Inhalt des zweiten Vertrags zur Begründung eines übertragbaren Wertpapiers fest“.31 Der Unterschied zur hier vertretenen 28
Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 330. Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 330. 30 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 331. 31 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 331 f. 29
B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO
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Auffassung besteht im Verständnis des Begriffs der Bedingungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO. Müller versteht darunter anscheinend nicht die Bedingungen des Kaufvertrags selbst, sondern die davon abzugrenzenden Anleihebedingungen, die als Inhalt eines zweiten Vertrags, des Begebungsvertrags, in diesem Kaufvertrag festgelegt werden. Nach seiner Interpretation ordnen sich die „Rechte und Pflichten“ auf Ebene des Kaufvertrags und die Bedingungen, „die durch diese Rechte und Pflichten festgelegt werden“, auf der davon abzugrenzenden Ebene der Wertpapiere, d.h. des Kaufgegenstands, ein. Obwohl sich dieser Auslegungsansatz im Ergebnis nicht von dem hier vertretenen Ansatz unterscheidet, weil sich Art. 6 Abs. 2 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nach beiden Auslegungsspielarten auf die Verträge über Finanzinstrumente (als Kaufobjekte) beschränkt, ist folgendes zu beachten: Zwar hat der Auslegungsansatz von Müller für sich, dass er hinsichtlich der Variante der „Ausgabe übertragbarer Wertpapiere“ streng am Wortlaut orientiert ist. Auf diese Variante ist er jedoch auch begrenzt. Konsequent fortgeführt müsste dieser Ansatz auch in den Varianten der „öffentlichen Angebote“ über bereits existente Wertpapiere sowie der „öffentlichen Übernahmeangebote“ einen zweiten Vertrag voraussetzen, dessen Bedingungen im Kaufvertrag (mittelbar) festgelegt würden. Als dieser zweite Vertrag käme lediglich die im Rahmen des Verfügungsgeschäfts vorzunehmende dingliche Einigung in Betracht, die den Inhalt der wertpapierrechtlichen Verpflichtung jedoch unberührt lässt. Diesem Auslegungsansatz steht daher seine Beschränkung auf den Verkauf neuer Wertpapiere entgegen, die mit Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht vereinbar ist. V. Besondere Behandlung der „Erbringung von Finanzdienstleistungen“ in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO Im letzten Halbsatz des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO trifft der Verordnungsgeber eine besondere Regelung für die „Erbringung von Finanzdienstleistungen“ mit dem Inhalt, dass diese der Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge untersteht.32 Wie sie sich in das Gefüge des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO einordnet, hat Bedeutung für die anschließende Untersuchung des sachlichen Anwendungsbereichs der neuen Ausnahmeregelungen, weswegen sie abstrakt gleich zu Beginn zu klären ist. Bevor auf die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten eingegangen wird, 32
Zur Rechtfertigung des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen, siehe Engert/Groh, IPRax 2011, 458, 459.
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Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO
empfiehlt es sich, einen Blick auf die Genese der Regelung im Hinblick auf Finanzdienstleistungen zu werfen, die, wie sich zeigen wird, zunächst in eine andere Richtung zu verlaufen schien. 1. Finanzdienstleistungen in der Genese von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO In den Regelungstext ist die Einschränkung für Finanzdienstleistungen erst im späteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens aufgenommen worden,33 obwohl die Behandlung von Finanzdienstleistungen unter der Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge bereits ein halbes Jahr zuvor, im April 2007, angesprochen worden war. Die Initiative zu einer speziellen Regelung für Finanzdienstleistungen in der Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge ging wieder einmal von der britischen Delegation aus.34 Anders als es die jetzige Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom IVO vermuten lassen würde, war dieser ursprüngliche Vorschlag indes nicht darauf ausgerichtet, Finanzdienstleistungen dem Anwendungsbereich der allgemeinen Kollisionsregel für Verbraucherverträge ausdrücklich zu unterstellen, sondern hatte im Gegenteil eine zusätzliche Ausnahme für Finanzdienstleistungen zum Gegenstand: Nach dem Willen der britischen Delegation sollte eine dritte Tatbestandsalternative die „Wertpapierdienstleistungen, Anlagetätigkeiten und Wertpapiernebendienstleistungen im Sinne der MiFID35“ ausklammern.36 Dieser Vorschlag ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der ursprüngliche Verordnungstext die Rechtswahlmöglichkeit bei Verbraucherverträgen noch 33
Erstmalig taucht sie im folgenden Entwurf auf: Council of the European Union, Interinstitutional File 2006/0261 (COD), 15316/07, LIMITE, JUSTCIV 309 CODEC 1279, Note from the Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 19 November 2007, S. 22; davor noch war bereits in der Fassung des Verordnungstextes vom 25.10.2007 ein entsprechender Erwägungsgrund vorgesehen: “(10a) ... Investment services and activities and ancillary services, as referred to in sections A and B of Annex I of Directive 2004/39/EC of the European Parliament and the Council, as amended by Directives 2006/31/EC and 2007/44/EC, should be subject to the general rule applicable to consumer contracts”. 34 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106 CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 3. 35 Originalwortlaut: “Investment services and activities and ancillary services regulated under that Directive”. 36 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106 CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 3.
B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO
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vollkommen ausschloss mit der Folge, dass sich unter ihm alle nicht ausgeklammerten Verbraucherverträge stets nach dem Recht im Staate des gewöhnlichen Aufenthalts eines Verbrauchers regeln sollten. Auf dieser Grundlage trug die britische Delegation zur Begründung ihres Vorschlags zum einen das besonders hohe und harmonisierte Schutzniveau vor, das die MiFID ihrer Ansicht nach insbesondere in den Anforderungen an den Conduct of Business zu Gunsten von Anlegern umsetze.37 Zum anderen stellte sie einen Zusammenhang zwischen den „Verbraucherschutzregeln“ in der MiFID und den zivilrechtlichen Verbraucherregelungen in den Mitgliedstaaten her,38 der in der Kollisionsregel für Verbraucherverträge Berücksichtigung finden müsse. Die britische Delegation wollte Finanzdienstleistungen von der allgemeinen Kollisionsregel für Verbraucherverträge zu dem Zweck ausklammern, dem Herkunftslandprinzip, welches der MiFID zugrunde liegt, umfassend Geltung zu verschaffen.39 Denn nach ihrer Argumentation seien die Anbieter von Finanzdienstleistungen ohne eine solche Ausklammerung gezwungen, sich mit dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt ihrer Kunden auseinanderzusetzen, wodurch höhere Kosten anfielen, die entweder direkt auf die Verbraucher umgeleitet würden oder infolge des reduzierten Wettbewerbs entstünden.40 Da diese Argumentation die Gleiche war, wie sie zuvor schon für die öffentlichen Angebote nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO verwendet wurde, zeigt sich schnell, worum es bei diesem Vorschlag wirklich ging, nämlich um eine möglichst weitgehende Entlastung der Finanzindustrie von den negativen Implikationen aus der Kollisionsregel für Verbraucherverträge. Wie wenig Anklang dieser Vorschlag bei den anderen Mitgliedstaaten fand, wird anhand der weiteren Dokumente zur Entstehung der Rom I-VO ersichtlich, in denen er noch nicht einmal diskutiert wurde. Darüber 37
Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106 CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 4. 38 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106 CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 6. 39 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106 CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 5. 40 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106 CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 7.
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Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO
hinaus dürfte er sich allein deswegen nicht durchgesetzt haben, weil eine solch enge Verknüpfung von der Rom I-VO mit der MiFID mit dem Prinzip der universellen Anwendbarkeit der Verordnung nicht vereinbar gewesen wäre. 2. Das Zusammenspiel zwischen den Ausnahmetatbeständen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO und der Einschränkung am Ende der Regelung für die „Erbringung von Finanzdienstleistungen“ Wobei genau es sich „nicht um die Erbringung von Finanzdienstleistungen handeln“ darf, mit anderen Worten: was Bezugspunkt des Einschubs in Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO ist, geht aus dem deutschen Wortlaut der Regelung nicht unmittelbar hervor. Es ist eine Schwäche dieses Wortlauts, dass er nicht erkennen lässt, wofür das Pronominaladverb „dabei“ konkret steht. Insgesamt sind nicht weniger als fünf Interpretationsansätze möglich. a) Interpretationsansätze zu Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO aa) Vollständige Rückausnahme von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO Unter einem weiten Verständnis ließe sich der letzte Halbsatz in Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO so auslegen, dass die Einschränkung den Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO insgesamt, d.h. unter Einschluss all seiner Tatbestandsvarianten in Bezug nimmt.41 Unter diesem Interpretationsansatz (i) würde die Prüfung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO in zwei Schritten ablaufen. Als Erstes wäre zu fragen, ob die Voraussetzungen einer der Tatbestandsalternativen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO erfüllt sind. Ist das der Fall – handelt es sich beispielsweise bei dem anzuknüpfenden Vertrag um einen Kaufvertrag, der zwischen einer Emissionsbank und einem Verbraucher über ein neu ausgegebenes Wertpapier abgeschlossen wurde – so müsste dieser Kaufvertrag als Zweites daraufhin überprüft werden, ob er Rechte und Pflichten beinhaltet, die als eine Finanzdienstleistung im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO zu qualifizieren sind.
41 Staudinger/Magnus, IPR/EGBGB, Art 6 Rom I-VO Rn. 98; Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008 Art. 6 Rn. 18; MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 27; jurisPK/Limbach, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 37; Wautelet, REDC 2009, 775, 797; NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 6 Rn. 45; so wohl auch: Lagarde/Tenenbaum, Rev. crit. DIP 97 2008, 727, 757; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 345.
B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO
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bb) Rückausnahme nur von einer Tatbestandsalternative bzw. -untervariante Auf der Grundlage, dass in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO zwei Tatbestandsalternativen umgesetzt sind, bestehen zwei weitere Interpretationsansätze darin, den zweiten Prüfungsschritt lediglich auf eine dieser beiden in Anwendung zu bringen. (ii) „Sofern es sich dabei nicht um die Erbringung von Finanzdienstleistungen handelt,“ könnte als Einschränkung lediglich für diejenige Alternative gelten, an die sich dieser Halbsatz unmittelbar anschließt, nämlich die „Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Ausgabe oder das öffentliche Angebot und öffentliche Übernahmeangebote ... und die Zeichnung oder den Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren festgelegt werden.“ Hingegen würde es für die Ausklammerung der „Rechte und Pflichten,“ die den Inhalt eines Finanzinstruments festlegen, nicht zusätzlich darauf ankommen, dass es sich nicht um die Erbringung einer Finanzdienstleistung handeln darf. Der zweite Prüfungsschritt würde für diesen Tatbestand entfallen. Anders herum könnte sich der letzte Halbsatz der Regelung auch lediglich auf die erste Tatbestandsalternative in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO beziehen. Für diesen Interpretationsansatz (iii), der sich mit dem syntaktischen Aufbau des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO allerdings nur schwerlich vereinbaren lässt, wird von ihrem Vertreter42 mit der Entstehungsgeschichte dieser Regelung argumentiert, wie sie sich vor allem im Vermerk der Kommissionsdienststellen vom 15. März 200743 abbildet. Der darin enthaltene Regelungsentwurf differenzierte noch zwischen drei selbstständigen und als solche auch gekennzeichneten Ausnahmetatbeständen, von denen die ersten beiden in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO als Alt. 1 und Alt. 2 zusammengeführt wurden. Die Erläuterungen zu diesen drei Ausnahmetatbeständen stellen nur für den ersten Tatbestand („Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten“) und den dritten Tatbestand („Verträge, die innerhalb der Art von Systemen geschlossen werden, auf die Artikel 4 ... Anwendung findet“) klar, dass Finanzdienstleistungen mit dieser Regelung nicht erfasst sein sollen,44 42
Mankowski, RIW 2009, 98, 104. Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007. 44 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 5: Zu 43
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Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO
nicht aber für den zweiten, der in die endgültige Regelung als Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Eingang gefunden hat. Daraus sei, so diese Ansicht, „eine Beschränkung der Rückausnahme auf die heutige erste Variante der Ausnahme zu folgern“.45 Auf die Syntax der Regelung ließe sich noch als ein weiterer Interpretationsansatz (iv) stützen, dass die Prüfung, ob es sich „um die Erbringung einer Finanzdienstleistung handelt,“ ausschließlich für die „Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Zeichnung oder den Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren festgelegt werden,“ vorzunehmen ist, da der letzte Halbsatz unmittelbar an diese Variante anknüpft.46 Alle vier Ansätze haben trotz des unterschiedlichen Bezugsgegenstands gemein, dass sie die Funktion des letzten Halbsatzes darin sehen, bestimmte Fragestellungen aus dem sachlichen Anwendungsbereich des Ausnahmetatbestands in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO wieder dem Anwendungsbereich der allgemeinen Regelung für Verbraucherverträge in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO zuzuführen. Nach diesem Verständnis handelt es sich bei dem letzten Halbsatz rechtstechnisch um eine Ausnahme von der Ausnahme, mithin eine „Rückausnahme“.47 cc) Lediglich deklaratorische Bedeutung der Einschränkung für die Erbringung von Finanzdienstleistungen Legt man den Halbsatz jedoch nicht als Rückausnahme, sondern als Klarstellung des Verordnungsgebers mit dem Inhalt aus, dass es sich bei den in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ausgeklammerten Rechten und Ausnahmetatbestand (1): „Dies sollte nicht mit Verträgen über die Erbringung von Finanzdienstleistungen verwechselt werden. Wenn zum Beispiel eine Bank einem Kunden Aktien des Unternehmens X verkauft, erbringt sie eine Finanzdienstleistung. Die verbraucherfreundliche Vorschrift in Artikel 5 des Vorschlags wird natürlich weiterhin für alle derartigen Verträge, die bereits von Artikel 5 des Rom-Übereinkommens erfasst wurden, gelten“. Zu Ausnahmetatbestand (2): „Sie erfasst beispielsweise nicht die mit einem Verbraucher geschlossenen Verträge über Finanzberatung oder die Verwahrung von Finanzinstrumenten. Dies würde weiterhin unter die Hauptbestimmung des Artikel 5 fallen“. 45 Mankowski, RIW 2009, 98, 105. 46 Obwohl Garcimartín Alférez Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO immer unter dem Punkt „Units in collective investments“ abhandelt, vgl.: Garcimartín Alférez, EuLF 2009, I-61, I-73; ders., J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 95 f., scheint er sie auf alle Tatbestandsvarianten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO zu beziehen: EuLF 2009, I-61, I-73; ders., J. Priv. Int’ L. 2009, I-61, I-73. 47 Wortwörtlich so Mankowski, RIW 2009, 98, 103 ff.
B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO
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Pflichten nicht um Finanzdienstleistungen handelt, kommt man zu einem fünften Interpretationsansatz (v). Danach bleibt die Einschränkung, „sofern es sich nicht um die Erbringung einer Finanzdienstleistung handelt,“ bei der Subsumtion unter den Tatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO außer Acht zu lassen, weil sie lediglich deklaratorische Bedeutung hat.48 Dieser Interpretationsansatz beruht auf der Annahme, dass die von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ausgenommenen Verpflichtungen von vorneherein nicht als Finanzdienstleistungen qualifizierbar sein dürften, weswegen der letzte Halbsatz höchstens klarstellende Funktion hätte, im Grunde aber überflüssig wäre.49 b) Stellungnahme zu den verschiedenen Interpretationsansätzen Ob die Einschränkung für Finanzdienstleistungen im letzten Halbsatz der Regelung als Rückausnahme konstitutive ((i) – (iv)) oder als Klarstellung lediglich deklaratorische50 (v) Bedeutung hat, macht einen Vergleich zwischen den nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 und 2 Rom I-VO ausgeklammerten Verpflichtungen und den Tätigkeiten, die sich als Finanzdienstleistung einordnen, erforderlich, der daraufhin zu überprüfen wäre, ob Überschneidungen auftreten. Er lässt sich mithin erst durchführen, wenn feststeht, welche Tätigkeiten in die Ausnahmen des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO fallen und welche als Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO in Frage kommen. Bis dahin wird der Übersichtlichkeit wegen von der „Rückausnahme“51 gesprochen, wenn auf den sachlichen Anwendungsbereich des letzten Halbsatzes in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO verwiesen wird. Ob sich die Rückausnahme des letzten Halbsatzes auf die Regelung insgesamt bezieht oder ob sie lediglich einzelne Tatbestandsalternativen bzw. -untervarianten in Bezug nimmt, lässt sich indes durch Auslegung ermitteln. Der Umstand, dass der englische und der französische Wortlaut im letzten Halbsatz übereinstimmend von „diesen Tätigkeiten“ („these activities“ bzw. „ces activités“) sprechen, die keine Finanzdienstleistungen darstellen dürfen, um nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ausgeklammert zu sein, kann in keine Richtung nutzbar gemacht werden, da sich die Bezeichnung „Tätigkeiten“ nicht nur nicht auf Finanz48
So Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 97. Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 97. 50 So die treffende Unterscheidung durch Müller, Finanzinstrumente in der Rom IVO, S. 345. 51 Diese Begrifflichkeit wird auch von Mankowksi verwendet: Mankowski, RIW 2009, 98, 103. 49
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Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO
instrumente in Anwendung bringen lässt,52 sondern allgemein nicht auf Verpflichtungen.53 Die in genetischer Auslegung gewonnenen Argumente für eine Beschränkung der Rückausnahme auf Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO verlieren dadurch an Überzeugungskraft, dass sie nicht Gesetz geworden sind.54 Vor allem gehen sie darüber hinweg, dass sich im genannten Vermerk direkt an den vorgeschlagenen Regelungstext eine in Fettschrift hervorgehobene Erläuterung anschließt, wonach „mit dem vorgeschlagenen Text ... Finanzdienstleistungen generell nicht ausgenommen“ werden.55 Eine Beschränkung auf lediglich zwei der drei Tatbestände ist damit trotz möglicherweise missverständlicher Passagen in den weiteren Ausführungen ersichtlich nicht gewollt.56 Da sich in der hervorgehobenen Erläuterung bereits die in diesem Entwurf noch fehlende und erst später aufgenommene Einschränkung für Finanzdienstleistungen andeutet, lässt sie vielmehr den Schluss zu, dass sich die Rückausnahme auf alle Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO bezieht. Eine ausdrückliche Erläuterung zu dem Verhältnis der Rückausnahme für Finanzdienstleistungen zu den Ausnahmetatbeständen findet sich dagegen in einem späteren Vermerk des Ausschusses für Zivilrecht zum Stand der bisherigen Diskussionen. Darin heißt es wortwörtlich zu Art. 5 Abs. 3 VO-Entwurf: “It was agreed to add ‘public’ to ‘takeover bids’, and to clarify that ‘these’ referred to redemption and subscription ‘activities’.”57 In der Konsequenz nähme die Rückausnahme für Finanzdienstleistungen lediglich die in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO enthaltene Tatbestandsvariante „Zeichnung oder den Rückkauf von OGAW-Anteilen“ in Bezug. So eindeutig diese Äußerung auf dem ersten Blick auch sein mag, ist jedoch zu beachten, dass der Inhalt dieser Vereinbarung, wonach der Verordnungstext um eine entsprechende Klarstellung ergänzt werden sollte, nicht umgesetzt worden ist. Letztendlich verliert sie dadurch erheblich an Wert, dass sie nicht im Einklang mit dem tatsächlich in die Verordnung aufgenom52
Mankowski, RIW 2009, 98, 104. So aber anscheinend Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 344. 54 Staudinger/Magnus, IPR/EGBGB, Art 6 Rom I-VO Rn. 98. 55 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 4. 56 So auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 344. 57 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 15956/07, LIMITE, JUSTCIV 330 CODEC 1380, Outcome of Proceedings from Committee on Civil Law Matters on 14 November 2007, dated 30 November 2007, S. 4. 53
B. Ausnahmetatbestand 2 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO
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menen Erwägungsgrund 26 steht, in dem allein sich der Verordnungsgeber zur Rückausnahme für Finanzdienstleistungen äußert. Zwar ist dessen erster Satz noch allgemein dahingehend formuliert, dass „für die Zwecke dieser Verordnung ... Finanzdienstleistungen ... Artikel 6 der vorliegenden Verordnung unterliegen“ sollten. Dies lässt jedoch noch nicht die Schlussfolgerung zu, dass generell alle Finanzdienstleistungen der Rückausnahme unterliegen sollen,58 da erst in Satz 2 konkretisiert wird, wie die ausgenommenen Verpflichtungen von denjenigen abzugrenzen sind, die als Erbringung einer Finanzdienstleistung in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO fallen: „Daher sollten, wenn die Bedingungen für die Ausgabe oder das öffentliche Angebot bezüglich übertragbarer Wertpapiere oder die Zeichnung oder der Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren erwähnt werden, darunter alle Aspekte fallen, durch die sich der Emittent bzw. Anbieter gegenüber dem Verbraucher verpflichtet, nicht aber diejenigen Aspekte, die mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen im Zusammenhang stehen“. Der Verordnungsgeber stellt in diesem Satz lediglich die Fallgruppen aus Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO der Erbringung von Finanzdienstleistungen gegenüber und lässt die „Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit einem Finanzinstrument“ nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO unerwähnt. Wenn aber die Rücknahme für beide Tatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom IVO gleichermaßen gelten sollte, ließe sich kein Grund dafür finden, warum der Verordnungsgeber in seiner Erläuterung nur die zweite Tatbestandsalternative benennt. Ob es sich dabei um die „Erbringung einer Finanzdienstleistung“ handelt, ist im Ergebnis nur für den zweiten Tatbestand in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO relevant. Innerhalb dieses Tatbestands zieht der Erwägungsgrund jedoch keine Trennlinie zwischen der „Ausgabe“, dem „öffentlichen Angebot“ und „öffentlichen Übernahmeangeboten bezüglich übertragbarer Wertpapiere“ einerseits und der „Zeichnung“ und dem „Rückkauf von OGAW-Anteilen“ andererseits. Im Ergebnis ist die Rückausnahme für Finanzdienstleistungen daher erst im Rahmen von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zu beachten, dort jedoch für jede der darin aufgenommenen Tatbestandsvarianten.
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So aber Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 344.
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Kapitel 2: Überblick über die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO
VI. Zusammenfassung und Ergebnis zur Struktur des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO Die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ist in zwei Tatbestandsalternativen unterteilt, die sich jeweils mit Finanzinstrumenten befassen, jedoch aus unterschiedlicher rechtlicher Perspektive. Der erste und der zweite Ausnahmetatbestand in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO, die irreführend beide mit dem Terminus der „Rechte und Pflichten“ eingeleitet werden, stehen im Verhältnis der Exklusivität zueinander und berücksichtigen damit zugleich die besondere Doppelnatur von Finanzinstrumenten: Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO klammert die Rechte und Pflichten aus dem Finanzinstrument aus, die nur im Verhältnis zwischen dem Aussteller und dem Inhaber eines Finanzinstruments existieren. Dagegen bezieht sich die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO grundsätzlich auf Vertragsverhältnisse über den Verkauf- bzw. Kauf von bestimmten Finanzinstrumenten. Sie erfasst nur solche Vertragsverhältnisse, die nicht mit dem Finanzinstrument als Bündel von Rechten und Pflichten identisch sind, sondern das Finanzinstrument als Gegenstand eines Handelsgeschäfts, einer Ware gleich, adressieren. Durch Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO zieht sich demnach eine Trennlinie zwischen Rechten und Pflichten aus dem Finanzinstrument und solchen über das Finanzinstrument. Im Unterschied zur ersten Tatbestandsalternative erfährt der zweite Ausnahmetatbestand in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO dadurch wieder eine Einschränkung, dass es sich bei der fraglichen Verpflichtung nicht um die Erbringung einer Finanzdienstleistung handeln darf. Innerhalb des zweiten Ausnahmetatbestands ist demnach eine weitere Trennlinie zwischen den ausgeklammerten Verpflichtungen einerseits und der Erbringung von Finanzdienstleistungen andererseits gezogen.
Kapitel 3
Ausnahmetatbestand 1 – Die Ausklammerung von Finanzinstrumenten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO A. Der Begriff des Finanzinstruments in der Rom I-VO A. Der kollisionsrechtliche Begriff des Finanzinstruments
In der Rom I-VO ist der Begriff des Finanzinstruments erstmalig auch als Tatbestandsmerkmal und Regelungsgegenstand kollisionsrechtlicher Regelungen eingeführt worden. Weder in dem EVÜ, noch in der Rom IIVO, noch in der Brüssel I-VO existieren Kollisionsregeln speziell für Finanzinstrumente. Aus diesem Grund beginnt die Untersuchung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO mit dem Verständnis dieses Begriffes unter der Rom I-VO. Ein wichtiger Beitrag hierzu ist bereits von Müller geleistet worden.1 Diese Darstellung wendet sich daher schwerpunktmäßig den unter der Rom I-VO diskussionsbedürftigen Merkmalen dieser Instrumente zu. Für den Begriff des Finanzinstruments verzichtet die Rom I-VO auf eine verordnungsautonome Definition und bedient sich stattdessen des Begriffsverständnisses, das der europäische Gesetzgeber bereits in der MiFID umgesetzt hat. Der Grund hierfür ist, dass die neuen Ausnahmeregelungen einen Begriff verwenden sollten, der das Kapitalmarktgeschehen möglichst umfassend abdecken und mit der fortschreitenden Entwicklung der Finanzinstrumente an den Finanzmärkten Schritt halten kann, zugleich aber noch für den Rechtsanwender praktikabel ist.2 Nach Ansicht der britischen Delegation3 und der sich ihnen anschließenden
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Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 51 ff. Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 3. 3 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 5857/07, LIMITE, JUSTCIV 16 CODEC 18, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 31 January 2007, S. 4. 2
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Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1
Kommissionsdienststellen4 vermochte die Definition aus der MiFID diese Kriterien deswegen zu erfüllen, weil sie ihrer beider Ansicht nach präzise, etablierte, aber gleichzeitig auch für Fortentwicklungen offene Merkmale beinhalten würde. Diskutiert wurde sogar, die Definition aus der MiFID unmittelbar bzw. wortwörtlich in die Verordnung zu inkorporieren, wodurch die Rom I-VO zumindest formell eine verordnungsautonome Definition des Finanzinstruments erhalten hätte. Wegen des Umfangs der Definition, die einen ganzen Katalog an unterschiedlichen Finanztiteln umfasst, wurde davon indes wieder Abstand genommen.5 Zudem hätte eine feste Definition im Verordnungstext gegenüber dem Verweis auf eine fremde Richtliniendefinition den Nachteil gehabt, dass sie grundsätzlich jedes Mal hätte aktualisiert werden müssen, wenn auch die MiFID inhaltlich überholt würde. Die in der Verordnung gefundene Lösung sollte dieses Anpassungserfordernis grundsätzlich entbehrlich werden lassen. Da zwischenzeitlich die RL 2014/65/EU („MiFID II“)6 verabschiedet worden ist, welche an die Stelle der mit Wirkung vom 3. Januar 2017 außer Kraft tretenden MiFID treten soll,7 hat die Rechtstatsächlichkeit eindrücklich die verbliebene, praktisch aber kaum zu bewältigende Schwachstelle dieser Definitionstechnik offengelegt. Sofern der Verordnungsgeber die Rom I-VO nicht entsprechend aktualisiert, stellt sich für die Zeit ab dem 3. Januar 2017 daher die Frage, welche Definitionen heranzuziehen sind: Sollen weiterhin die in der Rom I-VO vorgegebenen Definitionen der – dann rechtlich nicht mehr existenten – MiFID gelten oder sollen die an die Stelle der Definitionen und Regelungen in der MiFID tretenden Definitionen und Regelungen in der MiFID II zur Anwendung kommen? Obwohl die für die Rom I-VO relevanten Textstellen in der MiFID ebenfalls Änderungen unterzogen wurden, so insbesondere die Kataloge in Anhang I der MiFID, würden sie unter der Rom I-VO nicht zu anderen Begriffsbestimmungen führen.8 4
Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht, datiert vom 15. März 2007, S. 3. 5 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht, datiert vom 15. März 2007, S. 3. 6 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (Neufassung), abgedruckt in: ABl. (EU) Nr. L 173 vom 12.6.2014, S. 349 ff. 7 Art. 94 Abs. 1 MiFID II. 8 S. insb. in Anhang I Abschnitt C die Nummern 10 und 11.
A. Der kollisionsrechtliche Begriff des Finanzinstruments
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Insbesondere aber stünde eine Heranziehung der MiFID II im Widerspruch zum Wortlaut der Rom I-VO. Ohne ein Tätigwerden des Gesetzgebers sollte daher auch nach der Aufhebung der MiFID an den im Verordnungstext vorgegebenen Verweisungen festgehalten werden. Anders als die Regelung in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO enthält der Regelungstext von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO keinen unmittelbaren Verweis auf die Definition des Finanzinstruments in Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 MiFID. Die Vorgabe, den in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO verwendeten Begriff des Finanzinstruments im Sinne der MiFID auszulegen, folgt jedoch ausdrücklich aus Erwägungsgrund 30.9 Da die Auslegungsregel in Erwägungsgrund 30 „für die Zwecke dieser Verordnung“ und nicht ausschließlich für Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO aufgestellt worden ist, hätte es umgekehrt der expliziten Gleichstellung mit der Richtliniendefinition in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO gar nicht bedurft. Für den Begriff des Finanzinstruments in der Rom I-VO kann als erstes Zwischenergebnis festgehalten werden, dass er grundsätzlich mit dem Begriff des Finanzinstruments in der MiFID inhaltlich identisch ist. Um den Begriff des Finanzinstruments mit Inhalt zu füllen, sind daher die entsprechenden Regelungen aus der MiFID heranzuziehen. I. Finanzinstrumente im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 MiFID Die MiFID definiert den Begriff des Finanzinstruments rechtstechnisch auf zwei Stufen, von denen materiell nur die zweite eine echte Begriffsbestimmung enthält: Was sie unter einem Finanzinstrument versteht, hält sie auf erster Stufe in Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 MiFID fest. Finanzinstrumente sind danach „die in Anhang I Abschnitt C genannten Instrumente“. Auf Grund dieser Verweisung ist auf zweiter Stufe der in Anhang I Abschnitt C aufgenommene Katalog an Instrumenten heranzuziehen, der zehn einzelne Posten aufführt. Die dort genannten Instrumente wiederum sind teilweise in den Begriffsbestimmungen in Art. 4 MiFID definiert, teilweise enthalten die Posten bereits selbst eine Beschreibung des von ihnen erfassten Typs eines Finanzinstruments. Zusammengefasst verwendet die MiFID anstelle einer Legaldefinition einen abschließenden Katalog an Instrumenten, dem sich ein Finanzprodukt zuordnen lassen muss, damit es als Finanzinstrument im Sinne dieser Richtlinie eingeordnet werden kann. Da die Bezeichnung „Finanzinstrument“ als Oberbegriff für verschiedene Instrumente fungiert, kommt es auf die darunter zusammengefassten Instrumente an, die aus 9
So auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 51.
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Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1
diesem Grund im Einzelnen dargestellt werden. Die Darstellung erfolgt hierbei aus der Perspektive der Rom I-VO.10 Soweit der Richtlinientext Begriffe enthält, die nur im räumlichen Kontext der Richtlinie verständlich sind, muss unter der Rom I-VO auf sie verzichtet bzw. an ihrer statt eine universell verständliche Auslegung gefunden werden. Die Kommissionsdienststellen gingen davon aus, dass sich der Anwendungsbereich der Definitionen nicht auf den EU-Kontext beschränke, „weil die MiFID-Definitionen deskriptiv sind und ... nicht auf ordnungspolitischen Konzepten beruhen, die ausschließlich im Unionsrecht vorkommen“.11 Dies wird im folgenden Abschnitt überprüft. Ob die einzelnen Definitionen bzw. Beschreibungen sachliche Beschränkungen enthalten, die durch die Regelungsziele der MiFID vorgegeben sind und unter der Rom I-VO nicht aufrecht erhalten werden können, lässt sich an dieser Stelle hingegen noch nicht beantworten. Voraussetzung ist die Kenntnis des Regelungszwecks des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO; dieser ist Gegenstand des sich anschließenden Untersuchungsabschnitts. II. Übertragbare Wertpapiere im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID Als Prototypen des Finanzinstruments sind die „übertragbaren Wertpapiere“ an den Anfang des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID gestellt. Ihrer Bedeutung auf dem Kapitalmarkt trägt die Rom I-VO mit einem Ausnahmetatbestand speziell für bestimmte Geschäfte über „übertragbare Wertpapiere“ in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Rechnung. Es empfiehlt sich daher, diesen Unterfall eines Finanzinstruments genauer zu betrachten. Der Begriff des übertragbaren Wertpapiers ist in Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID mit einem nicht abschließenden12 Katalog klassischer Effekten, wie sie massenhaft auf den Finanzmärkten gehandelt werden,13 ausgefüllt. Dieser Katalog kombiniert typologische mit abstrakten Begriffsbildungselementen,14 indem er drei Untergruppen jeweils spezifischer Wertpapiertypen („Aktien“, „Schuldtitel“, „sonstige Wertpapiere“) aufstellt, denen er drei für alle übertragbaren Wertpapiere gleichermaßen geltende abstrakte Kriterien voranstellt. Diese abstrakten 10
Eine ausführliche Untersuchung dieses Begriffs unter der MiFID findet sich bei Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 53 ff. 11 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 3. 12 Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 15. 13 Grundmann, in: Joost/Strohn (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. VI48. 14 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 6.
A. Der kollisionsrechtliche Begriff des Finanzinstruments
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Kriterien geben maßgeblich vor, welche Voraussetzungen ein übertragbares Wertpapier im Sinne der MiFID zu erfüllen hat. Demgegenüber kommt den beispielhaft aufgeführten (typischen) übertragbaren Wertpapieren die Funktion zu, den Wertpapierbegriff unter Rekurs auf allgemein bekannte Effekten zu veranschaulichen.15 Sowohl die abstrakten als auch die typologischen Begriffsbildungselemente stellen den Rechtsanwender vor die Schwierigkeit, dass sie ihrerseits nicht definiert sind. 1. Die abstrakten Kriterien eines übertragbaren Wertpapiers im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID a) „Übertragbare Wertpapiere“ und „Wertpapiergattungen“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID In den Mittelpunkt seiner Definition setzt Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID die Eignung der Wertpapiere zum Handel auf dem Kapitalmarkt. Wertpapiere nach dieser Definition können darüber hinaus nur „übertragbare“ Wertpapiere sein, die sich zu „Wertpapiergattungen“ zusammenfassen lassen. Diese drei Anforderungen grenzen sich zwar begrifflich voneinander ab; inhaltlich greifen sie jedoch teilweise ineinander über, indem sie jeweils gleiche Voraussetzungen zugrunde legen. So drückt sich das Erfordernis, dass die Wertpapiere standardisiert zu sein haben, einerseits in der Benennung von „Wertpapiergattungen“ anstelle einfacher „Wertpapiere“ aus: Zu Gattungen von Wertpapieren lassen sich nur Wertpapiere gleichen oder zumindest ähnlichen Inhalts zusammenfassen.16 Den gleichen Inhalt haben Wertpapiere, die standardisiert ausgestaltete private Rechte zum Gegenstand haben, Wertpapiere also, die nicht individuell auf die Interessen einzelner Anleger zugeschnitten sind.17 Andererseits ist dem Wertpapierbegriff auch ohne dieses ausdrückliche Kriterium in Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID die Voraussetzung standardisierter Ausgestaltung der Wertpapiere immanent: Die Standardisierung ist grundlegendes Kriterium für den Handel auf dem Kapitalmarkt, weil durch sie Wertpapiere vertretbar, d.h. gegeneinander aus-
15
So auch: Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 15. Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 7; Roth, in: KKWpHG, § 2 Rn. 24; Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 14. 17 Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 14; Assmann, in: Assmann/ U. Schneider, WpHG, § 2 Rn. 7; Kümpel/Wittig/Brandt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.26 (S. 1908). 16
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Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1
tauschbar und dadurch nach Art und Zahl bestimmbar werden.18 Die in der Literatur aufgrund des Begriffs „Gattung“ aufgeworfene Frage, auf Grundlage welcher Kriterien sich Wertpapiere zu Gattungen konstituieren und voneinander abgrenzen sollen,19 geht über den Zweck der Definition unter der MiFID hinweg: Die mit ihrem Vorgängerregelwerk, der RL 93/22/EWG („Wertpapierdienstleistungsrichtlinie“),20 eingeführte Definition der übertragbaren Wertpapiere zielte darauf ab, alle üblicherweise am Kapitalmarkt gehandelten Wertpapiergattungen zu erfassen.21 Das damit verfolgte Ziel, über die Aufnahme möglichst aller umlaufenden Wertpapiere ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten, gilt für die MiFID fort.22 Hierfür ist es nicht erforderlich, über die Standardisierung hinausgehende Anforderungen an die Zuordnung zu einer Gattung zu stellen. Daher ist der Ansicht zuzustimmen, wonach eine emittentenübergreifende Standardisierung in Form einer weitgehend einheitlichen Ausstattung der Anteile nicht erforderlich sein soll.23 Um eine Gattung bilden zu können, ist jedoch eine Mehrzahl an gleich ausgestalteten Wertpapieren desselben Ausstellers erforderlich.24 Auch die ausdrückliche Kennzeichnung als „übertragbar“ wird zugleich mittelbar von dem Kriterium der „Handelbarkeit“ miterfasst: Schon aus sich selbst heraus verständlich ist, dass Wertpapiere, die handelbar sind, auch übertragbar bzw. zirkulationsfähig sein müssen.25 Aus dem Richtlinientext, der das Kriterium der Übertragbarkeit als eigenständiges Begriffsmerkmal auf Seiten des zu definierenden Objekts aufstellt, geht dieser innere Zusammenhang nicht eindeutig hervor, bestätigt sich aber mit Blick auf Art. 35 Abs. 1 MiFID-Durchführungsverordnung.26
18
Kümpel/Wittig/Brandt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.24 f. (S. 1907 f.); Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 24. 19 Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 14. 20 Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen, abgedruckt in: ABl. (EU) Nr. L 141 vom 11.6.1993, S. 27. 21 Erwägungsgrund 9 in der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie. 22 Erwägungsgrund 2 in der MiFID. 23 Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.) WpHG, § 2 Rn. 14. 24 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 56. 25 Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG § 2 Rn. 16; Assmann, in: Assmann/ U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 10; Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 26. 26 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 10.
A. Der kollisionsrechtliche Begriff des Finanzinstruments
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b) Die „Handelbarkeit“ eines übertragbaren Wertpapiers im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID Als problematisch hat sich bereits unter der MiFID das Kriterium der „Eignung zum Handel“ erwiesen, das in Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID mit der Formulierung umgesetzt ist, dass es sich um Wertpapiere handeln müsse, „die auf dem Kapitalmarkt gehandelt werden können“. Während noch Einigkeit darüber besteht, dass sich ein tatsächlich existierender Markt im Sinne von Angebot und Nachfrage noch nicht herausgebildet haben muss,27 damit ein Wertpapier handelbar ist, ist bislang nicht geklärt, welche Anforderungen darüber hinaus an die Eignung zum Handel zu stellen sind. Diese Unsicherheit resultiert aus dem oben bereits skizzierten Umstand, dass die Kriterien der Standardisierung und der Übertragbarkeit gemeinsam in der Eignung zum Handel aufgehen. Wenn aber Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID die „Handelbarkeit“ als eigenständiges Kriterium neben diesen beiden Merkmalen aufführt, so ergibt diese Definition nur dann Sinn, wenn die Handelbarkeit über die beiden anderen Merkmale hinaus eine spezielle Anforderung an übertragbare Wertpapiere stellt. Im Kern kreist die Diskussion um die Frage, welche Einschränkungen der Übertragbarkeit sich noch mit der Einordnung als kapitalmarkttaugliches Wertpapier vereinbaren lassen. Einschränkungen der Übertragbarkeit ergeben sich aus dem Recht, das die Übertragbarkeit regelt. Gestattet das jeweilige Recht die Übertragung des Wertpapiers, ohne hierfür besondere Anforderungen an die beteiligten Personen zu stellen, so ist es in jedem Fall handelbar. An dieser Stelle wird das Problem noch nicht relevant. Es zeigt sich in seiner Bedeutung insbesondere dann, wenn zur (sicheren) Übertragung des Wertpapiers bestimmte Handlungen aller Beteiligten erforderlich sind. Ob solche Wertpapiere noch „übertragbare Wertpapiere“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 15 MiFID sind, ist die Frage, auf die sich die Diskussion um das Kriterium der Handelbarkeit zuspitzt. Für die Beantwortung dieser Frage lassen sich in beide Richtungen überzeugende Argumente auffinden. Zu Gunsten eines engen Verständnisses ließe sich zunächst anführen, dass lediglich bei frei übertragbaren bzw. zirkulationsfähigen Wertpapieren ein möglichst reibungsloser und unaufwendig ablaufender Handel gewährleistet ist.28 Frei übertragbare Wertpapiere sind solche Wertpapiere, bei denen der Übertragungsakt dem Erwerber mehr Sicherheit 27
So für § 2 WpHG: Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 9; Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 17. 28 Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 34; so wohl auch Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 17.
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Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1
bietet als es der Fall wäre, wenn er eine einfache Forderung nach den Grundsätzen des Zessionsrechts erwerben würde.29 Dieses Ziel wird unter deutschem Recht dadurch erreicht, dass die Übertragung des verbrieften Rechts nach sachenrechtlichen Grundsätzen durch Übereignung des Papiers zu erfolgen hat, das Wertpapier einem gutgläubigen Erwerb zugänglich ist und kein Nachweis der Verfügungsberechtigung über den Besitz des Papiers oder eines entsprechenden Eintrags hinaus erforderlich ist.30 Weiterhin zeichnet sich ein zirkulationsfähiges Wertpapier dadurch aus, dass Einwendungen des Schuldners gegenüber dem Erwerber weitestgehend ausgeschlossen sind.31 Wertpapiere, die diesen Anforderungen entsprechen, nähern sich stark den commodities, den Waren an. Sie lassen eine vorherige Prüfung der Transaktion im Hinblick auf mögliche Rechte Dritter entfallen und können daher innerhalb kürzester Zeit zwischen verschiedenen Personen auf einem Markt zirkulieren. Demgegenüber will eine andere Ansicht unter der Regelung des § 2 Abs. 1 WpHG, welche die Vorgaben des Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID umsetzt, auch solche Wertpapiere genügen lassen, deren Übertragung nur nach zessionsrechtlichen Grundsätzen oder mit Zustimmung Dritter erfolgen kann32 und hält die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs nicht für ein für die Handelbarkeit konstitutives Merkmal.33 Sie hat das Argument auf ihrer Seite, dass Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID keine Verbriefung des Wertpapiers voraussetzt,34 die in den allermeisten Fällen rechtlicher Anknüpfungspunkt für die freie Übertragbarkeit ist.35 Mangels einer Definition des Begriffs der „Handelbarkeit“ weder in der MiFID noch ihrer Vorgängerrichtlinie sind die Anforderungen daran aus dem Gesamtkontext herzuleiten, in welchen der Begriff des übertragbaren Wertpapiers der Richtlinie eingeordnet ist: Die Handelbarkeit des Wertpapiers steht nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID nicht für sich, sondern nimmt Bezug auf den Kapitalmarkt. Die Wahl des Begriffes „Kapitalmarkt“ ist vor der Binnendifferenzierung, welche die Richtlinie 29
Grundman, in: Joost/Strohn (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. VI48. Vgl. Kümpel/Wittig/Brandt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.36 ff. (S. 1911 f.). 31 Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, WpHG, § 2 Rn. 3. 32 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 8. 33 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 17; Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, WpHG, § 2 Rn. 2. 34 S.u. Kapitel 3: A. II. 3. Zusammenfassung und Zwischenergebnis zu dem Begriff des übertragbaren Wertpapiers nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID und dessen Anwendbarkeit unter der Rom I-VO. 35 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 17. 30
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zwischen einzelnen Marktsegmenten („geregelter Markt“, „multilaterale Handelssysteme“) trifft, so zu verstehen, dass mit ihm der Kapitalmarkt bezeichnet werden soll, der als Oberbegriff alle Märkte zusammenfasst, an denen Wertpapiere gehandelt werden. Sind es dessen Anforderungen an die Handelbarkeit eines Wertpapiers, die den Begriff der Handelbarkeit prägen, so müssen sie konsequenterweise weniger streng ausgestaltet sein als diejenigen Anforderungen, die ein Wertpapier zu erfüllen hat, um zu einem geregelten Markt als ein besonders streng reglementiertes Marktsegment zugelassen zu werden.36 Nach Art. 40 Abs. 2 MiFID sind zu einem solchen geregelten Markt nur diejenigen übertragbaren Wertpapiere zuzulassen, die frei handelbar sind. Soll nun die freie Handelbarkeit das für die Zulässigkeit zum geregelten Markt maßgebliche Kriterium darstellen, so kann sie gerade nicht als konstitutives Merkmal für übertragbare Wertpapiere gelten, die außerhalb dieses Segments gehandelt werden. Ansonsten wäre die besondere Regelung in Art. 40 Abs. 2 MiFID überflüssig. Als erstes Ergebnis steht damit fest, dass neben der freien auch eine einfache Handelbarkeit existiert und unter Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID auch solche Wertpapiere fallen, die nicht frei handelbar sind.37 Das Maximum an Übertragbarkeit, die freie Übertragbarkeit in diesem Sinne, ist nicht erforderlich.38 Daran schließt sich zwingend die Frage an, welches Minimum an (einfacher) Übertragbarkeit Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID voraussetzt. Für die Klärung dieser Frage ist Art. 40 Abs. 2 MifID nicht weiter hilfreich. Unter welchen Voraussetzungen ein Wertpapier frei handelbar ist, gibt zwar die dazugehörige Definition in Art. 35 Abs. 1 MiFID-Durchführungsverordnung39 an. Eine eindeutigere Aussage zu dem Inhalt der freien Handelbarkeit als diejenige, dass die Gewährleistung reibungsloser und zuverlässiger Transaktion nicht für alle Märkte, sondern nur für den geregelten Markt gilt, lässt sich ihr indes nicht entnehmen. Allein aus der Festlegung, dass die freie Handelbarkeit strengeren Anforderungen 36
Assmann, in: Assman/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 8; Roth, in: KKWpHG, § 2 Rn. 24. 37 Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 32. 38 So auch: Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 8; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 63. 39 VO (EG) Nr. 1287/2006 der Kommission vom 10. August 2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufzeichnungspflichten für Wertpapierfirmen, die Meldung von Geschäften, die Markttransparenz, die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel und bestimmte Begriffe im Sinne dieser Richtlinie, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 241 vom 2.9.2006, S. 1 ff.
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als die einfache Handelbarkeit unterliegt, lässt sich kein Rückschluss auf die Mindestanforderungen an die einfache Handelbarkeit ziehen. Aus demselben Grund hilft auch die Empfehlung seitens des CESR40 nicht weiter, wonach die freie Handelbarkeit so zu verstehen sei, dass die Übertragung unbeschränkt möglich sei.41 Möglicherweise hat der europäische Gesetzgeber die Anforderungen an die einfache Übertragbarkeit jedoch bewusst offen gelassen. Dies würde zu seinem Anliegen passen, mit der MiFID „das volle Angebot der anlageorientierten Tätigkeiten abzudecken“.42 Um das vorhandene Angebot entsprechend voll erfassen zu können, ist es erforderlich, den Wertpapierbegriff so auszulegen, dass er auf alle tatsächlich auf den Kapitalmärkten zirkulierenden Wertpapiere Anwendung finden kann. Stellt man dergestalt auf diesen Zweck der Definition des übertragbaren Wertpapiers ab, so ist nicht erkennbar, warum die Übertragung streng nach sachenrechtlichen Grundsätzen oder die Eignung als Gegenstand gutgläubigen Erwerbs allein maßgeblich für die Handelbarkeit sein sollte. Stattdessen gilt: Sobald sich Wertpapiere im Umlauf auf dem Kapitalmarkt befinden, weisen sie die nötige Eignung zum Handel auf. Nur mit solch einem Verständnis eines dynamisch ausgestalteten Wertpapierbegriffs43 lässt sich dem Schutzzweck der MiFID umfassend Rechnung tragen. Unter Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID sind daher alle Wertpapiere zu fassen, die übertragbar und standardisiert ausgestaltet sind und deren Anforderungen an die Übertragbarkeit im konkreten Einzelfall der Umlauffähigkeit nicht entgegenstehen. 2. Die typologischen Kriterien eines übertragbaren Wertpapiers im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID Die typologische Einordnung in den Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 lit. a bis c MiFID erfolgt anhand der Art des Rechts, das in dem Wertpapier verbrieft ist bzw. das es repräsentiert: An erster Stelle stehen die Beteiligungs- bzw. Mitgliedschaftsrechte, deren Prototyp im deutschen Recht die Aktie ist,44 weswegen sie in der deutschen Sprachfassung auch ausdrücklich benannt wird. Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 lit. a MiFID will indes nicht lediglich die Aktie und ihre Funktionsäquivalente in den anderen Mitgliedstaaten erfassen, sondern daneben auch Wertpapiere, die, wort40
The Committee of European Securities Regulators (CESR). CESR, Technical Advice, S. 97, abrufbar unter: . 42 Erwägungsgrund 1 in der MiFID. 43 Voss, BKR 2007, 45, 49; Sester, ZBB 2008, 369, 378. 44 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 14. 41
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wörtlich, Aktien oder Anteilen an Gesellschaften, Personengesellschaften oder anderen Rechtspersönlichkeiten gleichzustellen sind, sowie drittens Aktienzertifikate. Der Anwendungsbereich der zweiten Fallgruppe der gleichzustellenden Wertpapiere ist durch Auslegung so zu korrigieren, dass nicht nur die Wertpapiere erfasst sind, die Anteilen an Gesellschaften, Personengesellschaften und anderen Rechtspersönlichkeiten nur gleichgestellt sind, sondern auch diese Wertpapiere selbst.45 Das Wertpapier, zu dem Vergleichbarkeit bestehen muss, ist demnach unter deutschem Recht die Aktie.46 Vergleichbarkeit in diesem Sinne setzt lediglich die Verkörperung von Mitgliedschaftsrechten voraus,47 ohne dass es auf die rechtliche Form der Organisation, an der ein Mitgliedschaftsrecht gewährt wird, ankommen soll.48 Darüber hinaus lassen sich keine weiteren Anhaltspunkte speziell für die Vergleichbarkeit mit einer Aktie aufstellen, weil solche bereits aus den abstrakten Kriterien folgen. Dadurch fallen beispielsweise unter deutschem Recht GmbHAnteile weg, denen es an der Handelbarkeit fehlt, weil sie zum einen in der Regel nicht standardisiert ausgestaltet sind und zum anderen ihre Übertragung notariell zu beurkunden ist.49 Aktienzertifikate sind Urkunden, die wirtschaftlich an die Stelle der unmittelbaren Beteiligung am Grundkapital der Aktiengesellschaft treten50 und zu dem Zweck ausgestellt werden, die Handelbarkeit einer Aktie zu erhöhen bzw. erst herzustellen.51 An zweiter Stelle stehen die Wertpapiere, die unter deutschem Recht als „Schuldtitel“ bekannt sind52 und deswegen so bezeichnet werden, weil sie schuldrechtlich begründete Ansprüche vermögensrechtlichen Inhalts verbriefen.53 Unter deutschem Recht werden
45 Voss, BKR 2007, 45, 48; Assmann, in: Assman/Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 15; Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 23. 46 Siehe die Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID in § 2 Abs. 1 Nr. 1 WpHG. 47 Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 16. 48 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 16. 49 Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 18; Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 23; a.A. Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 16. 50 Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 25. 51 Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 32. 52 Vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG. 53 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 20; Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 23; Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 57.
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dazu die Inhaber- und Orderschuldverschreibungen, mangels Standardisierung dagegen nicht die Namensschuldverschreibungen, gerechnet.54 Zu den drittens in Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 lit. c MiFID aufgenommenen Wertpapieren zählen all diejenigen Wertpapiere, die sich nach Ansicht des Richtliniengebers weder unter lit. a noch unter lit. b einordnen lassen, weil sie selbst den Kauf oder Verkauf dieser Wertpapiere zum Gegenstand haben. Da solche Wertpapiere, in Deutschland Optionsscheine genannt, mit dem Recht zum Kauf bzw. Verkauf einen schuldrechtlich begründeten Anspruch vermögensrechtlichen Inhalts verbriefen, ist grundsätzlich kein Anwendungsbereich vorstellbar, der für diese dritte Fallgruppe neben Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 lit. b MiFID verbliebe.55 Es wird daher davon ausgegangen, dass die durch Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 lit. c MiFID vorgenommene Qualifizierung dieser Wertpapiere als eigenen Wertpapiertypus vorrangig der Klarstellung dienen soll, dass auch diese Papiere übertragbare Wertpapiere im Sinne der Richtlinie sind.56 Abschließend grenzt die Definition des übertragbaren Wertpapiers in Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID Zahlungsinstrumente aus, worunter liquide, üblicherweise als Zahlungsmittel verwendete Instrumente wie Bargeld zu verstehen sind.57 3. Zusammenfassung und Zwischenergebnis zu dem Begriff des übertragbaren Wertpapiers nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID und dessen Anwendbarkeit unter der Rom I-VO Übertragbare Wertpapiere nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID sind standardisierte und übertragbare Wertpapiere, die gleichermaßen mitgliedschaftsrechtlich wie schuldrechtlich als auch als Mischformen ausgestaltet sein können. Dem Ziel der MiFID nach umfassender Regelung aller tatsächlich angebotenen Finanzdienstleistungen lässt sich nur durch eine extensive Auslegung des Begriffs gerecht werden mit dem Ergebnis, dass die Wertpapiere trotz ihres Namens weder verbrieft, noch sonstwie materialisiert58 und auch nicht frei handelbar ausgestaltet sein 54
Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 23 ff. Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 30. 56 Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 29; Assmann, in: Assmann/ U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 31. 57 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 12. 58 Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, WpHG, § 2 Rn. VI48; Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 6; Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 11; Roth, in: KKWpHG, § 2 Rn. 37; Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 11. 55
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müssen. Im Randbereich der eingeschränkten Übertragbarkeit stellt es eine Frage des Einzelfalles dar, ob ein Papier noch ein übertragbares Wertpapier im Sinne der Richtlinie ist. Von der autonom zu beantwortenden Frage nach den Voraussetzungen eines übertragbaren Wertpapiers unter der Rom I-VO, auf welche die Definition in Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID Antwort gibt, ist die Frage zu trennen, ob ein bestimmtes Papier bzw. Recht ein übertragbares Wertpapier in diesem Sinne ist, ob es also die genannten Voraussetzungen erfüllt. Wie diese Qualifikationsfrage zu beantworten ist, ist in der Rom I-VO nicht geregelt, so dass ein Rückgriff auf die lex fori einschließlich ihrer Kollisionsregeln erforderlich wird. Es bietet sich unter deutschem Kollisionsrecht an, entsprechend den Grundsätzen zum Internationalen Wertpapierrecht59 zu verfahren und das Wertpapierrechtsstatut als das Statut, dem das Recht aus dem Papier unterliegt, zur Anwendung zu berufen. Da dem Wertpapierrechtsstatut gemeinhin die Fragen nach der Rechtsqualität der Urkunde als Wertpapier und der Art und Weise der Übertragung des verbrieften Rechts zugewiesen werden,60 eignet es sich ebenfalls für die Beantwortung der Frage nach der Handelbarkeit. Nur das Recht, das diese Anforderungen aufstellt, kann auch darüber Auskunft geben, welche Einschränkungen sich aus diesen Anforderungen für die Handelbarkeit des Papiers ergeben. Aufgrund der extensiven Auslegung des Begriffs „handelbar“ ist die Frage der Einordnung eines Wertpapiers als „handelbar“ im praktischen Ergebnis umfänglich der lex fori zugewiesen. III. Geldmarktinstrumente nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 19 MiFID In Art. 4 Abs. 1 Nr. 19 definiert die MiFID die in Nr. 2 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C gelisteten Geldmarktinstrumente als „die üblicherweise auf dem Geldmarkt gehandelten Gattungen von Instrumenten wie Schatzanweisungen, Einlagenzertifikate und Commercial Papers, mit Ausnahme von Zahlungsinstrumenten“. Geldmarktinstrumente haben mit den „übertragbaren Wertpapieren“ nach Nr. 1 des Katalogs die Standardisierung, die Übertragbarkeit und die Handelbarkeit im Sinne der Verkehrsfähigkeit gemein, setzen jedoch anders als diese das Bestehen eines Marktes voraus.61 Die begriffsimmanente Zuordnung dieser Fi59
Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR 2002, Art 37 EGBGB Rn. 48; Staudinger/ Stoll, Int. Sachenrecht 1996 Rn. 412 ff. 60 MüKo/Wendehorst, EGBGB, Art. 43 Rn. 195. 61 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 36; Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 36.
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nanzinstrumente zum Geldmarkt, dessen Teilnehmer immer Kreditinstitute, Zentralbanken und der Staat sind,62 niemals aber Privatanleger,63 schließt diese Gruppe als Finanzinstrumente, welche von der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO betroffen sind, aus praktischen Gründen aus. Für die folgenden Untersuchungen sind sie daher nicht weiter relevant. IV. Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen In Nr. 3 des Katalogs führt die MiFID die „Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen“ ohne weitere Definition im Regelungstext als Finanzinstrumente im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 ein. Der Begriff des „Organismus für gemeinsame Anlagen“ entstammt einer Reihe von Richtlinien, an deren Anfang die als „OGAW-Richtlinie“ bekannte RL 85/611/EWG64 steht. Gleichwohl inkorporiert die MiFID deren Begriffsverständnis nicht: Stattdessen verkürzt sie den Begriff des „Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ aus der OGAW-Richtlinie um den Begriff des Wertpapiers und hält ihn dadurch in Bezug auf die Anlagetitel bewusst offen. Daher können auch Anteile an solchen Organismen, die nicht von der OGAW-Richtlinie bzw. ihrem Nachfolgeakt, der RL 2009/65/EG65 („OGAW-IV-Richtlinie“) geregelt werden, Finanzinstrumente im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 MiFID sein.66 Was für ein Institut der Organismus für gemeinsame Anlagen (kurz: „OGA“) verkörpert, wird in dieser Arbeit an anderer Stelle, im Rahmen des speziell die Zeichnung und den Rückkauf von OGAW-Anteilen betreffenden Ausnahmetatbestands in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO, behandelt.67 Ohne zu hierauf zu weit vorzugreifen kann über den 62
Kümpel/Wittig/Oulds, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 14.52 (S. 1805); Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 37; Roth, in: KKWpHG, § 2 Rn. 70; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 1.51 (S. 14). 63 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 1.54 (S. 15). 64 Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), abgedruckt in: ABl. (EU) Nr. L 611 vom 20.3.1985, S. 1 ff. 65 Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (Neufassung), abgedruckt in: Abl. (EU) Nr. L 302 vom 17.11.2009, S. 32 ff. 66 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 34; Kümpel/ Wittig/Oulds, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 14.39 (S. 1800). 67 S.u. Kapitel 4: E. Verträge über OGAW-Anteile.
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Anteil an einem solchen OGA an dieser Stelle gesagt werden, dass er unter deutschem Recht als Wertpapier sui generis eingeordnet wird,68 weil er neben schuldrechtlichen auch dingliche Ansprüche verbrieft,69 was seine Einordnung als Wertpapier in Form von Schuldtiteln nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID ausschließt. Wohl unter Berücksichtigung solcher nationaler Qualifikationen von OGA-Anteilen hat die MiFID diese Anteile als eigene Kategorie in den Katalog der Finanzinstrumente eingeführt. V. Derivative Finanzinstrumente 1. Überblick über den Begriff des derivativen Finanzinstruments in der MiFID Die in den Nummern 4 bis 10 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID aufgelisteten Finanzinstrumente lassen sich zur Gruppe der „derivativen Finanzinstrumente“ bzw. „Derivatkontrakte“ oder „Derivate“ zusammenfassen, worunter die Richtlinie bilaterale Geschäfte versteht, die erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erfüllen sind und deren Wert sich von einem in Bezug genommenen anderen Wert (Bezugswert) ableitet. Anders als die Abhängigkeit von einem Bezugswert, die der Katalog in den Nummern vier bis sieben und zehn für das Vorliegen eines Derivatkontrakts ausdrücklich verlangt,70 erschließt sich das Merkmal der zeitlich verzögerten Erfüllung mittelbar aus der Regelung des Art. 38 Abs. 1 MiFID-Durchführungsverordnung, die das derivative Finanzinstrument negativ zum sogenannten „Kassageschäft“ abgrenzt. Bei einem Kassageschäft handelt es sich um ein Verkaufsgeschäft, welches grundsätzlich innerhalb von zwei Handelstagen und darüber hinausgehend nur ausnahmsweise, bei Bestehen einer als marktmäßiger Standard akzeptierten Lieferfrist, zu erfüllen ist.71 Im Umkehrschluss ist ein Derivatkontrakt ein Verkaufsgeschäft, das gerade nicht im unmittelbaren Anschluss an den Vertragsabschluss zu erfüllen ist, sondern bei welchem Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft zeitlich auseinander fallen.72 Zu einem realen Leistungsaustausch kommt es in aller Regel jedoch nicht: Stattdessen wird der Kurswert mit dem vereinbarten Wert 68
Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 32; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2373 (S. 1213). 69 Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 32. 70 Originalwortlaut: „und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf ...“. 71 Art. 38 Abs. 1 MiFID-Durchführungsverordnung. 72 Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 1 (S. 43); Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 90.
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saldiert und die Differenz vom verlierenden an den gewinnenden Teil ausgezahlt, so dass der Erwerb des zum Gegenstand des Geschäft gemachten Basiswerts von vorneherein nicht erforderlich ist.73 Dies macht Derivatgeschäfte in der Praxis zu einem wertvollen Instrument, mit dem sich gleichermaßen gezielt Risiken abfangen (hedging)74 als auch hohe Gewinne ohne großen Mitteleinsatz erwirtschaften (Spekulation, trading)75 lassen sowie systematisch Marktpreisdifferenzen ausgenutzt werden können (Arbitrage)76. Die vier vertraglichen Gestaltungen, die der Katalog in den Nummern 4 bis 7 und 10 jeweils als spezielle Derivatkontrakte aufführt, bilden Konstrukte ab, wie sie auf dem Kapitalmarkt gängig sind. 2. Optionen Die an jeweils erster Stelle der im Katalog aufgelisteten Untergruppierungen von Derivatkontrakten benannte „Option“ bezeichnet ein bedingtes Geschäft, ein Geschäft also, welches eine Vertragspartei dazu berechtigt, nicht aber verpflichtet, von der anderen zu einem bestimmten Zeitpunkt (europäische Option)77 oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums (amerikanische Option)78 die Erfüllung einer bestimmten Leistung zu verlangen.79 Eine Option, die zum Kauf eines bestimmten Bezugs-
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Claussen/Ekkenga, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rn. 76 (S. 464). MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 48; Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 12 (S. 48); Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.34 (S. 2399); Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 9.107 (S. 728). 75 MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 39, 48; Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 13 (S. 49); Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.50 (S. 2403); Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 9.107 (S. 728). 76 Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 14 f. (S. 50); Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 32; Clouth, in: Ellenberger/ Schäfer/Clouth/Lang (Hrsg.), Handbuch Wertpapier- und Derivategeschäft, Rn. 1142 (S. 447). 77 Müller, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 54 Rn. 8 (S. 1620). 78 Müller, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 54 Rn. 8 (S. 1621); Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 83. 79 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 43; Roth, in: KKWpHG, § 2 Rn. 83; Müller, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 54 Rn. 8 (S. 1620). 74
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wertes berechtigt, wird als Call-Option bezeichnet.80 Erlaubt sie umgekehrt den Verkauf des Bezugswertes, handelt es sich um eine PutOption.81 Für die Einräumung des Wahlrechts wird der Verkäufer der Option, gemeinhin als „Stillhalter“ bezeichnet, mit einer Prämie vergütet,82 die bei Vertragsschluss zu zahlen ist und den Ausgleich dafür stellt, dass Optionen nur für die berechtigte Partei „einen positiven Wert“ haben können.83 Diese Pflicht zur Leistung der Prämie fällt unabhängig davon an, ob der Berechtigte von der Option später Gebrauch machen wird oder nicht.84 Regelmäßig wird der Käufer eine Option nur ausüben, wenn er durch die in der Option vereinbarten Bedingungen besser gestellt ist als wenn er den Vertrag auf gewöhnlichem Wege abschließen würde, wenn also die Option in der Sprache der Kapitalmärkte in-the-money85 ist.86 Erfüllt das Optionsrecht die Voraussetzungen an die Handelbarkeit nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID, unter deutschem Recht durch Verbriefung als Inhaberschuldverschreibung, ordnet es sich nicht nur als Derivatkontrakt, sondern zugleich als übertragbares Wertpapier ein.87 Der Unterschied besteht darin, dass das grundsätzlich dem Terminhandel zuzurechnende Optionsrecht als übertragbares Wertpapier zu einem Produkt des Kassamarktes wird.88
80 Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 8 (S. 46); Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 44. 81 Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 37; Fuchs, WpHG § 2 Rn. 44; Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 8 (S. 46). 82 Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 19; Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 83. 83 Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 8 (S. 46); Kolb/ Overdahl, Futures, Options, and Swaps, S. 331. 84 Kolb/Overdahl, Futures, Options, and Swaps, S. 331. 85 Im bei einer „Call-Option“ umgekehrten Fall, dass der Kurspreis niedriger als der vereinbarte Preis ist, ist sie out-of-the-money; sind Kurspreis und vereinbarter Preis identisch, heißt es, dass die Option at-the-money ist: Kolb/Overdahl, Futures, Options, and Swaps, S. 331. 86 Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 8 (S. 46). 87 Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 26. 88 Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 26; Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.97 (S. 2412).
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3. Termingeschäfte und Terminkontrakte Unter der Richtlinie kommt dem Begriff „Termingeschäft“ eine andere Bedeutung als diejenige zu, unter der er im deutschen Recht verwendet wird. Im deutschen Recht steht der Begriff des Termingeschäfts nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 WpHG als Oberbegriff89 für alle Geschäfte, „die zeitlich verzögert zu erfüllen sind und deren Wert sich unmittelbar oder mittelbar vom Preis oder Maß eines Basiswertes ableitet“.90 Der deutsche Gesetzgeber hat sich dieser Definition im Rahmen der Umsetzung der MiFID in das nationale Recht bedient, um darunter die in Anhang I Abschnitt C Nr. 4 bis 7 und 10 der Richtlinie explizit aufgeführten Derivatkontrakte ebenso fassen zu können wie die unter die dortige „Öffnungsklausel“ fallenden „anderen Derivatkontrakte“.91 Mit dieser Bedeutung ist der Begriff „Termingeschäft“ in § 2 Abs. 2 Nr. 1 WpHG inhaltlich identisch mit dem des „Derivatkontrakts“ aus dem Katalog in Anhang I Abschnitt C MIFID, unter dem die derivativen Finanzprodukte unter der MiFID zusammengefasst werden. In der MiFID hingegen wird der Begriff des Termingeschäfts nur auf einen Unterfall des Derivatkontrakts, d.h. des Termingeschäfts nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 WpHG, in Anwendung gebracht. Deutlich wird diese vom deutschen Recht abweichende Begriffsverwendung anhand eines Vergleichs mit der englischen Fassung des Richtlinientexts, aus dem hervorgeht, dass es sich bei dem Begriff des Termingeschäfts um eine direkte Übersetzung der englischen Bezeichnung „forward“ handelt. Forwards beinhalten eine verbindliche, d.h. unbedingte Vereinbarung über die Liefer- und Abnahmeverpflichtung eines bestimmten Basiswertes zu einem im Voraus festgelegten Preis und zu einem späteren Zeitpunkt.92 Anders als bei einer Option sind aus ihnen beide Vertragsparteien zur Erfüllung des Vertrags verpflichtet.93 Beschränkt auf die außerbörslichen Geschäfte94 stellen forwards nur einen Unterfall der
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Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 39. § 2 Abs. 2 WpHG. 91 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz), Drucksache 16/4028 vom 12.1.2007, S. 55. 92 Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 82; Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 23. 93 Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 4, (S. 45). 94 Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 5 (S. 45). 90
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unbedingten Derivatkontrakte, im Deutschen: Festgeschäfte,95 dar. Als deutsche Übersetzung des Begriffs forward ist der Begriff „Termingeschäft“ unter der Richtlinie daher enger als derjenige in § 2 Abs. 2 Nr. 1 WpHG. Der Katalog in Anhang I Abschnitt C beinhaltet nicht nur die außerbörslichen, sondern auch diejenigen Festgeschäfte, die als standardisierte Verträge an den Börsen abgeschlossen und gehandelt werden. Für sie hat sich die Bezeichnung futures herausgebildet,96 in der deutschen Fassung des Katalogs sind sie als „Terminkontrakte“ aufgeführt. Termingeschäfte und Terminkontrakte stehen damit im Katalog umfassend und marktübergreifend für alle Festgeschäfte. 4. Swaps Ein sogenannter „Swap“, im Katalog in Anhang I Abschnitt C der MiFID jeweils an dritter Stelle aufgeführt, ist eine Vereinbarung zwischen zwei Parteien (counterparties)97 über einen bestimmten Zeitraum hinweg bestimmte Zahlungen an mehreren zukünftigen Terminen auszutauschen.98 Die Zahlungen, die mittels eines Swaps zwischen zwei Parteien ausgetauscht werden, sind üblicherweise Zinszahlungen oder richten sich auf den Austausch von Währungen. In seiner Standardausgestaltung als Zinsswap sieht ein Swap die Zahlung eines einmalig in einer bestimmten Höhe festgelegten Betrages gegen einen in der Höhe variablen Betrag vor.99 In welcher Höhe letzterer Betrag jeweils anfällt, definiert sich auf Grundlage eines aktuellen Marktzinses (Referenzzinssatz); insbesondere auf den internationalen Märkten werden bevorzugt der LIBOR (London Interbank Offered Rate) oder der EURIBOR (Euro Interbank Offered Rate) herangezogen.100 Swaps erfüllen eine wichtige Funktion auf dem Kapitalmarkt: Mithilfe eines solchen Geschäfts können sich Vertragsparteien über Zugangsbeschränkungen zu bestimmten 95 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 44; Schüwer/ Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 4 (S. 45). 96 Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 82; Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 6 (S. 46). 97 Kolb/Overdahl, Futures, Options, and Swaps, S. 61. 98 Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 7 (S. :46); Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 44; Kümpel/Wittig/Rudolf, Bankund Kapitalmarktrecht, Rn. 19.123 (S. 2417); Hull, Fundamentals of Options and Futures Markets, S. 153. 99 Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 24 (S. 54); Jahn, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, Bd. II, § 114 Rn. 3. 100 Hull, Fundamentals of Options and Futures Markets, S. 154; Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 24 (S. 54).
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Kapitalmärkten hinweghelfen und bestehende Zahlungsverpflichtungen oder Forderungen faktisch umgestalten.101 Haben beispielsweise zwei Unternehmen jeweils eine Anleihe von mehreren Millionen US-Dollar aufgenommen, aus der das eine Unternehmen zur Zahlung eines festen Prozentsatzes, das andere zur Zahlung des LIBOR verpflichtet ist, und tauschen sie diese Zinsbeträge mittels eines Swapgeschäfts alle sechs Monate mit sofortigem Barausgleich der Differenzen aus, stehen sie wirtschaftlich so, als würden sie den jeweils anderen Zinssatz zahlen. Während die feste Verpflichtung des ersten Unternehmens durch Abschluss des Swapgeschäfts in eine variable geändert wird, wird das zweite Unternehmen so gestellt, als habe es die feste Verpflichtung übernommen.102 Die jeweiligen Leistungspflichten eines Währungsswaps wiederum beinhalten die Zahlung eines bestimmten Betrags, der dem Nominalvolumen der Währungen entspricht, zu Beginn und bei Fälligkeit des Geschäfts, sowie die regelmäßige Zahlung von Zinsen in den jeweiligen Währungen.103 Ein Zinsswap oder ein Währungsswap mit dieser einfachen Struktur, d.h. auf den Austausch fester gegen variabler Zinsen oder Währungen zu bestimmten Zeitpunkten und über einen längeren Zeitraum hinweg beschränkt, gilt auf dem Kapitalmarkt als ein plain vanilla swap.104 Darüber hinaus existieren auf den Märkten die unterschiedlichsten Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Swapgeschäfts, individuell den wirtschaftlichen Interessen der jeweils beteiligten Parteien angepasst.105 5. Zinsausgleichsvereinbarungen Der jeweils vierte in den Unterkategorien des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID aufgeführte Derivatkontrakt ist die sogenannte „Zinsausgleichsvereinbarung“. An ihrer Stelle steht in der englischen Fassung des Richtlinientextes die auf dem Kapitalmarkt etablierte Bezeichnung forward rate agreement („FRA“). Wie bereits der Begriff forward indiziert, werden FRAs außerbörslich abgeschlossen und sind den Festgeschäften zuzuordnen.106 In einem FRA legen die Parteien 101
Giddy, Global Financial Markets, S. 361. Hull, Fundamentals of Options and Futures Markets, S. 157. 103 Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 28 (S. 56); Kolb/ Overdahl, Futures, Options, and Swaps, S. 660; Jahn, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, Bd. II, § 114 Rn. 4. 104 Hull, Fundamentals of Options and Futures Markets, S. 153. 105 Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.129 (S. 2429). 106 Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.160 (S. 2425). 102
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einen Nominalbetrag, beispielsweise $ 100 Millionen einer Währung, und einen festen Zinssatz (Terminsatz) fest und vereinbaren, dass dieser Terminsatz zu bestimmten Zeitpunkten über einen bestimmten Zeitraum hinweg (Zinsperiode) mit dem dann jeweils aktuellen Referenzzinssatz verglichen wird.107 Ausgezahlt wird jeweils der Betrag, der sich anhand der vereinbarten Laufzeit des Geschäfts, der Differenz zwischen den Zinssätzen zum Berechnungszeitpunkt und dem Nominalbetrag ermittelt.108 Auf Grundlage dieser Vereinbarung fällt die Zahlungspflicht, sofern eine Differenz besteht, pro Termin nur bei einer der beiden Parteien an. 6. „Andere Derivatkontrakte“ Würde sich der Katalog in Anhang I Abschnitt C MiFID auf die dargestellten Typen von Derivatkontrakten beschränken, blieben diejenigen derivativen Finanzinstrumente unberücksichtigt, die sich keiner der vorangegangenen schablonisierten Strukturen zuordnen lassen: Derivative Finanzinstrumente werden nahezu täglich in neuen komplexen Formen auf den Markt gebracht, auf die sich eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Grundformen nur noch bedingt zur Anwendung bringen lässt.109 Um dem Ziel der MiFID, die angebotenen Wertpapierdienstleistungen möglichst umfassend und lückenlos zu regeln, gerecht werden zu können, bedarf es daher eines Auffangtatbestands, unter dem sich im Zweifel die nicht eindeutig einer der genannten Kategorien zugehörigen Finanzprodukte subsumieren lassen. Zu diesem Zweck lässt die Richtlinie die Unterkategorien des Katalogs mit der Einbeziehung der „anderen Derivatkontrakte“ inhaltlich offen. 7. Die derivativen Finanzinstrumente in Anhang I Abschnitt C Nummern 4 bis 7 und 10 MiFID In den Anwendungsbereich der MiFID fällt ein Derivatkontrakt, wenn er sich einer der sieben Gruppen zuordnen lässt, zwischen denen der Katalog in Anhang I Abschnitt C, aufgeteilt auf die Nummern 4 bis 7 sowie 10, auf Grundlage teilweise gestufter Einteilungskriterien diffe107
Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 112; Jahn, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 114 Rn. 14; Loader, Clearing and Settlement of Derivatives, S. 97; Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19160 ff. (S. 2425 f.). 108 Jahn, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 114 Rn. 14. 109 Schwintowski/Schäfer, Bankrecht 2004, S. 872.
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renziert. Die folgende Darstellung folgt dem Katalog nicht in seiner zwischen den einzelnen Gruppen getroffenen Unterscheidung, sondern fasst systematisch zusammen, welche derivativen Finanzinstrumente unter welchen Voraussetzungen erfasst sind.110 Nach der Einteilung der Derivatkontrakte anhand der Art ihres Bezugswertes folgt eine stufenweise Darstellung der Kriterien, die bei bestimmten Derivatkontrakten für die Einordnung als Finanzinstrument im Sinne der MiFID zusätzlich vorliegen müssen. a) Finanzderivate, Warenderivate und Derivate mit anderem Basiswert An den Anfang der derivativen Finanzprodukte setzt der Katalog in Nr. 4 die Gruppe der klassischen Finanzterminkontrakte mit Wertpapieren, Währungen, Zinsen etc. als Basiswert, die in aller Regel zur Absicherung gegen Zins- und Wechselkursrisiken an bestimmten Märkten dienen.111 Unter der MiFID hat der mit ihrer Vorgängerregelung, der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, eingeführte Katalog in Bezug auf Derivatkontrakte eine erhebliche Aktualisierung erfahren, indem er um Warenderivate (commodity derivatives, Nr. 5, 6 und 7) und Derivatkontrakte mit Bezug zu besonderen Werten wie Klimavariablen, Frachtsätze, Emissionsberechtigungen, Inflationsraten und anderen offiziellen Wirtschaftsstatistiken (Nr. 10) erweitert wurde.112 Die Aufnahme dieser Titel berücksichtigt die tatsächlichen Entwicklungen auf den Finanzmärkten113 und steht im Einklang mit dem erklärten Ziel der Richtlinie, das volle Angebot der anlageorientierten Tätigkeiten abzudecken.114 Insbesondere die Aufnahme der Derivate mit Waren als Bezugswert, Waren dabei definiert als Güter fungibler, lieferbarer Art,115 wurde als zeitgemäß und geboten empfunden,116 da aus Sicht des Gesetzgebers kein Grund bestand, den Wertpapierhäusern in Bezug auf Warenderivate den Europapass zu versagen, sie aber gleichzeitig zur
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Eine ausführliche, zwischen einem „gemeinschaftsrechtlichen Baukasten“ für derivative Finanzinstrumente und der Auflistung nach Anhang I Abschnitt C Nr. 4– 10 MiFID unterscheidende Darstellung findet sich bei Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 89 ff. 111 MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 49. 112 Siehe auch Art. 39 MiFID-Durchführungsverordnung. 113 Vgl. dazu Erwägungsgrund 4 in der MiFID. 114 Siehe dazu Erwägungsgründe 2 und 4 in der MiFID. 115 Art. 2 Nr. 1 MiFID-Durchführungsverordnung. 116 Im deutschen Recht schon 1997 eingeführt, siehe Versteegen, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 52.
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Absicherung mit Eigenkapital zu verpflichten.117 Beispiele für Waren, die zum Basiswert eines Derivatkontrakts erhoben werden, sind vor allem Agrarprodukte wie Weizen, Reis, Sojabohnen, Metalle wie Gold und Silber, sowie Rohöl und Elektrizität. Unter die anderen Basiswerte der generalklauselartig118 formulierten Nr. 10 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID fallen jegliche Variablen, die sich anhand von Daten berechnen lassen. Die sogenannten „Wetterderivate“ beispielsweise setzen sich dadurch in Abhängigkeit von Wetterentwicklungen,119 dass sie einen Index als Referenzgröße haben, der die Entwicklung täglicher Wetterereignisse an einem bestimmten Ort im Zeitablauf abbildet.120 Finanzderivate, Warenderivate und Derivate mit anderem Basiswert sind nicht in gleichem Umfang in den Katalog einbezogen. Anders als die Finanzderivate, die sich gemäß Nr. 4 per se als ein Finanzinstrument im Sinne des Katalogs einordnen und ihm so uneingeschränkt unterliegen, haben die Derivatkontrakte mit anderen Bezugswerten bestimmte Anforderungen zu erfüllen, um ein Finanzinstrument im Sinne der MiFID zu sein. b) Effektive Lieferung oder Barausgleich Das erste Abgrenzungskriterium hat die Art der Erfüllung des einem Derivatkontrakt zugrunde liegenden Geschäfts zum Gegenstand. Für derivative Finanzinstrumente, die sich auf einen tatsächlich lieferbaren Basiswert wie beispielsweise Aktien oder Weizen beziehen, gilt, dass sich das ihnen zugrunde liegende Geschäft auf grundsätzlich zwei Wegen erfüllen lässt: (i) Die vereinbarten Basiswerte werden zum Erfüllungszeitpunkt tatsächlich geliefert und abgenommen, gleichzeitig wird der vereinbarte Preis gezahlt (effektive Lieferung bzw. physical delivery).121 (ii) Anstatt im Erfüllungszeitpunkt die Basiswerte gegen Zahlung des festgelegten Preises tatsächlich zu liefern, wird lediglich die Kursdifferenz zwischen dem vereinbarten Kurs bzw. Preis und dem Kurs im Erfüllungszeitpunkt ausgeglichen (Barausgleich, Differenzausgleich 117
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Wertpapierdienstleistungen und geregelte Märkte und zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, KOM(2002) 625 endg., 2002/0269 (COD). 118 Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, WpHG, § 2 Rn. VI51. 119 Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 169. 120 Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 169. 121 Statt vieler: Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.21 (S. 2395); Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 9.102 (S. 726).
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bzw. cash settlement).122 Die letztere Erfüllung durch Barausgleich wird als „Kennzeichen der modernen Finanzderivate“ bewertet,123 gilt aber größtenteils auch für börsengehandelte Warenderivate, bei denen eine effektive Erfüllung nur selten angestrebt wird.124 Grundsätzlich alle Warenderivate, die durch Barausgleich erfüllt werden müssen oder auf Wunsch einer Partei bar abgerechnet werden können, sind Finanzinstrumente im Sinne des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID (Nr. 5). Dagegen werden an Warenderivate, die durch effektive Lieferung erfüllt werden, weitere Voraussetzungen gestellt, die insbesondere dem Zweck dienen, sie von gewöhnlichen Kaufgeschäften abgrenzbar zu machen125 (Nr. 6, 7). Keine Bedeutung hingegen hat die Unterscheidung zwischen effektiver Lieferung und Barausgleich für Derivatkontrakte mit nur rechnerisch existierendem Basiswert, die kraft Natur der Sache ausschließlich durch Barausgleich erfüllt werden können. In Nr. 10 des Katalogs macht diese Unterscheidung dennoch Sinn, weil beispielsweise Emissionsberechtigungen auch einer effektiven Lieferung zugänglich sind.126 c) Handel an multilateralen (Handels)systemen oder OTC-Handel Das zweite Abgrenzungskriterium setzt an dem Markt an, auf dem das jeweilige derivative Finanzinstrument gehandelt wird. Grundsätzlich wird zwischen börsengehandelten Finanzinstrumenten und solchen, die außerhalb von Börsen, d.h. over the counter („OTC“), gehandelt werden, unterschieden.127 Der Klarstellung wegen ist der Begriff „Börse“ unter der MiFID durch die der „geregelten Märkte“ und „multilateralen Handelssysteme“ zu ersetzen, denn die Unterscheidung zwischen börsengehandelten Produkten und OTC-Produkten trägt dem Umstand Rechnung, dass börsengehandelte Produkte standardisiert und dadurch homogenisiert sind, OTC-Produkte hingegen in aller Regel nicht, weil sie auf die individuellen Interessen der Parteien zugeschnitten werden.128 122
Statt vieler: Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.21 (S. 2395); Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 9.102 (S. 726). 123 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 9.103, S. 726. 124 Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 161. 125 Grundsätzlich zu diesem Abgrenzungsproblem: MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 51. 126 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 51. 127 Ehlen, in: Theewen (Hrsg.), Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 556; Kümpel/ Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.24 (S. 2397); Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 9.106 (S. 727). 128 Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht Rn. 19.102 (S. 2413).
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Standardisiert ausgestaltet sind die Derivatkontrakte jedoch nicht ausschließlich an Börsen im Sinne eines geregelten Marktes, sondern genauso an multilateralen Handelssystemen. Weitere empirische Unterschiede zeigen sich daneben in typischen Ausgestaltungen wie beispielsweise solchen, dass forwards, anders als die börsengehandelten futures, gewöhnlich ein bestimmtes Fälligkeitsdatum statt mehrerer beinhalten und es bei ihnen mehrheitlich zur tatsächlichen Erfüllung der vereinbarten Pflichten, zu einem physical settlement, kommt.129 Wie die Einführung dieses Abgrenzungskriteriums bei den Warenderivaten auf erst der zweiten Ebene belegt, unterscheidet die MiFID grundsätzlich nicht zwischen börsengehandelten Derivatkontrakten und OTC-Produkten.130 Im Hinblick auf die Finanzderivate in Nr. 4 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C wird dies zudem daran deutlich, dass dort mit den Swaps,131 forwards und FRAs ausdrücklich fast ausschließlich außerhalb von Handelsplattformen gehandelte Produkte als Finanzinstrumente aufgeführt sind.132 Relevant wird die Unterscheidung zum einen für solche Warenderivate, die im Fälligkeitszeitpunkt die tatsächliche Erfüllung der jeweiligen Verpflichtungen vorsehen, zum anderen für die in Nr. 10 gesammelten Derivatkontrakte. Für ein Warenderivat, das nicht bar ausgeglichen wird, stellt sich demnach immer als Zweites, für Derivatkontrakte der Nummer 10 immer als Erstes die Frage, ob sie an einem geregelten Markt oder einem multilateralen Handelssystem gehandelt werden. Hieraus folgt, dass solche Instrumente dadurch zu Finanzinstrumenten im Sinne der MiFID werden, dass sie in den Handel an einem geregelten Markt bzw. an einem multilateralen Handelssystem einbezogen werden. Umgekehrt schließt die fehlende Einbeziehung in den Handel an einer solchen Handelsplattform die Einordnung als Finanzinstrument im Sinne der MiFID nicht zwingend aus. Die MiFID kennt noch ein drittes Kriterium, das sie subsidiär zur Anwendung auf Warenderivate bringt, die keinen Barausgleich vorsehen und weder an einem geregelten Markt noch einem multilateralen Handelssystem gehandelt werden,133 sowie auf alle anderen Derivate, die sich keiner im Katalog erfassten Gruppe 129
Hull, Fundamentals of Options and Futures Markets, S. 39. Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 45. 131 Swaps sind die Hauptgruppe außerbörslicher derivativer Finanzinstrumente: Jahn, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 114 Rn. 2. 132 Zu der Problematik, dass die Nr. 1 in Anhang I Abschnitt C RL 2004/39/EG Termingeschäfte, d.h. OTC-Festgeschäfte nicht extra aufführt, siehe ausführlich Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 97 ff. 133 Nr. 7. 130
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zuordnen lassen.134 Es fragt danach, ob sie „die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen“. Erst wenn dies auch nicht der Fall ist, scheidet das Warenderivat bzw. der Derivatkontrakt mit anderem Bezugswert als Finanzinstrument im Sinne der MiFID aus.135 d) Vergleichbarkeit mit Derivatkontrakten Ordnet sich ein Derivatkontrakt nicht bereits aufgrund des Barausgleichs oder des Handels an einem geregelten Markt bzw. an einem multilateralen Handelssystem als ein Finanzinstrument im Sinne der MiFID ein, entscheidet darüber subsidiär die Frage, ob er, in den Worten des Gesetzestextes, die Merkmale anderer Derivatkontrakte aufweist.136 Unter welchen Voraussetzungen hiervon ausgegangen werden kann, regelt der europäische Gesetzgeber in Art. 38 MiFID-Durchführungsverordnung. Zusammengefasst verlangt diese Regelung kumulativ, dass der Derivatkontrakt erstens in einem bestimmten Zusammenhang mit dem Handel an einer den geregelten Märkten und multilateralen Handelssystemen funktionsäquivalenten Handelsplattform steht,137 zweitens er von einer Clearingstelle bzw. einer Zentralen Vertragspartei138 verrechnet wird und drittens er eine standardisierte Ausgestaltung entsprechend den börsengehandelten Derivatkontrakten aufweist. Alle drei Bedingungen zielen gleichermaßen auf die Eignung zum Handel an einer 134
Nr. 10; weitere Bezugswerte für die hier erfassten Derivate führt Art. 39 MiFID-Durchführungsverordnung auf. Eine Ausnahme gilt jedoch für Derivatgeschäfte eines Betreibers oder Verwalters eines Energienetzes oder Systems, „die für den Ausgleich des Energieangebots und der Energienachfrage zu einem bestimmten Moment unabdingbar sind“; sie sind keine Finanzinstrumente im Sinne der Richtlinie, Art. 38 Abs. 4 MiFID-Durchführungsverordnung. 135 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 107. 136 Anhang I Abschnitt C Nr. 7 (Warenderivate) und Nr. 10 (Derivatkontrakte mit anderen Bezugswerten als Finanzinstrumente, finanzielle Messwerte und Waren). 137 Dieses Kriterium wiederum soll in drei alternativen Fallgestaltungen erfüllt sein, s. Art. 38 Abs. 1 lit. a MiFID-Durchführungsverordnung: (1) Handel des Derivatkontraktes über ein Handelssystem in einem Drittland, das eine einem geregelten Markt oder einem multilateralen Handelssystem ähnliche Aufgabe wahrnimmt; (2) Bestimmung für den Handel an einem geregelten Markt, über ein multilaterales Handelssystem oder ein gleichwertiges System in einem Drittland bzw. das Derivat unterliegt dessen Regelungen; (3) ausdrückliche Gleichstellung mit einem Kontrakt, der über einen geregelten Markt, ein multilaterales Handelssystem oder ein gleichwertiges System gehandelt wird. 138 S. zur Funktion der Zentralen Vertragspartei in Terminbörsen: Kapitel 3: B. II. 3. b) cc) (3) Der wirtschaftliche Effekt einer Glattstellung durch eine Zentrale Vertragspartei an einer Derivatebörse.
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Terminbörse ab, indem sie jeweils eine typische Eigenschaft eines börsengehandelten Derivats benennen.139 8. Anwendung dieser Kriterien unter der Rom I-VO Der geregelte Markt und das multilaterale Handelssystem, jeweils definiert in Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 bzw. 15 MiFID, sind speziell unter dieser Richtlinie geregelte Handelsplattformen, weswegen sich das auf den Handel an einer solchen Handelsplattform abstellende Abgrenzungskriterium nur auf Sachverhalte in Anwendung bringen lässt, die innerhalb des Binnenmarktes angesiedelt sind. Ob der Grundsatz universeller Anwendbarkeit der Kollisionsregeln in der Rom I-VO eine Korrektur dieses Abgrenzungskriteriums erforderlich macht, hängt davon ab, wie die MiFID selbst außerhalb von europäischen Handelsplattformen gehandelte Derivatkontrakte einordnet. Da Finanzderivate und Warenderivate mit Barausgleich unabhängig von ihrem Handelsplatz Finanzinstrumente im Sinne der MiFID sein sollen, stellt sich diese Frage nur in Hinblick auf Warenderivate mit effektiver Lieferung nach Nr. 7 sowie Derivatkontrakte nach Nr. 10 Alt. 2 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID. Wie aus der Einräumung des dritten, subsidiären Kriteriums hervorgeht, hält es die MiFID für die Einordnung eines Derivatkontrakts als Finanzinstrument nicht für zwingend notwendig, dass der Derivatkontrakt an einer europäischen Handelsplattform gehandelt wird, sondern lässt grundsätzlich auch den Handel an einem außerhalb der Mitgliedstaaten belegenen, mit den europäischen Handelsplattformen aber funktionsgleichen Handelssystem genügen. Hieraus folgt, dass die Richtlinie den Anleger im Rahmen von Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten unabhängig davon schützt, ob die Handelsplattform, auf welcher ein Derivat gehandelt wird, einen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat zugeordnet ist. Der Unterschied im Schutz besteht jedoch darin, dass bei den nicht an einer europäischen Handelsplattform gehandelten Derivatkontrakten nach Nr. 7 bzw. Nr. 10 des Katalogs entsprechend Art. 38 MiFID-Durchführungsverordnung zusätzliche Voraussetzungen hinzutreten müssen. In der Praxis werden diese zusätzlichen Anforderungen die Einordnung solcher Derivatkontrakte im Vergleich zu „mitgliedstaatlichen“ Derivatkontrakten zwar nicht wesentlich einschränken. Zu Gunsten der Rechtssicherheit liegt es jedoch nahe, 139
Bezug zu einem Handelsplatz, Art. 38 Abs. 1 Nr. 1 a) MiFID-Durchführungsverordnung; Eingliederung in ein Verrechnungs- bzw. Risikoabsicherungssystem, Art. 38 Abs. 1 Nr. 1 b) MiFID-Durchführungsverordnung; standardisierte Ausgestaltung, Art. 38 Abs. 1 Nr. 1 c) MiFID-Durchführungsverordnung.
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mitgliedstaatliche Derivatkontrakte mit nichtmitgliedstaatlichen Derivatkontrakten sogleich auf der Stufe des zweiten Abgrenzungskriteriums, des Handels an einer Handelsplattform, gleichzustellen. Zu diesem Zweck bietet es sich an, den Begriff der geregelten Märkte und multilateralen Handelssysteme in den Nummern 6 und 10 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID durch den des von der Rom I-VO selbst verwendeten Begriffs des multilateralen Systems zu ersetzen, welcher die materiellen Vorraussetzungen beider Definitionen in sich aufnimmt.140 9. Besondere Gruppen unter den derivativen Finanzinstrumenten nach Anhang I Abschnitt C Nr. 8 und 9 MiFID Die unter Nr. 8 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID als derivative Finanzinstrumente für den Transfer von Kreditrisiken und unter Nr. 9 als finanzielle Differenzgeschäfte zusammengefassten Derivate sind in der MiFID explizit als spezielle Gruppen in den Katalog der Finanzinstrumente aufgenommen worden. Was unter einem derivativen Instrument für den Transfer von Kreditrisiken im Sinne von Nr. 8 des Katalogs zu verstehen ist, wird über die im Titel selbst enthaltenen Tatbestandsmerkmale hinaus nicht weiter ausgeführt. Als „derivative Instrumente“ haben sie erstens die für Derivatkontrakte charakteristische zeitliche Verzögerung des Erfüllungsgeschäfts und die Bezugnahme auf einen Referenzwertes aufzuweisen. Als Derivate, die speziell „für den Transfer von Kreditrisiken“ strukturiert sind, ordnen sie sich zweitens als Instrumente für das Management von Kreditrisiken ein („Kreditderivate“).141 Diese Funktion, das Kreditrisiko einer Partei auf eine andere zu übertragen, stellt jedoch kein konstitutives Merkmal in dem Sinne dar, dass ein Geschäft nur dann unter Nr. 8 fiele, wenn es gerade zum Zweck des hedging eingegangen würde. Ausreichend für die Einordnung als Kreditderivat ist, dass die Auszahlung abhängig von der Kreditwürdigkeit beispielsweise eines oder mehrerer Unternehmen ist.142 Darüber hinaus sind der Wahl des Bezugswertes nach Nr. 8 des Katalogs, anders als noch unter der Vorgängerregelung, keine Grenzen ge-
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S.u. Kapitel 5: B. Begriff des multilateralen Systems in der Rom I-VO. Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 9.162 (S. 744); Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 173; Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 48; Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 54; Brandt, BKR 2002, 243. 142 Hull, Fundamentals of Options and Futures Markets, S. 461. 141
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setzt.143 Ebenso wenig ist es für die Einordnung als Kreditderivat nach dieser Regelung relevant, wie es rechtlich strukturiert ist.144 In der Praxis haben sich für die Ausgestaltung solcher Kreditderivate verschiedene Konstellationen etabliert, unter denen, vereinfacht dargestellt, die credit default swaps145 eine Ausgleichspflicht des Sicherungsgebers beinhalten, die total return swaps nicht nur gegen das Kredit-, sondern auch gegen das Marktrisiko absichern,146 und die credit spread options die jeweilige Zahlungspflicht anhand der Differenz zwischen dem risikobehafteten Zinssatz des zugrunde liegenden Kreditgeschäfts und dem einer erstklassigen Anleihe festlegen.147 Mangels einer eigenen Definition bzw. einer deskriptiven Beschreibung in der MiFID ist der Begriff des Differenzgeschäfts in Nr. 9 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID ebenfalls aus sich selbst heraus auszulegen. Kennzeichnendes Merkmal ist danach die Erfüllung durch Barausgleich. Entsprechend versteht die Praxis darunter solche Geschäfte, die über kein bestimmtes Fälligkeitsdatum verfügen, regelmäßig mit einer unbegrenzten Laufzeit ausgestattet sind148 und die Erfüllung durch Barausgleich der Kursdifferenzen zwischen dem vereinbarten und dem tatsächlichen Preis vorsehen.149 Ein Differenzgeschäft liegt demnach vor, wenn kein Transfer der zugrunde liegenden Bezugswerte stattfindet, sondern ein Barausgleich, beruhend auf der Differenz zwischen dem vereinbarten Preis bzw. Terminkurs und dem im Ausübungszeitpunkt bestehenden Kurs, zur Erfüllung der Vertragsbedingungen durchgeführt wird.150 Unter der MiFID wird die Gruppe der finanziellen Differenzgeschäfte weder auf einen bestimmten Kreis an
143 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 54; Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 60. 144 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 9.165 (S. 745). 145 Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 174; Assmann, in: Assmann/ U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 55; ausführlich dazu: Schüwer/Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 37 ff. (S. 59 ff.). 146 Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.246 (S. 2441); (unter der Verwendung des Begriffs total rate of return swap („TRORS“) Schüwer/ Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 40 (S. 61). 147 Brandt, BKR 2002, 243, 247. 148 Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 48; Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, WpHG, § 2 Rn. 7. 149 Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 48. 150 Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 14.
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Bezugswerten, noch auf eine bestimmte rechtliche Ausgestaltung, noch auf einen bestimmten Handelsplatz eingegrenzt.151 Da sich finanzielle Differenzgeschäfte nach diesem Verständnis mit Derivatkontrakten mit Barausgeich gleichsetzen lassen,152 ist unklar, welcher eigenständige Anwendungsbereich Nr. 9 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID noch verbleibt,153 wenn für jedes finanzielle Differenzgeschäft grundsätzlich noch eine andere Nummer des Katalogs einschlägig sein kann. Die spezielle Aufnahme in den Katalog scheint daher insbesondere der Klarstellung geschuldet zu sein, dass diese Geschäfte ohne Rücksicht auf einen bestimmten Referenzwert oder einen Marktplatz als Finanzinstrumente im Sinne der MiFID erfasst sein sollen. VI. Zusammenfassung und Ergebnis zu dem Begriff des Finanzinstruments in der Rom I-VO In den insgesamt zehn Ziffern des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID sind im Hinblick auf dessen Anwendung unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO drei relevante Typen an Finanzinstrumenten zusammengefasst: die übertragbaren Wertpapiere, die Anteile an OGAAnlagen und schließlich die Derivatkontrakte. Für die Anwendbarkeit dieses Katalogs unter der Rom I-VO sind folgende Besonderheiten herausgearbeitet worden: Um die nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID geforderte Handelbarkeit eines Wertpapiers feststellen zu können, bedarf es eines Rekurses auf dasjenige Recht, welches auf das konkrete Instrument zur Anwendung kommt. Der Begriff des Derivatkontrakts in den Nummern 4 bis 7 und 10 ist sehr weit gefasst und damit grundsätzlich geeignet, der Entwicklung von neuen Produkten mit derivativer Ausgestaltung Rechnung zu tragen. Anders als bei den übertragbaren Wertpapieren nach Nr. 1 des Katalogs kommt es für den Begriff des Derivatkontrakts in der MiFID grundsätzlich nicht darauf an, ob eine standardisierte Ausgestaltung gegeben ist.154 Dass die Begriffsbestimmung des derivativen Finanzinstruments gleichermaßen standardisierte als auch individuell ausgehandelte Derivate umfasst, folgt zum einen aus der ausdrücklichen Einbeziehung typischer außerbörslicher
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Assmann, in: Schneider/Assmann (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 53. Hudson, The Law on Financial Derivatives, Rn. 2–75/1, S. 49. 153 MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft Rn. 60. 154 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 45; MüKo/ Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 50. 152
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Derivate, wie insbesondere von Swaps155; zum anderen ergibt es sich auch daraus, dass der Katalog in den Nummern 4 bis 7 und 10 nur als Auffangmerkmal auf den Handel an einer Handelsplattform abstellt.156 Soweit indes der Handel an einem geregelten Markt bzw. einem multilateralen Handelssystem zur Voraussetzung für das Vorliegen eines (derivativen) Finanzinstruments gemacht wird, darf die Überprüfung dieses Merkmals unter der Rom I-VO jedoch nicht auf die mitgliedstaatlichen Handelsplattformen beschränkt werden. Im Lichte des Universalitätsgrundsatzes hat der Handel an einem multilateralen System im Sinne der Rom I-VO zu genügen. Anders als bei den übertragbaren Wertpapieren nach Nr. 1 des Katalogs kommt es für den Begriff des Derivatkontrakts grundsätzlich nicht auf die Handelbarkeit und Standardisierung an.157
B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
Die vorangegangene Darstellung hat gezeigt, dass der Begriff des Finanzinstruments in der Rom I-VO, abgeleitet von dem Begriff des Finanzinstruments nach Art. 4 Nr. 17 MiFID, ein sehr breites Spektrum an Finanzprodukten abdeckt. Ein Verbraucher, der ein Finanzinstrument erworben hat, fiele ungeachtet der Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO in praktisch keinem Fall mehr unter den kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz nach dieser Regelung. Vor diesem praktischen Hintergrund widmet sich der folgende Abschnitt erstens der Frage, welches Ziel die Rom I-VO mit der Ausklammerung dieser Rechte und Pflichten erfüllt. Anhand der darauf gefundenen Antwort wird zweitens der Überlegung nachgegangen, ob eine Korrektur des Wortlauts durch Auslegung erforderlich ist.
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Swaps werden nach Roth praktisch ausschließlich over the counter abgeschlossen: Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 82. 156 MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft Rn. 43; von der Frage der Begriffsbestimmung zu unterscheiden ist die von Ekkenga getroffene Beobachtung, dass die MiFID keine Regel enthalte, die dazu zwänge, ihren Anwendungsbereich bzw. den des sie umsetzenden nationalen Rechts auf individuell ausgestaltete derivative Finanzinstrumente auszudehnen, Ekkenga, a.a.O. 157 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 45.
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Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1
I. Die Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO Im Lichte der Entstehungsgeschichte von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO und unter Würdigung von Erwägungsgrund 28 deuten sich zwei ineinandergreifende Begründungsansätze für die Ausklammerung der Rechte und Pflichten aus einem Finanzinstrument im Sinne von Anhang I Abschnitt C MiFID an. 1. Schutz des Emittenten: „Vorhersehbarkeit“ Mit der Ausklammerung der Rechte und Pflichten, die ein Finanzinstrument „begründen“, bzw. „verkörpern“, soll zum einen verhindert werden, dass die „eigentliche Natur des Finanzinstruments“ „verschiedenartig und unvorhersehbar“ ist.158 Die Person, zu deren Gunsten die „Vorhersehbarkeit“ des rechtlichen Gehalts eines Finanzinstruments gewährleistet sein soll, ist der Emittent, d.h. der Aussteller des Finanzinstruments,159 welcher aus dem Finanzinstrument verpflichtet wird. Er wird sich kaum dem Risiko aussetzen wollen, Finanzinstrumente international auszugeben, ohne im Voraus übersehen zu können, welchen Verpflichtungen er sich dadurch aussetzt.160 Für ihn ist es notwendig, die Risiken abschätzen zu können, die sich für ihn aus der Ausgabe der Finanzinstrumente ergeben. Unter der Regelung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO, die das anwendbare Recht mit dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verbrauchers/Anlegers in Abhängigkeit von einem zufälligen Faktor stellt, vervielfacht sich die Anzahl potentiell zu beachtender Rechtsordnungen ins Ungewisse, sofern der Emittent den internationalen Markt adressiert.161 Die möglichen Risiken sind für den Emittenten praktisch nicht mehr erfassbar. Man muss sich bewusst machen, dass Rechtssicherheit einen wesentlichen Kostenfaktor ausmacht, wie die umfangreiche Erstellung sogenannter legal opinions belegt. Diese werden unter anderem zu dem Zweck in Auftrag gegeben, das auf eine internatonale Emission anwendbare Recht zu bestimmen und auf seine Risiken hin zu beurteilen. Zeichnet sich das Eingreifen verschiedener Rechtsordnungen ab, wie es unter Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO der Fall 158
Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 5. 159 S. hierzu Kapitel 4: D. II. Wertpapieremissionen unter Verbraucherbeteiligung. 160 Vgl. Niederer, Allgemeine Lehren des internationalen Privatrechts, S. 280; Lochner, Darlehen und Anleihe, S. 52. 161 Eine ausführliche Prüfung der Risiken aus der Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO wird in Kapitel 6 vorgenommen.
B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
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wäre, ließe sich ein solches Gutachten nur unter Einbeziehung einer Vielzahl von Rechtsanwälten erstellen, die in den jeweiligen Rechtsordnungen qualifiziert sind.162 In der Folge würde bereits die Erstellung des Gutachtens einen hohen Kostenaufwand für den Emittenten verursachen. Eine aus Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO resultierende Rechtsunsicherheit würde sich damit in den Transaktionskosten niederschlagen. Von der Höhe der Transaktionskosten hängt wiederum die operationale Funktionsfähigkeit des Marktes ab: Je höher die Transaktionskosten ausfallen, desto weniger Anreize bestehen für den Emittenten, seine Finanzinstrumente international überhaupt bzw. zu einem attraktiven Preis zu platzieren. Dies hat Folgen für den Kapitalmarkt, denn nur wenn sich Transaktionen zu möglichst minimalen Preisen für das anlagesuchende und das anlageanbietende Publikum durchführen lassen, operiert er optimal.163 Mit dem Schutz der „Vorhersehbarkeit“ verfolgt Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO im Ergebnis den Zweck, unmittelbar zu Gunsten international emittierender Emittenten und so zugleich mittelbar zu Gunsten liquider und internationaler Kapitalmärkte die Rechtssicherheit wiederherzustellen, die durch die Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO potentiell beeinträchtigt wäre. 2. Schutz des Handels: „Fungible Finanzinstrumente“ Gegen die uneingeschränkte Anwendung von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO auf Finanzinstrumente wird zum anderen die Funktionsfähigkeit des „fungiblen Handels“ angeführt: Nach Erwägungsgrund 28 ist sicherzustellen, „dass Rechte und Pflichten, die ein Finanzinstrument begründen, nicht der allgemeinen Regel für Verbraucherverträge unterliegen, da dies dazu führen könnte, dass auf jedes der ausgegebenen Instrumente ein anderes Recht anzuwenden wäre, wodurch ihr fungibler Handel und ihr fungibles Angebot verhindert würden“. Auf dem Kapitalmarkt bezeichnet der Begriff der „Fungibilität“ die Austauschbarkeit eines Kapitalmarktprodukts.164 Übertragen auf Erwägungsgrund 28 müsste es streng genommen einen austauschbaren Handel und austauschbare Angebote geben. Das europäische Kapitalmarktrecht kennt jedoch weder einen 162
Fuller, Int. Capital Markets, Rn. 13.10 f. (S. 498). Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 1 WpHG Rn. 5; Kümpel/Wittig/Oulds, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 14.163 ff. (S. 1835 f.); Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 10, S. 3. 164 Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/04; Kümpel/Wittig/Brandt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.24 f (S. 1907 f.). 163
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Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1
fungiblen Handel, noch fungible Angebote, wohl aber die genannten fungiblen Kapitalmarkttitel.165 Fungibel, d.h. gegeneinander austauschbar, sind sie dann, wenn sie gleich ausgestaltet sind und jedes Instrument deswegen die gleichen Rechte verkörpert.166 Die fungible Ausgestaltung ermöglicht es, die Kapitalmarkttitel im Verkehr nach Zahl und Nennbetrag zu bestimmen, wodurch sich der Handel mit ihnen wesentlich vereinfacht, weil die Interessenten nicht darauf angewiesen sind, den Inhalt der Titel vor Erwerb einer umfangreichen Prüfung zu unterziehen.167 Für die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes, der auf unkompliziert und schnell abzuwickelnde Transaktionen angewiesen ist, ist die fungible Ausgestaltung der zu handelnden Titel eine notwendige Voraussetzung.168 Der „fungible Handel“ und das „fungible Angebot“, die laut Erwägungsgrund 28 unter der uneingeschränkten Anwendung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO „verhindert würden“, stellen auf dieses Erfordernis ab: Soll der Handel mit fungiblen Instrumenten, wie der „fungible Handel“ demnach richtigerweise zu verstehen ist, geschützt werden, so müssen diejenigen Rechte und Pflichten aus dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO herausgenommen werden, die im Interesse der Austauschbarkeit für alle Instrumente gleichermaßen gelten sollen.169 Rechtstechnisch wird die standardisierte Ausgestaltung beispielsweise von Anleihen durch die Aufstellung der Anleihebedingungen verwirklicht, auf deren Grundlage die einzelnen Wertpapiere massenweise ausgegeben werden. Diese standardisierte Ausgestaltung würde aufgehoben, käme auf jedes Instrument ein anderes Recht zur Anwendung.170 Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO dient damit auch dem Schutz der
165 Siehe beispielsweise Art. 1 Abs. 2 Prospekt-Richtlinie (Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, abgedruckt in: Abl. (EU) Nr. L 345 vom 31.12.2003, S. 64 ff,). 166 Kümpel/Wittig/Brandt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.24 (S. 1907); Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 2.6 (S. 44). 167 Kümpel/Wittig/Brandt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.24 (S. 1907); Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 2.6 (S. 45). 168 So auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 359. 169 Proctor, Law and Practice of Int. Banking, Rn. 41.24 (S. 663). 170 Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2008, 85, 91; Wautelet, REDC 2009, 775, 783.
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institutionellen Funktionsfähigkeit des Marktes, die auf dem Vorhandensein standardisierter und verkehrsfähiger Anlageprodukte beruht.171 3. Auswertung der beiden Begründungsansätze hinter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO Ratio hinter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ist, dass die Anknüpfung der Rechte und Pflichten aus dem Finanzinstrument an das Heimatrecht des Verbrauchers für das Funktionieren des Kapitalmarktes problematisch ist und deswegen verhindert werden muss.172 Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, unter welchen sachlichen Voraussetzungen von einer Beeinträchtigung der Fungibilität eines Finanzinstruments durch Art. 6 Abs. 1 bzw. 2 Rom I-VO gesprochen werden kann. Anhand der hierzu gefundenen Antwort lässt sich überprüfen, ob der weite Begriff des Finanzinstruments in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO von dem Zweck dieses Ausnahmetatbestands getragen ist oder aber mit ihm konfligiert. Die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes wird unter Berücksichtigung der vorstehend erwähnten Begründungsansätze durch Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO unter bestimmten Voraussetzungen beeinträchtigt. Zum einen hat die Anwendung des Heimatrechts des jeweiligen Verbrauchers Auswirkungen auf die Umlauffähigkeit des Finanzinstruments. Es würde unter uneingeschränkter Anwendung von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO grundsätzlich jedes Mal seinen Inhalt – sein „Wesen“173 – verändern, wenn es, vorbehaltlich der Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 Rom IVO, an einen Verbraucher mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat (weiter)veräußert wird. Der veränderte Inhalt wäre für den Emittenten nicht vorhersehbar, wenn die Veräußerung zu ihrer Wirksamkeit nicht seiner Mitwirkung bedarf und er keinen Einfluss darauf nehmen kann.174 Darüber hinaus würde dieses Finanzinstrument dem neuen Inhaber nun andere Rechte vermitteln als den anderen Inhabern. Daran anknüpfend stünde zum anderen die Anwendung unterschiedlichen Verbraucherrechts im Widerspruch zu dem Charakter der Finanzinstrumente als massenhaft ausgegebene Finanzinstrumente, als Gattungen von Finanz171
Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 1 WpHG Rn. 5; Zimmer, Int. Gesellschaftsrecht, S. 42. 172 Vgl. Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2008, 85, 88 f. 173 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 5. 174 Vgl. Lagarde/Tenenbaum, Rev. crit. DIP 97 2008, 727, 751.
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instrumenten. Dem Begriff der Fungibilität inhärent ist, dass es sich um eine Mehrzahl von Instrumenten handelt. Nur wenn es sich nicht um ein Einzelprodukt handelt, kann ein Instrument durch ein anderes ausgetauscht werden, und nur dann, wenn der Emittent ein Massenprodukt ausgibt, anstatt sich mit jedem einzelnen Erwerber über den Inhalt des jeweils zu erwerbenden Finanzinstruments auseinanderzusetzen, besteht ein Schutzbedürfnis nach umfassender Wirksamkeit der für alle Instrumente einheitlich getroffenen Rechtswahl. Die Rechtsunsicherheit fällt bei massenhaft ausgegebenen Instrumenten besonders hoch aus, da der Emittent nicht nur aus einem Rechtsverhältnis, sondern aus einer Vielzahl von Rechtsverhältnissen gleichzeitig verpflichtet wird. Unter Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO hätte er zu befürchten, dass für jedes einzelne Instrument die ihn treffenden Pflichten entsprechend der Formulierung der Kommissionsdienststellen „verschiedenartig“ ausgestaltet sind. In Bezug auf jedes einzelne Instrument würde ihm das Risiko drohen, einem anderen Pflichteninhalt ausgesetzt zu sein als demjenigen, mit dem er die Instrumente ursprünglich ausgestattet hat. Prototyp des massenhaft ausgegebenen und umlauffähigen Finanzinstruments ist das „übertragbare Wertpapier“ nach Art. 4 Nr. 18 MiFID, das, wie oben dargelegt, definitionsgemäß nur „in Gattungen“ besteht, mithin standardisiert ausgestaltet ist, und „auf dem Kapitalmarkt gehandelt werden kann“, also in bestimmten Maße umlauffähig ist.175 Für solche Wertpapiere ist anerkannt, dass die Einheitlichkeit ihrer Rechte und Pflichten auch kollisionsrechtlich geschützt werden muss. Ein solches kollisionsrechtliches Gebot der Gleichbehandlung ist für international umlaufende Schuldverschreibungen bereits in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durch das Reichsgericht aufgestellt worden.176 Zu dieser Zeit hatte sich die Aufnahme einer Rechtswahlklausel in den Anleihebedingungen noch nicht als durchgängige Rechtspraxis etabliert,177 so dass die Frage nach dem anwendbaren Recht in den streitigen Fällen daher regelmäßig in das Ermessen der Gerichte gestellt war. Gegenüber der Vielzahl möglicher Anknüpfungen, die sich bei grenzüberschreitend umlaufenden Schuldverschreibungen regelmäßig anbieten, bewährte sich das Gebot der Gläubigergleichbehandlung als ein175
S.o. Kapitel 3: A. II. Übertragbare Wertpapiere im Sinne von Art 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID. 176 Reichsgericht, Urteil vom 14.11.1929, Az.: IV 665/28, RGZ 126, 196, 202, 207. 177 Selbst 1949 beobachtet Niederer noch, dass bei internationalen Anleihen „lange nicht immer“ eine Unterwerfung unter eine Rechtsordnung vorgenommen wird, siehe Niederer, in: Festgabe für Eugen Grossmann, S. 274, 276.
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schränkendes Korrektiv, indem unter ihm solche Anknüpfungen wegfielen, die zu einer parallelen Anwendung verschiedener Rechtsordnungen auf die Rechte und Pflichten aus einer Anleihe führten. In einem prominenten Urteil aus dem Jahr 1929 stellte das Reichsgericht dazu ausdrücklich fest: „Die Gleichstellung würde gefährdet sein, wenn der Begründungsakt der Obligation und die Auslegung der Schuldverschreibungen nicht einheitlich bei allen Gläubigerrechten nach der gleichen Rechtsordnung zu beurteilen wären“.178 Diese Wertung findet sich in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO wieder, allerdings in negativer Einkleidung: Durch die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom IVO wird die Einheitlichkeit des anwendbaren Rechts zwar nicht angeordnet; sie soll aber verhindern, dass die (von ihr vorausgesetzte) Einheitlichkeit durch ein negatives Eingreifen der Art. 6 Abs. 1, 2 Rom IVO aufgehoben wird. Im Hinblick auf die vertraglichen Rechte und Pflichten, die nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO dem Anwendungsbereich der allgemeinen Regel für Verbraucherverträge entzogen sein sollen, kommen demnach allein solche Vereinbarungen in Betracht, die im Interesse der Marktgängigkeit des Instruments179 fungibel, d.h. standardisiert, ausgestaltet sind. Aus diesem Ergebnis ergeben sich Konsequenzen für die Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO, wie ein im Folgenden vorzunehmender Vergleich zwischen übertragbaren Wertpapieren einerseits und derivativen Finanzinstrumenten andererseits verdeutlicht. II. Überprüfung der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO an ihrer Ratio 1. Vergleich zwischen übertragbaren Wertpapieren und derivativen Finanzinstrumenten im Sinne der MiFID im Lichte der Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO Die einzelnen Finanzmarktprodukte, die Art. 4 Nr. 17 in Verbindung mit Anhang I Abschnitt C MiFID unter dem einheitlichen Begriff des Finanzinstruments zusammenfasst, erfüllen auf dem Kapitalmarkt unterschiedliche Funktionen, die ihre jeweilige rechtliche Ausgestaltung prägen: Übertragbare Wertpapiere nach Nr. 1 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID als definitionsgemäß zum Umlauf bestimmte Effekten unterliegen bestimmten inhaltlichen und formellen Anforderungen, wohingegen die Derivatkontrakte nach den Nummern 4 bis 10, über178 179
Reichsgericht, Urteil vom 14.11.1929, Az.: IV 665/28, RGZ 126, 196, 207. Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 93.
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wiegend zu Hedging- und Spekulationszwecken abgeschlossen, als einfache bilaterale Verträge die Entwicklung fortwährend neuer Produkte und Produktvarianten mit immer komplexeren Strukturen180 zulassen. Zwar setzt auch Art. 38 Abs. 1 lit. c MiFID-Durchführungsverordnung voraus, dass die derivativen Finanzinstrumente aus Anhang I Abschnitt C MiFID eine gewisse Standardisierung aufweisen müssen, damit sie „die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente“ erfüllen. Daraus lässt sich jedoch im Rückkehrschluss nicht ableiten, dass alle derivativen Finanzinstrumente in der MiFID standardisiert ausgestaltet sein müssen.181 Vielmehr dient die Standardisierung hier als zusätzlich einzuhaltende Anforderung, um den ansonsten weiten Anwendungsbereich dieses Katalogpostens einzugrenzen. Zu diesem Zweck beschränkt sie sich auch auf die dort aufgeführten derivativen Finanzinstrumente. Dagegen müssen die derivativen Finanzinstrumente der Nummern 4, 5, 6 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C gerade nicht standardisiert sein.182 Die Unterschiede zwischen übertragbaren Wertpapieren einerseits und Derivatkontrakten andererseits bilden sich ferner in der Anzahl ab, in der sie auf dem Kapitalmarkt in Erscheinung treten: Effekten werden gewöhnlich in einem Akt massenweise in den Verkehr gebracht, Derivatkontrakte werden regelmäßig auch individuell abgeschlossen. Der unterschiedlichen Funktion und Struktur entspricht es, dass Effekten als Anlagetitel in aller Regel in Handelssystemen gehandelt werden, wohingegen sich der Handel mit derivativen Finanzinstrumenten vielfach außerbörslich um bestimmte, gleichsam als market maker fungierende Händler (dealer) konzentriert, die Ankaufs- und Verkaufsangebote untereinander, gegenüber ihren Kunden oder unter Einbeziehung von Brokern abgeben und ihre Verträge in bilateralen Verhandlungen, zumeist im Telefonhandel, abschließen.183 Ungeachtet dieser Unterschiede fallen dem reinen Wortlaut nach auch Derivatkontrakte unter die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO, obwohl diese Ausnahme in ihrer Rechtfertigung auf die typischen Eigenschaften eines übertragbaren Wertpapiers nach Nr. 1 im Katalog des Anhang I Abschnitt C der MiFID abstellt. Dass Effekten auch gedankliche 180
Einen Überblick über die verschiedenen Generationen liefert Clouth, in: Ellenberger/Schäfer/Clouth/Lang, Praktikerhandbuch Wertpapier und Derivategeschäft, Rn. 116 ff. (S. 436 ff.). 181 So jedoch anscheinend Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 94. 182 So auch für den Begriff des derivativen Finanzinstruments in § 2 Abs. 2 WpHG, Assmann, in: Assmann/U. Schneider, WpHG, § 2 Rn. 45; Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG, Rn. 38. 183 Chlistalla, DB Research, OTC-Derivate, S. 3.
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Grundlage für die Ausarbeitung dieses Ausnahmetatbestandes waren, legt das Beispiel nahe, welches die britische Delegation und Kommissionsdienststellen zur Begründung der Ausnahme anführten: Bei der „einfachen Schuldverschreibung“ handelt es sich um ein typisches übertragbares Wertpapier nach Nr. 1 des Katalogs. Angesichts dieser Ausrichtung der Ausnahmeregelung an den typischen Eigenschaften eines übertragbaren Wertpapiers steht in Frage, ob die Begründungsansätze für Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO auch für die strukturell davon abweichenden derivativen Finanzinstrumente Geltung beanspruchen können. Der Handel mit derivativen Finanzinstrumenten weicht in seinen Mechanismen grundlegend von dem Handel mit Effekten ab. Die Unterschiede folgen daraus, dass Art. 4 Nr. 18 MiFID für die Annahme eines übertragbaren Wertpapiers die Voraussetzung aufstellt, dass das Wertpapier in einem bestimmten Maße umlauffähig ist. Die für die Ausnahme des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO herangezogene Doppelnatur ist bei ihnen wesentlich stärker ausgeprägt als bei den derivativen Finanzinstrumenten, bei denen es sich um einfache bilaterale Verträge handelt, die, um auf eine dritte Person übertragen zu werden, dazu nach deutschem Recht der Mitwirkung der anderen am zu übertragenden Geschäft beteiligten Partei bedürfen.184 Da derivative Finanzinstrumente somit grundsätzlich kein Gegenstand von Umlaufgeschäften sind,185 fällt, sofern von einem Handel mit derivativen Finanzinstrumenten die Rede ist, darunter in aller Regel nicht der Handel im engen Sinn der „Anschaffung und Veräußerung von Erwerbsgegenständen“.186 Befinden sich derivative Finanzinstrumente per se nicht im Umlauf, so sind sie auch nicht dem Risiko ausgesetzt, dass mit einem neuen Käufer des Instruments ein anderes Recht auf ihren Inhalt zur Anwendung käme. Das Recht, unter dem die Parteien ein future-, forward- oder Swap-Geschäft abgeschlossen haben, wechselt nicht, weil das Vertragsverhältnis, als welches das derivative Finanzinstrument rechtlich existiert, zwischen ihnen fortbesteht und mit Erfüllung der jeweiligen Verpflichtungen wieder zum Erlöschen gebracht wird. Wenn kein Bedürfnis für die Ausklammerung derivativer Finanzinstrumente besteht, weil mangels Übertragungsaktes ein Wechsel des anwendbaren 184 Schmidt, Derivative Finanzinstrumente, S. 83; rechtstechnisch ließe sich dieser Vorgang unter deutschem Recht in Form einer Vertragsübernahme bewerkstelligen, Brunner, Wertrechte, S. 182. 185 Dalhuisen, Transnational Financial Law, S. 287. 186 MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 40; vgl. auch Schönholzer, Zentrale Gegenparteien, S. 74.
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Rechts nach Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO von vorneherein nicht eintreten wird, lässt dies im Hinblick auf den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO zwei alternative Schlussfolgerungen zu: Einerseits ist möglich, dass zwischen Wortlaut und Ratio der Regelung eine Diskrepanz besteht, die mittels einer teleologischen Reduktion aufgelöst werden müsste, so dass sich der Begriff des Finanzinstruments in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO auf umlauffähige und bzw. oder massenhaft auszugebende Finanzinstrumente beschränkt. Andererseits steht in Frage, ob sich dennoch ein Schutzbedürfnis an der Ausklammerung derivativer Finanzinstrumente nachweisen lässt, welches die einheitliche Ausgestaltung der Instrumente erforderlich macht.187 2. Beschränkung auf standardisierte, umlauffähige Finanzinstrumente – Erfordernis einer einschränkenden Auslegung des Begriffs „Finanzinstrument“ unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO? Ob dem Begriff des Finanzinstruments in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO eine Beschränkung auf umlauffähige Finanzinstrumente immanent ist oder er vollständig auf den Katalog in Anhang I Abschnitt C MiFID verweist, ist zunächst durch Auslegung zu ermitteln. Diese Auslegung hat unmittelbar an den Regelungen der Rom I-VO anzusetzen, da in den Katalog in Anhang I Abschnitt C MiFID auch solche Derivate aufgenommen wurden, die keine standardisierte Ausgestaltung aufweisen. Führt diese Auslegung zu dem Ergebnis, dass der Katalog nicht vollständig inkorporiert ist, so besteht zwischen Wortlaut und Ratio auch keine Diskrepanz und die Suche nach einem alternativen Schutzbedürfnis für derivative Finanzinstrumente wird hinfällig. Nach dem Vorangegangenen indiziert das Kriterium der Fungibilität, welches gewöhnlich nur auf Waren, Geld oder eben übertragbare Wertpapiere in Anwendung gebracht wird,188 dass der Begriff des Finanzinstruments unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO nur mit handelbaren, d.h. – in Anlehnung an die Bedeutung dieses Begriffs bei übertragbaren Wertpapieren – standardisiert ausgestalteten, umlauffähigen Finanzinstrumenten gleichzusetzen ist. In diese Richtung lässt sich zudem in genetischer Auslegung die von den Kommissionsdienststellen 187 Ekkenga hält bereits auf Ebene des deutschen Rechts eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der die MiFID umsetzenden Wohlverhaltensregeln nach den §§ 31 ff. WpHG auf „nicht zum Handel geeignete Derivate“ für erforderlich, um „einer Tendenz zur Überregulierung“ zu entgehen: MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 40. 188 Fuller, Int. Capital Markets, 1.152 f. (S. 44).
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während des Entstehungsprozesses der Regelung angeführte Erklärung interpretieren, wonach das Bedürfnis nach dieser Ausnahme auch daraus folge, „dass die Ausklammerung der in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO genannten Finanzinstrumente möglicherweise nicht erschöpfend ist“.189 Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO wird daher teilweise als „Parallele“190 zur Regelung des Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO verstanden,191 die dem Anwendungsbereich der Verordnung insgesamt, d.h. eine Ebene vor Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO, bestimmte Pflichten aus handelbaren Wertpapieren entzieht.192 Auf der Grundlage, dass die Ausnahmeregelung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Alt. 1 Rom I-VO auf der Erwägung beruht, dass sich diese Instrumente gerade aufgrund ihrer Handelbarkeit gegen die Anwendung der allgemeinen Regelungen sperren,193 lässt sich argumentieren, dass es gerade das Kriterium der Handelbarkeit im Sinne von Umlauffähigkeit sein muss, welches – in paralleler Anwendung zu Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO – den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO sein Gepräge gibt. Danach wäre Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO so auszulegen, dass seinem Anwendungsbereich solche Instrumente unterstellt sind, die handelbar im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO sind, jedoch ohne zugleich die Kriterien eines handelbaren Wertpapiers im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom IVO zu erfüllen. Problematisch an dieser Auslegung ist jedoch, dass sie sich nur schwerlich mit Erwägungsgrund 30 der Rom I-VO vereinbaren lässt, der auf den Begriff des Finanzinstruments nach Artikel 4 (Abs. 1 Nr. 17) MiFID und in der Konsequenz umfassend auf den Katalog in Anhang I Abschnitt C MiFID verweist, ihn mithin vollständig, d.h. unter Einschluss der Nummern 4 bis 10, in die Verordnung, inkorporiert. Hätte der Verordnungsgeber diese Regelung sachlich auf im Sinne eines Umsatzgeschäfts handelbare Instrumente beschränken wollen, hätte es ausgereicht und wäre zweckmäßiger gewesen, an Stelle des gesamten Katalogs nur den Begriff des übertragbaren Wertpapiers nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID zu inkorporieren. In den Entstehungsmaterialien ist zudem festgehalten, dass es dem Verordnungsgeber um alle in dem 189
Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 5. 190 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 93. 191 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 93. 192 S. hierzu ausführlich Kapitel 6: B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO. 193 S. Kapitel 6: B. I. 2 „Verpflichtungen aus der Handelbarkeit“.
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Katalog zusammengefassten Instrumente ging, denn: „Sie sind umfangreich und decken die gesamte Palette der zu erfassenden Instrumente ab“.194 Zugleich verliert der zugunsten einer einschränkenden Auslegung verdeutlichte Zusammenhang zwischen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom IVO und Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO dadurch an Überzeugungskraft, dass er sich umgekehrt nicht gegen eine umfassende Verweisung auf alle Finanzinstrumente sperrt: Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO soll die Regelungslücke schließen, die unter Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO befürchtet wurde. Wenn aber, wie es hier der Fall ist, nicht feststeht, welches Risiko sich aus dieser Regelungslücke ableitet, kann keine Aussage dazu getroffen werden, welche Finanzinstrumente – als von dieser Regelungslücke betroffen – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO unterstellt sein sollen. Im Gegenteil ließe sich erst aus dem sachlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO folgern, welches Risiko ohne diese zusätzliche Ausklammerung befürchtet wurde. Der Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO kann daher ebenso gut weit wie eng verstanden werden und gibt keine Antwort auf die Frage des sachlichen Anwendungsbereichs von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO. Im Ergebnis stehen sich Wortlaut und Zweck der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO gegenüber und einem eindeutigen Auslegungsergebnis entgegen, so dass nach einem alternativen Schutzbedürfnis zu fragen ist. 3. Versuch einer Lösung des Konflikts zwischen Wortlaut und Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO Der Konflikt zwischen dem Wortlaut der Vorschrift, der die Finanzinstrumente aus dem Katalog in Anhang I Abschnitt C MiFID vollständig einbezieht, und der Ratio der Regelung, die auf nur einen Ausschnitt daraus, die übertragbaren Wertpapiere in Nr. 1, zugeschnitten ist, würde sich dann auflösen, wenn auch bei derivativen Finanzinstrumenten ein Schutzbedürfnis nach Ausklammerung aus dem Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO nachgewiesen werden kann, auch wenn dieses Schutzbedürfnis gerade nicht aus der Sicherstellung der Standardisierung und bzw. oder Umlauffähigkeit folgt. Ein solches Schutzbedürfnis besteht unter Berücksichtigung der Wertungen hinter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO grundsätzlich unter der Bedingung, 194
Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 3 (Hervorhebung durch die Verfasserin).
B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
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dass sich die inhaltliche Anknüpfung an das Heimatrecht des Verbrauchers – und sei es nur im eingeschränkten Umfang des Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO – nachteilig auf den Handel mit derivativen Finanzinstrumenten auswirkt. Da mit derivativen Finanzinstrumenten in aller Regel nicht durch Übertragung der Rechtsposition gehandelt wird, ist der „Handel“ mit ihnen daraufhin zu untersuchen, ob er Strukturen aufweist, die durch ein unter Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO angeordnetes Eingreifen des Verbraucherrechts beeinträchtigt würden. a) Kein Ausklammerungsbedürfnis bei individuell ausgestalteten derivativen Finanzinstrumenten Fällt der Übertragungsakt bei derivativen Finanzinstrumenten grundsätzlich weg, wirkt sich die Regelung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO nur dann auf den Rechte- und Pflichteninhalt dieser Instrumente nachteilig aus, wenn dieser für eine Mehrzahl von ihnen zwingend einheitlich ausgestaltet muss. Da sich ein Markt nur auf Grundlage einer Mehrzahl gleichartiger Produkte bilden kann, gilt auch für derivative Finanzinstrumente, dass sie, um handelbar zu sein, notwendigerweise standardisiert ausgestaltet sein müssen, so dass anhand des Grades ihrer Vereinheitlichung zwischen fungiblen und nicht-fungiblen derivativen Finanzinstrumenten unterschieden werden kann.195 Ein Derivatkontrakt mit individualisierter Ausgestaltung hingegen ist nicht handelbar. Er soll es auch nicht sein, da er gerade nur für die Parteien, die seine Bedingungen im Einzelnen ausgehandelt haben, nutzbar sein soll. Gegen die Ausklammerung solcher Geschäfte unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom IVO lässt sich neben dem Erhalt der Fungibilität das Argument der Rechtssicherheit in Anwendung bringen, die in einem solchen Fall nicht durch die Rechtsfolgen des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO beeinträchtigt wäre. Schließt beispielsweise ein Finanzinstitut ein Swap-Geschäft mit Partei A und gleichzeitig ein weiteres Swap-Geschäft mit Partei B ab, wird es zwar ein großes Interesse daran haben, beide Geschäfte mittels Rechtswahlklausel dem von ihm bevorzugten Recht zu unterstellen anstatt mit dem Verbraucherschutzrecht der jeweiligen Heimatrechtsordnungen beider Vertragsparteien konfrontiert zu werden. Anders als bei den unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO anvisierten Sachverhalten kann sich das Finanzinstitut jedoch auf die anwendbaren Rechtsfolgen einstellen, da es seine Vertragspartner kennt. Welche Rechtsordnungen möglicherweise 195
Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 9.105 (S. 727); ders., in: Albrecht/Karahan/ Lenenbach (Hrsg.), Fachanwaltshandbuch Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 1191.
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eingreifen, ist gerade nicht seinem Einfluss entzogen, sondern aufgrund der ihm bekannten Sachverhaltsumstände „vorhersehbar“. Es besteht daher im Hinblick auf die Anwendung von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO kein Schutzbedürfnis für solche Derivatkontrakte, die außerhalb von Handelssystemen abgeschlossen, inhaltlich im Einzelnen zwischen den Parteien ausgehandelt werden196 und – eben weil sie genau definierte Risiken abdecken oder eine bestimmte Marktstrategie absichern sollen197 – höchst unterschiedlich ausgestaltet sein können. Als erstes Ergebnis lässt sich bereits an dieser Stelle festhalten, dass sich die Ausklammerung individuell ausgestalteter Derivatgeschäfte nicht auf die Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO stützen lässt.198 Kann die Ratio dieser Regelung lediglich den Ausschluss standardisierter Derivatkontrakte stützen, stellt sich im Anschluss die Frage, in welchem Rahmen Derivatkontrakte am Markt mit einem standardisierten Inhalt ausgestattet werden und ob Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO diese Standardisierung zugunsten des Handels schützen will. b) Untersuchung eines Ausklammerungsbedürfnisses bei standardisiert ausgestalteten derivativen Finanzinstrumenten aa) An multilateralen Systemen gehandelte derivative Finanzinstrumente Standardisiert sind Derivatkontrakte immer dann, wenn sie an einem geregelten Markt oder einem multilateralen Handelssystem gehandelt werden, da solche Handelssysteme keine individualisierte Ausgestaltung der einzelnen Produkte zulassen, sondern Art und Inhalt der an ihnen handelbaren Instrumente im Einzelnen vorgeben.199 bb) Unter Rahmenverträgen zusammengefasste derivative Finanzinstrumente Auch wenn es gerade die Möglichkeit individueller Ausgestaltung ist, die OTC-Derivate zu attraktiven Produkten auf dem Markt macht, unterliegen auch sie inzwischen einer gewissen Standardisierung. Grund 196
Loader, Clearing and Settlement of Derivatives, S. 31. Beispiele von Loader, Clearing and Settlement of Derivatives, S. 31. 198 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Ekkenga im Hinblick auf den Anwendungsbereich der in den §§ 31 ff. WpHG umgesetzten Wohlverhaltensregeln der MiFID: Er sei so auszulegen, dass er sich nicht auf „singuläre Einzelprodukte“ erstrecke, vgl. MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 43. 199 Clouth, in: Ellenberger/Schäfer/Clouth/Lang (Hrsg.), Praktikerhandbuch Wertpapier- und Derivategeschäft, Rn. 1112 (S. 433); Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.25 (S. 2397). 197
B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
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hierfür ist die Verwendung sogenannter Rahmenverträge, unter denen die einzelnen Geschäfte zusammengefasst werden. Rahmenverträge (Master Agreements) existieren seit mehr als zwanzig Jahren200 für nationale wie internationale Derivatgeschäfte und funktionieren auf der Grundlage, dass die Geschäfte, welche die Parteien unter ihnen abschließen, Teil eines einheitlichen Vertrags werden.201 Ihre Struktur sieht in aller Regel wie folgt aus: Die Zusammenfassung zu einem einheitlichen Vertragsverhältnis ist in den allgemeinen Bestimmungen des jeweiligen Rahmenvertrags festgelegt, die um besondere Bestimmungen ergänzt sind, deren inhaltliche Ausgestaltung wiederum in das Ermessen der Parteien gestellt ist. Die Bedingungen für die unterschiedlichen einzelnen Geschäftstypen, die von dem Rahmenvertrag erfasst sein sollen, sind schließlich in den Anhängen geregelt. Zusammen ergeben die allgemeinen Bestimmungen, die besonderen Bestimmungen und die Anhänge, sofern sie einbezogen werden, den Rahmenvertrag. Rechtstechnisch wird die Standardisierung der Derivatgeschäfte dadurch umgesetzt, dass die in den Anhängen vorgeschriebenen Bedingungen der einzelnen Derivattypen für alle unter dem Rahmenvertrag abgeschlossenen Einzelgeschäfte gelten, so dass jedes neue Derivatgeschäft, das die Parteien unter dem Vertrag abschließen, automatisch den Bedingungen des Rahmenvertrags unterliegt. Ein wichtiger Rahmenvertrag für die innerhalb Deutschlands getätigten Geschäfte ist der sogenannte „Deutsche Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte“ („DRV“).202 Auf grenzüberschreitende Geschäfte wird gewöhnlich das „Master Agreement der International Swaps and Derivatives Association“ („ISDA-MA“) angewendet.203 Das ISDA-MA ist aus der Arbeitsgemeinschaft einer Gruppe von Swap-Händlern zur Ausarbeitung einer Musterdokumentation für Zinsswaps hervorgegangen, die sich zur International Swaps and Derivatives Association (ISDA) zusammengeschlossen und zunächst nur Musterformulierungen etc. veröffentlicht hat, bevor sie ein erstes Mustervertragswerk entwickelte, aus dem schließlich das „Master Agreement von 1992“ hervorgegangen ist.204 200
Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 1 (S. 108). Jahn, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch int. Wirtschaftsrecht, Teil H Rn. 416 (S. 884); Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 2 (S. 109). 202 Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 1, 6 ff. (S. 109 ff.). 203 Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.120 (S. 2417); Klingner-Schmidt, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 55 Rn. 38 (S. 1648). 204 Zur Entwicklung des ISDA-MA im Einzelnen: Von Sachsen-Altenburg, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 7 Rn. 4 ff. (S. 157 ff.). 201
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Dieses wiederum ist zwischenzeitlich zum „Master Agreement 2002“ fortentwickelt worden.205 Das ISDA-MA setzt sich, entsprechend der oben dargestellten Struktur, aus den allgemeinen Bestimmungen, welche generell auf alle unter ihm geschlossenen Derivate Anwendung finden,206 und aus dem Schedule, in dem nach dem Ermessen der Parteien zusätzliche Bedingungen getroffen207 und Abweichungen von den Standardbedingungen vereinbart werden können,208 zusammen. Zu dem ISDA-MA haben die europäischen Spitzenverbände der Kreditwirtschaft ein ähnlich strukturiertes Konkurrenzprodukt209 in Form eines europäischen Rahmenvertrags aufgestellt, das sogenannte „European Master Agreement“ („EMA“).210 Dessen Derivateanhang, der klassische derivative Finanzinstrumente beinhaltet,211 wird ergänzt durch drei Zusätze, die auch die Dokumentation spezieller Derivate ermöglichen.212 Das EMA ist im Jahre 1999 durch die European Banking Federation („FBE“) veröffentlicht worden.213 Es soll an die Stelle der in den einzelnen Mitgliedstaaten verwendeten Rahmenverträge wie beispielsweise den DRV treten und ist zu diesem Zweck nicht nur in fast allen Sprachfassungen der Sprachen in den Mitgliedstaaten verfügbar,214 sondern inhaltlich auch so ausgestaltet worden, dass seine Regelungen grundsätzlich mit der Wahl des Rechts eines jeden Mitgliedstaats vereinbar sind.215 cc) Einfluss von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO auf die „Fungibilität“ bei standardisiert ausgestalteten derivativen Finanzinstrumenten Derivative Finanzinstrumente in standardisierter Ausgestaltung werden primär an Handelssystemen gehandelt, sind aber auch im außerbörs205 Marktstandard ist jedoch im größeren Maße immer noch das ISDA-MA 1992, von Sachsen-Altenburg, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 7 Rn. 9 (S. 159); Klingner-Schmidt, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 55 Rn. 38 (S. 1648). 206 von Sachsen-Altenburg, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 7 Rn. 11 (S. 160). 207 von Sachsen-Altenburg, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 7 Rn. 12 (S. 160). 208 von Sachsen-Altenburg, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate § 7 Rn. 12 (S. 160). 209 Diefenhardt, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 93 (S. 135). 210 Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 76 (S. 130). 211 Bergfort, ZBB 2009, 451, 452. 212 Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 84 ff. (S. 132 f). 213 Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 76 (S. 130). 214 Bergfort, ZBB 2009, 451, 452; Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 90 (S. 133). 215 Bergfort, ZBB 2009, 451, 452; Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 90 (S. 133).
B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
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lichen Marktsegment in gewissem Umfang existent. In Frage steht daher, wie sich eine uneingeschränkte Anwendung von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom IVO auf diese Standardisierung bzw. den mit ihr verfolgten Zweck jeweils auswirken würde. (1) „Handel“ mit derivativen Finanzinstrumenten an multilateralen Systemen Rechtlich existent wird ein derivatives Finanzinstrument durch den Abschluss eines entsprechenden Vertrags, für dessen beteiligte Parteien an Handelssystemen jeweils besondere Bezeichnungen in Gebrauch sind: Die Partei, welche sich in dem Geschäft zum Kauf des Basiswertes verpflichtet, nimmt die sogenannte Long-Position ein.216 Korrespondierend dazu tritt in die sogenannte Short-Position diejenige Partei ein, die aus dem Vertrag zum Verkauf des Basiswertes verpflichtet wird.217 Eine Long- oder Short-Position kann wiederum offen oder geschlossen sein. Die Tätigkeiten an den Handelssystemen sind darauf gerichtet, offene Positionen wieder zu schließen (closing) und dadurch Kursgewinne zu realisieren.218 Eine offene Position kann grundsätzlich durch Erfüllung,219 d.h. durch effektive Lieferung oder Barausgleich, oder durch Glattstellung geschlossen werden. Der größte Anteil an den Derivatgeschäften wird vor Fälligkeit220 durch Glattstellung (auch: offset) geschlossen.221 Eine Glattstellung wird dadurch bewirkt, dass ein zweites, inhaltlich genau gegenläufiges Geschäft abgeschlossen wird: Hat beispielsweise eine Partei einen future mit dem Inhalt erworben, zu einem bestimmten Datum eine bestimmte Menge eines Produkts geliefert zu bekommen und dafür den vereinbarten Preis zu zahlen, muss sie, um sich von diesem Geschäft wieder lösen zu können, erneut den Markt betreten und ein neues future-Geschäft abschließen, welches nun auf den Verkauf dieser Menge zu demselben Datum lautet. Durch das gegenläufige Geschäft werden nun die Abnahmeverpflichtung und die
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Hull, Fundamentals of Options and Futures Markets, S. 39; McDonald, Fundamentals of Derivatives Markets, S. 31. 217 Hull, Fundamentals of Options and Futures Markets, S. 39. 218 MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 44; Kümpel/Wittig/Rudolf, Bankund Kapitalmarktrecht, Rn. 19.84 (S. 2409). 219 Kolb/Overdahl, Futures, Options, and Swaps, S. 24. 220 Schweppe, in: Grunewald/Schlitt (Hrsg.), S. 153; Hull, Fundamentals of Options and Futures Markets, S. 21. 221 Kolb/Overdahl, Futures, Options, and Swaps, S. 25.
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Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1
Lieferverpflichtung „neutralisiert“222 bzw. „auf null gebracht“223 und die jeweiligen Zahlungsverpflichtungen ausgeglichen.224 Die Möglichkeit zur Glattstellung ist bei allen derivativen Finanzinstrumenten gegeben und schließt nicht solche mit rein rechnerisch existenten Basiswerten aus, bei denen es per se zu keiner Lieferung kommt.225 (2) Die Durchführung der Glattstellung an Derivatebörsen Um eine offene Position durch Glattstellung zu schließen, ist es erforderlich, eine Partei zu finden, die sich zum Abschluss eines inhaltlich genau gegenläufigen Derivatgeschäfts bereit erklärt. An einer Parkettbörse wird sich ein damit beauftragter Börsenhändler zu diesem Zweck entweder an einen anderen Börsenteilnehmer wenden, der eine genau gegenläufige Position eröffnen will, oder einen market maker kontaktieren, der als solcher grundsätzlich zum Abschluss eines passenden Gegengeschäfts bereit steht. Sobald sich ein geeigneter Vertragspartner gefunden hat, geben beide Parteien ihre Angebote in das dafür zur Verfügung stehende System ein. Unter der Voraussetzung, dass alle drei involvierten Parteien – der Verkäufer des Finanzinstruments aus dem Erstgeschäft, dessen Käufer und der Käufer aus dem glattstellenden Gegengeschäft – an dasselbe Clearingsystem226 angeschlossen sind, werden die jeweiligen Forderungen sodann verrechnet.227 Im Rahmen eines elektronischen Handelssystem läuft der Prozess der Glattstellung demgegenüber wesentlich einfacher und automatisierter ab. Möglich macht dies die Einrichtung einer sogenannten „Zentralen Vertragspartei“ (central counterparty („CCP“), Zentrale Gegenpartei, Zentraler Kontrahent), deren Funktion darin besteht, bei jedem zustande kommenden Geschäft an der Handelsplattform als Vertragspartner aufzutreten, sei es in der Long- oder Short-Position.228 Hierzu werden – vereinfacht dargestellt – die in das elektronische System eingegebenen Aufträge in einem matching genannten Prozess passenden Gegenaufträgen anderer 222
Franken, Recht des Terminhandels, S. 163. Kolb/Overdahl, Futures, Options, and Swaps, S. 25. 224 Franken, Recht des Terminhandels, S. 163. 225 Schwintowski/Schäfer, Bankrecht 2004, S. 882. 226 Zum Clearingsystem siehe Kapitel 5: D. I. Systeme im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie. 227 Dalhuisen, Transnational Financial Law, S. 289. 228 Hull, Fundamentals of Futures and Options Markets, S. 37; Kümpel/Wittig/ Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.84 (S. 2409); MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 50. 223
B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
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Handelsteilnehmer zugeordnet. Anstatt dass das Geschäft dann jedoch zwischen den jeweiligen Parteien, die diese Aufträge eingegeben haben, zustande kommt, tritt die Zentrale Vertragspartei dazwischen und schließt jeweils einen Vertrag mit der verkaufenden und einen Vertrag mit der kaufenden Partei ab. Zwei passende Aufträge resultieren demnach nicht in einem Vertragsverhältnis, sondern jede Transaktion wird immer durch zwei Verträge präsentiert, an denen jeweils die Zentrale Vertragspartei als Vertragspartei beteiligt ist.229 Auf diese Weise zieht die Zentrale Vertragspartei alle auf dem Handelsplatz angebotenen Positionen an sich und tritt als jeweiliger Kontraktpartner zwischen die kaufenden und verkaufenden Marktteilnehmer.230 Für die Glattstellung bedeutet die Zwischenschaltung der Zentralen Vertragspartei, dass sie gleichzeitig Vertragspartnerin des glattzustellenden Geschäfts und des glattstellenden Gegengeschäfts ist. An den EurexBörsen Eurex Deutschland und Eurex Zürich beispielsweise wird die Glattstellung technisch durch entsprechende Markierungen beider Transaktionen im System bewerkstelligt,231 in deren Folge die Forderungen aus beiden Geschäften unmittelbar miteinander verrechnet werden. Mit Durchführung und Abschluss dieser Verrechnung tritt sodann der Erfolg der Glattstellung ein.232 (3) Der wirtschaftliche Effekt einer Glattstellung durch eine Zentrale Vertragspartei an einer Derivatebörse Infolge der beiden Verträge, die im Rahmen des Glattstellungsvorgangs abgeschlossen werden, stellt sich ein Ergebnis ein, das wirtschaftlich einer Übertragung der Rechte und Pflichten aus dem glattgestellten Geschäft gleichkommt, wie sich an folgendem Beispiel zeigt: Bevor der Prozess der Glattstellung eingeleitet wird, ist Partei A aus einem futureKontrakt im Januar zur Abnahme von 100 X-Aktien verpflichtet. Will sie 229
Alfes, Central Counterparty, S. 31. Claussen/Ekkenga, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rn. 81, S. 466; ders., in: MüKo, HGB, Effektengeschäft, Rn. 50. 231 Das Gegengeschäft wird als close, das glattzustellende Geschäft als open bezeichnet, siehe am Beispiel der Eurex, Clearing-Bedingungen, Kapitel II, Transaktionen an der Eurex Deutschland und der Eurex Zürich (Eurex-Börsen), Paragraph 1.6 (Stand: 11.8.2014; abrufbar unter: ). 232 So an der Eurex, vgl. Clearing-Bedingungen, Kapitel II, Transaktionen an der Eurex Deutschland und der Eurex Zürich (Eurex-Börsen), Paragraph 1.6 (Stand: 11.8.2014; abrufbar unter: ). 230
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Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1
sich von dieser Verpflichtung lösen, geht sie mit der Zentralen Vertragspartei ein Gegengeschäft ein, das auf die im Januar stattzufindende Lieferung von 100 X-Aktien lautet, und veranlasst das elektronische System, diese beiden Geschäfte miteinander zu verrechnen. Partei A wird dadurch von ihren Verpflichtungen aus dem ursprünglichen futureKontrakt frei. Parallel zum Abschluss des Gegengeschäfts mit Partei A ist die Zentrale Vertragspartei einen Vertrag mit Partei B eingegangen, aus dem diese zur Abnahme der 100 X-Aktien im Januar verpflichtet wird. Partei B steht damit nun in einer vertraglichen Beziehung zur Zentralen Vertragspartei, die, abgesehen vom Preis für die Aktien, inhaltlich identisch mit derjenigen ist, die Partei A vor der Glattstellung innehatte. Im Ergebnis übernimmt Partei B die Vertragsstellung von Partei A, ohne dass hierfür eine Vertragsübernahme notwendig wäre. Es kommt zwar nicht faktisch zu einer Übertragung, doch führt die „wiederkehrende Erschaffung und Beseitigung“233 von Geschäftspositionen zu einer Übertragung in einem wirtschaftlichen Sinne.234 Obgleich der Handel rechtstechnisch auf der Grundlage laufend neu abgeschlossener Derivatkontrakte basiert,235 lässt er sich wirtschaftlich mit An- und Verkaufsgeschäften von Finanzinstrumenten vergleichen, bei denen eine Übertragung des Rechts stattfindet. Für den Handel an Terminbörsen, d.h. einem Handelsplatz für Derivatkontrakte, kann im Ergebnis eine Struktur nachgewiesen werden, die dem Handel mit übertragbaren Wertpapieren nach Nr. 1 des Katalogs entspricht. (4) Auswertung des Handels an Derivatebörsen im Lichte der Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO Eine Glattstellung funktioniert nur, wenn ein anderer Handelsteilnehmer ein Angebot zum Abschluss eines inhaltlich gleichen, aber gegenläufigen Geschäfts abgibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Angebot in das System eingegeben wird, fällt umso geringer aus, je weniger die Handelsteilnehmer bei der Ausgestaltung ihres Angebots an bestimmte Voraussetzungen gebunden sind. Es gilt der von Franken aufgestellte Grundsatz, dass von einer Glattstellung umso leichter Gebrauch gemacht werden kann, je stärker das eröffnende Geschäft auf 233
MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 44. Dalhuisen, Transnational Financial Law, S. 290; Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 44; speziell zu Optionen: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 74 f. 235 Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 26; Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 44. 234
B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
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individuelle Vertragsgestaltung verzichtet.236 Für die Funktionsfähigkeit des Handels ist daher grundlegende Voraussetzung, dass eine Liquidität passender Angebote besteht. Handelssysteme schaffen diese Voraussetzung dadurch, dass sie nur eine begrenzte Anzahl standardisierter Produkte anbieten. Die Standardisierung beschleunigt und vereinfacht damit die Durchführung von Transaktionen dadurch, dass sie „eine von mehreren Vorbedingungen für die Möglichkeit zum jederzeitigen Abschluss eines Gegengeschäfts“ ist.237 Sofern sie an einem Handelssystem gehandelt werden, leiten derivative Finanzinstrumente ihre Fungibilität gleich übertragbaren Wertpapieren aus ihrer standardisierten Ausgestaltung ab.238 In der Konsequenz wäre ihre Fungibilität beeinträchtigt, wenn sich der Inhalt der abgegebenen Angebote an den Verbraucherschutzvorschriften des Heimatlandes des das Angebot abgebenden Verbrauchers ausrichten würde. Hier bestünde die Gefahr, dass die Zentrale Vertragspartei unter den abgegebenen Angeboten keines finden würde, mit dem sich ein passendes Geschäft zur erfolgreichen Durchführung der Glattstellung abschließen lassen könnte. Die Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO vermag im Ergebnis grundsätzlich den Ausschluss solcher derivativen Finanzinstrumente zu rechtfertigen, die standardisiert und in ein System eingebunden sind, welches eine jederzeitige Glattstellung gewährleistet. (5) Abgrenzung zwischen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO und Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO im Hinblick auf den Handel mit derivativen Finanzinstrumenten an Handelsplattformen Das Ergebnis, dass an einem Handelssystem gehandelte Derivatkontrakte zur Sicherstellung ihrer Handelbarkeit vor einem Eingreifen von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO geschützt werden müssen, ist noch nicht im Licht von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO untersucht worden. Eine ausführliche Untersuchung dieses Ausnahmetatbestands erfolgt an anderer Stelle in dieser Arbeit.239 Der Übersichtlichkeit wegen empfiehlt es sich jedoch, die Frage der Konkurrenz zwischen Art. 6 Abs. 4 lit. d 236
Franken, Recht des Terminhandels, S. 160 m.w.N. Franken, Recht des Terminhandels, S. 161; MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 50; Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.72. 238 Müller, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 53 Rn. 7 (S. 1620); Franken, Recht des Terminhandels, S. 160; Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzinstrumente, S. 26; MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 50. 239 Kapitel 6: A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO. 237
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Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1
Alt. 1 Rom I-VO und Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO im Hinblick auf an Handelsplattformen gehandelte derivative Finanzinstrumente bereits an dieser Stelle zu behandeln, um die Frage, ob unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ein Schutzbedürfnis für nicht umlauffähige Finanzinstrumente besteht, abschließend beantworten zu können. Dieser Aufbau macht es jedoch unerlässlich, in Teilen auf die Ergebnisse der Untersuchung zu Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO vorzugreifen. Hierzu gehört, dass die Einbindung einer Zentralen Vertragspartei, wie sie an Handelssystemen wie dargelegt üblich ist, der Einordnung als multilaterales System im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO nicht entgegensteht. Daraus ergibt sich Untersuchungsbedarf hinsichtlich der Frage, ob es im Hinblick auf den Handel an multilateralen Handelssystemen zu einer Überschneidung zwischen den Ausnahmetatbeständen des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO und des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO kommt, und, falls ja, wie diese aufzulösen ist. Zur Veranschaulichung sollen am Beispiel der EUREX Deutschland und Zürich auf Grundlage ihrer Handelsbedingungen die einzelnen Aktionen vergegenwärtigt werden, die an einem Handelssystem bis zum Erwerb eines derivativen Finanzinstruments ablaufen.240 Der Handel an einem Handelssystem unterteilt sich gewöhnlich in vier verschiedene Perioden, die für unterschiedliche Handelsabschnitte stehen. Bevor der eigentliche Handel einsetzt, laufen die „Pre-Trading-Periode“ und im Anschluss die „Opening-Periode“ ab, in denen es den Handelsteilnehmern möglich ist, Aufträge bzw. quotes in ein dafür bereitstehendes System einzugeben.241 Unter dem börsentypischen Begriff quote ist ein verbindliches Kauf- oder Verkaufsangebot zu verstehen.242 Mit Eingabe in das System gibt ein Teilnehmer solch ein bindendes Angebot ab,243 welches durch elektronische Datenverarbeitung übermittelt wird.244 Wel240 Zum Handel an der Eurex Deutschland und Zürich siehe ausführlich: Jobst, 2010, 384, 389 ff. 241 Bedingungen für den Handel an der Eurex Deutschland und der Eurex Zürich, Teil A Bedingungen für den Handel an der Eurex New Trading Architecture, 1.3 (Stand: 25.6.2013; abrufbar unter: ). 242 Beck/Röh, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, WpHG, § 32a Rn. 1. 243 Die dahinter stehenden vertraglichen Einordnungen sind im deutschen Recht sehr kompliziert und umstritten und sollen hier daher nicht erörtert werden. Eine übersichtliche Darstellung dieses Streitstands findet sich bei Jobst, ZBB 2010, 384, 388 ff. 244 Jobst, ZBB 2010, 384, 390.
B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
117
chen Inhalt sein Angebot hat, legt er anhand der im System fest vorgegebenen Parameter fest.245 In den eigentlichen Handel leitet dann die „Trading-Periode“ über, in der die vorhandenen Angebote einander zu einem täglichen Schlusspreis zugeordnet und zusammengeführt werden (matching).246 Dieses matching kennzeichnet den Vorgang, in dem es zu einem Vertragsabschluss kommt, der, wie oben gezeigt, immer die Zentrale Vertragspartei als eine Vertragspartei involviert. Der Handel schließt ab mit der „Post-Trading-Periode“, während der den Teilnehmern die Nutzung des Systems weiterhin zur Eingabe und zum Abfragen der Daten eröffnet ist.247 Zusammengefasst kommt ein Kaufvertrag beispielsweise über einen future dadurch zustande, dass der Handelsteilnehmer ein Angebot durch Eingabe in das System abgibt, welches durch die Zentrale Vertragspartei angenommen wird.248 Die Besonderheit dieses Kaufgegenstands besteht jedoch darin, dass der future, anders als ein gewöhnliches Handelsgut, nicht vor Abschluss des Vertrags bereits existiert, sondern uno acto mit dem Kaufvertrag erst geschaffen wird. Er entsteht durch denselben Vorgang, in dem auch der Kaufvertrag abgeschlossen wird: Der Handelsteilnehmer gibt das den Inhalt des future vorgebende Angebot ab, zu den in den Kontraktspezifikationen festgelegten Bedingungen einen bestimmten Basiswert zu liefern. Da erst mit Annahme dieses Angebots das Finanzinstrument future rechtlich existent wird, fallen das Zustandekommen des Kaufvertrags und die rechtliche Begründung des Kaufgegenstands zusammen. Funktioniert der Handel auf der Grundlage, dass ständig neue Rechtspositionen begründet werden,249 so ist es nicht mehr möglich, zwischen einem primärmarktrechtlichen Vorgang, in dem die derivativen Finanzinstrumente in den Verkehr gebracht werden, und einem Sekundärmarkt, auf dem sie gehandelt werden, zu unterschei-
245
Jobst, ZBB 2010, 384, 391. Bedingungen für den Handel an der Eurex Deutschland und der Eurex Zürich, Teil A Bedingungen für den Handel an der Eurex New Trading Architecture, 1.3 (3) (Stand: 25.6.2013; abrufbar unter: ). 247 Bedingungen für den Handel an der Eurex Deutschland und der Eurex Zürich, Teil A Bedingungen für den Handel an der Eurex New Trading Architecture, 1.3 (4) (Stand: 25.6.2013; abrufbar unter: ). 248 Zur Einordnung der rechtlichen Konstruktion dieses Handels nach deutschem Recht siehe Jobst, ZBB 2010, 384 ff. 249 Brunner, Wertrechte, S. 182. 246
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Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1
den.250 Als praktische Konsequenz ergibt sich daraus weiter, dass an einem multilateralen Handelssystem immer genau so viele Käufer wie Verkäufer agieren und die Anzahl der Verträge grundsätzlich nicht durch die Anzahl der handelbaren Güter beschränkt ist.251 Wenn aber der Vertragsschluss an dem multilateralen Handelssystem gleichzeitig das rechtliche Existentwerden des Finanzinstruments als auch den Kaufvertrag über dasselbige markiert, so ist neben Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO grundsätzlich auch der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO einschlägig. Dagegen wird eingewandt, dass das Geschäft an an einer Terminbörse, d.h. einem Handelsplatz für Derivatkontrakte, nicht das Ergebnis eines Vorgangs sei, in dem Interessen am Kauf und Verkauf zusammengeführt würden,252 was wiederum Voraussetzung für die Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO ist. Nach dieser Ansicht wäre mangels dieses Kriteriums Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO nicht einschlägig und es käme stattdessen allein Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO zur Anwendung. Diese Ansicht hat jedoch gegen sich, dass sie den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO in unzulässiger Weise verkürzt. Dem Wortlaut dieser Regelungen nach erfassen sie ausdrücklich auch multilaterale Systeme, an denen Derivatkontrakte gehandelt werden, da Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO das Finanzinstrument in seinem gesamten Ausgestaltungsspektrum gemäß Anhang I Abschnitt C MiFID in Bezug nimmt. Zudem ermöglicht es der Abschluss eines Gegengeschäfts, wie oben gezeigt, zumindest nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise, ein Verkaufsgeschäft über ein Derivat abzuschließen. Es besteht daher kein Anlass, multilaterale Systeme für derivative Finanzinstrumente aus dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO auszuschließen. Die Konkurrenz lässt sich vielmehr angemessen dadurch auflösen, dass man Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO gegenüber Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO als lex specialis ansieht, da in diesem Fall der Handel innerhalb eines multilateralen Systems das dominierende Element darstellt. Es wäre zudem inkongruent, wenn man für Geschäfte an Terminbörsen außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 6 Abs. 1 Rom IVO bei fehlender Rechtswahl auf Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO abstellt, innerhalb des Anwendungsbereichs dann aber Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO als vorrangig behandeln würde. In der Konsequenz hat Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO immer hinter die Regelung des Art. 6 250
MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 44, 50. Schönholzer, Zentrale Gegenparteien, S. 74. 252 Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416, 420. 251
B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
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Abs. 4 lit. e Rom I-VO zurückzutreten, wenn das derivative Finanzinstrument an einem multilateralen System gehandelt wird.253 (6) Unter Rahmenverträgen zusammengefasste derivative Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO Zu untersuchen bleibt, ob auch der Standardisierung der Derivatgeschäfte in Rahmenverträgen eine zum Erhalt der Handelbarkeit dieser Geschäfte schützenswerte Bedeutung zukommt. Aus der Verwendung von Rahmenverträgen leiten sich verschiedene Vorzüge ab: Die in einem Rahmenvertrag vorgenommene Standardisierung lässt zum einen langwierige Verhandlungen über den Inhalt eines Geschäfts entfallen; zum anderen reduziert sie die Dokumentationskosten für die einzelnen Geschäfte und gewährleistet ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit.254 Gleichzeitig hat die Zusammenfassung der einzelnen Geschäftsabschlüsse zu einem Gesamtvertrag den Vorteil, dass es im Falle der Insolvenz einer Vertragspartei zur Beendigung des Gesamtvertrags kommt (Gesamtbeendigung), in deren Rahmen eine einheitliche Ausgleichsforderung entsteht (Liquidationsnetting), die an die Stelle aller Einzelforderungen tritt.255 Diese Regelung stellt sicher, dass dem Insolvenzverwalter jegliche Grundlage für die selektive Ausübung seines Wahlrechts – welches ihm unter einer Vielzahl von Rechtsordnungen mit dem Inhalt eingeräumt ist, noch nicht erfüllte Geschäfte erfüllen und dafür die Gegenleistung fordern zu können bzw. davon abzusehen – für jeden Einzelvertrag entzogen ist.256 Daneben sehen Rahmenverträge in aller Regel Vereinbarungen vor, welche die Funktionen imitieren, die eine Clearingstelle an einer Terminbörse zur Reduzierung der strukturellen Risiken eines derivativen Finanzinstruments erfüllt.257 Sie legen ausdrücklich fest, dass die Erfüllung jeder Verpflichtung einer Partei, die sich aus einem Einzelgeschäft ergibt, als Gegenleistung allen Pflichten gegenüber steht, welche die andere Partei auf Grund sämtlicher Ge-
253
So auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 355. Klingner-Schmidt, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 55 Rn. 41 (S. 1648); Kümpel/Wittig/ Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.104; Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 2 (S. 109). 255 Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 2 (S. 109). 256 Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 2 (S. 109). 257 Zur Funktion einer Clearingstelle s. Kapitel 5: D. I. Systeme im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie. 254
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Kapitel 3: Ausnahmetatbestand 1
schäfte übernommen hat und übernehmen wird und vice versa.258 Ferner wird vereinbart, dass eine automatische Verrechnung solcher einzelner Forderungen, die am selben Tag in gleicher Währung zu leisten sind, vorgenommen wird (netting).259 Zwar trägt die Verwendung von Rahmenverträgen dazu bei, dass sich auch außerhalb organisierter Handelsplätze ein internationaler Standard etabliert, der maßgeblich auf den Begriffsbestimmungen der ISDA beruht, weil diese auch in andere Rahmenverträge inkorporiert werden können und werden.260 Der unmittelbare Nutzen aus der Verwendung solcher Rahmenverträge beschränkt sich jedoch auf das Zweipersonenverhältnis, innerhalb dessen er abgeschlossen worden ist. Hauptzweck ist die Reduzierung des in diesem Verhältnis bestehenden Kreditrisikos durch das im Rahmenvertrag angeordnete vertragliche Liquidationsnetting und das Zahlungsnetting.261 Die Standardisierung bezweckt daneben, Diskrepanzen zwischen den in den einzelnen Geschäften definierten Risiken innerhalb eines Vertragsverhältnisses zu vermeiden.262 Selbst wenn durch die Derivatanhänge einheitliche Konditionen für die jeweiligen Derivate festgelegt werden, bleibt deren Wirkung auf das jeweilige Schuldverhältnis beschränkt.263 Die Verwendung von Rahmenverträgen allein schafft damit aus sich heraus noch keine fungiblen Derivate. Zu Gunsten der Anwendbarkeit des Rechts, auf dessen Grundlage der jeweilige Rahmenvertrag funktioniert,264 besteht daher kein Bedürfnis nach Ausklammerung unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO.
258
Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 3 (S. 109); Kümpel/ Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.111; siehe bspw. für solch eine Regelung: Art. 1 Abs. 4 EMA. 259 Hull, Fundamentals of Options and Futures Markets, S. 29. 260 Zum Beispiel bei dem DRV und dem EMA: Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 11 (S 111); § 9 Rn. 91 (S. 134). 261 Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 3 (S. 109). 262 Behrends, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 6 Rn. 2 (S. 109). 263 Vgl. Franken, Recht des Terminhandels, S. 192. 264 Nationale Rahmenverträge beinhalten eine Klausel, welche die Geltung des jeweiligen nationalen Rechts vorgibt: Beispielsweise unterstellt § 11 Nr. 2 DRV alle Vereinbarungen des DRV der Geltung deutschen Rechts. Trotz ihrer international intendierten Verwendung stehen auch internationale Rahmenverträge nicht über einem nationalen Recht, sondern enthalten Regelungen, die auf Grundlage einer oder, wie insbesondere im Falle des EMA, mehrerer Rechtsordnungen entworfen wurden. Entsprechend lassen sie nur eine eingeschränkte Rechtswahl zu wie beispielsweise das ISDA-MA, das lediglich entweder englischem oder New Yorker Recht unterstellt werden kann.
B. Finanzinstrumente unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO
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4. Zusammenfassung und Ergebnis zum Anwendungsbereich des Ausnahmetatbestands in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich im Hinblick auf derivative Finanzinstrumente nur für börsengehandelte Derivate ein Anwendungsfall nachweisen lässt, in welchem die einheitliche Anwendung eines Rechts notwendige Voraussetzung für die Handelbarkeit dieser Finanzinstrumente ist. Da die gleichartige Ausgestaltung der Verträge den Abschluss von Gegengeschäften ermöglicht, die wiederum zu einem Handelsgeschäft im wirtschaftlichen Sinne führen, gewährleistet die Anwendung nur eines Rechts die „Fungibilität“ dieser Finanzinstrumente. Für diese Verträge ist jedoch Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO die speziellere Regelung, so dass ein Bedürfnis nach ihrer Ausklammerung unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO nicht besteht. Fällt auf Grund des spezielleren Anwendungsbereichs von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO der einzige Anwendungsfall im Zusammenhang mit derivativen Finanzinstrumenten, für den sich eine Rechtfertigung im Sinne der Ratio des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO finden ließe, weg, kann als Ergebnis festgehalten werden: Indem sich der Begriff des Finanzinstruments über die Nummern 4 bis 10 des Katalogs in Anhang I Abschnitt C MiFID auch auf derivative Finanzinstrumente erstreckt, deckt der sachliche Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO auch solche Fallkonstellationen ab, deren Ausklammerung nicht im Sinne dieser Regelung gerechtfertigt ist. Über die ausdrückliche Aufzählung solcher Instrumente in dem Katalog des Anhang I Abschnitt C MiFID muss in diesem Fall eine teleologische Reduktion des Begriffs des Finanzinstrument hinweghelfen, wonach auf Grundlage des Regelungszwecks von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO der Begriff des Finanzinstruments so auszulegen ist, dass er solche Instrumente, die nicht handelbar sind, ausschließt.
Kapitel 4
Ausnahmetatbestand 2 – Die Ausklammerung von Verträgen über bestimmte Finanzinstrumente nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO A. Zur systematischen Auslegung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO A. Einleitung
Bei der Ausformulierung des zweiten Ausnahmetatbestands in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO hat sich der Verordnungsgeber einer Reihe von Begriffen bedient, die er in Rechtsakten des europäischen Kapitalmarktrechts vorgefunden hat. Wie bereits gezeigt hat der Begriff des übertragbaren Wertpapiers seinen Ursprung in der MiFID. Der „Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ ist ein Begriffskonstrukt, das ursprünglich aus der OGAW-Richtlinie stammt. Ebenso handelt es sich bei dem „öffentlichen Angebot“ und dem „Übernahmeangebot“ um Begriffe, die, ersterer in der RL 2003/71/EG1 („Prospekt-Richtlinie“), letzterer in der RL 2004/25/EG2 („Übernahme-Richtlinie“), für kapitalmarktrechtliche Sachverhalte in Verwendung sind. „Finanzdienstleistungen“, um die es im letzten Halbsatz der Regelung geht, sind begrifflich bereits aus der RL 2002/65/EG3 („Fernabsatz-Finanzdienstleistungen-Richtlinie“) sowie der Präambel der MiFID4 bekannt.
1
Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 345 vom 31.12.2003, S. 64 ff. 2 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 41 vom 30.4.2004, S. 12 ff. 3 Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 271 vom 9.10.2002, S. 16 ff.
A. Einleitung
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Nach den Grundsätzen systematischer Auslegung lassen sich Begriffe, die mit gleichem Wortlaut in anderen Rechtsakten des Unionsgesetzgebers verwendet werden, grundsätzlich als Auslegungshilfen zu Nutze ziehen.5 Zwischen den kapitalmarktrechtlichen Konstrukten, wie sie in den jeweiligen Unionsrechtsakten umgesetzt sind, und den in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO verwendeten Begriffen besteht jedoch nur teilweise inhaltliche Identität. Ob das Begriffsverständnis eines anderen Unionsrechtsaktes zugrunde gelegt werden soll, hat der Verordnungsgeber entweder unmittelbar im Regelungstext der Rom I-VO angezeigt6 oder sich hierzu eines Erwägungsgrundes bedient, welcher auf die fremde Definition verweist.7 Während die MiFID für die neuen Ausnahmetatbestände in der Rom I-VO ausdrücklich als definitorischer Bezugsrahmen gewählt wurde, finden die übrigen der oben genannten Richtlinien mit Ausnahme der OGAW-Richtlinie – diese auch nur zum Zweck einer negativen Begriffsabgrenzung – keine Erwähnung im Verordnungstext. Aus diesen Vorgaben lässt sich im Hinblick auf die in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO verwendeten kapitalmarktrechtlichen Begriffe lediglich für den Begriff des übertragbaren Wertpapiers und den der Finanzdienstleistung ableiten, was der Verordnungsgeber darunter verstanden wissen will. Für die anderen Begriffe in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO mit kapitalmarktrechtlichen Ursprung folgt aus dieser Definitionstechnik jedoch nicht im Umkehrschluss, dass ein Rekurs auf andere, im Verordnungstext unerwähnt gebliebene Richtlinien gesperrt wäre. Stattdessen ist die fehlende Aufnahme entsprechender Verweisungen überwiegend dem Umstand geschuldet, dass sich der auf den Bereich der Mitgliedstaaten begrenzte räumliche Anwendungsbereich europäischer 4
Erwägungsgrund 37 in der MiFID: „Von dieser Richtlinie unberührt bleiben sollte das Recht von vertraglich gebundenen Vermittlern, unter andere Richtlinien fallende Tätigkeiten und verbundene Tätigkeiten in Bezug auf Finanzdienstleistungen oder -produkte, die nicht unter diese Richtlinie fallen, auszuüben, selbst wenn dies im Namen von Teilen derselben Finanzgruppe geschieht“. Siehe auch Erwägungsgrund 67 in der MiFID. 5 S.o. Kapitel 1: A. II. 2. b) Teleologisch-systematische Auslegung. 6 Siehe beispielsweise Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO, der für den Begriff des Finanzinstruments auf die Definition in „Artikel 4 Absatz 1 Nummer 17 der Richtlinie 2004/39/EG“ verweist. 7 In Erwägungsgrund 30 in der Rom I-VO heißt es so, dass „für die Zwecke dieser Verordnung die Begriffe ‚Finanzinstrumente‘ und ‚übertragbare Wertpapiere‘ diejenigen Instrumente bezeichnen, die in Artikel 4 der Richtlinie 2004/39/EG genannt sind“.
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Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2
Rechtsakte mit dem universellen Regelungsanspruch der Rom I-VO nur schwerlich vereinbaren ließe.8 Solche Erwägungen des Verordnungsgebers deuten sich zumindest in Bezug auf den Begriff der Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren in Erwägungsgrund 26 an, der zwar einerseits explizit vorgibt, dass sich der in der Verordnung verwendete Begriff nicht auf den aus der OGAW-Richtlinie beschränken soll. Andererseits gibt der Verordnungsgeber mit dieser Vorgabe gleichzeitig zu erkennen, dass er sich bei der Ausgestaltung des Tatbestandes zumindest in den Grundzügen an den Wesensmerkmalen eines „Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ im Sinne dieser Richtlinie orientiert hat. Ferner belegt ein Blick in die Entstehungsgeschichte der Ausnahmetatbestände am Beispiel des Begriffs des multilateralen Systems in Art. 6 Abs. 4 lit. e und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom IVO, dass sich der Verordnungsgeber mögliche Konflikte mit dem Universalitätsgrundsatz vermeiden wollte: Noch kurz bevor der endgültige Regelungstext feststand, wurde ein Begriffsgleichlauf mit den marktbezogenen Definitionen aus der MiFID mit der Begründung abgelehnt, „dass die Bestimmungen bei einem Verweis auf die MiFIDBegriffe auf den Kontext der EU eingeschränkt würden“.9 Die letztlich doch im Verordnungstext aufgenommenen Verweise auf die MiFID stehen dazu nur teilweise in Widerspruch, da es sich zumindest bei den übertragbaren Wertpapieren und den Finanzinstrumenten um deskriptive Begriffe handelt, die nicht zwingend in einen bestimmten räumlichen Kontext eingeordnet sind, wie es andersherum beispielsweise bei den Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren der Fall ist. Einer Auslegung, die auch für die nicht definierten Begriffe in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO die entsprechenden kapitalmarktrechtlichen Richtlinien heranzieht, lassen sich die hinter der gewählten Definitionstechnik stehenden Motive des Verordnungsgebers daher grundsätzlich nicht entgegen halten, sofern im Einzelnen kein entgegenstehender Wille des Verordnungsgeber zu erkennen ist. Hier gilt es jedoch insbesondere, den eingeschränkten räumlichen Bezug der Richtlinien als auch den jeweils speziellen Schutzzweck, den sie verfolgen, zu beachten.10
8
Vgl. Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61, I-73. Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 3. 10 Mankowski, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2375 (S. 1043). 9
B. Überblick über die Struktur des zweiten Ausnahmetatbestands
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B. Überblick über die Struktur des zweiten Ausnahmetatbestands B. Überblick über die Struktur des zweiten Ausnahmetatbestands
I. Unterscheidung anhand des im Mittelpunkt des Geschäfts stehenden Typs eines Finanzinstruments Zu dem Zweck, die Untersuchung des zweiten Ausnahmetatbestands in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO zu vereinfachen, wird zuerst ein Überblick über seine Struktur erarbeitet. Innerhalb des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO kann nach der Art des Finanzinstruments, welches Gegenstand des Geschäfts bzw. Vertrags ist, zunächst zwischen zwei Tatbestandsvarianten differenziert werden: (i) übertragbare Wertpapiere und (ii) Anteile an Investmentvermögen. 1. Übertragbare Wertpapiere Die erste Tatbestandsvariante bezieht sich auf übertragbare Wertpapiere, für die gemäß Erwägungsgrund 30 die Übertragung des Begriffsverständnisses aus Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID gilt, wonach es sich um handelbare Wertpapiere handeln muss, mit Ausnahme von Zahlungsinstrumenten. Ausgeklammert sind die „Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Ausgabe oder das öffentliche Angebot oder öffentliche Übernahmeangebote über übertragbare Wertpapiere festgelegt werden“. Die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO spezialisiert und begrenzt ihren Anwendungsbereich in Bezug auf Verträge über übertragbare Wertpapiere damit wörtlich auf drei Fallkonstellationen: (i) die Ausgabe übertragbarer Wertpapiere, (ii) das öffentliche Angebot über übertragbare Wertpapiere und schließlich (iii) öffentliche Übernahmeangebote über solche Wertpapiere. Diese drei Fallkonstellationen lassen sich wiederum zwei Typen von Kapitalmarktgeschäften zuordnen. Sofern Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO die (i) Ausgabe und (ii) das öffentliche Angebot übertragbarer Wertpapiere adressiert, geht es um die Emission von Wertpapieren und daraus hervorgehende schuldrechtliche Rechtsbeziehungen zu einem Verbraucher. Die Sachverhalte, auf die sich die ersten beiden Fallkonstellationen beziehen, lassen sich daher als „Wertpapieremissionen unter Verbraucherbeteiligung“ zusammenfassen. Neben der Wertpapieremission hat in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO das unter einem „Übernahmeangebot“ verstandene Kapitalmarktgeschäft in der entsprechend betitelten Fallkonstellation (iii) ebenfalls Aufnahme gefunden. Diese Kapitalmarktgeschäfte dienen verschiedenen wirtschaftlichen Zwecken, folgen einem eigenständigen Ablauf und
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Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2
gehen mit unterschiedlichen Vertragsbeziehungen einher, so dass sie der Übersichtlichkeit wegen getrennt untersucht werden. 2. Anteile an Investmentfonds Die zweite Tatbestandsvariante des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO berücksichtigt im Speziellen die vertraglichen Rechte und Pflichten aus einem Investmentgeschäft. Wortwörtlich entzieht sie dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO „die Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Zeichnung und den Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren festgelegt werden“. II. Einschränkung für die „Erbringung von Finanzdienstleistungen“ Die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO schließt mit der Einschränkung des letzten Halbsatzes ab, „sofern es sich dabei nicht um die Erbringung von Finanzdienstleistungen handelt“. Mit diesem Halbsatz zieht der Verordnungsgeber nach obiger Auslegung eine Trennlinie zwischen dem Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO und den nicht von ihm erfassten Finanzdienstleistungen. Innerhalb des Regel-Ausnahme-Gefüges für bestimmte Kapitalmarktgeschäfte in Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO weist der Verordnungsgeber Finanzdienstleistungen damit eine besondere Position zu.11
C. Finanzdienstleistungen C. Finanzdienstleistungen
Der Übersichtlichkeit der Untersuchung wegen empfiehlt es sich, vorab zu klären, was für Tätigkeiten als Finanzdienstleistungen unter Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO fallen. Auf der Grundlage dieses Ergebnisses ist es dann möglich, innerhalb der einzelnen Tatbestandsvarianten zu prüfen, ob ein Bedürfnis nach einer Abgrenzung zwischen der jeweiligen Tatbestandsvariante des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und der „Rückausnahme“ für die Erbringung für Finanzdienstleistungen besteht bzw. wie eine solche Abgrenzung vorzunehmen ist.
11
Mankowski, RIW 2009, 98, 103.
C. Finanzdienstleistungen
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I. Begriff der Finanzdienstleistungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO Unter einer Finanzdienstleistung im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom IVO will der Verordnungsgeber Erwägungsgrund 26 zufolge eine Tätigkeit verstanden wissen, die unter der MiFID eine „Wertpapierdienstleistung“ oder eine „Wertpapiernebendienstleistung“ darstellt. In der MiFID wiederum sind beide Begriffe jeweils abschließend12 durch eine Liste an Tätigkeiten ausgefüllt, die im Anhang I der Richtlinie als Abschnitt A („Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten“) und Abschnitt B („Nebendienstleistungen“) aufgenommen wurden. Auf diese beiden Listen nimmt der Verordnungsgeber in Erwägungsgrund 26 ausdrücklich Bezug. Die Unterscheidung zwischen Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten einerseits und Nebendienstleistungen andererseits in der MiFID wurde bereits in der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, ihrem Vorgängerrechtsakt getroffen, und erfolgt auf der Wertung, dass die Tätigkeiten in Abschnitt A Anhang I der Richtlinie zwingend den Wohlverhaltensregeln unterliegen, wohingegen die Anwendung dieser Regeln auf Tätigkeiten nach Abschnitt B Anhang I der Richtlinie im Ermessen der Mitgliedstaaten steht.13 Für die Anwendung dieser Listen unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO hat diese Unterscheidung daher keine Relevanz. 1. Finanzdienstleistungen nach Anhang I Abschnitt A und Abschnitt B MiFID a) Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten Unter der Prämisse, dass sich der Begriff der Finanzdienstleistungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO auf Dienstleistungen beschränkt, die typischerweise an einen Verbraucher erbracht werden, fallen aus dem Katalog in Anhang I Abschnitt A MiFID mit den Nummern 6 und 7 (die „Übernahme der Emission von Finanzinstrumenten und/oder Platzierung von Finanzinstrumenten mit fester Übernahmeverpflichtung“ und die „Platzierung von Finanzinstrumenten ohne feste Übernahmeverpflichtung“) solche Wertpapierdienstleistungen weg, die ausschließlich von Unternehmern im Sinne der Rom I-VO nachgefragt werden.14 Unter den übrigen Wertpapierdienstleistungen in Abschnitt A stehen die „Port-
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Baum, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 142. Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 105; Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 122. 14 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 341. 13
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Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2
folioverwaltung“15 (Nr. 4) und die „Anlageberatung“16 (Nr. 5) für typische Dienstleistungen einer Bank gegenüber einem Anleger, die keine Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber dem Anwendungsbereich der Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO aufwerfen. Dasselbe gilt grundsätzlich für den „Betrieb eines multilateralen Handelssystems (MTF)“ (Nr. 8).17 Anders könnte sich die Situation im Hinblick auf die in den Nummern 1 bis einschließlich 3 gelisteten Wertpapierdienstleistungen darstellen, unter die jeweils Geschäfte zwischen einem Kreditinstitut und einem Anleger gefasst werden, welche übertragbare Wertpapiere (als Unterfall des in den Dienstleistungen benannten Finanzinstruments) zum Gegenstand haben. Die „Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die ein oder mehrere Finanzinstrument(e) zum Gegenstand haben“ (Nr. 1) bezeichnet neben dem Finanzkommissionsgeschäft,18 d.h. die Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten im eigenen Namen für fremde Rechnung,19 auch die Anlagevermittlung,20 d.h. die bloße Vermittlung von Geschäften, wobei der Finanzdienstleister mit beiden Parteien in Kontakt tritt und sie als Vertragsparteien eines Geschäfts zusammenführt.21 Bei der „Ausführung von Aufträgen im Namen des Kunden“22 (Nr. 2) führt das Kreditinstitut 15
Nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 9 MiFID fällt darunter die „Verwaltung von Portfolios auf Einzelkundenbasis mit einem Ermessensspielraum im Rahmen eines Mandats des Kunden, sofern diese Portfolios ein oder mehrere Finanzinstrumente enthalten“. 16 Nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 4 MiFID ist dies die „Abgabe persönlicher Empfehlungen an einen Kunden entweder auf dessen Aufforderung oder auf Initiative der Wertpapierfirma, die sich auf ein oder mehrere Geschäfte mit Finanzinstrumenten beziehen“. Eine persönliche Empfehlung wiederum ist eine „Empfehlung, die an eine Person in ihrer Eigenschaft als Anleger oder potentieller Anleger oder in ihrer Eigenschaft als Beauftragter eines Anlegers oder potentiellen Anlegers gerichtet ist“ (Art. 52 Richtlinie 2006/73/EG der Kommission vom 10. August 2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 241 vom 2.9.2006, S. 26 ff.). 17 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 341. 18 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 66. 19 So die Legaldefinition in § 2 Abs. 3 Nr. 1 WpHG. 20 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 80. 21 Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 90; Baum, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 161. 22 Darunter ist nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 5 MiFID „die Tätigkeit zum Abschluss von Vereinbarungen, ein oder mehrere Finanzinstrumente im Namen von Kunden zu kaufen oder zu verkaufen“ zu verstehen.
C. Finanzdienstleistungen
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in offener Stellvertretung für den Anleger Geschäfte durch.23 Unter der Wertpapierdienstleistung, die im Katalog als „Handel für eigene Rechnung“ (Nr. 3)24 aufgeführt wird, ist nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 6 MiFID „der Handel unter Einsatz des eigenen Kapitals, der zum Abschluss von Geschäften mit einem oder mehreren Finanzinstrumenten führt“ zu verstehen.25 b) Nebendienstleistungen An die Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten nach Anhang I Abschnitt A MiFID knüpfen die in Abschnitt B als Nebendienstleistungen zusammengefassten Tätigkeiten als „Annexgeschäfte“ an,26 die typischerweise im Zusammenhang mit ihnen erbracht werden.27 Gegenüber einem Verbraucher hat darunter insbesondere die „Verwahrung und Verwaltung von Finanzinstrumenten für Rechnung von Kunden“ unter Einschluss damit verbundener Dienstleistungen (Nr. 1) Bedeutung. Diese Nebendienstleistung knüpft an den Erwerb von Finanzinstrumenten an und entlastet den Kunden davon, selbst die notwendigen Handlungen für die Wahrnehmung der Rechte aus den Finanzinstrumenten vorzunehmen.28 Der Anschaffung von Finanzinstrumenten hingegen vorgelagert ist die hierfür potentiell notwendig werdende „Kreditoder Darlehensgewährung“ (Nr. 2). Die „Abgabe allgemeiner Empfehlungen“ (Nr. 5) erfasst all solche Empfehlungen, Finanzanalysen, Informationen, etc., die nicht wie die Anlageberatung nach Anhang I Abschnitt A Nr. 5 MiFID auf die Interessen eines einzelnen Anlegers hin, sondern im Hinblick auf einen unbestimmten Personenkreis verfasst werden.29 Die als „Devisengeschäfte“ (Nr. 4) bezeichnete Nebendienstleistung hat neben den bereits als Finanzinstrument erfassten Derivatkontrakten mit Devisen zum Bezugswert nur einen marginalen An23
Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 78. Die MiFID definiert darunter den „Handel unter Einsatz des eigenen Kapitals, der zum Abschluss von Geschäften mit einem oder mehreren Finanzinstrumenten führt“, Art. 4 Abs. 1 Nr. 6; im deutschen Recht umgesetzt als: „die Anschaffung oder Veräußerung von Finanzinstrumenten in fremden Namen für fremde Rechnung“, § 2 Abs. 3 Nr. 3 WpHG. 25 Grundmann, in: Joost/Strohn (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. VI52. 26 Grundmann, in: Joost/Strohn (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. VI58. 27 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 123. 28 Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 106. 29 Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 110. 24
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wendungsbereich.30 Da sie nur gegenüber Unternehmern erbracht werden, fallen die „Beratung von Unternehmen“ (Nr. 3), „Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Übernahme von Emissionen“ (Nr. 6) sowie (Nr. 7) die „Sportgeschäfte, die zu dem Zweck vorgenommen werden, Derivate mit Basiswerten anzufüllen“, unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO von vorneherein weg. 2. Finanzdienstleistungen nach der FernabsatzFinanzdienstleistungen-Richtlinie Anders als die MiFID, die den Begriff der Finanzdienstleistungen lediglich in ihrer Präambel verwendet und im Regelungstext selbst stattdessen von „Wertpapierdienstleistungen“ und „Nebendienstleistungen“ spricht, hat die Fernabsatz-Finanzdienstleistungen-Richtlinie Finanzdienstleistungen auch unmittelbar unter dieser Bezeichnung zum Regelungsgegenstand. Als Finanzdienstleistung definiert sie „jede Bankdienstleistung sowie jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung“.31 Anders als die Begriffsbestimmung in den Katalogen in Anhang I Abschnitt A und B MiFID erschöpft sich diese Legaldefinition in der hier interessierenden Variante der „GeldanlageDienstleistungen“ nicht auf im Einzelnen spezifizierte Tätigkeiten, sondern ermöglicht es, den Begriff weit zu ziehen.32 Es bietet sich daher an, sie für den Begriff der Finanzdienstleistungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 a.E. Rom I-VO zumindest ergänzend heranzuziehen. In systematischer Auslegung scheint sich zwar Erwägungsgrund 26 dagegen zu sperren, der ausdrücklich auf die Kataloge in der MIFID verweist, wohingegen die Fernabsatz-Finanzdienstleistungen-Richtlinie in den Erwägungsgründen der Rom I-VO keinerlei Erwähnung findet. Jedoch will sich der Verordnungsgeber zum einen nicht auf die in ihnen gelisteten Tätigkeiten beschränken, sondern verweist auf diese Kataloge
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Fuchs, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 126. Art. 2 lit. b Fernabsatz-Finanzdienstleistungen-Richtlinie. 32 Mankowski, RIW 2009, 98, 104; allerdings ist für den Begriff der Finanzdienstleistung unter der Fernabsatz-Finanzdienstleistungen-Richtlinie zu fordern, dass zwischen der Leistung des Unternehmens und einer hinreichend konkretisierten Anlageentscheidung eines Verbrauchers ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, MüKo/Wendehorst, § 312 BGB Rn. 25. 31
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als Beispiele für Finanzdienstleistungen.33 Zum anderen lässt sich der Verweis auf die von der MiFID geregelten Dienstleistungen damit erklären, dass der Verordnungsgeber die Regelungen aus dieser Richtlinie bereits für die anderen kapitalmarktrelevanten Merkmale in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO hilfsweise heranzieht.34 Mit den Worten Mankowskis hat der Verordnungsgeber damit ein „kohärentes Begriffssystem“ umgesetzt, neben dem die Bezugnahme auf andere Quellen zu widersprüchlichen Ergebnissen hätte führen können.35 Mit dieser hervorgehobenen Bedeutung der MiFID ist es jedoch nicht unvereinbar, zusätzlich zur Begriffsbestimmung auf die Fernabsatz-Finanzdienstleistungen-Richtlinie zurückzugreifen. Ein weiterer Grund dafür, warum der Verweis auf die MiFID vom Verordnungsgeber gegenüber einem auf die Fernabsatz-Finanzdienstleistungen-Richtlinie bevorzugt wurde, könnte darin liegen, dass letztere nicht zu den Kapitalmarkt- sondern zu den Verbraucherschutzrichtlinien zählt.36 In genetischer Auslegung ist ferner nicht ausgeschlossen, dass der Verweis auf die MiFID schlicht aus dem ersten Vorschlag im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen übernommen wurde, in dem die britische Delegation Finanzdienstleistungen als „Wertpapierdienstleistungen, Anlagetätigkeiten und Nebendienstleistungen“ definierte,37 ohne dass der Verordnungsgeber sich darüber hinaus speziell zur Heranziehung anderer Richtlinien äußern wollte. Aus Erwägungsgrund 26 lässt sich für die Auslegung des Begriffs der Finanzdienstleistungen im Ergebnis keine Einschränkung mit dem Inhalt ableiten, dass lediglich „Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten und Nebendienstleistungen“ im Sinne der MiFID eine Finanzdienstleistung nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO darstellen können. Stattdessen steht es dem Anwender dieser Regelung offen, 33
So spricht Erwägungsgrund 26 in der Rom I-VO von Finanzdienstleistungen wie Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten und Wertpapiernebendienstleistungen. 34 Zur inhaltlichen Prägung des Begriffs „Finanzdienstleistung“ in der FernabsatzFinanzdienstleistungen-Richtlinie und die Folge für dessen Anwendbarkeit unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO siehe ausführlich Mankowski, in: Cashin Ritaine/ Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européenne ‚Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles S. 121. 151; ders. RIW 2009, 95, 104. 35 Mankowski, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européenne ‚Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 121, 151. 36 Mankowski, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européenne ‚Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 121, 151. 37 S.o. Kapitel 2: B. V. 1. Finanzdienstleistungen in der Genese von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO.
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ergänzend die Definition aus Art. 2 lit. b Fernabsatz-Finanzdienstleistungen-Richtlinie heranzuziehen, sofern der Blick in die Kataloge in Anhang I Abschnitt A und B MiFID nicht weiterhilft.38 II. Zusammenfassung und Ergebnis zum Begriff der Finanzdienstleistungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO Im Hinblick auf eine mögliche Überschneidung mit dem Anwendungsbereich der Ausnahmetatbestandsvarianten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO sind von den Finanzdienstleistungen, die in den Katalogen Abschnitt A und B in Anhang I MiFID aufgelistet sind, nur diejenigen von Interesse, die typischerweise gegenüber Verbrauchern erbracht werden und unmittelbar die Übertragung von Finanzinstrumenten zum Gegenstand haben. Dies trifft insbesondere auf die Nummern 1 bis 3 des Katalogs in Anhang I Abschnitt A MiFID zu. Ob und in welchem Umfang dadurch der sachliche Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO wieder eingeschränkt wird, wird untersucht, nachdem im Folgenden die Voraussetzungen der einzelnen Tatbestandsvarianten ermittelt worden sind.
D. Verträge über übertragbare Wertpapiere nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO D. Verträge über übertragbare Wertpapiere
I. Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO 1. Auslegung von Erwägungsgrund 28 Der zweite Ausnahmetatbestand in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO zielt Erwägungsgrund 28 zufolge darauf ab, „die Einheitlichkeit der Bedingungen einer Ausgabe oder eines Angebots“ sicherzustellen. Welches Erfordernis dahinter stehen soll, zeigt sich indirekt in der Verknüpfung mit dem ersten Ausnahmetatbestand in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO, wonach die Anwendung des Rechts des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers entsprechend zur Begründung für den ersten Ausnahmetatbestand nicht zwingend vorgeschrieben sein soll. Für die Ausklammerung der „Rechte und Pflichten, die ein Finanzinstrument begründen“, stritten nach obiger Untersuchung zu Art. 6 Abs. 4 lit. d 38 Mankowski, RIW 2009, 98, 104; dagegen für ein identisches Begriffsverständnis mit der Definition in Art. 2 lit. b Fernabsatz-Finanzdienstleistungen-Richtlinie: jurisPK/Limbach, Art. 6 Rom I-VO Rn. 35.
D. Verträge über übertragbare Wertpapiere
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Alt. 1 Rom I-VO zum einen der Schutz des Emittenten, seine „Vorhersehbarkeit“, d.h. seine Rechtssicherheit, zum anderen der für die Funktionsfähigkeit des Handels nötige Erhalt der fungiblen Ausstattung von Finanzinstrumenten. Da der Schutz der fungiblen Ausstattung von Finanzinstrumenten diese in ihrer rechtlichen Gestalt als „Bündel von Rechten und Pflichten“ im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom IVO adressiert, lässt sich auf diesen Rechtsfertigungsansatz kein Ausnahmetatbestand stützen, der das Finanzinstrument nur als Gegenstand eines anderen Vertrags regelt.39 Aus diesem Grund lässt sich von den beiden Rechtfertigungsgründen nur ersterer, die „Vorhersehbarkeit“, für den zweiten Ausnahmetatbestand nutzbar machen. 2. Schutz des Emittenten bzw. Anbieters: „Vorhersehbarkeit“ Für den zweiten Ausnahmetatbestand ist allein auf den Gedanken der Rechtssicherheit des Emittenten bzw. Anbieters abzustellen. Ihm soll es zu Gunsten eines funktionsfähigen Kapitalmarktes möglich sein, sein Produkt international zu vertreiben, ohne sich vorab mit potentiell eingreifenden fremden Verbraucherregeln auseinandersetzen zu müssen. Gäbe es die Ausklammerung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht, so die Befürchtung des Verordnungsgebers, müsste der Emittent bzw. Anbieter entweder hohe Kosten aufbringen, um die potentiell eingreifenden Verbraucherregelungen zu ermitteln und an ihnen sein Angebot auszurichten, oder er würde seine Transaktion so ausgestalten, dass sie nur eine oder wenige Rechtsordnungen berührt. Folge wäre die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des internationalen Kapitalmarktes. Um dies zu verhindern, soll sich der Emittent bzw. Anbieter vor Betreten des Kapitalmarktes darauf verlassen können, dass bestimmte vertragliche Pflichten im Zusammenhang mit dem Verkauf oder Erwerb übertragbarer Wertpapiere bzw. der Zeichnung oder den Rückkauf von OGAW-Anteilen einem einheitlichen Recht unterstellt sind, damit er seine Transaktion möglichst wenig kostenintensiv auf dem internationalen Kapitalmarkt durchführen kann.40 Die Ausnahme des 39
So im Ergebnis auch Einsele, der zufolge sich diese Ausnahme „nicht allein mit dem Argument der notwendigen Einheitlichkeit der Vertragsbedingungen rechtfertigen lässt“, WM 2009, 289, 295; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 362. 40 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 5; Garcimartín Alferéz, in: Cashin Ritaine, Eleanor/ Bonomi, Andrea (Hrsg.), Le
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Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO verfolgt im Ergebnis den rein wirtschaftlichen Zweck, den Anbieter vor den gesteigerten Kosten infolge potentieller Rechtsunsicherheit zu schützen.41 Der Verordnungsgeber lässt den Schutz vor der Anwendung von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO indes nicht allen Geschäften und Transaktionen am Kapitalmarkt zukommen, sondern hat mit den Wertpapieremissionen, den Übernahmeangeboten und den Geschäften über Anteile an Investmentvermögen eine Auswahl getroffen, die impliziert, dass in diesen Fällen das Bedürfnis nach der einheitlichen Anwendung eines Rechts besonders hoch ausfällt. Der Grund hierfür liegt im Hinblick auf den in den ersten beiden Fallkonstellationen aufgenommenen „Verkauf bzw. Kauf übertragbarer Wertpapiere“ in der diesen Transaktionen gemeinsamen Eigenart, dass der Unternehmer Vertragspartei in einer Masse an Verträgen ist, die möglichst reibungslos und unkompliziert abgewickelt werden müssen. II. Wertpapieremissionen unter Verbraucherbeteiligung „Emission“ ist die Bezeichnung für den Vorgang, in dem die übertragbaren Wertpapiere erstmalig in den Kapitalmarkt eingeführt werden.42 In den Kapitalmarkt eingeführt werden sie durch die sogenannte „Platzierung“, d.h. die Veräußerung bzw. Distribution43 der Wertpapiere an ihre ersten Erwerber.44 In vielen Fällen müssen die in den Markt einzuführenden Wertpapiere erst noch geschaffen, d.h. „begeben“ werden. Hat eine Emission solche neuen Wertpapiere zum Gegenstand, wird ihr Vorgang oftmals begrifflich in die Ausgabe der Wertpapiere durch den Emittenten und in die anschließende Platzierung dieser Papiere bei den Anlegern untergliedert.45 Die Ausgabe und Platzierung neuer Wertpapiere („Neuemisson“‚ „Primäremission“) ist nur eine Variante
nouveau règlement européen ,Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 161, 168; ders., J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 92; Proctor, Law and Practice of Int. Banking, Rn. 41.27 (S. 664); Lagarde/Tenenbaum, Rev. crit. DIP 97 2008, 727, 752; Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 95. 41 Wautelet, REDC 2009, 775, 787. 42 Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/65; Hopt, in: Festschrift Kellermann, S. 181; Heise, in: Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 84 S. 1301; Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 47. 43 du Buisson, WM 2003, 1401, 1402. 44 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.2 (S. 803). 45 Schwintowski/Schäfer, Bankrecht 2004, S. 933.
D. Verträge über übertragbare Wertpapiere
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einer Emission.46 Gegenstand einer Emission können auch bereits existierende Wertpapiere sein, die, bislang in der Hand einer Person gehalten, nun im Rahmen einer private-to-public-Operation in Streubesitz, d.h. den Aktienhandel, überführt werden sollen („Sekundäremission“).47 Die wirtschaftlichen Gründe, aus denen eine Neuemission oder eine Sekundäremission durchgeführt werden, unterscheiden sich voneinander dadurch, dass die Neuemission dem Ziel dient, dem ausgebenden Unternehmen bzw. der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, langfristig gebundenes Kapital durch Akquisition kurzfristig verfügbarer Anlagetitel zu verschaffen.48 Je nachdem, ob das Unternehmen sein Fremdkapital vergrößern oder sich neues Eigenkapital zuführen will, entscheidet es sich entweder für die Ausgabe von Forderungsrechten (Fremdkapital) oder für die Ausgabe von Mitgliedschaftsrechten (Eigenkapital).49 Dagegen wird eine Sekundäremission (über Mitgliedschaftsrechte) in aller Regel zu dem Zweck durchgeführt, Liquidität zu gewinnen oder um das Unternehmen neuen Anlegern zu öffnen und seine Bekanntheit zu vergrößern.50 Obwohl der Begriff der Emission auf Neuwie Sekundäremissionen grundsätzlich gleichermaßen zur Anwendung gebracht wird, erfasst die Bezeichnung „Emittent“ nur diejenige natürliche oder juristische Person, welche die Papiere ausgestellt hat,51 nicht aber den Initiator einer Sekundäremission. Wer Aussteller der Wertpapiere ist, lässt sich bei verbrieften Rechten aus der Skriptur der Wertpapiere ablesen.52 Neben „Einmalemissionen“53 treten am Kapitalmarkt auch sogenannte „Daueremissionen“ in Erscheinung, bei denen der Emittent ununterbrochen Wertpapiere ausgibt.54
46 Für die Beschränkung dieses Begriffes auf Neuemissionen: Heise, in: Assies/ Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 84 (S. 1301); Hopt, in: Festschrift Kellermann, S. 181, 182. 47 Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, S. 21; Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/66; Groß, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/283. 48 Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, S. 23 f.; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.4 f. (S. 804); Kümpel/Wittig/Brandt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.3 (S. 1900 f.). 49 Groß, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/258b. 50 Ries, in: Grunewald/Schlitt (Hrsg.), Einführung in das Kapitalmarktrecht, S. 62. 51 Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 48; Schlitt, in: Grunewald/Schlitt (Hrsg.), Einführung in das Kapitalmarktrecht, S. 4. 52 Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 48. 53 Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 49. 54 Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 48.
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1. Wertpapieremissionen unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO a) Neuemissionen und Sekundäremissionen Die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO findet auf Neuemissionen und Sekundäremissionen gleichermaßen Anwendung.55 Für Neuemissionen ist dies ausdrücklich im Wortlaut der Regelung niedergelegt, da die Bezeichnung „Ausgabe“ im deutschsprachigen Verordnungstext bzw. „issuance“ in der englischen Sprachfassung für den Vorgang steht, in dem übertragbare Wertpapiere erstmalig in den Verkehr eingeführt werden. Sekundäremissionen hingegen sind im Wortlaut der Regelung nicht ausdrücklich abgebildet. Implizit sind sie jedoch insbesondere in der Variante des öffentlichen Angebots sowie in der Alternativität zwischen dem Emittenten bzw. dem Anbieter in den Erwägungsgründen 28 und 29 angelegt. Es hätte kein Anlass dafür bestanden, die Ausgabe um diese Variante zu ergänzen, wenn sich Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO lediglich auf Verträge über neue Wertpapiere beschränken würde. Diese Auslegung steht zudem im Einklang mit der Genese dieser Regelung. In ihrer ursprünglichen Fassung war die Ausnahmeregelung noch auf „Verträge zur Zeichnung oder zum Kauf von neu ausgegebenen Wertpapieren“ beschränkt.56 Nach Veröffentlichung dieses Entwurfs ging eine kritische Stellungnahme der belgischen Delegation vom 24. Oktober 2007 ein, welche die Anwendung dieser Ausnahme auf lediglich neu ausgegebene Wertpapiere als unangemessen ablehnte: “The problem raised by the application of multiple laws also arises in the case of an offer for sale of existing securities of a cross-border nature”.57 Die belgische Delegation stellte einen entsprechenden Textvorschlag zur Diskussion, der neben Verträgen über neu ausgegebene Wertpapiere auch Verträge über Wertpapiere im Rahmen von öffentlichen Angeboten sowie Übernahmeangeboten vom Anwendungsbereich der Kollisionsregel für Verbraucherverträge ausnahm. Zwar habe sich laut dem Ausschuss für Zivilrecht (Rom I-VO) in der anschließenden Diskussion 55
Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 92; Mankowski, RIW 2009, 98, 103; Wautelet, REDC 2009, 775, 787 f. 56 Zuletzt noch im Vorschlag vom 25.6.2007 enthalten: Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 11150/07, LIMITE, JUSTCIV 175 CODEC 716, Note from German Presidency and incoming Portuguese Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 25 Juni 2007. 57 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 14222/07 ADD 10, LIMITE, JUSTCIV 272, CODEC 1113, Note from Belgian delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), S. 3.
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eine Delegation „entschieden gegen die Aufhebung der Begrenzung auf neue Wertpapiere ausgesprochen“ und dabei Unterstützung von der Kommission erhalten, die eine Ausdehnung der Ausnahme auf Sekundärmarktprozesse nicht für dringend erforderlich gehalten habe.58 Da der Vorschlag jedoch in das anschließend erstellte endgültige Kompromisspaket59 Aufnahme gefunden hat und somit im heutigen Regelungstext abgebildet ist, kommt es unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO nicht darauf an, ob sich ein Wertpapier schon im Verkehr befunden hat oder erst noch geschaffen werden muss. Als weitere Konsequenz ergibt sich daraus, dass Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht zwischen Vorgängen auf dem Primärmarkt als dem Markt, auf dem Wertpapiere erstmalig im Rahmen der Begebung untergebracht werden,60 und solchen auf dem Sekundärmarkt, auf dem die Titel gehandelt werden, differenziert.61 b) Öffentliche Platzierungen und Privatplatzierungen Der in Bezug auf Initiator und Gegenstand der Emission weit gezogene Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO erfährt dadurch wieder eine Einschränkung, dass die Regelung ein öffentliches Angebot voraussetzt. Das „öffentliche Angebot“ ist kein begriffsimmanentes Merkmal einer Emission,62 sondern es stellt eine von zwei nach der Art der Anlegeransprache unterschiedenen Methoden dar, eine Platzierung durchzuführen. Ein Platzierungsverfahren, das unter Abgabe eines öffentlichen Angebots durchgeführt wird, ist eine „öffentliche Platzierung“ (public placement).63 Klassische Form der öffentlichen Platzierung ist die Begebung über die Börse.64 Ein Unternehmen, das neue Wertpapiere auf dem Kapitalmarkt unterbringen will, muss hierfür 58
Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8229/07, LIMITE, JUSTCIV 80 CODEC 325, Outcome of Proceedings, from Committee on Civil Law Matters (Rome I) on 27 and 28 March, dated 17 April 2007, S. 4. 59 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 15316/07, LIMITE, JUSTCIV 309, CODEC 1279, Note from The Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 19 November 2007. 60 Kümpel/Wittig/Oulds, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 14.64 (S. 1809). 61 Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 92; Mankowski, RIW 2009, 98, 103; Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art. 6 Rom I-VO Rn. 95. 62 Ekkenga/Maas, Das Recht der Wertpapieremissionen, Rn. 2 (S. 21). 63 Statt vieler: Kümpel/Wittig/Müller, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.97 (S. 1929). 64 Hopt, in: FS Kellermann, S. 181, 186.
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kein öffentliches Angebot abgeben, sondern kann stattdessen einzelne Anleger gezielt, d.h. privat ansprechen. In einem solchen Fall wird die Platzierung als „Privatplatzierung“ (private placement) bezeichnet.65 Ob sich ein Emittent für eine öffentliche oder eine Privatplatzierung entscheidet, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die öffentliche Platzierung ist grundsätzlich immer dann die vorzugswürdigere Platzierungsmethode, wenn der Emittent die Wertpapiere bei einem breiten Publikum unterbringen will. Legt ein Emittent hingegen auf eine Anlegerstruktur nach seinen Vorstellungen oder auf einen bestimmten Anlegerkreis Wert, liegt eine Privatplatzierung nahe.66 Dadurch lässt sich das Risiko eingrenzen, dass die Wertpapiere lediglich zu Spekulationswecken erworben und anschließend schnell weiterveräußert werden.67 Der Emittent hat ein Interesse daran, dieses Risiko zu vermeiden, da ihm neben Kursrückgängen auch ein Vertrauensverlust der Anleger drohen könnte, was seine Emissionstätigkeiten in der Zukunft schwer beeinträchtigen würde.68 Daneben bietet die Privatplatzierung den Vorteil, dass der Emittent nicht die in der Prospekt-Richtlinie vorgesehenen Prospektpflichten einzuhalten hat, so dass er zunächst ohne größeren Aufwand das Interesse des Kapitalmarktes bzw. bestimmter Anlegergruppen an seinen Titeln austesten kann,69 was ihm insbesondere dann gelegen kommt, wenn er internationale Anleger im Blick hat.70 Eine Emission wird zudem dann als Privatplatzierung durchgeführt, wenn der Emittent mit der Emission die Anfragen spezieller Investoren wie Fonds bedienen will.71 c) Die Ausgabe und das öffentliche Angebot unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Im Hinblick die Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Verträge über übertragbare Wertpapiere hat das Merkmal „öffent65
Statt vieler: Kümpel/Wittig/Müller, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.97 (S. 1929). 66 Ekkenga/Maas, Wertpapieremissionen, Rn. 99 (S. 75). 67 Heise, in: Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bankund Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 99 (S. 1306). 68 Heise, in: Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bankund Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 99 (S. 1306). 69 Heise, in: Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bankund Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 99 (S. 1306). 70 Ekkenga/Maas, Wertpapieremissionen, Rn. 146 (S. 107). 71 Heise, in: Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bankund Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 99 (S. 1306).
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liches Angebot“ zur Folge, dass dem Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO solche Platzierungsverfahren nicht unterfallen, in denen die Wertpapiere lediglich bei einem privaten Personenkreis untergebracht werden sollen. Dagegen ist die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO einschlägig, wenn die Anleger aus der Öffentlichkeit, d.h. dem allgemeinen Publikum, geworben werden sollen. Da die Anforderungen an das öffentliche Angebot in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO danach die Trennlinie zwischen dem Anwendungsbereich dieses Ausnahmetatbestandes und dem der allgemeinen Kollisionsregel für Verbraucherverträge in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO ziehen, kommt es erheblich darauf an, wie sie aufgestellt sind. Der Verordnungsgeber selbst enthält sich dazu. Mit welchem Inhalt der Begriff des öffentlichen Angebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO unterlegt ist, ist daher im Wege der Auslegung zu ermitteln. Nach den Grundsätzen der grammatischen Auslegung bietet es sich an, an der Definition anzusetzen, die für ein öffentliches Angebot erstmalig in der Prospekt-Richtlinie aufgestellt und unter der RL 2010/73/EU72 beibehalten worden ist. Inwieweit sich diese Definition für die Auslegung des Begriffs des öffentlichen Angebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO nutzbar machen lässt, ist Ziel dieses ersten Untersuchungsabschnitts. aa) Das öffentliche Angebot im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie In Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie hat der europäische Gesetzgeber erstmalig niedergelegt, was er unter einem öffentlichen Angebot versteht. In der Vorgängerrichtlinie RL 89/298/EWG73 hatte er davon noch Abstand genommen. Das Fehlen eines einheitlichen europäischen Begriffs des öffentlichen Angebots wurde jedoch für problematisch erachtet, weil innerhalb der Mitgliedstaaten durchaus unterschiedliche
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Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, veröffentlicht in: ABl (EU) Nr. L 327 vom 11.12.2010, S. 1 ff. 73 Richtlinie 89/298/EWG des Rates vom 17. April 1989 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 124 vom 5.5.1989, S. 8.
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Auffassungen über die Voraussetzungen an ein öffentliches Angebot vertreten wurden.74 Nach Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie, im deutschen Recht in § 2 Nr. 4 WpPG umgesetzt, handelt es sich bei einem öffentlichen Angebot von Wertpapieren um eine „Mitteilung an das Publikum in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, sich für den Kauf oder die Zeichnung dieser Wertpapiere zu entscheiden“. (1) Das Angebot im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie Unter der Definition des Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie weicht das Angebot in verschiedener Hinsicht von dem Inhalt ab, der einem Angebot nach § 145 BGB beigemessen wird.75 Als „Mitteilung in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise“ umfasst das Angebot im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie in jedem Fall auch die Aufforderung zur Abgabe eines Kaufangebots, die sogenannte invitatio ad offerendum, und geht dadurch über den Angebotsbegriff nach § 145 BGB hinaus. Stattdessen ist das Angebot nach Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie von lediglich werbenden Mitteilungen abzugrenzen, wofür es auf den Abschluss eines Kaufvertrags zumindest gerichtet sein muss.76 Diese Voraussetzung folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der europäischen Definition.77 Aber die ProspektRichtlinie setzt dieses Kriterium voraus, denn die Prospektpflicht kann nur dann Sinn machen, wenn der Anleger auch zu einer Investitionsentscheidung aufgefordert wird.78 Ferner fehlt es an einem Angebot,
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Siehe Erwägungsgrund 5 in der Prospekt-Richtlinie. Die folgenden Literaturstellen beziehen sich, soweit nicht ausdrücklich ausschließlich die Prospekt-Richtlinie angesprochen wird, auf den Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie umsetzenden § 2 Nr. 4 WpPG. 76 Groß, in: Joost/Strohn (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. IX582; ders., Kapitalmarktrecht, WpPG, § 2 Rn. 10; Foelsch, in: Holzborn (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 11; von KoppColomb/Knobloch, in: Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 43. 77 Schnorbus, in: Frankfurter Kommentar zum WpPG, WpPG, § 2 Rn. 44. 78 Vgl. von Kopp-Colomb/Knobloch, in: Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 46. 75
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wenn der Erwerb der Wertpapiere automatisch per Gesetz erfolgt, wie es bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln der Fall ist.79 Als in „jedweder Form und auf jedwede Art und Weise“ abgabefähig, ist das öffentliche Angebot auch an keine formellen Voraussetzungen hinsichtlich der äußeren Gestalt und der Erklärung der Mitteilung gebunden.80 Dem Anbietenden stehen alle Medien zur Verbreitung seines Angebots zur Verfügung81. Während die Anforderungen an die Form des Angebots im weiteren Sinne unter Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie den sachlichen Anwendungsbereich im Ergebnis sehr weit ziehen, grenzt der Richtliniengeber den Kreis der erfassten Mitteilungen dadurch wieder etwas ein, dass bestimmte inhaltliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Um als Angebot im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren, muss die Mitteilung im Hinblick auf seinen Gegenstand, das Wertpapier, und die Bedingungen, zu denen verkauft wird, bestimmte Mindestangaben enthalten. (2) Die Öffentlichkeit des Angebots im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie Öffentlich ist ein Angebot nach Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie, wenn es an „das Publikum“ gerichtet ist. Darüber hinaus sind in der Prospekt-Richtlinie keine weiteren Bestimmungen zu dem Kriterium der Öffentlichkeit enthalten, so dass diese Definition zu Recht als „tautologisch“ kritisiert82 wird. Da der Gegenbegriff des Publikums der „private Personenkreis“ ist, ist die Abgrenzung anhand der Personen durchzuführen, welche Adressaten des Angebots sind. Im Umkehrschluss aus der Regelung in Art. 3 Abs. 2 lit. b Prospekt-Richtlinie folgt, dass diese Abgrenzung nicht die quantitative Größe des Adressatenkreises zum Maßstab nehmen darf: Nach dieser Regelung besteht eine Ausnahme von der Prospektpflicht für Angebote, die an weniger als 100 Personen pro Mitgliedstaat gerichtet werden. Als Ausnahme hat diese 79
Groß, in: Joost/Strohn (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. IX582; ders., Kapitalmarktrecht, WpPG, § 2 Rn. 10; für den Begriff des öffentlichen Angebots im Sinne des WpPG: Kümpel/Wittig/Oulds, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.133 (S. 1944). 80 Schnorbus, in: Frankfurter Kommentar zum WpPG, WpPG, § 2 Rn. 37; von Kopp-Colomb/Knobloch, in: Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 34. 81 Hamann, in: Kapitalmarktgesetze, Schäfer/Hamann (Hrsg.), § 2 WpPG Rn. 20; Ritz/Zeising, in: Just/Voß/Ritz/Zeising (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 114. 82 Hamann, in: Schäfer/Hamann (Hrsg.), § 2 WpPG Rn. 21; Ritz/Zeising, in: Just/ Voß/Ritz/Zeising (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 99.
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Regelung nur Bestand, wenn auch bei nur 100 angesprochenen Personen grundsätzlich auch ein öffentliches Angebot vorläge, wenn also ein quantitativ kleiner Adressatenkreis einem öffentlichen Angebot nicht bereits von vorneherein entgegensteht.83 Für die Abgrenzung verbleiben demnach nur qualitative Kriterien.84 Auf dieser Grundlage sind unter der umgesetzten Regelung des § 2 Nr. 4 WpPG verschiedene Konstellationen anerkannt, bei denen das Vorliegen eines öffentlichen Angebots abzulehnen sein soll: Die Öffentlichkeit des Angebots soll erstens entfallen, wenn (i) sich zwischen dem Anbietenden und den Anlegern bereits persönliche Beziehungen herausgebildet haben und sie im Rahmen und aufgrund dieser Beziehungen angesprochen werden.85 Gleiches soll gelten, wenn (ii) der Anbietende die persönlichen Beziehungen erst dadurch herstellt, dass er die Anleger nach individuellen Gesichtspunkten aussucht und gezielt anspricht.86 Diese Anforderung wird aus der Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. e Prospekt-Richtlinie abgeleitet, die eine Ausnahme von der Prospektpflicht für Wertpapiere anordnet, die „derzeitigen oder ehemaligen Führungskräften oder Beschäftigten“ von ihrem Arbeitgeber angeboten werden.87 Im Umkehrschluss schließt die Ansprache von Führungskräften und Beschäftigten das Vorliegen eines öffentlichen Angebots
83 Groß, Kapitalmarktrecht, WpPG, § 2 Rn. 16; Hamann, in: Schäfer/Hamann (Hrsg.), § 2 WpPG Rn. 22; von Kopp-Colomb/Knobloch, in: Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 37; Kümpel/Wittig/Oulds, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.138 (S. 1946); a.A. wohl Foelsch, in: Holzborn (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 14. 84 Zu den Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie umsetzenden § 2 Nr. 4 WpPG: Groß, in: Joost/Strohn (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. IX589; ders., Kapitalmarktrecht, WpPG, § 2 Rn. 17; Hamann, in: Schäfer/Hamann (Hrsg.), § 2 WpPG Rn. 23; Heidelbach, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), WpPG § 2 Rn. 21. 85 Zu den Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie umsetzenden § 2 Nr. 4 WpPG: Hamann, in: Schäfer/Hamann (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 23; Groß, Kapitalmarktrecht, WpPG, § 2 Rn. 17; ders., Kapitalmarktrecht, § 2 Rn. 18; Ritz/Zeising, in: Just/ Voß/Ritz/Zeising (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 102; Schnorbus, in: Frankfurter Kommentar zum WpPG, WpPG, § 2 Rn. 57. 86 Zu dem Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie umsetzenden § 2 Nr. 4 WpPG: Groß, in: Kapitalmarktrecht, WpPG, § 2 Rn. 18; Hamann, in: Schäfer/Hamann (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 23; Schnorbus, in: Frankfurter Kommentar zum WpPG, WpPG, § 2 Rn. 57. 87 Zu dem Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie umsetzenden § 2 Nr. 4 WpPG: Kritisch: Heidelbach, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), WpPG § 2 Rn. 24.
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grundsätzlich nicht aus.88 Dieser Regelung lässt sich daher zum einen die Wertung des Richtliniengebers entnehmen, dass die Ansprache bestimmter Kreise, wie sie eben Führungskräfte oder Mitarbeiter darstellen, noch nicht individualisiert genug ist, um sie als privates Angebot im Sinne der Richtlinie zu qualifizieren.89 Zum anderen impliziert sie, dass selbst bestehende Beziehungen zu den Adressaten aus einem Angebot noch kein privates Angebot machen, sofern diese Personen nicht auch individuell angesprochen werden.90 Für eine private Ansprache müssen daher Kriterien der Adressierung gewählt werden, die über rein abstrakte Merkmale wie die Berufsbezeichnung hinausgehen.91 Unabhängig von diesen Grundsätzen ist die Einordnung als öffentliches oder privates Angebot immer aufgrund der Umstände des Einzelfalles zu treffen.92 bb) Das öffentliche Angebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO – Anknüpfung an die Prospektpflicht nach der Prospekt-Richtlinie Unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO kann der Begriff des öffentlichen Angebots nach Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie grundsätzlich auf zwei verschiedenen Wegen nutzbar gemacht werden. Der erste besteht darin, über die Definition des öffentlichen Angebots einen inhaltlichen Gleichlauf zwischen dem Anwendungsbereich der ProspektRichtlinie und dem des Ausnahmetatbestandes in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO herzustellen. In der Prospekt-Richtlinie, unter der die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, in ihrem Hoheitsgebiet „kein öffentliches Angebot von Wertpapieren ohne vorherige Veröffentlichung eines Prospekts“ zu gestatten,93 ist das öffentliche Angebot Anknüpfungspunkt für die Prospektpflicht. Daher liegt im Hinblick auf die Auslegung des öffentlichen Angebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO die Möglichkeit nahe, dass es die Intention des Verordnungsgebers 88
Zu dem Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie umsetzenden § 2 Nr. 4 WpPG: Groß, Kapitalmarktrecht, WpPG, § 2 Rn. 17. 89 Im Ergebnis so auch: Groß, in: Joost/Strohn (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. IX 590. 90 Groß, Kapitalmarktrecht, WpPG, § 2 Rn. 17; Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, WpPG, § 2 Rn. 11. 91 Hamann, in: Schäfer/Hamann (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 23; Wehowsky, in: Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, WpPG, § 2 Rn. 1; Schnorbus, in: Frankfurter Kommentar zum WpPG, WpPG, § 2 Rn. 55. 92 Groß, Kapitalmarktrecht, WpPG, § 2 Rn. 18. 93 Art. 3 Abs. 1 Prospekt-Richtlinie.
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war, diesen Ausnahmetatbestand nur unter der Bedingung zur Anwendung kommen zu lassen, dass unter der Prospekt-Richtlinie eine Prospektpflicht besteht. Für den Begriff des öffentlichen Angebots in Ar. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO hieße das, ihn inhaltlich identisch mit demjenigen aus Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie auszulegen. Ein Argument hierfür lässt sich aus dem Zweck des Prospektes ableiten, den Anleger mit ausreichend Informationen zu versorgen. Sofern der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nur unter der Bedingung eingreift, dass den Anbieter die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts trifft, so wäre hierdurch der Schutz des Verbrauchers gewährleistet. Denn der Verbraucher, der unter der Ausnahmeregel seinen kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz einbüßen würde, wäre immer noch dadurch geschützt, dass ihm sein Vertragspartner mit ausreichenden Informationen über den Kaufgegenstand zu versorgen hat. Das Defizit im kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz würde durch das „Mehr“ an Anlegerschutz kompensiert. Aus den Entstehungsmaterialien geht hervor, dass diese Erwägung bei der textlichen Ausarbeitung der neuen Ausnahmeregelung durchaus im Raum stand. In der Diskussion um ihren sachlichen Anwendungsbereich kam sie als Vorschlag in einem Textentwurf der belgischen Delegation vom 24. Oktober 200794 auf. Der jetzige Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO lautete im damals aktuellen Stand des Verordnungsentwurfs noch auf „Verträge zur Zeichnung oder zum Kauf“ übertragbarer Wertpapieren. An diesem Wortlaut setzte die belgische Delegation an: Sie begrenzte die Ausnahme auf öffentliche Angebote“95 und legte in der Regelung selbst ausdrücklich fest, dass es sich um ein öffentliches Angebot im Sinne der Prospekt-Richtlinie handeln müsse: “a contract ... pursuant to an offer of securities to the public subject to an obligation to publish a prospectus within the meaning of the Directive 2003/71/EC, a takeover bid (subject to Directive 2004/25/EC) ..”.96 Als Begründung hierfür führte sie an: “There is a certain logic to the exception to those public offers that are 94
Note from the Belgian delegation to the Committee on Civil Law Matters (Rome I), 24 October 2007, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 14222/07 ADD 10, Limite, JUSTCIV 272 CODEC 1113. 95 Note from the Belgian delegation to the Committee on Civil Law Matters (Rome I), 24 October 2007, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 14222/07 ADD 10, Limite, JUSTCIV 272 CODEC 1113, S. 3. 96 Note from the Belgian delegation to the Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 October 2007, Interinstitutional File: 2005/0261 (COD), 14222/07 ADD 10, JUSTCIV 272 CODEC 1113, S. 4.
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subject to a prospectus obligation, since the failure to apply potentially several consumer protection laws would then be compensated for by the existence of a prospectus, the purpose of which is to provide the investor with the necessary information.”97 Zwar ist dieser Vorschlag in der endgültigen Fassung der Verordnung unberücksichtigt geblieben. Ein Rückschluss auf einen ablehnenden Willen des Verordnungsgebers folgt daraus indes nicht zwingend, weil man den Textentwurf der belgischen Delegation augenscheinlich zumindest zum Anlass nahm, den Ausnahmetatbestand um das Kriterium des öffentlichen Angebots zu ergänzen. Lässt sich die Aufnahme des öffentlichen Angebots in den Tatbestand der Ausnahmeregelung damit originär auf den Vorschlag der belgischen Delegation zurückführen, so ist nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass sich der Verordnungsgeber mit der Annahme des Vorschlags auch zugleich die dazu von der belgischen Delegation vorgetragenen Erwägungen zu eigen gemacht haben könnte. Diese Auslegung vermag jedoch nicht zu überzeugen. In ihrer praktischen Anwendung steht sie vor der Schwierigkeit, die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO in solchen Sachverhaltskonstellationen nicht beurteilen zu können, in denen das Angebot an das Publikum außerhalb der Mitgliedstaaten und damit außerhalb des Anwendungsbereichs der Prospekt-Richtlinie unterbreitet wird. Die territoriale Beschränkung der Prospekt-Richtlinie auf den Bereich der Mitgliedstaaten hätte auf die grundsätzliche Anwendbarkeit des Begriffs des öffentlichen Angebots nach Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie zwar keine negativen Auswirkungen, da dieser Begriff selbst kein räumliches Element beinhaltet und damit nicht auf Binnenmarktsachverhalte beschränkt ist. Knüpfen die Rechtsordnungen von Drittstaaten die Prospektpflicht jedoch nach anderen Kriterien als unter der ProspektRichtlinie an, so könnte es hier zu dem Ergebnis kommen, dass zwar die Voraussetzungen eines öffentlichen Angebots nach der Definition der Prospekt-Richtlinie erfüllt sind, die tatsächlich einschlägige Rechtsordnung aber keine Prospektpflicht aufstellt, so dass die Ausnahme eingriffe, ohne dass die Verbraucher durch den Schutz, den ein Prospekt vermittelt, kompensiert würden. Soll es aber gerade auf die Prospektpflicht ankommen, dürfte die Ausnahme für diesen Fall gerade nicht 97
Die Begrenzung der Ausnahme auf öffentliche Angebote, die der Prospektpflicht unterliegen, folgt logisch daraus, dass der Verlust potentiell anwendbarer Verbraucherregelungen durch die Veröffentlichung eines Prospektes kompensiert würde, dessen Zweck darin bestünde, den Anleger mit den nötigen Informationen zu versorgen.
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greifen. Das von der belgischen Delegation mit dem Vorschlag verfolgte Ziel, den Wegfall des internationalprivatrechtlichen Verbraucherschutzes mit der Anlegerschutz der Prospektpflicht auszugleichen, ist mit der Anknüpfung an die Definition der Prospekt-Richtlinie daher nicht realisierbar.98 Selbst innerhalb des Bereichs der Mitgliedstaaten wäre dieses Ziel nicht gewährleistet, weil die Richtlinie die Prospektpflicht auf erster Stufe zwar an das Vorliegen eines öffentlichen Angebots anknüpft, auf zweiter Stufe aber in ihrem Artikel 4 verschiedene Ausnahmen von der Prospektpflicht vorsieht. Wenn ein solcher Gleichlauf gewollt gewesen wäre, hätte es der Verordnungstext daher, wie es die belgische Delegation auch selbst vorschlug, nicht bei der Übernahme der Definition aus der Prospekt-Richtlinie belassen dürfen, sondern hätte stattdessen darauf abstellen müssen, ob das Angebot einer Prospektpflicht nach der Prospekt-Richtlinie unterliegt. Da sich die Auslegung nicht über die Grenzen hinwegsetzen kann, die ihr durch den Wortlaut der Regelung gesetzt sind, dürfen die Ausnahmetatbestände des Art. 4 Prospekt-Richtlinie bei der Beurteilung, ob ein öffentliches Angebot vorliegt, keine Berücksichtigung finden. Im Ergebnis ist diese Auslegung mangels Vereinbarkeit mit dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO abzulehnen, so dass der in der Rom I-VO verwendete Begriff des öffentlichen Angebots nicht mit den Konstellationen gleichgesetzt werden kann und darf, in denen die Prospekt-Richtlinie eine Prospektpflicht anordnet. Ein inhaltlicher Gleichlauf mit der Definition des Art. 2 Abs. 1 lit. d ProspektRichtlinie ist nicht angezeigt. cc) Auslegung des Begriffs des öffentlichen Angebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO auf Grundlage von Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie Bislang steht fest, dass der Begriff des öffentlichen Angebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht an die Sachverhalte anknüpft, unter denen nach der Prospekt-Richtlinie ein Prospekt veröffentlicht werden muss. Stattdessen ist unter der Rom I-VO ein eigenständiges Begriffsverständnis für das öffentliche Angebot zu entwickeln. Dem steht jedoch nicht entgegen, die Definition aus der Prospekt-Richtlinie zumindest als Auslegungshilfe heranzuziehen, sofern beachtet wird, dass der Begriff des öffentlichen Angebots in Art. 2 Abs. 1 lit. d ProspektRichtlinie zu einem anderen Schutzzweck verwendet wird als der Begriff 98 Der Kompensationsgedanke hätte stattdessen nur dadurch effektiv umgesetzt werden können, dass die Regelung unmittelbar an die Veröffentlichung eines Prospekts im Sinne einer rechtlichen Vorfrage anknüpft.
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des öffentlichen Angebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO. Voraussetzung hierfür ist, die jeweiligen Schutzzwecke zu ermitteln, welche die Prospekt-Richtlinie und Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO in dem Begriff des öffentlichen Angebots umgesetzt haben. (1) Schutzzweck des öffentlichen Angebots in der Prospekt-Richtlinie Die Prospekt-Richtlinie verfolgt Ziele des Anlegerschutzes.99 Mit Veröffentlichung eines Prospekts sollen den Anlegern die Kenntnisse verschafft werden, die sie benötigen, um die Risiken einer Anlage einschätzen und eine fundierte Investitionsentscheidung für oder gegen den Erwerb eines oder mehrerer Wertpapiere treffen zu können.100 Informationsdefizite, resultierend aus der marktschwächeren Position eines Anlegers, sollen durch die Verpflichtung des Anbieters zur Veröffentlichung eines Prospektes, aufgehoben werden. Als Maßnahme des Anlegerschutzes durch Offenlegung von Informationen101 greift die Prospektpflicht nicht in jedem Fall eines Wertpapierangebots ein, sondern nur unter bestimmten Bedingungen, die in der Definition des öffentlichen Angebots nach Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie niedergelegt sind. Die Definition des Angebots als eine „Mitteilung an das Publikum in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise“ erklärt sich im Lichte des Schutzzwecks der Richtlinie damit, dass ein Informationsbedürfnis des Anlegers nicht erst dann anfällt, wenn ihm der Abschluss eines Kaufvertrags in unmittelbare Aussicht gestellt wird, sondern bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem die Möglichkeit eines späteren Kaufs angekündigt wird. Bereits ab diesem Zeitpunkt wird sich der Anleger mit den Vor- und Nachteilen des Erwerbs eines solchen Wertpapiers auseinandersetzen, wozu er ein Mindestmaß an Information durch den Anbieter benötigt.102 Ob er sofort zur Vornahme des Kaufs schreiten kann oder erst noch die offiziellen Einleitung der Emission 99
Siehe Erwägungsgrund 16 S. 1 in der Prospekt-Richtlinie: „Ein Ziel dieser Richtlinie ist der Anlegerschutz“. 100 Hopt/Voigt, in: Hopt/Voigt (Hrsg.), Prospekt- und Kapitalmarktsinformationshaftung, S. 12; siehe auch Erwägungsgrund 18 S. 1 in der Prospekt-Richtlinie: „Vollständige Informationen über Wertpapiere und deren Emittenten kommen ... dem Anlegerschutz zugute“ sowie Erwägungsgrund 21 S. 1 in der Prospekt-Richtlinie: „Information ist ein zentrales Element des Anlegerschutzes“. 101 Grundmann, RabelsZ 54 (1990) 283, 285; Hopt/Voigt, in: Hopt/Voigt (Hrsg.), Prospekt- und Kapitalmarktsinformationshaftung, S. 12. 102 Schnorbus, in: Frankfurter Kommentar zum WpPG, WpPG, § 2 Rn. 34; Hamann, in: Schäfer/Hamann (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 25; Groß, Kapitalmarktrecht, WpPG, § 2 Rn. 11.
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abzuwarten, ist aus seiner Sicht für seine Entscheidung unerheblich. Unter diesem Schutzzweck ist es gerechtfertigt, für das Entstehen der Prospektpflicht bereits eine Mitteilung ausreichen zu lassen, die ohne Rechtsbindungswillen abgegeben wurde, sofern sie nur mittelbar auf den Abschluss eines Kaufvertrags mit dem Anleger abzielt. Die weitere Voraussetzung, dass es sich um ein Angebot handeln muss, das an das Publikum abgegeben wird, beruht auf der Einschätzung des Richtliniengebers, dass das Schutzbedürfnis eines Anlegers entfällt, wenn er von dem Anbietenden persönlich angesprochen wird. Aufgrund der Nähebeziehung, die in einem solchen Fall in aller Regel gegeben ist oder spätestens durch diese persönliche Ansprache hergestellt wird, kann davon ausgegangen werden, dass der Anbieter diese Anleger mit ausreichend Informationen versorgt, ohne hierzu erst durch eine gesetzliche Prospektpflicht veranlasst werden zu müssen.103 Dagegen haben die nur nach abstrakten Kriterien eines Angebots bestimmten Adressaten ohne persönlichen Kontakt zum Anbieter keine Möglichkeit, sich selbst die nötigen Informationen zu verschaffen. Sie sind daher darauf angewiesen, dass der Anbieter einen entsprechenden Prospekt veröffentlicht. Ob ein Angebot nach Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie öffentlich ist, beurteilt sich grundsätzlich unter Würdigung aller Umstände, unter denen von einem ausreichenden Schutzniveau des Anlegers ausgegangen werden kann, welches die Aufklärung durch einen Prospekt entbehrlich macht.104 (2) Schutzzweck des öffentlichen Angebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Während der Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie das Schutzbedürfnis der Anleger in Form eines Informationsbedürfnisses zugrunde liegt, stellt die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO umgekehrt auf den Schutz des Anbietenden einer Emission ab. Dieser soll vor dem Risiko geschützt werden, bei der Durchführung seiner international angelegten Emission mit nicht vorhersehbaren Verbraucherrechten unterschiedlicher Rechtsordnungen konfrontiert werden.105 Da der Verordnungsgeber jedoch auch unter der Rom I-VO nicht 103 Bartz, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 58 Rn. 21 (S. 1730). 104 Hamann, in: Schäfer/Hamann (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 23; wohl auch: von Kopp-Colomb/Knobloch, in: Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. 38. 105 Proctor, Law and Practice of Int. Banking, Rn. 41.27 (Fn. 26, S. 664).
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jeden Anbieter durch die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO privilegieren will, sondern nur denjenigen, der „öffentlich“ anbietet, legt das Kriterium der Öffentlichkeit auch hier die Grenze fest, wann ein Anbieter von Wertpapieren schutzbedürftig ist und wann nicht. Im Hinblick auf eine potentielle Verbraucherbeteiligung lässt sich ein Unterschied zwischen beiden Platzierungstechniken darin ausmachen, dass sich der Interessentenkreis bei Privatplatzierungen in aller Regel nur aus Großanlegern bzw. institutionellen Anlegern, d.h. Versicherungen und Fonds, zusammensetzt.106 Das Risiko, dass Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO zu Lasten des Anbieters eingreift, realisiert sich in der Praxis bei Privatemissionen daher nur in den seltensten Fällen. Die Gründe für eine Differenzierung zwischen öffentlichen und privaten Angeboten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO sind jedoch in der Ratio hinter diesem Ausnahmetatbestand zu suchen. Zwischen öffentlichen und privaten Angeboten besteht ein deutlicher Unterschied, was die Rechtssicherheit des Anbieters in Bezug auf seine potentiellen Investoren und Vertragspartner betrifft. Bei einer Privatplatzierung erhält der Anbieter die Gelegenheit, sich mit den einzelnen Interessenten vertraut zu machen und kann mit der Auswahl der Adressaten Einfluss auf seinen künftigen Investorenkreis nehmen.107 Regelmäßig handelt es sich zudem um einen kleinen Adressatenkreis. Beispielsweise kann sich die Privatplatzierung auf Ausgabe und Verkauf einer einzelnen Schuldverschreibung mit hohem Nennbetrag bei einem einzelnen Anleger beschränken.108 Unter diesen Umständen ist es ihm möglich, sich Sicherheit über die rechtlichen Implikationen seines Angebots an einen internationalen Investorenkreis zu verschaffen, ohne hierfür hohe Kosten aufwenden zu müssen. Dagegen hat er bei Abgabe eines öffentlichen Angebots wenig Erkenntnis- oder Einflussmöglichkeiten im Hinblick auf die potentiellen Interessenten und damit auf potentiell eingreifendes fremdes Verbraucherrecht. Welche vertraglichen Risiken ihm aus einem Vertragsabschluss mit einem Interessenten erwachsen, lässt sich ohne Ansehung der potentiellen Investoren nicht hinreichend sicher beurteilen. Um alle potentiellen Risiken abdecken zu können, müsste daher präventiv eine große Vielzahl an Rechtsordnungen 106 Hopt, Verantwortlichkeit, S. 17; Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/87; Heise, in: Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 99 (S. 1306). 107 Heise, in: Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 99 (S. 1306). 108 Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/4.
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in den Blick genommen werden. Dieses Risiko fällt bei einem öffentlichen Angebot zudem umso schwerer ins Gewicht, als sich öffentliche Platzierungen nur auf Grundlage einheitlicher Bedingungen sicher und unkompliziert durchführen lassen, wohingegen die Bedingungen eines privaten Angebots grundsätzlich noch Verhandlungssache sein können und bei der Abwicklung der Platzierung keine Zeichnungsfristen oder besonderen Zeichnungsmodalitäten eingehalten werden müssen.109 (3) Übertragbarkeit der Definition des öffentlichen Angebots in der Prospekt-Richtlinie Zwar läuft die Schutzrichtung, welche die Prospekt-Richtlinie mit der Auferlegung der Prospektpflicht und Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO mit der Ausklammerung vom Anwendungsbereich der Kollisionsregel für Verbraucherverträge jeweils verfolgen, in persönlicher Hinsicht konträr. Beide Begriffe knüpfen jedoch gleichermaßen an den Gedanken der Zumutbarkeit einer Informationsbeschaffung an: Während unter Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie nach der Informationsmöglichkeit des Anlegers bei Erwerb von Wertpapieren gefragt wird, stellt Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf die Möglichkeit des Anbietenden, sich auf die ihn infolge einer Emission treffenden vertraglichen Rechte und Pflichten zu den Anlegern einzustellen. Unter Würdigung dieser Unterschiede ist es nun möglich, auf Grundlage der Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie den Begriff des öffentlichen Angebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO mit Inhalt zu füllen. (a) Angebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Eine Korrektur der Definition des Angebots in Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie könnte im Hinblick darauf erforderlich sein, dass es grundsätzlich auch Erklärungen ohne Rechtsbindungswillen einbezieht, wohingegen die Rom I-VO lediglich auf wirksam zustande gekommene vertragliche Schuldverhältnisse Anwendung findet, während vorvertragliche Schuldverhältnisse dem Regelungsbereich der Rom II-VO zugewiesen sind.110 In die Richtung eines engen Verständnisses soll insbesondere auch Erwägungsgrund 29 weisen, dessen Wortlaut so interpretiert wird, dass ein Angebot im Sinne des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Bindungswirkung entfalte.111 Ob unter Art. 6 Abs. 4 lit. d 109
Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 65. Siehe Art. 12 Rom II-VO. 111 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-O, S. 325. 110
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Alt. 2 Rom I-VO an die Stelle des weiten Angebotsbegriffs derjenige aus § 145 BGB zu treten hat, ist von entscheidender Bedeutung für die Praxis, in der zur Platzierung und Preisfeststellung neu auszugebender Wertpapiere hauptsächlich auf Verfahren zurückgegriffen wird, die ohne ein (erstes) Verkaufsangebot des Anbieters im Sinne von § 145 BGB funktionieren. Bei diesen Verfahren handelt es sich um das sogenannte Bookbuilding-Verfahren, das Festpreisverfahren und das Tender-System. Das Bookbuilding-Verfahren setzt mit einem Aufruf an die Anleger ein, innerhalb einer bestimmten Zeitspanne, der sogenannten BookbuildingPeriode (auch: Order-Taking-Periode), Gebote im Rahmen einer vorgegebenen Preisspanne abzugeben, auf deren Grundlage der sogenannte bookrunner den Emissionspreis bestimmt.112 Erst nachdem dieser feststeht, erfolgt die Zuteilung an die Investoren.113 Das – bis zur Annahme frei widerrufliche114 – Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags im Sinne von § 145 BGB geht daher von den Anlegern aus und wird seitens des Verkäufers der Wertpapiere durch Zuteilung angenommen.115 Dagegen ordnet sich sein Aufruf an das Publikum lediglich als eine invitatio ad offerendum ein.116 In diesen Grundzügen laufen auch das Festpreisverfahren und das Tender-System ab: Zwar wird der Emissionspreis beim Festpreisverfahren durch die Banken fest angegeben;117 sowohl bei ihm als auch im Rahmen des Tender-Systems, bei dem die Anleger Angebotskurse abzugeben haben,118 wird das verbindliche Angebot indes jeweils durch die Anleger gemacht.119 Obwohl den öffentlichen Verkaufsangeboten nach diesen Verfahren eine faktische Bindungswirkung insofern zukommen soll, „als sie bei den Anlegern die berechtigte Erwartung wecken, im Rahmen des Zuteilungsverfahrens nach objektiv festliegenden und vorab publizierten 112
Kümpel/Wittig/Müller, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.87 (S. 1925 f.); Heise, in: Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 101 (S. 1307). 113 Zum Verfahren siehe Schanz, Börseneinführung, S. 336 ff. 114 Groß, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/266. 115 Schanz, Börseneinführung, S. 345; Groß, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/266; Kümpel/Wittig/Brandt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.525 (S. 2092). 116 Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, Rn. 464 (S. 336); Groß, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/266. 117 Schanz, Börseneinführung, S. 333. 118 Heise, in: Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 101 (S. 1307). 119 Schanz, Börseneinführung, S. 345; Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/85.
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Auswahlkriterien berücksichtigt zu werden“, lassen sie sich daher nicht als Verkaufsangebote im Sinne von § 145 BGB einordnen.120 Eine Beschränkung des Begriffs des Angebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf solche Erklärungen, die gemäß § 145 BGB mit Rechtsbindungswillen abgegeben werden, hätte daher den praktischen Nachteil, dass der Ausschlusstatbestand auf die Kaufverträge, die in diesen Verfahren abgeschlossen werden, keine Anwendung fände. Um sich den Schutz des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zu Nutze machen zu können, wäre ein Anbieter – entgegen der praxisüblichen Platzierungsund Preisfeststellungsverfahren – zur Abgabe eines rechtsverbindlichen Angebots gezwungen. Wenn die Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO praktische Wirkung haben soll, liegt bereits aus praktischen Gründen ein weiter Angebotsbegriff nahe, welcher auch die invitatio ad offerendum einbezieht. Hierfür lässt sich in teleologischer Auslegung folgendes Argument heranziehen: Aus Rechtssicherheitsgründen ist es für den Anbieter massenhaft auszugebender Wertpapiere unbeachtlich, ob das rechtsverbindliche Angebot zum Abschluss eines Vertrags durch ihn oder die Anleger abgegeben wird. Auch wenn zum Zustandekommen des Vertrags noch eine zusätzliche Willenserklärung ihrerseits erforderlich ist, sieht sich die Person, die eine invitatio ad offerendum am Kapitalmarkt abgibt, dadurch dennoch in die unmittelbare Nähe eines Vertragsschlusses gerückt. Obwohl es ihr grundsätzlich möglich ist, sich Kenntnis über das Heimatland der Anbietenden zu verschaffen und auf dieser Grundlage die Zuteilung vorzunehmen, besteht faktisch kein Unterschied zur Situation desjenigen, der ein rechtsverbindliches Angebot an die Öffentlichkeit abgibt und auf die Personen der Annehmenden daher keinen Einfluss hat; denn auch der zur Abgabe von Angeboten Aufrufende muss, um zwischen den Anbietenden eine Auswahl treffen zu können, erst einmal die jeweils betroffenen Rechtsordnungen unter Aufwendung hoher Kosten analysieren lassen. Da die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO es dem Anbieter möglich machen will, seine Verkaufsbedingungen entwerfen zu können, ohne bereits das potentielle Eingreifen fremder Verbraucherschutzrechte unter Erzeugung hoher Transaktionskosten einkalkulieren zu müssen, stehen auch solche Aufwendungen dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift entgegen. Durch wessen Verhalten der Vertrag letztlich zustande kommt, würde im Lichte der Ratio des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO daher ein rein willkürliches Entscheidungskriterium darstellen.
120
MüKo/K. Schmidt, HGB, Effektengeschäft Rn. 157.
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Im Ergebnis hat demnach auch für Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO zu gelten, dass der Begriff des Angebots nicht inhaltsgleich mit dem aus § 145 BGB ist. Ausreichend ist auch hier eine invitatio ad offerendum.121 Die inhaltliche Anforderung der Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie an das Angebot, „ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere“ zu enthalten, fällt für das Angebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO hingegen weg, weil sie auf dem speziellen Schutzzweck dieser Richtlinie beruht. (b) Öffentlichkeit des Angebots im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Wie unter Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie kann es unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO für die Öffentlichkeit des Angebots keine Relevanz haben, an wie viele Adressaten es gerichtet ist.122 Für die Rechtssicherheit des Anbieters macht es keinen Unterschied, wie viele Kaufverträge er abschließt, da der Kreis potentiell eingreifenden fremden Verbraucherrechts dadurch allein nicht vergrößert wird. Ob auch die unter Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie aufgestellten qualitativen Kriterien zur Abgrenzung zwischen einem öffentlichen und einem privaten Angebot übernommen werden können, hängt davon ab, ob sie mit dem Schutzzweck des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO vereinbar sind. Für den durch einen Prospekt vermittelten Schutz besteht nach dem Sinn und Zweck des Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie dann kein Anlass mehr, wenn das Angebot individuell an bestimmte Anleger adressiert wird, weil die persönliche Ansprache die Basis für eine ausreichende Informationsmöglichkeit der Anleger verschafft. Unter der Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO wird der Schutzzweck hingegen nicht erst dann hinfällig, wenn die Anleger dem Anbietenden im Einzelnen bekannt sind; Rechtssicherheit kann dem Anbieter bereits dann in genügendem Maße gegeben sein, wenn er die potentiellen Erwerber anhand bestimmter Kriterien individualisieren kann. 121
Anders dagegen Müller, der ein „verbindliches (Veräußerungs-)Angebot“ verlangt, vgl. Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 327. 122 So im Ergebnis auch Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2008, 85, 93, der darin allerdings – in hier nicht geteilter Auffassung – eine Abweichung von dem Begriff des öffentlichen Angebots im Sinne der Prospekt-Richtlinie erkennt. Wie oben gezeigt, wird in der fraglichen Regelung des Art. 3 Abs. 2 lit. d ProspektRichtlinie gerade nicht das Vorliegen eines öffentlichen Angebots bei weniger als 100 Adressaten negiert.
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Daher gilt entsprechend zur Anwendung von Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie, dass für den Anbieter keine Rechtsunsicherheit darüber besteht, welche fremden Verbraucherschutzregelungen möglicherweise den Inhalt der Kaufverträge mitbestimmen, wenn er die potentiellen Anbieter aus bereits bestehenden persönlichen Kontakten und im Rahmen dieser Beziehungen rekurriert. Ebenso ist ein privates Angebt unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO anzunehmen, wenn er zu den Adressaten seines Angebots zwar bislang noch nicht in Geschäftsbeziehungen steht, aber eine gezielte Auswahl unter den Anlegern trifft und einzelne Anleger individuell anspricht.123 Abweichend von den Ausführungen zu Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie ist jedoch die Situation zu bewerten, dass ein Anbieter sein Angebot an einen bestimmten Personenkreis richtet, ohne dafür diese Personen individuell anzusprechen, wie im unter Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie diskutierten Fall eines Mitarbeiterprogramms. Da hier vorausgesetzt werden kann, dass der Anbieter Kenntnis über den Personenkreis seiner Mitarbeiter hat bzw. sich diese verschaffen kann, so ist ihm durchaus zuzumuten, sich selbst Sicherheit über potentiell eingreifendes Verbraucherrecht zu verschaffen. Gegen die Einordnung als öffentliches Angebot lässt sich ferner anführen, dass das Angebot an die Arbeitnehmerschaft keine typische Kapitalmarktsituation darstellt und die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes damit von vorneherein nicht in Frage gestellt wird. Abgesehen davon sind abstrakte Kriterien auch unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO grundsätzlich nicht dazu geeignet, die Anwendbarkeit des Ausschlusstatbestandes auszuschließen, da sie dem Anbietenden in aller Regel keinen Rückschluss auf die potentiell zu beachtenden Verbraucherschutzrechte erlauben. In die einzelfallabhängig zu treffende Beurteilung haben zudem unter anderem der Vertriebsweg124 und die Wahl des Kommunikationsmediums einzufließen. Gibt der Anbieter das Angebot beispielsweise in allgemeinen Rundschreiben kund, handelt es sich um ein öffentliches Angebot, nicht aber mehr dann, wenn die Anleger einzeln brieflich angeschrieben werden.125 Entsprechend wird ein Angebot nicht dadurch zu einem privaten Angebot, dass es an die „Privatkunden“ einer Bank 123 So für den Begriff des öffentlichen Angebots im Sinne der Prospekt-Richtlinie: Schnorbus, in: Frankfurter Kommentar zum WpPG, WpPG, § 2 Rn. 57. 124 Mankowski, RIW 2009, 98, 103. 125 Mankowski, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2374 (S. 1043); zu dieser Abgrenzung unter § 2 Nr. 4 WpPG: Groß, in: Joost/Strohn (Hrsg.), WpPG, § 2 Rn. IX590.
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adressiert ist, wenn sich der Anbieter zur Bekanntmachung seines Angebots Massenversendungen bedient und auf eine persönliche Ansprache verzichtet.126 Eine besondere Schwierigkeit in diesem Zusammenhang wirft die Abgabe eines Angebots im Internet im weiteren Sinne auf. Überträgt man obige Kriterien auf den E-Commerce, könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass per Email versandte Angebote grundsätzlich privat sind, weil die Emailadresse den Anleger identifiziert. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass Mailing-Listen oftmals aus Daten zusammengestellt werden, die in einem automatisierten Prozess gesammelt werden, beispielsweise dadurch, dass eine Website die Einrichtung eines Nutzerprofils verlangt oder aus anderen Gründen ein Eingabefeld eingerichtet hat, in das beliebige Nutzer ihre Email-Adresse eingeben können.127 Werden die so gesammelten Adressen automatisch zu einer Mailing-Liste zusammengestellt, liegt ein öffentliches Angebot vor. Anders wiederum läge der Fall, wenn der Anbieter aus diesem Datenkontingent eine gezielte Auswahl trifft.128 dd) Zwischenergebnis zum Begriff des öffentlichen Angebots im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Der Begriff des öffentlichen Angebots gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie lässt sich auch unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nutzbar machen, sofern die unterschiedlichen Regelungszwecke berücksichtigt bleiben. Übereinstimmung zwischen den Anforderungen besteht insofern, als bereits eine invitatio ad offerendum genügt sowie Angebote an Anleger, mit denen der Anbieter in persönlichen Beziehungen steht oder die er individuell adressiert, als öffentliches Angebot ausscheiden. Anders als unter Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie hat das Angebot nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO jedoch keinen inhaltlichen Mindestanforderungen zu genügen. Unterschiedlich kann auch die Beurteilung der Öffentlichkeit ausfallen, da unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO grundsätzlich bereits die Individualisierbarkeit des adressierten Personenkreises ausreichend ist, um es auszuschließen. Erlauben die verwendeten Kriterien dem Anbieter auch ohne individuelle Ansprache einen Rückschluss auf den adressierten Personenkreis, ist Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO demnach nicht anwendbar. 126
Mankowski, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2374 (S. 1043); Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 62. 127 Spindler, NZG 2000, 1058, 1064. 128 Spindler, NZG 2000, 1058, 1064.
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ee) Erfordernis eines öffentlichen Angebots auch bei Neuemissionen? Die „Ausgabe“ als erste Fallkonstellation in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO scheint, vertraut man dem Wortlaut dieser Regelung, anders als bei Sekundäremissionen nicht „öffentlich“ ablaufen zu müssen, damit der Anwendungsbereich dieses Ausschlusstatbestandes eröffnet ist. Wie einleitend dargestellt bezeichnet die Ausgabe den Vorgang der erstmaligen Platzierung von Wertpapieren bei den Anlegern. Erwirbt ein Anleger ein Wertpapier aus einer Neuemission, so scheint demnach die Anwendung der besonderen Kollisionsregel für Verbraucherverträge in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO unabhängig davon ausgeschlossen zu sein, ob der Emittent ein Angebot an das Publikum abgegeben oder die Anleger privat adressiert hat. Nach dieser Auslegung hätte die Beteiligung eines Verbrauchers bei einer Neuemission in keinem Fall zur Folge, dass fremde Verbraucherregelungen zur Anwendung kämen. Diese grammatische Auslegung legt als notwendige Vorbedingung indes ein Verständnis von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zugrunde, wonach dieser Ausnahmetatbestand mit den Merkmalen „Ausgabe“ einerseits und „öffentliches Angebot“ andererseits zwischen Kaufverträgen über neue Wertpapiere und Kaufverträgen über bereits existente Wertpapiere willentlich differenzieren wollte. Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Vorbedingung gibt jedoch der Wortlaut der Regelung selbst, aus zweierlei Gründen: Zum einen beschränkt sich der Begriff Angebot unter strenger grammatischer Auslegung nicht auf Angebote über bereits existente Wertpapieren. Zum anderen hat der Verordnungsgeber mit der „Ausgabe“ in der deutschen, „issuance“ in der englischen und „émission“ in der französischen Fassung für alle drei Sprachfassungen übereinstimmend einen kapitalmarktrechtlichen Terminus gewählt, der für den gesamten Vorgang steht, in dem Wertpapiere erstmalig in den Verkehr gebracht werden, ohne auf den Vorgang des Anbietens im vertragsrechtlichen Sinne beschränkt zu sein. Die Begriffe „Ausgabe“ und „Angebot“ stehen deswegen nicht in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander in dem Sinne, dass dann, wenn Wertpapiere ausgegeben werden, nicht gleichzeitig ein Angebot vorliegen dürfte. Nur wenn ein solches Exlusivitätsverhältnis in der Norm angelegt wäre, dürfte die Auslegung zu einer Unterscheidung zwischen Angeboten über neue und solchen über bereits existente Wertpapiere führen. Zusammengefasst führt eine grammatische Auslegung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht zwingend zu dem Schluss, dass Kaufverträge über neue Wertpapiere auch dann in den Anwendungsbereich der Ausnahmerege-
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lung fallen, wenn sie aufgrund eines privaten Angebots des Emittenten zustande gekommen sind. Ob in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO bei Neuemissionen auf das Vorliegen eines öffentlichen Angebots verzichtet wurde, lässt sich in der Folge nur dann abschließend beantworten, wenn ein sachlicher Grund des Verordnungsgebers für diese Ungleichbehandlung nachgewiesen werden kann. Ein Blick in die Entstehungsmaterialien zu diesem Ausnahmetatbestand fördert zutage, dass sein Vorgängerentwurf, der noch auf „Verträge zur Zeichnung oder zum Kauf von neu ausgegebenen übertragbaren Wertpapieren“ lautete,129 der also lediglich Neuemissionen regelte, kein öffentliches Angebot voraussetzte. Auf einen Öffentlichkeitsbezug, eine öffentliche Platzierung der neuen Wertpapiere, wollen auch die dazu vorgetragenen Begründungserwägungen der Kommissionsdienststellen nicht hinaus. Auf Grundlage dieses Entwurfs ließe sich daher argumentieren, dass der Verordnungsgeber bei Neuemissionen keinen Anlass sah, ausschließlich solche Kaufverträge aus dem Anwendungsbereich der Kollisionsnorm für Verbraucherverträge auszuklammern, die infolge eines öffentlichen Angebots zustande gekommen sind. Verfolgt man die Entstehungsgeschichte dieser Regelung weiter, wird andererseits jedoch ebensowenig ersichtlich, warum der Verordnungsgeber in Bezug auf ein Öffentlichkeitserfordernis zwischen Neu- und Sekundäremissionen hätte differenzieren wollen. Gerade weil der Grund für die Erweiterung des Ausnahmetatbestandes auf Verträge über bereits existente Wertpapiere darin liegt, dass „das Problem, das durch die Anwendung mehrerer Verbraucher-Rechte entsteht, auch im Falle eines grenzüberschreitenden Angebots über bereits existierende Wertpapiere auftritt“,130 dieser Fall also mit dem Angebot neuer Wertpapiere wertungsmäßig gleich gestellt wurde, würde es keinen Sinn machen, ausschließlich an Kaufverträge über bereits existierende Wertpapiere eine zusätzliche Anforderung in Form des Öffentlichkeitsbezugs zu stellen. Ebenso wenig rechtfertigt es der Schutzzweck hinter dem Kriterium der Öffentlichkeit, es nur auf Sekundäremissionen zur Anwendung zu bringen. Wenn Privatangebote deswegen nicht schutzbedürftig sind, weil es 129 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 4. 130 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261/(COD), 14222/07 ADD 10, LIMITE, JUSTCIV 272 CODEC 1113, Note from Belgian delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 October 2007, S. 4.
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dem Anbieter, der gezielt bestimmte Personen anspricht, zumutbar ist, sich mit den verbraucherkollisionsrechtlichen Rechtsfolgen für die intendierten Verträge auseinandersetzen zu können, bleiben sie auch dann nicht schutzbedürftig, wenn ihr Gegenstand neue Wertpapiere sind. Ergebnis der Auslegung ist damit, dass Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO auch für Kaufverträge über neue Wertpapiere nur unter der Voraussetzung eröffnet ist, dass der Emittent ein öffentliches Angebot abgegeben hat.131 d) Zusammenfassung und Zwischenergebnis zum sachlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Wertpapieremissionen Auf Grundlage der bislang gewonnenen Erkenntnisse stellt sich der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO – in der Variante der „Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Ausgabe und das öffentliche Angebot festgelegt werden“ – bislang wie folgt dar: In den Anwendungsbereich dieses Ausnahmetatbestandes fallen lediglich Kaufverträge über Wertpapiere, wie sie infolge eines öffentlichen Angebots am Kapitalmarkt massenhaft abgeschlossen werden. Dagegen findet die besondere Kollisionsregel für Verbraucherverträge des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO wieder Anwendung, wenn der Verkäufer seine Wertpapiere nicht öffentlich am Kapitalmarkt anbietet, sondern die Anleger im Einzelnen anspricht. Für die Anwendungsvoraussetzungen von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO macht es keinen Unterschied, ob die Wertpapiere neu am Kapitalmarkt ausgegeben werden oder sie bereits existent sind. Ungeachtet des insoweit unklaren Wortlauts ist in beiden Fällen ein öffentliches Angebot erforderlich. Für ein öffentliches Angebot genügt auch eine invitatio ad offerendum. Die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Angeboten ist unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO danach vorzunehmen, ob der Anbieter den Kreis der Adressaten und damit der potentiell eingreifenden Verbraucherregelungen anhand der Modalitäten seines Angebots bestimmen kann. Öffentlich ist das Angebot im Sinne dieser Regelung jedenfalls dann, wenn es sich an einen unbestimmten Personenkreis richtet, wohingegen es sich grundsätzlich um ein privates Angebot handelt, wenn der Adressatenkreis mit dem Anbieter in per131
Mankowski, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2373 (S. 1043); Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61, I-72 f.: Proctor, Law and Practice of Int. Banking, Rn. 41.28 (S. 664); Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 323.
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sönlichen Beziehungen steht bzw. der Anbieter persönliche Beziehungen dadurch herstellt, dass er die Anleger individuell anspricht. 2. Von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ausgenommene Rechte und Pflichten Im Unterschied zu den anderen Ausnahmetatbeständen in Art. 6 Abs. 4 lit. a bis c und e Rom I-VO, welche jeweils spezifische Verträge ausklammern, lässt die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO auf dem ersten Blick nicht erkennen, in welchen Vertragsverhältnissen sie relevant wird. Bislang steht lediglich als Grundsatz für Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO fest, dass diese Tatbestandsalternative Verträge erfasst, die über ein Finanzinstrument in seiner Ausprägung als Handelsgegenstand abgeschlossen werden. Dies lässt sich speziell für die Ausgabe und das öffentliche Angebot dahingehend präzisieren, dass es um Verträge geht, die im Zusammenhang mit einer Emission, sei es eine Neu- oder eine Sekundäremission, abgeschlossen werden. Dadurch allein sind die ausgenommenen „Rechte und Pflichten“ jedoch noch nicht hinreichend bezeichnet; da an den typischen Abläufen einer Emission verschiedene Personen beteiligt sind, sind auch verschiedene Vertragskonstellationen, die einen Verbraucher involvieren, möglich. Welche „Rechte und Pflichten“ im Zusammenhang mit einer Emission in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO fallen, bedarf daher der Untersuchung. Zu diesem Zweck werden zunächst die möglichen Vertragskonstellationen bei einer Emission dargestellt, um sie anschließend daraufhin zu überprüfen, ob sie dem Anwendungsbereich der Kollisionsregel für Verbraucherverträge über Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO entzogen oder ihm über Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO wieder zugewiesen sind. a) Überblick über die verschiedenen typischen Beteiligten an einer Wertpapieremission Wertpapieremissionen involvieren typischerweise drei Beteiligte: Zwingend beteiligt ist naturgemäß immer (i) der Emittent selbst, der, wie an anderer Stelle bereits dargelegt, diejenige natürliche oder juristische Person bezeichnet, welche die Wertpapiere ausstellt. Zwingend beteiligt sind daneben immer (ii) die Anleger, worunter diejenigen natürlichen oder juristischen Personen verstanden werden, die auf dem Kapitalmarkt als die Kapitalgeber auftreten und dieses Kapital gegen Wertpapiere zur Verfügung stellen, oder, kurz, die Personen, „die eine Geldanlage beab-
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sichtigen“.132 Die Anleger sind die Abnehmer der Wertpapiere. In den Emissionsprozess können – und sind es im Regelfall auch – (iii) Kreditinstitute eingegliedert sein. Dem Emittenten stehen für die Durchführung der Emission verschiedene Emissionstechniken zur Auswahl, die grundlegend danach unterschieden werden, ob sich der Emittent zur Platzierung der Wertpapiere unmittelbar selbst an die Anleger wendet und ihnen die Wertpapiere in eigenem Namen und auf eigene Rechnung veräußert (Selbstemission; Direktplatzierung) oder ob er sich dazu der Mitwirkung spezialisierter Kreditinstitute, sei es einzeln, zu mehreren oder als Konsortium organisiert, bedient (Fremdemission).133 b) Ausgestaltung einer Emission als Selbst- oder Fremdemission Bei einer Selbstemission ist der Emittent allein für die gesamte technische Organisation und Durchführung der Emission verantwortlich,134 so dass sich diese Emissionstechnik für ihn in aller Regel nur dann rentieren wird, wenn es sich um eine Emission geringeren Umfangs handelt, er über eine entsprechende Vertriebsorganisation verfügt und bereits Zugriff auf einen Anlegerkreis hat.135 In der Praxis trifft dies zumeist nur auf Kreditinstitute zu, die an ihre Kunden Schuldverschreibungen zur Finanzierung ihrer Aktivgeschäfte verkaufen.136 Unter diesen Voraussetzungen hat die Selbstemission gegenüber der Fremdemission für den Emittenten den finanziellen Vorteil, dass er sich die Provision der Kreditinstitute erspart.137 Für alle anderen Emittenten überwiegen jedoch die Vorteile der Fremdemission: Bindet der Emittent Kreditinstitute in den Platzierungsprozess mit ein, kann er ihnen das Risiko, dass sich die emittierten Wertpapiere nicht vollständig bzw. nicht zu einem angemessenen Preis auf dem Kapitalmarkt platzieren lassen 132
Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/1. Kümpel/Wittig/Müller, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.81 (S. 1923); Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.7 (S. 805); Heise, in: Assies/Beule/Heise/ Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 97 (S. 1324); Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/71; Hopt, Verantwortlichkeit, S. 13; ders., in: FS Kellermann, S. 181, 184; Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 52 f. 134 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 36. 135 Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 51; Bartz, in: Derleder/Knops/ Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bank- und Kapitalmarktrecht, § 58 Rn. 10 (S. 1728); Schnorbus, AG 2004, 113, 114. 136 Kümpel/Wittig/Müller, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.82 (S. 1925); Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 52; Hopt, Verantwortlichkeit, S. 13. 137 Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 51. 133
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(Platzierungsrisiko bzw. Absatzrisiko)138, vollständig oder teilweise übertragen, sowie sich deren Marktkenntnisse, Expertise und Kundenstamm zu Nutze machen und mit ihnen eine Vorfinanzierung vereinbaren, wenn er auf einen möglichst raschen Zufluss neuen Kapitals angewiesen ist.139 Nur in seltenen Fällen erfolgt eine Fremdemission unter Mitwirkung lediglich eines einzelnen Kreditinstituts; fast immer wird die Emission von einem Konsortium durchgeführt.140 Insbesondere dann, wenn es sich um ein hohes Emissionsvolumen handelt und bzw. oder die Wertpapiere in mehreren Staaten gleichzeitig offeriert werden sollen, ist es für den Emittenten ratsam, ein Konsortium mit der Platzierung zu betrauen.141 Auf eine Mehrzahl an Kreditinstituten lassen sich der Kapitaleinsatz und die zu erbringenden Dienstleistungen besser verteilen142 und die Wertpapiere können an einen größeren Kundenkreis vertrieben werden.143 Auch aus Sicht der Kreditinstitute ist der Zusammenschluss zu einem Konsortium vorzugswürdig, weil die Anforderungen an den Erfolg einer Emission oftmals die Risikobereitschaft und die technischen Möglichkeiten eines einzelnen Kreditinstituts bei weitem überfordern.144 aa) Typische Ausgestaltungsmöglichkeiten bei einer Fremdemission Eine Fremdemission lässt sich technisch auf verschiedene Art und Weise umsetzen. Hierzu legen Emittent und Konsortium vor Durchführung der Emission vertraglich fest, welche Funktionen die Kreditinstitute bei Durchführung der Emission übernehmen. Unter den verschiedenen Möglichkeiten, Kreditinstitute vertraglich einzubinden, haben sich drei 138
Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/76. Schanz, Börseneinführung, S. 262; Masuch, Anleihebedingungen und AGBGesetz, S. 34. 140 Schanz, Börseneinführung, S. 272; Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, Rn. 49 (S. 45). 141 Schanz, Börseneinführung, S. 272 f.; Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, Rn. 49 (S. 46); Heise, in: Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 97 (S. 1305). 142 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.35 (S. 815); Heise, in: Assies/Beule/ Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. S. 1305; Claussen/Ekkenga, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rn. 205 (S. 513). 143 Heise, in: Assies/Beule/Heise/Strube (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, Kap. 7 Rn. 97 (S. 1305). 144 Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/26 f.; Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 53; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.35 (S. 815). 139
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Typen herausgebildet, die nach dem Grad des übernommenen Platzierungsrisikos von einander abgegrenzt und als (i) Festübernahme (firm commitment underwriting;145 bought deal146), (ii) Absatzbemühung (best effort underwriting) und (iii) Absatzgarantie bezeichnet werden.147 In Bezug auf das eingeschaltete Konsortium ist eine ähnliche Einteilung in Gebrauch, die zwischen (iv) Übernahmekonsortien, (v) Einheitskonsortien, (vi) Begebungskonsortien und (vii) Garantiekonsortien unterscheidet.148 Die (i) Festübernahme ist namensgebend dadurch charakterisiert, dass sich die Kreditinstitute, in diesem Fall bezeichnet als (iv) Übernahmekonsortium,149 zur vollständigen Übernahme der auszugebenden Wertpapiere zu einem festgelegten Preis verpflichten.150 Dazu zeichnet das Übernahmekonsortium die Wertpapiere im eigenen Namen und für eigene Rechnung.151 Die Übernahme wird als Kauf oder ein kaufähnliches Geschäft eingeordnet,152 der dazu geschlossene Vertrag als Übernahmevertrag (underwriting agreement)153 bezeichnet. Da der Emittent kein Interesse daran hat, dass die Wertpapiere ausschließlich bei den Banken verbleiben, sondern sie auf dem Kapitalmarkt einführen will, verpflichten sich die Kreditinstitute in aller Regel zusätzlich dazu, die Wertpapiere möglichst umfassend bei den Anlegern zu platzieren bzw. 145
Schanz, Börseneinführung, S. 280. Der Unterschied zur Festübernahme besteht u.a. darin, dass beim bought deal der Konsortialführer die Übernahmeverpflichtung zu festen Konditionen bereits bei Unterzeichnung des Vertrages über die Erteilung des Führungsmandats eingeht, während der Übernahmevertrag bei der Festübernahme erst zu einem späten Zeitpunkt im Verfahren abgeschlossen wird; generell sind die Risiken des Konsortiums bei der Festübernahme wesentlich geringer ausgestaltet als beim bough deal, vlg. Schanz, Börseneinführung, S. 278 ff.; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.24 (S. 80). 147 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 34. 148 Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, Rn. 55 ff. (S. 48 ff.). 149 Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, S. 49. 150 Schanz, Börseneinführung, S. 280; Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/77; Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, S. 49; Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 54; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.20 (S. 808); Grundmann, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 112 Rn. 70. 151 Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, S. 49; Hopt, in: FS Kellermann, S. 181, 184. 152 Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/28, 10/68; die Übernahme neuer Aktien hingegen ist ein gesellschaftsrechtlicher Vorgang, nämlich der Beitritt zu einer Gesellschaft, Rn. 10/71. 153 Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/28. 146
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sich darum zu bemühen.154 Ein Konsortium, das beide Funktionen, die Übernahme als auch die Platzierung der Wertpapiere bei den Anlegern, übernimmt, wird als (vi) Einheitskonsortium bezeichnet.155 Bei einer Festübernahme geht das Risiko, dass sich alle Wertpapiere zu einem angemessenen Preis an die Anleger verkaufen lassen, vollständig zu Lasten des Konsortiums.156 Da die Wertpapiere in einem ersten Schritt von dem Konsortium übernommen und von diesem in einem zweiten Schritt weiter an die Anleger verkauft werden, wird die Festübernahme auch als „mittelbare“ Platzierung bezeichnet.157 Wie im Namen selbst schon angedeutet verpflichtet sich das Konsortium bei einer (ii) Absatzbemühung ausschließlich dazu, sich nachhaltig um eine Platzierung der Wertpapiere bei den Anlegern zu bemühen.158 Das Konsortium wird in diesem Fall als (vi) Begebungs- oder Platzierungskonsortium bezeichnet.159 Es verkauft die Wertpapiere im eigenen Namen und auf Rechnung des Emittenten, so dass lediglich von einer „kommissionsweisen“ Übernahme der Papiere gesprochen werden kann.160 Für das Platzierungsrisiko folgt für diesen Emissionstyp, dass 154 Keine Absatzerfolgsgarantie, vgl. Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, Rn. 342 (S. 243). 155 Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/80; Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, S. 50; Hopt, in: FS Kellermann, S. 181, 184; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.23 (S. 809). 156 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.20 (S. 808); Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 35. 157 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.8 (S. 805); Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 41 f.; an dieser Stelle zeigt sich, dass die ebenfalls gebräuchliche Terminologie, die „Direktplazierung“ als Synonym für die Selbstemission und „mittelbare Plazierung“ als Synonym für die Fremdemission verwendet (Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/73 f.), weniger geeignet ist, weil sie über die unterschiedlichen Ausgestaltungsarten einer Fremdemission hinweggeht. 158 Schanz, Börseneinführung, S. 279; Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/78; Kümpel/Wittig/Müller, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.91 (S. 1927); zu beachten ist, dass die Tätigkeit nicht mehr unter das Emissionsgeschäft im bankaufsichtsrechtlichen Sinne fällt, wenn sie sich auf die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage beschränkt, Schanz, Börseneinführung, S. 262. 159 Ekkenga/Maas, Wertpapieremissionen, S. 48; in der Praxis soll bei Schuldverschreibungen ein solches Konsortium in aller Regel jedoch nicht gebildet werden, da das Problem der Risikoverteilung als Motivation für die Bildung eines Konsortiums wegfalle, vgl. Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/78. 160 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.22 (S. 809).
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der Emittent der Risikoträger bleibt.161 Interessant ist die Absatzbemühung für den Emittenten daher dann, wenn es ihm im Wesentlichen nur auf die Vertriebsorganisation und den Kundenstamm des Konsortiums bzw. dessen Kontakte zu den Anlegern ankommt und das Platzierungsrisiko aus seiner Sicht tragbar ist.162 Bringt man die Unterscheidung zwischen „mittelbaren“ und „unmittelbaren“ Platzierungen zur Anwendung, liegt bei der Absatzbemühung eine „unmittelbare“ Platzierung vor, weil es ohne Übernahme auch zu keinem Zwischenerwerb der Wertpapiere durch das Konsortium kommt. Die Absatzgarantie schließlich (iii) nimmt eine Art Zwitterstellung zwischen den beiden anderen Gestaltungsformen ein. Mit der Festübernahme stimmt sie darin überein, dass sich das Konsortium, (vii) das sogenannte Garantiekonsortium, zur Übernahme der Wertpapiere verpflichtet. Anders als bei der Festübernahme ist diese Verpflichtung jedoch an die Bedingung geknüpft, dass sich die Wertpapiere nicht vollständig am Kapitalmarkt platzieren lassen.163 Bleiben aus dem Emissionsvolumen Wertpapiere über, so werden sie von dem Garantiekonsortium zu einem vorher festgelegten Kurs übernommen.164 Schließlich existiert noch die Möglichkeit, dass die Konsorten die Wertpapiere in offener Stellvertretung des Emittenten platzieren (Geschäftsbesorgungskonsortium bzw. Maklervertrag).165 Da hierdurch jedoch ausschließlich der Emittent berechtigt und verpflichtet wird, wird diese Ausgestaltungsvariante in dieser Arbeit der Selbstemission zugerechnet. bb) Involvierung weiterer Banken in den Emissionsprozess Beim typischen Ablauf einer Emission erwerben die privaten Anleger Wertpapiere aus der Emission nicht unmittelbar bei dem Emittenten oder den Emissionsbanken, sondern treten hierzu in Vertragsbeziehungen mit Dritten, die dadurch zu mittelbar Beteiligten an der Emission werden. Dies ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass sich ein Anleger zum 161
Kümpel/Wittig/Müller, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.91 (S. 1927); Heise, in: Handbuch des Fachanwalts, Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 1327; Hopt, Verantwortlichkeit, S. 13; ders., in: FS Kellermann, S. 181, 184. 162 Ekkenga/Maas, Wertpapieremissionen, S. 49; Kümpel/Wittig/Müller, Bankund Kapitalmarktrecht, Rn. 15.95 (S. 1928). 163 Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/81; Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, Rn. 58 (S. 50); Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 35; Hartwig-Jacob, Int. Anleiheemissionen, S. 54. 164 Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, Rn. 58 (S. 50). 165 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.22 (S. 809); du Buisson, WM 2003, 1401.
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Zweck des Erwerbs in aller Regel an seine Hausbank wendet, die seine Order entweder als Kommissionsgeschäft mit Selbsteintritt oder als Kaufvertrag ausführt.166 Nur unter dem besonderen Umstand, dass diese Hausbank selbst als Emissionsbank in die Emission eingeschaltet ist, bestehen dann unmittelbare Vertragsbeziehungen zwischen einer Emissionsbank und einem Anleger. Zum anderen beziehen auch die Emissionsbanken aktiv dritte Kreditinstitute außerhalb des Emissionskonsortiums in den Platzierungsprozess mit ein. Außerhalb des eigentlichen Emissionskonsortiums stehen beispielsweise die sub-underwriter, wodurch solche Banken gekennzeichnet werden, mit denen die Emissionsbanken (primary underwriter), ohne dies dem Emittenten gegenüber offen zu legen, in ein Verhältnis eintreten, das rechtlich als Innengesellschaft zu qualifizieren ist.167 Insbesondere im internationalen Emissionsgeschäft ist es daneben üblich geworden, dass die führende Bank (underwriter bank) gar kein Konsortium oder eine Innengesellschaft mit anderen Banken eingeht, sondern die übernommenen Papiere direkt an weitere Banken verkauft, um sich vollständig vom dem Platzierungsrisiko zu entlasten.168 Eine weitere Form, Drittbanken in die Emission einzuschalten, stellt die Beauftragung sogenannter selling groups dar, deren Mitglieder im Wertpapierprospekt zwar benannt sind, die aber nicht dem Emissionskonsortium angehören.169 Selling groups fungieren im internationalen Emissionsgeschäft gewöhnlich als reine Verkaufsstellen, die im Namen und für Rechnung der Emissionsbanken Zeichnungsaufträge von Seiten der Anleger zu den vorgegebenen Emissionsbedingungen entgegennehmen und damit eine reine Vermittlungstätigkeit leisten.170 Anders als bei der Selbstemission, bei der im Grunde nur zwischen dem Emittenten und dem Anleger ein Vertrag geschlossen wird, kommt es im Regelfall der Fremdemission – entsprechend der Anzahl der Beteiligten – im Ergebnis zu einer Vielzahl von vertraglichen
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Hopt, Verantwortlichkeit, S. 21; Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/1. 167 Hopt, Verantwortlichkeit, S. 26. 168 Hopt, Verantwortlichkeit, S. 26. 169 Hopt, Verantwortlichkeit, S. 20. 170 Grundmann, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 112 Rn. 12; Kümpel/Wittig/Müller, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.95 (S. 1929); Ekkenga/Maas, Wertpapieremissionen, Rn. 70 (S. 57); Lang, Internationales Emissionsgeschäft, S. 10.
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Beziehungen,171 unter denen im Lichte von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO diejenigen von Interesse sind, an denen zum einen ein Verbraucher beteiligt ist, und die zum anderen den Kauf eines oder mehrerer Wertpapiere aus der Emission zum Gegenstand haben. Unter diesen Bedingungen sind die drei Konstellationen denkbar, dass erstens der Emittent selbst den Kaufvertrag mit dem Verbraucher abschließt (i). Zweiter Fall ist der direkte Erwerb von einem Konsortiumsmitglied bzw. der Emissionsbank (ii). Letzte Fallgruppe sind die Kaufverträge über emittierte Wertpapiere zwischen dem Verbraucher und einer Drittbank (iii). Die Subsumtion unter die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO beginnt entsprechend der obigen Reihenfolge mit dem Vertragsverhältnis zwischen dem Emittenten und einem Anleger und schließt mit dem Erwerb von einer Drittbank ab. Soweit sich daraus potentiell Unterschiede für das Prüfungsergebnis ergeben können, wird dabei zum einen zwischen Neu- und Sekundäremissionen und zum anderen zwischen Emissionen von Schuldverschreibungen und Emissionen von Mitgliedschaftsrechten unterschieden. Sofern festgestellt wird, dass der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO grundsätzlich eröffnet ist, ist die Frage zu thematisieren, ob es sich hierbei zugleich um die Erbringung einer Finanzdienstleistung im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO handelt. c) Rechtsbeziehungen zwischen Verbraucher und Emittent bzw. Anbieter unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO In schuldvertragliche Rechtsbeziehungen zu seinen Anlegern tritt ein Emittent in erster Linie durch die Ausgabe von Wertpapieren, die ein Forderungsrecht gegen ihn verbriefen und ihren Inhabern damit Ansprüche gegen ihn vermitteln.172 Daneben entsteht zwischen ihm und einem Anleger mit Abschluss eines Kaufvertrags über ein Wertpapier ein zweites vertragliches Schuldverhältnis, sofern der Emittent im Wege der Selbstemission die Wertpapiere ohne Zwischenschaltung Dritter selbst vertreibt. Nur dieses zweite Rechtsverhältnis ist unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO relevant, da die Rechte und Pflichten aus
171 Ein zusammenfassender Überblick (für die Emission von Schuldverschreibungen) findet sich beispielsweise bei Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/236 ff. 172 Einsele, Internationales Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 346; Bartz, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bank- und Kapitalmarktrecht, § 58 Rn. 27 (S. 1735).
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dem Wertpapier dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO bereits durch Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO entzogen sind. Ob ein Kaufvertrag unmittelbar zwischen dem Emittenten und einem Anleger auch bei der Emissionstechnik der Fremdemission geschlossen wird, hängt grundsätzlich davon ab, welche Vereinbarungen der Emittent mit dem Konsortium über die Durchführung der Emission getroffen hat. Haben er und das Konsortium als Emissionsform eine Festübernahme vereinbart, werden die Wertpapiere entweder direkt von den Emissionsbanken oder von zu diesem Zweck eingeschalteten Drittbanken veräußert. Umgekehrt darf nicht der Schluss gezogen werden, dass zumindest dann, wenn sich das Konsortium im Rahmen der „unmittelbaren“ Emissionstechnik der Absatzbemühung lediglich dazu verpflichtet, sich um eine Unterbringung der zu emittierenden Wertpapiere beim Publikum zu bemühen, Kaufverträge auch unmittelbar mit dem Emittenten selbst herbeigeführt würden, da das Konsortium die Wertpapiere nur kommissionsweise übernimmt, d.h. im eigenen Namen handelt. Bei einer Fremdemission bestehen daher bis zum Abschluss der Platzierung keinerlei unmittelbare schuldvertragliche Rechtsbeziehungen zwischen dem Emittenten und den Anlegern.173 Im Verhältnis zwischen Emittent bzw. Anbieter und Verbraucher hat die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Ergebnis nur bei Selbstemissionen Bedeutung. aa) Kaufverträge zwischen Emittent bzw. Anbieter und Verbraucher über Wertpapiere aus der Emission Die Voraussetzung, dass die unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ausgenommenen Rechte und Pflichten aufgrund eines öffentlichen Angebots zustande gekommen sein müssen, schränkt in der Praxis die Bedeutung des Ausnahmetatbestands erheblich ein, da nur die wenigsten Unternehmen die wirtschaftlichen Vorbedingungen für eine öffentliche Platzierung in Selbstemission erfüllen können. Eine öffentliche Platzierung in Eigenregie durchzuführen rentiert sich für ein Unternehmen, das seine Wertpapiere breit streuen will, nur dann, wenn es selbst über eine erhebliche Platzierungskraft verfügt und eine Vielzahl von Anlegern erreichen kann. Diese Voraussetzung bringen in aller Regel nur Kreditinstitute mit einer ausgeprägten Vertriebsorganisation mit174 oder Unternehmen mit einem sehr hohen Bekanntheitsgrad und einer Vielzahl von als Investoren in Frage kommenden Kunden,175 die beispielsweise 173
Hopt, in: FS Kellermann, S. 181, 191. Schnorbus, AG 2004, 113, 114. 175 Schanz, Börseneinführung, S. 307. 174
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auf der Website des Unternehmens zur Abgabe von Kaufangeboten aufgerufen werden können.176 Verfügt ein Emittent bzw. Anbieter über die entsprechenden Ressourcen und ruft öffentlich zum Kauf seiner Wertpapiere auf, ohne ein Bankenkonsortium in den Emissionsvorgang einzuschalten, so fällt der hierauf zustande kommende Kaufvertrag, vorbehaltlich der übrigen Voraussetzungen dieser Regelung, grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO. (1) Neuemissionen unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Führt der Emittent eine Neumission selbst durch und tritt hierzu unmittelbar in vertragliche Beziehungen zu den Anlegern, ist nach der Systematik von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO zwischen den Rechten und Pflichten aus dem Wertpapier – Alt. 1 – und den Rechten und Pflichten aus dem Kauf des Wertpapiers – Alt. 2 – zu unterscheiden, die in folgendem Zusammenhang miteinander stehen: Bei der Neuemission existiert das zu erwerbende Wertpapier noch nicht, sondern muss erst noch geschaffen werden. Aufgrund der Verpflichtung aus dem Kaufvertrag über das Wertpapier ist dieses in der Hand des Käufers zum Entstehen zu bringen, wozu bei Inhaberschuldverschreibungen nach deutschem Recht der Begebungsvertrag abgeschlossen wird.177 Um den Unterschied zwischen diesen beiden Rechtsgeschäften zu veranschaulichen, hat Müller die Terminologie von der „Verpflichtung zur Begründung eines Finanzinstruments“ und der „Begründung dieses Finanzinstruments“ gewählt;178 zur Abgrenzung von dem Verpflichtungsgeschäft ließe sich statt der „Begründung dieses Finanzinstruments“ auch von dem „Erfüllungsgeschäft“ sprechen. Obwohl in der Regel beide Geschäfte – der Kauf und die Begründung des Wertpapiers – faktisch in einem Vertragsschluss zusammenfallen, so dass man auf das Hilfskonstrukt der juristischen Sekunde angewiesen ist, ist diese Unterscheidung unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO vorzunehmen: Als im Kaufvertrag über die Wertpapiere jedenfalls konkludent mitvereinbarte Bedingung wird die Verpflichtung zur Begründung eines Wertpapiers von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO erfasst, wohingegen die Begründung selbst wegen Art. 10 Rom I-VO Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO zugewiesen ist.179 Als kategorisches Abgren176
Vgl. Kümpel/Wittig/Müller, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.84 (S. 1924). Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 10.138 (S. 853). 178 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 43 ff. 179 Dies gilt für den Begebungsvertrag, welcher dem Erfüllungsgeschäft zuzurechnen ist, siehe Einsele, Internationales Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 367. 177
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zungskriterium unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ist die Unterscheidung zwischen der „Verpflichtung zur Begründung“ und der „Begründung“ selbst bzw. dem Erfüllungsgeschäft indes nicht in jedem Fall geeignet. Sie steht unter der Prämisse, dass die wertpapierrechtliche Verpflichtung schuldrechtlicher Natur ist. Sofern es sich hingegen um eine mitgliedschaftsrechtliche Verpflichtung handelt, scheidet Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO als Ausnahmetatbestand von vorneherein aus, weil solche Verpflichtungen über Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO bereits vollständig dem Anwendungsbereich der Verordnung entzogen sind. Für die durch den Emittenten in Eigenregie durchgeführte Neuemission mitgliedschaftsrechtlicher Wertpapiere ist unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom IVO daher ein Anwendungsproblem denkbar, wie es am Beispiel des aktienrechtlichen Zeichnungsvertrags nach § 185 AktG erläutert werden soll: Der Zeichnungsvertrag ist der Vertrag, dessen Abschluss nach deutschem Aktienrecht gemäß § 185 AktG Voraussetzung für die Entstehung der neuen Aktie in der Person des Erwerbers ist.180 Ein solcher Zeichnungsvertrag kommt zwischen der Aktiengesellschaft und einem Anleger zustande, wenn der Anleger, dazu aufgerufen durch das öffentliche Angebot der Aktiengesellschaft, Aktien aus dem Emissionsvolumen bei der Aktiengesellschaft zeichnet, d.h. eine „auf den Erwerb junger Aktien gerichtete Offerte“181 (Zeichnung) abgibt und die Aktiengesellschaft dieses Angebot annimmt.182 Mit Abschluss des Zeichnungsvertrags wird der Anleger noch nicht neuer Aktionär der Aktiengesellschaft,183 sondern er erwirbt lediglich einen Anspruch darauf, dass ihm nach Durchführung der Kapitalerhöhung Mitgliedschaftsrechte zugeteilt werden.184 Er selbst wird aus dem Zeichnungsvertrag dazu verpflichtet, die Einlagen zu erbringen und die neuen Aktien zu übernehmen.185 In seinen Verpflichtungen ähnelt der Zeichnungsvertrag daher einem Kaufvertrag, so dass es nahe läge, ihn als Vertrag über ein Finanzinstrument dem Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zuzuordnen. So zumindest scheint es der Verordnungsgeber vor Augen gehabt zu haben, 180
Hüffer, AktG, § 185 Rn. 4. von Dryander/Niggemann, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 185 Rn. 3. 182 von Dryander/Niggemann, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 185 Rn. 5. 183 MüKo/Peifer, AktG, § 185 Rn. 3; Hüffer, AktG, § 185 Rn. 4; von Dryander/ Niggemann, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 185 Rn. 7. 184 von Dryander/Niggemann, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 185 Rn. 7 f.; Hüffer, AktG, § 185 Rn. 4; Groß, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/326a. 185 von Dryander/Niggemann, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 185 Rn. 8; Hüffer, AktG, § 185 Rn. 4. 181
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Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2
der im Vorentwurf zur jetzigen Regelung in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO in der deutschen Fassung neben Kaufverträgen noch ausdrücklich „Verträge zur Zeichnung“ ausklammerte.186 Andererseits lässt sich dieser Zeichnungsvertrag gleichzeitig als Vertrag zur Begründung des Finanzinstruments einordnen, denn auch wenn auf Grund des Zeichnungsvertrags alleine noch kein Mitgliedschaftsrecht erlangt wird, so entstehen die Mitgliedschaftsrechte doch unmittelbar und automatisch kraft Gesetzes in der Hand des Zeichners, sobald die Kapitalerhöhung wirksam geworden ist.187 Der Zeichnungsvertrag ist damit zugleich Erfüllungsgeschäft, welches wie oben erläutert grundsätzlich unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO fallen müsste.188 Gälte die Abgrenzung zwischen Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ohne Einschränkung, so hätte dies für den Zeichnungsvertrag zu Folge, dass er weder von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO, noch von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ausgeklammert würde und in eine Schutzlücke zwischen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 und Alt. 2 Rom I-VO fiele. Dieses Ergebnis wird nur dadurch vermieden, dass der Zeichnungsvertrag gemäß § 185 AktG, auch wenn er grundsätzlich schuldrechtliche Nebenabreden enthalten kann,189 insgesamt als „korporationsähnlicher Akt“ zu qualifizieren ist, und deswegen bereits über Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO vollständig dem Anwendungsbereich der Verordnung entzogen wird.190 Für den praktisch zwar kaum denkbaren, aber dennoch nicht ausgeschlossenen Fall, dass der Ersterwerb mitgliedschaftsrechtlicher Rechte in anderen Rechtsordnungen schuldrechtlich zu qualifizieren und deswegen der Ausweg über Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO nicht zur Verfügung stehen sollte, muss jedoch eine Lösung im Umgang mit dieser Schutzlücke gefunden werden. Wie hierbei zu verfahren ist, lässt sich aus den Erläuterungen der Kommissionsdienststellen im Entwurf vom 15. März 2007 zur zweiten Tatbestandsalternative im jetzigen Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ableiten, die damals auf „Verträge zur Zeichnung“ lautete. Die Kommissionsdienststellen wurden im Hinblick auf die Ausklammerung dieser „Verträge zur Zeichnung“ 186
Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 4. 187 MüKo/Peifer, AktG, § 189 Rn. 9; Lutter, in: FS Schilling, S. 207, 217. 188 So zumindest wohl Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 354. 189 Wiedemann, in: Großkomm AktG, § 185 Rn. 83. 190 So Grundmann, demzufolge sich der Zeichnungsvertrag „als korporationsrechtlicher Akt zwingend nach dem Personalstatut des Emittenten richtet, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 112 Rn. 82.
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von der Befürchtung geleitet, dass die Ausnahmeregel des Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO möglicherweise nicht erschöpfend sein könnte. „Unter der Voraussetzung und in dem Maße, wie dieser Aspekt d.h. im Zeichnungsvertrag notwendig einheitlich zu regelnde Aspekte191 aufgrund von Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe f (Ausklammerung von Verträgen, die dem Gesellschaftsrecht unterliegen) nicht gänzlich aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgeklammert ist“, hielten sie es für erforderlich, einen entsprechenden Ausnahmetatbestand in Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO aufzunehmen.192 Um dem intendierten Auffangcharakter dieser Tatbestandalternative gerecht werden zu können, darf sie im Ergebnis nicht rein formalistisch auf die Verpflichtung zur Begründung beschränkt werden. (2) Eingreifen der Rückausnahme für Finanzdienstleistungen Mit dem Zwischenergebnis, dass der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf das kaufvertragliche Vertragsverhältnis zwischen dem Emittenten und dem Anleger grundsätzlich Anwendung findet, steht allein noch nicht abschließend fest, dass die darin vereinbarten Rechte und Pflichten der speziellen Kollisionsregel für Verbraucherverträge in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO entzogen wären. Erst gilt es noch zu klären, ob und falls ja, in welchem Umfang, die Rückausnahme für Finanzdienstleistungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom IVO, die sich speziell auf die zweite Tatbestandsalternative in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO richtet,193 eingreift. Vollständig lautet die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO daher wie folgt: Die speziellen Kollisionsregeln für Verbraucherverträge in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO gelten nicht für „Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Ausgabe und das öffentliche Angebot ... festgelegt werden, sofern es sich dabei nicht um die Erbringung von Finanzdienstleistungen handelt“. Nur unter dem Vorbehalt, dass der Emittent mit dem Verkauf der Wertpapiere nicht zugleich eine Finanzdienstleistung gegenüber dem Anleger erbringt, fällt der Kaufvertrag zwischen
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Einschub der Verfasserin. Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 6. 193 S.o. Kapitel 2: B. V. 2. Das Zusammenspiel zwischen den Ausnahmetatbeständen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO und der Einschränkung am Ende der Regelung für die „Erbringung von Finanzdienstleistungen“. 192
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Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2
dem Emittenten und dem Anleger in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO. Speziell in Bezug auf das Vertragsverhältnis zwischen Emittent und Anleger will eine Ansicht in der Literatur die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO so verstanden wissen, dass zwischen den einzelnen Rechten und Pflichten aus diesem Verhältnis zu differenzieren sei. Sie unterscheidet zwischen der Zeichnung der Wertpapiere (souscription) einerseits und ihrem Kauf (vente) andererseits.194 Während die vertraglichen Rechte und Pflichten aus der Zeichnung (souscription) dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO entzogen sein sollen, soll dies nicht für die Rechte und Pflichten aus dem Kauf der Wertpapiere (vente) gelten. Diese Rechte und Pflichten sollen im Zusammenhang mit der Erbringung einer Finanzdienstleistung anfallen und daher dem Anwendungsbereich der speziellen Kollisionsregel für Verbraucherverträge unterliegen.195 (3) Keine Differenzierungsmöglichkeit zwischen Zeichnung und Kauf bei Sekundärmissionen Diese Differenzierung setzt voraus, dass vertragliche Rechte und Pflichten aus einer Zeichnung neben kaufvertraglichen Pflichten existieren. Praktisch steht diese Ansicht vor der Schwierigkeit, wie diese Differenzierung in der Rechtstatsächlichkeit durchgeführt werden kann. Veräußert anstelle des Emittenten ein Großaktionär Wertpapiere aus seinem Aktienpaket an die Öffentlichkeit, so schließt er hierfür lediglich pro Anleger einen Vertrag über den Verkauf eines oder mehrerer dieser Wertpapiere ab. Innerhalb dieses Vertragsverhältnisses besteht kein Raum für eine Differenzierung zwischen der Zeichnung oder einem zeichnungsähnlichen Vorgang und dem Kauf der Papiere. In der Folge würden alle vertraglichen Rechte und Pflichten daraus vollständig der Rückausnahme unterliegen und Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO griffe nicht ein. Lediglich bei Neuemissionen ließe sich zwischen der Zeichnung als Teil des Entstehungsvorgangs des Wertpapiers und dessen Kauf unterscheiden.196 Dies stünde indes in Widerspruch zu dem Willen 194
Francq, JDI Clunet 2009, 41, 65. Francq, JDI Clunet 2009, 41, 65. 196 An dieser Stelle sei jedoch an die obigen Erwägungen erinnert, dass die Zeichnung, verstanden als Abschluss des Begebungsvertrags, bei Schuldverschreibungen bereits in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO fällt und bei mitgliedschaftlichen Rechten über Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO ganz dem Anwendungsbereich der Verordnung entzogen ist. 195
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des Verordnungsgebers, der den Ausnahmetatbestand des jetzigen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO um Verträge über bereits existierende Wertpapiere ausdrücklich aus dem Grund ergänzt hat, dass sich dort dieselben Probleme stellen würden wie bei bereits ausgegebenen Wertpapieren.197 Aus Sicht des Verordnungsgebers sollten die Rechte und Pflichten aus einem Kaufvertrag über bereits existente Wertpapiere dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO, zumindest in Teilen, endgültig entzogen werden, sofern der Kaufvertrag aus einem öffentlichen Angebot hervorgegangen ist. Würde man dieses Ergebnis über die Anwendung des letzten Halbsatzes des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO wieder rückgängig machen, würde man sich über den erklärten Willen des Verordnungsgebers hinwegsetzen. (4) Erbringung einer Finanzdienstleistung bei einem Verkauf durch den Emittenten selbst? In zweiter Hinsicht problematisch an dieser Ansicht ist ihr Begriffsverständnis von einer Finanzdienstleistung. Sie baut auf der Prämisse auf, dass der Emittent mit dem in Eigenregie durchgeführten Verkauf seiner Wertpapiere zugleich eine Finanzdienstleistung gegenüber dem Käufer der Wertpapiere erbringt. Nur unter dieser Bedingung ist notwendigerweise zwischen den jeweiligen Anwendungsbereichen von Ausnahme und Rückausnahme in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zu differenzieren. Welche Tätigkeiten der Verordnungsgeber unter einer Finanzdienstleistung verstanden wissen will, hat er in Erwägungsgrund 26 vorgegeben, der auf die enumerativ aufgezählten Dienstleistungen der Kataloge in Abschnitt A und B des Anhangs I MiFID verweist. In systematischer Auslegung kann daneben subsidiär auf die Definition aus Art. 2 lit. b Fernabsatz-Finanzdienstleistungen-Richtlinie zurückgegriffen werden.198 Zu einer Überschneidung zwischen dem Anwendungsbereich der Ausnahme des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und dem der Rückausnahme für Finanzdienstleistungen kann es im Hinblick auf solche Wertpapierdienstleistungen aus dem Katalog des Anhangs I Abschnitt A MiFID kommen, bei denen das Finanzdienstleistungsinstitut gegenüber dem Anleger eine kaufvertragliche Verpflichtung übernimmt. Unter den Wertpapierdienstleistungen, die sich in den Ziffern 1 bis 3 in Anhang I Abschnitt A MiFID auf die Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten beziehen, beinhaltet der „Handel für eigene Rech197
S.o. Kapitel 4: D. II. 1. a) Neuemissionen und Sekundäremissionen. S.o. Kapitel 4: C. I. 2. Finanzdienstleistungen nach der Fernabsatz-Finanzdienstleistungen-Richtlinie. 198
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nung“ (Nr. 3) immer den Abschluss eines Kaufgeschäfts.199 Eine Überschneidung zwischen den jeweiligen Anwendungsbereichen von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und der Rückausnahme für Finanzdienstleistungen ist damit nicht per se ausgeschlossen. Etwas anderes müsste im Hinblick auf die Kaufverträge, die ein Emittent zum Zwecke der Platzierung in Eigenregie abschließt, gelten, wenn der Begriff des „Handels für eigene Rechnung“ zumindest implizit einen Kundenbezug des Kaufvertrags voraussetzt. Anhand der Frage, ob ein Kundenbezug vorliegt oder nicht, wird im deutschen Recht zwischen dem Eigenhandel und dem Eigengeschäft unterschieden. Eigenhandel ist danach eine im Rahmen der Umsetzung der RL 2006/48/EG200 („EG-KreditinstituteRichtlinie“) und der RL 2006/49/EG201 („Kapitaladäquanzrichtlinie“) sowie einer weiteren Gesetzesänderung in vier verschiedene Varianten202 ausdifferenzierte Tätigkeit,203 die das Kreditinstitut immer als Dienstleistung für den Anleger vornimmt.204 Als Eigenhändler führt das Kreditinstitut die Order seines Kunden dadurch aus, dass es die Wertpapiere selbst an den Anleger verkauft, sofern es sie in seinem Bestand hat.205 Unter „Eigengeschäften“ hingegen ordnen sich solche Geschäfte ein, bei denen eine Bank Finanzinstrumente kauft oder verkauft, ohne dazu aufgrund eines Kundenauftrags veranlasst zu sein.206 Ein solcher Kundenbezug fehlt bei einem Kaufvertrag, den ein Emittent bzw. Anbieter zum Zweck der Platzierung in Eigenregie direkt mit einem Anleger abschließt.207 Er tätigt ein reines Eigengeschäft. Verlangt man für das Vor199
Schäfer, in: Schäfer/Hamann (Hrsg.), Kapitalmarktgesetze, § 2 WpHG Rn. 55. Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (Neufassung), veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 177 vom 30.6.2006, S. 1 ff.; seit dem 1.1.2014 außer Kraft. 201 Richtlinie 2006/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten (Neufassung), veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 177 vom 30.6. 2006, S. 201 ff.; seit dem 1.1.2014 außer Kraft. 202 § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 WpHG. 203 Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 156. 204 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 74; Roth, in: KKWpHG, § 2 Rn. 159. 205 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 74; Kümpel/ Wittig/Starke, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 17.194 (S. 2306); Oelkers, WM 2001, 340, 341. 206 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 74; Roth, in: KKWpHG, § 2 Rn. 192. 207 Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), § 2 WpHG Rn. 98. 200
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liegen einer Finanzdienstleistung daher einen Kundenbezug bzw. Fremdnützigkeit, so würde ein solcher Kaufvertrag ausschließlich in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO fallen, ohne dass sich Abgrenzungsprobleme zur Einschränkung für Finanzdienstleistungen ergäben. Ob der Begriff der Finanzdienstleistung nach Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO einen Kundenbezug voraussetzt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Innerhalb des Katalogs in Anhang I Abschnitt A MiFID könnte in systematischer Hinsicht hierfür ein Indiz sein, dass die beiden anderen Anschaffungs-/Veräußerungsvorgänge, die dem „Handel für eigene Rechnung“ in den Nummern 1208 und 2209 vorangestellt sind, definitionsgemäß aus einem Kundenauftrag resultieren. Andererseits ist weder im Begriff „Handel für eigene Rechnung“ selbst, noch in seiner Definition in Art. 4 Nr. 6 MiFID („Handel unter Einsatz des eigenen Kapitals, der zum Abschluss von Geschäften mit einem oder mehreren Finanzinstrumenten führt“) ein Kundenbezug angelegt. Im Gegenteil, Wortlaut und Definition lassen sich vielmehr gerade gegen das Erfordernis eines fremdnützigen Handelns auslegen. So sollen sich auch die Bestimmungen in Art. 2 Abs. 1 lit. d und i MiFID auslegen lassen, die Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie für bestimmte Geschäfte „für eigene Rechnung“ statuieren, wozu kein Bedarf bestanden hätte, wenn die darin genannten Geschäfte, die keinen Drittbezug aufweisen, von vorneherein nicht zu den Wertpapierdienstleistungen zählen würden.210 Im Ergebnis weicht die Tätigkeit des „Handels für eigene Rechnung“ mit Willen des Richtliniengebers vom dem für die übrigen Anschaffungsvorgänge geltenden Erfordernis ab, dass ein Kundenbezug bestehen muss.211 In der Konsequenz müsste auch der Verkauf von Wertpapieren durch den Emittenten selbst in den Begriff der Finanzdienstleistung nach der MiFID fallen.212 Unabhängig davon, dass die MiFID unter „Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten“ nach ihrem Anhang I Abschnitt A nach Nr. 3 auch Kaufverträge versteht, die, wie die zur Wertpapierplatzierung 208
„Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die ein oder mehrere Finanzinstrument(e) zum Gegenstand haben“. 209 „Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden“. 210 Versteegen, in: KK-WpHG 2007, § 2 Rn. 127; Baum, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 142. 211 Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, WpHG, § 2 Rn. 20; Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 120, so im Ergebnis wohl auch: Grundmann, in: Joost/Strohn (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. VI52. 212 So im Ergebnis: Grundmann, in: Joost/Strohn (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. VI55.
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durch den Emittenten selbst getätigten Verkaufsgeschäfte, ohne jeglichen Kundenbezug abgeschlossen werden, dürfte unter der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO eine abweichende Auslegung geboten sein. Anknüpfungspunkt hierfür ist Erwägungsgrund 26. Seinem Wortlaut zufolge sollen Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO Finanzdienstleistungen unterliegen, „die ein Unternehmer für einen Verbraucher erbringt“. Der Verordnungsgeber belässt es für den Begriff der Finanzdienstleistung damit nicht bei einem Verweis auf die Kataloge in der MiFID, sondern ergänzt diesen Verweis ausdrücklich um das Merkmal, dass der Unternehmer für einen Verbraucher tätig wird. Unter Würdigung dieses Umstands bietet eine Auslegung des Begriffs „Finanzdienstleistung“ keine Grundlage für eine Rückausnahme von Kaufverträgen mit dem Emittenten selbst, so dass diese Verträge in jedem Fall in die Ausnahme des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO fallen, sofern deren weitere Voraussetzungen erfüllt sind. Zugleich entfällt damit der Bedarf für eine Differenzierung zwischen der Zeichnung eines Wertpapiers einerseits und dessen Kauf andererseits. bb) Zwischenergebnis zum sachlichen Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Kaufverträge zwischen dem Emittenten bzw. Anbieter und Verbrauchern bei Selbst- und Fremdemissionen Im Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem Verbraucher ist der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO, vorbehaltlich der weiteren Voraussetzungen, auf Kaufverträge zur Anwendung zu bringen. Unmittelbar zwischen dem Emittenten und dem Verbraucher werden sie nur im Rahmen von Selbstemissionen abgeschlossen. Unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO sind diese Verträge vollständig dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO entzogen, da der letzte Halbsatz dieser Regelung mangels Vorliegens einer Finanzdienstleistung nicht eingreift. Obwohl der Katalog in Anhang I Abschnitt A MiFID grundsätzlich auch den Verkauf von Wertpapieren zu den Finanzdienstleistungen zählt, fällt der Verkauf vom Emittenten nicht darunter, da es hierbei an dem unter der Rom I-VO für Finanzdienstleistungen erforderlichen Kundenbezug fehlt. d) Rechtsbeziehungen des Verbrauchers zu den übrigen Beteiligten bei einer Fremdemission Im Hinblick auf die Vertragsbeziehungen, die ein Verbraucher zum Zweck des Erwerbs eines oder mehrerer Wertpapiere aus der Emission mit einer anderen Person als dem Emittenten selbst eingeht, empfiehlt es
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sich, abweichend von dem vorangehenden Aufbau, die Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zunächst im Licht der Rückausnahme für Finanzdienstleistungen zu untersuchen. Grund hierfür ist, dass der Verkauf eines Wertpapiers seitens des Verkäufers nach obigen Grundsätzen immer zugleich einen Eigenhandel und damit eine Finanzdienstleistung an den Verbraucher darstellt, wenn der Verkäufer mit dem Emittenten nicht personenidentisch ist. Anders als das reine Eigengeschäft, das nach obigen Ausführungen zwar auch unter die MiFID, nicht aber unter Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO fällt, ordnet sich der Eigenhandel wegen des bei ihm vorausgesetzten Kundenbezugs213 als eine Finanzdienstleistung im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ein. Ob ein Kreditinstitut einen Kaufvertrag „für einen anderen“ abschließt, ist anhand einer Gesamtschau der Umstände des Geschäfts zu ermitteln.214 Der Verkauf emittierter Wertpapiere durch einen Dritten leitet seinen Kundenbezug daraus ab, dass er auf das Verlangen des Anlegers hin abgeschlossen wird.215 Die Bank geht die kaufrechtliche Verpflichtung nicht lediglich aus Eigeninteresse ein, sondern weil sie „für ihren Kunden tätig werden will“.216 Eine Emissionsbank oder eine andere Bank, die mit der Platzierung der Wertpapiere betraut worden ist, will mit dem Verkauf an einem Anleger zwar gleichfalls ihre Verpflichtung gegenüber dem Emittenten aus dem Übernahmevertrag bzw. gegenüber der sie beauftragten Emissionsbank erfüllen. Insofern erfüllt sie aber eine aus dem Universalbankensystem fließende217 „Doppelfunktion“218, welche die Qualifikation des Kaufvertrags als Wertpapierdienstleistung gegenüber dem Anleger nicht aufhebt:219 Wenn die Emissionsbank dem Publikum ein öffentliches Verkaufsangebot unterbreitet, wird sie im Auftrag des Emittenten tätig.220 Gibt ein Anleger daraufhin eine Kauforder an die Emissionsbank ab und teilt ihm die Bank Wertpapiere aus der Emission zu, so handelt sie wiederum im Auftrag 213
MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft, Rn. 81; Grundmann, in: Joost/Strohn (Hrsg.), § 2 WpHG Rn. VI55. 214 Schäfer, in: Schäfer/Hamann (Hrsg.), Kapitalmarktgesetze, § 2 WpHG Rn. 55. 215 Roth, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 192. 216 Seiler/Kniehase, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 104 Rn. 6. 217 Ekkenga/Maas, Wertpapieremissionen, Rn. 463 (S. 335). 218 Ekkenga/Maas, Recht der Wertpapieremissionen, Rn. 463 (S. 335); MüKo/ Ekkenga, HGB, Effektengeschäft Rn. 6. 219 MüKo/Ekkenga, HGB, Effektengeschäft Rn. 6. 220 MüKo/K. Schmidt, HGB, Effektengeschäft Rn. 157.
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des Kunden.221 In der Regel stellt die Bank den Kundenbezug zum Anleger sogar schon vor Abschluss des Übernahmevertrags mit dem Emittenten dadurch her, dass sie die Zeichnungswünsche der Anleger einsammelt.222 Aus diesem Grund zählen die von einer Emissionsbank bzw. einer mit der Platzierung beauftragten Bank abgeschlossenen Kaufverträge ebenso zu den Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO wie der Verkauf durch einen Wertpapierhändler oder die Hausbank des Anlegers. Anders als im Fall des Verkaufs durch den Emittenten selbst, bei dem es mangels Fremdnützigkeit des Verkaufs ausgeschlossen ist, dass der Emittent mit dem Verkauf seiner Wertpapiere gleichzeitig eine Finanzdienstleistung im Sinne von Anhang I Abschnitt A Nr. 3 MiFID erbringt, stellt sich nun im Verhältnis zwischen einem Anleger und einer Emissionsbank oder einer dritten Person, von der ein Anleger Wertpapiere aus der Emission erwirbt, zwingend die Frage, in welchem Verhältnis der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zur Rückausnahme für Finanzdienstleistungen steht. aa) Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Kaufverträge über Wertpapiere aus Fremdemissionen Bei strenger Befolgung des Wortlauts der Regelung hätte die Qualifikation dieser im Rahmen einer Emission von anderen Personen als dem Emittenten selbst mit den Anlegern abgeschlossenen Kaufverträge als Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO zur Folge, dass die Rückausnahme eingreifen würde und der Kaufvertrag wieder dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO zugewiesen wäre. Der Einschränkung des letzten Halbsatzes, „sofern es sich dabei nicht um die Erbringung einer Finanzdienstleistung handelt“, käme innerhalb der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO große praktische Bedeutung insofern zu, als unter ihr außer dem Emittenten selbst kein anderer Verkäufer von dem mit der Ausklammerung verfolgten Schutzzweck profitieren würde. Die von Emissions- bzw. Drittbanken abgeschlossenen Verträge würden den speziellen Kollisionsregeln für Verbraucherverträge in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO unterliegen und mit einer Rechtswahl ließe sich nicht verhindern, dass im Zweifel nach Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO fremde Verbraucherregelungen eingreifen können. Zugleich hätte der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d 221 MüKo/K. Schmidt, HGB, Effektengeschäft Rn. 184; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2271 (S. 1155). 222 Du Buisson, WM 2003, 1401, 1403.
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Alt. 2 Rom I-VO – zumindest im Hinblick auf die Varianten der „Ausgabe“ und des „öffentlichen Angebots“ – nur einen sehr eng gezogenen Anwendungsbereich, reduziert auf Selbstemissionen, die das emittierende Unternehmen mittels einer öffentlichen Platzierung durchführt. Auf solche sehr seltenen Ausnahmefälle zugeschnitten stünde die praktische Relevanz dieser Regelung sehr in Zweifel. Dieses Ergebnis steht unter dem Vorbehalt, dass der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und die Rückausnahme für Finanzdienstleistungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d a. E Rom I-VO in einem Verhältnis zueinander stehen, das an der Person des Verkäufers der emittierten Wertpapiere ausgerichtet ist. Bislang sind die Vertragsverhältnisse zwischen einer anderen Person als dem Emittenten selbst und einem Verbraucher jedoch lediglich im Lichte der Rückausnahme für Finanzdienstleistungen untersucht worden. Allein daraus, dass sich der Wertpapierverkauf von anderen Personen als dem Emittenten selbst als eine Finanzdienstleistung im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom IVO qualifiziert, lässt sich noch nicht der Rückschluss ziehen, dass diese Vertragsverhältnisse vollständig der speziellen Kollisionsregel für Verbraucherverträge in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO unterstellt sein sollen. Ansonsten würde der Begriff der Finanzdienstleistung vorgeben, welchen Anwendungsbereich der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und der Rückausnahme für Finanzdienstleistungen jeweils haben. Da der Begriff der Finanzdienstleistung durch den Zweck geprägt ist, den die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO verfolgt, und sich dieser Zweck anhand des Zusammenspiels von Ausnahme und Rückausnahme ermittelt, würde eine solche Auslegung, ausschließlich ausgehend von dem Begriff der Finanzdienstleistung, in einem unzulässigen Zirkelschluss resultieren. An dieser Stelle steht daher lediglich fest, dass Ausnahme und Rückausnahme, anders als im Falle des Vertragsverhältnisses zwischen dem Emittenten und dem Verbraucher, möglicherweise sachlich ineinander übergreifen und zwischen ihnen ein Abgrenzungskriterium gefunden werden muss. In welchem Verhältnis der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und die Rückausnahme für Finanzdienstleistungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO zueinander stehen, ist daher in einer umfassenden Auslegung zu ermitteln, in die der Begriff der Finanzdienstleistung zumindest als Indiz mit einfließen kann.
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(1) Grammatische Auslegung Der Regelungstext des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO stellt in all seinen sprachlichen Fassungen lediglich die „Ausgabe“ und das „Angebot“ als kapitalmarktrechtliche Transaktion an sich, nicht aber die Person des Ausgebenden bzw. Anbietenden in den Mittelpunkt. Welche Rechtsverhältnisse die Regelung darunter adressiert, konkretisieren wiederum die Erwägungsgründe 26, 28 und 29: Unter die „Rechte und Pflichten“, die über Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO entzogen werden, sollen danach (i) „alle Aspekte fallen, durch die sich der Emittent gegenüber dem Verbraucher verpflichtet“;223 (ii) diese betreffen „das Vertragsverhältnis zwischen dem Emittenten bzw. Anbieter und dem Verbraucher“;224 (iii) einem einzigen Recht unterliegen sollen schließlich „alle Vertragsaspekte eines Angebots, durch das sich der Emittent bzw. Anbieter gegenüber dem Verbraucher verpflichtet“.225 Nach dem Wortlaut der Erwägungsgründe findet die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zusammengefasst lediglich Anwendung auf die vertraglichen Beziehungen zwischen dem Emittenten bzw. Anbieter und einem Verbraucher. Ob sie zu diesen vertraglichen Beziehungen auch andere als die zwischen dem Emittenten und dem Anleger zählt, hängt mithin davon ab, wie die in den Erwägungsgründen bezeichnete Person des Anbieters zu verstehen ist. Im Unterschied zur präzisen Bezeichnung des Emittenten ist die Bezeichnung Anbieter auf keinen bestimmten Personenkreis im Rahmen einer Emission festgelegt. Als Anbieter lässt sich einerseits die Person bezeichnen, die im Rahmen einer Sekundäremission das funktionelle Äquivalent zum Emittenten bei der Neuemission darstellt, so beispielsweise der bereits genannte Großanleger, der sein Aktienpaket in Streubesitz überführen will (Anbieter im engeren Sinne). Andererseits ist grundsätzlich jeder Anbieter, der ein Angebot zum Verkauf eines oder mehrerer Wertpapiere abgibt (Anbieter im weiteren Sinne).226 Einer engen kapitalmarktrechtlich geprägten Auslegung des Begriffs Anbieter steht damit ein weites, vertragsrechtlich fundiertes Verständnis des Anbieters gegenüber. Nur wenn letzteres Verständnis zutrifft, fallen auch solche Verträge, die Verbraucher mit einer Emissionsbank oder einer anderen Bank zum Zweck des Erwerbs eines Wert223
Erwägungsgrund 26 in der Rom I-VO. Erwägungsgrund 28 in der Rom I-VO. 225 Erwägungsgrund 29 in der Rom I-VO. 226 Garcimartín Alferéz, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 92. 224
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papiers aus der Emission eingehen, in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO. Ist der Begriff des Anbieters unter der Rom I-VO hingegen auf das kapitalmarktrechtliche Verständnis beschränkt, so sind solche Verträge von vorneherein nicht von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO erfasst und das Abgrenzungsproblem zur Rückausnahme für Finanzdienstleistungen stellt sich erst gar nicht. Ein Indiz dafür, dass unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO das enge, kapitalmarktrechtliche Verständnis und nicht der weite, vertragsrechtliche Begriff des Anbieters gewollt ist, ist die kohärente Begriffswahl zwischen dem Wortlaut von Regelungstext und Erwägungsgründen. Der alternativen Benennung von Emittenten und Anbieter, die in den Erwägungsgründen („Emittent bzw. Anbieter“) in Gebrauch ist, entspricht, dass der Regelungstext selbst zwischen den Fallgruppen „Ausgabe“ und „öffentliches Angebot“ differenziert. Wenn nun die Person des „Emittenten“ auf die „Ausgabe“ und die des „Anbieters“ auf das „öffentliche Angebot“ rekurriert und, wie oben festgestellt,227 der Begriff „Ausgabe“ speziell für die Neuemission steht, so ließe sich hieraus der Rückschluss ziehen, dass mit der Bezeichnung „Anbieter“ nur der Initiator einer Sekundäremission gemeint sein dürfte. Im Lichte des Zusammenspiels zwischen dem Regelungstext und den Erwägungsgründen 26, 28 und 29 ist im Ergebnis eine Auslegung vorzugswürdig, die den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ausschließlich auf das Vertragsverhältnis zwischen Emittent bzw. seinem sekundärmarktrechtlichen Äquivalent begrenzt und alle mit Dritten abgeschlossenen Kaufverträge vollumfänglich der Kollisionsregel für Verbraucherverträge zuweist. (2) Genetische Auslegung Für die Frage, ob sich der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO lediglich auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Emittenten bzw. Anbieter und dem Verbraucher beschränkt, könnte sich die in den Entstehungsmaterialien angedeutete Ergänzungsfunktion dieses Ausnahmetatbestands zu Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nutzbar machen. Danach wurde der zweite Ausnahmetatbestand in seiner damaligen Fassung („Verträge zur Zeichnung oder zum Kauf von neu ausgegebenen Wertpapieren“) ursprünglich zu dem Zweck aufgestellt, all diejenigen Aspekte zu erfassen, die nicht bereits von dem ersten Ausnahmetatbestand, dem jetzigen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO, 227
S.o. Kapitel 4: D. II. 1. a) Neuemissionen und Sekundäremissionen.
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zwingend ausgeklammert würden.228 In den Worten der Kommissionsdienststellen ging es um diejenigen Rechte und Pflichten, die nicht „Bestandteil des Finanzinstruments selbst“ seien.229 An dieser Stelle ist in Erinnerung zu rufen, dass der Adressat der Pflichten, die in dem Finanzinstrument gebündelt sind, immer nur der Aussteller dieses Finanzinstruments ist. Wurde mit der Aufnahme von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO der Zweck verfolgt, ergänzend Verpflichtungen auszuklammern, die nicht Teil des Finanzinstruments selbst sind, so müsste der Anknüpfungspunkt zum ersten Ausnahmetatbestand darin bestehen, dass die geschützten Personen beider Ausnahmetatbestände identisch sind. Anders ließe sich die Funktion des zweiten Ausnahmetatbestands als eine Art Angst-Klausel nach dieser Begründung nicht erklären, da eine Verpflichtung, die nicht den Emittenten selbst, sondern einen Dritten trifft, von vorneherein grundsätzlich nicht Bestandteil des Finanzinstruments selbst sein kann. Das Problem, nicht eindeutig bestimmen zu können, ob ein bestimmter Aspekt noch als Bestandteil des Finanzinstruments selbst oder als eine davon zu differenzierende Verpflichtung einzuordnen ist, kann als solches nur in Bezug auf solche „Rechte und Pflichten“ relevant werden, die unmittelbar den Emittenten selbst betreffen. Die Kommissionsdienststellen bringen diese Erwägung mit der einleitenden Erläuterung auf den Punkt, dass „hier wichtig ist, dass der Emittent bei einer einzelnen Emission nicht das Risiko läuft, dass, je nachdem, wo die Anleger ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, mehrere Rechtsordnungen zur Anwendung kommen“. Dies lässt keinen anderen Schluss zu als den, dass der neue Ausnahmetatbestand ausschließlich auf das vertragliche Rechtsverhältnis zwischen Emittenten und Anleger begrenzen sein sollte, wohingegen für alle anderen Vertragsverhältnisse weiterhin die speziellen Kollisionsregeln für Verbraucherverträge zur Anwendung kommen sollten. Im späteren Vermerk des Ausschusses für Zivilrecht (Rom I) über das Ergebnis der bis zu diesem Zeitpunkt stattgefundenen Verhandlungen wird diese Unterscheidung noch einmal ausdrücklich angesprochen: So heißt es „zum zweiten Gedankenstrich der Regelung“, womit die in diesem Entwurf noch vorgesehene Ausnahme für „Verträge zur Zeichnung oder zum Kauf von neu ausgegebenen übertragbaren Wertpapieren“ gemeint ist, dass einige Delegationen Zweifel an der Notwendigkeit 228
S.o. Kapitel 1: B. I. Genese von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO. Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 7. 229
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dieser Regelung und die Befürchtung geäußert hätten, dass sie auch Intermediäre erfassen würde. Daraufhin habe der Kommissionsvertreter erklärt, dass dieser Ausnahmetatbestand nicht „Finanzdienstleistungen generell“ abdecken soll, sondern nur „direkte Verträge zwischen Emittenten und Investoren“.230 Auch wenn danach der zweite Ausnahmetatbestand ursprünglich nur im Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem Verbraucher Anwendung finden sollte, lassen sich diese Erwägungen nur sehr eingeschränkt in der Auslegung des jetzigen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO verwenden. Sie sind deswegen problematisch, weil ihnen die Ausnahmeregelung in der Fassung zugrunde liegt, in der sie noch auf Neuemissionen beschränkt war. Bei einer Sekundäremission über bereits existente Wertpapiere kann sich jedoch dieses Problem, dass „in die vorstehend erörterte, eng gefasste Ausklammerung von Verträgen, die Finanzinstrumente beinhalten, ... vertragliche Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Zeichnung oder dem Kauf ... übertragbarer Wertpapiere nicht zwingend einbezogen“231 würden, von vorneherein nicht stellen. Mit der Erweiterung des Ausnahmetatbestands auf öffentliche Angebote über bereits existente Wertpapiere hat diese auf genetischer Auslegung beruhende Argumentation an Überzeugungskraft verloren. (3) Teleologische Auslegung In welchem Verhältnis der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und die Rückausnahme für Finanzdienstleistungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO zueinander stehen, ist maßgeblich auf Grundlage der Ratio zu ermitteln, auf die sich dieser spezielle Ausnahmetatbestand in Art. 6 Rom I-VO stützt. Die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO wurde in die spezielle Kollisionsregel für Verbraucherverträge zu dem Zweck aufgenommen, mögliche negative Anreize, welche diese Kollisionsregel infolge ihres sachlich erweiterten Anwendungsbereichs potentiell für Finanzmarkttransaktionen setzen könnte, von vorneherein auszuschalten. Aus Rechtssicherheitserwägun230
Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261/(COD), 13203/07 LIMITE, JUSTCIV 238 CODEC 978; Outcome of Proceedings from Committee on Civil Law Matters (Rome I) on 3 September 2007, dated 25 September 2007, S. 3. 231 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 5.
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Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2
gen macht es jedoch keinen Unterschied, ob der Emittent die Emission in Eigenregie durchführt und sich dazu unmittelbar selbst an das Publikum wendet oder ob er die Durchführung der Emission an ein Emissionskonsortium delegiert. Zwar ist ein Emittent, der ein Emissionskonsortium, sei es als Einheits-, Begebungs- oder Übernahmekonsortium in die Emission einschaltet, nicht unmittelbar durch die Regelung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO betroffen, da sein einziger Vertragspartner das Emissionskonsortium bzw. der Konsortialführer ist. Daraus aber abzuleiten, dass bei einer Fremdemission das Schutzbedürfnis des Emittenten nach Rechtssicherheit entfallen würde und Art. 6 Abs. 1, 2 Rom IVO deswegen vollumfänglich auf die Kaufverträge mit den Emissionsbanken Anwendung finden dürfte, griffe jedoch zu kurz. Angenommen, die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO fände nur auf Vertragsverhältnisse zwischen dem Emittenten232 und Verbrauchern Anwendung, nicht aber auf die Kaufverträge, welche die Emissionsbanken zum Zweck der Platzierung mit einem Anleger abschließen, so wäre der Emittent allein dadurch von der Kostenlast nicht befreit. Die potentiellen Rechtsrisiken infolge der Anwendung von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO würden in diesem Fall unmittelbar das für den Emittenten die Wertpapiere anbietende Emissionskonsortium treffen, welches sich den erhöhten Kostenaufwand, der ihm dadurch, beispielsweise durch die Beauftragung verschiedener legal opinions, entstünde, entsprechend vergüten lassen würde. Selbst wenn den Emittenten das aus Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO folgende Risiko des Eingreifens fremden Verbraucherrechts nicht unmittelbar träfe, wenn er sich lediglich auf die Veräußerung der Wertpapiere an die Emissionsbanken beschränkt und diesen die Platzierung am Kapitalmarkt überantwortet, fiele es ihm immer noch mittelbar durch eine entsprechend erhöhte Vergütungsverpflichtung (Provision) zur Last. Da viele Übernahmeverträge eine Kostenregelung enthalten, wonach der Emittent „sämtliche Kosten der Emission (einschließlich Mehrwertsteuer), insbesondere Rechtsberatungskosten, die den Banken im Zusammenhang mit der Begebung und Platzierung der Emission entstanden sind und noch entstehen“,233 übernimmt, würde die Einschaltung eines Emissionskonsortiums den Emittenten in vielen Fällen sogar von vorneherein nicht von den erhöhten Transaktionskosten entlasten können. Für die Emissionskonsortien bestünde kaum Anreiz, die 232
Von nun an umfasst der Begriff „Emittent“ ebenfalls den Anbieter bei Sekundäremissionen, sofern nicht ausdrücklich nur der Aussteller der Papiere gemeint ist. 233 Bosch, in: Bankrecht und Bankpraxis, Bd. 5, Emissionsgeschäft, Rn. 10/241 (Muster eines Übernahmevertrags für Pfandbriefemission, Artikel 4 Abs. 1 lit. d).
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Wertpapiere international anzubieten, sofern sie nicht entsprechend in Höhe der erhöhten Kosten kompensiert würden. Da Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO den Emittenten jedoch gerade vor erhöhten Transaktionskosten infolge von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO schützen will, würde der Zweck dieser Ausnahmeregelung verfehlt, wenn man die Kaufverträge zwischen Emissionsbanken und den Verbrauchern nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO einbeziehen, sondern den Anwendungsbereich auf Kaufverträge mit dem Emittenten selbst beschränken würde.234 Ferner lässt sich dieses Ergebnis damit begründen, dass die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Verträge zugeschnitten ist, die in einem einzigen kapitalmarktrechtlichen Vorgang massenhaft begründet werden und möglichst schnell und einfach abgewickelt werden müssen. Bei der Finanzdienstleistung im herkömmlichen Sinne tritt das Finanzdienstleistungsunternehmen hingegen in aller Regel vorab in einen persönlichen Kontakt mit den Kunden, der es ihm ermöglicht, die kollisionsrechtlichen Risiken aus dem Geschäft vorher abzuwägen. Mit dieser Unterscheidung verträgt es sich nicht, die kaufvertraglichen Rechte und Pflichten deswegen wieder dem Anwendungsbereich des Art. 6 Rom I-VO zu unterstellen, weil die MiFID ihrem Anhang I Abschnitt A Nr. 3 zufolge darunter eine „Wertpapierdienstleistung“ versteht. Sofern es um die kaufvertraglichen Pflichten geht, ist gerade nicht das individuelle Verhältnis zwischen der Bank und dem Verbraucher betroffen, sondern die Durchführung der Platzierung. Der Umstand, dass mit Abschluss des Kaufvertrags gleichzeitig einem Auftrag des Kunden Folge geleistet wird, hat daher unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO außer Betracht zu bleiben. Sofern ein Anleger ein Wertpapier oder mehrere Wertpapiere aus einer Emission von einer Bank erwirbt, die als Emissionsbank in die Emission eingeschaltet und mit der Platzierung der Wertpapiere betraut ist, kann daher die Rückausnahme nicht auf der Grundlage eingreifen, dass es sich bei dem Vertrag um eine Finanzdienstleistung des Kreditinstituts handeln würde. Entgegen seinem Wortlaut beschränkt sich der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht lediglich auf Vertragsverhältnisse zwischen dem Emittenten bzw. seinem funktionellen Äquivalent bei einer Sekundäremission, sondern erfasst auf Verkäuferseite zumindest auch solche Banken, die als Teil eines Emissionskonsortiums oder anderweitig in die Emission eingeschaltet worden sind und nach außen als Verkäufer auftreten. 234
Garcimartín Alférez, EuLF 2009, I-61, I-73.
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bb) Verkauf der emittierten Wertpapiere durch Emissionsbanken, -Konsortien und weitere Kreditinstitute unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Öffnet man den Anwendungsbereich des Ausnahmetatbestands des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Kaufverträge über die emittierten Wertpapiere mit anderen Personen als dem Emittenten selbst, so stellt sich zwingend die Folgefrage, wie weit der Kreis der schutzbedürftigen Wertpapierverkäufer unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zu ziehen ist. Wie oben dargelegt,235 werden die Kaufverträge nicht nur durch die Emissionsbanken selbst abgeschlossen, sondern die Emissionsbanken bedienen sich bei der Platzierung in aller Regel selbst weiterer Kreditinstitute und Banken oder aber die Anleger erwerben die Papiere bei ihrer Hausbank, die wiederum die Wertpapiere von der Emissionsbank beschafft. Um eines oder mehrere Wertpapiere aus der Emission zu erwerben, kann sich der Verbraucher damit grundsätzlich an einen größeren Verkäuferkreis wenden. (1) Auffinden eines Eingrenzungskriteriums Eine Trennlinie zwischen den Verträgen, die als reguläre Verbraucherverträge der Regelung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO zugewiesen sind, und denjenigen, die nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO von ihr ausgeklammert sind, könnte anhand der Zuordnung zum Emissionskonsortium gezogen werden. Alle Kreditinstitute, die Teil des Emissionskonsortiums sind, könnten danach Wertpapiere aus der Emission an Verbraucher veräußern, ohne sich dadurch dem aus der Anwendung von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO fließenden Risiko auszusetzen. Hierfür ließe sich zwar anführen, dass das Emissionskonsortium bzw. die Emissionsbanken mit Übernahme der Platzierungsverpflichtung auf Seiten des Emittenten stehen, d.h. gegenüber dem Publikum die Position des Emittenten einnehmen. Ob eine Bank in ein Emissionskonsortium eingegliedert wird oder der mit dem Emittenten verhandelnde primary underwriter weitere Banken einfachvertraglich in den Platzierungsprozess einschaltet, hängt jedoch gewöhnlich mit rechtskulturellen Gründen, d.h. mit der üblichen Emissionspraxis im Heimatrecht des Konsortialführers bzw. primary underwriters zusammen. Anstatt kategorisch nach der Zugehörigkeit einer Bank zum Emissionskonsortium abzugrenzen, muss
235
Kapitel 4: D. II. 2. 2. b) bb) Involvierung weiterer Banken in den Emissionsprozess.
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ein Kriterium gefunden werden, dass sich unabhängig von einer national bevorzugten Emissionstechnik anwenden lässt. Eine weitere Möglichkeit der Differenzierung besteht darin, den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf diejenigen Kaufverträge einzugrenzen, die den Übergang der Wertpapiere in den Sekundärmarkt, die Einführung in den Wertpapierhandel, markieren. Diese Differenzierung knüpft an den Schutzzweck des Ausnahmetatbestands an, der ausweislich von Erwägungsgrund 28 darin besteht, „die Einheitlichkeit der Bedingungen einer Ausgabe oder eines Angebots“, mithin die Verkaufsbedingungen der Wertpapiere sicherzustellen, da nur unter der Voraussetzung, dass alle Anleger die emittierten Wertpapiere zu den gleichen Bedingungen zeichnen bzw. erwerben, die Platzierung der Wertpapiere unkompliziert ablaufen kann. Die Platzierung markiert den Vorgang, in dem die Wertpapiere erstmalig in den Sekundärmarkt eingeführt werden. Nach Abschluss der Platzierung besteht kein Bedürfnis mehr nach einer einheitlichen Regelung der Kaufverträge, weil die jeweiligen Verkäufer nicht darauf angewiesen sind, eine Masse an Wertpapieren in einem Akt zu verkaufen. (2) Ausklammerung aller Platzierungsverträge Um den Zweck, einen möglichst reibungslosen Ablauf der Platzierung zu gewährleisten, erfüllen zu können, muss sich der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO daher auf alle Kaufverträge erstrecken, die zum Zweck der Platzierung abgeschlossen werden, im Folgenden bezeichnet als „Platzierungsverträge“. Horn definiert den Begriff des Platzierungsvertrags als einen „Veräußerungsvertrag, aufgrund dessen Konsorten, Verkaufsgruppenmitglieder oder andere Wertpapierhändler erstmals an Anleger veräußern, d.h. Personen, welche die Papiere mit der Absicht erwerben, sie längere Zeit als Vermögensanlage zu behalten“.236 Diese Definition ist insofern ungenau, als sie sich auch auf Kaufverträge in Anwendung bringen lässt, die lediglich anlässlich einer Emission abgeschlossen werden. Beispielsweise verkauft auch eine Bank, die sich bei einer Emissionsbank mit Wertpapieren aus der Emission eingedeckt hat und diese an ihre Kunden weiter vertreibt, die Papiere „erstmalig an Anleger“, obwohl sich dieser Kaufvertrag mit den Kunden bereits als ein Geschäft des Sekundärmarkts einordnet. Die Definition Horns ist daher um das Kriterium zu ergänzen, dass der Veräußerer mit dem Verkauf der Wertpapiere ein 236
Horn, Recht der int. Anleihen, S. 208.
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Platzierungsgeschäft im Sinne von Anhang I Abschnitt A Nr. 6 bzw. 7 MiFID tätigt. Für die Einordnung eines Vertrags als ein Platzierungsgeschäft können die von der BaFin aufgestellten Kriterien herangezogen werden. Danach ist ein „Zusammenhang der ... Tätigkeit zur Emission“ erforderlich, der durch die Vereinbarung einer „Platzierungsabrede“ hergestellt wird.237 Unter einer solchen Platzierungsabrede will die BaFin wiederum eine Abrede verstanden wissen, „durch die der Emittent den oder die Platzierenden mit der Unterbringung der von ihm emittierten Wertpapiere beauftragt“.238 Indem sie die Person des Auftraggebers mit der des Emittenten gleichsetzt, engt die BaFin die Definition jedoch auf die Verhältnisse ein, an denen der Emittent unmittelbar beteiligt ist. Ein sub-underwriter, der sich gegenüber einem primary underwriter dazu verpflichtet, die Wertpapiere bei den Anlegern unterzubringen, hätte nach dieser Definition keine Platzierungsabrede mit seinem Vertragspartner, dem primary underwriter, getroffen und würde mit dem Verkauf der Wertpapiere keine Platzierungsgeschäfte tätigen. Die enge Definition der BaFin berücksichtigt daher nicht ausreichend die in der Praxis übliche Verteilung der Emission innerhalb des Konsortiums oder in gesonderten Kaufverträgen zur Verbreiterung des Absatznetzes. Für das Vorliegen eines Platzierungsgeschäfts muss es daher genügen, dass sich der Auftrag zur Platzierung zumindest mittelbar über eine Kette von Platzierungsabreden auf den Emittenten zurückführen lässt.239 Eine ausdrückliche schriftliche Vereinbarung ist hierfür nicht erforderlich.240 Zuletzt ist ergänzend zu fordern, dass das Kreditinstitut den Kaufvertrag auch in Ausführung ihres Platzierungsauftrags abschließt. Dadurch soll gewährleistet werden, dass ein Kreditinstitut, das Teil der Vertriebsorganisation einer Emission war, kein Platzierungsgeschäft mehr abschließt, wenn es im Anschluss an den eigentlichen Platzierungsvorgang Wertpapiere aus der Emission verkauft, die es während der Platzierung nicht
237
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Platzierungsgeschäfts mit Stand vom 10. Dezember 2009, Nr. 1 lit. c, abrufbar unter: , Daten & Dokumente, Merkblätter. 238 Zu beachten ist jedoch, dass die BaFin die Definition zum einen nur auf Neuemissionen anwendet, wohingegen für die hier vorzunehmende Abgrenzung es nicht darauf ankommen soll, ob es sich um neu ausgegebene oder bereits existente Wertpapiere handelt. Zum anderen geht sie davon aus, dass darunter nur Geschäfte eines Unternehmens fallen, das die Wertpapiere nicht gleichzeitig übernommen hat. 239 So im Ergebnis auch für die Auslegung dieses Begriffs im WpHG: Assmann, in: Assmann/U. Schneider (Hrsg.), WpHG, § 2 Rn. 97. 240 Für den Begriff der Platzierung im WpHG: du Buisson, WM 2003, 1401, 1402.
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hatte absetzen können.241 Zeitlich greift Art. 6 Abs. 4 lit. d lt. 2 Rom I-VO demnach nur so lange ein, wie die (Emissions-)Bank in Ausführung ihres Platzierungsauftrags tätig ist. Ausschlaggebend hierfür muss ihr Platzierungswille sein, auf dessen Vorliegen objektiv für alle Geschäfte geschlossen werden kann, die innerhalb weniger Tage oder Wochen nach der Übernahme der Wertpapiere und der Abgabe des öffentlichen Angebots abgeschlossen werden. (3) Nicht von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ausgeklammerte Verträge Der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO schließt alle Kaufverträge aus, die nicht nur anlässlich einer Emission neuer oder der Umplatzierung bereits existenter Wertpapiere abgeschlossen werden, sondern darüber hinaus zu dem Zweck, dem vom Emittenten übernommenen Platzierungsauftrag nachzukommen. In den Anwendungsbereich der Verbraucherkollisionsnorm hingegen fällt beispielsweise der Erwerb von emittierten Wertpapieren von einem Eigenhändler, der sich selbst zuvor bei einer Emissionsbank prophylaktisch mit Papieren aus der Emission eingedeckt hat und diese an seine Kunden durch ein Festgeschäft veräußert. Auf die Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO kann sich auch die Hausbank eines Anlegers nicht berufen, sofern sie nicht identisch mit einer Emissionsbank ist. In diesen Fällen handelt es sich bei den Erwerbsgeschäften um typische Handelsgeschäfte am Sekundärmarkt, für die im Lichte des Telos von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO kein Schutzbedürfnis besteht. Der Eigenhändler und die Hausbank stehen nicht auf Seiten des Emittenten bzw. des Emissionskonsortiums, sondern treten ihm als Käufer gegenüber. e) Erfordernis einer Abgrenzung zwischen einzelnen Rechten und Pflichten innerhalb des Vertragsverhältnisses zwischen Emittent bzw. Anbieter und Verbraucher Findet der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO seinem Sinn und Zweck nach gleichermaßen auf Direktverträge des Verbrauchers mit dem Emittenten bzw. Anbieter als auch auf Platzierungsverträge Anwendung, so ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen dieser Ausnahmeregelung und der Rückausnahme damit noch 241
Für den Begriff der Platzierung im WpHG: Oelkers, WM 2001, 340, 341; Schäfer, WM 2002, 361, 364.
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nicht abschließend beantwortet. Es bleibt zu untersuchen, ob diese Vertragsverhältnisse vollständig aus dem Anwendungsbereich der Kollisionsregel für Verbraucherverträge ausgeklammert sind oder ob die Rückausnahme für die Erbringung von Finanzdienstleistungen wieder einzelne Rechte und Pflichten der speziellen Kollisionsregel für Verbraucherverträge in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO zuweist. aa) Trennung zwischen Vertragsabschluss- und Erfüllungsphase In der Literatur wird vorgeschlagen, die Abgrenzung zwischen Ausnahme und Rückausnahme anhand einer zeitlich definierten Trennlinie vorzunehmen, die danach unterscheidet, ob sich die fraglichen Rechte und Pflichten der „Vertragsabschlussphase“ oder der nachfolgenden „Erfüllungsphase“ zuordnen lassen.242 Zäsur, d.h. die Trennlinie zwischen dem Eingreifen der Ausnahme und dem der Rückausnahme, soll danach der Abschluss des einzelnen Vertrags sein. Begründet wird diese Differenzierung damit, dass sich in der Vertragsabschlussphase „die einheitliche Anbahnung und Gestaltung einheitlicher Verträge“ abspiele.243 Damit der Anbieter „einheitliche, nicht national differenzierte Angebote auf der Grundlage einheitlicher Bedingungswerke und zu einheitlichen Konditionen machen könne“,244 müsse in dieser Phase die Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO gelten. Sobald jedoch der Vertrag mit dem einzelnen Anleger abgeschlossen sei, setze die Erfüllungsphase und mit ihr die Geltung der Rückausnahme in Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO ein. In der Erfüllungsphase falle das kollektive Element, welches noch in der Vertragsabschlussphase die Geltung der Ausnahmeregelung gerechtfertigt habe, weg, da der Anbieter nun „seinen einzelnen Kunden vor Augen“ habe.245 Soweit es um die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem einzelnen Vertrag gehe, könne der Anbieter daher das Risiko auf konkreter Grundlage beurteilen, weswegen kein Bedürfnis mehr dafür bestehe, ihn vor der Anwendung von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO zu schützen. Daher ordne Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO die Anwendung der besonderen Kollisionsregel für Verbraucherverträge auf die Rechte und Pflichten aus dem einzelnen Vertrag an.246 Diese Unterscheidung wird um die Klarstellung ergänzt, dass sich der Anwendungsbereich der Rückausnahme nicht auf die 242
Mankowski, RIW 2009, 98, 105 f. Mankowski, RIW 2009, 98, 105 f. 244 Mankowski, RIW 2009, 98, 105. 245 Mankowski, RIW 2009, 98, 105. 246 Mankowski, RIW 2009, 98, 105. 243
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Bedingungen des Vertragsverhältnisses erstrecken solle, die der Anbieter zum Gegenstand seines Angebots gemacht habe und die mit Zustandekommen des Kaufvertrags Vertragsgegenstand geworden seien. Obwohl die Erfüllung der darin niedergelegten Verpflichtungen in die Rückausnahme falle, dürften sie nicht nachträglich an den Verbraucherregelungen im Heimatrecht des Verbrauchers gemessen werden. Stattdessen bleibe der Pflichteninhalt mit der Ausgestaltung bestehen, die er unter Anwendung des gewählten bzw. objektiv einschlägigen Rechts ohne Intervention durch mögliches Verbraucherecht erlangt habe.247 Dem Anwendungsbereich der Rückausnahme wird darüber hinaus noch der Abschluss des einzelnen Vertrags zugerechnet, da der Anbieter „insoweit hat ... beurteilen können, welches Rechtsanwendungsrisiko er eingeht, wenn er einen Vertrag mit einem bestimmten Kunden abschließt“.248 Auf Grundlage dieser zeitlichen Abgrenzung wäre die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO wie folgt anzuwenden: Mit welchem Inhalt die aus dem öffentlichen Angebot resultierenden Kaufverträge zustande gekommen sind, würde sich nach Maßgabe des gewählten Rechts bzw. bei fehlender Rechtswahl nach Maßgabe des objektiv anwendbaren Rechts bestimmen. Fremdes Verbraucherrecht, je nach gewöhnlichem Aufenthalt eines Käufers, bliebe dagegen wegen der Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO unberücksichtigt. Allerdings würde dies nur für den Inhalt der Verträge gelten. Nach welchen Rechten und Pflichten sich das wirksame Zustandekommen des einzelnen Vertrags richtet, gäbe wiederum nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO das Verbraucherrecht vor bzw. würde sich anhand eines Vergleichs nach Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO ermitteln. Da der Inhalt der zu erfüllenden Pflichten noch in die Ausnahme fallen und die Rückausnahme „nicht zu einer Inhaltskontrolle führen“249 soll, würden sich die rechtlichen Aspekte, die im Zusammenhang mit der Erfüllung der einzelnen Verträge neben dem Vertragsabschluss der Rückausnahme unterliegen, unter anderem auf die Übermittlung von Weisungen oder Fragen der individuellen Anlageberatung beschränken.250
247
Mankowski, RIW 2009, 98, 106. Mankowski, RIW 2009, 98, 105. 249 Mankowski, RIW 2009, 98, 106. 250 Mankowski, RIW 2009, 98, 105. 248
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bb) Stellungnahme zu den Differenzierungsvorschlägen Diese Differenzierung zwischen der Vertragsabschluss- und der Vertragserfüllungsphase hat zwar für sich, dass sie auf die Vermeidung der aus der Rechtsunsicherheit bzw. „Unvorhersehbarkeit“ folgenden Risiken abstellt, wie sie unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO beabsichtigt ist: So lange dem Emittenten bzw. Anbieter ein anonymer Kreis an potentiellen Interessenten gegenüber steht, fällt die Rechtsunsicherheit zu seinen Lasten besonders hoch aus, wohingegen sie ab dem Zeitpunkt kalkulierbar wird, zu dem die einzelnen Vertragspartner feststehen. Dass es sich hierbei jedoch insbesondere um eine begriffliche Unterscheidung handelt, wird anhand der Beispiele deutlich, die für die unter die Rückausnahme zu fassenden Aspekte genannt werden: Diese werden gerade nicht „in Erfüllung des einzelnen Kaufvertrags über die emittierten Wertpapiere erbracht“,251 sondern sind demgegenüber eigenständige Leistungen. Nur dann, wenn ein Vertrag neben dem Verkauf eines Wertpapiers zugleich auch die Erbringung einer Finanzdienstleistung zum Gegenstand hat, würde diese in Erfüllung dieses Vertrags erbracht und würde die vorgeschlagene Differenzierung Sinn machen. In diesem Sinn weist Müller nur „die Abwicklung der Verpflichtung zu einer Finanzdienstleistung“252 der Rückausnahme zu253 und setzt damit implizit voraus, dass der Vertrag, in dem sich der Anbieter zur Erbringung der Finanzdienstleistung verpflichtet, in die Ausnahme des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom fällt. Denn würde er nicht von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ausgeklammert, sondern von vorneherein in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO fallen, hätte es nach seiner Auslegung dieser Rückausnahme nicht bedurft. Abgeleitet wird dieser Ansatz vorrangig aus dem Wortlaut des Regelungstextes und aus Erwägungsgrund 26: Wortlaut und Erwägungsgrund stellen jeweils nicht auf eine Finanzdienstleistung, sondern präziser auf die Erbringung einer Finanzdienstleistung ab, worin nach Müller ein gewollter inhaltlicher Unterschied liegen soll.254 Diesem Wortlautargument stehen jedoch gewichtige Gegenargumente gegenüber: Zunächst folgt die Beschränkung der Rückausnahme auf solche Aspekte, die lediglich die Abwicklung der Finanzdienstleistung betreffen, nicht aus der Genese des jetzigen Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO. Im Gegenteil, die Entstehungsmaterialien belegen, dass bereits Verträge über die Erbringung einer 251
Mankowski, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2384. Hervorhebung durch Verfasserin. 253 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 346. 254 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 347. 252
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Finanzdienstleistung der besonderen Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge unterliegen sollen. So heißt es im Vermerk der Kommissionsdienststellen vom 15. März 2007 erläuternd zum Vorentwurf, dass „Verträge über Finanzdienstleistungen“255 nicht ausgenommen seien.256 Damit stünde es im Widerspruch, wenn die Verpflichtung über die Erbringung einer Finanzdienstleistung über Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO entzogen wäre. Hinzu tritt, dass der Vertragstyp, der in den Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO fällt, durch die Merkmale „Ausgabe, öffentliches Angebot, öffentliches Übernahmeangebot über übertragbare Wertpapiere“ sowie „Zeichnung und Rückkauf von OGAW-Anteilen“ als Kauf- oder Tauschvertrag charakterisiert ist. Ungeachtet dessen, dass sich nach obigem Untersuchungsergebnis grundsätzlich auch der Verkauf von Wertpapieren als eine Finanzdienstleistung im Sinne von Anhang I Abschnitt A Nr. 3 MiFID einordnen lässt, enthält der typische Dienstleistungsvertrag, wie er insbesondere in den anderen Nummern desselben Katalogs niedergelegt ist und wie er nach Müller in die Ausnahme fallen würde, grundsätzlich keine kaufvertraglichen Elemente. Zusammengefasst setzt sich die Abgrenzung zwischen der Vertragsabschlussphase einerseits und der Erfüllungsphase andererseits entweder der Kritik aus, dass sie eine künstliche Differenzierung vornimmt, die im Begriff der Erfüllung selbst nicht angelegt ist; oder aber sie beruht auf der unbegründeten Prämisse, dass sich die Ausnahme des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ebenfalls auf Verpflichtungen über Finanzdienstleistungen erstreckt. Die Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Erfüllungsphase bzw. die Beschränkung der Rückausnahme lediglich auf im Zusammenhang mit der Abwicklung des Kaufvertrags relevanten Fragen vermag das Abgrenzungsproblem daher nicht zufrieden stellend zu lösen. Eine derartige Differenzierung zwischen einzelnen Rechten und Pflichten innerhalb eines Kaufvertrags ist auch nicht wegen des Wortlauts der Regelung geboten. Zwar scheint sie mit diesem auf den ersten Blick in Einklang zu stehen, da nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO aus dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO lediglich (einzelne) „Rechte und Pflichten“ ausgeklammert sind, wohingegen die anderen 255
Hervorhebung durch die Verfasserin. Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 4. 256
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Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO allesamt (ganze) „Verträge“ ausnehmen. Die Abweichung im Wortlaut der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO von den anderen Ausnahmetatbeständen in Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO scheint damit die zweite Auslegungsvariante zu unterstützen: Wenn die Regelung Verträge im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wertpapieren vollumfänglich dem Anwendungsbereich der allgemeinen Regelung für Verbraucherverträge entziehen wollte, ist einerseits nicht nachvollziehbar, warum sie die ausgenommenen Verpflichtungen nicht – wie in Art. 6 Abs. 4 lit. a bis c und e Rom I-VO – ausdrücklich als „Verträge“ gekennzeichnet hat. Andererseits lautete dieser Ausnahmetatbestand in seiner Vorversion vom 15. März 2007 noch nicht auf „Rechte und Pflichten“, sondern auf „Verträge“. Die Entscheidung des Verordnungsgebers, von diesem Wortlaut Abstand zu nehmen mit dem Ergebnis, den Begriff „Verträge“ durch den der „Rechte und Pflichten“ auszutauschen, lässt sich sowohl für als auch gegen einen weiten Ausnahmetatbestand interpretieren. So könnte es sich nur um eine formelle Änderung gehandelt haben, die der Verordnungsgeber zu dem Zweck vorgenommen haben könnte, den zweiten Ausnahmetatbestand äußerlich an den ersten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO anzugleichen, für den von Beginn an der Begriff der „Rechte und Pflichten“ verwendet wurde. Gerade im Entstehungsprozess einer Norm, in dem noch der genaue Regelungsgehalt der Norm in Frage steht, ist es jedoch wahrscheinlicher, dass es sich bei einer Änderung im Wortlaut nicht nur um eine formale Änderung handelt, sondern der Regelung auch einer anderer Inhalt zukommen soll. Da sich den Entstehungsmaterialien nicht entnehmen lässt, aus welchem Grund Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO, anders als in seiner Vorversion, nicht mehr von „Verträgen“ spricht, hilft die genetische Auslegung an dieser Stelle nicht weiter. Im Rahmen der teleologischen Auslegung ist Erwägungsgrund 26 zu beachten. Erwägungsgrund 26 stellt die Forderung auf, dass „alle Aspekte ..., durch die sich der Emittent bzw. Anbieter gegenüber dem Verbraucher verpflichtet“, dem Ausnahmetatbestand zuzurechnen sind, „nicht aber diejenigen Aspekte, die mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen im Zusammenhang stehen“. Daraus lässt sich ablesen, dass die Aspekte, die in den Ausnahmetatbestand fallen, und diejenigen, die als „Erbringung von Finanzdienstleistungen“ wieder Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO zugewiesen sind, im Verhältnis der Exklusivität zueinander stehen. Daher kann sich ein und dieselbe Verpflichtung nicht gleichzeitig als ausgenommene Verpflichtung im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und als „Erbringung von Finanzdienstleistung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO einordnen.
D. Verträge über übertragbare Wertpapiere
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cc) Zwischenergebnis zur Abgrenzung zwischen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und der Rückausnahme für Finanzdienstleistungen bei Fremdemissionen Die beschriebene Abgrenzungsproblematik beschränkt sich auf den im Rahmen einer Fremdemission denkbaren Fall, dass der Verbraucher direkt von einer Emissionsbank erwirbt. Nur dann ist eine Abgrenzung zu ziehen zwischen den Rechten und Pflichten, die Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO unterliegen, und denjenigen Verpflichtungen, die von der Anwendung dieser Regelung befreit sind. Nach hier vertretener Ansicht fallen die kaufvertraglichen Verpflichtungen in die Ausnahmeregelung,257 wohingegen auf zusätzlich getroffene Vereinbarungen die Kollisionsregel für Verbraucherverträge Anwendung findet.258 Trifft die Bank beispielsweise mit dem Verbraucher eine weitere Vereinbarung über die Verwahrung der zu erwerbenden Wertpapiere in einem Depot und deren Verwaltung, so handelt es sich dabei um eine Verpflichtung, die zwar anlässlich des Wertpapierkaufs übernommen wird, die aber lediglich das individuelle Verhältnis zwischen der Bank und dem Verbraucher betrifft. Bei Abschluss dieser Vereinbarung wird die Bank nicht mehr im Rahmen ihres Platzierungsauftrags tätig, sondern bietet eigenständig eine über den Verkauf hinausgehende Leistung an, durch die sie nicht in ihrer Funktion als Anbieter, sondern in ihrer Funktion als Wertpapierdienstleistungsinstitut verpflichtet wird.259 Der Vorschlag, die Abgrenzung stattdessen anhand der Unterscheidung zwischen der Vertragsanbahnungs- und der Erfüllungsphase vorzunehmen, will zwar im Ergebnis auf dasselbe hinaus, nämlich die Ausklammerung lediglich der kollektiven Aspekte der Kaufverträge, bedient sich dazu aber eines künstlichen Abgrenzungskriteriums, da die Finanzdienstleistungen nicht in Erfüllung des Kaufvertrags erbracht werden, sondern im Zusammenhang mit ihm. Darüber hinaus wirft die Einschränkung für Finanzdienstleistungen keine Abgrenzungsprobleme auf, weil immer dann, wenn der Verbraucher die Wertpapiere von einer Drittbank außerhalb eines Platzierungsauftrags oder einem Broker er-
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So wohl Einsele, WM 2009, 289, 296; Plender/Wilderspin, European Private International Law of Obligations, Rn. 9–078 (S. 254); Proctor, Law and Practice of Int. Banking, 41.26 f. (S. 663 f.). 258 So im Ergebnis auch Garcimartín Alférez, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européen ‚Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 161, 170. 259 Garcimartín Alferéz, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 97.
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wirbt, eine Finanzdienstleistung vorliegt.260 Selbst wenn eine Drittbank Wertpapiere aus ihrem Bestand veräußert, ändert sich an dieser Einordnung nichts, weil diese Kaufverträge von vorneherein nicht von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO erfasst sind. Zuletzt folgt hieraus für die Einordnung des letzten Halbsatzes in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO, dass es sich bei dieser Einschränkung weniger um eine Rückausnahme im eigentlichen Sinn als vielmehr um eine Klarstellung handelt. Finanzdienstleistungen fallen bereits nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO, weil sich dieser lediglich auf die kollektiven Aspekte eines öffentlichen Angebots beschränkt, wodurch Finanzdienstleistungen bereits auf Ebene des Ausnahmetatbestands ausgeschlossen sind. f) Ausgeklammerte Aspekte nach Erwägungsgrund 29 Die in Erwägungsgrund 29 exemplarisch aufgeführten „Bedingungen“, die seinem Wortlaut nach zu den „Rechten und Verpflichtungen“ zu zählen sind, „durch die die Bedingungen für die Ausgabe, das öffentliche Angebot oder das öffentliche Übernahmeangebot festgelegt werden“, regeln zusammengefasst Aspekte, die weniger das öffentliche Übernahmeangebot als vielmehr speziell das Emissionsgeschäft betreffen. Genauer beziehen sie sich auf die Art und Weise, wie die Wertpapiere beim Publikum untergebracht werden. Aus diesem Grund liegt es nahe, die Bedeutung und Funktion dieser Bedingungen an dieser Stelle zu untersuchen, gemäß ihrer Reihenfolge beginnend mit der „Zuteilung“ und abschließend mit den „in den Artikeln 10, 11, 12 und 13 geregelten Fälle(n)“. aa) „Zuteilungsbedingungen und Bedingungen für die Rechte im Falle einer Überzeichnung“ Der bereits aus der Untersuchung des Begriffs des Angebots nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO bekannte Begriff der Zuteilung wird unter deutschem Recht mit der „schuldrechtlichen Einigung zum Erwerb von Aktien“ gleichgesetzt.261 Bis zur Zuteilung liegen nach deutschem Recht lediglich Angebote im Sinne von § 145 BGB zum Kauf der zu emittierenden Wertpapiere vor, welche die Anleger, dazu durch den Emittenten öffentlich aufgefordert, abgegeben haben. Erst mit Zuteilung 260 Mankowksi, IHR 2008, 133, 143; Remien, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Art 6 Rom I-VO Rn. 31. 261 Kümpel/Wittig/Brandt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.525 (S. 2092).
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eines oder mehrerer Wertpapiere nimmt der Emittent bzw. die Emissionsbank ein solches Angebot an und der Kauf- bzw. Zeichnungsvertrag zwischen dem Emittenten bzw. der Emissionsbank und dem Anleger kommt zustande.262 Eine Überzeichnung tritt ein, wenn das öffentliche Angebot eine größere Nachfrage generiert hat als Wertpapiere emittiert werden sollen.263 Sie zwingt den Emittenten bzw. die Emissionsbank zu einer nur eingeschränkten Bedienung der Erwerbswünsche (Repartierung).264 Vor der Annahme einzelner Kaufangebote ist daher notwendig eine Entscheidung darüber zu treffen, mit wem Kaufverträge abgeschlossen werden sollen bzw. auf Grundlage welcher Kriterien die Zuteilung vorzunehmen ist. Bei der Fremdemission wird dies in fast allen Fällen vorab im Übernahmevertrag mit dem Emittenten festgelegt.265 In der Praxis haben sich dazu verschiedene Verfahren etabliert, die beispielsweise per Losentscheid zuteilen, nach dem Prioritätsgrundsatz vorgehen, prozentual verteilen oder sich ganz anderer Kriterien bedienen, nach denen die Zuteilung zu erfolgen hat.266 Die Zuteilungskriterien können auch vorsehen, dass bestimmte Personengruppen, die mit dem Unternehmen des Emittenten in einer besonderen Nähebeziehung stehen, sei es als Arbeitnehmer oder ständiger Vertragspartner, bevorzugt werden (friends and family), oder die Schaffung einer bestimmten Anlegerstruktur als Platzierungsziel vorgeben.267 Auf diese Zuteilungskriterien will der Verordnungsgeber inhaltlich hinaus, wenn er in Erwägungsgrund 29 von den „Bedingungen für die Zuteilung von Wertpapieren“ und den „Bedingungen für die Rechte im Falle einer Überzeichnung“ spricht. Setzt man den Begriff der „Bedingungen für die Zuteilung von Wertpapieren“ an die Stelle des Begriffs der Bedingungen in der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO, so folgt daraus im zweiten Schritt, dass sie „die Rechte und Pflichten“ ausklammert, „durch die diese Zuteilungskriterien festgelegt werden“. Diese Lesart stimmt insbesondere mit der englischen Fassung 262
Schanz, Börseneinführung, S. 345; Groß, ZHR 162 (1998) 318, 331; Kümpel/ Wittig/Brandt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 15.525 (S. 2092); siehe zudem Kapitel 4: D. II. 1. c) cc) (3) (a) Angebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO. 263 MüKo/Peifer, AktG, § 185 Rn. 64; Heidelbach, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.) Kapitalmarktrechts-Kommentar, BörsG, § 38 Einführung Rn. 13. 264 MüKo/K. Schmidt, HGB, Effektengeschäft Rn. 522. 265 MüKo/K. Schmidt, HGB, Effektengeschäft Rn. 522. 266 Schanz, Börseneinführung, S. 350. 267 MüKo/K. Schmidt, HGB, Effektengeschäft Rn. 522.
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des Erwägungsgrunds überein, die an der Stelle, an der es im deutschen Text „Bedingungen“ heißt, von „terms and conditions“ spricht, worunter lediglich vertraglich vereinbarte Bedingungen fallen. Auf die Praxis übertragen müsste es sich bei den ausgeklammerten Verpflichtungen um eine vertragliche Vereinbarung handeln, in der die Parteien die für die Zuteilung maßgeblichen Kriterien geregelt haben. Eine vertragliche Regelung über die Zuteilung wird, wie bereits dargelegt, zwar im Regelfall im Übernahmevertrag zwischen dem Emittenten und den Emissionsbanken vor Durchführung der Emission getroffen. Erwägungsgrund 29 stellt indes übereinstimmend mit Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht auf dieses Vertragsverhältnis, sondern auf das davon zu unterscheidende vertragliche Verhältnis zwischen dem Anbieter und dem Anleger ab. In diesem Rechtsverhältnis fehlt es jedoch, solange noch nicht zugeteilt wurde, regelmäßig an einer vertraglichen Beziehung zwischen dem Emittenten bzw. der Emissionsbank und den Anlegern, in dem diese Bedingungen für alle Parteien verbindlich niedergelegt sein könnten. Die Geltung dieser Bedingungen im Kaufvertrag selbst zu vereinbaren, würde deswegen keinen Sinn machen, da es gerade das Zustandekommen des Kaufvertrags ist, das von der Ausgestaltung der Zuteilungskriterien abhängt: Wenn der Kaufvertrag zustande gekommen ist, dann nur weil die Zuteilung bereits auf Grundlage der vorher festgelegten Kriterien erfolgt ist und deren Anwendung zu Gunsten dieses Anlegers ausgefallen ist. Zwar sehen beispielsweise die von der Börsensachverständigenkommission beim Bundesfinanzministerium aufgestellten „Grundsätze für die Zuteilung von Aktienemissionen“268 in Art. 3 vor, dass der Emittent seine Zuteilungskriterien dem Anlegerpublikum gegenüber offen legen muss. Zu diesem Zweck muss er mit ihnen jedoch keinen Vertrag in der Art eines Rahmen- oder Vorvertrags über die Bedingungen der geplanten Emission abschließen, zumal dies weder nötig, noch praktikabel wäre. Da es ohne solche Vorverträge in der Praxis an einem Bedürfnis fehlt, vertraglich vereinbarte Bedingungen über die Zuteilung von Wertpapieren auszuklammern, dürfte diese Interpretation als „Rechte und Pflichten, durch die die (Zuteilungs-) Bedingungen festgelegt werden“, ausscheiden, denn zunächst sollte nach einer anderen Lösung gesucht werden, bevor dem Verordnungsgeber ein praxisfernes Verständnis unterstellt wird. Was sich der Verordnungsgeber unter der Ausklammerung von Rechten und Pflichten bezogen auf die Zuteilungskriterien stattdessen vorgestellt haben könnte, wird sichtbar, wenn man sich die Regelung des 268
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Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO für den Fall wegdenkt, dass es bei einer Platzierung neuer Wertpapiere zu einer Überzeichnung kommt. Die Kriterien über die Zuteilung der Wertpapiere, wie sie zwischen Emittent und Emissionskonsortium vereinbart wurden, können zwar nicht unmittelbar durch den Verbraucher angegriffen werden. Ihre Befolgung könnte aber durch das Eingreifen fremder Verbraucherschutzregeln mittelbar behindert werden. So könnte die Emissionsbank die Zuteilung der Wertpapiere unproblematisch anhand der mit dem Emittenten vereinbarten Kriterien vornehmen, sofern sich unter den Zeichnern kein Verbraucher befindet. Haben hingegen auch Verbraucher, zudem mit gewöhnlichem Aufenthalt in verschiedenen Staaten, ein Kaufangebot abgegeben oder Wertpapiere gezeichnet, bestünde das Risiko, vorbehaltlich der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO, dass sie in diesen Staaten durch Verbraucherrechte geschützt wären, die ihnen im Zuteilungsverfahren faktisch eine bevorzugte Stellung vermitteln würden. Die Emissionsbank wäre in diesem Fall vor die Herausforderung gestellt, die Anforderungen dieses ihr fremden Verbraucherrechts mit dem vorgesehenen Zuteilungsverfahren vereinbaren zu müssen, was umso anspruchsvoller ausfallen würde, je mehr fremde Verbraucherrechte zu beachten wären. Für den reibungslosen Ablauf der Zuteilung ist daher erforderlich, dass die Emissionsbank bei Abschluss der Kaufverträge nur ein einziges Recht und zwar das in aller Regel von ihr selbst gewählte zu beachten hat. Aus demselben Grund müssen mögliche Ansprüche aus culpa in contrahendo dem Anwendungsbereich der Kollisionsregel für Verbraucherverträge entzogen sein,269 denn nach der Regelung des Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO ist auf solche Ansprüche das Recht anzuwenden, welches zur Anwendung käme, wenn der Vertrag tatsächlich geschlossen worden wäre, so dass hier Art. 6 Rom I-VO wieder relevant wäre. Als Bedingungen für die Zuteilung bzw. für die Rechte im Falle einer Überzeichnung können im Ergebnis die Voraussetzungen identifiziert werden, unter denen der Emittent bzw. die Emissionsbank den Kaufvertrag über das emittierte Wertpapier abschließt, so beispielsweise die gesetzlichen Voraussetzungen für das Zustandekommen eines wirksamen Kaufvertrags. Die Bezeichnung „Bedingungen“ ist nicht auf vertragliche, standardisierte Bedingungen „über die Zuteilung“ in Anwendung zu bringen, sondern auf die regelmäßig gesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Vertrags über Wert-
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Wautelet, REDC 2009, 775, 779.
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papiere, nach deutscher Terminologie: die Rechtsbedingungen.270 Gleichzeitig wird an dieser Begründung deutlich, warum der Verordnungsgeber sich zu der Klarstellung veranlasst sah, dass auch die „Bedingungen für die Zuteilung“ unter die Ausnahme des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO fallen: Sie sind nicht Gegenstand der Vertragsbedingungen, auf die sich Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO unmittelbar bezieht. Zusammengefasst steht fest, dass der Begriff der Bedingungen in Erwägungsgrund 29 nicht zwingend gleichgesetzt werden darf mit dem Begriff der Bedingungen in der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO selbst, der lediglich die vertraglich festgelegten Bedingungen meint. Stattdessen bezieht sich Erwägungsgrund 29 im Hinblick auf die Zuteilung insbesondere auf die Rechtsbedingungen für das Zustandekommen des Vertrags.271 bb) „Bedingungen für Ziehungsrechte“ Was mit dem im deutschen Recht im Zusammenhang mit Wertpapieren unbekannten Begriff der „Ziehungsrechte“ gemeint ist, erschließt sich erst durch einen Vergleich mit der englischen und französischen Sprachfassung, die an dieser Stelle „withdrawal rights“ bzw. „les droits de retrait“ benennen. Korrekterweise müsste die deutsche Fassung daher auf „Widerrufs- und Rücktrittsrechte“ bzw. – zur Erleichterung der universellen Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO – allgemeiner auf „Vertragslösungsrechte“ lauten.272 Im Unterschied zu den Zuteilungsbedingungen können die Voraussetzungen eines Vertragslösungsrechts nicht nur gesetzlich vorgesehen, sondern auch vertraglich vereinbart sein. Ein praxisrelevantes Beispiel für die Notwendigkeit eines solchen Rechts ist der Fall, dass die mit der Übernahme- und Platzierung beauftragten Emissionsbanken die Aktien bereits zugeteilt haben, wenn eine der im Übernahmevertrag mit dem Emittenten regelmäßig vorgesehenen aufschiebenden Bedingungen273 nicht eintritt. Um keinen Schadensersatzansprüchen von Seiten der Anleger ausgesetzt zu sein, schließen die Emissionsbanken die Kaufverträge mit den Anlegern 270
MüKo/Westermann, BGB, § 158 Rn. 54. Ungenau hier Müller, der die von Erwägungsgrund 29 in der Rom I-VO erfassten Bedingungen mit dem Begriff der Bedingungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO gleichsetzt und damit außer Acht lässt, dass die Zuteilungsbedingungen nicht Teil des Kaufvertrags sind, vgl.: Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 334. 272 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 335. 273 Meyer, in: Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.), Handbuch börsennotierte AG, § 8 Rn. 166 (S. 355). 271
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ebenfalls unter den Vorbehalt ab, dass aufschiebende Bedingungen aus dem Übernahmevertrag eintreten, der Emittent nicht zurücktritt274 und die Emissionsbanken gegenüber dem Emittenten nicht ihr Recht aus der force majeure-Klausel275 ausüben. Ist das Vertragslösungsrecht dementsprechend bereits in den Angebotsbedingungen enthalten, so folgt dessen einheitliche Anwendung bereits unmittelbar aus Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO. Nur im Hinblick auf gesetzliche Rückritts- bzw. Widerrufsrechte hat Erwägungsgrund 29 gegenüber Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO eine eigenständige Bedeutung. Die möglichst unkomplizierte Rückabwicklung der massenhaft abgeschlossenen Verträge wäre nicht gewährleistet, wenn unter den Anlegern einzelne Verbraucher durch die verbraucherschützenden Regelungen ihrer Heimatrechte mit besonderen Rechtsbehelfen ausgestattet wären. Aus diesem Grund hielt es der Verordnungsgeber für erforderlich, eine entsprechende Erklärung in die Erwägungsgründe mit aufzunehmen. cc) „ähnliche Fälle im Zusammenhang mit dem Angebot sowie die in den Artikeln 10, 11, 12 und 13 geregelten Fälle“ (1) Überblick über die in den Artikeln 10 bis 13 geregelten Aspekte Auf Grundlage der Untersuchung der explizit genannten „Zuteilungsbedingungen“ und „Ziehungsrechte“ wird deutlich, was für „Rechte und Pflichten“ der Verordnungsgeber in Erwägungsgrund 29 als „ähnliche Fälle im Zusammenhang mit dem Angebot sowie die in den Artikeln 10, 11, 12 und 13 geregelten Fälle“ dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO unterstellt sehen will. Unter den genannten Artikeln legen Art. 10, 11 und 13 Rom I-VO die Anknüpfung für solche Rechtsfragen fest, welche die rechtlichen – in aller Regel gesetzlich festgelegten – Voraussetzungen des Kaufvertrags regeln, während Art. 12 Rom I-VO den Anwendungsbereich des Vertragsstatuts festlegt. Da Art. 12 Rom I-VO keine eigene Anknüpfungsregel aufstellt, sondern den Grundsatz der Einheitlichkeit des Vertragsstatuts umsetzt,276 lässt sich die in Erwägungsgrund 29 gewählte Formulierung, wonach diese Artikel bestimmte Fälle regeln würden, streng genommen nur auf die Art. 10, 11 und 13 Rom I-VO zur Anwendung bringen.277 Ihnen allen ist 274
Meyer, in: Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.), Handbuch börsennotierte AG, § 8 Rn. 174 (S. 359). 275 Busch, WM 2001, 1277, 1280. 276 Rauscher/Freitag, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 12 Rn. 1. 277 Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 98.
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jedoch gemein, dass sie Fragen abdecken, die nicht unmittelbar mit dem konkreten Pflichteninhalt aus dem Erwerbsvertrag selbst zusammenhängen, sondern vielmehr mittelbar für ihn von Bedeutung sind. Unmittelbar wird der konkrete Pflichteninhalt der Parteien vorrangig in dem Erwerbsvertrag durch die Parteien selbst geregelt. Zu diesem Zweck stellt der Emittent bzw. das Emissionskonsortium in den von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO erfassten Sachverhalten Angebotsbedingungen auf, welche die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem Verkauf der Wertpapiere umfassend regeln. Ob diese Bedingungen überhaupt bzw. mit diesem Inhalt gelten, hängt wiederum mittelbar davon ab, welche Anforderung an die zum Vertragsschluss führenden Handlungen erfüllt werden müssen. An dieser Stelle setzt insbesondere Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO an. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO regelt die Anknüpfung von Rechtsfragen, die das Zustandekommen und die (materielle) Wirksamkeit des Vertrags betreffen.278 Auf alle Aspekte der vertraglichen Einigung und ihrer Wirksamkeit ausgedehnt279 soll der Anwendungsbereich von Art. 10 Rom I-VO unter anderem die Frage der Voraussetzungen an die Einigung, die Abgrenzung zwischen einer invitatio ad offerendum und einem rechtsverbindlichen Angebot280 sowie die Anwendung einer AGB-Kontrolle281 erfassen. Regelungsgegenstand von Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO sind damit ebenso wie die Zuteilungsbedingungen die Wirksamkeitsvoraussetzungen bzw. Rechtsbedingungen eines Vertrages.282 Auf den Erfolg einer internationalen Emission haben sie dadurch Einfluss, dass der Emittent bzw. Anbieter erst dann darauf vertrauen darf, dass die Verträge mit dem von ihm gewählten Inhalt wirksam und durchsetzbar zustande gekommen sind, wenn er sich mit den jeweils einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen auseinandergesetzt hat. Würde auf diese Fragen kein einheitliches Recht angewandt, sondern müsste für jeden einzelnen Kaufvertrag mit einem Verbraucher die Frage neu beantwortet werden, ob sein Heimatrecht diesbezüglich strengere Verbraucherschutzvorschriften vorgibt, so wäre den Emissionsbanken die Platzierung der Wertpapiere erheblich erschwert, ein reibungsloser Ablauf kaum möglich. Der Verordnungsgeber will sicherstellen, dass die Ausklammerung in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO 278
Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 10 Rn. 1. Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 10 Rn. 1. 280 Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 10 Rn. 4; MüKo/Spellberg, VO (EG) 593/2008, Art. 10 Rn. 26. 281 Zur Anwendung einer materiell-rechtlichen AGB-Kontrolle auf eine Rechtswahlklausel siehe Heiss, RabelsZ 65 (2001) 635, 638 ff. 282 Ebenso: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 336. 279
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nicht nur für den Inhalt der Verträge selbst, sondern umfassend für alle denkbaren Wirksamkeitsvoraussetzungen bzw. Rechtsbedingungen gilt, von denen die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit des Wertpapierverkaufs abhängt, so dass der Emittent bzw. Anbieter für alle Kaufverträge bei Abschluss und Abwicklung einheitlich verfahren kann. (2) Auswertung der Bedeutung von Erwägungsgrund 29 Bereits an der Formulierung, dass unter den Ausnahmetatbestand in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO „die in den Artikeln 10, 11, 12 und 13 geregelten Fälle fallen“ sollten, wird die Widersprüchlichkeit dieser Aussage erkennbar. Gerade weil diese Fragen bereits von den Artikeln 10, 11 und 13 Rom I-VO geregelt werden, welche wiederum gegenüber Art. 6 Rom I-VO als leges speciales zu behandeln sind, fallen sie nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO.283 Wenn sie aber bereits nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO fallen, besteht auch kein Bedürfnis, sie über Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO aus diesem wieder auszuklammern,284 zumal dies rechtlich unmöglich wäre. Allein der Grund, dass sie wie beispielsweise Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO, wonach sich eine Partei unter bestimmten Umständen abweichend von Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO auf das Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen kann, grundsätzlich zur parallelen Anwendung verschiedener Rechte führen können, würde es darüber hinaus auch gar nicht rechtfertigen können, diese Anknüpfungsregeln zum Schutze des Emittenten bzw. Anbieters im Falle von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auszuhebeln, da diese Anknüpfungen keinesfalls irgendwelche Verbraucherschutzerwägungen umsetzen, sondern wie zum Beispiel Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO allgemein dem Vertrauensschutz dienen.285 Diese Anknüpfungen finden daher auch unabhängig davon Anwendung, ob der Vertragspartner des Emittenten bzw. Anbieters ein Verbraucher oder ein Unternehmer ist. Lediglich in Bezug auf Art. 12 und Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO hätte die in Erwägungsgrund 29 aufgenommene Erklärung, verstanden als deklaratorische Klarstellung des Verordnungsgebers, Berechtigung.286 Im Hinblick auf Art. 12 Rom I-VO hätte sie den selbstredenden Inhalt, dass 283
Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 96. Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 96; dagegen sieht Müller diese Kritik nur im Hinblick auf Art. 13 Rom I-VO für berechtigt an: Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 337. 285 MüKo/Spellenberg, VO (EG) 593/2008, Art. 10 Rn. 208. 286 Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 96. 284
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sich die Ausklammerung in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf alle Fragen bezieht, die nach Art. 12 Rom I-VO Regelungsgegenstand des Vertragsstatuts sind.287 Im Hinblick auf die akzessorische Regelung des Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO ließe sich Erwägungsgrund 29 als deklaratorischer Hinweis darauf verstehen, dass der Ausnahmetatbestand in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auch die Fragen der „Einigung und Wirksamkeit“ umfasst, wenn es sich bei dem anzuknüpfenden Vertrag um einen Verbrauchervertrag im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO handelt.288 Auf die übrigen Artikel hingegen, die anders als die Artikel 10 Abs. 1 und 12 Rom I-VO nicht von dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Vertragsstatuts geleitet sind, ergibt der Verweis des Verordnungsgebers in Erwägungsgrund 29 wenig Sinn. Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 Rom I-VO regeln Einzelfragen, auf deren Anknüpfung es keinen Einfluss hat, ob eine Person den Vertrag als Verbraucher abschließt.289 Art. 11 Rom I-VO trifft in Absatz 4 Satz 2 zwar eine spezielle Anknüpfung für die Form eines Verbrauchergeschäfts, jedoch nur im Anwendungsbereich des Art. 6 Rom I-VO. Ist dieser wegen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ausgeschlossen, greift auch die besondere Anknüpfungsregel in Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO nicht ein,290 so dass sich die Problematik überlappenden Verbraucherrechts gar nicht erst stellt.291 Erwägungsgrund 29 darf daher in Bezug auf die Artikel 10 bis 13 Rom I-VO nicht viel mehr als die Wertung des Verordnungsgebers entnommen werden, dass der Schutz des Emittenten vor der für ihn nach-
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Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 336. So im Ergebnis auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 335. 289 Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 96. 290 Art. 11 Abs. 4 Satz 1; MüKo/Spellenberg, VO (EG) 593/2008, Art. 11 Rn. 28. 291 Müller hingegen bewertet den Verweis auf Art. 11 Rom I-VO als sinnvoll, weil der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO insoweit nicht eindeutig sei. Da Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO nur von „Rechten und Pflichten“, nicht aber einem Vertrag spreche, sei nicht gewährleistet, ob dies nach Art. 11 Abs. 4 Satz 1 Rom I-VO dafür reiche, dass kein Verbrauchervertrag vorliege: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 336. Dagegen lässt sich jedoch sagen, dass reine Kaufverträge zwischen dem Emittenten bzw. dem Anbieter und den Anlegern nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ausdrücklich keine Verbraucherverträge sind und demnach ebenfalls nicht der Sonderanknüpfung für die Form unterliegen. Zudem gilt wieder, dass es sich bei Art. 11 Rom I-VO im Ganzen um eine Spezialvorschrift gegenüber Art. 6 Rom I-VO handelt; die Regelung kann daher gar nicht auf Art. 6 Rom I-VO „zurückführen“. 288
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träglichen Anwendung fremden Verbraucherrechts nach Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO möglichst umfassend gezogen sein soll.292 3. Zusammenfassung und Ergebnis zur Regelung von Wertpapieremissionen unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nimmt Platzierungsverträge vollständig von der Regelung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO aus, sofern sie im Rahmen eines öffentlichen Angebots im Sinne dieser Vorschrift abgeschlossen wurden. Der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ist dabei nicht auf Vertragsverhältnisse unmittelbar zwischen dem Emittenten und den Anlegern begrenzt, sondern erfasst auch die durch die Emissionsbanken abgeschlossenen Kaufverträge, sofern sie dadurch ihrem Platzierungsauftrag nachgekommen sind. Diese Verträge werden von der Rückausnahme für Finanzdienstleistungen nicht erfasst. Hinter Erwägungsgrund 29 steht das Anliegen des Verordnungsgebers, zu verdeutlichen, dass zu Gunsten des ungehinderten Ablaufs einer Emission alle Aspekte, die zwingend einheitlich geregelt werden müssen, dem Ausnahmetatbestand zugewiesen sind. III. Öffentliche Übernahmeangebote Die zweite Tatbestandsvariante in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nimmt vertragliche Verpflichtungen in Bezug, die aufgrund eines öffentlichen Übernahmeangebots über übertragbare Wertpapiere zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher zustande kommen. Übernahmeangebote sind eine „Akquisitionstechnik zum systematischen Erwerb von Mitgliedschaftsrechten“293; sie zielen darauf ab, eine Beteiligung an einem Unternehmen zu erlangen. Was unter einem öffentlichen Übernahmeangebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zu verstehen ist, ist weder in der Verordnung selbst definiert, noch enthalten die Erwägungsgründe einen Verweis auf die Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie,294 welche diesen Begriff auf bestimmte Angebotstypen zur Anwendung bringt. Diese Definition kann im Rahmen einer systematischen Auslegung zwar als erster Anhalts292
So im Ergebnis auch Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, Wautelet, REDC 2009, 775, 788. 293 Basaldua, in: Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer (Hrsg.), Übernahmeangebote, S. 157, 159. 294 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 142 vom 30.4.2004, S. 12 ff.
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punkt für die Entwicklung eines verordnungsautonomen Verständnisses des öffentlichen Übernahmeangebots herangezogen werden.295 Es darf jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Begriff des Übernahmeangebots in der Übernahme-Richtlinie im besonderen Maße durch deren Regelungsziel normativ geprägt ist: Das Übernahmeangebot ist ein besonderes Rechtsinstitut im Übernahmerecht, welches wiederum zum einen zum Ziel hat, die Gefahren für die allokative und institutionelle Kapitalmarkteffizienz zu beseitigen, die bei einer Unternehmensübernahme in Form des Anteilserwerbs am Kapitalmarkt drohen. Zum anderen dient es dem Schutz der Anleger, die von einer solchen Unternehmensübernahme betroffen sind.296 Zu diesen Zwecken unterwirft das Übernahmerecht bestimmte Angebote, die auf den Erwerb von Wertpapieren gerichtet sind, einem besonderen Regelungsregime. Die Einordnung als Übernahmeangebot ist demnach grundsätzlich davon abhängig, in welchem Umfang der jeweilige Gesetzgeber auf Grundlage dieser Zielrichtungen ein Regelungsbedürfnis anerkennt. Welche rechtstatsächlichen Folgen sich hieraus ergeben, veranschaulicht die generalisierende Beschreibung der in den Mitgliedstaaten vor der Vereinheitlichung durch das Europarecht verbreiteten Konzepte des Übernahmeangebots, an der sich die Kommission anlässlich eines ersten Entwurfs für eine Übernahme-Richtlinie297 versucht hat.298 Danach stelle sich ein Übernahmeangebot im allgemeinen als ein Angebot dar, das an die Inhaber von Wertpapieren, mit denen Stimmrechte in einer Gesellschaft verbunden sind, abgegeben werde und auf den Erwerb dieser Wertpapiere gegen Gewährung einer Barabfindung oder gegen Überlassung von Wertpapieren gerichtet sei. Der Zweck, der mit der Abgabe eines solchen Angebots verfolgt werde, bestehe normalerweise darin, eine Befugnis zur Beherrschung über die fragliche Gesellschaft (Zielgesellschaft) zu erlangen oder eine derartige, bereits erworbene Befugnis
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Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 93 f.; ders., EuLF 2008, I-61, I73; Mankowski, RIW 2009, 98, 103; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 328. 296 Ackermann, Das internationale Privatrecht der Unternehmensübernahme, S. 93; Schauer, in: FS Doralt, S. 529, 546. 297 Dazu ausführlich: Lehne, in: Hirte (Hrsg.), WpÜG, S. 33 ff. 298 Vorschlag für eine Dreizehnte Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, Anhang, KOM (88) 823 – SYN 186, datiert vom 16. Februar 1989, veröffentlicht in: Assmann/Basaldua/Bozenhardt/ Peltzer (Hrsg.), Übernahmeangebote, S. 235, 237.
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zu verstärken.299 Die bewusst offen gelassene Formulierung dieser Beschreibung lässt erkennen, mit wie vielen unterschiedlichen Konzepten sich die Kommission konfrontiert sah. Der Begriff des öffentlichen Übernahmeangebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO referiert daher auf ein Phänomen300 des Kapitalmarkts, das Regelungsgegenstand zahlreicher nationaler Rechtsordnungen ist und daher in grundsätzlich ebenso vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen existiert.301 Der Begriff des Übernahmeangebots nach der ÜbernahmeRichtlinie stellt demgegenüber keine Besonderheit dar, sondern ist in seiner inhaltlichen Ausgestaltung, gleich den Begriffen des nationalen Rechts, durch die Ziele geprägt, die spezifisch durch das europäische Übernahmerecht verfolgt werden. Vor dem Hintergrund der restriktiven Verwendbarkeit der Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a Alt. 2 ÜbernahmeRichtlinie wird verständlich, dass für die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nur in einzelnen Sprachfassungen der Verordnung auf den terminus technicus des Übernahmeangebots im Sinne dieser Richtlinie zurückgegriffen wurde: Im Unterschied zur deutschen Textfassung, in welcher der Begriff des Übernahmeangebots mit der unter der Übernahme-Richtlinie verwendeten Bezeichnung übereinstimmt, weichen die anderen Sprachfassungen teilweise von dem jeweiligen Richtlinienbegriff ab. Während diese Abweichung im englischen Wortlaut noch vernachlässigbar ist,302 manifestiert sie sich deutlich in der französischen und in der italienischen Fassung des Verordnungstextes, die jeweils einen anderen Begriff verwenden als den entsprechenden terminus technicus aus der Übernahme-Richtlinie. So beziehen sich die französische und die italienische Fassung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf ein „offre publique d’achat“ bzw. ein „offerte publiche di acquisizione“, wohingegen die Übernahme-Richtlinie in den entsprechenden Sprachfassungen den Begriff des „offre publique d’acquisition“ bzw. des „offerta publica di acquisto“ verwendet. Dies vorangestellt wird im Folgenden die Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme299
Vorschlag für eine Dreizehnte Richtlinie des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote, Anhang, KOM (88) 823 – SYN 186, datiert vom 16. Februar 1989, veröffentlicht in: Assmann/Basaldua/Bozenhardt/ Peltzer (Hrsg.), Übernahmeangebote, S. 235, 237. 300 Assmann/Bozenhardt, in: Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer (Hrsg.), Übernahmeangebote, S. 7. 301 Assmann/Bozenhardt, in: Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer (Hrsg.), Übernahmeangebote, S. 8. 302 So lautet die Bezeichnung der in der Übernahme-Richtlinie: „takeover bid“, in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO hingegen „take-over bids“.
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Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2
Richtlinie in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt und auf ihre Vereinbarkeit mit dem Telos der Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und den Zielen der Rom I-VO insgesamt hin untersucht. Die in Art. 1 Übernahme-Richtlinie geregelten räumlichen und sachlichen Einschränkungen des Anwendungsbereichs der Richtlinie haben bei dieser Betrachtung außen vor zu bleiben.303 1. Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Hinblick auf öffentliche Übernahmeangebote Die Erwägungsgründe enthalten keine gesonderte Begründung für die Tatbestandsvariante des öffentlichen Übernahmeangebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO. Eine Erklärung dafür ist die erst relativ späte Aufnahme dieser Variante in den Ausnahmetatbestand, die erst nach dem entscheidenden Vermerk der Kommissionsdienststellen vom 15. März 2007 erfolgte und – wie bereits die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Sekundäremissionen – auf einen Vorschlag der belgischen Delegation zurückging.304 Fehlt es an einer speziellen Begründung für diese Tatbestandsvariante, so folgt hieraus, dass für sie grundsätzlich dieselben Erwägungen gelten, auf die auch die Ausnahme für die öffentlichen Verkaufsangebote im Rahmen einer Wertpapieremission zurückgeht. Ein Beleg hierfür ist der Wortlaut von Erwägungsgrund 29. Dieser differenziert nicht zwischen den einzelnen Tatbestandsvarianten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO, sondern fasst sie unter den Begriff der „Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Ausgabe, das öffentliche Angebot oder das öffentliche Übernahmeangebot bezüglich übertragbarer Wertpapiere ... festgelegt werden“, zusammen. Für diese „Rechte und Pflichten“ – und damit all die in ihnen aufgenommenen Tatbestandsvarianten – stellt er sodann klar, dass „alle relevanten Vertragsaspekte eines Angebots, durch das sich der ... Anbieter gegenüber einem Verbraucher verpflichtet, einem einzigen Recht unterliegen“ sollen. Der Vollständigkeit halber sei klargestellt, dass, sofern die Erwägungsgründe 28 und 29 als Begünstigten der Ausnahmeregelung neben dem Emittenten lediglich den Anbieter anführen,
303 Ausdrücklich für die in Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie enthaltene Einschränkung, dass die Gesellschaft selbst nicht die Bieterin sein darf: Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 93, Fn. 16. 304 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 14222/07 ADD 10, LIMITE, JUSTCIV 272, CODEC 1113, Note from Belgian delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), S. 4.
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diese Bezeichnung die Person einzubeziehen hat, die ein Übernahmeangebot abgibt und in der Regel als „Bieter“ bezeichnet wird. Dass der Verordnungsgeber mit der Aufnahme der speziellen Tatbestandsvariante für öffentliche Übernahmeangebote im Grunde das gleiche Ziel verfolgte wie auch bei der ersten Tatbestandsvariante für öffentliche Wertpapierverkäufe, indiziert ferner ihr genetischer Ursprung in einem Vorschlag der belgischen Delegation, welche die Situation des Bieters eines Übernahmeangebots im Lichte des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom IVO als vergleichbar mit der eines Emittenten darstellte.305 Im Wesentlichen soll diese Ausnahme daher sicherstellen, dass dem Bieter die Durchführung der Transaktion nicht durch die Regelung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO erschwert werden soll.306 Dieses Risiko ist durchaus vorhanden, wie sich unschwer nachvollziehen lässt: Gerade wenn es um den Erwerb von Aktien eines sehr bekannten Unternehmens geht, hat sich ein Übernahmeangebot in aller Regel an einen breiten Investorenkreis, der sich über verschiedene Länder erstreckt, zu richten.307 Käme Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO vollumfänglich zur Anwendung, so müsste sich der Bieter in Bezug auf jeden Kaufvertrag mit einem Verbraucher im Einzelnen mit den auf diesen Vertrag anwendbaren Verbraucherschutzvorschriften auseinandersetzen, da ihm wegen Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO selbst eine Rechtswahl nicht die identische Ausgestaltung aller Kaufverträge mit den Inhabern gewährleisten würde. Um sich auch hier die nötige Rechtssicherheit zu verschaffen, müsste er im Zweifel aufwendige Gutachten erstellen lassen, wodurch wiederum die Transaktionskosten ansteigen würden. Ein besonderes Interesse an einheitlicher Regelung der im Rahmen eines Übernahmeangebots abgeschlossenen Verträge folgt zudem aus dem Umstand, dass bestimmte Regelungen aus dem nationalen speziellen Wertpapierübernahmerecht, vor allem solche, die Vorgaben im Hinblick auf die vertragliche Ausgestaltung des Angebots enthalten, im internationalen Privatrecht die Qualität von Eingriffsrecht haben.308 Um eine Rechtsspaltung zu ver305
“Yet this type of operation requires, in order to be carried out on a transnational basis, the same degree of legal certainty regarding the legislation that applies. It would seem that in this case, as well, the risk of fragmentation of the applicable laws ought to be avoided”. 306 Zu der entsprechenden Argumentation gegen die objektive Anknüpfung des anwendbaren Rechts an den Anlegerwohnsitz siehe u.a. Schauer, in: FS Doralt, S. 529, 537; Hahn, RIW 2002, 741, 744; Ackermann, Das internationale Privatrecht der Unternehmensübernahme, S. 299. 307 Wautelet, REDC 2009, 775, 786. 308 Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 1 Rn. 35.
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meiden, bietet es sich daher an, über eine Rechtswahlklausel das Vertragsrecht desjenigen Staates für anwendbar zu erklären, dessen Übernahmeaufsichtsrecht zur Anwendung berufen ist, und so einen Gleichlauf zwischen Vertragsrecht und Aufsichtsrecht herbeizuführen.309 Die mit der Standardisierung der Verträge verbundene Rationalisierung und Beschleunigung des gesamten Verfahrens ist daneben deswegen wichtig, weil dieses Verfahren für die Zielgesellschaft in der Regel eine erhebliche Belastung darstellt und deswegen möglichst schnell durchgeführt werden muss.310 Im Ergebnis wird die Ausklammerung der öffentlichen Übernahmeangebote, äquivalent zur Ausnahme für öffentliche Verkaufsangebote von Wertpapieremissionen, mit dem Ziel gerechtfertigt, dem Bieter die Möglichkeit der einheitlichen Vertragsgestaltung zu gewährleisten. 2. Anwendbarkeit der Definition des Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie a) Das Übernahmeangebot im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie definiert ein „Übernahmeangebot oder Angebot“ als ein „an die Inhaber der Wertpapiere einer Gesellschaft gerichtetes (und nicht von der Zielgesellschaft selbst abgegebenes) öffentliches Pflicht- oder freiwilliges Angebot zum Erwerb eines Teils oder aller dieser Wertpapiere, das sich an den Erwerb der Kontrolle der Zielgesellschaft im Sinne des einzelstaatlichen Rechts anschließt oder diesen Erwerb zum Ziel hat“. Die vermeintlich doppelte Namensgebung der von dieser Definition erfassten Angebote einmal als „Übernahmeangebote“ und einmal als „Angebote“ gilt, wie die Definition durch die Konjunktion „oder“ vorgibt, lediglich der Klarstellung, dass auch dann, wenn in einer Regelung der Richtlinie der Begriff „Angebot“ verwendet wird, inhaltlich ein „Übernahmeangebot“ gemeint sein soll. Eine inhaltliche Differenzierung zwischen „Übernahmeangeboten“ einerseits und „Angeboten“ andererseits ist unter der Richtlinie dagegen nicht beabsichtigt.311 Während es für die Einordnung als Übernahmeangebot nach Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie einer309
Ackermann, Das internationale Privatrecht der Unternehmensübernahme, S. 298. 310 Zehetmeier-Müller/Zirngibl, in: Geibel/Süßmann (Hrsg.), WpÜG, Einleitung Rn. 39. 311 Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 19.
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seits keinen Unterschied machen soll, ob es sich um ein freiwilliges Angebot oder ein Pflichtangebot handelt312 oder ob sich das Erwerbsangebot auf einen Teil der Wertpapiere oder alle Wertpapiere einer Gesellschaft richtet, setzt die Definition andererseits positiv voraus, dass sich das Erwerbsangebot entweder an den Erwerb der Kontrolle dieser Gesellschaft anschließt oder diesen zum Ziel hat. Als Erstes fallen dadurch alle Angebote weg, die auf den Erwerb anderer Wertpapiere als Mitgliedschaftsrechte gerichtet sind. Innerhalb der auf den Erwerb von Mitgliedschaftsrechten gerichteten Angebote wiederum müsste als Zweites eine Binnendifferenzierung anhand des mit dem Angebot verfolgten wirtschaftlichen Ziels gezogen werden. Dem Wortlaut der Definition nach soll das sogenannte Einstiegsangebot einer Person, die bis dato keine Anteile hält313 und eine kleinere Beteiligung als zur Kontrolle der Gesellschaft erforderlich erwerben möchte,314 kein Übernahmeangebot begründen.315 Hingegen scheint der Wert, um den ein Bieter seine Beteiligung an einer Gesellschaft vergrößern will, für die Einordnung als Übernahmeangebot im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a ÜbernahmeRichtlinie dann nicht mehr von Bedeutung zu sein, wenn der Bieter die Kontrolle der Gesellschaft bereits erlangt hat und „im Anschluss an diesen Kontrollerwerb“ sein Angebot abgibt. In systematischer Auslegung löst sich dieser scheinbare Wertungswiderspruch dadurch auf, dass sich die Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a Alt. 2 Rom I-VO im Hinblick auf Erwerbsangebote „im Anschluss an den Kontrollerwerb“ inhaltlich auf Pflichtangebote im Sinne von Art. 5 Abs. 1 ÜbernahmeRichtlinie beschränkt. Art. 5 Abs. 1 Übernahme-Richtlinie enthält den Umsetzungsauftrag an die Mitgliedstaaten, einen Bieter in den Fällen, in denen er an einer Gesellschaft ausreichend Stimmrechte hält, um damit die Kontrolle über sie ausüben zu können, zur Abgabe eines öffentlichen Erwerbsangebots an die verbleibenden übrigen Wertpapierinhaber zu verpflichten. Daraus folgt im Umkehrschluss aus Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie, dass ein „Angebot, das sich an den Erwerb der Kontrolle der Zielgesellschaft ... anschließt“, mit einem Pflichtangebot gleichzusetzen ist, wohingegen das „freiwillige Angebot“ nach dieser
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Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 19; insbesondere wird dies in der englischen Variante der Definition deutlich: „whether mandatory or voluntary“. 313 Angerer, in: Geibel/Süßmann (Hrsg.), WpÜG, § 1 Rn. 13. 314 Lenenbach, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bank- und Kapitalmarktrecht, § 53 Rn. 39 (S. 1597); Hirte, in: KK-WpÜG, Einl. Rn. 91. 315 Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 19.
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Definition zwingend den Kontrollerwerb „zum Ziel hat“.316 Die Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie fasst mithin die beiden Angebotstypen – freiwillige Übernahmeangebote (Übernahmeangebote im engeren Sinne) und Pflichtangebote im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Übernahme-Richtlinie – als Übernahmeangebote im weiteren Sinne zusammen. Da sich die Definition des Übernahmeangebots in Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie auf diese beiden Angebotstypen beschränkt,317 erfasst sie solche Erwerbsangebote nicht, die ein Bieter, der im Rahmen eines freiwilligen Übernahmeangebots die Kontrolle der Gesellschaft bereits erlangt hat, abgibt, ohne dazu im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Übernahme-Richtlinie verpflichtet zu sein (Aufstockungsangebote318).319 b) Erste Korrektur: keine Unterscheidung zwischen freiwilligen Übernahmeangeboten i.e.S. und Pflichtangeboten An der Definition des Übernahmeangebots als entweder freiwilliges Angebot, das auf den Erwerb der Kontrolle der Zielgesellschaft gerichtet ist, oder Pflichtangebot im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Übernahme-Richtlinie kann unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht festgehalten werden. Unabhängig davon, dass ihr der in Art. 2 Rom I-VO niedergelegte Grundsatz der universellen Anwendbarkeit der Kollisionsregeln entgegenstünde, zöge sie erhebliche Anwendungsschwierigkeiten nach sich. Beides lässt sich am Beispiel des Pflichtangebots in Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie veranschaulichen. Wie dargelegt hat die Übernahme-Richtlinie das Pflichtangebot als Unterfall des Übernahmeangebots im Sinne ihres Art. 2 Abs. 1 lit. a in dieser Form selbst erst in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten eingeführt und es den Mit-
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Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 19. Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 19; Santelmann, in: Steinmeyer/Häger (Hrsg.), WpÜG, § 2 Rn. 7; Ackermann, Das internationale Privatrecht der Unternehmensübernahme, S. 32. 318 Das wirtschaftliche Motiv hinter einem solchen Aufstockungsangebot kann beispielsweise darin bestehen, die Kontrolle durch eine Vergrößerung der Beteiligung zu konsolidieren oder ein Going Private oder einen Squeeze Out vorzubereiten, vgl. Lenenbach, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bank- und Kapitalmarktrecht, § 53 Rn. 39 (S. 1597); Hirte, in: KK-WpÜG, Einl. Rn. 91; Angerer, in: Geibel/Süßmann (Hrsg.), WpÜG, § 1 Rn. 14. 319 Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 19; Ackermann, Das internationale Privatrecht der Unternehmensübernahme, S. 32. 317
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gliedstaaten überlassen, die Kontrollwerte zu bestimmen.320 Das Pflichtangebot im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Übernahme-Richtlinie leitet seine dogmatische Rechtfertigung aus dem Anlegerschutz, im Speziellen aus dem Schutz der Wertpapierinhaber mit Minderheitsbeteiligungen ab, die vor den für sie nachteiligen Folgen aus einem Kontrollerwerb umfangreich geschützt werden sollen.321 Handelt es sich bei dem Pflichtangebot im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie im Ergebnis um ein Rechtsinstitut, das originär nur innerhalb der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten existiert, so scheidet es als Tatbestandsmerkmal einer universell anwendbaren Kollisionsregel von vorneherein aus. Darüber ließe sich auch nicht dadurch hinweghelfen, dass man den Begriff des Pflichtangebots in Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie abstrahiert dergestalt auslegt, dass er universell alle Angebote im Anschluss an einen Kontrollerwerb erfassen soll, zu deren Veröffentlichung eine übernahmerechtliche Verpflichtung besteht. Da sich die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots, die Tatbestandsmerkmal eines der beiden als Übernahmeangebote zusammengefassten Angebote nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO wäre, immer aus einem materiellen nationalen Übernahmerecht ergeben muss, würde die Definition des Übernahmeangebots nach diesem Verständnis eine kollisionsrechtliche Vorfrage aufwerfen, denn sie nähme ein präjudizielles Rechtsverhältnis in Bezug, welches grundsätzlich Gegenstand einer kollisionsrechtlichen Vorfrage ist.322 Gegenstand dieser Vorfrage wäre die Verpflichtung zur Abgabe eines Übernahmeangebots infolge der Kontrollerlangung an einer Gesellschaft. Wie das für die Beantwortung der Vorfrage anwendbare Recht anzuknüpfen ist, ist im europäischen Kollisionsrecht nicht übergreifend 320
von Bülow, in: KK-WpÜG, § 29 Rn. 8. Siehe Erwägungsgrund 9 in der Übernahme-Richtlinie; Hintergrund ist, dass dann, wenn sich die Kontrolle an einer Gesellschaft in einer Person konzentriert bzw. dann, wenn eine Person die Erlangung der Kontrolle verfolgt, die übrigen Anteilsinhaber benachteiligt sind. Da die Kontrolle nur noch einer Person zusteht, die sich für ihre Entscheidungen nicht mehr um die Zustimmung der übrigen Anteilsinhaber bemühen muss, haben sie kaum noch eine Möglichkeit, die Geschäftsvorgänge im Zusammenhang mit der Gesellschaft mitzubestimmen. Zu ihren Schutz muss ihnen daher die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr finanzielles Engagement an der Gesellschaft ohne wesentliche Nachteile infolge des Kontrollübergangs zu beenden. Sie sollen daher durch den Verkauf ihrer Anteile zu einem angemessenen Preis und auf geregelter Grundlage austreten können, wenn es zu einem Kontrollwechsel kommt, vgl. Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 16.40 (S. 1515); Maul/MuffatJeandet, AG 2004, 221, 230. 322 von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht Bd. 1, S. 667. 321
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geregelt.323 Die Anknüpfung einer Vorfrage aus einer Kollisionsregel der Rom I-VO hätte jedoch die wesentlichen Grundsätze dieser Verordnung zu beachten, wozu maßgeblich die in Erwägungsgrund 6 formulierte Prämisse zu zählen ist, dass „die in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen im Interesse eines reibungslos funktionierenden Binnenmarktes ... dasselbe Recht“ zu bestimmen haben. Da sich dieser geforderte äußere Entscheidungseinklang lediglich mit einer Kollisionsnorm verwirklichen lässt, die in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen gilt, müsste eine unionsrechtliche Kollisionsnorm für die Anknüpfung der Verpflichtung zur Abgabe des Angebots aufgefunden werden.324 Zwar soll sich nach einer Ansicht die Regelung des Art. 4 Abs. 2 lit. e Übernahme-Richtlinie als internationalprivatrechtliche Anknüpfungsregel des Übernahmeprivatrechts nutzbar machen lassen können.325 Dessen zweiter Satz, 1. Halbsatz, lautet wie folgt: „Für Fragen, die die Unterrichtung der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft betreffen und für gesellschaftsrechtliche Fragen, insbesondere betreffend den Anteil an Stimmrechten, der die Kontrolle begründet, und von Verpflichtungen zur Abgabe eines Angebots abweichende Regelungen sowie für die Bedingungen, unter denen das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaften Maßnahmen ergreifen kann, ist das Recht des Sitzmitgliedstaats der Zielgesellschaft maßgebend.“ Selbst wenn man Art. 4 Abs. 2 lit. e Übernahme-Richtlinie einen entsprechenden Regelungsgehalt beimessen wollte, ließe sich diese Regelung wegen Art. 1 Abs. 1 Übernahme-Richtlinie nur auf Sachverhalte innerhalb des räumlichen Bereichs der Mitgliedstaaten zur Anwendung bringen,326 da es eine „Selbstverständlichkeit (ist), dass die Richtlinie keine kollisionsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf solche Sachverhalte macht, die gar nicht erst von ihrem räumlichen Anwendungsbereich ... erfasst sind“.327 Für Sachverhalte mit Drittstaatenbezug würde es indes weiterhin an einer 323
Gössl, ZfRV 2011, 65, 67. Gössl, ZfVR 2011, 65, 68. 325 Auf Grundlage des damaligen Art. 10 EG und des Zwecks der Richtlinie, „unionsweite Klarheit und Transparenz in Bezug auf die bei Übernahmeangeboten auftretenden Rechtsfragen zu gewährleisten“, wird hierfür argumentiert, dass Art. 4 Abs. 2 Übernahme-Richtlinie das internationale Privatrecht regeln wolle und die Mitgliedstaaten zur Einrichtung entsprechender allseitiger Kollisionsnormen verpflichte: Ackermann, Das internationale Privatrecht der Unternehmensübernahme, S. 274 f.; Schauer, in: FS Doralt, S. 529, 555. 326 S. auch: Versteegen, in: KK-WpÜG, § 1 Rn. 69. 327 Ackermann, Das internationale Privatrecht der Unternehmensübernahme, S. 281; Schauer, in: FS Doralt, S. 529, 554. 324
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unionsrechtlich vereinheitlichten Kollisionsregel des Übernahmerechts fehlen, so dass darauf die im Zweifel uneinheitlichen Anknüpfungsregeln der jeweiligen lex fori der Mitgliedstaaten zur Anwendung kämen. Selbst mit der Vorfragenlösung würde sich die Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie noch in Widerspruch zu dem Grundsatz universeller Anwendbarkeit stellen, weil unter ihr das Prinzip des äußeren Entscheidungseinklangs nur bei Binnenmarktsachverhalten gewährleistet wäre. Um unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO anwendbar zu sein, ist die Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a ÜbernahmeRichtlinie im Ergebnis um die Einbeziehung von im Anschluss an den Kontrollerwerb ergehenden Pflichtangeboten zu kürzen. c) Zweite Korrektur: keine Unterscheidung zwischen freiwilligen Angeboten und Pflichtangeboten Aus der Kürzung der Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a ÜbernahmeRichtlinie um die Pflichtangebote im Sinne dieser Richtlinie folgt indes nicht, dass der Begriff des Übernahmeangebots unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nur auf freiwillige Übernahmeangebote beschränkt sein sollte. Im Lichte des Telos der Ausnahmeregelung könnte sich die Beschränkung auf freiwillige Übernahmeangebote zwar damit rechtfertigen, dass für den Bieter, den eine Verpflichtung zur Abgabe eines bindenden Erwerbsangebots an den Kapitalmarkt trifft, von vorneherein kein Ermessensspielraum besteht. Anreize, ob positiv oder negativ, funktionieren nur auf der Grundlage, dass eine Abwägung zwischen mindestens zwei unterschiedlichen Investitionsentscheidungen möglich ist. Daher ließe sich argumentieren, dass die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO einen Bieter im Blick hat, welcher frei darüber entscheiden kann, ob er ein Übernahmeangebot am Kapitalmarkt abgibt oder nicht, und der diese Entscheidung zumindest auch von den ihm daraus erwachsenden Kosten abhängig macht. Für diesen Bieter stellt die Möglichkeit, sich durch eine Rechtswahl ausreichend Rechtssicherheit über das anwendbare Recht zu verschaffen, unabhängig davon, ob Verbraucher beteiligt sind oder nicht, einen wesentlichen Faktor bei der Entscheidung dar, ob er eine Transaktion durchführt oder nicht. Einen solchen Abwägungsprozess trifft ein Bieter jedoch dann nicht, wenn er zur Abgabe seines Angebots verpflichtet ist. Ob ihm aus der parallelen Anwendung fremden Verbraucherrechts Risiken erwachsen, hat auf die Abgabe seines Erwerbsangebots keinen Einfluss. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass einem Pflichtangebot eine im Lichte von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO relevante Investitionsentscheidung des
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Bieters notwendigerweise vorausgeht, wenn er nämlich vor die Frage gestellt wird, ob er – außerhalb eines öffentlichen Übernahmeangebots – eine Transaktion durchführt, welche ihm die entscheidende Mehrheit an einer Zielgesellschaft einbringt. Auf diese Entscheidung könnte es sich zumindest mittelbar auswirken, wenn der Kontrollerwerb ein öffentliches Pflichtangebot auslöst, dessen Durchführung den Bieter infolge von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO mit erhöhten Transaktionskosten belasten könnte. Eine Person, welche die Mehrheit an einer Gesellschaft außerhalb eines öffentlichen Übernahmeangebots erwirbt, wird sich in aller Regel auch mit der sich daran anschließenden obligatorischen Abgabe des Pflichtangebots auseinandersetzen und auch daran ihre Investitionsabsichten überprüfen. Der Ansatz, dass der Zweck des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom, negative Anreize auszuschalten, bei einem zur Abgabe eines Angebots verpflichteten Bieters von vorneherein fehlgehen würde und Pflichtangebote deswegen nicht erfasst sein sollten, überzeugt daher nicht.328 Daneben steht ihm entgegen, dass auch freiwillige Übernahmeangebote im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a ÜbernahmeRichtlinie nicht per se freiwillig in dem Sinne sind, dass zu ihrer Abgabe keine Rechtspflicht besteht, da die Differenzierung zwischen freiwilligen Übernahmeangeboten einerseits und Pflichtangeboten andererseits lediglich danach zu treffen ist, ob eine Pflicht zur Abgabe des Angebots im Sinne von Art. 5 Übernahme-Richtlinie besteht.329 Um dem Gedanken der Anreizfunktion unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO vollständig Rechnung zu tragen, müsste der Begriff des freiwilligen Übernahmeangebots nach Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie daher um die zusätzliche Anforderung korrigiert werden, dass überhaupt keine gesetzliche oder vertragliche Pflicht zur Abgabe des Angebots besteht. Es wäre jedoch nicht einsichtig, warum es in Bezug auf die Ausnahme für Übernahmeangebote auf die Freiwilligkeit des Angebots ankommen sollte, nicht aber für die Ausnahme für bestimmte Wertpapieremissionen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO. Für die Einordnung eines Übernahmeangebots im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO darf 328
Zu diesem Aspekt der „Freiwilligkeit“ bei freiwilligen Angeboten und Pflichtangeboten unter dem WpÜG siehe auch: Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 71. 329 Zur Definition des Angebots in § 2 Abs. 1 WpÜG entsprechend: Santelmann, in: Steinmeyer/Häger (Hrsg.), WpÜG, § 2 Rn. 5; Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 70; zu den freiwilligen Angeboten im Sinne dieser Vorschrift werden auch Angebote gezählt, zu deren Abgabe eine vertragliche Verpflichtung besteht: Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 73; Angerer, in: Geibel/Süßmann (Hrsg.), WpÜG, § 1 Rn. 11; Noack/Holzborn, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpÜG Rn. 6.
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es daher grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob der Bieter das Angebot freiwillig abgibt oder ob ihn eine Pflicht dazu trifft.330 d) Dritte Korrektur: kein Kontrollerwerb als Ziel des Angebots erforderlich Schwieriger beantwortet sich die Frage, ob von der Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nur solche Bieter profitieren sollen, die mit dem Erwerbsangebot ein bestimmtes wirtschaftliches Ziel verfolgen. Im Schrifttum wird vertreten, dass Übernahmeangebote nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nur solche Angebote sind, die den Erwerb der Kontrolle zum Ziel haben.331 Diese Ansicht beruft sich hierzu jedoch auf die Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie, welche jedoch, wie oben gezeigt, mit den Pflichtangeboten grundsätzlich auch Angebote erfasst, die nicht auf den Kontrollerwerb gerichtet sind, weil der Anbieter bereits die Kontrolle hält. Keine Argumentationsgrundlage bietet der Wortlaut des Begriffs Übernahmeangebot selbst, der, legt man ihm die Bedeutung zugrunde, die er seinem reinen Wortsinn nach haben müsste, und zerlegt ihn zu diesem Zweck in seine Bestandteile Übernahme und Angebot, inhaltlich identisch mit einem Übernahmeangebot im engeren Sinne wäre. Daraus Rückschlüsse auf den Inhalt des Anwendungsbereichs von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zu schließen, stünde jedoch im Widerspruch zur Gleichrangigkeit aller Sprachfassungen der Rom I-VO, die, abgesehen von wenigen Ausnahmen,332 in den anderen Sprachfassungen keineswegs einen Begriff verwendet, in dem das Merkmal der Kontrollübernahme so deutlich angelegt ist wie in dem deutschen Begriff des Übernahmeangebots. Wortwörtlich übersetzt beinhalten sie zumeist ein öffentliches Angebot zum Erwerb, ohne dass es auf eine besondere Motivation des Bieters ankäme. Im Lichte des Telos von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO könnte sich die fehlende Einbeziehung von einfachen Er330
So auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 328; dagegen grenzt die wohl herrschend vertretene Ansicht von dem Begriff des freiwilligen Angebots nach § 2 Abs. 1 WpÜG auch solche Angebote aus, zu denen eine gesetzliche Verpflichtung besteht: Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 73; Angerer, in: Geibel/ Süßmann (Hrsg.), WpÜG, § 1 Rn. 11; Noack/Holzborn, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpÜG Rn. 6. 331 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 328. 332 Ein Beispiel ist die niederländische Textfassung der Rom I-VO, die an der Stelle, an der die deutsche Version den Begriff „Übernahmeangebot“ verwendet, den Begriff „overnamebod“ anführt.
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werbsangeboten damit erklären lassen, dass der Bieter, der von vorneherein nicht mit der Gesamtheit aller bisherigen Inhaber in vertragliche Rechtsbeziehungen treten will, einem geringeren Risiko in Hinblick auf unter Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO potentiell anwendbare Verbraucherschutzvorschriften ausgesetzt sein könnte. In diesem Sinne ließe sich die Differenzierung zwischen den ausgeklammerten Übernahmeangeboten im engeren Sinne einerseits und nicht ausgeklammerten einfachen Erwerbsangeboten andererseits als eine Art Bagatellgrenze verstehen. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass diese Funktion bereits ausreichend durch das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit erfüllt wird, welches solche Sachverhaltskonstellationen herausfallen lässt, in denen sich der Anbieter selbst genügend Sicherheit über potentiell eingreifende Verbraucherschutzregelungen verschaffen kann. Ein öffentlich abgegebenes Angebot impliziert bereits, dass es sich bei den angebotenen Wertpapieren um Massenprodukte, d.h. grundsätzlich massenhaft vorhandene Wertpapiere handelt. Einer zusätzlichen quantitativen Einschränkung in Bezug auf die Anzahl der Wertpapiere über das Tatbestandsmerkmal des Übernahmeangebots bedarf es deswegen nicht. Dies lässt sich anhand eines Vergleichs mit der ersten Tatbestandsalternative in dieser Regelung veranschaulichen, die sich inhaltlich auf Wertpapieremissionen bezieht. Wie viele Wertpapiere angeboten werden und, damit einhergehend, wie viele Vertragsabschlüsse aus dem öffentlichen Angebot hervorgehen, hat für das Eingreifen der Ausnahmeregelung in dieser Variante grundsätzlich keine Bedeutung. Da der Verordnungsgeber die Voraussetzung, dass es sich um ein öffentliches Angebot handeln muss, unter Zugrundelegung der gleichen Wertungen auch für die Ausnahmetatbestandsvariante für Übernahmeangebote aufgestellt hat, darf es auch hier nicht auf die Anzahl der zu erwerbenden Wertpapiere ankommen. Zudem ist zu beachten, dass auch das nationale Recht den Bieter selbst bei einem einfachen Erwerbsangebot oftmals daran hindert, sich seine Vertragspartner selbst auszusuchen: Beispiele hierfür unter dem deutschen WpÜG sind die Unzulässigkeit einer invitatio ad offerendum333 und die Pflicht des Bieters zur verhältnismäßigen Verteilung, wenn es zu einer Überzeichnung gekommen ist.334
333 334
§ 17 WpÜG. § 19 WpÜG.
D. Verträge über übertragbare Wertpapiere
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e) Vierte Korrektur: keine Beschränkung auf rechtlich verbindliche Angebote Im Unterschied zur Definition des öffentlichen Angebots in Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie, die eine „Mitteilung an das Publikum in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise“ für ausreichend hält, fehlt es an einer entsprechenden Regelung in der Übernahme-Richtlinie. Stattdessen überlässt Art. 13 lit. e Übernahme-Richtlinie es den Mitgliedstaaten, die Frage zu regeln, ob die erfassten Angebote unwiderruflich sein sollen oder nicht. Zum Schutz der Anleger wird die Abgabe einer invitatio ad offerendum im deutschen Recht ausdrücklich verboten.335 Dadurch soll verhindert werden, dass der Bieter den Markt zunächst antestet, bevor er sich zu einer Übernahme entscheidet.336 In der Praxis wird das Kaufangebot in der Regel mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage gegenüber den Aktionären abgegeben, denn in dieser ist bereits das unwiderrufliche, einfach durch „ja“ zu beantwortende337 Angebot zum Abschluss eines Erwerbsvertrags über die Stimmrechte sowie den Inhalt des Angebots enthalten.338 Es wird vertreten, dass es sich auch bei dem Übernahmeangebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO um ein solches verbindliches Angebot handeln soll.339 Ob das letztendlich verbindliche Angebot zum Abschluss des Vertrags, der aus dem öffentlichen Übernahmeangebot zustande kommt, von dem Bieter oder dem Aktieninhaber abgegeben wird, kann jedoch aus denselben Gründen wie bei den öffentlichen Verkaufsangeboten der ersten Tatbestandsvariante in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO keinen Unterschied machen. Maßgebend ist allein, dass der Vertrag aus einem öffentlichen Übernahmeangebot resultiert. f) Gegenstand und Gegenleistung bei einem Übernahmeangebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Als Ausnahmetatbestand, der seine Existenz aus dem besonderen Bedürfnis des Kapitalmarktes nach schnell und unkompliziert durchführbaren Transaktionen ableitet, bezieht sich die Ausklammerung von 335
Siehe § 17 WpÜG, wonach es dem Bieter für alle Angebotsarten untersagt wird, öffentlich zur Abgabe von Verkaufsangeboten durch die Aktionäre der Zielgesellschaft aufzufordern; Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 27. 336 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 16.83 (S. 1534). 337 Zehetmeier-Müller/Zirngibl, in: Geibel/Süßmann (Hrsg.), WpÜG, Einleitung Rn. 45. 338 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 16.77 (S. 1532). 339 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 329.
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Übernahmeangeboten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf Übernahmeangebote im kapitalmarktrechtlichen Sinn. Sie versteht sich nicht als spiegelbildliches Äquivalent zur ersten Tatbestandsvariante in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO dergestalt, dass der Verbraucher als Verkäufer eines oder mehrerer Wertpapiere auftritt, sondern ist auf den Kauf von Mitgliedschaftsrechten beschränkt. Für den Begriff des Übernahmeangebots in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO können diejenigen Merkmale aus der Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie übernommen werden, die bei allen Varianten eines übernahmerechtlichen Angebots – dem Pflichtangebot und dem freiwilligen Übernahmeangebot – einheitlich vorausgesetzt werden. Danach ist ein Übernahmeangebot unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ein Angebot, das zu dem Ziel abgegeben wird, die Beteiligung an einer Gesellschaft (Zielgesellschaft) aufzustocken. Gegenständlich beschränkt es sich auf solche übertragbaren Wertpapiere, die (stimmberechtigte) Mitgliedschaftsrechte an einer Gesellschaft zum Inhalt haben. Ob es sich um börsengehandelte Wertpapiere handeln muss340 bzw. Wertpapiere, die an einem multilateralen Handelssystem gehandelt werden, ist unter der Rom I-VO hingegen unbeachtlich. Der Überlegung, dass nur börsengehandelte Wertpapiere „echte Anlageobjekte“ darstellen würden, wohingegen sonstige Beteiligungen vorrangig „in unternehmerischer Initiative eingegangen“ würden,341 wird unter der Rom I-VO schon hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass die übertragbaren Wertpapiere ihrer Definition gemäß handelbar sein müssen. Zu übernehmen ist auch die in der Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie angelegte Offenheit des Begriffs des Angebots im Hinblick auf die Gegenleistung, die nicht auf eine Geldleistung festgelegt ist; stattdessen können den Inhabern der Mitgliedschaftsrechte im Gegenzug für die Übertragung des Mitgliedschaftsrechts auch andere Wertpapiere angeboten werden. g) Öffentlichkeit des Übernahmeangebots im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO aa) Öffentlichkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie Unter welchen Bedingungen aus einem Übernahmeangebot ein öffentliches Übernahmeangebot nach Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie 340 Nach § 1 Abs. 1 WpÜG müssen die Wertpapiere, auf die sich das Erwerbsangebot richtet, „zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen“ sein. 341 Versteegen, in: KK-WpÜG, § 1 Rn. 4.
D. Verträge über übertragbare Wertpapiere
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wird,342 ist nicht Gegenstand einer eigenen Definition. Da sich ein vollumfänglicher Rückgriff auf die Definition aus Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie wegen der unterschiedlichen Schutzrichtungen beider Richtlinien grundsätzlich verbietet,343 sind die Kriterien für das Vorliegen eines öffentlichen Angebots nach Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie eigenständig unter Berücksichtigung der besonderen Prinzipien dieser Richtlinie und des Übernahmerechts – des Gleichbehandlungsgebots und der Sicherstellung einer „informierten und ohne zeitliche Beengung oder gar Zwang getroffenen Entscheidung“344 – zu entwickeln.345 Auszugehen ist daher von dem mit der Öffentlichkeit des Angebots verfolgten Ziel, ein faires Verfahren zu gewährleisten.346 Im Ergebnis unterscheiden sich die Fallgruppen, bei denen im deutschen Recht unter der Prospekt-Richtlinie und der Übernahme-Richtlinie ein öffentliches Angebot anerkannt wird, dennoch kaum. Übernahmeangebote, die über allgemein zugängliche Medien verbreitet oder an einen größeren, unpersönlichen Adressatenkreis gerichtet werden, werden auch unter § 2 Abs. 1 WpÜG als öffentlich eingeordnet.347 Sofern ein inhaltlicher Unterschied zwischen beiden Begriffen darauf zurückgeführt wird, dass sich die Frage der Öffentlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie nicht anhand quantitativer Kriterien beurteilen lassen dürfe,348 so fällt diese Abgrenzung weg, wenn man wie hier quantitative Kriterien auch unter Art. 2 Abs. 1 lit. d Prospekt-Richtlinie nicht genügen lässt. Unter Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie könnten jedoch deswegen teilweise andere Anforderungen an das Vor342
Die Frage der Öffentlichkeit ist nur in Bezug auf Übernahmeangebote im engeren Sinne relevant, da Pflichtangebote grundsätzlich öffentlich abzugeben sind, vgl. Angerer, in: Geibel/Süßmann (Hrsg.), WpÜG, § 1 Rn. 20; Pötzsch, in: Assmann/ Pötzsch/U. Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 2 Rn. 25. 343 Zu dem Begriff des Angebots in § 2 Abs. 1 WpÜG: Pötzsch, in: Assmann/ Pötzsch/U. Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 2 Rn. 32; Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 48. 344 Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 51. 345 Entsprechend die Wertung unter deutschem Recht: Pötzsch, in: Assmann/ Pötzsch/U. Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 2 Rn. 32; Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 51; Oechsler, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler (Hrsg.), WpÜG, § 2 Rn. 3; Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1655. 346 Santelmann, in: Steinmeyer/Häger (Hrsg.), WpÜG § 1 Rn. 5; Fleischer, ZIP 2001, 1652, 1655, 1658; Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 51. 347 Schüppen, in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, § 2 Rn. 11; Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/U. Schneider (Hrsg.), WpÜG, § 2 Rn. 31; Santelmann, in: Steinmeyer/Häger (Hrsg.), WpÜG, § 1 Rn. 14; Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1658 f. 348 Schüppen, in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, § 2 Rn. 13.
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liegen der Öffentlichkeit zu stellen sein, weil der Adressatenkreis des Angebots unter Umständen von vorneherein feststeht, definiert durch die Inhaberschaft am Wertpapier.349 Dies allerdings schließt es nicht aus, ein öffentliches Angebot auch dann anzunehmen, wenn es sich bei den Aktien allesamt um Namensaktien handelt. Vielfach wird sich jemand, der auf Namensaktien bietet, zwar über die jeweiligen Wertpapierinhaber informieren können. Ließe man dies jedoch für den Ausschluss eines öffentlichen Angebots ausreichen, so wären die Anleger lediglich aufgrund der inhaltlichen Ausgestaltung ihrer Wertpapiere ungerechtfertigt benachteiligt. Auch ein solches Angebot wäre daher als öffentlich um Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme-Richtlinie einzustufen, wenn der Bieter die Wertpapierinhaber in nur oberflächlich personalisierter Weise anspricht.350 Öffentlich bleibt das Angebot ferner, wenn es den Kreditinstituten über das System der Wertpapiermitteilungen zugeleitet wird und diese durch ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen dazu verpflichtet sind, unter ihren Kunden alle diejenigen mit den fraglichen Aktien im Depot zu informieren.351 Zu einem privaten Angebot wird ein Übernahmeangebot erst dadurch, dass die angeschriebenen Aktionäre dem Bieter tatsächlich im Einzelnen persönlich bekannt sind.352 Für den geforderten Öffentlichkeitsbezug soll es zudem unabdingbar sein, dass eine Mindestanzahl von Aktionären angesprochen wird.353 bb) Öffentlichkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO setzt das Kriterium der Öffentlichkeit auch im Hinblick auf Übernahmeangebote die Wertung des Verordnungsgebers um, dass es dem Anbieter bzw. in diesem speziellen Fall dem Bieter, der mit dem Publikum kontrahieren will, nicht zumutbar ist, sich mit den daraus folgenden rechtlichen Implikationen aus Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO auseinanderzusetzen. Wann noch von einem öffentlichen Angebot ausgegangen werden kann, betrifft daher im Speziellen die bereits bei Art. 2 Abs. 1 lit. a Übernahme349
Noack/Holzborn, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, WpÜG, § 2 Rn. 8; Santelmann, in: Steinmeyer (Hrsg.), WpÜG, § 1 Rn. 14. 350 So im Ergebnis für den Begriff der Öffentlichkeit in § 2 Abs. 1 WpÜG: Versteegen, in: KK-WpÜG § 2 Rn. 59; Schüppen, in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, § 2 Rn. 13. 351 Entnommen von Angerer, in: Geibel/Süßmann (Hrsg.), WpÜG, § 1 Rn. 27. 352 Schüppen, in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, § 2 Rn. 13; a.A. Versteegen, in: KK-WpÜG, § 2 Rn. 50. 353 Fleischer, ZIP 2001, 1653, 1659.
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Richtlinie aufgeworfene Frage, ob der Umstand, dass der Adressatenkreis durch die Inhaberschaft der Wertpapiere von vorneherein fest definiert ist, besondere Folgen für die Wahl der Kriterien der Öffentlichkeit hat. Zu Lasten des Bieters ließe sich auch hier argumentieren, dass die ihm aus Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO erwachsenden Risiken in aller Regel beherrschbar sein dürften, da es ihm, wenn auch unter Erbringung eines gewissen Aufwands, grundsätzlich möglich sein sollte, die einzelnen Wertpapierinhaber in Erfahrung zu bringen. Insbesondere ist dies anzunehmen, wenn ihm die Einsichtnahme in die Wertpapierinhaber aufführende Register möglich ist.354 Auf Grundlage dieser Kenntnis über seine Vertragspartner könnte er vorhersehen, welche Verbraucherrechte er bei Abgabe seines Angebots unter Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO zu beachten hätte. Läge man den Maßstab der Vorhersehbarkeit an, so wie er bei der ersten Tatbestandsvariante für Verkaufsangebote verwendet wird, könnte man daher zu dem Schluss kommen, dass sich der Bieter in solchen Fällen nicht auf den Schutz des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO verlassen dürfte und deswegen die Öffentlichkeit des Angebots entfallen müsste. Indes würde die Durchführung des Übernahmeangebots allein dadurch noch nicht zwingend vereinfacht, dass grundsätzlich die Möglichkeit gegeben wäre, das unter Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO zu berücksichtigende fremde Verbraucherrecht anhand der Person der Inhaber zu ermitteln. Bereits die Notwendigkeit, Rechtsgutachten über das anwendbare Recht und die Implikationen daraus erstellen zu lassen, und die mögliche Verlangsamung des Verfahrensablaufs insgesamt belasten den Bieter, dem die erforderliche Ansprache eines breiten Personenkreises per se einen erheblichen Organisationsaufwand abverlangt,355 bei der Umsetzung seiner Investitionspläne.356 Aus diesem Grund überzeugt es nicht, dass der Bieter eines Übernahmeangebots gegenüber dem Emittenten bzw. Anbieter einer Emission in Bezug auf die Vorhersehbarkeit potentiell anwendbaren Verbraucherrechts eine grundsätzlich bessere Position innehätte. Die Situation des Bieters ist auch nicht mit der Position des Unternehmens vergleichbar, das im Rahmen eines Mitarbeiterprogramms sein Angebot an einen feststehenden Empfängerkreis, seine Mitarbeiter, adressiert. Es sind die 354 Zu ähnlichen Erwägungen hinsichtlich der Anknüpfung der speziellen wertpapierübernahmerechtlicher Regelungen siehe bspw. Zimmer, Int. Gesellschaftsrecht, S. 98. 355 Schüppen, in: Frankfurter Kommentar zum WpÜG, Vor §§ 29 bis 34 Rn. 10. 356 Vgl. Ackermann, Das internationale Privatrecht der Unternehmensübernahme, S. 298.
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persönlichen Beziehungen, die unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO die Einordnung als „privat“ nahe legen, nicht aber die auch ohne private Beziehungen grundsätzlich vorhandene Möglichkeit, sich Kenntnis über die Zusammensetzung dieses Personenkreises verschaffen zu können. Die Grenze zu einem privaten Angebot wird auch für den Bieter erst dann überschritten, wenn es ihm möglich ist, Einfluss über den Personenkreis der Verkäufer auszuüben, beispielsweise indem bereits persönliche Beziehungen vorhanden sind oder er sie durch persönliche Ansprache herstellt. h) Das öffentliche Übernahmeangebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Das öffentliche Übernahmeangebot nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ist demnach als ein Angebot zu verstehen, dass an die Inhaber der Wertpapiere einer Gesellschaft und auf den Erwerb dieser Wertpapiere gerichtet ist. Ob das Angebot öffentlich erfolgt, ist nach denselben Kriterien zu beantworten, wie sie auch für die Einordnung öffentlicher Verkaufsangebote aufgestellt worden sind, wobei jedoch der besondere Umstand außer Acht zu bleiben hat, dass die Vertragspartner durch ihre Inhaberschaft am Wertpapier bereits von vorneherein feststehen. 3. Zusammenfassung und Ergebnis zum Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf öffentliche Übernahmeangebote Der Anwendungsbereich der zweiten Tatbestandsalternative in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO erstreckt sich im Hinblick auf öffentliche Übernahmeangebote uneingeschränkt auf die im Rahmen der Durchführung der Übernahme geschlossenen Kauf- bzw. Tauschverträge zwischen dem Bieter und den Wertpapierinhabern. Die Anwendung des kollisionsrechtlichen Verbraucherrechts wird auch nicht über Art. 6 Abs. 4 lit. d a.E. Rom I-VO herbeigeführt, weil sich der Erwerb der Wertpapiere nicht zugleich als Finanzdienstleistung einordnen lässt. Eine Abgrenzung zwischen den nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO ausgenommenen Verpflichtungen und einer Finanzdienstleistung fällt für öffentliche Übernahmeangebote nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht an.
E. Verträge über OGAW-Anteile
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E. Verträge über OGAW-Anteile E. Verträge über OGAW-Anteile
I. Struktur der speziellen Fallgruppe in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Die neben den Wertpapieremissionen und Übernahmeangeboten dritte Fallgruppe, die in die Tatbestandsalternative des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO aufgenommen wurde, nimmt ihrem Wortlaut zufolge „Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Zeichnung oder den Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren festgelegt werden“ aus. Um ein erstes Vorverständnis dieser Regelung zu gewinnen, lohnt es sich, ihren Wortlaut in seine Einzelteile zu zerlegen: Danach existiert auf dem Kapitalmarkt eine als „Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ bezeichnete Figur, an welcher Anteile ausgegeben werden. Diese Anteile werden „gezeichnet“ und bzw. oder „zurückgekauft“. Fügt man die einzelnen Begriffe zusammen, so sind dem Wortlaut nach unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO diejenigen Rechte und Pflichten vom Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ausgeklammert, „durch die die Bedingungen für die Zeichnung oder den Rückkauf ... festgelegt werden“. Indem sie auf diese Bedingungen für die Zeichnung oder den Rückkauf abstellt, weicht die deutsche Fassung der Regelung zwar im Wortlaut von ihrer englischen und französischen Version ab, welche jeweils keine Bedingungen voraussetzen, sondern unmittelbar auf die Zeichnung und den Rückkauf selbst abstellen.357 Inhaltlich ist indes kein Unterschied gewollt, denn der Formulierung „Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen ... festgelegt werden“, kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Wie bei den Tatbestandsvarianten des öffentlichen Angebots und des öffentlichen Übernahmeangebots gilt auch hier, dass die „Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für ein bestimmtes Rechtsgeschäft festgelegt werden“, inhaltlich mit diesem bestimmten Rechtsgeschäft übereinstimmen.358 Im Ergebnis ist die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO für diese spezielle 357
Vgl. Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 339; so lautet die letzte Tatbestandsvariante in Art. 6 Rome I Regulation „the subscription and the redemption“, weil sich – grammatikalisch mittels eines Komma umgesetzt – „rights and obligations constituting the terms and conditions“ nur auf die ersten beiden Tatbestandsvarianten bezieht; ebenso differenziert der französische Wortlaut zwischen den ersten beiden Tatbestandsvarianten und der letzten, die nur „la souscription et le remboursement“ erfasst. 358 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 339.
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Fallgruppe daher so auszulegen, dass sie solche vertraglichen Rechte und Pflichten ausklammert, die sich unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO als „Zeichnung oder Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ qualifizieren lassen. Zusammengefasst hat die zweite Fallgruppe des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO das Zeichnungs- und Rückkaufsgeschäft bestimmter Anteile zum Gegenstand. II. Der „Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ im Sinne der OGAW-Richtlinie 1. Anwendbarkeit der Definition des Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie im Lichte von Erwägungsgrund 26 Vollständig erschließen sich Inhalt und Bedeutung dieser Regelung erst über den Begriff des Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren. Dieser Begriff, der im Folgenden der Übersichtlichkeit wegen „OGAW“ abgekürzt wird, ist eine „europäische Wortschöpfung“359, mit anderen Worten ein „Kunstbegriff“360, welcher 1985 durch die Investmentfonds regelnde OGAW-Richtlinie361 in das europäische Kapitalmarktrecht eingeführt wurde. Da sich seine Bedeutung ohne einen Rekurs auf das Begriffsverständnis seines ursprünglichen Namengebers nur schwerlich ermitteln lässt, hat die Untersuchung dieser Figur demnach zuvorderst an der Richtliniendefinition anzusetzen. Dass der Begriff des Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren nach Erwägungsgrund 26 gerade nicht mit dem Inhalt anzufüllen ist, den er unter der OGAW-Richtlinie erhalten hat, sondern maßgeblich aus dem Telos der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zu gewinnen ist, steht dieser Vorgehensweise nur scheinbar entgegen. Denn zwingende Voraussetzung der Auslegung ist ein erstes Grundverständnis der Tatbestandsmerkmale: Wenn ein solches Grundverständnis jedoch nur die OGAW-Richtlinie vermitteln kann, weil diese den Begriff des OGAW originär geschaffen hat, so ist eine strikte Trennung zwischen den Bearbeitungsschritten (i) „Auffinden des Telos der Regelung“ und (ii) „Auslegen ihrer Tatbestandsmerkmale“ praktisch schlicht nicht 359
Mankowski, RIW 2009, 101. Baur, Investmentgesetze, Einleitung I Rn. 5. 361 Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), abgedruckt in: ABl. (EU) Nr. L 611 vom 20.3.1985, S. 1 ff. 360
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möglich. Indes folgt hieraus nicht zwingend, dass ein vorab vorgenommener Rückgriff auf die wesentlichen Begriffsmerkmale des OGAW nach der OGAW-Richtlinie einen Verstoß gegen die Vorgabe des Verordnungsgebers in Erwägungsgrund 26 begründen würde. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass der Begriff des OGAW unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zumindest in seinen wesentlichen Grundzügen mit dem nach der OGAW-Richtlinie übereinstimmt. Hierfür lässt sich abermals folgendes Argument anführen: Die Vorsicht des Verordnungsgebers im Hinblick auf die Definitionen anderer Gemeinschafts-/Unionsrechtsakte erklärt sich maßgeblich mit dem beschränkten räumlichen Anwendungsbereich dieser Rechtsakte, der mit den Grundsatz universeller Anwendung unter der Rom I-VO unvereinbar ist. Sofern bei der Auslegung des Begriffs in der Rom I-VO jedoch außen vor bleibt, dass die Figur des OGAW nach der OGAW-Richtlinie nur innerhalb der Binnenstaaten rechtlich existent ist und nur deskriptive Begriffselemente herangezogen werden, lässt sich das Begriffsverständnis der OGAW-Richtlinie dem Begriff des OGAW unter der Rom I-VO daher ohne Verstoß gegen das Auslegungsgebot aus Erwägungsgrund 26 zugrunde legen.362 Sofern sich dadurch, dass die OGAW-Richtlinie zwischenzeitlich in der OGAW-IV-Richtlinie aufgegangen ist,363 Änderungen im Hinblick auf die Definition des OGAW ergeben haben, werden diese an der jeweiligen Stelle in die Betrachtung einbezogen. 2. Der Organismus für gemeinsame Anlagen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie Trotz seiner Einführung durch die OGAW-Richtlinie steht der Begriff des OGAW nach der OGAW-Richtlinie nicht ausschließlich für ein genuin unionsrechtliches Konstrukt oder Produkt, sondern bezeichnet einen bestimmten Typus einer Investmentanlage, wie ihn der europäische Gesetzgeber in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bereits vorgefunden hatte.364 Nach Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie ist unter dem Begriff OGAW eine besondere Form der Kapitalanlage zu verstehen, die auf drei Grundprinzipien beruht und diese mit weiteren Anforderungen verknüpft. Die Definition in Art. 1 Abs. 2 OGAW362
So im Ergebnis auch: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 85, 338. Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (Neufassung), abgedruckt in: Abl. (EU) Nr. L 302 vom 17.11.2009, S. 32 ff. 364 Baur, Investmentgesetze, Einleitung I Rn. 4. 363
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Richtlinie ist in zwei Spiegelstriche untergliedert, woran sich die folgende Darstellung orientiert. a) Investment von beim Publikum beschafften Geldern nach dem Grundsatz der Risikobetreuung in bestimmte Anlagegüter Nach dem ersten Spiegelstrich dieser Definition sind „im Sinne dieser Richtlinie als OGAW diejenigen Organismen anzusehen, deren ausschließlicher Zweck es ist, beim Publikum beschaffte Gelder für gemeinsame Rechnung nach dem Grundsatz der Risikobetreuung in Wertpapieren und/oder in anderen in Artikel 19 Absatz 1 genannten liquiden Finanzanlagen zu investieren“. Die Funktionsweise eines OGAW beruht demnach auf den drei Prinzipen der (i) Risikodiversifizierung, (ii) der Kollektivanlage und (iii) der Fremdverwaltung. Im Unterschied zu dem Prinzip der Risikodiversifizierung, dessen Geltung unmittelbar in der Definition vorgegeben ist („Grundsatz der Risikobetreuung“), leitet sich die Ausgestaltung des OGAW als fremdverwaltete Kollektivanlage mittelbar daraus ab, dass die Gelder „beim Publikum“, mithin einer Mehrzahl von Anlegern zu beschaffen und „für gemeinsame Rechnung“ dieser Anleger anzulegen sind. Das Prinzip der Risikodiversifizierung hat zum Schutz des Anlegers365 zum Inhalt, dass von ihm bereitgestelltes Kapital möglichst wenig risikoaffin,366 d.h. verteilt auf ein möglichst breites Spektrum an Vermögensgegenständen mit möglichst unterschiedlichen Gewinnchancen und Verlustrisiken anzulegen ist.367 Ein nach diesen Grundsätzen zusammengestelltes Portfolio bedarf eines bestimmten Mindestkapitalbetrags, den ein Großteil der Anleger allein schlicht nicht erbringen kann. Sie verfügen nicht über ausreichend Kapital, „um ihre Anlagen so breit zu streuen, dass sich unter den Gesichtspunkten der Risiko- und Chancenverteilung und der Ertragsaussichten ein ausgewogenes und wirtschaftlich vernünftiges Verhältnis ergibt“.368 Auf diesem Defizit baut das Prinzip der kollektiven Anlage auf: Um einen Kapitalbetrag zur Verfügung zu haben, der für eine Investition groß genug ist, die die Anforderung an eine optimale Risiko365
Baur, in: Assmann/Schütze, Hdb. des Kapitalanlagerechts, § 30 Rn. 319; Beckmann, in: Beckmann/Scholtz/Vollmer (Hrsg.), Investment-Handbuch, 410 § 1 Rn. 36. 366 Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 113 Rn. 2. 367 Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.20 (S. 1204); Köndgen, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, § 1 Rn. 26. 368 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2326 (S. 1180).
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streuung zu erfüllen vermag, legen die Anleger ihr Kapital zusammen, bis sie auf eine entsprechende Summe kommen,369 die sodann nach dem Grundsatz der Risikodiversifizierung in Anlagetitel des Kapitalmarktes investiert wird. Das Prinzip der kollektiven Anlage macht es dadurch möglich, auch ein kleines Vermögen gewinnbringend am Kapitalmarkt einzusetzen. OGAW sind daher attraktiv für Anleger, deren Kapital nicht groß genug für eine wirtschaftlich sinnvolle individuelle Vermögensverwaltung ist, die aber dennoch am Kapitalmarkt investieren wollen.370 OGAW sind noch in zweiter Hinsicht speziell auf die Bedürfnisse der Kleinanleger zugeschnitten: So sind Kleinanleger den Großanlegern und vor allem den institutionellen Investoren typischerweise nicht nur wirtschaftlich unterlegen, sondern es mangelt ihnen in aller Regel auch an Fachkenntnissen und Expertise, um eigenständig eine möglichst profitable Anlagestrategie aufsetzen zu können.371 Um dieses Defizit zu beheben, liegt die Verwaltung und Anlage des gesammelten Kapitals bei einem solchen Organismus nicht in der Hand der Kapitalgeber, d.h. der Anleger, sondern ist Fachleuten bzw. Fondsverwaltern zugewiesen,372 deren Fachkenntnisse und Expertise sich die Anleger dadurch unmittelbar zu Nutze machen.373 Hierin verwirklicht sich das dritte charakteristische Prinzip des OGAW, das Prinzip der Fremdverwaltung.374 b) Einräumung eines Rückgaberechts Der zweite Spiegelstrich in Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie benennt das eigentliche Charakteristikum eines OGAW,375 das sogenannte Rückgaberecht. Nur solche Organismen, „deren Anteile auf Verlangen der Anteilsinhaber unmittelbar oder mittelbar zu Lasten des Vermögens dieser Organismen zurückgenommen oder ausgezahlt werden“, ordnen sich als OGAW im Sinne der OGAW-Richtlinie ein, wobei es ebenso genügen soll, wenn auch auf andere Art und Weise als durch Rücknahme 369
Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.1 (S. 1196). Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch § 113 Rn. 5. 371 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2326 (S. 1180). 372 Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch § 113 Rn. 6. 373 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2327 (S. 1180). 374 Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 113 Rn. 3. 375 Vgl. Köndgen, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, InvStG, Einl InvG Rn. 44. 370
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und Auszahlung sichergestellt wird, „dass der Kurs seiner Anteile nicht erheblich von deren Nettoinventarwert abweicht“.376 Die Funktion des Rückgaberechts besteht darin, dem Anteilsinhaber, der seinen Anteil grundsätzlich auch an Dritte veräußern könnte, daneben eine weitere, wesentlich einfachere Möglichkeit einzuräumen, seine Investition jederzeit wieder rückgängig zu machen.377 Zu diesem Zweck wird den Anlegern ein Rückgaberecht eingeräumt, bei dessen Ausübung der Anteil zurückzunehmen und dem Anleger ein vorab definierter Rücknahmepreis zu zahlen ist. Das Rückgaberecht wird daher auch als „Vertragsauflösungsrecht eigener Art“ bezeichnet.378 Die Einräumung eines jederzeit realisierbaren Rückgaberechts hat zur Folge, dass das Investmentvermögen keine feste Größe hat, sondern variabel ist. Auf diese variable Größe nimmt die Einordnung des OGAW als offener Fonds (Open-EndInvestmentfonds) Bezug.379 Gegenpart des offenen ist der geschlossene Fonds (Closed-End-Investmentfonds), dessen Fondsvermögen von vorneherein auf einen bestimmten Betrag festgesetzt ist, mit dem in der Regel nur ein einziger Vermögensgegenstand erworben oder ein einziges Projekt finanziert werden soll.380 Da das Investmentvermögen weder unter diesen Betrag fallen darf, noch über ihn hinaus erweitert werden kann, wird die Ausgabe von Zertifikaten auf eine dem Investmentvermögen entsprechende Anzahl an Fondsanteilen und auf einen Zeitpunkt, nämlich dem bei Auflegung des Investmentfonds, beschränkt.381 Sobald alle Anteile verkauft sind, wird der Fonds geschlossen.382 Bei einem geschlossenen Fonds haben die Anteilsinhaber in aller Regel kein Recht, eine Auszahlung des entsprechenden Vermögensanteils aus dem Fondsvermögen gegen Rückgabe ihres Anteils zu verlangen,383 sondern können ihre Beteiligung grundsätzlich erst am Ende der Laufzeit der 376
Art. 1 Abs. 2 Spiegelstrich 2 Satz 2 OGAW-Richtlinie. Zu dem im deutschen Recht geregelten Rückgaberecht: Gutsche, in: Emde/ Dornseifer/Dreibus/Hölscher (Hrsg.), InvG, § 37 Rn. 7; Geibel, in: Derleder/Knops/ Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 66 (S. 1783). 378 Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 113 Rn. 140. 379 Schmitz, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, Vor §§ 30-45 Rn. 22; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2337 f. (S. 1183). 380 Köndgen, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, Einl InvG Rn. 4; Baur/ Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/277. 381 Köndgen, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, Einl InvG Rn. 4. 382 Förster/Hertrampf, Recht der Investmentfonds, S. 7. 383 Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.25 (S. 1205). 377
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Kapitalanlage liquidieren.384 Das Investmentvermögen eines offenen Fonds hingegen lässt sich nicht nur durch Rücknahme reduzieren, sondern kann durch die Ausgabe neuer Anteile auch beliebig erweitert werden,385 wodurch sich der Fonds laufend neues Kapital für weitere Anlagen beschaffen386 und sein Investmentvermögen jederzeit auf einen Betrag steigern kann, der für eine optimale Portfoliogröße benötigt wird.387 Closed-End-Fonds sind keine OGAW im Sinne der Richtlinie. In aller Regel fehlt es ihnen nicht nur am hierfür erforderlichen jederzeit realisierbaren Rückgaberecht, sondern sie scheiden auch bereits deswegen als OGAW aus, weil sie, sofern sie nicht als Multi-Asset-Fonds388 konstruiert sind, in aller Regel auf nur ein Projekt oder nur eine kleine Anzahl von Vermögensanlagen beschränkt sind, was wiederum nicht dem Grundsatz der Risikodiversifizierung genügt.389 Der Ausschluss von geschlossenen Fonds aus dem Anwendungsbereich der OGAW-Richtlinie ist nicht nur mittelbar in der Definition des OGAW in Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie angelegt, sondern auch ausdrücklich so in Art. 2 Abs. 1 OGAW-Richtlinie angeordnet: „OGAW des geschlossenen Typs“ sollen danach ausdrücklich keine „OGAW im Sinne dieser Richtlinie“ darstellen. Warum die OGAW-Richtlinie (und fortführend die OGAWIV-Richtlinie) unter einem OGAW ausschließlich offene Kapitalanlagen verstanden wissen will, begründet sie in ihren Erwägungsgründen damit, dass die Regelung der Organismen des geschlossenen Typs verschiedene Probleme aufwerfe, „die durch unterschiedliche Bestimmungen behandelt werden müssen“, und daher zum Gegenstand einer nachfolgenden eigenen Koordinierung der nationalen Regelungen gemacht werden sollte.390 c) Funktionsweise eines OGAW am Beispiel deutschen Rechts Von den drei alternativen Rechtsformen, in denen ein Investmentfonds nach Art. 1 Abs. 3 OGAW-Richtlinie aufgelegt wird, fällt lediglich die
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Schmitz, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, Vor §§ 30-45 Rn. 22. Köndgen, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, Einl InvG Rn. 5. 386 Förster/Hertramp, Recht der Investmentfonds, S. 7. 387 Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 113 Rn. 10; Köndgen, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, Einl InvG Rn. 5. 388 Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.25 (S. 1205). 389 Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.25 (S. 1205). 390 Erwägungsgrund 6 in der OGAW-Richtlinie. 385
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eher im kontinentaleuropäischen Bereich verbreitete391 Vertragsform, d.h. die vertragliche Beteiligung an dem Investmentfonds392 umfassend in den Anwendungsbereich der Rom I-VO. Dagegen wären ein in der Satzungsform, d.h. unter deutschem Recht als Aktiengesellschaft aufgelegter Investmentfonds, an welchem der Investor mithin als Aktionär partizipiert,393 nach Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO und ein in der Form des Trust aufgelegter Investmentfonds nach Art. 1 Abs. 2 lit. h Rom IVO aus dem Anwendungsbereich der Rom I-VO grundsätzlich ausgeschlossen.394 An dieser Stelle steht damit bereits fest, dass der Anwendungsbereich der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO praktisch auf diejenigen Fälle beschränkt ist, in denen Verbraucher sich an einem Investmentfonds beteiligen, welcher auf Grundlage des Vertragsmodells konzipiert ist. Gegenstand der folgenden Untersuchung sind daher die Vertragsbeziehungen zwischen einem Anleger und einem OGAW in der Vertragsform. Eine abstrakte Untersuchung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Hinblick auf diese vertragliche Beziehung steht jedoch unter der Schwierigkeit, dass ein OGAW ein Rechtskonstrukt und als solches in einem nationalen Recht verwurzelt ist.395 Zur Veranschaulichung des sachlichen Anwendungsbereichs dieser Ausnahmetatbestandsvariante wird daher auf OGAW nach deutschem Recht abgestellt. Wie Investmentfonds in der Vertragsform rechtlich konstruiert sind, deutet sich in der in Art. 1 Abs. 3 OGAW-Richtlinie in Klammern gesetzten Kurzbeschreibung als „von einer Verwaltungsgesellschaft verwaltete Investmentfonds“ an. Was eine Verwaltungsgesellschaft ist, wird zwar nicht in der OGAW-Richtlinie, wohl aber in Art. 2 Abs. 1 lit. b OGAW-IV-Richtlinie – ihrem Nachfolgerechtsakt – definiert. Danach ist darunter eine Gesellschaft zu verstehen, „deren reguläre Geschäftstätig391
Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.31 (S. 1207). Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 14.44; Förster/Hertramp, Recht der Investmentfonds, S. 6; Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.33 (S. 1208). 393 Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.37 (S. 1209). 394 Während die Form des Trust dem deutschen Recht gänzlich unbekannt ist, fand die Satzungsform in das deutsche Recht zwar im Zuge des 3. FMFG 1998 Eingang, als mit der Investmentaktiengesellschaft (kurz: InvAG) eine Aktiengesellschaft mit variablen Kapital eingeführt wurde; sie konnte bislang jedoch keine praktische Relevanz erlangen, vgl. Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 113 Rn. 10; Fischer/Steck, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, Vor §§ 96 bis 111a Rn. 1 f. 395 Baur, Investmentgesetze, Einleitung I Rn. 8. 392
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keit in der Verwaltung von in der Form eines Investmentfonds konstituierten OGA ... besteht ...“. Die Auflegung des Investmentfonds in der Vertragsform erfordert danach neben dem Fonds selbst zwingend den Einsatz einer Verwaltungsgesellschaft, welche, vereinfacht dargestellt, das Kapital der Anleger entgegennimmt, damit die Investitionen am Kapitalmarkt tätigt396 und das Vermögen verwaltet. Unter deutschem Recht übernimmt diese Funktion die sogenannte Kapitalanlagegesellschaft („KAG“)397, die entweder in der Rechtsform einer AG oder in der einer GmbH gegründet sein kann,398 als letztere jedoch zwingend die Einrichtung eines Aufsichtsrats erforderlich macht.399 Als Vertragsform wird die Figur des OGAW unter Einschaltung einer Verwaltungsgesellschaft deswegen bezeichnet, weil das Rechtsverhältnis zwischen der Verwaltungsgesellschaft und den Anlegern schuldvertraglich ausgestaltet ist. Der Rechte- und Pflichteninhalt der Verträge zwischen der Verwaltungsgesellschaft und den Anlegern ist grundsätzlich in den für alle Anleger einheitlich geltenden Vertragsbedingungen geregelt.400 Zwar stellt die OGAW-Richtlinie hierfür keine entsprechende explizite Vorgabe auf; sie geht jedoch ersichtlich davon aus, dass die Verwaltungsgesellschaft Vertragsbedingungen „für den Investmentfonds“ aufstellt.401 Weder das eingezahlte Kapital, noch die damit erworbenen Anlagegegenstände gehen in das Eigenvermögen der Verwaltungsgesellschaft ein.402 Stattdessen wird zum Schutz der Anleger403 ein sogenanntes Sondervermögen eingerichtet, dessen Höhe und Bestand unabhängig von den Vermögensverhältnissen der Verwaltungsgesellschaft sind404 und an dem die Anleger im Gegenzug für die Einlage Anteile erwerben, die einen bestimmten Teil dieses Sondervermögens repräsentieren.405 Unter deutschem Recht kann das Sondervermögen entweder im Miteigentum der Anteilsinhaber stehen,406 so dass der OGAW-Anteil einen 396
Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.33 (S. 1208). Siehe § 2 Abs. 6 InvG, § 6 InvG. 398 Vgl. § 6 Abs. 1 S. 2 InvG. 399 Vgl. § 6 Abs. 2 InvG. 400 Siehe § 43 InvG. 401 Siehe beispielsweise Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2, Art. 5 f Abs. 1 lit. a OGAWRichtlinie. 402 § 30 Abs. 1 S. 2 InvG; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 14.21 (S. 1429). 403 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2332 (S. 1182). 404 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2332 (S. 1182). 405 Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.33 (S. 1208); Baur/ Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/421. 406 § 30 Abs. 1 S. 1 Alt 2 InvG. 397
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(in seinen Rechten eingeschränkten)407 Miteigentumsanteil zum Inhalt hat408 und die Anleger eine Bruchteilsgemeinschaft bilden409 (Miteigentum-Modell/Lösung).410 Daneben ist es aber auch möglich, das Investmentvermögen ganz in das treuhänderische Eigentum der Verwaltungsgesellschaft zu stellen.411 Inhalt des OGAW-Anteils sind dann alle schuldvertraglichen Ansprüche des Anlegers gegen die Verwaltungsgesellschaft412 (Treuhand-Modell/-Lösung).413 3. Zusammenfassung und Zwischenergebnis zum Institut des OGAW und zur Zeichnung und zum Rückkauf von OGAW-Anteilen Aus dem so definierten Begriff des OGAW selbst lassen sich nun erste Rückschlüsse auf den sachlichen Anwendungsbereich der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Hinblick auf Geschäfte über OGAW-Anteile ziehen. In der Rechtsform der Vertragsform, die den wesentlichen Anwendungsfall unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ausmacht, funktioniert ein OGAW auf der Grundlage von inhaltlich identischen Verträgen, die eine Verwaltungsgesellschaft mit den Anlegern abschließt.414 Dass Anteile an OGAW unter Anhang I Abschnitt C MiFID ausdrücklich als Finanzinstrumente ausgewiesen sind, macht die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht entbehrlich, denn auch hier ist wieder zwischen den Rechten und Pflichten zu differenzieren, die das Finanzinstrument als solches konstituieren, und denjenigen, die das Finanzinstrument als Gegenstand eines anderen Vertrags betreffen. Der Erwerb der OGAW-Anteile ist durch die besondere Konstruktion dieser Investmentanlage geprägt, die Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO in der Unterscheidung zwischen „Zeichnung“ und „Rückkauf“ solcher Anteile entsprechend zum Ausdruck bringt. Durch 407
Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.47 (S. 1212). Nietsch, in: Emde/Dornseifer/Dreibus/Hölscher (Hrsg.), InvG, § 33 Rn. 4. 409 Beckmann, in: Beckmann/Scholtz/Vollmer (Hrsg.), Investment-Handbuch, 410 § 30 Rn. 21. 410 Nietsch, in: Emde/Dornseifer/Dreibus/Hölscher (Hrsg.), InvG, § 30 Rn. 4; Beckmann, in: Beckmann/Scholtz/Vollmer (Hrsg.), Investment-Handbuch, 410 § 30 Rn. 4; Geibel, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 47 (S. 1778). 411 § 30 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 InvG. 412 Nietsch, in: Emde/Dornseifer/Dreibus/Hölscher (Hrsg.), InvG, § 33 Rn. 4. 413 Nietsch, in: Emde/Dornseifer/Dreibus/Hölscher (Hrsg.), InvG, § 30 Rn. 4; Beckmann, in: Beckmann/Scholtz/Vollmer (Hrsg.), Investment-Handbuch, 410 § 30 Rn. 4; Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.45 (S. 1211). 414 Siehe zum deutschen Recht § 43 InvG („Vertragsbedingungen“). 408
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das Rechtsgeschäft der Zeichnung erwirbt der Anleger einen Anteil an einem Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, er investiert. Als Rückkauf ordnet sich der dazu umgekehrte Vorgang ein, d.h. die Rückgängigmachung der Investition dadurch, dass der Anleger seinen Anteil an den Organismus zurückgibt, der ihn zu diesem Zweck zurückkauft. III. Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Hinblick auf die „Zeichnung bzw. den Rückkauf von OGAW-Anteilen“ Während der OGAW in Rechtsbeziehungen zu Dritten tritt, um das eingesammelte Kapital in Anlageprodukte zu investieren, tritt der Verbraucher, der Anteile an einem OGAW zeichnet, am Kapitalmarkt selbst nicht in Erscheinung. Im Verhältnis zwischen dem Verbraucher und dem OGAW, in dem sich die spezielle Regelung für die Zeichnung bzw. den Rückkauf von OGAW-Anteilen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO abspielt, lassen sich daher nicht die gleichen Rechtfertigungsansätze zur Anwendung bringen wie für die ersten beiden Fallgruppen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO, die Wertpapieremissionen und die öffentlichen Übernahmeangebote. Für die Aufnahme dieser speziellen Tatbestandsvariante in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ist die Ratio daher neu zu ermitteln. 1. Die Tatbestandsvariante „Zeichnung bzw. Rückkauf von OGAW-Anteilen“ in den Erwägungsgründen Bis auf Erwägungsgrund 26, demzufolge „Verträge über den Verkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren ... Artikel 6 der vorliegenden Verordnung unterliegen sollen“, geben die zu den neuen Ausnahmetatbeständen aufgestellten Erwägungsgründe wenig für die Auslegung dieser speziellen Tatbestandsvariante her. Auch wenn Erwägungsgrund 29 in seiner Klarstellung ausdrücklich auch „die Zeichnung oder den Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ einbezieht, hilft dies nicht weiter. Sein erklärtes Ziel – die Geltung eines einheitlichen Rechts für „alle relevanten Vertragsaspekte eines Angebots, durch das sich der Emittent bzw. Anbieter gegenüber dem Verbraucher verpflichtet“415, sicherzustellen – lässt sich lediglich auf diejenigen Tatbestandsvarianten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO zur Anwendung bringen, die ein Angebot und einen Emittenten bzw. Anbieter involvieren. Da der Zeich415
Hervorhebung durch die Verfasserin.
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nung bzw. dem Rückkauf von OGAW-Anteilen dem Wortlaut der Regelung nach kein Angebot vorausgehen muss, damit die Ausnahme des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO eingreift, fällt dieser Schutzzweck für diese Tatbestandsvariante weg. Lassen sich die Erwägungsgründe 26 bis 29 als erste Verständnishilfen damit nur sehr eingeschränkt heranziehen, so müssen die Wertungen und Ziele des Verordnungsgebers bei Aufnahme dieser speziellen Tatbestandsvariante in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO maßgeblich im Lichte ihrer Entstehungsgeschichte gesucht werden. 2. Die Tatbestandsvariante „Zeichnung bzw. Rückkauf von OGAW-Anteilen“ im Lichte ihrer Genese Zur Ergänzung der zweiten Tatbestandsalternative im jetzigen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO um die Variante „Rückkauf oder Zeichnung von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ kam es zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt im Entstehungsprozess der neuen Ausnahmeregelungen für Finanzmarktgeschäfte, da noch im maßgebenden Entwurf der Kommissionsdienststellen vom 15. März 2007 die zweite Tatbestandsvariante nicht nach dem Gegenstand des Zeichnungs- bzw. Kaufvertrags differenzierte, sondern einheitlich „Verträge zur Zeichnung oder zum Kauf übertragbarer Wertpapiere ... oder von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen“ ausklammerte.416 Erst im Rahmen der als grundsätzlich erfolgreich beschriebenen Diskussionen dieses Entwurfs im Zivilrechtsausschuss (Rom I) des Rates kam die Befürchtung auf, dass mit dieser Regelung den rechtlichen Besonderheiten eines Investmentfonds und der Investition in denselben möglicherweise nicht genügend Rechnung getragen würde. In der Folge erging am 23. Mai 2007 ein zweiter Vermerk der Kommissionsdienststellen, in dem sie das Erfordernis einer speziellen Regelung in Bezug auf OGAW-Anteile erörterten und im Ergebnis bestätigten.417 Diese Untersuchung ging von der Fragestellung aus, ob vertragliche Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit Investitionen in OGAW existieren, die nicht notwendigerweise von dem ersten Ausnahmetatbestand für „Rechte und Pflichten, die ein Finanz416 Rat der Europäische Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 4. 417 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), Note from Services of the Commission to Committee on Civil Law Matters (Rome I), 9790/07, LIMITE, JUSTCIV 145 CODEC 557, dated 23 May 2007, S. 2 f.
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instrument begründen,“ erfasst würden, weil „sie kein intrinsischer Bestandteil des Finanzinstruments selbst sind“.418 Ihr erklärtes Ziel bestand darin, sicherzustellen, dass alle schuldvertraglichen Verpflichtungen, welche die praktische Funktionsweise, die Struktur, das Operieren und die Verwaltung eines Investmentfonds betreffen, einheitlich einem einzigen Recht unterliegen. Auf dieser Grundlage kamen die Kommissionsdienststellen zu dem Ergebnis, dass weder die Ausnahmetatbestände des Art. 1 Abs. 2 lit. f (Ausnahme gesellschaftsrechtlicher Aspekte) und des Art. 1 Abs. 2 lit. g (Ausnahme für Trusts) Rom I-VO, noch die zunächst vorgesehene Ausnahmeregelung „für die Ausgabe von OGAW-Anteilen“ hierfür genügen würden. In Bezug auf die Ausnahmetatbestände in Art. 1 Abs. 2 lit. f und g Rom I-VO stand nach Ansicht der Kommissionsdienststellen nicht hinreichend sicher fest, ob Investmentfonds in ihren Anwendungsbereich fallen würden. Die bislang vorgesehene spezielle neue Ausnahmeregelung in Art. 6 Abs. 4 Rom IVO wiederum hielten sie deswegen für zu eng gefasst, weil sie ihrem Wortlaut nach einen einheitlichen Platzierungsvorgang einer Masse an Finanzinstrumenten („one-off“) voraussetzte; Anteile an OGAW hingegen würden nicht in einem Akt massenhaft ausgegeben, sondern dauerhaft und könnten zudem jederzeit zurückgenommen werden. Um diese Defizite aufzuheben, schlugen die Kommissionsdienststellen an zwei Stellen im Entwurf zum Verordnungstext Ergänzungen vor: Zum einen sollte für den ersten Ausnahmetatbestand für „Rechte und Pflichten, die ein Finanzinstrument begründen“ ein weiterer Erwägungsgrund folgenden komplizierten Wortlauts aufgenommen werden: „Im Fall von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen fallen unter die Rechte und Pflichten, die ein Finanzinstrument begründen, auch all solche Rechte und Pflichten aus einem Vertrag zwischen dem Organismus für gemeinsame Anlagen oder dessen Manager und einem Anleger im Zusammenhang mit der praktischen Funktionsweise, dem Operieren und der Verwaltung des Organismus oder seiner Anlagen, sofern sie sich auf solche Rechte und Pflichten beziehen, die das fragliche Finanzinstrument begründen“.419 Zum anderen sollte der zweite Ausnahmetat418
Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), Note from Services of the Commission to Committee on Civil Law Matters (Rome I), 9790/07, LIMITE, JUSTCIV 145 CODEC 557, dated 23 May 2007, S. 2. 419 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 9790/07, LIMITE JUSTCIV 145 CODEC 557, Note from Services of the Commission to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 23 May 2007, S. 4; im englischen Original lautet der Erwägungsgrund wie folgt: “In the case of units in a collective investment undertaking, rights and obligations which constitute a financial
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bestand umformuliert werden zu: „Verträge zur Zeichnung oder zum Kauf von neu ausgegebenen übertragbaren Wertpapieren ... oder Rechte und Pflichten zur Zeichnung und dem Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen“.420 Während der vorgeschlagene veränderte Wortlaut des zweiten Ausnahmetatbestands im folgenden Verordnungsentwurf vom 25. Juni 2007421 übernommen und ab dann beibehalten wurde, fand der Vorschlag für den ergänzenden Erwägungsgrund für OGAW-Anteile in den nachfolgenden Entwürfen zunächst zwar formell noch Eingang in Form einer Fußnote, die auf die Möglichkeit seiner Aufnahme hinwies. Spätestens jedoch mit dem Entwurf vom 19. November 2007422 hatte sich der Verordnungsgeber endgültig gegen die Aufnahme dieses Erwägungsgrundes entschieden. 3. Auswertung der Erwägungen hinter der Aufnahme des Ausnahmetatbestands für die „Zeichnung und den Rückkauf von OGAW-Anteilen“ Anhand der Erwägungen, welche die Kommissionsdienststellen zur Aufnahme einer speziellen Regelung für Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit OGAW-Anteilen in Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO vorgetragen haben, lassen sich erste Schlussfolgerungen in Bezug auf den Anwendungsbereich dieser Regelung ziehen. Formell als eine von mehreren Fallgruppen innerhalb der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO ausgewiesen, weist die Ausklammerung „Zeichnung und Rückkauf instrument include any rights and obligations contained in a contract between the collective investment undertaking or ist manager and an investor in connection with the functioning, operation, or management of the undertaking or ist assets, provided that they relate to rights and obligations that constitute the financial instrument in question”. 420 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 9790/07, LIMITE JUSTCIV 145 CODEC 557, Note from Services of the Commission to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 23 May 2007, S. 4; im englischen Original lautet die Regelung wie folgt: “A contract to subscribe for or purchase a new issue of transferable securities, as defined by Article 4(1)(18) of Directive 2004/39/EC, or rights and obligations to subscribe for or redeem units in collective investment undertakings”. 421 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 11150/07, LIMITE, JUSTCIV 175 CODEC 716, Note from German Presidency and incoming Portuguese Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 25 June 2007. 422 Council of the European Union, Interinstitutional File: 2005/0261 (COD), 15316/07, LIMITE, JUSTCIV 309 CODEC 1279, Note from the Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 19 November 2007.
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von OGAW-Anteilen“ Besonderheiten auf, durch die sie sich von den Tatbestandsvarianten für den massenhaften Kauf bzw. Verkauf von übertragbaren Wertpapieren wesentlich unterscheidet. a) Verzicht auf das Vorliegen von Massenvertragsabschlüssen Anders als die Ausnahmetatbestandsvariante für Verträge über den Verkauf bzw. Kauf von übertragbaren Wertpapieren steht die Ausklammerung von „Zeichnung und Rückkauf von OGAW-Anteilen“ als Erstes ihrem Wortlaut nach nicht unter der Bedingung eines massenhaftes Abschlusses von Verträgen in einem Akt. Gerade weil die Vornahme der unter die Zeichnung und den Rückkauf von OGAW-Anteilen fallenden Rechtsgeschäfte nicht auf einen einmaligen und für alle Investoren gleichermaßen geltenden Zeitrahmen begrenzt ist, sondern von den Investoren grundsätzlich jederzeit und auf permanenter Basis vorgenommen werden können, hätte die erste Tatbestandsvariante alleine nicht ausreichend gewährleisten können, dass die „Zeichnung und (der) Rückkauf von OGAW-Anteilen“ dem Anwendungsbereich der speziellen Kollisionsregel für Verbraucherverträge entzogen würden. Während eine öffentliche Platzierung der Anteile noch vorstellbar ist, wird die Rücknahme der Anteile grundsätzlich nicht in einem solchen Verfahren organisiert. Die Kommissionsdienststellen hätten es bei dieser Version des Ausnahmetatbestands belassen, wenn sich die Existenz des zweiten vorgesehenen Ausnahmetatbestands lediglich mit den besonderen Erfordernissen an den schnellen und reibungslosen Ablauf einer Emission rechtfertigen sollte. Indem sie jedoch den Wortlaut dieses Ausnahmetatbestands im Hinblick auf den Erwerb von OGAW-Anteilen so abgeändert haben, dass es für die Investitionsgeschäfte mit OGAW-Anteilen gerade nicht auf das Vorliegen eines einmaligen Platzierungsvorgangs ankommt, geben die Kommissionsdienststellen zu erkennen, dass das Bedürfnis nach der einheitlichen Anwendung nur eines Rechts auf diese Geschäfte grundsätzlich besteht, ohne dass zusätzlich besondere Umstände vorliegen müssten. Das Bedürfnis nach einheitlicher Regelung fließt danach unmittelbar und genuin aus der Eigenart dieser Geschäfte selbst. b) Verzicht auf das Vorliegen eines öffentlichen Angebots Als Zweites verzichtet die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ihrem Wortlaut nach auf das Vorliegen eines öffentlichen Angebots, welches zur Zeichnung bzw. zum Rückkauf von Anteilen an solchen Organismen aufruft. Wenn es nach dem Vorhergesagten gerade nicht auf einen einmaligen Platzierungs- bzw. Rückkaufsvorgang an-
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kommen soll, sondern die ständige und fortlaufende Zeichnung und Rückgabe von Anteilen erfasst sein sollen, so ist zwar einerseits folgerichtig, dass kein einmaliges öffentliches Angebot verlangt werden kann. Andererseits fällt dadurch ein weiteres Differenzierungsmerkmal weg, wodurch der Kreis der unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO geschützten Zeichnungs- und Rückkaufsgeschäfte vergleichsweise weit gezogen wird. Steht das Eingreifen dieser Ausnahmetatbestandsvariante weder unter dem Vorbehalt, dass der Vertrag im Rahmen eines einheitlichen Platzierungsvorgangs geschlossen wurde, noch unter der Bedingung, dass er aus einem öffentlichen Angebot hervorgegangen ist, so erstreckt sich diese spezielle Ausnahmetatbestandsvariante grundsätzlich uneingeschränkt auf alle Rechte und Pflichten, die sich als Zeichnung oder Rückkauf eines OGAW-Anteils nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO qualifizieren lassen. Ob der dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nach vorgesehene Verzicht auf die Voraussetzung eines öffentlichen Angebots gleichbedeutend ist mit dem Verzicht auf jegliches Öffentlichkeitskriterium für die Zeichnung und den Rückkauf von OGAW-Anteilen, lässt sich erst nach einem vertieften Blick auf den Begriff des OGAW beantworten. Nach der zugrunde zu legenden Definition in Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie charakterisiert sich ein OGAW unter anderem dadurch, dass er sich die Gelder, die er für Rechnung Dritter am Kapitalmarkt investiert, „beim Publikum“ beschafft. Da das Unionsrecht den Begriff des Publikums in aller Regel als Gegenbegriff zu einem privaten Personenkreis verwendet, könnte sich für die Definition des OGAW daraus folgern, dass darunter von vorneherein nur Organismen fallen, deren Anteile „beim Publikum“, d.h. öffentlich platziert werden. Im Umkehrschluss wären solche Organismen, bei denen die Anleger ausschließlich aus einem Personenkreis im Einzelnen bekannter Investoren akquiriert oder speziell ausgewählte Anleger adressiert werden, keine OGAW im Sinne der OGAW-Richtlinie. Unter dieser Prämisse ließe sich folgende Schlussfolgerung für die spezielle Tatbestandsvariante in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO aufstellen: Wenn der Begriff des OGAW im Sinne der OGAW-Richtlinie solche Organismen ausschließen sollte, die ihre Anteile lediglich privat platzieren, und die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO dieses Begriffsverständnis übernehmen würde, so bestünde auch keinerlei Bedürfnis danach, zusätzlich im Verordnungstext das Vorliegen eines öffentlichen Angebots zu verlangen. Als begriffsimmanentes Merkmal eines OGAW müsste das Öffentlichkeitskriterium nicht zusätzlich in der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO wiederholt werden. Weiterhin
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würde daraus im Hinblick auf die Wertungen des Verordnungsgebers folgen, dass sich die Ausklammerung der Rechte und Pflichten, die sich als Zeichnung bzw. Rückkauf von OGAW-Anteilen qualifizieren, sehr wohl nur unter der Bedingung rechtfertigen soll, dass der Anbieter der OGAW-Anteile mit einem Personenkreis konfrontiert wird, dessen Zusammensetzung er nicht einsehen kann. Zusammengefasst ist damit nicht ausgeschlossen, dass auch diese Tatbestandsvariante auf dem Schutz des öffentlich anbietenden Anbieters beruht und damit gleichfalls auf dessen Rechtssicherheit abstellt. Diese Ausführungen haben jedoch nur Bestand, wenn dem Begriffsmerkmal in Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie – „Gelderbeschaffung beim Publikum“ – auch eine entsprechende Bedeutung zukommt, wenn also Fonds, deren Anleger aus einem privaten, d.h. bekannten Kreis stammen, von vorneherein keine OGAW im Sinne der OGAW-Richtlinie sein sollen. Einen Anknüpfungspunkt für eine solche Auslegung bietet die Regelung des Art. 2 Abs. 1 OGAW-Richtlinie. Sie legt im zweiten Spiegelstrich fest, dass „OGAW, die sich Kapital beschaffen, ohne ihre Anteile beim Publikum in der Gemeinschaft zu vertreiben“, keine OGAW im Sinne der Richtlinie darstellen. Im Umkehrschluss werden unter der Richtlinie daher nur solche Kapitalanlagen als OGAW erfasst, die ihre Anteile beim Publikum des Binnenmarktes vertreiben. Da sich unter dem Begriff des Vertriebs bereits eine an ein größeres Publikum gerichtete Verkaufstätigkeit versteht,423 müsste der Begriff des Publikums in Art. 2 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich OGAW-Richtlinie eine Bedeutung haben, die über deine Aussage über die Größe des Adressatenkreises der Verkaufstätigkeit hinausgeht. Eine eigenständige Bedeutung käme der Anforderung, dass der Vertrieb „beim Publikum“ durchgeführt wird, dann zu, wenn sie die Öffentlichkeit des Vertriebs zum Inhalt hätte. Ergo wäre der Begriff des Vertriebs beim Publikum gleichbedeutend mit dem öffentlichen Vertrieb. Unter welchen Bedingungen sich ein Vertrieb als öffentlich qualifiziert, hat der deutsche Gesetzgeber in § 2 Abs. 11 S. 1 InvG definiert. Zöge man diese Definition für die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich OGAW-Richtlinie hilfsweise heran, so würde der öffentliche Vertrieb einen Vertrieb im Wege des „öffentlichen Anbietens, der öffentlichen Werbung oder in ähnlicher Weise“ erfordern. Selbst wenn dies zutreffend sein sollte, so würde hieraus allein noch nicht automatisch folgen, dass auch dem Begriff des OGAW nach Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie diese Ein423
Baur/Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/533.
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schränkung zugrunde läge. Der Grund für diese Einschränkung liegt darin, dass bislang nicht feststeht, welche Bedeutung bzw. Funktion die zur Auslegung herangezogene Regelung des Art. 2 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich OGAW-Richtlinie hat. Nur wenn sie keine Ausnahme von Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie konstituieren, sondern lediglich deklaratorische Bedeutung haben soll, weil sie die Grundaussage der Definition in Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie wiederholen will, liefe diese Auslegung darauf hinaus, dass auch der Begriff des OGAW im Sinne von Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie den öffentlichen Vertrieb der Anteile voraussetzten würde. Diese Auslegung hat jedoch als entscheidendes Argument gegen sich, dass die Art und Weise, wie der Vertrieb der Anteile organisiert wird, die innere Struktur des Organismus, um die es in Art. 1 Abs. 2 OGAWRichtlinie geht, grundsätzlich unberührt lässt. Mit anderen Worten betrifft die Organisation des Vertriebs zwar die Geschäftstätigkeit des Organismus, nicht aber den Organismus als solchen. Sie steht grundsätzlich im Ermessen der für die Verwaltung des OGAW zuständigen Personen und ist frei abänderbar, so dass der Einordnung als OGAW unter Geltung dieses Kriteriums etwas Willkürliches anhaften würde. Bereits aus diesem Grund kann es sich bei Art. 2 Abs. 1 OGAW-Richtlinie nicht um eine lediglich deklaratorisch bedeutsame Ausnahmeregelung handeln. Das Merkmal des Publikums in Art. 1 Abs. 2 OGAWRichtlinie ergibt nur dann Sinn, wenn es lediglich auf die Offenheit des Anlegerkreises an sich abzielt. Ein Organismus, der seine Gelder beim Publikum beschafft, steht als Kapitalanlage demnach einem unbestimmten, breiten Anlegerkreis offen. Seine Anteile können von jedermann und insbesondere von Privatanlegern erworben werden. Der inhaltliche Unterschied zum Begriff des öffentlichen Vertriebs besteht daher darin, dass es auf die grundsätzliche Offenheit der Kapitalanlage in Bezug auf die Anleger keinen Einfluss hat, ob das Anlegerpublikum im Ganzen öffentlich zum Erwerb eines Anteils aufgefordert wird oder einzelne Personen daraus gezielt privat angesprochen werden. Welche Bedeutung das Kriterium „beim Publikum“ hat, lässt sich am Beispiel des deutschen Investmentrechts veranschaulichen: Der Verordnungsgeber nimmt die gleiche Differenzierung vor wie der deutsche Gesetzgeber in § 2 Abs. 3 InvG zwischen Publikumsfonds und solchen Organismen, die von vorneherein nur juristischen Personen offen stehen, wie dies für Spezialfonds im Sinne von § 91 InvG der Fall ist.424 Eine solche grundsätzliche 424
Verfürth/Emde, in: Emde/Dornseifer/Dreibus/Hölscher (Hrsg.), InvG, § 2 Rn. 23. Ob der Begriff des OGAW unter der Rom I-VO auf Publikumsfonds zu
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Beschränkung des Anlegerkreises auf juristische Personen ist mit dem Kriterium „beim Publikum“ unvereinbar. Darüber hinaus kommt diesem Kriterium jedoch keine Bedeutung zu. Als OGAW unter der OGAW-Richtlinie ordnen sich mithin solche Organismen ein, deren Anteile auch Privatanlegern zum Erwerb offen stehen.425 Wie diese Privatanleger adressiert werden, ob im Rahmen eines öffentlichen Angebots oder innerhalb einer privaten Kundenbeziehung, ist für den Begriff des OGAW hingegen unbeachtlich.426 Wenn der öffentliche Vertrieb der Anteile kein wesentliches Merkmal eines OGAW im Sinne des Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie darstellt und die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf das Vorliegen eines öffentlichen Angebots für die Zeichnung eines OGAW-Anteils verzichtet, so folgt daraus, dass in dieser Tatbestandsvariante die Abwägung zwischen der Rechtssicherheit des OGAW und dem Interesse der Verbraucher uneingeschränkt zu Gunsten des OGAW ausfällt, unabhängig davon, ob auf seiner Seite theoretisch die Möglichkeit bestünde, sich mit dem infolge von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO potentiell anwendbaren Verbraucherschutzregelungen auseinandersetzen zu können. c) Differenzierung zwischen dem Kauf und der Zeichnung von OGAW-Anteilen Auf der anderen Seite erfährt der Anwendungsbereich dieser Tatbestandsvariante wieder eine sachliche Einschränkung durch die Vorgabe, dass „Verträge über den Verkauf von Anteilen an Organismen für gebeschränken ist oder ebenfalls Spezialfonds erfasst, wie Müller argumentiert, vgl. Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 88, ist in dieser Untersuchung praktisch unerheblich, weil die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO von vorneherein nur Anwendung auf solche Investmentfonds findet, an denen sich Verbraucher beteiligen können. 425 So auch: Grundmann, ZBB 1991, 242, 245; teilweise wird vertreten, dass der Ausschluss von Fonds, die sich nicht an das Publikum wenden, unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 OGAW-Richtlinie folgt, vgl. Baur/Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/605; Baur, in: Assmann/Schütze, Hdb. des Kapitalanlagerechts, § 20 Rn. 198. Legt man diese Regelung systematisch als Ausnahmeregelung von Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie aus, so könnte daraus im Umkehrschluss folgern, dass Spezialfonds von Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie noch erfasst sind, vgl. hierzu Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 88. Dies ließe sich jedoch nicht mit dem unmittelbar in Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie aufgenommenen Merkmal – „Gelderbeschaffung beim Publikum“ – vereinbaren, welches ausdrücklich auf die Offenheit des Anlegerkreises verweist. 426 So im Ergebnis auch: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 338.
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meinsame Anlagen in Wertpapieren“ nach Erwägungsgrund 26 explizit nicht aus dem Anwendungsbereich der Kollisionsregel für Verbraucherverträge ausgeklammert sind. Diese Klarstellung geht zurück auf den Vermerk der Kommissionsdienststellen vom 23. Mai 2007, die zu ihren textlichen Änderungsvorschlägen ergänzend ausführten, dass mit dem vorgeschlagenen Text weder intendiert würde, mit Intermediären abgeschlossene Kaufverträge über OGAW-Anteile auszuschließen, noch solche Rechte und Pflichten ausgeklammert werden sollten, die aus dem direkten Kauf eines OGAW-Anteils resultieren.427 Während Kaufverträge über OGAW-Anteile nach dieser Erläuterung und im Einklang mit Erwägungsgrund 26 generell der Regelung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom IVO unterstellt sein sollen, hat die Ausklammerung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Rahmen des Erwerbsvorgangs lediglich für die Zeichnung eines OGAW-Anteils Bedeutung.428 Dies zugrundegelegt, zieht Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO für diese Tatbestandsvariante demnach eine Trennlinie zwischen nicht ausgeklammerten reinen Kaufverträgen einerseits und der von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO ausgenommenen Zeichnung andererseits. Daraus wiederum folgt, dass als Vertragsgegenstand der ausgenommenen Rechte und Pflichten ausschließlich neue OGAW-Anteile in Betracht kommen, da die Differenzierung zwischen den Rechten und Pflichten aus einem Kaufvertrag und den Rechten und Pflichten aus einer Zeichnung sich nur damit erklären lässt, dass der Anteil, der erworben werden soll, bei einer Zeichnung erst noch geschaffen werden muss.429 Um einen bereits existenten Anteil zu erwerben, bedarf es hingegen nur eines Kaufvertrags, auf den jedoch die Regelung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO umfassend Anwendung finden soll. Im Unterschied zu den Tatbestandsvarianten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO, die auf Wertpapieremissionen bzw. öffentliche Übernahmeangebote zugeschnitten sind, beschränkt sich die Tatbestandsvariante für OGAW-Anteile daher ausschließlich auf den Ersterwerb solcher Anteile und, sofern eine Unterscheidung möglich ist, nur auf solche Rechte und Pflichten, die sich unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO als Zeichnung eines OGAW-Anteils qualifizieren.
427
Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 9790/07 LIMITE JUSTCIV 145 CODEC 557, Note from Services of the Commission to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 23 May 2007, S. 3. 428 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 9790/07, LIMITE JUSTCIV 145 CODEC 557, Note from Services of the Commission to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 23 May 2007, S. 3. 429 So im Ergebnis auch: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 338.
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d) Zusammenfassung und Ergebnis zur Ratio der Tatbestandsvariante „Zeichnung und Rückkauf von OGAW-Anteilen“ Die als „Zeichnung und Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ ausgestaltete Tatbestandsvariante in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO unterscheidet sich von den ebenfalls von dieser Regelung ausgenommenen Verträgen über übertragbare Wertpapiere dadurch, dass sie die Anwendung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO auf diese vertraglichen Rechte und Pflichten einerseits uneingeschränkt aufhebt und insbesondere nicht nach der Vorhersehbarkeit des Veräußerers fragt. Andererseits nimmt sie Erwerbsverträge nicht schlechthin aus, sondern nur die Zeichnung neuer OGAW-Anteile, d.h. den Ersterwerb solcher Anteile, wodurch ihr Anwendungsbereich wiederum eine erhebliche Einschränkung erfährt. Daraus folgt für diese Tatbestandsvariante, dass sich ihre Funktion – anders als diejenige der vorangestellten Tatbestandsvarianten – darauf beschränkt, all diejenigen schuldvertraglichen Rechte und Pflichten zu erfassen, die zwar nicht Teil des Finanzinstruments selbst, d.h. im OGAW-Anteil verkörpert sind, die aber ebenfalls bei Ausgabe eines OGAW-Anteils zwischen dem Verbraucher und dem OGAW begründet werden. Die Ausnahme für die Zeichnung bzw. den Rückkauf von OGAW-Anteilen ordnet sich als eine Auffangregelung im Verhältnis zu Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ein, die sich damit rechtfertigt, dass es im Verhältnis zwischen dem Aussteller eines Finanzinstruments und dessen Ersterwerber höchstens einen formellen Unterschied macht, ob eine Verpflichtung im Anteil selbst verbrieft bzw. verkörpert ist oder nicht. Um den Aussteller umfassend vor der ihm nachträglichen Anwendung von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO zu schützen, war es aus Sicht des Verordnungsgebers erforderlich, ergänzend zu Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO eine Regelung zu treffen, die auch die nicht im Anteil selbst verkörperten Verpflichtungen ausklammert. In dieser eng definierten Funktion führt die Ausklammerung von Zeichnung und Rückkauf von OGAW-Anteilen die ursprüngliche Ratio der Vorgängerversion des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO fort, wie sie sich aus den Erläuterungen der Kommissionsdienststellen im Vermerk vom 15. März 2007 ergibt.430 Damit erklärt sich auch, warum sich ihr persönlicher Anwendungsbereich auf das Vertragsverhältnis zwischen Anleger und OGAW beschränkt, wohingegen die übrigen Ausnahmetatbestandsvarianten in Art. 6 Abs. 4 430 Rat der Europäische Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 4.
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Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2
lit. d Alt. 2 Rom I-VO als Vertragspartner des Verbrauchers auch andere Personen als den Aussteller der Wertpapiere zulassen. Mit der Erweiterung des jetzt in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO vorliegenden Ausnahmetatbestands auf das öffentliche Angebot bereits existenter Wertpapiere und öffentliche Übernahmeangebote ließen sich die neuen Ausnahmetatbestände allein mit dem Gedanken der Sicherstellung der Fungibilität der Wertpapiere nicht mehr rechtfertigen. Stattdessen bedurfte es der zusätzlichen Rechtfertigung auf Grundlage des Gedankens der Rechtssicherheit des Emittenten, wodurch sich der Kreis der ausgeklammerten Rechtsgeschäfte notwendigerweise auf solche beschränkte, die massenhaft und in einem Akt mit dem Publikum abgeschlossen würden. Dagegen gründet die Ausnahme für Zeichnung und Rückkauf von OGAW-Anteilen weiterhin maßgeblich auf dem Gedanken der Fungibilität, wohingegen sich der Gedanke der Rechtssicherheit bei dieser Ausnahme darin erschöpft, dass sich die Ausnahme auf Privatanlegern zugängliche Investmentfondsanteile beschränkt. Zwischen den Tatbestandsvarianten der Ausgabe, des öffentliches Angebots sowie schließlich der öffentlichen Übernahmeangebote auf der einen Seite und der Ausklammerung von „Zeichnung und Rückkauf“ von OGAWAnteilen auf der anderen Seite besteht damit ein wesentlicher Unterschied in der Rechtfertigung, der sich unmittelbar im jeweiligen Anwendungsbereich der einzelnen Tatbestandsvarianten des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO niederschlägt. 4. Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Fonds Unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO hat die Beschränkung des Begriffs des OGAW auf Open-End-Strukturen zur Folge, dass die Zeichnung eines Anteil an einem geschlossenen Fonds der Anwendung der speziellen verbraucherschützenden Kollisionsregeln in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO entzogen ist, nicht aber der Erwerb einer Beteiligung an einem geschlossenen Fonds. Sofern geschlossene Fonds, wie in Deutschland üblich, in der Form von Publikums-Handelsgesellschaften (KG) oder Publikums-Gesellschaften des bürgerlichen Rechts (GbR) aufgelegt werden,431 so dass die Anleger an dem Fonds als Gesellschafter partizipieren, käme die Rom I-VO auf das Rechtsverhältnis zwischen Anleger und Investmentfonds wegen Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO zwar ohnehin nicht zur Anwendung. Darauf soll es an dieser Stelle jedoch nicht ankommen. Vielmehr soll die Beschränkung auf Open-End-Struk431
Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.25 (S. 1205).
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turen mit der Ratio dieser speziellen Ausnahmetatbestandsvariante erklärt werden. Wie oben herausgearbeitet begründet sich die Ausnahme für bestimmte Rechtsgeschäfte über OGAW-Anteile mit der Sicherstellung der fungiblen Ausgestaltung dieser Anteile, die wiederum auf das gesamte Rechtsverhältnis zwischen OGAW und Anleger beim Ersterwerb und beim Rücktritt ausstrahlt. Der Verordnungsgeber hat demnach bestimmte vertragliche Aspekte außerhalb des Anteils in seiner rechtlichen Gestalt als „Bündel von Rechten und Pflichten“ identifiziert, die für die Gewährleistung der „Fungibilität“, d.h. der Handelbarkeit der Anteile ebenso notwendig sind wie die standardisierte Ausgestaltung der Anteile selbst. Anteile an offenen Fonds leiten ihre Handelbarkeit maßgeblich daraus ab, dass das Rückgaberecht es den Anlegern ermöglicht, ihren Anteil gegen Auszahlung eines entsprechenden Rückgabepreises grundsätzlich jederzeit an den Fonds zurückzugeben, so dass sie für die Vornahme einer Desinvestition nicht auf die Existenz eines Sekundärmarktes angewiesen sind.432 Es ist das Rückgaberecht, welches die Liquidität der Anlage sicherstellt,433 da der Verkauf auf dem Sekundärhandel den Nachteil hätte, dass der Marktwert dort erheblich vom wahren Wert der Anlage abweichen könnte und so den Anforderungen an eine kurzfristige und vor allem kostengerechte Desinvestition in der Regel nicht genügt werden könnte.434 Die Notwendigkeit einer solchen kurzfristigen und kostengerechten Desinvestitionsmöglichkeit steht wiederum im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des Fonds als fremdverwaltete Kollektivanlage: Da es sich bei einem Anteil an einem Investmentfonds um ein „vorgefertigtes und vergleichsweise kostengünstiges Konfektionsprodukt“ handelt, „welches der Anleger nur in der angebotenen Form nachfragen kann“435 und auf dessen Ausgestaltung er keinen Einfluss hat,436 besteht für ihn kein Anreiz, sich längerfristig an diese Vermögensanlage zu binden. Damit die Anlage attraktiv für In432
Gutsche, in: Emde/Dornseifer/Dreibus/Hölscher (Hrsg.), InvG, § 37 Rn. 8. Gutsche, in: Emde/Dornseifer/Dreibus/Hölscher (Hrsg.), InvG, § 37 Rn. 7 f.; Köndgen, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, Einl InvG Rn. 44; Kümpel/ Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.55 (S. 1214); Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2338 (S. 1183). 434 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2338 (S. 1183); Kümpel/Wittig/Reiter, Bankund Kapitalmarktrecht, Rn. 9.55 (S. 1216). 435 Köndgen, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, Einl InvG Rn. 3. 436 Einsele, Internationales Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 527; Köndgen/ Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 113 Rn. 115. 433
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vestoren ist, müssen sie die Sicherheit haben, ihre Investition jederzeit unkompliziert und kaum kostenaufwändig wieder rückgängig machen zu können.437 Diese Funktion, aus der es seine Bedeutung als „Kernelement der Rechtsposition des Anlegers“438 ableitet, kann das Rückgaberecht jedoch nur unter der Voraussetzung erfüllen, dass es für alle Anteilsinhaber unter denselben Bedingungen gilt. Wäre dies nicht der Fall und hingen Inhalt und Ausübung des Rückgaberechts wegen Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO von bestimmten Verbraucherschutzregelungen im jeweiligen Heimatrecht der Verbrauchers ab, so müsste im Zweifel für jeden Anteilsinhaber einzeln eine Prüfung des Rechts vorgenommen werden, wodurch sich der gesamte Rücknahmeprozess zu Lasten der Liquidität der Anteile verlangsamen würde. Die gegenüber allen Anlegern einheitliche Geltung der Bedingungen des Rückgaberechts ist damit wesentliche Voraussetzug für die Handelbarkeit der Anteile, so dass ein Bedürfnis nach Ausklammerung dieser Bedingungen aus dem Anwendungsbereich der speziellen Kollisionsregel für Verbraucherverträge besteht. Im Hinblick auf die Zeichnung lässt sich das Erfordernis nach einheitlicher Regelung dieses Rechtsgeschäfts gegenüber allen Anlegern bei offenen Investmentfonds mit der Ausgestaltung der Anteile als identisch ausgestaltete Massenprodukte rechtfertigen, die grundsätzlich uneingeschränkt ausgegeben werden. Würde man die Anleger stattdessen erheblich in die Anlagestrategien mit einbeziehen bzw. müsste die Verwaltungsgesellschaft auf die individuellen Bedürfnisse und Interessen der Kapitalgeber eingehen, so würde die Anlagetätigkeit des Fonds erheblich erschwert und ließe sich in der Folge die kostengünstige Kapitalanlage für das Publikum nicht realisieren. Die einheitliche Ausgestaltung ist daher zwingende Voraussetzung für die Ausgestaltung des OGAW als kollektive Kapitalanlage.439 Hängt die Funktionsfähigkeit eines Open-End-Fonds notwendigerweise davon ab, dass alle Interessenten zu denselben Bedingungen zeichnen und alle Anteilsinhaber zu denselben Bedingungen ihr Rückgaberecht ausüben können, so werden die Motive des Verordnungsgebers hinter der Aufnahme einer speziellen Tatbestandsvariante für die Zeich437 Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 113 Rn. 5; Köndgen, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, Einl InvG Rn. 44. 438 Geibel, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 66 (S. 1783). 439 Beckmann, in: Emde/Dornseifer/Dreibus/Hölscher (Hrsg.), InvG, § 43 Rn. 13.
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nung und den Rückkauf von OGAW-Anteilen in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom IVO sichtbar: Um zu verhindern, dass die Einheitlichkeit der Vertragsbedingungen in Folge von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO aufgehoben würde, müssten diese unter Aufwendung hoher Kosten entweder so gestaltet werden, dass sie den Verbraucherschutzregelungen aller potentiell adressierten Rechtsordnungen Rechnung tragen, oder der OGAW müsste sich vom internationalen Kapitalmarkt zurückziehen. Während die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO in Bezug auf Anteile an offenen Fonds ihrer Funktion gerecht wird, in notwendiger Ergänzung zu Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO die Fungibilität der Anteile sicherzustellen, kann dies bereits deswegen nicht für Anteile an geschlossenen Fonds gelten, weil diese in aller Regel nicht fungibel sind.440 In der Regel wird den Anlegern an einem geschlossenen Fonds die Möglichkeit eingeräumt, die Höhe des zu erwerbenden Anteils individuell festzulegen, weswegen dass Anteile an geschlossenen Fonds nicht nach ihrer Stückzahl bemessen werden können.441 Dass es den Anteilen an einem geschlossenen Fonds an der für die Handelbarkeit notwendigen standardisierten Ausgestaltung fehlt, steht im Einklang mit dem Konzept eines geschlossenen Fonds, da die Anzahl der Anteile grundsätzlich zu Beginn feststeht und die Beteiligung durch die Anleger auf Dauer angelegt ist.442 Wenn es bereits an der Fungibilität der Anteile selbst fehlt, ist kein Grund dafür ersichtlich, Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO auf die Zeichnung solche Anteile Anwendung finden zu lassen.443 IV. Die Ausnahmetatbestandsvariante „Zeichnung bzw. Rückkauf von OGAW-Anteilen“ im Einzelnen 1. Der Organismus für gemeinsame Anlagen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Auf Grundlage der vorherigen Ergebnisse ist es nun möglich, den Anwendungsbereich dieser speziellen Ausnahmetatbestandsvariante im 440
Sester, ZBB 2008, 369, 379. Voß, BKR 2007, 45, 51; Sester, ZBB 2008, 369, 378. 442 Köndgen, in: Berger/Steck/Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, Einl InvG Rn. 4; Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 113 Rn. 11. 443 A.A. im Ergebnis Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 87, 338: Sofern die Anteile auf dem Sekundärmarkt gehandelt würden, könne auf das Merkmal des Rückgaberechts verzichtet werden. Dabei lässt Müller jedoch außer Acht, dass die Existenz der Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nach hier vertretener Ansicht gerade auf dem Institut des Rückgaberechts beruht. 441
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Einzelnen zu bestimmen. Hierbei ist der Vorgabe des Verordnungsgebers Folge zu leisten, den Begriff des Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren so auszulegen, dass sich darunter auch Anteile fassen lassen, „selbst wenn sie nicht unter die OGAW-Richtlinie ... fallen“. a) Räumlich: keine Beschränkung auf den Bereich der Mitgliedstaaten Wegen des universellen Anwendungsbereichs der Rom I-VO ist diese Vorgabe so umzusetzen, dass der Begriff des OGAW nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht deckungsgleich mit dem Richtlinienbegriff auszulegen ist. Bei den OGAW im Sinne der Rom I-VO kann und darf es sich nicht um Organismen handeln, die per definitionem ausschließlich innerhalb der Mitgliedstaaten existieren. Die Beschränkung der rechtlichen Existenz von OGAW auf den Bereich der Mitgliedstaaten ist nicht unmittelbar in der Definition in Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie selbst angelegt, folgt aber mittelbar daraus, dass unter die OGAWRichtlinie nur solche Organismen fallen, deren Sitz in einem Mitgliedstaat liegt, wofür nach Art. 3 OGAW-Richtlinie auf den satzungsmäßigen Sitz der Verwaltungsgesellschaft des Investmentfonds oder der Investmentgesellschaft abzustellen ist. Befindet sich der Sitz demnach in einem anderen Land als in einem Mitgliedstaat, läge bei uneingeschränkter Anwendung des Begriffs im Sinne der OGAW-Richtlinie auch unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO kein OGAW vor. Wegen der universellen Anwendbarkeit der Rom I-VO muss dieses Kriterium entfallen, da sich die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ansonsten ausschließlich auf Binnenmarktsachverhalte in Anwendung bringen ließe. Aus demselben Grund hat die Voraussetzung der Zulassung des OGAW in einem Mitgliedstaat zu entfallen. b) Sachlich: keine Beschränkung auf Organismen, die ausschließlich in Wertpapieren anlegen Die OGAW-Richtlinie ist, wie oben bereits angedeutet, Rechtsgeschichte: 2002 wurde sie durch zwei weitere Richtlinien ergänzt: (i) die RL 2001/107/EG444 („Verwaltungsrichtlinie“) und (ii) die RL 2001/
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Richtlinie 2001/107/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Januar 2002 zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) zwecks Festlegung von Bestim-
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108/EG445 („Produktrichtlinie“). 2009 ist sie mit Wirkung zum 1.7.2011 vollständig aufgehoben und (iii) durch die OGAW-IV-Richtlinie ersetzt worden. Der europäische Gesetzgeber sah es „aus Gründen der Klarheit“446 für erforderlich an, eine Neufassung der Richtlinie zu verabschieden. Alle Änderungen wurden zu dem Zweck vorgenommen, den Regelungstext an die fortschreitende Entwicklung der Finanzmärkte anzupassen. Im Zuge dieser Aktualisierungen ist auch die Figur des Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren fortentwickelt worden; insbesondere gilt dies im Hinblick auf die Voraussetzungen an die Anlagegegenstände, in welche ein OGAW investieren darf. Während der Kreis der zulässigen Anlagegegenstände unter der OGAW-Richtlinie noch auf bestimmte Wertpapiere begrenzt war, ist diese auf den niedrigen Transaktionskosten dieser Wertpapiere ruhende Beschränkung447 2002 durch die Produktrichtlinie aufgehoben worden. Erstmalig wurden unter bestimmten anlegerschützenden448 Voraussetzungen unter anderem auch Geldmarktinstrumente, Anteile an anderen OGAW sowie Derivate zugelassen.449 Die Erweiterung des Kreises zulässiger Investitionsgegenstände bildete die zu diesem Zeitpunkt aktuelle Marktentwicklung ab,450 von der das Investitionsmodell OGAW nicht ausgeschlossen werden sollte. Die Neuschaffung des Richtlinientextes durch die OGAW-IVRichtlinie wiederum nahm der europäische Gesetzgeber zum Anlass, abermals den Begriff des OGAW zu erweitern, indem er ihn um MasterFeeder-Strukturen ergänzte. Als Feeder-OGAW wird ein Investmentfonds bezeichnet, der mindestens 85% seines Vermögens in Anteile eines anderen OGAW investiert;451 Master-OGAW ist die Bezeichnung für den Fonds, in dessen Anteile ein Feeder-Fonds investiert.452 Es zeigt sich, dass der Begriff des OGAW seit der OGAW-Richtlinie eine erhebmungen für Verwaltungsgesellschaften und vereinfachte Prospekte, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 41 vom 13.2.2002 S. 20 ff. 445 Richtlinie 2001/108/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Januar 2002 zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) hinsichtlich der Anlagen der OGAW, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 41 vom 13.2.2002, S. 35 ff. 446 Siehe Erwägungsgrund 1 in der OGAW-IV-Richtlinie. 447 Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch § 113 Rn. 12. 448 Vgl. Erwägungsgründe 2 und 8 in der Produktrichtlinie. 449 Art. 1 Nr. 3 bis 5 Verwaltungsrichtlinie. 450 Vgl. Erwägungsgründe 2 und 8 in der Produktrichtlinie. 451 Art. 58 Abs. 1 OGAW-IV-Richtlinie. 452 Art. 58 Abs. 1 OGAW-IV-Richtlinie.
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Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2
liche sachliche Erweiterung erfahren hat, für die es keinen Grund gibt, sie unter der Rom I-VO unberücksichtigt zu lassen. Das Bedürfnis nach der Ausklammerung von „Zeichnung und Rückkauf von OGAWAnteilen“ besteht unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO darüber hinaus grundsätzlich unabhängig davon, in welche Vermögensgegenstände ein solcher Organismus investieren darf, da die Anlagetätigkeiten dieses Organismus sein Vertragsverhältnis zu den Anlegern unberührt lassen. Daher ist es unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht ausreichend, lediglich die Neuerungen durch die OGAW-IV-Richtlinie zu übernehmen; vielmehr darf der Begriff gänzlich nicht mit dem der „richtlinienkonformen Sondervermögen“453 gleichgesetzt werden. Auf den in den Richtlinien vorgegebenen Typenzwang454 der Anlagetitel ist daher – innerhalb der durch den Grundsatz der Risikodiversifizierung gesetzten Grenzen – grundsätzlich zu verzichten. Ausreichend für das Vorliegen eines OGAW sind die wesentlichen Merkmale, die in der Definition als nach dem Grundsatz der Risikobetreuung fremdverwaltete Kollektivanlage mit Rücktrittsrecht zusammengefasst sind. Beispielsweise sind danach auch die Anteile an offenen Immobilienfonds als Anlageobjekte eines OGAW im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO erfasst. Zur Veranschaulichung dieses Umstands ist es vorzugswürdig, unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO – wie bereits auch in der MiFID umgesetzt – in Anhang I Abschnitt C Nr. 3 nicht von „OGAW“, sondern nur noch von „OGA“, d.h. „Organismen für gemeinsame Anlagen“ zu sprechen. Zusammengefasst entfällt für den Begriff des OGAW unter der Rom I-VO die Beschränkung auf bestimmte Anlagegegenstände mit der Folge, dass der Begriff in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO gedanklich durch den des „Organismus für gemeinsame Anlagen“ („OGA“) zu ersetzen ist.455 c) Zwischenergebnis zum Begriff des OGAW im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO Für den Begriff des Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO kann auf die Definition aus Art. 1 Abs. 2 OGAW-Richtlinie unter den Einschränkungen zurückgegriffen werden, dass erstens die aus der räumlichen Begrenzung des 453
So die Bezeichnung des InvG für diejenigen Sondervermögen, die den Vorgaben der Richtlinien getreu investieren und in den §§ 46–65 InvG geregelt sind.. 454 Geibel, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 90 (S. 1791). 455 So auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 87.
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Anwendungsbereichs der Richtlinie folgenden Voraussetzungen entfallen sowie zweitens die Beschränkungen auf bestimmte Anlagegüter nicht gelten.456 2. Ausgenommene Verpflichtungen unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO a) Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Hinblick auf die Zeichnung bzw. den Rückkauf von OGAW-Anteilen Die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO findet ausschließlich auf das Vertragsverhältnis zwischen der Verwaltungsgesellschaft und den Anlegern („Investmentvertrag“)457 Anwendung. Die in der OGAW-Richtlinie zum Schutz des Investmentvermögens und damit zugleich der Anleger458 vorgesehene Aufgabentrennung zwischen der Verwaltung und der Verwahrung des Investmentvermögens macht zwar die Einschaltung einer Verwahrstelle459 (in Deutschland: Depotbank),460 der unter anderem die Ausgabe und Rücknahme von Anteilscheinen obliegt, zwingend erforderlich.461 Vertragspartner des Anlegers aus der Zeichnung eines Anteils ist jedoch immer die Verwaltungsgesellschaft und nicht die Verwahrstelle. Da der Anleger im Rahmen des Anteilserwerbs grundsätzlich in keine vertraglichen Rechtsbeziehungen zu der Verwahrstelle tritt,462 ist die im sogenannten „Investmentdreieck“463
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A.A. Müller, demzufolge die jederzeitige Rückgabemöglichkeit kein wesentliches Merkmal eines OGAW unter der Rom I-VO ist, vgl. Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 87, 338. 457 Geibel, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 24 (S. 1770). 458 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2334 (S. 1182); Kümpel/Wittig/Reiter, Bankund Kapitalmarktrecht, Rn. 9.43 (S. 1211). 459 Art. 1a Nr. 2 OGAW-Richtlinie. 460 Einsele, Internationales Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 525. 461 Baur/Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/125. 462 Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 113 Rn. 133; Geibel, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 81 (S. 1788); Einsele, Internationales Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 533; unter deutschen Recht wird allerdings die Einordnung als Vertrag zugunsten Dritter nach § 328 BGB diskutiert, a.a.O. 463 Baur/Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/4; Geibel, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 8 (S. 1763); Einsele, Internationales Bank-
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widergespiegelte Organisationsstruktur des Investments in OGA-Anteilen unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO unbeachtlich. Mit anderen Personen als der Verwaltungsgesellschaft selbst abgeschlossene Kaufverträge über OGA-Anteile unterstehen, vorbehaltlich der übrigen Voraussetzungen dieser Regelung, immer dem Anwendungsbereich der Regelung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO.464 Für den Großteil der Kaufverträge über OGA-Anteile, nämlich diejenigen, welche nicht im Eigenvertrieb abgeschlossen werden, bleibt es daher bei der Geltung des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes. Umgekehrt bedeutet dies nicht, dass eine Verwaltungsgesellschaft, die den Verkauf ihrer Anteile in der Vertriebsform des Eigenvertriebs organisiert, beispielsweise über eine eigene Vertriebsabteilung oder freiberuflich tätige Mitarbeiter,465 dadurch nicht automatisch von der Beachtung der Regelungen des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO befreit wäre, da die in Erwägungsgrund 26 aufgenommene Klarstellung, dass „Verträge über den Verkauf von (OGA-)Anteilen ... Artikel 6 ... unterliegen“, im Lichte der Entstehungsgeschichte so auszulegen ist, dass sie gleichermaßen für Direktverkäufe gilt. Hier kommt es wesentlich auf die Differenzierung zwischen der Zeichnung und dem Kauf eines Anteils an. b) Differenzierung zwischen Zeichnung und Kauf eines OGAW-Anteils Die ausdrückliche Beschränkung auf speziell die Zeichnung von OGAAnteilen, welche die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO vornimmt, lässt sich nur dahingehend praktisch sinnvoll auslegen, dass sie auf den Unterschied zwischen einem Erst- und einem Zweiterwerb eines OGA-Anteils rekurriert. Diese Unterscheidung zwischen dem Erstund dem Zweiterwerb steht auch im Einklang mit der Ratio dieses Ausnahmetatbestandes: die Gewährleistung der Fungibilität dieser Anteile. Wenn unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO lediglich diejenigen Rechte und Pflichten ausgeklammert sein sollen, die zwar nicht rechtlich Teil des Finanzinstruments selbst sind, wie diese jedoch zwingend einheitlich geregelt werden müssen, so kann diese Tatbestandsvariante nur auf den Vorgang der Begründung bzw. der Erschaffung der OGA-Anteile abstellen. Nur bei diesem Vorgang kann von dem lediglich formellen, eine Differenzierung unter Art. 6 Abs. 1, 2 Rom und Kapitalmarktrecht, S. 524; Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.151 (S. 1235). 464 So auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 339. 465 Zur Vertriebsform des Eigenvertriebs siehe Baur/Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/616.
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I-VO nicht rechtfertigenden Unterschied zwischen einer Verpflichtung, die unmittelbar Teil des Finanzinstruments selbst ist, oder einer solchen, die außerhalb desselben vereinbart worden ist, gesprochen werden. Der Differenzierung zwischen Zeichnung und Kauf entspricht, dass ein Anleger, der sich an einem Fonds beteiligen möchte und zu diesem Zweck an einen OGA herantritt, von diesem grundsätzlich entweder einen neuen Anteil oder aber einen bereits existieren Anteil erwerben kann: Wird ein neuer Anteil ausgegeben, so hat dies zur Folge, dass das Vermögen des Investmentfonds um den Betrag erhöht wird, den der Anleger abzüglich des Ausgabepreises (Anlagebetrag)466 zahlt; wird hingegen ein bereits existenter Anteil veräußert, fließt dem Investmentvermögen dadurch kein neuer Betrag zu.467 Möglich wird die Veräußerung eines bereits existenten Anteils durch den OGA selbst dadurch, dass er diesen Anteil zuvor von einem früheren Inhaber erworben und in sein eigenes Vermögen übernommen hat.468 Ob der OGA einen neuen Anteil ausgibt oder einen bereits existenten Anteil veräußert, wirkt sich auf die Rechtsnatur des Vertrags aus, wie sich am Beispiel einer KAG nach deutschem Rechts veranschaulichen lässt. Im ersten Fall schließen die KAG und der Anleger den sogenannten Investmentvertrag, dessen Inhalt teilweise durch das InvG vorgegeben, teilweise durch die darauf aufbauenden Vertragsbedingungen der Verwaltungsgesellschaft geregelt wird469 und dessen wesentliche Pflicht nach gemeinhin vertretener Ansicht in der Besorgung fremder Vermögensangelegenheiten besteht.470 Wenn die KAG jedoch einen Anteil anbietet, den sie selbst zuvor von einem Anleger erworben hat, so ändert sich dadurch die Funktion, in der sie dem Interessenten gegenüber tritt: Sie ist nicht mehr nur die Verwalterin des Fondsvermögens, sondern als Inhaberin des Anteils zu466
Geibel, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 37 (S. 1776). 467 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2380 (S. 1215). 468 Baur/Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/274. 469 Baur/Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/269; Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.153 (S. 1236); Geibel, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 24 (S. 1770). 470 Kümpel/Wittig/Reiter, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.152 (S. 1236); Baur/Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/270; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2352 (S. 1188); Geibel, in: Derleder/Knops/ Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 24 (S. 1771).
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Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2
gleich selbst Anlegerin. Dass die KAG dadurch zugleich Berechtigte und Verpflichtete des im Anteil verbrieften Rechts ist, ist notwendige Konsequenz, wenn man die Übernahme eigener Anteile durch die KAG ohne Auflösung des Anteils durch Konfusion zulässt.471 In dieser Funktion steht sie dem Interessenten „grundsätzlich wie ein gewöhnlicher Dritter als veräußerungsbereiter Anteilsinhaber“472 gegenüber. Nur der Inhaber des Rechts wechselt, so dass es sich um einen gewöhnlichen Rechtskauf nach § 453 BGB handelt.473 Da es beim Erwerb eines bereits existenten Finanzinstruments nicht zu dem Risiko kommt, dass Rechte und Pflichten zwischen den Parteien begründet werden, die nicht formal Eingang in den rechtlichen Inhalt des Finanzinstruments finden, schließt die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO diese Verträge von ihrem Anwendungsbereich aus. Diese Differenzierung ist jedoch aus verschiedenen Gründen nicht unproblematisch. Zunächst wird bereits von einigen Stellen in der Literatur grundsätzlich die Möglichkeit abgelehnt, dass die KAG zugleich die Rolle eines Anlegers einnehmen kann, weil dadurch die „Gefahr von Interessenkonflikten und Verfälschungen des Marktes“ bestünde.474 Zudem sollen die Ansprüche aus dem Anteil mit dessen Erwerb durch die KAG „durch Konfusion“ untergehen, so dass sich die erneute Ausgabe dieses Anteils faktisch wie eine Neuausgabe darstellen würde, da die „Ansprüche nicht einfach wieder aufleben“, sondern „durch Begebungsvertrag neu begründet werden“ müssten.475 Lässt man wiederum zu, dass die KAG Anteile in ihr eigenes Vermögen, beispielsweise in ein Rückflussdepot, überführen kann, so ist notwendige Konsequenz, dass sie einem interessierten Anleger entweder einen neuen Anteil schaffen oder ihm einen bereits existenten Anteil aus ihrem Eigenbestand veräußern kann. Damit korrespondierend soll die Erklärung des Anlegers gegenüber der KAG in der Regel so ausgelegt werden können, dass es im Ermessen der KAG stehen solle, was für einen Anteil sie dem Interessenten verkaufe.476 Dies soll jedoch unter dem Vorbehalt stehen, dass der Erwerber eines bereits 471
Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2381 (S. 1216). Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2381 (S. 1216). 473 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 2354 (S. 1189). 474 Geibel, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 23 (S. 1770); Köndgen/Schmies, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 114 Rn. 125. 475 Köndgen/Schmies, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 114 Rn. 125 Fn. 341. 476 Baur/Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/ 274. 472
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existenten Anteils nicht schlechter gestellt werden dürfe als derjenige, für den ein neuer Anteil geschaffen werde, weil gerade aus Sicht des Anlegers kein wirtschaftlicher Unterschied zwischen beiden Rechtsgeschäften vorliege.477 Unter Zugrundelegung dieser Wertung dürfte, selbst wenn faktisch ein bereits existenter, nicht neu geschaffener Anteil verkauft wird, dieser Erwerbsvorgang im Rahmen der Qualifikation mit einem Ersterwerb gleichzusetzen sein. Daraus folgt für die Anwendung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO auf den Erwerb von OGA-Anteilen von der Verwaltungsgesellschaft, dass sich die Abgrenzung zwischen Zeichnung und Kauf eines OGA-Anteils nicht ohne einen Blick in das jeweils anwendbare nationale Recht beantworten lässt. Ähnlich wie für den Begriff der Handelbarkeit in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO478 ist hier zwar eine autonome Qualifikation des Begriffs „Zeichnung“, nämlich als Ersterwerb bzw. Erwerb eines neu zu schaffenden Anteils möglich. Ob ein solcher Ersterwerb vorliegt, kann indes nur das anwendbare Recht sachgerecht bestimmen. Daneben muss die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO unabhängig davon zur Anwendung kommen, ob der Anleger nur einmalig einen Anteil an dem OGA erwirbt oder er mit dem OGAW einen Sparplan479 abschließt, in dessen Rahmen er wiederkehrend Beträge anlegt. Ebenso darf es dem Sinn und Zweck der Regelung nach keinen Unterschied machen, ob er einen vollen Anteil zeichnet oder einen Anteilsbruchteil. Soweit ihm zu diesem Zweck allerdings ein Investmentkonto eingerichtet wird, d.h. ein Wertpapierdepot, in dem sich der Sammelbestand der erworbenen Anteilscheine und Miteigentumsanteile befindet, handelt es sich insofern um eine Finanzdienstleistung, die unter die Kollisionsregel für Verbraucherverträge fällt. V. Zusammenfassung und Ergebnis zum Anwendungsbereich der Tatbestandsvariante „Zeichnung und Rückkauf von OGAW-Anteilen“ Obwohl Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO, anders als die anderen Tatbestandsvarianten dieser Regelung, für die Zeichnung und den Rückkauf von OGA-Anteilen auf das einschränkende Merkmal eines öffentlichen Angebots verzichtet, sind dem sachlichen Anwendungsbereich dieser 477
Baur/Ziegler, in: Bankrecht und Bankpraxis, Teil 5, Investmentgeschäft Rn. 9/
274.
478
S.u. Kapitel 6: B. I. Der Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-
VO.
479
Zum Sparplan: Geibel, in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, § 59 Rn. 38 ff. (S. 1776).
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Kapitel 4: Ausnahmetatbestand 2
Tatbestandsvariante praktisch enge Grenzen gesetzt. Sie gehen zurück auf die in Erwägungsgrund 26 aufgenommene Erläuterung des Verordnungsgebers, dass Kaufverträge über OGA-Anteile dem Anwendungsbereich der Kollisionsregeln des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO unterstellt sein sollen. Da sich diese Erwägungen im Lichte der Entstehungsgeschichte nicht nur auf mit Dritten abgeschlossene Kaufverträge über OGA-Anteile beziehen, sondern auch den Direktkauf vom OGAW im Blick haben, verbleibt der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO im Hinblick auf mögliche Erwerbsvorgänge von OGAW-Anteilen ein nur sehr marginaler Anwendungsbereich: Ausgeklammert unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO ist lediglich die Zeichnung eines OGAW-Anteils, worunter der Vertrag zwischen Verwaltungsgesellschaft und Anleger zu verstehen ist, durch den ein neuer Anteil zugunsten des Anlegers geschaffen wird. Für dieses Vertragsverhältnis kann die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO jedoch nur relevant werden, sofern es sich nicht um Rechte und Pflichten handelt, die das Finanzinstrument selbst konstituieren, weil dann bereits Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO einschlägig ist. Inhaltlich regelt die Ausnahme alle vertraglichen Aspekte zwischen dem Anleger und dem OGAW, welche die Funktion, die Struktur, das Management und die Verwaltung des Fonds betreffen.480
480
Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 95; ders., EuLF 2009, I-61, I-73; Wautelet, REDC 2009, 788, 789.
Kapitel 5
Ausnahmetatbestand 3 – Die Ausklammerung von Verträgen in multilateralen Systemen nach Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO A. Struktur und Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO A. Struktur und Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO
I. Struktur von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO Die zweite kapitalmarktrelevante Ausnahmeregelung, die in Form eines eigenen Unterparagraphen neu in die Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge aufgenommen wurde, ist Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO. Dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO entzieht sie wortwörtlich Verträge, die „innerhalb der Art von Systemen geschlossen werden, auf die Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h Anwendung findet“. Es handelt sich hierbei um einen Verweis auf die Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO, welcher, konsequent befolgt, aus folgendem Grund nicht funktioniert: Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO stellt keine objektive Anknüpfungsregel für die genannten Systeme dar, sondern hat – dem sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO entsprechend – lediglich die innerhalb dieser Systeme abgeschlossenen Verträge zum Gegenstand: „Verträge, die innerhalb eines multilateralen Systems geschlossen werden, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten im Sinne von Artikel Absatz 1 Nummer 17 der Richtlinie 2004/39/EG nach nicht diskretionären Regeln und nach Maßgabe eines einzigen Rechts zusammengeführt werden, unterliegen diesem Recht“. Der Verweis in Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO bezieht sich nicht auf die Anknüpfungsregel des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO im Ganzen, sondern beschränkt sich auf die darin enthaltene Systembeschreibung. Auf dieser Grundlage ist Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom IVO wie folgt zu lesen: „Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Verträge, die innerhalb eines multilateralen Systems geschlossen werden, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 17 MiFID nach
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
nicht diskretionären Regeln und nach Maßgabe eines einzigen Rechts zusammenführt oder das Zusammenführen fördert“.1 Was die Verwendung technischer Termini betrifft, besteht zwischen Art. 6 Abs. 4 lit. e und Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO kein wesentlicher Unterschied. Bevor die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO auf Grundlage dieses durch Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO ergänzten Inhalts analysiert wird, soll abermals erst die Ratio dieser Regelung als das für ihre Auslegung wesentliche Kriterium herausgearbeitet werden. II. Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO 1. Ziel: einheitliche Anwendung nur eines Rechts Der Schutzzweck von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO besteht laut Erwägungsgrund 28 Satz 3 darin, sicherzustellen, dass „das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers nicht die Regeln berührt, die auf innerhalb solcher Systeme oder mit dem Betreiber solcher Systeme geschlossene Verträge anzuwenden sind“. Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO hat demnach zum Ziel, dass diese Verträge einheitlich demselben Recht unterstehen.2 Außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 6 Rom I-VO ist es die objektive Anknüpfungsregel des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO, welche gewährleistet, dass die innerhalb eines multilateralen Systems geschlossenen Verträge demselben Recht unterliegen.3 Sofern die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO erfüllt sind, ist die Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge jedoch die speziellere Kollisionsnorm und beansprucht als solche stets Vorrang vor den objektiven Anknüpfungsregelungen in Art. 4 Rom I-VO.4 Hätte der Verordnungsgeber Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO nicht um die Ausnahmeregelung des jetzigen lit. e ergänzt, so wäre nicht gesichert gewesen, dass auch unter den Voraussetzungen eines Verbrauchervertrags gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO für alle innerhalb solcher Systeme abgeschlossenen Verträge dasselbe Recht gälte.5 Um der Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO zugrunde liegenden Wertung auch innerhalb des Anwen1
Mankowski, RIW 2009, 98, 107. Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 101; Erman/Hohloch, BGB, EGBGB Anh III Art 26 Art 4 VO Rom I Rn. 30; Mankowski, in: Reithmann/ Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2387 (S. 1048); ders., RIW 2009, 98, 108. 3 Palandt/Thorn, BGB, (IPR), Rom I 4 Rn. 21. 4 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 27. 5 Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 98; Mankowski, RIW 2009, 98, 108; Kenfack, JDI Clunet 2009, 3, 21; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 374. 2
A. Struktur und Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO
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dungsbereichs der Kollisionsregel für Verbraucherverträge Wirksamkeit zu verschaffen, hat der Verordnungsgeber daher Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO auf Ebene des internationalen Verbrauchervertragsrechts durch die Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO flankiert. 2. Zweck: Sicherstellung der Funktionsfähigkeit dieser Systeme Als Regelung, welche die einheitliche Geltung eines Rechts für eine Vielzahl von Verträgen sicherstellen soll, ordnet sich Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO im Hinblick auf die Ratio in eine Reihe mit den anderen neuen kapitalmarktrelevanten Ausnahmeregelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ein.6 Gleich diesen begründet sich die Aufnahme eines speziellen Ausnahmetatbestands für Verträge in multilateralen Systemen mit Rechtssicherheitserwägungen. Die Anwendung nur eines einheitlichen Rechts auf alle Verträge, die innerhalb eines Systems zustande kommen, trägt erheblich zur Rechtssicherheit der Teilnehmer dieses Systems bei: Multilaterale Systeme nach Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO bezeichnen im Grunde Handelsplattformen für Finanzinstrumente. Solche Handelsplattformen, exemplarisch die Börsen, fungieren in aller Regel als „Massenumschlagsplätze“, d.h. sie sind darauf ausgerichtet, Massenumsätze zu erzielen.7 Als solche Massenumschlagsplätze funktionieren sie unter der Bedingung, dass das Zustandekommen der einzelnen Verträge nach standardisierten Regelungen abläuft, wodurch umfangreiche Prüfungen der geplanten Transaktionen entfallen, längere Verhandlungen entbehrlich werden und sich das erforderliche Tätigwerden der Teilnehmer im Ergebnis auf die Benennung von Handelsgegenstand und Anzahl beschränken kann. Der einzelne Teilnehmer, der eine Order ab- bzw. in das System eingibt, kann darauf vertrauen, dass das Handelsgeschäft anhand der vorgegebenen Bedingungen zustande kommt, ohne sich hierfür mit der Person seines Vertragspartners auseinandersetzen zu müssen. Standardisierte Rechtsverhältnisse schaffen daher die Grundlage für einen möglichst unkompliziert und reibungslos ablaufenden Handel an der Handelsplattform und erhöhen so die Transaktionsgeschwindigkeit der Umsätze sowie die Wahrscheinlichkeit von Geschäftsabschlüssen.8 Will man diese Einheitlichkeit der Bedingungen auch in einem internationalen Sachverhalt gewährleisten, bedarf es daher 6
So nimmt die Erläuterung zu dieser Ausnahmeregelung explizit auf die Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO Bezug durch die Formulierung, für sie solle „Gleiches“ gelten. 7 Oppermann, Börsen- und Wertpapiergeschäfte, S. 42. 8 Kümpel, in: FS Hadding, S. 915, 921 f.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
auch auf Ebene des Kollisionsrechts einer Regelung, die alle innerhalb einer solchen Handelsplattform abgeschlossenen Verträge demselben Recht unterstellt.9 Da die einzelnen Teilnehmer eines solchen Systems dem Orderbuch weder entnehmen können, von wem eine Order abgegeben wird (pre-trade anonymity),10 noch Einfluss darauf haben, mit wem sie kontrahieren, weil Angebot und Annahme ohne Ansehung der Person durch das System zusammengeführt werden, hätten sie ohne die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO keine Sicherheit darüber, ob das einheitlich für alle geltende Recht zur Anwendung kommt oder ob dem Vertragspartner besondere Verbraucherschutzvorschriften zur Seite stehen. In der Praxis könnte diese fehlende Voraussehbarkeit des anwendbaren Rechts den reibungslosen Ablauf der Handelsgeschäfte beeinträchtigen und schließlich in einem Liquiditätsverlust resultieren. Anders als die Mehrzahl der Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO wird der Anwendungsbereich dieser Ausnahmeregelung nicht zusätzlich auf öffentliche Angebote beschränkt. Da eine im System eingegebene Order immer an ein Publikum im Sinne eines unbekannten Personenkreises abgegeben wird, wäre eine solche Eingrenzung in Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO überflüssig und irreführend: Der Handel an einer Handelsplattform und die Abgabe eines privaten Angebots schließen sich gegenseitig aus.
B. Begriff des multilateralen Systems in der Rom I-VO B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
Der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO erschließt sich über den Begriff des multilateralen Systems nach Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO. Entstehungsgeschichtlich hat der Begriff des multilateralen Systems in der Rom I-VO den als zu vage und daher keiner rechtssicheren Anwendung zuträglich kritisierten11 Begriff des Finanzmarktes ersetzt, der zuvor den Anwendungsbereich der objektiven Anknüpfungs-
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Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 4 Rom I-VO Rn. 89, Art 6 Rom I-VO Rn. 101; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 4 Rn. 74; jurisPKBGB/Ringe, Art. 4 Rom I-VO Rn. 37; Wagner, IPRax 2008, 377, 384; Francq, JDI 2009, 41, 58 Fn. 70; zum alten Recht: Kiel, Int. Kapitalanlegerschutzrecht, S. 198. 10 Alfes, Central Counterparty, S. 68. 11 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 3.
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
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regel vorgeben sollte.12 Diese Kritik gewinnt im Licht von Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1346/200013 („EU-Insolvenzverordnung“) an Bedeutung. In dieser speziellen insolvenzrechtlichen Kollisionsregel wird der Begriff des Finanzmarktes noch verwendet: „Unbeschadet des Artikels 5 ist für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten eines Zahlungs- oder Abwicklungssystems oder eines Finanzmarktes14 ausschließlich das Recht des Mitgliedstaates maßgebend, das für das betreffende System oder den betreffenden Markt gilt“. Eine Legaldefinition dieses Begriffs fehlt jedoch. In dem noch zum Vorgänger der EU-Insolvenzverordnung, dem EuInsÜ15 aus dem Jahr 1995, erstellten sogenannten „Erläuternden Bericht von Virgos und Schmit“16, der auch für die EU-Insolvezverordnung herangezogen werden kann,17 wird dieser Begriff als ein Markt in einem Mitgliedstaat konkretisiert, auf dem „Finanzinstrumente, sonstige Finanzwerte oder Warenterminkontrakte und –optionen gehandelt werden, der regelmäßig funktioniert, und der dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats unterliegt, einschließlich einer etwaigen entsprechenden Aufsicht von Seiten der zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaates“.18 Der Begriff „Finanzmarkt“ in Art. 9 Abs. 1 EU-Insolvenzverordnung soll als Auffangtatbestand möglichst weit ausgelegt werden, um umfassend alle Finanzmarktsysteme erfassen zu können, deren Funktionsfähigkeit durch die Insolvenz eines oder mehrerer Mitglieder beeinträchtigt würde.19 Demgegenüber ist die Rom I-VO auf möglichst präzise gefasste Kollisions-
12 Council of the European Union, Interinstitutional File 2006/0261 (COD), 6935/07, LIMITE, JUSTCIV 44, CODEC 168, Note from Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 2 March 2007, S. 9. 13 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 160 vom 30.6.2000, S. 1 ff. 14 Hervorhebung durch die Verfasserin. 15 Europäisches Übereinkommen über Insolvenzverfahren vom 23.11.1995. 16 Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren. 17 Pannen/Riedemann, in: Pannen (Hrsg.), Europ. Insolvenzverordnung, Einl. Rn. 42. 18 Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, Rn. 120 (S. 27); Pannen, in: Pannen (Hrsg.), Europ. Insolvenzverordnung, Art. 9 Rn. 19, Fn. 45. 19 Pannen, in: Pannen (Hrsg.), Europ. Insolvenzverordnung, Art. 9 Rn. 20; Paulus, Europäische Insolvenzverordnung, Art. 9 Rn. 2.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
regeln angewiesen.20 „Angesichts der extremen Vielfalt und Komplexität der Tätigkeiten des Finanzsektors“ verfolgte der europäische Gesetzeber bei der Ausarbeitung der Rom I-VO das Ziel, „alle relevanten Begriffe zu definieren“.21 Die in der MiFID durchaus vorhandenen Definitionen für verschiedene Handelssysteme befand der Gesetzgeber hierfür wiederum deswegen nicht geeignet, weil „die Bestimmungen bei einem Verweis auf die MiFID-Begriffe auf den Kontext der EU eingeschränkt würden“.22 Um dem Grundsatz universeller Anwendung der Kollisionsregeln gerecht werden zu können, beschränkte er sich daher auf eine Beschreibung der erfassten Systeme, welche er den Definitionen in der MiFID entnommen hat.23 Vor dem Hintergrund, dass der Begriff des multilateralen Systems als Oberbegriff24 für eine bestimmte Gruppe von Handelsplattformen so bislang in keinem anderen europäischen Rechtsakt zu finden ist, ist mit diesem Begriff weniger die Einführung einer neuen Ordnungskategorie von Handelssystemen verbunden. Vielmehr ist seine Einführung dem Versuch des Gesetzgebers geschuldet, einen Kompromiss zwischen einer möglichst präzisen, gleichzeitig aber universell verwendbaren Definition zu finden. I. Begriff des multilateralen Systems im Sinne der MiFID Was sich der Rechtsanwender unter einem multilateralen System im Sinne der Rom I-VO vorzustellen hat, ist unmittelbar in der Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO selbst vorgegeben, die eine materielle Funktionsbeschreibung eines solchen Systems enthält. Auf Grundlage dieser Funktionsbeschreibung charakterisiert sich ein multilaterales System im Sinne dieser Vorschrift durch folgende vier Merkmale: Es ist (i) multilateral strukturiert und (ii) führt die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten im Sinne von 20 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 3. 21 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 3. 22 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 3. 23 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 3. 24 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 228.
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
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Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 MiFID zusammen. Wie diese Interessen zusammengeführt werden, haben die beiden letzten Merkmale zum Inhalt: Dies geschieht (iii) zum einen nach nichtdiskretionären Regeln und zum anderen (iv) nach Maßgabe nur eines Rechts. Ob die in der MiFID vorhandenen Definitionen25 des geregelten Marktes nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 1426 und des multilateralen Handelssystems nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 1527 als Auslegungshilfen zur Verfügung stehen, wird zwar grundsätzlich angenommen,28 zugleich wird jedoch zu Recht kritisch darauf hingeweisen, dass das multilaterale System selbst ein Begriffsmerkmal beider Definitionen sei:29 Der geregelte Markt nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 MiFID ist „ein von einem Marktbetreiber betriebenes und/oder verwaltetes multilaterales System30, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach seinen nichtdiskretionären Regeln in einer Weise zusammenführt oder das Zusammenführen fördert, die zu einem Vertrag in Bezug auf Finanzinstrumente führt, die gemäß den Regeln und/oder den Systemen des Marktes zum Handel zugelassen wurden, sowie eine Zulassung erhalten hat und ordnungsgemäß und gemäß den Bestimmungen des Titels III funktioniert“. Nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 15 MiFID definiert sich ein multilaterales Handelssystem als „ein von einer Wertpapierfirma oder einem Marktbetreiber betriebenes multilaterales System31, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und 25
Die MiFID II führt darüber hinaus neu in Art. 4 Abs. 1 Nr. 23 das „organisierte(s) Handelssystem (OTF)“ ein als „ein multilaterales System, bei dem es sich nicht um einen geregelten Markt oder ein MTF handelt und das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Schuldverschreibungen, strukturierten Finanzprodukten, Emissionszertifikaten oder Derivaten innerhalb des Systems in einer Weise zusammenführt, die zu einem Vertrag gemäß Titel II dieser Richtlinie führt“. 26 In der MIFID II inhaltsgleich in Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 geregelt. 27 In der MiFID II inhaltsgleich in Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 geregelt. 28 Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 99; ders., EuLF 2009, I-61, I68 f.; Mankowski, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2434 (S. 1059); Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 88; Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 4 Rom I-VO Rn. 91; Palandt/Thorn, BGB, (IPR), Rom I 4 Rn. 21; Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416, 417. 29 Mankowski, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2434 (S. 1059); sich ihm anschließend Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 4 Rom I-VO Rn. 91. 30 Hervorhebung durch die Verfasserin. 31 Hervorhebung durch die Verfasserin.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
nach nichtdiskretionären Regeln in einer Weise zusammenführt, die zu einem Vertrag gemäß den Bestimmungen des Titels II führt“. Mit der Verwendung dieses beiden Definitionen in der MiFID zugrunde liegenden Begriffs soll der Verordnungsgeber nach dieser Ansicht zu erkennen gegeben haben, dass eine Differenzierung zwischen dem Begriff des multilateralen Systems in der Rom I-VO und den in der MiFID definierten Handelssystemen „durchaus gewollt“ sei.32 Die Begriffe des multilateralen Handelssystems und des geregelten Marktes seien enger als der Begriff des multilateralen Systems und rechtstechnisch als dessen „qualifizierter Unterfall“ einzuordnen.33 In der Konsequenz müsse der Begriff des multilateralen Systems „aus sich selbst heraus“ ausgelegt werden.34 Dieser Kritik ist insoweit zuzustimmen, als dass eine (andere) Definition nicht weiterhilft, wenn sie denselben Begriff verwendet, welchen es mit ihrer Hilfe gerade zu definieren gilt. Andererseits sollen die Definitionen des geregelten Marktes und des multilateralen Handelssystems aus der MiFID nicht unmittelbar auf den Begriff des multilateralen Systems aus der Rom I-VO zur Anwendung gebracht werden. Als Auslegungshilfen sollen sie lediglich einen ersten Hinweis auf das Verständnis des Verordnungsgebers von einem multilateralen System geben, aber nicht mit diesem Begriff gleichgesetzt werden. Gründe dafür, sich dem Begriff des multilateralen Systems über diejenigen Begriffe des geregelten Marktes und des multilateralen Handelssystems aus der MiFID anzunähern, liefern die oben skizzierte Entstehungsgeschichte von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO als auch Erwägungsgrund 18 der Rom I-VO.35 Über die aufgrund des Universalitätsgrundsatzes für die Rom I-VO eingeschränkte Verwendbarkeit der Richtlinienbegriffe verhalf sich der Verordnungsgeber dadurch hinweg, dass er sie nicht im Ganzen inkorporierte, sondern lediglich die materielle Funktionsbeschreibung dieser Systeme übernahm: Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO setzt die gleichen Merkmale voraus, wie sie auch in den Definitionen in Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 und 15 MiFID niedergelegt sind. Sie definieren sich alle als multilaterale Systeme, welche die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach nichtdiskretionären Regeln zusammenführen oder 32 Mankowski, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2434 (S. 1059). 33 Mankowski, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2434 (S. 1059). 34 Mankowski, RIW 2009, 98, 108. 35 Palandt/Thorn, BGB, (IPR), Rom I 4 Rn. 21.
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
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das Zusammenführen fördern.36 Der Unterschied zwischen den Richtliniendefinitionen und der Beschreibung in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO besteht ausschließlich darin, dass erstere die Person des Marktbetreibers zusätzlich in die Definition mit aufnehmen und im Falle des geregelten Marktes nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 MiFID ferner einer staatlichen Genehmigung des Systems bedürfen37 sowie weitergehende Anforderungen an die gehandelten Finanzinstrumente und die „Markttransparenz und -integrität“38 stellen.39 Es handelt sich hierbei im Wesentlichen um zusätzliche formelle Anforderungen, welche aus dem ordnungspolitischen Regelungsgehalt der MiFID folgen und die materielle Funktionsstruktur eines multilateralen Systems unberührt lassen. Einen weitgehenden materiellen Gleichlauf zwischen dem Begriff des multilateralen Systems nach Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO und den organisierten Märkten sowie den multilateralen Handelssystemen nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 und 15 MiFID stellt die Verordnung zudem durch Erwägungsgrund 18 her, demzufolge „unter multilateralen Systemen solche Systeme verstanden werden sollten, in denen Handel betrieben wird, wie die geregelten Märkte und multilateralen Handelssysteme im Sinne des Artikels 4 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, ...“. Da die geregelten Märkte und multilateralen Handelssysteme exemplarisch („wie“) für ein multilaterales System im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO angeführt werden, liegt es nahe, Erwägungsgrund 18 so auszulegen, dass der Begriff des multilateralen Systems nach Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom IVO mit den geregelten Märkten und multilateralen Handelssystemen im Sinne der MiFID im Grunde inhaltlich übereinstimmt, dass aber die sich aus dem räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie ergebenden formellen Beschränkungen nicht in den Begriff in der Rom I-VO übernommen werden sollten.40 Der Umstand, dass Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO lediglich von einem System und nicht einem Handelssystem spricht, hat keine eigenständige Bedeutung, zumal Erwägungsgrund 18 ausdrücklich klarstellt, dass es sich bei den Systemen nach Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO um Systeme handeln soll, „in denen Handel betrieben wird“. Daher können für die Auslegung des Begriffs 36
Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 3.238 (S. 241). Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 3.238 (S. 241). 38 Siehe die Überschrift in Abschnitt 3 RL 2004/39/EG. 39 Mankowski, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2434 (S. 1059). 40 Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 99; ders., EuLF 2009, I-61, I68 f.: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 228. 37
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des multilateralen Systems die zu den geregelten Märkten und multilateralen Handelssystemen aufgestellten Erwägungsgründe in der MiFID, darunter insbesondere Erwägungsgrund 6, herangezogen werden,41 sofern sie lediglich die Funktionsbeschreibung adressieren.42 II. Auslegung des Begriffs des multilateralen Systems im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO auf Grundlage der MiFID 1. Begriff des multilateralen Systems a) Multilateral versus bilateral Durch die Beschränkung auf Handelsysteme, die multilateral ausgestaltet sind, sollen unter der MiFID nach ihrem Erwägungsgrund 6 bilaterale Systeme ausgeschlossen werden, „bei denen eine Wertpapierfirma jedes Geschäft für eigene Rechnung tätigt und nicht als risikolose Gegenpartei zwischen Käufer und Verkäufer steht“. Da solche Systeme deswegen als bilateral bezeichnet werden, weil das Wertpapiergeschäft immer mit dem Systembetreiber selbst betrieben wird (Kontrahentensystem),43 folgt daraus e contrario für das multilaterale System, dass es nicht nur eine Mehrzahl von Teilnehmern involvieren, sondern ihnen zugleich die Möglichkeit geben muss, untereinander – und nicht ausschließlich mit dem Systembetreiber – Handel zu betreiben.44 Ob die einzelnen Verträge im Rechtssinne wiederum unmittelbar zwischen den Teilnehmern abgeschlossen werden oder ob eine weitere Partei dazwischen tritt, steht der Einordnung eines Systems als multilaterales System jedoch nicht grundsätzlich entgegen. Käme es für das Kriterium der Multilateralität zwingend darauf an, dass das System den Abschluss eines Vertrags unmittelbar zwischen seinen Mitgliedern zulässt, so wären konsequenterweise alle Handelsplattformen ausgeschlossen, die den Handel über eine Zentrale Vertragspartei ablaufen lassen – und damit praktisch alle relevanten Handelsplätze. Bereits die Praxis, in der die Zentrale Vertragspartei aufgrund ihrer den Markt stabilisierenden Funktion eine wesentliche Rolle spielt, legt nahe, dass dies nicht der Fall sein kann: Zentrale Vertragsparteien erfüllen an den Handelsplattformen verschiedene wirtschaftliche Funktionen, die sich aus ihrer zentralen 41
So auch Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 229 Fn. 620 f. Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 4 Rn. 75; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 228. 43 Kümpel, in: FS Hadding, S. 915, 916. 44 Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 90. 42
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
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Position ableiten und den Handel mit Finanzinstrumenten wesentlich erleichtern. Sie stellen Sicherheit auf dem Markt dadurch her, dass sie das Kreditrisiko aller Teilnehmer reduzieren.45 Dadurch, dass jeder Marktteilnehmer seine Geschäfte nur mit der Zentralen Vertragspartei abschließt, lassen sich zweitens die jeweiligen Angebote keinem Marktteilnehmer zuordnen, da das elektronische System die Aufträge zusammenführt, ohne die Identität der dahinter stehenden Teilnehmer offenzulegen.46 Auf dem Markt ist so vollständige Anonymität hergestellt (trade anonymity),47 die es den Teilnehmern ermöglicht, unerkannt und somit unbehelligt besondere Marktstrategien zu verfolgen.48 Eine dritte Funktion leitet sich aus dem netting, der Verrechnung gegenseitiger Forderungen, ab, das in der Praxis täglich mit dem Ziel durchgeführt wird, dass lediglich die aus der Verrechnung resultierenden Nettoforderungen erfüllt werden müssen.49 Da sich Geschäfte nur mit der Zentralen Vertragspartei abschließen lassen, müssen sämtliche Verpflichtungen aus ihnen jeweils nur mit denen der Zentralen Vertragspartei verrechnet werden, so dass im Ergebnis nur so viele Nettoforderungen zu erfüllen sind wie Marktteilnehmer existieren.50 Es müssen weniger Geschäfte abgewickelt und weniger Zahlungsüberweisungen getätigt werden, als es ohne die Einschaltung der Zentralen Vertragspartei der Fall wäre,51 wodurch die Transaktionen insgesamt reduziert werden.52 Dass der Begriff „multilateral“ zu Gunsten der Einbeziehung dieser Systeme entsprechend weit auszulegen ist, bestätigt Erwägungsgrund 6 MIFID mit der zweiten Bedingung für ein bilaterales System, nach der die Wertpapierfirma nicht als risikolose Gegenpartei zwischen Käufer und Verkäufer stehen darf. Positiv formuliert heißt dies, dass den 45
Kümpel/Wittig/Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 19.72 (S. 2407); Seller/Kniehase, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, Vor § 104 Rn. 60; Hull, Fundamentals of Options and Futures Markets, S. 29; Schüwer/ Steffen, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate, § 1 Rn. 6 (S. 46); Alfes, Central Counterparty, S. 60 ff. 46 Jobst, ZBB 2010, 384, 386; Seller/Kniehase, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, Vor § 104 Rn. 60; Hammen, ZBB 2000, 293, 301. 47 Jobst, ZBB 2010, 384, 386. 48 Schönholzer, Zentrale Gegenparteien, S. 158; Jobst, ZBB 2010, 384, 386. 49 Alfes, Central Counterparty, S. 62 f.; Schönholzer, Zentrale Gegenparteien, S. 159. 50 Alfes, Central Counterparty, S. 64; Schönholzer, Zentrale Gegenparteien, S. 160. 51 Schönholzer, Zentrale Gegenparteien, S. 159. 52 Jobst, ZBB 2010, 384, 385.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
Betreiber eines bilateralen Systems immer das volle Kontrahentenrisiko aus dem Vertrag trifft. Diese Bedingung ist nicht erfüllt, wenn zwischen Käufer und Verkäufer eine Vertragspartei geschaltet ist, die nicht das volle Kontrahentenrisiko trifft. Wenn in diesem Fall kein bilaterales System vorliegen soll, so muss es sich im Umkehrschluss um ein multilaterales System handeln. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen bilateralen und multilateralen Systemen ist daher nicht, ob ein Dritter als unmittelbarer Vertragspartner zwischen eigentlichem Käufer und Verkäufer zwischengeschaltet wird, sondern welches Risiko diesen Dritten aus diesen Verträgen trifft. Die Zentrale Vertragspartei hat, wie oben erläutert, grundsätzlich zwar das volle Kontrahentenrisiko zu tragen. Sie hält sich jedoch dadurch risikolos, dass sie für jeden Vertrag, den sie mit einem Handelsteilnehmer abschließt, ein spiegelbildliches Geschäft mit einem anderen Handelsteilnehmer eingeht, wodurch sich die Risiken aus beiden Verträgen gegenseitig aufheben. Ihre Funktion besteht ausschließlich darin, die Durchführung des Handels zu vereinfachen, indem sie die jeweiligen Vertragspartner anonymisiert und die systemischen Risiken des Derivatgeschäfts mindert. Parteien des eigentlichen, des wirtschaftlichen Handelsgeschäfts sind hingegen immer noch die jeweiligen Vertragspartner der Zentralen Vertragspartei. Durch ihre Zwischenschaltung wird die Multilateralität des Handels in wirtschaftlicher Sicht daher nicht aufgehoben.53 Dafür, dass die Rom IVO die Einordnung eines Systems als multilateral gerade nicht von der rein formellen Einbindung einer Zentralen Vertragspartei abhängig machen will, ist das entscheidende Argument wieder in Erwägungsgrund 18 zu finden, wonach es für die Einordnung als multilaterales System nicht darauf ankommen soll, „ob sie sich auf eine Zentrale Vertragspartei stützen oder nicht“. Dies lässt sich nur so verstehen, dass die Einschaltung einer Gegenpartei weder ein positives noch ein negatives Kriterium eines multilateralen Handelssystems darstellt. Im Ergebnis reicht es für die Multilateralität sogar aus, dass eine Mehrzahl von Personen am Handel partizipiert, ohne dass diese formell Teilnehmer der Handelsplattform sind.54
53 Beck, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, BörsG, § 2 Rn. 30; Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, WpHG, § 2 Rn. 90 unter Verweis auf Art. 4 Abs. 2 Nr. 15 MiFID; zwar missverständlich, so wohl aber auch: Baum, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 180. 54 Schwark, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, WpHG, § 31 f Rn. 19.
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
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Auf Grundlage dieser Kriterien sind die sogenannten systematischen Internalisierer, in der MIFID als ein eigenständiges Handelssegment geregelt,55 vom Anwendungsbereich der Art. 6 Abs. 4 lit. e bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO ausgeschlossen.56 Die Richtlinie versteht darunter Wertpapierfirmen, die „in organisierter und systematischer Weise häufig regelmäßig Handel für eigene Rechnung durch Ausführung von Kundenaufträgen außerhalb eines geregelten Marktes oder eines MTF“ treiben.57 Systematische Internalisierer nehmen die Kundenaufträge anderer in- und ausländischer Kreditinstitute und Wertpapierhäuser entgegen und erfüllen diese Aufträge vorrangig selbst, bevor sie hierzu an eine Börse treten.58 Im Unterschied zu einer Zentralen Vertragspartei werden sie daher mit dem vollen Kontrahentenrisiko aus diesen Geschäften belastet59 und funktionieren in der Folge nicht multilateral. b) Anforderungen an die Einordnung als System Ebenso wie unter der MiFID60 unterscheidet der Begriff des Systems in Art. 6 Abs. 4 lit. e bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO nicht zwischen Präsenzbörsen bzw. den Parketthandel und elektronischen Handelsplattformen.61 Eine weitere Frage, die sich kohärent zu den Marktbegriffen aus der MiFID stellt, ist die nach dem Mindestorganisationsgrad, ab dem noch von einem System gesprochen werden kann. Für die MiFID ist in Erwägungsgrund 6 festgelegt, dass „der Begriff ‚System‘ ... sowohl die Märkte, die aus einem Regelwerk und einer Handelsplattform bestehen, als auch solche, die ausschließlich auf der Grundlage eines Regelwerks funktionieren“, umfasst.62 Ob Angebot und Nachfrage durch eine spezielle Software zusammengeführt werden oder lediglich durch die An55
Art. 4 Abs. 1 Nr. 7 MiFID. Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 229; NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 4 Rn. 56. 57 Art. 4 Abs. 1 Nr. 7 MiFID. 58 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 3 Rn. 138 (S. 46); Kümpel, in: FS Hadding, S. 915, 918. 59 Kümpel, in: FS Hadding, S. 915, 918. 60 Dazu: Beck, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, BörsG § 2 Rn. 16. 61 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 4 Rom I-VO Rn. 91; Erman/Hohloch, BGB, EGBGB Anh III Art 26 Art 4 VO Rom I Rn. 30; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 229. 62 Erwägungsgrund 6 Satz 3 in der MiFID; siehe ergänzend dazu Satz 4: „Geregelte Märkte und MTF müssen keine ,technischen‘ Systeme für das Zusammenführen von Aufträgen betreiben“. 56
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wendung bestimmter Regelungen, ist für den „technikneutralen“ Begriff des Systems demnach unbeachtlich.63 Dadurch erhält der Begriff des Systems einen sehr weiten Anwendungsbereich, der sich „sowohl auf klassische elektronische Handelsplattformen, die auf einer Serverlösung basieren“, erstreckt „als auch auf peer-to-peer-Ringe, die ohne zentrale Einheit und Lenker auskommen, und nur per Software Angebot und Nachfrage zusammenbringen, als auch auf nichtelektronische Systeme, die nach vertraglichen Regelwerken ablaufen, etwa den Telefonhandel“.64 Für das Regelungswerk hält es die MiFID inhaltlich für ausreichend, wenn es „Fragen in Bezug auf die Mitgliedschaft, die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel, den Handel zwischen Mitgliedern, die Meldung von Geschäften“ regelt.65 Für die Art. 6 Abs. 4 lit. d und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO steht die Übertragung dieses weiten Systembegriffs unter dem Vorbehalt, dass noch ein abgegrenzter Markt erkennbar sein muss.66 Ansonsten ließe sich nicht mehr von einem Vertragsabschluss sprechen, der innerhalb des Systems erfolgt und zu dessen Schutze zu privilegieren ist. Jedenfalls dann, wenn das Regelungswerk die weiteren Voraussetzungen der Funktionsbeschreibung in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO erfüllt, kann in aller Regel auch von einem System ausgegangen werden.67
63
Spindler/Kasten, WM 2006, 1749, 1754; Baum, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 180. Spindler/Kasten, WM 2006, 1749, 1754. 65 Erwägungsgrund 6 Satz 5 in der MiFID. 66 Mankowski, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2437 (S. 1060); Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 228; NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 4 Rn. 56. 67 Erstmalig führt die MiFID II eine Definition des multilateralen Systems ein. Nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 19 MiFID II handelt es sich hierbei um „ein System oder (einen) Mechanismus, der die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems zusammenführt“. Indem diese Definition die bereits in den Definitionen des geregelten Marktes und des multilateralen Handelssystems enthaltenen Kriterien „System“ und „Zusammenführen der Interessen einer Vielzahl Dritter“ aufnimmt, dürfte sie gegenüber den bisherigen Regelungen in der MiFID nur wenig Mehrwert haben. Lediglich der in Alternative zum Begriff „System“ gesetzte Begriff „Mechanismus“ verdeutlicht das oben gefundene Ergebnis des weiten Anwendungsbereichs. 64
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
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2. Das Zusammenführen „nach nichtdiskretionären“ Regeln Regeln, die „nichtdiskretionär“ ausgestaltet sind, stehen als solche inhaltlich fest und lassen daher keinen Ermessensspielraum zu.68 Die MiFID enthält eine entsprechende Begriffsbestimmung in Erwägungsgrund 669 und führt in demselben dazu aus, „dass die Zusammenführung nach den Regeln des Systems oder mit Hilfe der Protokolle oder internen Betriebsverfahren des Systems (einschließlich der in Computersoftware enthaltenen Verfahren)“ erfolgen müsse.70 In seiner praktischen Anwendung hat dieses Kriterium daher zum einen zum Inhalt, dass eine Person, die eine Order in ein System einstellt, dadurch ihre Entscheidungsbefugnis abschließend ausgeübt hat. Mit wem das Geschäft zustande kommt, richtet sich ab dann ausschließlich nach den Regeln des Systems71 und der Teilnehmer, der unter Anwendung dieser Regeln ermittelt wird, wird Partei des gewünschten Geschäfts. Zum anderen ist auch der Systembetreiber an die Anwendung dieser Regeln gebunden und hat die Kaufs- und Verkaufsinteressen ohne jeglichen Entscheidungsspielraum zusammenzuführen.72 Im Ergebnis zielt dieses Kriterium darauf ab, dass die Marktteilnehmer sowie die zwischen ihnen abgeschlossenen Verträge gleich behandelt werden. Die Beschränkung der Privilegierung des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO auf Verträge, die auf Grundlage nichtdiskretionärer Regeln geschlossen werden, entspricht der Ratio dieser Regelung. Gerade weil den einzelnen Teilnehmern kein Ermessen im Hinblick auf die Auswahl ihres Vertragspartners eingeräumt wird, wäre es aus Rechtssicherheitserwägungen nicht zumutbar, sie potentiell eingreifenden fremden Verbraucherschutzvorschriften auszusetzen. Da sich das Erfordernis nichtdiskretionärer Regeln auf den Vorgang beschränkt, in dem die jeweiligen Kauf- und Verkaufsinteressen zusammengeführt werden, ist es für das Vorliegen eines multilateralen Systems nicht entscheidend, ob die Regeln zwischen einzelnen
68
Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 3.238 (S. 241); Mankowski, in: Reithmann/ Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2433 (S. 1059); Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 290. 69 Hierauf abstellend: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 220. 70 Erwägungsgrund 6 Sätze 7, 8 in der MiFID. 71 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 3.19 (S. 159); Kumpan, in: Schwark/ Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 89; Assmann, in: Assmann/U. Schneider, WpHG § 2 Rn. 110; Spindler/Kasten, WM 2006, 1749, 1754. 72 Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rn. 89; Spindler/Kasten, WM 2006, 1749, 1754.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
Teilnehmern differenzieren, sofern diese auf jeden Fall gleich d.h. ohne Ermessensspielraum, angewendet werden.73 3. Das Zusammenführen der Interessen einer Vielzahl Dritter am Verkauf und Kauf von Finanzinstrumenten Um die abstrakte Formulierung „Zusammenführen der Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten“ mit Bedeutung anzufüllen, hilft es auch hier wieder, sie in ihre einzelnen Bestandteile zu zerlegen. Hieraus folgt zunächst, dass die von Art. 6 Abs. 4 lit. e bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO erfassten Systeme Finanzinstrumente zum Handelsobjekt haben müssen. Im Unkehrschluss findet die Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO keine Anwendung auf Handelssysteme, an denen Waren gehandelt werden (Warenbörsen).74 Da die Funktionsbeschreibung alle Finanzinstrumente im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 MIFID einbezieht, sind Kassamärkte wie Terminbörsen gleichermaßen erfasst. Zugang zu der Formulierung, dass im System Interessen zusammengeführt werden, vermittelt Erwägungsgrund 6 in der MiFID. Ihm zufolge ist diese Formulierung bewusst so gewählt worden, um darunter auch einfache Interessenbekundungen fassen zu können.75 Ob ein Mitglied nur ein verbindliches Angebot zum Kauf oder Verkauf eines oder mehrerer Finanzinstrumente abgeben kann oder ob einfache Interessenbekundungen ausreichen, soll daher für die Einordnung als multilaterales Handelssystem bzw. als regulierter Markt unbeachtlich sind. Der Richtliniengeber ging offensichtlich davon aus, dass dies unter der wesentlich prägnanteren Formulierung „Zusammenführen von Angebot und Nachfrage“ im Zweifel nicht deutlich geworden wäre. Da der Verordnungsgeber der Rom I-VO sich die diesen Zweck verfolgende Formulierung zu Eigen gemacht hat, muss unter ihr dasselbe 73 Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 3.21 (S. 160 f.); ausgeschlossen sind damit die sogenannten „organisierten Handelssysteme“ (organised trading facilities, OTF), welche in der MiFID II als ein weiteres Handelssegment neben den organisierten Märkten und den multilateralen Handelssystemen eingeführt werden und nach ihrer Definition in Art. 4 Abs. 1 Nr. 23 MiFID II („multilaterales System, bei dem es sich nicht um einen geregelten Markt oder ein MTF handelt und das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Schuldverschreibungen, strukturierten Finanzprodukten, Emissionszertifikaten oder Derivaten innerhalb des Systems in einer Weise zusammenführt, die zu einem Markt gemäß Titel II dieser Richtlinie führt“) auf die Anforderung des Zusammenführens nach nichtdiskretionären Regeln verzichten, siehe hierzu auch: Baum, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 184. 74 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 4 Rom I-VO Rn. 90. 75 Vgl. Erwägungsgrund 6 in der MiFID.
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
275
gelten.76 Im Wesentlichen besteht ihre Funktion daher darin, solche elektronischen Systeme auszuschließen, die lediglich der Information dienen, aber keinen internen Vertragsschluss ermöglichen. Ein Beispiel hierfür sind sogenannte Bulletin boards, in welche die Interessenten ihre Angebote lediglich einstellen, aber die eigentlichen Verhandlungen und der Vertragsabschluss außerhalb des Systems stattfinden.77 4. Das problematische Kriterium „Zusammenführen zu einem Vertrag“ Das Zusammenführen der Interessen hat schließlich in einen Vertrag zu resultieren, damit Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO zur Anwendung kommt. Diese Anforderung, die in den Definitionen des geregelten Marktes und des multilateralen Handelssystems in der MiFID ausdrücklich benannt wird, gilt denknotwendig auch für Art. 6 Abs. 4 lit. e bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO, denn nur aus den „zusammengeführten Interessen“ resultierende Verträge sind solche, die innerhalb des Systems geschlossen wurden. So unproblematisch diese Anforderung zunächst scheinen mag, ist doch in der Literatur zu Recht kritisiert worden, dass sie im Hinblick auf die Handelsabläufe und -mechanismen an vielen Handelssystemen Probleme bereitet.78 Dies hängt mit dem bereits unter dem Begriff „multilateral“ dargestellten Umstand zusammen, dass die Handelsteilnehmer in vielen Systemen nicht unmittelbar miteinander kontrahieren, sondern vielfach eine Zentrale Vertragspartei dazwischen geschaltet ist. Das eigentliche Handelsgeschäft wird daher nicht, wie außerhalb von Handelsplattformen der Fall, durch einen Vertrag unmittelbar zwischen den Beteiligten dieses Geschäfts repräsentiert, sondern durch eine Kette von Verträgen, an deren Ende oftmals keine Verträge im eigentlichen Sinn stehen, sondern der sogenannte Vorgang der Novation, mittels dessen die Clearingstelle als Vertragspartner jeder Partei nachträglich zwischen die Parteien des ursprünglichen Derivatgeschäfts tritt.79 Während die Frage, ob ein solches in einer Novation resultierendes Verfahren überhaupt noch einen Vertragsabschluss im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO aufweist, aufgrund autonomer Qualifikation schnell zu bejahen ist,80 kann das Merkmal des Zusammenführens von Angebot und 76
Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 230. Groß, Kapitalmarktrecht, BörsG, § 2 Rn. 10. 78 Lagarde/Tenenbaum, Rev. crit. DIP 97 2008, 727, 756; Bierman/Struycken, NiPR 2009, 418, 419. 79 Jaskulla, ZEuS 2004, 497, 505. 80 Bierman/Struycken, NiPR 2009, 418, 419. 77
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
Nachfrage bei Einschaltung einer Zentralen Vertragspartei entsprechend der zum Kriterium der Multilateralität diskutierten Grundsätze nur dann angenommen werden, wenn man es nicht wortwörtlich, sondern wirtschaftlich versteht. Würde man hingegen das Merkmal des Zusammenführens mit einem Vertragsabschluss im rechtlichen Sinne gleichsetzen, so müsste es bei Systemen, in die eine Zentrale Vertragspartei eingeschaltet ist, immer abgelehnt werden. Wie bereits zuvor festgestellt soll die Einschaltung einer solchen Zentralen Vertragspartei für die Einordnung eines Handelssystems als multilaterales System im Sinne der Rom I-VO jedoch unbeachtlich sein. Um den technischen Faszilitäten des Handels an solchen Handelsplattformen gerecht werden zu können, muss daher auch im Hinblick auf das Merkmal des Zusammenführens zu einem Vertrag an die Stelle eines streng juristischen ein wirtschaftlich orientiertes Verständnis treten.81 5. Das Zusammenführen nach Maßgabe „eines einzigen Rechts“ Seinem Wortlaut nach verlangt Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO schließlich, dass das multilaterale System die Kaufs- und Verkaufsinteressen nicht nur „nach nichtdiskretionären Regeln“, sondern auch „nach Maßgabe eines einzigen Rechts“ zusammenführt. Im Unterschied zu den zuvor untersuchten Merkmalen entstammt diese Voraussetzung nicht der MiFID, sondern ist originäres Merkmal eines multilateralen Systems im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO.82 Da Regeln denknotwendig in ein Recht eingebettet sind, liegt die eigenständige Bedeutung dieses Merkmals darin, dass das fragliche System auf Grundlage lediglich eines einzigen Rechtes funktionieren darf, damit Art. 6 Abs. 4 lit. e bzw. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO anwendbar ist. Das eigentlich Besondere an diesem Merkmal ist, dass es in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO gleichzeitig auf Tatbestands- und auf Rechtsfolgenseite vorgegeben wird: Einerseits dient es als Tatbestandsmerkmal eines multilateralen Systems im Sinne 81
Lagarde/Tenenbaum, Rev. crit. DIP 97 2008, 727, 756. Vgl. Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 3: „Der vorgeschlagene Entwurf hingegen enthält eine Funktionsbeschreibung für ein multilaterales System, in der die gemeinsamen Bestandteile der in der MiFIDRichtlinie enthaltenen Definitionen des geregelten Markts und des multilateralen Handelssystems zusammen mit der Bedingung verwendet werden, dass derartige Systeme einem einzigen maßgeblichen Recht unterliegen sollten.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). 82
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
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dieser Vorschrift. Andererseits ist es als das Recht ausgewiesen, an das für die unter Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO fallenden Verträge angeknüpft werden soll („diesem Recht“); in dieser Funktion dient es als Anknüpfungspunkt und hat mithin die Aufgabe, auf eine staatliche Rechtsordnung hinzuführen.83 Für die in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO umgesetzte Anknüpfungsregel folgert sich daraus, dass die multilateralen Systeme, die im Mittelpunkt dieser Regelung stehen, auf Grundlage nur eines Rechtes funktionieren und dieses Recht daher maßgeblich für die in ihnen abgeschlossenen Verträge sein soll. a) Das vermeintliche Zirkelschlussproblem in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO Einleitend stellt sich die Frage, ob die gleichzeitige Verwendung des Begriffs „Recht“ in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO als Tatbestandsvoraussetzung und als Anknüpfungsmerkmal in einer Art Zirkelschluss resultiert. Diese Frage ist von Müller auf der Beobachtung in die Diskussion eingeführt worden, dass diese Regelung „doch scheinbar auf der Tatbestandsseite etwas voraussetzt, was auf Rechtsfolgenseite erst zu bestimmen ist“.84 Der hierin jedoch nur „vermeintlich“85 bestehende Zirkelschluss würde demnach wie folgt lauten: Wenn auf ein multilaterales System ein Recht anwendbar ist, dann ist dieses Recht auf die (innerhalb des Systems geschlossenen) Verträge anwendbar. In diesem Satz steckt jedoch deswegen kein echter Zirkelschluss, weil der Begriff „Recht“ auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite unterschiedliche Funktionen hat, unabhängig davon, wie er letztendlich auszulegen ist. Auf Tatbestandsseite fungiert er lediglich als einschränkendes Merkmal dergestalt, dass die nichtdiskretionären Regeln aus nur einem Recht stammen dürfen, ohne dass unmittelbar von Bedeutung wäre, welches Recht dies ist. Auf Rechtsfolgenseite hingegen gibt er vor, dass dieses Recht auch auf die Verträge innerhalb des Systems zur Anwendung kommt. Die Tatbestandsseite ist daher nicht inhaltlich identisch mit der Rechtsfolgenseite, wodurch es erst zu einem Zirkelschluss käme. Der Eindruck, Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO beinhalte einen Zirkelschluss, steht jedoch in engem Zusammenhang mit dem eigentlichen Problem dieser Regelung, das bei dem Versuch, diese anzuwenden, offenbar wird.
83
Definition des Anknüpfungspunkts, statt vieler: von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. 1, S. 553. 84 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 230 f. 85 So Müller auch selbst, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 231.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
b) Das Problem des „Rechts des Systems“ Sobald es daran geht, das anwendbare Recht zu ermitteln, stößt die Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO an ihre Grenzen: Diese Regelung erschöpft sich darin, mit der Bezeichnung „diese(s) Recht“ auf das „Recht des Systems“86 zu verweisen. So klar diese Anknüpfung einerseits vorgegeben ist, so wenig steht andererseits fest, welches Recht dasjenige des Systems ist.87 Wenn jedoch das „Recht des Systems“ nicht bekannt ist, geht die Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO ins Leere. Die Kritik an der Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO lautet daher zu Recht, dass sie mit dem Recht des Systems an etwas anknüpfen wolle, „das es erst noch zu ermitteln gilt“.88 Um diesen Zwischenschritt durchzuführen, so die Kritik, hätte es einer zweiten Kollisionsregel bedurft, in der „spezifisch ‚das System‘ Anknüpfungsgegenstand und nicht: Anknüpfungspunkt89 wäre und in der dessen Statut, eben das Recht des Systems, ermittelt würde“.90 Andererseits wäre das „System“ als solches kaum ein tauglicher Anknüpfungsgegenstand, weil es ein rein deskriptiver Begriff ist, unter den sich keine „inhaltlich umschriebene Summe von Rechtsnormen“ fassen lässt, wie hierfür erforderlich ist.91 An dieser Stelle zeigt sich, dass grundsätzlich zwei Lesarten für den Anknüpfungspunkt in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO möglich sind: Anknüpfungspunkt von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO könnte zum einen das Recht des Systems sein. In dieser Lesart wäre das Recht des Systems ein in sich geschlossenes Regelungsregime (Systemstatut), an welches Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO akzessorisch für die in diesem System geschlossenen Verträge (Vertragsstatut) anknüpfen würde. Eine solche akzessorische Anknüpfung knüpft an ein anderes Statut an, indem eine Frage dem Recht unterstellt wird, das auf eine davon zu unterscheidende Frage Anwendung findet,92 in diesem Fall: die Regelung des Regelungsregimes (das Systemstatut). Wenn Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom IVO eine akzessorische Anknüpfung an das Systemstatut beinhalten soll, müsste die Regelung eigentlich korrekterweise wie folgt lauten: „Verträge, die innerhalb eines multilateralen Systems geschlossen werden, 86
Mankowski, RIW 2009, 98, 109. Mankowski, RIW 2009, 98, 108 f.; Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 90; Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 100. 88 Mankowski, RIW 2009, 98, 109. 89 Einschub der Verfasserin. 90 Mankowski, RIW 2009, 98, 109. 91 von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht Bd. I, S. 554. 92 Lorenz, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Einl. IPR Rn. 39. 87
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
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das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten ... nach nichtdiskretionären Regeln und nach Maßgabe eines einzigen Rechts zusammenführt, unterliegen dem Recht, nach dem sich dieses Recht bestimmt“, nämlich: das auf dieses System anwendbare Recht. Um Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO als akzessorische Anknüpfung auszulegen, bedarf es eines Kunstgriffes, wie sich am Ansatz von Müller zeigt. Sein Ansatz baut in einem ersten Schritt auf der Unterscheidung zwischen dem „Statut“ im Sinne eines bestimmten Normenkomplexes und dem „Lex“ im Sinne der Rechtsordnung als Ganzes auf.93 Im zweiten Schritt legt er den Begriff „Recht“ auf Tatbestandsseite der Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO („nach Maßgabe eines einzigen Rechts“) so aus, dass darunter das sogenannte „Marktorganisationsrecht“ als (System-)Statut zu verstehen sei.94 Nur wenn der Anknüpfungspunkt mit dem Recht des Systems unmittelbar auf ein solches (anderes) Regelungsregime abstellen würde, wäre eine zweite Kollisionsregel denknotwendig erforderlich, um das auf dieses Regelungsregime anwendbare Recht aufzufinden.95 Anknüpfungsgegenstand dieser zweiten Kollisionsregel wäre dann aber nicht das System, sondern das Recht des Systems im Sinne des Marktorganisationsrechts.96 Nach der zweiten Lesart für den Anknüpfungspunkt in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO, welche jedoch mit dem Wortlaut nur schwerlich vereinbar ist, wäre nur das System, nicht aber das Recht des Systems Anknüpfungspunkt. Der Unterschied zur ersten Lesart besteht darin, dass die Bezeichnung „Recht“ hier auf Tatbestands- und auf Rechtsfolgenseite für eine Rechtsordnung als Ganzes stünde (Lex) und nicht nur für ein bestimmtes Regelungsregime im Sinne eines Statuts. Die Notwendigkeit einer zweiten Kollisionsregel entfiele hier, weil der Zwischenschritt über die akzessorische Anknüpfung an die kollisionsrechtliche Regelung einer anderen Rechtsfrage entfiele. Als Anknüpfungspunkt würde sich die Bezeichnung „System“ jedoch vernünftigerweise nur eignen, wenn sie um einen Zusatz ergänzt würde, durch den sich das System einer Rechtsordnung örtlich zuordnen ließe. Statt einer zweiten Kollisionsregel hätte es unter dieser Lesart einer zusätzlichen Definition des Anknüpfungspunktes „System“97 bedurft bzw. hätte der Verord93
Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 231. Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 231. 95 Zu dem Unterschied zwischen „Statut“ und „Lex“ siehe von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht Bd. I, S. 14. 96 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 231. 97 Ein Beispiel hierfür wäre Art. 5 EGBGB, welcher das Personalstatut festlegt. 94
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
nungsgeber Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO um einen lokalen Bezugspunkt ergänzen müssen, um dieses Defizit zu beheben. Dies lässt sich insbesondere anhand eines Vergleichs mit den im EVÜ etablierten und in der Rom I-VO fortgeführten Anknüpfungspunkten illustrieren, die, wie der „gewöhnliche Aufenthalt“ oder der „Belegenheitsort“, eine eindeutige räumliche Bestimmung ermöglichen. Da es hieran fehlt, ist die Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO auch nach dieser Lesart unvollständig und noch weniger einer korrigierenden Auslegung zugänglich. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Lesarten besteht darin, dass das Vertragsstatut nach erster Lesart an ein anderes Statut, nämlich das auf das System anwendbare Recht ist, nur akzessorisch anknüpft, wohingegen es nach zweiter Lesart mit diesem identisch ist. Unabhängig davon, welcher man folgen will, bleibt doch unter beiden Lesarten noch die Frage zu beantworten, in welcher Rechtsordnung das System (Lesart 2), bzw. das Regelungsregime des Systems (Lesart 1) verwurzelt ist. c) Das „Recht des Systems“ im Lichte der Genese Die textliche Genese, die Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens durchlaufen ist, gibt nur sehr wenig Anhaltspunkte dafür her, wie das auf die innerhalb des Systems geschlossenen Verträge anwendbare Recht zu bestimmen ist. Anhand der Version, in der diese spezielle Anknüpfungsregel auf Vorschlag der österreichischen Delegation erstmalig in den Verordnungstext aufgenommen wurde, wird zwar deutlich, dass der Börsenort als möglicher Anknüpfungspunkt zumindest zeitweise angedacht war.98 Diese Überlegung, an das Recht am Börsenort anzuknüpfen, stand jedoch in engem Zusammenhang damit, dass sich diese ursprüngliche Version noch inhaltlich auf Börsen im Sinne eines geregelten Marktes beschränkte und diese Börsen funktio98
So lautete die Anknüpfungsregel nach der spanischen Delegation: “... shall be governed by the law of the country in which the market in question is located”, vgl. Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 13035/06, ADD 18, Limite, JUSTCIV 196 CODEC 948, Note from Spanish delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 17 October 2006, S. 3; entsprechend war der österreichische Vorschlag formuliert: “... shall be governed by the law of the country in which the stock exchange or the market is located or the fair is held or the auction takes place”, vgl. Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD) 16353/06, LIMITE, JUSTCIV 276 CODEC 1485, Note from Finnish Presidency and incoming German Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 12 December 2006, S. 6.
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
281
nell mit Auktionen und Messen gleichsetzte. Mit der Erweiterung der Anknüpfungsregel auf den Finanzmarkt schlechthin ließ sich die Anknüpfung an das Recht am Börsenort daher zu Recht nicht mehr aufrechterhalten, so dass sich daraus keine Rückschlüsse auf Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO ableiten lassen. Um eine verständlichere Wortfassung der Regelung bemühten sich die britische99 und die irische100 Delegation mit dem Ziel, ihren sachlichen Anwendungsbereich möglichst weit zu fassen: Sie schlugen folgende Anknüpfungsregel vor: „..., shall be governed by the law that governs the rules of the multilateral system or, if such rules expressly provide that another law shall govern the contract in question, that other law“. Hierzu führten sie aus, dass mit dieser Fassung auch dem Fall Rechnung getragen werden könnte, dass ein im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO multilaterales System für bestimmte Verträge die Anwendung eines anderen Rechts als desjenigen gestattet, welches grundsätzlich den Markt regeln sollte.101 Eine Regelung, welche ausdrücklich die Anwendung eines anderen als des grundsätzlich anwendbaren Rechts gestattet, würde jedoch nur dann Sinn ergeben, wenn auch das letztere Recht im Regelungswerk des Systems ausdrücklich vorgegeben wäre. Auf Grundlage dieses Vorschlags hätte es daher nahe gelegen, für die Bestimmung des Rechts des Systems vorrangig die Regelungswerke des Systems heranzuziehen. Da sich die britische und die irische Delegation mit diesem Vorschlag jedoch nicht durchsetzen konnten, lassen sich auch aus ihm auch keine Erkenntnisse in Bezug auf die jetzige Regelung ziehen. Im Lichte der Genese bleibt daher im Unklaren, wie das Recht des Systems zu ermitteln ist.
99 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106, CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Council on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 2. 100 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD) 10365/07, LIMITE, JUSTCIV 156 CODEC 630, Note from Irish delegation to Council on Civil Law Matters (Rome I), dated 5 June 2007, S. 1: „Für die in solchen multilateralen Systemen zustande gekommenen Verträge ist entweder an das Recht anzuknüpfen, welches die Regelungen des Systems regelt, oder, sofern diese Regeln ausdrücklich ein anderes Recht vorsehen, an dieses andere Recht.“ (übersetzt durch die Verfasserin). 101 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106, CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Council on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 3.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
d) Anknüpfungsvorschläge für das „Recht des Systems“ In der Literatur haben bislang vor allem zwei Anknüpfungsvorschläge Anhänger gefunden: zum einen die Anknüpfung an das Recht am Börsenort, zum anderen die (akzessorische) Anknüpfung an das sogenannte Aufsichtsrecht. Die Anknüpfung an das Recht am Börsenort ordnet sich der zweiten Lesart zu, wohingegen in der akzessorischen Anknüpfung an das Aufsichtsrecht die erste Lesart umgesetzt ist. In Frage steht ferner, wie sich der Fall, dass das System selbst das anwendbare Recht bestimmt, im Verhältnis zur Regelung des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO einordnet. aa) Recht am Börsenort Das Recht des Systems nach Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO wird teilweise mit dem Recht am Börsenort gleichgesetzt.102 Der Börsenort war bereits unter dem EVÜ bzw. unter dem dieses umsetzenden nationalen Recht der auf Grundlage der objektiven Anknüpfungsregel bevorzugt aufgefundene Anknüpfungspunkt für Börseninnengeschäfte103.104 Die Anwendung des Rechts am Börsenort stehe im Interesse der am Börsengeschehen beteiligten Marktteilnehmer, die bei Vornahme ihrer Handelsgeschäfte die Börsenusancen und Handelsbedingungen zu beachten105 und sich daher auf dieses Recht einzustellen hätten, lautet die Begründung dahinter.106 Zu Gunsten dieser Anknüpfung fällt ferner ins Gewicht, dass das Recht am Börsenort dasjenige Recht ist, welches auch unter der an das Recht des Finanzmarktes anknüpfenden Kollisionsregel des Art. 9 Abs. 1 EU-Insolvenzverordnung zur Anwendung berufen wird.107
102
Einsele, WM 2009, 292; MüKo/Schnyder, BGB, IntKapMarktR Rn. 58. Mit dem Begriff „Börseninnengeschäft“ werden seit jeher gemeinhin die Kaufverträge verstanden, die „unter Herrschaft der Börsenusancen, in der Regel im Börsenraum zur Börsenzeit unter Börsenbesuchern abgeschlossen“ werden, vgl. Brändl, Int. Börsenprivatrecht, S. 41. 104 Samtleben, in: Hopt/Rudolph/Baum (Hrsg.), Börsenreform, S. 469, 509; Brändl, Internationales Börsenprivatrecht, S. 61; Kiel, Int. Kapitalanlegerschutzrecht, S. 198 f.; Erman/Hohloch 2008, BGB, EGBGB Art. 28 Rn. 57; Spindler, IPRax 2001, S. 400, 404. 105 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR 2002, Art 28 EGBGB Rn. 581. 106 Kiel, Int. Kapitalanlegerschutzrecht, S. 198. 107 Statt vieler: Pannen, in: Pannen (Hrsg.), Europ. Insolvenzverordnung, Art. 9 Rn. 24; auf die unter der EU-Insolvenzverordnung ebenfalls bestehende, ähnliche 103
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
283
bb) Recht des aufsichtführenden Staates Nach einem zweiten, wesentlich weiter verbreitet vertretenen Interpretationsansatz will Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO das Recht des aufsichtführenden Staates zur Anwendung berufen.108 Der Staat, der die Aufsicht über das Handelssystem ausübt, regelt dessen Organisationsrecht, worunter die Organisationsbedingungen eines Marktes, d.h. die Zulassungsvoraussetzungen etc., zusammengefasst werden.109 Von dem Organisationsrecht ist das Transaktionsrecht zu unterscheiden. Dem Transaktionsrecht werden die „generellen sowie speziellen Regelungen für den Abschluss und Vollzug von Rechtsgeschäften, die an Kapitalmärkten geschlossen werden oder diese anderweitig tangieren“, zugerechnet.110 Die Anknüpfung an das Recht des aufsichtführenden Staates würde daher einen Gleichlauf zwischen dem Organisationsrecht und dem (privatrechtlichen) Transaktionsrecht herstellen. Da das Aufsichtsrecht in aller Regel demjenigen Staat obliegt, in dem das Handelssystem seinen Sitz hat, würde die Anknüpfung an das Recht des aufsichtführenden Staates in ihrer praktischen Anwendung in den meisten Fällen zur selben Rechtsordnung führen wie bei der direkten Anknüpfung an das Recht am Börsenort. Der Unterschied zwischen beiden Anknüpfungsmethoden besteht jedoch darin, dass der Gleichlauf mit dem Ordnungsrecht das Ziel der ersten Methode ist, wohingegen er höchstens Rechtsfolge der zweiten Methode ist, praktisch dadurch bedingt, dass der Börsenort zumeist auch als Anknüpfungspunkt für das internationale Ordnungsrecht gewählt wird. Die Anknüpfung an das Recht des aufsichtführenden Staates steht unter der Besonderheit, dass es sich um eine akzessorische Anknüpfung an ein anderes Statut, das Organisationsstatut, handelt. Ihr liegt daher die erste Lesart des Recht des Systems zugrunde, die darunter ein spezifisches Regelungsregime versteht und daher auf eine – inzident anzuwendende – zweite Kollisionsregel angewiesen ist, um Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO anwenden Problematik der Bestimmung des anwendbaren Rechts weist bereits Mankowski hin: Mankowski, RIW 2009, 98, 108 f. 108 Palandt/Thorn, BGB, (IPR), Rom I 4 Rn. 21; Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 90; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 4 Rn. 74; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 231 f.; JurisPK-BGB/ Ringe, Art. 4 Rom I-VO Rn. 40; Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 4 Rom I-VO Rn. 94; Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 83, 100; Kenfack, JDI Clunet 2009, 3, 21; so wohl auch: Lagarde/Tenenbaum, Rev. crit. DIP 97 2008, 727, 756; Wagner, IPRax 2008, 377, 385. 109 MüKo/Schnyder, BGB, IntKapMarktR Rn. 22. 110 MüKo/Schnyder, BGB, IntKapMarktR Rn. 23.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
zu können. Erst wenn das Organisationsrecht des jeweiligen multilateralen Systems aufgefunden ist, ist die Rechtsordnung bekannt, die nach Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO auf die in diesem System geschlossenen Verträge anwendbar ist. cc) Anwendung des in den Satzungen, Regelungswerken, Sonderbedingungen, etc. des multilateralen Systems vorgegebenen Rechts In vielen Fällen findet sich in den Handelsbedingungen einer multilateralen Handelsplattform oder eines geregelten Marktes eine Klausel, welche ein bestimmtes Recht benennt. Ein Beispiel hierfür ist Art. 5.1 der Handelsbedingungen der EUREX Deutschland und Zürich, welcher alle Streitigkeiten aus Termingeschäften deutschem Recht unterstellt.111 Ein anderes Beispiel ist die wesentlich umfassendere Klausel, die im Regelbuch der NYSE Euronext enthalten ist112 und das anwendbare Recht für jede Euronextbörse einzeln bestimmt.113 Ausgehend von dieser in der Praxis weit verbreiteten Übung lässt sich ein dritter Ansatz dahingehend formulieren, dass mit dem Recht des Systems im Sinne von Art. 4 Abs. 1 111
Bedingungen für den Handel an der Eurex Deutschland und der Eurex Zürich, Teil A – Bedingungen für den Handel an der Eurex New Trading Architecture (Stand: 25.6.2013; abrufbar unter: ). 112 Euronext Rule Book, Book I: Harmonised Rules, 1.7 „Governing Law“ (Stand: Issue date: 30 June 2014, abrufbar unter: ). 113 Wortwörtlich lautet sie: “All provisions in this Rule Book in respect of orders and/or Transactions executed, deemed to be executed or entered into on the respective Euronext Market and all matters related thereto and, subject to Rule 1702, all other provisions of the Rule Book shall be governed by and construed: (i) in respect of Euronext Amsterdam, in accordance with the laws of the Netherlands and, without prejudice to any agreement to go to arbitration, shall be subject to the exclusive jurisdiction of the Dutch courts; (ii) in respect of Euronext Brussels, in accordance with the laws of Belgium and, without prejudice to any agreement to go to arbitration, shall be subject to the exclusive jurisdiction of the Belgian courts; (iii) in respect of Euronext Lisbon, in accordance with the laws of Portugal and, without prejudice to any agreement to go to arbitration, shall be subject to the exclusive jurisdiction of the Portuguese courts; (iv) in respect of Euronext Paris, in accordance with the laws of France and, without prejudice to any agreement to go to arbitration, shall be subject to the exclusive jurisdiction of the French courts; (v) in respect of LIFFE A&M, in accordance with the laws of England and Wales and, without prejudice to any agreement to go to arbitration, shall be subject to the exclusive jurisdiction of the English courts”.
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
285
lit. h Rom I-VO das durch das multilaterlare System selbst vorgegebene Recht gemeint sein könnte.114 dd) Stellungnahme zu den Anknüpfungsvorschlägen (1) Anknüpfung an das Recht am Börsenort Mit der Anknüpfung an das Recht am Börsenort ist noch nicht geklärt, wie der Börsenort zu bestimmen ist. Die Definition von dem Begriff „Börsenort“ als Ort, an dem sich die Börse befindet, beschränkt die praktische Anwendbarkeit dieser Anknüpfung auf solche Handelssysteme, die sich eindeutig lokalisieren lassen. Während der Börsenort noch sehr einfach aufzufinden ist, wenn das multilaterale System als Präsenzbörse ausgestaltet ist, fällt dies für elektronische Handelsformen bereits wesentlich schwerer und muss zwingend an solchen multilateralen Systemen scheitern, die lediglich auf Grundlage eines Regelungswerks funktionieren und dezentral organisiert sind. Wie problematisch die Auffindung des Börsenortes bei multilateralen Handelssystemen ist, die lediglich virtuell existieren, veranschaulichen die bereits im Aufsichtsrecht vorgenommenen Versuche: Unter der Behauptung, das börsenmäßige Marktgeschehen vollziehe sich in einem Zentralcomputer,115 ist teilweise das Recht am Standort des Zentralcomputers zur Anwendung gerufen worden.116 Welcher Standort für den Zentralcomputer bzw. den Server des Systems gewählt wird, ist als rein technische Frage jedoch weitgehend dem Zufall überlassen.117 Unter der Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO, welche dezentrale Systeme einbezieht, stellt die Anknüpfung an das Recht am Börsenort daher keine echte Lösung für das Problem dar, sondern verschiebt es nur.
114
Nach Einsele soll zumindest dann, wenn ein Regelwerk eines multilateralen Systemseine solche Rechtswahl enthält, das dort genannte Recht zur Anwendung kommen: WM 2009, 292. 115 Kümpel/Wittig/Seiffert, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 4.283 (S. 375). 116 Riehmer/Heuser, NZG 2001, 385, 389; Wastl/Schlitt, MMR 2000, 387, 390; im internationalen Privatrecht auch: Giesberts, Anlegerschutz und anwendbares Recht, S. 206. 117 Spindler wendet zudem zu Recht ein, dass sich Börsenteilnehmer nicht darauf einstellen würden, an welchem Ort der Rechner belegen ist, zumal sie in der Regel auch keine Kenntnis davon hätten, IPRax 2001, 400, 404.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
(2) Anknüpfung an das Recht des aufsichtführenden Staates Dagegen beinhaltet der Ansatz, für Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO akzessorisch an das Recht des aufsichtführenden Staates anzuknüpfen, eine klare Anknüpfungsregel und hat zudem für sich, dass er den Gedanken des Gleichlaufs zwischen Organisations- und privatrechtlichem Transaktionsrecht konsequent umsetzt, wodurch zu Gunsten eines funktionierenden Kapitalmarktes die Ziele des Aufsichtsrechts unterstützt werden.118 Das Defizit, das diesem Ansatz jedoch auch anlastet, betrifft dessen Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Rom I-VO. Es berührt dasselbe Problem, welches bereits an anderen Stellen dieser Arbeit diskutiert wurde:119 Es ist ein wesentliches Ziel der Rom I-VO, in den Mitgliedstaaten einen äußeren Entscheidungseinklang zu gewährleisten, sofern es um die Bestimmung des auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Rechts geht. Eine akzessorische Anknüpfung wird diesem Grundsatz nur dann gerecht, wenn die Kollisionsregel, an welche sie anknüpft, in allen Mitgliedstaaten dieselbe ist. Dies wiederum ist nur dann sicher der Fall, wenn diese Kollisionsregel einem europäischen Rechtsakt entstammt. Über das Fehlen einer solchen Kollisionsregel europäischen Ursprungs ließe sich zwar zunächst noch dadurch hinweghelfen, dass man sich wie Müller die Regelung des Art. 36 Abs. 4 MiFID zu Nutze macht und sie als Kollisionsregel auslegt: Für die innerhalb der Mitgliedstaaten lokalisierten Sachverhalte wendet er diese auf geregelte Märkte im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 MiFID beschränkte Regelung analog auf multilaterale Handelssysteme im Sinne der MiFID an und kommt damit zum Recht am Satzungs- bzw. Verwaltungssitz des geregelten Marktes120 oder des Marktbetreibers.121 Während für die innerhalb der Mitgliedstaaten angesiedelten Sachverhalte aufgrund der MiFID die Bildung einer Kollisionsregel möglich ist, weil die in- und ausländischen Sachnormen des jeweiligen Aufsichtsrechts weitgehend austauschbar sind,122 gilt dies nicht mehr für Sachverhalte außerhalb der EU. Würde man Art. 36 Abs. 4 MiFID nämlich als echte allseitige Kollisionsregel auch für außerhalb des räumlichen Bereichs der Mitgliedstaaten angesiedelte Sachverhalte heranziehen, so 118
Mankowski, RIW 2009, 98, 110. S. bspw. Kapitel 4: D. III. 2. b) Erste Korrektur: keine Unterscheidung zwischen freiwilligien Übernahmeangeboten i.e.S. und Pflichtangeboten. 120 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 232. 121 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 233; sich ihm anschließend: NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 4 Rn. 56. 122 Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, § 2 Rn. 56 (S. 44). 119
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
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würde man dadurch zum einen das in Art. 36 Abs. 4 MiFID niedergelegte Herkunftslandprinzip in nicht gerechtfertigter Weise überdehnen. Zum anderen wäre dadurch nicht gewährleistet, dass das eigentliche Ziel dieser Anknüpfung, der Gleichlauf zum Organisationsrecht, erreicht werden kann,123 denn es stünde zu befürchten, dass Art. 36 Abs. 4 MiFID als echte allseitige Kollisionsnorm zu einem anderen Recht als demjenigen des Staates führen könnte, welcher tatsächlich die Aufsicht ausübt. Wenn eine einheitliche allseitige Kollisionsregel für das Recht des aufsichtführenden Staates denkbar ist, dann nur auf den Bereich der Mitgliedstaaten beschränkt. Hätte der Verordnungsgeber einen solchen beschränkten räumlichen Anwendungsbereich gewollt, müsste dies explizit aus dem Verordnungstext hervorgehen. So aber würde diese akzessorische Anknüpfung gegen den Grundsatz universeller Anwendbarkeit und möglicherweise auch gegen den Grundsatz des äußeren Entscheidungseinklangs verstoßen. Für Systeme, die nicht in den räumlichen Anwendungsbereich der MiFID fallen, ließe sich das anwendbare Aufsichtsrecht nur über nationale einseitige Kollisionsnormen ausfindig machen. Die Auffindung des Rechts des Systems stünde dann jedoch insbesondere für dezentral organisierte Handelssysteme unter dem Risiko, dass sich entweder kein Staat für anwendbar erklären würde (Normenmangel) oder aber gleich mehrere (Normenhäufung).124 Ein solches Ergebnis ließe sich nicht mit den Anknüpfungsregeln der Rom I-VO vereinbaren, die für eine Frage ein Recht zur Anwendung berufen wollen. Da dezentral organisierte Handelssysteme der MiFID nicht unterstellt sind, müsste für diese mangels Anwendbarkeit von Art. 36 Abs. 4 MiFID auch innerhalb des mitgliedstaatlichen Bereichs eine Ausweichlösung gefunden werden,125 so dass es hier zu einem zweiten Bruch in der Anknüpfung käme. So viele Vorteile ein Gleichlauf zwischen Privat- und öffentlichem Recht, insbesondere innerhalb der Mitgliedstaaten, auch mit sich brächte, so problematisch stellt sich doch die Umsetzung dieses Ziels dar. Insbesondere vermag die akzessorische Anknüpfung an das Aufsichtsrecht keine zufrieden stellende Lösung für dezentral organisierte Systeme liefern, so dass auch sie letztendlich nur zu einer Verschiebung des Problems führt.
123
Mankowski, RIW 2009, 98, 110. So auch selbst kritisch: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 235. 125 Hierzu Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 234; NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 4 Rn. 56. 124
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
(3) Das in den Satzungen, Handelsbedingungen vorgegebene Recht Erklärt ein multilaterales System in seinem Regelungswerk, seiner Satzung, seinen Sonderbedingungen etc. ein bestimmtes Recht ausdrücklich für anwendbar, so besteht kein Zweifel daran, dass die innerhalb dieses Systems zustande gekommenen Verträge sich auch nach diesem Recht regeln sollen. Ungeklärt ist lediglich, ob dieses Ergebnis dogmatisch aus Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO oder aus Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO herzuleiten ist. Soll Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO die einschlägige Rechtsgrundlage sein, bliebe für eine Anwendung von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO neben Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO kein Raum mehr.126 Stattdessen käme diese Regelung nur in den Fällen zur Anwendung, in denen ein multilaterales System keine entsprechende Klausel in sein Regelungswerk aufgenommen hat. Daraus folgt jedoch nicht per se, dass die Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO automatisch durch Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO verdrängt würde, sobald im Regelungsregime eine bestimmte Rechtsordnung für anwendbar erklärt wird. Die Regelung des Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO stellt an das Vorliegen einer Rechtswahl bestimmte Anforderungen. Insbesondere steht die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO unter der Prämisse, dass die Rechtswahl Gegenstand einer zumindest stillschweigend127 getroffenen Vereinbarung zwischen den Parteien ist.128 Die Parteien, zwischen denen die Anwendbarkeit des im Regelungswerk genannten Rechts unmittelbar und ausdrücklich vereinbart wird, sind jedoch nicht die Handelsteilnehmer untereinander, sondern der Betreiber des Marktes und der einzelne Handelsteilnehmer. Steht die Zulassung zum Handelsgeschehen unter der Voraussetzung, dass die Handelsteilnehmer den (Clearing-) Bedingungen der Zentralen Vertragspartei zustimmen, so wird dadurch das in diesen Bedingungen vorgegebene Recht den zwischen den Handelsteilnehmern und der Zentralen Vertragspartei zustande kommenden Verträgen zugrunde gelegt.129 Ist das anwendbare Recht wiederum in einer Satzung geregelt, so fehlt es ganz an einem Vertrag, in dem diese Rechtswahl ausdrücklich vereinbart wird. Sofern das Recht, das im Regelungswerk vorgegeben ist, in diesem Fall Gegenstand einer Rechtswahl unmittelbar zwischen den Parteien sein soll – wofür es überhaupt zu einem Vertragsschluss 126 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 4 Rom I-VO Rn. 94; Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 91. 127 Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO. 128 Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) Nr. 593/2008, Art. 3 Rn. 12. 129 Kronke/Haubold, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch int. Wirtschaftsrecht, Teil L Rn. 266 (S. 1501).
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
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zwischen ihnen kommen muss – dann allerhöchstens als stillschweigende Rechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO. Eine solche stillschweigende Rechtswahl soll nach einer Ansicht dadurch zustande kommen, dass die Handelsmitglieder ihre Geschäfte „auf der Grundlage der Geschäftsbedingungen der jeweiligen Börse“ abschließen, weil es in diesem Fall in ihrem beiderseitigen Interesse und Willen stünde, dass die geltenden Geschäftsbedingungen und das anwendbare Vertragsstatut miteinander in Einklang stünden.130 Zwar ist nur logisch, dass die auf Grundlage bestimmter Geschäftsbedingungen geschlossenen Verträge demselben Recht unterstellt sein müssen wie auch die Geschäftsbedingungen, um letzteren die nötige Geltung zu verschaffen; andererseits kann von den Handelsteilnehmern nicht zwingend erwartet werden, dass sie sich diesen Zusammenhag jedenfalls gedanklich vor Augen führen, wenn sie das Geschäft abschließen. Da unter der Rom I-VO ausdrücklich kein hypothetischer, sondern ein tatsächlicher Wille der Parteien erforderlich ist,131 ist als Mindestvoraussetzung jedoch ein solches aktuelles Erklärungsbewusstsein erforderlich.132 Um von einer entsprechenden Rechtswahl ausgehen zu können, reicht es daher nicht aus, lediglich auf diesen zwingenden inneren Zusammenhang abzustellen, sondern die Parteien müssen auch den tatsächlichen Willen haben, diesen Zusammenhang zu gewährleisten. Zudem lässt sich dieser innere Zusammenhang dann nicht mehr zwingend herstellen, wenn bereits die Regelung im Regelwerk des Systems nicht eindeutig als explizite privatrechtliche Rechtswahl eingeordnet werden kann.133 Dies ist der Fall, wenn nur die Regelungen, nicht aber die im System geschlossenen Verträge einem bestimmten Recht unterstellt sein sollen.134 Zwar scheint dieses Ergebnis – ein Vertrag, der innerhalb eines Systems abgeschlossen wird, untersteht nicht der Rechtswahl, die dieses System für sich trifft – auf den ersten Blick widersprüchlich.135 Diese scheinbare Widersprüchlichkeit folgt jedoch aus der korrekten Anwendung von Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO
130
Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art. 28 Rn. 366, 146. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg. (2005/0261 (COD)), S. 3. 132 Schönbohm, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn. 19. 133 Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 100. 134 Bierman/Struycken, NiPR 2009, 418, 421. 135 Mankowski skizziert diesen Widerspruch anschaulich mit den Worten: „Ob und wie kann ein Vertrag Teil des Systems sein ..., auf den sich die Rechtswahl des Systems nicht erstrecken würde“: RIW 2009, 98, 109. 131
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
und ist damit hinzunehmen.136 Im Ergebnis ist damit auch bei einer im Regelungstext des Handelssystems aufgenommenen Rechtswahlklausel durchaus ein Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO neben Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO denkbar. Sofern ein System in seinem Regelwerk eine Klausel enthält, die ein bestimmtes Recht für anwendbar erklärt, gilt dieses Recht auch für die im System geschlossenen Verträge, sei es nach den obigen Grundsätzen über Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO oder über Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO.137 Die Anknüpfung an die Rechtswahl des Systems steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass überhaupt eine solche Rechtswahl vorhanden ist. Fehlt es an einer solchen, bleibt weiterhin offen, wie das Recht des Systems zu ermitteln ist. ee) Ergebnis zur Anknüpfung des Recht des Systems Als erstes Zwischenergebnis steht fest, dass immer dann, wenn im Regelwerk des multilateralen Systems die Anwendung eines bestimmten Rechts vorgegeben ist, es dieses Recht ist, welches die innerhalb des Systems geschlossenen Verträge regelt. In einem Großteil der Fälle wird dieses Ergebnis bereits über die vorrangige Anknüpfungsregel des Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO erreicht, so dass ein eigenständiger Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO nur für Sachverhaltskonstellationen verbleibt, in denen die Parteien die Rechtswahl des Systems ihrem Vertrag nicht zumindest auch stillschweigend zugrunde gelegt haben. Ihre größte praktische Relevanz hat die Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO daher für diejenigen multilateralen Systeme, deren Regelwerk kein einziges Recht benennt.138 Während sich das Recht des Systems in diesen Fällen noch unproblematisch anhand des Börsenortes bestimmen lässt, wenn das multilaterale System eine Präsenzbörse ist, kann dessen Auffindung bei elektronischen Handelssystemen größere Schwierigkeiten bereiten.139 Wie oben gezeigt, vermag 136
So im Ergebnis auch Mankowski, RIW 2009, 98, 109. Mankowski, RIW 2009, 98, 109. 138 Zur Seltenheit eines solchen Falles: Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 90. 139 Eine ähnliche Problematik wird im Internationalen Privatrecht der intermediärverwahrten bzw. indirekt gehaltenen Wertpapiere untersucht, bei denen die fortschreitende Entmaterialisierung die Anwendung der traditionellen Anknüpfung an die lex situs überholte; aber auch die Anknüpfung an die lex conto sitae, die als Antwort auf diese Schwierigkeit entwickelt wurde, vermag den sich rein virtuell vollziehenden Transaktionen nicht umfassend gerecht werden, vgl.: Chun, CrossBorder Transactions of Intermediated Securities, S. 363 ff. 137
B. Das multilaterale System in der Rom I-VO
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für solche Systeme weder die Anknüpfung an den Ort der Börse noch die Anknüpfung an das Aufsichtsrecht uneingeschränkt überzeugen, da sich ausschließlich elektronisch bzw. über das Internet organisierte Handelsplattformen an keinen geographischen Ort lokalisieren lassen und eine akzessorische Anknüpfung an das – denselben Schwierigkeiten bei der Auffindung ausgesetzten – Aufsichtsrecht dieses Problem ebenfalls nicht zu lösen vermag. Um dem ausdrücklichen Willen des Verordnungsgebers, auch solche Systeme unter Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO zu subsumieren, gerecht werden zu können, muss nach einer Lösung gefunden werden, die sich auf alle praktisch denkbaren Ausgestaltungen eines multilateralen Systems gleichermaßen zur Anwendung bringen lässt. Da diese nicht in einem festen Anknüpfungspunkt bestehen kann, bietet sich lediglich eine „offene Schwerpunktsuche“ an, wie sie bereits von Mankowski vertreten worden ist.140 Ihm zufolge ist an erster Stelle darauf abzustellen, ob das multilaterale System auf Grundlage einer Zentralen Vertragspartei bzw. einer Clearingstelle funktioniert. Recht des Systems soll dann dasjenige Recht sein, nach dem die Zentrale Vertragspartei bzw. die Clearingstelle organisiert sei.141 Bei regulierten Märkten wiederum sei es das Recht des regulierenden Marktes, welches zur Anwendung berufen sei.142 Sofern das System schließlich einen besonders hohen Organisationsgrad aufweise, könne auch eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation angedacht werden.143 Lasse sich hiermit noch keine zufrieden stellende Anknüpfung erreichen, so soll im Zweifel das Recht desjenigen Staates anwendbar sein, in dem die überwiegende Zahl der Systembenutzer ansässig ist.144 Unter Berücksichtigung der Grundregel von Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO, die Anknüpfung an das Heimatrecht des Erbringers der charakteristischen Leistung, und deren Konkretisierung in Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO, die Anknüpfung an den Ort des Dienstleisters, sollte in diese Schwerpunktbetrachtung darüber hinaus mit besonderer Priorität das Recht am Sitz des Betreibers des
140
Mankowski, (S. 1061). 141 Mankowski, (S. 1062). 142 Mankowski, (S. 1062). 143 Mankowski, (S. 1062). 144 Mankowski, (S. 1062).
in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2442 in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2443 in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2443 in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2444 in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 2445
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
multilateralen Systems einfließen.145 In systematischer Auslegung könnte dadurch zugleich der Wertung der MiFID Rechnung getragen werden, welche den „Betrieb eines multilateralen Systems“ in ihrem Anhang I Abschnitt A Nr. 8 explizit als eine „Wertpapierdienstleistung und Anlagetätigkeit“ einordnet. Auch wenn der Abschluss des Vertrags innerhalb des Systems selbst keine Dienstleistung seitens des Betreibers darstellt, so wird er doch erst durch das System ermöglicht. Zudem dürfte die Anwendung des an seinem Sitz geltenden Rechts auch den Erwartungen der Handelsteilnehmer entsprechen. Sofern es an Indizien fehlt, die dominant in die Richtung einer bestimmten Rechtsordnung weisen, hat die Schwerpunktlösung zwar den Nachteil, dass sie die Anwendung von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO weitgehend in das Ermessen des Gerichts stellt, wodurch das Prinzip des äußeren Entscheidungseinklangs abermals gefährdet sein kann. Da sie jedoch als einzige Anknüpfungsmethode den Besonderheiten nur virtuell existenter Plattformen gerecht zu werden vermag, ist dieser im Übrigen auf einen nur marginalen praktischen Anwendungsbereich beschränkte Nachteil notgedrungen hinzunehmen. Solange es an einer Klarstellung durch den EuGH bzw. den Verordnungsgeber selbst darüber fehlt, wie das anwendbare Recht des Systems nach Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO nach objektiven Kriterien aufzufinden ist, bleibt die Anwendung dieser Regelung in der Theorie schwierig. In der Praxis wird sich dies zwar lediglich auf die marginale Fallgruppe eines elektronischen Handelssystems ohne Rechtswahlklausel im Regelungswerk eingrenzen; doch auch hierfür muss unter Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO eine Lösung gefunden werden. Eine flexible und daher interessengerechte Lösung für die Auffindung des anwendbaren Rechts lässt sich mithilfe einer Schwerpunktbetrachtung erzielen. e) „eines einzigen Rechts“ Unter den Tatbestandsmerkmalen, unter denen ein multilaterales System nach Art. 6 Abs. 4 lit. e bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO vorliegt, nimmt das Kriterium „nach Maßgabe eines einzigen Rechts“ eine Sonderstellung ein, da es sich hierbei nicht um ein Tatbestandsmerkmal im eigentlichen Sinne handelt, welches vorliegen muss, damit eine bestimmte Rechtsfolge eintritt. Stattdessen nimmt es das vom Verordnungsgeber vorgegebene Ziel der Anwendung der Anknüpfungsregel 145
Bierman/Struycken, NiPR 2009, 418, 421.
C. Ausgenommene Vertragsverhältnisse
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vorweg, alle innerhalb dieses Systems geschlossenen Verträge demselben Recht zu unterstellen. Auf Tatbestandsseite hat es daher keine eigenständige Bedeutung und ist nicht auf sein Vorliegen hin zu überprüfen. Aus diesem Grund dient es auch nicht als Ausschlusskriterium für solche Systeme, innerhalb derer mehr als nur eine Rechtsordnung gelten soll, wie es im Falle der Rechtswahllösung durchaus denkbar ist. Auch bei diesen Systemen ist gewährleistet, dass gleichartige Verträge gleich behandelt werden. Anstatt dass tatsächlich ein einziges Recht alle Verträge regiert, genügt es daher, dass alle Verträge unter dem System gleich bzw. einheitlich behandelt werden.146 Daher darf die Vorgabe, dass es auf die Anwendung eines einzigen Rechts ankommen soll, nicht wortwörtlich genommen werden. 6. Zusammenfassung und Ergebnis zu dem Begriff des multilateralen Systems im Sinne der Rom I-VO Ein multilaterales System im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. e und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO ist demnach ein Handelssystem, sei es ein regulierter Markt oder eine virtuelle Plattform, an der eine Mehrzahl von Teilnehmern untereinander Handelsgeschäfte über Finanzinstrumente abschließen kann, wobei das Zustandekommen der Verträge ermessensfrei anwendbaren Regeln unterliegt.
C. Ausgenommene Vertragsverhältnisse unter Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO C. Ausgenommene Vertragsverhältnisse
Anhand der Voraussetzungen, unter denen sich ein Handelssystem für Finanzinstrumente als ein multilaterales System im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. e i.V.m. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO einordnet, ist der Anwendungsbereich dieser neuen Ausnahmeregel bereits weitestgehend erschlossen. Sofern ein solches System vorliegt, bleibt nur noch der Vertragsschluss „innerhalb des Systems“ als Tatbestandsmerkmal zu prüfen.
146 So im Ergebnis auch, jedoch unter Anknüpfung an das Aufsichtsrecht: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 236; Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 100.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
I. Eingrenzung auf „innerhalb des Systems“ zustande gekommene Verträge Die Eingrenzung auf Verträge, „die innerhalb dieser Art von Systemen geschlossen werden“, schließt Verträge aus, die zwar im Zusammenhang mit dem Handel an einem multilateralen System abgeschlossen werden, die aber nicht Teil des Handelsgeschäfts selbst sind und deswegen nicht dem zwingenden Erfordernis nach Gleichbehandlung zu Gunsten eines reibungslos funktionsfähigen Handels unterliegen.147 Ob ein Vertrag innerhalb des Systems zustande gekommen ist, lässt sich anhand von zwei Voraussetzungen überprüfen: Als Erstes sind an ihm in persönlicher Hinsicht Teilnehmer der Handelsplattform bzw. Mitglieder des Systems beteiligt,148 ohne dass es auf einen Vertragsschluss unmittelbar zwischen ihnen ankommt. Der Geschäftsabschluss über eine Zentrale Vertragspartei steht, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, dem Zustandekommen eines Vertrags innerhalb des Systems nicht entgegen. Aufgrund dieses persönlichen Kriteriums sind alle diejenigen Verträge ausgeschlossen, die im Vorfeld des Handels beispielsweise zwischen dem Anleger und dem in seinem Auftrag an einer Börse tätig werdenden Broker abgeschlossen werden.149 Die Kommissionsdienststellen geben ausdrücklich vor, dass die „mit einem Verbraucher geschlossenen Verträge über eine Finanzberatung oder die Verwahrung von Finanzinstrumenten“ gerade nicht in die Ausnahmeregelung des jetzigen Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO einbezogen sein sollen.150 Um innerhalb des Systems zustande gekommenen zu sein, muss der Vertragsabschluss als Zweites über die technischen Faszilitäten des Systems bzw. unter Zugrundelegung von dessen Regelungswerk herbeigeführt worden sein.151 In sachlicher Hinsicht erfolgt die Eingrenzung auf „innerhalb des Systems geschlossene Verträge“ daher bereits durch die Kriterien des Zusammenführens der Interessen nach nicht diskretionären Regeln. 147
Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 241. Nicht entscheidend ist, ob die Marktteilnehmer selbst Partei werden oder als Stellvertreter den Vertrag herbeiführen: NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 4 Rn. 59; Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 100. 149 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR Art 4 Rom I-VO Rn. 93; Palandt/Thorn, BGB, (IPR), ROM I 4 Rn. 21; Erman/Hohloch, BGB, EGBGB Anh III Art 26, Art 4 VO Rom I Rn. 30; Bierman/Struycken, NiPR 2009, 418, 419. 150 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 6. 151 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 240; NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 4 Rn. 59. 148
C. Ausgenommene Vertragsverhältnisse
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Obwohl sich die Ausnahmeregelung ihrem Wortlaut nach nur auf Verträge, die ein Handelsgeschäft zwischen zwei Teilnehmern repräsentieren,152 erstreckt, soll sie Erwägungsgrund 28 Satz 3 der Rom I-VO zufolge ebenfalls die „mit dem Betreiber solcher Systeme geschlossenen Verträge“ erfassen. An dieser Einbeziehung ist bemerkenswert, dass sie Folgendes unberücksichtigt lässt: Diese Verträge resultieren weder aus einem im System vorgenommenen Zusammenführen von Interessen, wie es Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO vorgibt, noch werden sie auf Grundlage der Regeln des Systems geschlossen; stattdessen wird in ihnen die Geltung der Regelungen des Systems erst vereinbart. Insbesondere steht deren Einbeziehung im Widerspruch dazu, dass Finanzdienstleistungen nach Erwägungsgrund 26 der Anknüpfungsregel für Verbraucherverträge zugewiesen sind. Gerade um eine solche Finanzdienstleistung handelt es sich jedoch bei dem Vertragsverhältnis zwischen einem Marktteilnehmer und dem Betreiber eines solchen Systems, wie nicht zuletzt aus Anhang I Abschnitt A Nr. 8 MiFID folgt.153 Unter Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO muss jedoch deswegen von dieser Differenzierung eine Ausnahme gemacht werden, weil die einheitliche Geltung der zwischen Systembetreiber und Handelsteilnehmer vereinbarten Handelsbedingungen Grundvoraussetzung dafür ist, dass Verträge nach einem einheitlichen Regelwerk abgeschlossen werden können. Anders als es der Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO – „Interessen ... am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten“ – anzudeuten scheint, soll sich die Ausnahmeregelung ferner sachlich nicht auf Kaufverträge beschränken, sondern alle Geschäfte erfassen, die innerhalb solcher Systeme im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten abgeschlossen werden.154 Hierfür benennen die Kommissionsdienststellen neben dem Kauf bzw. Verkauf exemplarisch auch die „Beleihung“.155
152
Bierman/Struycken, NiPR 2009, 418, 419. So auch Spindler im Hinblick auf Vertragsverhältnisse mit privatrechtlich ausgestalteten Handelsplattformen: IPRax 2001, 400, 404. 154 Zu einer weiten Auslegung dieses Begriffs in der MiFID: Baum, in: KKWpHG, § 2 Rn. 181. 155 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 2. 153
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
II. Keine Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO bei abweichender Rechtswahl zwischen den Parteien Der sachliche Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO geht seinem Wortlaut nach über den des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO hinaus. Die fehlende sachliche Kohärenz zwischen den Regelungen ergibt sich aus der im Folgenden dargelegten Verweisungstechnik des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO: Die Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO hat allein zur Voraussetzung, dass ein multilaterales System im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO vorliegt und der Vertrag innerhalb desselben abgeschlossen wird. Dagegen nicht zur Voraussetzung hat Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO, dass Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO die anwendbare Kollisionsregel wäre, wenn kein Verbrauchervertrag im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO vorläge. Wenn jedoch für Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO der Vertragsabschluss innerhalb eines multilateralen Systems allein ausreichend sein soll, so klammert diese Regelung auch solche Verträge aus, die zwar noch auf der Handelsplattform, d.h. innerhalb des Systems abgeschlossen werden, für welche die Parteien aber eine abweichende Rechtswahl treffen. Lägen die persönlichen und räumlich-situativen Voraussetzung von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO dagegen nicht vor, so fiele ein solcher Vertrag nicht in den Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO, sondern wäre Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO zugewiesen.156 Da Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO jedoch nicht danach differenziert, ob die Parteien eine abweichende Rechtswahl getroffen haben oder nicht, wäre der Gleichlauf zwischen Art. 4 Abs. 1 lit. h und Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO in diesem Punkt durchbrochen. Zusammengefasst würde Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO vor der Anwendung von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auch solche Vertragsverhältnisse schützen, welche die Parteien selbst der einheitlichen Regelung entzogen haben. Ob dieses Ergebnis hinzunehmen ist, erscheint im Lichte des Schutzzwecks von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO deswegen höchst fraglich, weil diese Regelung sich mit der Notwendigkeit einheitlicher vertraglicher Regelung in solchen Systemen rechtfertigt. Durch eine vom Recht des Systems wegführende Rechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO wird die unter Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO bezweckte Einheitlichkeit 156
Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO steht einer abweichenden Rechtswahl nicht entgegen: Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR Art 4 Rom I-VO Rn. 94; MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008 Art. 4 Rn 139 unter Verweis auf Wagner, IPRax 2008, 377, 384; Spickhoff, Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 4 Rn. 50; Erman/ Hohloch, BGB, EGBGB Anh III Art 26, Art 4 VO Rom I Rn. 30.
D. Bedeutung von Erwägungsgrund 31
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gerade aufgehoben. Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO will als Komplementärregelung zu Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO jedoch nicht den einzelnen Vertrag, sondern die Anwendbarkeit des Rechts des Systems schützen, so dass für einen Vertrag, der privatautonom einem anderen Recht unterstellt wird, unter diesem Gesichtspunkt kein Schutzbedürfnis besteht. Daher ist die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO auf solche Verträge zu beschränken, die dem Recht des Systems unterliegen. Rechtstechnisch lässt sich dies dadurch bewerkstelligen, dass die Wahl eines anderen Rechts als desjenigen des Systems den betroffenen Vertrag außerhalb des Systems stellt, der Vertrag demnach nicht mehr „innerhalb des Systems“ geschlossen wird.157 In ihrer praktischen Konsequenz hat diese Auslegung zwar zur unmittelbaren Folge, dass die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO von der Vereinbarung einer Rechtswahl abhängig gemacht und den Parteien damit an die Hand gegeben wird. Eine Benachteiligung des Verbrauchers tritt dadurch jedoch nicht ein, da er entweder wie alle Handelsteilnehmer gleich behandelt wird oder aber zu seinen Gunsten die stärkeren Verbraucherschutzvorschriften seines Heimatlandes eingreifen. Diese einschränkende Auslegung von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO bedeutet indes nicht, dass eine vom Recht des Systems weg führende Rechtswahl ausgeschlossen wäre.158 Dies stünde insbesondere im Widerspruch zur Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO, welche die Rechtswahlfreiheit der Handelsteilnehmer unberührt lässt.159
D. Erwägungsgrund 31 zu Systemen nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie D. Bedeutung von Erwägungsgrund 31
Die speziellen Erwägungsgründe, die zusammen mit den Ausnahmetatbeständen für bestimmte Finanzmarktgeschäfte neu in den Regelungstext aufgenommen wurden, schließen mit folgender Erläuterung ab: Nach Erwägungsgrund 31 soll „die Abwicklung einer förmlichen Vereinbarung, die als ein System im Sinne von Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 157
A.A. Mankowski, RIW 2009, 98, 109. So aber: Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416, 425. 159 Proctor, Law and Practice of Int. Banking, Rn. 41.18 (S. 661); nach Lagarde/ Tenenbaum soll sich im Falle einer abweichenden Rechtswahl das Recht des Systems jedoch im Zweifel über Art. 9 Rom I-VO durchsetzen: Rev. crit. DIP 97 2008, 727, 755 f. 158
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen ausgestaltet ist, von dieser Verordnung unberührt bleiben“. Der explizite Verweis auf die RL 98/26/EG160 („Finalitätsrichtlinie“) gibt vor, was die Rom I-VO unter dieser „förmlichen Vereinbarung“ verstanden wissen will: Sie bezieht sich auf die Systeme nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie, die sich als eine „förmliche Vereinbarung“ definieren, „die ... zwischen mindestens drei Teilnehmern getroffen wurde und vereinheitlichte Vorgaben für die Ausführung von Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträgen zwischen den Teilnehmern vorsieht“.161 Diese materiellen Kriterien eines solchen Systems werden um die formellen Voraussetzungen ergänzt, dass erstens die förmliche Vereinbarung „dem Recht eines von den Teilnehmern gewählten Mitgliedstaats unterliegt“, in dem mindestens ein Teilnehmer seine Hauptverwaltung hat. Zweitens muss diese förmliche Vereinbarung „unbeschadet anderer, weitergehender einzelstaatlicher Vorschriften von allgemeiner Geltung“ als System anerkannt und der Kommission gemeldet worden sein. Die Bezeichnung für solche Systeme nach deutschem Recht lautet „Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssysteme“. Bekannte Beispiele für solche Zahlungs- und Wertpapierabwicklungsysteme nach deutschem Recht sind die von der Eurex Clearing AG betriebenen Geldclearings und Wertpapierabrechnungssysteme.162 I. Systeme im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie Um zu verstehen, was nach dieser sperrigen Definition ein System im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie ist, empfiehlt es sich, zunächst die ergänzenden Ausführungen dieser Richtlinie selbst heranzuziehen. Danach ist ein Zahlungsauftrag „eine Weisung eines Teilnehmers, einem Endbegünstigten einen bestimmten Geldbetrag mittels Verbuchung auf dem Konto eines Kreditinstituts, einer Zentralbank oder einer Verrechnungsstelle zur Verfügung zu stellen, oder eine Weisung, die die Übernahme oder Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung im Sinne der Regeln 160
Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierlieferund -abrechnungssystemen, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 166 vom 11.6.1998, S. 45 ff. 161 Die in Art. 2 lit. a RL 98/26/EG weiterhin enthaltenen Definitionsmerkmale beziehen sich auf deren Regelung unter den Mitgliedstaaten und sind daher für hier vorzunehmende „universelle“ Betrachtung unbedeutend. 162 Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler (Hrsg.), KWG, § 24 Rn. 9.
D. Bedeutung von Erwägungsgrund 31
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des Systems nach sich zieht“.163 Ein Übertragungsauftrag wiederum ist „eine Weisung eines Teilnehmers, die auf die Übertragung des Eigentums an Wertpapieren im Wege der Verbuchung oder auf sonstige Weise gerichtet ist“.164 Da Weisungen solchen Inhalts zu dem Zweck erteilt werden, Verpflichtungen aus einem zuvor abgeschlossenen Handelsgeschäft zu erfüllen, lässt sich daraus für die Aufgabe von Systemen für die Ausführung dieser Weisungen ableiten, dass sie in der Abwicklung dieser Geschäfte besteht: Vereinfacht gesagt soll mithilfe solcher Systeme sichergestellt werden, dass dem Käufer eines Wertpapiers das Eigentum daran und dem Verkäufer der Kaufpreis dafür verschafft wird.165 Die sich dazu an den Abschluss einer Transaktion anschließenden Abwicklungsschritte werden im Nettoverfahren166 in das Clearing und das Settlement untergliedert. Das Settlement bezeichnet die eigentliche Erfüllung der Leistungspflichten aus der Transaktion, die bei einem Wertpapiergeschäft aus der Verschaffung des Eigentums und der Zahlung des Kaufpreises bestehen.167 Die Phase des Clearing ordnet sich zwischen den Abschluss des Geschäfts und das Settlement ein.168 Sie umfasst diejenigen Zwischenschritte, die für die Durchführung des Settlement notwendig sind,169 darunter an erster Stelle das netting. Die Bezeichnung netting steht entsprechend der Definition in Art. 2 lit. k Finalitätsrichtlinie für „die Verrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten aus Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträgen, die ein oder mehrere Teilnehmer an einen oder mehrere Teilnehmer erteilt haben oder von einem oder mehreren Teilnehmern erhalten haben, zu einer einzigen Nettoforderung bzw. -verbindlichkeit pro Teilnehmer mit der Folge, dass nur diese Nettoforderung bzw. -verbindlichkeit besteht“. Handelt es sich um ein Zahlungssystem, so sind darin nur solche Fragen geregelt, welche die technische und formelle Durchführung von Zahlungen, die Bedingungen, die Kosten und die Betriebszeiten etc. betref163
Art. 2 lit. i erster Spiegelstrich Finalitätsrichtlinie. Art. 2 lit. i zweiter Spiegelstrich Finalitätsrichtlinie. 165 Jaskulla, ZEuS 2004, 497, 503. 166 Das Gegenmodell zum Nettoverfahren ist das Bruttoverfahren, bei dem jeder Auftrag einzeln abgerechnet wird, sobald das entsprechende Konto genügend Deckung aufweist, vgl. MüKo/Brandes, InsO, § 96 Rn. 42. 167 Jaskulla, ZEuS 2004, 497, 505; Kronke/Haubold, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch int. Wirtschaftsrecht, Teil L Rn. 253 (S. 1497). 168 Jaskulla, ZEuS 2004, 479, 504. 169 Kronke/Haubold, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch int. Wirtschaftsrecht, Teil L Rn. 250 (S. 1496). 164
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
fen.170 Wertpapierabwicklungssysteme hingegen haben die Übertragung von Wertpapieren zum Gegenstand.171 Anhand dieser Funktionen wird auch der Vorteil der Abwicklung einer Transaktion über ein solches Clearing- und Settlementsystem deutlich: Sie kann vereinfacht und dadurch beschleunigt durchgeführt werden.172 II. Ratio von Erwägungsgrund 31 Zahlungs-, Wertpapierliefer- und –abrechnungssysteme bzw. Clearingund Settlementsysteme sind kein Gegenstand einer eigenen Kollisionsregel im Verordnungstext der Rom I-VO. Welchen Zweck der Verordnungsgeber mit Erwägungsgrund 31 verfolgt, ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Unmittelbar an die Erwägungsgründe 26 ff. angehängt und diese inhaltlich abschließend, scheint Erwägungsgrund 31 systematisch den neuen Ausnahmetatbeständen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO und darunter im speziellen Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO zuzuordnen zu sein. Eine Interpretationsmöglichkeit besteht darin, Erwägungsgrund 31 als Klarstellung des Verordnungsgebers dahingehend auszulegen, dass die Systeme im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie ebenfalls dem Schutz des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO unterfallen und privilegierte Systeme im Sinne dieser Vorschrift sein sollen. Diese Interpretation hat jedoch gegen sich, dass die für die Abwicklung von Transaktionen relevanten Systeme nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie nicht identisch mit den multilateralen Systemen nach Art. 6 Abs. 4 lit. e bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO sind, in denen definitionsgemäß Transaktionen erst herbeigeführt werden.173 Eine Gleichsetzung beider Systeme steht nicht im Einklang mit dem Verständnis des europäischen Gesetzgebers, der diese Abwicklungssysteme
170 Duursma, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 9 Rn. 4; Pannen, in: Pannen (Hrsg.), Europ. Insolvenzverordnung, Art. 9 Rn. 15; MüKo/Kindler, Int. Wirtschaftsrecht, Europ. Internationales Insolvenzrecht, VO (EG) 1346/2000 Art. 9 Rn. 6; Pannen, in: Pannen (Hrsg.), Europ. Insolvenzverordnung, Art. 9 Rn. 15. 171 Duursma, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 9 Rn. 5; Pannen, in: Pannen (Hrsg.), Europ. Insolvenzverordnung, Art 9 Rn. 17; MüKo/Kindler, Int. Wirtschaftsrecht, Europ. Internationales Insolvenzrecht, VO (EG) 1346/2000 Art. 9 Rn. 7. 172 Kronke/Haubold, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch int. Wirtschaftsrecht, Teil L Rn. 255 (S. 1498). 173 Kenfack, JDI Clunet 2009, 3, 22; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 238; NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 4 Rn. 58.
D. Bedeutung von Erwägungsgrund 31
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als eigenständige Kategorie neben den geregelten Märkten und den multilateralen Handelssystemen anerkennt.174 Unter Berücksichtigung dieses Unterschieds soll die Bedeutung von Erwägungsgrund 31 nach einer Ansicht vielmehr darin zu sehen sein, dass Systeme nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie gerade keine multilateralen Systeme im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. e bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO darstellen sollen.175 Konsequenz dieser Auslegung wäre, dass die in solchen Systemen zustande kommenden Vertragsverhältnisse nicht durch die Regelungen der Art. 4 Abs. 1 lit. h und Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO privilegiert wären. Zwar käme die Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO ohnehin grundsätzlich nicht zur Anwendung, weil Art. 2 lit. a Spiegelstrich 2 Finalitätsrichtlinie die Vereinbarung eines mitgliedstaatlichen Rechts verlangt und diese Rechtswahl sich im Zweifel zugleich auf die bei Benutzung des Systems entstehenden vertraglichen Rechte und Pflichten erstreckt, so dass auf Grund dieser Rechtswahl die vorrangige Regelung des Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO einschlägig wäre.176 Jedoch könnte Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO dann nicht weiterhelfen, wenn ein Verbraucher seine Transaktionen über ein solches System abschließt, denn ohne eine Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO entsprechende Regelung käme die Kollisionsregel für Verbraucherverträge vollumfänglich zur Anwendung. Die Funktionsfähigkeit eines multilateral ausgestalteten Abwicklungssystems wäre jedoch gleich der eines multilateralen Handelssystems beeinträchtigt, wenn das gesamte System nicht mehr durch ein Recht einheitlich geregelt würde, sondern je nach gewöhnlichem Aufenthaltsort des Verbrauchers ein anderes Recht, zumindest aber unterschiedliche Verbraucherschutzregelungen, eingriffen. Ob sich der Inhalt von Erwägungsgrund 31 tatsächlich in der deklaratorischen Feststellung erschöpft, dass Systeme im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie keine multilateralen Handelssysteme im Sinne der Rom I-VO sind, kann daher bezweifelt werden. Zwar ordnet Erwägungsgrund 31 seinem Wortlaut nach an, dass Systeme im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie „von dieser Verordnung unberührt bleiben“ sollten. Was speziell von den Regelungen der Rom I-VO „unberührt“ bleiben soll, ist jedoch lediglich die „Abwicklung“ der das System darstellenden „förmlichen Vereinbarung“, 174
Vgl. Art. 34 f. MiFID, Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 238. Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 237, 239. 176 Garcimartín Alférez, J. Priv. Int’ L. 2009, 85, 102; einschränkend Müller, der eine zwischen den Parteien für die konkrete Transaktion getroffene Rechtswahl fordert. 175
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
nicht aber das System als schuldvertragliche Regelung als solche. Noch deutlicher geht diese Bedeutung aus dem englischen Wortlaut des Verordnungstextes hervor, der das Prädikat „prejudice“ mit der Bedeutung „beeinträchtigen“ gebraucht: Die Anwendung der Kollisionsregeln der Rom I-VO darf demnach nicht dazu führen, dass das Zahlungs- bzw. Wertpapierabwicklungssystem nicht mehr einwandfrei funktioniert.177 Nach dieser grammatischen Auslegung liegt der Schwerpunkt von Erwägungsgrund 31 weniger in der deklaratorischen Unterscheidung zwischen Zahlungssystemen und Wertpapierliefer- und -abrechungssystemen einerseits und multilateralen Handelssystemen andererseits als vielmehr in der Anordnung, dass die Funktionsfähigkeit auch der Systeme im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie nicht aufgehoben werden darf. 1. Erwägungsgrund 31 im Licht der Genese Diese Auslegung bestätigt sich im Lichte der Entstehungsgeschichte von Erwägungsgrund 31: Entstehungsgeschichtlich geht Erwägungsgrund 31 auf eine Initiative seitens der britischen Delegation zurück. Mit Vermerk vom 24. April 2007,178 d.h. zu einem Zeitpunkt, zu dem die Ausnahmetatbestände ihrer endgültigen Fassung bereits sehr nahe gekommen waren, unterbreitete die britische Delegation den Vorschlag für einen vierten Ausnahmetatbestand („d4“): “contracts that form part of a formal arrangement that is a system for the purposes of Article 2(a) of Directive 98/26/EC”.179 Die britische Delegation erklärte diesen vierten Ausnahmetatbestand mit der Begründung für erforderlich, dass solche Systeme in der Praxis teilweise auch solchen Personen zugänglich wären, die unter der Rom I-VO als Verbraucher behandelt würden.180 In recht177
Vgl. auch den französischen Wortlaut, der wortwörtlich übersetzt die Bezeichnung „unbeschadet“ verwendet: „Le présent règlement est sans préjudice du fonctionnement d’un accord formel conçu comme un système ...“. 178 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106, CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007. 179 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106, CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 3; Übersetzung der Verfasserin: Verträge, die innerhalb eines Systems im Sinne von Art. 2 lit. a RL 98/26/EG geschlossen werden. 180 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106, CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 8.
D. Bedeutung von Erwägungsgrund 31
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licher Hinsicht würde die Regelung in Art. 2 lit. a (Spiegelstrich 2) Finalitätsrichtlinie, wonach ein solches System einem mitgliedstaatlichen Recht unterstellt sein muss, keine ausreichende Garantie dafür geben können, dass solche Systeme nicht der Rom I-VO unterliegen würden. Ob es sich bei dieser Regelung um eine Kollisionsregel handelt, die nach Art. 23 Rom I-VO den Kollisionsregeln der Rom I-VO vorgeht, war aus Sicht der britischen Delegation nicht ausreichend gesichert.181 Um zweifelsfrei sicherzustellen, dass solche Systeme, wie multilaterale Systeme auch, in ihrer Funktionsfähigkeit nicht durch die parallele Anwendung einer Vielzahl verschiedener Verbraucherschutzvorschriften beeinträchtigt würden, bedurfte es laut der britischen Delegation daher dieses vorgeschlagenen vierten Ausnahmetatbestands. Obwohl sie mit ihrem Vorschlag bei der Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen (DG Markt) der Kommission Erfolg hatte,182 konnte sie nicht bei den anderen Mitgliedstaaten überzeugen. Sogar die Notwendigkeit eines klarstellenden Erwägungsgrundes zum Verhältnis zwischen Verordnung und Finalitätsrichtlinie wurde angezweifelt, wie der Entwurf vom 25. Juni 2007 belegt.183 Einen genaueren Einblick in die Reaktionen der Mitgliedstaaten liefert der die Diskussionen zusammenfassende Vermerk des Ausschusses für Zivilrecht (Rom I) vom 25. September 2007:184 Während sich einige Mitgliedstaaten für die Aufnahme eines zusätzlichen Ausnahmetatbestands entsprechend dem britischen Vorschlag ausgesprochen hätten, wären andererseits Zweifel an der Verein181
Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 8805/07, LIMITE, JUSTCIV 106, CODEC 408, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 24 April 2007, S. 8. 182 Vgl.: “The UK has proposed a further derogation for Central Securities Depositaries (“any contracts that form part of a formal arrangement that is a system for the purposes of Article 2(a) of Directive 98/26/EC”). This would be supported by DG Market Services, and is currently under consideration by Member States”; Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 9790/07 LIMITE, JUSTCIV 145 CODEC 557, Note from Services of the Commission to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 23 May 2007, S. 1 Fn. 2. 183 Vgl. “The Committee discussed whether a recital is needed to clarify the relationship between this Regulation and Directive 98/26/EC, in particular in the light of Article 22 of this Regulation”; Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 11150/07, LIMITE, JUSTCIV 175 CODEC 716, Note from German Presidency and incoming Portuguese Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 25 June 2007, S. 11 Fn. 2. 184 Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 (COD), 13203/07, LIMITE, JUSTCIV 238 CODEC 978, Note from Committee on Civil Law Matters on 3 September 2007, dated 25 September 2007, S. 3.
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barkeit des Verweises auf die Finalitätsrichtlinie mit dem Universalitätsgrundsatz der Rom I-VO laut geworden. Insgesamt habe der Vorsitz jedoch ein Einvernehmen darüber konstatieren können, dass die Finalitätsrichtlinie vor nachteiligen Einwirkungen durch Art. 6 Rom I-VO zu schützen sei. Falls Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie keine Kollisionsregel sei, so würde auch die Regelung des (jetzigen) Art. 23 Rom I-VO nicht eingreifen können, wodurch eine spezielle Regelung wie die von der britischen Delegation vorgeschlagene erforderlich werden würde. 2. Auswertung der Genese zu Erwägungsgrund 31 Obwohl der Vorschlag der britischen Delegation für eine Ergänzung der neuen finanzmarktrelevanten Ausnahmetatbestände um förmliche Vereinbarungen, die als ein System im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie ausgestaltet sind, keine Aufnahme in den Verordnungstext gefunden hat, lässt dies nicht den Umkehrschluss zu, dass Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO auf die vertraglichen Beziehungen innerhalb solcher Systeme zur Anwendung kommen soll. Es stünde im Widerspruch zu den vorangegangenen Diskussionen, wenn Erwägungsgrund 31 das zum Vorschlag der britischen Delegation genau entgegengesetzte Ergebnis zum Inhalt hätte. Im Lichte seiner Entstehungsgeschichte lässt sich Erwägungsgrund 31 vielmehr dahingehend deuten, dass eine zusätzliche spezielle Ausnahmeregelung für Systeme nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie für nicht erforderlich erachtet wurde, weil das gewählte Recht nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie ohnehin Bestand hätte. Wie bereits in dem Gesetzgebungsverfahren diskutiert, ließe sich ein solcher Bestandsschutz der Rechtswahl über die Regelung des Art. 23 Rom I-VO erreichen, welche den Vorrang von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie jedoch nur unter der Voraussetzung anordnen würde, dass es sich bei dieser Regelung um eine Kollisionsregel handelt. Ausdrücklich als solche auch festgelegte Kollisionsregeln enthält die Finalitätsrichtlinie jedoch lediglich im Hinblick auf die Wirkungen der Insolvenz eines Teilnehmers in Art. 8 und für das anwendbare Sachenrecht auf Wertapiere in Art. 9 Abs. 2 Finalitätsrichtlinie. Dennoch macht Erwägungsgrund 31 unter Berücksichtigung des in genetischer Auslegung gewonnenen Ergebnisses nur dann Sinn, wenn auch Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie als eine nach Art. 23 Rom I-VO vorrangige Kollisionsregel eingeordnet wurde.185 Im Ergebnis liegt Erwägungsgrund 31 der Wille des Verordnungsgebers zugrunde, 185
Kenfack, JDI 2009, 3, 22, der in Fn. 82 dieses Ergebnis mit Erwägungsgrund 31 in der Rom I-VO und Art. 23 Rom I-VO begründet.
D. Bedeutung von Erwägungsgrund 31
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die Funktionsfähigkeit auch solcher „Zahlungs- sowie Wertpapierlieferund -abrechnungssysteme“ zu gewährleisten, dem bei der Anwendung der Regelung Rechnung zu tragen ist, sei es rechtstechnisch über Art. 23 Rom I-VO, sei es auf anderem Wege. Angesichts der oben skizzierten Unsicherheit über die Bedeutung von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie, die einer eindeutigen Befolgung dieses Willens entgegensteht, handelt es sich bei Erwägungsgrund 31 um eine inkonsequente und nur Verwirrung stiftende Erläuterung. III. Abgrenzung zwischen mulilateralen Systemen und Systemen im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie 1. Aushöhlung des Anwendungsbereichs von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO Unabhängig davon, wie man Erwägungsgrund 31 und Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie einordnet, werden bei Benutzung dieser Abwicklungssysteme Rechte und Pflichten vereinbart, die einer bestimmten Rechtsordnung unterstehen. Dies wirft im Hinblick auf die Regelungen des Art. 6 Abs. 4 lit. e bzw. Art. 4 lit. h Rom I-VO ein zweites Problem auf, welches von Bierman und Struycken186 thematisiert worden ist: Obwohl multilaterale Systeme im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO bzw. Art. 4 lit. h Rom I-VO und Systeme nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie in zeitlich voneinander abgegrenzten Phasen einer Transaktion zum Einsatz kommen,187 erschwert sich die Zuordnung der jeweiligen Rechte und Pflichten zu einem System in der Praxis dadurch, dass das Institut, welches ein Clearing- und Settlementsystem betreibt, gleichzeitig oftmals als Zentrale Vertragspartei fungiert.188 Sofern die Zentrale Vertragspartei gleichzeitig ein Clearing- und Settlementsystem im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie betreibt, wird der sachliche Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO nach Ansicht von Bierman und Struycken durch eine vorrangige Rechtswahl im Clearing- und Settlementsystem ausgehöhlt.189 Zu diesem Ergebnis gelangen sie unter Würdigung des Transaktionsgeschehens, wie es sich beispielsweise an der niederländischen Börse Euronext Amsterdam abspielt. Die an der Euronext Amsterdam tätige Clearingstelle ist die LCH.Clearnet SA, eine Société Anonyme nach französischem Recht. Gleichzeitig fungiert die LCH.Clearnet SA als Zentrale Vertragspartei innerhalb der Euronext 186
Bierman/Struycken, NiPR 2009, 41 ff. NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 4 Rn. 58. 188 Jaskulla, ZEuS 2004, 497, 505. 189 Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416, 425. 187
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Amsterdam mit der Folge, dass immer dann, wenn die Order zweier Handelsteilnehmer gematcht werden können, die LCH.Clearnet SA in diese Transaktion eintritt, so dass an Stelle eines Vertrags zwischen den beiden Handelsteilnehmern zwei Verträge, jeweils zwischen einem der beiden Handelsteilnehmer und der LCH.Clearnet SA, zustande kommen.190 Aus dem Grund, dass diese Novation – die Ersetzung einer Transaktion durch zwei Verträge – als Teil des Clearing innerhalb des durch die LCH.Clearnet SA betriebenen Clearing- und Settlementsystems erfolgt, mithin der Abwicklungsphase zuzuordnen ist, sollen die vertraglichen Rechte und Pflichten zwischen einem Clearingmitglied und der LCH.Clearnet SA nach Bierman und Struycken nicht innerhalb der Euronext Amsterdam zur Entstehung gelangen, sondern innerhalb des Abwicklungssystems, das die LCH.Clearnet SA betreibt.191 Anwendbar müsse demnach das in den Clearingbedingungen gewählte Recht sein, sofern sich diese Rechtswahl so auslegen lasse, dass sie auch für die unmittelbar aus der Transaktion resultierenden Verpflichtungen gelte.192 Sei das der Fall, würde das auf die Transaktion anwendbare Recht bereits über Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO bzw. Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie ermittelt, so dass Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO nicht mehr zur Anwendung käme. Lediglich unter der Bedingung, dass die Rechtswahl in den Clearingbedingungen keiner entsprechend extensiven Auslegung zugänglich sei, ließe sich auf Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO – in diesem Fall mangels Vorliegens eines multilateralen Systems im Sinne dieser Vorschrift jedoch lediglich in analoger Anwendung – zurückgreifen.193 Kommt man demnach zu dem Ergebnis, dass das auf die vertraglichen Rechte und Pflichten aus dem Clearing anwendbare Recht bereits durch die im Clearing- und Settlementsystem getroffene Rechtswahl vorgegeben ist, so bleibt für die Anwendung von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO deswegen kein Raum mehr, weil keine vertraglichen Rechte und Pflichten mehr denkbar sind, die daneben innerhalb des Handelssystems entstanden sein könnten. Entscheidend muss nach dieser Ansicht daher sein, ob ein – neben dem multilateralen Handelssystem – eigenständiges Clearingsystem vorliegt. Wird dies bejaht, so soll die praktische Bedeutung von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO entfallen, wohingegen Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO dann zur Anwendung kom-
190
Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416, 419. Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416, 424. 192 Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416, 424. 193 Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416, 424. 191
D. Bedeutung von Erwägungsgrund 31
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men soll, wenn es an einem eigenständigen Clearingsystem mit eigenständigem Regelungswerk fehlt.194 Sofern der Betreiber des Handelssystems gleichzeitig das Clearing und Settlement der Transaktionen durchführt, soll es daher darauf ankommen, ob ein von dem Handelssystem zu unterscheidendes Clearing- und Settlementsystem auf Grundlage eigener Regelungen und einer speziellen Rechtswahlklausel existiert.195 Nur wenn es daran fehlt, sollen die vertraglichen Rechte und Pflichten, die aus dem Clearing und dem Settlement der Transaktion resultieren, in den Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO fallen.196 Zusammengefasst soll immer dann, wenn ein von dem Handelssystem unterscheidbares Clearingsystem existiert – bei verschiedenen Betreibern immer der Fall, bei demselben Betreiber hingegen nicht mit dieser Eindeutigkeit – immer das Clearingsystem mit der darin getroffenen Rechtswahl vorrangig sein, so dass es auf Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO nicht mehr ankommen soll. Da in der Praxis in der Mehrzahl der Fälle jedoch der Betrieb eines Clearing- und Settlementsystems mit der Funktion als Zentrale Vertragspartei einhergeht, wäre kaum mehr ein Fall denkbar, in dem Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO noch praktische Relevanz haben könnte, sofern das Clearing- und Settlementsystem durch Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie geregelt wird. Entsprechendes müsste für Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO gelten. 2. Kritik 1: fehlende Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Funktionen des Betriebs eines Clearing- und Settlementsystems und dem Einsatz als Zentrale Vertragspartei Wie oben dargelegt leiten Bierman und Struycken ihre Überlegungen zum begrenzten Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO daraus ab, dass die Novation als Vorgang, in dem die vertraglichen Rechte und Pflichten aus der Transaktion zur Entstehung gelangen, Teil des Clearing sei und damit innerhalb des Clearing- und Settlementsystems anfalle und diesem zuzurechnen sei. Diese Schlussfolgerung, die aus dem Eintritt des Clearinghauses in die jeweiligen Rechte und Pflichten der Transaktion gezogen wird, geht jedoch darüber hinweg, dass es sich hierbei um eine Doppelfunktion der Clearingstelle handelt und zwischen diesen beiden Funktionen zu differenzieren ist. Die im Derivatehandel ihren Ursprung findende und mittlerweile auch an 194
Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416, 425. Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416, 425. 196 Bierman/Struycken, NiPR 2009, 416, 425. 195
308
Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
Wertpapierbörsen übliche Doppelfunktion eines Instituts als zugleich Clearinghaus und Zentrale Vertragspartei197 hat ihren Grund darin, dass sie den Vorteil der Reduzierung des Kontrahentenrisikos mit dem des netting verbindet, da im Ergebnis pro Clearing-Mitglied nur eine Forderung bzw. Verbindlichkeit pro Handelsgegenstandsgattung bestehen bleibt.198 Zugleich wird die Anonymität der Transaktion bis zu ihrem Abschluss dadurch gewahrt, dass das Clearinghaus im Anschluss an das Zustandekommen der Transaktionen regelmäßig die jeweils erforderlichen Buchungsvorgänge durch Zwischenbuchungen auf einem eigenen Depotkonto durchführt, wodurch die Identität der eigentlichen Parteien des Handelsgeschäfts verborgen bleibt (post-trade anonymity).199 Während auf der einen Seite die Zentrale Vertragspartei gleichzeitig Betreiberin eines Clearingsystems ist, sind auf der anderen Seite die Handelsteilnehmer, die unmittelbar mit der Zentralen Vertragspartei kontrahieren können, zugleich auch Clearingmitglieder des Clearingsystems. Rechtstechnisch wird dieser Gleichlauf in aller Regel dadurch hergestellt, dass die Teilnahme an dem Clearingsystem im Regelwerk der Handelsplattform zur Vorrausetzung für die Zulassung zum Handel gemacht wird.200 Zwar führt die Doppelfunktion eines Instituts als Zentrale Vertragspartei und Clearingstelle dazu, dass sich das multilaterale Handelssystem und das Clearingsystem nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen. Ein grundsätzlicher Vorrang des Clearingsystems gegenüber dem multilateralen Handelssystem folgt daraus jedoch nicht. Bierman und Struycken können zu diesem Ergebnis nur unter der Prämisse kommen, dass der Einsatz als Zentrale Vertragspartei eine der Clearingfunktion untergeordnete Aufgabe der Clearingstelle sei und damit in den Aufgabenbereich des Clearing- und Settlementsystems fallen müsse. Zwar entspricht dieser Wertung, dass der Einsatz einer Zentralen Vertragspartei bereits vielerorts dem Begriff des Clearing zugerechnet wird.201 Nicht im Einklang steht sie jedoch mit dem Wortlaut der Definition in Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie, die ausschließlich Vorgänge, die sich an den Abschluss des Vertrags anschließen, als in diesem System geregelte Fragen bezeichnet. Zudem würde es zu einer 197
Kronke/Haubold, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch int. Wirtschaftsrecht, Teil L Rn. 251 (S. 1497). 198 Alfes, Central Counterparty, S. 62. 199 Alfes, Central Counterparty, S. 68. 200 So bspw. bei der Frankfurter Wertpapierbörse (FWB), s.: Alfes, Central Counterparty, S. 40 ff. 201 Kronke/Haubold, in: Kronke/Melis/Schnyder (Hrsg.), Handbuch int. Wirtschaftsrecht, Teil L Rn. 251 (S. 1497).
D. Bedeutung von Erwägungsgrund 31
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unzulässigen Aufhebung der vom Gesetzgeber grundsätzlich getroffenen Unterscheidung zwischen Handelsplattformen einerseits und Clearingund Settlementsystemen andererseits führen, wenn die vertraglichen Rechte und Pflichten unmittelbar aus dem Handelsgeschäft im Clearingund Settlementsystem zustande kommen würden. Letztendlich ist diese Zuordnung auch deswegen nicht zwingend erforderlich, weil eine Unterscheidung zwischen der Funktion als Zentrale Vertragspartei und der als Clearingstelle durchaus möglich ist. Dass dies auch durchaus gewollt ist, kann am Beispiel der Clearing-Bedingungen der Eurex Clearing AG für die Geschäfte an der Irish Stock Exchange (Dublin), („ISE“), belegt werden, welche die Clearingdienstleistungen durch die Eurex Clearing AG als System im Sinne der Finalitätsrichtlinie ausdrücklich deutschem Recht unterstellen, wohingegen für die Rechte und Pflichten aus den Transaktionen zwischen der Eurex Clearing AG und dem General-Clearing-Mitglied das Recht der Republik Irland gilt.202 3. Kritik 2: von einer Zentralen Vertragspartei betriebene Clearingsysteme als Systeme nach der (novellierten) Finalitätsrichtlinie Nimmt man die überzeugende Kritik auf, die von Hall der Anwendbarkeit der Finalitätsrichtlinie in ihrer alten (Finalitätsrichtlinie) und in ihrer novellierten Fassung (RL 2009/44/EG)203 auf Clearingsysteme, die durch die Zentrale Vertragspartei betrieben werden, entgegen bringt,204 so lässt sich durchaus in Frage stellen, ob eine Überschneidung zwischen multilateralen Systemen und solchen nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie überhaupt eintritt: Seine Kritik setzt am Wortlaut des Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie und an dessen Definition des Systems als eine förmliche Vereinbarung, die zwischen den Teilnehmern dieses Systems abge202
Kapitel V 1.3.2 Absatz 8: „Jedes Clearing-Mitglied und Nicht-ClearingMitglied erkennt an und ist einverstanden damit, dass die von der Eurex Clearing AG gemäß diesem Kapitel VI zur Verfügung gestellte Leistung ein „System“ gemäß der Richtlinie 98/26/EG und ihrer Umsetzung in Deutschland ist, das deutschem Recht unterliegt, ungeachtet dessen, dass die zwischen dem General-Clearing-Mitglied und der Eurex Clearing AG gemäß Ziffer 1.1.4 Absatz (1) und (2) geschlossenen Verträge dem Recht der Republik Irland unterliegen“. 203 Richtlinie 2009/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 zur Änderung der Richtlinie 98/26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und Abrechnungssystemen und der Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten im Hinblick auf verbundene Systeme und Kreditforderungen, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 146 vom 10.6.2009, S. 37 ff. 204 von Hall, Insolvenzverrechnung in bilateralen Systemen, Baden-Baden 2011.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
schlossen sein muss, an. Danach muss die Vereinbarung, um als solch ein System zu fungieren, unmittelbar zwischen den Teilnehmern getroffen werden. Ist die Zentrale Vertragspartei einer Handelsplattform gleichzeitig Betreiberin des Clearingsystems, so tritt der Handelsteilnehmer in der Praxis in aller Regel dadurch in das Clearingsystem ein, dass er – üblicherweise Voraussetzung seiner Zulassung zum Handel – die Clearingbedingungen akzeptiert. Dagegen schließt er mit den anderen Clearingmitgliedern keine sonstwie geartete Vereinbarung ab. Als Clearingsysteme im Sinne der Richtlinie ließen sich Clearingsysteme, die von der Zentralen Vertragspartei betrieben werden, daher nur unter der Bedingung einordnen, dass auch eine Regelung durch ein Regelungswerk wie die Clearingbedingungen genügt.205 Da der Gesetzgeber jedoch an dieser Formulierung in der RL 2009/44/EG festgehalten hat, schließt von Hall in genetischer Auslegung daraus, dass die Richtlinie „nur solche Systeme schützt, bei denen sich die direkten Clearingmitglieder der zentralen Vertragspartei untereinander förmlich zusammenschließen“.206 In der Konsequenz dürften Clearingsysteme, die durch eine Zentrale Vertragspartei betrieben werden, nicht in den Systembegriff der novellierten Finalitätsrichtlinie fallen, so dass die Doppelfunktion eines Instituts als Zentrale Vertragspartei und Clearinghaus den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 1 lit. h bzw. Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO bereits deswegen nicht beschneiden dürfte. Hierin liegt kein Widerspruch zum Begriff des multilateralen Systems nach Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO, bei dem die Zwischenschaltung einer Zentralen Vertragspartei der Multilateralität der Systeme nicht entgegensteht. Denn für die Multilateralität des Handels kommt es lediglich auf die Handelsgeschäfte im wirtschaftlichen Sinn an, wohingegen Clearingsysteme, definiert als Vereinbarungen, unmittelbare vertragliche Beziehungen zwischen den Beteiligungen voraussetzen. IV. Zusammenfassung und Ergebnis zum Verhältnis zwischen multilateralen Systemen und Clearingsystemen in der Rom I-VO Entgegen der Würdigung Biermans und Struyckens steht damit fest, dass die in den Clearing- und Settlementsystemen nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie getroffene Rechtswahl den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO und damit auch von Art. 6 Abs. 4 lit. e 205 206
von Hall, Insolvenzverrechnung in bilateralen Systemen, S. 174. von Hall, Insolvenzverrechnung in bilateralen Systemen, S. 177.
D. Bedeutung von Erwägungsgrund 31
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Rom I-VO nicht einzuschränken vermag, zum einen, weil beide Systeme unterschiedliche Phasen des Handels betreffen, zum anderen, weil der Systembegriff nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie die durch eine gleichzeitig als Zentrale Vertragspartei fungierende Clearingstelle betriebenen Systeme ausschließt. Stattdessen lässt sich vielmehr die praktische Bedeutung von Erwägungsgrund 31 in Frage stellen. Sofern kein Verbraucher Teilnehmer eines Clearing- und Settlementsystems im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie ist, wird die einheitliche Anwendung nur eines Rechts bereits durch die zwingend für die Einordnung als System erforderliche Rechtswahl gewahrt. Eine Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO entsprechende objektive Anknüpfungsregel wird dadurch von vorneherein nicht erforderlich. Doch auch im Hinblick auf die durch Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO drohenden Risiken besteht kein Bedürfnis nach spezieller Regelung, weil als Teilnehmer eines Clearing- und Settlementsystems im Sinne von Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie definitionsgemäß nach lit. f dieses Artikels nur Institute, eine Zentrale Vertragspartei, eine Verrechnungsstelle oder eine Clearingstelle zugelassen sind, aber keine natürlichen Personen und damit auch keine Verbraucher207 im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO. Da Erwägungsgrund 31 so auszulegen ist, dass sich das Recht des Systems nach Ansicht des Verordnungsgebers über Art. 23 Rom I-VO durchsetzt, beschränkt sich dieser Anwendungsvorrang auf den Bereich der Mitgliedstaaten und innerhalb dessen nur auf Systeme, die der Wahl des Rechts eines Mitgliedstaats unterliegen. Im Ergebnis findet Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO wieder Anwendung, wenn es sich bei dem fraglichen System um ein mit dem Zahlungs- und Wertpapierabwicklungssystem nach Art. 2 lit. a Finalitätsrichtlinie nur funktionsgleiches System handelt, welches nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt. Da der Erwägungsgrund 31 zugrunde liegende Zweck, die Funktionsfähigkeit auch von solchen Abwicklungssystemen sicherzustellen, nicht auf die europäischen Institute beschränkt sein kann, muss auch bei außereuropäischen Instituten die Anwendung von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO auf in ihnen potentiell entstehende vertragliche Rechte und Pflichten ausgeschlossen sein, wobei jedoch mangels einer ausdrücklichen Regelung im Verordnungstext bislang nicht klar ist, wie diesem Zweck rechtstechnisch Rechnung getragen werden soll.
207
S.u. Kapitel 6: A. I. Das persönliche Kriterium in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO.
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Kapitel 5: Ausnahmetatbestand 3
E. Zusammenfassung und Ergebnis zum Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO E. Zusammenfassung und Ergebnis
Die neu aufgenommenen Regelungen des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO und des Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO gewährleisten die Funktionsfähigkeit von bestimmten Organisationsformen des Kapitalmarktgeschehens, die sich vereinfacht als Handelsplattformen zusammenfassen lassen. Obwohl die vom Verordnungsgeber gewählte Definition dieser Handelsplattformen eng an diejenigen der in der MiFID geregelten Marktinstitute angelehnt ist, sind die Begriffsmerkmale einer den Universalitätsgrundsatz wahrenden Auslegung zugänglich. Problematisch hingegen ist die Auffindung des nach Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO anwendbaren Rechts, da sich diese Regelung ihrem Wortlaut nach darauf beschränkt, hierzu auf das Recht des Systems zu verweisen. Die in der Rom I-VO fehlende Hilfestellung dazu, wie dieses Recht des Systems ausfindig zu machen ist, lässt die Anwendung dieser Norm insbesondere dann zum Problem werden, wenn eine Handelsplattform keine eindeutigen Bezüge zu einer Rechtsordnung aufweist. Eine Lösung hierfür könnte, wie bereits in der Literatur diskutiert, darin liegen, dem Schwerpunkt des Systems im Wege einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln. In der Praxis wird indes in aller Regel die in den Systemkonstituten aufgenommene Rechtswahl vorgeben, welches Recht zur Anwendung kommen soll. Im Unterschied zur Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO stellt sich die Frage nach einer Differenzierung zwischen einzelnen Rechten und Pflichten erst gar nicht, weil Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO Verträge im Ganzen adressiert und keine Rückausnahme vorsieht.
Kapitel 6
Überprüfung von Sinn und Zweck der neuen Regelungen im Lichte von Art. 6 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO Welche praktische Bedeutung die neuen Ausschlusstatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO haben, lässt sich erst dann abschließend beantworten, wenn die von ihnen anvisierten kapitalmarktrechtlichen Sachverhalte an den Voraussetzungen gemessen worden sind, die für die Eröffnung des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes nach Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO im Besonderen vorliegen müssen.
A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO
Unter dem EVÜ beschränkte sich der Verbraucherschutz – wie eingangs dargelegt – noch auf „Verträge über die Lieferung beweglicher Sachen oder die Erbringung von Dienstleistungen“ sowie auf „Verträge zur Finanzierung eines solchen Geschäfts“.1 Da selbst verbriefte Finanzinstrumente nicht als bewegliche Sachen qualifiziert werden, konnte unter der Geltung des EVÜ ein Unternehmer ein Finanzinstrument an einen Verbraucher verkaufen, ohne sich mit den verbraucherschützenden Vorschriften in dessen Heimatrecht auseinandersetzen zu müssen, sofern nicht die Übertragung eines oder mehrerer Finanzinstrumente als Teil einer Dienstleistung erbracht wurde. Zwar stellt sich die Situation unter dem geöffneten sachlichen Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom IVO in Bezug auf Verträge über Finanzinstrumente nunmehr tatsächlich grundsätzlich anders dar als noch unter dem EVÜ. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Begriff des Verbrauchervertrags in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO zwar sachlich keinen Einschränkungen unterliegt, er aber in persönlicher und in räumlich-situativer Hinsicht mit einschränkenden Merkmalen ausgestattet ist: Die Sonderanknüpfung des
1
Art. 5 Abs. 1 EVÜ.
314
Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO gilt ihrem Wortlaut nach für Verträge, die „eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (‚Verbraucher‘), mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt (‚Unternehmer‘)“. Die möglichen Parteien eines Verbrauchervertrags nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO beschränken sich zwingend auf einen Verbraucher, eine natürliche Person, auf der einen Seite, und einen Unternehmer auf der anderen Seite. Mit der ausdrücklichen Beschränkung auf natürliche Personen setzt Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung vertretene Wertung um, dass ein überindividuell organisierter Zusammenschluss kein verbrauchertypisches Schutzbedürfnis geltend machen kann.2 Zugleich sperrt sich die Regelung gegen eine analoge Anwendung auf die Außengeschäfte eines Fonds zu Gunsten seiner Anleger,3 die mit Blick auf die besondere Funktion eines Fonds für Kleinanleger diskutiert worden ist.4 Für eine – wegen des Ausnahmecharakters von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO nur in engen Grenzen zulässige5 – Analogie besteht zum einen bereits kein Bedürfnis, weil sich die Anleger selbst nicht als mittelbar durch den Fonds repräsentierte Vertragsparteien verstehen, „für (sie) ist wirtschaftlich immer nur ihre Beteiligung am Fonds relevant“.6 Zum anderen kann von dem Geschäftspartner des Fonds, dem gerade keine natürliche Person als gegnerische Vertragspartei gegenübertritt, auch nicht erwartet werden, sich auf potentiell schützendes Verbraucherschutzrecht einzustellen, nur weil sich in aller Regel vermehrt Kleinanleger an einem Fonds beteiligen.7 In räumlich-situativer Hinsicht verlangt Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO, dass der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat,8 oder eine solche Tätigkeit auf irgendeiner Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet.9 Ist das der Fall, so muss der Vertrag, den der Unternehmer mit dem Verbraucher abschließt, 2
Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 40. Mankowski, RIW 2009, 98, 111 f.; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 305. 4 Mankowski, RIW 2009, 98, 111; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 305. 5 Palandt/Thorn, BGB (IPR), Rom I 6 Rn. 1. 6 Mankowski, RIW 2009, 98, 111. 7 Mankowski, RIW 2009, 98, 111. 8 Art. 6 Abs. 1 2. HS lit. a Rom I-VO. 9 Art. 6 Abs. 1 2. HS. lit. b Rom I-VO. 3
A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO
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auch von dieser Tätigkeit gedeckt sein,10 damit der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz eingreift. An diesen Voraussetzungen sind Verträge über Finanzinstrumente daraufhin zu überprüfen, ob und inwieweit sie überhaupt in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO fallen. Bislang ist die Relevanz der neuen Ausnahmetatbestände überwiegend aus praktischer Sicht mit der Behauptung in Frage gestellt worden, dass Verbraucher an den ausgeklammerten Geschäften nur selten direkt beteiligt wären.11 Selbst wenn diese Einschätzung bislang auf einen Großteil der Geschäfte zutreffen mag, kann sie alleine die Überflüssigkeit der neuen Ausnahmetatbestände nicht begründen, bedenkt man den Erfindungsreichtum der Kapitalmarktteilnehmer. Beispielsweise ist es durchaus vorstellbar, dass multilaterale Handelsplattformen auch natürlichen Personen zugänglich gemacht werden und diese dort nicht als Unternehmer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO tätig werden. Es reicht nicht aus, auf die derzeitige Rechtstatsächlichkeit an den Kapitalmärkten zu verweisen, sondern es muss der Frage nachgegangen werden, welche Grenzen sich bereits aus dem persönlichen und dem räumlich-situativen Kriterium in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO für die Anwendung dieser Regel auf Verträge über Finanzinstrumente ergeben. I. Das persönliche Kriterium in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO Die Anlage in Kapitalmarkttiteln unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht von einem klassischen Verbrauchervertrag, der den Erwerb einer Ware oder die Inanspruchnahme einer Dienstleistung zum Gegen-
10
Art. 6 Abs. 1 3. HS Rom I-VO. Zweifel an der praktischen Notwendigkeit der geplanten Ausnahmeregelungen für Finanzmarktgeschäfte wurden bereits im Gesetzgebungsverfahren vermerkt, siehe bspw. Fn. 3 zur vorgeschlagenen Ausnahmeregelung des Inhalts “a contract concluded at a financial market or a contract of subscription of a new issue of shares, bonds or other securities.” im Entwurf vom 12.12.2006, Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/0261 COD, 16353/06, LIMITE, JUSTCIV 276, CODEC 1485, Note from Finnish Presidency and incoming German Presidency to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 12 December 2006, S. 9: “Further consideration is needed whether this paragraph is necessary, having in mind that particularly international contracts related to securities seem to be only rarely concluded by consumers”. In der Literatur insbesondere: Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 97 f.; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 537; Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 63; Proctor, Law and Practice of Int. Banking, Rn. 41.21 (S. 662). 11
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
stand hat: Anstatt sein Geld für „flüchtige“12 Konsumgüter auszugeben, geht es einem Kapitalanleger vielmehr darum, über seine Investition „vorhandenes und nicht benötigtes Vermögen (zu) mehren“.13 Anstatt eine Ware im strengen Wortsinn zu konsumieren, übernimmt er als Investor die Funktion eines Geldgebers. Das Produkt selbst weicht von herkömmlichen Verbrauchsgütern dadurch ab, dass zu dessen Erwerb in aller Regel ein größerer Geldbetrag erforderlich ist und das eingegangene Geschäft, je nach Struktur des Produkts, eine wirtschaftliche Tragweite haben kann, die sich einem marktfremden Anleger auf dem ersten Blick nicht erschließt. Diese Unterschiede zu einem klassischen Verbrauchergeschäft sind besonders bei spekulativen Derivatgeschäften ausgeprägt, von denen sich Anleger möglichst hohe Renditen in möglichst kurzer Zeit versprechen. Obwohl weithin Einigkeit darüber besteht, dass „Bank- und Börsengeschäfte, die der Pflege des eigenen Vermögens dienen, grundsätzlich nicht als berufliche oder gewerbliche Tätigkeit gelten“,14 lassen sich aus diesen Gründen vereinzelt auch abweichende Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur – zumindest in Bezug auf spekulative Derivatgeschäfte – ausfindig machen. In der mitgliedstaatlichen Rechtsprechung haben sich, soweit ersichtlich, das OLG Hamm15 und prominent das Polimeles Protodikeio Athinon16 (Gericht der ersten Instanz in Athen) dagegen ausgesprochen, Anlegern, die ein solches Geschäft abschließen, unter den besonderen Schutz der verbraucherschützenden Regelung von Art. 13 LugÜ17 (OLG Hamm) 12
Armbrüster, ZIP 2006, 406, 408. Armbrüster, ZIP 2006, 406, 408. 14 BGH, Urteil vom 23.3.2011, Az.: XI ZR 216/09, Rn. 19, BeckRS 2011, 15967; Urteil vom 22.3.2011, Az.: XI ZR 197/08, Rn. 25, WM 2011, 1434; Urteil vom 23.10.2011, Az.: XI ZR 63/01, Rn. 23, BGHZ 149, 80, 86; Urteil vom 25.1.2011, Az.: XI ZR 350/08, Rn. 25, RIW 2011, 321, 323; Urteil vom 25.1.2011, Az.: XI ZR 106/09, Rn. 30, NJW-RR 2011, 844; Urteil vom 25.1.2011, Az.: XI ZR 100/09, Rn. 27, WM 2011, 645; Urteil vom 8.6.2010, Az.: XI 349/08, Rn. 34, NJW-RR 2011, 548; MüKo/Martiny, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 8; Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 42; jurisPK/Limbach, Art. 6 Rom I-VO Rn. 15; Remien, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Art 6 Rom I-VO Rn. 4. 15 Urteil vom 14.1.2004 – 25 U 23/03, IPRspr. 2004, Nr. 98a, 204–207. 16 Standard Bank of London v. Apostolakis, (Decision 8032/2001); before the Polimeles Protodikeio (Multi-Member First Instance Court), Athens, 1 March 2001 2003 IL Pr 29; besprochen in: Plender/Wilderspin, European Private International Law of Obligations, Rn. 9-020 f. (S. 231). 17 Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988, veröffentlicht in: BGBl. II, Nr. 48 vom 14.10.1994, S. 2658. 13
A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO
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bzw. Art. 13 des EU-Vollstreckungsübereinkommens18 (Polimeles Protodikeio Athinon) zu stellen. Beide Gerichte stützten ihre rechtliche Würdigung zum einen auf den Betrag, in dessen Höhe das jeweilige Geschäft abgeschlossen wurde, zum anderen auf die Methode, die ihm zugrunde lag. So argumentierte das OLG Hamm, dass „vieles dafür spricht, ... den Kläger, der bewusst 20 Millionen DM seines Vermögens in die Schweiz gebracht und bei einer Schweizer Bank angelegt hat und daraus sodann ein – unstreitig auch auf Klägerseite spekulativ angesehenes – Geschäft über 2,5 Millionen getätigt hat, jedenfalls im Hinblick auf dieses konkrete Geschäft nicht als ‚Verbraucher‘ im Sinne der Bestimmung anzusehen“.19 Entsprechend kam das griechische Gericht in seiner Würdigung zu dem Schluss, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit der Anleger und das Transaktionsvolumen, welches sich auf insgesamt 7 Millionen US-Dollar belief, zusammen mit der Art des vereinbarten Geschäfts, eines foreign exchange agreement, der Einordnung des Vertrags als „Verbrauchervertrag“ im Sinne des EUVollstreckungsübereinkommens entgegen stünden: Ein Differenzgeschäft, einzig zu dem Ziel abgeschlossen, das eigene Vermögen ohne großen materiellen oder sonstigen Aufwand zu vergrößern, lasse sich nicht als Verbrauchervertrag einordnen. Seinen Worten nach stand für das Gericht damit eindeutig fest, dass eine solche Anlagemethodik weder ein natürliches noch ein intellektuelles Bedürfnis befriedigen würde und somit die Anforderung an eine Verbrauchertätigkeit per se nicht erfüllen könnte.20 Die dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Erwägungen hätten, angewendet auf Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO, zur Konsequenz, dass beispielsweise bei einer Neuemission getätigte Wertpapierkäufe spekulativen Charakters und hohen Transaktionsvolumens von vorneherein nicht die Anforderungen an einen Verbrauchervertrag erfüllen würden. Andererseits scheinen die neuen Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO ihre Existenz gerade daraus 18
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, veröffentlicht in: BGBl. II, Nr. 46 vom 29.7.1972, S. 773. 19 Urteil vom 14.1.2004 – 25 U 23/03, Rn. 14, BeckRS 2006, 08849. 20 Siehe Rn. 24 dieses Urteils: “The claimants simply speculated on the difference between the actual foreign exchange rate and the rate that had already been agreed at the ‘opening of their position’ in a an attempt to increase effortlessly and without investing their own funds their wealth. ... It is clear that the increase of one’s wealth and indeed by assuming significant entrepreneurial risks without investing one’s own funds does not constitute a ‘consumption need’, since it does not aim at satisfying any natural or intellectual demand”.
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
abzuleiten, dass der Verbraucherbegriff unter der Rom I-VO auch Kapitalanleger – und zwar unabhängig von dem Wert und der Art des eingegangenen Investmentgeschäfts – einschließt. Dieses aus systematischer Auslegung folgende Ergebnis findet Unterstützung in Erwägungsgrund 26, der für einzelne Finanzmarktgeschäfte ausdrücklich klarstellt, dass sie „Artikel 6 der vorliegenden Verordnung unterliegen“, ohne innerhalb dieser Geschäfte weiter zu differenzieren. Dies lässt den Schluss zu, dass der internationalprivatrechtliche Verbraucherschutz in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO nicht grundsätzlich nach der Art des eingegangenen Geschäfts oder der Höhe des dafür aufgewendeten Geldbetrags differenzieren will. Ob eine Person, die in ein Kapitalmarktprodukt investiert, unter der Rom I-VO als Verbraucher geschützt wird, ist im Ergebnis keiner pauschalen Antwort zugänglich, sondern für jedes kritische Merkmal eines Anlagegeschäfts gesondert an den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO zu überprüfen.21 1. Kapitalanleger als Verbraucher im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO Im Folgenden wird im Einzelnen untersucht, welche Bedeutung die Höhe des Vermögens des Anlegers generell, die Höhe des davon zu differenzierenden angelegten Vermögens sowie die Art des Anlagegeschäfts für die Einordnung einer Person als Verbraucher im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO haben. Der Verbraucherbegriff in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO folgt einem rollenorientierten Verständnis, unter dem dieselbe Person den einen Vertrag als Verbraucher, den anderen Vertrag als Unternehmer abschließen kann.22 Deswegen sind Kriterien, die ausschließlich an die Person anknüpfen, für die Unterscheidung zwischen Verbrauchern und Unternehmern irrelevant. Welches Vermögen einem Anleger für seine Investition grundsätzlich zur Verfügung steht, vermag zwar Auskunft über den wirtschaftlichen Status seiner Person geben, nicht aber über den Zweck, zu dem er ein Geschäft abschließt. Ob es sich um eine sehr vermögende oder um eine weniger begüterte Person handelt, die ein Investment am Kapitalmarkt tätigt, darf in die Beurteilung seiner Verbrauchereigenschaft nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO nicht einfließen. Davon ist die Frage abzugrenzen, ob solche Transaktionen als Verbrauchergeschäfte ausscheiden, die einen Wert um21
So im Ergebnis auch, noch unter Art. 29 EGBGB: Spindler, ZHR 165 (2001) 324, 342. 22 MüKo/Martiny, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 6; Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 8, 20; Staudinger, in: Ferrari et al. (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, VO (EG) 593/2001, Art. 6 Rn. 13.
A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO
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fassen, der jenseits des klassischen Verbrauchsgeschäfts angesiedelt ist, wie es das OLG Hamm mit Blick auf das Geschäft von über 2,5 Millionen DM nahe legt. Legt man die weithin verbreitete Definition zugrunde, dass eine natürliche Person dann als Verbraucher einzuordnen ist, wenn sie den Vertrag lediglich zur Deckung ihres privaten Eigenbedarfs abschließt,23 so scheint ein solches Geschäft auf den ersten Blick nicht mehr vom Verbraucherbegriff erfasst zu sein.24 Zwar geht ein Betrag dieser Höhe weit über das hinaus, was gemeinhin zur Deckung des privaten Eigenbedarfs benötigt wird. Wenn sich aber der Begriff des Verbrauchers nicht auf Personen mit durchschnittlichem Einkommen beschränken will, sondern rollenorientiert ausgestaltet ist, können in der Konsequenz auch der Wert eines Geschäfts bzw. die Höhe des dafür zu leistenden Betrags grundsätzlich nicht als Kriterium für oder gegen die Verbrauchereigenschaft dienen. Ebenso wie ein Millionär, der sich einen Privatjet oder eine Luxusyacht für familiäre Urlaubsreisen zulegt, diesen Kauf als Verbraucher im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO tätigt, kann die strategische Anlage eines Millionenbetrags am Kapitalmarkt grundsätzlich ein Verbrauchergeschäft darstellen, sofern es sich bei dem angelegten Geld um das Privatvermögen des Anlegers handelt. Als weiteres Argument wird angeführt, dass der Verbraucher gerade bei Geschäften, die einen hohen Geldeinsatz erfordern, wirtschaftlich einem besonderen Risiko ausgesetzt und deswegen besonders schutzbedürftig sei.25 Die Höhe des angelegten Betrags muss zudem deswegen als Kriterium ausscheiden, weil eine danach ausgerichtete Trennlinie praktisch gar nicht aufstellbar ist.26 Zu Recht belässt es das britische Gericht, das 23
Müko/Martiny, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 7; Martiny, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Rn. 4177 (S. 1261); Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 29. 24 Ein weiteres Beispiel aus der Rechtsprechung, in dem die Verbrauchereigenschaft auch wegen der Höhe des investierten Betrags abgelehnt worden ist, findet sich im Fall Ghandour v. Arab Bank (Switzerland) vor dem Eeteio Athinon (Berufungsinstanz) mit Urteil vom 26.6.2006, 2008 IL Pr 35. In diesem Fall ging es um die Frage, ob ein Darlehen, das zur Finanzierung von Investmentgeschäften aufgenommen worden war, noch unter den Verbraucherbegriff nach Art. 13 LugÜ fällt: “In the present case, judging from the number of the transactions carried out, the length of time that the appellant was active, the amounts involved, and the systematic nature of the whole operation, the conclusion to be reached was that the appellant acted as a professional (as an ‘entrepreneur’) as regards those specific transactions and that the contracts under consideration were concluded for the purpose of serving that professional activity”. 25 Sachse, Verbrauchervertrag im Int. Privat- und Prozessrecht, S. 220. 26 Briggs/Rees, Civil Jurisdiction and Judgements, Rn. 2.74 (S. 84).
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sich bereits vor dem Polimeles Protodikeio Athinon mit der Klage befasst und die griechischen Gerichte für zuständig erklärt hatte,27 daher bei dem Hinweis, dass die Anleger Kapital einsetzten, welches ihnen zur freien Verfügung stand.28 Unabhängig davon ist die Grenze jedoch dann überschritten, wenn die Investitionen, die eine Person am Kapitalmarkt tätigt, einen Umfang annehmen, den die anlegende Person alleine und ohne besondere Hilfsmittel nicht mehr bewältigen kann. Sobald dieser Umfang erreicht ist, entfällt nach gemeinhin vertretener Ansicht der Verbraucherstatus der investierenden Person.29 Diese Grenze zwischen der Verwaltung und Pflege privaten Vermögens und dem Nachgehen einer gewerblichen Tätigkeit wird danach gezogen, ob die Anlagetätigkeiten die Einrichtung einer „kaufmännischen Organisation“ erforderlich machen.30 Obwohl der Umfang des investierten Vermögens grundsätzlich als Indiz dafür herangezogen werden kann, genügt es unter dieser Voraussetzung nicht, die Unterscheidung anhand einer bestimmten Summe vorzunehmen, wie hoch sie auch sein mag. Stattdessen kommt es auf die Situation im Einzelfall an: Hat sich der Anleger beispielsweise ein Büro mit mehreren Bildschirmen eingerichtet, auf denen er die Entwicklungen verschiedener Finanzinstrumente an den jeweiligen Handelsplätzen verfolgen kann, und verbringt er täglich mehrere Stunden bzw. sogar mehr als die Hälfte des Tages damit, Kaufs- und Verkaufsaufträge abzugeben, wird er bei Ausübung dieser Tätigkeit unter Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO schwerlich als Verbraucher einzuordnen sein.31 Investiert er hingegen einmalig einen Betrag von über einer Million Euro in einem offenen Fonds bzw. in einem Aktienkauf, macht ihn das allein noch nicht zu einem Unternehmer in diesem Geschäft. Die wirtschaftlich und rechtlich schwächere Position, unter der Art. 6 Rom I-VO den Verbraucher kollisionsrechtlich schützt,32 wird nicht per se durch ein hohes Vermögen aufgehoben. 27
Standard Bank London Ltd. v. Dimitrios and Styliani Apostolakis, before the English High Court, Queen’s Bench Division, Commercial Court, 19 January 2000, 2000 IL Pr 766. 28 Rn. 15: “They were disposing of income which they had available”. 29 MüKo/Martiny, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 8; Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 42; Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 27; jurisPK/Limbach, Art. 6 Rom I-VO Rn. 15. 30 Siehe die Zitate in der vorangehenden Fußnote. 31 Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 27; vgl. auch: Wach, AG 1992, 384, 388. 32 So die Wertung des EuGH noch zum EU-Vollstreckungsübereinkommen in dem Urteil vom 19.1.1993, Rs. C-89/91, „Shearson Lehman Hutton Inc./TVB Treu-
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Schließlich kann auch die – praktisch bereits kaum mögliche – Einordnung des eingegangenen Geschäfts als Spekulationsgeschäft nicht dafür herhalten, ein Geschäft als Unternehmergeschäft einzuordnen.33 Neben den bereits genannten systematischen Erwägungen, die auf dem Wegfall des beschränkten sachlichen Anwendungsbereichs der Regelung und der Aufnahme der neuen Ausnahmetatbestände beruhen, spricht hierfür, dass sich die Gewinnerzielungsabsicht deswegen als abgrenzendes Kriterium nicht eignet, weil selbst der europäische Unternehmerbegriff auf sie verzichtet.34 Der Verbraucherbegriff enthielte einen Widerspruch in sich, wenn er einerseits auf eine Gewinnerzielungsabsicht verzichtet, andererseits jedoch Personen wegen eines besonders erhöhten Profitstrebens und damit einhergehenden Risikowillens ausschließen will. Zusammenfassend schließt der Verbraucherbegriff Kapitalanleger nicht per se aus dem persönlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO aus. Sie sind nur dann nicht mehr erfasst, wenn ihre Investitionen einen Umfang erreichen, der nur mithilfe einer kaufmännischen Organisation bewältigt werden kann. Ob das der Fall ist, erfordert eine Prüfung im Einzelfall, die sich nicht auf die Höhe des investierten Kapitals beschränken darf. 2. Anleger mit besonderer Expertise als Verbraucher im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO Mit Blick auf die vom Rat der Europäischen Union veröffentlichen Materialien zur Entstehungsgeschichte der neuen Ausnahmetatbestände könnte eine besondere Expertise eines Anlegers für dessen Einordnung als Verbraucher oder Unternehmer unter Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO von Bedeutung sein. Auf Grundlage eines solchen Kriteriums ließe sich die Verbrauchereigenschaft solcher Anleger ablehnen, die für die Verwaltung ihrer Investitionen zwar keine kaufmännische Organisationsstruktur benötigen, sich aber einen profunden Sachverstand, beispielsweise durch eine entsprechende Ausbildung im Finanzsektor, erworben und zusätzlich umfassend Erfahrung in diesem Bereich gesammelt haben. Die handgesellschaft für Vermögensverwaltung und Beteiligungen mbH“, Slg. 1993, I00139. In Randnummer 18 heißt es dort, dass die Sonderregelung von dem Bestreben getragen sei, den Verbraucher als den wirtschaftlich schwächeren und rechtlich weniger erfahrenen Vertragspartner zu schützen. 33 Rn. 15: “They were using the money in a way which they hoped would be profitable but merely to use money in a way one hopes would be profitable is not enough, in my view, to be engaging in trade”. 34 Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 26.
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gesonderte Behandlung solcher Anleger unter Art. 6 Rom I-VO, umgesetzt durch einen entsprechenden Erwägungsgrund, stand zumindest bei der Ausarbeitung der neuen Ausschlusstatbestände im Raum: Es kam der Vorschlag auf, einer unter Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO eigentlich als Verbraucher einzustufenden Person die Möglichkeit einzuräumen, sich für bestimmte Geschäfte wie ein Unternehmer behandeln zu lassen.35 Dieser Vorschlag knüpfte an einen unter der MiFID umgesetzten Mechanismus an, unter dem sich Einzelpersonen, die nicht die Voraussetzungen eines professionellen Kunden nach Anhang II erfüllen, unter bestimmten Voraussetzungen trotzdem als solcher einstufen lasen können. Dieser als opt-out36 bezeichnete Mechanismus besteht nicht aus einem einseitigen Akt seitens des Anlegers, sondern setzt kumulativ das Einverständnis der mit ihm Geschäfte abschließenden Wertpapierfirma voraus; es steht in ihrem Ermessen, ob sie diese Einstufung akzeptiert.37 Dafür, dass ein Verbraucher auch unter Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO sich mit Hilfe eines solchen opt-outs auf Seite der Unternehmer stellen kann, lässt sich anführen, dass dies für beide Parteien auch von großem Vorteil sein kann: Ebenso wie der volle Schutzumfang, der einem Privatkunden aus Anlegerschutzgesichtspunkten grundsätzlich zukommen soll, dessen Geschäftsmöglichkeiten einschränkt, kann auch der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz für den Verbraucher eine Einschränkung bedeuten. Aus Sicht der Kommissionsdienststellen war es daher notwendig, dem opt-out (dort bezeichnet als opt-up)38 auch kollisionsrechtliche Wirkung im Hinblick auf Art. 6 Rom I-VO zu verschaffen. Dadurch sollte einem Bedeutungsverlust des opt-out in der MiFID entgegengewirkt werden, „da Unternehmen einer erfahrenen Einzelperson wohl kaum den Status eines professionellen Kunden einräumen würden, wenn dessen Geschäfte unter Artikel 5 fielen, was wiederum den Zielen der MiFID-
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Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15.3.2007, S. 6. 36 Zu § 31a Abs. 7 WpHG, welcher Anhang II Nr. II.1 MiFID umsetzt: Möllers, in: KK-WpHG, 31a Rn. 89; Koch, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), KapitalmarktrechtsKommentar, § 31a WpHG Rn. 40. 37 Siehe Anhang II Nr. II MiFID. 38 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15.3.2007, S. 6.
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Richtlinie in diesem Zusammenhang zuwiderlaufen würde“.39 Mit dieser Argumentation sprachen sich die Kommissionsdienststellen für einen speziellen Erwägungsgrund aus, wonach Personen, die sich durch ein opt-out in die Klasse der professionellen Kunden hoch gestuft hätten, „nicht als Verbraucher betrachtet werden sollen, wenn sie Verträge schließen, die eine Wertpapierdienstleistung, ein Wertpapiergeschäft oder eine bestimmte Art von Geschäft oder Produkt betreffen, für die bzw. das sie als professioneller Kunde behandelt werden“.40 Dass dieser Erwägungsgrund im endgültigen Verordnungstext nicht zu finden ist, spricht für sich. Die Übernahme der opt-out-Möglichkeit nach den Regeln der MiFID hätte ferner nicht dem Erfordernis universeller Anwendbarkeit der Kollisionsregeln in der Rom I-VO genügt: Sie hätte unberücksichtigt gelassen, dass die Rom I-VO grundsätzlich auch auf Sachverhalte anwendbar sein will, in denen eine Wertpapierfirma keinem umgesetzten Richtlinienrecht unterstanden hätte, in denen die opt-out-Möglichkeit aus der MiFID damit nicht bestanden hätte. Es hätte jedoch kein Sinn darin gelegen, diesbezüglich zwischen Binnenmarktsachverhalten und Sachverhalten, die sich außerhalb der Mitgliedstaaten abspielen, zu unterscheiden. Darüber hinaus hätte die Einführung der opt-out-Möglichkeit die praktische Schwierigkeit nach sich gezogen, über Fälle entscheiden zu müssen, in denen der Anleger nur in Bezug auf bestimmte Finanzinstrumente ein opt-out vorgenommen hat.41 Auch wenn die fehlende Aufnahme eines solchen Erwägungsgrundes im endgültigen Verordnungstext in der Auslegung gewichtig dagegen spricht, besonders kundige Anleger oder Anleger, die sich unter nationalem Kapitalmarktrecht als professionelle Kunden behandeln lassen können, zwingend als Unternehmer einzuordnen, soll die kollisionsrechtliche Behandlung beider Kriterien hier kurz untersucht werden. Da sich die Verbrauchereigenschaft ausschließlich anhand des Zwecks des getätigten Geschäfts bestimmt, reicht Sachkunde allein nicht aus, einen Verbraucher im Hinblick auf das konkrete Finanzgeschäft zum Unternehmer zu machen. In systematischer Auslegung ließe sich zwar an39
Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15.3.2007, S. 6. 40 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15.3.2007, S. 6. 41 Garcimartín Alferéz, Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européen ,Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 161, 171.
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denken, in den Begriff des Verbrauchers in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO die Wertungen aus der MiFID zumindest einfließen zu lassen mit der Folge, dass die Anerkennung eines bestimmten Professionellenstatus’ unter einem nationalen Kapitalmarktrecht, rechtstechnisch als kollisionsrechtliche Vorfrage zu beantworten, die Verbrauchereigenschaft aufheben könnte. Teleologisch scheitert eine solche Gleichsetzung letztendlich jedoch daran, dass die Verbrauchereigenschaft sich aus dem Zweck des jeweiligen Geschäfts ableitet, wohingegen die Einordnung als professioneller Kunde an die Person des Anlegers anknüpft.42 Unabhängig davon, dass die fehlende Aufnahme des vorgeschlagenen Erwägungsgrundes ein starkes Indiz dafür ist, dass der Verordnungsgeber den Verbraucherbegriff unabhängig von externen Kriterien aus der MiFID verstanden wissen wollte, steht daher bereits das rollenorientierte Verbraucherbild in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO einer Abgrenzung anhand der finanziellen Expertise entgegen.43 3. Übernahmeangebote – Verkäufer von Wertpapieren als Verbraucher im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO Seinem Wortlaut nach differenziert Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO nicht danach, ob der Verbraucher Empfänger oder Erbringer der vertraglich vereinbarten Leistung ist. Dagegen war der Anwendungsbereich seiner Vorgängerregelung nur eröffnet, wenn es der Unternehmer war, der die Ware an den Verbraucher lieferte bzw. die Dienstleistung an ihn erbrachte (Business-to-Consumer, kurz: B2C). War es andersherum der Verbraucher, der die Leistung an den Unternehmer erbrachte (Consumer-to-Business, kurz: C2B), so hätte sich ersterer nicht auf den kollisionsrechtlichen Schutz von Art. 5 EVÜ berufen können. Diese Unterscheidung zwischen B2C- und C2B-Verträgen ist für die Untersuchung der neuen Ausnahmetatbestände zwar auch im Hinblick auf die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO relevant, weil ein Verbraucher die dort geregelten Handelsplattformen gleichermaßen zum Kauf wie Verkauf von Finanzinstrumenten nutzen kann. Ob Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO gleich Art. 5 EVÜ nur auf B2C-Verträge Anwendung findet, entscheidet jedoch insbesondere über die praktische Relevanz der speziellen Tatbestandsvariante des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO für öffentliche Übernahmeangebote. Diese adressiert ausschließlich Kaufverträge, bei denen typischerweise der Verbraucher auf 42 43
Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 301. Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 301 ff.
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Verkäufer- und der Unternehmer auf Käuferseite steht, mithin C2BVerträge: Der Unternehmer gibt das Übernahmeangebot an den Kapitalmarkt ab. Geht ein Verbraucher darauf ein, so fällt ihm innerhalb des hierzu abgeschlossenen Vertrags die Rolle des Verkäufers zu, weil er das Mitgliedschaftsrecht an den Unternehmer verkauft. An dieser Einordnung würde sich auch dadurch nichts ändern, dass ihn der Unternehmer nicht entgeltlich, sondern im Wege der Übertragung anderer Mitgliedschaftsrechte entlohnt, da auch in diesem Fall die entscheidende Leistung durch den Verbraucher erbracht würde. Wenn aber die Beschränkung in Art. 5 EVÜ auf B2C-Verträge als ungeschriebene Anforderung in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO weiterhin gelten sollte, dann dürften die von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO unter der Tatbestandsvariante für öffentliche Übernahmeangebote adressierten Verträge aufgrund dieser Zuweisung der Käufer- und Verkäuferposition von vorneherein nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Rom IVO fallen. Ob dem Verordnungsgeber mit Aufnahme der speziellen Ausnahme in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO für Übernahmeangebote daher ein „Systemfehler“ unterlaufen ist,44 ist Gegenstand der folgenden Untersuchung. a) Der Verkauf von Mitgliedschaftsrechten durch Verbraucher an einen Unternehmer als Bieter im Lichte der Unterscheidung zwischen B2C- und C2B-Verträgen Selbst wenn der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auf B2C-Verträge beschränkt sein sollte, folgt hieraus allein noch nicht zwingend, dass Kaufverträge infolge von Übernahmeangeboten per se nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO fallen. Die vorherigen Erwägungen gelten unter der Voraussetzung, dass in diesen Fällen deswegen C2B-Verträge vorliegen, weil dem Verbraucher die Käuferposition zufällt. Bislang ist jedoch noch nicht geklärt worden, wie B2C- von C2B-Verträgen abzugrenzen sind. Ob die im Rahmen von Übernahmeangeboten abgeschlossenen Kaufverträge mit Unternehmern auf Käuferseite als C2B-Verträge einzuordnen ist, muss erst noch festgestellt werden. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände, unter denen solche Kaufverträge am Kapitalmarkt abgeschlossen werden, kann bezweifelt werden, ob die in ihnen getroffene Verteilung der Käufer- und Verkäuferposition als rein formelles Kriterium dafür genügt, diese Verträge als C2B-Verträge aus dem Anwendungsbereich der 44
Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 18.
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Regelung auszuschließen. Stattdessen könnte bei Kaufverträgen, die aus einem Übernahmeangebot hervorgegangen sind, die Unterscheidung zwischen Käufer und Verkäufer als lediglich formelles Kriterium hinter anderen Kriterien zurücktreten, welche in ihrer Gesamtwürdigung eine Einordnung als B2C-Verträge gebieten. Die Einordnung als B2CVertrag ließe sich damit rechtfertigen, dass ein solcher Kaufvertrag erheblich von einem klassischen Kaufvertrag – insbesondere des Idealtypus’, wie er in Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO geregelt ist – abweicht. Wie oben dargestellt,45 tritt im Regelfall eines Übernahmeangebots der Bieter einer Vielzahl von Kleinaktionären gegenüber, denen er ein für alle gleich geltendes Angebot macht. Der besondere wirtschaftliche Zweck, zu dem der Bieter ein solches Angebot abgibt, und der ganze Ablauf des Verfahrens, das von ihm gesteuert wird, prägen die Vertragssituation auf eine Art und Weise, die dem Käufer, obwohl er auch hier formell nur die Gegenleistung zu erbringen hat, ein besonders Gewicht zuweist. Es darf in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich dieses Verhältnis bereits in der Betitelung solcher Sachverhalte als „Übernahmeangebote“ bzw. „takeovers“ andeutet, wodurch der Käufer als der Übernehmer in den Mittelpunkt gestellt wird. Ob solche Kaufverträge als B2C-Verträge zu behandeln sind, hängt davon ab, wie die Leistung und damit ihr Erbringer zu bestimmen ist, dessen Einordnung als Unternehmer bzw. Verbraucher wiederum für die Unterscheidung zwischen B2C-Verträgen und C2B-Verträgen hier maßgeblich ist. Voraussetzung für eine abweichende Einordnung ist, dass in die Unterscheidung zwischen B2C- und C2B-Verträgen nicht lediglich formelle, sondern auch materielle Erwägungen einfließen können und dürfen. In der Vorgängerregelung in Art. 5 EVÜ war ein generelles Abgrenzungskriterium nicht erforderlich, da als mögliche Verbraucherverträge im Wesentlichen nur die zwei Vertragstypen Kauf- und Dienstleistungsverträge in Betracht kamen. Es war daher ausreichend, die geschützten Verträge dadurch auf B2C-Verträge einzugrenzen, dass der Verbraucher als Käufer bzw. als Dienstleistungsnehmer gekennzeichnet war. Dennoch kann dieser Zuweisung Folgendes entnommen werden: Indem er auf die Übertragung der Ware bzw. die Erbringung der Dienstleistung abstellte, bediente sich der damalige Normgeber der Abgrenzung anhand der sogenannten charakteristischen Leistung im Sinne des damaligen Art. 4 Abs. 2 EVÜ. Um unter dem alle Vertragstypen erfassenden Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO zwischen B2C- und C2B-Verträgen abgrenzen zu können, müsste man daher – soll die Beschränkung der 45
Kapitel 4: D. III. Öffentliche Übernahmeangebote.
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Kollisionsregel für Verbraucherverträge auf B2C-Verträge fortgelten – zur Auffindung des Leistungserbringers ebenfalls die charakteristische Leistung, jetzt gesetzlich niedergelegt in Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO, heranziehen. Hierunter wird diejenige Leistung verstanden, „welche dem betreffenden Vertragstyp seine Eigenschaft verleiht, für seine Einordnung unter die verschiedenen Vertragstypen ausschlaggebend ist und seine Unterscheidung von anderen Vertragstypen ermöglicht“.46 Da anhand der charakteristischen Leistung zwischen verschiedenen Vertragstypen abgegrenzt wird, kommt es auf die „Kern und Zweck des Leistungsaustausches“47 bestimmende Leistung an. In der Regel ist das diejenige Leistung, die nicht die in der Geldleistung besteht.48 Nach diesem Abgrenzungskriterium ist es der Verbraucher, der bei einem aus einem Übernahmeangebot folgenden Vertrag die charakteristische Leistung erbringt; die Aktie bzw. das Mitgliedschaftsrecht ist das Kaufobjekt des Vertrags, welches vom Verbraucher auf den Unternehmer übertragen wird. Da das Konzept der charakteristischen Leistung auf einem Vergleich der jeweiligen Pflichten der Parteien aus dem einzelnen Vertrag beruht, das bei Übernahmeverträgen bestehende Übergewicht des Käufers jedoch nicht im einzelnen Vertrag abgebildet ist, darf es nicht in die rechtliche Würdigung einfließen. Hierfür bestünde auch kein Bedarf, weil aufgrund solcher überindividueller Wertungen noch über Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO eine von Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO abweichende Anknüpfung vorzunehmen ist, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist. Die Existenz dieser Ausweichregelung macht eine Korrektur der charakteristischen Leistung aus wirtschaftlichen Erwägungen nicht erforderlich, so dass es auch für Kaufverträge aus Übernahmeangeboten dabei bleibt, dass es der Aktienverkäufer ist, der die charakteristische Leistung zu erbringen hat. Trotz der Besonderheiten eines Kaufvertrags, der aus einem Übernahmeangebot hervorgeht, ließe sich unter Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO kein anderes Ergebnis im Hinblick auf die Einordnung als C2B-Vertrag einordnen, weil die in der Vorgängerregelung des Art. 5 EVÜ ausdrücklich niedergelegte Unterscheidung zwischen B2C- und C2B-Verträgen auf das Konzept der 46 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 4 Rom I-VO Rn. 113; Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 4 Rn. 53; von Bar, Int. Privatrecht, Bd. 2, S. 365. 47 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 4 Rom I-VO Rn. 113. 48 Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 4 Rn. 53; Schnitzer, RabelsZ 33 (1969) 17, 21 ff.
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charakteristischen Leistung abstellt, welches materiellen Wertungen nur in sehr engen Grenzen offen steht. Im Ergebnis würde sich die Tatbestandsvariante für Übernahmeangebote in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO daher tatsächlich als überflüssig herausstellen, wenn Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auf B2C-Verträge begrenzt sein sollte. Die Frage, ob Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO C2B-Verträge ein- oder ausschließt, darf daher nicht unbeantwortet bleiben. b) Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auf C2B-Verträge Obwohl sich diese Einschränkung im Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Rom IVO nicht abbildet, gehen mehrere Stimmen in der Literatur „von dem Offensichtlichen“49 aus, dass die besondere Anknüpfung von Verbraucherverträgen allein für B2C-Verträge gelten würde.50 Für eine solche einschränkende Auslegung wird teleologisch mit dem Schutzzweck des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes argumentiert, der insbesondere auf den Verbraucher in seiner Funktion als Konsument abstellt.51 Die besonderen Regelungen in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO seien daher „auf die Belebung des Konsums durch den Endverbraucher angelegt“.52 In diese Richtung scheint zumindest Erwägungsgrund 24 zu weisen, wenn darin die Forderung aufgestellt wird, dass die Kollisionsnorm es ermöglichen solle, „der Entwicklung des Fernabsatzes Rechnung zu tragen“. Unter einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag versteht der Unionsgesetzgeber nur solche Verträge, die ein Verbraucher mit einem „Lieferer“ über eine Ware oder Dienstleistung abschließt und zwar „im Rahmen des für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems des Lieferers“.53 Da dieser Fernabsatzbegriff den Verbraucher nur als diejenige Person kennt, die den Absatz tätigt, lässt sich Erwägungsgrund 24 zu Gunsten einer restriktiven Auslegung des Verbraucherbegriffs heranziehen, wonach der Verbraucher als Leis49
Mankowsi, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européenne ‚Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 121, 139. 50 Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 17 f.; Mankowsi, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européenne ‚Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 121, 139; Kluth, Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 266; Heiss, JBl. 2006, 750, 763. 51 Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 17; Mankowski, IPRax 2006, 101, 106. 52 Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 17. 53 Vgl. Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, veröffentlicht in: ABl. (EU) Nr. L 144 vom 4.6.1997, S. 19.
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tungserbringer unter Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ausscheidet. Gegen die Einbeziehung von C2B-Verträgen wird zudem auf das geringere Schutzbedürfnis des Verbrauchers in diesem Fall hingewiesen, welches sich darin äußern soll, dass der Verbraucher als Leistungserbringer bereits unter der Regelanknüpfung in Art. 4 Abs. 1, 2 Rom I-VO von der Anwendung seines Heimatrechts profitiert. Eine spezielle Anknüpfung an das Recht an seinem Aufenthaltsort, wie sie Art. 6 Rom I-VO vorsieht, sei daher nicht mehr erforderlich.54 Der in systematischer Hinsicht vorzunehmende Vergleich mit dem Begriff des Verbrauchervertrags, wie ihn der Unionsgesetzgeber bereits in anderen verbraucherschützenden Richtlinien umgesetzt hat, soll zwar zu dem Ergebnis führen, dass der Unionsgeber einen auf B2C-Verträge eingeschränkten Verbraucherbegriff befürworten würde;55 dieses Argument hat jedoch deswegen wenig Überzeugungskraft, weil die Parallelregelung des Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO ebenfalls ihrem Wortlaut nach nicht auf B2C-Verträge begrenzt ist. Entgegen des Vorhergesagten gilt der in Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO niedergelegte Schutz des Verbrauchers jedoch nicht lediglich dem Verbraucher in seiner Funktion als Konsument, sondern auch dem Verbraucher als diejenige Partei in einem Vertrag, welche die schwächere Position innehat. Dass der Verordnungsgeber der Rom I-VO diese Wertung vornimmt, wird an Erwägungsgrund 23 ersichtlich, der für die Sonderkollisionsnormen in den Art. 5 ff. ausdrücklich die Prämisse aufstellt: „Bei Verträgen, bei denen die eine Partei als schwächer angesehen wird, sollte die schwächere Partei durch Kollisionsnormen geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeinen Regeln. Diese Position bleibt die schwächere, auch wenn der Verbraucher als Leistungserbringer fungiert“. Deutlich wird diese schwächere Position, wenn man sich die Situation veranschaulicht, in der sich ein Verbraucher in einem C2B-Vertrag befände, wenn ihm der Schutz durch Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO verwehrt würde: Einerseits würde eine objektive Anknüpfung über Art. 4 Rom I-VO zwar grundsätzlich zu dem Recht an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort weisen, so dass auch ohne spezielle Kollisionsnorm das Verbraucherrecht zur Anwendung berufen würde. Andererseits gilt dies nur für die objektive Anknüpfung und nur unter dem Vorbehalt, dass keine abweichende Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO aufgrund der besonderen Nähe zu einem anderen Recht eingreift. Das Argument, der Verbraucher bedürfe als Leistungserbringer 54 55
Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 18. So Kluth, Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, S. 266.
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keines besonderen kollisionsrechtlichen Schutzes, weil er bereits durch die allgemeinen Regeln ausreichend geschützt sei, kann jedoch dann nicht mehr überzeugen, wenn im Vertrag eine Rechtswahl getroffen worden ist. Der Unternehmer, dem nach Art. 3 Rom I-VO grundsätzlich uneingeschränkt die Möglichkeit gegeben ist, das Recht nach seinen Wünschen zu bestimmen, wird als die erfahrene und wirtschaftlich überlegene Partei in aller Regel eine Rechtswahl zu seinen Gunsten durchsetzen können.56 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher faktisch nur in den wenigsten Fällen auf die Anwendung des ihm bekannten Rechts vertrauen kann. Will aber die Sonderanknüpfung des Art. 6 Rom I-VO den Verbraucher grundsätzlich auch davor schützen, einer Rechtswahl ausgesetzt zu sein, der er nur wenig entgegensetzen kann und deren Folgen für ihn wenig einsichtig sind, besteht daher kein Grund, zwischen dem Verbraucher als Leistungsempfänger und dem Verbraucher als Leistungserbringer zu differenzieren. Zwar wird zu Recht dagegen eingewandt, dass die Anknüpfung an sein Heimatrecht und die Anwendung des dort vorliegenden vergleichsweise weitergehenden Verbaucherschutzrechts dem Verbraucher nur wenig nützen könne, weil verbraucherschützende Regelungen für C2B-Verträge bislang kaum existieren.57 Dies ist aber allenfalls ein praktisches Argument, das nur nachrangige Bedeutung hat. Mit dem Schutz des Verbrauchers als des Konsumenten lässt sich ebenfalls nicht rechtfertigen, warum ausschließlich der Leistungsempfänger geschützt sein sollte. Im Vergleich zu einem Verbraucher, der Güter absetzt, nimmt der Verbraucher, der Güter bezieht, am Markt zwar unmittelbar als Konsument teil. Andererseits verschafft sich der Güter absetzende Verbraucher neue Geldmittel, die er als Konsument zur Befriedigung seiner Bedürfnisse einsetzen kann.58 Auch der Verbraucher als Leistungserbringer fungiert daher, zumindest mittelbar, als Konsument. In genetischer Auslegung rechtfertigt sich eine weite Auslegung des Anwendungsbereichs von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO damit, dass zum Wegfall der sachlichen Beschränkung in der Sonderanknüpfung für Verbraucherverträge die Begründung aufgestellt wurde, dass sich „der materielle Anwendungsbereich auf alle Verbraucherverträge mit Aus56 Sachse, Verbrauchervertrag im Int. Privat- und Prozessrecht, S. 177 f.; Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 58; Staudinger, in: Ferrari et al. (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Art. 6 Rom I-VO Rn. 17; so auch Garcimartín Alférez, EuLF I-61, I-71. 57 Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 18. 58 Sachse, Verbrauchervertrag im Int. Privat- und Prozessrecht, S. 177.
A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO
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nahme der ... ausdrücklich ausgeschlossenen Verträge“ erstrecken solle.59 Da die Beschränkung auf B2C-Verträge in der Vorgängerregelung untrennbar mit der Beschränkung auf bestimmte Vertragstypen verbunden war, lässt sich die ausdrückliche Einbeziehung aller Verbraucherverträge nur so verstehen, dass die Regelung ebenfalls auf die Beschränkung auf B2C-Verträge verzichten will.60 Im Ergebnis ist die Auslegung, wonach B2C- und C2B-Verträge gleichermaßen dem Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO unterliegen, daher die vorzugswürdigere.61 4. Kenntnis des Unternehmers von der Verbrauchereigenschaft seines Vertragspartners Im Hinblick auf die persönlichen Anforderungen in Art. 6 Abs. 1 Rom IVO kann sich aus Sicht des Unternehmers die Frage stellen, ob er den Rechtsfolgen von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO auch dann ausgesetzt ist, wenn er seinen Vertragspartner nicht als Verbraucher identifiziert und darüber hinaus ausdrücklich zu erkennen gibt, dass er lediglich mit einem anderen Unternehmer kontrahieren will. Zwar soll sich der Unternehmer nicht dadurch diesen Regelungen entziehen können, dass er auf seine fehlende Kenntnis von der Verbrauchereigenschaft seines Vertragspartners verweist, wenn diese für ihn grundsätzlich objektiv erkennbar ist.62 Anders jedoch wird die Situation bewertet, in der sich eine Person gegenüber dem Unternehmer fälschlich als ebensolcher geriert, obwohl sie den Voraussetzungen nach ein Verbraucher ist.63 In solch einem Fall rechtsmissbräuchlichen Verhaltens soll der Verbraucher 59 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg. (2005/0261 (COD)), S. 7. 60 So auch: Staudinger, in: Ferrari et al. (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Art. 6 Rom IVO Rn. 17. 61 So im Ergebnis auch: Remien, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Art 6 ROM I-VO Rn. 9; Erman/Hohloch, BGB, Anh III Art 26 EGBGB, Art 6 VO Rom I Rn. 9, 10a; Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Art. 6 Rome I Rn. 26; Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 20; Staudinger, in: Ferrari et al. (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Art. 6 Rom I-VO Rn. 17; Sachse, Verbrauchervertrag im Int. Privat- und Prozessrecht, S. 178; grundsätzlich für das Verbraucherkollisionsrecht: Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, Brüssel IVO, Vorbem. Art. 15-17 Rn. 2. 62 MüKo/Magnus, VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 21. 63 Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 22; Staudinger, in: Ferrari et al. (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Art. 6 Rom I-VO Rn. 19.
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
als Unternehmer zu behandeln sein und geht seiner Rechte unter Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO verlustig, da er nicht gleichzeitig seine Verbraucherposition leugnen und den ihr gewährten Schutz für sich in Anspruch nehmen kann.64 Diese Ausnahme kann ein Unternehmer in einer der unter Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO erfassten Sachverhaltskonstellationen dadurch für sich nutzbar machen, dass er sein öffentliches Angebot, beispielsweise in Form eines ausdrücklichen Hinweises im Prospekt und in den Angebotsunterlagen, auf Unternehmer beschränkt. Zwar kommt es in der Situation eines öffentlichen Angebots gerade nicht zu einem persönlichen Zusammentreffen zwischen dem Unternehmer und dem sich als Unternehmer gerierenden Verbraucher, in dem es zu dieser Täuschung kommen könnte. Rechtsmissbräuchlich handelt ein Verbraucher aber auch dann, wenn er anonym auf das Angebot eingeht, obwohl er Wertpapiere ausschließlich zu privaten Investitionszwecken erwerben will.65 Aus Schutzgesichtspunkten besteht hier ebenfalls kein Anlass, ihn von der Regelung des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO profitieren zu lassen, da er die ihm bekannte Einschränkung treuwidrig überschreitet, um in den Vorteil des Vertragsschlusses zu gelangen. Dadurch hat es ein Wertpapieremittent zwar grundsätzlich in der Hand, durch entsprechende Gestaltung seines öffentlichen Angebots einen Verbrauchervertrag im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO gar nicht erst zustande kommen zu lassen, ohne dafür die Person seines Vertragspartners und den Zweck, zu dem dieser den Vertrag eingeht, aktiv überprüfen zu müssen. Wenig attraktiv ist diese Lösung jedoch für Emittenten, die an einer gemischten, Kleinanleger einschließenden Anlegerstruktur interessiert sind und den Markt umfassend in Anspruch nehmen wollen. 5. Zusammenfassung und Zwischenergebnis zum persönlichen Kritierium des Verbrauchervertrags in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO Unter der Rom I-VO ist der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz sachlich erheblich erweitert worden. Versuche, Anleger wegen ihrer Expertise oder aufgrund von quantitativen Merkmalen einer Investition am Kapitalmarkt per se vom persönlichen Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auszuschließen, lassen sich ebenso wenig mit 64 Giuliano/Lagarde, ABl. (EU) Nr. C 282 vom 31.10.1980 S. 1, 24: “Thus, if the receiver of goods or services holds himself out as a professional, e.g. by ordering goods which might well be used in his trade or profession on his professional paper the good faith of the other party is protected and the case will not be governed by Article 5”. 65 Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 22.
A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO
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dem Telos der Regelung in Einklang bringen wie ihre sachliche Beschränkung auf B2C-Verträge. Sofern eine Partei ihr privates Vermögen investiert und dazu einen Vertrag mit einem Unternehmer abschließt, fällt ein solcher Vertrag nur dann nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO, wenn der Anleger keine natürliche Person ist, die Anlagetätigkeit im Rahmen einer kaufmännischen Einrichtung vorgenommen wird, oder der Verbraucher über seinen Verbraucherstatus täuscht.66 Dagegen kann er grundsätzlich noch so viel Kapital in eine höchst riskante Anlage anlegen oder seinem Vertragsgegner an Finanzexpertise und Erfahrung noch so weit überlegen sein, ohne sich dadurch seines Verbraucherschutzes zu begeben. An den persönlichen und sachlichen Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO gemessen ist die Einführung der neuen Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO im Ergebnis gerechtfertigt. II. Das räumlich-situative Kriterium in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO Entgegen der im Gesetzgebungsverfahren seitens der britischen Delegation geäußerten Befürchtungen, dass sich ein Unternehmer, der Wertpapiere am Kapitalmarkt öffentlich anbieten oder erwerben will, ohne die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO einem unkalkulierbaren Risiko im Hinblick auf potentiell eingreifendes Verbraucherrecht ausgesetzt sehen könnte, grenzen die räumlich-situativen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO das Rechtsunsicherheitsrisiko grundsätzlich auf ein kalkulierbares Maß ein. Durch die Voraussetzung, dass Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO nur Verträge mit solchen Verbrauchern unterliegen, die ihren Aufenthalt in einem Staat haben, in dem der Unternehmer seine Tätigkeit ausgeübt (Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I-VO) oder auf den er sie – neben anderen Staaten jedenfalls auch – ausgerichtet hat (Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO), wird der Kreis der potentiell anwendbaren Verbraucherregelungen bereits auf Tatbestandsseite erheblich reduziert. Die besondere Anknüpfung für Verbraucherverträge greift daher nicht für jeden Verbrauchervertrag ein, sondern beschränkt sich auf solche Verbraucherverträge, die „in bestimmten Anbahnungssituationen“ geschlossen wurden und deswegen „genügend eng mit dem Aufenthaltsland des Verbrauchers verbunden“ sind.67 Dahinter steht die Wertung, dass nur
66
Plender/Wilderspin, European Private International Law of Obligations, Rn. 9021 f. (S. 231 ff.). 67 Reithmann/Martiny, Int. Vertragsrecht, Rn. 4182 (S. 1262); Staudinger, in: Ferrari et al. (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Art. 6 Rom I-VO Rn. 45; (zur inhalts-
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
der „passive“ Verbraucher, der sich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in einem rein nationalen Sachverhalt, angesiedelt in seinem Heimatland, wähnt,68 insbesondere weil der Unternehmer ihm gegenüber wie ein inländischer Unternehmer auftritt,69 unter Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO schützenswert ist.70 Da der Unternehmer die Berührung mit fremden Rechtsordnungen bewusst in Kauf nimmt, um ein wirtschaftliches Ziel zu verfolgen, und es ihm möglich ist, die aus der Berührung mit verschiedenen Rechtsordnungen resultierenden Kosten „auf eine Vielzahl von Transaktionen umzulegen“,71 wird die ihn infolge von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO treffende Kostenbelastung nicht als unangemessen bewertet.72 Im Umkehrschluss soll es dem Unternehmer dann nicht zuzumuten sein, sich mit dem Recht im Heimatland des Verbrauchers auseinanderzusetzen, wenn er dieses Heimatland in keinerlei Hinsicht adressiert hat. Hierhin zeigt sich, dass bereits in die Frage, ob der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO eröffnet ist, zwingend Rechtssicherheitserwägungen zu Gunsten des Unternehmers einfließen. Da die Aufnahme der neuen Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO ebenfalls auf Rechtssicherheitserwägungen zurückzuführen ist, besteht Untersuchungsbedarf, ob und in welchem Umfang das räumlich-situative Kriterium in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO das Risiko des Unternehmers, der öffentlich zum Kauf seiner emittierten Wertpapiere aufruft bzw. ein Übernahmeangebot abgibt, bereits auf Tatbestandsseite entschärft.
gleichen Voraussetzungen in Art. 15 Brüssel I-VO ders., in: Rauscher, EuZPR/ EuIPR, Art. 15 Brüssel I-VO Rn. 11). 68 Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 44; MüKo/Magnus, VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 29. 69 Welter, in: Lando/Magnus/Novak-Stief (Hrsg.), Angleichung des materiellen und des internationalen Privatrechts in der EU, S. 77, 91. 70 Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 41; Remien, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Art 6 Rom I-VO Rn. 12; NKBGB/Leible, ROM I Artikel 6 Rn. 3. 71 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg. (2005/0261 (COD)), S. 7. 72 Rauscher/Heiderhoff, EuRPZ/EuIPR, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 26 mit Verweis auf Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg. (2005/0261 (COD)), S. 6 f. (Fn. 42).
A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO
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1. Das öffentliche Angebot als „Ausüben“ einer Tätigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I-VO Stellt man die Voraussetzungen an das „Ausüben einer Tätigkeit“ so auf, wie sie der reine Wortsinn vorgibt und wie sie in der Literatur und Rechtsprechung verstanden werden, so ist die Art und Weise, wie ein öffentliches Angebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO am Kapitalmarkt abgegeben wird, darunter in aller Regel nicht subsumierbar. Da es sich bei einer Emission und insbesondere bei dem öffentlichen Angebot eines Großaktionärs um eine in aller Regel einmalige Maßnahme abseits des eigentlichen Geschäftsfelds handelt und sich die Rolle des Anbieters im Zweifel darin erschöpft, die Wertpapiere zur Verfügung zu stellen, lässt sich zunächst grundsätzlich in Zweifel ziehen, ob der Anbietende überhaupt eine Tätigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ausübt. Nach einhelliger Ansicht muss der Unternehmer, um eine Tätigkeit nach Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I-VO in einem bestimmten Staat auszuüben, in diesem Staat auch „physisch in Erscheinung treten“,73 sei es beispielsweise dadurch, dass er eine Niederlassung in diesem Staat unterhält74 oder er den Vertragsschluss dem Verbraucher vor Ort anträgt.75 Mit der Veröffentlichung des Angebots in nationalen Medien allein zeigt der Unternehmer noch keine ausreichende physische Präsenz. Das Angebot selbst wird grundsätzlich nur einmal abgegeben und insbesondere die mit den elektronischen Medien gegebenen Möglichkeiten erübrigen es, dass der Anbietende, um sein Angebot in einem bestimmten Staat abzugeben, diesen hierzu erst noch physisch betreten muss. Anders als der Verkauf von Waren, bei dem sich die physische Präsenz des Unternehmers in der Präsentation oder Lieferung der Waren vor Ort manifestieren kann,76 beinhaltet die Veräußerung von Wertpapieren infolge ihrer technischen Entwicklung hin zu einer Entkörperung schon seit längerem kein physisches Element mehr, sondern wird durch Kontobuchungen verwirklicht. Lediglich unter dem Umstand, dass im Verbraucherstaat eine Niederlassung besteht, scheint daher Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I-VO im Falle eines öffentlichen Angebots zweifelsfrei verwirklicht zu sein. In Staaten ohne Niederlassung hin73
Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 45; Cachia, European Law Review 2009, 476, 482. 74 Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 45; Remien, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Art 6 Rom I-VO Rn. 13; Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61, I-73. 75 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 30. 76 Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art 6 Rn. 29.
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
gegen übt der Unternehmer allein dadurch, dass er seine Wertpapiere zum Verkauf anbietet, nach den Kriterien des Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom IVO keine Tätigkeit aus. 2. Das öffentliche Angebot als „Ausrichten“ einer Tätigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO Auf die besonderen Modalitäten bei der Abgabe eines öffentlichen Angebots ist indes die Variante des Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO zugeschnitten. Anders als das „Ausüben“ verzichtet diese Variante mit dem Merkmal des Ausrichtens auf eine physische Präsenz des Unternehmers im fraglichen Staat77 und lässt es stattdessen genügen, wenn der Unternehmer den Staat „auf irgendeine Weise“ adressiert.78 Zu dem Zweck, den technischen Entwicklungen in der Kundenansprache Rechnung tragen zu können, ist mit der Tätigkeit des Ausrichtens ein Kriterium gewählt worden, unter das sich jegliche absatzfördernde Handlungen subsumieren lassen,79 sofern der Unternehmer sie, objektiv erkennbar,80 willentlich auf den Staat ausrichtet, in dem der Verbraucher des fraglichen Vertrags seinen Aufenthalt hat.81 Mit dieser Auffangfunktion ist eine zu enge Auslegung der Voraussetzungen an das Ausrichten nicht vereinbar.82 Da es auf Medium und Form nicht ankommen soll – nach Erwägungsgrund 25 ist das Ausrichten „unabhängig von der Art und Weise zu bestimmen, in der dies geschieht“ – fällt auch die Veröffentlichung von Werbung unter das Kriterium des Ausrichtens,83 so dass es keinen Unterschied macht, ob sich die Erklärung des Emittenten im Sinne deutschen Zivilrechts als Angebot, invitatio ad offerendum oder Werbung einordnet. Ob der Emittent sich für eine Eigen- oder Fremdemission entscheidet, ist unter Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO ebenfalls unbeachtlich, da der Unternehmer seine Tätigkeit auch dann auf einen Staat ausrichtet, wenn er dort einen Dritten, das Konsortium, mit 77
Cachia, European Law Review 2009, 476, 483. Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 47. 79 Mankowski, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européenne ‘Rome I’ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 121, 127. 80 Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 47. 81 MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 33; Staudinger, in: Ferrari et al. (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Art. 6 Rom I-VO Rn. 47. 82 Cachia, European Law Review 2009, 476, 482. 83 Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 30; Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 49; Mankowski, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européenne ‚Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 121, 128. 78
A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO
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der Platzierung beauftragt.84 Ob der Unternehmer eine Tätigkeit auf einen Verbraucherstaat ausgerichtet hat, stellt jedoch klassischerweise dann ein Problem dar, wenn der Emittent eine Website eingerichtet hat, auf der die Wertpapiere angepriesen werden. Solche Fälle sind einer pauschalen Einordnung nicht zugänglich, insbesondere, seit der EuGH die Differenzierung zwischen aktiven und passiven Websites als nicht tragfähig abgelehnt hat.85 Stattdessen ist der Sachverhalt im Einzelnen daraufhin zu untersuchen, ob die Website eine Referenz zum Heimatland des Verbrauchers aufweist, worauf bestimmte Indizien schließen lassen können, wie die Angabe von Telefonnummern mit internationaler Vorwahl oder auch die Verwendung eines anderen Domainnamens oberster Stufe als desjenigen des Mitgliedstaats der Niederlassung des Gewerbetreibenden.86 Die reine Möglichkeit, dass eine Seite im Heimatland des Verbrauchers abrufbar ist, genügt wegen der Universalität des Netzes ebenso wenig als positives Indiz für ein Ausrichten des Unternehmers87 wie die Wahl einer im internationalen Handel üblicherweise verwendeten Sprache oder Währung.88 Die einschränkende Voraussetzung, dass die Tätigkeit des Unternehmers den Verbraucherstaat nicht nur zufällig streift, sondern vom Unternehmer willentlich auf ihn gelenkt wird, kann sich der Unternehmer nicht einfach dadurch zu Nutze machen, dass er 84
Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 47. Staudinger, in: Ferrari et al. (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, Art. 6 Rom I-VO Rn. 52 unter Verweis auf „Peter Pammer/Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH/Oliver Heller“, EuGH, Urteil vom 7.12.2010, Rs. C-585/08 und C-144/09, Rz. 79, Slg. 2010, I-12527, NJW 2011, 505, 509. 86 EuGH, Urteil vom 7.12.2010, Rs. C-585/08 und C-144/09, „Peter Pammer/Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH/ Oliver Heller“, Rz. 84, Slg. 2010, I-12527, NJW 2011, 505, 509; kritisch hierzu: NKBGB/Leible, ROM I Artikel 6 R. 56. 87 Ausdrücklich: Erwägungsgrund 24 in der Rom I-VO, der die gemeinsame Erklärung des Rates und der Kommission zu Artikel 15 der VO (EG) Nr. 44/2001 einbezieht, wonach die Zugänglichkeit einer Website allein nicht ausreiche; NKBGB/Leible, ROM I Artikel 6 Rn. 54; Mankowski, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européenne ‚Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 121, 128; kritisch dazu Rauscher/Staudinger, EuZPR/ EuIPR, Brüssel I-VO, Art. 15 Rn. 13. 88 Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 28; für die Ausklammerung der Sprache generell: Erwägungsgrund 24 in der Rom I-VO; Cachia, European Law Review 2009, 476, 486. Wenn der Unternehmer eine ihm fremde Sprache wählt, kann darin aber ein Indiz zu sehen sein: Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Art. 6 Rn. 31; so auch: Plender/Wilderspin, European Private International Law of Obligations, Rn. 9-059 (S. 246). 85
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
sein öffentliches Angebot um den Hinweis ergänzt, mit Anlegern mit gewöhnlichem Aufenthalt in bestimmten Staaten keinen Vertrag abschließen zu wollen. Macht er sein Angebot nichtsdestotrotz auch in diesen Staaten zugänglich und lässt sich auf Angebote dieser Anleger ein, so ändert dieser Hinweis nichts daran, dass er seine unternehmerische Tätigkeit auf diese Staaten ebenfalls ausgerichtet hat.89 Zusammengefasst sind unter dem Kriterium des Ausrichtens zumindest Verträge mit Verbrauchern mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem solchen Land ausgeschlossen, in dem das Angebot nicht öffentlich bekannt gemacht wurde. In der Praxis wird die Bestimmung des potentiell eingreifenden Verbraucherrechts zudem dadurch erleichtert, dass sich der Unternehmer an der Prospektpflicht orientieren kann: Seine Tätigkeit richtet er auf jedes Land aus, dessen Recht ihn wie bspw. § 3 Abs. 1 S. 1 WpPG zur Veröffentlichung eines Prospekts verpflichtet. Der Unternehmer richtet seine Tätigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO auch dann auf einen Staat aus, wenn sein öffentliches Angebot nicht auf den Verkauf, sondern auf den Kauf bestimmter Wertpapiere gerichtet ist. Der Ausschluss „aktiver“ Verbraucher, den das räumlich-situative Kriterium in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO bezweckt, gilt lediglich einem solchen Verbraucher, der sich beispielsweise gezielt in das Ausland begibt oder solche Produkte nachfragt, die im Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts grundsätzlich nicht erhältlich sind.90 Ob der Verbraucher aus dem Vertrag zur Erbringung der Leistung verpflichtet wird, hat auf diese Einordnung keinen Einfluss und darf sie konsequenterweise auch nicht haben, wenn C2B-Verträge, wie hier vertreten, in den sachlichen Anwendungsbereich fallen sollen. Im Ergebnis kann von einem unbegrenzten Risiko des Unternehmers durch ein öffentliches Angebot nicht gesprochen werden, da das Kriterium des Ausrichtens nur solche Rechtsordnungen berücksichtigungswürdig macht, mit denen der Unternehmer bereits aufgrund kapitalmarktrechtlicher Verpflichtungen rechnen muss. In der Praxis ist zudem bereits mit den sogenannten Marktsperrklauseln ein Instrumentarium etabliert, das genau diese Frage des Eingreifens verschiedener Rechtsordnungen adressiert: Solche Klauseln legen den Emissionsbanken die Pflicht auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Emission in bestimmten Ländern nicht öffentlich angeboten wird. Der Zweck dieser Klauseln besteht darin, 89
Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 47; Mankowski, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européenne ‚Rome I‘ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 121, 137. 90 Ragno, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 129, 144 ff.
A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO
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Belastungen infolge der Anwendung des jeweiligen nationalen Kapitalmarktrechts zu vermeiden:91 Das Risiko der Berührung fremder Rechtsordnungen wird in der Praxis also durchaus auch als mit vertraglichen Mitteln beherrschbar angesehen. III. „Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten“ unter den Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO Es ist festgestellt worden, dass die Ausnahme in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO für „Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit einem Finanzinstrument“ entgegen ihres weiten Wortlauts lediglich solche Verpflichtungen erfasst, die den Inhalt des Finanzinstruments als solches ausmachen.92 In einem zweiten Schritt hat die Auslegung dieses Ausnahmetatbestands ergeben, dass der Begriff des Finanzinstruments teleologisch auf handelbare Instrumente zu reduzieren ist, wodurch sich ihr Anwendungsbereich auf solche Instrumente beschränkt, die massenhaft begeben werden und umlauffähig sind. Hat das Finanzinstrument im Sekundärhandel den Inhaber gewechselt, so dass es nicht mehr der originäre Erwerber des Finanzinstruments, sondern ein Dritter ist, der ein Recht aus dem Finanzinstrument gegenüber dem Aussteller geltend macht, und greift Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO nicht ein, wie vom Verordnungsgeber befürchtet, so stellt sich die Frage, wie das Verhältnis zwischen dem Inhaber des Finanzinstruments und dessen Aussteller an den Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO überprüft werden kann. 1. Bestimmung der persönlichen Voraussetzungen Bereits im Hinblick auf die persönlichen Voraussetzungen bestehen an der Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auf die Rechte und Pflichten aus einem Finanzinstrument große Zweifel, denn der Inhaber des Finanzinstruments, der seine Rechte daraus gegenüber dem Emittenten geltend macht, hat sie aus keinem Vertrag mit demselben erworben. Der hierauf denkbaren Entgegnung, dass es aus Verbraucherschutzgesichtspunkten keinen Unterschied machen dürfe, ob die Rechte und Pflichten originär aus einem Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher resultieren oder der Verbraucher das Recht derivativ erworben hat, steht das rollenorienterte Verständnis des Verbraucherbegriffs entgegen: Nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO wird die Verbraucher91 92
Ekkenga/Maas, Wertpapieremissionen, Rn. 298 (S. 211). S.o. Kapitel 2: A. Ausnahmetatbestand 1 – Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO.
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
oder Unternehmereigenschaft einmalig und mit Abschluss des Vertrags erworben.93 Zu welchem Zweck die Parteien jeweils das Geschäft abschließen, legt endgültig fest, ob es ein C2C-, ein B2B- oder ein C2Bbzw. B2C-Vertrag ist. Ob beispielsweise ein zu Privatzwecken erworbene Fahrzeug mit einem Unternehmer auf der Gegenseite zu einem späteren Zeitpunkt im Gewerbebetrieb des Erwerbers eingesetzt wird, kann die Einordnung des Kaufvertrags als Verbrauchervertrag nicht mehr erschüttern. Wenn aber zwischen den fraglichen Parteien überhaupt kein Vertrag geschlossen worden ist, der die Zuordnung zu einem privaten oder beruflichen bzw. gewerblichen Zweck erlaubt, so wird die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auf derivativ erworbene Forderungen dadurch noch nicht per se hinfällig, denn auch wenn es an einem Vertragsschluss originär zwischen den Parteien fehlen mag, so steht für die Abgrenzung doch zumindest mit dem Rechtsverhältnis, aus dem die Forderung originär stammt, ein Vertrag zur Verfügung. Für den Fall einer Abtretung einer Forderung aus einem Verbrauchervertrag an einen Unternehmer bzw. umgekehrt, in dem sich das Problem des fehlenden Vertragsschlusses vergleichbar stellt, wird in der Literatur einstimmig auf das Vertragsverhältnis zwischen Zedent und Schuldner abgestellt, da kein Grund für eine nachträgliche Veränderung der Anknüpfung erkennbar sei.94 Dieser in Art. 14 Rom I-VO umgesetzen Wertung95 ist darin zuzustimmen, dass im gewöhnlichen Fall der Rechtsnachfolge kein Bedürfnis dafür besteht, von dem den Unternehmer begünstigenden Grundsatz, die Anknüpfung anhand der Umstände zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses durchzuführen, abzuweichen.96 Wendet man diese Lösung auf eine Forderung aus einem handelbaren Finanzinstrument an, so käme man allerdings zu dem Ergebnis, dass die Anwendung von Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO von vorneherein ausgeschlossen wäre, wenn die Finanzinstrumente aus einer Fremdemission stammen, bei der die Emissionsbanken die Ersterwerber der Finanz-
93
Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 49. Staudinger/Magnus; EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 45; MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 11; Staudinger, in: Ferrari et al. (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 15; Remien, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Art 6 Rom I-VO Rn. 6. 95 NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 14 Rn. 16. 96 MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008 Art. 6 Rn. 11; in die Richtung auch: Wilderspin, in: Angleichung des materiellen und internationalen Privatrechts in der EU, S. 111, 141. 94
A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO
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instrumente sind,97 wohingegen bei durch das Unternehmen selbst emittierten Finanzinstrumenten die Transaktionsketten bis zum Ersterwerber zurückverfolgt werden müssten – praktisch kaum zu bewerkstelligen. Selbst dann müsste noch die Frage erörtert werden, ob sich ein Rechtsnachfolger auf den dem Ersterwerber gewährten kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz berufen darf.98 Insbesondere der Umstand, dass handelbare Finanzinstrumente ständig den Inhaber wechseln, könnte es nahe legen, Forderungen aus handelbaren Finanzinstrumenten verbraucherkollisionsrechtlich anders zu behandeln als Forderungen, die durch Abtretung oder anderweitig im Wege der Rechtsnachfolge erworben wurden. Dem aus der Handelbarkeit der Instrumente folgenden Umstand, dass der Unternehmer ständig neuen Gläubigern ausgesetzt ist, ließe sich praktisch einfacher mit einer Abgrenzung Rechnung tragen, die auf den Zweck abstellt, zu dem der jeweilige Inhaber des Finanzinstruments dieses erworben hat. Stellt sich der Erwerb des Finanzinstruments als eine private Vermögensanlage dar, so könnte die vertragliche Verpflichtung daraus unter Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO als „Verbraucherverpflichtung“ zu behandeln sein. Bei handelbaren Finanzinstrumenten ließe sich eine solche Abgrenzung mit der Funktion rechtfertigen, welche der Grundsatz der Anknüpfung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO erfüllen soll. Er dient dem Schutz des Unternehmers, dem die Beachtung fremden Verbraucherrechts nur zumutbar ist, wenn er bei Eingehung der Verpflichtung erkennen kann, dass er einen Verbrauchervertrag abschließt.99 Bei handelbaren Finanzinstrumenten hingegen rechnet der Emittent damit nicht nur, sondern beabsichtigt in aller Regel sogar, dass die Finanzinstrumente nicht bei dem Ersterwerber, in aller Regel dem Konsortium, verbleiben, sondern im Publikum und damit auch bei Privatanlegern untergebracht werden.100 Ein Vertrauenstatbestand in Bezug auf die Verbraucher- oder Unternehmereigenschaft seines Gläubigers wird bei Abschluss des Begebungsvertrags gar nicht erst begründet. Dass auch diese Lösung letztendlich nicht überzeugen kann, wird anhand des Ergebnisses deutlich, zu dem sie 97
S.o. Kapitel 4: D. II. 2. b) aa) Typische Ausgestaltungsmöglichkeiten bei einer Fremdemission. 98 Dies bejahend: Sachse, Verbrauchervertrag im int. Privat- und Prozessrecht, S. 135. 99 Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 6 Rom I-VO Rn. 45. 100 Vgl. die Argumentation zur Einordnung als AGB, wonach es aus Sicht des Anlegers gleichgültig sein müsse, ob die erworbene Schuldverschreibung ursprünglich im Wege der Selbst- oder Fremdemission emittiert worden sei: von Randow, ZBB 1994, 23, 29; dazu kritisch: Assmann, WM 2005, 1053, 1056.
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
führt: Ob Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO Anwendung findet, wäre der Einflussmöglichkeit des Ausstellers der Finanzinstrumente von vorneherein entzogen. Zudem bedarf es eines solchen Bruchs mit dem rollenorientierten Verständnis des Verbraucherbegriffs nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auch deswegen nicht, weil der Verbraucher im Verhältnis zu dem Verkäufer des Finanzinstruments durch Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO ausreichend geschützt ist. Im Ergebnis würde bereits der rollenorientierte Verbraucherbegriff des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO verhindern, dass das Rechtsverhältnis zwischen dem Aussteller eines Finanzinstrumentes und dem Inhaber desselben in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO fiele, sofern der Inhaber das Finanzinstrument nicht unmittelbar von dem Aussteller erworben hat. 2. Erfüllung der räumlich-situativen Voraussetzungen Ein zweites Problem stellt sich wegen des fehlenden Vertragsabschlusses zwischen dem Inhaber des Finanzinstruments und dem Emittenten bei der Frage, ob die Verpflichtung aus dem Finanzinstrument die räumlich-situative Voraussetzung in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO erfüllt. Dieses Problem betrifft die Frage, ob „der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt“. Selbst wenn der Emittent im Staat, in dem der Inhaber des Finanzinstruments seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, eine geschäftliche Tätigkeit ausgeübt bzw. auf diesen Staat ausgerichtet hat, leitet sich der Umstand, dass der Verbraucher das Finanzinstrument erworben hat, nicht unmittelbar aus dieser Tätigkeit ab, sofern der Verbraucher das Finanzinstrument nicht im Rahmen einer Emission erworben hat. Der Handel mit Wertpapieren, die von einem Unternehmen ausgestellt wurden, steht in keinem Zusammenhang mit der eigentlichen geschäftlichen Tätigkeit des Unternehmens. Schaltet beispielsweise ein Unternehmen in verschiedenen Ländern Anzeigen, in denen es sein Produkt anpreist, so fallen zwar Kaufverträge über dieses Produkt, die er mit Verbrauchern mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem dieser Länder abschließt, „in den Bereich dieser Tätigkeit“, nicht jedoch die Verpflichtung aus einer Anleihe dieses Unternehmens. Selbst wenn man daher auf das Erfordernis eines engen kausalen Zusammenhangs101 zwischen der Werbemaßnahme und dem Vertragsabschluss verzichtet,102 ließe sich noch kein innerer Zusammenhang nach Art. 6 Abs. 1 Rom IVO herstellen. Folge wäre, dass Ansprüche aus Finanzinstrumenten, 101 102
MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008 Art. 6 Rn. 37. Spickhoff, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), VO (EG) 593/2008, Art. 6 Rn. 27.
A. Verbraucherverträge im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO
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sofern es sich bei dem Inhaber nicht um den Ersterwerber handelt, von vorneherein nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Rom IVO fallen würden. Da auch dieses Ergebnis daraus resultiert, dass die Voraussetzungen in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO entsprechend ihres bisherigen eingeschränkten sachlichen Anwendungsbereich formell nur auf gewöhnliche Verträge zugeschnitten sind, besteht die Lösung dieses Problems darin, Sinn und Zweck des räumlich-situativen Kriteriums zu Rate zu ziehen. Mittels des räumlich-situativen Kriteriums soll der Konflikt zwischen der Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers und der wirtschaftlichen Belastung des Unternehmers dadurch einem Ausgleich zugeführt werden, dass die Kollisionsnorm die Verbraucherrechte lediglich solcher Staaten zur Anwendung beruft, die sich der Unternehmer als Markt auch erschließen wollte. Auf dieser Grundlage dürfen Verpflichtungen aus einem Finanzinstrument nur dann in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO einbezogen sein, wenn der Aussteller der Finanzinstrumente Marketing-Maßnahmen für diese Finanzinstrumente in dem Verbraucherstaat unternommen hat. Der einzige Zeitpunkt, der hierfür in Frage kommt, ist derjenige der Markteinführung, d.h. der Emission. Hat der Unternehmer im Verbraucherstaat daher ein öffentliches Angebot getätigt, das die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 lit. a bzw. b Rom I-VO erfüllt, so muss er sich auf die potentielle Anwendung von dessen Verbraucherregelungen einstellen. IV. Ergebnis zu dem Anwendungsbereich der Ausnahmetatbestände auf Kapitalmarktgeschäfte im Lichte des Verbrauchervertrags nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO Sofern die neuen Ausnahmetatbestände in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO ihre Existenz mit der Ratio rechtfertigen, dass der Unternehmer in Gestalt des Emittenten bzw. Anbieters zu Lasten seiner Rechtssicherheit nicht mit ihm nicht voraussehbaren fremden Verbraucherschutzregelungen konfrontiert werden, sondern es ihm weiterhin uneingeschränkt möglich sein soll, das anwendbare Recht mittels einer Rechtswahl durchzusetzen, macht die vorangegangene Untersuchung deutlich, dass dieses Risiko bereits durch die räumlich-situativen Voraussetzungen in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO weitgehend eingegrenzt wird. Indem der Unternehmer die fremde Rechtsordnung zumindest adressiert haben muss, damit Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO einschlägig ist, knüpfen sie an eine dem Unternehmer zurechenbare Tätigkeit an. Die von der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO adressierten Sachverhalte lassen sich dabei bereits nicht unter die sachlichen Voraus-
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
setzungen an einen Verbrauchervertrag subsumieren, weil es in aller Regel an dem Vertragsschluss zwischen dem Aussteller und dem Inhaber des Finanzinstruments fehlt. Selbst wenn man Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO dadurch anwendbar machen wollte, dass man auf denjenigen Vertrag abstellt, in dem das Finanzinstrument begründet wird, hätte dies unter Berücksichtigung der bevorzugten Emissionspraxis der Fremdemission zur Folge, dass nur in den seltensten Fällen ein Verbrauchervertrag vorläge.
B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO
Bereits unter dem EVÜ, mithin vor der Einführung der neuen Ausnahmetatbestände der Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO, nahmen „handelbare Wertpapiere“ insofern eine Sonderstellung in dem Regelungstext ein, als Verpflichtungen aus ihnen vom Anwendungsbereich des EVÜ ausgeschlossen wurden, „soweit sie aus deren Handelbarkeit entstehen“. Diese Regelung, die in der Rom I-VO in Art. 1 Abs. 2 lit. d beibehalten worden ist, schließt im Unterschied zum Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO die Anwendbarkeit der Rom IVO vollständig aus und erlangt damit bereits eine Prüfungsstufe früher Relevanz: „Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind ... Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks, Eigenwechseln und anderen handelbaren Wertpapieren103, soweit die Verpflichtungen aus diesen anderen Wertpapieren aus deren Handelbarkeit entstehen“. Der Verordnungsgeber befand diese negative Voraussetzung des sachlichen Anwendungsbereichs des Regelungstextes jedoch für nicht umfassend genug, wie bereits an anderer Stelle in dieser Arbeit dargelegt wurde:104 „Was Finanzinstrumente betrifft, so ist unter der Voraussetzung, dass die Ausklammerung der in Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe d genannten Finanzinstrumente möglicherweise nicht erschöpfend ist, unbedingt erforderlich, eine solche Ausklammerung vorzunehmen“.105 Ob dieser Wertung des Verordnungsgebers gefolgt werden kann, wird ausgehend von den vorherigen Untersuchungsergebnissen am sachlichen Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO überprüft. 103
Hervorhebung durch die Verfasserin. S.o. Kapitel 3: B. I Die Ratio von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO. 105 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 5. 104
B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO
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I. Der Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO Dem identischen Wortlaut nach stimmt dieser Ausnahmetatbestand grundsätzlich sachlich überein mit seiner Vorgängerregelung in Art. 1 Abs. 2 lit. c EVÜ, die der deutsche Gesetzgeber in Art. 37 Nr. 1 EGBGB umgesetzt hatte.106 Die Frage, ob ein Titel als handelbares Wertpapier in seinen Tatbestand fällt, beantwortete Art. 37 Nr. 1 EGBGB im Zusammenspiel mit dem Recht, welches die verbriefte Forderung beherrscht (Wertpapierrechtsstatut), folgendermaßen:107 An die Stelle des Begriffs des handelbaren Wertpapiers aus Art. 1 Abs. 2 lit. c EVÜ setzte Art. 37 Nr. 1 EGBGB die anhand der Bestimmung des Berechtigten als Inhaberpapiere und Orderpapiere108 gekennzeichneten Wertpapiere, die ein Recht dergestalt verbriefen, dass es mit Übergabe der Urkunde109 bzw. im Falle eines Orderpapiers durch Indossierung110 mit besonderen Rechtswirkungen übergeht.111 Damit legte Art. 37 Nr. 1 EGBGB als maßgebliches Abgrenzungskriterium den Übertragungsakt fest, auf dessen Grundlage das als Wertpapierrechtsstatut zur Anwendung berufene Recht die Einordnung des fraglichen Titels vorzunehmen hatte.112 Beschränkte sich die Übertragung des verbrieften Rechts ausschließlich auf die Abtretung des Rechts selbst – qualifizierte sich das Wertpapier deswegen als ein 106
MüKo/Martiny, EGBGB 2006 Art. 37 Rn. 1 ff. So Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR 2002, Art. 37 EGBGB Rn. 44 ff.; MüKo/Martiny, EGBGB 2006 Art. 37 Rn. 39; Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art. 37 Rn. 35; Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse, S. 132. 108 Die Unterteilung in Inhaber-, Order- und Rektapapieren stellt darauf ab, ob und wie der Berechtigte aus dem Papier bestimmt wird: Das in einem Inhaberpapier verbriefte Recht kann grundsätzlich von jedem geltend gemacht werden, der das Papier in Besitz hat, während Rektapapiere eine bestimmte Person benennen, an die der Verpflichtete zu leisten hat. Auch Orderpapiere benennen einen Berechtigten namentlich; berechtigt ist daneben aber auch derjenige, der durch dessen Order bestimmt wird, vgl. Zöllner, Wertpapierrecht, S. 9 ff.; Gursky, Wertpapierrecht, S. 11 ff.; Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz, WPR Rn. 31 ff. 109 Mit Übereignung der Urkunde kann das in einem Inhaberpapier verbriefte Recht übertragen werden, Zöllner, Wertpapierrecht, S. 10; Gursky, Wertpapierrecht, S. 11; Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz, WPR Rn. 31. 110 Ein Orderpapier wird gewöhnlich durch Indossierung übertragen, wozu es eines Indossaments bedarf, d.h. eine spezifische Erklärung in besonderer Form, die mit bestimmten Wirkungen ausgestattet ist, vgl. Zöllner, Wertpapierrecht, S. 84; Gursky, Wertpapierrecht, S. 11 f.: Staudinger/Marburger, BGB, Vorbem zu §§ 793 ff Rn. 8. 111 Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art. 37 Rn. 35; Staudinger/Magnus, EGBGB/ IPR 2002 Art. 37 EGBGB Rn. 46; Looschelders, Art. 37 EGBGB Rn. 12. 112 Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse, S. 132. 107
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
sogenanntes Rektapapier – so griff Art. 37 Nr. 1 EGBGB nicht ein und die umgesetzten Regelungen des Übereinkommens kamen uneingeschränkt zur Anwendung. Erfolgte die Übertragung des verbrieften Rechts hingegen durch Übergabe der Urkunde bzw. Indossierung, so war in einem zweiten Schritt festzustellen, welche Verpflichtungen als „aus der Handelbarkeit entstehend“ dem Anwendungsbereich der Verordnung entzogen waren. Angesichts des nur wenig hilfreichen Wortlauts lässt sich leicht nachvollziehen, dass unmittelbar nach der Umsetzung des EVÜ eine Diskussion um Art und Umfang der ausgenommenen Verpflichtungen aufkam, die insbesondere am Beispiel solcher Wertpapiere, die im Seefrachtverkehr verwendet werden, geführt wurde.113 Unter dem neuen Regelungsinstrument hat die Diskussion nicht an Bedeutung verloren. Vielmehr wirft die Überführung der Regelung in eine Verordnung die Frage nach dem sachlichen Umfang dieses Ausnahmetatbestandes, insbesondere der Ausgrenzung von Rektapapieren, neu auf: Schon unter dem EVÜ wurde in der Wissenschaft vereinzelt angezweifelt, ob das Art. 37 Nr. 1 EGBGB zugrunde liegende Abgrenzungskriterium originär auf Art. 1 Abs. 2 lit. c EVÜ zurückgeführt werden könne,114 sofern man es nicht schon an einer Verpflichtung des deutschen Gesetzgebers zu einer inhaltlich identischen Umsetzung von Art. 1 Abs. 2 lit. c EVÜ fehlen ließ.115 Zumindest letztere Ansicht, die darauf gründete, dass das Übereinkommen den nationalen Rechtsordnungen eine Art „Ausfüllungsprärogative“116 über den Begriff des handelbaren Wertpapiers eingeräumt und der deutsche Gesetzgeber davon Gebrauch gemacht hätte,117 dürfte unter der Rom I-VO wegfallen: Um dem Grundsatz einheitlicher Auslegung Geltung zu verschaffen, ist vorrangig nach einem einheitlichen Verständnis des Begriffs des handel-
113
Vgl. nur Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse, S. 134 ff. Herber, in: FS Raisch, S. 67, 78; Rugullis, TransportR 2008, 102, 103, jedoch unter unpassender Berufung auf Soergel/v. Hoffmann, EGBGB Art. 37 Rn. 35; der Großteil hingegen ging von einer sachlichen Übereinstimung aus: statt vieler Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR 2002, Art. 37 EGBGB Rn. 44. Obwohl dem Begriff des handelbaren Wertpapiers im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. c EVÜ danach ein präzises Abgrenzungskriterium zugrunde gelegen hätte, haben nur wenige Stimmen eine übereinkommensautonome Definition ausdrücklich für möglich erachtet, vgl. MüKo/Martiny, EGBGB 2006, Art. 37 Rn. 39; Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art. 37 Rn. 35. 115 Ausdrücklich Mankowski, TransportR 2008, 417, 418. 116 Ausdrücklich Mankowski, TransportR 2008, 417, 418. 117 Siehe auch Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse, S. 128. 114
B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO
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baren Wertpapiers zu suchen.118 Die Gewährung einer Ausfüllungsprärogative des nationalen Gesetzgebers ist damit nicht vereinbar. 1. Handelbare Wertpapiere im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO Mit welchem Inhalt der Begriff des handelbaren Wertpapiers nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO anzufüllen ist, darf nicht durch Abgrenzung zu dem Begriff des übertragbaren Wertpapiers nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO bzw. Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID gewonnen werden. Wenn die Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO ihren Ursprung gerade darin hat, dass der Regelungsumfang des jetzigen Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO nicht ausreichend sicher bekannt war, steht sie für die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO nicht zur Verfügung.119 Ließ sich die Regelung des Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO für die Auslegung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO nicht fruchtbar machen,120 muss umgekehrt dasselbe gelten.121 Möglich ist es jedoch, die zum Begriff des übertragbaren Wertpapiers in Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID vorgenommenen grundlegenden Erwägungen heranzuziehen. Unter Rückgriff auf die zum Begriff des übertragbaren Wertpapiers nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID gefundenen Ergebnisse122 lässt sich das Attribut „handelbar“ dahingehend präzisieren, dass es die Übertragbarkeit des als solchen zu bezeichnenden Gegenstands zur Mindestvoraussetzung hat.123 Ob darüber hinaus weitere Kriterien zu erfüllen sind – im Speziellen: Ob das Wertpapier standardisiert ausgestaltet und in beson118
Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR Art 1 Rom I-VO Rn. 67; Rauscher/von Hein, EuIPR/EuIPR, Rom I-VO, Art 1 Rn. 32; Wegen/Brödermann, in: Prütting/Wegen/ Weinreich (Hrsg.), Art 1 Rom I-VO Rn. 15; MüKo/Martiny, Rom I-VO Art. 1 Rn. 52; Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 1 Rome I Rn. 32; Mankowski, IHR 2008, 134; NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 1 Rn. 57; a.A. Reithmann/Martiny, Int. Vertragsrecht, Rn. 56; jurisPK-BGB/Ringe, Rom I-VO, Art. 1 Rn. 31 (unter Berufung auf den Giuliano/Lagarde-Bericht); so bereits schon unter dem EVÜ: Kaye, The New Private International Law of Contract of the European Community, S. 118; Hohloch hingegen hält eine autonome Auslegung für praktisch unmöglich: Erman/Hohloch, BGB, Anh III Art 26 EGBGB, Art 1 VO Rom I Rn. 8b. 119 Anders aber: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 146. 120 Kapitel 3: A. II. 1. b) Die „Handelbarkeit“ eines übertragbaren Wertpapiers im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID. 121 A.A.: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 146. 122 S.o. Kapitel 3: A. II. Übertragbare Wertpapiere im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID. 123 Vgl. Mankowski, TransportR 2008, 417, 421.
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
derem Maße umlauffähig sein muss – kann zumindest nicht aus den besonderen Bedürfnissen eines bestimmten Marktes oder Marktplatzes abgeleitet werden, denn im Unterschied zu dem auf den Kapitalmarkt zugeschnittenen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO nimmt Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO keinen bestimmten Markt oder Marktplatz in Bezug. Gegen die Übertragbarkeit als alleiniges Abgrenzungskriterium zwischen handelbaren und nicht handelbaren Wertpapieren lässt sich jedoch auch hier anführen, dass an grundsätzlich allen Wertpapieren die Inhaberschaft gewechselt werden kann, sei es dadurch, dass das verbriefte Recht durch Übereignung des Papiers, durch Indossierung oder durch Abtretung übergeht.124 Parallel zur Frage der Handelbarkeit von übertragbaren Wertpapieren nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID ist es damit auch hier der Grad an Umlauffähigkeit, welcher über die Abgrenzung zwischen nicht handelbaren und handelbaren Wertpapieren nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO entscheidet. Dass das Attribut „handelbar“ in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO mit einer schnellen und effizienten Übertragbarkeit der Wertpapiere gleichzusetzen ist, lässt sich der Aussage im Giuliano/Lagarde-Bericht entnehmen,125 wonach die Übertragbarkeit der Forderung („obligation“) für die Eröffnung des Ausnahmetatbestands nicht ausreichend sein soll, sofern die Urkunde („document“) kein handelbares Wertpapier darstellt.126 Da eine Urkunde ohne ein in ihr verbrieftes Recht nicht als Wertpapier existiert, ist der letzte Halbsatz nicht wortwörtlich zu nehmen. Gemeint ist vielmehr, dass sich die Handelbarkeit des verbrieften Rechts aus dessen Einkleidung in einer Urkunde ableiten muss. Ein Wertpapier liegt seinem Wesen nach erst dann vor, wenn das verbriefte Recht durch die Einkleidung in eine Urkunde eine Qualität erwirbt, die es im Verkehr gegenüber einem unverbrieften Recht privilegiert.127 Für ein handelbares Wertpapier folgt daraus, dass die Wirkung der Verbriefung weiter gehen muss als bei einem nicht handelbaren Wertpapier.128 Welche Bedeutung der Verbriefung eines Rechts zukommt, lässt sich anhand der aus dem deutschen Wertpapierrecht bekannten Grundsätze veranschaulichen: Herkömmlich wird zwischen drei verschiedenen 124
Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 140. Rugullis, TransportR 2008, 102, 103. 126 Giuliano/Lagarde, ABl. (EU) Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1, 11. 127 Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz, WPR Rn. 3. 128 S. auch die französische Definition der Handelbarkeit: „Négociabilité: qualité attachée à certains titres représentatifs d’un droit ou d’une créance, qui en permet une transmission plus rapide et plus efficace que les procédés du droit civil“, s. Audic, Les fonctions du document en droit privé, S. 264. 125
B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO
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Funktionen unterschieden, welche die Verbriefung, in unterschiedlicher Ausprägung, zu dem Zweck erfüllen kann, den Rechtsverkehr zu vereinfachen.129 Bei Wertpapieren involviert der Rechtsverkehr typischerweise drei verschiedene Personen: (1) den aus dem Wertpapier Verpflichteten, d.h. den Aussteller; (2) den Inhaber des Papiers, welcher gegenüber dem Aussteller die darin verbriefte Forderung geltend macht, und schließlich (3) den Dritten, welcher das verbriefte Recht erwerben möchte. Im Verhältnis zwischen dem aus dem Papier Verpflichteten und dem Papierinhaber von Bedeutung ist zum einen die sogenannte „Liberationswirkung“ („Legitimationswirkung zugunsten des Schuldners“)130, welche die Leistung des Verpflichteten an den Papierinhaber mit befreiender Wirkung meint,131 zum anderen die „Legitimationswirkung“, die einen Nachweis der Berechtigung durch den Gläubiger entbehrlich macht, wenn die Urkunde in seinem Besitz ist.132 Die Verbriefung gestattet es hier, das Recht wie eine Sache gleichsam „in Besitz nehmen“ zu können und so die Berechtigung unter eine Rechtsvermutung133 zugunsten des Gläubigers als auch des Schuldners zu stellen.134 Die gegenüber einem unverbrieften Recht erhöhte Umlauffähigkeit zieht das verbriefte Recht im Verhältnis zwischen dem aus dem Papier Verpflichteten und dem Papierinhaber daraus, dass einem Neuerwerber die Ausübung des verbrieften Rechts gegenüber dem Schuldner erleichtert135 und er zugleich davor geschützt wird, dass der Schuldner mit befreiender Wirkung an seinen Rechtsvorgänger leistet.136 Für das verbriefte Recht als Gegenstand des Rechtsverkehrs, d.h. als Gegenstand eines Erwerbsgeschäfts, kommt der Verbriefung in dieser Funktion höchstens mittelbare Bedeutung zu. Unmittelbar hingegen wird die Umlauffähigkeit in dem Verhältnis zwischen dem Wertpapierinhaber und dem Dritten bzw. dem Käufer und dem Verkäufer eines Wertpapiers gesteigert, wenn die Verbriefung gutgläubige Erwerber in möglichst weit
129
Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz, WRP Rn. 3 ff.; Zöllner, Wertpapierrecht, S. 22. 130 Zöllner, Wertpapierrecht, S. 22. 131 Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz, WRP Rn. 6; Zöllner, Wertpapierrecht, S. 22; Gursky, Wertpapierrecht, S. 6. 132 Baumbach/HefermehlCasper, Wechselgesetz, WRP Rn. 6; Zöllner, Wertpapierrecht, S. 22; Gursky, Wertpapierrecht, S. 9. 133 Gursky, Wertpapierrecht, S. 8. 134 Zöllner, Wertpapierrecht, S. 22. 135 Zöllner, Wertpapierrecht, S. 24; Gursky, Wertpapierrecht, S. 7. 136 Gursky, Wertpapierrecht, S. 7.
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
reichendem Umfang schützt.137 Wie bereits an anderer Stelle verdeutlicht,138 funktioniert ein Handel mit Wertpapieren nur, wenn sich der Erwerber ohne weitere Prüfung des Sachverhalts darauf verlassen kann, dass er das verbriefte Recht wirksam und einwendungsfrei erwirbt bzw. – in den Worten des englischen Rechts – die Verbriefung dem gutgläubigen Erwerber eine bessere Rechtsstellung vermittelt als sie der Veräußerer innehatte.139 Rechtstechnisch wird diese Verkehrsschutzfunktion dadurch erfüllt, dass das Recht in dem Papier verdinglicht wird und deswegen nach sachenrechtlichen Grundsätzen übertragen werden kann.140 Ungenau ist der für die Beschreibung eines umlauffähigen Wertpapiers auch gebräuchliche Ausdruck, dass das Recht erst mit Übertragung des Papiers auf den Erwerber übergeht:141 Beispielsweise kann das in einem deutschen Orderpapier verbriefte Recht zwar grundsätzlich auch allein142 durch Übereignung der Urkunde übertragen werden,143 aber die besonderen Rechtswirkungen treten erst mit ebenfalls vorliegender Indossierung ein,144 sofern nicht ein Blankoindossament vorliegt.145 Die sowohl bei Inhaber- als auch bei Orderpapieren bestehende Möglichkeit, das verbriefte Recht durch Abtretung, d.h. ohne die Verkehrschutzwirkung, zu übertragen,146 stellt andererseits diese 137
Zöllner, Wertpapierrecht, S. 24. S.o. Kapitel 3: B. I. 2. Schutz des Handels: „Fungible Finanzinstrumente“. 139 Kaye, New Private International Law of Contract of the European Community, S. 118; Plender/Wilderspin, European Private International Law of Obligations, Rn. 5-026 (S. 110); Collins, Conflict of Laws, Volume II, 33R-322 (S. 1800); Tennekoon, Law and Regulation of International Finance, S. 162. 140 Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz, WRP Rn. 10; Staudinger/ Magnus, EGBGB/IPR, Rom I-VO, Art 1 Rn. 65. 141 Mankowski, TransportR 2008, 417, 421; MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Art. 1 Rn. 51; der Gedanke der Mobilisierung des Rechts durch die Verbriefung hat auch in andere Rechtsordnungen Eingang gefunden, insbesondere das französische Recht hat ihn adaptiert, vgl. Audic, Les fonctions du document en droit privé, S. 264 ff. 142 Nach umstrittener Ansicht soll die Übereignung des Papiers für den Rechtserwerb schon gar nicht erforderlich sein; stattdessen soll sich der Rechtsübergang durch Indossament und Abschluss eines sog. Begebungsvertrags, einer vertraglichen Einigung über den Rechtsübergang vollziehen, vgl. Gursky, Wertpapierrecht, S. 11; Zöllner, Wertpapierrecht, S. 13. 143 Staudinger/Marburger, BGB, Vorbem zu §§ 793 ff Rn. 8. 144 Gehrlein, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), BGB, § 793 Rn. 4; Gursky, Wertpapierrecht, S. 11; Staudinger/Marburger, BGB, Vorbem zu §§ 793 ff Rn. 8; Baumbach/ Hefermehl/Casper, Wechselgesetz, WPR Rn. 52. 145 Gursky, Wertpapierrecht, S. 11; Zöllner, Wertpapierrecht, S. 13. 146 Zöllner, Wertpapierrecht, S. 10. 138
B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO
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Einordnung nicht in Frage, da Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO nur auf die grundsätzlich vorliegende Handelbarkeit abstellt. Zur Übertragung des in einem deutschen Rektapapier verbrieften Rechts ist die Übereignung des Papiers weder erforderlich noch ausreichend, da das Eigentum am Papier der Forderung nachfolgt, vgl. § 952 Abs. 1 BGB.147 Die Möglichkeit, das verbriefte Recht gutgläubig zu erwerben, wird auch nicht (wie bei Orderpapieren) anderweitig vermittelt.148 Ebenso wenig wird der Erwerber des verbrieften Rechts durch einen umfassenden Einwendungsausschluss, der über die engen Grenzen des § 407 BGB149 hinausgeht, geschützt. Erwägungsgrund 9, der das Konnossement zu einem handelbaren Wertpapier im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO erklärt, indem er vorgibt, dass „unter Schuldverhältnissen aus Wechseln, Schecks, Eigenwechseln und anderen handelbaren Wertpapieren ... auch Konnossemente fallen sollen, soweit die Schuldverhältnisse aus dem Konnossement aus dessen Handelbarkeit entstehen“, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Seinem Wortlaut nach erfasst er zwar alle Arten von Konnossementen und damit auch das Rektakonnossement. Daraus einen Rückschluss auf den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO mit dem Ergebnis zu ziehen, dass Rektapapiere im Allgemeinen erfasst sind, überzeugt wegen des spezifischen Anliegens von Erwägungsgrund 9 nicht. Erwägungsgrund 9 ist lediglich der umstrittenen Rechtsnatur des Konnossements geschuldet; ein allgemeiner Rechtsgedanke hinsichtlich Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO ist nicht in ihm niedergelegt worden.150 Um sich als handelbar im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO zu qualifizieren, muss ein Wertpapier demnach nicht nur übertragbar sein, sondern die Übertragung des Rechts hat sich nach sachenrechtlichen Grundsätzen zu vollziehen.151 Ob das Recht im ursprünglichen Sinne in einer Urkunde verbrieft ist oder – wie bei Wertrechten – an die Stelle der Urkundenübereignung Buchungsvorgänge
147
Zöllner, Wertpapierrecht, S. 11. § 405 BGB: Ausschluss des Scheingeschäfts und vereinbarter Unabtretbarkeit. 149 Gursky, Wertpapierrecht, S. 7. 150 Anders Mankowski, TransportR 2008, 417, 419. 151 So im Ergebnis auch: Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR, Art 1 Rom I-VO Rn. 67, 65; Wegen/Brödermann, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Art 1 Rom IVO Rn. 15; allgemeiner auf die „Umlauffähigkeit“ abstellend: MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Art 1 Rn. 52; NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 1 Rn. 56; noch zum EVÜ: Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art 37 Rn. 35; von Bar, in: Festschrift Lorenz, S. 273, 285. 148
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
treten, ist hierfür jedoch unbeachtlich.152 Darüber hinaus ist der Begriff des handelbaren Wertpapiers nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO nicht identisch mit dem des übertragbaren Wertpapiers nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO bzw. Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 MiFID: Er ist insofern weiter, als es mangels eines Marktbezugs nicht auf eine standardisierte Ausgestaltung ankommt.153 Von der abstrakten Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Titel ein handelbares Wertpapier im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO ist, ist die konkrete Anwendung dieser Regelung auf einen Titel zu unterscheiden. Ob sich ein Titel als ein handelbares Wertpapier im Sinne dieser Regelung einordnen lässt, ob das verbriefte Recht über die erforderliche Umlauffähigkeit verfügt, hat weiterhin die lex fori einschließlich ihrer Kollisionsregeln zu entscheiden, da der Rom I-VO mangels vereinheitlichten Wertpapierrechts eine Antwort hierauf nicht möglich ist.154 2. „Verpflichtungen aus der Handelbarkeit“ An die Frage, ob ein handelbares Wertpapier im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO vorliegt, schließt sich die Frage an, welche Verpflichtungen im Einzelnen ausgenommen sind. Seinem Wortlaut zufolge nimmt Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO aus einer Gesamtmenge an Wertpapieren diejenigen Titel heraus, die handelbar sind, und entzieht die „aus der Handelbarkeit“ dieser Papiere entstehenden Verpflichtungen seinem Anwendungsbereich. Verpflichtungen, die „aus der Handelbarkeit“ entstehen, stehen im Widerspruch zur Rechtstatsächlichkeit, die keine Rechte und Pflichten kennt, die durch die Eigenschaft „handelbar“ begründet werden könnten.155 Dass die von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom IVO ausgenommenen Verpflichtungen nicht „aus der Handelbarkeit“ entstehen, sondern diese Ausnahmeregelung solche Rechte und Pflichten ausklammert, die aufgrund der rechtlichen Eigentümlichkeit eines han152
So ausdrücklich zu Art. 1 Abs. 2 lit. c Rom II-VO: Müko/Junker, VO (EG) 864/2007, Art. 1 Rn. 33. 153 So im Ergebnis auch, allerdings unter Zugrundelegung des Giuliano/LagardeReports: Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 145. 154 Wegen/Brödermann, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Art 1 Rom I-VO Rn. 16; wohl auch: MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Art. 1 Rn. 52; Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 1 Rome I Rn. 32; NK-BGB/Leible, ROM I Artikel 1 Rn. 57; Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 147 ff.; noch zum alten Recht: Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art. 37 Rn. 35. 155 von Bar, in: FS Lorenz, S. 273, 385; Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art. 37 Rn. 36; Verpflichtungen werden nur durch den Handel mit und aus der Zeichnung von Wertpapieren begründet, nicht aber aus der Handelbarkeit.
B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO
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delbaren Wertpapiers in ihrer Ausgestaltung, der Art und Weise ihrer Geltendmachung etc. von gewöhnlichen schuldvertraglichen Rechten und Pflichten abweichen, wird anhand des englischen und des französischen Wortlauts deutlich.156 Um Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO anwenden zu können, muss daher als Nächstes geklärt werden, wie weit der Kreis der Verpflichtungen „aus der Handelbarkeit“ zu ziehen ist. Grundsätzlich sind zwei Interpretationen möglich und werden auch vertreten: Der Wortlaut, demzufolge Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks und Eigenwechseln umfänglich ausklammert, Verpflichtungen aus anderen handelbaren Wertpapieren hingegen nur insoweit, als sie aus deren Handelbarkeit entstehen, legt es nahe, zwischen Verpflichtungen aus dem Papier insgesamt und einem Ausschnitt davon zu differenzieren. Auf dieser Grundlage wird argumentiert, dass von dem sachlichen Regelungsbereich des EVÜ bzw. jetzt der Rom I-VO nur solche Verpflichtungen ausgenommen sind, die als „obligatorische Auswirkungen der spezifisch wertpapierrechtlichen Funktionen“157 der handelbaren Wertpapiere einzuordnen sind.158 Da das verbriefte Recht, wie gezeigt, seine Handelbarkeit aus der Möglichkeit ableitet, gutgläubig und frei von Einreden und Einwendungen erworben werden zu können, soll unter die Ausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO beispielsweise ein Sachverhalt wie der folgende fallen: Der aus dem Wertpapier Verpflichtete verweigere die Zahlung mit der Begründung, der die Leistung geltend machende Inhaber des Papiers habe dieses nicht als „holder in due course“ erlangt.159 Auf die in dem Wertpapier verbriefte vertragliche Verpflichtung selbst soll die Rom I-
156 Der englische Wortlaut lautet: „to the extent that the obligations under such other negotiable instruments arise out of their negotiable character“; in der französischen Version heißt es: „dans la mesure où les obligations nées de ces autres instruments négociables dérivent de leur caractère négociable“. Beide Beschreibungen legen nahe, dass die Verpflichtungen nicht aus der Handelbarkeit entstehen, sondern durch diese geprägt sein sollen. 157 Einsele, Internationales Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 386. 158 Zu Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO: Palandt/Thorn, BGB, (IPR), Rom I 1 Rn. 10; MüKo/Martiny, VO (EG) 593/2008, Art. 1 Rn. 53; Einsele, Internationales Bankund Kapitalmarktrecht, S. 386; noch zu Art. 1 Abs. 2 lit. c EVÜ: Soergel/ von Hoffmann, EGBGB Art. 37 Rn. 36; Flessner, Reform des Int. Privatrechts, S. 21; im Ergebnis auch, Schultsz, in: North (Hrsg.), Contract Conflicts, S. 185, 190; danach beschränkt sich der Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung auf die Frage, ob der Erwerber mehr bzw. bessere Rechte geltend machen kann als der vorherige Inhaber (“whether the ... holder has more or better rights than a previous ... holder”). 159 Fawcett/Carruthers/North, Private International Law, S. 684.
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
VO hingegen voll zur Anwendung kommen.160 Gegen die Beschränkung des ausgenommenen Pflichtenkreises auf nur bestimmte Verpflichtungen lassen sich jedoch verschiedene Gründe anführen: Anhand der Formel, dass nur die „obligatorischen Auswirkungen der spezifisch wertpapierrechtlichen Funktionen“ dem Anwendungsbereich der Verordnung entzogen sind, lässt sich keine trennscharfe Abgrenzung vornehmen, sie ist unpraktikabel.161 Wird dennoch eine Abgrenzung vorgenommen, hat sie unvermeidlich zur Folge, dass die aus einem Rechtsverhältnis stammenden Verpflichtungen nach unterschiedlichen Rechtsordnungen beurteilt werden. Sofern die Rom I-VO und das nationale internationale Privatrecht, das infolge Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO einschlägig ist, nicht dieselbe Rechtsordnung zur Anwendung berufen, kommt es zu einer dépeçage, einer Statutenspaltung.162 Dieses Ergebnis vermeidet der weite Auslegungsansatz,163 demzufolge es die gesamte verbriefte Verpflichtung sein soll, die über Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO dem Anwendungsbereich der Verordnung entzogen wird. Eine dogmatische Begründung, die für die Erstreckung der Bereichsausnahme auf alle Verpflichtungen aus dem handelbaren Wertpapier herangezogen wird, soll die Abstraktheit des verbrieften Rechts liefern, das als selbstständiges Forderungsrecht zu dem zugrunde liegenden Vertrag hinzutritt.164 Da nur die Verbriefung einer abstrakten Forderung ein handelbares Wertpapier ergeben könne,165 soll die Abstraktheit der Forderung das maßgebliche Kriterium für die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs des Ausnahmetatbestands sein,166 woraus sich als Konsequenz ergibt, dass die gesamte abstrakte Forderung an sich, d.h. die verbrieften, einwendungsfesten Ansprüche in die Bereichsausnahme fallen.167 Für einen weiten Ausnahmetatbestand ist 160
Einsele, Internationales Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 386. Freitag, IPRax 2007, 24, 26 f. 162 Mankowski, TransportR 2008, 417, 322. 163 Zu Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO: Mankowski, TransportR 2008, 417, 422; noch zu Art. 1 Abs. 2 lit. c EVÜ: Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art. 37 Rn. 37; Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR 2002, Art. 37 EGBGB Rn. 47; Czernich/Heiss/ Nemeth, EVÜ Art. 1 Rn. 34; von Bar, in: FS Lorenz, S. 273, 284; Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse, S. 139; ders., TransportR 1988, 410, 412; Herber, in: FS Raisch, S. 67, 79. 164 von Bar, in: FS Lorenz, S. 273, 284. 165 von Bar, in: FS Lorenz, S. 273, 284. 166 So für das Orderkonnossement: Mankowski, TransportR 1988, 410, 412; ders., TransportR 2008, 417, 422. 167 Mankowski, TransportR 1988, 410, 412. 161
B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO
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auch angeführt worden, dass alle in einem handelbaren Wertpapier verbrieften Forderungen per se im Interesse der Verkehrsfähigkeit besonders ausgestaltet seien.168 Die Trennlinie sei demnach rein formal zwischen den verbrieften Verpflichtungen und denjenigen Verpflichtungen zu ziehen, die auf der Urkunde zwar angedeutet oder vermerkt, in ihr aber nicht verbrieft sind.169 Die deutsche Rechtsprechung hat zur Klärung dieses Streitstandes so weit ersichtlich wenig beigetragen. Das einzige zu Art. 37 Nr. 1 EGBGB ergangene Urteil des BGH von 1986170 zur Wirksamkeit einer in den Bedingungen eines Orderkonnossement aufgestellten Rechtswahlklausel geht zumindest in die Richtung eines umfassenden Ausschlusses:171 In diesem Urteil subsumierte der BGH unter Art. 37 Nr. 1 EGBGB Verpflichtungen, „die aus der Übertragungsfunktion des Indossaments ... folgen, wie die Verpflichtung des Verfrachters zur Herausgabe der Güter oder zur Leistung von Schadensersatz gemäß § 606 HGB wegen Verlusts oder Beschädigung der Güter“.172 „Infolgedessen“, so seine Schlussfolgerung, sei „die unmittelbare Anwendung des Art. 27 Abs. 4 n.F. i.V.m. Art. 31 Abs. 1 EGBGB n.F.173 auf Orderkonnossemente“ ausgeschlossen.174 Da er zu diesem Ergebnis nur gelangen konnte, wenn er die in den Bedingungen des Orderkonnossements enthaltene Rechtswahlklausel ebenfalls dem Anwendungsbereich des Art. 37 Nr. 1 EGBGB zurechnete, lässt sich seine Entscheidung nur auf Grundlage einer weiten Auslegung von Art. 37 Nr. 1 EGBGB erklären. Unabhängig davon waren sich die Vertreter beider Ansätze jedoch zumindest in einer Hinsicht einig: Aufgrund des in Art. 37 Nr. 1 EGBGB vorausgesetzten 168
Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art. 37 Rn. 37. Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art. 37 Rn. 37. 170 BGH, Urteil vom 15.12.1986, Az.: II ZR 34/86, BGHZ 99, 207. 171 Staudinger/Stoll, Int. SachenR Rn. 416; Staudinger/Magnus, EGBGB/IPR 2002, Art. 37 EGBGB Rn. 47; Erman/Hohloch 2008, BGB, EGBGB, Art. 37 Rn. 3; Reuschle, RabelsZ 68 (2004) 687, 707; Czernich/Heiss/Nemeth, EVÜ Art. 1 Rn. 4; Freitag hingegen sieht darin keinen umfassenden Ausschluss, Freitag, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Int. Vertragsrecht, S. 696 Fn. 3. 172 BGH, Urteil vom 15.12.1986, Az.: II ZR 34/86, BGHZ 99, 207, 209. 173 Art. 27 EGBGB regelte die „freie Rechtswahl“ im Vertrag. 174 BGH, Urteil vom 15.12.1986, Az.: II ZR 34/86, BGHZ 99, 207, 210; grundsätzlich entgegen der Wertung des Urteils wollte Flessner für das Orderkonnossement als Wirkungen der Indossierung nur den Erwerb vom Nichtberechtigten und den Einwendungsausschluss bzw. deren schuldrechtliche Wirkungen von der Bereichsausnahme erfasst wissen und damit die Rechte und Pflichten der Konnossementbeteiligten dem EGBGB unterstellen, Flessner, Reform des internationalen Privatrechts, S. 21. 169
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
Zusammenhangs mit der Handelbarkeit des Wertpapiers sollte der Ausnahmetatbestand nicht für Verpflichtungen aus Verträgen über handelbare Wertpapiere gelten wie Übernahmeverträge,175 Verträge, auf Grund derer Wertpapiere ausgegeben werden, sowie Kauf-, Miet- oder Tauschverträge.176 Voraussetzung dafür, den Umfang der von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom IVO ausgenommenen Verpflichtungen bestimmen zu können, ist die Kenntnis des Zwecks, dem diese Regelung dient. Ursprünglich ist die Inkorporierung des Art. 1 Abs. 2 lit. c EVÜ auf verschiedene Begründungen gestützt worden. Von diesen Begründungsansätzen ist das mit der Ausnahme verfolgte Ziel, Konflikte des Regelungstextes mit anderen Konventionen zu vermeiden,177 von vorneherein unergiebig, denn für andere handelbare Wertpapiere als Wechsel, Schecks und Eigenwechsel fehlte und fehlt es weiterhin an einem Übereinkommen über das auf sie anwendbare Recht. Von den beiden anderen Erwägungen beruhte die eine auf der Wertung, dass die Regelungen des Übereinkommens für diese Verpflichtungen nicht geeignet seien,178 die andere darauf, dass nicht alle Mitgliedstaaten die fraglichen Verpflichtungen als schuldrechtlich bewerten würden.179 Weder die eine noch die andere Erwägung lässt im Hinblick auf den als „auf der Handelbarkeit beruhenden“ ausgenommenen Pflichtenkreis konkrete Rückschlüsse zu. Wenig weiterführend ist die Begründung, die man teilweise in der Literatur vorfindet, dass bestimmte Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Privatrecht spezielle und komplexe Regelungen für handelbare Wertpapiere vor175
Giuliano/Lagarde, ABl. (EU) Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1, 10; Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art 37 Rn. 38; eine demgegenüber sehr weite Auslegung der Bereichsausnahme vertritt Basedow, der es zu Gunsten erhöhter Rechtssicherheit als notwendig ansieht, sowohl die Ansprüche aus dem Konnossement als auch die Ansprüche aus dem zugrunde liegenden Frachtvertrag der Bereichsausnahme zu unterstellen. Für ihn stellt sich die Erstreckung der Bereichsausnahme auf den dem Wertpapier zugrunde liegenden Vertrag als ein notwendiger Zwischenschritt dar: Im Ergebnis geht es ihm darum, Konnossement- und Frachtvertragsstatut über deren gemeinsame Regelung in der speziellen Kollisionsnorm des Art. 6 EGHGB gleichzuschalten: Basedow, IPRax 1987, 333, 340. 176 Giuliano/Lagarde, ABl. (EU) Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1, 11; Soergel/von Hoffmann, EGBGB Art 37 Rn. 38; Erman/Hohloch 2008, BGB, EGBGB, Art. 37 Rn. 3; Cheshire/North/Fawcett, S. 684. 177 So auch: Erman/Hohloch, BGB, Anh III Art 26 EGBGB, Art 1 VO Rom I Rn. 8a. 178 Giuliano/Lagarde, ABl. (EU) Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1, 11; zustimmend: Stone, EU Private International Law, S. 291. 179 Giuliano/Lagarde, ABl. (EU) Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1, 11.
B. Die Ausklammerung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO
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sähen.180 Ob in einzelnen Mitgliedstaaten spezielle Regelungen existieren, liefert zwar ein Indiz, aber noch keine überzeugende Begründung dafür, dass sich das Regelungswerk grundsätzlich nicht für die Anknüpfung bestimmter Fragen im Zusammenhang mit handelbaren Wertpapieren eignet. Insbesondere hilft dies nicht weiter für die Frage, welchen Umfang die Ausnahme hat. Für die Auslegung der „Verpflichtungen aus der Handelbarkeit“ bleibt daher nur der Begriff der Handelbarkeit selbst. Nach der oben aufgestellten Definition zeichnet sich ein umlauffähiges verbrieftes Recht im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO dadurch aus, dass es – in Abweichung von den zessionsrechtlichen Grundsätzen – gutgläubig und einredefrei erworben werden kann. Daraus folgt noch nicht zwingend, dass nur diejenigen Verpflichtungen „aus der Handelbarkeit“ entstehen, die als obligatorische Auswirkungen an diese bestimmten Merkmale anknüpfen. Handelbarkeit, so hat sich gezeigt, erwirbt das verbriefte Recht gerade durch seine Verdinglichung, d.h. durch eine abweichende Gestaltung von den gewöhnlichen Regeln des Schuldrechts, die zwar nur punktuell deutlich wird, aber die gesamte Verpflichtung umfasst. Als Verpflichtungen, die aus der Handelbarkeit eines Wertpapiers entstehen, unterfallen danach alle im handelbaren Wertpapier verbrieften Rechte und Pflichten dem Ausnahmetatbestand. Zwar steht diese Auslegung unter der Schwierigkeit, dass sie sich in Widerspruch zu Wortlaut und Systematik der Regelung zu setzen scheint, die sich beide eher für eine einschränkende Auslegung zu Gunsten lediglich eines Teils der Pflichten aus einem Wertpapier in Anwendung bringen lassen.181 Andererseits besteht ein wesentlicher Unterschied zu den insgesamt ausgenommenen Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks und Eigenwechseln darin, dass diese zur Zeit der Aufsetzung des EVÜ in umfassenden Übereinkommen geregelt waren, wohingegen sich die Ersteller des EVÜ im Hinblick auf „andere handelbare Wertpapiere“ an keinem Regelungswerk orientieren konnten. Die Vermutung liegt daher nicht fern, dass die explizite Beschränkung auf „Verpflichtungen aus der Handelbarkeit“ der Vorsicht der Ersteller des EVÜ geschuldet war, eine Anwendung des Ausnahmetatbestands auf nicht handelbare Wertpapiere bzw. Verpflichtungen über handelbare Wertpapiere zu verhindern. Im Ergebnis sprechen die überwiegenden Gründe dafür, den Begriff der Verpflichtungen, die „aus der Handel180 Stone, EU Private International Law, S. 291; noch zum EVÜ: Plender, European Contracts Convention, Rn. 4.13 (S. 63). 181 Müller, Finanzinstrumente in der Rom I-VO, S. 161 f.
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
barkeit entstehen,“ umfassend so auszulegen, dass er all die in dem Wertpapier verbrieften Rechte und Pflichten erfasst.182 Hierauf lässt sich wieder das Bild der Doppelnatur des Finanzinstruments in Anwendung bringen: Ausgeklammert sind diejenigen Rechte und Pflichten, die den Inhalt des Wertpapiers verkörpern. Hingegen bleiben solche Verpflichtungen von der Regelung des Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO unberührt, die die andere Seite der Doppelnatur, das Wertpapier als Handelsobjekt, adressieren, so Verträge aufgrund derer Wertpapiere geschaffen und ausgegeben werden,183 sowie Verträge über deren Kauf oder Vermietung.184 II. Zwischenergebnis zum Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO im Lichte von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO Der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO verbleibt gegenüber der Ausnahmevorschrift des Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO nur insoweit ein eigenständiger Anwendungsbereich, als sie im Hinblick auf die von ihr geregelten Finanzinstrumente über den Begriff des handelbaren Wertpapiers hinausgeht. Praktisch ist allerdings kaum ein Fall denkbar, in dem ein Finanzinstrument zwar in den sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO fallen, also nicht von der Ausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO erfasst sein soll, dann aber über Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO dem Anwendungsbereich der Kollisionsregel für Verbraucherverträge entzogen wird. Grund hierfür ist, dass der sachliche Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO in teleologischer Reduktion auf handelbare Finanzinstrumente zu beschränken ist, die wiederum, soweit ersichtlich, aufgrund der für handelbare derivative Finanzinstrumente spezielleren Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO bislang hauptsächlich in Gestalt der übertragbaren Wertpapiere nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID existieren. Zwar soll es für nach hier vertretener Ansicht für die Handelbarkeit eines übertragbaren Wertpapiers grundsätzlich nicht auf die Übertragung nach sachenrechtlichen Grundsätzen ankommen.185 In der Praxis wird sich 182
So wohl auch: Erman/Hohloch, BGB, Anh III Art 26 EGBGB, Art 1 VO Rom I Rn. 8b; a.A. wohl: Palandt/Thorn, BGB, (IPR) Rom I 1 Rn. 10. 183 Wegen/Brödermann, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Art 1 Rom I-VO Rn. 19; Erman/Hohloch, BGB, Anh III Art 26 EGBGB, Art 1 VO Rom I Rn. 8b. 184 Ringe, in: jurisPK-BGB, Art 1 Rom I-VO Rn. 31; Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 1 Rome 1 Rn. 31. 185 Kapitel 3: A. II. Übertragbare Wertpapiere im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID.
C. Zusammenfassung und Ergebnis
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diese Unterscheidung zwischen übertragbaren Wertpapieren nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und handelbaren Wertpapieren nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO jedoch kaum bemerkbar machen, da die Handelbarkeit im Regelfall durch die Übertragung nach sachenrechtlichen Grundsätzen hergestellt wird.
C. Zusammenfassung und Ergebnis der Überprüfung der neuen Ausnahmeregelungen im Lichte von Art. 6 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO C. Zusammenfassung und Ergebnis
Die im Begriff des Verbrauchervertrags nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO in Gestalt des räumlich-situativen Kriteriums angelegte Einschränkung und die Ausnahmeregelung in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO sind einerseits jeweils nur für bestimmte Tatbestandsvarianten in den Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO von Relevanz; andererseits unterscheiden sie sich in der Rechtsfolge. Welche Folgerungen sich daraus für die Regelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO insgesamt ableiten lassen, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der ihnen jeweils zugrunde liegenden Ratio. I. „Vorhersehbarkeit“ Ein Kriterium, anhand dessen sich die Tatbestandsvarianten in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO kategorisieren lassen, ist das Erfordernis eines Öffentlichkeitsbezugs. Lediglich die Ausnahmen für Wertpapieremissionen und Übernahmeangebote (Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO) greifen nur unter der Bedingung ein, dass ein öffentliches (Erwerbs-) Angebot seitens des Emittenten bzw. Anbieters bzw. Bieters vorliegt. Hingegen setzen die Ausnahmen für Finanzinstrumente (Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO), die Zeichnung von OGAW-Anteilen (Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO) und die Verträge an multilateralen Systemen (Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO) keinen Öffentlichkeitsbezug als weiteres Tatbestandsmerkmal voraus. Anhand der Genese dieser Regelungen und unter Würdigung der einschlägigen Erwägungsgründe ist die Bedeutung dieses Merkmals herausgearbeitet worden: Immer dann, wenn ein Anbieter bzw. Bieter mit „dem Publikum kontrahiert“, soll es ihm nicht zumutbar sein, sich mit nur schwer voraussehbaren, potentiell einschlägigen Verbraucherschutzregelungen auseinandersetzen zu müssen. In diesem Fall wird der Rechtssicherheit des Unternehmers zugunsten eines funktionierenden Kapitalmarktes Vorrang vor dem
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Kapitel 6: Abschließende Überprüfung der neuen Regelungen
Schutz des Verbrauchers gegeben. Dass eine solche Abwägung zwischen der Rechtssicherheit des Unternehmers und dem Schutz des Verbrauchers der Kollisionsregel für Verbraucherverträge auch vor der Einführung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO nicht fremd war, sondern dem Begriff des Verbrauchervertrags immanent ist, hat die Untersuchung der Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO zutage gebracht: Mit der räumlich-situativen Voraussetzung des Anbietens bzw. Ausrichtens wird ein Zurechnungszusammenhang zwischen der Vermarktungstätigkeit des Unternehmers und den potentiell zu berücksichtigenden fremden Rechtsordnungen hergestellt, welcher dem Begründungsansatz, dass dem Unternehmer die Beachtung fremden Verbraucherrechts nicht zumutbar sei, grundsätzlich entgegensteht. Vor diesem Hintergrund haben die trotzdem aufgenommenen Ausnahmen für öffentliche Wertpapieremissionen und Übernahmeangebote zum Zweck, den Anbieter bzw. Emittenten selbst dann von der Berücksichtigung fremder Verbraucherschutzregelungen zu befreien, wenn deren Eingreifen für ihn voraussehbar und damit einkalkulierbar ist. Indem sie den Anbieter bzw. Bieter unter diesen absoluten Schutz stellt, geht die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO darüber hinweg, dass einem Anbieter bzw. Bieter, der willentlich fremde Märkte betritt, im internationalen Wirtschaftsrecht die Auseinandersetzung mit fremden Regelungen grundsätzlich sehr wohl zugemutet wird. II. „Fungibilität“ Sofern die Tatbestandsvarianten für Finanzinstrumente (Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO), für die Zeichnung von OGAW-Anteilen (Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO) und die Verträge an multilateralen Systemen (Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO) auf einen Öffentlichkeitsbezug verzichten, steht nicht mehr die Rechtssicherheit des Anbieters im Vordergrund, sondern der zweite Gesichtspunkt, der den neuen Regelungen als Ratio zugrunde liegt: die Gewährleistung der Fungibilität, d.h. der Handelbarkeit. Unmittelbar den Schutz der Fungibilität von Finanzinstrumenten bezwecken (1) die Ausnahme für Finanzinstrumente und (2) die Ausnahme für die Zeichnung von OGAW-Anteilen, wohingegen Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO die für einen reibungslosen Handel an Handelsplattformen zwingend notwendige standardisierte Ausgestaltung der Verträge sicherstellen soll. Legt man entsprechend der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO so aus, dass er die Rechte und Pflichten aus dem handelbaren Wertpapier
C. Zusammenfassung und Ergebnis
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insgesamt dem Anwendungsbereich der Rom I-VO entzieht, entfällt bereits das Bedürfnis für Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO. Auch wenn Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO und Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom IVO sich dadurch unterscheiden, dass erstere Regelung das Finanzinstrument, zweitere das handelbare Wertpapier zum Gegenstand hat, wird der sachliche Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO deswegen von Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO bereits mit abgedeckt, weil der Begriff des Finanzinstruments teleologisch auf handelbare Finanzinstrumente zu reduzieren ist. In der praktischen Konsequenz beschränkt er sich dadurch auf übertragbare Wertpapiere nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID, die auch den Anforderungen an ein handelbares Wertpapier nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO entsprechen. Zu einer sachlichen Überschneidung der Anwendungsbereiche kommt es auch nicht mit der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO.
Kapitel 7
Ergebnisse und Gesamtwürdigung A. Zusammenfassung der Zwischenergebnisse für die Regelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO A. Zusammenfassung der Zwischenergebnisse
In den beiden neu in die Kollisionsregel für Verbraucherverträge aufgenommenen kapitalmarktrelevanten Ausnahmetatbeständen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO sind insgesamt fünf einzelne Fallgruppen umgesetzt, die jeweils spezielle Sachverhaltskonstellationen dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO entziehen. Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO klammert die vertraglichen Rechte und Pflichten aus, die zwischen dem Aussteller eines Finanzinstruments und dessen Inhaber bestehen; in Anlehnung an die bei Wertpapieren gebräuchliche Beschreibung lassen sie sich als die Rechte und Pflichten aus dem Finanzinstrument zusammenfassen (Fallgruppe 1). In Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO sind nicht weniger als drei Tatbestandsvarianten enthalten, für die an Stelle der besonderen Anknüpfungsregeln des Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO die allgemeinen Kollisionsregeln gelten sollen. An erster Stelle stehen die Erwerbsverträge, die im Rahmen einer Emission, d.h. einer massenhaften (Neu-)Begebung von übertragbaren Wertpapieren zwischen dem Emittenten bzw. einem hierfür eingeschalteten Finanzinstitut zum Zweck der Platzierung über die zu emittierenden Wertpapieren abgeschlossen werden. Diese Tatbestandsvariante macht keinen Unterschied dahingehend, ob es sich um eine Eigen- oder Fremd-, bzw. um eine Primär- oder Sekundäremission handelt, setzt aber in jedem Fall voraus, dass die potentiellen Erwerber im Publikum gesucht werden (Fallgruppe 2). Die zweite Tatbestandsvariante in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom IVO wiederum nimmt alle Kauf- bzw. Tauschverträge aus, die aus einem vom Bieter an die Öffentlichkeit abgegebenen Angebot zum Erwerb bestimmter Mitgliedschaftsrechte, dem sogenannten Übernahmeangebot, hervorgehen (Fallgruppe 3). Die dritte Tatbestandsvariante in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO regelt den besonderen Fall der Kapitalanlage in einen Investmentfonds („OGAW“). Unabhängig davon, ob dem Erwerb ein öffentliches Ange-
A. Zusammenfassung der Zwischenergebnisse
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bot seitens des Fonds vorausgegangen ist, nimmt sie solche Verträge aus, durch die dem Anleger ein – erst mit diesem Vertrag rechtlich existent werdender – Anteil am Fondsvermögen eingeräumt wird (Fallgruppe 4). Der Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO schließlich erfasst im Wesentlichen solche Verträge, die an Handelsplattformen („multilaterale Systeme“) für Finanzinstrumente geschlossen werden (Fallgruppe 5). Für alle fünf Tatbestandsvarianten gilt, dass dem – teilweise ausdrücklich im Verordnungstext enthaltenen – Verweis auf die bereits etablierten Begriffsbestimmungen kapitalmarktrechtlicher Richtlinien, darunter insbesondere der MiFID, nur mit Vorsicht Folge zu leisten ist. Das Bemühen des Verordnungsgebers um möglichst präzise Begrifflichkeiten konfligiert teils mit der Ratio, welche der jeweiligen Tatbestandsvariante zugrunde liegt, teils mit dem Universalitätsgrundsatz aus Art. 2 Rom I-VO. Daraus ergeben sich folgende Einschränkungen: (Fallgruppe 1) Im Rahmen der ersten Tatbestandsvariante für Rechte und Pflichten aus Finanzinstrumenten ist der wegen der Anlehnung an den Finanztitelkatalog in Anhang I Abschnitt C MiFID an sich weit gefasste Begriff des Finanzinstruments teleologisch so zu reduzieren, dass er lediglich solche Finanzinstrumente erfasst, die – gleich einem übertragbaren Wertpapier nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 MiFID – handelbar sind, und dagegen solche ausschließt, die nicht handelbar sind, weil sie aus einem einfachen bilateralen Vertragsverhältnis bestehen, das nicht übertragen werden soll. Unter diesem Begriffsverständnis stimmt die Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO in ihrem Anwendungsbereich praktisch überein mit dem der Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO, welche die Rechte und Pflichten aus einem handelbaren Wertpapier insgesamt dem Anwendungsbereich der Rom I-VO entzieht. Aufgrund dessen verbleibt daneben für Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO praktisch kein eigenständiger Anwendungsbereich. (Fallgruppe 2) Für die zweite Tatbestandsvariante für „Wertpapieremissionen“ ist die Rückausnahme für „Finanzdienstleistungen“ so auszulegen, dass sie keine Kaufverträge erfasst, auch wenn der in Anhang I Abschnitt A und B MiFID aufgenommene Katalog an Finanzdienstleistungen, den es bei der Anwendung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO grundsätzlich zu beachten gilt, diese Einschränkung selbst nicht beinhaltet. Dies ist jedoch erforderlich, um dem Sinn und Zweck dieser Ausnahme entsprechend zwischen den von Art. 6 Abs. 1 Rom IVO ausgeklammerten Kaufverträgen zum Zweck der Platzierung und
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Kapitel 7: Ergebnisse und Gesamtwürdigung
den gerade nicht ausgenommenen Finanzdienstleistungen unterscheiden zu können. (Fallgruppen 3–5) Bei der Auslegung der übrigen drei Tatbestandsvarianten fällt vor allem der Universalitätsgrundsatz ins Gewicht: Obwohl sie jeweils Tatbestandsmerkmale enthalten, die wortwörtlich in anderen Unionsrechtsakten auftauchen, dürfen diese Begriffe nur insoweit herangezogen werden, als sie universell anwendbar sind und insbesondere nicht lediglich Sachverhalte oder Institute bezeichnen, die ausschließlich in Binnensachverhalten existieren. Für die Tatbestandsvariante für „Übernahmeangebote“ folgt hieraus sogar, dass der Begriff des Übernahmeangebots in Art. 2 Abs. 1 lit. d Übernahme-Richtlinie gänzlich unanwendbar ist. Nur mittelbar mit der Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO in Zusammenhang steht das Problem, wie nach dessen Parallelvorschrift in Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO das anwendbare Recht zu bestimmen ist. Darüber, dass der Verordnungsgeber die objektive Anknüpfung nach dieser Regelung nur sehr unzureichend geregelt hat, lässt sich nur mit Hilfe einer Indizienreihenfolge hinweghelfen, wie sie in der Literatur bereits aufgestellt worden ist. Die Tatbestandsvarianten in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO und Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO kommen grundsätzlich zur Anwendung und werden nicht durch eine vorrangig einschlägige Ausnahmeregelung verdrängt. Auch über den Begriff des Verbrauchervertrags wird der Anwendungsbereich der neuen Ausnahmeregelungen nicht eingeschränkt, weil die Vornahme von Kapitalmarktgeschäften der Einordnung einer natürlichen Person als Verbraucher grundsätzlich nicht entgegensteht.
B. Abschließende Würdigung B. Abschließende Würdigung
I. Durchbrechung im Begründungsansatz Die neuen Regelungen des Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO stehen insbesondere deswegen in der Kritik, weil es ihnen an praktischer Bedeutung fehlen würde: An den von ihnen anvisierten Kapitalmarktgeschäften – insbesondere dem Handel an multilateralen Systemen – seien kaum bis nie Verbraucher beteiligt.1 Mehr noch als das Bestehen 1
Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 97 f.; Leible/ Lehmann, RIW 2008, 528, 537; Calliess, in: Calliess (ed.), Rome Regulations, Article 6 Rome I Rn. 63; Proctor, Law and Practice of Int. Banking, Rn. 41.21 (S. 662).
B. Abschließende Würdigung
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eines praktischen Bedürfnisses nach diesen Regelungen kann ihre praktische Anwendbarkeit in Zweifel gezogen werden. Anders als eingangs angedeutet ist dies nicht allein der Verwendung kapitalmarktrechtlicher Termini geschuldet; die Untersuchung hat gezeigt, dass es grundsätzlich möglich ist, sie auch in einem kollisionsrechtlichen Regelungswerks mit Inhalt zu füllen und praktikabel zu machen. Vielmehr sind die Gründe hierfür in der Entstehungsgeschichte dieser Regelungen zu suchen, die dadurch geprägt ist, dass auf der einen Seite versucht wurde, den Interessen des Kapitalmarktes möglichst umfassend Geltung zu verschaffen, auf der anderen Seite hiergegen jedoch große Vorbehalte existierten. In der Folge ist es zu den Durchbrechungen im Begründungsansatz der Regelungen gekommen, die eine Unterscheidung zwischen den Ausnahmen für (Fallgruppe 2) „öffentliche Wertpapieremissionen“ und (Fallgruppe 3) „öffentliche Übernahmeangebote“ auf der seinen Seite und den übrigen Ausnahmetatbeständen für (Fallgruppe 1) „Finanzinstrumente“, (Fallgruppe 4) die „Zeichnung von OGAW-Anteilen“ und (Fallgruppe 5) „Verträge in multilateralen Systemen“ auf der anderen Seite erforderlich machen. Lediglich letztere setzen die ursprüngliche Ratio, die „Fungibilität“ sicherzustellen, um. Damit erklärt sich auch, warum der erste umfassende Vorläufer der jetzigen Regelung in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO im Entwurf der Kommissionsdienststellen vom 15. März 2007 noch auf den Öffentlichkeitsbezug verzichtete: Ausgenommen waren danach „Verträge zur Zeichnung oder zum Kauf von neu ausgegebenen übertragbaren Wertpapieren im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 18 der RL 2004/39/EG oder von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“.2 Da der Zweck der Regelung in dieser Version ausschließlich darin bestand, zu gewährleisten, dass Titel, die massenhaft am Kapitalmarkt gehandelt werden, den hierfür erforderlichen identischen Inhalt aufweisen, war es ausreichend, sie sachlich auf die Vertragsverhältnisse zu begrenzen, in denen diese Titel erst geschaffen werden. Deutlich wird dies an der Wahl des Begriffs „Zeichnung“ und der Eingrenzung auf „neu ausgegebene ... Wertpapiere“. Erst mit der Ausweitung des Tatbestands auf Verträge über bereits existente Wertpapiere im weiteren Fortgang des Verfahrens kam das Bedürfnis nach einem zweiten Begründungsansatz auf, denn das Problem, Wertpapiere mit demselben Inhalt auszustatten, stellt sich 2 Rat der Europäischen Union, Interinstitutionelles Dossier 2005/0261 (COD), 7418/07, LIMITE, JUSTCIV 55, CODEC 228, Vermerk der Kommissionsdienststellen für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom I), datiert vom 15. März 2007, S. 4.
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lediglich bei deren Entstehung. Um den mit der Aufnahme von Verträgen über bereits existente Wertpapiere erheblich erweiterten Anwendungsbereich der geplanten Ausnahmeregelung wieder einzuschränken, wurde diese Tatbestandsvariante um das Kriterium der „Öffentlichkeit“ ergänzt und dadurch die Vorhersehbarkeit bzw. Rechtssicherheit als zweiter wesentlicher Begründungsansatz neben der „Fungibilität“ der Finanzinstrumente eingeführt. Die für das Verständnis der Regelungen entscheidende Trennlinie zwischen den einzelnen Tatbestandsvarianten in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO verläuft demnach nicht zwischen Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 1 Rom I-VO und den übrigen Tatbestandsvarianten anhand der Frage, ob das Finanzinstrument als „Bündel von Rechten und Pflichten“ oder als Gegenstand eines (anderen) Vertragsverhältnisses adressiert wird. Vielmehr ist danach zu unterscheiden, ob die jeweilige Tatbestandsvariante die „Fungibilität“ der Finanzinstrumente oder – rechtstechnisch umgesetzt in dem Erfordernis des öffentlichen Angebot – die Rechtssicherheit des Anbieters bzw. Emittenten schützt. Konsequenz dieser Zusammenfassung von zwei Begründungsansätzen ist die Auffächerung von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO auf insgesamt vier Tatbestandsvarianten, die so spezielle Sachverhaltskonstellationen erfassen, dass eine einheitliche Darstellung nicht möglich ist. II. Verhältnis zwischen den Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO und den europäischen Regelungen auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts Die Entstehungsmaterialien zu den neuen Ausnahmetatbeständen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO lassen erkennen, dass deren Fürsprecher weniger die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes als rein abstraktes Gut als vielmehr die Wettbewerbsfähigkeit konkret der europäischen Kapitalmärkte im Blick hatten.3 Dies hätte nicht nur zu einer „Zersplitterung“4 der Kollisionsregeln geführt; eine Verzahnung der Ausnahmeregelungen mit den europäischen Kapitalmarktregelungen wäre in der Umsetzung auch kompliziert geworden: Wie bei den Über-
3 S. insbesondere: Council of the European Union, Interinstitutional File 2005/ 0261 (COD), 13035/06 ADD 4, LIMITE, JUSTCIV 196 CODEC 948, Note from United Kingdom delegation to Committee on Civil Law Matters (Rome I), dated 22 September 2006, S. 5. 4 S. hierzu die Kritik zu Art. 7 Rom I-VO von Leible, in: NK-BGB ROM I Artikel 7 Rn. 2.
B. Abschließende Würdigung
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nahmeangeboten5 oder der Frage nach dem „Recht des (multilateralen) Systems“ gezeigt wurde, hätte eine ideale Verzahnung mit den kapitalmarktrechtlichen Richtlinien kollisionsrechtliche Vorfragen aufgeworfen, für die wiederum allseitige europäische Kollisionsregeln hätten konstruiert werden müssen. Da die Notwendigkeit universeller Anwendbarkeit der Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO jedoch im Wesentlichen ein weiteres Begriffsverständnis erfordert, als es unter den herangezogenen kapitalmarktrechtlichen Richtlinien umgesetzt ist, kommen die Ausnahmeregelungen im Ergebnis ihrem ursprünglichen Ziel recht nahe: Die Auswahl der durch Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO ausgeklammerten Rechte und Pflichten korrespondiert im Wesentlichen mit kapitalmarktrechtlichen Koordinierungs- und Harmonisierungsbemühungen des europäischen Gesetzgebers. Dies wird insbesondere an Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO erkennbar. Die erste Tatbestandsvariante in Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO – die Ausklammerung von „öffentlichen Angeboten über übertragbare Wertpapiere“ – steht in Zusammenhang mit der Prospekt-Richtlinie, die zweite Tatbestandsvariante für öffentliche Übernahmeangebote mit der Übernahme-Richtlinie und die dritte Tatbestandsvariante – „Zeichnung und Rückkauf von OGAW-Anteilen“ – mit der OGAW-Richtlinie. Das Zusammenspiel zwischen Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO und diesen Richtlinien lädt als Erstes zu der Überlegung ein, dass der Anlegerschutz das Defizit im kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz, das durch die Ausklammerung vom Anwendungsbereich der kollisionsrechtlichen Verbrauchervertragsregel geschaffen wird, zu kompensieren vermag. Das Institut des Anlegerschutzes wird zum einen mit dem Individualschutz, zum anderen mit dem Funktionenschutz gerechtfertigt6 und trägt aufgrund dieser doppelten dogmatischen Begründung zur Integration der nationalen Kapitalmärkte wesentlich dadurch bei, dass Anleger unter ihm zu einem grenzüberschreitenden Tätigwerden motiviert werden können.7 Die Integration der einzelnen Märkte zu einem einheitlichen europäischen Kapitalmarkt wurde daher insbesondere unter der Zielsetzung des Anlegerschutzes vorangetrieben:8 Im Aktionsplan für Finanzdienstleistungen (FSAP) führte die Kommission ausdrücklich aus, 5 Kapitel 4: D. III. 2. b): Erste Korrektur: keine Unterscheidung zwischen freiwilligen Übernahmeangeboten i.e.S. und Pflichtangeboten. 6 Statt vieler: Mülbert, ZHR 177 (2013) 160, 171 ff. 7 Zimmer, Int. Gesellschaftsrecht, S. 40, 44; Deckert/von Rüden, EWS 1998, 46, 48; Assmann, ZBB 1989, 48, 61. 8 Assmann/Buck, EWS 1990, 110, 112.
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dass die unterschiedlichen nationalen Regeln zu Finanzdienstleistungen die Verbraucher und Anbieter daran hinderten, „die Vorteile des Binnenmarkts in Form größerer Auswahl und schärferen Wettbewerbs zu nutzen.“9 Da fehlendes Vertrauen der Anleger in die Stabilität des Marktes und eine fehlende Transparenz die Allokationseffizienz des Marktes behindern können,10 setzen die europäischen Kapitalmarktregelungen insbesondere an dem Prinzip der Publizität an.11 Hält der Anlegerschutz daher die geeigneten Mechanismen bereit, den Schutz des einzelnen Anlegers mit dem Schutz des effizienten Kapitalmarktes zu vereinbaren, so liegt hierin eine weiterer Rechtfertigungsansatz für die neuen Ausnahmeregelegungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO. Als Zweites könnte die fortschreitende Integration der Europäischen Kapitalmärkte gerade umgekehrt die Notwendigkeit spezieller Ausnahmeregelungen in der Kollisionsregel für Verbraucherverträge in Frage stellen. Um das Ziel eines unionsweiten effizienten Kapitalmarktes zu erreichen, setzt der europäische Gesetzgeber in den europäischen Rechtsakten auf dem Gebiet des europäischen Kapitalmarktrechts die „vier Grundprinzipien“ der (1) Einführung eines EuropaPasses, (2) Durchführung einer Herkunftslandkontrolle, (3) Mindestharmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften und (4) der gegenseitigen Anerkennung der nicht harmonisierten Rechtsvorschriften ein.12 Sie erleichtern den Unternehmern das grenzüberschreitende Tätigwerden auf den europäischen Kapitalmärkten dadurch, dass sie eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Rechtsordnungen im Wesentlichen entbehrlich machen sollen. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit neben den harmonisierten Mindestvorschriften noch nationales Verbraucherschutzrecht die Bestimmung der anwendbaren Rechtsvorschriften zu erschweren vermag. Eine grundsätzliche Aussage über die Reichweite dieser Prinzipien lässt sich nicht treffen; stattdessen müssten die Regelungen im Einzelfall untersucht werden, was im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen kann. Ein Beispiel für die mitunter schwierige Bestimmung des Einflusses des Herkunftslandprinzips auf andere Rechtsgebiete findet sich in der OGAW-Richtlinie, die in ihrem Art. 44 Abs. 1 vertragliche Verpflichtungen außerhalb des Anwendungsbereichs 9 „EG-Kommission: Aktionsplan für Finanzdienstleistungen“, abgedruckt in: ZBB 1999, 254, 258. 10 Zimmer, Int. Gesellschaftsrecht, S. 43; Mülbert, ZHR 177 (2013) 160, 172; Assmann, ZBB 1989, 48, 62. 11 Assmann, ZBB 1989, 48, 61. 12 Claussen/Bröcker, Bank- und Börsenrecht, S. 363 (§ 6 Rn. 7).
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der Richtlinie von dem in ihr umgesetzten Herkunftslandprinzip ausnimmt (bzw. nunmehr Art. 108 Abs. 1 OGAW-IV-Richtlinie).13 Auch zur Beseitigung solcher Unsicherheiten dienen die Ausnahmeregelungen. Hieran wird noch einmal deutlich, wie ausgeprägt die Funktion als „Angstklausel“ der Ausnahmeregelungen in den Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO angelegt ist. III. Umsetzung der Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO zugrunde liegenden Zielsetzungen Ob es der neuen Ausnahmeregelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO bedarf, wird neben den bereits angesprochenen Punkten der mangelnden Praxisrelevanz und der ausreichenden Absicherung durch Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO auch unter dem Aspekt kritisch gesehen, dass die Regelungen der ihnen zugrunde gelegten Zielsetzung – die Anwendung eines Rechts sicherzustellen – nur unzureichend gerecht würden.14 Dass dieses Ziel nicht vollständig verwirklicht werden kann, liegt zum einen in den Regelungen der Art. 9 Rom I-VO und Art. 21 Rom I-VO begründet, die dennoch zur (partiellen) Anwendung eines von dem gewählten Recht verschiedenen Rechts auf die unter Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO ausgenommenen Kapitalmarktgeschäfte führen können.15 Allerdings kann diesem Kritikpunkt nur wenig Gewicht beigemessen werden, denn das grundsätzliche Ziel der einheitlichen Anwendung nur eines Rechts auf bestimmte Kapitalmarktgeschäfte wird dadurch nicht in Frage gestellt, dass der Verordnungsgeber gleichzeitig anerkennt, dass andere Interessen existieren können, die noch höherwertiger sind und denen daher über die Art. 9 Rom I-VO bzw. Art. 21 Rom I-VO Geltung verschafft werden muss. Den Regelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO liegt lediglich die Wertung zugrunde, dass der Verbraucherschutz unter bestimmten Voraussetzungen hinter dem Interesse an einem funktionierenden Kapitalmarkt zurückzutreten hat. Der andere Grund, weswegen dem mit den Regelungen in Art. 6 Abs. 4 lit. d und e Rom I-VO verfolgten Ziel nicht umfassend Wirkung verschafft werden kann, ist in deren Funktion als Ausnahmeregelungen angelegt: Zur Rechtsfolge haben sie nur, dass Art. 6 Abs. 1, 2 Rom I-VO nicht zur Anwendung kommt. Wie das anwendbare Recht stattdessen zu 13
Spindler, ZHR 165 (2001) 324, 341. Lagarde/Tenenbaum, Rev. crit. DIP 97 2008, 727, 759; Bierman/Struycken, NiPR 2009, 415, 421; Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 96. 15 Bierman/Struycken, NiPR 2009, 415, 421. 14
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bestimmen ist, geben sie nicht vor.16 Zumindest für die in multilateralen Systemen geschlossenen Verträge existiert mit Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO zwar eine objektive Anknüpfungsregel; den Parteien des einzelnen Vertrags bleibt es jedoch freigestellt, das anwendbare Recht selbst und insbesondere abweichend zu dem Standardrecht zu wählen.17 Da die Ausnahmetatbestände auch auf diese Fälle zur Anwendung kommen, in denen die Parteien selbst auf eine einheitliche Vertragsgestaltung verzichten, gehen die Regelungen über ihr Ziel hinaus. Während für Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO eine Lösung für dieses Problem darin gefunden wurde, dass mangels eines nach den Regeln des Systems zustande gekommenen Vertrags dieser Ausnahmetatbestand nicht einschlägig sein soll, wenn die Parteien eine abweichende Individualrechtswahl treffen, ist eine solche Lösung für Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO nicht denkbar. IV. Rechtspolitische Würdigung Zu den aufgezeigten Schwächen im Wortlaut, in der Struktur und in der Effektivität der neuen Regelungen treten rechtspolitische Bedenken gegen die Bevorzugung von Wertpapierkäufen und -verkäufen gegenüber dem Handel mit Waren. Insbesondere die Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO steht in der Kritik, weil schnell und unkompliziert durchführbare Transaktionen für die Funktionsfähigkeit einer multilateral organisierten Warenhandelsplattform für ebenso zwingend erforderlich erachtet werden wie bei den multilateralen Handelssystemen für Finanzinstrumente nach Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO auch.18 Es dürfe daher nicht auf das Handelsgut ankommen, sondern ausschließlich auf die Art und Weise der Durchführung des Handels.19 Dass als Beispiel für eine solche Regelung die objektive Anknüpfungsregelung des Art. 4 Abs. 1 lit. g Rom I-VO für Versteigerungen herangezogen wird,20 vermag zwar nur wenig zu überzeugen, weil auch Art. 4 Abs. 1 lit. g Rom I-VO unter der Einschränkung steht, dass Auktionsgegenstand „bewegliche Sachen“ sind, wodurch Forderungen und andere Rechte ausgeschlossen werden. Dieser Kritik ist jedoch darin zuzustimmen, dass es keinen Grund gibt, Finanzinstrumente anders als Waren zu behandeln, wenn sie Gegenstand 16
Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 96. Lagarde/Tenenbaum, Rev. crit. DIP 97 2008, 727, 758 f. 18 Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 91. 19 Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 91. 20 Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, S. 85, 91. 17
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eines Kaufs- bzw. Verkaufsgeschäfts sind. In dieser Funktion macht es keinen Unterschied, dass sie zugleich ein „Bündel von Rechten und Pflichten“ darstellen, wie eingangs beschrieben. Vielmehr hat der Katalog an Rechten und Pflichten, den sie verkörpern, für den Kaufinteressenten die gleiche Bedeutung wie beispielsweise die Qualität einer Ware. Noch weniger verständlich wird die Unterscheidung zwischen Handelsplattformen für Finanzinstrumente und solchen für Waren angesichts des engen wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen Kassaund Terminmärkten. Daher ist im Hinblick auf die Regelungen der Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO zu Recht zu fordern, dass die Beschränkung auf Finanzinstrumente aufgehoben wird. Dagegen ist für die besonderen Kapitalmarkttransaktionen der „Wertpapieremissionen“ und „Unternehmensübernahmen“ ein besonderes Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung durchaus erkennbar, da sie möglichst schnell und unkompliziert abgewickelt werden müssen, um die mit ihnen verfolgten Ziele zu erreichen. Mit dem Massenverkauf von Waren sind diese Geschäfte typischerweise nicht vergleichbar.21 Zweifel wirft die Notwendigkeit einer solchen Ausnahme lediglich im Hinblick darauf auf, dass erstens der Kreis der potentiell anwendbaren Verbraucherrechte bereits durch die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO bedeutend eingeschränkt wird und zweitens sich der Emittent bzw. Anbieter ohnehin – zumindest wegen Art. 9 Rom I-VO – mit den Rechtsordnungen derjenigen Länder auseinanderzusetzen hat, deren Märkte er in Anspruch nehmen will. Indem sich der Verordnungsgeber dennoch für die Aufnahme dieser Ausnahmen entschieden hat, hat er die Abwägung zwischen dem Interesse an einem funktionierenden Kapitalmarkt und dem Verbraucherschutz zwar zu Gunsten des Kapitalmarkts vorgenommen. Die Nachteile für den Verbraucher daraus halten sich jedoch deswegen in Grenzen, weil auch er von einheitlich geltenden Kaufs- bzw. Verkaufsbedingungen profitiert, die zwischen ihm und den anderen (als Unternehmer handelnden) Käufern und Verkäufern keinen Unterschied machen.22
21
A.A. Wautelet, der argumentiert, dass ein Kostenanstieg infolge der Konfrontation mit mehreren Rechtsordnungen grundsätzlich kein unüberwindbares Hindernis sei, wie man an anderen Massenverträgen sehen könne: REDC 2009, 775, 786. 22 Einsele, WM 2009, 289, 295.
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Stichwortverzeichnis
Aktie 74 f., 169, 196, 198, 200, 222 Aktienzertifikat 75 Anbieter nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO 180 f. Angebot – in einem Handelssystem 116 f. – im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO 143 ff., 150 ff., 180 ff. – im Sinne der Prospekt-Richtlinie 139 f. – öffentliches Angebot 137 f., 239 ff. – öffentliches Angebot bei Neuemissionen 156 ff. – öffentliches Angebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO 146 ff., 153 ff., 181, 222 f. – öffentliches Angebot im Sinne der Prospekt-Richtlinie 141 ff., 147 f. – öffentliches Angebot im Sinne der Übernahme-Richtlinie 220 ff. Anlagevermittlung 128 Anleger 159 ff., 229, 316 f., 318 ff., 321 ff. – Anlegerschutz 36, 57, 144 ff., 147 f., 367 f. Anleihe 84 – Anleihebedingungen 46, 48 ff., 54 f., 98, 100 Aufsichtsrecht 210, 282 ff., 285 ff. Ausgabe 48 ff., 134 f., 136, 156 f. Auslegung 7 ff. – autonome Auslegung 8 ff.
– Gebot einschränkender Auslegung 19 – genetische Auslegung 20, 22 ff., 31 ff. – grammatische Auslegung 13 ff. – historische Auslegung 20 ff. – rechtsvergleichende Auslegung 29 f. – systematische Auslegung 15 ff. – teleologische Auslegung 15 ff. Barausgleich 87 ff., 93, siehe auch cash settlement Basiswert 80, 86 ff. Begebung 137 – Begebungskonsortien 162 – Begebungsvertrag 49 ff., 54 f., 168, 256, 341 bonds 3 (Fn. 20), 32 f. Börse 40, 83, 88 f., 112 f., 116, 137, 261, 271, 280 – Börseninnengeschäfte 38, 282 (Fn. 103) – Anknüpfung an das Recht am Börsensitz/Börsenort 38, 280 ff., 285 Broker 102, 195, 294 Brüssel I-VO 1, 9, 17, 21, 65, 329 Business-to-consumer (B2C) 324 ff., 340 cash settlement 88, siehe auch Barausgleich Clearing 299
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Stichwortverzeichnis
– Clearing- und Settlementsystem 300 ff., 305 ff., 309 ff. – Clearingstelle 90, 119, 275, 291, 305, 307 ff., 311 closing 111 Consumer-to-Business (C2B) 324 f., 338, 340 Daueremission siehe Emission Derivat siehe derivatives Finanzinstrument derivatives Finanzinstrument 79 ff. Derivatkontrakt siehe derivatives Finanzinstrument Differenzgeschäft 92 ff., 317 Dokumenten-Zugangs-VO 23 „Doppelnatur“ des Finanzinstruments 44 ff., 51 f., 64, 103, 358 „Drittbank“ 165 ff., 178, 166 f., 195 f. DRV 109 f. Effekten 68 f., 101 ff., siehe auch übertragbare Wertpapiere effet utile 19 Eigengeschäft 174, 177 Eigenhandel 174, 177 EMA 110 Emission 33 f., 96, 125, 134 ff. – Daueremission 135 – Emissionsbank 58, 164 ff. – Fremdemission 160 ff., 176 ff. – Neuemission 134 ff., 156 ff., 168 ff., 172, siehe auch Primäremission – Primäremission 134 – Sekundäremission 135 ff. – Selbstemission 160 f., 164, 165 ff. Emittent 45 f., 49, 70, 96, 181 ff. Entscheidungseinklang 214 f. Entstehungsgeschichte siehe genetische Auslegung – von Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO 32 ff. – von Art. 6 Abs. 4 lit. e Rom I-VO 37 ff.
– der Regelung über Finanzdienstleistungen 56 ff. Erwägungsgründe – in der teleologischen Auslegung 16 EU-Insolvenzverordnung 263, 282 EuGH 8 ff., 292, 314, 337 Eurex 113, 116 f., 284, 298, 309 EVÜ 1 f., 9, 11, 20 ff., 29, 42, 65, 280, 282, 313, 324 ff., 344 ff., 353, 356 f. Fernabsatz-FinanzdienstleistungenRichtlinie 122, 130 ff., 173 Festgeschäft 83 f. Finalitätsrichtlinie 36, 297 ff., 311 Finanzdienstleistung 55 ff., 122, 126 ff., 171 f., 173 ff., 176 ff., 183 ff., 189 ff., 295 Finanzinstrument 44 ff., 51 f., 65 ff., 95 ff., 101 ff., 104 ff., 106 ff., 108 ff. Finanzmarkt 38 ff., 41, 262 ff., 280 ff., siehe auch Kapitalmarkt Fonds 126, 149, 226 ff., 231 ff., 251 f. – geschlossener Fonds 230 f., 246 ff. – offener Fonds 230 f., 246 ff. forum shopping 9 forward rate agreement (FRA) 84 f., 89 forward 82 f., 89 Fremdemission siehe Emission Fungibilität 97 ff., 104 f., 115, 121, 247 f., 249, 360 f. future 83, 89, 117 Geldmarktinstrument 77 f. geregelter Markt 88 ff., 91 f., 265 ff., 275, 280, 284, 286 Giuliano/Lagarde-Bericht 21, 348 Glattstellung 111 ff. Grundsatz – Grundsatz der Kontinuität 20 ff.,
Stichwortverzeichnis – Grundsatz des äußeren Entscheidungseinklangs 9, 30, 286 f., 292 – Grundsatz universeller Anwendbarkeit (Universalitätsgrundsatz) 18 f., 58, 91, 95, 124, 200, 212 ff., 215, 227, 250, 266, 287, 304, 323, 364 Günstigkeitsprinzip 42 Handelbarkeit 70, 71 ff., 75, 77, 105, 115, 121, 247 ff. – einfache Handelbarkeit 73 f. – freie Handelbarkeit 73 f. – handelbare Wertpapiere nach Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO 71 ff. – handelbare Wertpapiere nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO 347 ff. – Verpflichtungen aus der Handelbarkeit 352 f. Handelsplattformen 91, 115 f., 261, 262 ff. Herkunftslandprinzip 57, 287, 368 Inhaberpapier siehe Wertpapier Intermediäre 183, 244 Investmentdreieck 253 Investmentfonds siehe Fonds Investmentvertrag 253 ff. invitatio ad offerendum 140, 151 ff., 155, 158, 202, 218 f., 336 ISDA 109, 120 – ISDA-MA 109 f. KAG 233, 255 ff. Kapitalmarkt 2 (Fn. 13), 35, 72 ff., 133 ff., siehe auch Finanzmarkt – Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes 97 ff., 206 Kassageschäft 79 Kontrahentensystem 268 Kreditderivat 92 ff. lex fori/lege fori 9, 29, 77, 215 Lieferung – effektive Lieferung 87 f., 111, siehe auch physical delivery
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market maker 102, 112 Marktbetreiber 265, 267, 286 Master Agreement 109 f., siehe auch Rahmenvertrag matching 112 f., 117 MiFID 3, 35 ff., 43, 57 f., 65 ff., 70, 72 ff., 122 ff., 131 f., 264 ff., 267, 286 f., 322 f. MiFID II 66 f., 265 (Fn. 25), 272 (Fn. 67), 274 (Fn. 73) MiFID-Durchführungsverordnung 73, 91, 102 multilateral 268 ff. multilaterales System 36, 39, 73, 88 ff., 262 ff., 305 ff. multilaterales Handelssystem 265 ff. netting 119 f., 269, 299, 308 Neuemission siehe Emission „nicht diskretionär“ 273 f. OGAW 226 ff., 231 ff., 243, 247 ff., 249 ff. OGAW-Anteil 78 f. – Rückgaberecht bei OGAWAnteilen 229 ff., 247 ff. – Rückkauf von OGAW-Anteilen 234 f. OGAW-IV-Richtlinie 251 OGAW-Richtlinie 123 f., 226 ff. Option 80 f. Optionsschein 76 opt-out 322 ff. Orderpapier siehe Wertpapier Organisationsrecht 279, 283 f. over the counter (OTC) 88 ff., 108 Pflichtangebot 211 ff. physical delivery 87, siehe auch effektive Lieferung Platzierung 127, 134, 137 ff., 151 f., 163 ff., 186 f. – öffentliche Platzierung 137 f., 157, 167 f. – Platzierungsvertrag 187 ff. Platzierungsrisiko 160 f., 162 ff. Primäremission siehe Emission
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Stichwortverzeichnis
Primärmarkt 117, 137 private-to-public 135 Privatplatzierung 138, 149 Prospektpflicht 143 ff. Prospekt-Richtlinie 122, 138, 139 ff., 143 ff., 147 f., 154 Publikum 139, 141 f., 148, 240 ff. Publikumsfonds 141 ff., 242 Qualifikation 7 f., 9, 29, 77, 257, 275 Rahmenvertrag 108 ff., 119 f., siehe auch Master Agreement Recht des aufsichtführenden Staates 283 f., 286 f. Recht am Börsenort 282, 283, 285, 290 Recht des Systems 278 ff. Rechtssicherheit 96 f., 107, 119, 133, 149, 152, 153, 183 f., 209, 241, 246, 261, 334 Rechtswahl 42 f., 100, 215, 286 ff., 296 ff. Rektapapier siehe Wertpapier Rom II-VO 1, 9, 10, 17, 150, 199 Schuldtitel 68, 75, 79 Schuldverschreibung 32, 45 f., 76, 100 f., 103, siehe auch bonds Sekundäremission siehe Emission Sekundärmarkt 117 f., 137, 187, 189 Selbstemission siehe Emission Standardisierung 69 f., 71, 102, 106, 108 ff., 111, 115, 119 f., 210 Swap 83 f., 89, 93, 95 systematische Internalisierer 271 Terminbörse 91, 114, 118 f., 274 Termingeschäft 82 f. Terminkontrakt 83, siehe auch future Transaktionskosten 33, 97, 152, 184, 216, 251 Transaktionsrecht 283, 286 Übernahmeangebot 122, 125, 205 ff., 324 ff.
– Übernahmeangebot im Sinne von Art. 6 Abs. 4 lit. d Alt. 2 Rom I-VO 212 ff. – Übernahmeangebot im Sinne der Übernahme-Richtlinie 210 ff., 212 ff. – Übernahmeangebot im engeren Sinne 212, 217 f. – freiwilliges Übernahmeangebot 212 ff. – öffentliches Übernahmeangebot siehe Angebot (öffentliches Angebot im Sinne der ÜbernahmeRichtlinie) Übernahme-Richtlinie 122, 205 ff. Überzeichnung 196 ff., siehe auch Zeichnung underwriter 165 Unternehmerbegriff 314 f., 318, 322 ff. Verbraucherbegriff 314 ff., 318 ff., 321 ff. – „passiver“ Verbraucher 333 Verbraucherschutz 20, 43, 57, 144, 313 ff., 318, 322, 328, 371 Verbrauchervertrag 312 ff. Verbriefung 72, 76, 348 ff. Vertragslösungsrecht 200 f., siehe auch Ziehungsrecht VO-Entwurf zur Rom I-VO vom 15.12.2005 (Kommissionsentwurf) 2, 31 f., 41 f. Vorfrage – kollisionsrechtliche Vorfrage 213 f., 324, 366 Vorhersehbarkeit 96 f., 133 f., 192, 359 f. Wertpapier – handelbares Wertpapier siehe Handelbarkeit – Inhaberpapier 345 – Orderpapier 345, 350 f. – Rektapapier 345 f., 351 – übertragbares Wertpapier 68 ff.
Stichwortverzeichnis Wertpapierdienstleistung 56, 127 ff., 173 f., siehe auch Finanzdienstleistung Wertpapierdienstleistungsrichtlinie 86, 127 Wertpapierliefer- und abrechnungssystem 297 ff. Wertpapierrechtsstatut 77, 345 Zahlungssystem 299 f., siehe auch Wertpapierliefer- und -abrechnungssystem
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Zeichnung 172 f. – Zeichnungsvertrag 169 ff. Zentrale Vertragspartei 112 ff., 268 ff., 275 f., 291, 294, 305 ff. Ziehungsrecht 200 f., siehe auch Vertragslösungsrecht Zielgesellschaft 206, 210 Zirkulationsfähigkeit 70 Zuteilung 196 ff.