Kant Heute: Eine Sichtung 9783486763065, 9783486763058


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German Pages 118 [120] Year 1930

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Vorwort
Inhalt
GESCHICHTLICHE PERSPEKTIVEN
KANT-PROBLEMATIK UND THOMAS-PROBLEMATIK
VON KANT ZU THOMAS
EIN AUSBLICK
Personen-Register
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Kant Heute: Eine Sichtung
 9783486763065, 9783486763058

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KANT HEUTE VON

ERICH PRZYWARA S.J. E I N E SICHTUNG

MÜNCHEN UND BERLIN 1930 VERLAG VON R. OLDENBOURG

Imprlml potest Menachii, die 25. martii 1930 Fr. X. H a y l e r S . J . Praep. Prov. Germ. Sup.

Vic. gen. Nr. 5965

Imprimatur

Monachii, die 12. m. Julii 1930 M. D u n s t m a i r , vie. gen. Fischer

Alle Rechte, einschließlich das der Übersetzung, vorbehalten Druck von R. Oldenbourg, Manchen und Berlin

Vorwort. Der Titel „ K a n t heute" sagt allgemein, daß es sich nicht um eine Einzel-Deutung Kants handelt, sondern um die Auseinandersetzung mit seiner Lebendigkeit „heute". Dieses „Heute" ist einmal personenhaft faßbar. In diesem Sinn sagt es: das Heute bestimmter philosophischer Richtungen. Es geht unter dieser Rücksicht um einen philosophiegeschichtlichen Zweck: um die Situation der inneren Begegnung zwischen Kant und Thomas von Aquin in den heutigen philosophischen Krisen und Wenden. Aber ebenso handelt es sich um ein sachliches Heute: die Problematik einer Metaphysik der analogia entis, wie sie aus allen Problemen heraustritt. Damit ist die Methodik dieser Darlegungen berührt. Sie überführen jeweils eine persongeschichtliche Situation in eine Stufe der sachlichen Problemgeschichte und münden von da aus in reine Sach-Philosophie. Der Verfasser ist in bezug auf diese Methodik Georg Simmel verpflichtet, wie er in bezug auf sachliche Analyse der Weise Edmund Husserls zu danken hat. Im Medium beider sind ihm Augustin und Thomas lebendige Meister. „Sichtung" heißt es im Titel, weil es hier nicht um minutiöse Einzel-Forschung gehen soll, sondern um Vermittlung von Sichten aus der lebendigen philosophischen Kontroverse heraus. Die Gedanken der Untersuchungen hat der Verfasser mehrfach in Vorträgen der letzten Jahre vorgelegt, so in Worms, Basel, Trier, Zürich, Freiburg. Die Auseinandersetzung mit Maréchal erschien erweitert zuerst als Kritik im „Philosophischen Jahrbuch" 1928. M ü n c h e n , Ostern 1930.

Inhalt (zugleich als Sachregister). Seite

GESCHICHTLICHE PERSPEKTIVEN 1. Parmenides—Heraklit; Johannes—Paulus; Augustinus 2. Thomas von Aquin und Kant

i—12 . . . 1 4

KANT-PROBLEMATIK UND THOMAS-PROBLEMATIK . 13—48 1. I n n e r e G e g e n s ä t z l i c h k e i t der K a n t - P r o b l e m a t i k . 14—28 im Problem der Geltung (15); im Problem der Realität (18); im Problem der Individualität (22). 2. T h o m a s - P r o b l e m a t i k v o n dieser G e g e n s ä t z l i c h k e i t aus 28—39 im Problem der Geltung (28); im Problem der Realität (31) im Problem der Individualität (35). 3. Ü b e r e i n s t i m m u n g z w i s c h e n K a n t und T h o m a s . . 39—45 in der Grundfragestellung (39). — Im Lösungsweg (42): in der Erkenntnistheorie (42); in der Metaphysik (43). 4. G r u n d g e g e n s a t z z w i s c h e n K a n t und T h o m a s . . . 45—48 im inneren Ethos (45); in der Erkenntnismetaphysik (46); in der Metaphysik einer intelligiblen Welt (46); im religiösen Antlitz (47)-

VON K A N T ZU THOMAS 49—105 1. A p r i o r i s m u s 49—75 Kritische Prüfung der Möglichkeiten (50); zwei Typen von Erkenntnistheorie (52); metaphysische Formalität (54); Gemeinsamkeit und Gegensätzlichkeit in einem apriorischen Objektivismus und finalen Dynamismus (57). — Transzendentalismus des Seins und Transzendentalismus des Ich (59); das System des methodischen Transzendentalismus (64). — Kritischer Platonismus (69). 2. T r a n s z e n d e n t a l i s m u s 75—88 Transzendentalismus-Problematik zu Kant hin (76); Kantischer Transzendentalismus (79). Schicksal und Kritik des kantischen Transzendentalismus: Idealität und Realität (81); das transzendentale Subjekt (82); die philosophische Kritik (82); die religionsphilosophische Kritik (85); Transzendentalismus Augustins und Thomas' von Aquin (86).

— VI — Seite

3. M e t a p h y s i k 88—105 Kritische Metaphysik der Endlichkeit oder Unendlichkeit in Kant (90); im Gegensatz zwischen Heidegger und Herrigel (92); Akt- und Gegenstands-Problem kritischer Metaphysik der Endlichkeit (97); Akt- und Gegenstands-Problem kritischer Metaphysik der Unendlichkeit (98); Akt- und Gegenstands-Problem der Metaphysik der analogia entis (99). EIN AUSBLICK: J . H. Newman Personen-Register

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Geschichtliche Perspektiven. [i] Zwei große philosophische Richtungen stehen sich im Aufgang europäischer Philosophie gegenüber, die eine als Erbe östlicher Weisheit und Lebenshaltung, die andere zu Keim kommender Entfaltung eines Primats des Westens: auf der einen Seite des Parmenides strenge Philosophie werdeloser jenseitiger Ideenwelt über der großen Täuschung des Werdens, Philosophierichtung wandellos ewigen Seins der Einheit, — auf der andern Seite das Panta rhei, der Allesfluß des Heraklit, die Philosophie des ewig neuen, schöpferischen Antriebs, des nur in seiner steten Bewegtheit ruhenden Rhythmus ewigen Werdens der Vielfalt. Auf der einen Seite so sehr Ewigkeitshierarchie ewiger Inhalte, daß das Leben in sie erstarrt — auf der anderen Seite so sehr Ewigkeit der lebendigen Bewegung, daß die Inhalte zu seinem formalen Rhythmus sich verflüchtigen. Gewiß zielt das Zeitalter von Piaton und Aristoteles auf eine innere Versöhnung dieses Gegensatzes, da Piaton Unsein des Werdehaften und Eigentlich-Sein des IdeativDauernden zur Einheitsform der „Teilhabe" des Ersten am Zweiten bindet und in wachsendem Maß, von der Ekstase der Frühzeit zur Besonnenheit des Alters, die seiende Ideenwelt in das Herz der werdenden Sinneswelt senkt, während Aristoteles wiederum zwar diesen innerplatonischen Prozeß bis zum Letzten führt, bis zur Auflösung der Ideen in Bewegungsprinzipien der Werdebewegung selber, indes doch so, daß hierdurch der Werde-Kosmos aus einem Bewegungswirbel zu einer Art versichtbarter Ideenwelt wird, zum Kosmos der Seinsstufen. Aber zeigt diese innere Methodik der beiden P r i y w a r a , Kant beute.

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großen Synthese-Systeme nicht selber schon, daß die beiden großen Gegensätze, Parmenides und Heraklit, sich in ihnen nur verfeinert, doch nicht überwunden haben ? Denn schwankt nicht die Entwicklung Piatons zwischen einer (Früh-) Philosophie, darin der Sinn des Werdehaften ist, kraft der „Teilhabe" in das Idee-Seinshafte aufzugehen, und einer (Spät-) Philosophie, für die die seinshafte Ideenwelt fast den Sinn erhält, in die Werdewelt sich zu versichtbaren: zwischen Erlösung zum Sein und Entlösung ins Werden ? Und gebietet bei Aristoteles nicht einer (Früh-) Philosophie, die den Weg einer Entlösung der „starren Eide" ins fließende Werden zu Ende zu gehen drängt, nicht eine (Spät-)Philosophie Halt, die wiederum denSinn desWerdens in einer werde-immanenten werdelosen Seinsstruktur sieht, von Entlösung ins Werden also zurückschwingt in Erlösung im Sein? Wird also nicht die gleitende Spannung zwischen Heraklit und Parmenides in den scheinbaren Synthesen nur zu ihrem inneren Spannungsgesetz des Auf und Nieder? Zwei ähnliche Richtungen scheinen auch im Aufgang von Christentum zu stehen. Christus der Herr ist nach dem Schlußwort des Prologs im Johannesevangelium und nach dem bekannten Wort des zweiten Korintherbriefes (4; 6) derjenige, der die „Kundgabe" Gottes ist, „den niemals jemand gesehen", in dessen „Antlitz" „Gott aufgeleuchtet ist". Das dunkle Tasten von Philosophie nach „Urgrund und Ziel der Dinge", wie die alten ionischen Philosophen die Aufgabe von Philosophie umzeichneten, dieses Tasten des „Volkes, das in Finsternis und Todesschatten saß", wird überleuchtet vom „großen Licht". Denn der „Ursprung selber" spricht. Aber das ist die letzte unvermeidbare Verhülltheit auch dieser Selbstoffenbarung „im Antlitz Jesu Christi", daß sie, wie Thomas von Aquin (in Boeth de trin. q. 6 a. 3) sagt, auch nur „in signis creatis", in geschöpflichen Zeichen zu uns redet, und so auch in deren Gespaltenheit. Es durchleuchtet sich Gefüge und Geschichte der Welt im „großen Licht", das in Christo als dem „Licht der Welt" aufgeleuchtet ist, aber in den „Spiegeln der Kreatur". So stehen sich in den Offenbarungsurkunden selber zwei Sichten dieser von Gott in Christo her durchleuchteten Welt gegenüber. Für Johannes

ist Christus der Logos, der in die Welt kommt, die jenseits leuchtende Ideen-Wahrheit, die Wirklichkeit des Fleisches wird, und so kommt die Gottesweihe über eine tastende Philosophiekonzeption, die die Welt ansieht als Niederkunft strahlender Idee-Welt, im Schimmer unveränderlicher zeitloser Wahrheit. Für den Völkerapostel des ersten Korintherbriefes aber ist Christus der große Widerspruch zu den IdeeHelligkeiten philosophischer Weisheit, der Riß in ihre wohlgefügten Gedankenreihen, auch eine Niederkunft, aber die Niederkunft der Unbegreiflichkeit des lebendigen Gottes, dessen Freiheit alle klugen Begriffsnotwendigkeiten sprengt, und es kommt auch von hier her eine Gottesweihe über eine tastende Richtung menschlichen Forschens, über jene Richtung, die bald müde, bald bitter, bald mild lächelnd den Kopf schüttelt über alle wohlgefügten Systeme, die der uneingrenzbare Stromschlag des flutenden Lebens zerreißt —, die die Liebe des Mitlebens und Verstehens (agape) über eine alles ergründende Erkenntnis (gnosis) stellt. So ist den Denkern der christlichen Zeit eine verschärfte Aufgabe gestellt: jeweilig die Mitte zu zeigen, die die Einheit zweier Richtungen bindet. Die Einheit ist gegeben von Gott her, aber der Strom des Lebens liebt es immer wieder, den einen oder anderen der beiden Wege gradlinig hindurchzustürmen. Der Weg der Mitte leuchtet von Anbeginn, aber immer wieder neu gegangen durch neue Finsternis der Extreme. In A u g u s t i n u s ist diese Aufgabe der Mitte wie in der alles entscheidenden Problemstellung in die kommenden Zeiten hineingeschrieben. Er ist auf der einen Seite unleugbar der Kirchenlehrer des Deus-Veritas, des Gott-Wahrheit und darin die christliche Spitze jener Entwicklung, die von den IdeenSpekulationen der Griechen über das platonisch-theologische Denken der alexandrinischen Schule ging: die Göttlichkeit des Logos der Ideen bis in die Theologie des Gott-Logos. Er ist aber auf der anderen Seite nicht minder der energische Anwalt des lebendigen Uraffektes der Liebe gegen deren kontemplative Auflösung (die anapausis) durch die Alexandriner, und von hier erwacht in ihm ein anderes GottesBekenntnis, das Bekenntnis zum Deus-Caritas, zu Gott-Liebe 1*



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und zur letzten Unbegreiflichkeit dieser erkenntnisüberlegenen Liebe. So wird sein Einheitswort für Gott „Deus Lux Caritas" Gott als Licht-Liebe, „Licht" das neuplatonische Wort für die alldurchdringende Macht der Wahrheit, „Liebe", das Wort für einen Primat von Leben über Erkennen — und die Einheitshaltung der Seele zu diesem EinheitsGöttlichen lautet „quiescendo operari et operando quiescere", „quiescere" „ruhen" die Haltung der Kontemplation zu den reinen Ideen, „operari" „wirken" das Wort für die aktive Unruhe der sorgenden Liebe. Aber es ist doch in Augustinus ein letztes ungeklärtes Hinüber und Herüber zwischen den beiden Richtungen, die in ihm gebändigt scheinen. Bald ist es so, als ob die wirkende Liebe ganz in weltüberlegener Seligkeit sich ins Schauen der reinen Wahrheit verlöre, bald doch so, als ob ihr feiner Sinn für das Unbegreifliche des Lebens über die helle Sicht ewiger Ordnung siegte. Es gibt sich Augustinus wie die innere Lebendigkeit unseres Problems selbst, die Lebendigkeit des Ringens, die in die kommenden Zeiten hinauswirkt.

[2] In zwei zentralen Persönlichkeiten ist das Problem, über seine Lebendigkeitsform hinaus, den Weg theoretischer Lösung gegangen: Thomas von Aquin, Kant. Was Thomas von Aquin an entgegengesetzten Richtungen vorlag, nennen wir philosophiegeschichtlich platonischen Augustinismus der Frühscholastik und Aristotelismus der Pariser Artistenfakultät. Es sind, wie der Name zu sagen scheint, philosophische Richtungen, Richtungen, von denen mithin die eine die kontemplative Ideenschau des Piatonismus akzentuiert und darin die „ewige Welt" einer reinen, wesenhaften Ordnung, während die andere sich vom aristotelischen Pathos der in sich geschlossenen Bewegung tragen läßt und an die „Werde-Welt" der fließenden Zeit glaubt. Aber das ist das besondere Stigma dieser Richtungen, daß sie beide doch letztlich Philosophie aus Theologie heraus anstreben, daß in ihnen eine bestimmte Theologie sich ihre wesensinnere Philosophie schafft. Das „credo ut intelligam"



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oder „fides quaerens intellectum" Anselms von Canterbury, des großen Altmeisters scholastischer Methode ist ihnen gemeinsam. Aber es ist eine verschieden akzentuierte Theologie. Die Theologie des platonischen Augustinismus ist die Theologie des idee-hellen Deus-Veritas, dessen symbolische Bildersprache die Welt der ideativen reinen Wesenheiten ist. Die Theologie des Neu-Aristotelismus der Artistenfakultät aber glaubt an einen Gott der unendlichen Lebendigkeit, dem darum der Mensch der ungeschwächten Lebendigkeit auch innerlich am nächsten ist, nicht der Mensch der Schau ewiger Ordnung, sondern der Mensch des Ringens ins Unendliche, nicht der besitzruhige Systematiker, sondern der suchende Aporetiker, nicht der Mensch des „Seins", sondern der Mensch des „Werdens". Thomas nun nennt die Philosophiegeschichte einen solchen Aristoteliker, der auf die Synthese von Augustinismus und Aristotelismus zielte. Was sagt das für unsere Frage? Die erste Antwort gibt uns seine Gotteslehre im Eingang seiner großen Summa. Sie ist synthetisierend, gewiß. Denn sie ersetzt den augustinischen Begriff der „Teilhabe" durch den Begriff der „Kausalität" und sie formt das aristotelische Argument aus der „Bewegung" so um, daß Gott nicht als unbewegter Beweger „für" die Bewegung erscheint, d. h. fremdzwecklich zu ihr, sondern „über" der Bewegimg als ihr jenseitiger sich selbst genügender Urgrund. Aber der Gottes-Weg ex motu, aus der Bewegung bleibt doch (und ist in den Thomasschulen geblieben) der formgebende. Thomas glaubt ganz akzentuiert an den „lebendigen" Gott der „lebendigen" Welt. Das zeigt sich nun deutlich an der Art, wie er diese Welt faßt in (subjektivem) Erkennen wie (objektivem) Sein. Welt gibt sich in ihrem Sein grundlegend nicht einem rein kontemplativen Erkennen, dem schauenden Erkennen der Ideen, sondern im energetischen Erkennen des „intellectus agens", des „tätigen Denkens", und in seinem Akt des „dividere et componere", d. h. in der analysierenden und synthetisierenden Tätigkeit blitzt ihre Wahrheit formal auf. Entsprechend ist Welt in ihrem Sein weder eine ruhende Bildwelt reinen Soseins, noch auch absolute Bewegung, sondern das Bewegungs-Spannungs-Eins des dauernden Soseins im bewegten Dasein. Sie ist weder rein daseiendes

Sosein noch Sosein als rein flüchtiger Ausdruck selbstzwecklichen Daseins in seinem reinen Fließen, sondern die Spannung von Sosein zu Dasein, Sosein über Werden und Sosein in Werden, Sosein in-über Dasein. Darin aber ist sie ein Doppeltes: auf der einen Seite bewegungshafte Werdespannung im Sinne der Akzentuierung der Kreatur als der immer „in potentia", in Werdehaftigkeit, befindlichen gegen Gott als den „actus" schlechthin, das werdelose Ist; auf der andern Seite aber eigenwirksame Werdespannung, d. h. nicht (wie es der reine Aristotelismus wollte) als das innere „in potentia" zum göttlichen „actus", sondern als relativ eigenständigeigenwirksamer „actus in potentia", eigenwirksame Wirkursache, causa secunda. Kraft dieser inneren Korrelation zwischen geschöpflich eigenwirksamen Erkennen zu geschöpflich eigenwirksamen Sein rückt aber nun folgerichtig der „lebendige" Gott in betonte transzendente Höhe über die „lebendige" Welt. Denn da weder geschöpfliches Erkennen noch geschöpfliches Sein Seine wesenlose Erscheinung sind, so ist ihre Bewegung zu Ihm nicht ein umgreifendes und begreifendes Besitzen Seiner Nähe und Begreiflichkeit, sondern Gott wächst für das sich nahende Geschöpf (wie Thomas das im Kommentar zu Boethius de trinitate darlegt) aus der Ähnlichkeit mit geschöpflichen Inhalten in die betonte Unähnlichkeit und Geschiedenheit, durch den Deus notus in den Deus tamquam ignotus, in den „unbekannten Gott" der Unbegreiflichkeit, und die Bewegung des Geschöpfes zu Ihm wird folgerichtig betontes „in potentia", Werden „ins Unendliche". So ist für Thomas ein Doppeltes bezeichnend: auf der einen Seite eine klare Ordnung der geschöpflichen Seinsstufen und eine Ordnung der klaren Unterordnung von Geschöpf unter Gott, auf der anderen Seite aber eine solche innergeschöpfliche Ordnung, die überall in das unauflösliche Spannungsgeheimnis des „actus in potentia" rückführt, und eine solche Ordnung zwischen Geschöpf und Gott, die letztlich das endlose Hinaufgespanntsein des zu Gott hin bewegten Geschöpfes besagt, vom „Deus notus" der Begreiflichkeit in Symbolen zum „Deus tamquam ignotus" jenseits Symbolen. Es ist Harmonie, die aber kraft ihres letzten Geheimnisses Harmonie in Bewegung ist, Einheit in Rhythmus, Parmenides

einkomponiert in Heraklit, Piaton leuchtend in Aristoteles, Johannes-Logos offenbart in Paulus-Agape: das Gottes-All der idee-durchleuchteten lebendigen Liebe. Aber das ist das Schicksal menschlicher Einheitsbauten, daß die Meister enden in den Streit der Schüler. In Thomas sind noch in Eins gebunden das Echte schauenden Augustinismus einer Betonung des ruhenden Erkennens und wirkfreudigen Aristotelismus der Unterstreichung bewegten Suchens und Ringens. Denn wenngleich für Thomas der Wille wie eine direkte Auswirkung des Erkennens erscheint, so trägt doch dieses Erkennen kraft seines betont energetischen Charakters selber so etwas in sich wie eine Einheit von Erkennen und Wollen. Aber die beiden Schulen, die nach dem Tode des Aquinaten sich scharf gegenüberstehen, Thomismus und Skotismus, teilen die Einheit unter sich auf. Für den Thomismus wird, kraft seiner Lehre vom direkten Erkennen der Allgemeinwesenheiten, vom Individuellen als Qualifikation des Allgemeinen (individuum de ratione materiae) und von der Realgeschiedenheit (nicht nur Realverschiedenheit oder Real-Spannung) zwischen ewigem Sosein und bewegtem Dasein, für ihn wird kraft solcher Uberbetonung ruhender ewiger Einheit gegenüber der Bewegtheit eines All der realen Individuen die Welt üA Grunde genommen wieder augustinische ewigkeitschimmernde Bildwelt des verehrenden Anschauens. Die Entscheidung fällt für Parmenides gegen Heraklit, für den johanneischen Logos vor der paulinischen Agape. Im Skotismus hinwiederum führt die Lehre von der Realidentität zwischen Sosein und Dasein, die weitere vom betont formalen Charakter des Denkens und endlich der grundsätzliche Primat des Willens über das Erkennen und die darin beschlossene Selbstmächtigkeit einer in sich selbst gründenden Freiheit zu einem Gottes-Welt-Bild des Lebens der Welt als unbegreiflich bewegt durch die imbegreifliche Lebendigkeit der absoluten Freiheit Gottes: Lebendigkeitsbewegung um ihrer selbst willen. Die Entscheidung geht für Heraklit gegen Parmenides, für die erkenntnisüberlegene paulinische Agape vor dem johanneischen Logos. Geformte Einheit (im Thomismus) steht gegen geballte Unendlichkeit (im Skotismus).



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Thomismus und Skotismus, bei allen scharfen Unterschieden zueinander, sind geeint durch das gemeinsame Bekenntnis zur seinshaften analogia entis: Gott alles, aber nicht alles allein, und darum das Geschöpf ein „Eigen von Gott her", aber nicht wesenlose Selbsterscheinung Gottes. So baut sich eine Hintergrundseinheit in ihre Vordergrundsverschiedenheit behütend ein. Aber das ist das verhängnisvolle Schicksal der Spätscholastik, daß dieses Bollwerk zu wanken beginnt, bis es in der Reformation, in der Alleinwirksamkeitslehre Luthers, einstürzt. Es entsteht auf der einen Seite (in den Irrgängen des Nominalismus) eine solche Übersteigerung der Eigenmächtigkeit der Vernunft, daß sie das Richteramt über den Glauben in Anspruch nimmt. Aus einem gottunterworfenen relativen Primat des Erkennens wird die Absolutheit des Rationalismus. Auf der anderen Seite (in den Irrgängen des voluntaristischen Spätskotismus) aber übersteigert sich das Moment der unbegreiflichen Freiheitslebendigkeit Gottes gegenüber der Welt so, daß alle geltende Wahrheit, philosophische wie theologische, sich in den Funktionalismus eines unbegreiflichen rein faktischen blinden Willens des „sie jubeo" „so gefällts mir"! auflöst. Aus einem relativen Primat des Freiheitswillens wird die Absolutheit des Irrationalismus. Damit aber ist die entscheidende Position der Reformation bereits innerlich vorbereitet. Denn in ihr schneiden sich zwei Tendenzen. Die eine — in äußerster Durchführung des Irrationalismus des Spätskotismus — führt allen Inhalt auf die Alleingöttlichkeit des irrationalen Akt-Erlebens zurück, die Glaubensgegenständlichkeit auf die reine Glaubenszuständlichkeit: im irrationalen Akt der VerdammungBegnadimg ist Gott das Alles-Allein des Menschen. Aber indem in eben dieser Lehre sich das individual gott-erfahrende Subjekt, gestützt auf die Einsicht solcher Erfahrung, gegen die überlieferte, die Unterwerfung aller Einsicht fordernde Theologie der Kirche erhebt, setzt im Irrationalismus des reinen Zustandsglaubens bereits jene Richtung ein, die in den folgenden Jahrhunderten das Alles-Allein des Gottes der Heilsgewißheit in das Alles-Allein göttlicher VernunftHumanität wandeln wird. Trägt die erste Richtung ein solches Gott-Mensch-Eins als letztes Formprinzip in sich, darin alles

Geschöpfliche in die (theopanistische) Irrationalität eines alleinwirksamen Gottes von Gericht-Barmherzigkeit aufgeht, so zeigt sich das Gott-Mensch-Eins der zweiten Richtimg als eine solche, darin Gott, der über alle Einsicht Transzendente, in die vergöttlichte Vernunfteinsichtigkeit „reiner Humanität" entwird. So entsteht, von religiöser Wurzel aus, das schärfste Gegensatzpaar, das von nun an die Neuzeit durchschneidet: Erlebnis-Irrationalismus bis zur Leugnung von geltender Wahrheit überhaupt, Rationalismus der Ableitung aus ersten Prinzipien bis zum Idealismus der Auflösung von Realität überhaupt. Von hier aus, von der Übersteigerung des in der Einheit der analogis entis gebändigten Gegensatzes von Thomismus und Skotismus über den aufgerissenen Gegensatz von Nominalismus und Spätskotismus durch den unheilbaren Riß von Rationalismus und Irrationalismus in der Reformation zum Widerspruchschaos zwischen a-rationalem Empirismus und apriorischem Rationalismus der Neuzeit — von hier aus haben wir den Blick zum zweiten Einigungsversuch, zu Kant. Wir sind gewohnt, K a n t s entscheidenden Standpunkt, nach seinen eigenen Worten, in seiner „kopernikanischen Wendung" zu sehen, von einer Richtung des Menschen auf die Welt, darin sein Erkennen die Gesetze von ihr empfängt, zu einem Gerichtetsein der Welt durch den Menschen, darin der menschliche Verstand der Natur die Gesetze gebe. Das ist offenbar zunächst nicht zu verstehen im Sinne einer anthropozentrischen Schichtimg von Welt um den Menschen als ihren Mittelpunkt. Denn Kant könnte sonst zunächst nicht sprechen von einer „kopernikanischen Wendung", die ja gerade, im Gegensatz zur ptolemäischen Zentrierung des Weltalls um die Mensch-Erde, die Mensch-Erde als ein Teilchen neben Teilchen im übergeordneten Ganzen des Weltlalls begreifen lernen wollte. Es stimmt aber auch nicht zu dem betont skeptischen oder wenigstens kritisch-begrenzenden Sinn von Kants „der Mensch als Gesetzgeber der Natur", der eine vom Menschen geformte Welt behauptet, weil er das Erfassen des „an sich" der Welt leugnet. Auf der andern Seite aber, wie sowohl die „Metaphysischen Vorlesungen" als der Sinn des Anstiegs von der reinen Kritik der „Kritik



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der reinen Vernunft" zum Syntheseversuch der „Kritik der Urteilskraft" zu verdeutlichen scheint, bleibt (und verstärkt sich sogar) der gewohnte Sinn des „Mensch als Gesetzgeber der Natur". Denn nicht nur wird für Kant in wachsendem Maß die „eigentliche Welt" zu einer Formeinheit zwischen „sensibler Welt" als Materie und „intelligibler Welt" als Form, sondern es baut sich auch der tiefere Grund des früheren scheinbaren Skeptizismus heraus: die Lehre von der Rezeptivität des Menschen als der inneren Eingrenzung, Hemmung und Schwächung der an und für sich göttlichen Spontaneität (Deus in nobis!) des reinen Denkens. Denken als reine Spontaneität ist ding-schöpferisch. Es erkennt die „Dinge an sich", weil und insofern sie seine Schöpfung sind. Aber diese Spontaneität des „intellectus archetypus" ist im Menschen durch und durch in Rezeptivität getränkt, und so besagt das ursprüngliche „Gesetzgeber der Natur" im Menschen gleichzeitig jene obige Grenzenziehung und Versagung. So bekommen wir den Blick frei in den eigentlichen Sinn der Lösung Kants. Gegenüber den auseinandergerissenen Extremen eines Empirismus, der die Spontaneität des Denkens leugnet und seine Rezeptivität allein behauptet, und eines Rationalismus, der nur Spontaneität kennt, zielt Kant ebenso wie früher Thomas auf eine Einheit beider. Aber zwischen Thomas und Kant liegt die verhängnisvolle Auflösung des Gott-Geschöpfverhältnisses der analogia entis in die reformatorische Alleinwirksamkeit. So wird nicht, wie bei Thomas, die innere Spannung zwischen Spontaneität und Rezeptivität im Denken des Menschen zu einem Übersich-hinaus-weisen zur Allein-Spontaneität Gottes, sondern die innermenschliche Spontaneität ist das Göttliche selbst. Die innere Spannung zwischen Spontaneität und Rezeptivität ist die Spannung zwischen Gott und Geschöpf im Einen Menschen. Damit aber entsteht aus Spannung, die sich zu Einheit harmonisch schließt, der aufgerissene, unüberbrückbare Gegensatz, wie ihn die Alleinwirksamkeitslehre zwischen Gott und Geschöpf fordert, der Gegensatz zwischen dem AlleinHeiligen und dem Immer-Sünder. Eis entsteht die typisch kantische Lehre vom „unendlichen Progreß". Das Göttliche



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im Einen Menschen ist das „transzendentale Subjekt" oder „transzendentale Ideal", zu dem das „empirische Subjekt" immer nur hinstrebt, ohne es erreichen zu können, ja zu dürfen, da an diesem unüberbrückbaren Gegensatz, wie Artur Liebert sich ausdrückt, das Wesen des „transzendentalen Subjekts" hängt, seine ideale Gegensätzlichkeit zum empirischen. So wird also die Einheit von Spontaneität und Rezeptivität zum tragischen Widerspruch im Menschen selber. Sie sollen eins sein, aber ihre Einheit besteht in ihrer schärfsten Distanz. Diese Distanz steigert sich dann noch, wenn wir vom Denken zum Wollen gehen und von da aus zu den letzten Einstellungen. Denn im Wollen wird Spontaneität zur absoluten Autonomie des transzendentalen Charakters, während Rezeptivität sich in die restlose Pflichtgebundenheit des empirischen Wollens steigert. Spontaneität steigt an bis zur Souveränitätshöhe jener völlig grundlosen, selbstmächtig in sich selbst ruhenden Freiheit, wie sie Occam Gott zuschreibt, während Rezeptivität nun ganz ausdrücklich die Züge des lutherischen immer nur „getriebenen" Sünderwillens annimmt. So kommt dann jener furchtbare Widerspruch zustande, der in den letzten Tiefen des kantischen Menschen aufgähnt: die olympische „göttliche Humanität" und das unausrottbar „RadikalBöse", Gott und Teufel als der Eine Mensch. Für Thomas steht Gott über dem Menschen, und darum schwingt, geborgen in der Hinordnung zu Ihm, der innerlich gelöste Mensch zwischen Empfangen und Tun als den zwei in sich positiven Seiten seines geschöpflichen Wesens. Für Kant ist Gott als „Humanität-Gott" in den Menschen gebannt, Deus in nobis, und darum muß das Schwingen zwischen Empfangen und Tun auseinanderreißen in den urlutherischen Gegensatz des „Gerichtes", des Gerichtes der unnahbaren Göttlichkeit über die gott-sein-wollende Geschöpflichkeit, Verdammungsgericht des „Gott allein" über den inneren Erbsünder. Es ist Einheit, aber Einheit unheilbarer Tragik. Wohl ist es, wie bei Thomas, Einheit akzentuierter Bewegung, da dem „actus in potentia" oder „motus" oder „appetitus naturalis" des Aquinaten in Kant der „unendliche Progreß" unter dieser Rücksicht entspricht. Aber, weil bei Kant Gott als Grenzidee dieser Bewegung in die Sphäre des Geschöpflichen prak-



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tisch gebannt ist, so ist es nicht, wie bei Thomas, eine in sich harmonisierte Bewegung, darinnen sich die transzendente Unendlichkeits-Lebendigkeit Gottes offenbart, Gottes, des Ewig-Lebendigen Gleichnis in der Zeit-Lebendigkeit der Kreatur —, sondern es ist der jäh hin und zurück zuckende Sturm des Gott-gleich-sein-wollens in seinem ständigen Anstieg und Absturz —, nicht Lobgesang der Gelöstheit des Dienenden, sondern Tragik des Titanen. —

Kant-Problematik und Thomas-Problematik. [i] Es sind drei Probleme im Grunde, die das kantische Denken beschäftigen, die aber auch allgemein das Rückgrat aller Philosophie bilden: das Problem der Geltung, das Problem der Realität, das Problem der Individualität. Das erste, was der forschende Menschengeist fragt, ist: Gibt es überhaupt in dem ganzen Fluß der Meinungen ein absolut Wahres ? Diese Frage enthüllt das Problem der Geltung, d. h. geltender Wahrheit. Das zweite, wozu diese Frage fortschreitet, geht auf das Beziehungsverhältnis dieses „Wahren" zu der Welt der Wirklichkeit: Sind die geltenden Wahrheiten ein Reich für sich oder sind sie nur ein Ausdruck für das, was man nennen kann „die Wesenheiten des Wirklichen" ? Diese zweite Frage enthüllt das Problem der Realität. Aber damit ist unmittelbar die dritte Frage aufgerissen: Wie stehen nun solche allgemeingültige Wahrheiten oder allgemeine Wesenheiten zu jenem Aspekt des Realen, der uns das Realste scheint, zur konkreten individuellen Verschiedenheit und Vielfalt des Realen ? So enthüllt die dritte Frage das Problem der Individualität. In allen drei Fragen gingen die vor Kant herrschenden Philosophien schroff auseinander. Im ersten Problem, dem Problem der Geltung, standen sich gegenüber ein apriorischer Rationalismus und ein rein aposteriorischer Empirismus, d. h. auf der einen Seite eine Philosophie, für die „Wahrheit" ein in sich Schwebendes besagte, das in der einsamen Tiefe des Geistes, ohne Beziehung zur Erfahrung der Wirklichkeit, aufleuchtet — auf der andern Seite eine Philosophie, für die „Wahrheit" nichts weiter bedeutete als begrifflicher Ausdruck für sich-wandelnde Sinneseindrücke und darum wandel-

— 14 — bar wie diese und durch diese. Beide Richtungen setzten sich in den zwei folgenden Problemen eigentlich nur fort. Denn wenn gemäß der ersten Richtung, der eines apriorischen Rationalismus, es so etwas gibt wie ein Reich der in sich schwebenden Wahrheiten oder Ideen, dann ist folgerichtig dieses Reich der Unwandelbarkeit und Klarheit die „eigentliche Wirklichkeit" und die konkrete Wirklichkeit unserer Erfahrung nur Scheinwirklichkeit. Mit anderen Worten: für die zweite Frage, das Problem der Realität, erscheint als Antwort ein System einer sogenannten „rationalen Realität", und für die dritte Frage, das Problem der Individualität, als Antwort das Schlußsystem einer „Allgemein-Realität", d. h. die konsequente Ausschließung der Realität der naiven Erfahrung. Gibt es aber, gemäß der zweiten Richtung, der eines aposteriorischen Empirismus, nur so etwas wie eine beständig wechselnde Sinneserfahrung einer beständig wechselnden Realität, dann ist folgerichtig jegliche Anbahnung einer sogenannten Erkenntnis „wesenhafter Wirklichkeit" Illusion oder wenigstens eine, vielleicht pragmatisch, d. h. zu bestimmten praktischen Leistungen nützliche oder auch notwendige Fiktion. Mit andern Worten: für die zweite Frage, das Problem der Realität, gibt sich als Antwort ein systemloses „Erleben" letztlich unerforschlicher Realität, und für die dritte Frage, das Problem der Individualität, der konsequente Relativismus und Historismus, systemloses Nebeneinander und Nacheinander individual beschränkter Einzelerfahrungen. In ein Symbol gefaßt: Wolff und Hume stehen sich radikal gegenüber. Kants Lösung demgegenüber läßt sich in das Wort fassen: Einheit im „transzendentalen Subjekt" oder schärfer: Einheit als „transzendentales Subjekt". „Subjekt" besagt eine Akzentuierung der Erfahrungswelt: eine Erfahrungsgröße, der Mensch, ist die Einheit des Weltzwiespaltes zwischen idealer und realer, allgemeiner und individualer Welt. „Transzendentales" Subjekt aber (im Gegensatz zu „empirischem Subjekt") hebt diese Erfahrungsgröße doch wieder über das Zufällige von Erfahrung hinaus und schließt insofern eine Akzentuierung der apriorischen Geltungswelt des Rationalismus ein: das Subjekt derWelteinheit ist nicht der einzelne, konkrete

— 15 — Mensch, sondern vielmehr der „Mensch an sich", die vordem rein kulturelle Größe der „Humanität" als philosophische Größe. •

I m P r o b l e m d e r G e l t u n g . — Die Frage des Problems der Geltung lautet: Wie ist es zu erklären, daß unsere Urteile auf der einen Seite notwendig auf ein schlechthin Geltendes, auf „absolute Wahrheit" gehen, daß auf der andern Seite aber diese „absolute Wahrheit" nichts weiter zu sein scheint als der jeweilige Ausdruck des Sichdurchdringens von zufälligen Eindrücken und Einwirkungen der Außenwelt mit den persönlichen Einstellungen und Gestimmtheiten des erkennenden und urteilenden konkret individualen Ich ? Das ist zunächst der Sinn der kantischen Frage: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?", „synthetische" Urteile, d. h. Erfahrungsurteile, aber „a priori", d. h. Erfahrungsurteile, die schlechthinige, d. h. absolute Geltung beanspruchen. Für Kant ist beides selbstverständliche Voraussetzung, erstens daß es absolute Wahrheit gibt, zweitens aber auch, daß sie in und durch konkrete Erfahrung aufleuchtet. Seine Frage geht nach dem Wie, d. h. nach dem inneren Grund dieses gegensätzlichen Ineinander, und als inneren Grund dieses Ineinander nennt er das „transzendentale Subjekt". Es ist das Geheimnis des Menschen, daß er selber die Einheit ist zwischen „intelligibler Welt", d. h. der Welt absoluter Wahrheit, und „sensibler Welt", d. h. der Welt wandelbarer Erfahrung. Darum ist er der „Gesetzgeber der Natur", ja so etwas wie der „Demiurg", d. h. der beständige Schöpfer des Gegensätzlichen zur Einheit, in „unendlichem Progreß", Menschheit im Menschen. Diese neue Einheit aber wird doppeldeutig, und das Schicksal dieser Doppeldeutigkeit zum tragischen Schicksal der Lösung selber. Der „Mensch" als Einheit kann einmal mehr nach der Seite konkreter Menschheit verstanden werden und diese Auffassung entspricht zweifellos einer Seite der kantischen Lösung, jener nämlich, in der sie gegen das abstrakte „an sich" des zeitgenössischen Rationalismus die lebendige



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Konkretheit des Denkens betonte: ein subjektives Apriori gegen ein abstrakt objektives Apriori. Aber eben dieses subjektive Apriori verleitet fast zwangsweise, Schritt für Schritt, dazu, die objektiven Beziehungen zwischen objektiven Denkinhalten rein als „Ausdruck" subjektiver Denkgesetze zu fassen. Es entsteht, als erstes Stadium (vielleicht schon, wenigstens stellenweise, bei Kant selber), ein sozusagen f u n k t i o n a l e r L o g i z i s m u s , d. h. eine Auffassung, nach der das Objektive der Denkinhalte nur das Objektive formaler Denkgesetze ist, nicht Objektivität letztlich, sondern Objektivation. Aber, in der inneren Konsequenz des Gedankens, hält dieses Stadium (das etwa Salomon Maimon darstellt) nicht vor. Ist einmal der Akzent auf das formale, subjektive Denken gelegt, so wird notwendig aus einem anfänglichen Logizismus bald ein eigentlicher Psychologismus. Die sogenannten objektiven Denkgesetze erscheinen letztlich als Gesetze der natürlichen organischen Konstitution des Menschen, und es öffnen sich wie von selber zwei Entwicklungsmöglichkeiten des Gedankens: zunächst (das ist noch ein letzter Rest von Objektivität) der Psychologismus einer Typenlehre des Denkens (wie etwa bei D i l t h e y und Simmel), dann aber der eigentliche Psychologismus einer Auflösimg logischer Denkgesetze in Gesetze des psychophysischen Organismus, und schließlich einer Auflösung von Denken überhaupt in ein höheres sinnliches Allgemeingefühl (im S e n s i s m u s der Mitte und des Ausgangs des vorigen Jahrhunderts), das zum Beschluß (in der Freudschen Denklehre) sogar nur noch als „Sublimation" rein biologischer Zustände erscheint. Damit aber ist, wie in gradliniger Entwicklung eines echt kantischen Grundgedankens, ein Stadium erreicht, das den schroffsten Widerspruch zu jener kantischen Grundtendenz besagt, in der für ihn die „intelligible Welt" als die eigentliche Welt gegen die „sensible Welt" strahlt, die Welt, die von den Kategorien der „reinen Vernunft" und den Postulaten der „praktischen Vernunft" aus wenigstens asymptotisch als die „wahre Welt" vor der Seele des Begründers des deutschen Idealismus strahlt, d. h. jenes Systems, dessen innerste Richtung es ist, von der Welt der Sinne weg in die reine Welt des Geistes vorzustoßen.

— 17 — Versuchen wir also, dieser Seite gerecht zu werden. Der „Mensch" als „Einheit" muß in der Tat, wie wir bereits in den einleitenden Bemerkungen sahen, nicht als der einzelne, empirische Mensch verstanden werden, sondern als der „Mensch des Menschen", als der „reine Mensch", der „Mensch an sich", die „Humanität" in erkenntnistheoretischem Sinn, d. h. als „transzendentales Subjekt". Es ist jene Seite der kantischen Lösung, in der Kant dem sensistischen Empirismus seiner Zeit gegenübersteht, in der er das „Objektive an sich" der Denkinhalte betont, in der er Wahrheit nicht anders kennt denn als „absolute Wahrheit". Insofern ist wahrhaft in Kant grundgelegt jene energische Reaktion des N e u k a n t i a n i s m u s der Marburger Schule gegen allen Psychologismus, d. h. gegen jene Auflösung der Denkinhalte in Symbole von Lebensvorgängen, wie sie sich eben als Folge des „subjektiven Apriori" ergab. Von hier aus ist demnach die Marburger „reine Methode" nicht ein erster Schritt zur Auflösung des „Inhaltlichen", sondern vielmehr der Anfang des Gegenschrittes gegen solche Auflösung, d. h. der Anfang jenes „Objektivismus", der im strengen Objektivismus der P h ä n o m e n o l o g i e seinen Höhepunkt erreicht hat. Zuerst ist es gegenüber einem relativistischen Psychologismus, die Objektivität der „Methode" des Denkens, die „allgemeingültige" und „an sich gültige" „reine Methode", die dann in der Vollendung des Kampfes gegen den Psychologismus durch Husserls „Logische Untersuchungen", sich vollendet in die Objektivität der Denkinhalte selber, in das Absolut-Objektive der „reinen Wesenheiten", denen gegenüber alles Denken nun nur noch „Schauen" ist. Ins Breite aber geht diese Richtung des „Logisch-Objektiven" sowohl in der neueren D e n k p s y c h o logie, die, entgegen dem älteren Sensismus, geradezu auf das Ziel eines sinnenfreien, „reinen Denkens" hinstrebt, wie in der dem Freudschen Biologismus scharf entgegengesetzten Ad ler sehen Individualpsychologie, die, umgekehrt wie Freud, das Sensistische und Biologische fast nur als Symbol geistiger Erkenntnis- und Strebensrichtung (der „Sinnziele" des Menschen) faßt. Es ist also, von dieser zweiten Richtung der Kantischen Lösung aus, der neuere Objektivismus, so sehr er sich (vor allem in der Phänomenologie) als „Kant-Gegner" P r x y w a r a , Kant h e u t e .

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fühlen mag, in Wahrheit nur eine folgerichtige Entwicklung Kants. Aber gerade als diese folgerichtige Entwicklung Kants gesehen, reißt diese Richtung den Urzwiespalt der Kantischen Einheit von der umgekehrten Seite wie vorhin her auf. Denn diese Entfaltung des kantischen Objektivismus endet schließlich in einer Lehre, für die das Denken kontemplative Schau schlechthin „gegebener Wesenheiten" ist. Das aber steht in schroffem Widerpruch zu der Lehre Kants von der Aktivität und Spontaneität des Denkens. Wir sehen also den Widerspruch, der sich uns vorher von der Seite des „subjektiven Apriori" aufhüllte, von seiner andern Seite. Der folgerichtig entfaltete Objektivismus Kants widerspricht dem ebenso folgerichtig entwickelten subjektiven Aktivismus seiner Spontaneität. Mit andern Worten: die heutigen schroffen Gegensätze zwischen aktivem Subjektivismus und passivem Objektivismus im Problem der Geltung sind nichts anderes als der aufgerissene innere Widerspruch der Kantischen Lösung selber. *

Im P r o b l e m der R e a l i t ä t . — Die Frage des Problemes der Realität lautet: Wie ist es zu erklären, daß auf der einen Seite die sogenannte „Wirklichkeit", von der wir sprechen und mit der wir rechnen, in entscheidenden Punkten ein Gebilde ist, das erst durch unser denkendes Bearbeiten entsteht, also so etwas wie eine „rationale Realität" — daß auf der anderen Seite aber gerade dadurch „Wirklichkeit an sich" der Erkenntnis in steigendem Maß sich entzieht, also schließlich geradezu so etwas wird wie das „Gegen-Rationale", das „ignotum X", die „unbekannte Welt", bis zum „irrationalen X" einer „chaotisch-dämonischen Welt" ? Diese Frage führt uns in den tieferen Sinn der Kantischen Frage „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?", in jenen Sinn, der das Problem der Erkenntnis der Wirklichkeit selber angeht: Wie ist es möglich, daß wir Wirklichkeit „rational" erkennen können, d. h. durch das Atomistische und Chaotische reiner Sinneseindrücke hindurch, Wirklichkeit in ihren Wesenstrukturen — und daß wir dabei doch „Wirklichkeit" erkennen, d. h. nicht unsere Erkenntnis erkennen, sondern

— 19 — Welt und Leben, die unserer Erkenntnis als Gegenstände gegenüberstehen? Für Kant ist wiederum beides selbstverständliche Voraussetzung: erstens daß unser Erkennen auf „Wirklichkeit an sich" geht, zweitens aber ebenso, daß solches Erkennen Wirklichkeit „rational" forme. Seine Frage geht nach dem Wie, d. h. nach dem inneren Grund dieses gegensätzlichen Ineinander, und als inneren Grund dieses Ineinander nennt er wiederum, in tieferem Sinn, das „transzendentale Subjekt" . Es ist das tiefere Geheimnis des Menschen, daß er in seiner „Idee", also in „Humanität an sich", der reale Mittelpunkt von Wirklichkeit ist. Welt ist sinngerichtet auf den Menschen und darum bedeutet ihr Geformtwerden im und durch das „Denken an sich", d. h. durch die „reinen Kategorien" menschlichen Denkens, bedeutet dieses „Schaffen von Wirklichkeit" letztlich nicht einen Gegensatz zu „Wirklichkeit an sich", sondern deren Erfüllung. So ist es erklärlich, daß für Kant ein existentielles Bestehen von „Dingen an sich", d. h. von Wirklichkeit außerhalb des menschlichen Denkens, Selbstverständlichkeit ist — daß aber ebenso diese „Wirklichkeit vor dem Denken" für ihn keinerlei Bedeutung hat und kaltlächelnd als „ignotum X" bezeichnet werden kann. Sie muß geradezu solch „ignotum X " sein, weil sie „an sich" nur Chaos ist, das im und durch den Menschen erst seine innere Form erhält: Welt wird im und durch den Menschen als ihren „Demiurg", in „unendlichem Progreß", Welt durch „Menschheit im Menschen". Diese neue Einheit wird nun wiederum, wie im Problem der Geltung, doppeldeutig, und das Schicksal dieser Doppeldeutigkeit zum tragischen Schicksal der Lösimg selber. Das Lösungswort „Welt im und durch den Menschen" kann einmal den Akzent auf „im und durch den Menschen" tragen, und diese Auffassung entspricht unleugbar einer Seite der kantischen Lösung, ja gerade derjenigen, die für das populäre Verständnis Kants fast als „die" kantische Lehre erscheint. Es ist die Wirklichkeitslehre des d e u t s c h e n I d e a l i s m u s , für den die sogenannte „rationale" oder „ideale" Realität die schlechthin einzige Realität ist. Für den deutschen Idealismus in der Entwicklung von F i c h t e zu Hegel wird in wachsendem Maße reale Welt zur Dialektik 2«



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der reinen Idee, die nicht nur im Ich aufgeleuchtet ist, sondern letztlich das Ich ist: die reine Idee als absoluter Geist, d. h. als das transzendentale Subjekt. Für den deutschen Idealismus aber in der Form des Marburger und badischen Neuk a n t i a n i s m u s ist auch diese Realität der Welt noch ausgelöscht zugunsten der alleinigen Realität der reinen Methode bzw. der reinen Werte. Die ,.rationale Realität" ist aufgegangen in die „reine Rationalität", die „ideale Realität" in die „reine Idealität" der Methode bzw. Wertung. Damit aber ist, in gradliniger Entwicklung eines echt kantischen Grundgedankens ein Stadium erreicht, das in unversöhnlichem Widerspruch zu jener kantischen Grundtendenz steht, in der Kant, gegenüber allem „von oben" konstruierenden Rationalismus, der empirischen Erfahrung ihr Recht geben wollte, jener Grundtendenz, in der für ihn die Existenz einer transsubjektiven Realität selbstverständliche Voraussetzung besagt und die Lehre von den Kategorien geradezu eine Art Herabsetzung des menschlichen Denkens bedeutet, seine Degradierung zum Erkennen eines Aspektes von Welt nur. nämlich der „Welt für mich" und das Versagtsein einer stolzen Erkenntnis der „Welt an sich". Mit anderen Worten: die Entwicklung des Kant der „idealen Welt" widerspricht dem Kant des „Ich mußte das Wissen aufheben . . . " Versuchen wir also, dieser anderen Seite gerecht zu werden. Das „Welt im und durch den Menschen" muß in der Tat, in einer Akzentuierung des „Welt . . .", zum mindesten „auch" als Hinausragen einer „Welt an sich" über alle rationale oder kategoriale Erfassung und Einfassung verstanden werden. Es entsteht dann jene Entwicklung zunächst, die den gemeinsamen Namen eines I r r a t i o n a l i s m u s tragen könnte und die darin von Kant selber in etwa angebahnt ist, daß gerade für ihn erst durch die „praktische Vernunft", d. h. durch Willenserlebnisse, eine Art Durchbrechung der strengen Schranken der „reinen Vernunft" sich, wenigstens anbahnend, vollzieht: „ich mußte das Wissen aufheben um des Glaubens willen". Mit anderen Worten: es ist die Entwicklung von der irrationalen Intuition S c h o p e n h a u e r s (für den darum auch der „Wille" das eigentliche „Ding an sich" ist) über N i e t z s c h e zu B e r g s o n s vitaler Intuition.



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Aber auch die parallel gehende Entwicklung, in der die mächtig anwachsende p o s i t i v e W i s s e n s c h a f t sich ebenso anwachsend gegen den deutschen Idealismus der „reinen rationalen Idealität" empört und (bis zur weltanschaulichen Konsequenz des M a t e r i a l i s m u s ) geradezu als „wahre Realität" ansieht, was ein Minimum von „Rationalität" in sich trägt, auch diese Entwicklung ist kantgeboren, aus dem Kant des „ich mußte das Wissen aufheben . . ." Und endlich (was das Paradoxe dieser Entwicklung zum höchsten steigert) auch jene phänomenologische „Überwindung des systematischen Kant", wie sie am eindruckvollsten das Stigma des letzten Jüngers des Marburger Neukantianismus, N i k o l a i H a r t m a n n s , ist, enthüllt sich, vom Ausgangspunkt des Kant der Wissenseinschränkung aus, als eigentlich Kantentfaltung. Denn was ist das „Transintelligible" der über alles scheinbar schaffende Erkennen und Denken hinausragenden „unendlich s e i e n d e n " Wirklichkeit anders als Explizitierung, d. h. ausdrückliche Herausstellung des Kantgedankens der Unerfaßlichkeit der „Welt an sich"? Als Ergebnis dieser dreifachen Entwicklung aber ersteht nun das Bild der schlechthin „irrationalen Realität" als der eigentlichen Realität, so daß sich der Grundsatz ergäbe: nicht in dem Maße als Realität in „rationaler Idealität", sondern umgekehrt in dem Maße als sie die Eingrenzungen und Vereinfachungen solcher „rationaler Idealität" sprengt und über sie hinauswächst in ungreifbare Fernen, in dem Maße wird Realität als Realität erfahren. Dieses aber (das, wie wir sahen, selber gradlinige Kantentfaltung ist) steht in erklärtem Widerspruch zum ebenso unleugbaren Kantgedanken der „intelligiblen Welt" als der eigentlichen Welt: die Welt der chaotischen Realität nur als „Materie" der geformten Realität der „eigentlich seienden" (ovrwg ov Piatons) „intelligiblen Welt." Also auch hier sind die heutigen schroffen Gegensätze zwischen optimistischem Humanitarismus („die Welt durch den Menschen") und tragischem Kosmismus („die Welt über den Menschen hinaus") im Problem der Realität nichts anderes als der aufgerissene innere Widerspruch der kantischen Lösung selber. *



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Im P r o b l e m der I n d i v i d u a l i t ä t . — Die Frage des Problems der Individualität lautet: Wie ist es zu erklären, daß Realität in ihrer genaueren Struktur auf der einen Seite (in Vollendung des Gedankens der „rationalen Realität") als Gewebe von Allgemeingesetzen oder Allgemeinstrukturen oder Allgemeinwesenheiten oder Allgemeintypen erscheint, denen gegenüber das Konkrete, Einmalige, Individuale, Geschichtliche zu einem „Exemplar" oder wenigstens „Kreuzungsphänomen" dieser Allgemeingesetze usw. herabsinkt, — daß auf der anderen Seite aber (in Vollendung des Gedankens der „irrationalen Realität") gerade dadurch „Realitäts-Sosein an sich" in seinem Aspekt der verwirrenden Vielfalt, der seltsamen Einmaligkeit und Unberechenbarkeit des Individualen und Geschichtlichen sich der Erkenntnis in steigendem Maß entzieht und das Willkürlich-Gesetzlose, das Unberechenbar-Revolutionäre schlechthin wird? Diese Frage führt uns in den letzten, tiefsten Sinn der kantischen Frage „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?". Denn „synthetische Urteile a priori" zielen ihrem Sinn nach letztlich auf eine „gesetzhafte" Erkenntnis der Wirklichkeit, also auf das Doppelte einer Erkenntnis der Wirklichkeit in ihrem unveränderlichen und darum „a priori" geltenden und „a priori" erkennbaren Gesetzgefüge, also in demjenigen ihrer Aspekte, darin das Individuelle nur als „Quantifikatives", d. h. als einfacher „Anwendungsfall" von Allgemeingesetzen usw. erscheint — und einer Erkenntnis der „konkretempirischen" Wirklichkeit, also nach demjenigen ihrer Aspekte, darin umgekehrt eine Fülle von unvergleichbar und unwiederholbar Qualitativ-Individuellem das „Eigentliche" und „Primäre" ist, dem gegenüber alles Allgemeingesetzgefüge geradezu als „sekundäre Abstraktion" sich darstellt. Für Kant ist wiederum beides selbstverständliche Voraussetzung: erstens, daß unsere nähere Erkenntnis und Erforschung von Wirklichkeit auf „letzte Gesetzstruktur" geht, die das „tiefste Wesen" alles Nebeneinander und Nacheinander des KonkretGeschichtlich-Individuellen sei, zweitens aber ebenso daß die Richtung unserer Erkenntnis des Gefüges von Wirklichkeit zu ihrem Sinn die „Wirklichkeit selber" habe, also nicht Gesetze um der Gesetze willen, sondern Gesetze als Mittel

— 23 — zur Erkenntnis des Individuell-Konkret-Gescbichtlichen, damit aber eines Erkenntnisgegenstandes, der sich geradezu grundsätzlich einer Eingrenzung in Gesetze zu entziehen scheint. Kants Frage geht nach dem Wie, d. h. wiederum nach dem inneren Grund dieses gegensätzlichen Ineinander, und als dieser innerste Grund erscheint das „transzendentale Subjekt" nun in seinem tiefsten Sinn. Weil im Problem von Realität überhaupt der „Mensch" als Einheitsgrund der Erkenntnis „rationaler Realität" und „Realität an sich" hingestellt ward, so vollendet sich nun im Problem der Individualität, d. h. im Problem der näheren Struktur von Realität, diese Rolle eines Einheitsgrundes. Denn das Grundwesen des kantischen „Mensch im Menschen" ist ja gerade, daß er in sich selbst das geheimnisvolle Eins von „Mensch an sich" und „konkreter Mensch" ist, also in sich selber jenes Eins von „Allgemein" und „Individual", das für die Lösung des Problemes von Individualität (gemäß dem eben Ausgeführten) gesucht ist. Mit anderen Worten: das innerste Wesen des „transzendentalen Subjekts" ist es geradezu, daß es die Lösimg des Problems zwischen „Allgemein" und „Individual", d. h. des Problemes der Individualität sei. Erst in der Lösung des Problemes der Individualität entfaltet sich voll der Sinn der kantischen Lösung. „Menschheit im Menschen", in „unendlichem Progreß", ist, weil grundsätzlich (vom Problem der Geltung und Realität her) alle Lösung im „Menschen" liegt — ist jene Einheit, in der sich die Spannung zwischen „Allgemein" und „Individual" im Weltganzen bindet und löst: die Spannung des Nacheinander und Nebeneinander von „Allgemein" und „Individual" im Nebeneinander von ruhender Grundstruktur der Welt wie im Nacheinander ihres geschichtlichen Ablaufs ist letztlich gebunden und gelöst in und durch das Eins von „Allgemein-Mensch" und „KonkretMensch" des Menschen. Der „unendliche Progreß", darin Welt „Allgemeines" in „Individualem" verwirklicht, hat seine Einheit im „unendlichen Progreß", darin im Menschen „Menschheit" „Mensch" wird: Welt (im höchsten Sinn) im und durch den Menschen als ihrem „Demiurg", in „unendlichem Progreß", Welt durch „Menschheit im Menschen".

— 24 — Aber diese neue Einheit wird, ebenso wie im Problem der Geltung und der Realität, doppeldeutig, und das Schicksal dieser Doppeldeutigkeit zum tragischen Schicksal der Lösung, und (weil die Doppeldeutigkeit hier im inneren Sinn von „Menschheit im Menschen" selber wohnt, in der innersten Spannung des „transzendentalen Subjekts" zwischen „Ich an sich" und „Konkret-Ich") zum höchsten Punkt der Tragik der kantischen Lösung in ihrer Gesamtheit. „Menschheit im Menschen" als Lösung des Individualitätsproblems der Realität kann einmal als Betonung von „Menschheit . .." gefaßt werden. Es ist dann der folgerichtige Abschluß der „rationalen, idealen Realität" im Realitätsproblem überhaupt. Es ist auch die folgerichtige Schlußdeutung des Transzendentalismus Kants überhaupt. Denn so sehr dieser auch auf „Welt im und durch den Menschen" geht, so ist doch in dieser Formel sowohl „Welt" wahrhaft als Welt der „letzten Zusammenhänge" und Mensch als „Allgemein-Mensch im Menschen" verstanden. Kant will bewußt den anhebenden schrankenlosen Individualismus, wie er von der Renaissance und (teilweise) Reformation her alle strenge Wissenschaft und strenge Ethik zu überfluten droht, in die Bande strenger Gesetze schlagen. Die Kategorien, in denen das scheinbar schöpferisch gestaltende Subjekt dieses „schöpferische Gestalten" vollbringt, sind „a priori", d. h. unabhängig vom konkreten, individualen Menschen. Und auch die „Autonomie" des Willens ist nicht eine Autonomie des konkreten individualen Willens (denn in der Sphäre der Erscheinung ist nicht Freiheit), sondern des Willens des „Menschen an sich". Ja, damit daß dieser „Mensch an sich" den strengen Charakter eines „Ideals" trägt, zu dem der konkrete, individuale Mensch in „unendlichem Progreß" nur „hinstrebt" (ohne ihn zu erreichen), durch diese bewußt aufgerissene Kluft zwischen „Mensch an sich" und „konkreter, individualer Mensch" (zu der noch Kants Lehre vom „Radikal-Bösen" als philosophischer Ausdruck der lutherischen Erbsündelehre kommt), hierdurch ist bei Kant zum mindesten „grundgelegt" jene ärgere Entrechtung des Konkret-Individualen, in der es geradezu als das „Unreine" gegenüber dem „Reinen" des Allgemeinen

— 25 — erscheint. Mit anderen Worten: wir sehen die Entwicklung des Individualitätsproblems, die es sowohl bei Fichte, wie bei Schelling-Schopenhauer-Hartmann, wie bei Hegel (als der verbindenden Mitte dieser beiden Reihen) genommen hat. Bei F i c h t e : eine scheinbare positive Wertung des IndividuellKonkreten, insofern gerade Fichte das Ich betont und auf eine Philosophie der Geschichte ausgeht; — aber eine positive Wertung, deren Ergebnis eine völlige Versachlichung des „absoluten Ich" in eine „objektive Ordnung" ist. Bei Schelling (vorab dem älteren) und dann ausdrücklich S c h o p e n h a u e r - H a r t m a n n : zwar eine Abhebung des Ich gegenüber einer Welt der Ideen oder des Unbewußten, aber eine Abhebung des Sündig-Gefallenen gegenüber einer Ur-Unschuld (Schelling) oder des Unruhig-Irrenden gegenüber der lebensbefreiten Ruhe (Schopenhauer) oder der Erkrankung gegenüber der Gesundheit (Hartmann). Bei H e g e l : gewiß ein Versuch, beides zu retten, sowohl die Bewegtheit und Lebendigkeit des Individualen wie die Unwandelbarkeit des Allgemeinen, aber doch so, daß das Individuelle zur eigentlichen „Dialektik" des Allgemeinen wird, nicht nur zu seiner faktischen Bewegtheit, sondern auch zu seiner rationalen, d. h. logisch notwendigen Bewegtheit. Und als Verbreiterung und Ausströmung dieser philosophischen Grundrichtungen: im Leben der Wissenschaft der unbestrittene Primat der „allgemeinen" Wissenschaften (von Biologie zu Psychologie und Kulturwissenschaften), für die das Individuale nur „Anwendung" oder „Kreuzungsphänomen" allgemeiner Gesetze ist — und im praktischen Leben der unbestrittene Primat von Staat und Gesellschaft, denen gegenüber das Individuum nur den Wert des „gehorsamen Untertan" (sei es gegenüber einer allmächtigen Monarchie, sei es gegenüber einer allmächtigen Demokratie) hat bzw. den des „tadellosen Gesellschaftsmenschen". Damit aber ist — in gradliniger Entwicklung eines Ursinnes des kantischen Transzendentalismus überhaupt — ein Stadium erreicht, in dem ein ebenso „Ursinn" desselben Transzendentalismus aufs schärfste verneint wird: Kant gegen Kant. Wir meinen jenen Ursinn, der von Rousseaus „natürlichem Menschen" (im Gegensatz zum Menschen des Staates, der Gesellschaft und der allgemeinen



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Wissenschaft) sich herleitet: der „reine Mensch" im Sinne des aus seinem natürlichen Ich heraus sich naturhaft entfaltenden Menschen, das Menschenideal und Weltideal der „reinen Natur", das ein ursprüngliches Empfinden und Erleben Kants gegen das rationalistische Ideal „berechnender Kultur" stellt. Es ist der „homo in silvis", der „reine, freie Mensch", der Urtyp der „Menschenrechte" der französischen Revolution, d. h. jener Mensch, der im „subjektiven Apriori" Kants seine philosophische Gestalt hat. Und darin zeigt sich am schroffsten der gemeinte Widerspruch: denn eben jene „rationale ideale Realität", deren Zu-ende-denkung die eben umzeichnete „Realität der Allgemeinheit" ist, eben jene „rationale Realität" hat zu ihrem korrelaten Untergrund im Geltungsproblem eben dieses „subjektive Apriori". Scharf gefaßt: da unsere erste Deutung einer „Realität der Allgemeinheit" letztlich auf dieses „subjektive Apriori" zurückgeht, anderseits aber, wie wir eben sahen, dieses „subjektive Apriori" der Widersacher einer „Realität der Allgemeinheit" ist, so trägt diese unsere erste Deutung der kantischen Lösung des Individualitätsproblems von vornherein das Nein zu sich selbst in sich selbst. Versuchen wir also die andere mögliche Deutung der kantischen Lösung, wie sie das „subjektive Apriori" auf dem Hintergrund des Menschenbildes Rousseaus, wenigstens andeutungsweise in sich birgt. Unsere allgemeine Formel der kantischen Lösung des Individualitätsproblems „Menschheit im Menschen", muß in der Tat auch als Betonung des „... im Menschen" gefaßt werden. Indem Kant selbstbewußt von einer „kopernikanischen Umwendung" spricht, vertritt er zweifellos dasselbe Ethos und Pathos, in dem der rousseausche „Naturmensch" gegen das Zwangsnetz der „allgemeinen Bindungen" sich auflehnt. Der Protest des Religionsphilosophen Kant gegen „statutarische" Religion ist von hier aus nur der letzte Ausdruck seines grundlegenden Protestes gegen eine Abhängigkeit des Menschen von Allgemeingebilden. In der erkenntnistheoretischen Grundformel von der Umkehrung des alten Verhältnisses von „Subjekt als Empfänger des Objekts" (und darum dem Objektiven abhängig eingeordnet und untergeordnet) zum neuen Verhältnis von „Ob-

— 27 — jekt als Schöpfung des Subjekts" (und darum in der freien Macht des Subjekts), in dieser Grundformel ist ja nur der alte reformatorische „Protest" lebendig, der Protest subjektiver „Innerlichkeit" gegen objektive „Kirchlichkeit". Damit aber erscheint Kant, ganz selbstverständlich, als wahrer Vater jener Richtungen, die sich im Laufe des vergangenen und unseren Jahrhunderts gegen eine Obermacht von „Allgemeingebilden" empört haben und empören. Er ist der Vater dieser Richtungen von ihrer mildesten Form im badischen Wertkantianismus bis zu ihrer schärfsten Form im Individualismus Troeltschs und Simmeis. Er ist der Vater ebenso ihrer praktischen Auswirkungen vom klassenindividualistischen Sozialismus bis zum Person - Individualismus Nietzsches und Stirners. Für die ersten, mehr wissenschaftlichen Richtungen braucht es keiner besonderen Darlegung. Das Schrifttum der B a d e n e r Schule knüpft bewußt an den Kant der „praktischen Vernunft" an, d. h. an jenen Kant, der, gegenüber dem stärkeren Allgemeingesetz-Aspekt der Kategorien des Kant der „reinen Vernunft", das Frei-WillensLebenshafte des Subjekts betont. T r o e l t s c h u n d Simmel führen zwar so etwas wie einen Kampf gegen „Kantianismus", aber doch im Grunde im Namen Kants gegen den Neukantianismus, wie es Simmel deutlich sagt und Troeltsch vorab in seinen letzten Werken durchblicken läßt. Klassenindividualistischer Sozialismus hat zwar eine starke Note von Allgemeingesetzlichkeit in sich und bedeutet Übernahme des Hegeischen „Ganzen", das nur aus einem „Idee-Ganzen" zu einem „Wirtschafts-Ganzen" umgetauft wird. Aber stärker lebendig ist in ihm der Protest des „natürlichen Menschen" und des „schaffenden Menschen" gegen den „Menschen der Kultur und des Besitzes", d. h. der Protest des Menschen, der nur den Wert der „eigenen Arbeit" kennt und alles andere allein als Folge und Funktion dieser, also alles Objektive als Funktion des Subjektiven, gegen den Menschen, der passiver „Träger" von Objektivem ist, „Träger" von Besitztümern und Werten, die er auf andere passive Träger „vererbt". Mit anderen Worten: hinter dem sozialistischen Protest des „Menschen der Arbeit" gegen den „Menschen des Besitzes" wird der kantische Protest sichtbar, der Protest des Eigen-



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menschen gegen die Allgemeingebilde: Kant ist also in einem wahren Sinn Vater des Sozialismus. Person-Individualismus Nietzsches und Stirners endlich tragen, von diesen Gedanken aus gesehen, ihren Kant-Ursprung unmißverständlich an der Stirn. Sie sind in ihren letzten Tiefen so etwas wie der Rousseau-Mensch in Kant in „Reinkultur". Damit aber ist — wiederum in gradliniger Entfaltung eines unleugbaren Ursinnes des kantischen Transzendentalismus überhaupt — aufs schärfste der frühere Ursinn desselben Transzendentalismus verneint, der das Objektiv-Allgemeine betonte. Die Kluft, die wir in der Erwägung des ersten Sinnes der kantischen Lösimg sichten mußten, gähnt uns nur von der andern Seite entgegen. Also auch in diesem letzten Problem sind die heutigen scharfen Gegensätze zwischen vergemeinschaftendem Universalismus (das Individuale als passive Ausgliederung des Allgemeinen) und entgemeinschaftendem Individualismus (alles Allgemeinen von Gnaden der Willkür des Individualen) im Problem der Individualität nichts anderes als der aufgerissene innere Widerspruch der kantischen Lösung selber. [2] Wie ist diese Lage zu deuten? Vollzieht sich in dieser Kant-Krise eine Kant-Wende in dem Sinn, wie etwa Nikolai Hartmann zum Kant-Jubiläum ihn formulierte: von einem „systematischen Kant" der Lösungen zu einem „aporetischen" Kant der letzten Fragen ? Oder geht die Kant-Wende noch weiter, etwa in dem Sinn, der in den Kant-Arbeiten Eugen Herrigels offenbar ist: auch noch durch einen aporetischen Kant hindurch in die Problematik der alten Philosophie? Wir haben die Frage offenbar durch eine immanente Analyse unseres ersten Teiles zu beantworten. *

Im Problem der Geltung. — Kant hatte die Lösung im Menschen gesehen. Der Mensch als lebendiger, konkreter, individualer Mensch ist der Grund der bewegten Lebendigkeit, die aller Erkenntnis von Wahrheit eignet, das lebendig

— 29 — Schöpferische im Menschen der Grund des Schöpferischen von Wahrheitserkennen: Denken als Tun verankert im konkret-individualen Menschen als dem Tuenden. „Menschheit" aber in diesem konkreten Menschen, das „transzendentale Subjekt" im „empirischen Subjekt", ist der Grund der Objektivität und Unwandelbarkeit, die derselben Erkenntnis von Wahrheit innewohnt, das Unwandelbar-Allgemeine im Menschen der Grund des Unwandelbar-Allgemeinen von Wahrheitserkennen: Denken als Empfangen verankert im Menschen als der reinen „Erscheinung nur" des allgemeinunwandelbaren „Menschen an sich". — Die Analyse der eingetretenen Krise dieser Lösimg gab uns als Ergebnis: den klaren Blick in den aufgerissenen Widerspruch dieser Lösung. Die Geschichte der Kant-Lösung enthüllte sich als Geschichte der Entfaltung ihrer geheimen Gegensätzlichkeit bis zum offenen Widerspruch. Ihr entfalteter aktiver Subjektivismus (des „Apriori" als „subjektives Apriori") wurde zum schroffen Nein gegen das von Kant mit-intendierte Element des Objektiven, und umgekehrt ihr entfalteter passiver Objektivismus (des „Apriori" als „objektives Apriori") zum schroffen Nein gegen das von Kant ebenso mit-intendierte Element des Subjektiven. Es ist wahr: damit tritt aus dem Streit der Schulen, der in gegenseitigem Sich-auflösen geendet hat oder noch endet, das Bild der ursprünglichen kantischen Problematik klarer denn je heraus. Es ist in Wahrheit ein Wieder-Erwachen des „aporetischen" Kant im Tod des „systematischen" Kant. Aber ist damit der Sinn der gegenwärtigen Situation erschöpft? War nicht positiv und ausdrücklich das Streben Kants darauf gerichtet, die Problematik zu bannen und zu binden in der Einheit des Menschen, so sehr zu bannen und zu binden, daß für seine Philosophie der Absolut-Akzent auf dem Menschen liegt, auf dem „Menschen des Menschen", d.h. auf der „Menschheit im Menschen", auf der „Humanität" ? Das Absolute von Wahrheit wie ihr Relatives, ihr Gottcharakter und Geschöpfcharakter, eins im Menschen und als Mensch, dem Menschen, der (wie die „Metaphysischen Vorlesungen" es mehrfach sagen) Schöpfer und Geschöpf zugleich ist, also mithin nicht nur die Eine Mitte der Schöpfung,

— 30 — sondern die Eine Mitte von Schöpfer und Schöpfung als den (von hier aus) „Grenzbegriffen" der Einen „Humanität" — war das nicht der Sinn der kantischen Lösung, grundlegend im Geltungsproblem und sich entfaltend und krönend in Realitäts- und Individualitätsproblem? — Wenn dem aber so ist (und es ist dem so — das sagt uns der erste Teil unserer Darlegungen), können wir dann noch von einem „Erwachen des aporetischen Kant" als letztem Sinn der heutigen „KantWende" sprechen? Kant steht und fällt mit dem „transzendentalen Subjekt" als der letzten Einheit der Gegensätze. Erst aus diesem Zusammenbruch erhebt sich neu jene Problematik, für die das „transzendentale Subjekt" die Lösung sein sollte. Das aber ist die Problematik Thomas von Aquins. Denn, im großen Unterschied zu Kant, schließt er die Problematik des Geltungsproblems nicht im Menschen, sondern hält sie weit offen: die Problematik zwischen schaffendem Denken und empfangendem Denken, die Problematik, wie er sie nennt, zwischen einer gewissen Absolutheit von „Wahrheit", wie sie im schaffenden, bewegten Denken leuchtet, „veritas in intellectu", und der Relativität eben dieser Wahrheit auf denkunabhängige Begebenheiten, „veritas" als „adaequatio intellectus ad rem" — zwischen Denken als schöpferischem Gestalten von „Wahrheit" aus den Sinnesgegebenheiten, „intellectus agens", und Denken als reinem, schauendem Empfangen von „Wahrheit in sich", „intellectus possibilis". Das ist der große Unterschied zwischen Thomas von Aquin und Kant, daß Thomas diese letzte Problematik gar nicht beseitigen will noch kann und daß er darum auch in keine Versuchung kommt, sie durch eine künstliche Einigung im Menschen nur zu explosivem Widerstreit zu übersteigern. Für Thomas von Aquin ist die Problematik des Geltungsproblems der grundlegende Aspekt schlichter Geschöpflichkeit und in diesem grundlegenden Aspekt der Blick zu Gott über dem Menschen. Menschliches Denken — das ist wahr — hat einen Charakter von „schöpferisch-empfangendem". Aber das „schöpferisch" in diesem Ineinander ist nicht das „Absolute", ist nicht Gott, wie im letzten Grunde die kantische Lösung will. Sondern das Ineinander von „schöpferisch-

— 31 — empfangend" im Denken ist das erste Aufleuchten jener „analogia entis", die das Grundverhältnis zwischen Gott und Geschöpf ausmacht: „Gott-Ähnlichkeit (im Schöpferischen) in Gott-Unähnlichkeit (im Empfangen)". *

I m P r o b l e m der R e a l i t ä t . — Kant hatte wiederum die Lösung im Menschen gesehen. Der Mensch steht im Mittelpunkt von Welt. Darum ist „Wirklichkeit" in ihrem eigentlichen Sinn, im Sinn „rationaler, idealer Realität" etwas, das nur im und durch den Menschen entsteht, indem das menschliche Denken die einströmenden Eindrücke der Welt schöpferisch formt zu dieser „rationalen, idealen Realität". So ist freilich „Wirklichkeit" nur in ihrem „für den Menschen" erkennbar, nicht in ihrem reinen „an sich". Aber dieses „an sich" hat gerade den inneren Sinn reiner „Materie" für die Formung der „eigentlichen Welt" im und durch den Menschen. — Die Analyse der eingetretenen Krise dieser Lösung gab uns als Ergebnis den klaren Blick in den aufgerissenen Widerspruch dieser Lösung. Die Geschichte der Kant-Lösung enthüllte sich als Geschichte der Entfaltung dieses Widerspruchs. Ihr entfalteter aktiver Humanitarismus (die Welt durch und im Menschen geformt) wurde zu schroffem Nein gegen das von Kant mit-intendierte Element der fast dämonischen Unerkennbarkeit und Unberechenbarkeit der Welt, und umgekehrt der hieraus sich ergebende tragische Kosmismus (die Welt als Chaos über den formenden Menschen hinaus) zum schroffen Nein gegen das von Kant ebenso mit-intendierte Element der idealen Gestaltung der Welt. Es ist wiederum wahr: damit tritt aus dem Streit der Schulen, der in gegenseitigem Sichauflösen geendet hat oder noch endet, das Bild der ursprünglichen kantischen Problematik klarer denn je heraus. Es tritt heraus der Gegensatz zwischen jenem ur-rationalistischen Element, darin die „reine Vernunft", d. h. die Humanitäts-Vernunft, als das Licht erscheint, in dem die durch einen „finsteren Supranaturalismus" verdunkelte Welt zur Mittagshelle sich „aufklärt" — und jenem, trotz aller Rationalistik unaustilgbaren, ur-lutherischen Element, darin dieselbe Welt als Welt der unaustilgbaren

— 32 — Ur-Sünde und Ur-Dämonie sich enthüllt, die so wenig durch „reine Vernunft" „aufgeklärt" werden kann, daß diese sogenannte „reine Vernunft" nur der schneidendste Ausdruck ihrer Ur-Sünde und Ur-Dämonie ist, die „Hure Vernunft", und die Humanitäts-Vernunft, d. h. Menschenbewußtsein, nur schärfstes Bewußtsein der Ur-Verdammnis dieser Welt. Es ist in Wahrheit ein Wieder-Erwachen des „aporetischen" Kant im Tod des „systematischen" Kant. Aber ist damit der Sinn der gegenwärtigen Situation erschöpft? War nicht auch in unserem Problem positiv und ausdrücklich das Streben Kants darauf gerichtet, nicht nur den philosophischen Zwiespalt zwischen Rationalismus und Empirismus, sondern geradezu (wenigstens in letzten Hintergründen) den eben dargelegten tieferen Zwiespalt zwischen humanitär-rationaler und dämonisch-irrationaler Welt zu lösen, zwischen Welt durch den Menschen und Welt gegen den Menschen — und zu lösen im und durch dasselbe „transzendentale Subjekt", das den Lösungsgrund des Geltungsproblems ausmacht —: der Mensch als „idealer Mensch an sich" der Formgrund der humanitär-rationalen Welt, der Mensch als empirisch-konkreter Mensch aber, als „empirisches Subjekt" und damit als ewig fehlerhafte Erscheinung des „idealen Menschen an sich", als unverbesserlicher und unentsühnbarer Erbsünder gegen den „idealen Menschen", der konkrete Mensch als „Sünder" der Formgrund der dämonisch-irrealen Welt, der Welt der Sünde? Lag also, nach Kants wenigstens unbewußten Intentionen, nicht auf diesem Menschen der AbsolutAkzent, der Absolut-Akzent der letzten, alles bedingenden Einheit der Vielheit und Gegensätzlichkeit, zum mindesten insofern als Absolut-Akzent, als eine gewisse letzte unaufhebbare Tragik dieses „Menschheit im Menschen" unwegdeutbar das Antlitz einer Macht-Tragik trägt, d. h. einer gotthaften Tragik, der Tragik, wie sie eben nur einem letzten alles bedingenden Einheitsgrund der zerspaltenen Welt eignet? Wenn dem aber so ist (und es ist dem so — das sagt uns wiederum der erste Teil unserer Darlegungen), können wir dann noch von einem „Erwachen des aporetischen Kant" als wahrem positivem Sinn der heutigen „Kant-Wende" sprechen? Kant steht und fällt mit dem „transzendentalen

— 33 — Subjekt" als der doch in aller hintergründlichen Tragik macht-tragischen, d. h. (und insofern ist Nietzsches „Wille zur Macht" Blut vom Blute Kants) das Ringen mit den tragischen Gegensätzen als höchstes Schöpfertum erlebenden letzten Einheit der Gegensätze. Erst aus dem Zusammenbruch dieses Kant-Nietzscheschen „Ubermenschen" erhebt sich neu jene Problematik, für die das „transzendentale Subjekt" die Lösung sein sollte. Die Problematik des Realitätsproblems, wie sie Kant vorlag, war eine doppelte, besser: eine solche, die Vordergrund und Hintergrund hatte: den Vordergrund der Problematik zwischen Rationalismus der a priori erkonstruierten Realität und Empirismus der vom Gewirr der Erfahrung aus letztlich unerfaßlichen oder wenigstens nur asymptotisch erreichbaren Realität — und den Hintergrund der Problematik zwischen Humanitäts-Rationalismus der aufgeklärten Vernunftwelt und vernunftverdammendem Luthertum der dämonischen Welt der Sünde. Und wir sahen: erst durch die Hintergrund-Problematik wird die Vordergrund-Problematik zu jener scharfen, unversöhnlichen Antithese, wie sie uns das Realitätsproblem im ersten Teil am Schluß aufwies: zwischen optimistischem Humantarismus und tragizistischem Kosmismus. Damit aber ist sichtbar, wie hinter der Problematik selber bereits jene „Verabsolutierung" steckt, die den Explosiv-Stoff der Lösung darstellt. Für den HumanitätsRationalismus der aufgeklärten Vernunftwelt, der hinter dem philosophischen Rationalismus steht, braucht das keiner näheren Analyse: die „aufgeklärte Vernunft" ist die Usurpierung des johanneischen „Gott ist Licht" für den Menschen. Aber das Gleiche gilt für das vernunftverdammende Luthertum der dämonischen Welt der Sünde. Denn was birgt sich hinter solch furchtbarem Verdammungsurteil über Gottes Schöpfung anderes als ein ungeheures Richterbewußtsein (Reformatorenbewußtsein!) des Menschen, der solches Urteil ausspricht? Rationalismus und Empirismus der rein philosophischen Problematik sind darum so extrem, weil das Extreme eines „Menschen als Gott" sie durchgeistet. Das „Extreme"! Denn wenn der Mensch, so oder so, entweder in direktem „Gott sein wollen" direkten Machtbewußtseins P r i y w a r a , Kant heute.

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— 34 — oder im Indirekten eines „in Gott aufgehen wollen" eines indirekten Machtbedörfnisses, das der Macht des „andern" sich durch Aufgehen in ihn bemächtigen will — wenn der Mensch die Allmacht und Allfülle Gottes für sich in Anspruch nimmt, so ist das Ergebnis nicht ein „Absolutes", sondern die Groteske des Absoluten: das „Extrem". Es dürfte darum klar sein, wie in Thomas von Aquin als dem Denker der unverkrampften Geschöpflichkeit diese Problematik gereinigt dasteht, gereinigt zum schlichten Gegensatz zwischen einer wahren Richtung der Welt auf den Menschengeist und einer ebenso wahren Richtimg des Menschengeistes als „Gliedes der Welt" auf die Welt als das ihn übergreifende „All". Es ist wahr: die echt aristotelische Abstraktionslehre des Aquinaten besagt, daß das „Wesenhafte" der wirklichen Welt durch ein schöpferisches Denken (intellectus agens!) zur Reinheit einer „Welt der Wesenheiten" geläutert wird. Es ist für Thomas das System der „Wesensformen" (ontisch) das Wesenhafte von Welt, und gleichzeitig ist es das Schöpferische des „intellectus agens", dadurch dieses Wesenhafte in Reinheit herausgearbeitet wird. Aber für denselben Thomas bleibt dasselbe scheinbar schöpferische Denken des Menschengeistes immer an die Sinne gebunden (nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu) und alles geschöpfliche Denken überhaupt (auch das eines geschöpflichen, „reinen Geistes") immer „in potentia", d. h. immer nur am wachsenden Erfassen einer dieses Erfassen wesenhaft übersteigenden und überflutenden Welt, nie sie erschöpfend. Gott allein, der nicht „wird", sondern „ist", durch-kennt die Welt, weil Er sie„von Grund aus" kennt, von dem Ur- Grund aus, daraus sie ersprang, von Sich Selbst aus: Sich Selbst durch-kennend, durch-kennt der Unbegreifliche, Sich-allein-begreifliche, das Rätsel der Welt, das Er allein löst, weil es von Ihm kam. So ist das Letzte des Menschen in seinem Verhältnis zur Welt: daß er erkenne und demütig anerkenne seine Verpflichtung zu ihr hin, d. h. seine Aufgabe, in ständiger Arbeit an ihr zu wirken, aber ebenso seine Unterworfenheit zu ihr hin, d. h. die Gabe ihrer immer reicher dem schlicht und unverkrampft sich öffnenden sich öffnenden Fülle. Mit anderen Worten: das „schöpferisch-

— 35 — empfangend" des Problemes der Geltung verstärkt sieb, und damit verstärkt sich das Aufleuchten der, diesen Gegensatz begreifenden, „analogia entis": zwischen Gott-Ähnlichkeit eines weltschaffenden und darin weltbegreifenden „Person als All" und Gott-Unähnlichkeit eines weltempfangenden und darin letztlich das Unbegreifliche von Welt begreifenden „Person als Glied": Gott-Ähnlichkeit in Gott-Unähnlichkeit. *

Im P r o b l e m der I n d i v i d u a l i t ä t . — Hier lag, wie wir sahen, Höhe und Zusammenschluß der kantischen Lösimg. In letzter Folgerichtigkeit zur Lösung des Realitätsproblems „im Menschen" hat das Gegeneinander von Allgemeinaspekt und Individual-aspekt der Realität (als näheres „Sosein" der Realität) seine Einheit und Lösung in der Einheit von transzendentalem und empirischem Subjekt im Menschen, im „Menschen des Menschen" in seinem eigentlichsten Sinn der „Dopplung des Ich". — Damit aber mußte das Ergebnis der Analyse der eingetretenen Krise dieser Lösung das Ergebnis, wie wir es eben für das Geltungsproblem und Realitätsproblem musterten, aufs äußerste steigern. Denn der Grund des Zusammenbruchs der kantischen Lösung in diesen beiden ersten Problemen war ja eben immer der aufgerissene Widerspruch zwischen „Mensch an sich" und „konkreter Mensch", der innerlich notwendige Widerspruch, weil bei irgendwelcher Vermischung des „Menschen an sich" mit dem „konkreten Menschen" die Ideal-Absolutheit des ersten aufhört. Denn es ist die „Idealität" des „Menschen an sich", wie wir ebenfalls immer wieder sahen, nicht die gewöhnliche Idealität eines inneren Menschideals, sondern sie trägt Gotteszüge, sie ist Absolutheit, sie ist Gott als Humanität, und Gott als Humanität (wie wir ebenfalls sahen) im Gegensatz des verdammenden Nein zum „konkreten Menschen", weil in der kantischen Lösimg sich eint der Widerspruch zwischen Menschvergötterung des humanitären Rationalismus und Menschverdammung des ursprünglichen Luthertums. Wird also diese Widerspruchseinheit des „Menschen des Menschen" als solche, d. h. ausdrücklich im Sinne ihres Gegeneinander von „Mensch an sich" und „konkreter Mensch" 3*

— 36 — zu d e r Lösung des Individualitätsproblems von Realität überhaupt, so muß diese Lösung das größte und endgültige Chaos des aufgerissenen Widerspruchs zeitigen. So ist es hier eigentlich von vornherein eine Selbstverständlichkeit, daß die Geschichte der Kant-Lösung sich enthüllte als Geschichte ihrer geheimen Gegensätzlichkeit bis zum offenen kontradiktorischen Widerspruch: ihr entfalteter vergemeinschaftender Universalismus (das Individuale als passive Ausgliederung des Allgemeinen) letztlich als schroffes Nein gegen das von Kant mit-intendierte Element der fast wurzelhaft revolutionären Freiheit des Individuums, und umgekehrt der aus diesem Element sich ergebende entgemeinschaftende Individualismus (alles Allgemeine von Gnaden der Willkür des Individualen) als schroffes Nein gegen das von Kant ebenso mit-intendierte Element des allein „sein-sollenden" „Menschen an sich", d. h. der Allgemein-Einheit der „Humanität". Wohl ist es auch hier, vielmehr gerade hier wahr: damit tritt aus dem Streit der Schulen, der in gegenseitigem Sichauflösen geendet hat oder noch endet, das Bild der ursprünglichen kantischen Problematik klarer denn je heraus. Es ist jenes Bild, wie wir es eben bei der Schlußerörterung des Realitätsproblems sahen: der Problematik zwischen dem „Menschen als Gott" des Humanitäts-Rationalismus und dem „Menschen als Gott-Feind" des ursprünglichen Luthertums, — nur noch schärfer, in der letzten Folgerung. Realität ist (von dieser tiefsten Problematik aus) der unheilbare Riß zwischen zwei „Absoluta", zwischen dem Absoluten von Gemeinschaft (im Humanitäts-Gott des Rationalismus) und dem Absoluten von Individuum (im Luthertum des Eins des, verdammend-begnadend, allein wirksamen Gottes mit der Innerlichkeit des alleingetriebenen Menschen). Es ist insofern ein wahres Wieder-Erwachen des „aporetischen" Kant im Tod des „systematischen" Kant, und Erwachen des aporetischen Kant in seiner schärfsten Aporie, der Aporie, die vom Problem der Leibnizschen Monadologie aus die Form des ganzen Kant gestaltet: zwischen dem Ganzen von Welt als dem „Absolutgrund" (und darum „aposteriorischem", d. h. empfangend erfahrendem Denken) und der Tiefe des

— 37 — Ich als dem „Absolutgrund" (und darum „apriorischem", d. h. nach eingeborenen Gesetzen schaffend gestaltendem Denken). Aber ist damit der Sinn der gegenwärtigen Situation erschöpft? War nicht gerade in unserm Problem (als Abschluß der beiden ersten Probleme) positiv und ausdrücklich das Streben Kants darauf gerichtet, nicht nur auch dieses Problem durch die Einheit seines „transzendentalen Subjekts" zu lösen, zu lösen (wie wir folgerichtig zu dem sagen müssen, was wir eben in der Behandlung des Realitätsproblems darlegten) im philosophischen Vordergrund des Entweder-Oder zwischen Universalismus und Individualismus wie im religiösen Hintergrund des Entweder-Oder zwischen Gottesgrund von Gemeinschaft und Gottesgrund von Ich? Sondern: lag nicht für Kant gerade in der Lösung dieses unseres letzten Problems durch das „transzendentale Subjekt" die entscheidende Krönung seiner Lösung, indem es gerade hier der innerste Begriff des „transzendentalen" Subjekts", seine Dopplung in „allgemein" („Mensch an sich") und „individual" („Mensch an sich" als Sinn des konkreten Menschen), ist, die die Lösung des Individualitätsproblems überhaupt bedeute ? Wenn es sich also in der Problematik des aporetischen Kant darum handelte, die fast manichäistische Kluft zwischen Gemeinschaft als Gottesgrund (im Humanitäts-Gott des Rationalismus) und Ich als Gottesgrund (im Luthertum der absoluten Unmittelbarkeit von Gott zu Ich und in Ich) zu schließen; — und wenn (zweitens) die Lösung des systematischen Kant positiv und ausdrücklich darauf geht, diesen Ineinanderschluß der Widersprüche in der Dopplung des „transzendentalen Subjekts" zu sehen: bedeutet dann nicht (erstens) eine solche Lösung die Statuierung des „Menschen des Menschen" zur Einheit der beiden einander widerstreitenden Gottesgründe, also zu d e m eigentlichen Ort des Gottesgrundes überhaupt, schärfer gesagt: zu Gott überhaupt (im Sinne von „Humanität" als Gott),— und bedeutet (zweitens) der aufgerissene Widerspruch dieser Einheit dann nicht die Aufhüllung des eigentlichen Antlitzes dieses „Mensch-Gott", die volle Aufhüllung (die anfangshaft bereits im Realitätsproblem sichtbar war), die volle Aufhüllung des Antlitzes eines völlig hilflosen „tragischen" Mensch-Gott: der Mensch-Gott des inneren Widerspruchs?

— 38 — Wohl ist es wahr: auch und gerade an diesem Punkte ist es, daß zum dritten und entscheidenden Mal durch den aporetischen Kant hindurch sichtbar werden die Umrisse Thomas von Aquins. Aber durch die Züge des „doctor communis" geht hier die Problemfalte schärfer denn sonst. Denn die Abfolge seiner Schriften zeigt uns, wie der sonst scheinbar so gleichmäßige Meister in diesem unsern letzten Problem fast nur die verschiedenen schwer miteinander zu vereinenden Anschauseiten, eine nach der andern, gesehen hat. Die Schriften der Frühzeit bevorzugen ohne Frage jene Lösung des Individualitätsproblems, wie sie dem Universalismus in etwa entspräche: das Individuum als mehr oder minder reine „Zahl" und das „Allgemeine" allein als Qualität, „individuum de ratione materiae". Die Schriften der Spätzeit hingegen neigen, in wachsendem Maß, zu jener Lösung, wie sie eher im Sinne des Individualismus liegt: das Individuum als wahre Eigenqualität, und die Einheit dieser vielen individualen Eigenqualitäten in Gott, dessen Unendlichkeit gerade in der Vielfalt dieser Qualitätenfülle sich kundtut, „individuum de ratione formae". Aber das ist das Entscheidende, wodurch Thomas gegen Kant gerade in diesem Problem die Lösung gibt und die Lösung von Philosophie überhaupt krönend vollendet: seine zwei Aspekte des Individualitätsproblems widersprechen einander nicht, weil sie sich zu dem Einen absoluten Gott hin bewegen. Daß für Thomas das Individualitätsproblem sich so stark in die beiden eben dargelegten Aspekte auseinanderspannt, ist nur der stärkste Ausdruck für jene urgeschichtliche Spannung, in der und von der aus er im Realitätsproblem die Lösung sah: das „individuum de ratione materiae", d. h. Individuum als „zahlenmäßiger Fall" des „Allgemeinen", also Individuum rein als Glied, dieser Lösungsaspekt als höchster Punkt des „Person als Glied" in der einen Seite des Realitätsproblems,— und das „individuum de ratione formae", d. h. Individuum als Eigenqualität, also Individuum in sich als Ganzes, dieser Lösungsaspekt als höchster Punkt des „Person als All" in der andern Seite des Realitätsproblems, — und darum im geheimnisvollen Ineinander dieser beiden Aspekte die Vollendung des Ineinander, wie es im Realitätsproblem als Thomas-

— 39 — Lösung sich ergab: das Ineinander von „Person als All" (und darum „individuum de ratione formae") und „Person als Glied" (und darum „individuum de ratione materiae") als das Ineinander von Gott-Ähnlichkeit und Gott-Unähnlichkeit der analogia entis, — und im und durch dieses Ineinander hindurch der Blick zum wahren Gott, der, jenseits der Spannung von „Allgemein" und „Individual", personhafte AllUnendlichkeitsfülle ist, „Tu solus", Er allein, nicht ein angemaßter „Mensch-Gott" der „Humanität", Gott allein d a s Objektive schlechthin, wovon alle Objektivität eines „reinen Allgemeinen" hier auf Erden nur schwacher Schimmer ist, und Er Derselbe als Derselbe die Persönlichkeit schlechthin, wovon alles originär Individuale eines „reinen Individualen" hier auf Erden nur schwache Ahnung ist. [3]

Es bestehen also zunächst sicher bestimmte Ü b e r e i n s t i m m u n g e n zwischen K a n t u n d T h o m a s : in der durch die philosophische Lage der Zeit bedingten Grundfragestellung wie in ihrem eigentümlichen, erkenntnistheoretischen wie metaphysischen Lösungsweg. *

In der G r u n d f r a g e s t e l l u n g . — Ist es wahr, daß, aus ihrem Verhältnis zur philosophischen Vorwelt und Umwelt heraus, Thomas als klassischer Höhepunkt „dogmatistischer" Philosophie sich gibt und Kant als klassischer Höhepunkt „kritischer" Philosophie? Ist Thomas, im Umkreis der Philosophie seiner Zeit, der Vollender einer Philosophie, die unmittelbar das Wesen von Welt darstellt, ohne sich vorher die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis dieses Wesens der Welt gestellt zu haben ? Ist Kant, im Umkreis der Philosophie seiner Zeit, der Vollender einer Philosophie, die so sehr die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis stellt, daß das Wesen von Welt ihr nur zu einem „Grenzbegriff" dieser Grenzen wird? Seit den grundlegenden Forschungen Kardinal Ehrles und Martin Grabmanns wissen wir, daß T h o m a s nicht einfachhin als „christlicher Aristoteliker" sich fassen läßt,

— 40 — sondern daß seine Stellung (wie er selber es an einer Stelle der Quaestiones disputatae ausführt) mitten inne zwischen zwei Extremen gelegen ist. Auf der einen Seite steht eine Philosophie, die in ihren weitgespannten, fast ästhetisch orientierten Spekulationen eine „Kritik" so gut wie nicht zu kennen scheint. Nicht nur löst sich für sie die vielverschlungene, konkrete Welt in ein durchsichtiges Denksystem auf, sondern dieses Denksystem selber wird als ein naiv zu Empfangendes ertrachtet. Philosophie ist Erleuchtetsein von oben. In diesem Erleuchtetsein schaut sie die reinen Ideen, und diese Ideen sind das eigentliche Wesen von Welt. Dieser Illuminationismus und Exemplarismus der früh-augustinischen Schulen (das ist die Philosophierichtimg, die wir meinen) ist also „dogmatistisch", d. h. unkritisch behauptend in einem doppelten Sinn. Einmal im Sinn unkritischen Hinnehmens von Denkerlebnissen: Denkerlebnisse erscheinen unmittelbar von Gott eingegeben oder in Seinem Licht, also als „dogmatisch" nicht nur im Sinn „absoluter Behauptungen", sondern auch im Sinne von „Behauptungen des Absoluten (Gott)". Damit hängt dann der zweite Sinn von „dogmatistisch" zusammen: weil Denkerlebnisse durch sich selbst, nicht erst durch ein Vergleichen mit der Wirklichkeit, „absolut" sind, so entfällt auch der zweite Sinn von „Kritik": Prüfung des Denkens an der denkunabhängigen und (in gewissem Verstand) denküberlegenen Wirklichkeit. Diesem „Dogmatismus" früh-augustinistischer Philosophie stand aber auf der anderen Seite der Aristotelismus der Pariser Artistenfakultät gegenüber, d. h. eine Philosophie, die in ihrer „Kritik" so weit ging, daß sie auch die Dogmen der Kirche vor das alleinzuständige Forum ihrer Kritik zog (also so etwas wie eine „Religion in den Grenzen der reinen Vernunft" anstrebte) — und die in der methodischen Folge aller Kritik, nämlich in der Aufstellung von letzten „Antinomien", d. h. letzten Unvereinbarkeiten, so weit ging, daß sie offen oder geheim von einer Grundantinomie in „Wahrheit überhaupt" sprach, der Antinomie der „doppelten Wahrheit" (daß für ein Gebiet wahr ist, was für das andere falsch ist) und darin in der Tat alle Antinomik der Neuzeit vorwegnahm, die typische Antinomik der Neuzeit zwischen „reiner Vernunft" und „prak-

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tischer Vernunft", „Denken" und „Erleben", „Gesetz" und „Wert", „Philosophie" und „Religion". Da also dieses geschichtliche Wahrheit ist, und ebenso geschichtliche Wahrheit ist, daß Thomas von Aquin mitten inne zwischen diesen Extremen stehe als Synthese ihres echten Kerns, so folgt für die Fragestellung des Aquinaten, daß sie nicht eine Fragestellung innerhalb von „Dogmatismus" sei, sondern ausdrücklich die Fragestellung nach dem Innen Verhältnis zwischen „Dogmatismus" und „Kritizismus". Wie steht es mit K a n t ? Wir sehen seine Fragestellung wie in einem Symbol am deutlichsten, wenn wir die zwei einander entgegengesetzten Deutungen dieser Fragestellung ins Auge fassen. Auf der einen Seite steht eine mehr oder minder skeptisch-agnostische Deutung, die fast typische Deutungsart der Vorkriegszeit. Danach ist Kant der große Zertrümmerer alles „Dogmatismus" vom Dogmatismus der Behauptung einer Wirklichkeit der Dinge-an-sich bis zu dem einer Wahrheit-an-sich. Kants Fragstellung wäre also hiernach rein kritizistisch. Dieser Deutungsform tritt aber, auf der anderen Seite, scharf diejenige gegenüber, die in wachsendem Maße unsere Nachkriegszeit kennzeichnet und die in Richard Kroners Werk „Von Kant zu Hegel" ihren stärksten Ausdruck findet. Hier erscheint Kant als der Begründer eines Typus echt dogmatischer Metaphysik, der Metaphysik des personalen Geistes, die, als Gegensatz zu einer Metaphysik sachhaften Seins, ihren Vollausdruck in Hegel gefunden habe. Kants kritizistische Fragestellung ist also für diese Deutung nur Vordergrundausdruck der Fragestellung einer neuen dogmatischen Metaphysik gegenüber einer alten, also im letzten Wesen dogmatistisch. In diesem Gegensatz spiegelt sich scharf die wahre Fragestellung des rätselhaften Königsbergers. Auf der einen Seite richtet er sich fraglos mit der Partei der englischen Skeptiker gegen die verstiegene Vernunftzuversicht des Rationalismus eines Wolff und seiner Schule, die den Dogmatismus bis zum Dogmatismus „erster Prinzipien" trieben, aus denen die gesamte Weltfülle ableitbar sei. Auf der anderen Seite aber zielt doch der positive Sinn des Anstiegs von der „Kritik der reinen Vernunft" zur „Kritik der Urteilskraft" ebenso fraglos auf eine Über-

— 42 — windung des englischen Skeptizismus und Empirismus, ja auf eine solche, in der die „intelligible Welt", das „Reich der Zwecke", die Gemeinschaft der geistigen Personen als das ,.Eigentliche" erscheint, das durch sich selbst gegeben ist. Die Fragestellung Kants steht mithin im letzten Grund zwischen Kritizismus und Dogmatismus und zielt auf ihre Synthese. Erneuert sich aber nicht im erkenntniszuversichtlichen Rationalismus der Wolffschule ein Grundzug des Frühaugustinismus der „ewigen Wahrheiten", und im Kritizismus und Skeptizismus der Engländer die Verwegenheit der Philosophen der Artistenfakultät, — und mithin im Syntheseversuch der Fragestellung Kants ein Wichtiges der Fragestellung des Aquinaten? *

Im L ö s u n g s w e g . — Eine Synthese zwischen dem Echten von Kritizismus und Dogmatismus bindet offenbar zwei Momente in Eins. Einmal (was dem Kritizismus entspricht) das Grenzphänomen im Erkennen, d. h. seine Bindung an Erfahrung und darin seine Begrenzung zum Erfahrungsjenseitigen hin, — dann aber (was dem Dogmatismus zugehört) den Primat des Geistigen im Erkennen über das Untergeistige des rein Erkannten. Wird das erste Moment zu einer kritischen Erkenntnistheorie, so das zweite zu einer Metaphysik des Geistig-Intelligiblen. In beidem scheint eine Ähnlichkeit zwischen Thomas und Kant. In der E r k e n n t n i s t h e o r i e . — Erstens. Thomas wie Kant setzen den Ansatz von Philosophie in eine Reflexion des Denkens auf sich selbst. Thomas fordert in seiner hauptsächlichen erkenntnistheoretischen Abhandlung, der Quaestio disputata de Veritate eine „reflexio" des Intellektes auf sich selbst, und zwar primär auf seinen formalen Akt, und erst hierin begründet sich Wahrheit (q. i a 9). Kant stellt als seine Grundfrage ein Gleiches. Denn seine Frage „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" geht auf die formale Aktnatur menschlichen Denkens, das sowohl an Erfahrung gebunden ist („synthetische Urteile") als auch über das FaktischEmpirische von Erfahrung hinaus auf das Zeitlos-Notwendige des Ideellen geht („Urteile a priori"). — Zweitens. Thomas wie Kant sehen días Denken in seinem Sinn, darin es auf

— 43 — Wahrheit geht, entscheidend nicht in einem anschauenden Denken von Inhalten, sondern im formalen urteilenden Denken. Für Thomas liegt die Wahrheit formal nicht im wesenschauenden Denken des „intellectus formans quidditates", sondern im analysierenden und synthetisierenden Denken des „intellectus dividens et componens", nicht in einer „apprehensio", sondern im „iudicium", nicht im empfangenden „intellectus possibilis", sondern im spontanen „intellectus agens". Kant legt in scharfem Unterschied zur Ideenspekulation des Rationalismus den Akzent auf das Urteil und faßt darum auch seine Kategorien als Formen des urteilenden Denkens. Denken als Denken ist Spontaneität. — Drittens. Thomas wie Kant unterstreichen, gegenüber einem hemmungslosen Ideenflug (sei es des Frühaugustinismus, sei es des deutschen Rationalismus) die Bindung und Begrenzung menschlichen Denkens durch die Sinneserfahrung. Thomas betont in seiner Wissenschaftstheorie, die im Kommentar zu Boethius de trinitate niedergelegt ist, daß grundlegend die „principia prima", für die der Frühaugustinismus eine Art immittelbare Intuition annahm, „ex sensibilibus" seien, d. h. mit und in der Sinneserfahrung (wenngleich nicht für die Sinneserfahrung allein) gegeben, weiter, daß wir alles Rein-Geistige schließlich nur in seinem Dasein (quod sit), nicht in seinem eigentlichen Sosein (quid sit) erkennen könnten und darum letztlich negativ (was es nicht sei) und daß darum auch unsere Gotteserkenntnis darin gipfele, daß wir Gott erkännten „tamquam ignotum" als „unbekannten Gott", ja daß auch die Offenbarungserkenntnis im Grunde daran nichts ändere, da sie zwar den Umkreis der Erkenntnisobjekte erweitere, aber doch den „modus" eines sinnenhaften Erkennens nicht aufgebe. Kant fügt Sinneserfahrung und kategoriales Denken so dicht ineinander, daß Erfahrung ohne Denken blind sei. Denken ohne Erfahrung aber leer und infolgedessen zwar das Dasein einer übersinnlichen Welt nicht geleugnet werden könne, aber doch nur in der Form von „Grenzideen" erkannt werde, d. h. nicht positiv in sich. In der M e t a p h y s i k . — Eine Erkenntnistheorie, die den Akzent auf den formalen Akt des Erkennens legt und von dessen Aktnatur aus sei es intentional (Thomas), sei es kate-

— 44 — gorial (Kant) zur Welt der Objekte sich wendet, eine solche Erkenntnistheorie legt offenbar den Ton auf die „Welt im Erkennen", auf die Welt, wie sie im Akt des abstrahierenden (Thomas) oder kategorialen (Kant) Denkens sich als die „wesenhafte Welt" gegen die faktisch-empirische Sinneswelt abhebt. So baut sich eine solche Erkenntnistheorie wie folgerichtig in eine Metaphysik solcher „wesenhafter" Welt aus. Es entsteht eine Metaphysik des „Intelligiblen". — Für Thomas ist es bezeichnend, daß die beiden Konstituentia der faktisch-empirischen Sinneswelt, nämlich Raum und Zeit, der „materia" angehören, die für ihn „pura potentialitas" ist, d. h. die Veränderlichkeitsseite der allein „eigentlich seienden" Welt der „formae". So erscheint sein Weltbild, wenn wir es etwa in „de ente et essentia" und in der Quaestio disputata „de spiritualibus creaturis" betrachten, als Bild einer Struktur „intelligibler Formen", die von oben her sich gleichsam „materialisiert", schwebend zwischen der „reinen Intelligibilität" der reinen Geister, von denen jeder für sich eine „species" ist, d. h. enthoben der raumzeitlichen Individualisierung, und den „formae materiales" der Naturkörper, die wesenhaft raumzeitlich sind. So ist es kein Wunder, daß Thomas in der Quaestio de Veritate dazu neigt, dem Sein überhaupt innere Intelligibilität zuzuschreiben, „Erkennbarkeit" als innere Eigenschaft, die vom „Erkennen" gleichsam als solche wahrgenommen wird. Denn alles, was irgendwie ist, ist ein solches „ist" in Kraft des „eigentlichen Seins" der intelligiblen „forma". Kants Metaphysik aber richtet sich, wie etwa neuerdings die Forschungen Heimsoeths sehr einleuchtend dargetan haben, gegen die Raum-Zeit-Metaphysik Spinozas, die ihm als Materialisierung des Geistes erschien. Darum wendet sich auch seine Kritik der Gottesbeweise durchgehend gegen solche, die aus der Raum-Zeit-Welt argumentieren, und verhält sich schonend gegen das teleologische Argument, das das spezifisch geistige Phänomen der Zwecksetzung zum Ausgangspunkt hat, und akzentuiert das „Deus in nobis" der Spontaneität des Denkens und Wollens. So ist es nur folgerichtig, wenn seine drei Kritiken in wachsendem Maße die Metaphysik einer „intelligiblen Welt" oder eines „Reiches der Zwecke" umzeichnen, und auch seine Ent-

— 45 — Objektivierung von Raum und Zeit gewinnt einen neuen Aspekt, jenen platonisch-aristotelischen Aspekt, danach die raumzeitliche Sinneswelt „eigentlich nicht sei", weil nur das geistige Reich der Wesensformen „eigentlich ist". Scheint also nicht in der Tat zwischen weiten Teilen der Philosophie Thomas von Aquins und der Philosophie Kants eine überraschende Ähnlichkeit zu bestehen? Ist also der Gegensatz, der gemäß der traditionellen Auffassung zwischen ihnen statthat, nur Schein? [4] Aber der G r u n d g e g e n s a t z zwischen K a n t u n d T h o m a s liegt in eben den Punkten, in denen uns Übereinstimmung zu herrschen schien. Es ist zunächst ein Grundgegensatz in dem, was man das i n n e r e E t h o s ihres Philosophierens nennen könnte. Schlagen wir die Quaestiones disputatae des Aquinaten auf oder erst recht die ersten Teile seiner Summa theologica, so ist es ein Atem fast marmorn ruhiger Objektivität, der uns entgegenweht. Es ist wie ein ruhig zur Wirklichkeit aufgeschlagenes Auge, das uns entgegenblickt. Es ist eine Sprache, die nichts überspitzt. Es ist ein Gang der Untersuchung, der wie unbekümmert um eine strenge Folgerichtigkeit nach rechts und links wie beschaulich ausbiegt, um doch kristallene Einheitlichkeit unbewußt in sich zu tragen. Es ist ein Philosophieren, das mit gleicher Stille und Gelöstheit vor lichten Ergebnissen wie vor dunklen Rätseln steht, mit dem gleichen unbewegten Maß von der Fülle der Eigenschaften Gottes spricht wie davon, daß Er zuletzt „tamquam ignotus" erkannt werde, als das feierliche Aenigma alles Geschöpfdenkens. Wenn wir damit Kant vergleichen — wie eigenwillig klingt von vornherein seine Ankündigung einer Umkehrung des Philosophierens, — wie fast trotzig kehrt sich sein Geist ab von einer störenden chaotischen Umwelt, die erst nach den Baurissen einsamen Denkens geformt werden müsse, ehe man ihr trauen könne, — wie verwegen zwingt er eine Anschauungswelt von Jahrhunderten um allen Preis in seine Zirkel bis zu der unerträglichen Verdeutung religiöser Welt in seiner „Religion in den Grenzen der Vernunft", —

— 46 — wie scharf klingt sein grenzengebietendes Nein, wenn er an die großen Geheimnisse des Daseins rührt, nicht eigentlich in ruhiger Ehrfurcht vor ihren Verhangenheiten und darin in ruhiger Blickrichtung in sie hinein, sondern wie von ihnen als peinlichen Grenzen einer denkerischen Allmacht abgewandt in das ungestört durchherrschbare Reich, — und wie schrill schneiden ineinander das stolze Wort von der Willensautonomie und das finstere von dem Radikal-Bösen, Vergötterung und Verteuflung des Kreatürlichen in Einsl Thomas-Maß und Kant-Ausschließlichkeit wirken sich darum nun auch in ihre beiderseitige Philosophie aus. Warum denn mündet der erkenntnistheoretische Subjektansatz bei Thomas in eine E r k e n n t n i s m e t a p h y s i k des Verhältnisses des empfangenden Geschöpfes mit mit-empfangenden zum schenkenden Gott, also in eine Erkeimtnismetaphysik eines innerlich menschlich gelösten Erkennens, das sich gliedhaft einordnet oder besser eingeordnet weiß in eine bestehende Welt voll Sinn, — und warum wird der erkenntnistheoretische Subjektansatz bei Kant zu einer solchen Einsperrung des All in das Subjekt, daß dieses nun in zwei schroff entgegengesetzte Sphären sich aufspaltet, die obere einer „reinen Subjektivität", darin das erkennende Ich zum Es der Objektivität entwird, und die untere einer „empirischen Subjektivität", darin dasselbe Ich den unlösbaren Fluch einer unüberbrückbaren Ferne zu sich selbst als „reiner Subjektivität" zu tragen hat? Warum — weiter — zeigt sich die M e t a p h y s i k einer i n t e l l i g i b l e n Welt bei Thomas als eine solche, darin Sinnenwelt und Geistwelt, Sphäre der „reinen Materie" und Sphäre der „intelligiblen Formen" wie in eine Harmonie zusammenklingen, so daß im Menschen so etwas wie ihre innere Mitte sich auftut: im „anima forma corporis" der Leib durchseelt in die Seele und die Seele verleibt in den Leib, — und warum enthüllt sich die Metaphysik einer intelligiblen Welt bei Kant in die schroffen Konturen des ungelösten Widerspruches zwischen einer Geistsphäre, die als solche dem menschlichen Denken versagt ist, und einer Sinnessphäre, die als solche Chaos und eigentlich Un-Sein ist, während das Postulat einer Einigung (der leibnizsche Rest!) in die ungreifbare Sphäre der Grenzideen rückt ?

— 47 — Wir sehen die Antwort, wenn wir in d a s religiöse A n t l i t z beider Denker blicken. Aus K a n t s Gesicht schaut uns der unversöhnte Gegensatz zweier Religiositäten entgegen, deren Kampf gegeneinander das Jahrhundert der Aufklärung kennzeichnet: reformatorische Religiosität eines solchen „Gott allein" des Gottes souveräner Verdammung und alleinwirksamer Begnadung, daß die Geschöpfnatur seinshaft als Sünde erscheint und die Vernunft des Menschen „Hure Vernunft" heißt — und aufklärerische Frömmigkeit eines solchen „Deus in nobis" „Gott in uns" in der allschöpferischen Menschenvernunft, daß Gott, der souveräne Gebieter, nur noch Göttlichkeitsschimmer alleingöttlicher „reiner Vernunft" ist. Aber das ist die furchtbare Verkettung, daß die zweite Frömmigkeit im Grund Kind der ersten ist, die ihren Todfeind im Schöße trug. Denn wenn in dem reformatorischen Heilserlebnis Gott und Mensch so sehr eins sind, daß Gott als der alleinwirkende in ihm ist, formen sich nicht da schon die Umrisse einer Lehre, die das ideal Menschliche Gott nennt und das empirisch sündig Menschliche Geschöpf, Gott im Menschen als die „Humanität" ? Ist also das Sichverkrampfen von Widersprüchen ineinander, wie wir es im innersten Gesicht kantischer Philosophie wahrnehmen, nicht die geradlinige Folge der schweren Verkettung in ihrer zugrundeliegenden Religiosität: der Humanitätsfromme, der vom Lutheraner nicht los kann, und der Lutheraner, der widerstrebend den Humanitätsfrommen erzeugt ? — Dann aber öffnet auch Maß und Harmonie der Philosophie T h o m a s von Aquins ihr entgegengesetztes religiöses Antlitz. Es ist eine Frömmigkeit, die nach keiner Vergewisserung feststellbarer Gottesnähe verlangt, sondern das Ich ruhig und selbstvergessen in die Hände eines Gottes legt, der nicht dafür da ist, ein Mittel des Heils für Menschen zu sein, sondern dessen „Lob, Ehrfurchterweisung und Dienst" der Sinn der Welt ist, ein Hineingezogensein in den Glanz Seiner Majestät. Es ist aber auch eine Frömmigkeit, die gerade wegen dieser Ehrfurcht und Hingabe zu einem wahrhaft transzendenten Gott den milden Blick hat zu Seiner Schöpfimg als der individual differenzierten Abbilder-Fülle Seiner unausschöpfbaren Unendlichkeit und diesem Sinn der „manifestatio

— 48 — perfectionis divinae" auch noch die Rätsel und Dunkelheiten dieser Schöpfung einzuordnen weiß. Denn keine quälende Angst um eine möglichst vergewisserte „Rettung aus dieser Welt" trübt ihr die Objektivität des Bückes, da sie, hingegeben in die „unerforschlichen Ratschlüsse", vom ewigkeitsruhigen Gott aus in die Welt schaut. Das ist der entscheidende Grund, daß Thomas zugleich der Philosoph der entschiedenen Transzendenz Gottes ist und doch zugleich der Philosoph der „Causae secundae", d. h. der Eigenwirklichkeit. Eigenwirksamkeit und des Eigenwertes des Geschöpflichen, ja daß er dieses Letzte geradezu aus der Transzendenz Gottes ableitet: „das ist", so spricht er, „die Fülle Gottes, daß Er mitteilen kann zu Eigen-Sein". So hegt der entscheidende Unterschied zwischen Thomas und Kant in diesem: Philosophie angsthafter Konstruktion aus einer Frömmigkeit angsthafter Heilsgewißheit, — Philosophie gelöster Aufgeschlossenheit zu Vielfalt und Wandlung der Dinge aus einer Frömmigkeit selbstvergessener Hingabe an den Majestäts-Gott der Unendlichkeit und Unbegreiflichkeit.

Von Kant zu Thomas. Die vergleichende Problematik, die wir eben abschlössen, enthält schon in sich selbst die Frage, in die unsere ganze Untersuchung münden muß: inwieweit ist es möglich, von kantischer Problematik aus immanent zu Thomas durchzustoßen ? Wir können diese Frage doppelt behandeln : negativ in Auseinandersetzung mit den Versuchen, die in diese Richtung hinein bereits unternommen sind, positiv in Umzeichnung der möglichen Weisen. Hierin werden wir dann noch schärfer als bisher in die Grundfragen hinein gezwungen: Apriorismus, Transzendentalismus, Metaphysik. Unsere drei folgenden Teile gliedern sich darum auch dementsprechend. Die Frage des Apriorismus gibt sich uns in der Auseinandersetzung mit Maréchal, der hier seine „transposition" zwischen Thomas und Kant einsetzen läßt. In den Fragen über Transzendentalismus und Metaphysik können wir positiver vorangehen, wenngleich die letzte Frage sich uns in der Konfrontierung zwischen Heideggers und Herrigels Kant-Sicht zu geben haben wird. Auf diesem Weg mündet unsere Untersuchung in das, was sich von Anfang an anbahnte : eine positive Grundlegung von Philosophie als Metaphysik der analogia entis. [i] Das Problem des A p r i o r i s m u s gibt sich in der Gegenwart in einer Art Konvergenz zwischen kantisch orientierter und scholastischer Philosophie. In der ersten hegt es in der Art, wie die Fragestellung Husserls immer tiefer eindrang und die Geisteswissenschaftler (Rothacker) und Naturwissenschaftler (Dingler) selber zwang, sich die Frage nach den geheimen apriorischen Voraussetzungen ihr Methode zu stellen. Für die Neuscholastik begreift es sich in der Abwendung P r z y w a r a , Kant beute.

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— 50 — vorab des französisch-belgischen Neuthomismus von der früheren mehr induktiv-metaphysischen Art der Schulen in Belgien (Mercier) und Deutschland (Gutberiet, Geyser). So ergibt sich von selbst die Frage Maréchals1) nach dem inneren Verhältnis zwischen einem kantischen und thomistischen Apriorismus. Er beginnt sie mit einer k r i t i s c h e n P r ü f u n g der Mögl i c h k e i t e n . Diese Prüfung erstreckt sich naturgemäß zuzunächst auf die Bestimmung der geschichtlichen Fragestellung beider Denker und dann auf die Möglichkeit eines gemeinsamen Nenners für beide Fragestellungen. Bei T h o m a s sieht er sehr nüchtern, was jeglicher Forschung über eine Philosophie des Aquinaten so große Schwierigkeiten bereitet : die ursprünglich theologische Orientierung. Koyré hat seinerzeit für diesen Typ der scholastischen Summen den recht glücklichen Ausdnick „métaphysique religieuse" geprägt. „S.Thomas n'a point écrit d'épistémologie*) ; il n'a pas même publié d'exposé systématique de sa philosophie. La Somme contre les Gentils, qu'on appelle parfois la Somme philosophique est avant tout un traité d'apologétique religieuse. Les Quaestiones disputatae touchent plusieurs questions de pure philosophie. Dans les Commentaires sur les Sentences et dans la Somme Théologique, la pensée philosophique, partout vivante, adapte et restraint ses manifestations au cadre de l ) J. M a r é c h a l S. J., Le Point de Départ de la Métaphysique. Leçons sur le développement historique et théorique du problème de la connaissance (Section philosophique du Museum Lessianum). Bruges

1933—26.

I De l'antiquité à la fin du moyen Age; La critique ancienne de la connaisance. II Le conflit du Rationalisme et de l'Empirisme dans la philosophie moderne, avant Kant. III La Critique de Kant. V Le Thomisme devant la Philosophie critique (die noch ausstehenden Bände sind:) IV Par delà le Kantisme: Vers l'Idéalisme absolu. VI Les épistémologies contemporaines. *) „épistémologie" ist der Ausdruck der neueren französisch-belgischen scholastischen Schulen far die Erkenntniskritik (ImojyftTj).

— 51 — l'enseignement dogmatique. Restent, comme oeuvres de philosophie pure, les Commentaires sur Aristote et un certain nombre d'Opuscules particulières" (V34). Bei K a n t ist es die Schwierigkeit, die aus den verschiedenen Richtungen entspringt, die sich, so gegensätzlich sie zueinander stehen, doch alle auf ihn berufen. Maréchals Kant-Band (cahier III) wählt darum den Weg einer Reduktion auf die ganz unmittelbare Fragestellung Kants, wie sie sich aus der geschichtlichen Situation ergibt. Die Folge ist, daß sich das Bild eines Kant der „Einklammerungen" ergibt. D. h. der Kant irgendwelcher absoluter Behauptungen über das Wesen der Welt tritt völlig zurück gegen den Kant des rein methodischen „so weit komme ich mit meiner Kritik", was mithin allem Übrigen gegenüber weder Bejahung noch Verneinung besagt. „La méthode transcendantale d'analyse de l'objet est une méthode précisive et non exclusive. Dans l'objet de la connaissance spontanée, elle considère seulement l'emprise immédiate des facultés qui érigent celui-ci en objet connu. C'est à dire, en langage kantien : elle considère l'à priori constitutif de l'objet — ou encore les conditions transcendentales de possibilité de l'objet (par opposition à sa condition empirique, le donné sensible). Ce qui revient à dire, en langage scolastique: elle considère le cognoscible en acte selon les conditions qui le constituent dans son actualité cognoscible, — ou bien: selon que le cognoscible en acte est identiquement le connaissant en acte, — ou encore : selon la priorité fonctionelle (aspect limité de la priorité métaphysique) des facultés connaissantes sur leurs opérations objectives" (V 32). Maréchal gewinnt auf diesem Wege nicht nur der Lehre von den apriorischen Formen einen positiven Sinn ab (III 93—145), sondern glaubt auch die berühmte „kopernikanische Wendung" in etwa rechtfertigen zu können, weil sich das „Gesetzgeber der Natur" nur auf die Phänomene beziehe und nicht auf die Dinge-an-sich (III 152f.). So arbeitet sich ihm vor allem der Kant aporetischer Fragestellung heraus: „II n'en reste pas moins vrai que Kant avait, dès 1772, saisi et formulé le problème central de la Critique de la Raison pure: comment des objets sont-ils possibles dans la pensée? 4*

— 52 — ou si l'on préfère, qu'elles sont les conditions de possibilité de la pensée objective? Être objectif, c'est avoir une relation à l'objet. . . Nos concepts purs ne pourraient contracter cette relation que de deux manières: a) comme produits de l'objet reçus dans le sujet ; mais alors ce ne seraient plus des concepts purs, à priori, mais bien des réprésentations particulières des données passives, empiriques, et par conséquent sensibles: une représentation passive en tant qu'intellectuelle est une absurdité; b) comme causes productrices de l'objet: mais il est trop manifeste que notre intelligence ne crée pas l'objet auquel elle se réfère: une intuition intellectuelle active, totalement productrice de son objet, fût-elle possible, dépasse la portée de l'entendement humain" (III 56f.). Und das Endurteil über ihn (bei aller Ablehnung der reinen Grenzideen-Theorien: III 192ff.; 206ff.) ist die Frage, ob es denn nicht also möglich sei ,,forçer Kant à se dépasser lui-même, à renier, au nom de 1 a Critique, les conclusions agnostiques de s a Critique" (III 239), — und die Antwort, daß die „principes d'épistémologie" des Thomismus die , .magistrales mais incomplètes analyses kantiennes" „élargir" könnten (ebd.). So kommt Maréchal zunächst zur Unterscheidung zweier T y p e n von E r k e n n t n i s t h e o r i e . Der eine Typ ordnet Erkenntnis dem Sein unter und will infolgedessen die Objektivität der Erkenntnis rechtfertigen durch eine Reduktion auf die Seinsprobleme (nach M. vorab auf das zwischen Einheit und Vielheit: I 13,153; II S. VIII usw.): „critique métaphysique de l'objet". Der zweite Typ nimmt Erkenntnis in ihrer besonderen Eigenart als immanenten Subjektaktes und will die Objektivität von Erkenntnis erweisen durch Reduktion auf die reinen Akteigenschaften in ihrer dem Materialen der verschiedenen Objekte einheitlich gegenüberstehenden Formalität : „critique transcendental de l'objet" (V 13). Der erste Typ eignet der antiken und mittelalterlichen Erkenntnistheorie. „Iis aperçurent très tôt que le contenu brut de l'esprit présente des éléments contradictoires, qui ne peuvent donc faire indistinctement l'objet d'affirmations légitimes; le problème se ramenait à introduire, dans le contenu de l'esprit,

— 53 — les distinctions et les étagements nécessaires pour sauvegarder le premier principe normatif, tout en faisant droit à la nécessité absolue et universelle de l'affirmation" (V 13). Der zweite Typ ist der kantianische. M. versteht hier „transzendental" im allgemeinen Sinne von Formalität der Erkenntnisfakultät („critique radicale de la faculté même de connaitre" V 13), nimmt das Wort also wesentlich im negativen Sinne des Gegensatzes zu „transzendent" (im Sinne der „Dinge an sich"). Er stellt sich praktisch auf den methodischen Standpunkt der gewöhnlichen neuscholastischen Erkenntnistheorie, die das Problem der Erkenntnis schlechthin als das Problem „de ponte" bezeichnet, d. h. das Problem der Beziehimg immanenter Bewußtseinswelt zur Realität (III 79; V 3 9 3 u.a.). Die tiefere Diskussion des Begriffes „transzendental" nach seinem positiven Sinn, ob „transzendental" im Sinne anthropologischer Idealität des „Subjektes an sich" (im Gegensatz zum empirischen Subjekt) oder voluntaristischer Setzung (im Gegensatz zu passivem Erfahren) oder reiner Geltung (im Gegensatz zu empirischem Phänomen), — diese ganze Diskussion bleibt für die Auseinandersetzimg zwischen Thomas und Kant außer Betracht. M. vollzieht nur praktisch (leider nirgendwo ausführlicher dargelegt) eine Beschränkung des erkenntnistheoretischen Gegenstandes auf die „affirmation métaphysique". Mit anderen Worten : er nimmt zum Gegenstand der Erkenntnistheorie (zum mindesten entscheidend) nicht die Erkenntnis der praktisch sensiblen Realität der Realwissenschaften, sondern die der intelligiblen Realität der reinen Metaphysik, nicht die Realität der Individualwelt, sondern die Realität der Welt der Wesenheiten, aber wiederum nicht, insofern diese als etwas „in sich" gefaßt werden mag, sondern insofern sie „in" der Welt die „eigentliche" Welt ist. So sind ihm die zwei Fragen, die wir seit Husserl scharf zu scheiden gelernt haben, die Frage nach den Wesenheiten und die Frage nach der Wirklichkeit, eine einzige identische Frage. Kraft dieser Terminologie besteht nun für M. eine doppelte B e z i e h u n g s m ö g l i c h k e i t zwischen den beiden Typen. Einmal die einer Reduktion des transzendentalen (im Sinne M.s) auf den metaphysischen Typ. In diesem Sinne

— 54 — spricht M. von einer geschichtlich tatsächlichen sowohl „compénétration de la métaphysique et de l'épistémologie" in der Richtung auf das „problème de l'unité et de la multiplicité" in Antike und Mittelalter (II S. VIIf.) wie von einer Wiederherstellung „de l'unité nécessaire de l'un et du multiple" in Kants Kritik, also einem letzten metaphysischen Charakter seines Transzendentalismus (III S. IX). Die zweite Beziehungsmöglichkeit ist dann die einer „transposition" des metaphysischen Typs auf den transzendentalen. Sie ist, im Unterschied zu der ersten rein geschichtlich vorliegenden, eine aufgegebene und der eigentliche Gegenstand der Untersuchung M.s, da der 5. Band (als „Le Thomisme devant la Philosophie critique") darin gipfelt, die thomistische metaphysische Erkenntnistheorie (V 33—384) nicht nur in der Sprache der transzendentalen darzustellen, sondern auch die so dargestellte als innere Vollendung und Lösung der geschichtlich-transzendentalen zu erweisen (V 385—461). Damit mündet die Darlegung der Vorbedingungen bei M. unmittelbar in die Darlegung seiner Problemstellung ein. — *

M.s P r o b l e m s t e l l u n g einer inneren Übernahme der Anforderungen der Philosophie Kants („contester la légitimité absolue et universelle sinon l'opportunité relative des exigences méthodologiques du Kantianisme" V S. VIII) und daraus inneren Überwindung ihres geschichtlich-tatsächlichen Agnostizismus durch Thomas bzw. den von M. dargelegten Thomismus („élargir les magistrales mais incomplètes analyses kantiennes" III 239), diese Problemstellung ergibt sich in der Tat wie von selber aus den eben dargelegten terminologischen und geschichtlichen Voraussetzungen. Erstens führt die B e s c h r ä n k u n g auf die R e c h t f e r t i g u n g der „ a f f i r m a t i o n m é t a p h y s i q u e " dazu, Thomismus und Kantianismus auf die gemeinsame Ebene der Untersuchung eines Objektes zu stellen, das nach beiden in seiner formalen Gestalt nicht real ist. Denn weder für Kantianismus noch für Thomismus ist das „Allgemeine" (universale) ein schlechthin Vorliegendes in der Realität. Thomas drückt das aus mit der Unterscheidung zwischen

— 55 — ,,id quod" (der Inhalt eines „Allgemeinen", z. B. was zum Wesen des Menschen überhaupt gehört) und „modus quo" (die Form der Allgemeinheit, z. B. das Wesen des „Menschen an sich"). Was real existiert, sind immer nur individuale Menschen, und insofern gehört der „Mensch an sich" nicht der Realsphäre an, sondern ist Produkt des Denkens. Aber die real existierenden Menschen sind wirklich „Menschen", und insofern ist der „Mensch an sich" nicht Fiktion. Dasselbe gibt sich in kantischer Sprache durch die Unterscheidung des Notwendigen und rein Faktischen. Das Notwendige erkenne ich seinem materialen Inhalt nach nur in Verbindung mit dem rein Faktischen (das „Wesen" von Mensch nur in Verbindung mit den Sinneserfahrungen gegebener MenschenIndividuen), aber ich finde es „als" Notwendiges nicht im rein Faktischen vor. Das Notwendige ist also „als" Notwendiges (thomistisch : forma universaÜtatis) „apriori", seinem konkreten Inhalt aber nach (thomistisch: materia universalitatis) „aposteriorisch", mithin die Gesamterkenntnis des Notwendigen „synthetisch", und zwar, da das Notwendige unter der Rücksicht der „Form" der Notwendigkeit das Entscheidende ist, „synthetisch apriori", d. h. eine Synthese von „apriori" und „aposteriori", in der das „apriori" das Formelement bildet. Diese gemeinsame Ebene erweitert sich nun — zweitens — durch die methodologische G l e i c h u n g , die M. zwischen dem E i n h e i t - V i e l h e i t - P r o b l e m als dem Kern von Metaphysik und dem I n t e l l e k t - S i n n e s e r k e n n t n i s Problem als dem Kern von Erkenntnistheorie zieht, so daß die eine, den metaphysischen und transzendentalen Typ von Erkenntnistheorie einende Theorie sich gibt als „théorie du concept synthétique, rendu multipliable par relation extrinsèque à la quantité, et d'autre part, unifié sous l'unité illimitée de l'être" (V40). D.h., indem in der Erkenntnis des Real-Metaphysischen (in demSinne, wie wir sie eben darlegten) sich erkenntnismäßig die durch die sensible Außenwelt hervorgerufene mehr passiv-rezeptive Sinneserkenntnis mit der die Sinneselemente bearbeitenden (bei Thomas durch den „intellectus agens", bei Kant durch die „Kategorien a priori" als Ausdruck der „Spontaneität") Intellekterkenntnis eint,

— 56 — vollzieht sich auch eine Einignng zwischen der sensiblen Außenwelt als der „Welt der Vielheit" und jenem Prinzip der Einheit, das erst in der Intellekterkenntnis aufleuchtet (sei es in der Intellekterkenntnis, insofern sie als in sich geschlossener Akt gefaßt wird, wie bei Kant, sei es in ihr, insofern sie als „assimilatorisch-final", wie M. sich ausdrückt, zum „reinen Sein" zielt, wie bei Thomas). Diese Gleichung hat dann, wie M. immer wieder ausführt, ihren letzten Ausdruck in der Gleichung zwischen dem thomistischen metaphysischen Prinzip von Akt-Potenz und dem kantischen transzendentalen (im Sinne M.s) von Spontaneität-Rezeptivität. Die Erkenntnis überhaupt ist nach M. gekennzeichnet durch das Verhältnis zwischen dem objektbedingten „id quod" des konkreten Erkenntnisinhalts und dem subjektbedingten „modus quo" der Weise des Erkenntnisaktes (I 45, 66ff. u. a.), das ein Verhältnis der Formung des „id quod" durch den „modus quo" besagt (I 66ff.). Diese Formung geschieht innerhalb der reinen Sinneserkenntnis nur unvollkommen, wenngleich doch in gewissem wahren Sinn (III 99ff.) und erreicht in der Intellekterkenntnis ihren Höhepunkt, vom formenden „inteUectus agens" des Menschen zur rein „apriorischen" Erkenntnis der Engel (V 95ff., i03ff.). Für die Erkenntnis gilt: „l'immanence est la condition et la mesure de la connaissance" (V 70). Dieses Faktum drückt sich zunächst allgemein aus, in thomistischer metaphysischer Sprache als Faktum des „actus immanens", in kantischer transzendentalistischer Sprache als „Bewußtseinsgeschlossenheit". Im Lichte der obigen Grundprinzipien beider aber besagt es, für den thomistischen metaphysischen Typ den „Akt" als Formprinzip der „Potenz", für den kantischen transzendentalistischen Typ die „Spontaneität" als Formprinzip der „Rezeptivität". „Potenz" ist im Thomismus Prinzip der Vielheit, „Akt" Prinzip der Einheit, ebenso „Spontaneität" bei Kant Prinzip der Einheitsetzung, „Rezeptivität" Prinzip der Vielheiterfahrung. Akt und Potenz aber sind im Thomismus eins als das eine metaphysische „devenir". Spontaneität und Rezeptivität bei Kant Eins als das eine transzendentale Bewußtseins-Bewegtsein („le fieri de l'objet immanent" V 29). Die Gleichung zwischen Einheit-Vielheit und Intellekt-

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Sinneserkenntnis führt sich also auf die Gleichung zwischen Akt-Potenz und Spontaneität-Rezeptivität zurück, und diese selber ist der Ausdruck der Gleichung zwischen metaphysischem „Werden" und transzendentalem „Werden". Das uralte Werde-Problem in seiner Akt-Potenz-Lösung ist also die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Thomas und Kant. Damit rückt — drittens — ein letztes Problem entscheidend und abschließend in diese ganze Problemstellung: das P r o b l e m der F i n a l i t ä t . Denn alles Werdend-Bewegte ist irgendwie auf ein Ziel gerichtet, und zwar kraft seiner inneren Konstitution. Ist also der Erkenntnisakt, gemäß Thomas wie Kant, ein Werdend-Bewegtes, so folgt, daß sein innerer Sinn sich entscheidend in seiner praktischen Zielrichtung offenbart. Die Eigenschaft, darin der Erkenntnisakt „action" ist, wird zum Erweis dessen, ob er (transzendentalistisch) in sich selbst ruht (also nicht nur methodisch-transzendental in sich selbst betrachtet wird, sondern auch systematisch-transzendental als in sich selbst geschlossen behauptet wird) oder (metaphysisch) auf das objektive Sein zielt. Hier stehen wir am Höhepunkt der Problemstellung M.s. Denn hier vollzieht sich sowohl die letzte Gemeinsamkeit zwischen Thomas und Kant wie ihre entscheidende Gegensätzlichkeit. Ihre letzte Gemeinsamkeit. — Denn nach M. ruht für beide der Erweis der Objektivität des Erkennens (der Durchbrach durch, thomistisch gesprochen, die „species" zur „res", kantisch gesprochen, die „Phänomene" zu den „Dingen in sich") im Aktionscharakter des Erkennens, also thomistisch gesprochen im inneren „appetitus naturalis" des Erkennens auf das „Sein" als sein ihm entsprechendes „bonum" (V 263—306), kantisch gesprochen in der „praktischenVernunft". M. bringt beide auf die gemeinsame Formel: „la valeur objective de la connaissance" ist „formellement manifestée au sujet par l'analyse de ses propres exigences à priori" (V 374). Damit aber schließt sich auch diese „Aktions-Finalität" in gleicher Weise bei Thomas wie bei Kant im „letzten Ziel", d. h. in Gott, entweder kantisch als dem grenzbegriffhaften „transzendentalen Ideal", d. h. der selber unbedingten alles bedingenden Bedingung „aller Möglichkeit" von Objekten

— 58 — (III 190ff.) oder thomistisch als dem „ipsum esse", dem „reinen Sein", das als Urgrund alles Seins Ursinn aller Erkenntnisbewegung ist, als „actus purus" der Urgrund aller ihrer „Aktion" (V 333—369). Thomas und Kant sind also, nach M., eins in einem „apriorischen O b j e k t i v i s m u s " , d. h. in einer Fassung der Apriorität der Erkenntnis, durch die die Objektivität von Erkenntnis nicht geleugnet, sondern als möglich erklärt sein soll (V 103ff. u. a.), — und zweitens in einem „ f i n a l e n D y n a m i s m u s " , d. h. in einer faktischen Rechtfertigung des inneren Anspruches der Erkenntnis auf Objektivität aus der praktischen Ziel-Bewegung des Erkenntnisaktes (III 237ff.; V 3 3 f f . usw.). Ihre entscheidende Gegensätzlichkeit.—Denn bei Kant führt die Betrachtung des Aktionscharakters der Erkenntnis nur zu den „Postulaten" der praktischen Vernunft, d. h. nur zu einer „nécessité morale ou pratique" (I S. IX) und dazu zu einer solchen, die den Agnostizismus der theoretischen Vernunft nicht aufhebt (III 207, 233—235). Für Thomas aber wird der „appetitus naturalis" des Erkennens zum „Sein" hin nicht nur zu einem Postulat, auf das sich eine wahre Objektivität des Erkennens gründet (kraft des Axioms „desiderium naturale non potest esse frustaneum"), sondern begründet eine „nécessité théorique" (I S. IX) der Objektivität, auf dem Weg einer „démonstration analytique, faisant ressortir le lien de dépendance qui existe entre la cohérence rationelle de la tendance et la possibilité ontologique de la Fin (dem „Sein in sich") ; de telle façon que,là ou l'incohérence logique de la tendance n'est pas admissible, la possibilité ontologique de la Fin s'impose absolument" (V334). Folgerichtig erreicht dieser Gegensatz seinen Höhepunkt in der Fassung des „letzten Zieles" dieses Strebecharakters. Bei Kant hat das ,,ens realissimum", d. h. Gott, in der theoretischen Vernunft nur den Charakter der grenzbegriffhaften „letzten Bedingung" aller „Bedingungen der Erkenntnis" (ist also ein „negatives Noumenon", wie M. sich glücklich ausdrückt, „un non-phénomène, tout au plus, une réalité problématique dans la sphère inconnaissable des purs intelligibles" V448), und das Gottespostulat der praktischen Vernunft teilt den Charakter aller ihrer Postulate, die auch

— 59 — trotz des Teleologie-Prinzips der „Kritik der Urteilskraft" „demeurent subjectifs et relatifs" (III 235), d. h. keine theoretische Begründung der Realität Gottes zulassen. Für Thomas aber begründet sich gerade in der inneren Zielrichtung des Erkennens auf das „Sein in sich" Gott als das „reine Sein" (ipsum esse), in dem alles Sein gründet und der darum ist „implicitement affirmé, comme (noumène positif), dans tout jugement", wie korrelat bei Kant als „noumène négatif" die letzte Regulativ-Idee jedes Urteils (V 448). Damit aber ist die Behandlung der Problemstellung bereits unmerklich in die Behandlung der positiven These Maréchals übergeangen. *

Die p o s i t i v e These M.s hat, folgerichtig zu der kritischen Prüfung der Möglichkeiten und zur Problemstellung, zwei Hauptteile. Erstens einen geschichtsmethodischen, der über das tatsächliche Verhältnis zwischen Thomas und Kant urteilt. Zweitens einen sachmethodischen, der dieses Verhältnis zu einer bestimmten Einheit überbaut. Beide Hauptteile aber behandeln, gemäß den Ergebnissen der Problemstellung, das Verhältnis zwischen Thomas und Kant sowohl nach der Gemeinsamkeit zwischen beiden wie nach ihrer Gegensätzlichkeit zueinander. E r s t e n s : das geschichtsmethodische Verhältnis. — Es besteht, kurz gesagt, darin, daß methodischer Transzendentalismus (im früher dargelegten Sinne M.s) für Thomas wie Kant gemeinsam sei, daß sie aber in der letzten systematischen Richtung dieses Transzendentalismus sich grundlegend unterscheiden. Der methodische Transzendentalismus hat zu seinen Bestandteilen: erstens den allgemeinen methodischen Zweifel als Ausgangspunkt, zweitens den aprioristischen Objektivismus als Theorie des Wesens von Erkenntnis, drittens den finalen Dynamismus als Weg der Rechtfertigung ihres Anspruchs auf Objektivität. Alle drei Bestandteile sind aber innerlich geformt durch einen systematischen Transzendentalismus, der bei Thomas ein Transzendentalismus des Seins ist, bei Kant hingegen ein Transzendentalismus des Ich. Das prägt sich zunächst im „allgemeinen methodischen Z w e i f e l " aus. — Entgegen der These unseres neuen



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rheinischen weist M. nach, daß Thomas genau so wie Descartes und Kant die „universalis dubitatio de veritate" an den Anfang setzte: „Illi qui volunt inquirere veritatem non considerando prius dubitationem, assimilantur iis qui nesciunt quo v a d a n t . . . Ista sdentia (metaphysica) sicut habet universalem considerationem de ventate, ita etiam ad eam pertinet universalis dubitatio de ventate" (in Metaph. III i). Aber bereits dieser erste Ansatz von Philosophie oder besser ihre Voraussetzung ist innerlich geformt durch den Gegensatz zwischen Transzendentalismus des Seins (Thomas), dem der (transzendentale) Erkenntnisakt ins (metaphysische) Sein zielt, und Transzendentalismus des Ich (Kant), dem er sich in sich selbst (in der Transzendentalitât) schließt. „Descartes s'efforce de douter tant qu'il peut, c'est à dire aussi fort et aussi loin que s'étend la possibilité immédiate du doute, et sans se mettre beaucoup en peine d'apprécier la valeur intrinsèque de ses raisons de douter; son but est atteindre d'un bond le roc ferme d'une vérité évidente : assez évidente pour apparaître de tous les points indubitable et pour servir de base solide à la reconstruction d'une philosophie. Chez Aristote et S. Thomas, le doute méthodique est aussi la mise en question, devant la raison réfléchie, de l'objet dont on prétend acquérir une connaissance scientifique: par une fiction de méthode, on s'abstient provisoirement de donner à cet objet aucun assentiment: on le traite ,ad modum quaestionis solvendae'; on indague sur les tenants et aboutissants, on soupèse les raisons qui semblent militer pour ou contre sa valeur. Cette attitude est d'ailleurs, ici, plus exclusivement négative et expectante que chez Descartes; elle n'exige point un effort artificiel pour douter positivement, mais seulement la réserve impartiale qui convient à l'examen objectif d'une cause; elle est moins un doute, à vrai dire, qu'une suspension momentanée de jugement pour se donner le loisir de considérer l'hypothèse du doute: .considerando dubitationem' ; si l'appel au tribunal de la réflexion suspend provisoirement toutes les prérogatives de la raison sponThomismus1)

>) K a i l E s c h w e i l e r , Die nrei Wege der neueren Theologie. Augsburg 1926. S. 125ff. u.a.



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tanée, ces prérogatives seront reconnues sans chicane dès que leur bien-fondé apparaîtra. S. Thomas doute moins sérieusement que Descartes; par contre, il doute plus universellement, et ceci importe davantage: le but de S. Thomas n'est pas, comme celui de Descartes, de saisir au plus tôt, parmi d'autres .véritées' possibles, une vérité priviligiée, indubitable et bien défine, qui puisse servir de point de départ constructif: son dessein, moins particularisé, offre plus de portée réelle et, qu'on nous passe le paradoxe, plus de foncière .modernité' : car il s'agit, ni plus ni moins, d'instituer une critique générale du vrai comme tel. Aussi les premiers résultats acquis par le procédé du doute méthodique seront-ils différents dans le thomisme et dans la métaphysique cartésienne: ici, l'évidence intuitive du Moi ontologique (ne va-t-on pas s'y trouver prisonnier?); là-bas, la nécessité objective de l'Etre en général" (V 40). Damit aber, daß, in seinem Ausgang von Descartes her, der Transzendentalismus Kants auf das Ich gerichtet ist (das bei ihm nur aus dem mehr oder minder „ontologischen" Ich Descartes' das Ich der „synthetischen Einheit der Apperzeption" ward) und damit auf eine „Evidenz vor dem Ich durch das Ich", ist nun auch seine innere Gestalt in ihrem entscheidenden Unterschied zum thomistischen Transzendentalismus bestimmt. Gemeinsam für Thomas und Kant ist nach M. (wie wir oben sahen) ein solcher methodischer Transzendentalismus, der erstens seiner Intention nach auf Erklärung und Rechtfertigung der Objektivität der Erkenntnis gerichtet ist („apriorischer Objektivismus") und zweitens diese Rechtfertigung in der Akt-Finalität des Erkennens sucht („finaler Dynamismus"). Der entscheidende Unterschied zwischen Thomas und Kant liegt darum (gemäß dieser Fassung des Gemeinsamen) in ihrer verschiedenen Art der Rechtfertigung. Gewiß finden sich bei Kant die Ansätze zu einer voll durchgeführten Rechtfertigung der Objektivität aus der AktFinalität des Erkennens. Erstens in den Postulaten der „praktischen Vernunft", wie wir bereits sahen. Dann aber zweitens in der eigentümlichen Rolle, die bei Kant die Ästhetik spielt, insofern das ästhetische Urteil nicht nur einen „finalisme subjectif" des Aktes zum Objekt in sich „l'harmonie



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de l'objet avec le jeu libre, sans contrainte, de nos facultés" V 228 fi.), sondern auch einen gewissen „finalisme objectif" enthüllt (V 23off.). Aber es bleibt doch dabei, daß schließlich nur die Postúlate der praktischen Vernunft auf das Objektive im Sinne der „Dinge an sich" gehen und damit (gemäß dem früher Dargelegten) der grundsätzliche Agnostizismus der theoretischen Vernunft nicht aufgehoben wird. „Le sentiment esthétique apparaît en nous comme le .réactif' naturel et immédiat de l'exercice teléologique de la faculté de juger: sous l'affirmation esthétique — ,cela est beau' — le sentiment qui la fonde met l'approbation confuse de tout notre être, qui jouit de s'éployer librement selon sa loi propre. En un sens très rigoureux l'on pourrait donc dire que nous sentons directement notre finalité personelle, et que la finalité des objets est un postulat logique de notre vie affective. Tant vaut le sentiment comme révélateur de notre être profond, tant valent aussi les présupposés théoriques du sentiment, c'est à dire la finalité universelle. Pourtant, ici encore, n'exagérons rien, et ne nous laissons pas gliser insensiblement de Kant à Schleiermacher. La distance reste grande entre les postulats kantiens de la Raison pure pratique et les présupposés de la vie affective : les premiers participent à l'exigence universelle du devoir, ils touchent l'objectif et l'absolu; les seconds sont liés à l'exercice concret d'une tendance, ils demeurent subjectifs et relatifs, si impérieux soient-ils." (III 235.) ,,I1 ne faut pas oublier, qu'aux yeux même de Kant, les idées transcendentales, simples exigences subjectives pour la raison théorique, reçoivent de la volonté morale et du sentiment une précieuse consécration. Par une véritable convergence de ses facultés — cognitives et appétitives — l'homme est entrainé, de toutes parts, à l'affirmation des mêmes objets problématiques: Dieu d'abord, soit comme Être absolu, soit, du moins comme .suprême Architecte de l'univers' ; puis le Moi, comme sujet moral, libre et subsistant, ou comme finalité active réagissant sur les objets; enfin, la Nature, comme unité mondiale ou comme système de fins objectives. Ces idées, qui s'imposent à tant de titres, que leur manque-t-il, pour atteindre — non pas la certitude subjective :

— 63 — elles la possèdent — mais la pleine .vérité objective' d'un objet de science? Kant l'a redit cent fois: il leur manque d'être constitutives d'un objet théorique nécessaire. Les présupposés du sentiment sont bien, à vrai dire, dans notre poursuite des fins particulières, ,constitutifs' de notre action concrète: mais notre action concrète n'est jamais, en soi, absolument nécessaire. Les postulats de la Raison pratique sont pareillement „constitutifs* de notre action, et cette fois, de notre action morale comme telle, donc d'une action absolument nécessaire parce que purement ,obligatoire': leur valeur pratique est donc absolue: mais ils ne jouissent pas encore de cette nécessité théorique qui fait la mafque immédiate du .vrai' objectif. Ni présupposés du sentiment, ni postulats de la Raison pratique ne sont »praktisch bestimmend' c'est à dire explique Kant, que s'ils apparaissent comme ,1a seule forme possible de notre pensée', soit relativement à une action donnée, soit même .absolument' et pour toute action quelconque, ils n'apparaissent point encore comme ,1a seule forme de possibilité des objets'. Aussi, au point théorique, demeurent-ils des principes .régulateurs' de notre pensée, des expressions du .besoin subjectif' d'unité de notre raison, pas davantage" (III 236). Der Grund aber dieses letzten Agnostizismus (wie M. durchgehend die Philosophie Kants nennt) ist, wie schon die letzten Zeilen der eben angeführten Stelle andeuten, die Verschließung des methodischen in einen systematischen Transzendentalismus der Subjektivität. M. nennt es, mit Rücksicht auf das Leerlaufen der in die Objektivität der „Dinge an sich" weisenden dynamischen Finalität bei Kant, ein Erstarren oder Statischwerden der „conception dynamiste de l'entendement" (III 238) zu einer „conception trop exclusivement formelle et statique de la connaissance" (V 4), zu einem „conceptualisme stérile" (ebd.). Das ist aber nichts anderes als Absolutsetzen der transzendentalen Subjektivität (V426). „Malgré les expressions dynamistes .fonction, activité synthétique, etc.' qu'emploie Kant comme tout le monde, ses démonstrations reposent exclusivement sur des emboîtements immobiles de conditions à priori, sur une hiérarchie logiquement nécessaire de .formes' et de .règles'. En ceci, les Néo-

— 64 — kantiens de Marbourg ont vu juste : la Critique de la Raison pure est avant tout une nomologie et une méthodologie de la raison. Kant n'a pu éliminer complètement de son esprit le levain du wolfianisme: il en demeure à l'analyse statique; chez lui, la considération ,transcendentale', d'où pouvait jaillir — croira Fichte — l'affirmation conquérante de l'acte, se renferme dans le minutieux et définitif repérage de la forme" (III 238). Während also Kant, kraft seiner Abbiegung der überhinausweisenden dynamischen Finalität in eine in sich ruhende transzendentale Subjektivität zurück, in einem systematischen Transzendentalismus des Ich sich zusammenschließt, übt bei Thomas dieselbe dynamische Finalität (der „appetitus naturalis" des Erkennens auf das „Sein in sich" als sein „bonum") ihren „rôle spéculatif", wie M. sagt (V6), d.h. wird zur inneren theoretischen Begründimg der metaphysischen Objektivität des Erkennens, zur Begründung des systematischen Transzendentalismus des Seins, der als solcher aufhört „systematischer Transzendentalismus" im Kant-Sinn zu sein, und Metaphysik ist. Damit aber gehen wir in den zweiten Hauptteil der positiven These M.s über, in seine sachmethodische Darlegung der thomistischen Erkenntnistheorie als der inneren Überwindung und Erfüllung Kants („Kant, le patient initiateur, serait complété plutôt que contredit" (V30). Z w e i t e n s : die sachmethodische These. — Wenn wir den Buchtitel M.s benutzen, können wir diese These so formulieren: der in seinen inneren Richtungen rein durchgeführte methodische Transzendentalismus (in dem früher bestimmten Sinn) ist ,,le point de Départ de la Métaphysique". Der Beweis ist mithin dann gelungen, wenn der rein durchgeführte methodische Transzendentalismus die Grundthese der Metaphysik grundlegt. Nun aber endet nach M. der methodische Transzendentalismus in die dynamische Finalität des transzendentalen Aktes auf die „Dinge an sich", die Grundthese der Metaphysik aber, ebenso nach M., ist die Behauptung des Widerspruchsprinzips in der Fassung des Identitätsprinzips („le principe d'identité ou de contradiction" I 28; „quod est, est" V 44, 206), also eines absoluten „ist" (im

— 65 — Unterschied zum „Relativen" eines reinen Transzendentalismus, der nur die Erkenntnis-, .beziehung" zur Grundlage hat, d. h. nichts über das schlechthinnige Dasein-Bestehen der Beziehungspunkte, des Subjekts wie des Objekts als Realitäten, aussagt). Also haben wir eine Grundlegung der Grundthese der Metaphysik durch den methodischen Transzendentalismus, wenn die dynamische Finalität nicht nur in der Form eines „Postulates", sondern in der Form einer „cohérence logique" (V 334) das „absolute Sein" setzt. Das aber geschieht nach M. tatsächlich und allein in jenem Punkt, in dem die dynamische Finalität gipfelt, in Gott als dem „absoluten Sein". Das Paradox der metaphysischen Erkenntnis, daß nämlich ein individuelles und kontingentes Subjekt Träger von Allgemeinem und Absolutem sei („la disproportion inquiétante d'une pensée individuelle et contingente chargée de signification universelle et absolue" V S. XVIII), löst sich durch den dynamisch-finalen Charakter der Erkenntnis als gehend „incessamment de l'Absolu (Gott) à l'Absolu: de l'Absolu, Cause première, qui la meut d'une motion naturelle, à l'Absolu, Fin dernière, qu'elle s'efforce de rejoindre par des actes élicites" (ebd.). Indem nach Thomas „tout objet d'intelligence revêt. . . une relation nécessaire à l'absolu de l'être" (V51), anderseits aber ebenso der subjektive „dynamisme intellectuel" durch die „forma generalissima entis" bestimmt ist, d. h. das Sein schlechthin zu seinem inneren Sinn hat (V 274ff.), ist nach M. alle Erkenntnis des Objektiven begründet im „ipsum esse" Gottes und darum dieses „Être absolu" „implicitement affirmé, comme .noumène positif' dans tout jugement" (V 448). Der Beweis M.s hierfür hat acht Etappen. — Erstens ist es bereits Bestandteil des methodischen Transzendentalismus, daß Gott die selber unbedingte Bedingung aller Bedingungen der Erkenntnis sei. — Zweitens ist es thomistische Grundlehre, daß der dem Intellekt innere „appetitus naturalis" (seine „dynamische Finalität") auf das Sein schlechthin gehe und darin auf Gott als das „esse ipsum" : „mouvement assimilateur tendant vers une Fin dernière absolue" (V 334). „La fin subjective adéquate de notre dynamisme intellectuel. . . consiste dans une ,assimilation' saturante de la forme de P r z y w a r a , Kant beute.

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l'être, en d'autres termes dans la possession de Dieu." (V 336). — Damit aber — drittens — ist die Möglichkeit dieses Zieles logisch mitbehauptet: „cette fin quoique surnaturelle, doit être, en soi, possible: sinon la tendance radicale de notre nature intellectuelle devient une absurdité logique: l'appétit du néant" (ebd.). — Dann aber ist — viertens — in solcher Behauptung der Möglichkeit des subjektiven Zieles auch die Möglichkeit der in ihm mitausgesagten Realität Gottes (als des objektiven Zieles) mitbehauptet : „pour que l'assimilation à l'Être absolu soit possible, il faut avant tout que cet Être absolu existe. . . . Le sujet connaissant s'engage lui-même, par nécessité logique, pour cet ,il faut' . . . Car si l'on peut à la rigeur tendre à un but sans certitude d'y atteindre, et même avec la certitude que l'on n'y atteindra pas, on ne saurait, sauf à se contredire, poursuivre une fin que l'on juge absolument et sous tous rapports irréalisable. Ce serait vouloir du néant'" (ebd.). — Da nun aber — fünftens — Gott, wenn Er ist, das „ens necessarium" ist, das notwendig Seiende, so beschließt die Behauptimg der Möglichkeit seiner Realität die Behauptung seiner tatsächlichen realen Existenz ein. „Lorsque la ,fin subjective' est un objet fini, le mode de réalité de ce dernier n'est point totalement fixé par le seul fait de .terminer' objectivement une tendance . . . Mais lorsque cet objet est Dieu, lorsque la fin objective s'identifie avec l'Être nécessaire par soi (Acte pur), qui n'a pas d'autre mode de réalité que l'existence absolue, l'exigence dialectique enveloppée dans le désir prend une portée nouvelle — et cela, non pas à raison du seul désir naturel, mais à raison de l'objet du désir: affirmer de Dieu qu'il est possible, c'est affirmer purement et simplement qu-il existe, puisque son existence est la condition de toute possibilité" (V 337). Indem aber nun die subjektive Finalität zu Gott eine „nécessité à priori" des Erkennens überhaupt ist (kraft des „appetitus naturalis" des Erkennens auf das „Sein in sich"), ist endlich — sechstens —„notre affirmation implicite de l'Être absolu" ebenfalls „nécessaire à priori". „Lorsque la fin subjective est la fin dernière, elle est poursuivie nécessairement, en vertu d'une disposition à priori, d'un vouloir naturel, logiquement préalable à toute activité contingente. Or, vouloir

— 67 — nécessairement et à priori la fin subjective, c'est en adopter nécessairement à priori la possibilité, et c'est par conséquence affirmer nécessairement et à priori l'existence (nécessaire) de la fin objective. Notre affirmation implicite de l'Être absolu porte donc la marque d'une nécessité à priori, ce qu'il fallait démontrer" (V338). Da also die Objektivität des Erkennens in Gott und von Gott her als dem „ens necessarium" gerechtfertigt ist, so vollzieht sich mithin — siebtens — die Rechtfertigung der Objektivität aller Erkenntnis im Maße des Zusammenhanges der betr. Objekte mit Gott, d. h. auf Grund ihrer „nécessité hypothétique", die sie durch ihren faktischen Ursprung aus Gott haben. „Une fois que les réprésentations contingentes sont introduites dans le dynamisme intellectuel, il est nécessaire à priori qu'elles rapportent, comme fins subordonnées, à la Fin dernière. Leur existence objective logiquement enveloppée dans leur assimilation contingente, s'appuit ellemême à une nécessité: dum sunt, non possunt non esse" (V 3 38f.). Mithin, entsprechend diesem objektiven Zusammenhang, geschieht — achtens — nun auch das subjektive Erkennen wesenhaft „in Gott". „Si la relation des données à la Fin dernière de l'intelligence est une condition a priori intrinsèquement constitutive' de tout objet de notre pensée, la connaissance analogique de l'Être absolu, comme terme supérieur et ineffable de cette relation, entre „implicitement* dans notre conscience immédiate de tout objet en tant qu' objet" (V 425) und „nous trouvons celui ci (la nécessité objective d'un Être absolu) implicitement affirmé comme ,noumène positif', dans tout jugement" (V 448), und das ist „la suprême garantie spéculative qu'exigent les philosophes critiques" (V425). Gewiß erscheint damit die unmittelbare Schau Gottes (visio beatifica) in der letzten Perspektive dieser erkenntniskritischen Begründung. „En effet, notre capacité foncière s'étend jusqu'à une fin dernière, lointainement possible, qui est l'assimilation intuitive de Dieu même" (V 350). Wohl kann man sagen, daß die Beweisführungen nur auf die Möglichkeit dieses letzten Zieles gehen (V 351), und zweitens durch die in 5*



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ihnen behauptete „transcendance de l'Être infini" selber geben „la raison péremptoire de notre impuissance, tant physique que juridique, à le posséder directement" (V350). Aber immerhin besteht doch „la vision béatifique de Dieu comme objet dernier de notre tendance profonde", und ohne ihre Gewährung „la disproportion, chez l'homme, entre le désir et le pouvoir serait. . . flagrante" (V 350). Mithin ist hier Erkenntniskritik wie Metaphysik „offen nach oben". „La métaphysique du sujet connaissant, si on la veut parfaire, ouvre une option que la raison, laissée à elle-même, est impuissante à trancher" (V352). Für sich genommen, „notre théorie métaphysique de la connaissance suppose-t-elle la,non-impossibilité en soi' d'une intuition essentielle de l'Être absolu" (V S. XX). Gewiß, endlich, erscheint in der Theorie M.s so etwas wie eine Erneuerung der Theorie des „ontologischen Intuitionismus" stattzuhaben, da sie alles „in Gott" erkennen läßt. Aber das ist kein „Schauen", sondern besagt nur das der Reflexion aufleuchtende Gründen der Objektivität unseres Erkennens „in Gott". „L'affirmation de l'Infini" als „condition dynamique constitutive de l'objet pensé, n'a rien de commun avec une .vision des objets en Dieu', ni avec une „idée innée', fût-ce seulement .virtuelle' au sens cartésien. Purement implicite et .exercée* dans l'aperception des objets finis, elle ne peut s'expliciter que dialectiquement, par réflexion et analyse" (V453). Es ist nichts anderes als „le couple de l'Être absolu et de la participation déficiente à l'Être absolu, le couple de l',esse imparticipatum' et de l'.esse participatum', der sich findet „au fond de nos concepts („in exercitio" cuiuslibet apprehensionis intellectualis)" : „l'analogie générale de l'être" (I 79). Es ist die „connaissance analogique" (V350). Aber bei all dem bleibt bestehen, daß der kritische Erkenntnisweg nicht durch die Sinnesgegebenheiten zu den Dingen unmittelbar geht (V 88f.), sondern allein über jene „Mittelung" durch die Finalität unseres Erkennens zu Gott hin, die da ist „formellement manifestée au sujet par l'analyse de ses propres exigences à priori" (V 374) : ein Weg zur Objektivität der Dinge über ihre ewige Verbundenheit mit Gott in Gott (V338f.), und ein solcher Weg in der Tiefe des erkennenden Ich (V 64ff., 346 Anm. 2).

— 69 — Während im Ausbau Kants durch den absoluten Idealismus „le Moi transcendental se confond, subjectivement et objectivement, avec le principe absolu postulé par la raison à l'origine de toutes choses" (V 426), öffnet sich hier vom volldurchschauten transzendentalen Ich aus der Blick zu Gott und über Gott zu den Dingen: der systematische Transzendentalismus des Seins im scharfen Unterschied zum Transzendentalismus des Ich (V 40). Die so gewonnene Einheit ist offenbar die eines k r i t i s c h en Piatonismus. Der bisher nur halb ausgesprochene Platonismus des belgisch-französischen Neu-Thomismus (in seiner Aufstellung einer von den Realwissenschaften vollkommen unabhängigen Metaphysik) hat durch M. seine entscheidende erkenntnistheoretische Begründung erhalten, die gleichzeitig seinen Piatonismuscharakter (und darin den Platonismus von Thomismus als Schule überhaupt) voll enthüllt. Denn Piatonismus und dazu ein „christlicher Piatonismus" im Sinne Augustins und Anselms sind gekennzeichnet: erstens durch die Lehre von einer Metaphysik der „ewigen Wesenheiten", d. h. Philosophie nicht als Erforschung der konkreten Individualwelt, sondern als Ergründung ihrer allgemeinen notwendigen Wesenheiten (scientia universalium), — zweitens durch die konsequente Erkenntnislehre von einem „Aufschwung zum ewigen Sein" als der diesen „ewigen Wesenheiten" entsprechenden Erkenntnishaltung (im Gegensatz zu einer Durchdringung der Sinnesgegebenheiten), — endlich drittens abschließend durch den Gottesweg, wie Anselm ihn grundlegte, d. h. über Gottes Wesenheit zu seiner hieraus folgenden Existenz. Diese drei Punkte aber sind M.s Grundpositionen. Dem ersten entspricht seine deutlich ausgesprochene Voraussetzung der „scientia universalium" (I 45ff., 120ff. u. a.), dem zweiten seine Lehre vom „mouvement assimilateur" zum „ipsum esse" Gottes als derjenigen Haltung, in der die Erkenntnis an das Sein objektiv rührt (das Sinneselement der Erkenntnis nur als „élément de représentation", dagegen die „signification objective" durch die „relation ontologique à l'Absolu" V 442), also in vollkommener

— 70 — Erneuerung des platonischen „ofiotova&ai Dem dritten aber ist korrelat seine Gewinnung des Daseins Gottes über die Einsicht der Idee Gottes als innerer Zielidee des Erkennens und der Möglichkeit des Daseins Gottes als innerer Bedingung der aktuellen Zielgerichtetheit desselben. Dieser ausgesprochene Piatonismus aber führt nun zu einer Thomasauifassung (und folgerichtig zu einer entsprechenden Kantauffassung), die „eine" Seite zur alleinigen macht. Was zunächst T h o m a s betrifft, so wird man gewiß nicht leugnen können, daß die Elemente der Theorie M.s sich bei ihm finden. Es ist die platonisch-augustinische Seite in ihm, die vorab in der Quaestio disputata de Veritate (die darum M. mit Vorliebe anführt) heraustritt. Aber es ist ebenso unleugbar, daß diese Seite, vorab durch den Kommentar zu Boethius de Trinitate (der bei M. bedenklich zurücktritt) und die scharfen Stellen der Erkenntnislehre in der Summa Theologica deutlich paralysiert ist durch einen in der Richtung einer empirisch fundierten Metaphysik ausgebauten Aristotelismus. Ja, die Quaestio de Veritate selber stellt der, den methodischen Hauptsatz des Piatonismus bildenden ,,reductio in prima principia innata" den scharfen Gegensatz einer ,,reductio in sensibilia" entgegen (Ver. q 12 a ß ad 2 und 3: indiget sicut extremo et ultimo ad quod resolutio fiat). Dieser Aristotelismus nimmt in allen drei Punkten, die wir eben durchgingen, den entgegengesetzten Standpunkt zu M.s Thomismus ein. Im Begriff von Metaphysik überhaupt zielt er, in deutlichen Ansätzen, auf eine Lehre vom Verhältnis zwischen Allgemeinem und Individuellem, die die spätere „scientia individualium" Skotus-Suarezs grundlegt (S. Th. 1 q 5 7 a 2 c o r p ; Comp, theol. c. 71 -f 102). Im Begriff der metaphysischen Erkenntnis baut er die Kausalität der Sinnesgegebenheiten so stark aus, daß sogar die „ersten Prinzipien" auf sie zurückgeführt erscheinen (in Boeth. de Trin. q 6 a 4corp) und Stärke und Umfang der Intellekterkenntnis von den Sinnen direkt abhängig sich gibt (S. Th. 1 q 85 a 7 corp; ebd. q 12 a 12 corp), so daß alle Erkenntnis „reiner Wesenheiten" ein schlechthin „Erfolgendes" aus der grundlegenden Sinneserkenntnis ist (in Boeth. de Trin. q 6 a 4 corp. ebd. a 2 ad 51 S. Th. 1 q 84 a 7)- Und folgerichtig ruht auch

— 71 — der Weg zu Gott so ausschließlich auf den Voraussetzungen der Sinne, daß alle Inhaltlichkeit des Bildes Gottes von ihnen her ist (S. Th. i q 84 a 7 ad 3; S. Th. 1 q 12 a 13 corp) und Gott darum in dieser Zeitlichkeit „tamquam ignotus" erscheint, weil alle Erkenntnis von Geistigem „per negationem et remotionem" ist (in Boeth. de Trin. q 6 a 3 corp; ebd. q 1 a 2 corp; ebd. q 1 a 2 ad 1), so daß die Ablehnung des anselmischen Weges aus der innersten positiven Denkart des Aquinaten sich ergibt (S. Th. 1 q 1 + 1 q 88 a 4). Es steht also die aristotelische Seite in Thomas zum mindesten gleichberechtigt neben der platonisch-augustinischen. Dann aber ist der wahre Thomas das Verhältnis zwischen seinen beiden Seiten. D. h. jene Grund-Aporetik, von der der Neu-Thomismus ausgehen will, die er aber verfehlt, ist das spezifisch thomashafte „Zwischen" dieser beiden Seiten1). Was ist nun aber der tiefere Grund, warum M. zu seinem einseitigen Thomasbild kommt ? Wir haben es bereits angedeutet, als wir davon sprachen, daß er über das Identitätsprinzip zu Gott als dem Rechtfertigungsgrund der Objektivität des Erkennens komme. Hier liegt in der Tat der Angelpunkt des Ganzen. Thomas legt nicht das Identitätsprinzip, sondern das Kontradiktionsprinzip seiner ganzen Metaphysik zugrunde (S. Th. 2, 2 q 1 a 7 corp.; Contr. Gent. 2; 83 usw.). Dadurch aber, daß das Kontradiktionsprinzip eine negative Form hat („es kann nicht ein und dasselbe unter ein und derselben Rücksicht zugleich sein und nicht sein"), ist es sozusagen innerlich „in potentia" zu jenem Prinzip, das das eigentlich positive Grundprinzip ist, das Prinzip der „analogia entis". Wird aber das Identitätsprinzip zugrunde gelegt, so ist von diesem „was ist, ist" nur ein doppelter Weg möglich: entweder die Gleichsetzimg dieses „ist" mit dem Geschöpf (der Weg des deutschen Idealismus) oder mit Gott (der Weg des Ontologismus)1). M. sucht diesem Dilemma zu *) vgl. vom Verf. „Ringen der Gegenwart" (Augsburg 1929) II, 906 ff. *) Vgl. hierzu die tiefgehenden Auseinandersetzungen von F. M. S l a deczek Ober „Das Widerspruchsprinzip und der Satz vom hinreichenden Grunde" in Scholastik 2 (1927) 1 ff., die aber der Ergänzung durch das oben berührte Verhältnis zwischen Kontradiktions- und Analogie-Prinzip bedürfen.

— 72 — entgehen, indem er erstens von einer Synthese von Sinneserkenntnis und Intellekterkenntnis spricht (wodurch eine Intuition des reinen Seins sich ausschließe: I 145ff. usw.), und zweitens nachdrücklich die „Analogie" in sein System einführt (V 176ff.). Aber erstens ist seine ,,Synthese" (gemäß dem „apriorischen Objektivismus") ein „weg" von den Sinnen zum allein Eigentlichen des reinen Intellekts, zweitens ist seine „Analogie", folgerichtig zur Rechtfertigung der Objektivität von Gott her, eine Analogie „von oben nach unten" oder eine Analogie der „cognitio matutina", d. h. entscheidend nicht Erkenntnis Gottes aus und in den Dingen, sondern Erkenntnis der Dinge aus und in Gott. Man wird wohl, zu klarem Unterschied gegen einen Ontologismus, das System M.s als kritischen Seins-Finalismus bezeichnen können. Die implizierte Erkenntnistheorie des französisch-belgischen Neu-Thomismus ist sonst die Theorie einer Intuition des Seins als Sein. Eine solche Theorie steht natürlich in einer gewissen Nähe zu einem Ontologismus. Ja, sie könnte, im Licht unseres obigen Dilemmas, direkt als seine Bejahung erscheinen (wenn nicht, anderswoher, eine Unterscheidung zwischen Gott und dem reinen Sein eingeführt ist). M. ist zu scharfblickend, um eine solche Theorie mitzumachen. Er wandelt zunächst die statische Intuition in eine erkenntnisdurchleuchtete dynamische Finalität um. Zweitens da der terminus a quo das geschöpfliche Erkennen ist, so trägt diese „Intuition in der Finalität" ebenfalls den Charakter des Geschöpflichen, ist irgendwie ein „zu Gott vom Geschöpf und durch das Geschöpf". In die ursprüngliche Unmittelbarkeit zum reinen Sein spannt sich also eine doppelte Distanz ein: die Distanz, die in Finalität als Finalität hegt, und die Distanz, die von der Geschöpflichkeit des terminus a quo einspielt. Aber auch so wird man sagen müssen, daß der direkte Zug des Systems M.s auf ein „von Gott zu den Geschöpfen" gehe, während die eben erörterten Momente den Sinn eines Einschränkens und Bremsens haben. Wenn (wie M. es sehr klar sieht) die scholastischen Summen des Mittelalters insofern in ihrer Erkenntnishaltung ein „von Gott zu den Geschöpfen" sind, als sie von Theologie her philosophieren, so ist das System M.s der Versuch, diese Haltung

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aus der Ebene des „von Theologie zu Philosophie", wo sie ihren eindeutig notwendigen Sinn hat, in die Ebene „reiner Philosophie" zu übertragen, wo sie ebenso notwendig ihre zum mindesten großen Schwierigkeiten hat. Von hier aus stellt sich aber nun das Problem K a n t s in einem neuen Lichte dar. M. gibt auf die Frage, warum Kant über den apriorischen „Objektivismus" und die „dynamische Finalität" nicht zu einer Überwindung des Agnostizismus komme, nur die Antwort, daß sein, von Wolff überkommener „statischer Konzeptualismus" daran schuld sei. Im Lichte der Erörterungen über Identitätsprinzip und Kontradiktionsprinzip können wir aber nun tiefer sehen. Als tiefster Grund der Hemmungen Kants gibt sich gewiß ein Wölfisches Relikt. Aber es ist sein humanitäts-rationalistischer Ontologismus, die Ableitung der empirischen Welt aus dem „reinen Sein". Indem dieses „reine Sein" in der menschlichen Vernunft als ihre Grundintuition aufleuchtet, gerät diese in eine enge Einheit zur göttlichen Vernunft. In seiner Grundintuition trägt menschliches Erkennen irgendwie göttlichen Charakter. Dann aber transponiert sich folgerichtig der Gegensatz zwischen Menschlichem und Göttlichem in den Gegensatz zwischen Sinnesleben und Vernunft. Wir gewinnen die Vergöttlichung der Vernunft gegenüber der Verworfenheit der Sinneswelt (oder wenigstens gegenüber der Sinneswelt als einem un-eigenständig unentwickelt Geistigen: Descartes-Leibniz). Die „Synthese" Kants aber zwischen Rationalismus und Empirismus gibt sich als WiderspruchIdentität, wie wir früher sagten. Denn bei ihm stellt sich die Einheit der „Humanität", die göttliche Züge trägt, als solche dar, in der einmal die Sinnesseite als das „Chaotische" (bis zum „Radikal-Bösen") gegenüber der ewigen „Ordnung" der Geistesseite sich gibt, auf der anderen Seite aber die Geistesseite an die Sinnesseite so sehr innerlich geknüpft ist, daß sie als ihr selber unselbständiges Formalprinzip und letztlich identisch mit ihr erscheint. Gewiß tendiert Kant wie Thomas auf eine „Synthese" zwischen Sinnesseite und Geistesseite. Aber durch die usurpierten göttlichen Züge des Menschen bei Kant wird diese Synthese bei ihm zu einer Einheit von Widerspruch und Identität. Und darum gibt sich jener „unendliche

— 74 — Progreß", darin Kant eine wahre Erneuerung der platonischen Bewegtheit zum ewigen Sein zu bedeuten scheint, nicht als ein Piatonismus beruhigten Rhythmus, sondern als ein schmerzlicher Krampf, als Piatonismus der tragischen Unruhe. Damit aber ist, wie es scheint, doch ein echter Sinn eines „platonischen Thomas" zugestanden. In der Tat müssen wir, der Methode nach, von einem doppelten Piatonismus Thomas von Aquins sprechen, — und das ist der bleibende Kern des Werkes Mar6chals. Das Erste ist die aus dem vollen Leben aufsteigende rastlose Bewegtheit des Erkennens. Piaton heißt, nach dem trefflichen Wort des französischen Piatonforschers Difcs, „le maitre des ceux qui cherchent" (Autour de Piaton, Paris 1926, S. 299), und die Art seines Denkens trägt die satten Farben sinnenhafter Lebendigkeit. Für Thomas aber steht über dem menschlichen Erkennen das Wort „in infinitum" „ins Unendliche immer weiter" (S. Th. 1 q 86 a 2 ad 4) und „alia et alia conceptione" „in immer neuem Erfassen" (de Ver. q 2 a 5 ad n ) , und es ist ein Erkennen, dessen Fülle und Kraft gebunden ist an Fülle und Kraft des Sinnenlebens (S.Th. 1 q85 a7 corp), ja an die Wohlgestalt des Leibes selber („quanto corpus est melius" ebd.). Das Zweite ist die innere Ewigkeits-Religiosität dieses Erkennens. Bei Piaton ist es der feierliche Mysterien-Hauch, der es durchatmet, und das „hin zu Gott" des „ofioiovo&ai in das es zielt. Bei Thomas wird es zu jener geheimnisvollen Art, darin das Leuchten des „intellectus agens" das Widerleuchten des göttlichen Geist-Lichtes ist, der tiefe Augustinismus, der den Muttergrund des Aquinaten darstellt. Aber es ist die Reife dieses Thomas-Platonismus, daß er, ruhend in diesem heiligen „in Gott", den kühlen Blick der Ehrfurcht gewinnt für die Distanz zwischen Gott und Geschöpf. Er treibt den Aristotelismus der „causae secundae" und darin eine Metaphysik der sich wandelnden konkreten individualen Diesseitswelt der Sinne empor aus dem großen Bewußtsein des „Gott alles in allem": „so ist zu verstehen, daß Gott wirke in den Dingen, daß doch die Dinge selbst Eigentätigkeit haben" (S. Th. 1 q 105 a 5 corp). Der Thomas-Platonismus wirkt sich aus in die beruhigte Bejahung der konkreten Welt.

— 75 — Das ist nicht Aphorismus oder Aposteriorismus, sondern ihre innere Bindimg in der Unterscheidung.

[2] Kant und T r a n s z e n d e n t a l i s m u s scheinen umkehrbare Begriffe. Und doch hat Transzendentalismus eine ganz verschiedene Bedeutung, je nachdem sein Gegenpol ist. Transzendentalismus gibt sich einmal als „Subjektivismus" im Gegensatz zu einem „Objektivismus" der Scholastik. Während es nach Thomas in der „natura" des „ipse intellectus" liegt, „ut rebus conformetur" (Ver. q i a 9 corp), gilt für Kant die „kopernikanische Wendung", daß die Dinge (der „mundus sensibilis") als „Materie" ihre „Form" in den Kategorien des Subjekts empfangen. Dann aber erscheint derselbe Transzendentalismus als „Idealismus" gegenüber „Naturalismus" oder gar „Materialismus". Der Primat des Geistes über die Natur, der Form über die Materie ist nach ihm erkenntnistheoretisch darin begründet, daß erst im reinen intelligere als dem Akt des Geistes die Dinge nach ihrem Wesen erscheinen. Kantische „Formung" und thomistische „Abstraktion" scheinen dann in einer Front zu stehen gegen jede Sensualisierung der Erkenntnis. Die innere Auseinandersetzung zwischen Kant und Thomas zieht sich mithin auf die Frage des Transzendentalismus nicht in dem Sinn zusammen, daß Kant und Transzendentalismus völlig identisch wären. Es geht vielmehr offenbar um einen bestimmten Sinn von Transzendentalismus, um den, der mit „Subjektivismus" sich eben gab. Es geht aber entsprechend ebenso um Heraushebung jenes Sinnes von Transzendentalismus, der in „Idealismus" sich aussprach. Es geht also folgerichtig um einen Transzendentalismus, der so Idealismus ist, daß er nicht Subjektivismus ist. Wir schlagen hierzu einen doppelten Weg ein. Zuerst suchen wir aus dem klassischen Problem von Philosophie überhaupt einen Zugang zum inneren Verständnis des Kantischen Transzendentalismus. Dann bahnen wir uns aus den Schwierigkeiten dieses Transzendentalismus den Ausgang in einen solchen, der den kantischen von innen her überwindet. •

— 76 — Von den Vorsokratikern her hat sich eine ganz allgemeine Begriffsbestimmung für Philosophie gebildet: es geht in ihr um das Eine gegenüber dem Vielhaften, um das Notwendige gegenüber dem Zufälligen, um das Ewige gegenüber dem Vergänglichen. Denn die Frage der Philosophie zielt auf den letzten Ursprung (a^xv) und den letzten Ziel-Sinn (r&os), auf das Erste (nq&iov) und Letzte (taxarov). Das vorliegend Gegebene ist vielhaft. Aber in der Verwandtschaft der vielhaften Dinge zueinander weist es rückwärts auf ein Eines, von dem die Vielfalt her ist, und das fortschreitende Sich-Binden der Dinge zueinander zielt in ein Eines, zu dem die Vielfalt hin ist. — Das vorliegend Gegebene ist weiter zufällig. Denn jedes einzelne Ding könnte auch anders sein und könnte auch überhaupt nicht sein. Aber diese ganze für sich selbst ,,im Leeren hangende" Zufälligkeit zeigt doch innere Zusammenhänge, die nach rückwärts weisen, in einen „Grund" dieser Zufälligkeiten, der nicht mehr zufällig ist, und vorwärts in einen „Sinn", dem diese Zufälligkeiten in ihren inneren Zusammenhängen zustreben, der ebenfalls als solcher nicht mehr zufällig ist. „Grund" und „Sinn" sind „notwendig", insofern sie notwendiger Grund und Sinn „dieses" Zufälligen sind. Damit sind sie aber auch notwendig „in sich selbst", insofern sie das Feste sind, das im Unterschied zum Zufälligen in sich selbst steht. — Das vorliegend Gegebene ist endlich vergänglich. Es ist ein beständiges Werden und Vergehen. Aber dieses Werden und Vergehen „ist" doch und weist mithin in diesem „ist" auf ein Ist zurück, von dem her das „ist" dieses Werdens und Vergehens seinen Ursprung hat. Es ist ein durch alle Wandlung durchdauernder Einfluß dieses Ist: eine Ewigkeit des Ist im Wandel des Vergänglichen. Und ebenso untersteht das Werden und Vergehen einem geheimen Ziel-Sinn, der in ihm stetig als dieser eine selbe sich verwirklicht. Es ist also auch dieser Ziel-Sinn ein Ewiges im Wandel, das Ewig-Letzte, das als Ewiges dem Gegenwärtigen bereits gegenwärtig inne ist. Ursprung aber und Ziel-Sinn, Erstes und Letztes sind ein und dasselbe. Denn der Ursprung ist erst dann restlos Ursprung, wenn alles bis ins Letzte von ihm her ist. Damit ist er

— 77 — aber als Ursprung richtung-gebender Ziel-Sinn. Und der ZielSinn ist erst dann restlos Ziel-Sinn, wenn alles von ihm her geformt ist. Dann aber steht er beständig von Anfang an im Ursprung der Dinge. Er ist als Ziel-Sinn Ursprung. Das wirklich Erste ist als Erstes auch das Letzte. Das wirklich Letzte ist als Letztes auch das Erste. Damit geht es um das „Absolute". Es geht darum im negativen Sinn des Wortes: um das „Herausgelöste", nämlich herausgelöst aus dem Beziehungs-Netz, das für das Vielhafte, Zufällige und Vergängliche wesenhaft ist. All dieses „Relative", d. h. in Beziehungen stehende, ist zu diesem Absoluten hin bezogen und hierin von ihm her bedingt. Aber das Absolute selber hat als „Herausgelöstes" keine Beziehung mehr, die sein Wesen begründete. Es ist hierin positiv das „Unbedingte", von dem her und zu dem hin alles andere bedingt ist. Es ist als platonisches ¿Qxi,-fttaaazoyralevrq das ebenso platonische avrò xa&'avró, d a s Autonome. Die sogenannten vorsokratischen „Naturphilosophen'' sind der Prototyp der n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n Lösung unserer Frage: das jeweilige „Ur-Element" der Dinge ist Ursprung und Ziel-Sinn, Erstes und Letztes, und damit Absolutes und Autonomes. Denn von ihm her sind alle Verbindungen der Elemente aufgebaut und zerfallen wieder in seine Ur-Einfachheit zurück. Im Werden und Vergehen der Verbindungen bleibt allein das Ur-Element und ist damit ihnen gegenüber unabhängig, während sie alle von ihm her bedingt sind. Es ist also das Absolute und Autonome. Aber als „Ur-Element" ist es damit ein unterstes Absolutes und Autonomes, und infolgedessen muß alles über ihm zuletzt als Täuschung erscheinen. Leben ist nicht Leben, und Geist ist nicht Geist, wenn alles von diesem untersten „Ur-Element" her und zu ihm wieder hin ist. Es ist alles nur Maskerade dieses „Ur-Elements" : maskiertes Wasser, Feuer, Luft, wie die alte Naturphilosophie sagte, maskiertes Heiion, Elektron, wie die heutige Naturphilosophie sagen mag. So wird die g e i s t e s w i s s e n s c h a f t l i c h e L ö s u n g verständlich : das Absolute und Autonome muß das Oberste der Dinge sein : „Leben", „Seele", „Geist": der „voig" des Anaxagoras als Prototyp der heutigen Geisteswissenschaft. Das Innerste der

— 78 — Dinge ist ihre Ordnung und ihr Sinn. Ihre physische Gestalt ist nichts als ausgeprägte Ordnung, verwirklichter Sinn. Darum ist das Urhafte, von dem alles her und zu dem alles hin ist, die Realität, die solches Ordnungsprinzip darstellt. Das aber ist die „immanente Teleologie", wie sie im Wesen von „Leben" liegt und im „Geist" ihre höchste Form hat. „Geist" ist darum Ursprung und Ziel, Erstes und Letztes und hierin das Absolute und Autonome. Allein „Ur-Element" wie „Geist" sind Realitäten in dieser Schöpfung. Ist aber nicht jede Realität zuletzt doch einbezogen in das Beziehungs-Netz dieser geschlossenen Welt, also auch das „Ur-Element", also auch der „Geist" ? Wenn aber zum Wesen des Absoluten und Autonomen das „Herausgelöstsein" gehört, wie wir es oben entwickelt haben, inwiefern kann dann solche innerweltliche Absolutheit und Autonomie noch echte Absolutheit und Autonomie sein? Ursprung und Ziel im Sinne echter Absolutheit und Autonomie wird also nur etwas sein können, was der gesamten innerweltlichen Realität unabhängig gegenübersteht. Wir stehen damit bei der p l a t o n i s c h e n L ö s u n g der Frage: die „reine Idealität" des „Wahr an sich", „Gut an sich", „Schön an sich" ist das gesuchte Absolute und Autonome. Wahr-gut-schön haben ihren Maßstab in sich selbst. Sie sind schlechthin das „avrò xa&'atTo". Wahr ist „um des Wahren willen", Gut ist „um des Guten willen", Schön ist „um des Schönen willen". Alle Realität aber wird nicht nur nach ihnen gemessen, sondern in dem Maße „ist1* sie, als sie an ihnen „Teilhat". Doch: wird nicht dadurch das einfache Da-Sein der Realität grundlos zu einem „nicht ist" gemacht ? Denn das Wahr-gut-schön betrifft doch vielmehr das So der Dinge, ihr So-Sein. Werden also nicht folgerichtig die Realitäten zu reiner Erscheinung der Idealitäten des reinen Wahren-GutenSchönen ? Schlägt das aber nicht der Wirklichkeit ins Gesicht ? Uns begegnet damit die a r i s t o t e l i s c h e L ö s u n g der Frage: die Idealitäten Wahr-gut-schön sind gewiß das Absolute und Autonome, aber nicht als reine, unbewegte Idealitäten über der bewegten Realität, sondern als Bewegungsprinzipien in der realen Bewegtheit selber. Die platonischen Ideen (das

— 79 — „Wahre an sich") werden zu den Gestalt-Prinzipien (poeqpij) der Dinge, die platonischen Werte (das „Gute an sich") zu den „Tugenden" als „inneren Kräften" (biqytia), das platonisch Schöne zur schwingenden „Proportion" im All. Aber gleitet dann nicht folgerichtig der eigentliche Akzent auf dieses All ? Denn Bewegungs-Prinzipien, so sehr man sie als „TUVOVV CNDVRJTOV" sichern mag, sind doch schließlich „zum Zweck" der Bewegung. Damit aber ist der Bewegungs-Umlauf, die xvxXoqioqia das eigentliche Absolute und Autonome. Ist aber damit nicht der platonische Idealismus aufgehoben ? Geschieht damit nicht ein Rückfall in die realwissenschaftlichen Lösungen, nur mit dem Unterschied, daß der „Umlauf" an Stelle von „Ur-Element" und „Geist" tritt? — Das ist die Problematik, wie sie dem Sinne nach vor dem K a n t i s c h e n T r a n s z e n d e n t a l i s m u s steht. Es ist die Problematik zwischen einer platonischen idealistischen Transzendenz, die zu einer Entwertimg der Realität führt, und einer aristotelischen idealistischen Immanenz (im Kosmos), die in eine Gefährdung der Idealität ausschlägt. Von hier aus erscheint der kantische Transzendentalismus zunächst als S y n t h e s e zwischen der platonischen und der aristotelischen Lösung. Daß im avrb yuxd-'avr6 des Wahr-GutSchön zum mindesten der Ansatzpunkt der Lösung liege, ist dabei vorausgesetzt. Darum teilen sich auch die drei Kritiken entsprechend auf: die „Kritik der reinen Vernunft" für das Wahre, „Kritik der praktischen Vernunft" für das Gute, „Kritik der Urteilskraft" für das Schöne. Und für alle drei gilt das Wort, das der „Kritik der reinen Vernunft" vorausgesetzt ist: daß es um das „Unbedingte" gehe, von dem alles her und zu dem alles hin bedingt sei. Aber es geht um eine mittlere Lösung zwischen der platonischen Transzendenz und der aristotelischen (kosmischen) Immanenz. Es wird eine Region des Wahr-Gut-Schönen gesucht, die einerseits dem Real-Welthaften überlegen ist, anderseits aber doch nicht so, daß sie schlechthin getrennt über ihm steht. Es muß also eine solche sein, die ein „jenseits", ein „trans" anzeigt, aber doch so, daß sie nicht ein endgültig Über-hinaus-gestiegenes ist, ein „Transzendentes", sondern eine Region, die im Real-



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Welthaften stehend, „das Jenseitige (das „trans") betrifft", d. h. „trans-zendental" ist. Diese allgemeine Idee von Transzendentalismus ist aber verwirklicht im „Geist", wie er im „Menschen" ist. Die reine Idealität von Wahr-Gut-Schön entspringt in den Akten des Geistes: das Wahr im Denken, das Gut im Wollen, das Schön im Fühlen. Wahr-an-sich, Gut-an-sich, Schön-an-sich sind nur Herauszeichnung jener inneren, dynamisch-akthaften Absolutheit, die in Denken-an-sich, Wollen-an-sich, Fühlenan-sich liegt, d. h. der autonomen Spontaneität oder spontanen Autonomie, wie sie von Denken zu Wollen ansteigt, um in der „reinen Zweckfreiheit" des Ästhetischen ihren „reinen Ausdruck" zu haben. Dieser Transzendentalismus als a k t h a f t e r T r a n s z e n d e n t a l i s m u s des Geistes betrifft einmal durchaus die reine Idealität von Wahr-Gut-Schön. Es geht nicht um „dynamisch-akthafte Absolutheit" im Sinne naturhafter Intensität oder Qualität der empirischen Akte des Denkens, Wollens, Fühlens. Es geht nicht um ein reales Seinswesen „in actu". Es geht vielmehr um die reine Idealität (von Wahr-Gut-Schön) „in actu". Wahr-Gut-Schön selber sind „transzendental", d.h. ihre dynamisch-akthafte Absolutheit im Denken-an-sich, Wollen-an-sich, Fühlen-an-sich, „betrifft" das „trans" ihrer reinen Idee-Form. — Anderseits aber vollzieht sich diese dynamisch-akthafte Absolutheit im „Menschen" und damit „in den Grenzen" des Menschen, wenn auch nicht in den Grenzen des Herrn X im Unterschied zu den Grenzen des Herrn Y, sondern in den Grenzen menschlicher Natur überhaupt, d. h. „in den Grenzen der Humanität". Der Mensch aber als Mensch ist in das natur-sinnenhafte All hineingewiesen. Vollzieht sich also der akthafte Transzendentalismus des Geistes im Menschen, so vollzieht er sich, so sehr er die reine Idealität von Wahr-Gut-Schön betrifft, doch zur naturhaften Welt hin. Der kantische Transzendentalismus scheint damit mit einem Schlag das gesamte Problem der Philosophie-überhaupt zu lösen. Es ist die Wahrheit der naturwissenschaftlichen Lösung gewahrt: daß das Erste und Letzte wirklich „in" der Natur stehen müsse. Es ist diese Wahrheit aber so gewahrt, daß das Primat des Geistes, wie ihn die geisteswissen-



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schaftliche Lösung mit Recht betont, nicht angetastet, sondern vielmehr unterstrichen wird. Denn der Geist ist zur Natur hin, daß die Natur durch ihn geformt werde. Aber Geist ist anderseits nicht als empirische Realität genommen sondern als „Idealität in actu" und entspricht so der Lösung des platonischen Idealismus. Insofern es aber doch „Geist" ist, in dem diese „Idealität in actu" sich vollzieht und als Idealität in actu, d. h. dynamisch sich vollzieht, ist das Wichtige der aristotelischen Antwort behütet: die Einbeziehung in das Dynamische des All. *

Der kantische Transzendentalismus als Synthese hängt an dem Ineinander von je zwei Bestimmungen. Dieses Ineinander wird ihm zum Schicksal und zur inneren Kritik. Das erste Ineinander in ihm betrifft das V e r h ä l t n i s zwischen I d e a l i t ä t u n d R e a l i t ä t . Einerseits ist die sinnenhafte Realität der Welt nur „Materie" für die „Idealität in actu". Anderseits aber ist diese „Idealität in actu" wesenhaft in die sinnenhafte Realität der Welt hinein gerichtet. Das ist eine Zwangs-Einheit, die zerbrechen mußte. Sie zerbrach im Widerspruch zwischen dem Hegeischen absoluten Idealismus und dem Feuerbach-Marxschen absoluten Materialismus. Für den He gelschen absoluten Idealismus ist die sinnenhafte Realität der Welt nichts mehr denn Erscheinung der „Idealität in actu", und diese „Idealität in actu" selber ist „Idee in actu" geworden, nicht mehr (wie bei Kant) das innere Absolute des Denkens, Wollens, Fühlens, sondern der innere Dynamismus der Idee selber. Für den F e u e r b a c h - M a r x s c h e n absoluten Materialismus aber hat sich umgekehrt das (kantische) innere Hingewiesensein der „Idealität in actu" in die sinnenhafte Realität der Welt verselbständigt, bis diese „Idealität in actu" zur reinen Erscheinungsweise dieser sinnenhaften Realität ward. Das „in actu" ist dem absoluten Idealismus wie dem absoluten Materialismus geblieben und in ihnen zur „Dialektik" geworden: in Hegel zur gradlinigen „Dialektik der Idee", in FeuerbachMarx zur „Dialektik der Materie". P r z y w a r a , Kant heute.

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Darin ist bereits das Schicksal des zweiten Ineinander im kantischen Transzendentalismus berührt. Insofern er einen Transzendentalismus des Geistes im Menschen darstellt, wird ihm die „synthetische Einheit des Ich" zum Mittelpunkt: in der Einheit des Ich binden sich Denken-an-sich, Wollen-ansich, Fühlen-an-sich. Aber damit geht der Gegensatz zwischen Idealität und Realität in dieses Ich selber ein. Es ist einmal „ I d e a l i t ä t als I c h " (das „transzendentale Subjekt"). Aber diese „Idealität als Ich" ist doch nirgendwo denn im „realen Ich" (im „empirischen Subjekt"). Die „Synthesis" ist wesenhaft „ideative Synthesis", nämlich Synthesis der dreifachen „Idealität in actu" (Denken-an-sich, Wollen-an-sich, Fühlenan-sich), und doch wird sie einzig allein in der empirischrealen Synthesis des empirisch-realen Subjekts vollzogen. Das ist die innerste Zwangs-Einheit der Zwangs-Einheit von eben. Sie bricht darum noch schärfer auseinander. Der Hegeische absolute Idealismus fußt in einer solchen Ideativierung der Synthesis, daß jeder Ich-Charakter ausgelöscht ist und an Stelle einer Einheit des Ich die Einheit des Es der Idee tritt. Der Feuerbach-Marxsche absolute Materialismus aber hat zu seiner inneren Ergänzung die Absolutheit des real-empirischen Ich: den „Einzigen" S t i r n e r s und den „Übermenschen" Nietzsches. Auch hier ist in beiden einander widersprechenden Richtungen ein letztes gemeinsames Formales geblieben, darin beide sich zum kantischen Transzendentalismus bekennen: die „Synthesis in actu". Aber in Hegel ist sie das innerste Prinzip der „Dialektik der Idee": das bleibende Ich der Idee in ihrer Wandlung durch These-Antithese-Synthese. In Stirner-Nietzsche ist sie das innerste Prinzip der „Dialektik der Materie": das revolutionär alles sprengende Pathos des robust-biologischen Ich. Aus diesem Schicksal gebiert sich aber die innere Kritik des Transzendentalismus. Sie vollzieht sich einmal in der Abfolge von Neukantianismus zu Phänomenologie. Sie vollzieht sich dann aber tiefer in der religionsphilosophischen Kritik der Grundlagen. Die Abfolge von Neukantianismus zu Phänomenologie greift das Ineinander zwischen Idealität und Realität an, das zum Schicksal des kantischen Transzendentalismus

— 83 — ward. Dieses Schicksal war einmal besiegelt durch den Begriff einer rein dynamischen Idealität. Denken, Wollen, Fühlen ist doch wesenhaft ein „etwas denken, wollen, fühlen". Ist dieses „etwas" also nur die sinnenhafte Realität, so braucht man sich nicht zu wundern, wenn aus einer „Idealität in actu" schließlich nichts wird als ein inneres „in actu" dieser sinnenhaften Realität, der Geist als Revolutionär der Materie. Es kommt also darauf an, der „Idealität in actu" nach oben hin ein „etwas" zu geben, das ihren Dynamismus innerlich bestimmt. Das geschieht im N e u k a n t i a n i s m u s der Marburger (Cohen, Natorp) durch die „Ideen als Methoden" und im Neukantianismus der Badener (Windelband, Rickert) durch die „Werte als Maßstäbe", ja „Werte als eigentliches Sein". Das Denken-an-sich, Wollen-an-sich, Fühlen-an-sich ist ein „unendlicher Progreß", der dem „Sein" der reinen Ideen oder Werte zustrebt und so innerlich von ihnen gerichtet ist. Aber im Neukantianismus sind diese Ideen bzw. Werte schließlich nur „Methoden", d. h. innere Gerichtetheiten der „Idealität in actu". Die Vollendung des Gedankens, der ihm zugrunde liegt, ist darum erst erreicht, wenn das „etwas" im „etwas denken-wollen-fühlen" dieses DenkenWollen-Fühlen selber innerlich konstituiert. Das aber ist der Grundbegriff der P h ä n o m e n o l o g i e : die wesenhafte „Intentionalität des Bewußtseins". Bewußtsein als Denken, Wollen, Fühlen (als „Noesis") ist innerlich bestimmt durch das Etwas dieses Denkens, Wollens, Fühlens (durch das „Noema"). Damit ist der Kampf gegen den Naturalismus vollendet. Denn es gehört nun zum inneren Wesen der „Idealität in actu", daß sie als „Noesis" (Denken, Wollen, Fühlen) durch das Noematische von Wahr-an-sich, Gut-an-sich, Schön-an-sich innerlich bestimmt sei. Wie aber ist es nun mit dem Positiven des Verhältnisses dieser Noesis-Noema-Idealität zur Realität ? Denn die kantische Zwangs-Einheit ist doch offenbar nicht damit allein erlöst, daß die gefährlichen Bindungen der Idealität zur Realität beseitigt sind? Diese Kritik am kantischen Transzendentalismus vollzieht sich in der Entwicklung der Phänomenologie von H u s s e r l über Scheler zu Heidegger. Im allgemeinen Transzendentalismus von Wahr-Gut-Schön be6*

— 84 — deutet das Etwas (etwas als wahr, etwas als gut, etwas als schön) offenbar nicht nur das, was Husserl sieht: das noematisch-ideative Etwas der „reinen Wesenheiten". Sondern dieses Etwas geht wesenhaft auf ein Seiendes. Etwas „ist" wahr, etwas „ist" gut, etwas „ist" schön. Wahr-schön-gut sind Transzendentalien, d. h. das Transzendente betreffend, insofern sie das Sein als das Transzendente betreffen. Wahrgut-schön sind darum im vollendeten Sinne zuletzt Selbstkundgabe des Seins, seines theoretischen Sinnes („wahr"), seiner dynamischen Richtung („gut"), seines die Vollendung vorwegnehmenden Schwingens in sich selbst („schön"). Der alte Gegensatz zwischen naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher, realwissenschaftlicher und idealwissenschaftlicher Richtung, der im kantischen Transzendentalismus nur ausgeglichen war, ist hier eigentlich weggeschafft. Denn alles ist rückgeführt in das eine Problem des Seins zwischen Sosein und Dasein. Im „So des Da" gibt sich das „wahr", im „So zum Da" oder „Da zum So" (d. h. in der So-Verwirklichung oder der Da-Gestalt) gibt sich das „gut", im „So im Da" und „Da im So" das „schön". Dieser Transzendentalismus des Seins hat dann aber offenbar — entsprechend zum kantischen Transzendentalismus — sein Zentrum in einer ähnlichen Wendung der Ich-Synthesis ins Sein. Für Kant gab sich die allgemeine „Idealität in actu" (von Wahr-Gut-Schön als Denken-Wollen-Fühlen) konzentriert in der „synthetischen Einheit des Ich". Heidegger hat mithin methodisch recht, wenn er diese „synthetische Einheit des Ich" ins Sein zurückführt, d. h. seine Lehre von Wahr-gutschön als Selbstkundgabe des Seins zentriert haben will in der Lehre von der „synthetischen Einheit des Ich" als Selbstkundgabe des Seins des Ich. Aber hier liegt gleichzeitig der kritische Punkt. Heidegger selber kommt auf diesem Wege zu einer neuen Form der kantischen Zwangs-Einheit. Das Sein des Ich, dessen Selbstkundgabe die „synthetische Einheit des Ich" ist, ist einmal innerlich Welt-Sein. Denn es ist Einheit jenes Seins, dessen Selbstkundgabe Wahr-gut-schön sind. Aber gerade darum ist umgekehrt das Welt-Sein Ich-Sein. Denn jenes Sein, dessen Selbstkundgabe Wahr-gut-schön sind, schließt sich in diesem

— 85 — Ich-Sein zusammen. Ich ist Welt und Welt ist Ich. Das aber ist zugespitzt, was in Kant lag: Idealität (im Ich), die in die Realität (der Welt) gewiesen ist, und Realität (der Welt), die als Materie in die Idealität (im Ich) zielt. Doch unterirdisch — gegen Heideggers Absicht — begibt sich etwas anderes. Wenn Wahr-gut-schön auf das Sein zurückgeführt werden, so ist es bei ihm das Sein, wie es unmittelbar sich gibt und erst recht sich gibt im Sein des Ich: nicht ein ideales, ruhendes Sein, sondern das Werde-Sein in seiner Spannung zwischen Sosein und Dasein. Heidegger sucht dann das Absolute, das in Wahr-gut-schön liegt, zu wahren, indem er es in ein neues Dynamisch-Absolutes wandelt: in den inneren, absoluten Dynamismus dieses Werde-Seins, das als das eine „In der Welt" sich restlos zusammenschließt. Aber das ist offenbar mehr eine Lösung im Zu-griff als im Be-griff. Denn Heidegger muß selber folgerichtig zugestehen, daß sein WerdeSein, so man mit seiner Geschlossenheit in sich selbst Ernst macht, im Nichts als seinem Seinsgrund stehe. Dann ist aber seine Rückführung von Wahr-gut-schön auf das Sein zuletzt eine Rückführung auf das Nichts, d. h. auf den schlechthinnigen Widerspruch zu dem, was in Wahr-gut-schön gesagt ist. Denn sie sagen deutlich ein „ist" aus und ein solches, das eigentlich ein reines Ist ist: Veritas Ipsa, Bonitas Ipsa, Pulchritudo Ipsa. Damit stehen wir in der zweiten Kritik, die sich geschichtlich am kantischen Transzendentalismus vollzieht: in der r e l i g i o n s p h i l o s o p h i s c h e n Kritik. Für den Piatonismus des transzendent-statischen Wahr-gut-schön wie für den Aristotelismus des immanent-dynamischen Wahr-gut-schön war das Göttliche immer noch eine Art Hintergrund. Aber die Tendenz des Piatonismus ging doch auf eine Ersetzung der Götterwelt durch die Göttlichkeit des Wahr-gut-schön, und im Aristotelismus gleitet das Göttliche dieses Wahr-gutschön so sehr als vötjoig voroewg und xivovv cnuvrjrov in die xvvtXoq>o^ia des All, daß eigentlich dieses All das Göttliche ist. Das geht dann folgerichtig auch auf den kantischen Transzententalismus über, der zwischen Piatonismus und Aristotelismus vermittelt. Das Zentrum dieser Vermittlung ist, wie wir sahen, die „synthetische Einheit des Ich" im

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Menschen. Folgerichtig muß das Göttliche es sich gefallen lassen, nach den Mafien dieses Menschen zurechtgeschnitten zu werden. Es entsteht die „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft", d. h. Religion, gemessen am Sinn und Nutzen der Humanität. Gott ist zum Menschen hin, und darum ist es innerlich folgerichtig, daß nicht Gott der Sitz des absoluten Wahr-gut-schön ist, als des einen Maßstabs und der einen Richte, sondern der „Geist" im „Menschen". Es ist „Deus in nobis": die Humanität als das eigentlich Göttliche. An diesem Punkt geschieht heute die einschneidende Kritik. Von Heidegger her vollzieht sich die „Destruierung" (mit seinem Ausdruck) des „idealen Menschen" Kants in den realen Menschen der „Sorge" im „Nichts" zum „Tod" hin. Gewiß will Heidegger diese Desillusionierung als Grundlage eines „Pessimismus der Stärke" nach der Art Nietzsches. Aber das ist Zu-griff. Was als Einsicht bleibt, ist die innere Werdehaftigkeit des Menschen: sein „est non est", „Sein und doch nicht Sein", wie Augustinus spricht. Dem entspricht dann, vom Gegenpol Heideggers, von Karl B a r t h her, die Umkehning des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch: nicht mehr Gott gemessen an einer idealen Humanität, sondern der Mensch als ein Nichts vor der Majestät des Ist Gottes, restlos zu Seiner Verfügung: nicht mehr ein humanitärer „reiner Geist", in den alle „Mythologie" der Offenbarung „sich aufklärt", sondern alle Kreatur als Chaos unter dem Werde des „Heiligen Geistes". Es ist klar, was unter dieser Sicht mit unserm Wahr-gutschön geschieht. Es geschieht das, was entscheidend bereits in der Philosophie A u g u s t i n s und T h o m a s von A q u i n s geschah: Gott als die Wahrheit-Gutheit-Schönheit. Denn, wenn das wahr ist, was sich uns in der Gegenüberstellung Heideggers und Karl Barths gab, der Mensch als ein Nichts vor Gott als Ist, dann ist das Absolute und Autonome, das in wahrem Sinn in Wahr-gut-schön liegt, nicht Selbstkundgabe des Sein des Menschen oder überhaupt irgendeiner Kreatur, sondern Selbstkundgabe des Seins Gottes, der allein der Absolute und Autonome ist. Wahrheit-Gutheit-Schönheit heißen Deus Ipsa Veritas, Deus Ipsa Bonitas, Deus Ipsa Pulchritudo. Sie sind die leuchtende innerste Selbst-Offen-

— 87 — barung Gottes, und — in den tiefen Andeutungen, die gerade Augustin in „de Trinitate" wagt — ein Leuchten, in dem das innerste Leben Gottes sein Geheimnis in „Spuren" vorzeichnet : die Dreipersönlichkeit. Dann prägt sich aber auch in die Autonomie-Formel von Wahr-gut-schön folgerichtig diese wurzelhafte Gottes-Autonomie aus. Das avi6 avrö, „wahr um des Wahren willen", „gut um des Guten willen", „schön um des Schönen willen" gilt darum und insoweit als gilt: „wahr um Gott-Wahrheit willen", „gut um Gott-Gutheit willen", „schön um Gott-Schönheit willen". Das hat aber dann seine letzte Folgerung in das hinein, was man das s u b j e k t i v e P a t h o s u n d E t h o s von W a h r g u t - s c h ö n nennen kann: die subjektive formale Haltung des Menschen im Gebiet des Wahren, Guten, Schönen. Im kantischen Transzendentalismus konzentriert sich objektiv alles in die „synthetische Einheit des Ich". Das prägt sich subjektiv in einer inneren Unausweichlichkeit in eine doppelte Ich-Betonung aus. Es ist zunächst Ich-Betonung, insofern auf das Ich ein Absolut-Akzent gleitet. Die Folge ist ein Starrwerden. Denn einem absoluten Ich geziemt doch Majestät. So spricht denn Georg Simmel, in bezug auf das Wahr, von der Unduldsamkeit des kantischen Erkennens. So spricht Schiller, in bezug auf das Gute, vom kantischen PflichtFanatismus. So spricht Goethe, in bezug auf das Schöne, das am wenigsten solche Starrheit verträgt, davon, daß vor Kant „die Grazien fliehen". Korrelat zu dieser Erstarrung ist dann aber anderseits der kantische Pessimismus. Denn solche Starrheit der „absoluten Geste" ist in sich unhaltbar. Sie ist darum beständig der Explosion nahe, und dann der Explosion in ein absolutes Chaos und ein verzweifeltes Chaos. So ist der Gegenpol der absoluten Starrheit das beständige Bewußtsein des „radikal Bösen": die Dämonie in der Majestät. Es ist klar, wie grundlegend sich dieses subjektive Pathos und Ethos im Transzendentalismus Augustins und Thomas von Aquins ändert. Gott ist die Veritas, Bonitas, Pulchritudo Ipsa, und folgerichtig ist der Mensch des Wahren-GutenSchönen inne in dem Maß, als er in Gott „lebt, webt und ist". Nicht hängt Wahrheit, Gutheit, Schönheit von ihm ab,

— 88



sondern er steht in ihrem Strahlenglanz und steht in ihrem Dienst, im Maße er im Strahlenglanz der Göttlichen Majestät steht und in Ihrem Dienst. Damit atmet aber folgerichtig durch all sein Wahrheit-Sachen, durch all sein Streben nach dem Guten die demütige Gelöstheit des dienenden Kindes. Damit ist folgerichtig gerade das Eigentliche der Schönheit in diesem Menschen die Form: das „befreite Schwingen". Lebend von und in der Gnade des Deus-Veritas, Deus-Bonitas, Deus-Pulchritudo ist er vom Zartesten dieser Gnade durchformt: der „Grazie" der gratia Dei. Sein Leben wird die Grazie der beständigen Innigkeit der Anbetimg und anbetenden Innigkeit, und ein solches Leben weiß nichts vom Pessimismus eines „radikal Bösen". Es hat die, sich und Welt in Gott hinein vergessende, Kühnheit des Augustinischen Gebets: „Deus per quem universitas etiam cum sinistra parte perfecta est", „Gott, durch den das All auch mit seinem Links vollkommen ist" (Soliloq I i ; 2). Es ist Transzendentalismus, in dem das zum „trans" „bezügliche" Wahr-GutSchön, wie es im Denken, Wollen, Fühlen aufblitzt, das eigentlichste Trans berührt: das Trans des Deus incomprehensibilis, dessen Jenseits der Unbegreiflichkeit aber die Unbegreiflichkeit der Liebe ist. So ist es der eigentliche Transzendentalismus, den alle anderen, auch und gerade in ihrem Abirren, doch meinen. Denn Augustinus betet das noch kühnere Gebet: „Deus in quo sunt omnia, cui tarnen nec turpitudo turpis est, nec malitia nocet, nec error errat", „Gott, in Dem alles ist, dem aber Häßlichkeit nicht häßlich ist, Bosheit nicht schadet, Irrtum nicht Irrtum ist" (Soliloq I 1 ; 2). So sieghaft sind Wahrheit, Gutheit, Schönheit in diesem Trans des imbegreiflichen Gottes der Liebe verwurzelt, daß ihr Gegenteil (error, malitia, turpitudo) selber davor schwindet. Es ist Transzendentalismus als der sieghafteste Idealismus, weil und insoweit er die radikalste Überwindung des Subjektivismus ist: das Wort des Evangeliums als System: „wer seine Seele verliert, gewinnt sie." [3] Es gab eine Zeit, da im Namen Kants jegliche Metaphysik für erledigt galt: sei es um eines Kant der „reinen

— 89 — Naturwissenschaften" willen, sei es für einen Kant der „reinen Erkenntnistheorie". Es gab ferner eine Zeit, die nur eine intellektual-theoretische Metaphysik durch ihn für beseitigt hielt, aber den Weg geöffnet zu einer voluntaristischen Metaphysik. Heinz Heimsoeth machte dann (in seinen Studien zum Kant-Jubiläum) den Versuch, diese letzte Deutung so auszubauen, daß sie aus einer voluntaristischen Metaphysik zu einer Metaphysik der personalen Spontaneität würde, die dann ihren Ansatzpunkt bereits in der intellektualen Spontaneität (in der „Kritik der reinen Vernunft") hat. Von Riehl und Messer her datieren endlich die nicht immer sehr glücklichen Versuche, den Kantischen Kritizismus mit einer kritischen induktiven Metaphysik in Verbindung zu bringen. Erst im Gegensatz der zwei neuen Kant-Deutungen, Martin Heideggers („Kant und das Problem der Metaphysik") und Eugen Herrigels („Die metaphysische Form") erstellt die Frage nach Kant und Metaphysik in der eigentlichen Form: es geht um die immanente Metaphysik der kantischen Grundfrage „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?". Die alten Gegensätze zwischen einem sensualistischen Kantianismus, der die kantische Grundfrage in die Geschlossenheit der Sinnen-Erfahrung deutet, und einem idealistischen Kantianismus, der dieselbe Frage in den Apriorismus idealer Formen auslegt, diese Gegensätze erhalten nun ihre tiefste Grundlegung: im Gegensatz einer grundsätzlichen Metaphysik der Endlichkeit (in Heidegger) und einer ebenso grundsätzlichen Metaphysik der Unendlichkeit (in Herrigel). Damit ist aber sach-philosophisch der eigentliche Punkt erreicht, wo Kant und Thomas sich Aug in Aug schauen: in Kant die Aporie zwischen Metaphysik der Endlichkeit und Metaphysik der Unendlichkeit, in Thomas als Antwort die Metaphysik der analogia entis. Die Methode unserer Untersuchung ist uns also gegeben. Wir führen von Kant her über Heidegger-Herrigel das Problem einer Metaphysik der Endlichkeit oder der Unendlichkeit bis zu dem Punkt, wo die Frage einer Metaphysik der analogia entis unmittelbar entsteht. Wir entwickeln den entscheidenden Ansatz der Metaphysik der analogia entis aus der Problematik der Metaphysik der Endlichkeit oder der Unendlichkeit. •

— 90 — K a n t steht, wie Heidegger und Herrigel mit Recht sehen, in seiner grundlegenden Fragestellung der überlieferten Metaphysik gegenüber. Seine Fragestellung tritt ihr so entgegen, daß sie aus ihr geboren ist. Denn im „a priori" (der „synthetischen Urteile a priori") geht es um ein Gefüge, das allem erfahrungswissenschaftlichen Aspekt „vorauf" ist und ihm allererst „zugrunde" liegt. D. h. es geht um die echte Selbständigkeit von Metaphysik gegenüber den Realwissenschaften. Das „synthetisch" aber sagt, daß dieses Gefüge gesichtet sein soll in seinem inneren Zusammenhang mit der einen bestehenden Erfahrungs-Welt. D. h. es geht um Metaphysik als innerer Metaphysik der Realwissenschaften. Kants Fragestellung zielt also erstens (in der Reduzierung auf die Urteils-Frage) auf eine k r i t i s c h e M e t a p h y s i k , d. h. auf eine Metaphysik, die nicht einfach naiv auf Gegenstände geht, sondern zuerst ihre methodischen Möglichkeiten und Grenzen prüft. Zweitens aber zielt sie auf eine solche kritische Metaphysik in einem doppelten Sinn. In „Metaphysik gegenüber den Realwissenschaften" liegt die Richtung auf eine kritische Metaphysik apriorischer Formen, die der endlichen Existentialität dieser Welt vorausliegen: kritische Metaphysik der Unendlichkeit. In „Metaphysik als innere Metaphysik der Realwissenschaften" aber begreift sich die Richtung auf eine kritische Metaphysik dieser bestehenden endlichen Welt: kritische Metaphysik der Endlichkeit. Beide Richtungen wird man in Kant aufweisen können. Denn seine Stellung zur überlieferten Metaphysik ist doppeldeutig. Sie richtet sich einmal gegen eine „schwärmende" Metaphysik, die der Grenzen der mensch-sinnenhaften Erfahrung nicht acht hat. Sie unterstreicht gegenüber Leibniz und Wolff die metaphysische Skepsis der Naturwissenschaften. Sie fordert die nüchterne Beschränkung in die Grenzen der Endlichkeit. Sie tut das durch eine kritische Grenzziehung im Bereich der Gegenstände: dem endlichen Menschen ist aller Blick über die sinnenhafte Endlichkeit hinaus versagt. Sie tut es noch einschneidender durch die kritische Grenzziehung im Erkenntnisakt selber: das endliche Erkennen des Menschen ist seiner Natur nach einzig der Erfassung sinnenhaft Endlichen fähig. Sie rundet das ab bis zu einer Umdeutung alles

— 91 — Nicht-sinnenhaft-endlichen: Seele, All, Gott als reine Grenzideen des inner-endlichen „unendlichen progressus". Unendlichkeit wird in dieser kritischen Metaphysik der E n d l i c h k e i t zuletzt zur inneren Unendlichkeit der Endlichkeit: zu ihrer formalen „unendlichen Intensität". Das „est Deus in nobis" des Opus posthumum heißt folgerichtig in seiner Akzentuierung „est Dens in nobis." Es ist die Göttlichkeit der Humanität, insofern das Innerweltliche sich um sie zusammenschließt: Erdgöttlichkeit des endlichen Menschen in der Welt in die Welt hinein. Es ist ein solches Betonen des „nobis", daß „nobis" (von unten her) als „Deus" erscheint: die pantheistische „Göttliche Humanität". Aber Kants kritische Metaphysik geht unleugbar ebenso kritisch mit Leibniz-Wolff gegen eine Unterstellung von Freiheit, Person und Geist unter das rein Naturhafte von Gesetz und Ausdehnung, wie sie vom Spinozismus her droht. Kants Transzendentalismus (gerade in der Abfolge von der „Kritik der reinen Vernunft" zur „Kritik der praktischen Vernunft") zielt auf eine kritische gesicherte Form einer Metaphysik des Primates von Freiheit, Person, Geist: auf einen kritischen Primat der Unendlichkeit des mundus intelligibilis. Die kritische Grenzziehung im Bereich der Gegenstände hat von hier aus den Sinn einer positiven Kritik: kritische Sicherung des intelligibel Uber-Endlichen gegenüber der reinen Natur. Und ebenso gewinnt die kritische Grenzziehung im Erkenntnis-Akt ein positives Gesicht: nicht nur Abweisung der Kompetenz eines mathematischen und experimentalen Erkennens für das Rein-Metaphysische, sondern Aufdeckung des Weges in dieses Metaphysische in den Kategorien dieses Natur-Erkennens selber. Die letzte Richtung geht dann in das Umgekehrte dessen, was wir eben sahen: die sinnenhafte Endlichkeit ist nur Materie gegenüber einer unendlichen Formenwelt. Der „unendliche progressus" spricht vielmehr von der negativen Unbegrenztheit einer Aufnahme-Möglichkeit in dieser Materie und der positiven Unendlichkeit der Formen, die sich in diese Materie hinein ausprägen. Das „transzendentale Ich" ist von oben nach unten konstruiert: als Demiurg im Auftrag der Unendlichkeit. Endlichkeit wird in dieser kritischen Metaphysik der Unendlichkeit

— 92 — mithin zum gleichsam „untersten Saum" der ach auswirkenden Unendlichkeit, zu ihrem „jetzt hier" in der Endlichkeit. Das „est Deus in nobis" akzentuiert sich in ein „est Deus in nobis". Es ist Göttlichkeit der Humanität, insofern sie Erscheinung des Überweltlichen ist: Himmels-Göttlichkeit im endlichen Menschen, nicht von der Welt, wenngleich in die Welt hinein. Es ist ein solches Betonen des „Deus in", daß „Deus" (von oben her) als „nobis" erscheint: die theopanistische „Göttliche Humanität". Diese inneren Gegensätze einer kritischen Metaphysik, wie sie in Kant selber liegen, ohne aber von ihm herausgestellt zu sein, sind nun im Gegensatz der Kant-Deutung Heideggers und derjenigen Herrigels bewußtes Entweder-Oder. Wir gewinnen damit unser Problem ausdrücklich. Wir werden es darum auch am besten in der ausgesprochenen Form der Ansatz-Frage sichten: Problem des formalen Aktes von Metaphysik, Problem ihres formalen Gegenstandes. Für Heidegger ist die Metaphysik der Endlichkeit (des „Menschen" „in der Welt") darin entscheidend grundgelegt, daß nicht nur das „Verstandsein des Verstandes" die „Angewiesenheit auf die Anschauung" ist (140), sondern daß der Verstand selber aus der transzendentalen Einbildungskraft entspringt, diese aber sich auf das zurückführt, was die Endlichkeit als solche konstituiert: die Zeit. Der Apriorismus des Verstandes ist mithin ein Apriorismus der Vorstellungskraft, „ein von sich aus vorstellendes Vorbilden" (143), ein „Sich denken" oder „reines Einbilden" (144). Er fällt mithin mit dem Schematismus zusammen. Das ist die ursprüngliche Konzeption Kants, die noch die erste Auflage der „Kritik der reinen Vernunft" beherrscht. Die zweite Auflage ist die Flucht vor dem Radikalismus dieses Gedankens (i59ff.). Metaphysik ist hier Metaphysik der Endlichkeit, weil ihr formaler Akt selber durch das Wesen von Endlichkeit konstituiert ist: sinnenhafte Raum-Zeit-lichkeit. Metaphysisches Denken heißt grundlegend ein Denken, in dem diese sinnenhafte Raum-Zeit-lichkeit in „reiner Form" erscheint. Das aber ist die transzendentale Einbildungskraft. Es ist so auf der einen Seite streng endliches Denken: nicht

— 93 — nur die Einheit einer „endlichen reinen sinnlichen Vernunft" (i88), sondern eine solche, die in ihrem Grund-Akt, dem „Seinsverständnis", das „Endlichste im Endlichen (219) ist, weil dieser Grund-Akt im „Sich hinein halten ins Nichts" (228) gründet. Es ist auf der anderen Seite aber ein endliches Denken, das das unendliche Denken, d. h. das absolute Denken des Idealismus, in seine Endlichkeit hinein umdeutet, um der (akthaften) Geschlossenheit der Endlichkeit willen. Es trägt in sich die Kraft der Spontaneität dieses unendlichen Denkens: als Kraft der „Sorge" um das „endlich sein können" (207), um die entschlossene „Verendlichung" (ebd.). Es trägt ferner in sich die Freiheit der Apriorität dieses unendlichen Denkens: als Freiheit der transzendentalen Einbildungskraft (in der alle andere Freiheit grundgelegt ist), darin diese „den Hinblick des Horizontes von Gegenständlichkeit als solcher vor der Erfahrung des Seienden" bildet (124). Es trägt endlich die Transzendenz dieses unendlichen Denkens in sich: die Transzendenz der Apriorität der transzendentalen Einbildungskraft über die „Erfahrung des Seienden", die Transzendenz der „Erfahrung des Seienden" über diesen „Horizont von Gegenständlichkeit" überhaupt, also die erste idealistische und die zweite realistische Transzendenz als eine einzige gegenseitige Transzendenz zwischen Mensch und Welt in der Immanenz der Endlichkeit. Es ist klar, daß damit der formale Gegenstand von Metaphysik eindeutig bestimmt ist. Der transzendentalen Einbildungskraft entspricht die anschauliche Sinnenwelt in ihrer Sinnenhaftigkeit. D. h. der formale Gegenstand der Metaphysik der Endlichkeit ist nicht eine „intelligible Struktur" dieser Sinnenwelt, sondern ihre lebenshafte „Stimmung": Langeweile, Angst, Sorge usw., die in der transzendentalen Einbildungskraft zu reiner Erscheinung kommen. Indem weiter die transzendentale Einbildungskraft in der „Zeit" gründet, „entspricht" ihr nicht nur in der Gegenstandssphäre die geschlossene Zeitlichkeit, sondern Akt und Gegenstand sind in dieser „Zeit" eins. Das vollendet sich darum im „Nichts". Grund-Akt des „endlichen Denkens" ist das „Sich hinein halten ins Nichts", inneres Grund-Wesen der geschlossenen Endlichkeit ist dasselbe „Nichts". „Seins-

— 94 — Verständnis" heißt „Sich hineinhalten ins Nichts" (228), „Da-sein heißt: Hineingehaltenheit in das Nichts" (Was ist Metaphysik? 20). Aber geradeso trägt diese Endlichkeit die Unendlichkeit in sich: indem sie im Nichts steht, umspannt sie vom Nichts aus „das Seiende im Ganzen": die „Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts auf dem Grunde der verborgenen Angst ist das Übersteigen des Seienden im Ganzen: die Transzendenz" (Was ist Metaphysik? 20). — Für Herrigel ist gerade umgekehrt eine M e t a p h y s i k der Unendlichkeit (der „urbildlichen Synthesen", die einem „reinen Erkennen" entspringen 37) darin begründet, daß der kantische „reine Verstand" so sehr „reiner" Verstand ist, daß er nicht „unser" Verstand ist, sondern „ F o r m . . . jenes reinen Erkennens, das in urbildlichen Synthesen Welten erzeugt" (37). Der Apriorismus des Verstandes weist nicht unter sich, in die transzendentale Einbildungskraft und von da aus in die Zeit, sondern über sich in ein „reines Erkennen", dem „unser" Erkennen „konform" zu sein hat: in einen „reinen Verstand", der zugleich „spontane Einheit (ist), in der die reinen Begriffe gründen" und „objektive Einheit der urbildlichen Setzungen, die durch diese reinen Begriffe sachlich begründet sind" (38): ein „schlechthin überlogisches Sein", von dem her ist „das reale Dasein der sinnlichen Natur und unser Erkennen dieses Daseins" (183). Das ist die Konzeption Kants, wie sie dem Fortschritt von der ersten zur zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft" entspricht. Aber selbst noch die zweite Auflage versagt in der Folgerichtigkeit dieses Fortschritts (128f., 149ff.). Metaphysik ist hier also Metaphysik der Unendlichkeit, weil ihr f o r m a l e r A k t bereits von der ursprünglichen (personalen) Unendlichkeit her ist: der reine Verstand als das „in uns" des urbildlichen Verstandes, der „in urbildlichen Synthesen Welten erzeugt" (37). Metaphysisches Denken heißt grundlegend ein Denken, in dem die eigentliche Unendlichkeit sich kundtut: in der apriorischen Spontaneität und spontanen Apriorität des reinen Verstandes „der schlechthin reine Wille als der Grund aller Gründe, und in eins damit das personale Geistwesen als Quell alles Seins" (185). Der Grund-Akt dieses metaphysischen Denkens ist darum mög-

— 95 — lichstes „Konform"-sein mit dem Ist dieses „überlogischen Seins". Denn in der Absolutheit dieses „überlogischen" Verstandes im „schlechthin reinen Willen" des „personalen Geisteswesens als Quell alles Seins" beruht der „kopemikanische Standpunkt" (36ff.). In diesem „Konform"-sein ist darum dann auch die Endlichkeit unseres Erkennens gewahrt: nicht nur durch die „adaequatio" des Konform-Seins, wie sie dem Endlichen gegenüber dem Unendlichen entspricht, sondern gesteigert dadurch, daß das Konform-Sein als „Forderung" uns gegenüber tritt, als Forderung „nicht von uns an uns gestellt", sondern „an uns gestellt, ob wir wollen oder nicht" (173), und als Forderung „ins Unendliche" (175). Damit ist natürlich ebenso der f o r m a l e G e g e n s t a n d von Metaphysik festgelegt. „Unserm" reinen Verstand als dem „in uns" des urbildlichen Verstandes entspricht die Sicht der „urbildlichen Synthesen" in ihrer Korrelation zur „Materie überhaupt". Diese Korrelation aber ist, wenn wir eine Übertragung in die Sprache Thomas von Aquins vornehmen, ein Gewebe dreier Unendlichkeiten: des infinitum actuale der „reinen Form", des infinitum potentiale der „reinen Materie" und folgerichtig eines (wie wir es nennen könnten) infinitum relationale der Korrelation zwischen beiden. Gewiß ist „unser" Verstand in die anschauliche Sinnenwelt gerichtet, aber erstens (in den „Naturgesetzen") auf das „reine Sein einer sinnlichen Natur überhaupt" (83), zweitens auf den mundus sensibilis nicht um seiner selbst willen, sondern um „des nicht gegebenen intelligiblen Sein" willen (19) und drittens auch dies noch als Weg in die Einsicht der reinen Struktur zwischen „Form an sich" und „Materie an sich" (25ff.). So zielt auch hier alles in ein letztes Eins. Der Grund-Akt der Metaphysik der Unendlichkeit ist das „geforderte" „Konform"-sein „unseres" Erkennens zum „reinen Erkennen, das in urbildlichen Synthesen Welten erzeugt". Dasselbe „reine Erkennen" ist also als „Quell alles Seins" (36) Quell jenes gegenständlichen Wesens von Unendlichkeit, wie wir es sahen: infinitum relationale zwischen infinitum actuale und infinitum potentiale. Im Stehen im unendlichen Erkennen steht der GrundAkt von Metaphysik mithin im unendlichen Sein. Aber

— 96 — indem er dieses unendliche Sein von der Endlichkeit des mundus sensibilis her sichtet, und in diesem Sichten tiefer den mundus sensibilis vom unendlichen Sein her (xojt., H2Ü.), ist der Gegenstand dieser Metaphysik der Unendlichkeit doch auch die Endlichkeit, aber wesenhaft in ihrem „von her" von der Unendlichkeit, als ihr „unterster Saum". — Der Gegensatz zwischen der Kant-Deutung Heideggers und derjenigen Herrigels schenkt uns also in der Tat das, was für unser Problem von höchster Wichtigkeit ist: das zugespitzte Entweder-Oder im Kant-Problem: zwischen Metaphysik der Endlichkeit und Metaphysik der Unendlichkeit. Es ist so zugespitzt, daß es die reine Sach-Fragestellung bereits bedeutet. Es ist damit schon Aug in Aug zur Antwort. Beides ist im folgenden herauszustellen. *

Wir werden (mit Hugo Dingler) wohl ganz allgemein sagen können, daß es in Metaphysik um das „Letzte" gehe. Der rein bibliographische Name „peta (pvoixa", d. h. (in den Schriften des Aristoteles) die Schriften hinter den physikalischen Schriften, ist dann innerlich ins Sachliche gewendet: das, was in allen Fragen, die an die Realität stellbar sind, das „Letzte" ist. Objektiv sachlich ist aber dieses „Letzte" für Aristoteles zugleich das „Erste", ja früher das „Erste" als das „Letzte" 1 ). Für Piaton ist es auch dann subjektiv methodisch früher das „Erste", während es für Aristoteles subjektiv methodisch früher das „Letzte" ist. Die Metaphysik Piatons ist apriorische Metaphysik, die immittelbar nach dem „Ersten" und „Letzten" fragt und erst von ihm aus das „Abgeleitete" (die f.isxi%ovra) sichtet. Die Metaphysik des Aristoteles ist aposteriorische Metaphysik, die erst die sinnenhafte Realität (in den qvoixd) durchforscht, um dann erst (ftsta (ja) (fvaixa), mittelbar durch diese SinnenRealität die Frage nach dem „Ersten" und „Letzten" zu stellen. In diesem Sinn läßt sich also Metaphysik im allgemeinsten Begriff bestimmen: daß es in ihr um das „Letzte" gehe. Wir ») Vgl. S. 76 f.

— 97 — werden mithin die ganze Schärfe der Fragestellung erhalten, wenn wir unser ganzes bisheriges Ergebnis unter diesen Begriff des „Letzten" stellen. Für die k r i t i s c h e M e t a p h y s i k der E n d l i c h k e i t ist das „Nichts" dieses „Letzte". Denn Endlichkeit als Endlichkeit ist (im spezifischen Unterschied zu einem „Ist") das „nicht ist" des beständigen „war" und „wird (sein)". Von diesem (immanenten) Grund aus dehnt sich Endlichkeit zur „unendlichen Intensität" ihres „ins Unendliche". Es ist also (unter der Voraussetzung geschlossener Endlichkeit) ein „produktives Nichts". Es heißt folgerichtig, wie Heidegger formuliert : „ex nihilo omne ens qua ens fit" (Was ist Metaphysik? 26). Der formale A k t von Metaphysik lautet dann: stehen im Formal-Grund von Endlichkeit überhaupt und darum „Sich hinein halten ins Nichts". In diesem formalen Akt wird dann der formale G e g e n s t a n d von Metaphysik ergriffen : der objektive Formal-Grund von Endlichkeit überhaupt, d. h. das Nichts. Aber es wird ergriffen, insofern es das „Erste" und „Letzte" ist, d. h. als das nihilum, ex quo omne ens qua ens fit, d. h. als das Nichts der unendlichen Intensität zum „ist" hin, und produktiver Intensität. Denn „aus" ihm „wird" „alles Sein". Hineingehalten ins Nichts umgreift der Akt von Metaphysik subjektiv alles Sein, weil objektiv „die Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts" „ist das Übersteigen des Seienden im Ganzen: die Transzendenz" (Was ist Metaphysik? 24). Damit aber ist das „Letzte" dieser Metaphysik der Endlichkeit in diesem Aktund Gegenstand-Letzten ihre I d e n t i t ä t : d.h. das parmenidische Letzte des ró avrò von votiv (Akt der Metaphysik) und eivai (Gegenstand der Metaphysik). Das „Sich hinein halten ins Nichts" (als Akt der Metaphysik der Endlichkeit) ist, im Maße es um ein inneres Stehen im Nichts geht, um von ihm aus das „Seiende im Ganzen" zu „übersteigen", ein Eins-sein mit diesem Nichts. Da aber das objektive, radikale Nichts diesem subjektiven Eins-sein vorausliegt, so ergibt sich die letzte Folgerung aus dem Satz Heideggers, daß das Seinsverständnis das Selbst-verständnis, d. h. die Selbstkundgabe des Seins sei. Diese Folgerung ist die Anwendung der parmenidischen Identität auf die Metaphysik der EndP n y w a r » , Kaut beute.

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— 98 — lichkeit: im Akt von Metaphysik (der Endlichkeit) sagt die „Endlichkeit überhaupt" sich „endlich überhaupt" aus, d. h. das objektive Nichts (als immanenter Formal-Grund der Endlichkeit) sagt sich nichtshaft aus. Nicht nur (wie Heidegger in „Was ist Metaphysik?" selber ausführt) weist die „Nichtung", d. h. die Verneinung, auf das „Nichts" zurück. Sondern folgerichtig steht das Wesen der Metaphysik der Endlichkeit in der Selbstkundgabe des (objektiven) Nichts in der (subjektiven) Nichtung, aber Nichts und Nichtung, von denen alles Positive „ins Unendliche" her ist, d. h. produktives Nichts in der produktiven Nichtung: die Göttlichkeit der Selbstidentität des produktiven Nichts. Das Umgekehrte ist für die kritische Metaphysik der Unendlichkeit der Fall. Gewiß ist Endlichkeit spezifisch ein „nicht ist". Aber indem alles Endliche in seinem „war" und „wird (sein)" doch immer „ist", ist es vielmehr ein empfangenes „ist" von einem absoluten „Ist" her. Das Erste und Letzte ist mithin dieses „Ist". Endlichkeit ist ein „ist" nicht in einem „ins Unendliche" vom Nichts zum (immanenten) Ist, sondern im Sich-mitteilen eines (transzendenten) unendlichen Ist zum Nichts hin. Dem Heideggerschen Satz „ex nihilo omne ens qua ens fit" tritt der andere Satz gegenüber „ex Ipso Esse omne ens qua ens fit". Der formale A k t von Metaphysik heißt dann folgerichtig: stehen in diesem Wirk-Grund von Endlichkeit überhaupt, d. h. die platonische emoxrjfiTj, die für den Akt von Metaphysik verbindlich ist (im Unterschied zur